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Title: Blicke in das Leben der Zigeuner - Von einem Zigeuner
Author: Wittich, Engelbert, 1878-1937
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Blicke in das Leben der Zigeuner - Von einem Zigeuner" ***


                       Hefte für Zigeunerkunde 2.

                          Blicke in das Leben
                             der Zigeuner

                          Von einem Zigeuner
                             (E. Wittich).

                            [Illustration]

                               Striegau
                              Huß-Verlag
                                 1911



                          Seiner lieben Frau
                              Friederieke
                       und seinen lieben Kindern
                           Hilda und Arthur
                               gewidmet

                                   vom Verfasser.



              [Illustration: Selbstbildnis des Verfassers
                            als junger Mann
                    (nach dem Spiegel gezeichnet.)]



                               Vorwort.


Nur selten ist es bisher gelungen, einen richtigen Einblick in das Leben
und Treiben, Denken und Empfinden des Zigeunervolkes zu gewinnen. Die
mangelnde Kenntnis der #Romani#-(Zigeuner-)Sprache, die aus manchen
Ursachen erklärliche Abneigung des #Sinto# (Zigeuner), die #Gadsche#
(Nichtzigeuner) in sein inneres Leben blicken zu lassen, und die schwere
Erreichbarkeit der Zigeuner überhaupt, hüllen das Zigeunertum bis heute
in ein fast völliges Dunkel. Es ist daher ein erfreuliches Ereignis, daß
ein Zigeuner selbst sich entschlossen hat, das Dunkel zu lichten und ein
wahrheitsgetreues Bild seines Volkes zu geben. Seine braunen
Volksgenossen sind darüber mißvergnügt; aber mit Unrecht. Der Verfasser
täuscht sich gewiß nicht, wenn er hofft, daß durch seine Darstellung die
Zigeuner in einem ganz anderen Lichte erscheinen, als wie man sie bisher
anzusehen gewohnt war. Man kann geradezu sagen, daß uns die schlechten
oder wenigstens unangenehmen Eigenschaften der Zigeuner nur deshalb am
meisten auffallen, weil sie die Außenseite bilden. Beim näheren
Kennenlernen bieten die #Sinte# aber soviel Anziehendes,
Liebenswürdiges, geheimnisvoll Interessantes, daß der Forscher oder der
Zigeunerfreund (#Romano Rai#) sogar Gefahr läuft, die schwarzen Seiten
des Zigeunerlebens ganz zu übersehen.

Jedenfalls ist zu hoffen, daß das vorliegende Büchlein dazu beitragen
wird, manche falsche Vorstellung zu beseitigen, und die Abneigung gegen
die Zigeuner in Interesse, Sympathie und liebevolle Hilfe umzuwandeln.

                                                       R. Urban.



Die Zigeuner sind aus vielen Schilderungen bekannt. Über ihr Leben,
ihre Sitten und Gebräuche wurde schon viel geschrieben, Wahres und
Unwahres, oft geradezu Haarsträubendes. Merkwürdigerweise, so reich die
Literatur über die Zigeuner ist, behandelt diese doch zumeist nur die
Ausländer, hauptsächlich die ungarischen und österreichischen Zigeuner.
Dagegen ist die Kenntnis über die deutschen Zigeuner noch sehr gering.
Dem Forscher steht daher hier noch ein großes Feld der Betätigung offen.

Ich will darum im Folgenden versuchen, etwas über die deutschen Zigeuner
mitzuteilen, um das Wahre vom Unwahren zu trennen. Ich werde nur
Tatsachen berichten und kann mit bestem Gewissen für die Wahrheit meiner
Darstellungen eintreten.

Bemerken möchte ich noch, daß dies selbst ein Zigeuner schreibt, der von
Geburt an bis vor kurzer Zeit im Wohnwagen reiste und daher auf das
Genaueste über Leben, Sitten und Gebräuche der Zigeuner unterrichtet
ist. Ich schreibe aus eigener Anschauung, – nicht vom Hörensagen,
unparteiisch, und werde die Zigeuner weder schwärzer noch weißer malen,
als sie sind. Ich berichte nur selbst Erlebtes und was ich selbst
beobachtet habe und bin daher genötigt, manches Märchen über die
Zigeuner zu zerstören. Vieles hätte ich gern etwas ausführlicher
behandelt, aber der Raum erlaubt es mir leider nicht. So sind es nur
kleinere Bilder aus dem Leben eines Zigeuners und einige
Richtigstellungen, was ich in Nachstehendem biete.

Vor noch nicht gar so langer Zeit stellte man sich unter Zigeunern
nomadisierende, träge und schmutzige Menschen vor, welche die ganze Welt
durchziehen und weder Gesetze, noch Vaterland, Familienbande, Religion
besitzen und alle nur erdenklichen, schimpflichen, und lichtscheuen
Gewerbe betreiben. Ruhelos wie Ahasverus, von Ort zu Ort wandernd,
wurden sie überall verachtet, verfolgt und von jedermann oft in recht
unmenschlicher Weise behandelt und für gänzlich vogelfrei angesehen. Als
Räuber, Mörder, Diebe, ja sogar als Kinderräuber und sonst noch alles
mögliche waren sie verschrien. Ihre Töchter ließen sie von dem entehren,
der ihnen am meisten bot. Ihre Dolche und Gifte, ihre Mittel, welche den
Tod brachten, verkauften sie gern an jeden Rachedürstenden. Kurz und
gut, alles Wunderbare, Unmögliche und Abscheuliche wurde den Zigeunern
in die Schuhe geschoben.

Heute ist es in dieser Beziehung etwas besser geworden, und wenn die
Zigeuner, hauptsächlich von dem gebildeten Publikum, mit etwas
freundlicheren Augen angesehen werden, so ist das hauptsächlich der
aufklärenden Literatur zuzuschreiben. Aber trotzdem werden sie noch
immer sehr schlecht behandelt, sie werden immer wieder von neuem
verfolgt, bedrängt und gehetzt. Fast von jedermann unverstanden, bringt
man ihnen wenig Sympathie entgegen.

Ob nun die Zigeuner diese Behandlung verdienen und solche Bösewichte
sind, denen man alles Scheußliche zutrauen darf, und ob sie wirklich
moralisch so tief unter den anderen Völkerschaften stehen, wie man immer
annimmt, mögen die folgenden Blätter zeigen. Man beachte, daß fast nur
von den deutschen Zigeunern die Rede ist.

Heutzutage hat der Zigeuner, gegen früher, im _Erwerb_ einen schweren
Stand. In Deutschland wird ihm das, wodurch er noch sein bestes
Fortkommen hatte und was seinen Befähigungen am besten entsprach, der
Wander-Gewerbeschein, in den meisten Fällen versagt. Eine geordnete
Arbeit bei dem herrschenden Vorurteil gegen ihn und der Arbeitslosigkeit
unserer Tage, wo hunderte geübte, gelernte Menschen arbeitslos sind, für
den Zigeuner zu bekommen, ist fast unmöglich, obwohl ja auch die Liebe
zum Müßiggang, zur Bummelei, ein wenig mitspielt. Aber die deutschen
Zigeuner sind keineswegs ein so müßiges, faules Volk, wie gewöhnlich
kurzerhand angenommen wird; man darf sie in dieser Beziehung nicht mit
den Zigeunern anderer Länder vergleichen. Man beachte einmal das Leben
und Treiben am Halteplatz des Wohnwagens und man wird sofort sehen, daß
der deutsche Zigeuner nicht der Faulpelz ist, als den man ihn sich
gemeinhin vorstellt.

Dann ist vor allem die Musik seine sozusagen angeborene
Lieblingsbeschäftigung und -Geschäft. Ohne Geige kann man sich überhaupt
keinen Zigeuner vorstellen. Daß sie in der Musik Vorzügliches leisten
und daß sie hervorragende künstlerische geistige Anlagen haben, ist ja
bekannt. Da ist z. B. der Zigeuner »Votter«, ein anerkannter Virtuose,
(Zigeunername Köhler), welcher Geige, Harfe und Klavier ohne jede
Notenkenntnis meisterhaft spielt und einen Landesruf genießt. Er mußte
seine Kunst vor hohen und höchsten Herrschaften zeigen. Dann der
Zigeuner J. _Reinhardt_, Zigeunername »Mala«, – »Meineli« Zigeunername
seiner Mutter Preziosa, Vater Jakob Reinhardt, – der blind geboren und
ein so vorzüglicher Geigenspieler ist, daß er unter den Zigeunern selbst
die größte Bewunderung erregt und als einer der besten lebenden Spieler
angesehen wird. Man muß z. B. ihn als »Kunstgeiger« oder den
»Kanarienvogel« oder ein Fantasiestück spielen gehört und gesehen haben!
Die besten Musikkenner bewunderten schon die Technik, das warme, feurige
Gefühl, die hinreißende Gewalt der Töne, die der blinde Künstler,
begeistert vom eigenen Spiel, seinem Instrument entlockt. So könnte ich
noch viele anführen, welche einfach großartiges in der Musik leisten.
Natürlich bringen es nicht alle zu einer solchen Meisterschaft. Blas-
und Blechinstrumente lieben die Zigeuner nicht, doch gibt es hierin auch
einige Ausnahmen und einige Stämme (Familien), machen neben Streichmusik
auch noch gute Blechmusik. Gleichguten Ruf besitzen unter anderen die
Familien dreier meiner Schwäger, als Streich- und Blechmusiker. Auch
sind dieselben nebenbei gesagt, eine der besten »fahrenden«
Sängergesellschaften! Ebenso die Familien »Karl-Antoner«, Eckstein,
Winter, Pfisterer usw. Und wie sehen die Instrumente oft aus? Kaum
verdienen sie noch den Namen Instrumente. Der geübteste Musiker könnte
nichts mehr mit ihnen anfangen. Anders der Zigeuner! Mit zwei, drei
Saiten auf der Guitarre oder Violine spielt er ebenso gewandt, wie jener
mit dem teuersten, feinsten Instrument. Statt eines Bogens genügt ihm
auch eintretenden Falles ein Ästchen von irgend einem Baum, eine
Weidenrute usw., statt der Haare Nähfaden. In diesem Fall muß der
schulgerechteste Musiker zurückstehen, an solchen primitiven
Gegenständen scheitert seine Kunst. Man muß es gesehen haben, wenn man
den kleinen Kindern eine Geige in die Hand gibt, wie der Zigeuner nur
durch Vorsingen oder Vorspielen die schwierigsten Musikstücke lernt, die
Melodie wird einfach vorgesungen oder gepfiffen, er probiert es einmal,
zweimal, beim drittenmal spielt er das Stück schon mit ganzer
Sicherheit.

Solche Gelehrigkeit und Fertigkeit ist geradezu erstaunlich. Man sieht
und fühlt deutlich, daß der Zigeuner ein geborener Musiker ist. Durch
ihre Musik verdienen sie ein schönes Stück Geld. Gewöhnlich
Werktagsabends und dann Sonntags, in Vereinen usw., bei Festlichkeiten,
machen sie auf dem Lande Musik und Konzert. Dann auch in den Badeorten,
Luftkurorten vor den anwesenden Herrschaften. In jedem Schloß, bei
Grafen und Baronen sprechen sie vor, zeigen ihre glänzenden Zeugnisse,
worauf sie dann fast immer die Erlaubnis zum musizieren erhalten.
Gewöhnlich müssen sie dann Tafelmusik machen, und gut bewirtet und
bezahlt werden sie entlassen. Vorher vergißt es aber der Anführer nicht,
sich ein neues »Attest« in sein »Zeugnisbuch« eintragen zu lassen, um es
gegebenenfalles benützen und vorzeigen zu können. Die Geige ist dem
Zigeuner sein alles. Sein Instrument ist ihm so ans Herz gewachsen, daß
er lieber hungert und dürstet, geduldig die größten Entbehrungen
erträgt, ehe er sich von seiner Geige trennt. Sie ist seine Ernährerin,
seine Trösterin. Alt oder jung, die Geige gibt ihm Leben, muß ihm
Speise, Trank und – Liebe bringen. In seinen Liedern klagt er ihr sein
Leid, die mit ihm treu Freude und Schmerz, Glück und Unglück teilt. Und
so singt der kleine, arme Zigeunerknabe, einsam und verlassen gar oft:

    #»Me hom i tikno, tschorelo Sindenger Tschawo.
    Mer Dai muies da mer Dad hi stildo.
    Gamlo, baro Dewel! me hom kiake tschorelo
    Ta mer Dades ano Stilapen, les hi bokhelo.
    Man hi tschi har mer Baschamaskeri.
    Me lau la da dschau ani Kertschemi,
    Dschin da has i bresla Lowe man.
    Naschaua pascha mer Dad ano Stilapen,
    Djomles gaua Lowe, job has froh:
    »Gana hilo buter kenk bokhelo!«#

    »Ich bin ein kleines, armes Zigeunerkind.
    Meine Mutter ist gestorben und mein Vater ist im Arrest.
    Lieber, großer Gott! ich bin so arm
    Und mein Vater im Arrest, er hat Hunger.
    Ich habe nichts als mein Instrument.
    Ich nehme es und gehe in die Wirtschaft,
    Bis ein wenig Geld mein war.
    Gehe zu meinem Vater in Arrest,
    Gib ihm das Geld, er war froh:
    »Jetzt hat er keinen Hunger mehr.« –

Einen weiteren Erwerb findet der Zigeuner im Geigenhandel, auf den er
sich meisterhaft versteht. Ein anderer Haupterwerbszweig ist die
Holzschnitzerei. Fast ein jeder kann schnitzen, der eine mehr, der
andere weniger gut. Ein jeder Zigeuner kommt eigentlich mit irgend einer
künstlerischen Anlage auf die Welt. Der eine hat ein oft auffallendes
Talent und Neigung zum Bildschnitzen, der andere wieder zum Zeichnen
usw. So können einige Bekannte von mir tadellos zeichnen, dabei weder
lesen noch schreiben. Ein Schwager von mir hatte mehr Talent zum Malen
mit Farben, als zum Zeichnen. Er würde darin manchen gelernten
»Dekorationsmaler« vom Lande oder der kleineren Städtchen übertreffen,
ohne nur die geringste Anleitung je darin empfangen zu haben. Er malte
unter anderem sehr nett den Theatervorhang und Kulissen seines einstigen
»Reisendem Volkstheater«, mit welchem er auf den Dörfern in
Wirtschaftssälen Vorstellung gab. Zum Schluß machte er dann mit seiner
Familie Streich- und Blechmusik mit Gesang! Eben einer der vorhin
erwähnten guten Streich- und Blechmusiker. Spielten z. B. »Genovefa«
usw. Andere lernten es nur durch dies Zeichentalent ohne jede Anleitung
oder Unterricht. Z. B. konnte ich, ehe ich 6 Jahr alt war, ehe ich eine
Schule auch nur inwendig gesehen hatte, wie ich ja überhaupt kaum 3½
Jahre in eine Schule kam, schon gut lesen und schreiben, eben durch mein
Zeichentalent angeregt. Ich zeichnete die gedruckten Buchstaben meines
Namens, schnitzte sie auch ins Holz und lernte sie so kennen, lesen und
schreiben. Als gute Holzschnitzer verfertigen die Zigeuner mit vielem
Fleiß und Talent allerhand, so Tabaks- und Zigarrenpfeifen,
Zündholzsteine, Salatbestecke (Messer, Gabeln, Löffeln), Haarschmuck,
Spazierstöcke usw. Alles mit schönen Schnitzereien verziert. Bedeutendes
leistete hierin ein Vetter von mir, welcher vor nun 7 Jahren gestorben
ist. Im württembergischen und badischen Schwarzwald verkaufte er seine
Arbeiten und hatte dadurch einen schönen Verdienst. Heute noch kann man
in den genannten Gegenden seine sauber, originell und kunstvoll
gearbeiteten Erzeugnisse sehen, die die Besitzer selbst um teures Geld
nicht hergeben würden. Der beste mir bekannte Holzschnitzer, ein
Künstler darin, war der im Jahr 1903 verstorbene G. Winter. Mit den
primitivsten Werkzeugen verfertigte er wirklich nur Kunstvolles. Er
verkaufte seine Sachen teuer und fand auch immer Abnehmer. Keiner der
heute lebenden Zigeuner erlangte bisher wieder solche Fertigkeit im
Schnitzen wie dieser. – Ein anderer württembergischer Zigeuner besaß ein
besonderes Geschick darin, Kruzifixe, hl. Bildnisse, (Statuen) und
Violinen, Guitarren zu verfertigen. Selbst von Kennern wurde seine
Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit anerkannt, so lieferte er manche
Arbeit in verschiedene Anstalten für kirchliche Kunst. In katholischen
Gegenden wurden seine Heiligen-Figuren gerne gekauft und in mancher
Kirche und an Straßenkreuze durfte er den Christus machen. Einmal
spielte ihm und seiner Kunst der Aberglaube in einer gewissen Gegend des
Unterlandes einen bösen Streich. Er durfte da an das große Kreuz, am
Eingang einer Wallfahrtskirche, den Heiland schnitzen. Kaum war er an
das Kreuz angemacht, bewundert und gelobt von den frommen Besuchern, als
ein paar Tage darauf, bei einem Gewitter der Blitz in das Kreuz schlug
d. h. nur der Christus wurde vom Kreuz weggerissen und gänzlich
zertrümmert. Wie nun die abergläubische Landbevölkerung einmal ist,
wurde dieses Naturereignis dem armen Teufel schwer ausgelegt. Es war ein
sicheres Zeichen, daß der Herrgott selbst so seine Meinung kundgab, daß
er nicht von so einem gottlosen Zigeuner »gemacht« sein wollte. Solche
Reden hörte man nach dem Ereignis. Der Pfarrer kam, weil er den Auftrag
gegeben hatte, auch nicht ganz glimpflich weg. Der Zigeuner fand keine
Abnehmer mehr für seine »Heiligen« und wenn sie auch noch so schön und
künstlich geschnitzt waren. Er mußte daher diese Gegend meiden.
Selbstverständlich durfte auch nicht er den neuen »Herrgott« machen,
der wurde aus einer christlichen Kunstanstalt bezogen. Dieser Zigeuner
konnte auch, wie bereits gesagt, tadellos gearbeitete Geigen usw.
machen. Dadurch hatte er immer einen Verdienst, meistens lieferte er nur
für die Zigeuner selbst seine Instrumente, aber auch in die größten
Städte und Musikhandlungen verkaufte er öfters seine täuschend
»imitierten« alten Meistergeigen, wo dieselbe dann für schweres Geld,
als »echte« Steiner oder Quanari usw. als durch »glücklichen Zufall« in
Besitz gelangte, an den Mann gebracht wurden. Dann ein naher Verwandter
von mir »Kohler« (Zigeunername; sein rechter Name: Guttenberg, August),
der heute fast ganz erblindet ist, besitzt auch den Ruf als äußerst
geschickter Bildschnitzer und heute noch macht er, als halbblinder, noch
sehr schöne Sachen. Unter anderem kann man Arbeiten von ihm im Museum
für Volkskunde (Abteilung Europa) zu Basel, sehen.

Nachdem ist einer der wichtigsten Erwerbszweige der Zigeuner der
Pferdehandel. Schweinehändler ist der deutsche Zigeuner niemals und noch
nie gewesen. Sie sind tüchtige und gute Pferdekenner, was ihnen niemand
abstreiten kann. Sie besitzen und kennen gute, sicher wirkende
Heilmittel gegen Pferdekrankheiten. Man mag da noch so sehr schreien
über »Quacksalberei«, es ist doch so! Auch verschiedene Kunstgriffe
verstehen sie, die zwar nicht dem Käufer, wohl aber ihnen – nutzen. Auf
die Beschreibung dieser »Zunftgeheimnisse«, deren es hier und bei
anderen Gelegenheiten, eine große Anzahl gibt, muß ich aus leicht
begreiflichen Gründen verzichten. Einige der berühmtesten Pferdehändler
bei uns sind z. B. der bezw. die Familie (Sippe) »Schnurmichel«
Familienname »Christ!« Überhaupt die aus vier Brüdern bestehende Sippe
und deren Söhne. Sodann »Gadscho« (Zigeunername; richtiger Name:
Lehmann), unser derzeitiger Hauptmann. Beide sind durch ihren
Pferdehandel zu einer ganz netten Wohlhabenheit gekommen. Weiter noch:
Franz Reinhardt und dann noch die in ganz Preußen bekannte Familie
Petermann; besonders bekannt davon »Leidschi« (Zigeunername). Schöne
Pferde, möglichst mehrere, schöne, glänzende Geschirre, verziert und
beschlagen mit Neusilber, Messing usw. ist dem Zigeuner sein größter
Wunsch und sein Stolz und gilt außerdem für Wohlhabenheit. Rührend ist
auch die Liebe, die der Zigeuner für diese Tiere hegt. Den letzten
Bissen teilt er mit ihnen. Dagegen hat er gegen das Putzen derselben
eine merkwürdige Abneigung.

Von anderen, den »_geheimnisvollen Berufen_«, will ich schweigen, sie
sind ja auch so bekannt, also erübrigt sich eine Beschreibung. Auch mit
Schirm- und Kesselflicken suchen sie sich durchs Leben zu schlagen. Die
ungarischen Zigeuner betreiben auch noch die Goldwäscherei,
Schmiedehandwerk und sind z. B. sehr tüchtige Hufschmiede. Letztere
Berufe betreiben die deutschen Zigeuner nicht. Diese versuchen sich
überhaupt in allem möglichen. Der Feldarbeit, Landwirtschaft bringen sie
zwar keine Sympathie entgegen, doch verdingen sie sich oft in letzter
Zeit, im Herbst zum Rüben- und Kartoffelgraben und öfters noch versuchen
sie sich heutzutage durch Steinklopfen ihren Lebensunterhalt zu
verdienen. Auch als Schausteller, Schauspieler, Zirkusbesitzer,
Schildersänger, Tierdresseur usw. suchen sie ihr Fortkommen. So der alte
Reinhardt mit seinen wirklich gut dressierten Vögeln, Kanarienvögel,
Finken, Staren, Lerchen und Spatzen. Diese vollführen alle möglichen
Kunststücke, alles in Freiheit und mit voller Flugfähigkeit ausgeführt.
Eine geladene Kanone abschießen, (natürlich #en miniature#) Wagen
ziehen, einige als Passagiere, Kutscher, Pferde usw. Auch eine hübsche
Pantomime führen sie zusammen auf. Weiter der Zigeuner Pfaus, welcher
in Sälen und Schulen eine dressierte Ringelnatter zeigt, über 1 m groß
geworden, die er gewöhnlich durch die Knopflöcher an seiner Joppe
gezogen, so daß der Kopf, mit dem immer beweglichen Zünglein, gleichsam
als riesige Krawattennadel oben am Hals herausschaut. Ein Wunder für die
einfältigen, törichten Bauern, die solch ein harmloses Tier als giftig
und schädlich ansehen und es töten, wo sie eines erwischen, zu ihrem
eigenen Schaden. Dabei hat er noch einen dressierten Raben, Pudel und
Katze, alle schwarz wie ein Teufel, pardon wollte sagen Mohr! Alle vier
fressen, lecken aus einer Schüssel, schlafen beieinander in schönster
Harmonie und kein Zank oder Streit hat diese ihnen gestört. Ein gewiß
höchst interessantes Bild für den Natur- und Tierfreund. Auch zeigt er
immer einige zahme und originell dressierte Igel.

Der Zigeuner Hock war Akrobat, Messerschlucker, Schlangenmensch und
Zauberkünstler. Unter anderem produzierte er sich auch als
»kugelsicher«; letzteres wurde sein Verhängnis. Er lud eine Pistole,
zeigte die Kugel d. h. lies sie vom Publikum untersuchen auf ihre
Echtheit und beim Zurückgeben vertauschte er sie gewandt und unbemerkt
mit einer zu diesem Zweck immer kurz vorher präparierten Kugel aus
Cichorie. Hierauf forderte er einen der Zuschauer auf und gab ihm die
vor aller Augen geladene Pistole in die Hand, ihm auf die entblößte
Brust zu schießen. Gab sich niemand dazu her, so tat er es auch selbst.
Natürlich verletzte ihn die weiche Cichorienkugel nicht. Gewöhnlich
verfing sich dieselbe in den Kleidern oder fiel zu Boden, wo er sie dann
schnell und unbemerkt zertrat. Die bereit gehaltene »echte« Kugel aber
ließ er entweder gleich nach dem Schuß auf den Boden fallen oder zog
sie, je nach dem, auch aus dem Hemd oder der Hose hervor und zeigte sie
vor. So gab er wieder einmal Vorstellung und der dazu Aufgeforderte
schoß auch gleich auf ganz kurze Entfernung auf den Künstler. Mit einem
lauten Aufschrei brach dieser tot zusammen. Er hatte die Kugel nicht
verwechselt, wie die in den Trick Eingeweihten zuerst annahmen, sondern
hatte, statt einer kurz vorher präparierten Kugel (die man nachher fand
und die ganz weich war), eine jedenfalls vergessene schon von längerer
Zeit gemachte Cichorienkugel erwischt, welche durch die Länge der Zeit,
hart und fest geworden und durch die Brust ins Herz gedrungen war.

Die beiden Brüder Stein, welche sich als Kunstwasserschwinger und
Feuerwerker produzieren, wählen zu ihren Produktionen und Vorstellungen
immer die höchsten Brücken über Flüsse oder, wo keine Brücken sind,
machen sie selbst ein hohes Gerüst aus Leitern, von wo herab sie ihre
Kunstsprünge, den Körper mit Raketen eingehüllt, die vor dem Sprung
angezündet werden und während dem Abfeuern der Raketen, allerhand
schwierige und schöne Wasserkunststücke sehr elegant und gewandt
ausführen. Der ältere brach schon zweimal den Fuß bei diesem oft recht
gefährlichen »Kunstsprung«! Der jüngere ist außerdem einer der besten
Guitarrespieler und Künstler auf diesem Instrument von uns deutschen
Zigeunern.

Ein wirklich hervorragender Künstler auf der Guitarre, von keinem
anderen Zigeuner vor- und nachher übertroffen, war der Zigeuner Blach
(Zigeunername: »Gokkel«.) Er spielte darauf ganze Opernauszüge. So z. B.
Auszüge aus »Troubadour« – »Martha« – »Undine« usw. Einfach eine
Berühmtheit auf diesem Instrument.

Ich selbst war schon alles mögliche: Schausteller, Rekommandeur,
Dresseur, Schauspieler, Pferdehändler, Zauberkünstler, Impresario von
der »Anitzka« die bärtige Dame, Zirkus- vielmehr »Kunstarena«- und
Singspiel- und Konzert-Direktor, Kunstschwimmer und Athlet und
Ringkämpfer, heute vom Schicksal unerbittlich verfolgt nur noch –
Hausierer.

Der Zigeuner Winter (Zigeunername: »Hose«), der mit seinem Bruder und
Geschwistern einen kleinen Zirkus hatte, d. h. ein Rondel und sein
Geschäft in nettem Zustande hatte, trat als Brustathlet, Kettensprenger,
Ringkämpfer, nebenbei noch mit einem dressierten, großen Affen und einem
Pferd #à la# »Hans« auf. Der Affe war sein Untergang. Er war ein gar
lieber, treuer Freund zu mir. Ein aufrichtiger, liebenswürdiger und
trotz seiner Bärenkraft nur gemütlicher, braver Mensch. Darum das ihm
zugestoßene Unglück um so bedauerlicher. Er gab wie immer (im
Sigmaringischen) eines Abends Vorstellung. Unter den Zuschauern war ein
noch junger Bursche, (ein Schaukelbursche und Sohn von einem Geschäft,
welches auch auf dem Platz aufgebaut hatte, neben dem Rondel der Gebr.
Hose) dieser störte die Vorstellung fortwährend durch laute Rufe, freche
Bemerkungen, man merkte, daß er mit Gewalt die Vorstellung stören
wollte. Da er auf keine Zurechtweisung hörte, wurde er schließlich von
meinem Freund, dem älteren Hose, kurzer Hand an die Luft spediert und
man glaubte, der Fall wäre erledigt. Dem war aber nicht so. Nämlich der
erwähnte Affe war unter anderem auch dazu dressiert, während des
Spielens, inwendig vom Rondel (Rundleinwand) stets im Kreise herum zu
laufen, auf den Hinterfüßen, aufrechtstehend, um zu verhindern, daß
jemand unbefugterweise die Rundleinwand aufhebe und gratis zuschaue. Es
war mehr zur Abschreckung der Dorfjugend und um ein Beschädigen,
Zerschneiden der Leinwand zu verhindern. Diesem Affen, ein ganz und gar
gutmütiges Tier, stach der rohe Kerl von außen durch die Leinwand
hindurch, das Messer in den Leib, so daß er schreiend und röchelnd
verendete. In gerechtem Zorn sprang nun mein Freund hinaus, um den
Übeltäter zu züchtigen oder vielleicht auch nur, ihn festzuhalten. Und
da geschah das abscheuliche, der rohe Patron stieß ihm das noch vom
Blute des Affen rauchende Messer ins Herz, so daß ich nur noch sah, wie
er, wie vom Blitz getroffen, lautlos zu Boden stürzte. Der Bursche
verschwand in der Dunkelheit. Die Vorstellung hatte ein jähes Ende
gefunden. Wohl entging der Täter der irdischen Gerechtigkeit nicht, aber
ein guter, braver Mensch war nicht mehr.

Trotz diesen vielerlei Beschäftigungen kommt der Zigeuner in den
seltensten Fällen auf einen grünen Zweig. In seinem leichten Sinn, wenig
um das »morgen« besorgt, lebt er nur dem »heute!« Sind alle Mittel zu
Ende, so lebt er solange sorgenlos dahin, bis er vom Hunger und Durst
gequält, hauptsächlich im Winter, dem gefürchtetsten Gast des Zigeuners
mehr als einmal bereit ist, den Unterschied zwischen »Mein« und »Dein«
zu verwechseln. Doch auch in solchen mißlichen Lagen, verliert er seinen
Humor nicht und nimmt manches auf die leichte Achsel, was ein anderer
nicht gerade so leicht finden würde. Schon von Jugend auf wird er an
alle Arten Entbehrungen gewöhnt. Sehr oft ist Schmalhans Küchenmeister
und statt einem fetten Stück Schweinefleisch und einem guten Schluck
Branntwein, muß er sich öfters nur mit Wasser und Brod begnügen. Was
andere schon in frühester Jugend nicht mehr entbehren können, lernt er
erst oft in sehr gereiften Alter kennen, so z. B. erzählt einer meiner
»Kako« (Vetter) oft, wie er der »Bibi« (Tante), seiner Frau, erst kurz
vor ihrer Verheiratung die ersten Schuhe kaufte. Als sie die Schuhe beim
Kaufmann anprobierte, so fragte sie, als sie den einen Schuh angezogen
hatte, ganz verzweifelt: »Kamlo Rom (lieber Mann) einen hätte ich an,
jetzt wo gehört der andere hin?«

Das bisher gesagte beweist also zur Genüge, (das nachfolgende wird es
noch weiter beweisen) daß die Zigeuner – nicht allein vom Betteln und
Stehlen leben!

Am meisten muß zur Versorgung und Erhaltung der Familie die _Frau_
beitragen, welche sich durch allerlei gute, sichere Zaubermittel,
Wahrsagen, Kartenschlagen usw. fast immer ein gutes Stück Geld erwirbt.
Daß die Zigeuner viele Heil-, Zauber- und Geheimmittel haben, die stets
sicheren Erfolg haben und bei den Bauern, notabene auch bei den
Städtern, in hohem Ruf stehen, durch die dadurch erzielten oft
wunderbaren Kuren und Erfolge, ist gut bekannt. Weniger bekannt ist
vielleicht, daß die Zigeunerinnen auch sehr gute Tänzerinnen sind,
Sängerinnen, Flechterinnen von allerlei nettem Flechtwerk. Die
hervorragendsten unter ihnen besitzen nicht nur bei der Landbevölkerung,
sondern auch bei ihren eigenen Stammesgenossen einen hohen Ruf und
stehen bei letzteren in sehr hohem Ansehen. Solch eine #»brawi
Dschuwel«# (Ehrenname für Zigeunerinnen), wird den anderen stets als
Beispiel vorgehalten und sind solche auf ihren Ehrennamen stolz und auch
mit Recht. Eine der berühmtesten und angesehensten Wahrsagerinnen, die
im Wahrsagen aus den Linien der Hand sozusagen einzig dastand und einen
Weltruf (?) genoß, war meine Schwiegermutter bei uns deutschen
Zigeunern. Außerdem war sie ein sehr schönes Weib, mit wunderbar kleinen
Füßen und konnte ausgezeichnet tanzen. Sie produzierte sich auch als
Fußspitzen- und Kunsttänzerin, indem sie auf einem Teller tanzte. Selbst
wir, die wir doch so oft das Schauspiel sahen, bewunderten immer wieder,
die auf solch einem Teller ausgeführten schönen Tänze. Infolge einer
körperlichen Entstellung gab sie dies Tanzen kurz nach einem Unfall auf.
Umsomehr steigerte dies Mißgeschick direkt ihren Ruf als Wahrsagerin und
weise Frau, weil sie den Unfall Jahre vorher prophezeit hatte. Dieser
Unfall zeigt zugleich, wie man in gewissen Kreisen die Zigeuner trotz
dem Jahrhundert der Humanität, immer noch als vogelfrei zu betrachten
scheint. Ich will ihn daher etwas ausführlicher schildern.

Es war an der bayerisch-österreichischen Grenze, noch auf dem Gebiet des
»heiligen« Landes Tirol, als im Anfang ihrer Ehe meine Schwiegereltern
in Gesellschaft, in einer Lichtung im Wald das Lager aufgeschlagen
hatten. Die Frauen waren alle zurück aus den Dörfern und waren alle
guter Dinge. Nur meine Schwiegermutter war noch nicht zurück, als man
den aufgestellten Späher das Zeichen »Vorsicht« geben hörte. Gleich
darauf gab er das Zeichen »Gefahr« und sofort auch »Hilfe«! Einige
Männer, darunter mein Schwiegervater sprangen in die Wagen, um sich zu
bewaffnen und dann der vom Späher angedeuteten Richtung zu. Die Frauen
und Kinder brachen alles ab und zerstörten die Feuer, die Pferde wurden
eingeschirrt und im nu war alles zur Flucht, zur Abreise hergerichtet.
Der Späher meldete, daß er Hilferufe gehört habe und zwar habe er
zuletzt deutlich die Stimme der »Madel« (Zigeunername meiner
Schwiegermutter) erkannt. Gleichzeitig ertönten wieder die in unserer
Sprache abgegebenen, gellenden Hilferufe und viel näher. Kein Zweifel,
es war die noch nicht Zurückgekommene und allem Anscheine nach war sie
in großer Gefahr. Alle stürzten in fieberhafter Eile der Richtung nach,
von welcher die Hilferufe kamen. Sehen konnte man in dem tiefen Wald
noch nichts. Da, in nächster Nähe der Straße, war eine etwas größere
Lichtung, wo die Männer das nun folgende, abscheuliche Schauspiel mit
ansehen mußten. Ein Gendarm stand da neben meiner Schwiegermutter, riß
an ihr herum, er wollte sie fesseln. Sie wehrte sich dagegen, da stieß
er sie mit dem Gewehrkolben in ganz unmenschlicher Weise, in Rücken, auf
die Brust, den Leib, so daß sie einigemale zu Boden stürzte; und sie war
in – hochschwangerem Zustand. Ihr Mann sprang rasend vor Zorn und Wut
auf den rohen, wüsten Gendarmen zu, seinem mißhandelten Weibe zu Hilfe
und ihr zurufend. Darauf sprang diese auf und wie ein gehetztes Reh
davon, aber statt ihrem Manne entgegen, in der Richtung der Straße zu.
Da nahm der Gendarm das Gewehr, schoß nach der Fliehenden, und mit einem
markerschütternden Schrei fiel sie am Waldesrand nieder. Entsetzen
ergriff die Männer über solch einer gräßlichen Tat, an einer wehrlosen
schwangeren Frau. Alles glaubte, sie wäre tot. Ihr Mann stumm und weiß
wie der Tod, stand im gleichen Moment vor dem Mörder. Seiner Sinne nicht
mehr mächtig, schoß er dem Gendarm die volle Ladung seiner Pistole ins
Gesicht, so daß ihm das Hirn des Elenden ins eigene Gesicht spritzte. Er
hatte es verdient.[1] Die andern hatten sich um das, wie sie glaubten,
erschossene Weib bemüht, die zwar in Ohnmacht aber nicht tot dalag und
einem Kind das Leben gegeben hatte. Dies Kind ist jetzt – meine Frau.
Die Mutter hatte nur einen Streifschuß erhalten, aber das Auge war
verletzt, so daß es auslief und sie einäugig war, was sie, vorher eine
der schönsten Frauen, sehr entstellte. Der Gendarm wurde absichtlich
liegen gelassen, nichts von seinem Eigentum angerührt, Tag und Nacht
gefahren und die Gegend für immer verlassen. Später hörten wir, daß die
Zigeuner stark im Verdacht waren, aber schließlich bestimmt angenommen
wurde, der Gendarm wäre bei einem Renkontre mit Wilderern getötet
worden. Und weswegen diese Scheußlichkeiten? Der Gendarm beschuldigte
die arme Frau, eine – Katze gestohlen zu haben, es habe jemand zugesehen
und ihm Anzeige gemacht. Das war nicht wahr und wenn es gewesen wäre,
berechtigte dies dann zu so brutalen, rohen Mißhandlungen? Durfte er
zwei Menschenleben vernichten (das dem nicht so war, ist nur ein
glücklicher Zufall gewesen) wegen einer – Katze? Er, der Gendarm
titulierte die unschuldige Frau auch noch mit solch unverschämten,
gemeinen Redensarten, die hier nicht wiederzugeben sind. Auch sagte er,
sie habe die Katze wieder durchgehen lassen, das habe sollen ein Braten
geben usw. Aber wir deutschen Zigeuner essen Katzenfleisch usw. niemals,
selbst in der größten Not nicht. Nach unserem Gesetz streng verboten!
Wer es übertritt, ist #»baledschido«# (unehrlich). Alle Beteiligten sind
schon längst tot, d. h. mit Ausnahme der unbeteiligten Kinder, daher
meine offene und gewissenhafte Schilderung, d. h. wie ich sie oft aus
dem Munde der direkt Beteiligten gehört habe. Die Zigeuner sind weder
Mörder noch Kinderräuber, das wird ihnen zu Unrecht nachgesagt. Ich
selbst und der größte Teil der Zigeuner bedauern tief solche
Ausschreitungen, wie die eben mitgeteilte, aber ich frage: Was hätte ein
anderer Gatte getan, in den gleichen Umständen, angesichts solcher
unmenschlicher Behandlung und einer solchen abscheulichen Tat? Die Tat
des Gatten ist absolut nicht zu billigen, aber schließlich zu begreifen.
Hätte man der Gerechtigkeit ihren Lauf gelassen, so wäre, so gewiß als 2
und 2 vier ist, nicht der Gendarm, wohl aber die Frau zu ihrer
Frühgeburt, zu ihrer Entstellung, zu ihren Mißhandlungen – noch bestraft
worden. Gerechtigkeit damals und insbesondere gegen die Zigeuner! Auch
wäre es eine Feigheit gewesen und Infamie nach unseren Sitten und
Anschauungen, die Frau arretieren zu lassen, vom anderen ganz zu
schweigen. Daß die Sache ein solch schreckliches Ende nehmen würde,
ahnte Niemand, der Feigling von Gendarm wohl am allerwenigsten. –

    [Fußnote 1: nach dem Recht der Naturvölker. D. H.]

Wie ich ja schon an anderer Stelle betonte, muß ich es mir versagen, auf
die _nicht immer ehrlichen »Berufe«_ der Zigeunerinnen, wie Zauberei,
Traumdeuterei, Wahrsagerei, Hexenbannerei und Austreiberei usw., sowohl
bei Menschen wie Vieh, näher einzugehen! Hauptsächlich betrifft das
unser Wahrsagen aus den Linien der Hand. _Ein Verrat hierin würde
augenblicklich schwer bestraft werden. Derjenige würde kein Glück, keine
Rast und Ruh mehr haben. Die Verstorbenen würden es rächen._ Es ist dies
einzig unsere Kunst, mit der die Zigeunerin sicher und unfehlbar, sowohl
die Zukunft als auch Vergangenheit ergründet und das größte Geheimnis
bleibt für jeden Nichtzigeuner![2] #Tschatschopaha!# Auch sollte man
nicht so viel Aufhebens davon machen und immer und immer wieder
losdonnern gegen die »unehrlichen« Gewerbe Hexerei, Betrügerei! Was
schadet es, wenn hin und wieder die Dummheit etwas bestraft wird? Warum
sollen wir Zigeuner gegen die Dummheit kämpfen, wenn es selbst die
Götter nicht vermögen? Aber nützen soll sie uns![3] Man bedenke auch,
daß sie selber abergläubisch sind und an manches selber felsenfest
glauben! Aber auch gutes kann eine Zigeunerin mit ihren oder durch ihre
»lichtscheuen« Gewerbe stiften, selbst Verbrechen verhindern, was das
folgende illustrieren soll.

    [Fußnote 2: So meint der Verfasser.]

    [Fußnote 3: Das ist die Auffassung der Zigeuner. Der Verfasser
    denkt wohl schon etwas anders. Seine eigene Frau vermeidet das
    Wahrsagen als unehrenhaft!]

Kam da eine mir nah verwandte Zigeunerin (es war im Neckartal und noch
gar nicht so lange her) zu einer als abergläubisch bekannten Frau, die
sich ihres Mannes (einem Säufer) entledigen wollte. Eine »weise« Frau
(keine Zigeunerin!! Man sieht, nicht blos Zigeuner verstehen sich auf
»unehrliche« Geschäfte!) hatte ihr ein Mittel hierzu angeraten, _ein
gutes, tatsächlich sicher wirkendes_. Die Frau war im Begriff dasselbe
anzuwenden bezw. machte Anstalt hierzu. Nämlich sie mußte in den drei
höchsten Namen, mit der linken Hand, Holz und Stroh unter das Bett ihres
Mannes häufen und dies, wenn der Mann schlief – anzünden, auch in den
drei höchsten Namen, aber alles unbesprochen d. h. von anderen nicht
dabei angeredet werden, sonst hatte die Zauberei _keine_ Wirkung,
andernfalls aber wirkte es sicher und zwar so, daß Niemand, außer der
Eingeweihten, _das Feuer brennen sah_! Auch mußte man es am Freitag tun.
Die Frau wurde _durch_ das Dazwischenkommen meiner Verwandten
_verhindert_, das Verbrechen _auszuführen_. Sie überredete die Frau, daß
sie ihr ein ganz anderes, leichtes und gutes Mittel zu diesem Zweck
wisse und die Frau vertraute ihr ganz und gar. Natürlich fiel es meiner
Verwandten nicht ein, den Mann beseitigen zu helfen. Ihr genügte, einen
»sicheren Verdienst« auf lange Zeit hinaus gefunden, die Frau an einem
schweren Verbrechen, den Mann vor einem schrecklichen Tod, bewahrt zu
haben. Das genügte ihr! Aber man sieht, es gibt in Bezug auf Moral noch
Tieferstehende, als wir Zigeuner; denn Mord wird uns wohl zwar
nachgesagt, aber mit Unrecht. Nur in einem Fall erinnere ich mich, wo
eine Zigeunerin zur Kindesmörderin wurde. Diese war dann auch ihr Leben
lang #»baledschido«# (ausgestoßen von aller Gemeinschaft, geächtet).
Ebensowenig sind sie Kinderräuber (wenn auch früher vielleicht mal in
einzelnen Fällen), denn sie haben selbst genug, brauchen also absolut
keine zu stehlen. Daß sie Menschenfleisch äßen, ist eine haarsträubende
Lüge. Ebensowenig essen wir deutschen Zigeuner Pferde-, Hundefleisch
oder gar Aas, wie z. B. die ungarischen Zigeuner, die schon vergrabenes
wieder ausgraben und verzehren, (verendete Schweine usw.). (?) Wir
würden unser Gesetz schwer verletzen und müßten es schwer büßen. Die
Lieblings- oder Nationalspeise ist Igelfleisch. Bei Tage werden sie ohne
oder auch mit den dazu abgerichteten Hunden gesucht. Bei Nacht selten
und dann nur mit Hunden. Igelfleisch wird jedem anderen Fleisch
vorgezogen.

_Moralische Empfindungen_ spricht man gewöhnlich den Zigeunern ab, aber
sehr mit Unrecht. Mit gleichem Unrecht behauptet man, daß sie auf einer
noch sehr primitiven Kulturstufe stehen. Gerade an ihren _Familien-_ und
_Stammesverhältnissen_, an ihren Sitten und Gebräuchen sieht man das
Gegenteil am besten. Früher als die Zigeuner noch in großen Haufen
(Genossenschaften), d. h. alle Stämme eines _einzelnen_ Landes,
Norddeutsche, Süddeutsche bildeten ein _ganzes_ für sich, (laut den noch
existierenden mündlichen Zigeuner-Überlieferungen) reisten, hatten sie
ihre regelrecht gewählten Anführer (Häuptlinge, Hauptleute). Die Ungarn
haben heute noch ihre Ober- und Unteranführer (Wojwode, Saibidjo). Heute
ist es in dieser Beziehung bei uns wesentlich anders geworden. Schon
längst wurde es nicht mehr geduldet, in größeren zusammenhängenden
Gesellschaften zu reisen, in den letzten Jahren wurden wir sogar
gezwungen, nur noch familienweise in 1 bis 2 Wagen zu reisen, uns in
kleine Trupps aufzulösen. Wir deutschen Zigeuner haben daher nur einen
Hauptmann[4], welcher gewählt wird. Hauptmann wird nur einer, der sich
die Achtung und Neigung der anderen zu erwerben versteht. Auch muß er
nach zigeunerischen Begriffen etwas wohlhabend sein. Er muß ein
bewährter und unerschrockener Mann sein. Wenn er alt, krank oder
gebrechlich geworden, wird ein anderer gewählt, doch gilt auch hier
»keine Regel ohne Ausnahme«, gewöhnlich aus der Familie oder
allernächsten Verwandtschaft des bisherigen Hauptmanns. Dieser spricht
Recht in allen Streitigkeiten der Zigeuner untereinander; hauptsächlich
aber wenn jemand #»baledschido«# ist, d. h. wenn jemand sich gegen das
Gesetz vergangen hat. Zu diesem Zweck ist alle Jahr ein #»Zilo«#
(Versammlung), gewöhnlich im Herbst und zwar im Elsaß. Diese
Zusammenkünfte sind geheim. Fremde werden in keinem Fall zugelassen. Da
werden diese Sachen alle ausgemacht und vom Hauptmann Recht gesprochen.
Je nach dem Vergehen auf ein paar Jahre #»baledschido«# gesprochen oder
ganz ausgestoßen. Andere wieder »ehrlich« gemacht oder auf weitere Jahre
#»baledschido«# gesprochen. Nur inbezug auf die Blutrache stehen dem
Hauptmann irgendwelche schlichtende Rechte nicht zu. Nach solch einem
#»Zilo«# geht es immer lustig zu. Diejenigen, welche wieder ehrlich,
also nicht mehr #»baledschido«# sind und deren Angehörigen, bezahlen,
d. h. halten die andern frei, aus Freude darüber, wieder in die
Gemeinschaft aufgenommen, wieder einer der ihren zu sein. Wein, Bier,
Branntwein, alles fließt in Strömen. Es wird gesungen, getanzt,
geschmaust, gespielt, kurz es geht recht lustig und turbulent zu. Die
Schattenseite ist aber dann die, daß gewöhnlich der Schluß einer solchen
großen Zusammenkunft – eine regelrechte Schlägerei ist, ja oft werden
wahre Schlachten geschlagen.

    [Fußnote 4: Der Verfasser kennt nur den Hauptmann der
    süddeutschen Zigeuner. Dieser ist aber nicht der einzige in
    Deutschland.]

Denn zu einem solchen #»Zilo«# kommen manche, die nur ihren Feind
suchen, der das »_Totenhemd_« an hat, d. h. die _eine Blutrache_ oder
sonst etwas miteinander auszufechten haben. Es wird #»gepraßt«# d. h.
man beschimpft sich gegenseitig, dann kommt es zum Handgemenge und es
wird geschlagen, gestochen und geschossen. Ohne Blutvergießen oder oft
auch Totschlag geht es meistens nicht ab. Angezeigt wird nichts.
_Niemals_ verrät ein Zigeuner den anderen den Behörden. Alles wird
wieder selbst ausgemacht. Wer etwas anzeigen oder eine Angabe machen
würde, wonach der oder die Täter von der Behörde ermittelt würden, hätte
#»gepukt«#, er wäre ein #»Pukerer«# und sein Tod gewiß. Wird aber der
Täter so erwischt und verurteilt von der Behörde, so gilt diese Strafe
nichts, d. h., wenn er die Strafe verbüßt hat, so ist er dennoch der
Blutrache verfallen. Kommt es aber zu einer Versöhnung der Gegner (am
meisten imponiert Mut und Unerschrockenheit), so ist die Aussöhnung
dauernd. Zum Zeichen der Versöhnung nimmt derjenige, der Rache
geschworen hat, zwei Gläser (Bier-, Wein- oder Branntweingläser),
schenkt selbst von dem betreffenden Getränk ein, nimmt dann aber das
Glas vom anderen Teil, (der Gegner dann umgekehrt), stößt an, d. h.
trinkt ihm zu und beide leeren das Glas auf einmal. Jeder nimmt dann
wieder sein eigenes Glas an sich; die Gegner sind versöhnt, jede Rache
ist vergessen und alles ist vergeben. Hier nur ein Beispiel aus der
Wirklichkeit: Bei einer zufälligen Zusammenkunft (größeren) bei Hagenau,
einer meiner Schwäger mit einem anderen Zigeuner, der meinem Schwager
Rache geschworen, (von ihm aus das »Totenhemd« anhatte) kam es am Abend
in der Wirtschaft durch das unerschrockene Auftreten meines Schwagers
zur Versöhnung der beiden Gegner. (Zeremonie wie vorgehend beschrieben.
Bei Bier oder Wein wird dazu ein kleines Glas bezw. ¼-Literglas oder
größeres Glas, nur wenig darin, genommen.) Wie es der Zufall wollte, kam
kurz nach der Versöhnung ein anderer Gegner resp. zwei, Vater und Sohn,
an. Der Zigeuner, welcher meinem Schwager Rache geschworen, sich aber
mit ihm versöhnt hatte, hatte den beiden spät angekommenen Zigeunern
ebenfalls Blutrache geschworen. Beide hatten also von ihm aus das
»Totenhemd« an. Es war bereits sehr spät in der Nacht, als es wirklich
zum Zusammenstoß kam. Das Ende war furchtbar. Der frühere Gegner von
meinem Schwager forderte die beiden zuletzt angekommenen Zigeuner heraus,
#»praßte«# und schoß den Sohn auf der Stelle tot und zwar am Ende des
Hausausganges (Treppe) der Wirtschaft. Der Vater des Getöteten wollte
seinem Sohn zu Hilfe eilen, wurde aber von dem sich wie wild gebärdenden
Täter ebenfalls zweimal angeschossen. Eine Kugel bekam er in den
Oberschenkel, die andere ging durch Kinn und Hals und kam am Kopf wieder
heraus. Er flüchtete, mußte aber im Spital aufgenommen werden, wo er
innerhalb 8 Tagen ebenfalls seinen Verletzungen erlag. Mein Schwager
stand unmittelbar neben dem getöteten Zigeuner, als der Täter mit wild
rollenden Augen nach dem anderen Zigeuner suchte. Wäre es nur eine halbe
Stunde früher zum Kampf gekommen, so wäre mein Schwager oder sein Gegner
sicher ebenfalls getötet worden. So aber fand Versöhnung statt und kein
Haar durfte ihm gekrümmt werden. Die Sitten sind in dieser Beziehung
streng. Da kein Zigeuner den anderen anzeigt, so erwischte man den Täter
auch nicht. Er hat jetzt wieder das »Totenhemd« an von den verwandten
Leuten der Erschossenen. Zur näheren Erklärung der Blutrache nur ein
Beispiel: Vor etwa 8 Jahren hatte der Zigeuner B. Eckstein dem Zigeuner
S. Guttenberger, als letzterer eine Gefängnisstrafe verbüßte, dessen
Geliebte bezw. nach unseren Begriffen seine Braut – ihm abwendig
gemacht. Nach unseren Sitten durfte bezw. mußte er sich rächen, wenn er
kein Feigling sein wollte. Der Verführer wußte aber auch gut, daß er das
»Totenhemd« anhatte, von dem hintergangenen Liebhaber bezw. zukünftigen
Gatten aus.

Als Guttenberger frei war, suchte er den Eckstein auf, der daran war,
die Ehe nach unseren Anschauungen mit dem fraglichen Frauenzimmer
einzugehen. Er traf ihn in einer Wirtschaft. Dieser, überrascht durch
den unerwarteten Besuch, sich aber der Situation voll bewußt, erhob
sich, um hinaus zum Wagen zu gehen, jedenfalls, um sich zu bewaffnen.
Guttenberger zog aber sofort eine Doppelpistole und schoß nach ihm. Der
erste Schuß ging fehl und fuhr die Kugel oben in die Stubentüre. Die
zweite traf ihn in den Kopf und furchtbar entstellt brach er tot
zusammen. Durch die anwesenden Bauern wurde der Täter an einer Flucht
verhindert. Er bekam vier Jahre Gefängnis. Jetzt ist er längst frei,
aber eines schönen Tages fällt auch er als Opfer der Blutrache. Die vier
Jahre Gefängnis haben gar keinen Einfluß oder Bezug auf diese. Dem
Frauenzimmer geschieht nichts. Eine Verbindung aber mit dem betrogenen
Rächer ist für immer ausgeschlossen. Er würde dadurch #baledschido#
werden, nicht aber sie.

Außerdem ist bezw. wird #»baledschido«# (leichtere Vergehen), wer
Hundefleisch, Pferde- und Katzenfleisch ißt, ja wer nur aus einem Hafen,
Schüssel usw. ißt, wo solches nur darin war bezw. darin gekocht wurde,
ebenso wer aus einem Gefäß ißt oder trinkt, welches von einer Zigeunerin
mit dem Rock berührt, gestreift, über das sie etwa hinweggestiegen ist.
Solche Gegenstände müssen, wenn auch noch so nagelneu, sofort vernichtet
werden, natürlich auch das darin gekochte. #Praßen# (Beschimpfen) auf
seine Tote, auf des #Praßenden# Frau – ohne Abwehr macht #baledschido#.
#Baledschido# wird, wer während der Periode zu seiner Frau liegt und
überhaupt solche Vergehen gegen die Schamhaftigkeit in und außer der
Ehe, z. B. Besuch von Prostituierten, Onanie usw. treibt. Schwere
Vergehen, wofür oft für immer aus der Gemeinschaft ausgeschlossen,
geächtet und verachtet wird, sind Sittlichkeitsvergehen, widernatürliche
Unzucht, Kindesmord usw. Die Strafe des #baledschido# besteht darin, daß
ein solcher auf bestimmte Zeit oder zeitlebens von aller Gemeinschaft,
Verkehr usw. der übrigen Zigeuner ausgeschlossen, verstoßen, geächtet
ist. (Noch bei den Ausländern, bei den deutschen nicht mehr). Auch nicht
mit ihnen zusammen reisen. Solche müssen allein reisen. (Nur
ausländische Zigeuner, bei den deutschen Zigeunern nicht, hier
Zusammenreisen erlaubt). Auch darf man nicht mit solch einem aus einem
d. h. dem »geächteten« seinem Glas etwa trinken. Anstoßen,
»Gesundheittrinken«, »Prosit« und an einen Tisch setzen, ist erlaubt.
Nicht erlaubt wieder – aus einer Tasse, Teller usw. eines #baledschido#
zu essen oder seine Löffel, Gabel, Messer usw. zu gebrauchen. Wer etwas
derartiges tut, wird eben dann auch #baledschido#. Diese Strafe ist in
jeder Beziehung für den Zigeuner schrecklich. Abgesehen davon, daß er
von allen gemieden wird, wird er von den Behörden als Einzelner überall
angehalten und hat seine liebe Not und Scherereien. Wie sehr auch der
Zigeuner das freie, ziellose Herumreisen liebt, ebenso liebt er die
Geselligkeit mit seinesgleichen. Allein von Ort zu Ort wandern zu
müssen, vom Heimweh und Verlassenheit verfolgt, ist für ihn, bei seinem
geselligen Wesen, die denkbar größte moralische Strafe.

Wie schon gesagt, leitet und bestimmt bei den ausländischen Zigeunern
die _Züge_ der Wojwode und die Saibidjo, d. h. es wird gewöhnlich im
Winter, wenn alles die Winterquartiere bezogen hat, eine Versammlung
abgehalten.

    [Illustration: Zigeunerfamilie #Winter# in Allmendingen.]

Da wird nun über alle den Stamm interessierenden Angelegenheiten
beschlossen und beraten, über die Wanderungen im nächsten Sommer, die
Züge, und jedem sein Gebiet zugeteilt. Bei den deutschen Zigeunern ist
das anders; hier kann nur beiläufig in der Versammlung beschlossen
werden, welche Reiseroute die einzelnen Familien bezw. kleineren
Gesellschaften einzuschlagen haben, weil ja in Deutschland größere
Trupps nicht mehr miteinander reisen dürfen. Jede derartige kleinere
Gesellschaft ist für sich und der älteste der Männer ist der Führer, das
Haupt der Truppe, er bestimmt und regelt alles. Unbedingt werden seine
Anordnungen genau befolgt. Auch bezogen bisher die deutschen Zigeuner
mit geringen Ausnahmen selten Winterquartiere. Nur über Weihnachten,
Neujahr, blieben sie in einem Ort usw., sonst reisen sie das ganze Jahr.
Jetzt ist es auch in dieser Beziehung anders geworden. Wegen den
schulpflichtigen Kindern und der Beschaffung der Reisepapiere müssen sie
nun auch ein wenig wohnen und zwar kommen sie dann beim Eintritt des
Winters zu größeren Trupps in gewissen Gegenden zusammen, wo sie sich
einmieten und um jeden Argwohn zu unterdrücken, die Miete für Monate, ja
¼ Jahr vorausbezahlen. Einige haben schon sogar Häuser gekauft, z. B. in
Bayern. Solche Winterquartiere befinden sich bei uns in einem Dorf bei
Karlsruhe, bei Stuttgart und hauptsächlich im Elsaß. Ist dann der
Winter, der gefürchtetste Gast der Zigeuner, mit seiner Not und seinem
Elend vorüber, d. h. schaut nur die liebe Sonne aus den Wolken heraus im
beginnenden Frühjahr, so ist kein Halten und Bleiben mehr. In
scheinbarer Unordnung gehen die einen da, die andern dort hinaus, und
doch ist alles so annähernd geregelt und schlägt jede Abteilung seine
ihm vorläufig bestimmte Reiseroute ein. Von der Ordnung wird aber bald
nichts mehr zu sehen sein, denn verschiedenes trägt dazu bei, sie
aufzulösen, Kollusion mit der Behörde u. dgl. Da treten dann die
Wanderzeichen in Aktion, durch die sie sich verständigen, raten und
warnen, Mitteilungen machen, Zusammenkünfte und irgend ein Vorhaben
signalisieren. Diese Wanderzeichen, Signale usw. finden sich weit mehr
bei den ausländischen Zigeunern als bei den deutschen. Nur sozusagen im
inneren Leben bedienen sich die deutschen Zigeuner einiger weniger
Zeichen, so z. B. beim Aufstellen von Posten, Gebärdenzeichen,
Warnungszeichen beim Erscheinen von verdächtigen Personen oder
Amtspersonen, Gendarmen usw., wenn man sonst nicht mehr anders warnen
kann. Früher waren auch weitere Zeichen im Gebrauch. Beim Fahren, um den
Nachkommenden den Weg, die eingeschlagene Richtung zu zeigen, werden
aber auch heute noch manche angewendet. Bemerkenswert ist noch der
eigenartige _nur_ von ihnen gebrauchte und bekannte Zigeunerpfiff, nach
Art des heimatlichen Bubenpfiffs, aber durchaus nicht mit diesem zu
vergleichen. Ertönt der Pfiff, wo es auch sei und zu jeder Zeit, so weiß
jeder, daß einer der ihren in der Nähe ist, ohne ihn zu sehen oder sonst
ein Zeichen zu erhalten.

Der _Gebräuche im Wohnwagen_ sind viele, von denen nur einige hier
angeführt werden können. Eine Geburt im Wohnwagen darf nicht erfolgen,
d. h. in keinem von ihren Wagen darf geboren werden. Ausgenommen eine
Fehlgeburt, welche nicht als Geburt, sondern nur als eine Krankheit
angesehen wird. Findet dennoch einmal eine Geburt im Wagen statt, so muß
derselbe verkauft werden. Er darf von keinem Zigeuner mehr benützt
werden. Ebenso dürfen alle darin befindlichen Gegenstände (ausgenommen
die Kleidungsstücke) wie z. B. Koch- und Eßgeschirr, auch Löffel, Gabeln
usw., Trink-, Eß- und sonstige Lebensmittel nicht mehr benützt werden.
Das Bett, worin die Geburt vor sich ging, muß verkauft oder vernichtet
werden. Wer irgend eine der angeführten Sachen dennoch wieder gebraucht,
wird #baledschido# und zwar zählt solches zu den _leichteren_ Vergehen.
Dennoch wird diese Sitte streng durchgeführt. Gewöhnlich erfolgt eine
Geburt unter dem Wagen, in einem Schuppen, Scheune oder dergl. Oder auch
ganz im Freien, im Wald, hinter einem Gebüsch usw., auf einem primitiven
Lager. Großer Vorbereitungen bedarf es hierzu nicht. Alte Kleider, ein
Teppich genügen zum Lager, selten wird ein Bett benützt. Im Winter z. B.
wird auch hie und da ein Zimmer gemietet auf ein paar Tage. Treten aber
Umstände ein, wo doch im Wagen geboren wurde, so werden dann alle
Gebrauchsgegenstände usw., um wenigstens diese zu retten, aus dem Wagen
entfernt und wenn es eilt, nur noch hinausgeworfen. Alles was heraus ist
aus dem Wagen, darf nachher wieder gebraucht werden. Nach der Geburt
darf der Wagen dann gleich benützt werden, d. h. Mutter und Kind werden
jetzt in denselben aufgenommen. Nach 2 Tagen, höchstens 3 hat sich eine
Zigeunerin erholt und geht wieder ihren gewöhnlichen Beschäftigungen
nach! Von der Geburt bis zur Taufe darf von den männlichen Zigeunern,
auch der Vater nicht, im Wagen wo die Kindbetterin ist, etwas gegessen
oder getrunken werden. Nur was außerhalb des Wagens gekocht wird! Auch
darf man das Kind nicht berühren, z. B. auf den Arm nehmen oder küssen.
Für weibliche Zigeuner ist vorstehendes aber alles gestattet. Getauft
wird so schnell wie möglich und soll es schon öfters vorgekommen sein,
um recht viele Patengeschenke zu erhalten (gewöhnlich werden zu dieser
»Ehrenstelle« reiche Dorfbewohner angehalten, welche die Bitte selten,
schon wegen dem Pfarrer nicht, abschlagen), daß ein und dasselbe Kind
zweimal getauft wurde.

Im Wohnwagen darf weibliche Wäsche, Hemden, Unterkleider nicht
aufgehängt werden, z. B. auch nicht zum Trocknen. Würde ein männlicher
Zigeuner an solch einen Gegenstand stoßen, ihn mit dem Kopf berühren, so
wäre er unbedingt infam, d. h. #baledschido# (unehrlich). Auch dürfen
keinerlei Eßwaren, welche mit solch einem weiblichen Bekleidungsstück in
Berührung gekommen sind, vielleicht durch Einwickeln oder Darauflegen,
gegessen werden. Ausgenommen solche, welche nicht direkt in eine solche
Berührung gekommen sind, entweder in einem Gefäß oder wenn es gut
eingewickelt war, z. B. Getränke in einer Flasche oder Glas. Bei
Wäschestücken von männlichen Zigeunern ist solches aber nicht der Fall.

Zwei Liebende dürfen vor ihrer Verbindung nicht öffentlich, d. h. daß es
die Eltern oder Verwandten wissen, im Wagen beieinander sein. Sie müssen
beide miteinander vorher #»naschen«#, ehe sie als verbunden miteinander
betrachtet werden. #Naschen# = fortgehen, fliehen, bedeutet in diesem
Fall, daß beide mindestens einen Tag und Nacht von der eigenen Sippe
fortgehen (auf eigene Faust) müssen, wenn auch nur in das nächste Dorf
oder auch nur eine Stunde weit entfernt. Gewöhnlich bleiben beide aber
länger fort und hauptsächlich diejenigen, denen die Eltern die
Einwilligung zur Heirat verweigern. Kommen sie dann zurück, so müssen
die Eltern wohl oder übel die Verbindung zulassen, so verlangt es die
Sitte. Außerdem ist es strenge Sitte, daß das zurückkommende Paar
sogleich zu den Eltern, – d. h. in erster Linie vor den Vater, wenn
Vater nicht anwesend z. B. tot oder wegen irgend etwas _lange_ Zeit
(Gefängnis vielleicht) abwesend, zur Mutter; falls diese auch nicht da,
dann zu den Geschwistern, wenn vorhanden, wenn solche auch nicht, dann
kommen erst die nächsten Verwandten – treten muß, und zwar der Mann vor
die des Mädchens und umgekehrt, mit den Worten: »(Name des Vaters) #du
honte da verzeiheres# (#verzeiheres# ist eines der vielen
Zigeuner-Faulwörter! Richtig zigeunerisch muß es heißen: ... #du honte
da – prosserrehes – mange wel# usw.) #mange wel da lejam tiri Tschai!«#)
(»Verzeihe mir, weil ich Deine Tochter genommen habe!«) Dann erhalten
sie zum Schluß einen Backenstreich, je nach Lage der Sache stark oder
leicht und die Verbindung ist fertig, die Ehe geschlossen und wird
ebenso heilig gehalten, als wenn irgend ein Priester seinen Segen dazu
gegeben hätte.

Bei einem Todesfall, d. h. stirbt eine erwachsene Person im Wohnwagen,
(nur bei Erwachsenen, bei kleineren Kindern nicht) so müssen nicht nur
alle die Gegenstände wie bei einer Geburt entäußert oder vernichtet
werden, sondern hier in diesem Fall auch noch alle Wäsche- und
Kleidungsstücke, mit Ausnahme derjenigen, die man gerade an hatte und
der Musikinstrumente, Geld und eventuell vorhandene Bilder
(Photographien). Was man aber noch vor Eintritt des Todes aus dem Wagen
entfernen kann, darf weiter benützt werden. Alles übrige darf nicht mehr
gebraucht werden, auch wenn es noch nagelneu wäre und die betreffenden
Leute in große Not dadurch kommen. Ja, wohlhabendere Zigeuner verkaufen
solche Sachen überhaupt nicht, sondern verbrennen einfach alles, Wagen
usw. Ärmere verkaufen es und zwar gewöhnlich an anderes »herumziehendes«
Volk, aber ja an keine Zigeuner, und wenn es auch ganz unbekannte wären.
Wer diese streng eingehaltene Sitte nicht befolgt, wird #baledschido#.
(_Schweres_ Vergehen!) Und zwar wird diese Sitte so genau und streng
befolgt wegen der abergläubischen Furcht der Zigeuner vor ihren Toten.
Sie glauben eben, daß die Geister der Verstorbenen, in dem von ihnen zur
Zeit ihres Lebens bewohnten Wagen, umgehen müssen und so lange keine
Ruhe finden, bis er vernichtet oder vom Stamm entfernt ist. Deshalb
würden sie, wenn solch ein Wagen von den Angehörigen weiter benützt
werden würde, allnächtlich kommen und diese quälen und Unglück über sie
bringen. Hier liegt auch der Grund, warum die Zigeuner keines ihrer
Geheimnisse z. B. Wahrsagen, Wanderzeichen oder anderes verraten, da sie
meinen, diese von den Verstorbenen gelernt zu haben. Selbst solche
Zigeuner, die #baledschido#, von aller Gemeinschaft ausgeschlossen sind,
verraten dergleichen an Nichtzigeuner niemals.

Auch sonst ist das Leben im Wohnwagen, z. B. die Beziehungen der beiden
Geschlechter zueinander, durch Sitte und Gesetz streng geregelt. Auch in
Bezug der Reinlichkeit stechen die deutschen Zigeuner von denen der
anderen Länder[5] vorteilhaft ab. Es ist absolut falsch, wenn man
glaubt, es gehe da in sittlicher Beziehung sehr frei zu. Im Gegenteil:
die deutschen Zigeuner sind sehr schamhaft, obwohl gegen sinnliche Reize
gerade nicht ganz unempfindlich. Aber unsittlich geht es im Wohnwagen
niemals zu. Selbst bei den größten Stammesfesten nicht, obwohl es da
sehr lustig und heiter zugeht, wenn die Geigen jubeln und die
Zigeunermusik über Wald und Flur dahinrauscht.

    [Fußnote 5: Kennt _Wittich_ diese? D. H.]

    [Illustration: Bildnis der Stieftochter des Verfassers.]

Böse und gute Menschen gibt es überall, bei jedem Volk, aber man malt
die Zigeuner wirklich zu schwarz, wenn man sie ohne weiteres als Räuber
und Diebe, jeder moralischen Gesinnung bar, auf eine Stufe mit den
verkommensten, untersten Schichten unserer übrigen Bevölkerung stellt.
Betteln, Landstreichen, wenn man ihre unbezwingbare, angeborene
Wanderlust so nennen mag, gelegentlicher Diebstahl und kleinere
Betrügereien mag man ihnen schließlich mit Recht nachsagen. Aber es ist
ein großes Unrecht, wenn man, wie es bis jetzt immer geschieht, die
Zigeuner einfach für gemeinfährliche, schlimme Menschen zu halten und zu
verdammen beliebt! Bei genauer Beschäftigung mit ihnen würde man bald
das den Zigeunern in dieser Beziehung zugefügte Unrecht einsehen. Wenn
man bedenkt, daß sie von jeher schon als vogelfrei betrachtet wurden,
wie grausam und unmenschlich sie behandelt und verfolgt wurden, wie sie
heute noch gehetzt und gequält werden, so sollte man sich eigentlich nur
darüber wundern, daß sie nicht noch schlechter sind, als sie in
Wirklichkeit sind. Ist es ein Wunder bei einer so üblen Behandlung, wenn
sie in jedem Weißen nur einen Feind und Unterdrücker ihres Volkes
vermuten und sich deswegen gegen jedermann zurückhaltend und
verschlossen benehmen! Die Zigeuner, dieses echt romantische,
weltverlassene Volk, sind viel, viel besser als ihr Ruf und nur
gutmütige, liebe, versöhnliche Menschen, gewandt und gescheit, sodaß man
sie bei näherem Kennenlernen bald lieben lernt und ihnen zugetan wird.

Merkwürdig ist es, daß die deutschen Zigeuner, so sehr sie auch
verächtlich und demütigend von allem Volk behandelt werden, doch auf die
Landbevölkerung gleichsam herunter sehen und den Beleidigungen und
Beschimpfungen keinen Wert beilegen; d. h. von dem ungebildeten Volk
können sie nicht beleidigt werden und reagieren auch nicht darauf. Sie
haben vor den »Gadsche« (Bauern) überhaupt keine Achtung oder Respekt.
Dagegen aber imponiert ihnen die gebildete Klasse. (#Raien#, #Raile
Gadsche#). Hauptsächlich die Behörden! Lesen, schreiben oder Ausübung
einer Kunst imponiert ihnen gewaltig! Anders liegt die Sache bei
ungerechter Behandlung oder Mißhandlung, oder Beleidigungen unter ihnen
selbst! Aber ich muß nochmals erwähnen, daß bei keiner strafbaren
Handlung, mag sie heißen wie sie will, ein Zigeuner den andern dem
Gericht verrät oder anzeigt. Ausnahmen sind äußerst selten. Selbst
Todfeinde denunzieren oder zeigen nichts an, weil sie eben ihr eigenes
Gesetz und Strafen haben, das überall und immer streng ausgeübt wird
untereinander. Strafen, welche Zigeuner verbüßen oder verbüßt haben,
z. B. wegen Bettel, Betrug, Diebstahl usw., gelten nicht als entehrend,
sondern solche Strafen werden als eine Art Ehrenstrafen betrachtet. Am
angesehensten und geachtetsten bei den Zigeunern sind solche Zigeuner,
welche gut betteln, stehlen, wahrsagen usw. können. Solche werden den
andern Zigeunern immer als »gute« Beispiele angeführt. Solchen werden
Ehrennamen (#brawi Dschuwel#, #brawo Sinto#) beigelegt.

Welcher _Religion_ gehören die Zigeuner an? Eine schwierige Frage! Vor
lauter Sprachforschung, scheint es mir, hat man die Religionsforschung
(wenn ich mich so ausdrücken darf) vergessen![6] Haben sie eine eigene
Religion? Dies zu beantworten, wird, fürchte ich, noch schwieriger sein,
als ihre Herkunft zu ermitteln. Es heißt, kein Gebrauch, kein Symbol,
kein Kultus weise darauf hin, daß die Zigeuner eine Religion haben bezw.
einmal eine besessen hätten. Man weiß nicht mehr, als daß die Zigeuner
in christlichen Ländern römisch- oder griechisch-katholische Christen
wären usw. Hat Jemand dies zu ergründen schon jemals ernstlich den
Versuch gemacht? Und wenn sie wirklich keine Religion haben, müßte man
ihnen da nicht solche bringen? Wer den Heiland nicht kennt, von der
christlichen Lehre nichts weiß, der ist ein Heide, also sind die
Zigeuner Heiden! Übrigens auch in einigen Gegenden so geheißen. Es gibt
ja noch viele Heiden in den großen, fremden Ländern und Erdteilen, und
doch die Christenheit sendet hier Diener Gottes hin, getreu dem Gebot
des Heilandes folgend; aber um die armen Zigeuner kümmert sich niemand,
obwohl sie der ganzen christlichen Welt sozusagen unter den Augen
herumlaufen! »Die Zigeuner sind für Religion nicht zu haben«. Das ist
eine häufige Behauptung und damit soll alles abgetan sein? Fühlt man
weiter keine Verantwortung, weder in christlichen noch in kirchlichen
Kreisen?

    [Fußnote 6: d. h. die Sprachforscher interessieren sich für die
    Zigeuner viel mehr, als im allgemeinen die Diener Christi. D. H.]

Weist wirklich nichts auf eine Religion der Zigeuner hin? – Warum sagt
der Zigeuner niemals »der« Gott, sondern immer »mein« Gott? (#Miro baro
Dewel# – mein großer Gott!) Will er damit nicht andeuten, daß er auch
einen Gott habe, den er als seinen Gott von dem der anderen Menschen
unterscheidet, oder ist es nur eine zufällige Sprachgewohnheit? Beweist
es nicht wenigstens, daß die Zigeuner auch an ein höchstes Wesen
glauben! Und ebenso glaubt er an ein Fortleben der Verstorbenen nach dem
Tode.

Je nachdem bringen sie ihm Glück oder Unglück. Um letzteres zu
vermeiden, hält er die Gebräuche in Bezug auf seine Toten streng ein.
Die Verehrung der Toten ist so groß, daß nur die dringendsten Fälle ihn
bewegen könnten, auch nur den Namen der Verstorbenen auszusprechen. Ein
Schwur auf oder bei den Toten wird ebenso unverbrüchlich und heilig
gehalten, als wie der bei der Hand seines Vaters (#dadeskero vast#). Ein
#praßen# (fluchen) auf seine Toten (Beschimpfung der Abgeschiedenen)
kann nur durch Blut gesühnt werden. Das Grab eines teuern Verstorbenen
wird, wenn es nur irgend möglich ist, nach einem Jahre wieder besucht.
An dem Grabe eines Stammesgenossen geht kein Zigeuner vorüber ohne
einige Tropfen Wein, Bier oder Branntwein daraufzugießen. In der
Neujahrsnacht wird nach den Lebenden, den Toten »ein gutes Neujahr«
gewünscht; in der Sylvesterstunde werden bei feierlicher Stille einige
Tropfen Wein, Bier usw. auf den Boden geschüttet mit den Worten: »Für
die Toten!«

Aber sind die Zigeuner für Religion zu haben? Allerdings mit Hilfe von
brennenden Scheiterhaufen und Galgen, wie man es früher beliebte, oder
durch Wegnehmen der Kinder, kann man sie zu keiner Religion und Moral
zwingen. Das Resultat wird immer ein negatives sein. Und wenn die
Behandlung nicht besser wird, wenn dies arme, unglückliche Volk weiter
so ungerecht verfolgt und verachtet wird von der übrigen Menschheit, so
wird es sehr, sehr schwer sein, in ihnen Liebe und Achtung vor der
Religion zu erwecken, die eben diese Menschen ihnen bringen wollen,
welche ihre Worte so wenig durch ihre Taten bestätigen. Aber eins ist
gewiß: diese Ärmsten unter den Armen würden ihre Ohren und Herzen öffnen
– der Religion der Liebe! Das ist in der Tat schon bewiesen. Es gibt
bei uns Zigeuner, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, doch zu
Gott beten, von Zeit zu Zeit auf offenem, freiem Felde eben diesem Gott
ihre Sünden laut bekennen, beichten, bereuen und nichts Sündhaftes mehr
zu tun geloben, feierlich diesen Tag dann heiligen durch die größte
Enthaltsamkeit und fromm werden wollen, wenn man es so sagen kann.

Ich könnte einige solcher Zigeuner namentlich anführen. Einer dieser
Zigeuner ist mir noch ganz besonders im Gedächtnis, dieser gelobte als
junger Bursche, alle Jahre vom Karfreitag ab, 6 Wochen lang kein Fleisch
zu essen. Das will bei einem Zigeuner was heißen! Er ist seinem Gelöbnis
treu geblieben bis zu seinem Tode vor nun 2 Jahren, trotz aller Art
Versuchungen. In dieser Zeit sind die Igel (bekanntlich die Lieblings-
und Nationalspeise der Zigeuner) am »fettesten«, daher am besten, nach
dem Zigeunergeschmack. Da wurde er von Genossen damit geneckt, indem sie
ihm einstmals mit einem fetten, delikaten und appetitlichen Hinterfuß
(Hinterschinken) von einem Igel (die größte Delikatesse für einen
Zigeuner) reizten und neckten und ihn absolut zum brechen seines
Gelübdes verführen wollten. Aber trotz dieser für einen Zigeuner fast
»übermenschlichen« Versuchung, widerstand er derselben standhaft!
Solches und noch vieles mußte er durchmachen und brach aber doch nie,
bis ins hohe Alter hinein, sein Gelübde.

Fromm war in ihrer Art auch meine Schwiegermutter. Obwohl sie gar keine
Schule besucht hatte, von einem Kirchenbesuch vollends gar keine Rede
war, keine Ahnung von Lesen und Schreiben hatte, betete sie doch jeden
Abend und Morgen mit ihren Kindern ein altes Gebet in unserer Sprache.

Es lautet:

    #Me baschau mange tele# (oder: #Me staua pre# oder: #Meh
    dschaua nikli) ani Dewlester Soraloben, ani Dewlester Baroben,
    ani Dewlester Songlienger Rat, da hi latscho, hako Mulenter da
    kerela mange kenk mitschiko Dscheno tschomoni. O Dewlesker Dad,
    o Dewlesker Tschawo, o Dewlesker Mulo, priserele man!#

    Ich lege mich nieder (oder: ich stehe auf oder: ich gehe fort)
    in Gotteskraft, in Gottesmacht, in sein (rosenfarbiges)
    rosenrotes Blut, für alle bösen Geister und Gespenster gut,
    daß mir kein böser Mensch nichts tut. Gott Vater, Gott Sohn,
    Gott hl. Geist, segne mich!

Sie hatte 9 lebende Kinder, war eine #»brawi Dschuwel«#, aber als sie
die ersten Kinder bekam, vollzog sich eine innerliche Wandlung in ihr –
sie übte ihre zigeunerischen Gewerbe nicht mehr aus, sodaß sie und ihre
Familie, die früher im Überfluß lebten, oftmals in die bitterste Not
kamen. Auch ihre Kinder lehrte sie nichts mehr, d. h. von der Mutter aus
hätten sie nichts gelernt, z. B. Wahrsagen. Warum wohl? Weil sie
jedenfalls oft hörte von dem Schimpflichen solcher Gewerbe und es auf
ihre Art in ihrem frommen Herzen zuletzt selbst glaubte! Fromm war sie!
Man stelle sich diese Frau vor, die bis zu ihrem Tode so geblieben war,
mit ihren 9 Kindern? Welche Sorgen, Nöte, Lasten und Mühe lag auf ihren
Schultern? Verspottet oft von den Stammesangehörigen, die es ihr ins
Gesicht hineinsagten, es sei kein Schade, daß es ihr so ärmlich gehe –
warum übe sie nicht mehr aus, wegen dessen sie ja den Ehrennamen (brawi
Dschuwel) hatte und ähnliches! Von den Vorwürfen des Gatten zu
schweigen. Dies kann nur der begreifen, der die Sitten der Zigeuner in
dieser Beziehung kennt. Trotzdem blieb sie standhaft. Mochten sie die
Sorgen fast zu Boden drücken, sie blieb fest und betete gewissenhaft
jeden Abend und Morgen ihren Kindern das obenangeführte Gebet vor und
lehrte sie dasselbe selbst zu beten. Merkwürdig aber ist und war doch –
sie ging niemals in eine Kirche, wollte von keinem Geistlichen was
wissen. In ihren Reden kamen diese gerade nicht respektvoll weg, sie
nannte sie nur die »schwarze Polizei!« Wie mag diese Frau dazu gekommen
sein, solches zu sagen? Was mag sie erlebt haben? Der, welcher die
Geschichte der Zigeuner und ihre Verfolgungen und Mißhandlungen kennt,
von eben diesen Bekennern und Predigern der Religion Christi, wird diese
Fragen leicht beantworten können! Ebenso feierte sie jeden Feiertag
(Ostern, Weihnachten, Karfreitag) und befleißigte sich, was ihre Person
betraf, der größten Enthaltsamkeit.

Aber auch sonst sind sie ihrer Art gottesfürchtig (!) so machen sie gern
Wallfahrten nach berühmten Wallfahrtsorten und wenn auch das letzte Geld
daraufgeht, aber immer zu einem gewissen Zweck, z. B. wenn sie größeres
Vorhaben (ein zigeunerisches »Geschäft«) ausführen wollen. Dann beten
sie da, geloben auch ein Gelübde, im Falle eines guten Gelingens des
beabsichtigten Geschäftes. So wurde schon manches »Geschäft« ausgeführt,
mit der größten Zuversicht, daß sie nicht erwischt und eingesperrt
werden, haben sie doch zu Gott oder zur Muttergottes gebetet, ein
Gelübde getan, damit sie ihnen zu ihrem »Geschäft« beistehen und das
Geschäft auf ihre Art nicht unglücklich ausgehe. Was wissen sie davon
(wer hätte es ihnen schon gesagt?), daß eben dieser Gott in seinen
Geboten als Sünde verboten hat, – was sie tun wollen und um dessen gutes
Gelingen sie zu ihm beten! Merkwürdig ist aber auch, daß die Zigeuner
sich mehr zur katholischen als zur evangelischen Religion hingezogen
fühlen. Jedenfalls nur darum, weil die Zermonien der katholischen Kirche
mehr auf seine Sinne und Phantasien einwirken, mehr seiner Natur
entsprechen, als die Einfachheit der evangelischen Kirche. Früher ließ
der Zigeuner seine Kinder gern und auch öfters als nur einmal taufen, –
aber nur wegen den regelmäßigen, üblichen Patengeschenken. In welcher
Konfession ist ihm egal – ob katholisch oder evangelisch. So bin ich
katholisch getauft, eine Schwester und mein Bruder evangelisch.
Kirchlich und weltlich wurde früher eine Zigeunerehe nur selten
geschlossen. Heutzutage läßt er die Kinder aber taufen, damit sie in
seine Legitimation eingeführt werden, ebenso verhält es sich, wenn er
sich heute ausnahmslos kirchlich trauen läßt und die Ehe standesamtlich
eingeht.

Bewiesen wird es jetzt wohl sein, daß die Zigeuner für die Religion
nicht unempfänglich sind, wenn man sie am rechten Platz packt, d. h. in
ihrer Sprache die Heilsbotschaft verkündet und im übrigen etwas
Rücksicht nimmt auf ihre zigeunerischen Eigenarten. Kein Baum fällt auf
den ersten Hieb. Die Erfahrungen würden diese Worte bestätigen. Nicht
der angeblichen Unverbesserlichkeit der Zigeuner gebe man die Schuld,
sondern der geringen Arbeit der Christenheit, die in dieser Beziehung so
viel versäumt hat. Aber mit der Seelenrettung muß Hand in Hand gehen –
die Besserung der äußeren Umstände der Zigeuner. Der Erfolg würde ein
überraschender sein. Daher weg mit der oberflächlichen Redensart: die
Zigeuner sind nicht für Religion zu haben! Könnt ihr, die ihr dies so
leichtherzig sagt, es ernstlich beweisen? Nein; nun so ist es jetzt
höchste Zeit, deutsche Christen, dies Versäumnis endlich nachzuholen,
damit eure Verantwortung nicht noch größer werde, als sie schon ist!
#Tschatschopaha.#

       *       *       *       *       *

Vor nun schon langen Jahren überwinterte eine Familie dieser »fahrenden«
Leute in einem Schwarzwalddorf. Die Kinder mußten in die Schule gehen
diesen Winter. Der älteste Knabe sollte im Frühjahr »aus der Schule
kommen«, (_In die er doch so wenig »hineinkam«_.) Der Ort war
evangelisch, der Schüler aber doch katholisch getauft. Dies war der
Anlaß, daß, als er ¼ Jahr die evangelische Dorfschule besucht hatte, der
katholische Pfarrer aus dem nahen Oberamtsstädtchen ihm das Billet für
¼ Jahr bezahlte zum katholischen Schulbesuch und zwar so lange, bis er
»aus der Schule war« im Frühjahr. So war der Knabe auf doppelte Art ein
»Fahrender«. Vom »fahrenden Volk« war er jetzt auch noch ein »fahrender
Schüler«, indem er morgens in die katholische Schule in der
Oberamtsstadt mit der Bahn fuhr und abends wieder zurück nachhause. Hier
lernte er wirklich gute Menschen kennen und die Anteilnahme und Liebe
für den verachteten Zigeuner tat ihm so wohl, daß er wünschte, immer so
glücklich sein zu können. Die Eindrücke, die er hier durch den Umgang
mit diesen braven Leuten empfing, blieben ihm in steter Erinnerung. Dies
Glück war leider nicht von langer Dauer. Der Tag der Schulentlassung
kam. Die Eltern des Knaben wollten schon lange – kaum daß der Schnee
schmolz und die liebe Sonne zu lächeln begann – »weiterziehen«, um die
durch den Winter unterbrochene Wanderung fortzusetzen. Ungeduldig wurde
von ihnen der Schulentlassungstag erwartet – der einzige Grund, der sie
von der Reise zurückhielt. Der Knabe dagegen wünschte ihn noch weit,
weit zurück. Vergebens – nur zu schnell war er da! Wie der Knabe von
edlen Wohltätern die Leibesnahrung in dieser Zeit erhielt, (da die
Eltern, weil zu arm, ihm nichts mitgeben konnten), so erhielt er auch
von ihnen alles, was zur Feier dieses Tages gehörte, Kleidung, Schuhe
usw. Das Herz des Knaben war übervoll vor Glück, nicht allein wegen dem,
daß er vielleicht zum erstenmal in seinem Leben so schmuck und proper
dastand, sondern hauptsächlich der liebevollen Worte wegen, die von
allen Seiten an ihn gerichtet wurden. So selten wie ein neuer »ganzer«
Anzug, so selten war eine solche Anteilnahme von Menschen, die ihn sonst
nur mit Verachtung behandelten, im Leben dieses Knaben! Seine große
Freude konnte man ihm vom Gesicht ablesen, vollends als er mit den
anderen »Konfirmanden« zu einem gemeinschaftlichen Mahl in das
Pfarrhaus, mit dem Herrn Pfarrer und dessen Angehörigen, eingeladen
wurde. Doch wollte ihn ein Gefühl der Traurigkeit beschleichen, als er
die anderen Knaben betrachtete und hörte, wie sie sich gegenseitig mit
Stolz und Freude erzählten, was sie werden wollten oder durften. Jeder
hob die Vorzüge seines erwählten Berufes hervor und jeder glaubte, den
besten erwählt zu haben. Hier saß der »fahrende« Knabe still! Hier
konnte er nicht mitreden. Was er wohl wird? Niemand dachte daran, ihn
auch einen Beruf wählen, lernen zu lassen! Hätte sich doch hier der
Engel gefunden, den jeder Mensch haben muß, um etwas zu werden, etwas zu
erreichen! Hätte sich hier eine rettende Hand gezeigt, und es wäre aus
dem Knaben damals etwas ganz anderes geworden, als er jetzt ist!

Doch die beginnende Traurigkeit verschwand, als ein Spaziergang in den
nahen Wald gemacht wurde, welcher die Feier und den schönen Tag
beschloß. Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Auf den grünen Wiesen
blühten die Blumen. Auf den Bäumen keimten schon die Blüten, aus ihnen
und von überall ertönte der Vögelschall. Alles war Freude, Lust und
Leben! Nur zu schnell vergingen die fröhlichen Stunden dieses – letzten
Tages, den der Knabe unter diesen guten Menschen zubrachte. In seinem
höchsten Glück – wurde er jäh wieder von der rauhen Faust des
unerbittlichen Schicksals zurückgerissen in sein – altes Leben. Die
Scheidestunde schlug. Man begleitete den Knaben an die Bahn. Die muntere
Schar merkte in ihrer Fröhlichkeit nicht, wie traurig und leer es in
seinem Herzen aussah. Ein letzter Händedruck, noch einige liebevolle,
tröstende Abschiedsworte des guten, wahrhaft edlen Pfarrers, ein
Tücherschwenken, ein Pfiff – davon brauste der Zug. Der Abschied war
schwer, der Knabe meinte, er ließe alles zurück, Liebe, Freude und
Glück. Das Herz wollte ihm brechen vor Heimweh und Schmerz. Dunkel, grau
lag die Zukunft vor ihm, – ohne einem Strahl von Glück! Und er wäre doch
so gerne glücklich gewesen! Bei seinen Leuten angekommen, war der Wagen
schon längst gepackt. Eine letzte Nacht noch in einer Stube. Leer und
öde grinste ihm die Zukunft aus allen Ecken des kahlen Zimmers entgegen.
Leer und öde sah es in seinem jungen Herzen aus. Am Morgen, früh, nach
einer durchweinten Nacht, ging es fort. Wohin?

Aber niemals konnte der Knabe diese glücklichste Zeit seines ganzen
Lebens vergessen. Sein nachheriges bewegtes Leben konnte nie die
Erinnerung daran auslöschen! Ebensowenig das Andenken an den wahrhaft
guten und edlen Pfarrer, dessen Lehren, Worte und ehrwürdige Gestalt ihm
immer und jetzt noch nach langen, langen Jahren, vor Augen steht.
Besonders unvergeßlich bleibt ihm der Tag seiner Schulentlassung. Er war
und ist der schönste und glücklichste seines Lebens. Oft und gern denkt
er heute noch – oder vielleicht gerade jetzt – an diese frohe und
glückliche Kindheits- und Jugendzeit zurück. Dieser Tag wird für die
ganze Lebenszeit ein Lichtblick sein und bleiben für _Engelbert
Wittich_!

#Tschatschopaha!#



»Hefte für Zigeunerkunde.«

Heft 1. =Urban, R.=, Die Sprache der Zigeuner in Deutschland. 30 Pfg.

  "  2. =Wittich, E.=, Blicke in das Leben der Zigeuner. 40 Pfg.

  "  3. =Bourgeois, Dr. H.=, Kurze Grammatik der mitteleuropäischen
        Zigeunersprache. 30 Pfg.


Über die Zigeuner ist schon viel geschrieben worden; aber diese
Literatur hat bis jetzt nur kleine Kreise von Liebhabern und
Fachinteressenten erreicht; dazu leidet sie unter dem Mißgeschick, daß
sie schwer zu finden ist, meist nur durch Vermittelung von
Antiquariatsangeboten. Ein großer Fortschritt ist zwar das seit 1907
neue Erscheinen des #Journal# der #Gypsy Lore Society#, in dem alles
Wissenswerte über die Zigeuner sorgfältig gesammelt wird; aber dieses
Unternehmen scheint sich in Deutschland nicht einzubürgern, und es
herrscht bei uns nach wie vor eine bedauerliche Unkenntnis alles dessen,
was die Zigeuner betrifft. Diese Unkenntnis ist mit schuld daran, daß
unsere Gesetze und Behörden, die heute schon alle möglichen Volks- und
Berufsklassen, ja selbst Tier- und Pflanzenwelt mit Recht und Schutz
versehen, den Zigeunern gegenüber nur als rücksichtslose Feinde und
Unterdrücker auftreten, – daß die Kirchen und Vereine, die heute schon
auf den entlegensten Gebieten alle denkbaren Liebeswerke ausüben, an den
Zigeunern kühl vorübergehen, – daß das Volk und auch die christlichen
Kreise, die die Zigeuner mit einer Mischung aus Neugierde, Furcht und
Teilnahme betrachten, doch noch nicht zum rechten christlichen Benehmen
gegenüber den Zigeunern gekommen sind.

Die »Hefte für Zigeunerkunde« sollen diesen bedauerlichen Zuständen
abhelfen. Sie wenden sich an alle offiziellen und privaten Kreise des
deutschen Volkes in der festen Überzeugung, daß es nur ein wenig der
Beschäftigung mit dem Zigeunertum bedarf, um diesem armen, heimatlosen
Volk eine gerechtere Beurteilung und ernstliches Wohlwollen bei allen
edel denkenden Deutschen zu erwirken. Die Folgen dieses Umschwunges
würden den Zigeunern gewiß zum Segen und unserer in diesem Punkte bisher
so hartherzigen Christenheit nicht zur Schande gereichen.

                       Ph. Tschoerner, Striegau



[Anmerkungen zur Transkription: Die Umlaute Ae, Oe und Ue wurden
vereinheitlichend durch Ä, Ö, Ü ersetzt. Die nachfolgende Tabelle
enthält eine Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen
Korrekturen.

S. 10: [Komma eingefügt] Löffeln), Haarschmuck
S. 11: als halblinder -> als halbblinder
S. 13: Feuerwerker prozudieren, wählen zur -> produzieren, wählen zu
S. 22: [Vereinheitlicht] von ihm aus das »Todtenhemd« anhatte -> Totenhemd
S. 22: [Komma eingefügt] heraus, #»praßte«# und schoß
S. 24: [Komma eingefügt] »Gesundheittrinken«, »Prosit«
S. 36: [Komma eingefügt] , daß eben dieser Gott

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Textauszeichnungen
wurden folgendermaßen ersetzt:

Sperrung:       _gesperrter Text_
Antiquaschrift: #Antiquatext#
Fettschrift:    =fett gedruckter Text= ]



[Transcriber’s Note: The Umlauts Ae, Oe and Ue have been replaced by Ä,
Ö, Ü. The table below lists all corrections applied to the original
text.

p. 10: [added comma] Löffeln), Haarschmuck
p. 11: als halblinder -> als halbblinder
p. 13: Feuerwerker prozudieren, wählen zur -> produzieren, wählen zu
p. 22: [normalized] von ihm aus das »Todtenhemd« anhatte -> Totenhemd
p. 22: [added comma] heraus, #»praßte«# und schoß
p. 24: [added comma] »Gesundheittrinken«, »Prosit«
p. 36: [added comma] , daß eben dieser Gott

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