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Title: Die moderne Ehe - und wie man sie ertragen soll
Author: Braby, Maud Churton
Language: German
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Die moderne Ehe

und wie man sie ertragen soll


Von

Maud Ch. Braby


Drittes Tausend


Erich Reiß Verlag · Berlin 1911



  Autorisierte Übersetzung
  von _Clara Sokolowsky-Theumann_
  Umschlagzeichnung von _Wolf Schmidt_


  Copyright 1911 by Erich Reiß Verlag, Berlin



  Herrn C. Stanley-Churton

  dem besten Vater der Welt, in
  tiefer Dankbarkeit für ein Leben
  voll Liebe und Güte



Inhaltsverzeichnis


  I. Teil
  _Zeichen der Unruhe_

    I. Die Unbefriedigtheit der Geschlechter                       3
   II. Warum die Männer nicht heiraten                            14
  III. Warum die Frauen nicht heiraten                            27
   IV. Die Tragödie der Unbegehrten                               42

  II. Teil
  _Warum Ehen mißglücken_

    I. Die verschiedenen Arten der Ehe                            57
   II. Warum Mann und Frau auseinandergeraten:
         verschiedene Zwistigkeiten                               68
  III. Das Heiratsalter                                           86
   IV. Das „Sichausleben“ für die Frauen                          91
    V. Einige Worte für eine vernünftigere Mädchenerziehung      103
   VI. „Und wahre ihr die eheliche Treue“ --
         der wunde Punkt in der Ehe                              112

  III. Teil
  _Vorgeschlagene Alternativen_

    I. Die Probeehe à la Meredith                                123
   II. Die Probeehe in der Praxis: ein Dialog im Jahre 1999      133
  III. Das Fiasko der freien Liebe                               146
   IV. Die Polygamie an einer höflichen Tafelrunde               152
    V. Ist die legalisierte Polyandrie die Lösung?               165
   VI. Ein Wort für die Duogamie                                 167
  VII. Die Vorteile der Ehe „auf Sicht“                          177

  IV. Teil
  _Die Kinder -- die Sackgasse aller Reformen_

    I. Kinder oder keine Kinder -- die Frage des Tages           183
   II. Das Für und Wider des beschränkten Nachwuchses            191
  III. Die Elternschaft -- die höchste Bestimmung                200

  V. Teil
  _Wie man, obgleich verheiratet, glücklich werden kann_

    I. Einige Reformvorschläge                                   211
   II. Einige praktische Winke für Ehemänner -- und Frauen       217



Erster Teil

Zeichen der Unruhe


  „Das Thema der Ehe wird zu sehr im Dunkel gehalten. Laßt freie Luft
  ein! Laßt freie Luft ein!“

    _George Meredith._



I. Die Unbefriedigtheit der Geschlechter

  „Das Gespenst der Ehe harrt, entschlossen und furchtbar, an den
  Kreuzwegen.“

    _R. L. Stevenson._


Seit Frau Mona Caird die Institution der Ehe in der Westminster Review
angriff und der großen Diskussion im Daily Telegraph über die Frage:
„Ist die Ehe ein Mißgriff?“ Bahn brach, ist die Ehe die immerwährende,
unversiegbare Quelle für Zeitungsbriefecken und verbrauchte
Subredakteure gewesen. In der flauen, sauren Gurkenzeit braucht der
niedrigste Zeitungsskribent nur eine Spalte über dieses Thema
loszulassen und gleichviel, ob es eine ernste Abhandlung über „Die
Vollkommenheit der Polygamie“ oder eine banale Diskussion über das
Thema: „Sollen die Ehemänner den Tee zu Hause trinken?“ ist, es wird
unvermeidlich das gewünschte Resultat erzielen und die unzähligen
Spalten der Zeitung wochenlang mit Zuschriften versehen. Die Leute
interessieren sich immer für die Ehe, entweder vom objektiven oder
subjektiven Standpunkt aus, und das mag mich entschuldigen, wenn ich
noch ein Buch über dieses abgedroschene, jedoch immer fruchtbare Thema
wage.

Das Ehethema scheint jetzt mehr denn je in der Luft zu liegen, überall
wird es diskutiert, und sehr wenige Leute haben etwas Gutes darüber zu
sagen. Der oberflächlichste Beobachter muß gemerkt haben, daß in der
Mehrheit eine wachsende Furcht vor dem Ehejoch, besonders unter den
Männern besteht, und eine wesentliche Unzufriedenheit und Unruhe unter
den verheirateten Leuten, besonders unter den Frauen. Was ist mit dieser
Generation geschehen, daß die Ehe in ihren Augen so abschreckend wirkt?
Von allen Seiten hört man, wie sie herabgesetzt und ihre Notwendigkeit
in Frage gestellt wird. Von der Kanzel bemüht sich die Geistlichkeit,
die Heiligkeit der Institution aufrecht zu erhalten, und ermahnt
unaufhörlich jede Gemeinde, sie zu achten und heilig zu halten. Aber die
Berichte der Ehegerichtshöfe liefern eine bedenkliche Lektüre, und jeder
Rechtsanwalt wird aus seinen persönlichen Erlebnissen erzählen, daß die
glücklichen Verbindungen bedeutend in Abnahme begriffen sind, und einige
der größten zeitgenössischen Denker stimmen einen Chor der Verdammung
gegen die Ehe der Jetztzeit an.

Tolstoi sagt: „Die Beziehungen zwischen den Geschlechten suchen eine
neue Form, die alte zerfällt in Stücke“. In dem handschriftlichen
Nachlaß Ibsens, jenes tiefen Kenners der menschlichen Natur, kommt die
folgende bemerkenswerte Stelle vor: „Das Wort ‚freigeborene Menschen‘
ist eine retorische Phrase, sie existieren nicht, denn die Ehe, das
Verhältnis zwischen Mann und Weib, hat die Rasse verdorben und allen das
Zeichen der Sklaverei aufgedrückt.“ Vor nicht langer Zeit erregte auch
der größte Moralist des neuen England, George Meredith, eine ungeheure
Sensation durch seinen Vorschlag, daß die Ehe ein zeitweises Abkommen
mit einer Minimalfrist von, sagen wir, zehn Jahren sein solle.

Es ist klar, daß die Zeit für eine solche umstürzlerische Änderung noch
nicht gekommen ist, aber wenn die Anzeichen und Symptome der letzten
zwei Jahrzehnte nicht trügen, können wir mit Sicherheit annehmen, daß
die Zeit dafür kommen wird und daß die gegenwärtigen gesetzlichen
Bestimmungen des Ehebandes in irgend einer Weise abgeändert werden
müssen.

Vor fünfzehn Jahren gab es eine plötzliche umstürzlerische Strömung
gegen diese Bestimmungen und ein erneutes Interesse an der sexuellen
Frage zeigte sich in dem Emporwuchern von „Tendenzromanen“, eine
Bezeichnung, die später als Vorwurf angewendet wurde. Ich kann mich
erinnern, wie ich als Schulmädchen die durch ein solches Buch
hervorgerufene Erregung mitmachte und bitter enttäuscht war, als meine
erzürnte Gouvernante, die sich für dieses reizvolle Thema offenbar nicht
zu interessieren schien, mir das Buch strengstens verbot. Eine Schar von
Nachahmern folgten diesen ersten literarischen Verstößen. Einige davon
waren total unliterarisch, und alle boten einen unfehlbaren Wegweiser
durch das verwirrende Labyrinth der Ehe. Noch ärger war die darauf
folgende unvermeidliche Reaktion, als der Realismus in der Dichtung in
Acht und Bann erklärt wurde und die krankhafte Romantik das Feld
beherrschte. Der Kultus der Familienliteratur war bald wieder in
vollster Blüte. Dann folgte eine Lawine von unerträglich albernen und
kindischen Zeitschriften, in denen das Wort „Geschlecht“ direkt verrufen
und das erstrebte Ideal offenkundig das gerade Gegenteil des wirklichen
Lebens war. Sonderbar, wie plötzlich das sexuelle Thema aus den Spalten
der Presse verschwand. Die Psychologie war abgetan und die Intriguen
waren an der Tagesordnung. Viele damals wohlbekannte und als feine
Charakterschilderer renommierte Autoren verschwanden von den
Inhaltsverzeichnissen der Zeitschriften und den Verlegerlisten,
während seichte Schriftsteller, die weitschweifige Detektive- und
Abenteurergeschichten erzählen konnten, in die Halme schossen.

Es fehlt nicht an Symptomen, daß das Pendel des öffentlichen Interesses
nun wieder zurückgeschwungen hat, eine Strömung des Realismus in der
Dichtung kommt auf und die Forderung der Neugestaltung der Ehebande
dürfte demnächst erhoben werden. Jedoch das Pendel wird noch oft hin und
herschwingen müssen, bevor es den Beziehungen zwischen den Geschlechtern
gelingen wird, jene neue Form zu finden, von der Tolstoi spricht. Es
bleibt abzuwarten, was die eben erwähnte Wiederbelebung ausrichten wird.
Was erreichte die letzte Agitation? Im Praktischen nichts. Einige wenige
Frauen mögen zu ihrem unauslöschlichen Kummer angeregt worden sein, in
den Fußstapfen der Herminia aus Grant Allens Roman zu wandeln. Und eine
Menge frühreifer junger Mädchen, die die Literatur jener Tage gelesen
haben, verursachen möglicherweise ihren Eltern einige Angst durch ihre
revolutionären Ideen über den Wert des heiligen Ehestandes. Aber welche
von jenen vorgeschrittenen Dämchen erinnerte sich an die Bergpredigt als
das für das weibliche Herz so unwiderstehliche Trio nahte -- der Ring,
die Ausstattung und das eigene Heim -- ganz zu geschweigen von dem
zuverlässigen, gewichtigen in Aussicht stehenden Gatten? Jedoch sind in
den vierzehn Jahren, die seit dem Erscheinen der „Frau, die es tat“
verflossen, gewiß einige Änderungen vorgegangen. Vor allem ist es
offenbar noch schwerer, sich anständig durchzubringen. Die Zeiten sind
schlecht und das Geld selten. Die Männer sind jetzt sogar noch mehr
abgeneigt, dem trällernden Engel durch die Heirat ein Heim zu bereiten,
und es ist ein Typus von Frauen entstanden, der der Ehe scheu gegenüber
steht und ihre vielen Gefahren um ihrer problematischen Freuden willen
herzlich ungern riskiert. Das Bemerkenswerteste von allem ist die
wachsende gegenseitige Unbefriedigtheit der Geschlechter. Die Männer
vermeiden die Ehe nicht nur wegen ungünstiger finanzieller Verhältnisse
oder weil die Beschränkungen des Ehejochs ihnen irgendwie lästiger sind
als früher, sondern weil sie die Frau nicht finden können, die sich
ihrem Ideal genügend nähert. Die Frau hat in den letzten zwei
Generationen solche Fortschritte gemacht, ihr Gesichtskreis hat sich so
erweitert, ihr Geist so entwickelt, daß sie sich sehr weit von dem Ideal
des Mannes entfernt hat und der Mann daher zögert, sie zu heiraten. Es
liegt etwas Komisches in dieser Situation und ich bin überzeugt, daß die
Götter an der olympischen Tafel über diese verfahrene Ehe des
zwanzigsten Jahrhunderts lachen würden.

Ein anderer Grund, warum sich die Männer um soviel seltener verlieben
als früher, muß zum großen Teil dem Niedergang der Phantasie
zugeschrieben werden, und obgleich die Frauen in der Hauptsache ebenso
sehr zu heiraten trachten wie nur je und es allgemein bekannt ist, daß
sich die modernen jungen Frauen um den modernen jungen Mann übermäßig
bemühen, haben die Beweggründe für dieses Treiben nichts mit den durch
die Zeit geheiligten Liebesmotiven zu schaffen. Die Ehe bringt
Unabhängigkeit und eine gewisse gesellschaftliche Stellung: aus diesen
Gründen begehren die Frauen sie. Marriot Watson hat dies in knapper
Weise ausgedrückt: „Die Frauen wollen _einen_ Mann heiraten, die Männer
heiraten _das_ Weib.“ Nichtsdestoweniger sind die Frauen selbst jetzt
mehr geneigt, sich zu verlieben als die Männer, weil sie jene Fähigkeit
der Einbildungskraft besser bewahrt haben, welche möglicherweise auch
den Grund der Enttäuschung und der Unzufriedenheit der Frauen in der Ehe
bildet.

Das Ende von all dem ist, daß die Männer und die Frauen einander
entgegengesetzt geworden zu sein scheinen. Wie sehr sie auch das
Geschöpf ihrer Phantasie lieben, scheint eine Art verhüllten Mißtrauens
zwischen den Geschlechtern im großen und ganzen, aber besonders auf
seiten des Mannes vorzuwalten -- vielleicht, weil der Mann der Frau
nötiger ist, als die Frau dem Mann. Diese Feindseligkeit gegen die Frau
kann man besonders in den Spalten der Tagespresse beobachten. Es vergeht
kaum eine Woche, daß nicht ein Journalist des edleren Geschlechtes
seinen Spott über das untergeordnete Geschlecht, dem seine Mutter
angehört, in spaltenlangen, meisterhaften Schmähungen über diese oder
jene Eigenschaft ergießt. Jedem Artikel folgt eine leidenschaftliche
Korrespondenz, in welcher „ein überdrüssiger Papa“, „ein hoffnungsloser
Ehemann“, „ein eingeschüchterter Bruder“ und der unvermeidliche
„Zynikus“ dem Verfasser die lebhafteste Zustimmung zollen, während eine
„glückliche Mutter von sieben Töchtern“ und ein „Verehrer des schönen
Geschlechts“ in verschiedenen Zuschriften seine sofortige Abschaffung
und öffentliche Ungnade verlangen.

Die Liste der Fehler, welche die Männer an den Frauen finden, ist
endlos. Der eine behauptet, daß die Frauen bloß häusliche Maschinen sind
und ungeeignet, einem intelligenten Mann Gefährtin zu sein, da sie sich
nichtüber die ihre Dienstboten und Kinder betreffenden Gespräche erheben
können; ein anderer behauptet, daß sie bloße Blaustrümpfe sind, die nach
einer unerreichbaren Geistigkeit streben; ein dritter, daß sie nur
leichtfertige Puppen ohne Herz und Geist sind, die in der Jagd nach
Vergnügungen ganz aufgehen; und ein vierter, daß sie geschlechtslose,
derbe, schlechtgekleidete männliche Ungeheuer sind.

Nach den Behauptungen der Verfasser der Zeitungszuschriften zu urteilen,
sind die Frauen zugleich abgeschmackt männlich, jämmerlich weiblich,
lächerlich geistig, abstoßend athletisch und aufreizend leichtfertig.
Dem Äußern nach sind sie entweder dürre, hagere, plattfüßige
Laternenpfähle, oder aufgeputzte, verschnürte, geschminkte Puppen. Ihre
Extravaganzen lassen sich nicht wiedergeben. Wenn sie zu jener Klasse
der Gesellschaft gehören, die man gewöhnlich unter Gänsefüßchen anführt,
dann rauchen, trinken, spielen und fluchen sie unaufhörlich. Sie
vernachlässigen ihre Kinder und ihr Haus, sie haben wenig Prinzipien und
noch weniger Vernunft, keine Moral, kein Herz und absolut keinen Sinn
für Humor.

„Aber“, wird der aufmerksame Leser vielleicht ausrufen, „das ist ja
nichts Neues. Seit der erste Mann aus der ersten Klemme dadurch
herauskam, daß er der einzigen verfügbaren Frau die Schuld zuschob,
ist die Frau immer das Lieblingsventil für die Mißlaunigkeit des Mannes
gewesen.“ Allerdings kann die Zeit nicht die unendliche Mannigfaltigkeit
der weiblichen Vergehen aufheben, wie sie sich in den Augen des Mannes
spiegeln. Die Tradition hat das Thema geweiht, und die Gewohnheit erhält
es. Und wenn die Posaune des jüngsten Gerichtes erschallen wird, wird
der letzte lebende Mann darüber murren, daß das Weib in seinem
abscheulichen Eigennutz ihn allein gelassen hat, und der letzte Tote,
der auferstehen soll, wird beim Erwachen darüber fluchen, daß seine Frau
ihn nicht früher geweckt hat!

Aber früher bemängelte der Mann die Fehler der Frau mehr in Form einer
geistreichen Neckerei, so wie man die Seinen manchmal liebevoll
verlacht. Es lag in seinen Schmähartikeln fast immer etwas von guter
Laune, die jetzt fehlt. An ihrer Stelle kann man jetzt Bitterkeit und
eine direkte Animosität bemerken. Die Männer nehmen den Aufstand der
Frauen gegen die von den Männern geschaffenen Bedingungen offenbar
ungnädig hin, und sie revanchieren sich dafür dadurch, daß sie sich weit
seltener verlieben und sich noch mehr sträuben, in den Hafen der Ehe
einzusegeln.

Sie kommen aber doch hinein, wenn auch in anderer Gemütsverfassung.
Furchtsam und zitternd legt der verzagte moderne Liebhaber seinen neuen
Frack an und schreitet zaudernd auf jenen Kampfplatz zu, wo ihn
strahlend und siegreich das entschlossene Wesen erwartet, dessen
Wille ihn soweit gebracht hat. Nein, nicht ihr Wille, sondern der
geheimnisvolle Wille der Natur, der, stetig und in seinen Absichten
unerschütterlich, sich nicht um unseren sexuellen Hader und den
Verlauf unserer kleinlichen Liebeleien und Gehäßigkeiten kümmert. Die
bombardierte, geschmähte, durch viele tausend Angriffe verwundete und
mit den Sünden von Jahrhunderten befleckte Institution der Ehe blüht
weiter, denn, wie Schopenhauer sagt: „Die zukünftige Generation in
ihrer ganzen individuellen Bestimmtheit ist es, die sich mittelst jenes
Treibens und Mühens ins Dasein drängt.“ Der „Wille zum Leben“ wird immer
das letzte Wort haben.



II. Warum Männer nicht heiraten

  „Wenn ihr die Auslese der Menschheit haben wollt, nehmt einen guten
  Hagestolz und eine brave Frau.“

  „Es gibt wahrscheinlich nicht Hitzköpfigeres und Tolleres in dem
  Leben eines Mannes als die Verheiratung.“

    _R. L. Stevenson._

  „Was immer man auch gegen die Ehe sagen mag, sie ist jedenfalls ein
  Experiment.“

    _Oscar Wilde._


„Alle Männer verheiraten sich und keines der Mädchen,“ soll eine
flatterhafte Dame einmal gesagt haben, und man versteht, was sie damit
ausdrücken wollte. In einer Zeitungsbriefecke über die Ehe las ich
einmal folgende bemerkenswerte Stelle: „Heutzutage ist es ganz anders,
als wie ich ein Mädchen war. Damals hatte jeder Bursche seinen Schatz
und jedes Mädchen ihren Anbeter. Jetzt scheint es mir, daß die Burschen
keinen Schatz brauchen, und die Mädchen keinen Anbeter finden können.
Auf einen jungen Mann, der die ernste Absicht hat, ein Mädchen zu
heiraten, gehen zwanzig, die mit dem Mädchen bloß spielen, ohne darauf
zu achten, daß es kompromittiert wird. Die Zeiten sind ungalant und
bedürfen einer Verbesserung.“ Dieser Brief ist unterzeichnet: „Eine
Arbeiterfrau“. Es ist klar, daß er von einem Mitglied der Zeitungsgilde
geschrieben wurde, welches der Signatur durch Anwendung des gewöhnlichen
Ausdrucks „Anbeter“ eine genügende Wahrscheinlichkeit zu verleihen
glaubte. Aber trotz der Niederschrift auf Kommando sind die Behauptungen
darin nur zu wahr: Die Zeiten sind wirklich ungalant und werden es immer
mehr.

Vor nicht langer Zeit war ich in einer heiteren Gesellschaft, wo über
die Tendenzen des modernen Mannes, nicht zu heiraten, diskutiert wurde.
Jemand versetzte alle anwesenden Männer in gute Laune mit der Mahnung,
daß ein Mann „dadurch, daß er hartnäckig ledig bleibt, sich in eine
fortgesetzte öffentliche Versuchung verwandelt“. Und da fünfzehn
Junggesellen anwesend waren, wurde das Gespräch natürlich persönlich.

Einer, den ich Vivian nennen will, bemerkte galanterweise, daß alle
reizenden Frauen verheiratet seien, und er so gezwungenermaßen ledig
bleiben müsse. Ich erfuhr zufällig, daß er in eine verheiratete Frau
gründlichst verliebt ist. Ein anderer, Lucian, ein sehr schöner und
beliebter Mann in den Dreißigern, sagte, daß er die ernste Absicht habe,
eines Tages zu heiraten, aber daß er vorher noch einige Jahre der
Freiheit genießen wolle. Dorian behauptete ernstlich, daß er auf meine
Tochter warten wolle (die jetzt achtzehn Monate alt ist), aber ich weiß
im Vertrauen, daß sein Fall ähnlich dem Vivians ist. Hadrians
Verheiratung wäre wegen seiner Gesundheit ein Verbrechen. Wir wußten
das alle, und so fragte ihn niemand darum. Dieselbe Diskretion wurde
in bezug auf Julian beobachtet, von dem es allbekannt ist, daß er ein
„unseliges Verhältnis“ geschlossen und praktischerweise nicht das Recht
hatte, zu heiraten. Florian hat vor einigen Jahren einen Korb bekommen
und ist nun scheu und mißtrauisch gegen das schöne Geschlecht, was
wirklich sehr schade ist, da er zu jener Art von Männern gehört, die für
das Heim und die Familienfreuden wie geschaffen sind, und er eine Frau
sehr glücklich machen würde.

Von Augustin und Fabian kann man wohl behaupten, daß „sie zu viele
kennen gelernt haben, um bei einer bleiben zu wollen“ -- Und ich fürchte
wirklich, daß sie sich für die Ehe verdorben haben, wenn nicht in jenem
alten Spruche Wahrheit liegt, „daß ein gebesserter Lebemann den besten
Ehemann abgibt.“ Endymion kommt alles in allem nicht in Betracht, da
seine blauen Augen und seine breiten Schultern sein einziges Vermögen
bilden. Er schlägt genügend Kapital aus diesen Beigaben, sie bringen ihm
reichlich weibliche Gunst ein, aber sie genügen kaum, um eine Frau zu
erhalten.

Claudian möchte wirklich gerne heiraten, aber er leidet unter einer
verhängnisvollen Treulosigkeit, und wie er sehr einladend erklärt,
kann er ein Mädchen nicht so lange lieben als die Vorbereitungen zur
Heirat dauern. Er ist sicher, daß er eines Tages von irgend einer
entschlossenen und wahrscheinlich wenig zu ihm passenden Frau geangelt
und widerstrebend zum Altar geführt werden wird. Galahad will nicht
heiraten, bis er nicht die „Eine, die Wahre, die Einzige“ gefunden haben
wird, und ich fürchte, aus ihm wird kein Ehemann mehr, denn der arme
Galahad trägt schon Brillen und einen Kahlkopf. Seine Anhänglichkeit an
ein unerreichbares Ideal verspricht, ihm sein Leben zu verderben.

Als ich an Aurelian die Frage stellte, lächelte er so hämisch, daß er
mehr denn je einem erbitterten Geier glich und bemerkte, daß er im
Begriff sei, seine Anträge zu überdenken und sich noch nicht klar sei,
welche der beste ist. Da die Tatsache, daß er von sieben Frauen
abgewiesen wurde, allen bekannt ist, so bewundern wir wirklich alle die
Hartnäckigkeit seiner Pose als Herzensbrecher. Man weiß sogar von ihm,
daß er sich selbst leidenschaftliche Briefe in verstellter Handschrift
schreibt und geschickt fabrizierte Tränen hie und da auf sie fallen
läßt, um diesen Meisterstücken von Verliebtheit, die er als Beweis
seiner vielen Eroberungsgeschichten benützt, einen Anschein größerer
Wahrscheinlichkeit zu geben. Wenn die Tränen trocken sind, so sehen sie
äußerst natürlich aus. Freilich ist es ein Kniff, den jedes Schulmädchen
kennt, aber ich habe nie zuvor einen Mann gekannt, der zu ihm Zuflucht
genommen hätte, und hoffe auch nie wieder einen kennen zu lernen.

Cyprian und Valerian geben als Grund für ihr fortgesetztes
Junggesellentum die Tatsache an, daß es ihnen in dieser Verfassung zu
gut gehe, und sie nie das Bedürfnis nach einer Gattin gefühlt hätten.
Der letztere fügte hinzu, daß, wenn er gerade das „eine Mädchen“ finden
würde, er ja die Sache überdenken könnte, aber wie die Dinge stünden,
zöge er die Gewißheit den Chancen vor und wolle kein Risiko eingehen.
Unter uns gesagt, sind sie beide sehr selbstbewußt und egoistisch und
ich glaube nicht, daß irgend eine Frau viel an ihnen verloren hat.

Der vierzehnte Junggeselle war Bayard, der zu einem sehr trostlosen
Liebhabertypus gehört. Fast alle Frauen sind zu ihrem Leidwesen von ihm
angelangweilt worden. Er hat die lästige Gewohnheit, überall und jedem
weiblichen Wesen gegenüber seiner Sehnsucht nach einer Ehe idealster
Sorte Ausdruck zu geben und jungen, im sicheren Hafen der Ehe gelandeten
Frauen in weitschweifigster Weise anzuvertrauen, wie sehr er sich
darnach sehne, einen Platz in dem Herzen einer guten Frau einzunehmen,
und welch großer, reiner, leidenschaftlicher und ungestümer Liebe er
fähig sei. Er hat geradezu etwas Sympathieerregendes und seine Haltung
ist natürlich sehr anziehend für harmlose ältere Mädchen. Er ist immer
in höchst bedrohlicher Weise in solche Beziehungen verstrickt, paradiert
aber sehr mit seiner Armut und macht sich wieder glücklich frei, wenn
die Angelegenheit einen kritischen Punkt erreicht hat, gewöhnlich ohne
irgendwelche mißliebige Auseinandersetzungen. Wenn jedoch die Dinge
schon zu weit gediehen sind, um das zu ermöglichen, kann er ein
Zurücktreten immer ganz leicht dadurch gestalten, daß er sagt: „Ich
liebe dich zu sehr, mein Schatz, um dich mit in die Armut hinein zu
ziehen.“ Wie viele Mädchen haben nicht, im tiefsten Herzen verwundet,
diese abgedroschene Lüge mit anhören müssen, wo sie doch mehr denn je
gewillt waren, seinetwegen arm zu werden, zu kargen, zu sparen und zu
verzichten. Nicht etwa, daß Bayard und seinesgleichen eine solche
Ergebung einflößen! Ich meine, daß die Hauptbestandteile dieser
besonderen Ausrede von sehr vielen unverheirateten Männern heutzutage
als der Grund ihres Junggesellentums angegeben werden. Im allgemeinen
gesprochen gibt es zwei Hauptgründe, warum die Männer nicht heiraten:
1. weil sie noch nicht die Frau gefunden haben, für die sie sich
genügend interessieren, 2. -- und diese bilden die Majorität --, weil
sie zu selbstsüchtig sind. Natürlich drücken die Männer das anders aus;
wie Bayard sagen sie, „sie können es nicht erschwingen.“ Sie denken an
all die Dinge, die sie aufzugeben hätten, und wie schwer es ist,
heutzutage genug für sein Vergnügen zu haben, wie unmöglich es dann sein
würde, wenn man noch eine Frau und eine Familie dazu zu erhalten hätte;
wie sie das Pokerspiel aufgeben, einen billigeren Schneider finden und
an Golfbällen sparen müßten. Sie schaudern bei dieser Aussicht zusammen
und entscheiden in der ausdrucksvollen, üblichen Sprechweise des Tages,
daß „sie es nicht dick genug haben.“ Die Dinge, welche über allem Preis
stehen, werden gegen jene gewogen, die man mit Geld erkaufen kann und --
für nötig findet.

Es wäre jedoch die größte Tollheit, wenn man unkluge Heiraten ermutigen
wollte, die ohnedies schon eine Quelle von so viel Elend sind, und
natürlich beziehen sich meine Ausführungen nicht auf die echte Armut
jenes Mannes, der es sich wirklich nicht leisten kann, zu heiraten. Für
ihn habe ich wirkliche Sympathie, denn er vermißt die besten Dinge des
Lebens, wahrscheinlich ohne eigene Schuld. Das obengesagte bezieht sich
einzig und allein auf den Mann des Mittelstandes, der es sich erlauben
könnte, zu heiraten, wenn er sich selber weniger und irgend eine Frau
mehr lieben würde. Fünfhundert Pfund im Jahr ist z.B. ein ganz nettes
Einkommen für einen Junggesellen, der nicht direkt zur „Gesellschaft“
gehört. Mit dieser Summe kann ein Mann des Mittelstandes ganz gut
auskommen, wenn er keine besonders kostspieligen Laster oder Passionen
hat. Freilich aber verlangt es Selbstverleugnung, wenn er damit für Frau
und zwei oder drei Kinder sorgen soll. Das bedeutet ein kleines Haus in
einer der billigeren Vorstädte anstatt einer Junggesellenwohnung in der
Stadt, Omnibusse anstatt Mietwagen, Galeriesitze anstatt Sperrsitze,
einen vierzehntägigen Familienaufenthalt in Broadstairs anstatt eines
einmonatlichen Aufenthaltes zum Fischen als „garçon“ in Norway.
Es bedeutet, daß man keine Soupers mehr im Savoyhotel hat, keine
Wochenenden mehr in Paris verbringt und nicht mehr auf einen Sprung nach
Monte Carlo hinüber rutscht. Aber es kann durchgeführt werden und
glücklich durchgeführt werden, vorausgesetzt, daß ein Mann die Liebe
über den Luxus stellt. Fast jeder Mann kann es sich leisten, zu
heiraten, -- und zwar die richtige Frau.

Freilich, wenn ein Mann noch die „Frau seiner Träume“ zu finden gedenkt,
dann ist alles gut. Aber nur die verächtliche Ausrede Bayards hat mich
so empört. Wenn die Männer die Wahrheit sagen wollten, wäre das alles
nicht so schlecht. Aber dem alten Adam gleich, schieben sie wie
gewöhnlich die Schuld den Frauen zu und sagen: „Die Mädchen erwarten
heutzutage zu viel. Es ist unmöglich, genug Geld zu verdienen, um sie zu
befriedigen“. Das ist eine der vielen Lügen, die die Männer über die
Frauen ausstreuen, oder sie befinden sich vielleicht selbst in einer
Täuschung und glauben wirklich an die Wahrheit dieser Behauptung. Nun,
klären wir sie auf! Die Mädchen _erwarten_ nicht zuviel. Sie sind ganz
geneigt, arm zu sein, wie ich es vorhin sagte, wenn sie nur den Mann
genug lieb haben. Jedenfalls, sobald sie jenes Stadium erreicht haben,
wo sie der wirklichen Dinge des Lebens bedürfen, da werden sie Weibtum
und verhältnismäßige Armut dem Wohlstand und dem leeren Herzen in ihrem
elterlichen Heim vorziehen. Mit einem Wort, sie würden lieber
„abgearbeitete Frauen als ruhelose alte Jungfern“ sein.

Eine andere Täuschung, welche die Männer über die Frauen ausstreuen, ist
die, daß sie zu vergnügungssüchtig sind, um daheim zu bleiben. Wie oft
hört man Behauptungen wie folgende: „Juno Jones wird keine gute Frau
sein. Sie spielt den ganzen Tag Golf.“ Oder: „Ich könnte mir’s nicht
leisten, Sappho Smith zu heiraten. Sie schwärmt zu sehr für schöne
Kleider und fürs Theater.“ Gott helfe dem Mann! Was haben denn die armen
Mädchen anderes zu tun? Sappho hat eine Vorliebe für feine Kleider und
fürs Theater. Sie füllt ihr leeres Dasein mit diesen Dingen aus, so gut
sie kann. Juno hat den langen lieben Tag nichts zu tun, aber sie geht
sehr gern ins Freie, und so konzentriert sie ihre prächtige Kraft auf
ein Spiel mit Stock und Ball, weil jedweder tätige Anteil an dem großen
Spiel des Lebens ihr versagt ist. Heiratet sie, wenn sie euch mag, und
ihr werdet sehen, was für einen guten Kameraden ihr an ihr haben werdet,
und was für prächtige Kinder sie euch schenken wird. Oder heiratet
Sappho, und ihr werdet finden, daß sie nie andere als einfache, in euren
Mitteln liegende Vergnügungen haben will, so lange ihr gut zu ihr seid
und sie so liebt, wie sie geliebt zu werden wünscht. Sie wird sich ganz
gern ihre Kleider selbst machen und ihre größte Freude darin finden,
euer Einkommen einzuteilen und euer Heim zu schmücken.

Jeder kann sich daran erinnern, oberflächliche und vergnügungssüchtige
Mädchen gekannt zu haben, die prächtige Frauen geworden sind, deren
Kinderstube musterhaft und deren Haushalt über allen Tadel erhaben ist.
Gewiß prophezeiten alle ihre Freunde Unheil, als diese Schmetterlinge
zum Altar geführt wurden. Ich glaube aufrichtig, daß die Frauen nur dann
ausgefallene Vergnügungen brauchen, wenn sie innerlich elend sind. Es
sind gewöhnlich die Unglücklichen, die Elenden, die ruhelosen alten
Mädchen, die überall hin laufen und das Geld zum Fenster hinauswerfen.
Sie fühlen, daß das Leben sie betrügt, und müssen irgend eine
Entschädigung haben.

Aber um zu meinen fünfzehn Junggesellen zurückzukehren: nun bleibt nur
mehr Florizel, dessen Haltung gegenüber den Ehefesseln gerade das
Gegenteil von der Bayards und Claudians ist. Er ist aufrichtig geneigt,
zu heiraten, glühend, warm, bestrebt, das Richtige zu tun, aber es fehlt
ihm an moralischem Mut, und er ist schauderhaft egoistisch. Ich möchte
ihn so gerne glücklich verheiratet sehen, da er dann ohne Zweifel rasch
jene heftige Selbstliebe verlieren würde, aber ich frage mich, ob es
irgend eine anziehende Frau gibt, die selbstlos genug wäre, um ihn in
dem gegenwärtigen Zustand der Selbstvergötterung zum Gefährten zu
erwählen. Er ist immer für irgend eine Frau entflammt, schwebt stets
knapp über irgend einer großen Leidenschaft und sehnt sich darnach,
kopfüber in das Liebesmeer zu stürzen und den Anker der Ehe auszuwerfen,
der ihn dort festhalten soll, wo er nicht mehr abschwenken kann.
Unglücklicherweise kann er sich nicht genug selbst vergessen, um den
verhängnisvollen Sprung zu wagen. Bei allen seinen Fehlern hat Florizel
etwas Liebenswertes. Ich wäre froh, wenn er zur Vernunft gebracht würde
-- obgleich es eine tapfere und geduldige Frau sein müßte, die diese
Aufgabe zu unternehmen hätte.

Als alle fünfzehn Junggesellen aufgehört hatten, über sich selbst zu
sprechen und sich mit der anderen Gesellschaft zum Bridgespiel
niedergesetzt hatten, kam eine alte Dame, die -- wie ich -- es vorzog,
Zuschauer zu bleiben, zu mir und setzte sich neben mich. „Wie sie
herumreden“, sagte sie. „Ich aber kann Ihnen sagen, warum sie nicht
heiraten. In fünf Worten: Weil sie sich nicht verlieben. Und warum
verlieben sie sich nicht? Weil die Mädchen sich zu viel um sie bemühen.
Weil die Mädchen ihnen überall über den Weg laufen. Ich habe sieben
Söhne, und alle sind unverheiratet. Ich weiß es.“

Notiz. -- Es ist interessant, daß Westermarck in seiner „Geschichte der
menschlichen Ehe“ eine Anzahl von Autoritäten erwähnt, um zu beweisen,
daß bei vielen alten Nationen die Ehe eine allen zufallende religiöse
Pflicht war. Bei den Mohammedanern ist sie noch heute eine Pflicht. Bei
den Hebräern hörte man nichts vom Cölibat und sie haben ein Sprichwort:
„Wer kein Weib hat, ist kein Mann“. In Ägypten ist es unrein und sogar
anrüchig für einen Mann, sich der Ehe zu enthalten, wenn kein richtiges
Hindernis vorliegt. Die Chinesen betrachten es als ein beklagenswertes
Unglück für einen Jüngling, wenn er unverheiratet stirbt und bei den
Hindus von heute wird ein Mann, der allein bleibt, als ein beinahe
unnützes Glied der menschlichen Gesellschaft betrachtet --, der außer
dem Bereich des Natürlichen steht.



III. Warum Frauen nicht heiraten

  „Es ist Sache der Frau, sich sobald als möglich zu verheiraten, und
  die des Mannes, so lange er kann, unverheiratet zu bleiben.“

    _G. Bernard Shaw._

  „Die Ehe bringt der Frau solche Vorteile, eröffnet ihr so viele
  Lebensmöglichkeiten und stellt ihr so viel größere Freiheit und
  nützliche Betätigung in Aussicht, daß, einerlei, ob sie glücklich
  oder unglücklich verheiratet ist, sie durch sie nur gewinnen kann.“

    _R. L. Stevenson._


„Warum die Frauen nicht heiraten? Aber sie heiraten ja -- wenn sie nur
können“, wird der intelligente Leser unwillkürlich ausrufen. Nicht, bei
der erst besten Gelegenheit! wohlgemerkt! Kein _intelligenter Leser_
wird diesen Irrtum begehen, obzwar es ein ziemlich allgemeiner Irrtum
bei den Nichtverstehenden ist. Die meisten ledigen Frauen über dreißig
müssen das eine oder andere Mal zusammengezuckt sein bei der genial sein
wollenden Bemerkung irgend eines älteren Mannes: „Schau, schau, noch
nicht verheiratet. Nun, da möcht ich wohl wissen, was die jungen Männer
dazu sagen.“ Ich schreibe absichtlich „irgend eines Mannes“, denn keine
Frau, wenn sie auch noch so katzenartig veranlagt ist und noch so gern
einen Pfeil in die Brust der Rivalin abschießt, würde eine Beleidigung
von so besonders verletzender Art über die Lippen bringen, die
seltsamerweise von dem Mann, der einen groben Schnitzer begeht, immer
als das schmeichelhafteste Kompliment gedacht ist. Die Tatsache, daß das
unglückliche, auf diese Weise attaquierte ältere Mädchen ein Dutzend
Anträge gehabt haben mag und es doch aus Gründen ihrer inneren Natur
vorzieht, ledig zu bleiben, scheint vollkommen über das Verständnis
dieser Leute zu gehen.

Aber der Hauptgrund, warum die Frauen nicht heiraten, ist offenkundig
der, weil die Männer sich nicht um sie bewerben. Die meisten Frauen
werden Ja sagen, wenn ein genügend netter Mann ihnen ein genügend
angemessenes Leben bietet. Wenn die Anträge, die sie bekommen, unter ein
gewisses Niveau fallen, dann ziehen sie es vor, ledig zu bleiben, und
hoffen dabei im Stillen, daß der richtige Mann noch kommen wird, bevor
es zu spät ist. Man muß auch hervorheben, daß, je kultivierter die
Frauen werden, sie desto weniger geneigt sind, nur um der Verheiratung
willen zu heiraten, wie ihre Großmütter es taten.

Dann gibt es einige Frauen, eine ganz kleine Schar, die, wenn sie nicht
ihr Ideal in seiner Vollkommenheit verwirklichen können, sich nicht mit
dem Minderen begnügen. Durch eine Ironie des Schicksals kommt es vor,
daß diese Frauen oft die Edelsten ihres Geschlechts sind. Es bleibt
jedoch noch eine andere kleine Schar ledig, aus aufrichtiger Abneigung
gegen die Ehe und ihre Pflichten. Es ist vielleicht nicht zu scharf
gesagt, daß eine Frau, die absolut keine innere Berufung für Weibtum und
Mutterschaft hat, eine degenerierte sein muß, und so sehr des weiblichen
Instinkts ermangelt, daß sie den Vorwurf verdient, „geschlechtslos“
genannt zu werden. Dieser Typus nimmt augenscheinlich zu.

Dann bleiben jene (ich möchte nicht gern eine Vermutung über ihre Zahl
aufstellen), die lieber irgend einen Mann heiraten, wie wenig
begehrenswert und für sie passend er auch sein mag, als „ungeliebt zu
verblühen“. Es ist eine tief betrübende Tatsache, daß ein Mann noch so
häßlich, noch so närrisch, noch so brutal, noch so eingebildet und
niederträchtig sein kann -- und doch eine Frau findet. Jeder Mann kann
irgend eine Frau finden, die ihn heiratet. Bei dieser Gelegenheit muß
man an jene berühmte Köchin denken, die, als man ihr anläßlich der
Treulosigkeit ihres Liebhabers sein Mitleid ausdrückte, erwiderte:
„Das macht nichts, ich kann Gott sei Dank noch jeden Mann lieben.“

Man kann nicht umhin, mit einer gewissen Belustigung die ernsten Artikel
über diesen Gegenstand in den Frauenzeitschriften zu lesen. Da wird uns
überzeugendst versichert, daß die Frauen heutzutage nicht heiraten, weil
sie ihre Freiheit zu hoch schätzen, weil jene, die Geld haben, es
vorziehen, unabhängig zu bleiben und ihr Leben zu genießen, und jene,
die keines haben, lieber tapfer ihr Leben durchkämpfen als die Sklavin
eines Mannes, eine bloße Magd, die ganz im Haushalt aufgeht, zu werden
usw. usw. ganze Seiten voll. All das mag ja von einem ganz kleinen Teil
der Frauen wahr sein, aber es bleibt doch eine unbestreitbare Tatsache,
daß der Hauptgrund für das Sitzenbleiben der Frauen die Gleichgültigkeit
der Männer ist. Ich habe jede Sympathie für die Frauen, welche die
schweren Verantwortungen der Ehe aufzuschieben wünschen, bis sie das
gehabt haben, was man beim anderen Geschlecht das Sich-Austoben nennt,
d.h. bis sie eine Periode der Freiheit genossen haben, in der sie
studieren, reisen, ihre Jugend tüchtig genießen, mit verschiedenen
Männern verkehren, dem Leben in die Augen schauen und etwas von dessen
Sinn lernen können. Aber es kommt eine Zeit in dem Leben beinahe jeder
Frau -- ausgenommen der obbesagten Degenerierten --, in der sie fühlt,
daß es Zeit ist, die Kindereien beiseite zu schieben und in der sich in
ihr Herz eine Sehnsucht nach den wirklichen Dingen des Lebens einnistet,
den Dingen, auf die es ankommt, den Dingen, die dauern -- die Liebe in
der Ehe, und kleine Kinder, und jenes unschätzbare Gut, ein eigenes
Heim.

Es ist heutzutage Mode, das Heim zu diskreditieren. Und Bernard Shaw hat
es scherzend „das Gefängnis des Mädchens und das Arbeitshaus der Frau“
genannt. Aber was für ein wunderbares Heiligtum ist es tatsächlich! Und
wieviel es für die Frauen bedeutet, können nur jene erzählen, die es
entbehrt haben.

In unserer Jugend ist das Heim der Ort der Futterkrippe, der Ort, wo es
Bindfaden, Briefmarken und Monatsschriften in Hülle und Fülle gibt, --
ein Ort, wo gewöhnlich Liebe ist, aber nichtsdestoweniger hauptsächlich
der Ort, den wir als uns gebührend betrachten und für den dankbar zu
sein uns nie im Traum einfällt. Später ist das Heim oft mit
beschwerlichen Pflichten verknüpft, für manche wird es sogar der Ort,
von dem man gerne fort möchte; aber wenn wir es verloren haben, wie
sehnen wir uns danach zurück! Wie ehrfürchtig denken wir an jedes Zimmer
und alles, was sich dort ereignete! Wie sehnen wir uns in Gedanken nach
dem alten Garten und träumen von dem geliebten Grün! Es kommt nicht in
Betracht, wie armselig das Heim gewesen sein mag, ein jedes Stückchen
davon ist einem heilig und teuer, vom Garderobezimmer an, wo man an
trüben Tagen Räuber und Soldaten gespielt hat, bis zum Werkzeugschuppen,
wo man bei schönem Wetter alles mögliche im Sonnenlicht spielte. Bis zum
heutigen Tage rührt es mich fast zu Tränen, wenn mir eine schlecht
gekochte Kartoffel unterkommt. Nicht weil sie so schlecht ist, sondern
weil sie mich an die Kartoffeln erinnert, die drei kleine Kinder in der
Asche des Feldfeuers in einem alten Garten mit ausgelassener Lustigkeit
zu kochen und mit stiller Ehrfurcht zu essen pflegten -- vor langer,
langer Zeit. Noch heute weckt der Duft eines solchen Feuers in mir das
Gefühl, ich sei, wie einstmals, wieder sieben Jahre alt.

Aber ob eine Frau ein Heim bei ihren Eltern hat oder nicht, eine jede
normale Frau sehnt sich nach ihrem eigenen Heim, und ein Mädchen, das
sogar die Blumen auf der Mittagstafel der Mutter ungerne herrichtet,
wird in der Ehe ganz unappetitliche Hausarbeit gerne tun, in jenem Heim,
das sie ihr eigen nennt.

Diese leidenschaftliche Liebe zum Heim ist eines der
charakteristischesten Merkmale der Frau. Ich meine nicht die Vorliebe
„daheim“ zu sein, da die Neigungen der modernen Frauen gewöhnlich
anderswo liegen, aber die Liebe zu dem Ort selbst, und der Wunsch, ihn
zu besitzen. Eine große Anzahl Frauen heiraten einzig und allein um
dieses heißbegehrten Besitzes willen. Und was jene anbetrifft, die es
nicht tun, so erzählen die Spalten der „Christlichen Welt“ und anderer
Zeitungen klägliche Geschichten über ihre Sehnsucht darnach. Frauen von
„Herkunft“ (eine schwulstige und unsinnige Partikel) sind fast zu allem
bereit, nur um einen bescheidenen Winkel, einen ganz untergeordneten
Platz in der fremdesten Familie zu finden. Sie wollen Haushälterinnen,
Dienerinnen, Gesellschafterinnen, Sekretärinnen, Helferinnen für
„kleinen Gehalt und ein Heim“ sein, und manchmal auch ganz ohne Gehalt.
Sie wollen packen, nähen, ausbessern, unterrichten, überwachen; sie
bieten ihre Kenntnisse jeder Art an, wie z.B. ihre musikalischen
Fähigkeiten, ihre Sprachen, ihre Gesundheit und Kraft, ihre
Dienstbereitschaft und alle ihre Tugenden, die angeborenen oder die
erworbenen, alles das für ein bißchen Nahrung und Wärme und das
schützende Obdach jener vier Wände, nach denen ihr ganzes Streben geht,
die ihren höchsten Wunsch ausmachen, ein Heim! Schöne Frauen, begabte,
brave Frauen verkaufen sich täglich, um nur ein Heim zu gewinnen. Sogar
Hedda Gabler, die degenerierteste von allen modernen Heldinnen, die den
Selbstmord der Mutterschaft vorzog, verkaufte sich in einer lieblosen
Ehe nur des Heims halber. Und doch lesen wir fortwährend eine Liste von
trivialen phantastischen Gründen, warum die Frauen nicht heiraten.

Eine Studentin, die gezwungen war, ihre meiste Zeit in einem
ungemütlichen Mietkabinett zu verbringen, erzählte mir einst, daß ihr
einziger Wunsch sei, einen Raum zu haben, der einen Kasten mit ihren
wenigen Kleidern und kleinen Besitztümern beherbergen könne. Sie gab
sich ohne ein Heim zufrieden, aber sie sehnte sich sehr nach einem
solchen Kasten. „Ich werde Tony bald heiraten müssen,“ sagte sie, „schon
wegen der Annehmlichkeit, einen Platz für meine Kleider zu haben. Ich
habe ihn nicht gern und ich möchte noch gerne warten, bis jemand kommt,
den ich lieb habe, aber wenn ich ihn je nehme, sehen Sie, dann wird es
wegen des Platzes für den Kasten sein.“ Ich muß hinzufügen, daß dieser
„jemand“ kam und daß sie jetzt mehrere Kleiderkästen besitzt und drei
kräftige Kinderchen, und daß Tony ihr ausweicht, wenn er ihr auf der
Straße begegnet.

Dieser leidenschaftliche Wunsch nach dem Heim findet sich noch häufiger
in jener Gesellschaftsklasse, die man gewöhnlich die niedere nennt. Ich
habe gelegentlich eine arme Frau beschäftigt, die seit dem Tode ihres
Mannes, also seit neunzehn Jahren, als Köchin diente. Während dieser
ganzen Zeit hat sie auf „ihr Heim gehalten“, d.h. auf ein einzelnes
Zimmer, das ihre Möbel beherbergt. Sie konnte kaum irgendwann das Zimmer
benützen, höchstens ein oder zwei armselige Tage lang und mußte viel von
ihren knappen Mußestunden hergeben, um es rein zu halten. Durch neunzehn
Jahre hat sie lieber drei Schillinge und sechs Pfennig per Woche für das
Zimmer gezahlt, ehe sie ihre Möbel verkauft hätte. Die so ausgegebenen
einhundertzweiundsiebzig Pfund hätten reichlich die Möbel überzahlt und
die Frau sieht den Unsinn vollkommen ein, aber ihre Erklärung ist: „Ich
konnte mich einfach von dem Heim nicht trennen.“

Noch ein Beispiel: Als ich einmal an der See wohnte, hatte ich das
Unglück, ein Gefäß aus dickem blauen Glas zu zerbrechen, das sein Leben
augenscheinlich als Parademarmeladeglas begonnen hatte, aber später aus
einem mir unerfindlichen Grunde zur stolzen Rolle einer Kaminverzierung
avanciert war. Zu meiner Überraschung weinte die würdige Wirtin
bitterlich über den Scherben und als ich prunkvolle Gegenstände
erwähnte, mit denen ich ihren Schatz ersetzen wollte, erklärte sie mir
schnippisch: „Nichts kann diesen Schaden gut machen. Denn dieses blaue
Glas war das erste Stück meines Heims.“

Kehren wir nun zu unserem Gegenstand zurück. Das traurigste an der Sache
ist, daß selbst, wenn jeder Mann über fünfundzwanzig Jahren heiraten
würde, es noch eine enorme Zahl lediger Frauen gäbe. Das ist wirklich
sehr ernst und die Ursache vieler Übel. Um dem so viel als möglich zu
steuern, sollte jeder Mann, jeder gesunde Mann mit genügendem Einkommen,
heiraten. Wenn es bloß „nicht gut für den Mann ist, daß er allein sei“,
so ist es sehr schlecht für die Frau. Jede Frau sollte einen männlichen
Gefährten haben, einen Mann, mit dem sie leben könnte, wenn es auch nur
wäre, um die Billets zu nehmen, das Handgepäck zu tragen und in der
Nacht aufzustehen, um zu sehen, was denn da für ein Lärm ist. Da die
Gesellschaft in ihrer jetzigen Struktur das Zusammenleben von Mann und
Frau als Gefährten nicht hingehen läßt, so ist es klar, daß jede Frau
einen Gatten haben sollte.

Bernard Shaw schreibt: „Gebt den Frauen das Stimmrecht, und in fünf
Jahren werden wir eine drückende Junggesellensteuer haben.“ Es sollte
eine solche geben, die gewissen Unterschieden von Alter und Einkommen
unterworfen wäre. Das ist eine der vielen Angelegenheiten, in denen
wir von den Japanern lernen sollten, wo alle Junggesellen über
einem gewissen Alter besteuert sind. Auch in Frankreich wird ein
diesbezügliches Gesetz diskutiert. Zur Zeit, wo ich dies schreibe, sind
die Frauen voller Zukunftsträume über ihre baldige Befreiung, und es
wird sehr viel darüber gesprochen, wie sie ihr Wahlrecht anzuwenden
gedenken. Ich muß leider sagen, daß, obgleich einige unsinnige Drohungen
über die Abschaffung jener Gabe an die Frauen -- die Männerklubs --
verlauten, bis jetzt, abgesehen von _einer_ Ausnahme, nichts über die
ratsame Einführung einer Junggesellensteuer im Druck erschienen ist. Die
eine Ausnahme ist eine sehr interessante, anonym erschienene Novelle,
„der Morgenstern“, welche unter anderen wohldurchdachten Vorschlägen für
politische Reformen auch dringend für eine Junggesellensteuer plädiert.
Es ist offenkundig nur gerecht, daß der Mann, der nichts für den Staat
durch Gründung einer Familie tut, zugunsten desjenigen besteuert werden
sollte, der eine gründet. Wir hören so viel über die sinkende
Geburtsziffer und die Pflicht eines jeden verheirateten Paares,
Nachwuchs zu haben, und doch wird alles getan, um jene, die einen
solchen haben, zu entmutigen. Der Gewerbsmann, der schuftet, um sagen
wir, tausend Pfund jährlich zu verdienen und drei bis vier Kinder für
den Staat heranzuziehen, wird genau so besteuert wie der Junggeselle,
der gar nichts für den Staat tut und sogar die anderen Steuern dadurch
vermeiden kann, daß er, wenn es ihm beliebt, im Hotel oder in einer
Pension lebt.

Aber selbst wenn wir eventuell eine vernünftige Gesetzgebung bekommen
sollten, die jenen, welche für die Erhaltung der Geburtsziffer ihr Teil
tun, Belohnungen anstatt neue Lasten bieten würden, selbst wenn ein
Junggeselle über fünfundzwanzig ein so seltener Gegenstand auf unseren
Inseln würde wie eine alte Jungfer in mohammedanischen Landen, selbst
dann würde noch ein enormer Überschuß von ledigen Frauen sein. Warum ist
das so? Warum soll Großbritannien als das Paradies der alten Mädchen
betrachtet werden?

Warum sollten wir mehr alte Jungfern haben als andere Länder? Ist es,
weil unsere Kolonien soviel junge Männer verschlingen? Warum können sie
denn nicht auch eine gleiche Anzahl von Frauen verschlingen? Man könnte
wünschen, daß der Staat und ein „Institut der Ermunterung zur Ehe“ unter
staatlichen Begünstigungen diese äußerst wichtige Sache in die Hand
nehmen. Eine der Pflichten dieses Instituts wäre es, jährlich eine
Anzahl Frauen zur Auswanderung zu bewegen, um so das geeignete
Gleichgewicht der Geschlechter in den heimatlichen Ländern zu erhalten
und jedem Mann in den Kolonien die Aussicht zu verschaffen, eine Frau zu
bekommen. Ich hörte neulich von einem sehr gewöhnlichen Mädchen in den
Kolonien, die elf Männer hatte, die sie alle heiraten wollten. Elf
Männer! Und doch gibt es Scharen von reizenden englischen Mädchen, die
alt werden und versauern, ohne je einen einzigen Heiratsantrag bekommen
zu haben.

Eine andere Pflicht eines „_Instituts der Ermunterung zur Ehe_“ wäre es,
die Tausende von einsamen Männern und Frauen des Mittelstandes in den
Großstädten, die den ganzen Tag in der Arbeit sind und keine Gelegenheit
haben, einander zu treffen, irgendwie zu vereinigen. Ich habe eben
Francis Gribble’s sehr interessante Novelle „Der Wolkenpfeiler“ gelesen,
in welcher er die Existenz von sechs Mädchen in „Stonor House“
beschreibt, einer jener düsteren Baracken für heimatlose, den ganzen Tag
durch die Arbeit angehängte Frauen. Der rasende Wunsch dieser Mädchen,
mit Männern ihrer Klasse zu verkehren, ist betrübend echt, und dieser
Wunsch ist nicht so sehr der Ausdruck der natürlichen Bestrebungen des
jungen Weibes, mit jungen Männern zusammen zu kommen, sondern er
besteht, weil alle diese Männer für die Mädchen Ehemänner sein könnten,
und die Heirat die einzige Möglichkeit ist, aus „Stonor House“ und der
freudlosen Existenz daselbst herauszukommen.

In dem vor einigen Jahren erschienenen „Pfad eines Pioniers“ bricht Dolf
Wyllarde ähnlichen Ideen Bahn, aber ihre jungen Frauen sind weniger
gesund und weniger aufrichtig bestrebt, mit Männern zu Heiratszwecken
zusammenzukommen. Jedoch geben einem beide Bücher eine gute Vorstellung
von dem lieblosen unnatürlichen Leben der jungen Frauen des
Mittelstandes, deren Verwandte, wenn sie welche haben, weit weg sind,
und die ihr Leben in großen Städten verdienen müssen, fast immer durch
diese ungünstigen sozialen Bedingungen zur Altjungfernschaft verurteilt.
Daß eine große Anzahl wohlerzogener Frauen zu einem solchen Dasein
verdammt sein soll, spricht so eindringlich als nur möglich für die
Daseinsberechtigung zweier französischer Institutionen, nämlich den
beschränkten Familiennachwuchs und das System der Mitgift. In den
letzten Jahren ist die „Beschränkung des Nachwuchses“ auch in England
weit verbreitet und bis das System der Mitgift auch zur Regel wird,
könnte das „_Institut der Ermunterung zur Ehe_“ die Sache in die Hand
nehmen. Zwei oder drei außerordentlich feinsinnige Philantropen haben
diesem Gegenstand schon ihre Aufmerksamkeit gezollt, aber jede Bewegung
dieser Natur nimmt zu sehr den Charakter einer Heiratsagentur an, um von
jener Klasse beifällig aufgenommen zu werden, für deren Wohlergehen sie
bestimmt ist. Und doch müßte das „_Institut der Ermunterung zur Ehe_“
mit diesem Hindernisse rechnen und ihre wahre Absicht unter einem
anderen Namen verbergen. Ich bin sicher, daß, wenn der Zweck so genügend
verhüllt würde, daß feine Männer und Frauen ohne Verlust der
Selbstachtung Vorteil aus ihr ziehen könnten, die Beteiligung an dieser
Institution von seiten beider Geschlechter eine enorme wäre. Ein direkt
für den sozialen Verkehr geschaffener Klub könnte die Lösung sein, und
man könnte leicht Kränzchen, Konzerte, Ausflüge arrangieren, die zu
einer Quelle der Freude und Anregung in manchem düsteren Leben würden.
Wenn Erfolge zu verzeichnen wären, so sollte man Provinzfilialen
gründen. -- Man sieht fortwährend in den Zeitungen Beweise für die
Tatsache, daß es eine Menge junger Leute des Mittelstandes gibt, die
heiraten können und wollen, und denen es nur an weiblicher Bekanntschaft
in ihrer eigenen Gesellschaftsklasse fehlt, um eine Wahl zu treffen.
Unglückliche Mesallianzen sind oft die Folge davon, und es erscheint mir
trostlos und verderblich, daß diese für die Ehe geschaffenen Männer
nicht mit einigen von jenen tausenden junger Mädchen zusammengebracht
werden können, deren Leben in unangemessener Plage dahin fließt und die
sich in Sehnsucht nach einem Heim und einem Gatten verzehren. Bis das
„_Institut der Ermunterung zur Ehe_“ Tatsache wird, gibt es noch
prächtige Arbeit für einen Philantropen von unendlichem Takt und
warmfühlendem Herzen. Um wieviel könnte man die Summe menschlicher
Freude erhöhen! Wie reich könnte der geringe Einsatz an Geld und Zeit
belohnt werden!



IV. Die Tragödie der Unbegehrten

  Und Männer und Frauen geh’n Hand in Hand
  Bis die Fluten des Meeres vertrocknen zu Sand.

  Und eins ums andre siegt oder fällt --
  Denn der Kampf der Liebe währt endlos fort
  Und der Liebe Wort ist des Lebens Wort.

  Und wer nimmer das Wort einem andern bot,
  Ob er scheinbar auch lebt, ist verdammt und tot.

    _W. E. Henley._


Das ist die Tragödie, von deren Existenz wenige Männer wissen, und die
gewiß kein Mann in dieser von Frauen so überfüllten Insel je erfahren
haben mag. Die Männer verhöhnen die nach der Verheiratung strebenden
Frauen immer und spotten ebenso sehr über die alte Jungfer, die sie
verpaßt hat. Der Himmel allein weiß warum, da der Ehestand durch die
Gesetze und Traditionen der Männer dazu gemacht worden ist, alles einer
Frau Begehrenswerte zu verkörpern und der ledige Stand gerade zum
Gegenteil. „Die Leute halten die Frauen, die nicht heiraten wollen, für
unweiblich, die Leute halten die Frauen, die nicht heiraten wollen, für
überspannt, und sie verknüpfen beide Meinungen dahin, es für unwürdig zu
halten, wenn die Frauen den Ehestand nicht als die Hoffnung und den
Zweck ihres Lebens ersehnen, und ein weibliches Wesen ihrer
Bekanntschaft, das sie einer solchen Sehnsucht für fähig halten,
lächerlich und verächtlich zu finden. Die Frauen sollen keine Ermutigung
gewähren, aber sie auch gewiß nicht versagen, und so geht es weiter, und
jede Vorschrift hebt die vorige auf, und die meisten sind negativ“
(Augusta Webster).

Bernard Shaw und George Moore haben im Druck behauptet, daß die Frauen
sich häufig um die Männer bewerben, und einige Männer haben mir
Einzelheiten über die Bewerbungen, welche ihnen seitens des schönen
Geschlechtes zukamen, mitgeteilt. Ich glaube, es ist einer der
Grundsätze der radikalen Frauen, daß das Geschlecht, welches das Kind
trägt, ein Recht darauf hat, den Gatten zu wählen; obgleich dies sich
unangenehm umstürzlerisch anhört, scheint es doch außerordentlich
vernünftig. Daß das Recht, einen Gefährten zu wählen, jedem jugendlichen
Wesen eingeräumt werden sollte, wird möglicherweise in der Zukunft
anerkannt werden, wenn die Frauenfrage ein für allemal erledigt sein
wird.

In jenen fernen Tagen wird es, das wollen wir hoffen, keine Tragödie der
Unbegehrten mehr geben. Es scheint fast unzart, diese Bezeichnung auf
jene Scharen lediger Frauen Englands anzuwenden, die zum großen Teil Amt
und Würden bekleiden, treffliche Frauen sind und unter denen sich
Steuerzahlerinnen, Familienvorsteherinnen, Philantropinnen befinden, die
in Kirchsprengeln unter den Armen, in Spitälern, Schulen, Asylen,
Ämtern, Ateliers arbeiten, in öffentlichen Körperschaften, in den
Redaktionsstuben gewöhnlich gut und hilfreich sind, oft klug und
reizend, gelegentlich vielleicht ein wenig eng, aber im großen ganzen
die besten Traditionen ihres Geschlechts aufrecht erhalten und es
natürlich _nie_ zugeben, daß sie gerne geheiratet hätten. Jedoch müssen
sie alle im tiefsten Herzen das Traurige ihrer Unbefriedigtheit
empfinden und sich, so gut sie können, mit anderen Interessen trösten.
Diejenigen, welche absorbierende Beschäftigungen haben, sollten dankbar
sein, denn die Frau, welche alles daran setzt, um einen Gatten zu
finden, und dieses Ziel nicht erreicht, wird gewöhnlich reizbar, bitter,
enttäuscht und in jeder Hinsicht unnütz. Aber die Frauen, deren Herz
weit genug ist, um andere Ideale zu fassen als das eheliche, finden
andere Arbeit zu leisten und leisten sie tüchtig und hingebungsvoll.
Liebevolle und warmherzige Frauen braucht man immer. Die Ehe ist im
Leben einer solchen Frau nicht die Hauptsache, obzwar sie es für die
höchste Entwicklung ihres persönlichen Glückes sein mag.

Und die große Zahl von Frauen, die zu heiraten Gelegenheit hatte, kann
sich damit trösten, daß sie eines Ideals wegen oder aus welchem Grunde
immer den ledigen Stand gewählt hat. Noch größer ist die Zahl jener, die
das Temperament zum Ledigbleiben besitzen und von denen Bernard Shaw
schreibt: „Steril, die _Lebenskraft_ geht an ihnen vorbei.“ Das
beeinträchtigt sie selten. Sie haben eine Menge kleiner Vergnügungen und
Interessen, welche ihnen genügen. Keinerlei Herzensstürme, keine Pein
unterdrückter Mutterschaft kräuselt den glatten Spiegel ihres
Lebensmeeres. Keine von all diesen wird von der wirklichen Tragödie der
Unbegehrten berührt. Diese harrt mit all ihrer Bitternis jener, die zu
dem Typus der „+grande amoureuse+“ gehören, die gewöhnlich aus Mangel an
Gelegenheit, manchmal aus Mangel an Anziehungskraft davon abgehalten
wurden, das tiefste Bedürfnis ihrer Natur zu befriedigen.

Ich traf einst in einem Hotel an der Riviera ein ältliches Fräulein, das
immer unglaublich verstimmt war. Wie herrlich auch die Sonne scheinen
mochte, wie schön die Welt in jenem schönsten Erdenwinkel erschien,
nichts hatte die Macht, sie aufzuheitern. Ich versuchte einmal, sie zur
Teilnahme an einem Ausflug zu bewegen, der eine Gesellschaft in ein von
Hügeln umgebenes benachbartes Dorf bringen sollte. Sie lehnte ab. Ein
anderes Mal lud ich sie ein, mich in die Spielsäle nach Monte Carlo zu
begleiten, aber sie lehnte wieder ab. Nachdem mehrere wohlgemeinte
Bemühungen meinerseits, sie aufzuheitern, zu demselben Resultat geführt
hatten, sagte mir die arme Seele mit zögernden Worten, daß sie heitere
Orte und angeregte Gesellschaften meide. „Sie machen mich immer
unzufrieden und erinnern mich an das, was ich hätte haben können. Sie
rufen in mir, wie soll ich es nennen, die Tragödie des ‚Es hätte sein
sollen‘ wach.“ Ich verstand, was sie meinte, und es wurde zu meiner
Erleichterung kein weiteres Wort über dieses Thema gewechselt, denn
vertrauliche Mitteilungen dieser Art sind immer für beide Teile sehr
peinlich. Meine Leser werden wahrscheinlich diese arme Dame als
krankhaft eigennützig und unausgeglichen verachten. Vielleicht haben sie
recht. Aber die Trauer eines leeren Herzens, eines einsamen Lebens war
die Ursache ihres verkümmerten Wesens. Zum Glück ist ihr Fall ein
extremer. Die meisten alten Jungfern, glaube ich, können sich daran
freuen, junge Mädchen glücklich zu sehen und interessieren sich
gewöhnlich intensiv für die Liebesaffären der anderen. Da fällt mir eine
schöne Stelle von Fiona Macleod ein, die sagt, daß „das in der Seele
eines andern heimlich Geschaute das Leben verklärt“. Es wird genügen, um
so manche alte Jungfer glücklich zu machen: die Erinnerung an irgend
eine Liebe und Zärtlichkeit, an irgend einen Roman, um das Leben zu
versüßen; die Frauen brauchen das.

Um ein anderes Beispiel zu geben. Eine Frau fragte mich einst, warum die
Männer sich verlieben. „Ich bin begierig, ob Sie mir sagen können, was
an den Frauen ist, die die Männer dazu veranlassen, sich um sie zu
bewerben. Ich habe eine Menge unschöner verheirateter, und eine Menge
armer Frauen gekannt und eine Menge ganz entsetzlicher, ohne eine
einzige Eigenschaft, die einen Mann glücklich machen kann. Und doch
müssen sie irgend etwas anziehendes gehabt haben, irgend etwas, um
derentwillen die Männer sich um sie bewarben“.

Dann fuhr sie fort, mir in eindringlichsten Worten zu sagen, wie sehr
sie sich darnach sehne, ein eigenes Heim zu haben und einen lieben,
netten Mann, der sie betreue, und daß doch noch nie ein Mann sich um sie
beworben hatte. Kein Mann hatte sie je begehrt oder sie mit
Liebesblicken angesehen. Sie hat nie die leidenschaftliche Umarmung
eines Mannes oder den verzückten Kuß eines Liebhabers kennen gelernt.
Das kam mir sehr sonderbar vor. Sonderbar schmerzlich und demütigend.
Ich konnte sie kaum ansehen, während sie mir all das erzählte.

„Ich würde einen Mann so glücklich machen,“ sagte sie, und ihre
traurigen dunklen Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte sogar schöne
Augen, und war eine ganz hübsche Frau von anmutigem sanftem Wesen. „Ich
würde so gut gegen ihn sein, ich würde einfach nur für ihn leben. Ich
versuche es mir aus dem Kopf zu schlagen, aber da ich älter werde und es
immer aussichtsloser ist, denke ich immer mehr daran, und manchmal fühle
ich, daß ich über all dem Elend verrückt werde. Die Zukunft ist so
schrecklich grau für mich. Alles ist so ungerecht. Ich bin für die Liebe
so geschaffen, und mein Leben fließt dahin und ich habe nichts gehabt,
_nichts_.“

Sie weinte bitterlich und ich weinte auch, aus Mitleid mit ihr.
Merkwürdigerweise war diese Frau nicht nur anziehend, wie ich schon
erwähnte, und bestrebt zu gefallen und durchaus weiblich, sondern sie
hatte auch genug Gelegenheit gehabt, Männer zu treffen. Ich vermute,
es fehlte ihr das, was die schottische Bäuerin das „in die Augen
springende“ nennt, jenen unbestimmten Geschlechtsmagnetismus, der jenen
unschönen, armen, entsetzlichen Frauen, von denen sie sprach, eigen
war. Oder es fehlte ihr der Wille zum Leben, und daher kam kein
Lebensgefährte zu ihr.

Es gibt tausende von Frauen, welche dasselbe fühlen, obgleich sie
zumeist verschmähen, es einzugestehen. Wir hören eine Menge über das
Recht des Mannes, zu leben. Was ist es denn mit dem Recht der Frau, zu
lieben? Die Frauen sind so geartet, daß das Bedürfnis, zu lieben und
geliebt zu werden, das stärkste Element ihres Wesens und der Kern ihres
Seins ist. Überall im ganzen Land gibt es einsame Frauen in allen
Klassen, müßige und arbeitende, hübsche und unhübsche, gute und
schlechte, die nach Liebe dürsten, nach einem Mann, der sie betreut,
nach dem Recht des Weibtums und dem dreimal gesegneten Recht der
Mutterschaft. In den Zeitungen erschallt unaufhörlich das abgedroschene
Geschwätz der Männer: „Die Frauen sollten sich nicht in die Politik
mischen, die Frauen sollten dies oder das tun, sie sollen sich um ihr
Haus und ihre Kinder kümmern.“ Aber die ruhelosen Frauen, die diese
Dinge tun, haben gewöhnlich kein Haus und keine Kinder, um die sie sich
kümmern können. Was nützt es, ihnen die Heiligkeit der Mutterschaft zu
predigen, wenn ihr sie nicht Mutter werden laßt, wozu von den Pflichten
des Weibtums schwatzen, wenn ihr sie nicht zu Frauen begehrt.

Es ist eine wohlbekannte physiologische Tatsache, daß eine große Anzahl
von Frauen in den mittleren Jahren wahnsinnig werden, bei denen das
nicht geschehen wäre, wenn sie die gewöhnlichen Pflichten, Freuden und
Beschäftigungen der Ehe gehabt hätten, wenn ihre Weibnatur nicht durch
ein unnatürliches Cölibat ausgehungert worden wäre. Ich kann hier nicht
darauf eingehen, aber ich empfehle es der Aufmerksamkeit meiner
nachdenklicheren Leser und jener, die sich mit der Verbesserung der
sozialen Mißstände in unserem ruhmreichen, zivilisierten zwanzigsten
Jahrhundert beschäftigen.

Am schlimmsten von allen ist die Lage der Frauen, die sich nicht bloß
nach der Ehe und einem lieben Mann sehnen, sondern vielmehr nach der
Mutterschaft, jener bittersüßen Krone des Geschlechts, welche die im
Cölibat lebenden Priester unaufhörlich als das höchste Gut und die erste
Pflicht der Frauen preisen, von welcher aber tausende von Frauen in
diesem Lande ausgeschlossen sind. Es muß gewiß keine Bitterkeit so
quälend sein als die Bitterkeit der Frauen, die sich nach der
Mutterschaft sehnen, in deren Ohr die _Lebenskraft_ unaufhörlich rauscht
und in deren Herz die erträumten Kinder sich regen und unaufhörlich
rufen: „Schenke uns Leben, Schenke uns Leben!“ ein Ruf, der Jahr um Jahr
quälender wird, da jedes Jahr die göttliche Möglichkeit unerfüllt
bleibt.

Ich denke oft daran, wie alles zusammenwirkt, eine edle heißblütige,
mütterlich veranlagte Frau zu quälen, deren Natur so darben muß. Sie muß
natürlich jede derartige Regung unterdrücken, den Kopf hoch tragen und
mit Lächeln die überlegenen Mienen der Mädchen erdulden, die viel jünger
sind als sie und zufällig den goldenen Zauberring tragen, der im Leben
der Frau alles ändert; sie muß gewöhnlich behaupten, daß sie nicht
heiraten will und nie wollte und es hätte können, wenn sie gewollt
hätte; sie muß über diese Zeilen lachen, wenn sie sie zufällig lesen
sollte und die Verfasserin eine krankhafte Idiotin nennen -- kurz und
gut, sie muß eine Rolle spielen einer Welt gegenüber, die es äußerst
humorvoll findet, daß eine Frau um das Geburtsrecht ihres Geschlechts
betrogen wird. Jede Zeitung und jedes Buch, das sie heutzutage zur Hand
nimmt, enthält irgend etwas zur Verherrlichung des Weibtums und der
Mutterschaft. Die Musik, die Bilder, die Novellen, die Theaterstücke --
alles spricht ihr von dem befriedigten und siegreichen Geschlechtstrieb
und nichts von dem ausgehungerten und unterdrückten. Dasselbe Prinzip
ist überall in der Natur, der Himmel, die Blumen, der See, die grünen
Bäume, das Prasseln des Sommerregens, alles Schöne, alle Töne in der
Natur sind von derselben Bedeutung für sie und enthalten denselben
scharfen Stachel, dieselbe drückende Last; wenn sie zur Krankhaftigkeit
neigt, dann reißt jedes Kindergesicht, das sie auf der Straße sieht, die
Wunde in ihrem Herzen auf. Das Geplapper eines jeden süßen Kindchens ist
eine Qual für sie. „Mir nicht, mir nicht“, muß der ewige Kehrreim in
ihrem Gemüt sein. Ihre Arme sind leer, ihr Herz ist kalt, sie gehört zu
dem großen traurigen Heer der Unbegehrten.

_Wundert man sich da noch, daß die Irrenhäuser voll lediger Frauen
sind?_

Notiz. Eine gescheite und entzückende Freundin von mir, eine alte
Jungfer aus eigener Wahl, macht Einwendungen gegen meine Ansicht über
den ledigen Stand. Es würde mich sehr betrüben, wenn irgendwelche meiner
Worte anderen Frauen Kummer verursachen sollten. Ich sagte schon früher,
daß einige der besten Frauen ledig sind, was für jemanden, der an die
Ehe so glaubt wie ich, traurig ist. Zwei der gütigsten und edelsten
Frauen, die ich kenne, sind unverheiratet. Die eine von ihnen scheint
absolut ohne irgend einen Gedanken an sich zu leben, hat ihr ganzes
Leben tüchtig für andere gearbeitet, ihre geistigen und körperlichen
Kräfte bis zur äußersten Grenze und die Schätze ihres edlen Herzens
freigebig und grenzenlos hergegeben. Ich bitte meine Leser, zu beachten,
daß ich einen Unterschied zwischen jenen ledigen Frauen zu machen
trachte, die nicht heiraten wollen und jenen, die es wollen, zwischen
den reichen Mädchen, die über alle Annehmlichkeiten des Lebens verfügen
können, und den armen, die in die Tretmühle harter unaufhörlicher und
unangemessener Arbeit eingespannt sind. Einen noch größeren Unterschied
wünsche ich zu machen zwischen den gelassenen und zufriedenen Frauen,
die sich den Verhältnissen anpassen und ein ruhiges glückliches
Schicksal in irgendeiner Lebenslage finden -- und den weniger
ausgeglichenen, leidenschaftlichen Naturen mit tieferem Begehren und
zwingendem Liebesbedürfnis. Dieses unterdrückte, verdrängte und
niedergekämpfte Liebesbedürfnis erweckt mein tiefes Mitleid, von dem
meine Freundin behauptet, daß es verschwendet und nicht am Platze ist.
Darüber müssen meine Leser urteilen.



Zweiter Teil

Warum Ehen mißglücken


  „Denn die Ehe ist darin dem Leben gleich, daß sie ein Schlachtfeld
  und kein Rosenlager ist.“

    _R. L. Stevenson._

  „Die Ehe ist für mich Abtrünnigkeit, Entweihung des Heiligtums
  meiner Seele, Vergewaltigung meiner Männlichkeit, Veräußerung
  meines Erstgeburtsrechtes, schändliche Übergabe, schmachvolle
  Kapitulation, Annahme der Niederlage.“

    _Bernard Shaw:_ Mensch und Übermensch.

  Ein weiser Mann sollte der Ehe ausweichen, als ob sie ein Haufen
  glühender Kohlen wäre.

    _Dhammika Sutta._



I. Die verschiedenen Arten der Ehe

  Die Ehe ist der große Irrtum, der die kleineren Dummheiten der Liebe
  auslöscht.

    _Schopenhauer._


In einem seiner Essays sagt Stevenson: „Es erfüllt mich so oft mit
Erstaunen, daß so viele Ehen so ziemlich glücken, und es bei so wenigen
zu einem offenen Bruch kommt. Umsomehr, als es mir am Verständnis des
Prinzips gebricht, nach welchem die Leute ihre Wahl treffen“.

Aus dem Chaos, welches dieses Prinzip umhüllt, ragen vier besondere
Beweggründe hervor, und wir können daher die Ehen rundweg in fünf
Gruppen einteilen und zwar:

  1. die Ehe aus Leidenschaft,
  2. die Konvenienzehe,
  3. die Ehe zu bestimmtem Zweck,
  4. die Zufallsehe,
  5. die Ehe aus Neigung.

_Die Ehe aus Leidenschaft._ Eine Person in Sommerset-Maughams „The
Merry-Go-Round“ sagt: „Ich bin überzeugt, daß die Ehe das schrecklichste
Ding auf der Welt ist, wenn die Leidenschaft sie nicht absolut
unvermeidlich macht“. Obgleich ich eine aufrichtige Bewundererin von
Maughams Werken bin, teile ich hier seine Meinung durchaus nicht. Die
meisten der verrückten, unvernünftigen Verbindungen sind jene, welche
die „Leidenschaft unvermeidlich macht“. In der Theorie ist es einer der
viel versprechendsten Ehetypen, in der Praxis erweist er sich als der
unseligste und unglücklichste von allen.

„Sie sind wahnsinnig ineinander verliebt, es ist eine ideale Ehe“ -- ist
eine Bemerkung, die man oft mit Genugtuung äußern hört. Aber es ist eine
traurige Tatsache, daß diese wahnsinnige Liebe sehr häufig zu Unglück
und Scheidung führt. Die meisten mir persönlich bekannten unglücklichen
Ehepaare waren im Anfang wahnsinnig ineinander verliebt. Kann man sich
darüber wundern, wenn man die Sache näher betrachtet? Die Natur, die
selten dort einen Irrtum begeht, wo die ursprüngliche Menschheit in
Betracht kommt, ist durchaus nicht unfehlbar, sobald es sich um die
künstlichen Bedingungen unserer westeuropäischen Zivilisation handelt.
Im Osten, wo eine größere Freiheit zwischen den Geschlechtern gestattet
ist, scheint es ganz gut, der Natur zu vertrauen und den von ihr
eingeimpften Trieben zu folgen; doch dem ist nicht so auf unserer
Halbkugel. Der junge Mann und das junge Mädchen, die in den Bann der
Leidenschaft geraten, sind zeitweise blind und unzurechnungsfähig. Ihr
Urteil ist getrübt, ihre Fähigkeit, zu überlegen, aufgehoben, nichts auf
der Welt scheint ihnen von Bedeutung außer der überwältigenden
Notwendigkeit, _sich hinzugeben_, das geliebte Wesen _zu besitzen_, --
das Wesen, das ihnen das Blut erhitzt hat.

Wenn das Fatum grausam ist, so läßt es diese beiden sich in die Ehe
stürzen. Die Natur hat ihren Willen durchgesetzt und beachtet weiter
nichts. Sie ist ganz befriedigt. Die aus solchen Ehen wahnsinniger
Verliebtheit stammenden Kinder sind gewöhnlich die schönsten und
stärksten, und was will die Natur denn sonst? Aber das junge Paar? . . .
Nach und nach zerteilen sich die rosigen Wolken, die berauschenden
Dünste entschweben, die Verzückung läßt nach, und jedes kommt von der
Wirkung des mächtigsten Giftes des Weltalls zu sich, um ein ganz
gewöhnliches Wesen an seiner Seite zu finden und sich selbst in jenen
Ketten, die die Menschen mit den Worten „auf ewig“ bezeichnen.

Diese beiden sind wirklich unglücklich, wenn sie am Grabe der
Leidenschaft einander gegenüberstehen und kein anderes Band zwischen
ihnen besteht als die Erinnerung an den verflogenen Rausch. Zum Glück
ist dies durchaus nicht immer der Fall, aber wenn es so ist, dann muß
unvermeidlich ein sehr unglückliches Eheleben folgen. Schopenhauer gibt
als Grund für das Unglück solcher Ehen die Tatsache an, daß „durch sie
für die kommende Generation auf Kosten der gegenwärtigen gesorgt wird“
und zitiert das spanische Sprichwort: „+Quien se casa por amores, ha da
vivir con dolores.+ Wer aus Liebe heiratet, muß in Kummer leben“. Vom
Standpunkt des persönlichen Interesses und nicht des Interesses der
zukünftigen Generation scheint es gewiß ein Mißgriff, den Gegenstand
seines heftigen Begehrens zu heiraten, wenn nicht auch geistige
Übereinstimmung, Interessengemeinschaft und noch viele andere
Verbindungspunkte bestehen. Aber unter dem Einfluß unterdrückter
Leidenschaft verlieren die Leute die Klarheit ihres geistigen Schauens
und sind daher mehr oder weniger urteilsunfähig.

Es soll jedenfalls Leidenschaft in der Ehe sein, so weit gehe ich mit
Maugham. Aber sie soll nur die äußere Hülle sein, ein Flammengewand,
dessen Berührung Entzückung bedeutet, aber bei dem, wenn es von der Glut
aufgezehrt ist, noch die Liebe als festes Gefüge von Freude und
Schönheit besteht, das aufrecht bleibt unter der Asche der Leidenschaft.
„Wirkliche, auf Übereinstimmung der Gesinnung gegründete Freundschaft
tritt meistens erst dann hervor, wann die eigentliche Geschlechtsliebe
in der Befriedigung erloschen ist“. (Schopenhauer, Metaphysik der
Liebe).

Von den _Konvenienzehen_ gibt es zwei Sorten. Die ganz gewinnsüchtige,
wo Geld, soziale Stellung oder irgend eine persönliche Erhöhung auf
einer oder beiden Seiten der Beweggrund war, ohne die Grundlage irgend
einer Neigung, und die halb gewinnsüchtige, wo diese Gründe durch das
Vorhandensein von Zuneigung oder Sympathie gemildert werden. In diese
Kategorie gehören die Leute, die hauptsächlich aus Rücksicht auf ihr
Geschäft oder ihren Beruf heiraten, wie der junge Rechtsanwalt, der die
Tochter seines Chefs heiratet, oder der junge Arzt, der in die Familie
des alten Doktors einheiratet. Hier erinnert man sich an den Vater, der
seinem Sohne riet, nicht des Geldes halber zu heiraten, aber nur dort zu
lieben, wo sich Geld befindet. Zweifelsohne erhöht der Besitz von ein
wenig Geld oder Einfluß den Reiz eines Mädchens in den Augen des
vorwärtsstrebenden, modernen jungen Mannes. Wenn man in Betracht zieht,
wie schwer es heutzutage ist, sein Auskommen zu finden, kann man alles
in allem diese Gründe nicht tadeln, wie trostlos sie auch vom
Gefühlsstandpunkt erscheinen mögen. Ich glaube jedoch nicht, daß es
außerhalb der Grenzen jener Welt, die man die „Lebewelt“ nennt, viele
_ganz_ gewinnsüchtige Konvenienzehen gibt. Die Leute, welche nicht
diesen blendenden Gesellschaftskreisen angehören, sind der Ehe
gegenüber zurückhaltend genug und fürchten sich vor den großen, noch
hinzukommenden Hemmungen, die eine solche Ehe mit sich bringen würde.
Natürlich sind diese Verbindungen beinahe immer trostlose Mißgriffe, und
ich möchte wissen, was ihre Opfer anderes erwartet haben können.

Wir kommen nun zur dritten Gruppe, der _Ehe zu bestimmtem Zweck_.
Diese Ehen sind mit der halb gewinnsüchtigen entfernt verwandt, aber
es ist nichts Gewinnsüchtiges an ihnen, da sie gewöhnlich aus höheren
Beweggründen eingegangen werden. In diese Klasse gehören die Witwer, die
um ihrer Kinder willen heiraten, die alten Mädchen, deren Beweggrund der
Wunsch nach Mutterschaft ist, die Männer und Frauen, die heiraten, um
ein Heim zu besitzen oder einen Lebensgefährten. Alle diese Gründe sind
genügende Rechtfertigungen und alle die Leute, die die Ehe mit einem
bestimmten Ziel beginnen, nehmen sie gewöhnlich sehr ernst und sind
entschlossen, sie gedeihlich zu gestalten. Solche Ehen erweisen sich
gewöhnlich als sehr glücklich, vielleicht gerade, weil so wenig verlangt
wird. Der Geist der Zufriedenheit hat einen ausgezeichneten Einfluß im
Eheleben, da die Liebe oft durch ihre eigenen übertriebenen Forderungen,
wie ich später zu zeigen versuchen werde, getötet wird.

Der Ausdruck _Zufallsehe_ scheint mir am besten jene Verbindungen zu
bezeichnen, in welche die Männer ohne besonderen Grund, manchmal beinahe
gegen ihren Willen, hineintreiben. Die Natur kümmert sich nicht darum,
wie die jungen Leute zusammenkommen, so lange sie nur zusammenkommen,
und manchmal gerät ein Mann in die Ehe beinahe, ohne es zu merken. Ich
schreibe absichtlich ein Mann, da eine Frau nie in den Ehestand
getrieben wird. In diesen Fällen ist es gewöhnlich ihre feste und
wohlüberlegte Absicht, die den Mann in den ihm unbekannten Hafen der Ehe
gelenkt hat. Er ist bloß den Weg des geringsten Widerstandes gegangen,
und hat zu seiner Überraschung gefunden, daß er zum Altar führt. Bernard
Shaw hat ein sehr unterhaltendes und trotzdem überzeugendes Bild dieses
Mannövers in „Mensch und Übermensch“ entworfen, wo er auch seiner
Überzeugung Ausdruck gibt, „daß die Männer, um sich selbst zu schützen,
die schwache romantische Vorstellung aufgebracht haben, daß in
Geschlechtsdingen die Initiative immer vom Mann ausgehen müsse. Aber
diese Behauptung ist so hohl, so unwirklich, daß sie sogar auf dem
Theater, dieser letzten Zuflucht des Unwirklichen, nur den Unerfahrenen
imponiert. In den Stücken Shakespeares ergreift die Frau immer die
Initiative. In seinen Schauspielen und Lustspielen konzentriert sich
ebenfalls das Lebensinteresse darauf, zu sehen, wie die Frau den Mann zu
Tode hetzt . . . . Die Behauptung, daß die Frauen nicht die Initiative
ergreifen, ist geradezu possenhaft. Die ganze Welt ist ja mit Schlingen,
Fallen, Netzen und Fallgruben besät, mittels welcher die Frauen den Mann
einfangen. Man nimmt an, daß die Frau regungslos warten muß, bis um sie
geworben wird; ja, sie wartet oft regungslos, so, wie die Spinne auf die
Fliege wartet. Die Spinne spinnt ihr Netz und wenn die Fliege gleich
meinem Helden die Kraft zeigt, sich loszumachen, wie schnell verläßt da
die Spinne ihre vorgebliche Passivität und schlägt Faden um Faden um ihr
Opfer, bis sie es für immer gefesselt hat!“

_Die Ehe aus Neigung._ „Kennen Sie irgendwelche ganz glückliche
Ehepaare?“ wird in einem bekannten Stück gefragt.

„Das ist schwer zu sagen. Oh, die Extasen sind nichts für diese Welt,
wissen Sie, wenigstens nicht die ständigen Extasen. Man könnte ebensogut
ständige hysterische Anfälle haben. Und wie Sie wohl wissen, werden die
Ehen nicht im Himmel geschlossen, und so gibt es vielleicht auch keinen
Himmel in der Ehe“.

Diese Empfindungen sind geeignet, das unwissende zwanzigjährige Mädchen
durch ihre, in ihren Augen gemütlose Unwahrheit abzustoßen und zu
ärgern, und die erfahrene Frau von, sagen wir, dreißig Jahren, durch
die, in ihren Augen tiefe Wahrheit zu entzücken -- so sehr ändern sich
unsere Lebensanschauungen im Laufe von ungefähr zehn Jahren.

Vor sechzig Jahren schrieb George Sand: „Du fragst mich, ob du durch
Liebe und Ehe glücklich werden wirst? Du wirst es nicht werden, ich bin
fest überzeugt davon, weder durch die eine noch durch die andere. Und
doch sind Liebe, Treue, Mutterschaft, die wichtigsten, die notwendigsten
Dinge in dem Leben einer Frau.“

Demselben Gedanken gibt R. L. Stevenson Ausdruck, wenn er sagt: „Ich
vermute, daß die Liebe wohl eine zu gewaltige Leidenschaft ist, um in
allen Fällen eine gute häusliche Rolle zu spielen.“ Natürlich wird
niemand von den jungen Leuten das glauben wollen, aber es ist eine
schreckliche gemeine Wahrheit, daß in der Regel die glücklichsten Ehen
diejenigen sind, in welchen sich die Paare nicht zu heftig lieben. Ich
spreche von dem gediegenen Alltagsglück, nicht von dem Überschwang und
den Verzückungen. Die von der leidenschaftlichen Liebe erhobenen
Ansprüche und der fieberhafte Gemütszustand, den sie hervorruft, sind
oft der Grund ihres Schiffbruches. „Wenn ich ein Scheusal bin, mein
Schatz“, sagte ein Mädchen einst zu ihrem Liebsten, als sie einen
Streit, den sie selbst heraufbeschworen hatte, wieder beilegen wollte,
„so ist es nur, weil ich dich zu sehr liebe“. -- „Dann um Himmelswillen,
liebe mich weniger und behandle mich besser“, gab der gekränkte
Liebhaber zur Antwort, und wir können seine Gefühle nur teilen.

Ich habe absichtlich das Wort _Neigung_ in dieser Abteilung statt eines
Wortes gebraucht, das einen höheren Gefühlsgrad bezeichnet, und ich
konstatiere ohne Zaudern, daß im allgemeinen die glücklichsten Ehen jene
sind, die sich, „wenn der süße Liebeszauber, jenes Süße, das beinahe
Gift ist“ nicht mehr wirkt, zu jenen gemäßigteren, anspruchsloseren,
friedlichen und harmonischen Verbindungen entwickeln, die man mit
Neigungsehen bezeichnen kann. Den heißblütigen jungen Leuten und jungen
Mädchen, die unermüdlich nach der höchsten Lebensfreude streben, von
denen keines diesen prosaischen und unrühmlichen Rat hören mag und die
alles auf den Glauben setzen wollen, daß der erste Liebeszauber ewig
dauert, denen sage ich: „Trachtet eure Rosenromantik auf andere Weise zu
finden, sucht sie nicht in der Ehe, ihr werdet, wenn euer Fall keine
Ausnahme der Regel bildet, unvermeidlich einen schrecklichen Mißgriff
tun! O, fragt mich nicht, wie ihr es machen sollt, aber erinnert euch
dessen, was ich sage, und heiratet nicht, bis nicht die ruhige,
gemäßigte, schöne und friedvolle Neigung, über die ihr jetzt spottet, in
euren Augen ein Hafen des Friedens vor den Stürmen und Lasten des Lebens
geworden ist, und das höchste Gut, das es euch bieten kann.“

Ein anderer Grund, warum die Neigungsehe am ehesten glücklich wird, ist,
weil die gegenseitige Achtung einen so breiten Raum in ihr einnimmt, und
wie ungeheuer wichtig diese in dem heiligen Ehestand ist, kann niemand
wissen, bevor er heiratet. Ich werde über die außerordentliche
Notwendigkeit der Achtung im Eheleben später noch mehr zu sagen haben.



II. Warum Mann und Frau auseinandergeraten: Zwistigkeiten

  „Man mag sagen, was man will: der Mann, der der Ehe ausweicht, ist
  ähnlich demjenigen, der vor der Schlacht davonläuft.“

    _R. L. Stevenson._


Wir haben über jene Typen von Ehen gesprochen, die von Anbeginn mehr
oder weniger zum Mißraten verurteilt sind, und kommen jetzt zu den
Ursachen, warum so viele Ehen unglücklich werden, bei denen
augenscheinlich alle äußeren Umstände glücklich waren.

Ich glaube, es war Sokrates, der sagte: „Ob ihr heiratet oder nicht
heiratet, ihr werdet es bereuen.“ Die Leute, die behaupten, daß die Ehe
ein Mißgriff ist, scheinen aus den Augen zu verlieren, daß diese Form
des Geschlechtslebens nicht des Glückes halber eingerichtet wurde,
sondern um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, und solange
diese Bedürfnisse durch die Ehe befriedigt werden, muß die Institution
als erfolgreich betrachtet werden, wie unglücklich auch viele
Verheiratete sein mögen.

Wenn die Gründe, „warum Mann und Frau auseinandergeraten“ erschöpfend
behandelt werden sollten, dann würde dieser Gegenstand einige hundert
riesenhafte Bände füllen, ich glaube, eine ganze Bibliothek könnte mit
Büchern über dieses Kapitel gefüllt werden. Seit Adam und Eva eine
Auseinandersetzung über ihr Dessert hatten, haben Männer und Frauen
immer gestritten und der demütige Philosoph, der sagte, daß „gewisse
Leute so erbittert und regelmäßig stritten wie Mann und Frau,“ beschrieb
nur einen Zustand, den die Gewohnheit ihm vertraut gemacht hatte.

Wie überhaupt im Leben, kommt es auch in der Ehe auf die kleinen Dinge
an, und das gebrechliche Schiff ehelichen Glücks scheitert hauptsächlich
an den unbedeutenden, kaum sichtbaren Felsen, an der kleinlichen
Eifersucht, dem unscheinbaren Ableugnen, den kleinen Aufregungen, den
kleinen Launen, den kleinen beißenden Worten, die nach und nach so viele
kleine Löcher in die Steuerung bohren, daß zum Schluß ein nicht mehr gut
zu machendes Leck entstanden ist, und das Schiff beim nächsten Sturm
scheitert. Die großen Hindernisse verursachen einen größeren Krach, wenn
man auf sie stößt, aber man kann sie von weitem sehen und glücklich an
ihnen vorbeikommen.

Ein unglücklicher Ehemann, bei dem es gerade zur Trennung kommen
sollte, (obzwar er zu jenen gehört, die aus „wahnsinniger Liebe“
geheiratet hatten) vertraute mir einst an, daß die erbittertsten und
fürchterlichsten Streitigkeiten zwischen ihm und seiner Frau immer wegen
einer äußerst kleinlichen Ursache begonnen hatten, gewöhnlich, weil er
ihre Kleider nicht bewunderte! Kann etwas kläglicher und abgeschmackter
sein! „Warum“, fragte ich ihn, „wenn es Ihnen so darum zu tun ist, den
Frieden aufrecht zu erhalten, wagen Sie denn irgend eine Kritik an den
Kleidern?“ „Oh, ich gebe ja nie eine ab,“ war die Antwort. „Sie fragt
mich um mein Urteil über ein neues Kleid, zum Beispiel, und wird böse,
wenn es abfällig ist. Dann werde ich natürlich auch böse, ich bin ja
kein Heiliger, und gleich kommt es zu Beschimpfungen und Worten, die wie
Hiebe sitzen. Dann drücke ich mich für ein paar Tage, und dann ist
natürlich der Teufel los, wenn ich wieder heimkomme, und es beginnt von
neuem. Sehen Sie, der jetzige Streit hat ungefähr fünf Wochen gedauert,
und im Anfang war es einfach nur deshalb, weil ich sagte, die
Straußfeder auf ihrem Hute gefalle mir nicht!“

Noch ein Beispiel. Ich traf einst bei einem Rennen eine Schulfreundin,
die ich seit langem aus den Augen verloren hatte, das letztemal als
liebende und geliebte jung verheiratete Frau sah. Jetzt war sie sehr
verändert und hatte harte und hagere Züge. Ich fragte nach dem Mann, der
mir als strahlender Bräutigam in Erinnerung war.

„Oh, er ist den Weg aller Gatten gegangen,“ sagte sie mit einem Seufzer.
„Er ist Lebemann geworden, meine Liebe.“

„Was Sie nicht sagen!“ rief ich erschrocken und bekümmert.

„Ja, er hat sich zum Lebemann herausgebildet und das hat unsere Liebe
zugrunde gerichtet,“ war die zynische Antwort.

Es war allerdings so. Treue und Magenverstimmungen vertragen sich
schlecht miteinander, und der Gatte meiner Freundin hatte sich eine
gefährliche Fertigkeit angeeignet, sein Mittagessen ins Feuer zu werfen,
wenn es ihm nicht schmeckte, eine allerdings das häusliche Glück nicht
fördernde Gewohnheit.

Die Kost ist wirklich eine der Hauptquellen von Reibungen in der Ehe. Es
klingt possenhaft, aber ich meine es ganz im Ernst. Die Kost, ihre
Anordnung und Zubereitung und die daraus erwachsenden Kosten bedeuten
eine der größten Tragödien im Dasein einer Frau. Die Zeit, die alles
heilt, stumpft Gott sei Dank auch die Heftigkeit dieser Pein ab, und
Matronen von ungefähr fünfzig Jahren sind imstande, der täglichen Bürde
der Abfassung des Speisezettels mit einer gewissen Gleichgültigkeit
entgegenzutreten. Aber für eine Frau, welche das kritische Alter noch
nicht erreicht hat, das man charakteristischerweise mit der Bemerkung:
„hm, gerade so alt wie alle andern, nämlich fünfunddreißig“ bezeichnet,
ist dieser Faktor das größte Kreuz, während so mancher Braut die erste
Zeit der jungen Ehe durch die schreckliche und stets wieder neu
erstehende Notwendigkeit, die richtige Kost für ihren Lebensgefährten zu
finden, total verdorben wurde. Die Männer machen sich lustig über die
Frauen, weil ihr Lunch, wenn sie allein sind, oft aus einer Schale Tee
und einem Ei besteht, aber die Frauen haben einen so angeborenen Haß
gegen das Anschaffen, den sie wohl von einer langen Linie leidender
weiblicher Vorfahren ererbt haben müssen, daß die meisten von ihnen
lieber ganz vergnügt bis zum Ende ihrer Tage von Tee und Butterbrot
leben möchten, als täglich der Notwendigkeit ins Auge zu sehen, über
einen Speisezettel nachzudenken. Aus diesem Grunde glaube ich, daß
vegetarianische Gatten besonders begehrenswert sind, da das Grundprinzip
der Ernährungsreform die Einfachheit ist. Jene, welche darauf eingehen,
erwerben eine ganz neue Anschauung von der Bedeutung der Ernährung und
sind rührend leicht zufrieden zu stellen. Ich kenne eine Frau, deren
Mann Vegetarier ist, und sie erklärte, daß die Ernährungsfrage, die
einen so zerstörenden Faktor in den meisten Häusern bildet, ihr nie auch
eine einzige Träne, ein Stirnrunzeln, ein böses Wort oder einen Wink
eingebracht hätte. Sie versicherte mir, daß ihr Mann zum Frühstück mit
einer Banane, zum zweiten Frühstück mit einem Kopf Salat, zum
Mittagessen mit einer Dattel und zum Abendessen mit einer gesalzenen
Mandel ganz zufrieden sein würde. Als das Haus aus Anlaß einer großen
Abendgesellschaft auf den Kopf gestellt wurde und es nicht möglich war,
das gewöhnliche Mittagessen zu bereiten, da aß dieser Engel von einem
Gatten im Badezimmer Käsebrödchen anstatt des Mittagessens und war noch
dazu sehr entzückt davon. Ich konnte es zuerst kaum glauben, aber es
soll tatsächlich so gewesen sein.

Unter den vielen niedrigen Ursachen der Reibung in der Ehe bildet die
verschiedene Empfindlichkeit gegen Temperaturen ganz gewiß eine sehr
reiche Quelle von Zwistigkeiten. Wenn der eine bei offenem Fenster
zusammenschaudert und der andere ein Freiluftfanatiker ist und nicht
atmen kann, wenn es geschlossen ist, dann ist eine Kette von
Unglücksmöglichkeiten die Folge davon. Ich glaube, es war Napoleons
zweite Frau, Marie Louise, die sich, wenn sie wollte, ihren Gatten
fernhalten konnte, bloß dadurch, daß sie ihre Gemächer kalt hielt. Dem
großen Mann war es nur gemütlich in einem sehr heißen Zimmer mit einem
flackernden Kaminfeuer.

Der Mangel an Humor, etwas sehr Bedauerliches, ist noch eines jener
winzigen Felsenriffe, an denen das eheliche Glück so oft scheitert. Das
ist ganz natürlich, denn die Abwesenheit dieser unschätzbaren
Eigenschaft gehört zu den ärgsten Entbehrungen eines Reisenden auf der
Fahrt durch das Leben. Unter den Männern ist die Überzeugung verbreitet,
daß alle Frauen unter diesem Mangel leiden, aber ich glaube, wir können
es uns leisten, ihnen diese Täuschung zu belassen, da sie ihnen so viel
Befriedigung bereitet. Ich hatte einmal einen journalistischen Freund
mit einer schrecklich unverdaulichen und außergewöhnlich betrübenden
literarischen Gewohnheit. Dieser arme Teufel bildete sich ein, ein
Humorist zu sein, und ich mußte oft das Vorlesen vieler Seiten voll
trostloser und mühseligster Scherze über mich ergehen lassen, die er für
ein Blendwerk an Witz und Geist hielt. Mein geduldiges, langmütiges
Zuhören verschaffte meinem obgesagten mangelhaften Verständnis für Humor
nur bitteren Hohn, aber meine Kritik inspirierte den jungen Mann zur
Abfassung eines zynischen Artikels über „die Frauen und den Humor“,
eines Artikels von jener Sorte, an der die Verleger -- da sie Männer
sind -- Gefallen finden und daher schweres Geld dafür bezahlen.

Tatsache ist, daß das, was die Männer zumeist unterhält, die Frauen
langweilt und umgekehrt. Aber es ist gewiß unlogisch, daraus abzuleiten,
daß der Sinn für Humor bei den Frauen geringer ist als bei den Männern,
oder daß er gar nicht besteht. Da jedoch diese scheinbar so unbedeutende
Sache von solcher Bedeutung im ganzen Leben ist, gleichviel ob es in
einem Palast, in einem Kloster, in einer Villa oder einem Arbeiterhaus
dahinfließt, so glaube ich, eine Frau täte gut daran, Heiterkeit zu
heucheln, wenn sie keine fühlt, mit ihrem Herrn und Gebieter zu lachen,
selbst wenn sie die Pointe nicht versteht und sich nichts daraus zu
machen, wenn er nicht mit ihr lacht.

Die Leute, die über die Ehe geschrieben haben, scheinen diesem wichtigen
Punkt keine Bedeutung beigemessen zu haben. Stevenson bildet eine
Ausnahme, er sagt: „Wenn die Leute über denselben Spaß lachen oder so
manchen alten Scherz gemeinsam haben, der durch die Zeit nicht verblaßt
und die Gewohnheit nicht flau wird, so wird das -- mit Verlaub gesagt --
eine bessere Vorbereitung für das gemeinschaftliche Leben sein, als so
manche Dinge, die in der Welt einen edleren Klang haben. Man kann, wenn
man will, Kant für sich allein lesen, aber einen Scherz muß man mit
jemandem teilen.“

Und wirklich bildet ein gemeinschaftlicher Scherz, eine alte Anspielung,
über die beide zu lachen gewohnt sind, ein mächtigeres Band als so
manches tiefere Gefühl. Man erinnert sich an diese Kleinigkeiten noch
lange, nachdem man die ergreifendsten Augenblicke der Leidenschaft, den
atemraubenden Herzschlag und die stürmischen Umarmungen vergessen hat,
die einst unsterbliche Erinnerungen zu geben versprachen. Alles, alles
ist vergessen, aber der dumme kleine Spaß hat noch immer die Macht,
Tränen in unsere Augen zu locken, wenn der eine, mit dem wir den Scherz
durchlebt haben, für immer dahin ist.

Eine Menge Leute sind unglücklich, die mit einem anderen Gefährten oder
einer anderen Gefährtin ganz glücklich geworden wären. „In der
Ungleichheit der Temperamente liegt die Hauptursache des Unglücks in der
Ehe. Mangelnde Harmonie der Geschmacksrichtungen macht viel aus, aber
das Nichtzusammenpassen des Temperaments noch mehr“. Manches Paar paßt
so lächerlich schlecht zusammen, daß man sich wundert, wie sie je davon
geträumt haben können, das Glück beieinander zu finden. Daran sind
wieder zumeist die unsinnigen konventionellen Sitten schuld, die das
gegenseitige Kennenlernen der ledigen Männer und Frauen so sehr
erschweren. Es ist jedoch in dieser Hinsicht während der letzten zehn
oder zwanzig Jahre um soviel besser geworden, daß wir nicht murren
sollten; aber selbst jetzt, wenn ein Mann dem Beisammensein mit einem
Mädchen den entschiedenen Vorzug gibt, wird sein Name in einer Weise mit
dem ihren verknüpft, die einen jungen, aller Eheabsicht ermangelnden
Mann in Unruhe zu versetzen geeignet ist. Jene Reliquie aus alten
Zeiten, der nach den „ernsten Absichten“ fragende Verwandte, ist
durchaus nicht ausgestorben, und so manche vielversprechende
Freundschaften, die vielleicht in einer glücklichen Ehe geendet hätten,
sind durch das plumpe Eingreifen dieses barbarischen Verwandten
verdorben worden.

Ein mir befreundeter Rechtsanwalt -- nennen wir ihn Anthony -- versuchte
einst aus Berufsrücksichten, sich einem töchterreichen Gerichtsrat
angenehm zu machen. Da er sehr schlau war, wählte er für seine
Aufmerksamkeiten eines der Mädchen, die noch in der Schulstube steckten,
und entging so der Notwendigkeit, ihren ältern und heiratsfähigen
Schwestern ein besonderes Interesse zu zeigen. Sein vertrauter Verkehr
in der Familie machte gute Fortschritte, und der Vater wurde ihm ein
sehr nützlicher Chef. Jedoch entdeckte er mit der Zeit zu seinem
Mißvergnügen, daß seine kleine Freundin Amaryllis herangewachsen war und
er in der Familie als ihr besonderes Besitztum betrachtet wurde. Nun
übertrug er rasch seine Anhänglichkeit auf Aphrodite, das damals jüngste
Schulmädchen der Familie, und dadurch rettete er sich vor den
Verpflichtungen gegen Amaryllis, wahrte sich aber doch gleichzeitig die
wertvolle Freundschaft des Vaters. In einer unglaublich kurzen Zeit war
jedoch Aphrodite auch heiratsfähig, und die Familie erwartete
neuerdings, sich Anthony als ständiges Familienmitglied zu sichern. Er
führte wieder dasselbe Manöver aus und wählte diesmal die kleine
Andromeda, die direkt ein Kind aus der Kinderstube war. Obzwar die
Familie enttäuscht war, hegte sie noch Hoffnungen und so gingen die
Jahre friedvoll dahin, brachten einige Schwiegersöhne mit sich und eine
Menge Bonbonnièren für die harmlose Andromeda. Als jedoch auch diese
heranwuchs, fürchtete der schlaue Anthony, daß seine einträgliche
Freundschaft nun unvermeidlich ein Ende haben müsse, da die einzige
übrigbleibende Tochter schon das gefährliche Alter von fünfzehn Jahren
erreichte und überdies den unsympathischen Namen Anactoria trug.

Eine lange Freundschaft und eine kurze Verlobung sind vielleicht
die beste Zusammenstellung. Eine lange Verlobung gehört zu den
gefährlichsten Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die man sich
denken kann. Für die Frau bedeutet sie die Nachteile der Ehe ohne deren
Reiz eines ruhevollen Abschlußstadiums oder irgendwelche Vorteile der
Welt gegenüber. Für den Mann wieder bedeutet sie die Lästigkeit des
Ehejochs ohne seine Befriedigung und sein Behagen. Wirklich, für den
Mann ist eine lange Verlobung besonders hart, da der Frau wenigstens die
Last der Anordnung der Speisen und der Beschäftigung mit der
Dienerschaft erspart bleibt. So manche wahre Neigung ist schon durch die
Einschränkungen und Aufreibungen einer langen Verlobung zugrunde
gerichtet worden. So manche echte Leidenschaft ist in ihrem trüben Lauf
versandet, bis nur ein schwacher Schimmer der großen Flamme übrig blieb,
um das Eheleben zu erhellen, und Mann und Frau das Zeichen der
niedergehaltenen Glut tragen, welche unter glücklicheren Umständen zu
freudigem Genießen geführt hätte. Auch ihren Kindern fehlt es oft an
Lebenskraft, und man merkt ihnen an, daß die Glut erlosch, bevor sie
gezeugt wurden.

Ich weiß nicht, wer zuerst das Wort von der „schrecklichen Intimität des
Ehelebens“ geprägt hat. Es ist gewiß ein richtiger Ausdruck, und man
möchte wissen, zu welcher Zeit der Geschichte der Menschen man begonnen
hat, diese Intimität „schrecklich“ zu finden. Es klingt wie eine recht
moderne Klage, und man fühlt, daß sie nicht von unseren Großmüttern
geäußert wurde, die ihre Gatten als eine Art sichtbare Verkörperung des
Willens des Herrn betrachteten und dementsprechend verehrten. Es würde
ihnen nie beigekommen sein, das lästig zu finden, was Mrs. Lynn Linton
die „enge Stubenabgeschlossenheit des englischen Heims“ nennt.

Es ist viel über die Herabwürdigung der Liebe durch die Gewohnheit
gesprochen worden, und Alexander Dumas beurteilt die ganze Frage
erschöpfend in einem kristallklaren Satz: „Wo in der Ehe Liebe ist,
tötet die Gewohnheit sie; doch wo keine ist, da ruft sie sie wach.“ Das
ist durch und durch wahr und für jede Leidenschaft, welche die
Gewohnheit ertötet hat, hat sie wohl umsomehr echte Neigungen
hervorgerufen.

Der Plan der Sparter, den Eheleuten nur verstohlene Zusammenkünfte zu
gestatten, zeigt ein scharfes Verständnis für die menschliche Natur und
hat viel für sich, wenn es sich darum handeln sollte, die Zeit der
Leidenschaft zu verlängern. Aber wir haben es nicht mit der Leidenschaft
zu tun, sondern mit der gewöhnlichen Zuneigung zwischen Leuten, die
unter den erschwerenden Verhältnissen der modernen Ehe zu leben haben,
und in diesen Verhältnissen muß man, was die durch die Gewohnheit
hervorgebrachten Wunder anbetrifft, mit Dumas übereinstimmen.

Wenn die Leute es nur anerkennen wollten: die Gewohnheit ist der Kitt,
der das Gebäude der Ehe zusammenhält. Wenn nur die leichteste Grundlage
gegenseitiger Harmonie gegeben ist, so wird einem im Lauf der Jahre der
Gefährte ganz unentbehrlich, und zwar nicht wegen seines Zaubers und der
Liebe, die wir für ihn hegen, sondern einfach, weil er oder sie ein Teil
unseres Lebens sind. Darum halte ich die Politik der steten Trennung für
töricht. Sie basiert wohl auf der irrtümlichen Annahme, daß die
Abwesenheit zärtlicher macht. Dort, wo die Grundlage gegenseitiger
Harmonie nicht besteht, mag es richtig sein. Und wenn zwei Leute sich
nicht mögen und schlecht miteinander auskommen, kann eine kurze
Trennung dazu dienen, die Spannung zu lösen und sie mit dem Vorsatz
zurückzuführen, in Zukunft die Dinge ruhiger zu nehmen; aber dort, wo
eine Neigung besteht, scheint mir die Trennung ein Mißgriff. Man gewöhnt
sich, ohne einander zu leben, und jene verbindende Kette kleiner
täglicher Vertraulichkeiten, oft wiederholter Späße, teuer gewordener
Gewohnheiten ist für eine Zeit entzweigerissen, und es ist nicht leicht,
sie wieder zusammenzufügen. Meine Freundin Miranda sagte mir vor einiger
Zeit: „Wenn Lysander einen Tag von mir weg war, habe ich ihm bei seiner
Rückkehr eine Menge Sachen zu erzählen -- aber wenn wir einen Monat
getrennt waren, fällt mir absolut nichts ein, was ich ihm sagen könnte.“

Ich glaube de la Rochefoucauld sagt: „Die Trennung vertieft große
Leidenschaften und vermindert kleine, gerade wie der Wind die Kerze
auslöscht und das Feuer anfacht.“ Das ist vom literarischen Standpunkt
aus sehr fein gesagt, aber ist es auch wahr? Meine Erfahrung sagt mir:
nein. _Während_ der Abwesenheit scheint dieses Aphorisma allerdings wahr
zu sein. Die Enttäuschung kommt erst beim Wiedersehen. Wer erinnert sich
nicht an jene erste Trennung von dem Geliebten, die zahllosen
Briefe, die endlosen Gedanken, die unaufhörliche Sehnsucht und die
unerschöpflichen Pläne für das herrliche Wiedersehen. Was für ein
Wiedersehen das werden soll! Wie verweilt man in Gedanken bei der ersten
lieblichen Freude, durch den Blick begehrt zu werden; bei der noch
lieblicheren des Händedrucks und bei der lieblichsten von allen: wenn
ein herrlicher Kuß die Lippen verschließt und die Umarmung nicht enden
will, in deren Seligkeit alle Traurigkeiten der Trennung versinken
sollen -- und ach! Gelächter der Hölle! wie ganz anders ist es in
Wirklichkeit! Was für eine abscheuliche Enttäuschung ist das
Wiedersehen! Wie anders sieht der Liebste aus als in unseren
leidenschaftlichen Träumen; seine Haare sind schon viel zu lang; seine
Stiefel gefallen uns nicht; seine Krawatte ist nicht nach unserem
Geschmack; seine Art zu sprechen gefällt uns gar nicht; in seinem Kuß
ist kein Beben; seine Bemerkungen sind langweilig; seine Anwesenheit
reizt einen: kurz und gut, _wir haben uns daran gewöhnt, ohne ihn zu
sein_, und so erscheint uns nichts recht, was er tut. Armer Geliebter!
Dachtest du dasselbe von uns? Bist du auch enttäuscht? Sagtest du dir
auch: „Wie müde sie aussieht! Bei Gott, sie bekommt ein Doppelkinn! Ich
dachte, rosa steht ihr gut! Was hat sie mit ihrem Haar angefangen? Ihre
Stimme klingt schärfer. Warum lacht sie so? Ihre Zähne gefallen mir
nicht. Bei Gott, sie ist häßlich!“ Kurz und gut, „er hat sich auch daran
gewöhnt, ohne uns zu sein.“ Wenn die Gatten das einmal durchgemacht
haben, dann gerät das Schiff ‚Eheglück‘ in gefährliche Strömungen, aus
denen die Gefahr des Schiffbruchs drohend emportaucht.

Aber es ist ebenso verhängnisvoll, in das andere Extrem zu verfallen,
und ich gebe jener Schriftstellerin (wie heißt sie?) ganz recht, die
sagte, daß es in keinem Haus gut gehen könne, wenn die männlichen
Mitglieder der Familie nicht mindestens täglich sechs Stunden auswärts
sind, ausgenommen Sonntag. Ich bedaure jene Frau tief, deren Gatte durch
seinen Beruf oder in Ermanglung eines solchen den ganzen Tag zu Hause
ist. Wenn man außer seinem Frühstück und seinem Mittagessen noch seinen
Lunch zusammenzustellen und anzuschaffen hat, so muß schon das eine
harte Prüfung sein. Schon aus diesem Grunde -- und noch so manchem
anderen -- sollte eine Frau nie einen Mann heiraten, der nicht _irgend
etwas_ zu tun hat. Wenn er keinen Broterwerb hat, der ihn aus dem
Bannkreis der weiblichen Tätigkeit täglich für einige Stunden entfernt,
dann muß er eine Passion haben oder eine Spielmanier oder sonstige, ihn
in Anspruch nehmende Pflichten, die demselben Zweck dienen. Wo das nicht
der Fall ist, da muß die Frau von übermenschlicher Güte sein und
unendliche Liebe, Takt und Geduld besitzen, wenn beide glücklich
miteinander leben sollen.

Dasselbe gilt auch für die Frauen, obzwar es nicht allgemein anerkannt
ist. Ich bin davon überzeugt, daß eine große Anzahl der Ehen des
Mittelstandes bloß deshalb unglücklich werden, weil die Frau nicht
genug zu tun hat. Da sie genug Dienerschaft hat, so nehmen ihre
Wirtschaftspflichten einen sehr kleinen Teil ihrer Mußestunden in
Anspruch, und wenn die Kinder in der Schule sind (oder sie hat
vielleicht keine), dann hat sie nichts Absorbierenderes zu tun als
Romane zu lesen und Besuche zu machen. Die Folge davon ist, daß die
einen ihre Nerven beobachten und halbinvalide Neurasthenikerinnen
werden; die anderen sich für das männliche Geschlecht interessieren und
ihre freie Zeit mit unerwünschten Liebeleien ausfüllen; daß die dritten
sich Launen, melancholischen Stimmungen oder eifersüchtigen Phantasien
hingeben usw. -- und alle sind sie bloß aus Mangel an genügender
Beschäftigung untauglich geworden, die richtige Lebensgefährtin des
Mannes zu sein.



III. Das Heiratsalter

  „Das Merkwürdige für mich ist nicht, daß so viele Leute
  unverheiratet bleiben, sondern, daß sich so viele in die Ehe
  stürzen, wie sie auf eine Bahnstation losstürzen würden, um einen
  Zug zu erreichen. Wenn man den falschen Zug erwischt, was dann?
  Alles, was einem zum Troste bleibt, ist die Tatsache, daß man
  gereist ist.“

    _Robert Hichens._


Eine große Zahl unglücklicher Ehen könnte vermieden werden, wenn die
Leute das richtige Heiratsalter finden könnten. Da es bei jedem
Individuum ein andres ist, kann man unmöglich eine Regel darüber
festlegen. Manche Männer sind imstande, mit zweiundzwanzig Jahren eine
gute Wahl zu treffen, andere wieder kennen sich selbst nicht einmal,
wenn sie doppelt so alt sind. Manche Mädchen sind schon unter zwanzig
Jahren für den Ehestand und die Mutterschaft geeignet, andere sind es
nie.

Im Interesse der abstrakten Moral sind frühe Heiraten wünschenswert, und
in England tut das Gesetz alles, was es nur kann, um sie zu ermuntern.
In Frankreich wird die Erhaltung der Familienautorität als hochwichtig
betrachtet, und das Gesetz versucht augenscheinlich, frühe Verbindungen
durch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel zu verhindern, unbekümmert um
den hohen Prozentsatz der unehelichen Geburten, welche die direkte Folge
davon ist[1].

  [Anmerkung 1: Im Jahre 1903 war ein Zehntel aller in Frankreich
  geborenen Kinder unehelich, in Paris allein war der Prozentsatz
  noch weit höher, ungefähr 1 auf 4.]

Im allgemeinen sollte keine Frau heiraten, ehe sie nicht etwas vom Leben
versteht, eine Menge Männer kennen gelernt hat, eine gewisse Kenntnis
der Physiologie und ein klares Verständnis des wirklichen Wesens der Ehe
gewonnen hat. Keine Frau sollte heiraten, ehe sie nicht den Wert des
Geldes und die Führung des Haushalts kennen gelernt hat, ehe sie nicht
genügend jugendliche Heiterkeit erfahren hat, und so vorbereitet ist für
die ernsteren Dinge des Lebens. Nicht früher ist sie geeignet, in der
Einförmigkeit der Ehe glücklich zu sein, und ihr Herz der Notwendigkeit
der Treue für einen Mann, in Gedanken ebenso sehr als in der Praxis,
anzupassen. Auch der Mann ist, im großen und ganzen genommen, nicht
geeignet, sich glücklich zu verheiraten, ehe er nicht genügend vom Leben
gesehen, sich eine Philosophie ausgearbeitet, und eine tüchtige Kenntnis
der Frauen sowie das daraus folgende Verständnis erworben hat, wie man
eine Frau glücklich macht. Das ist nicht so leicht geschehen, wie die
Männer glauben, und es verlangt Lehrzeit. Wenige Männer unter dreißig
sind geeignet, eines Weibes Hort zu sein, und der Himmel bewahre ein
Mädchen vor einem jungen Gatten, der noch ein Bengel ist. Gewiß wird sie
herrliche Augenblicke haben, denn es liegt etwas Berauschendes in der
Glut sehr junger Herzen, und darum finden wir die Ehen zwischen
Jünglingen und ganz jungen Mädchen so reizend -- in der Theorie.
Manchmal, wenn es sich um ein Ausnahmspaar handelt, das besonders gut
zueinander paßt, ist so eine Ehe auch wirklich reizend, und dann ist es
die schönste Ehe, die man sich denken kann: zwei junge Leute, Hand in
Hand die Lebensreise antretend, tapfer, liebend, von den höchsten
Hoffnungen geschwellt. Aber gewöhnlich ist die Herrlichkeit nur auf
Augenblicke beschränkt; junge Mädchen sind zumeist seicht und
leichtfertig. Sehr junge Männer sind oft schrecklich egoistisch und
rücksichtslos. Sie sind so stolz darauf, der einzige Besitzer eines
reizvollen Weibes zu sein, daß ihre Einbildung, die immer groß ist, zu
ungeheuerlichen Proportionen anschwillt, und sie einfach unerträglich
werden. Wenn für das junge Paar trübe Tage kommen sollten, hat der
knabenhafte Gatte keine Philosophie, um sich aufrecht zu erhalten, keine
Kenntnis der Frauen, die ihn befähigen könnte, seine Frau zu verstehen
und mit ihr glücklich zu leben, und nicht genug Selbstbeherrschung, um
ihr zu helfen. Sie hat dieselben Fehler der Jugend, und das Resultat ist
das Fehlschlagen der Ehe. Stevenson drückt das sehr gut wie folgt aus:
„In die Schule könnt ihr gut mit bloßen Hoffnungen gehen, aber bevor ihr
heiratet, solltet ihr Euch die vielfältigen Lehren, die das Leben gibt,
angeeignet haben.“ Andererseits sagt Grant Allen, „daß die besten Männer
sozusagen verheiratet auf die Welt kommen“, und daß nur der egoistische,
niedrige und berechnende Mann mit dem Heiraten wartet, bis er eine Frau
erhalten kann. „Diese gemeine Phrase bemäntelt kaum verborgene Untiefen
von Sittenverderbnis“, fährt er fort. „Der richtige Mann klügelt nicht
mit sich selbst über alle diese Dinge. Er sagt nicht mit selbstsüchtiger
Kälte: ‚Ich kann eine Frau nicht erhalten‘ oder: ‚Wenn ich heirate,
verderbe ich mir die ganze Zukunft‘; er fühlt und handelt. Er paart sich
wie der Vogel, weil er nicht anders kann.“

Ich muß sagen, daß jene jungen Männer, die nicht denken, sondern nur
fühlen und handeln, meiner Ansicht nach kaum zum höchsten Typus gehören,
und daß, wenn es allgemein als Zeichen edler Natur anerkannt würde, sich
zu paaren wie die Vögel, die Adelsnaturen gewiß viel weniger selten
wären, als sie es heutzutage sind.



IV. Das „Sichausleben“ für Frauen

  „Nichts, was zu sagen der Mühe wert ist, ist schicklich.“

    _G. Bernard Shaw._

  „Ich glaube nicht an die Existenz der puritanischen Frauen. Ich
  glaube nicht, daß es eine Frau in der Welt gibt, die sich nicht ein
  bißchen geschmeichelt fühlen würde, wenn man ihr den Hof macht. Das
  eben macht die Frauen so unwiderstehlich reizend.“

    _Oscar Wilde._


Sollte es irgendwelche Leser geben, deren Feinfühligkeit bei diesen
Zitaten verletzt würde, dann werden sie ergebenst gebeten -- nein es
wird ihnen befohlen -- nicht weiter zu lesen. Und sollte es welche
geben, deren Empfindlichkeit schwankt, ohne jedoch einen direkten Stoß
erlitten zu haben, dann werden sie liebevoll -- nein flehentlichst --
ersucht, einige Male das obige Zitat aus Shaws unsterblicher „Candida“
zu lesen, sich dann aufzuraffen und den Sprung zu wagen. Ich kann ihnen
versprechen, daß es nicht halb so schrecklich sein wird als sie hoffen,
ja, daß die ausgesprochene Schicklichkeit dieser Zeilen sie
wahrscheinlich bitter enttäuschen wird. -- Es ist merkwürdig genug, daß
die Frauen, obgleich sie mehr als die Männer zu heiraten bestrebt sind,
und alles in ihrer Macht stehende tun, um das zustande zu bringen,
wogegen die Männer sich oft sträuben, -- trotz allem in der Ehe
gewöhnlich am unzufriedensten sind. In den letzten Jahren ist ein
seltsamer Geist der Unruhe über die verheirateten Frauen gekommen, und
sie rebellieren häufig gegen Bedingungen, über die zu murren unseren
Großmüttern nie im Traume eingefallen wäre. Es gibt eine Menge Gründe
dafür: der eine ist, daß die Ehe die Erwartungen der Frau sehr
enttäuscht (wie ich in dem einleitenden Kapitel sagte). Ein anderer, daß
sie sich nicht _nach Frauenart_ ausleben können. Ich bitte genau die
gesperrt gedruckten Worte „nach Frauenart“ zu beachten und mich
freundlichst nicht mißverstehen zu wollen. Ich bin nicht dafür, daß die
allgemein den Männern zugebilligte Freiheit auch auf die Frauen
ausgedehnt wird.

„Das Sichausleben“ dieser Art, anders gesagt, ein vorehelicher
„Freiheitsrausch“, war gewiß keine Notwendigkeit für unsere Großmütter.
Aber ein gewisser, ziemlich zahlreicher Typus moderner Frauen scheint
bessere Gattinen abzugeben, wenn sie dieses Stadium hinter sich haben.
Nehmt z.B. die Fälle von Yvonne und Yvette, die ich beide persönlich
kenne. Yvette verlobte sich mit achtzehn Jahren und heiratete mit
einundzwanzig, im Alter von sechsundzwanzig Jahren war sie Mutter von
vier Kindern. Sie hatte kaum Zeit gehabt, die Jugend zu erkennen und zu
genießen, ehe ihre Mädchenhaftigkeit unter den Verantwortlichkeiten der
Ehe und der Mutterschaft erstickt wurde. Sie hatte ihren ersten Bewerber
genommen, und er war wirklich der einzige Mann, von dem sie irgend etwas
wußte. Außer ihm hatte sie nichts von den Männern oder der Welt gesehen.
Sie hat gewiß nie geflirtet oder Freunde gehabt, und keine andere
Bewunderung genossen als die ihres Bräutigams.

Mit sechsundzwanzig Jahren begann Yvette zu erkennen, daß sie um einen
sehr kostbaren Teil ihres Lebens und eine unschätzbare Erfahrung
betrogen worden war. Obzwar sie eine recht glückliche Gattin und eine
hingebungsvolle Mutter war, fühlte sie, daß sie diese Genüsse ebensosehr
wie die häuslichen Freuden hätte haben können, und diese Erkenntnis
empörte sie.

In ihr Herz schlich eine gefährliche Neugier und eine noch gefährlichere
Sehnsucht nach Abenteuern und Erregungen. Sie erkannte, daß es auch noch
andere Männer als Markus gab, die sie bewunderten, und daß sie noch eine
ganz hübsche und junge Frau war. Mit dreißig Jahren war Yvette eine
Meisterin in der Kunst der Intriguen, hatte einige gefährliche
Herzensaffären eingefädelt und hätte großen Kummer heraufbeschworen,
wenn nicht Markus ein besonders kluger, zärtlicher und verständnisvoller
Gatte gewesen wäre.

„Nicht, daß ich ihn nicht zärtlich liebe“, vertraute sie mir, als sie
sich entschloß, einen anderen Weg zu betreten, „ich möchte ihn nicht für
irgend jemand in der Welt hergeben, und du weißt, was die Kinder mir
sind, aber dennoch brauche ich auch etwas anderes, etwas Erregendes. Ich
spüre, daß ich in meinem Leben keine Lustigkeit gehabt habe, und ich
möchte mich gerne ein bißchen austoben, bevor es zu spät ist. Als ich
mich verlobte, hatte ich kaum mit jemand anderem getanzt als mit Markus,
und in den ersten vier Jahren meiner Ehe bekam ich alle achtzehn Monate
ein Kleines. Es gab nichts als kleine Kinder, das eine zu säugen, für
das Neuankommende bereit zu sein. Ich hatte ja nichts dagegen, aber die
Reaktion mußte kommen, und sie kam. Wenn ich nur dieses Erregende und
die Heiterkeit und den Zauber zuerst hätte haben können und dann mit
ungefähr fünfundzwanzig Jahren geheiratet hätte, dann wäre ich ganz
zufrieden geworden wie Yvonne.“

Yvonne hatte sichs wohl besser eingerichtet. Das Schicksal bewahrte sie
davor, sich zu früh zu verlieben. Sie hatte immer eine Schar von
Verehrern und konnte so die Macht ihrer Weiblichkeit vollauf genießen.
Sie reiste, schloß wunderbare Freundschaften mit beiden Geschlechtern,
lernte die Welt kennen und bildete sich eine Weltanschauung. Als sie mit
neunundzwanzig Jahren heiratete, hatte sie genug von den anderen Männern
gesehen, um zu wissen, welchen Mann sie für sich brauchte, und genug
Erregung gehabt, um den Frieden und die Ruhe in der Ehe zu schätzen.

Die Geheimnisse vieler Frauen lasten schwer auf meiner Seele, während
ich dies schreibe, und so manche Frau, die ernsten Anlaß zu
Gewissensbissen hat, vertraute mir, daß nur diese verhängnisvolle
Sehnsucht nach Erregung ursprünglich ihr Verderben verursachte. Ich
werde meinen Sohn lehren, ja nur eine Frau zu heiraten, die die Periode
des „Sichauslebens“ hinter sich hat oder eine von jenem altmodischen
Typus, die das „Sichausleben“ nicht braucht. Bei dem modernen
Temperament muß es früher oder später kommen, und wie weit das moderne
Temperament sich entwickelt haben wird, bis der Sohn meines Sohnes
heiratsfähig ist, das wissen die ironischen Götter allein!

Junggesellen, merkt es Euch. Eine Frau der Neuzeit, die in der halben
Welt herumgekommen ist und so manches erlebt hat, wird eine viel bessere
Gattin, eine liebevollere Freundin und ein treuerer Gefährte sein, als
jene Mädchen, die einander so ziemlich gleichen, deren erste Erfahrung
Ihr seid und die enorme Ansprüche an Eure Liebe und Geduld stellen. Ihr
werdet vielleicht sogar ein auf Romanlektüre gegründetes Ideal
verwirklichen müssen, und das wird Euch sehr lästig fallen, liebe
Freunde! Die erfahrene Frau kennt die Männer gründlich, sie erwartet
nicht mehr von Euch, als Ihr ihr geben könnt. Sie wird Eure Tugenden
aufs Höchste schätzen und sich so gut als möglich mit Euren Untugenden
abfinden. „Aber sie hat so schrecklich geflirtet“, sagt Ihr. Gut. Um so
besser. Dann ist es wahrscheinlicher, daß sie es nach der Verheiratung
nicht tun wird. „Aber zum Teufel mit allem anderen -- sie ist von
anderen Männern geküßt worden“, wendet Ihr ein. Ganz gut, dann hat sie
kein Bedürfnis nach weiteren Erfahrungen dieser Art und wird ihre Lippen
nie wieder einem anderen Mann bieten, sobald sie die Eure geworden ist.
„Wie können Sie dessen sicher sein?“ „Ja, das gehört zu dem großen
Risiko der Ehe. Wie kann denn _sie_ sicher sein, daß _Ihr_ euer letztes
Verhältnis hattet?“ . . . Oh, mein Lieber, Ihr macht mich wirklich böse;
um Himmelswillen, trachtet von den konventionellen Vorstellungen von
Recht und Unrecht loszukommen. Beurteilt einmal die Dinge für Euch
selbst und sagen wir, wie sie auf dem Boden eines speienden Vulkans
erscheinen würden! . . . Alle Dinge, um derentwillen wir so viel
Aufhebens machen, würden zweifelsohne rasch in ihrem wahren Lichte
erscheinen, wenn wir sie von dieser gefährlichen Lage aus betrachteten.

Und selbst in den traurigen Fällen, wo eine Frau wirklich im
_männlichen_ Sinne des Wortes „sich ausgelebt“ hat, wie anders würden
uns die kleinen sittlichen Regeln und Gesetze, die wir für solche
Gelegenheiten bereithalten, angesichts eines plötzlichen, gewaltsamen
Todes erscheinen! Ich hörte vor kurzem folgende sehr traurige
Geschichte. Ein Mann war knapp dem Ertrinkungstode entronnen, kurz
nachdem er seine Verlobung mit einem von ihm aufrichtig geliebten
Mädchen rückgängig gemacht hatte, als sie ihm gestand, daß sie vor
vielen Jahren den Bestürmungen eines leidenschaftlichen Liebhabers
einmal nachgegeben hatte. Ich weiß nicht, was er in dem schrecklichen
Augenblick empfunden hat, als das Wasser über ihm zusammenschlug und er
jenes entsetzliche Ringen nach Luft durchmachte, das von jenen, die es
kennen lernten, als die fürchterlichste Empfindung geschildert wird.
Augenscheinlich fielen ihm durch den Umstand, daß er mit knapper Not dem
Tode entronnen war, die Schuppen von den Augen, und er befreite sich von
der konventionellen Meinung, die ihn bis dahin geblendet hatte. Anstatt
sich als einen tief gekränkten Mann zu betrachten, erkannte er, daß er
sich gegen das unglückliche Mädchen schrecklich benommen hatte, und sie
auf diese Weise durch sein Geschlecht doppelt gekränkt worden war. Er
suchte sie auf und bat sie, ihn wieder anzunehmen, aber sie war eine zu
gescheite Frau und weigerte sich, sich einem Manne von so engen
Ansichten und so hartem Urteil anzuvertrauen.

Diese Behandlung steigerte seine Liebe natürlich ins Tausendfache. Sie
quälte ihn Tag und Nacht und zum Schluß gewannen seine verzweifelten
Bitten die Oberhand, und sie gab nach. Ihre Ehe wurde keine glückliche,
wie man sich’s denken kann. Sie hatten einander wahnsinnig geliebt, und
das Gespenst dieser erloschenen Leidenschaft reckte sich unsichtbar
zwischen ihnen empor und vergiftete ihre Freude aneinander. Nach einer
Zeit verfiel die Frau in tiefe Melancholie und ließ sich von einer
geringfügigen Krankheit so überwinden, daß sie daran starb.

Als sie starb, soll sie zu ihrer treuen Freundin gesagt haben: „Wenn du
je einer anderen Frau begegnest, die einen kleinen Fehltritt begangen
hat -- etwas, was ihr damals so natürlich und unvermeidlich erschien,
daß es gar keine Sünde war -- dann sage ihr, daß sie es nie, _nie_ dem
Manne, den sie heiraten wird, gestehen soll, am allerwenigsten, wenn sie
ihn liebt. Wenn das Geständnis sie nicht ganz trennt, dann wird es immer
zwischen ihnen sein. Man legt es ab in dem Bestreben, aufrichtig zu
sein, aber es ist der schrecklichste Irrtum, den eine Frau begehen
kann.“

Ihr Bestreben, aufrichtig zu sein, hatte diese arme Frau nicht nur das
Glück ihres ganzen Lebens und ihr Leben selbst gekostet, sondern auch
das Glück des geliebten Mannes, in dessen Interesse sie das so schwere
Geständnis gemacht hatte. „Wie teuer habe ich es bezahlt! Wie teuer habe
ich es bezahlt!“ pflegte sie immer und immer wieder während ihrer
letzten Krankheit zu sagen.

Das ist eine völlig wahre Geschichte, und es scheint mir eine schreiende
Ungerechtigkeit, daß eine Frau so bitter für das leiden muß, was bei
einem Manne gar nicht beachtet würde. Ich bin sicher, daß es viele
ähnliche Fälle gibt, und ich erkläre nachdrücklichst, daß solche
Geständnisse schädlich sind. Der konventionell denkende, in solche
Umstände versetzte Mann würde entweder eine Frau stehen lassen oder sie
gegen seine Überzeugung heiraten. Das außergewöhnliche männliche
Sittengesetz, das aus verschiedenen Gründen über mein weibliches
Fassungsvermögen geht, erkennt nicht an, daß ein Mädchen, das einen
Geliebten hatte, oder auch nur einen Fehltritt machte, geeignet ist,
geheiratet zu werden, und trotzdem hätte kein Mann etwas dagegen, eine
Witwe zu heiraten und sehr viele Männer heiraten auch geschiedene
Frauen.

Selbst, wenn es sich um einen selten großmütigen, einsichtigen und
verständigen Mann handelt, der das Vergehen richtig einschätzt, würde
eine Kenntnis desselben nur störend wirken und eine Quelle von
Unsicherheit für das eheliche Glück bilden. Mit einem Wort: das
Geständnis kann von keinerlei Nutzen sein und die Erleichterung, welche
es, gemäß dem Sprichwort, dem Sünder verschaffen soll, würde um einen
sehr hohen Preis erkauft sein.

„Aber zwei ungerechte Handlungen können nicht eine gerechte
hervorbringen, und es kann gewiß für eine Frau nicht das Rechte sein,
den Mann über einen so ausschlaggebenden Punkt zu täuschen“, wird
der strenge Moralist ausrufen. Möglicherweise nicht, nach dem
streng-idealistischen Standpunkt der Ethik; aber vom höheren Standpunkt
des Lebens und des gesunden Menschenverstandes aus gesehen erscheint
diese Täuschung nur ratsam. Und seien Sie sicher, mein verdrießlicher
Moralist (denn ich bin sicher, daß Sie ein verdrießlicher Mensch sind),
daß die Sünderin nicht so leichten Kaufes davon kommen wird, wie Sie es
zu fürchten scheinen. So mancher Stich wird ihr zuteil werden, denn die
Erinnerung ist ein starkes Gift, und jeder Ausdruck der Liebe und des
Vertrauens ihres Mannes wird für sie seinen eigenen Stachel haben,
während die runden unschuldigen Augen der sie vergötternden kleinen
Kinder, für die sie ein Wesen ist, das nie unrecht tun kann, die
geeignete Strafe für ein noch weit größeres Vergehen sein würde. Der
Mann dagegen wird aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Schweigen der
Frau nur gewinnen; denn er ist ihr gewiß doppelt teuer, eben weil der
erste Mann sie schlecht behandelte, und sie wird vielleicht eine bessere
Gattin, eine stärkere und sanftere Frau, eine tüchtigere Mutter sein,
eben wegen der Leiden, die sie durchgemacht hat.

Hoffentlich werden wir nun übelwollende Dummköpfe nicht die
verderbenbringende Lehre unterschieben, daß eine Frau mit einer
Vergangenheit die beste Gattin sei. Ich bin nur der Ansicht, daß eine
brave Frau, die sich einem stürmischen Liebhaber ergeben hat und nachher
von ihm verlassen worden ist, notwendigerweise soviel durchgemacht hat,
daß ihr Charakter dadurch vertieft und ihre Fähigkeit, treu zu lieben,
gesteigert wurde. Und eine andere als wahr erkannte Tatsache ist es, daß
es seelischer Leiden bedarf, um die besten Eigenschaften der Frauen zur
Blüte zu bringen.

Auch die Männer sollten die Einzelheiten ihrer Periode des
„Sichauslebens“ streng für sich behalten. Im Eheleben muß es Geheimnisse
geben, und die glücklichsten Paare sind jene, die sie zu hüten wissen.
Ein sehr gutes Motto für junge Verlobte wäre das des Tom Broadbent in
John Bulls „Die andere Insel“: „Erzählen wir uns nichts; vollkommenes
Vertrauen, aber keine Erzählungen aus der Vergangenheit; so vermeidet
man am besten Mißhelligkeiten!“



V. Einige Worte für eine vernünftigere Mädchenerziehung


Wenn die Mädchen in bezug auf geschlechtliche Dinge vernünftiger erzogen
wären, würde es weit weniger unglückliche Frauen in der Welt geben, und
weniger Männer würden dazu getrieben werden, ihr Glück außerhalb des
Heims zu suchen. Wenn man den Mädchen, sobald sie in die geeigneten
Jahre kommen, die elementarsten Umrisse der Lebensbedingungen beibringen
würde, anstatt sie wie es jetzt geschieht, in der äußersten Unwissenheit
zu lassen, dann würden die außerordentlich falschen Anschauungen über
das Geschlecht, die sie jetzt überall auflesen, nicht mehr vorwalten,
und viel Kummer könnte so vermieden werden. Jetzt wird den Mädchen
_schweigend_ zu verstehen gegeben, daß das Geschlechtsthema abstoßend
ist und sich nicht eignet, von ihnen in Betracht gezogen zu werden, und
daß die Geschlechtsfunktionen widerwärtig, obgleich notwendig sind. Ich
schreibe absichtlich _schweigend_, denn den meisten Mädchen wird nicht
das Geringste über diesen Gegenstand gesagt. Es ist wirklich merkwürdig,
wie die Vorstellungen ihnen ohne Worte beigebracht, aber dennoch auf
irgendeine Weise eingeimpft werden, und es ist schwer zu verstehen,
wie die Mütter diese Unterweisungen mit ihrem offenkundigen Wunsch
vereinigen, ihre Mädchen zu verheiraten. Das heutzutage den Mädchen
gegenüber aufrecht erhaltene Ideal ist offenbar das geschlechtslose
Schicksal der Diana -- nicht bloß Keuschheit, sondern Unfruchtbarkeit.

Die meisten jungen Mädchen kennen von früher Jugend auf die
gesellschaftlichen Vorteile und die gesellschaftliche Bedeutung der Ehe
und wachsen mit dem lebhaften Wunsch heran, sie in angemessener Weise zu
erreichen, obgleich sie sich insgeheim wegen ihrer absurden verkehrten
Begriffe von der physischen Seite der Ehe vor ihr fürchten. Warum kann
man die Mädchen -- und auch die Knaben natürlich -- nicht die volle
Wahrheit in angemessener Sprache lehren, daß das Geschlecht der
Angelpunkt ist, um den sich die Welt dreht, daß die Geschlechtstriebe
und -empfindungen der ganzen Welt gemeinsam sind, an sich nicht
erniedrigend oder herabwürdigend und daß es auch keine Schande ist, sie
zu besitzen, obgleich es notwendig ist, daß man sie tapfer überwacht!
Warum kann man die Mädchen nicht lehren, daß alle Liebe, selbst die
romantische, die einen so breiten Raum in ihren Träumen einnimmt, aus
dem _Geschlechtstrieb_ entspringt? (Schopenhauer, Metaphysik der Liebe.)
Das kann für eine gefährliche Lehre gehalten werden; aber die
gegenwärtige Politik des Stillschweigens über diesen Gegenstand ist noch
gefährlicher, da sie das Bestreben hervorbringt, über dem verbotenen
Thema zu brüten.

Ich erinnere mich, wie mir eine ungefähr fünfzehnjährige Schulkameradin,
als ich etwas über zehn Jahre alt war, anvertraute, daß ein Mann -- er
war ein harmloser Junge von ungefähr zwanzig Jahren -- ihr die Hand
geküßt hatte, als er ihr das Tennisrakett reichte. Sie zog entrüstet
ihre Hand zurück und sagte: „Wie können Sie es wagen, mir diese Schmach
anzutun?“ Dann verließ sie den Tennisplatz und wollte nicht mehr
spielen. Ich glaube nicht, daß viele Mädchen so albern sind wie diese,
aber der Zwischenfall illustriert den in jener Schule allgemein
herrschenden, uns eingeimpften Ton. Und er zeigt, wie emphatisch dem
Gemüt des Mädchens alle geschlechtlichen Angelegenheiten dargestellt
worden sein müssen, damit sie in einem ganz unschuldigen und galanten
Zeichen der Huldigung eine Schmach erblickte. Was für eine trostlose
Vorbereitung für die Ehe muß solch eine Unterweisung sein! Aus dieser
Art von Unterweisung entstehen jene unglücklichen Flitterwochen, von
denen man gelegentlich im geheimen hört, und die unglücklichen Frauen,
deren verächtliche Kälte den Gatten zur Verzweiflung bringt. Dieser
Mangel an Gefühl und Mangel an Verständnis für die Bedürfnisse stärkerer
und wärmerer Naturen ist eine der tiefsten und unheilbarsten Ursachen
des Unglücks im Eheleben.

Wenn unsere Mädchen belehrt würden, das Geschlecht sei ein etwas ganz
Natürliches, dann würde das unendliche, aus der Auffassung, es sei
etwas Außergewöhnliches und Widerwärtiges, entspringende Übel
vermieden werden. Erziehen wir sie dazu, den liebenden Ehestand, die
leidenschaftliche Mutterschaft als den geeignetsten Ausdruck der
Frauennatur und die für sie erstrebenswerteste Lebensform zu betrachten.

In einem sehr interessanten, jüngst veröffentlichten Buch: „Die Frau im
Übergangsstadium“ wird diese Ansicht von der Bestimmung der Frau zu
wiederholten Malen verhöhnt. Die Verfasserin, Annette B. Meakin, ist
eine Assistentin am Anthropologischen Institut und offenbar eine sehr
belesene und vielgereiste Dame. Ich will einiges zitieren: „In der
glücklichen Zukunft, wenn die höheren Frauenideale in unserer Umgebung
festen Fuß gefaßt haben werden, werden alle erkennen, gleichviel welchem
Geschlecht sie angehören, daß wir die Verräter an unserer eigenen Rasse
und an der Menschheit sind, wenn wir unqualifizierte Mutterschaft jedem
Mädchen als ihr höchstes Ideal vor Augen halten.“ . . . „Die englischen
Schulvorsteherinnen betrachten es, obgleich sie oft selbst unverheiratet
sind, als ihre heiligste Pflicht, den Schülerinnen einzuimpfen, daß die
Mutterschaft ihre höchste Bestimmung sei, und die Schülerinnen machen
die Ehe zu ihrem höchsten Ziel, und jeder andere Erfolg im Leben muß an
zweiter Stelle stehen.“ „Einige sehr brave Frauen in England sagen
unseren jungen Mädchen noch immer, daß die Mutterschaft für jede Frau
das höchste Ziel ist, ohne zu ahnen, daß die von ihnen gepredigte Lehre
in gefährlicher Weise zu jener gesetzlichen Prostitution führt, die
euphemistisch als lieblose Ehe bekannt ist, oder zu noch größeren
Übeln.“ „Wie kann dem Mädchen, dem man gelehrt hat, daß die Mutterschaft
die einzige Bestimmung des Weibes ist, das Risiko wagen, sie zu
verpassen?“

Ich antworte auf diese Einwände: Natürlich wird kein vernünftiger Mensch
die unqualifizierte Mutterschaft den Mädchen als ihr höchstes Ideal
darstellen, und auch kein denkender Mensch wird glauben, daß die
Mutterschaft die einzige Bestimmung des Weibes ist. Aber was die höchste
Bestimmung, das heißt die edelste, anbetrifft, so muß ich schon sagen,
daß wenn gute Mutterschaft (und in dem Wort gut möchte ich die besten
körperlichen und geistigen Eigenschaften inbegriffen sehen, durch die
gesunde, intelligente und wohlerzogene Kinder hervorgebracht werden),
nicht das Ideal erfüllt, ich wohl wissen möchte, wodurch es erfüllt
werden kann! Als Antwort auf diese Frage, die natürlich jeder Leser
stellen muß, gibt sich Miß Meakin mit der Konstatierung zufrieden, in
Finnland und Australien, sowie in Amerika und Norwegen lehre man den
Mädchen, daß die höchste Bestimmung des Weibes von jeder Frau erreichbar
sei; daß ihre höchste Bestimmung und ihr höchstes Ideal nicht von einem
Manne abhängen solle, der daher kommen mag oder nicht, und daß es das
höchste Ideal des Weibes sei, eine echte Frau zu werden. Das ist ganz
schön, aber es ist viel zu vage, um als allgemeines Ideal der Frauen
hochgehalten zu werden. Das Ideal, das wir als erstrebenswert
hinstellen, muß enger umgrenzt sein. Was ist zum Beispiel im besonderen
eine _echte Frau_? Ich dächte, die Hauptbestandteile des Rüstzeuges
einer echten Frau wären ihre Fähigkeiten für Ehestand und Mutterschaft.

Miß Meakin tadelt die Lehrerinnen, weil sie ihren Schülerinnen die
Bedeutung der Mutterschaft mit dem Zusatz einprägen, „jeder andere
Erfolg im Leben habe an zweiter Stelle zu stehen.“ „Was sollte denn nach
Ansicht der Verfasserin die erste Stelle einnehmen? Glaubt sie
ernstlich, daß der Erfolg der Frauen in Geschäften oder in der Politik,
als Gemeinderätinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Denkerinnen
von größerer Bedeutung ist als der Erfolg der Frauen als Mütter? _Ist
das möglich?_“ Ich erinnere mich, daß in einem Gedicht von W. E. Henley
über die Frauenfrage eine Zeile lautet: „Und Gott im Paradiesesgarten
lachte aus vollem Halse“. Es muß heutzutage im Himmel oft schallendes
Gelächter geben, wenn die Frauenfrage auf der Erde diskutiert wird.

Dies gilt für die Ideale +in abstractum+, aber wenn wir zu den Tatsachen
kommen, muß man zugeben, daß die Folgerungen der Dame vernünftig sind.
„In einem Lande, wo es um anderthalb Millionen mehr Frauen als Männer
gibt,“ konstatiert sie treffend, „ist es mehr als verrückt, jungen
Mädchen zu lehren, daß die Mutterschaft ihre höchste Bestimmung sei.
Wenn eine solche Unterweisung hartnäckig fortgesetzt wird, so wird sie
zu größeren Übeln führen, als wir aus der Entfernung beurteilen können“.
Aber was für ein größeres Übel kann es denn geben, als die Existenz von
30000 Prostituierten in London allein, wie es heutzutage der Fall ist.
Wenn man jeder dieser unglücklichen Frauen beigebracht hätte, fest wie
an einen Glaubensartikel daran zu glauben, daß die Mutterschaft ihre
höchste Bestimmung sei, dann wären weit weniger Nullen an dieser Zahl.

Miß Meakin fährt fort: „Neben den heiligen Pflichten der Mutterschaft
gibt es auch die nicht minder heiligen Pflichten der Vaterschaft;
und doch läßt der Mann diese letzteren nicht in seinen geistigen
Entwicklungsgang eingreifen.“ Es ist auch gar nicht nötig, daß die
Frauen dies tun. Von der Anschauung, daß die Frau, um eine gute Gattin
und Mutter zu sein, ihre geistige Entwicklung verkümmern lassen und auf
jede Kultur verzichten müsse, ist man schon längst abgekommen.

Meiner Meinung nach entsteht das ganze Übel daraus, daß man die Mädchen
_eine_ Reihe von Schlagwörtern lehrt und die Knaben eine _andere_, wie
Stevenson sagt. Da die Frauen nicht durch sich allein Mütter werden
können, ist es nutzlos, die Mädchen zu lehren, daß die Mutterschaft ihre
höchste Bestimmung sei, wenn wir nicht auch die Knaben lehren, daß die
Vaterschaft ihre höchste Bestimmung ist, sondern ganz im Gegenteil ihnen
zu verstehen geben, daß die Ehe etwas ist, das sie vermeiden sollen,
wenigstens im Jünglingsalter.

Wenn wir alle jungen Leute _beiderlei_ Geschlechts lehren würden,
daß eine würdige Ehe und Elternschaft die höchste Bestimmung für den
Durchschnitt der Sterblichen bedeutet, und sie nach dieser Vorschrift
handelten, dann würden viele Zeitprobleme gelöst, die Anzahl
überflüssiger Frauen sehr vermindert, das soziale Übel merklich in
Abnahme, die körperliche Beschaffenheit der Rasse besser sein, und die
Geburtsziffer würde rasch steigen. Mit einem Wort, es gäbe weniger
ironisches Lachen im Himmel und viel mehr eheliches Glück und Gesundheit
auf Erden. Über die Elternschaft als ein Ideal werde ich noch mehr im
vierten Teile zu sagen haben.



VI. „Und wahre ihr die eheliche Treue“ -- der wunde Punkt in der Ehe

  „Wir vergöttern die Männer und sie verlassen uns; andere behandeln
  sie wie die Hunde und sie kriechen ihnen nach und sind treu.“

    _Oscar Wilde._


„Und wahre ihr die eheliche Treue, so lange ihr lebet.“ Wie viele Männer
haben dieses vielversprechende Gelübde mit dem ernsten Vorsatz abgelegt,
es zu halten? Zur Beantwortung dieser Frage stehen mir keine Daten zur
Verfügung, aber mein Glaube an die Vorherrschaft des Guten in der
menschlichen Natur ist groß genug, um anzunehmen daß die meisten Leute
mit dem Vorsatz, treu zu bleiben, die Ehe beginnen. Dieser Glaube wurde
nicht einmal durch den Schrecken erschüttert, den mir die Bemerkung
einer sehr modernen Braut verursachte: „Max sagt, er kann mir’s nicht
versprechen, treu zu bleiben, aber er wird sein möglichstes tun.“ Diese
erstaunliche Genügsamkeit war wohl geeignet, wenn nicht Bewunderung, so
doch Verwunderung zu erregen.

Schopenhauer behauptet, daß „die eheliche Treue bei Männern künstlich,
bei Frauen natürlich“ ist. Den Berichten der Ehegerichtshöfe nach zu
urteilen, scheint sich dieser natürliche weibliche Zug einigermaßen
abgeschwächt zu haben, da diese Ansicht vor mehr als 60 Jahren geäußert
wurde. Dem Gesellschaftschroniqueur aus eigenen Gnaden zufolge gibt es
„im Westend in London haufenweise gebrochene Gelübde“.

Es ist gefährlich, bei so einem Gegenstand zu verallgemeinern, aber da
die Leute der Versuchung weit seltener widerstehen, als die Ethiker es
annehmen, kann man wohl sicher behaupten, daß, wenn die Männer treu
sind, sie es hauptsächlich aus Mangel an Gelegenheit, anders zu sein,
sind, oder weil sie keine Anlage dazu haben. Dies mag jene meiner
Leserinnen verstimmen, die nicht mit Prof. Lester _Ward_ anerkennen
wollen, „daß der Mann ein _ausschließlich polygamer Zweifüßler ist_“;
aber die in den traurigen Dingen des Lebens Erfahreneren werden die
Wahrheit dieser Behauptung zugeben. Es geschieht andererseits, wenn eine
Frau die eheliche Treue bricht, selten bloß aus leichtfertigen oder
gewinnsüchtigen Ursachen, sondern fast immer, weil sie in dem Bann eines
anderen Mannes steht oder äußerst unglücklich in der Ehe ist und in der
Betäubung durch irgendeine Liebelei Vergessen und Gleichgültigkeit
sucht. Vielleicht wird der höchste Richter, der gnadenreicher ist als
die Menschen, diese beiden Ursachen als Entschuldigung gelten lassen und
den Sünderinnen verzeihen, die viel geliebt und viel gelitten haben.

Ein Doktor, der sich für das Studium der sozialen Fragen sehr
interessierte, zeigte mir eine interessante Statistik über diesen
Gegenstand. Von 76 aufs Geratewohl aus der Liste seiner Bekannten
herausgegriffenen Männern waren 14 kinderlos und mit Ausnahme von zweien
waren alle viel glücklicher als die meisten Männer und gaben ihren
Frauen keine Ursache zur Eifersucht. Dieser hohe Prozentsatz von
glücklichen, wenn auch kinderlosen Ehen ist seltsam, und ich kann ihn
mir nicht erklären. Die übrigen 62 hatten alle Familie. Fünf liebten
ihre Frauen sehr, jedoch nicht treu, zwei lebten nebenbei mit anderen
Frauen, drei andere waren unglücklich verheiratet und stritten
fortwährend und erbittert, über zwei weitere war mein Freund im Zweifel,
ein anderer mochte seine Frau nicht, war jedoch zu beschäftigt, um sich
nach anderen Frauen umzusehen, die übrigen 49 waren verhältnismäßig
glücklich und treu: „die meisten von ihnen entgehen irgendeiner
stärkeren Versuchung durch ein arbeitsreiches und regelmäßiges Leben“,
fügte der Doktor hinzu, „und jene, die besonders empfänglich für das
schönere Geschlecht und seine Reize sind, haben schon genug Liebeleien
hinter sich, um noch welche außerhalb des Heims zu verlangen.“ Ich
vermute, daß diese letztere Ursache bei einer großen Anzahl sogenannter
„Mustergatten“ zutrifft.

Diese Liste kann jedoch kaum als erschöpfend betrachtet werden, da sie
nur zwei Schauspieler, drei Soldaten, einen Seemann und keinen
Börsenmenschen enthielt, vier Klassen, in denen die unbeständigen
Ehegatten besonders zahlreich sind. Die Lebensbedingungen eines
Schauspielers veranlassen ihn offenkundig zur Untreue; die ungesunde
Erregung und die abwechselnde Niedergeschlagenheit im Leben eines
Börsenmenschen dürften dieselbe Wirkung haben; Angehörige des Militärs
werden im allgemeinen für weniger treu gehalten als andere Ehemänner,
aber wenn die Geschäfts- und Gewerbsleute dieselbe leichte Gelegenheit
und Versuchung hätten und einem ähnlichen Ausmaß von Muße und Perioden
langer Trennung von ihren Frauen ausgesetzt wären, dann würden sie sich
als ebenso untreu erweisen, wie man es von den Vaterlandsverteidigern
annimmt. Die Liste meines Freundes enthält auch kein Mitglied „der
Lebewelt“, einer Klasse, in der man tatsächlich, den Worten des Pater
Vaughan zufolge, keine treuen Ehemänner findet.

Wenn es die kleinen Dinge sind, die das eheliche Glück zerstören, so
sind es die großen, die Mann und Frau trennen, und von diesen ist die
Untreue die häufigste Ursache. Man kann sie geradezu „_den wunden Punkt
der Ehe_“ nennen. Nach meinem persönlichen Dafürhalten gibt es nur drei
Fehler, um derentwillen eine Frau ihren Mann verlassen sollte:
gewalttätige Trunksucht, zeitweiser oder ständiger Verkehr mit
Angehörigen des Haushaltes, und die Einführung einer Geliebten unter das
Dach der Frau. Wo Kinder sind, sind sogar diese Gründe nicht genügend,
wenn die Frau die Kinder nicht mitnehmen kann. Für das letztgenannte
Vergehen allein konnte die Frau nach Justinianischem Gesetz die
Scheidung erlangen.

Kleine Übertretungen der ehelichen Treue von seiten eines Gatten sollte
man am besten, wie alle anderen Trübungen, philosophisch aufnehmen.
Das ist freilich leicht gesagt -- man hört oft, daß die geschlechtliche
Eifersucht die ärgste der seelischen Qualen ist. Die Männer werden
stärker von ihr befallen als die Frauen, und der Mann, dessen Frau
untreu ist, scheint ärger zu leiden, selbst wenn er sie nicht gern hat,
als die Frau im umgekehrten Fall. Der Mann wird einem sagen, daß das
daher kommt, weil seine Leidenschaften stärker sind, oder weil er die
Mutter seiner Kinder als ein Wesen betrachtet, das über der Sünde des
Fleisches steht. Wahrscheinlich ist die wirkliche Ursache die, daß der
Mann seit der „Ehe“ im Garten Eden seine eigenen Wege gegangen ist, und
es übel aufnimmt, wenn er in seinen Gewohnheiten verkürzt wird. Die
Frauen können jedoch diesen Verlust leichter ertragen, da sie ja daran
gewöhnt sind, ihren Herrn mit anderen zu teilen, seit ihr Geschlecht im
Gegensatz zu dem seinen so zugenommen hat. Oder haben die Frauen keinen
angeborenen Widerstand gegen die Polygamie?

Die Welt hat sich schon an die polygamischen Triebe des Mannes gewöhnt
und sogar ihre Gesetze sind danach abgefaßt. In den Romanen verursacht
die Entdeckung der Untreue eines Ehegatten immer einen vollständigen
Umsturz. Dem Leser werden seitenlang wahnsinnige Szenen aufgetischt; die
Frau verliert beinahe den Verstand; ihre Freunde und Verwandten sitzen
in düsterem Familienrat beisammen und besprechen, „was zu geschehen
hat“; die Neuigkeit wird in die Welt hinausposaunt, und niemand würdigt
den abgetanen Ehemann auch nur eines Blickes.

Aber in Wirklichkeit behalten die Frauen diese Tragödien schön
für sich und ertragen sie mit merkwürdiger Ruhe und Gelassenheit.
Glücklicherweise hat selten ein Mann so wenig Weltklugheit, um zu
erlauben, daß seine Frau seine Untreue bekannt macht, und in der Regel
würde eine Frau lieber sterben, als der Welt eine solche Wunde zu
zeigen. Die Last von der Untreue eines Ehegatten wird oft jahrelang
schweigend mit lächelnder Miene und erhobenen Hauptes von so mancher
Frau getragen, die zu stolz ist, um sich einzugestehen, daß sie ihren
Mann nicht zu fesseln vermag. Erst wenn die Jahre sie an die Demütigung
gewöhnt und ihrem Kummer den Stachel genommen haben, gönnt sie sich die
Erleichterung des Sichanvertrauens.

Wenige Frauen können verstehen, warum ein Gatte, obgleich er seine Frau
gern hat und ihr treu bleibt, doch irgendwo anders das sucht, was sie
ihm in seinen Augen nicht mehr bieten kann. Aber diejenige, die das
Leben gut genug kennt, um das zu verstehen, weiß auch, daß ihr Teil das
bessere ist, daß sie im Leben ihres Mannes der Kern und die Triebfeder
ist, die noch lange bestehen bleiben, wenn seine zeitweiligen verliebten
Tollheiten längst zu Asche gebrannt sind.

Nichtsdestoweniger ist vielleicht nach dem Worte „allein“ das Wort
„_untreu_“ das traurigste und schrecklichste der menschlichen Sprache.
Man kann es sich in flammenden Lettern über den Toren der Hölle
unzählige Male geschrieben denken . . . „Untreu, Untreu . . .!“



Dritter Teil

Vorgeschlagene Alternativen


  Für mich ist das einzige Heilmittel gegen die tödliche
  Ungerechtigkeit, das endlose Elend, die oft unheilbaren
  Leidenschaften, welche die Verbindung der Geschlechter stören,
  die Freiheit, die Ehefesseln zu sprengen und neue zu schmieden.

    _George Sand._

  Solange das Eheband nicht geschmeidiger geworden ist, wird die Ehe
  immer ein Risiko sein, auf welches besonders die Männer nur mit
  Besorgnis eingehen werden.

    _H. B. Marriott-Watson._



I. Die Probeehe à la Meredith

  „Nach zwanzig Jahren Liebesaffären sieht eine Frau wie ein Wrack
  aus, nach zwanzig Jahren Ehe wie ein öffentliches Gebäude.“

    _Oscar Wilde._


Die Probeehe war einer der Gebräuche der frührömischen Gesellschaft.
Heutzutage hat sie einen revolutionären Beigeschmack und ist so
offenkundig unanwendbar, daß es kaum nötig wäre, sie hier weiter zu
berühren, wenn ihr jüngster und vornehmster Anwalt in der Moderne nicht
George Meredith wäre. Jeder von dieser Seite kommende Vorschlag muß
sorgfältig beachtet werden. Auch ist diese Form der Ehe von dem großen
Philosophen Locke und von Milton in Betracht gezogen worden. -- Vor kaum
drei Jahren warf unser großer Romancier diese Bombe in eine entzückte,
obgleich keinen Beifall zollende Presse, aber da das Gedächtnis
heutzutage sehr kurz ist, dürfte eine kurze Rekapitulation der näheren
Umstände am Platze sein.

Der Anfang der Geschichte war ein Brief an die „Times“ von Cloudesly
Brereton, in welchem über die wachsenden Hemmungen der Ehe geklagt und
der Gepflogenheit gemäß die Frau als deren Urheberin angegriffen wurde.
Der Verfasser konstatierte, daß in dem Mittelstand „die Anforderungen
der modernen Frauen die Anziehungskraft der Ehe stetig untergraben.
Mit ihren stets wachsenden Ansprüchen an die Zeit, die Energie und die
Geldmittel ihrer Gatten bilden die modernen Ehefrauen einen sehr
ernstlichen Hemmschuh, und in den unteren Gesellschaftsklassen erschwert
die Ehe direkt die Chancen des Mannes, Arbeit zu finden.“ Wie man die
Frauen für diese letztere Ungerechtigkeit verantwortlich machen kann,
war klugerweise nicht gesagt. Es wäre, glaube ich, schwer, die Anklage
zu erhärten.

Das Interessanteste an diesem Dokument war die darauffolgende Diskussion
in „The Daily Mail“ und die gelungene Tatsache, daß der Verfasser sich
wenige Wochen nach Erscheinen der Zuschrift verheiratete! Die übliche
Schmähung der Ehe im allgemeinen und der Frauen im besonderen folgte,
bis die verstorbene Mrs. Craigie sich der Diskussion anschloß und jene
besonderen Eigenschaften zarten Verständnisses und wunderbarer Einsicht
in die Frauenseele zur Anwendung brachte, die zu den hervorragendsten
Merkmalen ihres glänzenden Werkes gehören. Es wäre schade, aus einem
solchen Brief bloß zu zitieren, und so gebe ich ihn denn ganz wieder:

„Die Frauen sind da, wo es sich um Gefühle handelt, nicht eigennützig
genug. Sie schlagen sich nicht zu hoch, sondern zu niedrig an. Die gegen
ihre eigene Existenz gerichtete Selbstlosigkeit der modernen Frau
ermöglicht den Eigennutz des modernen Junggesellen. Die Junggesellen
sind nicht alle Weiberfeinde, und die Tatsache, daß ein Mann ledig
bleibt, ist kein Beweis dafür, daß er für die Reize der weiblichen
Gesellschaft unempfänglich ist, oder daß er diese Gesellschaft nicht in
unverbindlichen Beziehungen in ganz gehörigem Maße genießt. Warum soll
der junge Mann des Durchschnitts, der durch Anlagen oder Erziehung
egoistisch ist, schwer arbeiten oder Opfer bringen um einer besonderen
Frau willen, wenn so viele geneigt sind, sein Leben zu teilen, ohne daß
er sich bindet, und noch so viele andere eifrig hinter ihm her sind, um
jede Ritterlichkeit oder Zärtlichkeit, die ihm angeboren sein mag, zu
zerstören? Die modernen Frauen geben den Junggesellen keine Gelegenheit,
sie zu vermissen, und keinen Anlaß, ihrer zu bedürfen. Ihre Hingebung
entbehrt der Selbstzucht, und sie wird eher ein Fluch als ein Segen für
ihren Gegenstand. Warum? Weil die Frauen diese seltsame Macht der
Konzentration und Selbstverleugnung in ihrer Liebe haben. Sie können
sich nicht genug tun, um ihre Liebenswürdigkeit zu beweisen. Und wenn
sie alles getan und sich nicht die Mühe genommen haben, ihre eigene Lage
zu sichern, dann erkennen sie, daß sie durch ein Übermaß an Edelmut und
den Wunsch angenehm zu sein, gefehlt haben. Das ist die den Junggesellen
bezeigte Selbstlosigkeit.“

In einer Antwort auf diesen Brief forderte eine andere
Romanschriftstellerin, Florence Warden, von Mrs. Craigie Auskunft über
die Existenz solcher Frauen, aber sie erzielte keine weitere Erwiderung.
„The Daily Mail“ erläuterte dies folgendermaßen: „Hunderttausende
unserer Leser können aus eigener Erfahrung eine Antwort auf diese
bemerkenswerte Behauptung geben, und wir sind nicht im Zweifel über den
Inhalt ihrer Antwort.“ Man kann sich vorstellen, daß das mit Hinsicht
auf die Leser an den Frühstückstischen der Villenkolonien geschrieben
wurde; aber die Männer und Frauen, die im Leben stehen, deren Erfahrung
nicht auf die Villenkolonien beschränkt ist, werden die unzweifelhafte
Wahrheit der Behauptungen von Mrs. Craigie anerkennen. Wenn ich auch
zugebe, daß der von ihr beschriebene Stand der Dinge zwischen den
Geschlechtern richtig ist, wage ich ergebenst über die Ursachen dieses
„Übermaßes an Edelmut“ anderer Meinung zu sein. Bei den Frauen ist
riesig viel Selbstlosigkeit angesammelt, aber sie wird meiner Meinung
nach nicht in dieser Richtung verausgabt. Das Motiv ist vielmehr der
leidenschaftliche Wunsch nach eigener Freude, Befriedigung ihrer eigenen
Eitelkeit durch den Beifall seitens des männlichen Geschlechts, die oft
auf Kosten ihrer Selbstachtung geht. H. B. Marriott-Watson nimmt
denselben Standpunkt in einem späteren Brief ein: „Die Selbstlosigkeit
erstreckt sich nicht auf die Liebessphäre. Geschlechtsanziehung ist
praktisch unvereinbar mit Altruismus, und der Grad des Verzichts ist dem
Grad der Neigung gerade entgegengesetzt. Diese Ordnung der Dinge hat die
Natur so eingerichtet, und es nützt nichts, sie bannen zu wollen. Eine
Frau mag ihr Leben für den Mann, den sie liebt, dahin geben, aber sie
wird ihn nicht einer Rivalin ausliefern.“

Ein anderer interessanter Brief kam von Helen Mathers, die konstatierte,
daß „alle Frauen heiraten sollten, aber kein Mann“ -- da die Vorteile
des Ehestandes ihrer Meinung nach einzig und allein auf seiten der
Frauen seien.

In diesem Augenblick erschien der Beitrag von George Meredith zur
Diskussion in der weniger autoritativen Form eines Interviews, nicht als
Brief oder Artikel, wie nach diesem Zeitabschnitt sehr viele Leute zu
glauben scheinen. Als ich dieses Interview neulich wieder durchlas, war
ich von den besonders altmodischen Vorstellungen George Merediths über
die Frauen betroffen. Wo es sich um die Frauenfrage handelt, da scheint
er um mehrere Jahrzehnte im Rückstand zu sein.

„Das große Übel der Sache“, behauptet er, „ist, daß die Frauen so
unerzogen, so unfertig sind. Die Männer brauchen zu oft eine Sklavin und
denken häufig, daß sie eine bekommen haben; nicht, weil die Frau nicht
oft gescheiter ist als ihr Mann, aber weil sie so unausgesprochen und
nicht genug dazu erzogen ist, ihren wirklichen Gedanken und Gefühlen
Ausdruck zu verleihen.“

So war es, _bevor_ die Suffragettes aufkamen; aber es ist eine genügend
überraschende Behauptung für das Jahr 1904. Er fährt fort: „Ich frage
mich, ob ein junges, des Lebens äußerst unkundiges Mädchen, das, sagen
wir, mit achtzehn Jahren heiratet, wenig von dem Mann, den sie heiratet,
und noch weniger von irgend einem Mann auf der Welt versteht, dazu
verurteilt werden soll, mit ihm den Rest ihrer Tage zu verbringen. Bald
sympathisiert sie nicht mehr mit ihm, ja, sie hat keine Neigungen
gemeinschaftlich mit ihm, keine wirkliche Gemeinschaft außer einer
physischen. Das Leben ist ihr fast unerträglich, und doch führen es
viele Frauen weiter, aus Gewohnheit oder weil die Anschauungen der Welt
sie terrorisieren.“

Das ist allerdings wahr. Aber Meredith spricht, als wenn es wie zu
unserer Großmütter Zeiten noch die Regel wäre, daß Mädchen unter zwanzig
Jahren heiraten, während es doch jetzt geradezu die Ausnahme ist. Mit
jedem Jahr scheint das Heiratsalter hinauf zu gehen, und errötende
Bräute im Myrtenkranz werden in einem Alter zum Altar geführt, in dem
sie vor fünfzig Jahren alte Jungfern mit Haube und Pulswärmern gewesen
wären. Wenn ein Mädchen verrückt genug ist, gleich nach Verlassen der
Schulstube zu heiraten, dann muß sie auf das enorme Risiko gefaßt sein,
das die Wahl eines Gatten in so unreifen Jahren mit sich bringt.

An anderer Stelle sagt Meredith: „Die Ehe ist so schwer, ihre modernen
Bedingungen so erschwerend, daß man zwei gebildeten Leuten, die sie
eingehen wollen, nichts in den Weg legen sollte . . . Gewiß werden eines
Tages die gegenwärtigen Bedingungen der Ehe geändert werden, sie wird
auf einen bestimmten Termin, sagen wir zehn Jahre -- oder ich brauche
keinen _bestimmten_ Termin zu nennen -- gestattet sein. Der Staat wird
darauf sehen, daß genügend Geld weggelegt wird, um für die Kinder zu
sorgen und sie zu erziehen; vielleicht wird der Staat dieses Kapital
selbst verwalten. Es wird einen höllischen Aufruhr geben, bevor eine
solche Änderung durchgeführt wird; es wird eine große Erschütterung
sein, aber blickt nur zurück und seht, was für Erschütterungen es schon
gegeben hat, und welche Veränderungen dennoch in Ehesachen in der
Vergangenheit Platz gegriffen haben.“

„Die Schwierigkeit liegt darin, das Publikum daran zu gewöhnen, einem
solchen Problem in die Augen zu sehen. Die Engländer brauchen es mehr
denn irgendeine Nation in der Welt, in Disziplin zu leben. Sie wollen
nicht vorwärts schauen, besonders nicht die Regierenden. Und es gehört
Philosophie dazu; und das englische Volk dazu zu kriegen, daß es das
bloße Wort Philosophie in seinen Diskussionen über so ein Thema zuläßt,
ist mehr, als man erhoffen kann. Immer wieder, besonders in der Kritik
Amerika gegenüber, sieht man, wie die Engländer hartnäckig alle neuen
Bestrebungen als Zeichen von Krankhaftigkeit betrachten, und doch sind
sie ein Zeichen von Gesundheit.“

Man sieht, daß Meredith den Termin von zehn Jahren als einen Vorschlag
behandelt. In einem Essay von Stevenson wird einer Dame gesagt: „Nach
zehn Jahren ist einem der Gatte wenigstens ein alter Freund“, und ihre
Antwort war: „Ja, und man möchte, daß er einem nur das und nichts
anderes wäre.“ Der Abschnitt von zehn Jahren hat eine besondere
Bedeutung in der Ehe. Nachdem das erste kritische Jahr vorüber ist,
richten sich’s die meisten Paare ziemlich behaglich ein, -- bis zum
zehnten Jahre. Der Präsident des Ehegerichtshofes hat dieses Jahr den
gefährlichen Wendepunkt im Eheleben genannt. Ein späterer Brief in der
„Daily Mail“, welcher dem von George Meredith zustimmte und die
gegenwärtige Form der Ehe „eine Verurteilung auf Lebensdauer“ nannte,
schlägt einen noch kürzeren Zeitabschnitt vor, z.B. fünf Jahre, da
während dieser Zeit ein Ehepaar Glück oder das Gegenteil gefunden haben
kann, und in letzterem Falle müßte man zu lange auf die Freiheit warten.

Ein Mitarbeiter eines anderen Blattes erwähnte Amerika als ein Beispiel
der in volle Kraft getretenen Zeitehe. „Es erhellt aus der Statistik
eines amerikanischen Bischofs, daß die Bevölkerung der Vereinigten
Staaten schon jetzt unter den von Meredith vorgeschlagenen Bedingungen
lebt. Im Jahre 1903 wurden nicht weniger als 600 000 amerikanische Ehen
geschieden. Das bedeutet eine Scheidung auf je vier Ehen. In manchen
Gegenden war das Verhältnis fast eins zu zwei, und die häufigste Ursache
der Scheidung war das Bedürfnis nach Abwechslung.“

Es scheint mir, daß die Einführung der Probeehe nur allgemeines Elend
und Verwirrung zur Folge haben würde, dem gegenüber die gegenwärtige
Summe ehelichen Unglücks nur ein Tropfen im Meere wäre. Wenn unsere
Ehegesetze abgeändert werden müssen, dann wollen wir hoffen, daß es
nicht in dieser Richtung geschieht, ob zwar es ganz klar ist, daß eine
solche Änderung Tausenden von Männern und Frauen, die aus irgendeinem
Grunde dazu gelangten, ihre Fesseln zu verabscheuen, eine Wohltat wäre.
Ob sie nicht auch die prosaische Zufriedenheit, die unter einigen
Millionen Menschen als Glück gilt, zerstören würde, ist eine zu weit
greifende Frage, um hier mehr als gestreift zu werden.

Das Schicksal jener, die auf Lebensdauer an Mondsüchtige,
Verbrecherische und Trunksüchtige gebunden sind, ist gewiß
erbarmungswürdig; aber eine Erweiterung der Scheidungsgesetze würde
nur die Ausnahmsfälle treffen, ohne das Eheband der Normalen zu
beeinträchtigen. Ich habe getrachtet, im folgenden Kapitel auf einige
der vielen Schwierigkeiten der Probeehe hinzuweisen.



II. Die Ehe auf Probe in der Praxis

Ein Dialog im Jahre 1999

  „Eines fürchten die Frauen mehr als das Zölibat -- nämlich, daß man
  sie verschmäht.“

    _Marcel Prévost._


(Katharine und Margarete, zwei reizende Frauen im kritischen Alter der
Vierziger, nehmen zusammen ihr Frühstück ein. Sie sind alte Freundinnen
und haben einander jahrelang nicht gesehen.)

Margarete: Wie hübsch ist es, wieder beisammen zu sein. Aber es tut mir
leid, daß du so verändert bist. Du siehst nicht glücklich aus. Was ist
dir?

Katharine: Ich sollte glücklich aussehen. Ich habe wirklich Glück
gehabt, aber ich bin, aufrichtig gestanden, schrecklich müde. Die
Eheverhältnisse sind heutzutage entsetzlich ermüdend, findest du nicht?

M.: Ja, wir entbehren freilich jenes Gefühl des Friedens und der
Sicherheit, von dem unsere Mütter sprachen, aber wir haben auch nicht
jene entsetzliche Eintönigkeit. Denke dir nur, Jahr um Jahr, dreißig,
vierzig, fünfzig Jahre mit demselben Mann zu leben! Wie würde man seiner
Launen überdrüssig werden!

K.: Das weiß ich gerade nicht. Die Gleichförmigkeit der Stimmungen ist
noch immer besser als die Abwechslung. Alle Leute haben Stimmungen. Und
dann kommt es mir vor, daß mit unseren Vätern durchaus nicht so schwer
auszukommen war wie mit unseren Gatten. Sieh, in früheren Zeiten wußten
sie, daß sie fürs Leben gebunden waren, und das gebot ihnen Einhalt. Das
scheint ihnen heutzutage zu fehlen.

M.: Ja, ja, es ist etwas daran. Ich erinnere mich, daß meine Großmutter,
die am Ende des vorigen Jahrhunderts verheiratet war, zu sagen pflegte,
ihr Mann sei ihr _Rettungsanker_, und er nannte sie seinen _Hafen des
Friedens_.

K.: Oh, wie beneide ich sie. Das brauche ich eben so sehr: einen Anker,
einen Hafen. Wie friedlich müssen sie gelebt haben, bevor dieses
schreckliche neue Ehesystem aufkam.

M.: Die Leute fanden das offenbar nicht; denn wozu sollten sie dann
Abänderungen getroffen haben? Aber was hast du gegen das System? Du hast
vier Männer gehabt und bist von den beiden ersten fast so rasch fort als
das Gesetz es erlaubt.

K.: Ja, und ich bin erst einundvierzig Jahre alt. Ich habe zu früh
angefangen: mit achtzehn; und man nimmt die Ehe unwillkürlich leicht,
wenn man weiß, daß sie nur fünf Jahre zu dauern braucht. Man geht sie
ebenso gedankenlos ein, wie unsere glücklichen Mütter ihre Flirts
einzugehen pflegten.

M.: Aber die Folgen sind doch ernster. Wir sind enttäuschte Frauen in
einem Alter, in dem sie noch frohmütige junge Mädchen waren.

K.: Ja, der Familiennachwuchs macht die Sache so schwer. Die Vaterschaft
ist heutzutage direkt ein Kultus geworden. Alle meine Gatten waren
Fanatiker der Nachkommenschaft, und ich habe acht Kinder gehabt.

M.: Acht Kinder! Dann ist es kein Wunder, daß du herabgekommen
aussiehst.

K.: Ganz richtig. Meine Mutter wäre entsetzt gewesen. Zwei oder drei,
höchstens vier war die richtige Anzahl zu ihrer Zeit, und fünf war ein
Verhängnis und sehr selten.

M.: Gut, meine Liebe, du hättest doch nicht so viele haben müssen. Du
hättest den Vaterschaftskultus etwas eindämmen sollen. Keine Frau kann
heutzutage gezwungen werden, Kinder zu haben, wie unsere unglücklichen
Großmütter. Hast du alle acht bei dir?

K.: Nein, das ist es eben. Ich mochte nicht so viele haben, aber wenn
sie schon einmal da sind, so möchte ich sie auch bei mir haben, und ihre
Väter wollen sie natürlich auch.

M.: Oh, meine Liebe, wie ärgerlich. Wenn man heutzutage Kinder hat, ist
das das Unangenehmste daran. Manchmal bin ich froh, daß ich keine habe.

K.: Dann kennst du vielleicht nicht das Gesetz über die Kinder in
unserem jetzigen Ehesystem? Eine gewisse Summe muß jährlich für jedes
Kind in den großen Staatskindertrust eingezahlt werden; wenn die Ehe
gelöst wird, wird bloß der Mutter die Aufsicht übertragen, falls der
Vater sich nicht daran zu beteiligen wünscht. In letzterem Fall
verbringen die Kinder ein halbes Jahr bei der Mutter, ein halbes beim
Vater.

M.: Das ist schön.

K.: Das glaube ich. Aber, ach! schrecklich hart für eine Mutter. Meine
zwei älteren Mädchen sind beinahe schon erwachsen; sie waren einige
Jahre im Pensionat, und es war für George und mich ganz leicht, ihre
Ferien zwischen uns zu teilen. Aber jetzt kann ich sie nicht mehr in der
Schule lassen, und sie werden das halbe Jahr bei ihm verbringen. Gott
sei Dank ist er schon einige Zeit nicht verheiratet und scheint es auch
nicht zu beabsichtigen. So habe ich nicht den Einfluß einer fremden Frau
zu fürchten; aber wie kann ich sie leiten, wie kann ich die richtige
Kontrolle über sie haben oder irgendeinen Einfluß unter diesen Umständen
auf sie ausüben?

M.: Ja, das muß sehr traurig für dich sein.

K.: Es ist schrecklich, aber es gibt noch etwas viel Ärgeres. Gordon,
der Vater von Arthur und Maggie, hat wieder geheiratet, und seine Frau
ist auf die ältesten Kinder eifersüchtig und sehr ärgerlich, wenn sie
bei ihm sind. Und mein kleiner Arthur ist so zart, er braucht soviel
Sorgfalt und Studium. Ich habe keinen glücklichen Augenblick, wenn er
bei ihnen ist. Er gedeiht auch nicht recht bei den anderen Kindern.
Immer, wenn er von den Besuchen zurückkommt, sieht er krank und
unglücklich aus. Ich kann dir nicht schildern, was ich wegen Arthur
gelitten habe. Oh, wenn ich an ihn denke, könnte ich dieses
niederträchtige Ehesystem verwünschen. Es ist wider die Natur.

M.: Ach, meine Liebe, man muß ja auch die Gesetze nicht ausnützen. Warum
bist du nicht mit Gordon geblieben oder in erster Ehe mit George? Das
kommt sogar jetzt oft vor.

K.: Ich weiß es, ich weiß es, aber George und ich, wir paßten
schrecklich schlecht zusammen. Wir heirateten als halbe Kinder. Bei dem
alten System kamen gewöhnlich vernünftige Eltern dazwischen, und die
jungen Leute mußten warten, bis sie ihrer selbst sicher waren. Aber du
weißt ja, wie es jetzt ist. In der ersten jugendlichen Verliebtheit
glaubt man auf wenigstens fünf Jahre sicher zu sein, und darüber hinaus
braucht man ja nicht zu sorgen.

M.: Gut. Also du warst vierundzwanzig, als du Gordon heiratetest; warum
hast du _ihn_ nicht vorsichtiger gewählt?

K.: Das war zum großen Teil eine „wirtschaftliche Sache“, wie ich in
einem alten Stück, genannt das „Frauenstimmrecht“ vor einiger Zeit las
-- wie wunderlich waren dazumal die Vorstellungen. Es kam auch etwas
anderes darin vor, darüber daß „vierundzwanzig Jahre im allgemeinen
nicht so jung wäre, es aber mit der Auffassung der Zeit geworden sei.“
Ich war wohl alt genug, um vernünftig zu handeln, aber ich war
leichtlebig und liebte den Luxus, und ich konnte mit dem wenigen, was
George mir dem Gesetz nach auszuzahlen hatte, nicht auskommen. Ich gebe
ihm ja keine Schuld, denn es war alles, was er tun konnte, wenn er die
für die Kinder nötige Taxe bestreiten sollte. So heiratete ich Gordon
eines Heims halber, und freilich war das abscheulich.

M.: Und dein dritter Mann starb?

K.: Ja, der eine, der hätte leben sollen, stirbt gewöhnlich. Ich verlor
ihn nach bloß zweijähriger Ehe, aber ich kann gar nicht von ihm
sprechen. Er war für mich das Ideal eines Gatten.

M.: Ach, es freut mich, daß du das gehabt hast.

K.: Oh, ich habe noch Glück gehabt bei allen Mißlichkeiten, ich sagte
dir’s ja. Ich blieb vier Jahre, nachdem ich meinen Liebsten verloren
hatte, ledig, und ihm wäre ich gerne ewig treu geblieben. Aber ich war
nicht stark genug. Trotz der lieben Kinder war ich sehr einsam, da die
älteren immer in der Schule waren.

M.: Ja freilich, und man braucht ja auch einen Mann, der einen betreut.

K.: Das ist richtig. Das ist eine verhängnisvolle Schwäche. So heiratete
ich zum Schluß meinen lieben, guten Duncan, hauptsächlich um einen
Gefährten zu haben. Ich wählte ihn vorsichtig genug. Die Erfahrung hat
mich so manches gelehrt, und ich wollte nicht mit vierzig Jahren im
Stich gelassen werden, wie es so vielen geschieht.

M.: Es freut mich, daß er gut gegen dich ist. Ja, es ist wirklich
entsetzlich, wie viele Frauen verlassen sind, gerade, wenn sie die
Fürsorge und die Liebe am meisten brauchen, wenn ihr jugendlich frisches
Aussehen dahin und ihre Energie geschwächt ist. Aber warum bist du
eigentlich so abgehärmt, wenn du das nicht zu fürchten hast?

K.: Ich bin nicht gerade abgehärmt -- ich bin verbraucht. Zwanzig Jahre
unsichere häusliche Verhältnisse sind genug, um einen zu erschöpfen. Ich
konnte mich nirgends endgültig daheim fühlen oder mich einer
Anhänglichkeit für einen Ort hingeben oder auch nur einen Garten für
mich pflanzen. Der Freundeskreis wechselt immer, die Leute scheinen
jetzt keine Häuser und Güter zu kaufen oder sich irgendwo festzuwurzeln.
Wie beklagten sie sich vor vierzig Jahren über das gewohnheitsmäßige
Leben! Sie wußten wenig davon, wie elend das Leben sein kann aus Mangel
einer Gewohnheit.

M.: Ich mag die Einförmigkeit nicht, aber sie hat gewiß ihre Vorteile.
Erinnerst du dich an meinen ersten Mann, Dick? So ein schöner Mensch. Er
war total vernarrt ins Golf und die Freiluftspiele, und ich nahm ganz
seine Lebensgewohnheiten an. Da war es denn eine harte Prüfung für mich,
als ich Cecil Innes heiratete, der das Freie nicht mochte und sich nur
für Bücher und Herumstöbern in Museen interessierte.

K.: Warum hast du Dick verlassen?

M.: Ich wollte ihn nicht verlassen. Wir lebten sehr traulich
miteinander. Aber er verliebte sich in eine andere Frau. Er war ganz
vernarrt in sie und verlangte, daß ich ihn freigebe. Da ich keine Kinder
hatte, hielt ich es nur für anständig, nachzugeben. Cecil interessierte
mich im Anfang sehr, und er vergötterte mich. Aber ich hatte ein
düsteres Leben bei ihm. Du weißt, ich bin nicht ein bißchen literarisch
angehaucht, und er war so schöngeistig und ein solcher Bücherwurm. Er
ödete mich tödlich an. Ich war froh, an seiner Statt Jack zu nehmen,
meinen jetzigen Mann, aber Cecils Kummer, als ich ihn verließ, war so
entsetzlich, daß ich ihn nie vergessen werde, und als er bald nachher
starb, hatte ich das Gefühl, eine Mörderin zu sein.

K.: Das muß eine schmerzliche Erfahrung gewesen sein. Aber man gewöhnt
sich an diese Tragödien. Man hört von so vielen. Immer will eines frei
sein und eines gebunden bleiben.

M.: Ja; und die stillschweigende Tradition, daß es eine Ehrensache ist,
den unfreiwilligen Gefährten nie zum Bleiben bestimmen zu wollen, hebt
das Gesetz auf, daß die Ehe nur enden kann, wenn beide Teile es
wünschen.

K.: Ich bin überzeugt, daß die Tragödien der Trennung, von denen man
heutzutage hört, weit ärger sind als die durch die Ehefesseln
gelegentlich hervorgerufenen Tragödien der guten alten Zeit -- und auch,
daß sie viel häufiger sind.

M.: Es wäre keine solche Ironie, wenn _irgend jemand_ etwas davon hätte.
Aber soweit ich es beurteilen kann, leiden die Männer fast ebensoviel
darunter wie die Frauen, besonders wenn sie alt sind. Den Zeitungen aus
dem Anfang des Jahrhunderts zufolge, konnte ein alter Junggeselle oder
ein Witwer immer eine junge und reizende Frau bekommen. Aber heute wird
niemand einen ältlichen Mann heiraten, ausgenommen eine alte Frau, und
an denen liegt den Männern nichts.

K.: Das ist sehr schade. Sie würden auf diese Weise vielem Unglück
steuern, das man allerwärts sieht. Auf seine alten Tage ganz verlassen
dazustehen, muß schrecklich sein.

M.: Da wir gerade von den Zeitungen reden, muß ich dir sagen, wie
belustigend es ist, sie im British Museum zu lesen und aus ihnen zu
ersehen, was für Wunder von dem System der Ehe auf Probe erwartet
wurden, als man es zuerst gesetzmäßig festlegte. Alle die Mißstände des
alten Systems sollten verschwinden: die Scheidung, der Ehebruch, die
Prostitution, die Verführung, mit all diesen sozialen Übeln sollte
gründlichst aufgeräumt werden.

K.: Wie unsinnig kurzsichtig waren die Leute damals! Die Scheidung ist
allerdings abgeschafft, aber die Skandale und der Kummer, die
gebrochenen Herzen und die zerstörten Familienleben, die sie
verursachte, sind vertausendfacht. Die Untreue mag jetzt weniger häufig
sein, aber wenn die Leute dazu Lust und Gelegenheit haben, dann haben
sie keine Lust, eine gewisse Anzahl von Jahren zu warten, bis es dem
Gesetz nach keine Sünde mehr ist. Ebenso ist es mit den anderen
Mißständen. Es wird immer eine große Zahl von Männern geben, die die Ehe
aus finanziellen oder anderen Gründen hinausschieben, und eine große
Zahl Frauen, die nur auf eine Weise ihr Leben zu verdienen verstehen,
und der älteste Erwerbszweig der Welt wird immer im Gang gehalten
werden. Auch die Verführung wird nicht aufhören, so lange die Gesetze
dieses Vergehen so milde beurteilen. Es wird immer unwissende, dumme und
unbeschützte Mädchen geben und immer Männer, die daraus ihren Vorteil
ziehen.

M.: Es scheint auch ebensoviele alte Jungfern zu geben wie früher; die
Frauen, welche für die Männer nichts Anziehendes haben, bleiben bei
jedem System dieselben, und oft sind sie die besten Frauen.

K.: Wie seltsam muß es sein, _nie einen Mann gehabt zu haben_.

M.: Es muß jedenfalls recht friedlich sein. Aber die alten Jungfern
sehen durchaus nicht glücklicher aus als die verheirateten Frauen.

K.: Ich sehe nur ein gutes Resultat des Systems der Ehe auf Probe: daß
die Frauen sich jetzt ebensosehr nach der Mutterschaft sehnen als sie im
Anfang des Jahrhunderts bestrebt waren, sie zu vermeiden. Wir altern mit
der Furcht vor fast sicherer Verlassenheit und Vereinsamung, und die
einzige Hoffnung für unser Alter sind unsere Kinder -- ach, verzeihe,
ich vergaß, daß du keine hast.

M.: Ach geh -- ich denke ja oft daran, und wenn Jack gegen eine andere
Frau aufmerksam ist oder sie bewundert, fürchte ich mich schrecklich
davor, daß er eine neue Anziehungskraft gefunden hat und mich verlassen
könnte. Was für dummes Zeug sie früher über die Notwendigkeit der freien
Liebe zusammengeschrieben haben! Als wenn die Freiheit etwas so
Herrliches wäre. Wir sind ja doch alle Sklaven irgendeiner Konvention,
einer Leidenschaft oder einer Theorie. Niemand von uns ist wirklich
frei, und wenn wir es wären, würde es uns gar nicht befriedigen. Für die
romantische Liebe in den Romanen mag die „Freiheit in der Liebe“ ja ganz
schön sein; aber jenes eigene Bedürfnis der Geschlechter nacheinander,
das wir in Ermanglung eines besseren Ausdrucks im praktischen Leben
„Liebe“ nennen, das muß in ein festes Band geschmiedet werden; oder wie
sollen wir arme schwankende Sterbliche uns sonst helfen? Die Liebe muß
ein Anker im wirklichen Leben sein -- nichts anderes ist gut für uns!



III. Das Fiasko der freien Liebe

  Der letzte Gesichtspunkt, aus welchem alle das Betragen der Menschen
  beurteilen, ist das daraus folgende Glück oder Unglück.

  Ein Verhalten, dessen mittelbare oder unmittelbare Endresultate
  schädlich sind, ist ein schlechtes Verhalten.

    _Herbert Spencer._


Die freie Liebe ist die gefährlichste und trügerischeste Form aller
Ehesysteme genannt worden. Sie ist auf einem ganz unmöglichen ethischen
Standpunkt begründet. In der Theorie ist sie die ideale Verbindung der
Geschlechter, aber sie wird nur dann praktisch möglich sein, wenn Mann
und Frau sich sittlich total verändert haben werden. Wenn die Leute alle
treu, beständig, seelenrein und äußerst selbstlos sind, dann mag die
freie Ehe in Betracht gezogen werden. Selbst dann hätten die Unschönen
und Reizlosen keine Chancen.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen hat noch kein in _offener_ freier
Liebe lebendes Paar dieselbe erfolgreich durchgeführt, ich meine mit
einem gediegenen, ständigen Erfolg. Ich glaube, es gibt Paare, die ohne
ein dauerhafteres Band als ihre gegenseitige Liebe glücklich miteinander
leben, aber sie stellen sich klugerweise unter den achtunggebietenden
Schutz des Eherings und nennen sich Mann und Frau. So braucht die eben
flügge gewordene freie Liebe nicht gegen die gewaltige Kraft des
gesellschaftlichen Bannes zu kämpfen, und überdies hat man kein Mittel,
zu erfahren, wie lange diese Verbindung den Versuchungen der Zeit
widersteht. Die zwei bemerkenswerten modernen Beispiele von freier
Liebe, an die ich mich hier natürlich erinnere, sind George Eliot und
Mary Godwin. Aber bei beiden waren die Männer schon verheiratet. Sobald
Harriet gestorben war, heiratete Mary Godwin den Dichter Shelley und als
George Lewes dahinschied, heiratete George Eliot einen anderen Mann,
eine Handlungsweise, welche die meisten Leute viel weniger verzeihlich
finden als ihr ungeregeltes Verhältnis mit Lewes. Selbst die berühmten
Perfektionisten von Oneida fielen nach dem Tode ihres Führers Noyes auf
seinen eigenen Wunsch in die gewöhnliche Eheform zurück.

Im Ostende von London ist die Institution der freien Liebe sehr
verbreitet, aber nach den Erfahrungen der Polizeibehörde sind ihre
Resultate sicher nicht ermutigend. Ich hörte auch, daß sie bei den
Kattunarbeitern von Lancashire sehr allgemein ist; das System der
+„collage“+ herrscht auch in den arbeitenden Klassen Frankreichs vor und
scheint sich recht gut bewährt zu haben. Aber nur da, wo die Fähigkeit
und Gelegenheit der Frauen, sich selbst zu erhalten, vorhanden ist, ist
die freie Ehe vom ökonomischen Standpunkt überhaupt durchführbar, und
selbst dann bleibt die ernste Frage der unehelichen Kinder. Alle billig
Denkenden müssen einsehen, daß die Haltung der Gesellschaft den
unehelichen Kindern gegenüber äußerst ungerecht und grausam ist, da sie
die vollkommen Unschuldigen straft. Aber jeder erwachsene Mensch kennt
diese Haltung, und jene, welche ihr trotzen, um ihrer Annehmlichkeit
willen oder der Befriedigung einer Experimentierlaune zuliebe, tun es im
vollen Bewußtsein, daß auf ihrem Kind sicher der Druck lebenslänglicher
Benachteiligung lasten wird. Vielleicht werden viele durch dieses
Bewußtsein davon abgeschreckt, das Sittengesetz zu durchbrechen; aber
die Zahl der in England und Wales geborenen unehelichen Kinder war im
Jahre 1905 37300 und ich glaube, es ist im Interesse dieser
unglücklichen Opfer der Selbstsucht anderer _höchste Zeit_, daß eine
gütigere und weniger engherzige Haltung ihrer entrechteten Stellung
gegenüber eingenommen wird.

Ich erinnere mich, als junges Mädchen ein Stück gesehen zu haben mit dem
Titel „Ein Veilchenstrauß“. -- Die Heldin entdeckt, daß die frühere Frau
ihres Mannes noch lebt, und ihr Kind daher unehelich ist. Sie sagt ihrer
Tochter, sie möge zwischen ihren Eltern wählen und erklärt ihr die
Vorteile des Verbleibens bei ihrem reichen und einflußreichen Vater.
Die Ansprache schließt mit den Worten: „Bei mir wirst du arm und in
Schmach leben, und du kannst nie heiraten!“ Zweifelsohne wurde dieser
Gesichtspunkt einzig und allein in Anbetracht der jungen Mädchen im
Zuschauerraum festgehalten, aber seine Unvernunft stieß mich ab. Selbst
der beschränkten Intelligenz einer Siebzehnjährigen ist es klar, daß ein
unehelich geborenes Mädchen lieber so schnell als sie nur kann heiraten
sollte, um einen bürgerlichen Namen zu erhalten, wenn schon ein Name von
solcher Bedeutung im Leben ist. Es wurde kürzlich viel über die
freie Liebe im Zusammenhang mit dem Sozialismus diskutiert, und
höchstwahrscheinlich dank der Entstellungen gewisser Zeitungen scheint
die Vorstellung Platz gegriffen zu haben, daß die Abschaffung der Ehe
und ihr Ersatz durch die freie Liebe ein Teil des sozialistischen
Programms sei. Es könnte unmöglich eine unwahrere Anklage erhoben
werden, wie die Umfrage bei den Führern der verschiedenen
sozialistischen Körperschaften rasch erweisen wird.

Die Leute, welche für die freie Liebe plädieren, führen gern ins
Treffen, daß eine so persönliche Angelegenheit nur sie selbst angeht.
Alle, die so denken, sollten sich eine +cause célèbre+ der letzten Zeit
zur Warnung dienen lassen, in welcher Selbstmordversuch, krüppelhafter
Nachwuchs und ein die unschuldigen Kinder bis zur dritten Generation
umstrickendes Gewirr von Elend sich als die Folgen einer vor fast
dreißig Jahren geschlossenen freien Verbindung ergaben. Diese und noch
viele andere Tragödien der freien Liebe, die von Zeit zu Zeit in den
Zeitungen veröffentlicht werden, scheinen zu beweisen, wie irrtümlich
die Anschauung ist, daß wir für keine unserer Handlungen Rechenschaft
abzugeben haben. Ein Verhältnis, welches die zukünftige Generation
beeinträchtigt, kann nie eine private und persönliche Angelegenheit
sein. Vor einigen Jahren veröffentlichte E. R. Chapman einen sehr
interessanten Essay über die Ehe, in welchem er sagte: „Die gesetzliche
Ehe gegen bloß freiwillige Verbindungen, bloß zeitweise Gemeinschaft
austauschen, heißt nicht die Liebe frei machen, sondern ihr den
Todesstoß versetzen durch Loslösung von jenem menschlichen Faktor, der
die richtig verstandene Ehe ist und der die Rücksicht für die Ordnung,
die Rücksicht für das allgemeine Wohl über das persönliche Interesse und
die bloße Selbstbefriedigung des Augenblicks stellt.“



IV. Die Polygamie an einer höflichen Tafelrunde

  „Am schwersten und letzten von allem ist jenes Monopol des
  menschlichen Herzens auszurotten, das als Ehe bekannt ist . . . Es
  ist mit jener häßlichen und barbarischen Form der Hörigkeit so weit
  gekommen, daß man den sonderbaren Einfall hat, sie für direkt
  göttlichen Ursprungs zu halten.“

    _Grant Allen._


Wir nennen es die höfliche Tafelrunde, weil wir in der Hitze des
Meinungsgefechtes immer rückhaltlos derb zu werden pflegen. Bei dieser
Gelegenheit war die unvermeidliche Ehediskussion, die fast immer in der
einen oder anderen Zeitung zu finden ist, der Gesprächsgegenstand. Der
‚biedere Börsenmann‘ (unverheiratet) verteidigte herzhaft den heiligen
Ehestand. Seine sittliche Haltung ist gewiß etwas langweilig, aber
nichtsdestoweniger gehört er zu jenen Leuten, mit denen man wirklich
höflich ist. Obgleich auf dem Gesicht des ‚Familienegoisten‘ eine
gewisse Reizbarkeit zu sehen war, hörten wir achtungsvoll zu,
ausgenommen der ‚böse Börsenmann‘, dessen Mahlzeit einen viel zu
wichtigen Raum in seinem Lebensplan einnahm, um durch ein Gespräch über
moralische Themen beeinträchtigt zu werden.

Der ‚verlebte Roué‘ muß natürlich -- das ist ihm Ehrensache -- allem
widersprechen, was der ‚biedere Börsenmann‘ sagt. Ich muß erwähnen, daß
der ‚verlebte Roué‘ ein äußerst tugendhafter Mann und ein Mustergatte
und -vater ist. Er posiert eine wüste Vergangenheit, was ihm den
sarkastischen Spottnamen eingetragen hat, den er durchaus nicht durch
seine Aufführung verdient. „Sie vergessen,“ warf er matt ein, als der
‚biedere Börsenmann‘ eine Pause machte, „daß kein Geringerer als
Schopenhauer gesagt hat, daß der Mann von Natur aus zur Polygamie, die
Frau zur Monogamie neigt.“

„Ich verneine die erste Behauptung“, sagte der ‚biedere Börsenmann‘
erhitzt. Er geriet immer in Hitze, wenn es sich um Sittlichkeitsfragen
handelte, und wollte immer genaue Nachweise liefern, was eine
einigermaßen langweilige Diskussion zu verursachen drohte, als
der ‚Blaustrumpf‘ mit dünner, abgehackter Stimme entschlossen
dazwischenfuhr:

„Wenn man Ihnen zuhört, könnte man glauben, daß die monogamische Ehe
eine göttliche Institution ist.“

„Lächerlich, was?“ grinste der ‚verlebte Roué‘. Der ‚biedere Börsenmann‘
sah bekümmert aus und räusperte sich. Bei diesem schrecklichen Signal
schickte sich der ‚Familienegoist‘ -- dessen Gereiztheit stetig wuchs,
wie die nachgewiesene Verbreitung einer Zeitung -- an, sein Wurfgeschoß
auf den Kampfplatz zu schleudern. Das hätte jedwede Angeregtheit des
Gespräches auf einige Stunden hinaus gehemmt, und es entrang sich allen
ein Seufzer der Erleichterung, als unser tapferer ‚Blaustrumpf‘ sich
noch einmal dem Lauf des Gespräches entgegenwarf.

„Sie machen ja geradezu einen Kultus aus der Bibel,“ quakte sie höhnisch
den ‚biederen Börsenmann‘ an, -- „aber Sie scheinen mit dem Alten
Testament auf keinem sehr vertrauten Fuß zu stehen. Sie werden dort
reichliche Beweise finden, daß die monogamische Ehe nicht göttlicher ist
als die Polygamie oder die freie Liebe, auch daß sie keinen himmlischen
Ursprung hat, da sie sich je nach Rasse und Klima änderte. Sie ist
einfach ein unerläßlicher Schutz der Gesellschaft.“

„Ich setze einen Schilling drauf“, murmelte der ‚Tölpel‘ (ein
unverbesserlicher junger Mann, ganz der Winston Churchill unseres
Familienkabinetts), indem er seine übliche Formel anwendete. Ohne auf
ihn zu achten, zirpte der ‚Blaustrumpf‘ ernst weiter: „Wenn Sie je
Soziologie studiert haben, müssen Sie wissen, daß die Ehe hauptsächlich
ein Gesellschaftsvertrag ist, der ursprünglich auf der Selbstsucht
begründet war. Noch jetzt hat sie etwas von ihrer halb barbarischen
Form, und jene, welche ohne Gründe ihre bewiesene Heiligkeit predigen,
sollten lieber vorschlagen, wie das jetzt in Übung stehende wüste Gesetz
den Notwendigkeiten der modernen Verhältnisse angepaßt werden könnte.“

Sie machte eine Pause, um Atem zu schöpfen. -- Der ‚biedere Börsenmann‘
war bleich, aber er hielt ihr mannhaft stand. „Bravo, ‚Blaustrumpf‘“,
sagte der ‚verlebte Roué‘.

„Eine prächtige Frau, unsere Wortführerin“, sagte der ‚Tölpel‘. -- „Ich
setze einen Schilling auf sie.“

Der ‚böse Börsenmann‘ nahm eine zweite Portion Salat und aß unbekümmert
weiter, während die ‚vornehme Dame‘ an der Spitze der Tafel den
‚Familienegoisten‘ ängstlich beobachtete, der apoplektisch aussah und so
bedenklich mit seinem Weinglas spielte, daß er dessen Laufbahn als
nützlichen Gebrauchsgegenstand offenbar abzukürzen im Begriff war.

„Mich hat man gelehrt“, sagte der ‚biedere Börsenmann‘ langsam, „die Ehe
als eine geheiligte Institution, als ein heiliges Mysterium zu
betrachten.“

„Dann hat man Sie Unsinn gelehrt“, schnauzte ihn der ‚Blaustrumpf‘ an
und gab sich so den übelsten Gewohnheiten der höflichen Tafelrunde hin;
sie bebte vor intellektueller Begeisterung.

„Eine Anschuldigung“, begann der ‚biedere Börsenmann‘ -- („Gelungenes
Wort, ich setze einen Schilling darauf“ murmelte der ‚Tölpel‘) -- „ist
kein Beweis“, setzte der ‚biedere Börsenmann‘ fort.

„Schon möglich, aber was Sie gesagt haben, war Unsinn“, erwiderte der
‚Blaustrumpf‘. „‚Ein heiliges Mysterium, eingesetzt in der Unschuldszeit
der Menschheit‘ -- ich erinnere mich an das Zitat. Und um welche Zeit
war das, wenn ich bitten darf? Beziehen Sie sich auf den Garten Eden
oder irgend einen Teil der Bibel? Das erwählte Volk, die Hebräer, war
polygamisch von der Zeit des Lamech an, offenbar mit der Zustimmung der
Gottheit. Selbst der unberührte David hatte dreizehn Frauen, und der
heilige Salomo ein rundes Tausend. Da ist nicht viel von dem heiligen
Mysterium in jenen Tagen zu spüren.“

„Lieber ‚Blaustrumpf‘, Sie sind aber wirklich --“ murmelte die ‚vornehme
Dame‘.

„Durchaus nicht, sie ist ganz bei Sinnen“, warf der ‚verlebte Roué‘ ein,
der sich teuflisch an dem sichtlichen Ärger des ‚biederen Börsenmannes‘
weidete.

„Ich gebe es auf“, sagte der letztere, wobei der ‚Tölpel‘ und der
‚verlebte Roué‘ in ein Freudengeheul ausbrachen. „Ich kann wirklich
nicht gegen eine Dame von solch überwältigender Beredsamkeit aufkommen“,
fuhr er fort, indem er sich in entzückend galanter Art verbeugte. „Es
ist alles eins, ich werde immer glauben, daß die Ehe eine heilige
Institution ist.“

„Mein lieber alter Junge,“ sagte der ‚verlebte Roué‘ hastig mit einem
Seitenblick auf den ‚Familienegoisten‘, der wirklich an jenem Abend
schlecht behandelt wurde, „deine Hochherzigkeit ist geradezu
bewunderungswürdig, aber sie ist nicht am Platze. Sie paßt nicht in
moderne Verhältnisse. In der Theorie ist die Ehe gewiß ein heiliges
Mysterium. In der Praxis wird sie ein unheiliger Wirrwarr, oft eine
Erniedrigung. Ich persönlich glaube an die Polygamie.“

Nur schwer unterdrückten alle ein Lachen bei dem Gedanken an seine
wachsame Gattin und seine verschiedenen, schon von Geburt an wachsamen
Kinder. „Auch ich, einen Schilling setze ich drauf“, sagte der ‚Tölpel‘
unentwegt. „Nicht für mich selbst natürlich,“ fuhr der ‚verlebte Roué‘
fort, ohne die Spur eines Lächelns, „das heißt nicht -- ich meine --
nicht jetzt, aber im allgemeinen gesprochen, und ich meine abstrakt
genommen, wäre die Polygamie eine vernünftige Institution. Denken Sie
nur daran, wie sie unsere modernen Komplikationen vereinfachen und
unsere beiden ärgsten sozialen Übel verbessern würde.“

„Ja, _denken_ Sie bitte, das wird genügen“, warf die ‚vornehme Dame‘
hastig ein.

„Und wie es die überflüssige Frauenfrage lösen würde,“ fuhr der
‚verlebte Roué‘ fort. „Denken Sie an die ungeheuere Zahl unglücklicher
alter Jungfern, die dann glücklich versorgt wären.“ Der ‚Blaustrumpf‘
ließ ein entrüstetes Gequiek vernehmen.

„Denken Sie an die Ausgaben,“ bemerkte der ‚biedere Börsenmann‘ trocken,
und der ‚verlebte Roué‘ sank zusammen wie ein angestochener Gasballon.
„Herbert Spencer sagt,“ fuhr der ‚biedere Börsenmann‘ fort, „daß die
Tendenz zur Monogamie angeboren ist und alle anderen Formen der Ehe
zeitweise Verirrungen gewesen sind, von denen jede die entsprechenden
Übel nach sich zog. Schließlich ist die monogamische Ehe zum Schutz der
Frauen eingesetzt und wurde in den großen und edlen Zeitaltern der
Weltgeschichte heilig gehalten. Ganz abgesehen von dem moralischen
Gesichtspunkt könnte die Polygamie jedoch nur in tropischem Klima
möglich sein, wo die Lebensbedingungen auf ein Minimum reduziert wären
und man von Datteln und Reis leben könnte. Aber der Durchschnittsmann in
unserem ruhmreichen Freihandelland kann ja nicht einmal _eine_ Frau in
angemessener Weise ernähren, geschweige denn mehrere. Ich frage, wie es
im Namen des Bankdiskonto . . . .“

„Ihr Börsenmenschen seid alle so schrecklich knauserig“, erwiderte der
‚verlebte Roué‘. „Habe ich nicht gesagt, abstrakt genommen? Natürlich
weiß ich, daß es praktisch nicht möglich wäre, jetzt noch nicht; aber
ich glaube wirklich, daß es das ganze sexuelle Problem lösen könnte.“

„Keiner von euch scheint die Frauen in Betracht zu ziehen“, piepste der
‚Blaustrumpf‘. „Glauben Sie denn, daß wir modernen Frauen mit unseren
Hilfsquellen und unserer Bildung so einen Gedanken nur einen Augenblick
ins Auge fassen würden?“

„Gut, was denken Sie darüber?“ fragte der ‚verlebte Roué‘ mit
diplomatischer Ehrerbietung.

Zu unserer Überraschung begann der ‚Blaustrumpf‘ zu erröten, und ihr
Erröten ist nicht das sittsame, unverantwortliche Rotwerden eines
gewöhnlichen Mädchens, sondern ein quälendes Zuströmen des Blutes ins
Gesicht unter dem Druck tiefernsten Verhaltens, jene Art von Erröten,
bei der man wegschauen muß.

„Nun“, sagte sie mit einem Schlucken, -- „ich denke, vielleicht --
vielleicht würden sie es tun.“

Es war klar, daß es sie etwas gekostet hatte, dies zuzugeben. Wir waren
wie vom Donner gerührt. Der ‚Familienegoist‘ vergaß seine brennende
Redelust und hörte auf, das Weinglas zu bedrohen, die ‚vornehme Dame‘
war ganz aufgeregt, der ‚verlebte Roué‘ wurde beinahe munter und der
‚biedere Börsenmann‘ sah aus, als wenn er eben in Tränen ausbrechen
wollte.

„Ich glaube, wir Frauen wären nicht gegen die Polygamie, -- nur um das
kleinere Übel zu wählen,“ fuhr der kleine ‚Blaustrumpf‘ tapfer fort,
„denn die gegenwärtige Vergeudung der Weiblichkeit in unserem Lande ist
ein sehr ernstes Übel. Natürlich machen es die finanziellen Verhältnisse
unmöglich, wie der ‚biedere Börsenmann‘ sagt, aber wenn es möglich wäre,
wenn es aus ehrenwerten Motiven und in ganz ehrenwerter offener Weise
von -- ich meine, den geeigneten Persönlichkeiten -- autorisiert und
sanktioniert wäre, dann glaube ich, die Frauen könnten es ohne Verlust
der Selbstachtung aufnehmen, besonders, wenn die erste jugendliche
Liebesglut vorüber ist. Nach diesem Stadium, und wenn eine Frau sich
selbst vergißt, dadurch, daß sie sich wirklich erst in der Liebe und der
Sorge für ihre Kinder und einer weiteren Auffassung des Lebens und
seiner Pflichten selbst gefunden hat, dann denke ich, könnten die
meisten Frauen unter solchen Umständen glücklich sein. Ich glaube, es
wird eine Menge unsinniges Zeug über die Qualen der menschlichen
Eifersucht zusammengeschwatzt, und über die Eifersucht der Frau im
besonderen. Die Männer mögen ja darunter leiden, darüber kann ich nicht
urteilen, aber ich bin überzeugt, bei den Frauen ist es nicht so. Die
Demütigung, die Lieblosigkeit, die Tatsache, ‚betrogen‘ und durch eine
andere verdrängt worden zu sein, _die_ verletzen so, wenn ein Mann
untreu ist. Aber wenn es ganz anständig und ehrlich wäre, wenn es
begriffen würde, daß die Polygamie der Natur des Mannes mehr entspricht
und der größten Anzahl von Frauen Glück zu bereiten geeignet ist, -- da
sie so in der Überzahl sind, daß sie nicht erwarten können, jede einen
Gefährten zu finden -- dann glaube ich wirklich, nachdem die Frauen sich
diesen neuen Verhältnissen anzupassen Zeit gehabt haben -- es mag ein
oder mehrere Generationen dauern -- dann würden sie sie ganz froh
anerkennen und Frieden und Befriedigung in ihr finden.“

Der ‚Blaustrumpf‘ machte eine Pause und sah auf die gespannten Gesichter
ringsum. Sogar der ‚Tölpel‘ war auf ihre Worte gespannt, aber der
‚biedere Börsenmann‘ hatte seine Blicke abgewendet, und der
‚Blaustrumpf‘ war ganz bleich, als sie fortfuhr.

„Natürlich denkt man bei dem Wort gleich an den Harem und orientalische
Frauengemächer, aber nichts von dieser Art würde sich bewähren. Die
Frauen müßten getrennt leben, nicht bei dem Manne wohnen, jede in ihrem
eigenen Heim, mit ihrem eigenen Interessen- und Pflichtenkreise, jede
mit ihrer eigenen Arbeit. Keine dürfte im Müßiggang leben, welcher die
Ursache alles Zwistes und aller Trübungen ist. Jede Frau sollte etwas
arbeiten und irgend jemandem helfen. Ich denke jetzt natürlich nicht an
die glücklich verheirateten und zufriedenen Frauen, sondern an die
tausende, die ein elendes, dumpfes und einsames Leben führen und
unendlich glücklicher wären, wenn sie sich auf eine bestimmte, in
regelmäßigen Intervallen wiederkehrende Woche freuen könnten, in der der
Mann mit ihnen leben würde. Es würde Liebe und menschliche Interessen
und, was das Wichtigste ist, einen _Inhalt_ in ihr Leben bringen. Ich
weiß, es klingt entsetzlich unmoralisch,“ fuhr sie fort und errötete
wieder peinlich, „aber ich meine es nicht so. Schließlich ist die
Hauptursache, warum die Leute heiraten, die Kameradschaft, und diese
hauptsächlich fehlt den unverheirateten Frauen nach der heiteren Zeit
der ersten Jugend. Der natürliche Gefährte des Weibes ist der Mann.
Daraus folgt, da nicht genug Männer da sind, um sie glücklich zu machen,
daß es ein größeres Übel gibt als sie zu teilen. Ich behaupte nicht, daß
es so befriedigend wäre, als einen treuen Gatten ganz für sich zu haben,
aber es könnte für das größte Wohl der größten Anzahl gut sein, und es
würde sicherlich bis zu einem gewissen Grade die sozialen Mißstände
aufheben.“

Alle klatschten, als sie etwas atemlos geendet hatte. Es war klar, daß
es dem braven ‚Blaustrumpf‘ so sehr an dem eigenen Mut der Meinung
fehlte, daß sie in tödlicher Verlegenheit war, als sie ihr öffentlich
Ausdruck verleihen mußte. Die ‚vornehme Dame‘, die das taktvollste Wesen
der Welt ist, stand daher auf, bevor jemand etwas gesprochen hatte, und
die beiden Frauen verließen zusammen das Zimmer.

Unter den Männern entstand ein Stimmengewirr, welches der ‚biedere
Börsenmann‘ dazu benutzte, auch still zu verschwinden.

„Gebt den Porter weiter!“ sagte der ‚böse Börsenmann‘ munter: „Sie ist
ein verteufelt gescheites Weib, aber wie sogar die geistreichen Frauen
von einer solchen Lebensunkenntnis sein können, frappiert mich, und
auch, wie ihr da solche Heuchler sein könnt! . . .“

„Heuchler! Was meinen Sie?“ brauste der ‚Familienegoist‘ auf, der jetzt
vor lauter unterdrücktem Reden fast platzte.

„Nicht Sie, alter Freund, aber der ‚verlebte Roué‘ und der ‚biedere
Börsenmann‘, die so herumschwätzen als ob bei uns zulande die Monogamie
vorherrschte und die Polygamie etwas Neues wäre. Natürlich erwartet man
es von dem ‚biederen Börsenmann‘, aber Sie, ‚verlebter Roué‘, sollten es
wirklich besser wissen. Ja richtig, wo ist der ‚biedere Börsenmann?‘“

„Ich glaube, er hat sich um den Blaustrumpf beworben, um sie vor der
Polygamie und ihren eigenen Ansichten zu retten“, näselte der ‚verlebte
Roué‘, indem er eine Zigarette anzündete.

„Ein schneidiger Kerl; ich glaube wirklich, er hat es getan“, rief der
‚Tölpel‘ aufgeregt. „Ich setze einen Schilling gegen jeden von euch
darauf. Ich meine es wirklich.“

„Nun, und wenn er es getan hat?“ sagte der ‚Familienegoist‘ gereizt.
„Was macht’s, wenn ein Narr mehr auf der Welt ist? Hört auf, Unsinn zu
schwatzen, Kameraden, und laßt den Porter die Runde machen!“



V. Ist die legalisierte Polyandrie die Lösung?


In W. Sommerset Maughams sehr interessanter psychologischer Studie „Mrs.
Craddock“ sagt eine der Personen: „Es können nämlich wenige Frauen mit
nur einem Manne glücklich sein. Ich glaube, daß die einzige Lösung des
Eheproblems die legalisierte Polyandrie[2] ist.“

  [Anmerkung 2: Gesetzlich geregelte Vielmännerei.]

Es ist nur ehrenwert, diese Sorte von Behauptungen mit Entsetzen
entgegenzunehmen; aber wenn die Geheimnisse des weiblichen Herzens
bekannt wären, käme heraus, daß ein gut Teil dieses Entsetzens
erheuchelt ist. Ich lehne es ab, mein Geschlecht irgendwie auszuliefern.
Maugham ist ja ein im Studium des weiblichen Herzens sehr erfahrener
Mann und ich kann wohl sagen, er weiß, wovon er spricht. Überdies ist er
sicherlich unverheiratet. Aber selbst er verschanzt sich hinter einem
der Charaktere seiner Novelle, und warum sollte man von mir größeren Mut
erwarten?

Freilich liegt in dem Wort legalisiert eine wunderbare Kraft. Die
profansten und entsetzlichsten Ehen zwischen schönen jungen Mädchen und
reichen, adeligen Mummelgreisen, Trunkenbolden oder Trotteln werden als
ganz gehörig und ehrenwert betrachtet, weil sie legalisiert sind. Und
dennoch würden die Leute, die diese Abscheulichkeiten hinnehmen,
wahrscheinlich äußerst schockiert sein bei der bloßen Andeutung der
Polyandrie, eines weit schicklicheren Geschlechtsverhältnisses, weil es
durch wirkliche Geschlechtsanregung geregelt und voraussichtlich frei
von krämerischen Rücksichten wäre. Aber gleichviel, ob die legalisierte
Polyandrie die eigentliche Lösung des Eheproblems ist oder nicht, sie
ist gewiß eine unmögliche für das frauenreiche England, und obgleich die
Frauen in den letzten Jahren erschreckend breit ausgegriffen und
sich von ungeahnter Lebenskraft besessen erwiesen haben, ist es
unwahrscheinlich, daß sie ihre überflüssigen Energien nach dieser
Richtung hin verausgaben werden.



VI. Ein Wort für die Duogamie

  „Geschaffen hat euch Gott, aber verheiraten müßt ihr euch selbst.“

    _R. L. Stevenson._


Am Tage nach der höflichen Tafelrunde kamen Isolda, Miranda und Amoret
zu mir zum Tee, und ich erzählte ihnen von der Diskussion des vorigen
Abends über die Polygamie.

„Ich verstehe schon den Standpunkt des ‚Blaustrumpfs‘“, sagte Isolda
nachdenklich. „Die Polygamie mag für die überflüssige Frau, die unter
den gegenwärtigen Bedingungen nicht heiraten kann, annehmbar sein, für
das unbefriedigte alte Mädchen, das des Ledigseins so überdrüssig ist,
daß es sogar die Polygamie vorziehen würde, aber nie wäre sie es für die
Frau, die sich verheiraten kann und sich verheiratet.“

„Und doch, wieviele verheiratete Frauen gehen heutzutage darauf ein“,
sagte Miranda. „Gibt es nicht so viele Frauen, die die Untreue ihres
Gatten verzeihen und sie so gut als möglich ertragen um der Kinder oder
anderer gesellschaftlicher Vorteile willen, oder weil sie ihrem Manne so
ergeben sind, daß sie es vorziehen, ihn mit einer anderen zu teilen, als
allein ohne ihn zu leben? Und was ist das anderes, als die Polygamie
hinnehmen?“

„Ja, aber dann sind die anderen Frauen nur Geliebte“, rief Isolda aus.
„Das mag man unfreiwillig dulden, aber eine andere gesetzliche Frau mit
ebensolchen Rechten wie die unseren, und was noch schlimmer ist, mit
Kindern, die den unseren gleichgestellt werden -- niemals!“

„Gut, vielleicht nicht,“ gab Miranda zu, „ich vermute, eine gesetzliche
und ständige Nebenbuhlerin wäre etwas anderes, und schließlich kann man
ja nur von dem Mittelstand in England als ausgesprochen monogamisch
reden. Die oberen und die unteren Gesellschaftsschichten sind so
polygamisch als nur möglich. Wir tun nur in unserer britischen Heuchelei
so, als ob bei uns die Monogamie die Regel wäre.“

„Ziehe nicht gegen die britische Heuchelei los,“ sagte Amoret träge.
„Es ist unser kostbarstes Nationalerbe. Die Heuchelei hält den
Gesellschaftsbau zusammen.“

„Zugegeben“, sagte Isolda. „Wir müssen des Friedens halber und dem Ideal
zuliebe so tun, als ob wir glaubten, daß die Monogamie die Regel ist.
Natürlich weiß jeder, daß es überall eine Menge polygamer Männer und
eben deshalb auch polyandrischer Frauen gibt, aber die Heuchelei ist
eine zu große Stütze der Schicklichkeit, und eine Nation muß, in der
Theorie wenigstens, Schicklichkeit haben, wenn schon nicht in der
Praxis, sonst würden wir -- hm -- dem Niedergang zusteuern wie die
Römer.“

„Darauf war ich gefaßt, daß eine von euch die Römer erwähnen wird,“ warf
Amoret ein, die bei all ihrer Leichtfertigkeit eine gewisse
humoristische Verschmitztheit besitzt. „Das ist ein unvermeidlicher Zug
aller Diskussionen über die Ehe. Sowie nur jemand etwas von dem
Vorschlag verlauten läßt, daß die Ehebande geschmeidiger gestaltet
werden sollten, um sich den modernen Verhältnissen anzupassen, zieht
jeder der Anwesenden, ausgenommen die unglücklich Verheirateten, ein
langes Gesicht und zitiert das entsetzliche Beispiel der Römer. Nun ist
mir eine glänzende Idee für die Lösung des Eheproblems gekommen.“

„Sag sie uns“, riefen die drei Anwesenden einstimmig.

„Noch nicht, erledigen wir erst die Römer. Ich vertraute neulich einem
Mann meine Idee an; nachdem er mir wie üblich die Römer vorgesetzt
hatte, ging ich und sah im Gibbon nach.“

Allgemeines Lachen unterbrach sie. Die Vorstellung, daß unser
Schmetterling Amoret über dem Gibbon büffeln sollte, war zu komisch.

„Ja wirklich, ich hab es getan,“ fuhr sie fort, „und was ich
herausfinden konnte, war, daß nicht ihre leichtfertigen Ideen über die
Ehe ihren Niedergang verursachten, sondern ihre -- wie soll ich’s
nennen? -- allgemeinen lockeren Sitten . . .“

„Ich weiß es,“ sagte Isolda, ihr zu Hilfe kommend, „ich las neulich ein
riesig interessantes Buch darüber: Kaiserlicher Purpur. Es war das
Erlöschen aller Ideale, die Freigabe aller fleischlichen Begierden, der
durch Ausschweifungen und üppiges Leben entstehende äußerste Mangel an
sittlichem Halt, der die Römer zugrunde richtete; aber wenn eine
tüchtige, kaltblütige Nation wie die unserige die beengenden
Ehebedingungen lockern wollte und an der Neuerung genau festhielte, dann
ist es Unsinn, zu behaupten, daß alle unsere Ideale entarten und
infolgedessen das Reich zusammenstürzen würde!“

„Hört, hört! Ganz wie der ‚Blaustrumpf‘!“

„Gut,“ sagte Miranda. „Ich will also auf eure Ideen über die Römer
eingehen, schon damit wir in unserem Thema weiterkommen. Nun laß uns
deine großartige Idee hören, Amoret.“

„Also folgendes: Duogamie“, sagte Amoret.

„Duo -- zwei?“

„Sehr richtig -- zwei Partner für jedes. Wir sind heutzutage alle so
kompliziert, daß einer uns unmöglich befriedigen kann. Zwei würden
gerade genügen. Zwei würden die Spannung des Ehelebens lockern, und doch
nicht zu dem führen, was die Zeitungen „Ausschweifung“ nennen. Jeder
hätte eine zweite Chance, und was dem ersten Partner fehlt, das würde
der zweite einem ersetzen.“

„Es ist keine üble Idee“, sagte Isolda nachdenklich. „Lancelot könnte
zur zweiten Frau eine solche wählen, die gut marschiert und Bridge
spielt, und ich würde einen Mann zu finden trachten, der die Karten haßt
und nie einen Schritt geht, wo er reiten kann.“

„Ich glaube, es ist eine grandiose Idee!“ rief Miranda begeistert.
„Lysander könnte eine Frau finden, die ihn am Klavier begleitet und
Opern gern hat, und ich würde mich nach einem Mann umsehen, der
das ernste Schauspiel pflegt und zwei ständige Sperrsitze im
Vedrenne-Barker-Theater hätte.“

„Das wäre ja geradezu die Lösung für alles“, rief Amoret verzückt.
„Wenn Theodor unausstehlich gewesen ist, würde ich auf und davon
gehen zu meinem „Zweiten“ -- und doch mit dem Gefühl, ihn nicht zu
vernachlässigen, da er zu _seiner_ „Zweiten“ gehen könnte! Sie wäre
wahrscheinlich eine treffliche, beschränkte, einer Stütze bedürftige
Dame, die keinen meiner Fehler hätte, und wenn er von ihrer beschränkten
Hilfsbedürftigkeit genug hätte, dann würde er zu mir zurückkehren, und
wißt ihr, sogar meine Fehler würden ihm -- dem Gesetz des Kontrastes
zufolge -- gefallen, und umgekehrt.“

„Es ist wirklich eine wunderbare Idee,“ sagte Isolda nachdenklich, „es
wundert mich, daß niemand früher darauf gekommen ist. Es gäbe weniger
alte Jungfern, denn die Männer würden die Ehe nicht so scheuen, wenn sie
wüßten, daß es noch immer eine zweite Chance gibt. Sie würden von einer
Frau auch nicht soviel erwarten wie jetzt. Und stellt euch nur vor, was
für eine gute Wirkung es auch auf unser Verhalten ausüben würde -- wie
lieb und höflich und beherrscht wir wären, aus Furcht, im Vergleich mit
der ‚Andern‘ in ungünstigem Lichte zu erscheinen.“

„Ja, es würde uns gewiß auf einem Niveau erhalten, auf dem wir den
Erwartungen genügen würden,“ bemerkte Miranda, „unordentliche Frauen
würden sich bemühen, nett zu werden, und zänkische würden ihrer Zunge
Einhalt tun. In ihrem Bestreben, den ‚Andern‘ aus dem Felde zu schlagen,
würden die Ehemänner galant und aufmerksam wie Liebhaber werden.“

„Es würde alle Verwicklungen lösen,“ erklärte Amoret, „nehmt nur einmal
die uns persönlich bekannten Fälle. Die Smiths zum Beispiel haben schon
drei Jahre nicht miteinander gesprochen, weil Fred sich in Fräulein
Brown verliebte und fast seine ganze Zeit mit ihr verbringt. Frau Smith
ist tiefbekümmert, Fred sieht recht elend aus -- ein Heim, in dem man
nichts spricht, muß ja eine Hölle sein --, und die junge Brown droht
immer, sich etwas anzutun. Die Sache hat den Smith direkt das Leben
verdorben und für die Kinder muß es sehr hart sein, in solch einer
Atmosphäre heranzuwachsen. Mein Plan würde all diesem Elend abhelfen:
Fred hätte Fräulein Brown heiraten und zeitweise ganz glücklich mit Frau
Smith leben können.“

„Aber was würde Frau Smith in den Zwischenpausen tun? Sie hat zufällig
keine ‚entgegengesetzte Anziehungskraft‘ gefunden.“

„Nun vielleicht, wenn die Duogamie üblich wäre, hätte sie sich nach
einer umgesehen,“ sagte Amoret, „ich bin überzeugt, die meisten Frauen
könnten einen zweiten Gefährten finden. Aber übrigens ist ja kein System
vollkommen, und es gibt eine Menge Frauen, die überhaupt keinen zweiten
Mann haben möchten und nur zu froh wären mit einer Ruhepause, in der man
keine Diners anzuschaffen braucht. Nehmt dann den Fall Robinson: Dick
Jones verehrt Frau Robinson sehr und ist äußerst unglücklich, weil er
ihr nicht mehr als ein Freund sein kann. Sie hat ihn sehr gern und auch
ihren Mann; sie könnte beide sehr glücklich machen, wenn sie sich teilen
wollten.“

„Ich habe oft empfunden, daß ich zwei Männer beglücken könnte“, sagte
Isolda. „Einige meiner besten Eigenschaften sind an Lancelot
verschwendet. Er wird auch nie des Landlebens und seines geliebten Golfs
überdrüssig, ich aber wohl, und wenn mich wieder einmal meine Sehnsucht
nach London überkommt, würde ich mich schnell nach der Stadt aufmachen
und eine famose Zeit mit meinem Londoner Gatten verleben.“

„Ohne das Gefühl, irgend ein Unrecht zu tun,“ ergänzte Amoret, deren
sichtliche Erfahrung in Gewissensskrupeln mir etwas verdächtig erschien.

„Liebe Kinder, es tut nicht gut“, sagte Miranda plötzlich. „Es tut nicht
gut--aus ist’s mit der Duogamie! Denkt an die Dienstboten!“

„Entsetzlich, die Dienstboten!“ sagte Isolda bestürzt.

„Ja, ich fürchtete, daß ihr den wunden Punkt bald herausfinden würdet“,
sagte Amoret bedauernd. „Natürlich wäre es schrecklich, zweierlei
Dienstboten zu beaufsichtigen zu haben. Ein Gatte könnte sich vier oder
fünf leisten und der andere nur ein bis zwei, und jede Dienerschaft
würde in Abwesenheit der Frau außer Rand und Band geraten.“

„So hätte man anstatt eines vollständig glücklichen Lebens mit zwei
Gatten, die uns um die Wette zu gefallen bestrebt sind, eine
fürchterliche Existenz durch fortwährendes Abrichten der Dienerschaft.
Kaum, daß man A.’s Dienerschaft in Ordnung gebracht hätte, wäre es Zeit,
zu B. zurückzukehren und dort mit dem gleichen zu beginnen.“

„Nein, dafür dank ich,“ sagte Isolda entschieden, „die Dienstboten
_eines_ Hauses sind mir gerade genug. Ich habe schon hundertmal gesagt,
daß ich bloß wegen der leidigen Dienstboten nicht geheiratet haben
möchte. Es wäre verrückt, sich jetzt diese Plage noch zu verdoppeln. Du
kannst mich aus der Liste der Duogamistinnen streichen, Amoret, bis die
Dienstbotenfrage durch die Erfindung irgend einer neuen Maschine oder
den Import von Chinesen gelöst ist.“

„Vielleicht“, warf Amoret hoffnungsvoll ein, „würde dein ‚Zweiter‘
darein willigen, im Hotel zu leben?“

„Solches Glück habe ich nicht,“ sagte Isolda traurig, „wenn ein Mann
heiratet, so ist es meistens wegen des Heims -- warum sollte er sonst
heiraten, abgesehen von den Kindern? Guter Gott! Ich habe ja an die
Kinder ganz vergessen. Natürlich gibt das der Sache den Rest.“

„Die ‚Sackgasse aller Reformen‘!“ sagte Amoret tragisch. „Es ist
unmöglich, irgend eine Neuerung im Ehesystem vorzuschlagen, die nicht
gleich durch die Komplikation des Nachwuchses annulliert wird.“

Wie saßen alle schweigsam in Gedanken versunken; Isolda schauerte
zusammen.

„Mit der Duogamie ist’s nichts!“ sagte sie pathetisch, „und ich bin so
enttäuscht!“



VII. Die Vorteile der Ehe „auf Sicht“

  „Die Ehe ist abschreckend, aber auch ein kaltes und verlassenes
  Alter ist es.“

    _R. L. Stevenson._


Von allen revolutionären Vorschlägen zur Verbesserung des gegenwärtigen
Ehesystems erscheint mir die Ehe „nach Billigung“ -- mit anderen Worten
die „Ehe auf Sicht“ die vernünftigste und durchführbarste. Das Verfahren
wäre ungefähr folgendes: Ein Paar, das heiraten will, würde einen
gesetzlichen Vertrag schließen des Inhalts, daß sie einander für eine
begrenzte Zahl von Jahren -- sagen wir drei -- zu Gatten wählen. Dieser
Zeitraum würde zwei Jahre Versuchszeit bieten, nachdem das abnormale und
außergewöhnlich kritische erste Jahr vorüber wäre. Eine kürzere Zeit
wäre ungenügend. Nach Ablauf der drei Jahre hätten die Kontrahenten das
Recht auf Lösung der Ehe, die Lösung sollte aber erst nach weiteren
sechs Monaten in Kraft treten und so jede Gelegenheit bieten, die
Echtheit des Scheidungswunsches zu erhärten. Wenn keine Scheidung
gewünscht wird, würde die Ehe durch eine religiöse oder endgültige
gesetzliche Zeremonie genehmigt und für immer bindend werden.

Im Falle einer geschiedenen Ehe hätte jeder Teil die Freiheit, wieder zu
heiraten; aber der zweite Versuch müßte vom Anfang an endgültig und
bindend sein. Diese Einschränkung ist absolut notwendig, wenn die „Ehe
auf Sicht“ nicht in eine Art gesetzlich geregelter „freier Liebe“
ausarten soll, da es viele Männer und manche Frauen gibt, die immer von
neuem solche Ehen schließen würden, und das Ende der Sache wäre nichts
anderes als die „Probeehe“ für den kurzen Zeitraum von drei Jahren.

Man wird gegen diesen Plan einwenden, daß viele Paare, die am
gefährlichen Wendepunkte des Ehelebens -- d.i. nach ca. zehn Jahren --
Malheur haben, in den ersten Jahren vollkommen glücklich sind. Aber da
mal die menschliche Liebe so veränderlich ist und die Leute wie die
Lebensbedingungen dem Wechsel so unterworfen sind, ist es unmöglich,
zu irgend einem feststehenden System zu gelangen, das darauf Rücksicht
nimmt. Es muß jedoch daran erinnert werden, daß in der Mehrzahl der
unglücklichen Ehen nicht das System zu tadeln ist, sondern die
Individuen. Die Einführung des ehelichen Noviziates würde jedoch die
Zahl der Scheidungen dadurch beträchtlich vermindern, daß durch sie das
jetzt so häufige Nichtzusammenpassen der Temperamente weit seltener
würde. Das eheliche Noviziat würde jenen eine zweite Chance bieten, die
eine schlechte Wahl getroffen haben, ohne jedoch in jene Promiskuität
auszuarten, die für die Gesellschaft eine Gefahr und für die höchsten
Interessen der Rasse verhängnisvoll ist. Von welchem anderen System kann
man das sagen?

Für die im Noviziat lebenden Frauen müßte man eine neue Bezeichnung
erfinden, die sie nach gelöster Verbindung beibehalten würden. „Frau“
wäre nach wie vor die unterscheidende Bezeichnung für jene weiblichen
Wesen, die in den endgültigen und bindenden Ehestand eingetreten sind.
Ob die Frau den Zunamen des Mannes während der Probezeit annehmen
sollte, wäre eine andere, durch die Majorität zu entscheidende Frage;
ich wäre dafür, daß sie ihren Mädchennamen mit obbesagter Bezeichnung
behielte und den Namen des Mannes nur mit dem endgültigen Titel „Frau“
annähme. Aber das sind bloße Details.

Was die wichtige Frage der Kinder anbetrifft, so würde die
Nachkommenschaft aus einer „Probeverbindung“ natürlich legitim sein,
aber ich meine, daß kluge Leute darauf bedacht sein würden, keine Kinder
zu bekommen, so lange die Ehe nicht endgültig geschlossen ist. Gewiß
würden Kinder eher die Ausnahme als die Regel sein, und die Frage ihrer
Fürsorge in den Fällen gelöster Ehen würde die durchdachteste
Gesetzgebung erheischen. Den Aufenthalt des Kindes zwischen den Eltern
zu teilen, ist ein nicht wünschenswertes Auskunftsmittel, das bis zu
einem gewissen Grad nachteilig wirken muß, da ein ständiger
Aufenthaltsort mit regelmäßigen Gewohnheiten von ungeheurer Wichtigkeit
für das Wohlergehen der Kinder ist. Den Vater jedoch ganz zu berauben,
ist ebenso unangebracht.

Das „eheliche Noviziat“ ist kein neues System. Es war vor der
Reformation in Schottland unter dem Namen „Händeschütteln“ üblich.
Die Männer und Mädchen trafen sich bei den jährlichen Jahrmärkten und
erklärten einander durch die Zeremonie des „Händedrucks“ zu Gatten auf
ein Jahr. Am Jahrestag dieser Zeremonie wurden sie -- wenn alles gut
gegangen war -- durch einen Priester gesetzlich getraut. Wenn sie die
Verbindung als einen Mißgriff erkannt hatten, so schieden sie.



Vierter Teil

Die Kinder -- die Sackgasse aller Reformen


  „Ein frühes Ergebnis teils des Geschlechtes, teils der passiven
  Art der ersten Urmutter ist Begründung einer neuen und schönen
  Gemeinschaftsform -- der Häuslichkeit . . . Eine Tages erscheint in
  diesem Raum ohne Dach jenes Wesen, das bestimmt ist, die Lehrer der
  Welt zu lehren -- ein kleines Kind.“

    _Henry Drummond._

  „Jede echte Frau ist von Natur aus eine Mutter und findet am besten
  in der Mutterschaft ihre soziale und sittliche Erlösung. Sie soll
  durchs Gebären erlöst werden.“

    _Grant Allen._

  „Kinder sind eines Mannes Macht und sein Stolz.“

    _Hobbes._



I. Kinder oder keine Kinder -- die Frage des Tages

  „Die Ehe wurzelt daher vielmehr in der Familie als die Familie in
  der Ehe.“

    _Westermarck._


Wenn wir die Kinder aus dem Spiel lassen könnten, wäre die Neugestaltung
der Ehebedingungen recht einfach. Aber meine Freundin Amoret hat dieses
Problem sehr richtig „die Sackgasse aller Reformen“ genannt. Jedes
System, sei es Probeehe, freie Liebe, Polygamie, Polyandrie, Duogamie --
jedwedes System, das die Vaterschaft des Kindes zu verschleiern oder das
Kind der erprobten Vorteile eines ständigen Heims zu berauben trachtet
-- ist von Anbeginn aussichtslos. Das bezieht sich jedoch nur auf
Ehepaare, die Kinder haben. Früher erwarteten alle jene, die heirateten,
Nachkommenschaft und waren enttäuscht, wenn diese Hoffnung nicht erfüllt
wurde. Daß es möglich ist, die Zahl der Nachkommenschaft zu beschränken
oder gar die Elternschaft ganz zu vermeiden, wußten sie natürlich nicht.
Heute ist das alles anders, und die Malthusianischen Lehren herrschen
überall.

Bernard Shaw sagt: „Daß man die Ehe künstlich unfruchtbar machen kann,
ist die revolutionärste Errungenschaft des 19. Jahrhunderts.“ Gewiß
ermöglicht sie die umstürzlerischen Vorschläge über die Ehe oder würde
sie vielmehr durchführbar machen, wenn man die „Errungenschaft“
allgemein in Praxis umsetzte.

So muß denn der Satz aufgestellt werden, daß da, wo Kinder sind,
keinerlei Änderung unseres gegenwärtigen Ehesystems ratsam ist, und daß
die Leute, die es mit neuen Ehesystemen versuchen wollen, entschiedenst
die „Sackgasse aller Reformen“ vermeiden und kinderlos bleiben müssen.

Kinder oder keine Kinder -- das ist heutzutage die Frage. Es gibt
kaum ein Thema, über das die Ansichten mehr auseinandergehen. Manche
Leute betrachten die Elternschaft als das schrecklichste Unglück;
andere wieder meinen, daß es nutzlos leben hieße, wenn man ohne
Nachkommenschaft sterben wollte. Ich hörte ein Mädchen einst sagen: „Ich
hasse Kinder; es ist viel besser, sich ein paar liebe Hunde zu halten,“
und das war kein unwissendes oder lebensfremdes Mädchen, sondern ein
gesundes, kluges, voll entwickeltes junges Weib von 26 Jahren. Und vor
kurzem teilte mir ein anderes Mädchen ihre Verlobung mit und fügte
gleich hinzu, daß sie durchaus nicht die Absicht habe, Kinder zu
bekommen. George Moore sagt in seinem düsteren und abstoßenden Buch „Die
Beichte eines jungen Mannes“: „Möge ich kinderlos sterben, damit, wenn
meine Stunde kommt, ich mein Antlitz zur Mauer wenden und mir sagen
kann, daß ich das große Unheil menschlichen Lebens nicht vermehrt habe
-- dann werden meine Sünden in Dunst vergehen wie eine Wolke -- und wäre
ich auch ein Mörder, Zuhälter, Dieb und Lügner gewesen. Aber derjenige,
dessen Sterbebett Kinder umstehen -- und wäre sein Leben in allem
anderen ein vortreffliches gewesen --, wird von dem wahrhaft Weisen für
gottlos gehalten werden und der Makel wird ewig auf seinem Andenken
haften.“ (Bei diesen Zeilen wundert man sich, warum George Moore das
„große Unheil menschlichen Lebens“ in seiner eigenen Person weiter
aufrecht erhält, wo er doch seine Existenz so leicht beenden könnte,
ohne irgend jemanden zu betrüben!)

Aber ich habe viele Leute, Männer und Frauen, ledige und verheiratete,
sagen hören, daß ohne Kinder die Ehe keinen Sinn hat, welcher Meinung
ich von Herzen beipflichte. So manches warmblütige, lebensvolle, tapfere
junge Weib vertraute mir an, daß sie -- gleichviel, ob sie heiraten
würde oder nicht -- um jeden Preis Mutter zu werden wünsche. Es ist eine
der traurigen Folgen der Scheu der Männer vor der Ehe, daß solche
prächtige Frauen vorsätzlich ihre herrliche Sehnsucht nach Mutterschaft
unterdrücken müssen, -- oder dafür, daß sie ihr unterliegen, einen
fürchterlichen Preis zahlen müssen, den nicht sie allein entrichten,
sondern auch das in die Welt gesetzte Kind. Solche Frauen trifft man
jedoch nicht oft.

Und jetzt kommen wir zu den Gründen, um deretwillen die Leute keine
Kinder haben wollen.

„Wir können es nicht erschwingen“, ist die zumeist gehörte, aber
verächtlich selbstsüchtige Entschuldigung. Ich sagte oben, daß jeder
Mann es sich erlauben könne, zu heiraten -- wenn er die rechte Frau
findet.

Nun muß ich hinzufügen, daß jeder Mann, der eine Frau erhalten, auch ein
Kind erhalten kann. Leute, die zu egoistisch sind, um für zwei Kinder
den Unterhalt zu erübrigen (oder wenigstens für eines, wie traurig es
auch für das Kleine ist, weder Bruder noch Schwester zu haben), sollten
überhaupt nicht heiraten. Manche Leute sagen, daß sie auch ohne Kinder
ganz glücklich sind. Sehr viele Frauen verzichten vorsätzlich auf ihre
Mutterschaftschancen, weil sie ihre Vergnügungen unterbrechen, die
Jagdsaison verderben, und ihrer Reiselust oder ihren Spielpassionen in
die Quere kommen würden. Vielleicht werden sie dereinst einsehen, daß
sie ihren Passionen zuliebe einen zu hohen Preis gezahlt haben. Andere
können Kinder wirklich nicht leiden und wüßten nicht, was sie mit ihnen
anfangen sollten, wenn sie welche hätten. Solche Leute sollten füglich
keine Kinder haben; man merkt es den armen Kleinen immer an, wenn sie
unwillkommen waren.

Auch „Schwächlichkeit“ führen nervöse Frauen als Entschuldigung an,
die nicht im geringsten zu schwach sind, zu gebären. Bei wirklicher
Kränklichkeit oder einer konstitutionellen Schwäche oder Anomalie ist
diese Entschuldigung nur sehr angebracht. Eine sichtlich gesunde Frau
sagte mir einmal ganz im Ernst, daß sie gerne ein Kind haben möchte, nur
habe sie oft im Winter einen so bösen Husten und möchte nicht riskieren,
ihn zu „vererben“. Ihre Lungen waren vollkommen gesund, und es
belästigte sie nur ein zeitweiser Husten. Bei derselben Gelegenheit
bemerkte eine andere anwesende Dame, daß sie auch gerne ein Kind haben
möchte, nur „wäre nicht genug Platz in unserer Wohnung und sie ist so
passend, wir möchten nicht gerne ausziehen“.

Meinem durch diese Bemerkungen erzeugten Gemütszustand hätte ich nur
dadurch Ausdruck verleihen können, daß ich diese beiden Damen zu Boden
geworfen und mit Füßen getreten hätte, und da diese Aufführung bei
unserer Gastgeberin keinen Anklang gefunden hätte, so mußte ich mich
damit begnügen, bloß recht grob gegen die beiden zu sein.

Ich glaube, all das wurzelt darin, daß der mütterliche Instinkt nicht
so allgemein wie früher ist. Die Gründe davon nachzuweisen, bin ich
nicht klug genug. Viel mag der größeren Befreiung der Frauen, der
Erweiterung ihres Lebens und ihrer ehrgeizigen Bestrebungen, den neuen
Beschäftigungen, den neuen Interessen zugeschrieben werden, welche die
weibliche Existenz so umgewandelt haben. Die Mutterschaft und die
schmerzhaften und belästigenden Vorgänge ihrer Erfüllung wirken störend
auf all das ein. Der Instinkt der Mutterschaft ist gewiß der Majorität
noch angeboren; wenn die Kleinen, oft unwillkommen, das Licht der Welt
erblicken, macht sich der Instinkt in der Regel wieder geltend; aber
gewiß ist es bei der heutigen Durchschnittsfrau nicht allgemein, daß er
sich vor der Ehe oder der auftretenden Mutterschaft in ihr regt, und ich
bin überzeugt, daß die Zahl der Frauen, die gleich der weiblichen Biene
dieses Instinktes ermangeln, jährlich wächst. Es ist mir oft
vorgekommen, daß die Männer größere Liebe zu Kindern haben als die
Frauen. In meinem eigenen Kreise kenne ich keinen Mann, der Kinder nicht
gern hat, während ich viele Frauen kenne, die Kinder direkt nicht leiden
können und viele andere, die nur die eigenen erdulden, weil sie es eben
müssen. Ich habe auch beobachtet, daß ganz zärtliche Mütter alle anderen
Kinder nicht ausstehen können, während Männer, wenn sie überhaupt Kinder
gern haben, jedem Kind gewogen sind. Man beobachte nur einmal, wie
Männer im Eisenbahnkupee ein gar nicht besonders reizendes Kind
beachten, während die anwesenden Frauen ganz gleichgültig bleiben. Eine
Dame, die viele Jahre eine Mädchenschule hatte, erzählte mir neulich,
daß ihrer Ansicht nach das Wesen der Mädchen sich ändert und die
Vorliebe für Puppen und kleine Kinder sichtlich in Abnahme begriffen
ist. Kann man das verallgemeinern? Und wäre es möglich, daß die höhere
Frauenbildung solche bedenkliche Kehrseiten hätte?

Zum Glück für die Ehre und die Ideale unseres Landes ist das Nachwuchs
liebende Element noch in überwältigender Majorität und viele Leute,
die sich aus verschiedenen Gründen gerade keine Kinder wünschen,
bewillkommnen den Storch recht herzlich, wenn er sie mit seinem Besuche
beehrt. Nach Jahren werden sie einem dann sagen, daß sie sich gar
nicht vorstellen können, wie das Leben ohne das Getrippel kleiner
Füßchen im Hause, das Geplapper der süßen Stimmchen und die zarten
Kindergesichtchen gewesen wäre.



II. Das Für und Wider des beschränkten Nachwuchses

  „Das Kind -- des Himmels Gabe.“

    _Tennyson._


Obgleich ich es bei legitim Verheirateten für den größtmöglichen
Mißgriff halte, aus irgend welchen anderen Gründen als geistiger oder
körperlicher Degeneration absichtlich kinderlos zu bleiben, bin ich
andererseits entschieden gegen die Lutheranische Doktrin von der
unbeschränkten Vermehrung. Die Zeiten haben sich seit Luthers Tagen
geändert, und im 20. Jahrhundert sind kleine Familien -- außer bei den
sehr Wohlhabenden -- direkt notwendig. Wo das Geld keine Rolle spielt
und die Eltern durch und durch gesund sind, mag der Luxus einer
zahlreichen Familie gestattet sein. Und es ist ein Luxus, mögen die
Zyniker spotten, soviel sie wollen. Wir modernen Eltern mit unseren zwei
oder drei Kindern oder unserem einzigen Nesthäkchen, das aus den
Augen zu verlieren wir uns kaum trauen, weil es unseren einzigen
Schöpfungsversuch verkörpert -- wir vermissen viel von dem echten
häuslichen Frohsinn, den unsere Mütter und Väter mit dreizehn bis
vierzehn lustigen Buben und Mädeln gekannt haben müssen. Unsere Kinder
können nicht einmal eine Partie Tennis stellen, ohne sich eins oder
mehrere von einer anderen Familie auszuborgen. So manches von der Angst
und Qual, die wir unserer spärlichen Nachkommenschaft halber erleiden,
war zu jenen Zeiten unbekannt, wo der Kindersegen reichlich war und die
Nachkommenschaft selbstverständlich eine zweiziffrige Zahl erreichte.

Heutzutage sind diese Freuden der Luxus der Wohlhabenden, die sich
jedoch selten dieses besondere Vorrecht der Reichen zunutze machen. Wo
die Bedürfnisse des täglichen Lebens mit jedem Jahr im Preise steigen,
eine ständige Panik auf dem Geldmarkt herrscht, und der Konkurrenzkampf
beängstigende Formen annimmt, ist eine kleine Familie von zwei bis drei
Kindern alles, was der Mann mit mittlerem Einkommen sich erlauben kann.
Vier ist schon eine Ausnahmezahl, aber sie ist einige Opfer wert.
Professor E. A. Roß hat kürzlich in „+The American Journal of
Sociology+“ konstatiert, daß, obgleich „die Beschränkung des Nachwuchses
die Ausbreitung wirtschaftlichen Wohlstandes zur Folge hat, die
Kindersterblichkeit herabsetzt, die Übervölkerung verhindert, welche die
Hauptursache von Krieg, Massenarmut, dem Konkurrenzkampf bis aufs Messer
und dem Klassenstreite ist, ihr dennoch beunruhigende Wirkungen
anhaften, und in Ein- oder Zweikinderfamilien den Eltern sowie den
Kindern viele der besten Lehren des Lebens abgehen; der zum Vorbild zu
erhebende Typus ist nicht die Familie mit ein bis drei, sondern mit vier
bis sechs Kindern.“ Auch der deutsche Gelehrte Möbius hat der Ansicht
Ausdruck gegeben, daß die allgemeine Einführung des Zweikindersystems
zur Degeneration der Rasse führen würde.

Ob aber die Kinderzahl eins oder sechs ist, das ist dem Jesuitenpater
Bernard Vaughan ganz gleich, der in seinem heftigen Angriff auf die
modernen Eltern keinen Unterschied kennt zwischen dem reichen Mann, der
nur ein Kind, und dem schwer arbeitenden Gewerbsmann, der mehrere hat.
Den Familiennachwuchs überhaupt zu beschränken ist in seinen Augen eine
abscheuliche und verwerfliche Sünde, „ein gemeiner Kniff“, und die
Leute, die es tun, sind „Verräter an der hochwichtigen Formel im
geheiligten Ehevertrag, zu dem sie Gott als Zeugen anriefen und den sie
zu halten versprachen.“ Das letztere ist kaum logisch -- niemand von uns
ist verantwortlich für den Wortlaut des Ehezeremoniells, und wir können
ja nicht das Hersagen der barbarischen Formel mit der Erklärung
unterbrechen, daß unserem Wunsche nach Vermehrung Grenzen gesteckt sind.

Der Pater Vaughan sagt auch, daß diese Abneigung gegen die Fortpflanzung
„das Erlöschen der christlichen Sittlichkeit“ bedeutet und „Trotz gegen
Gott“ darstellt. Es ist mir nicht klar, warum ein ehrsames Paar aus dem
Mittelstande, das zu dem Schluß gekommen ist, bei einem Einkommen von --
sagen wir -- 300 Pfund im Jahre drei Kinder für angezeigter zu halten
als zwölf oder vierzehn, wegen dieses Beweises von Klugheit und
Selbstbeherrschung des „Trotzes gegen Gott“ geziehen werden sollte.
Herrscht die Vorstellung, daß die Kinder uns nur geschenkt werden, wenn
der Allmächtige sie uns zu schenken wünscht und ist es deshalb gottlos,
die Zahl zu regeln? Geradesogut könnte man ein junges Mädchen, das
einige Heiratsanträge ausschlägt, beschuldigen, „Gott zu trotzen“, da
ER sie offenbar zu verheiraten wünscht. Körperkrankheiten und Unfälle
kommen mutmaßlich von derselben göttlichen Instanz, und doch hält es
niemand für eine Sünde, gegen dieselben durch Mittel zu kämpfen, die die
Wissenschaft für solche Zwecke in Bereitschaft hält. Warum macht man uns
mit den Mitteln zur Beschränkung des Nachwuchses bekannt, wenn wir sie
bei bedrohlicher Übervölkerung nicht anwenden sollen? Die Lehre vom
„Freien Willen“ wird geradezu zur Posse, wenn der Pater Vaughan recht
hat. Wenn er seine Bemerkungen auf jene beschränken würde, die
vorsätzlich gar keine Kinder haben wollen, dann hätte er viele Anhänger
gefunden, aber er wird durch die Übertriebenheit seiner Anklagen unserer
Sympathie verlustig. Sogar das Bestreben, die Geburten nicht zu rasch
aufeinanderfolgen zu lassen, was für die Gesundheit der Mutter von
solcher Wichtigkeit ist, brandmarkt er als unmoralisch. Er scheint es
angemessen zu finden, wenn eine Frau ungefähr alle elf Monate ein
Kleines bekommt, ungeachtet des beschränkten Einkommens des Mannes, bis
sie ein kränkelndes, gebrochenes Wesen wird oder infolge der zu vielen
Geburten stirbt und eine mutterlose Kinderschar zurückläßt. Seine
Bemerkungen richten sich natürlich hauptsächlich an die „vornehme Welt“,
aber da der Pater Vaughan Mittellosigkeit nicht als Entschuldigung für
eine „vorsätzliche Regulierung des Nachwuchses“ gelten läßt, muß seine
Kritik auf alle Gesellschaftsklassen bezogen werden. Man wäre versucht,
mit einer Person aus „+The Merry-Go-Round+“ auszurufen: „In dieser Welt
sind’s die Braven, die alles Unglück anrichten!“

Im Jahre 1872 erschien, noch bevor die Geburtsziffer merklich zu sinken
begann, ein Artikel von Montagu Crackenthorpe in der „Fortnightly
Review“, der behauptete, daß kleine Familien eher ein Zeichen des
Fortschrittes als des Rückschrittes seien. Dieser Artikel erschien
kürzlich in einem Buche „Bevölkerung und Fortschritt“ wieder. Über
dieses Thema gibt es eine Menge anderer Bücher, und auf sie muß ich jene
meiner Leser verweisen, die ausgebreitetere Kenntnisse über diesen
höchst wichtigen Gegenstand zu erwerben wünschen. Der Raum hier
gestattet mir leider keine erschöpfende Behandlung desselben. Die Sache
wird von den meisten von einem engen, persönlichen Standpunkt aus
betrachtet; denn man kann unmöglich von Leuten, die im Daseinskampfe
stecken, erwarten, daß sie „imperalistisch“ denken und die Bedürfnisse
des „Imperiums“ über die Beschränkungen ihres Einkommens setzen. Vom
volkswirtschaftlichen Standpunkt aus wurde die Frage von dem Meister der
Nationalökonomie, Sidney Webb, in einer Broschüre unter dem Titel „Das
Sinken der Geburtsziffer“ (im Verlage der Fabian Society) erschöpfend
behandelt.

Ich wollte, ich könnte die Leute davon überzeugen, was für ein Unrecht
es ist, nur ein Kind zu haben. Der Verlust für die Eltern ist schwer und
für das Kind unberechenbar. Alle Eltern, die in dieser Lage waren,
kennen die Nachteile bei der ersten Erziehung, „wenn niemand da ist, mit
dem man spielen kann“ und niemand, der das Spiel wieder aufgibt und das
Kind sich selbst überläßt, -- vielleicht die wichtigsten Lehren, die das
Leben uns erteilt. Zwei oder mehrere Kinder, die zusammen aufwachsen,
sind noch einmal so leicht zu lenken und zu unterrichten als eines
allein und in jeder Hinsicht unvergleichlich glücklicher. Später füllen
Schulkameraden bis zu einem gewissen Grade die Lücke aus, aber das
einzige Kind ist ebenso wie seine Eltern noch immer zu bedauern. Alle
Hoffnungen der Eltern konzentrieren sich auf das eine Kind, und da die
Umstände fast unausweichlich dazu beitragen, es zu verderben, werden
ihre Hoffnungen mehr oder weniger getäuscht. Zu spät sehen dann die
Eltern ein, daß sie einen Fehler begangen haben.

Ich war vor kurzem in einer Kindergesellschaft, wo solche „einzige
Hoffnungen“ in der Majorität waren. Ein herziges kleines Familientrio,
aus einem Knaben und zwei winzigen Mädchen bestehend, wurde viel
bewundert, und die Mutter geradezu beneidet. Mehrere der anwesenden
Mütter meinten, sie hätten sich oft für John oder Tommy ein Brüderchen
oder Schwesterchen gewünscht; da wenige der betreffenden Kinder älter
als fünf Jahre waren, schien die Schwierigkeit nicht unüberwindlich zu
sein. Aber es herrschte nur _eine_ Meinung unter den Damen: daß es zu
spät sei, „wieder mit der Kleinkinderstube zu beginnen“. „Es täte nur
gut, wenn beide zusammen aufwachsen könnten; fünf Jahre sei ein zu
großer Altersunterschied“ und so weiter. Gewiß werden sie dereinst ihre
Zaghaftigkeit bitter bereuen, wie es bei vielen Frauen aus meiner
persönlichen Bekanntschaft der Fall war. -- John oder Tommy können ihnen
genommen werden, oder, was schlimmer ist, sie können lieblos und
ungehorsam werden, und in jener traurigen Zeit werden sie kein anderes
Kind als tröstenden Ersatz haben.

Wenn die seichten Verfasser jener endlosen Zeitungsartikel über die
Degeneration der modernen Frauen ihre Sache wirklich gut machen wollen,
dann sollten sie ihre törichten Klagen aufgeben über die Unfähigkeit der
Frauen, das Spinnrad zu drehen oder Früchte einzulegen oder zu anderen,
durch den maschinellen Fortschritt unnötig gewordenen Leistungen. Statt
dessen sollten sie ihre auf den Beweis der Degeneration zielende
Aufmerksamkeit lieber auf die seltsame Hilflosigkeit lenken, die den
Frauen des Mittelstandes bei Aufziehung ihrer Kinder eigen ist, und auf
ihr Grauen vor Komplikationen in der Kleinkinderstube. Ich kenne so
manche Frau, deren finanzielle Begabung und organisatorische Fähigkeit
ans Geniale grenzt, die gewiß nicht in Verlegenheit wäre, mit einem
Einbrecher zu verhandeln, jedoch unter keiner Bedingung den Schrecken
einer längeren Eisenbahnfahrt mit ihrem zwei Jahre alten Kinde trotzen
würde, während die Tatsache, das Kleine einmal während der Abwesenheit
der Kinderfrau nachts übernehmen zu müssen, ein nervenerschütterndes
Experiment bedeutet, das zumindest einen Tag vollständiger Bettruhe
nötig macht.

„Mit der Kleinkinderstube und ihrem vielverzweigten Apparat wieder zu
beginnen“, wenn das „Einzige“ über das Zahnen hinaus ist, gehen, allein
essen kann und umgänglich ist, das ist eine Sache, vor der die modernen
Mütter zu verzagen scheinen. Um dem abzuhelfen, sollte man die Zahl der
kleinen Stubenbewohner vermehren, ehe Nr. 1 der Kinderstube entwachsen
ist, so daß dieselbe um viele Jahre länger belebt ist, als es heutzutage
modern, jedoch durchaus nicht eine unbegrenzte Zeit lang, wie es der
Pater Vaughan und andere im Zölibat lebende, der Kleinkinderstube und
ihrer Forderungen total unkundige Priester lehren!



III. Die Elternschaft -- die höchste Bestimmung

  „O seliger Gatte! Seliges Weib!
  Der köstlichste Segen, den der Himmel gewährt,
  Das lieblichste Kleinod aus des Lenzes Kranz,
  Wird eurem Lebenspfad beschert!“

    _Gerald Massey._


Man wird mir vielleicht vorwerfen, daß ich das Ehethema zu oberflächlich
behandle. Die meisten Abhandlungen, die ich gelesen habe, haben in
entgegengesetzter Richtung gefehlt und den Gegenstand von einem ermüdend
transzendentalen Gesichtspunkt aus erörtert. Ich habe absichtlich
versucht, über Wirklichkeiten, Tatsachen, über die Ehe, wie sie in der
alltäglichen Welt wirklich ist -- das heißt, wie sie mir wirklich
erscheint -- zu sprechen, und nicht, wie sie in einer erhabenen idealen
Welt edler Seelen sein mag.

Der Ehe -- wie sie von der großen Majorität durchgeführt wird -- scheint
meiner Ansicht nach wirklich nicht viel Heiliges innezuwohnen. Was ist
an zwei menschlichen Wesen Heiliges, die sich aus rein sozialen oder
häuslichen Rücksichten, welche oft von stark kommerziellen Beweggründen
durchsetzt sind, dahin einigen, zu eigenem Behagen miteinander zu leben?
Gewiß liegt in jeder Liebe eine gewisse Heiligkeit, aber unter den
verschiedenen Spielarten menschlicher Liebe scheint die Geschlechtsliebe
am wenigsten Heiligkeit an sich zu haben. Die Familienliebe, bei der die
Bande des Blutes bestehen, die Liebe zwischen Freunden -- die reinste
von allen Neigungen -- sind oft im Kerne heiliger als die sogenannte
„heilige Gattenliebe.“

Die Ehe, die bloße soziale und physische Verbindung von Mann und Weib,
_abgesehen von der Elternschaft_, ist einfach eine Gemeinschaft -- aus
der, ich gebe es zu, eine ungeheure Steigerung an Glücksmöglichkeiten
für die beiden Teilhaber ersteht -- im großen und ganzen ein
ausgezeichneter Kontrakt, aber alles in allem ein bloß weltlicher
Kontrakt. Aber wenn die Kinder kommen, wenn das göttliche und herrliche
Wunder vollbracht ist, dann ist die Ehe wohl auf einen ganz anderen
Grund gestellt, und ich streife gerne die Schuhe von den Füßen, wenn ich
ihren Bereich betrete, denn es ist heilig.

Bei der Geburt eines Kindes erhält die Ehe, der es entsprossen, eine
unsterbliche Bedeutung. Die Verbindung, die früher nur für die beiden
Beteiligten von Wichtigkeit war, ist jetzt von Bedeutung für den Staat
und die Nachwelt, und daher fällt den Eltern eine wirklich schreckliche
Verantwortung zu. Von dem Physischen, dem Charakter, der Intelligenz
jedes Kindes kann das Schicksal zukünftiger Generationen abhängen. Wenn
wir unser Kind nicht ordentlich ernähren, kann es rhachitisch werden,
und eine künftige Generation kann durch unsere Sorglosigkeit verkrüppelt
sein. Wenn wir ihm die Pflicht der Selbstbeherrschung nicht gründlich
einprägen, kann es ein Trunkenbold oder ein Wüstling werden, und der
Fluch von tausend daraus entstehenden Übeln kann auf unseren Enkeln
lasten. „Vor der Verantwortung, das Dasein einer Rasse mit all ihren
unermeßlichen Möglichkeiten an Sünden und Leiden fortzupflanzen, mögen
wohl die Kühnsten zurückweichen. Aber das einzige tatsächliche Mittel,
das Los der Menschen zu verbessern, ist, eine neue Generation von
besserer Beschaffenheit aufzuziehen. Denn die Umgehung der Elternschaft
zu erwägen, hieße die Zukunft der Brut unüberlegten Sinnenfrönens
überlassen. Auf dem großen Schlachtfeld der Welt gibt es keine höhere
Pflicht, als die Reihen derer, die für das Licht kämpfen, wohl besetzt
zu erhalten. Nicht zum Feiern sind unsere Nachkommen berufen, nein, zu
einem langen, schweren Kampf, der mit dem unvermeidlichen Tod endet.“
(W. T. Stead, +Review of Reviews, January 1908+.)

Es ist sehr richtig behauptet worden, daß die Kinder der Wohlstand der
Nationen sind: wenn wir unsere Elternschaft wirklich sehr ernst nehmen
würden -- viel, viel ernster als es jetzt der Fall ist --, dann würde
sie gewiß den stärksten Schutz gegen den sittlichen und physischen
Verfall bieten, von dem wir so oft hören. Ich möchte die Elternschaft
zur Würde eines hohen geistigen Ideals erhoben sehen. Nicht, daß ich der
übertriebenen Verhimmlung der bloßen Fortpflanzung das Wort rede,
obgleich es eine köstliche Sache ist, schöne und gesunde Kinder in die
Welt zu setzen, eine Sache, auf die Männer und Frauen sehr stolz sein
sollten, aber: „eine unsterbliche Seele ins Leben zu rufen -- was
kann sich damit vergleichen?“ Den neugeborenen Geist der Sonne
entgegenwachsen zu lassen, die edleren Möglichkeiten des vielfältigen
menschlichen Organismus durch stetes Bemühen zur Entwicklung zu bringen
und aus ihm „einen aufrechten, himmelstürmenden Redner“ zu machen --,
welch besseres Lebenswerk kann ein Mann oder eine Frau zu vollenden
hoffen, welch größeres Denkmal hinterlassen?

Würde die Elternschaft ein hohes Ideal werden, dann würde nach einiger
Zeit die öffentliche Meinung -- jene mächtige Waffe -- so stark werden,
daß eine unwürdige Elternschaft von allen anständigen Leuten mißliebig
aufgenommen würde. Die Untauglichen dürften es nicht wagen, das
Verbrechen der Fortpflanzung ihrer Gattung zu begehen und der dieser
Sünde gegen die Gemeinschaft anhaftende Makel würde vielleicht sogar dem
Makel gleichkommen, der heutzutage dem schrecklichen Verbrechen des
Falschspiels anhaftet! -- Erfüllt von dem Ideal edler Elternschaft,
würden die jungen Mädchen bei ihren Bewerbern auf das väterliche Gemüt
sehen, die Männer würden bei den Mädchen, die sie freien, die schönen,
mütterlichen Eigenschaften suchen, und die materiellen Erwägungen, die
jetzt beide Teile so sehr beeinflussen, würden immer weniger
ausschlaggebend sein. Hundertfach würde das Eheband befestigt werden.
Die Untreue wäre seltener, denn die Gatten, die mit Kindern gesegnet
sind, würden fühlen, daß ihrer Verbindung die Weihe verliehen wurde und
sie wahrhaft unlöslich geworden ist. Vater und Mutter, die sich zum
erstenmal über dem kleinen Körper ihres ersten Kindes küssen, könnten
diesen unbeschreiblichen Augenblick nie vergessen. Der Mann und die
Frau, denen ein Kindlein zusammengehörte, die es sprechen und spielen
gelehrt und seine ersten strauchelnden Schritte gelenkt haben, könnten
nie leichthin die Schwüre außer acht lassen, die sie aneinander banden.
Die sanften kleinen Kinderhände sind dazu geschaffen worden, die Herzen
von Mann und Frau aneinander zu schmieden, und sie erfüllen wunderbar
ihre Sendung!

„Erst wenn wir Väter und Mütter werden, vollbringen wir all das, was
unsere Väter und Mütter für uns getan haben“ -- und welche Offenbarung
ist es! Welch neuer Himmel, welch neue Erde werden uns durch den Zauber
erschlossen, den die Gegenwart eines kleinen Kindes in unserem Hause
ausübt -- des kleinen Körpers, der geheimnisvoll nach unserem Ebenbilde
geschaffen, der kleinen Seele, die unserer Fürsorge anheimgegeben wurde!

Wärs nicht der Kinder wegen, die Ehe wäre wirklich ein allgemeiner
Mißgriff. In ihrem Interesse ist sie geschaffen worden, und sie nur
machen sie möglich. Kinder machen eine glückliche Ehe vollkommen und
eine gleichgültige glücklich. Sehr oft gestalten sie eine recht
verfahrene Ehe zu einer wenigstens erträglichen Gemeinschaft. Wenn eine
kinderlose Ehe glücklich ist, -- wirklich glücklich, dann ists
gewöhnlich, weil Mann und Frau einander besonders zugetan oder Leute von
ungewöhnlichem Charakter sind.

Man kennt seltene Beispiele, wo die Gatten sich eben deshalb fester und
liebevoller aneinanderschlossen, weil sie keinen anderen Gegenstand
hatten, auf den sich ihre Neigung erstrecken konnte. Die Frau, die
weniger Sorgen hat und die die Geliebte nicht in der Mutter aufgehen
lassen muß, bleibt in den Augen des Mannes jugendlicher, als es sonst
möglich wäre, während sie an den Mann ebenso ihre mütterliche als ihre
weibliche Hingabe, verschwendet und er ihr Gatte und Kind zugleich ist.
In einer solchen Ehe kann man etwas Heiliges sehen, obzwar sie keine
Kinder hervorgebracht hat; ein solches Paar scheint die Kleinen, die nie
kommen, nicht zu vermissen. Dasselbe findet sich manchmal bei Künstlern,
deren ganze Interessen und schöpferische Energien in ihrem Werke
aufgehen.

Von ganzem Herzen verachte ich jene verheirateten Leute, die, in vollem
Besitz von Gesundheit und Kraft, vorsätzlich kinderlos bleiben. Von
ganzem Herzen bedauere ich die Ledigen und Jene, denen Kinder versagt
sind. Jedoch haben sie Entschädigungen; wenn ihnen die Wonne entgeht, so
bleiben ihnen auch die endlosen Sorgen, die zahllosen Kümmernisse, die
ständige Selbstaufopferung, die oft bitteren Enttäuschungen erspart. Die
Kinder machen einem gar manche andere Schmerzen als die der Geburt.
Tennyson sagt: „Das traurigste Wesen auf der Welt ist jene Mutter, die
ein Kind hat und es vom Pfade abirren sieht!“ Und doch sind durch
geheimnisvolles Naturwalten die Saiten des Mutterherzens oft für die
Kinder, die irren, am zärtlichsten gestimmt. Zu den schönsten Versen,
die je geschrieben wurden, gehören meiner Ansicht nach jene in Stephen
Philips „Marpessa“: als die junge Marpessa den Gott ihres geringen
sterblichen Liebhabers halber verschmäht, sagt sie von diesem:

  „Und er wird warmfühlende Kinder mir schenken,
  Keinen strahlenden Gott, der die irdische Mutter verachtet,
  Nein, Wesen mit zappelnden Gliedern und kleinen Herzen, die irren!“

Aber die „zappelnden Glieder“ werden bald so groß, daß man sie nicht
wieder erkennt; die kleinen Herzen werden klug und weltlich und irren
auf weniger erwünschte Weise -- unsere warmfühlenden Kinder entwachsen
uns heutzutage schnell. Das ist die wahre Tragödie der Mutterschaft --
_daß die Kinder ihr entwachsen_.



Fünfter Teil

Wie man, obgleich verheiratet, glücklich werden kann


  „Um glücklich miteinander zu leben, sollten sie mit den Feinheiten
  des Seelenlebens vertraut und mit der Fähigkeit geboren sein,
  nachzugeben und sich auszugleichen.“

  „Die Güte in der Ehe ist ein verwickelteres Problem als die bloße
  Tugend, denn es sollen in der Ehe ja zwei Ideale verwirklicht
  werden.“

    _R. L. Stevenson._



I. Einige Reformvorschläge


Im Laufe der letzten 25 Jahre sind die ärgsten Ungerechtigkeiten unseres
Ehegesetzes richtig gestellt worden, und im Vergleich zu ihnen
erscheinen die noch bleibenden Übelstände verhältnismäßig gering. Es ist
in der heutigen Zeit der fortgeschrittenen Frauen kaum zu glauben, daß
sich vor einigen Jahren ein Mann noch das Besitztum des Weibes aneignen
und es nach Belieben ausgeben konnte oder, was noch ungeheuerlicher ist,
einen Fremden als einzigen Vormund seiner Kinder nach seinem Tode
bestellen durfte, ohne auf die natürlichen Rechte der Mutter auch nur zu
achten.

Die schwerste noch bestehende Ungerechtigkeit ist, daß die Erleichterung
durch die Scheidung den Männern zugänglicher ist als den Frauen. Dieses
Gesetz wurde von den Männern zu ihren eigenen Gunsten abgefaßt, aber
seine Existenz ist ein Schandfleck auf der Ehre der englischen Justiz
und der englischen Sittlichkeit, ebenso wie der Umstand, daß die Untreue
eines Gatten so leicht genommen wird. Wir wollen hoffen, daß die Zeit
nicht mehr fern ist, wo die Scheidungsbedingungen für beide Parteien
genau dieselben sein werden.

Es wird heutzutage fast allgemein die Ansicht gehegt, daß die Lösung der
Ehe nur erreicht werden soll, wenn einer der beiden Teile ein
ausgesprochener Trunkenbold, mondsüchtig oder ein zu langer Kerkerstrafe
Verurteilter ist. Wie erniedrigend ist es für die besten Instinkte
unseres Geschlechtes, daß die Frau eine Ungültigkeitserklärung der Ehe
dadurch erhalten kann, daß sie eine gewisse physische Unfähigkeit des
Mannes beweist, die in keiner Weise ihr Glück, ihre Gesundheit oder ihre
Selbstachtung beeinträchtigt, aber auch nicht einmal die teilweise
Erleichterung der Trennung erreichen kann, wenn ihr Mann ein
Trunkenbold, ein Ehebrecher oder ein Verbrecher ist, solange sie nicht
noch dazu seine Grausamkeit oder sein böswilliges Verlassen beweisen
kann! Es ist ferner eine Ungerechtigkeit, daß die Scheidung so
kostspielig ist, daß nur reiche Leute oder die ganz armen (durch
Beibringung eines Armutszeugnisses) sich sie gestatten können.

Vielleicht die nötigste aller Reformen ist, daß die Ehe der geistig und
physisch Ungeeigneten gesetzlich verhindert werde, oder vielmehr, daß
sie verhindert werden, Kinder zu haben, was ja die Hauptsache ist. Es
wäre ganz gut durchführbar, die Kinderlosigkeit der Ungeeigneten zu
sichern, obgleich ein Gesetz hierüber die taktvollste Handhabung
erfordern würde, und man sich kaum ein Parlament von Männern denken
kann, das es mit irgendeinem Erfolg durcharbeiten könnte. Vielleicht
wird das Gesetz dann durchgehen, wenn wir die „ideale Regierung“ haben,
in der beide Geschlechter und alle Klassen vertreten sein werden. Ein
von einem in Staatsdiensten stehenden Arzt unterzeichnetes Zertifikat
sollte jedenfalls obligatorisch sein, bevor eine Heirat bestätigt wird.
Wenn der Krebs, die Tuberkulose, der Wahnsinn und alle mit dem
Alkoholismus und dem ausschweifenden Leben verbundenen Übel jede Familie
im Land infiziert haben werden, dann werden unsere weitsichtigen
Gesetzgeber die Notwendigkeit einer derartigen Einschränkung einzusehen
beginnen. Gegenwärtig wird die Freiheit des Individuums als ein für die
Rasse zu schwer wiegender Wert bewahrt.

Eine andere äußerst nötige Reform ist, daß die unehelich geborenen
Kinder durch die nachträgliche Heirat der Eltern, so wie in vielen
anderen Ländern, legitimiert werden sollen. Das würde niemandem schaden,
könnte auch nicht das Laster ermutigen und würde sehr viel bitteres
Unrecht gut machen. Die gegenwärtige Regelung ist äußerst unvernünftig.

England ist beinahe das einzige europäische Land, wo es nicht angestrebt
wird, den Töchtern eine Mitgift zu geben, außer in den wohlhabenden
Klassen. Ganz bemittelte Engländer halten es für unnötig, ihren Töchtern
zu Lebzeiten irgend etwas zu geben, obgleich sie geneigt sind, sich
ernste Einschränkungen aufzuerlegen, um ihre Söhne im Leben gut zu
stellen. Die englischen Väter geben alles ihren Söhnen, in vielen
Ländern des Kontinents kommen die Töchter dem Rechte nach zuerst und in
allen Klassen, den reichen und den armen, trachten die Eltern auf
irgendeine Weise für eine Mitgift zu sorgen, indem sie vom Tage der
Geburt des Kindes an zu sparen beginnen.

Ich bin überzeugt, daß ein ungeheuerer Anstoß zur Ehe gegeben würde,
wenn die Mitgift für die Töchter in England üblich würde und viele
Mißhelligkeiten zwischen Mann und Frau könnten vermieden werden, wenn
die Frau eigene, wenn auch noch so geringe Mittel hätte. Es ist gewiß
äußerst demütigend und unangenehm für eine bessere Frau, von ihrem Mann
wegen jeder Omnibusfahrt und jedes Päckchens Haarnadeln abzuhängen.

Die Engländer sind jedoch darnach, sich mit ihren Fehlern zu brüsten und
überdies so heillos sentimental, daß sie sich’s als Ehre anrechnen, in
dieser Hinsicht eine Ausnahme von allen Ländern zu bilden, und noch
damit prahlen, daß bei ihnen die Ehen nur aus Liebe geschlossen werden.
Demselben unsinnigen und unfürsorglichen Geist entspringt die übliche
Abneigung, den Töchtern etwas zu vermachen. Nur bei einem sehr reichen
Mann erwartet man das, während es doch nur gerecht ist, daß jeder Mann
seiner Frau etwas vermacht, wenn auch nur die Einrichtung oder die
Versicherungspolice.

Ein Kapitel über die Ehereformen wäre nicht vollständig ohne Hinweis auf
unsere barbarische kirchliche Ehezeremonie. Nützt es noch etwas, darüber
Klage zu führen? Seit ich lesen kann, lese ich Angriffe darauf. Es ist
klar, daß niemand ein Wort zu ihrer Verteidigung hat, nicht einmal die
Priester, und doch bleibt sie genau so, wie sie zu Zeiten James I.
vorgeschrieben wurde. Wenn je eine von den Männern verfaßte religiöse
Formel einer Revision bedurfte, um mit den Gedanken der Zeit gleichen
Schritt zu halten, so ist es diese. Wie kann die Kirche erwarten, daß
wir die Ehe als ein Sakrament betrachten, wenn ihre Bedingungen in so
roher Sprache und von einem so falschen Gesichtspunkte aus bezeichnet
werden. Ist es nicht falsch, jene Personen zu verherrlichen, die die
„Gabe der Enthaltsamkeit“ haben, eine „Gabe“, die bald zum Aussterben
des Menschengeschlechtes führen würde, wenn sie der Majorität eigen
wäre? Diese spezielle Formel ist für eine reine, unschuldige Braut eine
schmähliche Beleidigung und ganz unnütz. Wenn schon keine andere
Verbesserung angebracht wird, so könnte diese einleitende Erklärung der
„Gründe für die Einrichtung der Ehe“ wohl ausgelassen werden, wenn auch
nur der Tatsache halber, daß der Hauptzweck der Ehe, nämlich
„gegenseitig Hilfe und Trost zu sein“ in ihr an letzter Stelle
erscheint. Die Kirche Englands kann von den Quäkern oder der
„Neu-Jerusalemer Kirche“, einer auf den Schriften des großen Mystikers
Emanuel Svedenborg gegründeten religiösen Gemeinschaft, lernen. Bei dem
„Freundschaftsbund“ ist das Verfahren äußerst einfach. Nachdem eine Zeit
in stillem Gebet verbracht wird, erheben sich die Parteien und sagen
einer nach dem andern feierlich, indem sie sich bei der Hand halten:
„Freunde, ich nehme diese meine Freundin A. B. zum Weibe und verspreche,
mit göttlichem Beistand ihr ein liebender und treuer Gatte zu sein, bis
es dem Herrn gefallen wird, uns durch den Tod zu trennen.“ Die Formel
der „neuen Kirche“ ist länger, aber ebenso schön und einwandfrei.



II. Einige praktische Winke für Ehemänner und -frauen

  „Man braucht in der Ehe nicht eine Menge schöner Gefühle, sie nützen
  nichts.“

    _W. Sommerset-Maugham._


Der beste Rat, den man einem Paare auf den „langen, geraden und
staubigen Weg“ der Ehe mitgeben kann, ist: „Gesegnet sind die, die wenig
erwarten.“ Der zweitbeste ist: „Trachtet euer Ideal zu verwirklichen,
aber nehmt die Niederlage philosophisch hin“. Es ist schwer, mit
jemandem zu leben, der eine ideale Vorstellung von uns hat; es ruft in
uns den ruchlosen Wunsch wach, so schlecht als möglich zu sein. Miranda
sagt mir oft: „Die Ursache, warum Lysander und ich so vollkommen
glücklich sind, ist, weil wir uns nie etwas daraus machen, einander
unsere schlechtesten Seiten zu zeigen, und auch nie die Notwendigkeit
fühlen, uns besser zu machen, als wir sind.“ Merkt euch das, Braut und
Bräutigam! Bedenkt, daß ein Piedestal ein sehr ungemütlicher
Aufenthaltsort ist, und weiset eurem Lebensgefährten diesen unbequemen,
erhöhten Platz nicht an. Es sind mehr Ehen daran gescheitert, daß man
zuviel voneinander erwartet hat, als durch irgend welche Laster oder
Verirrungen.

Andererseits muß ich auf die Gefahr hin, trivial zu erscheinen,
wiederholen, daß das Wichtigste in der Ehe die gegenseitige Achtung ist.
Sie geht über Liebe, Verträglichkeit, ja sogar über den unschätzbaren
Sinn für Humor. Die Achtung wird das schwankende Gebäude der Ehe
zusammenhalten, wenn die Leidenschaft erloschen und selbst wenn die
Liebe dahin ist. Die Achtung wird sogar die „entsetzliche Intimität“
erträglich machen und über die bedenklichsten Unannehmlichkeiten ohne
„Quetschungen der Seele“ hinwegheben, was immer das Herz auch für
Verwundungen davontragen mag. Darum, Bräutigam und Braut, erhaltet die
gegenseitige Achtung um jeden Preis, und, Männer und Frauen, heiratet
nie jemanden, den ihr nicht wirklich achtet, wenn ihr ihn auch noch so
leidenschaftlich liebt. Ich glaube, man kann in einer Ehe ohne Liebe
recht glücklich sein, wenn die Glut und Vernarrtheit der ersten Jugend
vorüber ist, aber ohne Achtung kann man nie etwas anderes als
unglücklich werden.

„Es ist immer einer, der liebt, und einer, der geliebt wird.“ Wenn ihr
findet, daß ihr der eine seid, der liebt, dann merkt es wohl: _es ist
der bessere Teil_, besonders für die Frauen. Ermüdet euren Gefährten
nicht mit fortwährenden Ansprüchen, Szenen, Vorwürfen, Tränen, Bitten,
es wird euch nichts nützen, und das geliebte Wesen euch nur entfremden,
und da wir gerade bei den Tränen sind, so laßt mich alle Frauen
dringendst davor warnen, dieser natürlichen weiblichen Schwäche zu
frönen. Die vernünftigen, nüchternen, überaus kräftigen modernen Mädchen
machen sich gewöhnlich darüber lustig; aber in der Ehe kommen Anlässe
zum Weinen, von denen diese selbstsicheren jungen Mädchen keine Ahnung
haben. Aber die alte Vorstellung, daß Tränen beim Manne den Sieg
davontragen und so oft dazu dienen, das härtere männliche Herz zu
besänftigen, ist ganz erloschen. Und wenn die Frauen es nur einsehen
wollten: die Tränen erzeugen ein Gift, das auf die Liebe verhängnisvoll
irritierend wirkt und sie oft tötet. Nur im Anfang, wenn der Mann noch
ganz jung und auf der Höhe seiner Glut ist, mögen die Tränen ihn
beeinflussen, aber nicht für lange, und sehr selten nach der
Verheiratung. Dennoch erreichen sie oft ihren Zweck, da ausnehmend
zartbesaitete Männer oft die Tränen so fürchten, daß sie sofort
nachgeben, wenn dieses Warnungssignal auf der Bildfläche erscheint. Aber
ihre Gereiztheit ist deshalb nicht geringer, und oft können sie die Frau
schließlich nicht leiden, die auf ihre Sanftmut gebaut und daraus einen
in den Augen des Mannes ungerechten Vorteil gezogen hat. Die Frau, die
fortwährend weint, wenn etwas schief geht, flößt niemandem Achtung oder
Sympathie ein und treibt ihren Mann dazu, die Gesellschaft anderer
Frauen aufzusuchen. Die Männer können es nicht leiden, wenn daheim
andere Gesichter als ihr eigenes traurig sind. Wenn sie sehr unglücklich
sind, fühlen sie sich berechtigt, sich gehen zu lassen; aber ihre Frauen
dürfen das nicht, und wenn sie es tun, darf es gewiß nicht die Form von
Tränen annehmen. Der glänzende anonyme Verfasser von „Die Wahrheit über
den Mann“ schärft den Frauen ein, stets eingedenk zu sein, daß man „den
Männern nie widersprechen, nie ihnen Vorwürfe machen und sie nie
kritisieren darf“. Hierzu möchte ich nachdrücklichst sagen, daß man
ihnen auch nie aus irgendeinem Grunde etwas vorweinen soll.

Ist es nötig, für die Aufrechterhaltung der vollkommensten Höflichkeit
zwischen Mann und Frau zu plädieren? Im Anfang wohl nicht, aber mit der
Zeit wird es notwendig werden. Es kann sogar die Zeit kommen, wo Perseus
seine Stimme erhebt und seine Unzufriedenheit mit Persephone
hinausposaunt. Ein gewisser Typus von Männern wettert bei Verdruß
natürlich nicht seinen Freunden oder Kunden gegenüber, sondern bloß in
Anwesenheit seiner Angestellten, seiner Dienerschaft, seiner Frau und
der Leute, die sich vor ihm fürchten. Das war eine häßliche Gewohnheit
unserer Großväter, und moderne Frauen sind kaum sanft genug, sie lange
ruhig hinzunehmen. Sollte sich jedoch Perseus durch eine wunderlich
atavistische Laune je in dieser Hinsicht so weit vergessen, dann wird
Persephone die biblisch sanfte Antwort wirksamer finden als den
lautesten Stimmenwiderhall. Wenn man mit äußerst sanfter Stimme spricht,
wird man die Schreier beiderlei Geschlechts immer beschämend zum
Schweigen bringen.

Die Höflichkeit zwischen Mann und Frau ist nötiger als in irgendwelchen
anderen Beziehungen zwischen den Menschen. Sehr viel Bitterkeit könnte
erspart bleiben, wenn man sich stets daran erinnern wollte. Nichts ist
peinlicher, als ein Ehepaar miteinander grob verkehren zu sehen, und die
Gebote der Höflichkeit würden all jenen Bemerkungen vorbeugen, die in
die Kategorie der „besser nicht gesagten“ gehören. Besonders die Frauen
haben manchmal die sehr tadelnswerte Gewohnheit, ihrem Manne Wahrheiten
aus dem häuslichen Leben an den Kopf zu werfen, wenn ihnen der Kamm
schwillt, und die meisten Männer sind unter ihrem Schild vornehmer
Gleichgültigkeit empfindsam genug, um das sehr übel zu nehmen und an
solche stichelnde Worte noch viele Jahre lang zu denken. Die Tatsache,
daß diese Worte gewöhnlich äußerst zutreffend sind, macht sie nicht
weniger tadelnswert; manche Frauen, die ihren Männern wirklich sehr
ergeben sind, setzen sie dennoch zu Hause und vor den Leuten fortwährend
herab, und obwohl ein Mann es selten zugeben wird, ärgert ihn das mehr,
als so manche des Männerherzens Unkundige für möglich halten. Es ist
nämlich Tatsache, daß die Männer Bewunderung und Lob ebenso gerne haben
wie die Frauen, obzwar es ein Teil ihres seltsamen Kodex ist, diese
Tatsache zu verbergen. Sie nehmen einen Verweis genau so übel wie die
Frauen; und warum sollten sie es auch nicht?

Da wir gerade dabei sind, so möchte ich der Persephone zuflüstern,
was für eine wunderbar besänftigende Wirkung eine leichte, vernünftige
Schmeichelei auf die Männerwelt ausübt und wie lautlos sich durch sie
die Räder des Ehekarrens drehen. Ich meine nicht falsche, abgeschmackte
Schmeichelei, wie sie uns die Männer so oft vorsetzen, wenn sie uns
gefallen wollen, ohne einzusehen, daß die dick aufgetragenen Komplimente
eine Beleidigung für unsere Intelligenz sind. Also natürlich nichts von
dieser Sorte, aber zarte, feine, liebevolle Schmeichelei. Eine leise
bewundernde Haltung, möglichst gemildert für den öffentlichen Gebrauch,
die jedoch immer die Wertschätzung durchblicken läßt, wird euch
ihm nicht nur viel liebenswerter machen als es irgendwelche
Liebesbeteuerungen täten, sondern sie wird auf seinen Geist und sein
Gemüt glänzend wirken. Geradeso wie ihr in Gesellschaft von Leuten, die
euch bewundern, fühlt, daß ihr blendend seid, und in Gegenwart jener,
die euch für gescheit halten, großartig sprecht, wird auch Perseus durch
eure (wirkliche oder angebliche) Bewunderung angespornt, sie zu
rechtfertigen.

Dasselbe gilt auch von dir, galanter Perseus; ein Kompliment über
Persephones strahlende Augen, ein Wort scheuer Bewunderung für ihren
neuen Hut, oder des Lobes für ihre Haltung als Hausfrau wird sie nicht
nur unsinnig glücklich machen, sondern dein Kapital in der Liebesbank
dadurch bedeutend erhöhen, daß du Schätze für dich in Persephones Herz
ansammelst.

Um dies zu illustrieren, will ich zwei wirkliche Gespräche erwähnen, die
ich vor kurzem hörte. Das erste war zwischen einem jungen Paar Pelleas
und Nicolette, die erst kürzlich mit einem kleinen Einkommen den
Haushalt begonnen hatten. Sie gaben eine Nachmittagsgesellschaft und
alle Gäste waren fort außer mir. (Ich habe nämlich ein Privilegium, wie
Sie schon bemerkt haben dürften; niemand geniert sich, vor mir natürlich
zu sein.)

Nicolette stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sich die
Haustüre zum letzten Male schloß und wandte sich mit glänzenden Augen zu
Pelleas.

„War’s nicht sehr _schön_?“ sagte sie begeistert.

„Nicht übel“, sagte Pelleas.

„Sind die Blumen nicht wunderbar, und habe ich die Zimmer nicht reizend
hergerichtet? Findest du nicht, daß alles sehr nett war, Liebster? Ich
habe mich so angestrengt“, fügte sie, nach einem Wort des Lobes
schmachtend, hinzu.

„Pah, nennst _du_ ein paar Kuchen aufschneiden auch sich anstrengen?“
war die Antwort.

Nicolette war zufällig eine taktvolle Frau, die weiß, wann man zu
schweigen hat, aber sie sah traurig aus, und ihre ganze Freude an der
kleinen Unterhaltung war verdorben. Wie froh wäre sie gewesen, wenn
Pelleas sie geküßt und ihr gesagt hätte, daß sie eine reizende Hausfrau
war und alle ihre Anordnungen aufs beste getroffen hatte. Das Ärgerliche
daran ist, daß er es wirklich glaubte, er zerplatzte vor Stolz über sein
Haus und seine Frau und war geneigt, sich für einen sehr schneidigen
Kerl zu halten, da er eine so reizende und gescheite Frau erobert hatte.
Aber es lag nicht in seiner Art, es zu sagen.

Der zweite Fall ist der, wo ich Geraint und seine Frau versöhnen mußte.
Ich habe den lieben guten Geraint immer recht gern gehabt, und sein
schrecklich unglückliches Eheleben war für mich eine Quelle ernster
Betrübnis. Bei dieser Gelegenheit sprachen wir uns frei aus, und aus der
Tiefe seines kummervollen Herzens brachte er mir Klage um Klage vor.

„Noch ein Beispiel“, sagte er schließlich. „Es ist geradezu lächerlich,
aber Sie werden nicht über mich lachen, das weiß ich. Es ist ein Unsinn
von mir, daß ich daran denke, aber kurz und gut, ich tue es. Sie saß
aufrecht im Bett und bürstete ihr Haar, ich kam ins Zimmer, um zu
fragen, ob ich ihr etwas aus der Stadt bringen könne; ich trat zufällig
vor ihren Toilettetisch und zog meine Kravatte fester zu. Der Spiegel
warf unser Bild zurück, und sie sagte plötzlich mit leisem Lachen: „Wie
häßlich Du bist . . . .“ Das ist alles. Sie sagte es ganz höflich, aber
es verletzte mich wahnsinnig. Es war so teuflisch überflüssig. Und ich
glaube, es ist auch wahr, früher hatte ich nie daran gedacht, aber
seither sehr oft . . .“

Noch ein Beispiel, wie man’s nicht machen soll: „Wenn ich schäbig
angezogen bin,“ erzählte mir einmal eine verzweifelnde Frau, „dann sagt
er: ‚Warum siehst du nicht fein aus?‘ Wenn ich elegant bin, sagt er:
‚Schon wieder neue Kleider, ich weiß nicht, wer die zahlen wird!‘ Wenn
etwas Außergewöhnliches zu Tische kommt, sagt er: ‚Diese extravaganten
Sachen werden mich zugrunde richten‘, und wenn das Essen einfach ist,
dann fragt er: ‚Ist das alles?‘“

Ich habe vorhin auf die Männerklubs als eine Wohltat für die Frauen
hingewiesen, und als solche sind sie mir immer erschienen. Aber diese
Meinung wird offenbar nicht von allen geteilt, da eine Anzahl Frauen
kürzlich im Druck ihre Absicht kundgaben, nach Erlangung des Stimmrechts
für die vollkommene Abschaffung oder wenigstens obligatorisch frühe
Schließung aller Männerklubs zu agitieren. Es scheint betrübend
lächerlich, daß die Frauen durch einen Parlamentsakt ihre Männer zur
bestimmten Stunde nach Hause zwingen wollen. Ich will mich bemühen, euch
irregeleitete Frauen zu bekehren, falls eine davon sich herablassen
sollte, dieses Buch zu lesen.

Meine lieben Frauen, fast alles, was euer Mann zu Hause nicht bekommen
kann, kann er im Klub bekommen -- je mehr seine Bedürfnisse befriedigt
werden, desto vergnügter wird er leben, und euer Familienleben folglich
um so glücklicher sein! Wenn die Männer eine Passion haben, so wählen
sie gewöhnlich einen damit verbundenen Klub oder einen, wo sie andere,
durch ähnliche Dinge gefesselte Männer treffen können, mag es Politik,
Sport, Pferde, Karten, Musik, Golfspiel oder Theater sein, -- wenn es in
ihnen steckt, muß es heraus, und gescheite Frauen lassen es geschehen.
Eine unterdrückte Manie bedeutet einen verbitterten Gatten. Im Klub
können sie ihr Whist haben oder ihrer Empörung gegen die Regierung
freien Lauf lassen, sie können einen halben Sovereign als Spieleinsatz
geben und die Aufzeichnungen über die großen Gewinste beim gestrigen
Whistspiel, über das letzte Loch beim Golfspiel oder wie sonst der
Fachausdruck lautet, vergleichen. Im Klub können sie andere Männer
treffen und eine vollkommene Abwechslung von Bureau oder Familienleben
haben, und sie kehren daher zur Arbeit und zur Frau erfrischt und
angeregt zurück.

Wenn es eurer Köchin auf die ihr eigene rätselhafte Weise gelungen ist,
ein Mittagessen zu Hause unratsam oder unmöglich zu machen, dann
telephoniert es eurem Herrn und Gebieter, denn kann er im Klub nicht
königlich und dabei ökonomisch speisen? Wenn ihr an einem Feiertag fort
seid, kann er dasselbe tun und einen angenehmen Abend dort verbringen,
anstatt im leeren Hause allein und gelangweilt herumzugehen. Wenn ihr
euch Unannehmlichkeiten störender Natur leistet, -- wenn ihr dies je
tut, -- so steht ihm derselbe freundliche Hafen offen, gewiß für euch
etwas Tröstlicheres, als wenn er über das Haus schimpft, während die
kleine Meinungsverschiedenheit beigelegt werden soll. Kurz und gut, der
Segen und die Vorteile eines Klubs für den Ehegatten haben kein Ende und
warum ihr, liebe Frauen, sie abschaffen wollt, das kann ich mir wirklich
nicht erklären.

Freilich sollte die nötige Mäßigkeit beobachtet werden wie bei allen
guten Dingen, und ein- oder zweimal die Woche die Nacht im Klub zu
verbringen, sollte genügen. Bei diesen Gelegenheiten kann die Frau ein
primitives Abendessen haben, was immer eine Wohltat für die Frau ist,
mit einem Buch neben dem Teller, sie kann sich gehen lassen und ihre
Köchin ausschicken, oder wenn sie zum rastlosen Typus gehört, kann sie
den freien Abend benützen, um ihre Rechnungen und ihre Korrespondenz in
Ordnung zu bringen. Ist sie heiterer Natur, so kann sie mit einem
schüchternen Verehrer oder auch nur mit einer Freundin ins Theater gehen
und nachher soupieren. Man mag über den Klub denken wie man will: wenn
ein Mann ihn nicht mißbraucht, so ist er ein reiner Segen fürs Eheleben.

Aber vielleicht ist es das tragische Verhängnis der in Rede stehenden
Frauen, daß sie ihren Männern nicht vertrauen können, und mit Recht.
Vielleicht lebt in ihrem Herzen das betrübende Bewußtsein, hintergangen
zu werden, und sie fürchten, daß der Klub als Vorwand für einen Abend
gebraucht wird, dessen Gesellschaft dem weiblichen Standpunkt weniger
wünschenswert erscheint. Selbst dann ist der Klub ein Segen; denn
wenigstens kann eine Frau hoffen und zu glauben trachten, daß
ihr Mann wirklich dort ist, während, wenn er keinen Klub hat,
die Durchsichtigkeit seiner abwechselnden Ausreden ihre ärgsten
Verdächtigungen bekräftigen muß. Wenn ein Mann entschlossen ist,
derartige Dinge zu tun, so kann ihn nichts aufhalten; sollte _ein_
Vorwand, seine Zeit außer Hause zu verbringen, fehlschlagen, so wird er
einen anderen vorbringen, und je weniger Aussicht seine Frau hat, die
wirkliche Sachlage zu entdecken, desto besser ist es für ihren
Seelenfrieden.

Daß die Unwissenheit ein Segen ist, ist eine tiefe Wahrheit im Eheleben,
und die Frauen sollten sich von ihr leiten lassen. Ich glaube, es gibt
Frauen, die sich’s zur Gewohnheit machen, bei Gelegenheit die Taschen
ihrer Ehegatten zu durchsuchen, voraussichtlich in der Erwartung,
irgendwelche verräterische Briefe oder Rechnungen zu finden. Was sie
im Falle einer unangenehmen Entdeckung zu gewinnen hoffen, das
weiß der liebe Himmel allein! Nichts als eine mehr oder weniger
verabscheuenswerte Szene, den daraus folgenden Verlust alles häuslichen
Friedens, ohne die wirkliche Quelle der Betrübnis auch nur im geringsten
zu beeinträchtigen. Zum Glück sind wenige Gatten so verrückt, ihre
kompromittierenden Dokumente bei sich zu tragen. In jedem Fall ist diese
Überwachung empörend, und wo gegenseitige Achtung existiert, für deren
Notwendigkeit ich schon so energisch eingetreten bin, da können solche
Geschmacksverirrungen nicht vorkommen.

Um auch jenen unglücklichen Frauen gerecht zu werden, deren Mann zu
ihrem großen Kummer dem Würfel oder Becher allzusehr ergeben ist, muß
ich hinzufügen, daß die Frauen, wo das der Fall ist, das Recht haben,
durch alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel den Mann vom Klub
fernzuhalten, der größere Gelegenheiten bietet als der Familienkreis,
diesen Lastern zu frönen.

Und jetzt noch ein spezielles Wort an die Männer. An früherer Stelle
erwähnte ich die Möglichkeit einer verheirateten Frau, mit einem Freund
ins Theater und soupieren zu gehen. Im Londoner Leben kommt das so
häufig vor, daß eine Erklärung dafür dem Eingeweihten simpel und
abgeschmackt vorkommt; aber die Eingeweihten sind ein sehr kleiner Teil
der Gesamtheit und da dieses Buch bescheiden für jene, die sich für die
Ehe interessieren, also für _jeden, der es lesen will_, gedacht ist, so
will ich mich zugunsten der uneingeweihten Majorität ein wenig über
dieses Thema verbreiten. -- Eine große Zahl Männer ließe sich’s nicht im
Traum einfallen, ihre Frauen abends mit einem anderen Mann allein
ausgehen zu lassen. Warum, das kann ich mir nicht erklären! Denn sie
können gewiß ihre Frau und ihren Freund nicht durch den Gedanken an
irgend etwas Unschickliches beleidigen wollen. Es entspringt das wohl
den Überresten eines primitiven männlichen Gefühls, das sie
nicht erklären können, (in früheren Zeiten waren die Männer noch
anspruchsvoller, und nach Justinianischem Gesetz konnte ein Mann sich
von seiner Frau bloß deshalb scheiden lassen, weil sie ohne seine
Einwilligung mit anderen Männern in den Zirkus, in die Bäder oder zu
Festmählern ging). Mir erscheint es ebenso unvernünftig wie die
Mißbilligung der Männerklubs seitens der Frauen. So wie eine vernünftige
Frau keinen Einwand gegen den Klub ihres Mannes erhebt, so erlaubt ein
gescheiter Mann seiner Frau, wenn sie es wünscht, mit einem anderen
Manne auszugehen. Wenn er etwas von der weiblichen Natur versteht -- und
kein Mann sollte heiraten, ehe er nicht soweit ist -- dann erkennt er,
daß die Bewunderung anderer Männer seiner Frau angenehm ist und ein
bißchen Heiterkeit eine wunderbare Wirkung auf ihre Stimmung ausübt.

Ich erinnere mich an die Zeit, als Theodor und Amoret darüber heftig
auseinandergerieten. Aber Theodor gab nach. „Er pflegte es für sehr
unrecht von mir zu halten, daß ich ganz gern andere Männer in mich ein
bißchen verliebt sehe,“ sagte Amoret, „aber ich erklärte ihm, daß ich es
gern habe, weil es mir ein so schönes Machtgefühl gibt und dem Leben
eine Würze verleiht. Dann sagte er immer, es sei für eine verheiratete
Frau sehr gefährlich, irgend eine andere Würze im Leben zu haben als
ihren Mann, und ich pflegte ihm zu antworten, daß er eine Menge ‚Würzen‘
außer mir habe, und was ich denn die langen Abende tun solle, wo er
endlos Bridge spielt. Schließlich versprach ich, daß es mich zufriedener
machen würde und fähiger, die Eintönigkeit des Ehelebens zu ertragen,
wenn er mich ausgehen ließe. Darauf meinte er, es sei schrecklich
schlecht von mir, die Ehe eintönig zu finden, und sagte, seine Mutter
wäre bei einer solchen Bemerkung entsetzt gewesen. Da sagte ich ihm, es
wäre nicht gut von einer jungen Frau zu erwarten, daß sie sich wie seine
eigene Mutter benähme -- und er sagte, es wäre ihm lieber, ich würde es
nicht tun. Dann lachten wir beide, und der gute alte Junge gab nach und
sagte, daß Eberhard ein unschuldiges Lamm sei, und daß er einmal zum
Versuch mit mir ausgehen solle. Seither bin ich mit allen Freunden ins
Theater gegangen und habe Theodor um so lieber, je mehr ich andere
Männer kennen lerne, und bin auch viel zufriedener und heiterer.“ Ein
Zeugnis, das für sich selbst spricht.

Wenige Menschen scheinen die vielen Vorteile zu kennen, die es hat,
einen schweigsamen Mann zu erwählen. Der ideale Gatte spricht wenig. Er
sieht ein, daß die Frauen das lieber selbst besorgen, und daß es in
einer glücklichen Familie nicht Platz für zwei redselige Personen gibt.
Der geschwätzige Mann sollte lieber eine schweigsame Frau suchen und sie
_sofort_ heiraten, wenn er sie findet. Solche Geschöpfe sind so selten
wie Kometen, und in der Regel sind sie schon mit ebenso schweigsamen
Männern verheiratet, was wirklich ein betrübender Schnitzer der Natur
ist. Nichts ist entsetzlicher, als ein so schweigsames Paar unterhalten
zu müssen. Ein übermäßig redseliges Paar ist dem weit vorzuziehen, da
man wenigstens ruhig zuhören und die anderen drauflosreden lassen kann.

Eine endlose Quelle von Mißhelligkeiten zwischen Eheleuten ist die
Geldfrage. Die Frauen sind am Anfang oft verschwenderisch und gewöhnlich
sündhaft unwissend in Geldsachen. Es ist ohne Zweifel richtig, wie
Isolda sagt: „Geld (und Gesinde) zerstören die Ehe“. Über das letztere
traue ich mich nicht zu sprechen, aber ich weiß, daß Geldmangel,
Geldversagen und unvernünftige Geldausgaben einen großen Teil der
Ehekonflikte verschulden. Manche Männer scheinen zu glauben, daß ihre
Frauen den Haushalt ohne Mittel führen können, und diese unglücklichen
Frauen müssen schmeicheln und bitten und es sich als eine Gnade
anrechnen, bevor sie die ihnen gebührende Summe erhalten. Selbst dann
werden sie wie Kinder behandelt und über die Verwendung des Geldes in
höchst demütigender Weise ausgefragt, als ob es Spielraum für königliche
Extravaganzen böte.

Ich erinnere mich an den Fall des armen kleinen Hildebrand. Er war ein
sehr junger Gatte, und sehr altmodisch erzogen worden. Eine seiner
wunderlichen mittelalterlichen Vorstellungen war, daß die Frauen keine
Fähigkeit zur Geldverwaltung haben, und daß man ihnen auf keinen Fall
bares Geld anvertrauen könne. Ich glaube wirklich, er hätte, wenn seine
Zeit es ihm erlaubte, seinen Haushalt allein geführt. Zum Glück für den
Hausfrieden war das unmöglich; dennoch überwachte er den Haushalt soviel
als möglich und revidierte sogar die Einschreibebücher. Natürlich
verstand er nicht das geringste von ihren sonderbaren Zeichen, und bot
einen komischen Anblick, wie er über den kleinen roten Büchern saß und
in äußerster Verlegenheit die Stirne runzelte. Jeden Moment wandte er
sich um Aufklärung an seine Frau, die glücklicherweise einen sehr
gesunden Sinn für Humor besaß. Schließlich mußte er es ihr überlassen;
aber wenige Frauen hätten Valeries Geduld bei dieser sehr überflüssigen
Sache gezeigt. -- Freilich ist das ein extremer Fall; aber eine Menge
Männer greifen in höchst aufreizender Weise in das Gebiet ihrer Frauen
ein. Nach meiner Meinung ist es am besten, das ganze Wirtschaftsbudget
der Frau, sowie das Budget des Bureaus oder des Vermögens dem Manne zu
überlassen. Ich spreche da von Leuten mit beschränkten Mitteln. In der
Regel hat ein Mann während seines Arbeitstages ganz genug mit
Geldangelegenheiten zu tun und soll Ruhe vor ihnen haben, wenn er nach
Hause kommt. Abends zu Hause sitzen müssen und Rechnungen revidieren,
ist eine Aufgabe, die die ärgsten Eigenschaften in einem Ehegatten
auslöst. Er mag als ein hingebender Liebhaber nach Hause kommen und im
Schoße seiner Frau Abendblätter, Blumen und Schokolade anhäufen, beim
Abendessen genial, witzig, liebevoll, reizend sein -- aber reicht ihm um
10 Uhr abends einen Pack Rechnungen mit der Bemerkung, daß sie wirklich
durchgesehen werden müssen, und plötzlich wird er ein wildes, brummiges,
rohes, abstoßendes und lästerndes Wesen. Mag seine Bankbilanz auch
noch so befriedigend sein, jede Rechnung eines seiner persönlichen
Bedürfnisse und kein einziges seiner Frau betreffen -- es nützt alles
nichts. Rechnungen sind Rechnungen, und bei ihrem bloßen Anblick werden
die Männer wild. Wenn ich zwischen dem 7. und 8. eines Monats am
Vormittag zu Miranda komme, bin ich überzeugt, daß sie mir mit roten
Augen und matter Stimme sagt: „Gestern abend sagte Lysander, er müsse
die Rechnungen durchnehmen, natürlich hat er seither fortwährend
geschimpft und geflucht, obzwar sie diesen Monat lächerlich niedrig
sind.“ Ebenso ist es bei Isolda. „Lancelot hat gestern abend die
Monatsschecks geschrieben,“ sagt sie, „und das Umgehen mit Rechnungen
hat immer eine schreckliche Wirkung auf ihn. Es ist bei dem Ärmsten eine
wahre Krankheit, und ich kann nachher nie schlafen.“ Und doch sind
Lancelot und Lysander in jeder Hinsicht ideale Gatten.

Mein Rat an die Frauen ist daher folgender: Erledigt alle wöchentlichen
und Kassazahlungen, die den Kopf der Frau belasten, kontrolliert einmal
wöchentlich alle Bücher, prüfet dieselben mit jenem Grade von Sorgfalt,
den der Redlichkeitsstandpunkt eurer Lieferanten erfordert. Schreibt
diese Summen in ein Haushaltungsbuch ein. Am Ende des Monats, wenn alle
Rechnungen drinnen sind, macht für euren Mann einen Bilanzbogen. Er wird
sicher zuerst auf die Endsumme sehen, und wenn sie ihn befriedigt, nicht
weiter forschen, wenn er klug ist. Dann laßt ihn einen Scheck auf die
ganze Summe ausstellen, ihn in eure Bank einzahlen, und das übrige tut
selbst. Die Rechnungen, die ratenweise kommen, und was sonst noch
vierteljährlich eingeschickt wird, schließt in eure Monatsliste ein, und
so wird euer Mann für seinen Haushalt anstatt einer Unzahl Rechnungen
nur 12 Schecks im Jahre zu schreiben haben. Der fürchterliche Anfall,
den er monatlich bekommt, wird so auf ein Minimum reduziert werden. Wenn
er Stallungen oder einen ausgedehnten Weinkeller hat, so ordnet an, daß
die Rechnungen dafür und auch alle anderen, die in das Ressort des
Mannes gehören, in sein Bureau oder seinen Klub geschickt werden,
mitsamt den Schneiderrechnungen und anderen für seine persönlichen
Bedürfnisse. So werdet ihr nicht darunter leiden, wenn ihre Erledigung
notwendig wird. Es ist eine seltsame Tatsache, daß ein Mann im Bureau
wie ein Lamm dasitzt und Schecks ausstellt, während dieselbe
Beschäftigung ihn zu Hause dazu bringen würde, das Dach abzuheben oder
die Grundmauern zu erschüttern.

Es könnten Bände darüber geschrieben werden, wie man, obgleich
verheiratet, glücklich werden kann, aber ich komme nun zum Ende. Also
fassen wir zusammen. Frauen: Wenn ihr glücklich sein wollt, merkt es
euch: Streicht euren Mann heraus, schmeichelt ihm diskret, lacht bei
seinen Witzen, versucht nicht, seinen Klub herabzusetzen, werft ihm nie
häusliche Wahrheiten an den Kopf und weint nie, nie!

Ehemänner: Liebt und bewundert eure Frauen und laßt auch andere Männer
sie bewundern; greift nie in ihr Ressort ein; schreibt eure monatlichen
Schecks mit freundlicher Miene; seid in Geldsachen vernünftig, wenn ihr
schon nicht freigebig sein könnt und bezähmt eure Vorliebe für eure
eigene Stimme!

Und ihr beiden: Seid sehr duldsam, erwartet wenig, gebt freudig, stellt
die Achtung über alles, befleißigt euch der Höflichkeit und liebt
einander, so sehr ihr könnt. Wenn ihr all das tut, werdet ihr
sicherlich, wenn auch verheiratet, glücklich werden. Und hört auch, was
Robert Burton in seinem wunderbaren Buch „Die Anatomie der Schwermut“
sagt: „Hast du Mittel? Du hast keine, wenn du unverheiratet bist, um sie
zu bewahren und sie zu vermehren. Hast du keine? Dann hast du welche,
wenn du verheiratet bist, um dir zu helfen, sie zu bekommen. Bist du im
Wohlstand, so wird dein Glück mit einer Frau nur verdoppelt; bist du in
Trübsal, sie wird dich trösten und dir beistehen. Bist du zu Hause, sie
wird deine Schwermut verscheuchen. Bist du fort, ihre Wünsche werden
dich begleiten, und sie wird deine Heimkehr mit Freuden begrüßen. Nichts
ist angenehm ohne Gesellschaft, und keine Gesellschaft ist so süß wie
die der Gattin.“

  Ende


  Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei zu Leipzig im Jahre 1911


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Druckfehler

Der Name „Sommerset Maugham“ ist immer mit zwei -m-, manchmal auch mit
Bindestrich, geschrieben.

  tiefer Dankbarkeit für ein Leben  [Dankbarbeit]
  seichte Schriftsteller, die ... konnten,  [Schriftsteller die]
  da sie sich nicht über die ihre Dienstboten und Kinder  [incht]
  für die Mißlaunigkeit des Mannes gewesen  [gwesen]
  mit den Sünden von Jahrhunderten  [Jahrhunderte]
  und keines der Mädchen,“ soll  [Mädchen,“soll]
  als Grund für ihr fortgesetztes Junggesellentum  [Jungesellentum]
  Der vierzehnte Junggeselle war Bayard  [Jungeselle]
  Das obengesagte bezieht sich  [obbesagte]
  für sie passend er auch sein mag  [passender]
  Es ist heutzutage Mode, das Heim zu diskreditieren  [diskretieren]
  nähen, ausbessern, unterrichten, überwachen  [ausbessern unterrichten]
  das Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden  [leben]
  Was nützt es ... wenn ihr sie nicht zu Frauen begehrt.
    [_ungeändert: . für ?_]
  der See, die grünen Bäume, das Prasseln  [Bäume das]
  Schlingen, Fallen, Netzen und Fallgruben besät  [Fallen Netzen, und]
  zu jenen gemäßigteren ... Verbindungen  [jenem]
  und dann ist natürlich der Teufel los  [derTeufel]
  über „die Frauen und den Humor“, eines Artikels  [Humor“. eines]
  [Kap. IV] ... _G. Bernard Shaw_.  [Bernhard]
  Die Geheimnisse vieler Frauen  [Geheinmisse]
  von der physischen Seite der Ehe vor ihr fürchten.  [fürchten]
  Wenn wir alle jungen Leute ... lehren würden  [allen]
  eine andere Romanschriftstellerin, Florence Warden,
    [Romanschriftstellerin Florence Warden,]
  die monogamische Ehe eine göttliche Institution ist.“  [ist.]
  „Bravo, ‚Blaustrumpf‘“, sagte der ‚verlebte Roué‘.
    [‚Blaustrumpf‘, sagte]
  „‚Ein heiliges Mysterium  [‚Ein]
  an dem sichtlichen Ärger des ‚biederen Börsenmannes‘ weidete
    [Börsenmannes]
  was die Zeitungen „Ausschweifung“ nennen
  gehen zu meinem „Zweiten“
    [_anführungszeichen ungeändert (gewöhnlich ‚nnn‘)_]
  Ich habe ja an die Kinder ganz vergessen.  [_ungeändert_]
  sind noch einmal so leicht zu lenken  [ein- mal so]
  die Kinder kommen ... wenn ich ihren Bereich betrete  [ihr]
  in Stephen Philips „Marpessa“  [_ungeändert_]
  Die Achtung wird das schwankende Gebäude  [schwanke]
  man kann in einer Ehe ohne Liebe recht glücklich sein  [Lieberecht]
  Geradeso wie ihr in Gesellschaft  [wir]
  sagte plötzlich mit leisem Lachen: „Wie häßlich Du bist . . . .“
    [_anführungszeichen ungeändert (gewöhnlich ‚nnn‘)_]





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