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Title: Märchen-Sammlung Author: Unknown Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Märchen-Sammlung" *** Gerlach’s Jugendbücherei Märchen-Sammlung von L. Bechstein. Texte gesichtet von Hans Fraungruber. Bilder von Karl Fahringer. Verlag v. Martin Gerlach & Co. Wien und Leipzig. [Abbildung: Verlagszeichen] Inhalt: Seite Der Wolf und die sieben Geißlein 3 Der Schmied von Jüterbog 10 Der Hase und der Fuchs 16 Der beherzte Flötenspieler 19 Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel 26 Das Kätzchen und die Stricknadeln 34 Der goldene Rehbock 37 Die drei Federn 45 Der kleine Däumling 51 Das Natterkrönlein 62 Der fette Lollus und der magere Lollus 70 Gevatterin Kröte 81 Zwergenmützchen 83 Die Kornähren 97 Druck von Christoph Reißer’s Söhne, Wien V. Ausstattung gesetzlich geschützt. [Kleinbild] Der Wolf und die sieben Geißlein. [_Das Märchen enthält sieben Abbildungen, zwei davon bunt_] Es ist einmal eine alte Geiß gewesen, die hatte sieben junge Zicklein, und wie sie einmal fort in den Wald wollte, hat sie gesagt: „Ihr lieben Zicklein, nehmt euch in acht vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein, sonst seid ihr alle verloren.“ Darnach ist sie fortgegangen. In einer Weile rappelt was an der Haustüre und ruft: „Macht auf, macht auf, liebe Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Walde gekommen!“ Aber die sieben Geißlein erkannten’s gleich an der groben Stimme, daß das ihr Mütterlein nicht war, und haben gerufen: „Unser Mütterlein hat keine so grobe Stimme!“ Und haben nicht aufgemacht. Nach einer Weile rappelt’s wieder an der Türe und ruft ganz fein und leise: „Macht auf, macht auf, ihr lieben Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Walde gekommen!“ Aber die jungen Geißlein guckten durch die Türspalte und haben ein Paar schwarze Füße gesehen und gerufen: „Unser Mütterlein hat keine so schwarzen Füße!“ Und haben nicht aufgemacht. Wie das der Wolf, denn er war es, gehört hat, ist er geschwind hin in die Mühle gelaufen und hat die Füße ins Mehl gesteckt, daß sie ganz weiß worden sind. Darnach ist er wieder vor die Türe gekommen, hat die Füße zur Spalte hineingesteckt und hat wieder ganz leise gerufen: „Macht auf, macht auf, ihr lieben Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Walde gekommen!“ Und wie die Geißlein die weißen Füße gesehen haben und die leise Stimme gehört, da haben sie ja gemeint, ihr Mütterlein sei’s, und haben geschwind aufgemacht, so ist der Wolf hereingesprungen. Ach, wie sind da die armen Geißlein erschrocken und haben sich verstecken wollen! Eines ist unters Bett, eins unter den Tisch, eines hinter den Ofen, eins hinter einen Stuhl, eins hinter einen großen Milchtopf und eins in den Uhrkasten gesprungen. Aber der Wolf hat sie alle gefunden und hinabgeschluckt. Hernach ist er fortgegangen, hat sich in den Garten unter einen Baum gelegt und hat angefangen zu schlafen. Wie hernach die alte Geiß aus dem Walde zurückgekommen ist, hat sie das Haus offen gefunden und die Stube leer, da hat sie gleich gedacht: „Jetzt ist’s nicht geheuer“, und hat angefangen, ihre lieben Zicklein zu suchen. Sie hat sie aber nicht finden können, wo sie auch gesucht hat, und so laut sie auch gerufen hat, es hat keins Antwort gegeben. Endlich ist sie in den Garten gegangen, da hat der Wolf noch gelegen unterm Baum und hat geschlafen und hat geschnarcht, daß alle Äste gezittert haben; und wie sie näher zu ihm gekommen ist, hat sie gesehen, daß etwas in seinem Bauche gezappelt hat. Da hatte sie eine Freude und dachte, ihre Geißlein leben wohl noch. Jetzt ist sie geschwind hinein ins Häuslein gesprungen, hat eine Schere geholt, und hat dem Wolf den Bauch aufgeschnitten; da sind ihre sieben Geißlein eins nach dem andern herausgesprungen und haben alle noch gelebt. Darnach hat die Alte geschwind sieben Wackersteine dem Wolf in seinen Bauch gesteckt und hat den wieder zugenäht. Wie der Wolf munter wurde, hatte er Durst und ist an den Brunnen gegangen, um zu trinken; aber wie er einen Schritt gegangen ist, da haben die Wackersteine in seinem Bauch angefangen zusammenzuschlagen, und da hat er gesagt: [Kleinbilder] „Was rumpelt, Was pumpelt In meinem Bauch? Ich hab’ gemeint, ich hab’ junge Geißlein drein, Und jetzt sind’s nichts als Wackerstein’!“ Und wie nun der Wolf an den Brunnen gekommen ist und hat trinken wollen, so haben ihn die Wackersteine hineingezogen, und er ist ertrunken. Und die alte Geiß ist mit ihren Zicklein vor Freude um den Brunnen herumgetanzt. [Abbildung] Der Schmied von Jüterbog. [_Fünf Abbildungen (1 Bunt)_] Im Städtlein Jüterbog hat einmal ein Schmied gelebt, von dem erzählen sich Kinder und Alte ein wundersames Märlein. Es war dieser Schmied erst ein junger Bursche, der treulich Gottes Gebote hielt, aber einen sehr strengen Vater hatte. Er tat große Reisen und erlebte viele Abenteuer; dabei war er in seiner Kunst über alle Maßen geschickt und tüchtig. Auch hatte er eine Stahltinktur, die jeden damit bestrichenen Harnisch undurchdringlich machte. Er gesellte sich dem Heere Kaiser Friedrichs I. zu, wo er kaiserlicher Rüstmeister wurde und den Kriegszug nach Mailand und Apulien mitmachte. Dort eroberte er den Heer- und Bannerwagen der Stadt und kehrte endlich, nachdem der Kaiser gestorben war, mit vielem Reichtum in seine Heimat zurück. Er sah gute Tage, dann wieder böse und wurde über hundert Jahre alt. Einst saß er in seinem Garten unter einem alten Birnbaum, da kam auf einem Esel ein graues Männlein geritten, das sich schon mehrmals als des Schmiedes Schutzgeist bewiesen hatte. Dieses Männchen herbergte bei dem Meister und ließ den Esel beschlagen, was jener gern tat, ohne Lohn zu heischen. Darauf sagte das Männlein zu ihm, er solle drei Wünsche tun, aber dabei das Beste nicht vergessen. Da wünschte der Schmied, weil die Diebe ihm oft die Birnen gestohlen, es solle keiner, der auf den Birnbaum gestiegen, ohne seinen Willen wieder herunter können -- und weil er auch in der Stube öfters bestohlen worden war, so wünschte er, es solle niemand ohne seine Erlaubnis in die Stube kommen können, es wäre denn durch das Schlüsselloch. Bei jedem dieser törichten Wünsche warnte das Männlein: „Vergiß das Beste nicht!“ -- und da tat der Schmied den dritten Wunsch: „Das Beste ist ein guter Schnaps, so wünsche ich, daß diese Bulle niemals leer werde!“ -- „Deine Wünsche sind gewährt“, sprach das Männchen, strich noch mit der Hand über einige Stangen Eisen, die in der Schmiede lagen, setzte sich auf seinen Esel und ritt von dannen. Das Eisen war in blankes Silber verwandelt, der vorher arm gewordene Schmied war wieder reich und lebte fort und fort bei gutem Wohlsein, denn die nie versiegenden Magentropfen in der Bulle waren, ohne daß er es wußte, ein Lebenselixir. Endlich klopfte der Tod an, der ihn so lange vergessen zu haben schien. Der Schmied war scheinbar auch gern bereitwillig, mit ihm zu gehen und bat nur, ihm ein kleines Labsal zu vergönnen und ein paar Birnen von dem Baum zu holen, den er nicht selbst mehr besteigen könne aus großer Altersschwäche. Der Tod stieg auf den Baum, und der Schmied sprach: „Bleib droben!“ denn er hatte Lust, noch länger zu leben. Der Tod fraß alle Birnen vom Baum, dann gingen seine Fasten an, und vor Hunger verzehrte er sich selbst mit Haut und Haar, daher er jetzt nur noch ein so scheußlich dürres Gerippe ist. Auf Erden aber starb niemand mehr, weder Mensch noch Tier; darüber entstand viel Unheil, und endlich ging der Schmied hin zum klappernden Tod und verhandelte mit ihm, daß er ihn fürder in Ruhe lasse, dann gab er ihn frei. Wütend floh der Tod von dannen und begann auf Erden aufzuräumen. Da er sich an dem Schmied nicht rächen konnte, so hetzte er ihm den Teufel auf den Hals. Dieser machte sich flugs auf den Weg, aber der pfiffige Schmied roch den Schwefel voraus, schloß seine Türe zu, hielt mit den Gesellen einen ledernen Sack an das Schlüsselloch, und wie Herr Urian hindurchfuhr, da er nicht anders in die Schmiede konnte, wurde der Sack zugebunden, zum Amboß getragen und nun ganz unbarmherziglich mit den schwersten Hämmern auf den Teufel losgepocht, daß ihm Hören und Sehen verging, er ganz mürbe wurde und das Wiederkommen auf immer verschwur. Nun lebte der Schmied noch gar lange Zeit in Ruhe, bis er, da alle Freunde und Bekannte gestorben waren, des Erdenlebens satt und müde wurde. Machte sich deshalb auf den Weg und ging nach dem Himmel, wo er bescheidentlich am Tore klopfte. Da schaute der heilige Petrus herfür, und Peter der Schmied erkannte in ihm seinen Schutzpatron und Schutzgeist, der ihn oft aus Not und Gefahr sichtbar errettet und ihm zuletzt die drei Wünsche gewährt hatte. Jetzt sprach Petrus: „Hebe dich weg, der Himmel bleibt dir verschlossen; du hast das Beste zu erbitten vergessen: die Seligkeit!“ -- Auf diesen Bescheid wandte sich Peter, gedachte sein Heil in der Hölle zu versuchen und wanderte wieder abwärts, fand auch bald den rechten, breiten und vielbegangenen Weg. Als aber der Teufel erfuhr, daß der Schmied von Jüterbog im Anzuge sei, schlug er ihm das Höllentor vor der Nase zu und setzte die Hölle gegen ihn in Verteidigungsstand. Da nun der Schmied von Jüterbog weder im Himmel noch in der Hölle Zuflucht fand und auf Erden es ihm nimmer gefallen wollte, so ist er hinab in den Kyffhäuser gegangen zu Kaiser Friedrich, dem er einst gedient. Der alte Kaiser, sein Herr, freute sich, als er seinen Rüstmeister kommen sah, und fragte ihn gleich, ob die Raben noch um den Turm der Burgruine Kyffhäuser flögen? Und als Peter das bejahte, so seufzte der Rotbart. Der Schmied aber blieb im Berge, wo er des Kaisers Handpferd und die Pferde der Prinzessin und die der reitenden Fräulein beschlägt, bis des Kaisers Erlösungsstunde auch ihm schlagen wird. -- Und das wird geschehen nach dem Munde der Sage, wenn dereinst die Raben nicht mehr um den Berg fliegen und auf dem Ratsfeld nahe dem Kyffhäuser ein alter, dürrer, abgestorbener Birnbaum wieder ausschlägt, grünt und blüht. Dann tritt der Kaiser hervor mit all seinen Wappnern, schlägt die große Schlacht der Befreiung und hängt seinen Schild an den wieder grünen Baum. Hierauf geht er mit seinem Gesinde zu der ewigen Ruhe. Der Hase und der Fuchs. [Abbildung] Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander. Es war Winterszeit, grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. „Das ist ein hungriges Wetter,“ sprach der Fuchs zum Hasen, „mir schnurren alle Gedärme zusammen.“ -- „Ja wohl“, antwortete der Hase. „Es ist überall Dürrhof, und ich möchte meine eigenen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte.“ So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korbe kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. „Weißt du was!“ sprach der Fuchs, „lege dich der Länge nach hin und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste.“ [Abbildung] Der Hase tat nach des Fuchsens Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter einer Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle Viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein; gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Dieser aber stand gar nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: „Wie wär’ es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrot wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daranhängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert!“ Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging hin an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern und sagte zum Fuchs: „Warte nur, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!“ und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach wie ein böser Hund an der Kette. [Kleinbild] Der beherzte Flötenspieler. [_Sechs Abbildungen (1 bunt)_] Es war einmal ein lustiger Musikant, der die Flöte meisterhaft spielte; er reiste daher in der Welt herum, spielte auf seiner Flöte in Dörfern und Städten und erwarb sich dadurch seinen Unterhalt. So kam er auch eines Abends auf einen Pachtershof und übernachtete da, weil er das nächste Dorf vor einbrechender Nacht nicht erreichen konnte. Er wurde von dem Pachter freundlich aufgenommen, mußte mit ihm speisen und nach geendigter Mahlzeit einige Stücklein vorspielen. Als dieses der Musikant getan hatte, schaute er zum Fenster hinaus und gewahrte in kurzer Entfernung bei dem Scheine des Mondes eine alte Burg, die teilweise in Trümmern zu liegen schien. „Was ist das für ein altes Schloß?“ fragte er den Pachter, „und wem hat es gehört?“ Der Pachter erzählte, daß vor vielen, vielen Jahren ein Graf da gewohnt hätte, der sehr reich aber auch sehr geizig gewesen wäre. Er hätte seine Untertanen sehr geplagt, keinem armen Menschen ein Almosen gegeben und sei endlich ohne Erben (weil er aus Geiz sich nicht einmal verheiratet habe) gestorben. Darauf hätten seine nächsten Anverwandten die Erbschaft in Besitz nehmen wollen, hätten aber nicht das geringste Geld gefunden. Man behaupte daher, er müsse den Schatz vergraben haben und dieser möge heute noch in dem alten Schloß verborgen liegen. Schon viele Menschen wären des Schatzes wegen in die alte Burg gegangen, aber keiner wäre wieder zum Vorschein gekommen. Daher habe die Obrigkeit den Eintritt in dies alte Schloß untersagt und alle Menschen im ganzen Lande ernstlich davor gewarnt. -- Der Musikant hatte aufmerksam zugehört, und als der Pachter seinen Bericht geendigt hatte, äußerte er, daß er großes Verlangen habe, auch einmal hineinzugehen, denn er sei beherzt und kenne keine Furcht. Der Pachter bat ihn aufs dringendste und endlich schier fußfällig, doch ja sein junges Leben zu schonen und nicht in das Schloß zu gehen. Aber es half kein Bitten und Flehen, der Musikant war unerschütterlich. Zwei Knechte des Pachters mußten ein Paar Laternen anzünden und den beherzten Musikanten bis an das alte Schloß begleiten. Dann schickte er sie mit einer Laterne wieder zurück, er aber nahm die zweite in die Hand und stieg mutig eine hohe Treppe hinan. Als er diese erstiegen hatte, kam er in einen großen Saal, um den ringsherum Türen waren. Er öffnet die erste und ging hinein, setzte sich an einen darin befindlichen altväterischen Tisch, stellte sein Licht darauf und spielte Flöte. Der Pachter aber konnte die ganze Nacht vor lauter Sorgen nicht schlafen und sah öfters zum Fenster hinaus. Er freute sich jedesmal unaussprechlich, wenn er drüben den Gast noch musizieren hörte. Doch als seine Wanduhr elf schlug und das Flötenspiel verstummte erschrak er heftig und glaubte nun nicht anders, als der Geist oder der Teufel, oder wer sonst in diesem Schlosse hauste, habe dem schönen Burschen nun ganz gewiß den Hals umgedreht. Doch der Musikant hatte ohne Furcht sein Flötenspiel abgewartet und gepflegt; als aber sich endlich Hunger bei ihm regte, weil er nicht viel bei dem Pachter gegessen hatte, so ging er in dem Zimmer auf und nieder und sah sich um. Da erblickte er einen Topf voll ungekochter Linsen stehen, auf einem andern Tische stand ein Gefäß voll Wasser, eines voll Salz und eine Flasche Wein. Er goß geschwind Wasser über die Linsen, tat Salz daran, machte Feuer in dem Ofen, weil auch schon Holz dabei lag, und kochte sich eine Linsensuppe. Während die Linsen kochten, trank er die Flasche Wein leer, und dann spielte er wieder Flöte. Als die Linsen gekocht waren, rückte er sie vom Feuer, schüttete sie in die auf dem Tische schon bereitstehende Schüssel und aß frisch darauf los. Jetzt sah er nach seiner Uhr, und es war um die elfte Stunde. Da ging plötzlich die Tür auf, zwei lange schwarze Männer traten herein und trugen eine Totenbahre, auf der ein Sarg stand. Diese stellten sie, ohne ein Wort zu sagen, vor den Musikanten, der sich keineswegs im Essen stören ließ, und gingen ebenso lautlos, wie sie gekommen waren, wieder zur Tür hinaus. Als sie sich nun entfernt hatten, stand der Musikant hastig auf und öffnete den Sarg. Ein altes Männchen, klein und verhutzelt, mit grauen Haaren und grauem Barte, lag darinnen; aber der Bursche fürchtete sich nicht, nahm es heraus, setzte es an den Ofen, und kaum schien es gewärmt zu sein, als sich schon Leben in ihm regte. Er gab ihm hierauf Linsen zu essen und war ganz mit dem Männchen beschäftigt, ja fütterte es wie eine Mutter ihr Kind. Da wurde das Männchen ganz lebhaft und sprach zu ihm: „Folge mir!“ Das Männchen zog voraus, der Bursche aber nahm seine Laterne und folgte ihm sonder Zagen. Es führte ihn nun eine hohe, verfallene Treppe hinab, und so gelangten endlich beide in ein tiefes, schauerliches Gewölbe. Hier lag ein großer Haufen Geld. Da gebot das Männchen dem Burschen: „Diesen Haufen teile mir in zwei ganz gleiche Teile, aber daß nichts übrig bleibt, sonst bringe ich dich ums Leben!“ Der Bursche lächelte bloß, fing sogleich an zu zählen, auf zwei große Tische herüber und hinüber, und brachte so das Geld in kurzer Zeit in zwei gleiche Teile, doch zuletzt -- war noch ein Kreuzer übrig. Der Musikant aber besann sich kurz, nahm sein Taschenmesser heraus, setzte es mit der Schneide auf den Kreuzer und schlug ihn mit einem dabeiliegenden Hammer entzwei. Als er nun die eine Hälfte auf diesen, die andere auf jenen Haufen warf, wurde das Männchen ganz heiter und sprach: „Du himmlischer Mann, du hast mich erlöst! Schon hundert Jahre muß ich meinen Schatz bewachen, den ich aus Geiz zusammengescharrt habe, bis es einem gelingen würde, das Geld in zwei gleiche Teile zu teilen. Noch nie ist es einem gelungen, und ich habe sie alle erwürgen müssen. Der eine Haufen Geld ist nun dein, den andern aber teile unter die Armen. Göttlicher Mensch, du hast mich erlöst!“ Darauf verschwand das Männchen. Der Bursche aber stieg die Treppe hinan und spielte in seinem Zimmer lustige Stücklein auf seiner Flöte. Da freute sich der Pachter, daß er ihn wieder spielen hörte, und mit dem frühesten Morgen eilte er auf das Schloß (denn am Tage durfte jedermann hinein) und begrüßte den Burschen voller Freude. Dieser erzählte ihm die Geschichte, dann ging er hinunter zu seinem Schatz, tat, wie ihm das Männchen befohlen hatte, und verteilte die Hälfte unter die Armen. Das alte Schloß aber ließ er niederreißen, und bald stand an der vorigen Stelle ein neues, wo nun der Musikant als reicher Mann wohnte. [Abbildung] [Kleinbild] Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. [_Sieben Abbildungen_] Diese Geschichte ist ganz lügenhaft anzuhören, Jungens, aber wahr ist sie doch, denn mein Großvater, von dem ich sie habe, pflegte immer, wenn er sie erzählte, dabei zu sagen: „Wahr muß es doch sein, meine Söhne, denn sonst könnte man sie ja nicht erzählen.“ Die Geschichte aber hat sich so zugetragen: Es war einmal an einem Sonntagsmorgen in der Herbstzeit, just als der Buchweizen blühte. Die Sonne war goldig am Himmel aufgegangen, der Morgenwind strich frisch über die Stoppeln, die Lerchen sangen in der Luft, die Bienen summten in dem Buchweizen, und die Leute gingen in ihren Sonntagskleidern nach der Kirche, kurz, alle Kreatur war vergnügt und der Swinegel auch. Der Swinegel aber stand vor seiner Tür, hatte die Arme übereinandergeschlagen, guckte dabei in den Morgenwind hinaus und trällerte ein Liedchen vor sich hin, so gut und schlecht, als es nun eben am lieben Sonntagmorgen ein Swinegel zu singen vermag. Indem er nun noch so halbleise vor sich hinsang, fiel ihm auf einmal ein, er könne wohl, während seine Frau die Kinder wüsche und anzöge, ein bißchen im Felde spazieren und dabei sich umsehen, wie seine Steckrüben stünden. Die Steckrüben waren das Nächste bei seinem Hause, und er pflegte mit seiner Familie davon zu essen, und deshalb sah er sie denn auch als die seinigen an. Der Swinegel machte die Haustüre hinter sich zu und schlug den Weg nach dem Felde ein. Er war noch nicht sehr weit vom Hause und wollte just um den Schlehenbusch hinaufschlendern, der da vor dem Felde liegt, als ihm der Hase begegnete, der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war, nämlich um seinen Kohl zu besehen. Als der Swinegel des Hasen ansichtig wurde, bot er ihm einen freundlichen guten Morgen. Der Hase aber, der nach seiner Weise ein gar vornehmer Herr war und grausam hochfahrig dazu, antwortete nichts auf des Swinegels Gruß, sondern sagte zu ihm, wobei er eine gewaltig hohe Miene annahm: „Wie kommt es denn, daß du schon bei so frühem Morgen im Felde rumläufst?“ „Ich gehe spazieren,“ sagte der Swinegel. „Spazieren?“ lachte der Hase, „mich deucht du könntest deine Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen.“ Diese Antwort verdroß den Swinegel über alle Maßen, denn alles kann er vertragen, aber auf seine Beine läßt er nichts kommen, eben weil sie von Natur schief sind. „Du bildest dir wohl ein,“ sagte nun der Swinegel, „daß du mit deinen Beinen mehr ausrichten kannst?“ „Das denk’ ich“, sagte der Hase. „Nun, es käme auf einen Versuch an,“ meinte der Swinegel, „ich pariere, wenn wir wettlaufen, ich laufe euch vorbei.“ „Das ist zum lachen -- du mit deinen schiefen Beinen!“ sagte der Hase „aber meinetwegen mag es sein, wenn du so übergroße Lust hast. Was gilt die Wette?“ „Einen goldenen Lujedor und eine Buttelje Schnaps,“ sagte der Swinegel. „Angenommen,“ sprach der Hase „schlag ein, und dann kann’s gleich losgehen.“ „Nein, so große Eile hat es nicht,“ meinte der Swinegel, „ich bin noch ganz nüchtern; erst will ich nach Hause gehn und ein bißchen frühstücken. In einer halben Stunde bin ich auf dem Platze.“ Darauf ging der Swinegel, denn der Hase war es zufrieden. Unterwegs dachte der Swinegel bei sich: „Der Hase verläßt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn schon kriegen. Er dünkt sich zwar ein vornehmer Herr zu sein, ist aber doch ein dummer Kerl, und bezahlen muß er auch.“ Als nun der Swinegel zu Hause ankam, sagte er zu seiner Frau: „Frau zieh dich eilig an, du mußt mit ins Feld hinaus.“ „Was gibt es denn?“ sagte die Frau. „Ich habe mit dem Hasen um einen goldenen Lujedor und eine Buttelje Schnaps gewettet. Ich will mit ihm um die Wette laufen, und da sollst du dabei sein.“ „O mein Gott, mein Mann!“ schrie Swinegels Frau, „bist du nicht klug, hast du den Verstand verloren? Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?“ „Laß gut sein, Weib,“ sagte der Swinegel, „das ist meine Sache. Räsoniert nicht in Männergeschäfte. Ziehe dich an und dann komm mit.“ Was sollte die Frau machen? Sie mußte wohl folgen, sie mochte wollen oder nicht. Als sie nun miteinander unterwegs waren, sprach der Swinegel zu seiner Frau also: „Nun paß auf, was ich dir sagen werde. Sieh, auf dem langen Acker dort wollen wir unsern Wettlauf machen. Der Hase läuft nämlich in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fangen wir an zu laufen. Nun hast du weiter nichts zu tun, als du stellst dich hier unten in die Furche, und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt, so rufst du ihm entgegen: „Ich bin schon da!““ Damit waren sie beim Acker angelangt, der Swinegel wies seiner Frau ihren Platz an und ging nun den Acker hinauf. Als er oben ankam, war der Hase schon da. „Kann es losgehen?“ sagte der Hase. „Jawohl“, erwiderte der Swinegel. „Dann man zu!“ Und damit stellte sich jeder in seine Furche. Der Hase zählte: „Eins, zwei, drei!“ und los ging er wie ein Sturmwind den Acker hinunter. Der Swinegel aber lief nur ungefähr drei Schritte, dann duckte er sich in die Furche nieder und blieb ruhig sitzen. Als nun der Hase im vollen Laufen unten ankam, rief ihm Frau Swinegel entgegen: „Ich bin schon da!“ Der Hase stutzte und verwunderte sich nicht wenig. Er meinte nicht anders, es wäre der Swinegel selbst, der ihm das zurufe, denn bekanntlich sieht Swinegels Frau gerade so aus wie ihr Mann. Der Hase aber meinte: „Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Er rief: „Noch einmal gelaufen, wieder herum!“ Und fort ging es wieder wie der Sturmwind, so daß ihm die Ohren am Kopfe flogen. Frau Swinegel blieb indes ruhig auf ihrem Platz. Als nun der Hase oben ankam, rief ihm der Swinegel entgegen: „Ich bin schon da!“ Der Hase aber, ganz außer sich vor Eifer, schrie: „Nochmal gelaufen, wieder herum!“ „Mir recht,“ antwortete der Swinegel, „meinetwegen so oft als du Lust hast.“ So lief der Hase dreiundsiebzigmal, und der Swinegel hielt es immer mit ihm aus. Jedesmal, wenn der Hase unten oder oben ankam sagte der Swinegel oder seine Frau: „Ich bin schon da.“ Zum vierundsiebzigstenmal kam der Hase nicht mehr zu Ende. Mitten auf dem Acker stürzte er zur Erde, das Blut floß ihm aus dem Halse, und er blieb tot auf dem Platze. Der Swinegel aber nahm seinen gewonnenen Louisdor und die Flasche Branntwein, rief seine Frau aus der Furche ab, und beide gingen vergnügt nach Hause, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch. So begab es sich, daß auf der Buxtehuder Heide der Swinegel den Hasen zu Tode gelaufen hat, und seit jener Zeit hat es sich kein Hase wieder einfallen lassen, mit dem Buxtehuder Swinegel um die Wette zu laufen. Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist deutlich, daß keiner, und wenn er sich auch noch so vornehm dünkt, sich soll beikommen lassen, über den geringen Mann sich lustig zu machen, und wäre es auch nur ein Swinegel. [Abbildung] Das Kätzchen und die Stricknadeln. [_Drei Abbildungen (1 bunt)_] Es war einmal eine arme Frau, die in den Wald ging, um Holz zu lesen. Als sie mit ihrer Bürde auf dem Rückwege war, sah sie hinter einem Zaun ein krankes Kätzchen liegen, das kläglich schrie. Die arme Frau nahm es mitleidig in ihre Schürze und trug es dem Hause zu. Auf dem Wege kamen ihre beiden Kinder ihr entgegen, und wie sie sahen, daß die Mutter etwas trug, fragten sie: „Mutter, was trägst du?“ und wollten gleich das Kätzchen haben; aber die mitleidige Frau gab den Kindern das Kätzchen nicht, aus Sorge, sie möchten es quälen, sondern legte es zu Hause auf alte weiche Kleider und gab ihm Milch zu trinken. Als das Kätzchen sich gelabt hatte und wieder gesund war, war es mit einem Male fort und verschwunden. Nach einiger Zeit ging die arme Frau wieder in den Wald, und als sie mit ihrer Bürde Holz auf dem Rückwege wieder an die Stelle kam, wo das kranke Kätzchen gelegen hatte, da stand eine ganz vornehme Dame dort, winkte die arme Frau zu sich und warf ihr fünf Stricknadeln in die Schürze. Die Frau wußte nicht recht, was sie denken sollte und dünkte diese absonderliche Gabe ihr gar zu gering; doch nahm sie die fünf Stricknadeln des Abends auf den Tisch. Aber als sie des andern Morgens ihr Lager verließ, da lagen ein Paar neue, fertig gestrickte Strümpfe auf dem Tische. Das wunderte die arme Frau über alle Maßen; am nächsten Abend legte sie die Nadeln wieder auf den Tisch, und am Morgen darauf lagen abermals neue Strümpfe da. Jetzt merkte sie, daß zum Lohn ihres Mitleids mit dem kranken Kätzchen ihr diese fleißigen Nadeln beschert waren, und sie ließ dieselben nun jede Nacht stricken, bis sie und die Kinder genug hatten. Dann verkaufte sie auch Strümpfe und hatte zu leben bis an ihr seliges Ende. [Abbildung] Der goldene Rehbock. [_Sechs Abbildungen_] Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe und ein Mädchen; das Mädchen hieß Margarete, der Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie ausgehen mußten, um durch Betteln sich fortzubringen. Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und klein; denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre und Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie vors erste beste Haus, klopften an und baten um ein Nachtquartier, und vielmals waren sie schon von guten, mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeiset und getränket worden; auch hatte mancher und manche Barmherzige ihnen ein Kleidungsstückchen zugeworfen. So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen, welches einzeln stand; da klopften sie ans Fenster, und als gleich darauf eine alte Frau heraussah, fragten sie diese, ob sie hier über Nacht bleiben durften. Die Antwort war: „Meinetwegen, kommt nur herein!“ Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: „Ich will euch wohl über Nacht behalten; aber wenn es mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren, denn er ißt gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!“ Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie nunmehr nicht weiter, es war schon ganz dunkle Nacht geworden. So ließen sie sich gutwillig von der Frau in ein Faß verstecken und verhielten sich ruhig. Einschlafen konnten sie aber lange nicht, zumal, da sie nach einer Stunde die schweren Tritte eines Mannes vernahmen, der wahrscheinlich der Menschenfresser war. Des wurden sie bald gewiß, den jetzt fing er an, mit brüllender Stimme auf seine Frau zu zanken, daß sie keinen Menschenbraten für ihn zugerichtet. Am Morgen verließ er das Haus wieder und tappte so laut, daß die Kinder, die endlich doch eingeschlafen waren, darüber erwachten. Als sie von der Frau etwas zu frühstücken bekommen hatten, sagte diese: „Ihr Kinder müßt nun auch etwas tun! Da habt ihr zwei Besen, geht oben hinauf und kehrt mir meine Stuben aus; deren sind zwölf, aber ihr kehret davon nur elf, die zwölfte dürft ihr ums Himmels willen nicht aufmachen. Ich will derzeit einen Ausgang tun. Seid fleißig, daß ihr fertig seid, wenn ich wieder komme!“ Die Kinder kehrten sehr emsig, und bald waren sie fertig. Nun mochte Gretchen doch gar zu gerne wissen, was in der zwölften Stube wäre, das sie nicht sehen sollten, weil ihnen verboten war, die Stube zu öffnen. Sie guckte ein wenig durchs Schlüsselloch und sah da einen herrlichen kleinen goldenen Wagen, mit einem goldenen Rehbock bespannt. Geschwind rief sie Hänschen herbei, daß er auch hineingucken sollte. Und als sie sich erst tüchtig umgesehen, ob die Frau nicht heimkehre, und da von dieser nichts zu sehen war, schlossen sie schnell die Türe auf, zogen den Wagen samt dem Rehbock heraus, setzten sich drunten hinein in den Wagen und fuhren auf und davon. Aber nicht lange, so sahen sie von weitem die alte Frau und auch den Menschenfresser ihnen entgegenkommen, gerade des Weg’s, den sie mit dem geraubten Wagen eingeschlagen hatten. Hänslein sprach: „Ach, Schwester, was machen wir? Wenn uns die beiden Alten entdecken, sind wir verloren.“ „Still!“ sprach Gretchen, „ich weiß ein kräftiges Zaubersprüchlein, welches ich noch von unsrer Großmutter gelernt habe: [Kleinbild] Rosenrote Rose sticht; Siehst du mich, so sieh mich nicht!“ und alsbald waren sie in einen Rosenstrauch verwandelt. Gretchen wurde zur Rose, Hänslein zu Dornen, der Rehbock zum Stiele, der Wagen zu Blättern. Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine Frau, dahergegangen, und letztere wollte sich die schöne Rose abbrechen; aber sie stach sich so sehr, daß ihre Finger bluteten und sie ärgerlich davonging. Wie die Alten fort waren, machten sich die Kinder eilig auf und fuhren weiter und kamen bald an einen Backofen, der voll Brot stand. Da hörten sie aus demselben eine hohle Stimme rufen: „Rückt mir mein Brot, rückt mir mein Brot!“ Schnell rückte Gretchen das Brot und tat es in ihren Wagen, worauf sie weiterfuhren. Da kamen sie an einen großen Birnbaum, der voll reifer, schöner Früchte hing. Aus diesem tönte es wieder: „Schüttelt mir meine Birnen, schüttelt mir meine Birnen!“ Gretchen schüttelte sogleich, und Hänschen half gar fleißig auflesen und die Birnen in den goldenen Wagen schütten. Und weiter kamen sie an einen Weinstock, der rief mit angenehmer Stimme: „Pflückt mir meine Trauben, pflückt mir meine Trauben!“ Gretchen pflückte auch diese und packte sie in ihren Wagen. Unterdessen aber waren der Menschenfresser und seine Frau daheim angelangt und hatten mit Ingrimm wahrgenommen, daß die Kinder den goldenen Wagen samt dem Rehbock entführt, gerade wie sie selbst vor langen Jahren Wagen und Rehbock gestohlen und noch dazu bei dem Diebstahl einen Mord begangen, nämlich den rechtmäßigen Eigentümer erschlagen hatten. Der mit dem Rehbock bespannte Wagen war nicht nur an und für sich von großem Wert, sondern er besaß auch noch die vortreffliche Eigenschaft, daß, wo er hinkam, von allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und Beerstrauch, von Backofen und Weinstock. So hatten denn die Leute, der Menschenfresser und seine Frau, lange Jahre den Wagen auf unrechtmäßige Weise besessen, hatten sich gute Eßwaren spenden lassen und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da sie nun sahen, daß sie ihres Wagens beraubt waren, machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen. Dabei wässerte dem Menschenfresser schon der Mund nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er sogleich fangen und schlachten. Mit weiten Schritten eilten die beiden Alten den Flüchtlingen nach und wurden derselben bald von ferne ansichtig. Die Kinder kamen jetzt an einen großen Teich und konnten nicht weiter, auch war weder eine Fähre noch eine Brücke da, daß sie hinüber hätten flüchten können. Nur viele Enten waren darauf zu sehen, die lustig umherschwammen. Gretchen lockte sie ans Ufer, warf ihnen Futter hin und sprach: [Kleinbild] „Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen, Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann kommen!“ Da schwammen die Enten einträchtiglich zusammen, bildeten eine Brücke, und die Kinder samt Rehbock und Wagen kamen glücklich ans Ufer. Aber flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser und brummte mit häßlicher Stimme: „Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen, Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann kommen!“ Schnell schwammen die Entchen zusammen und trugen die beiden Alten hinüber -- meint ihr? Nein! in der Mitte des Teiches, wo das Wasser am tiefsten war, schwammen die Entchen auseinander, und der böse Menschenfresser nebst seiner Frau plumpten in die Tiefe und kamen um. Hänschen und Gretchen wurden sehr wohlhabende Leute, aber sie spendeten auch von ihrem Segen den Armen viel Gutes, weil sie immer daran dachten, wie bitter es gewesen, da sie noch arm waren und betteln gehen mußten. [Kleinbild] Die drei Federn. [_Fünf Abbildungen (1 bunt)_] Einem Manne wurde ein Söhnlein geboren; und da der Vater ausging, einen Paten zu suchen, der das Kind aus der Taufe hebe, so fand er einen jungen, wunderschönen Knaben, gegen den sein Herz gleich voll Liebe wurde. Und als er ihm nun seine Bitte vortrug, war der schöne Knabe gern bereit mitzugehen und das Kind zu heben und hinterließ ein junges, weißes Roß als Patengeschenk. Dieser Knabe ist aber niemand anders gewesen als Jesus Christus, unser Herr. Der junge Knabe, welcher in der Taufe den Namen Heinrich empfangen hatte, wuchs zu seines Vaters und seiner Mutter Freude, und wie er die Jünglingsjahre erreicht hatte, da hielt es ihn nicht mehr daheim, sondern es zog ihn in die Ferne nach Taten und Abenteuern. Nahm daher Urlaub von seinen Eltern, setzte sich auf sein gesatteltes Rößlein, das ihm der unbekannte Knabe zum Patengeschenk gegeben, und ritt frisch und fröhlich darauf in die Welt hinein. Da kam er eines Tages durch einen Wald, und siehe, da lag hart am Wege eine Feder aus dem Rade eines Pfauen, und die Sonne schien auf die Feder, daß ihre bunten Farben in ihrem Glanze prächtig leuchteten. Der junge Knabe hielt sein Rößlein an und wollte absteigen, um die Feder aufzuheben und sie an seinen Hut zu stecken. Da tat das Rößlein sein Maul auf und sprach: „Ach, laß die Feder auf dem Grunde liegen!“ Des verwunderte sich der junge Reiter, daß das Rößlein sprechen konnte, und es kam ihn ein Schauer an; er blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, sondern ritt weiter. Nach einer Zeit geschah es, daß der Knabe am Ufer eines Bächleins hinritt, siehe, da lag eine bunte, viel schönere Feder auf dem grünen Gras, als jene war, die im Walde gelegen hatte, und des Knaben Herz verlangte nach ihr, seinen Hut damit zu schmücken, denn dergleichen Pracht von einer Feder hatte er all sein Lebtag noch nicht gesehen. Aber wie er absteigen wollte, sprach das Rößlein abermals: „Ach, laß die Feder auf dem Grunde!“ Und wieder verwunderte sich der Knabe über alle Maßen, daß das Rößlein sprach, während es doch sonst nicht redete; er folgte auch diesmal, blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, sondern ritt weiter. Nun währte es nur eine kleine Zeit, da kam der Knabe an einen hohen Berg und wollte da hinauf reiten, da lag an seinem Fuße im Wiesengrunde wieder eine Feder; das war nach seinem Vermeinen aber die allerschönste in der ganzen weiten Welt, und die mußte er haben. Sie glänzte und funkelte wie lauter blaue und grüne Edelsteine oder wie die hellen Tautropfen in der Morgensonne. Aber wiederum sprach das Rößlein: „Ach, laß die Feder auf dem Grunde!“ Dieses Mal vermochte der Jüngling dem Rößlein nicht zu gehorchen und wollte seinen Rat nicht hören, denn es gelüstete ihn allzusehr nach dem lieblichen und stattlichen Schmuck. Er stieg ab, hob die Feder vom Grunde und steckte sie auf seinen Hut. Da sprach das Rößlein: „O weh, was tust du dir zum Schaden? Es wird dich wohl noch reuen!“ Weiter sprach es nichts. Wie der Jüngling weiter ritt, so kam er an eine stattliche und wohlgebaute Stadt, da sah er viel geschmückte Bürgersleute, und es kam ihm ein feiner Zug entgegen mit Pfeifern, Paukern und Trompetern und vielen wehenden Fahnen, und das war prächtig anzusehen. Und in dem Zuge gingen Jungfrauen, die streuten Blumen, und die vier schönsten trugen auf einem Kissen eine Königskrone. Und die Ältesten der Stadt reichten die Krone dem Jüngling und sprachen: „Heil dir, du uns von Gott gesandter edler Jüngling! Du sollst unser König sein! Gelobt sei Gott, der Herr, in alle Ewigkeit!“ und alles Volk schrie: „Heil unserm König!“ Der Jüngling wußte nicht, wie ihm geschehen, als er auf seinem Haupte die Königskrone fühlte, er kniete nieder und lobte Gott und den Heiland. Hätte er die erste Feder aufgehoben, so wäre er ein Graf geworden; die zweite: ein Herzog, und hätte er die dritte Feder nicht aufgehoben, so hätte er auf dem Bergesgipfel eine vierte gefunden, und das Rößlein hätte dann gesprochen: „Diese Feder nimm vom Grunde!“ Dann wär’ er ein mächtiger Kaiser geworden über viele Reiche der Welt, und die Sonne wäre nicht untergegangen in seinen Landen. Doch war er auch so zufrieden und war ein gütiger, weiser, gerechter und frommer König. [Abbildung] Der kleine Däumling. [_Acht Abbildungen (2 bunt)_] Es war einmal ein armer Korbmacher, der hatte mit seiner Frau sieben Jungen, da war immer einer kleiner als der andere, und der jüngste war bei seiner Geburt nicht viel über Fingers Länge, daher nannte man ihn _Däumling_. Zwar ist er hernach noch etwas gewachsen, doch nicht gar zu sehr, und den Namen Däumling hat er behalten. Doch war es ein gar kluger und pfiffiger kleiner Knirps, der an Gewandtheit und Schlauheit seine Brüder in den Sack steckte. Den Eltern ging es erst gar übel, denn Korbmachen und Strohflechten ist keine so nahrhafte Profession wie Semmelbacken und Kälberschlachten, und als vollends eine teure Zeit kam, wurde dem Korbmacher und seiner Frau himmelangst, wie sie ihre sieben Würmer satt machen sollten, die alle mit äußerst gutem Appetit gesegnet waren. Da beratschlagten eines Abends, als die Kinder zu Bette waren, die beiden Eltern miteinander, was sie anfangen wollten und wurden Rates, die Kinder mit in den Wald zu nehmen, wo die Weiden wachsen, aus denen man Körbe flicht, und sie heimlich zu verlassen. Das alles hörte der Däumling an, der nicht schlief wie seine Brüder, und schrieb sich der Eltern übeln Ratschlag hinter die Ohren. Simulierte auch die ganze Nacht, da er vor Sorge doch kein Auge zutun konnte, wie er es machen sollte, sich und seinen Brüdern zu helfen. Frühmorgens lief der Däumling an den Bach, suchte die kleinen Taschen voll weißer Kiesel und ging wieder heim. Seinen Brüdern sagte er von dem, was er erhorcht hatte, kein Sterbenswörtchen. Nun machten sich die Eltern auf in den Wald, hießen die Kinder folgen, und der Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg fallen. Das sah niemand, weil er als der jüngste, kleinste und schwächste stets hintennach trottete. Im Walde machten sich die Alten unvermerkt von den Kindern fort, und auf einmal waren sie weg. Als das die Kinder merkten, erhoben sie allzumal, Däumling ausgenommen, ein Zetergeschrei. Däumling lachte und sprach zu seinen Brüdern: „Heult und schreit nicht so jämmerlich! Wollen den Weg schon allein finden.“ Und nun ging Däumling voran und nicht hinterdrein, richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinchen und fand auch den Weg ohne alle Mühe. Als die Eltern heimkamen, bescherte ihnen Gott Geld ins Haus; eine alte Schuld, auf die sie nicht mehr gehofft hatten, wurde von einem Nachbar an sie abbezahlt, und nun wurden Eßwaren gekauft, daß sich der Tisch bog. Aber nun kam auch das Reuelein, daß die Kinder verstoßen worden waren, und die Frau begann erbärmlich zu lamentieren: „Ach, du lieber, allerliebster Gott! Wenn wir doch die Kinder nicht im Wald gelassen hätten! Ach, jetzt könnten sie sich dicksatt essen, und so haben die Wölfe sie vielleicht schon im Magen! Ach, wären nur unsre liebsten Kinder da!“ -- „Mutter, da sind wir ja!“ sprach ganz geruhig der kleine Däumling, der bereits mit seinen Brüdern vor der Türe angelangt war und die Wehklage gehört hatte, öffnete die Tür, und herein trippelten die kleinen Korbmacher -- eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Ihren guten Appetit hatten sie wieder mitgebracht, und daß der Tisch so reichlich gedeckt war, das war ihnen ein gefundenes Essen. Die Herrlichkeit war groß, daß die Kinder wieder da waren, und es wurde, so lange das Geld reichte, in Freuden gelebt, wie es armer Handarbeiter Gewohnheit. Nicht gar lange währte es, so war in des Korbmachers Hütte Schmalhans wieder Küchenmeister, und ein Kellermeister mangelte ohnedem, und es erwachte aufs neue der Vorsatz, die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu überlassen. Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen Vater und Mutter verhandelt wurde, so hörte auch der kleine Däumling alles, das ganze Gespräch, Wort für Wort und nahm sich’s zu Herzen. Am andern Morgen wollte Däumling aus dem Häuschen schlüpfen, Kieselsteine aufzulesen, aber o weh, da war’s verriegelt, und Däumling war viel zu klein, als daß er den Riegel hätte erreichen können; da gedachte er sich anders zu helfen. Wie es fort ging zum Walde, steckte Däumling Brot ein und streute davon Krümchen auf den Weg, um ihn dadurch wieder zu finden. Alles begab sich wie das erstemal, nur mit dem Unterschied, daß Däumling den Heimweg nicht fand, dieweil die Vögel alle Krümchen rein aufgefressen hatten. Nun war guter Rat teuer, und die Brüder machten ein Geheul, daß es zum Steinerbarmen war. Dabei tappten sie durch den Wald, bis es ganz finster wurde, und fürchteten sich über die Maßen, bis auf Däumling, der schrie nicht und fürchtete sich nicht. Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes, auf weichem Moos schliefen die sieben Brüder, und als es Tag war, stieg Däumling auf einen Baum, die Gegend zu erkunden. Erst sah er nichts als eitel Waldbäume, dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens, merkte sich die Richtung, rutschte vom Baume herab und ging seinen Brüdern tapfer voran. Nach manchem Kampf mit Dickicht, Dornen und Disteln sahen alle das Häuschen durch die Büsche blicken und schritten guten Mutes darauf los, klopften auch ganz bescheidentlich an der Türe an. Da trat eine Frau heraus, und Däumling bat gar schön, sie doch einzulassen, sie hätten sich verirrt und wüßten nicht wohin? Die Frau sagte: „Ach, ihr armen Kinder!“ und ließ den Däumling mit seinen Brüdern eintreten, sagte ihnen aber auch gleich daß sie im Hause des Menschenfressers wären, der besonders gern die kleinen Kinder fräße. Das war eine schöne Zuversicht! Die Kinder zitterten wie Espenlaub, als sie dieses hörten, hätten gern lieber selbst zu essen gehabt und sollten nun statt dessen gegessen werden. Doch die Frau war gut und mitleidig, verbarg die Kinder und gab ihnen auch etwas zu beißen. Bald darauf hörte man Tritte, und es klopfte stark an die Türe; das war kein andrer als der heimkehrende Menschenfresser. Er setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit, ließ Wein auftragen und schnüffelte, als wenn er etwas röche, dann rief er seiner Frau zu: „Ich witt’re Menschenfleisch!“ Die Frau wollte es ihm ausreden, aber er ging seinem Geruch nach und fand die Kinder. Die waren halbtot vor Entsetzen. Schon wetzte er sein langes Messer, die Kinder zu schlachten, und nur allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach, sie noch ein wenig am Leben zu lassen und aufzufüttern, weil sie doch gar zu dürr seien, besonders der kleine Däumling. So ließ der böse Mann und Kinderfresser sich endlich beschwichtigen. Die Kinder wurden zu Bette gebracht, und zwar in derselben Kammer, wo ebenfalls in einem großen Bette Menschenfressers sieben Töchterlein schliefen, die so alt waren wie die sieben Brüder. Sie waren von Angesicht sehr häßlich, jede hatte aber ein goldenes Krönlein auf dem Haupte. Das alles war der Däumling gewahr worden, machte sich ganz still aus dem Bette, nahm seine und seiner Brüder Nachtmützen, setzte diese Menschenfressers Töchtern auf und deren Krönlein sich und seinen Brüdern. Der Menschenfresser trank vielen Wein, und da kam ihn seine böse Lust wieder an, die Kinder zu morden, nahm sein Messer und schlich sich in die Schlafkammer, wo sie schliefen, willens, ihnen die Hälse abzuschneiden. Es war aber stockdunkel in der Kammer, der Menschenfresser tappte blind umher, bis er an ein Bett stieß, und fühlte nach den Köpfen der darin Schlafenden. Da fühlte er die Krönchen und sprach. „Halt da! Das sind deine Töchter. Bald hättest du betrunkenes Schaf einen Eselsstreich gemacht!“ Nun tappelte er nach dem andern Bette, fühlte da die Nachtmützen und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse ab, einer nach der andern. Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch aus. Wie der Däumling ihn schnarchen hörte, weckte er seine Brüder, schlich sich mit ihnen aus dem Hause und suchte das Weite. Aber wie sehr sie auch eilten, so wußten sie doch weder Weg noch Steg und liefen in der Irre herum voll Angst und Sorge, nach wie vor. Als der Morgen kam, erwachte der Menschenfresser und sprach zu seiner Frau: „Geh und richte die Krabben zu, die gestrigen!“ Sie meinte, sie sollte die Kinder aufwecken und ging voll Angst um sie hinauf in die Kammer. Welch ein Schrecken für die Frau, als sie nun sah, was geschehen war; sie fiel gleich in Ohnmacht über den schrecklichen Anblick, den sie hatte. Als sie nun dem Menschenfresser zu lange blieb, ging er selbst hinauf, und da sah er, was er angerichtet. Die Wut, in die er geriet, ist nicht zu beschreiben. Schnell zog er die Siebenmeilenstiefel an, die er hatte, das waren Stiefel, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen, das war nichts Kleines. Nicht lange, so sahen die sieben Brüder ihn von weitem über Berg und Täler schreiten und waren sehr in Sorgen, doch Däumling versteckte sich mit ihnen in die Höhlung eines großen Felsens. Als der Menschenfresser an diesen Felsen kam, setzte er sich darauf, um ein wenig zu ruhen, weil er müde geworden war, und bald schlief er ein und schnarchte, daß es war, als brause ein Sturmwind. Wie der Menschenfresser so schlief und schnarchte, schlich sich Däumling hervor, wie ein Mäuschen aus seinem Loch, zog ihm die Meilenstiefeln aus und zog sie selber an. Zum Glück hatten die Stiefel die Eigenschaft, an jeden Fuß zu passen wie angemessen und angegossen. Nun nahm er an jede Hand einen seiner Brüder, diese faßten wieder einander an den Händen, und so ging es, hast du nicht gesehen, mit Siebenmeilenstiefelschritten nach Hause. Da waren sie alle willkommen. Däumling empfahl seinen Eltern, ein sorglich Auge auf die Brüder zu haben, er wolle nun mit Hilfe der Stiefel selbst für sein Fortkommen sorgen, und als er das kaum gesagt, so tat er einen Schritt und war schon weit fort, noch einen, und er stand über eine halbe Stunde auf einem Berge, noch einen, und er war den Eltern und Brüdern aus den Augen. Nach der Hand hat der Däumling mit seinen Stiefeln sein Glück gemacht und viele große und weite Reisen, hat vielen Herren gedient, und wenn es ihm wo nicht gefallen hat, ist er spornstreichs weiter gegangen. Kein Verfolger zu Fuß noch zu Pferd konnte ihn einholen, und seine Abenteuer, die er mit Hilfe der Stiefel bestand, sind nicht zu beschreiben. [Abbildung] Das Natterkrönlein. [_Drei Abbildungen (1 bunt)_] Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen; diese nannten die Alten mit mancherlei Namen, als Otterkönig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen, und sie haben gesagt, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück. Bei einem geizigen Bauer diente eine fromme, mildherzige Magd, und in seinem Kuhstalle wohnte auch eine Krönleinnatter, die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte, denn diese Nattern haben die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute -- was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles, -- da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an, und dieser kam es immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben. Und da gewöhnte sie sich, in ein kleines Untertäßchen etwas kuhwarme Milch zu lassen, um dem Schlänglein dieses hinzustellen, und das trank die Milch mit gar großem Wohlbehagen und wendete dabei sein Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle. Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr, daß, seit sie dieselbe mit Milch tränkte, ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen brachten, worüber sie die größte Freude hatte. Da traf sich’s einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Krönleinnatter ihr Tröpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt; und weil er geizig und habsüchtig über alle Maßen war, so fuhr er gleich so zornig auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte. „Du nichtsnutze Dirn’, die du bist!“ schrie der böse Bauer. „So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub’ ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!“ Die arme Dirne konnte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen; aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte, sondern er schrie und zankte sich immer mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben: „Aus dem Hause, sag’ ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst du dein Bündel, aber gleich und machst, daß du aus dem Dorfe fort kommst, und läßt dich nimmer wieder hier blicken, sonst zeig’ ich dich an beim Amt, da wirst du eingesteckt und kriegst den Staupbesen, du Hexendirne!“ Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein, und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, im Stalle blöckte ihre Lieblingskuh. -- Der Bauer war weiter gegangen; sie trat noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen; denn frommem Hausgesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen. Daher pflegt man auch zu sagen, im ersten Dienstjahre spricht die Magd: meines Herrn Kuh, im zweiten: unsere Kuh, und im dritten und in allen folgenden: _meine_ Kuh. Und da stand nun die Dirn’ im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand -- und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen. „Leb’ wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern.“ Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in ihre Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie nie getan. Das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte. Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wußte nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glücke aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude zuteil. Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes; der gewann gleich die Dirne lieb, und er grüßte sie und fragte sie, wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da sie ihm nun ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, er sende sie. Wie nun die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich ein großes Vertrauen zu ihr und behielt sie im Hause, und als am Abende die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und da deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels, und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu der Dirne eine große Liebe. Und als abgegessen war und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen hatte und das Gesinde die Stube verlassen, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: „Frau Mutter segnet mich und die -- denn die nehm’ ich zur Frau oder keine. Sie hat mir’s einmal angetan!“ „Sie hat’s uns allen angetan“, antwortete die alte Frau Schulzin. „Sie ist so fromm, als sie schön ist und so demütig, als sie makellos ist. Im Namen Gottes segne ich dich und sie und nehme sie vom Herzen gerne zur Tochter.“ So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu. Mit jenem geizigen Bauer aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben, ging es baldigst den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg, er mußte erst sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker, und alles kaufte der reiche Schulzensohn, und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt in ihren Stall und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand. Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder. Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte. „Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder mit tausend Dank, daß du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch’ es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß.“ Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieb Friede, Glück und Gottes Segen ruhen. [Abbildung] Der fette Lollus und der magere Lollus. [_Acht Abbildung (2 bunt)_] Es starb ein reicher Mann, welcher zwei Söhne hinterließ und ein hübsches Vermögen und Erbe. Der eine der Söhne erwählte den geistlichen, und zwar den Mönchs-Stand, der zweite einen sehr weltlichen, er wurde ein Gastgeber, das heißt er _gab_ seinen Gästen so wenig als möglich und nahm dafür von ihnen so viel als möglich. Er heiratete nach Geld und strebte fort und fort nach Geld. Von seinem Bruder borgte er dessen Erbanteil ab, da dieser als Mönch keines Geldes bedurfte, und wucherte damit, aber nicht zu des Bruders sondern zu seinem eigenen Nutzen. Seine Biermaße waren falsch, und seine Weinflaschen ließ er auf der Glashütte so klein blasen, daß man beim Anblick einer ganzen Flasche sehr in Zweifel geriet, ob es nicht eine halbe sei, und seine halben Flaschen schienen alle nach der schlanken Körperbildung eines Bleistiftes hinzustreben; daher hießen sie auch bei den Gästen dieses Wirtes nie anders als Stifte. Wenn der Stallknecht dem Pferde eines Reisenden Hafer vorgeschüttet hatte, so trat der Wirt, wenn er sich unbemerkt glaubte, an die Krippe, kripste ganze Hände voll Hafer wieder dem armen Tiere vor dem Maule weg und schob ihn in seine Tasche. Er sagte sich, deshalb heiße die Krippe so, weil man aus ihr kripsen könne. Es war ein durchtriebener Schalk, dieser Wirt, und an ihm lag es nicht, daß er nicht recht reich wurde, denn Anlagen dazu hatte er. Aber das Bibelwort sagt nicht vergebens: „Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke.“ Des Wirtes Tun brachte nicht Segen. Was half es ihm, wenn er fremden Pferden von deren Futter ein paar Hände voll Hafer stahl -- und eins seiner eigenen Pferde zugrunde ging? Wenn er durch sein zu knappes Maß nach und nach ein wenig Wein langsam gewann, und durch Nachlässigkeit seiner Leute, die er ohne Aufsicht ließ, ihm ein ganzes Faß in den Keller lief? Er kam nicht vorwärts, dieser betriebsame Wirt, sondern er kam zurück in allen Dingen, nur nicht von seiner Prellerei und Habsucht; diese trieb er immer ärger und ärger, bis die Gäste wegblieben und das Weinstüblein leer stand, der Bratofen kalt blieb und der Schornstein sich das Rauchen abgewöhnte. Als es so weit schon mit dem Krebsgange dieses Wirtes gediehen war, schlug ihm ein neuer Schrecken in die Glieder; sein Bruder, der fromme Mönch, kam und sprach zu ihm: „Lieber Bruder, gib mir das dir geliehene Kapital heraus, ich habe meinem heiligen Schutzpatrone in unserer Klosterkirche einen kostbaren Altar mit herrlicher Malerei, Schnitzwerk und Vergoldung gelobt; den will ich davon herstellen, und was übrig bleibt, wenn etwas übrig bleibt, davon will ich Seelenmessen für unsere lieben Eltern, für dich und mich auf ewige Zeiten stiften.“ „Großer Gott!“ schrie der Wirt, „Bruder, wie kannst du so unsinnig handeln! Ich kann dir dein Geld jetzt nicht herausgeben, denn ich habe es nicht, -- ich bin zugrunde gerichtet, und wenn du auf der Zahlung bestehst, so wird mir Haus und Hof über dem Kopfe verkauft, ich muß mit Weib und Kindern betteln gehen, und du bekommst erst recht nichts, und dein heiliger Schutzpatron bekommt auch keinen neuen Altar. Höre mich an und sei vernünftig, mein lieber, gottseliger Bruder! Laß mir noch das Geld, gönne mir Zeit, mich zu erholen! Du weißt, wir haben eine schlimme Zeit durchgemacht, in welcher niemand auf einen grünen Zweig hat kommen können, außer die Bauern; die haben ihr Schäfchen geschoren und lachen uns jetzt aus. Dein Heiliger ist gewiß ein edeldenkender Menschenfreund gewesen, und hat er einige Jahrhunderte in deiner Klosterkirche keinen Prachtaltar gehabt, so wird es ihm darauf auch nicht ankommen, einige Jahre früher oder später einen solchen zu erhalten. Gott der Herr weiß, daß ich mir es gehörig sauer werden lasse -- ich plage mich über alle Maßen, Geld zu erschwingen -- aber es geht nicht -- ich komme zu nichts.“ „Das höre ich sehr ungern von dir, lieber Bruder“, sprach mit Teilnahme der Mönch. „Du hast den schlechtesten Gast in dein Gasthaus aufgenommen, den es geben kann.“ „Wer wäre das?“ fragte der Wirt. „Das ist der fette Lollus!“ entgegnete der Mönch. „Der fette Lollus?“ fragte verwundert der Wirt. „Du scherzest entweder, Bruder, oder du faselst. In meinem Fremdenbuche steht kein Gast solchen Namens, und nie hörte ich diesen Namen nennen, wahrlich in meinem ganzen Leben nicht!“ „Das ist wohl möglich,“ sagte der Mönch; „dennoch ist dieser schlimme Gast vorhanden, und er ist die alleinige Ursache deines Vermögensverfalles und deines Zurückkommens.“ „Den möcht’ ich sehen! Ich wollt’ ihn“ -- fuhr der Wirt auf. „Du wirst ihm nicht gleich etwas anhaben, lieber Bruder,“ sprach lächelnd der Mönch; „allzulange hast du ihn treulich gehegt und gepflegt; doch sehen sollst du ihn, den fetten Lollus. Er befindet sich in deinem Keller; geh mit mir hinunter!“ Verwundert nahm der Wirt den Kellerschlüssel und eine Lampe und dachte: „Aha, mein Bruder meint den Wein; er will andeuten, ich sei mein bester Gast selbst, doch da irrt er sich sehr.“ Im Keller hieß der Mönch seinen Bruder die Lampe auf ein Faß setzen, daß ihr Strahl in eine leere Ecke fiel, hieß den Wirt hinter sich treten, zog ein kleines, schwarzes Buch hervor und murmelte daraus, gegen die Ecke gekehrt, eine Beschwörungsformel. Da wallete der Boden, da hob sich etwas Dickes heraus, da glühten ein paar feurige Augen, und dem Wirte gerann das Blut in den Adern vor Furcht und Grauen. „Lölle, gehe ganz herzu!“ rief der Mönch. Da hob sich dem dickgeschwollenen Kopfe ein unförmlich dicker Leib nach, und kurze plumpe Füße patschten auf dem Boden des Kellers, und ein unförmiges, scheußliches Tier, dessen Haut so fett und speckig glänzte wie die einer Robbe, hockte in der Ecke. „Schaust du deinen werten Gast, mein Bruder?“ fragte der Mönch zu diesem gewendet, sehr ernst. „Ich vermeine, er habe sich in deiner Herberge nicht übel gemästet! Siehst du, Bruder, alle und jede Frucht deines Truges hat nicht _dir_ angeschlagen, sondern diesem Lollus. Was du den Fremden und deren Vieh abgezwackt, der hat sich davon genährt, den durch zu kleines Maß und durch zu kleine Flaschen trüglich gewonnenen Wein oder sonstiges Getränke -- alles hat der Lollus geschluckt. -- Unrecht Gut gedeihet nicht, und Untreue schlägt ihren eigenen Herrn. Soll sich’s mit dir und deinem Wesen bessern, so übervorteile niemand mehr, betrüge niemand, übernimm niemand. Fordere, was recht ist; denn was recht ist, lobt Gott. Halte ehrliches, gerechtes Maß und Gewicht, siehe selbst zu deinen Sachen, täglich, stündlich, vom Keller bis zum Kornboden. Bediene, soviel du es kannst, selbst deine Gäste, verlasse dich nicht allzuviel auf Ober- und Unterkellner, auf Hausknecht und Stallknecht, auf Koch und Büttner. Je mehr du Gesinde hältst, je fetter füttert sich der Lollus.“ Nach dieser Vermahnung wurde der Wirt sehr nachdenklich und sagte: „Ich danke dir, mein Bruder; ich will tun nach deinen Worten, die du mir gesagt hast.“ Da beschwor der Mönch den Lollus wieder und sagte: „Lölle, kreuch’ ein!“ und schwerfällig kroch der Lollus hinterwärts wieder in die Erde zurück, und die Kellerecke war wieder leer und glatt wie zuvor. „Mein Geld will ich dir noch _vier_ Jahre lassen,“ sagte der Mönch; „dann aber muß meinem Heiligen Wort gehalten werden.“ Darauf schied er von seinem Bruder hinweg. Der Wirt befolgte mit Eifer seines Bruders treuen Rat, änderte seine Wirtschaft ganz und gar, richtete alles besser ein, sparte am rechten Orte, veruntreute aber nichts mehr. Seine Frau mußte in der Küche selbst zum rechten sehen, was sie früher nicht getan; richtiges Gemäß wurde hergestellt, auf der Glashütte wurden gerechte und vollkommene Weinflaschen geblasen, und die kleinen Zwergflaschen verschwanden. Dafür stellten sich die verschwundenen Gäste wieder ein, der Bratofen wurde nicht mehr kalt, und der Schornstein rauchte wieder schier Tag und Nacht. Des Wirtes ganzes Wesen besserte sich in jeder Weise; sein Wohlstand nahm mit seiner Rechtlichkeit sichtbarlich zu; sein guter Ruf und der seines Hauses breitete sich weit aus, und die Gastwirte in den Nachbarstädten begannen ihn zu beneiden; denn die Reisenden fuhren lieber noch ein paar Stunden in die Nacht hinein, um nur in das gute Gasthaus zu gelangen, und nicht selten war dieses so von Gästen überfüllt, daß der fröhliche Wirt dennoch eine traurige Miene annehmen und die überzähligen Gaste abweisen mußte. Als nach dem Ablauf von vier Jahren der Mönch, des Wirtes Bruder, wiederkam, seinen Erbanteil zu begehren, empfing ihn der Wirt auf das freundlichste, setzte ihm ein herrliches Weinchen von der schönsten Farbe vor und allerlei schmackhaftes Backwerk, süße Kuchen und dergleichen, und legte ihm starke Geldrollen auf den Tisch, indem er sagte: „Hier, mein lieber Bruder, ist mit meinem besten Dank dein Kapital samt allen Zinsen, redlich berechnet bei Heller und Pfennig!“ Der Mönch aber sagte: „Lieber Bruder, die Zinsen nehme ich nicht; solches ziemet mir nicht nur nicht als einem Priester, sondern es stehet auch geschrieben: Du sollst nicht Wucher nehmen von deinem Bruder. Aber ich freue mich, daß du des _fetten_ Lollus ledig bist und hast nur noch den _magern_.“ „So?“ sagte der Wirt. „Wohnt der auch im Keller? Den möcht’ ich auch sehen.“ „Den sollst du sehen!“ antwortete der Mönch, hieß den Wirt voran in den Keller gehen und hob drunten seine Beschwörung wieder an. Da bewegte sich ganz langsam hinten in der Ecke die Erde, und allmählich lugte ein schmales Köpfchen heraus mit ganz matten Augen. „Lölle, gehe ganz herzu!“ sprach der Mönch. Da wand sich der Lollus matt und mühsam aus dem Boden und erschien äußerst abgemagert; seine Haut glänzte nicht mehr wie Speckschwarte, sondern war verrumpfelt und verschrumpfelt wie eine Baumrinde und sah äußerst hinfällig aus. „Nun ist’s gut, das freut mich!“ sprach der Mönch. „Lölle, kreuch ein!“ -- Da kroch der Lollus wieder hinterwärts, aber ganz langsam, in den Kellerboden zurück, und in der Ecke war nichts zu sehen. „Hab’ acht, Bruder“ sagte der Mönch; „wenn du bleibst, wie du jetzt bist, so hält es der Lollus kein Vierteljahr mehr bei dir aus. Entweder er verkommt, oder er geht ein Haus weiter und sucht sich einen Herrn, der ihn besser nährt als du.“ -- Dieses Trostes war der Wirt über alle Maßen froh und segnete seines weisen Bruders Rat tausendfach. [Kleinbild] Gevatterin Kröte. [Abbildung] Ein feines Bauerndirnlein ging einst an einem Weiher vorüber; da sah es am Rande eine große, dicke Kröte sitzen, die guckte so recht starr und häßlich. „Na -- bei dir möcht ich auch Gevatter stehen!“ rief voll Abscheu das Mädchen. Da hob die Kröte den rechten Vorderfuß in die Höhe, als wenn sie einen Handschlag geben wollte. Dem Mägdlein gruselte, und es eilte weiter. Als abends die Jungfer in ihre Kammer trat, saß die Kröte krötenbreit mitten auf der Diele. Das Mädchen schrie. „Schrei nicht!“ sprach die Kröte. „Hast du mir nicht versprochen, bei mir Gevatter zu stehen? Ich nehme dich beim Worte! Folge mir, oder du erlebst nicht den morgenden Tag!“ In Todesangst folgte der voranhüpfenden Kröte das junge Mädchen durchs Dorf, durch die Nacht, an den Weiher; dort war im Schilf eine Öffnung, eine Treppe führte hinunter. Die Kröte hüpfte voran, das Mädchen folgte. Drunten verwandelte sich die Kröte in eine schöne Frau und zeigte dem erstaunten Mädchen sein Patchen, ein nettes, niedliches Nixenkind. „Der Dienst soll dich nicht reuen!“ sprach sie. Und dann begann ein großes, herrliches Fest in den Räumen der unterirdischen Wasserwelt, und die junge Dirne wurde hoch geehrt und bedient von den schönsten Nixen und herumgeführt in allen Grotten, die wie eitel Eis und Silber glänzten, und empfing endlich von ihrer Gevatterin Kröte noch drei wunderbare Gaben, deren Besitz sie lebenslänglich glücklich machte. -- Sie wurde wohlbehalten wieder zurückgeführt, und hätte sie nicht morgens beim Erwachen die Gaben vorgefunden, so hätte sie geglaubt, es sei ihr alles nur im Traume begegnet. In ihre Erinnerung aber mischte sich zu dem Entzücken doch auch ein geheimes Grauen, und nie in ihrem Leben vermochte sie es über sich, wieder an jenem Weiher vorüberzugehen. [Kleinbild] Zwergenmützchen. [_Zehn Abbildungen (1 bunt)_] Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter liebte er sehr, aber die Söhne konnte er gar nicht leiden, war stets unzufrieden mit ihnen und machte ihnen das Leben sauer; denn sie konnten ihm nie etwas recht machen. Darüber waren die Brüder sehr bekümmert und wünschten sich weit weg von ihrem Vaterhause und saßen oft beisammen, klagend und seufzend, und wußten nicht, was sie anfangen sollten. Eines Tages, als die drei Brüder auch so betrübt beisammen saßen, seufzte der eine von ihnen: „Ach, hätten wir nur ein _Zwergenmützchen_, da wäre uns allen geholfen.“ „Was ist’s damit?“ fragte der eine von den beiden anderen Brüdern. „Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen,“ erläuterte der Bruder, „haben Mützchen, die man auch Nebelkäpplein nennt, und damit kann man sich unsichtbar machen, wenn man sie selbst aufsetzt. Das ist gar eine schöne Sache, liebe Brüder; da kann man den Leuten aus dem Wege gehen, die nichts von einem wissen wollen, und von denen man nie ein gutes Wort empfängt. Man kann hingehen wohin man will, nehmen was man will; niemand sieht einen, solange man mit dem Zwergenmützchen bedenkt ist.“ „Aber wie gewinnt man solch ein rares Mützchen?“ fragte der dritte und jüngste der Brüder. „Die Zwerge,“ antwortete der älteste „sind ein kleines, drolliges Völklein, das gern spielt. Da macht es ihnen große Freude, bisweilen ihre Mützchen in die Höhe zu werfen. Wupps! sind sie sichtbar, wupps! fangen sie das Mützchen wieder, setzen es auf und sind wieder unsichtbar. Nun braucht man nichts zu tun als aufzupassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Höhe wirft, und muß dann rasch den Zwerg packen und das Mützchen geschwind selbst fangen. Da muß der Zwerg sichtbar bleiben, und man wird Herr der ganzen Zwergensippschaft. Nun kann man entweder das Mützchen behalten und sich damit unsichtbar machen, oder von den Zwergen so viel dafür fordern, daß man für sein Lebenlang genug hat. Denn die Zwerge haben Macht über alles Metall in der Erde, kennen alle Geheimnisse und Wunderkräfte der Natur; sie können auch durch ihre Lehren aus einem Dummen einen Klugen machen und aus dem faulsten Studenten einen hochgelahrten Professor, aus einem Barbier einen Doktor und aus einem Advokatenschreiber einen Minister.“ „Ei, das wäre!“ rief einer der Brüder. „So gehe doch hin und verschaffe dir und uns solche Mützchen oder mindestens dir eins, und hilf dann auch uns, daß wir von hier fortkommen.“ „Ich will es tun“, sagte der älteste der Brüder, und bald war er auf dem Wege nach den grünen Bergen. Es war ein etwas weiter Weg, und erst gegen Abend kam der gute Junge bei den Zwergenbergen an. Dort legte er sich in das grüne Gras an eine Stelle, wo im Grase die Ringelspuren von den Tänzen der Zwerge im Mondenscheine sich zeigten, und nach einer Weile sah er schon einige Zwerge ganz nahe bei sich übereinanderpurzeln, Mützchen werfen und spaßige Kurzweil treiben. Bald fiel ein solches Mützchen neben ihm nieder, schon haschte er darnach -- aber der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, war ungleich behender als er, erhaschte sein Mützchen selbst und schrie: „Diebio! Diebio!“ Auf diesen Ruf warf sich das ganze Heer der Zwerge auf den armen Knaben, und es war, als wenn ein Haufen Ameisen um einen Käfer krabbelt; er konnte sich der Menge nicht erwehren und mußte es geschehen lassen, daß die Zwerge ihn gefangen nahmen und mit ihm tief hinab in ihre unterirdischen Wohnungen fuhren. Wie nun der älteste Bruder nicht wiederkam, so bekümmerte und betrübte das die beiden jüngeren Brüder gar sehr, und auch der Tochter war es leid, denn sie war sanft und gut, und es betrübte sie oft, daß der Vater gegen ihre Brüder so hart und unfreundlich war und sie allein bevorzugte. Der alte Müller aber murrte: „Mag der Schlingel von einem Jungen beim Kuckuck sein, was kümmert’s mich? Ist ein unnützer Kostgänger weniger im Hause. Wird schon wieder kommen, ist ans Brot gewöhnt! Unkraut verdirbt nicht.“ Aber Tag um Tag verging, und der Knabe kam nicht wieder, und der Vater wurde gegen die beiden zurückgebliebenen immer mürrischer und härter. Da klagten die zwei Brüder oft gemeinsam, und der mittlere sprach: „Weißt du was, Bruder? Ich werde jetzt selbst mich aufmachen und nach den grünen Bergen gehen, vielleicht erlange ich ein Zwergenmützchen. Ich denke mir die Sache gar nicht anders als so: Unser Bruder hat solch ein Mützchen erlangt und ist damit in die weite Welt gegangen, erst sein Glück zu machen, und darüber hat er uns vergessen. Ich komme gewiß wieder, wenn ich glücklich bin; komme ich aber nicht wieder, so bin ich nicht glücklich gewesen, und für diesen Fall lebe du wohl, auf immer!“ Traurig trennten sich die Brüder, und der mittlere wanderte fort nach den grünen Bergen. Dort ging es ihm in allen Stücken genau so, wie es seinem Bruder ergangen war. Er sah die Zwerge, haschte nach einem Mützchen, aber der Zwerg war flinker als er, schrie: „Diebe! Diebe!“ und der helle Haufen der Unterirdischen stürzte sich auf und über den Knaben, umstrickte ihn, daß er kein Glied regen konnte, und führte ihn tief hinab in die unterirdische Wohnung. Mit der sehnsüchtigsten Ungeduld harrte der jüngste Bruder daheim in der Mühle auf des Bruders Wiederkehr, aber vergebens. Da wurde er sehr traurig, denn er wußte ja nun, daß sein mittlerer Bruder nicht glücklich gewesen war, und die Schwester wurde auch traurig. Der Vater aber blieb gleichgültig und sagte nur: „Weg ist weg. Wem es daheim nicht gefällt, der wandere. Die Welt ist groß und weit. In meinem Hause hat der Zimmermann ein Loch gelassen. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, tanzt und bricht ein Bein. Laßt den Guckindiewelt nur laufen, was grämt ihr euch um den Schlucker? Ich bin froh, daß er mir aus den Augen ist.“ Der jüngste Bruder hatte bisher im Ertragen des gemeinsamen Leides Trost gefunden; als aber nun seine _beiden_ älteren Brüder fort waren, fand er seine Lage ganz unerträglich und sagte zu seiner Schwester: „Liebe Schwester, ich gehe nun auch fort, und schwerlich werde ich wiederkommen, wenn es mir ergeht wie unseren Brüdern. Der Vater liebt mich einmal nicht, und ich kann nichts dafür. Die Scheltworte, die früher auf uns drei niederfielen fallen jetzt auf mich allein, das ist mir denn doch eine zu schwere Last. Lebe du wohl und laß dir es wohl ergehen!“ Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst nicht fortlassen, denn sie hatte ihn am allermeisten lieb, allein er ging dennoch heimlich von dannen und überlegte sich unterwegs recht genau, wie er es anfangen wollte, sich ein Zwergenmützchen zu verschaffen. Als er auf die grünen Berge kam, erkannte er bald an den grünen Ringeln im Grase den Ort der nächtlichen Zwergentänze und ihren Spiel- und Tummelplatz; er legte sich in der Dämmerung hin und wartete ab, bis die Zwerglein kamen, spielten, tanzten und Mützchen warfen. Eines derselben kam ihm ganz nahe, warf sein Mützchen, aber der kluge Knabe griff gar nicht darnach. Er dachte: „Ich habe ja Zeit. Ich muß die Männlein erst recht sicher und kirre machen.“ Der Zwerg nahm sein Mützchen, das ganz nahe dem Knaben niedergefallen war, wieder. Es dauerte gar nicht lange, so fiel ein zweites Mützchen hin. „Ei,“ dachte der Knabe, „da regnet’s Mützchen,“ griff aber nicht darnach, bis endlich ein drittes ihm gar auf die Hand fiel. Wupps dich, hielt er’s fest und sprang rasch empor. „Diebio! Diebio! Diebio!“ schrie laut der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit feiner, gellender Stimme, die durch Mark und Bein drang, und da wimmelte das Zwergenvolk herbei. Aber der Knabe wurde unsichtbar, weil er das Mützchen hatte, und sie konnten ihm gar nichts anhaben. Allesamt erhoben sie ein klägliches Jammern und ein Gewinsel um das Mützchen, er solle es doch um alles in der Welt wieder hergeben. „Um alles in der Welt?“ fragte der kluge Knabe die Zwerge. „Das wär’ mir schon recht! Aus dem Handel könnte etwas werden. Will aber erst sehen und hören, worin euer ‚Alles‘ besteht. Vorerst frage ich: Wo sind meine beiden Brüder?“ „Die sind drunten im Schloß des grünen Berges!“ antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte. -- „Und was tun sie?“ -- „Sie dienen!“ „So! Sie dienen -- und ihr dient nun mir. Auf! Hinab zu meinen Brüdern! Ihr Dienst ist aus, und eurer fängt an!“ Da mußten die Unterirdischen dem irdischen Menschen gehorsam sein, weil er Macht über sie erlangt hatte durch das Mützchen. Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten nun ihren Gebieter an eine Stelle, wo sich eine Öffnung in den grünen Berg fand; die tat sich klingend auf, und es ging rasch hinein und hinunter. Drunten waren herrliche und unermeßlich weite Räume, große Hallen und kleine Zimmer und Kämmerchen, je nach des Zwergenvolkes Bedarf, und nun verlangte der Knabe gleich, ehe er sich nach etwas anderem umsah, nach seinen Brüdern. Die wurden herbeigebracht, und der jüngste sah, daß sie in Dienertracht gekleidet waren, und sie riefen ihm wehmütig zu: „Ach, kommst auch du, lieber, guter Bruder, unser jüngster! So sind wir drei nun doch wieder beisammen, aber in der Gewalt dieser Unterirdischen und sehen nimmermehr wieder das himmlische Licht, den grünen Wald und die goldenen Felder!“ „Liebe Brüder,“ erwiderte der jüngste, „harret nur, ich vermeine, das Blättlein soll sich wohl wenden.“ „Herrenkleider und Prunkgewande für meine Brüder und mich!“ herrschte er den Zwergen zu, hielt aber wohlweislich das werte Mützchen in der Hand fest, als seinem Befehle augenblicklich gehorcht wurde und das Umkleiden vor sich ging. Nun befahl der Zwergengebieter eine Tafel mit auserlesenen Speisen und trefflichen Weinen, dann Gesang und Saitenspiel nebst Tanz und Theater, in welchen Künsten die Zwerge das Ausgezeichnetste leisten, was einer nur sehen kann, dann kostbare Betten zum Ausruhen, dann Beleuchtung des ganzen unterirdischen Reiches, dann eine gläserne Kutsche mit prächtigen Pferden bespannt, um in den grünen Bergen überall herumzufahren und alles Sehenswerte in Augenschein zu nehmen. Da fuhren die drei Brüder durch alle Edelsteingrotten und sahen die herrlichsten Wasserkünste, sahen die Metalle als Blumen blühen, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen, und alles strahlte von Glanz und Pracht und Herrlichkeit. Dann begann der Gebieter mit den Zwergen über die Zurückgabe des Mützchens zu unterhandeln und legte ihnen schwere Bedingungen auf. _Erstens_: ein Trank aus den köstlichsten Heilkräutern, die mit allen ihren Kräften den Zwergen nur zu wohl bekannt sind, für seines Vaters krankes Herz, daß es sich umkehre und Liebe zu den drei Söhnen gewinne. _Zweitens_: einen Brautschatz so reich wie für eine Königstochter, für die liebe Schwester. _Drittens_: einen Wagen voller Edelsteine und Kunstgeräte, wie sie nur die Zwerge zu verfertigen verstehen, einen Wagen voll gemünzten Geldes, weil das Sprichwort sagt: Bares Geld lacht, und die Brüder gern auch lachen wollten, und endlich noch je einen Wagen für die drei Brüder, höchst bequem eingerichtet, mit Glasfenstern, und zu diesen drei Wagen alles nötige, Kutscher, Pferde, Geschirre und Riemzeug. Die Zwerge wanden sich und krümmten sich bei diesen Forderungen und taten so erbärmlich, daß es einen Stein erbarmt haben würde; es half ihnen aber all ihr Gewinsel nichts. „Wenn ihr nicht wollt,“ sagte der Gebieter, „so ist es mir auch recht, so bleiben wir da; es ist ja recht schön bei euch; ich nehme euch allesamt, wie ihr seid, eure Mützchen; dann _seht_, was aus euch wird, wenn man _euch sieht_ -- tot werdet ihr geschlagen, wo sich nur einer von euch blicken läßt. Noch mehr! Ich fahre hinauf auf die Oberwelt und sammle Kröten, die geb’ ich euch dann, jedem eine vor Schlafengehen mit ins Bette.“ Wie der Gebieter das Wort Kröten aussprach, stürzten alle Zwerge auf ihre Knie und riefen: „Gnade! Gnade! Nur das nicht! Um alles in der Welt! Nur das nicht!“ Denn die Kröten sind der Zwerge Abscheu und Tod. „Ihr Toren,“ schalt der Gebieter; „ich verlange gar nicht ‚alles in der Welt‘; ich habe euch die allerbescheidenste Forderung gestellt, ich könnte ja unendlich mehr verlangen, allein ich bin ein grundguter Knabe. Ich könnte ja alles nehmen und das Mützchen und die Herrschaft über euch fort und fort behalten; denn so lange ich das Mützchen hätte, würde ich ja, das wißt ihr wohl, nicht sterben. Also, ihr wollt meine drei kleinen Bedingungen gewähren? Nicht?“ „Ja, ja, hoher Herr und Gebieter!“ erseufzeten die Zwerglein und gingen ans Werk, alles Begehrte herbeizuschaffen und alle Gebote zu vollziehen.-- Aber in der Mühle des alten grämlichen Müllers droben war nicht gut sein. Als der jüngste Bruder auch davon gegangen war, murrte der Müller: „Nun -- der ist auch fort -- bleibt aus wie das Röhrenwasser -- so geht es -- das hat man davon, wenn man Kinder groß zieht -- sie wenden einem den Rücken zu. Nun ist nur noch das Mädchen da, mein Augapfel, mein Liebling.“ Der Liebling aber saß dort und begann zu weinen. „Weinst du schon wieder!“ murrte der Alte; „denkst, ich soll meinen, du weinst um deine Brüder? Um den Gauch weinst du -- um den armen Schlucker, der dich freien will. Ist so leer und ausgebeutelt wie ein Mehlsack -- er hat nichts, du hast nichts, ich habe nichts, haben wir alle dreie nichts. Hörst du was klappern? Ich höre nichts. Die Mühle steht; schlechter kann es nicht stehen um eine Mühle, als wenn sie steht. Ich kann nicht mahlen, du kannst nicht heiraten, oder wir halten des Bettelmanns Hochzeit. Wie!“ -- Solcherlei Reden hatte die Tochter täglich anzuhören und verging fast im stillen Leid. Da kamen eines schönen Morgens Wagen gefahren, einer, zwei, drei, und hielten vor der Mühle; kleine Kutscher fuhren, kleine Lakaien sprangen vom Tritt und öffneten den Schlag des ersten Wagens! drei junge hübsche Herren stiegen aus, fein gekleidet wie Prinzen. Dienerschaft wimmelte um die anderen Wagen, lud ab, packte ab, schnallte ab, Kisten, Kasten und schwere Truhen, und sie trugen alles in die Mühle. Stumm und staunend standen der Müller und seine Tochter. „Guten Morgen, Vater! Guten Morgen, Schwester! Da wären wir wieder!“ riefen die drei Brüder. Jene starrten sie verwundert an. -- „Trink uns den Willkommen zu, lieber Vater!“ rief der Älteste und nahm aus eines Dieners Hand eine Flasche und schenkte einen überaus künstlich gearbeiteten Goldpokal voll edlen Trankes und hieß den Vater trinken. Dieser trank und gab den Pokal weiter, und alle tranken. Dem Alten strömte Wärme in das kalte Herz, und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der Liebe. Er weinte und fiel seinen Söhnen in die Arme und küßte sie und segnete sie. Und da kam der Bräutigam der Tochter und durfte auch mittrinken. Darüber fingen vor Freude die Mühlräder, die so lange still gestanden, an, sich rasch zu drehen um und um, um und um. [Kleinbild] Die Kornähren. Es war einmal eine Zeit, aber das ist schon undenklich lange her, da trugen alle Kornhalme, und auch die von anderem Getreide, volle goldgelbe Ähren herab bis auf den Boden; da gab es keine Armut und keine Hungersnot, niemals, und das war die goldene Zeit. Da konnten sich alle Menschen mit Wonne sättigen, und auch die Vögel, die gerne Körner fressen, Hühner und Tauben und andere Vögel fanden ihr Futter vollauf. Aber da waren unter den Menschen welche, die waren undankbar und gottvergessen und achteten die schöne Gottesgabe, das liebe Getreide, für gar nichts. Da gab es Frauen, die nahmen, wenn ihre kleinen Kinder sich verunreinigt hatten, die vollen Ährenbüschel und reinigten damit ihre Kinder und warfen die Ähren auf den Mist; und die Mägde scheuerten mit den vollen Ähren, und die Buben und kleinen Mädchen jagten sich durch das liebe Korn, spielten Verstecken darin, wälzten sich darauf herum und zertraten es. Das jammerte den lieben Gott, der das Getreide den Menschen zur Nahrung gegeben hatte und dem Vieh zum Futter und nicht zum verurzen[*] und dachte bei sich: Wir wollens anders machen, und die goldne Zeit soll ein Ende haben. [Anmerkung: Mutwillig verderben.] Und da schuf der liebe Gott, daß hinfort jeder Halm nur eine einzige Ähre trug, einmal für die Menschen, damit sie das liebe Getreide besser schonen lernten, und einmal für die unschuldigen Tiere, damit sie doch ihr Futter haben sollten, wenn auch die Menschen nicht einmal die eine Ähre wert wären. Von da an ist die Teuerung und die Armut in die Welt gekommen. Nur zuweilen und selten läßt der liebe Gott da oder dort einen Wunderhalm mit vielen, vielen Ähren emporschießen und zeigt so dem Menschen, wie es einst beschaffen war um das Getreide, und was Er kann. Und es geht eine alte Prophezeiung unter dem Volke, daß einmal nach langen Jahren, wenn das Engelwort sich erfüllt haben wird: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und unter allen Menschen Wohwollen, Segnung und Liebe, -- daß dann der Boden auch wieder von Gott erweckt werden solle, solche Halme zu tragen, die bis zur Wurzel voll Ähren sind. Unser keiner aber wird das erleben. [Abbildung] * * * * * * * * * * * * * * Druckfehler nahm es heraus, setzte es an den Ofen ... [, fehlt] erst will ich nach Hause gehn [Text ungeändert: anderswo »gehen«, »stehen« usw.] „Ich bin schon da!““ [letzes “ fehlt] ... sagte der Mönch; „wenn du bleibst [„ fehlt] *** End of this LibraryBlog Digital Book "Märchen-Sammlung" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.