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Title: Der Bankerott - Eine gesellschaftliche Tragödie in fünf Akten Author: Müller, Florian Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Der Bankerott - Eine gesellschaftliche Tragödie in fünf Akten" *** Der Bankerott. Eine gesellschaftliche Tragödie in fünf Akten von Florian Müller Leipzig Theodor Thomas. 1853. Der Verfasser schuf vorliegendes Drama aus bildnerischem Triebe und keinem Sonderinteresse. Ob's zur Darstellung durch unsere Bühnen würdig und geschickt ist, überläßt er vertrauensvoll der Oeffentlichkeit. Mehr für seine Rechtfertigung oder Erläuterung zu sagen, erscheint ihm überflüssig. Wer die Gesellschaft in allen Regionen mit eigenen Augen und als Menschenfreund sah, wird sie ähnlich auffassen und in keiner Weise zweifeln, daß nicht Leute wie Albert, Marie, Vater Ziemens, Klaus in ganz analogen Verhältnissen, und von derselben Charactertiefe, existiren können. Neujahr 1853. FLORIAN MÜLLER. Ah! quand verrai-je enfin ma stérile patrie, Réformer de son goùt l'antique barbarie, Offrir un doux asile aux beaux-arts négligés; Réchauffer leur ardeur, dans son sein protégés, Et, faisant refleurir l'esprit et le génie, Rendre la gloire aux arts, et les arts à la vie? Frédéric II. (Epitre sur la liberté.) Der Bankerott. Personen QUESTENBERG, großer Zeugfabrikant. DOCTOR QUESTENBERG, sein Sohn. BLASHAMMER, Banquier und Waffenfabrikant. ADELGUNDE, seine Tochter. V. ZITTERWITZ, Regierungsrath. JOHNSON, Capitalist. ALBERT, } KLAUS, } Arbeiter Questenberg's. VATER ZIEMENS, } MUTTER ZIEMENS. MARIE, deren Tochter. Ein Sänger, Herren und Damen als Gäste. Bediente, Arbeiter, Volk. — Zeit der Handlung im Jahre 1850. Erster Akt. Abtheilung I. Comtoir Questenbergs. Im Hintergrunde Schränke mit Büchern, Akten, Modellen. An den Wänden hängen Zeichnungen von Maschinen. Ein Bureau links, auf dem ein geöffnetes Kontobuch liegt. Abend, Licht. Erste Scene. QUESTENBERG; V. ZITTERWITZ. V. ZITTERWITZ (unruhig auf und ab gehend). Man sprach von einem Deficit von 500,000 — ich sagte: Kinder streicht eine Nulle weg, es sind höchstens 50,000, Questenberg war ein zu honnetter Fabrikant — QUESTENBERG. Ich vertraute zu sehr meiner eigenen Kraft! — Der Unglückliche gleicht einem Kranken, der immer größere Hoffnungen an das Leben knüpft, je näher er dem Tode rückt . . . V. ZITTERWITZ. Eine Million! QUESTENBERG (seufzend). In Damastroben _à la chinois_. V. ZITTERWITZ. Wie konnten Sie nur auf die Großen und Reichen dieser Zeit speculiren! QUESTENBERG. Ich hoffte, daß die siegende Contrerevolution sie herausfordern würde, den Luxus zu verzehn- oder verzwanzigfachen. V. ZITTERWITZ. Naiv, naiv! QUESTENBERG. Ja ich hoffte, es würde wieder so gehen, wie nach der Besiegung Napoleon's und der Stiftung der heiligen Alliance. Eine brillante Epoche! Da schäumte so manches Schweißtröpflein in den eifrigen Restaurationsküchen über den Kessel, kam denjenigen von uns Geschäftsleuten trefflich zu Statten, die mit dem Blend- und Gaukelwerk ihrer Industrie danach zu haschen wußten. V. ZITTERWITZ. Wer's heut zu etwas bringen will, muß ein geheimer Demagoge sein, muß auf die Eitelkeit, die Vorurtheile, die Ueppigkeit, Genußsucht, Trägheit, den Hochmuth, die Herrschsucht, mit einem Wort, auf die Confusion und den ausschweifenden Geist des untern Bürgerstandes und des gemeinen Mannes speculiren! Der geschickteste Gauner macht sich in dieser Richtung zum Herrn der Christenheit, wird Präsident, Kaiser und Papst. QUESTENBERG. Herr Regierungsrath, geben Sie mir morgen noch 150,000 Thaler und Sie sollen über meine Demagogie erstaunen. V. ZITTERWITZ (sich den Kopf haltend). Um Gottes Willen! QUESTENBERG. Ich verfertige fortan die Damastrobe _à la chinois_ statt für zwanzig Thaler, für zwanzig Silbergroschen die Elle. Das schimmernde Kleid der „_l'état c'est nous_“ wird seiner Billigkeit wegen den Beifall unserer Kammernixen erhalten — es giebt ja für sie weder politische noch sociale Bedenken! — Sie kaufen und ich bin gerettet! V. ZITTERWITZ. Zu spät, zu spät! QUESTENBERG. Das Genie der Mechanik greift mir unter die Arme. — V. ZITTERWITZ. Mit einer Erfindung? Ach! lassen Sie mal hören. QUESTENBERG. Nach zwölf bis funfzehn Tagen habe ich Webestühle — früher werden sie nicht fertig — die noch einmal so schnell als meine alten arbeiten. . . . Niemand weiß davon, es bleibt Geheimniß. — Mit diesen Webestühlen überflügele ich alle Concurrenten, mache mich in kürzester Zeit zum Millionär! — Morgen zeig' ich sie Ihnen und stelle vor Ihren sehenden Augen Versuche an. V. ZITTERWITZ. Sie hätten mir das vor einer Woche anvertrauen sollen, die Börse würde verhindert worden sein, Ihren guten Ruf anzukränkeln! — Das Bürgerthum mit seiner Industrie und Maschinenkunst ist doch der Kern aller Demagogie! Welche Propaganda macht's für den Auflösungsprozeß unsrer veralteten Formen! Wer von jenen mittelalterlichen Nebelrittern wirft ihm eine widerstandsfähige Barikade entgegen! Es sind ja nicht mehr die Principien, die Weltanschauungen, die philosophischen Doctrinen, welche auszureuten und in Catholicismus zu verwandeln, sondern die von elektrischen Telegraphen, Eisenbahnen und Dampfmaschinen bedienten, im Körper der Zeit Fleisch und Blut gewordenen Interessen! — O jeh, thu nur die Augen auf, großer französischer Weltherrscher, du findest die Kunsttapeten, Teppiche und Decken deines berühmten Versailles heute beim mittelmäßigsten Werktagsmanne. Tritt in den Salon des schlichtesten Kaufmannes oder Handwerkers, sieh die Tische und Stühle, die Pendeluhren, Spiegel, Leuchter, Schränke und Gestelle deines feinsten Rokoko! Erstaune ob der Malereien, Zeichnungen, Schnitzwerke, Bildhauerarbeiten, die den Boudoirs deiner capriciösesten Maitressen nie gefehlt haben würden. Wohl rufst du betrübt: erhielt meine Herrlichkeit sich nicht länger oben, bedurfte es nur zweier Jahrhunderte der geistigen Regsamkeit, um den gemeinen Mann zum Könige und den König zum gemeinen Manne zu machen! — Ich gehöre dem besonnenen Fortschritt an und schenke Ihrer Erfindung deßhalb die gebührende Aufmerksamkeit. Bewährt sie sich, so — seien Sie verstchert . . . QUESTENBERG. Ein Mann ein Wort! V. ZITTERWITZ. Mein Gott, was thut man nicht um das Seinige zu retten und einen guten lieben Freund dazu, selbst ohne dem Fortschritt zu huldigen! . . . Apropos, wie stünde es mit den Zinsen, im Falle . . . QUESTENBERG. Mir kommt's auf sechs Procente nicht an. V. ZITTERWITZ (scherzend). Wer auf eine bloße Erfindung, so zu sagen, auf eine Idee sein schönes Geld verleiht, könnte auch wohl zehn Procentlein verdienen? QUESTENBERG. Ich geize nicht und verspreche — V. ZITTERWITZ. Sagen Sie nur gleich funfzehn . . . QUESTENBERG. Weil Sie es sind, Herr Regierungsrath, ich verspreche Ihnen . . . V. ZITTERWITZ. Zwanzig, zwanzig, ohne Scherz! . . . das wird morgen schriftlich abgemacht. QUESTENBERG. Nach Ihrem Wunsch. V. ZITTERWITZ. Es ist schon spät, man erwartet mich zum Nachtessen . . . (Er nimmt Stock und Hut und will gehen. An der Thüre bleibt er sinnend stehn.) Der fatale Lärm an der Börse! . . . Wüßte ich ein Mittel die Zweifel der Gläubiger zu zerstreuen . . . Wir brauchen unbegrenzten Credit . . . anders umschiffen wir die Klippe nicht. Meine 150,000 Thaler sind für Ihr Etablissement wie ein Wassertropfen auf die Lippen eines Verschmachtenden . . . Verhält es sich nicht so? Wie lange füttert mein Capitälchen Ihre eisernen Riesen satt? QUESTENBERG. Etwa acht bis vierzehn Tage. V. ZITTERWITZ (ironisch). Ein großer Spielraum zur Abkühlung der Köpfe unsrer Geldmänner. QUESTENBERG. Sieht man morgen, übermorgen und nachübermorgen das Feuer meiner Maschinen lustig brennen, so wird man sich in den Glauben ergeben, daß es nur brodneidische Verläumdungen oder falsche Speculationen gewisser Leute waren, die — V. ZITTERWITZ. Sie kennen von der Art gewisse Leute? QUESTENBERG. Vorzüglich einen — er steht mir sehr nahe und spielt den Scheinheiligen unübertrefflich. V. ZITTERWITZ. Ich halte Herrn Blashammer für einen kalten, ruhigen, überlegenden, braven Banquier. Er war der Einzige, welcher sich heute ganz still verhielt. Man bestürmte ihn um seine Meinung, allein er wich der gewitztesten Zunge aus. . . Blashammer verdiente nach meiner Ueberzeugung in unserm Bunde der dritte zu werden. QUESTENBERG. Ich kann ihm meine Bücher nicht aufschlagen. V. ZITTERWITZ. Ich meine es anders . . . Der Banquier hat eine heirathsfähige Tochter, Sie haben einen erwachsenen Sohn. . . . QUESTENBERG. Der noch nichts ist. . . V. ZITTERWITZ. Aber etwas werden kann! Bestand er doch das beste juristische Examen. QUESTENBERG. Ich hege längst ein Project der Art, nur weiß ich's nicht auszuführen. . . Stelle ich dem Banquier jetzt einen Heirathsantrag, so fühlt er Absicht und weist mich beleidigt zurück; ich verrathe ihm die Ohnmacht meiner Lage — V. ZITTERWITZ. Ihnen kostet's keine Ueberwindung einen Mann zu verdächtigen der Ihr Wohlergehn wünscht, gegen den Sie unfähig sind, den schwächsten Beweis zu liefern!!. Ich versprach Ihnen mein letztes Geld und bin bereit noch mehr zu thun. Die Heirath muß zu Stande kommen. Der Banquier darf uns nicht widerstehen. QUESTENBERG. Ich lege Glück und Unglück in Ihre Hand. V. ZITTERWITZ. Schicken Sie durch den Telegraphen eine Depesche über Paris nach London, mit dem Befehl schleunigster Rückkehr an Ihren Herrn Sohn, und . . . QUESTENBERG. Er kam bereits gestern an. V. ZITTERWITZ. Um so besser! Aber aus welcher Ursache? es erstaunt mich . . . QUESTENBERG. Geld, Geld, Geld! Er kostete jährlich fast so viel als ich morgen von Ihnen borge. V. ZITTERWITZ. Die großen Städte sind das Verderben unserer Jugend. Wehe dem Vater, der dort ein Kind zum vornehmen Müssiggänger, Fantasten, Wollüstling oder hochgespannten Weisen erzieht! . . Schlafen Sie wohl. QUESTENBERG. Noch ein Wort . . . Mir fällt ein Mittel in den Sinn — 's ist durchaus nicht zu kühn . . . Wenn ich übermorgen oder spätestens Sonntag ein recht großartiges Fest arrangirte! etwa für zehn bis zwölf Tausend Thaler — V. ZITTERWITZ (seinen Hut fallen lassend). Die Gläubiger sollen kommen und beschämt sich fragen, woher der Luxus, die Verschwendung, das üppige Leben? Will er uns damit antworten? Wer bezahlt die einhundert und funfzig Musikanten — QUESTENBERG. Die sechzig Köche und Kellner — V. ZITTERWITZ. Die sechs Tausend chinesischen Lampen? Oder wer liefert auf Borg die Meerkrebse — QUESTENBERG. Die Fasanen — V. ZITTERWITZ. Die Schildkröten — QUESTENBERG. Die Vogelnestern und Austern — V. ZITTERWITZ. Die zweihundert Flaschen Champagner, Muskatweine, das Porter Bier — QUESTENBERG. Die eingelegten Sardellen, die Artischokken, den Mokka-Caffee — V. ZITTERWITZ. Da wir ihm den Credit versagten — QUESTENBERG. Wir großmächtigen Männer der Börse?! V. ZITTERWITZ. Wer wagt das brillante Feuerwerk abzubrennen? — QUESTENBERG. Wer engagirt das Pistolenschießen und Kegelschieben, den Tanz im Garten und den Tanz im Salon, und alle köstlichen Decorationen? V. ZITTERWITZ. Wer leiht seine Stimme zum Singen schwärmerischer Lieder, zum Vortrag moralischer Schulreden, zur Declamation launenvoller kindlicher Gedichte? — — Meiner Seel', 's ist 'ne wahre Kriegslist! Daß sie mir nicht einfiel! — Nur an's Werk! Arrangiren Sie das Fest. Ich gehe für Ihren Sohn unterdessen auf die Frei, und es müßten höllische Dinge uns entgegentreten, wenn wir nicht Sonntag mit Fräulein Börse seine Verlobung feierten! — Man soll dem Unglück Trotz bieten bis auf den letzten Moment wo es der Ehre gilt. Verfechten wir sie! der Zweck ist moralisch, er heiligt die Mittel — Auf morgen das Nähere, will's Gott. QUESTENBERG. Empfehlen Sie mich Ihrer werthen Familie. Zweite Scene. QUESTENBERG (allein). Der alte Sünder! Ich zählte auf ihn am wenigsten und er wird zum tugendhaften Manne an mir! . . . Wäre doch jeder Gläubiger so geizig, liebte die ganze Welt ihre irdischen Güter wie er, und ich hätte keinen Grund zur Klage! . . . Aber brauche ich mir Gewissensscrupel zu machen? Nein. Dank dem Schicksal, daß kein edlerer Freund sich meiner erbarmt; mit diesem kann ich den letzten verzweifelten Versuch ohne Herzklopfen wagen. . . (Er setzt sich nieder zum Schreiben.) Dritte Scene. QUESTENBERG. SEIN SOHN. (Derselbe in gelbem Schlafrock von Seide mit reichem Besatz, in rothen Fantasiehosen und einer blauen mit Silber brodirten griechischen Mütze.) DER DOCTOR. Verzeihung, Herr Papa, daß ich in Ihr Heiligthum eindringe. QUESTENBERG. Was giebt's denn? DER DOCTOR. Nichts als Begehr Sie zu sehn. QUESTENBERG. Ich komme. DER DOCTOR. Mit Bestimmtheit? QUESTENBERG. Es dauert höchstens noch ein Viertelstündchen. DER DOCTOR. Unbegreifliche Geschäftigkeit! Keine Minute Zeit! Wir waren seit Jahren getrennt, kaum hießen Sie mich willkommen — 's ist hart! — Ich hoffte Ihre alten Tage erheitern, Ihnen Unterhaltung gewähren zu können — aber wenn das so fortgeht, muß ich mich vollkommen unnütz in Ihrem Hause fühlen. QUESTENBERG (schreibend). Wisse nicht was Du hier sollst, ich — dem Modelleur 5400 — ich hege kein Bedürfniß nach einem — für rafinirtes Brennöhl 80 — nach einem Gesellschafter von Deiner Art. DER DOCTOR. Nicht fein! — Warum zwangen Sie mich denn London zu verlassen? QUESTENBERG. Weil ich nicht länger zahlen kann . . . 9000 Theertonnen — Fühlst Du keine Lust Dich zu verheirathen? DER DOCTOR. Ich? QUESTENBERG. Du . . . 2 Schock Gerüstbretter — DER DOCTOR. Lust? nein. QUESTENBERG. Du möchtest wohl immer ledig bleiben, und in der Welt umherschwärmen als Hans von Ohnesorgen? DER DOCTOR (mit Malice). Warum nicht! ich finde es würdiger als hier unter vergitterten Thüren und Fenstern den Judas von allem Schönen und Sittlichen zu spielen. QUESTENBERG. Bravo . . . Der Einfuhrzoll der Baumwolle 11,000 — der Seide 20,000 — Es hilft Dir nichts, Du wirst Dich wohl vermählen müssen . . . DER DOCTOR. Müssen? QUESTENBERG. 11,000, — 20,000, — 5000, — und 1500 macht — macht 37,500 . . . DER DOCTOR. Das heißt also, Sie wünschen nicht mehr für mich zu bezahlen. QUESTENBERG. Du wurdest ja schon ein alter Kerl! Warum sollte ich Dich noch lange bei mir auf der Bärenhaut halten! DER DOCTOR. Schön. QUESTENBERG. Nicht wahr? DER DOCTOR. — — Ich werde mich denn vermählen . . . Sie haben vielleicht eine recht vorteilhafte Partie in Vorschlag zu bringen? QUESTENBERG. Fräulein Blashammer. DER DOCTOR. Ah gratulire! (für sich schaudernd) Brrr . . . QUESTENBERG. Ein Mädchen von vielseitigster Bildung. DER DOCTOR. (wiederholt sein Brrr). QUESTENBERG. Sie spielt Beethoven und singt Schubert, spricht fertig französisch, lies't englisch und italienisch, interessirt sich für Architektur, Sculptur, Malerei, ja selbst für Naturwissenschaft — dichtet Liebeslieder und Trinksprüche, verfertigt Oden und Sonnette, steht mit bekannten Professoren in brieflichem Verkehr und schreibt, wenn ich nicht irre, sogar Kritiken für belletristische Journale . . . (Er steht auf und tritt vor den Doctor.) Was ist Deine Meinung? DER DOCTOR. Darf ich eine äußern? QUESTENBERG. Ich bitte. DER DOCTOR. Vor einer gelehrten Frau flieh' ich Meilen weit. QUESTENBERG. Du, ein Doctor, ein Philosoph?! — Ah, thu' man den Schlimmen etwas Gutes! Ich dachte, da kommen einmal zwei von einem Schlage zusammen und freute mich wie ein Kind . . . Sapperment! DER DOCTOR. Sie hätten keine Rücksicht auf meinen Charakter nehmen, sondern nach Ihrem innersten Geschmacke wählen sollen, folglich ein Mädchen, welches Sinn für das Häusliche hat, mit den Mägden in der Küche schaltet, Strümpfe stopft, Hemden näht und über jeden Pfennig sorgsamst Buch führt, ein Mädchen, welches besitzt was mir fehlt, Unschuld, Heiterkeit, Liebe, Vertrauen und Leidenschaft! . . . Ich bin bescheiden, Herr Papa — auf jedem Dorf prangt in herrlichster Bluthe mein Glück! QUESTENBERG. Sprichst Du aus Verrücktheit so vernünftig oder aus Vernunft so verrückt. DER DOCTOR. Ein andermal die Fortsetzung. (Er legt ein Buch, welches er in der Hand hielt, auf den Schreibtisch.) Dieses Buch brachte ich für Sie aus Paris mit. 's ist die berühmte Schutzzollrede Ihres Gesinnungsgenossen. Der Autor hat sie selbst redigirt und herausgegeben. Möge die Lectüre Ihnen den guten Humor wieder schenken, den Sie seit meiner Ankunft gänzlich verloren zu haben scheinen. (ab.) QUESTENBERG. Der Regierungsrath sagte mit Recht, die großen Städte seien das Verderben unserer Jugend. (ab nach einer andern Seite.) Abtheilung II. Eine ärmliche Wohnung bei Vater Ziemens. Auf einem Tische im Hintergrund steht ein Modell. Vierte Scene. ALBERT tritt auf mit einem Zeichenbrett unter dem Arm, gefolgt von KLAUS. KLAUS. Macht's nicht schon drei lange, lange Jahre, daß er Dich mit einer Aussicht auf eine Anstellung vertröstet? ALBERT. Es sind drei Jahre, daß er mir drei Stunden täglich von der Arbeit schenkt . . . KLAUS. Welche Gnade! ALBERT. Wo findest Du einen Fabrikherrn, der den strebenden Geist des gemeinen Mannes großmüthiger unterstützt? KLAUS. Hätte ich Deine Finger — ah, ich säß' längst in Paris oder London und scharrte das Geld haufenweis, ungezählt . . . ALBERT. Es klingt, als giebt's in Paris oder London keine Leute die fähiger und geschickter sind als ich . . . Man muß Deine Einfalt aufrichtig belachen! Wie weit sind Sie in der Chemie? Was verstehen Sie von der Mathematik? Welche Principien leiten Sie in der Constructionslehre? Geben Sie mir Ihre Zeugnisse von der Akademie — Machten Sie Reisen nach den größten Fabrikstädten Europa's? . . Der Pariser oder Londoner Fabrikant würde Augen machen! . . . Ich erwarte von Herrn Questenberg keine goldene Gerechtigkeit, aber bin überzeugt, daß er mich besser stellen wird, sobald ich ein Verdienst besitze. KLAUS. Giebst Du mir fünfzig Thaler ab, wenn ich Dir eine Stellung von hundert Thaler monatlichem Einkommen verschaffe? ALBERT. Hier? KLAUS. Nein hier nicht. Wir wandern aus. In London gehe ich mit Deinem Modell zu irgend einem großen Lord. Ich explicire es ihm. Nach wenigen Bedenken leiht er uns sein Capital. Eine neue Fabrik tritt in's Leben und wir sind gemachte Leute! Gelingt's uns nicht in London, so finden wir in Amerika einen Kompagnon auf der ersten besten Straße. ALBERT. Schade, daß Du kein reicher Mann bist, ich würde gute Geschäfte mit Dir machen. KLAUS. So viel las ich aus Zeitungen und Büchern zusammen, daß das Talent in jenen freien Ländern schneller zu etwas kommt. ALBERT. Da Du davon überzeugt bist, geh' mir voran. KLAUS. Mit Dir läßt sich nichts Vernünftiges reden . . . ALBERT. Gönne mir die wenigen Stunden, welche ich für mich habe. KLAUS. Weißt Du, weshalb der Questenberg den Mechanikern den Verfertiger der Skizzen und des Modelle verschweigt? . . Er will ihn vor seinen eifersüchtigen Concurrenten verbergen, in Abhängigkeit und Dummheit erhalten. ALBERT. Du denkst schlecht von unserm Herrn. KLAUS. Bauen wir schleunigst ein neues großes Modell — ich helfe daran so gut ich kann — miethen in der Stadt ein Lokal, stellen es dort auf und machen mit großer Schrift durch die Zeitungen bekannt: höchst merkwürdig für alle Zeugfabrikanten im In- und Ausland. Neue Erfindung von unermeßlicher Tragweite. Construction eines Musterwebestuhl's, der in halber Zeit das Doppelte des bisher gebräuchlichen leistet. Zu sehen täglich und stündlich. Entrée fünf Silbergroschen. ALBERT. Damit mache ich mir den Herrn zum Todfeinde. KLAUS. Hole ihn doch der — Ehe wir das Modell ausstellen, schicken wir's nebst Zeichnung an die Regierung ab. Dieselbe läßt es von Sachverständigen prüfen. Wird die Erfindung anerkannt, so erhalten wir ein Patent. Dann darf niemand das Ding abgucken, ohne uns zu entschädigen. An's Werk Albert! Ich zeige Dir den Weg einer Industrie, die uns zu freien Leuten und in wenigen Jahren reich macht! Du sollst sehen, wie die Fabrikanten von Nah und Fern herbeiströmen und den großen Fortschritt des neuen Jaquard begrüßen. ALBERT. Du blähst die Mücke zu einem Elephanten auf. KLAUS. Es fördert unsern Zweck! ALBERT. Ich schätze die Erfindung gering. — Und gehörte sie mir allein, so wollte ich mich Dir weniger widersetzen; Herrn Questenberg und seinen gelehrten Technikern gebührt das größere Verdienst . . . KLAUS (verzweifelt). Dafür, daß sie sie Dir wegstehlen. ALBERT. . . . Es gereicht mir zur Beruhigung, meine Idee benutzt zu sehen; ich fühle mich von keinem falschen Wahn irre geleitet; was ich erstrebe ist meiner Begabung gemäß; mit Recht darf ich ausharren und meinen Durst nach Vervollkommnung löschen . . . KLAUS. Ha, Du willst essen und es fehlt Dir an Brod; Du willst lustwandeln und bist an einen Felsen geschmiedet! — Wohin Dich die falsche Bescheidenheit führt! — Elender Sclav', richte Dich empor, erkenne wo Du bist und zu welchem Zweck der Herr Dich inspirirt! Doch ich habe zu viel getrunken, ich weiß nicht was ich rede, ich bin ein Aufhetzer, ein wilder unzufriedener Gesell, dem's Vergnügen macht, gute fromme Leute zum Schlechten zu verleiten. — ALBERT. Theurer Klaus, Du denkst gut und herzlich, aber lass' mich der Meister meines Geschickes bleiben. KLAUS. Der warst Du noch nie, werde es erst! — Begreife den allmächtigen Sinn, welcher die alte Welt im innersten Wesen erschüttert und um und um geworfen hat. Erst das Mittel und dann den Zweck. Erst freie Hände und Füße und dann an das Werk gesetzmäßiger Bildung; 's ist klar wie das Einmaleins! — Wetze Dein Schwert und zerhaue den Knoten, folge meinem Rath! — O besäßest Du Courage! Wir könnten uns wie der Blinde und der Lahme helfen. In Betreff meines Speculationsgeistes darf ich mich hinter Deinem Talente nicht verkriechen. ALBERT. Ich glaube selbst, daß in Dir ein großer Banquier verloren ging. KLAUS. Sage, ein zweiter Rothschild. ALBERT. Geld und nur Geld ist Deine Losung. KLAUS. Zunächst nichts weiter. ALBERT. Was fingest Du wohl an, würdest Du Herr einer Million? KLAUS. Vor allem kaufte ich mir einen gelben Schlafrock, eine blaue Mütze und ein paar rothe Hosen, so prachtvoll als der junge Doctor aus der Fremde mitgebracht hat, — Du sahst ihn doch schon in diesem Anzug? ALBERT. Nein. KLAUS. Mir schwamm's vor den Augen, so wurde ich geblendet. — Ich begegnete ihn mit seinem neufundländischen Hunde in der Allee. Nach Gebühr zog ich die Mütze, — indeß der Dank wurde mir von dem Herrn wie von dem unschuldigen Thiere versagt. Ich nahm's nicht übel . . . MARIE (singt draußen). KLAUS. Die Stimme Deiner Turteltaube . . . Ja, ja, da sitzt der Haase im Pfeffer. Deshalb muß Sclaverei süß schmecken und die Wahrheit verläugnet werden. Pah, ich verstehe Dich längst, Albert — mag's mit heute aber genug sein! . . . (Indem Marie eintritt, zieht er schnell ein Buch aus der Tasche und lies't.) „Der erste Satz lautet so: Der Mensch ist geboren um zu leben. Das Leben besteht in der Befriedigung unserer Bedürfnisse“ . . . Fünfte Scene. DIE VORIGEN. MARIE. ALBERT. Warum kommst Du nicht näher? . . . Grüß Dich Gott! MARIE. Fürcht' Eure gelehrte Unterhaltung zu stören. KLAUS. Bitte sehr, Jungfer — es handelt sich um höchst einfältige Fragen. MARIE. Was mir wohl erlaubt ein Wörtchen mitzusprechen? KLAUS. Wenn's Ihnen beliebt. — ALBERT (mit leisem Lächeln). Es wird uns zur Erbauung dienen. MARIE. Traun, dann hört! Ich halte für besser, daß Ihr an Eure Arbeit denkt. KLAUS. Aber Jungfer, ein bischen Licht sollt' uns doch so viel nicht schaden. MARIE. Was Ihr Licht nennt! — Schweigen Sie nur, Klaus! Wer ein ordentlicher Mann ist, sorgt zuerst für einen guten Rock, dann meinetwegen für einen Ministerposten . . . O, Sie wollen hoch hinaus! Glück zu! KLAUS. Ihre Vorwürfe sind ungerecht. ALBERT. Was bringt Dich so auf?! MARIE. 's ist nicht heut', wo ich erkenne, daß Du an Klaus Geschmack findest — KLAUS. He, bin ich ein Missethäter? Warum soll er nicht an mir Geschmack finden? Die Beweise, Jungfer, oder — Sturm und Hagel! . . . MARIE. Daß ich Ihr Schuld- und Schuldenregister nicht aufdecke! KLAUS. Ah, nur zu! Doch vergessen Sie nicht, daß ich Ihnen als Entgegnung einen Spiegel vorhalten könnte, der Ihre liebreizende Jungfräulichkeit, besonders vor dem frommen Albert, in keinem besonders günstigen Lichte darstellt. MARIE. Das wäre abscheuliche Verläumdung. KLAUS. Wohl in gewisser Beziehung, — denn ein Spiegel reflectirt alles verkehrt. MARIE. Was ließ ich mir denn zu Schulden kommen? KLAUS. So lange Sie mich schonen, schon' ich Sie. MARIE. Ueberflüssig! — Heraus damit. KLAUS (sarkastischen Lächelns auf Albert anspielend). Es möchte Ihnen bei Jemand einen Meineid kosten — MARIE. Abscheulicher! — Du duldest das, Albert? Weis' ihm doch gleich die Thür, schütze mich! KLAUS. Ich gehe schon, Jungfer. ALBERT. Konntest Du Dich nicht beherrschen! Dir ist ja sein Lästermaul bekannt, warum reiztest Du ihn!? . . . KLAUS. Leb' wohl Kamerad! . . . ALBERT wendet ihm den Rücken. KLAUS. Hi, hi, hi, — könnt ich mich aus einer Kanone dem Herrn Questenberg in's Herz schießen, so thät' ich's. Für Dich bin ich im Stande alles, selbst mein Leben, zu verwetten! — — Apropos! Ich vergaß der Jungfer eine gar wichtige Neuigkeit zu melden — MARIE. Packen Sie sich nur, Elender. KLAUS. Vor einigen Tagen kehrte der junge Doctor Questenberg als ein sehr schmucker Herr aus der Fremde zurück. Die Jungfer wird sich an ihm die Augen versehn! MARIE. Pfui. KLAUS. Hi, hi, hi, hiermit Adieu. Sechste Scene DIE VORIGEN ohne KLAUS. MARIE (nach einer Pause). — — Ihr bracht verlegen das Gespräch ab als ich in die Stube trat, wovon war die Rede? ALBERT. Du kennst seine Absichten, er sang mir das alte Lied. MARIE. Und mußte Dich tief erschüttern! . . . Ha, Du schenkst seinem Rathe innerlich Beifall, Du hängst ihm an! Der Wahrheit die Ehre! — Es steht alles auf Deinem bleichen Gesicht. Längst ward mir klar, daß ich Dir ein Hinderniß bin! Du schwankst zwischen zwei Neigungen, die sich nicht vereinen lassen: es sind bereits fünf oder sechs Jahr! Traun, 's ist Zeit, Dich zum Ziele zu führen. Albert, ich bin bereit, mich Deinen Träumen zu opfern! ALBERT. Meinen Träumen!? MARIE. Besäße Herr Questenberg von Deinem Talente Ueberzeugung, beseelte ihn der Wunsch, etwas Gutes aus Dir zu erziehen, so hätt' er schon für Dich gesorgt. In seiner Macht steht viel, sein Ansehen ist groß. Wohl kostete es ihm ein Wörtlein nur und die Regierung oder der König nähme Dich in Schutz. Du würdest auf öffentliche Kosten in den Akademieen ausgebildet, nach allen berühmten Werkstätten der Industrie geschickt und nach überstandener Prüfung in einem Etablissement des Staates untergebracht. . . Wohin strebst Du hier in Deiner Ohnmacht? Allein auf Dich selbst gestellt, ohne Hülfsquellen, ohne Unterweisung, ohne Rath treibt Dich ein hohler Dünkel durch eine öde Wüste unaussprechbarer Qual — Albert, Albert, das gelobte Land ist weit, Du wirst sterben ohne es von ferne zu sehen. ALBERT. Du kennst weder meine Kraft, meinen Willen, noch Herrn Questenberg. Glaube mir, er unterstützt mich aufrichtig — MARIE. Etwa in dem Sinne, daß Du vom Hochmuthsteufel Dich selber kuriren sollest — ALBERT. Niemand kann mich tiefer verachten, Du verneinst den Glauben an meinen Beruf! 's ist das einzige Band, welches mit der Gottheit mich verbindet, welches mir sagt, daß ich ein höheres Wesen bin als das beschränkte Thier. MARIE. So schwärmt Klaus. ALBERT. O, Du fühlst die Flamme nicht, die mir im Busen brennt. MARIE. Albert, lass' Dich von der Stimme des Guten leiten. Liebe den Webestuhl, doch arbeite, statt für die Vervollkommnung seines Mechanismus, für die Erhöhung Deines Lohnes! Du wurdest nicht zum Techniker geboren. — Sieh, unser Nachbar trat mit Dir zu gleicher Zeit in die Fabrik ein. Wie überflügelte er Dich! Du stehst noch immer auf der untersten Stufe und kannst Dir selber kaum helfen, während er bereits Dreien hilft, und mit zufriedenem Herzen. Welche glücklichere Thätigkeit begehrt der Bescheidene? Wer nach Kleinem strebt, wird des Großen Herr . . . Schwöre den Wahn ab! — Kannst du noch zweifeln? ALBERT. Höre auf davon. MARIE. Ich will Dich weder mit List noch Gewalt an mich fesseln! — Erfahre was meine Mutter beschloß: Du sollst unser Haus räumen; die Umstände gebieten's! — Keine entsetzte Miene! Zittre nicht! Schnüre das Bündel, schleiche Dich heimlich weg! — Es dauert nicht lange und die Gewohnheit an mich schwächt sich in Dir ab. — Schon morgen wird ein Hoffnungsschimmer den Schmerz Deiner Seele brechen; Du wirst das Truggebilde der Freiheit begrüßen als Erlöserin, und im Dunkel der Zukunft die flammende Siegerkrone Deines Strebens erblicken. Erwarte nichts mehr von mir, ich gab Dir alles was die Armuth besitzt! Geh' ohne Schaam! Bereu' meine gekränkte Jugend nicht, eben so wenig meinen beleidigten guten Ruf. — Mir geschieht recht! Oh, Du warst Gottes Engel und mein Rächer! Warum verschloß ich meine Sinne jedem Rathe der Erfahrenen, warum trotzte ich der eigenen Vernunft und zehrte schonungslos das Leben der braven Eltern auf, warum harrte ich von einem Monate, von einem Jahre zum andern in sündhafter Geduld, Dir feige verschweigend meine Pein?! ALBERT. Erbarmen! MARIE. — Du bist rein wie der Festglocke feierlicher Ton! — Geh' nur hin, verhalle, mein Gebet folgt Dir nach! (Sie will gehen.) ALBERT. Bleib' Marie. MARIE. Was wünschest Du noch? ALBERT. Herr Questenberg giebt heute ein großes Fest. Es läßt sich voraussetzen, daß er außergewöhnlich guter Laune ist. Wenn ich zu ihm ginge? Vielleicht will's der Himmel — Sollte er nicht durch die Darstellung unserer Lage zur Großmuth gestimmt werden? sollte das Gefühl seiner Bedeutung ihn heute nicht schmeicheln und . . . MARIE. Versuch's. ALBERT. Bis dahin, Marie . . . (Ihm versagt das Wort. Er legt schnell einen Rock an). MARIE. Bis dahin, gut Albert, auch bis dahin! — Fahre hin gekränkter Stolz, verschmähte Liebe vergiß! Bis dahin! Nur bitt' ich Dich, eile! Kürze die schreckliche Zeit der Ungewißheit! Sprich mit feurigen Zungen, male unser Elend, daß es Steine zu Thränen rührt, stelle das Herz des kalten Gebieters mehr auf die Probe als ich das Deine — O, nicht alle Menschen sind unbezwingbar! Nur Muth, Albert! ALBERT (macht einen Wink nach oben und geht). MARIE (blickt ihm von tiefem Schmerz ergriffen nach). Zweiter Akt. Abtheilung I. Vorzimmer zum großen Festsaal. Erste Scene. ALBERT. QUESTENBERG mit vielen Orden auf der Brust, sitzt nachdenklich in einem Lehnstuhl. QUESTENBERG (nach einer Pause, zerstreut) . . . Geendet? — Du sprachst von Deiner Braut als wäre sie Dir eine Last. — ALBERT. Um Entschuldigung — QUESTENBERG. Du thatst Aeußerungen, die darauf schließen lassen. — Doch sei dem wie ihm wolle, sie ist es, welche Dich hergetrieben hat? Ja, ja, ja! Und was bemerktest Du, daß ihr zu Liebe Dein Wille sein würde, falls ich die Bitte Dir versage? Nur nicht schüchtern — ALBERT. Ich sähe mich genöthigt meine Uebungen einzustellen. QUESTENBERG (klingelt. Ein Bedienter.) Hol' mir aus dem Cabinet das große Buch mit Zeichnungen von Leblanc. (Bedienter ab.) Ich bestimme es Dir zur Vorschule im Aufreißen der Maschinen. 's ist das populärste und beste unseres Faches. Du wirst jedes Vorlegeblatt in versechsfachtem Maaßstabe nachmachen und über jedes Detail der Construction mir die klarste Rechenschaft ablegen. (Der Bediente bringt das Buch und händigt es nach dem Winke Questenberg's dem Albert ein, der's schüchtern aufschlägt.) ALBERT (nach einer Pause). Wie unwissend blicke ich auf alle diese Figuren. Eine neue Welt erschließt sich mir! QUESTENBERG. 's ist ein reicher Schatz. ALBERT. O Gott, könnte ich alles auf einmal verschlingen. QUESTENBERG. Nur mit Geduld erwirbt man sich das lautere Gold dieses schweren Lehrers . . . Ich hoffe, Du wirst darüber die thörichten Heirathsgedanken in den Hintergrund schieben. ALBERT. Wenn ich ein halbes Jahr, o nicht so viel, drei Monate nur, das Buch durchübe — länger darf mir sein Inhalt nicht fremd bleiben — werde ich's dann wagen können zu bitten — QUESTENBERG (lächelnd). Nach einem Jahre wollen wir untersuchen wie weit dasselbe Dein Eigen ward. ALBERT. So fahre hin großer Meister, Dir zu folgen bin ich zu schwach! — (Er macht eine Bewegung als wollte er's wegwerfen.) QUESTENBERG (die Hände auf dem Rücken, vor ihn tretend). Bedenk' Er Grobian, wo Er sich befindet und was seine Schuldigkeit ist. ALBERT. Ach, mein Gebieter, es zerreißt mir das Herz! QUESTENBERG. (Nach kleiner Pause.) Da nimmt ein unreifer Bursche Schlafstelle wo 's 'ne verführerische Dirne giebt. Ein bischen Scherzen und Küssen, denkt er, kann nicht viel auf sich haben, nütze die billige Gelegenheit. Das geht denn einige Wochen recht unschuldig von Statten und er lacht sich schon schadenfroh in's Fäustchen. Aber sieh, wie's nach einem Jahre steht. Ein Freund kommt, ihn an ein altes Versprechen erinnernd; es handelt sich in die Fremde zu gehen, die Welt kennen zu lernen, nützliche Erfahrungen zu sammeln. — Mein Herr Springinsfeld zieht jetzt verlegen das Gesicht: „ich hielte schon Wort, könnte man den Schatz nur in's Tornister packen.“ — Ade Begeisterung zur tüchtigen Erlernung des Handwerks, ade Wissenschaft und Kunst, ade Talent, ade Vernunft und Moral! Alle schönen Entwürfe des hoffnungsvollen Jünglings müssen vor dem Gestirn seiner Liebe untergehn! — Wie alt bist Du? ALBERT. Sieben und zwanzig Jahr. QUESTENBERG. Ein erstaunliches Alter! „Mein Gott, man ist so allein in der Welt, ohne herzliche Erbauung, ohne Pflege, ohne Stütze und was das entmuthigendste, man quält sich und weiß nicht wofür! Kannst Du's noch zu etwas bringen, da 's Dir bisher so wenig glückte! Entsage den täuschenden Hoffnungen und heirathe, schnell, um jeden Preis!“ Diese Gefühle nahmen nach und nach Dein ausschweifendes Herz gefangen. — O ich kenne das! 's ist zu beseligend auf der untersten Stufe des Erwerbes stehen zu bleiben! Welche Wonne nach wenigen Jahren, trittst Du von der erschöpfenden Arbeit spät Abends in den dumpfen Raum der ungastlichen Hütte! Die weiland rosenwangige schmucke Jungfrau, verwandelt in ein blasses Weib, nachlässig mit Lumpen behängt, in der unerbaulichen Haushaltung an Körper und Geist verkümmert, kommt Dir mürrisch oder vorwurfsvoll entgegen. Sie hält die zitternde Hand auf; es fehlt dieses und jenes und vor allem Brod, denn die Kleinen schreien: „Mehr, mehr, Du giebst nicht genug; wir müssen verhungern. Abscheulicher, ich weiß wo das Geld bleibt“ . . . Sie schilt Dich einen Säufer und untersucht Dir verzweifelt die Taschen. — Dieser Zustand mag im Sommer noch golden sein, — aber im Winter! Woher die warme Kleidung, das nöthige Holz und auf Neujahr die Miethe?! Der angestrengteste Fleiß ringt dem kurzen Tage kaum die Hälfte der Bedürfnisse ab. Die Zukunft muß verpfändet werden. Schulden über Schulden häufen sich; eine flaue Zeit tritt hinzu. Die Thätigkeit stockt, die Löhne werden herabgesetzt. — Wie abbezahlen oder womit sich helfen? Die Gläubiger werden ungeduldig, sie stellen einen Termin, bis dahin und nicht weiter. — Ein Gerichtsdiener! O Himmel! der elende Kram des Hausrath's muß fort. „Seht wo ihr die Kinder bettet.“ „Was verschuldeten doch die Aermsten, sie können auf faulem Stroh in der Kälte nicht schlafen!“ Keine Gnade! — Die schlechte Nahrung und das ungesunde Lager erzeugen Krankheiten. Der Vater im Schuldthurm, die Mutter von Haus zu Haus bettelnd, die leidenden unschuldigen Geschöpfe hilflos unter verriegelter Pforte! — Dies ist das Paradies, welches Dich anzieht. Nimm jetzt Dein Buch artig untern Arm und geh' nach Hause. ALBERT. Darf ich dem verzweifelnden Mädchen denn keine tröstende Hoffnung überbringen!? QUESTENBERG. Verstockter Kopf, sagte ich noch nicht genug! — Ich soll helfen, daß Dein schönes Talent sich im Keime zerstöre? Da müßt' ich kein Mann von Gewissen sein! (Ihm am Ohre zupfend) Laß Er die Dirne fahren, versteht Er, Herr Pinsel? Zweite Scene. DIE VORIGEN. V. ZITTERWITZ. V. ZITTERWITZ. Wir stören doch nicht? QUESTENBERG. Durchaus nicht, Herr Regierungsrath. — Haben Sie nur die Güte näher zu treten. V. ZITTERWITZ. Es ging etwas laut her? QUESTENBERG. Nehmen Sie Platz. (Der Regierungsrath setzt sich, zieht seine Brille und betrachtet Albert von der Seite.) V. ZITTERWITZ. Mußte eine moralische Lection ausgetheilt werden? QUESTENBERG. Leider! (heimlich) Was halten Sie von dem Menschen? V. ZITTERWITZ. Hum, ich bin durchaus kein Kenner des gemeinen Mannes, aber ich würde mich an Ihrer Stelle mit dem Subjekte keine fünf Minuten befassen . . . (Er betrachtet Albert noch einmal.) Es kommt mir wenig hoffnungsvoll vor . . . Fast möchte ich wetten, daß es zu den Proudhonisten gehört, nämlich zu der Secte der allein ehrlichen Leute, die Eigenthum für Diebstahl halten. QUESTENBERG. Er gehört zu den Socialisten. V. ZITTERWITZ. Die träumerischen Augen und der schlaue Zug um den Mund verrathen's. Ha, könnte ich wie ich wollte! Man lies't es sprechend von seiner Stirne. Wehe uns, erscheint der Tag wo diese Bestialität sich entfesselt! QUESTENBERG. Es kommt hoffentlich niemals dahin. V. ZITTERWITZ. Man kann nicht wissen. — Die Staatsmänner entwickeln noch zu wenig Energie, sie haben ein feiges Herz, scheuen sich das Uebel mit der Wurzel auszureuten. QUESTENBERG. Was wird denn versäumt? V. ZITTERWITZ. Ich will die Meinung für mich behalten. — Stünd's in meiner Macht, so müßte der famose Kerl sogleich zum Chirurgus. Ein starker Aderlaß oder etliche Schröpfköpfe würden ihm schon die Demagogenhitze vertreiben. QUESTENBERG. 's ist der Meister, auf den Sie Ihre letzten Hunderttausend zu stellen, das liebe Vertrauen besaßen. V. ZITTERWITZ (ungläubig vom Stuhle aufspringend). — — Natur deine Launen sind schrecklich! An welche Gestalten verschwendest du deine höchsten Güter! — Was bemerkt doch Göthe darüber — ich glaub' 's ist der alte Papa — oder ist's Schiller? nein, nein Wieland! still 's ist Jean Paul! . . . (Er greift sich hastig in die Tasche.) Habe ich nicht ein paar Groschen bei mir — es drängt mich meine schiefe Meinung . . . QUESTENBERG. Bemühen Sie sich nicht, ich bitte. V. ZITTERWITZ. Darf ich ihm dies Thälerchen, gleichsam zur Ermunterung, schweigend in die Hand drücken? Ah so, so, so — Sie waren ja mit ihm in Unfrieden, 's ist unpassend . . . QUESTENBERG. Er hat's nicht verdient. V. ZITTERWITZ. Entschuldigen Sie meine Verwirrung . . . QUESTENBERG (zu Albert). Du überhörtest wohl vorhin meinen Befehl? (Albert zögert als wollte er noch etwas sagen und geht dann ab.) V. ZITTERWITZ. Jaquard war auch nichts mehr als ein Arbeiter! Jesus Christus, der Verkünder unserer erhabenen Religion, wurde in einer Krippe geboren. — Fangen wir mit Johannes Guttenberg und dem schlichten Bergmannssohne von Eisleben an: welche lange Reihe unsterblicher Wohlthäter entstiegen dem untersten Pfuhle des Volkes! Und sie brachten die Welt in so kurzer Zeit auf eine Stufe der Entwickelung, daß jeder ächt wissenschaftliche Anhänger der Geschichte sich darob vor Erstaunen gleichsam mit einem Hammer an die Stirn schlagen fühlt! Meiner Seel', ich rückte schon mit etlichen ehrlichen Thalern alle Jahre heraus, würde mir die winzige Ehre zu Theil dem Fortschritt einen neuen Heiligen zuzuschanzen! . . . Aber das sociale Problem! Ja, ja, ja! Giebt man dem Buben ein hübsches Taschengeld, eine bequeme Wohnung, täglich einen guten Braten, so schlägt sein Genie auf die schlechte Seite um. — Statt mit seinem Talente nützen zu lernen, lernt er schaden; er wird faul, eitel, wollüstig, überspannt und politisch! Bald stolzirt er als Häuptling der Demokratie umher und dankt unsre Wohlthaten mit Nackenschlägen! — — Doch was ich Ihnen noch schnell mittheilen wollte — Ich sprach eben auf der Börse mit Blashammer . . . QUESTENBERG. Wird er kommen? V. ZITTERWITZ. Zur angesagten Stunde. Er schenkt Ihnen hohe Aufmerksamkeit, Sie glauben es kaum. QUESTENBERG. Nun? V. ZITTERWITZ. Er hat expreß den alten langen Rock mit einem neuen vertauscht, noch mehr, er ließ sich die Haare verschneiden und sogar brennen! QUESTENBERG. Dazu bequemte er sich nie, selbst wenn's einer Audienz beim durchreisenden Finanzminister galt. V. ZITTERWITZ. Und was ihm die Krone aufsetzt, er wird eine Rede halten, die Ihnen Lob und Vertrauen spendet. QUESTENBERG. Unmöglich! V. ZITTERWITZ. Wenn die Stummen anfangen, müssen die Schreihälse sich verkriechen. QUESTENBERG. Begannen Sie die Propaganda schon in Bezug . . . V. ZITTERWITZ. Einige Brocken streute ich aus. — Sein Gesicht verzog sich süß-säuerlich und schien beistimmend lächeln zu wollen . . . Nachdem wir heute einige Flaschen Champagner ausgestochen, nehme ich ihn herzhaft in die Schmiede. — Meinen Eid, die Verlobung soll noch vor Mitternacht zu Stande kommen! — Ein verschwiegener Kupferstecher mußte mir schon die schönsten Karten drucken — Sehen Sie da! (Er zeigt ihm ein Päckchen Karten.) QUESTENBERG (lesend). Adelgunde Blashammer, Doctor Questenberg, Verlobte. V. ZITTERWITZ. Gefällt die feine Schrift? QUESTENBERG. (Musik.) 's ist die geschmackvollste, welche ich jemals sah. (ZWEI DIENER ziehen die Vorhänge der breiten Mittelthür fort. Man blickt frei in den Festsaal, wo an einer langen reich besetzten Tafel die Herren und Damen stehn.) V. ZITTERWITZ. Welche reiche Zahl! QUESTENBERG (den Regierungsrath unterfassend). Uns beiden nur, so innig eins, geziemt's die lieben Gäste zu begrüßen. Dritte Scene. DIE GÄSTE. V. ZITTERWITZ. BLASHAMMER. QUESTENBERG. DER DOCTOR. QUESTENBERG (einigen der Reihe nach die Hand drückend). Willkommen von Herzensgrund. — Hab' ich einen Wunsch noch zu dem Glück, daß Sie mir bereiten', so ist es der, gefälligst fürlieb zu nehmen. V. ZITTERWITZ. Willkommen schönes Fräulein Adelgunde. — Was macht die traute Freundin Pipi? QUESTENBERG. Ich bedaure Frau Polizeiräthin, daß der Herr Gemahl bettlägerig wurde — ach! der arme Mann nimmt's mit seiner Amtspflicht zu scharf! V. ZITTERWITZ (stolz im Vorbeigehen). Genehmigen Sie meine Reverenz, lieber Oberbürgermeister. (Der Oberbürgermeister verbeugt sich tief). QUESTENBERG. Und nun vergessen wir doch die warme Suppe nicht . . . Willkommen, willkommen mein braver von Gnadenbrod. — Noch immer lendenlahm aus dem schleswig-holsteinischen Kriege? . . . Was macht der Fuß des braunen Wallach's mein Graf von Halleluja? — Freut mich, freut mich! Vierte Scene. DIE VORIGEN. EIN SÄNGER in feiner Toilette. DER SÄNGER. Was ist des Deutschen beste Kunst? (JUNGE LEUTE an der Tafel unten lachen und rufen: bravo, bravo!) V. ZITTERWITZ. Des Deutschen beste Kunst! Sonderbar, was versteht man darunter? BLASHAMMER (ihm einen Teller reichend, der von Hand zu Hand ging). Ich meines Theils denke, es ist die Eßkunst. — Stimmen Sie mir gefälligst bei, ich bitte . . . V. ZITTERWITZ. Das sind ausländische Krebse? Ah ich aß sie einst in Paris _en cabinet particulier_ mit einer allerliebsten _Etudiante du quartier latin_ . . . Schein und Duft wässern den Gaumen . . . . (Nachdem er sich bedient und den Teller weiter gereicht zum Doctor): Den jungen Naseweisen da unten scheint das Lied schon bekannt zu sein, Ihnen auch? DER DOCTOR. Freilich. V. ZITTERWITZ. Und es enthält nichts Anstößiges, was Männer von staatlichem Beruf in eine peinliche Lage bringen kann? DER DOCTOR. Ich bürge Ihnen. — V. ZITTERWITZ (zu Blashammer). Was wollten Sie bemerken? BLASHAMMER. Wir haben des Traurigen schon in Hülle und Fülle. Ich würde für ein Lied stimmen, das die Lachmuskeln gehörig in Bewegung setzt, als zum Beispiel: (singend) Vetter Michel wohnt in der Lämmer, Lämmerstraß' . . . oder (singend) Ich bin der Doctor Eisenbart, kurir die Leut' nach meiner Art, trallallalalla . . . Ist des „Deutschen beste Kunst“ von diesem Genre, lieber Doctor? DER DOCTOR. Hum, sie dient beiden Extremen unserer Stimmung. — Der Traurige kann weinen, der Heitere lachen . . . BLASHAMMER. So werden wir vielleicht das Glück haben, neutral zu bleiben, denn ich weiß nicht in welcher Stimmung ich bin! V. ZITTERWITZ. Meiner Seel', ich auch nicht . . . DER DOCTOR (heimlich zum Regierungsrath). Das Lied fließt aus meiner Feder, hi, hi, hi . . . . V. ZITTERWITZ (lachend). Eia, popeia! BLASHAMMER. Was säuselte er Ihnen in's Ohr? DER DOCTOR. Pst, pst! machen Sie kein Aufsehen. V. ZITTERWITZ. Wir müssen Partei ergreifen, Herr Blashammer . . . Sie werden lachen, indessen ich Thränen vergieße . . . Der junge Doctor ist auch ein Poet! hi, hi, hi, hi . . . (Der DOCTOR giebt einen Wink zum Anfang). DER SÄNGER (mit Orchesterbegleitung). Was ist des Deutschen beste Kunst? Die, welche frei von Schwulst und Dunst, In jedem Herzen wiedertönt, Zur Einheit Jung und Alt versöhnt? O halte ein! Sie war's wohl einst, kann's nicht mehr sein. Was ist des Deutschen beste Kunst? Die, welche frei von Schwulst und Dunst, Den Schwachen schützt, den Starken wehrt, Des Heilands Worte frömmig ehrt? O halte ein! Sie könnt' es wohl und darf's nicht sein. Was ist des Deutschen beste Kunst? Die, welche frei von Schwulst und Dunst, In Land und Stadt der Leute Fleiß Zum Ziel des Heils zu lenken weiß? O halte ein! Sie sollt' es wohl und soll's nicht sein. Was ist des Deutschen beste Kunst? Die, welche frei von Schwulst und Dunst Das Recht verklärt, den Geist erhebt, Die Menschheit zu vergöttern strebt? O halte ein! Sie mocht' es wohl und kann's nicht sein. Was ist des Deutschen beste Kunst? Die, welche frei von Schwulst und Dunst Die Sitte lenkt, das Leben führt Und jede Handlung edel ziert? O halte ein! Sie kann es schon gewiß nicht sein. Was ist des Deutschen beste Kunst? So nennt sie endlich mit Vergunst! Es ist doch nicht die Niedertracht, Wo feig der Schalk sich selbst belacht! O halte ein! Sie kann es nie von Herzen sein. Sie kann es nie von Herzen sein, O Gott vom Himmel sieh' darein Und stärk' uns bald mit heil'ger Kraft: Es falle ihre Meisterschaft! O stimmet ein, So soll es und so wird es sein. Fünfte Scene. Alles wie vorher, ohne den Sänger. Nach kleiner Pause allgemeinen Schweigens, wo man nur das monotone Geräusch der Essenden, die klappernden Heller, Messer und Gabeln hört, beginnt V. ZITTERWITZ zum DOCTOR: V. ZITTERWITZ. Das schöne Lied scheint gewirkt zu haben! In welchem Verhältniß steht indessen sein tiefer ernster Inhalt zu der werthen Persönlichkeit des jovialen, flotten, koketten Ritters der modernen Galanterie? DER DOCTOR. In keinem. V. ZITTERWITZ. Sie nehmen mir die harmlose Frage nicht übel. Ihr „leben und leben lassen“, Ihre geniale Lüderlichkeit und ästhetische Bummelei, mit Permission gesagt — DER DOCTOR. (lachend mit einer Verbeugung) Höchst schmeichelhaft . . . . V. ZITTERWITZ. — ist leutekundig. Nie hätte ich in Ihnen einen Socialphilosophen und poetisirenden Moralisten gesucht. DER DOCTOR. Betrachten Sie alle großen Worthelden unserer Zeit, zum Beispiel sich selbst, und Ihnen begegnet dasselbe Problem. (BLASHAMMER erhebt sich mit einem Becher.) V. ZITTERWITZ. Soll's schon losgehen? BLASHAMMER. . . . Meine Herrschaften, wer uns so splendid bewirthet, hat gewiß kein falsches Spiel im Sinne, nein! so wahr ich das Leben und Treiben unseres lieben Gastgebers kenne, er zeigt nur wie haltlos die Gerüchte waren, welche neidische Verläumder seit einigen Tagen gegen ihn in Umlauf setzten. Meine Herrschaften, Untergang der Lügenbrut! Heben wir uns im Vollgenuß des schönen Festes über alle Gerüchte mit dem U E geschrieben hinweg und beweisen dem edlen Verdächtigten durch die innigste Theilnahme an seinen Gerichten mit dem einfachen I unsere ungeheuchelte Hochachtung. . . Es lebe des Hausherrn Credit! QUESTENBERG setzte sich erblaßt nieder. Trompeten- und Paukentusch, in den Niemand einstimmt. Verwirrtes Geräusch. Es bilden sich Gruppen. BLASHAMMER. Sie entschuldigen meine Ungeübtheit im Toastausbringen; das Schicksal begünstigte meine Zunge zu wenig, um . . . (Das Geräusch bringt ihn zum Schweigen. Im Vordergrunde trifft er mit ZITTERWITZ zusammen.) V. ZITTERWITZ. Sehen Sie, welch' ein Urtheil man Ihnen fällt! Alle, ohne Ausnahme, beeilen sich, dem Verletzten die Hand zu drücken. BLASHAMMER. Zum Schein. V. ZITTERWITZ (vertraulich). Sie geben den Unglücklichen wirklich verloren? BLASHAMMER. Ja . . . V. ZITTERWITZ (erbleicht und klammert sich an ihn). BLASHAMMER. Daß Sie ihm noch gestern in die Falle liefen! V. ZITTERWITZ (mit bebender, schwacher Stimme). Ich prüfte wohl, was ich that. BLASHAMMER (ironisch lächelnd). Zweifelsohne auf Grund der großen Erfindung. V. ZITTERWITZ. Ihnen ist bekannt . . . BLASHAMMER. Alles. V. ZITTERWITZ. Durch Spione und Bestechungen . . . Tod und Hölle! BLASHAMMER. Hi, hi, hi, er hat Ihnen doch gewiß die glänzendsten Experimente vorgemacht? Er stellte wohl auf der alten und neuen Maschine zu gleicher Zeit Versuche an? . . . V. ZITTERWITZ. Da sah ich mit meinen beiden Augen — BLASHAMMER. Blendwerk, Taschenspiel! V. ZITTERWITZ. Sie müssen falsch unterrichtet sein. BLASHAMMER. Ich besitze die Zeichnungen der Maschine — der Erfinder selbst brachte sie mir in's Haus . . . V. ZITTERWITZ. So! BLASHAMMER. 's ist ein sehr gewöhnliches Subject, ein gemeiner Arbeiter. Ich zog die ersten Sachkenner des Orts in meinen Rath und sie alle verwarfen das Project als gänzlich unpraktisch — Einige Versuche im kleinen Maaßstabe, wie die, welche man Ihnen vorgaukelte, mögen passabel ausfallen, indessen . . . Ach, was dieser Questenberg mir das Leben verbittert! V. ZITTERWITZ. Er ein Betrüger! BLASHAMMER. Der Mann weiß keinen andern Ausweg mehr, 's ist wahr, 's ist wahr! man soll ihn eher bedauern als verachten, allein — V. ZITTERWITZ. Wir können morgen in der nämlichen Lage sein und durch eine Mahlzeit uns das Vertrauen der kalten Welt erkaufen wollen! BLASHAMMER. Allerdings. V. ZITTERWITZ. Sie werden meinen Questenberg nicht verlassen, nein? — Ah, Sie machten mich nur zum Narren . . . BLASHAMMER. (bei Seite) Ich kann ihn vielleicht zu etwas brauchen. (laut) Würden Sie mir verzeihen, wenn ich's gethan hätte? V. ZITTERWITZ. Warum nicht? — Schalk, Schalk, heraus mit der Sprache . . . (BLASHAMMER lacht) Sie wollten meine Freundschaft zu Questenberg wohl nur erproben — BLASHAMMER. Und warnen, im Fall sie unächt ist. V. ZITTERWITZ. Im nämlichen Sinne brachten Sie den fatalen Toast aus? BLASHAMMER. (vertraulich) Ich wünschte nicht, daß man mir einst nachsagte, ich half die Leute täuschen, weil ich dem jungen Doctor meine Tochter vermählt. V. ZITTERWITZ. Aha! BLASHAMMER. Verstehen Sie? V. ZITTERWITZ. Entweder sind Sie ein Ideal von Gewissenhaftigkeit oder der größte Schlaukopf, welcher lebt. BLASHAMMER. Ich bin ein ganz schlichter Bürgersmann. V. ZITTERWITZ will noch etwas sagen, doch unterbricht er sich und eilt zu Questenberg, der ihm unwillig Gehör zu schenken und zu folgen scheint. Sechste Scene. BLASHAMMER. V. ZITTERWITZ. QUESTENBERG. (Zwei Diener ziehen die Vorhänge zum Saal zu.) V. ZITTERWITZ (zu Questenberg bei Seite). — Gleichviel welche Absicht ihn beseelt! Wer den schlechtesten Zug macht, kommt in Schach! QUESTENBERG. 's ist die letzte Partie! V. ZITTERWITZ. Hier, mein Herr Blashammer, unser Freund. Er fühlt sich überglücklich Ihren Entschluß zu vernehmen. — BLASHAMMER. — Du verstehst meinen Character, Dir ist bekannt, daß ich alles rücksichtslos tadle, was . . . V. ZITTERWITZ. Betrachten wir die Sache als beigelegt. BLASHAMMER. Ich bin geneigt, Dir in allem zu willfahren; verlange mein Geld, mein Gut und mein Blut, doch schone meine Ehre! V. ZITTERWITZ. Um von der Heirath zu sprechen — BLASHAMMER. Mit Gott, mit Gott! ich willige ein. Der Doctor ist ein schöner junger Mann, gesellig, gelehrt, erfahren und wie ich aus dem Liede höre, auch wohl ein politisches Talent. Die Tonsaiten, welche er anzuschlagen versteht, müssen im Volke Wiederhall finden. Geben wir ihm große Mittel die Rolle eines wohlbegüterten, interesselosen, unparteiischen Liebhabers der Freiheit _comme il faut_ zu spielen, so geht er in wenigen Jahren als Pair nach der Hauptstadt . . . Was fehlt ihm dann für's Portefeuille eines Ministers? V. ZITTERWITZ. Sie hoffen mit Grund das Ansehn und den Ruhm Ihres Hauses durch den interessanten jungen Mann zu vollenden. BLASHAMMER. Wohl that ich mir am üppigen Diner zu gütlich — gehen wir ein bischen in's Freie. V. ZITTERWITZ. Zu dienen. (Seitwärts zu Questenberg.) Ich schicke Ihnen den Doctor — nur Muth! (v. Zitterwitz mit Blashammer Arm in Arm ab). Siebente Scene. QUESTENBERG. . . . Ich wette, daß Blashammer hinter die neue Erfindung kam — anders wäre sein Betragen räthselhaft. Er strebt mich heimlich zu entthronen, mich zu seinem Commis zu machen, — wozu würde er sonst die Börse in Schrecken setzen, die Gläubiger von mir abwenden und dem Heirathsproject Beifall schenken? Achte Scene. QUESTENBERG. DER DOCTOR. DER DOCTOR. Was giebt's Papa? QUESTENBERG. Setze Dich zu mir. DER DOCTOR. Verstimmt? (bei Seite) Ah ich merke, die Heirath wurde glücklich zu Wasser. QUESTENBERG. Höre mich . . . (bei Seite) Wozu ich ihn bestimme ist meine Schmach. DER DOCTOR. Wird's lange dauern, der Ball beginnt gleich. QUESTENBERG. Welche Dame wirst Du engagiren? DER DOCTOR. Fräulein Blashammer. (bei Seite) Eine schöne Gelegenheit ihn zu necken. QUESTENBERG. Wirklich! DER DOCTOR. _Parole d'honneur!_ QUESTENBERG. Endlich räumst Du Deinem Vater das Feld! DER DOCTOR. _Fiat mundus, pereat justitia!_ Ergebe man sich dem Teufel lieber heute als morgen, denn am Ende behält er doch Recht! . . . Wie sehr wünschte ich nach innerster Neigung zu handeln, um idealisch glücklich zu werden, indessen — QUESTENBERG. Wo giebt's etwas Vollkommenes auf Erden! DER DOCTOR. — Ehe man aus diesen reichen Hallen des Glanzes und der Ueppigkeit in die Tonne des Diogenes hinabsteigt, ist's besser für ein Fräulein Blashammer zu schwärmen, ist's besser einem großen tiefen Beutel voll Geld als einer großen tiefen Liebe sich zu opfern. QUESTENBERG (lachend). Das Lächerlichste der menschlichen Komödie wär's in der That, müßte ein Lebemann Deines Schlages plötzlich den grämlichen Staatshämorrhoidarius spielen und für das sauerste Stücklein Brod sich bis über die Ohren im Actenstaube begraben! DER DOCTOR. Ich stürbe aus Gram! QUESTENBERG. Ach was geht darüber ein eigener Meister zu sein, den Göttern der Fantasie und Laune stets huldigen zu können! DER DOCTOR. _Beati possedentes_ sagt der practische Römer; 's ist ein Satz, den ich nicht umsonst studirt haben will. Dem Besitzenden dient die ganze Welt; Kunst und Wissenschaft sind ihm unterwürfig! Strebe nach Besitz und Du strebst nach dem höchsten Gut! QUESTENBERG. Die Vernunft erleuchtet Dich zur rechten Zeit. DER DOCTOR. Machten Sie mit dem Banquier bereits ab, wann die Hochzeit stattfindet? QUESTENBERG. Noch nicht. DER DOCTOR. Aber in Betreff der Mitgift wurden Sie schon einig? QUESTENBERG. Auch noch nicht . . . DER DOCTOR (sich erstaunt stellend). Unmöglich! QUESTENBERG. Es bot sich noch keine schickliche Gelegenheit über den wichtigen Punkt . . . DER DOCTOR. Eine fatale Geschichte das! QUESTENBERG. Wir müssen es schon in guter Hoffnung wagen . . . DER DOCTOR (leise). Wetter! seine Blindheit ist stark! (laut) Herr Papa! QUESTENBERG. Wie ich Dir sage. DER DOCTOR. So lange das Ziel im Trüben — kann sich der Doctor nicht verlieben. QUESTENBERG. Ironischer Narr! DER DOCTOR. 's ist wahr! Erst schwarz auf weiß den süßen Preis! QUESTENBERG. Mein Gott der Mensch wird wieder toll! (Musik.) DER DOCTOR. Verlangen Sie von mir ein Stücklein nach Gebühr. (Er will fort.) Was schwahnt? (QUESTENBERG hält ihn mit flehender Gebehrde fest.) Die Musik mahnt! QUESTENBERG. Mein Sohn, ich bitte nur für Dich! DER DOCTOR. Pah! denke Jedermann an sich. QUESTENBERG. Vielleicht gelingt es wider Dein Erwarten . . . DER DOCTOR. Das sind mir unprophetische Karten. QUESTENBERG. Vertrau', vertrau', o laß Dich beschwören! DER DOCTOR. Ich kenne den Banquier; Gold nennt er nicht Chimären. QUESTENBERG (sarkastisch). So geh', verpasse die entscheidende Stunde und klage einst, Dich ereilte das Verderben ohne Schuld! (Er will geh'n.) DER DOCTOR. Papa . . . QUESTENBERG. Ich sprach genug. DER DOCTOR. Unter einer Bedingung versuchte ich das Heil. QUESTENBERG. Nämlich? DER DOCTOR. Wenn Sie die feste Versicherung gäben, daß Fräulein Blashammer mich nie mit Eifersucht plagt. QUESTENBERG. Auf die kommt's mir nicht an. DER DOCTOR. Ihr Ehrenwort, besiegelt durch kräftigen Handschlag. QUESTENBERG (ihm eine Ohrfeige gebend). Hier hast Du's! (ab.) DER DOCTOR. Ah! . . verdiente ich das? . . . Geduld, ich finde Mittel und Wege, die Ungerechtigkeit zu vergelten! (ab.) Abtheilung II. Die Hütte des Vater Ziemens. Einige Kasten und aus rohen Brettern genagelte Schränke. Ein Tisch, etliche Bänke u. dgl. Neunte Scene. FRAU ZIEMENS. MARIE (den Tisch zum Nachtessen servirend). MARIE. — In acht Tagen, liebe Mutter. FRAU ZIEMENS. Ich sehe seit drei Jahren klar was er ist — ein Schlenderer, ein Träumer, der uns und Herrn Questenberg nur das Vertrauen stiehlt. MARIE. In acht Tagen, sag' ich, wird alles entschieden sein. FRAU ZIEMENS. Pah, nicht in zehn Jahren! Wozu soll ihn der Herr anstellen! Was versteht er! MARIE. Geduld! FRAU ZIEMENS. Ich will's für alle goldnen Herzworte, für alle Seligkeit des Himmels nicht: er muß aus dem Haus! Die schiefen Gesichter der Nachbarn hab' ich satt. Pfui doch, jeder ordentliche Mensch zieht sich vor uns wie vor einer bösen Krankheit zurück. . . Du erlerntest alles was zur nützlichen Hausfrau gehört und besitzest ein Gesicht, das sich in der ganzen Vorstadt nicht schämen darf; wäre der Bube nicht da, so hätten wir unsere Freude — Ach, ich kenne wohl manchen guten Gesellen, der früher ein Auge auf Dich warf. MARIE. Wiederhole mir nicht täglich denselben Sermon! FRAU ZIEMENS. Mach noch diesmal das Gedeck, doch wir essen zum letzten Mal mit ihm: wirst Du oder soll ich's ihm sagen? MARIE (bei Seite). Ach Gott, ich that es leider schon! FRAU ZIEMENS. He? öffne den Mund. MARIE. Ich werd' es ihm sagen . . . Der Vater! (ab.) FRAU ZIEMENS. Die Gartenstiege fällt ihm mit jedem Tage schwerer — Er macht's nicht mehr lange und dann, welche Zukunft! (ab.) Zehnte Scene. VATER ZIEMENS. MARIE. VATER ZIEMENS (auf einer Bank am Tische Platz nehmend). Ich danke mein Kind . . . Es war wieder ein Tagewerk! . . . Das Garnspinnen ist keine schwere Arbeit und doch greift's an, am wenigsten die Arme, aber hier, hier! . . Man dreht und dreht, die Spulen rauschen, die Fäden rollen, nichts anderes sieht und hört man, es geht endlos! Erst die Abendglocke, ha, tönet sie — 's ist als wenn ich zum jüngsten Gericht soll; ein Hauch aus höhern Sphären weht mich an, durchdringt die erstorbenen Beine mit neuem Leben und halb träumend, halb erwacht eil' ich in Gottes frische Luft! . . . (Glocken einer Viehheerde.) Jene Heerden ziehen aber zufriedener heim, sie kommen aus blühenden Fluren; ich, der Christgeborene — aus modrigem Grabgewölbe, tiefsten Kummers voll! — Ein schnöder Rang über dem blöden Thier! . . (FRAU ZIEMENS trägt Essen auf.) . . Wo hast Du doch das schöne Buch, welches der Klaus für den Albert herbrachte; ich möchte die Fortsetzung hören. Eilfte Scene DIE VORIGEN. FRAU ZIEMENS. FRAU ZIEMENS. Nach Tische ist dazu Zeit. VATER ZIEMENS. Mamachen! FRAU ZIEMENS. Du bemerktest wohl nicht, daß ich hier warte? Komm', ich trug schon die Suppe auf — (Sie faßt ihn unter'n Arm) Hol' die Lampe, Marie. (Marie ab.) VATER ZIEMENS. Wie geht's, schonten die Krämpfe Dich? Du hattest heute früh ziemlich gute Mienen. FRAU ZIEMENS. Ich kam leidlich fort . . . VATER ZIEMENS. Mich folterten wieder die Stiche grausam — Das Uebel heilt bei der sitzenden Lebensart nicht mehr! . . . MARIE kommt mit der Lampe. VATER ZIEMENS. Das Kind hat rothe Augen? FRAU ZIEMENS. Sie wird Dir etwas Erfreuliches erzählen. VATER ZIEMENS. Ah, doch wohl nicht . . . . (Ein Schmerz hindert ihn fortzufahren.) FRAU ZIEMENS. Der Albert schnürt morgen seinen Bündel und räumt das Haus. VATER ZIEMENS. Endlich dazu entschlossen? FRAU ZIEMENS. Mach' mit den Thränen ein Ende — schäme Dich! — Gieb dem Alten einen Kuß und das Versprechen. VATER ZIEMENS. Komm', 's ist zu Deinem Wohl! MARIE giebt ihm einen Kuß. VATER ZIEMENS. Laß Dein junges Blut von uns überwachen! Du wurdest nicht geboren für das Glück; nach der Freiheit darfst Du Deine Wahl nicht treffen, — Dein Stand heißt Entsagung! (Einige Schüsse in der Ferne.) Was gibt's denn da? FRAU ZIEMENS. Es sind die Böller von dem herrschaftlichen Schloß — Wohl verkündigen sie den Beginn des Feuerwerks. VATER ZIEMENS. Unser Herr giebt heute ein Fest? FRAU ZIEMENS. Zu Deinen Ohren drang noch nichts davon? VATER ZIEMENS. Keine Sylbe, Mütterchen. FRAU ZIEMENS. Ich erfuhr's auch nur zufällig durch des Kuchenbäckers Frau. Nach ihrer Beschreibung sollen alle Herrschaften aus Stadt und Umgegend versammelt und ein Aufwand entwickelt sein, der an's Unbeschreibliche grenzt! Da sind die Küchenmeister durch die Eisenbahn bis von Paris geholt. Die Kellner müssen in schwarzem Frack und weißer Atlasweste aufwarten. Sämmtliche Tafelgeschirre bestehen theils aus Meißner und Sevre'schen Kunstporzellan, theils aus gediegenem Silber und Golde. Die seltensten Weine, Vögel, Fische, Schildkröten, Krebse, Gemüse und Früchte der ganzen Welt lieferte ein Pariser Leckerbissenhändler. Endlich, alle vorzüglichsten Trompeter, Geiger und Schauspielsänger, von hier und den Nachbarstädten wurden zu einem Chore vereinigt. Was sagst Du, he? VATER ZIEMENS. So ist's recht; wer viel hat, soll viel draufgehen lassen; es kommt wohl den Armen hie und da zu Gute. Zwölfte Scene. DIE VORIGEN. ALBERT. (Er kommt gesenkten Hauptes mit dem Buch unter'm Arm, welches er auf eine Bank wirft.) MARIE. Weh! VATER ZIEMENS. Meide seinen Anblick, meine Tochter, fasse Dich! MARIE. Du hast ihm nicht geholfen, Allmächtiger, nun hilf mir für ihn! (ab.) VATER ZIEMENS. Geh' ihr nach, Mütterchen! FRAU ZIEMENS. Es wird sie tödten! (ab.) Dreizehnte Scene. VATER ZIEMENS. ALBERT. (Er setzt sich an den Tisch, faltet die Hände und sieht dumpf vor sich hin.) VATER ZIEMENS. . . . Von wo kommst Du, Albert? . . Sprich nur, wir sind allein. ALBERT. Ich war bei unserm Brodherrn, verlangte Verbesserung meiner Lage . . . VATER ZIEMENS. Armer Albert! aber 's ist meine Schuld, daß es jetzt so kommt, 's ist meine Schuld! ALBERT. Inwiefern? VATER ZIEMENS. Verzeih' mir, ich bin ein alter schwacher Mann — verzeih'! oh, oh! ALBERT. Nun, was wollen Sie denn damit? — Soll ich etwa gleich das Bündel schnüren? VATER ZIEMENS. Sei nicht aufbrausend, mein lieber Sohn . . . ALBERT. Wetterwendische Welt! Wenn Dir die Weile zu lang wird, brichst Du den Stab erbarmungslos! . . Was? Drei Jahre schon vertändelt, noch immer kein Meister? 's ist ein Träumer, Faullenzer, Lump! . . . Ha! VATER ZIEMENS (feierlich aufstehend). Mein Sohn, das Talent des Armen muß noch brache liegen, wie der Acker einer wüsten Insel und Disteln zeugen, geiles Unkraut, statt süßer Frucht und edlen Saamen. Hier in der erstorbenen Brust wird er geboren erst, der große Held, der es erlösen soll! — Ach, auch ich verfolgte ehemals Deine Spur! Da stand vor der Thüre draußen ein alter Lindenbaum, der Urgroßahn meines Vaters hatte ihn gepflanzt. Ein böses Wetter zieht herauf und bricht ihm seinen morschen Fuß. Ich, ein Jüngling schon von vier und zwanzig Jahren, komme heim von Arbeit und seh's! Erlebtest nie, daß sich erfüllte, was man unter dir geträumt; dein stolzes Dach beschattete des Lebens Kummer nur, des Lebens Trauer: ich will ein Bildniß fertigen aus deinem Holz, durch das die Menschen sich erinnern mögen und mit gutem Vorsatz stärken. Gesprochen, gethan! Es gelang mir wunderbar und zeugt von meinem höheren Beruf! Wohl sahst Du's schon manchesmal, wenn innige Andacht Deinen Blick nach Oben lenkte; dort in unserer Kirche hängte, über der Altarnische am schwarzen Kreuz, das Haupt mit Dornen gekrönt und sterbend gesenkt! . . ALBERT (Nach einer Pause). — Der Verzagte erlebt des Erlösers Auferstehung nie! (Er sucht seine Sachen.) VATER ZIEMENS (gerührt, mit leiser Stimme). So lassen wir Gott walten, edler Jüngling! Du bleibst bei Deinem alten Freunde bis zur künftigen Scheidestunde — hörst Du? ALBERT. Ich darf nicht; Marie kündigte mir; 's ist Euer wohlgeprüfter Wille, daß ich geh'. VATER ZIEMENS. Mein Herz widerruft was Schwäche ihm eingab! ALBERT. Die Vernunft war's, seine Stärke! VATER ZIEMENS. Kränkten wir Deinen Stolz? O vergieb! ALBERT. Schwacher Alter, Sie erschweren mir den Abschied! VATER ZIEMENS. Bleib! Sei Erbe dieser dürftigen Hütte! In ihr ruht die Hoffnung manches Jahrhunderts! 's ist ein vergrabener Schatz. ALBERT. Das Nothwend'ge muß gescheh'n! VATER ZIEMENS. O, daß ich nicht denke, Du warst ein leichtsinniger Verführer meines Kindes, bleib! . . Wenn ich Dich verliere, verlier ich ja alles! Willst Du Deinen besten Freund, willst Du Dein Theuerstes in die Grube werfen? Albert, Albert! ALBERT. (Sein Bündel auf dem Rücken.) Auf Wiederseh'n. VATER ZIEMENS. O Du hast ein steinern Herz! ALBERT. Bürger dieser Erde dürfen kein anderes haben! . . (Der Greis schüttelt ihm feierlich die Hand. Albert, von tiefem Schmerz ergriffen, bleibt eine kleine Pause unschlüssig steh'n. Plötzlich, wie der Greis auf ihn zueilen und ihn festhalten will, ermannt er sich und enteilt.) VATER ZIEMENS. Albert bleib! — Fort ist er! 's war sein Schatten, er selbst nicht, ich träumte nur! . . (Kleine Pause. Aus der Ferne Jubelgeschrei und das Geräusch eines Feuerwerks.) Herr, der Du Hülflosen nicht mehr auferlegst als sie tragen können, ich vertraue Dir in Ewigkeit! Dritter Akt Abtheilung I. Pavillon auf einer kleinen Terrasse, der einen Blick in einen brillant erleuchteten Garten gewährt. Seitwärts das Schloß Questenberg's. Musik abwechselnd aus ihm und dem Garten, jedoch nicht zu laut. Erste Scene. BLASHAMMER mit ZITTERWITZ am Arm, ADELGUNDE nachfolgend. BLASHAMMER. Setze Dich auf jenen Stuhl, Tochter. (ADELGUNDE setzt sich an's Fenster und die beiden treten bei Seite.) V. ZITTERWITZ. Vertrauen Sie meiner Menschenkenntniß; ich studirte nicht umsonst Psychologie . . . BLASHAMMER. Hätte er nur einmal mit ihr getanzt. V. ZITTERWITZ. Er wird sich noch bezwingen. BLASHAMMER. Es müßte bald gescheh'n. . . Was ist die Uhr! Schon drei vorbei . . . gleich geht die Sonne auf. . . V. ZITTERWITZ. Mit ihr das Licht seiner Liebe. . . BLASHAMMER. Sagen Sie's mir ganz rund heraus, was antwortete er auf Ihre Fragen? V. ZITTERWITZ. Schüchterne Phrasen, würdig eines Poeten. . . BLASHAMMER. Ich muß der Sache auf den Grund kommen, ich muß wissen, woran ich bin, ich habe nicht nöthig im Finstern zu tappen — Nein wahrhaftig, mich lockt kein Gewinn, indem ich die Tochter dem Sohne eines Bankerottirers opfere! — Schnell auf die Beine, Herr Regierungsrath, zurück zum Doctor — er soll auf der Stelle herkommen! Fort, beschwingen Sie Ihre Füße! V. ZITTERWITZ. Ich will mir Flügel anlegen. — (Er bleibt zaudernd stehen.) BLASHAMMER. Ich lasse meine Tochter hier, ziehe mich in den Hintergrund zurück und beobachte, wie er sich gegen sie aufführt. V. ZITTERWITZ. Ah so! ah so! BLASHAMMER. Keine Zeit verloren. V. ZITTERWITZ (für sich). Die Sache wird höchst kritisch! — Viel Vergnügen mein Fräulein. BLASHAMMER (ihm nachrufend). Nur den Finger auf dem Munde! Zweite Scene. DIE VORIGEN ohne V. ZITTERWITZ. BLASHAMMER (zu Adelgunde in melancholischem Tone seufzend). Wer kann sagen, ob man morgen noch am Leben ist! (Er setzt sich zu ihr.) ADELGUNDE. Was fehlt Dir mein Vater? BLASHAMMER. Die Freude und Seligkeit des Herzens! . . . Wo andere singen, springen und scherzen, bin ich zum Weinen aufgelegt. ADELGUNDE. Woher kommt das? BLASHAMMER. Gott weiß! . . Ich denke, Du wirst Deinen Vater nicht mehr lange besitzen. . . ADELGUNDE. Einbildungen, Väterchen, nichts als Einbildungen. BLASHAMMER. Könnt' ich ihnen widerstehen! sie nehmen aber meine ganze Seele gefangen! — fast alle Nächte träumt mir von Hobelspänen, Kirchhöfen, Särgen, Priestern in schwarzen Talaren — Wie Du weißt, ging ich in früheren Jahren nur höchst selten zur Kirche, jetzt darf ich keinen Sonntag versäumen und häufig drängt's mich noch Dienstag's und Donnerstag's die Wochenpredigt dem wichtigen Geschäft an der Börse vorzuziehen. — Alles das bedeutet nichts Gutes! Aufgerieben ist meine Gesundheit, abgenutzt meine Seele! Die geringste Aufregung wirkt schädlich auf die Verdauung, der kleinste Schreck verursacht mir schlaflose Nächte . . . ADELGUNDE. Du mußt auf solche Kleinigkeiten nicht achten. BLASHAMMER. 's ist leicht gesagt! — Um jedoch von einer wichtigeren Sache zu sprechen! Sieh', dieweil mich solche traurige Ahnung erfüllt, wirst Du's natürlich finden, daß ich mein Gewissen mit dem Himmel in Harmonie zu bringen trachte. . . Schon vor einigen Tagen gab ich Dir einige Winke in Betreff — Erräthst wohl schon mein Täubchen? Schlag' Deine Augen nur auf, blicke mich nur liebreich an. Das Heirathen ist keine schamhafte Angelegenheit, sondern etwas ganz Gewöhnliches, 's ist von Gott eingesetzt und unsere erste und oberste Pflicht vor allen andern Dingen . . . Ich will Dich indessen schonen, wenn Du davon ungern hörst: hi, hi, hi, im Augenblick wird Dein Ehekandidat erscheinen. ADELGUNDE. Hier? BLASHAMMER. Ja. ADELGUNDE. Aber mein Vater. BLASHAMMER. 's ist ein schmucker junger Mann. — Du sah'st ihn wohl schon oft auf der Promenade in dem schönen blauen Frack mit den goldenen Knöpfen. — Sicherlich findet er Deinen Beifall. ADELGUNDE. Was soll ich dazu sagen! BLASHAMMER. Traun, schönen Dank, wie's sich ziemt. — Da, küss' mir die Hand. ADELGUNDE (die Hand küssend). Das Alter macht Dich kindisch. . . Jesus, wie schnell geht das! BLASHAMMER. Wundre Dich acht Tage! — Ich höre Tritte. — Er wird's sein . . . ADELGUNDE. Du jagst mir doch nur einen Schreck ein, Papa. BLASHAMMER. — Man darf mich nicht bei Dir finden. . . Komm' ihm auf halbem Wege entgegen. — (Ihre Stirne küssend.) Sei hübsch artig. . . (Er geht.) ADELGUNDE (nachrufend). — Papa? BLASHAMMER. Meine Tochter? ADELGUNDE. Wer ist denn der Herr Candidat? BLASHAMMER (lächelnd). Er heißt, mein Püppchen, er heißt — Wozu aber! sogleich siehst Du ihn. . . ADELGUNDE. Ich bleibe nicht hier. . . (Sie will fort.) BLASHAMMER (mit drohender Miene). Du kennst Deinen Vater, Du weißt, was ihn erzürnt. ADELGUNDE. Grausamer! Wenn Du's mir befiehlst, gut, so werd' ich gehorchen — Deine Tyrannei ist mir nachgerade unerträglich — ich sehne mich sie abzuschütteln. BLASHAMMER ab. Vierte Scene [Transkriptionsanmerkung: Auch im Original gibt es keine dritte Scene.] ADELGUNDE. V. ZITTERWITZ. DER DOCTOR. DER DOCTOR. Fräulein ist noch da! — also scheint's der Himmel zu wollen. Lassen Sie mich denn allein. V. ZITTERWITZ. Ich bleibe hier in der Nähe. DER DOCTOR. Ach, wie schlägt das Herz, ob aus Verliebtheit oder Scham? ich weiß es nicht zu sagen! (Er tritt in den Pavillon, einen großen Blumenstrauß nachlässig in der Hand haltend, gesenkten Hauptes, ein Lied summend.) Ah, Fräulein hier? Im Garten kam mir die Grille ein, dies Sträußchen zu sammeln. ADELGUNDE. Sie bestimmten es der ersten besten Dame? DER DOCTOR. _Au hasard_ ADELGUNDE (annehmend). Ich danke. DER DOCTOR. _Toutes les dames meritent également notre adoration._ ADELGUNDE. Das heißt, dieselben sind Ihnen sehr gleichgültig. DER DOCTOR. _Point du tout, Mademoiselle . . ._ oder wünschen Sie zu hören, worauf ich meinen Ausspruch gründe? ADELGUNDE. _Avec plaisir._ DER DOCTOR. Auf das Buch der Bücher. ADELGUNDE. _Par exemple!_ DER DOCTOR. Mein Fräulein, es steht im neuen Testament, daß wir uns nicht bevorzugen sollen, denn wir seien alle Gotteskinder. ADELGUNDE. _Vous êtes ridicule, Monsieur — parbleu! . . Dites mois alors . . ._ DER DOCTOR. Ich bin Ihr ergebenster Diener. ADELGUNDE. — _comment d'après ce princip, arriveriez vous à une inclination individuelle?_ DER DOCTOR. Wie ich nach diesem Grundsatz zur besonderen, zur individuellen Neigung gelange? . . (Bei Seite) Sie scheint in mich verliebt — auf Befehl des Alten! ADELGUNDE. _Si, vous êtes un vrai docteur èsphilosophique, vous aurez une reponse à toutes les questions . . . ._ DER DOCTOR. Sie sprechen ein vortreffliches Französisch. ADELGUNDE. _Cela vous deplait?_ DER DOCTOR. Ich stehe beschämt . . . . ADELGUNDE. _Mais vous n'êtes pas philosoph?_ DER DOCTOR. Wohl war ich's. ADELGUNDE. _Eh bien?_ DER DOCTOR. Allein auch mich veränderten die Zeiten wie manche brave Burschenseele. ADELGUNDE. _Depuis quand? s'il vous plait._ DER DOCTOR. Seit meiner Rückkehr in's väterliche Haus. ADELGUNDE _Et après?_ DER DOCTOR. Und ich wurde orthodox . . . Lachen Sie nicht, 's ist sehr ernst. ADELGUNDE. Was ist denn orthodox? mit Erlaubniß. DER DOCTOR. Glaube Alles, was man will das Du glaubest oder Du bleibst ohne Geld, Amt, Ehre oder — ohne Frau. ADELGUNDE. Eine Doctrin des schamlosesten Jesuitismus. DER DOCTOR. Nicht zu leugnen — Da's aber in unserm Jahrhundert keine gültigere giebt — ADELGUNDE. Ich hielt Sie für einen Anhänger der Freiheit. DER DOCTOR (lächelnd). Mein Fräulein . . . . ADELGUNDE. — und zwar im Sinne jenes schönen Spruches: „strebet, die Wahrheit wird euch erlösen.“ DER DOCTOR. Der Spruch wurde interpolirt und paßt nicht in die Bibel. ADELGUNDE. Das ist mir neu. DER DOCTOR. So ziemlich alle wohlbestallten Akademiker, besternten Würdenträger, intelligenten Leute _comme il faut_ leugnen ihn. ADELGUNDE. Und glauben demzufolge an alles, was man will das sie glauben? DER DOCTOR. Sagte ihnen zum Beispiel der Fürst, liebe Freunde, ich muß im Interesse des Staates eure schönen Einkünfte um die Hälfte vermindern, murrt nicht, sondern glaubet, es wird euch im himmlischen Jenseits tausendfach vergolten — ADELGUNDE. So murren Sie nicht? DER DOCTOR. Bei meiner Seele, nicht mehr als Fräulein, zu dem der Papa sagte, theures Kind, ich gebiete Dir zu glauben, Du liebest den jungen Herrn Doctor. ADELGUNDE. Sie sind barock. DER DOCTOR. Frivol, wenn's Ihnen gefällt, — allein ich denke das Beste von den Menschen und habe den höchsten Respect vor der christlichen Tugend, die nach unsern berühmtesten Kirchenlehrern in der tiefsten Unterwürfigkeit, in der tiefsten Demuth besteht. ADELGUNDE setzt sich und seufzt. DER DOCTOR. Mein Fräulein, bitte, bitte, — nehmen Sie sich meine Worte ja nicht zu Herzen — ich spreche nur in Thorheit, gewiß und wahrhaftig, nur in Thorheit. ADELGUNDE. Weil's die einzige Art ist, mir zu bekennen, daß Sie die Maske eines Heuchlers verabscheuen. DER DOCTOR (niederknieend). Schenken Sie dem Unglücklichen Mitleid. ADELGUNDE. Ich achte Ihre Gesinnung; stehen Sie auf . . . Ah, sieh' da! Fünfte Scene. DIE VORIGEN. BLASHAMMER. BLASHAMMER. Keine Störung, setzen Sie die Comödie weiter fort. DER DOCTOR. Traun, Sie kommen ein wahrer _Deus ex machina_ uns zu Hülfe. V. ZITTERWITZ. Meinen ergebensten Diener — gefällt's den geehrten Herrschaften . . . BLASHAMMER. Nur näher getreten. V. ZITTERWITZ. (Blashammern die Hand schüttelnd; mit leiser Stimme.) Es ging ja ausgezeichnet gut. DER DOCTOR. Sie scheinen Versteck gespielt zu haben. V. ZITTERWITZ. Wir promenirten im Garten, sahen Sie mit Fräulein hier allein — DER DOCTOR. — Was außerordentlich auffiel — V. ZITTERWITZ. — und uns verführte, der geistreichen Unterhaltung zu lauschen. DER DOCTOR. Sehr schmeichelhaft. Sechste Scene. DIE VORIGEN. QUESTENBERG. QUESTENBERG. Man ließ mich rufen . . . V. ZITTERWITZ. Leider kommen Sie zu spät. QUESTENBERG. Was gab's? V. ZITTERWITZ. Ein äußerst interessantes Gespräch. QUESTENBERG. Es handelte sich? V. ZITTERWITZ. Von nichts geringerem als . . . BLASHAMMER. Erstaune! V. ZITTERWITZ. — als von Liebe! DER DOCTOR. Der alte Herr hatte ein feines Ohr. QUESTENBERG. Mein Sohn legt mir Ehre ein. BLASHAMMER. Ich wußte es schon gestern, daß er für Adelgunde schwärmt. ADELGUNDE. _A la bonne heure!_ DER DOCTOR. Es wird erbaulich . . . BLASHAMMER. Sie begegnete ihn auf der Promenade und da warf er ihr einen Blick zu der mehr besagte, als . . . ADELGUNDE. Papa! BLASHAMMER. — als in dieser Nacht das unaufhörliche Tanzen mit ihr. DER DOCTOR (Adelgunden die Hand küssend). Sie verzeihen, mein Fräulein! V. ZITTERWITZ. — Sind Sie der Ansicht, daß die jungen Leute zusammenpassen, so machen Sie keine langen Umstände, sondern — hören Sie? QUESTENBERG. Es ist wohl gerathen? BLASHAMMER. Im Namen des Vaters aller Väter! — Eure Hände, Kinder, daß ich sie ineinanderlege. V. ZITTERWITZ. Nur nicht hier im armseligen Pavillon — QUESTENBERG. Der Herr Regierungsrath hat Recht. V. ZITTERWITZ. Gehen wir in den Saal! QUESTENBERG (Blashammer an den Arm nehmend). Auf! V. ZITTERWITZ (Adelgunden und den Doctor unterfassend). Ich habe die Ehre das edle Brautpaar zu geleiten. (Alle ab.) Abtheilung II. Zimmer des Doctors; Schränke mit Büchern, Antiquitäten, Naturaliensammlungen, Sopha, Tische, Stühle und dergl. Die Flügelthüren sind offen und gewähren einen Blick in den Garten. Siebente Scene. DER DOCTOR (tritt, eine Broschüre in der Hand, aus dem Seitenzimmer und klingelt; ein Bedienter erscheint). Trage zu Herrn Blashammer dies Tractätlein. Ich lasse innigst danken; es hätte meinen Zweifel am Christenthum völlig besiegt. Wenn er noch ein ähnliches besäße, sollte er mir's nur gleich schicken; ich brennte aus Eifer mich zu bessern und zu bekehren. Zugleich mache Fräulein Adelgunde mein Compliment und bestelle bei unserm Koch ein Frühstück mit Austern und Champagner — Apropos! Daß alles frisch und appetitlich sei! (Bedienter ab.) Klopfte Jemand? Herein! Achte Scene. DER DOCTOR. MARIE. MARIE. Grüß' Gott! DER DOCTOR. Danke. MARIE (bei Seite). Er kennt mich nicht mehr. (Laut.) Ich habe den Herrn Doctor dringend zu sprechen; erlaubt es seine kostbare Zeit? DER DOCTOR. Unbedingt. Treten Sie gefälligst näher . . . (Bei Seite.) Das Mädchen ist allerliebst! (Ihr einen Stuhl anbietend.) Bitte ergebenst . . . MARIE. Ich kann steh'n. DER DOCTOR. Sie bereiten mir ein Vergnügen . . . (Bei Seite.) Ein Stündchen, ach, an ihrer Brust entschädigte mich für allen Verdruß, den ich habe! (Er setzt sich ihr gegenüber.) MARIE. Ich will kurz sein. DER DOCTOR. Zunächst mit wem wird mir die Ehre — ? MARIE. Der Herr Doctor entsinnt sich meines Namens vielleicht. Wir gingen zusammen beim Priester in die Lehre, waren die vertrautesten Kinder, Gespielen, Freunde und alles was man in jungen Jahren sein kann . . . DER DOCTOR. Ich ahne schon . . . MARIE. Wenn Sie Ihr Stammbuch aufschlagen, finden Sie auch einen artigen Vers von mir. DER DOCTOR. Sie heißen — ? MARIE. Marie Ziemens. DER DOCTOR. Darf ich den Augen traun! MARIE. Die Zeit verwandelte mich wohl sehr. DER DOCTOR. Ungeheuer! und zum höchsten Vortheil! MARIE. Kaum glaublich. DER DOCTOR. Sie wurden ein wahres Madonnenbild. MARIE. Ach! DER DOCTOR. Besaßen Sie diese Gestalt, dies Gesicht, dies Auge als ich Ihnen den letzten zärtlichen Kuß auf die Lippen drückte? MARIE. O sprechen Sie nicht so. DER DOCTOR. Meinst Du ich schmeichle? Reiche mir gleich Dein Mündchen — gleich! MARIE. Pfui. DER DOCTOR. Bei jener seligen Vergangenheit, wo kein Vorurtheil, keine Standesrücksicht die Reinheit unserer Gefühle trübte! MARIE. Sie irren sich, wir waren nie so intim. DER DOCTOR. So lassen Sie uns werden; nichts steht im Wege. MARIE. Ich bin Braut. DER DOCTOR. So? ah! . . . Wer ist der Beneidenswerthe? MARIE. Schwerlich tauschen Sie mit ihm; 's ist ein armer Unglücklicher . . . Seinetwillen komme ich her. DER DOCTOR. Bedarf er meiner Hilfe? MARIE. Hätten Sie die Freundlichkeit, sich mit ihm vertraut zu machen, seine Tugenden, Talente und Strebungen zu mustern und bei Ihrem Herrn Vater eindringlich zu bevorworten, falls er dessen würdig. DER DOCTOR. Es soll gescheh'n. MARIE. Ich verlange keine blinde Gunst für ihn — DER DOCTOR. Nur Lohn des Verdienst's. MARIE. Nichts mehr, nichts weniger! — Seit Jahren arbeitet er in Ihrer Fabrik, erwarb sich das Lob aller Werkführer, auch die Aufmerksamkeit Ihres Herrn Vaters — leider aber nichts weiter! Unter die schlechtbesoldetsten unfähigsten Handwerker blieb sein edel aufstrebender Geist gebannt! DER DOCTOR. Ich werde sogleich Untersuchungen anstellen und — MARIE. Vor einigen Tagen, es war vorgestern, trieb ich ihn an, Ihrem Herrn Vater seine verzweifelte Lage fußfällig vorzustellen, — derselbe mogte jedoch von nichts hören, schlug ihm jede Bitte kalt ab und aus Gründen, die der Herr Doctor nimmer theilen . . . DER DOCTOR. Möglich! — Ich befehle ihn auf der Stelle zu mir . . . (Er macht Miene die Glocke zu ziehen.) Doch weshalb Weitläufigkeiten! Vertrau' ich denn nicht meiner angebeteten Freundin?! Kann sie falsch geurtheilt, falsch gewählt haben?! Der Mann ihrer Neigung muß ein guter Mann sein! . . (Mit einer schalkhaften Wendung.) Ob er auch ganz frei von Eifersucht ist? MARIE. Warum? (Lächelnd.) Auf mich? Daß ich nicht wüßte! DER DOCTOR. So können wir schnell fertig werden. MARIE. Nun? . . DER DOCTOR. Der Monsieur empfängt eine zufriedene Stellung und ich — darf's Ihnen nicht schenken — einen Kuß. MARIE. O weh, ein schlechter Handel. DER DOCTOR. Nicht für mich. MARIE. Würde den Ihr Herr Vater billigen? DER DOCTOR. Mit Händeklatschen. MARIE (scherzend). Traun, ich gehe auf ihn ein. (Sie reicht ihm die Hand.) Halten Sie Ihr Versprechen, ich halte meins. DER DOCTOR. Im Augenblick! — (Er setzt sich an den Schreibpult.) Der Papa soll binnen fünf Minuten nachfolgendes Decret höchst eigenhändig unterzeichnen. . . . MARIE. Bin sehr gespannt, ob er's thun wird. DER DOCTOR. — Eignete sich wohl der Monsieur zum Werkführer? MARIE. (Auflachend.) Werkführer? Das läuft gar hoch hinaus! (Verstellt.) O ja, ich denke — zum mindesten — sicher, sicher! . . DER DOCTOR. Also er eignet sich — schön! . . . (Schreibt.) Der Endesunterzeichnete . . . Fabrikant Questenberg . . . dem Weber Albert . . . Werkführer . . . Bedingungen sind . . . Und erhält . . . Freie Wohnung . . Garten . . . vierhundert Thaler . . . MARIE. Potztausend, so viel träumte man nie vom Lande Utopien! DER DOCTOR. Das Leben, mein Schätzchen, ist ein großes Mährchen voll unerklärlicher Wunder. Jede Minute gebärt Millionen Ueberraschungen, Probleme, unentschuldbare Thaten und sich selbst entschuldigende Thorheiten. Man übe nur das Auge der Beobachtung, wie ich es übte und erfahre, was ich erfuhr! — Die Romantik, obgleich so tief in Mißkredit gerathen, ist kein blöder Wahn, wenigstens unter allen Wahnen nicht der blödeste! Sie verwandelt die kalten, prosaischen Gefilde der Welt in warme, farbenreiche, süß verschwimmende Nebel, so daß wir in ihnen unsere Qualen und Gebrechen unmerklich vergessen, gleichsam bei offen schlafendem Auge versöhnt mit Gott und uns selbst die irdische Pilgerfahrt vollenden und rein wie ein Engel gen Himmel steigen, in's andere Reich, von Christus und seinen Aposteln uns feierlich verheißen. (Er steht auf; in schäkerndem Tone zu ihr.) Sie lebe, mein Schätzchen, sie lebe hoch! MARIE. Schonung, Herr Doctor! — DER DOCTOR. Die Romantik allein gewährt, was der grämliche Philosoph, Politiker und Diplomat mit bleicher, kalt schleichender Vernunft umsonst erstrebt! Sie lebe, mein Schätzchen; sie lebe hoch! — Fort mit allem, was sinnlos bethörte Nachbeter Moral, Gesetz, Nothwendigkeit, Beruf, Recht, Wahrheit preisen! — Ein paar Gläschen Champagner, mein Schätzchen, erschließen Ihnen den ernsten tiefen Gehalt meiner Worte . . . Theilen Sie das Frühstück mit mir. — Kommen Sie. — Die Schrift liegt fertig und wandert nach Tische gleich zu Papa. (Marie folgt ihm erstaunt und verwirrt, er entpfropft Champagner und schenkt ein.) Auf Ihr Wohlsein! (Sie stoßen zusammen und trinken.) Wie schmeckt's? MARIE. Ziemlich gut. DER DOCTOR. Noch eins . . . Auf das was wir hoffen! — — Ah' thut's einem schwachen Magen wohl! Der Arzt verordnete mir's als Medicin . . . Noch eins. MARIE. Danke. DER DOCTOR. Der Herr Bräutigam soll leben! — Vivat! — — MARIE. Es war mein letzter Tropfen. DER DOCTOR. Ah bah, wir gedachten unserer Freundschaft noch nicht . . . Nur her das Glas. MARIE. Ich schlag's in Trümmer. DER DOCTOR. Das hieße mich verachten. MARIE. Immerhin! (Sie wirft das Glas auf die Erde, steht schnell auf und will fort.) Sie sind abscheulich! DER DOCTOR. (Sie festhaltend.) Was verbrach ich? MARIE. Sie wissen's. DER DOCTOR. Jungferlein, das ist ein schlechter Einfall! MARIE. Lassen Sie mich nur fort. DER DOCTOR. Ein moralischer Einfall! (Eine Uhr schlägt.) MARIE. Die Uhr schlägt; ich habe nicht länger Zeit. DER DOCTOR. Ein unromantischer Einfall! MARIE. Meine Mutter denkt, daß ich im Garten Gemüse für den Markt grabe — darf sie nicht erzürnen. DER DOCTOR. Ziemt solche Arbeit meiner angebeteten Freundin?! . . Ich entschädige die Versäumniß hundert und tausendfach, bleiben Sie und leisten mir Gesellschaft. (Er hält ihr einen Beutel mit Geld hin.) Da! Es sind alles Goldstücke. MARIE. Herr Doctor . . . DER DOCTOR. Ihr Vater verdient in einem Jahre nicht so viel. — Ich begegnete ihn kürzlich. Sein ergrautes Haupt müde zur Erde neigend, schlich er langsam den Gewölben der Fabrik zu. Welch' Schicksal für den alten Mann, der an Herzensgüte und Characterwürde Seinesgleichen sucht! Ich verglich ihn mit seinem ehemaligen Gefährten, dem reich und angesehen gewordenen Blashammer. Ich stellte die rührendsten Betrachtungen an, declamirte in den Wind wie ein echter Demokrat, vergoß sogar Thränen. — Aber hoch die Romantik! (Trinkt.) Was half's mir? Artig ging ich in mein Speculirgemach, legte mich, ein türkisches Pfeifchen rauchend, behaglich auf den Sopha, las und lachte! Wie lös't die Demokratie das Problem der sozialen Probleme über das Verdienst anders? (Trinkt.) Hoch die Romantik! — Mancher König wäre ein Bettelmann, mancher Bettelmann ein König, ich selbst vielleicht arbeitete an Ihres Albert Stelle, wäre die Welt kein romantischer Dunst! Hoch, hoch die Romantik! (Trinkt und drückt ihr das Geld in die Hand.) Bereiten Sie dem ehrwürdigen Greise ein Fest damit, sei's zur Ausstattung der Hochzeit, die ich mit meiner weiland vornehmen Person zu ehren hoffe! (Trinkt.) Hoch die Romantik! . . MARIE. Ihr eigenthümliches Benehmen verwirrt mich tief. DER DOCTOR. Das macht, ich führte Sie schon, wie der Teufel den armen Doctor Faust, auf den Standpunkt der Romantik. MARIE. Ich erblicke in Ihnen keine Vernunft mehr. DER DOCTOR. (Ihr das Glas entgegenschwenkend.) Hoch die Romantik! (Er fällt in einen Stuhl.) MARIE. Leben Sie wohl. (ab.) Neunte Scene. DER DOCTOR. — — — Der Versuch gelingt; ich besteche den Arbeiter und das Mädchen ist mein. Dann hab' ich Entschädigung für die Zwangsehe und Zeitvertreib in Hülle und Fülle. Hoch die Romantik! Zehnte Scene. DER DOCTOR. QUESTENBERG. QUESTENBERG. Wie befindest Du Dich, mein Sohn? DER DOCTOR. So so, la la! QUESTENBERG. Den ausgestochenen Bouteillen zufolge, muß das Festübel schon gänzlich gehoben sein. DER DOCTOR. Ich fange an der Vernunft die Herrschaft wieder einzuräumen. QUESTENBERG. (Ihm freudig die Hand schüttelnd.) Sehr löblich. DER DOCTOR. Ein elendes Bauwerk ist die Welt, eine wüste Trödelbude, ohne Dach und Fach, aus Unrath und vorsündfluthlichem Getrümmer zusammengestapelt! — In ihr muß der Mensch schon kindlich zufrieden sein, wenn er ein trockenes Stellchen findet, wo Wind und Wetter ihn einigermaßen verschonen. QUESTENBERG. So kalkuliren brave aufgeklärte Leute und wickeln, scheuern, bücken, schwindeln, ducken sich nach Zeit und Umstand. DER DOCTOR. Apropos! Dann unterzeichnen Sie mir wohl ein Blättchen ohne Stirngerunzel. (Er giebt ihm das Papier, welches er schrieb und klingelt; ein Bedienter erscheint.) Hole den Arbeiter Albert schleunigst aus der Fabrik. QUESTENBERG. Mein Sohn! DER DOCTOR. An die Unterschrift knüpf' ich die Heirathsfrage. QUESTENBERG. Verückte der Erbärmliche Deine Sinne und — DER DOCTOR. Ihm muß geholfen werden, er verdient's! QUESTENBERG. Du weißt aber nicht — DER DOCTOR. Ich mag von nichts wissen! QUESTENBERG. Welch' Wagestück! DER DOCTOR. Unsinn! QUESTENBERG. Es ist äußerst beleidigend in meine Angelegenheiten Dich zu mischen. DER DOCTOR. Mischtest Du Dich nicht in mein Herz und gabst mir eine Ohrfeige, als ich Widerstand versuchte? QUESTENBERG. Ich that's als Vater und aus wohlmeinendem Interesse — DER DOCTOR. Das hört auf wohlmeinend zu sein, wenn's die menschliche Würde ignorirt. — (Ihm die Feder in die Hand steckend.) Wozu aber langath'mige Verhandlungen, da! QUESTENBERG. Mein Sohn, es ruinirt uns. DER DOCTOR. Das Fest kostete zehntausend Thaler und hier geizen Sie um eine Bagatelle?! QUESTENBERG (unterschreibend). Ich wurde Dein Sclave! . . (Albert tritt schüchtern ein.) DER DOCTOR. . . . Verlassen Sie mich jetzt. QUESTENBERG. Vorsehung! Vorsehung! (ab.) Eilfte Scene. DER DOCTOR. ALBERT. DER DOCTOR. Tritt näher. (Stellt ihm einen Sessel hin.) Erweise mir die Herablassung. ALBERT. Wenn ich den schönen Bezug durch mein unsauberes Kleid entweihe . . . DER DOCTOR. Bist Du kein Politiker? ALBERT. Ein wenig. DER DOCTOR. Traun, es giebt viele Weber, die ihr Brod gewinnen wollen, bedenke das und — ALBERT. Das wäre eine Politik des Fluches! DER DOCTOR. So sprechen Wölfe in der Lämmerhaut! ALBERT. Ich ein Wolf? o Herr Doctor! DER DOCTOR. Es lebe die Association! ALBERT (ernst). Sie lebe! DER DOCTOR. Nieder mit den Rentnern! ALBERT. Fort mit den Privilegien! DER DOCTOR. Es falle das Herrenthum! ALBERT. Die Früchte des Fleißes Aller für Alle. DER DOCTOR (lacht ironisch). ALBERT. Erscheinen Ihnen diese Wünsche ungerecht? DER DOCTOR. Der neue Arbeiterverein machte an Dir eine tüchtige Eroberung . . . Du wirst ihm auf die Beine helfen. ALBERT. Vielleicht! . . DER DOCTOR (lacht wieder). ALBERT. Wurde ich hergerufen von Ihnen Schimpf und Spott zu erleiden? DER DOCTOR. Keineswegs — ich lache, weil's meine Manier ist das Ernste heiter, das Heitere ernst zu nehmen . . . Doch setze Dich endlich. ALBERT (wirft sich zornig in den Sessel). DER DOCTOR. Ich weiß mir Deine Mißstimmung zu erklären, Albert; mein Vater schlug Dir neulich eine Bitte ab, die — ALBERT. Er that wohl, vollkommen wohl. DER DOCTOR. Wirklich — ei, ich meine er that übel. ALBERT. Ich ging tief in mich, ich prüfte seine weisen Vorstellungen, fand, daß mein Verlangen unbillig war. DER DOCTOR. Albert! ALBERT. Ich heuchle nicht, Herr Doctor! DER DOCTOR. Du verdammtest demnach Dein Verhältniß mit Marie und bist zufrieden, genöthigt worden zu sein es — aufzugeben!? ALBERT. Falls Herr Questenberg mir heute sagte, Albert, hier hast Du alles was Du brauchst, heirathe, sei glücklich — ich würde ihm danken. DER DOCTOR (lächelnd). Aus welchen Gründen, stolzer Mann? ALBERT. Herr Questenberg, vor zwei Tagen hätte mich Ihre Gnade in den Himmel erhoben, jetzt, jetzt stürzt sie mich in die Hölle, in die Hölle der Selbstverachtung; denn es ist wider meiner Würde von Almosen zu leben und zu Gunsten der Ungerechtigkeit über meine Leidensbrüder zu triumphiren . . . DER DOCTOR. Wenn Dich mein Vater darauf versicherte, Du verdientest was er Dir giebt. ALBERT. So antwortete ich, Herr Questenberg das können Sie nicht beurtheilen. DER DOCTOR. Aha, mithin erklärtest Du ihn einer Vormundschaft bedürftig, die seiner moralischen Güte, seinem individuellen Interesse stets Zaum und Gebiß anlegt, die, wenn er sagt, ich finde, daß mir dieser Mensch vermöge seiner Intelligenz näher steht und mehr nützt als jener, gebieterisch entgegnet, mein Lieber es mag möglich sein; allein Du hast den Maaßstab Deiner Handlungen nicht nach Deinem Geschmack, nicht nach Deinem Herzen, nicht nach Deinem Gewissen, sondern nach uns zu bilden und wir sind just Deine Widersacher! Sieh' da, das Ideal der neuen Justiz, Dein Ideal! — Denke Dir einen Künstler wie Raphael, Phidias, Beethoven, einen Mann der Wissenschaft wie Galliläi, Neyton, Leibnitz, einen Staatsmann wie Perikles, Joseph den Zweiten, Freiherrn von Stein vor das größte Tribunal seiner Zeit, vor das Volk gestellt . . . (ironisch lachend.) Würde die Mehrheit sein Verdienst höher anschlagen und der Ehre des Menschengeschlechtes angemessener lohnen, als der Aufgeklärteste der kleinen Minderheit, der, von Natur und Schicksal begünstigt, seine Urteilskraft am vollkommensten zu entwickeln vermochte? Ah', laß Dich durch die Doctrinen überhitzter Köpfe nicht vom Wege der Vernunft abführen! Wenn Verdienst soviel als Abschätzung, Wiedervergeltung und Dank einer meinem Mitbruder oder der ganzen Gesellschaft geopferten That heißt, so fordere von niemandem mit Gewalt, was niemand sich selber giebt, das höchste Geschenk der Gnade Gottes, die überall gerechte, die innerliche Güte! Mangelt sie meinem Vater, traun, Du bist nicht an ihn gefesselt, Du bist persönlich frei gleich ihm, verlaß ihn, durchwandere die Welt und forsche, ob Dich Jemand höher würdigt als er! (Ihm ein Papier überreichend.) ALBERT (lesend). Werkmeister der Fabrik? . . Vierhundert Thaler? . . freie Wohnung und Garten? . . Wie, wie hängt das zusammen? DER DOCTOR (lächelnd). Wahrscheinlich mit der Intelligenz, dem Interesse, der innerlichen Güte meines Vaters. ALBERT. 's ist seine Unterschrift . . . So viel wagte ich mir nie, nie zuzumessen! DER DOCTOR. Mache an Dir selbst die Erfahrung, wie schwer es ist Jemandes Verdienst richtig zu schätzen! ALBERT. O Schöpfer des Himmels, Deine Liebe ist grenzenlos! . . Doch still — — der Klaus hatte am Ende recht — — welch' furchtbarer Gedanke durchschauert mich . . . DER DOCTOR. Was hast Du Albert? ALBERT (nach einer kleinen Pause mit Kälte). Warum überreichte mir Herr Questenberg nicht selbst das Papier? DER DOCTOR (verlegen). Ich weiß nicht Albert. (für sich) Der Mensch droht schwierig zu werden. ALBERT. So hatte er doch Furcht — DER DOCTOR. Inwiefern? ALBERT. — mich zu verlieren? . . Ich durchschau's! Sie sollten mit der Macht ihrer Zunge meine Ueberzeugung verwirren, durch dieses Papier mich ködern, mich vom Sozialismus losreißen . . . Dort in dem Vereine der Arbeiter könnte ich zu aufgeklärt über den Nutzen einer gewissen Erfindung werden, die er mir verdankt, mir, mir dem unglücklichsten, blutärmsten Paria! DER DOCTOR. Du sprichst Unverständliches. ALBERT. Ha, daß die allwaltende Gottheit zwischen ihm und mir entscheide! Flamme des Gerichts loh' empor! Zerstörung dem Sodom und Gomorrha hier, blutigen Untergang den Ruchlosen, die Liebe und Weisheit auf ihren Lippen, Hoffahrt und Niedertracht in ihren Herzen nähren! . . Nehmen Sie das schändliche Dokument und bestellen . . . DER DOCTOR. Argwöhnischer, ich fürchte für Deinen Verstand. ALBERT. Ich bitte nehmen Sie nur und bestellen — (Das Papier an die Erde werfend.) Doch nein, ich will mich stolz verhalten — ich will ihm alles schenken und mich heimlich fortschleichen . . . Ich bin jung, habe lebendigen Trieb, ausdauernden Muth und kann der Erfindungen noch viele machen . . . Eben nannt' ich mich den blutärmsten Paria — gefehlt! ich bin reich und kein Paria, wenigstens vor solchen frostigen Klugrednern, denn ich besitze noch ein Herz! Ha, ich fühl's! . . Ja schenke dem Armseligen das langjährige Werk, weihtest Du ihm auch die heiligste Flamme der Begeisterung, die höchste Liebe zum reinen Engel Deines Glück's, so war's noch nicht das letzte des Ruhmes werth! Großmuth gab dem Heiland Stärke sich dem Undank zu opfern und am Kreuze zu sterben. DER DOCTOR (bei Seite). Was hab' ich gethan! ALBERT. Weh, weh, 's ist eine Pest, die in meinen Gliedern wüthet! — Steck' dem Elenden die Fabrik über dem Haupte an, unterminire das Fundament seines Palastes und spreng' ihn in die Luft! Deine Gefährten, es sind ja ihrer über zweitausend und dem Leben noch gleichgiltigere Gesellen als Du, — folgen dem Schrei Deiner Noth und sühnen das gebeugte Recht! Eine mörderische Schlacht entspänne sich, Soldknechte aus Nah' und Fern' zögen vor das Städtchen, belagerten, bestürmten, bombardirten es, bis der letzte Held unter dem letzten Steinwalle erlag! — Es wäre männlich und ruhmvoll, allein unvernünftig! Schweig' und dulde! Was nützt's, rottest Du das Unkraut an einer Stelle aus, die ganze Erde ist davon überwuchert! Laß' es grünen, knospen, blühen, reifen, die wenigen Weizenhalme verdrängen und sich an seinem Uebel fortquälen bis an's Ende der Welt! Laß' es so dicht und so sich selbst zur Last werden, daß es die milde Sonne anfleht, hab' Erbarmen, gieß' die ungeschwächte Kraft deines ewigen Feuers über uns aus; wir möchten sterben und in Asche zerfallen! — O Gott, ich kann's aber nicht ertragen! ein Schwert, ein Schwert, mich zu durchbohren; an meiner Seele nagt unheilbarer Schmerz! DER DOCTOR (bei Seite). — Er trägt die Erfindung zu unseren Concurrenten, — alles ist verloren! Schaffe Rath! — Ich muß seinen Haß von meinem Vater auf mich lenken — recht! dann fordere ich ihn, er schlägt sich — ein unerhörtes Duell! allein was schadet's, ich bin in den Waffen geübt und schaff' ihn sicher bei Seit'! . . Das erste Mal im Leben, wo böse Mächte mich zu schwarzen Thaten zwingen! . . . (laut) Albert, ich will's Dir sagen, weshalb Du dies Document aus meiner Hand empfängst. Du wirst mir zürnen, doch, da ich erkenne, daß Du der größte Biedermann bist, welcher lebt, wirst Du — ich hoffe zuversichtlich — wirst Du mir verzeih'n. ALBERT. Zur Sache. DER DOCTOR. Ach, 's ist ein bitterer Wermuthstrank! — Das Dokument, Albert, Du empfängst das Dokument . . . ALBERT. Auf Grund? ich bin gespannt. DER DOCTOR. Hum, auf Grund Deines Lieblingssystems, auf Grund der Gleichberechtigung, der Brüderlichkeit und Assoziation . . . Hat Dir Marie nie gebeichtet von mir? ALBERT. Von Ihnen? DER DOCTOR. Sie hat nie bekannt, daß ich ihre erste Liebe war? ALBERT. Ich erinnere mich nicht . . nein kein Wort. DER DOCTOR. Denkbar, erklärlich! Die Scham wehrte es ihr . . . Du kennst jene Periode, wo die Geburt unseres Charakters beginnt und wir nichts sind als fantastische leidenschaftliche Wesen, unzurechnungsfähiger als Kinder, jene Periode des leicht erhitzten Blutes und der Unbesonnenheit — ALBERT. Nun wohl. DER DOCTOR. In jener Periode lernte ich Marie kennen. ALBERT. Bei welcher Gelegenheit? DER DOCTOR. Es war beim Geistlichen in den Confirmationsstunden. ALBERT. Lassen Sie uns kurz sein. Das Verhältnis dauerte? DER DOCTOR. Bis einige Monate nach der Einsegnung, wo ich die Stadt verließ und zur Universität abging. ALBERT. Seit jener langen Zeit sahen Sie wohl Marie nicht wieder? DER DOCTOR. Es gereichte mir zum größesten Vorwurf als die Himmlische mir gestern erschien! ALBERT. Wo? DER DOCTOR. Von Ungefähr traf ich sie im Park. Schwer läßt sich beschreiben wie mir zu Muthe ward! Der frische, ideale Hauch der Jugend wehte mich an, ich fühlte die Wucht der reiferen Jahre abgeschüttelt, ich fühlte mich frei von den herben Erfahrungen, frei von den bitteren Enttäuschungen des Lebens und wie von einer höheren Macht getrieben, die keusch Widerstrebende in meine Arme einzuschließen, sie mein, ewig mein zu nennen! . . ALBERT. Ich hörte genug, Herr Doctor. DER DOCTOR. Erkenne, was mich bewegte, Dir das Papier zu überreichen. ALBERT. Sie hielten sich versichert, ich würde es annehmen. DER DOCTOR. Und hoffe noch Du besinnest Dich — ah, mein Recht auf Marie ist nicht minder legitim als Deins! ALBERT. O, Sie haben nie geliebt! DER DOCTOR. Du meinst! ALBERT. Sie schlossen nie ein Wesen in Ihre Arme, dem Ihr Herz jedes Opfer, selbst die Ehre und das Leben darzubringen geneigt war. DER DOCTOR. Lass' es nicht auf die Probe ankommen! ALBERT. 's ist klar wie das Licht des Himmels! ich glaub' Ihnen deswegen kein Wort; Sie übertrieben, Sie verkehrten die Wahrheit nur, um Ihren Irrthum, Ihre Schande zu verhüllen. DER DOCTOR. Du hängst mir Schimpf an. Ha, gieb' mir Genugthuung dafür! ALBERT (lacht). DER DOCTOR (bei Seite). Warum verläßt mich Kraft und Muth, jetzt könnte ich ihn ohne Umstände fordern . . . ALBERT. Herr Doctor, Ihnen ward noch keine Gelegenheit mit Leuten meines Standes intim zu verkehren; der Pfad von der Höhe Ihrer Geburt, Erziehung und Sitte war zu steil, zu gefährlich, zu ungebahnt; Sie konnten dem Bewohner des dumpfen Thales nie Besuche abstatten, Sie konnten sich nie in seine Lage versetzen, nie empfinden, daß er Ihresgleichen, ein Mensch, ein Bruder sei! — Die gute Marie, eingedenk, sich einst des Herrn Doctors hohe Aufmerksamkeit erworben zu haben, verleitet das verzweifelte Geschick zu unerlaubter List; sie eilt in den Park, lauert den Herrn Doctor auf, wirft sich dem Herrn Doctor zu Füßen, fleht um des Herrn Doctors Beistand. Aber was geschieht! — gerechte Strafe unbesonnenen Entschlusses! — ihr Hülferuf erweckt Dämonen statt Engel. Des Herrn Doctors Herz entflammt unchristliches Verlangen. Zu spät ist's vor ihm zu fliehen; sein äußerst liebenswürdiges Betragen, seine schmeichlerischen Vorspiegelungen, sein vornehmer Ton zwingen sie eine Unmöglichkeit zu versprechen . . . ist's nicht so? . . Ich müßte toll sein, machten Ihre Irrthümer mir böses Blut. Verzeihung Ihnen, tausendmal Verzeihung! DER DOCTOR. Du bist ein Gott! ALBERT (das Papier aufhebend und an seine Lippen drückend). Es giebt keine heiligere Reliquie mehr! DER DOCTOR (bei Seite). Besser als ich dachte! es geht ohne Duell ab. — (laut.) Wir plauderten schon zu lange; der Stallmeister wartet, ich muß zu Pferde. (Nachdem er den Hut aufgesetzt und die Reitpeitsche genommen.) — — Eile jetzt zu Marie, thu' ihr Abbitte in meinem Namen und versichre, daß ich aus ganzer Seele wünsche, es möge Gott gefallen, Euch eine glückliche Zukunft zu schenken. (Ihm die welke Hand schüttelnd.) Fortan giebt's keine Mißverständnisse mehr zwischen uns . . . Hast Du noch etwas zu fragen? ALBERT. Was sagte Herr Questenberg, als er Ihnen das Papier unterzeichnete? DER DOCTOR. Ah, das vergaß ich! . . Es regte den alten Papa furchtbar auf, — er hätte sich mir widersetzt, wenn nicht augenblicklich viel von meinem Willen abhinge — (bei Seite.) Ich sehe mich genöthigt ihm alles zu sagen! . . (laut.) Gelobe mir zu schweigen. ALBERT. Beim ewigen Heil! DER DOCTOR. Die Ehre unseres Hauses, der Fortbestand der Fabrik, Euer Sein oder Nichtsein — schwebt in Frage. ALBERT. Herr Questenberg befindet sich in einer Crisis? DER DOCTOR. Die ich durch eine mir mißliebige Heirath beschwören soll . . . Wohl sah'st Du es dem stolz und frei durch die schwülen Gewölbe schreitenden Gebieter nicht an, daß er noch angestrengter mit der Existenz kämpfte als Du! . . Nichts hinderte Dich zu weinen, wenn Dein Herz blutete, wehe zu schreien wenn des Unglücks Last zu schwer drückte, ein Mann von Ehre zu sein, wenn Versuchung Dich anfocht, denn Du stand'st allein und stritt'st nur für das nackte Leben! — er aber, Oberhaupt eines großen kühnen Unternehmens, gewürdigt des Vertrauens der ganzen Welt, verantwortlich für das Schicksal von Tausenden, er, durch ungeahnten Umschwung der Zeiten, durch fehlgeschlagene Spekulationen plötzlich in die rathloseste Lage getrieben, — Furien der Schande hinter sich, unverschuldeten Untergang vor sich sehend, — muß lachen, um sein blutendes Herz zu verbergen, muß von Glück prahlen, glänzende Feste veranstalten, seinen zweifelnden Freunden schmeichelnd die Hand drücken, um nicht zu verrathen, daß Unglück ihn heimsucht, muß Ränke spinnen, Unredlichkeiten und Trug begehen, um ein Mann von Ehre zu bleiben! . . ALBERT. Mir wird es helle im Busen! — Ihr Bekenntniß bringt mich dem armen Herren näher als je! . . Er hatte ein zu gutes, zu ehrbares Gesicht — ah, es war unmöglich! nein es giebt keine Teufel — wir Menschen sind alle gleich gut und gleich schlecht, gleich wohlwollend und gleich übel berathen, — nicht wahr, nur die Verhältnisse stempeln uns zu Verbrechern!? O ich weiß, wie groß ihre Macht ist! Dies Dokument bezeugt's zweifellos. DER DOCTOR. Personen im Nebensaal . . . ALBERT. Womit vergelt' ich's Dir Marie! . . . DER DOCTOR. Theurer Albert, wir müssen abbrechen, es giebt Besuch. ALBERT. Zu Befehl, Herr Doctor. DER DOCTOR. Morgen sehen wir uns wieder. Du bist fortan mein bester Geselle. Lebe denn wohl. ALBERT. Ueberflüssiger Wunsch! — Das Leben ist ja die Hölle. (Beide nach verschiedenen Seiten ab.) Neunte Scene. [Transkriptionsanmerkung: Die merkwürdige Scenennummerierung ist 1:1 aus dem Original übernommen.] BLASHAMMER eine Zeitung haltend. V. ZITTERWITZ, beide Hände gefaltet, das Haupt gesenkt. DER DOCTOR mit verwunderter Miene. Einer hinter dem andern in gewissen Abständen. Sie machen im Saal langsam die Runde. BLASHAMMER (nach einer Pause). Das Schweißtuch ging mir wohl in der Börse verloren . . . DER DOCTOR. Bedienen Sie sich des meinen. — BLASHAMMER (nimmt des Doctor's Tuch, reibt sein Gesicht und wirft sich in einen Sessel.) DER DOCTOR. — Es muß etwas Erschreckliches vorgefallen sein — indessen, wenn's nur nicht meine gute Adelgunde betrifft . . . BLASHAMMER. Das arme Herz! — Ich wünschte, der Tod hätte sich Ihrer erbarmt! . . Welcher Zukunft geht sie entgegen! oh, oh, oh! . . DER DOCTOR. Sie flößen mir Angst ein. BLASHAMMER. Das Schicksal stellt jetzt eine große Frage an Sie. DER DOCTOR. Ich werde hoffentlich Kraft genug besitzen, sie zu lösen. BLASHAMMER. Wir wollen's erproben! Zehnte Scene. DIE VORIGEN. QUESTENBERG. QUESTENBERG. . . Ihr ließet mich auf eine erschütternde Nachricht vorbereiten, — was giebt's, meine Freunde? BLASHAMMER. Lies hier unsere Zeitung unter dem Datum von Neapel. QUESTENBERG. Krieg? Handelsstörungen? Schiffbrüche? BLASHAMMER. Lies, lies! QUESTENBERG (lesend). „Neapel, den siebenten Juni. Vorgestern nahm unser Kriegsdampfer, König Ferdinand, einen auf der Höhe von Palermo kreuzenden Dreimaster gefangen, dessen volle Ladung von Kriegswaffen an die Revolutionäre der Insel eingeschmuggelt zu werden bestimmt war, was die beim Capitain vorgefundenen Papiere zum Ueberfluß beweisen. Das Ereigniß macht großes Aufsehen, da Herr Banquier B. zu N., welcher bisher des höchsten Vertrauens der Königlichen Regierung genoß und erst kürzlich von ihr mit einem Auftrage für ein und eine halbe Million beehrt wurde, der Unternehmer dieser bedauernswürdigen Expedition ist. — Es klingt wie eine Verleumdung. BLASHAMMER. Meine Gläubiger schieben den Artikel neidischen Concurrenten in die Schuhe . . . QUESTENBERG. Ich möchte es auch thun. BLASHAMMER. Blashammer, summt's von Ohr zu Ohr an der Börse, soll mit den Feinden der Ordnung im geheimen Bunde stehen?! Er, ein Liebling und Rathgeber von Ministern und Fürsten, liefert an Mazzini's, Garibaldi's und allen Ausbund der Menschheit — Waffen?! QUESTENBERG. 's ist unglaublich! BLASHAMMER. Für den Gewinn einiger rostigen Heller verwagt der große Blashammer Ehre und Existenz!? QUESTENBERG. Wer durfte es von ihm denken! BLASHAMMER. Niemand — wehe dem, der's that! Und nun frag' ich, Questenberg, woher kommt's, daß es wahr ist? DER DOCTOR. Der Mensch hat seine Mysterien! BLASHAMMER. Diese Briefe überbrachte mir die Post. QUESTENBERG (den größesten entfaltend). Vom neapolitanischen Ministerium . . . Ich verstehe das Italienische nicht, doch lese ich zwischen den Zeilen, daß man den Auftrag für die anderthalb Millionen wieder abbestellt. BLASHAMMER. Der bereits ausgeführt und zur Absendung fertig! — Es sind die kostbarsten Gewehre, Karabiner und Pistolen . . . QUESTENBERG. Wer von den Potentaten kauft sie Dir jetzt ab! BLASHAMMER. Ich falle bei ihnen in gerechte Ungnade. DER DOCTOR. _Eo ipso_, Herr Schwiegerpapa, fallen Sie dem Umsturz in die Arme. BLASHAMMER. Ja, gleich Ihrem Vater. DER DOCTOR. — Ich an Ihrer Stelle besönne mich nicht lange, sondern strebte den Schaden schnell wieder gut zu machen. BLASHAMMER. Wodurch? DER DOCTOR. Pah, durch eine zweite Expedition nach Sicilien. BLASHAMMER. Ich soll noch ein Schiff verwetten! DER DOCTOR. Sie besitzen ein ganzes Dutzend — da kann's Ihnen auf ein oder zwei nicht ankommen. BLASHAMMER. Danke bestens. DER DOCTOR. Ein schlechter Spieler, den ein erster Verlust entmuthigt. BLASHAMMER. Ach, bestünde er nur in einem Schiff! aber — öffne den andern Brief, Questenberg, 's ist das Lebewohl des Capitains. — Der gute Mann mußte für mich sterben! . . QUESTENBERG (den Brief entfaltend und schnell zurückgebend). Leichtsinn, Leichtsinn! DER DOCTOR (lachend). Was besagt das, Herr Schwiegerpapa! BLASHAMMER. Sapperment, außerordentlich viel. DER DOCTOR. Hat ein Capitain höheren Werth für Sie als ein Schifflein?! BLASHAMMER. Ein Capitain ist doch ein Mensch . . DER DOCTOR. Ihr Ebenbild! hat Vernunft, Verstand, Gewissen gleich Ihnen und alles was er thut, mit sich selber auszumachen. BLASHAMMER. Ich lass' es gelten. DER DOCTOR. Bringt ihm nun eine Fahrt nach Sicilien den Tod, so ist's seine eigene Schuld. BLASHAMMER. Meinetwegen. DER DOCTOR. Warum gab er sich Ihnen als williges Werkzeug hin?! BLASHAMMER. Ja, für solche wahnsinnige Unternehmung! DER DOCTOR. Warum, sage ich?! BLASHAMMER. Er hätte es unterlassen können! DER DOCTOR. Sehen Sie, eben weil er's hätte unterlassen können, eben weil er sein eigener Herr und Meister war, eben deshalb muß er Ihnen gleichgültiger sein als das Schifflein sammt der Waare, welche Sie ihm anvertrauten. BLASHAMMER. Wenn ich mich recht besinne, so ist er mir auch gleichgültiger. DER DOCTOR. Bravo! BLASHAMMER. Da gab ich ihm doch ein Schreiben mit, einen Talisman, der ihn vor jeder Gefahr schützen sollte . . . DER DOCTOR. Weniger ihn, als Ihr Schifflein und die Waare. BLASHAMMER. Laut desselben würde man die Waffen als die für Neapel bestellten betrachtet und das Schiff als verirrt oder verschlagen von Palermo ungehindert fortgelassen haben. DER DOCTOR. Sie erschöpften den Born aller List! BLASHAMMER. Verlasse man sich auf fremde Menschen! Wo's ihrem unbegrenzten Vortheil nicht gilt, wo sie nicht ganz eigene Gebieter, da sind sie ohne Genie, ohne Talent, ohne Vorsicht . . . DER DOCTOR. — selbst bei Gefahr Ihres Lebens! BLASHAMMER. Ich machte die Erfahrung schon oft, wollte es jedoch nie glauben! DER DOCTOR. Sie hätten nur sagen sollen, Capitain, es geht auf halb Part, benehmt euch klug, seid pfiffig . . . BLASHAMMER. Ah, der Teufel ließ mich das nicht sagen! DER DOCTOR. Nicht wahr? BLASHAMMER. Ja, ja, hätte ich das gesagt, so könnten wir Ihrem Vater morgen die Gläubiger vom Halse schaffen! DER DOCTOR. — — Für morgen können Sie die Aussteuer nicht zahlen? BLASHAMMER. Wohl that ich's schon kund. DER DOCTOR. Nicht für übermorgen denn? BLASHAMMER. Nicht für übermorgen über funfzig Jahr. DER DOCTOR. Was? solche Wunden schlägt der Verlust des winzigen Schiffleins Ihrem Vermögen, Ihrem Credit!? BLASHAMMER. Ja mein Guter, nach dem gewissenhaftesten Calcül. — Ich bin ein ruinirter Mann! DER DOCTOR. Sie verrechneten sich vielleicht. BLASHAMMER. Ich mich verrechnen?! ah, daß der Himmel mir erspare dies Sie zu fragen! DER DOCTOR. Papa, was denken Sie? QUESTENBERG. Nichts mein Sohn. DER DOCTOR. Wo suchen wir jetzt unser Heil! QUESTENBERG (deutet schweigend nach unten, als nach dem Grabe, während der Vorhang fällt). Vierter Akt. Abtheilung I. Vor der Hütte des Vater Ziemens. Erste Scene. MARIE. FRAU ZIEMENS. FRAU ZIEMENS. Mein Kind, wohin eilst Du, — bleib' in der Hütte. MARIE. Laß' mich nur, ich suche die schönen Blumen, die ich verlor. FRAU ZIEMENS. Welche schönen Blumen? MARIE. Am neustädter Garten auf der Wiese pflückten wir sie ja — ich hatte die ganze Schürze voll. FRAU ZIEMENS. Du träumst, Kind — — Entstiegst Du nicht eben dem Federbett! — Komm' zurück, die Luft weht kalt. MARIE. Bin ich denn krank? FRAU ZIEMENS. Ein furchtbares Fieber ras't seit Mitternacht in Deinem Blut. MARIE. Mütterchen, nie im Leben fühlt' ich mich so gesund! Klarer als die freundlich strahlende Sonne ist mein Geist, frischer als die thautrunkenen Zweige sind meine Glieder. Ich wünschte Musikanten, fröhliche Gesellschaft, einen vollbesetzten Tisch, um zu singen und zu springen wie bei der Hochzeit. FRAU ZIEMENS. Du erinnerst Dich nicht Deines Wehs vor einer Stunde. MARIE. Wir gruben im Garten Gemüse und kamen auf Albert — Du schaltst ihn einen charakterlosen Buben, der feige den Rücken kehrte, nach dem er mich an den Abgrund des Verderbens gebracht — Ich litt es nicht, fühlte mich verletzt . . . FRAU ZIEMENS. Das geschah gestern. MARIE (erstaunt). Vor einer Stunde — FRAU ZIEMENS. — strittst Du mit der Hölle, nicht mit mir. Ach, kein ehrbares Mädchen hegt Gedanken — MARIE. Welcher Art? FRAU ZIEMENS. Schweigen wir davon. MARIE. Mütterchen, Du erschrickst mich. FRAU ZIEMENS. Der Name des jungen Questenberg lag bedeutungsschwer auf Deiner Zunge — Viel sprachst Du von einem Brief, den er an Dich geschrieben — Wie wird Dir — Mein Kind! MARIE erblaßt und droht umzusinken. FRAU ZIEMENS (nimmt sie in die Arme). — Was hast Du auf Deinem Gewissen! MARIE. — 's ist überstanden; die schwache Natur hilft mir — — Du bist auf alles vorbereitet — hier, lies den verhängnißvollen Brief. — — FRAU ZIEMENS. — Mir dunkelt's vor den Augen. MARIE. Albert erhielt die Stellung eines Werkmeisters um — um meiner Ehre Preis! — — Keinen Laut trübseligen Jammers; entscheide kurz, wodurch mein Verbrechen zu sühnen. FRAU ZIEMENS. Ich lasse den Himmel walten. MARIE. Uebe Gerechtigkeit, daß Du Antheil am Himmel hast, er ist die Liebe des Guten. FRAU ZIEMENS. Du richtetest Dich selber schon — MARIE (schnell einfallend). Ohne Ziel meiner Schuld — Ich bedarf einer Autorität! FRAU ZIEMENS. Die findest Du im Schooß der Kirche. MARIE (mit stürmischer Leidenschaft). Mutter, Mutter, niemandem vertrau' ich mehr als Dir! Nur Du, nur Du verstehst mein Herz, schaust die labyrintischen Fäden meines Schicksals, fühlst was mich in's Verderben trieb und kannst allein — FRAU ZIEMENS. Du verlorst den Glauben an des Priesters erlösende Macht? MARIE (zärtlich). Weil ich Dich lieben und schätzen lernte als meinen obersten Wohlthäter. FRAU ZIEMENS. Lehnst Dich auf gegen unsere urheiligsten Satzungen! MARIE (bitter). Sie helfen mir so wenig als dem Blinden — die Brille. FRAU ZIEMENS. Herr mein Gott! — Nun erst begreif' ich, wie tief Du sankst — — Um die letzte Stütze der Noth brachte sie der Jugend vernunftlose Leidenschaft! Kein Sakrament, keine Messe, kein Spruch geweihter Priester erbaut sie mehr! MARIE. Nur Thaten versöhnen, was das Herz verschuldet, Thaten, denen des Schöpfers Lob vernehmbar tönt: Friede sei mit Dir, Du bist gerettet! — Gieb mir eine Religion, o Mutter, die Entschlüsse fassen lehrt, einen Priester, der rathet, zeitliches Elend, der Zukunft Fluch vom Haupte abwenden, einen Freund, dessen persönliche Würde mich ungetheilt erfüllt, der mich erschüttert durch seiner Gründe Aufrichtigkeit, erhebt und fortreißt durch den Zauber seines Beispiels! — Ach, ich irrte in eine Wüste der Finsterniß, und verschmacht' im dunklen Drang nach Entscheidung! Dem stolzen Adler ähnlich, der, gelähmten Fittich's im Staube sich windend, vergebens die Höhe erschaut, wo seine Heimath ist, lieg' ich zu Deinen Füßen! Schütze mich! — Sogleich erscheint Albert, o Mutter, willens in's Joch, das die Schwäche der Menschheit, unsere Schmach, ihm aufbürdet, sclavisch sich zu fügen — Muß ich ihm folgen? FRAU ZIEMENS. Räthselhafte Kranke, unbegreifliche Schwärmerin. MARIE. Muß ich — ? FRAU ZIEMENS. Was wäre Dein Loos, wenn Du nicht müßtest?! MARIE. . . . Der Tod. FRAU ZIEMENS. Und unser, der armen Eltern Loos?! — — Verdienten wir das um Dich! MARIE (stürzt mit einem Schrei in sich zusammen). — — Führ' mich nach jenem Ruhesitz . . . Seh' ich recht, so naht der Gefürchtete — Ersehnte! Er ist's! — Ich gleiche dem bedrängten Piloten in Sicht des winkenden Ports — doch vergebens bewegt er Ruder und Steuer: immer rückwärts stürmt ihn das unerbittliche Meer. Zweite Scene. DIE VORIGEN. ALBERT. ALBERT. Grüß' euch Gott, meine Theuren. MARIE (kehrt ihm entsetzt den Rücken). FRAU ZIEMENS (erwiedert seinen Gruß mit schüchterner Verbeugung). ALBERT (erschrocken stehen bleibend). Was ist das! — Frau Mutter, dies Papier verkünde Ihnen, weshalb ich komme . . . FRAU ZIEMENS (damit in die Hütte). ALBERT. Stumm enteilend und betroffen, als wüßte sie schon alles — War die Furcht prophetisch, welche mich zögern ließ bis heute früh? Sag' an Mädchen, wie fass' ich — MARIE (reicht ihm des Doctors Brief). ALBERT. Willst Du schriftlich zu mir reden? — Ha! — Der junge Herr ging schneller als ich . . . (Nachdem er flüchtig gelesen, unwillig mit dem Füße stampfend). Ueberflüssige Diplomatie! — — Aber wie fein! wie herablassend im vornehmen Gewande des Stolzes! welche unsichtbar sichtbare Reue! er will nicht kriechen, will seiner Stellung nichts vergeben und doch den Erkenntlichen spielen . . . „Die trüben Erfahrungen seines Lebens verleiteten ihn zur großen Täuschung; bis jetzt hätte er unter Bettlern keine Menschen erblickt“ — Ei, ei! . . . Zu viel überschwemmendes Lob — zu viel, auf einen Elenden, der die Jungfrau des Himmels eitlen Zwecken opfern, ihr feige, ehrlos Lebewohl sagen konnte! — (Sich die Hand vor die Augen haltend.) Dritte Scene. DIE VORIGEN. DIE ALTEN ZIEMENS. VATER ZIEMENS. Mein guter, guter Albert. ALBERT. Wer ruft mich? — Mein Vater! VATER ZIEMENS. Wo bist Du? Komm, komm. — Sag' mir doch, wo er ist? FRAU ZIEMENS. Dich macht die Freude blind — Da, da hast Du ihn. VATER ZIEMENS. In meine Arme, Himmelsbote — Noch kommst Du zur rechten Zeit, noch findest Du sie bei uns, noch — — Du bebst zurück? Welche finstere, verzweifelte Mine? ALBERT. Armer Vater! VATER ZIEMENS. Melancholische Seufzer — Bringst Du meinem Töchterchen keinen Trost? Dies Papier verbrieft und besiegelt — ALBERT. Vergrößert ihre Pein. VATER ZIEMENS. Ei, ei, hatte sie Wahrsagergabe vergangene Nacht? . . . Lass' mal sehn — Ist sie im Garten? ALBERT. Hier sitzt sie — erstarrt von des Geschicks Meduse. VATER ZIEMENS. Was, was! um Gotteswillen — Kinder, Kinder, ihr werdet nichts Böses . . . Mütterchen, Du scheinst alles schon zu wissen. FRAU ZIEMENS. Die Kinder sind närrisch. VATER ZIEMENS. Durch welche Mittel erweichten sie so schnell des Herren kaltes Herz? FRAU ZIEMENS. 's ist einfach. VATER ZIEMENS. Erzähle — sei so gut. FRAU ZIEMENS. Erinnerst Dich noch wohl, daß Marie früher, verstehe recht, bevor sie Albert kannte — VATER ZIEMENS. Ich versteh'. FRAU ZIEMENS. — ein wenig entzündet von dem jungen Doctor ward — VATER ZIEMENS. Und der junge Doctor von ihr. FRAU ZIEMENS. Dies nützte die Unglückliche in ihrer Noth. — VATER ZIEMENS. Meine Ahnung! FRAU ZIEMENS (ihm den Brief gebend, welchen Albert in seiner Hand hält). Lies aber den Brief hier, den der vom braven Albert schrecklich Enttäuschte nun reumüthigst an sie richtet. Aus ihm erhellt, daß Marie in seine thörichten Bedingungen nur listig willigte und ihre Ehre rein blieb. VATER ZIEMENS (sich weigernd den Brief zu nehmen). Dessen — dessen bin ich gewiß. FRAU ZIEMENS (zudringlich). Erbaue Dich an der herablassenden, schmeichelhaften Sprache. VATER ZIEMENS (nimmt; nachdem er gelesen und die Kinder mit schmerzhaften Blicken betrachtet). Ebenbürtig an Geist und Gefühl steht Ihr Euch gegenüber; ein Gedanke, eine Liebe paart Eure Herzen; Euch fehlt zur Glückseligkeit nichts! und nun, was ist's, daß sich feindlich zwischen Euch stellt, Eure Harmonieen mit rauher Hand verstimmt?! Der Menschheit Jammer, des Wahnes Schreckgestalt? das klägliche Gebilde alles Zeitlichen, in das Geburt und Grab Euch mit verwebt?! Weh, seid Ihr verloren — Ihr seid — und keine Zufluchtsstätte sehe ich mehr, kein Ziel für Eure Wünsche?! Die Gottheit selbst versagt Euch Schutz?! (Kleine Pause.) Hoch geht das wilde Meer, der Hoffnung starker Kiel zerschellt und trostlos an die nächste Planke festgeklammert, treibt Euch des Schicksals finstre Welle auseinander! FRAU ZIEMENS. Unseliger, trankst Du noch nicht genug den bittern Leidenskelch?! VATER ZIEMENS. Was wünschest Du, daß ich den Edelmüth'gen rathe? FRAU ZIEMENS. Sich den Verhältnissen zu fügen! VATER ZIEMENS. Der Schande und des Ekels? Wider innere Würde? — Weib! FRAU ZIEMENS. Hätt' ich es einst gethan, hätt' ich der Zeit Gebieterstimme einst gehorcht, so ruhte ich die matten Glieder jetzt in schimmernden Palästen, säugte an des Reichthums voller Brust der Jugend unbefangene Freuden und hegte ein Töchterchen im Schooß, der ersten Frühlingsblüthe gleich, so frisch und schön! Der großen Blashammer, von Zitterwitze und Questenberge waren viele, die mit wohlverbrieftesten Verträgen um meine Freundschaft buhlten. Eigensinnig aber pochte ich auf meinen guten Stern, der, vom protestant'schen Schwärmergeist bereits verdunkelt, mir die Wege ungekränkter Tugend leuchten sollte. Wahrlich, er hat sie mir geleuchtet! Fantastisch ging's berg auf berg ab, über Stock und Stein bald links, bald rechts. — Weit hinten blieb der selige Tag! Und ob von oben, unten, kreuz und quer des Geistes feur'ges Rächerantlitz warnend mir erschien — warst Du nicht umzustimmen! Taub bliebst Du meiner Liebe zärtlichstem Gebot, sangst: „Ein' feste Burg ist unser Gott, ein' starke Wehr und Waffen“ . . . Ja, blicke nur beschämt — er half uns frei aus aller Noth, setzte uns auf einen weichen Pfuhl, regnete Himmelsmanna und läßt's uns wohlbehagen . . . Daß diesem lügnerischen Streben der Stab gebrochen werde, — in mir das letzte Opfer ihm gefallen! . . Ein eitel, ein verwerflich Gut ist ja das Leben und nicht der Mühe werth es zu erhalten! Glücklich alle, die's leicht erfassen, die schlau, verwegen, kühn die wenigen Körnlein lautern Goldes aus seinem Schacht zu stehlen wissen! . . Ich bin müde sein morsches Kreuz noch länger fortzutragen. Der Erfahrung langgesponnener Faden höre auf der Wahrheit undankbare Spule zu bewegen; er reiße, eine neue Zeit beginne unsern Kindern! Litten wir zu ihrem Frommen, so bin ich ausgesöhnt, — vergebe den Gewissenlosen, die als Spielball schnöden Eigennutzes, lachend von Hand zu Hand uns warfen, bis wir verbraucht, in ihren dumpfen Wölbungen, bei Lumpen einen Gnadenplatz erhielten. VATER ZIEMENS. So hört' ich Dich noch nie! — Welchem fürchterlichen Zweifel unterjochte das Elend Dein Herz! — Hast Du kein Blut mehr in den Adern; zehrte die heimliche Schlange das Lebensmark Dir aus und brichst nun morsch zusammen, gleich dem Gerüst des stolzesten Tempels, von der unsterblichen Himmelsflamme verglüht!? ALBERT. Ehrwürd'ger Greis, vergebens ringen ewige Gesetze die dunkle Macht des immer Wechselnden zu brechen, vergebens, ihrer heißersehnten Wohlthat den schwachen Sterblichen zu unterwerfen! Wie es gewesen seit fünftausend Jahren wird es verbleiben alle Zeit. Der Gute wird gewinnen und verlieren, wird, selber sich in's Böse kehrend, aus edlem Eifer fort und fort sein ältres Werk dem jüngeren zum Opfer bringen und nie erfahren, woran er ist, was er zum Heil, zum Unheil eigentlich gestiftet. Ich tret' deshalb auf der Verzagten Seite, die abgehärmt vom blassen Gram des sittlichsten Entbehrens, um ihres Lebens schönsten Inhalt sich betrogen fühlt und mir nun weise räth, die Welt zu nehmen wie sie ist, nicht wie sie sollte sein, — dem Zufall zu vertrau'n und dem Verstand, der reich an Kenntniß und an List, das Netz nur auswirft wo's zu fischen giebt, im Uebrigen Gott walten läßt, die Herzenskammern wohl verriegelt, das Christliche, die allgemeine Brüderschaft, Freiheit und Gleichheit blos als Mittel conservirt, (lächelnd) — als Mittel zur Umschüttelung, wenn im spirituosen Zauberbecher der süße Genius sich zu Boden senkte . . . Ich hätt's schon lange wissen sollen und anders stünd' es jetzt! Die Nemesis, des Irrthums strenge Rächerin, wär' nicht beschworen, ihr flammendes Geschoß auf uns zu schleudern! FRAU ZIEMENS. Beim Himmel, nein! VATER ZIEMENS. Erforscht' ich je Dein Herz, so wird es schwer Dir fallen, sie zu versöhnen. ALBERT. Ich mach's getreu den klugen Füchsen nach, die sich aus Eifer für das allgemeine Wohl in einen frommen Schaafpelz hüllen, Gesangbuch, Katechismus, Bibel unterm Arm, demüthigen bußfertigen Schritt's alltäglich nach dem Kirchlein schleichen und dann, wo es auch sei, in lustiger Gesellschaft, auf freiem Markt, im dunklen Börsenraum, ein jedes Wörtlein ihres süßen Odems mit Priesterbalsam würzen und gottgefälligen Sprüchen, als wie „unrecht Gut gedeiht nicht; Jedem das Seine; ehrlich währt am längsten; selig die reines Herzens sind“ — VATER ZIEMENS. Albert, Albert! FRAU ZIEMENS. Lass' ihn! ALBERT. Der Erfolg wird lehren, Vater. Ich hoff' in wenigen Jahren ein Mann zu sein, dem die Ehrwürdigen der Stadt und alle Freunde guter alter Ordnung ein schmeichelhaftes Seitenblickchen zollen. VATER ZIEMENS. O wär' mein Name dann bereits vergessen! ALBERT. Menschenhaß, Eigendünkel, Ehrgeiz, Selbstsucht, Neid — unter dem Hute der Scheinheiligkeit geschickt versteckt, bilden die kardinale Tugend der allgerechten christlichen Liebe, welche Hirten zu Königen erhebt und die Pforten des festesten Gewissens nach Willkühr öffnet und schließt. Durchdenken Sie's nur tief, mein Vater; sie ruht auf sicherern Säulen als Ihr Glaube an — an — ich weiß nicht woran! FRAU ZIEMENS. Aus der Seele mir gesprochen. VATER ZIEMENS (zu Marie). Erhebe Dich mein Kind. FRAU ZIEMENS. Wer die Welt mit Deinen Augen sieht, muß unsrer echt katholischen Kirche sich zu Füßen legen. ALBERT. Sie ist die einzige Brücke zum verlornen Paradies. FRAU ZIEMENS. Traun, ich halte Dich beim Wort. ALBERT (ihre Hand schüttelnd). Was thu' ich nicht um meines Engels Frieden! VATER ZIEMENS. Willst Du mit Deinem Vater in die Hütte? ALBERT. Weilt! auch dort ras't der Orkan; Ihr findet keinen stillern Platz für sie als hier, an meiner Brust! — Ich beschwöre Euch, weilt! MARIE. Fasse — halte — leite mich, Vater . . . ALBERT. Geht Dir der Athem aus auf halbem Wege?! — Die Bagatelle, Vater, welche Euch erzürnt, bleibt in unserm und in Questenberg's Interesse den Lauschern fremd. — Wovor deswegen Anstand nehmen?! — Marie, kannst Du für ein Fantom, das Deine kranken Nerven spannt, den einz'gen Freund verachten, welchen die Natur, das Schicksal Dir gesandt! Vierte Scene. FRAU ZIEMENS. ALBERT. FRAU ZIEMENS. Begieb Dich, Albert. — Gewalt stürmt nicht die Schranken ihres Herzens. ALBERT. Memme! Memme! FRAU ZIEMENS. Geduld, mein theurer Freund. ALBERT. Ehrt sie die Tugend mit Verdammniß! — — Oder denkst Du, ich bin ein Sclav' des Elends, nahm das schnöde Geschenk ohne Bewußtsein von Verdienst? Auf zu Questenberg, Memme; dort hör', welch' christlich Werk den Bettelstolz der plumpen Welt durch mich erhöht?! FRAU ZIEMENS. Begieb Dich. (Die Scene verdunkelt sich etwas.) ALBERT. Wo ist sie? — fort — sie ist fort?! — Ihr war's möglich — sie konnte — Ich allein! grausam überliefert, überlassen der Hölle?! — Das endet nimmer gut, bleichsichtige Giftmischerin — (Ein Messer ziehend.) Teufel und Engel tauschen ihre Masken — die sanftmüthige Taube wird zur Hyäne . . . FRAU ZIEMENS. Wohin Albert? ALBERT. Ihr die Schande kürzen! FRAU ZIEMENS. Hülfe! Hülfe! Weh, mein Kind! ALBERT (nachdem er sich losgerungen und bis an die Thüre des Hauses geeilt, öffnet sich dieselbe plötzlich und in weißem Gewande tritt ihm Marie entgegen). Gott — MARIE (feierlich). Hier hast Du mein Herz. ALBERT (läßt zurückschaudernd das Messer fallen). Gott — entfloh'st Du meiner Brust! . . MARIE. Albert, Albert, jede That hat ihr Gericht! (verschwindet.) FRAU ZIEMENS. Besinne Dich, guter Sohn. (Sie stützt ihn, und er steht geschloss'nen Auges von Schmerz erstarrt. Pause. Die Scene erhellt sich wieder.) ALBERT. — — Mildwärmend durchbricht die himmlische Sonne den nächtigen Nebel, froh athme ich auf: — es war nur ein Traum, ein fürchterlich geheimnißvoller Traum . . . Vergeblich sänn' ich ihn zu deuten — drum sei er schnell, schnell vergessen! FRAU ZIEMENS. Vertrau' der Zeit, die uns mit Klugheit rüsten wird und Mitteln, die Thorheit zu besiegen. ALBERT. Welch' Gesang — ? Der wilde Klaus! FRAU ZIEMENS. Er kommt hierher — schon winkt er uns. (Geschrei aus der Ferne.) ALBERT. Immer derselbe sorglose lustige Bube! Und wenn's schon sechs Tage nichts Warmes gab, die feuchtkalte Nacht ihm ein schützend Dach versagte — Fünfte Scene. DIE VORIGEN. KLAUS. KLAUS (singend). So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage, so leben wir alle Tage, in — _Bon jour monsieur, madame_ — Wir nicht hatten _depuis long-temps_ die Vergnüken — _Reçevez mes compliments_. ALBERT. Was bringst Du, altes Wrack? — KLAUS. Eine welterschütternde Nachricht . . . Es wird über unser _passé_ endlich Justiz gehalten. ALBERT. Wie Du weißt, war ich noch nie in Frankreich; sprich daher ordentlich deutsch. KLAUS. _Le plaisir de vous voir_ mir haben verrückt die Kopf und lassen _oublier notre belle langue allemande_ . . . ALBERT. Du kommst mich zum Besten halten. KLAUS. _Patience, monsieur_. ALBERT. Ich bin in der Stimmung Dich zu massakriren. KLAUS. _Mille pardons_ — ich werde sprecken ßo kut ik gann. Nückst Euk ßoll ßein verschw — w — wiegen! _Mon Dieu! ces maudits mots me coupent la_ Kurkel — _j'étouffe_ . . . ALBERT. Wie groß des Schöpfers Güte an solchem Ungeheuer! FRAU ZIEMENS. Seine Fratzen sind unerträglich. (Sie will gehen.) KLAUS (ruft ihr schalkhaft in's Ohr). Albert wurde eine Million reich! — Eine Million! (Zu Albert.) Deine Erfindung bewundert ein großer, großer Mann — Nicht unser Muckerländchen — das freie göttliche Amerika erzeugte ihn. Schlekt nur er barlen duht _notre langue_ und ik in dieser Stadt _de la sagesse chretienne_ der Einzike _à trouver_ welcher mächtik der Sprak _du monde_. FRAU ZIEMENS. Ihr sagt von einer Million — KLAUS (mit einer Verbeugung). Bereits zur ersten Hypothek auf ein rentables Fabrikchen eingetragen — FRAU ZIEMENS. Bei!? KLAUS. — Frau Hoffnung! — Hier die Verschreibung. ALBERT (den Brief lesend). Ew. Wohlgeboren — ihrem Besuch — schleunigst — erfreuen — Johnson — — Das ist ein Possenspiel. KLAUS (hinzufügend). Den traurigen Albert wider Willen zu erheitern. ALBERT. Vergebliche Mühe — zu spät! KLAUS. Weshalb dies wegwerfende Mißtrauen, he? ALBERT. Warnt nicht die Welt vor Dir und nennt Dich bei dem rechten Namen. KLAUS. Hum, sie heißt mich einen Aussätzigen, nicht weil ich an der Haut leide, sondern weil sie mich den himmlischen Wirkungen ihres Lichts aussetzte. — Ziehe Dir das zu Gemüthe, tiefdenkender, erhaben fühlender, großherzig strebender Freund und stürze Dich nicht eines Mißverständnisses wegen aus der beseligenden Wolke des Christenthums auf die heidnische Erde. — Ich bin unschuldig wie das Lamm Gottes, das die Sünde für uns alle trägt! ALBERT. Ja, ich that Dir Leides — KLAUS (die Hand schüttelnd, welche Albert ihm reichte). Auf daß mir einst vergeben werde! (schalkhaft mit frommer Miene) Ach, es steht jetzt viel in Deiner Hand, Albert, viel, viel! Mein Verdienst Dich zur Unsterblichkeit gefördert zu haben, belohnte sich wohl durch etliche tausend Thälerlein . . Zweitausend fünf hundert stopften mir schon die Kinnbacken — aber dreitausend hülfen noch meinen unersättlichen Durst löschen, — nach Ehren- und Ruhmesglanz! Das Doppelte von dreitausend würde mich indeß so recht _tête-à-tête_ bei meinem Schöpfer zur Tafel laden. Ich moderirte sachte — sachte — leise — leise — nach der reichen Tellerzahl mein roth-politisches Heißhungerchen . . . (Er geht auf den Zehen an eine Bank und setzt sich behutsam.) Säße dann, die Beinlein aufgesperrt, das Bäuchel tüchtig angemäst', ein Tönnchen Bairisch an der Seite und jagte schwer jappend der Klugheit graue Nebel vor mir her. Bespräche hochgespannt des Staates Güt' und Mängel und balancirte — balancirte die Wahrheitslinie zwischen den Extasen, bis ich beruhigt mich zu Boden neigte — zu Boden, ach! den vielgeliebten, wo schon so mancher deutsche Ehrenbürger — bescheiden seiner Heldenthaten übermächt'gen Rausch verschlief! ALBERT. Ein frommer Wunsch. KLAUS (aufspringend). Erfüll' ihn mir. ALBERT. Bist Du des blinden Zufalls gottgesandter Bote, so sei gewiß, daß ich im heiligsten Gefühl der Dankbarkeit mich eher selbst als Dich vergesse. KLAUS. Hoppheisa juchhe! — Frau Mutter, werden Sie noch die Jungen anhetzen, Steine nach mir zu werfen und „wilder Klaus“ zu schreien, he? Oder passire ich jetzt die Revue und bin ein anständiges Schöppschristel pfarrherrlicher Ehrbarkeit? FRAU ZIEMENS. Ich finde Ihr Benehmen mit Albert des besten Freundes würdig und gestehe, daß Sie mich außerordentlich beschämen. KLAUS (tanzt, klopft die Tasche und singt:) Bei wem das Geld im Beutel klingt, Die Seele aus dem Fegfeuer springt. ALBERT. Halt, halt! noch klingt es nicht. KLAUS. So sind aber die Menschen! Weil mich die Jugend in einige verliebte dumme Streiche verwickelte, hatten sie nichts eiliger zu ersinnen, als ein „kreuzige, kreuzige!“ mir auf den Buckel zu kreiden. Und so kam's, daß der böse Feind moralisirender Heuchelei und eitler Schwäche dies bei jeder Gelegenheit als verderbliche Waffe gegen mich kehrte, bis ich so tief in Mißkredit sank, daß das wärmste aller christlichen Amphibien mir nicht mehr Herberge, Kost und Arbeit geben mochte. Ich wäre gleich einem abgepeitschten Klepper an der Landstraß' elend verschmachtet, wenn der gute Genius des Rechts und der Billigkeit noch länger die superkluge Theorie passiven Widerstandes gefeiert hätte. — 's ist ein verkümmertes, feiges, gebrechliches Geschlecht, dem der Teufel mit jedem Athemzuge aus dem Halse stinkt! Brrr — fahr's nur ganz nieder zur Hölle! Thöricht, wer sich ihm widmet und für Freiheit wahrhaft schwärmt! — Gut, daß ich aus dem Gröbsten bin! . . Ich, ich werde den Lumpen nun ein Konterfei mit Quark an die Wände malen und in's Ohr raunen, seht, das ist euer Spiegel und eure Hoffnung! ALBERT. Hast Du solche Gesinnung, so zieh' ich mein gegebenes Versprechen zurück. KLAUS. Albert — verzeih', daß ich ein Herz besitze, welches in Erwägung gewisser Dinge überschäumt . . 's ist ein Krampf, der — der die Brust schnürt und Gedanken mir eingiebt — Gedanken, Albert, ach! ich mag keine verrathen; die alte Frau könnte schamroth werden. ALBERT (ihn an seine Brust drückend). Steckt doch ein guter, guter Kerl in ihm! — Ja, Du kommst ein gottgesandter Bote, mich zu trösten und erheben, Du, Du — wer hätt's gedacht! mein tief verstoßner Bruder! KLAUS. Ich an Deiner Stelle, Albert, — benutzte die Million _in spe_ für Mörser und Bomben; würde Rekruten, rüstete ein standfest Heer — für Geld ist Alles feil, Pulver und Blei, Brandraketen und Feldmeister, Eid und Treue! — und eröffnete dann eines schönen Morgens mit dem Hause Questenberg den Krieg; zöge vor das Schloß, verläse die christlichst angefertigten Artikel und fragte, ob man unsers Glaubens werden wollte — Wenn Nein die Antwort — bum, bum, pau, pau, piff, paff . . . Der Gedanke elektrisirt mich, Albert. Möchte mich dabei in Glorie zeigen; möchte als Herold im schwarzen Mantel mit rothem Kreuz, weißprangenden Federhuts, staatsretterlich gekniffenen Gesichts, dem feinsten Fuchs beweisen, daß seine Kunst zu Ende . . . Kann Dich der Geldsack beglücken? Wozu nützt Dir ein Capital, das sich in's Riesige von Jahr zu Jahr vermehrt? Bist Du gewöhnt im Sündenpfuhl des Reichthums vom Mark der Menschheit geistlos zu schmarotzen? Ich rathe Dir, leg's an auf Deines Herzens sichre Rente! ALBERT. Du giebst mir herrliche Ideen . . . Ich werde Deinem Rath entsprechen, doch in meiner Weise. KLAUS. Heil Brutus Dir! ALBERT (den Brief nachlesend). Um zehn Uhr — 's ist jetzt die Zeit. Mich drängt's dem fremden Gönner aufzuwarten. — Frau Mutter, ein Wörtlein in Begleitung. (Mit ihr am Arm ab.) KLAUS (mit burlesken Schritten des Stolzes und der Kraft, persiflirt er singend hinter ihnen her). _Allons, enfants de la patrie — hi, hi, Le jour de gloire est arrivé: — he, he. Contre nous, de la tyrannie — hi, hi, L'etendard sanglant est levé — he, he . ._ (Die Melodie des Liedes verhallt in der Ferne.) Abtheilung II. Das Vorzimmer des großen Festsaales aus dem zweiten Akt. Sechste Scene. V. ZITTERWITZ. BLASHAMMER. (Im Gespräch.) V. ZITTERWITZ. — Ich glaube selbst, daß sich für den Augenblick bei der _haute-finance_ nichts ausrichten läßt — Aber ich kenne Schneider, Schuster, Schlächter, Käthner, die _petit à petit_ hübsche Sümmchen in ihrer Bettlade anhäuften und für gute Worte herumzubringen wären. — Wenn Sie's versuchten? (Blashammer seufzt.) Ich will Ihnen nicht zumuthen, in die enge Behausung der Leutchen hinabzusteigen — nein, Sie schreiben vornehm einige Zeilen blos und — BLASHAMMER. Ich bin nicht Questenberg, dem's gleichgiltig ist, wo und wie er zu Credit kommt. V. ZITTERWITZ. Mit Ihrer Subtilität! BLASHAMMER. Sie werden mich in seine Fußstapfen nicht drängen. — Ich — ich nehme von Niemandem Geld auf blindes Vertrauen; verpfände Keinem mein Wort wenn ich ohne Sicherheit bin. V. ZITTERWITZ (mit feinem Lächeln). Der Schlag von Neapel lähmte Ihre Kühnheit und Sie zweifeln am Glück? BLASHAMMER. Am Glück des Lottospielers! — Treten wir unter die Gläubiger. V. ZITTERWITZ. Sie geben verloren den armen Mann?! BLASHAMMER. Für keinen Leichtsinnigen werf' ich die Ehre in den Loostopf. V. ZITTERWITZ. O wie verschieden die menschlichen Herzen sind! — Daß ich Sie beschäme, Herr Blashammer — (hält ihn fest.) BLASHAMMER. Herr Regierungsrath? V. ZITTERWITZ. Ich hol' Ihnen die Castanien aus dem Feuer — BLASHAMMER (sieht ihn verwundert an). V. ZITTERWITZ. Eine alte Tante, die nicht mehr lange zu leben hat und ohne leibliche Erben ist, stellt mir für den alleräußersten Nothfall einen Theil ihres bedeutenden Vermögens zur Verfügung — BLASHAMMER. Questenberg steckt zu tief in Schulden, wurde von der Concurrenz zu weit überflügelt! V. ZITTERWITZ. Sie meinen — ? BLASHAMMER. Er krankt an einem unheilbaren Krebs, der uns ansteckt — sagen wir gut für ihn. V. ZITTERWITZ. Aber die neuen Webestühle. BLASHAMMER. Versuche im Großen stellen zweifelhafte Resultate heraus — Ich prophezeite es Ihnen schon. V. ZITTERWITZ. Konnte mich Questenberg hinter's Licht führen! BLASHAMMER. Der Schelm? hi, hi, hi — ich achte Ihren guten Glauben und schweige. V. ZITTERWITZ. Die Verzweiflung blendete ihn; er täuschte mich absichtslos. BLASHAMMER. Es tröste Sie. V. ZITTERWITZ. Bemitleiden wir ihn! — Als Sie noch in den Windeln der Geschäfte steckten, erwies er Ihnen manchen wichtigen Dienst, denken Sie daran. BLASHAMMER. Möchte ihm tausendfach vergelten, aber aber, — — (nachdem er auf und nieder gegangen) Wenn wir uns associirten, Herr Regierungsrath, — die Concursmasse den Gläubigern abhandelten, so billig als möglich! — und den Gaudieb als unsern Commis figuriren ließen, he? V. ZITTERWITZ (nach einer Pause des Erstaunens). Hm — ihm und uns wäre damit geholfen. BLASHAMMER. Sie geben das Geld Ihrer alten Tante und ich meinen Kopf? V. ZITTERWITZ. Kein übler Anschlag. BLASHAMMER. Lohnt's? V. ZITTERWITZ. Verfuhr er leichtsinnig mit uns, so ist's das höchste Freundschaftsstück guter Christen. BLASHAMMER. Ueberlegen Sie. V. ZITTERWITZ. Ein Schiffbrüchiger klammert sich an alles, was ihn auf den Fluthen trägt! — Wir sind einig. BLASHAMMER. Sieh da, vor Thoresschluß. Siebente Scene. DIE VORIGEN. QUESTENBERG (ein großes Buch unter'm Arm). V. ZITTERWITZ. Fort! BLASHAMMER. Wir sollten ihn schicklicherweise vorbereiten. V. ZITTERWITZ. Nicht hier, sondern unter den Leuten, wo seine Seufzer sich weniger Luft machen dürfen. (Beide ab.) QUESTENBERG. Vieles könnte ich sagen, was mir Mitleid erwirbt — nichts, was mich entschuldigt . . D'rum ist's angemessener, ich schlage das Buch schweigend auf — O Schande! (Er bleibt am Eingange in den Saal stehen.) Achte Scene. QUESTENBERG. ALBERT. KLAUS. ALBERT. Wir treffen ihn noch! — Kehr' schnell zurück, dem Amerikaner es zu melden. KLAUS. Der Schurke verdient's nicht! ungerührt, ungebessert bleibt er und lacht über Deine Großmuth nur frohlockend sich in's Fäustchen. ALBERT. Geh, eile. KLAUS. Du verkennst die Welt und spottest der Früchte Deines Genie's. ALBERT. Willst Du mich erzürnen. KLAUS. — Der Schwärmergeist wird sich an Dir rächen. ALBERT. Niemand entrinnt seinem Schicksale! Neunte Scene. DIE VORIGEN ohne KLAUS. QUESTENBERG. Wer hemmt mich an der Pforte des Verderbens. ALBERT. Ihr treuer Diener. QUESTENBERG. Kannst Du keinen Credit schaffen, so geh' mir aus dem Wege. ALBERT. Vielleicht kann ich's, mein Gebieter — Verweilen Sie nur einige Minuten. QUESTENBERG. Du kommst mich verhöhnen — ich les' es in Deinem Gesicht . . . Dir geschah Unrecht? Wirf nur ab die falsche Larve. ALBERT. Mein Gebieter, Sie machten mich zum Werkmeister, erwiesen mir so viel Lieb' und Güte, daß ich höchlichst erstaune. — QUESTENBERG. Schlange! ALBERT. Ihr Argwohn entsetzt mich . . . QUESTENBERG (nach kleiner Pause mit erkünstelter Ruhe). Verkünde, was Dich herführt. ALBERT. Im Augenblick erscheint vor Ihnen — QUESTENBERG (unterbrechend). Ich bilde mir ein, daß Du mein Freund bist, Albert. ALBERT. Sie besitzen keinen bessern auf der Welt. QUESTENBERG. Nun denn, im Augenblick erscheint? ALBERT. Ein großer Fabrikant aus den vereinigten Staaten — QUESTENBERG (ungläubig). Ah! ALBERT. Dem ich unsere neuen Webestühle zu zeigen die — Kühnheit hatte. QUESTENBERG. So! hm! — Und sie fanden seinen Beifall? ALBERT. In solchem Grade, daß er sich gleich erbot, als er von Ihrem Unglück hörte — QUESTENBERG. Wirklich — sieh! ah! der Zufall fügt oft Wunderdinge — räthselhaft erscheint mir blos . . . ALBERT. Mein Gebieter, Ihr Benehmen ist das — eines Mannes von bösem Gewissen. QUESTENBERG. Du täuschest Dich wohl nicht. ALBERT. Wenn ich aber ahnte, was Sie an mir verbrachen. QUESTENBERG. Willst es wissen? ALBERT. Ich wünschte von Ihnen den besten Glauben zu behalten. QUESTENBERG. Du wurdest betrogen, — ALBERT. Sie scherzen! QUESTENBERG. unterdrückt, — ALBERT. Pfui. QUESTENBERG. tyrannisirt! ALBERT. Sollten Sie so schlecht sein?! — O mein Gebieter! QUESTENBERG. Der bin ich nicht mehr. — Pack' Dich fort. ALBERT. Verdien' ich die Behandlung?! Bleiben Sie — man kommt — Ihr Retter! — Glauben Sie mir nun? QUESTENBERG. Du machst mich toll, Albert. Zehnte Scene. DIE VORIGEN. KLAUS. JOHNSON. JOHNSON. Weshalb ick mir erlaub' die Freiheit, erfuhren Sie pereits. — QUESTENBERG. Ich traute den Ohren nicht, mein Herr . . . (Setzt ihm einen Stuhl vor). Haben Sie doch die Güte . . . JOHNSON (sich niederlassend). Ihre neuen Webestühl' kehören zu ten vorzügliksten Leistungen unsres Jahrhunterts und erwerpen dem Erfinder, ter, wie Herr Albert mir versichern daht, Sie allein sind — QUESTENBERG (macht eine Verbeugung, indem er ängstlich Albert ansieht). JOHNSON. ten erhapensten Zoll der Pewunterung. KLAUS (murrt). QUESTENBERG. Ein zu schmeichelhaftes Kompliment. JOHNSON. Ihr Name wird nepen den größesten Wohldähtern der Menschheit klänzen, so lang' es eine Keschichte kiebt. QUESTENBERG. Mein Herr Sie — Sie . . . (bei Seite.) Ich weiß nicht, was ich sagen soll! — (laut.) Muß ein Fremder mir Trost und Hoffnung bieten — (bei Seite.) Mir spuckt das wie'n Mährchen im Kopfe! (laut.) Trost und Hoffnung bieten und das Urtheil meiner sachkundigsten Freunde Lügen strafen! JOHNSON. 's ist alde Erfahrung, mein Herr, taß unter Freunden oft Eifersucht, Mißkunst, Neid die glare Quelle der Erkenntniß trüben! (QUESTENBERG seufzt.) Man sich wohl beeifern dhat Ihr Werk pei der Welt zu mißcreditiren? QUESTENBERG. Ja — ja wohl! JOHNSON. Man Sie peschuldigte müßiger Spielereien, verterblicher Exberimentesucht — QUESTENBERG. Man that's. JOHNSON. — was Sie in den Ruf eines schlechten Keschäftsmanns prachte. QUESTENBERG. Natürlich. JOHNSON. Ah, Sie dheilen das Schicksal aller unsterblichen Genien des Fortschritt's! — QUESTENBERG (springt vom Stuhl auf). JOHNSON. Der Herr hat keine Zeit — Zur Sache, wenn's kefällt. QUESTENBERG. Ich kann mir den Albert nicht erklären! (setzt sich.) JOHNSON. Auf die Erfintung pin ick eine Million zu wagen pereit. — QUESTENBERG. So — ah! JOHNSON (bei Seite). Orischinelles Penehmen. (laut.) Wenn tas kenügt, mein Herr, ßo steh' ick zu Tiensten. QUESTENBERG. Vollkommen genügt's, mein Herr — Schon achtmalhunderttausend . . . Wie kann ich aber erwarten, daß Sie mir solch' Vertrauen . . . JOHNSON (aus einem Portefeuille Geld nehmend). Hier ist, was Sie wünschen. QUESTENBERG (indem er den Albert verwundert ansieht). Ich, ich weiß nicht . . . JOHNSON. Sehen Sie nur hierher. QUESTENBERG (bei Seite). Er verzieht keine Miene . . . JOHNSON. Ohne Umstände, mein Herr. QUESTENBERG. Sie bringen mich außer Fassung, mein Herr. JOHNSON. Nehmen Sie, mein Herr. QUESTENBERG (bei Seite.) Keine, keine Miene! . . (laut.) Wie? gleich jetzt? ohne gerichtliche . . . Solche Summe!? JOHNSON. Sind Sie tenn kein ehrlicher Mann?! QUESTENBERG. Nein, gütiger Herr, nein — 's ist hier nicht Mode. — ALBERT. Die Verlegenheit meinem Gebieter zu ersparen, bestellte ich den Notar, der draußen wartet. JOHNSON. Herr Albert tas war nicht prav von Ihnen. QUESTENBERG. Um Verzeihung — sehr brav! sehr brav! Ruf' ihn, braver Albert. (Sich freudig in die Hände reibend; bei Seite.) Der Einfaltspinsel blieb unschuldig . . . KLAUS (dem Albert in den Weg tretend). Halt' an, Bruder . . . Du willst ihn schamlos triumphiren lassen!? ALBERT. Behindre mich nicht. KLAUS. Keinen Schritt weiter. ALBERT. Bei den Achttausend, die ich Dir versprach. . . KLAUS. Ich schenke sie Dir — Alles was menschlich! JOHNSON. Meine Herrn . . . QUESTENBERG. Was — giebts — Kinder. ALBERT. Der Bube kam von Sinnen . . . (zu Johnson.) Ihnen theilte ich schon die Gründe mit, weshalb er den Spleen nicht los wird, daß die Erfindung des Herrn Questenberg mein Eigenthum sei. KLAUS. Glauben Sie meinen Versicherungen, Herr Johnson. JOHNSON. Lieper Herr Klaus . . . KLAUS. Wenn's sich anders verhält, als ich Ihnen auseinandersetzte, so straf' mich der Teufel. JOHNSON. Können Sie sich stützen auf Peweise. KLAUS. Es fällt schwer, denn der Treulose verleugnet alles; dessenungeachtet . . . JOHNSON. Aber er muß wohl am pesten wissen — KLAUS. Herr Johnson, sein Gemüth verkehrte sich in Tollheit und er ist nicht Meister seiner Handlungen. ALBERT. Thun Sie mir eins zu Gefallen, mein Gebieter. (Er sagt Questenberg etwas in's Ohr, worauf derselbe klingelt. Ein Bedienter erscheint, empfängt Befehle und eilt wieder ab.) JOHNSON (zu Klaus.) Eines Vormunds scheinen Sie pedürftiger als er. KLAUS. Was! JOHNSON. Reden Sie kein tummes Zeug weiter . . . Schämen Sie sich was! KLAUS. Ich bin ein ehrlicher Kerl, Herr Johnson. JOHNSON. Wer läugnet's, allein — KLAUS (sich vor die Brust schlagend). Was Recht ist muß Recht bleiben! JOHNSON. Schon kut, toch — KLAUS. Und ich sag's dem blassen Spitzbub' da in's Gesicht — JOHNSON. Keine Injurien, Herr Klaus. KLAUS. Pah, ich fürchte mich nicht vor ihm, — mit mir ist die heilige Macht der Wahrheit. JOHNSON. Ihr Petragen wird kanz abscheulich. QUESTENBERG (zu herbeieilenden Bedienten). Führt den Menschen in die frische Luft und macht ihm Umschläge . . . KLAUS. Die mach' ich Euch, Schurken — wagt mich anzutasten! QUESTENBERG (zu Johnson). Ich handle doch mit Ihrer Erlaubniß? JOHNSON. Uepen Sie nur Hausrecht — er ist ein unkezogener Pupe. QUESTENBERG. Packt ihn! erzittert vor seiner Stimme nicht. KLAUS. Gemach, Sclaven! Ich weiche Eurer Ueberlegenheit. (Man knebelt ihn.) Sieh' her, Albert, so dankst Du des Freundes Müh'! Hätte ich das gewußt — doch Gott befohlen! Eilfte Scene. DIE VORIGEN ohne KLAUS. ALBERT. Verzeihen Sie dem armen Sünder, mein gütiger Gebieter. JOHNSON. Er wußte nicht, was er dhat, — dragen Sie's ihm nicht nach. QUESTENBERG. Schuldigermaaßen sollte ich ihn auf der Polizei durchprügeln lassen. ALBERT. Ihre Ehre blieb in unsern Augen ungekränkt. JOHNSON. Was meinen Sie, taß solch' unansehnliker verkommener Keselle Ihnen schaden könnte — QUESTENBERG. Es ist gut, mein Herr — Ruf' den Notar, Albert. JOHNSON. Lassen Sie, lassen Sie — Ick habe für heut' keine Zeit mehr und porge Ihnen das Geld bis morgen auf's planke Angesicht. QUESTENBERG. Ich weiß Ihr Vertrauen nicht hoch genug zu schätzen. JOHNSON (das Geld ihm gebend). Zählen Sie die Summe kefälligst nach. QUESTENBERG. Es wäre wohl überflüssige Mühe. JOHNSON (den Hut nehmend). Möchten wir ein paar klückliche Keschäftsfreunde werten und viel Heil und Segen zusammen ernten. QUESTENBERG. Ich habe keinen schönern Wunsch. JOHNSON. Auf Wiedersehen — Ihr erkepenster Tiener. Zwölfte Scene. DIE VORIGEN ohne JOHNSON. QUESTENBERG. Mein guter Albert, welchen Dienst leistetest Du mir! — nicht unbelohnt darfst Du von hinnen; erbitte Dir eine Gunst. ALBERT. Sie beschämen mich. QUESTENBERG. Fordre die Hälfte der Fabrik — fordre sie ganz! — Erweise mir die Freundschaft! ALBERT. Sie wissen, daß ich von Ihren Anerbietungen keinen Gebrauch mache — QUESTENBERG (unterbrechend). Frei von Verstellung bin ich — glaub's mir, Albert . . . Willst Du den Reingewinn der neuen Webestühle im ersten Jahr? ALBERT. Wie kann ich so viel wollen! QUESTENBERG. Morgen empfängst Du's schriftlich . . . Ach, wär's mir vergönnt, Dich glücklich zu machen! ALBERT. Diese Gunst versagt Ihnen das Schicksal. QUESTENBERG. Scherz bei Seite. ALBERT. 's ist zu spät! QUESTENBERG. Was hast Du? ALBERT. Eine Wunde im Herzen, welche nicht mehr heilt. QUESTENBERG. Nahmst Du Schaden in der Liebe? ALBERT. Sie ging mir verloren! . . QUESTENBERG. Deine Braut — zufolge? ALBERT. Der Schmach von Ihnen mir aufgebürdet! . . Erbleichen Sie nicht mehr, Gott hat gerichtet! QUESTENBERG. Nimm — diese Summe gehört Dir! ALBERT. . . . Das heilige Evangelium lehrt uns die Missethat hassen — nicht ihre botmäßige Hand, die ein blindes Glied am Körper unserer Menschheit ist — Ich verzeihe Ihnen. QUESTENBERG. Du! Du! ALBERT. So wahr ich Ihr schwacher Bruder bin, der mit dem Apostel sich eitel rühmt: seht, alles duldete ich zur Erlösung aus der Sünde, ich ließ mich von Euch übervortheilen, verleumden, entehren, mit Füßen treten, in Ketten schlagen und nun stehe ich da, abgetödtet in meiner Leidenschaft, gleichgiltig für irdische Freuden, gebrochenen Herzens — ein verklärter Geist, zu dessen Füßen ihr Euch im Staube krümmt! QUESTENBERG. Das sprichst Du ironisch nur. — Entlaste mich dieses Judasgeldes, lass' mir ernten, was ich gesä't: Qualen der Hölle! ALBERT. Denken Sie an die tausend nothleidenden Familien, die ihnen Arbeit, Gesundheit und Leben zum Opfer brachten und unverantwortlich sind für die Schuld, in welche Ihr Fall sie stürzt! QUESTENBERG. Geh', bezahl' die Gläubiger in meinem Namen — mir fehlt die Kraft. ALBERT. Auch das noch? — Traun, ich bin kein Pharisäer und Schriftgelehrter, der das Christenthum nur mit der Zunge übt! QUESTENBERG. Lass', lass' — ist's eine Strafe für mich, so muß ich's thun. ALBERT. Scheiden wir denn, um uns nie wiederzusehen. QUESTENBERG. Wohin gehst Du? ALBERT (zeigt nach Oben). QUESTENBERG. Oh! ALBERT. Ich vollendete und trage mein Kreuz auf den Golgatha! . . War's Ihnen Ernst eine Gunst mir zu erweisen, so sorgen Sie für mein Begräbniß; ich wünschte an keinem unanständigen Orte unseres Kirchhofs zu ruh'n. (Er will geh'n.) QUESTENBERG. Wahnsinniger, ich lasse Dich nicht fort — Hülfe! ALBERT (ein Pistol aus der Tasche ziehend, das er sich auf die Brust setzt). Versuchen Sie nichts, oder ich ende sogleich. QUESTENBERG. O das ist entsetzlich! ALBERT. Gemeine Seelen, vom Wermuthskelch der Feigheit berauscht, zittern vor dem Tode; Männer voll Freiheitssinn und Rechtlichkeit eilen ihm freudig entgegen! (ab.) QUESTENBERG. Bring' ich den Gläubigern das Geld und verfolge seine Spur! Dreizehnte Scene. Die Vorhänge zum Saal thun sich auf; man erblickt an einer langen Tafel die Gläubiger. QUESTENBERG. Wohlan, liebe Herren, ein Wunder. (Er wirft das Geld auf den Tisch.) ALLE. Geld . . . ah! ah! QUESTENBERG (mit zitternder Stimme). All' meine Schulden, all' meine Verpflichtungen, alles was Sie verlangen . . . Meinen herzlichsten, unaussprechlichsten . . . Ich bin krank, liebe Herren — vertheilen Sie unter sich die Summe und gestatten, daß ich mich wieder zurückziehe. ERSTER GLÄUBIGER. Ihr edles Gemüth fühlt sich durch unsre Maaßnahme verletzt. ZWEITER GLÄUBIGER. Sie zürnen uns. ERSTER GLÄUBIGER. Hätten wir gewußt oder geahnt . . . QUESTENBERG. Bleiben Sie ruhig — Was mein Inneres bewegt gilt Ihnen nicht — doch ich baue auf Ihre Nachsicht — meinen unterthänigsten Diener. Vierzehnte Scene. DIE VORIGEN ohne QUESTENBERG. ERSTER GLÄUBIGER. Ein kurioses Benehmen! ZWEITER GLÄUBIGER. Fein überlegt, fein studirt! Er hängt uns einen dicken Zopf an. ERSTER GLÄUBIGER. Teufel, wir waren zu leichtgläubig. ZWEITER GLÄUBIGER. Einen Mann von seinem Ruf, von seiner Bedeutung zufolge einiger Börsengerüchte mir nichts dir nichts zur Erklärung zu drängen! ERSTER GLÄUBIGER. Den dummen Streich brockte uns Blashammer ein. ZWEITER GLÄUBIGER. Suchen wir eine schickliche Gelegenheit ihm das Geld zurückzugeben, denn er wird es wohl nöthig haben. (Einige bemächtigen sich der Summe und fangen an nach dem Schuldbuche auszutheilen.) Funfzehnte Scene. V. ZITTERWITZ. BLASHAMMER. V. ZITTERWITZ. Beten wir: Herr führe uns nicht mehr in Versuchung! . . Mir schwimmt's schwarz und weiß vor Augen, denke ich — (kopfschüttelnd) Der infernalische Plan hätte mich doch, hätte mich doch — Oh, was ist der Mensch in einer unglücklichen Lage! . . . Als Politiker, als Staatsmann bekenne ich mich fortan zur philantropischen Ansicht, daß die Noth die Mutter aller Laster sei. BLASHAMMER. Von wo er nur das Geld hat! V. ZITTERWITZ. Die Frage regt mir das Herz nicht auf, wohl aber eine andere! Was fange ich nun mit dem Capitälchen an? Wo bringe ich's unter; wer nimmt's mir ab?! — Die alte Sorge wurde man los und gleich folgt ihr die neue! BLASHAMMER. Ich bin bereit sie auf mich zu laden. V. ZITTERWITZ (erschrocken bei Seite). Daß ich meine Zunge nicht bewachte! (laut.) So meinte ich's nicht, Herr Blashammer. BLASHAMMER. Ich kann das Capitälchen gut brauchen. . . V. ZITTERWITZ. Zu viel Güte. BLASHAMMER. Ohne Federlesen, Herr Regierungsrath. V. ZITTERWITZ. Sie wollen sich unnöthig belästigen. BLASHAMMER. Wenn ich Ihnen sage, daß ich's gut brauchen kann! V. ZITTERWITZ. Sie verstellen Sich blos aus Freundschaft — Ich seh's Ihnen an. BLASHAMMER. Ich geb' Ihnen zehn Prozent. V. ZITTERWITZ. Zu viel für einen guten Christen. BLASHAMMER. Ich geb' Ihnen zwölf Prozent. V. ZITTERWITZ. Danke, danke. BLASHAMMER. Ich geb' Ihnen funfzehn Prozent. V. ZITTERWITZ. Bemühen Sie sich nicht weiter. BLASHAMMER. Zwanzig Prozent. V. ZITTERWITZ. Mäßigung. BLASHAMMER. Fünf und zwanzig Prozent. V. ZITTERWITZ (sich die Ohren zuhaltend, mit weinerlicher Stimme). Da hab ich nun den Teufel auf dem Nacken. BLASHAMMER. He, nahmen Sie nicht noch mehr ohne Erröthen? Ist das Geld des Schwarzkünstlers besser als meins? (für sich) Wem er's nur abjagte! V. ZITTERWITZ. Mein Kapitälchen erwischt kein Kaufmann, kein Spekulant und Fabrikant mehr; lieber vergrab' ich's, lieber werf' ich's in einen Brunnen! Ach, ehe man sich solcher Marter aussetzt! Ertrug ich nicht mehr Schmerz als die drei Männer im feurigen Ofen! BLASHAMMER. Sie beschimpfen meinen Stand. V. ZITTERWITZ (zurückbebend). Durchaus nicht . . . BLASHAMMER. Sie halten mich für einen Gauner. V. ZITTERWITZ. Keineswegs . . . (bei Seite.) Gut, daß hier Leute sind. BLASHAMMER. Für einen Betrüger. V. ZITTERWITZ. Um Vergebung . . . (bei Seite.) Wie werde ich den Aufdringling los. BLASHAMMER. Erklären Sie sich gemessener. V. ZITTERWITZ. Nein, Herr Blashammer, ich, ich, ich halte Kaufleute bl — bl — blos für unsich — chere Menschen. BLASHAMMER. Eines einzigen Schurken wegen. V. ZITTERWITZ (für sich). Courage! (laut.) Ei, ei, es giebt keinen ehrlichern Mann auf der Welt als Questenberg. BLASHAMMER (mit einer Grimasse). Weil er bezahlte! ah! V. ZITTERWITZ (die Fäuste geballt). Wegen der Verleumdung sollten Sie sich gerichtlich verantworten . . . BLASHAMMER (stampft wüthend mit dem Fuß). V. ZITTERWITZ (dadurch in die Flucht getrieben). — Unsauberer! wer mehr Schurke ist, ob er oder Sie, steht in Frage! . . . (ab.) BLASHAMMER. — — Von wo er nur das Geld hat! — Gescheitert in Neapel, gescheitert hier! Meine Verluste sind unersetzbar; der Gram tödtet mich! Fünfter Akt. Abtheilung I. Zimmer im Hause Blashammers. Erste Scene. ADELGUNDE am Klavier; nach einer Pause tritt der DOCTOR auf. ADELGUNDE (im Spiel ungestört fortfahrend). _Bon jour_, treten Sie nur näher. DER DOCTOR. Mit Ihrer gütigsten Erlaubniß. ADELGUNDE. Setzen Sie sich. DER DOCTOR. Fräulein spielt eine himmlische Symphonie. ADELGUNDE. Wie geht's bei Ihnen zu Hause? DER DOCTOR. Da schwoll die Sündfluth der Gläubiger meines Herrn Papa plötzlich so stark an, daß ich für gut hielt, das Haasenpanier zu ergreifen, um in Ihrer freundlichen Arche Schutz zu suchen. (Adelgunde endet das Spiel.) Unterbrechen Sie sich nicht. ADELGUNDE. Mein Vater wird hoffentlich Alles zum Besten wenden. DER DOCTOR. Wäre seine Kraft noch so gesund als sein guter Wille! ADELGUNDE. Ich erstaune — was soll ich hören? DER DOCTOR (bei Seite). Das Terrain ist mir günstig — Ich werde mich in der Position halten! (laut.) Weihte er Sie in seine Mysterien nicht ein? ADELGUNDE. Ich bin ganz unwissend — Seit dem Tage unserer Verlobung hört' ich kein Wort von ihm; verdrießlich war er und in hartem Kampf mit sich selbst. DER DOCTOR. Wer kann's ihm übel nehmen! Ach, daß ich's Ihnen berichten muß! — Auch sein Schifflein Fortunens gerieth auf den Strand! ADELGUNDE. Sie erfüllen mich mit Schrecken. DER DOCTOR. Ich hab's aus seinem Munde . . . Die hohen Potentaten brachen mit ihm — und Sie ahnen, was das heißt! — weil er das Feuer der Revolution heimlich schüren half. ADELGUNDE. Weh! DER DOCTOR. Zum Umsturz der Ordnung bewaffnete er die Banditen Europa's. ADELGUNDE. O Grauen! DER DOCTOR. Ich fürchte, es kostet ihm nicht blos das Vermögen, sondern auch die Freiheit. ADELGUNDE. Mein Vater in den Thurm! DER DOCTOR. Vielleicht mit Ketten an Händen und Füßen! Sein Versehen ist politischerseits unverzeihlich . . . Und welche Zukunft erwächst daraus für uns! Wir treten in eine harte Ehe . . . Ach! ADELGUNDE. Unter diesen traurigen Umständen haben Sie noch Lust — Nimmermehr! DER DOCTOR. Ein Ehrenmann hält Wort. ADELGUNDE. Verdoppeln Sie Ihr Unglück nicht. Ich gebe Ihnen den Ring zurück. DER DOCTOR (drohend). Fräulein! ADELGUNDE. Die Erwerbung Ihres eigenen Unterhalts wird Ihnen schon sauer genug fallen. DER DOCTOR. Sie hegen eine geringe Meinung von mir. ADELGUNDE. Unsere Zeit ist in allen Bethätigungen mit überflüssigen Kräften erfüllt und bei dem Mangel großer volksthümlicher Unternehmungen, einer sittlich entnervenden Concurrenz verfallen, die dem an Anstrengungen von Jugend auf Gewöhntesten, fast aller Orten das Leben zur Plage macht. DER DOCTOR. Pah, ward ich unter einem glücklichen Sterne geboren, so kann die Zeit gut oder schlecht sein — Uebrigens bau' ich auf eine heil'ge Sache! ADELGUNDE. Ihre Redekunst. DER DOCTOR (bei Seite.) Getroffen! (laut.) Nein, o Theure, auf die Liebe, von der man sagt, daß sie dem Menschen das bitterste Geschick angenehm versüßt. ADELGUNDE (betroffen). Ich bezweifle Ihre Aufrichtigkeit. DER DOCTOR. Ein echtes Kind unseres Volks scheint selten was es ist! . . Kalt, gleichgültig, spöttisch, verschämt stellt es sich, wenn's in seinem Busen gährt und brennt — ADELGUNDE. Sie bilden mir Unsinn ein. DER DOCTOR. Zu welchem Zweck! Traun, da naht Ihr armer Vater — urtheile er selbst, ob mich ein anderes Interesse für Sie begeistert, als das rein menschliche . . . Doch horch! Zweite Scene. DIE VORIGEN. BLASHAMMER. BLASHAMMER (zu sich selbst). O Himmel, wie geht's Berg ab! DER DOCTOR. Verstehen Sie? — Still! BLASHAMMER (für sich). Vergoß ich meinen Schweiß umsonst! Bleibt mir für alle Plage kein Brosämchen! DER DOCTOR. Spiele ich noch falsch mit Ihnen? BLASHAMMER (für sich). Der dumme Streich kostet viel! Schon seh' ich mich aus dem hohen Rath verstoßen, unter die Kleinkrämer der Vorstadt versetzt! ADELGUNDE. Tröste Dich, Vater! BLASHAMMER. O Tochter, an mir ist Hopfen und Malz verloren. ADELGUNDE. Ich werde Dir die Bibel lesen — Soll ich? BLASHAMMER. Vergebne Müh' — sie ersetzt mir meine Schäden nicht . . . Was macht der hier? . . Ich dachte, unsere Freundschaft lös'te sich gemüthlich auf. DER DOCTOR. Gott lenkt oft anders als der Mensch denkt. BLASHAMMER. Meiner Seel', wir waren nicht wenig erstaunt, als Ihr Vater heute in unsere Versammlung trat, mit gebrochener Stimme, gleich einem tief Gekränkten stammelnd, „hier, Alles was ich schulde bis zum letzten Heller, vertheilt's unter Euch“ — und die Summe von achtmalhunderttausend Thaler (indem er eine Handvoll Tresorscheine aus der Tasche zieht und auf den Tisch wirft) wie eine Hand voll Pfeffernüsse auf den Tisch warf . . . DER DOCTOR. Mein Vater bezahlte? (bei Seite). Ach, wär's doch der Fall! BLASHAMMER (rafft das Geld vom Tisch und hält's ihm vor). Sehen Sie da, er hat mich nicht mehr nöthig. DER DOCTOR (bei Seite). Mit List will er mich aus dem Felde schlagen — Gefehlt! (laut). Schon mehr als einmal versuchten Sie mich unwürdigen Mißtrauens voll, auf entehrende Proben zu stellen. Schätzte ich in Ihnen einen minder achtbaren Mann und wäre meine Leidenschaft für Fräulein Adelgunde nicht die heißeste, welche je eines Menschen Brust gehegt, so würde ich verzagt zurückweichen und — BLASHAMMER. Pfui, Sie erfrechen Sich Hokuspokus — (Adelgunde an die rechte Hand nehmend.) Ziehen wir uns von dem Hanswurst zurück. DER DOCTOR (dieselbe an die linke Hand nehmend). Ich empfing Ihr Wort und Fräulein meinen Ring. BLASHAMMER. Wir sind quitt! — Was zauderst Du, Tochter. DER DOCTOR. Fräulein bleibt . . . ADELGUNDE. Gnade! BLASHAMMER. Noch gehört mir der Titel dieses Hauses — Sogleich will ich ihm mein Recht beweisen . . . He, Bediente. ADELGUNDE. Papa'chen, bring' uns nicht in's öffentliche Gerede . . . BLASHAMMER. Er kam her, mich zu verhöhnen. ADELGUNDE. Du irrst. BLASHAMMER. Woher weißt Du's? ADELGUNDE. Mir sagt's das Herz. BLASHAMMER. Ei, Du spielst einen warmen Anwalt. ADELGUNDE. Papa'chen (etwas leise) er liebt mich. BLASHAMMER. Er! ADELGUNDE. Ja. BLASHAMMER. Kind, das setzt meinen Ueberraschungen die Krone auf. ADELGUNDE. Glaub's mir. BLASHAMMER (lachend). Die Welt kehrte sich um — nur ich allein blieb unverändert. ADELGUNDE. Welches andere Interesse dürfte ihn noch für mich begeistern, als das reinmenschliche? BLASHAMMER. 's ist wahr, ich ward ja zum Bettler! (bei Seite.) O wie rächt sich die Lüge! Dritte Scene. DIE VORIGEN. QUESTENBERG. QUESTENBERG. Ah, ich suche Dich nicht hier, mein Sohn. DER DOCTOR. Verzeih', hast Du bezahlt? QUESTENBERG. Der Himmel wurde mein Gläubiger. DER DOCTOR. O weh! (bei Seite.) Meine Ehre ist dahin — rette ich nun ihren Schein! QUESTENBERG (zu Blashammer). Mein Freund, ich hatte nicht Ruhe im Bett; das Gewissen trieb mich zu Dir. BLASHAMMER. Nimm gütigst Platz; das Stehen greift Dich an. QUESTENBERG. 's ist nicht viel, das wir zu verhandeln haben. BLASHAMMER. Wohl betrifft's nur das Verheirathungsproject. QUESTENBERG. Nur das, . . . Sieh' mein Freund, bei dem plötzlichen Umschwunge der Verhältnisse, gebietet's die Vernunft, Religion, Sitte . . . . BLASHAMMER. Nicht weiter. QUESTENBERG. Du bist einsichtsvoll genug — BLASHAMMER. Ich begreife Alles. QUESTENBERG. Es beleidigt Dich in keiner Weise, daß — BLASHAMMER. Sei unbesorgt. QUESTENBERG. Unsere Freundschaft wird — BLASHAMMER. Du hättest deswegen ruhig im Bette bleiben können — Falls Du Dich erkältetest, messe mir keine Schuld bei. QUESTENBERG (sich vom Sessel erhebend). Will's denn Gott. BLASHAMMER. Wir sind ganz im Reinen. QUESTENBERG. Ein andermal erzähle ich Dir, auf welche wunderbare Art der Allmächtige mich aus den Fallnetzen neidischer, habsüchtiger, arglistiger Menschen erlös'te. BLASHAMMER. Unter der Sonne findest Du Keinen, der Dich teilnehmender anhören wird. QUESTENBERG. Söhnchen, Du begleitest Deinen kranken Vater. BLASHAMMER (zum Doctor). Beliebe es Ihnen mit Adelgunden zuvor die Ringe auszutauschen. QUESTENBERG. Erfülle des Freundes Bitte, Söhnchen. BLASHAMMER. Wahrscheinlich kostet's ihm Anstrengung, denn wie mich die Tochter versichert, soll sich bei ihm Scherz in Ernst verwandelt haben. DER DOCTOR (die Hand Adelgundens auf sein Herz legend). Schau', Papa, und verstumme. QUESTENBERG. Mein Sohn! DER DOCTOR. Du zwangst mich zu dieser Wahl und nun fügte es mein Schicksal, daß ich in Fräulein eine mir würdige Lebensgefährtin entdeckte. QUESTENBERG. Steht es so! BLASHAMMER. Der verschlagendste Speculant täuscht sich in jugendlichen Herzen. QUESTENBERG. Reichen wir uns denn brüderlich die Hand und segnen das junge Paar. BLASHAMMER. Ich kenne das Leben nicht mehr! . . (Zum Doctor). Treten wir in den Prunksaal, die Gäste zu erwarten, welche ich zur Feier unserer Versöhnung sogleich laden lasse . . . QUESTENBERG. Nicht heute — ein andermal. BLASHAMMER. Ist Deine Krankheit unerbittlich. QUESTENBERG. Ich leide grenzenlos und habe noch ein Geschäft, zu dem ich die Hülfe des Sohnes beanspruchen muß. DER DOCTOR. Bin dabei. QUESTENBERG (vorwurfsvoll). Dir wird's schwer fallen! — Ich wünsche denn beiderseits Lebewohl. BLASHAMMER. Glückliche Besserung. DER DOCTOR (Adelgunden die Hand küssend). Theures Fräulein, einen Kuß für tausend . . . Adieu . . . Auf baldiges Wiedersehen . . . Adieu! (Die beiden Partieen mit Complimenten nach verschiedenen Seiten ab.) Abtheilung II. Aermlicher Garten an der Hütte des Vater Ziemens. Seitwärts eine Straße. Vierte Scene. FRAU ZIEMENS. VATER ZIEMENS. FRAU ZIEMENS (hastig von der Straße). Väterchen, Väterchen! Bist Du da? Schnell heraus, eine schreckliche Mähr! VATER ZIEMENS. Pst, leise — Marie schläft. FRAU ZIEMENS. Im Park soll sich ein Arbeiter erschossen haben. — Sieh'st Du wie lebendig die Straße wird? Alle Welt geräth in schaudernde Bewegung. Such' hurtig Stock, Hut, Wams, wir schließen den Leuten uns an. VATER ZIEMENS. Geh' nur allein, ich hüte die Kranke. — Wußte man des Unglücklichen Namen? FRAU ZIEMENS. Wohl ist's ein Familienvater, den der Bankerott des Herren verzweifeln ließ. VATER ZIEMENS. Sanft ruhe seine Asche. FRAU ZIEMENS. Wir allesammt könnten dem Beispiele folgen. (ab.) VATER ZIEMENS. Des Städtchens schwacher Gemeinde wär's ein Dienst! — Gott, Gott, arbeiteten wir achtzig lange Jahre um fremden Menschen jetzt zur Last zu fallen! — Ach, hätt' ich doch kein Kind! . . . Horch, die Gartenpforte knarrt — Wer kommt? — Waren Sie im Park? Fünfte Scene. VATER ZIEMENS. KLAUS. KLAUS. Nein, aber dichtbei — hatte eine Scene, ach, eine Scene, guter Alter, die ihres gleichen sucht! VATER ZIEMENS. Ich merke! — (mitleidig lächelnd.) Wohl ging's mit der Erfindung schlecht, wohl ließ der Amerikaner euch hart abfallen? — KLAUS. Denken Sie das nicht! Albert reüssirte, viel Geld gab's, viel, viel Geld, achtmalhunderttausend Thaler, baar auf der Hand, schönste Banknoten, vollgültigste Papiere — VATER ZIEMENS. Aber — ? KLAUS. Haben Sie ein paar Heller bei sich? VATER ZIEMENS. Nein — wozu? KLAUS. Krambambuli zu kaufen. VATER ZIEMENS. Schaffte das Wirthshaus den Kerbstock ab? KLAUS. Seit Questenbergs Krisis! Jedes Gläschen Bittern verlangt's blank vorausbezahlt! VATER ZIEMENS. Diese Unbarmherzigkeit! Wie wird das in Zukunft werden! — Nun, ich will mal' die Haushaltung revidiren — KLAUS. Thun Sie das, eilen Sie! Je größer die Flasche, desto angenehmer, und wenn's ein Faß ist, wie das Heidelberger, so rollen Sie's nur heraus! ich leere es im Bewußtsein — nicht zu den schwächsten Gliedern unsers starken Volkes zu gehören! (Will ihn in die Hütte schieben.) VATER ZIEMENS. Halt, nichts gewaltsam! — Wenn der Albert soviel Geld erhielt, weshalb gab er Ihnen denn keinen Deut? KLAUS. Sie sollen's erfahren — erst Krambambuli herbei! VATER ZIEMENS. Schalksnarr, Sie beeulenspiegeln mich — ?! KLAUS. Versuchte ich das schon einmal. VATER ZIEMENS. Ei, ei, Ihnen ist schlimm zu trauen; die Welt kennt Ihr Treiben! KLAUS. Pfui, auch Sie öffneten gewissenlosen Nachreden das Ohr?! VATER ZIEMENS. So weit Freund Albert damit einverstanden. KLAUS. Freund Albert! — Alterchen, einen Menschen, der sich vom gemeinsten Gauner gängeln, aussaugen, betrügen, unterdrücken läßt, erkläre ich unzurechnungsfähig über mich zu urtheilen. VATER ZIEMENS. Sie werden abscheulich, Klaus. KLAUS. Was ich nicht blos gestern, sondern schon lange behauptet, behaupte ich heute erst recht! VATER ZIEMENS. Kennen Sie den Spruch, was Du nicht willst, daß Dir die Leute thun, das thue ihnen auch nicht? KLAUS (keck). Ja wohl! VATER ZIEMENS. Traun, so rechtfertigen Sie die schreiende Anklage. KLAUS (nachdem er sich verlegen in den Haaren gewühlt, mit erkünsteltem Lächeln.) Daß Sie's noch immer nicht glauben! — Nun denn, wir brachten's zu Tage, wir entlarvten den Elenden, heute — eben — — ich komme vom Schloß! (bei Seite mit ironischem Lächeln.) Muß lügen, um wahr zu sein! VATER ZIEMENS. Wirklich, Klaus. KLAUS. Ja, wirklich! VATER ZIEMENS. Albert entlarvte — ward wirklich betrogen!? KLAUS. Betrogen, wirklich betrogen! VATER ZIEMENS. Jesus, was erlebt man alles! KLAUS. Ah, und wie rächte sich dafür Albert! VATER ZIEMENS. Sagen Sie doch. KLAUS. Er betrog den saubern Patron wieder, indem er sich vom saubern Patron wieder betrügen ließ. VATER ZIEMENS. Das heißt — KLAUS. Ah, 's ist ein feines Stückchen wie Sie seh'n. VATER ZIEMENS. Fürwahr, denn ich begreife noch nichts davon. KLAUS. Albert verleugnete seine Meisterschaft, führte zum saubern Patron den Amerikaner, ließ es sich gefallen, daß derselbe 800,000 Thaler, sage 800,000 Thaler für die Erfindung — VATER ZIEMENS. Unmöglich! KLAUS. Ja, es geschah! es konnte gescheh'n! — Ich gerieth außer mir, protestirte mit Löwengebrüll, bat, drohte, beschwor die Geister des Himmels und der Erde, umsonst! Kalten Lächelns stand der Wahnwitzige da, gab treulos mich dem Spotte, der brutalen Gewalt des frechen Schurken preis, duldete, daß man mir — VATER ZIEMENS. Genug! — Wo weilt Albert, führen Sie mich zu ihm! KLAUS. Noch ist er wohl auf dem Schloß. VATER ZIEMENS. Kommen Sie, kommen Sie, unter meinen Augen erfand er den Webestuhl, ich bezeug's vor Gott und den Menschen, mir soll er's nicht leugnen! KLAUS (im Abgehen). Wahrheit du siegst! Sechste Scene. MARIE (sauber gekleidet, — wild erregt geht sie einige Male auf und nieder). — Wolltest ihn besitzen und entsagtest ihm — seine Zukunft retten und kränktest seine Hoffnungen — sein Glück und stießest ihn in's Verderben! Was thatst Du, Unglückselige! Und noch zur Kirche, noch beten willst gehen! Wer thront über deinem Haupte, wer lenket, führet dich! Ist's ein Wesen der Vernunft, ein Geist des Guten, ein himmlischer, versöhnender Geist! — O keinen Schritt, kehre um, bleibe heim! Hinweg, thörichtes Buch! Als sorgloses Kind fand ich Trost in dir, doch jetzt schlägst die Wunde nur tiefer, an der ich blute! . . (Volksgetöse.) Was bedeutet das? Welch' ein Haufe Volks wälzt sich die Straße herauf! Auch Mütterchen dabei? Siebente Scene. MARIE. FRAU ZIEMENS. ALBERT (in einem Korbe getragen). MARIE. Was geschah! — Wen bringest Du? FRAU ZIEMENS (zu den Trägern). Setzt hier die Bürde nieder und habt tausend Dank, wackre Männer! — Ach Tochter, Du wardst für eine schwere Zeit geboren! — Doch erschrick nicht — bleib' standhaft — MARIE. Ist's der alte Vater? FRAU ZIEMENS. Nein, Tochter — (das Tuch abhebend.) Albert — Dein Albert! Still, halte Dich still — er lebt noch — wins'le, klage nicht — schone ihn — er bedarf zärtlichster Pflege — schone, schone ihn! — Ha, bereits regt er sich — MARIE. Wie geht's Dir, mein Theuerster? — — ALBERT. Welche Stimme? MARIE. — Kennst Du sie nicht mehr — Traun, schlag' Dein Auge auf! Ich bin — bin Marie — die Gottverlassene, welche heuchlerisch, grausam, unnatürlich — blos um Dich zur Verzweiflung zu treiben — blos um Dich zu zermalmen — ja, blos, blos deshalb, Albert — den braven Eltern sich — als Verbrecherin sich — — — Albert, dem Doctor, — ich vergab ihm nichts! — Seine Versuchungen — ich wies sie ab — wies sie ab, Albert, wie es Deine — wie es meine Ehre gebot! FRAU ZIEMENS. Tochter, o Tochter! MARIE. Ach, wie blind, wie blind war ich! ALBERT. Sei's jetzt nicht, Mädchen! MARIE. Jetzt, Albert, jetzt sehe ich klar — Du bist der Edelste der Edlen! ALBERT. Was — was versichert Dich dessen? — Sage nicht Dein Herz! das richtete über mich! — Sage nicht Dein Herz! — Wer Jahre lang die köstliche Zeit müßigen Spiels verträumte, nichts, nichts unternahm, die Hoffnungen zu erfüllen, die ein theures Mädchen in ihn setzte — plötzlich das Bündel packte und ging — dann wiederkehrte — wieder — auf Grund eines — o die Scham erstickt mir das Wort! — Wer so handelte, war ein entnervter Sclave des Elends, ein schnöder Kuppler des Lasters und mußte, mußte verdammt werden! — Keine Reue, kein Mitleid mir! Wohl erkannte ich meine Schuld! MARIE. Eben, — sühntest Du sie nicht! ALBERT. Ach ich wollte es! griff zur Waffe, eilte in den Park — MARIE. O Gott! ALBERT. Aber nicht zu sterben wußte — nicht zu sterben der Feige! Häkeliche Zweifel lähmten seine Hand und er — er verfehlte — verfehlte sich! . . MARIE. Das fügte der Allmächtige zu unserm Heil! — O richte Dich männlich auf, komm' unverzagt an meine Brust, vergiß in Liebe die Schmerzen, welche wir unter der Herrschaft einer verderbten, mißgünstigen Welt uns widerwillig, gezwungen bereiteten! ALBERT. Mädchen, was sprichst Du! Wanken die Grundfesten Deiner Tugend; zehrt des Irrthums Schlange Dir am Lebensmark! Hinweg, schüttle sie ab; entfliehe meiner unheiligen Nähe! — — — O Frau Mutter, wohin brachten Sie mich! — MARIE. Ha, das — das ist Rache! — FRAU ZIEMENS. Er besinnt sich, Tochter; es wird noch alles gut! MARIE. Noch alles gut!? Mütterchen, seine Worte sind tief erwogen! — Ach, er hat mich nie — nie geliebt! FRAU ZIEMENS. Reich' ihr die Hand der Versöhnung, treib's nicht weiter! — O thu's für die alten Freunde, die in ihrem Leben noch keine, keine Freudenthränen geweint! — MARIE. Laß ihn — der Stab ist gebrochen — frohlocke er nur! FRAU ZIEMENS. Albert, bist Du taub! MARIE. Ich sage, laß ihn. — Erweise mir's zu Gefallen! — Ach, begreifst Du denn noch nichts? FRAU ZIEMENS. Sein Geist erkrankte gleich dem Deinen! MARIE. Mütterchen, er verstellt sich, wie ich mich verstellte! FRAU ZIEMENS. Er? — O Tochter! MARIE. Welches häkelichen Zweifels wegen verfehlte er sich wohl! (lächelnd) Darüber frage ihn aus, ich bitte! FRAU ZIEMENS (sich vor die Stirne schlagend, als würde ihr plötzlich ein Räthsel gelöst). ... Sollte das möglich — Aber nicht doch, Tochter, Du schwärmst! MARIE. Untersuche seine Wunde! Du findest keine — das Blut da an seinem Kleide ist falsches Blut! — Wollen wir wetten? — — O glaub' mir, ich durchschaue alles, die ganze Comödie! — — Gefehlt! gefehlt! — Mit dieser Kunst, armseliger Gaukler, bestichst — gewinnst Du mich nicht! — Nimm Deinen Korb nur untern Arm und ziehe, wohin Du gehörst, ins Reich der Finsterniß! — — (Sie stößt mit dem Fuße an das Gebetbuch, welches sie vorher wegwarf). Was ist das? — Wie kommt das — das hierher. . . Ha, woran's mich erinnert! — Albert, Albert, ich rase! — Weh, hab' ich keine Vernunft, kein Gedächtniß mehr! — Schütze, o Mutter, schütze mich vor mir selbst! . . . (Fällt der Mutter betäubt in die Arme.) FRAU ZIEMENS. Himmlische Mächte, giebt's keinen Frieden für sie! — — — O nur herbei, wackerer Klaus, hier stieg die Noth auf's Höchste! Achte Scene. DIE VORIGEN. KLAUS. KLAUS. Mich sendet kein guter Engel! Erwarten Sie von mir weder Hülfe noch Trost! Die Botschaft, welche ich bringe — doch zuvor geleiten wir die Jungfer in die Hütte — es wird für sie zu viel! MARIE. Was mich noch treffen kann, ist nicht das Schlimmste mehr! Berichten Sie nur, Klaus! KLAUS. Nun denn, die Geschichte mit dem Amerikaner hatte den wundersamsten Erfolg — es klänge uns, so wahr ich Klaus heiße, ein Milliönchen in der Tasche, ja, ja, ein Milliönchen — MARIE. Ich verstehe nichts! . . . Wer ist der Amerikaner? welches die Geschichte? KLAUS. Frau Mutter weiß bereits davon. . . FRAU ZIEMENS. Ihr's zu erzählen hielt ich für Narrheit, denn ich konnte nicht glauben, Klaus, nicht glauben — KLAUS. Es war keine, keine, Frau Mutter! Alles ging nach Wunsch und wider Erwarten . . . FRAU ZIEMENS. Alles nach Wunsch!? KLAUS. Bis auf zwei Todte leider! FRAU ZIEMENS. Zwei To — wie? KLAUS. Den einen haben Sie schon, der andere ist unterwegs. FRAU ZIEMENS. Wer? — O sagen Sie! MARIE. Hastigen Schrittes, ich sah's durch's Fenster, entfernten Sie sich mit dem Vater — KLAUS. Zu dienen. MARIE. Wo blieb er!? KLAUS. Beim Herrn im Schloß, zu seinem — unserm unseligsten Verhängniß! FRAU ZIEMENS. O mein Kind! KLAUS. Beten Sie für ihn! MARIE. Sein Leben war ehrenvoll, dessen bedarf's nicht! KLAUS. Wahrlich, könnte man gleich ihm sich rühmen, so athmete leichter das Herz! Er war ein frommer Dulder, hatte stets große Gefühle, schöne Gedanken, krümmte sich nicht wie unsereins, dem schwachen Wurme gleich im Pfuhle der Verdammniß und hungerte nach Staub! — Doch schirmt mich Geister! Neunte Scene. DIE VORIGEN OHNE FRAU ZIEMENS. MARIE. Hörtest Du, Albert? KLAUS. Er! oder nur sein Gespenst?! MARIE. Er selbst, Klaus! Die Kugel tödtete ihn nicht. KLAUS. Und so starb der Alte denn umsonst! ALBERT. Wirklich, ist's wirklich wahr! KLAUS. Wie Dein Verdienst am neuen Webestuhl! — Der edle Greis, dasselbe mir vor Questenberg bezeugend, wie's meine Ehre fordert, wird von der Kunde Deines Frevels überrascht, taumelt schwindelnden Haupts, erseufzet beklemmt: „verloren mein Kind!“ und liegt entseelt mir im Arm. ALBERT. O schauder — schaudervoll! KLAUS. Höchst schaudervoll! MARIE. Gemach, Klaus! Keine Vorwürfe, keinen Zorn! — Ihre Hand, braver Mann! — Gönnen wir dem Schicksal den schrecklichen Triumph, preisen die Vorsehung, welche nicht anders es fügte! KLAUS. Immerhin! sagt der Beklagenswerthe dazu Amen. MARIE. Was bleibt ihm übrig in seiner Ohnmacht! ALBERT (wirft sich ihr zu Füßen). MARIE. Nicht also! Stehe auf! Alles ist gut! — Welcher Gewinn, trotzten wir ferner unerforschlichem Rathschluß! KLAUS (ihn aufhebend). Folge ihrem Wunsch; Du sühnst nicht anders das Geschehene! ALBERT. Weh, wehe mir! — Ach, es straft mich härter als der Tod — bricht meine Seele in tiefster — tiefster Brust! — Marie, Marie, unsere Sonne — dort ging sie unter! MARIE. Blicke dorthin, Theurer, dort erscheint ihr feurig Antlitz Dir von neuem, herrlicher als je zuvor! Vertrau' dem Schöpfer nur und seinen himmlischen Gesetzen, die er geheimnisvoll vor Deinem Auge birgt! KLAUS. Ein trefflich, ein erhaben Wort! Die einzige Wahrheit, welche feststeht! Wie auf Kälte Hitze, Winter Sommer, folgt nach Trauer auch die Freude wieder! Ewigem Wechsel ist alles unterworfen, Himmel und Erde, Thron und Scepter, Rechte und Knechte! Heute ein kümmerlicher Lazarus, nach einem Jahr vielleicht ein vornehmer Herr, mit prächtigen Rossen stolz umherkutschirend und gleich dem duftigsten Dandy, bei den ersten Damen unserer Stadt in Schwung! Gesetzt nur, Du spanntest jetzt die Segel straff, steuertest als echter Römer, kühn von Entschluß und That, in Frau Fortuna's Hafen, hieltest dann mir Dein gegebenes Versprechen, daß ich am Lottospiel der Börse mich betheiligen könnte — He, sollte zum Ergötzen Lucifers nicht bald mein hageres Gesicht in einen Vollmond sich verwandeln, der durch seines Glanzes schnell erborgter Fülle, aller Weisheit feigen Schneckengang, aller Tugend unfruchtbares Darben, aller Priester wirkungslose Predigt, geringschätzig belächelt! — Was meinest Du! Wenn wir sogleich uns auf die Füße machten und retteten was noch zu retten! Wie? Gieb einen Laut von Dir! — Darf's nicht um meinetwillen sein, so thu' es für Marie und ihre Mutter, der Du den sicheren Ernährer raubtest! — Komm'! — Leih'n Sie ihm den Arm nur, Jungfer. MARIE. Wohin? errieth ich Ihre Absicht. KLAUS. Nachher davon. ALBERT. Klaus, Klaus, es ist zu spät. KLAUS. Das Mögliche niemals! Und wer da weiß, daß alles möglich, achtet keine Stunde! Hurtig, Jungfer; folgt er in Güte nicht, so üben wir Gewalt! ALBERT. Wie ich Dir sage, Klaus. KLAUS. Bring' mich nicht auf! Komm', sei gehorsam! Ohne Genugthuung für die mir zugefügte Schmach entrinnst Du meinen Händen nicht! Ich schwör's bei einem Buckel Schläge Dir! Ja, ja, das merke! ALBERT. Ließe sich Geschehenes noch ändern! KLAUS. Bube, ich handle nach Gewissen! MARIE. Welch ein Erkühnen! KLAUS. Hindern Sie mich nicht, Recht und Gerechtigkeit zu üben! MARIE. Ich respectire die Freiheit Ihrer Person und fordere ein Gleiches für ihn! KLAUS. Das darf nicht geschehn. MARIE. Sie sind ein Tyrann! KLAUS. Ich würde mich zum Verbrecher an mir selber machen, erduldete ich schweigend, daß Jemand — und wär's mein Feind — schnödester Spitzbüberei, wie der, zum Opfer fiele! MARIE. Ihre Verblendung ist groß! KLAUS. So klein Ihre Erkenntniß! ALBERT. Gebiete Deiner Hitze, ehrenwerth'ster Freund, und vermittle Dich mit uns'rer Ansicht! KLAUS. Strotzend voll Bibel- und Magisterweisheit! Habe Dank, ich bin ein Heide, unempfänglich für solchen Tand! ALBERT. Traun, so erwäge, daß die Achtmalhunderttausend bereits verschlungen wurden von den Gläubigern! KLAUS. Bereits! ALBERT. Sie waren just versammelt, als wir das Geld dem Herrn brachten. . . Das weißt Du nicht?! KLAUS. Wohl, wohl! Schon erinnere ich mich! Ja, verlor'ne Müh' wär's, gingen wir die Schenkung widerrufen! Hin ist hin! Sinke Hoffnung; ihr luftigen Schlösser brechet zusammen, Klaus baute auf Sumpf! — Man sollte es aber nicht denken! Ein Mensch, so viel erfahren, so reich begabt, nennt edelmüthig unter Schurken — christlich! Entsagung persönlichen Vortheils, irdischer Freude — gottgefällig! Selbstmord — höchstes Rechtthun! vernünftig denken, bedeutsam wirken — ruchlos, verbrecherisch! das kalte Grab allein — Erlösung aus Sünde und Elend! — O hätte doch ein Kind, das schmeichelnd seiner Mutter Brust begehrt, ihm lehren können, wie hohl und nichtig er berathen! Ach, ach, ist es ein Fluch der menschlichen Natur, daß sie, je reifer, desto sinnbethörter wird! — Traun, Du warst Dir consequent bis in den Park; doch weil die Kugel Dich verfehlte, was weiter nun!? Durch welch' ein Mittel, gleich dem großen Märtyrer hinab zur Hölle, dann gen Himmel fahren! — Bist Du von Gott gesandt, die Welt frisch zu entsühnen, so sprich! wenn nicht, verschreib' dem Teufel Deine Haut und ducke unter in den Schlamm, dem Du entkrochst! ALBERT. Ich that es Freund, mit einem Herzen aber, das es leugnet! — Halb Thier, halb Engel, ein Zwitter von Licht und Nacht, schlepp' ich mein Leben unter Schmerzenskrämpfen weiter, ringe mit Himmel und Erde um ein unerkanntes Ziel, verschwinde dann, wie ein Gebilde flücht'ger Fantasie, im dunkeln Strom der Zeit! — Was hast Du . . . KLAUS. Kehre Dich um und sieh! ALBERT. Gott, Gott! — Wie findest Du das? KLAUS. Erst wissen, was er bringt. . . ALBERT. Vielleicht Befried'gung Dir, wonach gewaltsam Du vergeblich rangst! Zehnte Scene. DIE VORIGEN. FRAU ZIEMENS. QUESTENBERG U. SOHN. QUESTENBERG. Wo ist der brave Mensch! — Ach liebster, bester Albert, ich feiere den hundertjährigen Geburtstag, werde nun kahlköpfig und in Krücken gehn. ALBERT. Ich handelte zu grausam, mein Gebieter. QUESTENBERG. Fast möchte ich's behaupten. ALBERT. Es reuete mich gleich — woher denn wohl zur Reue über diese Reue, der böse Geist mir hindernd in den Weg trat! QUESTENBERG. Hörst Du, Sohn? Bin ich kein Seelenkenner! . . . Nein, nein, der sanfte Albert konnte sich nicht tödten! — Ich erwog es reiflich; säumte deshalb Lärm zu schlagen, hielt mich hübsch zu Hause, hübsch, hübsch, hübsch! — Ach mein Jesus, wär' ich aber nur gleich einem Rasenden durch Straßen, Feld und Wald nach ihm hübsch suchend umgeirrt und ausgewichen hübsch dem finstern Zufall! Ach, ach, warum doch sind wir Menschen immer hübsch gescheidt! ALBERT. Es leiht den Dünkel uns, daß mehr wir seien als wir sind! QUESTENBERG. Zu ew'ger Täuschung! — Weh, o weh! — Dieser alte würdige Mann! — Woher die Kraft mir kam, das zu bestehn! ALBERT. Des Unglücks Schauder wachsen in die Ferne; unmittelbar ergreifen sie uns wenig! QUESTENBERG. Wenn das der Fall ist, zittre ich und bebe! Mein armer Kopf will jetzt bereits — ein Stündchen erst nach dem Ereigniß — in wilder Fiebergluth aus allen Fugen gehn! ALBERT. Vernehm' ich dies von Ihnen; welche Sprache bleibet mir noch übrig? QUESTENBERG. Wie das, mein Goldfisch. ALBERT. Ruht nicht auf mir die größte Schuld!? QUESTENBERG. Auf Ihnen! ALBERT. Ja oder nein — gleichviel! ich messe sie mir zu, da ich so gut als Sie und alle wir geborne Heuchler sind. QUESTENBERG. Albert, Albert, ich ward ein Anderer! Hier den Beweis! (Er zieht ein Portefeuille mit Geld aus der Tasche und reicht's ihm). Ein Theil der Gläubiger, bereuend ihres Mißtrau'ns Ungestüm, gab mir das Geld zurück. ALBERT (bei Seite). Verletzte Eitelkeit scheinheil'gen Herrenstolzes — nichts — nichts weiter! Ach, schaute ich den Grund von keiner That! QUESTENBERG (zudringlich, da Albert das Geld zu nehmen zögert). Demüthigen Sie mich nicht tiefer! ALBERT. Ich lehnte es schon einmal ab. KLAUS (ironisch). Hast Du ein Herz von Stein! QUESTENBERG. Entledigen Sie mich der Sündenlast! KLAUS. Sei christlich! ALBERT (nimmt das Geld und reicht es Klaus, der erschrocken zurückbebt). Da! für Dich! KLAUS. Alles! ALBERT. 's ist Dir noch lange nicht genug! Geh' hin und häufe mehrend es bis in den Himmel! KLAUS. Bruder, Bruder, ich wurde schwach geboren! . . . (Mit tiefer Verbeugung nehmend). Hab' besten Dank! . . . (Umhüpfend und das Geld zählend). Lauter giltige Papiere — fünf — zehn — zwanzigtau — Kinder, helft! führt zu den Nachbarn mich, die nicht mehr borgten, daß ich den Mammon ihnen zeige, wie mit der Meduse Schlangenhaupt, sie wandele zu Stein! Ach Gott, mit einmal reich! Nie lernte ich an etwas glauben und nun, nun bin ich dieser Lumpen Gläubiger! — Wie abgegriffen und welch' Inbegriff! — Gift für den Staat und Medicin für mich! — Adieu, mein Bruder! Der Augenblick zu großen Unternehmungen ist günstig; ich reise morgen nach Paris und spekulire auf das Kaiserreich! Kommt es zu Stande, was der Himmel fügen möge, so zahl' ich von Napoleon's Gnaden alles Dir zurück und trage Sorge, daß Du bald den Herrn Questenberg hier spielst! ALBERT. Leb' wohl und bleibe der Du warst. KLAUS. Dein Freund auf ewig! Eilfte Scene. DIE VORIGEN OHNE KLAUS. ABENDDÄMMERUNG. QUESTENBERG. Ob Sie des Mitleids würdig oder der Bewunderung, ob Weisheit oder Wahnsinn Sie beherrschet, zag' ich zu entscheiden. ALBERT. Im Geben, nicht im Nehmen, theurer Herr, bestehen meine Freuden. QUESTENBERG. Gedächten Sie auch meiner dann in Großmuth! ALBERT (ihm gerührt die Hand schüttelnd). Verzeihung, ach, was wäre das! ein leerer Schall! Nein, dienen wir fortan der Zeit als echte Menschen, streben ihrer kranken Glieder große Noth durch gutes Beispiel, Rath und That zu mildern, und schnell verwandeln die gewalt'gen Schmerzen, welche unser Herz entzwei'n, in Achtung sich und Bruderliebe! QUESTENBERG. Amen! Amen! Sie braver, wackerer Mann! Auf solch' ein bibelfestes Wort, komm her und reich' auch Du die Hand ihm! — So! so! so! Und nun, senke dich, o Nacht; der Friede ward geschlossen! — ALBERT. Träumen Sie von Paradiesesengeln! QUESTENBERG. Geleit' mich, Sohn; ich bin ein wenig schwach zu Fuß . . . Doch still, etwas vergaß ich noch . . . Hier, der Erstling unsres neuen Webestuhls! — Die Welt wird sich darin entzückt im Spiegel schau'n! (Albert nimmt das Stück Zeug, welches Questenberg vor ihm entfaltet, wischt seine Thränen damit und tritt zu Marie, die in des Doctors Nähe steht.) ALBERT. Mädchen! — Sieh, sieh her! — Der Stoff zum Kleide für die Hochzeit und — zur Todtenfeier Deines Vaters! . . . (Dumpfe Stimmen im Hintergrunde. Man ruft: „Platz da, macht Platz!“ — Aus weiter Ferne kündigt sich ein Gewitter an. — Die Leiche des Vater Ziemens, auf einem goldenen Stuhle sitzend, wird von Questenberg's Dienern unter Fackelschein hinten über die Scene getragen.) *** End of this LibraryBlog Digital Book "Der Bankerott - Eine gesellschaftliche Tragödie in fünf Akten" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.