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Title: An Deutschlands Jugend
Author: Rathenau, Walther, 1867-1922
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "An Deutschlands Jugend" ***


produced from images generously made available by the
Bibliothèque nationale de France (BnF/Gallica) at
http://gallica.bnf.fr)



                        An Deutschlands Jugend

                                  von

                           Walther Rathenau


                                 1918

                          S. Fischer • Verlag
                                Berlin



                           1.-20. _Tausend_

        Alle Rechte vorbehalten, besonders das der Übersetzung



Inhalt


Zueignung und Aufruf       5

Zweifel                   18

Glaube                    42

Krieg                     74

Charakter                 97



Zueignung und Aufruf


In dieser feierlichen Zeit des Abschiedes wende zu euch ich mich,
Menschen der deutschen Jugend. Nie hat eine Menschheit so bewußt und
verantwortungspflichtig an einer Scheide der Zeitalter gestanden. Die
Stunde hält ihren Atem an, zu lang für das bangende Herz, zu kurz für
das flatternde Gewissen, der Klöppel holt aus. Ist der Schlag
verklungen, nach Menschenjahren, Sekunden des Äon, so stehen wir in
fremder Welt und Zeit, beladen oder entsühnt, und blicken durch den
Tränenschleier des Krieges nach dem entsinkenden Reiche der Gewesenheit.

Unbewußter, zweifelfreier waren die, die vor weniger als hundert Jahren
durch den Nebel der Weltkriege das rosenfarbene Jahrhundert verschwimmen
sahen. Die Revolution hatte ihnen eine brauntuchene bürgerliche
Sicherheit gegeben, der Krieg hatte mehr geschlichtet als genommen, sie
fühlten beschäftigt das Nahen von Wissenschaft, Technik und Kapital und
konnten sich dem überlassen, was sie Restauration nannten, und was der
häßlichste Nutzbau der übervölkerten, mechanisierungsdurstigen Welt war.

Der Bau wuchs; in den höchsten, luftigsten und frechsten Geschossen des
Himmelskratzers sind wir geboren und haben wir gelebt; jetzt bricht er
nieder, aus Mangel an Gerechtigkeit und organischer Kunst, die man
verschmäht hatte, hineinzubauen. Er hatte kein Fundament, stand auf dem
Schuttplatz der französischen Revolution, die Raum geschaffen hatte,
aber keinen Baugrund. Bis in seine höchsten Zinnen, die Nationalismus
und Imperialismus hießen, trug er keine Idee in sich, nur ein
empirisches Gleichgewicht der Kräfte; alles was Idee hieß, rankte sich
äußerlich empor und zermürbte seine Wände.

Keine neue Revolution kann uns die Arbeit erleichtern, denn die
Zerstörung ist da, wir brauchen sie nicht zu rufen. Was gefordert wird,
ist Arbeit, langsamer, heiliger Neubau, Dombau. Aus tiefen, geheiligten
Herzen und neuem Geist. Nicht aus der Frechheit, die sagt: Laßt mich
nur, ich bin schlau und vernünftig, ich will einmal versuchen. Nicht aus
satter Interessiertheit, die sagt: Wir werden alles reparieren. Nicht
aus Stumpfheit und bürgerlicher Blöde, die sagt: Kommt Zeit, kommt Rat.

Die Schicksalsstunde webt nicht über Schlachten und Konferenzen, Brand
und Löschung, sondern über der Bauhütte, über ihren Meistern und
Gesellen, dem Geheimnis ihres Grund- und Aufrisses und dem Geist ihrer
Gemeinschaft. Der entscheidet die Jahrhunderte, deshalb haben wir vom
Geist zu reden.

Mit euch, Deutschlands Jugend, will ich reden. Den Genossen meines
Alters habe ich nicht mehr viel zu sagen. Mein Herz habe ich vor ihnen
ausgeschüttet, mein Glauben und Schauen, Vertrauen und Sorgen ihnen vor
die Seele gehalten. Viele haben meine Schriften gelesen, die Gelehrten,
um sie zu belächeln, die Praktiker, um sie zu verspotten, die
Interessenten, um sich zu entrüsten und sich ihrer eigenen Güte und
Tugend zu erfreuen. Wenn warme Stimmen zu mir drangen, so kamen sie von
Einsamen, von Jungen, und von denen, die nicht altern und nicht sterben.

Von den Alten habe ich nichts gewollt als Mitdenken und Mitsorgen,
Prüfung, Besinnung. Nichts anderes will ich von euch. Prüft meine Worte
an euren Gedanken, in euren Herzen; seid auf eurer Hut, verwerft, was
euch nicht innerlich ergreift, die verbohrte Meinung, den bestechenden
Einfall. Nicht ein Führer unter euch vermesse ich mich zu sein, nicht
ein Berater, ich will mit euch erörtern und erwägen. Auch huldige ich
euch nicht; ihr seid ein neues Geschlecht, kein anderes Volk als eure
Väter, ihr seid ihnen ähnlicher, als ihr meint. Ihr seid eine Hoffnung;
auch wir sind eine Hoffnung gewesen und keine Erfüllung geworden,
obgleich es manche unter uns gab, die den Weg sahen und wiesen. Ich
huldige auch dafür euch nicht, daß ihr in den Krieg geboren und
gewachsen seid. Den Krieg haben unsere Väter verschuldet, also haben wir
ihn verschuldet; den Krieg haben wir verschuldet, also habt ihr ihn
verschuldet. Derer, die getötet worden sind und getötet werden sollen,
gedenkt mein Herz in jeder seiner Nächte, und am heißesten umfaßt es
die, denen es schwer wird, und die sich fürchten. Jeder, der mit seiner
Seele in den Krieg verstrickt ist, alt oder jung, fürchtet sich und
zittert, und weint Tränen, die nach innen fließen und das Herz
verbrennen. Auch dafür nicht, daß ihr ungebrochen und stark, voll
Anspruch und ohne Zweifel seid, huldige ich euch. In zwanzig Jahren sind
eure Verwegensten alt, enttäuscht und philisterhaft, nicht um des
Großen, sondern um des Kleinen willen, und es wird viel sein, wenn
abermals dereinst einige aufstehen, weil sie ihr Herz warm erhalten
haben, um zaghaft und überwältigt zu euren Kindern zu reden. Um des
Glaubens willen an unsere deutsche Erde rede ich zu euch, um der Liebe
willen zu euren Vätern, euren Kindern und am meisten zu euch, um der
Hoffnung willen, die ihr seid und alle, die nach euch kommen. Denn ihr
werdet das Reich betreten, das uns verwehrt ist, auf euch liegt die
Verantwortung und die erste Entscheidung.

Werdet ihr mich hören? Manche von euch, die ursprünglichsten, sind
sorglos, dem Denken abgewendet, mit billigem zufrieden und eng
autoritär; manche, die klügsten, sitzen in ihren Schreibstuben und
Preßzentralen, pochen auf ihre Vernunft und Abstraktion und warten, daß
ihrer geschulten Dialektik zuliebe die Welt sich wie Sankt Hieronymus’
Löwentier aufblickend zu ihren Füßen schmiege.

Verschließt ihr euch aber vor mir, so rede ich zu mir selbst und meinem
Schöpfer, denn reden muß ich und darf nichts verschweigen, obwohl ich
weiß, daß jedes Wort mir neuen Unfrieden schafft bei denen, die mich
hassen und verfolgen. Dann werden andere kommen, helleren Geistes,
reineren Herzens, edlerer Art, die Glauben erzwingen für das, was sie
verkünden und was ich nur stammle. Denn das ist freilich wahr: Nichts
ist in mir, das den Willen rechtfertigt, gehört zu werden, außer dem
Glauben an die Seele und ihre Verwirklichung.

In mir aber ist nichts verwirklicht, und will ich zu euch reden von
unseren gemeinsamen Schwächen, Trübheiten und Klärungen, so muß ich frei
vor euch mich zu der Problematik bekennen, die man mir vorwirft, damit
ihr ungetäuscht so hart und milde wie ihr wollt urteilt, und muß euch
sagen, wer ich bin.

Ich bin ein Deutscher jüdischen Stammes. Mein Volk ist das deutsche
Volk, meine Heimat ist das deutsche Land, mein Glaube der deutsche
Glaube, der über den Bekenntnissen steht. Doch hat die Natur, in
lächelndem Eigensinn und herrischer Güte die beiden Quellen meines alten
Blutes zu schäumendem Widerstreit gemischt: den Drang zum Wirklichen,
den Hang zum Geistigen. Die Jugend verging in Zweifel und Kampf, denn
ich war mir des Widersinns der Gaben bewußt. Das Handeln war fruchtlos
und das Denken irrig, und oftmals wünschte ich, der Wagen möchte
zerschellen, wenn die feindlichen Gäule auseinanderstürmend sich ins
Gebiß legten und die Arme erlahmten. Das Alter sänftigt. Noch immer ist
der überschüssige Wille nicht ganz gebrochen, noch immer stehe ich im
praktischen Handeln, doch nicht um eigener Ziele willen. Und manchmal
scheint es mir, als sei aus diesem Handeln auch etwas in meinem Denken
befruchtet worden, als habe die Natur mit mir den Versuch vorgehabt, wie
weit betrachtendes und wollendes Leben sich durchdringen können. Ein
Zeichen des Friedens wurde mir gegeben. Als ich zum ersten- und zum
letztenmal, nicht freiwillig, sondern von Not gezwungen, mich den
Getrieben des Staates näherte, da wurde durch das geringe Werkzeug
meines Kopfes und meiner Hände vom deutschen Willen aus einem Gusse
eines vollbracht, das sonst nicht im Schaffen eines Einzelnen
beschlossen ist: die bewußte Schöpfung einer neuen Wirtschaftsordnung,
die nicht vergehen kann und alle künftigen Wirtschaftsformen in ihrem
Schoße trägt. Das war wohl die sichtbare Frucht, die der alternde Stamm
nach auferlegtem Willen tragen durfte; nun schüttet er die verspäteten
Knospen und Blätter in euren Schoß.

Grund meines Redens ist nicht der Krieg, sondern der geistige
Niederbruch, den er offenbart, nicht die Furchtbarkeit dessen, was ist,
sondern dessen, was war und was bevorsteht. Die Stumpfesten glauben ein
Gewitter zu sehen, kurz und heftig meinten sie zuerst, heftig und
absehbar meinen sie jetzt, und denken bald wieder da anzufangen, wo sie
aufgehört haben, am liebsten möchten sie ihn als Mittel betrachten, um
einige ihrer alten Zwecke zu erreichen.

Andere trösten sich mit einer Theorie wirtschaftlicher Evolutionen:
immer haben Kriege die Übergänge der Wirtschaftsformen begleitet, dieser
ist größer, doch nichts anderes; wir werden den Endzustand erwarten und
versuchen, ihn nach unserem Willen zu lenken. Sie haben nur zur Hälfte
Unrecht, denn dieser ist wahrhaft der Weltbrand des europäischen
Sozialgebäudes, das nie wieder erstehen wird. Doch ist nicht jede
Brandstätte ein Baugrund, manche ist wüst geblieben und manche zur
Spukstätte für Gespenster und Gesindel geworden.

Die wenigen, die das Ereignis kommen sahen, so wie es ist, nicht als
mannhaften Zweikampf, nicht als frisch-fröhlichen Reiterkrieg, sondern
als Weltgericht: diese wenigen haben es verkündet, nicht als
politisch-wirtschaftliche, sondern als sittliche Notwendigkeit, als
Blutgericht, um zum letztenmal die Seele und das Gewissen, die Würde und
Gerechtigkeit der westlichen Welt zu wecken und zu retten.

Wir gingen zugrunde mit aller Üppigkeit der Technik und mit dem
verruchten Stolze unseres banalen Wissens; und wir gehen weiter und
unaufhaltsam zugrunde, mit und trotz und wegen aller Opfer, so wir nicht
begreifen und uns ermannen.

Noch jetzt, im fünften Jahr, sind die Nationen nicht fertig, ihre
Kriegsgründe, Kriegsursachen und Kriegsziele zu erklügeln – freilich,
sie wissen sie nicht und werden sie nicht wissen! – Weltanschauungen zu
erdichten und zu ertüfteln, die sie nicht haben, Charaktere einander
vorzuwerfen, die sie aus Zeitungen oder von mißvergnügten Reisenden
erlernt haben. Noch heute beschimpfen sich Staatsleute und strafen sich
Lügen, und deuteln an ihren Forderungen. Nüchterne Polizeiideale werden
angepriesen, kapitaldurstige Kreuzzüge werden gepredigt, unüberzeugte
Gerechtigkeiten werden gefordert. Und im Innern der Völker blüht
Kriegswucher, Geschwätz und Roheit, während treuherzige Jugend an den
Fronten verblutet.

Was sind alle Zerstörungen und leiblichen Opfer verglichen mit den
Zuckungen und Verzerrungen des europäischen Geistes? Dies Leiden ist
nicht dem Kriege entsprungen, es lag in uns, und was wir schaudernd
sehen und fühlen, ist nur der Paroxysmus des Ausbruchs. Und diese
Krankheit geht nicht mit dem Kriege, nicht durch den Krieg zu Ende; in
erneuten Schreckensformen, mit inneren Giften und Zersetzungen zehrt
sie weiter bis zur tödlichen Erschöpfung. Die Geisteskrankheit, der
sittliche Wahnsinn Europas ist heilbar nur durch die Macht des
Gewissens, die Gewalt der Umkehr und Einkehr. Die nüchterne
Wirtschaftsrechnung verschlägt nichts, sie mag den Apotheker bezahlen.

Ist uns Rettung bestimmt, so dringt sie aus unseren Tiefen. Kein
Staatsmann kann helfen, kein Staatsakt, keine Änderung der
Einrichtungen. Denn wäre selbst alles aufs beste geschaffen und
bestimmt, es zerschellte und zersplitterte am Wust der Interessen, an
der Überzeugungslosigkeit, an der Indolenz, an der geistreichen
Tüftelei, am falschen, eitlen Individualismus, und sänke zurück ins
Chaos. Wurstelei und Gewaltherrschaft sind die einzigen Formen, die den
anarchischen Körper im Scheindasein erhalten können, und beide ertöten
vollends den Geist.

Dies ist die Frage, die dir, deutsche Jugend, gestellt ist: Kannst du
noch einmal den deutschen Geist zur Einheit der Überzeugung, zur Treue
der Weltanschauung aufrufen? Es sei nicht die heilige Einheit des
Mittelalters, die bleibt uns verloren; es sei eine vielfältige Kraft,
doch darin einig, daß sie das Geistige über das Irdische stellt. Dann
mag sie vielspältig, mag sie vom Glauben aller Welt verschieden sein,
denn zwischen echten Anschauungen gibt es zwar keinen Frieden, doch
keinen tötenden Haß und jederzeit die wölbende Synthese.

Kannst du Menschen finden und sammeln? Nicht Heilige, nicht Genien, doch
Geistige, Aufrechte, frei und weit Blickende, Würdevolle, Spendende,
Innerliche, Wirkende; nicht Umhüllte von Interessen, Standesverblendung,
Seichtheit, Streberei, Phrase, Liebedienerei, eitler Geschäftigkeit?
Denn vergiß nicht: Wäre ein deutsches Paradies auf Erden verwirklicht,
wir hätten heute die Menschen nicht, es zu verwalten. Blicke um dich,
auf diese Parlamente, diese Ämter, diese Akademien –, überall der
gleiche Ton, die gleiche Redensart, die gleiche mechanisierte
Sicherheit, bestenfalls hier und da ein wenig weltfremde, spintisierende
Grübelei, und nirgends ein Mensch, der auch nur von ferne den alten
mannhaft Großen gleicht in allen diesen redenden und schaustellenden
Berufen. Die Besten des Landes sind einsam an ihren stillen Werken,
einseitig, aufgezehrt, gealtert, dem Treiben abhold. Wir alle müssen
abtreten, zurück in Finsternis und Vergessenheit; wir haben das Unsere
nicht getan, wir sind nicht die Rechten.

Unter denen, die weitab, hilflos, ihrer Unzulänglichkeit bewußt, der
Wende unwürdig das Geschick sich erfüllen sahen, habe auch ich meine
Stimme erhoben, das Drohende ausgesprochen, das Geschehene gedeutet und
das Kommende dargestellt. Was die Zukunft fordert und dereinst erzwingen
wird, die Änderung von Einrichtungen und Gesinnung, den wirtschaftlichen
und sozialen Ausgleich, die Durchgeistigung und Versittlichung der
Wirtschaft habe ich geschildert und die Vollendung irdischer Ordnung im
Reich der Seele. Unverbrüchlich glaube ich an diese Dinge, denn sie sind
im Anzuge, ja sie sind unsichtbares Schicksal geworden, denn sie sind
erschaut, ausgesprochen, erhört und somit im Geiste verwirklicht.

Doch die Liebe zur Heimat überwiegt alles und verlangt, die kommende
Gerechtigkeit und Adelung möchte als ein Werk deutschen Geistes, als ein
Geschenk deutschen Herzens an die Völker in die Welt treten,
Deutschland möchte nicht zag, spät und verdrossen dem Weltlauf folgen,
Deutschland möchte den Anspruch auf Führung und Verantwortung, also den
Anspruch auf eigenes Leben nicht mürrisch und verbittert jüngeren
Völkern preisgeben, um sich, so lange es geht, feindselig alternd hinter
trockenen Rechten und böser Gewalt zu verschanzen.

Und abermals werde ich mutlos und frage: Wo sind die Menschen? Wo sind
in dieser Zerfahrenheit der Interessen, der Stumpfheit, der
selbstverliebten Geschwätzigkeit, in dieser Unklarheit der Wertungen, in
der prüfungslosen Verbohrtheit der Standesmeinungen, in der Verfilzung
der Staatseinrichtungen – wo sind noch Ansätze möglich für die
Keimkräfte des neuen, reinen, freien Lebens? Kann es außerhalb einer
politisch beeinflußten Tagesmeinung überhaupt noch eine geistige
deutsche Überzeugung geben? Wenn deutsche Gedanken entständen, wirkliche
Gedanken des Geistes und Herzens, Ideen, nicht Forderungen alltäglicher
Nützlichkeit noch gehässiger Zeitungs- und Versammlungsdunst –, können
solche Gedanken in Deutschland noch Träger und Verwirklicher finden? Ist
unser Volk einer nicht bloß herkömmlichen, nicht bloß interessierten,
nicht bloß agitatorischen Anschauung noch fähig? Was sind überhaupt die
Voraussetzungen für die Möglichkeit einer deutschen Anschauung? Und sind
sie verwirklichbar?

Die erste Prüfung endet freilich schlimm. In keinem Lande der Erde wird
soviel wie bei uns von Anschauung, Weltanschauung, Kultur und Ideal
geredet. Das kommt daher, daß wir in der vormechanistischen Epoche eine
wundervolle Blüte des Geistes erlebt haben. Das war in einem kleinen,
in den Tiefen kaum emanzipierten Volke mit einer Schicht von knapp
fünftausend Gebildeten, einem Volk also, das eigentlich nur aus
sichtbarem Geist bestand, oder in dem nur der engverschwisterte,
uninteressierte Geist das Wort hatte. In den letzten drei Menschenaltern
war die Zahl und Kraft der idealistischen Geister so gering, daß es
zweifelhaft erscheint, ob unsere wissenschaftliche, technische und
organisatorische Zivilisation noch den Namen einer Kultur verdient.

Als wir in den Krieg zogen, fragten uns die Neutralen nach der
Weltanschauung und den Idealen, für die wir kämpften. Wir erklärten
ihnen, unsere Feinde seien Händler, wir aber verträten eine heldenhafte
Weltanschauung, wobei denn freilich der ganze bei uns herrschende
Kapitalismus abgeschaltet werden mußte, der technisch-organisatorische
Teil der Kriegführung im Dunkel blieb, und die Gegenfrage abgelehnt
wurde, wieweit wir Kellner, Barbiere und Handlungsreisende, die in
unserem Namen die Welt versorgten, in das Heldenideal einzubeziehen
wünschten.

Dann haben uns Gelehrte ein Ideal der deutschen Freiheit beschieden, das
weniger eine Freiheit als eine sympathische Unfreiheit war, das
auffällig mit den herrschenden Zuständen übereinstimmte und im Kern auf
einen Lobpreis der Professorenlaufbahn hinauslief.

Auch das altliberale Bürgerideal hat man uns anzupreisen versucht, mit
schüchterner Loslösung von seinem englisch-französischen Ursprung, das
gern auf demokratische Ausgelassenheit verzichtet, sofern es einem jeden
freisteht, ungestört und unbekümmert vom Nächsten und vom Staat, seinem
förderlichen Beruf nachzugehen.

Die sogenannten Machtideale bedürfen keiner Erwähnung. Sie passen auf
jeden, der die Mittel zu haben glaubt oder sucht, um sich auf Kosten
anderer Vorteile zu schaffen.

Nun ist es von Weltanschauungen stiller geworden, und wir beschäftigen
uns wieder vorwiegend mit Interessen und Tagesfragen. Wo sind die
deutschen Ideale, wo sind ihre Träger?

Wir haben sieben Millionen Arbeiter, die zum großen Teil von
Schulagitatoren geführt werden. Wir haben acht Millionen unselbständige
in der Landwirtschaft Beschäftigte, die sich nicht organisieren dürfen
und nicht Träger eigener Gedanken sind. Wir haben zwei bureaukratisch
geordnete Kirchen, die dem Austretenden mit Minderung bürgerlicher
Rechte drohen dürfen. Wir haben die Stände der Interessierten, die mit
der Dialektisierung ihrer Gewerbe befaßt sind. Wir haben eine
Beamtenkaste auf Grund eines Gesinnungsnachweises. Wir haben einen
selbständigen Mittelstand, der nach den Gründen seines Niederganges
sucht. Wir haben ein Großbürgertum, das nach Beziehungen und
Beförderungen lechzt. Wir haben einen staatsbeamteten Gelehrtenstand,
der zur Verteidigung alles Bestehenden erzogen ist. Wir haben
Interessenvertreter und Ortsgrößen, die im politischen Leben stehen und
ihre Wünsche und Kritiken mit denen ihrer Auftraggeber in
Übereinstimmung zu bringen suchen.

Und dennoch! Solange noch Selbstbewußtsein und Willenskraft in uns ist,
lieber in tätigem Glauben und edlem Irrtum vergehen als in kranker
Resignation und galliger Verneinung leben. Abermals rufe ich zu dir,
deutsche Jugend! Noch haben dich die Kleinheiten des Lebens nicht
zermürbt, die wütenden Interessen und giftigen Händel dich nicht
verfeindet, ein großes Schicksal hat dich verschmolzen und geläutert,
hilf die Quellen des schmachtenden Landes erschließen.

Laßt uns diesen einen Gang gemeinsam gehen. Laßt uns durch die Öde des
Zweifels schreiten, laßt uns an das Tor des Glaubens pochen, laßt uns
das Schicksal unserer Prüfung befragen und unserer eigenen Seele tief
ins Antlitz blicken, und glaubt mir, wir kehren nicht entmutigt heim.
Müßten wir auch ein schweres Teil der Völkerschuld auf uns selbst
nehmen, müßten wir tiefe Sühne und Einkehr von uns selbst verlangen:
Laßt uns hart sein aus Liebe und arg aus Treue. Lassen wir anderen das
Behagen der Beschönigung und des Selbstlobes, das seit vier Jahren zur
schamlosen Pest der Völker geworden ist, und suchen wir den Weg zur
alten Wahrhaftigkeit und Furchtlosigkeit, die unser vornehmstes Erbteil
war.

Mag unser Gang beklemmend sein, mag er uns zeigen, wie fern wir dem
Lande unserer Verheißung sind, genug, wenn wir heimkehren mit der
Botschaft, daß unser Schicksal bei uns selbst steht, daß wir inne
geworden sind dessen, was uns von neuer Geistigkeit, von innerer
Wiedergeburt und Weltverantwortung trennt.

Was trennt, kann sinken. Den Kampf, den wir kämpfen, und den härteren,
den wir kämpfen werden, beendet nur ein Sieg: der Sieg der Einkehr. Und
die Nation wird ihn erstreiten, die ihrer eigenen Seele entgegentritt
und sie zum Phönixopfer weiht.



Zweifel


Wir Älteren hatten keinen Grund, die Epoche unserer Jugendjahre zu
preisen. Politisch herrschte der Kampf gegen den Sozialismus in der Form
einer liberal aufgeklärten Reaktion, geistig die sogenannte exakte
Wissenschaft, wirtschaftlich der beginnende Hochkapitalismus,
gesellschaftlich die bürgerliche Streberei. Das Reich und die Großmacht
war begründet, einen Schritt darüber hinaus gab es nicht; das Bestehende
hatte recht, wer Einwände erhob, bekam es mit Bismarck zu tun oder mit
dem Satz von der Erhaltung der Kraft, oder mit den »besseren« Ständen.
Alle Gebiete des Lebens überschattete die Autorität des unbestrittenen
sichtbaren Erfolges, sogar die Kunst fand es selbstverständlich, Urteil
und Rat vom bereicherten und kaufenden Bürger und der gebildeten
Hausfrau zu empfangen. Die Jugend, soweit sie nicht als verderbt galt,
fügte sich den genehmigten Idealen, ja überbot sie; der oberste der
genehmigten Begriffe war die Karriere. Der wachsende Staat verlangte
Beamte, das heißt Juristen, die Laufbahn verlangte gesellschaftliche
Garantien, das heißt studentische und offiziermäßige Korporation. Die
Vorbilder wirtschaftlichen Aufstiegs waren noch vereinzelt und nicht so
machtgesteigert, um zu verlocken, der Wissenschaftsbetrieb hatte eine
gesonderte Aufstiegsordnung, in der ein umfangreiches Assistentenwesen
und Einheirat eine gewisse Rolle spielten.

Jugendlicher Drang, von freier Tat ferngehalten, halb freiwillig, halb
unbewußt in das ungeistige, unfromme, phantasielose Joch der Autorität
und Streberei gezwängt, schuf ein Zerrbild, so unerfreulich wie kaum
eines seit der Zeit des lanzknechtlichen Hosenteufels, des altmodischen
Bramarbas und des bezopften Renommisten: den Patentscheißer.
Aufgeschwemmte Burschen, schnöde und zynisch im Auftreten, mit geklebtem
Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reiterstegen an den gestrafften
Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers
nachahmte. Den Hochschulbetrieb verachteten sie, die kümmerliche
Prüfungsreife erlangten sie durch sogenannte Pressen, ein feindseliges
und herausforderndes Wesen trugen sie zur Schau, außer wenn es sich um
Konnexionen handelte, ihre Zeit verbrachten sie mit Pauken, Saufen und
Erzählen von Schweinereien. Solche Gestalten wurden geduldet, ja
anerkannt; sie waren bestimmt, zu denen zu gehören, die das Volk
regieren, richten, lehren, heilen und erbauen. Gewiß, es gab auch
zahlreiche andere Vertreter der akademischen Jugend, vor allem die,
deren Mittel zur Erreichung dieser Stufe nicht langten; doch meine
Befürchtung, daß die Generation der achtziger Jahre uns den Ausfall
einer geistigen Ernte im öffentlichen Leben kosten würde, hat sich
erfüllt.

In den Formen des ländlichen und kleinbürgerlichen Lebens haben wir uns
stets bescheiden, sicher und würdig bewegt. Für gesteigerte bürgerliche
Lebensform ist ein gültiges neuzeitliches Vorbild in Deutschland nicht
geschaffen worden. Der kleinere Adel blieb gutsherrlich,
patriarchalisch, stadtfeindlich, der größere international und
abgesondert. Der Soldatenstand ließ nach außen nur einen kühlen Schliff
erkennen, der zu brutal übertreibender Nachahmung verführte, das
Beamtentum, wirtschaftlich gedrückt und stolz verzichtend, machte in
seinen Formen die Abwehr fühlbar, die ein Leben in unterordnenden und
spaltenden hierarchischen Gepflogenheiten bedingt. Patriziat und alter
Reichtum, in Deutschland selten und versprengt, fand in sich kein
Gleichgewicht und drängte zum Adel und Hof.

So fand sich bei uns niemals ein anerkanntes Vorbild der Lebensform, des
Benehmens und der Gesellschaft; unzusammenhängende Konventionen wurden
unverstanden gelehrt und als Unterscheidungszeichen gewertet, zur
Schaffung eines geschlossenen äußeren Erscheinungsbildes reichten sie
nicht aus. Der erzieherische Nachteil dieses scheinbar äußerlichen
Mangels für jedes heranwachsende Geschlecht wird unterschätzt. Er läßt
den jungen Menschen die Würde und Sicherheit einer anerkannten Schulung
entbehren, verführt zu einem billigen Individualismus, der nur
Formlosigkeit ist, erschwert die Schätzung und Gemeinschaft einer
körperlichen Kalokagathie, bewirkt Rückschläge in eine pomadisierte
Pöbelhaftigkeit und ermöglicht die Entstehung von wechselnden
Zerrbildern, die nirgends in der Welt geduldet werden würden, und von
denen das der achtziger Jahre ein teuer bezahltes Beispiel bildet.

Diese Sorge ist vorüber, denn kommende Zeiten werden die Spaltung der
Kasten nicht kennen, der aristokratischen, militärischen und
bureaukratischen Vorbilder nicht bedürfen, sondern ihre Wertungen aus
menschlichen und volkstümlichen Vorstellungen schöpfen. Für uns bestand
sie, euch blieb sie erspart.

Denn ihr hattet das Glück, im Widerspruch zu erwachen. Eure Kindheit hat
der beginnende Wohlstand des Landes gepflegt, ein erwachendes
Schrifttum, eine nicht volkstümliche Kunst hat euch ein Widerspiel zur
Gegenwart und Wirklichkeit geschaffen, euer Bewußtsein erweckt und durch
Kontrast befruchtet. Die schmerzhafte Lösung von der Autorität, die
einigen von uns glückte, andere brach, war für euch kein Problem, denn
ihr seid frei geboren. Eure Väter konnten euch nicht die
Unwiderleglichkeit großer Schöpfung entgegenhalten, sie hatten nur die
Mechanisierung emporgehoben, der sie fruchtlos dienten, den Staat und
ihr eigenes Machterbe verwahrlost, und euch mit einer gewalttätigen,
rauschenden und schimmernden Zivilisation umgeben, die sich anpreisen
aber nicht verteidigen konnte. Freilich waren auch unter ihnen große
Männer, deren Arbeit Gutes schuf und ohne ihr Wissen Künftiges
bereitete, doch die Welt war entseelt, der Glauben erstorben bis auf
seine Wurzeln des schöpferischen Zweifels, und die äußerlich glänzendste
Epoche, die je der Erde beschieden war, die dicht an das künstliche
Paradies der Schmerz- und Sorglosigkeit, der technischen
Schrankenlosigkeit und des ewigen Wohlstandes rührte, erstarb im Geiste.

Ihr durftet zum Bewußtsein erwachen, und wenn uns Älteren ein Anteil an
der Freude dieses Erwachens zufiel, so war es der, daß einige von uns
versucht hatten, der prachtvoll untergehenden Zeit ins Auge zu blicken,
ihr das Gesetz ihrer Sterblichkeit zu entreißen und mit der Gewißheit
der aufsteigenden Seele heimzukehren. Selbst eure Väter hatten euch
vorgearbeitet; sie waren der alten Strenge und Herrschgewalt nicht
fähig, denn die fordert zweifelfreie Überzeugung und Überlieferung, sie
aber hatten nichts zu bieten als schwankende Relativität, die verstehen
wollte, aber nicht werten. Unschlüssig lockerten sie das Band der
Schule; da floß viel Bildung ab; edle Substanz, die euch fehlen wird,
und schwer entbehrlich dem Deutschen, der ein Ordner, Verwalter und
Richter des geistigen Erdenguts sein soll. Dafür wurdet ihr freier, und
lerntet fühlen, daß Jugend, bloße Jugend, ohne Beziehung auf Dinge des
Wollens und Handelns ein erfüllendes Glück ist. Ihr wandtet euch ab von
gepriesenen Werken und Kämpfen, dahin, wo alle Unbestechlichkeiten vor
euch den Trunk ihres Durstes gesucht hatten, zur Natur, und dahin – dies
ist euer schönster Gewinn – wohin nicht viele Geschlechter gedrungen
sind, zur Menschenliebe, Gemeinsamkeit und Freundschaft. Viel fehlte
nicht, so hättet ihr euch von jedem lastenden Erbteil der Vergangenheit
losgesagt und den Weg zur alten Menschenfreiheit gefunden.

Ihr schweiftet durchs Land und lerntet die Freundschaft zu Bäumen,
Tieren und Menschen. Manches Lied und mancher Vogelruf wurde euch
vernehmlich, und ihr achtetet auf Gestirne, Wind und Wolken und lerntet
die Namen der Kräuter und die Spuren der Tiere auf morgendlichen Wegen.
In Nächten saßet ihr beisammen und sprachet von freier, verantwortlicher
Bestimmung des Lebens, von einem Dasein ohne Haß und Gier und vom
Erwachen des Geistes.

Den Dämonen konnte dies Dasein ein träumerisches Spiel scheinen, zu
leicht und glücklich selbst für die Jugend Erdgebundener. Da geschah die
Berufung, die euch vor anderen Geschlechtern traf und zur Mannheit
schlug und eure Stirn mit dem Lose der Verantwortung für künftige Wende
zeichnete: der Sturm des Krieges ergriff euch und viele durften siegend
sterben. Der Zeiger der Geschichte steht still, solange die Urkräfte und
Titanen ringen; die letzte Antwort, die ihr schuldet, ist nicht Aufbruch
und Kampf, sondern Heimkehr und Einkehr.

Unsere Herzen sind zumeist bei denen von Euch, die ihre Unschuld und ihr
reines Glück, furchtlos, das Seiende segnend, ohne Zweifel und ohne
Frage ins Feld getragen haben. Sie sind der blühende Leib und die
lebendige Kraft des neuen Volkes. Heute noch sind sie mit der Meinung
und Wertung des Tages zufrieden, mit leichten Erklärungen einverstanden,
leiblich und geistig im Dienst, der Gegenwart zugekehrt. So aber werden
sie sich auch der neuen Gegenwart zukehren, und wenn sie reinen Herzens
bleiben, tun, so Gott will, was not ist.

Jene anderen aber, denen im Herzen der Krampf und das Weh der Erde zum
zweiten Male sich abspielt, die in der Angst der Schuld und in der Qual
des schöpferischen Zweifels vergehen, ihnen ist das harte Los bestimmt,
sich loszuringen, in die Tiefe zu fahren und neue Gestaltung
emporzutragen. Ihre Verantwortung ist es, wenn die Dinge des Landes und
des Erdteils so bleiben, wie sie sind, wenn Neid und Habsucht die
treibenden Kräfte von Volk zu Volk bleiben, wenn die Völker als
Fremdlinge, als Objekte in den Häusern ihrer Staaten sitzen, wenn
Ungerechtigkeit, Haß, Gier und Entseelung den entfleischten Erdteil von
Kampf zu Kampf in Brudermord und Vernichtung treiben. Ihre Gefahr ist
Zermürbung der großen Aufgabe und ihrer selbst durch unergriffene
Klügelei, durch selbstverliebte Theoretik, durch flache Originalität.
Erschreckt nicht vor dem einfachen Gedanken! Selten liegt die Wahrheit
in der verschmitzten neuen Formel, meist liegt sie offen zutage, vor
aller Augen, nur durch ihre Offenkundigkeit verborgen; das reine Herz
muß sie finden.

Mit ihnen, den Zweifelnden, muß ich reden. Nicht als einer, der weiß und
sicher ist, sondern als einer von denen, die mit ihnen leiden und
suchen, die fühlen, daß alle Gemeinschaft ein Bekennen ist.

Zuerst steigt der Urzweifel auf. Was ist wirklich? Es gibt nur
täuschende Erscheinung. Was ist erstrebenswert? Es gibt keine absoluten
Werte. Was ist ein Ziel? Ein Zustand, von dem man, sobald er erreicht
ist, zu neuen Zielen hinwegstrebt – oder eine unerträglich süße, falsche
Seligkeit. Was sind menschliche Triebkräfte? Genuß und Macht. Was ist
Tat und Opfer? Zwang unfreien Willens. Was ist Sittlichkeit? Eine
Konvention des Zeitalters und der Umwelt. Was ist Geschichte? Die
wechselnde Ausdrucksform des Nahrungskampfes. Was ist Dasein? Eine
Verirrung des Absoluten, aus dem es nur den Ausweg gibt in Traum und
Nichts.

Es ist niemand verwehrt, einen, mehrere oder alle dieser Sätze für wahr
zu halten. Nur sollte er dann so ehrlich sein, wie es Skeptiker und
Pessimisten nicht immer gewesen sind, wo nicht auf Handlung, so auf
Gültigkeit der Handlung zu verzichten. Er sollte nicht versuchen, mit
dürftiger und verhohlener Anleihe aus anderen geistigen Breiten eine
Hütte zu zimmern, in der man den ungeselligen, unbequemen,
unmaßgeblichen Hausrat der Weltflucht oder Indifferenz, des Zynismus
oder Epikuräertums stillschweigend und verstohlen gegen wohnlichere
Gerätschaften vertauschen kann.

Drängt uns das Herz, bestimmend zu handeln, so haben wir schon unbewußt
und unbeirrt die Wahl getroffen. Unser Wollen erhält nicht mehr sein
Licht aus der Dämmerwelt des Intellekts, sondern aus dem höheren und
reineren geistigen Bezirk der Seele, die sich nicht vor unteren
Instanzen zu verantworten hat, sondern die selbst die höchste, an der
Grenze des Irdischen waltende Instanz ist. In ihrem Reiche haben wir den
Boden des Glaubens betreten, aus dem von jeher jede Quelle höheren
menschlichen Willens entsprungen ist, gleichviel, ob der geometrische
Verstand sich nachträglich entschließt, aus handfesten Brocken, Symbolen
der Erscheinungswelt, Brunnenränder und Deiche zu erbauen. In diesem
Reiche, das alles Sittliche umschließt und uns mit dem Göttlichen
verbindet, sind wir frei und bedürfen keiner Beweise und Überredungen,
denn was wir aus heiligem Bezirk unberührt herniedertragen, leuchtet und
leuchtet ein, es überzeugt durch sich selbst, aus eigener Kraft. Nur
dann jedoch wird das prometheische Werk armer menschlicher Kraft
gelingen, wenn wir dies Reich der Seele nicht verleugnen, wenn wir
streben, auf seinem Boden Heimat zu gewinnen, wenn wir den Glauben
wollen, ohne den wir nichts wollen können, wenn wir an den Willen
glauben, ohne den wir nichts glauben können. Hier liegt die Synthese des
Transzendenten und des Rationalen. Unberührbar, aus hohem Reich gegeben
ist der Wille und das Ziel, allen Geisteskräften verbündet und
anheimgestellt ist das Wollen und der Plan.

Der nächste Zweifel kommt von der Schulweisheit. Alle Weltverbesserung
ist Utopie. Nie hat sich das innere Wesen des Menschen geändert,
Entwicklung erlebt nur das Wie, nicht das Was, das Glück des Menschen
vermehrt sich nicht. Ja freilich, Technik und Wissenschaft! Sie kommen
vorwärts. Doch wer auf eine Änderung, gar eine Veredelung der
menschlichen Triebkräfte, auf eine Versittlichung der Gesellschaft, der
Wirtschaft hofft, der verkennt das Wesen der unfehlbaren Theorie und mag
Narren trösten.

Das sagen meist die Privatdozenten und solche, die es werden wollen, in
der forschen Überzeugung ihrer forscherischen Überlegenheit. Dann wenden
sie sich wichtigeren Tagesfragen zu, etwa dem Einfluß der Pappdächer auf
den Geburtenüberschuß, und vergessen, daß wenn die Welt im Großen nicht
gebessert werden kann, es keinen Sinn hat, im Kleinen damit anzufangen.

Nie bin ich müde geworden zu erwidern: Wenn wissenschaftliche
Betrachtung einen Wert hat, so liegt er darin, daß sie uns zeigen kann,
wie sehr von Urzeiten und Urstämmen her das Wesen des Menschen sich
geändert hat. Wäre dies Wesen aber auch in sich selbst unveränderlich,
so erleben wir von Jahrhundert zu Jahrhundert die Änderung der
herrschenden sittlichen Bewertungen und mit ihnen die Umstellung alles
Benehmens. Wenn in einer Beamtenschaft, einer Armee, einer Kaste oder
einem Volke die herrschenden Sittenbewertungen etwa auf die Begriffe der
Unbestechlichkeit, des Mutes, der Wahrhaftigkeit eingestellt werden –
und das sind Vorgänge, für die wir im eigenen Lande Beispiele haben –,
so ist die Erörterung müßig, ob damit über lang oder kurz alle zur
Lasterhaftigkeit Gestempelten aussterben; sicher ist, daß die
Bestechlichen, die Feigen und die Lügner mit ihren Lastern nicht mehr
frei hervortreten, und daß diese Laster aufgehört haben, die
Gemeinschaft zu beherrschen. Immer wieder übersieht man, daß alle
Gemeinschaften eine in ihrer Zusammensetzung sehr ähnliche Mischung
aller sittlichen Qualitäten enthalten, und das sittliche Aussehen und
Wirken weniger von den überwiegenden Qualitäten bestimmt wird, als von
denen, welchen gestattet wird, an die Oberfläche zu treten. Welchen aber
diese freie Bewegung gestattet wird, und welche anderen gezwungen
werden, sich im Untergrunde zu verbergen, das entscheidet die sittliche
Bewertung, also im Gegensatz zu überkommenen Eigenschaften, der freie
sittliche Gemeinschaftswille, der hierdurch zur eigentlichen
herrschenden Kraft wird.

Ist somit der sittliche Wille der Bindung aus Herkunft und Vergangenheit
dadurch enthoben, daß er nicht auf der Ebene physischer Umgestaltung,
sondern auf der Ebene bewußter Wertung tätig wird, ist somit die Frage
nach der Veränderlichkeit des Gemeinschaftscharakters eine falsch
gestellte Frage, so wird auch die Prüfung des Problems vom wachsenden
Glück ergeben, daß dieser Zweifel die Grundfragen des menschlichen
Wollens leichtfertig verkennt.

Wir sind nicht da um des Glückes willen. Unser Wille ist nicht da, noch
weniger ist Entwicklung da, um unser Glück zu vergrößern. Wir schreiten
nicht den Weg der Beglückung, sondern den Weg der Vervollkommnung, den
Weg zur Seele, gleichviel, ob unser Glück darüber zugrunde geht. Und wir
schreiten diesen Weg nicht bloß, weil wir müssen, sondern weil wir
wollen, weil es noch andere treibende Kräfte gibt, die in uns selbst
liegen.

Es gibt viele, die an ihre Kindheit mit Wehmut zurückdenken und sagen,
damals seien sie glücklich gewesen, jetzt seien sie es nicht mehr.
Trotzdem wollen sie nicht zur Kindheit zurück, denn die Art kindlichen
Glücks wägt die Art erwachsener Schmerzen nicht auf. Würde uns
nachgewiesen, eine niedere Schöpfungsgattung sei mit einem absoluten Maß
an Glücksgefühlen begabt, das alles Maß unserer seligsten Empfindungen
weit übertrifft: wir wollten mit diesem Stand nicht tauschen. Denn es
entscheidet das Gefühl der Vervollkommnung, die Glücksstufe ist mehr als
die Glücksmenge. Wir sind geneigt, in romantisierender Anwandlung das
Geschick alter Zeiten und Völker, etwa der Griechen höherzustellen als
das unsere. Könnten wir uns entschließen, alles zu vergessen, was wir
sind und haben, erleiden und ersehnen, um Griechen der Vergangenheit zu
sein? Wir, die wir den Blick über den Erdball, die Zeiten und die
Naturkräfte richten, die wir von der Kunst aller großen Epochen, von der
deutschen Musik, vom nördlichen Frühling, vom Glauben des Ostens und
Westens, von zehntausendjähriger Geschichte, von der Philosophie der
Völker und der vergleichenden Naturbetrachtung eines Weltsystems leben:
Könnten wir uns in engen Landstädten, in gerätelosen Kammern, in
gleichförmigen Marktversammlungen, mit einer auserwählten aber
vergleichlosen Lebensform und Kunst begnügen? Die Polyphonie unseres
Lebens, die an sich kein Glück, wohl aber eine Stufe ist, duldet keine
Rückkehr zur einstimmigen Melodie.

Dies sind nur Bilder und Vergleiche. Des Beweises bedürfen wir nicht;
denn in uns eingepflanzt ist der Drang nach oben, in Sehnsucht, Wollen
und Handeln. Ein Denken, das diesen Drang zu vernichten strebt, macht
uns zu Verzagten des Gewissens, zu Stümpern des Tuns. Ein Denken, über
das man sich, bewußt oder unbewußt, stets hinweggesetzt hat und
hinwegsetzen wird, um recht zu leben, lohnt nicht gedacht zu werden.
Eine niedere Instanz, der intellektuelle Geist versucht, uns ihr Urteil
aufzudrängen, und wir antworten ihr: du bist unzuständig, überdies ist
dein Urteil falsch und unvollstreckbar.

Ein anderer Zweifel kommt von der deutschen Wissenschaft. Ein Engländer
hat es gelehrt, wir haben die Lehre aufgenommen und mit unserer
Gründlichkeit hundert Jahre lang zu Tode gehetzt: Alles Geschehen
sprießt aus den Wurzeln der Zeiten, des Bodens, der Stämme, der
Überlieferung. Durchdringt man mit rastloser Liebe und emsiger Forschung
die Gegebenheiten der Geschichte und der Erdfläche, die Gepflogenheiten
der Sitten und Einrichtungen, so verwandelt sich alle Willkür des
Geschehens in sanften Fluß des Wachstums, alles Überraschende ordnet
sich ein, alles unheimatlich Fremde wird abgeschieden. Diese
Betrachtungsweise hat für den Gelehrten den Vorteil, daß sie alles
Denken durch gefühlvolles Wissen ersetzt. Unerschöpfliche Anknüpfungen
lassen sich finden, alles Bestehende rechtfertigt sich durch immer neu
vertiefte Forschung, alle Taten großer Männer, ja alle Naturereignisse
und Wirrnisse erscheinen als Erfüllungen einer Urverheißung, die in der
jeweiligen Gegenwart gipfelt. Denn leider reicht die Kette immer nur bis
zur jeweiligen Gegenwart; Wissenschaft ist nun einmal nicht prospektiv,
sie kann niemand sagen, wie er es machen soll, und was, und ihre
Prophezeiungen sind meistens falsch. Neue Kräfte, welche die geradlinige
Verlängerung des Systems bedrohen, erscheinen als Störungen, als
feindliche Mächte – freilich werden sie, wenn sie Erfolg haben,
nachträglich in die Ordnung eingegliedert und mit den erforderlichen
Vergangenheitswurzeln bedacht –; im Vorblick wirkt die historische
Methode konservativ und ist daher im offiziellen Deutschland willkommen,
ja unentbehrlich.

Für die Geschichtschreibung wird sie es bleiben, und auf diese sollte
sie sich beschränken. Die Gestaltung der Zukunft wurde uns durch die
gemütvolle Verführung der wissenschaftlichen Romantik lange genug
gehemmt; eine Zeitlang muß wieder einmal, wie bei jeder großen Wende,
die Idee herrschen. Romantisch betrachtet erscheint freilich die Idee
fremd, abstrakt, rational, der lokalen Färbung und des gewohnten
heraldischen Zierats ermangelnd. So fremd erschien vielleicht dem
ländlichen Steinmetzen der Aufriß einer Kathedrale. Ist die Idee
verwirklicht, der Turm gebaut, so erkennt man ihre Bodenständigkeit, die
eben durch die Verwirklichung gewonnen wurde.

Nur aus der Vermählung des abstrakt Idealen mit dem greifbar Bestehenden
stammt Entwicklung; der Baum, der nicht in den Himmel wachsen will und
nur seinen Standort bedenkt, wächst nicht und wird von anderen
überschattet; daß er nicht in den Himmel wachse, dafür ist gesorgt,
seine eigenen Wurzeln werden ihn zurückhalten. Alexander hätte nicht den
Osten hellenisiert, Karl nicht die Sachsen bekehrt, Napoleon nicht die
neue Zeit emporgeführt, wenn sie sich von Professoren über
Bodenständigkeit hätten beraten lassen; nachträglich hätten sie
vielleicht einige aufklärende Zustimmung erlangt. Der Vorblick ist vom
Rückblick verschieden; leicht weist man auf, wie die Frucht am Stengel,
der Stengel am Zweig, der Zweig am Ast, der Ast am Baum sitzt. Ein
anderes ist es zu sagen, welche Knospe sich zum fruchttragenden Ast
entwickeln und welche verdorren wird. Die Wissenschaft unterschätzt die
Fliehkraft des schöpferischen Willens, der um so erdenmächtiger wird, je
weniger er sich um die irdische Bindung kümmert.

Ein ganz tatsächliches Moment sollten die Verehrer des ruhigen Flusses
und der Überlieferungskräfte nicht vergessen: Die Völker, mit denen die
nationale Erinnerung sich in feierlichen Augenblicken identifiziert,
leben nicht mehr. Die Italiener sind keine Römer, die Franzosen keine
Franken und die Deutschen keine Germanen. Die Verschmelzung mit
Unterworfenen und mit den eigenen unbekannten Unterschichten hat die
Völker nicht nur von Grund auf gewandelt, sondern auch weit mehr, als
man zuzugeben geneigt ist, untereinander angeähnlicht. Die geistigen und
körperlichen Verschiedenheiten der Proletariate Europas, die heute schon
die überwiegenden Massen der Völker ausmachen und daher auch die
eigentlich Kriegführenden sind, erweisen sich als sehr gering. Der
Umschichtungsbewegung, die in Deutschland die letzten fünf Jahrhunderte
erfüllt, entstammt die ganze sichtbare Änderung unseres Völkerlebens;
die Einrichtungen sind den Änderungen der Substanz nicht vorausgeeilt,
sondern zeitweise um große Strecken zurückgeblieben; man erinnere sich
der kleinen Einzelzüge: daß vor dem Kriege das Wort Volk in der
offiziellen Sprache verpönt war und nicht an den Reichstagsgiebel
geschrieben werden durfte, und daß jede Verteidigung des Begriffes der
Demokratie an Staatsverbrechen rührte. Zweierlei sollten die
kryptokonservativen Denker im Auge behalten: einmal, daß die Wasser der
Weltgeschichte unaufhaltsam zum Tale laufen, das Freiheit heißt, und
sich niemals haben umkehren lassen, sodann, daß überlange Stauung die
Dämme bricht.

Der ernsteste Zweifel ist der chaotische.

Es kann geschehen, daß das Entsetzen der Zeit in einem Menschen so
mächtig wird, daß er Heilung nur noch in der Vernichtung sieht, in der
Feuerverzehrung selbst, im restlosen Niederbrennen des Brandes. Das
Entsetzen der Zeit – ist denn dieses Entsetzen größer als das Entsetzen
früherer Kriege? Ist denn die Zahl und Masse das Mächtige, ist denn der
Mord der Millionen schwärzer als der Mord eines Einen? Sind denn
geschlachtete Städte und Landstriche der Großkönige und Pharaonen, Khane
und Cäsaren mildere Opfer gewesen als die der Handgranaten und Gase?
Freilich nicht; menschliches Elend wächst nicht über sich selbst hinaus
durch angehängte Nullen, die Million ist an sich nichts anderes als die
Myriade. Dennoch ist diese wissenschaftlich geregelte Feuerflut das
vorbildlose Grauen der Jahrtausende, und es ist begreiflicher, daß
manche, die es erleben, an allem verzweifeln, als viele, die es erleben,
an nichts verzweifeln.

Alles frühere Elend war ein Geißelschlag, der auf den Rücken der
gesunden Erde sauste. Getroffen wurden von der Furie zwei Heere und was
ihnen in den Weg kam, das andere blieb gesund. Der Dreißigjährige Krieg
war das Vorbild der fressenden Kriegsseuche, doch sie blieb im Raume
beschränkt. Den wahren Vergleich dessen, was wir erleben, nein zu
erleben beginnen, bietet der fünfhundertjährige Brand, in dem ein
Weltzeitalter sich löste. In der Schmelzglut versank die südliche Antike
und die mönch-ritterliche Strenge des Nordens stieg empor. Doch auch
diese Krisis war innerlich milder, denn sie betraf unbewußte
Geschlechter in der Gestalt eines objektiven Schicksals.

Was wir erleiden ist die furchtbare Konsequenz der Sinnlosigkeit, die
selbstgeschaffene Hölle. Nicht Eine verantwortungsvoll lebendige Seele
will das Leiden, und jede ist verflucht, wissentlich und willentlich, in
Duldung und Haß, in Widerstreben und Furcht das Leid des anderen und das
Leid der Welt zu mehren. Jeder, der lebt, und wenn er nur sein tägliches
Brot verzehrt, ist mitschuldig, schädigt und tötet, keiner kann sich dem
Geißeltanz entziehen, je heißer er blutet, desto wilder muß er schlagen.
Keiner weiß den Sinn, keiner den Grund, keiner den Zweck, es bleibt ihm
als Trost nur der selbstentfachte Haß und die zitternde Empörung über
die Schlechtigkeit des anderen. Niemand sieht den Ausweg, denn wem es
schlecht geht, der kann nicht beenden, und wem es gut geht, der wird
gezwungen, seine Forderung zu steigern. Ein jeder aber, dessen Herz
nicht stumpf ist, fühlt, daß die Schlechtigkeit des anderen es nicht
allein sein kann, daß hinter allen Schlechtigkeiten ein böses Schicksal
steht, und daß dieses Schicksal die Ungerechtigkeit aller ist. Und
deshalb wiederum fühlt man die Unabwendbarkeit der selbstgeschaffenen
Not, fühlt man, daß sie nicht zu Ende gehen kann wie die Entscheidung
eines Zweikampfes, die Recht und Unrecht durch Buße und Erstattung löst.
Noch immer zwar, weit tiefer als man weiß und zugibt, ist die Welt
durchsättigt von der Vorstellung des Gottesurteils, von der Verwerfung
des Besiegten, von der Rechtfertigung des Siegers, daß der Sieg an sich
nach Gottes Wohlgefallen neues Recht und neue Sittlichkeit schafft, daß
der Unterworfene von der Gottheit selbst dem Unterwerfer unter die Füße
gelegt wird zur Schonung oder Vernichtung nach freiem Ermessen, wie der
Ausdruck lautet: auf Gnade und Ungnade. Daher bei jedem Mißerfolg ein
tieferes Gefühl als Enttäuschung und Kummer, nämlich die sittliche Angst
vor der Verwerfung, bei jedem Erfolg ein höheres als Freude, nämlich die
Sicherheit, auf der Seite des kämpfenden Gottes zu stehen; daher die
wachsende Hemmung gegen Verständigung: Denn wie sollte der jeweils vom
Gott Beschirmte, der Träger des Schicksals, mit dem Gezeichneten, dem
vor aller Welt Widerlegten und Entrechteten paktieren? Und die
urzeitliche Vorstellung wird bekräftigt durch den öffentlichen
Wettbewerb der Beteiligten um die Gunst des Schlachtengottes, von dem
man annimmt, daß sein Entschluß durch Gebet, Danksagung, Ehrenbezeigung
und Buße wo nicht geändert, so doch gestärkt werden könne.

Der neuzeitliche Mensch, dem es nicht mehr gegeben ist, das Entsetzen
auf den Kometen und den Zorn der Dämonen abzuwälzen, der in seinem
Inneren alle Schuld und Verantwortung für das widerwillig
selbstgeschaffene Leid sucht und findet, kann von Verzweiflung so
überwältigt werden, daß er aus seiner Not ins Chaos flüchtet. Es kann
ihm geschehen, daß er getrieben wird, alle Werte anzutasten, daß er die
Frage wagt, ob jene Güter, die Christus nicht als Güter kannte,
Vaterland, Nation, Wohlstand, Macht, Kultur wahrhaft so hoch erhaben, so
tief gegründet sind, daß in ihrem Namen die Welt friedlich und
kriegerisch sich in die ewige Sünde der Feindschaft, des Hasses und
Neides, der Ungerechtigkeit und Unterdrückung, der staatsmännischen
Ränke, der Gewalt und des Mordes verstricken dürfe. Der Zweifel kann
sich versteifen, wenn berufene Ausleger des Wortes, zwischen Schrift und
Wirklichkeit gestellt, die Gebote der Liebe außer Kraft setzen oder
durch gewagte Deutung den kämpfenden Mächten unterwerfen. Ist denn nicht
den Armen und Ohnmächtigen das Himmelreich verheißen? Ist nicht die
Verkündung allen Völkern gepredigt? Ist es nicht göttlich, Unrecht
erleiden? Ist es das Wissen, das selig macht? Ist nicht ein Vater im
Himmel und ein Land die Erde?

Warum sollen nicht die Völker in der Menschheit lösen, die Staaten im
guten Willen, die Mächte in göttlicher Fügung, das Handeln im Dulden?

Der Mensch ist ein Geschöpf des Gleichgewichts, und niemandem steht es
mehr an als dem Deutschen, der über Zeiten und Räume blickt, die höhere
Menschheitsstufe zu begreifen. Nicht das Gleichgewicht des Tieres, das
den Ansprüchen der eigenen und der umgebenden Natur genügt, wenn es
widerspruchlos sich den einfachen Trieben und Wallungen seines Wesens
überläßt; sondern das wiedergewonnene schwebende Gleichgewicht, dessen
die Kunst das schönste Bild ist, das Gleichgewicht der Wiedergeburt aus
den Wirrnissen unauflöslicher Widersprüche. Es ist der Stolz unseres
Daseins und der Beweis, daß wir hart an der Grenze des göttlichen und
des animalischen Reiches stehen: daß die widerspruchsvollen Bedingungen,
denen die Schöpfung uns unterworfen hat, schlechthin unlösbar sind, und
daß dennoch die Dichterkraft einer Lebensharmonie uns zugemutet wird.
Die Gewalt der Sinnlichkeit und die Inbrunst der Erdenflucht, die
Standkraft der Selbstbehauptung und die Entsagung der Nächstenliebe, die
Sorglosigkeit der Vernichtung und die Marterschaft des Opfers, die
Klugheit der Naturbezwingung und die Kindlichkeit des Aufblicks, der
Eigensinn der Arbeit und die Selbstvergessenheit der Träumerei, die
Herrenkraft der Verantwortung und die Demut des Dienstes, die
Vermessenheit des Zweifels und die Einfalt des Glaubens, die Härte der
Gerechtigkeit und die Zartheit des Mitleids, der Wille zum Glück und die
Sehnsucht zum Leiden, die Dämonie der Leidenschaft und die Stille der
Verklärung: Diese Gegengewalten hat eine Gottheit gewoben, so
unentwirrbar und so unentrinnbar, daß die Unerfüllbarkeit des
Gleichgewichts uns schlechthin als das Sinnbild unerfüllbarer
Vollkommenheit erscheint. Die Problematik der menschlichen Kontraste
aber wirkt sich aus in der Unvereinbarkeit der objektiven Ideale; kann
man im Inneren das Wollen und Dulden nicht vereinen, so lassen sich im
Äußeren die Forderungen der Macht und Gerechtigkeit nicht vermählen.

Einseitigkeit ist der Ausweg, den der einzelne ahnungslos oder
resigniert betritt, und aus der Mannigfaltigkeit der Einseitigkeiten
kann einer individualistischen Nation wie der unseren noch immer die
volle Rundung der Allseitigkeit erwachsen. Wenn sie Heilige und
Leidenschaftliche, Tätige und Betrachtende, Schaffende und Genießende in
rechter Mischung enthält, so kann sie den Schein eines vollendeten
Volkes und einige seiner Richtkräfte noch immer bewahren. Das Ziel, dem
wir zustreben, ist jedoch nicht Vollkommenheit aus der Mannigfalt der
Mängel, sondern Vollkommenheit des Ganzen aus Vollkommenheit der Teile,
das Ziel der Hellenen muß das Ziel der Deutschen sein. Ganz und gar muß
es aber unserem deutschen Denken widersprechen, aus Furcht vor dem Kampf
um Vollendung die Einseitigkeit der Nation zu wollen. Uns hat man früher
nachgesagt, daß uns vor anderen der ungetrübte Blick für alles
Vorzügliche geschenkt war, uns steht es auch in Zukunft nicht an, den
Verzicht der Beschränktheit zu wählen. Uns steht nicht an, was dem
Orientalen gewährt ist; selbst um der Heiligkeit willen dürfen wir nicht
auf Tätigkeit, um der Betrachtung willen nicht auf Naturbeherrschung
verzichten. Unser abendländisches und deutsches Los verlangt zum
Innerlichen das Gestalten, zum Empfangen das Geben, zum Leiden das
Schaffen, zum Fernsten das Nahe. Auf dem Wege zur Menschheit dürfen wir
nicht die Familie und nicht die Nation übergehen, auf dem Wege zur
Sittlichkeit nicht die Ordnung, auf dem Wege zum Geistigen nicht das
Greifbare: Boden, Wohlstand und Macht. Dieses sage ich euch, den
Zweifelnden; den Selbstgewissen aber, die nicht denken und prüfen,
sondern bekräftigen, werden wir immer wieder zu sagen haben, daß von den
greifbaren Dingen auch die höchsten nicht Selbstzweck sind.

Doch der chaotische Zweifel ist nicht besänftigt: Auch wenn wir die
Ganzheit der nationalen Güter wollen, so könnte es sein, daß aus der
Wirrnis unserer Tage nicht mehr das Türmen der Mittel uns rettet,
sondern der Abbau, daß Raum und Luft vor allem zu schaffen sei, und sei
es durch Sprengung. Auch ein Waldbrand schafft fruchtbares Land, und was
bedeuten für die Geschichte der Zeiten die Jahrzehnte der Wüstenei, aus
der sich zuletzt doch wieder der wiedergeborene Wald erhebt.

Wir haben den Waldbrand im Osten erlebt. Es war das weltgeschichtlich
Größte von dem, was bisher im Kriege geschah und vielleicht geschehen
wird, als das gequälteste von allen Völkern seine Vergangenheit
auslöschte, den Krieg auslöschte mitsamt dem Willen zur Macht und
äußeren Größe, sich und die Welt zur Menschheit aufrief und den
Feuerbrand in das erstorbene Dickicht seines Gewaltstaats schwang. Ein
Hauch der Andacht zog über die Erde. Man empfand: Hier geschieht etwas,
das mehr ist als dummschlau verlogene Anerbietungen, als prahlerische
Drohungen, als Nahrungs- und Moralersatz, als Diplomatenpfiff, als
Erfindung neuer Todesarten. Man empfand: Eine Tat der Entäußerung und
Befreiung ist wie ein Bekenntnis, durch sie kann gesühnt werden, durch
Taten der Verschlagenheit und Erbitterung wird nicht gesühnt.

Doch alsbald ahnte man: So leicht wird es einem Volke nicht gemacht.
Nicht in einer Welt der Starrheit, des Schweißes und der Tränen, wo der
eine ein Lebenlang, das Volk durch Jahrhunderte büßt. Ein Volk springt
nicht mit beiden Füßen in den Himmel, wenn es sich durch unvordenkliche
Knechtschaft und durch mitschuldige Duldung besudelt hat, auch wenn es
ein kindliches und beseeltes Volk ist.

Das russische Volk wird alles nachholen müssen, was Völker begangen und
erduldet haben, den Sündenfall der Bewußtheit, den Zweifel, die
Selbstvernichtung, die Binnenkämpfe, das innere und äußere Schicksal.
Zunächst steht ihm einmal der Dreißigjährige Krieg, die Zerstampfung
durch alle Nachbarvölker und die Selbstzerfleischung der Gebiete und
Parteien bevor. Wie ihr französisches Vorbild wird die russische
Revolution alle Marterstufen der Schuld und Erniedrigung, der Schmach
und Verleugnung, des Terror und der Reaktion durchlaufen, ihr Weg wird
in Blut und Morast versinken, und dennoch wird sie wie die französische
Revolution in hundert Jahren die Erde umschreiten und restlos
verwirklicht sein. Freilich nicht so, wie sie meint. Die französische
Revolution wollte das Naturreich Rousseaus und die Republik der Römer,
sie schuf, was ihrem inneren Wollen entsprang, das Reich des Bürgers,
das eigensüchtige Nützlichkeitsstreben des bourgeoisen Liberalismus und
die konstitutionelle Plutokratie. Die russische Bewegung will Tolstois
Reich der Gerechtigkeit und den Kommunistenstaat der Marxisten; was sie
erreichen wird, ist das Reich des wirtschaftlichen Ausgleichs und die
organisch durchstaatlichte Wirtschaft.

Ein gewaltiger Gegensatz aber besteht zwischen der westlichen und der
östlichen Bewegung, den die russischen Kommunisten und ihre Anhänger
nicht erkennen: Den Franzosen lag ob, die feudale Ordnung zu brechen, um
das freie Spiel der Kräfte zu entfesseln, und ein Dekret reichte hin, um
das zu vollenden. Die kommende Ordnung jedoch ist keine Auflösung,
sondern ein Aufbau, nicht Aufstände und Dekrete können ihn schaffen,
sondern die rastlose organische Arbeit schaffender Äonen. Vielleicht ist
für den fehlerhaft begonnenen, wenig vorgeschrittenen Bau der russischen
Staatswirtschaft und Staatsverfassung die Abtragung, die wissentliche
Staatssabotage das wirksame Mittel, um Raum für das Bessere zu schaffen,
obwohl schon hier der Blutverlust selbst die gelungene Operation mit
tödlichem Ausgange bedroht. Entwickeltere Länder haben zu viel zu
verlieren; sie haben in der Not des Krieges manches gelernt und werden
in der Not des Friedens so viel dazu lernen, daß ihnen ein Umbau
gelingt, bei dem die Fundamente und ein Teil der Stützen erhalten
bleiben.

Am wenigsten aber ist es den Deutschen bestimmt, Gewalt zu treiben, wo
Kunst und Umsicht helfen kann. Wir waren nicht revolutionär, als es uns
bestimmt war, es zu sein; die mißlungene achtundvierziger Bewegung
diente dazu, den oberen Mächten zu zeigen, wie wenig politischer und
sozialer Wille im Volke verankert war. Wir waren und blieben gewohnt,
Rechte und neue Ordnungen als widerwillige Geschenke ärgerlicher Geber
zu empfangen, und leben daher heute im seltsamsten Gemisch von
Feudalismus, Plutokratie, orthopädischem Sozialismus und
undemokratischem Liberalismus. Den künftigen Aufbau aber werden nicht
ungezogene Massen und beleidigte Autoritäten erhandeln, sondern ein
ernstes, überzeugtes Volk, das Hohe und Niedere umschließt, wird ihn
erarbeiten: das Volk eurer Tage.

Uns ist der Zweifel befruchtend, nicht fruchttragend. Die schaffende
Liebeskraft erwacht nicht ob allem Getöse des hadernden Verstandes.
Nicht die bange Sorge der Not, nicht der Rechengeist der Nützlichkeit,
nicht der Kompromiß der Interessen, nicht das schlaffe So oder anders,
nicht das Achselzucken des kleineren Übels wirkt die Wende des
Zeitalters und die Wiedergeburt der Menschheit, sondern der wortlos
freudige, fraglos waltende Mut der Seele. Den aber schafft der Glaube.



Glaube


Keine freiwillige Handlung, keine kleinste Regung unseres Wollens
geschieht, die nicht von den tiefsten, allem Denken entrückten Quellen
unseres und des kosmischen Daseins getränkt wird. Der Geist kann nur
zwischen Vergleichbarem entscheiden, der Wille aber muß zwischen dem
Unvergleichbaren wählen, und nur eine innere Richtkraft kann ihn leiten.
Aus der Reihe unserer Wahlen und Entschlüsse setzt sich unser Leben
zusammen, wir nennen es Charakter und Schicksal und erklären es zum
Überdruß aus Erblichkeit, Umwelt und Gesetz. In Wahrheit ist es das
Hineinragen des Unergründlichen in unsere Welt, das Walten der
Schöpferkraft, die sich in unserer Begrenztheit zum Farbenspiel der
Willensregungen bricht.

Warum wollen und lieben wir dies? Warum nicht ein anderes? Warum
erschrecken wir vor jenem mehr als vor diesem? Warum halten wir dies
Übel für größer? diese Freude für reiner? dieses Streben für höher?
diese Gestaltung für vollkommener? Warum wählen wir hier den Sinnenreiz
und dort die Mühe? Warum hier das gegenwärtige Übel statt des künftigen,
dort das künftige statt des gegenwärtigen? Warum ziehen wir hier die
Ehre vor und dort den Genuß, und da die Sünde und da die Entsagung?
Warum opfern wir uns einem anderen? Warum opfern wir den Inbegriff
unserer Freuden einer Idee? Warum sorgen wir für kommende Geschlechter?
Warum wollen wir Dinge nach unserem Tode?

Wir wägen gegeneinander Besitz und Sünde, Ehre und Schmerz, eigenes Leid
und fremde Freude, lebendiges Ungemach und totes Glück, Tagessorge und
künftigen Kummer, Gerechtigkeit und Entbehrung, göttliche Liebe und
irdische Freude, wir wägen das Unabwägbare, vergleichen das
Unvergleichbare und entscheiden bald so und bald so.

Verschmäht man die Begründung: wir handeln aus Angst und Gier, aus
Furcht vor Entbehrung, Langeweile, Verachtung, göttlicher Strafe,
Schmerz und Tod, aus Begehren nach Sinnenlust, Macht, Schein, Besitz,
Belohnung und Wechsel; verschmäht man dies menschenunwürdige Bekenntnis,
so ist anerkannt: Richtkräfte unseres Lebens sind absolute Werte. Diese
Werte können benannt, aber nicht begründet werden.

So wenig der Fahrplan uns sagen kann, nach welchem Lande uns die
Sehnsucht zieht, noch welches uns bestimmt ist, so wenig kann die
Gedankenkunst der Philosophie uns Werte beweisen. Sie kann sagen: tust
du das, so geschieht das. Mir scheint dies das größere, jenes das
kleinere Übel, dies das höhere, jenes das geringere Gut. Sie schließt:
du sollst, oder: du mußt. Darauf steht es jedem frei, zu antworten: ich
soll? aber ich will nicht. Ich muß? nein, ich kann auch anders.

Dann schweigt die Philosophie beleidigt, oder sie ballt die Faust und
droht, oder sie wendet sich ab und schmäht.

Das Denken schafft keine Werte. Sie sind gegeben, oder sie sind nicht.
Wer ehrlich ist, weiß, daß er manchmal Folgen mit dem Verstande
abgewogen hat, niemals Ziele. Er handelt wie er handeln muß, nach
innerem Gesetz, und dies Gesetz ist tierisch oder es ist göttlich. Wer
Werte ergrübelt, ist hilflosen oder kranken Geistes und nicht berufen.
Die Gründe, die jemand nachträglich für sein Handeln gibt, sind falsch.
Niemand weiß, was in irgendeinem Augenblick in ihm vorgeht; ein
tausendfältiges Ich kreuzt seine widerspruchsvollen Fühlungen und
Wollungen, und ein Innerstes entscheidet.

Werte werden nicht erdacht und erstritten, sondern geschenkt. Geschenkt
dem, der reinen Herzens ist, und dessen Geist schweigen kann. Sie sind
das Geschenk überintellektueller Kräfte, deshalb bedürfen sie keiner
Begründung und keines Beweises, sie bestehen aus eigener Kraft, denn sie
entstammen dem Reich der Seele. Den Eingang zu diesem Reich erzwingt man
nicht, und doch steht es himmelweit offen. Der höchsten Menschenmacht
ist es erschlossen, der Liebeskraft des Glaubens.

Glauben! Zögernd gestehe ich euch, Freunde: ich liebe das Wort nicht. In
der griechischen und römischen Schrift stehen die Wörter πίστις und
#fides#, die heißen Treue und Trauen. Als man sie mit Glauben
übersetzte, da stand dies schöne Wort seinem Ursinn näher, jetzt ist es
verwelkt und sagt nicht viel mehr als »für wahr halten«. Nur wenn wir
bekennen »ich glaube an Gott«, so erklingt der alte Glockenton. Nichts
steht dem Glauben ferner als das Meinen. Und so wie wir das
schwachgewordene Wort zum reinen Sinn beleben müssen, ist uns das
Gleichnis gegeben, wie wir die alte Worteskraft erwecken sollen.

Kränker ist das Wort Religion. Bei den Römern war es stark, es hieß
Bindung, eine rechte Knebelung mit Stricken, wie die Liktoren sie
pflogen. Wir denken leicht an Kirchenglauben, an etwas, das in Schulen
gelehrt und geprüft wird, an ein bürgerliches Unterscheidungsmerkmal.
Man hat Religion das »Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit« genannt, das
betont die Bindung und entbehrt der göttlichen Freiheit; der Begriff der
Transzendenz ist erfüllt vom Denken; zuweilen möchte ich Gottesbund,
zuweilen Gottesfreiheit und am liebsten Gottesfriede sagen.

Wollen wir vom Glauben reden und gar von kommendem Glauben, so laßt es
uns in großer Freiheit und ohne Schämen beginnen. Wir, die wir nicht in
Gemeinden knien können, wir wagen vor beschämter Ehrfurcht nicht, die
höchsten Worte auszusprechen und fürchten uns, unsere Seelen zu
entblößen. Wird es uns schwerer als den berufenen Glaubensverkündern,
diese Scham zu überwinden, um zu bekennen, wie es in unseren Herzen um
den Glauben steht, so soll es um so rückhaltloser geschehen, ja wir
wollen vor allem den Versuch wagen, in harter Selbsterforschung das zu
offenbaren, was jenen nicht obliegt: den unbewußten Widerwillen
gewissenhafter Menschen unserer Zeit gegen den Glauben.

Die erste Hemmung ist die der sittlichen Haltung. Abendländische
Sittlichkeit und Erziehung beruht auf der alten Verherrlichung des
Mutes, der Verdammung der Furcht. Mut mit seiner Gefolgschaft der
Wahrhaftigkeit, Treue, Herrenhaftigkeit, des vornehmen Verzichts; Furcht
mit ihrer Sippe der Heimlichkeit, Lüge, Zweckhaftigkeit,
Unterwürfigkeit, Begehrlichkeit und Zudringlichkeit. Der Begriff der
Sünde besteht nicht. Verwerflich ist nicht das Menschliche an sich, am
wenigsten Ungehorsam und Selbstherrlichkeit; verwerflich ist nur das
Unehrenhafte, die Feigheit und was sie verrät. Keiner Erlösung bedarf
es, der anständige Mensch getraut sich, mit Welt und Überwelt aus
eigener Kraft fertig zu werden, allenfalls mit Hilfe mutfreudiger
Mächte, die den Tapferen, als einen ihres Gleichen, nicht im Stiche
lassen.

Nie wäre es der mittelalterlichen Kirche gelungen, das Mutideal zu
brechen und das Zeichen der Unterwerfung zu erhöhen, wäre ihr nicht die
aufquellende europäische Unterschicht gefügig gewesen. Die Kirche mußte
die Greuel der Hölle ins Unaussprechliche häufen, um den Funken von
Furcht in mutigen Herzen zu entfachen, sie bedurfte der fügsamen
Kinderseele und der Frauenwelt. Dennoch hat sie im abendländischen
Geistesleben nicht mehr als ein Gleichgewicht erreicht, das seltsamste
in aller Geistesgeschichte der Erde. Abgesehen von religiös begabten
Naturen und von Beschränkten ist der europäische Mann in der Blüte
seiner Jahre nicht Christ. Bestenfalls kreuzt sich in ihm eine
Wochentagsanschauung mit einem Sonntagsglauben, der auf das Fühlen,
geschweige das Handeln, nicht wirkt. Wenn Mutvorschriften, wie etwa
Zweikampf, in Frage stehen, muß die Glaubenskonvention schweigen; das
Gebot des Backenstreichs ist schlechthin Ärgernis.

So mischt sich für den normalen männlich erwachsenen Europäer in die
Dinge des Glaubens ein Beigeschmack von Unwahrhaftigkeit,
Unterwürfigkeit. Widerliche Sünden bekennen, sich selbst hinstellen als
einen, mit dem man nicht verkehren würde, wenn man ihn träfe, Verzeihung
erbitten in unwürdiger Haltung und schlechtem Gewissen, erlöst zu werden
durch Gnade, von einer Gottheit, die das Gröbste an Schmeichelei
hinnimmt, ja vielleicht verlangt, die von ihren Anhängern eine geläufige
Konvention der Salbung in Rede und Gebärde fordert: das sind
Empfindungen, die mit Schrecken zurückgedrängt und verleugnet, sich ins
Unterbewußte flüchten und den Widerglauben nähren. Wer in seiner Jugend
eine Periode atheistischer Ungläubigkeit erlebt hat, der erinnert sich
unter allen Nöten und Leerheiten eines Gefühls resoluter Ehrlichkeit,
das lieber auf Trost und Heil verzichten als dauernd das Opfer der
Einsicht und der ritterlichen Gesinnung bringen will. Ein schwacher
Widerschein dieses alten Gefühls dämmert auf, wenn wir einem handfesten,
naturwissenschaftlichen Atheisten begegnen; wir betrachten
kopfschüttelnd die selbstbewußte Gewißheit, mit der in den höchsten
Dingen der Vorrang des Verstandes gefordert wird, doch wir empfinden,
dieser Mann macht es sich nicht leicht, er hat es schwerer als wir, und
nicht aus unedlen Gründen. Vergangene Jahrhunderte hatten die Kraft und
Pflicht, den Gottesleugner als Störer irdischer und göttlicher Ordnung
mit Feuer und Schwert zu verfolgen; doch nur ein Gefühl verärgerten
Selbstbewußtseins und unfreiwilliger Achtung erklärt die
selbstbetäubende Wut und schaustellende Verachtung jener eifernden
Gerechten.

Vorblickend nehmen wir wahr, daß künftiger Glauben manches Erbteil von
Babylon und Zion, von Byzanz und Rom, ja einiges auch von Wittenberg
abstreifen wird; er wird ein freier und männlicher Glauben sein, ohne
Sündenlümmelei und Salbadarei, ohne Selbstentehrung, Schmeichelei,
Bettelei und Winselei, für uns Deutsche aber so, wie er aus deutschen
Herzen kommt, und von deutschen Lippen klingt. Unsere ererbte sittliche
Haltung der Mutverehrung wird er nicht vernichten, noch weniger aber
sich ihr beugen. Denn menschliche Sitte ist im Lichte der Weltensonne
nichts; der Glaube steht auf höherem Recht; wenn er Sünde zeiht, so
werden wir uns schuldig fühlen, wenn er Demut fordert, so werden wir uns
beugen, wenn er Erlösung verheißt, so werden wir sie begehren. Alle
diese Dinge aber gehen nicht vor im Bereiche der Wünsche und Ängste, des
hastenden Willens, des geistlichen Betriebs- und Verkehrswesens, sondern
in der Stille des Herzens und nicht um Güterwerben, sondern um höchste
Werte.

Die zweite Hemmung ist die des sittlichen Handelns. Der Glauben steht
nicht für sich, mit der gläubigen Haltung ist es nicht getan, es
entsteht gläubiges Leben, Verkehr mit den göttlichen Mächten und sein
Abbild im täglichen Handeln.

Die Lehrer der Religionen sind geneigt, den Eudämonismus, das Streben
nach irdischem Glück und Gut im göttlichen Verkehr, mit Milde
hinzunehmen, historisch gesonnen, wie nun einmal alles in unserer
formeldenkenden Zeit, erkennen sie im Eudämonismus eine der religiösen
Urformen, einen nötigen und erwünschten Durchgang zum reineren Glauben
und gehen leicht darüber hinweg, daß nur ein verschwindender Teil aller
Glaubensübung über eudämonistische Beschwörung hinausreicht. Wir jedoch
haben dieser Tatsache ins Auge zu blicken, wenn wir wissen wollen,
welche unterbewußte Strömung viele Gemüter vom Glauben fernhält.

Es soll dem ursprünglichen Menschen nicht verdacht und zu seinem Troste
gern gegönnt sein, wenn er die göttlichen Personen und ihre Gefolgschaft
für Wesen hält, die nach Menschenart bestimmbar sind. Nicht bloß Glaube
und rechte Gesinnung, sondern gute Werke, Sündenbekenntnis und Buße,
Danksagung und Lobpreisung, inständiges Gebet, ja selbst Gelübde und
Opfer bewegen die Mächte, von ihrem Vorhaben abzugehen und das zu
bewilligen, was man erbittet. Man bittet um Seelenheil und Segen im
allgemeinen, aber auch um Gesundheit und langes Leben für sich und
andere, um gutes Wetter, Ernte, Wohlstand, Vernichtung der Feinde, Sieg.
Vom Kriege waltet die Vorstellung des Gottesurteils, das durch
Parteinahme der Gottheit für einen der Kämpfenden entschieden wird. Da
nun jeder einzelne Dinge erbittet, die alle wünschen, die aber nicht
allen durchweg gewährt werden können, so entsteht ein Wettbewerb der
Frömmigkeit um die göttliche Gunst.

Es darf nicht verkannt werden, daß manche innerliche, das Materielle
weit übersteigende Regung sich in diese gläubige Betriebsamkeit mischt;
dennoch ist ihr eigentliches Wesen nicht mehr Sache des Gemütes, sondern
der zweckdienlichen Überlegung und der zielbewußten Nachhaltigkeit. Denn
wer einigermaßen überzeugt ist, daß alle irdischen Segnungen sich auf
dem Bittwege und durch Einhaltung von Formen erlangen lassen, der wird
leicht diesem alles in allem bequemeren Weg den Vorzug geben und alles
daransetzen, durch nützliche Inbrunst alle Mitbewerber aus dem Felde zu
schlagen.

Hier sondern sich die Charaktere. Es sind nicht die Schlechtesten, die
den Weg der geistlichen Betriebsamkeit verschmähen, um die ganze Härte
mannhafter Arbeit auf sich zu nehmen. Erblicken sie nun die zielbewußt
Frommen und unter ihnen bisweilen eine kopfhängerische Gestalt, die mit
Verachtung auf den Gottlosen herabsieht, der es sich so schwer macht und
doch nichts erreichen darf, so erwacht abermals ein Trotz, der sich
nicht gegen die primitive Form des Eudämonismus, sondern gegen den
Inbegriff des Glaubens richtet. Ein Glaubensbetrieb, der sich irdischen
Zielen anpaßt, der als Mittel zum Zweck dienen darf, erscheint ihnen als
Magie, gleichviel ob mit gutem oder schlechtem Willen und Erfolg
gehandhabt.

Religionslehrer und Kirchen mögen sich fragen, ob sie soviel getan haben
als nötig war, um die Menschen über das wahre Verhältnis des
Eudämonismus zum Glauben aufzuklären, ob sie nicht gelegentlich die alte
Nützlichkeitsseite des Glaubens willkommen hießen, gleichviel ob als
Erziehungsmittel oder um die Gläubigen bei der Stange zu halten.

Künftige Gläubigkeit wird nicht verkennen, daß der Glaube auch eine
weltliche Sendung habe, wenn auch nicht die der handgreiflichen
Nützlichkeit: denn er schafft Werte und bewegt somit das ganze Gefüge
des irdischen Willens; er heiligt den Menschen, indem er den innersten,
unbewußten Kern seines Wollens berührt; er bringt Trost, indem er alles
Leiden, das in seiner letzten Wurzel ein inneres ist, in der Tiefe
sänftigt. Das ist die irdische, die geringere Seite des Glaubens. Es mag
Menschen geben, die sie verschmähen, doch ihre Ablehnung wird eine
passive sein, wie die der Unmusikalischen gegen Musik, nicht mehr eine
abstoßende aus verletztem Gefühl und Auflehnung des Charakters.

Die dritte Hemmung entspringt dem Intellekt. Sie ist die offenkundige,
unablässig besprochene, die von uns nur in ihren letzten minder bewußten
Wirkungen aufgehellt werden soll. Da Glauben nie aufgehört hat, als ein
Fürwahrhalten zu gelten, da die Grenzen dessen, was für wahr gehalten
werden soll, von den meisten Religionslehrern dogmatisch gezogen, von
vielen ihrer Anhänger zweifelnd überschritten werden, so entstehen die
Konflikte des Skrupels, die drei Lösungen haben: Entfremdung vom
Glauben, Kompromiß, und Opfer des Intellekts. Solange der Glaube
dogmatisch bleibt, ist die letzte Lösung, die des Opfers, die allein
vollkommene und folgerichtige. Doch gerade sie erweckt von neuem
Bedenken des Charakters. Immer wieder fühlt der Zweifelnde, daß der
Beruhigte es sich bequem macht, daß die Schwere des Opfers geradenwegs
mit der Gewissenhaftigkeit wächst, und in dem Augenblick, wo er es zu
bringen bereit ist, schreckt er zurück, weil er seine Gewissenhaftigkeit
durch die Wucht der Vorteile bestochen fürchtet. Freilich haben die
geistig Armen es gut, sie sitzen beisammen und werfen erstaunte Blicke
auf den Dämonischen, der es, wohl aus eigener Schuld, so schwer hat. Er
aber geht nun in seinem Zweifel so weit, daß er die geistig Armen
schlechthin für Beschränkte, für Unmaßgebliche hält, und in
selbstverwundetem Stolz um so weiter von der Pforte des Glaubens
zurückweicht. Er weiß, daß er, soweit es menschenmöglich ist, seinen
Intellekt zwingen könnte; er könnte es mit symbolischer Ausdeutung
versuchen, er könnte über die Dinge hinweggleiten, sie an eine dunklere
Stelle des Bewußtseins rücken, durch Suggestion des Willens die
Gegenkräfte verdrängen. Doch diese Mechanik scheint ihm nicht würdig; er
vermag nicht zu denen aufzublicken, die sie angewendet haben und nun
ihre Ruhe genießen. Er will nur das eine vermeiden: von den schlechteren
Kräften seines Wesens zum Guten gezogen zu werden.

Mag falscher Stolz die eine Hälfte der Schuld tragen, die andere Hälfte
ruht auf den Mechanisierungsformen des Glaubens, die seine Inhalte seit
unvordenklichen Zeiten nicht fortentwickelt und einer veränderten
Menschheit angepaßt haben, indem sie nämlich die Inhalte des Glaubens,
entgegen seinen Stiftern, als sein Wesen ansahen.

Völkerschaften, die der Mythenbildung fähig sind, gibt es noch heute; es
sind solche, bei denen das Glauben (im Sinne des Fürwahrhaltens) und das
Wissen (im Sinne des beweiskräftig Ermittelten) nicht gesondert sind.
Da, wo man kein Interesse am Beweise hat, weil für die einfachen
Verkehrs- und Lebensformen die Mitteilung ausreicht und Lüge keinen
Nutzen bringt, geschehen noch täglich Wunder, und Wundertäter schaffen
Religionen. Die Loslösung des bewiesenen vom unbewiesenen Glauben, die
Trennung von Glauben und Wissen hat den Geist des Abendlandes
geschaffen, und von dieser Schöpfung haben die Glaubensträger keine
Notiz genommen.

Es ist nun nicht gemeint, daß sie Mythen und Sagen hätten
rationalisieren oder in verstandesbürgerlicher Weise ins Symbolische
hätten umbiegen sollen: das wäre klein gewesen und hätte der Lehre der
Jahrhunderte nicht entsprochen. Die Lehre, die den gewaltigen Tatsachen
einer gewandelten Menschheit und eines zeitlosen Glaubens entsprang, war
die, daß es beim Glauben nicht auf das Was, sondern auf das Wie ankommt,
daß der Glaube nicht von seinen Gegenständen, sondern von seinem Geiste
lebt, daß er nicht ein Verwalten, sondern ein Verhalten ist.

Die vierte Hemmung ist die des sozialen Gefühls. Alle abendländischen
Religionen haben sich, dem europäischen Drang zu Ordnung und Aufbau
folgend, an die Mechanisierungsform der Kirche gebunden. Diese uralte
Bindung ist so tief ins Bewußtsein der Völker gedrungen, daß selbst die
Gebildeten, und unter ihnen selbst die, welche gläubig aber nicht
kirchlich sind, Religion und religiöse Organisation kaum zu trennen
vermögen.

Gleichviel in welchem Geiste Kirchen entstanden: ihre vornehmste
gegenwärtige Aufgabe ist der zeitliche und räumliche Schutz ihrer
Konfessionsgehalte, der Schutz gegen zeitliche Wandlung und räumliche
Zersplitterung. Beide Aufgaben sind innerlich paradox, beide fordern
entschiedenen Konservatismus und starken hierarchischen Aufbau. Da
überdies alle Kirchen mit gutem Recht auf Scheidung zwischen
esoterischer und exoterischer Lehre verzichten, haben sie Einstellungen
zu suchen und festzuhalten, die das Fassungsvermögen der religiös und
geistig Minderbegabten, ja Zurückgebliebene nicht ausschließen, und
diese Einstellungen werden um so einseitiger, je mehr von den geistig
Höchststehenden der Kirche verlorengehen.

Am besten hat es noch die katholische Kirche, die von der
philosophischen Arbeit der Jahrhunderte so durchdrungen, von der
lebendigen Wirkung der Orden so genährt ist, daß ihr unendlicher Gehalt
an Überlieferung ohne eigentliche esoterische Disziplin eine
Mannigfaltigkeit der Symbolik und Ausdeutung schafft, die den
anspruchsvolleren Geist beschäftigt, während eine tiefe Mystik der Lehre
und eine unerhörte Abnegation der Regeln die Gemüter bändigt.

Bestände eine Unabhängigkeit des Glaubens von der Kirche, oder ein
freier Parallelismus der Bewegung, wobei die Kirche einer selbständigen
Entwicklung des Glaubens folgte, so wäre es jedem Bekenner freigestellt,
wie weit er zum Geistigen, wie weit er zum Organistischen neigte. In
Wahrheit aber greifen diese Verhältnisse ins Staatsleben über; die
Kirche ist Staatskirche und ihre Bekennerschaft ein milder Zwang.

Kirche und Politik, das unfaßbarste Paradox, und dennoch in den
Begriffen der Kirchenpolitik und der Staatskirche zur scheinbaren
Einheit verflochten. Die Gemeinschaft der Heiligen, deren Reich nicht
von dieser Welt ist, streitet; organisiert sich als Körperschaft und
streitet um Macht, Ausdehnung, Geld und Staatsgewalt. Die mechanisierte
Glaubensform erscheint im Bilde einer Bureaukratie, der geweihte Mensch
wird Beamter.

Die antiken Priesterreligionen, die nicht Kirchen waren, konnten
Staatsreligionen sein, ohne Selbstwiderspruch. Denn es bestand nicht der
Begriff der religiösen Konkurrenz, zumal der geduldeten: man war
gläubiger Grieche, oder man war verbrecherisch gottlos, oder man war
Barbar. Ihr Widerspruch lag im Priestertum; um so milder, je
urzeitlicher der Priesterstand; um so gefährlicher, je bewußter er sich
zur Beamtenschaft oder zur Erwerbsklasse organisierte.

In einer Zeit des individuellen Gewissens und der konkurrierenden
Bekenntnisse greifen die kirchlichen Bureaukratien und Staatsreligionen
weit über den geistigen Bezirk des Glaubens hinaus; sie erwachsen zu
politischen und sozialen Mächten. Sie bemächtigen sich des Staates: und
er gewährt ihnen, daß jeder Abtrünnige zum Bürger minderen Rechts werde,
überantwortet ihnen die Erziehung und die bürgerliche Ehrenweihe der
großen Lebensabschnitte: Geburt und Tod, Mannbarkeit und Ehe. Sie
unterwerfen sich dem Staate und gewähren ihm: Erziehung zum politisch
Bestehenden, Stützung der Obrigkeit, des Klassenaufbaus, der staatlich
anerkannten Denkweise.

Diese politisch-kirchliche Verbindung ist nicht nur von Mittelpunkt zu
Mittelpunkt, von Staatsregierung zu Kirchenregiment verankert, sie
kuppelt sich selbst in den entlegensten Gliedern, und die Beziehung von
Gutsherrschaft und Pfarre, von Militärkommando und Seelsorge, von Schule
und geistlicher Aufsicht, von städtischem Wohlstand und Kirchengemeinde
versinnlicht die ins Große und Kleine gehende Wirkung einer
feudalistisch, militaristisch, ständisch und offiziös gerichteten
Kirchenmacht.

Eine gewaltige und ehrwürdige Institution, die sich auf die
Exekutivgewalt des Staates stützt, die über die gesamte Jugend aus
politischem Recht, über die Landbevölkerung aus praktischer Autorität,
über die Frauen aus Gewissenseinfluß, über die Zugehörigkeit zur
bürgerlichen Vollwertigkeit schlechthin verfügt, bildet eine Macht, die
jede mögliche soziale Polizei an richtunggebender Kraft übertrifft, und
der sich niemand entziehen kann, sofern er nicht die Stellung des
bürgerlichen Subjekts mit der des Objekts zu vertauschen geneigt ist.

Indem aber die Kirche ihrem Bekenner als selbstherrlich gestaltende
Macht aus eigenem Recht entgegentritt, nicht mehr als gestaltete
Verwirklichung seines eigenen religiösen Willens, setzt sie ihm ein
unantastbares Bekenntnis entgegen, das sie ihrer konservativen Pflicht
gemäß gegen Zweifel und Deutung verteidigt, und dessen laute oder
stillschweigende Anerkennung sie erzwingt. Aus politischen und
traditionellen Gründen, sei es um den Eintritt in die Kirchengemeinschaft
zu erschweren, sei es um die Disziplin zu schärfen, sei es um die Lehre
für die unteren Schichten bindender zu machen oder auch nur um
Erschlaffung und Spaltung zu verhüten, wird das Bekenntnis so gestaltet,
daß es freieren Geistern vielfach nur in der Vermittlung gewaltsamer
Deutung oder gewagter Symbolik annehmbar erscheint.

Je restloser daher sich die Geister der bürgerlichen, gesellschaftlichen
und politischen Nötigung der Kirche und ihres Dogmas unterwerfen, desto
mehr gewöhnen sie sich an innere Entfremdung und bemühen sich, in
Einrichtungen und Inhalten Konventionen zu sehen, die man aus Gründen
der Erziehung und Ordnung nicht entbehren kann.

Es ist viel, wenn hinter diesen Konventionen die großen religiösen
Wahrheiten erblickt und geehrt werden, denen sie dereinst entsprangen;
zu häufig geschieht es, daß die Entfremdung sich auf den Glauben selbst
erstreckt. Man klagt über das Schwinden der kirchlichen Beziehung bei
gebildeten Männern jugendlichen Alters: nicht die Beziehung schwindet,
denn abgesehen vom Gottesdienst werden die Pflichten erfüllt, sind
Austritte selten – doch je strenger die Kirche auf ihren Rechten und
Beziehungen besteht, desto unaufhaltsamer entgleiten ihr die Seelen, und
nicht nur ihr, sondern dem Glauben.

Daß alle diese einfachen Zusammenhänge sich dem öffentlichen Denken
entziehen, liegt daran, daß wir in Deutschland nur noch historisch und
wissenschaftlich, nicht mehr sachlich und pragmatisch denken. Es fehlen
uns die Vergleiche und die Anschauungen. Man frage, wie vielen der
Gebildeten die Verschiedenheit der Begriffe Religion und Kirche
innerlich geläufig ist, wie viele über die ursprünglichsten Fragen sich
eigene Gedanken machen. Unser Denken liegt in den Händen der beamteten
Lehrer der Wissenschaft, die mit dem Rüstzeug ihrer Gelehrsamkeit und
immer erneuten Theorien das Bestehende stützen, der Journalisten, die
das Tägliche bearbeiten, und der Agitatoren, die mit Schlagworten das
Bestehende bekämpfen. Hier heißt es: dem Volke muß der Glaube erhalten
werden, dort: Trennung von Staat und Kirche, und das Problem liegt ganz
wo anders.

Wir, Freunde, haben es in dieser unserer Betrachtung nicht mit Politik
und Einrichtungen zu tun, sondern mit unserer inneren Einstellung zum
Gegenwärtigen und Künftigen. So muß der letzte Glaubenszweifel, der aus
dem Wirklichen erwächst, uns abermals den Glauben an den Glauben als an
ein Unberührbares bekräftigen. Mag der Glaube in Zukunft sich Formen
schaffen, welche er will: politische und soziale, militärische und
erzieherische werden es nicht sein. Der Glaube wird unsere Seelen
läutern und die Seelen unserer Kinder bilden, aber Mittel zum Zweck,
weder zum edlen, noch zum geringen, wird er nicht werden. Kann ein
Glaube sich nicht halten, sofern er nicht vom Staat verordnet wird, kann
ein Staat sich nicht halten, sofern er nicht von einer Kirche verteidigt
wird, so werden beide dahinsinken. Denn beide sind Mächte, die in einer
befreiten Menschheit nur aus eigenem Recht bestehen können. Sind
Glaubensformen durch die Jahrhunderte nicht starr zu erhalten: um so
besser, so mögen sie sich wandeln, wie alle irdischen Formen sich
gewandelt haben, wenn nur ihr Urgrund bestehen bleibt. Läßt sich die
Einheit des Bekenntnisses für die Vielfalt der Herkunft, der
Landesstriche, der Freiheitsstufen nicht bewahren: so mag es
zersplittern, wenn nur die menschliche Gemeinschaft des gläubigen Lebens
erwacht, die heute nicht besteht. Mögen hier Ablässe erteilt und Dämonen
beschworen, mögen dort die reinsten Sakramente empfangen und die
verklärtesten Botschaften verkündet werden: es ist alles vollkommen, was
aus reinem Herzen geschieht, und es ist alles unvollkommen, weil es
irdisches Gleichnis ist. Mögen Gläubige sich zusammenfinden, um den
Drang ihres Herzens gemeinsam zu bekennen, oder mögen sie in Straßenlärm
und Wälder flüchten, um mit ihrer Seele allein zu sein, mögen sie auf
Märkten predigen oder Priester walten lassen, mögen sie geistliche
Truppen oder Beamtenschaften bilden oder sich in mystische Betrachtung
versenken: die göttlichen Mächte hören jedes Wort des Herzens und jeden
fallenden Tropfen. Ein Glaube aber, der nicht wunschbegieriger
Aberglaube, nicht böse Magie, nicht schlauer Wettbewerb, nicht
Heilsgymnastik und zweckdienliche Übung ist, ein Glaube, der nicht
Irdisches vom Göttlichen, sondern Göttliches vom Irdischen will, der
umschließt die Menschheit zu einer einzigen Gemeinde, so daß ein jeder
einen jeden begreift, welche Sprache auch immer des Mundes und Herzens
er redet, und alle die Eine Verantwortung fühlen und ertragen, die
unsagbare Not, Seligkeit und Verantwortung, Mensch zu sein.

Es sind manche, die keinen neuen Glauben wollen, weil sie seine
Ausartung erblicken. Ja es ist wahr: neben jedem Halm des Glaubens wird
ein Büschel abergläubischen und muckerischen Unkrauts wuchern. Es ist
wahr: sein Gift ist widerlicher als des Unglaubens; wie ehrenhaft und
mutig ist der nüchterne, handfeste Atheist, verglichen mit dem süßlich
feigen Mucker, dem lüsternen Geisterbeschwörer, dem schamlosen
Sündenknecht und dem fleißigen Gottesbetrüger. Sollen wir aus Furcht vor
dem Sekundären verzagen? Wer einen Flußlauf reinigt, darf sich nicht
wundern, wenn der Bagger Schlamm emporgeholt; liegen die Gifte der
Muckerei in der Menschheit, so sollen sie zu Tage, mag Sonne und Wind
zerstören, was in den Tiefen gärte.

Es sind andere, die schaffen Glaubensersatz. Sie vertiefen sich in alte
Götterlehren und Sagen und Gebräuche und meinen, auch wenn man nicht
daran glaubt, so ist es schön und dient zur Erhebung, über ein Feuer zu
springen oder die Sonne anzurufen. Es ist schön, aber nicht echt; es
dient zur Erhebung, aber zur künstlichen, äußerlichen, flüchtigen und
gespielten. Es schafft keine Weihung, sondern den Nachgeschmack eines
heiteren Bildes und einer harmlosen Täuschung, die an die Grenze des
Seichten und Kindischen rührt. Romantischer Hang zum Vergangenen ist
Bekenntnis zur Unfruchtbarkeit im Künftigen. Die alten Sagen und
Gebräuche waren schön, wie die alten Trachten und Geräte, weil sie aus
der Natur kamen. Gepflogen aber wurden sie, nicht weil sie schön,
sondern weil sie heilbringend waren. In der Bestimmung über Fluch und
Segen wurde Erhebung, halb unbewußt vielleicht auch Schönheit empfunden.
Antiquarische Belustigung auf ästhetischem Grunde schafft keine
künstliche Naivität, sondern zerstört die Reste der natürlichen.

Manche träumen von neuen Propheten und Erweckern. Wie zur Zeit der
Kathedralen soll ein einiger Glauben über die bewohnte Erde herrschen.
Ästheten sehen den neuen Heilsbringer schon unter uns wandeln, halb eine
Dostojewskische, halb eine Franziskanische Figur, Paulus, Augustinus und
Luther haben an der literarischen Gestalt keinen Anteil. Vor allem muß
er arm sein und der untersten Schicht des Volkes entstammen. Freilich,
setzt der winselnde Ästhet hinzu, er selbst würde ihm schwerlich folgen
können.

Freilich wird er ihm nicht folgen. Niemand wird ihm folgen, und deshalb
wird der Prophet nicht kommen. Goethe ließ Christus zur Erde
zurückkehren und geleitete ihn bis an die Tür des Pfarrhauses, dann
brach er das Gedicht ab, denn es widerstrebte ihm der Konflikt.
Hauptmann ließ seinen Narren in Christo mit staatlichen und kirchlichen
Behörden zusammenstoßen und in Einsamkeit enden.

Propheten werden uns nicht gegeben, weil unsere Zeit die Ehrfurcht vor
dem Gedanken verloren hat. Das Wort und der Gedanke ist uns nicht mehr
eine Flamme, die aus dem Herzen bricht, sondern die gewerbliche Leistung
eines Berufes oder die vergnügliche eines Müßiggangs. Worte sind nicht
Bekenntnisse, die man glaubt, sondern Geistesproben, die man kostet und
mäkelt. Die Meinungen müssen sich ablösen wie die Tagesblätter und die
Moden, damit neuer Umsatz Platz findet. Wie sollte auch das Massenhafte
wahr sein? Es wird mehr geredet um des Widerspruchs als um des Glaubens
willen. Käme heute einer und redete aus dem Herzen der Welt, so hätte er
die Presse gegen sich, oder die Literatur, oder die Interessenten, oder
die Polizei, oder die Professoren, oder die Pfarrer, oder das Publikum,
oder alle miteinander. Und wer folgte ihm? Ein paar Geistlinge, die ihn
aus Gegennachahmung ästhetisch werten, ein paar Unzufriedene, und ein
paar Bürger aus Mißverständnis.

Das Gute, das noch heute in die Welt kommt, kann den Stromsturz der
Prophetie nicht erleben, es rieselt unterirdisch zu Tal und darf nur
mittelbar wirken. Es wirkt, weil es weiter rinnt und sich mit tausend
anderen Rinnsalen mengt, während die Platzregen verdunsten. Die Reihe
der Empfangenden ist keine räumliche, sondern eine zeitliche. Das Volk
der Gleichzeitigen irrt, das Volk der Geschlechter ist unfehlbar.

Warum ich euch das sage, da ich doch von euch gehört sein will? Weil
ich kein Prophet und kein Weiser bin, weil ich euch nichts zu lehren und
nichts zu verkünden habe. Ich will, daß wir unsere Sorge und Zuversicht
gemeinsam erörtern, mein Geschlecht mit dem euren, wie eures dereinst
mit dem nächsten. Wir wollen gemeinsam zweifeln und glauben, uns
zurechtweisen und bestärken. Denn wenn wir aus der Offenbarungslosigkeit
unserer Zeit eine Lehre entnehmen sollen, so ist es die: wenn die höhere
Stimme schweigt, so ist die Entscheidung in uns selbst gelegt. Unsere
Verantwortung wächst, in uns selbst sollen wir Richtkräfte entwickeln,
und können es nur, wenn wir den Lärm in unseren Herzen schweigen machen
und nicht mehr aufhören, in die Tiefe und zu den Sternen zu lauschen.

Was nennen wir Einheit des Glaubens? Einheit der Glaubensinhalte, der
Einrichtungen und Formeln. Glauben ist aber nicht, wie das Wissen, etwas
das sich auf Gegenstände bezieht, ein leerer Spiegel, in dem das
wechselnde Bild den Inhalt ausmacht, er ist nicht, wie das Können,
etwas, das sich in Formen verwirklicht, er ist ein Verhalten, ein
Zustand, ein Leben. Einheit des Glaubens ist daher nicht, wie die
Jahrhunderte meinen, Einheit der gläubigen Vorstellung, sondern Einheit
gläubigen Daseins. Alle wahrhafte Verschiedenheit des Glaubens liegt nur
in der Mannigfalt der Stufenfolge vom furchterfüllten Zauberwesen zur
segenkaufenden Dämonie, von rechnender Ritenpolitik zu zweckhafter
Bitte, von wohlgefälliger Buße zu freiem transzendenten Erleben. Diese
Abstufungen aber bestehen innerhalb aller vorhandenen Glaubensformen;
jede Religion läßt soviel Aberglauben und soviel Freiheit zu, als jeder
ihrer Bekenner verlangt und erträgt. Eine hochstehende und gläubige
Epoche unterscheidet sich von der rückläufigen und ungläubigen nicht so
sehr durch die Form der herrschenden Bekenntnisse als durch den Geist,
den sie ihnen einhaucht.

Daß die Daseinsform des Glaubens über jede andere menschliche
Daseinsform erhoben ist, bedarf keiner Begründung, sie ist es aus
eigenem Recht. Es gibt ein inneres Gefühl der Einschätzung unserer
Erlebnisse, um das sich die Psychologie nicht kümmert, einer
Einschätzung, die nicht vom Meßbaren abhängt, sondern das Wesen
ergreift. So gut wir wissen, daß eine Liebesregung uns mehr bedeutet als
der seltenste Duft einer Blüte, so wissen wir aus innerer Gewißheit, daß
jedes seelische Erlebnis auf höherer Ebene herrscht als jedes geistige
und sinnliche Erlebnis. Das vollkommenste Erlebnis unserer Seele aber
ist der Glaube.

Nicht jeder hat daran Teil. Nicht jedes Ohr vernimmt Musik, nicht jedes
Herz erlebt Gläubigkeit. Dessen soll sich niemand kränken, denn es geht
keine Seele verloren. Wem der Glaube versagt ist, der mag mutig und
resolut als überzeugter Materialist ein anständig-intellektualistisches
Leben wählen; tausendmal besser als wenn er aus erquälter Pflicht oder
der Nützlichkeitsspekulation: Nützt es nicht, so schadet es nicht, sein
inneres Leben vergewaltigt oder Götzendienst treibt. Es wird der
Augenblick kommen, wo er lernt, dem aufgeregten Verstande Schweigen zu
gebieten und sich hinzugeben, dann ist er gewandelt, bis dahin wird er
in der Welt der unsichtbaren Güter ein Helfender, nicht ein Schaffender
sein.

Das Wort, Glaube sei das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit, trifft
zu, aber umfaßt nicht. Denn Glaube ist auch das Gefühl schaffender
Liebe, auch das Gefühl der Teilhaberschaft und Mitverantwortung. Er ist
zugleich vollkommene Gebundenheit und vollkommene Freiheit,
selbstvergessene Demut und stolze Sicherheit, reines Schenken und
stilles Empfangen, unablässiges Werben und Schaffen und klarste Ruhe. Er
ist ein Leben: ein Leben der Bezogenheit auf den Urgrund, gleichviel
nach welcher Anschauungsform man ihn zu benennen versucht, als
Unendlichkeit, Absolutes, Gesetz, Macht, Liebe.

Dieses Leben ist so unendlich mannigfach, wie das Tagesleben, das es
begleitet und erleuchtet, wenn auch die Augenblicke voller Bewußtheit so
kurz sind wie die Augenblicke bewußten Lebens.

Eure jungen Gemüter, Freunde, rufe ich zum Zeugnis für die Erfüllungen
des inneren Lebens. Euch, nicht mir, steht es zu, die Fülle zu bekennen,
die euch reicher und wechselvoller und unberührter als mir gespendet
ist. Unter euch sind die, denen das Herz zerschmilzt in Dank und
Hingabe, in hellblickender Gewißheit und klopfender Erwartung. Sie
wollen nichts anderes, als bereit sein, sich verschenken, Werkzeug sein,
dienen. Sie wollen nicht ihre Freuden, nicht ihre Leiden, nicht ihre
Wünsche, nicht ihre Ängste; Strahlen und Schwerter mögen durch sie
hindurchgehen, sie sind nichts als ein Teil der Schöpfung, der sein
Bewußtsein darbringt, ein Ätherhauch, durch den das Seiende sich selbst
verklärt. Sie verwehen in Sonne, Wasser und Wind, sie schmiegen sich als
Staubkorn an den Sternensaum, an die Brust der Allmacht und ihr Wort
ist: dein Wille geschehe und nicht mein Wille.

Unter euch sind die, welche sich erbarmen. Ihre Liebe saugt alles Leid
der Kreatur in das eigene Herz, löst jede Freudenkraft von sich los, um
den Schmerzensbrand der Welt zu lindern; die Unvollkommenheit des
Geschaffenen fühlen sie als eigene Sünde, alle Schuld als eigene
Verantwortung. Sie stürmen zum Thron der Gerechtigkeit, um sich als
Opfer darzubringen, sie ergreifen die Verheißung um sie in tätiger
Liebesglut der Welt einzuschmieden. Sie sind die lebendigen Boten
zwischen Welt und Überwelt, ihr Wort ist: erlöse uns.

Unter euch sind die, welche danken. Überwältigt sind sie von der
Schönheitsgewalt des Seins. In ihnen sprießt das Gras, klingen die
Brunnen, sausen die Gestirne. Im Strom der Schöpfung ist selige
Sicherheit. Das Furchtbare ist göttlich, und das Entsetzliche ist
heilig. Im Anblick des höchsten Gesetzes entsinkt die Überpracht des
Geschaffenen vor dem Wort: ich frage nicht nach Himmel und Erde, ob mir
Leib und Seele verschmachtet, wenn ich dich nur habe.

Unter euch sind die, welche sich versenken. Im unermeßlichen Schweigen,
in der Dunkelglut des Abgrundes beginnen die Ströme zu rauschen,
Bergmassen entweichen, das Eins stürzt ins All, das lichte All ins Eine.
Die Welt ist nicht, nicht Himmel und Hölle, nicht Gut und Böse, nicht
Glück und Leiden. Sein und Nichtsein umschlingt sich, ursprungloses
Licht, wortlose Erfüllung.

Ihr wißt, daß von diesem Leben auch nicht das kleinste erzwungen werden
kann. Drängender Wille, bohrender Verstand, Versprechung und Beschwörung
sind vergebens. Wie wollte jemand mit eigenmächtiger Gewalt in den
innersten Punkt seines Wesens dringen? Und wenn er alle seine
Geistesmächte in Bewegung setzte, mit kluger Einsicht jede nötige
Wandlung zu erbitten suchte, es wäre ein Spiel des Verstandes und darum
eitel. Die Mächte wollen nichts von uns, nicht Weihrauch, Huldigung,
nicht Bemühung; doch sind sie allezeit gewärtig, ihr Strom umrauscht uns
unerfaßt, wenn wir uns verschließen, er durchdringt uns, wenn wir uns
ergeben. Nicht widerstreben ist das einzige, das uns freisteht, Hingabe,
Schweigen, Bona Voluntas. So gewinnt denn das Sinnbild sein Recht, daß
alles Heil aus Gnade kommt, und daß niemand sich selbst erlöst. Jeder
aber vermag jeden zum Heil zu führen, mit schwachen oder mit starken
Kräften, das ist das Geheimnis menschlicher Solidarität. Auch die Sünde
läßt sich begreifen als der Inbegriff der alten Bezirke, die unser
Geschlecht auf langem Wege durchlaufen hat, und das schwere, zur Erde
ziehende, schuldhaft scheinende Bewußtsein ist der Gefühlston der
Geister, die sich schmerzlich vom Vergangenen losreißen, um erwachend
dem kommenden Reich entgegen zu schreiten. Für dieses Reich aber, das
das Reich der Seele ist, läßt sich kein schöneres Bild finden als das
vom Reiche des Himmels, und wenn gesagt ist, daß die Armen am Geiste es
betreten, so verstehen wir das Gleichnis, wenn wir der Armut des
Intellekts den Reichtum der Seelenkräfte gegenüberstellen.

Alle reinen Glaubensformen sind Projektionen des Unaussprechlichen auf
die wechselnden Flächen des örtlichen und zeitlichen Vorstellungs- und
Fassungsvermögens. Sollten wir wünschen, oder auch nur denken können,
daß _eine_ Symbolik und Ausdrucksform die herrschende werde und die
übrigen vertilgt oder knechte? Wenn wir begreifen, daß Glauben ein Leben
und nicht einen Vorstellungskomplex bedeutet, so können wir in dem
Schritt der Welt zur Gläubigkeit nicht die Neuordnung und Uniformierung
gegebener Vorstellungsreihen erblicken, sondern die Vergeistigung, die
fortgesetzte, innere Wandlung einer jeden Glaubensform vom Fetischismus,
Eudämonismus und Ritualismus zur Transzendenz.

Und wenn auf diesem Wege die Symbolismen und Mechanisierungsformen sich
weiterhin zersplittern, so soll es uns nicht anfechten. Im Versiegen der
Wundertat und der berufenen Offenbarung liegt nicht zornige Abwendung
des Göttlichen, sondern die Mündigkeitserklärung der Menschheit. Nun ist
sich jeder seiner Glaubenspflicht und innerhalb dieser Pflicht seiner
Glaubensfreiheit bewußt, nun wissen wir, daß nicht lernen, wissen,
fürwahrhalten, denken und handeln uns selig macht, sondern der gute
Wille, Erleuchtung und inneres Leben. Und wie die Mannigfaltigkeit alles
Menschlichen im Guten das tröstlichste Geschenk der Schöpfung an unseren
Glauben ist, so ist die Mannigfaltigkeit des Glaubens die dankbare
Erwiderung der menschlichen Geteiltheit an das Eine.

Freilich, in unserem armen Stande des vorstellungsbedürftigen Geistes
scheint uns eine Erhebung leer, erlahmt allzubald das Herz in seinem
Schwung, wenn nicht ein leichtes Gerüst von Begriffen und Worten die
Inhalte unseres Glaubenslebens stützt. Gestehen wir frei, was Menschen
sonst in begreiflicher Verschämtheit nicht leicht berühren, daß jeder
von uns halb unbewußt eine kleine Dogmatik, Mythologie und Heilslehre
verschwiegen sich im Innern geschaffen hat, bereit, sie im kalten
Tageslicht zu verleugnen, in dunkler Stille geneigt, ihr zu lauschen.
Warum verhüllen wir diese Dinge? Nicht weil sie kindlich,
unsystematisch, unbeweisbar sind, – denn wieviel von unseren
Tagesmeinungen ist beweisbar? – sondern weil wir den Spott vor uns
selbst fürchten, weil wir die Überzeugung von der Größe, dem Ernst und
der Pflicht des Glaubens verloren haben. Deshalb zertreten wir die
leichten Blüten auf dem kindlichen Grunde des Gemüts, und schämen uns
der Verwüstung, und bedecken sie mit Heimlichkeit. Laßt uns mutig und
offenherzig sein, laßt uns diese bescheidenen Schöpfungen pflegen und
unbelächelt mitteilen, ein Teil der Aufmerksamkeit, die wir alltäglichen
Erlebnissen und wissenschaftlichen Feststellungen opfern, mag ihnen
gegönnt sein. Denn in ihnen vollzieht sich die stille Bewegung, das
gestaltende Wachstum des Glaubens. Was Wissenschaften nicht vermochten,
Kirchen versäumten, einsame Denker in langen Abständen mühsam
unternahmen, das wird durch Volkskraft organisch sich bilden, sofern wir
die blöde Scheu des Alltags verwinden.

Diese Scheu empfinde auch ich, obwohl ich in meinen Schriften auf
Gedankenwegen bis an die Grenze des Glaubensbekenntnisses mich leiten
ließ, heute überschreite ich sie, nicht in der Meinung, euch auch nur
ein Wort zu sagen, das weiter trägt als eure eigenen Fühlungen, oder das
in eurem Gedächtnis zu haften verdient, doch in dem Wunsche, von euch
geprüft zu werden, wie ihr einander euch prüfen sollt, und in dem
Pflichtbewußtsein, der eigenen Forderung nicht auszuweichen.

Ich glaube, daß unsere schwache Einsicht und unsere wenigen und
zufälligen Sinne uns von der wahren Welt nicht viel mehr offenbaren als
dem Geschöpf, das zwischen Stamm und Borke eines Baumes lebt. So hat
Spinoza gelehrt, daß von den unendlichen Attributen des Seienden uns
zwei nur erkennbar sind: Räumlichkeit und Bewußtsein.

Ich glaube, daß die sinnliche Welt das Buch ist, aus dem wir Bilder und
Gleichnisse der Betrachtung schöpfen, und der Kampfplatz, auf dem unser
Wille die Laufbahn von der Kindlichkeit der Begierde bis zur reifenden
Einkehr durchmißt.

Ich glaube, daß der Geist unendliche Stufen durchläuft, von undenklicher
Zersplitterung bis zum Geist des Ätheratoms, vom Geist des Minerals, der
organischen Substanz, der Zelle, der Pflanze und des Tieres bis zum
Geist des Menschen, und abermals in undenkbarer Folge aufwärts. Diese
Welt der Geister ist die wahre Welt, von ihren Gesetzen wissen wir
wenig, doch die wunderbare Mannigfalt des Gesetzmäßigen fügt es, daß
unter unseren Augen geistige Gebilde mit eigenem Bewußtsein entstehen,
Zellenstaaten, Ameisenhaufen, Bienenschwärme, Menschenstädte und
Menschennationen.

Jede Geistesstufe bildet sich eine Erscheinungswelt aus dem, was sie zu
fassen vermag; die Welt, die der Granit begreift, ist eine andere als
die der Zelle, die menschliche, von Geist und Sinnen erschaffene Welt
ist eine andere als die des Regenwurmes.

Die Geistesformen, die hinter uns liegen, gipfeln in einem einzigen
Willen: zur Selbsterhaltung und Arterhaltung. Dieser Wille hat sich ein
stets verfeinertes Werkzeug geschaffen, das wir auf menschlicher Stufe
Intellekt nennen; der grobe, unmittelbare Wille zur Erhaltung aber hat
sich zugespitzt zum mittelbaren Willen; dessen Gegenstand nennen wir
Zweck.

Intellekt und Zweck beherrschen die ganze organische Stufenfolge bis zum
Menschentum, vom Geist der Alge bis zum Geist des Staatsmannes sind sie
nur gradweise verschieden.

Der Mensch aber ist ein Geschöpf der Grenze. In ihm endet die
zweckhaft-intellektuelle Geistesform und entsteht eine höhere. Im
Menschen erwachen Gefühlsreihen, die nicht mehr der Erhaltung dienen, ja
ihr entgegenwirken können. Ideen und Ideale, Liebe zum Nächsten, zur
Menschheit, zur Schöpfung, zum Überweltlichen erfüllen das Leben des
Menschen und sind zweckfrei, sie dienen uns nicht, sondern wir dienen
ihnen und sind bereit, für sie uns zu opfern.

Hier beginnt das nächst höhere Geistesreich, das Reich der Seele. Seiner
sind wir nicht stärker teilhaftig, als etwa die Zelle des intellektualen
Reichs teilhaftig ist. In diesem Reich und seiner Anschauungswelt sind
wir unmündige, stammelnde Kinder. Deshalb können wir seine Welt, die
nicht mehr die Welt der raumzeitlichen Vorstellungen und Begriffe ist,
nur ahnen, nicht erfassen.

Von dieser Grenze aus scheidet sich alles Seiende. Die durchlaufenden
Welten erscheinen als die Weltseite der Schöpfung, was ihnen angehört,
wird im Sinne der Einsicht zum Unwesentlichen, im Sinne der Ethik zur
Sünde. Der Gottseite der Schöpfung, dem Kommenden, das uns als
Vollendung erscheint, und das der Beginn neuer unendlicher Stufenfolge
ist, streben wir entgegen, und es steht bei uns, wie weit wir in uns
und um uns das kommende Reich schon im irdischen Dasein verwirklichen.

Dies ist die Sendung des Menschengeschlechts: die mittlere Reihe der
Schöpfung zu vollenden und die höhere Reihe der Welten zu beginnen, und
dies ist seine Verantwortung: aus niederem Geist göttlichen Geist zu
verklären. Erlösung aber bedeutet, daß diese Verklärung aus eigener
Kraft nicht möglich ist, daß dem guten Willen die rettende Kraft zu
Hilfe kommt.

Guter Wille, Vertrauen und Liebe öffnen unsere Herzen den göttlichen
Strahlen, die uns allerwärts umfließen, und helfen die Herzen unserer
Brüder öffnen. Hierin ist alle Glaubens- und Sittenlehre beschlossen; es
gibt kein Tun und Vollbringen, das selig macht, selig macht nur die
Gesinnung. Es gibt kein sittliches Handeln, sondern einen sittlichen
Zustand, der unrechtes Handeln ausschließt. Es gibt keine absoluten
Werte außer jenen dreien, die uns dem Reich der Seele entgegenführen,
alle anderen irdischen Güter sind bestenfalls Mittel.

Ich glaube, daß im vollendeten Reich der Seele alle Erscheinungen und
Kategorien der intellektualen Welt beendet sind, mit ihnen die kämpfende
Individualität, die Vergänglichkeit und die intellektuale Einsicht. Hier
liegt die Grenze unserer Sprache und Vorstellungskraft. Es versagen alle
Symbole.

Nur ein geringes und unvollkommenes Bild möchte ich andeuten, um eine
Abstufung zu versinnlichen, die vom raum-zeitlichen Erkennen hinweg die
Richtung zu einer unmittelbaren, adäquaten Einsicht ahnen läßt. Man
lehrt uns die Geschichte eines Landes, und wir gewinnen ein zeitliches
Bild. Es geschieht, daß wir später dieses Land durchstreifen, es reiht
sich Erlebnis an Erlebnis, Ort an Ort, auf den Linien unserer Fahrt
durchdringen wir das Gleichzeitige. In der Erinnerung aber verschmilzt
alles, es entsteht in uns ein Bild, in dem das Räumlich-Zeitliche in
eine untrennbare Einheit verwachsen ist, das wir mit allen inneren und
äußeren Sinnen besitzen. Wir wissen mehr als wir gesehen und erfahren
haben. Unser Geist hält uns eine eigene Schöpfung vor Augen, und wohin
wir ihn konzentrieren, glauben wir wahrzunehmen, was ist und was war,
was sein kann und was nicht sein kann, fast möchten wir sagen, was
werden wird. Und dennoch dies alles nicht an der doppelten Schnur von
Raum und Zeit, sondern innerlich, gefühlt, organisch.

Ich glaube, daß mein einfaches Bekenntnis nichts enthält, was nicht in
höchster Vollkommenheit in den heiligen Schriften aller Zeiten verkündet
ist. Was wir in uns zu schaffen glauben, wird stets die einseitige,
dunkle Spiegelung der nie zu erfassenden Wahrheit sein. Doch die
Mannigfalt der Spiegelungen in der Vielzahl der Seelen gibt uns die
Vielseitigkeit des Erlebnisses, deren wir bedürfen, und die Wiederkehr
der großen Züge gibt uns die Gewißheit einer abgebildeten Wahrheit.
Unser Glaubensleben aber wird neu und lebendig, wenn nicht tote
Schriften und verbriefte Ordnungen das Wort verwalten, sondern wenn es
von neuem beginnt, in allen Herzen zu zeugen und zu keimen.

Für unser weltliches Leben entnehmen wir dem Glauben und dem Wort die
Werte und die Maße. Nennen wir es das Reich des Himmels, das Reich
Gottes oder das Reich der Seele: was uns ihm nähert ist gut, was uns
entfernt, ist schlecht. Glück, Leben, Wohlstand, Macht, Kultur, Heimat,
Nation, Menschheit, sind die höchsten irdischen Werte. Wohl dem, der
keinen von ihnen zu opfern braucht, für den sie Mittel zum Göttlichen
bleiben. Wir aber werden sie messen an den Maßen der Seele, des Glaubens
und der Gerechtigkeit, und wo sie das Maß nicht erfüllen, da müssen sie
sich fügen oder weichen.



Krieg


In dieser Betrachtung, die der Einstellung unserer Geister auf
Gegenwärtiges und Künftiges gewidmet ist, hat der Krieg nicht bloß die
Bedeutung des bewegenden Ereignisses, das die Zeiten scheidet, sondern
auch des kritischen Ereignisses, das den Zustand, in dem das Abendland
bisher gelebt hat, offenbart.

Es ist seltsam, wie wenig unsere Zeitgenossen begreifen, daß ein
Zeitalter versunken ist und daß von dem Glanze jener Tage nichts
wiederkehrt. So wie sie noch immer von Vierteljahr zu Vierteljahr das
Ende des Kampfes voraussehen, so glauben sie und werden sie glauben, bis
das neue Geschlecht sie ablöst, daß nach dem Frieden und einer kurzen
Übergangszeit das wieder eintritt, was sie normale Verhältnisse nennen.
Freilich werden die Schulden ein Kopfzerbrechen machen; so mag man eine
Zeitlang sparsamer leben, und alles wird sich finden.

Nichts wird sich finden, alles muß neu geschaffen werden in eiserner
Arbeit. Neu wird unsere Lebensweise, unsere Wirtschaft, unser
Gesellschaftsbau und unsere Staatsform. Neu wird das Verhältnis der
Staaten, der Weltverkehr und die Politik. Neu wird unsere Wissenschaft,
ja selbst unsere Sprache.

Wem von euch ist es nicht in den Sinn gekommen, wenn er einen der
frühen Schriftsteller der verflossenen Epoche las, etwa Stendhal oder
Balzac, daß er sich fragte: Wie, ist das möglich? Dreißig Jahre vor
dieser Zeit blühte das spielende Jahrhundert in seinem Perlmutterglanz,
und diese Menschen in dunklen Kleidern reden in ihrer neuen Aktensprache
der Wissenschaft von Industrie und Börse, von Dampfschiffen und Kammern,
von bürgerlicher Gesellschaft und Militarismus, und wundern sich nicht
über die Neuheit ihrer Welt, und wissen kaum, was vor ihnen war? Ist
dann wirklich einmal die Rede von einem alten Edelmann, der in jener
Tändelzeit jung war, so erscheint er wie ein Fossil, ein Abgestorbener,
ein zopfiges Gespenst.

So fremd werdet ihr an uns vorüberschreiten. Wir, die wir uns auf
Sachlichkeit manches zugute taten, und wissenschaftlich, ernst, wo nicht
gar tief zu sein wähnten: Wir werden euch trotz aller unserer Technik
leichtfertig, flach, vorurteilsvoll, vielleicht auch roh vorkommen, und
der negerhafte und pathetische Luxus, mit dem wir uns umgaben, wird euch
nicht wie der des 18. Jahrhunderts eine Grazie, sondern ein Abscheu
sein. Denn euer Leben wird abermals ernster und härter, doch so Gott
will geistiger und reiner, und in seinen Freuden anmutiger sein.

Der Krieg ist es, der euch von uns scheidet. Wir werden ihn begreifen,
wenn wir ihn als das kritische Ereignis fassen, das er ist, als den
Ausbruch aller tiefen Übel und Schwächen der abgelaufenen Epoche. Denn
jede Deutung als eines Mißgeschickes, Mißverständnisses, schuldhaft
gewollten Frevels versagt. Schuld ist freilich in die örtlich-zeitliche
Bestimmung des Geschehenen verstrickt, Schuld von allen Seiten. Doch
wenn ein Erdteil sich jahrelang zerfleischt und so wenig wie am ersten
Tage seine Gründe und Ziele kennt, so ist die geistige, sittliche und
physische Erkrankung in den Tiefen seines organischen Aufbaus
verwurzelt.

Die Krise, die wir erleben, ist die soziale Revolution. Der Grund,
weshalb sie sich nicht im Innern der Nationen, sondern an ihren Grenzen
entzündet hat, liegt in der Eigenart unserer Wirtschaft, die zur
Weltwirtschaft erwachsen ist, und die in ihren Auswirkungen,
Imperialismus und Nationalismus, die explosivsten ihrer Konflikte an den
Rändern der Staatseinheiten gehäuft hat. Die schwerer entzündlichen
Sprengstoffe im Innern der fester gefügten Staaten bleiben einstweilen
unberührt, durch den Druck von den Grenzen her gebändigt.

Als unbändige Volksvermehrung vereint mit der Mechanisierung den
individuellen Produktionsprozeß vernichtete, wurde die Erde eine einzige
gewaltige Produktionsstätte. Doch ihre nationale Spaltung blieb, und
innerhalb der Nationen vertiefte sich die Spaltung der Stände.
Wirtschaftlich betrachtet: eine große Fabrik, doch nicht einheitlich
gebaut, sondern in den Wohnhäusern und Kammern eines Straßenvierecks
untergebracht und unter den Hausparteien aufgeteilt. Die politische und
die soziale Entwicklung hielt mit der wirtschaftlichen nicht Schritt.
Das ging so lange, als sich die Erzeugung in mäßigen Grenzen hielt und
der Nationalismus sich langsam entwickelte.

Als aber die Staaten, nationalistisch erstarkt, sich gezwungen sahen,
eine energische Wohlstandspolitik zu treiben, um ihren wachsenden
Aufwand für Zivilisation, Rüstung und Machtentfaltung zu bestreiten, als
die Mechanisierung den Staatskörper ergriffen und ihn zum bewußten
Wirtschaftssubjekt und Konkurrenten gemacht hatte, gab es Zwiespalt
zwischen den Parteien.

Jeder wollte so viel Arbeit wie möglich, denn Arbeit bringt Nutzen. Um
zu arbeiten wollte er so viel Rohstoffe wie möglich, und um sie zu
bezahlen, wollte er so viel Absatz wie möglich. Er wollte sogar noch
mehr Absatz, als zur Bezahlung der Rohstoffe nötig war, denn die
heimische Produktion sollte alle anderen überflügeln, und der Absatz im
eigenen Lande ließ sich nicht beliebig steigern. Was er nicht wollte,
waren fremde Fabrikate im eigenen Lande, denn die beeinträchtigen den
Absatz, die Preise und den Nutzen.

Der Kampf ging also um Rohstoff und Absatz, politisch ausgedrückt um
Kolonien und Einflußgebiete. Die Welt war aber klein geworden, die
unbesetzten Gebiete knapp und von allen umworben.

In sein letztes Stadium trat der Kampf, als die äußerste Schlußfolgerung
gezogen wurde: Schutzzoll. Der hatte bei den meisten überdies politische
Gründe: Man wollte die Intensivwirtschaft des Bodens erhalten, um im
Kriege Selbstversorger zu sein, und um den herrschenden Stand der
Grundbesitzer gegen Bodenentwertung zu schützen. Gleichzeitig begann der
Kunstgriff, den man drüben dämpfen #(dumping)# nennt: Man warf dem
Gegner die eigene Überschußware unter Selbstkosten über die Zollmauer
und schädigte sein Schutzsystem.

Allmählich war auch der Nationalismus zum Gipfel gestiegen, denn die
europäischen Unterschichten waren in die Historie getreten. Bis zum
Beginn des 19. Jahrhunderts waren sie anational gewesen, Geschichte war
nur von den herrschenden Kasten gemacht worden; jetzt waren sie
verbürgerlicht, zivilisiert und interessiert, und gaben dem
Wirtschaftskampf die nationale Färbung. Durch Staatenbildung,
Staatenerstrebung und Irredentismus mehrten die neuen Nationalgefühle,
insbesondere die östlichen, den politischen Sprengstoff.

Im Innern der Staaten aber bestand die schroffe Scheidung der Stände.
Das Proletariat, an der Tatsache des Produktionsprozesses interessiert,
an seinem Verlauf nahezu unbeteiligt, war etwa in der Lage des Matrosen,
dem das Schiff wichtig, die Ladung gleichgültig ist; es führte seinen
Wirtschaftskampf, und zwang den Unternehmer, für jede Lohnerhöhung sich
durch Zollerhöhung und gesteigerten Absatzdrang schadlos zu halten.

So verlief der imperial-nationalistische Wirtschaftskampf nach außen und
innen vollkommen anarchisch. Wenigen war er in seinem logischen
Zusammenhang bewußt; am wenigsten den Staatsmännern, die ihn führten.
Klar war nur der Drang, den eigen-nationalen Einfluß zu heben, den
fremden zu schädigen, den eigenen Absatz zu fördern, den fremden
zurückzudrängen; so lückenhaft aber war der Zusammenhang, daß viele,
unter ihnen Bismarck, am Werte des wichtigsten Kettengliedes, der
Rohstoff-Kolonien zweifelten. Bekannt waren auch die Kampfmittel; es
waren Bündnisse, Zollverträge, Rüstungen zu Land und See, Einsprüche
gegen fremden Erwerb, Einmengung in Konflikte. Was als Endzustand
vorschwebte, ist schwer zu sagen: allenfalls eine etwas bessere
Erdeinteilung, als man sie gerade hatte; meist war man auf den
gelegentlichen Vorteil aus.

Niemand war sich auch recht darüber klar, wo ihn der Schuh drückte.
England schob sein Mißbehagen auf Mängel seiner technischen Erziehung
und die Konkurrenz der Deutschen; Deutschland litt an seiner
geographischen Lage und fand sich von Erwerbungen ausgeschlossen;
Frankreich merkte, daß seine Industrie zurückging, und fand, daß das
elsässische Textilgebiet ihm fehle; Amerika klagte über hohe Löhne und
Finanzkrisen und griff zu Schutzzöllen. Nie wurde auch nur ein Versuch
gemacht, die Anarchie in Ordnung zu verwandeln.

Die innere Anarchie: wenn die Außenwirtschaft ihre Grenzen hat, so muß
die Innenwirtschaft ergiebiger, vor allem solidarischer gestaltet
werden. Kräfte und Stoffe im Innern sinnlos vergeuden, um sie von außen
unter Opfern wiederzugewinnen, ist keine gesunde Wirtschaft.

Die äußere Anarchie: wenn alle sich um die kargen Tröge des Absatzes und
Rohstoffes streiten, so muß geteilt werden. Durch den Kampf wird das
Futter nicht mehr, sondern weniger, denn es wird verdorben und
zertreten.

Doch es fehlte nach außen die Einsicht, nach innen der Ansporn; trotz
aller Reibungskämpfe schöpfte die Welt aus dem Vollen wie niemals zuvor
und niemals wieder, und die leichte Bereicherung äußerte sich in
Indolenz.

Anarchie der Wirtschaft und Gesellschaft ist die Grunderscheinung und
Schuld des Vulkanismus, der unter der politischen Oberfläche des
Abendlandes bebte, und seine kritischen Zonen unter die Staatengrenzen
breitete. Eine zweite Reihe von Erscheinungen, die politische Taktik
der Großstaaten während der letzten vierzig Jahre, lockerte die Kruste,
und eine dritte, fast nebensächliche und zufällige Reihe, die Ereignisse
um 1914, bestimmten Zeit und Ort des Ausbruchs.

Auch an der zweiten Reihe der Schuld und Irrung sind alle Staaten
beteiligt. Sind sie entschuldbar bei der ersten, so sind sie es auch bei
der zweiten, denn die mangelnde Einsicht in die Grunderscheinung äußert
sich in der Hilflosigkeit des politischen Handelns.

Die Schuld Frankreichs ist die tiefste, aber auch die menschlichste. Das
Rheingold des Elsaß ist nur das Sinnbild eines schwereren Verlustes.
Unermeßlich ist, was diese Nation in vergangenen Jahrhunderten Europa
geschenkt hat. Sie trug die Zivilisation und einen Teil der Kultur des
Kontinents vom Westfälischen Frieden bis zur Revolution und brachte die
bürgerliche Freiheit. Sie konnte aber, nach der Art ihrer Gaben, nur
schenken, so lange sie mächtig war. Die Macht war verloren, sie gab uns
die Schuld und spaltete in ihrer Leidenschaft Europa derart, daß jede
politische Orientierung von den Vogesen ausgehen mußte, und nur die Wahl
blieb: für den einen oder den anderen. Damit war die Freiheit der
europäischen Politik vernichtet.

Englands Schuld ist fast eine persönliche, ein seltsamer Zug in diesem
so unpersönlichen Lande. Auch England hatte viel gegeben, noch mehr
erworben, und manches verloren. Die #Pax Britannica# stand hinter der
#Pax Romana# nicht zurück. Man mag streiten, ob es recht ist, daß ein
Volk den dritten Teil der Erde besitzt; dieses Volk hat ihn besessen und
mit wenigen Ausnahmen seiner großen Verantwortung entsprechend
verwaltet. In seinen Kolonien und Herrschaften war jeder Fremde
unbehelligt, häufig gut aufgenommen, ja gern gesehen, alle Häfen und
Kohlenplätze standen offen. Das Land begnügte sich mit Freihandel, aus
wohlverstandenem, aber von Kleinlichkeit freiem Interesse. Seine Politik
war eigensüchtig, gewalttätig, aber klar erkennbar, weit mehr auf
eigenen Nutzen als auf fremden Schaden gerichtet. Das änderte
Eduard VII. Er war zu lange Kronprinz gewesen und hatte sich in den
Jahren erzwungener Muße und verhohlener Kritik die alten intriganten
Bündnismethoden der europäischen Höfe angeeignet; er trieb sie zum
Gipfel, indem er die Vogesenspaltung ausnutzte und Deutschland
isolierte. Wie weit die Sorge um die sinkende Wirtschaftskraft seines
Landes, wieweit verwandtschaftliche Verfeindung ihn bestimmte, ist
schwer zu sagen; er war kein dämonischer Charakter und wurde dennoch zum
Dämon Europas.

Rußland litt an den Schwächen orientalischer Reiche. Über sich selbst
hinausgewachsen hatte es seinem tief angelegten, kindlich verträumten
Volk zwar einige europäische Formen, doch keinen Wohlstand, keinen
Mittelstand, keine Bildung, keine eigene Industrialwirtschaft und keinen
Verkehr erworben. Die Regierung wagte nicht, der unerfahrenen Nation die
Verwaltung anzuvertrauen, daher blieb ihr nichts anderes übrig, als die
dünne, verfeinerte und theoretisierende Intelligenz zu verfolgen, das
Volk zu verblöden und sich selbst durch das verbrauchte Mittel der
Expansion zu stärken. Der Balkanstreit mit Österreich, die
Schuldhörigkeit zu Frankreich bestimmte seinen Weg. Es ist kein Zufall,
daß nach Ausbruch des Brandes russische Staatsintrige die Pulverkammer
aufschloß und die letzte Explosion auslöste.

Daß Deutschland bei seinem gegenwärtigen inneren und äußeren Aufbau
nicht imstande ist, eine folgerichtige und langatmige auswärtige Politik
zu führen, habe ich in vielen Schriften, zum Teil lange vor Beginn des
Krieges dargelegt. Es fehlen uns die Menschen und Einrichtungen, vor
allem die Einheitlichkeit des Willens, der Initiative und Verantwortung,
die organisch eingestellte Stetigkeit und Überlieferung. Diese Mängel
sind nicht durch Personen und Ämter verschuldet, sondern durch uns
selbst, die wir nicht unser Geschick selbst in die Hand nehmen, Männer
unseres Vertrauens zur Ernennung vorschlagen, ihnen dann aber auch die
Macht und volle Verantwortung gewähren; die wir vielmehr uns von einer
kleinen, nicht übermäßig geschäftstüchtigen Kaste und deren Assimilanten
verwalten lassen, die sich hilflos im bureaukratisch-parlamentarischen
Dickicht, im neunzigfachen Veto verstrickt und obendrein von unserem
Mißtrauen verfolgt wird.

Die Fehler kurzatmiger und unsteter Politik treten darin zutage, daß man
sich in alles einmischt, für die Galerie arbeitet, alle anderen stört
und nichts für sich erreicht. Es ist nicht gesagt, daß man niemand
stören und sich mit niemand verfeinden darf, aber eines ist sicherlich
falsch: wenn man alle stört und sich mit allen verfeindet. Wir haben
Frankreich gestört in Marokko, England in Transvaal, Rußland in
Konstantinopel, Japan in Shimonoseki. Wir haben Gelegenheiten zu
Verständigungen versäumt mit England, Rußland, Japan, und, innerhalb
gewisser Grenzen, mit Frankreich.

Nicht um unsere Fehler stärker zu betonen als die anderer, sondern
deshalb, weil sie unsere Fehler sind und uns näher angehen als die
anderer, müssen wir uns bereit finden, ein Unwägbares zu beobachten, das
unsere Politik durch eine gleichsam atmosphärische Einwirkung geschädigt
hat.

Es ist kaum einzuschätzen, wie stark die letzte Generation vom Einfluß
Richard Wagners gebannt war, und zwar nicht so entscheidend von seiner
Musik wie von der Gebärde seiner Figuren, ja seiner Vorstellungen.
Vielleicht ist dies nicht ganz richtig: Vielleicht war umgekehrt die
Wagnersche Gebärde der erfaßte Widerhall – er war ein ebenso großer
Hörer wie Töner – des Zeitgefallens. Es ist leicht, eine Gebärde
aufzurufen, schwer, sie zu benennen: sie war der Ausdruck einer Art von
theatralisch-barbarischem Tugendpomp. Sie wirkt fort in Berliner
Denkmälern und Bauten, in den Verkehrsformen und Kulten einzelner
Kreise, und wird von vielen als eigentlich deutsch angesehen. Es ist
immer jemand da, Lohengrin, Walther, Siegfried, Wotan, der alles kann
und alles schlägt, die leidende Tugend erlöst, das Laster züchtigt und
allgemeines Heil bringt, und zwar in einer weitausholenden Pose, mit
Fanfarenklängen, Beleuchtungseffekt und Tableau. Ein Widerschein dieses
Opernwesens zeigte sich in der Politik, selbst in Wortbildungen, wie
Nibelungentreue. Man wünschte, daß jedesmal von uns das erlösende Wort
mit großer Geste gesprochen werde, man wünschte, historische Momente
gestellt zu sehen, man wollte das Schwert klingen und die Standarten
rauschen hören. Die ernste Zeit hat diesen Geschmack der älteren
Generation gemäßigt. Unser ältlich-nüchterner Kanzler möge durch die
Aussicht auf fünf Krönungszüge im Osten sich nicht bewegen lassen, ihn
zu beleben.

Innerhalb einer ärmlichen, im Ziele nicht erkennbaren Außenpolitik
wirkte diese Gebärde zuerst verblüffend, dann aufreizend und Mißtrauen
erregend. Es kam so weit, daß man uns, die gutgläubigste aller Nationen,
für Schaumschläger und Intriganten hielt. Unser gewaltiger Machtaufstieg
hätte uns verpflichten sollen, soviel wie möglich zu schweigen, so wenig
wie möglich uns einzumischen.

In dieser zweiten Reihe von Erscheinungen, den politischen, die den
vulkanischen Grund lockerten, sind abermals Fehler von allen Seiten
einbegriffen, auch von der unseren. Doch eines können wir mit gutem
Gewissen sagen: Eine subjektive Schuld liegt bei unserem Volke nicht. Es
war unser Fehler, daß wir nicht wußten, was wir wollten; eines wollten
wir sicher nicht: den Krieg.

Die dritte und weitaus nebensächliche Reihe, die der örtlich und
zeitlich auslösenden Momente, haben wir nicht zu erörtern, denn uns ist
es nicht um Zeitgeschichte, sondern um Zeitwesen zu tun. Erst in Jahren,
vielleicht niemals, werden diese Wirrnisse sich klären, jedenfalls nicht
früher, als bis die Einzelheiten der französisch-englischen Abmachungen
und die Vorgänge des österreichisch-serbischen Ultimatums offen liegen.

Was uns betrifft, ist dies: Der Krieg, eine soziale Revolution, erzeugt
durch äußere und innere wirtschaftliche Anarchie und soziale Spannung,
beschleunigt durch die Fehler der Kabinette.

Und wenn von einer wahrhaften, tiefen Schuld der Nationen gesprochen
werden soll, so ist es die der Unterlassung. Es fehlte der Welt an
schöpferischen, sittlichen Gedanken. Jeder fühlte, daß die Erde in ein
neues Stadium der Zivilisation getreten war, daß sie anfing, eng und
gefährlich zu werden. Doch man scheute sich, die Gesetze dieser
Umwälzung, der Mechanisierung, zu ergründen und um ihre sittliche
Erlösung zu ringen. Große Nationen traten wiedergeboren und ermächtigt
auf den Schauplatz der Geschichte; allein sie besannen sich nicht, daß
sie gesandt und verantwortlich waren, der Welt Ideen und Ideale zu
schenken. Auch wir haben nichts geschenkt und geopfert, obwohl unsere
Nation sich verjüngt und erneut hatte; unsere Schuld ist schwer, denn
wir Deutschen sind um der Idee willen da.

Nur den einen Gedanken hatten die Völker: wachsen und sich bereichern,
aufsteigen und überflügeln, mächtig werden und erraffen. Und ihre
Staatsmänner dienten diesen Zielen mit den alten Mitteln der List und
Gewalt, mit den kleinen Mitteln der Heimlichkeit und Verständigung, der
Begünstigung, Verlockung und Drohung, des Geldes und der Betriebsamkeit,
mit den großen Mitteln der Rüstung zu Land und Meer. Jeder hoffte, der
Klügere zu sein, unbemerkte Vorteile in merkliche zu verwandeln, den
anderen klein zu kriegen, ohne daß er sich versah. Selbstverständlich
schien: Mein Nutzen ist dein Schaden, mein Leben ist dein Tod. Warum
sollte das, so meinte man, nicht in alle Zeit so weitergehen, da es doch
immer gewesen war? Es konnte nicht weitergehen, denn alle Nationen waren
zum Bewußtsein erwacht und kannten die armseligen Spielregeln, einer so
gut wie der andere.

Daraus aber war gerade die höhere Pflicht zu entnehmen: Endet dies
unergiebige und würdelose Spiel. Wetteifert; schafft sittliche Ideen,
die allen dienen und niemand vernichten, schafft den universalen
Gedanken der Solidarität, nicht durch lahme Schiedsgerichte und
kraftlose Paragraphen, sondern durch lebendiges Zusammenwirken; tut das
soziale Unrecht ab im Innern und das barbarische im Völkerverkehr;
wandelt die Anarchie in Ordnung; schafft dem Gedanken der Menschheit
sein Recht, doch nicht in verblasenem Pazifismus und utopischer Duselei;
beginnt da, wo die Gefahr am dringendsten, die Schwierigkeit am größten,
die Arbeit am härtesten ist, beginnt mit der Wirtschaft. Und dann, wenn
das Gröbste geleistet ist, steigt auf zum Kulturellen, zum Geistigen und
Menschlichen.

Noch heute wird es viele geben, die im Glauben an die Heiligkeit der
Interessen und in selbstbewußter Erkenntnis des sogenannten
Durchführbaren – nämlich des Trivialen – und des sogenannten Uferlosen –
nämlich der sittlichen Pflicht – diese Gedanken verlachen. Ich sage euch
aber: Der kommende Friede wird ein kurzer Waffenstillstand sein, und die
Zahl der kommenden Kriege unabsehbar, die besten Nationen werden
hinsinken und die Welt wird verelenden, sofern nicht schon dieser
Friedensschluß den Willen besiegelt zur Verwirklichung dieser Gedanken.

Ein Völkerbund ist recht und gut, Abrüstung und Schiedsgerichte sind
möglich und verständig: doch alles bleibt wirkungslos, sofern nicht als
erstes ein Wirtschaftsbund, eine Gemeinwirtschaft der Erde geschaffen
wird. Darunter verstehe ich weder die Abschaffung der nationalen
Wirtschaft, noch Freihandel, noch Zollbünde: sondern die Aufteilung und
gemeinsame Verwaltung der internationalen Rohstoffe, die Aufteilung des
internationalen Absatzes und der internationalen Finanzierung.

Ohne diese Verständigungen führen Völkerbund und Schiedsgerichte zur
gesetzmäßigen Abschlachtung der Schwächeren auf dem korrekten Wege der
Konkurrenz; ohne diese Verständigungen führt die bestehende Anarchie zum
Gewaltkampf aller gegen alle.

Der Wirtschaftsbund aber ist so zu verstehen:

Über die Rohstoffe des internationalen Handelns verfügt ein
zwischenstaatliches Syndikat. Sie werden allen Nationen zu gleichen
Ursprungsbedingungen zur Verfügung gestellt, und zwar für den Anfang
nach Maßgabe des bisherigen Verbrauchsverhältnisses. Späterhin wird das
wirtschaftliche Wachstum der einzelnen in Rechnung gezogen.

Die gleiche zwischenstaatliche Behörde regelt die Ausfuhr nach
entsprechendem Schlüssel. Jeder Staat kann verlangen, daß die ihm
zustehende Ausfuhrquote ihm abgenommen werde. Sie verringert sich
entsprechend, sofern er die auf ihn entfallende Einfuhr ablehnt. Die
Lieferungen der Staaten geschehen im gewohnten Verhältnis ihrer
Gütergattungen. Freie Verständigungen über Abänderungen können getroffen
werden, Quotenaustausch ist zulässig.

An internationalen Finanzierungen, die zu Lieferungen führen, kann jeder
Staat Beteiligungen im Verhältnis seiner Ausfuhrquote verlangen.

Dies sind die grundsätzlichsten Bestimmungen, die vereinbart werden
müssen, sofern nicht der stille Wirtschaftskrieg in seiner alten Form,
oder aber, allen Abmachungen zum Trotz, der offene Wirtschaftskrieg in
neuen ungeahnten Formen ausbrechen soll, der entweder zur Verarmung der
nicht selbstversorgenden Staatsgruppen, oder zu unaufhörlichen
Kriegsgewittern führt.

Jahrzehnte werden vergehen, bis dieses System der internationalen
Gemeinwirtschaft voll ausgebaut ist; weiterer Jahrzehnte, vielleicht
Jahrhunderte bedarf es, um die zwischenstaatliche Anarchie durch eine
freiwillig anerkannte oberste Behörde zu ersetzen, die nicht ein
Schiedsgericht, sondern eine Wohlfahrtsbehörde sein muß, der als
mächtigste aller Exekutiven die Handhabung der Wirtschaftsordnung zur
Verfügung steht.

Pazifist im üblichen Sinne bin ich nicht, schon deshalb, weil ich es
nicht für möglich halte, irgendein Übel restlos aus der Welt zu
schaffen. Ich halte den Krieg für ein großes Übel, doch nicht für das
größte, und könnte mir denken, daß noch in Jahrhunderten hier und da
zwischen Völkerschaften gekämpft wird. Niemals wieder darf es aber
geschehen, daß die ganze bevölkerte Erde dem Blutrausch verfällt. Kein
Schlagwort ist so elend Lügen gestraft worden wie das von den sittlich
und geistig regenerierenden Kräften des Krieges, wie das von der großen
Zeit. Gewiß geschieht an allen Fronten Großes, und Größeres vielleicht
da, wo in dunkler Stille die Herzen der Mütter bluten. Doch wer hat so
frevelhaft am Wert der Menschheit gezweifelt, daß Mut und Opfer ihm des
Beweises bedurften?

Kahle Täuschung ist es, zu tun, als ob Front und Heimat zwei
verschiedene Nationen wären, die heldenhafte der Söhne, die anfechtbare
der Väter. Wir alle sind eine Nation, wir haben einen Ruhm und eine
Schuld. Jeder ist allen und jeder für alle verantwortlich. Unser Ruhm
ist das mutige Erdulden und Leisten der Front, das stille Opfern und
Entbehren der Heimat; unser aller Verantwortung ist es, daß das Gesetz
Deutschlands seine Kraft verlor, daß die Sittlichkeit sank, daß der
Geist verflachte. Überblicken wir alle Länder, die unmittelbar oder
mittelbar vom Kriege ergriffen sind, so finden wir überall die gleiche
Entsittlichung in den Formen der gierigen Bereicherung, der Korruption,
des Schwindels, der Denunziation, der Spionage, der Bosheit und Lüge.
Überall die gleiche Entgeistigung in den Formen der Phrase, der
Trivialität, der Urteilslosigkeit, des Selbstlobes, des niederen
Massengeschmacks. Diesen Krieg erträgt die Erde nicht zum zweitenmal,
wenn sie ihn physisch überstände, so ginge sie seelisch zugrunde.

Doch was bedeutet der nächste Krieg, da der gegenwärtige dauert? Da in
jeder Stunde, von Bruderhand erschlagen, Menschen, unsere Menschen,
unsere Brüder ihr Leben verhauchen? Was ist aus uns geworden, daß wir
das ertragen?

Wir wollen einen ehrenvollen Frieden, und wir werden ihn haben. Doch die
Zeit ist gekommen, daß die Menschheit den Frevel nicht mehr ertragen
darf, denn heute weiß sie, eingestanden oder nicht: Dies Schlachten kann
noch Jahre, kann noch Jahrzehnte fortgehen und wird dennoch das
Angesicht der Erde nicht ändern, außer durch Verwüstung.

Es ist Zeit. Die Großen und Mächtigen haben gesprochen und den Krieg
verurteilt. Es ist nicht einer, der ihn verteidigt; doch sie wissen
nicht, wie sie ihn beenden, sie glauben, daß ihre Forderungen zu weit
auseinander gehen.

Es ist Zeit, daß die Niederen und Geringen ihre Stimme erheben und
Zeugnis ablegen, denn was in Jahren geschehen muß, das kann auch heute
sein. So wahr wir fest entschlossen sind, jeder für sein Land zu kämpfen
und zu sterben, solange ein ehrenvoller Friede uns nicht gewährt wird,
so wahr wir uns unverbrüchlich einordnen in die Gesetze unseres Staates
und in die Gefolgschaft unserer Führer, so wahr ist es unsere
menschliche und göttliche Pflicht, an jedem neuen Tage von neuem die
Hand auszustrecken und zu sagen: Brüder, laßt uns in Ehren und in
Menschlichkeit uns finden. Wahrhaftig: Nicht der wird in Krieg und
Frieden der Stärkere sein, der selbstgerecht und gekränkt die Versöhnung
abweist, und nicht der wird, wenn es sein muß, sich schlechter schlagen,
der sein Gewissen entlastet. Für die Unberührbarkeit und Ehre des
Landes, für die Freiheit und den Lebensraum seiner Kinder zu streiten,
ist Gottes Recht; wer um Ruhmsucht und Eroberung den Kampf will, über
den kommt das Blut der Unschuldigen.

Die Großen haben gesprochen. Es ist Zeit, daß die Kleinen und Geringen
reden, bevor die Steine und die Gräber ihren Mund auftun. Und da ich
unter den Geringen ein Geringster bin, so will auch ich meine Stimme
erheben, so schwach sie ist.

So schwach meine Stimme ist, es gibt Pforten, vor denen ein fallender
Tropfen wie Erzklang dröhnt. Auch wenn keines dieser Blätter in das
fremde Land gerät, so wird mein schwaches Menschenwort sich seinen Weg
bahnen, denn die Sprache, die aus heißem Herzen kommt, bedarf keiner
Laute, und wenn ihr Ruf auch nur _einem_ Herzen begegnet, so wird er ein
Hagelkorn des Hasses schmelzen. Dereinst aber wird sich die eisige Saat
in Tau verwandeln.

Feinde, Menschen, Brüder, höret! Es ist genug.

Ihr und wir, wir alle sind mit Blindheit und Wahnsinn geschlagen. Im
blinden Wahnsinn haben wir eine Welt zertrümmert.

Ihr und wir, wir haben nur einen Gedanken: leiden machen. Ihr und wir,
wir jubeln, wenn Menschen brennend aus den Lüften stürzen, wenn Menschen
in der See ersticken, wenn Menschen zerrissen und vergiftet sterben,
wenn man sie in Gefangenschaft treibt. Wir lesen bei Mahlzeiten Dinge,
von denen der tausendste Teil uns erstarren machen müßte. Sind wir noch
Menschen?

Die vier göttlichen Elemente, Feuer und Luft, Wasser und Erde haben wir
zu Werkzeugen des Todes gemacht, und das genügte nicht, Gift und Hunger
holte man zu Hilfe. Aller menschliche Geist zählt und rechnet und
grübelt: noch eine neue Streitmacht, noch eine neue Gewalt, noch eine
neue Todesart.

Sieben Millionen sind tot. Sieben Millionen mal in fünfzehnhundert Tagen
hat der rasend gemachte, gehetzte Tod ein blühendes, hilfloses
Menschenherz zerschnitten, und mit jedem Schnitt hat er ein zweites
liebendes Herz getroffen. Ungezählt sind die Krüppel, die Blinden, die
Wahnsinnigen und Gebrochenen; sie ziehen über die Erde und zeugen wider
uns und euch. Die Kreuze auf den Feldern strecken ihre Arme aus, die
gemordeten Wälder recken ihre verstümmelten Äste, die aussätzige Kruste
der Erde, die zertrommelten Städte, sie blicken auf aus erloschenen
Augen und zeugen wider uns und euch.

In Erdlöchern, in Schlamm und Wasser hocken seit vier Jahren unsere
Brüder, schützen ihre armen Leiber gegen giftige Dünste, Eisensplitter
und Bajonette und trachten nach dem Leben der anderen. Dem Leib der Erde
und der Völker ist die Fruchtbarkeit unterbunden. Bleiche Kinder wachsen
auf, bleiche Mütter arbeiten in Fabriken.

Der Wohlstand ist gebrochen, die friedlichen Gewerbe sind tot, die See
ist verödet. Was noch geschaffen und geschleppt wird, sind Waffen. In
den Städten aber rast der Tanz um das Kalb. Inmitten der Entbehrung
prassen Bereicherte. Die Versuchung wächst, das Gewissen betäubt sich,
die Sitte wankt.

Um die Erde kreist eine Gewalt des Hasses, wie der Planet sie niemals
trug. Noch immer wächst sie, angefacht durch Rache, Verleumdung, Angst
und Verblendung.

Und doch ist die Welt nicht böse und nicht schlecht; sie ist wahnsinnig
und blind. Jeder glaubt, der andere wolle ihn vernichten, und solange
jeder das vom anderen glaubt, bleibt allen nichts übrig, als zu kämpfen.
Wollte aber jemand auch nur einen Tag länger den Kampf fortsetzen, als
Unabhängigkeit, Unberührbarkeit und Lebensraum seines Landes fordern, so
wäre er für sich allein, vor Gott und Menschen schuldig am Jammer der
Millionen, und es wäre ihm besser, daß er nie geboren wäre.

Feinde, Brüder, es ist Zeit! Es ist sehr spät, und jede Minute tötet,
und doch ist noch Zeit. Denn noch tötet jeder von uns in gutem Glauben,
im Glauben an den Vernichtungswillen des anderen. Es mag auch wirklich
in jedem Lande einige Menschen geben, die vernichten wollen,
Verblendete, die glauben, man müsse vom Tode leben, vom Schmerz
Gebrochene, die nach Rache schreien, und, furchtbar zu sagen, vielleicht
auch Gewinnsüchtige und Machtgierige, die nach göttlichem Recht nicht
fragen. Es gibt auch solche, die meinen, das ewige Gesetz vertrage einen
Aufschub, wie schlechte Wechsel, und solche, die wähnen, der Krieg sei
ein Gottesurteil, der Gott des Geistes und der Wahrheit sitze in Wolken
wie Zeus auf dem Berge Ida und warte, bis er seine Feinde in die Hände
seiner Lieblinge geben könne, damit sie mit ihnen verfahren nach ihrer
und seiner Willkür, und neues Gesetz und Recht schaffen. Vielleicht
glauben das in abgeschwächter Form auch einige Staatsmänner, und denken,
der Krieg werde mit der Zeit die Lage so ändern, daß sie doch noch in
aller Stille einige Erwerbungen machen können; deshalb scheuen sie sich,
rund heraus zu reden und zu sagen, was sie verlangen.

Aber ich schwöre euch, es gibt nicht ein einziges Volk auf der Erde, das
die Vernichtung eines anderen Volkes will und wollen kann. Jedes Volk
weiß in seinem inneren Bewußtsein, daß es nur _einen_ Frieden geben kann
und geben wird: der Friede, der in drei oder in zehn oder in zwanzig
Jahren geschlossen werden wird, ist genau der gleiche Friede, der heute
geschlossen werden kann und geschlossen werden soll. Nur versöhnt er
nicht mehr lebendige Völker und gesunde Länder, sondern arme, verrohte
Krüppel und Stätten der Verwüstung.

Prüft das, und wenn es wahr ist, so sprecht es aus. An dem Tage aber,
an dem ihr, Völker der Erde, das Wort aussprecht, das einfache, klare,
selbstverständliche Wort: Keinem Volke soll seine Unabhängigkeit und
sein angestammter Boden geraubt, keinem sollen seine Lebensbedingungen
verkürzt werden, an dem gleichen Tage ist der Krieg gebrochen und der
Frieden in eurer Hand. Denn die Angst der Völker vor einander ist
erloschen, es können weder Gruppen noch Staatsmänner sie neu entfachen,
sie können auch nicht mehr durch vieldeutige, geschäftskluge Forderungen
den Zweifel offen lassen, ob nicht doch, unter der Verhüllung von
Sittensprüchen der Angriff auf das Leben des anderen lauert.

Welchen Weg dann die Staatsmänner wählen, um die leichte Aufgabe zu
lösen, wie man zu Verhandlungen kommt, ist ganz gleichgültig. Der
einfachste Weg scheint mir der beste. Es sollte zunächst jeder Staat
fünf Forderungen nennen, die er für die wichtigsten hält, dann kann
jeder rückfragen nach dem, was ihm unklar scheint oder was er nicht
verstanden hat, dann soll er antworten.

Es ist keine Gefahr, daß die Antworten unbefriedigend ausfallen. Denn
wem eine offenkundig ungerechte Forderung abgelehnt wird, kann
ebensowenig um deswillen den Krieg fortsetzen, wie der, der eine
offenkundig gerechte Forderung ablehnt; es würde ein neuer Krieg mit
neuen Kriegsgründen sein, den niemand will. Sind aber die Antworten
erteilt, so mag man entscheiden, ob eine neue Reihe schriftlicher Fragen
gestellt oder die mündliche Verhandlung begonnen werden soll.

Menschen und Völker, besinnt euch! Es geht um eure Seelen. Es wird kein
anderer Frieden über die Erde kommen, als der Frieden der Gerechtigkeit
und der guten Gesinnung. Wäre ein anderer Frieden erreichbar, ihr
dürftet ihn nicht nehmen, denn er wäre kein Frieden, sondern ein
heimlicher, vergifteter Krieg. Der gerechte Frieden, der Frieden Gottes
kommt, wir mögen ihn wollen oder nicht. Wollen wir ihn, so wird er uns
geschenkt, wollen wir ihn nicht, so wird er uns auferlegt. Sind wir
seiner würdig, so werden wir ihn erleben, sind wir seiner unwürdig, so
werden ihn auch unsere Kinder nicht erleben.

Was der gerechte Frieden ist, wissen wir. Wissen wir es, und handeln
nicht danach, so sind alle unsere Sittensprüche Heuchelei und unser
Gewissen wird am Tage der Entscheidung auf uns lasten. Wir tragen die
Verantwortung für eine Zivilisation und Kultur, für das Glück und das
Leben der Millionen. Diese Verantwortung ist die kleinere. Wir tragen
die Verantwortung um der Gerechtigkeit und um unserer Seelen willen,
diese Verantwortung ist vor Gott und ist die größere. Die Seelen der
Erschlagenen stehen auf und fordern von uns Rechenschaft. Sie fordern
von uns nicht Rache, sondern Versöhnung zur Ehre Gottes. Brüder, wir
wollen einander vergeben, damit uns miteinander vergeben werde. Nicht
der ist schwach, der Vergebung empfängt, nicht der ist stark, der sie
zurückweist.

Vier Jahre lang haben unsere Heere zu Lande, zu Wasser und in der Luft
einander standgehalten und sind nicht ermüdet. Ihre Taten sind größer
als alles Heldentum der Sage und Geschichte. Das edelste und stolzeste
aber wird es sein von allem, was dieser alte Planet erlebt hat und
erleben wird, und ein Leuchten wird von ihm ausgehen über das Weltall,
wenn der Tag anbricht des großen Opfers, der freien, menschlichen und
göttlichen Versöhnung. Der Tag, an dem wir uns vergeben allen Haß und
allen Kummer, alle Tränen und alle Wunden, allen Tod und alle Rache. Der
Tag, an dem wir uns die Hände reichen, um gemeinsam die Wunden zu
heilen, die Witwen und Waisen zu trösten, die Erde neuaufzubauen. An
diesem Tage sind unsere gefallenen Brüder wahrhaft verherrlicht, an
diesem Tage ist die Erde entsühnt, und das Gottesreich um einen Schritt
der Welt genähert.



Charakter


Wir wollen ein großes, starkes, freies Land, doch eine andere Größe,
Stärke und Freiheit, als die wir kannten.

Wir wissen, daß Einrichtungen nicht Gesinnungen schaffen, sondern von
ihnen geschaffen werden. Die Kruste ist starr, der Kern ist bildsam, wer
das Sichtbare umschaffen will, der muß den Mittelpunkt bewegen.

Von Gesinnungen und Einrichtungen, die kommen werden, habe ich oft
gesprochen. Zu euch, Freunde, aber will ich von dem reden, was in der
Wirkungsreihe noch tiefer liegt.

Wie entstehen und ändern sich Gesinnungen? Erlebnis wirkt auf Geist und
wandelt ihn. Verschieden aber wird von gleichem Erlebnis verschiedener
Geist bestimmt, und diese Verschiedenheit heißt Charakter.

Wir überschätzen maßlos die bequeme Gründlichkeitsmethode des
Historizismus, weil jeder fleißige Mensch, deren es, ach, so viele gibt,
sie sich aneignen kann. Im Pragmatischen versagt sie fast immer. Wir
überschätzen die wirtschaftliche Methode, weil sie den Mut der
Folgerichtigkeit hat, doch wird sie dem Geist nicht gerecht, weil sie
ihre Voraussetzung zum Ziele macht, indem sie von der Wirtschaft kommt
und zur Wirtschaft führt. Wir unterschätzen die reine Beobachtung des
Geistes und Charakters, weil sie Einfühlung an Stelle von Gelehrsamkeit
verlangt; hier fühlen wir uns nicht sicher und fürchten uns unbewußt vor
den Ergebnissen.

Verlangt man von jemand die Charakterbeschreibung eines Menschen oder
Volkes, so wird er mit dem geistigen und seelischen Besitzstand
beginnen. Mit Recht. Denn dieser Besitz an Werten und Fähigkeiten
entscheidet über das geistige Sein, über den Wert der geistigen
Substanz. Unserer Frage jedoch ist es nicht um die Substanz, sondern um
ihre Bewegung und Wandlung, um das Schaffen und Handeln zu tun, hier
entscheidet nicht der intellektuale, sondern der voluntarische
Charakter.

Denn auf welcher geistigen und sittlichen Stufe wir stehen, wissen wir.
Wollen wir wissen, ob und wie wir die nächste Stufe erreichen, so müssen
wir die bewegenden Kräfte prüfen.

Alle Form ist sichtbarer Geist. Wo immer wir Lebensäußerungen und
Einrichtungen beobachten, treffen wir, sofern wir tief genug schürfen,
auf die Wurzeln des intellektualen und voluntarischen Charakters, Geist
und Willen. Und wenn bei einem so hochstehenden Volke wie dem unseren,
Trübungen sich zeigen und nicht weichen wollen, so müssen wir die
Ursachen in den Willenskräften aufdecken können. Nicht in der
energetischen Größe der Willensstärke, denn die ist überschüssig,
sondern in Einseitigkeiten der Richtung, in unausgeglichener Aktivität.

Die sichtbaren Mängel unserer Formen, Einrichtungen und Gesinnungen habe
ich in einem Buch, das vielen von euch bekannt ist, geschildert. Bei
ihnen wollen wir nur so lange verweilen, bis uns über die
Einheitlichkeit ihrer Artung eine Vorstellung erwacht, die wir in der
Beobachtung unseres Charakters wiederfinden.

Die Schwächen und Ungerechtigkeiten unseres wirtschaftlichen und
sozialen Aufbaus sind die gleichen wie in aller übrigen Welt, sie
fordern keine gesonderte Betrachtung. Mit einer Ausnahme: der Aufstieg
ist bei uns viel schwerer als anderswo, denn mit der plutokratischen
Hemmung verbindet sich die der feudal-bureaukratisch-militärischen
Atmosphäre. Auf die kommen wir zurück.

Ganz eigenartig, teilweise nur mit denen Österreichs vergleichbar, sind
unsere politischen Schwächen, die wir diesmal nur flüchtig streifen
wollen.

Die Regierung: ein Aufbau unglaublicher innerer Komplikation, Reibung
und Hemmung. Vollkommene Unmöglichkeit einer Fernpolitik, eines
Verfügens auf lange Sicht, das im Wettbewerb der Völker entscheidet;
denn der Staatsmann ist eingespannt in ein neunzigfaches Veto, dem kein
Jubeo entgegensteht. Er muß paktieren mit Höfen, Kirchen, Bundesstaaten,
verbündeten Mächten, drei Kabinetten, zwei Reihen von unbekannten
Kollegen, einem entrückten Kanzler, seinen eigenen Räten, mehreren
Parlamenten und zahlreichen Kommissionen, Parteien, Einzelabgeordneten,
Gewerbevertretungen, Interessenvertretungen, Einzelinteressenten. Jeder
kann ihn stürzen, keiner hält ihn. Er kann froh sein, wenn er ein paar
Jahre laviert, paktiert und verwaltet hat. An Weitsichtiges kann er sich
zur Not auf technischen Gebieten wagen, die niemand interessieren, oder
die niemand versteht. Man wendet ein, daß Bismarck mit diesem System
ein Menschenalter regiert hat: er besaß neben seiner Genialität einen
Talisman, den er erst am Tage seiner Absetzung verlor: die
Unabsetzbarkeit.

Warum das? Weil wir ein halbkonstitutioneller Staat sind. Ein Staat, in
welchem mit Hilfe einer beamteten Gelehrsamkeit alles Historische und
Überlieferte nach Kräften erhalten wird, weil es historisch und
überliefert ist. Ein Staat, in welchem die Worte Volk und Demokratie vor
dem Kriege verpönt waren. Ein Staat, in welchem viele Sonderrechte
bestehen und niemand eines aufzugeben braucht, weil niemand es verlangt.
Ein Staat, in welchem seit Jahrhunderten niemand regiert, der nicht als
Angehöriger oder Assimilant des militärischen Feudalismus, des
feudalisierten Bureaukratismus oder des feudalisierten, militarisierten
und bureaukratisierten Plutokratismus auftritt. Ein Staat, in welchem
mit Hilfe der so bezeichneten Atmosphäre, verschärft durch dauernde
politische, kirchliche und militärische Führungskontrolle, eine Auslese
der Begabungen stattfindet, die man als Gegenauslese bezeichnen kann.
Ein Staat, in welchem das Großbürgertum sich vorwiegend von der Politik
fernhält, es sei denn da, wo Erwerbsinteressen berührt werden, oder wo
Beziehungen zu gewinnen oder zu erhalten sind. Das mittlere Bürgertum
folgt zu einem Drittel der Kirche, zu einem Drittel der kontrollierenden
Autorität, zu einem Drittel ist es in Opposition.

Die beiden großen Parlamente sind tief reformbedürftig. Die Reform
dieser Parlamente, zumal des Reichstages, ist weit notwendiger und
dringender als die der Regierung. Gewählt sind sie auf Grund eines
verwerflichen und eines geometrisch verfälschten Wahlverfahrens. Ihre
geistige Höhenlinie liegt weit tiefer, als ein geistig hochentwickeltes
Volk sie von sich verlangen kann. Überwiegend bestehen sie aus
Ortsgrößen und Vertretern von Interessentenvereinigungen. Schöpferische
Staatsmänner finden sich kaum. Ihre Tätigkeit ist vorwiegend Abänderung,
vielfach Verschlechterung von Regierungsvorlagen, und Kritik. Eigene
Initiative ist selten, geschieht sie, so wird sie meist schnell bereut.
Routinierte Staatsleute werden nach bestimmten Behandlungsregeln leicht
mit den Parlamenten fertig, auch in erregten Sitzungen. Für die
Machtlosigkeit der Parlamente entschädigen sich die Kommissionen und die
gewandteren Abgeordneten durch offizielle Rücksichten, die man ihnen
gewährt. Würden unsere Parlamente heute vor die Aufgabe gestellt,
Koalitionsministerien zu schaffen, so wären sie ratlos; sie wissen
selbst, daß ihre Minister sich nicht mit denen der Bureaukratie würden
messen können. Alles in allem kann man sagen: es würde ohne unsere
Parlamente ebensogut oder besser regiert werden, als mit ihnen. Dereinst
sollen sie die Schule des Staatsmannes, die Quelle der Auslese, die
Träger der Verantwortung werden. Heute sind sie bestenfalls das kleinere
von zwei Übeln.

Woher kommt das? Die Gründe sind die gleichen, wie die, welche die
Regierung lähmen. Halbkonstitutionelles System, daher parlamentarische
Machtlosigkeit, daher parlamentarische Interessenlosigkeit, daher
parlamentarische Unzulänglichkeit, daher Unmöglichkeit, dem Parlament
größere Verantwortung zu gewähren, daher halbkonstitutionelles System.
Den Zirkel könnte nur das Volk zerschneiden, doch es ist unpolitisch,
parlamentsmüde, noch bevor es ein echtes Parlament kennengelernt hat,
indolent, durch gelehrte Theorien, Schlagworte und Beeinflussung
kopfscheu gemacht. Die größte Verwirrung aber stiftet der angebliche
Gegenbegriff Autokratie und Demokratie.

Bismarck hat den bourgeoisen Liberalismus vernichtet, das war sein
Recht; er hat ihn überdies derart diskreditiert, daß er fast mit dem
Makel der Unehrlichkeit behaftet wurde, das war sein Unrecht. Machte
Liberalismus den Menschen gewissermaßen gesellschaftsunfähig und
ungeeignet, ein besseres Amt zu bekleiden, so war Demokratismus
offenkundige Auflehnung gegen die gottgewollte Obrigkeit und
Abhängigkeit; und so erscheint er den meisten noch heute. Man denkt an
Pöbelherrschaft und Kommunismus und kommt sich klug vor, wenn man
beobachtet, daß selbst in Republiken eigentlich autokratisch regiert
wird.

Autokratisch soll überall regiert werden, jede andere als die
autokratische Regierung ist machtlos und unfähig. Autokratie und
Demokratie sind nicht Gegensätze, die sich ausschließen; im Gegenteil,
nur durch Vereinigung kommen sie zur Wirkung. Nur auf demokratischer
Grundlage kann und darf autokratisch regiert werden, nur mit
autokratischem Überbau ist Demokratie gerechtfertigt.

In allen Zeiten haben Personen regiert, nicht Körperschaften und Massen.
Regieren aber ist Kunst, sie kann nur geübt werden, wenn der schaffende
Mensch ungestört, unbehelligt, vom Vertrauen getragen bleibt. Regiert er
ohne Vertrauen, durch Macht, so ist er Despot, regiert er ohne
Vertrauen, kontrolliert, behelligt und gehemmt, so ist er Stümper.

Vertrauen macht Autokratie möglich, Demokratie macht Vertrauen möglich.
Vertrauen schenkt man dem, den man kennt und will, nicht dem, der
ernannt wird. Wohl kann auch der Ernannte sich Vertrauen erwerben; bis
er es hat, ist er tot, zum mindesten verbraucht. Das Vertrauen zum
Erwählten muß und soll nicht ewig währen; endet es, so tritt er ab, ein
anderer richtet den Weg wieder gerade, renkt die Fehler ein, und nach
einer Zeit mag der erste wiederkommen. Durch den Begriff des Vertrauens,
womit nicht der plumpe Kredit bürgerlicher Unbescholtenheit, sondern
geistiges Vertrauen gemeint ist, verbindet sich Demokratie und
Autokratie zur einzigen politischen Form, die großer Verantwortung
gewachsen ist.

Dies wissen wir nicht, verhöhnen den demokratischen Autokratismus,
stellen ihm die demokratische Wahlform eines machtlosen Parlaments
gegenüber und machen aus unverhohlenem Mißtrauen durch stets verschärfte
Kontrollen den uns auferlegten Staatsmännern das an sich unmögliche
Leben noch unmöglicher.

Bevor wir nun der Frage antworten, welche unserer Charaktereigenschaften
unser politisches Leben verwirrt und uns den Aufstieg zu neuer Gesinnung
erschwert, sei eine Bemerkung eingeschaltet, die unser neueres
Verhältnis zur Beobachtung eigener und fremder Charakterzüge betrifft.

Mag man sich zum Kriege stellen, wie man will; unvergeßlich bleiben jene
Augusttage auch für den, der hinter den Jubelchören Schatten aufsteigen
sah. Bald wurde auch manchem anderen der falsche Ton vernehmlich, der
in der herrlichen Begeisterung der Jungen, in der brüderlichen
Opferfreude der Älteren anfänglich verklungen war. Bald wurde fühlbar,
es gab auch solche, die von dem großen Ereignis eigene Vorteile hofften,
sei es für die alte, sei es für eine neue Laufbahn, sei es für
geschäftliche, sei es für politische Sonderstrebungen; es gab auch
beabsichtigten und interessierten Enthusiasmus. Während draußen die
ersten und herrlichsten Taten geschahen, während die erste, heißeste
Hingabe der Heimat, zumal der Frauen, die Herzen erwärmte, regten sich
die ersten Heimkrieger, Kriegsspekulanten und Raffer. Während das Volk
an den Fronten diszipliniert, daheim organisiert wurde, verebbte der
Geist. Nie hatte es ein derartiges Absinken der geistigen Ebene Europas
in so kurzer Zeit gegeben. Das Denken der Gebildeten verschmolz mit dem
der Massen zu aufgeregter, unduldsamer Suggestion, die jede Prüfung und
Besinnung verpönte, das Ungereimteste, Widersinnigste, Gehässigste wurde
ausgesprengt, geglaubt, geurteilt, vorausgesagt, und jeder verfolgt, der
nicht einzustimmen schien. Ja, eine Tendenz trat auf, die man nicht
anders als die Ranküne des Ungeistes benennen kann, und die sich,
unausgesprochen, folgendermaßen zu äußern schien: »Zu lange haben wir
die verstiegenen Dinge, die sich geistig und künstlerisch nannten, die
niemand von uns verstand, und die uns mißfielen, gegen uns gelten lassen
müssen. Das hat jetzt ein Ende. Wozu seid ihr Geistigen da? Jetzt
herrscht der Arm, und der wird euch zeigen, daß er die Welt bezwingt.
Verkriecht euch, jetzt wollen wir lesen, sehen und hören, was wir
verstehen, und was uns freut.« Und wirklich, bis in die Auslagen der
Läden drang der gut bürgerliche Geschmack, der Tonzwerg- und
Pfeifenkopfhumor, in den Unterhaltungsbeilagen der Blätter las man
Geschichten vom treuen Spitz und klugen Elschen, und im Parlament
stimmte man einem Redner zu, der die fünfhundertste Aufführung einer
rührenden Operette als Wiederkehr der Unschuld und Harmlosigkeit pries.

In dieser Atmosphäre begannen die Massenurteile über fremden und eigenen
Volkscharakter. Einem leidenden und erbitterten Volke ist es nicht zu
verübeln, wenn es von feindlichen Ränken und Greueln hört, die in
Millionenheeren nicht ausbleiben können, daß es sich in
leidenschaftlicher Verallgemeinerung dem entrüsteten Hasse hingibt; und
dieser Haß wütet in der Heimat noch rückhaltloser als im Felde, wo
ritterliche Anerkennung feindlicher Tapferkeit ihm entgegenwirkt. In
solchen Zeiten sollte der Gebildete sich dreierlei vor Augen halten,
wenn er nach allgemeinem Urteil strebt.

Erstens. Ein Volk ist ein kollektiver Geist, der von außen betrachtet,
anders wirkt als die Summe der Einzelgeister. Solange die Völker nahezu
anarchisch, nach Raubtierart leben, muß jedes Volk, das gut geleitet und
zielbewußt seine Interessen vertritt, nach außen raubtierhaft
erscheinen, ohne daß seine Glieder Raubtiere zu sein brauchen. Erscheint
es nach außen gutmütig, freundlich, dankbar, gefühlvoll, so ist das kein
Beweis für derartige Eigenschaften seiner Glieder, sondern ein Beweis
von politischer Schwäche und schlechter Leitung. Der anarchische Zustand
soll und wird aufhören; dann werden die Völker als kollektive Gebilde
das Recht und die Pflicht haben, nach außen menschenähnlich und
sittlich zu erscheinen. Solange man den anarchischen Zustand, die
gerüstete Feindschaft aufrechterhält, somit will, soll man sich nicht
damit brüsten, wenn man nicht den Willen, die Kraft oder den Erfolg der
vereinbarten Brutalität besitzt, und soll nicht den verurteilen, der die
Folgen zieht. Ein guter Schachspieler wird seinem Partner nicht das
Brett um den Kopf schlagen, mit der Begründung, der andere habe ihm in
hinterlistiger Weise seine Dame genommen oder seinen König eingekreist.
Leider sind beim anarchischen Zustande der Staaten fast alle Mittel im
Frieden und Kriege erlaubt. Das darüber hinausgehende Unrecht fällt
jedoch meistens einzelnen, selten der Gesamtheit zur Last. Schlimm ist
es freilich, daß die Gemeinschaft sich fast immer bestimmen läßt, das
Einzelunrecht zu entschuldigen; das liegt in der Regel an der
Einseitigkeit der Berichterstattung und der Schwierigkeit der
Nachprüfung.

Zweitens. Die Charaktere der Kulturvölker sind ähnlicher als man glaubt.
In jedem Volke gibt es Heilige und Sünder, Seelenhafte und Seelenlose,
Helden und Feiglinge, Idealisten und Krämer, Märtyrer und Mörder, in
allen fast in der gleichen Mischung. Weit verschiedener als die Völker
untereinander sind die Schichten innerhalb ein und desselben Volkes. Die
meisten Vergleiche populärer Psychologie haben den Fehler, daß man
ungleichartige Schichten verglichen hat; unwillkürlich wählt man bei
sich selbst die höhere, beim anderen die tiefere Schicht zum Vergleich.
So entstehen jene grauenhaft trivialen, grundfalschen Populärurteile,
die mehr als alles andere dazu beigetragen haben, die Völker zu
entzweien.

Drittens. Psychologisches Urteil läßt sich nicht erlernen. Es ist nicht
Sache der Wissenschaft, noch weniger der bürgerlichen Beobachtung,
sondern der Einfühlung. Ein Gelehrter, der Literatur, Kultur oder
Verfassung eines Volkes studiert, kann wertvolle Einzelzüge vereinigen,
dasselbe kann ein gereifter Bürger, der irgendwo gelebt und gute oder
schlechte Geschäfte gemacht hat; das Einfühlen in die Natur eines
einzelnen, das viel schwierigere Einfühlen in die Natur eines Volkes
fordert intuitive, ja dichterische Begabung.

Von solcher Vorsicht des Urteils waren unsere Gebildeten weit entfernt,
und viele der Gebildeten unter unseren Gegnern sind es noch heute. Von
Geschäftsreisenden, Berichterstattern und Stubengelehrten ließen wir uns
mehr erzählen als nötig war, selten wurde ein berufener Beurteiler
gehört, viele wollten oder mußten schweigen.

So war die Stimmung vorbereitet für das beschämendste und undeutscheste,
was in diesem Kriege geschah, die maßlose, schamlose Ausschüttung des
Selbstlobes. Nichts hat so sehr zur Entsittlichung des Landes, zur
Mißachtung des Gesetzes, zur Überempfindlichkeit der Stimmung
beigetragen als die langandauernde tägliche Selbstverherrlichung. Denn
was brauchte ein Volk von sich zu verlangen, was sich zu versagen, dem
Gott allein, vor allen anderen, sämtliche Tugenden und Begabungen
verliehen hatte? Nur wir waren treu und bescheiden, nur wir waren tapfer
und hingebend, nur wir waren tief und genial, sittlich und heldenhaft,
gläubig und seherisch. Alle anderen waren vor Gott und Menschen
verworfen. Warum Gott die übrigen so unzulänglich geschaffen hatte?
Offenbar nur, um uns zu verherrlichen. Wir waren das auserwählte Volk,
gesandt, um allen Völkern das Licht zu bringen, und alle zu beherrschen.

Es hat ein Volk gegeben, das sich das auserwählte genannt hat. Es war
kein schlechtes Volk, es hat der Welt die Offenbarung, viele Propheten
und ein herrliches Buch gebracht. Wegen seines verruchten Stolzes auf
Auserwähltheit aber ist es in die vier Winde zerstreut worden, seine
Kinder haben zweitausend Jahre in Blut und Tränen gebüßt, und ihrer Buße
und Tränen ist noch heute kein Ende.

Gott verhüte, daß auf unser deutsches Volk dieser Frevel falle.

Wir sind kein auserwähltes Volk und wollen es nicht sein. Wir sind ein
junges Volk und haben dennoch eine alte, herrliche Vergangenheit. Auf
unserem Boden sind große Helden erwachsen, die höchsten Dichter und
Philosophen der neuen Zeit haben ihn betreten. Die Musik der Welt ist
auf deutschem Boden erstanden.

Wir sind ein junges Volk. Vielleicht keiner von uns stammt unvermischt
von taciteischen Germanen, wenige entstammen der Oberschicht, die den
deutschen Geist und die deutsche Geschichte geschaffen hat; die meisten
sind Kinder der namenlosen, unhistorischen unfreien Unterschicht, von
der die Wissenschaft nichts weiß; viele sind zugewandert. Wir sind jung
und wissen wenig von uns. Wir wissen, daß sich unsere Jungen gut
schlagen. Wir wissen, daß wir organisierbar und disziplinierbar sind,
daß wir uns in die mechanisierte Welt vollkommen eingefügt und sie
vorwärts gebracht haben. Wir haben eine gewaltige Wissenschaft und eine
bedeutende Technik. Seit dem Ende jener großen Umschichtung, seit
hundert Jahren, sind uns höchste Geister nur spärlich erstanden. Doch
fühlen wir uns als die Erben und geistigen Nachkommen jener Großen, weil
wir sie begreifen, in uns tragen und verehren. Wir dürfen hoffen, daß
etwas Verwandtes in uns lebt und sich immer wieder verkörpern wird. Wir
ringen um die Form unseres Lebens, unseres Geistes und unseres Staates.
Vor allem: wir blicken uns in die Augen und fühlen das herzliche
Vertrauen vom einen zum anderen, zum guten Willen und zur reinen Kraft;
wir blicken in die lieben Augen unserer Frauen und fühlen die blühende
Wärme des Lebens und die gesegnete Verheißung der Zukunft.

Eines freilich haben wir vor allen anderen Völkern voraus, eines, das
keine Ruhmredigkeit gestattet und keinen Neid herausfordert: die Härte
und Schwere der metaphysischen Pflicht.

Deshalb ist uns der Blick nach innen und nach oben gegeben, das Streben
zur Sache, zu den Dingen und zur Wahrheit: damit wir das Nahe und das
Ferne erfassen und begreifen, damit wir die Dinge in ihrer Beziehung zum
Kosmos erfühlen, damit wir höchste Gerechtigkeit üben, uns selbst härter
prüfen als alle anderen, und das schwerste von uns verlangen. Und
deshalb ist uns harter Boden, harter Himmel und hartes Leben gesetzt,
damit wir nie erlahmen, im schwersten Dienst den göttlichen Geist zu
verherrlichen.

Leichtes Leben, leichte Freude und leichtes Urteil, das anderen
freisteht, ziemt uns nicht. Wenn wir die Gnade der bitteren
Verantwortung, die auf uns gelegt ist, voll erfassen, so werden wir die
dankbarsten aller Menschen und im Stolze des höchsten Dienstes die
demütigsten sein.

So sind wir zur Selbstprüfung unseres Charakters zurückgekehrt und haben
die Härte der Unerbittlichkeit gewonnen. Mit ihr die äußere
Furchtlosigkeit des Bekenntnisses. Wehe dem, der die innerlichen Momente
des leiblichen oder geistigen Lebens eines Menschen belauert und
belauscht, um seiner zu spotten oder gegen ihn zu zeugen. Er hat das
Recht des Zeugens und des Zeugnisses verwirkt, sein eigener Hohn
schleudert ihn und die seinen herab von der Stufe, auf der nach hohem
Maße sittlich gewertet wird.

Was wir zu bekennen haben, ist nichts Neues und nichts übermäßig
Schweres. Unsere Besten haben es uns oft gesagt, bald spottend, bald
schmähend; was sie uns nicht gesagt haben, und was wir selbst uns sagen
müssen, das sind die unabsehbaren Folgen und Gefahren einer einzigen
wesentlichen Schwäche unseres voluntarischen Charakters.

Uns Deutschen fehlt das persönliche Unabhängigkeitsgefühl, wir neigen
zur gewollten Abhängigkeit.

Verwechseln wir nicht Unabhängigkeit mit Zuchtlosigkeit, vermengen wir
nicht Abhängigkeit und Treue.

Ein Mann soll Zucht halten und Zucht üben, denn der Kosmos ist eine
Ordnung, nach seiner Idee hat jedes Glied zu tragen und zu lasten, zu
leisten und zu leiten. Die Zucht huldigt der Idee, nicht ihrem Organ,
der Gewalt; als Freie sollen wir nicht Machthabern gehören und
gehorchen, sondern uns geordneter, gewollter Führung anvertrauen und
hingeben. Von trauen kommt Treue, sie ist das freiwillige, überzeugte,
unverbrüchliche Geschenk des Vertrauens. Erzwungene Treue ist ein
begrifflicher Widerspruch; erzwungen werden kann Unterwerfung; Treue,
die höchste irdische Pflicht, ruht auf Freiheit und Wahrhaftigkeit.

Das bedeutet nun freilich nicht, daß ein jeder sich nach Willkür die
Bindungen auserwählen kann, welche er auf sich nehmen will, und welche
nicht. Ein bestehender Staat, eine geordnete Gesellschaft, vor allem
eine wirkende Heeresmacht, legt Bindungen auf, die nach der Ordnung der
Gesetze so unverbrüchlich sind, wie höchste irdische Pflicht es nur sein
kann. Somit ist jede Frage der Unterwerfung unter rechtskräftiges Gesetz
und seine Ausübung der Erörterung entzogen.

Etwas anderes aber ist es, welche Bindung und Bindungsform man will und
welche man nicht will, ob man dazu neigt, sich in auferlegte Bindung zu
stürzen oder sich zu selbstgewollter Bindung zu fügen, ob man neigt,
sich an Macht, Gewalt und ihre Besitzer hinzugeben, oder der Idee, ihrer
Verkörperung und ihren Trägern zu folgen, ob man der Person oder der
Sache gehört, ob man pariert oder dient, ob man ein Diener oder ein
Dienender ist. Vor allem, ob man unter vorsorglicher Hütung und Hegung
zu leben wünscht, oder ob man gewillt ist, Verantwortung zu tragen und
zu fordern.

Sicherlich hat unser schönes Erbe der Sachlichkeit dazu beigetragen, daß
wir uns niemals lange fragten, ob, mit welchem Recht, in welcher Form,
und zu welchem Zweck eine Sache uns auferlegt wurde, wenn sie nur
ordentlich erfüllt wurde; daß wir jedes ererbte Abhängigkeitsverhältnis
mit alleiniger Ausnahme allzu ausgesprochener Fremdherrschaft willig
hinnahmen. Doch täuschen wir uns nicht: der Zug zur Abhängigkeit ist ein
Erbteil nicht des alten Germanentums, das bei höchster Treue von
höchstem Unabhängigkeitsdrang, Trotz und Eigenwillen war, sondern der
unfreien, dienstgewohnten und verängsteten Unterschichten, die
allzulange, vor allem im mittleren und östlichen Teile des Landes, die
Masse der Bevölkerung bildete. Noch im 18. Jahrhundert galten hier die
Sinnbilder der Untertänigkeit: Saumkuß und Peitsche, und der Adel nannte
seine Hintersassen die Kanaille. Der Vergleich des deutschen Halbslawen
mit dem stammesreineren Friesen, Westfalen, Franken und Schwaben weist
die Abstufung des Abhängigkeitssinnes in Charakter und Lebensform. Nicht
nur der einzelne, auch ein Volk bedarf der Kinderstube. Die heroische
und geistige Vergangenheit einer Oberschicht hat nicht immer die Wirkung
eines Vorbildes; sie kann bei hinreichender Entfremdung umgekehrt,
nämlich distanzierend wirken, indem die Herren alle Ehren für sich
verlangen.

Es scheint unbegreiflich und ist es nicht, daß wir uns der Eigenart
unseres Abhängigkeitsdranges so gar nicht bewußt sind, und daß wir seine
sichtbarsten Folgen, die Unselbständigkeit unseres staatlichen Lebens,
die militärisch-feudale, die bureaukratische, die plutokratische
Bindung, das Vorgesetzten- und Subordinationswesen des bürgerlichen
Lebens, den schroffen und zurechtweisenden Verkehrston, das umspannende
Netz der Verordnungen und Verbote, die Bevorzugung der Stände, die
zopfigen Ungleichheiten und Unfreundlichkeiten amtlicher Behandlung, die
Ansprüche der Besitzer und Interessenten so gar nicht empfinden. Es
fehlen uns die Vergleiche. Vorhaltungen Fremder, die überdies in
gehässiger Form und falscher Formulierung gemacht zu werden pflegen,
lehnen wir mit Recht ab. Doch unsere Auswanderer der letzten
Menschenalter sind nicht heimgekehrt, sicher nicht aus Mangel an
Heimatsliebe, oder aus Liebe zur Fremde, oder aus Geldgier. Sie konnten
sich in die Atmosphäre nicht mehr finden, nachdem sie ihnen durch
Vergleich bewußt geworden war.

Auf höherer Geistesebene kann der Abhängigkeitsdrang, wie jede
menschliche Schwäche, an gewisse Tugenden grenzen. Man rühmt unsere
Organisation, besser gesagt, unsere Organisierbarkeit, Pünktlichkeit und
Disziplin. Man kann sich bei uns auf alles verlassen. Was befohlen ist,
geschieht. Was eingeübt ist, klappt. Was geordnet ist, stimmt. Das ist
gut und soll so bleiben. Doch es ist nicht gleichgültig, um welchen
Preis das letzte Prozent der Genauigkeit erkauft ist. Eine einzige
schöpferische Idee kann um das tausendfache jede disziplinierte
Gewöhnung übertreffen. Unfreiheit auf allen Lebensgebieten rechtfertigt
kein Höhepunkt der Präzision. Selbst wenn nationale Monopolstellungen,
etwa auf dem Gebiet des Militarismus, durch hundertjährige
Überdisziplinierung eines Volkes erlangt werden könnten, wäre es
bedenklich, sie zu erstreben; doch gerade der Krieg hat gezeigt, daß
solche Sondervorteile nicht bestehen.

Schon auf dieser höheren Ebene beginnen jedoch offenkundige Gefahren.
Abhängigkeitsgefühl, auf Geistiges übertragen, bedeutet
Autoritätsglauben, Autoritätsüberschätzung, Haften an Überlieferung, an
herkömmlichen Denkreihen und Methoden.

In der Wissenschaft hetzen wir den Entwicklungsbegriff und den
Historismus zu Tode. Wir wagen keinem Gegenstand unbefangen ins Auge zu
sehen, ihn zu werten und auszuschöpfen; wir wollen alles hinten herum
über ihn, seine Vergangenheit, Sippschaft, Umstände und Analogien
erfahren, verlieren alle Naivität, und müssen ihn jedesmal, nachdem wir
ihn gutwillig oder mit Gewalt logisch gemacht haben, am Ende
schlechterdings billigen. Wir wissen alles, um alles beim alten zu
lassen. Die amtliche Wissenschaft ist, nächst dem Interessenten, unsere
konservative Kraft. Die Verfolgung jeder Originalität, sofern sie jünger
ist als ein Menschenalter, scheint ihr geboten.

In der Verwaltung haften wir an der Tradition. Eingestanden oder nicht:
Man sehnt das Vorbild des alten Preußen zurück, eines landwirtschaftlichen,
unmechanisierten Mittelstaats, der nach Art einer großen Gutsherrschaft
vom Eigentümer mit Hilfe einiger Kabinette verwaltet werden konnte. Die
Bewegungsfreiheit der Ressorts in jeder Frage weittragender Politik habe
ich geschildert; noch nie hat meines Wissens einer der Beteiligten, mit
Ausnahme Bismarcks, sie offen gerügt; man betrachtet diese Abhängigkeit
als ebenso gottgewollt, wie die der Führung, der Anschauung, der
Atmosphäre.

In der Politik wird größere Unabhängigkeit von einzelnen Parteien
programmatisch erstrebt. In der Praxis würde man erschrecken, wenn sie
gewährt würde. Ob ein parlamentarisches Ministerium überhaupt von den
bestimmenden Personen zustande gebracht werden könnte, ist fraglich. Man
würde vorziehen, die Verantwortung in gewohnter Weise übernommen zu
sehen, und allenfalls es nicht übel vermerken, den eigenen Namen auf
der Liste zu finden.

Über die Abhängigkeit von zwei Herrenkasten, der militarisch-feudalen
und der bureaukratischen sowie von der emporgedrungenen plutokratischen
Schicht, die sich gegenwärtig durch den Zutritt der Kriegsgewinner
verstärkt, ist nichts weiter zu sagen.

Das seltsamste Abhängigkeitsbedürfnis auf höherer Ebene ist das
gesellschaftliche, das sich im Großbürgertum auswirkt.

Militär und Beamtenschaft unterstehen einer Führungs- und
Herkunftskontrolle. Das gehobene Bürgertum will sie nicht entbehren. Der
innere Grund ist vermutlich der: Da das gesellschaftliche Vorbild einer
Aristokratie für allgemeine Haltung und Lebensform fehlte und der junge
Reichtum zu massenhaft aufschoß, um ein Patriziat zu bilden, verlangte
man nach Legitimation. Diesem Bedürfnis kam der Staat, halb unbewußt,
halb humorvoll berechnend entgegen. Es gibt in Deutschland der Schätzung
nach mehrere tausend Titulaturen, Rangstufen und Auszeichnungen. Viele
wurden dem Bürgertum zugänglich, und man konnte es dem Staat nicht
verübeln, ja man sah vielfach eine erwünschte Verbriefung darin, daß
eine milde Kontrolle der Herkunft und der Führung, eine entschiedenere
der politischen Gesinnung an die Verleihung geknüpft wurde. Der Vorteil
war offenkundig: Hatte ein mittlerer Industrieller dreißigtausend Mark
für Kirchenbauten gestiftet und kurz darauf die Würde eines Königlichen
Kommerzienrates erhalten, so war es ihm und den Seinen eine
Befriedigung, daß eine Prüfung seiner persönlichen und geschäftlichen
Verhältnisse vorausgegangen, und somit auch nach außen der Beweis
erbracht war, daß die nackte materielle Leistung allenfalls den Anlaß,
keinesfalls den Grund seiner bürgerlichen Erhöhung ausmachte.

Es ist fraglich, ob die herrschenden Staatsmächte sich bewußt sind,
welch ungemessenen Gesinnungseinfluß die selbstgewählte
Führungsabhängigkeit des höheren Bürgertums ihnen gewährt. Unter
Hunderttausenden von bürgerlich oder militärisch Begünstigten findet
sich kaum ein Sozialdemokrat; im militärischen Verhältnis wurde vor dem
Kriege ausgesprochener Liberalismus nicht geduldet, im bürgerlichen
Verhältnis war er selten. Zieht man die Wirkung auf Anhang und
Gefolgschaft in Betracht, so ergibt sich, daß die als läßliche und
gutartige Schwäche verspottete Titelsucht der Deutschen eine der
ernstesten politischen Realitäten bedeutet: nämlich den Verzicht eines
bedeutenden Teils der bürgerlichen Intelligenz auf politische
Unabhängigkeit.

Um Unabhängigkeitsdrang zu suchen, wenden wir uns von den bürgerlichen
Schichten zu den Organisationen des Proletariats, und finden die
Abhängigkeitssucht in ihren vier schroffsten Formen: Abhängigkeit vom
wissenschaftlichen Dogma, Abhängigkeit der Massen von den Führern,
Abhängigkeit der Massen von der selbstgeschaffenen Atmosphäre,
Abhängigkeit der Führer von den Massen. Käme Christus wieder und
verstieße wider das Programm der Schriftgelehrten, so wäre er in der
Parteiversammlung nicht sicherer als anderswo.

Alle Selbständigkeit und Unabhängigkeit hat sich ins Wirtschaftsleben
geflüchtet. Dort herrscht sie jedoch nicht aus starkem Charakter und
unbeugsamer Überzeugung, sondern im Dienste des Kampfes um mein und
dein. Schlimm genug: Unabhängig und mannstolz können wir sein, wenn es
sich lohnt. Um einer Million willen lohnt es, um lumpiger Ideale willen
lohnt es nicht.

Der Unabhängigkeitsdrang der Gewerbe, der einzige, den wir haben, und
der einzige, der gezügelt sein sollte, verbunden mit einer unerhörten
Schulung im geschäftspolitischen und dialektischen Gebaren entwickelt
sich zu unserer schwersten inneren Gefahr. Wenn der Generalsekretär des
»Allgemeinen Deutschen Verbandes zur Wahrung der Interessen sämtlicher
Zweige der ausgestopften Vogel-Industrie« (Abgekürzt: A. D. V. z. W. d.
I. s. Z. d. a. V. I.), blendende Erscheinung, sonor und formgewandt, von
der Tribüne die Bedeutung der ihm anvertrauten Interessen erläutert und
mit historischen, geographischen, ethnographischen, handelspolitischen,
finanziellen, sozialen, kulturellen, ethischen und allgemein
menschlichen Beweisen bekräftigt, wenn er dann auf unsere Ostpolitik
übergeht und darlegt, daß sie unter Umständen nicht weit entfernt sei,
einen gewissen unendlich wichtigen Zweig seines Gewerbes zu schädigen,
so wird jedes Herz mit Sorge erfüllt. Wenn alsdann Hunderttausende von
Flugschriften, zahlreiche Versammlungsbeschlüsse, Handelskammereingaben
und Abgeordneteneinsprüche die Warnung wiederholen, so werden manche
seiner Freunde dem Staatsmann empfehlen, seine Gesamtpolitik zu ändern.
Da es schließlich keine Politik gibt, die nicht irgendwelche Interessen
verletzt, so muß es am Ende dahin kommen, daß nur noch solche Dinge
unternommen werden können, deren Gegeninteressenten schwach, mißliebig
oder spärlich sind; das bedeutet die letzte Einschränkung unserer
ohnehin so geringen Bewegungsfreiheit. Wir gehen am Interessenten
zugrunde.

Wir steigen von der höheren geistigen Ebene zur mittleren herab und
finden weniger freundliche Züge unseres Dranges zur Abhängigkeit.

Die menschliche Verflechtung von Autorität und Folge erstarrt zu einer
lückenlosen Kette Vorgesetzter und Untergebener, verbunden durch die
eiserne Klammer der Subordination. Der Mensch ist nicht ein Glied
organischer Gemeinschaft, sondern er ist festgelegt, seinem Werte,
seinem Selbstbewußtsein, seinem Ansehen nach, durch die Bestimmung: wen
er kommandiert und wer ihm etwas zu sagen hat. Unbewußt wandelt sich
jede Beziehung in ein Subordinationsverhältnis: Der Vater ist der
Vorgesetzte des Kindes, der Lehrer ist der Vorgesetzte der Schüler, der
Schutzmann ist der Vorgesetzte des Publikums, der Schalterbeamte ist der
Vorgesetzte der Briefmarkenkäufer, das Militär ist der Vorgesetzte des
Zivils, und in den Kolonien fühlt sich, sehr zum Schaden des
zivilisatorischen Gedankens, der Weiße vielfach als Vorgesetzter des
Eingeborenen.

Subordination! Dies harte Wort spät-lateinischen Ursprungs wird in
anderen Sprachen als der deutschen fast nie gebraucht; wir haben es
jeden Tag nötig. Es durch Gefolgschaft, Unterordnung, Treue zu ersetzen,
fällt niemand ein, denn es bedeutet etwas anderes und soll etwas anderes
bedeuten. Selbst Gehorsam und Folgsamkeit, Worte, die auf erwachsene
Menschen keine Anwendung haben, würden nicht ausreichen. Der Sinn, den
Subordination in uns erweckt, ist schrankenlose Unterwerfung eines
Menschen unter das Gebot eines anderen Menschen, und die Symbolik der
Ehrenbezeigungen, die dieses Verhältnis bekräftigen, verlangt
rückhaltloses Hinstrecken des ganzen Leibes. Es ist folgerichtig, daß in
zwei ganz verschiedenen Sprachen gesprochen wird, je nachdem man von
unten nach oben oder von oben nach unten sich äußert. Hier wird
untertänigst erinnert, gehorsamst anheimgestellt, ganz ergebenst
gebeten, bemerken zu dürfen, man beehrt sich, erstirbt, legt sich zu
Füßen, dort wird geruht, befohlen, verordnet und im besten Falle
ersucht. Hier wird in der dritten Person Pluralis gesprochen, in
Ermangelung einer vierten, dort beliebt man vielfach, auch vom jüngeren
zum älteren, ein väterliches Du. In höheren Erlassen erscheint unter
Umständen das ganze Volk als ein kollektiver Untergebener oder Untertan,
es wird zur Treue, zur Pflichterfüllung und zum Gehorsam ermahnt.

Das fortlaufende Kettenverhältnis: Vorgesetzter – Untergebener findet
ein gewisses Gleichgewicht in sich selbst: Schärfe gegen den
Untergebenen findet ihre Grenze in der Vorsicht gegenüber dem eigenen
Vorgesetzten; bedenklichere Folgen können entstehen, wenn die Wirkung
nur nach unten stattfindet, weil der eigene Vorgesetzte unerreichbar
oder nicht vorhanden ist. Solche Folgen sind vorzeiten gelegentlich im
Auslande und in Kolonien entstanden.

Es ist begreiflich, daß unsere Herrenkaste den deutschen
Subordinationszustand will und verteidigt, denn er dient ihr dazu, die
bestehende Schichtung zu erhalten. Da sie sich gern patriotischer und
theologischer Argumente bedient, so hat sie den wirksamem Ausdruck der
gottgewollten Abhängigkeit erfunden. Innerhalb der Herrenkaste, die
überhaupt in Deutschland die einzige Klasse bildet, welche die inneren
Verhältnisse klar überblickt und über auswärtige Vergleiche verfügt,
wird denn auch häufig und vorurteilslos über das einheimische
Subordinationswesen gesprochen, der Mangel an Würde und Herrentum
vermerkt, und insbesondere in seiner Wirkung auf das Ausland gewürdigt.
Man hält jedoch das Volk für nicht hinreichend mündig, die feudale
Schichtung für zu unentbehrlich, um eine Änderung zuzulassen.

In unseren mittleren Kreisen fehlen die Vergleiche. Man kann sich keinen
anderen Zustand vorstellen als den, daß jeder, der es sich leisten kann,
kommandiert, und jeder, der es sich gefallen lassen muß, kommandiert
wird. Was man von oben empfängt, gibt man nach unten weiter, und noch
etwas Eigenes dazu. Wie sollte man dazu kommen, diese Dinge als
Sittenfragen zu behandeln? Sie sind nun einmal so und mögen so bleiben.

Es schmerzt mich, wenn ich daran denke, daß unser Land auf den schroffen
Begriff der Subordination gestellt ist, während Länder weit geringerer
Zivilisationsstufe sich von ihm befreit haben. Führende und Folgende
gibt es freilich überall; doch es genügt, das Abhängigkeitsverhältnis im
Sachlichen sich auswirken zu lassen, auf menschliche Beziehung soll es
nicht übergreifen. Vollends beschämt es mich, wenn ich gestehen muß, daß
ich kein anderes zivilisiertes Land gefunden habe, in dem es Menschen
gab, die andere grob behandelten, und solche, die sich grob behandeln
ließen. Unsere Gutmütigkeit, die für den Begriff des Anschnauzens
mindestens ein Dutzend humorvolle Bezeichnungen erfunden hat,
entschuldigt uns ein wenig, ein wenig auch unsere Formlosigkeit, doch
es bleibt genug übrig, was zu denken gibt.

Freunde, nehmt diese Dinge nicht leicht! Unsere Abhängigkeit schädigt
den Menschenwert. Wir brauchen Herrentum und Würde. Hat es nicht manchen
unter euch gegeben, den selbst die Äußerungen des Patriotismus vor dem
Kriege einen unlieben Beiklang vernehmen ließen? In den frohesten Ruf
mischte sich ein aggressiver Schnarrton von Subordination. Bismarck
sagte in theoretischer Einkleidung: wir hätten Untertänigkeit an Stelle
des Nationalgefühls im Leibe. Wissen wir heute, daß das Vaterland unser
Land, der Staat unser Staat, und unsere Treue zum König die freie
Zustimmung und Gefolgschaft freier Männer ist?

Sollen wir zu den tiefsten Geistesformen des Abhängigkeitsgefühls
niedersteigen? Wenige allgemeine Andeutungen mögen genügen. Wenn das
männliche Selbstgefühl erlischt, so entsteht nicht Empörung und
Auflehnung, sondern Passivität. Man muß sich manches gefallen lassen und
tröstet sich damit, daß es dem Nächsten nicht besser geht, und daß man
sich vor ihm nicht zu schämen braucht. Die Oberen haben auch ihre
Schwächen, man klatscht darüber, und ist man nicht größer, so sind sie
kleiner geworden. Wo geklatscht und denunziert wird, ist man nicht
aufsässig. Nur soll der Nächste nicht aufsteigen, da wäre das Spiel
verdorben. Beim Unglück des Nächsten ist man nicht ohne Mitleid, beim
ersten Strahl des Glücks bricht Neid aus. Sitzen Klatsch und Neid am
Tisch, so steht die Pöbelhaftigkeit vor der Tür. Ist jedoch ein
plötzlicher Aufstieg geglückt, so zeigen sich alle Untugenden des
Emanzipierten, denn der innerlich Unfreie wird durch Befreiung nicht zum
Herren.

Genug. Von diesen niederen Formen haben wir nicht viel zu befürchten.
Nur eines: Laßt uns den Neid bekämpfen, er ist nicht weit davon, ein
nationales Laster zu sein.

Überblicken wir die Erscheinungsformen des unentwickelten
Unabhängigkeitsgefühls und des ausgesprochenen Abhängigkeitsdranges, so
dürfen wir sagen: Eine Todsünde belastet uns nicht. Wir sind nicht
Sklaven, wie einst Friedrich im Zorn uns genannt hat, wir sind nicht
Domestiken, wie jener verbitterte Philosoph behauptete. Es ist nicht
unsere Sache, von unseren Tugenden zu reden; dies wissen wir, und das
mag genug sein: Die Nachwelt wird Mühe haben zu begreifen, was unser
Volk im Kriege pflichtgetreu geleistet und heldenhaft geduldet hat.

Doch eines verschweigen wir uns nicht: Das Abhängigkeitsbedürfnis ist
eines der schwersten Hemmnisse des inneren und äußeren Aufstieges, es
ist der politische Kardinalfehler eines Volkes.

Denn aller Aufstieg setzt die Würde des innerlichsten Entschlusses, den
Adel rückhaltloser Entäußerung und das Herrentum des Wollens zur eigenen
Verantwortung voraus. Würde, Adel und Herrentum aber können in gewollter
und geduldeter Abhängigkeit nicht erstehen.

Gewiß wird Gesinnung den vom Geiste vorgeschriebenen Weg schreiten, und
Einrichtungen werden ihr folgen. Doch beiden voran muß der Aufschwung
des Willens geschehen, und der, leider, ist gehemmt durch eine einzige
Schwäche unseres voluntarischen Charakters.

Würden uns noch heute, als ein himmlisches Geschenk die vollkommensten
Einrichtungen des staatlichen und kulturellen Lebens beschieden, es wäre
umsonst. Sie würden niedersinken auf den Stand unserer Gesinnung und
unkenntlich werden. Denn ein Volk kann seine Güter und Institutionen nur
auf derjenigen Höhe halten, auf der es sie aus eigener Kraft zu schaffen
fähig ist.

Früher habe ich die Gesinnungen und Ziele beschrieben, denen wir
entgegenstreben, heute weise ich euch den friedlichen Kampf, dessen
Beginn vielleicht, dessen Ende ich nicht erleben werde. Es ist der Kampf
um die Seele unseres Volkes, sein erstes Ziel ist Würde, Adel und
Herrentum. Es gibt eine deutsche Sendung auf Erden. Sie ist nicht die
Sendung des Militarismus, sie ist auch nicht die Sendung der
Mechanisierung und der Technik, obwohl sie diese Nützlichkeiten nicht
verschmäht, sie ist am wenigsten die Sendung der Weltherrschaft. Sie ist
die Sendung, die sie immer war und immer sein wird: die Sendung des
reinen, unbestechlichen, unbeirrbaren und unerbittlichen Geistes. Diese
Sendung fordert nicht Emanzipierte und Untergebene, sondern adlige
Männer. Es ist nicht unsere Sache, die Kellner, Barbiere und Schneider
für London und Newyork zu liefern, sondern als freie Männer auf freiem
Boden brüderlich mit den Völkern zu reden und zu wirken, nicht um des
billigen Nutzens, sondern um des Geistes und der Menschheit willen;
ihnen zu bieten, was wir haben und von ihnen zu empfangen, was wir
brauchen.

In eurem Kampfe zählen die Jahre nicht. Es wird euch bekämpfen die
Herrenkaste, und das ist schade, denn es sind tüchtige Menschen, klug,
mutig und eigenwillig. Doch sie sind kurz von Gesicht und arm an
Phantasie; sie wissen nicht, daß im Sturm das fahrende Schiff sicherer
ist als das verankerte, sie wagen nicht zu glauben, daß in einem freien
Volke ihre Eigenart mehr wert ist als in einem, mit dem sie kämpfen. An
ihnen haften zwei Sünden: Sie haben das Volk unmündig gehalten, um es
leichter zu beherrschen, und sie haben mit ihrer Herrschaft die
Verantwortung zu tragen für jenes Menschenalter schlechter Führung, das
die Gewitteratmosphäre schuf. Diese doppelte Schuld wird schwer auf
ihnen lasten.

Bekämpfen werden euch die Interessenten, und das ist gut, für euch wie
für sie. Sie wissen nicht, daß mit der geistigen und wirtschaftlichen
Anarchie, die sie im Lande erregen, sie den Ast absägen, auf dem sie
sitzen. Sie müssen lernen, daß mit den Geschäften von heute auf morgen,
die sie erstreben und um die sie sich würgen, das Korn vor der Ernte
zertreten wird. Das Futter wird nicht mehr, sondern besudelt und
verstreut, wenn man aus Gier mit beiden Füßen in den Napf springt; die
Welt ist eng geworden, sie ernährt uns nur dann, wenn die Arbeit sorgsam
geordnet und geteilt wird.

Bekämpfen werden euch die Indolenten und mehr noch die
Originalsüchtigen. Ihnen ist es nicht um die Sache zu tun, sondern um
ein apartes, literarisch verwertbares Gerede von der Sache. Sie glauben
die Welt zu ändern, wenn sie Artikel weglassen, Satzglieder umstellen
und im Kaffeehaus neue Zeitwörter ausdenken. Mit beiden werdet ihr
fertig, denn sie haben einen kurzen Atem.

Beginnt ihr zu zweifeln und fühlt ihr euch im Kampf ermatten, so erfüllt
euch mit dem Bilde des ragenden inneren Deutschlands, das wir im Herzen
tragen, des Landes der Wahrheit, der Treue, der Geistigkeit, der
Innigkeit, des reinen Glaubens; tränkt und sättigt euch mit diesem
Bilde, und blickt um euch. Seht ihr dann noch das kreischende, gierige
Werben, die vergifteten Genüsse, die zynischen Gestalten der frechen
List und der brutalen Schaustellung, die unwürdigen Gebäude und
barbarischen Schaustücke: dann hat das neue Reich das alte noch nicht
überwunden und der Kampf geht weiter.

Glaubt nicht, es werde das Geringste euch geschenkt. Kein Ereignis von
außen, nicht das Glückbringende, nicht das Bedrückende spricht euch los.
Bei euch, in euch beginnt der Kampf. Nur wenn ihr frei seid, könnt ihr
befreien, nur wenn ihr edel seid, könnt ihr adeln, nur wenn ihr gerecht
seid, könnt ihr richten, wenn ihr gütig seid, begüten, wenn ihr gläubig
seid, erwecken.

Glaubt nicht den Lobpreisern des Bestehenden; sie preisen was sie
besitzen, und festhalten, und dazu erwerben wollen. Oder um der Macht zu
schmeicheln, oder, weil man es sie gelehrt hat.

Glaubt nicht den Trägen und Selbstgerechten, die sagen, es sei
anderwärts nicht besser. Die Tugenden der anderen sind nicht unser
Vorbild, deshalb sind ihre Laster uns keine Entschuldigung. Es ist
niedrig, das eigene Ideal an fremder Wirklichkeit zu messen.

Glaubt nicht den Schulweisen, den ohnmächtigen Schriftgelehrten, die
verkünden: »Alles bleibt beim alten, es gibt keine Entwicklung.« Alle
Eigenschaften, die wir haben, sind erworben, es gab eine Zeit, da keine
unserer Tugenden war, und jede unserer Sünden ist eine veraltete
Tugend. Die unterworfene Menschheit hat den Weg von der Sklaverei zur
Hörigkeit, von der persönlichen Hörigkeit zur anonymen Unfreiheit des
Standes durchlaufen, sie wird vor der Freiheit und Solidarität nicht
Halt machen. Mit der Erscheinung reift das Erlebnis, im Parallelismus
der Gestaltung und Entfaltung liegt die Synthese des Rationalen und
Irrationalen.

Freilich fehlt es am führenden Geist, am menschlichen Vorbild, denn wir
leben in der Zeit geistiger Anarchie, die nicht die Wahrheit, sondern
sich selbst hören will. Kämen die Propheten wieder, man wiese ihnen
Unwissenschaftlichkeit und mangelnde Logik nach, und geigte ihnen heim
von Kanzeln und Kathedern. Doch je mehr wir uns sträuben, desto härter
werden wir geführt, und müssen, wie der Krieg es zeigt, aus unseren
Torheiten die Geißeln flechten, mit denen der Dämon uns lenkt.

Ein tiefes Gefühl sagt mir: Ihr schreitet freiwillig den Weg, den wir
gezwungen schreiten. Denn wozu wären euch die seltenen, köstlichen Dinge
gegeben: das schwere Erlebnis der Jugend, das Suchen nach der
Verheißung, die erwachende Liebe zum Menschen? An Macht aber wird es
euch nicht fehlen, denn Macht wird dem Volke geschenkt, das die Idee
trägt, in dem Idee und Dasein verschmelzen. Ein Volk, das für sich
selbst Geschäfte, Ausdehnung, Lebensgüter will, kann Erfolge haben.
Dauernde Macht kann nur der schenkende Geist, die adlige Verantwortung,
die Autorität der Idee erwerben, erhalten und ertragen.

Lebt wohl, wir scheiden. Die Fackel ruht in euren Händen, die
leuchtende und zündende, die verheerende und verklärende.

Seid gesegnet und seid ein Segen unserem Volke. Seid gesegnet mit Härte
und Unerbittlichkeit. Die soll euch fest machen gegen euch selbst und
gegen den Versucher. Sie soll euch Not und Sorge machen, damit ihr den
göttlichen Anspruch nicht leicht gewinnt.

Seid gesegnet mit stolzer Demut, adliger Entsagung und dienendem
Herrentum. Die sollen euch niederdrücken und euch erheben, euch zu
Dienenden und Schenkenden machen, damit die Welt von euch empfängt und
sich euch hingibt.

Seid gesegnet mit suchendem Geist und ruhelosem Herzen, damit ihr durch
alle Zweifel und Finsternisse stürmt und den Frieden der glaubenden
Seele erringt.

Seid gesegnet mit verzehrender Liebe, die soll als ein Feuer aus euch
schlagen, soll euch und das Land läutern von den Schlacken der Zeit und
Vorzeit, und auffahren als eine Opferflamme zum Thron des Segnenden.

Zieht in den Kampf um die Seele unseres Volkes.



_Geschrieben im Juli_ 1918.


_Druck der Roßberg’schen Buchdruckerei in Leipzig._



_Werke von Walther Rathenau:_

_Zur Kritik der Zeit_
Fünfzehnte Auflage

_Zur Mechanik des Geistes_
Neunte Auflage

_Von kommenden Dingen_
Fünfundsechzigste Auflage

_Deutschlands Rohstoffversorgung_
Neununddreißigste Auflage

_Probleme der Friedenswirtschaft_
Fünfundzwanzigste Auflage

_Streitschrift vom Glauben_
Vierzehnte Auflage

_Vom Aktienwesen_
Zwanzigste Auflage

_Die neue Wirtschaft_
Sechsundvierzigste Auflage

_Zeitliches_
Zwanzigste Auflage


_Gesammelte Schriften in fünf Bänden_



[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf
Grundlage der 1918 bei S. Fischer erschienenen Erstausgabe erstellt. Das
Inhaltsverzeichnis wurde vom Ende des Buchs an den Anfang gestellt, das
Verzeichnis der Werke Rathenaus nach hinten verschoben. Die nachfolgende
Tabelle enthält eine Auflistung aller gegenüber dem Originaltext
vorgenommenen Korrekturen.

S. 009: zum ersten- und zum letzenmal -> letztenmal
S. 049: [Komma] wer einigermaßen überzeugt ist. daß -> ist, daß
S. 059: neben jedem Halm des Glaubens wird in Büschel -> ein Büschel
S. 063: so wissen wir aus innerer Gewißheit, das jedes -> daß
S. 083: [vereinheitlicht] die Wagnersche Geberde -> Gebärde
S. 098: geistigen und seelichen Besitzstand -> seelischen

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Textauszeichnungen
wurden folgendermaßen ersetzt:

Sperrung:       _gesperrter Text_
Antiquaschrift: #Antiquatext# ]



[Transcriber’s Notes: This ebook has been prepared from the first print
edition published in 1918 by S. Fischer. The table of contents has been
moved from the back of the book to the front, the list of Rathenau’s
other works has been moved to the back. The table below lists all
corrections applied to the original text.

p. 009: zum ersten- und zum letzenmal -> letztenmal
p. 049: [fixed comma] wer einigermaßen überzeugt ist. daß -> ist, daß
p. 059: neben jedem Halm des Glaubens wird in Büschel -> ein Büschel
p. 063: so wissen wir aus innerer Gewißheit, das jedes -> daß
p. 083: [normalized] die Wagnersche Geberde -> Gebärde
p. 098: geistigen und seelichen Besitzstand -> seelischen

The original book is printed in Fraktur font. Marked-up text has been
replaced by:

Spaced-out: _spaced out text_
Antiqua:    #text in Antiqua font# ]





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