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Title: Aus dem Leben eines Taugenichts - Novelle
Author: Eichendorff, Joseph von
Language: German
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  [ Anmerkungen zur Transkription:

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  JOSEPH
  VON
  EICHENDORFF

  AUS DEM LEBEN
  EINES
  TAUGENICHTS

  NOVELLE

  IM
  INSEL VERLAG
  ZU
  LEIPZIG



Erstes Kapitel


Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht
lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten
und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte
mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen
Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit
Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem
Kopfe, der sagte zu mir: »Du Taugenichts! da sonnst du dich schon wieder
und dehnst und reckst dir die Knochen müde und läßt mich alle Arbeit
allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist
vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber
dein Brot.« -- »Nun,« sagte ich, »wenn ich ein Taugenichts bin, so ists
gut, so will ich in die Welt gehn und mein Glück machen.« Und eigentlich
war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher selber eingefallen,
auf Reisen zu gehn, da ich die Goldammer, welche im Herbst und Winter
immer betrübt an unserm Fenster sang: Bauer, miet mich, Bauer, miet
mich! nun in der schönen Frühlingszeit wieder ganz stolz und lustig vom
Baume rufen hörte: Bauer, behalt deinen Dienst! -- Ich ging also in das
Haus hinein und holte meine Geige, die ich recht artig spielte, von der
Wand, mein Vater gab mir noch einige Groschen Geld mit auf den Weg, und
so schlenderte ich durch das lange Dorf hinaus. Ich hatte recht meine
heimliche Freude, als ich da alle meine alten Bekannten und Kameraden
rechts und links, wie gestern und vorgestern und immerdar, zur Arbeit
hinausziehen, graben und pflügen sah, während ich so in die freie Welt
hinausstrich. Ich rief den armen Leuten nach allen Seiten recht stolz
und zufrieden Adjes zu, aber es kümmerte sich eben keiner sehr darum.
Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte. Und als ich endlich ins
freie Feld hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige vor und spielte und
sang, auf der Landstraße fortgehend:

    »Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
    Den schickt er in die weite Welt,
    Dem will er seine Wunder weisen
    In Berg und Wald und Strom und Feld.

    Die Trägen, die zu Hause liegen,
    Erquicket nicht das Morgenrot,
    Sie wissen nur vom Kinderwiegen,
    Von Sorgen, Last und Not um Brot.

    Die Bächlein von den Bergen springen,
    Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
    Was sollt ich nicht mit ihnen singen
    Aus voller Kehl und frischer Brust?

    Den lieben Gott laß ich nur walten;
    Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
    Und Erd und Himmel will erhalten,
    Hat auch mein Sach aufs best bestellt!«

Indem, wie ich mich so umsehe, kommt ein köstlicher Reisewagen ganz nahe
an mich heran, der mochte wohl schon einige Zeit hinter mit drein
gefahren sein, ohne daß ich es merkte, weil mein Herz so voller Klang
war, denn es ging ganz langsam, und zwei vornehme Damen steckten die
Köpfe aus dem Wagen und hörten mir zu. Die eine war besonders schön und
jünger als die andere, aber eigentlich gefielen sie mir alle beide. Als
ich nun aufhörte zu singen, ließ die ältere stillhalten und redete mich
holdselig an: »Ei, lustiger Gesell, Er weiß ja recht hübsche Lieder zu
singen.« Ich nicht zu faul dagegen: »Ew. Gnaden aufzuwarten, wüßt ich
noch viel schönere.« Darauf fragte sie mich wieder: »Wohin wandert Er
denn schon so am frühen Morgen?« Da schämte ich mich, daß ich das selber
nicht wußte, und sagte dreist: »Nach Wien«; nun sprachen beide
miteinander in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Die
jüngere schüttelte einigemal mit dem Kopfe, die andere lachte aber in
einem fort und rief mir endlich zu: »Spring Er nur hinten mit auf, wir
fahren auch nach Wien.« Wer war froher als ich! Ich machte eine Reverenz
und war mit einem Sprunge hinter dem Wagen, der Kutscher knallte, und
wir flogen über die glänzende Straße fort, daß mir der Wind am Hute
pfiff.

Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirchtürme unter, vor mir neue
Dörfer, Schlösser und Berge auf; unter mir Saaten, Büsche und Wiesen
bunt vorüberfliegend, über mir unzählige Lerchen in der klaren blauen
Luft -- ich schämte mich, laut zu schreien, aber innerlichst jauchzte
ich und strampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald
meine Geige verloren hätte, die ich unterm Arme hielt. Wie aber dann die
Sonne immer höher stieg, rings am Horizont schwere weiße Mittagswolken
aufstiegen und alles in der Luft und aus der weiten Fläche so leer und
schwül und still wurde über den leise wogenden Kornfeldern, da fiel mir
erst wieder mein Dorf ein und mein Vater und unsere Mühle, wie es da so
heimlich kühl war an dem schattigen Weiher und daß nun alles so weit,
weit hinter mir lag. Mir war dabei so kurios zumute, als müßt ich wieder
umkehren; ich steckte meine Geige zwischen Rock und Weste, setzte mich
voller Gedanken auf den Wagentritt hin und schlief ein.

Als ich die Augen aufschlug, stand der Wagen still unter hohen
Lindenbäumen, hinter denen eine breite Treppe zwischen Säulen in ein
prächtiges Schloß führte. Seitwärts durch die Bäume sah ich die Türme
von Wien. Die Damen waren, wie es schien, längst ausgestiegen, die
Pferde abgespannt. Ich erschrak sehr, da ich auf einmal so allein saß,
und sprang geschwind in das Schloß hinein, da hörte ich von oben aus dem
Fenster lachen.

In diesem Schlosse ging es mir wunderlich. Zuerst, wie ich mich in der
weiten kühlen Vorhalle umschaue, klopft mir jemand mit dem Stocke auf
die Schulter. Ich kehre mich schnell um, da steht ein großer Herr in
Staatskleidern, ein breites Bandelier von Gold und Seide bis an die
Hüften übergehängt, mit einem oben versilberten Stabe in der Hand und
einer außerordentlich langen gebogenen kurfürstlichen Nase im Gesicht,
breit und prächtig wie ein aufgeblasener Puter, der mich fragt, was ich
hier will. Ich war ganz verblüfft und konnte vor Schreck und Erstaunen
nichts hervorbringen. Darauf kamen mehrere Bediente die Treppe herauf
und herunter gerannt, die sagten gar nichts, sondern sahen mich nur von
oben bis unten an. Sodann kam eine Kammerjungfer (wie ich nachher hörte)
gerade auf mich los und sagte: ich wäre ein scharmanter Junge, und die
gnädigste Herrschaft ließe mich fragen, ob ich hier als Gärtnerbursche
dienen wollte. -- Ich griff nach der Weste; meine paar Groschen, weiß
Gott, sie müssen beim Herumtanzen auf dem Wagen aus der Tasche
gesprungen sein, waren weg, ich hatte nichts als mein Geigenspiel, für
das mir überdies auch der Herr mit dem Stabe, wie er mir im Vorbeigehn
sagte, nicht einen Heller geben wollte. Ich sagte daher in meiner
Herzensangst zu der Kammerjungfer: »Ja«, noch immer die Augen von der
Seite auf die unheimliche Gestalt gerichtet, die immerfort wie der
Perpendikel einer Turmuhr in der Halle auf und ab wandelte und eben
wieder majestätisch und schauerlich aus dem Hintergrunde heraufgezogen
kam. Zuletzt kam endlich der Gärtner, brummte was von Gesindel und
Bauerlümmel unterm Bart und führte mich nach dem Garten, während er mir
unterwegs noch eine lange Predigt hielt: wie ich nur fein nüchtern und
arbeitsam sein, nicht in der Welt herumvagieren, keine brotlosen Künste
und unnützes Zeug treiben solle, da könnt ich es mit der Zeit auch
einmal zu was Rechtem bringen. -- Es waren noch mehr sehr hübsche,
gutgesetzte, nützliche Lehren, ich habe nur seitdem fast alles wieder
vergessen. Überhaupt weiß ich eigentlich gar nicht recht, wie doch alles
so gekommen war, ich sagte nur immerfort zu allem: Ja, -- denn mir war
wie einem Vogel, dem die Flügel begossen worden sind. -- So war ich
denn, Gott sei Dank, im Brote. --

In dem Garten war schön leben, ich hatte täglich mein warmes Essen
vollauf und mehr Geld, als ich zum Weine brauchte, nur hatte ich leider
ziemlich viel zu tun. Auch die Tempel, Lauben und schönen grünen Gänge,
das gefiel mir alles recht gut, wenn ich nur hätte ruhig drin
herumspazieren können und vernünftig diskurieren wie die Herren und
Damen, die alle Tage dahin kamen. Sooft der Gärtner fort und ich allein
war, zog ich sogleich mein kurzes Tabakspfeifchen heraus, setzte mich
hin und sann auf schöne höfliche Redensarten, wie ich die eine junge
schöne Dame, die mich in das Schloß mitbrachte, unterhalten wollte, wenn
ich ein Kavalier wäre und mit ihr hier herumginge. Oder ich legte mich
an schwülen Nachmittagen auf den Rücken hin, wenn alles so still war,
daß man nur die Bienen sumsen hörte, und sah zu, wie über mir die Wolken
nach meinem Dorfe zuflogen und die Gräser und Blumen sich hin und her
bewegten, und gedachte an die Dame, und da geschah es denn oft, daß die
schöne Frau mit der Gitarre oder einem Buche in der Ferne wirklich durch
den Garten zog, so still, groß und freundlich wie ein Engelsbild, so daß
ich nicht recht wußte, ob ich träumte oder wachte.

So sang ich auch einmal, wie ich eben bei einem Lusthause zur Arbeit
vorbeiging, für mich hin:

    »Wohin ich geh und schaue,
    In Feld und Wald und Tal,
    Vom Berg ins Himmelsblaue,
    Vielschöne gnädge Fraue,
    Grüß ich dich tausendmal.«

Da seh ich aus dem dunkelkühlen Lusthause zwischen den halbgeöffneten
Jalousien und Blumen, die dort standen, zwei schöne, junge, frische
Augen hervorfunkeln. Ich war ganz erschrocken, ich sang das Lied nicht
aus, sondern ging, ohne mich umzusehen, fort an die Arbeit.

Abends, es war gerade an einem Sonnabend, und ich stand eben in der
Vorfreude kommenden Sonntags mit der Geige im Gartenhause am Fenster und
dachte noch an die funkelnden Augen, da kommt auf einmal die
Kammerjungfer durch die Dämmerung dahergestrichen. »Da schickt Euch die
vielschöne gnädige Frau was, das sollt Ihr auf ihre Gesundheit trinken.
Eine gute Nacht auch!« Damit setzte sie mir fix eine Flasche Wein aufs
Fenster und war sogleich wieder zwischen den Blumen und Hecken
verschwunden wie eine Eidechse.

Ich aber stand noch lange vor der wundersamen Flasche und wußte nicht,
wie mir geschehen war. -- Und hatte ich vorher lustig die Geige
gestrichen, so spielt und sang ich jetzt erst recht und sang das Lied
von der schönen Frau ganz aus und alle meine Lieder, die ich nur wußte,
bis alle Nachtigallen draußen erwachten und Mond und Sterne schon lange
über dem Garten standen. Ja, das war einmal eine gute schöne Nacht!

Es wird keinem an der Wiege gesungen, was künftig aus ihm wird, eine
blinde Henne findet manchmal auch ein Korn, wer zuletzt lacht, lacht am
besten, unverhofft kommt oft, der Mensch denkt und Gott lenkt, so
meditiert ich, als ich am folgenden Tage wieder mit meiner Pfeife im
Garten saß und es mir dabei, da ich so aufmerksam an mir heruntersah,
fast vorkommen wollte, als wäre ich doch eigentlich ein rechter Lump. --
Ich stand nunmehr, ganz wider meine sonstige Gewohnheit, alle Tage sehr
zeitig auf, eh sich noch der Gärtner und die andern Arbeiter rührten. Da
war es so wunderschön draußen im Garten. Die Blumen, die Springbrunnen,
die Rosenbüsche und der ganze Garten funkelten von der Morgensonne wie
lauter Gold und Edelstein. Und in den hohen Buchenalleen, da war es noch
so still, kühl und andächtig, wie in einer Kirche, nur die Vögel
flatterten und pickten auf dem Sande. Gleich vor dem Schlosse, gerade
unter den Fenstern, wo die schöne Frau wohnte, war ein blühender
Strauch. Dorthin ging ich dann immer am frühesten Morgen und duckte mich
hinter die Äste, um so nach den Fenstern zu sehen, denn mich im Freien
zu produzieren hatt ich keine Courage. Da sah ich nun allemal die
allerschönste Dame noch heiß und halb verschlafen im schneeweißen Kleid
an das offene Fenster hervortreten. Bald flocht sie sich die
dunkelbraunen Haare und ließ dabei die anmutig spielenden Augen über
Busch und Garten ergehen, bald bog und band sie die Blumen, die vor
ihrem Fenster standen, oder sie nahm auch die Gitarre in den weißen Arm
und sang dazu so wundersam über den Garten hinaus, daß sich mir noch das
Herz umwenden will vor Wehmut, wenn mir eins von den Liedern bisweilen
einfällt -- und ach, das alles ist schon lange her!

So dauerte das wohl über eine Woche. Aber das eine Mal, sie stand gerade
wieder am Fenster, und alles war stille ringsumher, fliegt mir eine
fatale Fliege in die Nase, und ich gebe mich an ein erschreckliches
Niesen, das gar nicht enden will. Sie legt sich weit zum Fenster hinaus
und sieht mich Ärmsten hinter dem Strauche lauschen. -- Nun schämte ich
mich und kam viele Tage nicht hin.

Endlich wagte ich es wieder, aber das Fenster blieb diesmal zu, ich saß
vier, fünf, sechs Morgen hinter dem Strauche, aber sie kam nicht wieder
ans Fenster. Da wurde mir die Zeit lang, ich faßte mir ein Herz und ging
nun alle Morgen frank und frei längs dem Schlosse unter allen Fenstern
hin. Aber die liebe schöne Frau blieb immer und immer aus. Eine Strecke
weiter sah ich dann immer die andere Dame am Fenster stehen. Ich hatte
sie sonst so genau noch niemals gesehen. Sie war wahrhaftig recht schön
rot und dick und gar prächtig und hoffärtig anzusehn wie eine Tulipane.
Ich machte ihr immer ein tiefes Kompliment, und, ich kann nicht anders
sagen, sie dankte mir jedesmal und nickte und blinzelte mit den Augen
dazu ganz außerordentlich höflich. -- Nur ein einziges Mal glaub ich
gesehn zu haben, daß auch die Schöne an ihrem Fenster hinter der Gardine
stand und versteckt hervorguckte. --

Viele Tage gingen jedoch ins Land, ohne daß ich sie sah. Sie kam nicht
mehr in den Garten, sie kam nicht mehr ans Fenster. Der Gärtner schalt
mich einen faulen Bengel, ich war verdrüßlich, meine eigene Nasenspitze
war mir im Wege, wenn ich in Gottes freie Welt hinaussah.

So lag ich eines Sonntags nachmittag im Garten und ärgerte mich, wie ich
so in die blauen Wolken meiner Tabakspfeife hinaussah, daß ich mich
nicht auf ein anderes Handwerk gelegt und mich also morgen nicht auch
wenigstens auf einen blauen Montag zu freuen hätte. Die andern Burschen
waren indes alle wohlausstaffiert nach den Tanzböden in der nahen
Vorstadt hinausgezogen. Da wallte und wogte alles im Sonntagsputze in
der warmen Luft zwischen den lichten Häusern und wandernden Leierkästen
schwärmend hin und zurück. Ich aber saß wie eine Rohrdommel im Schilfe
eines einsamen Weihers im Garten und schaukelte mich auf dem Kahne, der
dort angebunden war, während die Vesperglocken aus der Stadt über den
Garten herüberschallten und die Schwäne auf dem Wasser langsam neben mir
hin und her zogen. Mir war zum Sterben bange. --

Währenddes hörte ich von weitem allerlei Stimmen, lustiges
Durcheinandersprechen und Lachen, immer näher und näher, dann
schimmerten rot und weiße Tücher, Hüte und Federn durchs Grüne, auf
einmal kommt ein heller lichter Haufen von jungen Herren und Damen vom
Schlosse über die Wiese auf mich los, meine beiden Damen mitten unter
ihnen. Ich stand auf und wollte weggehen, da erblickte mich die ältere
von den schönen Damen. »Ei, das ist ja wie gerufen,« rief sie mir mit
lachendem Munde zu, »fahr Er uns doch an das jenseitige Ufer über den
Teich!« Die Damen stiegen nun eine nach der andern vorsichtig und
furchtsam in den Kahn, die Herren halfen ihnen dabei und machten sich
ein wenig groß mit ihrer Kühnheit auf dem Wasser. Als sich darauf die
Frauen alle auf die Seitenbänke gelagert hatten, stieß ich vom Ufer.
Einer von den jungen Herren, der ganz vorn stand, fing unmerklich an zu
schaukeln. Da wandten sich die Damen furchtsam hin und her, einige
schrien gar. Die schöne Frau, welche eine Lilie in der Hand hielt, saß
dicht am Bord des Schiffleins und sah so still lächelnd in die klaren
Wellen hinunter, die sie mit der Lilie berührte, so daß ihr ganzes Bild
zwischen den widerscheinenden Wolken und Bäumen im Wasser noch einmal zu
sehen war, wie ein Engel, der leise durch den tiefen blauen Himmelsgrund
zieht.

Wie ich noch so auf sie hinsehe, fällts auf einmal der andern lustigen
Dicken von meinen zwei Damen ein, ich sollte ihr während der Fahrt eins
singen. Geschwind dreht sich ein sehr zierlicher junger Herr mit einer
Brille auf der Nase, der neben ihr saß, zu ihr herum, küßt ihr sanft die
Hand und sagt: »Ich danke Ihnen für den sinnigen Einfall! ein Volkslied,
=gesungen= vom Volk in freiem Feld und Wald, ist ein Alpenröslein auf
der Alpe selbst, -- die Wunderhörner sind nur Herbarien, -- ist die
Seele der Nationalseele.« Ich aber sagte, ich wisse nichts zu singen,
was für solche Herrschaften schön genug wäre. Da sagte die schnippische
Kammerjungfer, die mit einem Korbe voll Tassen und Flaschen hart neben
mir stand und die ich bis jetzt noch gar nicht bemerkt hatte: »Weiß Er
doch ein recht hübsches Liedchen von einer vielschönen Fraue.« -- »Ja,
ja, das sing Er nur recht dreist weg«, rief darauf sogleich die Dame
wieder. Ich wurde über und über rot. -- Indem blickte auch die schöne
Frau auf einmal vom Wasser auf und sah mich an, daß es mir durch Leib
und Seele ging. Da besann ich mich nicht lange, faßt ein Herz und sang
so recht aus voller Brust und Lust:

    »Wohin ich geh und schaue,
    In Feld und Wald und Tal,
    Vom Berg hinab in die Aue:
    Vielschöne, hohe Fraue,
    Grüß ich dich tausendmal.

    In meinem Garten find ich
    Viel Blumen, schön und fein,
    Viel Kränze wohl draus wind ich,
    Und tausend Gedanken bind ich
    Und Grüße mit darein.

    =Ihr= darf ich keinen reichen,
    Sie ist zu hoch und schön,
    Die müssen alle verbleichen,
    Die Liebe nur ohnegleichen
    Bleibt ewig im Herzen stehn.

    Ich schein wohl froher Dinge
    Und schaffe auf und ab,
    Und ob das Herz zerspringe,
    Ich grabe fort und singe
    Und grab mir bald mein Grab.«

Wir stießen ans Land, die Herrschaften stiegen alle aus, viele von den
jungen Herren hatten mich, ich bemerkt es wohl, während ich sang, mit
listigen Mienen und Flüstern verspottet vor den Damen. Der Herr mit der
Brille faßte mich im Weggehen bei der Hand und sagte mir, ich weiß
selbst nicht mehr was, die ältere von meinen Damen sah mich sehr
freundlich an. Die schöne Frau hatte während meines ganzen Liedes die
Augen niedergeschlagen und ging nun auch fort und sagte gar nichts. --
Mir aber standen die Tränen in den Augen schon wie ich noch sang, das
Herz wollte mir zerspringen von dem Liede vor Scham und vor Schmerz, es
fiel mir jetzt auf einmal alles recht ein, wie =sie= so schön ist und
ich so arm bin und verspottet und verlassen von der Welt, -- und als sie
alle hinter den Büschen verschwunden waren, da konnt ich mich nicht
länger halten, ich warf mich in das Gras hin und weinte bitterlich.



Zweites Kapitel


Dicht am herrschaftlichen Garten ging die Landstraße vorüber, nur durch
eine hohe Mauer von derselben geschieden. Ein gar sauberes Zollhäuschen
mit rotem Ziegeldache war da erbaut, und hinter demselben ein kleines,
buntumzäuntes Blumengärtchen, das durch eine Lücke in der Mauer des
Schloßgartens hindurch an den schattigsten und verborgensten Teil des
letzteren stieß. Dort war eben der Zolleinnehmer gestorben, der das
alles sonst bewohnte. Da kam eines Morgens frühzeitig, da ich noch im
tiefsten Schlafe lag, der Schreiber vom Schlosse zu mir und rief mich
schleunigst zum Herrn Amtmann. Ich zog mich geschwind an und schlenderte
hinter dem lustigen Schreiber her, der unterwegs bald da bald dort eine
Blume abbrach und vorn an den Rock steckte, bald mit seinem
Spazierstöckchen künstlich in der Luft herumfocht und allerlei zu mir in
den Wind hineinparlierte, wovon ich aber nichts verstand, weil mir die
Augen und Ohren noch voller Schlaf lagen. Als ich in die Kanzlei trat,
wo es noch gar nicht recht Tag war, sah der Amtmann hinter einem
ungeheuren Tintenfasse und Stößen von Papier und Büchern und einer
ansehnlichen Perücke, wie die Eule aus ihrem Nest, auf mich und hob an:
»Wie heißt Er? Woher ist Er? Kann Er schreiben, lesen und rechnen?« Da
ich das bejahte, versetzte er: »Na, die gnädige Herrschaft hat Ihm, in
Betrachtung Seiner guten Aufführung und besonderen Meriten, die ledige
Einnehmerstelle zugedacht.« -- Ich überdachte in der Geschwindigkeit für
mich meine bisherige Aufführung und Manieren, und ich mußte gestehen,
ich fand am Ende selber, daß der Amtmann recht hatte. -- Und so war ich
denn wirklich Zolleinnehmer, ehe ich michs versah.

Ich bezog nun sogleich meine neue Wohnung und war in kurzer Zeit
eingerichtet. Ich hatte noch mehrere Gerätschaften gefunden, die der
selige Einnehmer seinem Nachfolger hinterlassen, unter andern einen
prächtigen roten Schlafrock mit gelben Punkten, grüne Pantoffeln, eine
Schlafmütze und einige Pfeifen mit langen Röhren. Das alles hatte ich
mir schon einmal gewünscht, als ich noch zu Hause war, wo ich immer
unsern Pfarrer so bequem herumgehen sah. Den ganzen Tag (zu tun hatte
ich weiter nichts) saß ich daher auf dem Bänkchen vor meinem Hause in
Schlafrock und Schlafmütze, rauchte Tabak aus dem längsten Rohre, das
ich von dem seligen Einnehmer vorgefunden hatte, und sah zu, wie die
Leute auf der Landstraße hin und her gingen, fuhren und ritten. Ich
wünschte nur immer, daß auch einmal ein paar Leute aus meinem Dorfe, die
immer sagten, aus mir würde mein Lebtag nichts, hier vorüberkommen und
mich so sehen möchten. -- Der Schlafrock stand mir schön zu Gesichte,
und überhaupt das alles behagte mir sehr gut. So saß ich denn da und
dachte mir mancherlei hin und her, wie aller Anfang schwer ist, wie das
vornehmere Leben doch eigentlich recht bequem sei, und faßte heimlich
den Entschluß, nunmehr alles Reisen zu lassen, auch Geld zu sparen wie
die andern und es mit der Zeit gewiß zu etwas Großem in der Welt zu
bringen. Inzwischen vergaß ich über meinen Entschlüssen, Sorgen und
Geschäften die allerschönste Frau keineswegs.

Die Kartoffeln und anderes Gemüse, das ich in meinem kleinen Gärtchen
fand, warf ich hinaus und bebaute es ganz mit den auserlesensten Blumen,
worüber mich der Portier vom Schlosse mit der großen kurfürstlichen
Nase, der, seitdem ich hier wohnte, oft zu mir kam und mein intimer
Freund geworden war, bedenklich von der Seite ansah und mich für einen
hielt, den sein plötzliches Glück verrückt gemacht hätte. Ich aber ließ
mich das nicht anfechten. Denn nicht weit von mir im herrschaftlichen
Garten hörte ich feine Stimmen sprechen, unter denen ich die meiner
schönen Frau zu erkennen meinte, obgleich ich wegen des dichten
Gebüsches niemand sehen konnte. Da band ich denn alle Tage einen Strauß
von den schönsten Blumen, die ich hatte, stieg jeden Abend, wenn es
dunkel wurde, über die Mauer und legte ihn auf einen steinernen Tisch
hin, der dort inmitten einer Laube stand; und jeden Abend, wenn ich den
neuen Strauß brachte, war der alte von dem Tische fort.

Eines Abends war die Herrschaft auf die Jagd geritten; die Sonne ging
eben unter und bedeckte das ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau
schlängelte sich prächtig wie von lauter Gold und Feuer in die weite
Ferne, von allen Bergen bis tief ins Land hinein sangen und jauchzten
die Winzer. Ich saß mit dem Portier auf dem Bänkchen vor meinem Hause
und freute mich in der lauen Luft, wie der lustige Tag so langsam vor
uns verdunkelte und verhallte. Da ließen sich auf einmal die Hörner der
zurückkehrenden Jäger von ferne vernehmen, die von den Bergen gegenüber
einander von Zeit zu Zeit lieblich Antwort gaben. Ich war recht im
innersten Herzen vergnügt und sprang auf und rief wie bezaubert und
verzückt vor Lust: »Nein, das ist mir doch ein Metier, die edle
Jägerei!« Der Portier aber klopfte sich ruhig die Pfeife aus und sagte:
»Das denkt Ihr Euch just so. Ich habe es auch mitgemacht, man verdient
sich kaum die Sohlen, die man sich abläuft; und Husten und Schnupfen
wird man erst gar nicht los, das kommt von den ewig nassen Füßen.« --
Ich weiß nicht, mich packte da ein närrischer Zorn, daß ich ordentlich
am ganzen Leibe zitterte. Mir war auf einmal der ganze Kerl mit seinem
langweiligen Mantel, die ewigen Füße, sein Tabaksschnupfen, die große
Nase und alles abscheulich. -- Ich faßte ihn, wie außer mir, bei der
Brust und sagte: »Portier, jetzt schert Ihr Euch nach Hause, oder ich
prügle Euch hier sogleich durch!« Den Portier überfiel bei diesen Worten
seine alte Meinung, ich wäre verrückt geworden. Er sah mich bedenklich
und mit heimlicher Furcht an, machte sich, ohne ein Wort zu sprechen,
von mir los und ging, immer noch unheimlich nach mir zurückblickend, mit
langen Schritten nach dem Schlosse, wo er atemlos aussagte, ich sei nun
wirklich rasend geworden.

Ich aber mußte am Ende laut auflachen und war herzlich froh, den
superklugen Gesellen los zu sein, denn es war gerade die Zeit, wo ich
den Blumenstrauß immer in die Laube zu legen pflegte. Ich sprang auch
heute schnell über die Mauer und ging eben auf das steinerne Tischchen
los, als ich in einiger Entfernung Pferdetritte vernahm. Entspringen
konnt ich nicht mehr, denn schon kam meine schöne gnädige Frau selber,
in einem grünen Jagdhabit und mit nickenden Federn auf dem Hute, langsam
und, wie es schien, in tiefen Gedanken die Allee herabgeritten. Es war
mir nicht anders zumute, als da ich sonst in den alten Büchern bei
meinem Vater von der schönen Magelone gelesen, wie sie so zwischen den
immer näher schallenden Waldhornsklängen und wechselnden Abendlichtern
unter den hohen Bäumen hervorkam, -- ich konnte nicht vom Fleck. Sie
aber erschrak heftig, als sie mich auf einmal gewahr wurde, und hielt
fast unwillkürlich still. Ich war wie betrunken vor Angst, Herzklopfen
und großer Freude, und da ich bemerkte, daß sie wirklich meinen
Blumenstrauß von gestern an der Brust hatte, konnte ich mich nicht
länger halten, sondern sagte ganz verwirrt: »Schönste gnädige Frau,
nehmt auch noch diesen Blumenstrauß von mir und alle Blumen aus meinem
Garten und alles, was ich habe. Ach, könnt ich nur für Euch ins Feuer
springen!« -- Sie hatte mich gleich anfangs so ernsthaft und fast böse
angeblickt, daß es mir durch Mark und Bein ging, dann aber hielt sie,
solange ich redete, die Augen tief niedergeschlagen. Soeben ließen sich
einige Reiter und Stimmen im Gebüsch hören. Da ergriff sie schnell den
Strauß aus meiner Hand und war bald, ohne ein Wort zu sagen, am andern
Ende des Bogenganges verschwunden.

Seit diesem Abend hatte ich weder Ruh noch Rast mehr. Es war mir
beständig zumute wie sonst immer, wenn der Frühling anfangen sollte, so
unruhig und fröhlich, ohne daß ich wußte, warum, als stünde mir ein
großes Glück oder sonst etwas Außerordentliches bevor. Besonders das
fatale Rechnen wollte mir nun erst gar nicht mehr von der Hand, und ich
hatte, wenn der Sonnenschein durch den Kastanienbaum vor dem Fenster
grüngolden auf die Ziffern fiel, und so fix vom Transport bis zum Latus
und wieder hinauf und hinab addierte, gar seltsame Gedanken dabei, so
daß ich manchmal ganz verwirrt wurde und wahrhaftig nicht bis drei
zählen konnte. Denn die Acht kam mir immer vor wie meine dicke
enggeschnürte Dame mit dem breiten Kopfputz, die böse Sieben war gar wie
ein ewig rückwärtszeigender Wegweiser oder Galgen. -- Am meisten Spaß
machte mir noch die Neun, die sich mir so oft, eh ich michs versah,
lustig als Sechs auf den Kopf stellte, während die Zwei wie ein
Fragezeichen so pfiffig dreinsah, als wollte sie mich fragen: Wo soll
das am Ende noch hinaus mit dir, du arme Null? Ohne =sie=, diese
schlanke Eins und alles, bleibst du doch ewig nichts!

Auch das Sitzen draußen vor der Tür wollte mir nicht mehr behagen. Ich
nahm mir, um es bequemer zu haben, einen Schemel mit heraus und streckte
die Füße darauf, ich flickte ein altes Parasol vom Einnehmer und steckte
es gegen die Sonne wie ein chinesisches Lusthaus über mich. Aber es half
nichts. Es schien mir, wie ich so saß und rauchte und spekulierte, als
würden mir allmählich die Beine immer länger vor Langeweile und die Nase
wüchse mir vom Nichtstun, wenn ich so stundenlang an ihr heruntersah. --
Und wenn dann manchmal noch vor Tagesanbruch eine Extrapost vorbeikam,
und ich trat halb verschlafen in die kühle Luft hinaus, und ein
niedliches Gesichtchen, von dem man in der Dämmerung nur die funkelnden
Augen sah, bog sich neugierig zum Wagen hervor und bot mir freundlich
einen guten Morgen, in den Dörfern aber ringsumher krähten die Hähne so
frisch über die leise wogenden Kornfelder herüber, und zwischen den
Morgenstreifen hoch am Himmel schweiften schon einzelne zu früh erwachte
Lerchen, und der Postillion nahm dann sein Posthorn und fuhr weiter und
blies und blies -- da stand ich lange und sah dem Wagen nach, und es war
mir nicht anders, als müßt ich nur sogleich mit fort, weit, weit in die
Welt. --

Meine Blumensträuße legte ich indes immer noch, sobald die Sonne
unterging, auf den steinernen Tisch in der dunklen Laube. Aber das war
es eben: damit war es nun aus seit jenem Abend. -- Kein Mensch kümmerte
sich darum: sooft ich des Morgens frühzeitig nachsah, lagen die Blumen
noch immer da wie gestern und sahen mich mit ihren verwelkten
niederhängenden Köpfchen und daraufstehenden Tautropfen ordentlich
betrübt an, als ob sie weinten. -- Das verdroß mich sehr. Ich band gar
keinen Strauß mehr. In meinem Garten mochte nun auch das Unkraut treiben
wie es wollte, und die Blumen ließ ich ruhig stehn und wachsen, bis der
Wind die Blätter verwehte. War mirs doch ebenso wild und bunt und
verstört im Herzen.

In diesen kritischen Zeitläuften geschah es denn, daß einmal, als ich
eben zu Hause im Fenster liege und verdrüßlich in die leere Luft
hinaussehe, die Kammerjungfer vom Schlosse über die Straße
dahergetrippelt kommt. Sie lenkte, da sie mich erblickte, schnell zu mir
ein und blieb am Fenster stehen. -- »Der gnädige Herr ist gestern von
seiner Reise zurückgekommen«, sagte sie eilfertig. »So?« entgegnete ich
verwundert -- denn ich hatte mich schon seit einigen Wochen um nichts
bekümmert und wußte nicht einmal, daß der Herr auf Reisen war --, »da
wird seine Tochter, die junge gnädige Frau, auch große Freude gehabt
haben.« -- Die Kammerjungfer sah mich kurios von oben bis unten an, so
daß ich mich ordentlich selber besinnen mußte, ob ich was Dummes gesagt
hätte. -- »Er weiß aber auch gar nichts«, sagte sie endlich und rümpfte
das kleine Näschen. »Nun,« fuhr sie fort, »es soll heute abend dem Herrn
zu Ehren Tanz im Schlosse sein und Maskerade. Meine gnädige Frau wird
auch maskiert sein, als Gärtnerin -- versteht Er auch recht -- als
Gärtnerin. Nun hat die gnädige Frau gesehen, daß Er besonders schöne
Blumen hat in Seinem Garten.« -- Das ist seltsam, dachte ich bei mir
selbst, man sieht doch jetzt fast keine Blume mehr vor Unkraut. -- Sie
aber fuhr fort: »Da nun die gnädige Frau schöne Blumen zu ihrem Anzuge
braucht, aber ganz frische, die eben vom Beete kommen, so soll Er ihr
welche bringen und damit heute abend, wenns dunkel geworden ist, unter
dem großen Birnbaum im Schloßgarten warten, da wird sie dann kommen und
die Blumen abholen.«

Ich war ganz verblüfft vor Freude über diese Nachricht und lief in
meiner Entzückung vom Fenster zu der Kammerjungfer hinaus. --

»Pfui, der garstige Schlafrock!« rief diese aus, da sie mich auf einmal
so in meinem Aufzuge im Freien sah. Das ärgerte mich, ich wollte auch
nicht dahinterbleiben in der Galanterie und machte einige artige
Kapriolen, um sie zu erhaschen und zu küssen. Aber unglücklicherweise
verwickelte sich mir dabei der Schlafrock, der mir viel zu lang war,
unter den Füßen, und ich fiel der Länge nach auf die Erde. Als ich mich
wieder zusammenraffte, war die Kammerjungfer schon weit fort, und ich
hörte sie noch von fern lachen, daß sie sich die Seiten halten mußte.

Nun aber hatt ich was zu sinnen und mich zu freuen. =Sie= dachte ja noch
immer an mich und meine Blumen! Ich ging in mein Gärtchen und riß hastig
alles Unkraut von den Beeten und warf es hoch über meinen Kopf weg in
die schimmernde Luft, als zög ich alle Übel und Melancholie mit der
Wurzel heraus. Die Rosen waren nun wieder wie =ihr= Mund, die
himmelblauen Winden wie =ihre= Augen, die schneeweiße Lilie mit ihrem
schwermütig gesenkten Köpfchen sah ganz aus wie =sie=. Ich legte alle
sorgfältig in ein Körbchen zusammen. Es war ein schöner stiller Abend
und kein Wölkchen am Himmel. Einzelne Sterne traten schon am Firmamente
hervor, von weitem rauschte die Donau über die Felder herüber, in den
hohen Bäumen im herrschaftlichen Garten neben mir sangen unzählige Vögel
lustig durcheinander. Ach, ich war so glücklich!

Als endlich die Nacht hereinbrach, nahm ich mein Körbchen an den Arm und
machte mich auf den Weg nach dem großen Garten. In dem Körbchen lag
alles so bunt und anmutig durcheinander, weiß, rot, blau und duftig, daß
mir ordentlich das Herz lachte, wenn ich hineinsah.

Ich ging voller fröhlicher Gedanken bei dem schönen Mondschein durch die
stillen, reinlich mit Sand bestreuten Gänge über die kleinen weißen
Brücken, unter denen die Schwäne eingeschlafen auf dem Wasser saßen, an
den zierlichen Lauben und Lusthäusern vorüber. Den großen Birnbaum hatte
ich gar bald aufgefunden, denn es war derselbe, unter dem ich sonst, als
ich noch Gärtnerbursche war, an schwülen Nachmittagen gelegen.

Hier war es so einsam dunkel. Nur eine hohe Espe zitterte und flüsterte
mit ihren silbernen Blättern in einem fort. Vom Schlosse schallte
manchmal die Tanzmusik herüber. Auch Menschenstimmen hörte ich zuweilen
im Garten, die kamen oft ganz nahe an mich heran, dann wurde es auf
einmal wieder ganz still.

Mir klopfte das Herz. Es war mir schauerlich und seltsam zumute, als
wenn ich jemand bestehlen wollte. Ich stand lange Zeit stockstill an den
Baum gelehnt und lauschte nach allen Seiten, da aber immer niemand kam,
konnt ich es nicht länger aushalten. Ich hing mein Körbchen an den Arm
und kletterte schnell auf den Birnbaum hinauf, um wieder im Freien Luft
zu schöpfen.

Da droben schallte mir die Tanzmusik erst recht über die Wipfel
entgegen. Ich übersah den ganzen Garten und gerade in die
hellerleuchteten Fenster des Schlosses hinein. Dort drehten sich die
Kronleuchter langsam wie Kränze von Sternen, unzählige geputzte Herren
und Damen, wie in einem Schattenspiele, wogten und walzten und wirrten
da bunt und unkenntlich durcheinander, manchmal legten sich welche ins
Fenster und sahen hinunter in den Garten. Draußen vor dem Schlosse aber
waren der Rasen, die Sträucher und die Bäume von den vielen Lichtern aus
dem Saale wie vergoldet, so daß ordentlich die Blumen und die Vögel
aufzuwachen schienen. Weiterhin um mich herum und hinter mir lag der
Garten so schwarz und still.

Da tanzt =sie= nun, dacht ich in dem Baume droben bei mir selber, und
hat gewiß lange dich und deine Blumen wieder vergessen. Alles ist so
fröhlich, um dich kümmert sich kein Mensch. -- Und so geht es mir
überall und immer. Jeder hat sein Plätzchen auf der Erde ausgesteckt,
hat seinen warmen Ofen, seine Tasse Kaffee, seine Frau, sein Glas Wein
zu Abend und ist so recht zufrieden; selbst dem Portier ist ganz wohl in
seiner langen Haut. -- Mir ists nirgends recht. Es ist, als wäre ich
überall eben zu spät gekommen, als hätte die ganze Welt gar nicht auf
mich gerechnet. --

Wie ich eben so philosophiere, höre ich auf einmal unten im Grase etwas
einherrascheln. Zwei feine Stimmen sprachen ganz nahe und leise
miteinander. Bald darauf bogen sich die Zweige in dem Gesträuche
auseinander, und die Kammerjungfer steckte ihr kleines Gesichtchen, sich
nach allen Seiten umsehend, zwischen der Laube hindurch. Der Mondschein
funkelte recht auf ihren pfiffigen Augen, wie sie hervorguckten. Ich
hielt den Atem an mich und blickte unverwandt hinunter. Es dauerte auch
nicht lange, so trat wirklich die Gärtnerin, ganz so wie mir sie die
Kammerjungfer gestern beschrieben hatte, zwischen den Bäumen heraus.
Mein Herz klopfte mir zum Zerspringen. Sie aber hatte eine Larve vor und
sah sich, wie mir schien, verwundert auf dem Platze um. -- Da wollts mir
vorkommen, als wäre sie gar nicht recht schlank und niedlich. -- Endlich
trat sie ganz nahe an den Baum und nahm die Larve ab. -- Es war
wahrhaftig die andere ältere gnädige Frau!

Wie froh war ich nun, als ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, daß
ich mich hier oben in Sicherheit befand. Wie in aller Welt, dachte ich,
kommt =die= nur jetzt hierher? wenn nun die liebe schöne gnädige Frau
die Blumen abholt, -- das wird eine schöne Geschichte werden! Ich hätte
am Ende weinen mögen vor Ärger über den ganzen Spektakel.

Indem hub die verkappte Gärtnerin unten an: »Es ist so stickend heiß
droben im Saale, ich mußte gehen, mich ein wenig abzukühlen in der
freien schönen Natur.« Dabei fächelte sie sich mit der Larve in einem
fort und blies die Luft von sich. Bei dem hellen Mondschein konnt ich
deutlich erkennen, wie ihr die Flechsen am Halse ordentlich
aufgeschwollen waren; sie sah ganz erbost aus und ziegelrot im Gesicht.
Die Kammerjungfer suchte unterdes hinter allen Hecken herum, als hätte
sie eine Stecknadel verloren. --

»Ich brauche so notwendig noch frische Blumen zu meiner Maske,« fuhr die
Gärtnerin von neuem fort, »wo er auch stecken mag!« -- Die Kammerjungfer
suchte und kicherte dabei immerfort heimlich in sich selbst hinein. --
»Sagtest du was, Rosette?« fragte die Gärtnerin spitzig. -- »Ich sage,
was ich immer gesagt habe,« erwiderte die Kammerjungfer und machte ein
ganz ernsthaftes treuherziges Gesicht, »der ganze Einnehmer ist und
bleibt ein Lümmel, er liegt gewiß irgendwo hinter einem Strauche und
schläft.«

Mir zuckte es in allen meinen Gliedern, herunterzuspringen und meine
Reputation zu retten -- da hörte man auf einmal ein großes Pauken und
Musizieren und Lärmen vom Schlosse her.

Nun hielt sich die Gärtnerin nicht länger. »Da bringen die Menschen«,
fuhr sie verdrüßlich fort, »dem Herrn das Vivat. Komm, man wird uns
vermissen!« -- Und hiermit steckte sie die Larve schnell vor und ging
wütend mit der Kammerjungfer nach dem Schlosse zu fort. Die Bäume und
Sträucher wiesen kurios, wie mit langen Nasen und Fingern, hinter ihr
drein, der Mondschein tanzte noch fix, wie über eine Klaviatur, über
ihre breite Taille auf und nieder, und so nahm sie, so recht wie ich auf
dem Theater manchmal die Sängerinnen gesehn, unter Trompeten und Pauken
schnell ihren Abzug.

Ich aber wußte in meinem Baume droben eigentlich gar nicht recht, wie
mir geschehen, und richtete nunmehr meine Augen unverwandt auf das
Schloß hin; denn ein Kreis hoher Windlichter unten an den Stufen des
Einganges warf dort einen seltsamen Schein über die blitzenden Fenster
und weit in den Garten hinein. Es war die Dienerschaft, die soeben ihrer
jungen Herrschaft ein Ständchen brachte. Mitten unter ihnen stand der
prächtig aufgeputzte Portier, wie ein Staatsminister, vor einem
Notenpulte und arbeitete sich emsig an einem Fagotte ab.

Wie ich mich soeben zurechtsetzte, um der schönen Serenade zuzuhören,
gingen auf einmal oben auf dem Balkon des Schlosses die Flügeltüren auf.
Ein hoher Herr, schön und stattlich in Uniform und mit vielen funkelnden
Sternen, trat auf den Balkon heraus, und an seiner Hand -- die schöne
junge gnädige Frau, in ganz weißem Kleide, wie eine Lilie in der Nacht,
oder wie wenn der Mond über das klare Firmament zöge.

Ich konnte keinen Blick von dem Platze verwenden, und Garten, Bäume und
Felder gingen unter vor meinen Sinnen, wie sie so wundersam beleuchtet
von den Fackeln hoch und schlank dastand und bald anmutig mit dem
schönen Offizier sprach, bald wieder freundlich zu den Musikanten
herunternickte. Die Leute unten waren außer sich vor Freude, und ich
hielt mich am Ende auch nicht mehr und schrie immer aus Leibeskräften
Vivat mit. --

Als sie aber bald darauf wieder von dem Balkon verschwand, unten eine
Fackel nach der andern verlöschte und die Notenpulte weggeräumt wurden
und nun der Garten ringsumher auch wieder finster wurde und rauschte wie
vorher -- da merkt ich erst alles -- da fiel es mir auf einmal aufs
Herz, daß mich wohl eigentlich nur die Tante mit den Blumen bestellt
hatte, daß die Schöne gar nicht an mich dachte und lange verheiratet ist
und daß ich selber ein großer Narr war.

Alles das versenkte mich recht in einen Abgrund von Nachsinnen. Ich
wickelte mich, gleich einem Igel, in die Stacheln meiner eigenen
Gedanken zusammen; vom Schlosse schallte die Tanzmusik nur noch seltener
herüber, die Wolken wanderten einsam über den dunklen Garten weg. Und so
saß ich auf dem Baume droben, wie die Nachteule, in den Ruinen meines
Glücks die ganze Nacht hindurch.

Die kühle Morgenluft weckte mich endlich aus meinen Träumereien. Ich
erstaunte ordentlich, wie ich so auf einmal um mich herblickte. Musik
und Tanz war lange vorbei, im Schlosse und rings um das Schloß herum auf
dem Rasenplatze und den steinernen Stufen und Säulen sah alles so still,
kühl und feierlich aus; nur der Springbrunnen vor dem Eingange
plätscherte einsam in einem fort. Hin und her in den Zweigen neben mir
erwachten schon die Vögel, schüttelten ihre bunten Federn und sahen, die
kleinen Flügel dehnend, neugierig und verwundert ihren seltsamen
Schlafkameraden an. Fröhlich schweifende Morgenstrahlen funkelten über
den Garten weg auf meine Brust.

Da richtete ich mich in meinem Baume auf und sah seit langer Zeit zum
ersten Male wieder einmal so recht weit in das Land hinaus, wie da schon
einzelne Schiffe auf der Donau zwischen den Weinbergen herabfuhren und
die noch leeren Landstraßen wie Brücken über das schimmernde Land sich
fern über die Berge und Täler hinausschwangen.

Ich weiß nicht, wie es kam -- aber mich packte da auf einmal wieder
meine ehemalige Reiselust: alle die alte Wehmut und Freude und große
Erwartung. Mir fiel dabei zugleich ein, wie nun die schöne Frau droben
auf dem Schlosse zwischen Blumen und unter seidnen Decken schlummerte
und ein Engel bei ihr auf dem Bette säße in der Morgenstille. -- »Nein,«
rief ich aus, »fort muß ich von hier und immer fort, so weit als der
Himmel blau ist!«

Und hiermit nahm ich mein Körbchen und warf es hoch in die Luft, so daß
es recht lieblich anzusehen war, wie die Blumen zwischen den Zweigen und
auf dem grünen Rasen unten bunt umherlagen. Dann stieg ich selber
schnell herunter und ging durch den stillen Garten auf meine Wohnung zu.
Gar oft blieb ich da noch stehen auf manchem Plätzchen, wo ich sie sonst
wohl einmal gesehen oder im Schatten liegend an sie gedacht hatte.

In und um mein Häuschen sah alles noch so aus, wie ich es gestern
verlassen hatte. Das Gärtchen war geplündert und wüst, im Zimmer drin
lag noch das große Rechnungsbuch aufgeschlagen, meine Geige, die ich
schon fast ganz vergessen hatte, hing verstaubt an der Wand. Ein
Morgenstrahl aber aus dem gegenüberstehenden Fenster fuhr gerade
blitzend über die Saiten. Das gab einen rechten Klang in meinem Herzen.
»Ja,« sagt ich, »komm nur her, du getreues Instrument! Unser Reich ist
nicht von dieser Welt!« --

Und so nahm ich die Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock,
Pantoffeln, Pfeifen und Parasol liegen und wanderte, arm wie ich
gekommen war, aus meinem Häuschen und auf der glänzenden Landstraße von
dannen.

Ich blickte noch oft zurück; mir war gar seltsam zumute, so traurig und
doch auch wieder so überaus fröhlich, wie ein Vogel, der aus seinem
Käfig ausreißt. Und als ich schon eine weite Strecke gegangen war, nahm
ich draußen im Freien meine Geige vor und sang:

    »Den lieben Gott laß ich nur walten;
    Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
    Und Erd und Himmel tut erhalten,
    Hat auch mein Sach aufs best bestellt!«

Das Schloß, der Garten und die Türme von Wien waren schon hinter mir im
Morgenduft versunken, über mir jubilierten unzählige Lerchen hoch in der
Luft; so zog ich zwischen den grünen Bergen und an lustigen Städten und
Dörfern vorbei gen Italien hinunter.



Drittes Kapitel


Aber das war nun schlimm! Ich hatte noch gar nicht daran gedacht, daß
ich eigentlich den rechten Weg nicht wußte. Auch war ringsumher kein
Mensch zu sehen in der stillen Morgenstunde, den ich hätte fragen
können, und nicht weit von mir teilte sich die Landstraße in viele neue
Landstraßen, die gingen weit, weit über die höchsten Berge fort, als
führten sie aus der Welt hinaus, so daß mir ordentlich schwindelte, wenn
ich recht hinsah.

Endlich kam ein Bauer des Weges daher, der, glaub ich, nach der Kirche
ging, da es heut eben Sonntag war, in einem altmodischen Überrock mit
großen silbernen Knöpfen und einem langen spanischen Rohr mit einem sehr
massiven silbernen Stockknopf darauf, der schon von weitem in der Sonne
funkelte. Ich frug ihn sogleich mit vieler Höflichkeit: »Können Sie mir
nicht sagen, wo der Weg nach Italien geht?« -- Der Bauer blieb stehen,
sah mich an, besann sich dann mit weit vorgeschobener Unterlippe und sah
mich wieder an. Ich sagte noch einmal: »Nach Italien, wo die Pomeranzen
wachsen.« -- »Ach, was gehn mich Seine Pomeranzen an!« sagte der Bauer
da und schritt wacker wieder weiter. Ich hätte dem Manne mehr Konduite
zugetraut, denn er sah recht stattlich aus.

Was war nun zu machen? Wieder umkehren und in mein Dorf zurückgehn? Da
hätten die Leute mit den Fingern auf mich gewiesen, und die Jungen wären
um mich herumgesprungen: »Ei, tausend willkommen aus der Welt! wie sieht
es denn aus in der Welt? hat Er uns nicht Pfefferkuchen mitgebracht aus
der Welt?« -- Der Portier mit der kurfürstlichen Nase, welcher überhaupt
viele Kenntnisse von der Weltgeschichte hatte, sagte oft zu mir:
»Wertgeschätzter Herr Einnehmer! Italien ist ein schönes Land, da sorgt
der liebe Gott für alles, da kann man sich im Sonnenschein auf den
Rücken legen, so wachsen einem die Rosinen ins Maul, und wenn einen die
Tarantel beißt, so tanzt man mit ungemeiner Gelenkigkeit, wenn man auch
sonst nicht tanzen gelernt hat.« -- »Nein, nach Italien, nach Italien!«
rief ich voller Vergnügen aus und rannte, ohne an die verschiedenen Wege
zu denken, auf der Straße fort, die mir eben vor die Füße kam.

Als ich eine Strecke so fortgewandert war, sah ich rechts von der Straße
einen sehr schönen Baumgarten, wo die Morgensonne so lustig zwischen den
Stämmen und Wipfeln hindurchschimmerte, daß es aussah, als wäre der
Rasen mit goldenen Teppichen belegt. Da ich keinen Menschen erblickte,
stieg ich über den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behaglich
unter einen Apfelbaum ins Gras, denn von dem gestrigen Nachtlager auf
dem Baume taten mir noch alle Glieder weh. Da konnte man weit ins Land
hinaussehen, und da es Sonntag war, so kamen bis aus der weitesten Ferne
Glockenklänge über die stillen Felder herüber, und geputzte Landleute
zogen überall zwischen Wiesen und Büschen nach der Kirche. Ich war recht
fröhlich im Herzen, die Vögel sangen über mir im Baume, ich dachte an
meine Mühle und an den Garten der schönen gnädigen Frau, und wie das
alles nun so weit, weit lag -- bis ich zuletzt einschlummerte. Da
träumte mir, als käme diese schöne Frau aus der prächtigen Gegend unten
zu mir gegangen oder eigentlich langsam geflogen zwischen den
Glockenklängen, mit langen weißen Schleiern, die im Morgenrote wehten.
Dann war es wieder, als wären wir gar nicht in der Fremde, sondern bei
meinem Dorfe an der Mühle in den tiefen Schatten. Aber da war alles
still und leer, wie wenn die Leute Sonntags in der Kirche sind und nur
der Orgelklang durch die Bäume herüberkommt, daß es mir recht im Herzen
weh tat. Die schöne Frau aber war sehr gut und freundlich, sie hielt
mich an der Hand und ging mit mir und sang in einem fort in dieser
Einsamkeit das schöne Lied, das sie damals immer frühmorgens am offenen
Fenster zur Gitarre gesungen hat, und ich sah dabei ihr Bild in dem
stillen Weiher, noch viel tausendmal schöner, aber mit sonderbaren
großen Augen, die mich so starr ansahen, daß ich mich beinah gefürchtet
hätte. -- Da fing auf einmal die Mühle, erst in einzelnen langsamen
Schlägen, dann immer schneller und heftiger an zu gehen und zu brausen,
der Weiher wurde dunkel und kräuselte sich, die schöne Frau wurde ganz
bleich, und ihre Schleier wurden immer länger und länger und flatterten
entsetzlich in langen Spitzen, wie Nebelstreifen, hoch am Himmel empor;
das Sausen nahm immer mehr zu, oft war es, als bliese der Portier auf
seinem Fagotte dazwischen, bis ich endlich mit heftigem Herzklopfen
aufwachte.

Es hatte sich wirklich ein Wind erhoben, der leise über mir durch den
Apfelbaum ging; aber was so brauste und rumorte, war weder die Mühle
noch der Portier, sondern derselbe Bauer, der mir vorhin den Weg nach
Italien nicht zeigen wollte. Er hatte aber seinen Sonntagsstaat
ausgezogen und stand in einem weißen Kamisol vor mir. »Na,« sagte er, da
ich mir noch den Schlaf aus den Augen wischte, »will Er etwa hier
Poperenzen klauben, daß er mir das schöne Gras so zertrampelt, anstatt
in die Kirche zu gehen, Er Faulenzer!« -- Mich ärgerte es nur, daß mich
der Grobian aufgeweckt hatte. Ich sprang ganz erbost auf und versetzte
geschwind: »Was, Er will mich hier ausschimpfen? Ich bin Gärtner
gewesen, eh Er daran dachte, und Einnehmer, und wenn er zur Stadt
gefahren wäre, hätte Er die schmierige Schlafmütze vor mir abnehmen
müssen, und hatte mein Haus und meinen roten Schlafrock mit gelben
Punkten.« Aber der Knollfink scherte sich gar nichts darum, sondern
stemmte beide Arme in die Seiten und sagte bloß: »Was will er denn? he!
he!« Dabei sah ich, daß es eigentlich ein kurzer, stämmiger,
krummbeiniger Kerl war, und vorstehende glotzende Augen und eine rote,
etwas schiefe Nase hatte. Und wie er immerfort nichts weiter sagte als:
»He! -- he!« -- und dabei jedesmal einen Schritt näher auf mich zukam,
da überfiel mich auf einmal eine so kuriose grausliche Angst, daß ich
mich schnell aufmachte, über den Zaun sprang und, ohne mich umzusehen,
immerfort querfeldein lief, daß mir die Geige in der Tasche klang.

Als ich endlich wieder stillhielt, um Atem zu schöpfen, war der Garten
und das ganze Tal nicht mehr zu sehen, und ich stand in einem schönen
Walde. Aber ich gab nicht viel darauf acht, denn jetzt ärgerte mich das
Spektakel erst recht, und daß der Kerl mich immer Er nannte, und ich
schimpfte noch lange im stillen für mich. In solchen Gedanken ging ich
rasch fort und kam immer mehr von der Landstraße ab, mitten in das
Gebirge hinein. Der Holzweg, auf dem ich fortgelaufen war, hörte auf,
und ich hatte nur noch einen kleinen, wenig betretenen Fußsteig vor mir.
Ringsum war niemand zu sehen und kein Laut zu vernehmen. Sonst aber war
es recht anmutig zu gehen, die Wipfel der Bäume rauschten, und die Vögel
sangen sehr schön. Ich befahl mich daher Gottes Führung, zog meine
Violine hervor und spielte alle meine liebsten Stücke durch, daß es
recht fröhlich in dem einsamen Walde erklang.

Mit dem Spielen ging es aber auch nicht lange, denn ich stolperte dabei
jeden Augenblick über die fatalen Baumwurzeln, auch fing mich zuletzt an
zu hungern, und der Wald wollte noch immer gar kein Ende nehmen. So
irrte ich den ganzen Tag herum, und die Sonne schien schon schief
zwischen den Baumstämmen hindurch, als ich endlich in ein kleines
Wiesental hinauskam, das rings von Bergen eingeschlossen und voller
roter und gelber Blumen war, über denen unzählige Schmetterlinge im
Abendgolde herumflatterten. Hier war es so einsam, als läge die Welt
wohl hundert Meilen weit weg. Nur die Heimchen zirpten, und ein Hirt lag
drüben im hohen Grase und blies so melancholisch auf seiner Schalmei,
daß einem das Herz vor Wehmut hätte zerspringen mögen. Ja, dachte ich
bei mir, wer es so gut hätte wie so ein Faulenzer! unsereiner muß sich
in der Fremde herumschlagen und immer attent sein. -- Da ein schönes,
klares Flüßchen zwischen uns lag, über das ich nicht herüber konnte, so
rief ich ihm von weitem zu: wo hier das nächste Dorf läge? Er ließ sich
aber nicht stören, sondern streckte nur den Kopf ein wenig aus dem Grase
hervor, wies mit seiner Schalmei auf den andern Wald hin und blies ruhig
wieder weiter.

Unterdes marschierte ich fleißig fort, denn es fing schon an zu dämmern.
Die Vögel, die alle noch ein großes Geschrei gemacht hatten, als die
letzten Sonnenstrahlen durch den Wald schimmerten, wurden auf einmal
still, und mir fing beinah an angst zu werden in dem ewigen einsamen
Rauschen der Wälder. Endlich hörte ich von ferne Hunde bellen. Ich
schritt rascher fort, der Wald wurde immer lichter und lichter, und bald
darauf sah ich zwischen den letzten Bäumen hindurch einen schönen grünen
Platz, auf dem viele Kinder lärmten und sich um eine große Linde
herumtummelten, die recht in der Mitte stand. Weiterhin an dem Platze
war ein Wirtshaus, vor dem einige Bauern um einen Tisch saßen und Karten
spielten und Tabak rauchten. Von der andern Seite saßen junge Bursche
und Mädchen vor der Tür, die die Arme in ihre Schürzen gewickelt hatten
und in der Kühle miteinander plauderten.

Ich besann mich nicht lange, zog meine Geige aus der Tasche und spielte
schnell einen lustigen Ländler auf, während ich aus dem Walde
hervortrat. Die Mädchen verwunderten sich, die Alten lachten, daß es
weit in den Wald hineinschallte. Als ich aber so bis zu der Linde
gekommen war und mich mit dem Rücken dran lehnte und immerfort spielte,
da ging ein heimliches Rumoren und Gewisper unter den jungen Leuten
rechts und links, die Burschen legten endlich ihre Sonntagspfeifen weg,
jeder nahm die Seine, und eh ichs mir versah, schwenkte sich das junge
Bauernvolk tüchtig um mich herum, die Hunde bellten, die Kittel flogen,
und die Kinder standen um mich im Kreise und sahen mir neugierig ins
Gesicht und auf die Finger, wie ich so fix damit hantierte.

Wie der erste Schleifer vorbei war, konnte ich erst recht sehen, wie
eine gute Musik in die Gliedmaßen fährt. Die Bauernburschen, die sich
vorher, die Pfeifen im Munde, auf den Bänken reckten und die steifen
Beine von sich streckten, waren nun auf einmal wie umgetauscht, ließen
ihre bunten Schnupftücher vorn am Knopfloch lang herunterhängen und
kapriolten so artig um die Mädchen herum, daß es eine rechte Lust
anzuschauen war. Einer von ihnen, der sich schon für was Rechtes hielt,
haspelte lange in seiner Westentasche, damit es die andern sehen
sollten, und brachte endlich ein kleines Silberstück heraus, das er mir
in die Hand drücken wollte. Mich ärgerte das, wenn ich gleich dazumal
kein Geld in der Tasche hatte. Ich sagte ihm, er sollte nur seine
Pfennige behalten, ich spielte nur so aus Freude, weil ich wieder bei
Menschen wäre. Bald darauf aber kam ein schmuckes Mädchen mit einer
großen Stampe Wein zu mir. »Musikanten trinken gern«, sagte sie und
lachte mich freundlich an, und ihre perlweißen Zähne schimmerten recht
scharmant zwischen den roten Lippen hindurch, so daß ich sie wohl hätte
darauf küssen mögen. Sie tunkte ihr Schnäbelchen in den Wein, wobei ihre
Augen über das Glas weg auf mich herüberfunkelten, und reichte mir
darauf die Stampe hin. Da trank ich das Glas bis auf den Grund aus und
spielte dann wieder von frischem, daß sich alles lustig um mich
herumdrehte.

Die Alten waren unterdes von ihrem Spiel aufgebrochen, die jungen Leute
fingen auch an müde zu werden und zerstreuten sich, und so wurde es nach
und nach ganz still und leer vor dem Wirtshause. Auch das Mädchen, das
mir den Wein gereicht hatte, ging nun nach dem Dorfe zu, aber sie ging
sehr langsam und sah sich zuweilen um, als ob sie was vergessen hätte.
Endlich blieb sie stehen und suchte etwas auf der Erde, aber ich sah
wohl, daß sie, wenn sie sich bückte, unter dem Arme hindurch nach mir
zurückblickte. Ich hatte auf dem Schlosse Lebensart gelernt, ich sprang
also geschwind herzu und sagte: »Haben Sie etwas verloren, schönste
Mamsell?« -- »Ach nein,« sagte sie und wurde über und über rot, »es war
nur eine Rose -- will Er sie haben?« -- Ich dankte und steckte die Rose
ins Knopfloch. Sie sah mich sehr freundlich an und sagte: »Er spielt
recht schön.« -- »Ja,« versetzte ich, »das ist so eine Gabe Gottes.« --
»Die Musikanten sind hier in der Gegend sehr rar«, hub das Mädchen dann
wieder an und stockte und hatte die Augen beständig niedergeschlagen.
»Er könnte sich hier ein gutes Stück Geld verdienen -- auch mein Vater
spielt etwas die Geige und hört gern von der Fremde erzählen -- und mein
Vater ist sehr reich.« -- Dann lachte sie auf und sagte: »Wenn Er nur
nicht immer solche Grimassen machen möchte mit dem Kopfe, beim Geigen!«
-- »Teuerste Jungfer,« erwiderte ich, »erstlich: nennen Sie mich nur
nicht immer Er; sodann mit den Kopftremulenzen, das ist einmal nicht
anders, das haben wir Virtuosen alle so an uns.« -- »Ach so!« entgegnete
das Mädchen. Sie wollte noch etwas mehr sagen, aber da entstand auf
einmal ein entsetzliches Gepolter im Wirtshause, die Haustür ging mit
großem Gekrache auf, und ein dünner Kerl kam wie ein ausgeschoßner
Ladestock herausgeflogen, worauf die Tür sogleich wieder hinter ihm
zugeschlagen wurde.

Das Mädchen war bei dem ersten Geräusch wie ein Reh davongesprungen und
im Dunkel verschwunden. Die Figur vor der Tür aber raffte sich hurtig
wieder vom Boden auf und fing nun an mit solcher Geschwindigkeit gegen
das Haus loszuschimpfen, daß es ordentlich zum Erstaunen war. »Was!«
schrie er, »ich besoffen? ich die Kreidestriche an der verräucherten Tür
nicht bezahlen? Löscht sie aus, löscht sie aus! Hab ich euch nicht erst
gestern übern Kochlöffel barbiert und in die Nase geschnitten, daß ihr
mir den Löffel morsch entzweigebissen habt? Barbieren macht einen Strich
-- Kochlöffel, wieder ein Strich -- Pflaster auf die Nase, noch ein
Strich -- wieviel solche hundsföttische Striche wollt ihr denn noch
bezahlt haben? Aber gut, schon gut, ich lasse das ganze Dorf, die ganze
Welt ungeschoren. Lauft meinetwegen mit euren Bärten, daß der liebe Gott
am Jüngsten Tage nicht weiß, ob ihr Juden seid oder Christen! Ja, hängt
euch an euren eigenen Bärten auf, ihr zottigen Landbären!« Hier brach er
auf einmal in ein jämmerliches Weinen aus und fuhr ganz erbärmlich durch
die Fistel fort: »Wasser soll ich saufen wie ein elender Fisch? Ist das
Nächstenliebe? Bin ich nicht ein Mensch und ein ausgelernter Feldscher?
Ach, ich bin heute so in der Rage! Mein Herz ist voller Rührung und
Menschenliebe!« Bei diesen Worten zog er sich nach und nach zurück, da
im Hause alles still blieb. Als er mich erblickte, kam er mit
ausgebreiteten Armen auf mich los, ich glaubte, der tolle Kerl wollte
mich embrassieren. Ich sprang aber auf die Seite, und so stolperte er
weiter, und ich hörte ihn noch lange, bald grob, bald fein, durch die
Finsternis mit sich diskurieren.

Mir aber ging mancherlei im Kopfe herum. Die Jungfer, die mir vorhin die
Rose geschenkt hatte, war jung, schön und reich -- ich konnte da mein
Glück machen, eh man die Hand umkehrte. Und Hammel und Schweine, Puter
und fette Gänse mit Äpfeln gestopft -- ja, es war mir nicht anders, als
säh ich den Portier auf mich zukommen: Greif zu, Einnehmer, greif zu!
jung gefreit hat niemand gereut, wers Glück hat, führt die Braut heim,
bleibe im Lande und nähre dich tüchtig. In solchen philosophischen
Gedanken setzte ich mich auf dem Platze, der nun ganz einsam war, auf
einen Stein nieder, denn an das Wirtshaus anzuklopfen traute ich mich
nicht, weil ich kein Geld bei mir hatte. Der Mond schien prächtig, von
den Bergen rauschten die Wälder durch die stille Nacht herüber, manchmal
schlugen im Dorfe die Hunde an, das weiter im Tale unter Bäumen und
Mondschein wie begraben lag. Ich betrachtete das Firmament, wie da
einzelne Wolken langsam durch den Mondschein zogen und manchmal ein
Stern weit in der Ferne herunterfiel. So, dachte ich, scheint der Mond
auch über meines Vaters Mühle und auf das weiße gräfliche Schloß. Dort
ist nun auch schon alles lange still, die gnädige Frau schläft, und die
Wasserkünste und Bäume im Garten rauschen noch immerfort wie damals, und
allen ists gleich, ob ich noch da bin oder in der Fremde oder gestorben.
-- Da kam mir die Welt auf einmal so entsetzlich weit und groß vor, und
ich so ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde hätte weinen mögen.

Wie ich noch immer so dasitze, höre ich auf einmal aus der Ferne
Hufschlag im Walde. Ich hielt den Atem an und lauschte, da kam es immer
näher und näher, und ich konnte schon die Pferde schnauben hören. Bald
darauf kamen auch wirklich zwei Reiter unter den Bäumen hervor, hielten
aber am Saume des Waldes an und sprachen heimlich sehr eifrig
miteinander, wie ich an den Schatten sehen konnte, die plötzlich über
den mondbeglänzten Platz vorschossen und mit langen dunklen Armen bald
dahin bald dorthin wiesen. -- Wie oft, wenn mir zu Hause meine
verstorbene Mutter von wilden Wäldern und martialischen Räubern
erzählte, hatte ich mir sonst immer heimlich gewünscht, eine solche
Geschichte selbst zu erleben. Da hatt ichs nun auf einmal für meine
dummen, frevelmütigen Gedanken! -- Ich streckte mich nun an dem
Lindenbaum, unter dem ich gesessen, ganz unmerklich so lang aus, als ich
nur konnte, bis ich den ersten Ast erreicht hatte und mich geschwinde
hinaufschwang. Aber ich baumelte noch mit halbem Leibe über dem Aste und
wollte soeben auch meine Beine nachholen, als der eine von den Reitern
rasch hinter mir über den Platz dahertrabte. Ich drückte nun die Augen
fest zu in dem dunklen Laube und rührte und regte mich nicht. -- »Wer
ist da?« rief es auf einmal dicht hinter mir. »Niemand!« schrie ich aus
Leibeskräften vor Schreck, daß er mich doch noch erwischt hatte.
Insgeheim mußte ich aber doch bei mir lachen, wie die Kerls sich
schneiden würden, wenn sie mir die leeren Taschen umdrehten. -- »Ei,
ei,« sagte der Räuber wieder, »wem gehören denn aber die zwei Beine, die
da herunterhängen?« -- Da half nichts mehr. »Nichts weiter«, versetzte
ich, »als ein paar arme, verirrte Musikantenbeine«, und ließ mich rasch
wieder auf den Boden herab, denn ich schämte mich auch, länger wie eine
zerbrochene Gabel da über dem Aste zu hängen.

Das Pferd des Reiters scheute, als ich so plötzlich vom Baume
herunterfuhr. Er klopfte ihm den Hals und sagte lachend: »Nun, wir sind
auch verirrt, da sind wir rechte Kameraden; ich dächte also, du helfest
uns ein wenig den Weg nach B. aufsuchen. Es soll dein Schade nicht
sein.« Ich hatte nun gut beteuern, daß ich gar nicht wüßte, wo B. läge,
daß ich lieber hier im Wirtshause fragen oder sie in das Dorf
hinunterführen wollte. Der Kerl nahm gar keine Räson an. Er zog ganz
ruhig eine Pistole aus dem Gurt, die recht hübsch im Mondschein
funkelte. »Mein Liebster,« sagte er dabei sehr freundschaftlich zu mir,
während er bald den Lauf der Pistole abwischte, bald wieder prüfend an
die Augen hielt, »mein Liebster, du wirst wohl so gut sein, selber nach
B. vorauszugehen.«

Da war ich nun recht übel daran. Traf ich den Weg, so kam ich gewiß zu
der Räuberbande und bekam Prügel, da ich kein Geld bei mir hatte, traf
ich ihn nicht -- so bekam ich auch Prügel. Ich besann mich also nicht
lange und schlug den ersten besten Weg ein, der an dem Wirtshause
vorüber vom Dorfe abführte. Der Reiter sprengte schnell zu seinem
Begleiter zurück, und beide folgten mir dann in einiger Entfernung
langsam nach. So zogen wir eigentlich recht närrisch auf gut Glück in
die mondhelle Nacht hinein. Der Weg lief immerfort im Walde an einem
Bergeshange fort. Zuweilen konnte man über die Tannenwipfel, die von
unten herauflangten und sich dunkel rührten, weit in die tiefen, stillen
Täler hinaussehen, hin und her schlug eine Nachtigall, Hunde bellten in
der Ferne in den Dörfern. Ein Fluß rauschte beständig aus der Tiefe und
blitzte zuweilen im Mondschein auf. Dabei das einförmige Pferdegetrappel
und das Wirren und Schwirren der Reiter hinter mir, die unaufhörlich in
einer fremden Sprache miteinander plauderten, und das helle Mondlicht
und die langen Schatten der Baumstämme, die wechselnd über die beiden
Reiter wegflogen, daß sie mir bald schwarz, bald hell, bald klein, bald
wieder riesengroß vorkamen. Mir verwirrten sich ordentlich die Gedanken,
als läge ich in einem Traum und könnte gar nicht aufwachen. Ich schritt
immer stramm vor mich hin. Wir müssen, dachte ich, doch am Ende aus dem
Walde und aus der Nacht herauskommen.

Endlich flogen hin und wieder schon lange rötliche Scheine über den
Himmel, ganz leise, wie wenn man über einen Spiegel haucht, auch eine
Lerche sang schon hoch über dem stillen Tale. Da wurde mir auf einmal
ganz klar im Herzen bei dem Morgengruße, und alle Furcht war vorüber.
Die beiden Reiter aber streckten sich und sahen sich nach allen Seiten
um und schienen nun erst gewahr zu werden, daß wir doch wohl nicht auf
dem rechten Wege sein mochten. Sie plauderten wieder viel, und ich
merkte wohl, daß sie von mir sprachen, ja es kam mir vor, als finge der
eine sich vor mir zu fürchten an, als könnt ich wohl gar so ein
heimlicher Schnapphahn sein, der sie im Walde irreführen wollte. Das
machte mir Spaß, denn je lichter es ringsum wurde, je mehr Courage
kriegt ich, zumal da wir soeben auf einen schönen freien Waldplatz
herauskamen. Ich sah mich daher nach allen Seiten ganz wild um und pfiff
dann ein paarmal auf den Fingern, wie die Spitzbuben tun, wenn sie sich
einander Signale geben wollen.

»Halt!« rief auf einmal der eine von den Reitern, daß ich ordentlich
zusammenfuhr. Wie ich mich umsehe, sind sie beide abgestiegen und haben
ihre Pferde an einen Baum angebunden. Der eine kommt aber rasch auf mich
los, sieht mir ganz starr ins Gesicht und fängt auf einmal ganz unmäßig
an zu lachen. Ich muß gestehen, mich ärgerte das unvernünftige
Gelächter. Er aber sagte: »Wahrhaftig, das ist der Gärtner, wollt sagen:
Einnehmer vom Schloß!«

Ich sah ihn groß an, wußte mich aber seiner nicht zu erinnern, hätt auch
viel zu tun gehabt, wenn ich mir alle die jungen Herren hätte ansehen
wollen, die auf dem Schlosse ab und zu ritten. Er aber fuhr mit ewigem
Gelächter fort: »Das ist prächtig! Du vazierst, wie ich sehe, wir
brauchen eben einen Bedienten, bleib bei uns, da hast du ewige Vakanz.«
-- Ich war ganz verblüfft und sagte endlich, daß ich soeben auf einer
Reise nach Italien begriffen wäre. -- »Nach Italien?!« entgegnete der
Fremde; »ebendahin wollen auch wir!« -- »Nun, wenn =das= ist!« rief ich
aus und zog voller Freude meine Geige aus der Tasche und strich, daß die
Vögel im Walde aufwachten. Der Herr aber erwischte geschwind den andern
Herrn und walzte mit ihm wie verrückt auf dem Rasen herum.

Dann standen sie plötzlich still. »Bei Gott,« rief der eine, »da seh ich
schon den Kirchturm von B.! Nun, da wollen wir bald unten sein.« Er zog
seine Uhr heraus und ließ sie repitieren, schüttelte mit dem Kopfe und
ließ noch einmal schlagen. »Nein,« sagte er, »das geht nicht, wir kommen
so zu früh hin, das könnte schlimm werden!«

Darauf holten sie von ihren Pferden Kuchen, Braten und Weinflaschen,
breiteten eine schöne bunte Decke auf dem grünen Rasen aus, streckten
sich darüber hin und schmausten sehr vergnüglich, teilten auch mir von
allem sehr reichlich mit, was mir gar wohl bekam, da ich seit einigen
Tagen schon nicht mehr vernünftig gespeist hatte. -- »Und daß du's
weißt,« sagte der eine zu mir, -- »aber du kennst uns doch nicht?« --
Ich schüttelte mit dem Kopfe. -- »Also, daß du's weißt: ich bin der
Maler Leonhard, und das dort ist -- wieder ein Maler -- Guido geheißen.«

Ich besah mir nun die beiden Maler genauer bei der Morgendämmerung. Der
eine, Herr Leonhard, war groß, schlank, braun, mit lustigen, feurigen
Augen. Der andere war viel jünger, kleiner und feiner, auf altdeutsche
Mode gekleidet, wie es der Portier nannte, mit weißem Kragen und bloßem
Hals, um den die dunkelbraunen Locken herabhingen, die er oft aus dem
hübschen Gesichte wegschütteln mußte. -- Als dieser genug gefrühstückt
hatte, griff er nach meiner Geige, die ich neben mir auf den Boden
gelegt hatte, setzte sich damit auf einen umgehauenen Baumast und
klimperte darauf mit den Fingern. Dann sang er dazu so hell wie ein
Waldvöglein, daß es mir recht durchs ganze Herz klang:

    »Fliegt der erste Morgenstrahl
    Durch das stille Nebeltal,
    Rauscht erwachend Wald und Hügel:
    Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!

    Und sein Hütlein in die Luft
    Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
    Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
    Nun so will ich fröhlich singen!«

Dabei spielten die rötlichen Morgenscheine recht anmutig über sein etwas
blasses Gesicht und die schwarzen verliebten Augen. Ich aber war so
müde, daß sich mir die Worte und Noten, während er so sang, immer mehr
verwirrten, bis ich zuletzt fest einschlief.

Als ich nach und nach wieder zu mir selber kam, hörte ich wie im Traume
die beiden Maler noch immer neben mir sprechen und die Vögel über mir
singen, und die Morgenstrahlen schimmerten mir durch die geschlossenen
Augen, daß mirs innerlich so dunkelhell war, wie wenn die Sonne durch
rotseidene Gardinen scheint. »_Come è bello!_« hört ich da dicht neben
mir ausrufen. Ich schlug die Augen auf und erblickte den jungen Maler,
der im funkelnden Morgenlicht über mich hergebeugt stand, so daß beinah
nur die großen schwarzen Augen zwischen den herabhängenden Locken zu
sehen waren.

Ich sprang geschwind auf, denn es war schon heller Tag geworden. Der
Herr Leonhard schien verdrüßlich zu sein, er hatte zwei zornige Falten
auf der Stirn und trieb hastig zum Aufbruch. Der andere Maler aber
schüttelte seine Locken aus dem Gesicht und trällerte, während er sein
Pferd aufzäumte, ruhig ein Liedchen vor sich hin, bis Leonhard zuletzt
plötzlich laut auflachte, schnell eine Flasche ergriff, die noch auf dem
Rasen stand, und den Rest in die Gläser einschenkte. »Auf eine
glückliche Ankunft!« rief er aus, sie stießen mit den Gläsern zusammen,
es gab einen schönen Klang. Darauf schleuderte Leonhard die leere
Flasche hoch ins Morgenrot, daß es lustig in der Luft funkelte.

Endlich setzten sie sich auf ihre Pferde, und ich marschierte frisch
wieder nebenher. Gerade vor uns lag ein unübersehbares Tal, in das wir
nun hinunterzogen. Da war ein Blitzen und Rauschen und Schimmern und
Jubilieren! Mir war so kühl und fröhlich zumute, als sollt ich von dem
Berge in die prächtige Gegend hinausfliegen.



Viertes Kapitel


Nun ade, Mühle und Schloß und Portier! Nun gings, daß mir der Wind am
Hute pfiff. Rechts und links flogen Dörfer, Städte und Weingärten
vorbei, daß es einem vor den Augen flimmerte; hinter mir die beiden
Maler im Wagen, vor mir vier Pferde mit einem prächtigen Postillion, ich
hoch oben auf dem Kutschbock, daß ich oft ellenhoch in die Höhe flog.

Das war so zugegangen: Als wir vor B. ankamen, kommt schon am Dorfe ein
langer, dürrer, grämlicher Herr im grünen Flauschrock uns entgegen,
macht viele Bücklinge vor den Herren Malern und führt uns in das Dorf
hinein. Da stand unter den hohen Linden vor dem Posthause schon ein
prächtiger Wagen mit vier Postpferden bespannt. Herr Leonhard meinte
unterwegs, ich hätte meine Kleider ausgewachsen. Er holte daher
geschwind andere aus seinem Mantelsack hervor, und ich mußte einen ganz
neuen schönen Frack und Weste anziehn, die mir sehr vornehm zu Gesicht
standen, nur daß mir alles zu lang und weit war und ordentlich um mich
herumschlotterte. Auch einen ganz neuen Hut bekam ich, der funkelte in
der Sonne, als wär er mit frischer Butter überschmiert. Dann nahm der
fremde grämliche Herr die beiden Pferde der Maler am Zügel, die Maler
sprangen in den Wagen, ich auf den Bock, und so flogen wir schon fort,
als eben der Postmeister mit der Schlafmütze aus dem Fenster guckte. Der
Postillion blies lustig auf dem Horne, und so ging es frisch nach
Italien hinein.

Ich hatte eigentlich da droben ein prächtiges Leben, wie der Vogel in
der Luft, und brauchte doch dabei nicht selbst zu fliegen. Zu tun hatte
ich auch weiter nichts, als Tag und Nacht auf dem Bocke zu sitzen und
bei den Wirtshäusern manchmal Essen und Trinken an den Wagen
herauszubringen, denn die Maler sprachen nirgends ein, und bei Tage
zogen sie die Fenster am Wagen so fest zu, als wenn die Sonne sie
erstechen wollte. Nur zuweilen steckte der Herr Guido sein hübsches
Köpfchen zum Wagenfenster heraus und diskurierte freundlich mit mir und
lachte dann den Herrn Leonhard aus, der das nicht leiden wollte und
jedesmal über die langen Diskurse böse wurde. Ein paarmal hätte ich bald
Verdruß bekommen mit meinem Herrn. Das eine Mal, wie ich bei schöner,
sternklarer Nacht droben auf dem Bock die Geige zu spielen anfing, und
sodann späterhin wegen des Schlafes. Das war aber auch ganz zum
Erstaunen! Ich wollte mir doch Italien recht genau besehen und riß die
Augen alle Viertelstunden weit auf. Aber kaum hatte ich ein Weilchen so
vor mich hingesehen, so verschwirrten und verwickelten sich mir die
sechzehn Pferdefüße vor mir wie ein Filet so hin und her und übers
Kreuz, daß mir die Augen gleich wieder übergingen, und zuletzt geriet
ich in ein solches entsetzliches und unaufhaltsames Schlafen, daß gar
kein Rat mehr war. Da mocht es Tag oder Nacht, Regen oder Sonnenschein,
Tirol oder Italien sein, ich hing bald rechts, bald links, bald
rücklings über den Bock herunter, ja manchmal tunkte ich mit solcher
Vehemenz mit dem Kopfe nach dem Boden zu, daß mir der Hut weit vom Kopfe
flog und der Herr Guido im Wagen laut aufschrie.

So war ich, ich weiß selbst nicht wie, durch halb Welschland, das sie
dort Lombardei nennen, durchgekommen, als wir an einem schönen Abend vor
einem Wirtshause auf dem Lande stillhielten. Die Postpferde waren in dem
daranstoßenden Stationsdorfe erst nach ein paar Stunden bestellt, die
Herren Maler stiegen daher aus und ließen sich in ein besonderes Zimmer
führen, um hier ein wenig zu rasten und einige Briefe zu schreiben. Ich
aber war sehr vergnügt darüber und verfügte mich sogleich in die
Gaststube, um endlich wieder einmal so recht mit Ruhe und Kommodität zu
essen und zu trinken. Da sah es ziemlich liederlich aus. Die Mägde
gingen mit zerzottelten Haaren herum und hatten die offenen Halstücher
unordentlich um das gelbe Fell hängen. Um einen runden Tisch saßen die
Knechte vom Hause in blauen Überziehhemden beim Abendessen und glotzten
mich zuweilen von der Seite an. Die hatten alle kurze, dicke Haarzöpfe
und sahen so recht vornehm wie die jungen Herrlein aus. -- Da bist du
nun, dachte ich bei mir und aß fleißig fort, da bist du nun endlich in
dem Lande, woher immer die kuriosen Leute zu unserm Herrn Pfarrer kamen,
mit Mausefallen und Barometern und Bildern. Was der Mensch doch nicht
alles erfährt, wenn er sich einmal hinterm Ofen hervormacht!

Wie ich noch eben so esse und meditiere, wuscht ein Männlein, das bis
jetzt in einer dunklen Ecke der Stube bei seinem Glase Wein gesessen
hatte, auf einmal aus seinem Winkel wie eine Spinne auf mich los. Er war
ganz kurz und bucklicht, hatte aber einen großen grauslichen Kopf mit
einer langen römischen Adlernase und sparsamen roten Backenbart, und die
gepuderten Haare standen ihm von allen Seiten zu Berge, als wenn der
Sturmwind durchgefahren wäre. Dabei trug er einen altmodischen,
verschossenen Frack, kurze plüschene Beinkleider und ganz vergelbte
seidene Strümpfe. Er war einmal in Deutschland gewesen und dachte wunder
wie gut er Deutsch verstünde. Er setzte sich zu mir und frug bald das,
bald jenes, während er immerfort Tabak schnupfte: ob ich der Servitore
sei? wenn wir arriware? ob wir nach Roma kehn? Aber das wußte ich alles
selber nicht und konnte auch sein Kauderwelsch gar nicht verstehn.
»_Parlez-vous français?_« sagte ich endlich in meiner Angst zu ihm. Er
schüttelte mit dem großen Kopfe, und das war mir sehr lieb, denn ich
konnte ja auch nicht Französisch. Aber das half alles nichts. Er hatte
mich einmal recht aufs Korn genommen, er frug und frug immer wieder; je
mehr wir parlierten, je weniger verstand einer den andern, zuletzt
wurden wir beide schon hitzig, so daß mirs manchmal vorkam, als wollte
der Signor mit seiner Adlernase nach mir hacken, bis endlich die Mägde,
die den babylonischen Diskurs mit angehört hatten, uns beide tüchtig
auslachten. Ich aber legte schnell Messer und Gabel hin und ging vor die
Haustür hinaus. Denn mir war in dem fremden Lande nicht anders, als wäre
ich mit meiner deutschen Zunge tausend Klafter tief ins Meer versenkt
und allerlei unbekanntes Gewürm ringelte sich und rauschte da in der
Einsamkeit um mich her und glotzte und schnappte nach mir.

Draußen war eine warme Sommernacht, so recht um gassatim zu gehen. Weit
von den Weinbergen herüber hörte man noch zuweilen einen Winzer singen,
dazwischen blitzte es manchmal von ferne, und die ganze Gegend zitterte
und säuselte im Mondschein. Ja, manchmal kam es mir vor, als schlüpfte
eine lange dunkle Gestalt hinter den Haselnußsträuchern vor dem Hause
vorüber und guckte durch die Zweige, dann war alles auf einmal wieder
still. -- Da trat der Herr Guido eben auf den Balkon des Wirtshauses
heraus. Er bemerkte mich nicht und spielte sehr geschickt auf einer
Zither, die er im Hause gefunden haben mußte, und sang dann dazu wie
eine Nachtigall:

    »Schweigt der Menschen laute Lust:
    Rauscht die Erde wie in Träumen
    Wunderbar mit allen Bäumen,
    Was dem Herzen kaum bewußt,
    Alte Zeiten, linde Trauer,
    Und es schweifen leise Schauer
    Wetterleuchtend durch die Brust.«

Ich weiß nicht, ob er noch mehr gesungen haben mag, denn ich hatte mich
auf die Bank vor der Haustür hingestreckt und schlief in der lauen Nacht
vor großer Ermüdung fest ein.

Es mochten wohl ein paar Stunden ins Land gegangen sein, als mich ein
Posthorn aufweckte, das lange Zeit lustig in meine Träume hereinblies,
ehe ich mich völlig besinnen konnte. Ich sprang endlich auf, der Tag
dämmerte schon an den Bergen, und die Morgenkühle rieselte mir durch
alle Glieder. Da fiel mir erst ein, daß wir ja um diese Zeit schon
wieder weit fort sein wollten. Aha, dachte ich, heut ist einmal das
Wecken und Auslachen an mir. Wie wird der Herr Guido mit dem
verschlafenen Lockenkopfe herausfahren, wenn er mich draußen hört! So
ging ich den kleinen Garten am Hause dicht unter die Fenster, wo meine
Herren wohnten, dehnte mich noch einmal recht ins Morgenrot hinein und
sang fröhlichen Mutes:

    »Wenn der Hoppevogel schreit,
    Ist der Tag nicht mehr weit,
    Wenn die Sonne sich auftut,
    Schmeckt der Schlaf noch so gut!« --

Das Fenster war offen, aber es blieb alles still oben, nur der Nachtwind
ging noch durch die Weinranken, die sich bis in das Fenster
hineinstreckten. -- »Nun, was soll denn das wieder bedeuten?« rief ich
voll Erstaunen aus und lief in das Haus und durch die stillen Gänge nach
der Stube zu. Aber da gab es mir einen rechten Stich ins Herz. Denn wie
ich die Tür aufreiße, ist alles leer darin, kein Frack, kein Hut, kein
Stiefel. -- Nur die Zither, auf der Herr Guido gestern gespielt hatte,
hing an der Wand, auf dem Tische mitten in der Stube lag ein schöner
voller Geldbeutel, worauf ein Zettel geklebt war. Ich hielt ihn näher
ans Fenster und traute meinen Augen kaum, es stand wahrhaftig mit großen
Buchstaben darauf: »Für den Herrn Einnehmer!«

Was war mir aber das alles nütze, wenn ich meine lieben lustigen Herren
nicht wiederfand? Ich schob den Beutel in meine tiefe Rocktasche, das
plumpte wie in einen tiefen Brunnen, daß es mich ordentlich
hintenüberzog. Dann rannte ich hinaus, machte einen großen Lärm und
weckte alle Knechte und Mägde im Hause. Die wußten gar nicht, was ich
wollte, und meinten, ich wäre verrückt geworden. Dann aber verwunderten
sie sich nicht wenig, als sie oben das leere Nest sahen. Niemand wußte
etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd -- wie ich aus ihren Zeichen
und Gestikulationen zusammenbringen konnte -- hatte bemerkt, daß der
Herr Guido, als er gestern abends auf dem Balkon sang, auf einmal laut
aufschrie und dann geschwind zu dem andern Herrn ins Zimmer
zurückstürzte. Als sie hernach in der Nacht einmal aufwachte, hörte sie
draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenster und
sah den buckligen Signor, der gestern mit mir so viel gesprochen hatte,
auf einem Schimmel im Mondschein quer übers Feld galoppieren, daß er
immer ellenhoch überm Sattel in die Höhe flog und die Magd sich
bekreuzte, weil es aussah wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen
Pferde reitet. -- Da wußt ich nun gar nicht, was ich machen sollte.

Unterdes aber stand unser Wagen schon lange vor der Tür angespannt, und
der Postillion stieß ungeduldig ins Horn, daß er hätte bersten mögen,
denn er mußte zur bestimmten Stunde auf der nächsten Station sein, da
alles durch Laufzettel bis auf die Minute vorausbestellt war. Ich rannte
noch einmal um das ganze Haus herum und rief die Maler, aber niemand gab
Antwort, die Leute aus dem Hause liefen zusammen und gafften mich an,
der Postillion fluchte, die Pferde schnaubten, ich, ganz verblüfft,
springe endlich geschwind in den Wagen hinein, der Hausknecht schlägt
die Tür hinter mir zu, der Postillion knallt, und so gings mit mir fort
in die weite Welt hinein.



Fünftes Kapitel


Wir fuhren nun über Berg und Tal Tag und Nacht immerfort. Ich hatte gar
nicht Zeit, mich zu besinnen, denn wo wir hinkamen, standen die Pferde
angeschirrt, ich konnte mit den Leuten nicht sprechen, mein
Demonstrieren half also nichts; oft, wenn ich im Wirtshause eben beim
besten Essen war, blies der Postillion, ich mußte Messer und Gabel
wegwerfen und wieder in den Wagen springen und wußte doch eigentlich gar
nicht, wohin und weswegen ich just mit so ausnehmender Geschwindigkeit
fortreisen sollte.

Sonst war die Lebensart gar nicht so übel. Ich legte mich, wie auf einem
Kanapee, bald in die eine, bald in die andere Ecke des Wagens und lernte
Menschen und Länder kennen, und wenn wir durch Städte fuhren, lehnte ich
mich auf beide Arme zum Wagenfenster heraus und dankte den Leuten, die
höflich vor mir den Hut abnahmen, oder ich grüßte die Mädchen an den
Fenstern wie ein alter Bekannter, die sich dann immer sehr verwunderten
und mir noch lange neugierig nachguckten.

Aber zuletzt erschrak ich sehr. Ich hatte das Geld in dem gefundenen
Beutel niemals gezählt, den Postmeistern und Gastwirten mußte ich
überall viel bezahlen, und ehe ich michs versah, war der Beutel leer.
Anfangs nahm ich mir vor, sobald wir durch einen einsamen Wald führen,
schnell aus dem Wagen zu springen und zu entlaufen. Dann aber tat es mir
wieder leid, nun den schönen Wagen so allein zu lassen, mit dem ich
sonst wohl noch bis ans Ende der Welt fortgefahren wäre.

Nun saß ich eben voller Gedanken und wußte nicht aus noch ein, als es
auf einmal seitwärts von der Landstraße abging. Ich schrie zum Fenster
heraus auf den Postillion: wohin er denn fahre? Aber ich mochte
sprechen, was ich wollte, der Kerl sagte immer bloß: »Si, si, Signore!«
und fuhr immer über Stock und Stein, daß ich aus einer Ecke des Wagens
in die andere flog.

Das wollte mir gar nicht in den Sinn, denn die Landstraße lief gerade
durch eine prächtige Landschaft auf die untergehende Sonne zu, wohl wie
in ein Meer von Glanz und Funken. Von der Seite aber, wohin wir uns
gewendet hatten, lag ein wüstes Gebirge vor uns mit grauen Schluchten,
zwischen denen es schon lange dunkel geworden war. -- Je weiter wir
fuhren, je wilder und einsamer wurde die Gegend. Endlich kam der Mond
hinter den Wolken hervor und schien auf einmal so hell zwischen die
Bäume und Felsen herein, daß es ordentlich grauslich anzusehen war. Wir
konnten nur langsam fahren in den engen steinichten Schluchten, und das
einförmige, ewige Gerassel des Wagens schallte an den Steinwänden weit
in die stille Nacht, als führen wir in ein großes Grabgewölbe hinein.
Nur von vielen Wasserfällen, die man aber nicht sehen konnte, war ein
unaufhörliches Rauschen tiefer im Walde, und die Käuzchen riefen aus der
Ferne immer fort: »Komm mit, komm mit!« -- Dabei kam es mir vor, als
wenn der Kutscher, der, wie ich jetzt erst sah, gar keine Uniform hatte
und kein Postillion war, sich einigemal unruhig umsähe und schneller zu
fahren anfing, und wie ich mich recht zum Wagen herauslegte, kam
plötzlich ein Reiter aus dem Gebüsche hervor, sprengte dicht vor unsern
Pferden quer über den Weg und verlor sich sogleich wieder auf der
anderen Seite im Walde. Ich war ganz verwirrt, denn, soviel ich bei dem
hellen Mondschein erkennen konnte, war es dasselbe bucklige Männlein auf
seinem Schimmel, das in dem Wirtshause mit der Adlernase nach mir
gehackt hatte. Der Kutscher schüttelte den Kopf und lachte laut auf über
die närrische Reiterei, wandte sich aber dann rasch zu mir um, sprach
sehr viel und sehr eifrig, wovon ich leider nichts verstand, und fuhr
dann noch rascher fort.

Ich aber war froh, als ich bald darauf von fern ein Licht schimmern sah.
Es fanden sich nach und nach noch mehrere Lichter, sie wurden immer
größer und heller, und endlich kamen wir an einigen verräucherten Hütten
vorüber, die wie Schwalbennester auf dem Felsen hingen. Da die Nacht
warm war, so standen die Türen offen, und ich konnte darin die
hellerleuchteten Stuben und allerlei lumpiges Gesindel sehen, das wie
dunkle Schatten um das Herdfeuer herumhockte. Wir aber rasselten durch
die stille Nacht einen Steinweg hinan, der sich auf einen hohen Berg
hinaufzog. Bald überdeckten hohe Bäume und herabhängende Sträucher den
ganzen Hohlweg, bald konnte man auf einmal wieder das ganze Firmament
und in der Tiefe die weite stille Runde von Bergen, Wäldern und Tälern
übersehen. Auf dem Gipfel des Berges stand ein großes altes Schloß mit
vielen Türmen im hellsten Mondschein. -- »Nun Gott befohlen!« rief ich
aus und war innerlich ganz munter geworden vor Erwartung, wohin sie mich
da am Ende noch bringen würden.

Es dauerte wohl noch eine gute halbe Stunde, ehe wir endlich auf dem
Berge am Schloßtore ankamen. Das ging in einen breiten, runden Turm
hinein, der oben schon ganz verfallen war. Der Kutscher knallte dreimal,
daß es weit in dem alten Schlosse widerhallte, wo ein Schwarm von Dohlen
ganz erschrocken plötzlich aus allen Luken und Ritzen herausfuhr und mit
großem Geschrei die Luft durchkreuzte. Darauf rollte der Wagen in den
langen, dunklen Torweg hinein. Die Pferde gaben mit ihren Hufeisen Feuer
auf dem Steinpflaster, ein großer Hund bellte, der Wagen donnerte
zwischen den gewölbten Wänden. Die Dohlen schrien noch immer dazwischen
-- so kamen wir mit einem entsetzlichen Spektakel in den engen
gepflasterten Schloßhof.

Eine kuriose Station! dachte ich bei mir, als nun der Wagen stillstand.
Da wurde die Wagentür von draußen aufgemacht, und ein alter langer Mann
mit einer kleinen Laterne sah mich unter seinen dicken Augenbrauen
grämlich an. Er faßte mich dann unter den Arm und half mir, wie einem
großen Herrn, aus dem Wagen heraus. Draußen vor der Haustür stand eine
alte, sehr häßliche Frau in schwarzem Kamisol und Rock, mit einer weißen
Schürze und schwarzen Haube, von der ihr ein langer Schnipper bis an die
Nase herunterhing. Sie hatte an der einen Hüfte einen großen Bund
Schlüssel hängen und hielt in der andern einen altmodischen Armleuchter
mit zwei brennenden Wachskerzen. Sobald sie mich erblickte, fing sie an,
tiefe Knickse zu machen, und sprach und frug sehr viel durcheinander.
Ich verstand aber nichts davon und machte immerfort Kratzfüße vor ihr,
und es war mir eigentlich recht unheimlich zumute.

Der alte Mann hatte unterdes mit seiner Laterne den Wagen von allen
Seiten beleuchtet und brummte und schüttelte den Kopf, als er nirgend
einen Koffer oder Bagage fand. Der Kutscher fuhr darauf, ohne Trinkgeld
von mir zu fordern, den Wagen in einen alten Schuppen, der auf der Seite
des Hofes schon offen stand. Die alte Frau aber bat mich sehr höflich
durch allerlei Zeichen, ihr zu folgen. Sie führte mich mit ihren
Wachskerzen durch einen langen schmalen Gang, und dann eine kleine
steinerne Treppe herauf. Als wir an der Küche vorbeigingen, streckten
ein paar junge Mägde neugierig die Köpfe durch die halbgeöffnete Tür und
guckten mich so starr an und winkten und nickten einander heimlich zu,
als wenn sie in ihrem Leben noch kein Mannsbild gesehen hätten. Die Alte
machte endlich oben eine Tür auf, da wurde ich anfangs ordentlich ganz
verblüfft. Denn es war ein großes, schönes, herrschaftliches Zimmer mit
goldenen Verzierungen an der Decke, und an den Wänden hingen prächtige
Tapeten mit allerlei Figuren und großen Blumen. In der Mitte stand ein
gedeckter Tisch mit Braten, Kuchen, Salat, Obst, Wein und Konfekt, daß
einem recht das Herz im Leibe lachte. Zwischen den beiden Fenstern hing
ein ungeheurer Spiegel, der vom Boden bis zur Decke reichte.

Ich muß sagen, das gefiel mir recht wohl. Ich streckte mich ein paarmal
und ging mit langen Schritten vornehm im Zimmer auf und ab. Dann konnt
ich aber doch nicht widerstehen, mich einmal in einem so großen Spiegel
zu besehen. Das ist wahr, die neuen Kleider vom Herrn Leonhard standen
mir recht schön, auch hatte ich in Italien so ein gewisses feuriges Auge
bekommen, sonst aber war ich gerade noch so ein Milchbart, wie ich zu
Hause gewesen war, nur auf der Oberlippe zeigten sich erst ein paar
Flaumfedern.

Die alte Frau mahlte indes in einem fort mit ihrem zahnlosen Munde, daß
es nicht anders aussah, als wenn sie an der langen herunterhängenden
Nasenspitze kaute. Dann nötigte sie mich zum Sitzen, streichelte mir mit
ihren dürren Fingern das Kinn, nannte mich »Poverina!« wobei sie mich
aus den roten Augen so schelmich ansah, daß sich ihr der eine Mundwinkel
bis an die halbe Wange in die Höhe zog, und ging endlich mit einem
tiefen Knicks zur Tür hinaus.

Ich aber setzte mich zu dem gedeckten Tisch, während eine junge hübsche
Magd hereintrat, um mich bei der Tafel zu bedienen. Ich knüpfte allerlei
galanten Diskurs mit ihr an, sie verstand mich aber nicht, sondern sah
mich immer ganz kurios von der Seite an, weil mirs so gut schmeckte,
denn das Essen war delikat. Als ich satt war und wieder aufstand, nahm
die Magd ein Licht von der Tafel und führte mich in ein anderes Zimmer.
Da war ein Sofa, ein kleiner Spiegel und ein prächtiges Bett mit
grünseidenen Vorhängen. Ich frug sie mit Zeichen, ob ich mich da hinein
legen sollte? Sie nickte zwar: ja, aber das war denn doch nicht möglich,
denn sie blieb wie angenagelt bei mir stehen. Endlich holte ich mir noch
ein großes Glas Wein aus der Tafelstube herein und rief ihr zu:
»_Felicissima notte!_« denn so viel hatt ich schon Italienisch gelernt.
Aber wie ich das Glas so auf einmal ausstürzte, bricht sie plötzlich in
ein verhaltenes Kichern aus, wird über und über rot, geht in die
Tafelstube und macht die Tür hinter sich zu. Was ist da zu lachen?
dachte ich ganz verwundert, ich glaube, die Leute in Italien sind alle
verrückt.

Ich hatte nun nur immer Angst vor dem Postillion, daß der gleich wieder
zu blasen anfangen würde. Ich horchte am Fenster, aber es war alles
still draußen. Laß ihn blasen! dachte ich, zog mich aus und legte mich
in das prächtige Bett. Das war nicht anders, als wenn man in Milch und
Honig schwömme! Vor den Fenstern rauschte die alte Linde im Hofe,
zuweilen fuhr noch eine Dohle plötzlich vom Dache auf, bis ich endlich
voller Vergnügen einschlief.



Sechstes Kapitel


Als ich wieder erwachte, spielten schon die ersten Morgenstrahlen an den
grünen Vorhängen über mir. Ich konnte mich gar nicht besinnen, wo ich
eigentlich wäre. Es kam mir vor, als führe ich noch immer fort im Wagen,
und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer
alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein.

Ich sprang endlich rasch aus dem Bette, kleidete mich an und sah mich
dabei nach allen Seiten in dem Zimmer um. Da bemerkte ich eine kleine
Tapetentür, die ich gestern gar nicht gesehen hatte. Sie war nur
angelehnt, ich öffnete sie und erblickte ein kleines nettes Stübchen,
das in der Morgendämmerung recht heimlich aussah. Über einem Stuhl waren
Frauenkleider unordentlich hingeworfen, auf einem Bettchen daneben lag
das Mädchen, das mir gestern abends bei der Tafel aufgewartet hatte. Sie
schlief noch ganz ruhig und hatte den Kopf auf den weißen bloßen Arm
gelegt, über den ihre schwarzen Locken herabfielen. »Wenn die wüßte, daß
die Tür offen war!« sagte ich zu mir selbst und ging in mein
Schlafzimmer zurück, während ich hinter mir wieder schloß und
verriegelte, damit das Mädchen nicht erschrecken und sich schämen
sollte, wenn sie erwachte.

Draußen ließ sich noch kein Laut vernehmen. Nur ein früh erwachtes
Waldvöglein saß vor meinem Fenster auf einem Strauch, der aus der Mauer
herauswuchs, und sang schon sein Morgenlied. »Nein,« sagte ich, »du
sollst mich nicht beschämen und allein so früh und fleißig Gott loben!«
-- Ich nahm schnell meine Geige, die ich gestern auf das Tischchen
gelegt hatte, und ging hinaus. Im Schlosse war noch alles totenstill,
und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gängen ins Freie
herausfand.

Als ich vor das Schloß heraustrat, kam ich in einen großen Garten, der
auf breiten Terrassen, wovon die eine immer tiefer war als die andere,
bis auf den halben Berg herunterging. Aber das war eine liederliche
Gärtnerei. Die Gänge waren alle mit hohem Grase bewachsen, die
künstlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beschnitten und streckten,
wie Gespenster, lange Nasen oder ellenhohe spitzige Mützen in die Luft
hinaus, daß man sich in der Dämmerung ordentlich davor hätte fürchten
mögen. Auf einige zerbrochene Statuen über einer vertrockneten
Wasserkunst war gar Wäsche aufgehängt, hin und wieder hatten sie mitten
im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar ordinäre Blumen, alles
unordentlich durcheinander und von hohem, wildem Unkraut überwachsen,
zwischen dem sich bunte Eidechsen schlängelten. Zwischen die alten,
hohen Bäume hindurch aber war überall eine weite, einsame Aussicht, eine
Bergkoppe hinter der andern, so weit das Auge reichte.

Nachdem ich so ein Weilchen in der Morgendämmerung durch die Wildnis
umherspaziert war, erblickte ich auf der Terrasse unter mir einen
langen, schmalen, blassen Jüngling in einem langen braunen Kaputrock,
der mit verschränkten Armen und großen Schritten auf und ab ging. Er
tat, als sähe er mich nicht, setzte sich bald darauf auf eine steinerne
Bank hin, zog ein Buch aus der Tasche, las sehr laut, als wenn er
predigte, sah dabei zuweilen zum Himmel und stützte dann den Kopf ganz
melancholisch auf die rechte Hand. Ich sah ihm lange zu, endlich wurde
ich doch neugierig, warum er denn eigentlich so absonderliche Grimassen
machte, und ging schnell auf ihn zu. Er hatte eben einen tiefen Seufzer
ausgestoßen und sprang erschrocken auf, als ich ankam. Er war voller
Verlegenheit, ich auch, wir wußten beide nicht, was wir sprechen
sollten, und machten immerfort Komplimente voreinander, bis er endlich
mit langen Schritten in das Gebüsch Reißaus nahm. Unterdes war die Sonne
über dem Walde aufgegangen, ich sprang auf die Bank hinauf und strich
vor Lust meine Geige, daß es weit in die stillen Täler herunterschallte.
Die Alte mit dem Schlüsselbunde, die mich schon ängstlich im ganzen
Schlosse zum Frühstück aufgesucht hatte, erschien nun auf der Terrasse
über mir und verwunderte sich, daß ich so artig auf der Geige spielen
konnte. Der alte grämliche Mann vom Schlosse fand sich dazu und
verwunderte sich ebenfalls, endlich kamen auch noch die Mägde, und alles
blieb oben voller Verwunderung stehen, und ich fingerte und schwenkte
meinen Fiedelbogen immer künstlicher und hurtiger und spielte Kadenzen
und Variationen, bis ich endlich ganz müde wurde.

Das war nun aber doch ganz seltsam auf dem Schlosse! Kein Mensch dachte
da ans Weiterreisen. Das Schloß war auch gar kein Wirtshaus, sondern
gehörte, wie ich von der Magd erfuhr, einem reichen Grafen. Wenn ich
mich dann manchmal bei der Alten erkundigte, wie der Graf heiße, wo er
wohne, da schmunzelte sie immer bloß wie den ersten Abend, da ich auf
das Schloß kam, und kniff und winkte mir so pfiffig mit den Augen zu,
als wenn sie nicht recht bei Sinne wäre. Trank ich einmal an einem
heißen Tage eine ganze Flasche Wein aus, so kicherten die Mägde gewiß,
wenn sie die andere brachten, und als mich dann gar einmal nach einer
Pfeife Tabak verlangte, ich ihnen durch Zeichen beschrieb, was ich
wollte, da brachen alle in ein großes unvernünftiges Gelächter aus. --
Am verwunderlichsten war mir eine Nachtmusik, die sich oft, und gerade
immer in den finstersten Nächten, unter meinem Fenster hören ließ. Es
griff auf einer Gitarre immer nur von Zeit zu Zeit einzelne, ganz leise
Klänge. Das eine Mal aber kam es mir vor, als wenn es dabei von unten:
»Pst! pst!« heraufrief. Ich fuhr daher geschwind aus dem Bett und mit
dem Kopf aus dem Fenster. »Holla! heda! wer ist da draußen?« rief ich
hinunter. Aber es antwortete niemand, ich hörte nur etwas sehr schnell
durch die Gesträuche fortlaufen. Der große Hund im Hofe schlug über
meinen Lärm ein paarmal an, dann war auf einmal alles wieder still, und
die Nachtmusik ließ sich seitdem nicht wieder vernehmen.

Sonst hatte ich hier ein Leben, wie sichs ein Mensch nur immer in der
Welt wünschen kann. Der gute Portier! er wußte wohl, was er sprach, wenn
er immer zu sagen pflegte, daß in Italien einem die Rosinen von selbst
in den Mund wüchsen. Ich lebte auf dem einsamen Schlosse wie ein
verwunschener Prinz. Wo ich hintrat, hatten die Leute eine große
Ehrerbietung vor mir, obgleich sie schon alle wußten, daß ich keinen
Heller in der Tasche hatte. Ich durfte nur sagen: Tischchen, deck dich!
so standen auch schon herrliche Speisen, Reis, Wein, Melonen und
Parmesankäse da. Ich ließ mirs wohlschmecken, schlief in dem prächtigen
Himmelbett, ging im Garten spazieren, musizierte und half wohl auch
manchmal in der Gärtnerei nach. Oft lag ich auch stundenlang im Garten
im hohen Grase, und der schmale Jüngling (es war ein Schüler und
Verwandter der Alten, der eben jetzt hier zur Vakanz war) ging mit
seinem langen Kaputrock in weiten Kreisen um mich herum und murmelte
dabei, wie ein Zauberer, aus seinem Buche, worüber ich dann auch
jedesmal einschlummerte. -- So verging ein Tag nach dem andern, bis ich
am Ende anfing, von dem guten Essen und Trinken ganz melancholisch zu
werden. Die Glieder gingen mir von dem ewigen Nichtstun ordentlich aus
allen Gelenken, und es war mir, als würde ich vor Faulheit noch ganz
auseinanderfallen.

In dieser Zeit saß ich einmal an einem schwülen Nachmittag im Wipfel
eines hohen Baumes, der am Abhange stand, und wiegte mich auf den Ästen
langsam über dem stillen, tiefen Tale. Die Bienen summten zwischen den
Blättern um mich herum, sonst war alles wie ausgestorben, kein Mensch
war zwischen den Bergen zu sehen, tief unter mir auf den stillen
Waldwiesen ruhten die Kühe auf dem hohen Grase. Aber ganz von weitem kam
der Klang eines Posthorns über die waldigen Gipfel herüber, bald kaum
vernehmbar, bald wieder heller und deutlicher. Mir fiel dabei auf einmal
ein altes Lied recht aufs Herz, das ich noch zu Hause auf meines Vaters
Mühle von einem wandernden Handwerksburschen gelernt hatte, und ich
sang:

    »Wer in die Fremde will wandern,
    Der muß mit der Liebsten gehn,
    Es jubeln und lassen die andern
    Den Fremden alleine stehn.

    Was wisset ihr, dunkele Wipfel,
    Von der alten, schönen Zeit?
    Ach, die Heimat hinter den Gipfeln,
    Wie liegt sie von hier so weit!

    Am liebsten betracht ich die Sterne,
    Die schienen, wenn ich ging zu ihr,
    Die Nachtigall hör ich so gerne,
    Sie sang vor der Liebsten Tür.

    Der Morgen, das ist meine Freude!
    Da steig ich in stiller Stund,
    Auf den höchsten Berg in die Weite,
    Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!«

Es war, als wenn mich das Posthorn bei meinem Liede aus der Ferne
begleiten wollte. Es kam, während ich sang, zwischen den Bergen immer
näher und näher, bis ich es endlich gar oben auf dem Schloßhofe schallen
hörte. Ich sprang rasch vom Baume herunter. Da kam mir auch schon die
Alte mit einem geöffneten Pakete aus dem Schlosse entgegen. »Da ist auch
etwas für Sie mitgekommen«, sagte sie und reichte mir aus dem Paket ein
kleines, niedliches Briefchen. Es war ohne Aufschrift, ich brach es
schnell auf. Aber da wurde ich auch auf einmal im ganzen Gesicht so rot
wie eine Päonie, und das Herz schlug mir so heftig, daß es die Alte
merkte, denn das Briefchen war von -- meiner schönen Frau, von der ich
manches Zettelchen bei dem Herrn Amtmann gesehen hatte. Sie schrieb
darin ganz kurz: »Es ist alles wieder gut, alle Hindernisse sind
beseitigt. Ich benutzte heimlich diese Gelegenheit, um die erste zu
sein, die Ihnen diese freudige Botschaft schreibt. Kommen, eilen Sie
zurück. Es ist so öde hier, und ich kann kaum mehr leben, seit Sie von
uns fort sind. Aurelie.«

Die Augen gingen mir über, als ich das las, vor Entzücken und Schreck
und unsäglicher Freude. Ich schämte mich vor dem alten Weibe, die mich
wieder abscheulich anschmunzelte, und flog wie ein Pfeil bis in den
allereinsamsten Winkel des Gartens. Dort warf ich mich unter den
Haselnußsträuchern ins Gras hin und las das Briefchen noch einmal, sagte
die Worte auswendig für mich hin und las dann wieder und immer wieder,
und die Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Blättern hindurch über den
Buchstaben, daß sie sich wie goldene und hellgrüne und rote Blüten vor
meinen Augen ineinanderschlangen. Ist sie am Ende gar nicht verheiratet
gewesen? dachte ich, war der fremde Offizier damals vielleicht ihr Herr
Bruder, oder ist er nun tot, oder bin ich toll, oder -- »Das ist alles
einerlei!« rief ich endlich und sprang auf, »nun ists ja klar, sie liebt
mich ja, sie liebt mich!«

Als ich aus dem Gesträuch wieder hervorkroch, neigte sich die Sonne zum
Untergange. Der Himmel war rot, die Vögel sangen lustig in allen
Wäldern, die Täler waren voller Schimmer, aber in meinem Herzen war es
noch viel tausendmal schöner und fröhlicher!

Ich rief in das Schloß hinein, daß sie mir heut das Abendessen in den
Garten herausbringen sollten. Die alte Frau, der alte grämliche Mann,
die Mägde, sie mußten alle mit heraus und sich mit mir unter dem Baum an
den gedeckten Tisch setzen. Ich zog meine Geige hervor und spielte und
aß und trank dazwischen. Da wurden sie alle lustig, der alte Mann strich
seine grämlichen Falten aus dem Gesicht und stieß ein Glas nach dem
andern aus, die Alte plauderte in einem fort, Gott weiß was; die Mägde
fingen an auf dem Rasen miteinander zu tanzen. Zuletzt kam auch noch der
blasse Student neugierig hervor, warf einige verächtliche Blicke auf das
Spektakel und wollte ganz vornehm wieder weitergehen. Ich aber, nicht zu
faul, sprang geschwind auf, erwischte ihn, eh er sichs versah, bei
seinem langen Überrock und walzte tüchtig mit ihm herum. Er strengte
sich nun an, recht zierlich und neumodisch zu tanzen, und füßelte so
emsig und künstlich, daß ihm der Schweiß vom Gesicht herunterfloß und
die langen Rockschöße wie ein Rad um uns herumflogen. Dabei sah er mich
aber manchmal so kurios mit verdrehten Augen an, daß ich mich ordentlich
vor ihm zu fürchten anfing und ihn plötzlich wieder losließ.

Die Alte hätte nun gar zu gern erfahren, was in dem Briefe stand und
warum ich denn eigentlich heut auf einmal so lustig war. Aber das war ja
viel zu weitläufig, um es ihr auseinandersetzen zu können. Ich zeigte
bloß auf ein paar Kraniche, die eben hoch über uns durch die Luft zogen,
und sagte: ich müßte nun auch so fort und immer fort, weit in die Ferne!
-- Da riß sie die vertrockneten Augen weit auf und blickte wie ein
Basilisk bald auf mich, bald auf den alten Mann hinüber. Dann bemerkte
ich, wie die beiden heimlich die Köpfe zusammensteckten, sooft ich mich
wegwandte, und sehr eifrig miteinander sprachen und mich dabei zuweilen
von der Seite ansahen.

Das fiel mir auf. Ich sann hin und her, was sie wohl mit mir vorhaben
möchten. Darüber wurde ich stiller, die Sonne war auch schon lange
untergegangen, und so wünschte ich allen gute Nacht und ging
nachdenklich in meine Schlafstube hinauf.

Ich war innerlich so fröhlich und unruhig, daß ich noch lange im Zimmer
auf und nieder ging. Draußen wälzte der Wind schwere, schwarze Wolken
über den Schloßturm weg, man konnte kaum die nächsten Bergkoppen in der
dicken Finsternis erkennen. Da kam es mir vor, als wenn ich im Garten
unten Stimmen hörte. Ich löschte mein Licht aus und stellte mich ans
Fenster. Die Stimmen schienen näher zu kommen, sprachen aber sehr leise
miteinander. Auf einmal gab eine kleine Laterne, welche die eine Gestalt
unterm Mantel trug, einen langen Schein. Ich erkannte nun den grämlichen
Schloßverwalter und die alte Haushälterin. Das Licht blitzte über das
Gesicht der Alten, das mir noch niemals so gräßlich vorgekommen war, und
über ein langes Messer, das sie in der Hand hielt. Dabei konnte ich
sehen, daß sie beide eben nach meinem Fenster hinaufsahen. Dann schlug
der Verwalter seinen Mantel wieder dichter um, und es war bald alles
wieder finster und still.

Was wollen die, dachte ich, zu dieser Stunde noch draußen im Garten?
Mich schauderte, denn es fielen mir alle Mordgeschichten ein, die ich in
meinem Leben gehört hatte, von Hexen und Räubern, welche Menschen
abschlachten, um ihre Herzen zu fressen. Indem ich noch so nachdenke,
kommen Menschentritte erst die Treppe herauf, dann auf dem langen Gange
ganz leise, leise auf meine Tür zu, dabei war es, als wenn zuweilen
Stimmen heimlich miteinander wisperten. Ich sprang schnell an das andere
Ende der Stube hinter einen großen Tisch, den ich, sobald sich etwas
rührte, vor mir aufheben und so mit aller Gewalt auf die Tür losrennen
wollte. Aber in der Finsternis warf ich einen Stuhl um, daß es ein
entsetzliches Gepolter gab. Da wurde es auf einmal ganz still draußen.
Ich lauschte hinter dem Tisch und sah immerfort nach der Tür, als wenn
ich sie mit den Augen durchstechen wollte, daß mir ordentlich die Augen
zum Kopfe herausstanden. Als ich mich ein Weilchen wieder so ruhig
verhalten hatte, daß man die Fliegen an der Wand hätte können gehen
hören, vernahm ich, wie jemand von draußen ganz leise einen Schlüssel
ins Schlüsselloch steckte. Ich wollte nun eben mit meinem Tische
losfahren, da drehte es den Schlüssel langsam dreimal in der Tür um, zog
ihn vorsichtig wieder heraus und schnurrte dann sachte über den Gang und
die Treppe hinunter.

Ich schöpfte nun tief Atem. Oho, dachte ich, da haben sie dich
eingesperrt, damit sie's kommode haben, wenn ich erst fest eingeschlafen
bin. Ich untersuchte geschwind die Tür. Es war richtig, sie war fest
verschlossen, ebenso die andere Tür, hinter der die hübsche, bleiche
Magd schlief. Das war noch niemals geschehen, solange ich auf dem
Schlosse wohnte.

Da saß ich nun in der Fremde gefangen! Die schöne Frau stand nun wohl an
ihrem Fenster und sah über den stillen Garten nach der Landstraße
hinaus, ob ich nicht schon am Zollhäuschen mit meiner Geige
dahergestrichen komme, die Wolken flogen rasch über den Himmel, die Zeit
verging -- und ich konnte nicht fort von hier! Ach, mir war so weh im
Herzen, ich wußte gar nicht mehr, was ich tun sollte. Dabei war mirs
auch immer, wenn die Blätter draußen rauschten oder eine Ratte am Boden
knosperte, als wäre die Alte durch eine verborgene Tapetentür heimlich
hereingetreten und lauere und schleiche leise mit dem langen Messer
durchs Zimmer.

Als ich so voll Sorgen auf dem Bette saß, hörte ich auf einmal seit
langer Zeit wieder die Nachtmusik unter meinen Fenstern. Bei dem ersten
Klange der Gitarre war es mir nicht anders, als wenn mir ein
Morgenstrahl plötzlich durch die Seele führe. Ich riß das Fenster auf
und rief leise hinunter, daß ich wach sei. »Pst, pst!« antwortete es von
unten. Ich besann mich nun nicht lange, steckte das Briefchen und meine
Geige zu mir, schwang mich aus dem Fenster und kletterte an der alten,
zersprungenen Mauer hinab, indem ich mich mit den Händen an den
Sträuchern, die aus den Ritzen wuchsen, anhielt. Aber einige morsche
Ziegel gaben nach, ich kam ins Rutschen, es ging immer rascher und
rascher mit mir, bis ich endlich mit beiden Füßen aufplumpte, daß mirs
im Gehirnkasten knisterte.

Kaum war ich auf diese Art unten im Garten angekommen, so umarmte mich
jemand mit solcher Vehemenz, daß ich laut aufschrie. Der gute Freund
aber hielt mir schnell die Finger auf den Mund, faßte mich an der Hand
und führte mich dann aus dem Gesträuch ins Freie hinaus. Da erkannte ich
mit Verwunderung den guten, langen Studenten, der die Gitarre an einem
breiten seidenen Bande um den Hals hängen hatte. -- Ich beschrieb ihm
nun in größter Geschwindigkeit, daß ich aus dem Garten hinauswollte. Er
schien aber das alles schon lange zu wissen und führte mich auf allerlei
verdeckten Umwegen zu dem untern Tore in der hohen Gartenmauer. Aber da
war nun auch das Tor wieder fest verschlossen! Doch der Student hatte
auch das schon vorbedacht, er zog einen großen Schlüssel hervor und
schloß behutsam auf.

Als wir nun in den Wald hinaustraten und ich ihn eben noch um den besten
Weg zur nächsten Stadt fragen wollte, stürzte er plötzlich vor mir auf
ein Knie nieder, hob die eine Hand hoch in die Höhe und fing an zu
fluchen und zu schwören, daß es entsetzlich anzuhören war. Ich wußte gar
nicht, was er wollte, ich hörte nur immerfort: _Idio_ und _cuore_ und
_amore_ und _furore_! Als er aber am Ende gar anfing, auf beiden Knien
schnell und immer näher auf mich zuzurutschen, da wurde mir auf einmal
ganz grauslich, ich merkte wohl, daß er verrückt war, und rannte, ohne
mich umzusehen, in den dicksten Wald hinein.

Ich hörte nun den Studenten wie rasend hinter mir drein schreien. Bald
darauf gab noch eine andere grobe Stimme vom Schlosse her Antwort. Ich
dachte mir nun wohl, daß sie mich aufsuchen würden. Der Weg war mir
unbekannt, die Nacht finster, ich konnte ihnen leicht wieder in die
Hände fallen. Ich kletterte daher auf den Wipfel einer hohen Tanne
hinauf, um bessere Gelegenheit abzuwarten.

Von dort konnte ich hören, wie auf dem Schlosse eine Stimme nach der
andern wach wurde. Einige Windlichter zeigten sich oben und warfen ihre
wilden roten Scheine über das alte Gemäuer des Schlosses und weit vom
Berge in die schwarze Nacht hinein. Ich befahl meine Seele dem lieben
Gott, denn das verworrene Getümmel wurde immer lauter und näherte sich
immer mehr und mehr. Endlich stürzte der Student mit einer Fackel unter
meinem Baume vorüber, daß ihm die Rockschöße weit im Winde nachflogen.
Dann schienen sie sich alle nach und nach auf eine andere Seite des
Berges hinzuwenden, die Stimmen schallten immer ferner und ferner, und
der Wind rauschte wieder durch den stillen Wald. Da stieg ich schnell
von dem Baume herab und lief atemlos weiter in das Tal und die Nacht
hinaus.



Siebentes Kapitel


Ich war Tag und Nacht eilig fortgegangen, denn es sauste mir lange in
den Ohren, als kämen die vom Berge mit ihrem Rufen, mit Fackeln und
langen Messern noch immer hinter mir drein. Unterwegs erfuhr ich, daß
ich nur noch ein paar Meilen von Rom wäre. Da erschrak ich ordentlich
vor Freude. Denn von dem prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als
Kind viele wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an
Sonntagsnachmittagen vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so
still war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit
wundersamen Bergen und Abgründen am blauen Meer und goldnen Toren und
hohen glänzenden Türmen, von denen Engel in goldnen Gewändern sangen. --
Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien
prächtig, als ich endlich auf einem Hügel aus dem Walde heraustrat und
auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah. -- Das Meer leuchtete von
weitem, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mit unzähligen
Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen
Nebelstreif erkennen konnte, wie ein eingeschlafener Löwe auf der
stillen Erde, und Berge standen daneben wie dunkle Riesen, die ihn
bewachten.

Ich kam nun zuerst auf eine große, einsame Heide, auf der es so grau und
still war wie im Grabe. Nur hin und her stand ein altes verfallenes
Gemäuer oder ein trockener wunderbar gewundener Strauch; manchmal
schwirrten Nachtvögel durch die Luft, und mein eigener Schatten strich
immerfort lang und dunkel in der Einsamkeit neben mir her. Sie sagen,
daß hier eine uralte Stadt und die Frau Venus begraben liegt und die
alten Heiden zuweilen noch aus ihren Gräbern heraufsteigen und bei
stiller Nacht über die Heide gehen und die Wanderer verwirren. Aber ich
ging immer gerade fort und ließ mich nichts anfechten. Denn die Stadt
stieg immer deutlicher und prächtiger vor mir herauf, und die hohen
Burgen und Tore und die goldenen Kuppeln glänzten so herrlich im hellen
Mondenschein, als ständen wirklich die Engel in goldnen Gewändern auf
den Zinnen und sängen durch die stille Nacht herüber.

So zog ich denn endlich erst an kleinen Häusern vorbei, dann durch ein
prächtiges Tor in die berühmte Stadt Rom hinein. Der Mond schien
zwischen den Palästen, als wäre es heller Tag, aber die Straßen waren
schon alle leer, nur hin und wieder lag ein lumpiger Kerl, wie ein
Toter, in der lauen Nacht auf den Marmorschwellen und schlief. Dabei
rauschten die Brunnen auf den stillen Plätzen, und die Gärten an der
Straße säuselten dazwischen und erfüllten die Luft mit erquickenden
Düften.

Wie ich nun eben so weiter fortschlendere und vor Vergnügen, Mondschein
und Wohlgeruch gar nicht weiß, wohin ich mich wenden soll, läßt sich
tief aus dem einen Garten eine Gitarre hören. Mein Gott, denk ich, da
ist mir wohl der tolle Student mit dem langen Überrock heimlich
nachgesprungen! Darüber fing eine Dame in dem Garten an überaus lieblich
zu singen. Ich stand ganz wie bezaubert, denn es war die Stimme der
schönen gnädigen Frau und dasselbe welsche Liedchen, das sie gar oft zu
Hause am offnen Fenster gesungen hatte.

Da fiel mir auf einmal die schöne alte Zeit mit solcher Gewalt aufs
Herz, daß ich bitterlich hätte weinen mögen, der stille Garten vor dem
Schloß in früher Morgenstunde, und wie ich da hinter dem Strauch so
glückselig war, ehe mir die dumme Fliege in die Nase flog. Ich konnte
mich nicht länger halten. Ich kletterte auf den vergoldeten Zieraten
über das Gittertor und schwang mich in den Garten hinunter, woher der
Gesang kam. Da bemerkte ich, daß eine schlanke, weiße Gestalt von fern
hinter einer Pappel stand und mir erst verwundert zusah, als ich über
das Gitterwerk kletterte, dann aber auf einmal so schnell durch den
dunklen Garten nach dem Hause zuflog, daß man sie im Mondschein kaum
füßeln sehen konnte. »Das war sie selbst!« rief ich aus, und das Herz
schlug mir vor Freude, denn ich erkannte sie gleich an den kleinen,
geschwinden Füßchen wieder. Es war nur schlimm, daß ich mir beim
Herunterspringen vom Gartentore den rechten Fuß etwas vertreten hatte,
ich mußte daher erst ein paarmal mit dem Beine schlenkern, eh ich zu dem
Hause nachspringen konnte. Aber da hatten sie unterdes Tür und Fenster
fest verschlossen. Ich klopfte ganz bescheiden an, horchte und klopfte
wieder. Da war es nicht anders, als wenn es drinnen leise flüsterte und
kicherte, ja einmal kam es mir vor, als wenn zwei helle Augen zwischen
den Jalousien im Mondschein hervorfunkelten. Dann war auf einmal wieder
alles still.

Sie weiß nur nicht, daß ich es bin, dachte ich, zog die Geige, die ich
allzeit bei mir trage, hervor, spazierte damit auf dem Gange vor dem
Hause auf und nieder und spielte und sang das Lied von der schönen Frau
und spielte voll Vergnügen alle meine Lieder durch, die ich damals in
den schönen Sommernächten im Schloßgarten oder auf der Bank vor dem
Zollhause gespielt hatte, daß es weit bis in die Fenster des Schlosses
hinüberklang. -- Aber es half alles nichts, es rührte und regte sich
niemand im ganzen Hause. Da steckte ich endlich meine Geige traurig ein
und legte mich auf der Schwelle vor der Haustür hin, denn ich war sehr
müde von dem langen Marsch. Die Nacht war warm, die Blumenbeete vor dem
Hause dufteten lieblich, eine Wasserkunst weiter unten im Garten
plätscherte immerfort dazwischen. Mir träumte von himmelblauen Blumen,
von schönen, dunkelgrünen, einsamen Gründen, wo Quellen rauschten und
Bächlein gingen und bunte Vögel wunderbar sangen, bis ich endlich fest
einschlief.

Als ich aufwachte, rieselte mir die Morgenluft durch alle Glieder. Die
Vögel waren schon wach und zwitscherten auf den Bäumen um mich herum,
als ob sie mich für'n Narren haben wollten. Ich sprang rasch auf und sah
mich nach allen Seiten um. Die Wasserkunst im Garten rauschte noch
immerfort, aber in dem Hause war kein Laut zu vernehmen. Ich guckte
durch die grünen Jalousien in das eine Zimmer hinein. Da war ein Sofa,
und ein großer runder Tisch mit grauer Leinwand verhangen, die Stühle
standen alle in großer Ordnung und unverrückt an den Wänden herum; von
außen aber waren die Jalousien an allen Fenstern heruntergelassen, als
wäre das ganze Haus schon seit vielen Jahren unbewohnt. -- Da überfiel
mich ein ordentliches Grausen vor dem einsamen Hause und Garten und vor
der gestrigen weißen Gestalt. Ich lief, ohne mich weiter umzusehen,
durch die stillen Lauben und Gänge und kletterte geschwind wieder an dem
Gartentor hinauf. Aber da blieb ich wie verzaubert sitzen, als ich auf
einmal von dem hohen Gitterwerk in die prächtige Stadt hinuntersah. Da
blitzte und funkelte die Morgensonne weit über die Dächer und in die
langen stillen Straßen hinein, daß ich laut aufjauchzen mußte und voller
Freude auf die Straße hinuntersprang.

Aber wohin sollt ich mich wenden in der großen fremden Stadt? Auch ging
mir die konfuse Nacht und das welsche Lied der schönen gnädigen Frau von
gestern noch immer im Kopfe hin und her. Ich setzte mich endlich auf den
steinernen Springbrunnen, der mitten auf dem einsamen Platze stand,
wusch mir in dem klaren Wasser die Augen hell und sang dazu:

    »Wenn ich ein Vöglein war,
    Ich wüßt wohl, wovon ich sänge,
    Und auch zwei Flügel hätt,
    Ich wüßt wohl, wohin ich mich schwänge!«

»Ei, lustiger Gesell, du singst ja wie eine Lerche beim ersten
Morgenstrahl!« sagte da auf einmal ein junger Mann zu mir, der während
meines Liedes an den Brunnen herangetreten war. Mir aber, da ich so
unverhofft Deutsch sprechen hörte, war es nicht anders im Herzen, als
wenn die Glocke aus meinem Dorfe am stillen Sonntagsmorgen plötzlich zu
mir herüberklänge. »Gott willkommen, bester Herr Landsmann!« rief ich
aus und sprang voller Vergnügen von dem steinernen Brunnen herab. Der
junge Mann lächelte und sah mich von oben bis unten an. »Aber was treibt
Ihr denn eigentlich hier in Rom?« fragte er endlich. Da wußte ich nun
nicht gleich, was ich sagen sollte, denn daß ich soeben der schönen
gnädigen Frau nachspränge, mocht ich ihm nicht sagen. »Ich treibe,«
erwiderte ich, »mich selbst ein bißchen herum, um die Welt zu sehn.« --
»So so!« versetzte der junge Mann und lachte laut auf, »da haben wir ja
=ein= Metier. Das tu ich eben auch, um die Welt zu sehn und hinterdrein
abzumalen.« -- »Also ein Maler!« rief ich fröhlich aus, denn mir fiel
dabei Herr Leonhard und Guido ein. Aber der Herr ließ mich nicht zu
Worte kommen. »Ich denke,« sagte er, »du gehst mit und frühstückst bei
mir, da will ich dich selbst abkonterfeien, daß es eine Freude sein
soll!« -- Das ließ ich mir gern gefallen und wanderte nun mit dem Maler
durch die leeren Straßen, wo nur hin und wieder erst einige Fensterladen
aufgemacht wurden und bald ein Paar weiße Arme, bald ein verschlafnes
Gesichtchen in die frische Morgenluft hinausguckte.

Er führte mich lange hin und her durch eine Menge konfuser, enger und
dunkler Gassen, bis wir endlich in ein altes verräuchertes Haus
hineinwuschten. Dort stiegen wir eine finstre Treppe hinauf, dann wieder
eine, als wenn wir in den Himmel hineinsteigen wollten. Wir standen nun
unter dem Dache vor einer Tür still, und der Maler fing an in allen
Taschen vorn und hinten mit großer Eilfertigkeit zu suchen. Aber er
hatte heute früh vergessen zuzuschließen und den Schlüssel in der Stube
gelassen. Denn er war, wie er mir unterwegs erzählte, noch vor
Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei
Sonnenaufgang zu betrachten. Er schüttelte nur mit dem Kopfe und stieß
die Tür mit dem Fuße auf.

Das war eine lange, lange, große Stube, daß man darin hätte tanzen
können, wenn nur nicht auf dem Fußboden alles vollgelegen hätte. Aber da
lagen Stiefel, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentöpfe, alles
durcheinander; in der Mitte der Stube standen große Gerüste, wie man zum
Birnenabnehmen braucht, ringsum an der Wand waren große Bilder
angelehnt. Auf einem langen hölzernen Tische war eine Schüssel, worauf
neben einem Farbenkleckse Brot und Butter lag. Eine Flasche Wein stand
daneben.

»Nun eßt und trinkt erst, Landsmann!« rief mir der Maler zu. -- Ich
wollte mir auch sogleich ein paar Butterschnitten schmieren, aber da war
wieder kein Messer da. Wir mußten erst lange in den Papieren auf dem
Tische herumrascheln, ehe wir es unter einem großen Pakete endlich
fanden. Darauf riß der Maler das Fenster auf, daß die frische Morgenluft
fröhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war eine herrliche Aussicht
weit über die Stadt weg in die Berge hinein, wo die Morgensonne lustig
die weißen Landhäuser und Weingärten beschien. -- »Vivat unser
kühlgrünes Deutschland da hinter den Bergen!« rief der Maler aus und
trank dazu aus der Weinflasche, die er mir dann hinreichte. Ich tat ihm
höflich Bescheid und grüßte in meinem Herzen die schöne Heimat in der
Ferne noch viel tausendmal.

Der Maler aber hatte unterdes das hölzerne Gerüst, worauf ein sehr
großes Papier aufgespannt war, näher an das Fenster herangerückt. Auf
dem Papier war bloß mit großen schwarzen Strichen eine alte Hütte gar
künstlich abgezeichnet. Darin saß die Heilige Jungfrau mit einem überaus
schönen, freudigen und doch recht wehmütigen Gesichte. Zu ihren Füßen
auf einem Nestlein von Stroh lag das Jesuskind, sehr freundlich, aber
mit großen, ernsthaften Augen. Draußen auf der Schwelle der offnen Hütte
aber knieten zwei Hirtenknaben mit Stab und Tasche. -- »Siehst du,«
sagte der Maler, »dem einen Hirtenknaben da will ich deinen Kopf
aufsetzen, so kommt dein Gesicht doch auch etwas unter die Leute, und
wills Gott, sollen sie sich daran noch erfreuen, wenn wir beide schon
lange begraben sind und selbst so still und fröhlich vor der Heiligen
Mutter und ihrem Sohne knien wie die glücklichen Jungen hier.« -- Darauf
ergriff er einen alten Stuhl, von dem ihm aber, da er ihn aufheben
wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er paßte ihn geschwind wieder
zusammen, schob ihn vor das Gerüst hin, und ich mußte mich nun darauf
setzen und mein Gesicht etwas von der Seite, nach dem Maler zu, wenden.
-- So saß ich ein paar Minuten ganz still, ohne mich zu rühren. Aber ich
weiß nicht, zuletzt konnt ichs gar nicht recht aushalten, bald juckte
michs da, bald juckte michs dort. Auch hing mir gerade gegenüber ein
zerbrochener halber Spiegel, da mußt ich immerfort hineinsehen und
machte, wenn er eben malte, aus Langeweile allerlei Gesichter und
Grimassen. Der Maler, der es bemerkte, lachte endlich laut auf und
winkte mir mit der Hand, daß ich wieder aufstehen sollte. Mein Gesicht
auf dem Hirten war auch schon fertig und sah so klar aus, daß ich mir
ordentlich selber gefiel.

Er zeichnete nun in der frischen Morgenkühle immer fleißig fort, während
er ein Liedchen dazu sang und zuweilen durch das offne Fenster in die
prächtige Gegend hinausblickte. Ich aber schnitt mir unterdes noch eine
Butterstolle und ging damit im Zimmer auf und ab und besah mir die
Bilder, die an der Wand aufgestellt waren. Zwei darunter gefielen mir
ganz besonders gut. »Habt Ihr die auch gemalt?« fragte ich den Maler.
»Warum nicht gar!« erwiderte er, »die sind von den berühmten Meistern
Leonardo da Vinci und Guido Reni -- aber da weißt du ja doch nichts
davon!« -- Mich ärgerte der Schluß der Rede. »O,« versetzte ich ganz
gelassen, »die beiden Meister kenne ich wie meine eigne Tasche.« -- Da
machte er große Augen. »Wieso?« fragte er geschwind. »Nun,« sagte ich,
»bin ich nicht mit ihnen Tag und Nacht fortgereist, zu Pferde und zu Fuß
und zu Wagen, daß mir der Wind am Hute pfiff, und hab sie alle beide in
der Schenke verloren und bin dann allein in ihrem Wagen mit Extrapost
immer weiter gefahren, daß der Bombenwagen immerfort auf zwei Rädern
über die entsetzlichen Steine flog, und« -- »Oho! Oho!« unterbrach mich
der Maler und sah mich starr an, als wenn er mich für verrückt hielte.
Dann aber brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus. »Ach,« rief
er, »nun versteh ich erst, du bist mit zwei Malern gereist, die Guido
und Leonhard hießen?« -- Da ich das bejahte, sprang er rasch auf und sah
mich nochmals von oben bis unten ganz genau an. »Ich glaube gar,« sagte
er, »am Ende -- spielst du die Violine?« -- Ich schlug auf meine
Rocktasche, daß die Geige darin einen Klang gab. -- »Nun, wahrhaftig,«
versetzte der Maler, »da war eine Gräfin aus Deutschland hier, die hat
sich in allen Winkeln von Rom nach den beiden Malern und nach einem
jungen Musikanten mit der Geige erkundigen lassen.« -- »Eine junge
Gräfin aus Deutschland?« rief ich voller Entzücken aus, »ist der Portier
mit?« -- »Ja, das weiß ich alles nicht,« erwiderte der Maler, »ich sah
sie nur einige Male bei einer Freundin von ihr, die aber auch nicht in
der Stadt wohnt. -- Kennst du die?« fuhr er fort, indem er in einem
Winkel plötzlich eine Leinwanddecke von einem großen Bilde in die Höhe
hob. Da war mirs doch nicht anders, als wenn man in einer finstern Stube
die Laden aufmacht und einem die Morgensonne auf einmal über die Augen
blitzt, es war -- die schöne gnädige Frau! -- sie stand in einem
schwarzen Samtkleide im Garten und hob mit einer Hand den Schleier vom
Gesicht und sah still und freundlich in eine weite, prächtige Gegend
hinaus. Je länger ich hinsah, je mehr kam es mir vor, als wäre es der
Garten am Schlosse, und die Blumen und Zweige wiegten sich leise im
Winde, und unten in der Tiefe sähe ich mein Zollhäuschen und die
Landstraße weit durchs Grüne und die Donau und die fernen blauen Berge.

»Sie ists, sie ists!« rief ich endlich, erwischte meinen Hut und rannte
rasch zur Tür hinaus, die vielen Treppen hinunter und hörte nur noch,
daß mir der verwunderte Maler nachschrie, ich sollte gegen Abend
wiederkommen, da könnten wir vielleicht mehr erfahren.



Achtes Kapitel


Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich sogleich
wieder in dem Gartenhause zu melden, wo die schöne Frau gestern abend
gesungen hatte. Auf den Straßen war unterdes alles lebendig geworden,
Herren und Damen zogen im Sonnenschein und neigten sich und grüßten bunt
durcheinander, prächtige Karossen rasselten dazwischen, und von allen
Türmen läutete es zur Messe, daß die Klänge über dem Gewühl wunderbar in
der klaren Luft durcheinanderhallten. Ich war wie betrunken von Freude
und von dem Rumor und rannte in meiner Fröhlichkeit immer gerade fort,
bis ich zuletzt gar nicht mehr wußte, wo ich stand. Es war wie
verzaubert, als wäre der stille Platz mit dem Brunnen und der Garten und
das Haus bloß ein Traum gewesen und beim hellen Tageslichte alles wieder
von der Erde verschwunden.

Fragen konnte ich nicht, denn ich wußte den Namen des Platzes nicht.
Endlich fing es auch an sehr schwül zu werden, die Sonnenstrahlen
schossen recht wie sengende Pfeile auf das Pflaster, die Leute
verkrochen sich in die Häuser, die Jalousien wurden überall wieder
zugemacht, und es war auf einmal wie ausgestorben auf den Straßen. Ich
warf mich zuletzt ganz verzweifelt vor einem schönen großen Hause hin,
vor dem ein Balkon mit Säulen breiten Schatten warf, und betrachtete
bald die stille Stadt, die in der plötzlichen Einsamkeit bei heller
Mittagsstunde ordentlich schauerlich aussah, bald wieder den tiefblauen,
ganz wolkenlosen Himmel, bis ich endlich vor großer Ermüdung gar
einschlummerte. Da träumte mir, ich läge bei meinem Dorfe auf einer
einsamen grünen Wiese, ein warmer Sommerregen sprühte und glänzte in der
Sonne, die soeben hinter den Bergen unterging, und wie die Regentropfen
auf den Rasen fielen, waren es lauter schöne bunte Blumen, so daß ich
davon ganz überschüttet war.

Aber wie erstaunte ich, als ich erwachte und wirklich eine Menge schöner
frischer Blumen auf und neben mir liegen sah! Ich sprang auf, konnte
aber nichts Besonderes bemerken, als bloß in dem Hause über mir ein
Fenster ganz oben voll von duftenden Sträuchern und Blumen, hinter denen
ein Papagei unablässig plauderte und kreischte. Ich las nun die
zerstreuten Blumen auf, band sie zusammen und steckte mir den Strauß
vorn ins Knopfloch. Dann aber fing ich an, mit dem Papagei ein wenig zu
diskurieren, denn es freute mich, wie er in seinem vergoldeten Gebauer
mit allerlei Grimassen herauf und herunter stieg und sich dabei immer
ungeschickt über die große Zehe trat. Doch ehe ich michs versah,
schimpfte er mich »Furfante!« Wenn es gleich eine unvernünftige Bestie
war, so ärgerte es mich doch. Ich schimpfte ihn wieder, wir gerieten
endlich beide in Hitze, je mehr ich auf deutsch schimpfte, je mehr
gurgelte er auf italienisch wieder auf mich los.

Auf einmal hörte ich jemand hinter mir lachen. Ich drehte mich rasch um.
Es war der Maler von heute früh. »Was stellst du wieder für tolles Zeug
an!« sagte er, »ich warte schon eine halbe Stunde auf dich. Die Luft ist
wieder kühler, wir wollen in einen Garten vor der Stadt gehen, da wirst
du mehrere Landsleute finden und vielleicht etwas Näheres von der
deutschen Gräfin erfahren.«

Darüber war ich außerordentlich erfreut, und wir traten unsern
Spaziergang sogleich an, während ich den Papagei noch lange hinter mir
drein schimpfen hörte.

Nachdem wir draußen vor der Stadt auf schmalen steinichten Fußsteigen
lange zwischen Landhäusern und Weingärten hinaufgestiegen waren, kamen
wir an einen kleinen hochgelegenen Garten, wo mehrere junge Männer und
Mädchen im Grünen um einen runden Tisch saßen. Sobald wir hineintraten,
winkten uns alle zu, uns still zu verhalten, und zeigten auf die andere
Seite des Gartens hin. Dort saßen in einer großen, grünverwachsenen
Laube zwei schöne Frauen an einem Tisch einander gegenüber. Die eine
sang, die andere spielte Gitarre dazu. Zwischen beiden hinter dem Tische
stand ein freundlicher Mann, der mit einem kleinen Stäbchen zuweilen den
Takt schlug. Dabei funkelte die Abendsonne durch das Weinlaub, bald über
die Weinflaschen und Früchte, womit der Tisch in der Laube besetzt war,
bald über die vollen, runden, blendendweißen Achseln der Frau mit der
Gitarre. Die andere war wie verzückt und sang auf italienisch ganz
außerordentlich künstlich, daß ihr die Flechsen am Halse aufschwollen.

Wie sie nun soeben mit zum Himmel gerichteten Augen eine lange Kadenz
anhielt und der Mann neben ihr mit aufgehobenem Stäbchen auf den
Augenblick paßte, wo sie wieder in den Takt einfallen würde, und keiner
im ganzen Garten zu atmen sich unterstand, da flog plötzlich die
Gartentür weit auf und ein ganz erhitztes Mädchen und hinter ihr ein
junger Mensch mit einem feinen, bleichen Gesicht stürzten in großem
Gezänke herein. Der erschrockene Musikdirektor blieb mit seinem
aufgehobenen Stabe wie ein versteinerter Zauberer stehen, obgleich die
Sängerin schon längst den langen Triller plötzlich abgeschnappt hatte
und zornig aufgestanden war. Alle übrigen zischten den Neuangekommenen
wütend an. »Barbar!« rief ihm einer von dem runden Tische zu, »du rennst
da mitten in das sinnreiche Tableau von der schönen Beschreibung hinein,
welche der selige Hoffmann, Seite 347 des Frauentaschenbuches für 1816,
von dem schönsten Hummelschen Bilde gibt, das im Herbst 1814 auf der
Berliner Kunstausstellung zu sehen war!« -- Aber das half alles nichts.
»Ach was!« entgegnete der junge Mann, »mit euern Tableaus von Tableaus!
Mein selbsterfundenes Bild für die andern, und mein Mädchen für mich
allein! So will ich es halten! O du Ungetreue, du Falsche!« fuhr er dann
von neuem gegen das arme Mädchen fort, »du kritische Seele, die in der
Malerkunst nur den Silberblick und in der Dichterkunst nur den goldenen
Faden sucht und keinen Liebsten, sondern nur lauter Schätze hat! Ich
wünsche dir hinfüro, anstatt eines ehrlichen malerischen Pinsels, einen
alten Duka mit einer ganzen Münzgrube von Diamanten auf der Nase und mit
hellem Silberblick auf der kahlen Platte und mit Goldschnitt auf den
paar noch übrigen Haaren! Ja, nur heraus mit dem verruchten Zettel, den
du da vorhin vor mir versteckt hast! Was hast du wieder angezettelt? Von
wem ist der Wisch, und an wen ist er?«

Aber das Mädchen sträubte sich standhaft, und je eifriger die andern den
erbosten jungen Menschen umgaben und ihn mit großem Lärm zu trösten und
zu beruhigen suchten, desto erhitzter und toller wurde er von dem Rumor,
zumal da das Mädchen auch ihr Mäulchen nicht halten konnte, bis sie
endlich weinend aus dem verworrenen Knäuel hervorflog und sich auf
einmal ganz unverhofft an meine Brust stürzte, um bei mir Schutz zu
suchen. Ich stellte mich auch sogleich in die gehörige Positur, aber da
die andern in dem Getümmel soeben nicht auf uns acht gaben, kehrte sie
plötzlich das Köpfchen nach mir herauf und flüsterte mir mit ganz
ruhigem Gesichte sehr leise und schnell ins Ohr: »Du abscheulicher
Einnehmer! Um dich muß ich das alles leiden. Da steck den fatalen Zettel
geschwind zu dir, du findest darauf bemerkt, wo wir wohnen. Also zur
bestimmten Stunde, wenn du ins Tor kommst, immer die einsame Straße
rechts fort!«

Ich konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen, denn wie ich sie
nun erst recht ansah, erkannte ich sie auf einmal: es war wahrhaftig die
schnippische Kammerjungfer vom Schloß, die mir damals an dem schönen
Sonntagsabende die Flasche mit Wein brachte. Sie war mir sonst niemals
so schön vorgekommen, als da sie sich jetzt so erhitzt an mich lehnte,
daß die schwarzen Locken über meinem Arm herabhingen. -- »Aber, verehrte
Mamsell,« sagte ich voller Erstaunen, »wie kommen Sie« -- »Um Gottes
willen, still nur, jetzt still!« erwiderte sie und sprang geschwind von
mir fort auf die andere Seite des Gartens, eh ich mich noch auf alles
recht besinnen konnte.

Unterdes hatten die andern ihr erstes Thema fast ganz vergessen, zankten
aber untereinander recht vergnüglich weiter, indem sie dem jungen
Menschen beweisen wollten, daß er eigentlich betrunken sei, was sich für
einen ehrliebenden Maler gar nicht schicke. Der runde, fixe Mann aus der
Laube, der -- wie ich nachher erfuhr -- ein großer Kenner und Freund von
Künsten war und aus Liebe zu den Wissenschaften gern alles mitmachte,
hatte auch sein Stäbchen weggeworfen und flankierte mit seinem fetten
Gesicht, das vor Freundlichkeit ordentlich glänzte, eifrig mitten in dem
dicksten Getümmel herum, um alles zu vermitteln und zu beschwichtigen,
während er dazwischen immer wieder die lange Kadenz und das schöne
Tableau bedauerte, das er mit vieler Mühe zusammengebracht hatte.

Mir aber war es so sternklar im Herzen wie damals an dem glückseligen
Sonnabend, als ich am offenen Fenster vor der Weinflasche bis tief in
die Nacht hinein auf der Geige spielte. Ich holte, da der Rumor gar kein
Ende nehmen wollte, frisch meine Violine wieder hervor und spielte, ohne
mich lange zu besinnen, einen welschen Tanz auf, den sie dort im Gebirge
tanzen und den ich auf dem alten, einsamen Waldschlosse gelernt hatte.

Da reckten alle die Köpfe in die Höh. »Bravo, bravissimo, ein deliziöser
Einfall!« rief der lustige Kenner von den Künsten und lief sogleich von
einem zum andern, um ein ländliches Divertissement, wie ers nannte,
einzurichten. Er selbst machte den Anfang, indem er der Dame die Hand
reichte, die vorhin in der Laube gespielt hatte. Er begann darauf
außerordentlich künstlich zu tanzen, schrieb mit den Fußspitzen allerlei
Buchstaben auf den Rasen, schlug ordentliche Triller mit den Füßen und
machte von Zeit zu Zeit ganz passable Luftsprünge. Aber er bekam es bald
satt, denn er war etwas korpulent. Er machte immer kürzere und
ungeschicktere Sprünge, bis er endlich ganz aus dem Kreise heraustrat
und heftig hustete und sich mit seinem schneeweißen Schnupftuche
unaufhörlich den Schweiß abwischte. Unterdes hatte auch der junge
Mensch, der nun wieder ganz gescheut geworden war, aus dem Wirtshause
Kastagnetten herbeigeholt, und ehe ich michs versah, tanzten alle unter
den Bäumen bunt durcheinander. Die untergegangene Sonne warf noch einige
rote Widerscheine zwischen die dunklen Schatten und über das alte
Gemäuer und die von Efeu wild überwachsenen, halb versunkenen Säulen
hinten im Garten, während man von der andern Seite tief unter den
Weinbergen die Stadt Rom in den Abendgluten liegen sah. Da tanzten sie
alle lieblich im Grünen in der klaren stillen Luft, und mir lachte das
Herz recht im Leibe, wie die schlanken Mädchen, und die Kammerjungfer
mitten unter ihnen, sich so mit aufgehobenen Armen wie heidnische
Waldnymphen zwischen dem Laubwerk schwangen und dabei jedesmal in der
Luft mit den Kastagnetten lustig dazu schnalzten. Ich konnte mich nicht
länger halten, ich sprang mitten unter sie hinein und machte, während
ich dabei immerfort geigte, recht artige Figuren.

Ich mochte eine ziemliche Weile so im Kreise herumgesprungen sein und
merkte gar nicht, daß die andern unterdes anfingen müde zu werden und
sich nach und nach von dem Rasenplatze verloren. Da zupfte mich jemand
von hinten tüchtig an den Rockschößen. Es war die Kammerjungfer. »Sei
kein Narr,« sagte sie leise, »du springst ja wie ein Ziegenbock!
Studiere deinen Zettel ordentlich und komm bald nach, die schöne junge
Gräfin wartet.« -- Und damit schlüpfte sie in der Dämmerung zur
Gartenpforte hinaus und war bald zwischen den Weingärten verschwunden.

Mir klopfte das Herz, ich wäre am liebsten gleich nachgesprungen. Zum
Glücke zündete der Kellner, da es schon dunkel geworden war, in einer
großen Laterne an der Gartentür Licht an. Ich trat heran und zog
geschwind den Zettel heraus. Da war ziemlich kritzlig mit Bleifeder das
Tor und die Straße beschrieben, wie mir die Kammerjungfer vorhin gesagt
hatte. Dann stand: »Elf Uhr an der kleinen Tür.«

Da waren noch ein paar lange Stunden hin! -- Ich wollte mich
dessenungeachtet sogleich auf den Weg machen, denn ich hatte keine Rast
und Ruhe mehr; aber da kam der Maler, der mich hierhergebracht hatte,
auf mich los. »Hast du das Mädchen gesprochen?« fragte er, »ich seh sie
nun nirgends mehr; das war das Kammermädchen von der deutschen Gräfin.«
»Still, still!« erwiderte ich, »die Gräfin ist noch in Rom.« »Nun, desto
besser,« sagte der Maler, »so komm und trink mit uns auf ihre
Gesundheit!« Und damit zog er mich, wie sehr ich mich auch sträubte, in
den Garten zurück.

Da war es unterdes ganz öde und leer geworden. Die lustigen Gäste
wanderten, jeder sein Liebchen am Arm, nach der Stadt zu, und man hörte
sie noch durch den stillen Abend zwischen den Weingärten plaudern und
lachen, immer ferner und ferner, bis sich endlich die Stimmen tief in
dem Tale im Rauschen der Bäume und des Stromes verloren. Ich war noch
mit meinem Maler und dem Herrn Eckbrecht -- so hieß der andere junge
Maler, der sich vorhin so herumgezankt hatte -- allein oben
zurückgeblieben. Der Mond schien prächtig im Garten zwischen die hohen,
dunklen Bäume herein, ein Licht flackerte im Winde auf dem Tische vor
uns und schimmerte über den vielen vergoßnen Wein auf der Tafel. Ich
mußte mich mit hinsetzen, und mein Maler plauderte mit mir über meine
Herkunft, meine Reise und meinen Lebensplan. Herr Eckbrecht aber hatte
das junge hübsche Mädchen aus dem Wirtshause, nachdem sie uns Flaschen
auf den Tisch gestellt, vor sich auf den Schoß genommen, legte ihr die
Gitarre in den Arm und lehrte sie ein Liedchen darauf klimpern. Sie fand
sich auch bald mit den kleinen Händchen zurecht, und sie sangen dann
zusammen ein italienisches Lied, einmal er, dann wieder das Mädchen eine
Strophe, was sich in dem schönen stillen Abend prächtig ausnahm. -- Als
das Mädchen dann weggerufen wurde, lehnte sich Herr Eckbrecht mit der
Gitarre auf der Bank zurück, legte seine Füße auf einen Stuhl, der vor
ihm stand, und sang nun für sich allein viele herrliche deutsche und
italienische Lieder, ohne sich weiter um uns zu bekümmern. Dabei
schienen die Sterne prächtig am klaren Firmament, die ganze Gegend war
wie versilbert vom Mondscheine, ich dachte an die schöne Frau, an die
ferne Heimat und vergaß darüber ganz meinen Maler neben mir. Zuweilen
mußte Herr Eckbrecht stimmen, darüber wurde er immer ganz zornig. Er
drehte und riß zuletzt an dem Instrument, daß plötzlich eine Saite
sprang. Da warf er die Gitarre hin und sprang auf. Nun wurde er erst
gewahr, daß mein Maler sich unterdes über seinen Arm auf den Tisch
gelegt hatte und fest eingeschlafen war. Er warf schnell einen weißen
Mantel um, der auf einem Aste neben dem Tische hing, besann sich aber
plötzlich, sah erst meinen Maler, dann mich ein paarmal scharf an,
setzte sich darauf, ohne sich lange zu bedenken, gerade vor mich auf den
Tisch hin, räusperte sich, rückte an seiner Halsbinde und fing dann auf
einmal an, eine Rede an mich zu halten. »Geliebter Zuhörer und
Landsmann!« sagte er, »da die Flaschen beinahe leer sind, und da die
Moral unstreitig die erste Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die
Neige gehen, so fühle ich mich aus landsmännlicher Sympathie getrieben,
dir einige Moralität zu Gemüte zu führen. -- Man könnte zwar meinen,«
fuhr er fort, »du seist ein bloßer Jüngling, während doch dein Frack
über seine besten Jahre hinaus ist; man könnte vielleicht annehmen, du
habest vorhin wunderliche Sprünge gemacht, wie ein Satyr; ja, einige
möchten wohl behaupten, du seiest wohl gar ein Landstreicher, weil du
hier auf dem Lande bist und die Geige streichst; aber ich kehre mich an
solche oberflächlichen Urteile nicht, ich halte mich an deine
feingespitzte Nase, ich halte dich für ein vazierendes Genie.« -- Mich
ärgerten die verfänglichen Redensarten, ich wollte ihm soeben recht
antworten. Aber er ließ mich nicht zu Worte kommen. »Siehst du,« sagte
er, »wie du dich schon aufblähst von dem bißchen Lobe. Gehe in dich und
bedenke dies gefährliche Metier! Wir Genies -- denn ich bin auch eins --
machen uns aus der Welt ebensowenig als sie sich aus uns, wir schreiten
vielmehr ohne besondere Umstände in unsern Siebenmeilenstiefeln, die wir
bald mit auf die Welt bringen, gerade auf die Ewigkeit los. O, höchst
klägliche, unbequeme, breitgespreizte Position, mit dem einen Beine in
der Zukunft, wo nichts als Morgenrot und zukünftige Kindergesichter
dazwischen, mit dem andern Beine noch mitten in Rom auf der Piazza del
Popolo, wo das ganze Säkulum bei der guten Gelegenheit mit will und sich
an den Stiefel hängt, daß sie einem das Bein ausreißen möchten! Und alle
das Zucken, Weintrinken und Hungerleiden lediglich für die unsterbliche
Ewigkeit! Und siehe meinen Herrn Kollegen dort auf der Bank, der
gleichfalls ein Genie ist; ihm wird die =Zeit= schon zu lang, was wird
er erst in der Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeschätzter Herr Kollege, du
und ich und die Sonne, wir sind heute früh zusammen aufgegangen und
haben den ganzen Tag gebrütet und gemalt, und es war alles schön -- und
nun fährt die schläfrige Nacht mit ihrem Pelzärmel über die Welt und hat
alle Farben verwischt.« Er sprach noch immerfort und war dabei mit
seinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im Mondschein ganz
leichenblaß anzusehen.

Mir aber graute schon lange vor ihm und seinem wilden Gerede, und als er
sich nun förmlich zu dem schlafenden Maler herumwandte, benutzte ich die
Gelegenheit, schlich, ohne daß er es bemerkte, um den Tisch aus dem
Garten heraus und stieg, allein und fröhlich im Herzen, an dem
Rebengeländer in das weite vom Mondschein beglänzte Tal hinunter.

Von der Stadt her schlugen die Uhren zehn. Hinter mir hörte ich durch
die stille Nacht noch einzelne Gitarrenklänge und manchmal die Stimmen
der beiden Maler, die nun auch nach Hause gingen, von fern
herüberschallen. Ich lief daher so schnell, als ich nur konnte, damit
sie mich nicht weiter ausfragen sollten.

Am Tore bog ich sogleich rechts in die Straße ein und ging mit
klopfendem Herzen eilig zwischen den stillen Häusern und Gärten fort.
Aber wie erstaunte ich, als ich da auf einmal auf dem Platze mit dem
Springbrunnen herauskam, den ich heute am Tage gar nicht hatte finden
können. Da stand das einsame Gartenhaus wieder, im prächtigsten
Mondschein, und auch die schöne Frau sang im Garten wieder dasselbe
italienische Lied wie gestern abend. -- Ich rannte voller Entzücken erst
an die kleine Tür, dann an die Haustür und endlich mit aller Gewalt an
das große Gartentor, aber es war alles verschlossen. Nun fiel mir erst
ein, daß es noch nicht elf geschlagen hatte. Ich ärgerte mich über die
langsame Zeit, aber über das Gartentor klettern wie gestern mochte ich
wegen der guten Lebensart nicht. Ich ging daher ein Weilchen auf dem
einsamen Platze auf und ab und setzte mich endlich wieder auf den
steinernen Brunnen voller Gedanken und stiller Erwartung hin.

Die Sterne funkelten am Himmel, auf dem Platze war alles leer und still,
ich hörte voll Vergnügen dem Gesange der schönen Frau zu, der zwischen
dem Rauschen des Brunnens aus dem Garten herüberklang. Da erblickt ich
auf einmal eine weiße Gestalt, die von der andern Seite des Platzes
herkam und gerade auf die kleine Gartentür zuging. Ich blickte durch den
Mondflimmer recht scharf hin -- es war der wilde Maler in seinem weißen
Mantel. Er zog schnell einen Schlüssel hervor, schloß auf, und ehe ich
michs versah, war er im Garten drin.

Nun hatte ich gegen den Maler schon vom Anfang eine absonderliche Pike
wegen seiner unvernünftigen Reden. Jetzt aber geriet ich ganz außer mir
vor Zorn. Das liederliche Genie ist gewiß wieder betrunken, dachte ich,
den Schlüssel hat er von der Kammerjungfer und will nun die gnädige Frau
beschleichen, verraten, überfallen. -- Und so stürzte ich durch das
kleine, offen gebliebene Pförtchen in den Garten hinein.

Als ich eintrat, war es ganz still und einsam darin. Die Flügeltür vom
Gartenhause stand offen, ein milchweißer Lichtschein drang daraus hervor
und spielte auf dem Grase und den Blumen vor der Tür. Ich blickte von
weitem herein. Da lag in einem prächtigen grünen Gemach, das von einer
weißen Lampe nur wenig erhellt war, die schöne gnädige Frau, mit der
Gitarre im Arm, auf einem seidenen Faulbettchen, ohne in ihrer Unschuld
an die Gefahren draußen zu denken.

Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzusehen, denn ich bemerkte soeben,
daß die weiße Gestalt von der andern Seite ganz behutsam hinter den
Sträuchern nach dem Gartenhause zuschlich. Dabei sang die gnädige Frau
so kläglich aus dem Hause, daß es mir recht durch Mark und Bein ging.
Ich besann mich daher nicht lange, brach einen tüchtigen Ast ab, rannte
damit gerade auf den Weißmantel los und schrie aus vollem Halse
»Mordio!«, daß der ganze Garten erzitterte.

Der Maler, wie er mich so unverhofft daherkommen sah, nahm schnell
Reißaus und schrie entsetzlich. Ich schrie noch besser, er lief nach dem
Hause zu, ich ihm nach -- und ich hatt ihn beinah schon erwischt, da
verwickelte ich mich mit den Füßen in den fatalen Blumenstücken und
stürzte auf einmal der Länge nach vor der Haustür hin.

»Also du bist es, Narr!« hört ich da über mir ausrufen, »hast du mich
doch fast zum Tode erschreckt.« -- Ich raffte mich geschwind wieder auf,
und wie ich mir den Sand und die Erde aus den Augen wischte, steht die
Kammerjungfer vor mir, die soeben bei dem letzten Sprunge den weißen
Mantel von der Schulter verloren hatte. »Aber«, sagte ich ganz
verblüfft, »war denn der Maler nicht hier?« -- »Ja freilich,« entgegnete
sie schnippisch, »sein Mantel wenigstens, den er mir, als ich ihm vorhin
im Tore begegnete, umgehängt hat, weil mich fror.« -- Über dem Geplauder
war nun auch die gnädige Frau von ihrem Sofa aufgesprungen und kam zu
uns an die Tür. Mir klopfte das Herz zum Zerspringen. Aber wie erschrak
ich, als ich recht hinsah und anstatt der schönen gnädigen Frau auf
einmal eine ganz fremde Person erblickte!

Es war eine etwas große, korpulente, mächtige Dame mit einer stolzen
Adlernase und hochgewölbten schwarzen Augenbrauen, so recht zum
Erschrecken schön. Sie sah mich mit ihren großen funkelnden Augen so
majestätisch an, daß ich mich vor Ehrfurcht gar nicht zu lassen wußte.
Ich war ganz verwirrt, ich machte in einem fort Komplimente und wollte
ihr zuletzt gar die Hand küssen. Aber sie riß ihre Hand schnell weg und
sprach dann auf italienisch zu der Kammerjungfer, wovon ich nichts
verstand.

Unterdes aber war von dem vorigen Geschrei die ganze Nachbarschaft
lebendig geworden. Hunde bellten, Kinder schrien, zwischendurch hörte
man einige Männerstimmen, die immer näher und näher auf den Garten
zukamen. Da blickte mich die Dame noch einmal an, als wenn sie mich mit
feurigen Kugeln durchbohren wollte, wandte sich dann rasch nach dem
Zimmer zurück, während sie dabei stolz und gezwungen auflachte, und
schmiß mir die Tür vor der Nase zu. Die Kammerjungfer aber erwischte
mich ohne weiteres beim Flügel und zerrte mich nach der Gartenpforte.

»Da hast du wieder einmal recht dummes Zeug gemacht«, sagte sie
unterwegs voller Bosheit zu mir. Ich wurde auch schon giftig. »Nun, zum
Teufel!« sagte ich, »habt Ihr mich denn nicht selbst hierher bestellt?«
-- »Das ists ja eben,« rief die Kammerjungfer, »meine Gräfin meinte es
so gut mit dir, wirft dir erst Blumen aus dem Fenster zu, singt Arien --
und =das= ist nun ihr Lohn! Aber mit dir ist nun einmal nichts
anzufangen; du trittst dein Glück ordentlich mit Füßen.« -- »Aber«,
erwiderte ich, »ich meinte die Gräfin aus Deutschland, die schöne
gnädige Frau.« -- »Ach,« unterbrach sie mich, »die ist ja lange schon
wieder in Deutschland mitsamt deiner tollen Amour. Und da lauf du nur
auch wieder hin! Sie schmachtet ohnedies nach dir, da könnt ihr zusammen
die Geige spielen und in den Mond gucken, aber daß du mir nicht wieder
unter die Augen kommst!«

Nun aber entstand ein entsetzlicher Rumor und Spektakel hinter uns. Aus
dem anderen Garten kletterten Leute mit Knüppeln hastig über den Zaun,
andere fluchten und durchsuchten schon die Gänge, desperate Gesichter
mit Schlafmützen guckten im Mondschein bald da bald dort über die
Hecken, es war, als wenn der Teufel auf einmal aus allen Hecken und
Sträuchern Gesindel heckte. -- Die Kammerjungfer fackelte nicht lange.
»Dort, dort läuft der Dieb!« schrie sie den Leuten zu, indem sie dabei
auf die andere Seite des Gartens zeigte. Dann schob sie mich schnell aus
dem Garten und klappte das Pförtchen hinter mir zu.

Da stand ich nun unter Gottes freiem Himmel wieder auf dem stillen
Platze mutterseelenallein, wie ich gestern angekommen war. Die
Wasserkunst, die mir vorhin im Mondschein so lustig flimmerte, als wenn
Engelein darin auf und nieder stiegen, rauschte noch fort wie damals,
mir aber war unterdes alle Lust und Freude in den Brunnen gefallen. --
Ich nahm mir nun fest vor, dem falschen Italien mit seinen verrückten
Malern, Pomeranzen und Kammerjungfern auf ewig den Rücken zu kehren, und
wanderte noch zur selbigen Stunde zum Tore hinaus.



Neuntes Kapitel


    »Die treuen Berg' stehn auf der Wacht:
    Wer streicht bei stiller Morgenzeit
    Da aus der Fremde durch die Heid?
    Ich aber mir die Berg' betracht
    Und lach in mich vor großer Lust
    Und rufe recht aus frischer Brust
    Parol und Feldgeschrei sogleich:
    Vivat Östreich!

    Da kennt mich erst die ganze Rund,
    Nun grüßen Bach und Vöglein zart
    Und Wälder rings nach Landesart,
    Die Donau blitzt aus tiefem Grund,
    Der Stephansturm auch ganz von fern
    Guckt übern Berg und säh mich gern,
    Und ist ers nicht, so kommt er doch gleich,
    Vivat Östreich!«

Ich stand auf einem hohen Berge, wo man zum erstenmal nach Östreich
hineinsehen kann, und schwenkte voller Freude noch mit dem Hute und sang
die letzte Strophe, da fiel auf einmal hinter mir im Walde eine
prächtige Musik von Blasinstrumenten mit ein. Ich dreh mich schnell um
und erblicke drei junge Gesellen in langen blauen Mänteln, davon bläst
der eine Oboe, der andere die Klarinette und der dritte, der einen alten
Dreistutzer auf dem Kopfe hatte, das Waldhorn -- die akkompagnierten
mich plötzlich, daß der ganze Wald erschallte. Ich, nicht zu faul, ziehe
meine Geige hervor und spiele und singe sogleich frisch mit. Da sah
einer den andern bedenklich an, der Waldhornist ließ dann zuerst seine
Bausbacken wieder einfallen und setzte sein Waldhorn ab, bis am Ende
alle stille wurden und mich anschauten. Ich hielt verwundert ein und sah
sie auch an. -- »Wir meinten,« sagte endlich der Waldhornist, »weil der
Herr so einen langen Frack hat, der Herr wäre ein reisender Engländer,
der hier zu Fuß die schöne Natur bewundert; da wollten wir uns ein
Viatikum verdienen. Aber mir scheint, der Herr ist selber ein Musikant.«
-- »Eigentlich ein Einnehmer,« versetzte ich, »und komme direkt von Rom
her, da ich aber seit geraumer Zeit nichts mehr eingenommen, so habe ich
mich unterwegs mit der Violine durchgeschlagen.« -- »Bringt nicht viel
heutzutage!« sagte der Waldhornist, der unterdes wieder an den Wald
zurückgetreten war und mit seinem Dreistutzer ein kleines Feuer
anfachte, das sie dort angezündet hatten. »Da gehn die blasenden
Instrumente schon besser,« fuhr er fort; »wenn so eine Herrschaft ganz
ruhig zu Mittag speist, und wir treten unverhofft in das gewölbte
Vorhaus und fangen alle drei aus Leibeskräften zu blasen an -- gleich
kommt ein Bedienter herausgesprungen mit Geld oder Essen, damit sie nur
den Lärm wieder los werden. Aber will der Herr nicht eine Kollation mit
uns einnehmen?«

Das Feuer loderte nun recht lustig im Walde, der Morgen war frisch, wir
setzten uns alle ringsumher auf den Rasen, und zwei von den Musikanten
nahmen ein Töpfchen, worin Kaffee und auch schon Milch war, vom Feuer,
holten Brot aus ihren Manteltaschen hervor und tunkten und tranken
abwechselnd aus dem Topfe, und es schmeckte ihnen so gut, daß es
ordentlich eine Lust war anzusehen. -- Der Waldhornist aber sagte: »Ich
kann das schwarze Gesöff nicht vertragen«, und reichte mir dabei die
eine Hälfte von einer großen, übereinandergelegten Butterschnitte, dann
brachte er eine Flasche Wein zum Vorschein. »Will der Herr nicht auch
einen Schluck?« -- Ich tat einen tüchtigen Zug, mußte aber schnell
wieder absetzen und das ganze Gesicht verziehn, denn es schmeckte wie
Dreimännerwein. »Hiesiges Gewächs,« sagte der Waldhornist, »aber der
Herr hat sich in Italien den deutschen Geschmack verdorben.«

Darauf kramte er eifrig in seinem Schubsack und zog endlich unter
allerlei Plunder eine alte zerfetzte Landkarte hervor, worauf noch der
Kaiser in vollem Ornate zu sehen war, den Zepter in der rechten, den
Reichsapfel in der linken Hand. Er breitete sie auf dem Boden behutsam
auseinander, die andern rückten näher heran, und sie beratschlagten nun
zusammen, was sie für eine Marschroute nehmen sollten.

»Die Vakanz geht bald zu Ende,« sagte der eine, »wir müssen uns gleich
von Linz links abwenden, so kommen wir noch bei guter Zeit nach Prag.«
-- »Nun wahrhaftig!« rief der Waldhornist, »wem willst du da was
vorpfeifen? Nichts als Wälder und Kohlenbauern, kein geläuterter
Kunstgeschmack, keine vernünftige freie Station!« -- »O Narrenspossen!«
erwiderte der andere, »die Bauern sind mir gerade die liebsten, die
wissen am besten, wo einen der Schuh drückt, und nehmens nicht so genau,
wenn man manchmal eine falsche Note bläst.« -- »Das macht, du hast kein
_point d'honneur_,« versetzte der Waldhornist, »_odi profanum vulgus et
arceo_, sagt der Lateiner.« -- »Nun, Kirchen aber muß es auf der Tour
doch geben,« meinte der dritte, »so kehren wir bei den Herren Pfarrern
ein.« -- »Gehorsamster Diener!« sagte der Waldhornist, »die geben
kleines Geld und große Sermone, daß wir nicht so unnütz in der Welt
herumschweifen, sondern uns besser auf die Wissenschaften applizieren
sollen, besonders wenn sie in mir den künftigen Herrn Konfrater wittern.
Nein, nein, _Clericus clericum non decimat_. Aber was gibt es denn da
überhaupt für große Not? Die Herren Professoren sitzen auch noch im
Karlsbade und halten selbst den Tag nicht so genau ein.« -- »Ja,
_distinguendum est inter et inter_,« erwiderte der andere, »_quod licet
Jovi, non licet bovi!_«

Ich aber merkte nun, daß es Prager Studenten waren, und bekam einen
ordentlichen Respekt vor ihnen, besonders da ihnen das Latein nur so wie
Wasser von dem Munde floß. -- »Ist der Herr auch ein Studierter?« fragte
mich darauf der Waldhornist. Ich erwiderte bescheiden, daß ich immer
besondere Lust zum Studieren, aber kein Geld gehabt hätte. -- »Das tut
gar nichts,« rief der Waldhornist, »wir haben auch weder Geld noch
reiche Freundschaft. Aber ein gescheuter Kopf muß sich zu helfen wissen.
_Aurora musis amica_, das heißt zu deutsch: mit vielem Frühstücken
sollst du dir nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die
Mittagsglocken von Turm zu Turm und von Berg zu Berg über die Stadt
gehen und nun die Schüler auf einmal mit großem Geschrei aus dem alten
finstern Kollegium herausbrechen und im Sonnenschein durch die Gassen
schwärmen -- da begeben wir uns bei den Kapuzinern zum Pater
Küchenmeister und finden unsern gedeckten Tisch, und ist er auch nicht
gedeckt, so steht doch für jeden ein voller Topf darauf, da fragen wir
nicht viel darnach und essen und perfektionieren uns dabei noch im
Lateinischsprechen. Sieht der Herr, so studieren wir von einem Tage zum
andern fort. Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die andern
fahren und reiten zu ihren Eltern fort, da wandern wir mit unsern
Instrumenten unterm Mantel durch die Gassen zum Tore hinaus, und die
ganze Welt steht uns offen.«

Ich weiß nicht -- wie er so erzählte -- ging es mir recht durchs Herz,
daß so gelehrte Leute so ganz verlassen sein sollten auf der Welt. Ich
dachte dabei an mich, wie es mir eigentlich selber nicht anders ginge,
und die Tränen traten mir in die Augen. -- Der Waldhornist sah mich groß
an. »Das tut gar nichts,« fuhr er wieder weiter fort, »ich möchte gar
nicht so reisen: Pferde und Kaffee und frisch überzogene Betten, und
Nachtmützen und Stiefelknecht vorausbestellt. Das ist just das Schönste,
wenn wir so frühmorgens heraustreten und die Zugvögel hoch über uns
fortziehen, daß wir gar nicht wissen, welcher Schornstein heut für uns
raucht, und gar nicht voraussehen, was uns bis zum Abend noch für ein
besonderes Glück begegnen kann.« -- »Ja,« sagte der andere, »und wo wir
hinkommen und unsere Instrumente herausziehen, wird alles fröhlich, und
wenn wir dann zur Mittagsstunde auf dem Lande in ein Herrschaftshaus
treten und im Hausflure blasen, da tanzen die Mägde miteinander vor der
Haustür, und die Herrschaft läßt die Saaltür etwas aufmachen, damit sie
die Musik drin besser hören, und durch die Lücke kommt das
Tellergeklapper und der Bratenduft in den freudenreichen Schall
herausgezogen, und die Fräuleins an der Tafel verdrehen sich fast die
Hälse, um die Musikanten draußen zu sehen.« -- »Wahrhaftig,« rief der
Waldhornist mit leuchtenden Augen aus, »laßt die andern nur ihre
Kompendien repetieren, =wir= studieren unterdes in dem großen
Bilderbuche, das der liebe Gott uns draußen aufgeschlagen hat! Ja, glaub
nur der Herr, aus uns werden gerade die rechten Kerls, die den Bauern
dann was zu erzählen wissen und mit der Faust auf die Kanzel schlagen,
daß den Knollfinken unten vor Erbauung und Zerknirschung das Herz im
Leibe bersten möchte.«

Wie sie so sprachen, wurde mir so lustig in meinem Sinn, daß ich gleich
auch hätte mit studieren mögen. Ich konnte mich gar nicht satt hören,
denn ich unterhalte mich gern mit studierten Leuten, wo man etwas
profitieren kann. Aber es konnte gar nicht zu einem recht vernünftigen
Diskurse kommen. Denn dem einen Studenten war vorhin angst geworden,
weil die Vakanz so bald zu Ende gehen sollte. Er hatte daher hurtig sein
Klarinett zusammengesetzt, ein Notenblatt vor sich auf das aufgestemmte
Knie hingelegt und exerzierte sich eine schwierige Passage aus einer
Messe ein, die er mitblasen sollte, wenn sie nach Prag zurückkamen. Da
saß er nun und fingerte und pfiff dazwischen manchmal so falsch, daß es
einem durch Mark und Bein ging und man oft sein eigenes Wort nicht
verstehen konnte.

Auf einmal schrie der Waldhornist mit seiner Baßstimme: »Topp, da hab
ich es«, er schlug dabei fröhlich auf die Landkarte neben ihm. Der
andere ließ auf einen Augenblick von seinem fleißigen Blasen ab und sah
ihn verwundert an. »Hört,« sagte der Waldhornist, »nicht weit von Wien
ist ein Schloß, auf dem Schlosse ist ein Portier, und der Portier ist
mein Vetter! Teuerste Kondiszipels, da müssen wir hin, machen dem Herrn
Vetter unser Kompliment, und er wird dann schon dafür sorgen, wie er uns
wieder weiter fortbringt!« -- Als ich das hörte, fuhr ich geschwind auf.
»Bläst er nicht auf dem Fagott?« rief ich, »und ist von langer, gerader
Beschaffenheit und hat eine große vornehme Nase?« -- Der Waldhornist
nickte mit dem Kopfe. Ich aber embrassierte ihn vor Freuden, daß ihm der
Dreistutzer vom Kopfe fiel, und wir beschlossen nun sogleich, alle
miteinander im Postschiffe auf der Donau nach dem Schloß der schönen
Gräfin hinunterzufahren.

Als wir an das Ufer kamen, war schon alles zur Abfahrt bereit. Der dicke
Gastwirt, bei dem das Schiff über Nacht angelegt hatte, stand breit und
behaglich in seiner Haustür, die er ganz ausfüllte, und ließ zum
Abschied allerlei Witze und Redensarten erschallen, während in jedem
Fenster ein Mädchenkopf herausfuhr und den Schiffern noch freundlich
zunickte, die soeben die letzten Pakete nach dem Schiffe schafften. Ein
ältlicher Herr mit einem grauen Überrock und schwarzem Halstuch, der
auch mitfahren wollte, stand am Ufer und sprach sehr eifrig mit einem
jungen, schlanken Bürschchen, das mit langen, ledernen Beinkleidern und
knapper, scharlachroter Jacke vor ihm auf einem prächtigen Engländer
saß. Es schien mir zu meiner großen Verwunderung, als wenn sie beide
zuweilen nach mir hinblickten und von mir sprächen. -- Zuletzt lachte
der alte Herr, das schlanke Bürschchen schnalzte mit der Reitgerte und
sprengte, mit den Lerchen über ihm um die Wette, durch die Morgenluft in
die blitzende Landschaft hinein.

Unterdes hatten die Studenten und ich unsere Kasse zusammengeschossen.
Der Schiffer lachte und schüttelte den Kopf, als ihm der Waldhornist
damit unser Fährgeld in lauter Kupferstücken aufzählte, die wir mit
großer Not aus allen unsern Taschen zusammengebracht hatten. Ich aber
jauchzte laut auf, als ich auf einmal wieder die Donau so recht vor mir
sah: wir sprangen geschwind auf das Schiff hinauf, der Schiffer gab das
Zeichen, und so flogen wir nun im schönsten Morgenglanze zwischen den
Bergen und Wiesen hinunter.

Da schlugen die Vögel im Walde, und von beiden Seiten klangen die
Morgenglocken von fern aus den Dörfern, hoch in der Luft hörte man
manchmal die Lerchen dazwischen. Von dem Schiffe aber jubilierte und
schmetterte ein Kanarienvogel mit darein, daß es eine rechte Lust war.

Der gehörte einem hübschen jungen Mädchen, die auch mit auf dem Schiffe
war. Sie hatte den Käfig dicht neben sich stehen, von der andern Seite
hielt sie ein feines Bündel Wäsche unterm Arm, so saß sie ganz still für
sich und sah recht zufrieden bald auf ihre neuen Reiseschuhe, die unter
dem Röckchen hervorkamen, bald wieder in das Wasser vor sich hinunter,
und die Morgensonne glänzte ihr dabei auf der weißen Stirn, über der sie
die Haare sehr sauber gescheitelt hatte. Ich merkte wohl, daß die
Studenten gern einen höflichen Diskurs mit ihr angesponnen hätten, denn
sie gingen immer an ihr vorüber, und der Waldhornist räusperte sich
dabei und rückte bald an seiner Halsbinde, bald an dem Dreistutzer. Aber
sie hatten keine rechte Courage, und das Mädchen schlug auch jedesmal
die Augen nieder, sobald sie ihr näher kamen.

Besonders aber genierten sie sich vor dem ältlichen Herrn mit dem grauen
Überrocke, der nun auf der andern Seite des Schiffes saß und den sie
gleich für einen Geistlichen hielten. Er hatte ein Brevier vor sich, in
welchem er las, dazwischen aber oft in die schöne Gegend von dem Buche
aufsah, dessen Goldschnitt und die vielen dareingelegten bunten
Heiligenbilder prächtig im Morgenschein blitzten. Dabei bemerkte er auch
sehr gut, was auf dem Schiffe vorging, und erkannte bald die Vögel an
ihren Federn; denn es dauerte nicht lange, so redete er einen von den
Studenten lateinisch an, worauf alle drei herantraten, die Hüte vor ihm
abnahmen und ihm wieder lateinisch antworteten.

Ich aber hatte mich unterdes ganz vorn auf die Spitze des Schiffes
gesetzt, ließ vergnügt meine Beine über dem Wasser herunterbaumeln und
blickte, während das Schiff so fortflog und die Wellen unter mir
rauschten und schäumten, immerfort in die blaue Ferne, wie da ein Turm
und ein Schloß nach dem andern aus dem Ufergrün hervorkam, wuchs und
wuchs und endlich hinter uns wieder verschwand. Wenn ich nur =heute=
Flügel hätte! dachte ich und zog endlich vor Ungeduld meine liebe
Violine hervor und spielte alle meine ältesten Stücke durch, die ich
noch zu Hause und auf dem Schloß der schönen Frau gelernt hatte.

Auf einmal klopfte mir jemand von hinten auf die Achsel. Es war der
geistliche Herr, der unterdes sein Buch weggelegt und mir schon ein
Weilchen zugehört hatte. »Ei,« sagte er lachend zu mir, »ei, ei, Herr
ludi magister, Essen und Trinken vergißt er.« Er hieß mich darauf meine
Geige einstecken, um einen Imbiß mit ihm einzunehmen, und führte mich zu
einer kleinen lustigen Laube, die von den Schiffern aus jungen Birken
und Tannenbäumchen in der Mitte des Schiffes aufgerichtet worden war.
Dort hatte er einen Tisch hinstellen lassen, und ich, die Studenten und
selbst das junge Mädchen, wir mußten uns auf die Fässer und Pakete
ringsherum setzen.

Der geistliche Herr packte nun einen großen Braten und Butterschnitten
aus, die sorgfältig in Papier gewickelt waren, zog auch aus einem
Futteral mehrere Weinflaschen und einen silbernen, innerlich vergoldeten
Becher hervor, schenkte ein, kostete erst, roch daran und prüfte wieder
und reichte dann einem jeden von uns. Die Studenten saßen kerzengerade
auf ihren Fässern und aßen und tranken nur sehr wenig vor großer
Devotion. Auch das Mädchen tauchte bloß das Schnäbelchen in den Becher
und blickte dabei schüchtern bald auf mich, bald auf die Studenten, aber
je öfter sie uns ansah, je dreister wurde sie nach und nach.

Sie erzählte endlich dem geistlichen Herrn, daß sie nun zum erstenmal
von Hause in Kondition komme und soeben auf das Schloß ihrer neuen
Herrschaft reise. Ich wurde über und über rot, denn sie nannte dabei das
Schloß der schönen gnädigen Frau. -- Also das soll meine zukünftige
Kammerjungfer sein! dachte ich und sah sie groß an, und mir schwindelte
fast dabei. -- »Auf dem Schlosse wird es bald eine große Hochzeit
geben,« sagte darauf der geistliche Herr. »Ja,« erwiderte das Mädchen,
die gern von der Geschichte mehr gewußt hätte; »man sagt, es wäre schon
eine alte, heimliche Liebschaft gewesen, die Gräfin hätte es aber
niemals zugeben wollen.« Der Geistliche antwortete nur mit Hm, hm,
während er seinen Jagdbecher vollschenkte und mit bedenklichen Mienen
daraus nippte. Ich aber hatte mich mit beiden Armen weit über den Tisch
vorgelegt, um die Unterredung recht genau anzuhören. Der geistliche Herr
bemerkte es. »Ich kanns Euch wohl sagen,« hub er wieder an, »die beiden
Gräfinnen haben mich auf Kundschaft ausgeschickt, ob der Bräutigam schon
vielleicht hier in der Gegend sei. Eine Dame aus Rom hat geschrieben,
daß er schon lange von dort fort sei.« -- Wie er von der Dame aus Rom
anfing, wurd ich wieder rot. »Kennen denn Ew. Hochwürden den Bräutigam?«
fragte ich ganz verwirrt. -- »Nein,« erwiderte der alte Herr, »aber er
soll ein lustiger Vogel sein.« -- »O ja,« sagte ich hastig, »ein Vogel,
der aus jedem Käfig ausreißt, sobald er nur kann, und lustig singt, wenn
er wieder in der Freiheit ist.« -- »Und sich in der Fremde herumtreibt,«
fuhr der Herr gelassen fort, »in der Nacht gassatim geht und am Tage vor
den Haustüren schläft.« -- Mich verdroß das sehr. »Ehrwürdiger Herr,«
rief ich ganz hitzig aus, »da hat man Euch falsch berichtet. Der
Bräutigam ist ein moralischer, schlanker, hoffnungsvoller Jüngling, der
in Italien in einem alten Schlosse auf großem Fuß gelebt hat, der mit
lauter Gräfinnen, berühmten Malern und Kammerjungfern umgegangen ist,
der sein Geld sehr wohl zu Rate zu halten weiß, wenn er nur welches
hätte, der --« »Nun, nun, ich wußte nicht, daß Ihr ihn so gut kennt«,
unterbrach mich hier der Geistliche und lachte dabei so herzlich, daß er
ganz blau im Gesichte wurde und ihm die Tränen aus den Augen rollten. --
»Ich hab doch aber gehört,« ließ sich nun das Mädchen wieder vernehmen,
»der Bräutigam wäre ein großer, überaus reicher Herr.« -- »Ach Gott, ja
doch, ja! Konfusion, nichts als Konfusion!« rief der Geistliche und
konnte sich noch immer vor Lachen nicht zugute geben, bis er sich
endlich ganz verhustete. Als er sich wieder ein wenig erholt hatte, hob
er den Becher in die Höh und rief: »Das Brautpaar soll leben!« -- Ich
wußte gar nicht, was ich von dem Geistlichen und seinem Gerede denken
sollte, ich schämte mich aber, wegen der römischen Geschichten, ihm hier
vor allen Leuten zu sagen, daß ich selber der verlorene, glückselige
Bräutigam sei.

Der Becher ging wieder fleißig in die Runde, der geistliche Herr sprach
dabei freundlich mit allen, so daß ihm bald ein jeder gut wurde und am
Ende alles fröhlich durcheinandersprach. Auch die Studenten wurden immer
redseliger und erzählten von ihren Fahrten im Gebirge, bis sie endlich
gar ihre Instrumente holten und lustig zu blasen anfingen. Die kühle
Wasserluft strich dabei durch die Zweige der Laube, die Abendsonne
vergoldete schon die Wälder und Täler, die schnell an uns vorüberflogen,
während die Ufer von den Waldhornsklängen widerhallten. -- Und als dann
der Geistliche von der Musik immer vergnügter wurde und lustige
Geschichten aus seiner Jugend erzählte: wie auch er zur Vakanz über
Berge und Täler gezogen und oft hungrig und durstig, aber immer fröhlich
gewesen, und wie eigentlich das ganze Studentenleben eine große Vakanz
sei zwischen der engen, düstern Schule und der ernsten Amtsarbeit -- da
tranken die Studenten noch einmal herum und stimmten dann frisch ein
Lied an, daß es weit in die Berge hineinschallte.

    »Nach Süden sich nun lenken
    Die Vöglein allzumal,
    Viel Wandrer lustig schwenken
    Die Hüt' im Morgenstrahl.
    Das sind die Herrn Studenten,
    Zum Tor hinaus es geht,
    Auf ihren Instrumenten
    Sie blasen zum Valet:
    Ade in die Läng und Breite,
    O Prag, wir ziehn in die Weite:
    _Et habeat bonam pacem_,
    _Qui sedet post fornacem!_

    Nachts wir durchs Städtlein schweifen,
    Die Fenster schimmern weit,
    Am Fenster drehn und schleifen
    Viel schön geputzte Leut.
    Wir blasen vor den Türen
    Und haben Durst genung,
    Das kommt vom Musizieren,
    Herr Wirt, ein'n frischen Trunk!
    Und siehe, über ein kleines
    Mit einer Kanne Weines
    _Venit ex sua domo_ --
    _Beatus ille homo!_

    Nun weht schon durch die Wälder
    Der kalte Boreas,
    Wir streichen durch die Felder,
    Von Schnee und Regen naß,
    Der Mantel fliegt im Winde,
    Zerrissen sind die Schuh,
    Da blasen wir geschwinde
    Und singen noch dazu:
    _Beatus ille homo_,
    _Qui sedet in sua domo_,
    _Et sedet post fornacem_
    _Et habet bonam pacem!_«

Ich, die Schiffer und das Mädchen, obgleich wir alle kein Latein
verstanden, stimmten jedesmal jauchzend in den letzten Vers mit ein, ich
aber jauchzte am allervergnügtesten, denn ich sah soeben von fern mein
Zollhäuschen und bald darauf auch das Schloß in der Abendsonne über die
Bäume hervorkommen.



Zehntes Kapitel


Das Schiff stieß an das Ufer, wir sprangen schnell ans Land und
verteilten uns nun nach allen Seiten im Grünen, wie Vögel, wenn das
Gebauer plötzlich aufgemacht wird. Der geistliche Herr nahm eiligen
Abschied und ging mit großen Schritten nach dem Schlosse zu. Die
Studenten dagegen wanderten eifrig nach einem abgelegenen Gebüsch, wo
sie noch geschwind ihre Mäntel ausklopfen, sich in dem vorüberfließenden
Bache waschen und einer den andern rasieren wollten. Die neue
Kammerjungfer endlich ging mit ihrem Kanarienvogel und ihrem Bündel
unterm Arm nach dem Wirtshause unter dem Schloßberge, um bei der Frau
Wirtin, die ich ihr als eine gute Person rekommandiert hatte, ein
besseres Kleid anzulegen, ehe sie sich oben im Schlosse vorstellte. Mir
aber leuchtete der schöne Abend recht durchs Herz, und als sie sich nun
alle verlaufen hatten, bedachte ich mich nicht lange und rannte sogleich
nach dem herrschaftlichen Garten hin.

Mein Zollhaus, an dem ich vorbei mußte, stand noch auf der alten Stelle,
die hohen Bäume aus dem herrschaftlichen Garten rauschten noch immer
darüberhin, eine Goldammer, die damals auf dem Kastanienbaume vor dem
Fenster jedesmal bei Sonnenuntergang ihr Abendlied gesungen hatte, sang
auch wieder, als wäre seitdem gar nichts in der Welt vorgegangen. Das
Fenster im Zollhause stand offen, ich lief voller Freuden hin und
steckte den Kopf in die Stube hinein. Es war niemand darin, aber die
Wanduhr pickte noch immer ruhig fort, der Schreibtisch stand am Fenster
und die lange Pfeife in einem Winkel wie damals. Ich konnte nicht
widerstehen, ich sprang durch das Fenster hinein und setzte mich an den
Schreibtisch vor das große Rechenbuch hin. Da fiel der Sonnenschein
durch den Kastanienbaum vor dem Fenster wieder grüngolden auf die
Ziffern in dem aufgeschlagenen Buche, die Bienen summten wieder an dem
offnen Fenster hin und her, die Goldammer draußen auf dem Baume sang
fröhlich immerzu. -- Auf einmal aber ging die Tür aus der Stube auf, und
ein alter, langer Einnehmer in meinem punktierten Schlafrock trat
herein! Er blieb in der Tür stehen, wie er mich so unversehens
erblickte, nahm schnell die Brille von der Nase und sah mich grimmig an.
Ich aber erschrak nicht wenig darüber, sprang, ohne ein Wort zu sagen,
auf und lief aus der Haustür durch den kleinen Garten fort, wo ich mich
noch bald mit den Füßen in dem fatalen Kartoffelkraut verwickelt hätte,
das der alte Einnehmer nunmehr, wie ich sah, nach des Portiers Rat statt
meiner Blumen angepflanzt hatte. Ich hörte noch, wie er vor die Tür
herausfuhr und hinter mir drein schimpfte, aber ich saß schon oben auf
der hohen Gartenmauer und schaute mit klopfendem Herzen in den
Schloßgarten hinein.

Da war ein Duften und Schimmern und Jubilieren von allen Vöglein; die
Plätze und Gänge waren leer, aber die vergoldeten Wipfel neigten sich im
Abendwinde vor mir, als wollten sie mich bewillkommnen, und seitwärts
aus dem tiefen Grunde blitzte zuweilen die Donau zwischen den Bäumen
nach mir herauf.

Auf einmal hörte ich in einiger Entfernung im Garten singen:

    »Schweigt der Menschen laute Lust:
    Rauscht die Erde wie in Träumen
    Wunderbar mit allen Bäumen,
    Was dem Herzen kaum bewußt,
    Alte Zeiten, linde Trauer,
    Und es schweifen leise Schauer
    Wetterleuchtend durch die Brust.«

Die Stimme und das Lied klang mir so wunderlich und doch wieder so
altbekannt, als hätte ichs irgendeinmal im Traume gehört. Ich dachte
lange, lange nach. -- »Das ist der Herr Guido!« rief ich endlich voller
Freude und schwang mich schnell in den Garten hinunter -- es war
dasselbe Lied, das er an jenem Sommerabend auf dem Balkon des
italienischen Wirtshauses sang, wo ich ihn zum letztenmal gesehen hatte.

Er sang noch immer fort, ich aber sprang über Beete und Hecken dem Liede
nach. Als ich nun zwischen den letzten Rosensträuchern hervortrat, blieb
ich plötzlich wie verzaubert stehen. Denn auf dem grünen Platze am
Schwanenteich, recht vom Abendrote beschienen, saß die schöne gnädige
Frau, in einem prächtigen Kleide und einem Kranz von weißen und roten
Rosen in dem schwarzen Haar, mit niedergeschlagenen Augen auf einer
Steinbank und spielte während des Liedes mit ihrer Reitgerte vor sich
auf dem Rasen, gerade so wie damals auf dem Kahne, da ich ihr das Lied
von der schönen Frau vorsingen mußte. Ihr gegenüber saß eine andre junge
Dame, die hatte den weißen runden Nacken voll brauner Locken gegen mich
gewendet und sang zur Gitarre, während die Schwäne auf dem stillen
Weiher langsam im Kreise herumschwammen. -- Da hob die schöne Frau auf
einmal die Augen und schrie laut auf, da sie mich erblickte. Die andere
Dame wandte sich rasch nach mir herum, daß ihr die Locken ins Gesicht
flogen, und da sie mich recht ansah, brach sie in ein unmäßiges Lachen
aus, sprang dann von der Bank und klatschte dreimal mit den Händchen. In
demselben Augenblicke kam eine große Menge kleiner Mädchen in
blütenweißen, kurzen Kleidchen mit grünen und roten Schleifen zwischen
den Rosensträuchern hervorgeschlüpft, so daß ich gar nicht begreifen
konnte, wo sie alle gesteckt hatten. Sie hielten eine lange
Blumengirlande in den Händen, schlossen schnell einen Kreis um mich,
tanzten um mich herum und sangen dabei:

    »Wir bringen dir den Jungfernkranz
    Mit veilchenblauer Seide,
    Wir führen dich zu Lust und Tanz,
    Zu neuer Hochzeitsfreude.
    Schöner, grüner Jungfernkranz,
    Veilchenblaue Seide.«

Das war aus dem Freischützen. Von den kleinen Sängerinnen erkannte ich
nun auch einige wieder, es waren Mädchen aus dem Dorfe. Ich kneipte sie
in die Wangen und wäre gern aus dem Kreise entwischt, aber die kleinen,
schnippischen Dinger ließen mich nicht heraus. -- Ich wußte gar nicht,
was die Geschichte eigentlich bedeuten sollte, und stand ganz verblüfft
da.

Da trat plötzlich ein junger Mann in feiner Jägerkleidung aus dem
Gebüsch hervor. Ich traute meinen Augen kaum -- es war der fröhliche
Herr Leonhard! -- Die kleinen Mädchen öffneten nun den Kreis und standen
auf einmal wie verzaubert, alle unbeweglich auf einem Beinchen, während
sie das andere in die Luft streckten, und dabei die Blumengirlanden mit
beiden Armen hoch über den Köpfen in die Höh hielten. Der Herr Leonhard
aber faßte die schöne gnädige Frau, die noch immer ganz stillstand und
nur manchmal auf mich herüberblickte, bei der Hand, führte sie bis zu
mir und sagte:

»Die Liebe -- darüber sind nun alle Gelehrten einig -- ist eine der
couragiösesten Eigenschaften des menschlichen Herzens, die Bastionen von
Rang und Stand schmettert sie mit einem Feuerblicke darnieder, die Welt
ist ihr zu eng und die Ewigkeit zu kurz. Ja, sie ist eigentlich ein
Poetenmantel, den jeder Phantast einmal in der kalten Welt umnimmt, um
nach Arkadien auszuwandern. Und je entfernter zwei getrennte Verliebte
voneinander wandern, in desto anständigern Bogen bläst der Reisewind den
schillernden Mantel hinter ihnen auf, desto kühner und überraschender
entwickelt sich der Faltenwurf, desto länger und länger wächst der Talar
den Liebenden hinten nach, so daß ein Neutraler nicht über Land gehen
kann, ohne unversehens auf ein paar solche Schleppen zu treten. O
teuerster Herr Einnehmer und Bräutigam! obgleich Ihr in diesem Mantel
bis an die Gestade der Tiber dahinrauschtet, das kleine Händchen Eurer
gegenwärtigen Braut hielt Euch dennoch am äußersten Ende der Schleppe
fest, und wie Ihr zucktet und geigtet und rumortet, Ihr mußtet zurück in
den stillen Bann ihrer schönen Augen. -- Und nun dann, da es so gekommen
ist, ihr zwei lieben, lieben närrischen Leute! schlagt den seligen
Mantel um euch, daß die ganze andere Welt rings um euch untergeht --
liebt euch wie die Kaninchen und seid glücklich!«

Der Herr Leonhard war mit seinem Sermon kaum erst fertig, so kam auch
die andere junge Dame, die vorhin das Liedchen gesungen hatte, auf mich
los, setzte mir schnell einen frischen Myrtenkranz auf den Kopf und sang
dazu sehr neckisch, während sie mir den Kranz in den Haaren festrückte
und ihr Gesichtchen dabei dicht vor mir war:

    »Darum bin ich dir gewogen,
    Darum wird dein Haupt geschmückt,
    Weil der Strich von deinem Bogen
    Öfters hat mein Herz entzückt.«

Da trat sie wieder ein paar Schritte zurück. -- »Kennst du die Räuber
noch, die dich damals in der Nacht vom Baume schüttelten?« sagte sie,
indem sie einen Knicks mir machte und mich so anmutig und fröhlich
ansah, daß mir ordentlich das Herz im Leibe lachte. Darauf ging sie,
ohne meine Antwort abzuwarten, rings um mich herum. »Wahrhaftig, noch
ganz der alte, ohne allen welschen Beischmack! Aber nein, sieh doch nur
einmal die dicken Taschen an!« rief sie plötzlich zu der schönen
gnädigen Frau, »Violine, Wäsche, Barbiermesser, Reisekoffer, alles
durcheinander!« Sie drehte mich nach allen Seiten und konnte sich vor
Lachen gar nicht zugute geben. Die schöne gnädige Frau war unterdes noch
immer still und mochte gar nicht die Augen aufschlagen vor Scham und
Verwirrung. Oft kam es mir vor, als zürnte sie heimlich über das viele
Gerede und Spaßen. Endlich stürzten ihr plötzlich Tränen aus den Augen,
und sie verbarg ihr Gesicht an der Brust der andern Dame. Diese sah sie
erst erstaunt an und drückte sie dann herzlich an sich.

Ich aber stand ganz verdutzt da. Denn je genauer ich die fremde Dame
betrachtete, desto deutlicher erkannte ich sie, es war wahrhaftig
niemand anders als -- der junge Herr Maler Guido!

Ich wußte gar nicht, was ich sagen sollte, und wollte soeben näher
nachfragen, als Herr Leonhard zu ihr trat und heimlich mit ihr sprach.
»Weiß er denn noch nicht?« hörte ich ihn fragen. Sie schüttelte mit dem
Kopfe. Er besann sich darauf einen Augenblick. »Nein, nein,« sagte er
endlich, »er muß schnell alles erfahren, sonst entsteht nur neues
Geplauder und Gewirre.«

»Herr Einnehmer,« wandte er sich nun zu mir, »wir haben jetzt nicht viel
Zeit, aber tue mir den Gefallen und wundere dich hier in aller
Geschwindigkeit aus, damit du nicht hinterher durch Fragen, Erstaunen
und Kopfschütteln unter den Leuten alte Geschichten aufrührst und neue
Erdichtungen und Vermutungen ausschüttelst.« -- Er zog mich bei diesen
Worten tiefer in das Gebüsch hinein, während das Fräulein mit der von
der schönen gnädigen Frau weggelegten Reitgerte in der Luft focht und
alle ihre Locken tief in das Gesichtchen schüttelte, durch die ich aber
doch sehen konnte, daß sie bis an die Stirn rot wurde. -- »Nun denn,«
sagte Herr Leonhard, »Fräulein Flora, die hier soeben tun will, als
hörte und wüßte sie von der ganzen Geschichte nichts, hatte in aller
Geschwindigkeit ihr Herzchen mit jemand vertauscht. Darüber kommt ein
andrer und bringt ihr mit Prologen, Trompeten und Pauken wiederum =sein=
Herz dar und will ihr Herz dagegen. Ihr Herz ist aber schon bei jemand
und jemands Herz bei ihr, und der Jemand will sein Herz nicht wieder
haben und ihr Herz nicht wieder zurückgeben. Alle Welt schreit -- aber
du hast wohl noch keinen Roman gelesen?« -- Ich verneinte es. -- »Nun,
so hast du doch einen mitgespielt. Kurz: das war eine solche Konfusion
mit den Herzen, daß der Jemand -- das heißt ich -- mich zuletzt selbst
ins Mittel legen mußte. Ich schwang mich bei lauer Sommernacht auf mein
Roß, hob das Fräulein als Maler Guido auf das andere, und so ging es
fort nach Süden, um sie in einem meiner einsamen Schlösser in Italien zu
verbergen, bis das Geschrei wegen der Herzen vorüber wäre. Unterwegs
aber kam man uns auf die Spur, und von dem Balkon des welschen
Wirtshauses, vor dem du so vortrefflich Wache schliefst, erblickte Flora
plötzlich unsere Verfolger.« -- »Also der bucklige Signor?« -- »War ein
Spion. Wir zogen uns daher heimlich in die Wälder und ließen dich auf
dem vorbestellten Postkurse allein fortfahren. Das täuschte unsere
Verfolger und zum Überfluß auch noch meine Leute auf dem Bergschlosse,
welche die verkleidete Flora stündlich erwarteten und mit mehr
Diensteifer als Scharfsinn dich für das Fräulein hielten. Selbst hier
auf dem Schlosse glaubte man, daß Flora auf dem Felsen wohne, man
erkundigte sich, man schrieb an sie -- hast du nicht ein Briefchen
erhalten?« -- Bei diesen Worten fuhr ich blitzschnell mit dem Zettel aus
der Tasche. -- »Also dieser Brief?« -- »Ist an mich«, sagte Fräulein
Flora, die bisher auf unsere Rede gar nicht acht zu geben schien, riß
mir den Zettel rasch aus der Hand, überlas ihn und steckte ihn dann in
den Busen. -- »Und nun,« sagte Herr Leonhard, »müssen wir schnell in das
Schloß, da wartet schon alles auf uns. Also zum Schluß, wie sichs von
selbst versteht und einem wohlerzogenen Romane gebührt: Entdeckung,
Reue, Versöhnung, wir sind alle wieder lustig beisammen, und übermorgen
ist Hochzeit!«

Da er noch so sprach, erhob sich plötzlich in dem Gebüsch ein rasender
Spektakel von Pauken und Trompeten, Hörnern und Posaunen; Böller wurden
dazwischen gelöst und Vivat gerufen, die kleinen Mädchen tanzten von
neuem, und aus allen Sträuchern kam ein Kopf über dem andern hervor, als
wenn sie aus der Erde wüchsen. Ich sprang in dem Geschwirre und
Geschleife ellenhoch von einer Seite zur andern, da es aber schon dunkel
wurde, erkannte ich erst nach und nach alle die alten Gesichter wieder.
Der alte Gärtner schlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren
Mänteln musizierten mitten darunter, neben ihnen fingerte der Portier
wie toll auf seinem Fagott. Wie ich den so unverhofft erblickte, lief
ich sogleich auf ihn zu und embrassierte ihn heftig. Darüber kam er ganz
aus dem Konzept. »Nun wahrhaftig, und wenn der bis ans Ende der Welt
reist, er ist und bleibt ein Narr!« rief er den Studenten zu und blies
ganz wütend weiter.

Unterdes war die schöne gnädige Frau vor dem Rumor heimlich entsprungen
und flog wie ein aufgescheuchtes Reh über den Rasen tiefer in den Garten
hinein. Ich sah es noch zur rechten Zeit und lief ihr eiligst nach. Die
Musikanten merkten in ihrem Eifer nichts davon, sie meinten nachher: wir
wären schon nach dem Schlosse aufgebrochen, und die ganze Bande setzte
sich nun mit Musik und großem Getümmel gleichfalls dorthin auf den
Marsch.

Wir aber waren fast zu gleicher Zeit in einem Sommerhause angekommen,
das am Abhange des Gartens stand, mit dem offenen Fenster nach dem
weiten, tiefen Tale zu. Die Sonne war schon lange untergegangen hinter
den Bergen, es schimmerte nur noch wie ein rötlicher Duft über dem
warmen, verschallenden Abend, aus dem die Donau immer vernehmlicher
heraufrauschte, je stiller es ringsum wurde. Ich sah unverwandt die
schöne Gräfin an, die ganz erhitzt vom Laufen dicht vor mir stand, so
daß ich ordentlich hören konnte, wie ihr das Herz schlug. Ich wußte nun
aber gar nicht, was ich sprechen sollte vor Respekt, da ich auf einmal
so allein mit ihr war. Endlich faßte ich ein Herz, nahm ihr kleines,
weißes Händchen -- da zog sie mich schnell an sich und fiel mir um den
Hals, und ich umschlang sie fest mit beiden Armen.

Sie machte sich aber geschwind wieder los und legte sich ganz verwirrt
in das Fenster, um ihre glühenden Wangen in der Abendluft abzukühlen. --
»Ach,« rief ich, »mir ist mein Herz recht zum Zerspringen, aber ich kann
mir noch alles nicht recht denken, es ist mir alles noch wie ein Traum!«
-- »Mir auch,« sagte die schöne gnädige Frau. »Als ich vergangenen
Sommer,« setzte sie nach einer Weile hinzu, »mit der Gräfin aus Rom kam
und wir das Fräulein Flora gefunden hatten und mit zurückbrachten, von
dir aber dort und hier nichts hörte -- da dacht ich nicht, daß alles so
noch kommen würde! Erst heut zu Mittag sprengte der Jockei, der gute,
flinke Bursch, atemlos auf den Hof und brachte die Nachricht, daß du mit
dem Postschiffe kämst.« -- Dann lachte sie still in sich hinein. »Weißt
du noch,« sagte sie, »wie du mich damals auf dem Balkon zum letztenmal
sahst? Das war gerade wie heute, auch so ein stiller Abend und Musik im
Garten.« -- »Wer ist denn eigentlich gestorben?« fragte ich hastig. --
»Wer denn?« sagte die schöne Frau und sah mich erstaunt an. »Der Herr
Gemahl von Ew. Gnaden,« erwiderte ich, »der damals mit auf dem Balkon
stand.« -- Sie wurde ganz rot. »Was hast du auch für Seltsamkeiten im
Kopfe!« rief sie aus, »das war ja der Sohn von der Gräfin, der eben von
Reisen zurückkam, und es traf gerade auch mein Geburtstag, da führte er
mich mit auf den Balkon hinaus, damit ich auch ein Vivat bekäme. -- Aber
deshalb bist du wohl damals von hier fortgelaufen?« -- »Ach Gott,
freilich!« rief ich aus und schlug mich mit der Hand vor die Stirn. Sie
aber schüttelte mit dem Köpfchen und lachte recht herzlich.

Mir war so wohl, wie sie so fröhlich und vertraulich neben mir
plauderte, ich hätte bis zum Morgen zuhören mögen. Ich war so recht
seelenvergnügt und langte eine Handvoll Knackmandeln aus der Tasche, die
ich noch aus Italien mitgebracht hatte. Sie nahm auch davon, und wir
knackten nun und sahen zufrieden in die stille Gegend hinaus. -- »Siehst
du,« sagte sie nach einem Weilchen wieder, »das weiße Schlößchen, das da
drüben im Mondschein glänzt, das hat uns der Graf geschenkt, samt dem
Garten und den Weinbergen, da werden wir wohnen. Er wußt es schon lange,
daß wir einander gut sind, und ist dir sehr gewogen, denn hätt er dich
nicht mitgehabt, als er das Fräulein aus der Pensionsanstalt entführte,
so wären sie beide erwischt worden, ehe sie sich vorher noch mit der
Gräfin versöhnten, und alles wäre anders gekommen.« -- »Mein Gott,
schönste, gnädigste Gräfin,« rief ich aus, »ich weiß gar nicht mehr, wo
mir der Kopf steht vor lauter unverhofften Neuigkeiten; also der Herr
Leonhard?« -- »Ja, ja,« fiel sie mir in die Rede, »so nannte er sich in
Italien; dem gehören die Herrschaften da drüben, und er heiratet nun
unserer Gräfin Tochter, die schöne Flora. -- Aber was nennst du mich
denn Gräfin?« -- Ich sah sie groß an. -- »Ich bin ja gar keine Gräfin,«
fuhr sie fort, »unsere gnädige Gräfin hat mich nur zu sich aufs Schloß
genommen, da mich mein Onkel, der Portier, als kleines Kind und arme
Waise mit hierherbrachte.«

Nun wars mir doch nicht anders, als wenn mir ein Stein vom Herzen fiele!
»Gott segne den Portier,« versetzte ich ganz entzückt, »daß er unser
Onkel ist! Ich habe immer große Stücke auf ihn gehalten.« -- »Er meint
es auch gut mir dir,« erwiderte sie, »wenn du dich nur etwas vornehmer
hieltest, sagt er immer. Du mußt dich jetzt auch eleganter kleiden.« --
»O,« rief ich voller Freuden, »englischen Frack, Strohhut und Pumphosen
und Sporen! und gleich nach der Trauung reisen wir fort nach Italien,
nach Rom, da gehn die schönen Wasserkünste, und nehmen die Prager
Studenten mit und den Portier!« -- Sie lächelte still und sah mich recht
vergnügt und freundlich an, und von fern schallte immerfort die Musik
herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über
die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf -- und es war
alles, alles gut!


Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig



  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  zu prozudieren hatt ich keine Courage. Da sah ich nun allemal die
  zu produzieren hatt ich keine Courage. Da sah ich nun allemal die

  Brust und und sagte: »Portier, jetzt schert Ihr Euch nach Hause, oder ich
  Brust und sagte: »Portier, jetzt schert Ihr Euch nach Hause, oder ich

  Dann standen sie plötzlich still. »Bei Gott,« rief der eine, da seh ich
  Dann standen sie plötzlich still. »Bei Gott,« rief der eine, »da seh ich

  rechts fort!
  rechts fort!«

  wenn man manchmal einen falsche Note bläst.« -- »Das macht, du hast kein
  wenn man manchmal eine falsche Note bläst.« -- »Das macht, du hast kein

  soll ein luftiger Vogel sein.« -- »O ja,« sagte ich hastig, »ein Vogel,
  soll ein lustiger Vogel sein.« -- »O ja,« sagte ich hastig, »ein Vogel,

  Geplauder und Gewirre.
  Geplauder und Gewirre.«

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