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Title: Der Widerspenstigen Zähmung
Author: Ettlinger, Karl, 1882-1939
Language: German
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  | Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Textauszeichnungen  |
  | wurden folgendermaßen gekennzeichnet:                        |
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  | Sperrung: #gesperrter Text#                                  |
  | Antiquaschrift: _Antiquatext_                                |
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                       Der Widerspenstigen Zähmung

                           von Karl Ettlinger

                              (Karlchen)

                                 1919

                       Georg Müller Verlag München



Ich will es lieber gleich sagen, da es sich ja doch im Laufe der
Geschichte herausstellt: Frau Borges war ein Drache. Keiner von den
Drachen, die einen Goldschatz oder eine Jungfrau bewachen und die
dadurch immerhin noch etwas Sympathisches haben, -- nein, sie war ein
Drache ohne jede höhere Mission, ein Drache, dessen einziger Lebenszweck
darin bestand, ihrem Gatten das Dasein zu versauern.

Ihr habt gewiß schon den Drachen Fafner auf der Bühne gesehen? O was ist
das für ein gemütlicher Drache! Er bewegt sich ein bissel auf der
Drehscheibe, schlägt ein bißchen mit dem Schwanz um sich und speit ein
bißchen Feuer. Er kann an Frau Borges nicht tippen. Die fährt herum wie
auf hundert Drehscheiben, schlägt um sich wie mit hundert Schwänzen, und
mit ihrer Zunge versengt sie mehr gute Rufe als der Dilettant Fafner
Gräser und Kräuter.

Obendrein wird der Fafner, gottlob, von Siegfried #erschlagen#. Er
stirbt bekanntlich an den Stabreimen, mit denen Siegfried ihn
mißhandelt, und von denen der berühmteste lautet: »Eine zierliche Fresse
zeigst Du mir da!«

Das hätte einmal Herr Borges zu #seinem# Drachen sagen sollen! So viel
Drachenschwänze gibt es gar nicht! Und Herr Borges war überdies alles
andere eher als ein Siegfried. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, im
Walde wilde Bären zu fangen (was ihm im Offenbacher Stadtwald auch
schwerlich gelungen wäre), er schlug keine Ambosse entzwei, schmiedete
kein Notung, und das Fürchten brauchte ihm nicht erst von einer
Brünhilde gelehrt zu werden. Das Einzige, was Adolf aus dem Geschlechte
Borges mit Siegfried aus dem Geschlechte Wälsungen gemein hatte, waren
die treuherzigen blauen Augen.

Er sah mit diesen Augen so kindlich unschuldig in die Welt, daß sich
jede Mücke sagte: »Der kann Dir nichts zu leid tun!«, und sich auf seine
Nase setzte.

Er war einer von den Gerechten, die viel zu leiden haben, denn ein gutes
Herz ist wie ein rosiger Apfel, der in stiller Pracht am Baume hängt, --
und nach dem deshalb alle bösen Buben mit Steinen werfen.

Die Statistik, die der Erzengel Gabriel im Auftrag des lieben Gottes
führt, hat nachgewiesen, daß es auf Erden bedeutend mehr #böse# Buben
gibt als gute. Und ich kann deshalb meinen Mitmenschen nur den
wohlgemeinten Rat geben: »Wenn Du ein gutes Herz hast, so halte es
geheim wie einen Leberfleck, denn sonst prasselt es von allen Seiten
Steine auf Dich!«

Auf das Heiligsein steht noch immer die Todesstrafe, und die Gutherzigen
werden noch immer mit Pfeilen beschossen wie Sebastian, gesteinigt wie
Stephanus oder geröstet wie Laurentius.

Das hatte auch Adolf Borges in den fünfzig Jahren seines Lebens
reichlich erfahren müssen. Fast dreißig Jahre war er Ausgeher in dem
großen Konfektionsgeschäft von Feldmann und Schröder in der
Schloßstraße. Er hatte das Wachsen des Hauses miterlebt, -- die Firma
war emporgeblüht, und er selbst war dabei verwelkt.

Nur seine treuherzigen blauen Augen blühten noch immer aus seinem welken
Gesichtchen hervor wie zwei große Glockenblumen, beschattet von dem
Gesträuch der Kommis und den mächtigen beiden Stämmen der
Geschäftsinhaber.

Adolf erinnerte sich noch genau, wie das alte Haus umgebaut worden war,
um Raum zu schaffen für die zwei großen Schaufenster. Damals waren die
alten Holzpuppen, die bisher als Modellständer gedient hatten, durch
pausbäckige Wachsfiguren ersetzt worden. Die Holzpuppen hatte er auf den
Speicher tragen müssen, und er fühlte dabei eine wehmütige
Verwandtschaft mit diesen leblosen Dingern.

»Was bistde #mehr# wie so e Holzbubb?« sagte er zu sich. »Genau so, wie
ich jedz Euch enufftrag uff de Speicher, so wern se aach #mich# eines
Dags enaustrage uff de große Menschespeicher, unn es werd kaa Hahn nach
merr krähe unn kaa Hund nach merr belle! Unn an mei Schdell werd aach so
ebbes Neues, Pausbäckiges komme, unn die Welt dreht sich weider unn werd
regiert von der ahle Drehkrankheit, unn wann emal erjend e ahler
Geschäftsfreund frägt: >Herr Feldmann, hawwe Se net emal so en klaane
Ausläufer gehabbt, de Adolf?<, werd der Herr Feldmann antworte: >De
Adolf Borges? Der is schonn längst dod! No, es is net besonnersch viel
an em verlore!<«

Und er erinnerte sich daran, wie die Petroleumlampen waren durch
Gaslüster ersetzt worden, und später die Gaslüster durch große
Bogenlampen.

Immer heller war es um ihn geworden, immer herrlicher und größer, und er
selber kam sich immer kleiner vor.

Er erinnerte sich auch der vielen Angestellten, die im Laufe der Jahre
in das Geschäft eingetreten und wieder ausgetreten waren, teils
freiwillig, teils unfreiwillig.

Da war der Herr Bernheim gewesen, der ihm immer nachmittags eines von
seinen Butterbrötern zur Vesper geschenkt hatte: »Adolf, hastde Hunger?
Komm her unn freß!« Und er hatte ihm eines Tags zur großen Heiterkeit
des ganzen Personals erwidert: »Herr Bernheim, ich dank Ihne aach schee!
Basse Se uff: wann Se emal in de Himmel komme, dann steht der Petrus
drowwe unn hat de Mond als Pannekuche in der rechte Hand unn säggt:
>Bernheim, du warst e guder Mensch, -- komm her unn freß!«

Und er hatte nicht verstanden, was es da zu lachen gab.

Da war ferner der Herr Meier gewesen, dem er jeden Abend beim
Geschäftsschluß den Rock hatte ausbürsten und die Stiefel blankreiben
müssen; denn der Herr Meier hielt sich für sehr schön und lächelte auf
der Straße den Mädchen zu, und wenn ihn ein Kollege fragte: »Herr Meier,
wo waren Sie gestern abend?«, dann grinste er, daß die abstehenden Ohren
wackelten, und flüsterte: »Geschäftsgeheimnis! Aber schön war's!«

Des Herrn Meier Spezialität war das Bedienen der jungen Mütter gewesen,
die ihren Buben Schulanzüge kauften; auf die stürzte er zu und
schwänzelte um sie herum und gebrauchte fünfzehnmal in einem Satz die
Anrede »Gnädige Frau« und schwatzte ihnen die ältesten Anzüge auf. Und
wenn sie wieder aus dem Geschäft draußen waren, sagte er stolz: »Adolf,
haben Sie den Blick gesehen? Den Blick? Adolf, ich sag' Ihnen, wenn ich
#wollt#', -- aber ich will net!«

Und der alte Adolf Borges dachte sich, indem er den verkauften
Ladenhüter einwickelte: »Merr sollt em aach als emal de #Schnawwel# mit
erer Berscht abreiwe! Awwer mit erer #Drahtberscht#!«

Man sieht aus diesen Randglossen, daß Adolf Borges keineswegs ein
Dummkopf war. O nein, er war ein kluges Männlein, aber seine Klugheit
war schüchtern wie ein Tanzstundenjüngling; sie getraute sich nicht, die
schöne Dame Lebensfreude zu engagieren, aus lauter Angst, ihr auf den
Fuß zu treten, und so kam es, daß die schöne Dame Lebensfreude auch ihn
nie engagierte, wenn die guten Feen gerade Damenwahl hatten.

Adolf Borges brachte es zu nichts auf der Welt und blieb Ausläufer bei
Feldmann & Schröder in der Schloßstraße zu Offenbach am Main. Er
schnürte Pakete und besorgte Gänge, er staubte die Pulte ab und reinigte
die Tintenfässer. Und jedesmal, wenn er dem ekligen Kassierer das
Tintenfaß auffüllte, machte er drei Kreuze darüber und bei jedem Kreuz
murmelte er: »Hunnert Rechefehler solle drin sei, in dere schwarz
Brieh!«

Denn ein ganz kleines bißchen boshaft konnte er auch sein, -- trotz
seiner Glockenblumenaugen.

Eigentlich war es wunderlich, daß er, der Gatte Katharinas, nicht #mehr#
Bosheit besaß. Ein besseres Vorbild konnte es doch unmöglich geben. Oh,
wie ungerecht ist das Schicksal! Katharina, -- das wäre so die richtige
Gattin für einen Franz Moor gewesen! Auch Richard der Dritte hätte sie
getrost freien können, stammte sie doch aus dem uralten Adelsgeschlecht
der Xantippen. Und nun mußte gerade der arme, kleine Adolf an sie
geraten!

Wahrlich, das Schicksal ist der gemeingefährlichste Geisteskranke, der
unentmündigt herumläuft, und schon längst gehörte es unter Kuratel
gestellt. Wäre das Schicksal nicht rettungslos blind, niemals hätte es
die Glockenblumen in Adolfs Augen und die Disteln in Katharinas Augen
kreuzen können.

Katharina, -- ich habe sie bereits mit Fafner verglichen. Aber wirft
Fafner mit Suppentellern? Steht er mit dem Kehrbesen oder dem Schürhaken
hinter der Türe, wenn Alberich abends nach Hause kommt? Schreit Fafner
den Siegfried an: »Du hast iwwerhaapt nix zu sage!!« Öffnete Fafner
Briefe, die ihn nichts angingen? Sang er ewig die Litanei: »O Gott, o
Gott, wie konnt ich nor so dumm sei', Dich zu heierate!! Prinze unn
Korferschte hätt' ich hawwe könne!! Unn so en Schlappschwanz muß ich
nemme! O Gott, ich unglicklich Fraa!«

Man sehe in der Partitur nach, Siegfried, 2. Akt, ob Fafner so etwas
singt. Nein, er tut es nicht. In der Urzeit waren die Drachen offenbar
noch harmloseren Gemüts, und wenn der Drache, den der heilige Georg
erlegte, nicht #mehr# Ähnlichkeit mit Katharina hatte als Fafner, dann
sollte man wirklich nicht so viel Aufhebens von der ganzen Affäre
machen.

Der alte Plato weiß in seinem »Gastmahl« zu berichten, daß Mann und Weib
ursprünglich ein einziges zusammengewachsenes Wesen gewesen seien, das
durch irgendeine Macht halbiert wurde, und daß sich die beiden Hälften
nun ewig in Sehnsucht wieder zu vereinigen suchen. Beruht diese Fabel
auf Wahrheit, dann wollen wir Gott danken, daß die andere Hälfte
Katharinas offenbar verloren gegangen ist!

Nun, da sie mit Adolf Borges zusammengewachsen war, glich diese Ehe
einem jener lustigen Tierbilder, auf denen übermütige Zeichner einen
Elefanten mit Entenfüßen ausstatten oder einem Storch einen Nashornkopf
aufsetzen.

Es gibt Ehen, die gleichen einem geruhigen Biedermeierpostwagen; hübsch
langsam gleiten sie dahin, lassen sich Zeit, alle Schönheiten ringsum zu
bewundern, auf dem Bock sitzt der Ehemann neben der Gattin und bläst
Trara, und die ganze Postkutsche ist voll Kinderchen.

Er bläst nicht immer ganz harmonisch, der Herr Ehemann, manchmal giekst
das Posthorn schauerlich, -- macht nichts, die verzückte Gattin
behauptet dennoch: »Männe, so wie Du bläst keiner!«

Andere, »modernere« Ehen gleichen einem _D_-Zug; der Ehemann steht als
abgehetzter, unermüdlicher Führer auf der Lokomotive, hat keine Muse,
sich die Schönheit ringsum zu betrachten, denn die Räder rattern
unaufhörlich den einförmigen Rhythmus »Pflicht -- Pflicht -- Pflicht!«
In einem Abteil erster Klasse sitzt derweil die Gattin, raucht eine
Zigarette nach der andern, betrachtet sich zwischendurch in einem
Handspiegelchen und seufzt: »Gott, ist die Fahrt langweilig!« Und der
abgehetzte Lokomotivführer kann mitunter von Glück sagen, wenn er den
ehelichen _D_-Zug glücklich an die irdische Endstation gebracht hat,
ohne daß unterwegs irgendein eleganter Herr in das Abteil erster Klasse
eingestiegen ist, um die Fahrt unterhaltsamer zu machen.

Andere Ehen wiederum ließen sich mit einer elektrischen Straßenbahn
vergleichen, in der man vor lauter Klingeln und Hasten sein eigenes Wort
nicht versteht, und wo Wagenführer und Schaffnerin nach schwerer
Tagesarbeit nur den einen Wunsch haben: sich einigermaßen gut satt zu
essen und gesund auszuschlafen.

So lassen sich die verschieden gearteten Ehen mit den verschieden
gearteten Fahrzeugen vergleichen, und wer Lust hat, mag die Bilderreihe
zu Tode hetzen.

Adolfs Ehe glich einem Schubkarren. Im Schweiße seines Angesichtes
drückte er ihn seine steinige, staubige Lebensstraße, und oben auf dem
Schubkarren saß Frau Katharina, eine derbe Peitsche in der Hand, und
wenn der arme Adolf einmal eine Schnaufpause machen wollte, pfiff ihm
die Geißel um die Ohren, und er hörte eine kreischende Stimme: »Prinze
unn Korferschte hätt' ich heierate könne! O Gott, ich unglicklich
Fraa!!«

Das war eine der zahlreichen Übertreibungen, derer sich Katharina in den
durchaus einseitigen Aussprachen mit ihrem Ehemann zu bedienen pflegte.
Selbst dem entthrontesten Prinzen wäre es niemals eingefallen, um die
Hand der Drechslermeisterstochter Katharina Bindegerst anzuhalten.

Aber wir wollen gerecht sein und ihr diese Übertreibung nicht zu dick
ankreiden. Übertreiben ist seit der Urzeit ein Reservatrecht der Frauen,
der holden wie der unholden. Als Eva gerade eine Minute lang erschaffen
war, und Adam aus seinem verhängnisvollen Schlafe erwachte, war Evas
erstes irdisches Wort: »Nun warte ich schon eine #Ewigkeit#!«

Und als sich Adam nun erhob, um das Naturwunder näher zu begucken, und
als er es vorsichtig betastete, da fuhr Eva auf: »Habe ich Dir nicht
#schon hundertmal# gesagt, Du sollst mich nicht anrühren?!«

Damals bekam Adam einen Heidenschreck.

Und dieser Schreck hat sich vererbt von Generation zu Generation. Jeder
junge Ehemann kriegt ihn von Neuem, an jenem Tage, an dem seine Gattin
zum ersten Male mit ihm zankt, ohne daß er weiß, warum.

Und jeder Ehemann benimmt sich alsdann genau so paradiesisch töricht und
nachgiebig wie unser Urahn Adam und heftet somit selbst den letzten
Stich an dem Riesenpantoffel, von dem in der Schöpfungsgeschichte nichts
steht, und der sich gleichfalls von Generation zu Generation vererbt, --
und zwar in der #weiblichen# Linie.

Adolf Borges machte es um kein Haar besser. Er war ja schon von Natur
stets gar schüchtern gegen das weibliche Geschlecht gewesen.

»E Fraa is sicher was Scheenes,« sagte er sich als junger Mann, »awwer
ich will's gar net so schee hawwe! Die Fraue sin wie Heckeröscher,
wunnerliebliche Blümercher, die sich um de Mann ranke unn en schmicke
unn verscheenern, -- awwer ich habb kaa Talent zum Blummestänner! Wann
sich so e Heckerösche um mich rankt, dann komme doch bloß die Wespe unn
die Biene unn die Hummele unn steche mich, -- naa, ich bleib liewer
leddig!«

Man hat das weibliche Geschlecht nicht mit Unrecht die Sonne dieses
Daseins genannt. Aber Adolf Borges hatte von jung auf eine
unüberwindliche Angst vor dem Sonnenstich. Wenn er nur von ferne so eine
liebliche Sonne aufgehen sah, spannte er sogleich abwehrend seinen aus
Sophismen gewobenen Sonnenschirm auf.

»Gehstde mit danze, Adolf?« frugen ihn Sonntags seine Bekannten und
Kollegen.

»Ich hipp net, ich bin kaa Laubfrosch!« erwiderte Adolf, denn jeder
Tanzboden dünkte ihn mehr oder weniger ein Blocksberg.

Seine Freunde fuhren gröberes Geschütz auf.

»Adolf, die dick' Anna, die Köchin von Schmidts in der Krummgaß, hat
sich nach Derr erkunnigt! Ob De net nächste Sonndag nach der Goedheeruh
kämst? Se hätt Derr was zu sage! -- No??«

»En scheene Gruß an die dick Anna, unn ich wär net neugierig! Unn se
soll merr mit ihrer Goedheeruh mei Borgesruh lasse!« sagte er und blieb
des Sonntags zu Hause.

Oder er bummelte allein im Stadtwald und am Mainufer umher, sah die
schweren Mainkähne und Flöße ziehen, sah die leichten Amseln schwirren
und die drolligen Eidechsen huschen. Und empfing dabei mancherlei
Schönes, was der liebe Gott nur an einsame Spaziergänger zu verschenken
pflegt.

Einmal fand er ein Vogelnest mit vier Eierchen.

Nachdenklich stand er davor, wiegte den Kopf und sann: »Vier Kinner uff
aamol, -- naa, ich bleib leddig!«

Ein andermal setzte er sich im Walde ermüdet nieder, legte den Kopf auf
einen kleinen Hügel, der sich alsbald als Ameisenhaufen entpuppte.

»So is des ganze Lewe!« sprach er und erhob sich betrübt. »E
Ameisehaufe! Unn da soll merr seine Eltern noch dankbar sei', daß se ein
in so was eneisetze!«

Und er griff sich melancholisch in den Kragen, um die hurtigen Tierchen,
die seinen Hals als Tanzplatz benutzten, zu entfernen.

Selten leistete er sich den Genuß, des Abends in einer Kneipe zu einem
Glas Bier oder einem Schoppen Äpfelwein einzukehren. Friedlich
schichtete er daheim in der Waschtischschublade die kleinen Ersparnisse
aus seinem bescheidenen Lohn und aus den Trinkgeldern, die er hie und da
bei Besorgungen erhielt, zu einem Berg. Es war kein Himalaja, es war
gleichfalls nur ein Ameisenhäufchen, aber er hoffte, ihn mit der Zeit zu
einem kleinen Hügel anschwellen zu sehen, von dem aus er in den Zeiten
des Alters und der Gebrechlichkeit die Welt mit genügsamem Lächeln zu
betrachten gedachte.

Und das wäre ihm vielleicht auch gelungen, hätte das Schicksal nicht mit
ihm einen grausamen Scherz vorgehabt und ihn als Untermieter in die
Wohnung des Drechslermeisters Bindegerst geführt.

Er war damals zweiundvierzig Jahre alt, und sein Herz zählte somit
bereits zu jenen Zielscheiben, denen gegenüber es sich der kleine Gott
Cupido erst dreimal überlegt, ehe er noch einen Pfeil daran wagt.
Entschließt er sich aber dann doch dazu, so nimmt er keinen von den
kleinen goldenen Pfeilen, die so süß schmerzen, sondern er schnitzt sich
einen großen, plumpen Kloben zurecht, mit scharfen Widerhaken, und
versieht dieses vermaledeite Geschoß, damit es auch recht zielsicher
schwirre, noch eigens mit einem Propeller aus riesigen Eselsohren.

An jenem ersten März, als Adolf Borges mit seinem Handköfferchen die
Stiege emporschlenderte, um bei dem Drechslermeister das vermietbare
Dachzimmerchen zu besichtigen, spielte gerade ein Orgelmann im Hof den
populären Rheinländer:

    »Katharinchen mit dem Selleriekopp,
    _Allez_ hopphopphopp! _Allez_ hopphopphopp!«

Diesen Drehorgler hatte der hohe Schutzgeist der Junggesellen eigens in
den Hof gestellt, um Adolf eine letzte Warnung zukommen zu lassen.

Da aber Adolf niemals einen Tanzboden besucht hatte und daher diesen
Rheinländer nicht kannte, und da er andrerseits nicht wissen konnte, daß
der Drechslermeister eine Tochter Katharina besaß, fruchtete die Warnung
leider nichts.

»Gu'n Nachmiddag!« empfing ihn der alte Bindegerst freundlich. »Neun
Mark dhät des Zimmerche koste! Mit Kaffee zeh' fuffzig! Es is e ruhig
Zimmerche! Nor dhun als bei Nacht die Katze so kreische! No, da misse Se
halt mit'm Bandoffel danach schmeiße! Des könne se net verdrage! -- Was
hawwe Se dann for en Beruf?«

»Ausläufer bei Feldmann & Schröder in der Schloßstraß!«

»E foi Haus!« bekräftigte Vater Bindegerst. »E erstklassig Firma! Ich
bin aach schonn emal bei're ereigefalle mit eme Aaazug! Wie lang sin Se
dann schonn bei dene Leut?«

»Zweiunzwanzig Jahr!« seufzte Adolf.

»Des is e Embfehlung!« schmunzelte Bindegerst. »Des is e Embfehlung,
wann's e Aagestellter so lang mit'm Brinzibal aushält! -- Sin Sie
eigentlich e Offebächer odder e Frankforder?«

»E Frankforder wär' ich!«

»Ich aach! Unn da sin Se nach Offebach ausgewannert?«

»Ja, ich bin ausgewannert. Amerika war merr zu weit, da bin ich nach
Offebach.«

»Ich aach. No, steihe merr emal enuff in des Zimmerche! Se misse Ihne am
Stiegegelänner festhalte, die Trepp is e bissi wackelig!«

Adolf sah sich das Zimmer an und behielt es. Er war ja so bescheiden in
seinen Ansprüchen, die Gabe des Widerspruchs war ihm versagt, und wenn
der letzte Teil der Treppe sogar #völlig# gefehlt hätte, und Herr
Bindegerst hätte gesagt: »Se misse, um in Ihr Zimmerche zu komme,
jedesmal en Rieseaufschwung mache!«, er hätte auch in diesem Falle nicht
die Energie gefunden, nein zu sagen.

Und überhaupt war es Adolf ziemlich gleichgültig, wie er wohnte. »Was
kimmt's dadruff aa?« sagte er sich. »Ich habb schonn Säu geguckt, die
hawwe in Ställ gewohnt mit Borzellankachele, -- no, am Schluß sin se
#doch# geschlacht' worn! Unn wann der Herr Feldmann unn der dick Herr
Schröder ihr Haus noch e dutzendmal umbaue lasse unn dhun so viel
Bogelampe enei wie in de Frankforder Haaptbahnhof, deshalb bleiwe se
#doch# zwaa Rindviecher!«

Und er fühlte sich zunächst ganz wohl im neuen Heim. Wenn auch das
Zimmerchen nichts enthielt als ein einigermaßen erträgliches Bett, einen
morschen Spiegelschrank, in dem ein falscher Schlüssel steckte, eine arg
baufällige Waschkommode -- (»Se kriehe evenduell emal e annerne«, hatte
Herr Bindegerst gegen seine eigene Überzeugung behauptet) -- einen
durchgesessenen Stuhl und einen Tisch, der, sobald man sich auf ihn
stützte, von selbst Rheinländer zu tanzen anfing, es war doch so
lauschig still des Abends da droben, und wenn man den Kopf zum
Dachfenster hinausstreckte, sah man unten die Menschen wie kleine Käfer
umherkrabbeln.

Und das erschien Adolf sehr possierlich.

»Wie klaa misse se erscht dem liewe Gott vom Himmel aus vorkomme!«
meinte er. »Da kann er freilich kaan Brinzibal vom Ausläufer
unnerscheide, unn kaan Rothschild von eme Schnorrer! Ich glaab werklich,
es is gar net so schwer, die Mensche gerecht zu beorteile, -- merr muß
nor weit genuch eweck sei!«

Und des Nachts schien der Mond in das Zimmerchen, der so viel
demokratischer ist als die Sonne. Denn, wenn dich die Sonne ansieht, so
mußt du ehrfurchtsvoll, geblendet die Augen schließen; den Mond aber
kannst du ohne Zwinkern fröhlich und freundlich begrüßen wie
deinesgleichen.

Man hat nur noch kein genügend großes Fernrohr gebaut, sonst könnte man
deutlich sehen, wie der Mann im Mond jeden Gruß erwidert; jedesmal
unterbricht er die Arbeit des Holzhackens und zieht seine Mütze, denn er
hackt ja das Holz nicht für eigene Rechnung, und deshalb eilt es ihm
nicht so.

Freilich, wie die Sonne ihren Sonnenstich austeilt, so gibt es auch den
Mondstich. Aber den kriegen nur die lyrischen Dichter. Und dann hält
sich der Mann im Mond mit beiden Händen die Ohren zu.

In solchen mondhellen Nächten erhuben auch die von Vater Bindegerst
bereits angekündigten Katzen ihre Stimmen. Ganze Sinfonie-Konzerte
führten sie auf. Adolf hätte ein ganzes Schuhwarenlager nach ihnen
werfen können, es hätte sie nicht gestört. Im Gegenteil: kam ein
Pantoffel geflogen, so faßten sie das als Beifallsbezeugung, als eine
Art ledernen Lorbeerkranz auf und gaben noch ein mindestens fünfteiliges
Tongemälde zu.

»Herr Bindegerst, des soll der Deiwel aushalte, des Katzekonzert!«
beklagte sich Adolf einmal, als er die ganze Nacht kein Auge hatte
schließen können. »Was hawwe die Viecher dann bloß?«

»Die Lieb'!« erklärte der Drechslermeister als weltweiser Mann. »Glaawe
Se, die Mensche gewwe #scheenere# Tön' von sich, wann se verlibbt sin?
Die Lieb is halt so musikalisch!«

Adolf, der ja die Liebe nicht aus eigener Erfahrung kennen gelernt
hatte, gab sich mit dieser Erklärung zufrieden.

Aber schon wurden die Saiten gestimmt, um auch ihn musikalisch zu
machen. Und das Instrument, nach dem er tanzen lernen sollte, hieß
Katharina.

Allmorgendlich um halb sieben Uhr brachte sie ihm den Kaffee hinauf. Sie
stand zu diesem Zweck schon um sechs Uhr auf, wusch sich, indem sie mit
dem feuchten Waschlappen ein paarmal das spitze Vorgebirge ihrer Nase
umsegelte, kämmte ihr Haar, wobei man nicht an die Loreley zu denken
braucht, und legte es sich in Strähnen um den Hinterkopf.

Dann schlüpften ihre dürren Glieder in einen oft geflickten Unterrock,
ihre behenden knochigen Arme fuhren heftig in eine Flanellbluse wie der
Teufel in die Sauherde, der Oberrock wurde über das Haupt gestülpt, und
dann begann der Bauchtanz, den die Frauen aufführen müssen, bis endlich
sämtliche Rückenknöpfe geschlossen sind. Zuletzt schlupfte sie in die
Strümpfe und in die Schlappen.

Begehrenswert war Katharina nicht; das fanden alle, die sie kannten, mit
einer einzigen Ausnahme. Und die hieß Katharina Bindegerst. Lichtenberg
hat unrecht, wenn er behauptet: wenn ein Affe in den Spiegel sieht, kann
kein Apostel herausschauen. Man frage nur den Affen!

»Gu'n Morsche, Herr Borges!« lächelte Katharina so zauberhaft, als es
ihr möglich war.

»Gu'n Gugurruru-Morsche, Fräulein Binde-schtscht-ssgstgerst!« entgegnete
Adolf, der gerade beim Gurgeln und Zähneputzen war.

»Ach Gott, Ihne fehlt ja hinne 'n Knopp!« schrie Katharina auf.

Das hatte Adolf noch nicht bemerkt. Und er hatte es nicht bemerken
#können#, da in Wirklichkeit an seiner Hose nicht der geringste Knopf
fehlte. Aber darauf kam es der Offenbächer Circe auch gar nicht an;
schon hatte sie Nadel und Faden gezückt und markierte auf Adolfs
Kehrseite das Annähen eines Knopfes.

Und obwohl er in dieser Situation unmöglich ihr Gesicht sehen konnte,
lächelte sie dabei unausgesetzt verführerisch.

Ob sie ihn liebte? -- Nein. Sie war überhaupt keiner Liebe fähig.

Daß ein altes Holz Blüten treibt, das kommt nur im »Tannhäuser« vor, und
auch da ganz am Schluß des letzten Aktes, so daß man nicht nachprüfen
kann, wie lange die Blüte vorhält.

Wohl hatte auch Katharina, wie alle Mädchen, eine Zeit gehabt, in der
sie von jener naturwidrigen Art Ehe träumte, die zu neunzig Prozent aus
Liebkosungen besteht, und in der man von Küssen und Anschmachten satt
wird. Aber längst hatte die Flut der Jahre dieses glückhafte Schifflein
verschlungen.

Nun war sie praktisch geworden, praktisch wie ein Sklavenhändler, und
sah im Manne nur eine Versorgungsanstalt. Eine Rentenversicherung, der
keine Kontrolle erlaubt ist und die obendrein bei der Auszahlung jedes
Betrages einen Kniefall zu machen hat.

Ein pensionsberechtigter Zwerg Nase wäre ihr als Gatte sympathischer
gewesen als der Apoll von Belvedere, von dem es ungewiß ist, ob er eine
Frau ernähren konnte.

Ach, die so nüchternen, trockenen Eheparagraphen des Bürgerlichen
Gesetzbuches erscheinen wie ein Hohelied auf die Liebe, verglichen mit
den Eheanschauungen eines Mädchens, das erst einmal angefangen hat,
»praktisch« zu denken!

»Danke schee!« sagte Adolf Borges, als Katharina mit dem Festnähen des
ohnehin bereits festgenähten Knopfes fertig war.

»Haww ich Ihne aach net gestoche?« flötete Katharina und warf ihm einen
Blick zu, bei dessen Empfang der früher erwähnte Herr Meier stolz
gefragt hätte: »Adolf, haben Sie den Blick gesehen? Den Blick? Ich sag
Ihnen, Adolf, wenn ich #wollt#' -- aber ich will net!«

Adolf war kein Meier. Er bemerkte den Blick überhaupt nicht.

Noch stimmten die Saiten, nach deren Klang er das Tanzen lernen sollte,
nicht genau, aber nur noch um kleine Schwankungen waren die Quinten
unrein, und schon probierte Katharina leise, pizzikato, ob sie das Spiel
wohl beginnen könne.

Sie hatte das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch gestellt, doch nun
fand sie, daß es nicht gut stünde. Während ihr Dachzimmerherr den
Schlips umband und die Jacke anzog, rückte sie an dem Tablett herum und
stellte die inzwischen kalt gewordene Tasse Kaffee und das
Butterbrötchen recht handlich hin.

Dabei schwänzelte sie geziert um den Tisch und ließ durch ein paar
kokette Drehungen ihren gewitterfarbenen Rock ein wenig blähen, so daß
der Regenbogen ihres oftgeflickten Unterrocks sichtbar ward.

Aber auch an dieser Naturerscheinung ging Adolf achtlos vorüber.

Da ließ sie ihn denn allein, stieg die Treppe hinunter und seufzte:
»Merr hat's net leicht!«

Adolf schlürfte den kalten Kaffee, griff, noch mit beiden Backen kauend,
nach seiner Mütze, machte sich auf den Weg zu Herrn Feldmann, um die
Geschäftsschlüssel zu holen, begab sich in die Schloßstraße, öffnete,
zog die Rolläden hoch und begann die eintönige Arbeit des Aufwischens
und Abstaubens.

Und seufzte: »Der liewe Gott hätt' aach gescheider die Welt in #aam# Dag
erschaffe unn dann #sechs# Däg geruht, schdatt umgekehrt! Dann hätte
merr sechs Sonndäg in der Woch!«

Er war noch mitten in den Aufräumungsarbeiten, da kamen schon die
ersten, pünktlichsten Angestellten, und der Briefträger kam und gab die
Post ab, und die Kommis suchten schnell die Privatbriefe und jene Briefe
heraus, die wegen falscher Adresse zurückgekommen waren, und zuletzt kam
der Herr Feldmann, und kaum war er da, da fing er auch schon an zu
schimpfen und einem Kommis zu versichern: »Zum Schlafe haww ich Se net
angaschiert! Schlafe kann ich selwer for mei Geld!«

Und das ganze Personal dachte: »Dhät er's nor!«

Und ganz zuletzt kamen die Herren Lehrlinge und behaupteten, ihre Uhren
gingen nach.

Und Adolf Borges spielte das einförmige Rondo seiner Tagesarbeit, ein
gar langweiliges Rondo, in dem die beiden Themen »Pakete schnüren« und
»Gänge besorgen« ewig wiederkehrten; nur die Begleitstimmen zu diesen
beiden Melodien boten ein wenig Abwechslung, denn wenn er beim
Paketschnüren war, schrie der nervöse Herr Feldmann: »E halb Jahrhunnert
sin Se jetz bei merr unn hawwe's immer noch net gelernt!«, und wenn er
von einem Besorgungsgang zurückkam, spöttelte der gemütlicher
veranlagte, dicke Herr Schröder: »Es is nor liewenswerdig von Ihne, daß
Se iwwerhaapts noch zurickkomme! An Ihrer Stell wär' ich iwwer Nacht
gebliwwe!«

Und Adolf dachte sich: »Grad wie nachts die Katze kreische se! Schad,
daß merr kaan Bandoffel nach 'ne werfe derf!«

-- Ich muß noch einmal auf den Drachen Fafner zu sprechen kommen. Der
Leser wird bereits bemerkt haben, daß ich eine Schwäche für dieses Vieh
besitze. In der Tat, ich habe ihn in mein Herz geschlossen und ich
bedaure nur, daß man ihn nicht herausklatschen darf wie eine
italienische Opernprimadonna, auf daß er _da capo_ singe. Er ist der
bestdisziplinierte Drache, den ich kenne. Geduldig liegt er in seiner
Höhle und wartet auf sein Opfer. Wer ihn nicht aufsucht, den frißt er
nicht.

Ganz anders Katharina. Sie hatte sich ihr Opfer ausgesucht, aus der
reichhaltigen männlichen Speisekarte hatte sie gerade das Gericht Adolf
Borges gewählt, sie hatte ihn sich bei dem Oberkellner Zukunft bestellt,
und sie bestand mit aller Hartnäckigkeit darauf, ihn vorgesetzt zu
bekommen.

Eines Abends klopfte es plötzlich an die Türe des Dachzimmerchens.

»Erei'!« rief Adolf verwundert.

Und herein trat Katharina und sprach mit einem Lächeln, das sie für sehr
liebreich hielt: »Der Vadder läßt Ihne sage, ob Se net uff e Gläsi Bier
bei en erunnerkomme dhäte?«

Sie hatte eine frischgewaschene weiße Bluse angezogen, die sie mit
Parfüm von dem Friseur gegenüber besprengt hatte. Es war das erste mal
in ihrem Leben, daß sie Parfüm gekauft hatte, und der Figaro von
nebenan, der blondgelockte Herr Hippenstiel, der wie alle seine
Fachgenossen ein Schlaukopf war, hatte gleich etwas geahnt und diskret
gefragt: »Derf merr graduliere?«

Worauf Katharina feuerrot wurde und hauchte: »Sie könne aan werklich in
Verlegeheit bringe, Herr Hippestiel!«

Zwei Tropfen solle sie nehmen, das genüge vollauf, hatte Herr
Hippenstiel sie belehrt. Aber Katharina machte es wie die Patientinnen,
denen der Arzt fünf Tropfen einer Medizin verordnet hat, und die sich
sagen: »Wenn schon fünf Tropfen gut tun, wie müssen da erst zehn Tropfen
helfen!«

Sie hatte sich gleich das halbe Fläschchen der öligen Flüssigkeit auf
die Bluse geschüttet und sie fand, daß sie nun sehr gut roch.

Auch Adolf fand das, denn er sagte: »Fräulein Bindegerst, Se rieche wie
e Gewächshaus!«

Eigentlich hatte er wenig Lust, der Biereinladung Folge zu leisten.
Allein seine Schüchternheit sagte ihm, es sei doch zu unhöflich,
abzulehnen, und so meinte er: »Ich mach merr zwar Awends nix aus Bier,
aber no, ich wer' net gleich draa sterwe!«

Und Katharina flüsterte holdselig: »Sie sin iwwerhaapts so solid, Herr
Borges! So'n solide Mann haww ich noch kaan kenne gelernt! Ach, Herr
Borges!«

Und dabei seufzte sie so tief, daß das ganze Gewächshaus sich zu heben
und senken anfing.

-- »Des is recht, Herr Borges, daß Se uff'n Schluck Lagerbier komme!«
begrüßte Vater Bindegerst ihn und lud ihn zum Sitzen ein. »Ich habb
merrsch schonn oft gedenkt: was dhut der Mensch eigentlich so allaans da
drowwe in sei'm Leuchttorm? Es is net gut, daß der Mensch allaans sei,
haaßt's in der Biwel. Ich habb lang net mehr drin gelese, ich les liewer
Detektivgeschichte, awwer es is e wahr Wort. Wisse Se, wenn ich kaa
Gesellschaft habb, dann komm ich ins Denke, unn wannn ich erscht emal
ins Denke komm, dann kimmt nix Gescheides dabei eraus! No, Prost, Herr
Borges!«

Adolf hob seinen Krug und stieß mit dem Drechslermeister an. Katharina
hatte ihm das Bier eingeschenkt, in den schönsten Krug des kleinen
Haushalts. Es war ein recht schmucker Krug, die selige Frau Bindegerst
hatte ihn vor vielen Jahren ihrem Eheherrn geschenkt, erstens weil er
Geburtstag gehabt hatte, und zweitens weil gerade in dem
Porzellangeschäft Ausverkauf gewesen war. Eine alte Ritterburg war auf
den Krug gemalt, an deren Portal ein Ritter Trompete blies. Man hätte
ihn unbedingt für den Trompeter von Säckingen halten müssen, hätte nicht
in goldenen Buchstaben darunter gestanden: Stolzenfels am Rhein.

Auch Katharina stieß mit an, und sie hauchte dabei: »Prost!«

Es klang wie das Piepsen eines Kanarienvogels, denn sie war, wie alle
Frauen, eine Verwandlungskünstlerin. Noch hatte sie auf das Grammophon
ihres Antlitzes die schmachtende Platte »O könnt ich noch einmal so
lieben« aufgelegt, -- aber die Radauplatte »Tararabumdieh!« lag schon
bereit.

Vater Bindegerst saß auf dem Sofa, ihm gegenüber saß Adolf auf einem
Stuhl, und auf dem Nachbarstuhl blühte das Gewächshaus Katharina.
Zunächst war noch ein halber Meter Distanz zwischen ihnen, aber der
Zwischenraum verringerte sich im Laufe des Abends, obwohl Adolf kein
Millimeterchen von seinem Platz rückte.

Zunächst schickte sie ihre linke Fußspitze als Patrouille aus. Die
Fußspitze sondierte das Gelände, fand es »vom Feinde frei«, und rückte
vorsichtig weiter vor, bis sie ihr Ziel, die Borgessche Fußspitze,
erreicht hatte.

»Entschuldige Se, Fraulein Katherina!« sagte Adolf und zog seinen Fuß
zurück.

Katharina errötete, aber innerlich hatte sie sich vorgenommen: »Wenn ich
ihm erst die kleine Zehe reiche, muß er das ganze Bein nehmen!«

»Des ganze menschliche Lewe is e Gemeinheit!« philosophierte Vater
Bindegerst, der ins Denken zu kommen schien, denn er redete viel Unsinn.
Und er fing an zu politisieren und auseinanderzusetzen, wie ungerecht es
auf der Welt im allgemeinen, und in Offenbach im besonderen zuginge. Es
war eine lange Rede, die er hielt, es ging ihm weder der Atem noch das
Lagerbier aus, und er schloß mit der überzeugenden Wendung: »Unnn woher
kimmt des alls? -- Weil des ganze Lewe e Gemeinheit is!«

»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf und zog sein Knie
zurück, denn Katharina war mit ihrem Knie an das seine gekommen. Nachdem
die Patrouille Fußspitze zum Truppenteil zurückgekehrt war, hatte
Katharina nämlich beschlossen, eine stärkere Patrouille auszuschicken.
Auch diese Patrouille wurde zurückgezogen, und die ganze Kompagnie
begann nun zu manövrieren, indem sie mit ihrem Stuhl zu rutschen anfing.

Vater Bindegerst trug die Hauptkosten der Unterhaltung. Diese Kosten
trägt man ja gerne, denn sie sind billig. Es fiel ihm durchaus nicht
auf, daß sein Gast nur hie und da eine kurze verlegene Zwischenbemerkung
machte, denn der Drechslermeister gab sich die meisten Antworten selbst
und fand daher diese Antworten sehr treffend.

Sein Zimmerherr ward ihm von Viertelstunde zu Viertelstunde
sympathischer, er beschloß, ihn öfters einzuladen. Gibt es doch für
geschwätzige Menschen nichts Angenehmeres als ein Zwiegespräch, bei dem
nur einer redet.

Er erzählte nun von seinem Geschäft und lobte dabei, wie landesüblich,
die gute, alte Zeit.

»Ja, frieher«, sagte er, »frieher, da war des Geschäftslewe noch reell!
Hier die Waar, hier's Geld! Awwer heut! Heut sollstde Kredit gewwe, bis
De schwarz werst, heut nemme Derr die Leut de halwe Lade mit unn sage:
Schicke Se merr die Rechnung! Unn wannsde se mahnst, sin se net dahaam!
Merkwerdig: wannsde ihne die Waar' schickst, da sin se all dahaam, awwer
wannsde Dei Geld hawwe willst, dann mache se grad en Besuch odder se sin
in die Sommerfrisch odder se hawwe'n Trauerfall unn die ganz Familie
erbt ebbes, -- bloß Du kriehst nix!«

»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf, denn sie lehnte
ihren Arm an den seinen.

Sie saß jetzt ganz dicht neben ihm, und ihm war, als säße er mitten in
einem Gewächshaus. Es war recht schwül in dem Gewächshaus, die Luft fing
an, ihn leise zu benebeln.

Er zog seinen Arm nicht zurück; es tat ihm wohl, sich von den Zweigen
dieses Gewächshauses fast unmerklich streicheln zu lassen.

Das war so sanft und weich, daß er gar nicht merkte, daß hier Disteln
statt Rosen wuchsen.

Er hob jetzt seine Augen und besah sich die Botanik näher, und das
Pflanzenreich gefiel ihm nicht so übel. Machte doch die falsche
Katharina ihre schönsten Vergißmeinnichtaugen und zog ihr süßestes
Lilienmäulchen, so daß man wirklich nicht mehr sehen konnte, #was# für
eine Pflanze sie in Wirklichkeit war. Er fühlte sich im Palmengarten und
merkte nicht, daß er im Zoologischen war.

»Kättche, hol de Quetschekuche von heut Middag!« befahl der Vater. »Der
Herr Borges werd Abbeditt hawwe!«

Ach nein, der Herr Borges hatte jetzt gar keinen Appetit. Der Magen
erschien ihm jetzt als der prosaischste Körperteil, den Gott geschaffen
hat. Er hatte ein ganz unbestimmbares Gefühl, so ein Mittelding zwischen
Lachen und Weinen, Wonne und Schmerz, und wenn ihn jetzt ein Kassenarzt
gefragt hätte: »Herr Borges, wo tut's Ihnen weh?« -- er hätte es beim
besten Willen nicht sagen können.

Er empfand nur, als Katharina hinausgegangen war, um den
Zwetschenkuchenrest zu holen, plötzlich eine tiefe Leere neben sich, und
es kam ihm so vor, als sei die Temperatur im Zimmer plötzlich um zehn
Grad gesunken.

So ungefähr war ihm zu Mute wie damals, als er den Kopf in den
Ameisenhaufen gelegt hatte. Die Ameisen kribbelten und bissen, aber als
Katharina wieder ins Zimmer trat, da verwandelten sich die Ameisen in
lauter kleine, goldige Leuchtkäferchen und huschten im Zimmer umher und
schwirrten ihm um die Nase, und es ward so hell, daß er fast ausgerufen
hätte: »Gott, was e Pracht! Die Sonn is uffgange!«

»E guter Quetschekuche is des, Herr Borges!« versicherte der Gastgeber.
»Da könne Se weit laafe, bis Se so aan finne! Des Rezept schdammt noch
von maaner selig Fraa! Unn von der hat's Kättche die Kochkunst geerbt.
Koche kann des Mädche wie e junger Gott! Die macht Ihne aus Dreck de
scheenste Pudding! No, fresse Se, -- unn Se wern merr Recht gewwe!«

Ein gewöhnlicher Sterblicher hätte bei diesen Worten beide Ohren
gespitzt. Denn die Liebe des Mannes geht durch den Magen, und ich bin
überzeugt, Zeus wäre der solideste Ehemann gewesen, hätte ihm Hera nicht
immer Nektar und Ambrosia vorgesetzt.

Aber Adolf Borges war kein gewöhnlicher Sterblicher. Dieser kleine
Konfektionsgeschäftsauslaufer war ein Gefühlsmensch, und diese
Menschengattung ist unter den Sterblichen in der verschwindenden
Minderheit. Wenn sie einen hohlen Zahn haben, ja, dann sind sie alle
Gefühlsmenschen, aber viel weiter reicht ihr Gefühl nicht.

Der Kauf des Parfüms lohnte sich für Katharina. Der Schwerenöter
Hippenstiel hatte sie nicht betrogen. Adolf atmete den süßen Duft mit
unbewußtem Wohlbehagen und hätte es unter keinen Umständen geglaubt, daß
er selbst für zwei Mark fünfzig hätte ganz genau so gut riechen können.

Ach, die Liebe verleiht dem Menschen Schwingen, die ihn emportragen über
alles Alltagsungemach, die Erde entschwindet dem Blick, der König
vergißt seinen Palast, der Bettler seine Hütte, der Feinschmecker seinen
Quetschekuche; im reinen Äther schwimmt er und atmet die wonnigen Düfte,
die es bei keinem Hippenstiel zu kaufen gibt.

Schon fühlte Adolf die Flügel auf seinem Rücken knospen. Er spürte das
Bedürfnis, sich den Buckel zu kratzen, aber »des schickt sich doch net!«

»Fresse Se, Herr Borges!« ermunterte Meister Bindegerst.

Und auch Katharina lud ein: »Fresse Se, Herr Borges, -- odder derf ich
#Herr Adolf# zu Ihne sage?«

Und um jede Antwort abzuschneiden, schob sie ihm ein großes Stück Kuchen
in den Mund. Und hätten statt der süßen blauen Zwetschen dicke
Rhizinuspillen auf dem Hefenteig gelegen, Adolf hätte dennoch die Gabe
mit allen Zeichen des Entzückens geschluckt.

In dieser Nacht schlief der arme Adolf sehr unruhig.

Er träumte von einem Gewächshaus, darin dufteten die herrlichsten Blüten
und zwitscherten die wunderlichsten Vögel. Adler sangen wie
Nachtigallen, und auf einem Rosenzweig schaukelte sich eine Gans und
flötete kwiwitt, kwiwitt. Und mitten in dem Gewächshaus wuchs ein großer
Baum, das war der Quetschekuchebaum, und wie im Aschenbrödel ließ dieser
Baum mit sich reden, und Herr Bindegerst stand davor und sang:

    »Bäumche, rüttel Dich unn schüttel Dich,
    Werf Quetschekuche iwwer mich!«

Und es erschien ihm der Trompeter aus Stolzenfels am Rhein, mit einer
Pfauenfeder am Hut und frischgeputzten Stulpenstiefeln, und blies auf
seinem Horn ein herzerweichendes Solo, bis sich das Burgfenster öffnete
und Katharina heraussah und mit einem Putzlumpen winkte und fragte:
»Herr Trompeter, derf ich zu Ihne #Herr Adolf# sage?«

Da blies der Trompeter ein so begeistertes Fortissimo, daß Adolf
erschrocken aus dem Bett hochfuhr. Er hörte noch im Wachwerden das
schmelzende Lied, -- nur war es kein Trompetensolo, sondern es waren die
verfluchten »Katzeviecher«, die gerade wieder einmal Sinfoniekonzert
hatten.

Der Mann im Mond aber schüttelte den Kopf und meinte: »Schon wieder
einer! Immer das Gleiche! Hoffentlich kommt mir keine Mondfinsternis
dazwischen, damit ich sehn kann, wie die Geschichte ausgeht!«

Und nun begann für Adolf jener Lebensabschnitt, den Schiller als der
ersten Liebe goldene Zeit bezeichnet, wobei er freilich schwerlich an
einen Zweiundvierzigjährigen Offenbacher Ausläufer gedacht haben wird.
Adolfs welkes Herz erblühte, und er geriet somit in jenen seltsamen
Zustand, dem gegenüber selbst die erfahrensten Ärzte ratlos sind, und
den nur die großen #Menschheitsärzte# beschreiben können: nämlich die
Dichter.

Die Liebe ist jener märchenhafte Fortunatussäckel, aus dem man unendlich
schöpfen kann, ohne ihn je zu leeren. In einer Märchenwelt taumelt der
Verliebte, und in dieser Märchenwelt war Adolf Borges der verwunschene
Prinz, den eine böse Hexe dazu verdammt hatte, unter Mißachtung seiner
hohen Abkunft bei Feldmann & Schröder Pulte abzustauben und Pakete zu
schnüren.

Woher sollten es die Herren Feldmann und Schröder wissen, daß sie einen
leibhaftigen Prinzen beschäftigten?

»Adolf, Se sin e Kamel!« sagte Herr Feldmann. Und Adolf dachte sich:
»Wann des Kamel nor #glicklich# is!«

»Adolf, Se sin e Rindviech!« versicherte der dicke Herr Schröder. Und
Adolf lächelte: »O selig, o selig, ein Rindviech zu sein!«

Wie alle Verliebten fing auch er an, kindisch zu werden und selige
Närrischkeiten zu treiben, und so erwischten ihn die Putzfrauen der
Firma eines Morgens dabei, wie er vor einer Modellfigur auf den Knieen
lag und indem er sie mit dem Federbesen abstaubte, verzückt flüsterte:
»Bistde kitzlich, mei Zuckerschnutche? Ach, Kättche, was bistde for e
sieß Oos!«

Und weil die Putzfrauen ebensowenig wie die Chefs wußten, daß sie es mit
einem verzauberten Prinzen zu tun hatten, hielten sie sich die Bäuche
vor Lachen, und -- klatsch -- hatte Adolf einen nassen Putzlumpen auf
dem Buckel.

Abends, nach acht Uhr, aber, wenn er von der Post zurückgekommen war und
die Rolläden herabgelassen hatte, wich der schlimme Zauber von ihm, er
war nicht mehr das »scheppe Adolfche«, wie ihn der eklige Kassierer
nannte, sondern Prinz Adolf der Liebeglühende von Träumershausen, und
Seine Durchlaucht geruhten nach dero Märchenschloß zu wandeln,
welchselbiges dicht unter dem Dach lag.

Der alte wackelige Stuhl war der Thronsessel, der Schrank mit dem
kaputenen Schlüssel, die Schatzkammer, in der als funkelndes Geschmeide
seine Sonntagshose hing. Und vom Dachfenster aus hatte der Prinz die
herrlichste Aussicht auf sein Reich; da wimmelten seine Untertanen, und
jeden, den er mit einem Liebchen am Arme spazieren sah, ernannte er zu
seinem Pagen.

Hörte er aber jemanden das schöne Lied »Du bist verrückt, mein Kind«
singen, so sagte er mit gutmütiger Selbstironie: »Des is mei
Nationalhymne!«

Oh, S. Durchlaucht Prinz Adolf hatten einen großen Hofstaat! Der
Kassierer, der ihm allmonatlich seinen Gehalt auszahlte, war sein
Finanzminister, der Herr Schröder war sein Zeremonienmeister, der
Schutzmann unten an der Ecke seine Leibgarde, der Lehrling sein Hofnarr
und die Aufwaschweiber seine Hofdamen.

Ein Stockwerk unter ihm aber, da war das Allerköstlichste: da residierte
Prinzessin Katharina, die Märchenfee, die er zu erlösen hatte. Es ist im
Märchenreich üblich, daß ein Prinz, ehe er die Hand der Holdseligsten
erringt, erst einige Drachen ins bessere Jenseits befördert, -- in
#diesem# Märchen begab es sich leider, daß der kurzsichtige Held nicht
die Prinzessin, sondern den Drachen selbst freite.

Oft des Abends sahen nun die Mainnixen den kleinen Adolf mit Katharina
am Ufer auf und ab wandeln, sie kicherten zwischen den großen Kähnen
hervor und zählten die Küsse nach. Es gingen dort viele verliebte
Pärchen spazieren, aber auf unser Duo hatten es die Nixenfrechdächse
ganz besonders abgesehen. Denn in der Maingegend haben auch die
Elementargeister Sinn für Humor. Und wie oft wisperten sich im
Offenbacher Stadtwald die Sträucher und Büsche verschmitzte
Randbemerkungen zu, bis eine uralte Tanne sie zurechtwies: »Still, klaa
Gezäppel! Is ja doch bloß der griene Neid von Euch!« Denn in der
Offenbacher Gegend sprechen auch die Vegetabilien Dialekt.

Katharina war bei diesen Abendwanderungen viel zu folgsam, schweigsam
und nachgiebig, als daß diese Tugenden hätten echt sein können. Wenn der
kleine Adolf zu schwärmen anfing: »Kättche, lieb Kättche, guck nor de
Mond! Is es net, als ob er extra als Latern hiegehenkt war, damit ich
Dei sieß Schnutt besser find?« dann entgegnete sie zärtlich: »Ach ja,
Adolfche, der Mond!!« Und dachte sich heimlich: »Also mondsüchtig is er
#aach#! No wart nor, ich wer' Derr die Posse schonn ausdreiwe!«

Und wenn er im dunklen Stadtwald fantasierte: »Kättche, wann jedz e
Räuwer kam, verteidige dhät ich Dich bis zum letzte Blutsdroppe!«, dann
schmiegte sie sich dicht an ihn und hauchte: »Ich waaß es, Adolf!«

Und dachte bei sich: »Ich möcht net gucke, wiesde laafe dhätst!«

Von diesen Gedanken Katharinas ahnte der harmlose Verliebte nichts. Wohl
war er in seiner Liebe ein Prinz, ja sogar ein König, -- aber nur ein
König auf dem Schachbrett, und Katharina war die Königin, die ihn matt
setzen sollte. Die Küsse, mit denen sie die seinen erwiderte, waren
zäher Leim, und an diesem Leim blieb das harmlose Vögelchen Borges
hängen.

Vater Bindegerst sah die Entwicklung der Dinge mit stillem Vergnügen.
Adolf war ihm lieb und wert, aber noch lieber war ihm der Gedanke, seine
zänkische, bösartige Tochter auf gute Art los zu werden. Er, der seit
dem Tode seiner Frau unter #Katharinas# derbem Pantoffel stand, träumte
in Gedanken von einer neuen Junggesellenzeit, in der er viel Versäumtes
nachzuholen gedachte.

Er redete Adolf nicht zu, aber er warnte ihn auch nicht, zumal ihm die
Erfahrung hinreichend bewiesen hatte, daß man leichter einem Nilpferd
das Ballettanzen beibringt, als einem Verliebten die Wahrheit über seine
Angebetete.

Es bestand zwischen Vater und Tochter ein stillschweigendes
Übereinkommen, dieser Angelegenheit ungehemmten Lauf zu lassen. Drohte,
wie so oft, ein lärmender Streit zwischen Vater und Tochter
auszubrechen, und fing Katharina nach ihrer Gewohnheit in den höchsten
Fisteltönen zu keifen und zu schreien an, dann hob Papa Bindegerst nur
mahnend seinen Finger und deutete nach oben und flüsterte: »Pst! #Er#
könnt's hörn!« und sofort ging Katharina zum zartesten Pianissimo über.

Wobei ihr Talent anerkannt werden muß, auch im leisesten Tonfall die
haarsträubendsten Bosheiten und Beschimpfungen von sich zu geben.

Und so kam denn der große Tag, an dem Adolf in aller Form um seiner
Erwählten Hand anhielt.

Er warf sich zu diesem Zweck in den schwarzen Sonntagsanzug, ergriff den
Zylinder, und es ging ihm einen Augenblick durch den Kopf: »Es is doch
merkwerdig, daß der Mensch zor Brautschau genau deselwe Aazug aazieht,
wie wann er zor'rer Beerdigung geht!«

Und setzte tiefsinnig hinzu: »Besonnersch, wann er nor aan Aazug hat!«

Auch Vater Bindegerst hatte sich in sein Feiertagsgewand gehüllt, und
Katharina prangte wieder in ihrer weißen Bluse.

Die Bluse war nicht mehr ganz so blütenweiß wie damals, als sie den
ersten Angriff unternommen hatte: in der Taillengegend zeigte sie
deutliche Fingerabdrücke von Adolfs Händen.

Und nun saßen sich die beiden Männer gegenüber, während Katharina im
Nebenzimmer auf des Vaters Ruf wartete, wie die Kinder bei der
Weihnachtsbescherung auf das Klingelzeichen, und Adolf drehte verlegen
seinen Zylinder in der Hand und wußte nicht, wie beginnen.

Und dachte: »Genau so sitzt der liewe Gott uff seim Thronsessel unn dhut
die Erd' zwische seine Händ drehe, unn iwwerall, wo er se mit seine
Fingerspitze beriehrt, werd's Friehling unn die Blumme sprosse! Unn
manchmal werft er die Erd' wie e Gummiball in die Luft unn fängt se
widder uff, unn wann er se emal falle läßt, dann krieht die ganz
Erdeherrlichkeit die Kränk, unn all die Häuser borzele zusamme, unn dene
Herrn Feldmann unn Schröder ihr Geschäftshaus aach, unn der dick Herr
Schröder werd in de Trimmer erumfuhrwerke unn werd kreische: »Adolf, was
schdehn Se da unn halte Maulaffe feil? Nemme Se die Schipp unn de Besem
unn kehrn Se de Dreck eweck!«

Und endlich hatte Adolf den Zylinder genug in der Hand gedreht, er
raffte sich auf und stotterte: »Herr Bindegerst, ich waaß net, ob Se
vielleicht bemerkt hawwe....«

Und Vater Bindegerst unterbrach würdevoll: »Jawohl, Herr Borges, ich
#habb# bemerkt!«

Da wurde es ihm schon bedeutend leichter ums Herz, und er fuhr fort: »Se
hawwe neemlich e Dochter, Herr Bindegerst....«

»Jawohl, ich #habb# e Dochter!« bestätigte Herr Bindegerst.

»Unn Ihne Ihr Dochter ... se is nämlich so e gut Mädche, unn so e
Engelche....«

»Jawohl, se #is# e Engelche!« bekräftigte Herr Bindegerst. Und dachte:
Wen die Götter verderwe wolle, den strafe se mit Blindheit.

»Unn Ihne Ihr Fräulein Dochter unn ich ... indem ich'r nämlich in der
ledzte Zeit nahgetrete bin...«

»Oho!« sagte Vater Bindegerst. »Was muß ich heern? #Wie# nah sin Se err
getrete?«

Da kam die Weihe des Augenblicks über den kleinen Schwärmer Adolf und er
rief: »So nah, daß ich ihr Herz deutlich habb schlage heern, unn des
goldig Herzche hat als gebumbert: »Adolfche! Mei Adolfche!« hat's
gebumbert, unn #mei# Herz hat #mit#gebumbert: »Kättche, mei
Silwerkättche«, unn wege dere Bumberei bin ich heut da, unn sag Ihne:
Lasse Se dere Bumberei de kerchliche Sege gewwe! Ich bin kaa Milljonär,
ich kann Ihne Ihrer Dochter kaa Audomobil kaafe, awwer Trambahn fahrn
lasse kann ich se, unn satt zu esse werd se hawwe, unn gucke Se sich
emal mei Händ aa: uff dene Händ wer' ich se drage. Es sin solide,
kräftige Händ, unn Ihne Ihr Dochter werd gut druff sitze! Herr
Bindegerst, Se könne zwaa Mensche glicklich mache, -- sage Se »Ja!«

Vater Bindegerst war ganz paff über die Beredsamkeit seines
Schwiegersohnes und er dachte sich: »Des werstde Derr aach noch
abgewöhne!« laut aber sagte er: »Se wisse net, was Se verlange! Awwer,
wann's Kättche nix dagege hat, mein Sege hawwe Se! Nor aans sag ich
Ihne: Se misse aus'm Haus ziehe! Ich kann kaa jung Liewespärche um mich
braache!«

Und er rief: »Kättche, komm emal erei! Der Herr Borges is da unn muß so
needig emal heierate!«

Und wenige Sekunden später lag Katharina in seinen Armen und Adolf
glaubte, die ganze Welt erobert zu haben.

Drunten im Hof aber spielte wieder der Orgelmann:

    »Katharinchen mit dem Selleriekopp,
    _Allez_ hopphopphopp! _Allez_ hopphopphopp!«

In dieser Nacht gab es in dem Hause in drei verschiedenen Zimmern drei
glückliche Menschen:

In seiner Dachkammer saß Adolf und jauchzte: »Ich habb se! Ich habb se!
Unn wann der Herr Feldmann hunnertmal Recht hätt unn ich wär e Kamel, so
gescheit war ich doch, daß ich merr des scheenste Kamelweibche geholt
habb, was es iwwerhaapts uff dere Welt gibbt!«

Und in ihrem Bett lag Katharina und schmunzelte mit funkelnden Augen:
»Ich habb'n! Fest haww ich'n! No, wart nor!«

Und vor dem Krug mit dem Trompeter von Stolzenfels am Rhein saß der alte
Bindegerst und rieb sich die Hände und lachte in sich hinein: »Se hawwe
sich! Ich bin se los!«

Und nach einer Weile: »Ich hätt's net glaabt, daß se noch aan krieht!«

Und wieder nach einer Weile: »Arm Adolfche! Du werst Aage mache!« ....

Acht Tage später trat Adolf vor Herrn Schröder, an den sich die
Angestellten mit ihren Bitten lieber wandten als an Herrn Feldmann, und
sagte: »Herr Schröder, ich dhät um acht Däg Urlaub bitte, ich möcht uff
die Hochzeitsreis'!«

Und der dicke Herr Schröder sah ihn erschrocken an: »Sin Se meschugge?«

Aber als er Adolfs glückstrahlende Augen sah, dämpfte er die Stimme und
meinte väterlich: »Es is zwar net schee von Ihne, daß Se grad #mitte in
der Saison# ans Heierate denke, awwer, no, wern Se glicklich! Se könne
aach #zeh#' Dag bleiwe! Unn was des Hochzeitsgeschenk betrifft, -- ich
wer' mit meim Kompanjon redde!«

Und im ganzen Geschäft steckten sie die Köpfe zusammen, und die
männlichen Angestellten sagten: »Merr wolle zusammelege unn em 'n Wecker
kaafe, sonst schlaft er in der Hochzeitsnacht ei'!«

Und die Damen sagten: »Wie muß die ausgucke, die #den# genomme hat!«

Denn der Mensch ist ein edles Wesen und freut sich darüber, wenn sein
Nächster glücklich ist.

Und dann kam die Trauung und eines Montags Morgen geleitete Vater
Bindegerst das frischgebackene Ehepaar zum Bahnhof, um es zwecks
Hochzeitsreise der Eisenbahn anzuvertrauen.

Der schöne Odenwald war das Reiseziel, und der glückliche Adolf stand in
Gedanken bereits auf dem Gipfel des Melibokus und zeigte seiner zarten
Gattin die Welt und sagte: »Guck, Kättche, des alles geheert uns! Wann's
aach net unser Eigedum is, merr hawwe doch e Hypothek druff, e
Herzenshypothek! Unn die Wälder misse uns ihrn Duft unn ihr Anemone als
Hypothekezinse gewwe, unn die Quelle ihr Rausche unn ihrn silwerige
Glanz, unn die Vögelcher ihrn Gesang. Guck, lieb Kättche, des Alles, was
de guckst, haww ich Derr mit in die Eh' gebracht! Die Nadur, die is e
groß' Sparkass', viel greeßer wie die Offebächer Städtisch' Sparkass',
unn noch dausendmal sicherer. Und wann merr emal in Not komme dhäte, in
#Seelennot# maan ich, dann gehn merr eifach enaus in die Nadur unn hewe
in dere Sparkass' en Poste Erquickung unn Trost ab, -- unn wann merr
aach noch so viel abhewe, #des# Guthawe nemmt kaa End!«

Solche Träumereien pflegten dem kleinen Adolf schon von Kindsbeinen an
nicht gut zu bekommen, und auch diesmal führten sie einen unerwünschten
Zwischenfall herbei. Er stolperte nämlich beim Besteigen des Kupees, und
das Köfferchen polterte auf den Bahnsteig zurück.

»Kannstde net achtbasse, dappischer Olwel?!« fuhr ihn Katharina heftig
an. »Net emal e Handtasch' kann der dumm Mensch drage!«

Tieferschrocken sah Adolf sie an. Und blickte in zwei Katzenaugen, die
höhnisch und unheilkündend funkelten.

Da senkte er den Kopf.

Der alte Bindegerst aber dachte: »Es geht schonn los! Se fängt schonn
aa! -- No, viel Vergniege!!«

Während Adolf das Köfferchen, das aufgegangen und seinen Inhalt auf den
Bahnsteig verstreut hatte, zusammenraffte, machte sich Katharina im
Innern des Abteils zu schaffen. Sie nahm den Herrenhut, mit dem der eine
Ecksitz belegt war, und warf ihn mit energischer Geste ins Gepäcknetz.
Dann setzte sie sich selbst auf den Platz.

Und als kurz vor der Abfahrt des Zuges ein älterer Herr einstieg und
verwundert bemerkte: »Diesen Platz hatte ich mit meinem Hut belegt!«,
erhielt er mit bösartiger Betonung die Antwort: »Dann hätte Se Ihrn
Deckel uff den Blatz, unn net da owwe hie lege solle!«

Adolf hielt es für seine Pflicht, seiner Frau beizuspringen, und
betonte, der Platz sei allerdings unbelegt gewesen. Es war ihm nicht
wohl bei dieser Lüge.

Aber Katharina hatte keinen Sinn für solche ritterliche Beihilfe. »Halt
Dei Maul!« herrschte sie ihn gereizt an. »Ich wer' mit dem Herrche da
schonn allaans fertich! Da bin ich schonn mit ganz annern Leut fertich
worn!«

Der Herr lächelte und schwieg.

Und auch Adolf schwieg. Aber er lächelte nicht dabei. In seinen
Kinderaugen standen zwei große Tränen.

Und dann pfiff die Lokomotive, und der Zug fuhr ab.

Vater Bindegerst winkte noch einmal kurz mit der Hand, dann drehte er
sich um und ging heim. Das Gewissen schlug ihm, er verfiel in
Selbstvorwürfe und indem er die Bahnsteigkarte abgab, murmelte er, zum
Erstaunen des Schaffners: »Ich hätt's #doch# net dhun solle!«

Katharina schmiegte sich trotzig in den Eckplatz, starrte die Decke an
und schmollte. Denn dies ist die Universalwaffe aller Frauen, die im
Unrecht sind.

Mit diesem Zug fuhr Adolf Borges direkt in die Hölle.



Vater Bindegerst saß einsam in seiner Werkstatt und drechselte an einem
Spazierstock. Es sollte ein kleines Kunstwerk werden: den Griff bildete
ein Affenkopf mit fletschenden Zähnen, und gerade war Meister Bindegerst
dabei, in diesen Kopf die braungelben Glasaugen einzusetzen.

Unser Meister fühlte sich mehr als Künstler denn als Zoologe, und so ist
es begreiflich, daß man den Affenkopf auch recht gut für einen
Kaninchenschädel oder eine Bulldogge halten konnte; ja, der
geschmackvolle Käufer dieses Spazierstockes äußerte sogar, als er ihn
erstand: »Schad, daß der Rehbock kaa Geweih hat!«

Vier Tage schon war Bindegerst nun Junggeselle. Das junge Paar hatte
noch nichts von sich hören lassen, und er war darüber keineswegs
erstaunt. Kannte er doch sein holdes Töchterlein viel zu gut, als daß er
hätte befürchten können, sie werde die Verschwendung einer
Ansichtspostkarte an ihn dulden.

Katharina war geizig. Noch viel geiziger, als es die Natur bei der
Verteilung weiblicher Reize gegen sie gewesen war.

Der liebe Gott und der Teufel sind scharfe Konkurrenten, und hat der
liebe Gott den Adam nach seinem Ebenbilde geschaffen, so ließ es sich
der Teufel nicht nehmen, manche Eva nach dem seinigen zu bilden. In der
Person Katharinas war ihm ein Prachtexemplar gelungen, und alle in der
Hölle schmorenden Kunstkritiker (und das waren nicht wenige) stimmten
darin überein, er habe zu Katharina seine eigene Großmutter als Modell
genommen.

Bindegerst nutzte die Abwesenheit seiner Tochter nach Kräften aus. Er
ließ an dem Glaslüster seiner Werkstatt sämtliche Flammen brennen, denn
nun war ja niemand da, der sie ihm bis auf eine vor der Nase
ausschraubte und dabei keifte: »Du findst wohl Dei Geld uff der Gass'?
Odder bistde vielleicht an dere Gasgesellschaft #bedeiligt#?! Ei, ich
dhät merr an Deiner Stell noch e Petroliumlamp uff de #Hinnern# binde,
daß die Illumination fertich is!«

Gott sei Dank, jetzt war niemand da, der so etwas sagte.

Und er konnte jetzt auch, wie Hans Sachs in den »Meistersingern«, zu
seiner Arbeit sein Lieblingslied singen, ohne daß sich plötzlich ein
bissiger Kopf in der Türe zeigte und ihn anschrie: »Hör uff mit dem
Gegröhl! Sonst laaft die Milch zusamme!«

Und Meister Bindegerst sang doch so schön! Nur konnte man bei seinem
Lied, wie bei dem Affenkopf des Spazierstocks, nicht recht
unterscheiden, was es eigentlich vorstellen sollte! Dafür aber sang er
stets fortissimo. Denn was ein richtiger Musiker ist, der ist nicht
zimperlich.

Vor allem aber konnte sich der unbeaufsichtigte Herr Papa jetzt einmal
gründlich seiner heimlichen Geliebten widmen.

Ja, Vater Bindegerst hatte eine stille Liebe. Nicht etwa, wie schlechte
Menschen vermuten werden, ein weibliches Wesen, -- o nein, seine
Geliebte war keines der Geschöpfe, die unsere Liebe so oft mit Undank
lohnen, die einen Herkules an den Spinnrocken demütigen, einem Simson
die Haare schneiden und als Honorar für ein bißchen Schleiertanz einen
Heiligenkopf fordern, nein, seine Geliebte war jenes Wesen, das noch
keinen Anbeter unerhört gelassen hat und dem dennoch jeder Liebhaber
dauernd treu bleibt: seine Geliebte war der Alkohol.

Was für eine musterhafte Geliebte ist doch der Schnaps! Sie beansprucht
keine neuen Röckchen, Blusen und Spitzenhemdchen, sie ist jahrein,
jahraus mit dem schlichten Gewande einer alten Glasflasche zufrieden.
Sie beansprucht nicht, ins Theater, Kino und Kabarett geführt zu werden,
sie begnügt sich mit dem dunklen Plätzchen unter einer Drechslerbank.
Sie sucht sich keine modernen Hüte aus und läßt dir die
schreckenerregende Rechnung schicken, nein, sie trägt im Frühling,
Sommer, Herbst und Winter denselben abgebrochenen Korkstopfen.

Und überkommt dich die Stunde der Zärtlichkeit und du kneifst sie zur
Einleitung in die Wangen, so murrt sie niemals: »Laß mich! Ich bin jetzt
nicht aufgelegt!«, sondern sie lächelt dich, verführerisch wie immer,
an: »Trinke merr noch e Tröppche!«

Herr Drechslermeister Bindegerst war nicht der Joseph, einer solchen
Verführungskunst zu widerstehen. Alle Viertelstunde hörte er es unter
der Drechslerbank hervorkichern, und galant und ritterlich faßte er
alsdann die Geliebte um die glatte Taille, hob sie ans Tageslicht oder
ans Gaslicht, drückte auf ihren Hals seine trockenen Lippen, wischte
sich nach einem langen, langen Kuß mit dem Handrücken den Schnabel und
stellte fest: »Es schmeckt scheußlich, awwer 's is nahrhaft! Der Mensch
is e Maschin unn muß von Zeit zu Zeit geölt wern! No, öle merr noch e
Tröppche!« ...

Seine Hoffnung, das neue Ehepaar dauernd ausquartieren zu können und
Alleinherrscher im Hause zu werden, hatte sich freilich nicht erfüllt.
Wohl hatte Adolf, der Nachgiebige, dem Vorschlag beigestimmt, aber
Katharina hatte höhnisch erklärt: »Nix do! Die Wohnung nemme #mir#! Unn
du ziehst enuff ins Dachstibbche!«

Und mit gewohnter Tatkraft hatte sie sogleich mit dem Umräumen begonnen.
Sie brauchte dazu keinen Dienstmann, ihre robusten Arme bewältigten die
schwersten Kisten und Kästen mühelos.

Adolfs Habseligkeiten wanderten treppabwärts in die kleine
Dreizimmerwohnung, und des Vaters kleine Schätze stiegen hinauf in den
Giebel.

Bei dieser günstigen Gelegenheit unterzog sie das Eigentum ihres Papas
einer gründlichen Musterung, und sie machte dabei allerhand
überraschende Entdeckungen. Nicht nur stieß sie zu ihrer Wut in einer
Westentasche auf zwei Kinobillets, die für den gleichen Tag gültig waren
und auf zwei nebeneinander gelegene Plätze lauteten, sondern sie fand
auch die kleine Bibliothek, die sich der verschwenderische »alte Esel«
zugelegt hatte.

Um ihn nicht in falschen Verdacht zu bringen, sei festgestellt, daß
diese Bücherei nur aus drei Werken bestand, nämlich: »Der bayrische
Hiasl«, »Das Geschlechtsleben des Menschen« und »Was muß der Jüngling
vor der Ehe wissen?«

Und noch etwas anderes fand sie: einen Mahnbrief der Firma, die ihm das
Holz für seine Drechslerarbeiten lieferte. Wann sie endlich ihr Geld
bekommen werde, frug sie an und drohte in unerquicklichen Wendungen mit
einer Klage.

Im ersten Augenblick dachte Katharina, die niemals sprachlose, daran,
ihrem Vater eine Szene zu machen, eine jener Szenen, die sich bei ihr zu
einem fünfaktigen Monolog auszuwachsen pflegten und beim geringsten
Widerspruch sogar zu einer Trilogie anschwollen.

Aber sie befürchtete eine Trübung ihres Brautstandes, denn die weibliche
Zungenfertigkeit ist etwas, was der Jüngling #nicht# vor der Ehe zu
wissen braucht.

Sie begnügte sich daher damit, in großen Bleistiftzügen unter den Brief
zu schreiben: »Gelesen. Katharina.«

Dann legte sie ihn wieder in die Schublade, in der sie ihn gefunden
hatte. Das genügte. Nun würde der Vater schon merken, daß sie eine neue
Waffe gegen ihn besaß, und sein Verhalten danach einrichten.

Hierin täuschte sie sich allerdings. Der alte Sünder empfand keineswegs
das Bedürfnis, den Mahnbrief wiederholt zu lesen, und ließ ihn ruhig in
der Schublade schlummern, bis ihn die Mäuse fraßen.

So war es gekommen, daß Vater Bindegerst sein eigener Zimmerherr wurde.
Er hatte damals, als er Adolf die Dachhöhle anpries, viel Gutes von der
Behausung da droben zu erzählen gewußt und sie »e schee Zimmerche«
genannt, -- nun, da er selbst darin wohnen mußte, fand er, daß sie ein
Saustall ersten Ranges sei.

Ihm mangelte die edle Selbstbescheidung seines Schwiegersohnes, er
verspürte nicht die geringste Lust, seinen Kopf zum Dachfenster
hinauszustrecken und an den Anblick der kleinen Menschlein da unten
philosophierende, lächelnde Betrachtungen zu knüpfen. Er benutzte das
Fenster lediglich dazu, manchmal höchst unbekümmert hinauszuspucken. Für
den Mondschein hatte er gar nichts übrig, und den musikalischen Katzen
konnte ein so hervorragender Sänger wie er, schon aus künstlerischem
Grundsatz nicht wohlgesinnt sein.

»Wann nor der Blitz die ganz Bud' zusammehaage wollt'!« dachte er, wenn
er in dem wackeligen Bett lag. »Nächstens quardiert mich mei
liewenswerdig Dochter noch in eme #Luftballon# ei'! Odder se zieht merr
e Schnor dorch die Nos unn läßt mich als Drache steie! Die Kränk soll se
kriehe! Awwer gleich!!«

Nun, Gott sei Dank, jetzt hatte er vorerst seine Ruhe vor dem
vermaledeiten Familienglück!

Gerade hatte Bindegerst in seiner festlich beleuchteten Werkstatt wieder
traute Zwiesprache mit seiner heimlichen Geliebten gehalten und wischte
sich den Schnabel ab, um seiner schnapsologischen Ernährungstheorie
Ausdruck zu geben, als es leise an die Türe klopfte.

»Erei, wer drauße is!« rief er.

Und herein schlich die klägliche Gestalt seines Schwiegersohns.

Quer über der Stirne prangte eine breite Kratzwunde und sein rechtes
Auge war merkwürdig verschwollen.

Mit gesenktem Kopf blieb er in der Türe stehen.

Erstaunt sah Bindegerst von seiner Arbeit auf und gab heimlich mit dem
Fuß seiner stillen Liebe einen Tritt, damit sie tiefer unter die
Drechslerbank schlupfe.

»Ich bin widder da!« seufzte Adolf tonlos.

»Ich guck's!« bestätigte der Alte, und ein boshaftes Lächeln spielte um
seine Mundwinkel. Er bedurfte keiner Erläuterung, er erriet alles. Nicht
ohne Spott frug er: »Unn wo is dann 's Kättche?«

Hilflos zuckte Adolf die Achseln.

Ein Engel ging durchs Zimmer, -- eine in dieser Behausung höchst
ungewohnte Erscheinung. Bindegerst wartete, ob sein Schwiegersohn nicht
anfangen würde, die Geschichte seiner unterbrochenen Hochzeitsreise zu
erzählen.

Aber Adolf schien völlig geistesabwesend. Er empfand nicht einmal das
Beschämende seiner tragikomischen Lage; nur traurig war ihm zu Mute,
traurig wie einem Kind, dem ein böser Hund die Lieblingspuppe entrissen
hat und in Fetzen beißt.

Beinahe leid tat er seinem Schwiegervater.

»No, komm nor her!« sagte Bindegerst schließlich. »Vor #mir# braachstde
kaa Angst zu hawwe: ich kratz net! Unn scheniern braachstde Dich #aach#
net: die Handschrift is aach schonn uff #mei'm# Kopp zu lese gewese!
Wann aach net mit so große Aafangsbuchstawe! -- Wie is'n des komme?«

Adolf machte eine müde, abwehrende Handbewegung.

Er wollte nicht darüber sprechen. Er hätte auch gar nicht so genau sagen
können, wie sich die Unglücksszene entwickelt hatte. Mit einem ganz
unbedeutenden Wortwechsel war es angegangen, er hatte die
Unvorsichtigkeit besessen, in einer nebensächlichen Angelegenheit
anderer Ansicht zu sein als das ihm angetraute Turteltäubchen, und
plötzlich sah er sich einer tobenden Furie gegenüber und hörte zum
ersten Mal den Aufschrei: »Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate
könne, unn Dich Schlappschwanz muß ich nemme!!« Und ehe er noch dazu
kam, einzulenken, die grundlos Erregte zu beruhigen, und alles, was er
gar nicht gesagt hatte, zurückzunehmen und um Verzeihung zu bitten,
spürte er schon zehn Fingernägel im Gesicht.

Als er die Augen, seine erschrockenen blauen Kinderaugen, wieder
öffnete, war Katharina verschwunden.

Da war er traurig zum Bahnhof gewankt und hatte sich eine Fahrkarte nach
Offenbach gelöst.

Mit dem Wirt hatte er nicht erst abzurechnen brauchen, denn die Kasse
führte Katharina.

Während der ganzen Eisenbahnfahrt hatte er zum Fenster hinausgestarrt,
aber er hatte nichts gesehen von den Dörfern, Städten, Wiesen, Wäldern
und Bergen, die vorbeihuschten.

Wie ein Fiebernder das Buch, das aufgeschlagen auf seiner Bettdecke
liegt, liest, ohne daß die gedruckten Buchstaben sich seinem wirren
Geiste zu Worten und Sätzen verbinden, so starrte er in das
weitaufgeschlagene Bilderbuch der Natur und ward sich keines Schauens
bewußt.

Ein Riesenspielzeug war die weite Landschaft, aufgestellt von der
täppischen Hand eines Gigantenjungen, und ein hämischer Kobold blies nun
das schöne Spielzeug mit dicken Backen um, so daß es in tollem Wirbel an
dem Eisenbahnzug vorbeisauste.

Ein Traumwandler, ging Adolf durch die Straßen Offenbachs, instinktiv
den Weg nach Hause findend, und nur einmal, in der Nähe der
Schloßstraße, war er zu dem erschreckten Gedanken erwacht: »Wann Dich
nor niemand aus'm Geschäft guckt! Was dhäte die sonst denke!«

Und schnell war er in eine Seitengasse eingebogen.

Und nun stand er in seiner Wohnung, die ihm mit einem Mal so fremd
vorkam, und wurde von einer unbeschreiblichen Sehnsucht zerrissen, sich
an eine mitfühlende Brust zu werfen, um sich den Schmerz von der Seele
zu weinen.

Aber der alte Bindegerst mit seiner heimlichen Geliebten war dazu nicht
die geeignete Persönlichkeit. Das empfand der arme Adolf nur allzu
deutlich. Und so harrte er in der Türe, mit den Tränen kämpfend, und ihm
war, eine eherne Faust würge ihm die Gurgel.

»Mach wenigstens die Dhür zu!« forderte ihn Bindegerst auf und wandte
sich wieder seiner Arbeit zu. »Zugluft is net gut for so'n
Schwerverwundete!«

Mechanisch gehorchte Adolf Borges und trat neben ihn an die
Drechslerbank, stumpf seinem Beginnen zuschauend.

Vater Bindegerst war mit dem Einsetzen der Glasaugen fertig, er gab
jetzt seinem Meisterwerk den letzten Glanz, indem er den Affenkopf mit
Sandpapier abrieb. Er ließ sich Zeit dazu, und als er die Arbeit für
vollendet hielt, hob er stolz den Spazierstock seinem Schwiegersohn
unter die Nase und frug selbstbewußt: »No, for was for e Viech hältstde
des?«

Dabei fiel sein Blick in Adolfs Augen und entrüstet fuhr er fort:
»Bistde iwwergeschnappt? Ich glaab gar, Du willst flenne? Bistde e
Mannsbild odder bistde e Schulbub, dem der Vadder 's Loch versohlt hat?
Waastde, was #ich# an deiner Stell dhät?«

Adolf wußte es nicht.

Und deshalb belehrte ihn der alte Bindegerst, der sich dank der
Abwesenheit seiner Tochter und durch den eingehenden Umgang mit seiner
stillen Geliebten in sehr heldenhafter Stimmung befand, weiter: »Soll
ich Derrsch sage? -- Baß emal uff!«

Und er ließ den Spazierstock mit dem
Affen-Kaninchen-Bulldoggen-Rehbockkopf sausend durch die Luft pfeifen.

»Verschdehstde 's? Bedappelstde 's? #So# mußtde 's mache! Mobilisier
Dich, Adolf! Des is die aanzig vernimftig Nadurheilmethod! Haag se, daß
die Lappe fliehe! Mein Sege hastde derrzu! Gebb'r die Prichel zurück,
net mit fimf Prozent, net mit zeh Prozent, sonnern verdreifach'r des
Kapital! Verklopp se, bis ihr Buckel schillert wie e Regeboge! Sonst
kriehstde Dei Lebtag in Deiner Eh' kaan Sonneschei!«

Und er begann eine Schimpfrede auf seine Tochter, eine Racherede, wie
sie selbst der selige Cato senior in seinen besten Stunden nicht gegen
Karthago zusammengebracht hat, er ließ kein gutes Haar an Katharina,
nicht einmal ihren Quetschekuche ließ er mehr gelten, und er schloß
seine Predigt mit der, durch einen Faustschlag auf die Drechslerbank
unterstrichenen Pointe: »Hättstde liewer dem Deiwel sei Großmudder
geheierat' statt dem Satansweib! Ihr ganz Mudder is se! Die war grad so
aane! Gott, was ich mit der Fraa ausgestanne habb! No, der Deiwel habb
se selig!«

Adolf Borges verstand von diesem ganzen Vortrag kein Wort.

Seine feuchten Kinderaugen starrten unverwandt auf den Fußboden, als
erwarte er, daß jeden Augenblick aus einer Ritze des Fußbodens ein Zwerg
hervorschlüpfen müsse, ein weißbärtiger, greiser Märchenzwerg mit einem
goldenen Krönlein auf dem Kopf, um zu sprechen: »Adolf, das alles ist
gar nicht Wirklichkeit! Hokuspokus tickeltackel, geh hinauf ins
Schlafzimmer, dort wirst Du Dein liebes Weibchen im Bett finden, die
schon lange auf Dich wartet, um Dich abzuküssen!«

Aber kein Zwerglein kam hervorgekrochen, und als Adolf endlich in das
Schlafzimmer ging, da war es leer, und ach, so still.

Ein einziges Mal regte sich etwas, aber das war nicht im Schlafzimmer,
sondern ein Stockwerk tiefer: Vater Bindegerst hatte im Schwips seine
Schnapsflasche fallen lassen und war gegen die Drechslerbank getaumelt.

Am nächsten Vormittag traf Katharina ein.

Sie tat, als sei gar nichts vorgefallen, stellte das Handköfferchen auf
den Vorplatzschrank, legte Hut und Mantel ab, schlüpfte in einen alten
Rock und begann in der Küche zu wirtschaften.

Adolf war schon frühzeitig aufgestanden, er saß zerknirscht im
Wohnzimmer, nachdenkend darüber, mit welchem Kitt er seine in die Brüche
gegangene Ehe wieder zusammenheften könne.

»Ach Gott«, sagte er sich bekümmert, »was hilft des jedz alls? Unn wann
ich se mit der zähste Zärtlichkeit zusammebabb, so hat #doch# en Sprung
unn bleibt invalid! Ich habb merr die Eh' vorgestellt wie en
wunnerscheene Borzellandeller, von dem ich mit meim Kättche nix wie
lauder Sießigkeite fresse wollt', -- unnn jedz is der Deller kapores,
unn e Eck is abgestumbt, unn merr derf'n vor fremde Leut gar net mehr
gucke lasse! Unn die Sießigkeite, -- ach, ich glaab als, 's werd nix wie
Handkäs, unn Handkäs eß ich gar net gern...«

Plötzlich war es ihm, als höre er in der Küche Jemanden hantieren. Ein
freudiger Schreck elektrisierte ihn, er sprang auf und eilte hinaus.

Da stand Katharina am Herd und rührte einen brodelnden Kochtopf.

»Kättche!« frohlockte er, glückselig, sie wieder zu sehen, »mei lieb
Kättche, wannstde wißt, was ich for Angst um Dich gehabbt habb! Bistde
dann gut gefahrn? Willstde Dich net e bissi umlege? Du werst mied sei'!«

Aber Katharina würdigte ihren Gatten keiner Antwort. Mit einem
verächtlichen Seitenblick auf ihn rührte sie weiter den Kochtopf.

»Willstde merr net wenigstens Gu'n Morsche sage?« bat Adolf.

»Gu'n Morsche, Hansworscht!« sagte Katharina. Aber nicht scherzhaft,
sondern bissig und gehässig, in einem Tonfall, der keine Fortsetzung des
Gesprächs zuließ.

Da schlich Adolf geknickt wieder ins Wohnzimmer.

»Was habb ich'r nor gedhaa?« jammerte er vor sich hin. »Ich habb'r doch
kaa aanzig bees Wörtche gewwe! -- No ja, ich bin kaa Kavalier, ich kann
kaa so scheene Sprüch mache wie die nowle Leut, ich kann kaa Affedänz
uffiehrn unn erumhippe wie die Judde ums goldene Kalb, -- awwer des hat
se doch #vorher# gewißt!

Unn daß ich se lieb habb, des #muß# se doch spiern! Ich habb's doch
#aach# gespiert, wie se merr uff de Kopp gehaage hat!

Unn die Lieb is doch, waaß Gott, e dausendmal stärker Instrument als wie
e Faust! Unn ich maan als, so e werklich Lieb als wie die meinigt, die
#muß# se doch merke!

Wann merr in so e Menscheherz ereiruft: »Ich lieb Dich!«, dann kann doch
des Echo net zurickrufe: »Steih merr de Buckel enuff!« Des wär doch gege
die ganz Nadurgeschicht!

Awwer vielleicht habb ich se #doch# beleidigt, unn waaß es gar net?
Vielleicht is merr doch erjend so e Wörtche erausgerutscht, was ich
besser erunnergeschluckt hätt, unn was err weh gedhaa hat? Der Mensch
babbelt ja soviel dumm Zeug, unn aach der Keenig Salomo hat gewiß in
seim Lewe 'n ganze Haufe Stuß geredt, -- es steht bloß net in der Biwel
drin. Awwer was kann ich'r bloß Verkehrtes gesacht hawwe?«

Er sann und sann und kam zu keinem Ergebnis. Er trat vor den Spiegel und
betrachtete wehmütig seine Kratzwunde an der Stirn und das verschwollene
Auge und flüsterte: »Schee guck ich aus! Wunnerschee! Wann des so
weitergeht, laß ich mich bei meiner silwerne Hochzeit in Spiritus
setze!«

Und da Katharina nicht zu ihm hereinkam, tappte er die Treppe hinunter
in die Werkstatt seines Schwiegervaters und meldete: »Gu'n Morsche,
Vadder! Unn se wär' widder da!«

»E Erdbewe wär merr liewer!« sagte Bindegerst.

Aber Adolf wunderte sich schon nicht mehr über diese liebenswürdige
väterliche Äußerung. Er hockte sich auf einen Schemel, stützte den Kopf
in die Hände und frug erschöpft: »Is se immer so?«

»Immer!« bestätigte der Alte. »Immer! Nor manchmal net! Manchmal is se
noch schlimmer. Bis jedz hastde se nor Schottisch danze sehe, awwer baß
emal uff, wann se erscht Galopp danzt! Da kannstde Dei blau Wunner
erlewe! Des Rezept zu dem Danz hat se von ihrer selig Mudder geerbt,
grad wie des Rezept zum Quetschekuche! Ich sag Derrsch, Adolf, des Lewe
is e Gemeinheit! E groß Gemeinheit! Zeit wärsch, daß e neue Sintflut
komme dhät, awwer #ohne# Arche Noah! Vier Woche sollt's nix als wie
Schnaps regne, daß merr all drin versaufe, -- des wär wenigstens e
scheener Dod!«

Es entstand eine Pause, die Bindegerst dazu benutzte, seiner stillen
Geliebten zuzusprechen. Er genierte sich jetzt gar nicht mehr vor seinem
Schwiegersohn.

»Warum hastde merr dann des net frieher gesacht?« stöhnte Adolf.

Bindegerst lachte dröhnend. »Warum ich Derr des net frieher gesacht
habb? -- Guck Derr emal den ahle Schrank in der Eck aa! Des Schloß is
kabutt, unn in der Rickwand is e Mordsriß, ich habb'n bloß e bissi
zugebabbt. Wann jedz e Kundschaft käm unn wollt den Bawel kaafe,
maanstde, ich wer' sage: »Lasse Se die Finger dervoo! Der Schrank is de
Transbort net wert!« Maanstde, ich bin so meschugge? Naa, mei Liewer!
Aapreise wer' ich'm de Schrank unn hunnert Jahr Garandie geww ich'm, dem
Olwel! Unn so mach ich's mit #alle# Möwel, -- aach mit de lewennige!
Braach ich mit #fremde# Aage zu gucke? Ich guck mit meine eigne nix!«

Da fühlte Adolf Borges, daß er auch von seinem Schwiegervater verlassen
war.

Das Herz krampfte sich ihm zusammen und er hatte ein bitteres Wort auf
der Zunge.

Aber noch ehe er es aussprechen konnte, kreischte eine Stimme von oben:
»Macht, daß'r enuffkimmt! Der Kaffee is fertich!«

Es war Katharina, deren Ahnungsvermögen ihr gesagt hatte, daß sie es
nicht zu einem Bündnis der beiden Männer kommen lassen dürfe, und daß es
unklug sei, sie zu lange allein beisammen zu lassen.

Ein schweigsames Frühstück war es. Keines wollte ein Wort sprechen. Nur
der alte Bindegerst bemerkte einmal zwischen zwei Schlucken Kaffee: »Im
Odewald soll's frieher Hexe gewwe hawwe!«

Da warf ihm Katharina einen bitterbösen Blick zu. Erst kaute sie den
Bissen fertig, den sie im Mund hatte, dann erwiderte sie: »Unn in
Offebach, da gibbts sogar heut noch Rindviecher!«

Jede dieser Bosheiten Katharinas, auch wenn sie nicht gegen ihn selbst
gerichtet war, verwundete Adolf wie ein Schlangenbiß. Er konnte es
begreifen, daß ein Mensch in plötzlicher Erregung sich vergaß, schrie
und tobte, wie das zuweilen der dicke Herr Schröder tat, wenn er seinen
nervösen Tag hatte, aber unfaßbar war ihm diese sich ewig
gleichbleibende, kaltblütige Bosheit.

Wie konnte ein Mensch so bis zum Rande vollgeladen sein mit Tücke und
Streitsucht? Und gar ein weibliches Wesen?

Die wenigen Frauen, die er, der Frauenfremde, bisher hatte beobachten
können, waren alle ganz anders gewesen.

Da waren die Geschäftsfräuleins, kleine Kücken, die sorglos-heiter
herumpiepsten und in dem großen Hof des Lebens nach Liebschaften
pickten; da waren die Gattinnen seiner Chefs, solide gutgenudelte
Hennen, die würdevoll gackerten und herablassend mit dem Kopf zu nicken
verstanden; da waren die Damen der Kundschaft, Federvieh von allen
Sorten, jeden Alters und jeder Rasse, -- aber so ein giftgeschwollener
Truthahn wie Katharina war ihm noch nie unter die Augen gekommen.

Als das Frühstück abgeräumt war und er wieder allein im Zimmer saß,
grübelte er von neuem über sein Schicksal nach. Und mit der kindlichen
Gutmütigkeit, die ihn für jede menschliche Schlechtigkeit eine
Entschuldigung suchen ließ, redete er sich ein: »Vielleicht kann se gar
nix dafor, daß se so is? Ihr Mudder soll ja e bees Reibeise' gewese
sei', unn iwwer ihrn Vadder geht merr aach allmählich e Petroliumlamp
uff! Wie hätt des arm Mädche da annerschter wern könne? In eme
Eisschrank kann kaa Veilche gedeihe. Wer waaß, wie se mei Kättche mit
Schmiß unn Schenne uffgezoge hawwe! Unn jetz hält se die ganz Welt for e
Generalversammlung von Verbrecher und Bösewichter. Ich muß recht lieb zu
err sei unn recht gut, dann werd se sich gewiß ännern. Geduld muß ich
hawwe, daß se Vertraue zu merr krieht! Unn wann se erscht merkt, ich
maan's werklich gut mit err, ich will se net ausnitze, dann werd
zuerscht e Wandlung mit ihrm #Herzche# vor sich gehe, unn dann, so Gott
will, aach e Wandlung mit ihr'm #Schnawwel#!«

Und er begann sogleich, einen Versuch auf diesem Wege zu machen; leise
schlich er in die Küche hinaus, trippelte auf den Zehenspitzen von
hinten an Katharina heran und drückte blitzschnell einen Kuß auf ihren
Nacken.

Ein heftiger Ellbogenstoß in die Magengegend war die Antwort. »Du bist
wohl net bei Trost? Was soll dann des haaße? Scher dich zum Deiwel,
Faulenzer!«

Dieses Wort verletzte Adolf Borges tief. Faulenzer hatte ihn noch
niemand genannt. Daß ihn Herr Feldmann und der eklige Kassierer mit
allerhand Kosenamen aus Brehms Tierleben belegten, war er gewohnt, aber
Faulheit, -- nein, dieses Laster hatte ihm noch niemand vorgeworfen.

Hatte er nicht sein Leben lang geschafft wie ein Packesel? Und jetzt
sagte seine eigene Frau ...

»Ja, glotz mich nor aa!« schrie Katharina. »Du hast mich wohl noch net
richtich beguckt? Soll ich Derr e Fodografie schenke? -- Jawohl, e
Fauldier bistde! Was gehstde net in Dei Geschäft?«

»Awwer Kättche«, verteidigte sich Adolf, »awwer Kättche, ich habb doch
noch fimf Däg Urlaub! Was solle se dann von merr denke, wann ich mitte
in meiner Hochzeitsreis zurickkomm!«

»Die wern schonn sowieso wisse, was se von Derr zu denke hawwe! Bildste
Derr vielleicht ei', ich will Dich die fimf Däg hier erumlungern hawwe?
Zum Nixdhun haww ich Dich net geheierat!«

Und plötzlich im Ton umschlagend fing sie an zu jammern: »O Gott, ich
unglicklich Fraa! Prinze unn Korferschte hätt ich hawwe könne, unn so en
Schlappschwanz, so'n draurige, muß ich nemme!«

Adolf wartete nicht, bis der Ton zum zweiten Mal umschlug und wieder die
keifende Roheit zum Vorschein kam. Er ging hinaus, setzte seine Mütze
auf und lief ins Geschäft.

Und als er vor dem Geschäftshaus stand und in die großen Schaufenster
blickte, in denen die Modellpuppen standen, die er so oft abgestaubt
hatte, da war ihm, als sei dieses Haus seine eigentliche Heimat, als sei
#hier# seine Familie, und sein Heim bei Katharina sei nur eine
Schlafstätte, in der er aus Mitleid geduldet wurde.

Er ward beinahe gutgelaunt, als er vor den erstaunten Herrn Schröder
hintrat, um sich zurück zu melden. Er freute sich auf die erlösende
Arbeit.

Und es ging ihm durch den Kopf: »Die Arweit is doch des wahre Baradies!
Unn die ganz Geschicht mit dem Ebbelbaam, die glaaw ich iwwerhaapts net!
Die Sach werd ganz annerschter gewese sei'. Der Adam-selig hat sich
aafach #gelangweilt# in dem baradiesische Palmegarte unn hat zum liewe
Gott gesacht: »Mensch«, hat'r zum liewe Gott gesacht, »Mensch, ich komm
um vor Langweil! Schmeiß mich enaus aus dem Garte, odder ich vertrampel
Derr 's Gras!« Unn weil der liewe Gott e gescheider Mann is, hat er
erwiddert: »Adamche, ich will Derr e Uniwersalmedizin erfinne gege die
Langweil unn gege jeddes Unbehage unn jedde Unzufriddenheit!« Unn er hat
die #Arweit# erfunne. Unn da war die Schöpfung erscht richtich fertich!«

»No??« sagte Herr Schröder. »No, schonn widder zurick? Was is dann?«

»Ach, wisse Se«, meinte Adolf verlegen, »es war so schleecht Wetter, da
bin ich liewer widder haam!«

»Hm!« machte Herr Schröder bedenklich. »Hm ... ich habb immer gemaant,
bei Regewetter liebt sich's am scheenste!«

Aber weil der dicke Herr Schröder mit Recht fand, Adolfs
Privatangelegenheiten gingen ihn eigentlich nichts an, forschte er nicht
weiter.

Weniger zartfühlend waren die Angestellten der Firma. Sie kicherten, als
sie das »scheppe Adolfche« wieder auftauchen sahen, sie machten Witze,
daß die Damen rot wurden, und der erste Reisende stichelte, mit einer
Anspielung auf Adolfs Stirnwunde: »Merr sollt dem Odewald widder emal
die Fingernägel schneide! Maane Se net aach?«

Der eklige Kassierer aber grinste: »E schee Aussicht misse Se gehabbt
hawwe vom Melibokus! Ihr Aag is #jedz# noch ganz geschwolle!«

An diesen schmerzhaften Stichelreden beteiligte sich nur ein einziges
Mitglied der Firma nicht, der zweite Buchhalter Heinrich Baldrian. Das
war überhaupt ein eigentümliches Männlein, eines von den
Menschenkindern, denen das Leben so ziemlich alles schuldig geblieben
ist, und die dennoch mit einer Miene herumlaufen, als seien sie selbst
jedermann etwas schuldig. Dieses alte Buchhalterchen war ein
unglückseliges Geschöpf, ein Kunstenthusiast, dessen Talent zu seinem
großen Schmerz nicht ausreichte, selbstschöpferisch zu sein. Er hatte in
seinen jungen Jahren dicke Hefte voll Gedichte geschrieben, ja sogar
Dramen verfaßt, und hatte wohl auch eine Zeitlang, ermuntert durch den
Beifall kritikloser Freunde, an sich geglaubt wie der Schneider von Ulm
an seine Flügel.

Bis ihm mit zunehmendem Alter die Erkenntnis dämmerte, daß er in den
Gärten der Poesie auf geliehenen Stelzen herumstolperte. Da hatte er
seine sämtlichen Werke verbrannt. Aber seine große Sehnsucht hatte er
nicht mitverbrennen können.

Heinrich Baldrian war ein einsamer Mensch geworden; stolz und
unglücklich zugleich in seiner Einsamkeit. Das Wissen, das er sich durch
fieberhaftes Lesen angeeignet hatte, die stille Würde, die die
Beschäftigung mit ewiger Kunst dem Jünger verleiht, ließen ihn die
Beteiligung an den billigen Späßen der übrigen Angestellten verschmähen;
Adolf Borges war einer der wenigen Menschen, in denen er verwandte
Anlagen zu ahnen glaubte. Von dem aber trennte ihn die tiefe Kluft des
Bildungsunterschiedes. Er mußte sich damit begnügen, dem »scheppe
Adolfche« stets ein freundliches Benehmen zu zeigen und im
unvermeidlichen geschäftlichen Umgang ihm jene kleinen Höflichkeiten des
Herzens zu beweisen, die so wohl tun.

Adolf kümmerte sich nicht um die Spötteleien, die ihn empfingen. Mit
einer wahren Wollust stürzte er sich in seine Arbeit. Noch nie war ihm
das Paketschnüren so köstlich erschienen.

Ihm war zumute wie einem verlaufenen Hund, der wieder heimgefunden hat.

Und als er bei der Arbeit in einem der hohen Wandspiegel zufällig seine
Kratzwunde erblickte, lächelte er vor sich hin: »Guck emal: e Kron haww
ich aach! Mit zwaa Zinke! Der aa Zinke is schonn fast verheilt! Wie
weit's der Mensch doch bringe kann!«

Und als ihn Herr Feldmann zum ersten Male wieder ein Kamel nannte, da
war ihm wie einem aus der Fremde Heimgekehrten, der zum ersten Mal die
Muttersprache wieder hört.

»Alles uff der Welt is Gewohnheit!« sagte er sich. »Unn ich wer' mich
schonn aach am Kättche sei Grobheite geweehne! Ich habb mich ja aach an
des Gekrisch von dene Katze geweehnt! Unn wer waaß: vielleicht is es
beim Kättche gradso wie bei de Katze, unn se kreischt bloß #aus Lieb#
so? -- Gewohnheit is alles, unn ich bin iwwerzeigt: wann der Mensch mit
Zahnweh uff die Welt käm', dhät 'r se gar net spiern, sonnern er käm'
sich krank vor, wann er emal #kaa# Zahnweh hätt'!«

Einige Tage später erlebte Adolf Borges eine neue eheliche Überraschung.

Als er abends aus dem Geschäft heimkam, empfing ihn Katharina mit der
kurzen, aber vielsagenden Frage: »No??«

»Was is, lieb Kättche?« fragte Adolf.

»Wannsde noch emal »Lieb Kättche« sagst, haag ich Derr 'n Kochlöffel uff
die Schnut!« gab Katharina diese Zärtlichkeit zurück. »Des dumm Gebabbel
mecht mich ganz nervös! Nächsdens kimmstde noch mit Glacehandschuh unn
Frack in die Kich! Des misse ja schee iwwerspannte Weiwer gewese sei',
mit dene Du Dich frieher erumgedriwwe hast!«

»Awwer Kättche, ich schwör Derrsch: Du bist des erscht weiblich Wese,
des wo --

»Halt's Maul! Heut is doch Gehaltsdag gewese? Wo is 's Geld?«

»Awwer Kättche, --«

»Gebb's Geld eraus! Maanstde vielleicht, ich kann von der #Luft#
wertschafte? Mach kaa lange Umschdänd, des kann ich net verdrage!«

Adolf sah ein, daß sie nicht von der Luft wirtschaften könne.
Widerspruchslos zog er seine Geldbörse hervor und zählte den Inhalt auf
den Tisch.

»Is des alles?«

»Ja! Mehr haww ich net!«

»For so en schäwige Gehalt dhät ich dene was peife! S' is zum
Haar-Ausroppe! Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate könne! -- Da
sin fimf Mark, des muß lange! Merk Derrsch!«

So ähnlich muß es den Kaufleuten im 16. Jahrhundert zu Mute gewesen
sein, wenn Herr Götz von Berlichingen oder ein anderer Raubritter sie
auf der Landstraße ausplünderte.

Aber lange hielt die Bitterkeit bei Adolf Borges nicht an. Er war ja
eine der harmlosen Seelen, die sogar zu einem Raubritter gesagt hätten:
»Von Ihr'm Standpunkt hawwe Se recht! Entschuldige Se nor, daß ich net
mehr bei merr habb! Könnte Se merr vielleicht sage, Herr Raubridder, wie
ich am schnellste widder haamkomm?«

»Des Kättche hat vielleicht ganz recht«, dachte er. »Sparsamkeit is e
Dugend. Vielleicht is des Geld bei ihr besser uffgehowwe wie bei mir. Es
is ja aach als Mann mei Plicht unn Schuldigkeit, daß ich se ernähr.
Dadafor soll ich aach ihr Herr sei'!«

Aber unbehaglich war es doch, nicht mehr frei über seine Einnahmen
verfügen zu können und über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen zu
müssen. Fünf Mark, -- das reichte ja kaum, das Fläschchen Bier zum
Frühstück und zur Vesper zu bezahlen. Fünf Mark, damit konnte er doch
unmöglich seine kleinen Ausgaben bestreiten. Wie würde das werden, wenn
er einmal eine neue Mütze brauchte oder einen neuen Hosenträger? Sollte
er dann Katharina um Geld bitten? Um das Geld, das er selbst verdient
hatte?

Er nahm sich vor, nur einen Teil der Trinkgelder, die er hie und da
bekam, an Katharina abzuliefern und den Rest für sich zu behalten. Die
ganzen Beträge seinem kleinen Geheimfond einzuverleiben, hätte ihm sein
Gewissen nie erlaubt. Wie eine Unterschlagung wäre ihm das erschienen.

Und dann hatte er ja auf der Sparkasse noch etwas über viertausend Mark
stehen. Katharina wußte wohl darum, aber es wurde nie davon gesprochen,
so wenig, wie je von einer Mitgift die Rede gewesen war.

Und doch kam im dritten Jahre seiner Schmerzensehe die Rede auf diese
Ersparnisse: der alte Bindegerst war es, der sich plötzlich lebhaft für
das Sparkassenguthaben Adolfs interessierte.

Ihm bekam die Ehe seines Schwiegersohnes ausgezeichnet. Einen besseren
Blitzableiter für die häuslichen Gewitter hatte er sich gar nicht
wünschen können. Mit einer gewissen inneren Befriedigung sah er mit an,
wie sich alle die Donnerwetter und Hagelschläge, denen bisher er selbst
preisgegeben gewesen war, auf Adolfs Haupt entluden, während er im
Trockenen saß. Er machte sich sogar das Vergnügen, heimlich ein bißchen
zu hetzen, indem er einerseits Katharinas Ansprüche aufstachelte,
andrerseits seinem Schwiegersohn soufflierte: »Laß Derr nix gefalle!
Mach en Stormaagriff! Soll ich merr e Trombet' kaafe unn zor Attack
blose? Mensch, du blamierst unser ganz Geschlecht!«

Da Katharina nicht viel Zeit und Lust fand, sich um den Alten zu
kümmern, wurde er geradezu übermütig. Eines Tages heftete er an die
Treppentüre seiner Werkstatt ein Plakat: »Weibern ist der Eintritt
strengstens verboten!«

Und amüsierte sich königlich, als Katharina diesen, auf sie gemünzten
Zettel wütend in tausend Fetzen riß.

Aber wenn er der Knechtschaft seiner Tochter entronnen war, so war er
dafür um so schimpflicher unter eine andere Tyrannei geraten: unter die
Knute seiner stillen Geliebten. Er trank nicht mehr, er soff.

Er feierte an seiner Drechslerbank und oben im Dachstübchen stille
Gelage, trank dem Mann im Monde und den Katzen zu und hielt mit sich
selbst Volksversammlungen ab, in denen er das Thema: »Das Leben ist eine
Gemeinheit!« von allen Seiten beleuchtete.

Überkam ihn der Weltschmerz, so sang er mit den Katzen Duette, die erst
ein Ende nahmen, wenn zwei Fäuste an die Türe donnerten und die
bissigste Katze des Hauses schrie: »Willstde Dei Maul halte, ahl
Volleul! Schämstde Dich net vor der Nachbarschaft?«

Dann versicherte Bindegerst, die Nachbarschaft könne ihn sonst etwas.
Aber er stellte seinen Meistersang ein.

»Ich glaab, Du riechst nach Schnaps?« sagte einmal Adolf seinem
Schwiegervater.

»Hastde gedenkt, ich wer' nach Veilcher rieche?« erwiderte Bindegerst.
»Wann Derr mei Duft net baßt, hättstde halt in e Bodanisierbüchs
heierate solle, statt in unser Familje! Steck Dei Nos net in mein
Privatgeruch, des bitt ich merr aus!«

Und Adolf hatte, wie immer, geschwiegen.

Bindegersts Hände waren jetzt öfters #unter# als #über# der
Drechslerbank. Und die Affenköpfe seiner Spazierstöcke nahmen immer
seltsamere Formen an. Die Glasaugen saßen jetzt mitunter an Stellen, an
denen ein Naturforscher weit eher die Ohren vermutet hätte, und sein
letztes Meisterwerk besaß sogar wie weiland Polyphem nur ein einziges
Auge mitten auf der Stirn.

Für solche Mißgeburten von Spazierstöcken fanden sich begreiflicherweise
wenig Käufer, und dies war der Grund, weshalb sich Bindegerst plötzlich
für Adolfs Sparkassenbuch zu interessieren begann.

Schon beim Abendessen hatte Bindegerst mit Adolf zu fußeln angefangen.
Nicht zärtlich und kosend, sondern mit Offenbächer Derbheit. Er trat ihm
wider das Schienbein, daß sein Schwiegersohn sämtliche Engel im Himmel
und sämtliche Teufel in der Hölle gleichzeitig _fortissimo_ singen hörte.

Und als Katharina einen Augenblick hinausgegangen war, um eine neue
Schüssel Kartoffeln zu holen, flüsterte er geschwind: »Adolf, komm
nachher emal enuff in die Dachstubb, ich habb mit Derr zu redde!«

Währen Katharina das Geschirr abspülte, schlich Adolf hinauf.

»Was is dann, Vadder?«

»Hock dich emal uffs Bett! Da sitzstde weich unn fällst net so leicht
um!«

Es wurde Adolf unbehaglich. Was konnte sein Schwiegervater von ihm
wollen? Bindegerst machte ein so feierliches Gesicht. Sicherlich hatte
er keine erfreuliche Mitteilung in Bereitschaft.

»Wannstde Dich vielleicht erst emal stärke willst?« frug der Alte und
hielt ihm die Schnapsflasche hin.

»Ich sauf kaan Schnaps, Vadder!«

»Weilsde net waaßt, was gut is! Schnaps is gut for die Cholera, secht e
ahl Sprichwort. Ich will net draa schuld sei', wann e neu Epidemie
ausbricht!«

Er hob die Flasche und labte sich. Wischte sich den Mund und zog aus der
rechten Hosentasche ein zerknittertes Papier.

»Hockstde gut? -- Dann les emal!«

Adolf entfaltete den Wisch, strich ihn glatt und las.

Es war eine gerichtliche Vorladung. Gast & Co. gegen Konrad Bindegerst
wegen Forderung.

»E Gemeinheit!« erwiderte Bindegerst Adolfs fragenden Blick. »Des ganz
menschlich Lewe is e Gemeinheit! Wege lumbige dreidausendfimfhunnert
Mark verklagt aan die Lumbegesellschaft! Da gibbts Barone, die hawwe e
Milljon Schulde unn kaa Mensch verklagt se! Awwer der Middelstand, der
muß ja immer draa glaawe! Uff uns solide Berjersleut, da reit' ja der
Staat erum wie e dressierter Aff uff'me Kamel!«

Und er hielt eine lange Entrüstungsrede über die unerhörten Zustände,
die nach seiner Ansicht in Mitteleuropa, und zwar #nur# in Mitteleuropa
herrschten.

»Ja, Vadder, bistde dann des viele Geld #schuldig#?«

»#Nadierlich# bin ich's schuldig! Maanstde, die verklage mich aus Jux?
Merr hawwe doch kaa Fastnacht! Freilich bin ich's ihne schuldig, dere
Saubagasch! For Holzlieferunge!«

»Dann mußtde's aach zahle!« entschied Adolf.

Bindegerst beguckte ihn spöttisch. »Merr könnt glaawe, Du hättst
studiert! Du reddst wie e Amtsrichter! Awwer zahl emal, wannsde kaa Geld
hast! Kann ich hexe? Hokuspokus, da is e Milljard? Kann ich merr
Goldsticker aus der Nos ziehe, odder Dausendmarkschei aus 'me ahle
Zylinner? -- Ich habb 'n Dalles, den könnt merr for Geld gucke lasse!
Pleite bin ich! Unn da verklagt mich die Saubande uff so en Haufe Geld!
Kaum zwaa Jahr bin ich'r des bissi Geld schuldig, kaum siwwe Mal hawwe
se mich gemahnt, unn gleich wern se so ricksichtslos!«

Adolf dachte nach. Das war ja eine schöne Überraschung. Er hatte seinen
Schwiegervater nie reich geschätzt, er hatte nie auf eine Erbschaft
spekuliert, aber er hatte es als Selbstverständlichkeit betrachtet, daß
die Drechslerei gut ging und ihren Mann ernährte. Nie hatte er
wahrgenommen, daß seinen Schwiegervater Schulden bedrückten, -- und nun
plötzlich diese Eröffnung.

»Ja, wie is dann des nor meeglich?« stotterte er.

»Bei Gott is kaa Ding unmeeglich!« gab Bindegerst mit Würde zurück.
»Schuldemache is e ganz aafach Sach: du braachst bloß nix zu bezähle!
Des annner kimmt dann ganz von selwer!«

Es entstand eine Pause.

Der Alte beobachtete seinen Schwiegersohn mit verschmitzten, lauernden
Augen. »Wart nor,« dachte er, »wart nor, ich krieh Dich schonn draa!«

»Waaß es des Kättche?« frug Adolf nach einer Weile.

»Kaan Dunst! Dhät se sonst so ruhig des Gescherr spüle? En Schlagaafall
dhät se kriehe, -- des haaßt: #sie# krieht de Aafall, unn #mir# kriehe
die Schläg! Nix waaß se, unn se #derf# aach nix wisse!«

»Naa, se derf nix wisse!« echote Adolf. Er hatte es sich zur Pflicht
gemacht, alle Unannehmlichkeiten, alle Aufregungen von Käthchen
fernzuhalten.

Bindegerst schmunzelte. Das Gespräch nahm ganz die Wendung, die er ihm
zu geben beabsichtigt hatte.

Oh, er war ein Schlaufuchs, und Adolf ein gutmütiger Narr!

Er nahm ein bekümmertes Gesicht an und klagte: »Awwer se werd's halt
#doch# erfahrn! Wann erscht der Gerichtsvollzieher kimmt unn fängt aa,
unser Möwel als Briefmarke-Album zu benitze, dann merkt se's!«

Er seufzte und beobachtete listig die Wirkung seiner Worte.

»Wann se nor net krank werd von dem Schrecke!« fügte er hinzu.

»Se #derf# nix erfahrn!« sagte Adolf geknickt. »Unner kaane Umständ derf
se ebbes erfahrn!«

»Ja, des sag ich ja aach! Awwer wie soll ich's verhinnern, Herr
Rechtsgelehrter? -- Guck, Adolf, ich steh ja gar net so schlecht, -- mei
Geschäft is unner Brieder immer noch en Batze wert, -- no, unn mei Häusi
hat aach noch sein Wert, wann merr die Hipotheke abzieht, -- ich bräucht
halt nor en Mensch, der merr uff die Sicherheit hie so momendan
vierdausend Mark bumbe dhät!«

Er machte wieder eine Effektpause.

Ganz dicht stand er nun vor seinem Schwiegersohn und sah ihm scharf in
die Augen, während er sagte: »Dhätst #Du# merr kaan wisse, der wo merr
so vierdausend Emmcher leihe könnt?«

Adolf erhob sich vom Bett und begann im Zimmer auf und ab zu wandeln.

Viertausend Mark, dachte er. So viel hatte er gerade auf der
Sparkasse... Und schließlich war es doch sein Schwiegervater... Den
konnte er doch nicht in der Patsche sitzen lassen... Und das Entsetzen,
das er Katharina ersparte... Wenn der Gerichtsvollzieher ins Haus
käme!... Und eine Sicherheit bot ja das Geschäft schließlich auch...

Er dachte in diesem Augenblick nicht daran, wie mühsam er seine
Ersparnisse gemacht hatte, wieviel Jahre seines armen Lebens er dafür
gefrohnt hatte, wie er sich jedes Vergnügen versagt hatte, um nur
pünktlich den programmäßigen kleinen Betrag am Sparkassenschalter
abliefern zu können.

Er dachte nicht daran, daß er auch jetzt noch sich nicht die kleinste
Extraausgabe leistete, während Bindegerst in schnapsfröhlichem
Faulenzertum dahindöste.

Er sah nur, daß er hier helfen konnte, und je mehr er darüber
nachdachte, desto klarer erschien es ihm eine ganz einfache Pflicht, dem
Alten seine Ersparnisse anzubieten.

Bindegerst ließ ihm Zeit. Er sagte sich, daß er jetzt die Gedankengänge
Adolfs nicht stören durfte.

»Da laaft er hie unn her,« kicherte er in sich hinein, »unn bildt sich
ei', er dhät sich de Fall iwwerlege! Dabei laaft er nor in dem Käfig
erum, den ich 'm mit meim Gebabbel gebaut habb! Unn was'r sich in seim
dumme Kopp zusammereimt, des is all grad so, als ob #ich#'s em in die
Fedder diktiert hätt! Adolf, was bistde e Olwel!«

Ach ja, Adolf #war# ein Olwel. Denn alle guten Menschen sind Olwel. Ein
gutes Herz ist eine klare, reine Quelle, -- aber aus einer Quelle
trinken nicht nur die fröhlichen Wanderer, nicht nur die lieben
Singvöglein, sondern auch die raublüsternen Marder sättigen sich darin,
und jedes vorbeitrampelnde Schwein steckt seinen Rüssel hinein. Es ist
nicht wahr, daß man durch Schaden klug wird. Durch Schaden wird man
höchstens #schlecht#. Und es gibt so gutmütige »Olwels«, daß sie durch
Schaden immer dummer statt klüger werden, weil sie nie auf Dank
gerechnet haben, sondern in dem Bewußtsein, etwas Gutes zu tun, eine
Belohnung empfinden, die kein Schaden mindern kann.

Und so ein Olwel war auch Adolf Borges.

»Ich waaß aan', der wo Derr des Geld bumbe kann!« sagte er und freute
sich seines Entschlusses. »Adolf Borges haaßt er, unn morje gehn merr
zusamme uff die Sparkaß!«

»Awwer naa!« sagte Bindegerst. »Des kann ich doch net verlange! Des kann
ich gar net aanemme!«

»Warum dann net?« sagte Adolf und war beinahe beleidigt. »Es bleibt doch
in der Familje! Erbt halt emal der Vadder vom Sohn, statt umgekehrt!«

»Awwer des mußtde merr wenigstens zugewwe: ich habb Dich net drum
#gebete#«, sagte Bindegerst.

»#Nadierlich# hastde mich net drum gebete!« lächelte Adolf herzlich.
»Ich dhu's aus merr selwer! Unn ich dhu's gern!«

Und der alte Bindegerst dachte: »Der is noch viel dümmer, wie ich
geglaabt habb! Schad, daß er net #achtdausend# hat!«

Er streckte ihm die Hand hin: »Adolf, des vergeß ich Derr net! Adolf,
wannsde emal en Mensch braachst, der for Dich dorchs Feuer geht, dann
braachstde merr nor zu telefoniere!«

Und Adolf war ganz gerührt.

»Jedz muß ich awwer widder erunner bei's Kättche!«

»Unn gell, Dei Fraa braacht nix davoo zu wisse!«

»Naa, se erfeehrt nix! -- Wann se mich awwer freegt, was merr so lang da
owwe gebabbelt hawwe?«

»Dann sagstde eifach ... dann sagstde halt ... ach was, es werd Derr
schonn e Ausredd eifalle! Du bist ja verheierat'!«

Adolf bedurfte keiner Ausrede. Als er herunterkam, lag Katharina schon
schlafend im Bett. Sie sah in ihrer knochigen Dürre, mit dem
unfrisierten Haar, mit dem schnarchend halbgeöffneten Mund und den
gelbbraunen Zähnen abstoßend häßlich aus. Aber Adolf betrachtete sie mit
gerührter Zärtlichkeit.

»Wie e Engelche leiht se da!« murmelte er. »So friedlich! Vielleicht
fliegt se jedz grad im Draum im Himmel erum odder se bäckt for die
Heilige Quetschekuche! Se is doch e gudes Weib. Heut hat se mich nor
zwaamal en Saukerl genennt. Se bessert sich schonn. Langsam, awwer
sicher.«

Und er zog sich behutsam aus, um sie nicht zu wecken, und schlief in dem
Bewußtsein einer guten Tat zufrieden ein.

Das Engelchen Katharina aber entwickelte sich immer offenkundiger zum
Fafner. Sie hätte auf jedem Drachenwettbewerb den ersten Preis
ergattert.

Ich mag es meiner Schreibmaschine gar nicht zumuten, all die Schikanen,
die Katharina ersann, aufzuzeichnen. Es genügt zu sagen: gegen sie war
Edison als Erfinder ein Waisenknabe.

An einem Samstag Mittag wandte sich Heinrich Baldrian, der Buchhalter,
an Adolf mit der Frage: »Adolf, wollen Se morgen ins Theater?«

»Wieso, Herr Baldrian?«

»Weil ich zwei Billette hab. Aber es is mir was dazwischen gekommen.
Vielleicht gehn Sie mit Ihrer Frau hin?«

»Ei, mit Vergniege! Ich dank Ihne aach schee, Herr Baldrian!«

»Bitte, bitte!«

-- Auf dem Nachhauseweg malte sich Adolf aus, wie Käthchen sich freuen
werde.

»Vielleicht geht se mit'm Vadder 'rei?« dachte er. »Ich dhät's zwar gern
selwer gucke, awwer dem ahle Bindegerst mecht's sicher noch viel mehr
Spaß wie mir! -- Dheader, -- Gott, wie lang bin ich in kaam Dheader mehr
gewese! Ich kann doch'm Kättche werklich gar nix biete! Annern Madamme,
die hocke jed' Woch e baar Mal im Dheader unn kenne die Sänger unn
Schauspieler schonn von weitem an der Nos. Ja, 's is doch was Scheenes
um die Bildung! -- Ich freu mich uff'm Kättche sei Gesicht!«

Aber diese Freude war verfrüht.

»Ich geh in kaa Dheader!« fauchte Katharina. »Ich habb dahaam Dheader
genuch! Mich indressiert der Stuß net!«

So benutzten denn Adolf und Bindegerst die Karten.

Bindegerst machte sich hochfein. Er schien sich den König David zum
Vorbild genommen zu haben, von dem zweimal geschrieben steht »und sie
salbten ihm das Haupt«, er ließ sich von Herrn Hippenstiel eine geradezu
feudale Frisur zurechtkleben, zog den schwarzen Gehrock an und tanzte
reichlich eine halbe Stunde vor dem Spiegel, ehe er mit sich zufrieden
war.

»Der Widerspenstigen Zähmung« wurde gegeben.

»Des muß in Amerika spiele,« sagte Bindegerst beim Lesen des
Theaterzettels. »Nor in Amerika hawwe die Leut so verrickte Name'!
Vincentio, Lucentio, Petruchio, -- so haaßt in ganz Offebach kaa
Mensch!«

Plötzlich fing er an zu lachen. »Da, les emal: Katharina, die
Widerspenstige, Baptistas Tochter. Gut, daß merr's Kättche dahaam
gelasse hawwe! Die hätt sich am End' noch bedroffe gefiehlt! -- Du, ich
bin neugierig, ob die mit #unserm# Kättche konkurriern kann?«

Auch Adolf mußte lächeln.

»Adolf, des is sicher e lehrreich Stick! Adolf, da haaßt's die Ohrn
spitze! Des hat sicher e #Verheierater# geschriwwe!«

Sie hatten zwei gute Plätze im ersten Rang, inmitten vornehmer Leute.
Bindegerst fühlte sich infolgedessen als Aristokrat, dem kleinen Adolf
aber war in dieser noblen Umgebung nicht sonderlich wohl. Er hätte
lieber auf der Galerie gesessen, unter seinesgleichen.

»Ich komm merr vor, wie e Köchin, die ihrer Gnädige ihr Schleppekleid
aagezoge hat. Da schwebt se drin erum unn dänzelt wie e Wackelpudding,
awwer wann se de Schnawwel uffmecht, schmeckt's wie Kardoffelschale.«

Doch bald ließ ihn das Stück das Publikum vergessen.

Das Käthchen auf der Bühne war ein schlimmes Frauenzimmer, das sah er
gleich. Aber ihr Vater war wenigstens so ehrlich, es den Freiern im
voraus zu sagen. Der pries seine böse Tochter nicht als
Quetschenkuchenvirtuosin an, wie Bindegerst. Er warnte Heiratslustige.
Und dennoch hielt Petruchio um ihre Hand an.

Herrgott, gibt's mutige Menschen!

Eines freute Adolf: es wuchsen also auch in den vornehmen, reichen
Kreisen weibliche Teufel! Nicht nur unter den Proletariern. Das
Schicksal ist doch nicht so ungerecht, wie man ihm nachsagt. Die höhere
Töchterbildung tut's also doch nicht!

Er schmunzelte.

Bindegerst stieß ihn wiederholt mit dem Ellbogen an. Jedes Mal, wenn die
Bühnen-Katharina eine bösartige Antwort gab, oder von ihrer Störrigkeit
die Rede war, versetzte er dem Schwiegersohn einen Rippenstoß und
flüsterte: »Wie dahaam!«

Am lieblichsten zeigte sich Katharina im zweiten Akt. Gleich in der
ersten Szene prügelte sie, ohne Ursache, ihre sanfte Schwester Bianka.

»Wie dahaam!« zischelte Bindegerst und schlug sich vor Freude aufs Knie.

Drei Minuten später haute sie dem Musiklehrer die Laute am Kopf entzwei.

»Die is großartig!« jauchzte Bindegerst. »Ganz wie
dahaam! So e Kanallje!«

»Psssst!« machten die Umsitzenden.

Adolf kümmerte sich wenig um Katharinas Böswilligkeiten, ihn
interessierte weit mehr Petruchios Stellungnahme. Mit beifälligem
Kopfnicken vernahm er dessen Rezept:

    »Schmält sie, so sag' ich ihr ins Angesicht,
    Sie singe lieblich, gleich der Nachtigall.
    Blickt sie mit Wut, sag' ich, sie schaut so klar
    Wie Morgenrosen, frisch vom Tau gewaschen.«

Ja, das war auch seine Ansicht: nur mit Güte ist etwas zu erreichen. So
wollte auch er es halten.

Aber -- o weh! -- schon beim nächsten Zusammentreffen erntete Petruchio
eine Backpfeife, die aus dem Vorrat des #Offenbacher# Käthchens hätte
stammen können.

»Ganz wie dahaam!« jubelte der Drechslermeister. »In des Stick muß 's
Kättche erei! Unn wann's hunnert Dhaler kost'!«

Trotz der Ohrfeige erklärte Petruchio die Widerspenstige für seine
Verlobte.

Im dritten Akt aber begann er die Pferdekur.

Bindegerst geriet außer sich vor Entzücken, als Petruchio absichtlich zu
spät und zerlumpt zur Trauung erschien, in der Kirche wie ein Roßknecht
fluchte, dem Priester auf die Frage, ob er Katharina heiraten wollte,
mit einem gebrüllten »Zum Donnerwetter, ja!« antwortete, dem Küster den
Weinbecher ins Gesicht warf, seine Braut in der Kirche laut abschmatzte,
kurz die Widerspenstige auf jede erdenkliche Weise demütigte.

»So mußtde's mache!« rief der Drechslermeister. »Des is mei Mann! Der
krieht se klaa! Baß uff, er krieht se klaa, des Oos!«

Die Logenbesucher begannen, sich über den Begeisterten zu belustigen.
Aber Bindegerst ließ sich nicht stören.

»Des mißt' merr bei jedder Hochzeit gewwe, des Stick!« schwärmte er in
der Pause. »Des is mehr wert wie die scheenst Preddigt! Des is aus'm
Lewe gegriffe! Wannn's aach in Amerika spielt!«

Er zog im Foyer die Schnapsflasche aus dem Gehrock und labte sich.

»Nemm Derr e Beispiel«, hetzte er. »Adolf, mach's wie der Amerikaner!
Ich garandier Derr for de Erfolg! Ich habb Derrsch schonn emal gesacht:
haag se, daß die Lappe fliehe!«

Und als im vierten Akte Petruchio sein Käthchen durch Hunger und
Grobheit vollends zähmte, als sie in ihm ihren Meister erkannte, sich
aufs Bitten verlegte und zuletzt so mäuschenklein ward, daß sie auf
Petruchios Befehl die Sonne für den Mond, einen Mann für ein Weib
erklärte, da kannte Bindegersts Wonne keine Grenzen mehr.

»Adolf, wannsde kaa Hansworscht bist, mechstde's gradso! Adolf, ich guck
Dich net mehr aa, wannsde's net gradso mechst!«

Adolf war durch das Theaterstück nachdenklich gestimmt worden.

Hatte Petruchio Recht? Mußte der Dichter mit dem seltsamen Namen die
Frauen nicht besser kennen als er?

Sollte er dem Rat Bindegersts, der unablässig auf dem Heimweg in ihn
hineinredete, folgen?

Ja, er wollte es versuchen.

Auch wenn es bitter weh tat.

Er beschloß, Petruchios Vorbild nachzuahmen.

An einer Straßenecke verabschiedete sich sein Schwiegervater.

»Ich geh noch e Schöppche drinke! Unn morje frieh geht die Dressur los!
Adolf, sei e Mann!«

Er verschwand in einer Seitengasse, die sich nicht des besten Rufes
erfreute.

... Adolf Borges schloß in dieser Nacht kein Auge.

Grob sein sollte er, wie ein Wüterich auftreten, -- wie schwer das sein
mußte!

Schreien sollte er, -- er, der Sanftmütige.

Und gar schlagen.

Ach Gott! Ach Gott!

Am liebsten wäre er mitten in der Nacht zu dem Schauspieler gelaufen und
hätte sich Unterricht geben lassen.

Wie würde Käthchen erschrecken! Von dieser Seite kannte sie ihn doch gar
nicht!

Weinen würde sie, gerade wie die Widerspenstige in dem Theaterstück, --
und er konnte doch Niemanden weinen sehen!

Oh, welch furchtbare Aufgabe!

Aber es mußte sein. Er konnte sich doch nicht vor Bindegerst lächerlich
machen und seinen Vorsatz wieder aufgeben? Und vielleicht half die
bittere Medizin tatsächlich?

Am nächsten Morgen erschien Bindegerst ungewohnt pünktlich zum Kaffee.
Während Katharina das braune Getränk aus der Küche holte, zwinkerte er
dem Schwiegersohn vielsagend zu.

»Sei stark!« bedeutete dieser Blick. »Adolf, jetzt gilt's!«

Und Adolf bemühte sich, stark zu sein.

Kaum hatte er einen Schluck getrunken, so setzte er die Tasse energisch
ab und behauptete: »Des soll Kaffee sei'? E Gesöff is des!«

Bindegerst sekundierte: »E Drecksbrieh' is es, awwer kaa Kaffee!«

Katharina war erstaunt.

»Sieh mal an!« dachte sie.

Und laut sagte sie: »Ei, laßt' s doch stehn, wann's Euch net schmeckt!
Mir is des schnubbe!«

»Awwer #mir# is es net schnubbe!« begehrte Adolf auf und wunderte sich
über sich selbst. »Ich verlang 'n #ordentliche# Kaffee!«

»Unn ich verlang aach en ornliche Kaffee!« echote Bindegerst. »Zum
Donnerwedder noch emal!«

Käthchens Erstaunen wuchs.

»Ihr seid wohl verrickt, Ihr Zwaa? Ihr seid scheint's im Dheater
iwwergeschnappt?«

»Mir sin noch lang net so meschugge wie Du!« trumpfte Adolf, der
allmählich in Schwung kam.

»Noch lang net!« bestätigte Bindegerst.

»Unn so e Gesöff kimmt merr net mehr uff'n Disch!« erklärte Adolf.

Und wie er es bei Petruchio gesehen hatte, packte er die Tasse und
feuerte sie in die Zimmerecke, daß die Scherben flogen.

Er hatte erwartet, daß Käthchen nun in Tränen ausbrechen, daß sie um das
schöbe Geschirr jammern werde.

Aber es kam ganz, ganz anders.

»Da is noch #mehr# Platz!« sagte Katharina seelenruhig und schmiß
Kaffeekanne, Milchkanne, Zuckerdose und ihre eigene Tasse gegen die
Wand.

Dann ging sie hinaus, kam mit einem Arm voll Tellern wieder. »So, des
könne merr zum Iwwrige lege!« Und knax, holterdipolter, prasselten die
Teller auf den Boden.

Dann kamen die Gläser an die Reihe.

Und zuletzt hauchte der Ritter von Stolzenfels am Rhein sein Dasein aus.

»Seid'r jedz zufride?« frug Katharina.

Adolf und Bindegerst sahen sich an.

»Ich wer' an mei Arweit gehe!« sagte Bindegerst kleinlaut.

»Unn ich muß ins Geschäft!« fügte Adolf hinzu.

»Unn mir könnt'r de Buckel erunnerrutsche!« schloß Katharina das
Frühstück.

Mittags wartete Adolf vergebens aufs Essen.

Halb zwei Uhr war es schon geworden, um zwei mußte er im Geschäft sein,
und noch immer hatte Käthchen nicht angerichtet.

Er schlich in die Küche. »Kriehe merr dann heut nix zu esse?«

»Wodruff? Hastde Deller mitgebracht? Ich habb kaa, die sin all' kabutt.«

Adolf kratzte sich hinter'm Ohr.

»Da haww ich ganz draa vergesse,« stotterte er. »Heut Awend bring ich
welche mit!«

»Awwer vorher fegstde die Scherwe uff!« befahl Katharina.

Sie band ihm die Küchenschürze um, drückte ihm Besen und Schaufel in die
Hand.

»Marsch, erei, unn uffgekehrt!«

Und der kleine Adolf kehrte demütig die Scherben zusammen.

Bindegerst sah ihm zu und sprach: »Adolf, Du hast Dei Sach' gut gemacht,
awwer gege #höchere Mächte# kann der Mensch nix mache!«

»Sei widder gut, Kättche!« bat Adolf abends. »Ich waaß selwer net, was
ich heut morje gehabbt habb. Gebb merr en Kuß!«

Aber Käthchen drehte ihm den Rücken. »Merr sin noch lang net fertich
miteinanner, mei Liewer! Ich guck, daß Samftmut bei Dir nix nitzt, --
gut, ich kann aach annerschter sei'!«

Und sie war fortan so annerschter, daß Adolf auf die Frage des Herrn
Baldrian, wie ihm das Stück gefallen habe, antwortete: »Gespielt hawwe
se's ganz schee, -- awwer des Stick daugt nix! Ganz unwahrscheinlich,
Herr Baldrian! E echt amerikanischer Schwindel!«



Gar viele Liebespärchen, solche mit und solche ohne standesamtliche
Ambitionen, hatte der Mann im Mond beobachtet, seit er den scheppen
Adolf hatte in die Falle gehen sehen, in der ein so magerer Köder hing.
Nun hatte er ihn längst aus den Augen verloren. An einem Winterabend
aber, als die Luft klar war wie geschliffenes Glas, fielen die Blicke
des himmlischen Holzarbeiters wieder einmal in das Dachfensterchen und
blieben erstaunt an dem Bilde haften, das sich bot:

Vater Bindegerst hatte das Ohr an die Türe gelegt und lauschte grinsend
dem Lärm, der aus dem unteren Stockwerk scholl.

»Se kloppt em de Aazug, ohne daß er'n ausgezoge hat!« schmunzelte er.
»Jeder Schlag en Treffer! Ich kann de Adolf net verstehe! So e Eh' hätt
ich schonn hunnertmal gekinnigt. Awwer so is des Lewe: e Gemeinheit von
hinne bis vorne! Von owwe bis unne. -- Ui, schonn widder! Adolf, Adolf,
ich ließ merr de Buckel vernickele an Deiner Stell!...«

Er zog den Kopf schnell zurück, denn er hatte unten die Türe gehen
hören, setzte sich an den Tisch und zündete behaglich eine Pfeife an.

Schlürfende Schritte kamen die Treppe herauf. Adolf trat ein.

»Hat se widder ihrn elektrische Dag?« erkundigte sich Bindegerst und
schnitt ein teilnehmendes Gesicht.

Adolf ließ sich aufs Bett fallen.

»Ich halt's net mehr aus, Vadder!« stöhnte er. »Kaa friddlich Minut haww
ich mehr!«

»Der Sultan hält's mit vierhunnert Weiwer aus,« sprach sein
Schwiegervater großartig, »unn Du willst net emal die aa aushalte?? --
Mach Derr nix draus, Adolf, du waaßt doch, wie se is!«

Aber diesmal war Adolfs Seele zu tief verwundet, als daß sich der
Schmerz hätte durch solch schwache Narkotika besänftigen lassen.

»Ich wollt', ich wär dod!« sagte er. »Vier Schuh unner der Erd', -- ich
glaab, da is's Lewe am scheenste! Da is so still, die Werm unn die
Maulwerf sin kaa bissi nervös, unn was vier Schuh #iwwer# merr bassiert,
davoo heer unn seh ich nix mehr... Bloß die Sterncher, die leuchte dorch
die Erd' dorch, unn dorch de Sargdeckel, unn ich guck se trotz meine
geschlossene Aage, unn ihr Schei' mecht merr warm wie die best
Zentralheizung. An en Dodedanz, nachts von zwelf bis um aans, waaßtde
Vadder, dadraa glaaw ich net. Die Hopserei dhät mich aach nix nitze. Ich
kann ja gar net danze. Awwer daß alsemal so e Zwerg, so e Gnom kimmt,
glaaw ich, unn hebt de Sargdeckel uff unn guckt neugierig erei, -- awwer
ich stell mich, als ob ich nix merke dhät, dann ich habb kaa Lust zu
babbele. Ich habb im Lewe genuch dumm Zeug geheert. -- Gell, Vadder, Du
dhust merrsch verspreche, daß De merr Watt in die Ohrn stobbst, wann ich
dod bin?«

Bindegerst sah ihn erstaunt an.

Was sein Schwiegersohn für komische Gedankenspaziergänge unternahm! Er
selbst hatte ja auch manchmal Halluzinationen, nämlich wenn er seiner
Geliebten zu eifrig zugesprochen hatte, aber so verrücktes Zeug kam ihm
nicht in den Sinn. Ihm erschien höchstens ein Riese und trommelte ihm
mit einer Keule auf den Schädel, und wenn er sich dann aufrichtete, sah
er, daß er im Suff mit dem Kopf wider die Drechslerbank geschlagen war,
und so lösten seine Visionen sich stets natürlich und logisch.

Aber was sein Schwiegersohn in der letzten Zeit mitunter phantasierte,
das grenzte ja an helle Verrücktheit.

»Es schlägt sich bei em uffs Gehirn!« dachte er und beschloß, dem
Gespräch wieder eine reale Wendung zu geben. »Was war dann los? Was hat
se dann gehabbt?«

»Was se jedz #immer# hat! Se hat doch jedz die fix Idee: ich mißt mehr
verdiene! Da leiht se merr derrmit in de Ohrn, des is ihr
Leibtrompetestick, wo se merr von frieh bis in die Nacht enei vorbläst!
Des geht wie e Uhrwerk --

»Unn wannsde widdersprichst, dann fängt die Uhr aa zu #schlage#!«
ergänzte Bindegerst.

Adolf wischte sich mit der Hand über die Augen. »Wann ich nor wisse
dhät, ob se mich iwwerhaapts noch lieb hat? Guckstde, Vadder, des frißt
an merr unn läßt merr kaa Ruh! Ich dhät merr ja gern alles gefalle
lasse, -- was zwische meine vier Wänd vorgeht, des guckt ja Niemand --.
Maantswege kratzt se merr die Aage aus, awwer #aus Lieb# muß se kratze!
Ach Vadder, manchmal, da is merrsch grad, als ob se mich #hasse# dhät,
als ob se mich net ausstehn könnt, als ob ich'r zuwidder wär wie
Rizinusöl, unn des mecht mich noch ganz krank!«

Er schwieg verzweifelt. Der Alte legte die Pfeife weg, nahm die Flasche
unter dem Tisch hervor und stärkte sich durch einen langen Schluck zu
der Beruhigungsrede, die er jetzt angemessen hielt.

»Du nemmst's zu schwer!« tröstete er. »Iwwer die Weiwer soll merr
iwwerhaapts net so viel nachdenke! Wie se sin, so sin se, -- ich habb se
net geschaffe, ich wasch mei Pote in Unschuld. Unn's Kättche, no, wo se
doch jedz in dem Zustand is ...«

»Was for e Zustand?« frug Adolf Borges mißtrauisch.

Bindegerst feixte verschmitzt. »Awwer verstell Dich doch net, Adolf! Des
mußtde doch längst gemerkt hawwe!«

»Ich habb nix gemerkt.«

»#Des# hastde net gemerkt? Ei, in #annerne# Zuständ is se doch ...«

Adolf war erregt aufgesprungen und ergriff seines Schwiegervaters Hand.
»Was hastde da gesacht?!«

»No, bring mich nor net um!! Ich kann doch nix dafor! An mir braachstde
doch Dein Ärjer net auszulasse!«

»Ärjer?? Ärjer, Du Rindvieh?« jubelte Adolf und lachte vor Glück. »Is es
sicher? Hastde Dich aach net verguckt? Vadder, wann's nor wahr is!!«

»No, heer emal, ich bin doch net farweblind! Se geht doch schonn uff wie
Hefeteig! -- Unn des merkt der Schlemihl gar net!«

»In annerne Zuständ!« jauchzte Adolf und fing an, in der Stube
herumzutanzen.

Er war, nach seinem eigenen Geständnis, in der Kunst Terpsichores ein
vollkommener Nichtskönner und doch: selbst die Schwestern Wiesenthal und
die Clotilde Derp haben niemals die Freude so überwältigend getanzt wie
in diesem Augenblick das scheppe Adolfchen.

»In annerne Zuständ!! Was e Glick, was e Glick! In annerne Zuständ!
Vadder, ich wer' meschugge! Ich muß Derr en Kuß gewwe! Odder naa, -- ich
muß doch erscht emal nachgucke, ob's aach werklich so is! In annerne
Zuständ!!«

Und er tanzte zur Türe hinaus.

Kopfschüttelnd sah Bindegerst ihm nach. »Jetz wer' ich bald e Gummizell
reserwiern lasse misse!« dachte er. »Hastde schonn so ebbes erlebt! Ich
glaab, der schreit noch Hurrah, wann's #Drilling# wern!«

Adolf Borges sprang die Treppe hinunter, mit jedem Sprung drei Stufen,
mit den Händen gestikulierend und immer wieder jauchzend: »In annerne
Zuständ! In annerne Zuständ!«

Als er aber vor der Schlafzimmertüre stand und gerade die Klinke
herunterdrücken wollte, da fiel ihm ein, daß sein Käthchen jetzt nicht
in der Laune war, Begeisterungsausbrüche in Empfang zu nehmen, er wandte
sich zum Kleiderständer, nahm Hut und Mantel und lief davon.

Der Mann im Mond konnte ihn nun nicht mehr beobachten, denn die Erde
hatte den dichten Schleier eines Schneegestöbers vor ihr Antlitz
gezogen. Die dicken Flocken flatterten Adolf ins Gesicht, schmolzen auf
Nase und Wangen, besäten seinen Mantel mit Sternchen, als wollte der
Himmel den kleinen Mann mit unzähligen weißen Orden auszeichnen für das
Verdienst der Vaterschaft.

Wie alle Leute, die nicht wissen, wohin sie eigentlich wollen, hatte
Adolf es sehr eilig. Er stürmte durch die Straßen, als gelte es, eine
Wette zu gewinnen, bis er sich auf der Landstraße nach Frankfurt fand.
Da mäßigte er das Tempo und ergab sich, langsameren Schrittes, seinen
stillen Betrachtungen.

»Wie schee is doch die Nadur eigericht': merr denkt an nix beeses, unn
uff aamal is e Kind da! Grad als ob's von selwer komme dhät, so wie die
Blumme unn die Bäum! Es gibbt Leut, die lasse sich die deuerste Beete in
ihr Gärte eneiplanze unn lasse de Gärtner dadraa erumkorkse, Gott waaß
wie lang! Awwer se könne sich uff de Kopp stelle: so e schee
Zusammestellung, wie se drauße uff de Wiese ganz von selwer werd, bringe
se net eraus. Unn wie mit de Blumme, werd's aach mit de Kinner sei'. Die
so unverhofft komme, ohne daß merr sich vorher die Bää drum ausreißt,
des wern die beste! -- Naa, ich mach merr gar kaa Gedanke drum, ob's
blond odder schwarz werd, ob's helle oder dunkle Aage hat, ob's e Bub is
odder e Mädche. Der Storch is doch kaa Gemiesfraa, daß merr mit'm
#hannelt#! Awwer blond wär merr schonn am liebste, unn wisse dhät ich
halt gern, ob's helle Aage hat, -- ach so, ich wollt merr ja kaa Gedanke
driwwer mache!«

Er lächelte in sich hinein und blieb unwillkürlich stehen. Er hörte das
feine, silberige Geräusch der fallenden Flocken und dachte: »Der liewe
Gott streichelt die Erd'. Unn er hat waaße Glacehandschuh derrzu
aagezoge. Unn er fährt mit der Hand iwwer die Schneedeck, wie e Mudder
iwwer des Wiegedeckche von ihrem Kindche, unn summt »Schlaf, Erdche,
schlaf! ...«

Wieder lächelte er.

»Ich möcht nor wisse, was ich heut habb, daß ich heut immer an #Kinner#
denk! -- Ach so, ich soll ja selwer aans kriehe! Ich krieh ja Kinner!«

Und er rief gegen den Sachsenhäuser Berg: »Heerstde's, ahler Berg, ich
krieh Kinner! Ei, Du Spinat unn gehle Riewe unn Quetschebäum unn was
sonst da drowwe wachse dhut: Kinner kriehe merr! So dhut doch lache, Ihr
verrickte Planze, schlagt doch Borzelbäum: Kinner gibbt's!«

Und er fing laut an zu lachen und schnappte im Übermut mit dem Mund nach
den Schneeflocken wie ein Fisch nach einem Brotbrocken.

Und die Telegraphendrähte summten: »Annerne Zuständ«, »Annerne Zuständ«,
als würde dieses Ereignis in der ganzen Welt herumdepeschiert.

Eine Kirchturmuhr im nahen Oberrad schlug die zehnte Stunde. Der dumpfe
Klang weckte Adolf Borges aus seinen fröhlichen Träumereien.

»Wann ich so weider laaf, bin ich morje frieh in Afrika!« sagte er sich
und machte kehrt.

Mit dem Erwachen aus seiner Seligkeit kam ihm auch die nächtliche Kälte
zum Bewußtsein. Er fühlte, daß er nasse Füße hatte, und er rieb sich die
roten Ohren. Eine Weile trabte er nun still und gesittet auf der
Landstraße dahin, gewissermaßen schon umstrahlt von Vaterwürde.

Dann kam die Freude wieder zum Ausbruch. Er bückte sich, knetete
Schneeballen und eröffnete ein Bombardement auf Telegraphenpfosten und
Bäume.

»Wann ich treff,« sagte er sich beim ersten Schneeballwurf, »dann werd's
e Bub! Geht's danewe, werd's e Mädche!«

Und beim zweiten Wurf probte er aus, ob die Haare blond oder schwarz,
beim dritten, ob die Äuglein hell oder dunkel werden würden.

Einen blonden Buben mit blauen Augen verhieß ihm dieses Orakel, und er
war damit sehr zufrieden.

Schneebedeckt und durchnäßt kam er nach Hause. Er schüttelte Mantel und
Hut vor der Haustüre aus und trampelte sich den Schnee von den Stiefeln,
um nicht Käthchens Zorn zu erregen.

Recht zärtlich wollte er seine Frau begrüßen und sie gleich befragen, ob
Vater Bindegersts Behauptung denn auch wirklich wahr sei?

Aber dazu kam er gar nicht, denn sobald er das Schlafzimmer betreten
hatte, schrie ihn Katharina erbost an, wo er jetzt herkäme, und was das
für eine neue Mode sei, mitten in der Nacht heimlich aus dem Haus zu
laufen?

Einen ganz fürchterlichen Krach machte sie, wahrend dessen sich Adolf
bekümmert auszog und niedergeschmettert ins Bett kroch. Katharina drehte
ihm den Rücken zu, blies das Licht aus und schlief ein, ohne seinen
zaghaften Gute-Nacht-Wunsch zu erwidern.

Ein gehöriger Schnupfen war das erste väterliche Opfer Adolfs.

Am nächsten Morgen beim Kaffee hielt er's nicht mehr aus, er mußte
Gewißheit haben. Er hatte seine Frau genau beim Ankleiden beobachtet,
aber er, der Unerfahrene, hatte sich kein Urteil bilden können. So
blickte er denn, als sie am Frühstückstisch saßen, sein Weibchen recht
innig an, beugte sich zu ihr hinüber und wisperte lächelnd: »Is es so
weit, lieb Kättche?«

»Mit was?« schrillte es grob zurück. »Kannstde Dich net so ausdricke,
daß Dich e vernimftiger Mensch versteht?!«

»Ich maan, lieb Kättche, ... es kimmt merr so vor, als ob ... als wie
wann ebbes Klaanes unnerwegs wär!«

»Unn was weider?«

»Also is es so?« strahlte Adolf. »Is es so?«

Da stand Katharina ärgerlich auf. »Ich habb Derrsch doch schonn gesacht!
Frag net so dumm! Was is'n weider dabei!«

Und sie ging in die Küche und schien sehr zornig zu sein.

Im ersten Augenblick war Adolf verblüfft. Dann sagte er sich: »Es kimmt
von ihr'm Zustand. Ich wär wahrscheinlich aach net annerschter, wann ich
so weit wär!«

Und dies mußte er sich fortan oft sagen. Denn Katharina ward immer
unleidlicher und reizbarer. Kein Tag verging ohne Lärmszene. Aber Adolf
beklagte sich nicht mehr bei seinem Schwiegervater, er ertrug die
geistigen und körperlichen Mißhandlungen mit noch geduldigerer Sanftmut
als je. Jede Launenhaftigkeit Katharinas war ihm nur ein neuer Beweis
des Glückes, das er zu erwarten hatte. Denn jetzt wußte er den Zustand
seiner Frau und dessen Begleiterscheinungen sachverständiger zu
beurteilen: hatte ihm doch Bindegerst aus seiner dreibändigen Bücherei
»Das Geschlechtsleben des Menschen« zu lesen gegeben.

Daraus erfuhr Adolf mancherlei, was ihm bisher unbekannt gewesen. Die
wichtigsten Stellen fielen ihm leicht ins Auge, denn die hatte
Bindegerst mit Bleistift angestrichen. Und auch einige Randbemerkungen
von Bindegersts Hand fanden sich in dem Buch, die bewiesen, daß der Alte
in Bezug auf das Geschlechtsleben des Menschen höchst menschlich dachte.

Bindegerst ließ für einige Zeit das Schnitzen von Affenköpfen sein, er
zimmerte ein Kinderbettchen. Den Ausmaßen nach schien es für ein
Riesenkind bestimmt zu sein.

Es wurde Adolfs Lieblingsbeschäftigung, dem Schwiegervater beim Bau
dieser kleinen Arche Noah zuzuschauen, und schon sah er im Geiste seinen
Stammhalter in dem Bretterkasten zappeln. Er gewöhnte sich an, schon
jetzt den alten Bindegerst mit »Großvadder« anzureden, und dieser zeigte
sich seinerseits durch die Anrede »Herr Babba« erkenntlich.

»Großvadder, maanstde net, merr könnt bei dem Bettche noch so vier
Engelsköppcher an die Ecke mache?«

»Unn vielleicht aach noch e Oferohr in die Mitt, Herr Babba?« spöttelte
der Meister. Ihn belustigten Adolfs ewige Anregungen zu Verschönerungen
des Bettes, und er gefiel sich deshalb darin, ihm die unmöglichsten
Verzierungen vorzuschlagen.

»Ich maan als, Herr Babba, merr sollt an dem Bettche en Kleiderhake mit
eme Zylinnerhut aabringe! Daß der Bub aach grieße kann, wann der Dokter
zum Impfe kimmt!«

»Maanstde net, Herr Babba, merr sollt en Aschebecher draamache? Odder
werd's e Nichtraacher?«

Katharina rümpfte verächtlich die Nase, wenn sie Brocken solcher
Gespräche aufschnappte. Sie schien sich nicht im mindesten auf das Kind
zu freuen, sie nahm ihre Schwangerschaft wie eine etwas lästige
Selbstverständlichkeit hin, über die Worte zu verlieren nicht lohnt.

Manchmal mußte sie sich, wenn sie das Essen auftrug, plötzlich mit
leisem Stöhnen setzen. Neigte sich dann Adolf besorgt über sie, so
knurrte sie böse: »Laß mich! Ich kann des dumm Gedhu net verdrage!«

»Kättche, merr wolle in der Kich' esse, dann braachstde des Esse net
ereizudrage!«

»Unsinn! Ich bin net krank!«

»Kättche, willstde dich net e bissi umlege?«

»Mei Ruh will ich hawwe! Ich bin net so zimberlich unn faul wie gewisse
annern Leut!«

Fühlte sie Adolfs zärtliche Blicke auf sich ruhen, so drehte sie ihm in
spöttischer Verachtung den Rücken. Und einmal sagte sie wütend: »Jedz
haww ich genuch von dem alwerne Erum-Gescherwenzel! Des is des erste unn
letzte Kind, was ich krieh! Dadafor wer' ich schonn sorje!«

Adolf hatte eine Heidenangst vor der Entbindung. Immer wieder las er
»Das Geschlechtsleben des Menschen«, er erkundigte sich eingehend bei
Bindegerst, wie es denn seinerzeit zugegangen sei, als Katharina auf die
Welt kam.

Aber der konnte ihm nur die Auskunft geben: »Ich waaß es net, ich bin
solang spaziere gange!«

Am fünften Mai wurde Adolf vormittags gegen zehn Uhr in das Privatkontor
seiner Chefs gerufen.

»Adolf,« sagte der dicke Herr Schröder, »es hat nach Ihne delefoniert,
Se solle aageblicklich haamkomme!«

Da wußte Adolf gleich, was los war.

»Herr Schröder,« stammelte er erregt, »Herr Schröder, merr kriehe
Kinner!«

»#Merr#??« meinte Herr Schröder. »Merr? -- Net, daß ich wißt'!«

Adolf Borges stürmte davon. Er rannte unterwegs eine alte Dame um, aber
er hatte keine Zeit, sie um Entschuldigung zu bitten, sondern er fauchte
nur im Weitersausen: »Ahl Schachtel, kannstde net Blatz mache!«

Als er zu Hause ankam, war schon alles vorbei. Katharina lag erschöpft
und bleich im Bett, mit zusammengekniffenen Lippen. Er stürzte auf sie
zu, sie zu umarmen und zu küssen, aber sie runzelte die Stirn und zog
den Kopf zurück.

Großvater Bindegerst saß am Bett und sagte: »Ich gradulier! Gut is
gange! Awwer 's nächste Mal geh' ich widder spaziere!«

Adolf suchte das Kind. In dem kunstvoll gezimmerten Bettchen lag ein
kleines Etwas, das einem gelblichen Affen nicht unähnlich sah. Er wollte
es an sich reißen, da sagte eine fremde, dicke Frau: »Nix da! Se hawwe
jedz hier gar nix zu suche! Se könne sich den Bub später noch genuch
betrachte!«

»Den Bub?« jubelte Adolf. »E Bub is es! Kättche, was e Glick!«

Er wollte wieder zu Katharinas Bett eilen, niederknien, sie küssen; er
stieß dabei eine kleine Badewanne um, die am Boden stand, und
verursachte eine Überschwemmung.

»Rindviech!« hauchte Katharina.

Die fremde Frau, die sich offenbar hier als Herrscherin fühlte, packte
ihn am Ärmel und befahl: »Jedz mache Se awwer, daß Se 'nauskomme! Merr
braache jedz Ruh!«

Da stieg er hinauf in das Dachzimmerchen, über die Stufen stolpernd, vor
deren Unzuverlässigkeit ihn Bindegerst schon beim Mieten des Zimmers
gewarnt harte. Er hatte sich die Nase gehörig aufgeschlagen, aber er
spürte keinen Schmerz.

Er streckte den Kopf zum Dachfensterchen hinaus und brüllte: »Ich habb
'n Sohn! 'n Sohn haww ich!«

Aber die Stadt Offenbach nahm keine Notiz von diesem großen Ereignis.

Und plötzlich kniete er vor dem Schrank mit dem kaputenen Schlüssel
nieder, betete ein Gebet, über dessen Verwirrtheit alle Engel im Himmel
hellauf lachten, schüttete die ganze Frömmigkeit, die in seinem
harmlosen Herzen schlummerte, aus.

»Ich dank Derr schee, liewer Gott, daß es so gut
voriwwergange is! Ich wer' mich schonn revanschiern! Ich will so e guder
Mensch sei', wie's iwwerhaapt noch kaan gewwe hat! Du werst's schonn
gucke! Unn laß merr nor des Kättche unn de Bub gesund bleiwe, laß liewer
#mich# die Cholera kriehe! Was e scheener Bub, liewer Gott! Unn #ich#
bin der Vadder! Gell, da guckstde? Laß en nor was Gescheides wern,
liewer Gott, es braacht ja net gleich Brofesser zu sei', awwer so recht
e aastänniger Mensch! Unn Geld soll er aach verdiene, denn ohne Moses
unn die Prophete, da schweige alle Fleete! Unn sei net bees, liewer
Gott, daß ich so 'n Stuß zusammebet', awwer ich bin ja ganz meschugge
vor Freud! Amen.«

Im Geschäft wurde die Nachricht vom Familienzuwachs des scheppen
Adolfchens mit großer Heiterkeit aufgenommen. Und wieder machten die
männlichen Angestellten solche Witze, daß die Damen rot wurden. Aber das
wurden sie gern.

Und der eklige Kassierer sagte: »Bloß #aans#? No, gewwe Se de Mut net
uff, des nächste Mal wern's schonn Zwilling wern! Ibung mecht de
Meister.«

Und der gute Herr Heinrich Baldrian drückte ihm die Hand und sprach in
seiner besonnenen Art: »Ich gratuliere Ihnen. Aber es ist eine große
Verantwortung, so ein Menschenkind in diese miserable Welt zu setzen.
Ich sag's Ihnen offen: #ich# hätte nicht das Gewissen dazu.«

Und der Herr Schröder sagte: »E Bub? Mei' Hochachtung! Dichtige Leut
hawwe merr im Geschäft! No, Se wern jetz allerlei Ausgawe hawwe, -- vom
nächste Erschte ab kriehe Se fuffzeh Mark mehr!«

Und bald ging Alles wieder seinen gewohnten Gang.

Katharina war schon nach wenigen Tagen wieder aufgestanden. Ihr Wesen
blieb zänkisch und bösartig, ihre Streitsucht nahm eher zu als ab. Sie
bewies dem Kinde keine Zärtlichkeit, sie betrachtete seine Anwesenheit
einfach als eine Vermehrung ihres Arbeitspensums, das sie mit mürrischer
Selbstverständlichkeit erledigte. Sie vernachlässigte das kleine
Gustavchen ebensowenig wie sie je ihren Haushalt vernachlässigt hatte,
sie erfüllte ihre Pflicht, -- aber wer auf dieser Welt nur seine
#Pflicht# tut, tut zu wenig.

Pflicht ist ein häßliches Wort, ein Wort des Zwanges, und erst wenn
dieser Begriff aus dem Denkvermögen der Menschen geschwunden sein wird
und #dennoch# jedermann »seine Pflicht tut«, werden wir uns rühmen
dürfen, Kultur zu besitzen.

Adolf empfand tiefschmerzlich die Lieblosigkeit der Mutter. Für alle
seine glücklich-neckenden Fragen, ob der Kleine ihm oder ihr ähnlicher
sähe, ob er diesen und jenen Zug von den Borges oder von den Bindegersts
geerbt habe, hatte sie nur ein frostiges Achselzucken. Er aber war
hemmungslos vernarrt in den Säugling, der nur das Mäulchen zu einem
Lachen zu verziehen brauchte, um seinen Vater in einen Taumel des
Entzückens zu versetzen.

Täglich entdeckte er neue Eigenschaften an ihm, ausnahmslos Tugenden und
Anzeichen ungewöhnlicher Gescheitheit, über die er zu seinem Kummer nur
mit dem #Großvater# plaudern konnte, denn Katharina hatte sich ein für
allemal dieses »dumme Geschwätz« verbeten.

Den Großvater aber konnte der kleine Gustav nicht leiden. Näherte er
sich nur dem Bettchen, so fing er an zu schreien, als stünde die
schlimmste Mißhandlung bevor. Weder Adolf noch Bindegerst konnten sich
dieses seltsame Verhalten erklären, und doch war die Lösung des Rätsels
so naheliegend: das Büblein konnte einfach den Schnapsgeruch des Alten
nicht ertragen.

Schrie der Kleine des Nachts, so geriet Adolf in die höchste Aufregung.
Er verstand nicht, daß Katharina das Plärren Gustavchens kaum beachtete,
und er zweifelte in solchen Augenblicken ernstlich daran, daß Katharina
überhaupt Gefühl besäße.

»Heerstde's net?« bat er eines Nachts. »Mach doch 's Licht aa unn gebb
'm die Brust!«

»Gebb Du se'm!« brummte Käthchen.

Die Strenge der Mutter trug übrigens gute Früchte, der kleine Schreihals
gewöhnte sich bald das nächtliche Konzertieren ab.

Auch im Geschäft erzählte Adolf von seinem Wunderkind. Er sah nicht die
ironischen Blicke, die die Angestellten bei seinen begeisterten
Schilderungen austauschten, er hörte aus den scheinbar teilnehmenden
Fragen nach Einzelheiten nicht den losen Spott heraus. Er hielt es für
aufrichtiges Interesse, wenn sie ihn ausforschten, wieviel das
Gustavchen an Gewicht zugenommen habe, wieviel es getrunken habe, und
wie es mit seinem Stuhlgang stünde.

Mitten in seiner Arbeit überfielen ihn Zärtlichkeitsanfälle, heftigere
noch als damals in seiner Bräutigamszeit. Hatten ihn damals die
Putzfrauen dabei erwischt, wie er vor einer Modellfigur niederkniete, so
erwischte ihn jetzt der eklige Kassierer dabei, wie er ein
frischgeschnürtes Paket gleich einem Wickelkinde in den Armen wiegte und
so tat, als kitzle er's unter dem Kinn: »Du-du-du, -- wie lacht das
tleine Dustavchen?«

Das war dem Gestrengen doch zu bunt, er ging zu Herrn Schröder, sich zu
beschweren. »Herr Schröder, des geht net mehr so weider mit'm Adolf! Der
werd ja ganz verrickt!«

Aber der dicke Herr Schröder gab Denunziationen grundsätzlich kein
Gehör. »Werd er for #Ihr# Geld meschugge, odder for #meins#? -- No
also!« fertigte er den Angeber ab.

Da Adolf sich in seinen Gedanken unausgesetzt mit seinem Kinde
beschäftigte und im Geiste mit ihm die lieblichsten Gespräche führte,
passierte es ihm, daß er, als ihn Herr Feldmann rief, antwortete:
»Tleich tomm ich, Herr Feldmann! Tleich!«

Da wollte der Chef ernstlich böse werden, aber sein dicker Teilhaber
besänftigte ihn: »Lass'n, Hermann! Merr muß Geduld mit'm hawwe: er hat
noch e bissi 's Wochebettfiewer!«

Adolf erhoffte von dem Kinde eine glücklichere Gestaltung seines
Ehelebens, er glaubte fest, dieses Kinderherz müsse der paradiesische
Boden sein, auf dem sich die Eltern nach so langem Mißverstehen finden
müßten.

Ach, und gerade durch das Kind erhielt ihr Zusammenleben den tiefsten,
unheilbaren Riß.

Ungefähr ein halbes Jahr war Gustavchen alt, als Katharina Sonntags,
nach dem Mittagessen, anordnete: »Vadder, geh enuff, Dei
Middagsschläfche mache, ich habb mit'm Adolf zu redde!«

Es wurde Adolf unbehaglich bei dieser Ankündigung. Was konnte ihm seine
Frau in Abwesenheit des Großvaters zu sagen haben?

»Heer' emal,« sagte Katharina, als sie allein waren, »'s werd Zeit, daß
merr uns emal iwwer's Gustavche klar wern!«

Gott sei Dank: um das Gustavchen handelte es sich also! Nun, er würde
sich gewiß gegen nichts sträuben, was dem Kinde von Nutzen sein konnte.

Katharina trat dicht vor ihn und frug betont: »Du hast doch vierdausend
Mark uff der Sparkass?«

»Ja, Kättche!« antwortete Adolf unsicher und verlegen. »Was is damit?«

»Ich habb mich bisher nie drum gekimmert, awwer des Geld muß uff'm
Gustav sein Name geschriwwe wern! Merr sin all nor Mensche unn merr kann
net wisse, was bassiert. -- Bistde eiverstanne?«

Adolf wußte nicht mehr, was er antworten sollte. Das Geld, ach, das
hatte er ja gar nicht mehr. Damit hatte ja Bindegerst seinen
Holzlieferanten bezahlt.

Aber nun mußte das Geld unter allen Umständen wieder herbeigeschafft
werden. Es #mußte#. Noch heute würde er mit Bindegerst reden ...

»Ich habb gefragt, obsde eiverstanne bist?«

»Nadierlich bin ich's, Kättche.«

Sein Blick irrte ratlos im Zimmer umher, er konnte Katharina nicht in
die Augen sehen. Ein schrecklicher Gedanke durchrieselte ihn: wenn
Bindegerst das Geld nicht mehr beschaffen konnte? Der Großvater hatte
zwar versprochen gehabt, ihm Haus und Geschäft zu verschreiben, aber
Adolf war viel zu anständig gewesen, ihn jemals an diese Verschreibung
zu mahnen.

»Also dann gebb merr des Buch!«

Adolf Borges wurde kreidebleich. Nun half nichts mehr, jetzt galt es
Rede stehen.

»Kättche, des is ... des is so e Sach!« stammelte er und zitterte am
ganzen Körper. »Des Buch ... des haww ich nämlich ... des haww ich
nämlich net mehr.«

»Wa--as?!«

»Des Buch, des haww ich nämlich ... 'm Großvadder gewwe ... weil er doch
Schulde gehabbt hat ... unn da ...«

Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er starrte mit großen,
ängstlichen Augen sein Weib an.

Katharina stand einen Augenblick mit offenem Mund da. Dann brach sie
los:

»Du Lump! Du Schuft! Dadafor haww ich mich abgerackert wie e Dier!
Dadafor haww ich jeden Fennich zusammegekratzt unn merr nix, nix, nix
gegönnt! Du Schwein, Du! Kinner in die Welt setze unn net sorje dafor!
Des baßt Derr! Aas!«

»Awwer Kättche ... 's is doch Dei Vadder ... ich konnt doch den ahle
Mann unmeeglich sitze lasse ...«

»Den Säufer? Des Schwein, des verdammte? Des sich bei uns dorchfrißt unn
kaan Fennich dafor bezählt?« Sie lachte schrill auf. »Zu #mir# hätt' er
komme solle! Ich hätt'm was annerscht gebumbt! Unn Du Rindviech gibbst
unser schee Geld her! Unn frägst mich net! Saukerl! ...«

Sie schlug die Hände vors Gesicht und heulte. In langgezogenen,
kreischenden Tönen.

Schuldbewußt stand Adolf neben ihr.

Ja, sie hatte recht, er hatte seinen Sohn um das Geld gebracht. Aber
damals, als er sich von Bindegerst beschwatzen ließ, #hatte# er ja noch
gar keinen Sohn! Freilich, er hätte dennoch an die Möglichkeit denken
sollen ...

Katharinas hysterisches Weinen ließ ihm das Herzblut gerinnen. Wie
gerne, ach wie gerne hätte er sie durch Liebkosungen beruhigt, hätte er
ihr Haar gestreichelt! Aber er traute sich nicht, sie zu berühren. Er
wollte ja seinen Leichtsinn wieder gut machen, er wollte den Verlust
nach und nach wieder ersetzen: keinen Tropfen Bier würde er sich mehr
gönnen, keinen Pfennig Trinkgeld mehr für sich behalten. Und nichts,
nichts mehr tun, ohne seine Frau zu befragen.

»Flenn doch net, Kättche! Des dhut merr ja so weh! ... Guck, lieb
Kättche, der Großvadder hat merr ja des Haus dafor verschriwwe, unn's
Geschäft ...«

Da schüttelte sie die Wut von neuem. »Des Haus? Des Geschäft? Wo kaan
rote Batze wert sin? Wo kaa Backstei' mehr davoo ihm geheert? Du
dreckiger Hund, Du Vieh ...!«

Sie wußte nicht mehr, was sie schrie. Sie riß das Kind aus dem Bettchen,
hob es hoch, rüttelte es wild in der Luft: »Da, guck Derr Dein Vadder
aa! Guck Derr'n aa! Dei Geld hat'r zum Fenster nausgeschmisse, der Lump!
Hätt er Dich doch gleich hinnerher geschmisse! Des wär des Gescheitste!«

Das Kind brüllte unter den krallenden Griffen Katharinas jämmerlich. Mit
einer instinktiven Angstgebärde entriß Adolf es ihr, wollte es zurück
legen ins Bettchen, aber Katharina stürzte auf ihn zu, schlug sinnlos
auf ihn ein, -- und er ließ den Hagel von Faustschlägen stumpf über sich
ergehen, das kreischende Kind dicht an sich pressend, um es vor den
wahllos niederprasselnden Hieben zu schützen.

Schließlich hörte er die Türe knallend zuschlagen, er hob verstört den
Kopf, -- er war allein.

Da küßte er das Gustavchen, legte es ins Bettchen, blieb bei ihm sitzen.

»Sei still, Gustavche,« flüsterte er, »danz brav sei', Dustavche! Danz
brav is'm Babba sei Liebling!«

Und mitten in diesen zärtlichen Einlullungsversuchen legte er plötzlich
sein Haupt auf den Rand des Kinderbettes und weinte lange.

Als das Kind endlich schlief, stieg Adolf hinauf in das Dachzimmer, das
seine Zufluchtsstätte in allen Leiden geworden zu sein schien, und
sprach zu seinem Schwiegervater: »Nemm Dei Sach, Großvadder, unn zieh
erunner! Von heut ab wohn #ich# widder hier owwe!«

Und da Bindegerst ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Ich will nix
weider driwwer redde, awwer 's is besser so!«

Und Bindegerst fügte sich. Aber er dachte in seinem Innern: »Des is der
Aafang vom End'!«

Von dem Sparkassenbuch wurde nicht mehr gesprochen. Katharina fand sich
mit dem Verlust als einer gegebenen Tatsache kurz und energisch ab.

Aber sie wußte sich zu rächen. Sie legte sich eine neue, kränkende
Redensart bei, sie gewöhnte sich neben der Behauptung, sie habe »Prinze
unn Korferschte heierate« können, den höhnischen Ausruf an: »Merr
könne's uns ja leiste! Merr hawwe ja's Geld zum Nauswerfe!«

Hatte sie früher jede Münze dreimal in der Hand gedreht, ehe sie sich
zum Ausgeben entschloß, so schien sie jetzt das Sparen für die größte
Torheit zu halten. Sie kaufte sich allerhand nichtigen Tand, holte sich
bei dem blondgelockten Herrn Hippenstiel Parfüms und Haarpfeiler, fuhr
bei ihren Wirtschaftsbesorgungen die kleinsten Strecken mit der
Elektrischen und rieb alle diese kleinen Verschwendereien Adolf mit dem
Hinweis unter die Nase: »Merr hawwe's ja! Leut wie mir!«

Jeden Sonntag, nach dem Mittagessen, begann sie zu sticheln: »Fahr doch
e bissi in die Umgegend, Adolf! Ich bin froh, wann ich Dich net guck.
Unn die Koste spiele doch kaa Roll bei uns! Merr hawwe's doch! Leut,
die's Geld gleich dausendmarkweis verschenke!«

Adolf ertrug alle diese Niederträchtigkeiten widerspruchslos. Nur
manchmal seufzte er tief, strich sich mit der Hand durch die Haare und
starrte vor sich hin, aber keine Klage kam über seine Lippen.

Noch immer gab er den Versuch nicht auf, seine Frau durch
unerschütterliche Geduld zu zähmen. Nicht aus Trotz war er in das
Dachzimmerchen gezogen, sondern weil er zu der schmerzlichen Einsicht
gelangt war, daß sein Anblick auf Katharina aufreizend wirkte.

»Wann se mich weniger guckt,« sagte er sich, »wern sich ihr Nerve
beruhige! Es leiht ja bloß an de Nerve, -- 's Herz is net schlecht.
#Sie# kann ja doch schließlich nix dafor, daß ich zu arm bin, um se in e
Nervebad zu schicke, wie's die reiche Leut mit ihre beese Weiwer mache.
Unn älder werd se ja aach mit der Zeit, unn des Alter, des is die best
Massag' for nerwöse Leut. Mit'm erschte Schnorrbarthäärche werd der
Jingling meschugge, unn mit'm erschte #graue# Häärche wern die Weiwer
vernimftig. Wann merr älder werd, da kimmt aam so vieles ganz wurscht
vor, wo merr sich frieher driwwer uffgeregt hat, merr werd viel stiller
unn verdräglicher, es is, als ob uff'm Weg zum Dod unnerwegs uff beide
Seite Ruhebänkcher uffgestellt wär'n: »Da, ruh Dich e bissi ab unn
geweehn' Dich langsam an de ewige Dauerschlaf!«

Tückischer als die neue Redensart war das zweite Mittel Katharinas, ihre
Rache zu kühlen: sie hielt geflissentlich das Kind von seinem Vater
fern. Sie tat so, als habe er überhaupt keinen Anspruch auf das Kind,
sie erstattete ihm nie Bericht, was das Kind während seiner Abwesenheit
getan hatte, sie lobte es nicht und tadelte es nicht.

Selbst die Ankunft des ersten Zähnchens, die doch in allen Familien als
festliches Ereignis betrachtet wird, überging sie mit Stillschweigen.

Hatte Adolf den Jungen auf dem Schoß, sich an ihm zu erfreuen, so fand
sie nach wenigen Minuten einen Vorwand, ihm das Kind wegzunehmen.

Aber ihre Taktik, das Kind systematisch dem Vater zu entfremden, blieb
erfolglos. Kinder sind Menschenkenner. Das kleine Gustavchen zeigte eine
unverkennbare, unbeirrbare Vorliebe für seinen Papa. Sobald er das
Zimmer betrat, fing es an zu lachen, streckte die Ärmchen nach ihm aus,
wollte getätschelt sein. Ja, der kleine Wurm wußte ganz genau die Zeit,
wann Adolf mittags und abends aus dem Geschäft kam, und fing schon eine
Weile zuvor an, unruhig zu werden und mit Gesten nach seinem Vater zu
verlangen.

Dann warf Katharina dem Kind einen bitterbösen Blick zu.

Adolf kam nur noch zu den Mahlzeiten herunter ins gemeinsame Wohnzimmer.
Den größten Teil seiner freien Zeit verbrachte er in dem Dachstübchen,
und es war, als sei er wieder wie ehemals der »möblierte Herr« und nicht
der Gatte, der Ernährer der Familie.

Nun saß er wieder manche Stunde am Dachfensterchen und erneuerte die
Beziehungen zum Mann im Mond. Er sah wieder von seiner hohen Warte herab
die Menschlein wie kleine Käfer in den Straßen krabbeln, aber er
ernannte sie nicht mehr zu Pagen seines Märchenhofstaates. Manchmal
überwältigte ihn schmerzende Bitterkeit, und er dachte: »Ich wollt, ich
hätt e groß Insektepulverspritz, so groß wie e Kanon, damit ich euch
Käwwer da drunne beweise könnt, was ich for e Menschefreund bin!«

Das Schneeball-Orakel hatte richtig prophezeit: Gustav wuchs heran zu
einem blonden Büblein, seine blauen Augen wurden denen des Vaters immer
ähnlicher. Er lernte laufen und drollig plappern. Einer der ersten Sätze
seines Sprachschatzes war die selbstgebildete Beschwerde: »Mama bees!«

Nur allzu deutlich zeigte es sich, daß das Kind seine Mutter fürchtete;
es beobachtete beim Spielen jede Bewegung Katharinas, als erwarte es
jeden Augenblick Schelte oder Schläge.

Für Adolf Borges wurde das Kind eine Art Fetisch. Er trieb eine
abgöttische Verehrung mit ihm, einen Gottesdienst, dessen Zeremoniell in
der Hauptsache darin bestand, auf allen Vieren vor ihm herumzurutschen
und dabei zu krähen, zu bellen, zu miauen.

»Mach nor Dei Hose kabutt!« geiferte Katharina. »Mach se nor hie! Merr
könne's uns ja leiste! Merr hawwe's ja!«

Bei seinen Geschäftsgängen machte Adolf, wenn es irgend möglich war,
einen kleinen Umweg, um schnell einen Augenblick in die Wohnung
hinaufspringen und sein Kind sehen zu können. Das trug ihm dann zwei
Rüffel ein, einen von Katharina und einen von Herrn Feldmann, -- aber
was lag daran?

Er gewöhnte sich allerlei Fertigkeiten an, dem Kleinen damit eine Freude
zu bereiten: er lernte aus Zeitungspapier Schiffe und Helme bauen, aus
Lappen, die er sich im Geschäft von den Flickmamsells schenken ließ, mit
der Schere Tiere und Menschen schnitzeln, aus Holzstückchen Bausteine
zimmern.

Mit gespannten Augen und glühenden Bäckchen sah Gustav ihm zu,
neugierig, was es werde, und lispelte, mit der Zunge leise anstoßend:
»Was machß'n Du da?«

Und dieses »Was machß'n Du da??« beseligte Adolf stets von neuem. Dieses
freudige, dankbare, wißbegierige »Was machß'n Du da??« lag ihm Tag und
Nacht wie eine süße Melodie in den Ohren, ward ihm zum geflügelten Wort.

»Was machß'n Du da??« lispelte er Bindegerst zu, wenn dieser seine
Schnapsflasche an den Mund setzte. Und dann lachten sie Beide Tränen.

»Was machß'n Du da??« sagte er, wenn der Gasmann kam und den Gasometer
ablas.

Und wenn des Nachts die Katzen ihre Gesangsproben abhielten, steckte er
den Kopf zum Fenster hinaus und schmunzelte: »Was machß'n Du da, ahl
Katzeviech? Willstde still sei'! Wo dhät'n des hieführn, wann #mir
Mensche# bei der Lieb so e Geschrei mache wollte?!«

In den ersten Monaten der Ehe hatten Katharina und er an den
Sonntagnachmittagen zuweilen kleine Spaziergänge in den Stadtwald oder
in eine der benachbarten Ortschaften unternommen. Bald aber hatte sie
keinen Gefallen mehr an diesen Ausflügen gefunden. In der Regel saß sie
Sonntag mittags zu Hause und bastelte an irgendeiner Handarbeit, während
Adolf allein in der Stadt und der Umgegend herumbummelte.

Das Heranwachsen des kleinen Zappelphilipps, der nicht den ganzen Tag
stillsitzen mochte, machte eine Änderung des Sonntagprogramms notwendig.
Bindegerst nahm die Angelegenheit in die Hand, indem er einfach bei
einer günstigen Gelegenheit erklärte: »Adolf, mach's Gustavche fertich!
Die Sonn' scheint, merr wolle e bissi Luft schnappe!«

Katharina stutzte. Dann sagte sie: »Schert Euch zum Deiwel!«

Sie hatte offenbar ihren Plan, das Kind dem Vater zu entfremden, als
aussichtslos aufgegeben und begnügte sich damit, Vater und Kind mit
erprobter Technik #einzeln# zu quälen.

Fortan trippelte Gustavchen Sonntag mittags, rechts und links von
schwieligen Männerhänden geführt, durch die Stadt und ins Freie. Sein
Vater erklärte ihm alle die tausend Wunder und Neuigkeiten, die sich den
Kinderaugen bieten, die Denkmäler, Kirchtürme, Bäume, Blumen, Wiesen,
Quellen, den Main mit seinen Schiffen, den Himmel mit der Sonne, den
Wolken, dem Mond und den Sternen, die elektrische Straßenbahn, die
Eisenbahnen, die Hunde, Katzen, Vögelchen.

Oh, wie viel gab es zu sehen in der Welt! Welche Schätze offenbarte
allein das Schaufenster des Herrn Hippenstiel! Die zahlreichen
Fläschchen, Kämme, Bürsten, die Bartbindenplakate mit den unmenschlich
schneidigen Männerbildnissen, die Zahnwasserplakate mit den süßen
Grisettenköpfchen, und -- o Wunder! -- da hingen auch Zöpfe, an denen
gar kein Mensch wuchs!

Adolf, der zu Hause so schweigsam war, redete auf diesen Spaziergängen
zu Bindegersts Erstaunen wie ein Buch. Und gab es nichts mehr zu
erklären, dann erzählte er dem Gustavchen Geschichten, gelesene und
improvisierte, was ihm gerade in den Kopf kam. Was in diesen Geschichten
alles zusammengehext und zusammengezaubert wurde, das war selbst für
eine Märchenwelt zu bunt.

Wurde Gustav müde, so trug sein Vater ihn auf den Armen, oder die kleine
Karawane setzte sich zum Ausruhen auf eine Bank.

Während einer solchen Ruhepause sagte Bindegerst einmal plötzlich, indem
er Adolfs Hand ergriff: »Adolf, -- mich drickt ebbes! Des war damals
net schee von merr mit dene vierdausend Mark ... Ich hätt's net dhun
gesollt .... awwer 's Wasser is merr an der Gorjel gestanne ...«

Ergriffen, gerührt von dieser Selbstanklage schüttelte der überraschte
Adolf wehmütig den Kopf und lächelte versöhnlich: »Laß gut sei',
Großvadder! 's is net mehr zu ännern!«

»Awwer leid dhut merrsch! No, vielleicht kimmt doch emal e Gelegeheit,
wo ich mich erkenntlich zeige kann! Vielleicht!«

»Redde merr net driwwer, Großvadder! Ich war Derr nie bees deswege!
Werklich net!« schnitt Adolf das Gespräch ab.

Aber es war ihm so vorgekommen, als verschwiege ihm sein Schwiegervater
irgend etwas, als sei die Selbstanklage eigentlich die Einleitung zu
einer Selbstentschuldigung wegen irgend eines ganz anderen, ihm noch
unbekannten Unrechts gewesen.

Und er war auf dem Heimweg sehr nachdenklich und köpfte zerstreut Blumen
und Pilze, so daß ihn Gustav wiederholt fragen mußte: »Babba, -- was
machß'n Du da??«

       *       *       *       *       *

Die nächsten Jahre in Adolfs Leben leierten sich ab wie ein
Drehorgellied.

Die Jahreszeiten führten die ewigen Kämpfe miteinander auf, alljährlich
feierte der Frühling seine Auferstehung, um von neuem gekreuzigt zu
werden.

Die alte Tante Klio, die ja auch mit der Zeit moderner geworden ist,
tippte gleichmütig auf ihrer Schreibmaschine Weltgeschichte. Und wie
alle Schreibmaschinendamen tippte auch sie gelegentlich daneben, und
daraus entstand mancherlei Unangenehmes für die Menschheit. So hatte sie
bei der Eintragung von Adolfs Eheschließung den Namen Katharina mit
lauter großen Buchstaben, den Namen Adolf aber mit kleinem
Anfangsbuchstaben getippt, und daher stammte das ganze Unglück der
Borgesschen Ehe.

Gustav war sechs Jahre alt, in einigen Wochen sollte er in die
Volksschule kommen.

»Gott sei Dank, daß es endlich e Ruh gibbt im Haus!« sagte Katharina.
»Es is schonn net mehr auszuhalte mit dem miserawele Bub!«

Da erschien an einem Dienstag vormittag Herr Bindegerst aufgeregt im
Hause Feldmann & Schröder und verlangte nach seinem Schwiegersohn.
»Adolf, komm gleich, der Bub is krank!«

Adolf Borges ließ das Paket, an dem er herumschnürte, fallen und rannte
zu Herrn Schröder.

»Ich muß haam, Herr Schröder ... mei Bub, der Gustav ... er is krank,
Herr Schröder.«

Und dabei liefen ihm schon die Tränen über die Wangen.

»No, 's werd net gleich so schlimm sei', Adolf!« tröstete der dicke
Chef. »Gehe Se nor! -- Ja, Kinner mache Sorje, ich kann aach e Lied
dervoo singe, ich habb aach so e Kollektion von Stickerer sechse. Mit
Schmerze wern se geborn, mit Schmerze wern se großgezoge, unn mit
Schmerze nemmt merr später de Dank dafor in Empfang! Gehe Se haam! Unn
ich empfehl Ihne de Dokter Grienebaum, des is e dichtiger Arzt unn net
so deuer!«

Unterwegs erstattete Bindegerst bruchstückweise Bericht. Das Kind hatte
schon in der Nacht gefiebert, und morgens hatte es keinen Kaffee trinken
wollen. »Ich habb Derrsch net gesacht, daß De Dich net uffregst!« Und
dann hatte es gehustet, über Halsweh geklagt, und nun lag es im Fieber
und ächzte und erkannte Niemanden. Und wimmerte beständig in seiner
Bewußtlosigkeit: »Babba, was machß'n Du da??«

»Laaf doch net so, Adolf! Ich komm ja net mit!« pustete der alte
Bindegerst.

Ein fremder junger Herr, mit einem koketten Schnurrbärtchen und einem
goldgerahmten Zwicker, stand an Gustavs Bett und fühlte den Puls. Er
öffnete mit sanfter Gewalt den Mund des fiebernden Kindes, sah in den
Hals, zog ihm das Hemd herab, beklopfte Brust und Rücken.

Katharina saß am Fußende des Bettes und harrte des Ergebnisses der
Untersuchung. Ihr war keine Erregung anzusehen, sachlich wie eine
bezahlte Krankenpflegerin verfolgte sie die Maßnahmen des Arztes.

Adolf hingegen konnte seine Aufregung nicht zügeln, er trat von einem
Bein aufs andere, seine Augen hingen mit unendlich rührendem,
verzweifeltem Hilfeflehen am Munde des Arztes, die Untersuchung schien
eine Ewigkeit zu dauern.

Der Doktor deckte den Kranken wieder zu.

»Es ist ernst,« sagte er. »Zumal das Kind unterernährt ist. Wie alt ist
der Junge?«

Adolf konnte nicht antworten. Er mußte sich an einen Stuhl klammern, um
Haltung zu bewahren.

»Sechs Jahr', Herr Dokter!« sagte Katharina mit sicherer Härte.

»War er schon öfters krank?«

»Nein, Herr Dokter.«

»Das Herz ist schwach.«

Der Blick des Arztes fiel zufällig in den Spiegel über dem Sofa, er
drehte selbstgefällig die Spitzen seines Schnurrbärtchens, rückte den
Kneifer zurecht. Ein lautes Schluchzen veranlaßte ihn, den Kopf zu
wenden. »Na, Herr Borges, man braucht die Hoffnung noch nicht
aufzugeben. Kinder sind manchmal überraschend widerstandsfähig.
Allerdings --«

Er trat wieder zum Bett, warf noch einen kurzen Blick auf das Kind.

»Sie scheinen sehr an dem Jungen zu hängen, Herr Borges?«

Adolf nickte.

»Es ist wohl Ihr Einziger?«

Adolf sank an dem Bett auf die Knie, ergriff das herabhängende,
fiebernde Händchen und bedeckte es mit Küssen.

»Tja,« sagte der Arzt, »tja ...!«

Er wartete einen Augenblick, sah ungeduldig auf die Taschenuhr. »Ich
würde Ihnen empfehlen, den Kleinen ins Spital bringen zu lassen. Er hat
dort doch eine bessere Pflege. Es ist auch nicht sonderlich gut geheizt
bei Ihnen. -- Ich werde nachher an die Sanitätskolonne telephonieren.
Einstweilen können Sie ihm ja diese Tropfen geben.«

Er schrieb ein Rezept und gab es Adolf, der es hastig zusammenknitterte,
aufsprang und in die Apotheke lief.

Dreiviertel Stunden mußte er warten, bis das Rezept ausgeführt war.

Er saß auf einer Bank an der Wand und sah die Käufer kommen und gehen;
Leute, die harmlose Dinge kauften wie Hustenbonbons, Watte, Lysoform;
vergrämte Mütterchen, die gleich ihm auf Arzneien warten mußten; kokette
Dienstmädchen, die mit dem Provisor poussierten; und alle Menschen kamen
ihm so beneidenswert, so glücklich vor.

Als er wieder zu Hause eintraf, war das Gustavchen schon abgeholt.

Er wollte wieder davonlaufen, nach dem Krankenhaus, aber Katharina hielt
ihn gebieterisch zurück.

»Merr derf'n jedz net besuche! Morje Middag von drei bis vier, -- ich
habb mich erkunnigt.«

Und der alte Bindegerst sagte: »Des war e netter Mensch, der Dokter. So
mitfiehlend.«

Die ganze Nacht hindurch studierte Adolf in dem Buch aus Bindegersts
Bibliothek. Es war freilich ausgeschlossen, daß in dem »Geschlechtsleben
des Menschen« irgend ein Aufschluß über Gustavs Krankheit zu finden war,
aber Adolf dachte in seiner Verzweiflung, vielleicht stünde doch irgend
ein Hinweis in dem Buch, der ihn belehre, der ihm Hoffnung geben könne.
Vielleicht konnte er den Ärzten doch irgend etwas sagen, an das sie
gerade nicht dachten.

Drei Tage später war Gustavchen tot. Der Scharlach hatte ihn
dahingerafft.

Wie ein Kriegsverwundeter in den meisten Fällen anfangs nur das Gefühl
eines dumpfen Schlages hat, ohne wirklichen Schmerz zu verspüren, bis
dann beim Verbinden, beim Heilungsprozeß die unerträglichen Qualen
einsetzen, so empfand Adolf zunächst nur eine dumpfe Betäubung. Das
Unglück war zu groß, um in seiner ganzen Schwere erfaßt werden zu
können. Er hörte die Worte der Krankenschwester: »Ihr Sohn ist leider
gestern Abend sanft entschlummert«, aber er konnte sich nichts dabei
denken.

Bis plötzlich der Gedanke: »Du wirst Dein Kind nie, nie wieder sehen!«
die Wunde mit glühendem Eisen ausbrannte.

Er fand nicht die Kraft, alle jene Gänge und Meldungen zu erledigen, die
in unserem geordneten Staatswesen der Tod eines Familienmitgliedes den
Hinterbliebenen auferlegt. Die, ach so praktische Katharina besorgte
alle diese Dinge mit der Selbstverständlichkeit und nüchternen Klarheit,
die sie in jeder Lebenslage bewies. Sie besorgte den Totenschein,
bestellte den Pfarrer, kaufte den Sarg, die Blumen, nähte an Adolfs
Kleiderärmel den Trauerflor, telephonierte ins Geschäft, ihr Mann könne
die nächsten drei Tage nicht kommen, garnierte einen schwarzen Schleier
auf ihren Hut, schneiderte sich ein Kleid für die Beerdigung.

Nichts vergaß sie; man hätte meinen können, sie hätte seit Jahren
Bestattungen arrangiert.

Dann kam der Tag der Beisetzung.

Die Firma Feldmann & Schröder hatte einen Kranz geschickt, von den
Angestellten waren nur Herr Heinrich Baldrian und eine der Putzfrauen
erschienen, denn der Herbstausverkauf war in vollem Gang. Einige
Nachbarn hatten sich eingefunden, darunter der blondlockige Herr
Hippenstiel in einem frischgebügelten, seidengefütterten Überzieher,
tadellos gebürstetem Zylinder und erstklassigen schwarzen
Glacéhandschuhen.

Adolf sah nichts, er weinte ununterbrochen, sodaß ihm Katharina während
der Ansprache des Pfarrers einen Stoß mit dem Ellbogen gab: »Was solle
dann die Leut denke!«

Zuletzt schritten die Menschen an ihm vorbei, drückten ihm die Hand,
murmelten irgend etwas, was er nicht verstand und nicht verstehen
wollte, und dann war er plötzlich wieder zu Hause, im Dachzimmerchen,
und nach einer Weile hörte er Katharina schreien: »Komm erunner, der
Kaffee is aagericht!«

Sie hatte für ihn kein Wort des Trostes. Sie hatte ihm bei Lebzeiten des
Kindes nie erzählt, was der Junge getrieben hatte, sie sprach auch nach
Gustavs Tode nie mit dem Vater von ihm. Und als Adolf anregte, eine
Photographie Gustavchens vergrößern und einrahmen zu lassen, sagte sie
nur: »Des kann merr ja!«

Sie sprach kein Wort, als Adolf das Kinderbettchen aus dem Schlafzimmer
hinauftrug in seine Dachbehausung und es neben seinem Bett aufstellte.
Sie ließ ihn ruhig den Matrosenanzug, den Gustav Sonntags getragen
hatte, hinaufnehmen und in dem Schrank mit dem kaputenen Schlüssel
verwahren.

Und als dann das vergrößerte Bild vom Photographen kam, hatte sie nichts
dagegen einzuwenden, daß Adolf es oben in seinem Zimmerchen aufhängte.
Aber die Rechnung fand sie zu teuer.

Bindegerst, dem der Verlust Gustavchens sehr nahe ging, ersäufte seinen
Kummer in Schnaps. Er war mitunter sinnlos betrunken und gröhlte dann
allerhand unanständige Lieder, von denen man nicht recht wußte, wo er
sie eigentlich her hatte. In seinen nüchternen Stunden arbeitete er an
einem Grabkreuz für sein Enkelkind.

Und wie ehemals der Entstehung des Kinderbettes sah Adolf nun dem Werden
des Totenzeichens zu. Aber sie scherzten nicht mehr bei der Arbeit, er
machte keine Verschönerungsvorschläge, er redete auch den alten
Bindegerst nicht mehr mit »Großvadder« an, sondern degradierte ihn zum
»Vadder«.

Und acht Tage nach der Einschaufelung Gustavchens gingen die beiden
hinaus auf den Kirchhof und richteten das Holzkreuz auf.

Adolf war seltsam ruhig während dieser traurigen Verrichtung, diesmal
war es der alte Bindegerst, der seine Tränen nicht meistern konnte. Er
jammerte ein über das andere Mal: »Wie merr der Bub fehlt... wie merr
der Bub fehlt!«

Adolf konnnte das Jammern nicht mehr ertragen, er schlich während der
letzten Spatenstiche davon, ging hinaus in den Stadtwald, in dem der
fröstelnde Herbsttag sein Totenamt hielt.

Man hat auf Gemälden oft die Pest als einen Dämon dargestellt, vor
dessen Hauch alles Leben dahinsinkt. Solch ein Pestdämon ist auch der
Herbst. In seinen gelben Mantel gehüllt, schreitet er über die Erde, und
unter seinem Geschwür-zerfressenen Fuß sterben die Blumen und Gräser. Er
haucht die Bäume an, und die Zweige verdorren, die Blätter werden
vergiftet und fallen ab. Verwesung folgt seiner Spur.

Adolf warf sich auf den kalten Boden und stierte in den Himmel.

Vor langer Zeit, als ihn noch fröhliche Träume umgaukelten, hatte er
inmitten blühenden Sommers hier einmal versehentlich seinen Kopf auf
einen Ameisenhaufen gebettet und hatte, erschrocken auffahrend, an
dieses Mißgeschick mit resigniertem Humor lächelnde Betrachtungen
geknüpft. Diese Episode fiel ihm jetzt, durch eine eigenartige
Gedankenverbindung, ein. Ach, wie hätte es jetzt seinen Gram gekühlt,
den Kopf in einen Ameisenhaufen stecken zu können und den Seelenschmerz
durch körperlichen Schmerz zu betäuben!

Wie riesige Galgen kamen ihm die entlaubten Bäume vor, die ihre leeren
Äste gleich Querbalken streckten, und er dachte: »Merr sollt sich
uffhenke! Da drowwe sollt merr sich uffhenke, unn der Wind dhät ein
schaukele, ganz samft unn schmerzlos, unn lang sollt's dauern, bis se
ein finne! Unn e Eichhörnche käm' gehippt unn dhät mich aaglotze unn
dhät denke: >So'n große Tannezappe haww ich meiner Lebdag noch kaan
geguckt!< Unn e Vögelche käm', unn dhät sich uff mei Schulter hocke, unn
ließ' sich mitschaukele! Unn wann se mich dann haamgebracht hätte, dann
hätt' der ahl Bindegerst widder e neu Kreuz zu schnitzele, unn des
praktisch Kättche dhät sage: >Jedz kann ich mei Trauerkleider gleich
noch emal benitze unn braach merr kaa neue aazuschaffe




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