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Title: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? - Gegen Ersteres und für Letzteres
Author: Wienbarg, Ludolf, 1802-1872
Language: German
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Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?


Gegen Ersteres und fuͤr Letzteres


beantwortet von

Dr. Ludolf Wienbarg



Motto: _ceterum ceterumque censeo...._



Hamburg

bei Hoffmann und Campe

1834



Dem Nestor norddeutscher Patrioten

dem Freunde veredelter Natur und Menschheit

Herrn Baron von Voght

gewidmet.



Verehrungswuͤrdiger Greis!


Ich habe nie das Gluͤck Ihrer persoͤnlichen Bekanntschaft genossen, aber
ich kenne Ihre Schoͤpfungen, die bluͤhenden Spuren Ihrer
menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von
Altona aus das schoͤne Flottbeck. Hier woͤlbt sich keine Ulme, keine
Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen
Daͤchern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuͤr Sie waͤre. Das
wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst
den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten
lernte. Eine gluͤcklichere Abstraktion, ein wuͤrdigeres Bild wird selten
der jugendlichen Seele geboten.

Nehmen Sie, Verehrungswuͤrdiger, diesen Ausdruck meiner fruͤhgefaßten
und in reiferem Alter nur genaͤhrten und befestigten Achtung guͤtig auf.

_Eutin_, am 1. December 1833.

Ludolf Wienbarg.



Vorwort.


Wenn die Patrioten bisher uͤber die Kluft der Staͤnde, die Rohheit und
Unempfaͤnglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage
fuͤhrten, oder im Großen Verbesserungsplaͤne entwarfen, so stand ihnen
die niedersaͤchsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im
Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boͤsen so recht in
Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haͤnden greiflich zu machen,
daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.

Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuͤnsche ich
dir, Fluͤgel, Feinde und Freunde. Die Fluͤgel wuͤnsche ich dir, damit du
dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du
nach alten Seiten besprochen wirst. —

       *       *       *       *       *



Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und
hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der
Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und
Schreibung stimmen buchstaͤblich uͤberein[1]. Anders in Mittel- und
Suͤd-Deutschland. Goͤthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner
Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaͤrtig hoͤrt
man's der Sprache der Gebildeten Suͤd-Deutschlands ab, in welcher
Provinz sie zu Hause gehoͤren. Daher kann man wol behaupten, daß mancher
niedersaͤchsische Handwerker _reiner_ hochdeutsch spricht, als der
Wuͤrzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der
Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von
Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaͤt begabt worden ist. Allein
man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine
lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des
Worts aus Buͤchern, zumal aus der lutherischen Bibeluͤbersetzung
gelernt, nicht aber wie Mittel- und Suͤd-Deutschland durch lebendig
uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.

Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller
Beschraͤnktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im hoͤheren
Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden
Hauptdialekten des Nordens und Suͤdens, schon ohnehin im Saͤchsischen
sich beruͤhrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des
suͤddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaͤnglich und
verstaͤndlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen
vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschoͤpflichen
deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Haͤnden die
Glocke, welche die Reformation, den dreißigjaͤhrigen Krieg, die ganze
neue Geschichte eingelaͤutet hat.

Mehr als den Griechen der Saͤnger der Odyssee und Ilias muß uns
Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel
gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoͤrte nicht dem Dichter,
sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluͤbersetzung aber mußte sich
erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoͤrte Luther an
in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht
fuͤr eine Person in Anspruch nehmen darf.

Denkt euch, Luthers Sprache waͤre nicht durchgedrungen. Zerrissen waͤre
das maͤchtigste Band, das Suͤd und Nord umschlingt. Der Norden wuͤrde
nichts vom Suͤden, der Suͤden nichts vom Norden wissen.

Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation
wiederklingen, wuͤrden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt
werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaͤhen, alle großen
Maͤnner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle
Genien der ernsten und froͤhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern
Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden
Selbstgefuͤhl erweckt zu haben scheint, wuͤrden mit vergeblicher
Sehnsucht ihre Fluͤgel uͤber Deutschland ausgebreitet haben, waͤren von
ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Laͤhmung bestimmt gewesen. Es ist
so viel Ungluͤck seit Luther uͤber dieses arme Land hingegangen, daß man
zweifeln koͤnnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers
Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, uͤber dem
unsaͤglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.

Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maͤchtiger,
gefuͤrchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
Habsburgers geblitzt hat.

Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaͤhlt, die
Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.

Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken
der Religionskriege, rein und gesaͤubert vom Geifer theologischer
Streithaͤhne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.

Fuͤhrt es ihr Soͤhne des Lichts, denn ihr seid unuͤberwindlich mit
dieser Waffe.

Beruͤhrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faͤhrt
zuruͤck auf eure eigenen Schaͤdel.

       *       *       *       *       *

Man kann Werth und Wuͤrde der deutschen Schriftsprache lebhaft
anerkennen und dennoch wuͤnschen, daß die ober- und niederdeutschen
Dialekte sich im Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen
Wunsch nicht. Was namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand
dieser kleinen Schrift ausmacht: „_ist die niedersaͤchsische
Volkssprache zu pflegen oder auszurotten?_“ so antworte ich aus
innigster Ueberzeugung und aus Gruͤnden, welche ich darlegen werde: _sie
ist auszurotten, durch jedes moͤgliche Mittel auszurotten_.

Verstaͤndigen wir uns uͤber etwas sehr Wesentliches. Daß die
plattdeutsche Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine
Frage mehr.

Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des
gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religioͤsen,
wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muß bei dem Stand und
Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muß
wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die
baskische in Spanien allmaͤhlig aussterben. Auszusterben ist das
nothwendige und natuͤrliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts
kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele,
Idyllen, Lieder, Legenden — umsonst; das Volk liest euch nicht — liest
es nur den Reineke de Vos? — ihr begruͤndet keine plattdeutsche
Literatur, ihr macht die verbluͤhende Sprachpflanze durch euren
poetischen Mist nicht bluͤhender — sie wird aussterben. Ihr preiset
diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemuͤthlich, wohlklingend —
ihr habt Recht oder nicht — sie wird aussterben. Das ist das
unerbittliche Gesetz der Notwendigkeit.

Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das
Wuͤnschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit
Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den
gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden
Menschen wuͤrdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu
werden, immer der sittlichen Kraft und Wuͤrde desselben schaͤdlich und
unwuͤrdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen.
Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf
sich frei sprechen von Leichtsinn, traͤger Sorglosigkeit, er hat sich
das Recht und die Beruhigung erworben, _animam salvavi_ auszurufen.

Darum frage ich eigentlich, ist es wuͤnschenswerth, daß Niedersachsens
alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll
man ihren Untergang der Zeit uͤberlassen oder soll man diesen
beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?

       *       *       *       *       *

Um die deutsche Gemuͤthlichkeit ist es ein schoͤnes Ding und was kann
namentlich dem Niedersachsen gemuͤtlicher sein, als seine angeborne
Sprache. Doch ein schoͤneres Ding ist der muthige Entschluß, die
Gemuͤthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu _enge_ wird.

Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie
ist dem Verstand der Zeit laͤngst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat
bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehoͤrt, sie kann die
geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen,
nicht wiedergeben _und daher verurtheilt sie den bei weitem groͤßten
Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch taͤgliches Organ
ist, zu einem Zustande der Unmuͤndigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit,
der vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empoͤrendste Weise
absticht._

Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptuͤbel im
absoluten Unvermoͤgen der taͤglichen Umgangssprache, den noͤthigsten
Ideenverkehr zu bewerkstelligen?

Daß ich in beiden Unrecht haͤtte. Aber den Stein, den diese Anklage
gegen die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der
geistigen Thaͤtigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muß erhoben
werden von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und
geistige Zustand von Millionen Bruͤdern, dem die Gegenwart und die
Zukunft Deutschlands nicht gleichguͤltig ist.

       *       *       *       *       *

Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die
in hohe aristokratische Privilegien eben in dem geruͤgten Gebrechen,
eben in dem Umstand, daß die plattdeutsche Sprache seit drei
Jahrhunderten nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich
Ruͤcksicht auf solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir
vorschwebt, durch alle Blaͤtter mir verbittern?

Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich
und auf einmal mit ihnen ab.

Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten
Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen
Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort
fuͤr Bildung, nicht einmal ein Wort fuͤr Verfassung — ja, ihr Herren,
sie ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die
Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundeloͤcher, die
Sprache des Bauernkrieges und — spuͤrt ihr nichts vom kurzen Takt der
Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer,
geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben
plattdeutscher Lexika paradiren? — Taͤuscht euch nicht, sie ist noch
immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die
gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pfluͤgt und ackert jeden
Fruͤhling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein.
O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemuͤthlich; aber laßt
euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn
sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Woruͤber ihr euch
nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das
Christenthum, die Messe naͤmlich, lateinisch und als sie lutherisch
wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch.
Bedenkt auch nur, betet denn gegenwaͤrtig ein einziger Bauer oder
Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er
seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem
Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zaͤhnen
hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt,
allein sie hat auch _nichts vergessen_, es sei denn ihre alten Lieder,
ihren froͤhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie fruͤher doch,
wie ich glaube, hat beten koͤnnen.

Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, — das ich Allen vorhalte.

Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der
bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser,
woruͤber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, woruͤber die
unreinen Geister bruͤten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet
spurlos uͤber die stuͤrmisch gruͤne Decke hin Der Himmel ist blau und
heiter oder stuͤrmisch gefaͤrbt, das ruͤhrt ihn nicht, keine Sonne keine
Wolke spiegelt sich mehr auf der truͤben Flaͤche. Bild der
Unzufriedenheit, der Gleichguͤltigkeit, der Tuͤcke, der Gefahr. Wehe dem
Mann, _der im Truͤben fischen will_ und ausgleitet — was helfen ihm
ruͤstige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.

Die Sprache ist das Volk.

       *       *       *       *       *

Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das
niedersaͤchsische Volk und die niedersaͤchsische Sprache poetisch waren.
Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von
Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kuͤhnsten Gedichte
aus dieser „rauhen Vorzeit,“ wenn gleich schon vom Duft der
Klostermauern angewittert und durch Moͤnchsfedern auf die Nachwelt
gekommen, verraten niedersaͤchsischen Dialect.

Ich weiß nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen
von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich
barbarischen und rohen Sittenzustande angehoͤrt. Diese muͤssen mir, und
wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnaͤus der deutschen Sprachgeschichte
auf's Wort zu glauben, daß keine Sprache gegenwaͤrtig auf dem Erdboden
gesprochen wird, die an Bau und Kuͤnstlichkeit jener alt-plattdeutschen
Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit
hatte sie mit den aͤltesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen
Schwester gemein und uͤbertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und
Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie
fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von
ihrer leiblichen Schoͤnheit und jugendlichen Anmuth eingebuͤßt, allein
sie hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschaͤrfe,
vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafuͤr eingetauscht. Die
niedersaͤchsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und staͤhlerne Kraft
verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre
grammatischen Formen wurden zerstoͤrt und in noch hoͤherem Grade, als
die der Schwestersprache, aber ohne daß man bemerken konnte, daß der
scharfe Gaͤrungsprozeß der antiheidnischen neueuropaͤischen
Bildungsfermente an der Aufloͤsung einigen Antheil genommen, sondern
ersichtlich und durch dumpfes truͤbes Verwittern, das auch Holz und
Stein und alles Leblose oder Absterbende allmaͤhlig abnagt und zerfrißt.

Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche uͤberging,
schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes
umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des maͤchtigsten und
kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fuͤrsten, Ritter,
Saͤnger mit und ohne Sporn, Saͤnger mit und ohne Krone, welche die
elegante Literatur ihres Zeitalters begruͤndeten, war sie, was mehr
sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen
Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener aͤltesten Reliquien theils
nie, theils nur in spaͤterer Uebersetzung im Plattdeutschen
schriftsaͤssig wurden.

Welcher Bann, frage ich, lag uͤber der niedersaͤchsischen Literatur?
Derselbe Bann, der uͤber dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte
die maͤchtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und
starren und als truͤber Bodensatz des germanischen Geistes
zuruͤckbleiben.

Welche Kette von Hemmnißen, betaͤubenden und zerreißenden
Ungluͤcksschlaͤgen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!

Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des
Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen
und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die
alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar
uͤberhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewaͤhrt keinen
Schutz, das saͤchsische Kaiserhaus uͤbertreibt die Großmuth und
entaͤußert sich seiner zu Wuͤrde und Glanz so nothwendigen
Stammbesitzungen, Heinrich der Loͤwe, die welfische Macht geht unter,
deren Sieg uͤber die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben haͤtte
wie ihre Niederlage Suͤddeutschland emporbrachte, selbst der belebende
Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen
wohlthaͤtig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Voͤlkern
und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen
Suͤd-Deutschlands Handelsstaͤdte, Nuͤrnberg, Augsburg mit dem hoch
gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.

Und nach dem fuͤnfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und
die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die
_unmittelbaren_ Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden
Begebenheit, wie fuͤr ganz Deutschland, so insbesondere auch fuͤr
Niedersachsen nicht gluͤcklich, nicht segenbringend waren? Welch ein
Gemaͤlde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende
Juristen, blutduͤrstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, aͤchzende
Kirchengesaͤnge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und
Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemaͤlde des Aeußeren: der
dreißigjaͤhrige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme
norddeutscher Staͤdte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus fruͤherem
Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Koͤnige, wie schon fruͤher
und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz daͤnischer Koͤnige,
selbst Brandenburgs steigende Groͤße, die zu guter letzt die Wagschaale
der Macht und des politischen Einflusses uͤberwiegend auf jene
nordoͤstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer
Stammbevoͤlkerung urspruͤnglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens
entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Saͤfte und
Kraͤfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.

Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
Ergaͤnzung ich dem Geschichtforscher uͤberlasse.

Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der
niedersaͤchsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentuͤmliche
Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache
selbst sich der Entwuͤrdigung und Verschlechterung entziehen? Auf
welcher Bildungsstufe muͤßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen,
wie tief unter der noͤthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung
dessen, was zur Begruͤndung und Sicherung eines verbesserten
Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?

       *       *       *       *       *

Allein, hoͤre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache
ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie _selbst_ auch
unfaͤhig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich
auch Niemand dieses Geschaͤft von ihr, das ja von der allgemein
verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache laͤngst uͤbernommen
und verwaltet wurde.

Antwort: uͤbernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen
Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. _Selbst die allgemeinste
Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache uͤbt so lange gar
keinen oder selbst nachteiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben
ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt._

Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung
uͤberall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Doͤrfer, wo die
Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen,
ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen.
Die Leute muͤssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus,
Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig
und beim Hobeln setzt es Spaͤhne ab.

Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das
sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt.
Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fuͤhlen sie sich wohl und
vergewissern sich, daß sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen,
sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.

Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit
der hochdeutschen Sprache. Mit Haͤnden und Fuͤßen straͤubt sich der
Knabe dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloß seine bisherige
Freiheit verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen,
was auch andern Kindern Herzeleid macht; er soll uͤberdies in einer
Sprache buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit
ihm aufgewachsen ist, deren Toͤne er nicht beim Spiel, nicht von seiner
Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und großen Freunden zu hoͤren
gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hoͤrt
in der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt,
fremd, vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Daß der
rothe Hahn in seiner Fibel _kraͤht_ und der lebendige in seinem Hause
_krait_, scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute
_du_, der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer _sie_, er aber ist gewohnt,
bloß seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit
_he_ und _se_ anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen,
so nimmt er die Woͤrter auf die Zunge und stoͤßt sie heraus wie die
Scheiben einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt.
Was er auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls
noch Vergnuͤgen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluß der
Schule und auf Kirchbaͤnken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden
Stimme begabt, wetteifert er mit dem Chor um die hoͤchsten Noten,
betaͤubt seinen Kopf und findet eine Art Vergnuͤgen und Erholung darin,
dieselben Verse des Gesangbuches bloß herauszuschreien, die er zu
anderer Zeit auswendig lernen muß.

Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher
als er. Nun tritt er voͤllig wieder in das plattdeutsche Element
zuruͤck, dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen
des Staates und der Kirche erfuͤllt. Er hat seinen Taufschein durch
seinen Confirmationsschein eingeloͤs't. Ersteren bekam er ohne seinen
Willen zum Geschenk, um letzteren mußte er sich, auch wider seinen
Willen, redlich abplacken.

Auf beide Scheine kann er spaͤter heiraten und Staatsbuͤrger werden.

Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und
schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und
schreibt nicht. (Umgekehrt der franzoͤsische Bauer, der kann nicht
lesen, aber er laͤßt sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht
dieses hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluß uͤbt derselbe auf sein
Geschaͤft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbuͤrger, Glied
der Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?

Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist
herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen
Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und haͤngt ihn mit allen
Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzaͤhlt, bis zum
kuͤnftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche
Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und
Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geuͤbt, ist
er nur im Stande, den religioͤsen Gedankengang in's Plattdeutsche zu
uͤbersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz
erwaͤrmt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer,
vor mir bist du sicher, ich lese dir daruͤber den Text nicht. Kannst du
etwas dafuͤr, daß der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens
beruͤhrt, daß jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die
Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verstaͤndnisses in dein Inn'res
fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen
Sprache ruͤhren laͤßt. Wer auf der Gefuͤhlsleiter in deine Herzkammer
herabsteigen will, muß wollene Struͤmpfe und hoͤlzerne Schuh anziehen,
in schwarzseidenen Struͤmpfen dringt man nicht bis dahin. Wuͤßte man
nur, begriffe man nur, wie es in deinem einfaͤltigen Kopf zusteht und
daß die hochdeutschen Woͤrter und die plattdeutschen Woͤrter, die du
darin hast sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht
verstehn und sich im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die
plattdeutschen Woͤrter sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter
Vater, deine selige Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der
Herr Pastor, der Herr Amtmann, vornehme Gaͤste, die dir allzuviel Ehre
erweisen, in deinem schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu
nehmen, Woͤrter in der Perruͤcke, in schwarzem Mantel, welche deine und
deiner plattdeutschen Wort Familie Behaglichkeit stoͤren, dich in deiner
Luft beeintraͤchtigen, dir bald von Abgaben, bald von Tod und juͤngsten
Gericht vorsprechen, Grablieder uͤber deinen Sarg singen werden, ohne
sich uͤber deine Wiege gebuͤckt und _Eia im Suse_ und andere
Wiegenlieder gesungen zu haben. Armer Bauer, ich habe dich immer in
Schutz genommen und diese Schrift, obgleich du sie nicht lesen wirst,
ist eigentlich nur fuͤr dich und zu deinem Heil und Besten geschrieben.
Viele Leute aus der Stadt klagen dich an, daß du trotz deiner Einfalt
verschmizt bist, trotz deiner Rohheit nicht weniger als Kind der Natur
bist, sie sagen, daß du dir eine und die andere Gewissenlosigkeit gar
wenig zu Herzen nimmst. Aber ich habe ihnen immer geantwortet, unser
Bauer hat nicht zu wenig Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen,
ein hochdeutsches und ein plattdeutsches, und das eine ist _ihm_ zu
fein, das andere _uns_ zu grob und dickhaͤutig. Zu diesem wird ihm in
seinem eigenen Hause der Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und
die Dogmatik; in dem einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid
und Brusttuch so lange er lebt, in dem andern friert ihn und er haͤlt es
nur deswegen im Schrank, um damit einmal anstaͤndig unter die Schaar der
Engel zu treten.

Ist ihm sein Verhaͤltniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht
vielleicht klarer geworden, als sein Verhaͤltniß zur Kirche? Erwirbt er
sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschluͤsse
uͤber eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen
Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefuͤhl von
Selbststaͤndigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des
Zwanges, von Gesetz und Willkuͤhr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein
dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl
und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spuͤrt? _Wie_
das alles? Seine Beamte klaͤren ihn nicht auf und er selber — er liest
nicht, er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er laͤßt sich auch
nicht vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht uͤber seinen
Horizont, laͤßt sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum
einen Begriff, seine Sprache kein analoges Wort dafuͤr. Armer Bauer. Und
wenn Wunder geschaͤhen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuͤr dich
und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich
verwandelten und ergoͤßen in eine goͤttliche Stimme, die vom Himmel
riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle — du wuͤrdest liegen
bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.

Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraͤthe brauchbarer
einrichten, nuͤtzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses
und jenes haben koͤnne, das lehren ihn Blaͤtter und Schriften, von
Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
nicht. Schlaͤgt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraͤnderungen vor,
so schuͤttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit
nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_;
ungluͤckselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht
ihr taͤglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der
Traͤgheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit
dieser vereint, durch diese gestaͤrkt allem Neuen und Bewegenden
Feindschaft erklaͤrt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses
unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese
Eselsbruͤcke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die
einzig; moͤgliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation
und dem norddeutschen Bauer, die hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft
zugaͤnglich gemacht wird? Aermster, ich klage dich ja nicht an, ich
bedaure dich ja nur.

Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine
enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaͤftigen?

       *       *       *       *       *

Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich
will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
Meinige dazu thun, daß _einheimische_ Ideen, Fragen und Wuͤnsche daraus
werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht
einiger Menschen, gewißer Staͤnde gewesen. Das muß aufhoͤren, gebildet
sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
guten Koͤpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie
selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laͤcherliche
Miene, als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goͤtter
entsprungen sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau:
die ihn mit Schmerzen geboren und mit Thraͤnen, Sorgen und Entbehrungen
groß gezogen hatte. Kein Dichter stuͤrmte seinen Schmerz und Unmuth
uͤber die Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaͤmte
und graͤmte sich, die ihm von Natur naͤchsten und liebsten Wesen von
sich getrennt zu sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur
die Bildung der alten und neuen Welt auszufuͤllen vermogte. Lessing
schreibt den Nathan, und beweist, daß der Jude eben so viel Anspruͤche
habe auf den Himmel als der Christ, aber er schreibt nichts, worin er
beweist, daß der Bauer, sein Vetter, eben so viel Anspruͤche habe den
Nathan zu lesen, als der vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann
steht am Fuße des Vatikans und erfuͤllt die Welt mit Orakelspruͤchen
uͤber die Schoͤnheiten des Apoll von Belvedere, uͤber das goͤttliche
zornblickende Auge, die geblaͤhten Nasenfluͤgel, die veraͤchtlich
aufgeworfene Unterlippe, „eben hat er den Pfeil abgesandt nach den
Kindern der Niobe, noch ist sein Arm erhoben,“ und im selbigen
Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht, hebt sein Vater, ein
armer Altflicker, gedruͤckt und gebuͤckt uͤber den Leisten hingebogen,
Pfriem und Nadel in die Hoͤhe, blickt mit geisttodten, stumpfen Augen
auf einen Kinderschuh und gewaͤhrt den Anblick eines Menschen, gegen den
gehalten der letzte Sclave des Praiteles, der an die Palaͤste der
altroͤmischen Großen wie ein Hund angekettete Thuͤrwaͤchter apollinische
Gestalten waren.

Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
gehoͤrig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
was ich meine, ich brauche nur die Woͤrter zu nennen: γυμναςτιχα,
_studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor glossirend
hinzufuͤgte, _studia libero homine digna_. Fuͤr das groͤßere Publikum
muß ich mich wol zu einer etwas umstaͤndlichern Erklaͤrung anschicken
und besonders fuͤr diejenigen, welche nicht begreifen, wie das Volk
nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuͤbt, sondern auch
gebildet werden solle.

Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoͤrt zweierlei, etwas
Negatives und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten
nicht zu hoch spanne und daß ich so dem natuͤrlichen Muthwillen der
Knaben die ganze koͤrperliche Gymnastik, und der Gunst der Goͤtter ihren
Schoͤnheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen uͤberlasse. Im
Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
Natur vertreiben und bezwingen zu helfen — das Kapitel ist weitlaͤufig —
es besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsuͤnde des menschlichen
Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch — was nun
gar der norddeutsche Bauer — Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er
Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoͤren und nicht hoͤrt,
besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines
eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuͤhls, seines eigenen Willens nur
in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. — Der weichenden
Kraft der Traͤgheit folgt, wie eine elastisch nachdruͤckende Feder, die
allmaͤhlich hervorspringende Kraft der Thaͤtigkeit. Diese soll
beschaͤftigt werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte
Richtung_ erhalten. Das ist das Geschaͤft der Bildung im Positiven, das
ist das Saͤen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von
unfruchtbarer traͤger Last befreit, durchbrochen, gepfluͤgt und
gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich
spuͤrte. Mensch und Acker, diese beiden uraͤltesten, natuͤrlichsten und
durch den religioͤsen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten
Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsaͤchlich darin aͤhnlich, daß der
Schoͤpfer uͤber beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepfluͤgt und
dann gesaͤet — erst den starren traͤgen Zusammenhang der Oberflaͤche,
der Gemuͤthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und —
jedem Feld das seinige nach Art des Beduͤrfnisses, nach Guͤte und
Beschaffenheit des Bodens[4].

Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuͤr eine
Suͤnde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren
Schuͤlern ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem
Kopf an die bretterne Wand, oder haͤngt ihnen, wie die Englaͤnder thun,
Eselsohren an, oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß
auf hoͤlzerne Esel und vor allen Dingen, huͤtet euch, selbst die Esel zu
sein.

Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern _ex professo_ die
Volkserziehung anheim zu stellen — ihnen dieselbe auf den Stuͤcken zu
laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
braven Maͤnner, die bei kuͤmmerlichem Brod ihre taͤgliche Noth und Sorge
haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaͤlzt. Das
ist bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
gelegentlich und er sucht die Gelegenheit — Erzieher, Bildner der
Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stuͤck harter Kruste
aufreißt, dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht
in die Spalten des Gemuͤths einsenkt.

Volksbildung, Wunsch meiner Wuͤnsche, Ideal, nicht traͤumerisches,
abgoͤttisches, ruͤckwaͤrts gewandtes, aufwaͤrts in den leeren Himmel
blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuͤrde des
Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
Politiker belaͤchelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im
Namen aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an
Dich.

Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile uͤber den
Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten uͤber ihre Bildungsfaͤhigkeit
fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
noch selber, letztere so intellektuell hochmuͤthig, wie man nur immer
von einem Stand exklusiv Gebildeter im und uͤber'm Volk erwarten kann.
Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß
Gaͤnsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ uͤber die Erscheinungen in
der Welt, uͤber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
und aufloͤsen, Gedanken bilden, Urtheile faͤllen und uͤberhaupt sollen
sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaͤrfer
oder abstrakt einseitiger durchgefuͤhrt die Lehre von urtheilbaren
beseelten Weltstaͤubchen zum Resultat hatten.

Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
auseinandersetzen — wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.

       *       *       *       *       *

Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf
die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
Landmanns Ruͤcksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevoͤlkerung _norddeutscher Staͤdte_
die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
plattdeutsche Sprache, wo sie dem taͤglichen Umgang angehoͤrt, uͤber die
Koͤpfe verhaͤngt. Man stoͤßt sich da, wo der Block liegt, nur sind die
Pfaͤhle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
dem Lande begrenzen und umpfloͤcken, hier mehr roh, dort mehr
spießbuͤrgerlich abgeschaͤlt und hollaͤndisch uͤberpinselt, das ist der
Unterschied. Doch giebt es besonders aus groͤßeren norddeutschen
Staͤdten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den
mittleren achtbaren Staͤnden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und
neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung
zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaͤtern
und Vorfahren eingenommen wurde. Ruͤhmlich ist es, was diese fuͤr ihre
Kinder thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
verschaffen, sich fuͤr ihren kuͤnftigen Stand so zu befaͤhigen, daß sie
nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haͤnden
und offenen Maͤulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
Bestrebungen an sich voruͤberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
Welt erfuͤllt. Ruͤhmlich und verstaͤndig zugleich, denn es leitet sie
der richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermoͤgen in der
Welt immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem
blinden Gluͤck, worauf zu rechnen Thorheit waͤre, Verstand und
Kenntnisse, die aͤchten Magnete sind, um den aus den Taschen der
Erwerbenden und Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz
anzuziehen, zusammenzuhalten und zu vermehren.

       *       *       *       *       *

Waͤhrend der niedersaͤchsische Bauer bis uͤber Kopf und Ohren im
Plattdeutschen steckt, der Buͤrgersmann aber schon anfaͤngt, sich
zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duͤrfen, daß er sich mit voͤlliger
Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
Allein die Sache verhaͤlt sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht
Gedanken aͤußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
ganz eigentuͤmliche uͤberraschende Wendung geben.

Thatsache ist naͤmlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und
Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
allen norddeutschen Universitaͤten ist. Diese Sprache also, die ich als
Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den
vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und
Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laͤngst Vertriebenen, eine
Freistaͤte am Heerde ihres Hauses gewaͤhren.

Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
Verhaͤltnisse. In Scherz und Ernst fuͤhrt sie oft das Wort, sie ist
Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Ungluͤck gebessert, des
Vertrauens wuͤrdig zu machen.

Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Maͤnner von Talent, Geist
und Namen sind. Beruͤhmte Lebende koͤnnte ich anfuͤhren, ich begnuͤge
mich den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in
Eutin, sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie
und norddeutschen Gaͤsten am liebsten und oͤftersten plattdeutsch
sprach.

Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maͤnner
von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaͤtigkeit, Maͤnner
wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?

Freilich, ich koͤnnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen
Sprache eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraͤnken. Ich
koͤnnte mich etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoß aus
dem Wege zu raͤumen, folgendermaßen daruͤber ausdruͤcken: _absolut dem
Geiste lethal_ ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und
boͤhmische Doͤrfer gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und
Meklenburg; was denn von den groͤßten Freunden des Plattdeutschen
zugegeben werden muͤßte, da gar nicht zu laͤugnen, daß an sich und fuͤr
sich dasselbe nichts Lebendes und Bewegendes enthalte, sondern Todt und
Stillstand selber sei; _geistig hemmend und laͤhmend_ bleibt aber das
Plattdeutsche immer noch aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar
das Hochdeutsche verstaͤndlich naͤher getreten, aber noch als ein
Fremdes gegenuͤber steht; _ohne schaͤdlichen Einfluß und gleichsam
indifferent fuͤr Geist und Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche
Sprache, da, wo sie der hochdeutschen nicht als Fremde gegenuͤber steht,
sondern schwesterlich zur Seite geht.

Allein, ich fuͤrchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
allgemeinen psychologischen Gruͤnden unstatthaft erscheint. Zwei
Sprachen auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache
die geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuͤr welche
Zwecke sie auch aufgespahrt wird, um ihren schoͤnsten Anteil am Menschen
zu kurz gekommen. Sie raͤcht sich, indem sie das nicht zuruͤckgiebt, was
sie nicht empfaͤngt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und
laͤßt sich wol als aͤußeres Werkzeug mit großer Kunst und Kuͤnstelei,
aber nicht als zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.

Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuͤr nicht
zuruͤckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haͤuslichen
Freuden und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemuͤthlich
wird, so steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen
Kontrast zu seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner
Bildung, an seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit,
dieser Widerspruch offenbaren und nachweisen muͤssen.

Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle
in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
hervorgebracht, wie das Urtheil uͤber Goͤthe, das freilich noch
einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _à la_ Pustkuchen
laͤcherlich machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuͤhlt ich
mich empoͤrt. Zeig dich nur erst als so einen _niedersaͤchsischen
Bauer_, wie du den Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein
ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung
an einen Suͤddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang
und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem
Zugestaͤndnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht uͤber
Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen
großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uͤbertriebener,
philologischer Bewunderung und niedersaͤchsischem Patriotismus roch. Ich
fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
Zwang angethan, daß er zu roh und willkuͤhrlich an ihr gezimmert und
losgehaͤmmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Woͤrter,
Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaͤrtig lautet mein
Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß
bestaͤtigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
Liebe nicht voͤllig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraͤuliche Natur, die
Bluͤthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
zaͤrtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
durch Willkuͤhr und Zwang ihr abgewinnen kann.

Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aͤußert,
der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
Niedersachsen, welchen Einfluß er auch uͤbe auf die intellektuellen
wahren oder ertraͤumten Beduͤrfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
Bildung oder Verbildung der Zeit — ich schattire absichtlich diese
Ausdruͤcke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
beschraͤnkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
angehoͤrt gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt — der
Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruͤcksicht auf den Charakter
der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaͤter auch ihre alte
ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
sich auf die Enkel fortpflanze.

Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßvaͤter so
ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
vermacht die Sage davon an das aufbluͤhende und die gute alte Zeit
selbst laͤßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um
einige Stieg Jahre aͤlter, als die aͤltesten lebenden Menschen. Ich muß
laͤcheln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und
Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Maͤhrchen nicht zu
Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spaͤhende Blicke in die
Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der
Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur
Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar
ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im
Gegentheil wimmeln die Blaͤtter ihrer Geschichte nicht selten eben
vorher von klaͤglichen Zustaͤnden, Schwaͤchen, Lastern und
Erbaͤrmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer
auserwaͤhlten, kleinen, glaͤnzenden Periode sich naͤhern; dann aber,
wenn der Vorhang faͤllt, die grellen Farben sich schwaͤchen, die boͤsen
Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten
entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf
ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuͤthig zu, da geht sie,
da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das
ahnen die guten Leute nicht.

Fuͤr jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaͤt und
ein wohlthuendes Gefuͤhl, sich seine Vorfahren als durchgaͤngig honette
Leute vorzustellen. Der dunkele Buͤrgerliche oder Baͤuerliche kann
dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und
Widerspruch nachhaͤngen, er hat hierin einen Vortheil vor den
beruͤhmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen
buͤrgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als
altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaͤcher und
allgemeiner bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ fuͤr baͤuerliche
Vorfahren, Degenknoͤpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und
der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa
die Ausdruͤcke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf
sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur
hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
nicht vorkommt, eben so wenig, wie die fruͤherhin angefuͤhrten Woͤrter
Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und
verfassungsmaͤßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger
als eine Redensart und gar nichts ist.

Nach dieser vorlaͤufigen Verstaͤndigung waͤre zunaͤchst der Hauptsatz
einzuraͤumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie uͤber, und —
_Folgesatz_ — wird ihnen zeitlebens etwas ausdruͤcken oder anhaͤngen,
was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
fuͤr die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will — das aber — _Nach-
und Beisatz_ — den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
erleichtern geeignet sein mag.

Letzteres betrachte ich in der That fuͤr sein unwichtiges Moment. Man
sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
Beamtenfamilien unter seinen natuͤrlichsten und vortheilhaftesten
Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
deren Mitte er sich fuͤr verrathen und verkauft halten wuͤrde, so trift
er in jenen gleichsam naͤhere und entfernte Anverwandte und sieht in
deren haͤuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
verschoͤnerten Zuͤgen ihm vertraulich entgegentritt.

Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoͤchst
dringende Warnung zu ertheilen, vor dem allmaͤhligen herabsinken auf die
baͤuerliche Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im
Plattdeutschen einmal nichts Gescheutes sprechen laͤßt, so nimmt die
plattdeutsche Gemuͤtlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traͤgheit
an. Das Beduͤrfniß bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruͤhrungen,
die nur in einer gebildeten Sprache moͤglich sind, regt sich immer
schwaͤcher, die einfache Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche
ins Laͤppische, das Gerade in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und
es tritt nur zu oft jener traurige Ruͤckschritt der Civilisation ein,
den man Verbauerung nennt. Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der
Familie, den Kindern noch weniger.

Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuͤr das Plattdeutsche im
Haͤuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
wohl, sich zuvoͤrderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
deines geistigen Raͤderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, laͤufst
du keine Gefahr, dich fuͤr die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuͤrchten, dich
und deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen
Kindern eine unersaͤtzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu
stoßen und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation
herabzugleiten?

Das moͤgten doch immer Fragen sein, die einer aͤngstlich gewissenhafter
Beantwortung werth sind.

       *       *       *       *       *

Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaͤhnt, Lieblingssprache auf
allen norddeutschen Universitaͤten und das wenigstens wird ihr waͤrmster
Freund nicht gut heißen koͤnnen.

Hier tritt sie als gefaͤhrlichste Bundesgenossin aller jener
zahlreichen Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere
Universitaͤten verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaͤt im Keim
zu ersticken. Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie
sich in laͤndlichem Pfarrhause Frau und Toͤchtern empfiehlt, zwanglos
grob, ungenirt gemuͤtlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den
Mund immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft eintraͤgt. Zum Teufel ihr Herren
_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Boͤotiens in Minervens Tempel.
Ihr koͤnnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
Universitaͤt, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
sein — _soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Goͤtter dem
jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
Haͤnden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
Schoͤneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
angehoͤrt. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
akademische Leben, den duͤrren Scholastizismus und die Pedanterie des
akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt fluͤchtig und
wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
dazu machen.

Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaͤchsischen
Witze, sie stehen alle in einem kleinen grobloͤschpapiernen Buch mit
feinen Holzschnitten, das jaͤhrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es
tritt darin auf „der Ruͤbezahl der Luͤneburger Haide,“ der Repraͤsentant
des niedersaͤchsischen Volkshumors, der geniale Till und ruͤlpst auf die
anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraͤsentirte.

Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die
Antwort nur zu gut, „sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemuͤthlich.“
Chorus von Goͤttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß,
sie ist uns gemuͤthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoͤrt mit zum Wesen
der norddeutschen Landsmannschaft und das waͤre kein braver Holsat oder
Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattituͤden
am Leibe haͤtte, plattes (Muͤtze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm
Arm und das liebe Platt im Munde.

O Jugend, akademische, Bluͤthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
Dufte etwas nach dem Geist der Alten — ich meine nicht deiner eigenen —
bethaue deine Bluͤthen und Blaͤtter mit etwas Naß aus der Hippokrene,
durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie, empfinde,
fuͤhle wenigstens nur die heiße Thraͤne des Unmuts und des Schmerzes,
die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraͤufelt.

O Jugend, akademische, ihm ist uͤbel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
freilich lacht und spoͤttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:

  Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
  Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.

Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraͤndert, was ist
nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
Jahren geschehen und dieses Voͤlkchen ist noch immer das alte geblieben?
Wo kommt es her? Wo geht es hin?

Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitaͤten
noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaͤckigste
Wurzel.

Es hat fast den Anschein, als muͤßte der Bauer erst mit gutem Beispiel
vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.

Wie noͤthig thaͤte es Manchem, um auch nur den aͤußern Schein seines
Standes im Gespraͤch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaͤme
mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.

Wie noͤthig aber thut es Jedem, sich unablaͤssig in einer Sprache zu
bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft uͤber sein Wissen verhelfen
soll; wie noͤthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
Herrschaft mißgoͤnnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.

Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faͤllt
Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoͤsische. Das
Talent sich fertig und gelaͤufig auszudruͤcken, ist immer noch ein
selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
Sprache und Gelehrsamkeit stehen haͤufig im ungeheuersten
Mißverhaͤltniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die
Geschwaͤtzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese
Wortplage, die so viele Sprechende befaͤllt, dieses Stottern, Ringen,
Raͤdern und Braͤchen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder
Triviales zu Tage foͤrdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf
eine klaͤgliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem
Umtausch hin.

Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruͤgte Uebelstand auf
norddeutschen Universitaͤten im haͤßlichsten Licht. Der tuͤchtigste Kopf
kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
erwehren, das so regelmaͤßig wie der Rinnenguß einer Wassermuͤhle Tag
fuͤr Tag auf ihn eindringt. Es gehoͤren elastische Denkfibern,
gluͤckliches Gedaͤchtniß (auch gluͤckliches Vergessen) und vor allem
Freundesgespraͤche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen
und das heiligste Gut der Persoͤnlichkeit, das Stoffbeherrschende,
selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem
Freundesgespraͤche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln,
Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt,
wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der
meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und
Sprachplage bezeichnet habe.

Mit welchen Farben soll ich den barocken, laͤcherlich traurigen
Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
taͤglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten,
Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaͤchtnisses.

Liegt da das taͤgliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laͤßt's
liegen, wo es liegt und — wird gemuͤthlich, plattdeutsch.

_Humaniora_, erfrischende, belebende, hoͤher hinantreibende Vortraͤge,
hoͤrt sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoͤren, da leider an vielen
Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitaͤten gelesen werden.

Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt? — O
norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!

       *       *       *       *       *

Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin uͤberrascht, sagte er nach
einigem Zoͤgern: Ich habe uͤber den Einfluß der plattdeutschen Sprache
bisher nicht weiter nachgedacht, und das moͤgte wohl der Fall mit den
meisten kuͤnftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe
ich diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders
wenn man aus dem Suͤden zuruͤckkehrt, einen aͤhnlichen Eindruck, wie die
veraͤnderte Athmosphaͤre, die fahle Luft und das haͤufige Regenwetter
des Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuͤbel.
Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
einmal fruͤher aͤußerten, man muͤsse sich selbst gegen das Nothwendige,
das der physischen oder moralischen Ordnung angehoͤrt, in Position
setzen. Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert,
indem Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit
dessen Vertilgung das Feld fuͤr die norddeutsche Civilisation gewonnen
scheint. Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuͤhl aller
Patrioten sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruͤcken auf dem Herzen
liegt. O wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute
Hemmniß des oͤffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaͤt in
Niedersachsen. So lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoͤrt,
werden, wie bisher, Mastochsen, Gaͤnsebruͤste und westphaͤlische
Schinken die Hauptprodukte unserer Civilisation bleiben. Gegen die
Civilisation selbst macht die plattdeutsche Sprache nicht allein
gleichguͤltig, sondern tuͤckisch und feindselig gestimmt. Warum ist das
nicht laͤngst zur Sprache gebracht, Gegenstand des allgemeinsten und
lebhaftesten Interesses geworden.

Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Baͤrmann und andere
wackere Maͤnner die Theilnahme des Publikums fuͤr diese Sprache, selbst
fuͤr eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.

Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den „_Bloottuͤgen_,“ den
Henrik von Zuͤphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.

Was den Henrik von Zuͤphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint
mir der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes
gethan zu haben. Ich schaͤtze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren
ein tapferer, unbezaͤhmlicher, ordentlich nach Freiheit und
Unabhaͤngigkeit duͤrstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem
Schwerdt in der Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds
und seiner Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's
fuͤnfzehnte und sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob
ein lutherischer Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse
ist, einer so durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren
lassen kann; denn obwol die dithmarsische Groͤße und Freiheit in
christliche Zeiten fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem
Lande gerade hoͤher getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im
Norden, so erhielt doch der hochfahrende und kampflustige Sinn der
Einwohner durch sie nur eine sehr schwache christliche Faͤrbung und wol
schwerlich hat die Brust eines mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem
Himmel, der Geistlichkeit oder eigener Gewissenszartheit christliche
Demuth dem Muth uͤbergeordnet, wie man solches in den Ritterbuͤchern des
Mittelalters liest. Doch mag es damit sein, wie es will; ich muß
bekennen, daß ich uͤberhaupt keinen Geistlichen zum Geschichtschreiber
wuͤnsche, speziell nicht zum Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war,
daß Pastor Harms sich grade einen Moment aus der dithmarsischen
Geschichte gewaͤhlt hatte zur plattdeutschen Darstellung, der auf so
schneidende Weise mit der altvaͤterischen, derben Bonhommie, die er
dieser Sprache im Eingang nachruͤhmt, im Kontrast steht: der
Maͤrtyrertod des ersten lutherischen Predigers in Dithmarsen. Diese
kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen Gefuͤhls, diese Spurlosigkeit alles
Barmherzigen, womit hier der arme Mann einem langsamen und
schauderhaften Tode uͤberliefert wird, macht nicht nur an sich einen
boͤsen Fleck in der dithmarsischen Geschichte aus, sondern erinnert auch
sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht niedersaͤchsischer Maͤnner, die
Dithmarsen, von jeher neben ihrer Tapferkeit und eisernen Sitte, mit
asiatischer Barbarei an Gefuͤhllosigkeit gegen Feind und Freund
gewetteifert haben, was den allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber
keineswegs auf so eine „alte und gemuͤthliche“ Sprache hindeutet, wie's
so etwa von einem unserer friedlichen und gutmuͤthigen Philister
heutiger Zeit verstanden wird. — Fuͤgen Sie noch hinzu, sagte hierauf
mein Freund, daß das Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar
plattdeutsch ist, und wo auch noch wirklich das beste platt[8]
gesprochen wird, weder in moralischer noch in gesellschaftlicher
Beruͤhrung ein sehr glaͤnzendes Lob auf dasselbe zuzulassen scheint. Die
Armuth, Trunkfaͤlligkeit, die ungeheure Zahl der veruͤbten Mordbraͤnde
in Dithmarsen deuten auf einen sehr versunkenen sittlichen und
buͤrgerlichen Zustand. Eben er, der mit herrlichem Eifer fuͤr die
Verbreitung religioͤser und moralischer Lebensflammen erfuͤllte Pastor
Harms hat in patriotischen Schriften seinen Schmerz daruͤber
ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt mit vollster
Ueberzeugung, von der Mithuͤlfe einer Sprache erwarten, welche aller
Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das wahre Grab
des hoͤheren Leben ist. Es staͤnde zu wuͤnschen, daß ein dithmarsischer
Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die Fortschritte der
Civilsation und selbst auf die schoͤnere Humanitaͤt einer
ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
uͤbertragen moͤge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und
was sie vermoͤge ihrer Sprache sind und nur sein koͤnnen.

Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie uͤberhaupt unser
Gespraͤch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuͤrde ich
mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.

Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.

Hoͤren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaͤhig sei, die
Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taͤgliche
Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuͤhen zur Civilisation
durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muͤsse. Ich habe
diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraͤnkt, ich habe
fuͤhlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
Volksbildung, auch die hoͤhere Bildung des Einzelnen gefaͤhrdet sei und
zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
Medium wieder beruͤhren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
oͤffentlichen Stimme uͤberlasse, dieses mit unabweisbarer
Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei
nicht wuͤnschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde
plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
wuͤnschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
Lebendigen verliere. Und somit waͤre denn im verhofften guten Fall hie
und da eine Meinung, eine Ansicht uͤber das Wuͤnschenswerthe und nicht
Wuͤnschenswerthe in dieser Angelegenheit oͤffentlich angeregt. Aber
sagen Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur
Folge hat, im Angesicht eines oͤffentlichen Gegenstandes, oder
Widerstandes, der nichts meint und wuͤnscht, der nur so eben sich seiner
breiten Fuͤße bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch
alle Meinungen hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf
den Beinen zu behaupten, bis er etwa von selbst umfaͤllt, Meinungen und
Ansichten haben wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am
Korporativen der Meinung, welches die oͤffentliche Meinung ist, welche
die That mit sich fuͤhrt. Wuͤrde ich sonst, wenn ich nicht das
fruchtlose Hin- und Hermeinen des Publikums zu gut kennte, mir die
Beantwortung der ironischen Frage aufgelegt haben, ob man den
wuͤnschenswerthen Untergang der Sprache ruhig sich selbst und der Zeit
uͤberlassen oder etwas dafuͤr thun, denselben moͤglichst beschleunigen
solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit nicht Ernst gewesen sein
kann; denn bringt die wahre und lebhafte Darstellung eines großen Uebels
nicht unmittelbar und fuͤr sich das Gegenstreben, den Wunsch und das
Umsehen nach Mitteln zur Abstellung desselben hervor, so ist alles
weitere Reden und Zureden rein uͤberfluͤssig, falls es nicht, wie bei
manchen Maaßregeln gegen die Cholera, mit aͤußerm Zwang und
obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.

Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser
Angelegenheit der Repraͤsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
sich, ihren allgemeinen truͤben Mißmuth einem bestimmten Feind
gegenuͤbergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
durchaus in der Sache begruͤndet.

So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuͤr den Repraͤsentanten einer
sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaͤlt und gleichsam tagtaͤglich
Wasser ins Faß der Danaiden schoͤpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
Zweifel auch uͤberzeugt, liegt in den Haͤnden dieser Maͤnner.

Aber, fuͤgte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit?
Ich denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig
ausfaͤllt, die dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie
fuͤr die Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuͤr die wirksamsten? Mir
und meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzuͤglich daran.

Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
etwas Erschoͤpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.

       *       *       *       *       *

Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
Hochdeutschen geholfen werden?

Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
plattdeutsche und fuͤr das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan,
indem er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe
ausschloß.

Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
oͤffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
hinzufuͤgt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
hilft eine oͤffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
uͤberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uͤbt
eine chemische Zerstoͤrung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
es nur und seid uͤberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boͤsen ist ein
Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.

Das ist das Schoͤne mit der guten Sache und der oͤffentlichen Meinung
und der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.

Ja, ich zweifle nicht, die oͤffentliche Meinung wird sich bilden und sie
wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird uͤber
die Koͤpfe unserer Bauern hinfahren und wird — ansteckend sein.

Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oͤffentlichen Meinung und das
Wunderbarste an ihr.

Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oͤffentlicher Meinung
sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
dieser großen, nuͤtzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
Staatsbuͤrgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend
groͤßer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.

Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stuͤck, so will ich sehen,
welche wundergleiche Veraͤnderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
in einem Verhaͤltniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.

Ihre Hauptaufgabe waͤre, dahin zu streben, das Hochdeutsche
_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen — ein Weg, der nur durch die
_Fertigkeit_ und _Unbekuͤmmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuͤne. Was die _Schule_
betrift, so wuͤrde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muͤßten haͤufiger mit Sprech-
und Denkuͤbungen beschaͤftigt werden — welche Gelegenheit zugleich auf
den Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken,
in welcher dem Knaben von Haus aus alle fruͤhere Vorurtheile und
Dummheiten eingepropft sind. Besondere Ruͤcksicht verdienen die
Maͤdchen. Ihre Gemuͤther sind weicher, empfaͤnglicher, ihr Organ,
gewoͤhnlich auch ihr Verstand leichter zu bilden und — sie sollen einmal
Muͤtter, Hausfrauen, das heißt auf dem Lande, fuͤr das juͤngste
Geschlecht im Hause alles in allem werden. Auch im _aͤlterlichen Hause_
bleibt viel zu wirken, besonders auf Hausfrauen und aͤltere Toͤchter;
der heiterste, zwangloseste Gesellschafter ist hier der beste, er
bringt bald ein unterhaltendes Buch (kurze und erbauliche Geschichten,
keine langweilige faselnde), bald einen interessanten Gegenstand zur
Erzaͤhlung mit, eine Anekdote aus der Zeitgeschichte, oder meinentwegen
einen Fall aus der Nachbarschaft, dem Dorfe mit, der, wie er versichert,
sich im Plattdeutschen nicht ausnimmt. _Fuͤr die ganze Komuͤne_ ist er
wirksam durch Einfuͤhrung periodischer Blaͤtter, Zeitungen, auf
gemeinschaftliche Kosten zu halten und regelmaͤßig in Versammlung der
Maͤnner vorzulesen, allenfalls durch aͤltere, der Konfirmation
entgegengehende Knaben, _als beneidete und ehrenvolle Belohnung_ ihrer
Fortschritt im Lesen und Sprechen des Hochdeutschen.

Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuͤßte es auch
auszufuͤhren als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.

So viel ist gewiß, waͤre ich Schullehrer, so wuͤrde ich fuͤr's Erste nur
ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.

Leeres Stroh wuͤrde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe
der hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waͤchst.

Eine Buͤrgerkrone wuͤrde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
Alter nachruͤhmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so
dunkle, dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in
Kontakt gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuͤhrung der
Bildungssprache Deutschlands.


Fußnoten:

[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oͤrtlicher und provinzieller
Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
Lokaltinten nicht enthalten.

[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
Reformation und Hauptsaͤchlich im protestantischen Norddeutschland
gefuͤhrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß boͤser Geister zu
Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaͤllen selbst oft mit dem
persoͤnlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaͤhrt
hatte, _diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert
vielleicht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._

[3] Reineke de Vos ist von hollaͤndischer und franzoͤsischer Abkunft,
wenn auch die Maͤhrchen von Fuchs und andern Thieren urspruͤnglich in
Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
obgleich sie sehr gelungen ist; man koͤnnte sie den Schwanengesang
dieser Sprache nennen.

[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
Spiel der Phantasie angehoͤriges hinzufuͤgen, so vergliche ich den
bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft
und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.

[5] Was koͤnnte ich anfuͤhren, wollte ich von der niedrigsten Klasse
norddeutscher Staͤdte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poͤbel in
Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waͤlzt.

[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
mi op de Wissenschaften leggen.

[7] Weniger Spaͤße.

[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woͤrtern untermischt.

       *       *       *       *       *

Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:

_Wienbarg_, _Dr._ L.,
                  Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
                  833-34. 2 Thlr. 16 Gr.

  ----     ----   Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
                  bevorredet und erlaͤutert; mit einem
                  Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
                  4 Gr.

  ----     ----   Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
                  Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.


Unter der Presse befindet sich:

  ----     ----   aͤsthetische Feldzuͤge. Dem jungen Deutschland
                  gewidmet. 8.





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