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Title: Ein Kampf um Rom. Erster Band
Author: Dahn, Felix, 1834-1912
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Ein Kampf um Rom. Erster Band" ***


                            Ein Kampf um Rom.

                           Historischer Roman

                                   von

                               Felix Dahn.



                                _Motto:_
                      »Wenn etwas ist, gewalt’ger als das Schicksal
                      So ist’s der Mut, der’s unerschüttert trägt«
                                          _Geibel._



Erster Band.

48. Auflage.

Leipzig,
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.
1906.



                              Alle Rechte,
           insbesondere auch das der Übersetzung, vorbehalten.



                                 Meinem

                       lieben Freund und Kollegen

                           Ludwig Friedländer

                                zu eigen.



                                  INHALT


Vorwort.
Erstes Buch. Theoderich.
   Erstes Kapitel.
   Zweites Kapitel.
   Drittes Kapitel.
   Viertes Kapitel.
   Fünftes Kapitel.
   Sechstes Kapitel.
   Siebentes Kapitel.
Zweites Buch. Athalarich.
   Erstes Kapitel.
   Zweites Kapitel.
   Drittes Kapitel.
   Viertes Kapitel.
   Fünftes Kapitel.
   Sechstes Kapitel.
   Siebentes Kapitel.
   Achtes Kapitel.
   Neuntes Kapitel.
   Zehntes Kapitel.
   Elftes Kapitel.
Drittes Buch. Amalaswintha.
   Erstes Kapitel.
   Zweites Kapitel.
   Drittes Kapitel.
   Viertes Kapitel.
   Fünftes Kapitel.
   Sechstes Kapitel.
   Siebentes Kapitel.
   Achtes Kapitel.
   Neuntes Kapitel.
   Zehntes Kapitel.
   Elftes Kapitel.
   Zwölftes Kapitel.
   Dreizehntes Kapitel.
   Vierzehntes Kapitel.
   Fünfzehntes Kapitel.
   Sechzehntes Kapitel.
   Siebzehntes Kapitel.
   Achtzehntes Kapitel.
   Neunzehntes Kapitel.
   Zwanzigstes Kapitel.
   Einundzwanzigstes Kapitel.
   Zweiundzwanzigstes Kapitel.
   Dreiundzwanzigstes Kapitel.
   Vierundzwanzigstes Kapitel.
   Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Viertes Buch. Theodahad.
   Erstes Kapitel.
   Zweites Kapitel.
   Drittes Kapitel.
   Viertes Kapitel.
   Fünftes Kapitel.
   Sechstes Kapitel.
   Siebentes Kapitel.
   Achtes Kapitel.
   Neuntes Kapitel.
   Zehntes Kapitel.
   Elftes Kapitel.
   Zwölftes Kapitel.
   Dreizehntes Kapitel.
   Vierzehntes Kapitel.
Bemerkungen zur Textgestalt



                                 VORWORT.


Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser in Gestalt eines Romans
gekleideten Bilder aus dem sechsten Jahrhundert enthalten meine in
folgenden Werken niedergelegten Forschungen:

Die Könige der Germanen. II. III. IV. Band. München und Würzburg
1862–1866.

Prokopius von Cäsarea. Ein Beitrag zur Historiographie der Völkerwanderung
und des sinkenden Römertums. Berlin 1865.

Aus diesen Darstellungen mag der Leser die Ergänzungen und Veränderungen,
die der Roman an der Wirklichkeit vorgenommen, erkennen.

Das Werk ist 1859 in München begonnen, in Italien, zumal Ravenna,
weitergeführt, und 1876 in Königsberg abgeschlossen worden.

_Königsberg_, Januar 1876.
                                                             *Felix Dahn.*



                               Erstes Buch.


                               THEODERICH.


                                           »_Dietericus de Berne, de quo_
                                           _cantant rustici usque hodie._«



                             Erstes Kapitel.


Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach
Christus.

Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunkeln Fläche der Adria, deren
Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur
ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende
Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und
Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der
Stadt erhebt, einst gekrönt von einem Tempel des Neptun, der, schon damals
halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist.

Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes
Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter, und schlug
zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den
ganzen Kreis der Seefestung umgürteten.

Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem
getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, –
Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes.

Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem
Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß,
den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in
Einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte.

Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es
nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen
begannen, ins Gesicht schlug, und ungestüm in dem mächtigen, bis an den
ehernen Gurt wallenden Bart wühlte, der fast die ganze breite Brust des
alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte.

Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: »Sie
kommen,« sagte er.

Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her
dem Tempel näherte: man hörte schnelle, kräftige Schritte und bald danach
stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf.

»Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!« rief der voranschreitende
Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend
melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der
Vorhalle, erreicht.

Er hob das Windlicht hoch empor – schöne, korinthische Erzarbeit am Stiel,
durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den
gewölbten durchbrochnen Deckel – und steckte es in den Erzring, der die
geborstne Mittelsäule zusammenhielt.

Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden,
hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar
in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine
Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von
vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die
freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße
Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in
Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische
Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weiße
Lederriemen festigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis
geflochten, bis an die Kniee; die nackten, glänzendweißen Arme umzirkten
zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze
geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in
die Hüfte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren
Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche
Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt.

Der zweite der Ankömmlinge hatte, trotz einer allgemeinen
Familienähnlichkeit, doch einen von dem Fackelträger völlig verschiednen
Ausdruck.

Er war einige Jahre älter, sein Wuchs war derber und breiter, – tief in
den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune
Haar, – und von fast riesenhafter Höhe und Stärke: in seinem Gesicht
fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung,
welche die Züge des jüngern Bruders verklärten: statt dessen lag in seiner
ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut:
er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt
umhüllte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter
eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel.

Bedächtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroßer Mann von
gemessen verständigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den
braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks. Sein schlichtes, hellbraunes
Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische
Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei
dem deutschen Bauer bis heut’ erhalten hat. Aus den regelmäßigen Zügen des
offnen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprach besonnene
Männlichkeit und nüchterne Ruhe.

Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte,
rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme:

»Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns
in solch’ unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen
hast! Sprich – was soll’s geben?«

Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommnen wendend: »Wo
bleibt der Vierte, den ich lud?«

– »Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.«

»Da kömmt er!« rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des
Hügels deutend.

Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung.

Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz,
das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem
unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern.
Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die
großen, melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase
senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschornen Mund,
den ein Zug resignierten Grames umfurchte.

Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der
Zeit vom Schmerz gereift.

Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz und in seiner
Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem lanzengleichem Schaft. Nur mit
dem Haupte nickend begrüßte er die andern und stellte sich hinter den
Alten, der sie nun alle Vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug,
treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann:

»Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen
werden, unbelauscht, und zu treuen Männern, die da helfen mögen.

Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: – euch hab’ ich gewählt, ihr
seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst,
daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.«

Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an:
»Rede,« sagte er ruhig, »wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns
sprechen?«

»Von unsrem Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.«

»Am Abgrund?« rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder
lächelte und erhob aufhorchend das Haupt.

»Ja, am Abgrund,« rief der Alte, »und ihr allein, ihr könnt es halten und
retten.«

»Verzeih’ dir der Himmel deine Worte!« – fiel der Blonde lebhaft ein –
»haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den
Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt?
Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all’ seinen Schätzen? Was
gleicht auf Erden dem Reich der Goten?«

Der Alte fuhr fort: »Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herre und
mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist, – das weiß am besten
Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab’ ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf
diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt:
»Das ist starke Zucht: – Du wirst Freude dran haben.«

Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm
die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt
Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land
erkämpfte, bin ich vor ihm hergeschritten, Fuß für Fuß, und habe den
Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither
gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber
klügere schwerlich und treuere gewiß nicht. Wie stark sein Arm gewesen,
wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm
Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an
Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger
Nestfalk, die Sonne beschienen.

Aber der alte Adler ist flügellahm geworden!

Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht,
ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen –:
er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal
dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch
sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn töten wie der Blitz und auf jeder
sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein
Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und
Athalarich, sein Enkel: – ein Weib und ein Kind.«

»Die Fürstin ist weise,« sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert.

»Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem
frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh’ uns, wenn sie
im Sturm das Steuer halten soll.«

»Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter,« – lachte der Fackelträger und
schüttelte die Locken. »Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder
versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die
Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild
besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.«

»Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis,« sprach beistimmend der mit
dem Schwert, »ich kenne ihn.«

»Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm,
– – kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das
Meer ist Justinian: – ich kenne ihn und fürchte was er sinnt. Ich
begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag:
er hielt mich für berauscht: – der Narr, er weiß nicht, was Hildungs Kind
trinken mag! – und fragte mich um alles, genau um alles, was man wissen
muß, um – uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid
gekriegt! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen: dieser Mann will
dies Land, dies Italien wieder haben und nicht die Fußspur eines Goten
wird er darin übrig lassen.«

»Wenn er kann,« brummte des Blonden Bruder dazwischen.

»Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann
viel.«

Jener zuckte die Achseln.

»Weißt du’s, wie viel?« fragte der Alte zornig. »Zwölf Jahre lang hat
unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber
damals warst du noch nicht geboren,« fügte er ruhig hinzu.

»Wohl!« – kam jenem der Bruder zu Hilfe. – »Aber damals standen die Goten
allein im fremden Land. Jetzt haben wir eine ganze zweite Hälfte gewonnen:
wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrüder, die Italier.«

»Italien unsre Heimat!« rief der Alte bitter, »ja, das ist der Wahn. Und
die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Thor!«

»Das sind unsres Königs eigne Worte,« entgegnete der Gescholtene.

»Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden.
Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von
diesen Bergen niederstiegen und fremd werden wir sein in diesem Lande noch
nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!«

»Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die
unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?«

»Schweig still,« schrie der Alte, zuckend vor Grimm »schweig, Totila, mit
solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden.« Sich mühsam
beruhigend fuhr er fort:

»Unsre Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brüder. Weh, wenn wir
ihnen trauen! O daß der König nach meinem Rat gethan und nach seinem Sieg
alles erschlagen hätte das Schwert und Schild führen konnte vom lallenden
Knäblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie
haben Recht. Wir aber, wir sind die Thoren, sie zu bewundern.«

Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jüngling: »Und du hältst
keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen?«

»Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk! Ein Mann tritt
in die Goldhöhle des Drachen: er drückt das Haupt des Drachen nieder mit
eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner
schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle. Was
wird der Giftwurm thun? Hinterrücks, sobald er kann, wird er ihn stechen,
daß der Verschoner stirbt.«

»Wohlan, so laß sie kommen, die Griechlein,« schrie der riesige Hildebad,
»und laß dies Natterngezücht gegen uns aufzüngeln. Wir wollen sie
niederschlagen – so!« und er hob die Keule und ließ sie niederfallen, daß
die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen
Grundfugen erdröhnte.

»Ja, sie sollen’s versuchen!« – rief Totila und aus seinen Augen leuchtete
ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schöner machte. – »Wenn diese
undankbaren Römer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kommen –« er
blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder – »sieh, Alter,
wir haben Männer wie die Eichen.«

Wohlgefällig nickte der alte Waffenmeister: »Ja, Hildebad ist sehr stark;
obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und die andern waren,
die mit mir jung gewesen. Und gegen Nordmänner ist Stärke gut Ding. Aber
dieses Südvolk,« fuhr er ingrimmig fort – »kämpft von Türmen und
Mauerzinnen herunter. Sie führen den Krieg wie ein Rechenexempel und
rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein, daß es
sich nicht mehr rühren noch regen kann. Ich kenne einen solchen
Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mann und besiegt die Männer. Du
kennst ihn auch, Witichis?« – so fragend wandte er sich an den Mann mit
dem Schwert.

»Ich kenne Narses,« sagte dieser, der sehr ernst geworden, nachdenklich.
»Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr wahr. Ähnliches
ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber unklar, dunkel, mehr ein
Grauen als ein Denken. – Deine Worte sind unwiderleglich: der König am Tod
– die Fürstin ein halbgriechisch Weib – Justinian lauernd – die Welschen
schlangenfalsch – die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst, aber« –
hier holte er tief Atem – »wir stehen nicht allein, wir Goten. Unser
weiser König hat sich Freunde, Verbündete geschaffen in Überfluß. Der
König der Vandalen ist sein Schwestermann, der König der Westgoten sein
Enkel, die Könige der Burgunden, der Heruler, der Thüringe, der Franken
sind ihm verschwägert, alle Völker ehren ihn wie ihren Vater, die
Sarmaten, die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend
Pelzwerk und gelben Bernstein. Ist das alles« – –

»Nichts ist das alles, Schmeichelworte sind’s und bunte Lappen! Sollen uns
die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses? Weh uns,
wenn wir nicht allein siegen können. Diese Schwäger und Eidame
schmeicheln, so lang sie zittern, und wenn sie nicht mehr zittern, werden
sie drohen. Ich kenne die Treue der Könige! Wir haben Feinde ringsum,
offene und geheime, und keinen Freund als uns selbst.«

Ein Schweigen trat ein, in welchem alle die Worte des Alten besorgt
erwogen: heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Säulen und rüttelte an
dem morschen Tempelbau.

Da sprach zuerst Witichis, vom Boden aufblickend, sicher und gefaßt: »Groß
ist die Gefahr, hoffentlich nicht unabwendbar. Gewiß hast du uns nicht
hierher beschieden, daß wir thatlos in die Verzweiflung schauen. Geholfen
muß werden: so sprich, wie meinst du, daß zu helfen sei.«

Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und faßte seine Hand: »Wacker,
Witichis, Waltaris Sohn. Ich kannte dich wohl und will dir’s treu
gedenken, daß vor allen du zuerst ein männlich Wort der Zuversicht
gefunden. Ja, ich denke wie du: noch ist Hilfe möglich, und um sie zu
finden habe ich euch hierher gerufen, wo uns kein Welscher hört. Saget nun
an und ratet: dann will ich sprechen.«

Da alle schwiegen, wandte er sich zu dem Schwarzgelockten: »Wenn du denkst
wie wir, so sprich auch du, Teja. Warum schwiegst du bisher?«

»Ich schweige, weil ich anders denke, denn ihr.«

Die andern staunten. Hildebrand sprach: »Wie meinst du das, mein Sohn?«

»Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr, du und Witichis, ihr sehet
sie und hoffet, ich aber sah sie längst und hoffe nicht.«

»Du siehst zu schwarz, wer darf verzweifeln vor dem Kampf?« meinte
Witichis.

»Sollen wir, das Schwert in der Scheide, ohne Kampf, ohne Ruhm
untergehen?« rief Totila.

»Nicht ohne Kampf, mein Totila, und nicht ohne Ruhm, so weiß ich,«
antwortete Teja, leise die Streitaxt zuckend. »Kämpfen wollen wir, daß man
es nie vergessen soll in allen Tagen: kämpfen mit höchstem Ruhm, aber ohne
Sieg. Der Stern der Goten sinkt.«

»Mir deucht, er will erst recht hoch steigen,« rief Totila ungeduldig.
»Laßt uns vor den König treten, sprich du, Hildebrand, zu ihm wie du zu
uns gesprochen. Er ist weise: er wird Rat finden.«

Der Alte schüttelte den Kopf: »Zwanzigmal hab ich zu ihm gesprochen. Er
hört mich nicht mehr. Er ist müde und will sterben und seine Seele ist
verdunkelt, ich weiß nicht, durch welchen Schatten. – Was denkst du,
Hildebad?«

»Ich denke,« sprach dieser sich hoch aufrichtend, »sowie der alte Löwe die
müden Augen geschlossen, rüsten wir zwei Heere. Das eine führen Witichis
und Teja vor Byzanz und brennen es nieder, mit dem andern steigen ich und
mein Bruder über die Alpen und zerschlagen Paris, das Drachennest der
Merowinger, zu einem Steinhaufen für alle Zukunft. Dann wird Ruhe sein, im
Osten und im Norden.«

»Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz,« sprach Witichis.

»Und die Franken sind sieben wider Einen gegen uns,« sagte Hildebrand.
»Aber wacker meinst du’s, Hildebad. Sage, was rätst du, Witichis?«

»Ich rate einen Bund, mit Schwüren beschwert, mit Geiseln gesichert aller
Nordstämme gegen die Griechen.«

»Du glaubst an Treue, weil du selber treu. Mein Freund, nur die Goten
können den Goten helfen. Man muß sie nur wieder daran erinnern, daß sie
Goten sind. Hört mich an. Ihr alle seid jung und liebt allerlei Dinge und
habt vielerlei Freuden. Der eine liebt ein Weib, der andre die Waffen, der
dritte irgend eine Hoffnung oder auch irgend einen Gram, der ihm ist wie
eine Geliebte. – Aber glaubt mir, es kömmt eine Zeit, – und die Not kann
sie euch noch in jungen Tagen bringen –, da all diese Freuden und selbst
Schmerzen wertlos werden wie welke Kränze vom Gelag von gestern.

Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des was auf Erden und
trachten nach dem was hinter dem Grabe ist. Ich kann’s nicht und ihr,
mein’ ich, und viele von uns können’s auch nicht. Die Erde lieb’ ich mit
Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom und das Leben darauf mit
heißem Haß und langer Liebe, mit zähem Zorn und stummem Stolz. Von jenem
Luftleben da droben in den Windwolken, wie’s die Christenpriester lehren,
weiß ich nichts und will ich nichts wissen. Eins aber bleibt dem Mann, dem
rechten, wenn alles andre dahin. Ein Gut, von dem er nimmer läßt. Seht
mich an. Ich bin ein entlaubter Stamm, alles hab’ ich verloren was mein
Leben erfreute: mein Weib ist tot seit vielen Jahren, meine Söhne sind
tot, meine Enkel sind tot: bis auf Einen, der ist schlimmer als tot: – der
ist ein Welscher worden. Dahin und lang vermodert sind sie alle, mit denen
ich ein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen, und schon steigt meine
erste Liebe und mein letzter Stolz, mein großer König, müde in sein Grab.
Nun seht, was hält mich noch im Leben? Was giebt mir Mut, Lust, Zwang zu
leben? Was treibt mich Alten wie einen Jüngling in dieser Sturmnacht auf
die Berge? Was lodert hier unter dem Eisbart heiß in lauter Liebe, in
störrigem Stolz und in trotziger Trauer? Was anders als der Drang, der
unaustilgbar in unsrem Blute liegt, der tiefe Drang und Zug zu meinem
Volk, die Liebe, die lodernde, die allgewaltige, zu dem Geschlechte, das
da Goten heißt, und das die süße, heimliche, herrliche Sprache redet
meiner Eltern, der Zug zu denen, die da sprechen, fühlen, leben wie ich.
Sie bleibt, sie allein, diese Volksliebe, ein Opferfeuer, in dem Herzen,
darinnen alle andre Glut erloschen, sie ist das teure, das mit Schmerzen
geliebte Heiligtum, das Höchste in jeder Mannesbrust, die stärkste Macht
in seiner Seele, treu bis zum Tod und unbezwingbar.«

Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet – sein Haar flog im Winde – er
stand wie ein alter hünenhafter Priester unter den jungen Männern, welche
die Fäuste an ihren Waffen ballten.

Endlich sprach Teja: »Du hast Recht, diese Flamme lodert noch, wo alles
sonst erloschen. Aber sie brennt in dir, – in uns, – vielleicht noch in
hundert andern unsrer Brüder. Kann das ein ganzes Volk erretten? Nein! Und
kann diese Glut die Masse ergreifen, die Tausende, die Hunderttausende?«

»Sie kann es, mein Sohn, sie kann es. Dank allen Göttern, daß sie’s kann.
Höre mich an. Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre, da waren wir Goten,
viele Hunderttausende, mit Weibern und Kindern, in den Schluchten der
Hämus-Berge eingeschlossen.

Wir lagen in höchster Not. Des Königs Bruder war von den Griechen in
treulosem Überfall geschlagen und getötet, und aller Mundvorrat, den er
uns zuführen sollte, verloren: wir saßen in den Felsschluchten und litten
so bittern Hunger, daß wir Gras und Leder kochten. Hinter uns die
unersteiglichen Felsen, vor uns und zur Linken das Meer, rechts in einem
Engpaß die Feinde in dreifacher Überzahl. Viele Tausende von uns waren dem
Hunger, dem Winter erlegen: zwanzigmal hatten wir vergebens versucht,
jenen Paß zu durchbrechen. Wir wollten verzweifeln. Da kam ein Gesandter
des Kaisers und bot uns Leben, Freiheit, Wein, Brot, Fleisch, – unter
einer einzigen Bedingung: wir sollten getrennt von einander, zu vier und
vier, über das ganze Weltreich Roms zerstreut werden, keiner von uns mehr
ein gotisch Weib freien, keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte
lehren dürfen, Name und Wesen der Goten sollte verschwinden, Römer sollten
wir werden. Da sprang der König auf, rief uns zusammen und trug’s uns vor
in flammender Rede und fragte zuletzt, ob wir lieber aufgeben wollten
Sprache, Sitte, Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben? Da fuhr
sein Wort in die Hunderte, die Tausende, die Hunderttausende wie der
Waldbrand in die dürren Stämme, aufschrieen sie, die wackern Männer, wie
ein tausendstimmiges, brüllendes Meer, die Schwerter schwangen sie, auf
den Engpaß stürzten sie und weggefegt waren die Griechen als hätten sie
nie gestanden, und wir waren Sieger und frei.«

Sein Auge glänzte in stolzer Erinnerung, nach einer Pause fuhr er fort:
»Dies allein ist, was uns heute retten kann wie dazumal: fühlen erst die
Goten, daß sie für jenes Höchste fechten, für den Schutz jenes
geheimnisvollen Kleinods, das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt wie
ein Wunderborn, dann können sie lachen zu dem Haß der Griechen, zu der
Tücke der Welschen. Und das vor allem wollt’ ich euch fragen, fest und
feierlich: fühlt ihr es wie ich so klar, so ganz, so mächtig, daß diese
Liebe zu unsrem Volk unser Höchstes ist, unser schönster Schatz, unser
stärkster Schild? könnt ihr sprechen wie ich: mein Volk ist mir das
Höchste und alles, alles andre dagegen nichts, ihm will ich opfern was ich
bin und habe, wollt ihr das, könnt ihr das!«

»Ja, das will ich, ja, das kann ich!« sprachen die vier Männer.

»Wohl,« fuhr der Alte fort, »das ist gut. Aber Teja hat Recht: nicht alle
Goten fühlen das jetzt, heute schon, wie wir und doch müssen es alle
fühlen, wenn es helfen soll. Darum gelobet mir, von heut’ an unablässig
euch selbst und alle unsres Volkes, mit denen ihr lebt und handelt, zu
erfüllen mit dem Hauch dieser Stunde. Vielen, vielen hat der fremde Glanz
die Augen geblendet: viele haben griechische Kleider angethan und römische
Gedanken: sie schämen sich, Barbaren zu heißen: sie wollen vergessen und
vergessen machen, daß sie Goten sind – wehe über die Thoren!

Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben, sie sind wie
Blätter, die sich stolz vom Stamme gelöst und der Wind wird kommen und
wird sie verwehen in Schlamm und Pfützen, daß sie verfaulen: aber der
Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird lebendig erhalten, was treu an
ihm haftet. Darum sollt ihr euer Volk wecken und mahnen überall und immer.
Den Knaben erzählt die Sagen der Väter, von den Hunnenschlachten, von den
Römersiegen: den Männern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das
Volkstum unser Schild: eure Schwestern ermahnt, daß sie keinen Römer
umarmen und keinen Römling: eure Bräute, eure Weiber lehrt, daß sie alles,
sich selbst und euch opfern dem Glück der guten Goten, auf daß, wenn die
Feinde kommen, sie finden ein starkes Volk, stolz, einig, fest, daran sie
zerschellen sollen wie die Wogen am Fels. Wollt ihr mir dazu helfen?«

»Ja,« sprachen sie, »das wollen wir.«

»Ich glaube euch,« fuhr der Alte fort, »glaube eurem bloßen Wort. Nicht um
euch fester zu binden, – denn was bände den Falschen? – sondern weil ich
treu hange an altem Brauch und weil besser gedeiht, was geschieht nach
Sitte der Väter – folget mir.«



                             Zweites Kapitel.


Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Säule und schritt quer durch
den Innenraum, die Cella des Tempels, vorüber an dem zerfallenen
Hauptaltar, vorbei an den Postamenten der lang herabgestürzten
Götterbilder nach der Hinterseite des Gebäudes, dem Posticum. Schweigend
folgten die Geladenen dem Alten, der sie über die Stufen hinunter ins
Freie führte.

Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche, deren
mächtiges Geäst wie ein Dach Sturm und Regen abhielt. Unter diesem Baum
bot sich ihnen ein seltsamer Anblick, der aber die gotischen Männer sofort
an eine alte Sitte aus dem grauen Heidentum, aus der fernen nordischen
Heimat gemahnte. Unter der Eiche war ein Streifen des dichten Rasens
aufgeschlitzt, nur einen Fuß breit, aber mehrere Ellen lang, die beiden
Enden des Streifens hafteten noch locker am Grunde: in der Mitte war der
Rasengürtel auf drei ungleich in die Erde gerammte hohe Speere
emporgespreizt, in der Mitte von dem längsten Speer gestützt, so daß die
Vorrichtung ein Dreieck bildete, unter dessen Dach zwischen den
Speersäulen mehrere Männer bequem stehen konnten. In der so gewonnenen
Erdritze stand ein eherner Kessel, mit Wasser gefüllt, daneben lag ein
spitzes und scharfes Schlachtmesser, uralt: das Heft vom Horn des
Auerstiers, die Klinge von Feuerstein. Der Greis trat nun heran, stieß die
Fackel dicht neben dem Kessel in die Erde, stieg dann, mit dem rechten Fuß
vorauf, in die Grube, wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt: dann
winkte er die Freunde zu sich, mit dem Finger am Mund ihnen Schweigen
bedeutend. Lautlos traten die Männer in die Rinne und stellten sich,
Witichis und Teja zu seiner Linken, die beiden Brüder zu seiner Rechten
und alle fünf reichten sich die Hände zu einer feierlichen Kette. Dann
ließ der Alte Witichis und Hildebad, die ihm zunächst standen, los und
kniete nieder. Zuerst raffte er eine Hand voll der schwarzen Walderde auf
und warf sie über die linke Schulter. Dann griff er mit der andern Hand in
den Kessel und sprengte das Wasser rechts hinter sich. Darauf blies er in
die wehende Nachtluft, die sausend in seinen langen Bart wehte. Endlich
schwang er die Fackel von der Rechten zur Linken über sein Haupt. Dann
steckte er sie wieder in die Erde und sprach murmelnd vor sich hin:

»Höre mich, alte Erde, wallendes Wasser, leichte Luft, flackernde Flamme!
Höret mich wohl und bewahret mein Wort: Hier stehen fünf Männer vom
Geschlechte des Gaut, Teja und Totila, Hildebad und Hildebrand und
Witichis, Waltaris Sohn.

  Wir stehen hier in stiller Stunde,
  Zu binden einen Bund von Blutsbrüdern,
  Für immer und ewig und alle Tage.
  Wir sollen uns sein wie Sippegesellen
  In Frieden und Fehde, in Rache und Recht.
  Ein Hoffen, Ein Hassen, Ein Lieben, Ein Leiden,
  Wie wir träufen zu Einem Tropfen
  Unser Blut als Blutsbrüder.«

Bei diesen Worten entblößte er den linken Arm, die andern thaten
desgleichen, eng aneinander streckten sich die fünf Arme über den Kessel,
der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit Einem Schnitt sich und
den vier andern die Haut des Vorderarmes, daß das Blut aller in roten
Tropfen in den ehernen Kessel floß.

Dann nahmen sie wieder die frühere Stellung ein und murmelnd fuhr der Alte
fort:

  »Und wir schwören den schweren Schwur,
  Zu opfern all unser Eigen,
  Haus, Hof und Habe,
  Roß, Rüstung und Rind,
  Sohn, Sippe und Gesinde,
  Weib und Waffen und Leib und Leben
  Dem Glanz und Glück des Geschlechtes von Gaut,
  Den guten Goten.
  Und wer von uns sich wollte weigern,
  Den Eid zu ehren mit allen Opfern« –

Hier traten er, und auf seinen Wink auch die andern, aus der Grube und
unter dem Rasenstreifen hervor:

  »Des rotes Blut soll rinnen ungerächet
  Wie dies Wasser unterm Waldwasen« –

Er erhob den Kessel, goß sein blutiges Wasser in die Grube und nahm ihn
wie das andre Gerät heraus:

  »Auf des Haupt sollen des Himmels Hallen
  Dumpf niederdonnern und ihn erdrücken,
  Wuchtig so wie dieser Wasen.«

Er schlug mit Einem Streich die drei spannenden Lanzenschäfte nieder und
dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne. Die fünf Männer
stellten sich nun mit verschlungenen Händen auf die wieder von Rasen
gedeckte Stelle und in rascherem Ton fuhr der Alte fort: »Und wer von uns
nicht achtet dieses Eides und dieses Bundes und wer nicht die Blutsbrüder
als echte Brüder schützt im Leben und rächt im Tode und wer sich weigert,
sein Alles zu opfern dem Volk der Goten, wann die Not es begehrt und ein
Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den untern, den
ewigen, den wüsten Gewalten, die da hausen unter dem grünen Gras des
Erdgrundes: gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings
Haupt und sein Name soll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken läuten
und Heidenleute Opfer schlachten, soweit Mutter Kind koset, und der Wind
weht über die weite Welt. Sagt an, ihr Gesellen, soll’s ihm also geschehn,
dem niedrigen Neiding?«

»So soll ihm geschehen,« sprachen die vier Männer ihm nach.

Nach einer ernsten Pause löste Hildebrand die Kette der Hände und sprach:
»Und auf daß ihr’s wißt, welche Weihe diese Stätte hat für mich, – jetzt
auch für euch, – warum ich euch zu solchem Thun gerade hierher beschieden
und zu dieser Nacht – kommt und sehet.« Und also sprechend erhob er die
Fackel und schritt voran hinter den mächtigen Stamm der Eiche, vor der sie
geschworen. Schweigend folgten die Freunde, bis sie an der Kehrseite des
alten Baumes hielten und hier mit Staunen gerade gegenüber der Rasengrube,
in welcher sie gestanden, ein breites offenes Grab gähnen sahen, von
welchem die deckende Felsplatte hinweggewälzt war: da ruhten in der Tiefe,
im Licht der Fackel geisterhaft erglänzend, drei weiße lange Skelette,
einzelne verrostete Waffenstücke, Lanzenspitzen, Schildbuckel lagen
daneben. Die Männer blickten überrascht bald in die Grube, bald auf den
Greis. Dieser leuchtete lange schweigend in die Tiefe. Endlich sagte er
ruhig: »Meine drei Söhne. Sie liegen hier über dreißig Jahre. Sie fielen
auf diesem Berg, in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna. Sie fielen in
Einer Stunde, heute ist der Tag. Sie sprangen jubelnd in die Speere – –
für ihr Volk.«

Er hielt inne. Mit Rührung sahen die Männer vor sich hin. Endlich richtete
sich der Alte hoch auf und sah gen Himmel. »Es ist genug,« sagte er, »die
Sterne bleichen. Mitternacht ist längst vorüber. Geht, ihr andern, in die
Stadt zurück. Du, Teja, bleibst wohl bei mir: – dir ist ja vor andern, wie
des Liedes, der Trauer Gabe gegeben – und hältst mit mir die Ehrenwacht
bei diesen Toten.«

Teja nickte und setzte sich, ohne ein Wort, zu Füßen des Grabes, wo er
stand, nieder. Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sich Teja
gegenüber auf die Felsplatte. Die andern Drei winkten ihm scheidend zu.
Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegen sie hinunter zur
Stadt.



                             Drittes Kapitel.


Wenige Wochen nach jener nächtlichen Zusammenkunft bei Ravenna fand zu Rom
eine Vereinigung statt, ebenfalls heimlich, ebenfalls unter dem Schutze
der Nacht, aber von ganz andern Männern zu ganz andern Zwecken.

Das geschah an der appischen Straße nahe dem Cömeterium des heiligen
Kalixtus in einem halbverschütteten Gang der Katakomben, jener
rätselhaften unterirdischen Wege, die unter den Straßen und Plätzen Roms
fast eine zweite Stadt bildeten. Es sind diese geheimnisvollen Räume –
ursprünglich alte Begräbnisplätze, oft die Zuflucht der jungen
Christengemeinde – so vielfach verschlungen und ihre Kreuzungen,
Endpunkte, Aus- und Eingänge so schwierig zu finden, daß nur unter
ortvertrautester Führung ihre inneren Tiefen betreten werden können. Aber
die Männer, deren geheimen Verkehr wir diesmal belauschen, fürchteten
keine Gefahr. Sie waren gut geführt. Denn es war Silverius, der
katholische Archidiakonus der alten Kirche des heiligen Sebastian, der
unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus die Freunde auf steilen
Stufen in diesen Zweigarm der Gewölbe geführt hatte: und die römischen
Priester standen in dem Rufe, seit den Tagen der ersten Christen Kenntnis
jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben. Die Versammelten schienen auch
sich hier nicht zum erstenmal einzufinden: die Schauer des Ortes machten
wenig Eindruck auf sie. Gleichgültig lehnten sie an den Wänden des
unheimlichen Halbrunds, das, von einer bronzenen Hängelampe spärlich
beleuchtet, den Schluß des niedrigen Ganges bildete, gleichgültig hörten
sie die feuchten Tropfen von der Decke zur Erde fallen und, wenn ihr Fuß
hier und da an weiße, halbvermoderte Knochen stieß, schoben sie auch diese
gleichgültig auf die Seite.

Es waren außer Silverius noch einige andere rechtgläubige Priester und
eine Mehrzahl vornehmer Römer aus den Adelsgeschlechtern des westlichen
Kaiserreichs anwesend, die seit Jahrhunderten in fast erblichem Besitz der
höheren Würden des Staates und der Stadt geblieben.

Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen des
Archidiakons, der sich, nachdem er die Erschienenen gemustert und in
einige der einmündenden Gänge, in deren Dunkel man junge Leute in
priesterlichen Kleidern Wache halten sah, prüfende Blicke geworfen hatte,
jetzt offenbar anschickte, die Versammlung in aller Form zu eröffnen.

Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu, der ihm gegenüber
regungslos an der Mauer lehnte und mit dem er wiederholt Blicke getauscht
hatte: und nachdem dieser auf eine fragende Miene schweigend genickt,
wandte er sich gegen die übrigen und sprach:

»Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal sind wir hier
versammelt zu heiligem Werk.

Das Schwert von Edom ist gezückt ob unsrem Haupt und König Pharao lechzt
nach dem Blut der Kinder Israel. Wir aber fürchten nicht jene, die den
Leib töten und der Seele nichts anhaben können, wir fürchten vielmehr
jenen, der da Leib und Seele verderben mag mit ewigem Feuer. Wir vertrauen
im Schauer der Nacht auf die Hilfe dessen, der sein Volk durch die Wüste
geführt hat, bei Tag in der Rauchwolke, bei Nacht in der Feuerwolke. Und
daran wollen wir halten und wollen es nie vergessen: was wir leiden, wir
leiden es um Gottes willen, was wir thun, wir thun’s zu seines Namens
Ehre. Dank ihm, denn er hat gesegnet unsern Eifer. Klein, wie des
Evangeliums, waren unsre Anfänge, aber schon sind wir gewachsen wie ein
Baum an frischen Wasserbächen. Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier
zusammen: groß war die Gefahr, schwach die Hoffnung: edles Blut der Besten
war geflossen: – heute, wenn wir fest bleiben im Glauben, dürfen wir es
kühnlich sagen: der Thron des Königs Pharao steht auf Füßen von Schilf und
die Tage der Ketzer sind gezählt in diesem Lande.«

»Zur Sache!« rief ein junger Römer dazwischen, mit kurzkrausem, schwarzem
Haar und blitzenden, schwarzen Augen; ungeduldig warf er das Sagum von der
linken Hüfte über die rechte Schulter zurück, daß das kurze Schwert
sichtbar wurde. »Zur Sache, Priester! was soll heut’ geschehn?«

Silverius warf auf den Jüngling einen Blick, der lebhaften Unwillen über
solch’ kecke Selbständigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhe zu
verdecken vermochte. Scharfen Tones fuhr er fort: »Auch die an die
Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen, sollten doch den
Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stören, um ihrer eignen
weltlichen Ziele willen nicht. Heute aber, Licinius, mein rascher Freund,
soll ein neues hochwillkommnes Glied unsrem Bunde eingefügt werden: sein
Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes.«

»Wen willst du einführen? Sind die Vorbedingungen erfüllt? Haftest du für
ihn? unbedingt? oder stellst du andre Bürgschaft?« so fragte ein andrer
der Versammelten, ein Mann in reifen Jahren, mit gleichmäßigen Zügen, der,
einen Stab zwischen den Füßen, ruhig auf einem Vorsprung der Mauer saß. –
»Ich hafte, mein Scävola; übrigens genügt seine Person –«

»Nichts dergleichen. Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbürgung und ich
bestehe darauf,« sagte Scävola ruhig. – »Nun gut, gut, ich bürge, zähster
aller Juristen!« wiederholte der Priester mit Lächeln. Er winkte in einen
der Gänge zur Linken.

Zwei junge Ostiarii führten von da in die Mitte des Gewölbes einen Mann,
auf dessen verhülltes Haupt aller Augen gerichtet waren. Nach einer Pause
hob Silverius den Überwurf von Kopf und Schultern des Ankömmlings.

»Albinus!« riefen die andern in Überraschung, Entrüstung, Zorn.

Der junge Licinius fuhr ans Schwert, Scävola stand langsam auf, wild
durcheinander scholl es: »Wie? Albinus? der Verräter?« Scheuen Blickes sah
der Gescholtene um sich, seine schlaffen Züge bekundeten angeborne
Feigheit: wie Hilfe flehend haftete sein Auge auf dem Priester. »Ja,
Albinus!« sagte dieser ruhig. »Will einer der Verbündeten wider ihn
sprechen? Er rede.« – »Bei meinem Genius,« rief Licinius rasch vor allen,
»braucht es da der Rede? Wir wissen alle, wer Albinus ist, was er ist. Ein
feiger, schändlicher Verräter« – der Zorn erstickte seine Stimme. –
»Schmähungen sind keine Beweise,« nahm Scävola das Wort. »Aber ich frage
ihn selbst, er soll hier vor allen bekennen. Albinus, bist du es, oder
bist du es nicht, der, als die Anfänge des Bundes dem Tyrannen verraten
waren, als du noch allein von uns allen verklagt warst, es mit ansahst,
daß die edeln Männer, Boëthius und Symmachus, unsre Mitverbündeten, weil
sie dich mutig vor dem Wüterich verteidigten, verfolgt, gefangen, ihres
Vermögens beraubt, hingerichtet wurden, während du, der eigentliche
Angeklagte, durch einen schmählichen Eid, dich nie mehr um den Staat
kümmern zu wollen und durch urplötzliches Verschwinden dich gerettet hast?
Sprich, bist du es, um dessen Feigheit willen die Zierden des Vaterlandes
gefallen?«

Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung. Der Angeschuldigte
blieb stumm und bebte, selbst Silverius verlor einen Augenblick die
Haltung. Da richtete sich jener Mann, der ihm gegenüber an der Felswand
lehnte, auf und trat einen Schritt herzu; seine Nähe schien den Priester
zu erkräftigen und er begann wieder: »Ihr Freunde, es ist geschehen was
ihr sagt, nicht wie ihr’s sagt. Vor allem wisset: Albinus ist an allem am
wenigsten schuldig. Was er gethan, er that’s auf meinen Rat.« – »Auf
deinen Rat?« – »Das wagst du zu bekennen?« – »Albinus war verklagt durch
den Verrat eines Sklaven, der die Geheimschrift in den Briefen nach Byzanz
entziffert hatte. Der ganze Argwohn des Tyrannen war geweckt: jeder Schein
von Widerstand, von Zusammenhang mußte die Gefahr vermehren. Der Ungestüm
von Boëthius und Symmachus, die ihn mutig verteidigten, war edel, aber
thöricht. Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels von
Rom, zeigte, daß Albinus nicht allein stehe. Sie handelten gegen meinen
Rat, leider haben sie es im Tode gebüßt. Aber ihr Eifer war auch
überflüssig: denn den verräterischen Sklaven raffte plötzlich vor weitern
Aussagen die Hand des Herrn hinweg und es war gelungen, die Geheimbriefe
des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten. Jedoch glaubt ihr,
Albinus würde auf der Folter, würde unter Todesdrohungen geschwiegen
haben, geschwiegen, wenn ihn die Nennung der Mitverschwornen retten
konnte? Das glaubt ihr nicht, das glaubte Albinus selbst nicht. Deshalb
mußte vor allem Zeit gewonnen, die Folter abgewendet werden. Dies gelang
durch jenen Eid. Unterdessen freilich bluteten Boëthius und Symmachus: sie
waren nicht zu retten: doch _ihres_ Schweigens, auch unter der Folter,
waren wir sicher. Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker
befreit wie Sankt Paulus zu Philippi. Es hieß, er sei nach Athen entflohen
und der Tyrann begnügte sich, ihm die Rückkehr zu verbieten. Allein der
dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtstätte
bereitet, bis daß die Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines
heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerührt
und, ungeschreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke
gestreift hat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste
Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermeßliches Vermögen. Vernehmt: er
hat all sein Gut der Kirche Sanktä Mariä Majoris zu Bundeszwecken
vermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmähen?«

Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: »Priester, du
bist klug wie – wie ein Priester. Aber mir gefällt solche Klugheit nicht.«
– »Silverius,« sprach der Jurist, »du magst die Millionen nehmen. Das
steht dir an. Aber ich war der Freund des Boëthius: mir steht nicht an,
mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht vergeben.
Hinweg mit ihm!« – »Hinweg mit ihm!« scholl es von allen Seiten. Scävola
hatte der Empfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblaßte, selbst
Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entrüstung. »Cethegus!«
flüsterte er leise, Beistand heischend.

Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit
kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er war groß und
hager, aber kräftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl.
Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang
und Geschmack, aber sonst verhüllte ein langer, brauner Soldatenmantel die
ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal
gesehen, nie mehr vergißt.

Das dichte, noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um
die gewölbte, etwas zu große Stirn und die edel geformten Schläfe
geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen
Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer
versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kältester
Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen
spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er
vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen
ließ, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise
anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter
Überlegenheit und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der
Unterordnung tragen.

»Was hadert ihr,« sagte er kalt, »über Dinge, die geschehen müssen? Wer
den Zweck will, muß das Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin!
Daran liegt nichts. Aber vergessen müßt ihr. Und das könnt ihr. Auch ich
war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nächster. Und doch – ich
will vergessen. Ich thu’ es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie,
Scävola, der allein, der sie rächt. Um der Rache willen – Albinus, deine
Hand.« – Alle schwiegen, bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den
Gründen des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch:

»Rusticiana, des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter, die
einflußreiche Frau, ist unsrem Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenn
dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!«

»Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt Euren Augen.« Mit diesen Worten
wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge, dessen
Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte. – Hart am Eingang stand
lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: »komm’,«
flüsterte er, »jetzt komm’.« – »Ich kann nicht! ich will nicht!« war die
leise Antwort der Widerstrebenden. »Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht
sehen, den Elenden!« – »Es muß sein. Komm, du kannst und du willst es: –
denn ich will es.« Er schlug ihren Schleier zurück: noch ein Blick und sie
folgte wie willenlos. –

Sie bogen um die Ecke des Eingangs: »Rusticiana!« riefen alle. – »Ein Weib
in unserer Versammlung!« sprach der Jurist. »Das ist gegen die Satzungen,
die Gesetze.«

»Ja, Scävola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund
um der Gesetze willen. Und geglaubt hättet ihr mir nie, was ihr hier sehet
mit Augen.«

Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus.

»Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?« –
Überwunden und überwältigt verstummten alle. Für Cethegus schien das
weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die
Wand im Hintergrund zurück. Der Priester aber sprach: »Albinus ist Glied
des Bundes.« – »Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?« fragte
schüchtern Scävola. – »War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen
Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten
Geschäfte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von
Neapolis: du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar.
Hier, Scävola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin
Justinians: du mußt sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisung auf
eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fränkischen
Majordomus, er wirkt bei seinem König gegen die Goten. Hier, Pomponius,
eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die
Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt,
daß, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer
auf dem Tyrannen liegt: tiefe Schwermut, zu späte Reue über all’ seine
Sünden soll seine Seele niederdrücken und der Trost der wahren Kirche
bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile: bald wird ihn die
zornige Stimme des Richters abrufen: dann kömmt der Tag der Freiheit. An
den nächsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen
des Herrn sei mit euch.« Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die
Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den
Seitengängen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach
den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben.



                             Viertes Kapitel.


Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf,
welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da
gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des
Diakonus. Dort angelangt überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen
schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb
herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die
neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im
Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den
Priester, der die Leuchte ergriffen, mit den beiden andern in ein kleines,
niedres Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und
geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine
Thür.

Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel
und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet,
hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden
Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei
Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zur Zeit
war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen – oder weltlichen –
Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenüber
in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten
Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Während der Priester
beschäftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in
die bereit stehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten
auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus
gegenüber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre
alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas männlichen Schönheit,
die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten
hatte: schon war hier und da nicht graues, sondern weißes Haar in ihre
rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick und
starke Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stützte
die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über
die Stirn, dabei fortwährend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie:
»Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du über mich hast? Ich liebe dich
nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muß ich
dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst
meine Hand, _diese_ Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler,
welches ist diese Macht?«

Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurücklehnend:
»Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.«

»Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich
denken kann. Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte, war
natürlich; daß ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du küßtest
mich ja. Und wer konnte – damals! – wissen, daß du nicht lieben kannst.
Nichts: kaum dich selbst. Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige
Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine
Sünde, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, daß ich
jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne, nachdem
die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, daß ich jetzt noch
blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß, – das ist eine Thorheit
zum Lautauflachen.«

Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Der Priester
hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne, und sah verstohlen auf
Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den
Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand:

»Du bist ungerecht, Rusticiana,« sagte er ruhig. »Und unklar. Du mischest
die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weißt es,
daß ich der Freund des Boëthius war. Obwohl ich sein Weib küßte.
Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes und du: – nun dir
haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weißt ferner, daß ich
diese Goten hasse, wirklich hasse, daß ich den Willen und – vor andern –
die Fähigkeit habe, durchzusetzen, was dich jetzt ganz erfüllt: deinen
Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den du geehrt hast, an diesen
Barbaren zu rächen. Du gehorchst daher meinen Winken. Und du thust daran
sehr klug. Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent, Ränke zu
schmieden. Aber deine Heftigkeit trübt oft deinen Blick. Sie verdirbt
deine feinsten Pläne. Also thust du wohl, kühlerer Leitung zu folgen. Das
ist alles. – Aber jetzt geh. Deine Sklavin kauert schlaftrunken im
Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, bei Freund Silverius. Die
Beichte darf nicht gar zu lange währen. Auch haben wir noch Geschäfte.
Grüße mir Kamilla, dein schönes Kind, und lebe wohl.« Er stand auf,
ergriff ihre Hand und führte sie sanft zur Thüre. Sie folgte
widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah nochmal auf
Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien und ging mit
leisem Kopfschütteln hinaus.

Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus.

»Sonderbarer Kampf in diesem Weibe,« sagte Silverius und setzte sich mit
Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm. »Nicht sonderbar. Sie
will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gut machen, indem sie ihn rächt. Und
daß sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet, macht
die heilige Pflicht besonders süß. Freilich ist ihr dies alles unbewußt. –
Aber, was giebt’s zu thun?« Und nun begannen die beiden Männer ihre
Arbeit, solche Punkte der Verschwörung zu erledigen, die allen Gliedern
des Bundes mitzuteilen sie nicht für ratsam hielten. – »Diesmal,« hob der
Diakonus an, »gilt es vor allem, das Vermögen des Albinus festzustellen
und dessen nächste Verwendung zu beraten. Wir brauchten ganz unabweislich
Geld, viel Geld.« – »Geldsachen sind dein Gebiet,« sagte Cethegus
trinkend. »Ich verstehe sie wohl, aber sie langweilen mich.«

»Ferner müssen die einflußreichsten Männer auf Sicilien, in Neapolis und
Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit Notizen über die
einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen die gewöhnlichen Mittel
nicht verfangen.« »Gieb her,« sagte Cethegus, »_das_ will ich machen« und
zerlegte einen persischen Apfel. – –

Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschäfte
bereinigt und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach
hinter dem großen Kreuz in der Mauer. Der Priester war ermüdet und sah mit
Neid auf den Genossen, dessen stählernen Körper und unangreifbaren Geist
keine späte Stunde, keine Anspannung ermatten zu können schien. Er äußerte
etwas dergleichen, als sich Cethegus den silbernen Becher wieder füllte.

»Übung, Freund, starke Nerven und,« setzte er lächelnd hinzu, »ein gutes
Gewissen: das ist das ganze Rätsel.«

»Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Rätsel.« – »Das will
ich hoffen.« – »Nun, hältst du dich für ein mir so unerreichbar
überlegenes Wesen?« – »Ganz und gar nicht. Aber doch für gerade
hinreichend tief, um andern nicht minder ein Rätsel zu sein als – mir
selbst. Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir
selbst mit mir nicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig.« –
»In der That,« fuhr der Priester ausholend fort, »der Schlüssel zu deinem
Wesen muß sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes.
Von jedem läßt sich sagen, welcher Grund ihn dazu geführt hat. Der hitzige
Jugendmut einen Licinius: der verrannte, aber ehrliche Rechtssinn einen
Scävola: mich und die andern Priester – der Eifer für die Ehre Gottes.«

»Natürlich,« sagte Cethegus trinkend.

»Andere treibt der Ehrgeiz: oder die Hoffnung, bei einem Bürgerkrieg ihren
Gläubigern die Hälse abzuschneiden, oder auch die Langeweile über den
geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung
durch einen der Fremden, die allermeisten der natürliche Widerwille gegen
die Barbaren und die Gewöhnung, nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen.
Bei dir aber schlägt keiner dieser Beweggründe an und« –

»Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels Kenntnis ihrer
Beweggründe beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwürdiger Gottesfreund, ich
kann dir nicht helfen. Ich weiß es wirklich selbst nicht, was mein
Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, daß ich es dir
herzlich gern sagen und mich – beherrschen lassen wollte, wenn ich es nur
entdecken könnte. Nur das Eine fühl’ ich: diese Goten sind mir zuwider.
Ich hasse diese vollblütigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbärten.
Unausstehlich ist mir das Glück dieser brutalen Gutmütigkeit, dieser
naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese ungebrochnen
Naturen. Es ist eine Unverschämtheit des Zufalls, der die Welt regiert,
dieses Land, – nach einer solchen Geschichte, – mit Männern wie – wie du
und ich – von diesen Nord-Bären beherrschen zu lassen.« Unwillig warf er
das Haupt zurück, drückte die Augen zu und schlürfte einen kleinen Trunk
Weines. »Daß die Barbaren fort müssen,« sprach der andere, »darüber sind
wir einig. Und für mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nur die
Befreiung der Kirche von diesen irrgläubigen Barbaren, welche die
Göttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen. Ich
hoffe, daß alsdann der römischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der
Christenheit, der ihr gebührt, unbestritten zufallen wird. Aber solange
Rom in der Hand der Ketzer liegt, während der Bischof von Byzanz von dem
allein rechtgläubigen und rechtmäßigen Kaiser gestützt wird« –

»Solange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der
Christenheit, solange nicht Herr Italiens: und deshalb der römische Stuhl,
selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was er werden
soll: das Höchste. Und das will doch Silverius.«

Überrascht sah der Priester auf.

»Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich weiß das längst und habe dein
Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast. Allein weiter.«
Er schenkte sich aufs neue ein: – »dein Falerner ist gut abgelagert, aber
er hat zu viel Süße. – Du kannst eigentlich nur wünschen, daß diese Goten
den Thron der Cäsaren räumen, nicht, daß die Byzantiner an ihre Stelle
treten: denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen
Oberbischof und einen Kaiser. Du mußt also an der Goten Stelle wünschen –
nicht einen Kaiser – Justinian, – sondern – etwa was?« – »Entweder« – fiel
Silverius eifrig ein – »einen eignen Kaiser des Westreichs« – »Der aber,«
vollendete Cethegus seinen Satz, »nur eine Puppe ist in der Hand des
heiligen Petrus –« – »Oder eine römische Republik, einen Staat der Kirche
–« – »In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland und
die Barbarenkönige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsamen Söhne der
Kirche sind. Schön, mein Freund. Nur müssen erst die Feinde vernichtet
sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb ein altrömischer
Trinkspruch: wehe den Barbaren!«

Er stand auf und trank dem Priester zu. »Aber die letzte Nachtwache
schleicht vorüber und meine Sklaven müssen mich am Morgen in meinem
Schlafgemach finden. Leb wohl.« Damit zog er den Cucullus des Mantels über
das Haupt und ging.

Der Wirt sah ihm nach: »Ein höchst bedeutendes Werkzeug!« sagte er zu
sich. »Gut, daß er nur ein Werkzeug ist. Möge er es immer bleiben.«

Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heiligen
Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwesten dem
Kapitole zu, an dessen Fuß am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen
war, nordöstlich vom Forum Romanum.

Die kühle Morgenluft strich belebend um sein Haupt.

Er schlug den Mantel zurück und dehnte die breite, starke, gewaltige
Brust. »Ja, ein Rätsel bist du,« sprach er vor sich hin; »treibst
Verschwörung und nächtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein
Verliebter von zwanzig Jahren. Und warum? – Ei, wer weiß warum er atmet?
Weil er muß. Und so muß ich thun was ich thue. Eins aber ist gewiß. Dieser
Priester mag Papst werden: er muß es vielleicht werden. Aber Eins darf er
nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl, ihr Gedanken, ihr
kaum eingestandenen, die ihr noch Träume seid und Wolkendünste: vielleicht
aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitz und Donner führt und mein
Verhängnis wird. Sieh, es wetterleuchtet im Osten. Gut. Ich nehme das Omen
an.«

Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fand er auf dem
Cederntisch vor seinem Lager einen verschnürten und mit dem königlichen
Siegel gepreßten Brief.

Er schnitt die Schnüre mit dem Dolch auf, schlug die doppelte Wachstafel
auseinander und las:

»An Cethegus Cäsarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cassiodorus
Senator.

Unser Herr und König liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin
Amalaswintha wünscht dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du sollst das
wichtigste Reichsamt übernehmen. Eile sogleich nach Ravenna.«



                             Fünftes Kapitel.


Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast
zu Ravenna mit seiner düstern Pracht, mit seiner unwirtlichen
Weiträumigkeit.

Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche
stilwidrige Veränderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren
der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie
vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Räume, die
eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten, standen mit der
alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt: Spinnweben
zogen sich über die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen
Badgemächer des Honorius und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten
die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern.
Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche
Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemächer des antiken Hauses zu den
weiteren Räumen von Waffensälen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen.
Und man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit
dem Palast verbunden, daraus eine Festung mitten in der Stadt zu schaffen.
Es trieben jetzt in der »_piscina maxima_«, dem ausgetrockneten Teich,
blonde Buben ihre wilden Spiele und in den Marmorsälen der Palästra
wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitläufige Bau das
unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltnen Ruine, halb eines
unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Königs erschien so wie ein
Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen
halbunfertigen, halbverfallenden Schöpfung. –

An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten
sah, lastete ein Gewölk von Spannung, Trauer und Düstre ganz besonders
schwer auf diesem Haus: denn seine königliche Seele sollte daraus
scheiden. –

Der große Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke
Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß
bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von
Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend
bemächtigt hatte, der große Amalungen-König Theoderich sollte sterben.

So hatten es die Ärzte, wenn nicht ihm selbst doch seinen Räten verkündet
und alsbald war es hinausgedrungen in die große volkreiche Stadt. Obwohl
man seit lange einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des
greisen Fürsten für möglich gehalten, erfüllte doch jetzt die Kunde von
dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der
höchsten Aufregung.

Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der römischen
Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn
hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nähe des Königs hatten die Italier
die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch
besondere Wohlthaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner
fürchtete man nach dem Tode dieses Königs, der während seiner ganzen
Regierung, mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und
dem Senat, in welchen Boëthius und Symmachus geblutet, die Italier vor der
Gewaltthätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte, unter einem
neuen Regiment Härte und Druck von Seite der Goten zu befahren.

Endlich aber wirkte noch ein Anderes, Höheres: die Persönlichkeit dieses
Heldenkönigs war so großartig, so majestätisch gewesen, daß auch
diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht
hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erlöschen sollte, sich
niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht
erwehren konnten.

So war die Stadt schon seit grauendem Morgen – da man zuerst vom Palast
Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der
vornehmsten Goten und Römer hatte eilen sehen – in höchster Erregung. In
den Straßen, auf den Plätzen, in den Bädern standen die Männer paarweise
oder in Gruppen beisammen, fragten und teilten sich mit, was sie wußten,
suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam und
sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber
und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser. Mit den
wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der
nächsten Dörfer und Städte, besonders trauernde Goten, forschend in die
Thore Ravennas. Die Räte des Königs, voraus der Präfectus Prätorio
Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechthaltung der Ordnung hohes
Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht
Schlimmeres erwartet.

Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit
gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite
des Gebäudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten
Marmorstufen, die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals
hinaufführten, waren starke Scharen gotischen Fußvolks, mit Schild und
Speer, in malerischen Gruppen gelagert.

Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Palast
erlangen und nur die beiden Anführer des Fußvolks, der Römer Cyprian und
der Gote Witichis, durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es,
der Cethegus einließ. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des
Königs verfolgte, fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und
Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleichen
Gruppen verteilt.

Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die
jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten
einzelne besorgte Fragen, während hier und da ein älterer Mann, ein
Waffengefährte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster
lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand,
laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drückend, ein reicher Kaufmann
von Ravenna: der König, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine
Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die
ergrimmten Goten gerettet.

Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen
vorüber. Er ging weiter.

In dem nächsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal,
fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln
beisammen, die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den
drohenden Umschwung aller Verhältnisse.

Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles
heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der
Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und
Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem
Königshaus der Amaler wenig nachgab – denn sie waren aus dem Geschlecht
der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte
–, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und
erweitert.

Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen.

Das waren die Führer der Partei, die längst eine härtere Behandlung der
Italier, welche sie haßten und scheuten zugleich, begehrt und die nur
widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten. Wilde Blicke
des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer, der da Zeuge
der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt
Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den
nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend
begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau,
die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in
fester Fassung und ohne Thränen vor einem mit Urkunden bedeckten
Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter
Theoderichs.

Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher,
wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche dunkle Haar nach
griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große,
runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und
die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde und in
dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der
That einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet.

An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling
von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er
glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen
Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte
seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha
ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr
ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich
schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schön wie alle Glieder dieses
von den Göttern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern
beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten
Träumen zerfloß, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune
wirre Locken hingen in die bleichen Schläfe, in denen bei lebhafter
Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edeln Stirn hatte
leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet,
befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblässe
und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene,
aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen
und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe. Er sah
den eintretenden Cethegus nicht, denn er hatte, an der Mutter Brust
gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen,
das bald eine schwere Krone tragen sollte. –

Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick
auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte, stand, in
träumerisches Sinnen verloren, ein Weib – oder war es eine Jungfrau? – von
überraschender, blendender, überwältigender Schönheit: das war
Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Höhe
der Gestalt, aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges
leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kälte
barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner
Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion
in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte
aus der Stadt verbannen müssen, weil diese marmorne höchste Einheit
schönster Jungfräulichkeit und schönster Sinnlichkeit die Jünglinge des
Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber höchster
reifer Mädchenschönheit zitterte über diesem Wesen. Ihr reichwallendes
Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so
außerordentlicher Wirkung, daß er der Fürstin, selbst bei diesem durch die
prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk, den Namen »Schönhaar«
verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren
glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn, die alabasternen
Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen
manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden
Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das
graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch
den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in träumerisches Sinnen
verloren, manchmal in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der
That, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb
gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht, den
weißen, hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und
hinaus träumend in die Abendluft, glich ihre verführerische Schönheit
jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen, deren
allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat.
Und so groß war die Macht dieser Schönheit, daß selbst die ausgebrannte
Brust des Cethegus, der die Fürstin längst kannte, bei seinem Eintritt von
neuem Staunen berührt wurde. –

Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach
Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Königs,
dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen
Versöhnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt
wurde. Der alte Mann, dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den
Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um
die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem
Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtvoll verneigte. In Thränen
schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an
die kalte Brust des Cethegus, der ihn für diese Weichheit verachtete.

»Welch ein Tag!« klagte er. – »Ein verhängnisvoller Tag,« sprach Cethegus
ernst; »er fordert Kraft und Fassung.« – »Recht sprichst du, Patricius,
und wie ein Römer,« – sagte die Fürstin, sich von Athalarich losmachend, –
»sei gegrüßt.« Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war
klar. »Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos
und die eigne Kraft,« sprach Cethegus.

»Sagt lieber, die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar,« verbesserte
Cassiodor. – »Patricius,« begann Amalaswintha, »der Präfectus Prätorio hat
dich mir vorgeschlagen zu einem wichtigen Geschäft. Sein Wort würde
genügen, auch wenn ich dich nicht längst schon kennte. Du bist derselbe
Cethegus, der die ersten beiden Gesänge der Äneis in griechische Hexameter
übertragen hat!« – »_Infandum renovare jubes, regina, dolorem._ Eine
Jugendsünde, Königin,« lächelte Cethegus. »Ich habe alle Abschriften
aufgekauft und verbrannt an dem Tage, da die Übersetzung Tullias
erschien.« Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas: Cethegus wußte das:
aber die Fürstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Sie war in
ihrer schwächsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: »Du weißt, wie es
hier steht. Die Atemzüge meines Vaters sind gezählt: nach dem Ausspruch
der Ärzte kann er, obwohl noch rüstig und stark, jeden Augenblick tot
zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone. Ich aber führe
an seiner Statt die Regentschaft und über ihn die Mundschaft bis er zu
seinen Tagen gekommen.« – »So ist der Wille des Königs, und Goten und
Römer haben dieser Weisheit längst schon zugestimmt,« sagte Cethegus. –
»So thaten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Männer verachten
die Herrschaft eines Weibes« – und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn
in zornige Falten. »Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten
wie der Römer,« begütigte Cassiodor, »es ist ganz neu, daß ein Weib –« –
»Die undankbaren Rebellen!« murmelte Cethegus, gleichsam für sich. – »Wie
man darüber denken mag,« fuhr die Fürstin fort, »es ist so. Gleichwohl
baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, mögen auch einzelne aus dem
Adel Gelüste nach der Krone tragen. Auch von den Italiern hier in Ravenna,
wie in den meisten Städten, fürchte ich nichts. Aber ich fürchte – Rom und
die Römer.« Cethegus horchte hoch auf: sein ganzes Wesen war in
plötzlicher Erregung: aber sein Antlitz blieb eisig kalt.

»Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewöhnen, es wird uns
ewig widerstreben – wie könnte es anders!« setzte sie seufzend hinzu. Es
war, als ob die Tochter Theoderichs eine römische Seele hätte.

»Wir fürchten deshalb,« – ergänzte Cassiodor, – »daß auf die Kunde von der
Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen
könnte, sei es für Anschluß an Byzanz, sei es für Erhebung eines eignen
Kaisers des Abendlandes.«

Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. –

»Darum,« fiel die Fürstin rasch ein, »muß, schon ehe jene Kunde zu Rom
eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu ergebener
Mann muß die Besatzung für mich – ich meine für meinen Sohn – vereidigen,
die wichtigsten Thore und Plätze besetzen, Senat und Adel einschüchtern,
das Volk für mich gewinnen und meine Herrschaft unerschütterlich
aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und für dies Geschäft hat Cassiodor
– dich vorgeschlagen. Sprich, willst du es übernehmen?«

Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen.
Cethegus bückte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur diesen einen Augenblick
für die hundert Gedanken, die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe
kreuzten.

War die Verschwörung in den Katakomben, war vielleicht er selbst verraten?
Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsüchtigen Weibes? Oder
waren die Thoren wirklich so blind, gerade ihm dies Amt aufzudringen? Und
wenn dem so war, was sollte er thun? Sollte er den Moment benutzen,
sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und für wen? für Byzanz? oder für
einen Kaiser im Abendlande? Und wer sollte das werden? Oder waren die
Dinge noch nicht reif? Sollte er für diesmal – aus Treulosigkeit – Treue
üben? Für all’ diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er, sie zu
stellen und zu lösen, nur den einen Moment, da er sich bückte: sein
rascher Geist brauchte nicht mehr: er hatte im Bücken das arglos
vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen und entschlossen sprach er, den
Griffel überreichend: »Königin, ich übernehme das Geschäft.« – »Das ist
gut,« sagte die Fürstin. Cassiodor drückte seine Hand. – »Wenn Cassiodor,«
fuhr Cethegus fort, »mich zu diesem Amte vorgeschlagen, so hat er wieder
einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewährt. Er hat durch meine Schale auf
meinen Kern gesehen.« – »Wie meinst du das?« fragte Amalaswintha. –
»Königin, der Schein konnte ihn trügen. Ich gestehe, daß ich die Barbaren
– verzeihe! – die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe.« – »Dieser
Freimut ehrt dich und ich verzeih’ es dem Römer.« – »Dazu kommt, daß ich
seit Jahrzehnten dem Staat, dem öffentlichen Leben keine Teilnahme mehr
zuwandte. Nach vielen Leidenschaften leb’ ich – ohne alle Leidenschaft –
nur einer spielenden Muse und leichten Gelehrsamkeit, unbekümmert um die
Sorgen der Könige, auf meinen Villen.« – »_Beatus ille qui procul
negotiis_«, citierte seufzend die gelehrte Frau. – »Aber eben weil ich die
Wissenschaft verehre, weil ich, ein Schüler Platons, will, daß die Weisen
herrschen sollen, deshalb wünsche ich, daß eine Königin mein Vaterland
regiere, die nur der Geburt nach Gotin, der Seele nach Griechin, der
Tugend nach Römerin ist.

Ihr zu Liebe will ich meine Muße den verhaßten Geschäften opfern. Aber nur
unter der Bedingung, daß dies mein letztes Staatsamt sei. Ich übernehme
deinen Auftrag und stehe dir für Rom mit meinem Kopf.«

»Gut, hier findest du die Vollmachten, die Dokumente, deren du bedarfst.«

Cethegus durchflog die Urkunden. »Dies ist das Manifest des jungen Königs
an die Römer, mit deiner Unterschrift. Seine Unterschrift fehlt noch.«
Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gefäß mit Purpurtinte,
deren sich die Amaler, wie die römischen Imperatoren bedienten: »Komm,
schreibe deinen Namen, mein Sohn.« Athalarich hatte während der ganzen
Verhandlung stehend und mit beiden Armen vorgebeugt auf den Tisch
gestützt, Cethegus scharf beobachtet. Jetzt richtete er sich auf: er war
gewohnt, in seinen Formen die Rechte eines Kronfolgers und eines Kranken
zu gebrauchen: »Nein,« sagte er heftig, »ich schreibe nicht. Nicht bloß,
weil ich diesem kalten Römer nicht traue, – nein, ich traue dir gar nicht,
du stolzer Mann! – es ist empörend, daß ihr, während mein hoher Großvater
noch atmet, schon an seiner Krone herumtappt, ihr Zwerge nach der Krone
des Riesen. Schämt euch eurer Fühllosigkeit. Hinter jenen Vorhängen stirbt
der größte Held des Jahrhunderts – und ihr denkt nur an die Teilung seiner
Königsgewänder.«

Er wandte ihnen den Rücken und schritt langsam nach dem Fenster zu, wo er
den Arm um seine schöne Schwester schlang und ihr schimmervolles
glänzendes Haar streichelte.

Lange stand er so, sie achtete seiner nicht. Plötzlich fuhr sie auf aus
ihrem Sinnen: »Athalarich,« flüsterte sie, hastig seinen Arm fassend und
hinausdeutend auf die Marmorstufen, »wer ist der Mann dort? im blauen
Stahlhelm, der eben um die Säule biegt? Sprich, wer ist es?« »Laß sehn,«
sagte der Jüngling sich vorbeugend, »der dort? ei, das ist Graf Witichis,
der Besieger der Gepiden, ein wackrer Held.« Und er erzählte ihr von den
Thaten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege.

Indessen hatte Cethegus die Fürstin und den Minister fragend angesehen.
»Laß ihn!« seufzte Amalaswintha. »Wenn er nicht will, zwingt ihn keine
Macht der Erde.« Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten, indem
sich der dreifache Vorhang aufthat, der das Schlafgemach des Königs von
allem Geräusch des Vorzimmers schied. Es war Elpidios, der griechische
Arzt, der, die schweren Falten aufhebend, berichtete, der Kranke, eben aus
langem Schlummer erwacht, habe ihn fortgeschickt, um mit dem alten
Hildebrand allein zu sein: dieser wich nie von seiner Seite.



                            Sechstes Kapitel.


Das Schlafgemach Theoderichs, schon von den Kaisern zu gleichem Zweck
benutzt, zeigte die düstre Pracht des späten römischen Stils. Die
überladenen Reliefs an den Wänden, die Goldornamentik der Decke schilderte
noch Siege und Triumphzüge der römischen Konsuln und Imperatoren:
heidnische Götter und Göttinnen schwebten stolz darüber hin: überall in
der Architektur und Dekoration waltete drückender Prunk.

Dazu bildete einen merkwürdigen Gegensatz das Lager des Gotenkönigs in
seiner schlichten Einfachheit. Kaum einen Fuß vom Marmorboden erhob sich
das ovale Gestell von rohem Eichenholz, das wenige Decken füllten. Nur der
köstliche Purpurteppich, der die Füße verhüllte, und das Löwenfell mit
goldnen Tatzen, ein Geschenk des Vandalenkönigs aus Afrika, das vor dem
Bette lag, bekundete die Königshoheit des Kranken. Alles Gerät, das sonst
das Gemach erfüllt, war prunklos, schlicht, fast barbarisch schwer.

An einer Säule im Hintergrund hing der eherne Schild und das breite
Schwert des Königs, seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Am Kopfende
des Lagers stand, gebeugten Hauptes, der alte Waffenmeister, die Züge des
Kranken sorglich prüfend: dieser, auf den linken Arm gestützt, kehrte ihm
das gewaltige, das majestätische Antlitz zu. Sein Haar war spärlich und an
den Schläfen abgerieben durch den langjährigen Druck des schweren Helmes,
aber noch glänzend hellbraun, ohne irgend graue oder weiße Spuren. Die
mächtige Stirn, die blitzenden Augen, die stark gebogene Nase, die tiefen
Furchen der Wangen sprachen von großen Aufgaben und von großer Kraft, sie
zu lösen und machten den Eindruck des Gesichts königlich und hehr: aber
die wohlwollende Weichheit des Mundes bekundete, trotz dem grimmen und
leise ergrauenden Bart, jene Milde und friedliche Weisheit, mit welcher
der König ein Menschenalter lang für Italien eine goldne Zeit
zurückgeführt und sein Reich zu einer Blüte erhoben hatte, die damals
schon Sprichwort und Sage feierten.

Lang ließ er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge auf dem riesigen
Krankenwart ruhen. Dann reichte er ihm die magre, aber nervige Rechte.
»Alter Freund,« sagte er, »nun wollen wir Abschied nehmen.«

Der Greis sank in die Knie und drückte die Hand des Königs an die breite
Brust. »Komm, Alter, steh’ auf: muß _ich dich_ trösten?«

Aber Hildebrand blieb auf den Knieen und erhob nur das Haupt, daß er dem
König ins Auge sehen konnte. »Sieh,« sprach dieser, »ich weiß, daß du,
Hildungs Sohn, von deinen Ahnen, von deinem Vater her tiefere Geheimkunde
hast von der Menschen Siechtum und Heilung, als alle diese griechischen
Ärzte und lydischen Salbenkrämer. Und vor allem: du hast mehr
Wahrhaftigkeit. Darum frage ich dich, du sollst mir redlich bestätigen,
was ich selbst fühle: sprich, ich muß sterben? heute noch? noch vor
Nacht?«

Und er sah ihn an mit einem Auge, das nicht zu täuschen war. Aber der Alte
wollte gar nicht täuschen, er hatte jetzt seine zähe Kraft wieder. »Ja,
Gotenkönig, Amalungen Erbe, du mußt sterben,« sagte er: »die Hand des
Todes hat über dein Antlitz gestrichen. Du wirst die Sonne nicht mehr
sinken sehen.«

»Es ist gut,« sagte Theoderich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Siehst du,
der Grieche, den ich fortgeschickt, hat mir noch von ganzen Tag
vorgelogen. Und ich brauche doch meine Zeit.«

»Willst du wieder die Priester rufen lassen?« fragte Hildebrand, nicht mit
Liebe. – »Nein, ich konnte sie nicht brauchen. Und ich brauche sie nicht
mehr.« – »Der Schlaf hat dich sehr gestärkt und den Schleier von deiner
Seele genommen, der sie so lang verdunkelt. Heil dir, Theoderich,
Theodemers Sohn, du wirst sterben wie ein Heldenkönig.«

»Ich weiß,« lächelte dieser, »die Priester waren dir nicht genehm an
diesem Lager. Du hast Recht. Sie konnten mir nicht helfen.« – »Nun aber,
wer hat dir geholfen?«

»Gott und ich selbst. Höre. Und diese Worte sollen unser Abschied sein!
Mein Dank für deine Treue von fünfzig Jahren sei es, daß ich dir allein,
nicht meiner Tochter, nicht Cassiodor, es vertraue, was mich gequält hat.
Sprich: was sagt man im Volk, was glaubst du, daß jene Schwermut war, die
mich plötzlich befallen und in dieses Siechtum gestürzt hat?« – »Die
Welschen sagen: Reue über den Tod des Boëthius und Symmachus.« – »Hast du
das geglaubt?« – »Nein, ich mochte nicht glauben, daß dich das Blut der
Verräter bekümmern kann.« – »Du hast wohlgethan. Sie waren vielleicht
nicht des Todes schuldig: nach dem Gesetz, nach ihren Thaten. Und Boëthius
habe ich sehr geliebt. Aber sie waren tausendfach Verräter! Verräter in
ihren Gedanken, Verräter an meinem Vertrauen, an meinem Herzen. Ich habe
sie, die Römer, höher gehalten als die Besten meines Volkes. Und sie
haben, zum Dank, meine Krone dem Kaiser gewünscht, dem Byzantiner
Schmeichelbriefe geschrieben: sie haben einen Justin und einen Justinian
der Freundschaft des Theoderich vorgezogen –: mich reut der Undankbaren
nicht. Ich verachte sie. Rate weiter! Du, was hast du geglaubt?« – »König:
dein Erbe ist ein Kind und du hast ringsum Feinde.« Der Kranke zog die
kühnen Brauen zusammen: »Du triffst näher ans Ziel. Ich habe stets gewußt,
was meines Reiches Schwäche. In bangen Nächten hab’ ich geseufzt um seine
innere Krankheit, wann ich am Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten
den Stolz höchster Zuversicht gezeigt hatte. Alter, du hast, ich weiß,
mich für allzu sicher gehalten. Aber mich durfte niemand beben sehen.
Nicht Freund noch Feind. Sonst bebte mein Thron. Ich habe geseufzt, wann
ich einsam war und meine Sorge allein getragen.« – »Du bist die Weisheit,
mein König, und ich war ein Thor!« rief der Alte. »Sieh,« fuhr der König
fort, – mit der Hand über die des Alten streichend –, »ich weiß alles, was
dir nicht recht an mir gewesen. Auch deinen blinden Haß gegen diese
Welschen kenne ich. Glaube mir, er ist blind. Wie vielleicht meine Liebe
zu ihnen war.« Hier seufzte er und hielt inne. »Was quälst du dich.« –
»Nein, laß mich vollenden. Ich weiß es, mein Reich, das Werk meines
ruhmvollen, mühevollen Lebens kann fallen, leicht fallen. Und vielleicht
durch Schuld meiner Großmut gegen diese Römer. Sei es darum! Kein
Menschenbau ist ewig und die Schuld zu edler Güte – ich will sie tragen.«

»Mein großer König!« – »Aber, Hildebrand, in einer Nacht, da ich so
wachte, sorgte und seufzte über den Gefahren meines Reiches, – da stieg
mir vor der Seele auf das Bild einer andern Schuld! Nicht der Güte, nein,
der Ruhmsucht, der blutigen Gewalt. Und wehe, wehe mir, wenn das Volk der
Goten sollte untergehn zur Strafe für Theoderichs Frevel! – _Sein_, _sein_
Bild tauchte mir empor!«

Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augenblick. »Wessen
Bild? Wen meinst du?« fragte der Alte leise, sich vorbeugend. »Odovakar!«
flüsterte der König. Hildebrand senkte das Haupt. Ein banges Schweigen
unterbrach endlich Theoderich: »Ja, Alter, diese Rechte, – du weißt es, –
hat den gewaltigen Helden durchstoßen, beim Mahl, meinen Gast. Heiß
spritzte sein Blut mir ins Gesicht und ein Haß ohne Ende sprühte auf mich
aus seinem brechenden Auge. Vor wenigen Monden, in jener Nacht, stieg sein
blutiges, bleiches, zürnendes Bild wie eines Rachegottes vor mir auf.
Fiebernd zuckte mein Herz zusammen. Und furchtbar sprach’s in mir: um
dieser Blutthat willen wird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn.«

Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand, trotzig aufblickend:
»König, was quälst du dich wie ein Weib? Hast du nicht Hunderte erschlagen
mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf dein Gebot? Sind wir nicht von
den Bergen in dies Land herabgestiegen in mehr als dreißig Schlachten, im
Blute watend knöcheltief? Was ist dagegen das Blut des einen Mannes! Und
denk’: wie es stand. Vier Jahre hatte er dir widerstanden wie der
Auerstier dem Bären. Zweimal hatte er dich und dein Volk hart an den Rand
des Verderbens gedrängt. Hunger, Schwert und Seuche rafften deine Goten
dahin. Endlich, endlich fiel das trotzige Ravenna; ausgehungert, durch
Vertrag. Bezwungen lag der Todfeind dir zu Füßen. Da kömmt dir Warnung, er
sinnt Verrat, er will noch einmal den gräßlichen Kampf aufnehmen, er will
zur Nacht desselben Tages dich und die Deinen überfallen. Was solltest du
thun? Ihn offen zu Rede stellen? War er schuldig, so konnte das nicht
retten. Kühn kamst du ihm zuvor und thatest ihm Abends, was er dir Nachts
gethan hätte. Und wie hast du deinen Sieg benützt! Die Eine That hat all’
dein Volk gerettet, hat einen neuen Kampf der Verzweiflung erspart. Du
hast all’ die Seinen begnadigt, hast Goten und Welsche dreißig Jahre leben
lassen wie im Himmelreich. Und nun willst du um jene That dich quälen?
Zwei Völker danken sie dir in Ewigkeit. Ich – ich hätt’ ihn siebenmal
erschlagen.«

Der Alte hielt inne, sein Auge blitzte, er sah wie ein zorniger Riese.
Aber der König schüttelte das Haupt.

»Das ist nichts, alter Recke, alles nichts! Hundertmal hab ich mir
dasselbe gesagt, und verlockender, feiner als deine Wildheit es vermag.
Das hilft all’ nichts. Er war ein Held, – der einzige meinesgleichen! –
Und ich hab ihn ermordet, ohne Beweis seiner Schuld. Aus Argwohn, aus
Eifersucht, ja – es muß gesagt sein, aus Furcht, – aus Furcht, noch einmal
mit ihm ringen zu sollen. Das war und ist und bleibt ein Frevel. – Und ich
fand keine Ruhe hinter Ausreden. Düstre Schwermut fiel auf mich. Seine
Gestalt verfolgte mich seit jener Nacht unaufhörlich. Beim Schmaus und im
Rat, auf der Jagd, in der Kirche, im Wachen und im Schlafen. Da schickte
mir Cassiodor die Bischöfe, die Priester. Sie konnten mir nicht helfen.
Sie hörten meine Beichte, sahen meine Reue, meinen Glauben, und vergaben
mir alle Sünden. Aber Friede kam nicht über mich und ob _sie_ mir
verziehen, – _ich_ konnte mir nicht verzeihen. Ich weiß nicht, ist es der
alte Sinn meiner heidnischen Ahnen: – aber ich kann mich nicht hinter dem
Kreuz verstecken vor dem Schatten des Ermordeten. Ich kann mich nicht
gelöst glauben von meiner blutigen That durch das Blut eines unschuldigen
Gottes, der am Kreuze gestorben.« – –

Freude leuchtete über das Antlitz Hildebrands: »Du weißt,« raunte er ihm
zu, »ich habe niemals diesen Kreuzpriestern glauben können. Sprich, o
sprich, glaubst auch du noch an Thor und Odhin? Haben sie dir geholfen?«

Der König schüttelte lächelnd das Haupt: »Nein, du alter,
unverbesserlicher Heide. Dein Walhall ist nichts für mich. Höre, wie mir
geholfen ward. Ich schickte gestern die Bischöfe fort und kehrte tief in
mich selber ein. Und dachte und flehte und rang zu Gott. Und ich ward
ruhiger. Und sieh, in der Nacht kam über mich tiefer Schlummer, wie ich
ihn seit langen Monden nicht mehr gekannt. Und als ich erwachte, da
schauerte kein Fieber der Qual mehr in meinen Gliedern. Ruhig war ich und
klar. Und dachte dieses: »Ich habe es gethan und keine Gnade, kein Wunder
Gottes macht es ungeschehen. Wohlan, er strafe mich. Und wenn er der
zornige Gott des Moses, so räche er sich und strafe mit mir mein ganzes
Haus bis ins siebente Glied. Ich weihe mich und mein Geschlecht der Rache
des Herrn. Er mag _uns_ verderben: er ist gerecht. Aber weil er gerecht
ist, _kann_ er nicht strafen dieses edle Volk der Goten um fremde Schuld.
Er _kann_ es nicht verderben um des Frevels seines Königs willen. Nein,
das wird er nicht. Und muß dies Volk einst untergehen, – ich fühl’ es
klar, dann ist es nicht um meine That. Für diese weih’ ich mich und mein
Haus der Rache des Herrn. Und so kam Friede über mich und mutig mag ich
sterben.«

Er schwieg. Hildebrand aber neigte das Haupt und küßte die Rechte, welche
Odovakar erschlagen hatte. –

»Das war mein Abschied an dich. Und mein Vermächtnis, mein Dank für ein
ganzes Leben der Treue. – Jetzt laß uns den Rest der Zeit noch diesem Volk
der Goten zuwenden. Komm, hilf mir aufstehen, ich kann nicht in den Kissen
sterben. Dort hangen meine Waffen. Gieb sie mir! – Keine Widerrede –! Ich
will. Und ich kann.«

Hildebrand mußte gehorchen: rüstig erhob sich mit seiner Hilfe der Kranke
von dem Lager, schlug einen weiten Purpurmantel um die Schultern, gürtete
sich mit dem Schwert, setzte den niedern Helm mit der Zackenkrone auf das
Haupt und stützte sich auf den Schaft der schweren Lanze, den Rücken gegen
die breite dorische Mittelsäule des Gemaches gelehnt.

»So, jetzt rufe meine Tochter. Und Cassiodor. Und wer sonst da draußen.«



                            Siebentes Kapitel.


So stand er ruhig, während der Alte die Vorhänge an der Thür zu beiden
Seiten zurückschlug, so daß Schlafzimmer und Vorhalle nunmehr Einen
ungeschiedenen Raum bildeten. Alle draußen Versammelten – es hatten sich
inzwischen noch mehrere Römer und Goten eingefunden – näherten sich mit
Staunen und ehrfürchtigem Schweigen dem König.

»Meine Tochter,« sprach dieser, »sind die Briefe aufgesetzt, die meinen
Tod und meines Enkels Thronfolge nach Byzanz berichten sollen?«

»Hier sind sie,« sprach Amalaswintha.

Der König durchflog die Papyrusrollen.

»An Kaiser Justinus. Ein zweiter: an seinen Neffen Justinianus. Freilich,
der wird bald das Diadem tragen und ist schon jetzt der Herr seines Herrn!
Cassiodor hat sie verfaßt – ich sehe es an den schönen Gleichnissen. Aber
halt« – und die hohe klare Stirn verdüsterte sich – »eurem kaiserlichen
Schutze meine Jugend empfehlend.« Schutze? Das ist des Guten zu viel.
Wehe, wenn ihr auf Schutz von Byzanz gewiesen seid. _Freundschaft_ mich
empfehlend ist genug von dem Enkel Theoderichs.« Und er gab die Briefe
zurück. »Und hier ein drittes Schreiben nach Byzanz? An wen? An Theodora,
die edle Gattin Justinians? Wie! an die Tänzerin vom Cirkus? Des
Löwenwärters schamlose Tochter?« Und sein Auge funkelte. »Sie ist von
größtem Einfluß auf ihren Gemahl,« wandte Cassiodor ein. – »Nein, meine
Tochter schreibt an keine Dirne, die aller Weiber Ehre besudelt hat.« Und
er zerriß die Papyrusrolle und schritt über die Stücke zu den Goten im
Mittelgrund der Halle. »Witichis, tapferer Mann, was wird dein Amt sein
nach meinem Tod?«

»Ich werde unser Fußvolk mustern zu Tridentum.«

»Kein Bessrer könnte das. Du hast noch immer nicht den Wunsch gethan, den
ich dir damals freigestellt nach der Gepidenschlacht. Hast du noch immer
nichts zu wünschen?«

»Doch, mein König.«

»Endlich! Das freut mich, – sprich.« – »Heute soll ein armer Kerkerwart,
weil er sich weigerte, einen Angeklagten zu foltern und nach dem Liktor
schlug, selbst gefoltert werden. Herr König, gieb den Mann frei: das
Foltern ist schändlich und –«

»Der Kerkerwart ist frei und von Stund an wird die Folter nicht mehr
gebraucht im Reich der Goten. Sorg dafür, Cassiodorus. Wackrer Witichis,
gieb mir die Hand. Auf daß alle wissen, wie ich dich ehre, schenk ich dir
Wallada, mein lichtbraun Edelroß, zu Gedächtnis dieser Scheidestunde. Und
kommst du je auf seinen Rücken in Gefahr, oder« – hier sprach er ganz
leise zu ihm – »will es versagen, flüstre dem Roß meinen Namen ins Ohr. –
Wer wird Neapolis hüten? Der Herzog Thulun war zu rauh. – Das fröhliche
Volk dort muß durch fröhliche Mienen gewonnen werden.«

»Der junge Totila wird dort die Hafenwache übernehmen,« sprach Cassiodor.

»Totila! Ein sonniger Knabe! Ein Siegfried, ein Götterliebling! Ihm können
die Herzen nicht widerstehen. Aber freilich! Die Herzen dieser Welschen!«
Er seufzte und fuhr fort: Wer versichert uns Roms und des Senats?«
»Cethegus Cäsarius,« sagte Cassiodor mit einer Handbewegung, »dieser edle
Römer.« – »Cethegus? Ich kenne ihn wohl. Sieh mich an, Cethegus.« Ungern
erhob der Angeredete die Augen, die er vor dem großen Blick des Königs
rasch niedergeschlagen. Doch hielt er jetzt das Adlerauge, das seine Seele
durchdrang, ruhig aus, mit dem Aufgebot aller Kraft. »Es war krank,
Cethegus, daß ein Mann von deiner Art sich solang vom Staat fern gehalten.
Und von uns. Oder es war gefährlich. Vielleicht ist es noch gefährlicher,
daß du dich – jetzt – dem Staat zuwendest.« – »Nicht mein Wunsch, o
König.«

»Ich bürge für ihn,« rief Cassiodor. – »Still, Freund! Auf Erden mag
keiner für den andern bürgen! – Kaum für sich selbst! – Aber,« fuhr er
forschenden Blickes fort, »an die Griechlein wird dieser stolze Kopf –
dieser Cäsarkopf – Italien nicht verraten.«

Noch einen scharfen Blick aus den goldnen Adleraugen mußte Cethegus
tragen. Dann ergriff der König plötzlich den Arm des nur mit Mühe noch
fest in sich geschlossenen Mannes und flüsterte ihm zu: »Höre, was ich dir
warnend weissage. Es wird kein Römer mehr gedeihen auf dem Thron des
Abendlands. Still, kein Widerwort. Ich habe dich gewarnt. – – Was lärmt da
draußen?« fragte er, rasch sich wendend, seine Tochter, die einem
meldenden Römer leisen Bescheid erteilte. »Nichts, mein König, nichts von
Bedeutung, mein Vater!« – »Wie? Geheimnisse vor mir? Bei meiner Krone!
Wollt ihr schon herrschen, so lang ich noch atme? Ich vernahm den Laut
fremder Zungen da draußen. Auf die Thüren!« Die Pforte, welche die äußere
Halle mit dem Vorzimmer verband, öffnete sich.

Da zeigten sich unter zahlreichen Goten und Römern kleine fremd aussehende
Gestalten, in seltsamer Tracht, mit Wämsern aus Wolfsfell, mit spitz
zulaufenden Mützen und langen zottigen Schafspelzen, die über ihren Rücken
hingen. Überrascht und bewältigt von dem plötzlichen Anblick des Königs,
der hochaufgerichtet auf sie zuschritt, sanken die Fremden wie vom Blitz
getroffen auf die Kniee.

»Ah, Gesandte der Avaren. Das räuberische Grenzgesindel an unsern
Ostmarken! Habt ihr den schuldigen Jahrestribut?« – »Herr, wir bringen ihn
noch für diesmal – Pelzwerk, – wollne Teppiche, – Schwerter, – Schilde. –
Da hangen sie, – dort liegen sie. Aber wir hoffen, daß für nächstes Jahr –
wir wollten sehn« – »Ihr wolltet sehen, ob der greise Dieterich von Bern
nicht altersschwach geworden? Ihr hofftet, ich sei tot? Und meinem
Nachfolger könntet ihr die Schatzung weigern? Ihr irrt, Späher!« Und er
ergriff wie prüfend eines der Schwerter, welche die Gesandten vor ihm
ausgebreitet, samt der Scheide, nahm es mit zwei Händen fest an Griff und
Spitze: – ein Druck und in zwei Stücken warf er ihnen das Eisen vor die
Füße. »Schlechte Schwerter führen die Avaren,« sagte er ruhig. »Und nun
komm, Athalarich, meines Reiches Erbe. Sie wollen dir nicht glauben, daß
du meine Krone tragen kannst: zeig ihnen, wie du meinen Speer führest.«

Der Jüngling flog herbei. Die Gluthitze des Ehrgeizes zuckte über sein
bleiches Antlitz. Er ergriff den schweren Speer seines Großvaters und
schleuderte ihn mit solcher Kraft auf einen der Schilde, welche die
Gesandten an die Holzpfeiler der Halle gelehnt, daß er ihn sausend
durchbohrte und die Spitze noch tief in das Holzwerk drang. Stolz legte
der König die Linke auf das Haupt seines Enkels und rief den Gesandten zu:
»Jetzt geht, daheim zu melden was ihr hier gesehen.«

Er wandte sich, die Pforten fielen zu und schlossen die staunenden Avaren
aus. »Gebt mir einen Becher Wein. – Leicht den letzten! Nein,
ungemischten! Nach Germanen Art!« – und er wies den griechischen Arzt
zurück – »Dank, alter Hildebrand, für diesen Trunk, so treu gereicht. Ich
trinke der Goten Heil.« Er leerte langsam den Pokal. Und er setzte ihn
noch fest auf den Marmortisch.

Aber da kam es über ihn, plötzlich, blitzähnlich, was die Ärzte lang
erwartet: er wankte, griff an die Brust und stürzte rücklings in die Arme
Hildebrands, der langsam niederknieend ihn auf den Marmorestrich gleiten
ließ, und das Haupt mit dem Kronhelm auf den Armen hielt.

Einen Augenblick hielten alle lauschend den Atem an: aber der König regte
sich nicht und laut aufschreiend warf sich Athalarich über die Leiche.



                              Zweites Buch.


                               ATHALARICH.


                      »Wo wär’ die sel’ge Insel wohl zu finden?«
                                Schiller, Wilhelm Tell.
                                III. Aufzug. 2. Scene.



                             Erstes Kapitel.


Nicht ohne Grund fürchtete und hoffte Freund und Feind in diesem
Augenblick schwere Gefahren für das junge Gotenreich. Noch waren es nicht
vierzig Jahre, daß Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem
Volk den Isonzo überschritten und dem tapfern Abenteurer Odovakar, den ein
Aufstand der germanischen Söldner auf den Thron des Abendlands erhoben,
Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Größe des Königs hatte
nicht die Unsicherheit beseitigen können, die in der Natur seiner mehr
kühnen als besonnenen Schöpfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung
fühlten die Italier – und wir wollen uns hüten, solche Gesinnung zu
verdammen – aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese
Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhaßt. Nach der Auffassung
jener Zeit galten das weströmische und das oströmische Reich als eine
unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwürde im Occident erloschen,
erschien der oströmische Kaiser als der einzige rechtmäßige Herr des
Abendlands. Nach Byzanz also waren die Augen aller römischen Patrioten,
aller rechtgläubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz
erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen.
Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfüllen. Waren auch
die Unterthanen des Imperators nicht mehr die Römer Cäsars oder Trajans: –
noch gebot das Ostreich über eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle
Mittel der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich
überlegene Macht.

An der Lust aber, diese Überlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches
zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhältnis beider Staaten
von vornherein auf Überlistung, Mißtrauen und geheimen Haß gegründet war.
Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donauländern
angesiedelt, an Byzanz ein für beide Teile unerfreuliches Bundesverhältnis
geknüpft, das in Folge des Ehrgeizes ihrer Könige, mehr noch der
Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offnen Krieg zwischen
den ungleichartigen Verbündeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich,
obwohl in Zeiten der Aussöhnung mit den höchsten Ehren des Reiches, mit
den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine
Waffen bis vor die Thore der Kaiserstadt getragen.

Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein
feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den
lästigen Gotenkönig mit seinem Volk dadurch aus der gefährlichen
Nachbarschaft zu entfernen, daß er ihm als ein Danaërgeschenk Italien
übertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odovakar entrissen werden
mußte.

In der That, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fürsten
enden mochte: Byzanz mußte immer gewinnen. Siegte Odovakar, so waren die
Goten und ihr furchtbarer König, denen man schöne Provinzen und schwere
Jahrgelder hatte überlassen müssen, für immer beseitigt. Siegte
Theoderich, nun, so war ein Anmaßer, den man zu Byzanz niemals anerkannt
hatte, gestürzt und gestraft: und da Theoderich im Namen und Auftrag des
Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle
Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt.

Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwünschte. Denn als
Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegründet hatte, entfaltete
sich alsbald die ganze Großartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine
Stellung, in der, bei aller Höflichkeit in den Formen, doch jede
Abhängigkeit von Byzanz völlig verschwand.

Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwächen,
berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber
herrschte er auch über die Italier wie über seine Goten nicht als
Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts,
kraft seines Sieges, als »König der Goten und Italier«. Dies führte
natürlich zu Mißhelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt in offnen
Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel,
daß man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des
Barbarenjoches ein Ende zu bringen, so wie man sich stark genug fühlte.
Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und äußern
Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der
Verschwägerung mit allen Germanenfürsten hatten ihm doch nur eine Art
moralischen Protektorats, keine sichre Verstärkung seiner Macht
verschaffen können.

Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persönlichkeit allzuverwegen
und vertrausam mitten in das Herz der römischen Bildungswelt gepflanzt
hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten
Volkskräften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen,
der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjüngt
und wenigstens dessen nordöstliche Teile vor der mit der Romanisierung
verbundenen Fäulnis bewahrt hatte, während die kleine gotische Insel, auf
allen Seiten von den feindlichen Wellen des römischen Lebens umspült und
benagt, diesen gegenüber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz.

So lange Theoderich, der gewaltige Schöpfer dieses gewagten Werkes lebte,
blendete der Glanz seines Namens über die Gefahren und Blößen seiner
Schöpfung.

Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses
gefährdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Jünglings
übergehen sollte: Aufstände der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall
der unterworfnen, Angriffe der feindlichen Barbarenstämme waren zu
besorgen. Wenn der gefährliche Augenblick gleichwohl ruhig vorüberging, so
war dies vor allem der unermüdlich eifrigen und vorsorglichen Thätigkeit
zu danken, die Cassiodor, des Königs Freund und lang bewährter Minister,
schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs,
verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest
erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner
Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Thatsache
Italien und den Provinzen verkündete. Sofort auch wurden in alle Teile des
Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevölkerung
entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Königs eidlich geloben
sollten, daß die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und
Provinzialen achten und in allen Stücken die Milde, ja Vorliebe des großen
Toten für seine römischen Unterthanen zum Muster nehmen werde.

Gleichzeitig wurde aber auch dafür gesorgt, daß eine Furcht gebietende
Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten
oder unruhigsten Städten des Reiches äußeren und inneren Gegnern die Lust
zu Feindseligkeiten vertreibe, während mit dem Kaiserhof das gute
Vernehmen durch Gesandtschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung
befestigt oder erneuert wurde.



                             Zweites Kapitel.


Neben Cassiodor war es nun aber vor allen Ein Mann, der in jenen Tagen des
Übergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien,
hochverdienstliche Rolle spielte.

Das war kein andrer als Cethegus.

Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpräfekten von Rom übernommen. Er war,
sowie der König die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und
den Thoren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und
dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen.

Sofort, noch eh’ der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem
»Senatus«, d. h. dem geschaffenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus
Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebäude mit
gotischen Truppen umstellt, die überraschten Senatoren – von denen er gar
manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der
Barbaren angefeuert hatte – von dem bereits vollzognen Thronwechsel
benachrichtigt und, (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich
sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte,) mit
einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit für Athalarich in Eid und
Pflicht genommen.

Dann verließ er den »Senatus«, wo er die Väter eingeschlossen hielt, bis
er in dem flavischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der
Römer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung
abgehalten und die leicht beweglichen »Quiriten« durch eine meisterhafte
Rede für den jungen König begeistert hatte. Er zählte die Wohlthaten
Theoderichs auf, verhieß gleiche Milde von dessen Enkel, der übrigens
bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vätern dieser Stadt
anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des römischen Volkes mit
Brot und Wein als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloß
mit der Verkündung siebentägiger Cirkusspiele, – Wettfahrten mit
einundzwanzig spanischen Viergespannen – mit welchen er selbst die
Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Präfektur feiern werde.

Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres
Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in
heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und
die ewige Stadt war für die Goten erhalten. Der Präfekt aber eilte nach
seinem Hause am Fuß des Kapitols, schloß sich ein und schrieb eifrig
seinen Bericht an die Regentin. –

Jedoch ungestüm pochte es alsbald an der ehernen Vorthür des Hauses. Es
war Lucius Licinius, der junge Römer, den wir in den Katakomben kennen
gelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, daß das Haus
dröhnte. Ihm folgten Scävola, der Jurist, – er war unter den Eingesperrten
gewesen – mit schwer gefurchter Stirn und Silverius, der Priester, mit
zweifelnder Miene.

Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Thüre durch eine verborgne Luke in
der Mauer und ließ, als er Licinius erkannte, die Männer ein. Heftig
stürmte der Jüngling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das
Vestibulum, das Atrium und dessen Säulengang in das Studierzimmer des
Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich
von dem Lectus, auf den hingestreckt er schrieb, und verschloß seine
Briefe in einer Capsula mit silberner Kuppel. »Ah, die
Vaterlandsbefreier!« sagte er lächelnd und trat ihnen entgegen.

»Schändlicher Verräter!« schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert: –
der Zorn ließ ihn nicht weiter sprechen, er zückte halb das breite Eisen
aus der Scheide.

»Halt, erst laß ihn sich verteidigen, wenn er kann,« keuchte, dem
Stürmischen in den Arm fallend, Scävola, der jetzt nachgekommen war. »Es
ist unmöglich, daß er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche,«
sprach Silverius im Eintreten.

»Unmöglich?« lachte Licinius, »wie? seid ihr toll oder bin ich’s? Hat er
nicht uns, die Ritter, in ihren Häusern festhalten lassen? Hat er nicht
die Thore gesperrt und den Pöbel für den Barbaren vereidigt?« – »Hat er
nicht,« sprach Cethegus fortfahrend, »die edeln Väter der Stadt,
dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Mäuse in der Mausfalle
gefangen, dreihundert hochadlige Mäuse?« – »Er höhnt uns noch! Wollt ihr
das dulden?« rief Licinius. Und Scävola erbleichte vor Zorn. »Nun, und was
hättet ihr gethan, wenn man euch hätte handeln lassen?« fragte der Präfekt
ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. »Was wir gethan hätten?«
antwortete Licinius, »was wir – was du mit uns hundertmal verabredet!
Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, hätten wir die
Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln
ernannt –« – »Namens Licinius und Scävola, das ist die Hauptsache. Nun,
und dann? was dann?« – »Was dann? die Freiheit hätte gesiegt!«

»Die Thorheit hätte gesiegt!« herrschte Cethegus losbrechend den
Erschrocknen an. »Wie gut, daß man euch die Hände band: ihr hättet alle
Hoffnung erwürgt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knien!« Er
nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten.
»Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um
den Nacken Roms geschürzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem
Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem salarischen Thor im
Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Süden
die Tibermündung, und gegen das Grabmal Hadrians und das aurelische Thor
war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Hättet
ihr heute früh einem Goten ein Haar gekrümmt, was wäre geschehen?«

Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschämt. Doch faßte
sich Licinius: »Wir hätten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern,«
sprach er, mutig das schöne Haupt aufwerfend. – »Ja. So wie ich diese
Mauern herstellen werde – eine Ewigkeit, mein Licinius: wie sie jetzt sind
– nicht einen Tag.« – »So wären wir gestorben als freie Bürger,« sprach
Scävola. »Das hättet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt,«
lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offnen Armen, wie um ihn
zu küssen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: »Du hast uns alle, du
hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!«
sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Präfekten, die
dieser ihm willig ließ:

»Ich habe an dir gezweifelt,« rief er mit schöner Offenheit, »vergieb, du
großer Römer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es
fortan für ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine
Konsuln, dann _salve_, Diktator Cethegus!« Und mit leuchtenden Augen eilte
er hinaus. Der Präfekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. »Diktator,
ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!« sprach der Jurist
und folgte ihm. »Jawohl,« lächelte Cethegus, »dann wecken wir Camillus und
Brutus wieder auf und führen die Republik da fort, wo sie diese vor
tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?« – »Präfekt von Rom,«
sprach der Priester, »du weißt, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des
Vaterlands wie der Heiligen zu leiten: ich hab’ ihn nicht mehr seit dieser
Stunde. Dein sei die Führung, ich folge. Gelobe nur das Eine: Freiheit der
römischen Kirche – freie Papstwahl.« – »Jawohl,« sagte Cethegus, »sowie
nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt.« – Der Priester schied mit
einem Lächeln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. »Geht,«
sagte Cethegus nach einer Pause, den Dreien nachblickend, »ihr werdet
keinen Tyrannen stürzen: – ihr braucht einen Tyrannen!« Dieser Tag, diese
Stunde wurden entscheidend für Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er
durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen,
zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder
doch nie als mehr denn Träume, die er sich als Ziele eingestanden hatte.

Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er
hatte die beiden großen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre
Feinde, die Verschwornen, völlig in seiner Hand. Und in der Brust dieses
gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten für
gelähmt erachtet, plötzlich wieder in mächtigste Thätigkeit gesetzt: der
unbegrenzte Drang, ja das Bedürfnis, _zu herrschen_, machte sich mit einem
Male alle Kräfte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu
heftiger Bewegung.

Cornelius Cethegus Cäsarius war der Abkömmling eines alten und unermeßlich
reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr
und Staatsmann Cäsars in den Bürgerkriegen gegründet: – man sagte, er sei
ein Sohn des großen Diktators gewesen. – Unser Cethegus hatte von der
Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und
durch seine gewaltigen Reichtümer die Mittel erhalten, jene aufs
großartigste zu entfalten, diese aufs großartigste zu befriedigen. Er
empfing die sorgfältigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms
gegeben werden konnte.

Er übte sich bei den ersten Lehrern in den schönen Künsten. Er trieb zu
Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glänzenden
Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie.

Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fühlte den Hauch des Verfalls in
aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondre
vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstören, ohne ihm
irgend welche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewähren. Als er
von seinen Studien zurückkam, führte ihn sein Vater nach der Sitte der
Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glänzend Begabte von Amt zu
Amt.

Aber plötzlich sprang er aus.

Nachdem er die Staatsgeschäfte zur Genüge kennen gelernt, mochte er nicht
länger ein Rad in der großen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit
ausschloß und obenein dem Barbarenkönig diente. Da starb sein Vater und
Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuern Vermögens
geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten
Strudel des Lebens, des Genusses, der Lüste. Mit Rom war er bald fertig:
da machte er große Reisen nach Byzanz, nach Ägypten, bis nach Indien drang
er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuß,
den er nicht schlürfte. Nur ein stählerner Körper konnte die
Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser
Fahrten ertragen.

Nach zwölf Jahren kehrte er zurück nach Rom.

Es hieß, er werde großartige Bauten aufführen; man freute sich, das
üppigste Leben in seinen Häusern und Villen beginnen zu sehen, man
täuschte sich sehr.

Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuß des Kapitols, bequem und
von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein
Einsiedler.

Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine
Charakterisierung der wenig bekannten Völker und Länder, die er besucht.
Das Buch hatte unerhörten Erfolg; Cassiodor und Boëthius warben um seine
Freundschaft, der große König wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber
plötzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen
Tagen betroffen haben mußte, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der
Teilnahme, der Schadenfreude verborgen.

Man erzählte sich damals, arme Fischer hätten ihn eines Morgens am Ufer
des Tibers vor den Thoren der Stadt, bewußtlos und dem Tode nah, gefunden.

Wenige Wochen später tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in
den unwirtlichen Donauländern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit
Avaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender
Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen,
von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen,
schlief alle Nächte auf der gefrornen Erde. Und als der gotische Feldherr
ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt
dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit
nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluß
machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von
da nach Rom zurück und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Muße und
Zurückgezogenheit, alle kriegerischen, bürgerlichen, wissenschaftlichen
Ämter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er
schien für nichts mehr Interesse zu haben, als für seine Studien.

Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schönen
Jüngling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und väterliche
Liebe und Sorgfalt erwies. Es hieß, er wolle ihn adoptieren: solange
dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus,
lud die adlige Jugend Roms zu glänzenden Festen in seine Villen und war
bei den Gegeneinladungen, die er alle annahm, der liebenswürdigste
Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem
stattlichen Gefolge von Pädagogen, Freigelassenen und Sklaven nach
Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er plötzlich
wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche
Abgeschlossenheit zurück, grollend wie es schien mit Gott und der ganzen
Welt. Mit schwerer Mühe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen,
ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der
Katakombenverschwörung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot
aus eitel Langweile. Und in der That, bis zu dem Tod des Königs hatte er
das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag,
fast mit Abneigung betrieben.

Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang in allen
möglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu
überwinden, alle Nebenbuhler zu überflügeln, in jedem Lebenskreise, den er
betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den
Siegeskranz genommen, ihn gleichgültig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben
auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden
lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuß, Amtsehre, Kriegsruhm: – alles hatte
ihn gereizt, alles hatte er wie kein andrer gewonnen und alles hatte ihn
leer gelassen. Herrschen, der erste sein, über widerstrebende Verhältnisse
mit allen Mitteln überlegner Kraft und Klugheit siegen und dann über
knirschende Menschen ein ehernes Regiment führen, das allein hatte er
unbewußt und bewußt von jeher erstrebt: nur darin fühlte er sich wohl.

In stolzen, vollen Atemzügen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust:
er, der Eisigkalte, erglühte in dem Gedanken, daß er über die beiden
großen feindlichen Mächte der Zeit, Goten und Römer, heute mit einem
Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefühl der Herrschaft
stieg ihm mit dämonischer Gewalt die Überzeugung empor, daß es für ihn und
seinen Ehrgeiz nur noch Ein Ziel gab, welches das Leben der Mühe des
Lebens wert machen könne, nur noch Ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem
andern unerreichbares: – er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Cäsar
und er fühlte das Blut Cäsars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken:
– Cäsar, Imperator des Abendlands, Kaiser der römischen Welt! – – – –

Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte, –
kein Gedanke, – kein Wunsch, – nur ein Schatte, ein Traum, – erschrak er
und lächelte zugleich über seine unermeßliche Kühnheit. Er Kaiser und
Wiederaufrichter des römischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem
Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der größte aller
Barbarenkönige, dessen Ruhm die Erde erfüllte, saß gewaltig herrschend zu
Ravenna. Und wenn die Macht der Goten gebrochen war, so streckten die
Franken über die Alpen, die Byzantiner übers Meer die gierigen Hände nach
der italienischen Beute, zwei große Reiche gegen ihn, den einzelnen
Mann! –

Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie
bitter verachtete er seine Landsleute, die unwürdigen Enkel großer Ahnen!
Wie lachte er der Schwärmerei eines Licinius oder Scävola, die mit diesen
Römern die Tage der Republik erneuern wollten!

Er stand allein.

Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem
Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine
Überlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war,
gerade jetzt schoß in seiner Brust was früher ein schmeichelnd Spiel
seiner träumenden Stunden gewesen mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken,
zum festen Entschluß empor.

Die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, mit starken Schritten, wie ein
Löwe seinen Käfig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen
Sätzen zu sich selbst:

»Mit einem tüchtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen
und Franken nicht hereinlassen: – das wäre nicht schwer, das könnte ein
andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Männern ohne Mark und
Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese
Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Römern, diese Knechte der
Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: – das, das ist der
Mühe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen,
allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht
seines Geistes: – das hat noch kein Sterblicher vollbracht: – das ist
größer als Cäsar: er führte Legionen von Helden! Und doch, es kann gethan
werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der’s denken konnte, ich
kann’s auch thun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafür verlohnt sich’s zu
denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: – keinen
Gedanken mehr und kein Gefühl als für dies Eine.«

Er stand still vor der Kolossalstatue Cäsars aus weißem parischem Marmor,
die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der
Familientradition von Julius Cäsar selbst dem Sohne geschenkt, das
Heiligtum dieses Hauses, gegenüber dem Schreibdivan stand:

»Hör’ es, göttlicher Julius, großer Ahnherr, es lüstet deinen Enkel, mit
dir zu ringen: es giebt noch ein Höheres als du erreicht: schon fliegen
nach einem höheren Ziel als du, ist unsterblich und fallen, fallen aus
solcher Höhe: – das ist der herrlichste Tod. Heil mir, daß ich wieder
weiß, warum ich lebe.«

Er schritt an der Bildsäule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem
Tisch aufgerollte Militärkarte des römischen Weltreichs:

»Erst diese Barbaren zertreten –: Rom! – Dann den Norden wieder
unterwerfen –: Paris! – Dann zum alten Gehorsam unter die alte
Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen –: Byzanz! Und weiter,
immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros – und
zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber – die Bahn,
welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. – Und so größer
als du, größer als Alexander – o halt, Gedanke, halt ein!«

Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an
den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust
Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute.



                             Drittes Kapitel.


Aber nicht nur für Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung,
auch für die Verschwörung in den Katakomben, für Italien und das Reich der
Goten.

Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Häuptern, die
über die Mittel, ja sogar über die Zwecke ihrer Pläne nicht immer einig
waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies
anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser
Partei, da Cethegus die Führung in die kräftige Hand nahm.

Unbedingt hatten sich die bisherigen Häupter des Bundes, – sogar, wie es
schien, Silverius – dem Präfekten untergeordnet, der seine Überlegenheit
so mächtig bewährt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte.

Erst von jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaft gefährlich.

Unermüdlich war Cethegus beschäftigt, die Macht und Sicherheit ihres
Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner großen Kunst, die
Menschen zu durchschauen, zu gewinnen und zu beherrschen wußte er die Zahl
bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu
vermehren.

Aber er wußte auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der
gotischen Regierung zu vermeiden, andrerseits jede unzeitige Erhebung der
Verschwornen zu verhindern. Denn ein Leichtes wär’ es freilich gewesen,
plötzlich an Einem Tage in allen Städten der Halbinsel die Barbaren zu
überfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner, die längst
hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit
hätte der Präfekt seine geheimen Pläne nicht hinausgeführt. Er hätte nur
an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt.

Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel.

Um dies zu erreichen, mußte er sich zuvor in Italien eine Machtstellung
schaffen, wie sie kein andrer besaß.

Er mußte, wenn auch nur im stillen, der mächtigste Mann im Lande sein, ehe
der Fuß eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge
mußten soweit vorbereitet sein, daß die Barbaren von Italien, das hieß von
Cethegus, allein, mit möglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben
würden, so daß nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die
Herrschaft über das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunächst nur
als Statthalter, zu überlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlaß gewonnen,
den Nationalstolz der Römer gegen die Herrschaft der »Griechlein«, wie man
die Byzantiner verächtlich nannte, aufzureizen.

Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des großen Konstantin,
der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der
goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Scepter von den Söhnen des
Romulus auf die Griechen übergegangen schien, obwohl das Ost- und das
Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenüber Einen Staat der antiken
Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den
Römern verhaßt und verächtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das
gedemütigte Hellas für eine Freigelassene Roms erklärt hatte: der alte Haß
war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und
der Hilfe ganz Italiens gewiß, der nach Vertreibung der Barbaren auch die
Byzantiner aus dem Lande weisen würde: die Krone von Rom, die Krone des
Abendlands war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte
Nationalgefühl wieder zum Angriffskrieg über die Alpen zu treiben, wenn
Cethegus auf den Trümmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die
Herrschaft des römischen Imperators über das Abendland wieder aufgerichtet
hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kühn, auch das losgerissene
Ostreich zurückzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die
Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzuführen, wo sie Trajan und
Hadrian gelassen. –

Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, mußte jeder nächste
Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit größter Vorsicht geschehen:
jedes Straucheln mußte für immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als
Kaiser zu beherrschen, mußte Cethegus vor allem Rom haben: denn nur an Rom
ließen sich jene Gedanken knüpfen. Deshalb wandte der neue Präfekt höchste
Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und
physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehörig und
unentreißbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die
Pflicht des Präfectus Urbi, für das Wohl der Bevölkerung, für Erhaltung
und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die
Rechte, die in dieser Pflicht lagen, für seine Zwecke auszubeuten: leicht
hatte er alle Stände für sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt
der Katakombenverschwörung, über die Geistlichkeit herrschte er durch
Silverius, der die rechte Hand und der von der öffentlichen Stimme
bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Präfekten eine
diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedre Volk
aber fesselte er an seine Person nicht nur durch vorübergehende
Brotspenden und Cirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch großartige
Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt
– auf Kosten der gotischen Regierung – verschafften.

Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die
seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz
römischer Bauherren vielmehr als durch westgotische und vandalische
Eroberer gelitten hatten, vollständig und rasch wieder herzustellen, »zur
Ehre der ewigen Stadt und, – wie sie wähnte, – zum Schutz gegen die
Byzantiner«.

Cethegus selbst hatte – und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen
Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem
Feldherrnblick, – den Plan der großartigen Werke entworfen. Und er betrieb
nun mit größtem Eifer das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten
Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die
Tausende von Arbeitern, die wohl wußten, wem sie diese reich bezahlte
Beschäftigung verdankten, jubelten dem Präfekten zu, wenn er auf den
Schanzen sich zeigte, prüfte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand
anlegte. Und die getäuschte Fürstin wies eine Million Solidi nach der
andern an für einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes
zerschellen und verbluten sollte.

Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen
der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebäude, von Hadrian
aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel
zusammengefügt waren, aufgeführt, lag damals einen Steinwurf vor dem
aurelischen Thor, dessen Mauerseiten es weit überragte. Mit scharfem Auge
hatte Cethegus erkannt, daß das unvergleichlich feste Gebäude, in seiner
bisherigen Lage ein Festungswerk _gegen_ die Stadt, sich durch ein
einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk _für_ die Stadt verwandeln ließ: er
führte vom aurelischen Thor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun
bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze für das aurelische
Thor, um so mehr als der Tiber knapp davor einen natürlichen
Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum
Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen
dreihundert der schönsten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der
Divus Hadrianus selbst, sein schöner Liebling Antinous, ein Zeus Soter,
die Pallas »Städtebeschirmerin«, ein schlafender Faun und viele andere.

Cethegus freute sich seines Gedankens und liebte diese Stätte, wo er
allabendlich zu wandeln pflegte, sein Rom mit dem Blick beherrschend und
den Fortschritt der Schanzarbeiten prüfend: und er hatte deshalb eine
reiche Zahl von schönen Statuen aus seinem Privatbesitz hier noch
aufstellen lassen.



                             Viertes Kapitel.


Vorsichtiger mußte Cethegus bei Ausführung einer zweiten, für seine Ziele
nicht minder unerläßlichen Vorbereitung sein. Um selbständig in Rom, in
_seinem_ Rom, wie er es, als Stadtpräfekt, zu nennen liebte, den Goten und
nötigenfalls den Griechen trotzen zu können, bedurfte er nicht bloß der
Wälle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunächst an
Söldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte,
Staatsmänner und Feldherren häufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar
und dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch
früher auf seinen Reisen in Asien angeknüpfte Verbindungen und bei seinen
reichen Schätzen tapfre Scharen der wilden isaurischen Bergvölker, die in
jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts
spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch
zwei sehr eng gezogne Schranken.

Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine für andre Zwecke
unentbehrlichen Mittel zu erschöpfen, doch immer nur verhältnismäßig
kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und
ferner war es unmöglich, diese Söldner, ohne den Verdacht der Goten zu
wecken, in größerer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln,
paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und
vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in
seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschäftigte sie
als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom.

Schließlich mußten doch die Römer Rom erretten und beschützen und all
seine ferneren Pläne drängten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen
zu gewöhnen.

Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer
ausgeschlossen – nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlässig
Erachteten wurden gemacht – und in den unruhigen letzten Zeiten seines
Regiments während des Prozesses gegen Boëthius ein Gebot allgemeiner
Entwaffnung der Römer erlassen.

Letzteres war freilich nie streng durchgeführt worden: aber Cethegus
konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den
entschiednen Willen ihres großen Vaters und gegen das offenbare Interesse
der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italien zu bilden.

Er begnügte sich, ihr vorzustellen, daß sie durch ein ganz unschädliches
Zugeständnis sich das Verdienst erwirken könne, jene gehässige Maßregel
Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben und schlug ihr vor, ihm
zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der römischen Bürgerschaft als
Schutzwache Roms rüsten, einüben und immer unter den Waffen gegenwärtig
halten zu dürfen: die Römer würden ihr schon für diesen Schein, daß die
ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehütet werde, unendlich dankbar
sein. Amalaswintha, begeistert für Rom und nach der Liebe der Römer als
ihrem schönsten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung und Cethegus fing
an seine »Landwehr«, wie wir sagen würden, zu bilden. Er rief in einer wie
Trompetenschall klingenden Proklamation »die Söhne der Scipionen zu den
alten Waffen zurück,« er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu
»römischen Rittern« und »Kriegstribunen«: er verhieß jedem Römer, der sich
freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fürstin
bestimmten Soldes: er hob aus den Tausenden, die sich daraus
herbeidrängten die Tauglichsten aus; er rüstete die Ärmeren aus, schenkte
denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und
spanische Schwerter aus seinen eignen Sammlungen und – was das Wichtigste
– er entließ regelmäßig sobald als möglich die hinlänglich Eingeübten mit
Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so daß, obwohl in
jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand,
doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeübte Römer zur
Verfügung ihres vergötterten Führers standen.

Während so Cethegus an seiner künftigen Residenz baute und seine künftigen
Prätorianer heranbildete, vertröstete er den Eifer seiner Mitverschwornen,
die unablässig zum Losschlagen drängten, auf den Zeitpunkt der Vollendung
jener Vorbereitungen, den er natürlich allein bestimmen konnte. Zugleich
unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort mußte er sich einer Hilfe
versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem
Kampfplatz erscheinen könnte, die aber andrerseits auch nicht, ehe er sie
rief, auf eigne Faust oder mit einer Stärke erschiene, die nicht leicht
wieder zu entfernen wäre.

Er wünschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein großer
Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu
unterstützen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen
im Lande bleiben zu können. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser
Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch
des Präfekten sich gestaltete. Daneben war gegenüber den Goten, die zur
Zeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus
bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet,
sie in arglose Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine
schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten.

Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in
barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde: wir haben gesehen,
wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Jünglings
wie Totila von der Nähe einer Gefahr zu überzeugen war: und die trotzige
Sicherheit eines Hildebad drückte recht eigentlich die allgemeine Stimmung
der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk.

Da waren die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren
weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und
Pitza: die reichbegüterten Wölsungen unter den Brüdern Herzog Guntharis
von Tuscien und Graf Arahad von Asta: und andre mehr, die alle den Amalern
an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersüchtig ihre Stellung dicht
neben dem Throne bewachten.

Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, die Herrschaft
eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des
Volkes, das Königshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation
auf den Schild erhoben hätten. Andrerseits zählten auch die Amaler blind
ergebene Anhänger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten.
Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, längst
unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen
bewiesen, gern nunmehr nachgeholt hätten, was, wie sie meinten, bei der
Eroberung des Landes versäumt worden, und die Italier für ihren heimlichen
Haß mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natürlich war
die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst,
empfänglich für die höhere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu
dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Königin.

Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten; denn sie,
diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhieß, die Kraft des
Volkes zu lähmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen.
Ihre Richtung schloß jedes Erstarken des gotischen Nationalgefühls aus. Er
bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes
gewaltig zusammenfassen zu sehen.

Und manchmal machten ihn schon die Züge von Hoheit, die sich in diesem
Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zu
Zeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufsprühten, ernstlich besorgt.
Sollten Mutter und Sohn solche Spuren öfter verraten, dann freilich mußte
er beide ebenso eifrig stürzen wie er bisher ihre Regierung gehalten
hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft,
die er über die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen.
Nicht nur, weil er mit großer Feinheit ihre Neigung zu gelehrten
Gesprächen ausbeutete, in welchen er von dem, wie es schien, ihm überall
überlegenen Wissen der Fürstin so häufig überwunden wurde, daß Cassiodor,
der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern,
wie dies einst glänzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Übung etwas
eingerostet sei.

Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer
getroffen. Ihrem großen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter
beschieden: der Wunsch nach einem männlichen Erben seiner schweren Krone
war oft aus des Königs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren
Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empörte das hochbegabte Mädchen, daß
man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte hinter einem
möglichen Bruder, der, wie selbstverständlich, der Herrschaft würdiger und
fähiger sein würde. So weinte sie als Kind oft bittere Thränen, daß sie
kein Knabe war.

Als sie herangewachsen, hörte sie natürlich nur noch von ihrem Vater jenen
kränkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen,
den männlichen Geist, den männlichen Mut der glänzenden Fürstin. Und das
waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der That in jeder Hinsicht
ein außergewöhnliches Geschöpf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens,
aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit überschritten weit die
Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewußtsein, daß
mit ihrer Hand zugleich die höchste Stellung im Reich, vielleicht die
Krone selbst, würde vergeben werden, machte sie eben auch nicht
bescheidener: und ihre tiefste, mächtigste Empfindung war jetzt nicht mehr
der Wunsch, Mann zu sein, sondern die Überzeugung, daß sie, das Weib,
allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste
Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das
allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts
glänzend zu widerlegen.

Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie,
einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz –:
Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden – und wenig
glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als
Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als
Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu
bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre
Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die
Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen
Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen.

Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher
Thätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein thun.

Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist
nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe
wollte sie dulden.

Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur Einem ihrer
Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr; demjenigen, der ihr oft und laut
die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe
still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie
wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur
den Einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge
durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der
gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte
sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen
König möglichst von der Teilnahme am Regiment ausschließen, die alten
gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und
nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels
erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof entfernen, die Gelder, die
für Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren,
für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung
und Sicherung Roms verwenden: – kurz, er war ihr behilflich in allem, was
sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos
machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine
Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die
Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche
als _ihrer_ Aufträge befehligte.



                             Fünftes Kapitel.


Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu
pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom als
seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die
Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil
ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten
sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna
verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden und
Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana,
die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boëthius an den Hof zu bringen.
Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter
hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor
allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie.

Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edeln Frau gegen das
so tief gefallne Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals
vollbewiesene Schuld von zwei edeln Römern nie von Herzen hatte glauben
mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten und
in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu
betonen, wie gerade diese That, sei es der Gerechtigkeit, sei es der
Gnade, die Herzen all’ ihrer römischen Unterthanen rühren müsse. So war
die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die
stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade
anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre
ganze Seele und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß
könnte sich in der steten Nähe der »Tyrannen« leicht verraten. Wiederholt
hatte Rusticiana trotz all’ seiner sonst so großen Gewalt über sie dieses
Ansinnen zurückgewiesen.

Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur
Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte.

Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem
echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schön geschnittenen
Lippen leuchteten dunkle schwärmerische Augen: der eben erst vollendete
Wuchs zeigte feine, fast allzuzarte Formen, rasch und leicht und fein wie
einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche
Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit
aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater
geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das
Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige
Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums
für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen
Entfaltens.

Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof war sie
nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien
geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine
Zufluchtstätte bot, während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder,
anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur
Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an
den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in
Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung
verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im
Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich
Rusticiana, wie wir gesehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu
finden wußte.

Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer,
wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu
fliehen und in seine kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der
Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die
verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen
Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis
gedenkend, die sie, wie all’ ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus
verloren.

Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor
Rusticiana. Er habe längst bemerkt, wie die »Patrona« unter seinem
unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine
Hantierung – er war seines Zeichens Steinmetz – zu erdulden gehabt und so
habe er denn an den letzten Calenden ein kleines, freilich nur ein ganz
kleines, Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im
Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie
dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem
Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten
Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Epheu und im
Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Domna
Kamilla liebe und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und
wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.

Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte
an und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine
Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres
Vaters.

Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit
Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den
Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen.

Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens
Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte,
von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich
auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das
anmutig gelegene Haus zeigen würde.

Aber erstaunt blieb er stehen: – er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn
die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten
Stelle: aber kein Zweifel! da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich
berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus
mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das
Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von
Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da
standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein
zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein
bescheidnes Gebiet begrenzt hatten.

»Die Mutter Gottes steh’ mir bei und alle obern Götter!« rief der
Steinmetz, »bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!«
Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulet, das sie am Gürtel trug: aber
Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum
betrat und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu
treiben und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab
des Grauchens die Wiesenhänge hinunter.

Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das
Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es
kaum erkannte.

Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu
abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die
Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Reihe von
christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso
überrascht ausrief: »Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das
Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben
Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der
Tempel der Venus! o wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das
angefangen?« Und Thränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. – »So
sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen
habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit
verhext. Rede, du Cyklope, was ist hier geschehen?«

Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit
ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und
Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen
etwa, wenige Tage nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für
seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist
war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß
von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte,
ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für
die Witwe des Boëthius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als
den Hortulanus Prinzeps d. h. als Oberintendanten der Gärten zu Ravenna zu
erkennen. Ein alter Freund des Boëthius, der aus Furcht vor den gotischen
Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der
Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt
derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern.
Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben und halb
mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa
fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan und seine Arbeiter
gingen unverzüglich ans Werk.

Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft und nun
hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern
und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen
verging. Wollte er fragen und drein reden, so lachten ihm die Arbeiter ins
Gesicht. Wollte er sich davon machen, so winkte der Intendant und ein halb
Dutzend Fäuste hielten ihn fest. »Und« – schloß der Erzähler – »so ging’s
bis vorgestern Morgen. Da waren sie fertig und zogen davon.

Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten
aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das
alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir’s
melden. Aber sie ließen mich nicht und obenein wußt’ ich dich fern von
Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten
verspürte und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit
Kieseln, siehe, da beruhigte sich allmählich mein Gemüte und ich ließ
alles gehen wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich
dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar
mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? du bist der Herr und Cappadox
der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! bei allen Heiligen und allen
Göttern! Denn du hast mich gesetzt über ein Paar Kohlfelder und siehe, sie
sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.«

Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu
Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die
Lauben, das Haus: sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke
Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung des freudigen Schreckens
jagte den andern: so oft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe,
bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor
ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines
Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand wie jener
Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie die letzten Tage der Kindheit
verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder
auf den bastgeflochtnen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen
Citruskästchen und auf dem gleichen Schildpatttischchen ihre kleine
zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so
vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so
zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den
weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Daphnidion
beruhigen. »Es giebt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus des
Boëthius,« rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet
des Dankes gegen Himmel. –

Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von
der seltsamen Überraschung.

Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres
Gatten wohl in diesem geheimnisvollen Wohlthäter zu suchen sei? Es war ihr
eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt
schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück:
er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen könne. Sie
möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen könne.

Es sollte sich bald genug enthüllen. –

Kamilla wurde nicht müde, den Garten zu durchstreifen und immer neue
Ähnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft führten sie
diese Gänge über den Park hinaus und in den anstoßenden Bergwald. Dabei
pflegte sie die muntre Daphnidion zu begleiten, die ihr gleiche Jugend und
treue Anhänglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese
der Patrona bemerkt, ein Waldgeist müsse ihnen nachschleichen. Denn
vielfach knacke es hörbar in den Büschen und rausche im Grase hinter oder
neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla
lachte ihres Aberglaubens und nötigte sie immer wieder in die grünen
Schatten der Ulmen und Platanen hinaus.

Eines Tages entdeckten die Mädchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die
Kühle des Waldes flüchtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar
von dunkeln Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes
Rinnsal und mühsam mußten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen
erhaschen. »Wie Schade,« rief Kamilla, »um das köstliche Naß! Da hättest
du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig
sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts
und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie Schade!«
Und sie gingen weiter.

Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle.

Daphnidion, die voranschritt, blieb plötzlich laut aufschreiend stehen und
wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefaßt.
Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche
Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk
glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Händen
vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was für höchst gefährlich
galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber
Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher
gefolgt, ist gewiß auch jetzt in der Nähe, sich an unsrem Staunen zu
weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blüten
von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu.
Und sieh, aus dem Gebüsch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger
Jäger entgegen.

»Ich bin entdeckt,« sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, anmutig in
seiner Beschämung.

Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurück: »Athalarich« – stammelte
sie – »der König!«

Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefühlen wogte ihr durch Haupt und
Herz, und halb ohnmächtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der
junge König stand in Schrecken und Entzücken sprachlos einige Sekunden vor
der hingegossenen zarten Gestalt: durstig sog sein brennendes Auge die
schönen Züge, die edeln Formen ein: flüchtiges Rot schoß zuckend wie
Blitze über sein bleiches Gesicht. »O sie – sie ist mein heißer Tod« –
hauchte er, endlich beide Hände an das pochende Herz drückend – »jetzt
sterben, – sterben mit ihr.«

Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurück. Er kniete
neben ihr nieder und sprengte das kühle Naß des Brunnens auf ihre Schläfe.
Sie schlug die Augen auf: »Barbar – Mörder!« schrie sie gellend, stieß
seine Hand zurück, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg.

Athalarich folgte ihr nicht. »Barbar – Mörder,« hauchte er in tiefstem
Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die glühende Stirn in den Händen.



                            Sechstes Kapitel.


Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, daß Daphnidion sich’s nicht
nehmen ließ, die Domna müsse die Nymphen oder gar den altehrwürdigen
Waldgott Picus selbst gesehen haben.

Aber das Mädchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der
erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefühle löste sich in einem
Strom von heißen Thränen und erst spät vermochte sie, den besorgten Fragen
Rusticianas Antworten und Aufschluß zu geben.

In der tiefen Seele dieses Kindes wogte ein schweres Ringen.

Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Mädchen nicht ganz entgangen,
daß der schöne, bleiche Knabe oft mit seltsamem, träumendem Blick die
dunkeln Augen auf ihr ruhen ließ, daß er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer
Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr
bestimmt ins Bewußtsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte
die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn über einem solchen Blick ertappte
und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch
Kinder. Sie wußte nicht zu nennen, was in Athalarich vorging – kaum wußte
er es selbst – und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch
sie gern in seiner Nähe lebte, gern dem kühnen, von der Art aller andrer
Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern
auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen
Gärten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Träumereien abgerissene, aber
immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie
schwärmerischer Jugend, sie so völlig verstand und würdigte.

In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe
ihres über alles geliebten Vaters.

Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, glühender Haß gegen die
Mörder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Römerin. Von jeher hatte
Boëthius, selbst in der Zeit seiner höchsten Gunst am Hofe, ein
hochmütiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen,
und seit seinem Untergang atmete natürlich die ganze Umgebung Kamillas,
die Mutter, die beiden rachedürstenden Brüder, die Freunde des Hauses nur
Haß und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Mörder und Tyrannen
Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des
Königs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht
verhindert. So hatte das Mädchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht.
Und wann er genannt wurde oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild
im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all’ ihr Haß gegen die Barbaren
in höchstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im
geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener
Neigung zitterte, die sie zu dem schönen Königssohn gezogen. –

Und nun – nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit
tückischem Streich zu treffen!

Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn
erkannte, blitzschnell erfaßt, daß er es war, der, wie die Fassung der
Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhaßte
Feind, der Sproß des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres
Vaters klebte, der König der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in
diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie glühend Erz
auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte
gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu beglücken. Für ihn hatte sie
Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkühnt, ihren Schritten zu
folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen: –
und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all’ dies, der
Gedanke, warum er das gethan. Er liebte sie! Der Barbar erkühnte sich, es
ihr zu zeigen. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, daß des
Boëthius Tochter –

O es war zu viel! und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in den
Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschöpfung auf sie
niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den
ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefühle
folgen, sofort die Villa und die verhaßte Nähe des Königs fliehen und ihr
Kind jenseit der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte
bisher den Aufbruch verhindert und sowie der Präfekt das Haus betrat,
schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er
nahm Rusticianen allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hörte
er daselbst, den Rücken an einen Lorberstamm gelehnt, das Kinn in die
linke Hand gestützt, ihrer leidenschaftlichen Erzählung zu.

»Und nun rede,« schloß sie, »was soll ich thun? Wie soll ich mein armes
Kind retten? wohin sie bringen?«

Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen
pflegte, halb geschlossen hatte.

»Wohin Kamilla bringen?« sagte er. »An den Hof, nach Ravenna.«

Rusticiana fuhr empor: »Wozu jetzt der giftige Scherz!«

Aber Cethegus richtete sich rasch auf.

»Es ist mein Ernst. Still – höre mich. Kein gnädigeres Geschenk hat das
Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen können. Du
weißt, wie völlig ich die Regentin beherrsche.

Aber nicht weißt du, wie völlig machtlos ich bin über jenen eigensinnigen
Schwärmer. Es ist rätselhaft. Der kranke Jüngling ist im ganzen Gotenvolk
der einzige, der mich, wenn nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiß
nicht, ob er mich mehr fürchtet oder mehr haßt. Das wäre mir ziemlich
gleichgültig, wenn der Verwegne mir nicht sehr entschieden und sehr
erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natürlich schwer bei seiner
Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer älter, reifer,
gefährlicher. Sein Geist überflügelt mächtig seine Jahre. Er nimmt
ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er
gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt,
daß der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom
erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge König wird höchst gefährlich. Und
ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt über ihn. Zu seinem
Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren
beherrschen.«

»Nimmermehr!« rief Rusticiana. »Nie, so lang ich atme. Ich an den Hof des
Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! des Boëthius Tochter! Sein
blutger Schatte würde –«

»Willst du diesen Schatten rächen? Ja! willst du die Goten verderben? Ja!
Also mußt du wollen, was dahin führt.« – »Nie, bei meinem Eide!« – »Weib,
reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei deinem Eide! Wie?
Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir
Rache verheißen? Hast du’s nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen,
dich und deine Kinder verflucht für den Eidbruch? Man sieht sich vor bei
euch Weibern. Gehorche oder zittre für deine Seele.«

»Entsetzlicher! Soll ich all meinen Haß dir, deinen Plänen opfern?«

»Mir? Wer spricht von mir? _Deine_ Sache führ’ ich. _Deine_ Rache vollend’
ich: _Mir_ haben die Goten nichts zuleid gethan. _Du_ hast mich aufgestört
von meinen Büchern. Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten.
Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurück zu Horatius und der Stoa!
Leb wohl.«

»Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?«

»Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie
soll ihn nur beherrschen. Oder,« fügte er, sie scharf ansehend, hinzu,
»fürchtest du für ihr Herz?« – »Deine Zunge erlahme! Meine Tochter? _ihn_
lieben? eher erwürg’ ich sie mit diesen Händen.«

Aber Cethegus war nachdenklich geworden.

Es ist nicht um das Mädchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr!
Aber wenn sie ihn liebt – und der Gote ist schön, geistvoll, schwärmerisch
.... »Wo ist deine Tochter?« fragte er laut.

»Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie würde nie einwilligen, nie.«

»Wir wollen’s versuchen. Ich gehe zu ihr.«

Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber
Cethegus wies sie zurück.

»Allein muß ich sie haben!« sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei
seinem Anblick erhob sich das schöne Mädchen von den Teppichen, auf denen
sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewöhnt, in dem klugen, beherrschenden
Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden,
begrüßte sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt.

»Du weißt, Cethegus?« – »Alles.« – »Und du bringst mir Hilfe.« – »Rache
bring ich dir, Kamilla!«

Das war ein neuer, ein mächtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung
aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Höchstens eine
zornige Abweisung der königlichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung
für die Schmerzen dieser Stunden! Rache für die erlittene Schmach! Rache
an den Mördern ihres Vaters! Ihre Wunden waren frisch. Und in ihren Adern
kochte das heiße Blut des Südens. Ihr Herz frohlockte über Cethegus’ Wort!

»Rache? wer wird mich rächen? du?« – »Du dich selbst! Das ist süßer.«

Ihre Augen blitzten. »An wem?« – »An ihm. An seinem Haus. An allen unsern
Feinden.« – »Wie kann ich das? Ein schwaches Mädchen?« – »Höre auf mich,
Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boëthius edler Tochter sag ich, was ich
sonst keinem Weib der Erde vertrauen würde. Es besteht ein starker Bund
von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus
diesem Lande: das Schwert der Rache hängt über den Häuptern der Tyrannen.
Das Vaterland, der Schatte deines Vaters beruft dich, es herabzustürzen.«

»Mich? ich – meinen Vater rächen? sprich!« rief hocherglühend das Mädchen,
die schwarzen Haare aus den Schläfen streichend. »Es gilt ein Opfer. Rom
fordert es.« – »Mein Blut, mein Leben! wie Virginia will ich sterben.« –
»Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der König liebt dich. Du mußt nach
Ravenna. An den Hof. Du mußt ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle
haben keine Macht über ihn. Nur du hast Gewalt über seine Seele. Du sollst
dich rächen und ihn vernichten.«

»Ihn vernichten?!« – Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen
wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefühle, Thränen
brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Händen. – Cethegus
stand auf. »Vergieb,« sagte er. »Ich gehe. Ich wußte nicht, – – daß du den
König liebst.«

Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des
Mädchens Brust. Sie sprang auf und faßte ihn an der Schulter:

»Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewußt, daß ich
hassen kann.« – »So beweis’ es. Denn ich glaub’ es dir nicht.« – »Ich will
dir’s beweisen!« rief sie. »Sterben soll er! Er soll nicht leben!«

Sie warf das Haupt zurück, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr
schwarzes Haar flog um die weißen Schultern.

Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiß es
noch nicht. Sie haßt ihn daneben. Und das allein weiß sie. Es wird gehn.

»Er soll nicht leben,« wiederholte sie. »Du sollst sehen,« lachte sie,
»wie ich ihn liebe! Was soll ich thun?« – »Mir folgen in allem.« – »Und
was versprichst du mir dafür? was soll er erleiden?« – »Verzehrende Liebe
bis zum Tod.« – »Liebe zu mir? ja, ja, das soll er!« – »Er, sein Haus,
sein Reich soll fallen.«

»Und er wird wissen, daß durch mich –?« – »Er soll es wissen. Wann reisen
wir nach Ravenna?«

»Morgen! Nein, heute noch.« Sie hielt inne und faßte seine Hand:
»Cethegus, sage, bin ich schön?«

»Der Schönsten eine.«

»Ha!« rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. »Er soll mich lieben
und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!«
Und sie stürmte aus dem Gemach. – Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei
Athalarich zu sein.



                            Siebentes Kapitel.


Noch am nämlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach
der Königsstadt angetreten.

Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die
Regentin. Die Witwe des Boëthius erklärte darin, daß sie die durch
Vermittelung des Präfekten von Rom wiederholt angebotene Rückberufung an
den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine That der Gnade,
sondern der Sühne, als ein Zeichen, daß die Erben Theoderichs dessen
Unrecht an den Verblichenen gut machen wollten.

Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen und Cethegus
wußte, daß solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdächtige Auslegung
der raschen Umstimmung ausschließen werde. Unterwegs noch traf die
Reisenden die Antwort der Königin, die sie am Hof willkommen hieß. In
Ravenna angelangt wurden sie von der Fürstin aufs ehrenvollste empfangen,
mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Räume des Palastes
eingeführt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begrüßten sie die Römer.

Aber der Zorn der Goten, die in Boëthius und Symmachus undankbare Verräter
verabscheuten, wurde durch diese Maßregeln, die eine stillschweigende
Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die
letzten Freunde des großen Königs verließen grollend den verwelschten
Hof. –

Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft
Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher
beschwichtigen als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie
Athalarich begegnete. Denn der junge König war gefährlich erkrankt.

Am Hof erzählte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium, – er wollte
dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Bäder und der Jagd
genießen – in den Wäldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten
Trunk aus einer Felsenquelle gethan und sich dadurch einen heftigen Anfall
seines alten Leidens zugezogen.

Thatsache war, daß ihn sein Gefolge an jener Quelle bewußtlos
niedergesunken gefunden hatte.

Die Wirkung dieser Erzählung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Haß gegen
Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von
Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, daß durch diese
Krankheit eine Begegnung hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna
nicht minder fürchtete als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in
Tifernum war, lebhaft herbeigewünscht hatte. Und wenn sie jetzt in den
weiten Anlagen des herrlichen Schloßgartens einsam wandelte, hatte sie
immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine
Gütchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war.

Tage und Wochen vergingen.

Man vernahm nichts von dem Kranken, als daß er zwar auf dem Weg der
Besserung, aber noch streng an seine Gemächer gebunden sei. Ärzte und
Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den
heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit für jeden kleinen Liebesdienst,
seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen
Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst:

»Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!« und ihre Brauen
zogen sich zusammen und sie legte heimlich die geballte Faust auf das
pochende Herz.

In einer heißen Nacht war Kamilla nach langem friedlosen Wachen endlich
gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Träume quälten sie.
Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten
auf sie nieder. Gerade über ihrem Haupte war ein jugendlich schöner
Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet,
angebracht.

Ihr träumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Züge seines
bleichen Bruders Thanatos an.

Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. –
Immer näher rückte er. – Immer bestimmter wurden seine Züge. – Schon
fühlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. – Schon berührten fast
die feinen Lippen ihren Mund. – Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen
Züge, das dunkle Auge. – Es war Athalarich – dieser Todesgott. – Mit einem
Schrei fuhr sie empor.

Die zierliche Silberlampe war längst erloschen. Es dämmerte im Gemach.

Ein rotes Licht drang gedämpft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob
sich und öffnete es; die Hähne krähten, die Sonne tauchte mit den ersten
Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, über den Schloßgarten hinweg,
freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwülen Gemach.

Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus
dem noch schlummernden Palast über die Marmorstufen in den Garten, aus dem
ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie
eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stieß der Garten des
Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen
der Adria. Ein vergoldetes Gitterthor und jenseit desselben zehn breite
Stufen von weißem hymettischem Marmor führten hinab zu dem kleinen Hafen
des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem
dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen
Kettchen an den zierlichen Widderköpfen von Erz befestigt, die links und
rechts aus dem Marmorquai hervorragten. Diesseit des Gitterthors, nach dem
Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluß in einer geräumigen Rundung,
die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenfläche, von
üppigem, sorgfältig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen
durchschnitten und von reichen Beten stark duftender Blumen unterbrochen.
Eine Quelle, zierlich gefaßt, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die
Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine
einsame Palme hochwipflig überragte, indes brennendroter Steinbrech in den
leeren Halbnischen seiner Außenwände prangte. Vor seiner längst
geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Äneas. Der Julius Cäsar
zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestürzt. Theoderich hatte
auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mythischen
Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen, an den
Eingangsstufen des kleinen Fanum genoß man des herrlichsten Blickes durch
das Gitterthor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer
Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, »die Nadeln der
Amphitrite« genannt.

Es war ein alter Lieblingsort Kamillas.

Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von
dem hohen Grase streifend, wie sie mit leis gehobnem Gewand durch die
schmalen Wieswege eilte. Sie wollte die Sonne über das Meer hin aufglühen
sehen. Sie kam von der Rückseite des Tempels, ging an dessen linker Seite
hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem
Gitter hinabführten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend,
halb liegend, eine weiße Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe
gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte.

Aber sie erkannte das braune, das seidenglänzende Haar: es war der junge
König.

Die Begegnung war so plötzlich, daß an Ausweichen nicht zu denken. Wie
angewurzelt hielt das Mädchen auf der ersten Stufe. Athalarich sprang auf
und wandte sich rasch. Eine helle Röte flammte über sein marmorbleiches
Gesicht. Doch faßte er sich zuerst von beiden und sprach:

»Vergieb, Kamilla. Ich konnte dich nicht hier erwarten. Zu dieser Stunde.
Ich gehe. Und lasse dich allein mit der Sonne.« Und er schlug den weißen
Mantel über die linke Schulter. »Bleib, König der Goten. Ich habe nicht
das Recht, dich zu verscheuchen – und nicht die Absicht,« fügte sie bei.

Athalarich trat einen Schritt näher. »Ich danke dir. Aber ich bitte dich
um eins,« setzte er lächelnd hinzu, »verrate mich nicht an meine Ärzte, an
meine Mutter. Sie sperren mich den ganzen Tag über so sorgsam ein, daß ich
ihnen wohl vor Tag entschlüpfen muß. Denn die frische Luft, die Seeluft
thut mir gut. Ich fühl’s. Sie kühlt. Du wirst mich nicht verraten.« Er
sprach so ruhig. Er blickte so unbefangen.

Diese Unbefangenheit verwirrte Kamilla. Sie wäre viel mutiger gewesen,
wenn er bewegter. Sie sah diese Unbefangenheit mit Schmerz. Aber nicht um
der Pläne des Präfekten willen. So schüttelte sie nur schweigend das Haupt
zur Antwort. Und sie senkte die Augen.

Jetzt erreichten die Strahlen der Sonne die Höhe, auf der die beiden
standen. Der alte Tempel und das Erz der Statuen schimmerten im
Morgenlicht. Und eine breite Straße von zitterndem Gold bahnte sich von
Osten her über die spiegelglatte Flut. »Sieh, wie schön!« rief Athalarich,
fortgerissen von dem Eindruck. »Sieh die Brücke von Licht und Glanz.«

Sie blickte teilnehmend hinaus. »Weißt du noch, Kamilla?« fuhr er
langsamer fort, wie in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen,
»weißt du noch, wie wir hier als Kinder spielten? Träumten? Wir sagten:
die goldne Straße, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, führe zu
den Inseln der Seligen.« –

»Zu den Inseln der Seligen!« wiederholte Kamilla. Im stillen bewunderte
sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er, jeden Gedanken an
ihre letzte Begegnung fern haltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, die
sie völlig entwaffnete. »Und schau, wie dort die Statuen glänzen: das
wundersame Paar, Äneas und – Amala! Höre, Kamilla, ich habe dir
abzubitten.« Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmückung
der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie
schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Jüngling fort: »Du
weißt, wie oft wir, du die Römerin, ich der Gote, an diesem Ort in
Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer Völker priesen. Dann
standest du unter dem Äneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von
Marcellus und den Scipionen. Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild
gelehnt, rühmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst
besser als ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu
überstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: »das Heute und die
lebendige Zukunft ist meines Volkes!««

»Nun, und jetzt?« – »Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Kamilla!«

Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor. Und dieser
überlegne Ausdruck empörte die Römerin. Sie war ohnehin gereizt durch die
unnahbare Ruhe, mit welcher der Fürst, auf dessen Leidenschaft man solche
Pläne gebaut, ihr gegenüberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte
ihn gehaßt, weil er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte
dieser Haß auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit der
Absicht, ihm weh zu thun, sagte sie langsam: »So räumst du ein, König der
Goten, daß deine Barbaren den Völkern der Menschlichkeit nachstehen?«

»Ja, Kamilla,« antwortete er ruhig, »aber nur in einem: im Glück! Im Glück
des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern,
die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind
diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen!
Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! dort der Alte, der, den
Kopf auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinaus träumt ins
Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter König. Wie
sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen
Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern! Oder edeln Tieren! Das fehlt
uns Barbaren!« – »Fehlt euch nur das?« – »Nein, uns fehlt auch Glück im
Schicksal.

Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen in eine
fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen
Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen Sand
der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.« –

Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla
hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Königs über
sein Volk nachzusinnen. »Warum seid ihr gekommen?« fragte sie mit Härte.
»Warum seid ihr über die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken
gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?« – »Weißt du,« sprach
Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber
fortdenkend, »weißt du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme
fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt! bis sie verzehrt
ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund! Aus einem süßen
Wahnsinn! Und solch’ ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine
Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorber und Olive. Sie
werden sich die Flügel verbrennen, die thörichten Helden. Und werden doch
nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief
blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der
Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen
schön gewölbte Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne Inseln, wo
sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme,
die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben
trinkt das Auge und atmen die entzückten Sinne! Das ist der Zauber, der
uns ewig locken und ewig verderben wird.«

Die tiefe und edle Erregung des jungen Königs blieb nicht ohne Eindruck
auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz: aber
sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher
werdende Empfindung. Sie sagte kalt: »Ein ganzes Volk gegen Verstand und
Einsicht vom Zauber angezogen?« und kalt und zweifelnd sah sie ihn an.

Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunkeln Augen des
Jünglings und die lang zurückgehaltne Glut brach plötzlich aus den Tiefen
seiner Seele: »Ja, sag’ ich dir, Mädchen!« rief er leidenschaftlich. »Ein
ganzes Volk kann eine thörichte Liebe, einen süßen, verderblichen
Wahnsinn, eine tödliche Sehnsucht pflegen so gut wie – so gut wie ein
einzelner. Ja, Kamilla, es giebt eine Gewalt im Herzen, die, stärker als
Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reißt. Aber du weißt
das nicht! Und mögest du’s nie erfahren. Niemals. Leb wohl!«

Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang
von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des
Schlosses verbarg.

Sinnend blieb das Mädchen stehen.

Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie
träumend ins offene Meer hinaus und mit wundersam gemischter Empfindung,
mit verwandelter Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu.



                             Achtes Kapitel.


Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in
wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem
Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde.
Verhaltner Zorn lagerte auf seinen herben Zügen.

»Ans Werk, Kamilla,« sprach er heftig. »Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute
Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner
schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem
alten Hildebrand, mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und
empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die
Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und
in diesem Rat kreuzt er all’ unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.« –
»Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen,« sagte Kamilla
ernst. – »Weshalb? hast du ihn schon gesehen.« Das Mädchen überlegte, daß
sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen
zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung
dieses Morgens zu entweihen, zu verraten.

Sie wich daher der Frage aus und sagte: »Wenn der König sich sogar seiner
Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen
Mädchen beherrschen lassen.« – »Goldne Einfalt!« lächelte Cethegus und
ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim
trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan
häufig sehe und spreche.

Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie
äußerlich, wurde er innerlich zusehends männlicher, fester und reifer: es
war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige.

So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des
Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boëthius in
den Abendstunden häufig trafen.

Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu
erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte,
um sie wörtlich dem Präfekten wieder erzählen zu können, wandelten die
jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens.

Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in
jenem Hafen und Athalarich steuerte wohl selbst eine Strecke ins blaue
Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit
vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel
auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang
zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. –

Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion
begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten.

Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes,
die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen
segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang
augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger,
heiterer und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft
heftig und schroff gegenüber trat.

Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem
reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im
Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht
abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und
jedes Andenken einer unseligen Blutthat auszulöschen versprach. –

In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte
sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle
Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt
des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung konnte sie gegen
diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als
Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den
Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu
unterscheiden: immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei,
Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert
hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am
liebsten völlig frei gesprochen: aber sie mißtraute dieser Milde: sie
scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigne
Freiheit.

Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr
wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und
in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte
Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige
Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld
an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So
schwankte sie in wogenden Gefühlen, desto unsichrer, je rätselhafter ihr
Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran
zweifeln, daß er sie liebe, nach allem was geschehen – aber doch!

Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe: jene Äußerung, mit
der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja
das einzige bedeutsame Wort, das ihm entschlüpfte.

Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und
durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch
weniger, in welch’ neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung
gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete
und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt
über seine Kälte. »Aber Geduld,« sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft
hinter Kamillas Rücken Beratung pflog, »Geduld, bald, binnen drei Tagen,
wirst du ihn verwandelt sehen.« – »Es wäre Zeit,« meinte Cethegus; »aber
auf was vertraust du?« – »Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.«

»Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?« lächelte der Präfekt. –
»Allerdings, das werd’ ich thun; das hab’ ich schon gethan.« – Jener sah
sie spöttisch an: »Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des
großen Philosophen Boëthius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!«

»Nicht Wahn und Aberglaube,« sagte Rusticiana ruhig. »Seit mehr als
hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib
hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich
bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.« – »Dazu
braucht’s keinen Zauber,« meinte der Präfekt: »ihr seid ein schönes
Geschlecht.« – »Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar und wenn er
bis heute nicht wirkte –« – »So hast du wirklich – Unvorsichtige! wie
konntest du unvermerkt?« – »Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der
Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten
Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen
Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem
Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschütten.« –
»Nun,« meinte Cethegus, »es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.« –
»Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond
gebrochen werden – ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen
Mahnungen, versucht’ ich’s schon im Vollmond und du siehst, es wirkte
nicht.« – Cethegus zuckte die Achseln. – »Aber gestern Nacht trat Neumond
ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere und wenn er jetzt
trinkt –« »Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne
Augen. Weiß sie von deinen Künsten?«

»Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.« Das
Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet,
eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen
Nacken.

»Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was
soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. O, er hat mich nie geliebt! der
Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das
rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.« Und in Thränen ausbrechend,
barg sie das Haupt am Halse der Mutter. – »Was ist geschehen, Kamilla?«
fragte Cethegus. – »Schon oft,« begann sie tiefaufatmend, »spielte ein Zug
um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei Er der tief
von mir Gekränkte, als habe Er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein
großes Opfer gebracht –« – »Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei
ein Opfer, wenn sie lieben.« Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den
schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: »Athalarich ist
kein Knabe mehr und man soll ihn nicht verhöhnen.« Cethegus schwieg, ruhig
die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: »Hassest du den König
nicht mehr?« – »Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.«

»Was ist geschehen?« wiederholte Cethegus. – »Heute stand jener
rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein
Zufall äußerte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins
Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen
aber wehrte sich gegen die mildthätige Hand und biß mit den Zangen des
Kopfes in den Finger, der ihn hielt. »Der Undankbare,« sagte ich. – »Oh,«
sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt:
»man verwundet die am meisten, die am meisten für uns gethan.« Und dabei
flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er
zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. Ich aber« – und ihre Brust
wogte, ihre fein geschnittenen Lippen schlossen sich – »ich aber trage das
nicht mehr. Der Stolze! er soll mich lieben – oder sterben.« – »Das soll
er,« sagte Cethegus kaum hörbar, »eins von beiden.«



                             Neuntes Kapitel.


Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen
Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der
Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin
war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer
beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des
Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor
und Cethegus.

Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein
Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm
ahnte nichts gutes. Aber ebendeshalb besann er sich bald eines andern.
»Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten,«
sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem
Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin
fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich – er trug eine
langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf
seinem Haupt und unter dem Mantel klirrte das Schwert – von seinem
Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand,
ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber
zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: »Meine
königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hieher
beschieden, euch unsern Willen kund zu thun. Es drohten diesem Reiche
Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.«

Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle
schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten
Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: »Deine weise Mutter und
dein getreuer Diener Cassiodor« – – »Mein getreuer Diener Cassiodor
schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befrägt. Wir sind schlecht
zufrieden, sehr schlecht, mit dem was die Räte unsrer königlichen Mutter
bisher gethan haben und nicht gethan. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst
zum Rechten sehn.

Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu
jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die
Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen
werden.«

Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust nach Cassiodors Beispiel
zu reden und dann zu verstummen.

Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes
gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: »Mein Sohn, dies Alter der
Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser« – – »Nach den Gesetzen der
Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben
nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das
gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.

Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien
Männer unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen
Provinzen des Reichs zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem
nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.«

Überrascht schwieg die Versammlung.

»Das sind nur noch vierzehn Tage,« sprach endlich Cassiodor. »Wird es
möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?« – »Sie
sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis
haben sie alle bestellt.« – »Wer hat die Dekrete unterschrieben?« fragte
Amalaswintha, sich ermannend. – »Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch
den Geladnen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.«

»Und ohne mein Wissen!« sprach die Regentin. – »Und ohne dein Wissen
geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.«

Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich
entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der
Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den
Grund all seiner Pläne wanken: gern wär’ er mit aller Wucht seines Wortes
der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen: gern
hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des
Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt: – aber ihm
hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden
gefesselt.

Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt
und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang
durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines
Mannes.

Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen
Beinschienen von Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen,
er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Arbeit gehörten, er
wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser
Rüstung ihm verhaßt und gefährlich: aber es war ihm nicht möglich, sich zu
sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie
verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer
wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte
seinen Geist jetzt, – jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über
sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische
losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: »Ferner
haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen
Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß
allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapfern Krieger
werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unsres Reiches, die Festen und die
Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden
nächstens eintreffen.« Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus
rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund
ist jener Mann dadrinnen versteckt.

»Weiter,« hob der königliche Jüngling wieder an, »haben wir Mataswinthen,
unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach
Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu
werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unseres Volkes, und
unsern Hof verherrlichen.«

»Unmöglich!« rief Amalaswintha: »Du greifst in das Recht der Mutter wie
der Königin.« – »Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich mündig bin.«

»Mein Sohn, du weißt, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen.
Glaubst du wirklich, die gotischen Heermänner werden dich waffenreif
erklären?«

Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh’ er
Antwort fand rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: »Sorge nicht darum,
Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann
sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig
spricht, der gilt dafür bei allen Goten.« Lauter Beifall der anwesenden
Goten bestätigte sein Wort.

Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem
Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber
wer?

»Noch eine wichtige Sache ist euch kund zu thun,« begann der König wieder,
mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht
entging.

Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das
soll nicht gelingen! –

Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit lauter Stimme
rief: »Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!« Er zuckte, aber rasch gefaßt,
neigte er das Haupt und sprach: »Mein Herr und König.« – »Hast du uns
nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man
dort von den Goten?«

»Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!« – »Fürchtet man sie?« – »Man hat
nicht Ursach, sie zu fürchten.« – »Liebt man sie?« – Gern hätte Cethegus
geantwortet: Man hat nicht Ursach’, sie zu lieben. Aber der König selbst
fuhr fort:

»Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts
besonderes, das sich vorbereitet.«

»Ich habe nichts dir anzuzeigen.« – »Dann bist du schlecht unterrichtet,
Präfekt, – oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom
Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen
vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die
Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionare führen bei ihren
Waffenübungen drohende Reden. Höchst wahrscheinlich besteht bereits eine
ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester, an der Spitze: sie
versammeln sich Nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des
Boëthius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du
wo? im Garten deines Hauses.« Der König stand auf. Die Augen aller
Anwesenden richteten sich, erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus.
Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt
wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend, sah er dem König ins
Auge.

»Rechtfertige dich!« rief ihm dieser entgegen.

»Rechtfertigen? gegen einen Schatten? ein Gerücht, eine Klage sonder
Kläger? Nie!« – »Man wird dich zu zwingen wissen.« Hohn zuckte um des
Präfekten schmale Lippen.

»Man kann mich ermorden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel, – wir haben das
erfahren, wir Italier! – nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt giebt es
keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.« – »Gerechtigkeit soll dir
werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die
Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen
Verteidiger.« – »Ich verteidige mich selbst,« sprach Cethegus kühl. »Wie
lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?« – »Hier,« rief der
König und schlug den Vorhang zurück.

Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor.

Wir kennen ihn. Es war Teja.

Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: »Ich,
Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats
an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter
Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und zu hehlen. Es steht der Tod
darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.«

»Das will ich nicht,« sprach Cethegus ruhig; »beweise deine Klage.« – »Ich
habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten
sehen,« fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. »Er kam von der Via sacra
her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei
Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft: diesmal erkannt ich ihn.
Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an
der Thür, die sich von innen schloß.« – »Seit wann spielt mein Amtsgenoß,
der tapfre Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?« – »Seit er einen
Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam, – diese
Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und
neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die
Rolle.« Er reichte sie dem König. Dieser las: »Die Namen sind: Silverius,
Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pomponius. – Kannst du
beschwören, daß der Vermummte Albinus war?«

»Ich will’s beschwören.« – »Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier,
unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?«

»Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in
nichtiger, blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche
hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und
kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.« Ein
Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Teja’s blasses
Antlitz aber wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans
Schwert: »So vertret’ ich mein Wort mit dem Schwert,« sprach er mit
tonloser Stimme. »Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod
und Leben.« – »Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen
Barbarenrecht. Aber auch als Gote: – ich würde dem Bastard den Kampf
versagen.« – »Geduld,« sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert
leise in die Scheide zurück. »Geduld, mein Schwert. Es kömmt dein Tag.«
Aber die Römer im Saale atmeten auf.

Der König nahm das Wort: »Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die
genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu
entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich
der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten.
Hildebrand, du verhafte den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.« –
»Halt,« sprach Cethegus, »ich leiste Bürgschaft mit all’ meinem Gut, daß
ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange
Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.«

»Kehr dich nicht dran, mein Sohn,« rief der alte Hildebrand vortretend,
»laß mich ihn fassen.« – »Laß,« sprach der König, »Recht soll ihm werden,
strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage
überrascht. Er soll Zeit haben sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde
treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.«

Der König winkte mit dem Scepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha
aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich
rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor
schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm
prüfend ins Auge und fragte dann: »Cethegus, kann ich dir helfen?« –
»Nein, ich helfe mir selbst,« sprach dieser, entzog sich ihm und schritt
allein und stolzen Ganges hinaus.



                             Zehntes Kapitel.


Der heftige Schlag, den der junge König so unerwartet gegen den ganzen
Grundbau der Regentschaft geführt hatte, erfüllte bald den Palast und die
Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boëthius
brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der
erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt erzählte er den
ganzen Hergang ausführlich: und so bestürzt oder unwillig er darüber war,
auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des
jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem
seiner Worte: Stolz, Stolz auf den Geliebten – der Liebe glücklichstes
Gefühl – erfüllte mächtig ihre ganze Seele.

»Es ist kein Zweifel,« schloß Cassiodor mit Seufzen, »Athalarich ist unser
entschiedenster Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu
Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfekten verderben. Wer hätte
das von ihm geglaubt! Immer muß ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz
anders er sich bei dem Prozeß deines Gatten benahm.«

Kamilla horchte hoch auf.

»Damals gewannen wir die Überzeugung, er werde zeitlebens der glühendste
Freund, der eifrigste Vertreter der Römer sein.« – »Ich weiß davon
nichts,« sagte Rusticiana. – »Es ward vertuscht. Das Todesurteil war
gesprochen über Boëthius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle,
Amalaswintha voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war
unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig
auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Kerker büßen,
der ihm noch einmal mit einer Fürbitte für die Verräter nahe. Da
verstummten wir alle. Nur Einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ
sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines
Großvaters Knie.

Kamilla erbebte: der Atem stockte ihr.

»Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit
einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen übergab.
Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des
Schlosses geführt und Boëthius sofort getötet.«

Kamilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales.

»Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten.

Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling, den er
von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für
seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht verstummten. Er stand
endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg
selbst hinab in den Kerker, öffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und
schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.«

»Fort, fort zu ihm!« sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst
und eilte aus dem Saal.

»Damals,« fuhr Cassiodor fort, »damals mochten Römer und Römerfreunde in
dem künftigen König ihre beste Stütze sehen und jetzt – meine arme Herrin,
arme Mutter!« und klagend schritt er hinaus.

Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre
Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten. Länger und länger schon
fielen die Schatten der hohen, starken Türme in den Schloßhof, auf welchen
sie hinausstarrte.

Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie
auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig
ruhig.

»Cethegus!« rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine
Kälte schreckte sie zurück. »Alles verloren!« seufzte sie, stehen
bleibend. »Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit,« setzte
er, umblickend im Gemach, hinzu. Als er sich allein mit ihr sah, griff er
in die Brustfalten seiner Toga. »Dein Liebestrank hat nicht geholfen,
Rusticiana. Hier ist ein andrer, – stärkrer. Nimm.« Und rasch drückte er
ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah
ihn die Freundin an: »Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer
hat ihn gebraut?« – »Ich,« sagte er, »und _meine_ Liebestränke wirken.« –
»Du!« – es durchlief sie ein eisiges Grauen. »Frage nicht, forsche nicht,
säume nicht,« sprach er herrisch. »Es muß noch heute geschehen. Hörst du?
Noch heute.«

Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer
Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend: »Du zauderst,«
sagte er langsam. »Weißt du, was auf dem Spiele steht? nicht nur unser
ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla _liebt_, liebt den
König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boëthius die
Buhle des Tyrannen werden?«

Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten Tagen wie
eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß mit diesem Einen
Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen
und hinwegeilte sie, zornig die Faust um das Fläschchen geballt.

Ruhig sah ihr Cethegus nach. »Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst
rasch, ich bin rascher. – Es ist eigen,« sagte er dann, die Falten seiner
Toga herabziehend, »ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige
Regung empfinden zu können. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich
kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen
Knaben, der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu
tappen. Er will mir trotzen – meinen Gang aufhalten, er stellt sich kühn
in meinen Weg: Er – mir! wohlan, so trag’ er denn die Folgen.«

Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal
der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und
durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe
wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher Zeugen für all’ seine Schritte an
diesem verhängnisvollen Tag sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging
er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den
nächsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst
nach Kamilla umsah.

Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehört, in den Hof des
Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den König mit den andern jungen
Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehen wollte
sie ihn, noch nicht ihn sprechen und ihm zu Füßen ihr großes Unrecht
abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestoßen, ihn als mit dem
Blut ihres Vaters befleckt gehaßt – ihn, der sich für diesen Vater
geopfert, der ihre Brüder gerettet hatte!

Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse des Tages hielten
ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und
spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie
laut den Mut ihres jungen Königs.

Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz errötend, selig träumend
wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen
Lieblingsstätten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kühn und
freudig gestand sie sich’s ein: er hatte es tausendfach um sie verdient.
Was Gote, was Barbar! Er war ein edler herrlicher Jüngling, ein König, der
König ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus
ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den geliebten
Namen selig vor sich hin sprach. Endlich am Venustempel angelangt versank
sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber golden dämmernd, vor
ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten und ihrer Mutter schon
morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den König zählen zu
sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen
Worten und dann – dann? sie wußte nicht was dann werden solle: aber sie
errötete in holden Träumen.

Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in dem
dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt
rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer und die Wellen dieses Meeres
rollten leise wie ihrer Liebe huldigend zu ihren Füßen.



                             Elftes Kapitel.


Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den
Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht
Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und
Erscheinen, männlicher, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur
Brust gebeugte Haupt und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte.

»Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla,« rief er ihr laut und lebhaft entgegen. »Dein
Anblick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.«

So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.

»Mein König,« flüsterte sie erglühend: einen leuchtenden Blick noch warfen
die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein
König! so hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt.
»Dein König?« sagte er, sich neben ihr niederlassend, »ich fürchte, so
wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute
geschehen.«

»Ich weiß alles.« – »Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt
nicht, ich bin kein Tyrann.« Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um
seine schönsten Thaten.

»Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es, – sie sind ja _dein_
Volk! – ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein
Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich,
und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht,« fuhr er langsamer
und feierlich fort, »vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den
Sternen – gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und fallen.«

»Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.«

»Dank dir, Kamilla! wie du heut gerecht bist oder gut! Solcher Güte darf
ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh’,
ich war ein kranker, irrer Träumer, ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern
entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr dieses Reichs, die
thätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die
Liebe, die mächtige Liebe zu meinen Goten, und diese stolze und bange und
wachsame Liebe für mein Volk, sie hat mein Herz gestärkt und getröstet für
... für andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glück,
wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und
stark und wahrlich! des Größten könnt’ ich jetzt mich unterwinden.«

Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.

»O, Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! O, ging es zu Roß und in
waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde
Flut. Komm, komm mit in den Kahn.« Kamilla zögerte. Sie blickte um. »Die
Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie
schläft. Komm, komm rasch, eh’ die Sonne versinkt. Sieh die goldne Straße
auf der Flut. Sie winkt!« – »Zu den Inseln der Seligen?« fragte das
liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend.

»Ja, komm zu den seligen Inseln!« antwortete er glücklich, hob sie rasch
in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais,
sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das
Ruder in die Öse zur Linken: und im hintern Gransen des Schiffes stehend
steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung, und
ein echt germanischer Fergenbrauch.

Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem
griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz,
das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar
flog im Winde und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des
fein gebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die
leichte Barke durch die glatte Flut.

Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise
Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit
sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das
Schweigen und sprach, dem Bot einen kräftigen Druck gebend, daß es
gehorsam vorwärts schoß: »Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein
ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand
durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. – Was
aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken
gewesen.« Sie errötete und blickte seitab in die Flut.

»O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.«

»Ich dachte,« flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer
abgewendet, »wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so
ganz vertraut, gesteuert werden durch die schwanke Flut des Lebens.« – »O,
Kamilla, glaub mir, auch dem Barbaren kann man sich vertraun« – – »Du bist
kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig
überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist
ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.« Entzückt hielt der
König im Rudern inne, das Schiff stand: »Kamilla! träum ich? sprichst du
das? und zu mir?«

»Mehr noch, Athalarich, mehr! ich bitte dich, vergieb, daß ich dich so
grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.« – »Kamilla,
Perle meiner Seele« – Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief
plötzlich: »was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine
Mutter.« So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink
getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte
nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden,
ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. In höchstem Zorn
flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des
Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen,
gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich
darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab
nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der
Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle
führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in
den Kahn zu steigen. »Es ist geschehen,« flüsterte sie ihm dabei zu und
die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf
die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte
erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: »Nein, sie
sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß
noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O, Kamilla, du mußt mir mehr,
du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie
uns finden.« Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das
Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.

»Willst du nicht weiter sprechen?«

»O, mein Freund, mein König – dringe nicht in mich.« Er sah nur ihr in das
liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel.
»Nun warte – dort auf der Insel – dort sollst du mir« – –

Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag – da erdröhnte ein dumpfer Krach,
das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.

»Himmel!« rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes
sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein ihr entgegen.

»Das Schiff ist geborsten – wir sinken,« sprach sie erbleichend. –
»Hierher zu mir, laß mich sehen,« rief Athalarich vorspringend. »Ah, das
sind die Nadeln der Amphitrite – wir sind verloren.« Die Nadeln der
Amphitrite – wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels
kaum erkennen – waren zwei schmale scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer
und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den
Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg.
Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht
vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt.

Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung.

Ein Bret im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an
der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch den Leck.

Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde.

Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen,
konnte er nicht hoffen und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst
abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er all’ das überschaut, erwogen,
eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. »Geliebte, du
stirbst,« jammerte er verzweifelnd, »und ich, ich hab’s verschuldet.« Und
er umfaßte sie stürmisch. »Sterben?« rief sie, »o nein! nicht so jung,
nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.« Und sie klammerte sich fest an
seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.

Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst – immer
höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder
weg. »Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.« – »Nein!
nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: – o dann hinweg alle Scheu,
welche die Lebendigen bindet« – und glühend drückte sie das Haupt an seine
Brust – »o laß dir sagen, laß dir noch gestehn, wie ich dich liebe, wie
lange schon, seit – seit immer. All’ mein Haß war ja nur verschämte Liebe.
Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen.
Ja du sollst wissen, wie ich dich liebe.« Und sie bedeckte ihm Augen und
Wangen mit eiligen Küssen. »O, jetzt will ich auch sterben – lieber
sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein« – und sie riß sich von ihm
los – »du sollst nicht sterben – laß mich hier, springe, schwimme,
versuch’s, du allein erreichst die Insel wohl – versuch’s und laß mich.«

»Nein,« rief er selig, »lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach
so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig
von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.«

Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an
sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch
Hand breit über Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum
jähen Sprunge an, – da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.

Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von
ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie los
eilte.

Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des
sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei
Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den
Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln
daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren und bald –
es war die höchste Zeit – lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die
augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern
Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches
Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen,
glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es.

»Dank euch, wackre Freunde,« sprach Athalarich, da er wieder Worte
gefunden, »Dank! ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin
gerettet.«

Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die
laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. »Heil unsrer schönen jungen
Königin!« jauchzte der rotblonde Aligern und die Mannschaft jubelte
donnernd nach: »Heil, Heil unsrer Königin!« In diesem Augenblick rauschte
der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs
weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die
sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des
jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklärt hatten,
es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war
sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen.

Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es
ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort
auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der
Brust des jungen Königs lag? und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen:
»Heil Kamilla, unsrer Königin?«

Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber
das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem
Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward
herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen
hinein und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo, außer
Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt
hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des
kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu
begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen
hinan.

»Seht hier,« sprach er, vor dem Tempel angelangt, »sehet, Goten und Römer,
eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt,
nicht wahr, Kamilla?« Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die
Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum
Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte
und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust.

»Um Gott,« rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, »dem
König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!« Sie flog an den Tisch,
ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand.

Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner
Bewegungen.

Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn
nochmal sinken, er lächelte: »du mußt mir zutrinken, wie’s der gotischen
Königin ziemt an ihrem Hof,« und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn
aus seiner Hand.

Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte
hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten.

Aber er hielt sich zurück. That er’s, so war er unrettbar verloren. Nicht
nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und
überführt.

Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? – Um
ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. – Nein,
sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom: – also
sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten
Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum
Grunde leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch
niedersetzte. »Kommt hinauf ins Palatium,« sprach er fröstelnd, den Mantel
über die linke Schulter schlagend, »mich friert.« Und er wandte sich.

Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah
dem Präfekten eindringend ins Auge.

»Du hier?« sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte
er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs
Antlitz nieder.

»Athalarich!« rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte
Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: »Hilfe,« rief er,
»sie stirbt – der König!«

»Wasser! rasch Wasser!« sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an
den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber
gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors
Armen lag, indeß Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Kniee legte.

Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen
Gestalten.

»Was ist geschehen? Mein Kind!« mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana,
die soeben gelandet, an der Tochter Seite. »Kamilla!« rief sie
verzweifelt, »was ist mit dir?«

»Nichts!« sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. »Es
ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf
hingerafft. Er ist tot.«



                              Drittes Buch.


                              AMALASWINTHA.


                             »Amalaswintha verzagte nicht nach Frauenart,
                                  sonder kräftig wahrte sie ihr Königtum.«

                                                   Prokop, Gotenkrieg I. 2



                             Erstes Kapitel.


Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende
die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch
gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet,
waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an
dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war.

Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem
Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf.

»Und du kannst schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!« –
»Ich schlief,« sagte Cethegus sich auf den linken Arm aufrichtend, »im
Gefühle neuer Sicherheit.« – »Sicherheit! ja für dich, aber das Reich!«

»Das Reich war mehr gefährdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die
Königin?« – »Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze
Nacht.«

Cethegus sprang auf: »das darf nicht sein,« rief er. »Das thut nicht gut.
Sie gehört dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift
flüstern hörte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?«

»Sehr ungewiß. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte,
sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift
gebraucht worden, meinte er, müßte es ein sehr geheimes, ihm völlig
fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk gethan,
fand sich nicht die leiseste Spur verdächtigen Inhalts. So glaubt man
allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurückgerufen und dieses
ihn getötet. Aber doch ist es gut, daß man dich von dem Augenblick, da du
die Versammlung verließest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht
argwöhnisch.«

»Wie steht es um Kamilla?« forschte der Präfekt weiter. – »Sie soll von
ihrer Betäubung noch gar nicht erwacht sein; die Ärzte fürchten das
Schlimmste. – Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen?
Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen.«
– »Das darf nicht sein!« rief Cethegus. »Ich fordre die Durchführung.
Eilen wir zu ihr.« – »Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stören?« – »Ja,
das will ich! Deine zarte Rücksicht bebt davor zurück? Gut, komme du nach,
wenn ich das Eis gebrochen.«

Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald
darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehüllt, hinab zu dem
Gewölbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen
und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hüteten und trat
geräuschlos ein.

Es war die niedrig gewölbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser
mit Salben und Brennstoffen waren für den Scheiterhaufen bereitet worden.
Das schweigende Gelaß, mit dunkelgrünem Serpentin getäfelt, von kurzen
dorischen Säulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle
beleuchtet: auch jetzt fiel auf die düstern byzantinischen Mosaiken auf
dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier
Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Königs mit unstetem
Schimmer flackerten.

Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu
seinen Häupten.

Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken
gewunden. Die edeln Züge ruhten in ernster, bleicher Schöne.

Zu seinen Füßen saß in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der
Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestützt, der auf dem Sarkophage
ruhte: der rechte hing erschlafft herab. Sie konnte nicht mehr weinen.

Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geräusch in dieser
Grabesstille. –

Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks.
Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefühl wie ein Anflug
von Mitleid erstickt. Klarheit gilt es, sprach er zu sich selbst, und
Ruhe. Leise trat er näher und ergriff die herabgesunkene Hand
Amalaswinthens. »Erhebe dich, hohe Frau, du gehörst den Lebendigen, nicht
den Toten.«

Erschrocken sah sie auf: »Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?«

»Eine Königin.«

»O, du findest nur eine weinende Mutter!« rief sie schluchzend. – »Das
kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr und Amalaswintha wird
zeigen, daß auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann.«

»Das kann sie,« sagte sie, sich aufrichtend: »Aber sieh auf ihn hin. – Wie
jung, wie schön –! Wie konnte der Himmel so grausam sein.« – »Jetzt oder
nie,« dachte Cethegus. »Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam.«

»Wie redest du? was hatte mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn
anzuklagen?« – »Nicht ich! Doch eine Stelle der heiligen Schrift hat sich
erfüllt an ihm: »Ehre Vater und Mutter, auf daß du lang lebest auf Erden.«
Die Verheißung ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine
Mutter und sie verunehrt in trotziger Empörung: – heute liegt er hier. Ich
sehe darin den Finger Gottes.«

Amalaswintha verhüllte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge
seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte
ergriffen sie doch mächtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur
liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. »Du hast, o Königin, die
Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurückberufen.
Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchführung des Prozesses und
feierliche Freisprechung als mein Recht.«

»Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals
müßte. Sage mir: ich weiß von keiner Verschwörung! und alles ist
abgethan.« – Sie schien seine Beteurung zu erwarten. Cethegus schwieg eine
Weile. Dann sagte er ruhig: »Königin, ich weiß von einer Verschwörung.«

»Was ist das?« rief die Regentin und sah ihn drohend an. – »Ich habe diese
Stunde, diesen Ort gewählt,« fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche
fort, »dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, daß sie dir
unauslöschlich möge ins Herz geschrieben sein. Höre und richte mich.« –
»Was werd’ ich hören?« sprach die Königin wachsam und fest entschlossen,
sich weder täuschen noch erweichen zu lassen. »Ich wär’ ein schlechter
Römer, Königin, und du müßtest mich verachten, liebte ich nicht vor allem
andern mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich
wußte, – wie du es weißt – daß der Haß gegen euch als Ketzer, als Barbaren
in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Thaten deines Vaters hatten
ihn geschürt. Ich ahnte eine Verschwörung. Ich suchte, ich entdeckte sie.«
– »Und verschwiegst sie!« sprach die Regentin, zürnend sich erhebend. –
»Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen
herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen.« –
»Die Schändlichen!« rief Amalaswintha heftig. – »Die Thoren! Sie waren
schon soweit gegangen, daß nur Ein Mittel blieb, sie zurückzuhalten: ich
trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt.« – »Cethegus!« – »Dadurch gewann
ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Männer von dem Verderben
zurückhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darüber öffnen, daß ihr
Plan, wenn er gelänge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft
vertauschen würde. Sie sahen es ein, sie folgten mir und kein Byzantiner
wird diesen Boden betreten bis ich ihn rufe, ich – oder du.«

»Ich! rasest du?« – »Nichts ist den Menschen zu verschwören! sagt
Sophokles, dein Liebling. Laß dich warnen, Königin, die du die dringendste
Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwörung, viel gefährlicher als jene
römische Schwärmerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht
der Amaler, in nächster Nähe – eine Verschwörung der Goten.«

Amalaswintha erbleichte.

»Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, daß nicht deine Hand mehr das
Ruder dieses Reiches führt. Ebensowenig dieser edle Tode, der nur ein
Werkzeug deiner Feinde war. Du weißt es, Königin, viele in deinem Volk
sind blutdürstende Barbaren, raubgierig, roh: sie möchten dies Land
brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weißt, dein trotziger
Adel haßt die Übermacht des Königshauses und will sich ihm wieder
gleichstellen. Du weißt, die rauhen Goten denken nicht würdig von dem
Beruf des Weibes zur Herrschaft.« – »Ich weiß es,« sprach sie stolz und
zornig. – »Aber nicht weißt du, daß alle diese Parteien sich geeinigt
haben. Geeinigt gegen dich und dein römerfreundlich Regiment. Dich wollen
sie stürzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen
von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das
Königtum ein Schatte werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Und
Gewalt, Erpressung, Raub über uns Römer hereinbrechen.« – »Du malst eitle
Schreckbilder!« – »War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn
nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst – wie ich – der
Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause?
Sind sie nicht schon so mächtig, daß der heidnische Hildebrand, der
bäuerische Witichis, der finstre Teja in deines bethörten Sohnes Namen
offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei
Herzoge zurückberufen? Und deine widerspenstige Tochter und –« – »Wahr, zu
wahr!« seufzte die Königin.

»Wenn diese Männer herrschen – dann lebt wohl Wissenschaft und Kunst und
edle Bildung! Leb wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in
Flammen auf, ihr weißen Pergamente, brecht in Trümmer, schöne Statuen.
Gewalt und Blut wird diese Fluren erfüllen und späte Enkel werden
bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs.«

»Nie, niemals soll das geschehen! Aber –«

»Du willst Beweise? Ich fürchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst
jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stützen, wenn du
jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schützen nur wir dich, wir, denen
du ohnehin angehörst nach Geist und Bildung, wir Römer. Dann, wenn jene
Barbaren lärmend deinen Thron umdrängen, dann laß mich jene Männer um dich
scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie
schützen dich und sich selbst zugleich.«

»Cethegus,« sprach die bedrängte Frau, »du beherrschest die Menschen
leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue?«

»Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der
römischen Verschwornen – du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die
Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber
ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb’ ich die beiden Parteien,
geb’ ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick
bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem _deine_ Gunst
gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten – ich habe jetzt keinen
Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden
deiner Gunst.«

Die Königin hatte die Rollen mit leuchtenden Augen durchflogen.
»Cethegus,« rief sie jetzt, »ich will deiner Treue gedenken und dieser
Stunde!« Und sie reichte ihm gerührt die Hand.

Cethegus neigte leise das Haupt. »Noch eins, o Königin. Die Patrioten,
fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens,
des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen
bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern:
stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen
dadurch ein sichtbar Zeichen deiner Gnade geben.«

Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen
Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch
ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: »Hier, sie sollen mir
treu bleiben, treu wie du.«

Da trat Cassiodorus ein: »o Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie
begehren dich zu sprechen.«

»Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen,« sprach sie heftig: »du
aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste
Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der
Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste
ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.«

Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam
folgte Cethegus: er hob die Wachstafel in die Höhe und sprach zu sich
selbst: »Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser
Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.« – –



                             Zweites Kapitel.


Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewölbe wieder zu dem Erdgeschoß des
Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward
sein Ohr berührt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende
Flötentöne. Er erriet, was sie bedeuteten.

Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloß er sich zu
bleiben. »Einmal muß es doch geschehen, also am besten gleich,« dachte er.
»Man muß prüfen, wie weit sie unterrichtet ist.«

Immer näher kamen die Flöten, wechselnd mit eintönigen Klagegesängen.
Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon
die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle
römische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den
Händen. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen
Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der
Familie, angeführt von Corbulo, und die Flötenbläser. Dann erschien, von
vier römischen Mädchen getragen, ein offener, blumenüberschütteter Sarg:
da lag auf weißem Linnentuch die tote Kamilla, in bräutlichem Schmuck,
einen Kranz von weißen Rosen um das schwarze Haar: ein Zug lächelnden
Friedens spielte um den leicht geöffneten Mund. Hinter dem Sarg aber
wankte, mit gelöstem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige
Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stützten. Eine Reihe von
Sklavinnen schloß den Zug, der sich langsam in das Totengewölbe verlor.

Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. »Wann
starb sie?« fragte er ruhig. – »Ach, Herr, vor wenigen Stunden! Oh die
gute, schöne, freundliche Domna!« – »Ist sie noch einmal erwacht zu vollem
Bewußtsein?«

»Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die großen Augen
nochmal auf und schien rings umher zu suchen. »Wo ist er hin?« fragte sie
die Mutter. »Ach, ich sehe ihn,« rief sie dann und hob sich aus den
Kissen. »Kind, mein Kind, wo willst du hin?« weinte die Herrin. »Nun,
dorthin,« sagte sie mit verklärtem Lächeln: »nach den Inseln der Seligen!«
und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager und jenes holde
Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund – und sie war dahin, dahin auf ewig!«
– »Wer hat sie hier herab bringen lassen?« – »Die Königin. Sie erfuhr
alles und befahl die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm
auszustellen und zu bestatten.«

»Aber was sagt der Arzt? wie konnte sie so plötzlich sterben?« – »Ach der
Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und
die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre.
Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still,
sie kommen.« Der Zug ging in derselben Ordnung, ohne den Sarg, zurück.
Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus
den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten.

Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und
drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. »Rusticiana, fasse dich!«

»Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie
ermordet!« Und sie brach auf seine Schulter zusammen. »Schweig, Unselige!«
flüsterte er, sich umsehend.

»Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank
gemischt, der ihm den Tod gebracht.«

Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß
ich sie trinken sah. »Es ist ein grausamer Streich des Geschicks,« sagte
er laut; »aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte
ihn!« – »Was werden sollte?« rief Rusticiana, von ihm zurücktretend.

»O, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden,
sein Weib, – seine Geliebte, wenn sie nur lebte!« – »Aber du vergißt, daß
er sterben mußte.« – »Mußte? warum mußte er sterben? auf daß du deine
stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!« – »Es sind deine
Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir’s
wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was
klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser.
Lebe wohl.«

Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: »Und das ist alles? Und weiter
hast du nichts, kein Wort, keine Thräne für mein Kind? Und du willst mich
glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie
ein Herz gehabt. Du hast auch sie nicht geliebt – kalten Blutes siehst du
sie sterben – ha, Fluch – Fluch über dich.« – »Schweig, Unsinnige.« –
»Schweigen? nein, reden will ich und dir fluchen. O, wüßt’ ich etwas, das
dir wäre, was mir Kamilla war! O, müßtest du, wie ich, deines ganzen
Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln.
Wenn ein Gott ist im Himmel, wirst du das erleben.«

Cethegus lächelte.

»Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? wohlan, glaub’ an die
Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! ich eile zur
Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!« – »Und du stirbst mit
mir.«

»Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.« Und sie wollte
hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. »Halt, Weib. Glaubst
du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Söhne, Anicius und
Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem
Hause. Du weißt, auf ihrer Rückkehr steht der Tod. Ein Wort – und sie
sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die
Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.« Und
rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden.

»Meine Söhne!« rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. –

Wenige Tage darauf verließ die Witwe des Boëthius mit Corbulo und
Daphnidion den Königshof für immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu
halten.

Der treue Freigelassene führte sie zurück auf die verborgne Villa bei
Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief betrauerte. Sie baute
daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren
Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde.

Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet für das Heil ihres
Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre
Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute
sie, daß er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Pläne gebraucht und in
herzloser Kälte des Mädchens Glück und Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Und kaum minder unablässig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen
Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel
empor.

Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Präfekten ganz
enthüllte und auch die Rache nicht, die sie dafür vom Himmel niederrief.



                             Drittes Kapitel.


Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt.

Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres
jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden,
wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das
hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen
Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen,
wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der
Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht,
unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in
welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den
Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung
von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit
Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch
wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten.

Diese Bundesgenossen waren die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, die
Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte.
Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter.

Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen
angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht
verschollen.

Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den
Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand
an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis
zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen
und der Ruhm ihrer Kriegsthaten erhöhten Macht und Glanz ihres Hauses. Man
sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeit lang daran gedacht, mit
Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des
Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen.

Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen,
für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System
nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen.

Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische
Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich
immer heftiger gegen die romanisirende Regentschaft sträubte.

Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese
Unzufriedenheit niederzuhalten: Ravenna war nicht sein Rom, wo er die
Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an
seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten und er mußte
fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit
offnem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit
Einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten,
herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach
Rom zu bringen, nach seinem Rom: dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort
war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt und die Goten hatten das
Nachsehen.

Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte
sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine
Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht.
Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzern Weg zu
Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern
Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis
befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten stand, daß ihre Flucht auf
diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er
sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf
die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen
Zweck nicht zählen.

Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der
Verschwornen, mit drei Trieren zuverlässiger d. h. römischer Bemannung an
der Ostküste des adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf
afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in
der Nacht des Epiphaniasfestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er
hoffte vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und
während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht
und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über
die gotischen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus
war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet.

Diesen Plan im Bewußtsein – sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem
Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen – lächelte der Präfekt
zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine
Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte
diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres
königlichen Zornes über die »Rebellen« vor dem Tag der Befreiung einen
Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln
konnte.

Das Epiphaniasfest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den
Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen
geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs.

Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund
Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs
erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus
dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das
vor dem Palast auf und niederflutete, lauter und heftiger anschwoll:
Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander.

Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er
sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Thore
des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken.

Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der
Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere
Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des
Thronstuhls, auf den Cassiodor sie zurückgeführt.

Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. »Halt,« rief er,
unter der Thüre des Gemaches hinaus, »die Königin ist für niemand
sichtbar.«

Einen Augenblick lautlose Stille.

Dann rief eine kräftige Stimme: »Wenn für dich, Römer, auch für uns, für
ihre gotischen Brüder. Vorwärts!«

Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen und im Augenblick war
Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie
von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales
zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron.

Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus
nicht kannte, und neben ihm – es litt keinen Zweifel – die drei Herzoge
Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle
Kriegergestalten. Die Eingedrungnen neigten sich vor dem Thron. Dann rief
Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines gebornen
Herrschers: »Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine kurze Weile;
wir wollen’s in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt
es nicht – so rufen wir euch auf zur That – ihr wißt, zu welcher.«

Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und
verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses.

»Tochter Theoderichs,« hob Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, »wir
sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden
wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier
siehst.«

»Wenn ihr das wißt,« sprach Amalaswintha mit Hoheit, »wie könnt ihr wagen,
dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern
Willen zu uns zu dringen?« – »Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die
schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die
Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.« – »Welche
Sprache! Weißt du wer vor dir steht, Herzog Thulun?« – »Die Tochter der
Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.« – »Rebell!«
rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, »dein König
steht vor dir.« Aber Thulun lächelte: »Du würdest klüger thun,
Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die
Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: – das war wider Recht,
aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen
Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: – das war nicht klug. Aber Adel
und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch
eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht und
niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns
herrschen solle, die Spindel über die Speere.«

»So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?« rief sie
empört. »Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du
verleugnest seine Tochter?«

»Frau Königin,« sprach der Alte, »wollest du selbst verhüten, daß ich dich
verleugnen muß.«

Thulun fuhr fort: »Wir verleugnen dich nicht – noch nicht. Jenen Bescheid
gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst und weil du wissen mußt, daß du
ein Recht nicht hast.

Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren – wir ehren damit uns selbst
– und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen
könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die
Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.«

Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das
solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das
dulden! Thränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber
erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt.

Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: »Bewillige alles!«
raunte er ihr zu, »’s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute Nacht
noch kömmt Pomponius.«

»Redet,« sprach Cassiodor, »aber schont des Weibes, ihr Barbaren.« – »Ei,«
lachte Herzog Pitza, »sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist
ja unser König.«

»Ruhig, Vetter,« verwies ihn Herzog Thulun, »sie ist von edlem Blut wie
wir.«

»Fürs erste,« fuhr er fort, »entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von
Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin
beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.«

»Bewilligt!« sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas.

»Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir
vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß
kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.«

Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. »Heute
Nacht kommt Pomponius!« flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: »Auch das
wird zugestanden.«

»Das dritte,« hob Thulun wieder an, »wirst du so gern gewähren, als wir es
empfangen. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter
zu bücken: das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am
besten weit von einander – wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres
Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit
dein großer Vater ins Grab stieg. Avaren, Gepiden, Sclavenen springen
ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du
drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften und wir drei Balten führen sie
als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.«

Die ganze Waffenmacht obenein in ihre Hände: – nicht übel! dachte
Cethegus. »Bewilligt,« rief er lächelnd.

»Und was bleibt mir,« fragte Amalaswintha, »wenn ich all das euch
dahingegeben?«

»Die goldne Krone auf der weißen Stirn,« sagte Herzog Ibba.

»Du kannst ja schreiben wie ein Grieche,« begann Thulun aufs neue.
»Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll
enthalten – mein Sklave hat es aufgezeichnet – was wir fordern.«

Er reichte es Witichis zur Prüfung: »Ist es so? Gut. Das wirst du
unterschreiben, Fürstin. – So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad,
mit jenem Römer.«

Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: »Präfekt
von Rom,« sagte er, »Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es
weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du
büßen« – der Zorn erstickte seine Stimme.

»Pah,« rief, ihn zurückschiebend, Hildebad, – denn er war der baumlange
Gote – »macht nicht soviel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann
leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr
verloren als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel,« rief er Cethegus zu
und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, »kennst du das?«

»Des Pomponius Schwert!« rief dieser erbleichend und einen Schritt
zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken:
»Pomponius?«

»Aha,« lachte Hildebad, »nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der
Wasserfahrt kann nichts werden.«

»Wo ist Pomponius, mein Nauarch?« rief Amalaswintha heftig.

»Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.«

»Ha, Tod und Vernichtung!« rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn,
»wie geht das zu?«

»Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila – du kennst ihn ja, nicht wahr? –
lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius,
der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so
dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel.
Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen
entwischt. Totila schöpft Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm
nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an
Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn, wohinaus?«

»Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben
haben.«

»Doch, Vortrefflicher, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben
allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: »Wohin ich segle? Nach
Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom.«
Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor
und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand,
sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre
Bursche im nächsten Schiff das Eisen klirren und flugs waren sie mit ihren
Boten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir
die mehreren: aber der Nauarch – gieb dem Teufel sein Recht! – gab sich
nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch
den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein
Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie
ein Schlachtstier. »Grüßt mir den Präfekten,« sprach er sterbend, »gebt
ihm das Schwert, sein Geschenk, zurück und sagt ihm, es kann keiner wider
den Tod: sonst hätte ich Wort gehalten.« Ich hab’s ihm gelobt, es zu
bestätigen. Er war ein tapfrer Mann. Hier ist das Schwert.«

Schweigend nahm es Cethegus.

»Die Schiffe ergaben sich und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona.
Ich aber segelte mit dem schnellsten hierher und traf am Hafen mit den
drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.«

Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich
überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sichern
Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war.

Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der
Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward
erst durch den Ausruf Thuluns gestört: »Nun, Amalaswintha, willst du
unterzeichnen? oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?«

Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die
Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: »Du mußt, o
Königin,« sagte er leise, »es bleibt dir keine Wahl.« Cassiodor gab ihr
den Griffel, sie schrieb ihren Namen und Thulun nahm die Tafel zurück.

»Wohl,« sagte er, »wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich
gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne
Gewalt geschehen ist.«

Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den
gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit
Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie
ihren Thränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr
Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja
selbst als Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. »Das,« rief sie
laut weinend, »das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe
Gewalt! o Cethegus, alles ist verloren.«

»Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken,«
setzte er kalt hinzu, »ich gehe nach Rom.«

»Wie? du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese
Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O
besser, ich hätte widerstanden, dann wär ich Königin geblieben, hätten sie
auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.«

Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein
Held soll mehr diese Krone tragen. – Rasch hatte er erkannt, daß
Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne – und rasch gab er sie auf.
Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch
beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht
auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerriefe und
dadurch Thulun die Krone zuwende. »Ich gehe, o Herrin,« sprach er, »doch
ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man
hat mich aus deiner Nähe verbannt und man wird dich hüten, eifersüchtig
wie eine Geliebte.«

»Aber was soll ich thun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei
Herzogen?«

»Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge,« setzte er zögernd
bei – »die ziehn ja in den Krieg: – vielleicht kehren sie nicht zurück.«

»Vielleicht!« seufzte die Regentin. »Was nützt ein vielleicht!« Cethegus
trat fest auf sie zu: »Sie kehren nicht zurück – sobald du’s willst.«
Erschrocken bebte die Frau: »Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?« – »Das
Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe.
Hattest du in dieser Stunde die Macht, du hattest das volle Recht, sie zu
töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie
erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.«

»Und sie soll’n ihn finden,« flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend,
vor sich hin, »sie soll’n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin
gezwungen. Du hast Recht – sie sollen sterben.« – »Sie müssen sterben –
sie, und,« fügte er ingrimmig bei, »und – – der junge Seeheld!«

»Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volks.«

»Er stirbt,« knirschte Cethegus, »o, könnt’ er zehnmal sterben.«

Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der
eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. »Ich
schicke dir,« fuhr er rasch und leise fort, »aus Rom drei vertraute
Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald
sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, _du_ sendest sie, die
Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die Drei müssen an Einem Tage
fallen – Für den schönen Totila sorge ich selbst! – Der Schlag wird alles
erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei.
Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb wohl.«

Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem
Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den
Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten.

Sie fühlte sich ganz verlassen.

Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort
zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll
stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile
finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des
Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: »Gesandte von Byzanz bitten um
Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet
dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.«

»Justinianus!« rief die ganze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich
ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen:
ringsumher hatte sie in trübem Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht
und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: »Byzanz –
Justinianus!«



                             Viertes Kapitel.


In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wandrer, der von
Florenz heranzieht, rechts von der Straße die Ruinen eines ausgedehnten
villenartigen Gebäudes.

Epheu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Trümmer
überkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine
davongetragen, die Erde ihrer Weingärten an den Hügelrändern aufzudämmen.
Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Säulenhalle vor dem
Hause, wo das Mittelgebäude, wo die Hofmauer stand. Üppig wuchert das
Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst der schöne Garten in Zier und
Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite
Marmorbecken eines längst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem
Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt.

Aber in den Tagen, von denen wir erzählen, sah es hier viel anders aus.
»Die Villa des Mäcen bei Fäsulä,« wie man das Gebäude damals, wohl mit
wenig Fug, benannte, war von glücklichen Menschen bewohnt, das Haus von
sorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt.
Zierlich war die rankende Klemmatis hinaufgebunden an den schlanken
Schäften der korinthischen Säulen vor dem Haus und der Wein zog freundlich
schmückend über das flache Dach. Mit weißem Sande waren die schlängelnden
Wege des Gartens bestreut und in den Nebengebäuden, die der Wirtschaft
dienten, glänzte eine Reinlichkeit, waltete eine stille Ordnung, die nicht
auf römische Sklavenhände raten ließ.

Es war um Sonnenuntergang.

Die Knechte und Mägde kehrten von den Feldern zurück: die hoch mit Heu
beladenen Wagen mit Rossen nicht italischer Zucht bespannt, schwankten
heran: von den Hügeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu,
von großen zottigen Hunden umbellt.

Dicht vor dem Hofthor gab es die lebendigste Scene des bunten Schauspiels:
ein paar römische Sklaven trieben mit tobenden Gebärden und gellendem
Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam überladnen Wagens an: nicht
mit Peitschenhieben, sondern mit Stöcken, deren Eisenspitzen sie den
Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stießen. Nur ruckweise ging es
trotzdem vorwärts. Jetzt lag ein großer Stein vor dem linken Vorderrad,
jeden Fortschritt unmöglich machend. Aber der wütige Italier sah es nicht.

»Vorwärts, Bestie, und Kind einer Bestie,« schrie er dem zitternden Rosse
zu, »vorwärts, du gotisches Faultier!« Und ein neuer Stich mit dem Stachel
und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht über den Stein,
das gequälte Tier stürzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureißen.
Darüber wurde der Treiber erst recht grimmig. »Warte, du Racker!« schrie
er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. – Aber nur einmal schlug
er, im nächsten Augenblick stürzte er selbst wie blitzgetroffen unter
einem mächtigen Streiche nieder.

»Davus, du boshafter Hund!« brüllte eine Bärenstimme und über dem
Gefallenen stand schier noch mal so lang und gewiß noch mal so breit wie
der erschrockene Tierquäler, ein ungeheurer Gote, einen derben Knüttel
wiederholt auf den Rücken des Schreienden schwingend.

»Du elender Neiding,« schloß er mit einem Fußtritt, »ich will dich lehren,
umgehn mit einem Geschöpf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du
Schandbub quälst den Hengst, weil er von jenseit der Berge ist. Noch
einmal laß mich das sehn und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe.
Jetzt auf und abgeladen: – du trägst alle Schwaden, die zuviel sind, auf
deinem eignen Rücken in die Scheuer. Vorwärts.«

Mit einem giftigen Blick stand der Gezüchtigte auf und schickte sich
hinkend an, zu gehorchen.

Der Gote hatte das zuckende Roß sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt
sorglich die geschürften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und
Wasser.

Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle
Knabenstimme rief: »Wachis, hierher, Wachis!« – »Komme schon, Athalwin,
mein Bursch, was giebt’s?« – und schon stand er in der offnen Thüre des
Pferdestalles, neben einem schönen Knaben von sieben bis acht Jahren, der
sich heftig die langen, gelben Haare aus dem erglühenden Antlitz strich
und mit Mühe in den himmelblauen Augen zwei Thränen des Zornes zerdrückte.
Er hatte ein zierlich geschnitztes Holzschwert in der Rechten und hob es
drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und
mit geballten Fäusten trotzig ihm gegenüberstand.

»Was giebt’s da?« wiederholte Wachis über die Schwelle tretend.

»Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen und sieh nur, zwei Bremsen
haben sich eingesogen oben an seinem Bug, wo er mit der Mähne nicht
hinreichen kann und ich nicht mit der Hand und der böse Cacus da, wie
ich’s ihm sage, will mir nicht folgen: und gewiß hat er mich geschimpft
auf römisch, was ich nicht verstehe.« Wachis trat drohend näher.

»Ich habe nur gesagt:« sprach Cacus langsam zurückweichend, »erst eß’ ich
meine Hirse; das Tier mag warten; bei uns zu Lande kömmt der Mensch vor
dem Vieh.« – »So, du Tropf?« sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, »bei
uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.«

Aber Cacus war stark und trotzig: er warf den Kopf auf und sagte: »wir
sind hier in unserm Land – da gilt unser Brauch.« – »Eia, du verfluchter
Schwarzkopf, wirst du gehorchen?« sprach Wachis ausholend. – »Gehorchen?
Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben
schon hier im Hause gelebt als deinesgleichen noch Küh’ und Schafe stahlen
jenseit der Berge.« Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme:
»Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon,
was für einen. Jetzt geht’s in einem hin.« – »Ha,« lachte Cacus höhnisch,
»wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin.
Sie tanzt wie eine Jungkuh.« – Jetzt ist’s aus mit dir,« sagte Wachis
ruhig und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine
Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte
des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wachis bückte, sauste es
haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Thür.
»Na, warte, du Mordwurm!« rief der Germane und wollte sich auf Cacus
werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert.

Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte.

Aber jetzt ward Wachis sehr zornig.

Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit
der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden
Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend, »so,
meine Jungen – das für das Messer – und das für den Rückensprung – und den
für die Jungkuh« – und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch
fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört.

»Wachis – Cacus – auseinander sag’ ich!« rief eine volle starke
Frauenstimme, und vor der Thür erschien ein stattliches Weib in blauem
gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau
eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch
einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig,
aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit
sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedeckten vollen
Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel,
über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte,
klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte
und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin.

»Eia, Rauthgundis, strenge Frau,« sagte Wachis loslassend, »mußt du denn
überall die Augen haben?«

Ȇberall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch
vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis,
solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.«
Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort.

Sie ging in den Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand,
die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten.

Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: »Du, Mutter,
ist’s wahr? ist der Vater ein Räuber?«

Rauthgundis hielt inne in ihrem Thun und sah das Kind an: »Wer hat das
gesagt.«

»Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen
Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun und ich zeigte ihm, wie weit das
Land uns gehöre rechts vom Zaun, – weit und breit – so weit unsre Knechte
mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: »Ja, und
all’ das Land gehörte früher uns und dein Vater oder dein Großvater, die
haben’s gestohlen, die Räuber.«

»So? und was sagtest du drauf.«

»Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur über den Heuhaufen hinunter, daß
er die Füße gen Himmel schlug. Aber jetzt, nach der Hand, möcht’ ich doch
wissen, ob’s wahr ist.«

»Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat’s der Vater nicht. Aber
offen genommen, weil er besser war und stärker als diese Welschen. Und
alle starken Helden haben’s immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die
Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am
allermeisten. Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem
Anger zur Bleiche liegt.«

Als sie nun den Stallungen den Rücken wandten und dem nahen Grashügel
links vom Hause zuschritten, hörten sie den raschen Hufschlag eines
Rosses, das auf der alten römischen Heerstraße nahte. Rasch hatte Athalwin
den Gipfel des Hügels erreicht und blickte nach der Straße hin.

Da sprengte ein Reiter auf einem mächtigen Braunen die Waldhöhe herab auf
die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er
schräg über dem Rücken trug.

»Der Vater, Mutter, der Vater!« rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind
den Hügel hinab dem Reiter entgegen.

Rauthgundis hatte jetzt auch die Höhe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte
die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendröte zu schauen: dann sagte
sie still glücklich vor sich hin: »Ja, er ist’s. Mein Mann!«



                             Fünftes Kapitel.


Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an
seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und
setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig
wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderich’s Streitroß, die Heimat
und die Herrin erkennend und schlug freudig mit dem langen wallenden
Schweif.

Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben: »mein liebes Weib!«
sprach er, sie herzlich umarmend. »Mein Witichis!« flüsterte sie, an
seiner Brust erglühend, entgegen, »willkommen bei den Deinen.« – »Ich
hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen – schwer ging’s –«

»Aber du hieltst Wort wie immer.« – »Mich zog das Herz,« sagte er, den Arm
um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. »Dir, Athalwin,
ist, scheint’s, Wallada wichtiger als der Vater,« lächelte er dem Kleinen
zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte.

»Nein, Vater, aber gieb mir noch die Lanze dazu – so gut wird mir’s selten
hier in dem Bauernleben« – und den langen schweren Speerschaft mit Mühe
einherschleppend, rief er laut: »he, Wachis, Ansbrand, der Vater ist da! –
Jetzt holt den Falernerschlauch aus dem Keller. Der Vater hat Durst vom
scharfen Ritt.«

Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an
ihnen vorüber und voran eilte. »Nun, und wie steht’s hier draußen bei
euch?« fragte er, auf Rauthgundis blickend. »Gut, Witichis, die Ernte ist
glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.« –
»Nicht danach frag’ ich,« sagte er, sie zärtlich an sich drückend, – »wie
geht es dir?« – »Wie’s einem armen Weibe geht,« antwortete sie, zu ihm
aufblickend, »das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit,
Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk’
ich, wie hart du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager
und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk’
ich dann, kömmt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich
finden.

Und das ist’s, sieh, was mir all’ die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet
und veredelt.«

»Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?«

»Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das thut
mir weh.« Witichis blieb stehen. »Wer wagt’s, dir weh zu thun?« – »Ach,
die welschen Knechte und die welschen Nachbarn.

Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fürchten.
Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiß, und die
römischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte
sind brav.«

Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und ließen in
dem Säulengang sich vor einem Marmortisch nieder. »Du mußt bedenken,«
sagte Witichis, »der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner
Sklaven an uns abtreten müssen.« – »Und hat zwei Drittel behalten und das
Leben dazu – er sollte Gott danken!« meinte Rauthgundis verächtlich.

Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Äpfeln, die er vom Baum
gepflückt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein,
Fleisch und Käse und sie begrüßten den Herrn mit freimütigem Handschlag.
»Gut, meine Kinder, seid gegrüßt. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken
Davus, Cacus und die andern?« – »Verzeih, Herr,« schmunzelte Wachis, »sie
haben ein schlecht Gewissen.«

»Warum? Weshalb?« – »Ei, ich glaube, – weil ich sie ein bischen geprügelt
habe – sie schämen sich.« Die andern Knechte lachten. »Nun, es kann ihnen
nicht schaden,« meinte Witichis, »geht jetzt zu eurem Essen. Morgen seh’
ich nach eurer Arbeit.« Die Knechte gingen. »Was ist’s mit Calpurnius,«
fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis errötete und besann sich:
»Das Heu von der Bergwiese,« sagte sie dann, »das unsre Knechte gemäht,
hat er nachts in seine Scheuer geschafft und giebt es nicht heraus.« – »Er
wird es schon herausgeben, mein’ ich ....« sagte er ruhig, trinkend. –
»Jawohl,« rief Athalwin lebhaft, »das mein’ ich auch. Und giebt er’s nicht
– mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an und ich zieh’ hinüber mit
Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer
so giftig an, der schwarze Schleicher.«

Rauthgundis wies ihn zur Ruh’ und schickte ihn schlafen. »Wohl, ich gehe,«
sagte er, »aber, Vater, wenn du wiederkömmst, bringst du mir statt dieses
Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?« Und er hüpfte ins Haus.

»Der Streit mit diesen Welschen endet nie,« sagte Witichis, »er vererbt
sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruß damit. Desto lieber
wirst du thun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof.«

Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: »Du scherzest!« sagte sie
ungläubig. »Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin,
ist dir’s nie eingefallen, mich an den Hof zu führen: ich glaube, es weiß
niemand in dem Volk, daß eine Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe
geheim gehalten,« lächelte sie, »wie eine Schuld.« »Wie einen Schatz,«
sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. – »Ich habe dich nie gefragt,
warum. Ich war und bin glücklich dabei und dachte und denke: er wird wohl
seinen Grund haben.«

»Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles
wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner
Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam König Theoderich auf den seltsamen
Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thüringerkönigs,
zu vermählen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz
bedurfte.« – »Du solltest dort die Krone tragen?« sprach Rauthgundis mit
strahlenden Augen. »Mir aber,« fuhr Witichis fort, »war Rauthgundis lieber
als Königin und Krone, und ich sagte nein.

Es verdroß ihn schwer und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich würde
wohl niemals freien. Konnt’ ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu
nennen: du weißt, wie lange dein Vater mißtrauisch und eisern dich mir
nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt
ich’s nicht für wohlgethan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine
Schwester ausgeschlagen.«

»Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?«

»Weil,« sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, »weil ich meine
Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, Wunder was ich an jener
Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot und ich bin dauernd an den
Hof gebunden. Wer weiß, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser
Säulen, im Frieden dieses Daches.«

Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfekten und welche
Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hörte ihn
Rauthgundis an; dann drückte sie ihm die Hand: »Das ist wacker, Witichis,
daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist
heiterer, denk’ ich, als sonst.«

»Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei
stehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk war viel schwerer. Mich
dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene.«

»Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das
nie ein.«

»Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.«

»Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß
nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie
könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.«

»Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.«

»Nein, Witichis,« sagte sie ruhig, aufstehend, »der Hof paßt nicht für
mich. Und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern Kind und gar
unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken,« lachte sie, »und diese
rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht
taugt’ ich zu den feinen Römerinnen und wenig Ehre würdest du haben von
mir.«

»Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?« – »Nein,
Witichis, zu gut.« – »Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen
lernen.« – »Das würd’ ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir,
ich niemals sie. Ich würd’ ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß sie hohl,
falsch und schlecht sind.«

»So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondenlang?« – »Ja, lieber ihn
entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein
Witichis,« sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, »denk nur,
wer ich bin und wie du mich gefunden.

Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolks den Saum der Alpen umgürten,
hoch auf den Felsschroffen der Scaranzia, wo die junge Isara schäumend aus
den Steinklüften ins offne Land der Bajuwaren bricht, da steht meines
Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt’ ich da als die strenge Arbeit des
Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle
am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter und den Bruder haben die
Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater,
der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah
ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur
hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder
Wein unten in der Thalschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen
schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah
der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm Licus:
und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie
aufstieg drüben überm breiten Önus. Und daß ich wohl auch wissen möchte,
wie’s aussieht über dem Karwändel. Oder gar drüben, hinter dem
Brennusberg, wo der Bruder hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch
fühlte ich, wie schön es sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich
den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst und wo ich prächtige
Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene und auch wohl
einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stallthür heulen hörte und mit
dem Kienbrand scheuchte.

Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still
in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier
spannen, wann der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und
die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich
auf, fremd in der Welt jenseit der nächsten Wälder, nur zu Hause in der
stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben.

Da kamest du – ich weiß es noch wie heute« – und sie hielt an, in
Erinnerung verloren.

»Ich weiß es auch noch genau,« sagte Witichis. »Ich führte eine
Hundertschaft zur Ablösung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus –
ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwülen
Sommertag pfadlos umhergeirrt – da sah ich Rauch aufsteigen überm
Tannenhang und bald fand ich das versteckte Gehöft und trat ins Thor: da
stand ein prächtig Mädchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer.« –

»Und ich erschrak siedheiß, – zum erstenmal in meinem Leben! – als der
große, bräunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem
funkelnden Helm.«

»Ja, du wurdest blutrot bis in die Schläfe und ich bat dich um einen Trunk
Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schöner Bild gesehen als wie du dich
nun niederbeugtest und mit den kräftigen Armen den schweren Eimer auf den
Brunnenrand hobst und mir schöpftest in dem Kürbiskrug: reich fielen die
dichten goldbraunen Zöpfe übers schwarze Mieder bis in die Knie und deine
Wangen waren pfirsichgleich: – o wie wacker, frisch und blühend sahst du
aus. Und wie wacker, frisch und blühend bist du mir geblieben seither alle
Zeit.«

»Und darum, mein Witichis, auf daß ich dir blühend bleibe, führe mich
nicht an den Hof. Sieh hier schon im Thal, im Südthal der Alpen, wird mirs
oft zu schwül und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft
meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemächern – da würd’ ich
dir verkümmern und verschmachten. Laß du mich hier – ich will schon fertig
werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiß ich ja, du denkst doch
auch im Königssaal nach Haus an Weib und Kind.«

»Ja, weiß Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier und Gott
behüte dich, mein gutes Weib.« –

Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurück, die Waldhöhe hinan.
Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck
des Gefühls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen
scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern’gen Weib und seinem
Knaben!

Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich’s durchaus nicht hatte nehmen
lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Plötzlich ritt er
zu ihm hinan. »Herr,« sagte er, »ich weiß was.« – »So? warum sagst du’s
nicht?« – »Weil mich noch niemand drum gefragt hat.« – »Nun, ich frage
dich drum.« – »Ja, wenn man gefragt ist, muß man freilich reden. – Die
Frau hat dir gesagt, daß Calpurnius so ein böser Nachbar ist?« – »Ja. Und
was soll’s damit?« – »Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?«

»Nein. Weißt du seit wann?« – »Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf
Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber
sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen
Mittagsschlaf.«

»Der Faulpelz warst du.«

»Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau.«

»Was sagte er?«

»Das hab’ ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand
und schlug ihm ins Gesicht, daß es patschte. Das hab’ ich verstanden. Und
seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar und das wollt’ ich dir
sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht ärgern wollen
mit dem Wicht.

Aber es ist doch besser du weißt darum. Und sieh, da steht Calpurnius
gerade unter seiner Hofthür – siehst du, dort – und jetzt fahr’ wohl,
lieber Herr.«

Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause.

Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Thür seines Nachbars,
dieser wollte sich ins Haus drücken, aber Witichis rief ihn in einem Ton,
daß er bleiben mußte.

»Was willst du mir, Nachbar Witichis,« sagte er, blinzelnd zu ihm
aufsehend.

Witichis zog den Zügel an und schob sein Roß dicht neben jenen. Dann
streckte er ihm die geballte, erzgepanzerte Faust hart vor die Augen:
»Nachbar Calpurnius,« sagte er ruhig, »wenn _ich_ dir einmal ins Gesicht
schlage, stehst du nie wieder auf.«

Calpurnius fuhr erschrocken zurück.

Witichis aber gab seinem Rosse den Sporn und ritt stolz und langsam seines
Weges.



                            Sechstes Kapitel.


Zu Rom in seinem Arbeitszimmer lag, auf den weichen Kissen des Lectus
behaglich ausgestreckt, Cethegus der Präfekt.

Er war guter Dinge.

Die Untersuchung gegen ihn hatte mit Freisprechung geendet: nur im Fall
augenblicklicher Durchforschung seines Hauses, wie sie der junge König
angeordnet, aber sein Tod vereitelt hatte, wäre Entdeckung zu befürchten
gewesen. Er hatte durchgesetzt, daß die Befestigung von Rom fortgeführt
wurde, mit Zuschüssen aus seinen eigenen Geldern, was seinen Einfluß in
der Stadt noch hob. In der letzten Nacht hatte er Versammlung gehalten in
den Katakomben: alle Berichte lauteten günstig. Die Patrioten wuchsen an
Zahl und Reichtum.

Der härtere Druck, der seit den letzten Vorgängen zu Ravenna auf den
Italiern lastete, konnte die Zahl der Unzufriednen nur vermehren und, was
die Hauptsache war, Cethegus hielt jetzt alle Fäden der Verschwörung in
seiner Hand. Unbedingt erkannten selbst die eifersüchtigsten Republikaner
die Notwendigkeit an, bis zum Tag der Freiheit dem Begabtesten die Führung
zu überlassen.

So vorgeschritten war die Stimmung gegen die Barbaren bei allen Italiern,
daß Cethegus den Gedanken fassen konnte, sobald Rom vollends befestigt,
ohne Hilfe der Byzantiner loszuschlagen. Denn, wiederholte er sich immer
wieder, alle Befreier sind leicht gerufen und schwer abgedankt. Und mit
Liebe pflegte er den Gedanken, Italien allein zu befreien.

So lag der Präfekt, legte Cäsars Bürgerkrieg, in dem er geblättert, zur
Seite, stützte das Haupt auf den linken Arm und sagte zu sich selbst: »die
Götter müssen noch Großes mit dir vorhaben, Cethegus. So oft du stürzest,
fällst du, heil wie eine Katze, auf die sichern Füße. Ah, wenn es uns wohl
geht, möchten wir uns mitteilen. Aber Vertrauen ist ein zu gefährliches
Vergnügen und das Schweigen ist der einzig treue Gott. Und doch bleibt man
ein Mensch und möchte ...« –

Da trat ein Sklave ein, der alte Ostiarius Fidus, überreichte schweigend
einen Brief auf flacher goldner Schale und ging. »Der Bote wartet,« sagte
er.

Gleichgültig nahm Cethegus das Schreiben.

Aber sowie er auf dem Wachs, das die Schnüre der Tafeln zusammenhielt das
Siegel – die Dioskuren – erkannte, rief er lebhaft: »Von Julius! zu guter
Stunde!« löste eilig die Fäden, legte die Tafeln auseinander und las – das
kalte bleiche Antlitz überflogen von einem sonst völlig fremden Hauch
freudiger Wärme.

»Cethegus dem Präfekten sein Julius Montanus.

Wie lange ist’s, mein väterlicher Lehrer,« (– »beim Jupiter, das klingt
frostig« –) »daß ich dir nicht den schuldigen Gruß gesendet. Das letzte
Mal schrieb ich dir an den grünen Ufern des Ilissos, wo ich in dem
verödeten Hain des Akademos die Spuren Platons suchte – und nicht fand.
Ich weiß wohl, mein Brief war nicht heiter. Die traurigen Philosophen
dort, in vereinsamten Schulen wandelnd, zwischen dem Druck des Kaisers,
dem Argwohn der Priester und der Kälte der Menge, sie konnten nichts in
mir erwecken als Mitleid. Meine Seele war dunkel, ich wußte nicht weshalb.

Ich schalt meinen Undank gegen dich – den großmütigsten aller Wohlthäter –
–« (»so unerträgliche Namen hat er mir nie gegeben,« schaltete Cethegus
ein).

»Seit zwei Jahren reise ich, mit deinen Reichtümern wie ein König der
Syrer ausgestattet, von deinen Freigelassenen und Sklaven begleitet, durch
ganz Asien und Hellas, genieße alle Schönheit und Weisheit der Alten – und
mein Herz bleibt unbefriedigt, mein Leben unausgefüllt. Nicht Platons
schwärmerische Weisheit, nicht das Goldelfenbein des Pheidias, Homeros
nicht und nicht Thukydides boten, was mir fehlte.

Endlich, endlich hier in Neapolis, der blühenden göttergesegneten Stadt
hab’ ich gefunden, was ich unbewußt überall vermißt und immer gesucht.

Nicht tote Weisheit: warmes, lebendiges Glück,« (– er hat eine Geliebte!
nun endlich, du spröder Hippolyt, Dank euch, Eros und Anteros! –) »o, mein
Lehrer, mein Vater! weißt du, welch ein Glück es ist, ein Herz, das dich
ganz versteht, zum erstenmal dein eigen nennen?« (– »ah, Julius,« seufzte
der Präfekt mit einem seltnen Ausdruck weicher Empfindung, »ob ich es
wußte!« –) »Dem du die ganze volle Seele offen zeigen magst? O, wenn du’s
je erfahren, preise mich, opfre Zeus dem Erfüller endlich: zum erstenmal
hab’ ich einen Freund.«

»Was ist das?« rief Cethegus unwillig aufspringend mit einem Blick
eifersüchtigen Schmerzes, »der Undankbare!«

»Denn, das fühlst du wohl, ein Freund, ein Herzensvertrauter fehlte mir
bis jetzt. Du, mein väterlicher Lehrer« –

Cethegus warf die Tafeln auf den Schildpatttisch und machte einen hastgen
Gang durchs Zimmer. »Thorheit!« sagte er dann ruhig, nahm den Brief auf
und las weiter –

»Du, soviel älter, weiser, besser, größer als ich – du hast mir eine
solche Wucht von Dank und Verehrung auf die junge Seele geladen, daß sie
sich dir nie ohne Scheu öffnen konnte. Auch hörte ich oft mit Zagen, wie
du solche Weichheit und Wärme mit ätzendem Witze verhöhntest: ein scharfer
Zug um deinen stolzen festgeschlossenen Mund hat solche Gefühle in mir in
deiner Nähe stets getötet wie Nachtfrost die ersten Veilchen« (– »nun,
aufrichtig ist er!« –) »Jetzt aber hab’ ich einen Freund gefunden: offen,
warm, jung, begeistert wie ich und nie gekannte Wonne ist mein Teil. Wir
haben nur Eine Seele in zwei Körpern: die sonnigen Tage, die mondsilbernen
Nächte wandeln wir miteinander durch diese elyseischen Gefilde und finden
kein Ende der geflügelten Worte. – Aber ich muß ein Ende finden dieses
Briefs. Er ist ein Gote« (– »auch noch,« sagte Cethegus ungehalten,) »und
heißt Totila.« –

Cethegus ließ die Hand mit dem Brief einen Augenblick sinken, er sagte
nichts, nur die Augen schloß er einen Moment, dann las er ruhig nochmal:

»Und heißt Totila!

Als ich am Tage nach meiner Ankunft in Neapolis durch das Forum des
Neptunus schlenderte und an der Bogenwölbung eines Hauses die Statuen
bewunderte, die ein Bildhauer dort zum Kaufe ausgestellt, stürzt
urplötzlich aus der Thür auf mich los ein grauköpfiger Mann mit einer
wollnen Schürze, über und über mit Gips bestäubt, in der Hand ein spitzes
Gerät: er packte mich an der Schulter und schrie: »Pollux, mein Pollux,
hab’ ich dich endlich!«

Ich dachte der Alte sei verrückt und sagte: »Du irrst, guter Mann: ich
heiße Julius und komme von Athen.«

»Nein,« schrie der Alte, »Pollux heißt du und kömmst vom Olymp.« Und eh’
ich wußte, wie mir geschah, hatte er mich zur Thür hineingedreht. Da
erkannte ich denn allmählich, woran ich mit dem Alten war: er war der
Bildhauer, der die Statuen ausgestellt.

In seiner Werkhalle standen andre halbvollendete umher und er erklärte
mir, seit Jahren trage er sich mit der Idee einer Dioskurengruppe. Für den
Kastor habe er vor kurzem ein köstlich Modell in einem jungen Goten
gefunden. »Aber umsonst erflehte ich« – fuhr er fort – »all diese Tage vom
Himmel einen Gedanken für meinen Pollux. Er soll dem Kastor gleichen, ein
Bruder Helenas, ein Sohn des Zeus wie er, volle Ähnlichkeit in Zügen und
Gestalt muß da sein. Und doch muß die Verschiedenheit so deutlich sein wie
die Gleichheit: sie müssen zusammengehören und doch jeder ganz eigenartig
sein. Umsonst lief ich alle Bäder und Gymnasien Neapolis ab: ich fand den
Ledazwilling nicht. Da hat dich ein Gott, Zeus selber hat dich mir ans
eigne Fenster geführt: wie ein Blitz schlug’s in mich ein, da steht mein
Pollux, wie er sein muß: und nicht lebendig laß ich dich aus dieser Halle,
bis du mir deinen Kopf und deinen Leib versprochen.«

Gern sagte ich dem närrischen Alten zu, andern Tages wieder zu kommen. Und
das erfüllt ich um so lieber als ich erfuhr, daß mein gewaltthätiger
Freund Xenarchos sei, der größte Bildner in Marmor und Erz, den Italien
seit lange gesehn. Am andern Tag kam ich denn wieder und fand meinen
Kastor – es war Totila: – und ich kann nicht leugnen, daß mich die große
Ähnlichkeit selbst überraschte, wenn auch Totila älter, höher, kräftiger
und unvergleichlich schöner ist als ich. Xenarchos sagt, wir seien wie
Hellcitrus und Goldcitrus. Denn Totila ist heller an Haar und Haut: und
gerade so, schwört der Meister, haben sich die beiden Dioskuren geglichen
und nicht geglichen. So lernten wir uns denn unter den Götterbildern
Xenarchs kennen und lieben: wir wurden in Wahrheit Kastor und Pollux,
innig und unzertrennlich wie sie, und schon ruft uns das heitre Volk von
Neapolis bei diesem Namen, wann wir, Arm in Arm geschlungen durch die
Straßen gehn.

Unsere junge Freundschaft ward aber noch besonders rasch gereift durch
eine drohende Gefahr, die sie leicht in der Blüte geknickt hätte.

Wir waren eines Abends, wie wir pflegten, zur Porta Nolana hinaus
gewandelt, in den Bädern des Tiberius Kühlung von des Tages Hitze zu
suchen. Nach dem Bade hatte ich in einer Laune spielender Zärtlichkeit –
du wirst sie schelten – des Freundes weißen Gotenmantel umgeschlagen und
seinen Helm mit den Schwanenflügeln aufs Haupt gesetzt. Lächelnd ging er,
meine Chlamys umwerfend, auf den Tausch ein und friedlich plaudernd
schritten wir durch den Pinienhain im ersten Dunkel der Nacht nach der
Stadt zurück.

Da springt aus dem Taxusgebüsch hinter mir ein Mann auf mich her und ich
fühle kaltes Eisen an meinem Halse.

Aber im nächsten Augenblick lag der Mörder zu meinen Füßen, Totila’s
Schwert in der Brust. Nur leicht verwundet beugte ich mich zu dem
Sterbenden nieder und fragte ihn, welcher Grund ihn habe zum Haß, zum
Morde gegen mich treiben können.

Er aber starrte mir ins Antlitz und hauchte: »Nicht dich: – Totila, den
Goten« – und er zuckte und war tot. Man sah’s an Tracht und Waffen – es
war ein isaurischer Söldner.«

Cethegus senkte den Brief und drückte die linke Hand vor die Stirn.
»Wahnsinn des Zufalls,« sagte er, »wohin konntest du führen!«

Und er las zu Ende.

»Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten
den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser ließ die
Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen – ohne Erfolg. Uns beiden
aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft befestigt und mit Blut
geweiht für alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das
Siegel der Dioskuren, das du mir zum Abschied geschenkt, war ein
freundlich Omen, das sich freundlich erfüllt hat. Und wenn ich mich frage,
wem dank’ ich all dies Glück? Dir, dir allein, der mich in diese Stadt
Neapolis gesendet, in der ich all’ mein Glück gefunden. So mögen dir es
alle Götter und Göttinnen vergelten! Ach ich sehe, dieser ganze Brief
redet nur von mir und dieser Freundschaft – schreibe doch bald wie es um
dich steht. Vale.«

Ein bitteres Lächeln zuckte um des Präfekten ausdrucksvollen Mund.

Und wieder durchmaß er das Gemach in nur mit Mühe gehaltenen Schritten.
Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stützend. – »Wie kann
ich nur so – jugendlich sein, mich zu ärgern. Es ist alles sehr natürlich,
wenn auch sehr einfältig. Du bist krank, Julius. Warte: ich will dir ein
Rezept schreiben.« Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Ausdruck,
setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der
Bronzevase, ergriff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten
Tinte, aus einem Löwenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war:

               »An Julius Montanus Cethegus, der Präfekt
                                 von Rom.

Deine rührende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spaß gemacht. Sie zeigt,
daß du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast du sie abgethan, wirst
du ein Mann sein.

Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich dir das beste Mittel. Du
suchst sogleich den Purpurhändler Valerius Procillus, meinen ältesten
Gastfreund in Neapolis, auf. Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes,
ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brüder
getötet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter
Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schönste Römerin
unserer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt.
Antigone oder Virginia würden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei
Jahre jünger und folglich zehnmal reifer als du. Gleichwohl wird sie dir
der Vater nicht versagen, erklärst du ihm, daß Cethegus für dich wirbt. Du
aber wirst dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben.

Du wirst das: obgleich ich es dir vorher sage und obgleich du weißt, daß
ich es wünsche. In ihren Armen wirst du alle Freunde der Welt vergessen:
geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Übrigens, weißt du, daß dein
Kastor einer der gefährlichsten Römerfeinde ist? Und ich habe einmal einen
gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom über alles. Vale.«

Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnürte ihn mit den Bändern von
rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drückte seinen
Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann berührte er
einen aus dem Marmorgetäfel hervorschauenden silbernen Adler: – draußen an
der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den
Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton.

Der Sklave trat wieder ein.

»Laß den Boten in meinen Thermen baden, gieb ihm Speise und Wein, einen
Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit
zurück nach Neapolis.« – –



                            Siebentes Kapitel.


Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Präfekten in einem Kreise,
der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen
schien.

In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den
ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die
Sitten der Römerwelt mit grellen Widersprüchen erfüllte, spielte besonders
die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine
auffallende Rolle. Neben den großen Feiertagen des christlichen
Kirchenjahres bestanden auch noch größtenteils die fröhlichen Feste der
alten Götter fort, wenn auch meist ihrer ursprünglichen Bedeutung, ihres
religiösen Kernes beraubt.

Das Volk ließ sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die
Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die
Tänze und Schmäuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die
Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht ändern konnte.

So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich
derber Aberglaube und wüster Unfug aller Art verband, erst im Jahre
vierhundertsechsundneunzig – und nur mit Mühe – abgeschafft.

Viel länger natürlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien,
die Palilien und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Städten
und Dörfern Italiens mit veränderter Bedeutung bis auf diese Stunde
erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, früher auf
der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der fröhlichen Jugend, mit
lauten Spielen und Tänzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens
mit Schmaus und Gelage begangen wurden.

Und so hatten sich denn die beiden Licinier und ihr Kreis von jungen
Rittern und Patriziern an dem Hauptfesttag der Floralien zu einem
Symposion zusammen bestellt, für welches jeder der Gäste, wie bei unsern
»Picknicks,« seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die
Fröhlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem
liebenswürdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuß
künstlerischer Muße zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gärten des
Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt
heitern Lebensgenusses und feiner Bildung galt. Außer dem reichen Adel
Roms verkehrten dort vornehmlich die Künstler und Gelehrten: und dann auch
jene Schichten der römischen Jugend, denen über ihren Rossen und Wagen und
Hunden wenige Zeit und Gedanken für den Staat übrig blieb und die daher
bis jetzt dem Einfluß des Präfekten unzugänglich gewesen waren.

Deshalb war es diesem sehr erwünscht, als ihm der junge Lucius Licinius,
jetzt sein glühendster Anhänger, die Einladung des Korinthers überbrachte.
»Ich weiß wohl,« sagte er schüchtern, »wir können deinem Geist nicht
ebenbürtige Unterhaltung bieten und wenn dich nicht die alten Kyprier und
Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab.«

»Nein, mein Sohn, ich komme,« sagte Cethegus »und mich locken nicht die
alten Kyprier, sondern die jungen Römer.« –

Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein
Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des
damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands und dies
machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Überladung jener Tage den
Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das
Peristyl, den offenen von Säulengängen umschlossenen Hof, dessen
Mittelpunkt ein plätschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken
bildete. Die nach Norden offne Säulenhalle enthielt außer andern Gelassen
auch den Speisesaal, der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt.
Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der »Coena«, dem
eigentlichen Schmause, sondern erst zu der »Commissatio,« dem darauf
folgenden nächtlichen Trinkgelag, zu kommen. Und so fand er denn die
Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo längst schon die zierlichen
Bronzelampen an den schildpattgetäfelten Wänden brannten und die Gäste,
mit Rosen und Eppich bekränzt, auf den Polstern des hufeisenförmigen
Trikliniums lagerten. Eine betäubende Mischung von Weinduft und
Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle
entgegen.

»Salve, Cethege!« rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. »Du findest nur
kleine Gesellschaft.«

Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen
jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner
leichten Tunika mehr gezeigt als verhüllt wurden, ihm die Sandalen
abzubinden. Er zählte indessen: »Nicht unter den Grazien,« lächelte er,
»nicht über die Musen.«

»Geschwind, wähle den Kranz,« mahnte Kallistratos, »und nimm deinen Platz
da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im Voraus
zum Symposiarchen, zum Festkönig gewählt.«

Der Präfekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er
wußte, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er wählte einen
Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Scepter, das ihm ein syrischer
Sklave knieend reichte. Das Rosendiadem zurecht rückend schwang er mit
Würde den Stab: »So mach’ ich eurer Freiheit ein Ende!«

»Ein geborner Herrscher,« rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im
Ernst. – »Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! mein erst Gesetz: ein
Drittel Wasser – zwei Drittel Wein.« – »Oho,« rief Lucius Licinius und
trank ihm zu, »_bene te_! Du führst üppig Regiment. Gleiche Mischung ist
sonst unser Höchstes.«

»Ja, Freund,« lächelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline,
dem »Konsulsplatz«, niederlassend, »ich habe meine Trinkstudien unter den
Ägyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk – wie heißt er?«

»Ganymedes – er ist aus Phrygien. Hübscher Wuchs, eh?« – »Also, Ganymed,
gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Wein
– doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist.« Die jungen Leute
lachten.

Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sicilien, noch sehr jung und schon
sehr dick.

»Pah,« lachte der Trinker, »Epheu ums Haupt und Amethyst am Finger – so
trotz ich den Mächten des Bacchus.« – »Nun, wo steht ihr im Wein?« fragte
Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen
zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken, schlang.

»Settiner Most mit hymettischem Honig, war das letzte. Da, versuch!« so
sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die
Buchhändler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen und dessen
Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte
dem Präfekten was wir einen »Vexierbecher« nennen würden, einen bronzenen
Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines
heftig in die Kehle schoß. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank
er und gab den Becher zurück. »Deine _trocknen_ Witze sind mir lieber,
Piso,« lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes
Täfelchen.

»O gieb,« sagte Piso, »es sind keine Verse – sondern – ganz im Gegenteil!
– eine Zusammenstellung meiner Schulden für Wein und Pferde.« – »Je nun,«
meinte Cethegus, »ich hab’ sie an mich genommen – sie sind also mein. Du
magst morgen die Quittung bei mir einlösen: aber nicht umsonst – mit einem
deiner boshaftesten Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!« – »O
Cethegus,« rief der Poet erfreut und geschmeichelt, »wie boshaft kann man
sein für vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes.«



                             Achtes Kapitel.


»Und im Schmause – wie weit seid ihr damit?« fragte Cethegus, »schon bei
den Äpfeln? sind es diese?«

Und er sah blinzend nach zwei Fruchtkörben von Palmenbast, die hoch
aufgehäuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Füßen prangten. »Ha
Triumph!« lachte Marcus Licinius, des Lucius jüngerer Bruder, der sich mit
der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. »Da siehst du meine
Kunst, Kallistratos! Der Präfekt nimmt meine Wachsäpfel, die ich dir
gestern geschenkt, für echt.« »Ah wirklich?« rief Cethegus wie erstaunt,
obwohl er den Wachsgeruch längst ungern vermerkt. »Ja, Kunst täuscht die
Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich möchte dergleichen in meinem
kyzikenischen Saal aufstellen.«

»Ich bin Autodidakt,« sagte Marcus stolz, »und morgen schicke ich dir
meine neuen persischen Äpfel: – denn du würdigst die Kunst.«

»Aber das Gelag ist doch zu Ende?« fragte der Präfekt, den linken Arm auf
das Polster der Kline stützend.

»Nein,« rief der Wirt, »ich will es nur gestehn: da ich auf unsern
Festkönig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab’ ich noch einen kleinen
Nachschmaus zu den Bechern gerüstet.« – »O du Frevler,« rief Balbus, sich
mit der zottigen Purpurgausape die fettglänzenden Lippen wischend, »und
ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!« – »Das
ist wider die Verabredung!« rief Marcus Licinius. – »Das verdirbt meine
Sitten!« sagte der fröhliche Piso ernsthaft. – »Sprich, ist das
hellenische Einfachheit?« fragte Lucius Licinius. – »Ruhig, Freunde,«
tröstete Cethegus mit einem Citat: »Auch unverhofftes Unheil trägt ein
Römer stark.«

»Der hellenische Wirt muß sich nach seinen Gästen richten,« entschuldigte
Kallistratos, »ich fürchte, ihr kämt mir nicht wieder, böte ich euch
marathonische Kost.« – »Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht,«
rief Cethegus, »du, Nomenklator, lies die Schüsseln ab: ich werde dann die
Weine bestimmen, die dazu gehören.«

Der Sklave, ein schöner lydischer Knabe, in einem bis an die Knie
aufgeschlitzten Röckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben
Cethegus an den Tisch von Cypressenholz und las von einem Täfelchen ab,
das er an goldnem Kettchen um den Hals trug: »Frische Austern aus
Britannien in Thunfischbrühe mit Lattich.« – »Dazu Falerner von Fundi,«
sprach Cethegus ohne Besinnen. »Aber wo steht der Schenktisch mit den
Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale.«

»Dort ist der Schenktisch!« und auf einen Wink des Hausherrn fiel der
Vorhang zurück, der die eine Ecke des Zimmers, den Gästen gegenüber,
verhüllt hatte.

Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen.

Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der
Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwöhnten Augen überraschend.
Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geräumiger silberner Wagen mit
goldnen Rädern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in
römischen Triumphen aufgeführt zu werden pflegten: und als köstliche Beute
lagen darin Pokale, Gläser, Schalen jeder Gestalt und jedes Stoffes in
scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverständiger Hand, gehäuft.

»Bei Mars dem Sieger,« lachte der Präfekt, »der erste römische Triumph
seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstören?« –
»Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten,« sagte Lucius Licinius feurig.
– »Meinst du? Versuchen wir’s! – Also zum Falerner die Kelche dort von
Terebinthenholz.«

»Weindrosseln vom Tagus mit Spargeln von Tarent!« fuhr der Lydier fort.
»Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen.«

»Junge Schildkröten von Trapezunt mit Flamingozungen –«

»Halt an, beim heiligen Bacchus,« rief Balbus. »Das sind ja die Qualen des
Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder
Amethyst – aber dies Aufzählen von Götterbissen mit trocknem Gaumen halt’
ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er
uns hungern läßt.« – »Mir ist, ich wäre Imperator und hörte das getreue
Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven.«
Da tönten Flöten aus dem Vorgemach und im Takte der Musik schritten sechs
Sklaven, Epheu um die glänzend gesalbten Locken, in roten Mänteln und
weißen Tuniken heran. Sie reichten den Gästen frische Handtücher von
feinstem sidonischem Linnen mit weichen Purpurfransen.

»Oh,« rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schönen
Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der
feinste Kenner solcher Ware zu sein, »das weichste Handtuch ist ein
schönes Haar« – und er fuhr dem eben neben ihm knieenden Ganymed durch die
Locken. »Aber, Kallistratos, jene Flöten sind hoffentlich weiblichen
Geschlechts – auf mit dem Vorhang – laß die Mädchen ein.«

»Noch nicht,« befahl Cethegus. »Erst trinken, dann küssen. Ohne Bacchus
und Ceres, du weißt –«

»Friert Venus, nicht Massurius.«

Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara und ein
trat ein Zug von acht Jünglingen in goldgrün schillernden Seidengewändern,
vorauf der »Anrichter« und der »Zerleger«: die sechs andern trugen
Schüsseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gästen vorüber
und machten vor dem Anrichttisch von Citrus Halt. Während sie hier
beschäftigt waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und
Cymbeln, die großen Doppelthüren drehten sich um ihre erzschimmernden
Säulenpfosten und ein Schwarm von Sklaven in der schönen Tracht
korinthischer Epheben strömte herein. Die einen reichten Brot in zierlich
durchbrochenen Bronzekörben: andre verscheuchten die Mücken mit breiten
Fächern von Straußenfedern und Palmblättern: einige gossen Öl in die
Wandlampen aus doppelhenkeligen Krügen mit anmutvoller Bewegung, indes
etliche mit zierlichen Besen von ägyptischem Schilf von dem Mosaikboden
die Brosamen fegten und die übrigen Ganymed die Becher füllen halfen, die
jetzt schon eifrig kreisten.

Damit stieg denn die Raschheit, die Wärme des Gesprächs und Cethegus, der,
wie überlegen nüchtern er blieb, völlig im Moment versunken schien,
bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Jünglinge.

»Wie ist’s,« fragte der Hausherr, »wollen wir würfeln zwischen den
Schüsseln? Dort neben Piso steht der Würfelbecher.« – »Nun, Massurius,«
meinte Cethegus mit einem spöttischen Blick auf den Sklavenhändler,
»willst du wieder einmal dein Glück wider mich versuchen? Willst du wetten
gegen mich? Gieb ihm den Becher, Syphax!« winkte er dem Mauren.

»Merkur soll mich bewahren!« antwortete Massurius in komischem Schreck.
»Laßt euch nicht ein mit dem Präfekten – er hat das Glück seines Ahnherrn
Julius Cäsar geerbt.«

»_Omen accipio!_« lachte Cethegus, »das nehm’ ich an, mitsamt dem Dolch
des Brutus.«

»Ich sag’ euch, er ist ein Zauberer! Erst jüngst hat er eine ungewinnbare
Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Dämon –« Und er wollte dem
Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit
den glänzend weißen Zähnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen.

»Gut, Syphax,« lobte Cethegus, »Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst
ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse.«

»Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben
retten wie du seins.«

»Was ist das – dein Leben?« fragte Lucius Licinius mit erschrockenem
Blick. – »Hast du ihn begnadigt?« sagte Marcus.

»Mehr, ich hab’ ihn losgekauft.«

»Ja, mit meinem Gelde!« brummte Massurius.

»Du weißt, ich hab’ ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium
geschenkt.«

»Was ist das mit der Wette? erzähle, vielleicht ein Stoff für meine
Epigramme,« fragte Piso.

»Laßt den Mauren selbst erzählen – sprich, Syphax, du darfst.«



                             Neuntes Kapitel.


Ohne Zögern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete
Hufeisen, den Rücken zur Thüre gewandt: sein funkelndes Auge überflog
rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut auf seinem Herrn: alle
bewunderten die jugendliche Kraft und Schönheit der schlanken Glieder,
deren tiefes Braun nur um die Hüften ein kostbarer Schurz von Scharlach
verhüllte.

»Leicht ist erzählt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im
Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer grüne Oase
beschatten, außer uns nur dem Löwen bekannt und dem fleckigen Panther.
Aber in einer götterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes
Versteck. Vandalische Reiter waren’s und keine Rettung. Rot und schwarz
stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Cedernwipfel hinan, kreischend
flohen Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer.

Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns
gekauft, mich und viele Männer und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts
gerettet als meinen Gott, den weißen Schlangenkönig, ich trug ihn im
Gürtel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen
Namen verflucht sei.«

»’s ist unser Freund Calpurnius,« unterbrach Cethegus.

»Und kein Stern soll ihm leuchten auf nächtlicher Fahrt, er soll
verdursten im heißen Sand,« knirschte der Maure mit aufloderndem Haß. »Er
schlug mich oft um nichts und ließ mich hungern. Ich schwieg und betete zu
meinem Gott um Rache. Er zürnte, daß ich so ruhig seine Wut ertrug.

Er wußte nicht, daß Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer
Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen
Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm seine Zähne seien nicht
tödlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte:
»Töte den Wurm!« Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knieen vor ihm.
Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem
Leibe, schrie er noch wilder: »Töte das Tier.« Wie konnt’ ich gehorchen!
Da rief er seine Sklaven und befahl: »Nehmt ihm die Bestie und kocht sie
lebendig. Er soll seinen Gott fressen!« Ich erschrak zum Tode über diesen
Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber der Gott
gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden
Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei.

Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Thüre
des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreißig Sklaven hinter mir
drein. Da galt es das Leben.«

Die Gäste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er
eben zu Munde führte.

»Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die
windschnelle Antilope müde gejagt. Und die Sklaven waren langsam und
schwer.

Aber sie kannten die Stadt und ihre Straßen und ich nicht. So war es ein
ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann
und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgänge den Weg ab.

Zum Glück hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren
Feuerhaken errafft: zwei, dreimal braucht’ ich ihn, die Verfolger zu
scheuchen, zu treffen, die mir plötzlich von vorn entgegenkamen. Ich
fühlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie
langsam sie, zuletzt mußte ich doch erliegen.

Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drückte,
Ihn,« – und sein schönes Auge funkelte, – »meinen Herrn, den gewaltigen,
der mächtig ist wie der Löwe von Abaritana und klug wie der Elefant, der
da gut ist wie milder Regen nach langer Dürre und herrlich wie –«

»Jetzt erzählst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade
von den Schanzwerken am aurelischen Thor, dem Grabmal Hadrians.«

»Deinem schönen, göttergeschmückten Lieblingsort,« unterbrach
Kallistratos.

»Und bog am Fuße des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine
gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd neugierig zu: wie ein
Pfeil schoß der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit
hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fünf, von rechts
sieben der Sklaven des Calpurnius auf das Forum ein, bereit, ihn
aufzufangen, sowie er auf dem Platz ankam. »Der ist verloren!« sagte neben
mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus
trat.

»Wem gehört er?« fragte ich. »Calpurnius ist unser Herr,« antwortete der
Sklave neben mir. »Dann wehe ihm,« sprach Massurius zu mir: »er hängt
seine Strafsklaven bis an den Hals gebunden in seinen Fischweiher und läßt
sie lebendig auffressen von seinen Muränen und Hechten.« – »Ja,« sagte der
Sklave, »Syphax hat ihn niedergeschlagen, und der Herr rief im Aufstehen:
»zu den Muränen den Hund! wer ihn einbringt, ist frei.«

Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war.
»Der ist zu gut für die Fische,« sagte ich, »welch’ herrlicher Wuchs! Und
sieh, er kömmt durch, ich wette.«

Denn eben hatte der Flüchtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm
an der Mündung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf
uns zu.«

»Und ich wette tausend Solidi, er kömmt nicht durch: sieh’, dort die
Lanzen,« sprach Massurius. – »Gerade vor uns standen fünf Sklaven mit
Lanzen und Wurfspeeren. »Es gilt!« rief ich, tausend Solidi.

Da war er heran.

Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter
ihnen weg und, plötzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz über die
Lanzen der beiden übrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er
blutete von Steinen und Pfeilen und schon kam jetzt vom Forum julium heran
das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die
Friedens-Tempel-Straße, die ihn gerade nach seines Herrn Hause
zurückgeführt hätte. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika
von Sankt Laurentius offen stehen. »Dort hin!« rief ich ihm zu.«

»In meiner Sprache! er kennt meine Sprache,« rief Syphax.

»Er kennt, glaub’ ich, alle Sprachen,« meinte Marcus Licinius.

»Dorthin, wiederholte ich, dort ist Asyl. Wie der Blitz war er die Stufen
hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, daß er stürzte und
sein nächster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal
rang er sich aus seinem Griff, stieß ihn die Stufen hinab und sprang in
die Thüre der Kirche.«

»Da hattest du gewonnen,« sagte Kallistratos.

»Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so
eifersüchtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit
einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, daß er
um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm
die Wahl, Christ zu werden und den Götzen aufzugeben, oder Calpurnius und
die Muränen.

Syphax wählte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache
ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schönsten Sklaven in Rom.«

»Kein schlechtes Geschäft,« meinte Marcus, »der Maure ist dir treu.«

»Ich glaube,« sagte Cethegus, »tritt zurück, Syphax.

Da bringt der Koch sein Meisterstück, so scheint’s.«



                             Zehntes Kapitel.


Es war eine sechspfündige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des
Kallistratos mit Gänselebern gemästet. Der vielgepriesene »Rhombus« kam
auf silberner Schüssel, ein goldenes Krönchen auf dem Kopf.

»Alle guten Götter und du, Prophete Jonas!« lallte Balbus zurücksinkend in
die Polster, »der Fisch ist mehr wert als ich selber.« – »Still, Freund,«
warnte Piso, »daß uns nicht Cato höre, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein
Fisch mehr wert als ein Rind.« Schallendes Gelächter und der laute Ruf
_Euge belle!_ übertönte den Zornruf des Halbberauschten.

Der Fisch ward zerschnitten und köstlich erfunden.

»Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will
schwimmen in edlem Naß. Auf, Syphax, jetzt paßt, was ich zu dem Gelage
beigesteuert. Geh’ und laß die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven
draußen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein.«

»Was bringst du seltenes, aus welchem Land?« fragte Kallistratos. – »Frag,
aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus,« sagte Piso.

»Ihr müßt raten. Und wer es errät, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem
schenk’ ich eine Amphora, so hoch wie diese.«

Zwei Sklaven, eppichbekränzt, schleppten den mächtigen, dunkeln Krug
herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit
hieroglyphischen Zeichen geschmückt und wohl vergipst oben an der Mündung.

»Beim Styx! kömmt er aus dem Tartarus? das ist ein schwarzer Gesell,«
lachte Marcus.

»Aber er hat eine weiße Seele – zeige sie, Syphax.« Der Nubier schlug mit
dem Hammer von Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfältig den Gips
herunter, hob mit silberner Zange den Verschluß von Palmenrinde heraus,
schüttete die Schicht Öl hinweg, die oben schwamm, und füllte die Pokale.
Ein starker berauschender Geruch entstieg der weißen, klebrigen
Flüssigkeit. Alle tranken mit forschender Miene.

»Ein Göttertrank!« rief Balbus absetzend. – »Aber stark wie flüssiges
Feuer,« sagte Kallistratos.

»Nein, den kenn’ ich nicht!« sprach Lucius Licinius.

»Ich auch nicht,« beteuerte Marcus Licinius. – »Aber ich freue mich, ihn
kennen zu lernen,« rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin.

»Nun,« fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu
seiner Rechten gewendet, »nun, Furius, großer Seefahrer, Abenteurer,
Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zu Schanden?«

Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schöner athletischer
Mann von einigen dreißig Jahren, von bronzener wettergebräunter
Gesichtsfarbe, kohlschwarzen tiefliegenden Augen, blendend weißen Zähnen
und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt.

Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: »Doch, beim
Zeus Xenios, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?« Cethegus maß die
fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. »Ich kenne den Präfekten von
Rom,« sagte der Schweigsame. – »Nun, Cethegus, und dies ist mein
vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr
des Abendlands, tief wie die Nacht und heiß wie das Feuer: er hat fünfzig
Häuser, Villen und Paläste an allen Küsten von Europa, Asien und Afrika,
zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und –«

»Und einen sehr geschwätzigen Freund,« schloß der Korse. »Präfekt, mir ist
es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein.« – Und er
nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Löffel.

»Schwerlich,« lächelte Cethegus spöttisch.

»Doch. Es ist Isiswein. Aus Ägypten. Aus Memphis.« Und ruhig schlürfte er
das goldrötliche Ei.

Erstaunt sah ihn Cethegus an. »Erraten,« sagte er dann. »Wo hast du ihn
gekostet?« – »Notwendig da, wo du. Er fließt ja nur aus Einer Quelle,«
lächelte der Korse. – »Genug mit euren Geheimnissen! Keine Rätsel unter
den Rosen!« rief Piso. – »Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest
gefunden?« fragte Kallistratos.

»Nun,« rief Cethegus, »wisset es immerhin. Im alten Ägypten, im heilgen
Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen
Einsiedlern und Mönchen in der Wüste, glaubenszähe Männer und namentlich
Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders
treu den süßen Dienst der Isis pflegen. Sie flüchten von der Oberfläche,
wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen,
in den geheimen Schoß der großen Mutter Erde mit ihrem heilgen teuren
Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch
einige hundert Krüge geborgen des mächt’gen Weines, welcher dereinst die
Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde
geht geheim gehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur Eine
Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schlüssel.

Ich küßte die Priesterin und sie führte mich ein: – sie war eine wilde
Katze, aber ihr Wein war gut: – und sie gab mir zum Abschied fünf Krüge
mit aufs Schiff.«

»Soweit hab’ ich es mit Smerda nicht gebracht,« sagte der Korse; »sie ließ
mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit« – und
er entblößte den braunen Hals. – »Einen Dolchstich der Eifersucht,« lachte
Cethegus. »Nun, mich freut, daß die Tochter nicht aus der Art schlägt. Zu
meiner Zeit, das heißt, als mich die Mutter trinken ließ, lief die kleine
Smerda noch im Kinderröckchen. Wohlan, es lebe der heilge Nil und die süße
Isis.« Und die beiden tranken sich zu.

Aber es verdroß sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu
besitzen geglaubt.

Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Präfekten, der
jugendlich wie ein Jüngling mit ihnen plauderte und jetzt, da das
beliebteste Thema für junge Herren unter den Bechern angeregt war –
Liebesabenteuer und Mädchengeschichten – unerschöpflich übersprudelte von
Streichen und Schwänken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit
Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt.

»Sage,« rief der Wirt und winkte dem Schänken, als gerade das Gelächter
über eine solche Geschichte verhallt war, »sag an, du Mann buntscheckiger
Erfahrung: – ägyptische Isismädchen, gallische Druidinnen, nachtlockige
Töchter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas: – alle kennst
du und weißt du zu schätzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib
geliebt?«

»Nein,« sagte Cethegus, seinen Isiswein schlürfend, »sie waren mir immer
zu langweilig.«

»Oho,« meinte Kallistratos, »das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich
habe an den letzten Calenden einen Wahnsinn gehabt für ein germanisch
Weib, die war nicht langweilig.«

»Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann,
erglühst für ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer,
Männerbeschämer,« schalt der Präfekt.

»Ja, wenn du willst, war’s eine Sinnesverwirrung: – ich habe nie
dergleichen erfahren.«

»Erzähle, erzähle,« drängten die andern.



                             Elftes Kapitel.


»Immerhin,« sagte der Hausherr, die Polster glättend, »obwohl ich keine
glänzende Rolle dabei spiele.

Also an den vorigen Calenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Bädern
des Abaskantos nach Hause.

Da steht auf der Straße niedergelassen eine Frauensänfte, vier Sklaven
dabei, ich glaube, gefangne Gepiden. Unmittelbar aber vor der Thüre meines
Hauses stehen zwei verhüllte Frauen, die Calantica über den Kopf gezogen.
Die eine trug sklavisch Gewand, aber die andre war sehr reich und
geschmackvoll gekleidet und das Wenige, was von Wuchs und Gestalt zu
sehen, war göttlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knöchel,
welch hochgewölbter Fuß! Als ich näher herankam, ließen sich beide rasch
in die Sänfte heben und fort waren sie. Ich aber – ihr wißt, es steckt des
Bildhauers Blut in allen Hellenen – ich träumte des Nachts von dem feinen
Knöchel und dem wogenden Schritt.

Mittags drauf, da ich die Thüre öffne, aufs Forum zu gehn zu den
Bibliographen, wie ich pflege, seh ich dieselbe Sänfte rasch von dannen
eilen.

Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine
Eroberung gemacht zu haben, – ich wünschte es so sehr. Und ich zweifelte
gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder
meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorüberschlüpfen sah und nach
ihrer Sänfte eilen. Folgen konnt’ ich den raschen Sklaven nicht, so trat
ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte der Ostiarius: »Herr,
eine verhüllte Sklavin wartet dein in der Bibliothek.«

Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig! es war die Sklavin, die
ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurück: eine hübsche,
verschlagne Maurin oder Karthagerin – ich kenne den Schlag – sah mich mit
schlauen Augen an.

»Ich bitte um Botenlohn,« sagte sie, »Kallistratos, ich bringe dir gute
Kunde.«

Ich faßte ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln – denn wer
die Herrin begehrt, der küsse die Sklavin – aber sie lachte und sprach:
»Nein, nicht Eros, Hermes sendet mich.

Meine Herrin« – hoch horchte ich auf – »meine Herrin ist – eine
leidenschaftliche Freundin der Kunst. Sie bietet dir dreitausend Solidi
für die Aresbüste, die in der Nische neben der Thüre deines Hauses
steht.««

Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen.

»Ja, lacht nur,« fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, »ich aber
lachte damals nicht. Aus all meinen Träumen heruntergefallen, sprach ich
verdrießlich: mir ist das Werk nicht feil. Die Sklavin bot fünftausend,
bot zehntausend Solidi: ich wandte ihr den Rücken und griff nach der Thür.

Da sagte die Schlange: »Ich weiß, Kallistratos von Korinth ist unwillig,
weil er ein Abenteuer gehofft und fand ein Geldgeschäft.

Er ist Hellene, er liebt die Schönheit, er brennt vor Neugier, meine
Herrin zu sehn.« Das war so richtig, daß ich nur lächeln konnte.

»Wohlan,« sprach sie, »du sollst sie sehn. Und dann erneuere ich mein
letzt Gebot. Schlägst du’s dann dennoch aus, hast du immerhin den Vorteil,
deine Neugier gestillt zu haben. Morgen um die achte Stunde kömmt die
Sänfte wieder. Dann halte dich bereit mit deinem Ares.«

Und sie schlüpfte hinweg. Unruhig blieb ich zurück.

Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest
entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnärrin doch zu
sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam und die
Sänfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Thür. Die Sklavin stieg
heraus.

»Komm,« rief sie mir zu, »du sollst sie sehn.«

Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Sänfte fiel
halb zurück und ich sah –«

»Nun,« rief Markus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand.

»Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter
Schönheit. Kypris und Artemis in Einer Person. Ich war wie geblendet. Ich
kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurück, hob
den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurück
und taumelte in meine Thür, betäubt, als hätt’ ich eine Waldnymphe
gesehn.«

»Nun, das ist stark,« lachte Massurius. »Bist doch sonst kein Neuling in
den Werken des Eros.«

»Aber,« fragte Cethegus, »woher weißt du, daß diese Zauberin eine Gotin
war?«

»Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweiße Haut und schwarze Augenbrauen.«

»Alle guten Götter!« dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete.

Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus.

»Sie kennen sie nicht,« sagte Cethegus zu sich. – »Und wann war das?«
fragte er den Wirt.

»An den vorigen Calenden.«

»Ganz richtig,« rechnete Cethegus; »da kam sie von Tarentum durch Rom nach
Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage.«

»Und so hast du,« lachte Piso, »deinen Ares eingebüßt für einen Blick.
Schlechter Handel! diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer
Kallistratos.«

»Ach,« sagte dieser, »die Büste war gar nicht soviel wert. Es war moderne
Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag
euch, einen Pheidias hätt ich hingegeben um jenen Anblick.«

»Ein Idealkopf?« fragte Cethegus, wie gleichgültig und hob den ehernen
Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf.

»Nein, das Modell war ein Barbar – irgend ein Gotengraf – Watichis oder
Witichas – wer kann sich die hyperboräischen Namen merken!« sagte
Kallistratos seinen Bericht schließend und einem Pfirsich die Haut
abziehend.

Nachdenklich schlürfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein.



                            Zwölftes Kapitel.


»Ja, die Barbarinnen könnte man sich gefallen lassen,« rief Markus
Licinius, »aber der Orcus verschlinge ihre Brüder!« Und er riß den welken
Rosenkranz vom Haupt: – die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht
– und ersetzte ihn durch einen frischen. »Nicht nur die Freiheit haben sie
uns genommen: – sie schlagen uns bei den Töchtern Hesperiens in der Liebe
sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schöne Lavinia meinem Bruder die
Thüre verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen.«

»Barbarischer Geschmack!« meinte der Verschmähte achselzuckend und wie zum
Trost nach seinem Isiswein langend. »Du kennst sie ja auch, Furius – ist
es nicht Geschmacksverirrung?« – »Ich kenne deinen Nebenbuhler nicht,«
sagte der Korse. »Aber es giebt schon Burschen unter diesen Goten, die
einem Weib gefährlich werden mögen.

»Und da fällt mir ein Abenteuer ein, das ich jüngst entdeckt, das aber
freilich noch ohne Spitze ist.« – »Erzähle nur,« mahnte Kallistratos, die
Hände in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen
Erzschüsseln herumgereicht wurde, vielleicht finden wir die Spitze dazu.«

»Der Held meiner Geschichte,« hob Furius an, »ist der schönste der Goten.«
– »Ah, Totila der junge,« unterbrach Piso und ließ sich den
kameengeschmückten Becher mit Eiswein füllen. »Derselbe. Ich kenne ihn
seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle müssen, die je sein sonnig
Angesicht geschaut, abgesehen davon,« – und hier überflog des Korsen Züge
ein Schatte ernsten Erinnerns und er stockte – »daß ich ihm sonst
verbunden bin.«

»Du bist, scheint’s, verliebt in den Blondkopf,« spottete Massurius, dem
Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll picentinischen Zwiebacks
zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. »Nein, aber er hat mir, wie
allen, mit denen er zu thun hat, viel Freundliches erwiesen und gar oft
hatte er die Hafenwache in den italischen Seestädten, wo ich landete.«

»Ja, er hat große Verdienste um das Seewesen der Barbaren,« sagte Lucius
Licinius. – »Wie um ihre Reiterei,« stimmte Markus bei, »der schlanke
Bursche ist der beste Reiter seines Volks.«

»Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung,
aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage auf meinem
Schiffe zu teilen.«

»O, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt,« meinte Balbus,
»du hast stets die feurigsten Weine.« – »Und die feurigsten Mädchen,«
fügte Massurius bei.

»Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht zu
gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo
die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte. Ich beschloß ihm
auf die Sprünge zu kommen und umschlich Abends sein Haus in der Via lata.
Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend,
und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gärtner war er angethan, einen
Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich
ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht
neben dem Thore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pförtner, ein
alter patriarchenhafter Jude, dem König Theoderich ob seiner großen Treue
die Hut des Thores anvertraut.

Vor dem Turme blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand: da flog
eine schmale Seitenthür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geräuschlos
auf und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.«

»Ei, ei,« fiel Piso der Dichter eifrig ein, »ich kenne den Juden und
Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels,
die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug’ ist
dunkelmeeresblau und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.« –
»Gut, Piso,« lächelte Cethegus – »dein Gedicht ist schön.« – »Nein,« rief
dieser. »Miriam selbst ist die lebendige Poesie.« – »Stolz ist die
Judendirne,« brummte Massurius dazwischen, »sie hat mich und mein Gold
verschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft.« –
»Siehe,« sprach Lucius Licinius, »so hat sich der hochmüt’ge Gote, der
einherschreitet, als trüg’ er alle Sterne des Himmels auf seinem
Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.«

»So dacht’ auch ich und ich beschloß, den Jungen bei nächster Gelegenheit
schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar
Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die
Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim
ersten Frührot: und als ich in meinem Reisewagen über die harten Steine an
dem Judenturm vorüberrassele, denk’ ich neidvoll an Totila und sage mir,
der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilensteine vor dem
Thor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über
Brust und Rücken, in Gärtnertracht, wie damals – Totila. Er lag also nicht
in Miriams Armen. Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine
Vertraute, und wer weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt.
Der Glücksvogel! Bedenkt nur, auf der Via capuana stehen all’ die Villen
und Lustschlösser der ersten Familien von Neapolis und in jenen Gärten
prangen und blühen die herrlichsten Weiber.«

»Bei meinem Genius,« rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale hebend,
»dort leben ja die schönsten Weiber Italiens – Fluch über den Goten!« –
»Nein,« schrie Massurius, von Wein erglühend, »Fluch über Kallistratos und
den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch
aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich, Hausherr, deine Mädchen kommen,
wenn du deren bestellt hast: nicht höher brauchst du unsre Erwartung zu
spannen.« – »Jawohl, die Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!« riefen
die jungen Leute durcheinander.

»Halt,« sprach der Wirt, »wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen wandeln.
Dies Glas bring’ ich dir, Flora!« Er sprang auf und schleuderte an die
getäfelte Decke eine köstliche Krystallschale, daß sie klirrend zersprang.

Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getäfel
wie eine Fallthür empor und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete
auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder, Rosen von Pästum, Veilchen
von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten bedeckten wie ein dichtes
Schneegestöber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die
Polster und die Häupter der Gäste.

»Schöner,« rief Cethegus, »zog Venus nie auf Paphos ein.«

Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra und
Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des Gemachs: vier
hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne Mädchen, in persische
Tracht, d. h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen
cymbelnschlagend aus einem Gebüsch von blühendem Oleander.

Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel, dessen
goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier
Flötenbläserinnen in Indischem Gewand – Purpur und Weiß mit goldgestickten
Mänteln – schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen
übergossen, in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines
blühenden Mädchens von lockender, üppiger Schönheit, dessen fast einzige
Verhüllung der Aphroditen nachgebildete Gürtel der Grazien war.

»Ha, beim heiligen Eros und Anteros!« schrie Massurius und sprang
unsichern Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe.

»Verlosen wir die Mädchen!« rief Piso, »ich habe ganz neue Würfel aus
Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.« »Laßt sie den Festkönig verteilen,«
schlug Marcus Licinius vor. »Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der
Liebe,« rief Massurius und faßte die Göttin heftig am Arme, »und Musik,
heda, Musik – –«

»Musik,« befahl Kallistratos.

Aber ehe noch die Cymbelschlägerinnen wieder anheben konnten, wurde die
Eingangsthüre hastig aufgerissen und die Sklaven, die ihn aufhalten
wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war leichenblaß.

»Hier also, hier wirklich find’ ich dich, Cethegus? in diesem Augenblick!«

»Was giebt’s?« sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt.

»Was es giebt? das Vaterland schwankt zwischen Scylla und Charybdis. Die
gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza –«

»Nun?« fragte Lucius Licinius.

»Sie sind ermordet!«

»Triumph!« rief der junge Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er
umfaßt hielt.

»Schöner Triumph!« zürnte der Jurist. »Als die Nachricht nach Ravenna kam,
beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den Palast: – doch
Amalaswintha war entfloh’n.«

»Wohin?« fragte Cethegus, rasch aufspringend.

»Wohin? auf einem Griechenschiff – nach Byzanz!«

Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn.

»Aber das Ärgste ist – die Goten wollen sie absetzen und einen König
wählen.« – »Einen König?« sagte Cethegus. »Wohlan, ich rufe den Senat
zusammen. Auch die Römer sollen wählen.«

»Wen, was sollen wir wählen?« fragte Scävola.

Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt
seiner: »Einen Diktator! fort, fort in den Senat.«

»In den Senat!« wiederholte Cethegus majestätisch. »Syphax, meinen
Mantel.«

»Hier, Herr, und dabei dein Schwert,« flüsterte der Maure. »Ich führ’ es
immer mit, auf alle Fälle.«

Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein völlig
nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt.



                           Dreizehntes Kapitel.


In einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze
Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher
Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken.

Es war still und einsam rings um ihn.

Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach
dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren
golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleich köstliche Stoffe
deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die Schritte des
langsam auf und ab Wandelnden begleitete.

Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum.

Auf dem Goldgrund der Wände prangte die lange Reihe der christlichen
Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen Büsten: gerade über dem
Schreibdivan hing ein großes mannshohes Kreuz von gediegenem Golde.

So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er
das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas
umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht.

Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus
darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte: nach
langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten
Gesicht und Augen.

Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes
und Böses, lag darin.

Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprachen aus dem unruhigen Blick der
tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters,
furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen.

»Wer den Ausgang wüßte!« seufzte er noch einmal, die knochigen Hände
reibend. »Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren
und mahnt und mahnt.

Aber ist’s ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen Traum
deutete! Vergieb, dreieiniger Gott, vergieb deinem eifrigsten Knecht. Du
hast die Traumdeuter verflucht.

Aber doch träumte König Pharao und Joseph durfte ihm deuten: und Jakob sah
im Traum den Himmel offen und ihre Träume kamen von dir. Soll ich? darf
ich es wagen?«

Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie lange
noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden.

Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit
auf der Brust gekreuzten Armen. »Imperator, die Patricier, die du
beschieden.«

»Geduld,« sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold und
Elfenbein niederlassend, »rasch die Silberschuhe und die Chlamys.«

Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen
Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten, und warf ihm
den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um die Schulter, jedes
Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte: nach einer Wiederholung
der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen
Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war, ging der Velarius.

Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochne
Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu diesem Behuf
nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner »Audienzattitüde« dem
Eingang gegenüber.

Der Vorhang ging zurück und drei Männer betraten das Gemach mit der
gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave: und doch waren sie die ersten
Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmückten
Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre geistvollen Züge bewiesen.

»Wir haben euch beschieden,« hob der Kaiser an, ohne ihre demütige
Begrüßung zu erwidern, »euren Rat zu hören – über Italien. Ich habe euch
alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der
Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr
Zeit. Erst rede du, Magister Militum.«

Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in
eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen,
offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke
gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft,
die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas
herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und
Gutherzigkeit.

»Herr,« sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme,
»Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab’ ich auf
dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit
fünfzehntausend Mann. Gieb mir dreißigtausend und ich werde dir die
Gotenkrone zu Füßen legen.«

»Gut,« sprach der Kaiser erfreut, »dies Wort hat mir wohlgethan. – Was
sprichst du, Perle meiner Rechtsgelehrten, Tribonianus?«

Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig
und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt. Die hohe,
ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem
mächtigen Geist. »Imperator,« sagte er gemessen, »ich warne dich vor
diesem Krieg. Er ist ungerecht.«

Unwillig fuhr Justinianus auf: »Ungerecht! wiederzunehmen, was zum
römischen Reich gehört.«

»Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das Abendland an
Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer Odovakar gestürzt.«

»Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von Italien.«

»Zugegeben. Aber nachdem er es geworden – wie er es werden mußte, ein
Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein – hat ihn Kaiser
Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein
Königreich.«

»Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm’ ich
die Anerkennung zurück.«

»Das eben nenn’ ich ungerecht.«

»Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher Rechthaber. Du
taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd’ ich
dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu
thun!«

»Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.«

»Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.«

»Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet und dann zweitens« – er hielt
inne.

»Nun, zweitens?«

»Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.« –

Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: »du bist sehr
offen, Tribonianus.«

»Immer, Justinianus.«

Rasch wandte sich der Kaiser zu dem dritten. »Nun, was ist deine Meinung,
Patricius?«



                           Vierzehntes Kapitel.


Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Lächeln, das
ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt und richtete sich auf.

Er war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als Justinian,
weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr als nötig
gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von krankhaftem
Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke und er hinkte etwas auf
dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen Krückstock mit goldnem
Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, daß
es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fern hielt,
dem fast häßlichen Gesicht die Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug
schmerzlicher Entsagung und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte
sogar einen fesselnden Reiz. »Imperator,« sagte er mit scharfer bestimmter
Stimme, »ich widerrate diesen Krieg – für jetzt.«

Unwillig zuckte des Kaisers Auge: »Auch aus Gründen der Gerechtigkeit?«
fragte er, fast höhnisch. – »Ich sagte: für jetzt.« – »Und warum?« – »Weil
das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat,
soll nicht in fremde Häuser einbrechen.« – »Was soll das heißen?« – »Das
soll heißen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr.
Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird,
kömmt vom Osten.«

»Die Perser!« rief Justinian verächtlich.

»Seit wann,« sprach Belisar dazwischen, »seit wann fürchtet Narses, mein
großer Nebenbuhler, die Perser?«

»Narses fürchtet niemand,« sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn,
»weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser
geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so
sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht,
steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.«

»Nun, und was soll das bedeuten?«

»Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den
Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes dem
Perserchan den Frieden um viele Centner Goldes zu erkaufen.«

Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: »Wie kannst du Geschenke,
Hilfsgelder also deuten!«

»Geschenke! und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den Zahltag,
verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer. Hilfsgelder! und er
besoldet damit Hunnen und Saracenen, deiner Grenzen gefährlichste Feinde.«

Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. »Was also rätst du?«
fragte er, hart vor Narses stehen bleibend. »Nicht die Goten anzugreifen
ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kräfte
deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen,
die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die
verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, die
Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten, – trotz Belisars
tapfrem Schwert, – verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Gürtel
von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies
Notwendige alles vollbracht – und ich fürchte sehr, du kannst es nicht
vollbringen! – dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.«

Justinianus schüttelte leicht das Haupt. »Du bist mir nicht erfreulich,
Narses,« sagte er bitter.

»Das weiß ich längst,« sprach dieser ruhig.

»Und nicht unentbehrlich!« rief Belisar stolz. »Kehre dich nicht, mein
großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gieb mir die dreißigtausend und
ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.«

»Und ich wette meinen Kopf,« sagte Narses, »was mehr ist, daß Belisar
Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig-, nicht mit sechzig-, nicht
mit hunderttausend Mann.«

»Nun,« fragte Justinian, »und wer soll’s dann können und mit welcher
Macht?«

»Ich,« sagte Narses, »mit achtzigtausend.«

Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Worte fand.

»Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über deinen
Gegner gestellt,« sprach der Jurist.

»Und thu’s auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der:
Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer
Feldherr – und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur
ein großer Feldherr überwinden.«

Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und preßte die
Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war als wollte er dem Krüppel
neben ihm den Kopf zerdrücken. Der Kaiser sprach für ihn: »Belisar kein
großer Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses.«

»Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal,« seufzte er leise, »um seine
Gesundheit. Er wäre ein großer Feldherr, wenn er nicht ein so großer Held
wäre. Er hat noch jede Schlacht die er verlor, aus zu viel Heldentum
verloren.«

»Das kann man von dir nicht sagen, Narses,« warf Belisar bitter ein.

»Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.«

Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius,
der, den Vorhang aufhebend, meldete:

»Alexandros, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde
gelandet und frägt –«

»Herein mit ihm, herein!« rief der Kaiser, hastig von seiner Kline
aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis
sich zu erheben: »Nun Alexandros, du kömmst allein zurück?«

Der Gesandte, ein schöner, noch junger Mann, wiederholte: »Allein.«

»Es verlautete doch – dein letzter Bericht – wie verließest du das
Gotenreich?«

»In großer Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die
Königin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmütigsten Feinde zu
entledigen. Sollte der Anschlag mißlingen, so war sie in Italien nicht
mehr sicher und bat sich in diesem Fall aus, daß ich sie auf meinem Schiff
nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz flüchten dürfe.«

»Was ich mit Freuden bewilligte. Nun, und der Anschlag?«

»Ist geglückt. Die drei Herzoge sind nicht mehr.

Aber nach Ravenna kam das Gerücht, der gefährlichste unter ihnen, Herzog
Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten
in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu
flüchten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen
verlassen, schon auf der Höhe von Ariminum, holte uns Graf Witichis mit
Übermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurückzukehren,
indem er sich für ihre Sicherheit bis zu feierlicher Untersuchung vor der
Volksversammlung verbürgte. Da sie von ihm erfuhr, daß jetzt auch Herzog
Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, daß er und
seine mächtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da überdies
Gewalt zu fürchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach
Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der Sophia diesen Brief an
dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke.«

»Davon später, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?«

»Gut für dich, o großer Kaiser. Das vergrößerte Gerücht von dem Aufstand
der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog
das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoß zwischen Römern und
Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen
Diktator wählen, deine Hilfe anrufen. Aber alles wäre verfrüht gewesen,
nachdem die Regentin in den Händen des Witichis: nur das geniale Haupt der
Katakombenmänner hat es verhindert.«

»Der Präfekt von Rom?« fragte Justinian.

»Cethegus. Er mißtraute dem Gerücht. Die Verschworenen wollten die Goten
überfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum
Diktator wählen. Aber er ließ sich in der Kurie buchstäblich die Dolche
auf die Brust setzen und sagte: nein.«

»Ein mutiger Mann!« rief Belisar.

»Ein gefährlicher Mann!« sagte Narses.

»Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rückkehr Amalaswinthens und
alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu
einer Viehweide zu machen, wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All’
das hab ich auf meiner absichtlich zögernden Küstenfahrt bis nach
Brundusium erfahren. Aber noch Besseres hab’ ich zu melden. Nicht nur
unter den Römern, unter den Goten selbst hab’ ich eifrige Freunde von
Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Königshauses.«

»Das wäre!« rief Justinian. »Wen meinst du?«

»In Tuscien lebt, reichbegütert, Fürst Theodahad, Amalaswinthens Vetter.«

»Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?«

»Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber böses
Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gründlichste die Regentin:
er, weil sie seiner maßlosen Habsucht, mit der er all’ seiner Nachbarn
Grundbesitz an sich zu reißen sucht, entgegentritt: sie, aus Gründen, die
ich nicht entdecken konnte: ich glaube, sie reichen in die Mädchenzeit der
beiden Fürstinnen zurück – genug, ihr Haß ist tödlich. Diese beiden nun
haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurückgewinnen helfen zu
wollen: ihr genügt es, scheint’s, die Todfeindin vom Thron zu stürzen: er
freilich fordert reichen Lohn.«

»Der soll ihm werden.«

»Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt – das
Adelsgeschlecht der Wölsungen hat den andern Teil – und spielend in unsre
Hände bringen kann: dann aber, weil er, wenn Amalaswintha fällt, ihr auf
den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von
Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin – ich glaube,
es ist sehr wichtig.«



                           Fünfzehntes Kapitel.


Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnüre der Wachstafel und las: »An
Justinian, den Imperator der Römer, Amalaswintha, der Goten und Italier
Königin!«

»Der Italier Königin,« lachte Justinian, »welch’ verrückter Titel!«

»Durch Alexandros, deinen Gesandten, wirst du erfahren, wie Eris und Ate
in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von
widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir täglich
feindseliger, ich ihnen täglich fremder, die Römer aber, soviel ich mich
ihnen nähere, werden mir nie vergessen, daß ich germanischen Stammes. Bis
jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich
kann es nicht länger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fürstliche
Person vor der Überraschung drängender Gewalt sicher ist. Ich kann mich
aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen.

So ruf ich dich, als meinen Bruder in der königlichen Würde, zu Hilfe. Es
ist die Majestät aller Könige, die Ruhe Italiens, die es zu beschirmen
gilt.

Schicke mir, ich bitte dich, eine verlässige Schar, eine Leibwache« – der
Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar – »eine Schar von einigen
tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anführer: sie sollen den
Palast von Ravenna besetzen: er ist eine Festung für sich. Was Rom
betrifft, so müssen jene Scharen mir vor allem den Präfekten Cethegus, der
ebenso mächtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich
geführt, plötzlich verlassen hat, fern halten, nötigenfalls vernichten.
Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum
Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd’ ich dir Truppen und Führer
mit reichen Geschenken und reicherem Dank zurücksenden. Vale.«

Justinian drückte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden
Auges sah er vor sich hin, seine nicht schönen Züge veredelten sich im
Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, daß in dem
Manne neben vielen Schwächen und Kleinheiten Eine Stärke, Eine Größe
lebte: die Größe eines diplomatischen Genies.

»In diesem Brief,« rief er endlich strahlenden Blickes, »halt’ ich Italien
und das Gotenreich.« Und in mächtiger Bewegung durchschritt er das Gemach
mit großen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend.

»Eine Leibwache – sie soll sie haben! – Aber nicht ein paar Tausend Mann,
viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst
sie führen.«

»Sieh auch die Geschenke,« mahnte Alexandros und wies auf einen köstlichen
Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm
niedergestellt hatte. »Hier ist der Schlüssel.« Er überreichte ein kleines
Büchschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war.

»Es ist ihr Bild dabei,« sagte er, wie zufällig mit lauterer Stimme.

In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kräftiger erhoben, steckte
sich, leise und unbemerkt von allen außer ihm, der Kopf eines Weibes durch
den Vorhang und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser.
Dieser öffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten bei Seite und
griff hastig nach einem unscheinbaren Täfelchen von geglättetem Buchs mit
einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkürlich
seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: »Ein
herrliches Weib, welche Majestät der Stirn! ja man sieht die geborene
Herrscherin, die Königstochter!« und bewundernd sah er auf die edeln Züge.

Da rauschte der Vorhang und die Lauscherin trat ein.

Es war Theodora, die Kaiserin: ein verführerisches Weib. Alle Künste
weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des äußersten Luxus und alle
Mittel eines Kaiserreichs wurden täglich stundenlang aufgeboten, diese an
sich ausgezeichnete, aber durch ein zügelloses Sinnenleben früh
angegriffene Schönheit frisch und blendend zu erhalten.

Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war
am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekämmt, den schönen
Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen.

Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glänzend schwarz
gefärbt: und so künstlich war das Rot der Lippen aufgetragen, daß selbst
Justinian, der diese Lippen küßte, nie an eine Unterstützung der Natur
durch phönikischen Purpur dachte. Jedes Härchen an den alabasterweißen
Armen war sorgfältig ausgetilgt und das zarte Rosa der Fingernägel
beschäftigte täglich eine besondere Sklavin lange Zeit.

Und doch hätte Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne
all’ diese Künste für ein ganz auffallend schönes Weib gelten müssen.

Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein großer, ja kein stolzer
Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glänzenden Augen: um
die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Lächeln, das die Stelle
der ersten künftigen Falte ahnen ließ: und die Wangen zeigten in der Nähe
der Augen Spuren müder Erschöpfung.

Aber wie sie jetzt, mit ihrem süßesten Lächeln, auf Justinian zuschwebte,
das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken
aufhebend, übte die ganze Erscheinung einen betäubenden Zauber, ähnlich
dem süßen einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete.

»Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? darf ich seine Freude
teilen?« fragte sie mit süßer, einschmeichelnder Stimme. Die Anwesenden
warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor
Justinian.

Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt,
zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen.
Aber zu spät. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf.

»Wir bewunderten,« sagte er verlegen, »die – die schöne Goldarbeit des
Rahmens.« Und er reichte ihr errötend das Bild.

»Nun, an dem Rahmen,« lächelte Theodora, »ist beim besten Willen nicht
viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht übel. Gewiß die Gotenfürstin?«
Der Gesandte nickte. »Nicht übel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng,
unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?«

»Etwa fünfundvierzig.«

Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. »Das Bild
ist vor fünfzehn Jahren gemacht,« sagte Alexandros wie erklärend.

»Nein,« sprach der Kaiser, »du irrst; hier steht die Jahrzahl nach
Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr.«

Eine peinliche Pause entstand.

»Nun,« stammelte der Gesandte, »dann schmeicheln die Maler wie–« – »Wie
die Höflinge,« schloß der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe.

»Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um
das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du
entschlossen, Justinianus?« – »Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte
ich noch hören und du, das weiß ich, bist für den Krieg.«

Da sagte Narses ruhig: »Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, daß
die Kaiserin den Krieg will? Wir hätten unsre Worte sparen können.« –
»Wie? willst du damit sagen, daß ich der Sklave meines Weibes bin?« –
»Hüte besser deine Zunge,« sagte Theodora zornig, »schon manchen, der
sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen.«

»Du bist sehr unvorsichtig, Narses,« warnte Justinian.

»Imperator,« sagte dieser ruhig, »die Vorsicht hab’ ich längst aufgegeben.
Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes
mögliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade
fallen, zu Grunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann,
will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen.«

Der Kaiser lächelte: »Du mußt gestehn, Patricius, daß ich viel Freimut
ertrage.«

Narses trat auf ihn zu: »Du bist groß von Natur, o Justinianus, und ein
geborner Herrscher: sonst würde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat
selbst Herkules klein gemacht.«

Die Augen der Kaiserin sprühten tödlichen Haß. Justinian ward ängstlich.

»Geht,« sagte er, »ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen
vernehmt ihr meinen Entschluß.«



                           Sechzehntes Kapitel.


So wie sie draußen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und
drückte einen Kuß auf ihre weiße niedre Stirn. »Vergieb ihm,« sagte er,
»er meint es gut.«

»Ich weiß es,« sagte sie, seinen Kuß erwidernd. »Darum, und weil er
unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch.« – »Du hast Recht,
wie immer.« Und er schlang den Arm um sie. »Was hat er besondres vor?«
dachte Theodora. »Diese Zärtlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen.«

»Du hast Recht,« wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder
schreitend. »Gott hat mir den Geist versagt, der die Schlachten
entscheidet, aber mir dafür diese beiden Männer des Sieges gegeben – und
zum Glück ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine
Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein wäre eine
stete Reichsgefahr und an dem Tage, da sie Freunde würden, wankte mein
Thron. Du schürst doch ihren Haß?«

»Er ist leicht schüren: es ist zwischen ihnen eine natürliche Feindschaft
wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzähl’
ich mit großer Entrüstung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar
Weib und Gebieterin.« – »Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht’ ich
treulich dem reizbaren Krüppel. – Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach
dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach
Italien.«

»Wen willst du senden?« – »Natürlich Belisar. Er verheißt, mit
dreißigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend
übernehmen will.«

»Glaubst du, daß jene kleine Macht genügen wird?«

»Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfändet: er wird all seine Kraft
aufbieten und es wird ihm doch nicht ganz gelingen.« – »Und das wird ihm
sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu
ertragen.« – »Aber er wird drei Viertel der Arbeit thun. Dann rufe ich ihn
ab, breche selbst mit sechstausend auf, nehme Narses mit, vollende im
Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger.«

»Fein gedacht,« sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner
Schlauheit: »dein Plan ist reif.«

»Freilich,« sagte Justinian seufzend stehen bleibend, »Narses hat Recht,
im geheimen Grund des Herzens muß ich’s zugestehen. Es wäre dem Reiche
heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es wäre mehr
sichere, weisere Politik. Denn vom Osten kömmt einst das Verderben.«

»Laß es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wann von Justinian nur
noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurückgewonnen zu
haben. Hast du für die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, mögen für
ihre Gegenwart sorgen: sorge du für die deine.« – »Wenn man aber dann
sprechen wird: hätte Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stünd’ es
besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstört?«
– »So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und
noch Eins« – und hier verdrängte der Ernst der tiefsten Überzeugung den
Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zügen.

»Ich ahn’ es, doch vollende.«

»Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch.

Höher als das Reich muß dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf
unsrem Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft mußte mancher
blut’ge Schritt geschehn: manches Harte mußte gethan werden: Leben und
Schätze, so manchen gefährlichen Feindes mußten – genug.

Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schätze der heilgen, der christlichen
Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich
machen wird auf Erden. Aber für den Himmel – wer weiß, ob es genügt!

Laß uns« – und ihr Auge erglühte von unheimlichem Feuer – »laß uns die
Ungläubigen vertilgen und über die Leichen der Feinde Christi hin den Weg
zur Gnade suchen.« Justinian drückte ihre Hand. »Auch die Perser sind
Feinde Christi, sind sogar Heiden.« – »Hast du vergessen, was der
Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward
der rechte Glaube gebracht und sie haben ihn verschmäht. Das ist die Sünde
wider den heilgen Geist, die nie vergeben wird – auf Erden und im Himmel.
Du aber bist das Schwert, daß diese gottverfluchten Arianer schlagen soll:
sie sind Christi verhaßteste Feinde: sie kennen ihn und leugnen dennoch,
daß er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen
niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft
dich Italien, Rom, die Stätte, wo der Apostelfürsten Blut geflossen, die
heilge Stadt: nicht länger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gieb
sie dem wahren Glauben wieder.«

Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz
empor. »Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja,
was, noch mächtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen
treibt. Aber bin ich fähig, bin ich würdig so Großes, so Heiliges zu
Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine sündge Hand so Großes
vollführen? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser
Nacht geworden, war er von Gott gesendet? und was soll er bedeuten? treibt
er zum Angriff oder mahnt er ab? Nun, hatte deine Mutter Komito, die
Wahrsagerin von Kypros, große Weisheit, Ahnungen und Träume zu deuten.« –

»Und du weißt, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang
des Vandalenkriegs aus deinem Traume gedeutet?«

»Du sollst mir auch diesen Traum erklären. Du weißt, ich werde irre an dem
besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Höre denn. Aber« – und er warf
einen ängstlichen Blick auf sein Weib, – »aber bedenke, daß es ein Traum
war und kein Mensch für seine Träume kann.«

»Natürlich, sie sendet Gott.« – »Was werd ich vernehmen?« sagte sie zu
sich selbst.

»Ich war gestern Nacht eingeschlafen, erwägend den letzten Bericht über
Amala – über Italien. Da träumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit
sieben Hügeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schönste Weib, das ich
je gesehn. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen.
Plötzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein brüllender Bär, aus dem
Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor.
Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drückte sie an
meine Brust und floh mit ihr: rückblickend sah ich, wie der Bär die
Schlange zerriß und die Schlange den Bären zu Tode biß.«

»Nun, und das Weib?«

»Das Weib drückte einen flüchtigen Kuß auf meine Stirn und war plötzlich
wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr
ausstreckend. Das Weib,« fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen
sollte, »ist natürlich Italien.«

»Jawohl,« sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. »Der Traum ist
der glücklichste. Bär und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die
Siebenhügelstadt ringen. Du entreißest sie beiden und läßt sie sich
gegenseitig vernichten.«

»Aber sie entschwindet mir wieder: – sie bleibt mir nicht.«

»Doch. Sie küßt dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien
aufgehn in deinem Reich.«

»Du hast recht,« rief Justinian aufspringend. »Sei bedankt, mein kluges
Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: – Belisar soll
ziehn.«

Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er plötzlich an. »Aber noch
eins.« Und die Augen niederschlagend, faßte er ihre Hand.

»Ah,« dachte Theodora, »jetzt kommt’s.«

»Wenn wir nun das Gotenreich zerstört und in die Hofburg von Ravenna mit
Hilfe der Königin selbst eingezogen sind – was – was soll dann mit ihr,
der Fürstin, werden?«

»Nun,« sagte Theodora völlig unbefangen, »was mit ihr werden soll? Was mit
dem entthronten Vandalenkönig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz.«

Justinian atmete hoch auf. »Mich freut es, daß du das Richtige fandest.«

Und in wirklicher Freude drückte er ihr die schmale, weiße,
wunderzierliche Hand.

»Mehr als das,« fuhr Theodora fort. »Sie wird um so leichter auf unsre
Pläne eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier
entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben
senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem
Herzen finden.«

»Du weißt gar nicht,« fiel Justinian eifrig ein, »wie sehr du dadurch
unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muß völlig von ihrem
Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna
führen.«

»Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das
würde sie nur argwöhnisch machen und widerspenstig. Sie muß völlig in
unsern Händen, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das
Schwert Belisars aus der Scheide fährt.«

»Aber in der Nähe muß er von jetzt an stehen.«

»Wohl, etwa auf Sicilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand,
eine Flotte in jene Gewässer zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muß
Belisars Arm es zuziehn.«

»Aber wer soll es legen?«

Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie:

»Der geistgewaltigste Mann des Abendlands: Cethegus Cäsarius, der Präfekt
von Rom, mein Jugendfreund.«

»Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Römer, nicht mein Unterthan, mir
nicht völlig sicher. Wen soll ich senden. Noch einmal Alexandros?«

»Nein,« rief Theodora rasch, »er ist zu jung für ein solches Geschäft.
Nein.« Und sie schwieg nachdenklich. »Justinian,« sprach sie endlich, »auf
daß du siehst, wie ich persönlichen Haß vergessen kann, wo es das Reich
gilt und der rechte Mann gewählt werden muß, schlage ich dir selber meinen
Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Präfekten Studiengenossen, den
schlauen Rhetor: – ihn sende.«

»Theodora,« – rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, »du bist mir wirklich
von Gott geschenkt. Cethegus – Petros – Belisar: Barbaren, ihr seid
verloren!«



                           Siebzehntes Kapitel.


Am Morgen darauf erhob sich die schöne Kaiserin vergnügt von dem
schwellenden Pfühl, dessen weiche Kissen, mit blaßgelber Seide überzogen,
mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefüllt waren.

Vor dem Bette stand ein Dreifuß mit einem silbernen Becken, den Okeanos
darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der
Kaiserin hob lässig die Kugel und ließ sie klingend in das Becken fallen:
der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer
schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und
schlug die schweren Vorhänge von violetter chinesischer Seide zurück. Dann
ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselmilch getränkt, in
krystallner Schale ruhte und bestrich damit sorgfältig die Masse von
öligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin während der Nacht bedeckte.

Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt und
reichte die rechte Hand hinauf.

Theodora faßte diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuß auf den Nacken
der Knieenden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob
sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunica von feinstem
Bast bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes saß, den feinen
Ankleidemantel von Rosagewebe über die Schultern.

Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Thüre, rief »Agave!« und
verschwand. Agave, eine junge, schöne Thessalierin, trat ein; sie rollte
dicht vor die Herrin den mit unzähligen Büchschen und Fläschchen besetzten
Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Hände mit
weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tüchern zu reiben.

Daraus erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell
überzogenen Stuhl, die Kathedra.

»Das große Bad erst gegen Mittag!« sagte sie.

Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, außen mit
Schildpatt bekleidet, gefüllt mit köstlich duftendem Wasser und hob die
zierlichen, glänzend weißen Füße der Herrin hinein. Hierauf löste sie das
Netz von Goldfäden, das die Nacht über die blau glänzenden Haare der
Kaiserin zusammenhielt, so daß jetzt die weichen schwarzen Wellen über
Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite
Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: »Galatea!«

Eine betagte Sklavin löste sie ab, die Amme und Wärterin und, leider
müssen wir hinzufügen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur
erst des Akacius, des Löwenwärters im Cirkus, flitterbehängtes Töchterlein
und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des großen
Cirkus war. Alle Demütigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der
Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich
geteilt.

»Wie hast du geschlafen, mein Täubchen?« fragte sie, ihr in einer
Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in
Cilicien für die Toilette der Kaiserin in großen Massen als jährlichen
Tribut einzusenden hatte.

»Gut, ich träumte von ihm.« – »Von Alexandros?« – »Nein, du Närrin, von
dem schönen Anicius.« – »Aber der Bestellte wartet schon lange draußen in
der geheimen Nische.« – »Er ist ungeduldig,« lächelte der kleine Mund,
»nun, so laß ihn ein.« Und sie legte sich auf dem langen Divan zurück,
eine Decke von Purpurseide über sich ziehend; aber die feinen Knöchel der
schönen Füße blieben sichtbar.

Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie
eingetreten und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenüber, die
durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefüllt war.

Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute
eine Feder berührte, und zeigte eine schmale Öffnung in der Wand, welche
durch die Statue in ihrer gewöhnlichen Stellung vollständig verdeckt
wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den
Vorhang auf und herein eilte Alexandros, der schöne junge Gesandte.

Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und
bedeckte sie mit glühenden Küssen.

Theodora entzog sie ihm leise. – »Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros,«
sagte sie, den schönen Kopf zurücklehnend, »den Geliebten zur Ankleidung
zuzulassen.« Wie sagt der Dichter? »Alles dienet der Schönheit. Doch ist
kein erfreulicher Anblick, das entstehen zu sehn was nur entstanden
gefällt.«

»Allein ich hab’ es dir bei der Abreise nach Ravenna verheißen, dich
einmal in meiner Morgenstunde vorzulassen. Und du hast deinen Lohn
reichlich verdient. Du hast viel für mich gewagt. – – Fasse die Flechten
fester!« rief sie Galatea zu, die an die ihr allein zustehende Arbeit
gegangen war, das prachtvolle Haar der Gebieterin zu ordnen.

– »Du hast das Leben für mich gewagt.« – Und sie reichte ihm wieder zwei
Finger der rechten Hand.

»O Theodora,« rief der Jüngling, »für diesen Augenblick würd’ ich zehnmal
sterben.«

»Aber,« fuhr sie fort, »warum hast du mir nicht auch von dem letzten Brief
der Barbarin an Justinian Abschrift zukommen lassen?« – »Es war nicht mehr
möglich, es ging zu rasch. Ich konnte von meinem Schiff keinen Boten mehr
senden: kaum gelang es gestern, nach der Landung, dir sagen zu lassen, daß
ihr Bild bei den Geschenken sei. Du kamst im rechten Augenblick.«

»Ja, was würde aus mir, wenn ich die Thürsteher Justinians nicht doppelt
so hoch besoldete als er? Aber Unvorsichtigster aller Gesandten, wie
täppisch war das mit der Jahrzahl!«

»O schönste Tochter von Kypros, ich hatte dich mondenlang nicht mehr
gesehen. Ich konnte nichts denken als dich und deine berauschende
Schönheit.«

»Nun, da muß ich wohl verzeihen. Das schwarze Stirnband Galatea! Du bist
ein besserer Liebhaber als Staatsmann. Deshalb hab’ ich dich auch hier
behalten. Ja, du solltest wieder nach Ravenna. Aber ich denke, ich schicke
einen ältern Gesandten und behalte den jungen für mich. Ist’s recht so?«
lächelte sie, die Augen halb schließend.

Alexandros, kühner und glühender werdend, sprang auf und drückte einen Kuß
auf ihre roten Lippen.

»Halt ein, Majestätsverbrecher,« schalt sie, und schlug mit dem
Flamingofächer leicht seine Wange. »Jetzt ist’s genug für heute. Morgen
magst du wieder kommen und von jener Barbarenschönheit erzählen. Nein, du
mußt jetzt gehn. Ich brauche diese Morgenstunde noch für einen andern.«

»Für einen andern!« rief Alexandros zurücktretend. »So ist es wahr, was
man leise zischelt in den Gynäceen, in den Bädern von Byzanz? Du ewig
Ungetreue hast –«

»Eifersüchtig darf ein Freund Theodoras nicht sein!« lachte die Kaiserin.
Es war kein schönes Lachen. »Aber für diesmal sei unbesorgt – du sollst
ihm selbst begegnen. Geh.«

Galatea ergriff ihn an der Schulter und drehte den Widerstrebenden ohne
weiteres hinter die Statue und zur Thüre hinaus.

Theodora setzte sich nun aufrecht, das faltige Untergewand mit dem Gürtel
schließend.



                           Achtzehntes Kapitel.


Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebückten
Mann, der viel älter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber
allzuscharfe Züge, das stechende Auge, der bartlose eingekniffne Mund: –
alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit.

Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr
die Augenbrauen zu malen.

»Kaiserin,« hob der Alte ängstlich an, »ich staune über deine Kühnheit.
Wenn man mich hier sähe! Die Klugheit von neun Jahren wäre durch einen
Augenblick vereitelt.«

»Man wird dich aber nicht sehen, Petros,« sagte Theodora ruhig. »Diese
Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zärtlichkeit
Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muß sie ausbeuten so
gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Frömmigkeit! Galatea, den Frühwein.
Wie? Du fürchtest doch nicht, mich mit diesem gefährlichen Verführer
allein zu lassen?« Die Alte ging mit häßlichem Grinsen und kam gleich
zurück, einen Henkelkrug süßen gewärmten Chierweins in der einen Hand,
Becher mit Wasser und Honig in der andern.

»Ich konnte heute unsere Unterredung nicht, wie gewöhnlich, in der Kirche
veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester täuschend
ähnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich
bescheiden und du mußt zuvor genau unterrichtet sein.«

»Was ist zu thun?«

»Petros,« sagte Theodora, sich behaglich zurücklehnend und langsam das
süße Getränk schlürfend, das Galatea mischte, »heute kam der Tag, der
unsere langjährige Mühe und Klugheit lohnen und dich zum großen Mann
machen wird.«

»Zeit wär’ es,« meinte der Rhetor.

»Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich für
das heutige Geschäft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut
sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unserer – Freundschaft
zu erinnern.«

»Was soll das? Wozu ist das nötig?« sagte der Alte unbehaglich.

»Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhänger meines Todfeindes
Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines
Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch
weniger genutzt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre
und seine Schlauheit darein, nie etwas für seine Verwandten zu thun, daß
man ihn nie, wie die andern Höflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen
könne.

Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend ließ er dich unbefördert. Du darbtest
und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiß sich zu
helfen. Du fälschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des
Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch
eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander
teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal –«

»Kaiserin, ich bitte dich –«

»Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglück, daß
einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin höher anschlug als
den von dir verheißnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, ließ
sich die Urkunde von dir fälschen und – brachte sie mir.«

»Der Elende,« murrte Petros.

»Ja, es war schlimm,« lächelte Theodora, den Becher wegstellend. »Ich
konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhaßten
Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Füße legen und ich muß gestehen: es
lüstete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem
großen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und ließ dir die Wahl, zu
sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst gütig genug, das letztre zu
wählen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde,
insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Pläne des großen
Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist
jetzt ein reicher Mann.«

»O nicht der Rede wert.«

»Bitte, Undankbarer, das weiß mein Schatzmeister besser. Du bist sehr
reich.«

»Wohl, aber ohne Rang und Würde. Meine Studiengenossen sind Patricier,
Präfekten, große Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom,
Prokopius in Byzanz.«

»Geduld. Vom heut’gen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch
erklimmen. Ich mußte doch immer etwas zu geben behalten. Höre: du gehst
morgen als Gesandter nach Ravenna.«

»Als kaiserlicher Gesandter?« rief Petros freudig.

»Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles.

Du erhältst von Justinian ausführliche Anweisungen, das Gotenreich zu
verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen.«

»Diese Anweisungen – befolg’ ich oder vereitl’ ich?«

»Befolgst du. Aber du erhältst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz
besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus
der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du
einen Brief von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl
zu suchen.«

»Gut,« sagte Petros, den Brief einsteckend, »ich bringe sie also sofort
hierher.«

Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, daß
Galatea erschrocken zurückfuhr.

»Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send’ ich deshalb. Sie darf nicht
nach Byzanz, sie darf nicht leben.«

Bestürzt ließ Petros den Brief fallen. »O Kaiserin,« flüsterte er – »ein
Mord!«

»Still, Rhetor,« sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich
funkelten ihre Augen. »Sie muß sterben.«

»Sterben? o Kaiserin, warum?«

»Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: – du sollst es wissen, es
giebt deiner Feigheit einen Sporn – wisse –« und sie faßte ihn wild am
Arme und raunte ihm ins Ohr: »Justinian, der Verräter, fängt an sie zu
lieben.«

»Theodora!« rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite.

Die Kaiserin sank auf die Kline zurück.

»Aber er hat sie ja nie gesehen!« stammelte sich fassend Petros.

»Er hat ihr Bild gesehen: er träumt bereits von ihr, er glüht für dieses
Bild.«

»Du hast nie eine Rivalin gehabt.«

»Ich werde dafür wachen, daß ich keine erhalte.«

»Du bist so schön.«

»Amalaswintha ist jünger.«

»Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten
Gedanken.«

»Das eben wird ihm lästig. Und« – sie ergriff wieder seinen Arm – »merke
wohl: sie ist eine Königstochter! eine geborne Herrscherin, ich des
Löwenwärters plebejisch Kind. Und – so wahnwitzig lächerlich es ist! –
Justinian vergißt im Purpurmantel, daß er des dardanischen Ziegenhirten
Sohn. Er hat den Wahnsinn der Könige geerbt, er, selbst ein Abenteurer: er
faselt von angeborner Majestät, von dem Mysterium königlichen Bluts. Gegen
solche Grillen hab’ ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fürchte
ich nichts: aber diese Königstochter – –«

Sie sprang zürnend auf und ballte die kleine Hand.

»Hüte dich, Justinian!« sagte sie durchs Gemach schreitend. »Theodora hat
mit diesem Auge, mit dieser Hand Löwen und Tiger bezaubert und beherrscht:
laß sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann.«
Sie setzte sich wieder.

»Kurz, Amalaswintha stirbt,« sagte sie, plötzlich wieder kalt geworden.

»Wohl,« erwiderte der Rhetor, »aber nicht durch mich. Du hast der
blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. –«

»Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein
Feind, mußt es thun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht.«

»Theodora,« mahnte der Rhetor sich vergessend, »die Tochter des großen
Theoderich ermorden, eine geborne Königin – –«

»Ha,« lachte Theodora grimmig, »auch dich Armseligen blendet die geborne
Königin. Narren sind die Männer alle, noch mehr als Schurken! Höre,
Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du
Senator und Patricius.«

Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch
mächtiger als der Ehrgeiz. »Nein,« sagte er entschlossen, »lieber lasse
ich den Hof und alle Pläne.«

»Das Leben läss’st du, Elender!« rief Theodora zornig. »O, du wähntest, du
seiest frei und ungefährdet, weil ich damals vor deinen Augen die
gefälschte Urkunde verbrannt? Du Thor! es war die rechte nicht! Sieh her –
hier halte ich dein Leben.«

Und sie riß aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament.
Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach.

»Befiehl,« stammelte er, »ich gehorche.«

Da pochte man an die Hauptthüre.

»Hinweg,« rief die Kaiserin. »Hebe meinen Brief an die Gotenfürstin vom
Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod,
wenn sie lebt. Fort.«

Und Galatea schob den Betäubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte
den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Hauptthür
aufzuthun.



                           Neunzehntes Kapitel.


Herein trat eine stattliche Frau, größer und von gröberen Formen als die
kleine, zierliche Kaiserin, nicht so verführerisch schön, aber jünger und
blühender, mit frischen Farben und ungekünstelter Art.

»Gegrüßt, Antonina, geliebtes Schwesterherz! komm an meine Brust!« rief
die Kaiserin der tief sich Verbeugenden entgegen.

Die Gattin Belisars gehorchte schweigend.

»Wie diese Augengruben hohl werden!« dachte sie, sich wieder aufrichtend.

»Was das Soldatenweib für grobe Knöchel hat!« sagte die Kaiserin zu sich
selbst, da sie die Freundin musterte. –

»Blühend bist du wie Hebe,« rief sie ihr laut zu, »und wie die weiße Seide
deine frischen Wangen hebt! Hast du etwas neues mitzuteilen von – von
ihm?« fragte sie und nahm gleichgültig spielend vom Waschtisch ein
gefürchtetes Werkzeug, eine spitze Lanzette an einem Stäbchen von
Elfenbein, mit welchem ungeschickte oder auch nur unglückliche Sklavinnen
von der zürnenden Herrin oft zolltief in Schultern und Arme gestochen
wurden.

»Heute nicht,« flüsterte Antonina errötend, »ich hab’ ihn gestern nicht
gesehn.«

»Das glaub’ ich,« lächelte Theodora in sich hinein. »O wie schmerzlich
werd’ ich dich bald vermissen,« sagte sie, Antoninens vollen Arm
streichelnd. »Schon in der nächsten Woche vielleicht wird Belisarius in
See stechen und du, treuste aller Gattinnen, ihn begleiten. Wer von euren
Freunden wird euch folgen?«

»Prokopius,« sagte Antonina, »und« – setzte sie, die Augen
niederschlagend, hinzu – »die beiden Söhne des Boëthius.«

»Ah so,« lächelte die Kaiserin, »ich verstehe. In der Freiheit des
Lagerlebens hoffst du dich des schönen Jünglings ungestörter zu erfreuen
und indessen Held Belisarius Schlachten schlägt und Städte gewinnt –«

»Du errätst es. Aber ich habe dabei eine Bitte an dich. Dir freilich ward
es gut. Alexandros, dein schöner Freund ist zurück: er bleibt in deiner
Nähe und er ist sein eigner Herr, ein reifer Mann. Aber Anicius, du weißt
es, der Jüngling, steht unter seines altern Bruders Severinus strenger
Hut. Nie würde dieser, der nur Rache an den Barbaren sinnt und
Freiheitsschlachten, diese zarte – Freundschaft dulden. Er würde unsern
Verkehr tausendfach stören. Deshalb thu’ mir eine Liebe: Severinus darf
uns nicht folgen. Wenn wir an Bord sind mit Anicius, halte den ältern
Bruder in Byzanz zurück mit List oder Gewalt – du kannst es ja leicht – du
bist die Kaiserin.«

»Nicht übel,« lächelte Theodora. »Welche Kriegslisten! Man sieht, du
lernst von Belisarius.«

Da erglühte Antonina über und über.

»O nenne seinen Namen nicht. Und höhne nicht! Du weißt am besten, von wem
ich gelernt, zu thun, worüber man erröten muß.«

Theodora schoß einen funkelnden Blick auf die Freundin.

»Der Himmel weiß,« fuhr diese fort, ohne es zu beachten, »Belisar selbst
war nicht treuer als ich, bis ich an diesen Hof kam. Du warst es,
Kaiserin, die mich gelehrt, daß diese selbstischen Männer, von Krieg und
Staat und Ehrgeiz erfüllt, uns, wenn sie einmal unsre Eheherrn,
vernachlässigen, uns nicht mehr würdigen, wann sie uns besitzen. Du hast
mich gelehrt, wie es keine Sünde, kein Unrecht sei, die unschuldige
Huldigung, die schmeichelnde Verehrung, die der tyrannische Gemahl
versagt, von einem noch hoffenden und deshalb noch dienenden Freunde
hinzunehmen. Gott ist mein Zeuge, nichts andres als diesen süßen Weihrauch
der Huldigung, den Belisar versagt und den mein eitles, schwaches Herz
nicht missen kann, will ich von Anicius.«

»Zum Glück für mich wird das sehr bald langweilig für ihn,« sagte Theodora
zu sich selbst.

»Und doch – schon dies ist ein Verbrechen, fürcht’ ich, an Belisar. O wie
ist er groß und edel und herrlich. Wenn er nur nicht allzugroß wäre für
dies kleine Herz.« – Und sie bedeckte das Antlitz mit den Händen.

»Die Erbärmliche,« dachte die Kaiserin, »sie ist zu schwach zum Genuß wie
zur Tugend.«

Da trat Agave, die hübsche junge Thessalierin, ins Gemach mit einem großen
Strauß herrlicher Rosen.

»Von ihm,« flüsterte sie der Herrin zu. – »Von wem?« fragte diese. Aber
jetzt sah Antonina auf und Agave winkte warnend mit den Augen.

Die Kaiserin reichte Antoninen den Strauß, sie zu beschäftigen, »bitte,
stell’ ihn dort in die Marmorvase.«

Während die Gattin Belisars den Rücken wendend gehorchte, flüsterte Agave:
»Nun, von ihm, den du gestern den ganzen Tag hier versteckt gehalten: –
von dem schönen Anicius –« setzte das holde Kind errötend bei.

Aber kaum hatte sie das unvorsichtige Wort gesagt, als sie laut schreiend
nach ihrem linken Arme griff. Die Kaiserin schlug sie mit der noch
blutigen Lanzette ins Gesicht. »Ich will dich lehren, Augen haben, ob
Männer schön sind oder häßlich,« flüsterte sie grimmig. »Du läßt dich in
die Spinnstube sperren auf vier Wochen – sogleich – und zeigst dich nie
mehr in meinen Vorzimmern. Fort!«

Weinend ging das Mädchen, ihr Haupt verhüllend.

»Was hat sie gethan?« fragte Antonina sich wendend.

»Das Riechfläschchen fallen lassen,« sagte Galatea rasch, ein solches von
dem Teppich aufhebend. – »Herrin, dein Haar ist fertig.«

»So laß die Ankleiderinnen ein und wer sonst im Vorsaal. – Willst du
einstweilen in diesen Versen blättern, Antonina? Es sind die neuesten
Gedichte des Arator, »über die Thaten der Apostel«, gar erbaulich zu
lesen! Zumal hier, die Steinigung des heiligen Stephanos! Aber lies und
sprich sein Urteil.«

Galatea öffnete weit die Thüre des Haupteingangs: ein ganzer Schwarm von
Sklavinnen und Freigelassenen wogte herein. Die einen besorgten das
Hinausräumen der gebrauchten Toilettegeräte, andre räucherten mit
Kohlenpfännchen und sprengten aus schmalhalsigen Fläschchen Balsam durch
das Gemach. Die meisten aber waren um die Person der Kaiserin beschäftigt,
die jetzt ihren Anzug vollendete. Galatea nahm ihr den Rosaüberwurf ab.
»Berenike,« rief sie, »die milesische Tunika mit dem Purpurstreif und der
goldnen Falbel: es ist Sonntag heute.«

Während die erfahrene Alte, die allein das Haar der Kaiserin berühren
durfte, die kostbare Goldnadel, mit der Venusgemme im Knopf, künstlich in
die Knoten des Hinterhauptes schob, fragte die Kaiserin: »Was giebt es
neues in der Stadt, Delphine?«

»Du hast gesiegt, o Herrin!« antwortete die Gefragte, mit den Goldsandalen
niederknieend. »Deine Farbe, die Blauen, haben gestern im Cirkus gesiegt
über die Grünen zu Roß und Wagen.«

»Triumph!« frohlockte Theodora, »eine Wette von zwei Centenaren Gold, – es
ist mein. – Nachrichten? woher? aus Italien?« rief sie einer eben mit
Briefen eintretenden Dienerin entgegen.

»Jawohl, Herrin, aus Florentia von der Gotenfürstin Gothelindis: ich kenne
das Gorgonensiegel: und von Silverius, dem Diakon.«

»Gieb,« sagte Theodora, »ich nehme sie mit in die Kirche. Den Spiegel,
Elpis.« – Eine junge Sklavin trat vor mit einer ovalen drei Fuß langen
Platte von glänzend polirtem Silber in einem reich mit Perlen besetzten
Goldrahmen und getragen von einem starken Fuß von Elfenbein. Die arme
Elpis hatte harten Dienst. Sie mußte während der Vollendung des Ankleidens
die schwere Platte bei jeder Bewegung der unruhigen Herrin sofort dermaßen
drehen, daß diese sich ununterbrochen darin beschauen konnte und weh’ ihr,
wenn sie einer Wendung zu spät nachfolgte.

»Was giebt es zu kaufen, Zephyris?« fragte die Kaiserin eine dunkelfarbige
libysche Freigelassene, die ihr eben die zahme Hausschlange, die in einem
Körbchen auf weichem Moose ruhte, zur Morgenliebkosung reichte.

»Ach, nicht viel Besondres,« sagte die Libyerin, – »komm, Glauke,« fuhr
sie fort, indem sie die blendend weiße golddurchwirkte Chlamys aus der
Kleiderpresse nahm und sorgfältig auf den Armen ausgebreitet hielt, bis
die Gerufene ihr sie abnahm, mit Einem Wurf der Kaiserin in den schönsten
Falten über die Schulter schlug, mit dem weißen Gürtel zusammenfaßte und
das eine Ende mit einer Goldspange, die einst die Taube der Venus, jetzt
aber im Gegenteil den heiligen Geist darstellte, über der weißen Achsel
befestigte. Glauke, die Tochter eines athenischen Bildhauers, hatte
jahrelang den Faltenwurf studirt, war deshalb von der Kaiserin um viele
tausend Solidi angekauft worden und hatte den ganzen Tag über nur dies
einzige Geschäft.

»Duftige Seifenkugeln aus Spanien,« berichtete Zephyris, »sind wieder
frisch angekommen. Ein neues milesisches Märchen ist erschienen und der
alte Ägypter ist wieder da,« setzte sie leiser hinzu, »mit seinem
Nilwasser. Er sagt, es helfe unfehlbar. Die Perserkönigin, die acht Jahre
kinderlos – –«

Seufzend wandte sich Theodora ab, ein Schatte flog über das glatte
Gesicht. »Schick’ ihn fort,« sagte sie, »diese Hoffnung ist vorüber.« –

Und es war einen Augenblick, als wollte sie in trübes Sinnen versinken.

Aber sich aufraffend trat sie, Galateen winkend, zu ihrem Lager zurück,
nahm den zerdrückten Eppichkranz, der auf ihrem Kopfkissen lag und gab ihn
der Alten mit den geflüsterten Worten: »für Anicius, schick’ es ihm zu. –
Den Schmuck, Erigone!« Diese, von zwei andern Sklavinnen unterstützt, trug
mühsam die schwere Kiste von Erz herbei, deren Deckel, in getriebnen
Figuren die Werkstätte des Vulcanus darstellend, mit dem Siegel der
Kaiserin an die Lade befestigt war. Erigone zeigte, daß das Siegel
unverletzt und schlug den Deckel auf: neugierig stellte sich da manches
Mädchen auf die Fußspitzen, einen Blick von den schimmernden Schätzen zu
erhaschen. »Willst du noch die Sommerringe, Herrin?« fragte Erigone. –
»Nein,« sprach Theodora wählend, »die Zeit dafür ist um. Gieb mir die
schwereren, die Smaragden.« Erigone reichte ihr Ohrringe, Fingerring und
Armband.

»Wie schön,« sagte Antonina, von ihren frommen Versen aufsehend, »steht
das Weiß der Perle zu dem Grün des Steins!«

»Es ist ein Schatzstück der Kleopatra,« sagte die Kaiserin gleichgültig,
»der Jude hat den Stammbaum der Perle eidlich erhärtet.«

»Aber du zögerst lange,« erinnerte Antonina, »Justinians Goldsänfte harrte
schon als ich herauf kam.«

»Ja, Herrin,« rief eine junge Sklavin ängstlich, »der Sklave vor der
Sonnenuhr sagte schon die vierte Stunde an. Eile, Herrin.«

Ein Stich mit der Lanzette war die Antwort. »Willst du die Kaiserin
mahnen?« Aber Antoninen flüsterte sie zu: »Man muß die Männer nicht
verwöhnen: sie müssen immer auf uns warten, wir nie auf sie.

Meinen Straußenfächer, Thais. Geh, Jone, die kappadokischen Sklaven sollen
an meine Sänfte treten.«

Und sie wandte sich zum Gehen. »O Theodora,« rief Antonina rasch, »vergiß
meine Bitte nicht.«

»Nein,« sagte diese, plötzlich stehen bleibend, »gewiß nicht! Und damit du
ganz sicher gehst,« lächelte sie, »leg’ ich’s in deine eigne Hand. Meine
Wachstafel und den Stift.« Galatea brachte sie eilig. Theodora schrieb und
flüsterte der Freundin zu: »Der Präfekt des Hafens ist einer meiner alten
Freunde. Er gehorcht mir blind. Lies, was ich schreibe: »An Aristarchos
den Präfekten Theodora die Kaiserin.

Wenn Severinus, des Boëthius Sohn, das Schiff des Belisarius besteigen
will, halt’ ihn, nötigenfalls mit Gewalt, zurück und sende ihn hierher in
meine Gemächer: er ist zu meinem Kämmerer ernannt. Ist’s recht so, liebe
Schwester?« flüsterte sie.

»Tausend Dank,« sagte diese mit leuchtenden Augen.

»Aber wie,« rief die Kaiserin laut, plötzlich an ihren Hals fassend, »und
die Hauptsache hätten wir vergessen? Mein Amulet, den Mercurius! Bitte,
Antonina, dort liegt es.« Hastig wandte sich diese, den kleinen goldnen
Merkur, den besten Geleitsmann, der an seidner Schnur an dem Bette der
Kaiserin hing, zu holen. Inzwischen aber strich Theodora schnell das Wort
»Severinus« mit dem Goldgriffel aus, und schrieb dafür »Anicius«. Sie
klappte das Täfelchen zusammen, umschnürte und siegelte es mit ihrem
Venusring.

»Hier das Amulet,« sagte Antonina zurückkommend.

»Und hier der Befehl!« lächelte die Kaiserin. »Du magst ihn selbst im
Augenblick der Abfahrt an Aristarchos übergeben. Und jetzt,« rief sie,
»jetzt auf: in die Kirche.«



                           Zwanzigstes Kapitel.


In Neapolis, derjenigen Stadt Italiens, über welcher die zu Byzanz
aufsteigenden Wetterwolken sich zuerst entladen sollten, ahnte man nichts
von einer drohenden Gefahr. Da wandelten damals Tag für Tag an den
reizenden Hängen, welche nach dem Posilipp führen, oder an den Uferhöhen
im Südosten der Stadt, in vertrautem Gespräch, alle Wonnen jugendlich
begeisterter Freundschaft genießend, zwei herrliche Jünglinge, der eine in
braunen, der andre in goldnen Locken: die Dioskuren, Julius und Totila.

O schöne Zeit, da es die reine Seele, umweht von der frischen Morgenluft
des Lebens, noch unenttäuscht und unermüdet, trunken von der Fülle stolzer
Träume, drängt, hinüberzufluten in ein gleich junges, gleich reiches,
gleich überschwängliches Gemüt. Da stärkt sich der Vorsatz zu allem
Edelsten, der Aufschwung zu dem Höchsten, der Flug bis in die lichte Nähe
des Göttlichen wird in der Mitteilung gewagt, in der seligen Gewißheit,
verstanden zu sein.

Wenn der Blütenkranz in unsren Locken gewelkt ist und die Ernte unsres
Lebens beginnt, mögen wir lächeln über jene Träume der Jünglingszeit und
Jünglingsfreundschaft; aber es ist kein Lächeln des Spottes; es ist ein
Ausdruck von jener Wehmut, mit der wir in nüchterner Herbstluft der süßen,
berauschenden Lüfte des ersten Frühlings gedenken. –

Der junge Gote und der junge Römer hatten sich gefunden in der
glücklichsten Zeit für einen solchen Bund und sie ergänzten sich
wunderbar. Totilas sonnige Seele hatte den vollen Schmelz der Jugend
bewahrt: lachend sah er in die lachende Welt: er liebte den Menschen und
der Glanz seines wohlwollenden Wesens gewann ihm leicht und rasch alle
Herzen. Er glaubte nur an das Gute und des Guten Sieg: traf er das Böse,
das Gemeine auf seinem Pfad, so trat er es mit dem heilig lodernden Zorn
eines Erzengels in den Staub: durch seine sanfte Natur brach dann, den
Helden verratend, die gewaltige Kraft, die in ihr ruhte und nicht eher
ließ er ab, bis das verhaßte Element aus seinem Lebenskreise getilgt war.
Aber im nächsten Augenblick war dann die Störung wie überwunden so
vergessen und harmonisch wie seine Seele fühlte er ringsum Welt und Leben.
Stolz und froh empfand er die Vollkraft seiner Jugend und jauchzend
drückte er das goldne Dasein an die Brust. Singend schritt er durch die
wimmelnden Straßen von Neapolis, der Abgott der Mädchen, der Stolz seiner
gotischen Waffenfreunde, wie ein Gott der Freude, beglückend und beglückt.

Der helle Zauber seines Wesens teilte sich selbst der stilleren Seele
seines Freundes mit. Julius Montanus, zart und sinnig angelegt, eine fast
weibliche Natur, früh verwaist und von Cethegus’ hochüberlegnem Geist
eingeschüchtert, in Einsamkeit und unter Büchern aufgewachsen, von der
trostlosen Wissenschaft jener Zeit mehr belastet als gehoben, sah das
Leben ernst, fast wehmütig an. Ein Zug zur Entsagung und die Neigung,
alles Bestehende an dem strengen Maß übermenschlicher Vollendung zu
messen, lag in ihm und mochte sich leicht bis zur Schwermut verdüstern.
Zur glücklichen Stunde fiel Totilas sonnige Freundschaft in seine Seele
und erhellte sie bis in ihre tiefsten Falten so mächtig, daß seine edle
Natur auch von einem schweren Schlage sich wieder elastisch aufrichten
konnte, den eben diese Freundschaft auf sein Haupt ziehen sollte.

Hören wir ihn selbst darüber an den Präfekten berichten:

»Cethegus dem Präfekten Julius Montanus.

Die kaltherzige Antwort, die du auf den warmgefühlten Bericht von meinem
neuen Freundschafts-Glück erteiltest, hat mir zuerst – gewiß gegen deine
Absicht – sehr wehe gethan, später aber das Glück eben dieser Freundschaft
erhöht, freilich in einer Weise, welche du weder ahnen noch wünschen
konntest.

Der Schmerz durch dich hat sich bald in Schmerz um dich verwandelt. Wollte
es mich anfangs kränken, daß du meine tiefste Empfindung als die
Schwärmerei eines kranken Knaben behandeltest und die Heiligtümer meiner
Seele mit bittrem Spott antasten wolltest – nur wolltest, denn sie sind
unantastbar, – so ergriff mich doch statt dessen bald das Gefühl des
Mitleids mit dir. Wehe, daß ein Mann wie du, so überreich an Kräften des
Geistes, darbest an den Gütern des Herzens. Wehe, daß du die Wonne der
Hingebung nicht kennst und jene opferfreudige Liebe, die ein von dir mehr
verspotteter als verstandner Glaube, den mir jeder Tag des Schmerzes näher
bringt, die _caritas_, die Nächstenliebe, nennt: Wehe dir, daß du das
Herrlichste nicht kennst! Vergieb die Freiheit dieser meiner Rede: ich
weiß, ich habe noch nie in solchen Worten zu dir gesprochen: aber erst
seit kurzem bin ich, der ich bin. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat
noch dein letzter Brief Spuren von Knabenhaftigkeit an mir gegeißelt. Ich
glaube, sie sind seitdem verschwunden und ein Verwandelter sprech’ ich zu
dir. Dein Brief, dein Rat, deine »Arzenei« hat mich allerdings zum Manne
gereift, aber nicht in deinem Sinn und nicht nach deinem Wunsch. Schmerz,
heiligen, läuternden Schmerz hat er mir gebracht, er hat diese
Freundschaft, die er verdrängen sollte, auf eine harte Probe gestellt,
aber, der Güte Gottes sei’s gedankt, er hat sie im Feuer nicht zerstört,
sondern gehärtet für immer.

Höre und staune, was der Himmel aus deinen Plänen geschaffen hat.

Wie wehe mir dein Brief gethan, – in alter Gewohnheit des Gehorsams
befolgte ich alsbald seinen Auftrag und suchte deinen Gastfreund auf, den
Purpurhändler Valerius Procillus. Er hatte bereits die Stadt verlassen und
seine reizende Villa bezogen. Ich fand an ihm einen vielerfahrnen Mann und
einen eifrigen Freund der Freiheit und des Vaterlandes: in seiner Tochter
Valeria aber ein Kleinod.

Du hattest recht prophezeit. Meine Absicht, mich gegen sie zu
verschließen, zerschmolz bei ihrem Anblick wie Nebel vor der Sonne: mir
war Elektra oder Kassandra, Clölia oder Virginia stehe vor mir. Aber mehr
noch als ihre hohe Schönheit bezauberte mich der Schwung ihrer
unsterblichen Seele, die sich alsbald vor mir aufthat. Ihr Vater behielt
mich sogleich als seinen Gast im Hause und ich verlebte unter seinem Dach
mit ihr die schönsten Tage meines Lebens. Die Poesie der Alten ist der
Äther ihrer Seele.

Wie rauschten die Chöre des Äschylos, wie rührend tönte Antigones Klage in
ihrer melodischen Stimme; stundenlang lasen wir in Wechselrede und
herrlich war sie zu schauen, wann sie sich erhob im Schwunge der
Begeisterung, wann ihr dunkles Haar, in freie Wellen gelöst, niederfloß
und aus ihrem großen runden Auge ein Feuer blitzte nicht von dieser Welt.

Und, – was ihr vielleicht noch tiefen Schmerz bereiten wird, – eine
Spaltung, die durch all’ ihr Leben geht, giebt ihr den höchsten Reiz. Du
ahnst wohl, was ich meine, da du seit Jahren das Schicksal ihres Hauses
kennst. Du weißt wohl genauer als ich, wie es kam, daß Valeria schon bei
ihrer Geburt von ihrer frommen Mutter einem ehelosen, einsamen Leben in
Werken der Andacht geweiht, dann aber von ihrem reichen und mehr römisch
als christlich gesinnten Vater um den Preis einer Kirche und eines
Klosters, die er baute, losgekauft worden ist. Aber Valeria glaubt, daß
der Himmel nicht totes Gold nehme für eine lebendige Seele: sie fühlt sich
der Bande jenes Gelübdes nicht ledig, deren sie ewig, aber nur in Furcht,
nicht in Liebe, gedenkt.

Denn du hattest recht als du schriebst: sie sei durch und durch ein Kind
der alten, der heidnischen Welt. Das ist sie, die echte Tochter ihres
Vaters: aber doch kann sie der frommen Mutter entsagend Christentum nicht
abthun: es lebt nicht in ihr als ein Segen, es lastet auf ihr als ein
Fluch, als der unentrinnbare Zwang jenes Gelübdes. Diesen wundersamen
Zwiespalt, diesen verhängnisvollen Widerstreit trägt die edle Jungfrau im
Gemüt: er quält sie, aber er veredelt sie zugleich.

Wer weiß, wie er sich lösen wird? der Himmel allein, der ihr Schicksal
lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: du
weißt ja, daß in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in
ungeklärter Mischung durcheinander wogen. Zu meinem Staunen hat in diesen
Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen und fast will mich bedünken, die
Freude führe zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und
das Unglück.

Aber höre wie der Schmerz über mich gekommen.

Anfangs, als ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung
voll. Valerius, vielleicht schon früher von dir für mich gewonnen, sah
meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das
an mir auszusetzen, daß ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der
römischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Haß gegen
die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens
sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich geneigt und wer weiß ob
nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese
Freundschaft genügt hätten, sie in meine Arme zu führen. Aber ich danke, –
soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? – daß es nicht so kam: Valeria
einer halb gleichgültigen Ehe opfern wäre ein Frevel gewesen. Ich weiß
nicht, welches seltsame Gefühl mich abhielt das Wort zu sprechen, das sie
in jenen Tagen gewiß zu der Meinen gemacht hätte. Ich liebte sie doch so
tief: – aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie
werben wollte, immer beschlich mich ein Gefühl, als thu’ ich Unrecht an
dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht würdig oder doch nicht die
ihr vom Schicksal zugedachte Hälfte ihrer Seele und ich schwieg und
bezähmte das pochende Herz.

Einstmals um die sechste Stunde, – schwül brannte die Sonne rings auf Land
und Meer – suchte ich Schatten in der kühlen Marmorgrotte des Gartens. Ich
trat ein durch das Oleandergebüsch: da lag sie schlafend auf der weichen
Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter
dem edeln Haupt, das noch vom Frühmahl her der schöne Asphodeloskranz
schmückte. Ich stand bebend vor ihr: so schön war sie noch nie gewesen,
ich beugte mich über sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten
Züge an: heiß schlug mein Herz, ich beugte mich über sie, diese roten
feingeschnittenen Lippen zu küssen.

Da fiel mir’s plötzlich centnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du
begehen willst. Totila! rief unwillkürlich meine ganze Seele und still,
wie ich gekommen, schlich ich fort.

Totila! Was war er mir nicht früher eingefallen?

Ich machte mir Vorwürfe, den Bruder meines Herzens über dem neuen Glück
fast vergessen zu haben.

Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfüllen: diese
Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen,
gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen und dann, dann will ich werben
und Totila soll glücklich sein mit uns.

Andern Tages ging ich nach Neapolis zurück, ihn zu holen. Ich pries ihm
den Schimmer des Mädchens, aber ich vermochte es nicht über mich, ihm von
meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir
fanden sie bei unserer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So führte
ich Totila in den Garten – Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen
– wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns
ihre Erscheinung plötzlich entgegen: sie stand vor einer Statue ihres
Vaters und kränzte sie mit frischgepflückten Rosen, die sie, hoch
aufgehäuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust
zusammenhielt.

Es war ein überraschend schönes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Grün
des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weißen Marmor, die Rechte
anmutvoll erhebend: und mächtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit
einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenüber,
stehen.

Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die
Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre
Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen erglühten: – ich sah mit
Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden.

Sie liebten sich beim ersten Anblick.

Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewißheit meine
Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in
meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen
Gestalten, empfand ich neidlose Freude, daß sie sich gefunden: denn es
war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, sie
aus Einem Stoff für einander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenröte
schimmerten sie ineinander und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefühl,
das mich wie ein Vorwurf von Valeria fern gehalten, das mir _seinen_ Namen
auf die Lippen geführt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes
Ratschluß oder dem Gang der Sterne und ich sollte nicht zwischen sie
treten.

Erlaß mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn
geartet, sowenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens über mich
gewonnen, daß – ich schäme mich, das zu gestehen – daß mein Herz auch
jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen für das
Glück der Freunde.

Rasch und unscheinbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre
Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind glücklich wie die seligen
Götter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glück zu schauen und ihnen
beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl
schwerlich dem »Barbaren« schenken wird, solang er in Totila nur den
»Barbaren« sieht.

Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt’ ich vor dem Freunde tief
verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück
nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel
ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen
wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast du zerstören
wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen
befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen
durch der Liebe Glück: – ich bin’s geworden durch der Liebe Schmerz.

Lebe wohl und verehre das Walten des Himmels.«



                        Einundzwanzigstes Kapitel.


Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten
auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer
Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis.

Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta
nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines
römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte.

Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit.

»Wer ist wohl der Kaiser,« fragte er den Freund, »dort auf dem
Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand, wie ein Jupiter
Tonans?« – »Es ist Marc Aurel,« sagte Julius und wollte weitergehen. – »O
bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden
Haaren, die den Wagen ziehn?«

»Es sind Germanenkönige.« – »Doch welches Stammes?« fragte Totila weiter –
»sieh da, eine Inschrift: »_Gothi extincti!_« »Die Goten vernichtet!««

Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule
und schritt rasch durch das Thor. »Eine Lüge in Marmor!« rief er rückwärts
blickend. »Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer
Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.« – »Ja, die Völker
sind wie die wechselnden Blätter am Baume,« sagte Julius nachdenklich;
»wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?« Totila blieb stehen.
»_Nach uns?_« fragte er erstaunt. – »Nun, du wirst doch nicht glauben, daß
deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?«

»Das weiß ich doch nicht,« sagte Totila, langsam fortschreitend. – »Mein
Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen
will, auch wir Römer hatten ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reisten
und vergingen. Soll’s anders sein mit den Goten?«

»Ich weiß das nicht,« sagte Totila unruhig, »ich habe den Gedanken nie
gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da
mein Volk« – – er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken.
»Wie kann man sich dergleichen vorstellen! ich denke daran so wenig wie –
wie an den Tod!«

»Das sieht dir gleich, mein Totila!«

»Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Träumereien zu
quälen.«

»Träumereien! Du vergißt, daß es für mich, für mein Volk schon
Wirklichkeit geworden. Du vergißt, daß ich ein Römer bin. Und ich kann
mich nicht darüber täuschen wie die meisten thun: es ist vorbei mit uns.
Das Scepter ist von uns auf euch übergegangen; glaubst du, es lief so ohne
Schmerz, ohne Nachsinnen für mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den
Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?«

»Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!« fiel Totila eifrig ein. »Find’
ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick’ doch nur um dich!
Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblüht als unter unsrem
Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst,
wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schöneres Wechselverhältnis läßt
sich denken! Die Harmonie zwischen Römern und Germanen kann eine ganz neue
Zeit erschaffen, schöner als je eine bestanden.«

»Die Harmonie! aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk,
geschieden durch Sprache und Glaube, durch Stammes- und Sinnesart und
durch halbtausendjährigen Haß.

Wir brachen früher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gähnt
eine ewige Kluft.« – »Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele.«

»Er ist ein Traum!« – »Nein, er ist Wahrheit, ich fühl’ es und vielleicht
kömmt noch die Zeit, dir’s zu beweisen. Das Werk meines ganzen Lebens bau’
ich drauf.« – »So wär’s auf einen edeln Wahn gebaut. Keine Brücke zwischen
Römern und Barbaren!« – »Dann,« sagte Totila heftig, »begreif’ ich nicht,
wie du leben kannst, wie du mich –«

»Vollende nicht,« sagte Julius ernst. »Es war nicht leicht: es war die
schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht
ist sie mir gelungen: aber endlich hab’ ich aufgehört, in meinem Volk
allein zu leben. Der heilge Glaube, der jetzt schon – und er allein
vermag’s – Römer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden
Verstand durch lauter Schmerzen – Schmerzen, die Freuden sind – allmählich
immer mächtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede
gebracht. In diesem Einen darf ich mich jetzt schon rühmen, ein Christ zu
sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein
bloßer Römer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen
Bruder: sind wir doch Bürger Eines Reichs: der Menschheit.

Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben
sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!«

»Nein!« rief Totila lebhaft, »das könnt’ ich nimmermehr. In meinem Volk
allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der
allein meine Seele atmen kann. Warum soll’n wir nicht dauern können, ewig:
oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von
besserem Stoff. Weil sie dahin siechten und versanken, müssen darum auch
wir siechen und versinken? Noch blühn wir in voller Jugendkraft! Nein,
wenn ein Tag kömmt, da die Goten sinken, – mög’ ihn mein Auge nicht mehr
sehn. O all’ ihr Götter, laßt uns nur nicht dahinkranken jahrhundertelang
wie diese Griechen, die nicht leben können und nicht sterben! Nein, muß es
sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter und laßt uns rasch und
herrlich fallen, alle, alle und mich voran!«

Der Jüngling hatte sich in die wärmste Begeisterung gesprochen. Er sprang
empor von der Marmorbank auf der Straße, darauf sie sich niedergelassen,
den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend.

»Mein Freund,« sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, »wie schön steht
dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf würde mit uns, mit
meinem Volk entbrennen und sollte ich –?«

»Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es
jemals zu solchem Kampfe kömmt. Du glaubst, das würde unsrer Freundschaft
Eintrag thun? mit nichten! Zwei Helden können sich knochentiefe Wunden
hau’n und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich würd’ es freuen,
dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten sehn mit Schild und
Speer!«

Julius lächelte. »Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder
Gote. – Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequält und
all’ meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst
seit ich’s in Schmerzen erfahren, daß ich dem Gott im Himmel allein zu
dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht Einem Volk –«

»Gemach, Freund,« rief Totila, »wo ist denn die Menschheit, von der du
schwärmst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Römer, Byzantiner! Eine
Menschheit über den wirklichen Völkern, irgendwo in den Lüften, kenn’ ich
nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar
nicht anders! ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin.
Gotisch denk’ ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache
der Menschheit; die giebt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann
ich auch nur gotisch fühlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich
bewundre eure Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles
so streng geordnet ist.

Wir können vieles von euch lernen – aber tauschen könnt’ ich und möcht’
ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind
mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.«

»Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!«

»Du bist kein Römer! vergieb, mein Freund, es giebt schon lange keine
Römer mehr. Sonst wär ich’ nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann
nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder
fühlen, der eines lebendigen Volkes ist.«

Julius schwieg eine Weile. »Und wenn dem so ist, – wohl mir! Heil, wenn
ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was
ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner
unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist
als hier.«

»Halt ein, mein Julius,« sprach Totila, stehen bleibend, die Lanze auf den
Boden stoßend. »Hier, auf Erden, hab’ ich festen Grund, hier laß mich
stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen
nach Kräften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich
ehre deine Träume, ich ehre deine heilge Sehnsucht – aber ich teile sie
nicht. Du weißt,« fügte er lächelnd hinzu, »ich bin ein Heide,
unverbesserlich, wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde
denk’ ich ihrer. Deine erdenflücht’gen Träume ließen uns am Ende des
Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die
Sonne sinkt so rasch hier im Süden und ich soll noch vor Nacht die
bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter
Gärtner,« lächelte er, »der seiner Blume vergäße. Leb wohl – ich biege
rechts hinab.«

»Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.«

»Was liesest du jetzt? Noch Platon?«

»Nein, Augustinus. Lebe wohl!«



                       Zweiundzwanzigstes Kapitel.


Rasch eilte Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile
der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des
jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Thores, mit
starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren
sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den
zackigen Zinnen, waren zwei niedre aber breite Gelasse, zur Wohnung des
Türmers bestimmt.

Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind.

In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strenger Ordnung die großen
schweren Schlüssel zu den Hauptthüren und den Nebenpforten des wichtigen
Thorgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite,
hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen
auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe,
starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen,
hochgeschweiften Brauen seiner Rasse.

Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien und aufmerksam hörte er den
Worten eines jungen unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten,
zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des
jüdischen Stammes lag.

»Sieh, Vater Isak,« schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, »meine
Rede ist keine eitle Rede und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen
allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier
hab’ ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes:
hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien,
jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders.
Eben erst hab’ ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser
Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig
bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels,
deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gieb
mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.«

Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam
das Haupt. »Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn – ich sage dir, laß ab, laß
ab.«

»Warum? was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in
Israel?«

»Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe und
dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehn, daß sich die
Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem
Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir
selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.«

Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur
Seite, der das vordere Gemach abschloß.

Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der
Männer: jetzt sah man in den einfachen aber gefälligen Raum. An dem weiten
Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die
fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein
fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von
überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne
noch in das hochgelegene Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so
das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es
spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr
zurückgestrichen, die edeln Schläfe zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so
schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede
ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen
dunkelblauen Augen, die, in weiches Sinnen versunken, über die Stadt und
das Meer hinschweiften. »Dunkelmeeresblau« hatte diese Augen Piso, der
Dichter, genannt. –

Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten,
während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine
alte, melancholische Weise klang:

  »An Wasserflüssen Babylons
    Saß weinend Judas Stamm: –
  Wann kömmt der Tag, da Judas Stamm
    Nicht mehr zu weinen hat?« –

»Nicht mehr zu weinen hat!« wiederholte sie träumend und neigte das Haupt
auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt.

»Sieh hin,« sprach der Alte leise, »ist sie nicht lieblich wie die Rose in
den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram und ist kein
Fehl an ihrem Leibe?«

Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der
schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch
mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter.

Jochem trat an das Fenster und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten.
»Ha, der Christ, der gottverfluchte,« knirschte er und ballte die Faust.
»Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist
das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?« – »Sohn, rede nicht
Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz gesetzt auf
ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.«

»Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!«

»Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es
entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten
Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen
von Israel, und als sie niederbrannten die heil’ge Synagoge mit unheiligem
Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf
der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den
Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: – wo war da
Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der
Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!«

»Ich bin ein Mann des Friedens,« sagte Jochem unbehaglich, »meine Hand
führt nicht das Schwert der Gewalt.«

»Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda und der Herr ist mit ihm.
Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber
und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte
die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier
über mein bebendes Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie
heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehovah
der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.«

»Nun wohl,« sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, »ich gehe, diesmal
für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser zu machen ein groß
Geschäft.«

»Ein groß Geschäft? Mit wem?«

»Mit Justinianus, dem Kaiser über Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück
der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt
des Konstantin. Ich hab’ entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder
aufzubauen das Gebäude.«

Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden: »Wie,
Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen
Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in Asche gelegt den Tempel des
Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des
frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!« – »Was rufest du Wehe und weißt
nicht warum? Riechst du’s dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des
Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer und glänzt es nicht
gleich lieblich?«

»Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon.«

»Aber du selbst, dienst du nicht den Ungläubigen? Seh ich nicht das
Wächterhorn an der Wand deines Hauses? führst du nicht die Schlüssel für
diese Goten und thust ihnen auf und zu die Pforten für ihren Ausgang und
Eingang und hütest die Burg ihrer Stärke?«

»Ja, das thu’ ich,« sagte der Alte stolz, »und wachen will ich für sie
treulich, Tag und Nacht, wie der Hund für den Herrn, und solang Isak Odem
hat, der Sohn Ruben, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies
Thor. Denn Dank schulden die Kinder Israel ihnen und ihrem großen König,
der weise war wie Salomo und wie Gideons war sein Schwert! Dank wie unsre
Väter dem großen König Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Römer
haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk über das
Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt
unsre heiligen Stätten und geplündert unsre Truhen und verunreinigt unsre
Häuser und gezwungen unsre Weiber überall in ihren Landen und haben
geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser große König von
Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre
Synagogen: und wenn sie die Römer niederrissen, mußten sie alles wieder
aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschützt den
Frieden unsrer Dächer und wer Einen schädigte aus Israel, der mußte es
büßen, wie wer einen Christen gekränkt. Er hat uns gelassen unsern Gott
und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Straßen unsres
Handels und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr
seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Höhen von Zion. Und als
ein Großer unter den Römern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib,
ließ ihm König Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage
und gab mir wieder mein Weib unversehret. Und das will ich gedenken,
solange meine Tage dauern und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode
und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein
Jude.«

»Mögest du nicht Undank ernten von den Goten für deinen Dank,« sagte
Jochem, sich zum Gehen rüstend: »mir ist, einmal kömmt die Stunde für
mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak,
bist du dann minder stolz.« Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe
hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer häßlichen Verbeugung und einem
stechenden Blick drückte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei,
der beim Eintritt in die Türmerwohnung sich tief bücken mußte. Miriam
folgte ihm auf dem Fuß.

»Dort hängen deine Gärtnerkleider,« sagte sie, ohne die langen Wimpern
aufzuschlagen, »und hier am Fenster hab’ ich die Blumen bereit gestellt.
Sie liebt die weißen Narcissen, sagtest du neulich. Ich habe weiße
Narcissen besorgt. Sie duften lieblich.« Und die melodische Stimme
schwieg.

»Du bist ein gutes Mädchen, Miriam,« sagte Totila, den Helm mit den
silberweißen Schwanenflügeln abhebend und auf den Tisch setzend, »wo ist
dein Vater?« – »Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldnen Locken,«
sprach der Alte, in das Gemach tretend. – »Gegrüßt, treuer Isak!« rief
Totila, warf den langen, glänzend weißen Mantel ab, der ihm von den
Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam
von der Wand reichte. »Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene
Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!« –
»Dank?« sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie
leuchtend auf ihm ruhen. »Du hast voraus gedankt für alle Zeit.«

»Nein, Miriam,« sagte der Gote, den braunen breitkrempigen Filzhut tief in
die Stirne ziehend, »ich mein’ es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak,
wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier geseh’n und eben wieder
begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen,
wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt – ich helfe gern.« – »Es fehlt an der
Liebe, Herr, bei ihr,« sagte Isak ruhig. – »Da kann ich freilich nicht
helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt – ich möchte gern etwas thun für
meine Miriam.« Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze
Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz
getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Knie: die Arme über dem Busen
kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorn beugend: wie eine tauschwere
Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder.

Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück.

Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: »Verzeih, es war nur eine
Rose – sie fiel vor deinen Fuß.«

Sie legte die Blume auf den Tisch und so gefaßt war sie, daß weder ihr
Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten.

»Es dunkelt schon, eile, Herr,« sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb
mit den Blumen. – »Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich
habe ihr viel von dir erzählt und sie frägt mich stets nach dir. Sie
möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald – heut’ ist’s
wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.«

»Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?« rief der Alte. »Bring sie
nur hierher! hier ist sie wohl geborgen.«

»Nein,« fiel Miriam ein, »nicht hierher, nein, nein!«

»Weshalb nicht, du seltsames Kind?« zürnte der Alte.

»Das ist kein Raum für seine Braut – dies Gemach – es brächte ihr kein
Heil.« – »Beruhigt euch,« sagte Totila, schon an der Thüre, »offne Werbung
soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.« Und er schritt hinaus.
Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er
folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen
Thorbaues zu machen.

Miriam blieb oben allein.

Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben
Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und
schlug die Augen auf. Still war’s im Gemach; durch das offene Fenster
glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen
Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf
den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen
Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf
dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn
zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich
hin: endlich – sie konnte nicht widerstehen – hob sie ihn rasch auf und
setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte als die Wölbung ihre Stirn
berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und
drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen
an die glühende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu
umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans
Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht.
Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen
aus in der alten Weise:

  »An Wasserflüssen Babylons
    Saß weinend Judas Stamm:
  Wann kömmt der Tag, der all dein Leid,
    Du Tochter Zion, stillt?«



                       Dreiundzwanzigstes Kapitel.


Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas
rascher sehnsuchtbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen
Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Thor gelegen
war, erreicht.

Der Thürstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen
Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der
Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien
ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte,
und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen
niedrige Fenster in den Garten führten: am andern Morgen noch vor Aufgang
der Sonne – so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei – müßten
die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in
dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. –

Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge
Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen
Nachtmahl verabschieden konnte.

Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem
Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den
Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war’s in dem weiten
Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen und Zikaden
zirpten in den Myrtengebüschen: der warme üppige Südwind strich in
schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen
aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend: und weithin aus dem
Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der
tiefgezogene heiße Schlag der Nachtigall.

Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über
die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen
Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des
Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahin eilte. Vorüber
an den dunkeln Taxusgängen und den Lauben von dichten Oliven, vorüber an
der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht
schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den
Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht
verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden und nun, noch ein
Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in
der die Quellnymphe über einer dunkeln großen Urne lehnte.

Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor.

»Valeria, meine schöne Rose!« rief Totila und umschlang glühend die
Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. »Laß, laß ab, mein Geliebter,«
flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. »Nein, du Süße, ich will nicht
von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab’ ich dein entbehrt! Hörst
du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du wie der warme
Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet?
Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! O laß sie uns
festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug all’
ihr Glück zu fassen: all’ deine Schönheit, all’ unsre Jugend und diese
glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben
durch das Herz und will’s vor Wonne sprengen.«

»O mein Freund! gern möcht’ ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden.
Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen
Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann
nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.«

»Du liebe Thörin, warum nicht?«

»Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all’ mein Leben scheidet,
übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du,
diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert
nicht, – du sollst nicht glücklich sein.«

»So bist du nicht glücklich in meinen Armen?«

»Ja und nein! das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater
lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglückt ist nicht
diese deine jugendschöne Kraft, selbst deine große Liebe nicht. Es ist der
Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offne, lichte, edle Seele.
Ich habe mich gewöhnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch
diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft,
der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: daß
alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muß, wo du nahest, das ist mein
Glück. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fülle
seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches,
Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht – sie sind
erlistet und es kann nicht länger also sein.«

»Nein, Valeria und es soll auch nicht. Ich fühle ganz wie du. Auch mir ist
die Lüge dieser Mummerei verhaßt, ich trage sie nicht länger. Ich bin
gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf ich diese Täuschung
ab und spreche zu deinem Vater offen und frei.« – »Dieser Entschluß ist
der beste, denn« –

»Denn er rettet dein Leben, Jüngling!« unterbrach plötzlich eine tiefe
Stimme und aus dem dunkeln Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stieß
das blanke Schwert in die Scheide.

»Mein Vater!« rief Valeria überrascht, doch in mutiger Fassung. Totila
schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen.

»Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!« sprach Valerius, befehlend den
Arm ausstreckend.

»Nein, Valerius,« sagte Totila, die Geliebte fester an sich drückend, »ihr
Platz ist forthin an dieser Brust.«

»Verwegner Gote!«

»Höre mich, Valerius, und zürne uns nicht um dieser Täuschung willen. Du
hast es selbst gehört, schon morgen sollte sie enden.«

»Zu deinem Glück hab’ ich’s gehört. Gewarnt von dem ältesten meiner
Freunde, wollt’ ich doch kaum glauben, daß meine Tochter – mich
hintergeht. Als ich’s glauben mußte, beschloß ich, daß dein Blut deine
List bezahlen sollte. Dein Entschluß hat dein Leben gerettet. Jetzt aber
flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder.« –

Totila wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: »Vater,« sprach
sie ruhig, zwischen die Männer tretend, »höre dein Kind. Ich will meine
Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist göttlich und
notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines
Lebens.

Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Äther und ich sage dir, bei meiner
Seele: nie werd’ ich lassen von diesem Mann!« – »Und niemals ich von ihr,«
rief Totila und ergriff ihre Rechte.

Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll
beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Züge und Gestalten trugen im
Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schön war die Gruppe,
daß ein rührendes, erweichendes Gefühl davon sich unwillkürlich dem
zürnenden Vater aufdrängte. »Valeria, mein Kind!«

»O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all’ meine Schritte
geleitet, daß ich bisher die Mutter, die verlorne, zwar beklagte, aber
kaum vermißte. Jetzt, in dieser Stunde vermiß’ ich sie zum erstenmal:
jetzt, ich fühl’ es, bedürfte ich ihrer Fürsprache. O so laß ihr Andenken
wenigstens für mich sprechen. Laß mich dir ihr Bild vor die Seele führen
und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal
an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glück auf die Seele
band als heiligstes Vermächtnis. –«

Valerius drückte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte, die
andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht: offenbar rang es gewaltig in des
Alten Brust. Endlich sprach er: »Valeria, du hast ein mächtig Wort
gesprochen, ohne es zu wissen. Es wäre Unrecht, dir zu verschweigen, was
du ahnungsvoll berührt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde
mir auferlegt. Noch immer drückte ihre Seele jenes Gelübde, das wir doch
lange abgelöst. »Soll unser Kind nicht die Braut des Himmels werden,«
sprach sie, »so gelobe mir wenigstens, die Freiheit ihrer Wahl zu ehren.
Ich weiß wie römische Mädchen, zumal die Töchter unsres Standes, in die
Ehe gegeben werden, ungefragt, ohne Liebe: ein solcher Bund ist ein Elend
auf Erden und ein Greuel vor dem Herrn. Meine Valeria wird edel wählen –
gelobe mir, sie dem Mann ihrer Wahl anzuvertrauen und keinem sonst.«

Und ich gelobte es in ihre bebende Hand. – Aber mein Kind einem Barbaren
geben, einem Feind Italiens, nein, nein!« Und mit heftiger Armbewegung riß
er sich von ihr los.

»Ich bin vielleicht so gar barbarisch nicht, Valerius,« hob Totila an.
»Wenigstens bin ich in meinem ganzen Volk der wärmste Freund der Römer.
Glaube mir, nicht euch hasse ich: die ich verabscheue, sind eure wie unsre
verderblichsten Feinde – die Byzantiner!«

Das war ein glückliches Wort. Denn in dem Herzen des alten Republikaners
war der Haß gegen Byzanz die Kehrseite seiner Liebe zur Freiheit und zu
Italien. Er schwieg, aber sein Auge ruhte sinnend auf dem Jüngling.

»Mein Vater,« sprach Valeria, »dein Kind würde keinen Barbaren lieben.
Lern’ ihn kennen: und schiltst du ihn dann noch barbarisch – so will ich
nie die Seine werden. Ich fordre nichts von dir als: lern’ ihn kennen:
entscheide du selbst, ob meine Wahl edel sei oder nicht.

Ihn lieben alle Götter und alle Menschen müssen ihm gut sein – du allein
wirst ihn nicht verwerfen.«

Und sie faßte seine Hand.

»O lerne mich kennen, Valerius,« bat Totila, innig seine andre Hand
ergreifend. Der Alte seufzte. Endlich sprach er: »Kommt mit mir zum Grabe
der Mutter. Dort ragt es unter den Cypressen. Da ruht die Urne mit ihrem
Herzen. Dort laßt uns ihrer gedenken, der edelsten Frau, und ihren
Schatten anrufen. Und ist es echte Liebe und eine edle Wahl – so werd’ ich
erfüllen, was ich gelobt.«



                       Vierundzwanzigstes Kapitel.


Einige Wochen später finden wir zu Rom in dem uns wohl erinnerlichen
Schreibgemach mit der Cäsarstatue Cethegus, den Präfekten und unsern neuen
Bekannten, Petros, des Kaisers oder vielmehr der Kaiserin Gesandten.

Die beiden Männer hatten unter lebhaftem Gespräch und wechselseitigem
Erinnern an frühere Zeiten, – sie waren Studiengenossen, wie wir erfuhren,
– zu einfachem Mahl einen Krug alten Massikers geleert und waren soeben
aus dem Speisesaal in das abgelegene Arbeitszimmer getreten, um jetzt
ungestört von den bedienenden Sklaven Geheimeres zu bereden.

»Sobald ich mich überzeugt hatte,« schloß Cethegus seinen Bericht über die
letzten Ereignisse »daß die Schreckensnachrichten aus Ravenna nur erst
Gerüchte waren, vielleicht erdichtet, jedenfalls übertrieben, setzte ich
der Aufregung und dem Eifer meiner Freunde die größte Ruhe entgegen. Der
Feuerkopf Lucius Licinius mit seiner thörichten Begeisterung für mich
hätte bald alles verdorben. Unablässig forderte er meine Dictatur,
buchstäblich setzte er mir das Schwert auf die Brust und schrie, man müsse
mich zwingen, das Vaterland zu retten. Er schwatzte so viel aus der
Schule, daß es nur ein Glück war, der schwarze Korse – der es mit den
Barbaren zu halten scheint, niemand weiß recht warum – nahm ihn für mehr
berauscht als er war. Endlich kam die Nachricht, Amalaswintha sei
zurückgekehrt, und so beruhigte sich allmählich Volk und Senat.«

»Du aber,« sagte Petros, »hattest zum zweitenmal Rom vor der Rache der
Barbaren gerettet – ein unvergeßliches Verdienst, das dir die ganze Welt,
zunächst aber die Regentin, danken muß.« – »Die Regentin – arme Frau!«
meinte Cethegus achselzuckend, »wer weiß wie lange die Goten oder deine
Gebieter zu Byzanz, sie noch werden auf dem Throne lassen.« – »Wie? da
irrst du sehr!« fiel Petros eifrig ein. »Meine Sendung hat vor allem den
Zweck, ihren Thron zu stützen; und bei dir wollte ich eben anfragen, wie
man das am besten könne,« setzte er pfiffig hinzu.

Aber der Präfekt lehnte sein Haupt zurück an die Marmorwand und sah den
Gesandten lächelnd an: »O Petros, o Petre,« sagte er, »warum so verdeckt?
Ich dächte doch, wir kennten uns besser.«

»Was meinst du?« fragte der Byzantiner befangen.

»Ich meine, daß wir nicht umsonst Recht und Geschichte miteinander
studiert haben zu Berytus und Athen. Ich meine, daß wir damals schon
unzählige Male als Jünglinge, lustwandelnd und Weisheit austauschend, zu
dem Ergebnis gelangten: der Kaiser müsse diese Barbaren austreiben aus
Italien und wieder zu Rom herrschen wie zu Byzanz. Und da nun ich noch
denke wie dazumal, wirst wohl auch du nicht ein andrer geworden sein.« –
»Ich habe meine Ansicht der meines Herrn zu unterwerfen und Justinian« –
»Erglüht natürlich für die Herrschaft der Barbaren in Italien.« –
»Freilich,« sagte der Rhetor verlegen, »es könnten Fälle eintreten –«

»Petre,« rief jetzt Cethegus, sich unwillig aufrichtend, »keine Phrasen
und keine Lügen. Sie sind nicht angewandt bei mir. Sieh, Petros, es ist
wieder dein alter Fehler: du bist immer zu pfiffig, um klug zu sein: du
meinst, es muß immer gelogen sein und hast nie den Mut zur Wahrheit. Man
muß aber nur dann lügen, wenn man in seiner Lüge ganz sicher ist. Wie
kannst du mich darüber täuschen wollen, daß der Kaiser Italien wieder
haben will? Ob er die Regentin stürzen oder halten will, hängt davon ab,
ob er glaubt ohne oder mit ihr leichter ans Ziel zu kommen. Wie er
hierüber denkt, das soll ich nicht erfahren. Aber sieh’, trotz all’ deiner
Verschmitztheit, sobald wir noch einmal zusammengewesen, sag’ ich dir ins
Gesicht, was dein Kaiser hierin vor hat.«

Ein boshaftes und bittres Lächeln spielte um des Gesandten Mund: »Noch
immer so stolz, wie in der Dialektik zu Athen,« sagte er giftig. – »Jawohl
und du weißt, zu Athen war ich immer der Erste, Prokopius der Zweite und
erst der Dritte warst du.«

Da trat Syphax ein:

»Eine verhüllte Frau, o Herr,« meldete er, »sie wartet dein im Zeussaal.«

Sehr froh, diese Unterredung abgebrochen zu sehen, denn er fühlte sich dem
Präfekten nicht gewachsen, grinste Petros: »Nun, ich wünsche Glück zu
solcher Störung.«

»Ja, dir!« lächelte Cethegus und ging hinaus.

»Hochmütiger, du sollst noch deinen Spott bereuen,« dachte der Byzantiner.

Cethegus fand in dem Saale, der von einer schönen Zeusstatue des Glykon
von Athen den Namen trug, eine in gotischer Tracht reich gekleidete Frau;
sie schlug bei seinem Eintritt die Kapuze des braunen Mantels zurück.

»Fürstin Gothelindis,« fragte der Präfekt überrascht, »was führt dich zu
mir?«

»Die Rache!« erwiderte eine heisere, unschöne Stimme und die Gotin trat
dicht an ihn heran. Sie zeigte scharfe, aber nicht häßliche Züge, und man
hätte sie sogar schön nennen müssen, wenn nicht das linke Auge
ausgeflossen und die ganze linke Wange durch eine große Narbe entstellt
gewesen wäre: diese Wunde schien jetzt frisch zu bluten, da dem
leidenschaftlichen Weibe die Röte in die Wangen schoß, wie sie bei jenem
Wort die Faust ballte. So tödlicher Haß loderte aus dem einen grauen Auge,
daß Cethegus unwillkürlich von ihr zurücktrat.

»Rache?« fragte er, »an wem?«

»An – davon später. Vergieb,« sagte sie, sich fassend, »daß ich euch
störe.

Dein Freund Petros, der Rhetor von Byzanz, ist bei dir, nicht wahr?«

»Ja. Woher weißt du –«

»O, ich sah ihn vor der Coena durch deine Portikus eintreten,« sagte sie
gleichgültig.

»Das ist nicht wahr,« sprach Cethegus im Geiste: »ich hab’ ihn ja zur
Gartenthür hereinführen lassen. Also haben sich die beiden hier
zusammenbestellt. Ich soll das nicht ahnen. Aber was haben sie mit mir
vor?«

»Ich will dich nicht lange hier festhalten,« fuhr Gothelindis fort. »Ich
habe nur Eine Frage an dich. Antworte kurz ja oder nein. Ich kann das Weib
– die Tochter Theoderichs – stürzen und ich will’s: bist du darin für mich
oder gegen mich?«

»O, Freund Petros,« dachte der Präfekt, »jetzt weiß ich bereits, was du
mit Amalaswinthen vorhast. Aber wir wollen sehen, wie weit ihr schon
seid.«

»Gothelindis,« hob er ausholend an, »du willst die Regentin stürzen – das
glaub’ ich dir gern – aber daß du’s kannst, bezweifle ich.«

»Höre, dann entscheide ob ich’s kann. Das Weib hat die drei Herzoge
ermorden lassen.«

Cethegus zuckte die Achseln: »Das glauben manche Leute.«

»Aber ich kann es beweisen.«

»Das wäre,« meinte Cethegus ungläubig. »Herzog Thulun, wie du weißt, starb
nicht sofort. Er ward auf der ämilischen Straße überfallen, nahe bei
meiner Villa zu Tannetum: meine Colonen fanden ihn und brachten ihn in
mein Haus. Du weißt, er war mein Vetter – ich bin aus dem Hause der Balten
– er verschied in meinen Armen.«

»Nun, und was sagte der Kranke im Wundfieber?«

»Nichts Wundfieber! Herzog Thulun traf noch im Stürzen den Mörder mit dem
Schwert: er entkam nicht weit; meine Colonen suchten ihn und fanden ihn
sterbend im nächsten Walde: er hat mir alles gestanden.«

Cethegus drückte nur unmerklich die Lippen zusammen. »Nun, was war er? was
hat er ausgesagt.«

»Er war,« sprach Gothelindis scharf, »ein isaurischer Söldner, ein
Aufseher der Schanzarbeiten zu Rom und sagte aus: Cethegus, der Präfekt,
hat mich zur Regentin, die Regentin zu Herzog Thulun gesendet.«

»Wer hörte dies Geständnis außer dir?« fragte Cethegus lauernd.

»Niemand. Und niemand soll davon hören, wenn du zu mir stehest. Wenn aber
nicht, dann –«

»Gothelindis,« unterbrach der Präfekt, »keine Drohung: sie nützt dir
nichts. Du solltest einsehn, daß du mich dadurch nur erbittern, nicht
zwingen kannst. Ich lasse es im Notfall zur offnen Anklage kommen: du bist
als grimmige Feindin Amalaswinthens bekannt: dein Zeugnis allein – du
warst unvorsichtig genug, zu gestehen, daß niemand sonst das Geständnis
gehört – wird weder sie noch mich verderben. Zwingen kannst du mich zum
Kampfe gegen die Regentin nicht: höchstens überreden, wenn du mir’s als
meinen eignen Vorteil darstellen kannst. Und dazu will ich selbst dir
einen Verbündeten schaffen. Du kennst doch Petros, meinen Freund?«

»Genau, seit lange.«

»Erlaube, daß ich ihn zu dieser Unterredung herbeihole.«

Er ging in das Studierzimmer zurück. »Petros, mein Besuch ist die Fürstin
Gothelindis, Theodahads Gemahlin. Sie wünscht uns beide zu sprechen.
Kennst du sie?«

»Ich? o nein; ich habe sie nie gesehen!« sagte der Rhetor rasch.

»Gut; folge mir.« Sowie sie in den Saal des Zeus traten, rief Gothelindis
ihm entgegen:

»Gegrüßt, alter Freund, welch überraschend Wiedersehn.«

Petros verstummte.

Cethegus, die Hände auf den Rücken gelegt, weidete sich an der Bestürzung
des Diplomaten von Byzanz. Nach einer peinlichen Pause hob er an: »Du
siehst, Petros, immer zu pfiffig, immer unnötige Feinheiten. Aber komm,
laß dich eine entdeckte List mehr nicht so niederschlagen. Ihr beide habt
euch also verbunden, die Regentin zu stürzen. Mich wollt ihr gewinnen,
euch dabei zu helfen. Dazu muß ich genau wissen, was ihr weiter vorhabt.
Wen wollt ihr auf Amalaswinthens Thron setzen? Denn noch ist der Weg für
Justinian nicht frei.«

Beide schwiegen eine Weile. Es überraschte sie sein klares Durchschauen
der Lage. Endlich sprach Gothelindis: »Theodahad, meinen Gemahl, den
letzten der Amelungen.«

»Theodahad, den letzten der Amelungen,« wiederholte Cethegus langsam.
Indessen überlegte er alle Gründe für und wider. Er bedachte, daß
Theodahad, unbeliebt bei den Goten, durch Petros erhoben, bald ganz in der
Hand der Byzantiner stehen und die Katastrophe durch Herbeirufung des
Kaisers anders, früher als Er wollte, herbeiführen würde.

Er bedachte, daß er jedenfalls die Heere der Oströmer möglichst lange
fernhalten müsse und er beschloß bei sich, die gegenwärtige Lage und
Amalaswintha aufrecht zu halten, da sie ihm Zeit zu seinen Vorbereitungen
ließen. All’ das hatte er im Augenblick gedacht, erwogen, beschlossen.
»Und wie wollt ihr nun eure Sache angehn?« fragte er ruhig.

»Wir werden das Weib auffordern, zu Gunsten meines Gatten abzudanken,
unter Androhung, sie des Mordes anzuklagen.«

»Und wenn sie’s darauf wagt?«

»So vollführen wir die Drohung,« sagte Petros, »und erregen unter den
Goten einen Sturm, der ihr –«

»Das Leben kostet,« rief Gothelindis.

»Vielleicht die Krone kostet,« sagte Cethegus. »Aber gewiß sie nicht
Theodahad zuwendet.

Nein, wenn die Goten einen König wählen, heißt er nicht Theodahad.«

»Nur zu wahr!« knirschte Gothelindis.

»Dann könnte leicht ein König kommen, der uns allen viel unerfreulicher
wäre als Amalaswintha. Und deshalb sag’ ich euch offen: ich bin nicht für
euch, ich halte die Regentin.«

»Wohlan,« rief Gothelindis grimmig, sich zur Thüre wendend, »also Kampf
zwischen uns, komm, Petros.«

»Gemach, ihr Freunde,« sprach der Byzantiner.

»Vielleicht ändert Cethegus seinen Sinn, wenn er dies Blatt gelesen.«

Und er reichte dem Präfekten jenen Brief, den Alexandros von Amalaswintha
an Justinian überbracht.

Cethegus las: seine Züge verfinsterten sich.

»Nun,« meinte Petros höhnisch, »willst du noch die Königin stützen, die
dich dem Untergang geweiht? Wo warst du, wenn sie ihren Plan durchführte
und deine Freunde nicht für dich wachten.«

Cethegus hörte ihn kaum. »Armseliger,« dachte er, »als ob es das wäre! Als
ob die Regentin daran nicht ganz recht hätte. Als ob ich ihr das verargen
könnte! Aber die Unvorsichtige hat bereits gethan, was ich von Theodahad
erst fürchtete: sie hat sich selbst vernichtet und all’ meine Pläne
bedroht: sie hat die Byzantiner schon ins Land gerufen und sie werden
jetzt kommen, ob sie noch will oder nicht. Solange Amalaswintha Königin,
wird Justinian ihren Beschützer spielen.« Und nun wandte er sich scheinbar
in großer Bestürzung an den Gesandten, den Brief zurückgebend: »Und wenn
sie ihren Entschluß durchführte, wenn sie auf dem Thron bliebe – bis wann
können eure Heere landen?«

»Belisar ist schon auf dem Wege nach Sicilien,« sagte Petros, stolz
darauf, den Hochmütigen eingeschüchtert zu haben, »in einer Woche kann er
vor Rom liegen.«

»Unerhört,« rief Cethegus in unverstellter Bewegung.

»Du siehst,« sprach Gothelindis, welcher Petros inzwischen den Brief
gereicht, »die du halten wolltest, will dich verderben. Komm ihr zuvor.«

»Und im Namen des Kaisers, meines Herrn, ford’re ich dich auf, mir
beizustehn, dies Gotenreich zu vernichten und Italien seiner Freiheit
wiederzugeben. Man weiß am Kaiserhof dich und deinen Geist zu schätzen und
nach dem Siege verheißt dir Justinian: – die Würde eines Senators zu
Byzanz.«

»Ist’s möglich!« rief Cethegus. »Aber nicht einmal diese höchste Ehre
treibt mich dringender in euren Bund als die Entrüstung über die
Undankbare, die zum Lohn für meine Dienste mein Leben bedroht. – Du bist
doch gewiß,« fragte er ängstlich, »daß Belisar noch nicht sobald landen
wird?«

»Beruhige dich,« lächelte Petros, »diese meine Hand ist’s, die ihn
herbeiwinkt, wann es Zeit. Erst muß Amalaswintha durch Theodahad ersetzt
sein.«

»Gut,« dachte Cethegus, »Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und nicht eher
soll der Byzantiner landen, bis ich ihn an der Spitze des bewaffneten
Italiens empfangen kann.« »Ich bin der eure,« sprach er, »und ich denke,
ich werde die Regentin dahin bringen, deinem Gatten mit eigner Hand die
Krone aufs Haupt zu setzen. Amalaswintha soll dem Scepter entsagen.«

»Nie thut sie das!« rief Gothelindis.

»Vielleicht doch! Ihr Edelmut ist noch größer als ihr Herrscherstolz. Man
kann seine Feinde auch durch ihre Tugenden verderben,« sagte Cethegus
nachsinnend. »Ich bin meiner Sache gewiß und ich grüße dich, Königin der
Goten!« schloß er mit leichter Verbeugung.



                       Fünfundzwanzigstes Kapitel.


Die Regentin Amalaswintha stand in der Zeit nach der Beseitigung der drei
Herzoge in einer abwartenden Haltung.

Hatte sie durch den Fall der Häupter des ihr feindlichen Adels etwas mehr
freie Hand gewonnen, so stand doch die Volksversammlung zu Regeta bei Rom
in naher Aussicht, in der sie sich von dem Verdacht des Mordes völlig
reinigen oder die Krone, vielleicht das Leben, lassen mußte. Nur bis dahin
hatten ihr Witichis und die Seinen ihren Schutz zugesagt. Sie spannte
deshalb ihre Kräfte an, ihre Stellung bis zu jener Entscheidung nach allen
Seiten zu befestigen.

Von Cethegus hoffte sie nichts mehr: sie hatte seine kalte Selbstsucht
durchschaut; doch vertraute sie, daß die Italier und die Verschwornen in
den Katakomben, an deren Spitze ja ihr Name stand, ihre römerfreundliche
Herrschaft einem aus der rauhen Gotenpartei hervorgegangenen König
vorziehen würden. Sehnlich wünschte sie das Eintreffen der vom Kaiser
erbetenen Leibwache herbei um für den ersten Augenblick der Gefahr eine
Stütze zu haben: und eifrig war sie bemüht, unter den Goten selbst die
Zahl ihrer Freunde zu vermehren.

Sie berief mehrere der alten Gefolgsleute ihres Vaters, eifrige Anhänger
des Hauses der Amaler, greise Helden von großem Namen im Volk,
Waffenbrüder und beinahe Jugendgenossen des alten Hildebrand, zu sich nach
Ravenna, besonders den weißbärtigen Grippa, den Mundschenk Theoderichs,
der dem Waffenmeister an Ruhm und Ansehn kaum nachstand: sie überhäufte
ihn und die andern Gefolgen mit Ehren, übertrug Grippa und seinen Freunden
das Kastell von Ravenna und ließ sie schwören, diese Feste dem Geschlecht
der Amaler sicher zu erhalten.

Wenn die Verbindung mit diesen volkbeliebten Namen eine Art von
Gegengewicht wider Hildebrand, Witichis und ihre Freunde schaffen sollte,
– und Witichis konnte die Auszeichnung der Freunde Theoderichs nicht als
staatsgefährlich verhindern – so sah sich die Königin auch gegen die
Adelspartei der Balten und ihrer Bluträcher nach einer Stütze um. Sie
erkannte diese mit scharfem Blick in dem edeln Hause der Wölsungen, nach
den Amalern und Balten der dritthöchsten Adelssippe unter den Goten, reich
begütert und einflußreich in dem mittleren Italien, deren Häupter dermalen
zwei Brüder, Herzog Guntharis und Graf Arahad, waren. Diese zu gewinnen,
hatte sie ein besonders wirksames Mittel ersonnen: sie bot für die
Freundschaft der Wölsungen keinen geringern Preis als die Hand ihrer
schönen Tochter. –

Zu Ravenna in einem reich geschmückten Gemach standen Mutter und Tochter
in ernstem, aber nicht vertraulichem Gespräch hierüber.

Mit hastigen Schritten, fremd ihrer sonstigen Ruhe, durchmaß die
junonische Gestalt der Regentin den schmalen Raum, manchmal mit einem
zornigen Blick das herrliche Geschöpf messend, welches ruhig und gesenkten
Auges vor ihr stand, die linke Hand in die Hüfte, die Rechte auf die
Platte des Marmortisches gestützt.

»Besinne dich wohl,« rief Amalaswintha heftig, plötzlich stehen bleibend,
»besinne dich anders. Ich gebe dir noch drei Tage Bedenkzeit.«

»Das ist umsonst: ich werde immer sprechen wie heute,« sagte Mataswintha,
die Augen nicht erhebend.

»So sage nur, was du an Graf Arahad auszusetzen hast.«

»Nichts, als daß ich ihn nicht liebe.«

Die Königin schien dies gar nicht zu hören. »Es ist doch in diesem Fall
ganz anders als damals, da du mit Cyprianus vermählt werden solltest. Er
war alt und – was in deinen Augen vielleicht ein Nachteil« – fügte sie
bitter hinzu – »ein Römer!«

»Und doch ward ich um meiner Weigerung willen nach Tarentum verbannt.«

»Ich hoffte, Strenge würde dich heilen. Mondelang halt’ ich dich ferne von
meinem Hof, von meinem Mutterherzen« –

Mataswintha verzog die schöne Lippe zu einem herben Lächeln.

»Umsonst! ich rufe dich zurück« –

»Du irrst. Mein Bruder Athalarich hat mich zurückgerufen.«

»Ein andrer Freier wird dir vorgeschlagen. Jung, blühend schön, ein Gote
von edelstem Adel, sein Haus jetzt das zweite im Reich. Du weißt, du ahnst
wenigstens, wie sehr mein rings bedrängter Thron der Stütze bedarf: er und
sein kriegsgewalt’ger Bruder verheißen uns die Hilfe ihrer ganzen Macht:
Graf Arahad liebt dich und du – du schlägst ihn aus! Warum? Sage warum?«

»Weil ich ihn nicht liebe.«

»Albernes Mädchengerede. Du bist eine Königstochter – du hast dich deinem
Hause, deinem Reiche zu opfern.«

»Ich bin ein Weib,« sagte Mataswintha, die blitzenden Augen aufschlagend,
»und opfre mein Herz keiner Macht im Himmel und auf Erden.« –

»Und so spricht meine Tochter! Sieh auf mich, thörichtes Kind. Großes hab’
ich erstrebt und erreicht. Solange Menschen das Hohe bewundern, werden sie
meinen Namen nennen. Ich habe alles gewonnen was das Leben Herrlichstes
bietet und doch hab’ ich –«

»Nie geliebt. Ich weiß es,« seufzte ihre Tochter.

»Du weißt es?«

»Ja, es war der Fluch meiner Kindheit. Wohl war ich noch ein Kind, als
mein geliebter Vater starb: ich wußte es nicht zu sagen, aber ich konnte
es empfinden, damals schon, daß seinem Herzen etwas fehle, wenn er
seufzend, mit schmerzlicher Liebe, Athalarich und mich umfing und küßte
und wieder seufzte.

Und ich liebte ihn darum desto inniger, daß ich fühlte, er suchte Liebe,
die ihm fehlte. Jetzt freilich weiß ich längst, was mich damals
unerklärlich peinigte: du wardst unseres Vaters Weib, weil er nach
Theoderich der nächste am Thron: aus Herrschsucht, nicht aus Liebe, wardst
du sein und nur kalten Stolz hattest du für sein warmes Herz.«

Überrascht blieb Amalaswintha stehen: »Du bist sehr kühn.«

»Ich bin deine Tochter.«

»Du redest von der Liebe so vertraut – du kennst sie besser scheint’s mit
zwanzig als ich mit vierzig Jahren – du liebst!« rief sie schnell, »und
daher dieser Starrsinn.«

Mataswintha errötete und schwieg.

»Rede,« rief die erzürnte Mutter, »gesteh’ es oder leugne!«

Mataswintha senkte die Augen und schwieg: nie war sie so schön gewesen.

»Willst du die Wahrheit verleugnen? Bist du feige, Amelungentochter?«

Stolz schlug das Mädchen die Augen auf:

»Ich bin nicht feige und ich verleugne die Wahrheit nicht. Ja, ich liebe.«

»Und wen, Unselige?«

»Das wird mir kein Gott entreißen.«

Und so entschieden sah sie dabei aus, daß Amalaswintha keinen Versuch
machte, es zu erfahren.

»Wohlan,« sagte sie, »meine Tochter ist kein gewöhnlich Wesen. So fordere
ich das Ungewöhnliche von dir: dein alles dem Höchsten zu opfern.«

»Ja, Mutter, ich trage im Herzen einen hohen Traum. Er ist mein Höchstes.
Ihm will ich alles opfern.«

»Mataswintha,« sprach die Regentin, »wie unköniglich! Sieh, dich hat Gott
vor Tausenden gesegnet an Herrlichkeit des Leibes und der Seele: du bist
zur Königin geboren.«

»Eine Königin der Liebe will ich werden. Sie preisen mich alle um meine
Weibesschönheit: wohlan: ich hab’ mir’s vorgesteckt, liebend und geliebt,
beglückend und beglückt, ein Weib zu sein.«

»Ein Weib! ist das dein ganzer Ehrgeiz!«

»Mein ganzer. O wär’ es auch der deine gewesen!«

»Und der Enkelin Theoderichs gilt das Reich und die Krone nichts? Und
nichts dein Volk, die Goten?«

»Nein, Mutter,« sagte Mataswintha ernst: »es schmerzt mich beinahe, es
beschämt mich: aber ich kann mich nicht zwingen zu dem, was ich nicht
fühle: ich empfinde nichts bei dem Worte »Goten«: vielleicht ist es nicht
meine Schuld: du hast von jeher diese Goten verachtet, diese Barbaren
gering geschätzt: das waren die ersten Eindrücke: sie sind geblieben. Und
ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem
Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts
ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhaßte, feindliche
Macht.«

»O mein Kind, weh’ mir, wenn ich das verschuldet hätte! Und thust du’s
nicht um des Reiches, o thu’s um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren
ohne die Wölsungen. Thu’s um meiner Liebe willen.«

Und sie faßte ihre Hand. –

Mataswintha entzog sie mit bittrem Lächeln: »Mutter, entweihe den höchsten
Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den
Bruder, nicht den Vater.«

»Mein Kind! Was hätt’ ich geliebt, wenn nicht euch!«

»Die Krone, Mutter, und diese verhaßte Herrschaft. Wie oft hast du mich
von dir gestoßen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Mädchen war und du
einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an –«

»Laß ab,« winkte Amalaswintha.

»Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den
Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter
suchten und die Königin fanden.«

»Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst.«

»Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner
Herrschaft. Leg’ diese Krone ab und du bist aller Sorgen frei. Die Krone
hat dir und uns allen kein Glück, nur Schmerzen gebracht. Nicht du bist
bedroht: dir wollt’ ich alles opfern – nur dein Thron, nur der goldne Reif
des Gotenreichs, der Götze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie
werd’ ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!«

Und sie kreuzte die weißen Arme über ihrer Brust, als wollte sie die Liebe
darin beschirmen.

»Ah,« sagte die Königin zürnend, »selbstisches, herzloses Kind! Du
gestehst, daß du kein Herz hast für dein Volk, für die Krone deiner großen
Ahnen – du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes
deines Hauses – wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe
ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verläßt du mit deinem Gefolge
Ravenna.

Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Guntharis: seine
Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlaß
mich. Die Zeit wird dich beugen.«

»Mich?« sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: »keine Ewigkeit!«

Schweigend blickte ihr die Königin nach: die Anklagen der Tochter hatten
einen mächtigeren Eindruck auf sie gemacht als sie zeigen wollte.
»Herrschsucht?« sagte sie zu sich selbst. »Nein, das ist es nicht, was
mich erfüllt. Ich fühlte, daß ich dies Reich schirmen und beglücken
konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiß, ich könnte, wie mein Leben,
so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volks. Könntest du
das, Amalaswintha?« fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust
legend.

Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und
gesenkten Hauptes eintrat.

»Nun,« rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Züge,
»bringst du ein Unglück?«

»Nein, nur eine Frage.«

»Welche Frage?«

»Königin,« hob der Alte feierlich an, »ich habe deinem Vater und dir
dreißig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Römer den Barbaren, weil
ich eure Tugenden ehrte und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht
mehr fähig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure
Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fort gedient, obwohl ich meiner
Freunde, Boëthius und Symmachus, Blut fließen sah, wie ich glaube,
unschuldig Blut: aber sie starben durch offnes Gericht, nicht durch Mord.
Ich mußte deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt
aber –«

»Nun, jetzt aber?« fragte die Königin stolz.

»Jetzt komme ich, von meiner vieljährigen Freundin, ich darf sagen, meiner
Schülerin –«

»Du darfst es sagen,« sprach Amalaswintha weicher.

»Von des großen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein
Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen – ich flehe zu Gott, daß du es
könnest – so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise
Haupt vermag.«

»Und kann ich’s nicht?«

»Und könntest du es nicht, o Königin,« rief der Alte schmerzlich, »o dann
Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt.«

»Und was hast du zu fragen?«

»Amalaswintha, du weißt ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als
hier der Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare
Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts – ich flog hierher von Tridentum. –
Seit zwei Tagen bin ich hier und keine Stunde vergeht, keinen Goten
spreche ich, ohne daß die schwere Klage mir schwerer aufs Herz fällt. Und
auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig – und doch will ich’s
nicht glauben. – Ein treues Wort von dir soll all’ diese Nebel
zerstreuen.«

»Wozu die vielen Reden,« rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich
stützend, »sage kurz, was hast du zu fragen?«

»Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tode der drei
Herzoge?«

»Und wenn ich es nicht wäre, – haben sie nicht reichlich den Tod
verdient?«

»Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja.«

»Du nimmst ja auf einmal großen Anteil an den gotischen Rebellen!«

»Ich beschwöre dich,« rief der Greis auf die Kniee fallend, »Tochter
Theoderichs, sage ja, wenn du kannst.«

»Steh auf,« sprach sie finster sich abwendend, »du hast kein Recht, so zu
fragen.«

»Nein,« sagte der Alte ruhig aufstehend, »nein, jetzt nicht mehr. Denn von
diesem Augenblick an gehör’ ich der Welt nicht mehr an.«

»Cassiodor!« rief die Königin erschrocken.

»Hier ist der Schlüssel zu meinen Gemächern in dieser Königsburg: du
findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die
Urkunden meiner Würden, die Abzeichen meiner Ämter. Ich gehe.«

»Wohin, mein alter Freund, wohin?«

»In das Kloster, das ich gegründet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd’
ich, fern den Werken der Könige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten:
längst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab’ ich auf Erden
nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben:
lege das Scepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht
mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner
Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnädig.«

Und ehe sie sich von ihrer Bestürzung erholt, war er verschwunden.

Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurückrufen, aber an dem Vorhang trat ihr
Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen.

»Königin,« sagte er rasch und leise, »bleib’ und höre mich. Es gilt ein
dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuß.«

»Wer folgt dir?«

»Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Täusche dich nicht
länger: die Geschicke dieses Reiches erfüllen sich: du hältst sie nicht
mehr auf, so rette für dich was zu retten ist: ich wiederhole meinen
Vorschlag.«

»Welchen Vorschlag?«

»Den von gestern.«

»Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem
Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir
verhandle ich nicht mehr.«

»Königin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der nächste Gesandte
Justinians heißt Belisar und kömmt mit einem Heere.«

»Unmöglich!« rief die verlassene Fürstin. »Ich nehme meine Bitte zurück.«

»Zu spät. Belisars Flotte liegt schon bei Sicilien. Den Vorschlag, den ich
dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen.
Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht
als letztes Zeichen seiner Huld.«

»Justinian, mein Freund, mein Schützer, will mich und mein Reich
verderben!« rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte.

»Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien,
die Wiege des römischen Reichs: dieser unnatürliche, unmögliche Staat der
Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden
Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir
ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und alle
Festungen in Belisars Hände lieferst und geschehen läßt, daß die Goten
entwaffnet über die Alpen geführt werden.«

»Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spät erkenne ich
eure Tücke! Eure Hilfe rief ich an und ihr wollt mich verderben.«

»Nicht dich, nur die Barbaren.«

»Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne
es jetzt und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben.«

»Aber sie steh’n nicht mehr zu dir.«

»Verwegner! fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof.«

»Du willst nicht hören? Merke wohl, o Königin, nur unter jener Bedingung
bürg’ ich für dein Leben.«

»Für mein Leben bürgt mein Volk in Waffen.«

»Schwerlich. Zum letztenmal frag’ ich dich –«

»Schweig. Ich lief’re die Krone nicht ohne Kampf an Justinian.«

»Wohlan,« sagte Petros zu sich selbst, »so muß es ein andrer thun. –
Tretet ein, ihr Freunde,« rief er hinaus. – Aber aus dem Vorhang trat
langsam mit gekreuzten Armen Cethegus.

»Wo ist Gothelindis? wo Theodahad?« flüsterte Petros. –

Seine Bestürzung entging der Fürstin nicht.

»Ich ließ sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig.
Ihre Leidenschaft würde alles verderben.«

»Du bist mein guter Engel nicht, Präfekt von Rom,« sprach Amalaswintha
finster und von ihm zurückweichend.

»Diesmal vielleicht doch,« flüsterte Cethegus auf sie zuschreitend. »Du
hast die Vorschläge von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir.
Entlaß den falschen Griechen.«

Auf einen Wink der Königin trat Petros in ein Seitengemach.

»Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!«

»Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut und du siehst den
Erfolg.«

»Ich sehe ihn,« sagte sie schmerzlich.

»Königin, ich habe dich nie belogen und getäuscht darin: ich liebe Italien
und Rom mehr als deine Goten: du wirst dich erinnern, ich habe dir dies
niemals verhehlt.«

»Ich weiß es und kann es nicht tadeln.«

»Am liebsten säh’ ich Italien frei. Muß es dienen, so dien’ es nicht dem
tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von
je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich
dein Reich erhalten: aber offen sag’ ich dir, du, deine Herrschaft läßt
sich nicht mehr stützen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir
die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen.«

»Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?«

»Deine eignen Thaten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers
Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine
Leibwache von Byzanz!«

Amalaswintha erbleichte: »Du weißt –«

»Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den
Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir.«

»So bleiben mir meine Goten.«

»Nicht mehr. Nicht bloß der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem
Leben: – die Verschworenen von Rom haben im Zorn über dich beschlossen,
sowie der Kampf entbrennt, aller Welt kund zu thun, daß dein Name an ihrer
Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem
Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwörung.«

»Ungetreuer!«

»Wie konnte ich wissen, daß du hinter meinem Rücken mit Byzanz verkehrst
und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten,
Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter
deiner Führung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand
dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha,
es gilt ein Opfer: ich fordre es von dir im Namen Italiens, deines und
meines Volks.«

»Welches Opfer? ich bringe jedes.«

»Das höchste: deine Krone. Übergieb sie einem Mann der Goten und Italier
gegen Byzanz zu vereinen vermag und rette dein Volk und meines.«

Amalaswintha sah ihn forschend an: es kämpfte und rang in ihrer Brust.
»Meine Krone! sie war mir sehr teuer.«

»Ich habe Amalaswinthen stets jedes höchsten Opfers fähig gehalten.«

»Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!«

»Wenn der dir süß wäre, dürftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze
schmeichelte, dürftest du mißtrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei
der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: laß
mich nicht zu Schanden werden.«

»Dein letzter Rat war ein Verbrechen,« sagte Amalaswintha schaudernd.

»Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war,
solang er Italien nützte: jetzt schadet er Italien und ich verlange, daß
du dein Volk mehr liebst als dein Scepter.«

»Bei Gott! du irrst darin nicht: für mein Volk hab’ ich mich nicht
gescheut, fremdes Leben zu opfern,« – sie verweilte gern bei diesem
Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte, – »ich werde mich nicht
weigern, jetzt – aber wer soll mein Nachfolger werden?«

»Dein Erbe, dem die Krone gebührt, der letzte der Amaler.«

»Wie? Theodahad, der Schwächling?«

»Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem
Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine
römische Bildung hat ihm die Römer gewonnen: ihm werden sie beistehen:
einen König nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen würden sie hassen
und fürchten.«

»Und mit Recht;« sagte die Regentin sinnend: »aber Gothelindis Königin!«

Da trat Cethegus ihr näher und sah ihr scharf ins Auge: »So klein ist
Amalaswintha nicht, daß sie kläglicher Weiberfeindschaft gedenkt, wo es
edler Entschlüsse bedarf. Du erschienst mir von jeher größer als dein
Geschlecht. Beweis’ es jetzt. Entscheide dich!«

»Nicht jetzt,« sprach Amalaswintha, »meine Stirne glüht, und verwirrend
pocht mein Herz. Laß mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir
Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung.«



                              Viertes Buch.


                                THEODAHAD.


                                     »Nachbarn zu haben schien Theodahad
                                                    eine Art von Unglück.«

                                                  Prokop, Gotenkrieg I. 3.



                             Erstes Kapitel.


Am andern Morgen verkündete ein Manifest dem staunenden Ravenna, daß die
Tochter Theoderichs zu Gunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone
verzichtet und daß dieser, der letzte Mannessproß der Amelungen, den Thron
bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher
den Eid der Treue zu schwören.

So hatte Cethegus richtig gerechnet.

Das Gewissen der unseligen Frau fühlte sich durch manche Thorheit, ja
durch blut’ge Schuld schwer belastet: edle Naturen suchen Erleichterung
und Buße in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors
Anklagen war ihr Herz mächtig bewegt worden und der Präfekt hatte sie in
günstiger Stimmung für seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war,
befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu
sühnen, sich noch weitere Demütigungen vorgesteckt.

Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel.

Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und
wurden von Cethegus auf gelegnere Zeit vertröstet. Auch war der neue König
als Freund römischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt.

Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weitres den Tausch gefallen
lassen zu wollen. Fürst Theodahad war allerdings ein Mann – das empfahl
ihn gegenüber Amalaswinthen – und ein Amaler: das wog schwer zu seinen
Gunsten gegenüber jedem andern Bewerber um die Krone.

Aber im übrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen.
Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine
der Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Königen forderten. Nur
Eine Leidenschaft erfüllte seine Seele: Habsucht, unersättliche Goldgier.
Reich begütert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen
Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner königlichen
Geburt wußte er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die
Ländereien weit in der Runde an sich zu reißen: »denn – sagt ein
Zeitgenosse – Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von
Unglück«.

Dabei war seine schwache Seele vollständig abhängig von der bösartigen,
aber kräftigen Natur seines Weibes.

Einen solchen König sahen denn die Tüchtigsten unter den Goten nicht gern
auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens
bekannt geworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna
angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen
Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des
Volkes zu steigern, zu leiten und einen Würdigern an Theodahads Stelle zu
setzen.

»Ihr wißt,« schloß er seine Worte, »wie günstig die Stimmung im Volke.
Seit jener Bundesnacht im Mercuriustempel haben wir unablässig geschürt
unter den Goten und Großes ist schon gelungen: des edeln Athalarich
Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurückholen Amalaswinthens,
wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die günstige Gelegenheit. Soll an des
Weibes Stelle treten ein Mann, der schwächer als ein Weib? Haben wir
keinen Würdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?«

»Recht hat er, beim Donner und Strahl,« rief Hildebad. »Fort mit diesen
verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig hebt auf den Schild und schlagt los
nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!«

»Nein,« sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, »noch nicht!
Vielleicht, daß es noch einmal so kommen muß: aber nicht früher darf es
geschehen als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit
Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich
entwinden lassen: sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch
zum Kampf.

Kampf aber unter den Söhnen eines Volks ist schrecklich, nur die
Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag
sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich
unfähig erwiesen, so ist’s noch immer Zeit.«

»Wer weiß, ob dann noch Zeit ist,« warnte Teja.

»Was rätst du, Alter?« fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen
Witichis nicht ohne Wirkung blieben.

»Brüder,« sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, »ihr
habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden.
Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid gethan, solang sein
Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.«

»Welch thörichter Eid!« rief Hildebad.

»Ich bin alt und nenn’ ihn nicht thöricht. Ich weiß, welcher Segen auf der
festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der
Götter,« schloß er geheimnisvoll.

»Ein schöner Göttersohn, Theodahad!« lachte Hildebad.

»Schweig,« rief zornig der Alte, »das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen
Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen
Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute
liegt – dafür habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig’ ich von solchen
Dingen zu euch.

Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Thut
ihr, was ihr wollt, ich thue, was ich muß.«

»Nun,« sprach Graf Teja nachgebend, »auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn
dieser letzte Amaler dahin ...« –

»Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.«

»Vielleicht,« schloß Witichis, »ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid
die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht
anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen und tragen
wir diesen König – solang er zu tragen ist.«

»Aber keine Stunde länger,« sagte Teja und ging zürnend hinaus.



                             Zweites Kapitel.


Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten
Krone der Gotenkönige gekrönt.

Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des
Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst
so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas
Liebe kennen gelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage.
Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte
sich frühe zurückgezogen.

Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen
Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne
Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe,
die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei
nur Eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis
in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am
Sarkophage ihres Sohnes trauerte.

Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei
vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu
bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den
Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des
Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte.

Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem
kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt
stand die goldne Schale vor ihm und auf den lauten Zuruf Hildebads, der
ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich – schon leuchteten längst im
Saale die Lampen und am Himmel die Sterne – stand er auf und ging hinaus
in das grüne Dunkel des Gartens.

Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den
funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem
Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes
Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah
hinaus nach der flimmernden See – da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen
im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische
Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase und ein bleiches Antlitz hob
sich ihm entgegen.

»Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.«

»Nein, ich war bei den Toten.«

»Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und
Kind,« sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend.

»Bei Weib und Kind,« wiederholte Teja seufzend.

»Viele fragten nach dir, Teja.«

»Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und
neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?«

»Dein Erbe nahm?«

»Wenigstens besitzt er’s. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging
seine Pflugschar.«

Und schweigend sah er lange vor sich hin.

»Dein Harfenspiel – es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten
Harfenschläger und Sänger!«

»Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester
Harfenschläger war. – – Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen
nach Byzanz!«

»Du singst nicht oft mehr?«

»Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen
werde.«

»Tage der Freude?«

»Tage der höchsten, der letzten Trauer.«

Lange schwiegen beide. –

»Mein Teja,« hob endlich Witichis an, »in allen Nöten von Krieg und
Frieden hab’ ich dich erfunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du
soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling
verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß,
daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.«

Teja drückte ihm die Hand: »Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch
wo du sie nicht verstehst. Die andern –! und doch: den einen hab’ ich sehr
lieb.«

»Wen?«

»Den alle lieb haben.«

»Totila!«

»Ich hab’ ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er
kann’s nicht fassen, daß andere dunkel sind und bleiben müssen.«

»Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn
ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir
und deiner finstern Trauer liegt, so bitt’ ich’s nur, weil ich dir helfen
möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.«

»Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz
ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den
unbarmherzigen Rädergang des Schicksals verspürt hat, wie es, blind und
taub für das Zarte und Hohe, mit eherner grundloser Gewalt alles vor sich
nieder tritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber
zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Notwendigkeit,
welche Thoren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben
der Menschen beherrscht, der ist hinaus über Hilfe und Trost: er hört
ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehör der Verzweiflung
den immer gleichen Taktschlag des fühllosen Rades im Mittelpunkt der Welt,
das gleichgültig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben tötet. Wer das
einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und für immer und allem:
nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich – die Kunst des Lächelns
hat er auch vergessen auf immerdar.«

»Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung
zu so fürchterlicher Weisheit?«

»Freund, mit deinen Gedanken allein ergrübelst du die Wahrheit nicht,
erleben mußt du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst
du, was er denkt und wie er denkt. Und auf daß ich dir nicht länger
erscheine wie ein irrer Träumer, wie ein Weichling, der sich gern in
seinen Schmerzen wiegt, – und damit ich dein Vertrauen und deine schöne
Freundschaft ehre, vernimm, – höre ein kleines Stück meines Grams. Das
größere, das unendlich größere behalt’ ich noch für mich,« sagte er
schmerzlich, die Hand auf die Brust drückend, – »es kömmt wohl noch die
Stunde auch für dies. Vernimm heute nur, wie über meinem Haupte der Stern
des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. – Und von all den
tausend Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei –
du erinnerst dich – wie der falsche Präfekt mich laut vor allen einen
Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: – ich mußte es dulden: ich
bin noch schlimmeres als ein Bastard. – –

Mein Vater, Tagila, war ein tüchtiger Kriegsheld, aber kein Adaling,
gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sproßte, Gisa,
seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draußen, weit an der äußersten
Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt
mit den Gepiden und den wilden räuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat,
an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien
erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimführen: er hatte
nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht
zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten.

Endlich lachte ihm das Glück. Im Krieg gegen einen Sarmatenkönig eroberte
er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schätze, welche
die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengeplündert und hier aufgehäuft,
wurden seine Beute. Zum Lohn seiner That ernannte ihn Theoderich zum
Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schätze und Gisa,
jetzt sein Weib, mit sich über die Alpen und kaufte sich weite schöne
Güter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange währte sein
Glück.

Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine
Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch
– nicht Arianer – und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem
Recht der Kirche – und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen.

Mein Vater drückte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der
geheime Ankläger ruhte nicht –«

– »Wer war der Neiding?«

»O wenn ich es wüßte, ich wollte ihn erreichen und thronte er in allen
Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablässig bedrängten die Priester
meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken.

Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem
Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in
seinem Gehöfte traf, begrüßte ihn, daß er nicht wieder kam.

Aber wer kann mit denen kämpfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte
Frist ward den Ungehorsamen gesteckt: hätten sie sich bis dahin nicht
getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der
Kirche.

Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Königs, Aufhebung des
grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu
klar und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen
Kirche zu kränken. Als mein Vater zurückkehrte von Ravenna, mit Gisa zu
flüchten, starrte er entsetzt auf die Stätte, wo sein Haus gestanden: der
Termin war abgelaufen, und die Drohung erfüllt: sein Haus zerstört, sein
Weib, sein Kind verschwunden.

Rasend stürmte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er,
als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren
Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater
bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht über die
Mauer des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Büßerin bei der Hora:
man vermißt sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren
des Rosses, – sie werden eingeholt: grimmig fechtend fällt mein Vater:
meine Mutter wird in ihre Zelle zurückgebracht. Und so furchtbar drücken
die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermürbte
Seele, daß sie in Wahnsinn fällt und stirbt. Das sind meine Eltern!«

»Und du?«

»Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines
Großvaters und Vaters: – er entriß mich, mit des Königs Beistand, den
Priestern und ließ mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen.«

»Und dein Gut, dein Erbe?«

»Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad überließ: er war
meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein König!«

»Mein armer Freund! Aber wie erging es dir später? Man weiß nur dunkles
Gerede – du warst einmal in Griechenland gefangen ... –«

Teja stand auf. »Davon laß mich schweigen; vielleicht ein andermal.

Ich war Thor genug, auch einmal an Glück zu glauben und an eines liebenden
Gottes Güte. Ich hab’ es schwer gebüßt. Ich will’s nie wieder thun. Leb
wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre.«

Er drückte ihm die Hand und war rasch im dunkeln Laubgang verschwunden.

Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in
den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die
des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll
Frieden und Klarheit. Aber während des Gesprächs war Nebelgewölk rasch aus
den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel überzogen: es war finster
ringsum.

Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein
einsames Lager.



                             Drittes Kapitel.


Während unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und
zechten, ahnten sie nicht, daß über ihren Häuptern in dem Gemach des
Königs eine Verhandlung gepflogen ward, die über ihr und ihres Reiches
Schicksale entscheiden sollte.

Unbeobachtet war dem König alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt und
lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich
schienen sie handelseinig geworden und Petros wollte anheben, nochmal
vorzulesen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der
König unterbrach ihn. »Halt,« flüsterte der kleine Mann, der in seinem
weiten Purpurmantel verloren zu gehen drohte, »halt – noch eins!«

Und er hob sich aus dem schön geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach
und hob den Vorhang, ob niemand lausche.

Dann kehrte er beruhigt zurück und faßte den Byzantiner leise am Gewand.

Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben
vertrockneten Wangen des häßlichen Mannes, der die kleinen Augen
zusammenkniff: »Noch dies. Wenn jene heilsamen Veränderungen eintreten
sollen, – auf daß sie eintreten können, wird es gut sein, ja notwendig,
einige der trotzigsten meiner Barbaren unschädlich zu machen.« – »Daran
hab’ ich bereits gedacht,« nickte Petros. »Da ist der alte halbheidnische
Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nüchterne Witichis« –

»Du kennst deine Leute gut,« grinste Theodahad, »du hast dich tüchtig
umgesehen. Aber,« raunte er ihm ins Ohr, »einer, den du nicht genannt
hast, einer vor allen muß fort.«

»Der ist?«

»Graf Teja, des Tagila Sohn.«

»Ist der melancholische Träumer so gefährlich?«

»Der gefährlichste von allen! Und mein persönlicher Feind! schon von
seinem Vater her.«

»Wie kam das?«

»Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich mußte seine Äcker haben – umsonst
drang ich in ihn. Ha,« lächelte er pfiffig, »zuletzt wurden sie doch mein.
Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut
dabei und ließ mir’s – billig – ab. Ich hatte einiges Verdienst um die
Kirche in dem Prozeß – dein Freund, der Bischof von Florentia kann dir’s
genau erzählen.«

»Ich verstehe,« sagte Petros, »was gab der Barbar seine Äcker nicht in
Güte! Weiß Teja –?«

»Nichts weiß er. Aber er haßt mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut –
kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Träumer ist
der Mann, seinen Feind zu den Füßen Gottes zu erwürgen.«

»So?« sagte Petros, plötzlich sehr nachdenklich. »Nun, genug von ihm: er
soll nicht schaden. Laß dir jetzt nochmal den ganzen Vertrag Punkt für
Punkt vorlesen; dann unterzeichne.

Erstens. König Theodahad verzichtet auf die Herrschaft über Italien und
die zugehörigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: nämlich Dalmatien,
Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Rätien und den
gotischen Besitz in Gallien, zu Gunsten des Kaisers Justinian und seiner
Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom,
Neapolis und alle festen Plätze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu
öffnen.«

Theodahad nickte.

»Zweitens. König Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, daß das
ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen über die Alpen
geführt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen
Feldherrn dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der
König wird dafür sorgen, daß jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben
muß.

Drittens. Dafür beläßt Kaiser Justinian dem König Theodahad und seiner
Gemahlin den Königstitel und die königlichen Ehren auf Lebenszeit, und
viertens« –

Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen,« unterbrach
Theodahad, nach der Urkunde langend. »Viertens beläßt der Kaiser dem König
der Goten nicht nur alle Ländereien und Schätze, die dieser als sein
Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Königsschatz der
Goten, der allein an geprägtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschätzt
ist. Er übergiebt ihm ferner zu Erb und Eigen ganz Tuscien von Pistoria
bis Cäre, von Populonia bis Clusium und endlich überweist er an Theodahad
auf Lebenszeit die Hälfte aller öffentlichen Einkünfte des durch diesen
Vertrag seinem rechtmäßigen Herrn zurückerworbenen Reiches. – Sage,
Petros, meinst du nicht, ich könnte drei Viertel fordern?« – –

»Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, daß sie dir Justinian
gewährt. Ich habe schon die Grenzen, die äußersten, meiner Vollmacht
überschritten.«

»Fordern wollen wir’s doch immerhin,« meinte der König, die Zahl ändernd.
»Dann muß Justinian herunter markten oder dafür andre Vorteile gewähren.«

Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Lächeln:

»Du bist ein kluger Handelsmann, o König. – Aber hier verrechnest du dich
doch,« sagte er zu sich selbst.

Da rauschten schleppende Gewänder den Marmorgang heran und eintrat ins
Gemach in langem schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen
besätem Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung,
eine Königin trotz der verlornen Krone: überwältigende Hoheit der Trauer
sprach aus den bleichen Zügen.

»König der Goten,« hob sie an, »vergieb, wenn an deinem Freudenfeste ein
dunkler Schatte noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum
letztenmal.«

Beide Männer waren von ihrem Anblick betroffen.

»Königin,« – stammelte Theodahad.

»Königin! o wär’ ich’s nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge
meines edeln Sohnes, wo ich Buße gethan für all’ meine Verblendung, und
all’ meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, König der Goten, dich
zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld.«

Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, prüfenden Blick.

»Es ist ein übler Gast,« fuhr sie fort, »den ich in mitternächtiger Stunde
als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil für einen Fürsten
als in seinem Volk: zu spät hab’ ich’s erkannt, zu spät für mich, nicht zu
spät, hoff’ ich, für mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild,
der den erdrückt, den er beschirmen soll.«

»Du bist ungerecht,« sagte Petros, »und undankbar.«

»Thu nicht, mein königlicher Vetter,« fuhr sie fort, »was dieser von dir
fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sicilien sollen wir
abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen für alle seine Kriege
– ich wies die Schmach von mir. Ich sehe,« sprach sie, auf das Pergament
deutend, »du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurück, sie werden
dich immer täuschen.«

Ängstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen mißtrauischen
Blick auf Petros.

Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: »Was willst du hier, du Königin von
gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und
deine Macht ist um.« – »Verlaß uns,« sagte Theodahad, ermutigt. »Ich werde
thun was mir gutdünkt. Es soll dir nicht gelingen mich von meinen Freunden
in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund
geschlossen sein.« Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde.

»Nun,« lächelte Petros, »kamst du noch eben recht, als Zeugin mit zu
unterzeichnen.«

»Nein,« sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden
Männer, »ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe
geradeswegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die nächstens bei
Regeta tagt. Aufdecken will ich daselbst vor allem Volk deine Anträge, die
Pläne von Byzanz und dieses schwachen Fürsten Verrat.«

»Das wird nicht angehn,« sagte Petros ruhig, »ohne dich selbst zu
verklagen.«

»Ich will mich selbst verklagen. Enthüllen will ich all’ meine Thorheit,
all’ meine blutige Schuld und gern den Tod erleiden, den ich verdient.
Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk
vom Ätna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstehn
und retten werd’ ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die
mein Leben sie gestürzt.« Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem
Gemach.

Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte.
»Rate, hilf –« stammelte er endlich.

»Raten? Da hilft nur Ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben,
läßt man sie gewähren. Sie darf ihre Drohung nicht erfüllen. Dafür mußt du
sorgen.«

»Ich?« rief Theodahad erschreckt; »ich kann dergleichen nicht! Wo ist
Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen.«

»Und der Präfekt,« sagte Petros – »sende nach ihnen.«

Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle herauf beschieden.
Petros verständigte sie von den Worten der Fürstin, ohne jedoch dem
Präfekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen.

Kaum hatte er gesprochen, so rief die Königin:

»Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muß ihre Schritte bewachen, sie
darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen – sie darf den Palast nicht
verlassen. Das vor allem!« Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor
Amalaswinthens Gemächer zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. »Sie betet
laut in ihrer Kammer,« sprach sie verächtlich. »Auf, Cethegus, laß uns
ihre Gebete vereiteln.«

Cethegus hatte, mit dem Rücken an die Marmorsäulen des Eingangs gelehnt,
die Arme über der Brust gekreuzt, diese Vorgänge schweigend und sinnend
mit angehört. Er erkannte die Notwendigkeit, die Fäden der Ereignisse
wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah
Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: – das durfte nicht weiter
angehn.

»Sprich, Cethegus,« mahnte Gothelindis nochmals, »was thut jetzt vor allem
Not?«

»Klarheit,« sagte dieser sich aufrichtend. »In jedem Bunde muß der Zweck,
der besondere Zweck jedes der Verbündeten klar sein: sonst werden sie
stets sich durch Mißtrau’n hemmen. Ihr habt eure Zwecke, – ich habe den
meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon
gesagt: du Petros, willst, daß Kaiser Justinian an der Goten Statt in
Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen
reiche Entschädigung an Rache, Geld und Ehren. Ich aber – ich habe auch
meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du
würdest doch nicht lange mehr glauben, daß ich nur den Ehrgeiz habe, dein
Werkzeug zu sein, und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich
habe meinen Zweck: all’ eure dreieinige Schlauheit würde ihn nie
entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muß ihn euch selbst
verraten.

Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. Drum will er,
wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land.

Aber er will nicht, wie ihr, daß Kaiser Justinianus unbedingt an ihre
Stelle trete: er will nicht die Traufe statt des Regens.

Am liebsten möchte ich, der unverbesserliche Republikaner – du weißt, mein
Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von
Athen und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn,
nicht zu melden, ich hab’ es ihm lange selbst geschrieben – die Barbaren
hinauswerfen, ohne euch herein zu lassen.

Das geht nun leider nicht an: wir können eurer Hilfe nicht entbehren. Doch
will ich diese auf das Unvermeidliche beschränken. Kein byzantinisch Heer
darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus
der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern
dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung für Justinian: die Segnungen der
Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz über die Länder bringt, die es
befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure
Tyrannei.«

Über Petros’ Züge zog ein feines Lächeln, das Cethegus nicht zu bemerken
schien; er fuhr fort: »So vernehmt meine Bedingung. Ich weiß, Belisarius
liegt mit Flotte und Heer nah bei Sicilien. Er darf nicht landen. Er muß
heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht
eher als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen
Befehl zu, so scheiden sich unsere Wege. Ich kenne Belisar und Narses und
ihre Soldatenherrschaft und ich weiß, welch’ milde Herren diese Goten
sind. Und mich erbarmt Amalaswinthens: sie war eine Mutter meines Volks.
Deshalb wählet, wählet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so
steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann
laß sehn, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreißt. Wählt ihr
Cethegus, so bricht er die Macht der Barbaren und Italien unterwirft sich
dem Kaiser als seine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Wähle,
Petros.«

»Stolzer Mann,« sprach Gothelindis, »du wagst uns Bedingungen zu setzen,
uns, deiner Königin?« Und drohend erhob sie die Hand.

Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig
herab. »Laß die Possen, Eintagskönigin. Hier unterhandeln nur Italien und
Byzanz. Vergißt du deine Ohnmacht, so muß man dich dran mahnen. Du
thronst, solange wir dich halten.« Und mit so ruhiger Majestät stand er
vor dem zornmütigen Weib, daß sie verstummte. Aber ihr Blick sprühte
unauslöschlichen Haß.

»Cethegus,« sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, »du
hast Recht. Byzanz kann für den Augenblick nicht mehr erreichen als deine
Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit
uns und unbedingt?«

»Unbedingt.«

»Und Amalaswinthen?«

»Geb’ ich Preis.«

»Wohlan,« sagte der Byzantiner, »es gilt.«

Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an
Belisar und reichte sie dem Präfekten: »Du magst die Botschaft selbst
bestellen.«

Cethegus las sorgfältig: »Es ist gut,« sagte er, die Tafel in die Brust
steckend, »es gilt.«

»Wann bricht Italien los auf die Barbaren?« fragte Petros.

»In den ersten Tagen des nächsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb wohl.«

»Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib – die Tochter Theoderichs
verderben?« fragte die Königin mit bittrem Vorwurf. »Erbarmt dich ihrer
abermals?«

»Sie ist gerichtet,« sagte Cethegus, an der Thür sich kurz umwendend. »Der
Richter geht – der Henker Amt hebt an.« Und stolz schritt er hinaus.

Da faßte Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln
sehn, mit Entsetzen dessen Hand: »Petros,« rief er, »um Gott und aller
Heiligen willen, was hast du gethan? Unser Vertrag und alles ruht auf
Belisar und du schickst ihn nach Hause?«

»Und läßt diesen Übermütigen triumphieren?« knirschte Gothelindis.

Aber Petros lächelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz.
»Seid ruhig,« sagte er, »diesmal ist er überwunden, der Allüberwinder
Cethegus, besiegt von dem verhöhnten Petros.« Er ergriff Theodahad und
Gothelindis an den Händen, zog sie nahe an sich, sah sich um, und
flüsterte dann: »Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt: der
bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig.
Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hofe von Byzanz.«



                             Viertes Kapitel.


Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros
verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter
Gefangenschaft.

So oft sie ihre Gemächer verließ, so oft sie einbog in einen Gang des
Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten
auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht
schienen, all’ ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken
zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht
niedersteigen.

Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen
nach dem Krönungsfest in Aufträgen des Königs die Stadt verlassen. Das
Gefühl, vereinsamt und von bösen Feinden umlauert zu sein, ruhte drückend
auf ihrer Seele.

Schwer und düster hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen
Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem
schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich berührte es sie, daß, als sie an
das Fenster von Frauenglas trat, ein Rabe krächzend von dem Marmorsims
aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Flügelschlag langsam über
die Gärten dahinflog.

Die Fürstin fühlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese
Tage von Schmerz, Furcht und Reue, daß sie sich des finstern Eindrucks
nicht erwehren konnte, den ihr die frühen Herbstnebel, aus den Lagunen der
Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue
Sumpflandschaft hinaus.

Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge.

Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle
Demütigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres
Lebens. Denn sie zweifelte nicht, daß die Gesippen und Bluträcher der drei
Herzoge ihre Pflicht vollauf erfüllen würden. In solchen Gedanken schritt
sie durch die öden Hallen und Gänge des Palastes, diesmal, wie sie
glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestätte ihres Sohnes, sich in den
Vorsätzen der Buße und Sühne an ihrem Volk zu befestigen.

Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen
dunkeln Gewölbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer
Nische hervor – sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben –
drückte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab
verschwunden.

Sie erkannte sofort – die Handschrift Cassiodors –.

Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Überbringer: es war Dolios,
der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch die Tafel in ihrem Gewande
bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: »In Schmerz, nicht in Zorn,
schied ich von dir. Ich will nicht, daß du unbußfertig abgerufen werdest
und deine unsterbliche Seele verloren gehe. Flieh aus diesem Palast, aus
dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst
Gothelindis und ihren Haß. Traue niemand als meinem Schreiber und finde
dich um Sonnenuntergang bei dem Venustempel im Garten ein. Dort wird dich
meine Sänfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im
Bolsener See. Folge und vertraue.«

Gerührt ließ Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er
hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer für
das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im
blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast
Cassiodors, in voller Blüte der Jugendschönheit, Hochzeit gehalten mit
Eutharich, dem edeln Amalungen, und, von allem Schimmer der Macht und
Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert.

Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglück erweichtes Gemüt beschlich
mächtige Sehnsucht, die Stätte ihrer schönsten Freuden wiederzusehen.
Schon dies Eine Gefühl trieb sie mächtig an, der Mahnung Cassiodors zu
folgen: noch mehr die Furcht, – nicht für ihr Leben, denn sie wollte
sterben – die Raschheit ihrer Feinde möchte ihr unmöglich machen, das Volk
zu warnen und das Reich zu retten. Endlich überlegte sie, daß der Weg nach
Regeta bei Rom, wo in Bälde die große Volksversammlung, wie alljährlich im
Herbst, statthaben sollte, sie am Bolsener See vorüberführte. Also war es
nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser
Richtung aufbrach. Um aber auf alle Fälle sicher zu gehn, um, auch wenn
sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an
das Ohr des Volks gelangen zu lassen, beschloß sie einem Brief an
Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt
voraussetzen konnte, ihre ganze Beichte und die Enthüllung aller Pläne der
Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen.

Bei geschlossenen Thüren schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder:
heiße Thränen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie
sorgfältig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven übergab, es sicher
nach dem Kloster Squillacium in Apulien, der Stiftung und dem gewöhnlichen
Aufenthalt Cassiodors, zu befördern.

Langsam verstrichen der Fürstin die zögernden Stunden des Tages. Mit
ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotne Hand ergriffen. Erinnerung
und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein
teures Asyl: dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich
sorgsam innerhalb ihrer Gemächer, um keinem ihrer Wächter Veranlassung zum
Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne
gesunken.

Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurückweisend und
nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus
ihrem Schlafgemach in den breiten Säulengang, der zur Gartentreppe führte.
Sie zitterte, hier wie gewöhnlich auf einen der lauschenden Späher zu
stoßen, gesehen, angehalten zu werden. Häufig sah sie sich um, vorsichtig
blickte sie sogar in die Statuennischen: – alles war leer, kein Lauscher
folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform
der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick über
diesen hin gewährte. Scharf überschaute sie den nächsten Weg, der zum
Venustempel führte. Der Weg war frei.

Nur die welken Blätter raschelten wie unwillig von den rauschenden
Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern,
jenseit der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor
sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner
grauen Dämmerung.

Die Fürstin fröstelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und
Mantel: einen scheuen Blick warf sie noch auf die düstern, lastenden
Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und
geherrscht und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine
Verbrecherin flüchtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des
Palastes ruhte. – Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen
Mauern, aus ihrer Nähe verbannt hatte. –

Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu überwältigen:
sie wankte, mühsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgeländer
der Terrasse: ein Fieberschauer rüttelte an ihrem Leibe wie das Grauen der
Verlassenheit an ihrer Seele.

»Aber mein Volk!« sprach sie zu sich selbst »und meine Buße – ich will’s
vollenden.« Gekräftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe
hinab und bog in den von Epheu überwölbten Laubgang ein, der quer durch
den Garten führte und an dem Venustempel mündete. Rasch schritt sie voran,
erbebend, wann zu einem der Seitengänge das Herbstlaub, wie seufzend,
hereinwirbelte.

Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und ließ ringsum die
suchenden Blicke schweifen. Aber keine Sänfte, keine Sklaven waren zu
sehen, rings war alles still: nur die Äste der Platanen seufzten im Winde.

Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr.

Sie wandte sich: – um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten
ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspähend. Rasch eilte die
Fürstin auf ihn zu, folgte ihm um die Ecke: und vor ihr stand Cassiodors
wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von
allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterläden von feinem Holzwerk
umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt.

»Eile thut not, o Fürstin,« flüsterte Dolios, sie in die weichen Polster
hebend. »Die Sänfte ist zu langsam für den Haß deiner Feinde. Stille und
Eile, daß uns niemand bemerkt.«

Amalaswintha blickte noch einmal um sich.

Dolios öffnete das Thor des Gartens und führte den Wagen vor dasselbe
hinaus. Da traten zwei Männer aus dem Gebüsch: der eine bestieg den Sitz
des Wagenlenkers vor ihr: der andere schwang sich auf eines der beiden
gesattelt vor dem Thore stehenden Rosse: sie erkannte die Männer als
vertraute Sklaven Cassiodors: sie waren wie Dolios mit Waffen versehen.
Dieser sperrte wieder sorgfältig das Gartenthor und ließ die Gitterladen
des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das
Schwert: »Vorwärts!« rief er.

Und von dannen jagte der kleine Zug, als wär’ ihm der Tod auf der Ferse.



                             Fünftes Kapitel.


Die Fürstin wiegte sich in Gefühlen des Dankes, der Freiheit, der
Sicherheit. Sie baute schöne Entwürfe der Sühne.

Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor
dem Verrat des eigenen Königs: schon hörte sie den begeisterten Ruf des
tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung
verkündete. In solchen Träumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und
Nächte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwärts: drei-, viermal des Tages
wurden die Pferde des Wagens und der Reiter gewechselt, so daß sie Meile
um Meile wie im Fluge zurücklegten.

Wachsam hütete Dolios die ihm anvertraute Fürstin: mit gezogenem Schwert
schützte er den Zugang zum Wagen, während seine Begleiter Speisen und Wein
aus den Stationen holten. Jene geflügelte Eile und diese treue Wachsamkeit
benahm Amalaswinthen eine Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte
erwehren können: ihr war, sie würden verfolgt.

Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt,
dicht hinter sich Rädergerassel zu hören und den Hufschlag eilender Rosse:
ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen
zurückspähend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in
das Thor der Stadt einbiegen zu sehen.

Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Thore
zurück und kam sogleich mit der Meldung wieder, daß nichts wahrzunehmen
sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt: und die rasende Eile,
mit der sie sich dem ersehnten Eiland näherte, ließ sie hoffen, daß ihre
Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit
verfolgt haben sollten, alsbald ermüdet zurückgeblieben seien.

Da verdüsterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkündend durch
seine begleitenden Umstände, plötzlich die hellere Stimmung der
flüchtenden Fürstin.

Es war hinter der kleinen Stadt Martula.

Öde baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf
und hohe Sumpfgewächse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden
Seiten der römischen Hochstraße und nickten und flüsterten gespenstisch im
Nachtwind. Die Straße war hin und wieder mit niedern, von Reben
überflochtenen Mauern eingefaßt und, nach altrömischer Sitte, mit
Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen waren und mit ihren auf dem
Wege zerstreuten Steintrümmern den Pferden das Fortkommen erschwerten.

Plötzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck und Dolios riß die
rechte Thüre auf. »Was ist geschehen,« rief die Fürstin erschreckt, »sind
wir in Feindes Hand?«

»Nein,« sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster
bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, »ein Rad ist
gebrochen. Du mußt aussteigen und warten, bis es gebessert.«

Ein heftiger Windstoß löschte in diesem Augenblick seine Fackel und
naßkalter Regen schlug in der Bestürzten Antlitz. »Aussteigen? hier? und
wohin dann? hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz böte vor Regen
und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen.« – »Das Rad muß abgehoben werden.
Dort, das Grabmal, mag dir Schutz gewähren.«

Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt über die
Steintrümmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des
Weges, wo sie jenseit des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit
ragen sah. Dolios half ihr über den Graben.

Da schlug von der Straße hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes
an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen.

»Es ist unser Nachreiter,« sagte Dolios rasch, »der uns den Rücken deckt,
komm.«

Und er führte sie durch feuchtes Gras den Hügel heran, auf dem sich das
Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte
eines Sarkophags.

Da war Dolios plötzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn
zurück: bald sah sie unten auf der Straße seine Fackel wieder brennen: rot
leuchtete sie durch die Nebel der Sümpfe: und der Sturm entführte rasch
den Schall der Hammerschläge der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten.

So saß die Tochter des großen Theoderich, einsam und todesflüchtig, auf
der Heerstraße in unheimlicher Nacht; der Sturm riß an ihrem Mantel und
Schleier, der feine kalte Regen durchnäßte sie, in den Cypressen hinter
dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte
zerfetztes Gewölk und ließ nur manchmal einen flüchtigen Mondstrahl durch,
der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch düsterer machte.

Banges Grauen durchschlich fröstelnd ihr Herz.

Allmählich gewöhnte sich ihr Auge an die Dunkelheit und umher sehend
konnte sie die Umrisse der nächsten Dinge deutlicher unterscheiden: da –
ihr Haar sträubte sich vor Entsetzen – da war ihr, es säße dicht hinter
ihr auf dem erhöhten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: – ihr
eigener Schatten war es nicht –: eine kleinere Gestalt in weitem, faltigem
Gewand, die Arme auf die Kniee, das Haupt in die Hände gestützt und zu ihr
herunter starrend.

Ihr Atem stockte, sie glaubte flüstern zu hören, fieberhaft strengte sie
die Sinne an zu sehen, zu hören: da flüsterte es wieder: »Nein, nein: noch
nicht!« So glaubte sie zu hören. Sie richtete sich leise auf, auch die
Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein.

Da schrie die Geängstigte: »Dolios! Licht! Hilfe! Licht!« Und sie wollte
den Hügel hinab, aber zitternd versagten die Kniee, sie fiel und verletzte
die Wange an dem scharfen Gestein.

Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende: er
fragte nicht. »Dolios,« rief sie sich fassend, »gieb die Leuchte: ich muß
sehen, was dort war, was dort ist.«

Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags:
es war nichts zu sehen: aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie,
daß das Monument nicht, wie die übrigen, ein altes, daß es sichtlich erst
neu errichtet war, so unverwittert war der weiße Marmor, so frisch die
schwarzen Buchstaben der Inschrift. –

Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet,
unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des
Monuments und las bei flackerndem Licht die Worte: »Ewige Ehre den drei
Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Mördern.«

Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurück.

Dolios führte die Halbohnmächtige zu dem Wagen. Fast bewußtlos legte sie
die noch übrigen Stunden des Weges zurück. Sie fühlte sich krank an Leib
und Seele. Je näher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die
fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdrängt von einer
ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Sträucher und Bäume des Weges
immer rascher an sich vorüberfliegen.

Endlich machten die dampfenden Rosse Halt.

Sie senkte die Läden und blickte hinaus: es war die kalte, unheimliche
Stunde, da das erste Tagesgrauen ankämpft gegen die noch herrschende
Nacht: sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von
seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein düstrer grauer Nebel lag
undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen: von der Villa, ja von
der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine
niedrige Fischerhütte tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches
wie seufzend der Morgenwind fuhr, daß die schwankenden Häupter sich bogen.

Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter
verborgenen See.

Dolios war in die Hütte gegangen; er kam jetzt zurück und hob die Fürstin
aus dem Wagen, schweigend führte er sie durch den feuchten Wiesengrund
nach dem Schilf zu.

Da lag am Ufer eine schmale Fähre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser
zu schwimmen.

Am Steuer aber saß in einen grauen zerfetzten Mantel gehüllt ein alter
Mann, dem die langen weißen Haare wirr ins Gesicht hingen. Er schien vor
sich hin zu träumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als
die Fürstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte
desselben auf einem Feldstuhl niederließ.

Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder: die
Sklaven blieben bei dem Wagen zurück.

»Dolios,« rief Amalaswintha besorgt, »es ist sehr dunkel, wird der Alte
steuern können in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?« – »Das
Licht würde ihm nichts nützen, Königin, er ist blind.« – »Blind?« rief die
Erschrockene, »laß landen! kehr um!« – »Ich fahre hier seit bald zwanzig
Jahren,« sprach der greise Ferge, »kein Sehender kennt den Weg gleich
mir.« – »So bist du blind geboren?«

»Nein, Theoderich der Amaler ließ mich blenden, weil mich Alarich, der
Balten-Herzog, des Thulun Bruder, gedungen hätte, ihn zu morden. Ich bin
ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so
unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch über die
Amalungen!« rief er mit zornigem Ruck am Steuer.

»Schweig! Alter,« sprach Dolios.

»Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit
zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. – Fluch den Amalungen!«

Mit Grauen sah die Flüchtige auf den Alten, der in der That mit völliger
Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen
im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hörte man gleichförmig
einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als
führe sie Charon über den Styx in das graue Reich der Schatten. – Fiebernd
hüllte sie sich in ihren faltigen Mantel.

Noch einige Ruderschläge und sie landeten.

Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend
und ruderte so rasch und sicher zurück wie er gekommen: Mit einer Art von
Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand.

Da war es ihr, als höre sie den Schall von Ruderschlägen eines zweiten
Schiffes, die rasch näher und näher drangen. Sie fragte Dolios nach dem
Grund dieses Geräusches.

»Ich höre nichts,« sagte dieser, »du bist allzu erregt, komm in das Haus.«
Sie wankte auf seinen Arm gestützt die in den Felsboden gehauenen Stufen
hinan, die zu der burgähnlichen, hochgetürmten Villa führten: von dem
Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses
schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der
Baumreihen zu sehen.

Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Thür im Rahmen von
schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes:
– dumpf dröhnte der Schlag in den gewölbten Hallen nach – die Thüre sprang
auf.

Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Thor, das die
Blumengewinde fast versperrt hatten, an ihres Gatten Seite eingezogen war:
sie gedachte, wie sie die Pförtner, gleichfalls ein jung vermähltes Paar,
so freundlich begrüßt. –

Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und
Schlüsselbund vor ihr stand, war ihr fremd.

»Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? ist sie nicht mehr im
Hause?« fragte sie.

»Die ist lang ertrunken im See,« sagte der Pförtner gleichgültig und
schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte
sich die kalten dunkeln Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken
ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: – alles
leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: – die
ganze Villa schien ein weites Totengewölbe.

»Das Haus ist unbewohnt? ich bedarf einer Sklavin.«

»Mein Weib wird dir dienen.«

»Ist sonst niemand in der Villa?«

»Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.«

»Ein Arzt – ich will ihn –«

Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige heftige
Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr
Amalaswintha zusammen. »Was war das?« fragte sie, Dolios’ Arm fassend. Sie
hörte die schwere Thüre zufallen.

»Es hat nur jemand Einlaß begehrt,« sagte der Ostiarius und schloß die
Thüre des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf. Die dumpfe Luft eines
lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit
Rührung erkannte sie die Schildpattbekleidung der Wände: es war dasselbe
Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt: überwältigt von der Erinnerung
glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunkeln Polstern belegt war.

Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich
her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf.



                            Sechstes Kapitel.


So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild
jagte Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber.

Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: – Athalarich, wie er
auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien ihr zu sich herab zu
winken: – das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens – dann Nebel und Wolken
und blattlose Bäume: – drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen
Gesichtern und blutigen Gewändern: und der blinde Fährmann in das Reich
der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den
Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich
abermals hinter dem Steine hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher
und näher, – beengend, – erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz
zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet
um sich: da – nein, es war kein Traumgesicht – da rauschte es, hinter dem
Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter
Schatte.

Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhangs auseinander – da
war nichts mehr zu sehen.

Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit
ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf in der Wand, der
draußen einen Hammer in Bewegung setzte.

Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung
verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen: sie teilte
ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er
erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der
Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen.

Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken
übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere
Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt,
stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch
Siebthüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere
Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badstube des
unteren, deren Decke – eine große, kreisförmige Metallplatte, – den Boden
des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen
rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden
Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck
der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem
Wasser des Sees erfüllt werden konnte.

Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen
Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit
zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor
duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während
zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das
muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten.

Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief,
erschien das Weib des Thürsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen
durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die
Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten;
die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug.
Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen
sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen
Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der
Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den
Heizstübchen, den Auskleide- und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem
Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die
Marmorwand eingesenkte Thür.

Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das
Bassin lief: gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus
dem bereits warme und köstliche Dufte aufstiegen. Das Licht fiel von oben
herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschliffenem Glas:
gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Cedernholz, die auf zwölf
Staffeln zu einer Sprungbrücke führte: rings an den Marmorwänden der
Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der
Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten.

Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und
Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten und wandte sich zur Thüre.
»Woher bist du mir bekannt?« fragte die Fürstin sie nachdenklich
betrachtend, »wie lange bist du hier?«

»Seit acht Tagen.« Und sie ergriff die Thüre.

»Wie lange dienst du Cassiodor?«

»Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.«

Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte
sich und griff nach dem Gewand des Weibes – zu spät: sie war hinaus, die
Thüre war zugefallen und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen
umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen
Ausgang.

Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß
sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen
sei: Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem
Raum war ihr einziger Gedanke.

Aber keine Flucht schien möglich: die Thüre war von innen jetzt nur eine
dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken: nicht mit einer Nadel
war in ihre Fugen zu dringen: verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an
der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr
entgegen: endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt
ihr gerade gegenüber – und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben und die ovale Öffnung unter
dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt.

War es ein menschlich Antlitz?

Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte
vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge: und eine
Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick.

Amalaswintha brach in die Kniee und verhüllte ihr Gesicht. »Du – du hier!«

Ein heiseres Lachen war die Antwort. »Ja, Amalungenweib, ich bin hier und
dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! – es wird dein Grab!
– mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht
Tagen.

Ich habe dich hierher gelockt: ich bin dir hierher nachgeschlichen wie
dein Schatte: lange Tage, lange Nächte hab’ ich den brennenden Haß
getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich
mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche,
winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese
hochmütigen Züge zuckt: – o ein Meer von Rache will ich trinken.«

Händeringend erhob sich Amalaswintha: »Rache! Wofür? Woher dieser tödliche
Haß?«

»Ha, du frägst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen und das
Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues
Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten
unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die
ersten unter ihren Gespielinnen: beide jung, schön und lieblich:
Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen
sollten eine Königin des Spieles wählen: und sie wählten Gothelindis, denn
sie war noch schöner als du und nicht so herrisch: und sie wählten sie
einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei von
wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt: und als man mich zum dritten
wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere« –

»Halt ein, o schweig, Gothelindis.«

– »Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend
stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde und mein
Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.«

»Verzeih, vergieb, Gothelindis!« jammerte die Gefangene. »Du hattest mir
ja längst verziehn.«

»Verzeihen? ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die
Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich verzeihen? Du hattest
gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich: sie trauerte im
stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen.

Und Jahre vergingen.

Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler
mit dem dunkeln Auge und der weichen Seele: und er, selber krank, erbarmte
sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und
Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine
dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der
beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld, – denn auch den
Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet
– daß die arme mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden
sollte.

Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir
den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn
liebtest, nein, aus Stolz: weil du den ersten Mann im Gotenreich, den
nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest.

Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir
keinen Wunsch versagen: und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit
der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur
Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man auch mir einen Amaler: –
Theodahad, den elenden Feigling!«

»Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich
liebtest. Wie konnte ich –«

»Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch
erhebe? O, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt –
alles hätt’ ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst
ja nur das Scepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich
ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz
hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh
gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht –
Rache, Rache für ihn.«

Und die weite Wölbung wiederhallte von dem Ruf: »Rache! Rache!«

»Zu Hilfe!« rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an
die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang.

»Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du,
umsonst hab’ ich solang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich
schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein,
hierher hab’ ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor Einer
Stunde an deinem Bette, hab’ ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm
vom Streiche abgehalten: – denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben,
stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.«

»Entsetzliche!«

»O, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit
meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten.
Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.«

»Was willst du thun?« rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden
nach einem Ausgang suchend.

»Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses
Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen
der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du
Beilager hieltest mit Eutharich und ich war in deinem Gefolge und mußte
dir dienen! In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen
gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: – in diesem Bade sollst du
sterben!«

Und sie drückte an einer Feder.

Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte
sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen:
mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe
Tiefe zu ihren Füßen.

»Denk an mein Auge!« rief Gothelindis und im Erdgeschoß öffneten sich
plötzlich die Schleusenthüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm
herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit
furchtbarer Raschheit.

Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die
Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu
erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder: sie
faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen
Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine
Darstellung vom Tode Christi: das erquickte ihre Seele: sie warf sich vor
dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und
betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und
stiegen: schon rauschten sie an den Stufen der Galerie.

»Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!« rief Gothelindis
grimmig, »denk’ an die drei Herzoge!« Und plötzlich begannen alle die
Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen
Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren.

Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie:
»Gothelindis, ich vergebe dir! töte mich, aber verzeih’ auch du meiner
Seele.« Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste
Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. »Ich dir vergeben?
Niemals! Denk’ an Eutharich!« –

Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf
Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt
gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte.

Wenn sie die hier angebrachte Sprungbrücke erstieg, konnte sie noch einige
Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an
der verlängerten Qual weiden zu wollen: schon brauste das Wasser auf dem
Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog
sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der
Brücke: »Höre mich, Gothelindis! meine letzte Bitte! nicht für mich, – für
mein Volk, für unser Volk: – Petros will es verderben und Theodahad ...« –

»Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele!
Verzweifle! Es ist verloren! Diese thörichten Goten, die jahrhundertelang
den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem
Haus der Amaler: Belisarius naht und niemand ist, der sie warnt.«

»Du irrst, Teufelin, sie _sind_ gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie
gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner
Seele!«

Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die
Fluten, die sich brausend über ihr schlossen.

Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. »Sie ist
verschwunden,« sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm
das Brusttuch Amalaswinthens. »Noch im Tode überwindet mich dieses Weib,«
sagte sie langsam: »wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!«



                            Siebentes Kapitel.


Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach
des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Römern, geistlichen und
weltlichen Standes versammelt – auch die Bischöfe Hypatius und Demetrius
aus dem Ostreich weilten bei ihm.

Große Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen
Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten
schloß: »Deshalb, ihr ehrwürdigen Bischöfe des Westreichs und des
Ostreichs und ihr edeln Römer, hab’ ich euch hierher beschieden. Laut und
feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaisers Verwahrung ein gegen
alle Thaten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau
verübt werden mögen.

Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt
hinweggeführt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die Freundin, die
Beschützerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die
Königin, ihre grimme Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt nach allen
Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht! aber wehe, wenn ... –«

Er konnte nicht vollenden.

Dumpfes Geräusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hörte man
hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurückgeschlagen und ins
Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantinischen Sklaven des Gesandten:
»Herr,« rief er, »sie ist tot! sie ist ermordet!«

»Ermordet!« scholl es in der Runde.

»Durch wen?« fragte Petros.

»Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See.«

»Wo ist die Leiche? Wo die Mörderin?«

»Gothelindis giebt vor, die Fürstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den
Wasserkünsten spielend. Aber man weiß, daß sie ihrem Opfer von hier auf
dem Fuße nachgefolgt. Römer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa,
die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Königin floh vor
der Rache des Volks in das feste Schloß von Feretri.«

»Genug,« rief Petros entrüstet, »ich eile zum König und fordre euch auf,
ihr edeln Männer, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen
vor Kaiser Justinian.« Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten
nach dem Palast.

Sie fanden auf den Straßen eine Menge Volks in Bestürzung und Entrüstung
hin- und herwogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von
Haus zu Haus.

Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte,
öffnete sich die Menge vor ihnen, schloß sich aber dicht hinter ihnen
wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Thoren sie
kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Lärm
des Volkes: auf dem Forum des Honorius drängten sich die Ravennaten
zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschützerin schon die Hoffnung
vereinten, bei diesem Anlaß die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das
Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung und der
Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs
bloß Theodahad und Gothelindis bedrohte.

Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen
Königs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte:
er zagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros
gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der
mit Gothelindis den Untergang der Fürstin beschlossen und die Art der
Ausführung beraten hatte: er sollte ihm jetzt auch die Folgen der That
tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte
er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu: aber erstaunt blieb er plötzlich
stehen: erstaunt über die Begleitung, noch mehr erstaunt über die finster
drohende Miene des Gesandten.

»Ich fordre Rechenschaft von dir, König der Goten,« rief dieser schon an
der Thüre, »Rechenschaft im Namen von Byzanz für die Tochter Theoderichs.
Du weißt, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert:
jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfe ihres
Blutes. Wo ist Amalaswintha?«

Der König sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber
er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg.

»Wo ist Amalaswintha?« wiederholte Petros, drohend vortretend und sein
Anhang folgte ihm einen Schritt.

»Sie ist tot,« sagte Theodahad, ängstlich werdend.

»Ermordet ist sie,« rief Petros, »so ruft ganz Italien, ermordet von dir
und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser
Frau, er wird ihr Rächer sein: Krieg künd’ ich dir in seinem Namen an,
Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz
Geschlecht.«

»Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!« wiederholten die Italier,
fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenährten
Haß entzügelnd; und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden
König.

»Petros,« stammelte dieser entsetzt, »du wirst gedenken des Vertrages, du
wirst doch ... –«

Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riß sie mitten
durch. »Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem
blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greuelthat alle Schonung
verwirkt, die man euch früher gewährt. Nichts von Verträgen. Krieg!«

»Um Gott,« jammerte Theodahad, »nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst
du, Petros?«

»Unterwerfung! Räumung Italiens! Dich selber und Gothelindis lad’ ich zum
Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort ... –«

Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns
und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern eine starke Schar
gotischer Krieger, von Graf Witichis geführt.

Die gotischen Führer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens
Untergang die tüchtigsten Männer ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung
vor die Porta romana beschieden und dort Maßregeln der Sicherung und der
Gerechtigkeit beraten. Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum
des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und
dort ein Dolch, schon ertönte manchmal der Ruf: »Wehe den Barbaren!«

Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die
verhaßten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch
die Via palatina anrückten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die
grollenden Haufen und indessen Graf Teja und Hildebad die Thore und die
Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade
rechtzeitig im Gemache des Königs angelangt, die letzten Worte des
Gesandten noch zu hören. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts
vom Thronsitz des Königs, zu dem dieser zurückgewichen war: und Witichis,
auf sein langes Schwert gestützt, trat hart vor den Griechen hin und sah
ihm scharf ins Auge.

Eine erwartungsvolle Pause trat ein.

»Wer wagt es,« fragte Witichis ruhig, »hier den Herrn und Meister zu
spielen im Königshaus der Goten?«

Von seiner Überraschung sich erholend entgegnete Petros: »Es steht dir
übel an, Graf Witichis, Mörder zu beschützen. Ich hab’ ihn nach Byzanz
geladen vor Gericht.«

»Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?« rief der alte Hildebrand
zornig.

Aber das böse Gewissen band dem Könige die Stimme.

»So müssen wir statt seiner sprechen,« sagte Witichis. »Wisse, Grieche,
vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der
Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter über sich.«

»Auch nicht für Mord und Blutschuld?«

»Wenn schwere Thaten unter uns geschehn, richten und strafen wir sie
selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den
Kaiser in Byzanz.«

»Mein Kaiser wird diese Frau rächen, die er nicht retten konnte. Liefert
die Mörder aus nach Byzanz.«

»Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige unsern König,«
sprach Witichis.

»So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld und Krieg erklär’ ich euch, im
Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar.«

Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte
Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab:
»Hört, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz.«

Da brach unten ein Getöse los, wie wenn das Meer entfesselt über seine
Dämme bricht, die Waffen klirrten und tausend Stimmen jubelten: »Krieg,
Krieg mit Byzanz!«

Dieser Wiederhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier:
das Ungestüm solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie
vor sich nieder. Während die Goten sich glückwünschend die Hände
schüttelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes, in die Mitte, hart
neben Petros und sprach feierlich: »Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: –
du hast es gehört. Besser offner Kampf als die langjährige, lauernde,
wühlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne
Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre
von Blut und Mord und Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende
Städte, zahllose Leichen die Ströme hinabschwimmen. Hört unser Wort: auf
euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschürt und gereizt jahrelang:
– wir haben’s ruhig getragen. Und jetzt habt _ihr_ den Krieg
hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund
euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer
Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz.«

Schweigend hörte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und
schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm
das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia.

»Ehrwürdiger Freund,« sagte er zu diesem beim Abschied, »die Briefe
Theodahads in der bewußten Sache, die ihr mir zur Einsicht anvertraut,
mußt du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer und für deine Kirche sind sie
nicht mehr nötig.« – »Der Prozeß ist längst entschieden,« erwiderte der
Bischof, »und die Güter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind
dein.« –

Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem
kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein
Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen
Angriff aufzufordern.

Darauf schrieb er einen ausführlichen Bericht an den Kaiser, der mit
folgenden Worten schloß: »Und so scheinst du, o Herr, wohl Grund zu haben,
mit den Diensten deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der
Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem
Thron ein verhaßter Fürst, unfähig und treulos: die Feinde sonder Rüstung
überrascht: die italische Bevölkerung überall für dich gewonnen: – es kann
nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, müssen die Barbaren fast ohne
Widerstand erliegen.

Und wie so oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das
Recht, als Schirmherr und Rächer der Gerechtigkeit auf: – es ist ein
geistvoller Zufall, daß die Triere, die mich trägt, den Namen »Nemesis«
führt.

Nur das Eine betrübt mich unendlich, daß es meinem treuen Eifer nicht
gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe dich an,
meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnädig gesinnt war,
wenigstens zu versichern, daß ich allen ihren Aufträgen bezüglich der
Fürstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als
Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte.

Auf die Anfrage bezüglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das
Gotenreich in die Hände liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der
ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefährlich, die
Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben.«

Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischöfe Hypatius und
Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundusium und von da über Epidamnus
auf dem Landweg nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen
Tagen folgen, langsam die gotische Küste des jonischen Meerbusens entlang
fahrend, überall die Stimmung der Bevölkerung in den Hafenstädten zu
prüfen und zu schüren.

Dann sollte er um den Peloponnes und Euböa her nach Byzanz segeln: denn
die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Aufträge für
Athen und Lampsakos erteilt.

Er überrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnügten Sinnen
immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafür in
Byzanz erwartete.

Er kehrte zurück, noch einmal so reich als er gekommen.

Denn er hatte der Königin Gothelindis nie eingestanden, daß er mit dem
Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr
vielmehr lange die Gefahr der Ungnade bei Kaiser und Kaiserin
entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von
ihr für den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug
brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Würde des
Patriciats und freute sich schon, seinem hochmütigen Vetter Narses, der
ihn nie befördert hatte, nun bald in gleichem Range gegenüberzutreten.

»So ist denn alles nach Wunsch gelungen,« sagte er selbstzufrieden,
während er seine Briefschaften ordnete: »und diesmal, du stolzer Freund
Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewährt. Und der
kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen
kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden
Gang. Nur muß noch dafür gesorgt werden, daß Theodahad und Gothelindis
nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen: wie gesagt, das wäre zu
gefährlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein
sollen. Nein, dieses Königspaar muß verschwinden aus unsern Wegen.«

Und er ließ den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied
von ihm. Dabei übergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form
derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den
Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und
schrieb einen Namen auf die daran hängende Wachstafel. »Diesen Mann,«
sagte er dem Gastfreund, »suche auf bei der nächsten Versammlung der Goten
zu Regeta und übergieb ihm die Vase: was sie enthält ist sein. Leb wohl,
auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna.« Und er verließ mit seinen Sklaven
das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen
hoch gehoben trug ihn die »Nemesis« dahin. –

Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz näherte, von Lampsakos
aus hatte er – auch dies hatte die Kaiserin gewünscht – seine baldige
Ankunft durch einen kaiserlichen Schnellsegler, der eben abging, melden
lassen, überflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schönen Landhäuser,
die marmorweiß aus den Schatten immergrüner Gärten blinkten.

»Hier wirst du künftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs,« sprach
wohlgefällig Petros.

Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die »Thetis«, das prachtvolle Lustboot
der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die
Purpurwimpel entrollend, und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an
Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der frühere
Gesandte am Hof von Ravenna.

Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen
erschrockenen Blick warf: dann wandte er sich zu Petros: »Im Namen des
Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfälschung
und Steuerunterschlagung lebenslänglich zu den Metallarbeiten in den
Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast
die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser hätte dich
durch deinen Brief für entschuldigt erachtet: aber die Kaiserin,
untröstlich über den Untergang ihrer königlichen Schwester, hat deine alte
Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Präfekten von Rom an diesen
hat dargethan, daß du mit Gothelindis geheim der Königin Verderben
geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin überzeugt. Dein Vermögen
ist eingezogen: die Kaiserin aber läßt dir sagen,« – hier flüsterte er in
des Zerschmetterten Ohr, – »du habest in deinem klugen Brief ihr selbst
den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, du
führst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab.«

Und Alexandros ging auf die »Thetis« zurück.

Die »Nemesis« aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von
Byzanz den Rücken und trug den Sträfling für immer aus dem Leben der
Menschen.



                             Achtes Kapitel.


Wir haben Cethegus den Präfekten seit seiner Abreise nach Rom aus den
Augen verloren.

Er hatte daselbst in den Wochen der erzählten Ereignisse die eifrigste
Thätigkeit entfaltet: denn er erkannte, daß die Dinge jetzt zur
Entscheidung drängten; er konnte ihr getrost entgegensehen.

Ganz Italien war einig in dem Haß gegen die Barbaren: und wer anders
vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das
Haupt der Katakombenverschwörung und der Herr von Rom.

Das war er durch die jetzt völlig ausgebildeten und ausgerüsteten
Legionare und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er
in den letzten Monaten Nachts wie Tages hatte arbeiten lassen. Und nun war
es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Auftreten der
byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen
ehrgeizigen Plänen gedroht, abzuwenden: durch zuverlässige Kundschafter
hatte er erfahren, daß die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei
Sicilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der
afrikanischen Küste genähert habe, wo sie die Seeräuberei zu unterdrücken
beschäftigt schien.

Freilich sah Cethegus voraus, daß es zu einer Landung der Griechen in
Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht
entbehren.

Aber alles war ihm daran gelegen, daß dies Auftreten des Kaisers eben nur
eine Nachhilfe bleibe: und deshalb mußte er, ehe ein Byzantiner den
italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft
veranlaßt und zu solchen Erfolgen geführt haben, daß die spätere
Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit der
Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelohnt werden konnte.

Und er hatte zu diesem Zweck seine Pläne trefflich vorbereitet.

Sowie der letzte römische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz
Italien an einem Tag überfallen, mit einem Schlag alle festen Plätze,
Burgen und Städte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und
waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu
fürchten, daß sie bei ihrer großen Unkunde in Belagerungen und bei der
Anzahl und Stärke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft
über die Halbinsel wieder gewinnen würden.

Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die Goten vollends über
die Alpen zu drängen: und Cethegus wollte schon dafür sorgen, daß diese
Befreier ebenfalls keinen Fuß in die wichtigsten Festungen setzen sollten,
um sich ihrer später unschwer wieder entledigen zu können.

Dieser Plan setzte nun aber voraus, daß die Goten durch die Erhebung
Italiens überrascht würden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar
schon ausgesprochen war, dann natürlich ließen sich die Barbaren die in
Kriegsstand gesetzten Städte nicht durch einen Handstreich entreißen. Da
nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei
jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung
erwarten mußte, da es kaum noch gelungen war, Belisar wieder abzuwenden
von Italien, beschloß er, keinen Augenblick mehr zu verlieren.

Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigungen Roms eine allgemeine
Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das
mühsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekrönt, der Augenblick des
Losschlagens bestimmt und Cethegus als Führer dieser rein italischen
Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der
Bestochenen oder Furchtsamen, die nur für und mit Byzanz zu handeln
geneigt waren, durch die Begeisterung der Jugend zu überwältigen, wenn er
diese sofort in den Kampf zu führen versprach.

Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der
Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom und ungeduldig sehnte der
Präfekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige
noch unfertige Turm des aurelischen Thores unter Dach: Cethegus führte die
letzten Hammerschläge: ihm war dabei, er höre die Streiche des Schicksals
von Rom und von Italien dröhnen.

Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater
des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen
eingefunden und der Präfekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine
unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die jüngeren unter den
Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewünscht hatte;
aber ein Häuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finstern
Mienen von den Tischen zurück.

Der Priester hatte seit lange eingesehen, daß Cethegus nicht bloß Werkzeug
sein wollte, daß er eigene Pläne verfolgte, die der Kirche und seinem
persönlichen Einfluß sehr gefährlich werden konnten. Und er war
entschlossen, den kühnen Verbündeten zu stürzen, sobald er entbehrt werden
konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Römers
gegen den Überlegenen im geheimen zu schüren.

Die Anwesenheit aber zweier Bischöfe aus dem Ostreich, Hypatius von
Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen öffentlich mit
dem Papst, aber geheim mit König Theodahad, in Unterstützung des Petros,
in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit
Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten.

»Du hast recht, Silverius,« murrte Scävola im Hinausgehen aus dem Thor des
Theaters, »der Präfekt ist Marius und Cäsar in Einer Person.« – »Er
verschwendet diese ungeheuren Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu
sehr trauen,« warnte der geizige Albinus. – »Lieben Brüder,« mahnte der
Priester, »sehet zu, daß ihr nicht einen unter euch lieblos verdammet. Wer
solches thäte, wäre des höllischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht
unser Freund die Fäuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen
»Ritter«: es ist das gut, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen ... –«

»Aber dadurch auch eine neue aufrichten,« meinte Calpurnius.

»Das soll er nicht, wenn Dolche noch töten, wie in Brutus’ Tagen,« sprach
Scävola.

»Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer:« sagte Silverius, »je
näher der Tyrann, desto drückender die Tyrannei: je ferner der Herrscher,
desto erträglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Präfekten ist
aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers.«

»Jawohl,« stimmte Albinus bei, der große Summen von Byzanz erhalten hatte,
»der Kaiser muß der Herr Italiens werden.« – »Das heißt,« beschwichtigte
Silverius den unwillig auffahrenden Scävola, »wir müssen den Präfekten
durch den Kaiser, den Kaiser durch den Präfekten niederhalten. Siehe, wir
stehen an der Schwelle meines Hauses. Laßt uns eintreten. Ich habe geheim
euch mitzuteilen, was heute Abend in der Versammlung kund werden soll. Es
wird euch überraschen. Aber andre Leute noch mehr.«

Inzwischen war auch der Präfekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in
einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede
überdachte er: wußte er doch längst was er zu sagen hatte und, ein
glänzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen,
überließ er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend,
daß das eben frisch aus der Seele geschöpfte Wort am lebendigsten wirkt.

Aber er rang nach innerer Ruhe: denn seine Leidenschaft schlug hohe
Wellen.

Er überschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin gethan, seit
zuerst dieses Ziel mit dämonischer Gewalt ihn angezogen: er erwog die
kurze Strecke, die noch zurückzulegen war: er überzählte die
Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen und ermaß
dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu überwinden: und das Ergebnis
dieses prüfenden Wägens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit
jugendlicher Aufregung ergriff.

Mit gewaltigen Schritten durchmaß er das Gemach.

Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender
Schlacht: er umgürtete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner
Kriegsfahrten und drückte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es,
jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu
erkämpfen. Dann trat er der Cäsarstatue gegenüber und sah ihr lange in das
schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Händen die Hüften
des Imperators und rüttelte an ihnen: »lebwohl,« sagte er, »und gieb mir
dein Glück mit auf den Weg. – Mehr brauch’ ich nicht.«

Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium
hinaus auf die Straße, wo ihn schon die ersten Sterne begrüßten.

Zahlreicher als je hatten sich die Verschwornen an diesem Abend in den
Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu
dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf
den Wunsch des Präfekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte
vertreten: von den starken Grenzhüterinnen Tridentum, Tarvisium und
Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia,
welche die laue Welle des ausonischen Meeres bespült, hatten sie alle ihre
Boten zugesendet, jene berühmten Städte Siciliens und Italiens mit den
stolzen, den schönen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusä und Catana,
Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumä, Capua und Beneventum,
Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum,
Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Fäsulä, Pisa, Luca,
Luna und Genua, Ariminum, Cäsena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und
Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und
Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord- und Ostküste des
jonischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona.

Da waren ernste Senatoren und Decurionen, ergraut in dem Rat ihrer Städte,
deren Häupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute,
breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spöttische Rhetoren:
und namentlich eine große Anzahl von Geistlichen jedes Ranges und jedes
Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt
gehorsam.

Wie Cethegus, noch hinter der Mündung des schmalen Ganges verborgen, die
Massen in dem Halbrund der Grotte übersah, konnte er sich eines
verächtlichen Lächelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief.
Außer der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem
nicht stark genug war, schwere politische Pläne mit Opfern und Entsagungen
zu tragen, – welch’ verschiedene und oft welch’ kleine Motive hatten diese
Verschwornen hier zusammengeführt!

Cethegus kannte die Beweggründe der einzelnen genau: hatte er sie doch
durch Bearbeitung ihrer schwächsten Seiten beherrschen gelernt. Und er
mußte zuletzt noch froh darum sein: echte Römer hätte er nie, wie diese
Verschworenen, so völlig unter seinen Einfluß gebracht.

Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und
bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den
andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgend einer
Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter
Streich unter die Unzufriedenen geführt: und wenn er sich nun vorstellte,
daß er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermännern entgegentreten
sollte, – da erschrak er fast über die Vermessenheit seines Planes.

Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius
seinen Blick auf die Schar der jungen »Ritter« lenkte, denen wirklich
kriegerischer Muth und nationale Begeisterung aus den Augen sprühte: so
hatte er doch einige verlässige Waffen. –

»Gegrüßt, Lucius Licinius,« sprach er aus dem Dunkel des Ganges
hervortretend. »Ei, du bist ja gerüstet und gewaffnet, als ging es von
hier gegen die Barbaren.«

»Kaum bezwing ich das Herz in der Brust vor Haß und vor Freude,« sagte der
schöne Jüngling. »Sieh, alle diese hier hab’ ich für dich, für das
Vaterland geworben.«

Cethegus blickte grüßend umher:

»Auch du hier, Kallistratos, – du heitrer Sohn des Friedens?«

»Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der
Gefahr,« sagte der Hellene und legte die weiße Hand auf das zierliche
Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte
sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die, seit
den Floralien ganz von dem Präfekten gewonnen, ihre Brüder, Vettern,
Freunde mitgebracht hatten. Prüfend flog sein Blick über die Gruppe, er
schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine
Gedanken: »Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla?

Auf den kannst du nicht zählen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er
sprach: »ich bin ein Korse, kein Italier: mein Handel blüht unter
gotischem Schutz: laßt mich aus eurem Spiel.« Und als ich weiter in ihn
drang – denn ich gewönne gern sein kühnes Herz und die vielen Tausende von
Armen, über die er gebeut – sprach er kurz abweisend: »ich fechte nicht
gegen Totila.««

»Die Götter mögen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart
bindet,« meinte Piso.

Cethegus lächelte, aber er furchte die Stirn. »Ich denke, wir Römer
genügen,« sprach er laut: und das Herz der Jünglinge schlug.

»Eröffne die Versammlung,« mahnte Scävola unwillig den Archidiakon, »du
siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen.
Unterbrich ihn: rede.«

»Sogleich. Bist du gewiß, daß Albinus kommt?«

»Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Thor.«

»Wohlan,« sagte der Priester, »Gott mit uns!« Und er trat in die Mitte der
Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: »Im Namen des dreieinigen
Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den
Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn
Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Mühen zu seiner
Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Nächst Gott dem
Herrn aber gebührt der höchste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner
frommen Gemahlin, die mit thätigem Mitleid die Seufzer der leidenden
Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Führer, dem
Präfekten, der unablässig für unsres Herrn, des Kaisers Sache, wirkt
...« –

»Halt, Priester!« rief Lucius Licinius dazwischen, »wer nennt den Kaiser
von Byzanz hier unsern Herrn? wir wollen nicht den Griechen dienen statt
den Goten! Frei wollen wir sein!« – »Frei wollen wir sein,« wiederholte
der Chor seiner Freunde.

»Frei wollen wir _werden_!« fuhr Silverius fort. »Gewiß. Aber das können
wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht,
geliebte Jünglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkämpfer verehrt,
Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen köstlichen Ring –
sein Bild in Carneol – gesendet, zum Zeichen, daß er billige, was der
Präfekt für ihn, den Kaiser, thue und der Präfekt hat den Ring angenommen:
sehet hier, er trägt ihn am Finger.«

Betroffen und unwillig sahen die Jünglinge auf Cethegus. Dieser trat
schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand.

»Sprich, Feldherr!« rief Lucius, »widerlege sie! Es ist nicht wie sie
sagen mit dem Ring.«

Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: »Es ist wie sie sagen: der Ring
ist vom Kaiser und ich hab’ ihn angenommen.«

Lucius Licinius trat einen Schritt zurück.

»Zum Zeichen?« fragte Silverius.

»Zum Zeichen,« sprach Cethegus mit drohender Stimme, »daß ich der
herrschsüchtige Selbstling nicht bin, für den mich einige halten, zum
Zeichen, daß ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf
Byzanz und wollte dem mächtigen Kaiser die Führerstelle abtreten: – darum
nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zögert:
deshalb hab’ ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser
zurückzustellen. Du, Silverius, hast dich als den Vertreter von Byzanz
erwiesen: hier, gieb deinem Herrn sein Pfand zurück: er säumt zu lang:
sag’ ihm, Italien hilft sich selbst.«

»Italien hilft sich selbst!« jubelten die jungen Ritter.

»Bedenket, was ihr thut!« warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. »Den
heißen Mut der Jünglinge begreif’ ich, – aber daß meines Freundes, des
gereiften Mannes, Hand nach dem Unerreichbaren greift, – befremdet mich.
Bedenket die Zahl und wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Männer
Italiens seit lange des Schwertes entwöhnt, wie alle Zwingburgen des
Landes in der Hand ...« –

»Schweig, Priester,« donnerte Cethegus, »das verstehst du nicht! Wo es die
Psalmen zu erklären gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da
rede du: denn solches ist dein Amt; wo’s aber Krieg und Kampf der Männer
gilt, laß jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen
Himmel – laß uns nur die Erde. Ihr römischen Jünglinge, ihr habt die Wahl.
Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedächtige Byzanz sich doch vielleicht
Italiens noch erbarmt – ihr könnt müde Greise werden bis dahin – oder
wollt ihr, nach alter Römer Art, die Freiheit mit dem eignen Schwert
erkämpfen? Ihr wollt’s, ich seh’s am Feuer eurer Augen. Wie? man sagt uns,
wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel
jener Römer, die den Weltkreis bezwangen? Wenn ich euch aufrufe, Mann für
Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus,
Cornelius, Valerius, Licinius: – wollt ihr mit mir das Vaterland
befreien?«

»Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!« riefen die Jünglinge begeistert.

Nach einer Pause begann der Jurist: »Ich heiße Scävola. Wo römische
Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken
mögen, in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du
jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie diese
jungen Thoren, hast du einen Plan?« –

»Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste
fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen
also, fallen sie, alle, auf Einen Schlag, in meine Hand.«

»Wie? dreißig Tage sollen wir noch warten?« fragte Lucius.

»Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis
meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre
warten müssen!«

Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte
nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub – sie
murrten.

Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. »Nein,
Cethegus,« rief er, »solang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich
ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet als er muß.
Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen
können die Waffen Belisars in Italien blitzen.«

»Oder sollen wir vielleicht,« fragte Scävola, »Belisar nicht folgen, weil
er nicht Cethegus ist?«

»Ihr sprecht von Wünschen,« lächelte dieser, »nicht von Wirklichem.
Landete Belisar, ich wäre der erste mich ihm anzuschließen. Aber er wird
nicht landen. Das ist’s ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser
hält nicht Wort.«

Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders.

»Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du
meinst. Belisar liegt bei Sicilien.«

»Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht
mehr auf Belisar.«

Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange und eilfertig stürzte
Albinus herein:

»Triumph,« rief er, »Freiheit, Freiheit!«

»Was bringst du?« fragte freudig der Priester.

»Den Krieg, die Rettung! Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.«

»Freiheit, Krieg!« jauchzten die Jünglinge.

»Es ist unmöglich!« sprach Cethegus, tonlos.

»Es ist gewiß!« rief eine andre Stimme vom Gange her – es war Calpurnius,
der jenem auf dem Fuß gefolgt – »und mehr als das: der Krieg ist begonnen.
Belisar ist gelandet auf Sicilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm
zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt
nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.«

»Freiheit!« rief Marcus Licinius.

»Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten
die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien
gen Neapolis.«

»Es ist erlogen, alles erlogen!« sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu
den andern.

»Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der
Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend
Mann.« – »Ein Verräter, wer noch zweifelt,« sprach Scävola. – »Nun laß
sehen,« höhnte Silverius, »ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der
erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?«

Vor Cethegus Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, _seine_ Welt.
So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten
Feind alles gethan, was er gethan.

Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos,
überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitre Streben ermüdet
aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der
Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der
Schlag sein Ohr und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn
von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße
ihr einen Seufzer nachzusenden: denn aller Augen hingen an ihm. Er
beschloß, eine zweite zu schaffen.

»Nun! was wirst du thun?« wiederholte Silverius.

Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er
mit ruhiger Stimme: »Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt: ich
gehe in sein Lager.« Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges,
gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber.

Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern: aber er verstummte, da ihn
der Blick des Präfekten traf: »Frohlocke nicht, Priester,« schien er zu
sagen, »diese Stunde wird dir vergolten.«

Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn. – –



                             Neuntes Kapitel.


Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich
unerwartet gekommen.

Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle Erwartungen von
der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden
war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von
Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel
zur Verteidigung Siciliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel
genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das
gerade in die lichten Kreise seines eignen Lebens zuerst verhängnisvolle
Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen
ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben
hatte.

Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen,
das edle, wenn auch strenge, Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben
gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die
Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der
nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt.

Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Güte,
wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen und ihren vereinten Einflüssen
gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen
Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an
Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß
Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht »barbarisch« schelten,
der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit
der hellenischen und römischen Litteratur kannte und würdigte, und, wie er
seine Goten liebte, so die Kultur der alten Welt bewunderte.

Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen
Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offnen
Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die
Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte
die Nacht verhaßt war, so war für Valerius die ganze Tradition seiner
Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier
hatten von jeher zu der aristokratisch-republikanischen Opposition wider
das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den
Tagen des Tiberius die alt-republikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt
und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung
der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt: in dem
byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und
um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den
orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fern halten. Es
kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch
Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und,
wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation
ihrer im Ostreich belegenen Güter, hingerichtet worden, so daß den
politischen Haß des Patrioten mit aller Macht persönliche Schmerzen
verstärkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwörung
einweihte, eifrig den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen,
aber alle Annäherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen:
»lieber den Tod als Byzanz!«

So vereinten sich die beiden Männer in dem Entschluß, keine Byzantiner in
dem schönen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war, als dem
Römer.

Die Liebenden hüteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem
bindenden Wort zu drängen; sie begnügten sich für die Gegenwart mit der
Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beließ und warteten ruhig ab, bis
der Einfluß allmählicher Gewöhnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre
völlige Vereinigung befreunden würde. So verlebten unsere jungen Freunde
goldene Tage.

Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Glücke die Freude an der
wachsenden Neigung des Vaters zu Totila: und Julius genoß jene weihevolle
Erhebung, die für edle Naturen in dem Überwinden eigner Schmerzen um des
Glückes geliebter Herzen willen liegt.

Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte
Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den höchsten Frieden
im Entsagen findet.

Eine sehr entgegengesetzte Natur war Valeria.

Sie war der Ausdruck der echt römischen Ideale ihres Vaters, der an der
frühe verstorbnen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im
geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken heidnischen
Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem
Eintritt in das Leben durch eine äußere Nötigung war zugewendet und später
ebenso durch ein äußerliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien
ihr als eine gefürchtete, nicht als eine verstandene und geliebte Macht,
die sie gleichwohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefühle zu
scheiden vermochte. Als echte Römerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen,
sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespräch
mit ihrem Vater über Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas
leuchtete, den künftigen Helden verkündend.

Und so trug sie es mit edler Fassung, als den Geliebten seine
Kriegerpflicht plötzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft.
Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Höhe von Syrakusä erschienen
war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges
unauslöschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag
ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Küste zu decken. Er
setzte rasch seine Schiffe in stand und segelte der griechischen Seemacht
entgegen, Erklärung heischend über den Grund ihres Erscheinens in diesen
Gewässern.

Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich
aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare Auskunft, die Unruhen
in Afrika und Seeräubereien mauretanischer Schiffe vorschützend. Mit
dieser Antwort mußte sich Totila begnügen: aber in seiner Seele stand der
Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wünschte.
Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und
suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu
decken, da die Landbefestigung der Stadt während des langen Friedens
vernachlässigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus
seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzurütteln war.

Die Goten wiegten sich überhaupt in dem gefährlichen Wahn, die Byzantiner
würden gar nie wagen, sie anzugreifen: und ihr verräterischer König
bestärkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben
deshalb unbeachtet und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes
Geschwader abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Ablösung
beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten,
blieben aus.

Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er,
wie er den Freunden erklärte, die Bewegungen der zahlreichen
Griechenflotte nicht beobachten, geschweige denn aufhalten konnte. Diese
Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen
und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an
der Südspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus
dieser Gegend, für die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach
Neapolis zu flüchten und überhaupt seine Anordnungen für den Fall eines
längeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten:
und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa
zurückzubleiben: von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, für die
nächsten Tage nichts zu fürchten.

So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der
Hauptvilla bei dem Passe Jugum nördlich von Regium ab, die, unmittelbar am
Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtnen Luxus
in das Meer selbst »wagend hinausgebaut« war.

Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten,
sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, übel gewirtschaftet: und
mit Unwillen erkannte dieser, daß seine prüfende, ordnende, strafende
Thätigkeit, nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig
sein werde.

Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende
Winke: aber Valeria erklärte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu
können: und dieser verschmähte es, vor den »Griechlein« zu flüchten, die
er noch mehr verachtete, als haßte.

Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote überrascht, die fast
gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug
Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Männer begrüßten sich
überrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten mit einander
durch die Taxus- und Lorbeergänge des Gartens zu der Villa hinan. Hier
trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu
wollen, indes den Korsen ein Geschäft zu dem Kaufherrn führte, mit dem er
seit Jahren in einer für beide Teile gleich vorteilhaften
Handelsverbindung stand.

Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kühnen und stattlich-schönen
Seefahrer bei sich eintreten und nach herzlicher Begrüßung wandten sich
die beiden Handelsfreunde ihren Büchern und Rechnungen zu.

Nach kurzen Erörterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und
sprach: »So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Bündnis
gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und köstlichen Wollstoff aus
Phönikien und aus Spanien zugeführt: und deine köstlichen Fabrikate des
verflossenen Jahres verführt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und
Antiochia. Ein Centenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird
er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den
Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland.« Er schwieg wie
abwartend.

»Solang sie schirmen können!« seufzte Valerius, »solang diese Griechen
Frieden halten. Wer steht dafür, daß uns nicht diese Nacht der Seewind die
Flotte Belisars an die Küste treibt!«

»Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als
wahrscheinlich, er ist gewiß.«

»Furius,« rief der Römer, »woher weißt du das?«

»Ich komme von Afrika, von Sicilien. Ich habe die Flotte des Kaisers
gesehen: so rüstet man nicht gegen Seeräuber. Ich habe die Heerführer
Belisars gesprochen: sie träumen Nacht und Tag von den Schätzen Italiens.
Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen.«

Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: »Und
deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird
in dieser Gegend landen und ich wußte, – daß deine Tochter dich
begleitet.«

»Valeria ist eine Römerin.«

»Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen,
Massageten, Skythen, Avaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser
Kaiser der Römer losläßt auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches
Kind in ihre Hände fiele.«

»Das wird sie nicht!« sagte Valerius, die Hand am Dolch. »Aber du sprichst
wahr – sie muß fort – in Sicherheit.« – – »Wo ist in Italien Sicherheit?
Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen über
Neapolis, – über Rom und kaum sich an Ravennas Mauern brechen.« – Denkst
du so groß von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes
nach Italien geschickt als Mimen, Seeräuber und Kleiderdiebe!« –
»Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf,
dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!« – »Von _euch_, sagst
du? wirst du nicht mit kämpfen?«

»Nein, Valerius! Du weißt, in meinen Adern fließt nur korsisch Blut, trotz
meines römischen Adoptivnamens: ich bin nicht Römer, nicht Grieche, nicht
Gote. Ich wünsche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu
Wasser und zu Land und weil mein Handel blüht unter ihrem Scepter: aber
wollt’ ich offen für sie fechten, – der Fiskus von Byzanz verschlänge, was
irgend von meinen Schiffen und Waren in den Häfen des Ostreichs liegt,
drei Viertel all’ meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu
befestigen, – du weißt ja, halb Korsika ist mein – daß keine der
kämpfenden Parteien mich viel belästigen wird: meine Insel wird eine
Friedensinsel sein, während rings die Länder und Meere vom Krieg
erdröhnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein König seine Krone, wie
ein Bräutigam die Braut – und deshalb« – seine Augen funkelten und seine
Stimme bebte vor Erregung – »deshalb wollte ich jetzt, – heute – ein Wort
aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage« – – Er stockte.

Valerius sah voraus, was kommen werde und sah es mit tiefem Schmerz: seit
Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen
Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung
er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten
gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam
vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige
Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe
und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man
erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes und
gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung
erspart.

Aber jener fuhr fort: »Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte
geschäftlich abthun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem
Vater, nicht erst mit der Tochter. Gieb mir dein Kind zur Ehe, Valerius:
du kennst zum Teil mein Vermögen – nur zum Teil: – denn es ist viel größer
als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb’ ich, wie groß sie sei, das
doppelte ...« –

»Furius!« unterbrach der Vater.

»Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls
kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich
führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach
Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine
Königin soll sie beneiden. Ich will sie hoch halten: – höher als meine
Seele.« Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend.

Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: – es war nur eine Sekunde:
aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen.
Sein Blut kochte auf, sein schönes bronzefarbenes Antlitz, eben noch
beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an:
dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. »Furius Ahalla,« sprach er
rasch und hastig, »ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine
Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen –: nun biete ich
mich selbst: – ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur« –

»Mein Freund,« hob der Alte an, »wir leben nicht mehr in der Zeit alten,
strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht
genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem
andern geben, aber ihr Herz« ... –

»Sie liebt einen andern!« knirschte der Korse, »wen?« Und seine Faust fuhr
an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es
lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges.
Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß und wollte den Namen nicht
nennen. – »Wer kann es sein?« fragte halblaut der Wütende. »Ein Römer?
Montanus? Nein! O nur – nur nicht er – sag’ nein, Alter, nicht Er« .. –
Und er faßte ihn am Gewande.

»Wer? wen meinst du?«

»Der mit mir landete – der Gote: doch ja: er muß es sein, es liebt ihn ja
alles: – Totila!«

»Er ist’s!« sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen.

Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf rüttelte den
ehernen Leib des starken Korsen: er streckte beide Hände starr vor sich
hin als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das
Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam
gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut auflachend.

Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände
langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. »Es ist aus,« sagte er
dann mit bebender Stimme. »Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll
nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal, – hart vor der Erfüllung –!
Und jetzt, – ich weiß es, – Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch
in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: – ich wäre
anders geworden, – – besser. Und sollte es nicht sein« – hier funkelte
sein Auge wieder – »nun, so wär’ es fast das gleiche Glück gewesen, den
Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und
von der Leiche die Braut hinweggerissen – und nun ist Er es!

Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet – und welchen Dank« – – – Und er
schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung.
»Valerius,« rief er dann plötzlich sich aufraffend, »ich weiche keinem
Mann auf Erden: – ich hätt’ es nicht getragen, hinter einem andern
zurückzustehen – doch Totila! – Es sei ihr vergeben, daß sie mich
ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb wohl, Valerius, ich geh’ in See,
nach Persien, Indien – ich weiß nicht, wohin – ach überallhin nehm’ ich
diese Stunde mit.« Und rasch war er hinaus und gleich darauf entführte ihn
sein pfeilgeschwindes Bot dem kleinen Hafen der Villa. –

Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im
Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur
gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben.

Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei
Panormus: jeden Tag könne die Landung auf Sicilien, in Italien selbst
erfolgen und trotz all’ seines Dringens sende der König keine Schiffe. In
den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sicilien, sich Gewißheit zu
schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt: und er beschwor
den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren.
Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen:
vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und
kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur
notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in
seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachschiffes zurückbringen.

Es war dunkler Abend geworden als er dort ankam, ein Nebelschleier
verhüllte die Dinge in nächster Nähe.

Da scholl Ruderschlag von Westen her und ein Schiff, kenntlich an der
roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen
Vorgebirges.

Totila lauschte und fragte seine Wachen: »Segel zur Linken! was für
Schiff? was für Herr?«

»Schon angezeigt vom Mastkorb:« – hallte es wieder – »Kauffahrer – Furius
Ahalla – lag hier vor Anker.«

»Fährt wohin?«

»Nach Osten – nach Indien!« –



                             Zehntes Kapitel.


Am Abend des dritten Tages seit Totila die gotische Bedeckung geschickt,
hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen
die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und
sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen
Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein
unerträglicher Gedanke, daß »Griechen« das teure Italien in Waffen
betreten sollten. »Auch ich wünsche den Frieden,« sprach Valeria,
nachsinnend – »und doch –« »Nun?« fragte Valerius. »Ich bin gewiß, du
würdest,« vollendete das Mädchen, »im Krieg erst Totila so lieben lernen,
wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.« – »Ja,«
sagte Julius, »es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.« – »Ich
kenne nichts Größeres,« antwortete Valerius.

Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atriums klirrende Schritte und der
junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger,
trat hastig ein.

»Valerius,« sprach er schnell, »laß die Wagen anschirren, – die Sänften in
den Hof – ihr müßt fort.«

Die Drei sprangen auf: »Was ist geschehn – sind sie gelandet?« – »Rede,«
sprach Julius, »was macht dich besorgt?« – »Für mich nichts,« lachte der
Gote, »und euch wollt ich nicht früher schrecken als unvermeidlich. Aber
ich darf nicht mehr schweigen – gestern früh spülte die Flut eine Leiche
ans Land ... –«

»Eine Leiche?« – »Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft – es war Alb,
der Steuermann auf Totilas Schiff.« Valeria erbleichte, aber erbebte
nicht. »Das kann ein Zufall sein – er ist ertrunken.« – »Nein,« sagte der
Gote fest, »er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust.« –
»Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!« meinte Valerius.
»Aber heute –«

»Heute?« fragte Julius. – »Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die
sonst täglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den
ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurückgekommen.« –
»Beweist noch immer nichts,« sprach Valerius eigensinnig. – Sein Herz
sträubte sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhaßten solang als
möglich – »oft schon hat die Brandung die Straße gesperrt.«

»Aber als ich selbst soeben auf der Straße nach Regium vorging und das Ohr
auf die Erde legte, hörte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von
vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr müßt fliehn.«

Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des
Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: »Was ist
zu thun?« fragte sie.

»Besetzt den Engpaß von Jugum,« befahl Valerius, »in den die Straße längs
der Küste verläuft: er ist schmal; er ist lange zu halten.« – »Er ist
schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde
sitzt, die Hälfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt.«

Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stürzte ein gotischer Krieger,
mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: »flieht,« rief er, »sie sind da!« –
»Wer ist da, Gelaris?« fragte Thorismuth. – »Die Griechen! Belisar! der
Teufel!« – »Rede,« befahl Thorismuth. – »Ich kam bis in den Pinienwald von
Regium, ohne etwas Verdächtiges zu spüren, freilich auch ohne einer Seele
auf der Straße zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite,
eifrig vorwärts spähend, fühle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein
Blitz den Kopf von den Schultern und im Nu lag ich unter meinem Tier am
Boden .... –«

»Schlecht gesessen, o Gelaris!« schalt Thorismuth. – »Jawohl, eine
Roßhaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da
fällt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde
– Waldschraten oder Alraunen acht’ ich sie ähnlich – setzten aus dem Busch
über den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre
kleinen, zottigen Gäule – und hui ...« –

»Das sind die Hunnen Belisars!« rief Valerius.

»Jagten sie mit mir davon. – Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich
in Regium, mitten unter den Feinden, dort erfuhr ich denn alles. Die
Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklärt, die Feinde haben Sicilien
überrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen – –« – »Und das
feste Panormus?«

»Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang: die Mastkörbe waren höher
als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab.«
– »Und Syrakusä?« fragte Valerius. »Fiel durch Verrat der Sicilianer – die
Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusä ist Belisarius eingeritten
unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres – denn es war
am letzten Tage seines Konsulats – Goldmünzen streuend, unter
Händeklatschen alles Volks.« – »Und wo ist der Seegraf? wo ist Totila?« –
»Zwei seiner drei Schiffe sind in den Grund gebohrt, vom Schnabelstoße der
Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Rüstung
– und ist – noch nicht – aufgefischt.«

Da sank Valeria schweigend auf das Lager.

»Der Griechenfeldherr,« fuhr der Bote fort, »landete gestern in dunkler
stürmischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er
ordnet nur sein Heer, dann solls im Fluge nach Neapolis gehen: seine
Vorhut, die gelbhäutigen Reiter, die mich eingebracht, mußten sogleich
wieder umkehren und den Paß gewinnen. Ich sollte ihnen Führer dahin sein.
Ich führte sie weit ab – nach Westen – in den Meeressumpf und – entsprang
ihnen im Dunkel – des Abends – aber – sie schickten mir – Pfeile nach –
und einer traf – ich kann nicht mehr.« – Und klirrend stürzte der Mann zu
Boden.

»Er ist verloren!« sprach Valerius, »sie führen vergiftetes Geschoß! Auf,
Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Straße gen Neapolis:
ich gehe in den Paß und decke euch den Rücken.« Vergebens waren die Bitten
Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen
Entschlusses an. »Gehorcht!« befahl er den Widerstrebenden, »ich bin der
Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen
Belisars fragen, was sie zu thun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius!
Dich muß ich bei Valeria wissen – lebet wohl.«

Während Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten der
Sklaven spornstreichs auf der Straße nach Neapolis hinwegeilte, stürmte
Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum
Garten der Villa hinaus, nach dem Engpaß zu, der nicht weit vor dem Anfang
seiner Besitzungen die Straße nach Regium überwölbte.

Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unübersteiglich und zur
Rechten, nach Süden, fielen jene Wände senkrecht in das tiefe Meer, dessen
Brandung oft die Straße überflutete. Die Mündung des Passes aber war so
schmal, daß zwei nebeneinanderstehende Männer sie mit ihren Schilden wie
eine Pforte schließen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Paß auch
gegen große Übermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der
Fliehenden hinlänglichen Vorsprung zu gewähren. Während der Alte den
schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem
Engpaß hinzog, durch die mondlose Nacht vorwärts eilte, bemerkte er zur
Rechten, draußen, in ziemlicher Entfernung vom Lande, im Meer den hellen
Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes
niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen
Neapolis vorrücken? Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses
Rücken ans Land werfen wollen? Aber würden sich dann nicht mehrere Lichter
zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon
mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren.

Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem
Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius
allein an dem Engpaß an, dessen hintere Mündung zwei der gotischen Wachen
besetzt hielten, während zwei andere den östlichen, dem Feinde zugekehrten
Eingang ausfüllten und die übrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum
war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Wächter getreten, als man
plötzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die
letzte Krümmung, welche die Straße vor dem Paß um eine Felsennase machte,
zwei Reiter im vollen Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es
warfen nur diese Fackeln Licht auf die nächtliche Scene: denn die Goten
vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. »Beim Barte
Belisars!« schalt der vorderste der Reiter, in Schritt übergehend, »hier
wird der Katzensteig so schmal, daß kaum ein ehrlich Roß drauf Platz hat,
– und da kömmt noch ein Hohlweg oder – halt, was rührt sich da?« Und er
hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend,
vorsichtig nach vorn: so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner
Kienfackel ein bequemes Ziel.

»Wer ist da?« rief er seinem Begleiter nochmals zu.

Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine
Brust. »Feinde, weh!« schrie der Sterbende und stürzte rücklings aus dem
Sattel. »Feinde, Feinde!« rief der Mann hinter ihm, schleuderte die
verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und
jagte zurück, während das Tier des Gefallenen ruhig stehen blieb bei der
Leiche seines Herrn.

Nichts hörte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des
enteilenden Rosses, und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der
Wellen am Fuße der Felswand. Den Männern im Engpaß schlug das Herz in
Erwartung. »Jetzt bleibt kalt, ihr Männer,« mahnte Valerius, »lasse sich
keiner aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schließt die Schilde
fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr
drei im Rücken reicht uns die Speere und habt acht auf alles –.«

»Herr,« rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Straße stand, »das
Licht! das Schiff nähert sich immer mehr.«

»Hab’ acht und ruf’ es an, wenn –«

Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Späher gebildet
hatten: es war ein Trupp von fünfzig hunnischen Reitern, mit einigen
Fackeln. Wie sie um die Krümmung des Weges bogen, erhellte sich die Scene
mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel.

»Hier war es, Herr!« sprach der entkommene Reiter, »seht euch vor.« –
»Schafft den Toten zurück und das Roß!« sprach eine rauhe Stimme und der
Anführer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor.

»Halt!« rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen, »wer seid ihr und was
wollt ihr?« – »Das habe ich zu fragen!« entgegnete der Führer der Reiter
in derselben Sprache. – »Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein
Vaterland gegen Räuber.«

Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze
Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links
oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung.
»Freund,« sagte er etwas zurückweichend, »so sind wir Bundesgenossen. Auch
wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gieb
Raum und laß uns durch.« Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen
wollte, sprach: »Wer bist du und wer sendet dich?« – »Ich heiße Johannes:
die Feinde Justinians nennen mich »den blutigen«: und ich führe die
leichten Reiter Belisars. Alles Land von Regium bis hierher hat uns mit
Jubel aufgenommen: hier ist das erste Hemmnis; längst wären wir weiter,
hätt’ uns nicht ein Hund von einem Goten in den dicksten Sumpf geführt,
drin je ein guter Gaul versank. Köstliche Zeit ging uns verloren. Halt’
uns nicht auf! Leben und Habe ist dir gesichert, und reicher Lohn, wenn du
uns führen willst. Eile ist der Sieg. Die Feinde sind betäubt: sie dürfen
sich nicht besinnen, bis wir vor Neapolis stehen, ja vor Rom. »Johannes,«
sprach Belisar zu mir, »da ich’s dem Sturmwind nicht befehlen kann, vor
mir her durch dieses Land zu fegen, befehl ich’s dir.« Also fort und laßt
uns durch –.« Und er spornte sein Pferd.

»Sag Belisar, solange Cnejus Valerius lebt, soll er keinen Fuß breit
vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!« – »Verrückter Mensch! du hältst
es mit den Goten gegen uns?« – »Mit der Hölle –, wenn gegen euch.«

Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: »Höre,«
sprach er, »du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang.
Weichst du, so sollst du leben. Weichst du nicht, so laß ich dich erst
schinden und dann pfählen!« Und er hob die Fackel, nach einer Blöße
spähend.

»Zurück,« rief Valerius. »Schieß’, Freund!« Und eine Sehne klirrte und ein
Pfeil schlug an den Helm des Reiters. »Warte!« rief dieser und spornte
sein Tier zurück. »Absitzen,« befahl er, »alle Mann!« Aber die Hunnen
trennten sich nicht gern von ihren Rossen. »Wie, Herr? absitzen?« fragte
einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der
Mann rührte sich nicht. »Absitzen!« donnerte er noch mal; »wollt ihr zu
Pferde in das Mauseloch schlüpfen?« Und er selbst schwang sich aus dem
Sattel: »Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen
sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im
Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die
andern zwanzig folgen mir mit dem Speer, sowie die Sehnen geschwirrt.
Vorwärts.« Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze.

Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal
den Paß. »Ergebt euch!« rief er – »Kommt an,« riefen die Goten.

Da winkte Johannes und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich.

Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel: einer der Schützen
auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit
dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den
wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze
in die Lücke rannte. Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug
nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte
und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück.

Da konnte sich’s der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen
Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß
einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell
hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur
Rechten des Felsenpasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er
an der rechten, schildlosen Seite des Valerius, der die wieder
vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange
Persermesser in die Weichen.

Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden
Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit
ihren Schildschnäbeln wieder zurück- und hinauszustoßen. Er ging zurück,
einen neuen Pfeilregen zu befehlen.

Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt
den blutenden Valerius in seinen Armen.

Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: »Das Schiff! Herr –
das Schiff! sie sind gelandet: sie fassen uns im Rücken! Flieht, wir
wollen euch tragen – ein Versteck in den Felsen.« –

»Nein,« sprach Valerius, sich aufrichtend, »hier will ich sterben; stemme
mein Schwert gegen die Wand und« –

Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen
Heerhorns: Fackeln blitzten und eine Schar von dreißig Goten stürmte in
den Paß: Totila an ihrer Spitze: sein erster Blick fiel auf Valerius: »Zu
spät, zu spät!« rief er schmerzlich. »Aber folgt mir! Rache! hinaus!«

Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und
schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen
und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel und der anbrechende Morgen
gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern
überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie
glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre
Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen
zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel
stürzte Mann und Roß die Felsen hinab.

Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall
warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten
an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. »Verfluchter
Flachskopf,« schrie er, »so bist du nicht ersoffen?«

»Nein, wie du siehst!« rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den
Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller
Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten seiner Reiter
auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt.

Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit
geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu
ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. »Valerius,«
rief er, »Vater! scheide nicht! scheide nicht so von uns. Noch ein Wort
des Abschieds.« Der Sterbende schlug matt die Augen auf.

»Wo sind sie?« fragte er. »Geschlagen und geflohn.« – »Ah, Sieg!« atmete
Valerius auf; »ich darf im Siege sterben. Und Valeria – mein Kind – sie
ist gerettet?«

»Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich
hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen
deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr
deine Gefahr; eins meiner Schiffsboote nahm sie auf und führt sie nach
Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher dich zu retten – ach nur zu
rächen!« Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust.

»Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir, dank’
ich es.« Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings.
»Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens
Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten, – trotz Belisar und
Narses. Du kannst es, – du wirst es – und dein Lohn sei mein geliebtes
Kind.« – »Valerius! Mein Vater!« – »Sie sei dein! Aber schwöre mir’s,« –
und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge –
»schwöre mir’s beim Genius Valeria’s: nicht eher wird sie dein, als bis
Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen
Byzantiner trägt.«

»Ich schwör’ es dir,« rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, »ich
schwör’s beim Genius Valerias!«

»Dank, dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben: – grüße sie und sage
ihr: dir hab’ ich sie empfohlen und anvertraut: sie – und Italien.« Und er
legte das Haupt zurück auf seinen Schild und kreuzte die Arme über der
Brust – und war tot.

Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust.

Ein blendendes Licht weckte ihn plötzlich aus seinem Träumen: es war die
Morgensonne, deren goldne Scheibe prächtig über den Kamm des Felsgebirges
emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die
Fluten glitzerten in hellem Widerschein und ein Schimmer flog über alles
Land.

»Beim Genius Valerias!« wiederholte er leise mit innigster Empfindung und
hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er
Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Gelübde: die hohe
Pflicht erhob ihn. Gekräftigt wandte er sich zurück und befahl, die Leiche
auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in
Neapolis zu führen.



                             Elftes Kapitel.


Während dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten
nicht völlig müßig geblieben. Doch waren alle Maßregeln kraftvoller Abwehr
gelähmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Königs.

Theodahad hatte sich von seiner Bestürzung über die Kriegserklärung des
byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der
Überzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt,
um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte
ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser mußte doch vor Goten
und Römern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen.
Das Auftreten dieses Mannes war ja das längst verabredete Mittel zur
Durchführung der geheimen Pläne. Den Gedanken, Krieg führen zu sollen, –
von allen ihm der unerträglichste! – wußte er sich dadurch fern zu halten,
daß er weislich überlegte, zum Kriegführen gehören zwei. »Wenn ich mich
nicht verteidige,« dachte er, »ist der Angriff bald vorüber. Belisar mag
kommen: – ich will nach Kräften dafür sorgen, daß er auf keinen Widerstand
stößt, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern könnte.
Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, daß ich seine Erfolge in
jeder Weise befördert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag
ganz oder doch zum größten Teil zu erfüllen.«

In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkräfte der Goten zu Land
und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete,
hinweg, und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach
Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Südgallien, indem er,
gestützt auf die Thatsache, daß Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach
Dalmatien gegen Salona gesendet und mit den Frankenkönigen Gesandte
gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu
Lande, in Istrien, und von den mit ihnen verbündeten Franken am Rhodanus
und Padus zu befahren.

Die Scheinbewegungen Belisars unterstützten diesen Glauben: und so geschah
das Unerhörte, daß die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die
Kriegsvorräte in großen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff
hinweggeführt, daß Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna
entblößt und alle Verteidigungsmaßregeln in den Gegenden vernachlässigt
wurden, auf die alsbald die ersten Schläge der Feinde fallen sollten.

An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und
Segeln, während bei Sicilien, wie wir sahen, sogar die nötigsten Boote zum
Wachtdienst fehlten.

Auch das ungestüme Drängen der gotischen Patrioten besserte daran nicht
viel. Witichis und Hildebad hatte sich der König aus der Nähe geschafft,
indem er sie mit Truppen und Aufträgen nach Istrien und nach Gallien
entsandte: und dem argwöhnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der
nicht ganz den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zähen
Widerstand.

Am meisten aber ward Theodahad gekräftigt, als ihm seine entschlossene
Königin zurückgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklärung
der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen,
wo Gothelindis mit ihren pannonischen Söldnern Zuflucht gesucht, und hatte
sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter
Verbürgung für ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden großen Volks-
und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts
untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien
genehm: denn den gotischen Patrioten mußte alles daran gelegen sein,
jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der
Oberleitung gespalten zu sein.

Und wenn der gerade Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede
Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch
Teja ein, daß, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des
Königsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges
und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stürmische
Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren könne.

Gothelindis aber blickte jenem Verfahren mit kühner Stirn entgegen:
mochten die Stimmen innerer Überzeugung auch gegen sie sprechen, sie
glaubte ganz sicher zu sein, daß sich ein genügender Beweis ihrer That
nicht erbringen lasse. – Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin
gesehen. – Und sie wußte wohl, daß man sie ohne volle Überführung nicht
strafen werde.

So folgte sie willig nach Ravenna, flößte dem zagen Herzen ihres Gatten
neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag überstanden, alsbald im
Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen
zu finden. Die Zuversicht des Königspaares über den Ausgang jenes Tages
wurde nun noch dadurch erhöht, daß die Rüstungen der Franken ihnen den
Vorwand gegeben hatten, außer Witichis und Hildebad auch noch den
gefährlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der
Halbinsel zu entsenden: – mit ihm zogen viele Tausende gerade der
eifrigsten Anhänger der Gotenpartei, – so daß an dem Tag bei Rom eine von
ihren Gegnern nicht allzuzahlreich besuchte Versammlung sich einfinden
würde. – Und unablässig waren sie thätig, sowohl ihre persönlichen
Anhänger als alte Gegner Amalaswinthens, die mächtige Sippe der Balten in
ihren weitverbreiteten Zweigen, in möglichst großer Anzahl zur
Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Königspaar Ruhe und
Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden,
selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu
erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des königlichen Ansehens
vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschüchtern.

Umgeben von ihren Anhängern und einer kleinen Leibwache verließen
Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage
vor dem für die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten
Kaiserpalast abstiegen.

Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Nähe Roms, auf einem
freien offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte
die Versammlung gehalten werden. Früh am Morgen des Tages, da sich
Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von
Gothelindis Abschied nahm, ließ sich ein unerwarteter und unwillkommener
Name melden: Cethegus, der während ihres mehrtägigen Aufenthalts in der
Stadt nicht erschienen: er war vollauf mit der Vollendung der
Befestigungen beschäftigt.

Als er eintrat, rief Gothelindis entsetzt über seinen Ausdruck: »Um Gott,
Cethegus! welch ein Unheil bringst du?«

Aber der Präfekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick,
dann sprach er ruhig: »Unheil? für den, den’s trifft. Ich komme aus einer
Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen
wird: Belisar ist gelandet.«

»Endlich,« rief Theodahad. – Und auch die Königin konnte eine Miene des
Triumphs nicht verbergen.

»Frohlockt nicht zu früh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht,
Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit
Verrätern handelt, muß sich aufs Lügen gefaßt machen. Ich komme nur, um
euch zu sagen, daß ihr jetzt ganz gewiß verloren seid.«

»Verloren?« – »Gerettet sind wir jetzt!«

»Nein, Königin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er
sagt, er komme, die Mörder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und
seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern.«

Theodahad erbleichte. »Unmöglich!« rief Gothelindis.

»Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne
Widerstand ins Land gelassen.

Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stürmischen
Zeit als Präfekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms
ergreifen und Belisar übergeben lassen.«

»Das wagst du nicht!« rief Gothelindis nach dem Dolche greifend.

»Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden.
Ich lasse euch aber entkommen – was liegt mir an eurem Leben oder Sterben!
– gegen einen billigen Preis.«

»Ich gewähre jeden!« stammelte Theodahad.

»Du lieferst mir die Urkunden aus deiner Verträge mit Silverius: –
schweig! lüge nicht! ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du
hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben!
Mich lüstet nach dem Kaufbrief.«

»Der Kauf ist jetzt eitel! die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! sie liegen
verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in
der Krypta!« Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach.

»Es ist gut,« sagte Cethegus. »Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen
Legionären besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am
bezeichneten Ort, so werd’ ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr
dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen
dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.« Und er
ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend.

»Was thun?« fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. »Weichen
oder trotzen?« – »Was thun?!« wiederholte Theodahad unwillig. »Trotzen?
das heißt bleiben? Unsinn! fort von hier sobald als möglich; kein Heil als
die Flucht!« – »Wohin willst du fliehn?« – »Nach Ravenna zunächst – das
ist fest! Dort erheb’ ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu
den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben
muß. Die vielen Millionen Solidi!« – »Hier? auch hier,« fragte Gothelindis
aufmerksam »in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?« – »Ach,
allzusicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie
alle aufzufinden in jenen finstern Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt
Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir,
Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte
Marc Aurels.«

Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend stehn. Ein
Gedanke, ein Plan hatte sie bei seinen Worten erfaßt: sie erwog die
Möglichkeit des Widerstands.

Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. »Gold ist Macht,«
sprach sie zu sich selber, »und nur Macht ist Leben.« Ihr Entschluß stand
fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus
seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der
Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinunter
steigen und nach seiner Sänfte rufen. »Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!«
sprach sie, »ich bleibe.«



                            Zwölftes Kapitel.


Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre
Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend
Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten.

Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt,
gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen
Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden.

Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst
der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr
Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der
Winter- und Sommer-Sonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung
der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt- und
Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung: die Versammlung hatte
zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg
und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten.

Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König
so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die
Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte
heidnische Bedeutung vergessen war: und die Reste der alten Volksfreiheit,
die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen
schwächern Nachfolgern kräftiger wieder auf.

Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die
Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das
Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische
Völker selbst ihre Könige wegen Verrates, Mordes und andrer schwerer
Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In
dem stolzen Bewußtsein, sein eigner Herr zu sein und niemand, auch dem
König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane
in allen seinen Waffen zu dem »Ding« wo er sich im Verband mit seinen
Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit,
Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Thaten vor Augen sah.

Zur diesmaligen Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken
Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als
die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem
verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern:
diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau
sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten
Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über
die Mörder der Tochter Theoderichs: die große Aufregung, die diese That
erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn.

Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei
Freunden und Verwandten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon
einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst,
zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu
tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter
dem milden freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden
des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume
Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und
Kurzweil.

Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses
Ufens (oder »Decemnovius«, weil er nach neunzehn römischen Meilen bei
Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere
zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren
hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag
geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert
an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt
hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den
sattellosen Rücken schwangen.

»Schade,« rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das
Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich,
»schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat
mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm’ ich’s mit ihm
auf.« – »Ich bin froh, daß er nicht da ist,« lachte Gunthamund, der als
der zweite herangesprengt war, »sonst hätte ich gestern schwerlich den
ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.« – »Ja,« sprach Hilderich, ein
stattlicher junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, »Totila ist gut mit
der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die
Rippe vorher, die er treffen wird.« – »Bah,« brummte Hunibad, ein älterer
Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, »das ist doch all’
nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das
Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt,
daß du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob’ ich mir den Grafen
Witichis von Fäsulä!

Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch
Stahl und Leder schlug der Mann als wär’ es trocken Stroh. Der kann’s noch
besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch
was wißt ihr davon, ihr Knaben. – Seht, da steigen die frühesten
Ankömmlinge von den Hügeln nieder: auf! ihnen entgegen!«

Und aus allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu
Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das
Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden
die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben und
durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge.

Da suchten und fanden und begrüßten sich Freunde und Waffenbrüder, die
sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte
germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da
stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Städte
Italiens niedergelassen, in den Palästen senatorischer Geschlechter wohnte
und die feinere und üppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben
dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der über dem
reichvergoldeten Panzer das Wehrgehänge von Purpurseide trug, neben einem
solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in
den tiefen Eichwäldern am Margus in Mösien hauste oder der in dem Tann am
rauschenden Önus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um
die mächtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltne Sprache
befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder
friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit
ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben Weise noch,
welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien herübergeführt hatte. Da war
ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines römischen Geldwechslers
Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem römischen
Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt
hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus
die magern Ziegen auf die magre Weide trieb, und dicht neben der Höhle des
Bären seine Bretterhütte errichtet hatte.

So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los
gefallen, seit ihre Väter dem Ruf des großen Theoderich nach Westen
gefolgt waren, hinweg aus den Thälern des Hämus.

Aber doch fühlten sie sich als Brüder, als Söhne Eines Volkes: dieselbe
stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe
schneeweiße Haut, dieselben hellen blitzenden Augen und – vor allem – das
gleiche Gefühl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den
unsre Väter dem römischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen,
lebendig oder tot.

Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende
durcheinander, die sich hier begrüßten, alte Bekanntschaften aufsuchten
und neue schlossen und das wirre Getreibe schien nimmer enden zu wollen
und zu können.

Aber plötzlich tönten von dem Kamm der Hügel her eigentümliche, feierlich
gezogene Töne des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das
Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach
der Richtung der Hügel, von denen ein geschlossener Zug ehrwürdiger Greise
nahte. Es war ein halbes Hundert von Männern in weißen, wallenden Mänteln,
die Häupter eichenbekränzt, weiße Stäbe und altertümlich geformte
Steinbeile führend: die Sajonen und Fronwärter des Gerichts, welche die
feierlichen Formen der Eröffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu
vollziehen hatten.

Angelangt in der Ebene begrüßten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf
die Versammlung der freien Heermänner, die, nach feierlicher Stille, mit
klirrenden Waffen lärmend antworteten.

Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und
links und umzogen mit Schnüren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt
um einen Haselstab, den sie in die Erde stießen, geschlungen wurden, die
ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und
Sprüchen.

Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnüre auf mannshohe
Lanzenschäfte gespannt, so daß sie die zwei Thore der nun völlig
umfriedeten Dingstätte bildeten, an denen die Fronboten mit gezückten
Beilen Wache hielten, alle Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber
fern zu halten.

Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Ältesten unter die
Speerthore und riefen mit lauter Stimme:

  »Gehegt ist der Hag
  Altgotischer Art:
  Nun beginnen mit Gott
  Mag gerechtes Gericht.«

Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge
ein anfangs leises, dann lauter tönendes und endlich fast betäubendes
Getöse von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen.

Es war nämlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, daß er nicht,
wie gewöhnlich, von dem Grafen geführt war, der im Namen und Bann des
Königs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man
erwartet, daß dieser Vertreter des Königs wohl während der Umschnürung des
Platzes erscheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen, und der
Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und
doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die
Eröffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene
schwer auszufüllende Lücke gelenkt. Während man nun überall nach dem
Grafen, dem Vertreter des Königs, fragte und suchte, erinnerte man sich,
daß dieser ja verheißen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen,
sich und seine Königin gegen die erhobnen schweren Anklagen zu
verteidigen.

Aber da man jetzt bei des Königs Freunden und Anhängern sich nach ihm
erkundigen wollte, ergab sich die verdächtige Thatsache, die man bisher,
im Gedräng der allgemeinen Begrüßungen, gar nicht wahrgenommen, daß
nämlich auch nicht Einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des
Königshauses, die zur Unterstützung der Beschuldigten zu erscheinen Recht,
Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man
sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen und in der Umgegend Roms
gesehen hatte.

Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Lärm
über diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der rechtmäßige
Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten
bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. –

Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender
Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes vergleichbar. Aller Augen
folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken
einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den
hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen
Schlachtruf ertönen ließ. Als sie den Schild senkte, erkannte man das
mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen
schienen.

Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des großen Königs,
den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer
mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf
gelegt, hob der Alte an: »Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch
an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des
Mannes, der eure Krone trägt.

Laßt’s euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht
zu stören, so soll er irren. Ich denke noch die alten Zeiten und sage
euch: das Volk kann Recht finden ohne König, und Gericht halten ohne
Königsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber
da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn ich: der
wird’s mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt: das Gotenvolk ist
frei!«

»Ja, wir sind frei!« rief ein tausendstimmiger Chor.

»Wir wählen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der König den seinen
nicht,« rief der graue Haduswinth, »Recht und Gericht war, eh’ König war
und Graf. Und wer kennt besser allen Brauch des Rechts als Hildebrand,
Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein.«

»Ja!« hallte es ringsum wieder, »Hildebrand soll unser Dinggraf sein.«

»Ich bin’s durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir
König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt. Auch haben meine
Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft
mir öffnen das Gericht.«

Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die
Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen säuberten
die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und lehnten links und
rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein
stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem
Altar des altitalischen Wald- und Hirtengottes herab, der Gotengraf
Gericht.

Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem,
weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekrümmten
Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken
Stahlschild an die Zweige der Eiche.

Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf:
der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, daß er hell erklang, dann
setzte er sich, das Antlitz gegen Osten und sprach: »Ich gebiete Stille,
Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und
Scheltwort und Waffenzücken, und alles, was den Dingfrieden kränken mag.
Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil’ und Stunde, an Ort
und Stätte, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?«

Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: »Hier ist
rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte
Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem gotischem Erdgrund,
zu halten ein frei Gericht gotischer Männer.«

»Wohlan,« fuhr der alte Hildebrand fort, »wir sind versammelt, zu richten
zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Königin, und schwere
Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider
Theodahad, unsern König. Ich frage ... –«

Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von
Westen her näher und näher drang.



                           Dreizehntes Kapitel.


Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche
die Hügel herab gegen die Gerichtsstätte eilten. Die Sonne fiel grell
blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, daß sie nicht erkenntlich
waren, obwohl sie in Eile nahten.

Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhöhten Sitz,
hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: »Das sind
gotische Waffen! – Die wallende Fahne trägt als Bild die Wage: – das ist
das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze
des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke
Hildebad! Was führt die Feldherrn zurück? ihre Scharen sollten schon weit
auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein.«

Ein Brausen von fragenden, staunenden, grüßenden Stimmen erfolgte.

Indeß waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit
Jubel empfangen, schritten die Führer, Witichis und Hildebad, durch die
Menge den Hügel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl.

»Wie?« rief Hildebad noch atemlos, »ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie
im tiefsten Frieden: und der Feind, Belisar, ist gelandet!«

»Wir wissen es,« sprach Hildebrand ruhig, »und wollten mit dem König
beraten, wie ihm zu wehren sei.«

»Mit dem König!« lachte Hildebad bitter.

»Er ist nicht hier,« sagte Witichis umblickend, »das verstärkt unsern
Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten.
Aber davon später! fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und
Ordnung! still, Freund!« Und den ungeduldigen Hildebad zurückdrängend,
stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der
andern.

Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: »Gothelindis,
unsre Königin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter
Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht zu richten solche Klage?«

Der alte Haduswinth, gestützt auf seine lange Keule, trat vor und sprach:
»Rot sind die Schnüre dieser Malstätte. Beim Volksgericht ist das Recht
über roten Blutfrevel, über warmes Leben und kalten Tod. Wenn’s anders
geübt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind
Gericht, zu richten solche Klage.«

»In allem Volk,« fuhr Hildebrand fort, »geht wider Gothelindis schwerer
Vorwurf: im stillen Herzen verklagen wir alle sie darob. Wer aber will
hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?«

»Ich!« sprach eine helle Stimme: und ein schöner, junger Gote, in
glänzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf
die Brust legend.

Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: »Er liebt die schöne
Mataswintha!« – »Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der
Florentia besetzt hält.« – »Er freit um sie!« – »Als Rächer ihrer Mutter
tritt er auf!«

»Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Wölsungen
Edelgeschlecht,« fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erröten fort.
»Zwar bin ich nicht versippt mit der Getöteten: allein die Männer ihrer
Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr König, erfüllen nicht die
Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler.

So klag’ ich denn, ein freier unbescholtner Gote edeln Stammes, ein Freund
der unseligen Fürstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag’
um Mord! Ich klag’ auf Blut!«

Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche schöne Jüngling das
Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl.

»Und dein Beweis? sag an ... –«

»Halt, Dinggraf,« scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem
Kläger entgegen. »Bist du so alt und kennst das Recht so wohl, Meister
Hildebrand, und läßt dich fortreißen von der Menge wildem Drang? Muß ich
dich mahnen, ich, der jüngere Mann, an alles Rechtes erstes Gebot? Den
Kläger hör’ ich, die Beklagte nicht.«

»Kein Weib kann stehen in der Goten Ding,« sprach Hildebrand ruhig.

»Ich weiß: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu
vertreten?«

»Er ist nicht erschienen.«

»Ist er geladen?«

»Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten,« sprach Arahad:
»tretet vor, Sajonen.« Zwei der Fronwärter traten vor und rührten mit
ihren Stäben an den Richterstuhl.

»Nun,« sprach Witichis weiter, »man soll nicht sagen, daß im Volk der
Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie
auch verhaßt sei, – sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz.
Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher sein.«

Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das
Schwert ziehend.

Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. »So leugnest du die That?«
fragte der Richter. »Ich sage: sie ist nicht erwiesen!« – »Erweise sie!«
sprach der Richter zu Arahad gewendet.

Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt
auf einen Widersacher von Witichis’ großem Gewicht und kräftiger Ruhe,
ward etwas verwirrt. »Erweisen?« rief er ungeduldig. »Was braucht’s noch
Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und
tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die
Mörderin: ihr Opfer kömmt in einem Hause Gothelindens wieder zum Vorschein
– tot: die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht’s da
noch Erweis?«

Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher.

»Und darauf hin klagst du auf Mord im offnen Ding?« sprach Witichis ruhig.
»Wahrlich der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein
Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh
dem Volk, das seinen Haß zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses
Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.«

Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen
dem treuen Manne zuschlugen.

»Wo sind die Beweise?« fragte nun Hildebrand. »Hast du handhafte That?
hast du blickenden Schein? hast du gichtigen Mund? hast du echten Eid?
heischest du der Verklagten Unschuldseid?«

»Beweis!« wiederholte Arahad zornig. »Ich habe keinen als meines Herzens
festen Glauben.«

»Dann,« sprach Hildebrand –

Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Thore her den Weg zu
ihm und sprach: »Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör:
sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.«

»Ich fordre, daß man sie höre,« rief Arahad eifrig, »nicht als Kläger, als
Zeugen des Klägers.«

Hildebrand winkte und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige
Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in
härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs
machte seine Züge unkenntlich: zwei Männer in Sklaventracht folgten.
Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei
aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Würde geadelt war.

Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad
dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück.

»Wer ist es,« fragte der Richter, »den du zum Zeugen stellest deines
Wortes? Ein unbekannter Fremdling?« – »Nein,« rief Arahad und schlug des
Zeugen Mantel zurück, »ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus
Aurelius Cassiodorus.«

Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte.

»So hieß ich,« sprach der Zeuge, »in den Tagen meines weltlichen Lebens:
jetzt nur Bruder Marcus.« Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen: – die
Weihe der Entsagung.

»Nun, Bruder Marcus,« forschte Hildebrand, »was hast du uns zu melden vom
Tode Amalaswinthens? Sag’ uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.«

»Die werd’ ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher
Vergeltung führt mich her: nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen: –
die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! – Nein, den
letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu
erfüllen, bin ich da.« Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. »Kurz
vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich,
als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: »Den Dank
einer zerknirschten Seele für deine Freundschaft. Mehr noch als die
Hoffnung der Rettung labt das Gefühl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf
deine Villa im Bolsener See: führt doch der Weg von da nach Rom, nach
Regeta, wo ich vor meinen Goten all’ meine Schuld aufdecken und auch büßen
will. Ich will sterben, wenn es sein muß: aber nicht durch die tückische
Hand meiner Feinde: nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich
Verblendete ins Verderben geführt. Ich habe den Tod verdient: nicht nur um
des Blutes willen der drei Herzoge, die, alle sollen es erfahren, durch
mich starben: mehr noch um des Wahnes willen, mit dem ich mein Volk
zurückgesetzt um Byzanz. Gelange ich lebend nach Regeta, so will ich
warnen und mahnen mit der letzten Kraft meines Lebens: fürchtet Byzanz!
Byzanz ist falsch wie die Hölle und ist kein Friede denkbar zwischen ihm
und uns.

Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern.

König Theodahad spinnt Verrat: er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz,
Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat gethan, was ich dem Griechen
weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Könnt’ ich sterbend sühnen,
was ich lebend gefehlt.««

In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit
zitternder Stimme gesprochen und die jetzt wie aus dem Jenseits
herüberzutönen schienen.

Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer
fort in feierlichem Schweigen.

Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: »Sie hat gefehlt: sie
hat gebüßt. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine
Schuld und dankt dir deine Treue.«

»So mög’ ihr Gott vergeben, Amen!« sprach Cassiodor. »Ich habe niemals die
Fürstin an den Bolsener See geladen: ich konnt’ es nicht: vierzehn Tage
zuvor hatt’ ich all’ meine Güter verkauft an die Königin Gothelindis.«

»Sie also hat ihre Feindin,« fiel Arahad ein, »seinen Namen mißbrauchend,
in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?«

»Nein,« sprach dieser ruhig, »aber,« fuhr er zu Cassiodor gewendet fort,
»hast du auch Beweis, daß die Fürstin daselbst nicht zufälligen Todes
gestorben, daß Gothelindis ihren Tod herbeigeführt?«

»Tritt vor, Syrus, und sprich!« sagte Cassiodor, »ich bürge für die Treue
dieses Mundes.« Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: »Ich habe
seit zwanzig Jahren die Aufsicht über die Schleusen des Sees und die
Wasserkünste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand außer mir kannte
dessen Geheimnisse. Als die Königin Gothelindis das Gut erkauft, wurden
alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Königin eingesetzt:
ich allein ward belassen.

Da landete eines frühen Morgens die Fürstin Amalaswintha auf der Insel,
bald darauf die Königin. Diese ließ mich sofort kommen, erklärte, sie
wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schlüssel zu allen Schleusen
des Sees und zu allen Röhren des Bades zu übergeben und ihr den ganzen
Plan des Druckwerks zu erklären. Ich gehorchte, gab ihr die Schlüssel und
den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdrücklich, nicht
alle Schleusen des Sees zu öffnen und nicht alle Röhren spielen zu lassen:
das könne das Leben kosten. Sie aber wies mich zürnend ab und ich hörte,
wie sie ihrer Badsklavin befahl die Kessel nicht mit warmem, sondern mit
heißem Wasser zu füllen.

Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Nähe des
Bades.

Nach einiger Zeit hörte ich an dem mächtigen Brausen und Rauschen, daß die
Königin dennoch, gegen meinen Rat, die ganze Flut des Sees hereingelassen:
zugleich hörte ich in allen Wänden das dampfende Wasser zischend
aufsteigen und da mir obenein dünkte, als vernehme ich, gedämpft durch die
Marmormauern, ängstlichen Hilfschrei, eilte ich auf den Außengang des
Bades, die Königin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir
wohlbekannten Mittelpunkt der Künste, an dem Medusenhaupt, die Königin,
die ich im Bad, in Todesgefahr wähnte, völlig angekleidet stehen sah.

Sie drückte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe
rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich
ich, zum Glück noch unbemerkt, hinweg.«

»Wie, Feigling?« sprach Witichis, »du ahntest, was vorging und schlichst
hinweg?«

»Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held: und hätte mich die grimme
Königin bemerkt, ich stünde wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf
erscholl der Ruf, die Fürstin Amalaswintha sei im Bad ertrunken.«

Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk.

Frohlockend rief Arahad: »Nun, Graf Witichis, willst du sie noch
beschützen?« – »Nein,« sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, »ich
schütze keine Mörderin. Mein Amt ist aus.« Und mit diesem Wort trat er von
der linken auf die rechte Seite, zu den Anklägern, hinüber.

»Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schöpfen,«
sprach Hildebrand, »ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag’
ich euch, ihr Männer des Gerichts, was dünkt euch von dieser Klage, die
Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Wölsung, erhoben gegen Gothelindis, die
Königin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?«

»Schuldig! schuldig!« scholl es mit vielen tausend Stimmen und keine sagte
nein.

»Sie ist schuldig,« sagte der Alte aufstehend. »Sprich, Kläger, welche
Strafe forderst du um diese Schuld?«

Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: »Ich klagte um Mord. Ich
klagte auf Blut. Sie soll des Todes sterben.«

Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge
von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden
und blitzten gen Himmel auf und alle Stimmen riefen: »Sie soll des Todes
sterben!« –

Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestät des Volksgerichts
vor sich her tragend, über das weite Gefild, daß bis in weite Ferne die
Lüfte wiederhallten. –

»Sie stirbt des Todes,« sprach Hildebrand aufstehend, »durch das Beil.
Sajonen auf, und sucht, wo ihr sie findet.«

»Halt an,« sprach der starke Hildebad vortretend, »schwer wird unser
Spruch erfüllt werden, solang dies Weib unsres Königs Gemahlin. Ich fordre
deshalb, daß die Volksgemeinde auch gleich die Klagen prüfe, die wir gegen
Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft
beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe
ihn des Verrates, nicht nur der Unfähigkeit, uns zu retten, uns zu führen.

Schweigen will ich davon, daß wohl schwerlich ohne sein Wissen seine
Königin ihren Haß an Amalaswintha kühlen konnte, schweigen davon, daß
diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist
es nicht wahr, daß er den ganzen Süden des Reiches von Männern, Waffen,
Rossen, Schiffen entblößt, daß er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat,
bis daß die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sicilien gewinnen,
Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner handvoll
Leuten allein steht ihnen entgegen. Statt ihm den Rücken zu decken, sendet
der König auch noch Witichis, Teja, mich nach dem Norden. Mit schwerem
Herzen gehorchten wir: denn wir ahnten, wo Belisar landen werde. Nur
langsam rückten wir vor, jede Stunde den Rückruf erwartend. Umsonst. Schon
lief durch die Landschaften, die wir durchzogen, das dunkle Gerücht,
Sicilien sei verloren und die Welschen, die uns nach Norden ziehen sahen,
machten spöttische Gesichter. So waren wir ein paar Tagemärsche an der
Küste hingezogen. Da traf mich dieser Brief meines Bruders Totila:

»Hat denn, wie der König, so das ganze Volk der Goten, so mein Bruder mich
aufgegeben und vergessen? Belisar hat Sicilien überrascht. Er ist
gelandet. Alles Volk fällt ihm zu. Unaufhaltsam dringt er gegen Neapolis.
Vier Briefe hab’ ich an König Theodahad um Hilfe geschrieben. Alles
umsonst. Kein Segel erhalten. Neapolis ist in höchster Gefahr. Rettet,
rettet Neapolis und das Reich.««

Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer.

»Ich wollte,« fuhr Hildebad fort, »augenblicklich mit all’ unsren
Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es
nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen
und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen.
Denn Rache, Rache heisch ich an König Theodahad: nicht nur Thorheit und
Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier
dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten.
All’ umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh’ uns, wenn
Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen,
nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone
der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!«

»Nieder mit ihm! Er sterbe!« donnerte das Volk in mächtigem Echo nach.

Unwiderstehlich schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu
zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur Einer blieb ruhig und gelassen
inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen
der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas
gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit,
die ihm so wohl anstand: »Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr
habt Unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und
Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des
Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König!
Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen
Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod,
sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat?
Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch
vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.«

Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden, im vollen Glanz der
Sonne, voll Kraft und edler Würde.

Bewundernd ruhten die Augen der Tausende auf ihm, der ihnen an Hoheit und
Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte.
Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnte gegen den Mann,
der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit
nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte und
der auf einmal lebendig zu werden schien.



                           Vierzehntes Kapitel.


Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das
Klirren von Waffen: alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem
Wald: aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann,
der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt.

Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer
Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken: vorwärts gebeugt
trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am
Südeingang des Dings sausend vom Sattel.

Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß
sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf.
Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen
Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter
Kraft: »Verrat, Verrat!« und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder.
Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund
erkannt: »Teja, Teja!« riefen sie, »was ist geschehen? rede!« – »Rede!«
wiederholte Witichis, »es gilt das Reich der Goten!«

Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne
Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler
Stimme:

»Verraten sind wir. Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag
vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich
gebeten. Ich schöpfe Verdacht, doch ich gehorche und gehe unter Segel mit
meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt
zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den
»Mercurius«, den raschen Keles, – das leichte Postschiff Theodahads. Ich
kannte das Fahrzeug wohl: es gehörte einst meinem Vater. Wie das unserer
Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm
nach und hole es ein. Es trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand:
»Du wirst zufrieden sein mit mir, großer Feldherr. Alle Gotenheere stehen
in dieser Stunde nordöstlich von Rom, ohne Gefahr könntest du landen. Vier
Briefe des Seegrafen von Neapolis habe ich zerstört, seine Boten in den
Turm geworfen.

Zum Dank erwart’ ich, daß du den Vertrag genau erfüllst, und den Kaufpreis
in Bälde bezahlst.«« Teja ließ den Brief sinken, die Stimme versagte ihm.

Ein Ächzen und Stöhnen der Wut zog durch die Versammlung.

»Ich ließ umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit
drei Tagen und drei Nächten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr.« Und
taumelnd sank er in Witichis’ Arme.

Da sprang der alte Hildebrand empor auf den höchsten Stein seines Stuhles:
weit überragte er die ganze Menge: er riß dem Träger, der die Lanze mit
des Königs kleiner Marmorbüste auf der Querstange trug, den Schaft aus der
Hand und hielt ihn vor sich in der Linken: in der Rechten hob er sein
Steinbeil: »Verkauft, verraten sein Volk für gelbes Gold? Nieder mit ihm,
nieder, nieder!« Und ein Beilschlag zertrümmerte die Büste. Dieser Akt war
wie der erste Donnerschlag, der ein lange brütendes Gewitter entfesselt.
Nur dem Wüten empörter Elemente war das Stürmen vergleichbar, welches nun
das in seinen Grundtiefen aufgewühlte Volk durchbrauste. »Nieder, nieder,
nieder mit ihm!« hallte es tausendfach wieder unter betäubendem Klirren
der Waffen.

Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und
sprach feierlich: »Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden,
sehende Sonne, und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und
alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgethan seinen
ehemaligen König Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an
den Feind verraten.

Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das
Gotenrecht und das Leben. Und solches thun wir nicht nach Unrecht, sondern
nach Recht. Denn frei sind wir gewesen alle Wege unter unsern Königen und
wollten eh’ der Könige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein
König, daß er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem
Volk.

So sprech’ ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landflüchtig
sollst du sein, echtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche
gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde grünt.
Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich höht und
Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Frühlingstag, wann
ihm der Wind steht unter seinen beiden Flügeln. Versagt soll dir sein
Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen
die Hölle. Dein Erb’ und Eigen teil ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und
Fleisch den Raben in den Lüften.

Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, soll dich
erschlagen, ungestraft und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten
Goten. Ich frage euch, soll’s so geschehn?«

»So soll’s geschehn!« antworteten die Tausende und schlugen Schwert an
Schild.

Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle
einnahm, das zottige Bärenfell zurückwarf und sprach: »Des Neidkönigs
wären wir ledig! Er wird seinen Rächer finden. Aber jetzt, treue Männer,
gilt es, einen neuen König wählen. Denn ohne König sind wir nie gewesen.
Soweit unsere Sagen und Sprüche zurückdenken, haben die Ahnen einen auf
den Schild gehoben, das lebende Bild der Macht, des Glanzes, des Glückes
der guten Goten. Solang es Goten giebt, werden sie Könige haben: und
solang sich ein König findet, wird ihr Volk bestehn. Und jetzt vor allem
gilt’s, ein Haupt, einen Führer zu haben. Das Geschlecht der Amelungen ist
glorreich aufgestiegen, wie eine Sonne: lang hat sein hellster Strahl,
Theoderich, geleuchtet: aber schmählich ist’s erloschen in Theodahad. Auf,
Volk der Goten, du bist frei! frei wähle dir den rechten König, der dich
zu Sieg und Ehre führt. Dein Thron ist leer: mein Volk, ich lade dich zur
Königswahl!«

»Zur Königswahl!« sprach diesmal feierlich und machtvoll der Chor der
Tausende.

Da trat Witichis auf den Dingstein, hob den Helm vom Haupt und die Rechte
gen Himmel: »Du weißt es, Gott, der in den Sternen geht, uns treibt nicht
frevler Kitzel des Ungehorsams und des Übermuts: uns treibt das heilige
Recht der Not. Wir ehren das Recht des Königtums, den Glanz, der von der
Krone strahlt: geschändet aber ist dieser Glanz und in der höchsten Not
des Reiches üben wir des Volkes höchstes Recht. Herolde sollen ziehen zu
allen Völkern der Erde und laut verkünden: nicht aus Verachtung, aus
Verehrung der Krone haben wir es gethan.

Wen aber wählen wir? Viel sind der wackern Männer im Volk, von altem
Geschlecht, von tapfrem Arm und klugem Geist. Wohl mehrere sind der Krone
würdig. Wie leicht kann es kommen, daß einer diesen, der andere jenen
vorzieht? Aber um Gott, nur jetzt keinen Zwist, keinen Streit! Jetzt, da
der Feind im Lande liegt! Drum laßt uns schwören vorher feierlich: wer das
Stimmenmehr erhält, sei’s nur um Eine Stimme, den wollen wir alle als
unsern König achten, unweigerlich, und keinen andern. Ich schwöre es: –
schwört mit mir.«

»Wir schwören!« riefen die Goten.

Aber der junge Arahad stimmte nicht ein. Ehrgeiz und Liebe loderten in
seinem Herzen: er bedachte, daß sein Haus jetzt, nach dem Fall der Balten
und der Amaler, das edelste war im Volk: er hoffte, Mataswinthens Hand zu
gewinnen, wenn er ihr eine Krone bieten konnte: und kaum war der Schwur
verhallt, als er vortrat und rief: »Wen sollen wir wählen, gotische
Männer? bedenkt euch wohl! Vor allem, das ist klar, einen Mann
jungkräftigen Armes wider den Feind. Aber das allein genügt nicht. Weshalb
haben unsere Ahnen die Amaler erhöht? Weil sie das edelste, das älteste,
Götter entstammte Geschlecht waren. Wohlan, das erste Gestirn ist
erloschen, gedenkt des zweiten, gedenkt der Balten!«

Von den Balten lebte nur Ein männlicher Sproß, ein noch nicht wehrhafter
Enkel des Herzog Pitza – denn Alarich, der Bruder der Herzoge Thulun und
Ibba, war seit langen Jahren geächtet und verschollen. – Arahad rechnete
sicher, man werde jenen Baltenknaben nicht wählen und vielmehr des dritten
Gestirns gedenken. Aber er irrte. Der alte Haduswinth trat zornig vor und
schrie:

»Was Adel! was Geschlecht! sind wir Adelsknechte oder freie Männer? Beim
Donner! werden wir Ahnen zählen, wenn Belisar im Lande steht? Ich will dir
sagen, Knabe, was ein König braucht.

Einen tapferen Arm, das ist wahr, aber nicht das allein. Der König soll
ein Hort des Rechts, ein Schirm des Friedens sein, nicht nur der
Vorkämpfer im Schwertkampf. Der König soll haben einen immer ruhigen,
immer klaren Sinn, wie der blaue Himmel ist, und wie die lichten Sterne
sollen darin auf- und niedergehen gerechte Gedanken. Der König soll haben
eine stete Kraft, aber noch mehr ein stetes Maß: er soll nie sich selbst
verlieren und vergessen in Haß und Liebe, wie wir wohl dürfen, wir unten
im Volk. Er soll nicht nur mild sein den Freunden, er soll gerecht sein
dem Verhaßtesten, selbst dem Feind. In dessen Brust ein klarer Friede
wohnt bei kühnem Mut und edles Maß bei treuer Kraft, – der Mann, Arahad,
ist königlich geartet und hätt’ ihn der letzte Bauer gezeugt.«

Lauter Beifall folgte dem Wort des Alten und beschämt trat Arahad zurück.
Aber jener fuhr fort: »Gute Goten! ich meine, wir haben einen solchen
Mann! Ich will ihn euch nicht nennen: nennt ihr ihn mir.

Ich kam hierher aus fernem Hochgebirg aus unsrer Mark gegen die
Karanthanen, wo der wilde Turbidus schäumend die Felsen zerstäubt. Da leb’
ich mehr, als sonst ein Menschenalter ist, stolz, frei, einsam. Wenig
erfahr’ ich von der Menschen Händeln, selbst von des eignen Volkes Thaten,
wenn nicht ein Salzroß halbverirrt des Weges kommt. Und doch drang mir bis
in jene öde Höhe der Waffenruhm Eines vor allen unsern Helden, der nie das
Schwert zu ungerechtem Streit erhob und es noch niemals sieglos
eingesteckt. Seinen Namen hört’ ich immer wieder, wenn ich fragte: Wer
wird uns schirmen, wenn Theoderich schied? Seinen Namen hört’ ich bei
jedem Sieg, den wir erfochten, bei jedem weisen Werke des Friedens, das
geschehn. Ich hatt’ ihn nie gesehen. Ich sehnte mich danach, ihn zu sehen.
Heute hab’ ich ihn gesehen und gehört. Ich habe sein Aug’ gesehen, das
klar und milde wie die Sonne. Ich hab’ sein Wort gehört; ich hab’ gehört,
wie er dem Feind selbst, dem verhaßten, zu Recht und zu Gerechtigkeit
verhalf. Ich hab’ gehört, wie er allein, da uns alle der blinde Haß
fortriß mit dunkler Schwinge, klar blieb und ruhig und gerecht. Da dacht’
ich mir in meinem alten Herzen: »der Mann ist königlich geartet, stark im
Kampf und gerecht im Frieden, hart wie Stahl und klar wie Gold.« Goten:
der Mann soll unser König sein. Nennt mir den Mann!«

»Graf Witichis, ja Witichis, heil König Witichis!«

Während dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein
erschütternder Schreck den bescheidnen Mann ergriffen, der gespannt der
Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen
ward, daß er der so Gepriesne sei.

Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen
erschallen hörte, überkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefühl: »Nein,
das kann, das soll nicht sein.«

Er riß sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Hände drückten, los,
und sprang hervor, das Haupt schüttelnd und, wie abwehrend, den Arm
ausstreckend. »Nein!« rief er, »nein, Freunde! nicht das mir! Ich bin ein
schlichter Kriegsmann, nicht ein König. Ich bin vielleicht ein gutes
Werkzeug, kein Werkmeister! Wählt einen andern, einen Würdigern!«

Und wie bittend streckt er beide Hände gegen das Volk.

Aber der donnernde Ruf: »Heil König Witichis!« ward ihm statt aller
Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, faßte seine Hand und sprach
laut: »Laß ab, Witichis! wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich
den König anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr hätte? Siehe, du
hast alle Stimmen und willst dich wehren?«

Aber Witichis schüttelte das Haupt und preßte die Hand vor die Stirn. Da
trat der Alte ganz nah zu ihm und flüsterte in sein Ohr: »Wie? muß ich
dich stärker mahnen? Muß ich dich mahnen jenes nächtigen Eides und Bundes,
da du gelobtest: »Alles zu meines Volkes Heil.« Ich weiß, – ich kenne
deine klare Seele, –: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde:
ich ahne, daß dir diese Krone große, bittre Schmerzen bringen wird.
Vielleicht mehr als Freuden: deshalb fordre ich, daß du sie auf dich
nimmst.«

Witichis schwieg und drückte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel
zu lang währte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon rüsteten sie
den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon drängten sie den Hügel
hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf:
»Heil König Witichis.«

»Ich fordre es bei deinem Bluteid! – willst du ihn halten oder brechen?«
flüsterte Hildebrand. »Halten!« sprach Witichis und richtete sich
entschlossen auf.

Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor
und sprach: »Du hast gewählt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich
will dein König sein!«

Da blitzten alle Schwerter in die Luft und lauter scholl’s: »Heil König
Witichis.«

Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und
sprach: »Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl. Denn unserm König ziemt
jetzt diese Stätte. Nur einmal noch laß mich des Grafenamtes warten.

Und kann ich dir nicht den Purpur umhängen, den die Amaler getragen und
ihr goldenes Scepter reichen, – nimm meinen Richtermantel und den
Richterstab als Scepter, zum Zeichen, daß du unser König wardst um deiner
Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne drücken, die
alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So laß dich krönen mit dem
frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst.«

Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es
um Witichis’ Haupt: »Auf, gotische Heerschar, nun warte deines
Schildamts.«

Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertümlichen
breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den König, der nun mit Kranz, Stab
und Mantel geschmückt war, darauf, und zeigten ihn auf ihren hohen
Schultern allem Volk: »Sehet, Goten, den König, den ihr selbst gewählt: so
schwört ihm Treue.«

Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht knieend, die Hände hoch gen
Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod.

Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: »Wie
ihr mir Treue, so schwör’ ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter
König sein: des Rechtes walten und dem Unrecht wehren: gedenken will ich,
daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte: und mein Leben, mein
Glück, mein alles, euch will ich’s weihen, dem Volk der guten Goten. Das
schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.«

Und den Dingschild vom Baume hebend rief er: »Das Ding ist aus. Ich löse
die Versammlung.«

Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder und
bunt und ordnungslos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer,
die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer
Volksfreiheit mit angesehen, wie sie Italien seit mehr als fünfhundert
Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen,
denen sie Wein und Speisen verkauften.

Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres
nach einem der Zelte sich zu begeben, die am Ufer des Flusses
aufgeschlagen waren.

Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein
wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja,
des Tagila Sohn.

»Der bin ich: was willst du mir, Römer?« sprach dieser sich wendend. –
»Nichts, Herr, als diese Vase überreichen: seht nach: das Siegel, der
Skorpion, ist unversehrt.« – »Was soll mir die Vase? ich kaufe nichts
dergleichen.« – »Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und
Rollen, die euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie
euch zu geben. Ich bitt’ euch, nehmt.«

Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge
verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden
heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot
über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze und er biß krampfhaft
in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor
Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: »Mein König! – König
Witichis – eine Gnade!«

»Was ist dir, Teja? um Gott? Was willst du?«

»Urlaub! Urlaub auf sechs – auf drei Tage! Ich muß fort.« – »Fort, wohin?«
– »Zur Rache! Hier lies: – der Teufel, der meine Eltern verklagte, in
Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb, – er ist es – den ich längst geahnt:
hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen
Hand – es ist Theodahad! –«

»Er ist’s, es ist Theodahad,« sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. »Geh
denn! Aber, zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom: er ist gewiß
längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.«

»Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.«

»Du wirst ihn nicht finden.«

»Ich finde ihn und müßte ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im
Schoße des Himmelsgottes suchen.«

»Er wird mit starker Bedeckung geflüchtet sein,« warnte der König.

»Aus tausend Teufeln hol’ ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb’ wohl,
König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.«



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