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Title: Aus meinem Leben
Author: Hindenburg, Paul von, 1847-1934
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Aus meinem Leben" ***


                          Generalfeldmarschall
                             von Hindenburg

                            Aus meinem Leben



                                  1920

                     Verlag von S. Hirzel in Leipzig



                  Copyright by S. Hirzel in Leipzig 1920



Die Firma Albert Bonnier in Stockholm besitzt das alleinige
Übersetzungsrecht für folgende Sprachen: Dänisch-norwegisch, Englisch (für
England mit Kolonien und Amerika), Finnisch, Französisch, Holländisch,
Japanisch, Italienisch, Schwedisch und Spanisch



                              ZUR EINFÜHRUNG


Die folgenden Erinnerungen verdanken ihre Entstehung nicht einer Neigung
zum Schreiben, sondern vielfachen Bitten und Anregungen, die von außen an
mich herantraten.

Nicht ein Geschichtswerk wollte ich verfassen sondern die Eindrücke
wiedergeben, unter denen mein Leben sich vollzog, und die Richtlinien klar
legen, nach denen ich glaubte, denken und handeln zu müssen. Fern lag es
mir, eine Rechtfertigungs- oder Streitschrift zu verfassen, am fernsten
aber war mir der Gedanke an Selbstverherrlichung. Als Mensch habe ich
gedacht, gehandelt und geirrt. Maßgebend in meinem Leben und Tun war für
mich nicht der Beifall der Welt sondern die eigene Überzeugung, die
Pflicht und das Gewissen.

Inmitten der schwersten Zeit unseres Vaterlandes niedergeschrieben,
entstanden die folgenden Erinnerungsblätter doch nicht unter dem bitteren
Drucke der Hoffnungslosigkeit. Mein Blick ist und bleibt unerschütterlich
vorwärts und aufwärts gerichtet.

Ich widme das Buch dankbar allen Denen, die mit mir im Feld und in der
Heimat für des Reiches Größe und Dasein kämpften.

Im September 1919.



                            INHALTSVERZEICHNIS



  Zur Einführung                                                         V

  Erster Teil. Aus Kriegs- und Friedensjahren bis 1914                3-67
    Meine Jugend                                                      3-15
        Hindenburg-Beneckendorff 3-5. Eltern und früheste Jugend
        6-8. Im Kadettenkorps 9-15.
    Im Kampf um Preußens und Deutschlands Größe                      16-47
        Im 3. Garderegiment zu Fuß 16-17. 1866. Ins Feld 18. Bei
        Soor 19. Königgrätz 20-25. Nach Königgrätz 26. In die
        Heimat zurück 26-27. In Hannover 28-29. 1870. Wieder ins
        Feld 30. Bei St. Privat 31-35. Nach der Schlacht bei St.
        Privat 36. In die Schlacht bei Sedan 37-38. Sedan 39. Vor
        Paris 40-41. Kaiserproklamation 41-42. In Paris 42-44. Die
        Kommune 45-46. Der zweite Einzug in Berlin 47.
    Friedensarbeit                                                   48-63
        Kriegsakademie 48. Generalstab 49-50. Bei Generalkommando
        und Division 50-52. Kompagniechef 52-53. Im Großen
        Generalstab 53-56. Lehrer an der Kriegsakademie 57. Im
        Kriegsministerium 58. Regimentskommandeur 58-59. Korpschef
        59-60. Divisionskommandeur 60. Kommandierender General
        61-62. Abschied 63.
    Übergang in den Ruhestand                                        64-67
        Deutsches Heer und Volk 64-66. Ausblick 66-67.

  Zweiter Teil. Kriegführung im Osten                               69-144
    Der Kampf um Ostpreußen                                          71-99
      Kriegsausbruch und Berufung                                    71-74
        Deutsche Politik und Dreibund 71-73. Mobilmachung 74.
      Zur Front                                                      75-79
        Armeeführer. General Ludendorff 75. Lage im Osten 76.
        Verhältnis zu General Ludendorff 77-79.
      Tannenberg                                                     79-91
        Im Armee-Hauptquartier 79. Russische Absichten 80.
        Entwickelung des Schlachtenplans 81. Gefahr von Seite
        Rennenkampfs 82. Stärkeverhältnisse 83. Die Marienburg 84.
        Tannenberg 85. Entwickelung der Schlacht 86-87.
        Entscheidungskampf 88-89. Ergebnis 90-91.
      Die Schlacht an den masurischen Seen                           91-99
        Neue Aufgaben 91-93. Rennenkampf 93-94. Zum Angriff vor 95.
        Verlauf der Schlacht 96-99.
    Der Feldzug in Polen                                           100-116
      Abschied von der 8. Armee                                    100-104
        Zusammenwirken mit der österreichisch-ungarischen
        Heeresleitung 100-102. Nach Schlesien 102-104.
      Der Vormarsch                                                104-108
        Operative Lage 104-105. Polnische Zustände 106. Kämpfe
        bei Iwangorod und Warschau 106-107. Russische
        Gegenoperation 108.
      Der Rückzug                                                  109-112
        Neue Pläne 109. Weiterer Widerstand in Polen 110. Rückzug
        an die schlesische Grenze 111-112. Oberbefehlshaber im
        Osten 112.
      Unser Gegenangriff                                           112-116
        Wechselspiel der Operationen 112-115. Ende der Kämpfe in
        Polen 116.
    1915                                                           117-134
      Frage der Kriegsentscheidung                                 117-122
      Kämpfe und Operationen im Osten                              122-130
        Ansichten der österreichisch-ungarischen Heeresleitung
        123. Winterschlacht in Masuren 124-125. Russische
        Gegenangriffe 125. Unsere allgemeine Offensive im Osten.
        Rolle des Oberkommandos Ost 126-127. Eigene Pläne.
        Nowo Georgiewsk. Wilna 128-130.
      Lötzen                                                       130-133
      Kowno                                                        133-134
    Das Feldzugsjahr 1916 bis Ende August                          135-144
      Der Russenangriff gegen die deutsche Ostfront                135-140
        Der Winter 1915/16 135-136. Schlacht am Naroczsee 137-140.
      Der Russenangriff gegen die österreichisch-ungarische
      Ostfront                                                     140-144
        Verdun und Italien 140-141. Wolhynien und Bukowina
        142-143. Erweiterung des Befehlsbereichs 143-144.

  Dritter Teil. Von der Übertragung der Obersten Heeresleitung
  bis zur Zertrümmerung Rußlands                                   145-294
    Berufung zur Obersten Heeresleitung                            147-167
      Chef des Generalstabes des Feldheeres                        147-148
      Kriegslage Ende August 1916                                  148-150
      Politische Lage                                              150-154
      Die deutsche Oberste Kriegsleitung                           154-161
        Die österreichisch-ungarische Wehrmacht 156-158. Das
        bulgarische und türkische Heer 158-159. Unsere Leistungen
        im Kriege 160-161.
      Pleß                                                         161-167
        König Ferdinand von Bulgarien 162. Kaiser Franz Joseph
        163. Generaloberst Conrad von Hötzendorf 163-164. Enver
        Pascha 164-165. General Jekoff 165. Talaat Pascha
        166-167. Radoslawow 167.
    Leben im Großen Hauptquartier                                  168-175
        Regelmäßiger Tagesverlauf 168-172. Besucher 173-175.
    Kriegsereignisse bis Ende 1916                                 176-198
      Der rumänische Feldzug                                       176-187
        Unsere politische und militärische Lage zu Rumänien
        176-177. Bulgarischer Angriff in Mazedonien 178.
        Rumänische Kriegserklärung 179. Bisheriger Feldzugsplan
        179-181. Niederwerfung Rumäniens 182-187.
      Kämpfe an der mazedonischen Front                            187-189
      Auf den asiatischen Kriegsschauplätzen                       189-192
      Die Ost- und Westfront bis zum Ende des Jahres 1916          192-198
        Unterstützung Rumäniens durch Rußland 192-194. Fortdauer
        der Kämpfe vor Verdun 194-195. Zum erstenmal an der
        Westfront 196-198.
    Meine Stellung zu politischen Fragen                           199-218
      Äußere Politik                                               199-210
        Politik und Kriegführung 200-201. Polnische Frage
        201-203. Polnische Freiwilligentruppen 203-204. Irrige
        Hoffnungen 204. Dobrudscha-Frage 205-206. Politische
        Erregung in Bulgarien 206-207. Türkische Politik 207-210.
      Die Friedensfrage                                            210-215
      Innere Politik                                               215-218
        „Hindenburg-Programm“ 216. Vaterländischer Hilfsdienst
        216-218.
    Vorbereitungen für das kommende Feldzugsjahr                   219-237
      Unsere Aufgaben                                              219-227
        Allgemeine Lage Winter 1916-17. Aufgezwungene
        Verteidigung 219-222. „Siegfriedstellung“ 223. Ablehnung
        von Angriffsplänen in Italien und Mazedonien 224-227.
        Aufgabe der Türkei für 1917 227.
      Der Unterseebootkrieg                                        228-234
        Blockade und Menschlichkeit 228-229. Amerikanische
        Munition 229. Hoffnungen verbunden mit dem
        Unterseebootkrieg 230-232. Erwägungen und Entscheidung
        232-233. Der höchste Einsatz 234.
      Kreuznach                                                    235-237
    Der feindliche Ansturm im ersten Halbjahr 1917                 238-251
      Im Westen                                                    238-244
        Vorbereitung für die Abwehrschlachten 238-240.
        Frühjahrsschlacht bei Arras 240-242. Doppelschlacht
        Aisne-Champagne 242-244.
      Im nahen und fernen Orient                                   244-246
      An der Ostfront                                              246-251
        Russische Revolution 246-247. Eigene Zurückhaltung
        247-248. Weiterentwickelung des russischen Umsturzes
        248-249. Letzte russische Anstürme 250-251.
    Unser Gegenstoß im Osten                                       252-258
        Das Wagnis des Gegenstoßes 252-254. Tarnopol 254-255.
        Riga und Ösel 256-258.
    Angriff auf Italien                                            259-263
    Fortsetzung der feindlichen Angriffe im zweiten Halbjahr 1917  264-293
      Im Westen                                                    264-268
        Ausgang der flandrischen Schlacht 264-265. Cambrai
        265-267. Erfahrungen 267-268. Angriffe der Franzosen 268.
      Auf dem Balkan                                                   268
      In Asien                                                     269-276
        Englische Operationen in Asien 269-272. Pläne zur
        Wiedereroberung Bagdads 272-273. Verhältnisse im
        türkischen Heere 274. Unsere Unterstützungen 275-276.
      Ein Blick auf die inneren Zustände von Staaten und Völkern
      Ende 1917                                                    277-293
        Der türkische Staat 277-279. Bulgarien 280-283.
        Österreich-Ungarn 283-284. Die deutsche Heimat 284-288.
        Frankreich 288-289. England 290. Italien 290-291.
        Vereinigte Staaten von Nordamerika 291.
        Kriegsverlängerung 291-293.

  Vierter Teil. Entscheidungskampf im Westen                       295-354
    Die Frage der Westoffensive                                    297-314
      Absichten und Aussichten für 1918                            297-312
        Aussichten und Vertrauen 297-301. Angriffsabsichten 301.
        Lage und Entschluß 301-303. Truppenschulung 304.
        Vereinigung der Kräfte im Westen 305. Schwierigkeiten im
        Osten 306-307. Finnische Expedition 308.
        Österreichisch-ungarische Unterstützung 308-309. Truppen
        aus Bulgarien und der Türkei 310. Defensive 1918? 311-312.
      Spa und Avesnes                                              312-314
    Unsere drei Angriffsschlachten                                 315-338
      Die „Große Schlacht“ in Frankreich                           315-321
      Die Schlacht an der Lys                                      321-326
      Die Schlacht bei Soissons und Reims                          327-333
        Die Schlacht 328-331. Die Menschlichkeit auf dem
        Schlachtfelde 332-333.
      Rückblick und Ausblick Ende Juni 1918                        333-338
    Im Angriff gescheitert                                         339-354
      Der Plan zur Schlacht bei Reims                              339-343
      Die Schlacht bei Reims                                       343-354
        Unser Angriff 343-346. Ergebnis 347. Des Feindes
        Gegenstoß 348-351. Entschluß zur Räumung des Marnebogens
        351. Haltung unserer Truppen 352. Bedeutung des
        Schlachtausgangs 353-354.

  Fünfter Teil. Über unsere Kraft                                  355-402
    In die Verteidigung geworfen                                   357-366
      Der 8. August                                                357-361
      Die Folgen des 8. August und die Fortsetzung unserer Kämpfe
      im Westen bis Ende September                                 362-366
    Der Kampf unserer Bundesgenossen                               367-389
      Bulgariens Zusammenbruch                                     367-377
      Der Sturz der türkischen Macht in Asien                      377-383
      Militärisches und Politisches aus Österreich-Ungarn          383-389
        Unterstützung unserer Westfront 384. Kämpfe in Albanien
        385. Erstreben des Kriegsendes 386. Graf Czernin 386-388.
        Graf Burian 388. Letzte österreichische Friedensversuche
        389.
    Dem Ende entgegen                                              390-402
      Vom 29. September zum 26. Oktober                            390-397
        Verhältnisse an der Kampffront 390-391. Unser schwerster
        Entschluß 392-393. Unser Waffenstillstands- und
        Friedensangebot 394-395. Fortschreitender Zerfall der
        Heimat 396-397.
      Vom 26. Oktober zum 9. November                              397-402
        Das Ende des Widerstandes unserer Bundesgenossen 398-399.
        Die höchste Spannung und das Zerreißen 400-402.
    Mein Abschied                                                  403-406

  Personenverzeichnis                                              407-409



                               ERSTER TEIL


                 AUS KRIEGS- UND FRIEDENSJAHREN BIS 1914



                               Meine Jugend


An einem Frühlingsabend des Jahres 1859 sagte ich als 11jähriger Knabe am
Gittertor des Kadettenhauses zu Wahlstatt in Schlesien meinem Vater
Lebewohl. Der Abschied galt nicht nur dem geliebten Vater sondern
gleichzeitig meinem ganzen bisherigen Leben. Aus diesem Gefühl heraus
stahlen sich Tränen aus meinen Augen. Ich sah sie auf meinen „Waffenrock“
fallen. „In diesem Kleid darf man nicht schwach sein und weinen“ fuhr es
mir durch den Kopf; ich riß mich empor aus meinem kindlichen Schmerz und
mischte mich nicht ohne Bangen unter meine nunmehrigen Kameraden.

Soldat zu werden war für mich kein Entschluß, es war eine
Selbstverständlichkeit. Solange ich mir im jugendlichen Spiel oder Denken
einen Beruf wählte, war es stets der militärische gewesen. Der
Waffendienst für König und Vaterland war in unserer Familie eine alte
Überlieferung.

Unser Geschlecht, die „Beneckendorffs“, entstammt der Altmark, wo es
urkundlich im Jahre 1280 zum erstenmal auftritt. Von hier fand es, dem
Zuge der Zeit folgend, über die Neumark seinen Weg nach Preußen herauf.
Dort waren schon manche Träger meines Namens in den Reihen der
Deutschritter als Ordensbrüder oder „Kriegsgäste“ gegen die Heiden und
Polen zu Felde gezogen. Später gestalteten sich unsere Beziehungen mit dem
Osten durch Gewinn von Grundbesitz noch inniger, während diejenigen mit
der Mark immer lockerer wurden und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
ganz aufhörten.

Der Name „Hindenburg“ trat erst 1789 zu dem unsrigen. Wir waren mit diesem
Geschlecht in der neumärkischen Zeit durch Heiraten in Verbindung
getreten. Auch die Großmutter meines im Regiment „von Tettenborn“
dienenden und in Ostpreußen bei Heiligenbeil ansässigen Urgroßvaters war
eine Hindenburg. Deren unverheirateter Bruder, welcher zuletzt als Oberst
unter Friedrich dem Großen gekämpft hatte, vermachte seine beiden, in dem
schon mit der ostpreußischen Erbschaft zu Brandenburg gekommenen, später
aber Westpreußen zugeteilten Kreise Rosenberg gelegenen Güter Neudeck und
Limbsee seinem Großneffen unter der Bedingung der Vereinigung beider
Namen. Diese wurde von König Friedrich Wilhelm II. genehmigt, und seitdem
wird bei Abkürzung des Doppelnamens die Benennung „Hindenburg“ angewendet.

Die Güter bei Heiligenbeil wurden infolge dieser Erbschaft verkauft. Auch
Limbsee mußte, der Not gehorchend, nach den Befreiungskriegen veräußert
werden. Aber Neudeck ist heute noch im Besitz unserer Familie; es gehört
der Witwe meines nächstältesten Bruders, der nicht ganz zwei Jahr jünger
als ich war, so daß unsere Lebenswege in treuer Liebe nahe nebeneinander
herliefen. Auch er wurde Kadett und durfte seinem Könige lange Jahre als
Offizier in Krieg und Frieden dienen.

In Neudeck lebten zu meiner Kinderzeit meine Großeltern. Jetzt ruhen sie,
wie auch meine Eltern und viele Andere meines Namens, auf dem dortigen
Friedhof. Fast alljährlich kehrten wir bei den Großeltern, anfänglich noch
unter beschwerlichen Postreisen, als Sommerbesuch ein. Tiefen Eindruck
machte es mir dann, wenn mein Großvater, der bis 1801 im Regiment „von
Langenn“ gedient hatte, davon erzählte, wie er im Winter 1806/7 bei
Napoleon I. im nahen Schloß Finckenstein als Landschaftsrat um Erlaß von
Kontributionen bitten mußte, dabei aber kalt abgewiesen wurde. Auch von
Durchmärschen und Einquartierung der Franzosen in Neudeck hörte ich. Und
mein Onkel von der Groeben, der an der Passarge ansässig war, wußte von
den Kämpfen an diesem Abschnitt im Jahre 1807 zu berichten. Die Russen
drangen damals über die Brücke, wurden aber wieder zurückgeworfen. Ein
französischer Offizier, der mit seinen Mannschaften das Gutshaus
verteidigte, wurde in einem Giebelzimmer durch das Fenster erschossen. Es
fehlte nicht viel, dann hätten die Russen 1914 wieder diese Brücke
betreten.

Nach dem Tode meiner Großeltern zogen meine Eltern 1863 nach Neudeck. Wir
fanden also von da ab dort, in den uns so vertrauten Räumen, das
Elternhaus. Wo ich einst in jungen Jahren so gern geweilt hatte, da habe
ich mich später oft mit Frau und Kindern von des Lebens Arbeit ausgeruht.

So ist denn Neudeck für mich die Heimat, der feste Mittelpunkt auch meiner
engeren Familie geworden, dem unser ganzes Herz gehört. Wohin mich auch
innerhalb des deutschen Vaterlandes mein Beruf führte, ich fühlte mich
stets als Altpreuße.

Als Soldatenkind wurde ich 1847 in Posen geboren. Mein Vater war zu der
Zeit Leutnant im 18. Infanterie-Regiment. Meine Mutter war die Tochter des
damals auch in Posen lebenden Generalarztes Schwickart.

Das einfache, um nicht zu sagen harte Leben eines preußischen
Landedelmannes oder Offiziers in bescheidenen Verhältnissen, das in der
Arbeit und Pflichterfüllung seinen wesentlichsten Inhalt fand, gab
naturgemäß unserm ganzen Geschlecht sein Gepräge. Auch mein Vater ging
daher völlig in seinem Berufe auf. Aber er fand hierbei immer noch Zeit,
sich Hand in Hand mit meiner Mutter der Erziehung seiner Kinder – ich
hatte noch zwei jüngere Brüder und eine Schwester – zu widmen. Das
sittlich tief angelegte, aber auch auf das praktische Leben gerichtete
Wesen meiner teuren Eltern zeigte auch nach außen hin eine vollendete
Harmonie. In gegenseitiger Ergänzung der Charaktere stand neben der
ernsten, vielfach zu Sorgen geneigten Lebensauffassung meiner Mutter die
ruhigere Anschauungsart meines Vaters. Beide vereinten sich in warmer
Liebe zu uns, und so wirkten sie denn auf diese Weise in voller
Übereinstimmung auf die geistige und sittliche Heranbildung ihrer Kinder
ein. Es ist daher schwer zu sagen, wem ich dabei mehr zu danken habe,
welche Richtung mehr vom Vater und welche mehr von der Mutter gefördert
wurde. Beide Eltern bestrebten sich, uns einen gesunden Körper und einen
kräftigen Willen zur Tat für die Erfüllung der Pflichten auf den Lebensweg
mitzugeben. Sie bemühten sich aber auch, uns durch Anregung und
Entwickelung der zarteren Seiten des menschlichen Empfindens das Beste zu
bieten, was Eltern geben können: den vertrauensvollen Glauben an Gott den
Herrn und eine grenzenlose Liebe zum Vaterlande und zu dem, was sie als
die stärkste Stütze dieses Vaterlandes anerkannten, nämlich zu unserm
preußischen Königstum. Der Vater führte uns zugleich von früher Jugend an
in die Wirklichkeit des Lebens hinaus. Er weckte in uns im Garten und auf
Spaziergängen die Liebe zur Natur, zeigte uns das Land und lehrte uns die
Menschen in ihrem Dasein und in ihrer Arbeit erkennen und schätzen. Unter
„uns“ verstehe ich hierbei außer mir meinen nächstältesten Bruder. Die
Erziehung meiner nach diesem folgenden Schwester lag selbstredend mehr in
Händen der Mutter, und mein jüngster Bruder trat erst ins Leben, kurz
bevor ich Kadett wurde.

Das Los des Soldaten, zu wandern, führte meine Eltern von Posen nach Köln,
Graudenz, Pinne in der Provinz Posen, Glogau und Kottbus. Dann nahm mein
Vater den Abschied und zog nach Neudeck.

Von Posen habe ich aus damaliger Zeit nur wenig Erinnerung. Mein Großvater
mütterlicherseits starb bald nach meiner Geburt. Er hatte sich 1813 in der
Schlacht bei Kulm als Militärarzt das Eiserne Kreuz am Kombattantenbande
erworben, weil er ein führerlos und wankend gewordenes Landwehrbataillon
wieder geordnet und vorgeführt hatte. Meine Großmutter mußte uns in
späteren Jahren noch viel von der „Franzosenzeit“, die sie in Posen als
junges Mädchen durchlebt hatte, erzählen. Genau entsinne ich mich eines
hochbetagten Gärtners meiner Großeltern, der noch 14 Tage unter Friedrich
dem Großen gedient hatte. So fiel gewissermaßen auf mich als Kind noch ein
letzter Sonnenstrahl ruhmvoller friderizianischer Vergangenheit.

Im Jahre 1848 hatte der polnische Aufstand auch auf die Provinz Posen
übergegriffen. Mein Vater war mit seinem Regiment zur Bekämpfung dieser
Bewegung ausgerückt. Die Polen bemächtigten sich nun vorübergehend der
Herrschaft in der Stadt. Zur Feier des Einzugs ihres Führers Miroslawski
sollten alle Häuser illuminiert werden. Meine Mutter war außerstande, sich
diesem Zwange zu entziehen. Sie zog sich in ein Hinterzimmer zurück und
tröstete sich, an meiner Wiege sitzend, mit dem Gedanken, daß gerade auf
diesen Tag, den 22. März, der Geburtstag des „Prinzen von Preußen“ fiel,
so daß die Lichter an den Fenstern der Vorderzimmer in ihrem Herzen diesem
galten. 23 Jahre später war das damalige Wiegenkind im Spiegelsaale zu
Versailles Zeuge der Kaisererklärung Wilhelms I., des einstigen Prinzen
von Preußen.

Unser Aufenthalt in Köln und Graudenz war nur von kurzer Dauer. Aus der
Kölner Zeit schwebt mir das Bild des mächtigen, jedoch noch unvollendeten
Domes vor.

In Pinne führte mein Vater nach damaligem Brauch vier Jahre hindurch als
überzähliger Hauptmann eine Landwehrkompagnie. Er war dienstlich nicht
sehr beansprucht, so daß er sich gerade in der Zeit, in welcher sich mein
jugendlicher Geist zu regen begann, uns Kindern besonders widmen konnte.
Er unterrichtete mich bald in Geographie und Französisch, während mir der
Schullehrer Kobelt, dem ich noch heute eine dankbare Erinnerung bewahre,
Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Aus dieser Zeit stammt meine
Vorliebe für Geographie, welche mein Vater durch sehr anschauliche und
anregende Lehrart zu wecken verstand. Den ersten Religionsunterricht
erteilte mir in zum Herzen redender Weise meine Mutter.

Immer mehr entwickelte sich in diesen Jahren und aus dieser Art der
Erziehung ein Verhältnis zu meinen Eltern, das zwar ganz auf den Boden
unbedingter Autorität gestellt war, das aber zugleich auch bei uns Kindern
weit mehr das Gefühl grenzenlosen Vertrauens als blinder Unterwerfung
unter eine zu strenge Herrschaft wachrief.

Pinne ist ein kleines Städtchen mit angrenzendem Rittergut. Letzteres
gehörte einer Frau von Rappard, in deren Hause wir viel verkehrten. Sie
war kinderlos aber sehr kinderlieb. In der Nähe saß ihr Bruder, Herr von
Massenbach, auf dem Rittergut Bialokosz. In dessen großer Kinderschar fand
ich mehrere liebe Spielgefährten. Die Erinnerung an Pinne hat sich bei mir
stets sehr rege erhalten. Ich besuchte im Spätherbst 1914 den Ort von
Posen aus und betrat mit Rührung das kleine bescheidene Häuschen im
Dorfteile, in welchem wir einst ein so glückliches Familienleben geführt
hatten. Der jetzige Besitzer des Gutes ist der Sohn eines meiner einstigen
Spielgefährten. Der Vater ist schon zur ewigen Ruhe gegangen.

In die Glogauer Zeit fällt mein Eintritt in das Kadettenkorps. Ich hatte
dort vorher je zwei Jahre die Bürgerschule und das evangelische Gymnasium
besucht. Wie ich höre, hat man mir in Glogau dadurch ein freundliches
Andenken bewahrt, daß eine an unserm damaligen Wohnhaus angebrachte Tafel
an meinen dortigen Aufenthalt erinnert. Ich habe die Stadt zu meiner
Freude wiedergesehen, als ich Kompagniechef im benachbarten Fraustadt war.

Rückblickend auf die bisher geschilderte Zeit darf ich wohl sagen, daß
meine erste Erziehung auf die gesündeste Grundlage gestellt war. Ich
fühlte daher beim Abschied aus dem Elternhause, daß ich unendlich viel
zurückließ, aber ich empfand doch auch, daß mir unendlich viel auf den
weiteren Lebensweg mitgegeben war. Und so ist es mein ganzes Leben
hindurch geblieben. Lange durfte ich mich der sorglichen, nimmermüden
Elternliebe, die sich später auch auf meine Familie ausdehnte, erfreuen.
Meine Mutter verlor ich, als ich schon Regimentskommandeur war; mein Vater
ging von uns, kurz bevor ich an die Spitze des IV. Armeekorps berufen
wurde.

Das Leben in dem preußischen Kadettenkorps war damals, man kann wohl
sagen, bewußt und gewollt rauh. Die Erziehung war neben der Schulbildung
auf eine gesunde Entwicklung des Körpers und des Willens gestellt.
Tatkraft und Verantwortungsfreudigkeit wurden ebenso hoch bewertet als
Wissen. In dieser Art der Erziehung lag keine Einseitigkeit sondern eine
gewisse Stärke. Die einzelne Persönlichkeit sollte und konnte sich auch in
ihren gesunden Besonderheiten frei entwickeln. Es war etwas von dem
Yorkschen Geiste in jener Erziehung, ein Geist, der so oft von
oberflächlichen Beurteilern falsch aufgefaßt worden ist. Gewiß war York
gegen sich wie gegen andere ein harter Soldat und Erzieher, aber er war es
auch, der für jeden seiner Untergebenen das Recht und die Pflicht des
freien selbständigen Handelns forderte, wie er selbst diese
Selbständigkeit gegen jedermann zum Ausdruck brachte. Der Yorksche Geist
ist daher nicht nur in seiner militärischen Straffheit sondern auch in
seiner Freiheit einer der kostbarsten Züge unseres Heeres gewesen.

Für die humanistische Bildung anderer Schulen, soweit sie sich
vorherrschend mit den alten Sprachen beschäftigt, habe ich nur wenig
Verständnis. Der praktische Nutzen für das Leben bleibt mir unklar. Als
Mittel zum Zweck betrachtet, nehmen meiner Meinung nach die toten Sprachen
im Lehrplan viel zu viel Zeit und Kraft in Anspruch, und als Sonderstudium
gehören sie in spätere Lebensjahre. Ich wünschte, auf die Gefahr hin, für
einen Böotier gehalten zu werden, daß in solchen Schulen auf Kosten von
Latein und Griechisch die lebenden Sprachen, neuere Geschichte, Deutsch,
Geographie und Turnen mehr in den Vordergrund gestellt würden. Muß denn
das, was im dunklen Mittelalter das einzige war, an welches sich die
Bildung anklammern konnte, wirklich auch noch in heutigen Tagen in erster
Linie stehen? Haben wir uns nicht seitdem in harten Kämpfen und schwerer
Arbeit eine eigene Geschichte, eine eigene Literatur und Kunst geschaffen?
Bedürfen wir nicht, um im Weltverkehr unsere Stellung richtig einnehmen zu
können, weit mehr der lebenden als der toten Sprachen?

Aus dem eben Gesagten soll keine Mißachtung des Altertums an sich
herausklingen. Dessen Geschichte hat im Gegenteil von früher Jugend an auf
mich eine große Anziehungskraft ausgeübt. Vornehmlich war es die der
Römer, welche mich fesselte. Sie hatte für mich etwas Gewaltiges, fast
Dämonisches, ein Eindruck, der mir in spätern Lebensjahren bei dem Besuche
Roms besonders lebhaft vor Augen trat und sich unter anderm darin äußerte,
daß mich dort die Denkmäler der alten ewigen Stadt mehr anzogen als die
Schöpfungen italienischer Renaissance.

Roms kluges Erkennen der Vorzüge und Mängel völkischer Eigentümlichkeiten,
seine rücksichtslose Selbstsucht, die im eigenen Interesse kein Mittel
Freund und Feind gegenüber verschmähte, seine geschickt aufgemachte
tugendhafte Entrüstung, wenn die Feinde einmal mit gleichem vergalten,
sein Ausspielen aller Leidenschaften und Schwächen innerhalb der
feindlichen Völker, wie es in so kluger Weise ganz besonders den
germanischen Stämmen gegenüber angewendet wurde und hier mehr nutzte als
Waffengebrauch, fand nach meinen späteren Erfahrungen sein Spiegelbild und
seine Vervollkommnung in der britischen Staatsweisheit, der es gelang, all
diese Seiten diplomatischer Kunst bis zur höchsten Verfeinerung und
Welttäuschung auszubauen.

Meine Jugendhelden suchte ich bei aller Verehrung des Altertums nur unter
meinen eigenen Volksgenossen. Offen und ehrlich spreche ich meine
Auffassung dahin aus, daß wir nicht so einseitig und undankbar sein
dürfen, über der Bewunderung für einen Alcibiades oder Themistokles, für
die verschiedenen Katos oder Fabier so manche derjenigen Männer ganz zu
übersehen, die in der Geschichte unseres eigenen Vaterlandes eine
mindestens ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie jene einst für
Griechenland und Rom. Ich habe traurige Wahrnehmungen in dieser Beziehung
leider wiederholt im Gespräch mit deutscher Jugend gemacht, die mir dann
bei aller Gelehrsamkeit doch etwas weltfremd vorkam.

Vor solcher Weltfremdheit bewahrten uns im Kadettenkorps unsere Lehrer und
Erzieher, und ich danke ihnen das noch heute. Dieser Dank gebührt
vornehmlich einem damaligen Leutnant von Wittich. Ich war ihm, als ich
nach Wahlstatt kam, durch einen Verwandten empfohlen worden, und er nahm
sich meiner stets besonders freundlich an. Selbst erst vor wenigen Jahren
dem Kadettenkorps entwachsen, fühlte er ganz mit uns, beteiligte sich gern
an unseren Spielen, besonders den Schneeballgefechten im Winter, wirkte
überall erfrischend und anregend und besaß obenein ein hervorragendes
Lehrtalent. Er hat mich 1859 in Sexta in Geographie und sechs Jahre später
in Berlin in Selekta im Geländeaufnehmen unterrichtet, und als ich nach
weitern Jahren die Kriegsakademie besuchte, fand ich auch dort wieder den
Generalstabsmajor von Wittich als Lehrer vor. Dieser beschäftigte sich
schon als Leutnant mit Kriegsgeschichte und gab uns manchmal während der
sonntäglichen Spaziergänge durch Anlage kleiner Übungen in geeignetem
Gelände anschauliche Bilder über den Gang der Schlachten, welche damals,
1859, in Oberitalien geschlagen wurden, wie z. B. Magenta und Solferino.
Später, in Berlin, regte er mich, den Kadetten, auch bereits zum Studium
der Kriegsgeschichte an und lenkte dadurch mein jugendliches Interesse in
Bahnen, die für meinen weiteren Werdegang von Bedeutung waren. Ist doch
die Kriegsgeschichte der beste Lehrmeister für die höhere Truppenführung.
Als ich später in den Generalstab versetzt wurde, gehörte ihm
Oberstleutnant von Wittich auch noch an bedeutsamer Stelle an, und
schließlich sind wir beide sogar noch gleichzeitig Kommandierende
Generale, also Befehlshaber über Armeekorps, gewesen. Das hatte der kleine
Sextaner in Wahlstatt nicht geahnt, als ihm der Leutnant von Wittich in
der Geographiestunde einen freundschaftlichen Jagdhieb mit dem Lineal
versetzte, weil er Montblanc und Monte Rosa verwechselt hatte.

Unter der harten Schulung des Kadettenlebens hat unser Frohsinn nicht
gelitten. Ich wage es zu bezweifeln, daß sich das frische jugendliche
Toben, dem natürlicherweise die gelegentliche Steigerung bis zum tollen
Übermut nicht fehlte, in irgend welchen anderen Bildungsanstalten mehr
geltend machte, als bei uns Kadetten. Wir fanden in unseren Erziehern
meist verständnisvolle, milde Richter.

Ich selbst war zunächst keineswegs das, was man im gewöhnlichen Leben
einen Musterschüler nennt. Anfangs hatte ich eine aus früheren Krankheiten
zurückgebliebene körperliche Schwächlichkeit zu überwinden. Als ich dann
dank der gesunden Erziehungsart allmählich erstarkte, hatte ich anfänglich
wenig Neigung dazu, mich den Wissenschaften besonders zu widmen. Erst
langsam erwachte in dieser Beziehung mein Ehrgeiz, der sich mit den Jahren
bei gutem Erfolge immer mehr steigerte und mir schließlich
unverdientermaßen den Ruf eines besonders begabten Schülers einbrachte.

Bei allem Stolz, mit welchem ich mich „Königlicher Kadett“ nannte,
begrüßte ich doch die Tage der Einkehr in das Elternhaus stets mit
unendlichem Jubel. Die Reisen waren in der damaligen Zeit, besonders
während des Winters, freilich nicht einfach. Je nach dem Reiseziel
wechselten langsame Bahnfahrten in ungeheizten Wagen mit noch langsamern
Postfahrten ab. Aber alle diese Schwierigkeiten traten in den Hintergrund
bei der Aussicht, die Heimat, Eltern und Geschwister wiederzusehen. Der
Sehnsucht des Sohnes schlug das Herz der Mutter am wärmsten entgegen. So
entsinne ich mich noch meiner ersten Weihnachtsheimkehr nach Glogau. Ich
war mit anderen Kameraden die ganze Nacht hindurch von Liegnitz in der
Post gefahren. Noch im Dunkeln trafen wir, durch Schneefall verspätet, in
Glogau ein. Da saß die liebe Mutter in der schwach erleuchteten, kaum
erwärmten sogenannten Passagierstube an wollenen Strümpfen strickend, als
wolle sie durch das Nachgeben gegenüber der Sehnsucht zu einem ihrer
Kinder die Vorsorge für das Wohl der anderen nicht versäumen.

In mein erstes Kadettenjahr fiel im Sommer 1859 ein Besuch des damaligen
Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich, und seiner
Gemahlin in Wahlstatt. Wir sahen fast alle bei dieser Gelegenheit zum
ersten Male Mitglieder unseres Königshauses. Noch nie hatten wir beim
Parademarsch unsere Beine so hoch geworfen, noch nie bei dem sich hieran
anschließenden Vorturnen so halsbrecherische Übungen gemacht als an diesem
Tage. Und von der Güte und Leutseligkeit des Prinzenpaares sprachen wir
noch lange Zeit.

Im Oktober des gleichen Jahres wurde zum letzten Male der Geburtstag König
Friedrich Wilhelms IV. gefeiert. Unter diesem schwergeprüften Herrscher
habe ich also die preußische Uniform angelegt, die bis an mein Lebensende
mein Ehrenkleid bleiben soll. Ich hatte die Ehre, der verwitweten Gemahlin
des Königs, der Königin Elisabeth, im Jahre 1865 als Leibpage zugeteilt zu
werden. Die Taschenuhr, die Ihre Majestät mir damals schenkte, hat mich in
drei Kriegen treulich begleitet.

Ostern 1863 wurde ich nach Sekunda und hierdurch nach Berlin versetzt. Das
dortige Kadettenhaus lag in der neuen Friedrichstraße unweit des
Alexanderplatzes. Ich lernte nun zum ersten Male Preußens Hauptstadt
kennen und durfte jetzt endlich bei den Frühjahrsparaden mit Aufstellung
Unter den Linden und Vorbeimarsch auf dem Opernplatz sowie bei den
Herbstparaden auf dem Tempelhofer Felde meinen Allergnädigsten Herrn,
König Wilhelm I., sehen.

Einen ebenso erhebenden als ernsten Ton brachte in unser Kadettenleben der
Beginn des Jahres 1864. Der Krieg gegen Dänemark brach aus, und ein Teil
unserer Kameraden schied im Frühjahr von uns, um in die Reihen der
kämpfenden Truppen zu treten. Mich selbst verhinderte leider noch das
jugendliche Alter daran, zu der Zahl dieser Vielbeneideten zu gehören. Mit
welch heißen Wünschen die ausziehenden Kameraden von uns begleitet wurden,
bedarf keiner Schilderung.

Über die politischen Gründe, die zu dem Kriege führten, zerbrachen wir uns
den Kopf noch nicht. Aber wir hatten doch schon das stolze Empfinden, daß
in das matte und haltlose Wesen des Deutschen Bundes endlich einmal ein
erfrischender Wind gefahren war, und daß die Tat wieder mehr gelten sollte
als das Wort und die Aktenbündel. Im übrigen verfolgten wir mit glühendem
Interesse die kriegerischen Ereignisse, wohnten freudig klopfenden Herzens
der Einbringung der eroberten Geschütze und dem Siegeseinzug der Truppen
als Zuschauer bei und glaubten zu dem Gefühl berechtigt zu sein, einen
Teil jenes Geistes in uns zu haben, der auf den dänischen Kampffeldern
unsere Truppen zum Erfolge führte. War es zu verwundern, wenn wir seitdem
kaum den Tag erwarten konnten, der uns selbst in die Reihen unserer Armee
führen sollte?

Bevor dies geschah, wurde uns noch die Ehre und das Glück zuteil, unserm
König persönlich vorgestellt zu werden. Wir wurden zu dem Zweck in das
Schloß geführt und hatten dort Seiner Majestät Namen und Stand des Vaters
zu nennen. Kein Wunder, daß da mancher in der Aufregung erst kein Wort
hervorbrachte und dann die Worte durcheinander warf. Hatten wir doch noch
nie unserm greisen Herrscher so nahe gegenüber gestanden, ihm noch nie so
scharf in das gütige Auge geblickt und seine Stimme gehört. Ernste Worte
sprach der König zu uns. Er ermahnte uns, auch in schweren Stunden unsere
Schuldigkeit zu tun. Bald sollten wir Gelegenheit haben, dies in die Tat
umzusetzen. Manche von uns haben ihre Treue mit dem Tode besiegelt.

Im Frühjahr 1866 verließ ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem
dieser militärischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner persönlichen
Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben. Ich freute
mich immer der hoffnungsvollen jungen Kameraden in des Königs Rock. Auch
während des Weltkrieges nahm ich gern Gelegenheit, Söhne meiner
Mitarbeiter, meiner Bekannten oder gefallener Kameraden bei mir als Gäste
zu sehen. Ein günstiger Umstand gab mir sogar Veranlassung, die Feier
meines in den Krieg fallenden 70jährigen Geburtstages damit zu beginnen,
daß ich drei kleine Kadetten in Kreuznach von der Straße weg an meinen mit
eßbaren Geschenken reich besetzten Frühstückstisch rufen lassen konnte.
Sie traten vor mich hin, so wie ich die Jugend liebe, frisch und
unbefangen, leibhaftige Bilder längst vergangener Zeiten, Erinnerungen an
selbsterlebte Tage.



               Im Kampf um Preußens und Deutschlands Größe


Am 7. April 1866 trat ich als „Sekondlieutenant“ in das 3. Garderegiment
zu Fuß ein. Das Regiment gehörte zu denjenigen Truppenteilen, die
gelegentlich der großen Vermehrung aktiver Verbände 1859/60 neu errichtet
worden waren. Das junge Regiment hatte sich, als ich in dasselbe eintrat,
bereits im Feldzug 1864 Lorbeeren erworben. Die Ruhmesgeschichte eines
Truppenteiles schlingt ein einigendes Band um alle seine Angehörigen und
liefert einen Kitt, der sich auch in den schwersten Kriegslagen bewährt.
Hierin liegt ein unzerstörbares Etwas, das auch dann weiterwirkt, wenn,
wie im letzten großen Kriege, Regimenter wiederholt einen förmlichen
Neuaufbau durchmachen mußten. Übriggebliebene Reste des alten Geistes
durchströmten die neuen Teile in kurzer Zeit.

Ich fand in meinem Regiment, das aus dem 1. Garde-Regiment zu Fuß
hervorgegangen war, die gute, alte Potsdamer Schule, den Geist, der den
besten Überlieferungen des damaligen preußischen Heeres entsprach. Das
preußische Offizierkorps dieser Zeit war nicht mit Glücksgütern gesegnet,
und das war gut. Sein Reichtum bestand in seiner Bedürfnislosigkeit. Das
Bewußtsein eines besonderen persönlichen Verhältnisses zu seinem König –
der Vasallentreue, wie ein deutscher Historiker sich ausdrückt –
durchdrang das Leben der Offiziere und entschädigte sie für manche
materielle Entbehrung. Diese ideale Auffassung war für die Armee von
unschätzbarem Vorteil. Das Wort „ich dien’“ hatte dadurch einen ganz
besonderen Klang.

Vielfach wurde behauptet, daß eine solche Auffassung eine Absonderung der
Offiziere den anderen Berufsklassen gegenüber veranlaßt hätte. Ich habe
diese Einseitigkeit im Offizierstande niemals in höherem Maße gefunden wie
in jedem anderen Beruf, der auf sich hält und sich daher unter
Seinesgleichen am wohlsten fühlt. Ein in den Grundzügen wohl zutreffendes
Bild des damaligen Geistes innerhalb des preußischen Offizierskorps findet
sich in einer Abhandlung über den Kriegsminister von Roon. Dort wird das
Offizierskorps dieser Zeit ein aristokratischer Berufsstand genannt, fest
und kräftig in sich geschlossen, aber durchaus nicht verknöchert oder dem
allgemeinen Leben abgekehrt, auch keineswegs ohne eine Beimischung
liberaler Elemente, fachmännisch nüchtern aber auch fachmännisch reich.
Gegen das alte Ideal der weiten Menschlichkeit habe sich in ihm das neue
der strammen Berufsbildung erhoben. Seine eifrigsten Vertreter habe es in
den Söhnen der alten monarchisch-konservativen Schichten Preußens
gefunden. Es sei getragen gewesen von einem starken Gefühl der staatlichen
Macht, von einem friderizianischen Zuge, der Preußen in seinem Heere neue
Betätigung in der Welt ersehnte.

Als ich beim Regiment in seinem damaligen Standort Danzig eintraf, warfen
die politischen Ereignisse der folgenden Monate schon ihre Schatten
voraus. Zwar war die Mobilmachung gegen Österreich noch nicht
ausgesprochen, aber der Befehl zur Erhöhung des Mannschaftsstandes war
ergangen und in voller Ausführung begriffen.

Angesichts des bevorstehenden Entscheidungskampfes zwischen Preußen und
Österreich bewegten sich unsere politischen und militärischen
Gedankengänge völlig in den Bahnen Friedrichs des Großen. Dementsprechend
führten wir auch in Potsdam, wohin das Regiment nach seiner vollendeten
Mobilmachung verlegt worden war, unsere Grenadiere an den Sarg dieses
unvergeßlichen Herrschers. Auch der Tagesbefehl unserer Armee vor dem
Einmarsch in Böhmen trug diesen Gedanken in seinem Schlußsatz mit den
Worten Rechnung: „Soldaten, vertraut auf eure Kraft und denkt, daß es
gilt, denselben Feind zu besiegen, den einst unser größter König mit einem
kleinen Heere schlug.“

Politisch empfanden wir die Notwendigkeit einer Machtentscheidung zwischen
Österreich und uns, weil für beide Großmächte nebeneinander in dem
damaligen Bundesverhältnis keine freie Betätigungsmöglichkeit vorhanden
war. Einer von beiden mußte weichen, und da solches durch staatliche
Verträge nicht zu erreichen war, hatten die Waffen zu sprechen. Über diese
Auffassung hinaus war von einer nationalen Feindschaft gegen Österreich
bei uns keine Rede. Das Gefühl der Stammesgemeinschaft mit den damals noch
ausschlaggebenden deutschen Elementen der Donaumonarchie war zu stark
entwickelt, als daß sich feindliche Empfindungen hätten durchsetzen
können. Der Verlauf des Feldzuges bewies dies auch mehrfach. Gefangene
wurden von unserer Seite meist wie Landsleute behandelt, mit denen man
sich nach durchgefochtenem Streite gern wieder verträgt. Die
Landeseinwohner auf feindlichem Gebiete, sogar der größte Teil der
tschechischen Bevölkerung, zeigten uns meist ein derartiges
Entgegenkommen, daß sich in den Unterkunftsorten das Leben und Treiben wie
in deutschen Manöverquartieren abspielte.

Nicht nur in Gedanken sondern auch in der Wirklichkeit schritten wir in
diesem Kriege auf friderizianischen Bahnen. So brach das Gardekorps auf
viel betretenen Kriegspfaden von Schlesien her bei Braunau in Böhmen ein.
Und der Verlauf unseres ersten Gefechtes, desjenigen bei Soor, führte uns
am 28. Juni in dem gleichen Gelände und in der nämlichen Richtung von
Eipel auf Burkersdorf gegen den Feind, in der sich einst am 30. September
1747 während der damaligen Schlacht bei Soor Preußens Garde inmitten der
in den starren Formen der Lineartaktik anrückenden Armee des großen Königs
vorbewegt hatte.

Unser 2. Bataillon, bei dessen 5. Kompagnie ich den nach dem damaligen
Reglement aus dem dritten Gliede gebildeten 1. Schützenzug führte, hatte
an diesem Tage kaum Gelegenheit, in vorderster Linie einzugreifen, weil
wir den taktischen Anschauungen dieser Zeit entsprechend zu der schon vor
dem Gefecht ausgesonderten Reserve gehörten. Immerhin hatten wir aber doch
wenigstens Gelegenheit, uns in einem Gehölz nordwestlich Burkersdorf mit
österreichischer Infanterie herumzuschießen und Gefangene zu machen, sowie
später ungefähr zwei Eskadrons feindlicher Ulanen, welche in einem Grunde
ahnungslos hielten, durch unser Feuer zu vertreiben und ihnen ihre
Fahrzeuge abzunehmen. In letzteren befanden sich unter anderm die
Regimentskasse, welche abgeliefert wurde, viele Brote, welche unsere
Grenadiere auf ihre Bajonette gespießt in das Biwak bei Burkersdorf
brachten, und das Kriegstagebuch, welches in dem gleichen Heft wie das des
italienischen Feldzuges von 1859 niedergeschrieben war. Vor etwa 12 Jahren
lernte ich einen älteren Herrn, einen Mecklenburger, kennen, der damals in
österreichischen Diensten als Leutnant bei einer der Ulanen-Eskadrons
gestanden hatte. Er beichtete mir, daß er bei dieser Gelegenheit seine
neue Ulanka eingebüßt hätte, die für den Einzug in Berlin bestimmt gewesen
war.

Da ich bei Soor nicht viel erlebt hatte, so mußte ich mich damit begnügen,
wenigstens Pulver gerochen und einen Teil jener seelischen Stimmung
durchgemacht zu haben, welche die Truppe bei ihrer ersten Berührung mit
dem Gegner ergreift.

Aus meiner Kampfbegeisterung heraus wurde ich am nächsten Tage sozusagen
mit der Rückseite der Medaille bekannt gemacht. Mir oblag mit
60 Grenadieren die traurige Pflicht, das Gefechtsfeld nach Toten
abzusuchen und diese zu beerdigen, eine ernste Arbeit, die dadurch
erschwert wurde, daß das Getreide noch auf dem Halm stand. Mit knapper Not
erreichte ich, vielfach andere Truppenteile durch Laufen im Chausseegraben
überholend, mit meinen Leuten am Nachmittag mein Bataillon, das sich schon
im Gros der Division im Vormarsch nach Süden befand. Ich kam gerade noch
zur Zeit, um die Erstürmung des Elbüberganges von Königinhof durch unsere
Vorhut mit anzusehen.

Der 30. Juni versetzte mich in die nüchterne Wirklichkeit kriegerischen
Kleinkrams. Ich mußte mit schwacher Bedeckung etwa 30 Wagen voll
Gefangener im Nachtmarsch nach Trautenau bringen, dort in die nunmehr
leeren Fahrzeuge Verpflegung aufnehmen und mit dieser dann wieder nach
Königinhof zurückkehren. Erst am 2. Juli früh konnte ich mich meiner
Kompagnie wieder anschließen. Es war hohe Zeit, denn schon der nächste Tag
rief uns auf das Schlachtfeld von Königgrätz.

Nachdem ich in der folgenden Nacht mit meinem Zuge eine Patrouille in der
Richtung auf die Festung Josephstadt ausgeführt hatte, standen wir am
Morgen des 3. Juli ziemlich ahnungslos im naßkalten Vorposten-Biwak am
Südausgang von Königinhof herum. Da ertönte das Alarmsignal, und bald
darauf kam der Befehl, rasch Kaffee zu kochen und dann marschbereit zu
sein. Aufmerksame Lauscher konnten bald heftiges Geschützfeuer aus
südwestlicher Richtung vernehmen. Die Anschauungen über den Grund des
Gefechtslärms waren geteilt. Im allgemeinen überwog die Meinung, daß die
von der Lausitz her in Böhmen eingedrungene 1. Armee des Prinzen Friedrich
Karl – wir gehörten zur 2. des Kronprinzen – irgendwo auf ein vereinzeltes
österreichisches Korps gestoßen sei.

Der nun eintreffende Vormarschbefehl wurde mit Jubel begrüßt. Sah doch der
Gardist mit hellem Neid auf die bisherigen glänzenden Erfolge, die das
links von uns vorgedrungene V. Armeekorps unter General von Steinmetz
bisher errungen hatte. Unter strömendem Regen, trotz kühler Witterung in
Schweiß gebadet, wateten wir mühsam in langgezogenen Kolonnen auf
grundlosen Wegen vorwärts. Ein erregter Eifer hatte sich eingestellt und
steigerte sich bei mir zu der Sorge, daß wir vielleicht zu spät kommen
könnten.

Diese Besorgnis erwies sich bald als unnötig. Der Kanonendonner wurde,
nachdem wir aus dem Elbtal heraufgestiegen waren, immer deutlicher hörbar.
Auch sahen wir gegen 11 Uhr einen höheren Stab zu Pferde auf einer Anhöhe
neben unserem Wege halten, sorgsam durch die Ferngläser nach Süden
spähend. Es war das Oberkommando der 2. Armee, an seiner Spitze unser
Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich. Sein damaliger Generalstabschef,
General von Blumenthal, hat mir nach Jahren über diesen Augenblick
folgendes erzählt:

  „Gerade als die 1. Gardedivision auf unergründlichen Wegen an uns
  vorbeizog, bat ich den Kronprinzen, mir die Hand zu geben. Als dieser
  mich daraufhin fragend anblickte, fügte ich hinzu, daß ich ihm zur
  gewonnenen Schlacht gratulieren wolle. Das österreichische Geschützfeuer
  schlüge überall nach Westen, ein Beweis dafür, daß der Feind auf der
  ganzen Linie durch die 1. Armee gefesselt wäre, sodaß wir ihm jetzt in
  die Flanke und teilweise in den Rücken kämen. Angesichts solcher Lage
  war nur noch anzuordnen, daß das Gardekorps rechts, das VI. Korps links
  einer trotz des Nebels weithin sichtbaren, von zwei mächtigen
  Lindenbäumen gekrönten, bei Horenowes gelegenen Höhe weiter vorgehen
  sollten, während das I. und V. Korps, die noch im Anmarsch auf das
  Schlachtfeld begriffen waren, diesen Korps zu folgen hätten. Weiteres
  hatte der Kronprinz an dem Tage kaum noch zu befehlen.“

Unsere Bewegung wurde zunächst noch querfeldein fortgesetzt, dann
marschierten wir auf, und bald wurden uns die ersten Granaten von den
Höhen seitwärts Horenowes entgegengeschickt. Die österreichische
Artillerie bewahrheitete ihren guten, alten Ruf. Eines der ersten
Geschosse verwundete meinen Kompagnie-Führer, ein anderes tötete dicht
hinter mir meinen Flügelunteroffizier und bald schlug auch eine Granate
mitten in unsere Kolonne ein und setzte 25 Mann außer Gefecht. Als dann
aber das Feuer verstummte und die Höhen uns kampflos in die Hände fielen,
weil es sich hier nur um eine aus der Überraschung heraus zum Zwecke des
Zeitgewinns schwach besetzte vorgeschobene Stellung des Feindes gehandelt
hatte, machte sich ein Gefühl der Enttäuschung geltend. Freilich nicht für
lange, denn bald öffnete sich uns der Einblick auf einen großen Teil eines
gewaltigen Schlachtfeldes. Halbrechts vorwärts von uns erhoben sich in der
trüben Luft schwere Qualmwolken aus den Feuerstellungen unserer 1. und der
gegnerischen Armee an der Bistritz. Aufblitzendes Geschützfeuer und die
Glut brennender Ortschaften gaben dem Bilde eine eigenartig ernste
Färbung. Der dichter gewordene Nebel, das hohe Getreide und die
Bodengestaltung erschwerten dem Gegner das Erkennen unserer Bewegungen.
Auffallend gering war daher das Feuer feindlicher Batterien, die uns nun
bald aus südlicher Richtung beschossen, ohne uns aufhalten zu können. Sie
sind später größtenteils nach tapferer Verteidigung erobert worden. So
drangen wir mit der Schnelligkeit, die das Gelände, der schwere, tiefe und
glatte Boden, das Getreide, Raps und Zuckerrüben gestatteten, vorwärts.
Unser Angriff war nach allen Regeln der damaligen Kriegskunst aufgebaut
worden, fiel aber bald auseinander. Kompagnien, ja selbst Züge begannen
sich ihre Gegner zu suchen; alles drängte nach vorwärts. Den Zusammenhang
für alle bildete nur der Wille: Heran an den Feind!

Zwischen Chlum und Nedelist traf unser Halbbataillon – eine damals sehr
beliebte Gefechtsformation – im Nebel und Getreide überraschend auf
feindliche, von Süden vorkommende Infanterie. Sie wurde durch das
überlegene Zündnadelgewehr bald zum Weichen gebracht. Ihr mit meinem
Schützenzuge in aufgelöster Ordnung folgend, stieß ich plötzlich auf eine
österreichische Batterie, die in rücksichtsloser Kühnheit herbeieilte,
abprotzte und uns eine Kartätschlage entgegenschleuderte. Von einer Kugel,
die mir den Helm durchbohrte, am Kopf gestreift, brach ich für kurze Zeit
bewußtlos zusammen. Als ich mich wieder aufraffte, drangen wir in die
Batterie ein. Fünf Geschütze waren unser, die drei anderen entkamen. Das
war ein stolzes Gefühl, als ich hochaufatmend, aus leichter Kopfwunde
blutend unter meinen eroberten Kanonen stand. Aber ich hatte nicht Zeit,
auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Feindliche Jäger, kenntlich an den
Hahnenfedern auf ihren Hüten, tauchten im Weizen auf. Ich wies sie ab und
folgte ihnen bis zu einem Hohlwege.

Der Zufall wollte es, daß im Verlauf des letzten großen Krieges dieses
mein erstes Schlachterlebnis in Österreich bekannt wurde. Ein
verabschiedeter ehemaliger Offizier, Veteran von 1866, schrieb mir
infolgedessen aus Reichenberg in Böhmen, daß er bei Königgrätz als
Regimentskadett in der von mir angegriffenen Batterie gestanden habe, und
belegte diese Tatsache durch eine Skizze. Da er noch einige freundliche
Worte hinzufügte, dankte ich ihm herzlich, und so war zwischen den
einstigen Gegnern ein recht kameradschaftlicher Briefwechsel zustande
gekommen.

Als ich den oben erwähnten Hohlweg erreichte, hielt ich Umschau. Die
feindlichen Jäger waren im Regendunst verschwunden. Die umliegenden Dörfer
– vor mir Wsestar, rechts Rosberitz und links Sweti – waren merkbar noch
in Feindes Hand; um Rosberitz wurde bereits gekämpft. Ich selbst war mit
meinem Zug allein. Hinter mir war nichts von den Unsrigen zu sehen. Die
geschlossenen Abteilungen waren mir nicht südwärts gefolgt, sondern
schienen sich nach rechts gewendet zu haben. Ich beschloß, meiner
Einsamkeit auf dem weiten Schlachtfelde dadurch ein Ende zu machen, daß
ich mich in dem Hohlweg nach Rosberitz heranzog. Bevor ich mein Ziel
erreichte, brausten noch mehrere österreichische Schwadronen, mich mit
meiner Handvoll Leuten nicht bemerkend, an mir vorüber. Sie überschritten
vor mir den Hohlweg an einer flachen Stelle und stießen kurze Zeit darauf,
wie mir das lebhafte Gewehrfeuer verriet, im Gelände nordöstlich Rosberitz
auf mir unsichtbare diesseitige Infanterie. Bald rasten von dorther ledige
Pferde zurück und schließlich jagte alles wieder an mir vorbei. Ich
schickte noch einige Kugeln nach; die weißen Mäntel der Reiter boten in
der trüben Witterung gute Ziele.

Die Lage in Rosberitz war, als ich dort eintraf, eine ernste. Ungestüm
vordrängende Züge und Kompagnien verschiedener Regimenter unserer Division
waren daselbst auf sehr überlegene feindliche Kräfte geprallt. Hinter
unsern schwachen Abteilungen befanden sich zunächst keine Verstärkungen.
Die Masse der Division war von dem hochgelegenen Dorfe Chlum angezogen
worden und stand dort in heftigem Kampf. Mein Halbbataillon, mit dem ich
mich am Ostrande von Rosberitz glücklich wieder vereinigte, war daher die
erste Hilfe.

Wer mehr überrascht ist, die Österreicher oder wir, vermag ich nicht zu
beurteilen. Jedenfalls drängen die zusammengeballten feindlichen Massen
von drei Seiten auf uns, um das Dorf wieder ganz in Besitz zu nehmen. So
fürchterlich unser Zündnadelgewehr auch wirkt, über die stürzenden ersten
Reihen kommen immer wieder neue auf uns zu. So entsteht in den Dorfgassen
zwischen den brennenden, strohbedeckten Häusern ein mörderisches
Handgemenge. Von Kampf in geordneten Verbänden ist keine Rede mehr. Jeder
sticht und schießt um sich, so viel er kann. Prinz Anton von Hohenzollern
vom 1. Garderegiment bricht schwerverwundet zusammen. Fähnrich von
Woyrsch, der jetzige Feldmarschall, bleibt mit einigen Leuten im hin- und
herwogenden Kampf bei dem Prinzen. Dessen goldene Uhr wird mir überbracht,
damit diese nicht etwa feindlichen Plünderern in die Hände fällt. Bald
laufen wir Gefahr, abgeschnitten zu werden. Aus einer in unseren Rücken
führenden Seitengasse tönen österreichische Hornsignale, hört man die
dumpfer als die unserigen klingenden Trommeln des Feindes. Wir müssen,
auch in der Front hart bedrängt, zurück. Ein brennendes Strohdach, das auf
die Straße herabstürzt und sie mit Flammen und dichtem Qualm absperrt,
rettet uns. Wir entkommen unter diesem Schutz auf eine Höhe dicht
nordöstlich des Dorfes.

Weiter wollen wir in wilder Erbitterung nicht zurückgehen. Major Graf
Waldersee vom 1. Garde-Regiment zu Fuß, der 1870 vor Paris als Kommandeur
des Garde-Grenadierregiments Königin Augusta fiel, läßt als ältester
anwesender Offizier die bei uns befindlichen beiden Fahnen in die Erde
stecken; um diese geschart werden die Verbände wieder geordnet. Schon
nahen auch von rückwärts Verstärkungen. Und so geht es denn bald wieder
mit schlagenden Tambours vorwärts, dem Feinde entgegen, der sich mit der
Besitzergreifung des Dorfes begnügt hat. Auch dieses räumt er bald, um
sich der allgemeinen Rückzugsbewegung seines Heeres anzuschließen.

In Rosberitz fanden wir den Prinzen von Hohenzollern wieder, der aber nach
kurzer Zeit im Lazarett zu Königinhof seinen Wunden erlag. Seine treue
Bedeckung hatte der Feind als Gefangene mitgeführt. Auch aus meinem Zuge
teilten mehrere Grenadiere dieses Schicksal, nachdem sie sich in einer
Ziegelei tapfer verteidigt hatten. Als wir zwei Tage später auf dem
Weitermarsch abends südwestlich der Festung Königgrätz Biwaks bezogen,
fanden sich die braven Leute wieder bei uns ein. Der Kommandant der
Festung hatte sie in der Richtung auf die preußischen Biwakfeuer
hinausgeschickt, um der Sorge ihrer Ernährung enthoben zu sein. Sie hatten
das Glück, gerade ihren eigenen Truppenteil vorzufinden.

Als Abschluß des Kampfes gingen wir noch bis Wsestar vor und blieben dort,
bis wir das Schlachtfeld verließen. Der Arzt wollte mich wegen meiner
Kopfwunde in ein Lazarett schicken; ich begnügte mich aber in Erwartung
einer zweiten Schlacht hinter der Elbe mit Umschlägen und einem leichten
Verbande und durfte fortan auf den Märschen statt des Helmes die Mütze
tragen.

Eigenartige Gefühle waren es, welche mich am Abend des 3. Juli bewegten.
Nächst dem Dank gegen Gott den Herrn herrschte besonders das stolze
Bewußtsein vor, an einem Werke mitgetan zu haben, das ein neues
Ruhmesblatt in der Geschichte des preußischen Heeres und des preußischen
Vaterlandes geworden war. Übersahen wir auch noch nicht die volle
Tragweite unseres Sieges: daß es sich um mehr als in den vorhergegangenen
Gefechten gehandelt hatte, war uns doch schon klar. In Treue gedachte ich
der gefallenen und verwundeten Kameraden. Mein Zug hatte die Hälfte seines
Bestandes verloren, ein Beweis dafür, daß er seine Schuldigkeit getan
hatte.

Als wir am 6. Juli die Elbe bei Pardubitz auf einer Kriegsbrücke
überschritten, erwartete dort der Kronprinz das Regiment und sprach uns
seine Anerkennung über das Verhalten in der Schlacht aus. Wir dankten mit
lautem Hurra und zogen weiter, stolz auf das uns von dem Oberbefehlshaber
unserer Armee und Erben der Krone Preußens gespendete Lob, freudig bereit,
ihm zu neuen Kämpfen zu folgen.

Der weitere Verlauf des Feldzuges brachte uns aber nur noch Märsche und
somit keine erwähnenswerten Erlebnisse. Der am 22. Juli eintretende
Waffenstillstand traf uns in Niederösterreich, etwa 40 km von Wien
entfernt. Als wir von hier aus bald darauf den Rückmarsch in die Heimat
antraten, begleitete uns ein unheimlicher Gast, die Cholera. Erst
allmählich verließ sie uns, nicht ohne noch manches Opfer aus unseren
Reihen gefordert zu haben.

An der Eger blieben wir einige Wochen stehen. Während dieser Zeit traf ich
mich mit meinem Vater, der als Johanniter in einem Lazarett auf dem
Schlachtfelde von Königgrätz tätig war, in Prag. Wir ließen diese
Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne das naheliegende Schlachtfeld unseres
großen Königs zu besuchen. Wie waren wir erstaunt, dort neben dem vom
preußischen Staat nach dem Befreiungskriege für den bei Prag gefallenen
Feldmarschall Grafen Schwerin errichteten Denkmal ein zweites zu finden,
das bereits lange Zeit vorher Kaiser Joseph II., ein Bewunderer Friedrichs
des Großen, zur Ehrung des gegnerischen Helden dort hatte setzen lassen.

Die Erinnerung an den Besuch dieses Schlachtfeldes wurde in mir im Verlauf
des letzten Krieges wieder besonders lebendig. Liegt doch ein Vergleich
der Lage Preußens 1757 mit der Deutschlands 1914 nahe. Wie nach dem auf
Prag folgenden Kolin, so nötigte nach der manchem Siege folgenden
Marneschlacht das Scheitern unseres großen Offensivgedankens das Vaterland
zu einer verhängnisvollen Verlängerung des Daseinskampfes. Aber während
uns der Ausgang des siebenjährigen Ringens ein mächtiges Preußen zeigt,
erblicken wir am Ende des letzten vierjährigen Verzweiflungskampfes ein
gebrochenes Deutschland. Waren wir der Väter nicht würdig gewesen?

Am 2. September überschritten wir in Fortsetzung des Rückmarsches die
böhmisch-sächsische Grenze, dann am 8. September auf der Chaussee
Großenhain-Elster die Grenze der Mark Brandenburg. Eine Ehrenpforte
begrüßte uns. Durch sie kehrten wir unter den Klängen des „Heil Dir im
Siegerkranz“ in die Heimat zurück. Mit welchen Gefühlen, bedarf keiner
Erläuterung.

Am 20. September war der feierliche Einzug in Berlin. Die
Paradeaufstellung erfolgte auf dem jetzigen Königsplatz, damals einem
sandigen Exerzierplatz. Wo jetzt das Generalstabsgebäude steht, befand
sich ein Holzhof, der mit der Stadt durch einen mit Weiden besetzten Weg
verbunden war. Krolls „Etablissement“ gab es dagegen bereits. Vom
Aufstellungsplatze weg rückte die Einzugstruppe durch das Brandenburger
Tor die Linden herauf zum Opernplatz. Dort war der Vorbeimarsch vor Seiner
Majestät dem König. Blücher, Scharnhorst und Gneisenau sahen von ihren
Postamenten zu. Sie konnten mit uns zufrieden sein!

Zum Einrücken in die Paradeaufstellung hatte sich mein Bataillon am
Floraplatz versammelt. Dort wurde mir vom Kommandeur der Rote Adlerorden
4. Klasse mit Schwertern mit der Weisung überreicht, ihn sofort anzulegen,
weil die neuen Auszeichnungen beim Einzug getragen werden sollten. Als ich
mich ziemlich ratlos umsah, trat aus der Menge der Zuschauer eine ältere
Dame heraus und befestigte mit einer Stecknadel das Ehrenzeichen auf
meiner Brust. So oft ich in spätern Jahren, sei es zu Fuß, sei es zu
Pferde, über den Floraplatz kam, stets gedachte ich in Dankbarkeit der
freundlichen Berlinerin, die dem 18jährigen Leutnant dort einst seinen
ersten Orden angeheftet hat.

Nach dem Kriege wurde dem 3. Garderegiment Hannover als Friedensgarnison
zugewiesen. Man wollte dadurch wohl der bisherigen Hauptstadt eine
Aufmerksamkeit erweisen. Ungern gingen wir hin, als aber nach 12 Jahren
die Scheidestunde durch Versetzung des Regiments nach Berlin schlug, da
war wohl keiner in dessen Reihen, dem die Trennung nicht schwer wurde. Ich
selbst hatte die schöne Stadt, die ich schon 1873 verlassen mußte, so lieb
gewonnen, daß ich mich später nach meiner Verabschiedung dorthin
zurückzog.

Bald hatten wir in dem neuen Standort Bekanntschaften angeknüpft. Manche
Hannoveraner hielten sich freilich aus politischen Gründen gänzlich
zurück. Wir haben die Treue gegen das angestammte Herrscherhaus nie
verurteilt, so sehr wir von der Notwendigkeit der Einverleibung Hannovers
in Preußen durchdrungen waren. Nur da, wo das Welfentum im Verhalten
einzelner seinen Schmerz nicht mit Würde trug, sondern sich in
Ungezogenheiten, Beleidigungen oder Widersetzlichkeiten gefiel, sahen wir
in ihm einen Gegner.

Immer mehr lebten wir uns im Laufe der Jahre in Hannover ein, das in
glücklichster Weise die Vorteile einer Großstadt nicht mit den Nachteilen
einer solchen vereinigt. Eine rege, vornehme Geselligkeit, welche später,
nach dem französischen Kriege, dadurch ihren Höhepunkt erreichte, daß Ihre
Königlichen Hoheiten der Prinz Albrecht von Preußen und Gemahlin dort
jahrelang weilten, wechselte mit dem Besuch des vorzüglichen Hoftheaters
ab, der dem jungen Offizier für ein Billiges ermöglicht war. Herrliche
Parkanlagen und einer der schönsten deutschen Wälder, die Eilenriede,
umgeben die Stadt; an ihnen konnte man sich in dienstfreien Stunden zu Fuß
und zu Pferde erfreuen. Und nahmen wir an den Manövern in der Provinz
teil, anstatt zu den Herbstübungen des Gardekorps nach Potsdam zu fahren,
so lernten wir allmählich ganz Niedersachsen vom Fels zum Meer in seiner
anmutenden Eigenart kennen und schätzen. Der kleine Dienst spielte sich
auf dem Waterlooplatz ab. Dort habe ich drei Jahre hintereinander meine
Rekruten ausgebildet und in einer der an diesem Platz gelegenen Kasernen
meine erste Dienstwohnung, Wohn- und Schlafstube, innegehabt. Noch jetzt
versetze ich mich gern, wenn ich diesen Stadtteil betrete, in Gedanken in
die goldene Jugendzeit zurück. Fast alle meine damaligen Kameraden sind
schon bei der großen Armee versammelt. Meinen mehrjährigen Kompagniechef,
Major a. D. von Seel, durfte ich jedoch noch kürzlich wiedersehen. Ich
verdanke dem jetzt mehr als 80jährigen unendlich viel; war er mir doch
ganz besonders ein Vorbild und Lehrer in strengster Dienstauffassung.

Im Sommer 1867 besuchte Seine Majestät der König zum ersten Male Hannover.
Ich stand bei der Ankunft in der Ehrenkompagnie vor dem Palais im
Georgspark und wurde von meinem Kriegsherrn durch die Frage beglückt, bei
welcher Gelegenheit ich mir den Schwerterorden verdient hätte. In spätern
Jahren, nachdem ich mir noch das Eiserne Kreuz für 1870/71 erworben hatte,
hat mein Kaiser und König die gleiche Frage noch manchesmal bei
Versetzungs- und Beförderungsmeldungen an mich gerichtet. Stets
durchzuckte es mich dann mit ebensolchem Stolz und ebensolcher Freude wie
damals.

Immer fester fügten sich die staatlichen, militärischen und sozialen
Verhältnisse Hannovers ineinander. Bald sollte sich auch diese neue
Provinz auf blutigen Schlachtfeldern als ebenbürtiger Bestandteil Preußens
bewähren!

Bei Ausbruch des Krieges 1870 rückte ich als Adjutant des 1. Bataillons
ins Feld. Mein Kommandeur, Major von Seegenberg, hatte die Feldzüge von
1864 und 1866 im Regiment als Kompagniechef mitgemacht. Er war ein
kriegserprobter altpreußischer Soldat von rücksichtsloser Energie und
unermüdlicher Fürsorge für die Gruppe. Unsere gegenseitigen Beziehungen
waren gute.

Der Beginn des Feldzuges brachte für das Regiment, wie für das ganze
Gardekorps, insofern schmerzliche Enttäuschungen, als wir in wochenlangen
Märschen nicht an den Feind kamen. Erst nachdem wir bereits die Mosel
oberhalb Pont à Mousson überschritten und beinahe die Maas erreicht
hatten, riefen uns die Ereignisse westlich Metz am 17. August in die
dortige Gegend. Wir bogen nach Norden ab und trafen nach außerordentlich
anstrengendem Marsch am Abend dieses Tages auf dem Schlachtfelde von
Vionville ein. Die Spuren des furchtbaren Ringens unseres III. und
X. Armeekorps am vorhergehenden Tage traten uns allenthalben vor die
Augen. Über die Kriegslage erfuhren wir soviel wie nichts. So marschierten
wir auch am 18. August von unseren Biwakplätzen bei Hannonville westlich
Mars la Tour in eine uns noch ziemlich unklare Lage hinein und erreichten
gegen Mittag Doncourt. Der bis dorthin verhältnismäßig kurze Marsch,
ausgeführt in dichten Massenformationen unter unliebsamer Kreuzung mit dem
sächsischen (XII.) Korps, in glühender Hitze, in dichten Staubwolken, ohne
die Möglichkeit genügender Wasserversorgung seit dem vorausgehenden Tage,
war zu einer großen Anstrengung geworden. Ich selbst hatte auf dem Marsch
erst das Grab eines bei den 2. Gardedragonern gefallenen Vetters auf dem
Friedhof von Mars la Tour besucht und dann Gelegenheit genommen, über das
Angriffsfeld der 38. Infanteriebrigade und des 1. Garde-Dragoner-Regiments
zu reiten. Reihen, ja stellenweise ganze Haufen von Gefallenen, Preußen
wie Franzosen, in und nördlich einer Schlucht, bewiesen, welch ein
mörderischer Kampf hier auf den allernächsten Entfernungen geführt worden
war.

Bei Doncourt machen wir Halt und denken ans Abkochen. Gerüchte, daß
Bazaine nach Westen abmarschiert und damit entkommen sei, verbreiten sich.
Die Begeisterung vom Vormittag ist ziemlich abgeflaut. Plötzlich beginnt
in östlicher Richtung eine gewaltige Kanonade. Das IX. Korps ist auf den
Feind gestoßen. Der Gefechtslärm belebt auch bei uns alles. Die Nerven
beginnen sich neu zu spannen, das Herz wieder stärker und freudiger zu
schlagen. Der Weitermarsch in nordöstlicher Richtung wird angetreten. Der
Eindruck, daß es sich heute um eine gewaltige Schlacht handle, verstärkt
sich von Minute zu Minute. Wir marschieren auf und erhalten in der Nähe
von Batilly den Befehl, die Fahnen zu enthüllen. Es geschieht unter
dreifachem Hurra; ein ergreifender Augenblick! Fast gleichzeitig
galoppieren Gardebatterien an uns vorbei nach Osten vor, heran an die
gegnerischen Stellungen. Immer mächtiger entwickelt sich das
Schlachtenbild. Über den Höhen von Amanweiler bis halbwegs gegen St.
Privat erheben sich dichte, schwere Wolken von Pulverdampf. In mehreren
Linien hinter- und zugleich übereinander steht dort oben feindliche
Infanterie und Artillerie. Ihr Feuer ist vorläufig mit ganzer Wucht gegen
das IX. Armeekorps gerichtet. Dies wird anscheinend auf seinem linken
Flügel vom Gegner überragt. Einzelheiten sind nicht zu erkennen.

Um einen frontalen Angriff gegen die feindliche Stellung zu vermeiden,
wenden wir uns in einer Wiesenschlucht, etwa fünf Kilometer gleichlaufend
zur feindlichen Front, nach Norden auf Ste. Marie aux Chênes. Das Dorf
wird von der Avantgarde unserer Division und Teilen des links von uns auf
Auboué marschierenden XII. Korps angegriffen und besetzt. Nach Gewinnung
von Ste. Marie marschiert unsere Brigade dicht südlich des Dorfes, mit der
Front nach diesem, auf. Wir ruhen. Freilich eine eigenartige Ruhe.
Verirrte Kugeln aus St. Privat vorgeschobener feindlicher Schützen
schlagen ab und zu in unsere dicht geschlossenen Formationen ein. Leutnant
von Helldorff, vom 1. Garderegiment, wird in meiner Nähe erschossen; sein
Vater, Bataillonskommandeur im gleichen Regiment, war 1866 bei Königgrätz
in Rosberitz auch unweit von mir gefallen. Mehrere Leute werden verwundet.

Ich betrachte mir die Lage. In östlicher Richtung, fast in der rechten
Flanke unserer jetzigen Front, liegt auf einer allmählich ansteigenden
Höhe St. Privat, mit dem etwa zwei Kilometer entfernten Ste. Marie aux
Chênes durch eine gradlinige, mit Pappeln bestandene Chaussee verbunden.
Das Gelände nördlich dieser Straße ist durch die Baumreihen großenteils
der Sicht entzogen, macht aber den gleichen deckungslosen Eindruck, wie
das Feld südlich der Chaussee. Auf den Höhen selbst herrscht eine fast
unheimliche Stille. Unwillkürlich strengt sich das Auge an, dort vermutete
Geheimnisse zu entdecken. Ihnen durch Aufklärung den Schleier zu nehmen,
scheint man auf unserer Seite nicht für nötig zu halten. So bleiben wir
denn ruhig liegen.

Gegen 5½ Uhr nachmittags trifft unsere Brigade der Angriffsbefehl. Wir
sollen hart östlich Ste. Marie vorbei in nördlicher Richtung antreten und
dann jenseits der Chaussee gegen St. Privat zum Angriff einschwenken. Das
Bedenken, daß diese künstliche Bewegung von St. Privat her in der rechten
Flanke gefaßt würde, drängt sich sofort auf.

Kurz bevor sich unsere Bataillone erheben, wird das ganze Gelände um St.
Privat lebendig und hüllt sich in den Qualm feuernder französischer
Linien. Die nicht zu unserer Division gehörige 4. Gardebrigade geht
nämlich bereits südlich der Chaussee vor. Gegen sie wendet sich daher
vorläufig die ganze Kraft der gegnerischen Wirkung. Diese Truppe würde in
kürzester Zeit zur Schlacke ausbrennen, wenn wir, die 1. Gardebrigade,
nicht baldmöglich nördlich der Chaussee angreifen und dadurch Entlastung
schaffen würden. Freilich, dort hinüberzukommen, erscheint fast unmöglich.
Mein Kommandeur reitet mit mir vor, um das Gelände einzusehen und dem
Bataillon im Rahmen der Brigade die Marschrichtung anzugeben. Ein
ununterbrochener Feuerorkan fegt jetzt auch gegen uns über das ganze Feld.
Doch wir müssen versuchen, die eingeleitete Bewegung durchzuführen. Es
gelingt uns auch, die Straße zu überschreiten. Jenseits dieser nehmen die
sich dicht drängenden Kolonnen Front gegen die feindlichen Feuerlinien und
stürzen, sich auseinanderziehend, vorwärts gegen St. Privat. Alles strebt
danach, so nahe als möglich an den Gegner heranzukommen, um die dem
Chassepot gegenüber minderwertigen Gewehre brauchen zu können. Der Vorgang
wirkt ebenso erschütternd wie imponierend. Hinter den wie gegen ein
Hagelwetter vorstürmenden Massen bedeckt sich das Gelände mit Toten und
Verwundeten, aber die brave Truppe drängt unaufhaltsam vorwärts. Immer und
immer wieder wird sie von ihren Offizieren und Unteroffizieren, die bald
von den tüchtigsten Grenadieren und Füsilieren ersetzt werden müssen, auf-
und vorgerissen. Ich sehe im Vorbeireiten, wie der Kommandierende General
des Gardekorps, Prinz August von Württemberg, zu Pferde am Ortsausgang von
Ste. Marie haltend, die gewaltige Krisis verfolgt, in die seine herrlichen
Regimenter sich hineinstürzen, um darin vielleicht zugrunde zu gehen. Ihm
gegenüber soll der Marschall Canrobert am Eingange von St. Privat
gestanden haben.

Um sein Bataillon aus der Anstauung der Massen nordöstlich Ste. Marie
herauszubringen und ihm die für den Kampf notwendige Armfreiheit zu
schaffen, läßt mein Kommandeur dasselbe nicht gleich die Front auf St.
Privat nehmen, sondern setzt mit ihm zunächst in einer Falte des Geländes
die bisherige nördliche Bewegung fort. So schieben wir uns in leidlicher
Deckung so weit seitlich heraus, daß wir nach dem Einschwenken den linken
Flügel der Brigade bilden. In diesem Verhältnis gelangen wir unter
zunehmenden Verlusten in die Gegend halbwegs Ste. Marie-Roncourt.

Bevor wir uns von hier aus zu einer Umfassung von St. Privat anschicken
können, müssen wir bei Roncourt, das die Sachsen von Auboué aus noch nicht
erreicht zu haben scheinen, klar sehen. Ich reite hin, finde das Dorf von
Freund und Feind unbesetzt, bemerke aber in den Steinbrüchen östlich des
Dorfes französische Infanterie. Es gelingt mir, noch rechtzeitig zwei
Kompagnien meines Bataillons nach Roncourt zu führen. Bald darauf
unternimmt der Gegner einen Angriff aus den Steinbrüchen, welcher
abgewiesen wird. Nunmehr können sich die beiden andern Kompagnien ohne
Besorgnis für Flanke und Rücken gegen den Nordeingang von St. Privat
wenden, um dem schweren frontalen Kampf der übrigen Teile der Brigade
wenigstens eine geringe Entlastung zu bringen. Später, nachdem Roncourt
von Teilen des XII. Korps besetzt worden ist, ziehen sich auch unsere
beiden dort verwendeten Kompagnien heran.

In der Front nimmt unterdessen das blutige Ringen seinen Fortgang. Von
feindlicher Seite aus ein ununterbrochen rollendes Infanteriefeuer aus
mehreren Linien, das alles Leben auf dem weiten, deckungslosen
Angriffsfeld niederzudrücken versucht. Auf unserer Seite eine lückenreiche
Linie loser Truppentrümmer, die sich aber nicht nur am Boden festkrallen,
sondern wie in krampfhaften Zuckungen sich immer wieder auf den Gegner zu
stürzen versuchen. Mit verhaltenem Atem sehe ich auf diese Schlachtszenen,
aufs äußerste gespannt, ob nicht ein feindlicher Gegenstoß unsere Truppen
wieder zurückschleudern würde. Doch die Franzosen bleiben bis auf einen
nicht über das erste Anreiten hinauskommenden Versuch, mit Kavallerie
nördlich um St. Privat herum vorzubrechen, starr in ihren Stellungen.

Eine Atempause im Infanteriekampf tritt ein. Beide Teile sind erschöpft
und liegen sich, nur wenig feuernd, gegenüber. Die Waffenruhe auf dem
Schlachtfelde ist so ausgesprochen, daß ich vom linken Flügel bis fast zur
Mitte der Brigade und zurück in der Feuerlinie entlang reite, ohne das
Gefühl einer Gefahr zu haben. Aber dann beginnt die Zermürbungsarbeit
unserer vorgezogenen Artillerie, und bald schieben sich außerdem die
frischen Kräfte der 2. Gardebrigade von Ste. Marie her in die im Verbluten
begriffenen Reste der 4. und 1. ein, während von Nordwesten auch
sächsische Hilfe naht. Der Druck, der auf der schwer ringenden Infanterie
lag, wird fühlbar leichter. Wo eine Zeitlang nur Tod und Verderben zu sein
schien, rührt sich neues Kampfesleben, zeigt sich neuer Kampfeswille, der
schließlich im Sturm auf den Feind seinen heldenhaften Abschluß findet. Es
ist ein unbeschreiblich ergreifender Augenblick, als sich bei sinkender
Abendsonne unsere vordersten Kampflinien zum letzten Vorbrechen erheben.
Kein Befehl treibt sie an, das gleiche seelische Empfinden, der eherne
Entschluß zum Erfolg, ein heiliger Kampfesgrimm drängt nach vorwärts.
Dieser unwiderstehliche Zug reißt alle mit sich fort. Das Bollwerk des
Gegners stürzt bei Einbruch der Dunkelheit. Ein ungeheuerer Jubel
bemächtigt sich unser.

Als ich spät Abends die Reste unseres Bataillons zählte und dann am andern
Morgen die noch viel schwächern Trümmer der übrigen Teile meines
Regimentes wiedersah, als die innere Abspannung eintrat, da kamen weichere
Seiten menschlichen Gefühles zu ihrer Geltung. Man denkt dann nicht nur an
das, was im Kampfe gewonnen wurde sondern auch an das, was dieser Erfolg
gekostet hat. Das 3. Garderegiment hatte einen Gesamtverlust von
36 Offizieren, 1060 Unteroffizieren und Mannschaften aufzuweisen, davon
tot 17 Offiziere und 304 Mann. Ähnliche Zahlen ergaben sich bei allen
Garde-Infanterie-Regimentern. Im Verlauf des letzten großen Krieges sind
Gefechtsverluste in der Höhe, wie sie die Garde bei St. Privat erlitten,
innerhalb unserer Infanterieregimenter häufig geworden. Ich konnte aus
meinen damaligen Erfahrungen ermessen, was das für die Truppe bedeutet.
Welch eine Masse bester, vielfach unersetzlicher Kräfte sinken da ins
Grab! Welch ein herrlicher Geist muß aber andererseits in unserem Volke
lebendig gewesen sein, um trotzdem in jahrelangem Ringen unsere Armee
weiter kampfkräftig zu erhalten!

Am 19. August begruben wir unsere Toten, und am 20. nachmittags
marschierten wir nach Westen ab. Unser Divisionskommandeur,
Generalleutnant von Pape, sprach uns unterwegs seine Anerkennung für
unsere Erfolge aus und betonte, daß wir damit aber nur unsere Pflicht und
Schuldigkeit getan hätten. Er schloß mit den Worten: „Im übrigen gilt für
uns der alte Soldatenspruch: Ob tausend zur Linken, ob tausend zur
Rechten, ob alle Freunde sinken, wir wollen weiterfechten!“ Ein donnerndes
Hurra auf Seine Majestät den König war unsere Antwort.

Welche militärische Kritik man auch an den Kampf um St. Privat anlegen
mag, er verliert jedenfalls dadurch nichts von seiner inneren Größe. Sie
liegt in dem Geiste, in dem die Truppe die stundenlange furchtbare Krisis
ertrug und schließlich siegreich überwand. Dieses Gefühl war für uns in
der Erinnerung an den 18. August fortan ausschlaggebend. Die ernste
Stimmung, die sich durch die Schlacht unserer Mannschaften bemächtigt
hatte, verflüchtigte sich bald; dafür erhielt sich der Stolz auf die
persönlichen Leistungen und die Taten der Gesamtheit bis auf den heutigen
Tag. Noch im Jahre 1918 feierte ich, wieder auf feindlichem Boden, den Tag
von St. Privat mit dem 3. Garderegiment, dem ich dank der Gnade meines
Königs wieder angehörte. Mehrere „alte Herren“, Mitkämpfer von 1870,
darunter auch der früher erwähnte Major a. D. von Seel, waren zu dem
Gedenktag aus der Heimat an die Front geeilt. Es war das letztemal, daß
ich das stolze Regiment gesehen habe!

Wie ich höre, sind die Denkmäler der preußischen Garde auf den Höhen von
St. Privat jetzt von unseren Gegnern niedergerissen worden. Sollte dies
wirklich wahr sein, so glaube ich nicht, daß solche Tat geeignet ist,
deutsches Heldentum zu erniedrigen. Vielfach habe ich deutsche Offiziere
und Soldaten vor französischen Kriegsdenkmälern, auch wenn sie auf
deutschem Boden standen, in stiller Ehrung weilen sehen und ihnen die
Achtung vor gegnerischen Leistungen und Opfern nachempfunden.

Nach der Schlacht übernahm mein Bataillonskommandeur als der einzige
unverwundete Stabsoffizier die Führung des Regiments. Ich blieb auch in
der neuen Stellung sein Adjutant.

Der Verlauf derjenigen Operation, die bei Sedan ihren denkwürdigen
Abschluß fand, brachte wenig Bemerkenswertes für mich. Das Vorspiel, die
Schlacht bei Beaumont, durchlebten wir am 30. August in der Reserve
stehend nur als Zuschauer. Auch am 1. September verfolgte ich den Gang der
Schlacht vornehmlich in der Rolle eines Beobachters. Das Gardekorps
bildete den nordöstlichen Teil des eisernen Ringes, der sich im Laufe des
Tages um die Armee Mac Mahons schloß. Die 1. Gardebrigade stand im
besondern von morgens bis nachmittags hinter den östlich des Grundes von
Givonne gelegenen Höhen abwartend bereit. Ich benutzte diese Untätigkeit
dazu, mich zu den am Höhenrande in langer Linie aufgefahrenen
Gardebatterien zu begeben, welche ihre Geschosse über den Grund hinweg in
die auf den jenseitigen, meist bewaldeten Höhen stehenden Franzosen
schleuderten. Von hier hatte man einen beherrschenden Blick auf die ganze
Gegend vom Ardenner Wald bis zum Abfall gegen die Maas. Im besondern lag
das Höhengelände von Illy und die französische Stellung westlich des
Givonne-Baches einschließlich des Bois de la Garenne zum Greifen nahe vor
mir. Die Katastrophe der französischen Armee entwickelte sich also
geradezu vor meinen Augen. Ich konnte verfolgen, wie der deutsche
Feuerkreis sich allmählich um den unglücklichen Gegner schloß, und wie die
Franzosen heldenhafte, aber von Anbeginn an völlig aussichtslose Versuche
machten, durch einzelne Vorstöße unsere Umklammerung zu durchbrechen. Für
mich hatte der Kampf noch ein besonderes Interesse. Am Tage vor der
Schlacht hatte ich nämlich beim Durchmarsch durch Carignan von einem
gesprächigen französischen Sattler, bei dem ich mir im Vorbeireiten eine
Reitpeitsche kaufte, erfahren, daß der französische Kaiser bei seiner
Armee sei. Ich meldete dies weiter, fand aber keinen Glauben. Als ich am
Schlachttage angesichts der sich immer mehr vollendenden feindlichen
Vernichtung die Äußerung tat: „In diesem Kessel befindet sich auch
Napoleon“, wurde ich ausgelacht. Mein Triumph, als sich später meine
Ansicht bestätigte, war groß.

Mein Regiment kam an diesem Tage nicht zu einer größeren
Gefechtstätigkeit. Wir folgten gegen 3 Uhr nachmittags dem
1. Garderegiment über den Givonne-Abschnitt. Zu diesem Zeitpunkt war dem
französischen Widerstand durch unsere von allen Seiten wirkende Artillerie
schon die Waffe aus der Hand geschlagen worden. Es handelte sich
eigentlich nur noch darum, den Feind gegen Sedan zusammenzupressen, um ihm
die Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes recht nachdrücklich vor die
Augen zu führen. Die Vernichtungsbilder, die ich bei diesem Vorgehen an
dem Nordostrand des Bois de la Garenne sah, übertrafen alle Schrecken, die
mir je auf Schlachtfeldern entgegengetreten sind.

Schon zwischen 4 und 5 Uhr richteten wir uns in unsern Biwaks ein. Die
Schlacht war beendet. Nur ein Gewehrschuß fiel noch gegen Abend und eine
Kugel pfiff über uns hinweg. Als wir zum Waldrand aufblickten, schwang
dort ein Turko mit drohender Gebärde sein Gewehr und verschwand dann mit
langen Sätzen im Dunkel der Bäume.

Niemals, vorher wie nachher, habe ich die Nacht auf einem Schlachtfeld mit
dem Gefühle gleicher restloser Befriedigung verbracht, wie hier. Träumte
doch jeder, nachdem das „Nun danket alle Gott“ verklungen war, von einem
baldigen Kriegsende. Hierin wurden wir freilich bitter enttäuscht. Der
Krieg ging weiter. Diese Fortsetzung des französischen Widerstandes nach
der Schlacht von Sedan hat man bei uns oft nur als eine unnütze
französische Selbstzerfleischung angesehen. Ich konnte diesem Urteil nicht
beipflichten und habe dem Weitblick der damaligen Diktatoren den Beifall
nicht versagen können. Zeigte sich doch darin, daß die französische
Republik die Waffen da aufnahm, wo das Kaiserreich sie niederzulegen
gezwungen war, meiner Ansicht nach nicht nur ein vorbildlicher
patriotischer Geist sondern auch ein weiter staatsmännischer
Zukunftsblick. Ich glaube noch heute, daß Frankreich mit einem Versagen
seines Widerstandswillens in diesem Augenblick den größten Teil seiner
völkischen Würde und damit die Aussichten auf eine bessere Zukunft
preisgegeben hätte.

Der 2. September brachte uns vormittags den Besuch des Kronprinzen, dem
wir die erste Nachricht von der Gefangennahme Napoleons und seiner Armee
verdankten, und nachmittags den unseres Königs und Kriegsherrn. Von dem
beispiellosen Jubel, mit dem der Monarch empfangen wurde, vermag man sich
kaum eine Vorstellung zu machen. Die Mannschaften waren nicht in Reih und
Glied zu halten. Sie umringten ihren heißgeliebten Herrn und küßten ihm
Hände und Füße. Seine Majestät sah seine Garden zum ersten Male in diesem
Feldzuge; er dankte uns tränenden Auges für das, was wir bei St. Privat
geleistet hatten. Das war reicher Lohn für jene schweren Stunden! Im
Gefolge des Königs befand sich auch Bismarck. Er ritt in olympischer Ruhe
am Ende der Kavalkade, wurde aber erkannt und bekam ein besonderes Hurra,
das er schmunzelnd entgegennahm. Moltke war nicht zugegen.

Am 3. September mittags bekam mein Regiment Befehl, gegen Sedan vorzugehen
und alle noch außerhalb der Festung befindlichen Franzosen in diese
hineinzudrängen. Hierdurch sollte verhindert werden, daß die sich
zahlreich im Vorgelände herumtreibenden Gegner verleitet würden, die
massenhaft umherliegenden Gewehre zu ergreifen und einen, wenn auch
aussichtslosen Durchbruchsversuch zu wagen. Ich ritt voraus durch das Bois
de la Garenne bis auf die Höhen dicht über der Stadt. Die die Landschaft
belebenden Rothosen erwiesen sich als harmlose Sucher nach Mänteln und
Decken, welche sie in die Gefangenschaft mitnehmen wollten. Das Eingreifen
des Regiments wurde daher unnötig; einige Patrouillen anderer
Truppenteile, die in der Nähe biwakierten, genügten. Als ich dem mir
nachfolgenden Regiment mit dieser Meldung entgegenritt, sah ich im Gehölz
auf der nach Norden führenden Chaussee eine Staubwolke. Ein französischer
Militärarzt, der vor der in ein Lazarett umgewandelten Querimont-Ferme
stand und mich ein Stück Weges begleitete, sagte mir, daß sich in dieser
Staubwolke der Kaiser Napoleon, begleitet von Schwarzen Husaren, befände,
um nach Belgien zu fahren. Wäre ich nur zwei Minuten eher an die Straße
gekommen, dann hätte ich Zeuge dieses historischen Augenblicks sein
können.

Am Abend dieses Tages verließen wir das Schlachtfeld und rückten in nahe
Quartiere. Von diesen aus traten wir dann nach einem Ruhetage den
Vormarsch auf Paris an. Dieser führte uns zunächst über das Schlachtfeld
von Beaumont und später durch Gegenden, welche im letzten großen Kriege
der Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen sind. Am 11. und 12. September lag
das Regiment in Craonne und Corbény, zwei freundlichen Städtchen am Fuße
des Winterberges. Und am 28. Mai 1918 stand ich während der Schlacht bei
Soissons-Reims neben meinem Allerhöchsten Kriegsherrn auf ebendemselben
Winterberge. Ich machte Seine Majestät darauf aufmerksam, daß ich vor
48 Jahren dort unten im Quartier gelegen hätte. Von den beiden Orten waren
kaum noch Trümmer übriggeblieben. Das Haus, in welchem ich an der
Marktecke in Corbény gewohnt hatte, war unter Schutt und Asche nicht mehr
herauszufinden. Auch der Winterberg, 1870 ein grüner, teilweise bewaldeter
Rücken, zeigte nur kahle, steile Kalkhänge, von denen Geschosse, Hacke und
Spaten die letzte Erdkrume entfernt hatten. Ein bei aller damaliger
Siegesfreude trauriges Wiedersehen!

Am 19. September sahen wir von der Hochfläche bei Gonesse aus, 8 km
nordöstlich St. Denis, zum ersten Male die französische Hauptstadt. Die
vergoldeten Kuppeln des Invalidendoms und anderer Kirchen funkelten im
Morgensonnenstrahl. Ich glaube, daß die Kreuzfahrer einst mit ähnlichen
Gefühlen auf Jerusalem geblickt haben, wie wir jetzt auf das zu unseren
Füßen liegende Paris. Früh um 3 Uhr waren wir im Dunkeln aufgebrochen und
lagen nun den ganzen schönen Herbsttag über auf den Stoppelfeldern zum
Eingreifen bereit, im Falle bei uns oder den Nachbardivisionen das
Besetzen und Einrichten der Vorpostenstellungen auf Schwierigkeiten stoßen
sollte. Erst am späten Nachmittag durften wir in die Quartiere einrücken.
Wir lagen in der nächsten Zeit in Gonesse, welches übrigens dadurch
historischen Wert erlangt hat, daß dort 1815 Blücher und Wellington beim
Eintreffen vor Paris zusammengekommen waren, um über die Fortführung der
Operationen zu beraten.

Statt eines baldigen vollen Erfolges hatten wir vor Paris noch monatelang
recht anstrengenden und undankbaren Einschließungsdienst auszuüben, der an
unserer Front nur selten durch kleinere Ausfallgefechte unterbrochen
wurde. In die Eintönigkeit solcher Tätigkeit brachte erst die
Weihnachtszeit mit der Beschießung der Forts eine militärisch belebende
Zugluft.

Die Mitte des Januar brachte dann für mich ein besonderes Erleben. Ich
wurde mit einem Sergeanten als Vertreter des Regiments zur
Kaiserproklamation nach Versailles entsandt. Den Befehl hierzu bekam ich
am 16. Januar abends. Noch in dieser Nacht hatte ich mich in dem 15 km
entfernten Margency einzufinden, woselbst vom Oberkommando der Maas-Armee
für die Unterbringung aller aus östlichen Quartieren kommenden Abordnungen
gesorgt war. Von dort sollten wir uns am 17. über St. Germain nach
Versailles begeben. Zu Pferde konnte ich den etwa 40 km weiten Weg nicht
zurücklegen, weil ich Gepäck mit mir führen mußte. Da setzte ich mich denn
mit meinem Sergeanten und Burschen kurz entschlossen auf den Packwagen der
Leibkompagnie des 1. Garderegiments, die mit mir im gleichen Ort lag und
auch nach Versailles befohlen war. Im Schritt ging es so bei starker Kälte
durch nächtliche Finsternis nach Margency, wo uns in einer Villa geheizte
Kamine, gutes Strohlager und Tee erwarteten.

Am 18. früh eröffnete mir der Führer der Leibkompagnie, daß er soeben
angewiesen sei, nicht nach Versailles zu marschieren sondern zum Regiment
zurückzukehren. Glücklicherweise nahm mich und meinen Burschen ein anderer
Kamerad mit auf seinen zweiräderigen Wagen, und auch mein Sergeant fand
irgendwo freundliche Aufnahme. So trabten wir denn an klarem Wintermorgen
unserm nächsten Ziele, St. Germain, entgegen. Aber mit des Geschickes
Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Unser vollgepackter Dogcart
verlor plötzlich ein Rad, und wir lagen vollzählig auf der Landstraße. Zum
Glück fanden wir bald in einem Ort eine Feldschmiede, die den Schaden
beseitigte, so daß wir uns in St. Germain bei einem Frühstück in dem auf
der Terrasse über der Seine herrlich gelegenen „Pavillon d’Henri quatre“
den übrigen Mitreisenden wieder anschließen konnten. Ein eigentümlicher
Wagenzug war es, der dann im Strahl der untergehenden Sonne seinen Einzug
in Versailles hielt. Alle Arten von Fahrzeugen waren vertreten, wie man
sie in den Schlössern, Villen und Bauernhöfen um Paris auftreiben konnte.
Den meisten Eindruck machte ein Kartoffelwagen, dessen Inhaber zur Feier
des Tages rechts und links von seinem Sitz eine große preußische Fahne –
deutsche gab es ja noch nicht – aufgezogen hatte. Bald nahm mich ein gutes
Quartier bei einer freundlichen alten Dame in der Avenue de Paris auf, und
der Abend vereinigte uns zu einem langentbehrten Souper im Hotel des
Reservoirs.

Die Feier am 18. ist genugsam bekannt. Sie war für mich reich an
Eindrücken. Am erhebendsten und zugleich ergreifendsten wirkte
selbstredend die Person meines Allergnädigsten Königs und Herrn. Seine
ruhige, schlichte, alles beherrschende Würde gab der Feier eine größere
Weihe als aller äußere Glanz. Die herzenswarme Begeisterung für den
erhabenen Herrscher war aber auch bei allen Teilnehmern, welchem deutschen
Volksstamme sie auch angehörten, gleich groß. Die Freude über das
„Deutsche Reich“ brachten wohl unsere süddeutschen Brüder am lebhafteren
zum Ausdruck. Wir Preußen waren darin zurückhaltender, aus historischen
Gründen, die uns unsern eigenen Wert zu einer Zeit schon hatten erkennen
lassen, in der Deutschland nur ein geographischer Begriff war. Das sollte
fortan anders werden!

Am Abend des 18. waren die in Versailles anwesenden Generale zur Tafel bei
Seiner Majestät dem Kaiser in der Präfektur befohlen. Wir übrigen waren
Gäste des Kaisers im Hotel „de France“.

Der 19. Januar begann mit einer Besichtigung des alten französischen
Königsschlosses mit seiner stolzen, den Ruhm Frankreichs verewigenden
Gemäldesammlung. Auch der weitausgedehnte Park wurde besucht. Da rief uns
plötzlich Kanonendonner in die Stadt zurück. Die Besatzung von Versailles
war bereits alarmiert und im Ausmarsch begriffen. Es handelte sich um den
großen Ausfall der Franzosen vom Mont Valerien her. Wir beobachteten den
Kampfverlauf eine Zeitlang als Schlachtenbummler. Nachmittags traten wir
dann die Rückfahrt an, und spät in der Nacht erreichte ich wieder mein
Regimentsstabsquartier Villers le Bel, 8 km nördlich St. Denis, dankbar
dafür, daß ich den großen geschichtlichen Augenblick hatte miterleben und
meinem nunmehrigen Kaiser zujubeln dürfen.

Der vergebliche Ausfall vom Mont Valerien war die letzte große
Kraftäußerung Frankreichs. Ihm folgte am 26. die Kapitulation von Paris
und am 28. der allgemeine Waffenstillstand. Gleich nach der Übergabe der
Forts wurde unsere Brigade westwärts in die zwischen dem Mont Valerien und
St. Denis gelegene Seinehalbinsel geschoben. Wir bezogen gute, schön
gelegene Quartiere hart am Flußufer, Paris gegenüber in der Nähe des Pont
de Neuilly.

Von dort aus hatte ich Gelegenheit, Paris wenigstens oberflächlich
kennenzulernen. Am 2. März morgens ritt ich in Begleitung einer
Gardehusaren-Ordonnanz über die eben genannte Brücke nach dem
Triumphbogen. Ich umging diesen ebensowenig wie am Tage vorher mein
Freund, der damalige Husarenleutnant von Bernhardi, der als erster in
Paris einrückte. Dann ritt ich die Champs Elysées herunter über die Place
de la Concorde und durch die Tuilerien bis hinein in den Hof des Louvre,
schließlich an der Seine entlang und durch den Bois de Boulogne wieder
nach Hause. Ich ließ auf diesem Wege die geschichtlichen Denkmäler einer
reichen gegnerischen Vergangenheit auf mich wirken. Die wenigen Einwohner,
die sich zeigten, bewahrten eine gemessene Haltung.

So wenig ich geneigt bin, einem Kosmopolitismus zu huldigen, so weit
entfernt war ich stets von Voreingenommenheit andern Völkern gegenüber;
trotz aller wesensfremden Eigenschaften verkannte ich ihre guten Seiten
nicht. So hat das französische Volk zwar für mich ein zu lebhaftes und
daher zu rasch wechselndes Temperament; andererseits aber finde ich in dem
Elan, der gerade in schwersten Zeiten in diesem Volke ganz einzigartig
lebendig werden kann, einen besondern Vorzug. Vor allem schätze ich es,
daß kraftvolle Persönlichkeiten so hinreißend auf die Masse zu wirken und
sie derartig in ihren Bannkreis zu ziehen vermögen, daß die französische
Nation imstande ist, aus Hingabe zu einem vaterländischen Ideal jegliche
Art von Sonderinteressen bis zur völligen Hinopferung zurückzustellen. In
eigenartigem Gegensatz hierzu steht das im letzten großen Kriege oft bis
zum Sadismus gesteigerte und daher nicht durch zu lebhaftes Temperament
entschuldbare Verhalten der Franzosen gegen wehrlose Gefangene.

Am Tage nach meinem Besuch in Paris hatte das Gardekorps die hohe Ehre und
unendliche Freude, vor seinem Kaiser und König auf den Longchamps in
Parade zu stehen. In alter preußischer Strammheit defilierten die
kampferprobten Regimenter vor ihrem Kriegsherrn, auf dessen Befehl sie
jederzeit bereit waren, erneut ihr Leben für den Schutz und die Ehre des
Vaterlandes einzusetzen. Zu einem wirklichen Einzug in Paris, wie er
vorher andern Armeekorps beschieden gewesen war, kam es für uns nicht
mehr, weil inzwischen der Präliminarfriede abgeschlossen war und
Deutschland den in ehrlichem Kampfe besiegten Gegner nicht den Kelch der
Demütigung bis auf die Neige leeren lassen wollte.

Festlich begingen wir dann auch vor Paris am 22. März den Geburtstag
Seiner Majestät. Es war ein herrlicher, warmer Frühlingstag mit
Feldgottesdienst im Freien, Salutschießen der Forts und Festessen der
Offiziere und Mannschaften. Die frohe Aussicht, nach treu erfüllter
Pflicht nun bald in die Heimat zurückkehren zu können, ließ die Stimmung
doppelt gehoben sein.

Aber ganz so früh, als wir hofften, sollten wir Frankreich nicht
verlassen. Wir mußten vielmehr zunächst noch an der Nordfront von Paris in
und bei St. Denis stehenbleiben und wurden dort Zeugen des Kampfes der
französischen Regierung gegen die Kommune.

Die erste Entwickelung der neuen revolutionären Ereignisse hatten wir
schon während der Belagerung verfolgen können. Die Zuchtlosigkeit extremer
politischer Kreise dem Gouverneur von Paris gegenüber war uns bekannt. Als
die Waffenruhe eintrat, begann die umstürzlerische Bewegung sich immer
mehr hervorzuwagen. Bismarck hatte den französischen Machthabern
zugerufen: „Sie sind durch die Revolution emporgekommen, eine neue
Revolution wird Sie wieder wegfegen.“ Er schien recht behalten zu sollen.

Im allgemeinen war unser Interesse an diesen umstürzlerischen Vorgängen
anfänglich gering. Erst von Mitte März ab, als die Kommune die Herrschaft
an sich zu reißen begann, und die Entwickelung immer mehr zum offenen
Kampfe zwischen Versailles und Paris drängte, erhöhte sich unsere
Aufmerksamkeit. Zeitungen und Flüchtlinge unterrichteten uns über die
Vorgänge im Inneren der Stadt. Während nunmehr deutsche Korps Frankreichs
Hauptstadt im Norden und Osten gewissermaßen als Verbündete der
Regierungstruppen absperrten, gingen letztere in langwierigen Kämpfen von
Süden und Westen her zum Angriff auf Paris über. Die Ereignisse außerhalb
der Festungsumwallung konnte man am besten von den Höhen bei Sannois, 6 km
nordwestlich von Paris an der Seine gelegen, beobachten. Geschäftsgewandte
Franzosen hatten dort Fernrohre aufgestellt, die sie den deutschen
Soldaten gegen Entgelt für Beobachtung des Dramas eines Bürgerkrieges zur
Benutzung überließen. Ich selbst machte hiervon keinen Gebrauch, sondern
beschränkte mich darauf, gelegentlich des täglichen Befehlsempfanges in
St. Denis entweder aus einem hochgelegenen Fenster des dortigen Gasthofes
„Cerf d’or“ oder durch Vorreiten auf der langgestreckten Seineinsel bei
St. Denis Einblick in die Lage in Paris zu gewinnen. Mächtige
Feuersbrünste zeigten von Ende April ab, wohin der Kampf im Inneren der
Stadt treiben würde. Ich erinnere mich, daß ich besonders am 23. Mai den
Eindruck hatte, als ob das ganze innere Paris der Vernichtung anheimfiele.
Die Lage in der Stadt wurde von den herausströmenden Flüchtlingen in den
krassesten Farben geschildert. Die Tatsachen scheinen hinter diesen
Erzählungen auch nicht zurückgeblieben zu sein. Brandstiftung, Plünderung,
Geiselmord, kurz, alle jetzt als bolschewistisch angesprochenen
Krankheitserscheinungen eines im Kriege zusammengebrochenen Staatskörpers
traten schon damals auf. Die Drohung eines freigelassenen kommunistischen
Führers: „Die Regierung hatte nicht den Mut, mich erschießen zu lassen,
aber ich werde den Mut haben, die Regierung zu füsilieren“ sollte
anscheinend verwirklicht werden. Wie völlig das sonst so starke und
empfindliche französische Nationalgefühl bei den Kommunisten ausgelöscht
war, zeigt deren Erklärung: „Wir rühmen uns angesichts des Gegners,
unserer Regierung die Bajonette in den Rücken zu stoßen.“ Man sieht, daß
das bolschewistische Weltverbesserungsverfahren, wie es in der neuesten
Zeit auch bei uns auftrat, nicht einmal Anspruch auf Originalität machen
kann.

Aus dem hochgelegenen Fenster in St. Denis sah ich schließlich eines Tages
das Ende der Kommune mit an. Außerhalb des Hauptwalles von Paris
vorgehende Regierungstruppen umgingen den Montmartre westlich und
erstürmten bald darauf über dessen damals noch unbebauten Nordhang hinweg
die weit beherrschende Höhe, das letzte Bollwerk des Aufstandes.

Ich betrachte es als eine bittere Ironie des Schicksals, daß die einzige
politische Partei Europas, die damals, wie ich wohl annehmen darf, in
völliger Verkennung der wahren Vorgänge diese Bewegung verherrlichte, zur
Zeit in unserem Vaterlande gezwungen ist, mit aller Schärfe gegen
kommunistische Bestrebungen vorzugehen. Es ist dies ein Beweis dafür,
wohin doktrinäre Einseitigkeiten führen, bis die praktische Erfahrung
aufklärend eingreift.

Mit dem warnenden Beispiel der zuletzt geschilderten Vorgänge im Herzen
kehrten wir Anfang Juni der Hauptstadt Frankreichs den Rücken und trafen
nach dreitägiger Eisenbahnfahrt in unserem glücklicheren, siegreichen
Vaterlande ein.

Der Einzug in Berlin erfolgte diesmal vom Tempelhofer Felde aus. Vertreter
aller deutschen Truppenteile waren neben dem Gardekorps hierbei beteiligt.
Die Hoffnung auf einen siegreichen dritten Einzug durch das Brandenburger
Tor, die ich nicht meinetwegen sondern um meines Kaisers und Königs und um
des Vaterlandes willen lange im innersten Herzensgrunde gehegt hatte,
sollte nicht in Erfüllung gehen!



                              Friedensarbeit


Mit reichen Erfahrungen auf allen kriegerischen Gebieten waren wir vom
französischen Boden in die Heimat zurückgekehrt. Mit dem einigen Vaterland
war ein deutsches Einheitsheer geschaffen, an dessen Grundgedanken die
staatlichen Sonderheiten nur oberflächliche Abweichungen bedingt hatten.
Die Einheitlichkeit in der kriegerischen Auffassung war von jetzt ab
ebenso gewährleistet wie die Einheitlichkeit der Organisation, der
Bewaffnung und Ausbildung. Es lag im natürlichen Verlauf der deutschen
Entwicklung, daß die preußischen Erfahrungen und Einrichtungen für den
weiteren Ausbau des Heeres ausschlaggebend wurden.

Die Friedensarbeit setzte allenthalben wieder ein. Ich verblieb für die
nächsten Jahre noch im Truppendienst, folgte dann aber meiner Neigung zu
einer höheren militärischen Ausbildung, bereitete mich zur Kriegsakademie
vor und fand im Jahre 1873 Aufnahme in diese.

Das erste Jahr entsprach nicht ganz meinen Erwartungen. Anstatt mit
Kriegsgeschichte und neuzeitiger Gefechtslehre wurden wir auf diesem
Gebiet der Militärwissenschaften damals lediglich mit Geschichte alter
Kriegskunst und früherer Taktiken abgespeist, also mit Nebendingen. Dazu
mußten wir zwangsweise Mathematik hören, die nur ganz wenige von uns
später als Trigonometer in der Landesaufnahme ausnutzen wollten. Erst die
beiden letzten Jahre und die Kommandierung zu andern Waffen in den
Zwischenkursen brachten dem vorwärtsstrebenden jungen Offizier volle
Befriedigung. Unter Anleitung hervorragender Lehrer, von denen ich neben
dem schon früher erwähnten Major von Wittich den Oberst Keßler und den
Hauptmann Villaume vom Generalstab sowie als Historiker den Geheimrat
Duncker und den Professor Richter nennen will, und im Verkehr mit
reichbegabten Altersgenossen, wie den spätern Generalfeldmarschällen von
Bülow und von Eichhorn sowie dem späteren General der Kavallerie von
Bernhardi, erweiterte sich der Gesichtskreis wesentlich.

Nicht wenig trug hierzu auch das vielseitige gesellige Leben Berlins bei.
Ich hatte die Ehre, zu dem engern Kreise Seiner Königlichen Hoheit des
Prinzen Alexander von Preußen herangezogen zu werden, und kam dadurch
nicht nur mit hohen Militärs sondern auch mit Männern der Wissenschaft
sowie des Staats- und Hofdienstes in Berührung.

Nach Beendigung meines Kommandos zur Kriegsakademie kehrte ich zunächst
für ein halbes Jahr zum Regiment nach Hannover zurück und wurde dann im
Frühjahr 1877 zum Großen Generalstab kommandiert.

Im April 1878 erfolgte meine Versetzung in den Generalstab unter
Beförderung zum Hauptmann. Wenige Wochen darauf wurde ich dem
Generalkommando des II. Armeekorps in Stettin zugewiesen. Hiermit begann
meine militärische Laufbahn außerhalb der Truppe, zu welch letzterer ich
bis zu meiner Ernennung zum Divisionskommandeur nur zweimal zurückkehrte.

Der Generalstab war wohl eines der bemerkenswertesten Gefüge innerhalb des
Gesamtrahmens unseres deutschen Heeres. Neben der strengen hierarchischen
Kommandogewalt bildete er ein besonderes Element, das sich auf das hohe
geistige Ansehen des Chefs des Generalstabes der Armee, also des
Feldmarschalls Graf Moltke, stützte. Durch die Friedensschulung der
Generalstabsoffiziere war die Gewähr geschaffen, daß im Kriegsfalle ein
einheitlicher Zug alle Führerstellen beherrschte, ein einigendes Fluidum
alle Führergedanken durchsetzte. Die Einwirkung des Generalstabes auf die
Führung war nicht durch bindende Bestimmungen geregelt; sie hing vielmehr
in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Abstufungen von der
militärischen und persönlichen Eigenart der einzelnen Offiziere ab. Die
erste Forderung an den Generalstabsoffizier war, die eigene Persönlichkeit
und das individuelle Handeln vor der Öffentlichkeit zurücktreten zu
lassen. Er mußte ungesehen schaffen, also mehr sein als scheinen.

Ich glaube, daß es der deutsche Generalstab in seiner Gesamtheit
verstanden hat, seine außerordentlich schwere Aufgabe zu erfüllen. Seine
Leistungen waren bis zuletzt meisterhaft, mögen auch Fehler und Irrtümer
im einzelnen vorgekommen sein. Ich wüßte kein ehrenderes Zeugnis für ihn,
als daß die Gegner seine Auflösung durch die Friedensbedingungen gefordert
haben.

Man hat im Generalstabsdienst vielfach eine Geheimwissenschaft vermutet.
Nichts verkehrter als das. Wie unsere gesamte kriegerische Tätigkeit so
beruht auch die des Generalstabes lediglich auf der Anwendung der gesunden
Vernunft auf den gerade vorliegenden Fall. Hierbei war oft neben höherem
Gedankenflug gewissenhafte Beschäftigung mit aller möglichen Kleinarbeit
erforderlich. Ich habe manch hochbegabten Offizier kennengelernt, der
durch Versagen in letzterer Richtung entweder als Generalstabsoffizier
nicht brauchbar war, oder als solcher ein Nachteil für die Truppe wurde.

Meine Stellung beim Generalkommando belastete mich als jüngsten
Generalstabsoffizier natürlich hauptsächlich mit solcher Kleinarbeit.
Anfangs wirkte das enttäuschend, dann gewann ich Liebe zur Sache, da ich
ihre Notwendigkeit für die Durchführung der großen Gedanken und für das
Wohl der Truppe erkannte. Nur bei den alljährlichen Generalstabsreisen
konnte ich mich als Handlanger des Korpschefs mit größeren Verhältnissen
beschäftigen. Auch zu der ersten vom General Graf Waldersee, Chef des
Generalstabes des X. Armeekorps, geleiteten Festungsgeneralstabsreise bei
Königsberg wurde ich damals kommandiert. Mein kommandierender General war
der General der Kavallerie Hann von Weyherrn, ein erprobter Soldat, der in
jungen Jahren in schleswig-holsteinschen Diensten gefochten und 1866 eine
Kavallerie-, 1870/71 eine Infanteriedivision geführt hatte. Es war eine
Freude, den alten Herrn, einen vortrefflichen Reiter, zu Pferde in der
Uniform seiner Blücherhusaren zu sehen. Meinen beiden Generalstabschefs,
erst Oberst von Petersdorff, dann Oberstleutnant von Zingler, danke ich
eine gründliche Ausbildung im praktischen Generalstabsdienst.

Im Jahre 1879 hatte das II. Korps Kaisermanöver und erwarb sich die
Anerkennung Seiner Majestät. Ich lernte bei dieser Gelegenheit den
russischen General Skobeleff kennen, der zu der Zeit, nach dem
Türkenkriege, auf der Höhe seines Ruhmes stand. Er machte den Eindruck
eines rücksichtslos energischen, frischen und wohl auch ganz befähigten
höhern Führers. Sein Renommieren berührte weniger angenehm.

Nicht unerwähnt darf ich lassen, daß ich mich in Stettin verheiratet habe.
Meine Frau ist auch ein Soldatenkind als Tochter des Generals von
Sperling, welcher 1866 beim VI. Korps und 1870/71 bei der 1. Armee
Generalstabschef war und gleich nach dem französischen Kriege starb. Ich
fand in meiner Frau eine liebende Gattin, die treulich und unermüdlich
Freud und Leid, alle Sorge und Arbeit mit mir teilte und so mein bester
Freund und Kamerad wurde. Sie schenkte mir einen Sohn und zwei Töchter.
Ersterer hat im großen Kriege als Generalstabsoffizier seine Schuldigkeit
getan. Beide Töchter sind verheiratet, ihre Männer haben im letzten großen
Kriege gleichfalls vor dem Feinde gestanden.

1881 wurde ich zur 1. Division nach Königsberg versetzt. Diese Verwendung
machte mich selbständiger, brachte mich der Truppe näher und führte mich
in meine Heimatsprovinz.

Aus meinem dortigen dienstlichen Leben möchte ich besonders hervorheben,
daß der bekannte Militärschriftsteller General von Verdy du Vernois
zeitweise mein Kommandeur war. Der General war eine hochbegabte,
interessante Persönlichkeit. Er verfügte infolge seines reichen Erlebens
in hohen Generalstabsstellen während der Kriege 1866 und 1870/71 über
außergewöhnliche Kenntnis der entscheidenden Ereignisse damaliger Zeit.
Auch hatte er schon früher durch seine Zuteilung zum Hauptquartier des
russischen Oberkommandos in Warschau während des polnischen Aufstandes
1863 einen tiefen Einblick in die politischen Verhältnisse an unserer
Ostgrenze gewonnen. Die Mitteilungen aus seinem Leben, die er mit einer
glänzenden Erzählerkunst vortrug, waren deshalb nicht nur vom
militärischen sondern auch vom politischen Standpunkte in hohem Grade
belehrend. General von Verdy war außerdem auf dem Gebiete der angewandten
Kriegslehre bahnbrechend. Ich lernte daher unter seiner Anleitung und im
gegenseitigen Meinungsaustausch sehr viel für meine spätere Lehrtätigkeit
an der Kriegsakademie. So wirkte der geistvolle Mann in verschiedenen
Richtungen äußerst anregend auf mich ein. Er war mir stets ein gütiger
Vorgesetzter, der mir sein volles Vertrauen schenkte.

Auch meines damaligen Korps-Generalstabschefs, Oberst von Bartenwerffer,
erinnere ich mich gern in Dankbarkeit. Seine Generalstabsreisen und
Aufgaben für die Winterarbeiten des Generalstabes waren meisterhaft
angelegt, seine Kritiken besonders lehrreich.

Vom Stabe der 1. Division wurde ich nach drei Jahren als Kompagniechef in
das Infanterieregiment 58, Standort Fraustadt in Posen, versetzt. Ich
hatte bei dieser Rückkehr in den Frontdienst eine Kompagnie zu übernehmen,
die fast ausschließlich polnischen Ersatz hatte. Die Schwierigkeiten, die
der Verständigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und damit der
Erziehung und Ausbildung durch den Mangel gegenseitiger Sprachkenntnis im
Wege stehen, lernte ich hierbei in ihrem ganzen Umfange kennen. Ich selbst
war der polnischen Sprache bis auf einige Redensarten, die ich in meiner
Kinderzeit aufgeschnappt hatte, nicht mächtig. Meine Einwirkung auf die
Kompagnie war noch dadurch außerordentlich erschwert, daß die Mannschaften
in 33 Bürgerquartieren, bis hinaus zu den die Stadt umgebenden Windmühlen,
verstreut lagen. Im allgemeinen waren aber meine Erfahrungen mit dem
polnischen Ersatz nicht ungünstig. Die Leute waren fleißig, willig und,
was ich besonders hervorheben möchte, anhänglich, wenn man der
Schwierigkeiten, die sie bei Erlernung des Dienstes zu überwinden hatten,
Rechnung trug und auch sonst bei aller Strenge für sie sorgte. Damals
glaubte ich, daß die größere Häufigkeit von Diebstählen und von
Trunkenheit bei den Polen weniger mit moralischer Minderwertigkeit als mit
vielfach ungenügender erster Jugenderziehung zu erklären sei. Ich bedauere
es sehr, daß ich meine gute Meinung von den Posener Polen jetzt
zurückstecken muß, nachdem ich von den Greueln gehört habe, welche die
Insurgenten Wehrlosen gegenüber verübt haben. Das hätte ich den
Landsleuten meiner einstigen Füsiliere nicht zugetraut!

Gern denke ich auch heute noch an meine leider nur fünfvierteljährige
Kompagniechefszeit zurück. Ich lernte zum ersten Male das Leben in einer
kleinen, halbländlichen Garnison kennen, fand außer im Kameradenkreise
auch freundliche Aufnahme auf benachbarten Gütern und stand wieder einmal
in unmittelbarem Verkehr mit dem Soldaten. Ich bemühte mich redlich, auf
die Eigenart jedes einzelnen einzugehen und knüpfte so ein festes Band
zwischen mir und meinen Untergebenen. Darum wurde mir die Trennung von
meiner Kompagnie sehr schwer trotz aller äußern Vorteile, welche mir die
Rückkehr in den Generalstab brachte.

Diese erfolgte im Sommer 1885 durch Versetzung in den Großen Generalstab.
Nach wenigen Monaten wurde ich Major. Ich kam in die Abteilung des
damaligen Oberst Graf von Schlieffen, des späteren Generals und Chefs des
Generalstabes der Armee, wurde aber außerdem noch der Abteilung des
derzeitigen Oberst Vogel von Falckenstein, des späteren Kommandierenden
Generals des VIII. Armeekorps und dann Chefs des Ingenieurkorps und der
Pioniere, für länger als ein Jahr zur Teilnahme an der ersten Bearbeitung
der Felddienstordnung, einer neuen, grundlegenden Allerhöchsten
Vorschrift, zur Verfügung gestellt. Dadurch kam ich mit den beiden
bedeutendsten Abteilungschefs jener Zeit in Berührung.

An einem mehrtägigen Übungsritte bei Zossen im Frühjahre 1886, der dem
Zweck diente, Bestimmungen der Felddienstordnung vor ihrer Einführung
praktisch zu erproben, nahm auch Seine Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm
von Preußen teil. Es war für mich das erste Mal, daß ich die Ehre hatte,
meinem späteren Kaiser, König und Herrn, Wilhelm II., zu begegnen. Im
darauffolgenden Winter wohnte der damalige Prinz einem Kriegsspiel des
Großen Generalstabes bei. Ich führte bei dieser Gelegenheit die russische
Armee.

Wenn in jenen Jahren der Generalfeldmarschall Graf Moltke auch schon den
nähern Verkehr mit den Abteilungen des Großen Generalstabes seinem
nunmehrigen Gehilfen, dem General Graf Waldersee, überließ, so beherrschte
doch sein Geist und sein Ansehen alles. Es bedarf wohl keiner besonderen
Versicherung, daß Graf Moltke eine allseitige, grenzenlose Verehrung
genoß, und daß sich niemand von uns seinem wunderbaren Einfluß entziehen
konnte.

Ich kam unter den dargelegten Verhältnissen nur selten in unmittelbaren
dienstlichen Verkehr mit dem Feldmarschall, hatte aber ab und zu das
Glück, ihm außerdienstlich zu begegnen. Eine für seine Persönlichkeit wie
für seine Anschauungen gleich kennzeichnende Szene erlebte ich in einer
Abendgesellschaft beim Prinzen Alexander. Wir betrachteten nach Tisch ein
Gemälde von Camphausen, das Zusammentreffen des Prinzen Friedrich Karl mit
dem Kronprinzen auf dem Schlachtfelde von Königgrätz darstellend. Der in
der Gesellschaft anwesende General von Winterfeldt erzählte aus
persönlichem Erleben, daß Prinz Friedrich Karl im Augenblick der Begegnung
dem Kronprinzen zugerufen habe: „Gott sei Dank, Fritz, daß du gekommen
bist, sonst wäre es mir vielleicht schlecht ergangen!“ Auf diese Erzählung
Winterfeldts hin trat Graf Moltke, welcher sich gerade eine Zigarre
aussuchte, mit drei großen Schritten unter uns und sagte in scharf
betonten Worten: „Das brauchte der Prinz nicht zu sagen. Er wußte doch,
daß der Kronprinz heranbefohlen und gegen Mittag auf dem Schlachtfeld zu
erwarten war, und damit war der Sieg sicher.“ Nach dieser Bemerkung wandte
sich der Feldmarschall wieder den Zigarren zu.

Zu Kaisers Geburtstag waren die Generale und Stabsoffiziere des
Generalstabes Gäste des Feldmarschalls. Bei einer solchen Gelegenheit
behauptete einer der Herrn, daß Moltkes Kaisertoast einschließlich der
Anrede und des ersten „Hoch“ nicht mehr als zehn Worte enthalten würde.
Hieraus entstand eine Wette, bei der ich Unparteiischer war. Der dagegen
Wettende verlor, denn der Feldmarschall sagte nur: „Meine Herrn, der
Kaiser hoch!“ Worte, die in unserm Kreise und aus diesem Munde wahrlich
genügten. Im nächsten Jahre sollte die gleiche Wette abgeschlossen werden,
aber der Gegenpart dankte dafür. Er hätte dieses Mal gewonnen, denn Graf
Moltke sagte: „Meine Herrn, Seine Majestät der Kaiser und König Er lebe
hoch!“ Das sind elf Worte.

Übrigens war Graf Moltke im geselligen Verkehr durchaus nicht schweigsam,
sondern ein sehr liebenswürdiger, anregender Unterhalter mit viel Sinn für
Humor.

Im Jahre 1891 sah ich den Feldmarschall zum letzten Male, und zwar auf
seinem Totenbett. Ich durfte am Morgen nach seinem Hinscheiden vor ihn
treten. Der Entschlafene lag aufgebahrt ohne die übliche Perücke, so daß
die wundervolle Form seines Kopfes voll zur Geltung kam. Es fehlte nur ein
Lorbeerkranz um seine Schläfe, um das Bild eines idealen Cäsarenkopfes zu
vervollständigen. Wie viele gewaltigen Gedanken waren in diesem Kopfe
entstanden, welch hoher Idealismus hatte hier seine Stätte gehabt, welch
ein Adel der Gesinnung hatte von dort aus zum Wohle unseres Vaterlandes
und seines Herrschers selbstlos gewirkt. Eine an Geist wie an Charakter
gleich große Persönlichkeit hat nach meiner Überzeugung seitdem unser Volk
nicht mehr hervorgebracht, ja Moltke ist vielleicht in der Vereinigung
dieser Eigenschaften eine einzig dastehende Größe gewesen.

Schon 3 Jahre vorher war unser erster, so großer Kaiser von uns gegangen.
Ich war zur Totenwache im Dom kommandiert und durfte dort meinem über
Alles geliebten Kaiserlichen und Königlichen Herrn den letzten Dienst
erweisen. Meine Gedanken führten mich über Memel, Königgrätz und Sedan
nach Versailles. Sie fanden ihren Abschluß in der Erinnerung an einen
Sonntag des vorhergehenden Jahres, an dem ich in der Mitte der jubelnden
Menge am Kaiserlichen Palais unter dem historischen Eckfenster stand.
Getragen von der allgemeinen Begeisterung hob ich damals meinen
fünfjährigen Sohn in die Höhe und ließ ihn unseren greisen Herrn mit den
Worten sehen: „Vergiß diesen Augenblick in deinem ganzen Leben nicht, dann
wirst du auch immer recht tun.“ Nun war seine große Herrscher- und
Menschenseele hingegangen zu den Kameraden, denen er wenige Jahre vorher
durch den sterbenden Generalfeldmarschall von Roon seinen Gruß entboten
hatte.

Auf meinem Schreibtisch liegt ein grauer Marmorblock. Er stammt aus dem
alten Dom und von der Stelle, auf welcher der Sarg meines Kaisers
gestanden hat. Ein lieberes Geschenk konnte mir nie gemacht werden. Welche
Gefühle bei Anblick dieses Steines besonders heutzutage in mir wach
werden, das brauche ich wohl nicht erst in Worte zu kleiden.

Dem Sohn Wilhelms, Kaiser Friedrich, Deutschlands Stolz und Hoffnung, war
keine lange Regierungszeit beschieden. Eine unheilbare Krankheit raffte
ihn wenige Monate nach dem Tode des Vaters hinweg. Der Große Generalstab
befand sich zu dieser Zeit auf einer Generalstabsreise in Ostpreußen. Wir
wurden daher in Gumbinnen auf Seine Majestät den Kaiser und König
Wilhelm II. vereidigt. So legte ich denn meinem nunmehrigen Kriegsherrn
das Treugelöbnis an einer Stelle ab, an der ich es 26 Jahre später in
schwerer, aber großer Zeit durch die Tat bekräftigen durfte.

Das Schicksal fügte es für mich günstig, daß ich innerhalb des
Generalstabes eine sehr abwechslungsreiche Verwendung fand. Noch während
meiner Zuteilung zum Großen Generalstab wurde mir der Unterricht der
Taktik an der Kriegsakademie übertragen. Ich fand in dieser Tätigkeit eine
hohe Befriedigung und übte sie fünf Jahre hindurch aus. Freilich waren die
Anforderungen an mich sehr groß, da ich neben diesem Amt gleichzeitig
andern Dienst tun mußte, zuerst im Großen Generalstab und später als
erster Generalstabsoffizier beim Generalkommando des III. Armeekorps.
Unter diesen Verhältnissen erschien der Tag mit 24 Stunden oftmals zu
kurz. Durcharbeitete Nächte wurden zur Gewohnheit.

Viele hochbegabte, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende junge
Offiziere lernte ich während dieser akademischen Lehrtätigkeit kennen.
Mancher Namen gehören jetzt der Geschichte an. Ich nenne hier nur
Lauenstein, Lüttwitz, Freytag-Loringhoven, Stein und Hutier. Auch zwei
türkische Generalstabsoffiziere waren mir in dieser Zeit auf die Dauer von
etwa zwei Jahren beigegeben: Schakir Bey und Tewfyk Effendi. Der eine hat
es später in seiner Heimat bis zum Marschall, der andere bis zum General
gebracht.

Beim Generalkommando des III. Korps war der jüngere General von Bronsart
mein Kommandierender General, ein hochbegabter Offizier, der 1866 und
1870/71 im Generalstab tätig gewesen war, und später gleich seinem älteren
Bruder Kriegsminister wurde.

In ein gänzlich anderes Arbeitsgebiet wie bisher führte mich im Jahre 1889
meine Verwendung im Kriegsministerium. Ich hatte dort eine Abteilung des
Allgemeinen Kriegsdepartements zu übernehmen. Zurückzuführen ist diese
Veränderung auf den Umstand, daß mein einstiger Divisionskommandeur,
General von Verdy, Kriegsminister geworden war und mich bei einer
Umformung des Ministeriums heranzog. Schon als Major wurde ich dadurch
Abteilungschef.

So wenig diese Verwendung anfänglich meinen Wünschen und Neigungen
entsprach, so sehr schätzte ich doch später den Nutzen, den ich durch den
Einblick in mir bis dahin fremde Arbeitsgebiete und Verhältnisse gewann.
Ich hatte reichlich Gelegenheit, die wohl kaum ganz vermeidliche
Umständlichkeit des Geschäftsbetriebes und des Formelwesens im Verein mit
dem dadurch bedingten Hervortreten bureaukratischer Auffassung
untergeordneterer Persönlichkeiten, zugleich aber auch die große
Pflichttreue kennen zu lernen, mit der überall in äußerster Anspannung der
Kräfte gearbeitet wurde.

Zu meinen anregendsten Aufgaben gehörten die Schaffung einer
Feldpioniervorschrift und die Einführung der Verwendung der schweren
Artillerie in der Feldschlacht. Beides hat sich im großen Kriege bewährt.

Die Gesamtleistungen des Kriegsministeriums, sowohl im Frieden als auch
ganz besonders im letzten Kriege, sind der größten Anerkennung wert. Eine
ruhige und sachliche Forschung wird erst imstande sein, dieses Urteil in
seiner vollen Berechtigung zu bestätigen.

So sehr ich auch schließlich meine Verwendung im Kriegsministerium als für
mich nutzbringend schätzen gelernt hatte, so warm begrüßte ich doch die
Befreiung aus meinem bureaukratischen Joch, als ich im Jahre 1893 zum
Kommandeur des Infanterieregiments 91 in Oldenburg ernannt wurde.

Die Stellung eines Regimentskommandeurs ist die schönste in der Armee. Der
Kommandeur drückt dem Regiment, dem Träger der Tradition im Heere, seinen
Stempel auf. Erziehung des Offizierkorps nicht nur in dienstlicher sondern
auch in geselliger Beziehung, Leitung und Überwachung der Ausbildung der
Truppe sind seine wichtigen Aufgaben. Ich bemühte mich, im Offizierkorps
ritterlichen Sinn, in meinen Bataillonen Kriegsmäßigkeit und straffe
Disziplin, überall aber auch neben strenger Dienstauffassung
Dienstfreudigkeit und Selbständigkeit zu pflegen. Der Umstand, daß in der
Garnison Infanterie, Kavallerie und Artillerie vereinigt waren, gab mir
Gelegenheit zu zahlreichen Übungen mit gemischten Waffen.

Ihre Königliche Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin waren mir
gnädig gesonnen, das gleiche galt vom erbgroßherzoglichen Paare. Ich fand
auch sonst überall gute Aufnahme und habe mich in der freundlichen
Gartenstadt sehr wohl gefühlt. Die ruhige, schlichte Art der Oldenburger
Bevölkerung sagte mir zu. Gern und dankbar denke ich daher an meine
Oldenburger Zeit zurück. Die Gnade meines Kaisers brachte mich zu meiner
großen Freude an meinem 70jährigen Geburtstage wieder mit meinem einstigen
Regiment durch _à la suite_-Stellung in Verbindung. So zähle ich mich denn
auch heute noch zu den Oldenburgern.

Durch meine Ernennung zum Chef des Generalstabes des VIII. Armeekorps in
Coblenz kam ich im Jahre 1896 zum ersten Male in nähere Berührung mit
unserer Rheinprovinz. Der heitere Sinn und das freundliche Entgegenkommen
des Rheinländers berührten mich durchaus angenehm: an das leichtere
Hinweggleiten über ernstere Lebensfragen und eine im Verhältnis zu dem
Norddeutschen weichere Art des Empfindens mußte ich mich dagegen offen
gestanden erst gewöhnen. Der Gang unserer geschichtlichen Entwickelung und
die Verschiedenheiten in den geographischen und wirtschaftlichen
Verhältnissen erklären ja durchaus manche Unterschiede im Denken und
Fühlen. Hieraus aber jetzt ein Lostrennungsbedürfnis der Rheinlande von
Preußen folgern zu wollen, ist meiner Ansicht nach ein Frevel und schnöder
Undank.

Das frohe Leben am Rhein zog übrigens auch mich in seinen Bann, und ich
verlebte dort viele frohe Stunden.

Mein Kommandierender General war anfänglich der mir schon vom Großen
Generalstab her als Abteilungschef und auch vom Kriegsministerium her als
mein Departementsdirektor bekannt General Vogel von Falckenstein. An seine
Stelle trat aber bald Seine Königliche Hoheit der Erbgroßherzog von Baden.

Diesem hohen Herrn durfte ich 3½ Jahre zur Seite stehen. Ich zähle diese
Jahre mit zu den schönsten meines Lebens. Sein edler Sinn, in dem sich
Hoheit mit gewinnender Herzlichkeit vereinte, seine vorbildliche,
unermüdliche Pflichttreue verbunden mit soldatischer Art und Begabung
erwarben ihm rasch die Liebe und das Vertrauen nicht nur seiner
Untergebenen, sondern auch der rheinischen Bevölkerung.

Während meiner Chefzeit hatte das VIII. Korps 1897 Kaisermanöver. Seine
Majestät der Kaiser und König war mit den Leistungen in Parade und
Felddienst zufrieden. Zu den Festlichkeiten in Coblenz zählte auch die
Enthüllung des Denkmals Kaiser Wilhelms I. am Deutschen Eck, jenem
schöngelegenen Punkte, an welchem die Mosel der Feste Ehrenbreitstein
gegenüber in den Rhein mündet.

Infolge meiner fast vier Jahre langen Verwendung als Generalstabschef
eines Armeekorps war ich im Dienstalter so weit vorgerückt, daß meine
Ernennung zum Kommandeur einer Infanteriebrigade nicht mehr in Frage kam.
Ich wurde daher nach dieser Zeit im Jahre 1900 zum Kommandeur der
28. Division in Karlsruhe ernannt.

Diesem Allerhöchsten Befehl folgte ich mit ganz besonderer Freude. Meine
bisherigen dienstlichen Beziehungen zum Erbgroßherzog ließen mich auch bei
Ihren Königlichen Hoheiten dem Großherzog und der Großherzogin ein
unendlich gnädiges Wohlwollen finden, das sich auch auf meine Frau
übertrug und uns hoch beglückte. Dazu das herrliche Badener Land mit all
seinen landschaftlichen Schönheiten und seinen treuherzigen Bewohnern und
Karlsruhe mit seinen zahlreichen Anregungen in Kunst und Wissenschaft, mit
seiner alle Berufskreise umfassenden Geselligkeit.

In der Division vereinigen sich zum ersten Male alle drei Waffen unter
einer Kommandostelle. Der Dienst eines Divisionskommandeurs wird dadurch
vielseitiger, erhebt sich über die kleineren Dinge und fordert eine
Einwirkung, die sich vorwiegend mit dem Großen im Kriege beschäftigt.

Mit inniger Dankbarkeit im Herzen verließ ich im Januar 1903 Karlsruhe,
weil mich das Vertrauen meines Allerhöchsten Kriegsherrn an die Spitze des
IV. Armeekorps berief.

Ich übernahm damit eine unendlich verantwortungsreiche Stellung, in der
man in der Regel länger als auf andern militärischen Posten verbleibt, und
in der man, ähnlich wie als Regimentskommandeur, nur unter höhern
Gesichtspunkten, dem Ganzen sein Gepräge gibt. Ich handelte im übrigen
nach meinen bisherigen Grundsätzen und glaube Erfolge erreicht zu haben.
Die Liebe meiner Untergebenen, auf die ich immer hohen Wert als auf eine
der Wurzeln guter dienstlicher Leistungen gelegt habe, äußerte sich
wenigstens in herzerfreuender Weise, als ich nach 8¼jähriger Tätigkeit
mein schönes Amt niederlegte.

Schon im ersten Jahre hatte ich die Ehre, mein Armeekorps Seiner Majestät
im Kaisermanöver, mit einer Parade auf dem Schlachtfeld von Roßbach
beginnend, vorführen zu dürfen. Ich erntete Allerhöchste Anerkennung, die
ich dankbar auf meinen Vorgänger und auf meine Truppen zurückführte.

In diesen Manövertagen hatte ich die Auszeichnung, Ihrer Majestät der
Kaiserin vorgestellt zu werden. Dieser ersten Begegnung sind später in
ernster Zeit Tage gefolgt, in denen ich immer wieder erkennen konnte, was
die hohe Frau ihrem erhabenen Gemahl, dem Vaterlande und auch mir war.

Das IV. Armeekorps gehörte zu meiner Zeit zur Armee-Inspektion Seiner
Königlichen Hoheit des Prinzen Leopold von Bayern. Ich lernte in ihm einen
hervorragenden Führer und vortrefflichen Soldaten kennen. Wir sollten uns
später auf dem östlichen Kriegsschauplatz wiederfinden. Der Prinz
unterstellte sich mir dort in hochherziger Weise im Interesse der großen
Sache, obgleich er mir im Dienstalter wesentlich überlegen war. Im
Dezember 1908 nahm ich auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers im Verein
mit dem damaligen General von Bülow, dessen Korps auch zur
Armee-Inspektion des Prinzen gehörte, in München an der Feier des
50jährigen Dienstjubiläums Seiner Königlichen Hoheit teil. Wir hatten aus
dieser Veranlassung die Ehre, von Seiner Königlichen Hoheit dem
hochbetagten Prinz-Regenten Luitpold huldvoll empfangen zu werden.

Magdeburg, mein Standort, wird oft von solchen, die es nicht kennen,
unterschätzt. Es ist eine schöne alte Stadt, deren „Breiter Weg“ und deren
ehrwürdiger Dom als Sehenswürdigkeiten gelten müssen. Seit der Schleifung
der Festung sind über deren Grenzen hinaus ansehnliche, allen modernen
Anforderungen entsprechende Vorstädte entstanden. Was der nächsten
Umgegend Magdeburgs an Naturschönheiten versagt ist, hat man durch
weitausgedehnte Parkanlagen zu ersetzen gewußt. Auch für Kunst und
Wissenschaft ist durch Theater, Konzerte, Museen, Vorträge und dergleichen
gesorgt. Man sieht also, daß man sich dort auch außerdienstlich wohl
fühlen kann, besonders wenn man so angenehme gesellige Verhältnisse
vorfindet, wie es uns beschieden war.

Dem Verkehr in der Stadt schloß sich ein solcher an den Höfen von
Braunschweig, Dessau und Altenburg sowie auf zahlreichen Landsitzen an.
Sie alle zu nennen, würde zu weit führen. Aber eines von uns alljährlich
wiederholten mehrtägigen Besuches bei meinem jetzt 93jährigen, ehrwürdigen
väterlichen Freunde, dem General der Kavallerie Graf Wartensleben auf
Carow, muß ich doch in besonderer Dankbarkeit gedenken.

Auch an Jagdgelegenheit war kein Mangel. Ganz abgesehen von den bekannten
großen Hasen- und Fasanenjagden der Provinz Sachsen sorgten Hofjagden in
Letzlingen, Mosigkau bei Dessau, Blankenburg im Harz und im
Altenburgischen sowie Treibjagden und Pirschfahrten auf mehreren Gütern
dafür, daß man auch auf Schwarz-, Dam-, Rot-, Reh- und Auerwild zu Schuß
kam.

Immer mehr reifte allmählich in mir der Entschluß, aus der Armee
auszuscheiden. Ich hatte in meiner militärischen Laufbahn viel mehr
erreicht, als ich je zu hoffen wagte. Krieg stand nicht in Aussicht, und
so erkannte ich es für eine Pflicht an, jüngeren Kräften den Weg nach
vorwärts freizumachen, und erbat im Jahre 1911 meinen Abschied. Da sich
die falsche Legendenbildung dieses unbedeutenden Ereignisses bemächtigt
hat, so erkläre ich ausdrücklich, daß keinerlei Reibungen dienstlicher
oder gar persönlicher Art diesen Schritt veranlaßt haben.

Der Abschied von liebgewonnenen, langjährigen Beziehungen und besonders
von meinem IV. Korps, das mir fest ans Herz gewachsen war, wurde mir nicht
leicht. Aber es mußte sein! Ich ahnte nicht, daß ich nach wenigen Jahren
wieder zum Schwerte greifen und dann gleich meinem einstigen Armeekorps
Kaiser und Reich, König und Vaterland erneut dienen durfte.

Im Verlauf meiner langjährigen Dienstzeit habe ich fast alle deutschen
Stämme kennen gelernt. Ich glaube daher beurteilen zu können, über welch
einen Reichtum wertvollster Eigenarten unser Volk verfügt, und wie kaum
ein anderes Land der Welt in solcher Vielseitigkeit die Vorbedingungen für
ein reiches geistiges und seelisches Leben in sich birgt als Deutschland.



                        Übergang in den Ruhestand


Mit treugehorsamstem Dank gegen meinen Kaiser und König, unter den
heißesten Wünschen für seine Armee und in vollem Vertrauen auf die Zukunft
unseres Vaterlandes war ich aus dem aktiven Dienst geschieden und blieb
doch im Innern immer Soldat.

Das reiche Erleben auf allen Gebieten meines Berufes ließ mich zufrieden
auf meine bisherige Tätigkeit zurückblicken. Nichts war imstande, mir das
Gesamtbild zu trüben, über dem der Zauber der Verwirklichung glühender
Jugendträume lag. Der Übergang zur selbstgewählten Ruhe vollzog sich daher
auch bei mir nicht ohne Heimweh nach dem verlassenen Wirkungskreise, nicht
ohne Sehnsucht nach den Reihen der Armee. Die Hoffnung, daß im Falle einer
Gefahr fürs Vaterland mein Kaiser mich wieder rufen würde, der Wunsch,
meine letzten Kräfte seinem Dienste zu widmen, verlor in der Stille meines
veränderten Daseins nichts von seiner Stärke.

In der Zeit, in der ich die Armee verließ, pulsierte dort ein
außergewöhnlich starkes geistiges Leben. Der erfrischende Kampf zwischen
Altem und Neuem, zwischen rücksichtslosen Fortschritten und ängstlichem
Zurückhalten suchte und fand seinen Ausgleich in den praktischen
Erfahrungen der jüngsten Kriege. Diese Erfahrungen ließen trotz der neuen
Bahnen, die sie uns öffneten, keinen Zweifel darüber, daß inmitten der
Wertsteigerung aller Kampfmittel die Wertschätzung der Erziehung, der
sittlichen Bildung des Soldaten die gleiche wie bisher bleiben mußte. Die
herzhafte Tat hatte den Vorrang vor den Künsteleien des Verstandes auch
jetzt noch behalten. Geistesgegenwart und Charakterfestigkeit blieben
höher im kriegerischen Kurs als Feinheiten der Gedankenschulung. Über der
Vervollkommnung der Vernichtungswaffen hatte der Krieg seine einfachen,
ich möchte sagen groben Formen nicht verloren. Er vertrug keine Verbildung
der menschlichen Natur, keine Überfeinerung der kriegerischen Erziehung.
Was er auch weiterhin vor allem anderen forderte, das war die Bildung des
Menschen zur willensstarken Persönlichkeit.

Man hat im Frieden vielfach geglaubt, der Armee Unproduktivität vorwerfen
zu können. Mit vollem Rechte, wenn man unter Produktivität die Schaffung
von materiellen Werten versteht, mit ebensolchem Unrecht, wenn man die
Produktivität von höheren, sittlichen Gesichtspunkten auffaßt. Wer nicht
aus Vorurteil und Übelwollen unsere militärische Friedensarbeit von
vornherein verwarf, mußte in der Armee die trefflichste Schule für Wille
und Tat, ja geradezu für Freude an der Tat anerkennen. Wieviele Tausende
von Menschen haben unter ihrem Einfluß erst gelernt, was sie körperlich
und seelisch zu leisten vermochten, haben in ihr das Selbstvertrauen und
die innere Eigenkraft gewonnen, die ihnen dann durch das ganze Leben
erhalten blieb. Wo hatte der Gleichheitsgedanke und Einheitssinn des
Volkes eine durchgreifendere Vertretung gefunden als in der alle
gleichmachenden Schule unseres großen, vaterländischen Heeres? In ihm
wurde der Hang zum schrankenlosen Sichselbstleben mit seinen Gesellschaft
und Staat auflösenden Bestrebungen durch straffe Selbstzucht des Einzelnen
zum Wohle für die Allgemeinheit segensvoll geläutert und umgewandelt. Das
Heer schulte und verstärkte jenen machtvollen organisatorischen Trieb, den
wir in unserem Vaterlande allenthalben fanden, auf dem Gebiete des
Staatslebens, wie auf dem der Wissenschaft, im Handel wie in der Technik,
in der Industrie wie in den Arbeitermassen, in der Landwirtschaft wie im
Gewerbe. Die Überzeugung von der Notwendigkeit, ja von dem Segen der
Unterordnung des einzelnen unter das Wohl des Ganzen war dem deutschen
Heere und durch dieses auch dem deutschen Volke zum vollen Bewußtsein
gekommen. Nur auf dieser Grundlage waren die ungeheuren Leistungen
möglich, mit denen wir bald in harter Not einer ganzen feindlichen Welt
Trotz bieten mußten und konnten.

Auf den Kampffeldern Europas, Asiens und Afrikas hat denn auch der
deutsche Offizier und Soldat den Beweis geliefert, daß unsere
Heereserziehung die richtige war. Wenn auch unter mancherlei Einwirkungen
die lange Dauer des letzten Krieges auf einige Naturen einen
entsittlichenden Einfluß ausübte, oder unter den entnervenden Eindrücken
seelischer und körperlicher Überanspannung die moralischen Begriffe sich
teilweise verwirrten, sowie auch unter zahlreichen Versuchungen bislang
tadelfreie Charaktere schwach wurden, der innerste Kern des Heeres blieb
trotz der unerhörtesten Belastung sittlich gesund und seiner Aufgabe
gewachsen.

Man hat der bisherigen Armee vorgeworfen, daß sie sich bemühte, den freien
Menschen zum willenlosen Werkzeug herabzuwürdigen. Auf den Schlachtfeldern
des großen Weltkrieges, inmitten der auflösenden Wirkungen endloser Kämpfe
hat es sich aber gezeigt, welch willensstärkenden Einfluß unsere Erziehung
ausgeübt hat. Zahllose erhebende und gleichzeitig erschütternde Vorgänge
beweisen, zu welch großen freiwilligen Opfern der brave deutsche Mann
befähigt war, nicht weil er sich sagte: „Ich muß“, sondern weil er sich
sagte: „Ich will.“

Es liegt in dem Gange der Ereignisse, daß man mit der Auflösung der alten
Armee neue Wege zur Erziehung des Volkes und seiner Wehrkraft fordert. Ich
verbleibe dem gegenüber fest auf dem Boden der alten, bewährten
Grundsätze. Mögen es andere für nicht unbedingt entscheidend ansehen,
durch welche Mittel und auf welchem Wege wir die Möglichkeit zu gleichen
Leistungen wie bisher erreichen, darin wenigstens werden sie gewiß mit mir
übereinstimmen, daß es für die Zukunft unseres Vaterlandes bestimmend ist,
daß wir diese Möglichkeit überhaupt wieder erlangen. Es sei denn, daß wir
auf unsere Stellung in der Welt verzichten wollen und uns zum Amboß
herabwürdigen lassen, weil wir weder den Mut noch die Kraft mehr finden,
zum Hammer zu werden, wenn es die Stunde gebietet.

Vielleicht ist es die Schicksalsfrage nicht nur für das politische sondern
auch für das wirtschaftliche Neugedeihen unseres deutschen Vaterlandes,
wie wir die große Schule für Organisation und Tatkraft, die wir in unserem
alten Heere besaßen, wieder gewinnen. Wenn irgendein Land der Erde, so
kann das deutsche nur unter äußerster Anspannung und Zusammenfassung
seiner schöpferischen Kräfte gedeihen und einen lebenswerten Platz
inmitten der übrigen Welt behaupten. Unter den zersetzenden Wirkungen
eines unglücklichen Krieges und unter dem trügerischen Eindruck, als ob
die strenge Unterordnung aller Volkskräfte unter einen beherrschenden
Willen das Unglück des Vaterlandes nicht zu verhindern vermocht hätte, ist
leider eine starke Auflehnung gegen die bestehende strenge Ordnung
eingetreten. Die Empörung gegen die jahrelange freiwillige oder erzwungene
Unterwerfung durchbrach die bisherigen Schranken und irrte planlos auf
neuen Wegen. Ist ein Erfolg auf diesen neuen Wegen zu erhoffen? Bis jetzt
haben wir jedenfalls unter den Einflüssen der staatlichen Auflösung weit
mehr seelische und ethische Werte verloren, als unter den Wirkungen des
eigentlichen Krieges. Schaffen wir nicht bald wieder neue erzieherische
Kräfte, und treiben wir den Raubbau auf dem geistigen und sittlichen Boden
unseres Volkes in der bisherigen Weise weiter, so werden wir die
kostbarste Grundlage unseres Staatslebens frühzeitig bis zur völligen
Unfruchtbarkeit und Öde erschöpfen!



                               ZWEITER TEIL


                          KRIEGFÜHRUNG IM OSTEN



                         Der Kampf um Ostpreußen



                       Kriegsausbruch und Berufung


Die Ruhe meines Lebens gab mir seit dem Jahre 1911 die Möglichkeit, mich
den politischen Vorgängen in der Welt mit Muße zu widmen. Die
Beobachtungen, die ich dabei machte, waren freilich nicht imstande, mich
mit Befriedigung zu erfüllen. Ängstlichkeit lag mir ferne, und doch konnte
ich ein gewisses bedrückendes Gefühl nicht los werden. Die Ansicht drängte
sich mir auf, daß wir in den weiten Ozean der Weltpolitik hinaustrieben,
ohne daß wir in Europa selbst genügend fest standen. Mochten die
politischen Wetterwolken über Marokko stehen oder sich über dem Balkan
zusammenziehen, die unbestimmte Ahnung, als ob unter unserem deutschen
Boden miniert würde, teilte ich mit der Mehrzahl meiner Landsleute. Wir
standen in den letzten Jahren zweifellos einer der sich augenscheinlich
regelmäßig wiederholenden französisch-chauvinistischen Hochfluten
gegenüber. Ihr Ursprung war bekannt; ihre Stütze suchte und fand sie in
Rußland wie in England, ganz gleichgültig, wer und was dort die offenen
oder geheimen, die bewußten oder unbewußten Triebfedern bildete.

Ich habe die besonderen Schwierigkeiten in der Führung der deutschen
Politik nie verkannt. Die Gefahren, die sich aus unserer geographischen
Lage, aus unseren wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht zuletzt aus
unseren völkisch gemischten Randgebieten ergaben, waren mit den Händen zu
greifen. Eine gegnerische Politik, der es gelang, die fremden
Begehrlichkeiten gegen uns zusammenzufassen, bedurfte nach meiner Ansicht
hierzu keiner großen Gewandtheit. Sie betrieb letzten Endes den Krieg. Auf
diese Gefahr uns einzustellen, versäumten wir. Unsere Bündnispolitik
richtete sich mehr nach einem Ehrenkodex als nach den Bedürfnissen unseres
Volkes und unserer Weltlage.

Wenn ein späterer deutscher Reichskanzler schon in den neunziger Jahren
mit dem fortschreitenden Zerfall der uns verbündeten Donaumonarchie als
mit etwas Selbstverständlichem rechnen zu müssen glaubte, so war es
unverständlich, wenn unsere Politik daraus nicht die entsprechenden
Folgerungen zog.

Den deutsch-österreichischen Stammesgenossen brachte ich jederzeit volle
Sympathie entgegen. Die Schwierigkeiten ihrer Stellung innerhalb ihres
Vaterlandes fanden ja bei uns allgemein die lebhafteste Teilnahme. Dieses
unser Gefühl wurde aber nach meiner Auffassung von der
österreichisch-ungarischen Politik allzu weitgehend ausgenutzt.

Das Wort von der Nibelungentreue war gewiß seinerzeit sehr eindrucksvoll.
Es konnte uns aber über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß
Österreich-Ungarn uns in die bosnische Krisis, auf die dieses Wort gemünzt
war, ohne bundesbrüderliche Verständigung überraschend hineingezerrt hatte
und dann von uns verlangte, ihm den Rücken zu decken. Daß wir den
Verbündeten damals nicht verlassen konnten, war klar. Das hätte geheißen,
den russischen Koloß stärken, um dann selbst um so sicherer und
widerstandsloser von ihm erdrückt zu werden.

Mir als Soldaten mußte besonders das Mißverhältnis zwischen den
politischen Ansprüchen Österreich-Ungarns und seinen innerpolitischen
sowie militärischen Kräften auffallen. Den ungeheuren Rüstungen des nach
dem ostasiatischen Kriege wieder gekräftigten Rußland gegenüber
verstärkten zwar wir Deutschen unsere Wehr, stellten aber nicht die
gleichen Anforderungen an unseren österreichisch-ungarischen
Bundesgenossen. Für die Staatsmänner der Donaumonarchie mochte es sehr
einfach sein, sich gegenüber unseren Anregungen auf Erhöhung der
österreichisch-ungarischen Rüstungen hinter Schwierigkeiten ihrer
innerstaatlichen Verhältnisse zurückzuziehen. Warum aber fanden wir keine
Mittel, Österreich-Ungarn in dieser Frage vor ein Entweder-Oder zu
stellen? Wir kannten doch die gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit unserer
voraussichtlichen Gegner. Durften wir es denn dulden, daß der Verbündete
einen großen Teil seiner Volkskräfte für die gemeinsame Verteidigung brach
liegen ließ? Was nützte es uns, in Österreich-Ungarn ein nach Südosten
vorgeschobenes Bollwerk zu besitzen, wenn dieses Bollwerk nach allen
Seiten Risse aufwies und nicht genügend Verteidiger besaß, um seine Wälle
zu halten?

Auf eine wirksame Waffenhilfe Italiens zu rechnen, schien mir von jeher
bedenklich. Eine solche war zweifelhaft, selbst bei gutem Willen der
italienischen Staatsmänner. Wir hatten Gelegenheit gehabt, die Schwächen
des italienischen Heeres im Tripoliskrieg vollauf zu erkennen. Seitdem
waren die dortigen Verhältnisse bei den schwer erschütterten Finanzen des
Staates kaum besser geworden. Schlagbereit war Italien jedenfalls nicht.

In diesen Richtungen bewegten sich meine damaligen Betrachtungen und
Sorgen. Ich hatte den Krieg schon zweimal kennengelernt, jedesmal unter
kraftvoller politischer Führung vereint mit einfachen, klaren
kriegerischen Zielen. Ich fürchtete den Krieg nicht, auch jetzt nicht!
Aber ich kannte neben seinen erhebenden Wirkungen seine verheerenden
Eingriffe in das menschliche Dasein zu gut, als daß ich ihn nicht hätte
denkbar lange vermieden wissen wollen.



Und nun brach der Krieg über uns herein! Die Hoffnungslosigkeit, uns mit
Frankreich auf dem bestehenden Boden vergleichen, den Geschäftsneid und
die Rivalitätsangst Englands bannen, die russische Begehrlichkeit ohne
unseren Bündnisbruch mit Österreich befriedigen zu können, hatte in
Deutschland seit langem eine Stimmungsspannung hervorgerufen, in der der
Kriegsausbruch fast wie eine Befreiung von einem beständigen, das ganze
Leben beeinträchtigenden Drucke empfunden wurde.

Der deutsche kaiserliche Heerbann trat an! Eine stolze Kriegsmacht, wie
sie die Welt in dieser Tüchtigkeit nur selten gesehen hat. Bei ihrem
Anblick mußte der Herzschlag des ganzen Volkes kräftiger werden. Doch
nirgends Übermut im Angesicht der Aufgabe, die unserer harrte. Hatten doch
weder Bismarck noch Moltke uns über die wuchtende Last eines solchen
Krieges im Unklaren gelassen, stellte doch jeder Einsichtige bei uns sich
die Frage, ob wir politisch, wirtschaftlich, militärisch und moralisch
imstande sein würden durchzuhalten. Doch größer als die Sorge war
zweifellos das Vertrauen.

In diesen Stimmungen und Gedanken traf auch mich die Nachricht vom
Losbrechen des Sturmes. Der Soldat in mir wurde in seiner nunmehr alles
beherrschenden Kraft wieder lebendig. Würde mein Kaiser und König meiner
bedürfen? Gerade das letzte Jahr war ohne eine amtliche Andeutung dieser
Art für mich vorübergegangen. Jüngere Kräfte schienen ausreichend
verfügbar. Ich fügte mich dem Schicksal und blieb doch in sehnsuchtsvoller
Erwartung.



                                Zur Front


Die Heimat lauschte in Spannung.

Die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen entsprachen unseren Hoffnungen
und Wünschen. Lüttich war gefallen, das Gefecht bei Mülhausen siegreich
geschlagen, unser rechter Heeresflügel und unsere Mitte im Vorschreiten
durch Belgien. Die ersten jubelatmenden Nachrichten über die Lothringer
Schlacht drangen ins Vaterland. Auch aus dem Osten klang es wie
Siegesfanfaren.

Nirgends Ereignisse, die sorgende Gedanken gerechtfertigt erscheinen
ließen.

Am 22. August 3 Uhr nachmittags erhielt ich eine Anfrage aus dem Großen
Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers, ob ich bereit zur sofortigen
Verwendung sei.

Meine Antwort lautete: „Bin bereit.“

Noch bevor dieses Telegramm im Großen Hauptquartier eingetroffen sein
konnte, erhielt ich ein zweites von dort. Danach rechnete man
augenscheinlich bestimmt mit meiner Bereitschaft zur Annahme einer
Feldstelle und teilte mir mit, daß General Ludendorff bei mir eintreffen
werde. Weitere Mitteilungen aus dem Großen Hauptquartier klärten dann die
Sachlage für mich dahin auf, daß ich als Armeeführer sogleich nach dem
Osten abzugehen hätte.

Gegen 3 Uhr nachts fuhr ich, in der Eile nur unfertig ausgerüstet, zum
Bahnhof und stand dort erwartungsvoll in der mäßig beleuchteten Halle.
Meine Gedanken rissen sich von dem heimischen Herde, den ich so plötzlich
verlassen mußte, erst völlig los, als der kurze Sonderzug einfuhr. Ihm
entstieg mit frischem Schritte General Ludendorff, sich bei mir als mein
Chef des Generalstabs der 8. Armee meldend.

Der General war mir bis zu diesem Augenblicke fremd gewesen, seine Tat bei
Lüttich mir noch unbekannt. Er klärte mich zunächst über die Lage an
unserer Ostfront auf, über die er am 22. August im Großen Hauptquartier
Coblenz von dem Chef des Generalstabes des Feldheeres, Generaloberst von
Moltke, persönlich unterrichtet worden war. Danach hatten sich die
Operationen der 8. Armee in Ostpreußen folgendermaßen entwickelt: Die
Armee hatte das XX. Armeekorps, verstärkt durch Festungsbesatzungen und
sonstige Landwehrformationen, bei Beginn der Operationen zum Schutze der
Südgrenze West- und Ostpreußens von der Weichsel bis an das Lötzener
Seengebiet in Stellung belassen. Die Masse der Armee (I. Armeekorps,
XVII. Armeekorps, I. Reservekorps, 3. Reservedivision, Festungsbesatzung
Königsberg und 1. Kavalleriedivision) war an der Ostgrenze Ostpreußens
versammelt worden und hatte dort am 17. August bei Stallupönen, am 19. und
20. August bei Gumbinnen im Angriff gegen die unter General Rennenkampf
von Osten her vordringende russische Njemenarmee gefochten. Während der
Kämpfe bei Gumbinnen war die Meldung vom Vormarsch der russischen
Narewarmee unter General Samsonoff von Süden her gegen die deutsche
Grenzlinie Soldau-Willenberg eingetroffen. Die Führung unserer 8. Armee
glaubte damit rechnen zu müssen, daß der Russe diese Grenze schon am
21. August überschreiten würde. Angesichts dieser Bedrohung der
rückwärtigen Verbindungen aus südlicher Richtung brach das Oberkommando
die Schlacht bei Gumbinnen ab und meldete der Obersten Heeresleitung, daß
es nicht imstande sein würde, das Land östlich der Weichsel weiterhin zu
behaupten.

Generaloberst von Moltke hatte diesen Entschluß nicht gebilligt. Er
vertrat die Auffassung, daß man noch eine Operation zur Vernichtung der
Narewarmee versuchen müßte, bevor man daran denken dürfte, die
militärisch, wirtschaftlich und politisch wichtige Stellung in Ostpreußen
aufzugeben. Der Gegensatz in den Anschauungen zwischen der Obersten
Heeresleitung und dem Armee-Oberkommando hatte den Wechsel in den
führenden Stellen der 8. Armee veranlaßt.

Zur Zeit schien die Lage bei dieser Armee folgende zu sein: Die Loslösung
vom Feinde war gelungen. Das I. Armeekorps und die 3. Reservedivision
befanden sich in Abbeförderung mit der Bahn nach Westen, während das
I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps der Weichsellinie im Fußmarsch
zustrebten. Das XX. Armeekorps stand noch auf seinem Posten an der Grenze.

Ich war mit meinem nunmehrigen Armeechef in kurzem in der Auffassung der
Lage einig. General Ludendorff hatte schon von Coblenz aus die ersten
unaufschiebbaren Weisungen geben können, die dahin zielten, die
Fortführung der Operationen östlich der Weichsel sicherzustellen. Dazu
gehörte in erster Linie, daß die Transporte des I. Armeekorps nicht zu
weit nach Westen geführt, sondern auf Deutsch-Eylau, also feindwärts
hinter den rechten Flügel des XX. Armeekorps, herangeleitet wurden.

Alles weitere mußte und konnte erst bei unserem Eintreffen im
Hauptquartier der Armee in Marienburg entschieden werden.

Unser Gespräch hatte kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch genommen.
Dann begaben wir uns zur Ruhe. Die dazu verfügbare Zeit nützte ich
gründlich aus.

So fuhren wir denn einer gemeinsamen Zukunft entgegen, uns des Ernstes der
Lage voll bewußt, aber auch voll festen Vertrauens zu Gott dem Herrn, zu
unseren braven Truppen und nicht zuletzt zu einander. Jahrelang sollte von
nun ab das gemeinsame Denken und die gemeinsame Tat uns vereinen.

Ich möchte mich hier gleich über das Verhältnis zwischen mir und meinem
damaligen Generalstabschef und späteren Ersten Generalquartiermeister
General Ludendorff aussprechen. Man hat geglaubt, dieses Verhältnis mit
dem Blüchers zu Gneisenau vergleichen zu können. Ich lasse dahingestellt
sein, inwieweit man bei diesem Vergleiche von der wirklich richtigen
historischen Grundlage ausgegangen ist. Die Stellung eines Chefs des
Generalstabes hatte ich, wie aus meinen vorhergehenden Ausführungen ja
bekannt ist, früher selbst jahrelang innegehabt. Die Tätigkeit eines
solchen gegenüber dem die Verantwortung tragenden Führer ist, wie ich
somit aus eigener Erfahrung wußte, innerhalb der deutschen Armee nicht
theoretisch festgelegt. Die Art der Zusammenarbeit und das Ausmaß der
gegenseitigen Ergänzung hängen vielmehr von den Persönlichkeiten ab. Die
Grenzen der beiderseitigen Wirkungsbereiche sind also nicht scharf
voneinander getrennt. Ist das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und
Generalstabschef ein richtiges, so werden sich diese Grenzen durch
soldatischen und persönlichen Takt und die beiderseitigen
Charaktereigenschaften leicht ergeben.

Ich selbst habe mein Verhältnis zu General Ludendorff oft als das einer
glücklichen Ehe bezeichnet. Wie will und kann der Außenstehende das
Verdienst des einzelnen in einer solchen scharf abgrenzen? Man trifft sich
im Denken wie im Handeln, und die Worte des einen sind oftmals nur der
Ausdruck der Gedanken und Empfindungen des anderen.

Eine meiner vornehmsten Aufgaben, nachdem ich den hohen Wert des Generals
Ludendorff bald erkannt hatte, sah ich darin, den geistvollen
Gedankengängen, der nahezu übermenschlichen Arbeitskraft und dem nie
ermattenden Arbeitswillen meines Chefs soviel als möglich freie Bahn zu
lassen und sie ihm, wenn nötig, zu schaffen. Freie Bahn in der Richtung,
in der unser gemeinsames Sehnen, unsere gemeinsamen Ziele lagen: der Sieg
unserer Fahnen, das Wohl unseres Vaterlandes, ein Friede, wert der Opfer,
die unser Volk gebracht hatte.

Ich hatte dem General Ludendorff die Treue des Kampfgenossen zu halten,
wie sie uns in deutscher Volksgeschichte von Jugend an gelehrt wird, die
Kampfestreue, an der unser ethisches Denken so reich ist. Und wahrlich,
seine Arbeit und sein Wollen, wie seine ganze sonstige Persönlichkeit
waren dieser Treue wert. Mögen andere darüber urteilen wie sie wollen!
Auch für ihn wird wie für so viele unserer Großen und Größten erst später
die Zeit kommen, in der das Volk in seiner Gesamtheit bewundernd zu ihm
aufblicken wird. Mein Wunsch aber ist es, daß unser Vaterland in gleich
schwerem Geschick aufs neue einen solchen Mann finden möge, einen ganzen
Mann, kraftvoll in sich geschlossen, freilich auch eckig und kantig, aber
geschaffen für ein gigantisches Werk wie kaum ein zweiter in der
Geschichte.

Wahrlich, er wurde in richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung von seinen
Gegnern gehaßt!

Auf die Harmonie unserer kriegerischen und politischen Überzeugungen
gründete sich die Einheitlichkeit unserer Anschauungen in dem Gebrauch
unserer Streitmittel. Verschiedenheiten der Auffassungen fanden ihren
natürlichen Ausgleich und Abgleich, ohne daß das Gefühl gemachter
Nachgiebigkeiten auf einer oder der anderen Seite jemals störend
dazwischen trat. Die gewaltige Arbeit meines Generalstabschef setzte
unsere Gedanken und Pläne auf das Räderwerk unserer Armeeführung um und
später auf das der gesamten Obersten Heeresleitung, nachdem diese uns
anvertraut worden war. Sein Einfluß belebte alle, niemand konnte sich ihm
entziehen, es sei denn auf die Gefahr hin, aus der einheitlichen Bahn
geschleudert zu werden. Wie konnte auch anders die ungeheure Aufgabe
erfüllt, die Triebkraft zur vollen Wirkung gebracht werden?

In selbstverständlicher, soldatischer Pflichterfüllung, reich an Willen
und Gedanken, schloß sich uns beiden der weitere Kreis der Mitarbeiter an.
Mit treu dankbarem Herzen werde ich stets auch ihrer gedenken!



                                Tannenberg


Am frühen Nachmittag des 23. August erreichten wir unser Hauptquartier
Marienburg. Wir betraten damit das Land östlich der Weichsel, das
demnächstige Gebiet unseres Wirkens. Die Lage an der Front hatte sich bis
zu diesem Zeitpunkt wie folgt entwickelt:

Das XX. Armeekorps war von seinen Grenzstellungen bei Neidenburg auf
Gilgenburg und Gegend östlich zurückgegangen. Nach Westen anschließend an
dieses Korps standen die aus den Festungen Thorn und Graudenz
herausgezogenen Besatzungen bis gegen die Weichsel hin längs der Grenze.
Die 3. Reservedivision war als Verstärkung für das XX. Armeekorps bei
Allenstein eingetroffen. Die Heranbeförderung des I. Armeekorps nach
Deutsch-Eylau hatte mit Verzögerungen begonnen. Das XVII. Armeekorps und
I. Reservekorps waren im Fußmarsch in die Gegend um Gerdauen gekommen. Die
1. Kavalleriedivision stand südlich Insterburg der Armee Rennenkampf
gegenüber. Die Besatzung von Königsberg hatte Insterburg im Rückmarsch
nach Westen durchschritten.

Die Njemenarmee Rennenkampfs war auffallenderweise mit nennenswerten
Infanterieteilen noch nicht über die Angerapp vorgedrungen. Von den beiden
russischen Kavalleriekorps war das eine bei Angerburg, das andere westlich
Darkehmen gemeldet worden. Die Narewarmee Samsonoffs hatte mit einer
Division anscheinend die Gegend von Ortelsburg erreicht, auch sollte
Johannisburg vom Feinde besetzt sein. Im übrigen schien die Masse dieser
Armee wohl noch an der Grenze im Aufschließen begriffen, westlicher Flügel
bei Mlawa.

In der Brieftasche eines gefallenen russischen Offiziers war ein
Schriftstück gefunden worden, aus dem die Absichten der gegnerischen
Führung hervorgingen. Danach hatte die Armee Rennenkampf, die masurischen
Seen nördlich umgehend, gegen die Linie Insterburg-Angerburg vorzurücken.
Sie sollte die hinter der Angerapp angenommenen deutschen Streitkräfte
angreifen, während die Narewarmee über die Linie Lötzen-Ortelsburg den
Deutschen die Flanke abzugewinnen hatte.

Die Russen planten also einen konzentrischen Angriff auf die 8. Armee, für
welchen die Armee Samsonoffs aber jetzt schon erheblich weiter nach Westen
ausholte, als ursprünglich beabsichtigt war.

Was sollen, ja was können wir gegen diesen gefährlichen feindlichen Plan
tun? Gefährlich weniger wegen der Kühnheit, mit der er erdacht, als wegen
der Stärke, mit der er ausgeführt werden soll, wenigstens mit der Stärke
an Streitern, hoffentlich nicht mit der gleichen Stärke an Willen. Führte
doch Rußland im Laufe der Monate August und September nicht weniger als
800.000 Soldaten und 1700 Geschütze gegen Ostpreußen heran, zu dessen
Verteidigung nur 210.000 deutsche Soldaten mit 600 Geschützen verfügbar
gemacht werden konnten.

Unser Gegenplan ist einfach. Ich will versuchen, ihn dem Leser, auch wenn
er kein Fachmann ist, in allgemeinen Umrissen verständlich zu machen.

Wir stellen zunächst der dichten Masse Samsonoffs eine dünne Mitte
gegenüber. Ich sage dünn, nicht schwach. Denn Männer sind es mit
stählernem Herzen und stählernem Willen. In ihrem Rücken die Heimat, Weib
und Kind, Eltern und Geschwister, Hab und Gut! Es ist das XX. Korps, brave
West- und Ostpreußen. Mag diese dünne Mitte unter dem Drucke der
feindlichen Massen sich auch biegen, wenn sie nur nicht bricht. Während
diese Mitte kämpft, sollen zwei wuchtige Gruppen an deren beide Flügel zum
entscheidenden Angriff heranrücken.

Die Truppen des I. Armeekorps, durch Landwehr verstärkt, auch alles Kinder
des bedrohten Landes, werden von rechts her aus dem Nordwesten, die
Truppen des XVII. Armeekorps und I. Reservekorps zusammen mit einer
Landwehrbrigade, werden von links her aus dem Norden und Nordosten zur
Schlacht herangeholt. Auch die Soldaten des XVII. Armeekorps und
I. Reservekorps, ebenso wie die Männer der Landwehr und des Landsturms
haben alles, was das Leben lebenswert macht, in ihrem Rücken.

Nicht mit einfachem Siege sondern mit Vernichtung müssen wir Samsonoff
treffen. Denn nur dadurch bekommen wir freie Hände gegen den zweiten
Feind, der zurzeit Ostpreußen plündert und versengt, gegen Rennenkampf.
Nur so können wir das alte Preußenland wirklich und völlig befreien, und
nur so gewinnen wir Freiheit für weitere Taten, die man noch von uns
erwartet, nämlich für das Eingreifen in den mächtig entbrennenden
Entscheidungskampf zwischen Rußland und unserem österreichisch-ungarischen
Verbündeten in Galizien und Polen. Wird unser erster Schlag nicht
durchgreifend, dann bleibt die Gefahr für unsere Heimat wie eine
schleichende Krankheit bestehen, ungerächt bleibt das Brennen und Morden
in Ostpreußen, und vergeblich wartet der Bundesgenosse im Süden auf uns.

Also ganzes Handeln! Dazu muß alles heran, was im Bewegungskrieg
einigermaßen brauchbar ist und irgendwo entbehrt werden kann. Was die
Festungswälle von Graudenz und Thorn noch an kampftauglicher Landwehr
beherbergen, wird herangezogen. Auch aus den Schützengräben, die zwischen
den masurischen Seen unsere jetzige Operation im Osten decken, rücken
unsere Wehrmänner ab und übergeben die dortige Verteidigung einer
verschwindenden Minderzahl braver Landstürmer. Gewinnen wir die
Feldschlacht, dann brauchen wir die Festungen Thorn und Graudenz nicht
mehr und sind der Sorgen um die Seenengen ledig.

Gegen Rennenkampf, der wie ein Alpdruck aus dem Nordosten auf uns lasten
könnte, soll nur unsere Kavalleriedivision sowie die Hauptreserve
Königsberg mit zwei Landwehrbrigaden stehen bleiben. Doch können wir an
diesem Tage noch nicht überblicken, ob diese Kräfte auch wirklich genügen.
Sie bilden in ihrer Kampfkraft ja nur einen leicht zerreißbaren Schleier,
vorausgesetzt, daß Rennenkampfs Massen marschieren, daß seine
übermächtigen Reitergeschwader reiten sollten, so wie wir es befürchten
müssen. Vielleicht tun sie das aber nicht; dann genügt der Schleier zur
Deckung unserer Schwäche. Wir müssen es wagen in Flanke und Rücken, um an
der entscheidenden Front stark zu sein. Hoffentlich gelingt es uns,
Rennenkampf zu täuschen; vielleicht täuscht er sich selbst. Der starke
Waffenplatz Königsberg mit seiner Besatzung und unsere Reiter können sich
ja in der Phantasie des Feindes zu machtvolleren Größen erweitern.

Wenn sich aber auch Rennenkampf zu unseren Gunsten in falschen
Vorstellungen wiegt, wird ihn nicht seine Oberste Heeresführung
vorwärtstreiben in starken Märschen nach Südwesten und in unseren Rücken?
Muß ihn nicht ein Hilfeschrei Samsonoffs in Bewegung aufs Kampffeld
setzen? Und wird nicht, selbst wenn der Ruf menschlicher Stimme vergeblich
verhallen sollte, der mahnende Donner der Schlacht bis zu den russischen
Linien im Norden der Seen, ja selbst bis zum feindlichen Hauptquartier
dringen?

Vorsicht gegen Rennenkampf bleibt also nötig, wir können ihr aber nicht
durch Zurücklassung starker Kampftruppen Rechnung tragen, sonst werden wir
auf dem Schlachtfelde noch schwächer, als wir es ohnehin sind.

Berechnen wir die gegenseitigen Stärken, zählen wir zu der unserigen auch
die beiden Landwehrbrigaden, die zur Zeit von Schleswig-Holstein her aus
dem Küstenschutz heranrollen und wohl noch rechtzeitig zur Schlacht
eintreffen werden, so gibt ein Vergleich mit den wahrscheinlichen
russischen Kräften immer noch große Verschiedenheiten zu unseren
Ungunsten, auch wenn Rennenkampf nicht marschieren, nicht mitkämpfen will.
Dazu kommt, daß in unseren vordersten Reihen viel Landwehr und Landsturm
fechten muß. Alte Jahrgänge gegen beste russische Jugend. Ferner spricht
gegen uns, daß die Mehrzahl unserer Truppen und, wie es die Lage fügt,
gerade alle, die voraussichtlich den entscheidenden Stoß führen müssen,
aus schweren und verlustreichen Kämpfen herankommen. Hatten sie doch den
Russen das Schlachtfeld von Gumbinnen überlassen müssen. Die Truppen
marschieren daher nicht mit dem stolzen Gefühle der Sieger. Und doch
rücken sie zur Schlacht frohen Sinnes und fester Zuversicht. Der Geist ist
gut, so wird uns gemeldet, also berechtigt er zu kräftigen Entschlüssen,
und wo er etwa gedrückt sein sollte, da wird er durch diese kraftvollen
Entschlüsse emporgerissen. So war es von jeher, sollte es diesmal anders
sein? Ich hatte keine Bedenken wegen unserer zahlenmäßigen Unterlegenheit.

Wer in die Rechnung des Krieges nur die sichtbaren Werte einsetzt, rechnet
falsch. Ausschlaggebend sind die inneren Werte des Soldaten. Auf diese
baue ich mein Vertrauen. Ich denke mir:

Mag der Russe auch in unser Vaterland einmarschieren, mag die Berührung
mit deutscher Erde sein Herz höher schlagen lassen, sie macht ihn nicht
zum deutschen Soldaten, und die ihn führen, sind keine deutschen
Offiziere. Auf den mandschurischen Schlachtfeldern hatte der russische
Soldat mit dem größten Gehorsam gefochten, so fremd ihm auch die
politischen Absichten seiner Regierung am Stillen Ozean gewesen waren. Es
schien nicht ausgeschlossen, daß bei einem Kriege gegen die Mittelmächte
die Begeisterung der russischen Armee für die Kriegsziele des Zarentums
größer sein würde. Trotzdem nahm ich an, daß der russische Soldat und
Offizier auch auf dem europäischen Kriegsschauplatz im großen und ganzen
keine höheren militärischen Eigenschaften zeigen würde als auf dem
ostasiatischen, und glaubte daher, statt des Minus unserer zahlenmäßigen
Unterlegenheit ein Plus an innerer Kraft in die Berechnung der
Stärkeverhältnisse zu unseren Gunsten aufnehmen zu können.

So ist unser Plan, sind unsere Gedanken vor der Schlacht und für die
Schlacht. Wir fassen dieses Denken und Sollen am 23. August in einer
kurzen Meldung aus Marienburg an die Oberste Heeresleitung zusammen des
Inhalts:

  „Vereinigung der Armee am 26. August beim XX. Armeekorps für umfassenden
  Angriff geplant.“

Am Abend des 23. August führte mich ein kurzer Erholungsgang auf das
westliche Nogatufer. Von dort boten die roten Mauern des stolzen
Deutschordensschlosses, des größten Baudenkmals baltischer Ziegelgotik, im
Abendsonnenstrahl einen gar wundersamen Anblick. Gedanken an die
Vergangenheit hehrer Ritterzeit mischten sich unwillkürlich mit Fragen an
die verschleierte Zukunft. Der Ernst der Stimmung wurde erhöht durch den
Anblick vorüberziehender Flüchtlinge meiner Heimatprovinz. Eine traurige
Mahnung, daß der Krieg nicht nur den wehrhaften Mann trifft, sondern daß
er durch Vernichtung der Daseinsbedingungen Wehrloser zur tausendfachen
Geißel der Menschheit wird.

Am 24. August begab ich mich mit dem engeren Stabe in Kraftwagen zum
Generalkommando des XX. Armeekorps und kam hierbei in den Ort, von dem die
bald entbrennende Schlacht ihren Namen erhalten sollte.

Tannenberg! Ein Wort schmerzlicher Erinnerungen für deutsche Ordensmacht,
ein Jubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch geblieben in der
Geschichte trotz mehr als 500jähriger Vergangenheit. Ich hatte bis zu
diesem Tage das Schicksalsfeld deutscher östlicher Kultureroberungen noch
nie betreten. Ein einfaches Denkmal zeugt dort von Heldenringen und
Heldentod. In der Nähe dieses Denkmals standen wir an einigen der
folgenden Tage, in denen sich das Geschick der russischen Armee Samsonoff
zur vernichtenden Niederlage gestaltete.

Auf dem Wege von Marienburg nach Tannenberg vermehrten sich die Eindrücke
vom Kriegselend, das über die unglücklichen Einwohner hereingebrochen war.
Massen von hilflos Flüchtenden drängten sich mit ihrer Habe auf den
Straßen und behinderten teilweise die Bewegungen unserer an den Feind
marschierenden Truppen.

Bei dem Stabe des Generalkommandos traf ich das Vertrauen und den Willen,
die für das Gelingen unseres Planes unerläßlich waren. Auch die Eindrücke
über die Haltung der Truppe an dieser unserer zunächst bedenklichsten
Stelle waren günstig.

Der Tag brachte keine durchgreifende Klärung, weder hinsichtlich der
Operationen Rennenkampfs noch der Bewegungen Samsonoffs. Es schien sich
nur zu bestätigen, daß Rennenkampfs Marschtempo ein recht gemäßigtes war.
Der Grund hierfür war nicht zu erklären. Von der Narewarmee erkannten wir,
daß sie sich mit ihrer Hauptmacht gegen das XX. Armeekorps vorschob. Unter
ihrem Drucke nahm das Korps seinen linken Flügel zurück. Diese Maßregel
hatte nichts Bedenkliches an sich. Im Gegenteil. Der nachdrängende Feind
wird unserer linken Angriffsgruppe, die heute die Marschrichtung auf
Bischofsburg erhält, immer ausgesprochener seine rechte Flanke bieten.
Auffallend und nicht ohne Bedenken für uns waren dagegen feindliche
Bewegungen, die sich anscheinend gegen unseren Westflügel und gegen
Lautenburg aussprachen. Der Eindruck bestand, daß der Russe uns hier zu
überflügeln gedachte und damit den beabsichtigten Umgehungsangriff unserer
rechten Gruppe seinerseits in der Flanke fassen würde.

Der 25. August brachte etwas mehr Einblick in die Bewegungen Rennenkampfs.
Seine Kolonnen marschierten von der Angerapp nach Westen, also auf
Königsberg. War der ursprüngliche russische Operationsplan aufgegeben?
Oder war die russische Führung über unsere Bewegungen getäuscht und
vermutete die Hauptmasse unserer Truppen in und bei der Festung?
Jedenfalls schien nunmehr kaum noch ein Bedenken zu bestehen, gegen
Rennenkampfs gewaltige Massen nur noch einen Schleier stehen zu lassen.
Samsonoffs auffallend zögernde Operationen richteten sich auch an diesem
Tage mit der Hauptstärke weiter gegen unser XX. Armeekorps. Das rechte
russische Flügelkorps marschierte zweifellos in Richtung auf Bischofsburg,
also unserem XVII. Armeekorps und I. Reservekorps entgegen, die an diesem
Tage die Gegend nördlich dieses Städtchens erreichten. Bei Mlawa häuften
sich augenscheinlich weitere russische Massen.

Mit diesem Tage ist für uns die Zeit des Wartens und der Vorbereitung
vorüber. Wir führen unser I. Armeekorps an den rechten Flügel des XX.
heran. Der allgemeine Angriff kann beginnen.

Der 26. August ist der erste Tag des mörderischen Ringens von Lautenburg
bis nördlich Bischofsburg. Nicht in lückenloser Schlachtfront sondern in
Gruppenkämpfen, nicht in einem geschlossenen Akt sondern in einer Reihe
von Schlägen beginnt das Drama sich abzuspielen, dessen Bühne sich auf
mehr denn hundert Kilometer Breite erstreckt.

Auf dem rechten Flügel führt General von François seine braven Ostpreußen.
Sie schieben sich gegen Usdau heran, um am nächsten Tag den Schlüsselpunkt
dieses Teiles des südlichen Kampffeldes zu stürmen. Auch General von
Scholtz’ prächtiges Korps befreit sich allmählich aus den Fesseln der
Verteidigung und beginnt zum Angriff zu schreiten. Erbitterter ist der
Kampf schon am heutigen Tage bei Bischofsburg. Dort wird bis zum Abend von
unserer Seite gründliche Kampfarbeit getan. In kräftigen Schlägen wird das
rechte Flügelkorps Samsonoffs durch Mackensens und Belows Truppen
(XVII. Armeekorps und I. Reservekorps) sowie durch Landwehr zerschlagen
und weicht auf Ortelsburg. Die Größe des eigenen Erfolgs ist aber noch
nicht zu erkennen. Die Führer erwarten für den folgenden Tag erneuten
starken Widerstand südlich des heutigen Kampffeldes. Doch sie sind guter
Zuversicht.

Da erhebt sich scheinbar von Rennenkampfs Seite drohende Gefahr. Man
meldet eines seiner Korps im Vormarsch über Angerburg. Wird dieses nicht
den Weg in den Rücken unserer linken Stoßgruppe finden? Ferner kommen
beunruhigende Nachrichten aus der Flanke und dem Rücken unseres westlichen
Flügels. Dort bewegt sich im Süden starke russische Kavallerie. Ob
Infanterie ihr folgt, ist nicht festzustellen. Die Krisis der Schlacht
erreicht ihren Höhepunkt. Die Frage drängt sich uns auf: wie wird die Lage
werden, wenn sich bei solch gewaltigen Räumen und bei dieser feindlichen
Überlegenheit die Entscheidung noch tagelang hinzieht? Ist es
überraschend, wenn ernste Gedanken manches Herz erfüllen; wenn
Schwankungen auch da drohen, wo bisher nur festester Wille war; wenn
Zweifel sich auch da einstellen, wo klare Gedanken bis jetzt alles
beherrschten? Sollten wir nicht doch gegen Rennenkampf uns wieder
verstärken und lieber gegen Samsonoff nur halbe Arbeit tun? Ist es nicht
besser, gegen die Narewarmee die Vernichtung nicht zu versuchen, um die
eigene Vernichtung sicher zu vermeiden? Wir überwinden die Krisis in uns,
bleiben dem gefaßten Entschlusse treu und suchen weiter die Lösung mit
allen Kräften im Angriff. Demnach rechter Flügel unentwegt weiter auf
Neidenburg und linke Stoßgruppe „um 4 Uhr morgens antreten und mit größter
Energie handeln“, so etwa lautete der Befehl.

Der 27. August zeigt, daß der Erfolg des I. Reservekorps und
XVII. Armeekorps bei Bischofsburg am vorhergehenden Tage ein
durchschlagender gewesen ist. Der Gegner ist nicht nur gewichen, sondern
flieht vom Schlachtfeld. Des weiteren überblickt man, daß Rennenkampf nur
in der Phantasie eines Fliegers in unseren Rücken marschiert. In
Wirklichkeit bleibt er in langsamem Vorgehen auf Königsberg. Sieht er
nicht oder will er nicht sehen, daß das Verderben gegen die rechte Flanke
Samsonoffs schon im vollen Vorschreiten ist und daß es auch gegen dessen
linken Flügel andauernd wächst? Denn an diesem Tage erstürmen François und
Scholtz die feindlichen Stellungen bei Usdau und nördlich und schlagen den
südlichen Gegner. Mag nunmehr die feindliche Mitte weiter nach
Allenstein-Hohenstein vordringen, sie findet dort nicht mehr den Sieg,
sondern nur noch das Verderben. Die Lage ist für uns klar; wir geben am
Abend des Tages den Befehl zum Einkreisen der Kernmasse des Gegners,
nämlich seines XIII. und XV. Armeekorps.

Während des 28. August geht das blutige Ringen weiter.

Der 29. sieht einen großen Teil der russischen Hauptkräfte bei Hohenstein
der endgültigen Vernichtung anheimfallen. Ortelsburg wird von Norden,
Willenberg über Neidenburg von Westen erreicht. Der Ring um Tausende und
Abertausende von Russen beginnt sich zu schließen. Viel russisches
Heldentum ficht freilich auch in dieser verzweiflungsvollen Lage noch
weiter für den Zaren, die Ehre der Waffen rettend, aber nicht mehr die
Schlacht.

Rennenkampf marschiert immer noch ruhig weiter auf Königsberg. Samsonoff
ist verloren, auch wenn sein Kamerad jetzt noch zu anderer und besserer
kriegerischer Einsicht kommen sollte. Denn schon können wir Truppen aus
der Schlachtfront ziehen zur Deckung unseres Vernichtungswerks, das sich
in dem großen Kessel Neidenburg-Willenberg-Passenheim vollzieht und in dem
der verzweifelnde Samsonoff den Tod sucht. Aus diesem Kessel heraus kommen
größer und größer werdende russische Gefangenenkolonnen. In ihrem
Erscheinen tritt der reifende Erfolg der Schlacht immer klarer zutage. Ein
eigenartiger Zufall wollte es, daß ich in Osterode, einem unserer
Unterkunftsorte während der Schlacht, den einen der beiden gefangenen
russischen Kommandierenden Generale in dem gleichen Gasthofe empfing, in
dem ich im Jahre 1881 auf einer Generalstabsreise als junger
Generalstabsoffizier einquartiert gewesen war. Der andere meldete sich am
folgenden Tage bei mir in einer von uns zu Geschäftsräumen umgewandelten
Schule.

Schon während der Kämpfe konnten wir das teilweise prächtige
Soldatenmaterial betrachten, über das der Zar verfügte. Nach meinen
Eindrücken befanden sich darunter zweifellos bildungsfähige Elemente. Ich
nahm bei dieser Gelegenheit, wie schon 1866 und 1870 wahr, wie rasch der
deutsche Offizier und Soldat in seinem seelischen Empfinden und in seinem
sachlichen Urteil in dem gefangenen Gegner den gewesenen Feind vergißt.
Die Kampfeswut unserer Leute ebbt überraschend schnell zu rücksichtsvollem
Mitgefühl und menschlicher Güte ab. Nur gegen die Kosaken erhob sich
damals der allgemeine Zorn. Sie wurden als die Ausführer all der
vertierten Roheiten betrachtet, unter denen Ostpreußens Volk und Land so
grausam zu leiden hatten. Dem Kosak schlug anscheinend sein schlechtes
Gewissen, denn er entfernte, wo und wie er immer konnte, bei drohender
Gefangennahme die Abzeichen, die seine Waffenzugehörigkeit kenntlich
machten, nämlich die breiten Streifen an den Hosen.

Am 30. August macht der Gegner im Osten und Süden den Versuch, mit
frischen und wiedergesammelten Truppen unseren Einschließungsring von
außen her zu sprengen. Von Myszyniec, also aus der Richtung Ostrolenka,
führt er neue starke Kräfte auf Neidenburg und Ortelsburg gegen unsere
Truppen, die schon das russische Zentrum völlig einkreisen und daher dem
anrückenden Gegner den Rücken bieten. Gefahr ist im Verzug; um so mehr,
als von Mlawa anrückende feindliche Kolonnen nach Fliegermeldung 35 km
lang, also sehr stark sein sollen. Doch halten wir fest an unserem großen
Ziele. Die Hauptmacht Samsonoffs muß umklammert und vernichtet werden.
François und Mackensen werfen dem neuen Feind ihre freilich nur noch
schwachen Reserven entgegen. An ihnen scheitert der russische Versuch, die
Katastrophe Samsonoffs zu mildern. Während Verzweiflung den Umklammerten
ergreift, hat Mattherzigkeit die Tatkraft desjenigen gelähmt, der die
Befreiung hätte bringen können. Auch in dieser Beziehung bestätigen die
Ereignisse auf dem Schlachtfelde von Tannenberg die alten menschlichen und
soldatischen Erfahrungen.

Unser Feuerkreis um die dichtgedrängten, bald hierhin, bald dorthin
stürzenden russischen Haufen wird mit jeder Stunde fester und enger.

Rennenkampf scheint an diesem Tage die Deimelinie östlich Königsberg
zwischen Labiau und Tapiau angreifen zu wollen. Seine Kavalleriemassen
nähern sich aus Richtung Landsberg-Bartenstein dem Schlachtfeld von
Tannenberg. Wir aber haben bereits starke, siegesfrohe, wenn auch ermüdete
Kräfte zur etwaigen Abwehr bei Allenstein gesammelt.

Der 31. August ist für unsere noch kämpfenden Truppen der Tag der
Schlußernte, für unser Oberkommando der Tag des Überlegens über
Weiterführung der Operationen, für Rennenkampf der Tag der Rückkehr in die
Linie Deime-Allenburg-Angerburg.

Schon am 29. August hatte mir der Gang der Ereignisse ermöglicht, meinem
Allerhöchsten Kriegsherrn den völligen Zusammenbruch der russischen
Narewarmee zu melden. Noch am gleichen Tage erreichte mich auf dem
Schlachtfelde der Dank Seiner Majestät, auch im Namen des Vaterlandes. Ich
übertrug diesen Dank im Herzen wie in Worten auf meinen Generalstabschef
und auf unsere herrlichen Truppen.

Am 31. August konnte ich meinem Kaiser und König folgendes berichten:

  „Eurer Majestät melde ich alluntertänigst, daß sich am gestrigen Tage
  der Ring um den größten Teil der russischen Armee geschlossen hat.
  XIII., XV. und XVIII. Armeekorps sind vernichtet. Es sind bis jetzt über
  60.000 Gefangene, darunter die Kommandierenden Generale des XIII. und
  XV. Armeekorps. Die Geschütze stecken noch in den Waldungen und werden
  zusammengebracht. Die Kriegsbeute, im einzelnen noch nicht zu übersehen,
  ist außerordentlich groß. Außerhalb des Ringes stehende Korps, das I.
  und VI., haben ebenfalls schwer gelitten, sie setzen fluchtartig den
  Rückzug fort über Mlawa und Myszyniec.“

Die Truppen und ihre Führer hatten Gewaltiges geleistet. Nun lagerten die
Divisionen in den Biwaks und das Dankeslied der Schlacht von Leuthen
schallte aus ihrer Mitte.

In unserem neuen Armeehauptquartier Allenstein betrat ich die Kirche in
der Nähe des alten Ordensschlosses während des Gottesdienstes. Als der
Geistliche das Schlußgebet sprach, sanken alle Anwesenden, junge Soldaten
und alte Landstürmer, unter dem gewaltigen Eindruck des Erlebten auf die
Knie. Ein würdiger Abschluß ihrer Heldentaten.



                   Die Schlacht an den masurischen Seen


Der Gefechtslärm auf dem Schlachtfelde von Tannenberg war noch nicht
verstummt, als wir die Vorbereitungen für den Angriff auf die Armee
Rennenkampf begannen. Am 31. August abends traf folgende telegraphische
Weisung der Obersten Heeresleitung ein:

  „XI. Armeekorps, Garde-Reserve-Korps, 8. Kavalleriedivision werden zur
  Verfügung gestellt. Transport hat begonnen. Zunächst wird Aufgabe der
  8. Armee sein, Ostgrenze von Armee Rennenkampf zu säubern.

  Verfolgung des letztgeschlagenen Gegners mit entbehrlichen Teilen in
  Richtung Warschau ist mit Rücksicht auf die Bewegungen der Russen von
  Warschau auf Schlesien erwünscht.

  Weitere Verwendung der 8. Armee, wenn es die Lage in Ostpreußen
  gestattet, in Richtung Warschau in Aussicht zu nehmen.“

Der Befehl entsprach durchaus der Lage. Er stellte uns das Ziel klar hin
und überließ uns Mittel und Wege zur Ausführung. Wir glaubten annehmen zu
dürfen, daß die ehemalige Armee Samsonoffs nur noch aus Trümmern bestand,
die sich entweder schon hinter den Narew in Sicherheit gebracht hatten,
oder auf dem Weg dahin waren. Mit ihrer Auffrischung war zu rechnen. Es
mußte jedoch darüber geraume Zeit vergehen. Für jetzt schien es genügend,
diese Reste durch schwache Truppen längs unseres südlichen Grenzstreifens
überwachen zu lassen. Alles übrige mußte zur neuen Schlacht heran. Selbst
das Eintreffen der Verstärkungen aus dem Westen erlaubte uns nach unserer
Anschauung nicht, jetzt schon Kräfte über die Narewlinie hinüber gegen
Süden einzusetzen.

Was das Wort „Warschau“ im zweiten Teil des Befehls zu bedeuten hat, ist
uns klar. Nach vereinbartem Kriegsplan sollte die
österreichisch-ungarische Heeresmacht von Galizien aus mit dem Schwerpunkt
gegen den östlichen Teil des russischen Polens in Richtung Lublin
angreifen, während deutsche Kräfte von Ostpreußen her dem Verbündeten über
den Narew hinweg die Hand zu reichen hatten. Ein großer und schöner
Gedanke, der aber, so wie die Dinge lagen, bedenkliche Schwächen aufwies.
Er rechnete nicht damit, daß Österreich-Ungarn eine starke Armee an die
serbische Grenze schickte, nicht damit, daß Rußland schon ein paar Wochen
nach Kriegsausbruch voll gerüstet an der Grenze stehen konnte, nicht
damit, daß 800.000 Moskowiter gegen Ostpreußen eingesetzt werden, am
allerwenigsten aber damit, daß er in all seinen Einzelheiten an den
russischen Generalstab schon im Frieden verraten werden würde.

Jetzt ist das österreichisch-ungarische Heer nach überkühnem Ansturm gegen
die russische Übermacht in schwerste frontale Kämpfe verwickelt, ohne daß
wir augenblicklich in der Lage sind, unmittelbar zu helfen, wenngleich wir
starke feindliche Kräfte fesseln. Der Verbündete muß auszuhalten
versuchen, bis wir auch noch Rennenkampf geschlagen haben. Erst dann sind
wir zur Hilfeleistung befähigt, wenn auch nicht mit unserer gesamten
Stärke, so doch mit ihrem größten Teile.

Rennenkampf steht, wie bekannt, in der Linie
Deime-Allenburg-Gerdauen-Angerburg. Was die Gegend südöstlich von den
masurischen Seen für gegnerische Geheimnisse birgt, wissen wir nicht. Das
Gebiet von Grajewo ist jedenfalls verdächtig. Dort herrscht viel Unruhe.
Noch verdächtiger ist das Gebiet im Rücken der Njemenarmee. Da ist ein
ständiges Marschieren und Fahren und anscheinend eine Bewegung nach
Südwesten und Westen. Rennenkampf erhält zweifellos Verstärkungen. Die
russischen Reservedivisionen in der Heimat sind ja schlagbereit geworden.
Vielleicht werden bis jetzt auch noch einzelne Korps verfügbar, deren die
russische Oberste Heeresleitung gegen die Österreicher in Polen nicht mehr
zu bedürfen glaubt. Schickt man diese Verbände zu Rennenkampf oder in
seine Nähe, sei es zur unmittelbaren Stütze, sei es zu einem Schlage gegen
uns aus überraschender Richtung?

Rennenkampf verfügt, soweit wir es beurteilen können, über mehr als
20 Infanteriedivisionen und steht still, bleibt es auch, während unsere
Transporte aus dem Westen heranrollen und zum Kampfe gegen ihn
aufmarschieren. Warum benutzt er die Zeit unserer größten Schwäche, die
Zeit der Ermüdung unserer Truppen, ihrer Massenanhäufung auf dem
Schlachtfelde von Tannenberg nicht, um uns anzufallen? Warum läßt er uns
Zeit, die Truppen zu entwirren, neu aufzumarschieren, auszuruhen, Ersatz
heranzuziehen? Der russische Führer ist doch bekannt als vortrefflicher
Soldat und General. Als Rußland in Ostasien kämpfte, klang unter allen
russischen Führern der Name Rennenkampf am hellsten. War sein Ruhm damals
übertrieben? Oder hat der General seine kriegerischen Eigenschaften in der
Zwischenzeit verloren?

Der soldatische Beruf hat schon manchmal selbst starke Naturen
überraschend schnell erschöpft. Wo in einem Jahre noch triebkräftiger
Verstand, vorwärtsdrängender Wille vorhanden war, da ist vielleicht im
nächsten schon ein unfruchtbarer Kopf, ein mattes Herz zu finden gewesen.
Das war schon vielfach die Tragik soldatischer Größe.

Wir haben Rennenkampfs Schuldbuch über Tannenberg aufgeschlagen und
geschlossen. Begeben wir uns jetzt in Gedanken in sein Hauptquartier
Insterburg, nicht um ihn anzuklagen, sondern um ihn zu verstehen.

Die Niederlage Samsonoffs zeigte dem General Rennenkampf, daß in
Königsberg doch nicht die Masse der deutschen 8. Armee stand, wie er
angenommen hatte. Starke Kräfte vermutet er aber jedenfalls immer noch in
diesem mächtigen Waffenplatze. Daran vorbeizumarschieren, sich auf die
siegreiche deutsche Armee in der Gegend von Allenstein zu stürzen, scheint
also gewagt, zu gewagt. Es wäre mindestens ein unsicheres Unternehmen.
Sicherer ist es, in den starken Verteidigungsstellungen zwischen Kurischem
Haff und masurischen Seen zu bleiben. Gegen diese Stellungen können die
Deutschen ihre Kunst des Umgehens und Umfassens von Norden her überhaupt
nicht, von Süden aus nur schwer durchführen. Rennen sie gegen die Front
an, so stürzt man sich mit zurückgehaltenen gewaltigen Reserven auf ihre
zusammengeschossenen Truppen. Wagen sie das Unwahrscheinliche, und dringen
sie durch die Engnisse des Seengebietes, so fällt man von Norden auf die
linke Flanke ihrer Umgehungskolonnen, während man eine neugebildete
Kampfgruppe aus Richtung Grajewo in ihre rechte Seite und in ihren Rücken
wirft. Gelingt von alledem nichts, gut – so geht man nach Rußland zurück.
Rußland ist groß, die befestigte Njemenlinie ist nahe. Keine operative
Notwendigkeit kettet Rennenkampf weiter an Ostpreußen. Der Operationsplan
im Zusammenwirken mit Samsonoff ist ja gescheitert, und, weil dessen Armee
in hoffnungsvollem Vorwärtsstürmen zugrunde ging, so ist es jetzt das
beste vorsichtig zu sein.

So kann Rennenkampf gedacht haben. Und Kritiker behaupten auch, er hätte
so gedacht. Aus keinem dieser Gedanken spricht freilich ein großer
Entschluß. Sie bewegen sich in wenig kühnen Bahnen. Und doch kann ihre
Ausführung uns beträchtliche unmittelbare Krisen schaffen und auf die
allgemeine Lage im Osten bedenkliche Wirkung ausüben. Die große
zahlenmäßige Überlegenheit der Njemenarmee hätte genügt, um auch unsere
jetzt verstärkte 8. Armee zu zertrümmern. Ein vorzeitiger Rückzug
Rennenkampfs aber brächte uns um die Früchte unserer neuen Operation und
macht uns die Richtung auf Warschau und damit die Unterstützung
Österreichs auf absehbare Zeit hinaus unmöglich.

Wir müssen also vorsichtig und unternehmend zugleich sein. Diese
Doppelforderung verleiht der Anlage unserer nun beginnenden Bewegungen
ihren eigentümlichen Charakter. In breiter Front von Willenberg bis gegen
Königsberg hin bauen wir unsere Front auf. Bis zum 5. September ist dies
im allgemeinen geschehen, dann geht es vorwärts. 4 Korps (XX., XI.,
I. Reserve und Garde-Reserve) und die Truppen aus Königsberg, also
verhältnismäßig starke Kräfte, gehen gegen die Linie Angerburg-Deime,
d. h. gegen die feindliche Front vor. 2 Korps (I. und XVII.) sollen durch
das Seengebiet dringen; die 3. Reservedivision hat, als rechte Staffel
unseres umfassenden Flügels, südlich der masurischen Seen herum zu folgen,
während die 1. und 8. Kavalleriedivision sich hinter den Korps zum
Losreiten bereit halten, sobald die Seenengen geöffnet sind. Das sind die
Kräfte gegen Rennenkampfs Flanke. Also andere Verhältnisse wie bei den
Bewegungen, die zum Siege von Tannenberg führten. Die Sicherheit gegen
Rennenkampfs starke Reserven veranlaßt uns zu dieser Gruppierung der
Kräfte. Auf diese Weise breitet sich unser Angriff in der Stärke von
14 Infanteriedivisionen trotzdem noch auf über 150 km Front aus. Wird der
Gegner sie zerreißen?

Wir nähern uns am 6. und 7. den russischen Verteidigungslinien und
beginnen klarer zu sehen. Starke russische Massen bei Insterburg und
Wehlau, vielleicht noch stärkere nördlich Nordenburg. Sie bleiben zunächst
unbeweglich und stören unsere Kampfentwickelung vor ihrer Front nicht.

Unsere beiden rechten Korps, das I. und XVII., beginnen am 7. September
die Seenkette zu durchbrechen, die 3. Reservedivision schlägt bei Bialla
in glänzendem Gefecht die Hälfte des XXII. russischen Korps in Trümmer.
Wir treten in die Krisis unserer neuen Operation ein. Die nächsten Tage
müssen zeigen, ob Rennenkampf entschlossen ist, zum Gegenangriff zu
schreiten, ob sein Wille hierzu so stark ist, wie seine Mittel es sind. Zu
seiner an sich schon bedeutenden bisherigen Überlegenheit scheinen drei
weitere Reservedivisionen das Schlachtfeld erreicht zu haben. Erwartet der
russische Führer noch mehr? Rußland hat mehr als 3 Millionen Kampfsoldaten
an seiner Westfront; die österreichisch-ungarische Heeresmacht und wir
zählen demgegenüber kaum ein Dritteil.

Am 8. September entbrennt die Schlacht auf der ganzen Linie. Unser
frontaler Angriff kommt nicht vorwärts, auf unserem rechten Flügel geht es
besser. Dort haben die beiden Korps die feindliche Seensperre durchbrochen
und nehmen Richtung nach Nord und Nordost. Unser Ziel sind nunmehr die
gegnerischen rückwärtigen Verbindungen. Unsere Reitergeschwader scheinen
freie Bahn dorthin zu haben.

Am 9. tobt die Schlacht weiter, in der Front, von Angerburg bis zum
Kurischen Haff, ohne bemerkenswertes Ergebnis, dagegen mit kühnem
Vorschreiten unsererseits östlich der Seen, wenngleich die beiden
Kavalleriedivisionen unerwarteten Widerstand nicht in der gewünschten
Schnelligkeit zu brechen vermögen. Die 3. Reservedivision schlägt einen
vielfach überlegenen Gegner bei Lyck und befreit uns so endgültig von der
Sorge im Süden.

Wie ist es dagegen im Norden? Bei und westlich Insterburg glauben unsere
Flieger nunmehr deutlich zwei feindliche Korps feststellen zu können und
ein weiteres solches Korps wird im Anmarsch über Tilsit gesehen. Was wird
das Schicksal unserer dünngestreckten, frontal kämpfenden Korps sein, wenn
eine russische Menschenlawine von gegen 100 Bataillonen, geführt von
festem, einheitlichem Willen, sich auf sie stürzt? Ist es trotzdem
verständlich, wenn wir am Abend dieses 9. September wünschen und sprechen:
„Rennenkampf, weiche ja nicht aus deiner für uns unbezwinglichen Front,
pflücke Lorbeeren im Angriff aus deiner Mitte!“ Wir hatten jetzt volle
Zuversicht, daß wir solche Lorbeeren dem feindlichen Führer durch kräftige
Fortführung unseres Flügelangriffes wieder entreißen würden. Leider
erkennt der russische Führer diese unsere Gedanken; er findet nicht den
Entschluß, ihnen mit Gewalt zu begegnen, und senkt die Waffen.

In der Nacht vom 9. auf den 10. dringen unsere Patrouillen bei Gerdauen in
die feindlichen Gräben und finden sie leer. „Der Gegner geht zurück.“ Die
Meldung scheint uns unglaubwürdig. Das I. Reservekorps will sofort von
Gerdauen gegen Insterburg antreten. Wir mahnen zur Vorsicht. Erst um
Mittag des 10. müssen wir das Unwahrscheinliche und Unerwünschte glauben.
Der Gegner hat in der Tat den allgemeinen Rückzug begonnen, wenn er auch
da und dort noch erbittert Widerstand leistet, ja sogar uns starke Massen
in zusammenhanglosen Angriffen entgegenwirft. Unsere ganze Front ist in
vollem Vorgehen begriffen. Jetzt gilt es, unsere rechten Flügelkorps und
Kavalleriedivisionen scharf nach Nordosten gerichtet heran an die
feindlichen Verbindungen von Insterburg auf Kowno zu bringen.

Wir treiben vorwärts! Ungeduld ist, wenn irgendwann und -wo, so jetzt und
hier begreiflich. Rennenkampf weicht unentwegt. Auch er scheint ungeduldig
zu sein. Jedoch unsere Ungeduld zielt auf Erfolg, die seinige bringt
Verwirrung und Auflösung.

Die Korps der Njemenarmee marschieren zum Teil in dreifachen, dicht
nebeneinander gedrängten Kolonnen Rußland zu. Die Bewegung vollzieht sich
langsam, sie muß durch Entgegenwerfen starker Kräfte gegen die
nachdrängenden Deutschen gedeckt werden. Daher wird besonders der
11. September zum blutigen Kampftag von Goldap bis hin zum Pregel.

Am Abend dieses Tages sind wir uns klar, daß nur noch wenig Tage zur
Durchführung der Verfolgung zur Verfügung stehen. Die Entwickelung der
Gesamtlage auf dem östlichen Kriegsschauplatz macht sich in voller Wucht
geltend. Wir ahnen mehr, als daß wir es aus bestimmt lautenden Nachrichten
ersehen können: die Operation unseres Verbündeten in Polen und Galizien
ist gescheitert! An unser Nachstoßen hinter Rennenkampf über den Njemen
hinaus ist jedenfalls nicht zu denken. Soll aber unsere Operation nicht
noch im letzten Augenblick innerhalb des großen Rahmens als gescheitert
gelten, so darf die feindliche Armee den schützenden Njemen-Abschnitt nur
derartig geschwächt und erschüttert erreichen, daß die Hauptmasse unserer
Verbände zum dringend notwendig gewordenen Zusammenwirken mit dem
österreichisch-ungarischen Heere freigemacht werden kann.

Am 12. September erreicht die 3. Reservedivision Suwalki, also russischen
Boden. Mit knapper Not entgeht der Südflügel Rennenkampfs der Einkesselung
durch unser I. Armeekorps südlich Stallupönen. Glänzend sind die
Leistungen einzelner unserer verfolgenden Truppen. Sie marschieren und
kämpfen, und marschieren wieder, bis die Soldaten vor Müdigkeit
niederstürzen. Andererseits ziehen wir heute schon das Gardereservekorps
aus der Kampffront, um es für weitere Operationen bereitzustellen.

An diesem Tage trifft unser Oberkommando in Insterburg ein, das seit dem
11. wieder in deutschem Besitz ist. Ich bin also nicht bloß in Gedanken,
sondern auch in Wirklichkeit auf der breiten ostpreußischen Landstraße,
vorbei an unseren siegreich ostwärts schreitenden Truppen und an westwärts
ziehenden russischen Gefangenenkolonnen in das bisherige Hauptquartier
Rennenkampfs gekommen. In den eben erst verlassenen Räumen merkwürdige
Spuren russischer Halbkultur. Der aufdringliche Geruch von Parfüm, Juchten
und Zigaretten vermag nicht, den Gestank anderer Dinge zu verdecken.

Genau ein Jahr später, an einem Sonntag, kam ich von einem eintägigen
Jagdausflug zurückkehrend durch Insterburg. Auf dem Marktplatz wurde mein
Kraftwagen zurückgewiesen, weil dort eine Dankesfeier zur Erinnerung an
die Befreiung der Stadt von der Russennot begangen werden sollte. Ich
mußte einen Umweg machen. _Sic transit gloria mundi!_ Man hatte mich nicht
erkannt.

Am 13. September erreichen unsere Truppen Eydtkuhnen und feuern in die
zurückflutenden russischen Scharen hinein. Unsere Artilleriegeschosse
sprengen die dichtgedrängten Haufen auseinander, der Herdentrieb führt sie
wieder zusammen. Leider kommen wir auch an diesem Tage nicht an die große
Chaussee Wirballen-Wylkowyszki heran. Der Gegner weiß, daß dies für einen
großen Teil seiner haltlos gewordenen Kolonnen die Vernichtung bedeuten
würde. Er wirft deshalb unseren ermattenden Truppen südlich der Straße
alles entgegen, was er an kampfwilligen Verbänden noch zur Hand hat. Nur
noch ein einziger Tag bleibt uns zur Verfolgung. Nach diesem werden sich
die Truppen Rennenkampfs in das Wald- und Sumpfgelände westlich der
Njemenstrecke Olita-Kowno-Wileny geflüchtet haben. Dorthin können wir
ihnen nicht nachdrängen.

Am 15. September waren die Kämpfe beendet. Die Schlacht an den masurischen
Seen schloß auf russischem Boden, nach einer Verfolgung von über 100 km,
von uns zurückgelegt innerhalb 4 Tagen. Die Masse unserer Verbände war
beim Abschluß der Kämpfe zu neuer Verwendung bereit.

Es ist mir nicht möglich, hier auch noch auf die glänzenden Leistungen
einzugehen, die die Landwehr-Division von der Goltz und andere
Landwehrformationen im Angriff gegen mehrfache feindliche Überlegenheit im
südlichen Grenzgebiet und zum Schutze unserer rechten Flanke fast bis zur
Weichsel hin in diesen Tagen gezeigt haben. Der Schluß dieser Kämpfe
dauerte über meine Kommandoführung bei der 8. Armee hinaus an. Er fand
unsere Truppen bis Ciechanowo, Przasnysz und Augustowo vorgedrungen.



                           Der Feldzug in Polen



                      Abschied von der achten Armee


Anfangs September hatten wir aus dem österreichisch-ungarischen
Hauptquartier gehört, daß die Armeen bei Lemberg durch starke russische
Überlegenheiten sehr gefährdet wären, und daß ein weiteres Vorgehen der
k. u. k. 1. und 4. Armee eingestellt sei.

Seit dieser Zeit verfolgten wir gespannt die dortigen Vorgänge und hörten
noch mehr und noch Schlimmeres. Den Zusammenhang der Ereignisse erklären
am besten nachstehende Telegramme:

Von uns an die Oberste Heeresleitung am 10. September 1914:

  „Erscheint mir fraglich, ob Rennenkampf entscheidend geschlagen werden
  kann, da Russen heute frühzeitig Rückmarsch angetreten haben. Für
  Weiterführung der Operationen kommt Versammlung einer Armee in Schlesien
  in Frage. Können wir auf weitere Verstärkungen aus Westen rechnen? Hier
  können zwei Armeekorps abgegeben werden.“

Das war am 10. September, also an dem Tage, an dem Rennenkampf
überraschend für uns nach Osten seinen Rückzug begann.

Von der Obersten Heeresleitung an uns am 13. September 1914:

  „Baldigst zwei Armeekorps freimachen und bereitstellen für Abtransport
  nach Krakau!“ ...

Krakau? Merkwürdig! So meinen wir und sprechen noch einiges mehr darüber.
Stutzig geworden drahten wir daher folgendes an die Oberste Heeresleitung:

                                                         13. September 14.

  „Verfolgung morgen beendet. Sieg scheint vollständig. Offensive gegen
  Narew in entscheidender Richtung in etwa 10 Tagen möglich. Österreich
  erbittet aber wegen Rumäniens direkte Unterstützung durch Verlegung der
  Armee nach Krakau und Oberschlesien. Verfügbar dazu vier Armeekorps und
  eine Kavalleriedivision. Bahntransport allein dauert etwa 20 Tage. Lange
  Märsche nach österreichischem linken Flügel. Hilfe kommt dort spät.
  Bitte um Entscheidung. Armee müßte dort jedenfalls Selbständigkeit
  behalten.“

Das war an dem Tage, an dem Rennenkampf mit Verlust von nicht nur einigen
Federn sondern eines ganzen Flügels und auch sonst noch erheblich
angeschossen zwischen den Njemensümpfen zu verschwinden begann.

Antwort der Obersten Heeresleitung an uns vom 14. September 1914:

  „Operation über Narew wird in jetziger Lage der Österreicher nicht mehr
  erfolgversprechend gehalten. Unmittelbare Unterstützung der Österreicher
  ist politisch erforderlich.

  Operationen aus Schlesien kommen in Frage ...

  Selbständigkeit der Armee bleibt auch bei gemeinsamer Operation mit den
  Österreichern bestehen.“

Also doch! – –

Es gibt ein Buch „Vom Kriege“, das nie veraltet. Clausewitz ist sein
Verfasser. Er kannte den Krieg und kannte die Menschen. Wir hatten auf ihn
zu hören, und wenn wir ihm folgten, war es uns zum Segen. Das Gegenteil
bedeutete Unheil. Er warnte vor Übergriffen der Politik auf die Führung
des Krieges. Weit entfernt bin ich jetzt davon, mit diesen Worten eine
Verurteilung des damals erhaltenen Befehls auszusprechen. Mag ich 1914 in
Gedanken und Worten kritisiert haben, heute habe ich meinen Lehrgang
vollendet durch die Schule der rauhen Wirklichkeit, durch die Leitung
eines Koalitionskrieges. Erfahrung wirkt mildernd auf die Kritik, ja sie
zeigt vielfach deren Unwert! Wir hätten freilich manchmal während des
Krieges versucht sein können zu denken: „Wohl dem, dessen soldatisches
Gewissen leichter ist als das unsere, der den Kampf zwischen kriegerischer
Überzeugung und politischen Forderungen leichter überwindet als wir.“
Politisch Lied, ein garstig Lied! Ich wenigstens habe selten Harmonien in
diesem Liede während des Krieges empfunden, Harmonien, die in einem
soldatischen Herzen angeklungen hätten. Hoffentlich werden andere, wenn
die Not des Vaterlandes wieder einmal den Kampf fordern sollte, in dieser
Beziehung glücklicher sein, als wir es waren!

Am 15. September mußte ich mich von General Ludendorff trennen. Er war zum
Chef der in Oberschlesien neuzubildenden 9. Armee ernannt worden. Doch
schon am 17. September ordnete Seine Majestät der Kaiser an, daß ich den
Befehl über diese Armee zu übernehmen hätte, gleichzeitig aber auch die
Verfügung über die zum Schutze Ostpreußens zurückbleibende, nunmehr durch
Abgabe des Garde-Reserve-Korps, des XI., XVII. und XX. Armeekorps sowie
der 8. Kavalleriedivision an die 9. Armee geschwächte 8. Armee
beibehielte. Die Trennung von meinem bisherigen Generalstabschef war also
lediglich ein kleines Zwischenspiel gewesen. Ich erwähne sie nur, weil
sich auch ihrer die Legende entstellend bemächtigt hat.

Am 18. September verlasse ich in früher Morgenstunde das Hauptquartier der
8. Armee Insterburg, um im Kraftwagen in zweitägiger Fahrt über Posen die
schlesische Hauptstadt Breslau zu erreichen. Die Fahrt ging zunächst über
die Schlachtfelder der letzten Wochen, dankerfüllte Erinnerungen an unsere
Truppen auslösend. Anfänglich durch verlassene, niedergebrannte
Wohnstätten, dann allmählicher Eintritt in unberührte Gebiete, Landvolk
wieder nach Osten wandernd, seinen verlassenen Heimstätten zustrebend.
Bewährtes Landvolk, der beste Untergrund unserer Kraft. Meine Gedanken
begleiten es hin zu den vielleicht rauchgeschwärzten Trümmern seiner
Häuser, ein Anblick, vor dem es länger als hundert Jahre dank der
Tüchtigkeit unserer Heeresmacht bewahrt geblieben war. Weiter fort bis zur
Weichsel durch schlichte Dörfer und Städte, kaum irgendwo Spuren des
Glanzes alter westlicher Kultur! Kolonisationsboden Deutschlands, für
dessen Besiedelung seinerzeit das zerrissene Vaterland wahrlich nicht die
schlechtesten Kräfte abgab. Sein wertvollster Schatz liegt in der Arbeit
und der Gesinnung seiner Bewohner. Ein einfaches, pflichttreu denkendes
Volk. Es ist mir, wie wenn Kants Lehre vom kategorischen Imperativ hier
nicht nur gepredigt, sondern auch besonders ernst verstanden und in die
Welt der Wirklichkeit und des Schaffens übertragen worden ist. Fast alle
deutschen Volksstämme haben sich hier in jahrhundertelanger schwerer
Kulturarbeit zusammengefunden und sich dabei jenen harten Willen
angeeignet, der dem Vaterland in schweren Zeiten manche unschätzbaren
Dienste geleistet hat.

Solche und ähnliche ernste Gedanken bewegten mich während der Fahrt und
haben mich auch späterhin während unseres ganzen furchtbaren Ringens nicht
verlassen. Deutsche, laßt sie mich in folgende Mahnung zusammenfassen:

Legt um euch alle nicht nur das einigende, goldene Band der sittlichen
Menschenpflicht, sondern auch das Stahlband der gleichhohen
Vaterlandspflicht! Verstärkt dieses Stahlband immer weiter, bis es zur
ehernen Mauer wird, in deren Schutze ihr leben wollt und einzig und allein
leben könnt inmitten der Brandung der europäischen Welt! Glaubt mir, diese
Brandung wird andauern. Keine menschliche Stimme wird sie bannen, kein
menschlicher Vertrag wird sie schwächen! Wehe uns, wenn die Brandung ein
Stück von dieser Mauer abgebrochen findet. Es würde zum Sturmbock der
europäischen Völkerwogen gegen die noch stehende deutsche Feste werden.
Das hat uns unsere Geschichte leider nur zu oft gelehrt!

Auch diesmal sagte ich der Heimat nicht mit leichtem Herzen Lebewohl. Ein
anderer Abschied aber wurde nur in dieser Lage noch schwerer. Es war dies
der Abschied von der bisherigen Selbständigkeit.

Mag der Schlußsatz des letzten Telegrammes der Obersten Heeresleitung in
dieser Richtung auch tröstlich lauten, ich ahne doch das Schicksal, dem
wir entgegengehen. Ich kenne es nicht aus dem bisherigen Feldzug, denn in
ihm war uns die goldene kriegerische Freiheit im reichsten Maße beschieden
gewesen. Wohl aber entnehme ich es der Geschichte früherer
Koalitionskriege.



                              Der Vormarsch


Wir hatten für das beste gehalten, unsere Armee in der Gegend von
Kreuzburg in Mittelschlesien zu versammeln. Von dort glaubten wir größere
Armfreiheit zum Operieren gegen die nördliche Flanke der russischen
Heeresgruppe in Polen, deren Stellung zur Zeit allerdings nicht festgelegt
war, zu besitzen. – „Unmöglich!“

Wir möchten, daß es unserer Armee gestattet wird, mit dem rechten Flügel
über Kielce (Mitte Polens) vorzugehen. – „Unmöglich!“

Wir möchten, daß uns starke österreichisch-ungarische Kräfte nördlich der
oberen Weichsel bis zur San-Mündung begleiten. – „Unmöglich!“

Wenn dieses Alles als unmöglich bezeichnet wird, so wird vielleicht die
ganze Operation unmöglich sein oder werden.

Wir versammeln also unsere Truppen (XI., XVII., XX., Garde-Reserve-Korps,
Landwehr-Korps Woyrsch, 35. Reservedivision, Landwehrdivision Bredow und
8. Kavalleriedivision) im von der Obersten Heeresleitung befohlenen
engsten Anschluß an den linken österreichisch-ungarischen Heeresflügel
nördlich Krakau. Unser Hauptquartier kommt vorübergehend nach Beuthen in
Oberschlesien. Aus dem Aufmarschraum treten wir Ende September an, und
zwar mit der Mitte, also nicht mit dem rechten Flügel der Armee, in
Richtung über Kielce. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung
verschiebt von Krakau aus eine schwache Armee von nur
4 Infanteriedivisionen und 1 Kavalleriedivision nordwärts über die
Weichsel. Mehr glaubt sie südlich des Flusses nicht entbehren zu können.
Sie beabsichtigt dort selbst einen entscheidenden Angriff. Auch dieser
Plan des Verbündeten ist kühn und macht seinem Urheber alle Ehre. Es fragt
sich nur, ob Aussicht besteht, daß das stark geschwächte Heer trotz allem
erhaltenen Ersatz die Durchführung ermöglicht. Meine Bedenken werden durch
die Hoffnung gemildert, daß der Russe, sobald er das Auftreten unserer
deutschen Truppen in Polen bemerkt, seine Hauptkräfte auf uns werfen wird
und dadurch dem Verbündeten einen Erfolg ermöglicht.

Das Bild, das wir uns bei Beginn unserer Bewegungen über die Lage machen
können, ist unklar. Bestimmt wissen wir nur, daß die Russen den weichenden
österreichisch-ungarischen Armeen in der letzten Zeit über den San hinaus
nur zögernd gefolgt sind. Ferner sind Anzeichen dafür vorhanden, daß
nördlich der Weichsel 6–7 russische Kavalleriedivisionen und
Grenzschutzbrigaden in unbekannter Zahl stehen. Bei Iwangorod scheint eine
russische Armee in Bildung begriffen zu sein. Die Truppen hierfür werden
augenscheinlich teils aus den Armeen entnommen, die uns bei den früheren
Operationen in Ostpreußen gegenüber standen, teils kommen neue Kräfte aus
Russisch-Asien heran. Auch liegt Nachricht vor, daß westlich Warschau an
einer großen Stellung mit Front nach Westen gebaut wird. Wir marschieren
also in eine recht unsichere Lage hinein und müssen auf Überraschungen
gefaßt sein.

Wir betreten Russisch-Polen und lernen sofort die volle Bedeutung dessen
kennen, was ein französischer General in seiner Beschreibung des von ihm
miterlebten napoleonischen Feldzuges im Winter 1806 als besonderes Element
der dortigen Kriegführung bezeichnet hat, nämlich – den Dreck! Und zwar
den Dreck in jeder Form, nicht nur in der freien Natur, sondern auch in
den sogenannten menschlichen Wohnungen und an deren Bewohnern selbst. Mit
Überschreiten unserer Grenze waren wir geradezu in einer anderen Welt. Man
legte sich unwillkürlich die Frage vor: wie ist es möglich, daß auf dem
Boden Europas die Grenzsteine zwischen Posen und Polen solch scharfe
Trennungslinien zwischen Kulturstufen des gleichen Volksstammes ziehen? In
welch einem körperlichen, sittlichen und materiellen Elend hatte die
russische Staatsverwaltung diese Landesteile gelassen, wie wenig hatte die
Überfeinerung in den Kreisen der polnischen Großen zivilisatorische Kräfte
in die niedergehaltenen unteren Schichten durchsickern lassen! Die
offenkundige politische Gleichgültigkeit dieser Massen beispielsweise
durch Einwirkung der Geistlichkeit in einen höheren Schwung zu bringen,
der sich bis zu einem freiwilligen Kampfanschluß an uns hätte steigern
lassen, schien mir schon nach den ersten Eindrücken fraglich.

Unsere Bewegungen werden durch grundlose Wege aufs äußerste erschwert. Der
Gegner bekommt Einblick in sie und trifft Gegenmaßregeln. Er zieht aus der
Front den Österreichern gegenüber ein halbes Dutzend Armeekorps in der
offenkundigen Absicht heraus, diese uns über die Weichsel südlich
Iwangorod frontal entgegen zu werfen.

Am 6. Oktober erreichen wir über Opatow-Radom die Weichsel. Was sich hier
vom Gegner westlich des Flusses befunden hatte, war von uns
zurückgetrieben worden. Nunmehr spricht sich jedoch eine Bedrohung unseres
Nordflügels von Iwangorod-Warschau her aus. Unter diesen Umständen ist
vorläufig eine Fortsetzung unserer Operation in östlicher Richtung über
die Weichsel südlich Iwangorod hinweg unmöglich. Wir müssen zunächst mit
dem Gegner im Norden abrechnen. Alles übrige hängt von dem Ausgange der
dort zu erwartenden größeren Kämpfe ab. Ein eigenartiges strategisches
Bild entwickelt sich. Während gegnerische Korps von Galizien aus jenseits
der Weichsel Warschau zustreben, bewegen sich auch die unserigen diesseits
des Stromes in der gleichen nördlichen Richtung. Um unseren Linksabmarsch
aufzuhalten, wirft der Feind bei und unterhalb Iwangorod starke Kräfte
über die Weichsel. Sie werden in erbitterten Kämpfen auf ihre
Übergangsstellen zurückgeworfen; wir sind aber nicht imstande, den Gegner
völlig vom Westufer zu vertreiben. Zwei Tagemärsche südlich Warschau
trifft unser linker Flügel unter General von Mackensen auf überlegene
feindliche Truppen und wirft sie gegen die Festung. Etwa einen Tagemarsch
von der Fortslinie entfernt kommt jedoch unser Angriff ins Stocken.

Auf dem Schlachtfeld südlich Warschau ist uns als wichtigstes Beutestück
ein russischer Befehl in die Hände gefallen, der uns klaren Einblick in
die Stärken des Gegners und in seine Absichten gibt. Von der Sanmündung
bis Warschau haben wir es danach mit 4 russischen Armeen zu tun; das sind
etwa 60 Divisionen gegenüber 18 auf unserer Seite. Aus Warschau heraus
sind allein 14 feindliche Divisionen gegen 5 der unserigen angesetzt. Das
sind etwa 224 russische Bataillone gegen 60 deutsche. Die gegnerische
Überlegenheit erhöht sich noch dadurch, daß unsere Infanterie infolge der
vorausgegangenen Kämpfe in Ostpreußen und Frankreich sowie durch die
jetzigen langen und anstrengenden Märsche, bis über 300 km in 14 Tagen und
auf grundlosen Wegen, auf kaum noch die Hälfte, ja teilweise bis unter ein
Viertel der ursprünglichen Gefechtsstärke zusammengeschmolzen ist. Und
diese Schwächung unserer Kampfkraft gegenüber neu eintreffenden,
vollzähligen sibirischen Korps, Elitetruppen des Zarenreiches!

Die Absicht des Gegners ist, uns längs der Weichsel zu fesseln, während
ein entscheidender Stoß aus Warschau heraus uns dem Verderben
entgegenführen soll. Ein zweifellos großer Plan des Großfürsten
Nikolaij-Nikolaijewitsch, ja der größte, den ich von ihm kennen lernte,
und der meines Erachtens auch sein größter blieb, bis er sich in den
Kaukasus begeben mußte.

War ich im Herbst 1897 auf dem Bahnhofe in Homburg vor der Höhe nach dem
Kaisermanöver von dem Großfürsten in ein Gespräch gezogen worden, das sich
besonders um die Verwendung der Artillerie drehte, so trat ich dem
russischen Oberfeldherrn jetzt in Polen zum ersten Male _in praxi_
unmittelbar gegenüber, denn in Ostpreußen schien er nur vorübergehend als
Zuschauer geweilt zu haben. Gelingt seine Operation, so droht nicht nur
für die 9. Armee, sondern für die ganze Ostfront, für Schlesien, ja für
die ganze Heimat eine Katastrophe. Doch wir dürfen jetzt nicht so
schwarzen Gedanken nachgehen, sondern müssen Mittel und Wege finden, die
drohende Gefahr abzuwehren. Wir entschließen uns daher dazu, unter
Festhaltung der Weichsellinie von Iwangorod südwärts alle dort noch
freizumachenden Kräfte unserem linken Flügel zuzuführen und uns mit diesem
auf den Gegner südlich von Warschau in der Hoffnung zu werfen, ihn zu
schlagen, bevor neue Massen dort erscheinen können.

Eile tut not! Wir bitten daher Österreich-Ungarn, alles, was es an Truppen
frei hat, sofort links der Weichsel gegen Warschau zu lenken. Das
k. und k. Armee-Oberkommando zeigt für die Lage durchaus richtiges
Verständnis, erhebt jedoch zugleich Bedenken, die gerade dieser Lage wenig
entsprechen. Österreich-Ungarn, zu dessen Hilfe wir herangeeilt sind, ist
bereit, uns zu unterstützen, aber nur auf dem langsamen und daher
zeitraubenden Wege einer Ablösung unserer an der Weichsellinie
zurückgelassenen Truppen. Dadurch wird freilich eine Vermischung deutscher
und österreichisch-ungarischer Verbände vermieden, aber man bringt die
ganze Operation in die Gefahr des Mißlingens. Gegenvorstellungen
unsererseits führen zu keinem Ergebnis. So fügen wir uns denn den Wünschen
unserer Verbündeten.



                               Der Rückzug


Was wir befürchten, tritt ein. Aus Warschau heraus quellen immer neue
Truppenmassen, und auch weiter unterhalb überschreiten solche die
Weichsel. Von unseren langgestreckten Kampflinien an der Stirnseite
aufgehalten, droht die sich immer breiter nach Westen entwickelnde
feindliche Überlegenheit um unsere linke Flanke herumzuschlagen. Die Lage
kann und darf so nicht lange bleiben. Unsere ganze gemeinsame Operation
kommt in Gefahr nicht nur zu versumpfen, sondern zu scheitern. Ja man
könnte vielleicht sagen, sie ist schon gescheitert, da im Süden der oberen
Weichsel, in Galizien, der erhoffte Erfolg nicht errungen wird, obwohl der
Gegner gewaltige Massen von dort gegen unsere 9. Armee herangeführt, sich
also unsern Verbündeten gegenüber geschwächt hat. Jedenfalls muß der
schwere, von unserer Truppe zuerst unwillig aufgenommene Entschluß gefaßt
werden, uns aus der drohenden Umklammerung loszumachen und auf andere
Weise einen Ausweg aus der Gefahr zu suchen. Das Schlachtfeld von Warschau
wird in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober dem Gegner überlassen. Um
die Operation nicht schon jetzt aufzugeben, führen wir unsere vor Warschau
unter Mackensen kämpfenden Truppen in die Stellung Rawa-Lowicz, etwa 70 km
westlich der Festung, zurück. Wir hoffen, daß der Russe gegen diese nach
Osten gerichtete Front anrennen wird. Dann wollen wir mit unseren
inzwischen von den Österreichern vor Iwangorod abgelösten Korps von Süden
her einen entscheidenden Schlag gegen den stärksten Teil der russischen
Heeresgruppe im großen Weichselbogen führen. Vorbedingung für Durchführung
dieses Planes ist, daß Mackensens Truppen den Anprall der russischen
Heerhaufen aushalten, und daß die österreichisch-ungarische Verteidigung
an der Weichsel so fest steht, daß unser beabsichtigter Stoß gegen
russische Flankeneinwirkung aus östlicher Richtung sicher geschützt ist.
Die Lösung dieser letzteren Aufgabe erscheint angesichts der Stärke der
Weichselstellung für unseren Verbündeten einfach. Die österreichische
Führung erschwerte sie sich aber durch den an sich guten Willen, auch
ihrerseits einen großen Schlag auszuführen. Sie entschließt sich, dem
Gegner die Weichselübergänge bei Iwangorod und nördlich frei zu geben, um
dann über die gegnerischen Kolonnen während ihres Uferwechsels
herzufallen. Ein kühner Plan, der im Frieden bei Kriegsspielen und
Manövern in Ausführung und Kritik oftmals eine Rolle spielt, der auch im
Kriege vom Feldmarschall Blücher und seinem Gneisenau an der Katzbach
glänzend gelöst wurde. Gefährlich bleibt ein solches Unternehmen aber
immer, besonders, wenn man seiner Truppe nicht völlig sicher ist. Wir
raten daher ab. Doch vergeblich! Die russische Überlegenheit kann also bei
Iwangorod über die Weichsel rücken; der österreichisch-ungarische
Gegenangriff erringt anfangs Erfolge, erlahmt aber bald und verwandelt
sich schließlich in einen Rückzug.

Was nützt es uns jetzt noch, wenn die ersten Anstürme der Russen gegen
Mackensens neue Front scheitern? Die rechte Flanke unseres beabsichtigten
Angriffs ist durch das Zurückweichen unseres Verbündeten entblößt. Wir
müssen auf diese Operation verzichten. Es erscheint mir am besten, wir
machen uns durch Fortsetzung des Rückzuges die Arme frei, um später
anderwärts wieder zuschlagen zu können. Der Entschluß reift in mir in
unserem Hauptquartier zu Radom, zunächst nur in Umrissen, aber doch klar
genug, um für die weiteren Maßnahmen als Richtlinie zu dienen. Mein
Generalstabschef wird diese festhalten, seine titanische Kraft wird für
ihre Durchführung alles vorsorgen, des bin ich gewiß.

Freilich verbinden sich mit dem Gedanken auch ernste Bedenken. Was wird
die Heimat sagen, wenn sich unser Rückzug ihren Grenzen nähert? Ist es ein
Wunder, wenn Schlesien erbebt? Man wird dort an die russischen
Verwüstungen in Ostpreußen denken, an Plünderungen, Verschleppung
Wehrloser und anderes Elend. Das reiche Schlesien mit seinem mächtig
entwickelten Bergbau und seiner großen Industrie, beides für die
Kriegführung uns so notwendig wie das tägliche Brot! Man fährt im Kriege
nicht einfach mit der Hand über die Karte und sagt: „Ich räume dieses
Land!“ Man muß nicht nur soldatisch sondern auch wirtschaftlich denken;
auch rein menschliche Gefühle drängen sich heran. Ja gerade diese sind oft
am schwersten zu bannen.

Unser Rückzug wird in allgemeiner Richtung Czenstochau am 27. Oktober
angetreten. Gründliche Zerstörungen aller Straßen und Eisenbahnen sollen
die dichtgedrängten russischen Massen aufhalten, bis wir uns völlig
losgelöst haben, und bis wir Zeit finden, eine neue Operation einzuleiten.
Die Armee rückt hinter die Widawka und Warthe, linker Flügel in Gegend
Sieradz; das Hauptquartier geht nach Czenstochau. Der Russe folgt anfangs
dicht auf, dann erweitert sich der Abstand. So hat dieser wilde Wechsel
spannendster Kriegslagen seine einstweilige Lösung gefunden.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß uns das
rechtzeitige Erkennen der uns drohenden Gefahren durch die unbegreifliche
Unvorsichtigkeit, ja man könnte sagen, durch die Naivität erleichtert
wurde, mit der der Russe von seinen funkentelegraphischen Verbindungen
Gebrauch machte. Durch Mitlesen der feindlichen Funksprüche waren wir
vielfach instandgesetzt, nicht nur die Aufstellung sondern sogar die
Absichten auf feindlicher Seite zu erfahren. Trotz dieser ungewöhnlichen
Gunst der Verhältnisse stellten die eintretenden Lagen besonders wegen der
großen zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners jedoch immer noch genügend
starke Ansprüche an die Nerven der obersten Führung. Ich wußte aber die
untere Führung fest in unserer Hand und hatte das unbedingte Vertrauen,
daß von den Truppen das Menschenmögliche geleistet wurde. Solches
Zusammengreifen aller hat uns die Überwindung der gefährlichsten Lagen
ermöglicht. Doch schien unser schließliches Verderben dieses Mal nicht
bloß aufgeschoben? Die Gegner jubelten wenigstens in diesem Sinne. Sie
hielten uns augenscheinlich für völlig geschlagen. Vielleicht war diese
ihre Ansicht unser Glück, denn am 1. November verkündet ein russischer
Funkspruch: „Nachdem man jetzt 120 Werst verfolgt habe, sei es Zeit die
Verfolgung der Kavallerie zu überlassen. Die Infanterie sei ermüdet, der
Nachschub schwierig.“ Wir können also Atem schöpfen und an neue Pläne
herantreten.

An diesem 1. November verfügte Seine Majestät der Kaiser meine Ernennung
zum Oberbefehlshaber aller deutschen Streitkräfte im Osten, auch wurde
mein Befehlsbereich über die deutschen östlichen Grenzgebiete erweitert.
General Ludendorff blieb mein Chef. Die Führung der 9. Armee wurde General
von Mackensen übertragen. Wir waren damit von der unmittelbaren Sorge für
die Armee befreit; um so beherrschender wurde unser Einwirken auf das
Ganze.

Als unser Hauptquartier wählen wir Posen. Noch bevor wir jedoch dahin
übersiedeln, fällt in Czenstochau am 3. November die endgültige
Entscheidung über unsere neue Operation, oder ich sage vielleicht besser,
erhalten die neuen Absichten ihre endgültige Form.



                            Unser Gegenangriff


Der neue Plan gründet sich auf folgende Erwägung: Würden wir in der
jetzigen Aufstellung den Angriff der gegenüberstehenden 4 russischen
Armeen frontal abzuwehren versuchen, so würde der Kampf gegen die
erdrückende Übermacht wohl ebenso verlaufen wie vor Warschau. Schlesien
ist also auf diese Weise vor dem Einbruch des Gegners nicht zu retten.
Diese Aufgabe ist nur im Angriff zu lösen. Ein solcher, gegen die
Stirnseite des weit überlegenen Gegners geführt, würde einfach
zerschellen. Wir müssen ihn gegen die offene oder bloß schwach gedeckte
feindliche Flanke zu richten suchen. Eine ausholende Bewegung meiner
linken Hand illustrierte bei der ersten Besprechung diesen Gedanken.
Suchen wir den feindlichen Nordflügel in der Gegend von Lodz, so müssen
wir unsere Angriffskräfte bis nach Thorn verschieben. Zwischen dieser
Festung und Gnesen wird also unser neuer Aufmarsch geplant. Wir trennen
uns damit weit vom österreichisch-ungarischen linken Heeresflügel. Nur
noch schwächere deutsche Kräfte, darunter das hart mitgenommene
Landwehrkorps Woyrsch, sollen in der Gegend von Czenstochau belassen
werden. Vorbedingung für unseren Linksabmarsch ist, daß das k. u. k.
Armee-Oberkommando an die Stelle unserer nach Norden abrückenden Teile in
die Gegend von Czenstochau 4 Infanteriedivisionen aus der zur Zeit nicht
bedrohten Karpathenfront heranbefördert.

Durch unseren neuen Aufmarsch bei Thorn-Gnesen werden die gesamten
verbündeten Streitkräfte im Osten in 3 große Gruppen verteilt. Die erste
wird gebildet durch das österreichisch-ungarische Heer beiderseits der
oberen Weichsel, die beiden anderen durch die 9. und 8. Armee. Die
Zwischenräume zwischen diesen 3 Gruppen können wir durch vollwertige
Kampftruppen nicht schließen. Wir sind gezwungen, in die etwa 100 km
breite Lücke zwischen den Österreichern und unserer 9. Armee im
wesentlichen neuformierte Verbände einzuschieben. Diese besitzen an sich
schon geringere Angriffskraft und müssen noch dazu an der Front einer
mächtigen russischen Überlegenheit sich so breit ausdehnen, daß sie
eigentlich nur einen dünnen Schleier bilden. Rein zahlenmäßig beurteilt
brauchen die Russen gegen Schlesien nur anzutreten, um diesen Widerstand
mit Sicherheit zu überrennen. Zwischen der 9. Armee bei Thorn und der
8. Armee in den östlichen Gebieten Ostpreußens befindet sich im
wesentlichen nur Grenzschutz, verstärkt durch die Hauptreserven aus Thorn
und Graudenz. Auch diesen Truppen gegenüber steht eine starke russische
Gruppe von etwa 4 Armeekorps nördlich von Warschau auf dem Nordufer der
Weichsel und des Narew. Diese russische Gruppe könnte, wenn sie über Mlawa
angesetzt würde, die Lage, wie sie sich Ende August vor der Schlacht bei
Tannenberg entwickelt hatte, nochmals wiederholen. Das Rückengebiet der
8. Armee scheint also erneut und bedenklich bedroht. Aus dieser Lage in
Schlesien und Ostpreußen soll uns der Angriff der 9. Armee gegen die nur
schwach geschützte Flanke der russischen Hauptmassen in Richtung Lodz
befreien. Es ist klar, daß diese Armee, wenn ihr Angriff nicht rasch
durchdringt, die feindlichen Massen von allen Seiten auf sich ziehen wird.
Diese Gefahr ist um so größer, als wir weder zahlenmäßig hinreichende noch
auch genügend vollwertige Truppen haben, um sowohl die russischen
Heeresmassen im großen Weichselbogen als auch die feindlichen Korps
nördlich der mittleren Weichsel durch starke, durchhaltende Angriffe
frontal zu fesseln oder auch nur auf längere Zeitspanne hinaus zu
täuschen. Wir werden freilich trotz alledem überall unsere Truppen zum
Angriff vorgehen lassen, aber es wäre doch ein gefährlicher Irrtum,
hiervon sich allzuviel zu versprechen.

Was an starken, angriffskräftigen Verbänden irgendwo freigemacht werden
kann, muß zur Verstärkung der 9. Armee herangeholt werden. Sie führt den
entscheidenden Schlag. Mag die 8. Armee noch so bedroht sein, sie muß
2 Armeekorps zugunsten der 9. abgeben. Die Verteidigung der erst vor
kurzem befreiten Provinz kann unter solchen Verhältnissen freilich nicht
mehr an der russischen Landesgrenze durchgeführt werden sondern muß in das
Seengebiet und an die Angerapp zurückverlegt werden; ein harter Entschluß.
Die Gesamtstärke der 9. Armee wird durch die geschilderte Maßnahme auf
etwa 5½ Armeekorps und 5 Kavalleriedivisionen gebracht. Zwei von letzteren
werden aus der Westfront herangeführt. Weitere Kräfte glaubt die Oberste
Heeresleitung trotz unserer ernsten Vorstellungen dort nicht freimachen zu
können. Sie hofft in dieser Zeit immer noch auf einen günstigen Ausgang
der Schlacht bei Ypern. Die Schwierigkeiten des Zweifrontenkrieges zeigen
sich erneut in ihrer ganzen Größe und Bedeutung.

Was auf unserer Seite an Kräften fehlt, muß wieder durch Schnelligkeit und
Tatkraft ersetzt werden. Ich bin sicher, daß in dieser Beziehung das
Menschenmögliche von seiten der Armeeführungen und Truppen geleistet
werden wird. Schon am 10. November steht die 9. Armee angriffsbereit, am
11. bricht sie los, mit dem linken Flügel längs der Weichsel, mit dem
rechten nördlich der Warthe. Es ist hohe Zeit, denn schon kündet sich an,
daß auch der Gegner vorgehen will. Ein feindlicher Funkspruch verrät, daß
die Armeen der Nordwestfront, d. h. also alles, was von russischen Kräften
von der Ostsee bis einschließlich Polen steht, am 14. November zu einem
tiefen Einfall in Deutschland antreten sollen. Wir entreißen dem
russischen Oberbefehlshaber die Vorhand, und als er am 13. unsere
Operation erkennt, wagt er nicht, den großen Stoß gegen Schlesien
durchzuführen, sondern wirft alle verfügbaren Kräfte unserem Angriff
entgegen. Schlesien ist damit vorläufig gerettet, der erste Zweck unserer
Operation ist erreicht. Werden wir darüber hinaus eine große Entscheidung
erringen können? Die feindliche Übermacht ist allenthalben gewaltig.
Trotzdem erhoffe ich Großes!

Es würde den Rahmen dieses Buches überschreiten, wollte ich nunmehr einen,
wenn auch nur allgemeinen Überblick über die Kampfereignisse, die unter
der Bezeichnung „Schlacht bei Lodz“ zusammengefaßt sind, geben.

In dem Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung, Umfassen und Umfaßtsein,
Durchbrechen und Durchbrochenwerden zeigt dieses Ringen auf beiden Seiten
ein geradezu verwirrendes Bild. Ein Bild, das in seiner erregenden
Wildheit alle die Schlachten übertrifft, die bisher an der Ostfront getobt
hatten!

Es war uns im Verein mit Österreich-Ungarn gelungen, die Fluten halb
Asiens abzudämmen.

Die Kämpfe dieses polnischen Feldzuges endeten aber nicht bei Lodz sondern
wurden auf beiden Seiten weiter genährt. Neue Kräfte kamen zu uns vom
Westen heran, doch nur wenig frische, meist solche mit gutem Willen aber
mit halbverbrauchter Kraft. Sie waren zum Teil herausgezogen aus einem
ähnlich schweren, ja vielleicht noch schwereren Ringen, als wir es hinter
uns hatten, nämlich aus der Schlacht bei Ypern. Wir versuchten trotzdem,
mit ihnen die abgedämmte russische Flut zum Zurückweichen zu bringen. Und
wirklich schien es eine Zeitlang, als ob uns dies gelingen würde. Unsere
Kräfte zeigten sich jedoch schließlich auch jetzt ähnlich wie in den
Kämpfen von Lodz als nicht ausreichend genug für dieses Ringen gegen die
ungeheuerste Überlegenheit, die uns jemals auf dem Schlachtfelde
gegenüberstand. Wir hätten mehr leisten können, wenn die Verstärkungen
nicht so tropfenweise eingetroffen wären, wir also vermocht hätten, sie
gleichzeitig einzusetzen. So aber bewegte sich der ungeheure slawische
Block, den wir nach Osten hin rollen wollten, nur noch eine Strecke weit,
dann lag er wieder still und unbeweglich. Unsere Kraft ermattete, sie
ermattete aber nicht nur im Kampfe, sondern auch – im Sumpfe.

Erst der eingetretene Winter legte seine lähmenden Fesseln um die
Tätigkeit von Freund und Feind. Die im Kampfe schon erstarrten Linien
deckte Schnee und Eis. Die Frage war: Wer wird diese Linien in den
kommenden Monaten zuerst aus ihrer Erstarrung lösen?



                                   1915



                       Frage der Kriegsentscheidung


Die Leistungen Deutschlands und seines Heeres im Jahre 1914 werden in
ihrer ganzen heldenhaften Größe erst dann einwandfrei gewürdigt werden,
wenn Wahrheit und Gerechtigkeit wieder zur freien Wirkung kommen, wenn die
Propaganda unserer Gegner in ihrer die Weltmeinung irreführenden Weise
entlarvt ist, und wenn die deutsche kritische Selbstzerfleischung einem
ruhigen besonnenen Urteil weicht. Ich zweifle nicht, daß dies alles
eintreten wird.

Trotz der Größe all unserer Leistungen fehlte aber die Krönung des
gewaltigen, uns aufgezwungenen Werkes. Bis jetzt war nur die
augenblickliche Rettung, nicht aber ein durchgreifender Sieg erkämpft. Die
Vorstufe, die zu diesem führte, war eine Entscheidung auf wenigstens einer
unserer Fronten. Wir mußten herauskommen aus der kriegerischen,
politischen und wirtschaftlichen Umklammerung, die uns einschnürte und uns
auch moralisch den Atem zu nehmen drohte. Die Gründe für das bisherige
Ausbleiben des Erfolges waren strittig und werden strittig bleiben. Die
Tatsache bestand, daß unsere Oberste Heeresleitung sich genötigt geglaubt
hatte, vom Westen, wo sie die rasche Entscheidung suchen wollte, vorzeitig
starke Kräfte nach dem Osten zu werfen. Ob bei diesem Entschluß nicht auch
eine Überschätzung der damals im Westen erreichten Erfolge eine große
Rolle spielte, möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls erwuchsen
Halbheiten; das eine Ziel war aufgegeben, das andere nicht erreicht.

In zahlreichen Gesprächen mit Offizieren, die einen Einblick in den
Verlauf der Ereignisse im August und September 1914 auf dem westlichen
Kriegsschauplatz gehabt hatten, versuchte ich ein einwandfreies Urteil
über die Vorgänge zu gewinnen, die für uns in der sogenannten
Marneschlacht so verhängnisvoll wurden. Ich glaube nicht, daß eine
einzelne Ursache die Schuld an dem Scheitern unseres großen, zweifellos
richtigen Feldzugsplanes trägt. Eine ganze Reihe ungünstiger Einwirkungen
entschied zu unseren Ungunsten. Zu diesen zähle ich: Verwässerung des
Grundgedankens, mit einem starken rechten Flügel aufzumarschieren,
Festrennen des überstark gemachten linken Heeresflügels durch falsche
Selbsttätigkeit der unteren Führung, Verkennen der aus dem
starkbefestigten, großen Eisenbahnknotenpunkt Paris zu erwartenden Gefahr,
ungenügendes Eingreifen der Obersten Heeresleitung in die Bewegungen der
Armeen und vielleicht auch mangelhaftes Herausfühlen der an sich nicht
ungünstigen Lage an dieser und jener Kommandostelle im entscheidenden
Augenblick der Schlacht. Die Geschichtsforschung und die Kritik werden
hier ein dankbares Feld ihrer Tätigkeit haben.

Mit aller Entschiedenheit möchte ich mich aber dahin aussprechen, daß das
Scheitern unseres ersten Operationsplanes im Westen zwar eine schwere
Gefahr für uns brachte, daß dadurch aber keineswegs die Fortführung des
Krieges für uns aussichtslos geworden war. Wäre dies nicht meine
Überzeugung gewesen, so würde ich mich schon im Herbste 1914 für
verpflichtet gehalten haben, dies nach oben hin, und zwar bis zu meinem
Allerhöchsten Kriegsherrn zu vertreten. Unser Heer hatte derartige
glänzende und den Gegnern allenthalben überlegene Eigenschaften
entwickelt, daß nach meiner Ansicht bei einer entsprechenden
Zusammenfassung unserer Kräfte trotz der feindlichen stets wachsenden
zahlenmäßigen Überlegenheit eine Entscheidung wenigstens zunächst auf
einem unserer Kriegstheater möglich blieb.

West oder Ost? Das mußte die große Frage sein, von deren Beantwortung
unser Schicksal abhing. Bei Lösung dieser Frage konnte mir
selbstverständlich eine entscheidende Stimme von seiten der Obersten
Heeresleitung nicht zuerkannt werden. Die Verantwortung lag allein und
ausschließlich auf ihren Schultern. Ich glaubte jedoch das Recht und damit
auch die Pflicht zu haben, meine Anschauungen in dieser Richtung frei und
offen zu äußern und zu vertreten.

Für das allgemeine Denken war die sogenannte Westentscheidung
traditionell. Sie war, man darf vielleicht sagen, national. Im Westen
stand der Feind, dessen chauvinistische Hetzereien uns im Frieden nicht
hatten zur Ruhe kommen lassen. Dort stand jetzt aber zugleich auch
derjenige Gegner, der nach unser aller Überzeugung die zur Vernichtung
Deutschlands treibende Kraft darstellte. Demgegenüber fand man bei uns die
Begehrlichkeit Rußlands auf Konstantinopel vielfach begreiflich; diejenige
auf Ost- und Westpreußen nahm man nicht ernst.

Die deutsche Kriegsleitung konnte sonach beim Kampfe im Westen sicher
damit rechnen, die führenden Geister des Vaterlandes, ja das Empfinden des
größten Teiles des Volkes auf ihrer Seite zu haben. Darin lag ein nicht zu
verachtender moralischer Faktor. Ob dieser in den Berechnungen unserer
Heeresführung eine Rolle spielte, wage ich nicht zu behaupten; wohl aber
weiß ich, daß der Gedanke einer Westentscheidung uns hundert- und
tausendfach mündlich und schriftlich entgegengebracht wurde. Ja ich fand
sogar später, als mir selbst die Kriegsleitung anvertraut wurde, Stimmen,
die mir eine förmliche Schonung Rußlands nahelegten. Man glaubte eben
vielfach, daß es verhältnismäßig leicht für uns sei, mit Rußland auf
friedlichem Boden eine Verständigung zu finden.

Der entscheidende, den Endsieg erstrebende Kampf im Westen galt auch mir
als _ultima ratio_ für Erzwingung des Friedens, aber als eine _ultima
ratio_, an die wir nur über den auf den Boden geworfenen Russen
herantreten konnten. Vermochte man den Russen zu Boden zu werfen? Das
Schicksal hat die Frage bejaht, aber erst, als zwei weitere Jahre
vergangen waren, als es, wie es sich herausstellen sollte, zu spät
geworden war. Denn bis dahin hatte sich unsere Lage gründlich verändert.
Die Zahl und Kraft unserer übrigen Gegner war in der Zwischenzeit ins
Riesenhafte weiter gewachsen, und in den Kreis ihrer Kämpfer trat an
Stelle Rußlands das jugendkräftige, wirtschaftsgewaltige Nordamerika!

Ich glaubte, die Frage, ob wir Rußland niederzwingen könnten, im Winter
1914/15 bejahen zu dürfen, und stehe noch heute auf diesem Standpunkt.
Freilich: das Ziel war nicht in einem einzigen großen, ins Ungeheure
gesteigerten Sedan zu erreichen, wohl aber in einer Reihe solcher und
ähnlicher Schlachten. Hierfür aber bot, wie es sich damals bereits gezeigt
hatte, wenn auch nicht die russische Heeresleitung so doch die Führung der
russischen Armeen günstige Vorbedingungen. Tannenberg hatte dieses
bewiesen; Lodz hätte es beweisen können, vielleicht mit noch gewaltigeren
Zahlen wie Tannenberg, wenn wir nicht damals den Kampf in Polen gegen gar
zu große Überlegenheiten hätten auf uns nehmen müssen und sozusagen mitten
im Siege aus Mangel an Kräften steckenblieben.

Ich habe den Russen nie unterschätzt. Es war nach meiner Ansicht falsch,
in Rußland nur Despotismus und Sklaventum, Unbeholfenheit, Stumpfsinn und
Eigennutz zu sehen. Starke und hohe sittliche Kräfte waren auch dort am
Werke, freilich nur in einzelnen Kreisen. Vaterlandsliebe, selbständiger
Wille, Arbeitskraft und Weitblick waren dem Heere nicht unbedingt fremd.
Wie hätten sich auch sonst die ungeheuren Massen bewegen lassen, wie wären
anders das Land und die Truppen zu solchen Hekatomben von Menschenopfern
bereit gewesen? Der Russe der Jahre 1914 und 1915 war nicht mehr der Russe
von Zorndorf, der sich willenlos wie Schlachtvieh niederschlagen ließ.
Aber es fehlte ihm doch in seiner Masse die Größe menschlicher und
geistiger Eigenschaften, die bei uns Gemeingut des Volkes und Heeres
waren.

Die bisherigen Kämpfe mit den Armeen des Zaren hatten unseren Offizieren
und Soldaten das Gefühl unbedingter Überlegenheit über diese Feinde
gegeben. Dieses Gefühl, das unsere alten Landstürmer ebenso wie unsere
jungen Soldaten erfüllte, erklärte es, daß wir hier im Osten
Truppengebilde in den Kampf werfen konnten, deren Kampfwert eine
Verwendung an der Westfront nur unter Vorbehalt zugelassen hätte. Ein
ungeheurer Vorteil für uns, da wir zahlenmäßig so sehr den Gesamtgegnern
unterlegen waren! Freilich hatte die Verwendung solcher Verbände ihre
Grenzen angesichts der großen Anforderungen, die an die Ausdauer und an
die operative Beweglichkeit der Truppe in den östlichen Gebieten zu
stellen waren. Die Hauptkraft mußte immer wieder durch schlagkräftige
Divisionen geliefert werden. Konnte man ihre zur Führung entscheidender
Operationen nötige Anzahl nicht durch Neubildungen gewinnen, so mußten sie
nach meiner Ansicht, selbst unter Preisgabe von Teilen besetzter Gebiete,
aus der westlichen Front gezogen werden.

Diese Darlegungen sind nicht erst das Ergebnis nachträglicher
Gedankenkonstruktionen oder rückschauender Kritik. Man hat ihnen gegenüber
darauf hingewiesen, daß der Russe jederzeit imstande sein würde, sich im
Falle der Not in die sogenannte Endlosigkeit seines Reiches so weit
zurückzuziehen, daß unsere operative Kraft im Nachfolgen erlahmen müßte.
Ich glaube, daß diese Anschauungen sich allzusehr unter dem Banne der
Erinnerungen an 1812 befanden, daß sie der inzwischen eingetretenen
Entwickelung und Änderung der politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse des inneren Zarenreiches – ich erinnere besonders an die
Eisenbahnen – nicht genügend Rechnung trugen. Der napoleonische Feldzug
hatte seinerzeit nur einen verhältnismäßig schmalen Keil in das weite,
dünn bevölkerte, wirtschaftlich primitive, innerpolitisch noch völlig
unerweckte Rußland getrieben. Wie ganz anders sprach sich eine breite,
moderne Offensive aus; welche ganz andere innerstaatliche Verhältnisse
mußte sie jetzt auch in Rußland vorfinden?

In diesen Anschauungen lag letzten Endes der Widerstreit zwischen der
damaligen deutschen Heeresführung und meinem Oberkommando. Die
Öffentlichkeit hat viele Legenden in diesen Widerstreit hineingetragen.
Von dramatischen Vorgängen konnte nicht die Rede sein, so tief mich auch
die Angelegenheit persönlich ergriff. Ich überlasse die nachträgliche
sachliche Entscheidung der gelehrten Kritik der Nachwelt, bin jedoch
überzeugt, daß auch diese zu einem widerspruchslosen Endergebnis nicht
kommen wird. Jedenfalls werde ich dieses Endergebnis nicht mehr erleben.



                     Kämpfe und Operationen im Osten


Von den Ereignissen des Jahres 1915 im Osten möchte ich nur in großen
Umrissen sprechen.

Den Kampf an unserem Teil der Ostfront riefen wir selbst in seiner ganzen
Stärke wieder wach. Völlig geruht hatte er ja nie. Er hatte bei uns aber
auch nicht mit der gleichen Wut getobt, wie in den Karpathen, wo die k.
und k. Armeen im schwersten Ringen die Gefilde Ungarns vor russischer
Überflutung schützen mußten. Dorthin war auch mein Armee-Chef in der Not
der Tage vorübergehend gerufen worden. Die inneren Gründe, die zu unserer
damaligen Trennung Veranlassung gaben, sind mir nicht bekannt geworden.
Ich suchte sie auf sachlichem Gebiete und bat meinen Kaiser, diese
Verfügung rückgängig zu machen, was Seine Majestät auch gnädigst
bewilligte. General Ludendorff kam nach kurzer Zeit zurück mit ernsten
Erfahrungen und noch ernsteren Ansichten über die Zustände bei
österreichisch-slawischen Truppenteilen.

Dem k. u. k. Armee-Oberkommando mußte der Gedanke zu einer entscheidenden
Operation im Osten ganz besonders nahe liegen. Er drängte sich ihm nicht
nur aus militärischen sondern auch aus politischen Gründen auf. Die
fortschreitende Abnahme des Wertes der österreichisch-ungarischen
Kampfkräfte konnte ihm nicht verborgen bleiben. Ein längeres Hinziehen des
Krieges verschlimmerte diese Zustände augenscheinlich in dem Heere der
Donaumonarchie verhältnismäßig rascher als beim gegenüberstehenden Feind.
Dazu kam die österreichische Sorge, daß der drohende Verlust von Przemysl
nicht nur die Spannung in der Kriegslage an der eigenen Heeresfront
wesentlich steigern werde, sondern daß auch unter dem Eindruck, den der
Fall dieser Festung auf die Heimat machen mußte, die schon jetzt nicht
unbedenklichen Erscheinungen von Lockerung im Staatsgefüge und von
Schwinden des Vertrauens auf ein günstiges Kriegsende sich noch weiter
verschärfen würden. Auch fühlte Österreich-Ungarn sich schon jetzt durch
die politische Haltung Italiens im Rücken bedroht. Ein großer,
erfolgreicher Schlag im Osten konnte die mißliche Lage des Staates
gründlich ändern.

Aus dieser Beurteilung der Verhältnisse heraus trat ich auf die Seite des
Generals von Conrad, als er bei der deutschen Obersten Heeresleitung
entscheidende Operationen auf dem östlichen Kriegsschauplatz anregte. Die
von mir für eine solche Entscheidung nötig befundenen Truppenstärken
glaubte unsere Oberste Heeresleitung nicht zur Verfügung stellen zu
können. Aus dem vorgeschlagenen Plane wurde daher innerhalb meines
Befehlsbereiches nur ein einziger großer Schlag, den wir in Ostpreußen
führten.

4 Armeekorps rollten bei Beginn des Jahres zu unserer Verfügung aus der
Heimat und dem Westen zu uns heran. Sie werden in Ostpreußen ausgeladen,
verstärken teils die 8. Armee und bilden teils die 10. unter Generaloberst
von Eichhorn, marschieren auf und rücken los, um seitlich beider Flügel
unserer in der Linie Lötzen-Gumbinnen gelegenen dünnen
Verteidigungsstellung vorzubrechen. Durch zwei starke Flügelgruppen soll
die 10. russische Armee des Generals Sievers weit ausholend umfaßt werden,
damit schließlich durch deren Zusammenschluß im Osten auf Rußlands Boden
im großen Maßstabe alles zertrümmert werden kann, was noch vom Feinde etwa
übrig geblieben ist.

Der erste grundlegende Gedanke der Operation wird am 28. Januar noch im
Hauptquartier zu Posen für unsere Armeeführer in folgende Worte gefaßt:

  „Ich beabsichtige, die 10. Armee mit ihrem linken Flügel längs der Linie
  Tilsit-Wylkowyszki zur Umfassung des nördlichen Flügels des Gegners
  anzusetzen, den Feind mit der Landwehrdivision Königsberg und dem linken
  Flügel der 8. Armee in frontalem Kampf zu binden, und den rechten Flügel
  der 8. Armee auf Arys-Johannisburg und südlich angreifen zu lassen.“

Am 5. Februar folgt dann aus Insterburg, wohin wir uns zur
Schlachtenleitung begaben, der eigentliche Angriffsbefehl. Er setzt vom 7.
ab die beiden Massen an den Flügeln in Bewegung, vielleicht etwas an unser
ruhmreiches Sedan erinnernd, und ein vernichtendes Sedan sollte es für die
10. Russenarmee schließlich bei Augustowo auch werden. Dort schloß sich am
21. Februar der Kessel des gewaltigen Treibens, aus dem mehr denn
100.000 Gegner als Gefangene Deutschland zugeführt wurden. Eine noch weit
größere Zahl von Russen war einem anderen Schicksal erlegen.

Das Ganze wurde auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers
„Winterschlacht in Masuren“ benannt. Man befreie mich von ihrer näheren
Beschreibung. Was sollte ich auch Neues aus ihr erzählen? Ihr Name mutet
an wie Eiseshauch und Totenstarre. Vor dem Gange dieser Schlacht steht der
rückblickende Mensch, wie wenn er sich fragen müßte: Haben wirklich
irdische Wesen dies alles geleistet, oder ist das Ganze nur ein Märchen
oder Geisterspuk gewesen? Sind jene Züge durch Winternächte, jene Lager im
eisigen Schneetreiben und endlich der Abschluß der für den Feind so
schrecklichen Kämpfe im Walde von Augustowo nur die Ausgeburten erregter
menschlicher Phantasien?

Trotz der großen taktischen Erfolge der Winterschlacht blieb uns die
strategische Ausnutzung des Erreichten versagt. Wir waren wohl wieder
imstande gewesen, eine der russischen Armeen nahezu völlig zu vernichten,
aber an ihre Stelle traten sofort neue feindliche Kräfte, herangezogen von
anderen Fronten, an denen sie nicht gebunden waren. Unter diesen
Verhältnissen konnten wir mit den jetzt im Osten verfügbaren Mitteln zu
keinem entscheidenden Ergebnis gelangen. Die russische Übermacht war allzu
gewaltig.

Der Winterschlacht folgt als russische Antwort ein umfassender Angriff auf
unsere Stellungen vorwärts der altpreußischen Grenzgebiete. Gewaltige
Blöcke wälzt der feindliche Heerführer gegen uns heran, Blöcke von
übermächtiger Größe, jeder einzelne schwerer, als alle unsere Kräfte
zusammen. Aber der deutsche Wille überwindet auch diese Belastung. Ströme
russischen Blutes fließen in den mörderischen Kämpfen bis Frühjahrsbeginn
nördlich des Narew und westlich des Njemen; dem Himmel sei Dank, auf
russischem Boden! Der Zar mag viele Soldaten haben, auch ihre Zahl
schwindet bei solchen Massenopfern merklich dahin. Die russische Kraft,
die vor unseren Linien zugrunde geht, wird nachher fehlen, wenn der große
deutsch-österreichisch-ungarische Stoß weit im Süden die ganze russische
Heeresfront erbeben macht.

Nicht nur in den preußischen Grenzgebieten, sondern auch in den Karpathen
wird in dieser Zeit mit äußerster Erbitterung gefochten. Dort versucht der
Russe auch über den Winter hinaus den Grenzwall Ungarns um jeden Preis zu
bezwingen. Er fühlt wohl mit Recht, daß ein Einbruch der russischen Flut
in die magyarischen Länder den Krieg entscheiden könnte, daß das
Donaureich einen solchen Schlag nimmermehr überwinden würde. War es zu
bezweifeln, daß der erste russische Kanonenschuß in der ungarischen
Tiefebene seinen Widerhall in den oberitalienischen Gebirgen und in den
transsylvanischen Alpen finden würde? Der russische Großfürst wußte wohl,
für welch hohes Ziel er von dem Zarenheere die furchtbaren Opfer auf den
schwierigen Kampffeldern des Waldgebirges forderte.

Die andauernd große Spannung der Kampflage in den Karpathen und ihre
Rückwirkung auf die politischen Verhältnisse forderten gebieterisch eine
Lösung. Die deutsche Oberste Heeresleitung fand eine solche. Sie
durchbrach in den ersten Tagen des Mai die russische Heeresfront in
Nordgalizien und faßte die gegnerische Schlachtfront an der ungarischen
Grenze in Flanke und Rücken.

Mein Oberkommando war zunächst an der großen Operation, die bei Gorlice
ihren Anfang nahm, nur mittelbar beteiligt. Unsere Aufgabe im Rahmen
dieser großzügigen Unternehmung war es vorerst, starke feindliche Kräfte
zu binden. Das geschah zunächst durch Angriffe im großen Weichselbogen
westlich Warschau und an der ostpreußischen Grenze, in Richtung Kowno,
dann aber im größeren Stile durch ein am 27. April begonnenes
Reiterunternehmen nach Litauen und Kurland. Der Vorstoß von drei
Kavalleriedivisionen, unterstützt von der gleichen Zahl
Infanteriedivisionen, berührte eine empfindliche Stelle russischen
Kriegsgebietes. Der Russe fühlte wohl zum ersten Male, daß die wichtigsten
Eisenbahnen, die russisches Heer und russisches Kernland verbanden, durch
ein solches Vorgehen ernstlich gefährdet werden konnten. Er warf unserem
Einbruch starke Kräfte entgegen. Die Kämpfe auf litauischem Boden zogen
sich bis zum Sommer hin. Wir sahen uns veranlaßt, weitere Kräfte dorthin
zu werfen, um die besetzten Landesteile zu behaupten und unseren Druck auf
den Gegner auch in jenen vom Krieg bisher unberührten Gebieten dauernd zu
erhalten. So entstand dort allmählich eine neue deutsche Armee. Sie
erhielt nach dem Hauptstrom des Gebietes die Bezeichnung „Njemenarmee“.

Es fehlt mir an Raum, um auf den Heereszug einzugehen, der am 2. Mai in
Nordgalizien begann, um dann, auf unsere Linien übergreifend, in den
Herbstmonaten östlich Wilna zu enden. Wie eine Lawine aus scheinbar
kleinen Anfängen entsteht, immer neue und neue Teile auf ihrem
verheerenden Weg mit sich reißt, so beginnt und verläuft dieser Zug in nie
gesehener und nicht mehr wiederholter Ausdehnung. Wir werden zu
unmittelbarem Eingreifen in seinen Gang veranlaßt, als der Durchstoß über
Lemberg hinaus gelang. Jetzt schwenken nämlich die
deutsch-österreichisch-ungarischen Armeen zum Vorgehen in nördlicher
Richtung zwischen oberen Bug und Weichsel ein. Man halte sich das Bild der
Lage vor Augen: Die russische Heeresfront ist in der südlichen Hälfte fast
bis zur Zersprengung eingedrückt. Ihr Nordteil, nach Westen und Nordwesten
festgehalten, hat eine neue mächtige Flanke zwischen der Weichsel und den
Pripetsümpfen nach Süden gebildet. Eine Katastrophe droht der Masse des
russischen Heeres, wenn ein neuer Durchbruch von Norden her gegen den
Rücken der russischen Heeresmacht gelingt.

Der Gedanke, der uns zur Winterschlacht führte, drängt sich aufs neue auf,
diesmal vielleicht in noch größeren Umrissen. Jetzt muß von Ostpreußen her
der Schlag angesetzt werden, am nächsten und wirkungsvollsten über
Ossowiez-Grodno. Doch verhindert auch jetzt dort das Bobrsumpfgebiet unser
Vorgehen; wir kennen das vom Tauwetter des vergangenen Winters her. Es
bleibt also nur die Wahl zwischen dem Vorbrechen westlich oder östlich
dieser Linie. Der Stoß in die Tiefe der feindlichen Verteidigung, ich
möchte sagen in die Herzgegend des russischen Heeres fordert die Richtung
östlich Grodno vorbei. Wir vertreten diesen Gedanken. Die Oberste
Heeresleitung verschloß sich seinem Vorteil nicht, aber sie hielt die
westliche Stoßrichtung für kürzer und glaubte auch hier an große Erfolge.
Sie forderte also den Angriff über den unteren Narew. Ich glaubte meinen
Widerstand gegen diese Absicht zum Nutzen des Ganzen einstweilen aufgeben,
die Folgen dieses Angriffes und den weiteren Verlauf der Operationen
abwarten zu sollen. Der General Ludendorff jedoch hielt innerlich zähe an
unserem ersten Plane fest, eine Abweichung, die übrigens weder
irgendwelchen Einfluß auf unser weiteres gemeinsames Denken und Handeln
hatte, noch die Kraft beeinträchtigte, mit der wir den Entschluß der
verantwortlichen Obersten Heeresleitung Mitte Juli in die Tat umsetzten.
Gallwitz’ Armee brach beiderseits Przasnysz gegen den Narew vor. Zu diesem
Angriff begab ich mich persönlich auf das Schlachtfeld, nicht um in die
mir als meisterhaft bekannte Tätigkeit des Armee-Oberkommandos
irgendwelche taktischen Eingriffe zu machen, sondern nur deswegen, weil
ich wußte, welch eine ausschlaggebende Bedeutung unsere Oberste
Heeresleitung dem Gelingen des hier befohlenen Durchbruches beilegte. Ich
wollte zur Stelle sein, um nötigenfalls sofort eingreifen zu können, wenn
das Armee-Oberkommando irgendwelcher weiteren Aushilfen für die
Durchführung seiner schwierigen Aufgabe im Rahmen meines Befehlsbereiches
bedurfte. Zwei Tage blieb ich bei der Armee und erlebte die Erstürmung des
schon früher wiederholt heftig umstrittenen Przasnysz und den Kampf um das
Gelände südlich der Stadt. Schon am 17. Juli stand Gallwitz am Narew.
Unter dem Eindruck der auf allen Frontseiten einbrechenden verbündeten
Armeen beginnt der Russe allmählich, auf allen Seiten zu weichen und sich
der drohenden Umklammerung langsam zu entziehen. Unsere Verfolgung fängt
an, sich in frontales Abringen zu verlaufen. Wir können auf diesem Wege
die Früchte nicht ernten, die auf blutigen Schlachtfeldern immer wieder
aufs neue gesät werden. Wir greifen daher unsern früheren Gedanken wieder
auf und wollen angesichts dieses Verlaufs der Operationen über Kowno auf
Wilna vordrücken, um dann die Massen des russischen Zentrums gegen die
Pripet-Sümpfe zu pressen und ihre Verbindungen mit dem Herzland zu
durchhauen. Doch die Absicht der Obersten Heeresleitung fordert
unmittelbare Verfolgung, bei der der Verfolger stärker erlahmt als der
Verfolgte.

In diesen Zeitraum fällt die Wegnahme von Nowo Georgiewsk. Diese Festung
hatte zwar trotz ihrer Anlage als strategischer Brückenkopf bisher noch
keine besonders wichtige Rolle gespielt; ihr Besitz wurde aber jetzt für
uns von Wert, weil sie die über Mlawa nach Warschau führende Bahn sperrte.
Unmittelbar vor der Übergabe traf ich am 18. August mit meinem Kaiser vor
dem Waffenplatz zusammen und fuhr später in seinem Gefolge in die Stadt.
Dort brannten noch die von den russischen Truppen angezündeten Kasernen
und andere militärische Gebäude. Große Massen von Gefangenen standen
herum. Auffallend war es, daß die Russen vor der Übergabe ihre Pferde
reihenweise erschossen hatten, wohl in der Überzeugung von dem
außerordentlichen Werte, den diese Tiere für unsere Operationen im Osten
hatten. Unser Gegner benahm sich überhaupt in der Zerstörung aller Mittel
und Vorräte, die dem siegreichen Feinde für die Kriegführung von
irgendwelchem Nutzen sein konnten, stets außerordentlich gründlich.

Um wenigstens freie Bahn für ein späteres Vorgehen gegen Wilna zu
schaffen, lassen wir schon Mitte Juli unsere Njemenarmee gegen Osten
vorbrechen. Mitte August fällt dann Kowno unter dem Ansturm der 10. Armee.
Der Weg gegen Wilna ist geöffnet, aber noch immer fehlen die Kräfte zur
weiteren Durchführung unseres großen operativen Gedankens. Sie bleiben
vorläufig in frontaler Verfolgung festgelegt. Wochen vergehen, bis
Verstärkungen herangeholt werden können. Unterdessen weicht aber der Russe
weiter nach Osten; er gibt alles preis, selbst Warschau, wenn er nur seine
Hauptkräfte dem Verderben entziehen kann.

Erst am 9. September können wir vorwärts auf Wilna. Möglicherweise kann in
dieser Richtung auch jetzt noch Großes gewonnen werden. Hunderttausende
russischer Truppen sind vielleicht unsere Beute. Wenn je stolze Hoffnungen
mit Ungeduld und Sorgen sich mischten, so geschieht es jetzt. Kommen wir
zu spät? Sind wir kräftig genug? Doch nur vorwärts, über Wilna hinaus und
dann nach Süden. Unsere Reitergeschwader legen bald Hand an die russische
Lebensader. Drücken wir diese zusammen, so stirbt die feindliche
Hauptkraft. Der Gegner kennt das drohende Unheil, er tut alles, um es
abzuwenden. Ein mörderisches Ringen bei Wilna beginnt. Jede gewonnene
Stunde rettet dem Russen viele seiner nach Osten flutenden Heerhaufen.
Unsere Kavalleriedivisionen müssen vor deren Rückstau wieder zurück. Die
Bahnlinie ins Herz der Heimat wird für den Gegner wieder frei. Wir sind zu
spät gekommen, und wir ermatten!

Ich täusche mich wohl nicht in der Annahme, daß der Gegensatz zwischen den
Anschauungen der deutschen Obersten Führung und den unserigen ein
geschichtliches Interesse behalten wird. Aber wir dürfen bei der
Beurteilung der Pläne der Heeresleitung den Blick über das Gesamtbild des
Krieges nicht verlieren. Wir selbst sahen damals nur einen Teil dieses
Bildes. Die Frage, ob wir unter dem Eindrucke der gesamten politischen und
kriegerischen Lage anders geplant und anders gehandelt hätten, mag
unerörtert bleiben.



                                  Lötzen


Aus diesem ernsten Gedankenstreit möchte ich zu einer idyllischeren Seite
unseres Kriegslebens im Jahre 1915 übergehen, indem ich mich in meinen
Erinnerungen nach Lötzen begebe.

Das freundlich zwischen Seen, Wald und Höhen gelegene Städtchen wurde
unser Hauptquartier, als die Winterschlacht in Masuren auszuklingen
begann. Die Einwohner, befreit von Russengefahr und Russenschreck,
gewährten uns eine rührend herzliche Aufnahme. Dankbarst gedenke ich auch
des Landverkehrs auf den ohne zu großen Zeitverlust erreichbaren Gütern,
der mir, wenn es der Ernst der Zeit erlaubte, Stunden der Erholung,
Ablenkung und Anregung brachte. Auch das edle Weidwerk kam dabei nicht zu
kurz; den Höhepunkt bildete hierbei dank der Gnade Seiner Majestät die
Erlegung eines besonders starken Elches im Königlichen Jagdrevier
Niemonien am Kurischen Haff.

Als im Frühjahr allmählich die Ruhe vor unserer Front einzutreten begann,
fehlte es uns, ebensowenig wie später im Sommer, nicht an Besuchern
jeglicher Art. Deutsche Fürstlichkeiten, Politiker, Männer aus
wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Berufskreisen, Verwaltungsbeamte
kamen zu uns, geführt durch das Interesse, das die sonst so wenig
besuchten östlichen Provinzen durch den bisherigen Kriegsverlauf gewonnen
hatten. Künstler fanden sich ein, um General Ludendorff und mich durch
Pinsel oder Meißel zu verewigen, eine Auszeichnung, auf die wir bei aller
Liebenswürdigkeit und Tüchtigkeit der betreffenden Herrn gerne zu Gunsten
unserer knappen Freistunden verzichtet hätten. Auch das neutrale Ausland
stellte Gäste. So lernte ich unter anderen dort auch Sven Hedin, den
bekannten Asienreisenden und überzeugten Deutschenfreund, kennen und
schätzen.

Unter den Staatsmännern, die uns in Lötzen besuchten, nenne ich besonders
den damaligen Reichskanzler von Bethmann Hollweg und den Großadmiral von
Tirpitz.

Schon im Winter 1914/15 hatte ich in Posen Gelegenheit gehabt, den
Reichskanzler bei mir begrüßen zu können. Seine Besuche entsprangen in
erster Linie seiner persönlichen Liebenswürdigkeit und standen in keinem
Zusammenhange mit irgendwelchen politischen Fragen. Ich erinnere mich auch
nicht, daß die Unterhaltungen mit dem Reichskanzler dieses Thema damals
berührten. Wohl aber gewann ich die Überzeugung, daß ich es mit einem
klugen und gewissenhaften Mann zu tun hatte. Unsere Anschauungen über die
damaligen Kriegsnotwendigkeiten deckten sich in dieser Zeit nach meinem
Empfinden in allen wesentlichen Punkten. Ein tiefes Verantwortungsgefühl
sprach aus allen Äußerungen des Kanzlers. Diesem Gefühl schrieb ich es zu,
wenn mir in der Beurteilung der Kriegslage durch Herrn von Bethmann nach
meinem soldatischen Empfinden etwas zu viel Bedenken und infolgedessen
etwas zu wenig Zuversichtlichkeit entgegentraten.

Den in Posen erhaltenen Eindruck fand ich in Lötzen bestätigt.

Großadmiral von Tirpitz, der in dieser Zeit oft als Nachfolger für
Bethmann Hollweg genannt wurde, war eine völlig anders geartete
Persönlichkeit. Auf einem längeren Spaziergang trug er mir alle die
Schmerzen vor, die sein flammendes vaterländisches und ganz besonders sein
seemännisches Herz bewegten. Er empfand es bitter, daß er die gewaltige
während der besten Jahre seines Lebens von ihm geschmiedete Waffe im
Kriege in den heimatlichen Häfen festgebannt sah. Gewiß war die Lage für
eine Flottenoffensive unsererseits ungemein schwierig, sie wurde aber mit
langem Zuwarten nicht besser. Meines Erachtens würde die überaus große
Empfindlichkeit des englischen Mutterlandes gegenüber dem Phantom einer
deutschen Landung eine größere Tätigkeit, ja selbst schwere Opfer unserer
Flotte gerechtfertigt haben. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß
durch eine solche Flottenverwendung eine Bindung starker englischer
Heereskräfte im Mutterlande und damit eine Entlastung unseres Landheeres
erreicht werden konnte. Man sagt, daß unsere Politik sich die Möglichkeit
schaffen wollte, bei etwaigen Friedensaussichten auf eine starke, intakte
deutsche Seekraft hinweisen zu können. Eine solche Rechnung wäre wohl
irrig gewesen. Denn eine Streitmacht, die man im Kriege nicht zu nützen
wagt, ist auch bei Friedensverhandlungen ein kraftloser Faktor.

Im Frühjahr 1916 ist der Wunsch des Großadmirals doch noch in Erfüllung
gegangen. Was unsere Flotte zu leisten vermochte, das hat sie im Skagerrak
glänzend gezeigt.

Auch über die Frage unserer Unterseebootkriegführung äußerte sich Herr von
Tirpitz. Er vertrat die Anschauung, daß wir diese Waffe zur Unzeit gezückt
hätten, und daß wir dann, eingeschüchtert durch das Verhalten des
Präsidenten der Vereinigten Staaten den mit lautem Kampfgeschrei erhobenen
Arm ebenso zur Unzeit wieder hätten sinken lassen. Die damaligen
Ausführungen des Großadmirals konnten auf meine spätere Stellungnahme zu
dieser Frage keinen Einfluß ausüben. Bis die Entscheidung hierüber an mich
herantrat, sollten fast noch anderthalb Jahre vergehen. In diesem Zeitraum
hatte sich einerseits die Kriegslage ganz wesentlich zu unseren Ungunsten
verschoben und war andererseits die Leistungsfähigkeit unserer Marine auf
dem Gebiete des Unterseebootswesens mehr als verdoppelt.



                                  Kowno


Im Oktober 1915 verlegten wir unser Hauptquartier nach Kowno, in das
besetzte Feindesland.

Zu der bisherigen Tätigkeit meines Generalstabschefs kamen jetzt noch die
Arbeiten für die Verwaltung, den Wiederaufbau und die Ausnützung des
Landes zur Versorgung der Truppen, der Heimat und der Landeseinwohner. Die
hieraus erwachsende Beschäftigung wäre allein genügend gewesen, die
Arbeitskraft eines Mannes voll und ganz in Anspruch zu nehmen. General
Ludendorff betrachtete sie als eine Zugabe zu seinem übrigen Dienste und
widmete sich ihr mit dem ihm eigenen rastlosen Arbeitswillen.

Von Kowno aus fand ich in der ruhigeren Winterzeit 1915/16 Gelegenheit den
Bjalowjeser Forst aufzusuchen. Der Wildstand hatte leider unter den
kriegerischen Ereignissen stark gelitten. Durchmarschierende Truppen und
wilddiebende Bauern hatten ihn sehr gelichtet. Trotzdem gelang es mir
noch, in viertägigen herrlichen Pirsch- und Schlittenfahrten im Januar
1916 einen Wisent und vier Hirsche zu erlegen. Die Verwaltung des
ausgedehnten Waldreviers befand sich in den bewährten Händen des
bayerischen Forstmeisters Escherich, der es meisterhaft verstand, uns die
reichen Holzbestände nutzbar zu machen, ohne dabei Raubbau zu treiben.

Auch den Augustower Wald suchte ich im gleichen Winter auf. Eine mir zu
Ehren veranstaltete Wolfsjagd verlief leider ergebnislos. Die Wölfe zogen
es vor, außerhalb meiner Schußweite durch die Lappen zu gehen. Von den
Kämpferspuren des Februar 1915 sah ich nur noch Schützengräben. Sonst war
das Schlachtfeld, wenigstens an den Stellen, an denen ich den Forst
berührte, völlig aufgeräumt.

In Kowno beging ich im April 1916 mein 50jähriges Dienstjubiläum. Mit Dank
gegen Gott und meinen Kaiser und König, der mir den Tag durch gnädiges
Meingedenken verschönte, blickte ich auf ein halbes Jahrhundert zurück,
das ich in Krieg und Frieden im Dienste für Thron und Vaterland durchlebt
hatte.

Bei Kowno waren im Sommer 1812 starke Teile des französischen Heeres nach
Osten über den Njemen gegangen. Die Erinnerung an diese Zeit und an den
tragischen Ausgang dieses kühnen Zuges hatte bei unseren Gegnern die
Hoffnung ausgelöst, daß auch unsere Truppen in den weiten Wald- und
Sumpfgebieten Rußlands einem ähnlichen Schicksal durch Hunger, Kälte und
Krankheiten erliegen würden wie die stolzen Armeen des großen Korsen. Man
verkündete uns diesen Ausgang, vielleicht weniger aus innerer Überzeugung
als zur Beruhigung der eigenen urteilslosen Menge. Immerhin waren aber
unsere Sorgen für die Erhaltung unserer Truppen im Winter 1915/16 keine
geringen. Wußten wir doch, in welchen trotz aller Entwickelung der Neuzeit
immer noch verhältnismäßig öden, vielfach von ansteckenden Krankheiten
durchseuchten Landesteilen wir nunmehr die strenge Jahreszeit hinzubringen
hatten.



                  Das Feldzugsjahr 1916 bis Ende August



              Der Russenangriff gegen die deutsche Ostfront


Das Jahr 1915 war in unserem Oberkommando nicht ausgeklungen unter hellen
Fanfaren eines voll befriedigenden Triumphes. In dem Gesamtergebnis der
Operationen und Kämpfe dieses Jahres lag für uns etwas Unbefriedigendes.
Der russische Bär hatte sich unserer Umgarnung entzogen, zweifellos aus
mehr als einer Wunde blutend, aber doch nicht zu Tode getroffen. Unter
wilden Anfällen hatte er sich von uns verabschiedet. Wollte er damit
beweisen, daß er noch Lebenskraft genug übrig hatte, um uns auch weiterhin
das Leben schwer zu machen? Wir fanden die Ansicht vertreten, daß die
russischen Verluste an Menschen und Material bereits so bedeutend wären,
daß wir auf lange hinaus an unserer Ostfront gesichert sein würden. Wir
beurteilten diese Behauptung nach den bisherigen Erfahrungen mit
Mißtrauen, und bald sollte sich zeigen, daß dieses Mißtrauen
gerechtfertigt war.

Nicht einmal den Winter sollten wir in einiger Ruhe verbringen können.
Zeigte sich doch bald, daß der Russe an alles eher dachte, als sich stille
zu verhalten. Auf unserer ganzen Front, ja weit darüber hinaus nach Süden,
war es in und hinter den gegnerischen Linien unruhig, ohne daß man zuerst
die Absichten der russischen Führung irgendwie erkennen konnte. Ich hielt
die Gegenden von Smorgon, Dünaburg und Riga für besondere Gefahrpunkte vor
unseren Stellungen. In diese Gebiete führten die leistungsfähigsten
russischen Bahnen. Aber ausgesprochene Anzeichen für einen feindlichen
Angriff an den genannten drei Punkten ergaben sich lange Zeit nicht.

Die Tätigkeit im Rückengebiet des Feindes blieb ungemein emsig. Überläufer
klagten über die harte Zucht, der die zurückgezogenen Divisionen
unterworfen würden, denn mit eiserner Strenge wurden die Truppen gedrillt.

Das Stärkeverhältnis in den einzelnen Abschnitten war schon in den Zeiten
der Ruhe für uns außerordentlich ungünstig. Wir mußten damit rechnen, daß
durchschnittlich jedem einzelnen unserer Divisionsabschnitte
(9 Bataillone) etwa 2–3 russische Divisionen (32–48 Bataillone)
gegenüberstanden. Nichts kennzeichnet die ungeheuern Unterschiede in den
Anforderungen an die Kräfte unserer Truppen gegenüber den feindlichen mehr
als diese Zahlen. Dieser Unterschied spielte naturgemäß nicht nur im
Gefecht eine gewaltige Rolle sondern auch in den notwendigen täglichen
Arbeitsforderungen. Welch einen Umfang hatten die Arbeitsleistungen bei
der großen Ausdehnung der Fronten doch angenommen! Der Stellungs- und
Straßenbau, die Errichtung von Barackenlagern sowie unzählige Arbeiten für
die Versorgung der Truppen mit Kriegsbedarf, Verpflegung, Baustoffen usw.
machten das Wort „Ruhe“ für Offizier und Mann meist zu einem völlig leeren
Begriff. Trotzdem waren Stimmung und Gesundheitszustand der Truppen
durchaus gut. Würde unser Sanitätsdienst nicht auf der Höhe gestanden
haben, auf der er sich tatsächlich befand, so hätten wir schon aus diesem
Grunde den Krieg nicht so lange Zeit durchhalten können. Die Leistungen
unseres Feldsanitätswesens werden sich dereinst nach wissenschaftlicher
Bearbeitung des gesamten vorliegenden Materials als ein besonderes
Ruhmesblatt deutscher Geistesarbeit und Hingabe für einen großen Zweck
erweisen und dann hoffentlich dem Wohle der gesamten Menschheit dienstbar
gemacht werden.

Von Mitte Februar ab begann es in der Gegend des Naroczsees und bei
Postawy besonders unruhig zu werden. Immer klarer zeichneten sich aus der
Masse der eintreffenden Nachrichten die Angriffsvorbereitungen des Gegners
an jenen Stellen ab. Ich hatte anfangs nicht geglaubt, daß der Russe die
von seinen leistungsfähigen Bahnverbindungen entlegenen Stellen, die zudem
seinen Massen wenig Entfaltungsraum boten und der taktischen Führung
infolge der Geländegestaltung nur geringe Armfreiheit ließen, zu einem
wirklich großen Schlage auswählen würde. Die kommenden Ereignisse
belehrten mich vom Eintritt des Unwahrscheinlichen.

Niemand von uns erkannte im Verlauf der damaligen russischen
Vorbereitungen deren gewaltigen Umfang richtig. Wir hätten sonst wohl
nicht geglaubt, daß wir mit den von uns allmählich im Gebiete des
Naroczsees versammelten etwa 70 Bataillonen der ganzen dort
bereitgestellten russischen Macht, gegen 370 Bataillone, standzuhalten
vermöchten. Aber diese Gegenüberstellung gibt, wie eine auf unsere
Feststellungen gestützte Veröffentlichung ausführt, doch nur ein ungenaues
Bild, einmal weil auf beiden Seiten am ersten Tage keineswegs die ganze
Masse der Kampftruppen eingesetzt wurde, und dann vor allem, weil die
russischen Divisionen nicht etwa gleichmäßig in breiter Front gegen die
Deutschen vorstießen, sondern sich in der Hauptsache zu zwei mächtigen
Stoßgruppen vor den Flügeln des Korps von Hutier zusammenballten. Die
nördliche dieser trieb 7 Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen zwischen
Mosheiki und Wileity im Postawy-Abschnitt vor, in dem zunächst nur 4
deutsche Bataillone standen, während die südliche mit
8 Infanteriedivisionen und den Uralkosaken die Sperre zwischen Naroczsee
und Wisznewsee einzudrücken suchte, die von unserer 75. Reservedivision
und der verstärkten 9. Kavalleriedivision gehalten wurde. Also rund 128
russische gegen 19 deutsche Bataillone!

Am 18. März bricht der russische Angriff los. Nach einer artilleristischen
Vorbereitung, wie sie die Ostfront in gleicher Stärke noch nie zu
durchleben gehabt hatte, stürmen die feindlichen Massen gleich einer
ununterbrochenen Sturzflut auf unsere dünnbesetzten Stellungen. Doch
vergeblich treiben russische Batterien und Maschinengewehre die eigene
Infanterie gegen die deutschen Linien; umsonst mähen zurückgehaltene
feindliche Truppen die eigenen vordersten Linien nieder, wenn diese zu
weichen und dem Verderben durch unser Feuer zu entgehen versuchen. Zu
förmlichen Hügeln häufen sich die russischen Gefallenen vor unserer Front.
Die Anstrengungen für den Verteidiger sind freilich in das Ungeheuere
gesteigert. Eingebrochenes Tauwetter füllt die Schützengräben mit
Schneewasser, verwandelt die bisher deckenden Brustwehren in zerfließenden
Erdbrei und macht aus dem ganzen Kampffeld einen grundlosen Morast. Bis
zur teilweisen Bewegungsunfähigkeit schwellen den Grabenbesatzungen die
Gliedmaßen in den eisigen Wassern an. Allein es bleibt genug Lebenskraft
und Kampfeswille in diesen Körpern, um die feindlichen Anstürme immer
wieder zu brechen. So bringt der Russe auch diesmal alle Opfer vergebens,
und vom 25. März ab können wir siegessicher auf unsere Heldenscharen am
Naroczsee blicken.

Der Deutsche Heeresbericht vom 1. April 1916, der unter unserer Mitwirkung
entstand, sprach sich nach Beendigung der Schlacht folgendermaßen aus:

  „Welcher größere Zweck mit den Angriffen angestrebt werden sollte,
  ergibt folgender Befehl des russischen Höchstkommandierenden der Armeen
  an der Westfront vom 4. (17.) März, Nr. 537:

  „Truppen der Westfront!

  Ihr habt vor einem halben Jahre, stark geschwächt, mit einer geringeren
  Anzahl Gewehre und Patronen den Vormarsch des Feindes aufgehalten und,
  nachdem ihr ihn in dem Bezirk des Durchbruches bei Molodetschno
  aufgehalten habt, eure jetzigen Stellungen eingenommen.

  Seine Majestät und die Heimat erwarten von euch jetzt eine neue
  Heldentat: Die Vertreibung des Feindes aus den Grenzen des Reiches! Wenn
  ihr morgen an diese hohe Aufgabe herantretet, so bin ich im Glauben an
  euren Mut, an eure tiefe Ergebenheit gegen den Zaren und an eure heiße
  Liebe zur Heimat davon überzeugt, daß ihr eure heilige Pflicht gegen den
  Zaren und die Heimat erfüllen und eure unter dem Joche des Feindes
  seufzenden Brüder befreien werdet. Gott helfe uns bei unserer heiligen
  Sache!

                                              Generaladjutant gez. Ewert.“

  Freilich ist es für jeden Kenner der Verhältnisse erstaunlich, daß ein
  solches Unternehmen zu einer Jahreszeit begonnen wurde, in der seiner
  Durchführung von einem Tage zum andern durch die Schneeschmelze
  bedenkliche Schwierigkeiten erwachsen konnten. Die Wahl des Zeitpunktes
  ist daher wohl weniger dem freien Willen der russischen Führung als dem
  Zwang durch einen notleidenden Verbündeten zuzuschreiben.

  Wenn nunmehr die gegenwärtige Einstellung der Angriffe von amtlicher
  russischer Stelle lediglich mit dem Witterungsumschlag erklärt wird, so
  ist das sicherlich nur die halbe Wahrheit. Mindestens ebenso wie der
  aufgeweichte Boden sind die Verluste an dem schweren Rückschlage
  beteiligt. Sie werden nach vorsichtiger Schätzung auf mindestens
  140.000 Mann berechnet. Richtiger würde die feindliche Heeresleitung
  daher sagen, daß die große Offensive bisher nicht nur im Sumpf, sondern
  in Sumpf und Blut erstickt ist.“

Der Beschreibung dieser Frühjahrskämpfe durch einen deutschen Offizier
entnehme ich zum Schluß folgende Stelle:

  „Nicht viel mehr als ein Monat war vergangen, seit der russische Zar an
  der Postawyfront die Parade über die Sturmdivisionen abnahm, da fuhr
  Generalfeldmarschall von Hindenburg an die Front, um seinen siegreichen
  Regimentern zu danken. In Tschernjaty und Komai, Jodowze, Swirany und
  Kobylnik, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Schauplatz der Zarenparade
  entfernt, sprach er zu den Abordnungen der Fronttruppen und verteilte
  die Eisernen Kreuze. Hand in Hand standen da für einen Augenblick
  Feldherr und Handgranatenwerfer, einer den anderen mit langem,
  vertrauensvollem Blicke ermessend. Die Frühlingssonne leuchtete als
  Siegessonne über der Hindenburgfront ...“

Das war mein Anteil an der Naroczschlacht.



      Der Russenangriff gegen die österreichisch-ungarische Ostfront


„Verdun!“ – Der Name wurde bei uns im Osten von Anfang Februar des Jahres
ab häufiger genannt. Man wagte nur halblaut und im Geheimnis davon zu
sprechen. Man legte auf das Wort einen Ton, aus dem Zweifel und Bedenken
hervorgingen. Und doch, der Gedanke, Verdun zu nehmen, war gut. Verdun in
unserer Hand, das mußte die ganze Lage an unserer Westfront wesentlich
festigen. Dadurch wurde die Einbuchtung an unserer verwundbarsten
Druckstelle da drüben endgültig beseitigt. Vielleicht ergaben sich aus der
Eroberung der Festung noch weitere operative Möglichkeiten in südlicher
und westlicher Richtung.

Die Wichtigkeit des genannten Waffenplatzes berechtigte also meiner
Anschauung nach zu dem Versuch, ihn anzugreifen. Man hatte ja in der Hand,
das Unternehmen rechtzeitig wieder abzubrechen, wenn sich seine
Durchführbarkeit als unmöglich erweisen oder die dafür nötigen Opfer als
zu hoch herausstellen sollten. Und dann: Ist das Kühnste, das
Unwahrscheinlichste im Angriff auf Festungen in diesem Kriege uns nicht
schon wiederholt glänzend gelungen?

Von Ende Februar ab wird Verdun nicht mehr geheimnisvoll ausgesprochen,
sondern laut und freudig. Das Wort „Douaumont“ leuchtet im Zusammenhang
damit wie ein Fanal deutschen Heldentums bis in den entferntesten Osten
herüber und erhebt die Gemüter auch derer, die jetzt eben mit Ernst und
Sorge auf die Entwickelung der Ereignisse am Naroczsee blicken. Freilich
liegt in dem Angriff auf Verdun für uns auch ein bitteres Gefühl. Bedeutet
das Unternehmen doch das endgültige Aufgeben einer Kriegsentscheidung hier
im Osten.

Verdun wird im weiteren Verlauf der Zeit noch in verschiedener Betonung
genannt. Die Bedenken fangen allmählich an, zu überwiegen, man spricht sie
aber nur selten aus. Sie lassen sich kurz in folgende Fragen
zusammenfassen: Warum setzt man einen Angriff immer noch fort, der so
unendliche Opfer fordert und dessen Aussichtslosigkeit dabei schon
erkennbar ist? Wäre es nicht möglich, an die Stelle dieser rein örtlichen
Frontalunternehmung gegen den auf permanente Werke gestützten nördlichen
Verteidigungsbogen Verduns eine die Linienführung unserer Aufstellung
zwischen Argonnerwald und St. Mihiel ausnutzende abschnürende Operation
treten zu lassen? Erst spätere Zeiten werden nach unparteiischer Prüfung
über die Berechtigung dieser Fragen urteilen können.



Noch ein anderes Wort tritt späterhin zu Verdun, das ist „Italien“, zum
ersten Male erwähnt, nachdem die Schlacht am Naroczsee beendet war. Auch
Italien wird mit Zweifel genannt, mit weit größerem und stärkerem als
Verdun, ja nicht nur mit Zweifel, sondern mit ernsten, schweren Bedenken.
Der Plan eines österreichisch-ungarischen Angriffes gegen Italien ist kühn
und hat von diesem Gesichtspunkt aus auch ein militärisches Anrecht auf
Gelingen. Was diesen Plan aber als überkühn erscheinen läßt, das ist
unsere Einschätzung des Instrumentes, mit dem er durchgeführt wird. Wenn
gegen Italien die besten k. u. k. Truppen losbrechen, Truppen, an die
nicht bloß Österreich und Ungarn sondern auch Deutschland mit Stolz und
Vertrauen denken, was bleibt dann gegen Rußland? Rußland ist aber nicht so
geschlagen, wie man es Ende 1915 vermutete. Am Naroczsee hat sich die
ganze Entschlossenheit der russischen Heerhaufen wieder gezeigt in einer
Wildheit und Massenhaftigkeit, gegenüber der so manche mit slawischen
Elementen stark durchsetzten österreichisch-ungarischen Heeresverbände
sich bisher als wenig widerstandsfähig erwiesen haben.

Die Sorge bei uns wächst trotz der Siegesmeldungen aus Italien täglich
mehr und mehr. Sie wird nur zu bald in ihrer Berechtigung bewiesen durch
die nunmehr eintretenden Ereignisse südlich des Pripet. Am 4. Juni stürzt
die österreichisch-ungarische Heeresfront in Wolhynien und in der Bukowina
auf den ersten russischen Anhieb weithin zusammen. Die schwerste Krisis
des ganzen bisherigen Krieges an der Ostfront tritt ein, schwerer noch als
diejenige des Jahres 1914. Denn diesmal steht nirgends ein siegreiches
deutsches Heer als helfender Retter bereit: im Westen tobt der Kampf um
Verdun und drohen Sturmeszeichen an der Somme.

Die Wogen dieser Krisis schlagen bis an unsere Front hinüber, aber zum
Heile für das Ganze nicht in Form russischer Angriffe. So können wir
wenigstens helfen, wo die Not am größten ist.

Der Russe steht bis jetzt vor der deutschen Front noch ungeschwächt in
seinen Stellungen. Den ersten Erfolg südlich des Pripet hat er daher nicht
durch seinen sonst gewohnten Einsatz überlegener Massen sondern mit
verhältnismäßig schwachen Kräften erreicht.

  „Der Plan Brussilows muß eingangs streng genommen als eine Erkundung
  aufgefaßt werden, als eine Erkundung unternommen auf gewaltige
  Ausdehnungen und mit kühner Entschlossenheit, aber doch immer nur eine
  Erkundung, kein Schlag mit einem gewählten Ziel ... Seine Aufgabe war
  es, die Stärke der gegnerischen Linien anzufühlen auf einer Front von
  nahezu 500 km zwischen Pripet und Rumänien. Brussilow glich einem Manne,
  der an eine Mauer schlägt, um herauszubringen, welche Teile solider
  Stein und welche nur Latten und Mörtel waren.“

So schrieb ein Ausländer über Brussilows erste Schlachttage. Und dieser
Ausländer sagt einwandfrei das Richtige.

Die österreichisch-ungarische Mauer zeigt aber nur wenige solide Steine,
sie bricht unter dem Pochen von Brussilows Hammer zusammen, und herein
braust die Sturmflut der russischen Haufen, die nunmehr erst von unserer
Front weg herangeführt worden sind. Wo wird ihnen ein Halt geboten werden
können? Nur eine starke Säule bleibt zunächst noch inmitten dieser
Brandung. Es ist die Südarmee unter ihrem trefflichen General Grafen
Bothmer. Deutsche, Österreicher und Ungarn; alle gehalten in guter Zucht.

Was auf unserem Teil der großen Ostfront entbehrlich ist, rollt nunmehr
nach dem Süden und verschwindet auf den Schlachtfeldern Galiziens.

Inzwischen verdüstert sich auch die Lage an der Westfront.
Französisch-englische Übermacht wirft sich auf unsere verhältnismäßig
schwach gehaltenen Linien beiderseits der Somme und drückt die
Verteidigung ein. Ja es droht vorübergehend die Gefahr eines vollendeten
Durchbruchs!

Mein Allerhöchster Kriegsherr ruft mich und meinen Generalstabschef
zweimal zu Beratungen über die schwere Lage an der Ostfront in sein
Hauptquartier nach Pleß. Das letzte Mal, Ende Juli, fällt dort die
Entscheidung über die Neuregelung des Befehls auf der Ostfront. Die
deutsche Oberste Heeresleitung hat von Österreich-Ungarn als Entgelt für
die trotz Verdun und Somme gebotene rettende Hand Gewähr für straffere
Organisation des Befehls an der Ostfront gefordert. Mit Recht! So wurde
meine Befehlsgewalt bis in die Gegend von Brody, östlich Lemberg,
ausgedehnt; starke k. und k. Truppenverbände wurden mir unterstellt.

Wir besuchten baldigst die uns neu zugewiesenen Oberkommandos und fanden
bei den österreichisch-ungarischen Stellen volles Entgegenkommen und
rückhaltslose Kritik der eigenen Schwächen. Freilich, die Erkenntnis war
nicht allenthalben vom Tatenwillen begleitet, der bessernd in die
vorhandenen Schäden eingreift. Und doch, wenn je in einem Heere, so
bedurfte es in diesem Völkergemisch einer alles beherrschenden,
durchgreifenden Gewalt und eines einheitlichen Zuges, sonst mußte auch das
beste Blut in diesem Körper machtlos rinnen und vergeblich verrinnen.

Die Ausdehnung der Befehlsfront veranlaßte mich zur Verlegung meines
Hauptquartiers nach Süden, nach Brest-Litowsk. Dort trifft mich am
28. August mittags der Befehl Seiner Majestät des Kaisers, baldmöglichst
in sein Großes Hauptquartier abzureisen. Als Grund teilt mir der Chef des
Militärkabinetts nur mit: „Die Lage ist ernst!“

Ich lege den Hörapparat weg und denke an Verdun und Italien, an Brussilow
und die österreichische Ostfront, dazu an die Nachricht: „Rumänien hat uns
den Krieg erklärt.“ Starke Nerven werden nötig sein!



                               DRITTER TEIL


   VON DER ÜBERTRAGUNG DER OBERSTEN HEERESLEITUNG BIS ZUR ZERTRÜMMERUNG
                                RUSSLANDS



                   Berufung zur Obersten Heeresleitung



                  Chef des Generalstabes des Feldheeres


Es war bekanntlich nicht das erste Mal, daß mich mein Kaiserlicher und
Königlicher Herr zur Besprechung über militärische Lagen und Absichten zu
sich berief. Daher vermutete ich auch diesmal, daß Seine Majestät meine
Anschauungen über eine bestimmte Frage persönlich und mündlich hören
wollte. In der Annahme eines nur kurzen Aufenthaltes nahm ich auch nur das
für einen solchen unbedingt nötige Gepäck mit mir. Am 29. August
vormittags traf ich in Begleitung meines Chefs in Pleß ein. Auf dem
Bahnhof empfing mich im Auftrage des Kaisers der Chef des
Militärkabinetts. Aus seinem Munde erfuhr ich zuerst die für mich und
General Ludendorff beabsichtigten Ernennungen.

Vor dem Schlosse in Pleß traf ich meinen Allerhöchsten Kriegsherrn selbst,
der das Eintreffen Ihrer Majestät der Kaiserin, die von Berlin aus kurz
nach mir Pleß erreicht hatte, erwartete. Der Kaiser begrüßte mich sogleich
als Chef des Generalstabes des Feldheeres und General Ludendorff als
meinen Ersten Generalquartiermeister. Auch der Reichskanzler war von
Berlin aus erschienen und augenscheinlich von der Veränderung in der
Besetzung der Chefstelle, die ihm Seine Majestät in meiner Gegenwart
mitteilte, nicht weniger überrascht als ich selbst. Ich erwähne dies, weil
auch hier die Legendenbildung eingesetzt hat.

Die Übernahme der Geschäfte aus den Händen meines Vorgängers vollzog sich
bald nachher. General von Falkenhayn reichte mir zum Abschied die Hand mit
den Worten: „Gott helfe Ihnen und unserem Vaterland!“

Welche Gründe unsere plötzliche Berufung in den neuen Wirkungskreis
veranlaßten, erfuhr ich aus dem Munde meines Kaisers, der meines
Vorgängers stets ehrend gedachte, weder bei der Übernahme meiner neuen
Stellung noch später. Derartige Feststellungen rein historischen Wertes zu
machen, fehlte mir immer die Neigung, damals aber auch die Zeit. Drängten
sich doch die Entscheidungen nicht nach Tagen sondern nach Stunden.



                       Kriegslage Ende August 1916


Die Kriegslage, unter welcher der Wechsel in der Leitung der Operationen
erfolgte, war nach den ersten Eindrücken, die ich gewann, folgende:

Die Verhältnisse an der Westfront waren nicht ohne Bedenken. Verdun war
nicht in unsere Hände gefallen, auch die Hoffnung auf Zerreibung der
französischen Heereskraft in dem gewaltigen Feuerbogen, der sich um die
Nord- und Nordostfront der Festung gebildet hatte, war nicht verwirklicht.
Ein Erfolg unseres dortigen Angriffes war immer aussichtsloser geworden,
aber das Unternehmen war noch nicht aufgegeben. An der Somme raste das
Ringen nunmehr seit fast zwei Monaten. Wir kamen dort von einer Krisis in
die andere. Unsere Linien standen andauernd im Zustand äußerster
Zerreißprobe.

Im Osten war die russische Offensive im Südostteil der Karpathen bis auf
den Gebirgskamm hinaufgebrandet. Ob dieser letzte Schutzwall ungarischen
Landes mit den jetzt verfügbaren Kräften gegen neue Anstürme zu behaupten
sein würde, mußte nach den bisherigen Ergebnissen bezweifelt werden. Auch
im Vorlande des Nordwestteils der Karpathen war die Lage aufs äußerste
gespannt. Zwar hatten die russischen Angriffe zurzeit dort etwas
nachgelassen, aber es war nicht zu hoffen, daß diese Ruhe von längerer
Dauer sein würde.

Der österreichisch-ungarische Angriff aus Südtirol hatte angesichts des
Zusammenbruchs an der galizischen Front aufgegeben werden müssen. Der
Italiener ging nun seinerseits wieder zum Angriff an der Isonzofront über.
Diese Kämpfe zehrten in starkem Maße an den österreichisch-ungarischen
Heereskräften, welche sich dort unter den schwierigsten Verhältnissen
gegen mehrfache feindliche Überlegenheit, wert des höchsten Ruhmes
schlugen.

Von Wichtigkeit für die Gesamtlage wie für die Not des Augenblickes waren
schließlich auch die derzeitigen Verhältnisse auf dem Balkan. Die von den
Bulgaren auf unsere Anregung hin in Mazedonien unternommene Offensive
gegen Sarrail hatte nach anfänglichen Erfolgen abgebrochen werden müssen.
Das mit diesem Angriff verbundene politische Ziel, Rumänien vom Eingreifen
in den Krieg abzuhalten, war nicht erreicht worden.

Die Vorhand lag zur Zeit überall in den Händen unserer Gegner. Es war
damit zu rechnen, daß diese alle Kräfte einsetzen würden, uns weiter unter
diesem Drucke zu halten. Die Aussichten auf eine vielleicht nahe und
erfolgreiche Kriegsbeendigung mußten die gegnerischen Verbündeten auf
allen Fronten zu den größten Kraftanstrengungen und zu den schwersten
Opfern bereit finden. Alle gaben wohl ihr letztes her, um sich an dem
Todesstoß gegen die Mittelmächte zu beteiligen, zu dem Rumänien das
siegessichere Halali blies!

Die augenblicklich freien und verfügbaren Reserven des deutschen sowie des
österreichisch-ungarischen Heeres waren gering. Einstweilen standen an der
zunächst bedrohten siebenbürgisch-rumänischen Grenze nur schwache
Postierungen, größtenteils Finanz- und Zollwachen. Im Innern Siebenbürgens
waren abgekämpfte österreichisch-ungarische Divisionen untergebracht, zum
Teil gefechtsunbrauchbare Trümmer. Dort aufgestellte oder in Aufstellung
begriffene Neubildungen hatten eine zu geringe Stärke, um für einen
ernsten Widerstand gegen einen rumänischen Einfall in das Land in Betracht
kommen zu können. Die Verhältnisse auf dem südlichen Donauufer waren in
dieser Beziehung für uns günstiger. Eine aus bulgarischen, osmanischen und
deutschen Verbänden neugebildete Armee war im bulgarischen Grenzgebiete
der Dobrudscha und an der Donau weiter aufwärts in Versammlung begriffen,
zusammen etwa 7 Divisionen von sehr verschiedener Stärke.

Das war im wesentlichen alles, was zurzeit an der wundesten der wunden
Stellen unseres europäischen Kriegsschauplatzes, nämlich an den
rumänischen Grenzen, verfügbar war. Weiterer Kräftebedarf mußte entweder
aus anderen Kampffronten weggezogen oder abgekämpften und der Ruhe
bedürftigen Verbänden entnommen oder endlich durch Bildung neuer
Divisionen gewonnen werden. Gerade in letzterer Beziehung lagen aber die
Verhältnisse bei uns wie bei unseren Verbündeten nicht günstig. Die
Ersatzlage drohte bei andauernd gleicher oder gar erhöhter Anspannung
bedenklich zu werden. Auch war der Verbrauch von Gerät und Schießbedarf
durch die lange Dauer und den Umfang der Kämpfe auf allen Fronten ein
solch ungeheurer geworden, daß die Gefahr einer Lähmung unserer
Kriegführung schon aus diesem Grunde nicht ausgeschlossen erschien. Auf
die Lage in der Türkei komme ich später zurück.



                             Politische Lage


Nicht nur die ersten Eindrücke über die militärische, sondern auch
diejenigen über die politische Gesamtgestaltung bedürfen einer kurzen
Darlegung. Ich beginne mit den Verhältnissen in unserem eigenen
Vaterlande.

Als mir die Leitung der Operationen übertragen wurde, hielt ich die
Stimmung in unserer Heimat zwar nicht für verzagt, aber doch für ernst.
Kein Zweifel, daß man dort durch manche kriegerischen Vorgänge der letzten
Monate enttäuscht war. Dazu kam, daß sich die Not des täglichen Lebens
wesentlich gesteigert hatte. Besonders bitter litt der Mittelstand unter
den für ihn ungewöhnlich nachteiligen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die
Lebensmittel wurden immer knapper zugewiesen, die Ernteaussichten waren
mäßig.

Die Kriegserklärung Rumäniens bedeutete unter diesen Verhältnissen eine
weitere Mehrbelastung des heimatlichen Kriegswillens. Doch war das
Vaterland augenscheinlich auch jetzt zum Durchhalten bereit. Wie lange und
wie stark diese Stimmung anhalten werde, ließ sich freilich nicht
vorhersagen. Der Verlauf der kriegerischen Ereignisse der nächsten Zeit
mußte in dieser Hinsicht entscheidend wirken.

Was die Beziehungen Deutschlands zu seinen Verbündeten betrifft, so
sollten wir diese nach den propagandistischen Äußerungen der gegnerischen
Presse während des Krieges schrankenlos beherrschen. Es wurde behauptet,
wir hielten Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei sozusagen am Halse
fest, bereit sie zu würgen, wenn sie nicht taten, was wir wollten. Und
doch konnte es kaum eine größere Entstellung des wirklichen Sachverhaltes
geben, als sie in dieser Behauptung lag. Ich glaube, daß sich nirgends die
Schwäche Deutschlands im Vergleich zu England deutlicher zeigte, als in
der Verschiedenheit der politischen Einwirkungen auf die beiderseitigen
Bundesgenossen.

Wenn zum Beispiel das offizielle Italien es jemals gewagt hätte, offen
Friedensneigungen ohne britische Erlaubnis zu zeigen, so war England jeder
Zeit imstande, diesen Verbündeten einfach durch Hunger zur Fortsetzung der
einmal eingeschlagenen Politik zu zwingen. Ähnlich stark und unbedingt
herrschend war Englands Stellung Frankreich gegenüber. Unabhängiger war in
dieser Beziehung wohl nur Rußland; aber auch die politische
Selbständigkeit des Zarenreiches fand aus wirtschaftlichen und
finanziellen Gründen England gegenüber ihre Grenzen. Wie viel ungünstiger
war in dieser Richtung die Stellung Deutschlands. Welche politischen,
wirtschaftlichen oder militärischen Machtmittel lagen in unserer Hand, um
etwaigen Abfallbestrebungen irgend eines unserer Bundesgenossen
entgegenzutreten? Sofern sich diese Staaten nicht durch den freien Willen
oder durch das drohende sichere Verderben an uns gekettet fühlten, hatten
wir keine Macht, sie bei uns festzuhalten. Ich stehe nicht an, diese
unbestreitbare Tatsache als eine besondere Schwäche unserer gesamten Lage
hervorzuheben.

Nunmehr zu den einzelnen Verbündeten.

Die innerpolitischen Verhältnisse in Österreich-Ungarn hatten sich im
Laufe des Sommers 1916 nicht unbedenklich gestaltet. Die dortige
politische Leitung hatte wenige Wochen vor unserem Eintreffen in Pleß
unserer Reichsleitung gegenüber kein Hehl daraus gemacht, daß die
Donaumonarchie eine weitere Belastung durch militärische und politische
Mißerfolge nicht mehr vertrug. Die Enttäuschung über das Scheitern der mit
allzu lauten Verheißungen begleiteten Offensive gegen Italien war eine
tiefgehende. Der rasche Zusammenbruch des Widerstandes an der
galizisch-wolhynischen Front ließ in der großen Masse des
österreichisch-ungarischen Volkes einen mißtrauischen Pessimismus
aufkommen, der in der Volksvertretung ein rückhaltloses Echo fand. Die
leitenden Kreise Österreich-Ungarns standen zweifellos unter der Wirkung
dieser Stimmung. Es war freilich nicht das erste Mal, daß solche
bedenkliche Auffassungen aus deren Mitte zu uns herüberklangen. Man traute
sich dort zu wenig selbst zu. Da man die eigenen Kräfte nicht
zusammenzufassen wußte, mißtraute man deren Größe. Bei diesem Urteil
verkenne ich nicht, daß die politischen Schwierigkeiten der
Doppelmonarchie unendlich viel größer waren, als diejenigen unseres
geeinten deutschen Vaterlandes. Auch die Lebensmittelfrage war eine
ernste. Besonders litten die deutsch-österreichischen Landesteile bitter
unter der Not. Nach meiner Ansicht lag keine Veranlassung vor, der
Bündnistreue Österreich-Ungarns irgendwie zu mißtrauen. Jedoch mußte unter
allen Umständen dafür gesorgt werden, daß das Land von dem auf ihm
liegenden Druck baldmöglichst entlastet wurde.

Anders, ich darf sagen national gefestigter, als in Österreich-Ungarn
lagen die innerpolitischen Verhältnisse in Bulgarien. Das Land führte mit
dem Kampfe um die staatliche Vereinigung der bulgarischen Stammesgenossen
gleichzeitig den Kampf um seine endgültige Vormachtstellung auf dem
Balkan. Die mit den Mittelmächten und der Türkei abgeschlossenen Verträge
im Verein mit den bisherigen Kriegserfolgen schienen Bulgariens
weitgehenden Wünschen sichere Erfüllung bringen zu wollen. Das Land war
freilich aus dem letzten Balkankriege stark erschöpft in den neuen Krieg
eingetreten. Außerdem war es in den jetzigen Kampf bei weitem nicht mit
jener allgemeinen Begeisterung gegangen wie in denjenigen des Jahres 1912.
Diesmal war es mehr von der kühlen Berechnung seiner Staatsmänner als von
nationalem Schwung geführt. Kein Wunder daher, wenn das Volk sich im
jetzigen Besitz der erstrebten Landesteile befriedigt fühlte und keine
starken Neigungen zu neuen Unternehmungen zeigte. Ob das Zögern mit der
Kriegserklärung an Rumänien – sie war bei meinem Eintreffen in Pleß noch
nicht erfolgt – lediglich ein Ausfluß dieser Stimmung war, möchte ich
freilich heute noch bezweifeln. Die Verhältnisse in der
Lebensmittelversorgung des Landes waren, am deutschen Maßstabe gemessen,
gute.

Im allgemeinen glaubte ich die Hoffnung zu haben, daß unser Bündnis mit
Bulgarien eine etwaige militärische Belastungsprobe vertragen würde.

Ein nicht geringeres Vertrauen brachte ich der Türkei entgegen. Das
osmanische Reich war in den Kampf getreten ohne jegliche Bestrebungen nach
politischer Machterweiterung. Seine führenden Persönlichkeiten, allen
voran Enver Pascha, hatten klar erkannt, daß es für die Türkei in dem
ausgebrochenen Kampfe keine Neutralität geben könne. Man kann sich in der
Tat nicht vorstellen, daß Rußland und die Westmächte die einschränkenden
Bestimmungen über die Benutzung der Meerengen auf die Dauer hätten
berücksichtigen können. Die Aufnahme des Kampfes bedeutete für die Türkei
eine Frage des Seins oder Nichtseins, ausgesprochener fast wie für uns
andere. Unsere Gegner taten uns einen Gefallen damit, dies von Anfang an
laut und deutlich zu verkünden.

Die Türkei hatte bei diesem Kampfe bisher eine Stärke entwickelt, die alle
in Erstaunen setzte. Ihre aktive Kriegführung überraschte Freunde wie
Feinde; sie fesselte starke gegnerische Kräfte auf allen asiatischen
Kriegsschauplätzen. Man hat in Deutschland späterhin oftmals den Vorwurf
gegen die Oberste Heeresleitung erhoben, daß sie zur Stärkung der
Kampfkraft der Türkei ihre eigenen Mittel zersplittert hätte. Man
beachtete aber bei diesem Urteil nicht, wie wir durch eben jene
Unterstützungen den Bundesgenossen andauernd befähigten, mehrere
100.000 Mann bester gegnerischer Kampftruppen von unseren
mitteleuropäischen Kriegsschauplätzen fernzuhalten.



                    Die deutsche Oberste Kriegsleitung


Die Erfahrungen des Frühjahrs und Sommers 1916 hatten die Notwendigkeit
ergeben, eine führende und voll verantwortliche Befehlsstelle für uns und
unsere verbündeten Heere einzurichten. Im Benehmen mit den regierenden
Staatshäuptern wurde eine Oberste Kriegsleitung geschaffen. Sie wurde
Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser übertragen. Der Chef des
Generalstabes des deutschen Feldheeres erhielt das Recht „im Auftrage
dieser Obersten Kriegsleitung“ Anweisungen herauszugeben und
Vereinbarungen mit den verbündeten Heereschefs zu treffen.

Bei dem großen Entgegenkommen und der verständnisvollen Mitarbeit der mir
im übrigen gleichgestellten Chefs der verbündeten Heere konnte ich die
Anwendung meiner neuen Rechte auf einzelne besonders wichtige kriegerische
Entscheidungen beschränken. Die Behandlung gemeinsamer politischer und
wirtschaftlicher Fragen fiel nicht in den Bereich dieser Obersten
Kriegsleitung.

Meine Aufgabe bestand sonach im wesentlichen darin, den Verbündeten die
leitenden Gesichtspunkte für die gesamte Kriegsführung zu geben und ihre
Kräfte und Tätigkeit zur Erreichung des gemeinsamen Zieles
zusammenzufassen. Unser aller Interessen würde es entsprochen haben, wenn
die Oberste Kriegsleitung unter Zurückstellung der einzelnen
Sonderinteressen, ja selbst unter Preisgabe einzelner für die Entscheidung
nebensächlicher Rücksichten, einen durchschlagenden Erfolg auf einem der
Hauptkriegsschauplätze hätte erzwingen können. Im unabänderlichen Wesen
des Koalitionskrieges lag es aber, daß unserer Obersten Kriegsleitung
durch Rücksichten aller möglichen Art hierin oft Schwierigkeiten bereitet
wurden.

Es ist bekannt, daß Deutschland in diesem Krieg seinen Bundesgenossen
gegenüber in weit höherem Maße der gebende als der empfangende Teil war.
Mit dieser Feststellung soll und kann freilich nicht die Auffassung
vertreten werden, als ob Deutschland diesen ungeheuren Kampf ohne
Bundesgenossen hätte durchführen können. Auch liegt in der vielfach
ausgesprochenen Ansicht, Deutschland habe sich nur auf krüppelhafte
Verbündete gestützt, eine arge Verkennung der Wirklichkeit und eine
einseitige Übertreibung. Man übersieht dabei, daß auch unsere Verbündeten
vielerorts starke feindliche Überlegenheiten auf sich gezogen hatten.

Wenn ich jetzt den Blick auf das Vergangene zurückwende, so habe ich den
Eindruck, daß nicht in großen Operationen, sondern in dem Ausgleich
verschiedengerichteter Interessen der einzelnen Bundesgenossen der
schwierigste Teil unserer Aufgaben vom Standpunkt der Obersten
Kriegsleitung lag. Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob sich in den
meisten Fällen politische Verhältnisse dringender geltend machten, als
militärische Gründe. Eine ganz besondere Erschwerung lag für unsere Pläne
und Entscheidungen in den verschiedenen Werten der verbündeten Heere. Wir
mußten nach Übernahme der Obersten Heeresleitung erst allmählich lernen,
was wir von den Waffen unserer Verbündeten erwarten und verlangen konnten.

Die österreichisch-ungarische Wehrmacht hatte ich zum erstenmal bei dem
Feldzug in Polen in unmittelbarem Zusammenwirken mit unseren Truppen
kennen gelernt. Sie entsprach schon damals den Anforderungen, die wir an
unsere eigenen Kräfte zu stellen gewohnt waren, nicht mehr vollständig.
Der Hauptgrund für den Rückgang des Durchschnittswertes der k. u. k.
Truppenteile lag unbestrittenermaßen in der außerordentlichen
Erschütterung, die das Heer bei seiner, wie ich mich schon ausdrückte,
überkühnen, rein frontalen Operation bei Kriegsbeginn in Galizien und
Polen erlitten hatte. Man hat nachträglich behauptet, daß die
österreichisch-ungarische Offensive damals das Ergebnis hatte, den Ansturm
der russischen Heeresmassen zu brechen. Vielleicht hätte sich aber dieses
auf weniger gewagtem Wege und mit erheblich geringeren Opfern erreichen
lassen. Jedenfalls erholte sich das russische Heer nach den damals
erlittenen Verlusten wieder, das österreichisch-ungarische aber nicht
mehr, ja es schlug der kühne Unternehmungsgeist Österreich-Ungarns in eine
dauernde Überempfindlichkeit gegenüber den russischen Massen um. Allen
Anstrengungen der österreichisch-ungarischen Obersten Heeresleitung, die
erlittenen schweren Schäden zu beheben, stellten sich unüberwindliche
Schwierigkeiten entgegen. Diesen im einzelnen nachzugehen, glaube ich mir
versagen zu können. Ich möchte nur die Frage aufwerfen: Wie hätte es
Menschenkräften gelingen können, einen neuen erhebenden Antrieb
einheitlichen, nationalen Kampfwillens in das Völkergemisch der
Doppelmonarchie hineinzubringen, nachdem die erste Blüte des Willens, der
Begeisterung und des Selbstvertrauens geknickt war? Wie sollte besonders
das Offizierkorps, das bei dem ersten Vorstürmen so schwer gelitten hatte,
einigermaßen wieder auf die alte Höhe gebracht werden? Vergessen wir
nicht, daß Österreich-Ungarn keineswegs über die geistigen Kräfte
verfügte, aus denen Deutschland so oft und lange zu schöpfen vermochte.

Ein Irrtum lag in der Annahme, daß die österreichisch-ungarische Armee in
ihrer Gesamtheit von dem andauernden Rückgang des Wertes ihrer Truppen
überall gleichmäßig betroffen wurde. Die Donaumonarchie verfügte bis
zuletzt über hochwertige Verbände. Ein starker Hang zu einem
ungerechtfertigten Pessimismus in kritischen Lagen zeigte sich freilich an
vielen Stellen. Besonders war auch die höhere österreichisch-ungarische
Truppenführung hiervon nicht unberührt. Nur so konnte es kommen, daß
selbst nach hervorragenden Angriffsleistungen der Gefechtswille unseres
Bundesgenossen ganz überraschend zusammenbrach, ja sich geradezu ins
Gegenteil verkehrte.

Durch die berührten Erscheinungen wurde natürlicherweise ein Element
großer Unsicherheit in die Berechnungen unserer Obersten Kriegsleitung
hineingebracht. Wir waren nie sicher, ob uns nicht überraschendes
Nachgeben verbündeter Heeresteile unerwartet vor ganz veränderte Lagen
stellen und dadurch unsere Pläne umwerfen würde. Schwächemomente treten in
den Truppenteilen jeden Heeres auf. Sie liegen in der menschlichen Natur
begründet. Die Führung muß damit rechnen, wie mit einem gegebenen Faktor,
dessen Größe aber nicht festzustellen ist. Durch eine vollwertige Truppe
werden jedoch solche Momente meist rasch überwunden, oder es bleibt selbst
im größten Zusammenbruch wenigstens noch ein Kern von Schlagkraft und
Widerstandswille übrig. Wehe aber, wenn auch dieser letzte Kern völlig
verbrennt. Das Unheil fällt dann verheerend nicht nur auf die betroffene
Truppe sondern auch auf die anschließenden oder eingestreuten zäheren
Verbände; sie werden von der Katastrophe in Flanke und Rücken gefaßt und
erleiden vielfach ein schlimmeres Schicksal, als die weniger Standhaften.
Das war so oft das traurige Ende unserer in österreichisch-ungarische
Fronten eingebauten Stützen. War es ein Wunder, daß hierdurch die Stimmung
unserer Truppen gegenüber den österreichisch-ungarischen Waffengefährten
nicht immer vertrauensvoll und günstig war?

Im großen und ganzen dürfen wir aber die Leistungen Österreichs-Ungarns in
diesem gewaltigen Kampfe nicht unterschätzen und bitteren Gefühlen
nachhängen, die manchmal unter dem Eindruck enttäuschter Erwartungen
entstanden sind. Die Donaumonarchie blieb uns ein getreuer Waffengenosse.
Wir haben stolze Zeiten gemeinsam durchlebt und sollten uns hüten, im
gemeinsamen Unglück uns innerlich zu trennen.

Einen anderen inneren Aufbau als das österreichisch-ungarische Heer hatte
das bulgarische. Es war national in sich völlig geschlossen. Die
bulgarische Armee hatte im großen Kriege bis zum Herbste 1916
verhältnismäßig wenig gelitten. Bei der Beurteilung ihres Wertes dürfte
aber nicht vergessen werden, daß sie erst vor kurzem einen anderen
mörderischen Krieg überstanden hatte, in dem der größte Teil der Blüte des
Offizierskorps, ja der gesamten Intelligenz des Landes zugrunde gegangen
war. Ihr Wiedererstarken war in Bulgarien zum mindesten ebenso schwierig
wie in Österreich-Ungarn. Die verhältnismäßig noch primitiven Zustände des
Balkanlandes erschwerten außerdem dem Heere Einführung und Gebrauch
mancher für den modernen Krieg unbedingt notwendiger Kampf- und
Verkehrsmittel. Dies machte sich um so mehr fühlbar, als auch an der
mazedonischen Front vollwertige französische und englische Truppenteile
uns gegenüberstanden. Schon aus diesem Grunde konnte nichts Überraschendes
darin gefunden werden, daß wir Bulgarien nicht nur mit materiellen
Mitteln, sondern auch mit personellen Kräften unterstützen mußten.

Wieder anders als in der österreichisch-ungarischen und der bulgarischen
Armee lagen die Verhältnisse in der türkischen. Unsere deutsche
Militärmission hatte vor dem Kriege kaum Zeit gehabt, zu wirken,
geschweige denn eine durchgreifende Besserung in den zerrütteten
Verhältnissen des türkischen Heeres zu erreichen. Trotzdem war es
gelungen, eine große Anzahl türkischer Verbände mobil zu machen. Die Armee
hatte aber an den Dardanellen und bei ihren ersten Angriffsoperationen in
Armenien außerordentlich schwer gelitten. Dessen ungeachtet schien ihre
Leistungsfähigkeit für die ihr von der Obersten Kriegsleitung zunächst
gestellte Aufgabe: Verteidigung des türkischen Landbesitzes, ausreichend.
Ja, es war sogar möglich, starke Teile des osmanischen Heeres allmählich
auf europäischem Boden zu verwenden. Unsere militärische Unterstützung der
Türkei beschränkte sich im wesentlichen auf die Lieferung von Kampfmitteln
und auf die Gestellung von zahlreichen Offizieren. Die für die asiatischen
Kriegsschauplätze bis zum Herbste 1916 abgegebenen deutschen Formationen
wurden von uns mit Zustimmung der türkischen Obersten Heeresleitung nach
und nach zurückgezogen, je nachdem die Türkei imstande war, das Material
dieser Formationen selbst zu übernehmen und zu bedienen.

Unsere Materiallieferungen gingen bis zu den Senussen an der Nordküste
Afrikas, denen wir mit Hilfe unserer Unterseeboote hauptsächlich Gewehre
und Schießbedarf lieferten. Waren diese Sendungen auch klein, so wirkten
sie doch außerordentlich erhebend auf den kriegerischen Geist der
mohammedanischen Stämme. Die praktischen Ergebnisse ihres Kampfes für
unsere Kriegführung lassen sich bis jetzt noch nicht überblicken;
vielleicht waren sie größer, als wir es damals ahnen konnten.

Selbst über die Nordküste Afrikas hinaus versuchten wir unseren
Waffengenossen Unterstützung zu bringen. So traten wir unter anderm dem
von Enver Pascha im Jahre 1917 angeregten Gedanken näher, den Stämmen im
Yemen, die ihrem Padischah in Konstantinopel treu geblieben waren,
finanzielle Hilfe zu schicken. Da uns der Weg dorthin zu Lande durch
aufrührerische Nomadenstämme der arabischen Wüste versperrt war, und die
Küsten des Roten Meeres für unsere Unterseeboote wegen ihres nicht
genügenden Aktionsradius unerreichbar waren, so wäre uns nur der Luftweg
übrig geblieben. Zu meinem größten Bedauern verfügten wir aber damals noch
nicht über ein Luftschiff, das die meteorologischen Schwierigkeiten einer
Fahrt über die große Wüste mit Sicherheit hätte überwinden können. Die
Durchführung des Planes mußte also unterbleiben.

In diesem Zusammenhang darf ich vorgreifend erwähnen, daß ich 1917 den
Versuch, unserer Schutztruppe in Ostafrika auf dem Luftwege Waffen und
Medikamente zuzuführen, mit dem regsten Interesse verfolgte. Das
Zeppelinschiff mußte bekanntlich über dem Sudan umkehren, da unsere
Schutztruppe in der Zwischenzeit weiter nach Süden gerückt war und ihre
Operationen nach Portugiesisch-Ostafrika verlegt hatte. Mit welch stolzen
Gefühlen ich während des Krieges die Taten und fast übermenschlichen
Leistungen dieser prächtigen Truppe in Gedanken begleitete, bedarf keiner
näheren Ausführung. Sie hat auf afrikanischem Boden ein unvergängliches
Denkmal deutschen Heldentums errichtet.

Rückblickend auf die Leistungen unserer Bundesgenossen muß ich anerkennen,
daß sie die ihnen eigenen Kräfte in dem gemeinsamen Dienst unserer großen
Sache so weit anspannten, als die Eigenart ihrer staatlichen,
wirtschaftlichen, militärischen und ethischen Mittel ihnen das
ermöglichte. Das Ideal erreichte freilich keiner, und wenn wir vor allen
anderen diesem Ideal uns am meisten näherten, so war das nur möglich,
infolge der gewaltigen, uns selbst anfangs gar nicht vollbewußten inneren
Kräfte, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte unserer Geschichte
angesammelt hatten, Kräfte, die in allen Schichten des Vaterlandes
vorhanden waren, hier nicht schlummerten sondern lebendig waren und in
beständiger Regung sich weiter stärkten. Nur wenn ein Staat in sich gesund
ist und unverdorbene Lebenskräfte ihn so stark durchfluten, daß die
ungesunden im entscheidenden Augenblick mit fortgerissen werden, nur dann
sind solche Leistungen denkbar, wie wir sie vollbrachten, und zwar
vollbrachten weit über die Verpflichtungen hinaus, vor die unsere
Bündnisse uns stellten.

Daß dem so sein konnte, dafür gebührt der Dank geschichtlich nachweisbar
vornehmlich den Hohenzollern und unter diesen in der letzten Zeitepoche
deutscher Größe unserem Kaiser Wilhelm II. Getreu den Überlieferungen
seines Hauses erblickte dieser Herrscher in dem Heere die beste Schule des
Volkes und arbeitete unermüdlich an dessen Fortentwickelung. So stand denn
Deutschlands Heeresmacht als die erste der Welt da: vor dem Kriege der
achtunggebietende Schutz friedlicher Arbeit, während des Krieges der Kern
aller Kraftäußerung.



                                   Pleß


Das oberschlesische Städtchen Pleß war von der deutschen Obersten
Heeresleitung schon in früheren Zeitabschnitten des Krieges als
vorübergehender Sitz des Großen Hauptquartiers gewählt worden. Der Grund
dieser Wahl lag in der Nähe des Aufenthaltes des k. u. k.
Armee-Oberkommandos in der österreichisch-schlesischen Stadt Teschen. Der
Vorteil, der sich aus der Möglichkeit rascher und persönlicher Aussprache
zwischen den beiden Hauptquartieren ergab, war auch jetzt maßgebend für
den weiteren Beibehalt dieses Hauptquartiers.

Das deutsche Große Hauptquartier bildete natürlicherweise den Treffpunkt
deutscher und verbündeter Fürstlichkeiten, die mit meinem Kaiserlichen
Herrn über politische und militärische Fragen unmittelbare Rücksprache
nehmen wollten. Zu den ersten Monarchen, denen ich dort näher zu treten
die Ehre hatte, zählte Zar Ferdinand von Bulgarien. Er machte auf mich den
Eindruck eines hervorragenden Diplomaten. Sein politischer Blick ging weit
über die Grenzen des Balkans hinaus. Mit Meisterschaft verstand er es
dabei, in den großen entscheidenden Fragen der Weltpolitik die Stellung
seines Landes wirkungsvoll zu beleuchten und in den Vordergrund zu rücken.
Die Zukunft Bulgariens sollte sich, wie er meinte, in diesem Kriege durch
die endgültige Beseitigung des russischen Einflusses und die endliche
Vereinigung aller bulgarischen Stammesangehörigen unter einheitlicher
Führung entscheiden. Andere Ziele seiner Politik hat der Zar mir gegenüber
niemals zur Sprache gebracht. Einen besonderen Eindruck machte mir die
Art, wie der Beherrscher der Bulgaren die politische Erziehung seines
ältesten Sohnes leitete. Kronprinz Boris war gewissermaßen der
Privatsekretär seines königlichen Vaters und schien mir in die geheimsten
politischen Gedankengänge des Zaren eingeweiht zu sein. Der hochbegabte
Prinz mit seiner vornehmen Denkungsart spielte die ihm anvertraute
wichtige Rolle in taktvollster Weise mit bescheidener Zurückhaltung. Das
väterliche Regiment war dabei anscheinend ein ziemlich scharfes.

Die Außenpolitik seines Staates führte der Zar im wesentlichen ganz
allein. Inwiefern er auch die schwierigen innerpolitischen Verhältnisse
seines Landes unbedingt beherrschte, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich
glaube aber, daß er es verstand, mitten in der oftmals einreißenden
parlamentarischen Anarchie Bulgariens seinen Willen, und sei es manchmal
auch mit autokratischen Mitteln, geltend zu machen. Seine Aufgabe war in
dieser Beziehung zweifellos eine schwere. Die Bulgaren waren, wie alle
Balkanvölker, aus der Knechtschaft in die volle staatliche Freiheit
hineingesprungen. Die Schulung und die harte Arbeit des Übergangs von
einem Zustand zum anderen fehlte ihnen daher. Ich fürchte, daß diese oft
so vortrefflich beanlagten Völkerschaften noch viele Jahrzehnte unter den
Folgen des Mangels jener erzieherischen Zwischenzeit leiden werden.

Der bulgarische König war zurzeit jedenfalls einer der bedeutendsten
Herrscher. Uns gegenüber bewährte er sich als treuer Bundesgenosse.

Während unseres Aufenthaltes in Pleß starb Kaiser Franz Joseph. Sein
Heimgang war für das Donaureich und uns ein Verlust, der in seiner ganzen
Größe wohl erst später voll gewürdigt werden kann. Es unterlag keinem
Zweifel, daß mit seinem Tode für die Völkervielheit der Doppelmonarchie
der ideelle Vereinigungspunkt verloren ging. Sank doch mit dem
ehrwürdigen, greisen Kaiser ein großer Teil des nationalen Gewissens des
verschiedenstämmigen Reiches für immer ins Grab.

Die Schwierigkeiten, denen der junge Kaiser gegenübergestellt war, lassen
sich in ihrer Größe und Mannigfaltigkeit mit denjenigen eines
Thronwechsels in stammeseinheitlichen Reichen nicht in Vergleich ziehen.
Der neue Herrscher versuchte den Wegfall der ethisch bindenden Macht, der
durch das Ableben Kaiser Franz Josephs eingetreten war, durch völkisch
versöhnende Schritte zu ersetzen. Selbst staatszersetzenden Elementen
gegenüber glaubte er an die moralische Wirkung politischer Gnadenbeweise.
Das Mittel versagte völlig; diese Elemente hatten ihren Pakt mit unseren
gemeinsamen Feinden längst geschlossen und waren weit entfernt, ihn
freiwillig wieder zu kündigen.

Bei den vielfachen regen persönlichen Beziehungen, die mir der Aufenthalt
in Pleß mit dem damaligen Generaloberst Conrad von Hötzendorf brachte,
bestätigte sich mir der Eindruck, den ich schon früher von ihm als Soldat
und Führer erhalten hatte. General von Conrad war eine hochbegabte
Persönlichkeit, ein glühender österreichischer Patriot und ein
warmherziger Anhänger unserer gemeinsamen Sache. Gegen politische
Einflüsse, die ihn aus dieser Richtung bringen wollten, war er zweifellos
aus tiefster Überzeugung ablehnend. Der Generaloberst war in seinem
operativen Denken sehr großzügig; er verstand es, die Kernpunkte unserer
gemeinsamen, großen Fragen aus dem Wuste der weniger entscheidenden
Nebendinge herauszuschälen. Er war ein besonders vortrefflicher Kenner der
Verhältnisse des Balkans und Italiens.

Die bedeutenden Schwierigkeiten, die einem nationalen Einheitsgeist der
österreichisch-ungarischen Armee entgegenstanden und die sich hieraus
ergebenden Mängel waren dem Generaloberst wohlbekannt. Trotzdem
überschätzte er bei seinen hohen Plänen hier und da die möglichen
Leistungen des ihm anvertrauten Heeres.

Auch die militärischen Führer der Türkei und Bulgariens lernte ich im
Laufe des Herbstes und Winters in Pleß persönlich kennen.

Enver Pascha zeigte mir gegenüber einen ungewöhnlich weiten und freien
Blick für das Wesen der Führung des gegenwärtigen Krieges und seiner
Durchführung. Die Hingabe dieses Osmanen an unsere gemeinsame, große und
schwere Sache war eine unbedingte. Ich werde nie den Eindruck vergessen,
den ich bei unserer ersten Besprechung Anfang September 1916 von dem
türkischen Vizegeneralissimus erhielt. Er schilderte uns damals auf meine
Bitte hin die militärische Lage in der Türkei. Mit einer bemerkenswerten
Klarheit, Bestimmtheit und Offenheit gab er uns hiervon ein erschöpfendes
Bild, und, sich an mich wendend, schloß er mit den Worten: „Die Lage der
Türkei in Asien ist zum Teil sehr schwierig. Wir müssen befürchten, in
Armenien noch weiter zurückgeworfen zu werden. Es ist auch nicht
ausgeschlossen, daß die Kämpfe im Irak sich bald wieder erneuern. Auch
glaube ich, daß der Engländer in kurzer Zeit imstande sein wird, uns in
Syrien mit Übermacht anzugreifen. Aber was auch in Asien geschehen mag,
die Entscheidung des Krieges liegt auf europäischem Boden, und hierfür
stelle ich alle meine jetzt noch freien Divisionen zur Verfügung.“
Sachlicher und selbstloser hat wohl noch nie ein Bundesgenosse zu einem
anderen gesprochen. Und es blieb nicht lediglich bei Worten.

Bei aller hohen Auffassung vom Kriege im allgemeinen entbehrte Enver
Pascha aber doch einer gründlichen militärischen, ich möchte sagen,
Generalstabsschulung. Ein Nachteil, der augenscheinlich bei allen
türkischen Führern wie auch in ihren Stäben zu finden war. Es machte den
Eindruck, als wenn bei den Orientalen in dieser Beziehung ein von der
Natur gegebener Mangel vorläge. Die türkische Armee schien nur ganz wenige
Offiziere zu besitzen, die imstande waren bei der Verwirklichung richtig
gedachter Operationen die technischen, inneren Aufgaben der Führung zu
beherrschen. Es fehlte das Gefühl für die Notwendigkeit, daß sich der
Generalstab inmitten der Durchführung großer Gedanken auch mit dem Kleinen
beschäftigen muß. So kam es, daß der orientalische Gedankenreichtum durch
den mangelnden militärischen Wirklichkeitssinn oftmals unfruchtbar gemacht
wurde.

Eine wesentlich andere Natur wie der ideenreiche Osmane war unser
bulgarischer Kampfgenosse, General Jekoff, ein Mann von nüchterner
Beobachtungsgabe, großen Gedanken nicht fremd, aber doch in erster Linie
auf den Gesichtskreis des Balkans sich beschränkend. Inwieweit er in
letzterer Beziehung unter dem Banne seiner Regierung stand, vermag ich
nicht einwandfrei zu beurteilen. Er war jedenfalls ein warmer Anhänger der
außenpolitischen Richtung der bulgarischen Staatsleitung. Mit ihrem
innerpolitischen Gebaren hatte seine Auffassung wohl nichts gemein.

General Jekoff liebte seine Soldaten und ward von ihnen geliebt. Sein
Vertrauen zu ihnen, auch in politischer Beziehung, war ein sehr
weitgehendes. Bemerkenswert in dieser Richtung war eine seiner Äußerungen,
als Zweifel darüber auftauchten, ob der bulgarische Soldat sich nicht etwa
weigern würde, gegen den Russen zu kämpfen: „Wenn ich meinen Bulgaren
sage, sie sollen kämpfen, dann werden sie es tun, gegen wen es auch sei!“
Im übrigen waren dem General einzelne im Volkscharakter liegende Schwächen
seiner Soldaten nicht unbekannt. Ich werde hierauf später noch
zurückkommen.

Außer mit den leitenden militärischen Persönlichkeiten trat ich in Pleß
auch mit den politischen Führern unserer Bundesgenossen in persönliche
Fühlung. Ich möchte an dieser Stelle nur vom osmanischen Großwesir Talaat
Pascha und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Radoslawow sprechen.

Talaat Pascha machte den Eindruck eines genialen Staatsmannes. Er war sich
über die Größe der Aufgabe wie über die Mängel seines Staatswesens nicht
im Zweifel. Wenn es ihm nicht gelang, die Selbstsucht und die nationale
Trägheit, die auf seinem Vaterlande lastete, auszurotten, so lag das
lediglich an der Größe der dabei zu überwindenden Schwierigkeiten. Es
konnte eben nicht in Monaten gebessert werden, was in Jahrhunderten
versäumt war, was Vermischung von Volksrassen und innere, moralische
Erschöpfung weiter Kreise des Staates längst vor dem Kriege verdorben
hatten. Er selbst trat mit reinen Händen an die Spitze seines Staates und
blieb mit reinen Händen dort. Talaat war ein vollwertiger Vertreter des
alten, ritterlichen Türkentums. Politisch unbedingt zuverlässig, so
begegnete er mir zum ersten Male 1916, so verabschiedete er sich von uns
im Herbste 1918.

Die Schwächen der türkischen Staats- und Kriegsleitung lagen in ihrer
großen Abhängigkeit von den inneren Verhältnissen. Politische und
wirtschaftlich selbstsüchtige Persönlichkeiten der sogenannten
Komiteeregierung mischten sich in die kriegerische Führung und banden
dieser in vielen Fällen die Hände, so daß sie außerstande war, richtig
erkannte Mißstände mit an sich vorhandenen Mitteln zu bessern. Zwar taten
einzelne hervorragende Männer alles, was in ihren Kräften stand. Aber die
staatliche Gewalt durchdrang nicht mehr das Reich. Das Herz des Landes,
Konstantinopel, pulsierte zu schwach und trieb keine gesunden,
erfrischenden und staatsfördernden Säfte in die entfernten Provinzen. Neue
Gedanken waren freilich während des Krieges entstanden und wuchsen mit den
kriegerischen Lorbeeren der Siege an den Dardanellen und am Tigris in echt
orientalischer Üppigkeit. Man begann, an die religiöse und politische
Vereinigung des gesamten Islams zu denken. Man erbaute sich, trotz der
sichtbaren Mißerfolge bei Verkündung des Heiligen Krieges, an dem
Auftreten mohammedanischer Glaubenskämpfer, wie zum Beispiel im nördlichen
Afrika. Der Gang der Ereignisse sollte indessen beweisen, daß diese
Erscheinung religiösen Fanatismus nur örtlichen Sonderheiten entsprang,
und daß Hoffnung auf deren Übertragung in die weiten Gebiete des inneren
Asiens eine Täuschung war, ja noch mehr als das: eine verhängnisvolle
militärische Gefahr.

Der Bulgare Radoslawow war in seinem politischen Denken mehr an die
Scholle gebunden, als der großzügige osmanische Staatsmann Talaat Pascha.
Ich wage zu bezweifeln, ob Radoslawow die Kühnheit des Schrittes, der
Bulgarien 1915 an unsere Seite führte, in seiner ganzen Größe – ich darf
vielleicht sagen, in der von seinem Zaren ganz durchdachten Größe –
wirklich voll in sich aufgenommen hatte. Unbedingt zuverlässig war
Radoslawow in seiner Außenpolitik für uns jederzeit.

Das bulgarische innerpolitische Parteigetriebe hatte in seiner wilden
Erregtheit während des großen Krieges nicht nachgelassen und war auch in
der Armee stark verbreitet. Nicht nur russophile Ideen trieben hier
spaltende Keile ein, auch der Kampf zwischen innerpolitischen
Parteigruppen übertrug sich auf die Truppen und deren Führer. An dieser
Tatsache war Radoslawow nicht unschuldig.



                      Leben im Großen Hauptquartier


Ermuntert durch das Interesse, das von vielen Seiten an meinem
persönlichen Leben während des großen Krieges genommen wurde, möchte ich
an dieser Stelle die Beschreibung eines regelmäßigen Tagesverlaufes in
unserem Hauptquartier einschieben. Ich bitte alle diejenigen, die an
solcher Kleinmalerei inmitten gewaltigster Weltereignisse wenig Gefallen
haben, die nächstfolgenden Seiten zu überschlagen. Ihre Kenntnis ist zum
Verständnis der großen Zeit nicht notwendig.

Während des Bewegungskrieges in Ostpreußen und Polen im Herbst 1914 war an
einen nach Stunden geregelten Dienstbetrieb innerhalb unseres Armeestabes
nicht zu denken gewesen. Erst mit der Verlegung unseres Quartiers nach
Posen im November 1914 begann eine größere Regelmäßigkeit in unserem
dienstlichen und, wenn man im Kriege davon sprechen kann, auch
außerdienstlichen Leben. Späterhin war der längere ständige Aufenthalt in
Lötzen besonders geeignet zur Einführung eines streng geregelten Ganges
unserer Arbeit.

Meine Berufung als Chef des Generalstabes des Feldheeres änderte im
wesentlichen nichts an unserem eingelebten und bewährten Geschäftsgang,
wenn auch von jetzt ab ein in mancher Beziehung großzügigeres und
belebteres Treiben für uns einsetzte.

Die gewöhnliche Tagesbeschäftigung begann für mich damit, daß ich mich
etwa gegen 9 Uhr vormittags, das heißt, nachdem die Morgenmeldungen
eingetroffen waren, zu General Ludendorff begab, um mit ihm die Änderungen
der Lage und etwa zu treffende Anordnungen zu besprechen. Meist handelte
es sich dabei nicht um lange Aussprachen. Wir lebten beide ununterbrochen
in der Kriegslage und kannten gegenseitig unsere Gedanken. Die Entschlüsse
fielen daher meistens auf Grund etlicher weniger Sätze, ja manchmal
genügten einige Worte, um das gegenseitige Einverständnis festzulegen, das
dem General als Grundlage für die weiteren Ausarbeitungen diente.

Nach dieser Besprechung machte ich mir eine etwa einstündige Bewegung im
Freien, begleitet von meinem Adjutanten. Zur Teilnahme an meinen
morgendlichen Spaziergängen forderte ich gelegentlich auch Gäste des
Großen Hauptquartiers auf, nahm hierbei ihre Schmerzen wie ihre Anregungen
entgegen und läuterte manche sorgende Seele, bevor sie sich auf meinen
Ersten Generalquartiermeister stürzte, um sich bei diesem mehr ins
einzelne gehende Wünsche, Hoffnungen und Vorschläge vom Herzen zu reden.

Nach meiner Rückkehr in das Dienstgebäude erfolgten weitere Besprechungen
mit General Ludendorff und dann unmittelbare Vorträge meiner
Abteilungschefs in meinem Arbeitszimmer.

Neben dieser dienstlichen Tätigkeit bewegte sich die Erledigung der an
mich eingetroffenen persönlichen Briefe. Die Zahl der Menschen, die mir
über alle nur erdenklichen Angelegenheiten schriftlich ihr Herz
ausschütten oder ihre Gedanken offenbaren zu müssen glaubten, war nicht
gering. Für mich war es völlig ausgeschlossen, alles selbst zu lesen. Ich
bedurfte hierfür die besondere Arbeitskraft eines Offiziers. In dieser
Korrespondenz spielte Poesie wie Prosa eine Rolle. Begeisterung und ihr
Gegenteil zeigte sich in allen möglichen Abstufungen. Es war oft sehr
schwer, einen Zusammenhang zwischen den mir vorgetragenen Anliegen und
meiner dienstlichen Stellung zu konstruieren. Um nur zwei von den
hundertfachen Beispielen herauszugreifen, so wurde es mir nie klar, was
ich als Chef des Generalstabes des Feldheeres mit der an sich ja dringend
notwendigen Müllabfuhr einer Provinzialstadt oder mit dem verloren
gegangenen Taufschein einer deutschen Chilenin zu tun haben sollte.
Trotzdem wurde in beiden Fällen meine Hilfe beansprucht. Zweifellos lag ja
in derartigen brieflichen Anliegen ein rührendes, wenn auch manchmal etwas
naives Vertrauen auf meinen persönlichen Einfluß. Wo ich Zeit und
Gelegenheit hatte, half ich gern, wenigstens mit meiner Unterschrift.
Weitergehende Eigenleistungen glaubte ich mir freilich meist versagen zu
müssen.

Um die Mittagsstunde war ich regelmäßig zum Vortrag bei Seiner Majestät
dem Kaiser befohlen. Hierbei entwarf General Ludendorff das Bild der Lage.
Bei wichtigeren Entschlüssen übernahm ich selbst den Vortrag und erbat,
sofern solches notwendig war, die kaiserliche Genehmigung unserer Pläne.
Das hohe Vertrauen des Kaisers entband uns in allen nicht grundsätzlichen
Fragen von einer besonderen Allerhöchsten Zustimmung. Seine Majestät
begnügte sich übrigens auch bei Vorschlägen über neue Operationen
allermeist mit der Entgegennahme meiner Begründungen. Ich erinnere mich
keines Gegensatzes, der nicht schon während des Vortrags durch meinen
Kriegsherrn ausgeglichen wurde. Das ausgezeichnete Gedächtnis des Kaisers
für Kriegslagen unterstützte uns bei diesen Vorträgen in hohem Maße. Seine
Majestät studierte nicht nur die Karten mit größter Genauigkeit, sondern
nahm auch persönliche Einzeichnungen vor. Die Zeit des mittäglichen
Vortrages vor dem Kaiser wurde vielfach auch zu Besprechungen mit
Vertretern der Reichsleitung ausgenutzt.

Nach Beendigung des Kaiservortrages vereinigte der Mittagstisch die
Offiziere meines engeren Stabes um mich. Die Essenszeit wurde auf das
unbedingt nötige Maß beschränkt. Ich hielt darauf, daß meine Offiziere
Zeit gewannen, sich nachher etwas zu ruhen oder sonstwie in ihrer
Tätigkeit auszuspannen. Zu meinem wiederholten persönlichen Bedauern
konnte ich von dieser Kürzung der Essenszeit auch dann nicht absehen, wenn
wir Gäste bei uns zu Tische hatten. Die Rücksicht auf die Erhaltung der
Arbeitskraft meiner Mitarbeiter mußte ich geselligen Formen voranstellen.
War doch eine 16stündige Arbeitszeit für die Mehrzahl dieser Offiziere
eine tagtägliche Forderung. Und dies im Gange eines mehrjährigen Krieges!
Wir waren eben genötigt, bei der Obersten Heeresleitung wie im
Schützengraben unser Menschenmaterial bis zur äußersten Grenze der
Leistungsfähigkeit auszunutzen.

Der Nachmittag verlief für mich ähnlich dem Vormittage. Die längste
Abspannung brachte für alle der um 8 Uhr beginnende Abendtisch. Ihm schloß
sich ein gruppenweises Zusammensitzen in Nebenräumen an, für dessen
Beendigung General Ludendorff pünktlich um 9½ Uhr abends das Zeichen gab.
Die Unterhaltung in unserem Kreise war meist sehr lebhaft. Sie bewegte
sich in zwangloser Form und offenster Aussprache über alle uns unmittelbar
berührenden und allgemein interessierenden Gebiete und Begebenheiten. Auch
der Frohsinn kam zu seinem Recht. Diesen zu unterstützen, hielt ich für
eine Pflicht gegenüber meinen Mitarbeitern. Ich freute mich der
Wahrnehmung, daß unsere Gäste vielfach einerseits von der zuversichtlichen
Ruhe, andererseits von der Ungezwungenheit unseres Verkehrs sichtlich
überrascht waren.

Nach dem Schluß unseres abendlichen Zusammenseins begaben wir uns
gemeinsam in das Dienstgebäude. Dort waren inzwischen die abschließenden
Tagesmeldungen eingetroffen und die Lagen auf den verschiedenen Fronten
zeichnerisch festgelegt. Die Erläuterungen gab ein jüngerer
Generalstabsoffizier. Von den Ereignissen auf den Kriegsschauplätzen hing
es ab, ob ich mich mit General Ludendorff auch jetzt noch einmal
eingehender besprechen mußte, oder ob ich ihn nicht mehr länger in
Anspruch zu nehmen brauchte. Für die Offiziere meines engeren Stabes
begann nunmehr die Arbeit aufs neue. Vielfach waren ja jetzt erst die
abschließenden Anhaltspunkte zur Abfassung und Hinausgabe endgültiger
Anordnungen gegeben, oder es trafen erst von jetzt ab die zahllosen
Anforderungen, Anregungen und Vorschläge der Armeen und sonstigen Stellen
ein. Die Tagesbeschäftigung endete daher nie vor Mitternacht. Die Vorträge
der Abteilungschefs bei General Ludendorff dauerten nahezu regelmäßig bis
in die ersten Stunden des neuen Tages. Es bedurfte schon ganz besonders
ruhiger Zeiten, wenn mein Erster Generalquartiermeister vor Mitternacht
sein Arbeitszimmer verlassen konnte, das er tagtäglich am Beginn der
8. Tagesstunde schon wieder betrat. Wir alle freuten uns, wenn General
Ludendorff sich einmal ein früheres Ausspannen, das ja nur nach Stunden
zählen konnte, zu gönnen vermochte. Unser aller Leben, Arbeit, Denken und
Fühlen ging völlig ineinander auf. Die Erinnerung daran erfüllt mich noch
jetzt mit dankbarer Genugtuung.

Wir blieben im allgemeinen ein enggeschlossener Kreis. Der Personalwechsel
war mit Rücksicht auf einen geregelten Dienstbetrieb natürlicherweise
gering. Immerhin war es ab und zu möglich, dem drängenden Verlangen der
Offiziere nach wenigstens zeitweiliger Verwendung an der Front Rechnung zu
tragen. Auch ergaben sich Gelegenheiten und Notwendigkeiten zur Entsendung
von Offizieren an besonders wichtige Teile unserer eigenen Heeresfronten
oder an diejenigen unserer Verbündeten. Im allgemeinen verlangte aber der
Zusammenhang in den außerordentlich verwickelten und vielseitigen Arbeiten
die dauernde Anwesenheit wenigstens der älteren Offiziere an ihren
Kriegsstellen innerhalb der Obersten Heeresleitung.

Auch der Tod griff mit rauher Hand in unsere Mitte ein. Schon 1916 hatte
ich als Oberkommandierender im Osten meinen mir sehr nahestehenden,
allgemein geschätzten persönlichen Adjutanten, Major Kämmerer, an den
Folgen einer Erkältung verloren. Im Oktober 1918 erlag Hauptmann von
Linsingen einer Erkrankung an Grippe, die in dieser Zeit unter den
Angehörigen des Großen Hauptquartiers zahlreiche Opfer forderte. Entgegen
den dringenden Vorstellungen von seiten des Arztes wie der Kameraden
glaubte Hauptmann von Linsingen in der damals außerordentlich schwierigen
Zeit seinen Posten nicht verlassen zu dürfen, bis er körperlich kraftlos
und vom Fieber geschüttelt die Arbeit doch aus der Hand legen mußte, zu
spät, um noch gerettet werden zu können. Wir verloren an ihm einen geistig
wie charakterlich gleich hochstehenden Kameraden. Seine junge Frau kam
nicht mehr rechtzeitig genug, um ihm die Augen zudrücken zu können. Manche
von denen, die zeitweise meinem Stabe angehört hatten, sind außerdem
später an der Front gefallen.

Das Bild unseres Lebens würde unvollständig sein, wenn ich nicht auch auf
die Besucher zu sprechen käme, die sich bei uns allenthalben und zu jeder
Zeit einstellten. Ich habe hierbei nicht das ständige Ab und Zu von
Persönlichkeiten zahlreicher Berufsklassen im Auge, die dienstlich mit uns
in Berührung kommen mußten, sondern ich denke an diejenigen, die durch
vielfach andere Interessen zu uns geführt wurden. Ich öffnete jedermann
gern Tür und Herz, vorausgesetzt, daß er selbst mir offen entgegenkam.

Die Zahl unserer Gäste war groß. Wir waren nur wenige Tage ohne solche.
Nicht nur Deutschland und seine Verbündeten, sondern auch die Neutralen
stellten ein beträchtliches Kontingent. Oftmals machten unsere Reihen bei
Tisch den Eindruck eines bunten Völkergemisches, und es traf sich auch,
daß christliche Würdenträger mit mohammedanischen Gläubigen Stuhl an Stuhl
saßen. Leute aller Stände und Parteirichtungen fanden herzliche Aufnahme.
Ich widmete allen gern meine knappe Freizeit. Unter den Politikern gedenke
ich mit Vorliebe des Grafen Tisza, der mich im Winter 1916/17 in Pleß
aufsuchte. Aus seinem Wesen sprach die ungebrochene Kraft seines Willens,
ein glühendes patriotisches Gefühl. Auch andere Politiker aller
Schattierungen aus unseren und unserer Verbündeten Ländern sprachen bei
mir vor. In ihren Denkrichtungen mir vielfach fremd, in ihren Gefühlen für
die gemeinsame große Sache aber damals gleichgeartet. Ich erinnere mich so
mancher warmer patriotischer Worte beim Abschied. Ich drückte in meinem
Kreise die schwielig kräftigen Hände von Handwerkern und Arbeitern und
freute mich ihres offenen Blickes und ihrer aufrichtigen Rede. Vertreter
führender Industrien und Männer der Wissenschaft setzten uns in Kenntnis
von neuen Erfindungen und Gedanken und schwärmten von künftigen
wirtschaftlichen Plänen. Sie klagten wohl auch über den engen
Bureaukratismus der Heimat und über die Beschränkung der Mittel zur
Verwirklichung ihrer Ideen. Bureaukraten andrerseits jammerten über die
geldfressende Begehrlichkeit gefürchteter Phantasten und über die
uferlosen Pläne von Erfindern. Ich erinnere mich der interessierten Fragen
eines heimatlichen recht hohen Finanzbeamten, der die Preise eines
Schusses jeden Geschützkalibers wissen wollte, um daraus die ungefähren
Kosten einer Schlacht zu berechnen. Er hat mich mit dem Ergebnis seines
Kalkuls verschont, wohl in der Befürchtung, daß ich deswegen den
Munitionsverbrauch doch nicht einschränken würde.

Nicht nur Notwendigkeiten, Sorgen und Arbeit fanden zu uns den Weg, auch
Neugierde suchte Eintritt. Oft lachte ich im stillen über verlegene
Redensarten, mit denen so manches Erscheinen Rechtfertigung finden wollte.
Ob das Ergebnis solcher Besuche stets den gehegten Erwartungen entsprach,
wage ich nicht in allen Fällen zu bejahen. Im Gegensatz hierzu war mir
manch prächtiger Truppenoffizier, der die Merkmale schweren Kampfes und
harten Lebens an sich trug, ein hochwillkommener Tischnachbar. Kurze
Erzählungen aus dem Kriegsleben sprachen mehr, als lange schriftliche
Berichte. Die Wirklichkeit des früher Selbsterlebten trat mir so oft mit
aller Lebendigkeit wieder vor die Seele. Freilich war in diesem
furchtbarsten aller Ringen unseren früheren Kriegen gegenüber alles in das
Groteske gesteigert. Die stundenlange Schlacht vergangener Zeiten war zu
monatelangem Titanenkampf erhoben, menschliches Ertragen schien keine
Grenzen zu haben.

Auch Graf Zeppelin besuchte uns noch in Pleß und wirkte auf uns alle durch
die rührende Einfachheit seines Auftretens. Er betrachtete damals schon
seine Luftschiffe als veraltete Kriegswaffen. Nach seiner Ansicht gehörte
dem Flugzeug in Zukunft die Herrschaft in der Luft. Der Graf starb bald
nach seinem Besuch, ohne das Unglück seines Vaterlandes erleben zu müssen
– ein glücklicher Mann! Noch zwei andere berühmt gewordene Herrscher der
Lüfte folgten meiner Einladung, unbezwungene junge Helden: Hauptmann
Bölcke und Rittmeister von Richthofen. Beider frisches und bescheidenes
Wesen erfreute uns. Ehre ihrem Andenken! Unterseebootsführer sah ich
gleichfalls in der Zahl meiner Gäste; unter ihnen fehlte auch nicht der
Führer des Unterseehandelsbootes „Deutschland“, Kapitän König.

So blieb kein Stand und kein Stamm seitab von uns, und ich glaubte den
gemeinsamen Pulsschlag von Heer und Heimat, von unseren Verbündeten und
uns selbst oft in meiner nächsten Nähe zu fühlen.



                      Kriegsereignisse bis Ende 1916



                          Der rumänische Feldzug


Unsere politische Lage Rumänien gegenüber hatte im Verlauf der Kriegsjahre
1915/16 nicht allein an unsere politische Leitung sondern auch an unsere
Heeresführung ungewöhnlich hohe Anforderungen gestellt. Es ist eine
billige Weisheit, nach dem Eintritt Rumäniens in den Kreis unserer Feinde
und angesichts unserer unzureichenden militärischen Vorbereitungen dem
neuen Gegner gegenüber ein scharfes Urteil über unsere damals
verantwortlichen Stellen und Persönlichkeiten auszusprechen. Solche
Urteile, meist ohne Kenntnis der wirklichen Vorgänge auf willkürlichen
Behauptungen aufgebaut, erinnern mich an eine Äußerung Fichtes in seinen
„Reden an die deutsche Nation“, in welcher er von jener Art von
Schriftstellern spricht, die erst nach gegebenen Erfolgen wissen, was da
hätte geschehen sollen.

Es dürfte wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die Entente in unserer
Lage die rumänische Gefahr, oder vielleicht besser gesagt, die rumänische
militärische Drohstellung spätestens 1915 beseitigt hätte, und zwar mit
der Anwendung ähnlicher Mittel, wie sie solche gegen Griechenland in
Tätigkeit brachte. Wie es sich später herausstellen sollte, wurde Rumänien
im Sommer 1916 durch ein Ultimatum der Entente in den Kriegsstrudel
hineingetrieben, indem es aufgefordert wurde, entweder zum sofortigen
Angriff zu schreiten oder dauernd auf seine Vergrößerungspläne zu
verzichten. Eine ähnliche Lösung war aber politisch zu gewalttätig, als
daß sie bei uns ohne dringendste Not Anhänger hätte finden können. Wir
glaubten, mit Rumänien säuberlicher verfahren zu sollen, wohl in der
Hoffnung, daß es sich sein Grab selbst graben würde. Gewiß trat dies auch
ein, aber nach welchen Krisen und Opfern!

Die Beteiligung Rumäniens am Kriege auf der Seite unserer Gegner rückte in
greifbare Nähe, als die österreichische Ostfront zusammenbrach. Es wäre
vielleicht nicht ausgeschlossen gewesen, daß sich diese Gefahr auch dann
noch hätte beschwören lassen, wenn der deutsche Plan eines großen
Gegenangriffes gegen den bis zu den Karpathen vorgedrungenen russischen
Südflügel hätte verwirklicht werden können. Allein bei den immer erneuten
Zusammenbrüchen in den österreichisch-ungarischen Linien kam diese
Operation nicht zustande. Die Angriffskräfte verschwanden in
Verteidigungsfronten.

Angesichts dieses Verlaufes der Kämpfe an der Ostfront hatte die deutsche
Oberste Heeresleitung Mitte August im Einvernehmen mit General Jekoff zu
dem Aushilfsmittel gegriffen, mit den bulgarischen Flügelarmeen einen
großen Schlag gegen die Ententekräfte bei Saloniki zu führen. Der Gedanke
war sowohl politisch wie militärisch durchaus zu billigen. Gelang das
Unternehmen, so war zu erwarten, daß Rumänien eingeschüchtert und seine
zweifellos vorhandene Hoffnung auf eine Zusammenwirkung mit Sarrail
zerstört würde. Rumänien wäre daher vielleicht schon dann zur Ruhe
veranlaßt worden, wenn starke bulgarische Kräfte nach einem Siege über
Sarrail für beliebige andere Verwendung freigeworden wären. Die deutsche
Oberste Heeresleitung geriet freilich gerade durch diesen Angriff der
Bulgaren zunächst in einen gewissen militärischen Widerspruch hinein. Da
sie nämlich gleichzeitig gezwungen war, Truppen in Nordbulgarien zu
versammeln, um auf die täglich stärker werdenden rumänischen
Kriegsleidenschaften ernüchternd zu wirken, so wurden Kräfte, die zum
Angriff auf Sarrail an der mazedonischen Front hätten Verwendung finden
können, aus politischen Gründen an die Donau gezogen. Das Verfahren der
deutschen Obersten Heeresleitung wird erklärlich einerseits durch das
Vertrauen, das man auf den Angriffswert des bulgarischen Heeres hatte,
andererseits durch eine gewisse Unterschätzung der gegnerischen Stärke bei
Saloniki. Ganz besonders täuschte man sich über die Bedeutung der dort
auftretenden, neugebildeten serbischen Verbände in der Zahl von
6 Infanteriedivisionen.

Der bulgarische Angriff in Mazedonien gelangte zwar mit der linken
Flügelarmee bis an die Struma, drang dagegen mit dem rechten Flügel in
Richtung auf Vodena nicht durch. Hier blieb das Unternehmen aus Gründen
hängen, deren Erörterungen uns an dieser Stelle zu weit führen würden. Die
bulgarische Infanterie schlug sich auch bei dieser Gelegenheit im Angriff
wieder vortrefflich, freilich mehr heldenhaft als kriegerisch gewandt. Der
Ruhm blieb ihr, aber der Erfolg war ihr versagt. Dieser Ausgang des
Angriffes in Mazedonien stellte die deutsche Oberste Heeresleitung vor
eine neue schwierige Frage. Die rumänische Kriegslust steigerte sich
dauernd. Es war zu erwarten, daß die Stockung der bulgarischen Operationen
in Mazedonien auf die politischen Kreise in Bukarest kriegsermunternd
wirken würde. Sollte die deutsche Oberste Heeresleitung nunmehr den
Angriff der Bulgaren endgültig abbrechen lassen, um starke bulgarische
Kräfte aus den jetzt wesentlich verkürzten mazedonischen Fronten nach
Nordbulgarien zu führen, oder sollte sie es wagen, die an der Donau schon
versammelten Streitkräfte nach Mazedonien überzuführen, um hier nochmals
zu versuchen, den rumänischen gordischen Knoten mit dem Schwerte
durchzuschlagen? Die Kriegserklärung Rumäniens befreite die Oberste
Heeresleitung aus diesen Zweifeln.

So also hatte sich die allgemeine Entwicklung der Verhältnisse südlich der
Donau gestaltet. Nicht weniger schwierig war die Lage nördlich der
transsylvanischen Alpen geworden. Während nämlich Rumänien offenkundig
rüstete, verzehrten die Kämpfe an der deutschen Westfront sowie diejenigen
an der österreichischen Ost- und Südwestfront alles, was den Obersten
Heeresleitungen irgendwie an Reserven verfügbar schien oder aus nicht
angegriffenen Frontteilen noch verfügbar gemacht werden konnte. Gegen
Rumänien glaubte man keine Kräfte freimachen zu können. Man vertrat den an
sich richtigen Grundsatz, von Streitkräften, die auf den augenblicklichen
Schlachtfeldern dringend benötigt waren, nichts aus politischen Gründen
brachliegen zu lassen.

So kam es, daß die rumänische Kriegserklärung am 27. August uns dem neuen
Feind gegenüber in einer nahezu völlig wehrlosen Lage traf. Ich bin auf
diese Entwicklung der Verhältnisse deswegen ausführlicher eingegangen, um
die Entstehung der großen Krisis verständlich zu machen, in der wir uns
seit dem genannten Tage befanden. Das Bestehen einer solchen kann auch
angesichts der späteren erfolgreichen Durchführung des Feldzuges nicht gut
bestritten werden.

Wenn auch von seiten des Vierbundes nur unzureichende Vorbereitungen
getroffen werden konnten, um der rumänischen Gefahr zu begegnen, so hatten
sich doch seine verantwortlichen militärischen Führer selbstredend über
die beim eintretenden Kriegsfall zu treffenden Maßnahmen frühzeitig
geeinigt. Am 28. Juli 1916 hatte zu diesem Zwecke eine Besprechung der
Heereschefs Deutschlands, Österreich-Ungarns und Bulgariens zu Pleß
stattgefunden. Sie führte zur Aufstellung eines Kriegsplanes, in dessen
entscheidender Ziffer 2 es wörtlich heißt:

  „Schließt Rumänien sich der Entente an: schnellstes, kräftigstes
  Vorgehen, um Krieg von bulgarischem Boden sicher, von
  österreichisch-ungarischem, soweit irgend möglich, fernzuhalten und nach
  Rumänien hineinzutragen. Hierzu

    a) demonstrative Operationen deutscher und österreichischer Truppen
    von Norden her, zwecks Fesselung starker rumänischer Kräfte;

    b) Vorstoß bulgarischer Kräfte von der Dobrudschagrenze gegen die
    Donauübergänge von Silistria und Tutrakan zum Schutze der rechten
    Flanke der Hauptkräfte;

    c) Bereitstellung der Hauptkräfte zum Übergang über die Donau bei
    Nikopoli zwecks Offensive gegen Bukarest.“

In einer kurz darauf folgenden Zusammenkunft mit Enver Pascha in Budapest
wurde auch die Teilnahme der Türken an einem etwaigen rumänischen Feldzug
festgelegt. Enver verpflichtete sich zur baldigen Bereitstellung von zwei
osmanischen Divisionen für den Einsatz auf der Balkanhalbinsel.

Dieser Kriegsplan gegen Rumänien erfuhr, so lange mein Vorgänger noch die
Zügel der Heeresleitung in der Hand hatte, keine Änderung. Wohl aber fand
noch ein wiederholter Gedankenaustausch darüber zwischen den einzelnen
Feldheereschefs statt. Auch Generalfeldmarschall von Mackensen, der zur
Führung der südlich der Donau bereitgestellten Kräfte bestimmt war, wurde
zur Sache gehört. Bei diesen Gelegenheiten zeichneten sich zwei
Gedankenrichtungen deutlich ab. Generaloberst von Conrad vertrat diejenige
eines rücksichtslosen sofortigen Vorgehens auf Bukarest, General Jekoff
diejenige eines Feldzugsbeginns in der Dobrudscha. Die Kräfte südlich der
Donau waren bei Kriegsausbruch noch viel zu schwach, um die an dieser
Front beabsichtigte Doppelaufgabe, nämlich Donauübergang und Angriff gegen
Silistria und Tutrakan, gleichzeitig durchführen zu können.

Am 28. August erging von meinem Vorgänger an Generalfeldmarschall von
Mackensen der Befehl zum baldmöglichsten Angriff. Richtung und Ziel
blieben dem Feldmarschall überlassen.

So fand ich am 29. August bei der Übernahme der Operationsleitung die
militärische Lage gegenüber Rumänien. Sie war schwierig.

Wahrlich, noch niemals war einem verhältnismäßig so kleinen Staatswesen
wie Rumänien, eine weltgeschichtliche Entscheidungsrolle von gleicher
Größe in einem ebenso günstigen Augenblicke in die Hände gelegt. Noch
niemals waren starke Großmächte wie Deutschland und Österreich in gleicher
Gebundenheit der Kraftentfaltung eines Landes ausgeliefert, das kaum ein
Zwanzigstel der Bevölkerung der beiden Großstaaten zählte, wie im jetzt
vorliegenden Falle. Auf Grund der Kriegslage hätte man annehmen können,
daß Rumänien nur zu marschieren brauchte, wohin es wolle, um den Weltkampf
zugunsten derjenigen Staaten zu entscheiden, die seit Jahren vergeblich
gegen uns anstürmten. Alles schien davon abzuhängen, ob Rumänien gewillt
war, von seiner augenblicklichen Stärke einigermaßen Gebrauch zu machen.

Nirgends schien diese Tatsache klarer erkannt, lebhafter gefühlt und mehr
gefürchtet zu werden, als in Bulgarien. Seine Regierung zögerte mit dem
Kriegsentschluß. Darf ihr daraus ein Vorwurf gemacht werden? Als dann aber
am 1. September der bulgarische Kriegsentschluß zu unseren Gunsten
gefallen war, trat das Land mit all seinen Kräften und mit dem ganzen Haß
seiner Volksseele, der im Jahre 1913 aus dem rumänischen Überfall in den
Rücken des gegen Serbien und Griechenland schwer ringenden Landes
entsprungen war, an unsere Seite. Der mörderische Tag von Tutrakan gab den
ersten Beweis für die kriegswillige Stimmung unseres Bundesgenossen.

Der vorhandene Kriegsplan hatte angesichts unserer mangelnden
Vorbereitungen zunächst naturgemäß jede Bedeutung verloren. Der Gegner
verfügte fürs erste über die volle Freiheit des Handelns. Bei seiner
Kriegsbereitschaft und seiner zahlenmäßigen Stärke, die durch die uns
bekannte russische Hilfe noch wesentlich gesteigert wurde, war zu
befürchten, daß unsere eigenen Mittel nicht ausreichen würden, der
rumänischen Heeresleitung vorerst diese Freiheit wesentlich zu
beschränken. Wohin der Rumäne auch seine Operationen richten wollte, ob
über das transsylvanische Gebirge gegen Siebenbürgen oder aus der
Dobrudscha gegen Bulgarien, überall schienen ihm große Ziele und leichte
Erfolge zu winken. Ganz besonders glaubte ich rumänisch-russische
Offensivbewegungen gegen Süden befürchten zu sollen. Selbst Bulgaren
hatten darüber Zweifel ausgesprochen, ob ihre Soldaten gegen die Russen
kämpfen würden. Das feste Vertrauen des Generals Jekoff in dieser Richtung
– ich sprach an früherer Stelle schon davon – wurde in Bulgarien
keineswegs allgemein geteilt. Es war nicht zu bezweifeln, daß unsere
Gegner mit dieser russenfreundlichen Stimmung wenigstens eines starken
Teiles der bulgarischen Armee rechnen würden. Ganz abgesehen aber auch
hiervon lag es für Rumänien nahe, durch einen Angriff nach Süden der Armee
Sarrails die Hand zu reichen. Wie mußte alsdann unsere Lage werden, wenn
es den Gegnern auch nur gelang, unsere Verbindung mit der Türkei, ähnlich
wie das vor Durchführung der Operation gegen Serbien der Fall gewesen,
erneut zu unterbrechen oder gar Bulgarien von unserem Bündnis
abzusprengen? Eine abermals isolierte Türkei, gleichzeitig bedroht aus
Armenien und Thrazien, ein fast hoffnungslos gewordenes Österreich-Ungarn
hätten einen solchen Umschwung der Lage zu unseren Ungunsten nimmermehr
überwunden.

Das von meinem Vorgänger angeordnete sofortige Vorgehen Mackensens
entsprach durchaus dem Gebot der Stunde. Eine Überschreitung der Donau mit
den in Nordbulgarien verfügbaren Kräften konnte hierbei freilich nicht in
Frage kommen. Es genügte aber schon, wenn wir dem Gegner die Vorhand in
der Dobrudscha abgewannen und seine Feldzugspläne dadurch verwirrten. Um
letzteres Ziel wirklich und durchgreifend zu erreichen, durften wir den
Angriff des Feldmarschalls aber nicht auf die Gewinnung von Tutrakan und
Silistria beschränken. Wir mußten vielmehr durch eine weitgehendere
Ausnützung von Erfolgen in der Süddobrudscha bei der rumänischen
Heeresführung Besorgnis für den Rücken ihrer an der siebenbürgischen
Grenze eingesetzten Hauptkräfte zu erregen suchen. Und wirklich gelang uns
dies. Angesichts des Vordringens des Feldmarschalls bis in bedrohliche
Nähe der Linie Constanza-Czernavoda sah sich die rumänische Führung
veranlaßt, Kräfte aus ihrer gegen Siebenbürgen gerichteten Operation nach
der Dobrudscha zu entsenden. Sie versuchte sogar durch Einsatz weiterer
frischer Kräfte, der Offensive Mackensens über Rahowo, donauabwärts
Rusčuk, in den Rücken zu gehen. Auf dem Papier ein schöner Plan! Ob dieser
dem rumänischen Gedankenkreis oder demjenigen eines seiner Verbündeten
entsprang, ist bis heute nicht bekannt. Nach den Erfahrungen, die wir bis
zu dem Tage dieses Rahowo-Intermezzos, dem 2. Oktober, mit den Rumänen
gemacht hatten, hielt ich das Unternehmen für mehr als kühn und dachte mir
nicht nur, sondern sprach es auch aus: „Man verhafte diese Truppen!“
Dieser Wunsch, in entsprechende Befehlsworte gekleidet, wurde auch von den
Deutschen und Bulgaren bestens erfüllt. Von dem Dutzend rumänischer
Bataillone, die bei Rahowo das südliche Donauufer betreten hatten, sahen
während des Krieges nur einzelne Leute die Heimat wieder.

Das Verhängnis brach über Rumänien herein, weil seine Armee nicht
marschierte, weil seine Führung nichts verstand, und weil es uns doch noch
gelang, ausreichende Kräfte in Siebenbürgen rechtzeitig zu versammeln.

Ausreichend? Gewiß ausreichend für diesen Gegner! Tollkühn wird man uns
vielleicht einmal nennen, wenn man die Stärkeverhältnisse vergleichen
wird, unter denen wir gegen das rumänische Heer zum Angriff schritten, und
mit denen General von Falkenhayn am 29. September den westlichen
rumänischen Flügel bei Hermannstadt zerrieb.

Aus der Schlacht von Hermannstadt wirft der General dann seine Armee nach
Osten herum. Er rückt unter Nichtachtung der ihm durch rumänische
Überlegenheit und günstige gegnerische Lage nördlich des oberen Alt
drohenden Gefahr mit der Masse seiner Truppen südlich des genannten
Flusses am Fuße des Gebirges entlang gegen Kronstadt vor. Der Rumäne
stutzt, verliert das Vertrauen zur eigenen Überlegenheit wie zum eigenen
Können, vergißt die Ausnutzung der ihm immer noch günstigen Kriegslage und
macht auf der ganzen Front Halt. Damit tut er aber auch schon den ersten
Schritt rückwärts. General von Falkenhayn reißt die Vorhand nunmehr völlig
an sich, zertrümmert südlich des Geisterwaldes den gegnerischen Widerstand
und marschiert weiter. Der Rumäne weicht nunmehr allenthalben aus
Siebenbürgen, nicht ohne am 8. Oktober bei Kronstadt noch eine blutige
Niederlage erlitten zu haben. So geht er denn auf den schützenden Wall
seiner Heimat zurück. Unsere demnächstige Aufgabe ist es, diesen Wall zu
überschreiten. Wir halten zuerst an der Hoffnung fest, die bisherigen
taktischen Erfolge strategisch dahin auswerten zu können, daß wir von
Kronstadt unmittelbar auf Bukarest durchbrechen. Mögen auch das wilde
Hochgebirge und die feindliche Überlegenheit unsere wenigen und schwachen
Divisionen vor eine sehr schwere Aufgabe stellen, die Vorteile dieser
Vormarschrichtung sind zu groß, als daß wir den Versuch unterlassen
dürften. Er gelingt nicht, so tapfer auch unsere Truppen um jede Kuppe,
jeden Felshang, ja jeden Felsblock kämpfen. Unsere Bewegung stockt völlig,
als am 18. Oktober ein rauher Frühwinter die Berge in Schnee hüllt und die
Straßen zu Eisrinnen verwandelt. Unter unsäglichen Entbehrungen und Leiden
halten unsere Truppen wenigstens die gewonnenen Gebirgsteile, bereit, sich
weiter durchzuringen, wenn die Zeit und Gelegenheit dazu kommen wird.

Die bisherigen Erfahrungen weisen darauf hin, andere Wege in das
walachische Tiefland zu suchen als diejenigen, die von Kronstadt aus über
den breitesten Teil der transsylvanischen Alpen führen. General von
Falkenhayn schlägt den Durchbruch über den westlicher gelegenen Szurdukpaß
vor. Die Richtung ist freilich strategisch weniger wirkungsvoll, aber
unter den jetzigen Verhältnissen die taktisch und technisch einzig
mögliche. So brechen wir über diesen Paß am 11. November in Rumänien ein.

Inzwischen hat sich Generalfeldmarschall von Mackensen südlich der Donau
bereitgestellt, um dem nördlichen Einbruch von Süden her die Hand zu
reichen. Er hatte am 21. Oktober die russisch-rumänische Armee südlich der
Linie Constanza-Czernavoda gründlich geschlagen. Am 22. Oktober war
Constanza in die Hand der dritten bulgarischen Armee gefallen. Der Gegner
weicht von da ab unaufhaltsam nach Norden. Wir aber lassen die Bewegung
einstellen, sobald nördlich der erwähnten Eisenbahn eine
Verteidigungslinie erreicht wird, die mit geringen Kräften behauptet
werden kann. Alles, was dort an Truppen entbehrlich ist, rückt gegen
Sistow. Verlockend war ja der Gedanke, sofort die ganze Dobrudscha in die
Hand zu nehmen und dann bei Braila im Rücken der rumänischen Hauptmacht in
das nördliche Donaugebiet einzubrechen. Allein, wie sollten wir das
notwendige Brückenmaterial in die nördliche Dobrudscha bringen?
Eisenbahnen bestehen dorthin nicht, und den Wasserweg versperren die
rumänischen Batterien vom Nordufer der Donau. Wir müssen dem Schicksal
dankbar sein, daß diese nicht schon längst unseren einzigen verfügbaren
schweren Brückentrain bei Sistow in Trümmer geschossen haben, der, seit
Monaten im Bereich der feindlichen Geschützwirkung, nur durch einen für
uns nicht aufklärbaren Fehler des Gegners der Zerstörung entgangen ist. So
können wir wenigstens dort den Stromübergang im Auge behalten.

Im Morgengrauen des 23. November gewinnt Generalfeldmarschall von
Mackensen das nördliche Donauufer. Das erstrebte Zusammenwirken zwischen
ihm und General von Falkenhayn ist erreicht. Auf dem Schlachtfeld am
Argesch findet es seine Krönung in der Zertrümmerung der rumänischen
Hauptkräfte. Der Schlußakt vollzieht sich am 3. Dezember. Bukarest fällt
widerstandslos in unsere Hand.

Am Abend dieses Tages schließe ich den gemeinsamen Vortrag über die
Kriegslage mit den Worten: „Ein schöner Tag.“ Als ich später in die
Winternacht hinaustrete, beginnt von den Kirchtürmen des Städtchens Pleß
das Dankgeläute für den großen neuen Erfolg. Ich hatte längst aufgehört,
in solchen Augenblicken an anderes zu denken als an die wunderbaren
Leistungen unseres braven Heeres, und einen anderen Wunsch zu hegen, als
daß diese Leistungen uns dem endlichen Abschluß des schweren Ringens und
der großen Opfer nahe brächten.

Den Gewinn der rumänischen Hauptstadt hatten wir uns freilich etwas
kriegerischer vorgestellt. Wir hatten Bukarest für eine mächtige Festung
gehalten, hatten schwerstes Artilleriematerial zu ihrer Bezwingung
herangeführt, und nun zeigte sich der berühmte Waffenplatz als offene
Stadt. Kein Geschütz krönt mehr die mächtigen Wälle der Forts, und die
Panzerkuppeln haben sich in Holzdeckel verwandelt. Unsere vom Feinde so
viel verschrieene Friedensspionage hatte nicht einmal dazu ausgereicht,
die Entfestigung von Bukarest vor dem Beginn des rumänischen Feldzuges
festzustellen.

Das Schicksal Rumäniens hatte sich mit dramatischer Wucht vollzogen. Die
ganze Welt mußte sehen, und Rumänien sah es wohl auch selbst, daß kein
leerer Schall in dem alten Landsknechtvers lag:

      Wer Unglück will im Kriege han,
      Der binde mit dem Deutschen an.

Mit Anführung dieses Verses will ich aber nicht die Mitwirkung
Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens an diesem großen und schönen
Unternehmen irgendwie verkleinern. Unsere Bundesgenossen waren alle zur
Stelle und hatten treulich mitgeholfen an dem großen mannhaften Werke.
Rumänien, in dessen Hand das Schicksal der Welt gelegen hatte, mußte froh
sein, daß seine Heerestrümmer durch russische Hilfe vor Vernichtung
bewahrt wurden. Sein Traum, daß noch einmal, wie im Jahre 1878 auf dem
Schlachtfelde von Plewna, der Russe ihm in pflichtmäßiger Dankbarkeit,
wenn auch mit bitterem Gefühl im Herzen, die Hand für die erwiesenen
Dienste drücken müßte, hatte sich in das grausame Gegenteil verkehrt. Die
Zeiten hatten sich gewandelt.

Meinem Allerhöchsten Kriegsherrn hatte ich Ende Oktober 1916 meine
Anschauung dahin ausgesprochen, daß wir am Ende des Jahres den rumänischen
Feldzug beendet haben würden. Am 31. Dezember konnte ich Seiner Majestät
melden, daß unsere Truppen den Sereth erreicht hätten, und daß die
Bulgaren am Südufer des Donaudeltas stünden. Die gesteckten Ziele waren
erreicht.



                    Kämpfe an der mazedonischen Front


Die Schwierigkeiten unserer Kriegslage im Herbste 1916 wurden durch den
Fortgang der Kämpfe an der mazedonischen Front nicht unwesentlich erhöht.

Die Armee Sarrails hätte jeden Anspruch auf Daseinsberechtigung verloren,
wenn sie nicht im Augenblick der rumänischen Kriegserklärung auch
ihrerseits die Offensive ergriffen hätte. Ihr Vorgehen erwarteten wir im
Wardartal. Wäre sie hier bis in die Gegend von Gradsko vorgedrungen, so
hätte sie das Zentrum der wichtigsten bulgarischen Verbindungen in Besitz
genommen und hätte auch das Verbleiben der Bulgaren in der Gegend von
Monastir unmöglich gemacht. Sarrail wählte die unmittelbare
Angriffsrichtung auf Monastir, vielleicht durch besondere politische
Gründe veranlaßt.

Die bulgarische rechte Flügelarmee wurde durch diese Offensive aus ihren
Stellungen, die sie beim Angriff im August südlich Florina gewonnen hatte,
zurückgeworfen. Sie verlor im weiteren Verlauf der Kämpfe Monastir,
behauptete sich aber dann.

Wir waren hierdurch genötigt gewesen, den Bulgaren Unterstützungen aus
unseren Kampffronten zuzuführen, Unterstützungen, die meist für den
rumänischen Feldzug bestimmt gewesen waren. War die Größe dieser Hilfe im
Verhältnis zur gesamten Stärke unseres Heeres auch nicht sehr bedeutend –
es waren gegen 20 Bataillone sowie zahlreiche schwere und Feldbatterien –
so traf uns diese Abgabe doch in einer außerordentlich kritischen Zeit, in
der wir tatsächlich mit jedem Mann und jedem Geschütz geizen mußten.

Wie wir, so leistete auch die Türkei dem verbündeten Bulgarien in diesen
schweren Kämpfen bereitwilligst Hilfe. Enver Pascha stellte über die für
den rumänischen Krieg versprochene Unterstützung hinaus ein ganzes
türkisches Armeekorps zur Ablösung bulgarischer Truppen an der Strumafront
zur Verfügung. Diese Unterstützung wurde von bulgarischer Seite ungern
gesehen, da man befürchtete, es würden sich daraus unangenehme türkische
Ansprüche auf politischem Gebiet geltend machen. Enver Pascha versicherte
uns jedoch ausdrücklich, daß er solches verhindern würde. Es war ja
begreiflich, daß Bulgarien deutsche Unterstützung der osmanischen
vorgezogen hätte, unbegreiflich aber war es, daß man in Sofia nicht
einsehen wollte, wie wenig Deutschland in dieser Zeit imstande war, seine
Kräfte noch weiter anzuspannen.

Der Verlust Monastirs war nach meiner Auffassung ohne militärische
Bedeutung. Die freiwillige Zurücknahme des bulgarischen rechten
Heeresflügels in die außerordentlich starken Stellungen bei Prilep wäre
von großem militärischen Vorteil gewesen, weil alsdann die bulgarische
Heeresversorgung ganz wesentlich erleichtert, diejenige unserer Gegner um
vieles erschwert worden wäre. Gerade die ungeheuren Schwierigkeiten in den
rückwärtigen Verbindungen hatten auf bulgarischer Seite die in den Kämpfen
wiederholt eingetretenen Krisen wesentlich mitverschuldet. Die Truppen
mußten tagelang hungern und litten zeitweise auch Mangel an Schießbedarf.
Wir haben unter Hintansetzung eigener Interessen mit allen Mitteln
versucht, den Bulgaren die Schwierigkeiten in dieser Richtung zu
erleichtern. Die Größe der zurückzulegenden Wegesstrecken, die Wildheit
und Unkultur des Gebirgslandes erschwerten die Lösung dieser Aufgabe
ungemein.

Bei den Kämpfen um Monastir hatten die Bulgaren zum ersten Male in
schweren Verteidigungsschlachten gestanden. Hatten die bisherigen
Nachrichten unserer Offiziere über die Haltung des bulgarischen Heeres den
glänzenden Geist des Soldaten beim Angriff gerühmt, so trat jetzt bei
diesem eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber einem länger andauernden
feindlichen Artilleriefeuer in die Erscheinung. Diese Wahrnehmung mochte
überraschen, man konnte sie aber bei allen Völkern, sowohl auf feindlicher
als auch auf unserer Seite bestätigt finden, die mit sogenannter
unverdorbener Naturkraft in den Krieg traten. Es macht den Eindruck, als
ob die modernen Angriffsmittel in ihren nervenzerstörenden Wirkungen für
durchhaltende Verteidigung eine Zugabe zu dieser Naturkraft verlangen, die
nur durch eine höhere Willenskultur geliefert werden kann. In der
Hauptmasse unseres deutschen Soldatenmaterials scheint die richtige
Mischung von sittlicher und körperlicher Kraft vorhanden zu sein, die
unsere Truppen in Verbindung mit unserer militärischen Willensschulung in
den Stand setzt, den gewaltigen Eindrücken eines modernen Kampfes
erfolgreich Widerstand zu leisten. Der Oberbefehlshaber des bulgarischen
Heeres hatte das richtige Gefühl für die eben erwähnte Empfindlichkeit
seiner Soldaten. Er äußerte darüber in soldatischer Offenheit seine
Sorgen, wenn er auch weit davon entfernt war, eine ängstliche Natur zu
sein.



                  Auf den asiatischen Kriegsschauplätzen


Durch die Stellung, die der deutsche Chef des Generalstabes des Feldheeres
nunmehr innerhalb der gesamten Kriegsleitung einnahm, wurden wir auch zur
Beschäftigung mit den Vorgängen auf den asiatischen Kriegsschauplätzen
veranlaßt. Zur Zeit der Anwesenheit Enver Paschas in unserem Großen
Hauptquartier Anfang 1917 glaubten wir die Lage in Asien folgendermaßen
beurteilen zu können:

Die russische Offensive in Armenien war nach der Gewinnung der Linie
Trapezunt-Erzinghan zum Stillstand gekommen. Die türkische Offensive, die
im Sommer dieses Jahres von Süden her aus Richtung Diabekr gegen die linke
Flanke dieses russischen Vorgehens angesetzt war, kam infolge der
außerordentlichen Geländeschwierigkeiten und der ganz ungenügenden
Nachschubmöglichkeiten nicht vorwärts. Es war jedoch zu erwarten, daß die
Russen in diesem Jahre mit Rücksicht auf den im armenischen Hochlande früh
eintretenden Winter ihre weiteren Angriffe bald endgültig einstellen
würden.

Die Gefechtskraft der beiden türkischen Kaukasusarmeen war aufs äußerste
zurückgegangen, einzelne Divisionen bestanden nur noch dem Namen nach.
Entbehrungen, blutige Verluste, Fahnenflucht hatten verheerend auf die
Truppenbestände gewirkt. Mit schweren Sorgen sah Enver Pascha dem
kommenden Winter entgegen. Es fehlte seinen Truppen die notwendigste
Bekleidung; dazu bot die Ernährung der Armeen in diesen armen, großenteils
entvölkerten und verwüsteten Gebieten außerordentliche Schwierigkeiten.
Bei dem Mangel an Zug- und Tragtieren mußten den osmanischen Soldaten in
dem öden, wegarmen Gebirgslande die Kampf- und Lebensbedürfnisse durch
Trägerkolonnen in vielen Tagemärschen zugeführt werden. Weiber und Kinder
fanden dabei einen mageren Verdienst, aber auch oft den Tod.

Besser waren die Verhältnisse zu dieser Zeit im Irak. Dort war der
Engländer augenblicklich in dem Ausbau seiner rückwärtigen Verbindungen
noch nicht so weit vorgeschritten, um schon jetzt zur Rache für
Kut-el-Amara schreiten zu können. Daß er eine solche nehmen würde, war für
uns zweifellos. Ob alsdann die türkische Macht im Irak hinreichte, um dem
englischen Angriff erfolgreich zu widerstehen, vermochten wir nicht zu
beurteilen. Trotz der sehr optimistischen Anschauungen der osmanischen
Obersten Heeresleitung ermahnten wir zu Verstärkung der dortigen Truppen.
Leider ließ sich aber die Türkei aus politischen und panislamitischen
Gründen verführen, ein ganzes Armeekorps nach Persien hineinzuschicken.

Der dritte asiatische Kriegsschauplatz, nämlich derjenige in Südpalästina,
gab Veranlassung zu unmittelbarer Sorge. Die zweite gegen den Suez-Kanal
gerichtete türkische Unternehmung war Anfang August 1916 in der Mitte des
nördlichen Teiles der Sinai-Halbinsel gescheitert. Daraufhin waren die
türkischen Truppen allmählich aus diesem Gebiete hinausgedrängt worden und
standen jetzt im südlichen Teile Palästinas in der Gegend von Gaza. Die
Frage, ob und wann sie auch hier angegriffen würden, schien lediglich von
dem Zeitpunkt abzuhängen, an dem die Engländer ihre Eisenbahn aus Ägypten
bis hinter ihre Truppen ausgebaut hatten.

Der somit drohende Angriff auf Palästina schien für den militärischen und
politischen Bestand der Türkei weit gefährlicher als ein solcher auf das
fernab liegende Mesopotamien. Man mußte annehmen, daß der Verlust von
Jerusalem – ganz abgesehen davon, daß er voraussichtlich den Verlust des
ganzen südlichen Arabiens nach sich zog – die jetzige türkische Politik
vor eine Belastungsprobe stellen würde, die sie nicht ertragen könnte.

Leider waren die operativen Verhältnisse für die osmanische Kriegführung
in Südsyrien nicht wesentlich besser als in Mesopotamien. Hier wie dort
litten die Türken, im schärfsten Gegensatz zu ihren Gegnern, unter solch
außerordentlichen Schwierigkeiten der rückwärtigen Verbindungen, daß eine
wesentliche Verstärkung ihrer Streitkräfte über den jetzigen Stand hinaus
den Hunger, ja selbst den Durst für alle bedeutet hätte. Die
Verpflegungsverhältnisse waren auch in Syrien zeitweise trostlos. Zu
ungünstigen Ernten, ungewolltem und gewolltem Versagen der
verantwortlichen Stellen kam die nahezu durchweg feindliche Haltung der
arabischen Bevölkerung.

Zahlreiche wohlgemeinte Darlegungen suchten mich im Laufe des Krieges von
der Notwendigkeit zu überzeugen, daß Mesopotamien und Syrien mit stärkeren
Kräften verteidigt, ja daß hier wie dort zum Angriff übergegangen werden
müßte. Das Interesse weiter deutscher Kreise an diesen Kriegsschauplätzen
war groß. Augenscheinlich irrten die Gedanken uneingestandenermaßen
vielfach über Mesopotamien durch Persien, Afghanistan nach Indien und von
Syrien nach Ägypten. Man träumte im stillen an der Hand der Karten, daß
wir auf diesen Landwegen an den Lebensnerv der uns so gefährlichen
britischen Weltmachtstellung herankämen. Vielleicht lag in solchen
Gedanken oft unbewußt das Wiedererwachen früherer napoleonischer Pläne. Zu
ihrer Durchführung fehlte uns aber die erste Vorbedingung derartiger
weitgreifender Operationen, nämlich genügend leistungsfähige
Nachschublinien.



           Die Ost- und Westfront bis zum Ende des Jahres 1916


Während wir Rumänien niederschlugen, dauerten die Angriffe der Russen in
den Karpathen und in Galizien ununterbrochen an. Von russischer Seite war
nicht beabsichtigt gewesen, dem neuen Bundesgenossen bei seinem Angriff
auf Siebenbürgen unmittelbar zu unterstützen, wohl aber sollte diese
rumänische Operation durch ununterbrochene Fortsetzung der bisherigen
russischen Angriffe gegen die galizische Front erleichtert werden.
Unmittelbare Hilfe gewährten die Russen den Rumänen dagegen in der
Dobrudscha, und zwar von Anfang an. Die Gründe hierfür lagen ebensosehr
auf politischem wie militärischem Gebiete; Rußland rechnete zweifellos
sehr stark mit russophilen Neigungen innerhalb der bulgarischen Armee.
Daher versuchten auch bei Beginn der Kämpfe in der Süddobrudscha russische
Offiziere und Truppen, sich den Bulgaren als Freunde zu nähern, und waren
bitter enttäuscht, als die Bulgaren mit Feuer antworteten. Dazu kam, daß
Rußland zwar ohne politische Eifersucht zusehen konnte, wenn Rumänien sich
in den Besitz von Siebenbürgen setzte, aber nicht dulden durfte, daß der
neue Verbündete selbständig Bulgarien auf die Knie warf und dann
möglicherweise noch den Weg nach Konstantinopel einschlug oder wenigstens
freimachte. Galt doch die Eroberung der türkischen Hauptstadt seit
Jahrhunderten als historisches und religiöses Vorrecht Rußlands.

Es mag dahingestellt bleiben, ob es von russischer Seite klug war, den
Rumänen ohne unmittelbare Unterstützung, sei es auch nur durch etliche
russische Kerntruppen, die Operation nach Siebenbürgen allein zu
überlassen. Man überschätzte dabei jedenfalls die Leistungsfähigkeit der
rumänischen Armee und ihrer Führung und ging von der irrigen Ansicht aus,
daß die Kräfte der Mittelmächte an der Ostfront durch die russischen
Angriffe vollständig gebunden, ja sogar erschöpft seien.

Diese Angriffe erreichten zwar ihren Zweck nicht in vollem Umfange,
stellten uns aber immerhin wiederholt vor nicht unbedenkliche Krisen. Die
Lage wurde zeitweise so mißlich, daß wir befürchten mußten, unsere
Verteidigung würde von den Karpathenkämmen heruntergeworfen werden. Deren
Behauptung war aber für uns eine Vorbedingung zur Durchführung unseres
Aufmarsches und unserer ersten Operationen gegen den neuen Feind. Auch in
Galizien mußten wir den Russen mit allen Mitteln aufhalten. Eine Preisgabe
weiterer dortiger Gebietsteile würde an sich für unsere Gesamtlage von
geringer militärischer Bedeutung gewesen sein, wenn nicht hinter unserer
galizischen Stellung die für uns so kostbaren, ja für die Kriegführung
unentbehrlichen Ölfelder gelegen hätten. Wiederholt mußten aus diesen
Gründen für den Angriff gegen Rumänien bestimmte Truppenverbände gegen die
ins Wanken geratenen Frontteile abgedreht werden.

Wenn auch die kritischen Lagen schließlich immer wieder überwunden und
unser Feldzug gegen Rumänien einem glücklichen Abschluß entgegengeführt
wurde, so kann man doch nicht behaupten, daß die russischen
Entlastungsangriffe ihren großen operativen Zweck völlig verfehlt hätten.
Rumänien unterlag wahrlich nicht durch die Schuld seiner Verbündeten. Die
Entente tat im Gegenteil alles, was sie nach der Lage und ihren Kräften
tun konnte, und zwar nicht nur im unmittelbaren Anschluß an das rumänische
Heer, sondern auch mittelbar durch die Angriffe Sarrails in Mazedonien,
durch die italienischen Angriffe am Isonzo und schließlich auch durch die
Fortsetzung der englisch-französischen Anstürme im Westen.



Wir hatten, wie ich schon früher andeutete, von Anfang an damit gerechnet,
daß der Gegner mit dem Eintritt Rumäniens in den Krieg seine Angriffe auch
gegen unsere Westfront mit aller Kraft, mit englischer Zähigkeit und
französischem Elan fortführen würde. Dies trat auch ein.

Unsere Führereinwirkung auf diese Kämpfe war einfach. An einen
Entlastungsangriff konnten wir mangels genügender Kräfte weder bei Verdun
noch an der Somme denken, so sehr auch ein solcher meinen eigenen
Neigungen entsprochen hätte. Kurz nach der Übernahme der Obersten
Heeresleitung sah ich mich auf Grund der Gesamtlage gezwungen, Seiner
Majestät dem Kaiser den Befehl zur Einstellung unserer Angriffe bei Verdun
zu unterbreiten. Die dortigen Kämpfe zehrten wie eine offene Wunde an
unseren Kräften. Es ließ sich auch klar überblicken, daß das Unternehmen
in jeder Hinsicht aussichtslos geworden war und seine Fortsetzung uns weit
größere Verluste kostete, als wir dem Gegner beizubringen imstande waren.
Unsere vordersten Stellungen lagen in allseitig flankierendem Feuer
übermächtiger gegnerischer Artillerie; die Verbindungen zu den Kampflinien
waren außerordentlich schwierig. Das Schlachtfeld war eine wahre Hölle und
in diesem Sinne bei der Truppe geradezu berüchtigt. Jetzt in
rückschauender Betrachtung stehe ich nicht an, zu sagen, daß wir aus rein
militärischen Gründen gut daran getan hätten, die Kampfverhältnisse vor
Verdun nicht nur durch Beendigung der Offensive sondern auch durch
freiwilliges Aufgeben noch größerer Teile des eroberten Geländes als
geschehen zu bessern. Im Herbste 1916 glaubte ich jedoch davon Abstand
nehmen zu müssen. Für das Unternehmen war eine große Masse unserer besten
Kampfkraft geopfert worden; die Heimat war bis dahin in Erwartung auf
einen endlichen ruhmreichen Ausgang des Angriffs erhalten worden. Nur zu
leicht konnte jetzt der Eindruck hervorgerufen werden, als ob alle Opfer
umsonst gebracht seien. Das wollte ich in dieser an sich schon so sehr
gespannten heimatlichen Stimmung vermeiden.

Unsere Hoffnung, daß mit der Einstellung unseres Angriffes bei Verdun auch
der Gegner dort im wesentlichen zum reinen Stellungskrieg übergehen würde,
erfüllte sich nicht. Ende Oktober brach der Franzose auf dem Ostufer der
Maas zu einem großangelegten, kühn durchgeführten Gegenstoß vor und
überrannte unsere Linien. Wir verloren Douaumont und hatten keine Kräfte
mehr, um diesen Ehrenpunkt deutschen Heldentums wieder zu nehmen.

Der französische Führer hatte sich bei diesem Gegenstoß von der bisherigen
Gepflogenheit einer tage- oder gar wochenlangen Artillerievorbereitung
freigemacht. Er hatte seinen Angriff durch Steigerung der
Feuergeschwindigkeit seiner Artillerie und Minenwerfer bis zur äußersten
Grenze der Leistungsfähigkeit von Material und Bedienung nur kurze Zeit
vorbereitet und war dann gegen den schlagartig körperlich und seelisch
niedergedrückten Verteidiger sofort zum Angriff übergegangen. Wir hatten
diese Art gegnerischer Angriffsvorbereitung wohl schon innerhalb des
Rahmens der langen Dauerschlachten kennengelernt, aber als Eröffnung einer
großen Angriffshandlung war sie für uns neu und verdankte vielleicht
gerade diesem Umstand ihren ohne Zweifel bedeutenden Erfolg. Im großen und
ganzen schlug uns der Gegner diesmal mit unserem eigenen bisherigen
Angriffsverfahren. Wir konnten nur hoffen, daß er es im kommenden Jahre
nicht mit gleichem Erfolg in noch größerem Umfang wiederholen würde.

Die Kämpfe bei Verdun erstarben erst im Dezember.

Die Sommeschlacht hatte auch von Ende August ab den Charakter eines
außerordentlich erbitterten, rein frontalen Abringens der beiderseitigen
Kräfte gezeigt. Die Aufgabe der Obersten Heeresleitung konnte nur darin
bestehen, den Armeen die nötigen Kräfte zum Durchhalten zur Verfügung zu
stellen.

Man gab dieser Art von Kämpfen bei uns den Namen „Materialschlachten“. Man
könnte sie vom Standpunkt des Angreifers aus auch als „Taktik eines
Rammklotzes“ bezeichnen, denn es fehlte ihrer Führung jeder höhere
Schwung. Die mechanischen und materiellen Elemente des Kampfes waren in
den Vordergrund geschoben, während die geistige Führung allzusehr in den
Hintergrund trat.

Wenn es unseren westlichen Gegnern in den Kämpfen von 1915 bis 1917 nicht
gelang, ein entscheidendes Feldzugsergebnis zu erreichen, so lag das im
wesentlichen an einer gewissen Einseitigkeit der dortigen Führung. An der
nötigen zahlenmäßigen Überlegenheit an Menschen, Kriegsgerät und
Schießbedarf fehlte es dem Feinde wahrlich nicht; auch kann man nicht
behaupten, daß die Güte der gegnerischen Truppen den Anforderungen einer
tätigeren und gedankenreicheren Führung nicht hätte genügen können.
Außerdem war für unsere Feinde im Westen bei dem reichentwickelten
Eisenbahn- und Straßennetz und den in Massen vorhandenen
Beförderungsmitteln jeder Art freieste Entfaltungsmöglichkeit für eine
weit größere operative Gelenkigkeit vorhanden. Von alledem machte jedoch
die gegnerische Führung nicht vollen Gebrauch. Die lange Dauer unseres
Widerstandes war also doch wohl neben anderen Gründen auch auf eine
gewisse Unfruchtbarkeit des Bodens zurückzuführen, auf dem die feindlichen
Pläne reiften. Ungeheuer blieben aber trotzdem die Anforderungen, die auf
den dortigen Schlachtfeldern an unsere Armeeführungen und unsere Truppen
gestellt werden mußten.

Anfang September besuchte ich mit meinem Ersten Generalquartiermeister die
Westfront. Wir mußten die dortigen Kampfverhältnisse sobald als möglich
kennen lernen, um wirklich helfend eingreifen zu können. Seine Kaiserliche
und Königliche Hoheit der Deutsche Kronprinz schloß sich uns unterwegs an
und ehrte mich in Montmédy durch Aufstellung einer Sturmkompagnie auf dem
Bahnsteige. Dieser Empfang entsprach ganz dem ritterlichen Sinn des hohen
Herrn, dem ich fortan öfters begegnen sollte. Sein frisches, offenes Wesen
und sein gesundes militärisches Urteil haben mich stets mit Freude und
Vertrauen erfüllt. In Cambrai überreichte ich auf Befehl Seiner Majestät
des Kaisers zwei anderen bewährten Heerführern, den Thronfolgern Bayerns
und Württembergs, die ihnen verliehenen preußischen Feldmarschallstäbe und
hielt dann eine längere Besprechung mit den Generalstabschefs der
Westfront ab. Aus deren Darlegungen ging hervor, daß rasches und
energisches Handeln dringend not tat, um unsere erschreckende
Unterlegenheit an Fliegern, Waffen und Munition einigermaßen
auszugleichen. Die eiserne Arbeitskraft des Generals Ludendorff hat diese
ernste Krisis überwunden. Zu meiner Freude hörte ich später durch
Frontoffiziere, daß sich die Früchte der Besprechung von Cambrai bald bei
der Truppe bemerkbar gemacht hätten.

Die Größe der Anforderungen, die an das Westheer gestellt wurden, war mir
bei diesem Besuch in Frankreich zum erstenmal so recht plastisch vor die
Augen getreten. Ich stehe nicht an, zu bekennen, daß ich damals erst einen
vollen Einblick in die bisherigen Leistungen des Westheeres gewann. Wie
undankbar war die Aufgabe für Führung und Truppe, da in der aufgezwungenen
reinen Verteidigung ein sichtbarer Gewinn immer versagt bleiben mußte! Der
Erfolg in der Abwehrschlacht führt den Verteidiger, auch wenn er siegreich
ist, nicht aus dem ständig lastenden Druck, ich möchte sagen, aus dem
Anblick des Elends des Schlachtfeldes heraus. Der Soldat muß auf den
mächtigen seelischen Aufschwung verzichten, den das erfolgreiche
Vorwärtsschreiten gewährt, ein Aufschwung von so unsagbarer Gewalt, daß
man ihn erlebt haben muß, um ihn in seiner ganzen Größe begreifen zu
können. Wie viele unserer braven Soldaten haben dieses reinste
Soldatenglück nie empfinden dürfen! Sie sahen kaum etwas anderes als
Schützengräben und Geschoßtrichter, in denen und um die sie wochen-, ja
monatelang mit dem Gegner rangen. Welch ein Nervenverbrauch und welch
geringe Nervennahrung! Welche Stärke des Pflichtgefühls und welche
selbstlose Hingabe gehörten dazu, solch einen Zustand jahrelang in stiller
Entsagung auf höheres kriegerisches Glück zu ertragen! Ich gestehe offen,
daß diese Eindrücke für mich tief ergreifend waren. Ich konnte nun
verstehen, wie alle, Offiziere wie Mannschaften, aus solchen
Kampfverhältnissen sich heraussehnten, wie sich alle Herzen mit der
Hoffnung füllten, daß nun endlich nach diesen erschöpfenden Schlachten ein
hoher Angriffszug auch in die Westfront ein frisches kriegerisches Leben
bringen würde.

Freilich sollten unsere Führer und Truppen noch lange auf die Erfüllung
dieser Sehnsucht warten müssen! Viele unserer besten, sturmbegeisterten
Soldaten mußten noch vorher in zertrümmerten Schützengräben ihr Herzblut
hingeben!

In dem Kampfgebiet an der Somme wurde es erst stiller, als die
einbrechende nasse Jahreszeit den Kampfboden grundlos zu machen begann.
Die Millionen von Geschoßtrichtern füllten sich mit Wasser oder wurden zu
Friedhöfen. Von Siegesfreude war auf keiner der beiden kämpfenden Parteien
die Rede. Über allen lag der furchtbare Druck dieses Schlachtfeldes, das
in seiner Öde und seinem Grauen selbst dasjenige vor Verdun zu übertreffen
schien.



                   Meine Stellung zu politischen Fragen



                              Äußere Politik


Die Beschäftigung mit der reichen geschichtlichen Vergangenheit unseres
Vaterlandes war mir stets ein Bedürfnis. Lebensgeschichten seiner großen
Söhne waren für mich gleichbedeutend mit Erbauungsschriften. In keiner
Lage meines Lebens, auch im Kriege nicht, wollte ich diese Art meiner
Belehrung und inneren Erhebung vermissen. Und doch hätte man ein volles
Recht gehabt, in mir eine unpolitische Natur zu sehen. Betätigung
innerhalb der Gegenwartspolitik widersprach meinen Neigungen. Vielleicht
war hierfür mein Hang zur politischen Kritik zu schwach, vielleicht auch
mein soldatisches Gefühl zu stark entwickelt. Auf letztere Ursache ist
dann wohl auch meine Abneigung gegen alles Diplomatische zurückzuführen.
Man nenne diese Abneigung Vorurteil oder Mangel an Verständnis, die
Tatsache hätte ich auch dann an dieser Stelle nicht abgeleugnet, wenn ich
ihr während des Krieges nicht so oft und so laut hätte Ausdruck geben
müssen. Ich hatte das Empfinden, als ob die diplomatische Beschäftigung
wesensfremde Anforderungen an uns Deutsche stellt. Darin liegt wohl einer
der Hauptgründe für unsere außenpolitische Rückständigkeit. Eine solche
mußte sich um so stärker geltend machen, je mehr wir durch machtvolle
Entfaltung unseres Handels und unserer Industrie sowie durch Hinausdrängen
unserer geistigen Kräfte über die vaterländischen Grenzen hinaus zu einem
Weltvolk zu werden schienen. Das in sich geschlossene, ruhige, staatliche
Kraftbewußtsein, wie es Englands Politiker bewahrten, fand ich nicht immer
bei den unserigen.

Weder bei meiner Tätigkeit in den höheren Führerstellen des Ostens noch
bei meiner Berufung in den Wirkungskreis als Chef des Generalstabes des
Feldheeres hatte ich das Bedürfnis und die Neigung, mich mehr als
unbedingt notwendig mit gegenwärtigen politischen Fragen zu beschäftigen.
Freilich hielt ich in einem Koalitionskrieg mit seinen unendlich vielen
und mannigfaltigen, auf die Kriegführung wirkenden Entscheidungen eine
völlige Zurückhaltung der Kriegsleitung von der Politik für unmöglich.
Trotzdem erkannte ich auch in unserem Falle das, was Bismarck als Norm für
das gegenseitige Verhältnis zwischen militärischer und politischer Führung
im Kriege hingestellt hatte, als durchaus einem gesunden Zustand
entsprechend. Auch Moltke stand auf dem Boden der bismarckschen
Auffassung, wenn er sagte:

  „Der Führer hat bei seinen Operationen den militärischen Erfolg in
  erster Linie im Auge zu behalten. Was aber die Politik mit seinen Siegen
  oder Niederlagen anfängt, ist nicht seine Sache, deren Ausnützung ist
  vielmehr allein Sache der Politiker.“

Andererseits würde ich es aber doch vor meinem Gewissen nicht haben
verantworten können, wenn ich nicht meine Anschauungen in all den Fällen
zur Geltung gebracht hätte, in denen die Bestrebungen anderer uns nach
meiner Überzeugung auf eine bedenkliche Bahn führten, wenn ich nicht da
zur Tat getrieben hätte, wo ich Tatenlosigkeit oder Tatenunlust zu
bemerken glaubte, wenn ich endlich meine Ansichten für Gegenwart und
Zukunft nicht dann mit aller Schärfe vertreten hätte, wenn die
Kriegführung und die zukünftige militärische Sicherheit meines Vaterlandes
durch politische Maßnahmen berührt oder gar gefährdet wurden. Man wird mir
zugeben, daß die Grenzen zwischen Politik und Kriegführung sich wohl nie
mit voller Schärfe ziehen lassen werden. Beide müssen schon im Frieden
zusammenwirken, da ihre Gebiete eine wechselseitige Verständigung
unbedingt verlangen. Sie müssen sich im Kriege, in dem ihre Fäden
tausendfach verschlungen sind, gegenseitig ununterbrochen ergänzen. Dieses
schwierige Verhältnis wird sich nie durch Bestimmungen regeln lassen. Auch
der lapidare Stil Bismarcks läßt die Grenzlinien ineinander überfließend
erscheinen. Es entscheidet eben in diesen Fragen nicht nur die sachliche
Materie sondern auch der Charakter der an ihrer Lösung arbeitenden
Persönlichkeiten.

Ich gebe zu, daß ich gar manche Äußerungen über politische Fragen mit
meinem Namen und meiner Verantwortung deckte, auch wenn sie mit unserer
derzeitigen kriegerischen Lage nur in losem Zusammenhang standen. Ich
drängte mich in solchen Fällen niemandem auf. Wenn jedoch jemand meine
Ansicht haben wollte, wenn eine Frage kam, die einer Erledigung und
Äußerung von deutscher Seite harrte und keine fand, dann sah ich keinen
Grund dafür ein, warum ich schweigen sollte.

Bei einer der ersten politischen Fragen, die an mich kurz nach Übernahme
der Obersten Heeresleitung herantraten, handelte es sich um die Zukunft
Polens. Angesichts der großen Bedeutung dieser Frage während des Krieges
und nach diesem glaube ich auf den Verlauf ihrer Behandlung eingehen zu
müssen.

Ich habe früher nie eine persönliche Abneigung gegen das polnische Volk
empfunden; andererseits hätte mir aber auch jeder vaterländische Instinkt,
jede Kenntnis geschichtlicher Entwicklungen fehlen müssen, wenn ich die
schweren Gefahren verkannt hätte, die in einer Wiederaufrichtung Polens
für mein Vaterland lagen. Ich gab mich keinem Zweifel darüber hin, daß wir
von Polen nie und nimmer auch nur die Spur eines Dankes dafür erwarten
könnten, daß wir es durch unser Schwert und Blut von der russischen Knute
befreiten, so wenig wir je eine Anerkennung für die wirtschaftliche und
geistige Hebung unserer preußisch-polnischen Volksteile erhalten haben.
Nie also würde Dankesschuld, sofern eine solche in der Politik überhaupt
anerkannt würde, das neu errichtete freie Polen von einer Irredenta in
unseren angrenzenden Landesteilen abgehalten haben.

Von welcher Seite man auch das polnische Problem zu lösen versuchte, immer
mußte Preußen-Deutschland der leidtragende Teil sein, der die politische
Zeche zu zahlen hatte. Österreich-Ungarns Staatsleitung schien dagegen in
der Schöpfung eines freien geeinigten Polens keine Gefahr für das eigene
Staatswesen zu befürchten. Einflußreiche Kreise in Wien wie in Budapest
glaubten vielmehr, daß es möglich sein würde, das katholische Polen
dauernd an die Doppelmonarchie zu fesseln. Bei der grundsätzlich
deutschfeindlichen Haltung der Polen schloß diese österreichische Politik
eine schwere Gefahr für uns in sich. Es war nicht zu verkennen, daß
hierdurch die Festigkeit unseres Bündnisses in Zukunft einer auf die Dauer
unerträglichen Belastungsprobe ausgesetzt werden würde. Die Oberste
Heeresleitung durfte diesen politischen Gesichtspunkt bei ihrer Sorge um
unsere zukünftige militärische Lage an der Ostgrenze unter keiner
Bedingung aus dem Auge verlieren.

Aus all diesen politischen wie militärischen Erwägungen hätte sich meines
Erachtens für Deutschland die Lehre ergeben, an der polnischen Frage
möglichst wenig zu rühren oder sie wenigstens, wie man sich in solchen
Fällen ausdrückt, dilatorisch zu behandeln. Dies war aber von deutscher
Seite leider nicht geschehen. Die Gründe, warum wir aus der gebotenen
Vorsicht heraustraten, sind mir unbekannt. Zwischen der deutschen und
österreichisch-ungarischen Reichsleitung war nämlich Mitte August 1916 in
Wien eine Vereinbarung getroffen worden, nach welcher baldmöglichst die
öffentliche Verkündigung eines selbständigen Königreichs Polen mit
erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung erfolgen sollte.
Diese Abmachung hatte man dadurch für uns Deutsche schmackhafter zu machen
versucht, daß die beiden Vertragschließenden sich verpflichtet hatten,
keinen Teil ihrer einstmals polnischen Landesteile dem neuen polnischen
Staat zufallen zu lassen, und daß Deutschland die oberste Führung der
einheitlichen polnischen Zukunftsarmee zugesprochen erhielt. Beide
Zugeständnisse hielt ich für Utopien.

Durch diese öffentliche Verkündigung würden die politischen Verhältnisse
im Rückengebiet unserer Ostfront völlig verändert worden sein. Mein
Vorgänger hatte infolgedessen mit Recht sofort gegen diese Verkündigung
Einspruch erhoben. Seine Majestät der Kaiser entschied zugunsten des
Generals von Falkenhayn. Nun war es aber für jedermann, der die Zustände
in der Donaumonarchie kannte, klar, daß die in Wien einmal getroffene
Vereinbarung nicht geheim bleiben würde. Sie konnte wohl noch eine kurze
Zeit offiziell zurückgehalten aber nicht mehr aus der Welt geschafft
werden. In der Tat war sie schon Ende August allgemein bekannt. So stand
ich bei Übernahme der Obersten Heeresleitung einer vollendeten Tatsache
gegenüber.

Kurze Zeit darauf forderte der mir dienstlich nicht unterstellte
Generalgouverneur von Warschau von unserer Reichsleitung die Verkündigung
des polnischen Königsreichs als eine nicht länger hinausschiebbare
Tatsache. Er ließ die Wahl zwischen Schwierigkeiten im Lande und der
sicheren Aussicht auf eine Verstärkung unserer Streitkräfte durch
polnische Truppen, die sich im Frühjahr 1917 bei freiwilligem Eintritt auf
5 ausgebildete Divisionen, bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auf
1 Million Mann belaufen würden. Eine so wenig günstige Meinung ich auch
glaubte, 1914 und 15 von einer Teilnahme der polnischen Bevölkerung am
Krieg gegen Rußland gewonnen zu haben, der Generalgouverneur mußte es
besser wissen. Er kannte die Entwicklung der inneren politischen
Verhältnisse des eroberten Landes seit 1915 und war der Überzeugung, daß
uns die Geistlichkeit wirksam bei der Werbung zum Kampf unterstützen
würde.

Wie hätte ich es da bei unserer Kriegslage verantworten können, diese als
so bestimmt bezeichnete Hilfe abzulehnen? Entschied ich mich aber für
diese, so durfte keine Zeit verloren gehen, damit wir bis zum Beginn der
nächsten Frühjahrskämpfe leidlich ausgebildete Truppen in der vordersten
Linie einsetzen konnten. Mochte dann ein siegreiches Deutschland sich nach
dem Frieden mit der nun einmal aufgerollten polnischen Frage abfinden.

Da stießen wir, überraschend für mich, auf den Widerstand der
Reichsleitung. Sie glaubte in dieser Zeit Fäden für einen Sonderfrieden
mit Rußland gefunden zu haben und hielt es für bedenklich, die
eingeleiteten Schritte durch die Proklamation eines unabhängigen Polens in
den Augen des Zaren zu kompromittieren. Die politischen und militärischen
Rücksichten gerieten also in Widerstreit.

Der Ausgang der ganzen Angelegenheit war schließlich der, daß die
Hoffnungen auf einen Sonderfrieden mit Rußland scheiterten, daß in den
ersten Tagen des Novembers das Manifest doch veröffentlicht wurde, und daß
die daraufhin eingesetzten Werbungen polnischer Freiwilligen völlig
ergebnislos verliefen. Der Werberuf fand nicht nur keine Unterstützung der
katholischen Geistlichkeit, sondern löste offenen Widerstand aus.

Sofort nach Verkündigung des Manifestes trat der Widerstreit zwischen den
Interessen Österreichs und denjenigen Deutschlands in dem polnischen
Problem hervor. Unsere Verbündeten erstrebten immer offenkundiger eine
Vereinigung Kongreß-Polens mit Galizien unter ihrem beherrschenden
Einfluß. Ich glaubte diesen Bestrebungen gegenüber, sofern sie nicht von
unserer Reichsleitung überhaupt zum Scheitern gebracht werden konnten,
wenigstens für eine entsprechende Verbesserung an unserer Ostgrenze nach
rein militärischen Gesichtspunkten eintreten zu müssen.

Eigentlich konnte ja über alle diese Fragen nur der Ausgang des Krieges
entscheiden. Ich bedauerte es daher lebhaft, daß unsere Zeit durch diese
im Kriege überreichlich in Anspruch genommen wurde. Im übrigen muß ich
betonen, daß die mit unserem Verbündeten entstandenen Reibungen auf
politischem Gebiete niemals auf unsere beiderseitigen militärischen
Verhältnisse irgend welchen Einfluß ausübten.

Eine ähnliche Rolle wie Polen in unseren Beziehungen zu Österreich-Ungarn
spielte die Dobrudscha in unseren politischen und militärischen
Auseinandersetzungen mit Bulgarien. Bei der Dobrudschafrage handelte es
sich letzten Endes darum, ob Bulgarien mit dem uneingeschränkten
zukünftigen Besitz dieses Landes den Schienenweg über Cernavoda-Constanza
in seine Hand bekommen würde. Geschah das, so beherrschte es die letzte
und nächst der Orientbahn wichtigste Landesverbindung zwischen
Mitteleuropa und dem nahen Orient. Bulgarien erkannte natürlich die
günstige Gelegenheit, uns in dieser Richtung während des Krieges
Zugeständnisse abzuringen. Andererseits bat die Türkei als zunächst
berührt um unseren politischen Beistand gegen diese bulgarischen Pläne.
Wir gaben ihr diese Unterstützung. So brach ein politischer Kleinkrieg
unter militärischer Maske los und dauerte nahezu ein Jahr lang an. Der
Verlauf war kurz beschrieben folgender:

Der zwischen uns und Bulgarien abgeschlossene Bündnisvertrag stellte für
einen rumänischen Kriegsfall unseren Bundesgenossen den Wiedergewinn der
im Jahre 1912 verlorenen Teile der südlichen Dobrudscha sowie dortige
Grenzverbesserungen in Aussicht, sprach aber mit keinem Worte von dem
Anheimfall dieser ganzen rumänischen Provinz an Bulgarien. Auf Grund
dieses Vertrages hatten wir die früheren bulgarischen Teile der südlichen
Dobrudscha nach der wesentlichen Beendigung des rumänischen Feldzuges
sofort der Verwaltung der bulgarischen Regierung übergeben, richteten aber
in der Mitteldobrudscha im Einverständnis mit allen unseren Verbündeten
eine deutsche Verwaltung ein. Sie arbeitete auf Grund eines besonderen
Abkommens in wirtschaftlicher Beziehung nahezu ausschließlich zugunsten
Bulgariens. Die nördliche Dobrudscha fiel als Operationsgebiet der dort
stehenden 3. bulgarischen Armee zu. Die Verhältnisse schienen äußerlich
völlig befriedigend geregelt. Doch dauerte diese Zufriedenheit nicht
lange.

Der Fehdehandschuh wurde uns von dem bulgarischen Ministerpräsidenten
hingeworfen. Noch vor Abschluß des rumänischen Feldzuges regte er bei
seinen Politikern den Gedanken des Heimfalls der ganzen Dobrudscha an
Bulgarien an und stellte die deutsche Oberste Heeresleitung als Hemmschuh
dieser Bestrebungen hin. Hieraus entstand eine scharfe politische Bewegung
gegen uns. König Ferdinand war zunächst mit dem Vorgehen seiner Regierung
nicht einverstanden. Dem Druck der entstandenen Erregung glaubte er jedoch
später nachgeben zu müssen. Ebenso hatte sich die bulgarische Oberste
Heeresleitung anfangs nicht in die Angelegenheit hineinziehen lassen. Sie
fühlte wohl die Gefahr, wenn in die schon an sich starken und
verschiedenen politischen Strömungen innerhalb ihres Heeres ein neues
Element der Beunruhigung hineingeworfen würde. Bald leistete aber auch
General Jekoff dem Drängen seines Ministerpräsidenten keinen weiteren
Widerstand mehr. Die angezettelte Bewegung wuchs der bulgarischen
Regierung über den Kopf, und es entstand ein allgemeines politisches
Kesseltreiben gegen die deutsche Oberste Heeresleitung, hauptsächlich
geführt durch unverantwortliche Agitatoren und ohne jede Rücksicht auf das
bestehende waffenbrüderliche Verhältnis. Die Verbissenheit, mit der
bulgarische Kreise an diesem Ziele ihres Heißhungers festhielten, hätte
sich auf dem Gebiete der Kriegführung für die allgemeinen Zwecke besser
gelohnt.

In diesen Zuständen zeigten sich die Folgen einer schädlichen Seite
unserer Bündnisverträge. Wir hatten den Bulgaren bei Abschluß unseres
Waffenbundes seinerzeit die denkbar weitestgehenden Zusicherungen in bezug
auf Vergrößerung des Landes und Vereinigung seiner völkischen Stämme
gemacht, Zusicherungen, die wir nur im Falle eines vollen Sieges hätten
halten können. Bulgarien war aber auch mit diesen Zusicherungen noch nicht
zufrieden. Fortdauernd vergrößerte es seine Ansprüche ganz ohne Rücksicht
darauf, ob das bisher kleine Staatswesen imstande sein würde, solche
Vergrößerungen später politisch und wirtschaftlich beherrschen zu können.

Solche Begehrlichkeiten enthielten für uns aber auch eine unmittelbare
militärische Gefahr. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, von welch
großem militärischen Vorteil es gewesen wäre, wenn wir im Herbste 1916 die
Verteidigung an der mazedonischen Front auf dem westlichen Flügel bis in
die Gegend von Prilep zurückverlegt hätten. Nur eine Andeutung
unsererseits in dieser Beziehung genügte, um in allen politischen
bulgarischen Kreisen augenscheinlich schwerwiegende Bedenken
hervorzurufen. Man befürchtete sofort den Verlust der Ansprüche auf
militärisch geräumte Gebiete, man setzte lieber eine ganze Armee auf das
Spiel, als daß man, wie es hieß, die Preisgabe „der altbulgarischen Stadt
Ochrida“ vor dem eigenen Lande zu verantworten wagte. Wir werden später
sehen, wohin uns unsere großen Zugeständnisse an Bulgarien noch führen
sollten.

Das Hin und Her all dieser zahllosen politischen Fragen und Gegenfragen
brachte mir nur unbefriedigende Stunden und verstärkte beträchtlich meine
Abneigung gegen die Politik.

Einen wesentlich anderen Inhalt als unser Bündnisvertrag mit Bulgarien
hatte derjenige mit der Türkei. Deren Regierung gegenüber hatten wir uns
nur zur Erhaltung ihres territorialen Besitzstandes vor dem Kriege
verpflichtet. Nun hatte aber der Osmane im Verlauf der beiden ersten
Kriegsjahre bedeutende Teile seiner asiatischen Randgebiete verloren.
Unsere Bündnisverpflichtungen waren dadurch sehr belastet. Eine
bedenkliche Rückwirkung dieser mißlichen Verhältnisse auf die
Gesamtleitung des Krieges schien nicht ausgeschlossen, weil die türkische
Regierung in dieser Richtung Forderungen stellen konnte, denen wir uns aus
politischen Gründen vielleicht nicht zu entziehen vermochten. In dieser
Hinsicht war daher für uns die hohe Auffassung Enver Paschas von der
gemeinsamen Kriegführung und ihren entscheidenden Gesichtspunkten von
größtem Wert. Auch die politische Auffassung der übrigen türkischen
Machthaber schien uns einstweilen eine Gewähr dafür zu geben, daß die
bisherigen osmanischen Verluste unser Kriegskonto nicht übertrieben
belasten würden. Wurde uns doch versichert, daß die osmanische Regierung
sich im Falle des Eintritts von Friedensverhandlungen nicht auf den
Wortlaut unserer Vertragsbestimmungen versteifen, sondern sich mit der
Anerkennung einer mehr oder minder formellen Hoheit über große Teile der
verlorenen Gebiete abfinden würde, sofern es gelingen solle, eine Formel
zur Erhaltung des Prestiges ihrer jetzigen Regierung zu finden.

Für unsere Politik wie Kriegsleitung war es also eine ganz wesentliche
Aufgabe, die derzeitige osmanische Reichsleitung zu stützen; für Enver wie
für Talaat Pascha fand sich nicht leicht ein Ersatz, der uns voll und
sicher zugetan war. Das durfte uns freilich nicht hindern, politischen
Strömungen in der Türkei entgegenzutreten, die auf die militärischen
Aufgaben des Landes im Rahmen des Gesamtkrieges störend wirkten. Ich
verweise hierbei auf meine früheren Bemerkungen über die panislamitische
Bewegung. Sie drohte andauernd die Türkei militärisch in eine falsche
Richtung abzulenken. Nach dem Zusammenbruch Rußlands suchte der
Panislamismus sein Ausdehnungsgebiet in der Richtung auf den Kaukasus. Ja,
er faßte darüber hinaus ein Weitergreifen auf die transkaspischen Länder
ins Auge und verlor sich schließlich in den weiten Räumen Zentralasiens
mit dem phantastischen Wunsche, auch dortige alte Kultur- und
Glaubensgemeinschaften mit dem osmanischen Reiche zu vereinen.

Daß wir solchen orientalischen politischen Traumgebilden unsere
militärische Unterstützung nicht leihen konnten, daß wir vielmehr die
Rückkehr aus diesen weitschweifenden Plänen auf den Boden der jetzigen
kriegerischen Wirklichkeiten fordern mußten, war klar, das Bemühen aber
leider nicht erfolgreich.



Weit schwieriger als unser Einfluß auf die außenpolitischen Probleme der
Türkei mußte natürlich unser Einfluß auf innere Verhältnisse dieses
Reiches sein. Und doch konnten wir uns wenigstens des Versuches solcher
Schritte nicht völlig entschlagen. Nicht nur die primitiven
wirtschaftlichen Zustände gaben hierzu Veranlassung sondern auch allgemein
menschliche Empfindungen.

Das überraschende nochmalige Aufleben osmanischer Kriegskraft, das
Wiederaufflammen früheren Heldentumes in diesem Daseinskampf beleuchtete
gleichzeitig die dunkelste Seite der türkischen Herrschaft: ich meine ihr
Vorgehen gegen die armenischen Volksteile ihres Gebietes. Die armenische
Frage barg eines der allerschwierigsten Probleme für die Türkei in sich.
Sie berührte sowohl den pantürkischen wie auch den panislamitischen
Ideenkreis. Die Art, wie sie von fanatischer türkischer Seite zu lösen
versucht wurde, hat die ganze Welt während des Krieges beschäftigt. Man
hat uns Deutsche mit den grausigen Vorkommnissen in Verbindung bringen
wollen, die sich in dem ganzen osmanischen Reiche und gegen Schluß des
Krieges auch im armenischen Transkaukasien abspielten. Ich fühle mich
daher verpflichtet, sie hier zu berühren, und habe wahrlich keinen Grund,
unsere Einwirkung mit Stillschweigen zu übergehen. Wir haben nicht
gezögert, in Wort und Schrift einen hemmenden Einfluß auf die wilde,
schrankenlose Art der Kriegführung auszuüben, die im Orient durch
Rassenhaß und Religionsfeindschaften in traditionellem Gebrauch war. Wir
haben wohl zusagende Äußerungen maßgebender Stellen der türkischen
Regierung erhalten, waren aber nicht imstande, den passiven Widerstand zu
überwinden, der sich gegen diese unsere Einmischungen richtete. So
erklärte man beispielsweise von türkischer Seite die armenische Frage als
lediglich innere Angelegenheit und war sehr empfindlich, wenn sie von uns
berührt wurde. Auch unsere manchmal an Ort und Stelle befindlichen
Offiziere erreichten nicht immer eine Abmilderung der Haß- und Racheakte.
Das Erwachen der Bestie im Menschen beim Kampf auf Leben und Tod, im
politischen und religiösen Fanatismus, bildet eines der schwärzesten
Kapitel in der Geschichte aller Zeiten und Völker.

Die übereinstimmenden Urteile völkisch völlig neutraler Beobachter gingen
dahin, daß die in ihren innersten Leidenschaften aufgewühlten Parteien bei
der gegenseitigen Vernichtung sich die Wage hielten. Das entsprach wohl
den sittlichen Begriffen, die bei Völkern jener Gebiete durch die noch
herrschenden oder erst seit kurzem überwundenen Gesetze der Blutrache
geheiligt erschienen. Der Schaden, der durch diese Vernichtungsakte
angerichtet wurde, ist ganz unübersehbar. Er machte sich nicht allein auf
menschlichem und politischem sondern auch auf wirtschaftlichem und
militärischem Gebiete geltend. Die Zahl der besten türkischen
Kampftruppen, die im Verlauf des Krieges im kaukasischen Hochlandswinter
als Folgen dieser Vernichtungspolitik wider die Armenier einen elenden
Erschöpfungstod fanden, wird wohl niemals mehr festzustellen sein. Die
Tragik in der Geschichte des braven anatolischen Soldaten, dieses
Kernmenschen des osmanischen Reiches, wurde durch dieses massenhafte
Hinsterben infolge aller denkbaren Entbehrungen um ein weiteres Kapitel
erweitert. – Ob es das letzte gewesen ist?



                            Die Friedensfrage


Mitten in den Vorbereitungen zum rumänischen Feldzug trat an mich die
Friedensfrage heran. Diese war, soweit mir bekannt, durch den
österreichisch-ungarischen Außenminister Baron Burian ins Rollen gebracht.
Daß ich einem solchen Schritt alle meine menschlichen Zuneigungen
entgegenbrachte, bedarf für den Kenner meiner Person und meiner Auffassung
vom Kriege wohl keiner weiteren Versicherung. Im übrigen gab es für mich
bei der Mitwirkung in dieser Frage nur Rücksichten auf meinen Kaiser und
mein Vaterland. Ich hielt es für meine Aufgabe, bei der Behandlung und
versuchten Lösung des Friedensgedankens dafür zu sorgen, daß weder Heer
noch Heimat irgendwelchen Schaden litten. Die Oberste Heeresleitung hatte
bei der Festsetzung des Wortlautes unseres Friedensangebotes mitzuwirken;
eine ebenso schwierige als undankbare Aufgabe, bei der der Eindruck der
Schwäche im In- und Ausland wie auch alle Schroffheiten des Ausdrucks
vermieden werden sollten. Ich war Zeuge, mit welch tiefinnerem
Pflichtbewußtsein Gott und den Menschen gegenüber sich mein Allerhöchster
Kriegsherr der Lösung dieser Friedensanregung hingab; und glaube nicht,
daß er ein völliges Scheitern dieses Schrittes für wahrscheinlich hielt.
Mein Vertrauen auf das Gelingen war dagegen von Anfang an recht gering.
Unsere Gegner hatten sich förmlich in ihren Begehrlichkeiten überboten,
und es schien mir ausgeschlossen, daß eine der feindlichen Regierungen von
den Versprechungen, die sie sich gegenseitig und ihren Völkern gemacht
hatten, freiwillig zurücktreten könnte und würde. Durch diese Ansicht
wurde aber mein ehrlicher Wille zur Mitarbeit an diesem Werke der
Menschlichkeit nicht beeinträchtigt.

Am 12. Dezember wurde der uns feindlichen Welt unsere Bereitschaft zum
Frieden verkündet. Wir fanden in der gegnerischen Propaganda wie in den
gegnerischen Regierungslagern als Antwort nur Hohn und Abweisung.

Unserem eigenen Friedensschritte folgte eine gleichgerichtete Bemühung des
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika auf dem Fuße. Die
Oberste Heeresleitung wurde vom Reichskanzler über die Anregungen, die er
durch unseren Botschafter in den Vereinigten Staaten hatte ergehen lassen,
unterrichtet. Ich selbst hielt den Präsidenten Wilson nicht geeignet für
eine parteilose Vermittelung, konnte mich vielmehr des Gefühles nicht
erwehren, daß der Präsident eine starke Hinneigung zu unseren Gegnern, und
zwar in erster Linie zu England, hatte. Das war wohl die ganz natürliche
Folgeerscheinung seiner angelsächsischen Herkunft. Ebenso wie Millionen
meiner Landsleute konnte ich das bisherige Verhalten Wilsons nicht für
parteilos halten, wenn es vielleicht auch dem Wortlaut der
Neutralitätsbestimmungen nicht widersprach. In allen Fragen der Verletzung
des Völkerrechtes ging der Präsident gegen England mit allen möglichen
Rücksichten vor. Er ließ sich hierbei die schroffsten Abweisungen
gefallen. In der Frage des Unterseebootkrieges dagegen, die doch nur
unsere Gegenwirkung gegen die englischen Willküren war, zeigte Wilson die
größte Empfindlichkeit und verstieg sich sofort zu Kriegsdrohungen.
Deutschland gab seine Zustimmung zu dem Grundgedanken der Wilsonschen
Anregung. Die Gegner äußerten sich Wilson gegenüber über Einzelheiten
ihrer Forderungen, die im wesentlichen auf eine dauernde wirtschaftliche
und politische Lähmung Deutschlands, auf eine Zertrümmerung
Österreich-Ungarns und auf eine Vernichtung des osmanischen Staatswesens
hinausliefen. Jedem, der die damalige Kriegslage ruhig würdigte, mußte
sich der Gedanke aufdrängen, daß die gegnerischen Kriegsziele nur bei
einem völlig Unterlegenen Aussicht auf Annahme finden konnten, daß wir
aber keine Veranlassung hatten, uns als die Unterlegenen zu erklären.
Jedenfalls würde ich es nach dem damaligen Stande der Dinge für ein
Verbrechen an meinem Vaterlande und einen Verrat an unseren Bundesgenossen
erachtet haben, wenn ich mich derartigen feindlichen Anforderungen
gegenüber anders als völlig ablehnend verhalten hätte. Ich konnte bei der
damaligen Kriegslage meiner Überzeugung und meinem Gewissen nach keinen
anderen Frieden gut heißen als einen solchen, der unsere zukünftige
Stellung in der Welt derartig festigte, daß wir gegen gleiche politische
Vergewaltigungen, wie sie dem jetzigen Kriege zugrunde lagen, geschützt
blieben, und daß wir auch unseren Bundesgenossen eine dauernd starke
Stütze gegen jedwede Gefahr bieten konnten. Auf welchen politischen und
geographischen Grundlagen dieses Ziel erreicht wurde, war für mich als
Soldat eine Frage zweiter Linie; die Hauptsache war, daß es erreicht
wurde. Ich glaubte mich auch keinem Zweifel darüber hingeben zu brauchen,
daß das deutsche Volk und seine Verbündeten die Kraft besitzen würden, die
unerhörten feindlichen Forderungen, koste es was es wolle, mit den Waffen
in der Hand abzuweisen. In der Tat war die Haltung unserer Heimat
gegenüber den feindlichen Ansprüchen durchaus ablehnend. Auch kam weder
von türkischer noch bulgarischer Seite zu dieser Zeit irgendeine Mahnung
zur Nachgiebigkeit. Die Schwächeanwandlungen Österreich-Ungarns hielt ich
für überwindbar. Hauptsache war, daß man sich dort andauernd das Schicksal
vor Augen hielt, dem die Donaumonarchie bei diesen feindlichen
Anforderungen entgegenging, und daß man sich von dem Wahne freihielt, als
ob mit dem Feinde vorderhand auf einer gerechteren Grundlage zu verhandeln
sei. Wir hatten mit Österreich-Ungarn schon wiederholt die Erfahrung
gemacht, daß es zu weit höheren Leistungen fähig war, als es selbst von
sich glaubte. Die dortige Staatsleitung mußte sich nur einem unbedingten
Zwange gegenübergestellt sehen, um dann auch größeres leisten zu können.
Aus diesen Gründen war es meiner Ansicht nach verfehlt, Österreich-Ungarn
gegenüber mit Trostsprüchen zu arbeiten. Solche stärken nicht und heben
nicht das Vertrauen und die Entschlußkraft. Das gilt Politikern ebenso wie
Soldaten gegenüber. Alles zu seiner Zeit, aber wo es hart auf hart geht,
da reißen starke Forderungen gepaart mit starkem Eigenwillen des
Fordernden die Schwachwerdenden mehr und schärfer empor, als es Worte des
Trostes und Hinweises auf kommende bessere Zeiten zu tun vermögen.

Im Gegensatz zu unserer Auffassung sah eine Botschaft des Präsidenten
Wilson an den amerikanischen Senat vom 22. Januar in der auf die
ablehnende Antwort der Entente vom 30. Dezember folgenden Erklärung der
Kriegsziele unserer Feinde vom 12. Januar eine geeignetere Grundlage für
Friedensbemühungen als in unsrer diplomatischen Note, die sich lediglich
auf die grundsätzliche Zustimmung zur Fortsetzung seiner Friedensschritte
beschränkte. Dieses Verhalten des Präsidenten erschütterte mein Vertrauen
auf seine Unparteilichkeit noch weiter. Ich suchte in seiner an schönen
Worten reichen Botschaft vergebens die Zurückweisung des Versuches unserer
Gegner, uns als Menschen zweiter Kategorie zu erklären. Auch der Satz über
die Herstellung eines einigen, unabhängigen und selbständigen Polens
erregte meine Bedenken. Er schien mir unmittelbar gegen Österreich und
gegen uns gerichtet, stellte die Donaumonarchie vor einen Verzicht auf
Galizien und deutete Gebietsverluste oder Verluste an Hoheitsrechten auch
für Deutschland an. Wie konnte da noch von einer Unparteilichkeit des
Vermittlers Wilson gegen die Mittelmächte die Rede sein? Die Botschaft war
für uns mehr eine Kriegserklärung als ein Friedensschritt. Vertrauten wir
uns erst einmal der Politik des Präsidenten an, so mußten wir auf eine
abschüssige Bahn geraten, die uns schließlich zu einem Frieden des
Verzichtes auf unsere ganze politische, wirtschaftliche und militärische
Stellung zu führen drohte. Es schien mir nicht ausgeschlossen, daß wir
nach dem ersten zustimmenden Schritt allmählich politisch immer weiter in
die Tiefe gedrückt und dann schließlich zur militärischen Kapitulation
gezwungen würden.

Durch Veröffentlichungen im Oktober 1918 ist mir bekannt geworden, daß
Präsident Wilson unmittelbar nach Verkündigung der Senatsbotschaft vom
22. Januar 1917 dem deutschen Botschafter in Washington seine
Bereitwilligkeit zur Einleitung einer offiziellen Friedensvermittelung
überreichen ließ. Die Mitteilung hiervon war am 28. Januar in Berlin
eingetroffen. Ich hatte von diesem uns anscheinend sehr weit
entgegenkommenden Schritt Wilsons bis zum Herbste 1918 nichts gehört. Ob
Irrtümer oder Verkettung von widrigen Verhältnissen Schuld daran waren,
weiß ich heute noch nicht. Meines Erachtens war der Krieg mit Amerika Ende
Januar 1917 nicht mehr zu verhindern. Wilson befand sich zu jener Zeit in
Kenntnis unserer Absicht, am 1. Februar den uneingeschränkten
Unterseebootkrieg zu beginnen. Es kann keinen Zweifeln unterliegen, daß
der Präsident hierüber durch Auffangen und Entzifferung unserer
diesbezüglichen Telegramme an den deutschen Botschafter in Washington von
seiten Englands ebenso unterrichtet war, wie von dem Inhalt unserer
übrigen Depeschen. Die Senatsbotschaft vom 22. Januar und das daran
anknüpfende Angebot der Friedensvermittelung wird hierdurch ohne weiteres
gekennzeichnet. Das Unheil war im Rollen. Es wurde daher auch nicht mehr
aufgehalten durch unsere Erklärung vom 29. Januar, in der wir bereit
waren, den Unterseebootkrieg sofort abzubrechen, wenn es den Bemühungen
des Präsidenten gelingen würde, eine Grundlage für Friedensverhandlungen
zu sichern.

Die Ereignisse von 1918 und 1919 scheinen mir eine volle Bestätigung
meiner damaligen Anschauungen zu sein, die auch von meinem Ersten
Generalquartiermeister in jeder Beziehung geteilt wurden.



                              Innere Politik


Den Tagesfragen der inneren Politik hatte ich als aktiver Soldat ferner
gestanden. Auch nach meinem Übertritt in den Ruhestand beschäftigten sie
mich nur in dem Rahmen eines stillen Beobachters. Ich vermochte nicht zu
verstehen, daß hier und da das Gesamtwohl des Vaterlandes oft recht
kleinlichen Parteiinteressen gegenüber zurücktreten sollte, und fühlte
mich in meiner politischen Überzeugung am wohlsten in dem Schatten des
Baumes, der in dem ethisch-politischen Boden der Epoche unseres großen
greisen Kaisers festwurzelte. Diese Zeit mit ihrer für mich wunderbaren
Größe hatte ich voll und ganz in mich aufgenommen und hielt an ihren
Gedanken und Richtlinien fest. Die Erlebnisse während des jetzigen Krieges
waren nicht geeignet, mich für die Änderungen einer neueren Zeit besonders
zu erwärmen. Ein kraftvoll in sich geschlossener Staat im Sinne Bismarcks
war die Welt, in der ich mich in Gedanken am liebsten bewegte. Zucht und
Arbeit innerhalb des Vaterlandes standen für mich höher als
kosmopolitische Phantasien. Auch erkannte ich kein Recht für einen
Staatsbürger an, dem nicht eine gleichwertige Pflicht gegenüberzustellen
wäre.

Im Kriege dachte ich nur an den Krieg. Hindernisse, die der Kraft seiner
Führung entgegentraten, sollten nach meiner Auffassung vom Ernst der Lage
rücksichtslos beseitigt werden. So machten es unsere Feinde, und wir
hätten an ihrem Beispiel lernen können. Leider haben wir es nicht getan,
sondern sind einem Wahngebilde der Völkergerechtigkeit verfallen, anstatt
das eigene Staatsgefühl und die eigene Staatskraft im Kampfe um unser
Dasein über alles andere zu stellen.

Während des Krieges mußte sich die Oberste Heeresleitung mit einzelnen
innerstaatlichen Aufgaben, besonders auf wirtschaftlichem Gebiete,
beschäftigen. Wir suchten diese Aufgaben nicht; sie drängten sich, mehr
als mir erwünscht war, an uns heran. Die innigen Beziehungen zwischen Heer
und Volkswirtschaft machten es uns unmöglich, die wirtschaftlichen
Heimatfragen von der Kriegführung durch eine Grenzlinie ähnlich einer
solchen zwischen Kriegsgebiet und Heimat zu trennen.

Das große Kriegsindustrieprogramm, das meinen Namen trägt, vertrat ich mit
der vollen Verantwortung für seinen Inhalt. Die einzige Richtlinie, die
ich für seine Bearbeitung gab, lautete dahin, daß der Bedarf für unsere
kämpfenden Truppen unter allen Umständen gedeckt werden müßte. Einen
anderen Grundsatz als diesen hätte ich im vorliegenden Falle für ein
Vergehen an unserem Heere und an unserem Vaterlande gehalten. Bei unsern
Forderungen waren die Zahlen den früheren gegenüber freilich ins Riesige
gewachsen; ob sie erreicht werden konnten, vermochte ich nicht zu
beurteilen. Man hat nach dem Kriege dem Programm den Vorwurf gemacht, es
sei durch die Verzweiflung diktiert worden. Der Erfinder dieser Phrase
täuschte sich vollständig über die Stimmung, unter deren Einfluß dieses
Programm entstanden ist.

An der Einbringung des Gesetzes über den Kriegshilfsdienst war ich mit
ganzem Herzen beteiligt. In der Not des Vaterlandes sollten sich nach
meinem Wunsche nicht nur alle waffenfähigen sondern auch alle
arbeitsfähigen Männer, ja selbst Frauen, in den Dienst der großen Sache
stellen oder gestellt werden. Ich glaubte, daß durch ein solches Gesetz
nicht nur personelle sondern auch sittliche Kräfte ausgelöst würden, die
wir in die Wagschale des Krieges werfen konnten. Die schließliche
Gestaltung des Gesetzes zeigte freilich ein wesentlich anderes, weit
bescheideneres Ergebnis, als mir vorgeschwebt hatte. Angesichts dieser
Enttäuschung bedauerte ich fast, daß wir unser Ziel nicht auf den schon
bestehenden Gesetzesgrundlagen angestrebt hatten, wie das von anderer
Seite beabsichtigt gewesen war. Der Gedanke, die Annahme des Gesetzes zu
einer macht- und eindrucksvollen Kundgebung des gesamten deutschen Volkes
zu gestalten, hatte mich den Einfluß der bestehenden inneren politischen
Verhältnisse übersehen lassen. Das Gesetz kam schließlich zustande auf dem
Boden innerpolitischer Handelsgeschäfte, nicht aber auf dem tiefgehender
vaterländischer Stimmung.

Man hat der Obersten Heeresleitung vorgeworfen, daß sie durch das Gesetz
über den „Vaterländischen Hilfsdienst“ und durch die Forderungen des
sogenannten „Hindenburg-Programms“ in sozialer wie in finanzieller und
wirtschaftlicher Beziehung zu überstürzenden Maßnahmen Anlaß gegeben
hätte, deren Folgen sich bis zu unserem staatlichen Umsturz, ja sogar
darüber hinaus noch deutlich verfolgen ließen. Ich muß der zukünftigen,
von den gegenwärtigen Parteiströmungen befreiten Forschung zur
Entscheidung überlassen, ob diese Vorwürfe gerechtfertigt sind. Auf einen
Punkt möchte ich jedoch noch hinweisen: Das Fehlen eines für den Krieg
geschulten wirtschaftlichen Generalstabes machte sich im Verlauf unseres
Kampfes außerordentlich fühlbar. Die Erfahrung zeigte, daß sich ein
solcher während des Krieges nicht aus dem Boden stampfen läßt. So glänzend
unsere militärische und, ich darf wohl sagen, finanzielle Mobilmachung
geregelt war, so sehr fehlte es andererseits an einer wirtschaftlichen.
Was sich in letzterer Beziehung als notwendig erwies und geleistet werden
mußte, überstieg alle früheren Vorstellungen. Wir sahen uns angesichts der
nahezu völligen Absperrung von den Auslandslieferungen bei der langen
Dauer des Krieges sowie bei dem ungeheuren Materialverbrauch und
Schießbedarf vor völlig neue Aufgaben gestellt, an die sich im Frieden
kaum irgend eine menschliche Phantasie herangewagt hatte. Bei all den
entstehenden Riesenaufgaben, die Heer und Heimat gleichzeitig und aufs
innigste berührten, zeigte sich das unbedingte Erfordernis einer festen
Zusammenarbeit von allen Staatsstellen, wenn das Getriebe nur einigermaßen
reibungslos arbeiten sollte. Notwendig wäre es wohl gewesen, eine
gemeinsame Zentralbehörde zu schaffen, bei der alle Forderungen
zusammenliefen, und von der alle Leistungen verteilt wurden. Nur eine
solche Behörde hätte wirtschaftlich und militärisch weitblickende
Entscheidungen treffen können. Sie hätte unterstützt von
volkswirtschaftlichen Größen, die imstande waren, die Folgen ihrer
Entscheidungen weithin zu überblicken, im freien Geiste geleitet werden
müssen. An einer solchen Behörde fehlte es. Es bedarf keiner näheren
Erläuterungen, daß nur ein ungewöhnlich begabter Verstand und eine
ungewöhnlich organisatorische Kraft einer solchen Aufgabe hätte gewachsen
sein können. Selbst bei Erfüllung aller dieser Vorbedingungen wären
schwere Reibungen nicht ausgeblieben.

So sehr ich zu vermeiden trachtete, mich bei inneren politischen Fragen in
das Parteigetriebe einzumischen oder gar einer der bestehenden Parteien
Vorspanndienste zu leisten, so gern lieh ich sozialen Fragen allgemeiner
Natur meine Unterstützung. Besonders glaubte ich zur Frage der
Kriegerheimstätten die wohlwollendste Stellung einnehmen zu müssen. Meinen
Beifall hatte vornehmlich die ethische Seite dieser Bestrebungen. Kannte
ich doch keinen schöneren und befriedigerenden Blick als den über ein
wohlgepflegtes Stück Kulturland hinweg in das Heim zufriedener Menschen.
Wie viele unserer Tapferen an der Front werden in stillen Stunden ein
Hoffen und Sehnen nach solchem in sich gefühlt haben. Mein Wunsch geht
dahin, daß recht zahlreichen meiner treuen Kriegsgefährten nach allen
Leiden und Mühen dieses Glück beschieden sei!



               Vorbereitungen für das kommende Feldzugsjahr



                             Unsere Aufgaben


Als sich das Ergebnis der Kämpfe des Jahres 1916 mit einiger Sicherheit
überblicken ließ, mußten wir über die Weiterführung des Krieges im Jahre
1917 ins klare kommen. Über das, was der Gegner im nächsten Jahre tun
würde, war bei uns kein Zweifel. Wir mußten auf einen allgemeinen
feindlichen Angriff rechnen, sobald die gegnerischen Vorbereitungen und
die Witterungsverhältnisse einen solchen zuließen. Vorauszusehen war, daß
unsere Feinde, gewitzigt durch die Erfahrungen der vorhergegangenen Jahre,
eine Gleichzeitigkeit ihrer Angriffe auf allen Fronten anstreben würden,
sofern wir ihnen hierzu die Zeit und Gelegenheit ließen.

Nichts konnte näher liegen und unser aller Wünschen und Empfindungen mehr
entsprechen, als diesem zu erwartenden Generalsturm zuvorzukommen, die
gegnerischen Pläne dadurch über den Haufen zu werfen und damit von Anfang
an die Vorhand an uns zu reißen. Ich darf wohl behaupten, daß ich in
dieser Beziehung in den vorausgehenden Feldzugsjahren nichts versäumt
hatte, sobald mir die Mittel hierfür in einem nur einigermaßen genügenden
Ausmaß zur Verfügung standen. Jetzt aber durften wir uns über diesen
Wünschen den Blick für die tatsächliche Lage nicht trüben lassen.

Es bestand kein Zweifel, daß sich das Stärkeverhältnis zwischen uns und
unseren Gegnern am Ende des Jahres 1916 noch mehr zu unseren Ungunsten
verschoben hatte, als dies schon bei Beginn des Jahres der Fall gewesen
war. Rumänien war zu unseren Gegnern getreten und trotz seiner schweren
Niederlage ein Machtfaktor geblieben, mit dem wir weiter rechnen mußten.
Das geschlagene Heer fand hinter den russischen Linien Schutz und Zeit für
seinen Wiederaufbau und konnte dabei auf die Mitwirkung der Entente im
weitesten Umfang rechnen.

Es war ein Verhängnis für uns, daß es unserer Heeresführung während des
ganzen Krieges nicht gelungen ist, auch nur einen unserer kleineren Gegner
mit Ausnahme von Montenegro zum baldigen Ausscheiden aus der Zahl unserer
Feinde zu zwingen. So war im Jahre 1914 die belgische Armee aus Antwerpen
entkommen und stand uns, wenn auch im allgemeinen tatenlos, andauernd
gegenüber, uns zu einem immerhin nicht unbedeutenden Kräfteverbrauch
zwingend. Mit der serbischen Armee war es uns im Jahre 1915 nur scheinbar
günstiger gegangen. Sie war unsern umfassenden Bewegungen entgangen,
allerdings in einem trostlosen Zustande. Im Sommer 1916 erschien sie
jedoch wieder kampfkräftig auf dem Kriegstheater in Mazedonien und erhielt
zur Auffrischung ihrer Verbände andauernd Zuzug und Ersatz aus allen
möglichen Ländern, zuletzt besonders auch durch österreichisch-ungarische
Überläufer slawischer Nationalitäten.

In allen drei Fällen, Belgien, Serbien und Rumänien, hatte das Schicksal
der gegnerischen Armee an einem Haare gehangen. Die Gründe ihres
Entrinnens mochten verschieden sein, die Wirkung war stets die gleiche.

Man ist angesichts solcher Tatsachen nur zu leicht geneigt, dem Zufall im
Kriege eine große Rolle zuzusprechen. Mit diesem Ausdruck würdigt man den
Krieg aus seiner stolzen Höhe zu einem Glücksspiel herab. Als solches ist
er mir niemals erschienen. Ich sah in seinem Verlauf und Ergebnis, auch
wenn letzteres sich gegen uns wendete, immer und überall eine herbe
Folgenreihe unerbittlicher Logik. Wer zugreift und zugreifen kann, hat den
Erfolg auf seiner Seite, wer das unterläßt oder unterlassen muß, verliert.

Für das Feldzugsjahr 1917 konnten wir darüber im Zweifel sein, ob die
Hauptgefahr für uns aus West oder Ost kommen würde. Rein vom Standpunkte
zahlenmäßiger Überlegenheit schien die Gefahr an der Ostfront größer. Wir
mußten annehmen, daß es dem Russen im Winter 1916/17 ebenso wie in den
Vorjahren gelingen würde, seine Verluste zu ersetzen und seine Armee mit
Erfolg angriffsfähig zu machen. Keine Kunde drang zu uns, aus der
besonders auffallende Zersetzungserscheinungen innerhalb des russischen
Heeres hervorgegangen wäre. Die Erfahrung hatte mich übrigens gelehrt,
derartige Nachrichten jederzeit und von wem sie auch kommen mochten, mit
äußerster Vorsicht aufzunehmen.

Dieser russischen Stärke gegenüber konnten wir die Verhältnisse in dem
österreichisch-ungarischen Heere nicht ohne Sorge betrachten. Nachrichten,
die uns zukamen, ließen die Zuversicht nicht recht aufkommen, daß der
glückliche Ausgang des rumänischen Feldzuges und die verhältnismäßig
günstige, wenn auch immer gespannte Lage an der italienischen Front auf
den moralischen Halt der k. u. k. Truppen einen ausreichend erhebenden und
stärkenden Einfluß ausgeübt hatten. Wir mußten weiterhin damit rechnen,
daß Angriffe der Russen wieder Zusammenbrüche in den österreichischen
Linien verursachen könnten. Es war sonach ausgeschlossen, den
österreichischen Fronten die unmittelbare deutsche Unterstützung zu
nehmen; wir mußten uns im Gegenteil bereithalten, bei gelegentlichen
Notfällen an den Fronten des Verbündeten mit weiteren Kräften auszuhelfen.

Wie sich die Verhältnisse an der mazedonischen Front gestalten würden, war
ebenfalls unsicher. Dort hatte im Verlauf der letzten Kämpfe ein deutsches
Heeresgruppenkommando die Führung der rechten und mittleren bulgarischen
Armee, d. h. im allgemeinen die Front von Ochrida bis zum Doiran-See,
übernommen; auch waren sonst noch aus den Kämpfen der Jahre 1915 und 1916
her höhere deutsche Befehlshaber in dieser Front tätig geblieben. Andere
unserer Offiziere waren ferner damit beschäftigt, die reichen
Kriegserfahrungen auf allen unseren Fronten der bulgarischen Armee zu
übermitteln. Das Ergebnis dieser Arbeit konnte sich aber erst beim
Wiederaufleben der Kämpfe zeigen. Vorderhand schien es gut, unsere
Hoffnungen nicht allzu hoch zu spannen. Unterstützungsbereit mußten wir
jedenfalls auch für die mazedonische Front sein.

Auch an unserer Westfront mußten wir damit rechnen, daß die Gegner im
kommenden Frühjahr trotz ihrer zweifellos schweren Verluste des
vergangenen Jahres mit voller Kraft wieder auf dem Kampfplatz erscheinen
würden. Ich möchte den Ausdruck „volle Kraft“ natürlich bedingt aufgefaßt
wissen, denn die verlorene alte Kraft ersetzt sich im Verlauf weniger
Monate wohl zahlenmäßig, aber nicht ihrem inneren Werte nach voll und
ganz. Der Feind unterlag in dieser Richtung den gleichen harten Gesetzen
wie auch wir.

Das taktische Bild an den wichtigsten Teilen dieser Front war folgendes:
Der Gegner hatte im zähesten, fünfmonatigen Ringen an der Somme unsere
Linien in 40 km Breite und etwa 10 km Tiefe zurückgeworfen. Vergessen wir
diese Zahlen für spätere Vergleiche nicht!

Dieser Erfolg, der mit hunderttausenden von blutigen Opfern bezahlt war,
war bei der Größe unserer Gesamtfront eigentlich gering. Die Einbiegung
unserer Linien drückte aber auf unsere nach Nord und Süd anschließenden
Nebenfronten. Die Lage forderte gebieterisch eine Verbesserung; wir liefen
sonst Gefahr, aus diesem Bogen heraus durch erneute feindliche Angriffe,
verbunden mit nördlich und südlich davon angesetzten Nebenangriffen,
umfaßt zu werden. Ein eigener, umfassender Angriff gegen den
eingebrochenen Feind war die nächstliegende, angesichts unserer Gesamtlage
aber auch die bedenklichste Lösung. Durften wir es wagen, alle unsere
Kraft zu einem großen Angriff in der mit feindlichen Truppen angefüllten
Gegend an der Somme einzusetzen, während wir vielleicht an anderer Stelle
der Westfront oder an der Ostfront einen Zusammenbruch erlebten? Es zeigte
sich hier wieder einmal, daß unsere Kriegführung, wenn sie mit großen
Plänen nach der einen Seite blickte, die Augen nach der anderen nicht
verschließen durfte. Das Jahr 1916 redete in dieser Beziehung eine
Sprache, die sich Gehör verschaffen mußte.

Wenn wir nun die durch die Sommeschlacht entstandene Frontgestaltung durch
einen Angriff nicht verbessern konnten, so mußten wir die Folgerungen
daraus ziehen und unsere Linien zurücknehmen. Wir entschieden uns daher
auch zu dieser Maßnahme und verlegten unsere Stellung, die bis Peronne
eingedrückt war und andrerseits noch bis westlich Bapaume, Roye und Noyon
vorsprang, in die Sehnenlinie Arras-St. Quentin-Soissons zurück. Diese
neue Linie ist unter dem Namen Siegfriedstellung bekannt.

Also Rückzug an der Westfront statt Angriff! Kein leichter Entschluß.
Schwere Enttäuschung für das Westheer, vielleicht eine noch schwerere für
die Heimat, die schwerste, wie zu befürchten, bei unseren Verbündeten.
Heller Jubel bei unsern Gegnern! Kann man sich auch einen geeigneteren
Stoff für Propaganda vorstellen? Glänzender, wenn auch spät sichtbarer
Erfolg der blutigen Sommeschlacht, zusammengebrochener deutscher
Widerstand, heftige unaufhörliche Verfolgungen mit großen Beutezahlen,
Schauergeschichten über unsere Kriegführung. Man konnte das ganze
Register, das aufgezogen werden würde, schon vorher hören. Welch ein Hagel
propagandistischer Literatur wird nunmehr auf und hinter unseren Linien
niederfallen!

Unsere große Rückwärtsbewegung begann am 16. März 1917. Der Gegner folgte
ihr ins freie Gelände zumeist mit gemessener Vorsicht. Wo diese Vorsicht
sich zu größerem Drängen steigern wollte, verstanden es unsere
Deckungstruppen, abkühlend auf den feindlichen Eifer zu wirken.

Mit der getroffenen Maßnahme schufen wir uns nicht nur günstigere örtliche
Kampfbedingungen an der Westfront sondern verbesserten auch unsere gesamte
Kriegslage. Gab uns doch die Verkürzung der Verteidigungslinie im Westen
die Möglichkeit zur Schaffung starker Reserven. Verlockend war der Plan,
wenigstens einen Teil derselben auf den Feind zu werfen, wenn dieser
unserem Rückzug in die Siegfriedstellung über das freie Gelände folgen
würde, in dem wir uns ihm unbedingt überlegen fühlten. Wir verzichteten
jedoch hierauf und hielten unser Pulver für die Zukunft trocken.

Man kann die Lage, wie wir sie uns bis zum Frühjahr des Jahres 1917
geschaffen hatten, vielleicht als eine große strategische Bereitstellung
bezeichnen, in der wir dem Gegner einstweilen die Vorhand überließen, aus
der heraus wir aber jederzeit imstande waren, gegen feindliche
Schwächepunkte zum Angriff zu schreiten. Geschichtliche Vergleiche aus
früheren Kriegen können bei der ungeheuer gesteigerten Größe aller
Verhältnisse nicht gezogen werden.



Im Zusammenhang mit diesen Ausführungen muß ich zwei Pläne besprechen, mit
denen wir uns im Winter 1916/17 zu beschäftigen hatten. Es waren
Vorschläge für einen Angriff sowohl in Italien als auch in Mazedonien. Die
Anregung in der erstgenannten Richtung ging noch im Winter 1916/17 vom
Generaloberst von Conrad aus. Er versprach sich von einem großen Erfolge
gegen Italien eine weitgehende Einwirkung auf unsere gesamte kriegerische
und politische Lage. Dieser Anschauung konnte ich mich nicht anschließen.
Wie ich schon früher ausführte, vertrat ich dauernd die Anschauung, daß
Italien viel zu sehr unter dem wirtschaftlichen und damit auch unter dem
politischen Druck Englands stünde, als daß dieses Land, selbst durch eine
große Niederlage, zu einem Sonderfrieden zu zwingen wäre. Generaloberst
von Conrad dachte bei seinem Vorschlage wohl in erster Linie an die
günstige Rückwirkung eines siegreichen Feldzuges gegen Italien auf die
Stimmung in den österreichisch-ungarischen Ländern. Er hoffte auf die
große militärische Entlastung, die mit einem solchen Erfolge für
Österreich-Ungarn eintreten mußte. Diese Gesichtspunkte konnte ich ihm als
wohlberechtigt durchaus nachempfinden. Allein ohne starke deutsche
Unterstützung – es handelte sich um etwa 12 deutsche Divisionen – glaubte
Generaloberst von Conrad nicht nochmals einen Angriff auf die Italiener
aus Südtirol heraus unternehmen zu können. Demgegenüber glaubte ich es
jedoch nicht verantworten zu können, so viele deutsche Truppen auf nicht
absehbare Zeit in einem Unternehmen festzulegen, das nach meiner
Anschauung zu weit von unseren allerwichtigsten und gefährlichsten Fronten
in Ost und West ablag.

Ähnlich verhielt es sich mit der Frage eines Angriffes auf die
Ententetruppen in Mazedonien. Bulgarien liebäugelte mit diesem Plane, und
von seinem Standpunkte aus natürlich mit vollster Berechtigung. Ein
entscheidender Erfolg unsererseits hätte die Entente zur Räumung dieses
Landes zwingen können. Bulgarien wäre dadurch militärisch und politisch
nahezu völlig entlastet worden. Das Unternehmen hätte auch den lebhaften
Wünschen des Landes und seiner Regierung entsprochen. Richtete man doch
bulgarischerseits fortgesetzt begehrliche Augen auf den viel umstrittenen,
schönen Hafen von Saloniki. Letzterer Gesichtspunkt machte freilich bei
mir keinen Eindruck. Auch die militärische Entlastung Bulgariens hätte
nach meiner damaligen Ansicht keinen Nutzen für unsere Gesamtlage
bedeutet. Hätten wir die Ententekräfte zum Abzug aus Mazedonien gezwungen,
so würden wir sie an unserer Westfront auf den Hals bekommen haben. Ob wir
dagegen die dadurch frei werdenden bulgarischen Truppen irgendwo außerhalb
des Balkans hätten einsetzen können, erschien mir mindestens fraglich.
Hatte doch schon die Verwendung bulgarischer Divisionen außerhalb des
unmittelbarsten bulgarischen Interessengebietes während des rumänischen
Feldzuges nördlich der Donau zu nicht sehr erfreulichen Reibungen mit
diesen Verbänden geführt. Nach meiner Anschauung verwertete sich also die
bulgarische Kampfeskraft im gesamten Rahmen unserer Kriegführung am
besten, wenn wir sie mit dem Festhalten der Ententetruppen in Mazedonien
beschäftigten. Das schloß natürlich nicht aus, daß ich einen selbständigen
Angriff der Bulgaren in Mazedonien jederzeit freudig begrüßt hätte. Das
Ziel eines solchen hätte dann aber wohl wesentlich begrenzter gefaßt
werden müssen, als es die Vertreibung der Entente aus dem Balkan oder die
Eroberung von Saloniki bedeutete. An irgendwelche Angriffsunternehmungen
glaubte indessen Bulgarien ohne sehr wesentliche deutsche Hilfe,
allermindestens 6 Divisionen, nicht herangehen zu können, und wohl mit
Recht.

Nachrichten über die Entwicklung der politischen Verhältnisse in
Griechenland klangen allerdings in der Zeit, in der die Frage eines
Angriffs in Mazedonien an uns herantrat, also im Winter 1916/17, wie
verführerische Lockrufe. Gegen solche Sirenenstimmen war ich aber völlig
unempfindlich. Ich bezweifelte es, daß das Volk der Hellenen mit großer
Begeisterung einen Kampf, ganz besonders aber einen solchen Schulter an
Schulter mit den Bulgaren, ersehnte. Im großen und ganzen wäre es dabei um
das gleiche Ziel gegangen wie 1913, und die beiden siegreichen Partner
hätten sich auch diesmal wieder nach dem gemeinsamen Erfolge nicht
poetisch in den Armen sondern prosaisch in den Haaren gelegen.



Aus meinen vorstehenden Ausführungen dürfte mit aller Klarheit
hervorgehen, daß die Anspannung der deutschen Kräfte durch die gesamte
Lage eine so hohe war, daß wir sie nicht durch weitere, außerhalb
unbedingtester kriegerischer und politischer Notwendigkeiten liegende
Absichten noch mehr steigern durften. Selbst vortreffliche Pläne, die
sichere Aussichten auf große kriegerische Erfolge boten, konnten uns nicht
von der zunächst wichtigsten Kriegsaufgabe ablenken. Diese war der Kampf
im Osten und Westen, und zwar auf beiden Fronten gegen erdrückende
Überlegenheiten.

Wenn ich mir aufgrund der inzwischen eingetretenen Folgen meiner im Jahre
1917 ablehnenden Haltung gegen Operationen in Italien und Mazedonien heute
nochmals die Frage vorlege, ob ich anders hätte entscheiden sollen und
dürfen, so muß ich diese Frage auch jetzt noch verneinen. Ich glaube sagen
zu können, daß der Gang der Ereignisse in Mitteleuropa späterhin unser
Verhalten als das Richtige bestätigt hat. Wir konnten und durften nicht
einen Zusammenbruch unserer West- oder Ostfront auf das Spiel setzen, um
billige Lorbeeren in der oberitalienischen Tiefebene oder am Wardar zu
pflücken.



Die Türkei war für 1917 mit besonderen Weisungen von unserer Seite nicht
zu versehen. Sie hatte ihren Landbesitz zu verteidigen und uns die ihr
gegenüberstehenden Kräfte vom Leibe zu halten. Gelang ihr beides, so
erfüllte sie durchaus ihre Aufgabe im Gesamtrahmen des Krieges.

Um die hierfür nötigen Truppen kampfkräftig zu erhalten, hatten wir schon
im Herbste 1916 bei der osmanischen Obersten Heeresleitung angeregt, sie
möchte die Masse ihrer beiden kaukasischen Armeen aus dem entvölkerten und
ausgesogenen armenischen Hochlande zurückziehen, um den Truppen die
Überwinterung zu erleichtern. Der Befehl hierzu wurde zu spät erteilt.
Infolgedessen erlagen ganze Truppenteile durch Hunger und Kälte dem
vorausgesehenen Verderben. Kein Lied, kein Heldenbuch wird vielleicht ihr
tragisches Ende je verkünden, so sei es an dieser bescheidenen Stelle
getan.



                          Der Unterseebootkrieg


Man denke an 70 Millionen Menschen, die im Halbhunger dahinleben, und an
die Vielen unter ihnen, die langsam an seinen Wirkungen zugrunde gehen!
Man denke an die vielen Säuglinge, die infolge Aushungerung der Mütter
dahinsterben, und an die zahllosen Kinder, die zeitlebens siech und krank
bleiben werden! Nicht im fernen Indien oder China, wo eine mitleidslose,
kaltherzige Natur den segenspendenden Regen verweigert hat, sondern hier
mitten in Europa, inmitten der Kultur und der Menschlichkeit! Ein
Halbhunger, hervorgerufen durch den Machtspruch und durch die Gewalt von
Menschen, die sich sonst mit ihrer Gesittung brüsten! Wo ist da Gesittung?
Stehen sie als Menschen höher wie jene, die im armenischen Hochlande zum
Grauen der ganzen zivilisierten Welt gegen Wehrlose wüteten und dafür vom
Schicksal bestraft zu Tausenden einen elenden Tod fanden? Zu diesen
hartgesinnten Anatoliern hat freilich kaum jemals ein anderer Geist als
derjenige der Rache, sicherlich niemals derjenige der Nächstenliebe
gesprochen.

Wohin zielt denn der Machtspruch jener sonst so „Gesitteten“? Ihr Plan ist
klar. Sie haben eingesehen, daß ihre Kriegskraft nicht ausreicht zur
Erkämpfung ihres tyrannischen Willens, daß ihre Kriegskunst unfruchtbar
bleibt gegenüber ihrem Gegner mit stählernen Nerven. Man zermürbe also
dessen Nerven! Gelingt es nicht durch den Kampf Mann gegen Mann, so
gelingt es vielleicht von rückwärts her auf dem Wege über die Heimat. Man
lasse die Weiber und Kinder hungern! Das wirkt „so Gott will“ auf den
Gatten und Vater an der Kampffront ein, wenn auch nicht sofort, so doch
allmählich! Vielleicht entschließen sich diese Gatten und Väter, die
Waffen zu strecken, denn sonst droht in der Heimat der Tod von Weib und
Kind, der Tod – der Gesittung. So denken Menschen und können dabei beten!

„Der Gegner überschüttet uns mit amerikanischen Granaten, warum versenken
wir nicht seine Transportschiffe? Haben wir denn nicht das Mittel dazu?
Rechtsfragen? Wo und wann denkt denn der Gegner an Recht?“ Das fragt der
Soldat an unseren Fronten.

Heimat und Heer wenden sich mit solchen und ähnlichen Ausführungen an ihre
Führer, nicht erst seit dem 29. August 1916, sondern schon lange vorher.
Der Wille, die ganze Schärfe des Unterseebootkrieges anzuwenden, um die
Leiden der Heimat abzukürzen und das Heer in seinem ungeheueren Ringen zu
entlasten, war schon vor meiner Übernahme der Obersten Heeresleitung
vorhanden. In diesem mitleidlosen Kampfe gegen unsere wehrlose Heimat gilt
nur „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Alles andere erscheint
Erbarmungslosigkeit gegen das eigene Blut.

Wenn wir aber auch die Waffe und den Willen hatten, sie einzusetzen, so
durften doch nicht Folgen außer acht gelassen werden, die aus der
rücksichtslosen Anwendung dieses vernichtenden Kampfmittels entspringen
konnten. Werden Rücksichten gegen den kaltherzigen Feind verneint, so gibt
es doch Rücksichten gegen bisher neutrale seefahrende Nationen. Die Heimat
darf durch Anwendung der Waffe nicht in größere Gefahren und Sorgen
gebracht werden, als die sind, aus denen man sie befreien will. Es
schwankt also der Entschluß, ein begreifliches Schwanken, bei dem auch
menschliche Gefühle mitreden!

So finde ich die Lage bei meinem Erscheinen im Großen Hauptquartier.
Vereint mit den schweren Krisen zu Lande eine schwere bedeutungsvolle
Frage zu See. Nach dem ersten Anschein liegt die Entscheidung darüber bei
der Reichsleitung und beim Admiralstabe; doch ist auch die Oberste
Heeresleitung stark davon berührt. Ist es doch klar, daß wir aus allgemein
militärischen Gründen die Führung des Unterseebootkrieges wünschen müssen.
Die Vorteile, die wir hieraus für unsere Landkriegführung erwarten können,
sind mit den Händen zu greifen. Schon dann, wenn auf gegnerischer Seite
die Fertigung von Kriegsbedürfnissen oder deren Beförderung über See
wesentlich eingeschränkt werden müßte, wäre das für uns eine große
Erleichterung. Das gleiche gilt, wenn es gelänge, die gegnerischen
überseeischen Operationen wenigstens teilweise zu unterbinden. Welch große
Entlastung würde das nicht bloß für Bulgarien und die Türkei, sondern auch
für uns bedeuten, ohne daß wir hierfür deutsches Blut opferten! In
weiterer Ferne steht auch die Möglichkeit, den Ententeländern die
Versorgung mit Rohprodukten und Lebensmitteln bis zu einem unerträglichen
Maße zu erschweren oder wenigstens England vor die sein Geschick
entscheidende Frage zu stellen: entweder uns die versöhnende Hand zu
reichen oder seine Stellung in der Weltwirtschaft zu verlieren. So schien
der Unterseebootkrieg geeignet, bestimmend auf den Gang des Krieges
einzuwirken, ja er war am Beginn des Jahres 1917 das einzige Mittel, das
wir noch für eine siegreiche Beendigung des Krieges neu einsetzen konnten,
nachdem wir zum Weiterkämpfen gezwungen waren.

In welchen Zusammenhang wir die Führung des Unterseebootkrieges zu der
gesamten kriegerischen und politischen Lage brachten, ergibt sich aus
einer Zuschrift vom Ende September 1916 unsererseits an die Reichsleitung.
Diese Zuschrift sollte als Grundlage für eine Anweisung an unseren
Botschafter in Washington dienen und lautete:

  „Dem Grafen Bernstorff wird zu seiner persönlichen Unterweisung
  mitgeteilt, daß die Absicht der Entente, die Ost- und Westfront zu
  durchbrechen, bisher nicht gelungen ist und nicht gelingen wird,
  ebensowenig wie ihre Offensivoperationen von Saloniki her und in der
  Dobrudscha. Dagegen nehmen die Operationen der Mittelmächte gegen
  Rumänien erfreulichen Fortgang. Ob es hier aber gelingen wird, schon in
  diesem Jahre einen den Krieg beendenden Erfolg zu erringen, ist noch
  zweifelhaft. Daher muß vorläufig mit längerer Kriegsdauer gerechnet
  werden.

  Demgegenüber verspricht sich die Kaiserliche Marine durch den
  rücksichtslosen Einsatz der vermehrten Unterseeboote angesichts der
  wirtschaftlichen Lage Englands einen schnellen Erfolg, der den
  Hauptfeind, England, in wenigen Monaten dem Friedensgedanken geneigt
  machen würde. Deshalb muß die Deutsche Oberste Heeresleitung den
  rücksichtslosen Unterseebootkrieg in ihre Maßnahmen einbeziehen, unter
  anderem auch, um die Lage an der Sommefront durch Verminderung der
  Munitionszufuhr zu entlasten und der Entente das Vergebliche ihrer
  Anstrengungen an dieser Stelle vor Augen zu führen. Schließlich können
  wir nicht ruhig zusehen, wie England in der Erkenntnis der vielen
  Schwierigkeiten, mit denen es zu rechnen hat, mit allen Mitteln die
  neutralen Mächte bearbeitet, um seine militärische und wirtschaftliche
  Lage zu unseren Ungunsten zu verbessern. Aus allen diesen Punkten müssen
  wir die Freiheit unserer Handlungen, die wir in der Note vom 4. Mai uns
  vorbehielten, wiedergewinnen.

  Die Gesamtlage würde sich aber vollständig ändern, falls Präsident
  Wilson, seinen angedeuteten Absichten folgend, den Mächten einen
  Friedensvermittlungsantrag macht. Dieser müßte allerdings ohne bestimmte
  Vorschläge territorialer Art gehalten sein, da diese Fragen Gegenstand
  der Friedensverhandlungen seien. Eine diesbezügliche Aktion müsse aber
  bald erfolgen. Wolle Wilson bis nach seiner Wahl oder bis kurz vor
  derselben warten, so würde er zu einem solchen Schritte kaum mehr
  Gelegenheit finden. Auch dürften die Verhandlungen nicht erst auf
  Abschluß eines Waffenstillstandes abzielen, sondern müßten lediglich
  unter den Kriegsparteien geführt werden und innerhalb kurzer Frist
  unmittelbar den Präliminarfrieden bringen. Ein längeres Hinausziehen
  würde die militärische Lage Deutschlands verschlechtern und auch weitere
  Vorbereitungen der Mächte zur Fortsetzung des Krieges bis in das nächste
  Jahr zur Folge haben, sodaß an einen Frieden in absehbarer Zeit dann
  nicht mehr zu denken wäre.

  Graf Bernstorff soll die Angelegenheit mit Colonel House – dem
  Mittelsmann, durch welchen er mit dem Präsidenten verhandelt –
  besprechen und die Absichten des Mr. Wilson in Erfahrung bringen. Eine
  Friedensaktion des Präsidenten, die nach außen hin am besten spontan
  erscheinen würde, würde bei uns ernsthaft in Erwägung gezogen werden,
  und diese würde ja auch für die Wahlkampagne Wilsons schon einen Erfolg
  bedeuten.“

Die schwierigste Frage ist und bleibt: „Innerhalb welcher Zeitspanne wird
der Erfolg des Unterseebootkrieges erreicht werden können?“ Der
Admiralstab kann hierfür natürlich nur unbestimmte Angaben machen. Aber
selbst seine, wie er sagt, auf vorsichtigster Berechnung aufgestellten
Schätzungen sind so günstig für uns, daß ich grundsätzlich die Gefahr in
den Kauf nehmen zu können glaube, uns mit der Anwendung des neuen
Kampfmittels einen oder den anderen neuen Gegner auf den Hals zu ziehen.

Mochte die Marine auch noch so sehr drängen, so verlangten doch politische
und militärische Rücksichten eine Verzögerung des Beginns des
uneingeschränkten Unterseebootkrieges über den Herbst 1916 hinaus. Wir
durften in der damals so hochgespannten Kriegslage keine neuen Gegner auf
uns ziehen. Wir mußten jedenfalls warten, bis wir einen günstigen Abschluß
des rumänischen Feldzuges überblicken konnten. Gelang ein solcher, so
verfügten wir über genügend Kräfte, um angrenzende neutrale Staaten von
einem Eintritt in die Reihen unserer Gegner abhalten zu können, mochte
England auch deren wirtschaftliche Bedrückung noch weiter steigern.

Zu den Rücksichten aus militärischen Gründen treten solche aus
politischen. Bevor sich unser Friedensschritt nicht als ein völliger
Fehlschlag erwies, wollten wir an die verstärkte Anwendung der
Unterseebootwaffe nicht denken.

Als dann aber dieser Friedensschritt scheiterte, gab es für mich nur noch
militärische Rücksichten. Die Entwicklung unserer Kriegslage, besonders in
Rumänien, bis Ende Dezember gestattete nunmehr nach meiner Überzeugung die
weitestgehende Anwendung der wirkungsvollen Waffe.

Am 9. Januar 1917 gab unser Allerhöchster Kriegsherr gegen die Ansicht des
Reichskanzlers von Bethmann auf Vorschlag des Admiralstabs und
Generalstabs die bejahende Entscheidung. Wir waren uns alle nicht im
Zweifel über die Schwere des Schrittes.

Jedenfalls gab aber die Anwendung des Unterseebootkrieges mit seinen
verlockenden Aussichten Heer und Heimat lange Zeit hindurch eine große
moralische Stärkung für Fortführung des Landkrieges.

Angesichts des für uns verhängnisvollen Ausgangs des Krieges hat man die
Erklärung des uneingeschränkten Unterseebootkrieges für ein Vabanquespiel
halten zu müssen geglaubt. Damit versuchte man diesen unseren Entschluß
politisch und militärisch wie auch moralisch herabzuwürdigen. Man
übersieht bei diesem Urteil, daß nahezu alle entscheidenden Entschlüsse,
und zwar nicht nur diejenigen im Kriege, ein schweres Risiko in sich
tragen, ja, daß die Größe einer Tat hauptsächlich darin liegt und daran zu
messen ist, daß ein hoher Einsatz gewagt wird. Wenn ein Feldherr auf dem
Schlachtfelde seine letzten Reserven in den Kampf schickt, so tut er
nichts anderes, als was sein Vaterland mit Recht von ihm fordert: Er nimmt
die volle Verantwortung auf sich und beweist den Mut zum letzten
entscheidenden Schritt, ohne den der Sieg nicht zu erringen wäre. Ein
Führer, der es nicht auf sich nehmen kann oder will, die letzte Kraft an
den Erfolg zu setzen, ist ein Verbrecher an dem eigenen Volk. Mißlingt ihm
der Schlag, dann freilich wird er von dem Fluch und dem Hohn der Schwachen
und Feiglinge getroffen. Das ist nun einmal das Schicksal des Soldaten. Es
würde jeder Größe entbehren, wenn es nur auf sicheren Berechnungen sich
gründen ließe, und wenn die Erringung des Lorbeers nicht abhängig wäre von
dem Mute der Verantwortung. Diesen Mut heranzubilden, war Ziel unserer
deutschen militärischen Erziehung. Sie konnte dabei hinweisen auf die
größten Vorbilder in der eigenen Geschichte sowie auf die mächtigsten
Taten unserer gefährlichsten Gegner. Gab es einen kühneren Einsatz der
letzten Kraft, als ihn der große König bei Leuthen wagte und damit das
Vaterland und seine Zukunft rettete? Hat man nicht auch den Entschluß
Napoleons I. als richtig anerkannt, als er bei Belle Alliance seine
letzten Bataillone an die Entscheidung setzte, um dann freilich, wie
Clausewitz sagt, arm wie ein Bettler vom Schlachtfeld zu verschwinden?
Wäre nicht ein Blücher dem Korsen gegenüber gewesen, der Korse hätte
gesiegt, und die Weltgeschichte wäre wohl einen anderen Weg gegangen. Und
auf der anderen Seite der viel umjubelte Marschall Vorwärts; wagte er
nicht auch in dieser Entscheidungsschlacht das Äußerste? Hören wir, was
vor dem Kriege einer unserer heftigsten Gegner darüber sagte:

  „Das schönste Manöver, das ich je auf Erden habe ausführen sehen, ist
  die Tat des Greises Blücher, der zu Boden geworfen wurde, unter die Hufe
  der Pferde geriet und sich aus dem Staube erhob, auf seine besiegten
  Soldaten losstürmte, ihrer Flucht Einhalt gebot und sie von der
  Niederlage bei Ligny dem Triumph von Waterloo entgegenführte.“

Ich möchte dieses Kapitel nicht schließen, ohne meine Zweifel der
Behauptung gegenüber zu äußern, daß mit dem Eintritt Amerikas in die
Reihen unserer Gegner unsere Sache endgültig verloren gewesen sei. Warten
wir erst einmal den Einblick in die Krisen ab, in die wir durch unseren
Unterseebootkrieg und durch unsere zeitweise großen Erfolge zu Lande vom
Frühjahr 1917 ab unsere Gegner versetzten. Wir werden dann vielleicht
erfahren, daß wir so manchmal nahe daran waren, den Siegerkranz an uns zu
reißen, und wir werden auch vielleicht erkennen lernen, daß andere als
militärische Gründe uns um ein erfolgreiches oder wenigstens erträgliches
Kriegsende brachten.



                                Kreuznach


Nach erfolgreicher Beendigung des rumänischen Feldzuges und der dadurch
eingetretenen Entspannung der Ostlage mußte das Schwergewicht unserer
demnächstigen Tätigkeit im Westen gesucht werden. Dort war jedenfalls ein
frühzeitiger Beginn der Kämpfe im folgenden Feldzugsjahre zu erwarten. Wir
wollten dem Schauplatz dieser Schlachten nahe sein. Von einem im Westen
gelegenen Hauptquartier bot sich leichter und weniger zeitraubend die
Möglichkeit, mit den Oberkommandos der Heeresgruppen und Armeen in
unmittelbare persönliche Berührung zu treten. Dazu kam, daß Kaiser Karl
einerseits in der Nähe der politischen Behörden seines Landes zu sein
wünschte und andererseits auf den unmittelbaren persönlichen Verkehr mit
seinem Generalstab nicht verzichten wollte. Das k. u. k.
Armee-Oberkommando siedelte daher in den ersten Monaten des Jahres 1917
nach Baden bei Wien über. Damit entfiel für Seine Majestät unseren Kaiser
und für die Oberste Heeresleitung jeder Grund, weiterhin in Pleß zu
bleiben. Wir verlegten im Februar das Hauptquartier nach Kreuznach.

Beim Abschied von Pleß war es mir ein besonderes Bedürfnis, dem dortigen
Fürsten und seiner Beamtenschaft für die große Gastfreundschaft zu danken,
die uns in der Unterbringung aller Befehlsstellen und in unserm
Privatleben erwiesen worden war. Ich selbst hatte obenein dankbar mancher
herrlichen Pirschfahrt an ausnahmsweise dienstfreien Abenden sowohl im
Plesser- wie auch im benachbarten Neudecker Revier zu gedenken.

An die Gegend, in die wir nun kamen, knüpften sich für mich Erinnerungen
aus meiner früheren Tätigkeit als Chef des Generalstabes in der
Rheinprovinz. Auch die Stadt Kreuznach selbst war mir damals bekannt
geworden. Ihre Einwohner wetteiferten jetzt in Beweisen rührender
Freundlichkeit. Diese äußerte sich unter anderem auch darin, daß unser
Heim und unser gemeinsamer Speiseraum täglich durch die Hände junger Damen
mit frischen Blumen geschmückt wurden. Ich nahm all das als Zeichen der
Huldigung an die Gesamtheit des Heeres entgegen, zu dessen ältesten
Vertretern im Kriege ich gehörte.

Kurz nach unserem Weggang von Pleß trat Generaloberst von Conrad von der
Heeresleitung Österreich-Ungarns zurück, um den Oberbefehl an der Front
Südtirols zu übernehmen. Die Ursache seines Abganges ist mir nicht bekannt
geworden. Ich glaubte sie auf persönlichem Gebiete suchen zu müssen, da
sachliche Gründe meines Erachtens nicht vorlagen. Ich bewahre ihm ein
treues, kameradschaftliches Gedenken. Sein Nachfolger wurde General von
Arz. Ein praktischer Kopf mit gesunden Anschauungen, ein trefflicher
Soldat, also gleich seinem Vorgänger ein wertvoller Kampfgenosse! Er ging
auf das Wesen der Dinge los und verachtete den Schein. Ich glaube, daß uns
beiden die Abneigung gegen die Beschäftigung mit politischen Fragen
gemeinsam war. Was unter den früher von mir berührten schwierigen
Verhältnissen in der Donaumonarchie erreicht werden konnte, hat General
von Arz nach meiner Überzeugung mit bewundernswürdiger Ausdauer geleistet.
Er hat sich über die ganze Schwere seiner Aufgabe keinem Zweifel
hingegeben. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß er mit so mannhaftem
Vertrauen an sie herantrat.

Für mich persönlich brachte der Aufenthalt in Kreuznach Anfang Oktober die
Feier meines 70jährigen Geburtstages.

Seine Majestät mein Kaiser, König und Herr, hatte die große Gnade, mir als
Erster an diesem Tage persönlich seine Glückwünsche in meinem Heim
auszusprechen. Das war für mich die größte Weihe des Tages!

Auf dem Wege zu unserem Dienstgebäude begrüßte mich später in der
strahlenden Herbstsonne die Kreuznacher Jugend; vor dem Eingang zur
gemeinsamen Arbeitsstätte erwarteten mich meine Mitarbeiter, im
anschließenden Garten Vertreter der Stadt und Umgegend, junge Soldaten,
verwundet und krank, Erholung suchend in den Heilstätten des Badeortes,
daneben alte Veteranen, Mitkämpfer aus längst vergangener Zeit.

Das Ende des Tages brachte ein kleines kriegerisches Zwischenspiel. Aus
einer mir nie bekannt gewordenen Ursache hatte sich das Gerücht von der
Wahrscheinlichkeit eines großen feindlichen Fliegerangriffes auf unser
Großes Hauptquartier für den heutigen Tag verbreitet. Möglich auch, daß
das eine oder andere Flugzeug des Gegners, wie so oft, an diesem Abend den
Weg von der Saar- zur Rheinlinie oder zurück längs der Nahe suchte. Kein
Wunder, wenn die Phantasien lebhafter arbeiteten als sonst, und wenn in
der Nacht zwischen der Erde und dem strahlenden Mond mehr gesehen und
gehört wurde, als tatsächlich vorhanden war. Kurzum, gegen Mitternacht
eröffneten unsere Flugabwehrgeschütze ein heftiges Dauerfeuer. Dank der
hohen Feuergeschwindigkeit erschöpfte sich rasch die vorhandene Munition,
und ich konnte ruhig einschlafen in dem Gedanken, nun nicht weiter gestört
zu werden. Beim Vortrag des folgenden Tages zeigte mir der Kaiser eine
große Schale, angefüllt mit Sprengstücken deutscher Geschosse, die in dem
Garten seines Quartiers gesammelt worden waren. In einer gewissen Gefahr
hatten wir also doch geschwebt.

Ein Teil der Kreuznacher hatte übrigens die nächtliche Schießerei für den
militärischen Abschluß meines Geburtstagsfestes gehalten.



              Der feindliche Ansturm im ersten Halbjahr 1917



                                Im Westen


Mit größter Spannung sahen wir vom Eintritt der besseren Jahreszeit ab dem
Beginn des erwarteten allgemeinen gegnerischen Angriffes im Westen
entgegen. Wir hatten uns durch die Neugruppierung unserer Kräfte auf ihn
strategisch vorbereitet, aber wir hatten im Laufe des Winters auch in
taktischer Beziehung alle Maßnahmen getroffen, dieser jedenfalls größten
aller bisherigen feindlichen Kraftanstrengungen zu begegnen.

Zu diesen Maßnahmen gehörten nicht in letzter Linie die Änderungen unseres
bisherigen Verteidigungsverfahrens. Sie wurden von uns auf Grund der
Erfahrungen in den bisherigen Kämpfen verfügt. Nicht mehr aus einzelnen
Linien und Stützpunkten sondern aus Liniensystemen und Stützpunktgruppen
sollten in Zukunft unsere Verteidigungsanlagen bestehen. In den dadurch
gebildeten tiefen Zonen wollten wir die Truppen nicht in
zusammenhängenden, starren Fronten, sondern in reicher Gruppierung und
Gliederung nach der Breite und Tiefe aufbauen. Der Verteidiger hatte seine
Kräfte beweglich zu halten, um der vernichtenden feindlichen Wirkung
während des Vorbereitungskampfes auszuweichen, hier und dort unhaltbar
gewordene Stellungsteile freiwillig preiszugeben und dann im Gegenstoß das
wieder zu gewinnen, was zur Behauptung der allgemeinen Stellung nötig war.
Diese Grundsätze galten im Kleinen wie im Großen.

Der verheerenden Wirkung der feindlichen Artillerie und Minenwerfer und
den überraschenden gegnerischen Anstürmen setzten wir also eine Vermehrung
und reichere Gliederung unserer Verteidigungsanlagen und die Beweglichkeit
unserer Kampfmittel entgegen. Gleichzeitig wurde der Grundsatz
verwirklicht, in den vorderen Widerstandslinien durch Erhöhung der Zahl
der Maschinengewehre Menschenkräfte zu schonen und damit solche zu sparen.

Mit dieser tiefgreifenden Änderung unseres Verteidigungsverfahrens nahmen
wir ohne Zweifel ein Wagnis auf uns. Dies bestand in erster Linie darin,
daß wir mitten im Kriege den Bruch mit taktischen Gewohnheiten und
Erfahrungen forderten, in die sich die untere Führung und die Truppe
eingelebt hatten, und die sie vielfach mit begreiflichen Vorurteilen
schätzten. Der Übergang von einer taktischen Anschauung in eine andere
bedeutet schon im Frieden eine gewisse Krisis. Er bringt auf der einen
Seite Übertreibungen im Neuen, auf der anderen schwer belehrbares
Festhalten am Alten mit sich. Mißverständnisse drängen sich in den
klarsten Wortlaut der Vorschriften ein; selbständige und willkürliche
Auslegungen feiern Orgien; das Trägheitsmoment im menschlichen Denken und
Handeln wird manchmal nicht ohne kräftigsten Antrieb überwunden.

Aber nicht nur aus diesen Gründen bedeuteten unsere taktischen Änderungen
einen gewagten Schritt. Fast noch schwerer war es, die Frage zu bejahen,
ob denn unser Heer mitten im Kriege in seiner jetzigen Verfassung imstande
sein würde, diese Änderungen in sich aufzunehmen und auf die Wirklichkeit
des Schlachtfeldes zu übertragen. Wir konnten uns nicht im Zweifel darüber
sein, daß das Kriegsinstrument, mit dem wir jetzt zu arbeiten hatten, mit
demjenigen der Jahre 1914 und 1915, ja selbst mit demjenigen des Beginnes
von 1916 kaum noch zu vergleichen war. Eine Unsumme herrlichster Kraft lag
in unseren Ehrenfriedhöfen gebettet oder war mit zertrümmerten Gliedern
oder krankem Körper an die Heimat gebannt. Ein stolzer Kern unserer
Soldaten vom Jahre 1914 war freilich auch heute noch vorhanden, und an ihn
schloß sich viel junge, begeisterungsfähige Kraft und opferfreudiger
Wille. Aber das allein macht die Stärke eines Heeres nicht aus; Kraft und
Wille müssen geschult und durch Erfahrungen geläutert werden. Ein Heer mit
dem sittlichen und geistigen Reichtum, mit der machtvollen geschichtlichen
Überlieferung wie das deutsche von 1914 überdauert zwar in seinem inneren
Werte manche Kriegsjahre, wenn ihm nur die Zufuhr frischer körperlicher
und sittlicher Kräfte aus der Heimat erhalten bleibt. Der Gesamtwert
jedoch wird, ja er muß nach dem natürlichen Lauf der Dinge sinken, wenn
auch sein Verhältniswert jedem Feinde gegenüber, der gleich lang im Felde
steht, in voller Höhe und Überlegenheit erhalten bleibt.

Unser neues Verteidigungsverfahren stellte an die moralische Kraft und an
das Können der Truppe hohe Anforderungen, indem es den festen äußeren
Zusammenhalt der Verteidigung lockerte und damit die Selbständigkeit
kleinster Teile zum höchsten Grundsatz erhob. Der taktische Zusammenhang
war nicht mehr in äußerlich sichtbaren Linien und Gruppen gegeben, sondern
im geistigen Bande taktischen Zusammengreifens. Es liegt keine
Übertreibung darin, wenn ich sage, daß unter den vorliegenden
Verhältnissen in dem Übergang zu diesen neuen Grundsätzen die größte
Vertrauenskundgebung lag, die wir der geistigen und sittlichen Kraft
unseres Heeres, und zwar all seiner Teile, aussprechen konnten. Schon die
nächste Zukunft mußte den Beweis liefern, ob dieses Vertrauen
gerechtfertigt war.



Das erste Unwetter im Westen bricht nach begonnenem Frühjahr los. Am
9. April gibt der englische Angriff bei Arras den Auftakt zur großen,
feindlichen Frühjahrsoffensive. Der Angriff wird tagelang vorbereitet mit
der ganzen brutalen Wucht feindlicher Artillerie- und Minenwerfer-Massen,
nichts von Überraschungstaktik im Sinne Nivelles vom Oktober des
vergangenen Jahres. Traut man diesem Verfahren von englischer Seite nicht,
oder fühlt man sich taktisch hierfür zu ungewandt? Der Grund ist für den
Augenblick gleichgültig, die Tatsache genügt und redet eine furchtbare
Sprache. Der englische Angriff braust über die ersten, zweiten, dritten
Gräben hinweg. Stützpunktgruppen versagen oder verstummen nach
heldenmütigem Widerstand; Artillerie geht in Masse verloren. Das
Verteidigungsverfahren hatte scheinbar versagt!

Eine schwere Krise tritt ein. Eine jener Lagen, in der alles haltlos
geworden zu sein scheint. „Krisen muß man vermeiden“, ruft der Laie. Der
Soldat kann ihm nur antworten: „Dann verzichten wir besser von vornherein
auf den Krieg, denn sie sind unvermeidlich. Sie liegen einfach in der
Natur des Krieges und kennzeichnen ihn als das Gebiet des Ungewissen und
der Gefahr. Nicht Krisen zu vermeiden sondern sie zu überwinden, ist
Aufgabe der Kriegskunst. Wer schon vor ihrem Drohen zurückschrecken
wollte, bindet sich selbst die Hände, wird ein Spielball des kühneren
Gegners und geht bald in einer Krisis zu Grunde.“

Ich will hiermit nicht behaupten, daß die Krisis am 9. April nach all den
Vorbereitungen, die man zu treffen imstande gewesen wäre, nicht hätte
vermieden werden können. Sie brauchte wenigstens nicht in dieser
furchtbaren Größe einzutreten, wenn man mit rechtzeitig herangeholten
Reserven im Gegenstoß dem feindlichen Einbruch entgegenging. Mit schweren
örtlichen Erschütterungen der Verteidigung wird man freilich bei solch
höllischer Vorbereitung des Angriffs immer rechnen müssen.

Der abendliche Vortrag entwirft an diesem 9. April ein düsteres Bild, viel
Schatten, wenig Licht. Doch man muß in solchen Fällen nach Licht suchen.
Ein Strahl, wenn auch noch in unsicheren Umrissen, deutet sich an. Der
Engländer scheint es nicht verstanden zu haben, den errungenen Erfolg bis
zu seinem letztmöglichen Ergebnis auszunützen. Ein Glück für uns, jetzt,
wie schon manchmal vorher. Nach dem Vortrag drücke ich meinem Ersten
Generalquartiermeister die Hand mit den Worten: „Nun, wir haben schon
Schwereres miteinander durchgemacht als heute.“ Heute, an seinem
Geburtstage! Mein Vertrauen bleibt unerschüttert. Ich wußte, neue Truppen
von uns marschieren auf das Schlachtfeld, Eisenbahnzüge rollen heran. Die
Krisis wird überwunden. In mir selbst wenigstens war sie zu Ende. Der
Kampf aber tobte weiter.

Ein anderes Schlachtbild: Auch bei Soissons und von da ab weit hin nach
Osten bis in die Gegend von Reims donnern gleichfalls von der ersten
Aprilwoche ab die französischen Kanonen; viele hundert feindliche
Minenwerfer schleudern dort ihre Geschosse. Hier befehligt Nivelle, wohl
dank seines berechtigten Ruhmes von Verdun. Auch er hat aus seinen letzten
Erfahrungen bei Verdun nicht die taktischen Folgerungen gezogen, die wir
erwarteten. Tage-, ja eine Woche lang wütet das französische Feuer. Unsere
Verteidigungszonen sollen in ein Trümmer- und Leichenfeld verwandelt, was
vielleicht noch zufällig der körperlichen Zerstörung entgeht, soll
wenigstens seelisch gebrochen werden. In dieser furchtbaren Esse scheint
die Erreichung solcher Absicht außer Zweifel zu stehen. Endlich hält
Nivelle unsere Truppen für vernichtet oder wenigstens hinreichend
zermürbt. Er läßt seine siegessicheren Bataillone am 16. April zum Sturme,
wir wollen besser sagen, zur Ernte der in der Feuerglut gereiften Früchte
antreten. Da geschieht das Unbegreifliche. Zwischen den Trümmern und
Trichtern erhebt sich deutsches Leben, deutsche Kraft und deutscher Wille
und schleudert sein Verderben in die stürmenden Linien und die ihnen
folgenden, in unserem losbrechenden Feuer wirbelnden und sich
zusammenballenden Haufen. Wohl wird der deutsche Widerstand an den am
schwersten erschütterten Stellen niedergetreten, aber was bedeutet in
diesem Riesenkampfe ein Verlust von einzelnen Stellungsteilen gegenüber
der siegreichen Behauptung der allgemeinen Front?

Die Schlacht zeigt schon in den ersten Tagen eine ausgesprochene
französische Niederlage. Der blutige Rückschlag wirft die französische
Führung und Truppe in bitterste, ja verbitterte Enttäuschung.

Der Kampf bei Arras, bei Soissons und bei Reims tobt noch wochenlang. Er
bringt nur einen einzigen taktischen Unterschied gegenüber dem Ringen an
der Somme im vergangenen Jahre, und den möchte ich zu erwähnen nicht
vergessen: der Gegner erringt nämlich über die ersten Tage hinaus nirgends
mehr einen nennenswerten Erfolg, und schon nach wenigen Wochen sinkt er
auf seinen Angriffsfeldern erschöpft in den Stellungskrieg zurück. Unser
Abwehrverfahren hat sich also doch noch glänzend bewährt!

Und nun noch ein drittes Bild: Die Szenen spielen sich ab auf den Höhen
von Wytschaete und Messines, nordwestlich Lille, angesichts des Kemmel. Es
ist der 7. Juni. Also ein Zeitpunkt, an dem das Scheitern der vorher
erwähnten Kämpfe schon zweifelsfrei feststeht. Die Lage auf den
Wytschaeter Höhen, dem Schlüsselpunkt des dortigen Stellungsbogens, ist
wenig günstig für neuzeitliche Verteidigung. Der verhältnismäßig schmale
Rücken gestattet nicht die Anwendung einer genügend tiefen Zone. Das
vorderste Grabensystem liegt auf den Westhängen und bietet feindlicher
Artillerie treffliche Ziele. Das feuchte Erdreich rutscht im Sommer und
Winter, der Boden ist vielfach vom Minenkrieg zerwühlt, einer Kampfart,
die früher gerade hier um den Besitz der wichtigsten Stellungsteile mit
äußerster Erbitterung angewendet worden war. Doch hört man seit langem
nichts mehr von unterirdischem Wühlen. Nicht nur von Westen, sondern auch
von Süd und Nord her ist die Verteidigung auf den Höhen bei St. Eloi sowie
an den beiden Eckpfeilern Wytschaete und Messines durch die gegnerische
Artillerie zu fassen.

Der Engländer bereitet seinen Angriff in gewohnter Weise vor. Der
Verteidiger leidet schwer, schwerer als nur irgendwo bisher. Auf unsere
besorgte Frage, ob die Höhen nicht besser freiwillig geräumt würden,
erfolgt die mannhafte Antwort: „Wir werden halten, noch stehen wir fest!“
Als aber der verhängnisvolle 7. Juni anbricht, erhebt sich der Boden unter
den Verteidigungslinien, ihre wichtigsten Stützteile brechen zusammen und
durch den Rauch und die niederstürzenden Erdmassen der gesprengten
Minenreihen schreiten die englischen Sturmtruppen über die letzten Reste
deutscher Verteidigungskraft hinweg. Krampfhafte Versuche unsererseits,
die Lage durch Gegenstoß zu retten, scheitern an dem mörderischen
feindlichen Artilleriefeuer, das aus weitem Bogen das Rückengebiet der
verlorenen Stellungen in einen wahren Feuerkessel verwandelt. Trotzdem
gelingt es auch hier, den Gegner vor vollendetem Durchbruch unserer Linien
zum Halten zu bringen. Unsere Verluste an Menschen wie Kriegsgerät sind
schwer; die Preisgabe des Geländes wäre zu verschmerzen gewesen.

Das bisherige Gesamtergebnis der großen feindlichen Offensive im Westen
war nach meinem Urteil für uns nicht unbefriedigend. Geschlagen waren wir
nirgends. Selbst die bedenklichsten Gefahren hatten wir aufgefangen.
Nirgends war es dem Feinde gelungen, über einen mäßigen Geländegewinn
hinaus größere Ziele zu erreichen, geschweige denn aus der
Durchbruchsschlacht zur freien Operation übergehen zu können. Die
Auswertung dieser unserer Erfolge im Westen sollte auch diesmal an anderen
Fronten stattfinden.



                        Im nahen und fernen Orient


Noch bevor der wilde Tanz an unserer Westfront begann, erneuerte Sarrail
seine Angriffe in Mazedonien mit dem Schwergewicht bei Monastir. Auch
diese Ereignisse zogen unsere volle Aufmerksamkeit auf sich. Waren doch
die Ziele des Gegners auch hier sehr weitgesteckt. Gleichzeitig mit diesem
Ansturm gegen die bulgarische Front veranlaßte der Feind einen Aufstand in
Serbien, hierdurch unsere Verbindungen auf der Balkanhalbinsel gefährdend.
Der Aufstand wurde indessen an der bedrohlichsten Stelle, nämlich bei
Nisch, niedergeschlagen, ehe er die besonders von den bulgarischen
Regierungskreisen befürchtete Ausdehnung über ganz Altserbien annahm.

Die Schlacht an der mazedonischen Front wurde mit großer Erbitterung
geführt. Der bulgarischen Armee gelang es, ohne daß wir ihr weitere
deutsche Unterstützung zusenden mußten, ihre Stellungen nahezu restlos zu
behaupten. Ein uns sehr befriedigendes Ergebnis! Unser Verbündeter hatte
sich sehr gut geschlagen. Er erkannte damals rückhaltslos an, daß sich die
deutsche Arbeit in seinen Kampfreihen bestens bewährt hatte. Ich gewann
daraus die Überzeugung, daß die bulgarische Armee ihrer Aufgabe auch
weiterhin gewachsen sei. Dies bestätigte sich bei Erneuerung der Angriffe
der Entente im Mai. Auch diesmal wurden deren Anstürme in ihrer Ausdehnung
von Monastir bis zum Doiran-See völlig zum Scheitern gebracht.



Im armenischen Hochlande war es still geblieben. Gelegentliche kleinere
Zusammenstöße im Winter schienen mehr durch Beutezüge als durch das
Erwachen der Kampflust auf einer der beiden Seiten veranlaßt worden zu
sein. Der Russe hatte unter dem Einfluß der auch bei ihm bestehenden
ungeheuren Nachschubschwierigkeiten die Masse seiner Truppen aus den
wildesten und verödetsten Hochgebirgsteilen in bessere Verpflegungsgebiete
des Landesinnern zurückgezogen. Die völlige Erstarrung der russischen
Kampflust war aber überraschend. Wir erhielten von türkischer Seite keine
Nachricht, die uns die Gründe hierfür hätte erkennen lassen.

Im Irak griff der Engländer im Februar an und kam schon am 11. März in den
Besitz von Bagdad. Diesen Erfolg verdankte er einer geschickten Umgehung
der starken türkischen Front.

In Südpalästina, bei Gaza, brach dagegen der englische Angriff, mit
erdrückender Überlegenheit aber rein frontal und mit geringem taktischen
Geschick geführt, vor den türkischen Linien vollständig zusammen. Nur das
Versagen einer zum umfassenden Gegenstoß angesetzten türkischen Kolonne
rettete hier England vor einer vernichtenden Niederlage.

Die Rückwirkung dieser Ereignisse in Asien auf unsere gesamte Kriegslage
werde ich noch zu besprechen haben.



                             An der Ostfront


Noch bevor Franzosen und Engländer im Westen zum allgemeinen Angriff
antraten, erbebte die russische Front in ihren Grundfesten. Unter unseren
bisherigen wuchtigen Schlägen hatte das Gefüge des russischen Staates sich
zu lockern begonnen.

Wie ein Alpdruck hatte der plumpe russische Koloß bisher auf der ganzen
europäischen und asiatischen Welt gelastet. Nun begann es, sich innerhalb
seiner Masse zu dehnen und zu recken. Tiefgreifende Risse traten an die
Oberfläche und durch die entstandenen Spalten gewann man bald Einblick in
die Glut politischer Leidenschaften und in das Getriebe teuflisch roher
Kräfte. Das Zarentum stürzt! Wird sich eine neue Macht finden, die diese
politischen Leidenschaften im Eishauch sibirischer Gefängnisse wieder zur
Erstarrung bringt und die wilden Gewalten wieder unter Gräberhügeln
erdrückt?

Rußland in Revolution! Wie oft hatten uns wirkliche oder sogenannte Kenner
des Landes das Nahen dieses Ereignisses verkündet. Ich hatte den Glauben
daran verloren. Nun da es eintrat, löste es in mir keineswegs Gefühle
politischer Genugtuung, wohl aber solche kriegerischer Erleichterung aus.
Auch diese letzteren traten erst langsam in Geltung. Ich fragte mich: war
der Sturz des Zaren ein Sieg der Kriegs- oder der Friedensströmung? Hatten
die Totengräber des bisherigen Zarentums nur gearbeitet, um mit dem
letzten Träger der Krone den uns bekannten Friedenswillen hoher russischer
Kreise und die Friedenssehnsucht breiter Massen zum Falle zu bringen?

Solange das Verhalten des russischen Heeres auf diese Frage keine klare
Antwort gab, war und blieb unsere Lage Rußland gegenüber unsicher. Der
Zersetzungsprozeß hatte im russischen Staat zweifellos eingesetzt. Kam es
nicht bald zur Errichtung einer Diktatur mit gleich rücksichtsloser Gewalt
wie die eben gestürzte, so schritt diese Zersetzung weiter, wenn auch in
dem großen schweren russischen Koloß mit seinen plumpen Lebensäußerungen
vielleicht langsamer als sonstwo. Unser Plan ist von Anfang an, diesen
Gang der Ereignisse nicht zu stören, wir müssen nur auf der Hut sein, daß
er uns nicht stört: ja vielleicht zerstört. Man muß in dieser Lage an die
Lehren der Kanonade von Valmy denken, die mehr als hundert Jahre früher
die aufgewühlten und zerrissenen französischen Volkskräfte wieder
zusammenschweißte und den Antrieb gab zu jener großen blutroten Flut, die
ganz Europa überschwemmte. Freilich, das Rußland des Jahres 1917 verfügt
nicht mehr über die großen, unverbrauchten Menschenmassen des damaligen
Frankreichs. Des Zarenreiches beste und tauglichste Kräfte stehen an der
Front oder liegen in Massengräbern vor und hinter unseren Linien.

Der Verzicht, der mir persönlich durch ruhiges Warten angesichts der
beginnenden russischen Zersetzung auferlegt wird, ist groß. Kann ich mich
jetzt aus politischen Gründen mit einer Offensive an der Ostfront nicht
befreunden, so drängt das soldatische Empfinden zu einem Angriff im
Westen. Ich denke an das Stocken des englischen Angriffs bei Arras, an die
schwere Niederlage Frankreichs zwischen Soissons und Reims. Gibt es einen
näher liegenden Gedanken als den, alle brauchbaren Kampftruppen vom Osten
nach dem Westen zu werfen und dort zum Angriff vorzugehen? Noch ist
Amerika weit weg. Mag es kommen, nachdem auch Frankreichs Kräfte gebrochen
sind. Dann kommt es zu spät!

Die ihr drohende schwere Gefahr erkennt aber auch die Entente, und sie
arbeitet mit allen Mitteln, um den Zusammenbruch der russischen Macht und
damit eine weitgehende Entlastung unserer Ostfront zu verhindern. Rußland
muß aushalten, wenigstens bis Amerikas neugebildete Armeen den
französischen Boden betreten können, sonst scheint die kriegerische und
moralische Niederlage Frankreichs sicher. Also schafft die Entente
Politiker, Agitatoren, Offiziere nach Rußland, um die dortige zerwühlte
und rissige Front zu stützen; sie vergißt auch nicht diesen Missionen Geld
mitzugeben, das an manchen Stellen Rußlands kräftiger wirkt als politische
Gründe.

Durch diese Gegenwirkung werden uns auch diesmal die größten
Siegesaussichten geraubt. Die russische Front wird gehalten, nicht durch
eigene Stärke, sondern hauptsächlich durch die agitatorischen Mittel, die
unsere Feinde dorthin bringen, und die ihre Zwecke erreichen, selbst gegen
den Willen der russischen Massen.

Hätten wir nicht vielleicht doch angreifen sollen, als sich die ersten
Zerreißungen im russischen Gebäude zeigten? Verdarben uns nicht vielleicht
politische Gesichtspunkte die schönsten Früchte unserer bisherigen größten
Erfolge?

Unsere Beziehungen zum russischen Heere an der Ostfront entwickeln sich
zunächst in immer ausgesprochenerem Grade zu einem Waffenstillstand, wenn
auch ohne schriftliche Festsetzung. Die russische Infanterie erklärte
allmählich fast überall, daß sie nicht mehr kämpfen würde. Doch bleibt sie
mit der ihrer Masse eigenen Stumpfheit in ihren Gräben sitzen. Wo die
gegenseitigen Beziehungen allzu offenkundig freundschaftliche
Verkehrsformen annehmen, schießt die russische Artillerie ab und zu
dazwischen. Diese Waffe ist noch in den Händen ihrer Führer, nicht aus
einem ihr angeborenen konservativen Sinn, sondern weil sie nicht in so
viele selbständige Köpfe zerfällt als ihre Schwesterwaffe. Der Einfluß der
Ententeagitatoren und Offiziere macht sich in den russischen Batterien
noch durchgreifend geltend. Der russische Infanterist schimpft zwar über
diese Störung der ihm so willkommenen Waffenruhe, verprügelt wohl auch
hier und da mal die artilleristische Schwester und freut sich, wenn unsere
Granaten in deren Geschützständen krepieren, aber der geschilderte Zustand
bleibt monatelang unverändert.

Die russische Kriegsunlust ist am ausgesprochensten auf dem nördlichen
Flügel. Von da nimmt sie nach Süden ab. Der Rumäne ist augenscheinlich von
ihr unberührt. Vom Mai ab zeigt sich auch im Norden, daß die Führung die
Zügel wieder in die Hand bekommt. Die Freundschaft zwischen den
beiderseitigen Schützengräben hört mehr und mehr auf. Man kehrt wieder zu
den alten Umgangsformen mit den Waffen in der Hand zurück. Bald ist auch
kein Zweifel mehr, daß im Rückengebiet der russischen Front mit aller
Kraft gearbeitet und diszipliniert wird. So wird das russische Heer
wenigstens zum Teil wieder widerstandsbereit, ja sogar angriffsfähig
gemacht. Die Kriegsströmung hat sich durchgesetzt, und Rußland schreitet
zu einer großen Offensive unter Kerenski.

Kerenski, nicht Brussilow? Den letzteren haben wohl die Ströme eigenen
Volksblutes, die im Jahre 1916 in Galizien und Wolhynien flossen, von
dieser höchsten Stelle hinweggerissen, ähnlich wie es in diesem Frühjahr
Nivelle in Frankreich erging. Auch in dem menschenreichen Rußland scheint
man demnach empfindsam geworden zu sein gegen Massenopfer. Man hat im
großen Schuldbuch des Krieges die Seite aufgeschlagen, auf der die
russischen Verluste verzeichnet sind, die Zahl ist aber nicht erkennbar.
Fünf oder acht Millionen? Auch wir haben keine Ahnung von ihrer Größe. Wir
wissen nur, daß wir ab und zu in den Russenschlachten die Hügel der
feindlichen Leichen vor unseren Gräben entfernen mußten, um das Schußfeld
gegen neuanstürmende Gewalthaufen frei zu bekommen. Mag die Phantasie
hieraus die Zahl der Verluste zusammenstellen, eine richtige Berechnung
bleibt für ewig ein mißlingender Versuch.

Ob Kerenski aus eigenem Entschluß oder durch die Lockungen und den Zwang
der Entente zum Angriff bewogen wird, ist schwer zu entscheiden.
Jedenfalls hat die Entente das größte Interesse daran, daß Rußland
nochmals zu einer Offensive vorgetrieben wird. Sie hat im Westen die gute
Hälfte ihrer Sturmkraft bis jetzt schon vergeblich geopfert, ja vielleicht
schon mehr als die Hälfte. Was bleibt ihr aber übrig als den Einsatz des
gebliebenen Restes zu wagen, wenn auch die Hilfe Amerikas noch fern ist?
Der Unterseebootkrieg frißt gerade in jenen Monaten an dem Lebensmark
unseres erbittertsten, unversöhnlichsten Gegners in einer Stärke, daß es
fraglich erscheinen muß, ob für Amerikas Hilfe im kommenden Jahr noch die
Möglichkeit des Transportes gegeben sein wird. Deutschlands Truppen müssen
also im Osten festgehalten werden, und deswegen wird Kerenski die letzte
Kraft Rußlands im Angriff einsetzen. Ein gewagtes Spiel, am meisten gewagt
für Rußland! Doch voll berechtigt; denn gelingt es, dann ist nicht nur die
Entente gerettet, sondern es kann auch eine russische Diktatur geschaffen
und erhalten werden. Ohne solche ist Rußland dem Chaos verfallen.

Die Aussichten für die Offensive Kerenskis gegen die deutsche Front sind
freilich jetzt kaum besser als in früheren Zeiten. Mögen auch gute,
deutsche Divisionen nach dem Westen gezogen worden sein, die verbliebenen
genügen, um einen russischen Anprall auszuhalten. Zu einer langandauernden
Sturmflut wie 1917 wird der Angriff nicht werden, dazu fehlt dem Gegner
die innere Kraft. Zahlreiche russische Freiheitsverkünder durchziehen
plündernd das Rückengebiet der Armee oder strömen der Heimat zu. Auch gute
Elemente verlassen die Front, aus Sorge um Angehörige und Besitz
angesichts der drohenden innerpolitischen Katastrophe.

Bedenklich liegen dagegen die Verhältnisse an der
österreichisch-ungarischen Front; es ist zu befürchten, daß dort auch
jetzt wieder, wie 1916, der russische Ansturm schwache Stellen finden
wird. Vielleicht, ja sicher wohl, hat Kerenski darüber die gleichen
Nachrichten, wie wir. Wird uns doch schon im Frühjahr durch einen
Vertreter der verbündeten Macht ein tiefernstes Bild von dortigen
Zuständen entworfen mit dem Gesamteindruck, daß „die
österreichisch-slawischen Truppen in überwiegender Mehrzahl einem
russischen Angriff jetzt noch geringeren Widerstand entgegensetzen werden
wie 1916“, denn sie sind gleichzeitig mit den russischen Truppen auch
politisch zersetzt worden.

Aus ähnlichem Einblick, den Überläufer ihm liefern, wird sich wohl
Kerenskis Kriegsplan ergeben haben, nämlich: Örtliche Angriffe gegen die
Deutschen, um diese zu binden, den Massenstoß aber gegen die k. u. k.
Mauer. Und so geschah es.

Bei Riga, Dünaburg und Smorgon greift der Russe die deutschen Stellungen
an und wird zurückgetrieben. Die Mauer in Galizien erweist sich nur da als
steinern, wo österreichisch-ungarische Truppen mit deutschen vereint
stehen. Dagegen stürzt die österreichisch-slawische Wand bei Stanislau vor
dem einfachen Pochen Kerenskis. Aber Kerenskis Truppen sind nicht mehr
Brussilows Truppen. Ein Jahr verging seit des letzteren Offensive. Es war
ein Jahr schwerer Verluste und tiefer Zersetzung für das russische Heer.
So dringt die russische Offensive trotz günstigster Aussichten auch bei
Stanislau nicht vollständig durch.

Die russische Saat ist nun endlich zum Schneiden reif. Die Schnitter
stehen auch schon bereit. Es ist die Zeit, in der auch auf den Fluren der
deutschen Heimat die wirkliche Ernte beginnt. Mitte Juli!



                         Unser Gegenstoß im Osten


Gegenstoß! Keine Truppe, kein Führer an der Front kann diese Nachricht mit
freudigerer Genugtuung vernommen haben, wie ich sie empfand, als ich
endlich den Zeitpunkt hierfür gekommen sah.

An früherer Stelle habe ich unsere Lage bis zum Frühjahr 1917 als eine
große strategische Bereitstellung bezeichnet. Unsere Reserven waren dabei
freilich nicht eng vereinigt, wie etwa die Heeresmassen Napoleons, als er
im Herbste 1813 den Angriff der ihn von allen Seiten umringenden Gegner
erwartete. Die ungeheuren Räume, die wir zu beherrschen hatten, verboten
ein derartiges Verfahren. Die Leistungen unserer Eisenbahnen ermöglichten
andererseits, auch weit verstreut stehende Verfügungstruppen rasch zu
einem Stoß auf ein gewähltes Operationsfeld zu werfen.

Die Abwehrkämpfe im Westen hatten an dem Bestand unserer Reserven stark
gezehrt. Mit dem verbliebenen Reste dort eine Gegenoffensive zu machen,
verboten die Stärkeverhältnisse und die Kampfschwierigkeiten. Dagegen
schienen diese unsere Kräfte auszureichen, um mit ihnen im Osten die Lage
endgültig zu unseren Gunsten zu entscheiden und dadurch den politischen
Zusammenbruch unserer dortigen Gegner herbeizuführen. Die Stützen Rußlands
waren morsch geworden. Die letzten Kraftäußerungen des jetzt
republikanischen Heeres waren nur das Ergebnis einer künstlich
hochgetriebenen Welle, die ihre Stärke nicht mehr aus den Tiefen des
Volkes schöpfte. War aber in diesem Völkerringen die Fäulnis in ein
Volksheer einmal eingedrungen, so mußte der völlige Zusammenbruch
unvermeidlich sein. Aus dieser Überzeugung heraus war ich der Meinung, daß
wir in Rußland auch mit geringen Mitteln nunmehr Entscheidendes erreichen
könnten.

Begreiflicherweise fehlte es nicht an Stimmen, die vor einem Einsatz
unserer verfügbaren Reserven zu einem Angriff auch jetzt noch warnten. Und
in der Tat, die Frage war nicht so einfach zu entscheiden, als es jetzt,
wo sich der Gang der Ereignisse klar überblicken läßt, scheinen möchte.
Wir hatten in der Zeit des Entschlusses manche schwere Bedenken und Sorgen
zurückzustellen. War doch damals schon klar, daß der englische Angriff bei
Wytschaete und Messines am 7. Juni nur den Vorbereitungskampf zu einem
weit größeren Schlachtendrama bildete, das, sich an ihn anschließend,
seinen Hintergrund in der weiter nördlich gelegenen flandrischen
Landschaft haben würde. Auch mußten wir damit rechnen, daß Frankreich
wieder zum Angriff schreiten würde, sobald sich sein Heer von den schweren
Rückschlägen aus der Frühjahrsoffensive erholt hatte.

Das Wegziehen von Kräften aus dem Westen, es handelte sich um
6 Divisionen, war zweifellos ein Wagnis, ähnlich, wie wir es im Jahre 1916
beim Angriff auf Rumänien übernehmen mußten. Damals freilich zwang uns die
offene Not. Jetzt führte uns der freie Entschluß. In beiden Fällen aber
war das Wagnis gegründet auf das unerschütterliche Vertrauen zu unseren
Truppen.

Auch aus anderen Gründen, als aus denen der allgemeinen Kriegslage erhoben
sich gegen unseren Plan abmahnende Stimmen. An der Hand der Erfahrungen,
die die Gegner unserer Verteidigung gegenüber gemacht hatten, wurde die
Möglichkeit durchschlagender Angriffserfolge unsererseits bezweifelt. Ich
erinnere mich, daß wir noch kurz vor dem Beginne unseres Gegenstoßes an
der galizischen Front gewarnt wurden, mit den bereitgestellten Kräften
nicht mehr zu erhoffen, als einen örtlichen Erfolg; also eine Einbeulung
der feindlichen Linien, so wie der Gegner sie vielfach gegen unsere
Verteidigung im ersten Anlauf erreichte. War dies anzustreben?
Verzichteten wir dann nicht besser auf die ganze Operation?

Unter solchen Annahmen wurde auch die Anregung begreiflich: Wir sollten
unsere Landkräfte lediglich zur Abwehr bereithalten und im übrigen
abwarten, bis unsere Unterseeboote unsere Hoffnungen erfüllt haben würden.
Der Gedanke hatte etwas verführerisches. Das Ergebnis des
Unterseebootkrieges übertraf nach den uns damals zukommenden Mitteilungen
alle unsere Erwartungen. Seine Wirkungen mußten daher bald offen zutage
treten. Trotzdem konnte ich mich mit diesem Vorschlag nicht befreunden.
Die militärischen wie politischen Verhältnisse im Osten drängten gerade
jetzt derartig zur Entscheidung, daß wir nicht monatelang stillhalten und
nur zusehen konnten. Wir mußten befürchten, daß, wenn dem Angriff
Kerenskis unser Gegenschlag nicht auf dem Fuße folgte, die kriegerischen
Strömungen in Rußland wieder die unbedingte Oberhand gewinnen würden. Es
ist nicht notwendig, sich die Rückwirkung eines solchen Ganges der
Ereignisse auf unser Land und auf unsere Verbündeten näher auszumalen.

Während sich Kerenski vergeblich abmüht, mit der Masse seiner noch
angriffsfähigen Truppen nordwestlich Stanislau die inzwischen durch
deutsche Kräfte stärker gestützten österreichisch-ungarischen Linien zu
durchbrechen, versammeln wir südwestlich Brody, also seitwärts des
russischen Einbruchs, eine starke Angriffsgruppe und treten am 19. Juli in
südöstlicher Richtung auf Tarnopol zum Angriff an. Unsere Operation trifft
wenig widerstandsfähige, im voraufgegangenen Angriff erschöpfte Teile der
russischen Linien. Sie werden rasch über den Haufen geworfen, und mit
einem Schlage bricht die ganze Offensive Kerenskis zusammen. Nur
schleuniger Rückzug kann die nach Norden und vor allem die nach Süden an
unsere Durchbruchstelle anschließenden russischen Kräfte vor dem Verderben
retten. Unsere gesamte Ostfront in Galizien, bis weit nach Süden in die
Karpathen hinein, setzt sich in Bewegung und folgt dem weichenden Feinde.
Schon Anfang August ist fast ganz Galizien und die Bukowina vom Gegner
befreit. An diesem schönen Erfolge haben unsere Bundesgenossen
entsprechenden Anteil. Es wurde mir mitgeteilt, daß sich in den
österreichisch-ungarischen Verfolgungskämpfen ganz besonders die
Feldartillerie ausgezeichnet hätte. Sie fuhr in kühner Rücksichtslosigkeit
über die eigene Infanterie hinaus an die Russen heran. Ich habe diese
treffliche Waffe ja schon 1866 bei Königgrätz als Gegner bewundern gelernt
und freute mich daher doppelt der erneuten Bewährung ihres Ruhmes auf
unserer Seite.

Unsere Offensive kam an der Grenze der Moldau zum Stehen. Niemand konnte
das mehr bedauern als ich. Wir waren in der denkbar günstigsten
strategischen Lage, um uns durch Fortsetzung der Bewegungen in den Besitz
dieses letzten Teiles Rumäniens zu setzen. Bei den damaligen politischen
Verhältnissen in Rußland hätte das rumänische Heer sich wohl sicher
aufgelöst, wenn wir es zum völligen Verlassen seines heimatlichen Bodens
zwingen konnten. Wie hätten ein rumänischer König und ein königlich
rumänisches Heer auf revoltierendem russischen Boden weiter bestehen
können? Unsere rückwärtigen Verbindungen waren jedoch infolge
Bahnzerstörungen durch die weichenden Russen so schwierig geworden, daß
wir schweren Herzens auf die Fortsetzung der Operationen an dieser Stelle
verzichten mußten. Ein späterer Versuch unsererseits durch einen Angriff
bei Focsani die rumänische Armee in der Moldau ins Wanken zu bringen,
drang nicht durch.

Wir halten nun weiter an dem Entschluß fest, Rußland bis zur endgültigen
militärischen Ausschaltung nicht mehr locker zu lassen, mochte auch zu
dieser Zeit im Westen der Beginn des flandrischen Dramas unsere
Aufmerksamkeit, ja unsere vermehrten Sorgen auf sich ziehen. Konnten wir
in Wolhynien und in der Moldau auf das russische Heer nicht weiter
losschlagen, so mußte das an einem anderen Frontteil geschehen.

Bei Riga bot sich nun hierfür eine besonders geeignete Stelle, an der
Rußland nicht nur militärisch sondern auch politisch empfindlich getroffen
werden konnte. Dort sprang der russische Nordflügel wie eine mächtige
Flankenstellung auf mehr als 70 km Breite bei nur 20 km Tiefe längs des
Meeres auf das Westufer der Düna vor, eine strategische und taktische
Drohstellung gegenüber unserer eigenen Front. Diese Lage hatte uns bereits
früher, als ich noch das Oberkommando im Osten führte, gereizt. Wir hatten
schon 1915 und 1916 Pläne geschmiedet, wie wir diese Stellung in der Nähe
ihrer Basis durchbrechen und dadurch einen großen Schlag gegen ihre
Besatzung führen könnten.

Auf dem glatten Papier eigentlich eine sehr leichte Operation, in der
rauhen Wirklichkeit aber doch nicht ganz so einfach. Der Durchbruchskeil
mußte nämlich oberhalb Riga über die breite Düna in nördlicher Richtung
vorgetrieben werden. Nun hatten freilich im Verlauf des Krieges große
Ströme wesentlich an ihrem imponierenden Charakter als Hindernisse
eingebüßt. Hatte doch Generalfeldmarschall von Mackensen die mächtige
Donau angesichts des Gegners zweimal überschritten. Wir konnten uns also
an die Überwindung der schmaleren Düna mit leichterem Herzen heranwagen;
aber die große Schwierigkeit des Unternehmens lag darin, daß die
russischen vollbesetzten Schützengräben sich überall dicht an dem
gegenüberliegenden Ufer hinzogen, die Düna wie einen nassen Festungsgraben
ausnützend.

Trotzdem gelingt am 1. September der kühne Angriff, da der Russe in
unserem Vorbereitungsfeuer seine Uferstellungen verläßt. Und auch die
Besatzung der großen Flankenstellung westlich des Flusses weicht, Tag und
Nacht marschierend, über Riga nach Osten und entzieht sich dadurch leider
großenteils rechtzeitig der Gefangenschaft.

Unser Angriff bei Riga ruft in Rußland die größte Sorge um Petersburg
hervor. Die Hauptstadt des Landes gerät in Aufregung. Sie fühlt sich durch
unseren Angriff bei Riga unmittelbar bedroht. Petersburg, immer noch der
Kopf Rußlands, gelangt in einen Zustand höchster Nervosität, der
sachliches, ruhiges Denken ausschließt; sonst würde man dort wohl den
Zirkel in die Hand genommen haben, um die Entfernungen zu messen, die
unsere bei Riga siegreichen Truppen immer noch von der russischen
Hauptstadt trennen. Freilich nicht nur in Rußland, auch in unserem
Vaterlande arbeitet die Phantasie bei dieser Gelegenheit sehr lebhaft und
vergißt Raum und Zeit. Man gibt sich auch bei uns starken Illusionen über
einen Vormarsch auf Petersburg hin. Offen gestanden würde diesen niemand
lieber durchgeführt haben als ich selbst. Ich verstand daher das Drängen
unserer Truppen und ihrer Führer, das Vorgehen mindestens bis zum
Peipussee fortzusetzen. Allein wir mußten auf die Ausführung all dieser
gewiß sehr schönen Gedanken verzichten; sie hätten unsere Truppen zu lange
und in zu großer Zahl in einer Richtung gefesselt, die mit unseren
weiteren Absichten nicht in Einklang zu bringen war. Unsere Aufmerksamkeit
mußte sich vom Rigaischen Meerbusen der Küste des Adriatischen Meeres
zuwenden. Darüber gleich nachher.

Können wir aber auf Petersburg nicht weitermarschieren und dadurch das
Nervenzentrum Rußlands bis zum Zusammenbruch in lebhaftester Unruhe
erhalten, so gibt es noch einen anderen Weg, um diesen Zweck zu erreichen,
nämlich den zur See. Unsere Flotte geht mit voller Hingabe auf unsere
Anregung ein. So entsteht der Entschluß, die dem Rigaischen Meerbusen
vorgelagerte Insel Ösel wegzunehmen. Von dort bedrohen wir den russischen
Kriegshafen Reval unmittelbar und vermehren unseren Druck auf das erregte
Petersburg unter Einsatz nur geringer Kräfte.

Die Operation gegen Ösel zeigt die einzige völlig gelungene Unternehmung
beider Parteien in diesem Kriege, soweit es sich um ein Zusammenwirken von
Heer und Flotte handelte. Die Verwirklichung des Planes wurde anfänglich
durch ungünstiges Wetter derartig in Frage gestellt, daß wir schon daran
dachten, die eingeschifften Truppen wieder an Land zu nehmen. Der Eintritt
besserer Witterung läßt uns dann die Ausführung wagen. Sie verläuft von da
ab nahezu mit der Genauigkeit eines Uhrwerks. Die Marine entspricht den
hohen Anforderungen, die wir hierbei an sie stellen müssen, in jeder
Richtung.

Wir gelangen in den Besitz von Ösel und der benachbarten Inseln. In
Petersburg werden die Nerven immer aufgeregter und arbeiten immer wilder
und zusammenhangloser. Die Geschlossenheit in der russischen Heeresfront
lockert sich mehr und mehr; immer deutlicher tritt zutage, daß Rußland zu
sehr von inneren Aufregungen verzehrt wird, als daß es noch imstande wäre,
in absehbarer Zeit nach außen hin zu erneuter Kraftentfaltung zu kommen.
Was mitten in diesem Trubel noch fest und haltbar erscheint, wird von der
roten Flut immer stärker umbrandet; Stück auf Stück wird von den
Grundpfeilern des Staates weggerissen.

Unter unseren letzten Schlägen wankt der Koloß nicht nur, sondern er
berstet und stürzt. Wir aber wenden uns einer neuen Aufgabe zu.



                           Angriff auf Italien


Trotzdem die Lage in Flandern in dieser Herbstzeit außerordentlich ernst
ist, entschließen wir uns zum Angriff auf Italien. Man wird nach meiner
früheren ablehnenden Haltung gegen ein solches Unternehmen vielleicht
darüber verwundert sein, daß ich nun doch die Zustimmung meines
Allerhöchsten Kriegsherrn zur Verwendung deutscher Truppen für eine
Operation erwirkte, von der ich mir so geringen Einfluß auf unsere gesamte
Lage versprach. Demgegenüber kann ich nur sagen, daß ich meine
Anschauungen in dieser Beziehung nicht geändert hatte. Ich hielt es auch
im Herbste 1917 für ausgeschlossen, daß uns selbst im Falle eines
durchschlagenden Sieges eine Absprengung Italiens vom Bunde unserer Gegner
gelingen würde; ich glaubte im Herbste 1917 ebensowenig wie bei Beginn
dieses Jahres, daß wir lediglich für den Ruhm eines erfolgreichen
Feldzuges gegen Italien deutsche Kräfte der gefährlichen Lage unserer
Westfront entziehen dürften. Die Gründe meiner nunmehrigen Befürwortung
unserer Beteiligung an einer solchen Operation waren auf anderen Gebieten
zu suchen. Unser österreichisch-ungarischer Verbündeter klärte uns dahin
auf, daß er nicht mehr die Kraft habe, einen zwölften italienischen
Angriff an der Isonzofront auszuhalten. Diese Eröffnung war für uns
militärisch wie politisch von gleich großer Bedeutung. Es handelte sich
nicht nur um den Verlust der Isonzolinie sondern geradezu um den
Zusammenbruch des gesamten österreichisch-ungarischen Widerstandes. Die
Donaumonarchie war einer etwaigen Niederlage an der italienischen Front
gegenüber weit empfindlicher als gegenüber einer solchen auf dem
galizischen Kriegstheater. Für Galizien hatte man in Österreich-Ungarn nie
mit Begeisterung gefochten. „Wer den Krieg verliert, muß Galizien
behalten“, war ein im Feldzug oft gehörtes österreichisch-ungarisches
Spottwort. Dagegen war in der Donaumonarchie das Interesse für die
italienische Grenze immer ein außerordentlich großes. In Galizien, das
heißt gegen Rußland, focht Österreich-Ungarn nur mit dem Verstande, gegen
Italien aber auch mit dem Herzen. An dem Kriege gegen Italien beteiligten
sich auffallenderweise alle Stämme des Doppelreiches mit fast gleich
großer Hingabe. Tschechisch-slowakische Truppen, die gegen Rußland versagt
hatten, leisteten gegen Italien Gutes. Der Kampf dort bildete
gewissermaßen ein kriegerisch einigendes Band für die ganze Monarchie. Was
würde eintreten, wenn auch dieses Band zerriß? Die Gefahr hierfür ist in
dem Zeitpunkt, von dem wir sprechen, groß. Ende August hat nämlich Cadorna
in der elften Isonzoschlacht wirklich einmal erheblich Gelände gewonnen.
Alle bisherigen Geländeverluste waren zu verschmerzen gewesen; sie waren
nach unseren eigenen reichlichen Erfahrungen eine natürliche Folge der
zerstörenden Wirkung der Angriffsmittel gegen die stärkste Verteidigung.
Jetzt aber waren die österreichischen Widerstandslinien an den äußersten
Rand zurückgedrängt. Gewann der Italiener nach erneuten Vorbereitungen
weiteres Gelände, so wurde für Österreich die Lage vorwärts Triest
unhaltbar. Triest ist also ernstlichst bedroht. Wehe aber, wenn diese
Stadt fällt. Wie Sebastopol den Krimkrieg, so scheint Triest den Krieg
zwischen Italien und Österreich entscheiden zu können. Triest ist für die
Donaumonarchie nicht nur eine ideale Größe sondern auch ein höchst realer
Wert. An seinem Besitz hängt auch in der Zukunft ein großer Teil der
wirtschaftlichen Freiheit des Landes. Triest muß also gerettet werden, und
da es nicht anders möglich ist, mit deutscher Hilfe.

Gelang es uns, den Verbündeten durch einen gemeinsamen durchgreifenden
Sieg an seiner Südwestfront ebensoweit zu entlasten, wie vor kurzem an der
Ostfront, so war nach menschlichem Ermessen Österreich-Ungarn jedenfalls
imstande, im Kriege an unserer Seite noch weiter durchzuhalten. Die
schweren Kämpfe an der Isonzofront hatten bisher an der
österreichisch-ungarischen Wehrkraft stark gezehrt. Der größte Teil ihrer
besten Truppen hatte Cadorna gegenüber gestanden und am Isonzo schwer
geblutet. Österreichisch-ungarisches Heldentum hatte dabei die menschlich
größten Triumphe gefeiert. Denn die Verteidigung am Isonzo stand jahrelang
einer mindestens dreifachen italienischen Überlegenheit gegenüber, und
zwar in einer Lage, die in ihrem Elend und Schrecken derjenigen unserer
Kampffelder an der Westfront nichts nachgab, ja sie in mancher Beziehung
sogar übertraf. Auch wollen wir nicht vergessen, welch gewaltige
Anforderungen der Hochgebirgskrieg in Südtirol an die Verteidigungstruppen
stellte. Reichte doch dieser Krieg an manchen Stellen bis in das Gebiet
des ewigen Eises und Schnees hinauf.

Für eine Operation gegen Italien war es der nächstliegende Gedanke:
Vorbrechen aus Südtirol. Dadurch konnte die Hauptmasse des italienischen
Heeres im großen Kessel von Venetien der Vernichtung oder Auflösung
entgegengeführt werden. Auf keiner unserer Kriegsfronten bot die
strategische Linienführung gleichgünstige Vorbedingungen für einen
gewaltigen Erfolg. Jede andere Operation mußte dieser gegenüber fast wie
ein offenkundiger strategischer Fehler erscheinen. Und trotzdem mußten wir
auf ihre Durchführung verzichten!

Bei der Beurteilung dieses Feldzugsplanes dürfen wir den inneren
Zusammenhang zwischen unserem Kampf an der Westfront und dem Krieg gegen
Italien nicht außer acht lassen. Wir konnten für den letzteren in
Rücksicht auf unsere Lage im Westen nicht mehr als die Hälfte derjenigen
Zahl deutscher Divisionen zur Verfügung stellen, die Generaloberst von
Conrad für einen wirkungsvollen, durchschlagenden Angriff aus Südtirol
heraus im Winter 1916/17 für erforderlich gehalten hatte. Stärkere Kräfte
konnten wir dem Bundesgenossen auch dann nicht zur Verfügung stellen, wenn
wir, wie es tatsächlich der Fall war, mit der Wahrscheinlichkeit
rechneten, daß unsere Gegner an der Westfront sich genötigt sehen würden,
bei einer schweren Niederlage ihres Verbündeten einige Divisionen aus
ihrer großen Überlegenheit nach Italien zu entsenden. Gegen den Plan einer
Operation aus Südtirol heraus sprach aber auch das Bedenken, daß ein
früher Winter einbrechen konnte, bevor unser dortiger Aufmarsch beendet
war. Die angeführten Gründe zwangen daher dazu, uns mit einem kleineren
Ziele zu begnügen und zu versuchen, die italienische Front an dem
offenkundig schwachen Nordflügel der Isonzoarmee zu durchstoßen, um dann
gegen den südlichen Hauptteil des italienischen Heeres einen vernichtenden
Schlag zu führen, bevor ihm der Rückzug hinter den schützenden Abschnitt
des Tagliamento gelingen konnte.

Am 24. Oktober begann unser Angriff bei Tolmein. Nur mit Mühe gelang es
Cadorna, den mit Vernichtung bedrohten Südteil seines Heeres unter
Preisgabe von vielen Tausenden von Gefangenen und Zurücklassung großer
Mengen Kriegsgeräts hinter die Piave zu retten. Erst dort gewannen die
Italiener in engerer Vereinigung und gestützt durch herbeigeeilte
französische und englische Divisionen wieder Kraft zu neuem Widerstand.
Der linke Flügel der neuen Front klammerte sich an die letzten Bergrücken
der venezianischen Alpen an. Unser Versuch, diese die oberitalienische
Tiefebene weithin beherrschenden Höhen noch zu gewinnen und damit den
feindlichen Widerstand auch an der Piavefront zum Zusammenbrechen zu
bringen, scheiterte. Ich mußte mich überzeugen, daß unsere Kraft zur
Erfüllung dieser Aufgabe nicht mehr ausreichte. Die Operation hatte sich
tot gelaufen. Der zäheste Wille der an Ort und Stelle befindlichen Führung
wie ihrer Truppen mußte vor dieser Tatsache die Waffen sinken lassen.

So sehr ich mich der errungenen Erfolge in Italien freute, so konnte ich
mich doch eines Gefühles des Unbefriedigtseins nicht völlig entziehen. Der
große Sieg war schließlich doch unvollendet geblieben. Freilich, unsere
prächtigen Soldaten kehrten mit berechtigtem Stolze auch aus diesem
Feldzuge zurück. Doch die Freude der Soldaten ist nicht immer auch
diejenige ihres Führers.



      Fortsetzung der feindlichen Angriffe im zweiten Halbjahr 1917



                                Im Westen


Während wir gegen Rußland die letzten Schläge führten und Italien nahezu
an den Rand des kriegerischen Zusammenbruches brachten, setzten England
und Frankreich die Angriffe gegen unsere Westfront fort. Dort lag für uns
die größte Gefahr des ganzen Feldzugsjahres.

Die Flandernschlacht brach Ende Juli los. Trotz der außerordentlichen
Schwierigkeit, in die dadurch unsere Lage an der Westfront geriet, und
ungeachtet der Gefahr, daß durch größere englische Erfolge unsere
Operationen auf den übrigen Kriegsschauplätzen beeinträchtigt werden
könnten, empfand ich bei Beginn dieser neuen Schlacht eine gewisse
Befriedigung. England machte nochmals die erwartete äußerste Anstrengung,
einen großen und entscheidenden Angriff gegen uns zu führen, bevor die
Unterstützung durch die Vereinigten Staaten irgend wie fühlbar werden
konnte. Ich glaubte darin die Wirkung unseres Unterseebootkrieges zu
erkennen, durch den England sich veranlaßt sah, die Kriegsentscheidung
noch in diesem Jahre und um jedes Opfer zu erzwingen.

Die nun beginnende Flandernschlacht konnte zwar nicht in ihren Ausmaßen,
wohl aber in der Zähigkeit, mit der sie auf englischer Seite durchgekämpft
wurde, und in den Schwierigkeiten, die das Gelände in erster Linie dem
Verteidiger bot, unseren Kämpfen an der Somme im Jahre 1916 vollwertig an
die Seite gestellt werden. Statt in dem harten Kalkboden des Artois wurde
nunmehr auf der sumpfigen, brüchigen, flandrischen Erde gefochten. Auch
dieses Ringen entartete zu einer der uns ja schon so genau bekannten
Dauerschlachten und gab in seinem Gesamtcharakter eine Höchststeigerung
der düsteren Kriegsszenen, die einer solchen Schlacht anhaften. Die Kämpfe
hielten uns selbstredend in einer großen Spannung. Ich darf wohl sagen,
daß wir unter ihrem Drucke das Gefühl der Siegesfreude über unsere Erfolge
in Rußland und Italien nur selten unbeeinträchtigt genießen konnten.

Mit größter Sehnsucht warteten wir auf den Eintritt der nassen Jahreszeit.
Dann wurden, nach den bisherigen Erfahrungen, weite Flächen des
flandrischen Landes ungangbar, und selbst auf den festeren Bodenteilen
füllten sich die frischgeschlagenen Geschoßtrichter so rasch mit
Grundwasser, daß der in ihnen Deckung Suchende in kurzer Zeit vor die
Frage gestellt war: „Entweder ertrinken oder diese Höhlung verlassen!“
Auch dieser Kampf mußte dann im Morast ersticken, wenn auch englische
Zähigkeit ihn endlos ausdehnen zu wollen schien.

Die Schlachtglut verglomm erst im Dezember. So wenig wie an der Somme
erscholl in Flandern Siegesjubel auf seiten einer der abgerungenen
Parteien.

Gegen Abschluß der flandrischen Schlacht entbrannte plötzlich ein wilder
Kampf in einer bisher verhältnismäßig stillen Gegend. Am 20. November
wurden wir bei Cambrai überraschend von den Engländern angegriffen. Sie
trafen dort auf einen zwar technisch sehr stark ausgebauten, aber mit nur
wenigen und kampfverbrauchten Truppen besetzten Teil der
Siegfriedstellung. Mit Hilfe seiner Tanks durchbrach der Gegner unsere
völlig unversehrten, mehrreihigen Hindernisse und Grabenlinien; englische
Kavallerie erschien am Rande der Vorstädte von Cambrai. Der Durchbruch
unserer Linien schien gegen Jahresschluß also doch noch Tatsache zu
werden. Da gelang es einer vom Osten her eingetroffenen, ziemlich kampf-
und transportmüden deutschen Division, die Katastrophe abzuwenden. Ja, es
glückte uns nach mehrtägigen mörderischen Abwehrkämpfen am 30. November,
mit rasch herangefahrenen, einigermaßen frischen Kräften den feindlichen
Einbruch durch Gegenangriff in den Flanken zu fassen und die frühere Lage
unter sehr schweren Verlusten des Gegners fast völlig wiederherzustellen.
Nicht nur unsere dortige Armeeführung, sondern auch die Truppen und unser
Eisenbahnwesen hatten eine der glänzendsten Leistungen des Krieges
vollbracht.

Der erste größere Angriff im Westen, seitdem mir die Leitung der deutschen
Operationen übertragen war, hatte erfolgreich geendet. Ebenso stark und
belebend, wie dieser Erfolg auf unsere Truppen und deren Führer wirkte,
war seine Wirkung auch auf mich persönlich. Ich empfand es wie eine
Befreiung von einem Druck, der mich in der ununterbrochenen
Verteidigungstätigkeit auf unserer Westfront belastete. Der Erfolg unseres
Gegenangriffs bedeutete für uns aber mehr als bloße Befriedigung. Die
Überraschung, durch die er errungen wurde, gab uns gleichzeitig eine Lehre
für die Zukunft.

Mit der Schlacht von Cambrai hatte sich die englische Oberste Führung zum
ersten Male freigemacht von ihrer bisherigen, ich darf wohl sagen,
schematischen Kriegführung, unter deren Banne sie bisher gestanden hatte.
Ein höherer operativer Geist schien diesmal zu seinem Recht gekommen zu
sein. Die Fesselung unserer Hauptkräfte in Flandern und der französischen
Front gegenüber war zu einem überraschenden, großen Schlag bei Cambrai
ausgenutzt worden. Freilich zeigte sich die untere Führung auf englischer
Seite auch diesmal den Anforderungen und der Gunst der Lage nicht
gewachsen. Sie ließ sich durch das Unterlassen der Ausnutzung eines
glänzenden Anfangserfolges den Sieg aus den Händen nehmen, und zwar von
Kräften, die sowohl nach Zahl wie nach Verfassung den ihrigen weit
unterlegen waren. Von diesem Gesichtspunkte aus verdiente der Gegner bei
Cambrai den gründlichen Rückschlag. Auch seine Oberste Führung scheint
versäumt zu haben, die nötigen Mittel zur unbedingten Sicherung der
Durchführung und Ausnutzung des Kampfes bereitzustellen. Starke
Kavalleriemassen hinter den erfolgreichen vordersten Infanteriedivisionen
genügten auch diesmal nicht, die letzten, wenn auch nur noch schwachen
Widerstände zu beseitigen, die für eine durchgreifende Entscheidung die
freie Bahn in Flanke und Rücken des Gegners noch sperrten. Die englischen
Reitergeschwader konnten auch in Verbindung mit Panzerwagen der deutschen
Verteidigung gegenüber nicht den Sieg an ihre Standarten heften, für den
sie sich schon wiederholt im ritterlichen Reitergeist eingesetzt hatten.

Der englische Angriff bei Cambrai brachte zum ersten Male das Bild eines
großen Überraschungsangriffes mit Panzerwagen. Wir kannten dieses
Kampfmittel schon von der Frühjahrsoffensive her, in der es uns keinen
besonderen Eindruck gemacht hatte. Die Tatsache jedoch, daß die Tanks
nunmehr derartig technisch vervollkommnet waren, daß sie die meisten
unserer unversehrten Gräben und Hindernisse überwanden, verfehlte eine
starke Wirkung auf unsere Truppen nicht. Die Stahlkolosse wirkten weniger
physisch vernichtend durch das Feuer von Maschinengewehren und leichten
Geschützen, das aus ihnen sprühte, als moralisch aufreibend durch ihre
verhältnismäßige Unverwundbarkeit. Der Infanterist fühlte sich den
Panzerwänden gegenüber ziemlich machtlos. Durchbrachen die Maschinen die
Grabenlinien, dann glaubte sich der Verteidiger im Rücken bedroht und
verließ seine Stellung. Ich bezweifelte dennoch nicht, daß unsere
Soldaten, obwohl sie in der Verteidigung wahrlich schon genug über sich
ergehen lassen mußten, sich auch noch mit dieser neuen gegnerischen
Vernichtungswaffe abfinden würden, und daß unsere Technik die Mittel zur
Bekämpfung der Tanks bald und in der nötigen handlichen Form liefern
würde.

Wie zu erwarten war, sahen die Franzosen den Sommer- und Herbst-Angriffen
ihres englischen Bundesgenossen nicht mit Gewehr bei Fuß zu. Sie griffen
uns in der zweiten Augusthälfte bei Verdun und am 22. Oktober nordöstlich
von Soissons an. In beiden Fällen entrissen sie unseren dort stehenden
Armeen umfangreiche Stellungsteile und verursachten ihnen bedeutende
Verluste. Im allgemeinen beschränkte sich die französische Führung aber in
der zweiten Jahreshälfte auf örtliche Angriffe, wohl gezwungen durch die
mörderischen Verluste, die sie im Frühjahr erlitten hatte, und die es ihr
nicht rätlich erscheinen ließen, ihre Truppen nochmals gleich schweren
Erschütterungen auszusetzen.



                              Auf dem Balkan


Angriffe der Gegner gegen die bulgarische Front in Mazedonien während der
letzten Sommermonate 1917 hatten die Lage auf diesem Kriegsschauplatz
nicht zu verändern vermocht. Sarrail verfolgte anscheinend mit diesen
Unternehmungen keine größeren Ziele. Er zeigte im Gegenteil eine
merkwürdige Zurückhaltung, die auf ein nahezu völliges Brachlegen seiner
Kräfte für die Gesamtlage hinauslief.

Mit zunehmender Sorge sah Bulgarien in dieser Zeit auf die griechische
Mobilmachung. Die Nachrichten, die wir selbst aus Griechenland erhielten,
ließen es zweifelhaft erscheinen, ob es Venizelos gelingen würde,
kampfbrauchbare Truppenverbände zu schaffen. Selbst die sogenannten
venizelistischen Divisionen bildeten lange Zeit nichts anderes als
teilnahmslose Statistengruppen, die sich auf dem mazedonischen
Kriegstheater weit lieber in Heldenrollen wie im Heldenkampfe bewegten.
Der eigentliche und gesunde Kern des Griechenvolkes lehnte dauernd die
Beteiligung an einer innerstaatlichen Politik offenen Treubruches ab. Die
bulgarischen Sorgen beruhten vielleicht auf einer Nachwirkung der
Ereignisse des Jahres 1913.



                                 In Asien


Ich wende mich nun den Ereignissen in der asiatischen Türkei zu. Das
Fehlen ihrer Darstellung würde ich für ein Unrecht gegen den tapferen und
treuen Bundesgenossen halten. Ferner würde durch diesen Mangel die
Schilderung des gewaltigen Dramas unvollständig werden, dessen Szenerien
sich von den nordischen Meeren bis zu den Ufern des Indischen Ozeans
ausdehnten. Auch hier möchte ich mich weniger mit der Beschreibung der
Vorgänge als mit der Klarlegung ihrer inneren Zusammenhänge beschäftigen.

Die Geistesarbeit unserer Heimstrategen mühte sich nicht nur an
Feldzugsplänen in Mitteleuropa ab, sondern verlor sich auch manchmal in
den fernen Orient. Die Produkte dieser Bemühungen gelangten teilweise auch
in meine Hände. Meistens beschränkte man sich bei solchen schriftlichen
Darlegungen, „um meine kostbare Zeit nicht allzusehr in Anspruch zu
nehmen“, auf „allgemeine Richtlinien“ und glaubte, das weitere
vertrauensvoll mir überlassen zu können. Nur mahnte man häufig zur Eile!
Ein solcher Stratege aus dem Kreise unserer hoffnungsvollen Jugend schrieb
mir eines Tages: „Sie werden sehen, dieser Krieg entscheidet sich bei
Kiliz – also dorthin unsere gesamte Kraft!“ Es galt zunächst diesen Ort zu
suchen. Er wurde innerhalb der gemäßigten Zone, nördlich von Aleppo,
entdeckt.

Man mag diesen Einfall des jungen Mannes noch so eigenartig finden, es lag
doch ein gutes Teil richtigen strategischen Gefühls in diesem seinem
Gedanken. Zwar nicht das Schicksal des ganzen Krieges, wohl aber das
Schicksal unseres osmanischen Bundesgenossen wäre auf dem kürzesten Wege
bestimmt worden, wenn England die Entscheidung in dieser Gegend gesucht,
ja vielleicht nur ernstlich versucht hätte. Die Herrschaft über das Land
südlich des Taurus war für die Türkei mit einem Schlage unrettbar
verloren, wenn es den Engländern gelang, im Golf von Alexandrette zu
landen und in östlicher Richtung vorzudringen. Damit wäre die Lebensader
der ganzen transtaurischen Türkei, durch die frisches Blut und andere
Nährkraft zu den syrischen und mesopotamischen sowie einem Teil der
kaukasischen Armeen floß, durchschnitten worden. Gering genug war ja die
Kraft- und Blutmenge, aber sie genügte doch lange Zeit, um die osmanischen
Armeen gegen die ungenügend vorbereiteten, vielfach matt und unsachlich
geführten gegnerischen Operationen und Angriffe zum langandauernden
Standhalten zu befähigen.

Der Schutz des Golfes von Alexandrette war einer türkischen Armee
anvertraut, die kaum einen einzigen gefechtsbrauchbaren Verband aufwies.
Alles, was diese Bezeichnung verdiente, strömte immer wieder von dort nach
Syrien oder Mesopotamien ab. Auch der artilleristische Küstenschutz
bestand hier mehr in der orientalischen Phantasie, als in der
kriegerischen Wirklichkeit. Enver Pascha bezeichnete die Lage mir
gegenüber treffend mit den Worten: „Meine einzige Hoffnung ist, daß der
Gegner unsere Schwäche an dieser gefährlichen Stelle nicht bemerkt.“

War nun wirklich irgend welche Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, daß diese
ernstliche Schwäche am Golf von Alexandrette dem Gegner verborgen blieb?
Ich glaubte nicht. Nirgends konnte der gegnerische Nachrichtendienst sich
ungehemmter entwickeln und fand unter dem bunten Völkergemisch größere
Unterstützung als in Syrien und Kleinasien. Es schien ausgeschlossen, daß
die englische Oberste Kriegsleitung nicht genaue Kenntnis von den
Verhältnissen im dortigen Küstenschutz gehabt haben sollte. England konnte
auch nicht befürchten, daß es mit einem Vorstoß aus dem Golf von
Alexandrette in ein Wespennest stoßen würde; das Nest hatte ja keine
Wespen. War also je ein Ausblick auf eine glänzende strategische Tat
gegeben, so war das hier der Fall. Die Tat würde auf der ganzen Welt den
größten Eindruck gemacht und ihre tiefgreifende Wirkung auf unseren
türkischen Bundesgenossen nicht verfehlt haben.

Warum nutzte England diese Gelegenheit nicht aus? Vielleicht lagen die
Seekriegserfahrungen aus dem Dardanellenunternehmen her jetzt noch lähmend
in den englischen Gliedern, vielleicht war die Sorge vor unseren
Unterseebooten zu groß, als daß man sich von feindlicher Seite an ein
solches Unternehmen gewagt hätte.

Die Geschichte wird wohl einmal auch diese Fragen klären. Ich sage
„vielleicht“, denn Voraussetzung ist, daß England sie klären läßt. Wir
bekommen wohl etwas Einblick in die ausschlaggebende britische
Gedankenrichtung durch eine freilich schon vor dem Kriege gefallene
Äußerung eines hohen englischen Seeoffiziers. Dieser gab zur Zeit der
Faschoda-Angelegenheit auf die verwunderte Frage über seine vorsichtige
Auffassung von der Rolle der englischen Flotte in mittelländischen
Gebieten im Falle eines englisch-französischen Krieges die Antwort: „Ich
habe die strikte Weisung, Englands Ruhm von Trafalgar nicht aufs Spiel zu
setzen.“

Der Ruhm von Trafalgar ist groß und berechtigt. Es gibt Kleinodien
abstrakter Art, die den kostbarsten Schatz eines Volkes bilden. England
verstand es, sich ein solches Kleinod im Ruhme von Trafalgar zu bewahren
und es seinem Volke und der ganzen Welt ständig im schönsten Lichte vor
die bewundernden Augen zu halten. Im großen Kriege fiel freilich so
mancher Schatten über dieses Kleinod. So beispielsweise an den
Dardanellen, und weitere Schatten folgten während der Kämpfe gegen die
deutsche Seemacht, der stärkste und schwärzeste im Skagerrak. England wird
uns diese Verdunkelung des Ruhmes von Trafalgar nie verzeihen.

Es verzichtete auf den kühnen Stoß in das Herz seines osmanischen Gegners
und unterwarf sich weiter der opfervollen und langandauernden Mühe, die
türkische Herrschaft südlich des Taurus durch allmähliches Zurückwerfen
der osmanischen Armeen zu Falle zu bringen. Mit der Einnahme von Bagdad
war bei Jahresbeginn ein erster erfolgverheißender großer Schritt zur
Erreichung dieses Kriegszieles gemacht. Bei Gaza dagegen war der Angriff
im Frühjahr gescheitert und mußte aufs neue vorbereitet werden. Unter dem
bleiernen Druck der Sommersonne waren aber vorerst die weiteren
kriegerischen Bewegungen erlahmt.

Der Verlust von Bagdad war schmerzlich für uns und, wie wir annehmen zu
müssen glaubten, noch schmerzlicher für die ganze denkende und fühlende
Türkei. Wie viel und wie oft war der Name der früheren Kalifenstadt im
deutschen Vaterlande genannt, wie viele Phantasien waren mit ihm verknüpft
worden, Phantasien, die man vorteilhafter im stillen gehegt hätte, statt
sie geräuschvoll in die Welt hinauszuschreien nach unpolitischer deutscher
Art.

Die militärische Gesamtlage wurde durch die Ereignisse in Mesopotamien
nicht weiter beeinflußt, wohl aber war der deutschen Außenpolitik der
Verlust Bagdads sehr empfindlich. Wir hatten der osmanischen Regierung den
Besitzstand ihres Landes gewährleistet und fühlten nun, daß, trotz aller
weitherzigen Auslegungen dieses Vertrages von seiten unsres
Bundesgenossen, unser politisches Kriegskonto durch diesen neuen, großen
Verlust sehr belastet wurde.

Enver Paschas Ersuchen um deutsche Mithilfe für eine Wiedereroberung
Bagdads fand daher bei uns allenthalben bereitwilligstes Entgegenkommen,
nicht zum mindesten auch deswegen, weil die türkische Heeresleitung
jederzeit auf dem europäischen Kriegsschauplatz hilfsbereit gewesen war.
Die Führung in diesem neuen Feldzuge sollte dem Antrage Envers
entsprechend in deutsche Hände gelegt werden, und zwar nicht aus dem
Grunde, weil deutsche Truppenunterstützung in größerem Maßstabe ins Auge
gefaßt wurde, sondern weil es dem türkischen Vizegeneralissimus notwendig
erschien, das kriegerische Ansehen Deutschlands an die Spitze des
Unternehmens zu stellen. Auch konnte an ein Gelingen des Planes nur
gedacht werden, wenn es möglich war, die ungeheueren Schwierigkeiten an
den endlos langen rückwärtigen Verbindungen zu überwinden. Eine türkische
Führung würde an der Erfüllung dieser ersten Voraussetzung gescheitert
sein.

Seine Majestät der Kaiser beauftragte auf türkisches Anfordern den General
von Falkenhayn mit der Führung dieser außerordentlich schwierigen
Operation. Der General unterrichtete sich im Mai des Jahres 1917 in
Konstantinopel sowie in Mesopotamien und Syrien persönlich über seine
Aufgabe. Die Reise nach Syrien erwies sich als notwendig, weil General von
Falkenhayn unmöglich auf Bagdad operieren konnte, wenn nicht die Gewähr
vorhanden war, daß die türkische Front in Syrien feststand. Unterlag es
doch keinem Zweifel, daß das Bagdadunternehmen in kurzer Zeit an England
verraten sein würde, und daß die Nachricht hiervon einen englischen
Angriff in Syrien herausfordern mußte.

General von Falkenhayn gewann den Eindruck, daß die Operation durchführbar
sei. Wir entsprachen daher den von ihm an uns gestellten Anforderungen.
Wir gaben der Türkei alle ihre Kampftruppen zurück, die wir noch zur
Verwendung auf dem europäischen Kriegsschauplatz stehen hatten. Das
osmanische Korps in Galizien scheidet aus einem deutschen Armeeverbande
aus, als eben Kerenskis Truppen vor unserem Gegenstoß nach Osten weichen.
Es kehrt in seine Heimat zurück, begleitet von unserem wärmsten Dank. Die
Osmanen hatten ihren alten Kriegsruhm in unseren Reihen nochmals bewährt
und sich als ein durchaus brauchbares Kampfinstrument in unserer Hand
erwiesen. Ich muß dabei freilich hervorheben, daß Enver Pascha uns die
besten seiner verfügbaren Truppen für die Ostfront und Rumänien abgegeben
hatte. Die Beschaffenheit dieser Korps durfte also nicht als Maßstab für
die Güte und Verwendbarkeit des gesamten türkischen Heeres genommen
werden. Die hingebende Arbeit, mit der sich unser Armee-Oberkommando in
Galizien der Erziehung und Ausbildung, ganz besonders aber auch der
Verpflegung und der gesundheitlichen Fürsorge seiner osmanischen Truppen
widmete, hatte ihre reichsten Früchte getragen. Wie viele dieser rauhen
Naturkinder fanden Kameradschaft und Nächstenliebe zum ersten und wohl
auch zum letzten Male unter unserer Obhut.

Ich hatte gehofft, daß die heimkehrenden türkischen Verbände einen
besonders wertvollen Bestandteil der Expeditionsarmee gegen Bagdad bilden
würden. Leider ging diese Erwartung nicht in Erfüllung. Die Truppen waren
kaum unserem Einfluß entrückt, als sie auch schon wieder zerfielen, ein
Zeichen dafür, wie wenig tiefgreifend unser Beispiel auf die türkischen
Offiziere gewirkt hat. Nur einzelne unter diesen machten der großen Masse
mangelhaft geschulter und wenig brauchbarer Elemente gegenüber eine
besondere, manchmal allerdings überraschend glänzende Ausnahme. Das
osmanische Heer hätte eines völligen Neubaues bedurft, um wirklich zu
Leistungen befähigt zu sein, die den großen Opfern des Landes entsprachen.
Der Nachteil der jetzigen Zustände zeigte sich besonders in einem
ungeheuren Menschenverbrauch. Es war die gleiche Erscheinung, wie sie bei
jeder für den Krieg ungenügend vorbereiteten und mangelhaft erzogenen
Armee eintritt. Eine gründliche kriegerische Vorbildung des Heeres spart
dem Vaterlande im Ernstfall Menschenkräfte. Welch einen ungeheueren Umfang
der Verbrauch an solchen in der Türkei im Verlauf des Krieges angenommen
hatte, dürfte aus einer mir zugekommenen Nachricht hervorgehen, wonach in
einzelnen Bezirken von Anatolien die Dörfer von jeder männlichen
Einwohnerschaft zwischen dem Knaben- und dem Greisenalter entblößt waren.
Das wird begreiflich, wenn man hört, daß die Verteidigung der Dardanellen
den Türken etwa 200.000 Menschenleben gekostet hatte. Wieviel hiervon dem
Hunger und den Krankheiten erlagen, ist nicht bekannt geworden.

Die deutsche Unterstützung für das Bagdadunternehmen bestand, abgesehen
von einer Anzahl Offizieren für besondere Verwendung, aus dem sogenannten
Asienkorps. Man hat sich darüber in unserem Vaterlande aufregen zu müssen
geglaubt, daß wir den Türken ein ganzes Korps für so fernliegende Zwecke
zur Verfügung stellten, anstatt diese kostbaren Kräfte in Mitteleuropa zu
verwerten. Das Korps bestand aber nur aus drei Infanteriebataillonen und
etlichen Batterien. Die Bezeichnung war zur Täuschung des Gegners gewählt;
ob diese Täuschung wirklich gelang, ist uns nicht sicher bekannt geworden.
Bei solchen Unterstützungen handelte es sich weit weniger um zahlenmäßige
Verstärkungen unserer Bundesgenossen, wie darum, ihnen sittliche und
geistige Kräfte, das heißt Willen und Wissen zuzuführen. Der eigentliche
Sinn unserer Hilfe wird treffend gekennzeichnet durch ein Wort des Zaren
Ferdinand, als er uns noch vor den Herbstkämpfen des Jahres 1916 in
Mazedonien vor dem Wegziehen aller deutschen Truppen aus der bulgarischen
Front warnte: „Meine Bulgaren wollen Pickelhauben sehen, dieser Anblick
gibt ihnen Vertrauen und Rückhalt. Alles andere haben sie selbst.“ Auch
hier wurde also die Erfahrung bestätigt, die Scharnhorst einmal in die
Worte faßte, daß der stärkere Wille des Gebildeten unendlich wichtiger für
das Ganze sei, als die rohe Kraft.

Die Operation gegen Bagdad kam nicht zur Durchführung. Schon in den
letzten Sommermonaten zeigte sich, daß der Engländer alle Vorbereitungen
zu Ende geführt hatte, um die türkische Armee bei Gaza noch vor Eintritt
der nassen Jahreszeit anzugreifen. General von Falkenhayn, der dauernd im
Orient weilte, gewann immer mehr den Eindruck, daß die syrische Front
diesem englischen Ansturm, der mit zweifellos großer Überlegenheit geführt
werden würde, nicht gewachsen sei. Türkische Divisionen, die zur
Unternehmung gegen Bagdad bestimmt waren, mußten nach Süden abgezweigt
werden. Damit entfiel die Möglichkeit einer erfolgreichen Operation in
Richtung Mesopotamien. Im Einvernehmen mit Enver Pascha gab ich daher
meine Zustimmung, daß alle verfügbaren Kräfte nach Syrien geführt würden,
damit wir dort selbst womöglich noch vor den Engländern zum Angriff
übergehen könnten. Die deutsche Führung hoffte den bestehenden Bahnbetrieb
und die Verwaltung in den türkischen Gebieten so sehr verbessern zu
können, daß eine wesentlich erhöhte Truppenzahl auf diesem
Kriegsschauplatz ernährt und mit allem notwendigen Kriegsbedarf versehen
werden könnte.

Infolge von Reibungen politischer wie militärischer Art gingen für General
von Falkenhayn kostbare Wochen verloren. Es gelang dem Engländer Anfang
November, den Türken im Angriff bei Berseba und Gaza zuvorzukommen. Die
osmanischen Armeen wurden nach Norden geworfen; Jerusalem ging Anfang
Dezember verloren. Erst von Mitte dieses Monats ab kam wieder mehr Halt in
die türkischen Linien nördlich Jaffa-Jerusalem-Jericho.

Wenn wir befürchtet hatten, daß diese türkischen Niederlagen, ganz
besonders aber der Verlust von Jerusalem, bedenkliche politische Wirkungen
auf die Stellung der jetzigen Machthaber in Konstantinopel ausüben würden,
so trat hiervon, wenigstens äußerlich, nichts in die Erscheinung; eine
merkwürdige Gleichgültigkeit zeigte sich an Stelle der gefürchteten
Erregung.

Für mich bestand kein Zweifel, daß die Türkei niemals wieder in den Besitz
von Jerusalem und der dortigen heiligen Stätten kommen könnte. Auch am
Goldenen Horn teilte man stillschweigend diese Ansicht. Stärker als vorher
wandte sich nunmehr die osmanische Sehnsucht, Entschädigung für die
verlorenen Reichsteile suchend, anderen Gebieten Asiens zu. Vom
militärischen Gesichtspunkte aus leider zu frühzeitig!



   Ein Blick auf die inneren Zustände von Staaten und Völkern Ende 1917


Man befürchte nicht, daß ich mich nunmehr, meine Abneigung gegen Politik
bezwingend, in den Strudel des Parteistreites hineinstürze. Ich kann aber
die folgenden Ausführungen, wenn ich das Bild, das ich geben möchte, nicht
allzu lückenhaft lassen will, nicht entbehren. Freilich, wer wird die
Zeit, von der ich schreibe, jemals lückenlos darzustellen vermögen? Es
werden immer wieder neue Fragen nach dem „Warum?“ und nach dem „Wie?“
auftauchen. Lücken werden bleiben, da so mancher Mund, den man jetzt schon
zur Auskunft dringend benötigte, für immer still geworden ist. Ich kann
auch nicht ein in sich abgeschlossenes Bild, sondern nur Striche hier und
Striche dort geben, mehr für eine Charakterzeichnung als für ein
vollendetes Gemälde. Scheinbar willkürlich setze ich an, wenn ich mich
zunächst dem Orient zuwende.

„Die Türkei ist eine Null“, so kann man in einem Aktenstück aus der
Vorkriegszeit lesen, in einem deutschen, also keinem gegen die Türkei
politisch gehässigen Aktenstück. Eine eigenartige Null, durch die die
Dardanellen verteidigt wurden, die Kut-el-Amara gewann, gegen Ägypten zog,
den russischen Angriff im armenischen Hochland zum Halten brachte! Eine
für uns wertvolle Null, die, wie ich schon sagte, jetzt hunderttausende
feindlicher Truppen auf sich zieht, Kerntruppen, die an den türkischen
Grenzländern nagen, auch wohl dort eindringen, aber ohne den Hauptkörper
verschlingen zu können!

Was gibt wohl dieser Null die innere Stärke? Selbst für den, der in diesen
Zeiten, ja schon lange vorher, in dem Lande der Osmanen lebte, ein Rätsel!
Stumpf und gleichgültig erscheint die große Masse, selbstsüchtig und
unempfindlich gegen höheres völkisches Empfinden ein großer Teil hoher
Kreise. Der ganze Staat wird anscheinend nur aus Völkerschaften gebildet,
die durch tiefgehende Spalten getrennt, kein gemeinsames Innenleben haben.
Und doch besteht dieser Staat und zeigt staatliche Kräfte. Die Macht
Konstantinopels scheint am Taurus ihre Grenze zu haben; über Kleinasien
hinaus herrscht kein wirklicher türkischer Einfluß, und trotzdem stehen
immer noch türkische Armeen in dem weit entlegenen Mesopotamien und
Syrien. Der Araber dort haßt den Türken, der Türke den Araber. Und doch
schlagen sich arabische Bataillone immer noch unter türkischen Fahnen und
laufen nicht in Massen zum Feinde über, der ihnen nicht nur goldene Berge
verspricht sondern wirkliches, bei den Arabern so beliebtes Gold
reichlichst spendet. In dem Rücken der englisch-indischen Armee, die in
Mesopotamien, wie man meinte, den von den Türken geknechteten und
ausgepreßten arabischen Stämmen die ersehnte Erlösung brachte, erheben
sich diese Erlösten und wenden sich gegen ihre angeblichen Befreier. Es
muß also doch eine Macht vorhanden sein, die hier vereinend wirkt, und
zwar nicht nur eine zusammenpressende Not von außen, nicht nur ein
politisches Zusammenleben, ein Gemeinschaftsgefühl im Innern. Auch die
Gewalt der türkischen Machthaber kann diese bindende Kraft nicht
ausschließlich liefern. Die Araber könnten sich ja dieser Gewalt
entziehen, sie brauchten nur die Schützengräben mit erhobenen Armen
feindwärts zu verlassen, oder im Rücken der türkischen Armeen sich zu
erheben. Und doch tun sie es nicht. Ist es der Glaube, der Rest eines
alten Glaubens, der hier verbindend wirkt? Man behauptet es mit guten
Gründen und bestreitet es mit ebensolchen. Hier sind unserem Verständnis
der osmanischen Psyche die Grenzen gesteckt; wir müssen den Streit der
Meinungen ungelöst lassen.

So ganz lebensunfähig kann der Staat trotz schwerster Gebrechen also nicht
sein. Man hört auch von vortrefflichen Beamten, die neben den
pflichtvergessenen Gegenteilen im Amte sind und sich als Männer mit großen
Plänen und großer Tatkraft erweisen. Einen davon lernte ich in Kreuznach
kennen. Es war Ismail Hakki, ein Mann mit manchen Schattenseiten seines
Volkes und doch ein geistvoller, fruchtbarer Verstand. Schade, daß er
nicht einem Boden mit gesünderen Kräften entwuchs. Man sagte, er schriebe
nichts, beherrsche alles mit seinem Kopfe, und dabei sorgte er für
tausenderlei, dachte weit über den Krieg hinaus nationale, schöne
Gedanken! Was ihn damals am meisten beschäftigte, worin gleichzeitig seine
größte Macht lag, das war die Versorgung des Heeres und von
Konstantinopel. Hätte man Ismail Hakki entfernt, so hätte die türkische
Armee Mangel an allem gelitten; sie hätte noch mehr entbehrt, als sie es
teilweise schon mußte, und Konstantinopel wäre vielleicht verhungert. Fast
das ganze Land befand sich ja in einem Hungerzustand, nicht weil es an
Lebensmitteln mangelte, sondern weil die Landesverwaltung und die
Verbindungen nicht funktionierten, weil nirgends ein Ausgleich zwischen
Bestand und Bedarf geschaffen werden konnte. Wovon und wie die Menschen
der größeren Städte lebten, wußte niemand. Konstantinopel versorgten wir
mit Brot, schafften Getreide aus der Dobrudscha und Rumänien hin und
halfen trotz der eigenen Not. Freilich würde das, was wir für
Konstantinopel geliefert haben, unsern Millionen von Magen nicht viel
geholfen haben. Hätten wir die Lieferungen verweigert, so hätten wir die
Türkei verloren. Denn ein verhungerndes Konstantinopel würde revoltieren,
trotz aller Gewaltherrschaft. Ist dort wirklich Gewaltherrschaft? Ich
sprach schon vom Komitee; es sind aber dort auch andere Einflüsse gegen
die starken Männer tätig, Einflüsse des politischen, vielleicht auch
geschäftlichen Hasses, durch welche Parteiungen geschaffen werden. Starke
Strömungen bewegen sich unter der scheinbar ruhigen Oberfläche; ihre
Strudel werden manchmal oben sichtbar, wenn sie versuchen, die jetzigen
führenden Männer in die Tiefe zu ziehen.

Das Heer leidet auch unter diesen Strömungen. Die Heeresleitung muß ihnen,
wie ich schon früher andeutete, Rechnung tragen, muß manchmal nachgiebig
gegen sie sein, nicht zum Vorteil des Ganzen. Sonst würde das Heer, das an
seiner zahlenmäßigen Stärke immer reißender abnimmt, auch innerlich
aufgelöst werden. Der Mangel und die Not zersetzt teilweise die Truppe. An
ihren Beständen zehrt aber auch die Endlosigkeit des jetzigen Krieges, der
mit früheren Feldzügen, im Yemen und auf dem Balkan, sich für so viele
türkische Soldaten zu einem großen ununterbrochenen Ganzen verbunden hat.
Die Sehnsucht nach der Heimat, nach Weib und Kind – auch der Islam kennt
diese Sehnsucht – treibt Tausende der Soldaten zur Fahnenflucht. Von den
vollen Divisionen, die in Haidar-Pascha auf die Bahn gesetzt werden,
kommen nur Bruchteile bis Syrien oder Mesopotamien. Man mag darüber
streiten, ob die Zahl türkischer Fahnenflüchtiger in Kleinasien 300.000
oder 500.000 beträgt. Jedenfalls ist sie nahezu so groß, wie die
Kampftruppen aller türkischen Armeen zusammen. Kein schönes Bild und doch
– die Türkei hält noch immer stand und erfüllt ihre Treuepflicht ohne
einen Ton der Klage oder des Wankelmutes nach bestem Können!

Auch in Bulgarien herrscht Not. Not an Lebensmitteln in dem Lande, das
sonst Überfluß hat! Die Ernte war mäßig, aber sie könnte reichen, wenn das
Land wie unsere Heimat verwaltet würde, wenn auch hier Ausgleich
geschaffen werden könnte zwischen Gegenden des Überflusses und solchen des
Mangels. Ein Bulgare antwortet uns auf diesbezügliche Anregungen: „Wir
verstehen solches nicht!“ Eine einfache Entschuldigung, nein eigentlich
eine Selbstanklage. Man legt die Hände in den Schoß, weil man nicht
gelernt hat, sie zu rühren. Wir wissen ja, daß Bulgarien beim Übergang aus
türkischem Sklaventum zur völligen innenstaatlichen Freiheit einer
erziehenden, straff organisierenden Hand entbehrte. Es hatte, man lasse
mich als Preußen sprechen, keinen König Friedrich Wilhelm I., der die
eisernen Träger schuf, auf denen unser Staatswesen so lange und so sicher
ruhte. Bulgarien kennt keine gute Verwaltung, es kennt aber dafür viele
Parteien. Mit Schärfe wendet sich deren Mehrzahl gegen die Regierung,
nicht wegen deren Außenpolitik, denn diese verspricht eine große Zukunft,
völkische Einheit und staatliche Vormacht auf dem Balkan; wohl aber tobt
der Kampf wegen innerer Fragen um so rücksichtsloser. Kein Mittel, auch
das gefährlichste nicht, wird hierbei verachtet. Man vergreift sich an den
Bundesgenossen und an dem eigenen Heere. Ein gefährliches Spiel! Die
Dobrudschafrage bildet ununterbrochen ein beliebtes Mittel hetzerischen
Parteigetriebes. Die Regierung hat gefährliche Geister beschworen, um auf
die Türkei und uns einen Druck auszuüben, und wird diese Geister, die
alles zu zersetzen drohen, die aus Parteizwecken den Haß gegen die
Verbündeten und ihre Vertreter predigen, nicht mehr los. Da scheint es uns
im Herbste 1917 das beste, in dieser Dobrudschafrage vorläufig nachzugeben
und ihre endgültige Lösung dem Ausgang des Krieges zu überlassen. Ein
Rückzug unsererseits aus Vernunft, nicht aus Überzeugung. Auffallend ist
es, daß sofort nach unserem Nachgeben in Bulgarien das Interesse an dieser
Angelegenheit schwindet. Das Wort Dobrudscha hat im Parteikampfe nunmehr
seine agitatorische Kraft verloren. So endet dieser wenigstens unblutige
Kampf mit uns, aber derjenige um die Macht zwischen den politischen
Parteien hält an und treibt rücksichtslos seine Keile selbst in das Gefüge
des Heeres, und zwar tiefer als nur je im Frieden.

Die Truppe zeigt sich für diese zersetzende Tätigkeit zugänglich, denn sie
ist schlecht versorgt, ja sie beginnt geradezu Mangel zu leiden. Das
Fehlen organisatorischer Tätigkeit und Fähigkeit zeigt sich auch hier an
allen Ecken und Enden. Wir machen Vorschläge zu durchgreifenden
Verbesserungen. Die Bulgaren erkennen diese Vorschläge als
zweckentsprechend an, aber sie haben nicht die Kraft, scheuen auch die
Mühe, sie zu verwirklichen. Man beschränkt sich darauf, an dem Deutschen
herum zu nörgeln, der im Lande sitzt – freilich in einem gemeinsam
eroberten Lande –, der vertragsmäßig ernährt werden soll, weil er an der
mazedonischen Grenze kämpft, nicht zum Schutze der deutschen, sondern in
erster Linie der bulgarischen Heimat. Der Deutsche soll sich, nach
bulgarischer Meinung, nur selbst ernähren, und er tut es denn um des
lieben Friedens willen auch, führt Vieh, ja sogar Heu aus der Heimat bis
nach Mazedonien herunter. Die dauernden Zwistigkeiten zeigen sich freilich
nicht bei den kämpfenden Truppen, denn dort schätzt man sich, wohl aber in
dem Rückengebiet der gemeinsamen Front. Um diese Zwistigkeiten
einzuschränken, schlagen wir den Austausch unserer deutschen Truppen aus
Mazedonien mit bulgarischen Divisionen vor, die noch in Rumänien stehen.
Wir bieten damit den Bulgaren doppelten, ja dreifachen zahlenmäßigen
Ersatz, doch sofort erhebt sich ein großer Lärm in Sofia über Mangel an
Bundestreue. Wir beschränken uns daher auf das Wegziehen nur geringer
deutscher Kräfte und übernehmen die bisherigen Stellungen der bulgarischen
Divisionen in Rumänien mit etlichen unserer Bataillone. So verlassen die
bulgarischen Divisionen das nördliche Donauufer, auf das sie seiner Zeit
fast widerwillig hinübergegangen waren.

Auch das bulgarische Bild ist also nicht ungetrübt. Aber wir können auf
weitere Bündnistreue rechnen, wenigstens solange wir die großen
politischen Ansprüche Bulgariens erfüllen können und wollen. Als dann aber
im Sommer des Jahres 1917 infolge von deutschen Presseäußerungen und
deutschen parlamentarischen Reden sowohl in Sofia als bei den bulgarischen
Armeen Zweifel darüber entstehen, ob wir unseren Versprechungen auch
wirklich noch nachkommen wollen, da horcht man besorgt auf und, was
schlimmer ist, man wird mißtrauisch gegen uns. Die Parteien fordern jetzt
verstärkt die Abdankung Radoslawows. Seine Außenpolitik wird als großzügig
anerkannt, alle stimmen ihr auch jetzt noch zu, aber er scheint nicht mehr
der Mann zu sein, sie den Bundesgenossen gegenüber durchzusetzen. Seine
Innenpolitik ist zudem vielfach verhaßt. Neue Männer sollen ans Ruder
kommen, die alten sitzen nach bulgarischem Urteil schon zu lange an der
Krippe des Staates. Man meint, sie könnten sich gesättigt haben. Alles
soll aus der Regierung scheiden, was mit Radoslawow zusammenhängt, vom
höchsten Beamten bis zum Dorfschulzen, so fordert es das parlamentarische,
das sogenannte freie System. Das soll jetzt geschehen, jetzt mitten im
Kriege!

Über Österreich-Ungarn habe ich nur wenig zu sagen. Die Schwierigkeiten im
Innern des Landes sind nicht geringer geworden. Ich habe schon darüber
gesprochen, daß die versuchte Versöhnung der staatszersetzenden
tschechischen Elemente auf dem Wege der Milde vollständig scheiterte. Nun
wird versucht, durch verstärktes Vorschieben kirchlicher Macht und
kirchlichen Einflusses, durch Zurschautragen religiöser Gefühle ein
einigendes Band um die auseinanderstrebenden Teile des Reiches oder
wenigstens um seine einflußreichsten Kreise zu legen. Auch dieser Versuch
bleibt ohne das erhoffte Ergebnis. Er bringt vielmehr weitere Spaltungen
und erregt Mißtrauen auch da, wo bisher noch Hingebung vorherrschte. Die
gegenseitige Abneigung der Völkerschaften wird durch die Verschiedenheiten
in der Lebensmittelversorgung verschärft. Wien hungert, während Budapest
genügend Nahrung hat. Der Deutsch-Böhme stirbt fast den Erschöpfungstod,
während der Tscheche kaum etwas entbehrt. Zum Unglück ist die Ernte
teilweise mißraten. Dies verstärkt die innere Krisis und wird sie noch
mehr verstärken. Es fehlt in Österreich-Ungarn nicht, wie in der Türkei,
an den technischen Mitteln eines Ausgleiches zwischen Überschuß- und
Bedarfsgebieten. Aber es fehlt am einheitlichen Willen, an einer sich
durchsetzenden staatlichen Macht. So hat das alte Übel der inneren
politischen Gegensätze mit all seinen vernichtenden Folgen sich auch auf
das Gebiet der einfachen Lebenserhaltung übertragen. Kein Wunder, daß die
Friedenssehnsucht wächst, und daß das Vertrauen auf den Ausgang des
Krieges abnimmt. Der russische Zusammenbruch wirkt daher mehr zersetzend
als stärkend. Das Verschwinden der Gefahr von dieser Seite scheint die
Gemüter nicht zu heben, sondern sie gleichgültiger zu machen. Selbst der
Sieg in Italien ist ein Jubel nur für einzelne Teile und Kreise der
Völker. Der Stolz durchdringt nicht mehr die Masse, die zum Teil und
zeitweise wirklich hungert. Gar vieles, was man vor dem Tode des alten
Kaisers noch hochhielt, hat seine sittliche Bedeutung verloren. Von
Tausenden tschechischer und anderer Hetzer wird die staatliche Ehre mehr
wie je mit Füßen getreten. Wahrlich es hätte stärkerer Nerven bedurft, als
an den Regierungsstellen vorhanden waren, um dem Drucke der Massen, die
teilweise den Frieden um jeden Preis verlangen, noch länger Widerstand zu
leisten.

Und nun zu unserer eigenen Heimat:

Inmitten der Kampfzeiten, von denen ich weiter vorn gesprochen habe,
vollziehen sich in unserem Vaterlande tiefgehende und folgenschwere
Änderungen des innerpolitischen Zustandes. Die Krisis wird bezeichnet
durch den Rücktritt des Reichskanzlers von Bethmann. Wenn ich anfänglich
angenommen hatte, daß sich unsere Auffassungen über die durch den Krieg
geschaffene Lage deckten, so mußte ich mit der Zeit zu meinem Bedauern
immer mehr erkennen, daß dies nicht der Fall sei. Mir war die Leitung des
Krieges übertragen, und für ihn bedurfte ich aller Kräfte des Vaterlandes.
Diese in einer Zeit größter äußerer Spannung durch innere Kämpfe zu
zersplittern, anstatt sie zusammenzufassen und immer wieder emporzureißen,
mußte zu einer Schwächung unserer politischen und militärischen Stoßkraft
führen. Aus diesem Gesichtspunkt heraus konnte ich es nicht verantworten,
still zu bleiben, wenn ich sah, daß die Einheitlichkeit, die wir an der
Front nötig hatten, in der Heimat zersetzt wurde. In der Überzeugung, daß
wir in dieser Richtung unsern Feinden gegenüber mehr und mehr ins
Hintertreffen gerieten, daß wir den entgegengesetzten Weg gingen wie
diese, sah ich mich leider zu unserer Reichsleitung bald in einem
Gegensatz. Die gemeinsame Arbeit litt. Ich hielt es daher für meine
Pflicht, meinem Allerhöchsten Kriegsherrn im Juli mein Abschiedsgesuch
einzureichen, so schwer mir als Soldat dieser Schritt wurde. Das Gesuch
wurde von Seiner Majestät nicht bewilligt. Auch der Kanzler hatte
gleichzeitig infolge einer Erklärung der Parteiführer des Reichstages
seine Entlassung erbeten; sie wurde genehmigt.

Die nunmehr äußerlich zutage tretenden Folgen dieses Rücktrittes waren
bedenklich. Der bisher nach außen hin aufrechterhaltene Schein des
politischen Burgfriedens zwischen den Parteien hörte auf. Es bildete sich
eine Mehrheitspartei mit dem ausgesprochenen Anschluß nach links. Die
Versäumnisse, die angeblich in früheren Zeiten in der Weiterentwicklung
unserer innerstaatlichen Verhältnisse begangen waren, wurden nunmehr im
Kriege und unter dem Druck einer politisch ungeheuer schwierigen äußeren
Lage des Vaterlandes dazu benutzt, um der Regierung immer weitere
Zugeständnisse zugunsten einer sogenannten parlamentarischen Entwicklung
zu erpressen. Wir mußten auf diesem Wege an innerer Festigkeit verlieren.
Die Zügel der Staatsleitung gerieten allmählich in die Hände extremer
Parteien.

Zum Nachfolger Bethmann Hollwegs wurde Dr. Michaelis ernannt. Zu ihm trat
ich in kurzer Zeit in ein vertrauensvolles Verhältnis. Er war unverzagt an
sein schweres Amt herangetreten. Seine Amtsführung war nur kurz; die
Verhältnisse sollten sich stärker erweisen als sein guter Wille.

Die eingetretene parlamentarische Zerrissenheit wurde nicht wieder
gebessert. Immer mehr drängte die Mehrheit nach links und stellte sich,
trotz mancher schöner Worte, in ihren Taten vor die Elemente, die die
bisherige Staatsordnung auflösen wollten. Immer schärfer zeigte es sich,
daß die Heimat den wahren Ernst unserer Lage im Streit um Parteiinteressen
und Parteidogmata vergaß oder diesen Ernst nicht mehr sehen wollte.
Darüber jubelten unsere Gegner ganz offen und verstanden es, diese
Parteiungen zu schüren.

Bei dieser Sachlage suchte man nach einem Reichskanzler, der in erster
Linie imstande war, dank seiner parlamentarischen Vergangenheit einigend
auf die zerfahrenen Parteiverhältnisse zu wirken. Die Wahl fiel auf den
Grafen Hertling. Er war mir als Begleiter des Königs von Bayern schon in
Pleß bekannt geworden. Ich erinnere mich noch gern der Herzlichkeit, mit
der er mir damals seine Glückwünsche zu der eben durch Seine Majestät den
Kaiser vollzogenen Verleihung des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes
aussprach. Es lag für mich etwas Ergreifendes und zugleich Ermunterndes in
der Beobachtung, mit welcher Freudigkeit der alte Mann jetzt seine letzten
Lebenskräfte in den Dienst des Vaterlandes stellte. Sein felsenfestes
Vertrauen auf unsere Sache, seine Hoffnung auf unsere Zukunft überdauerte
die schwersten Lagen. Er behandelte die parlamentarischen Parteien mit
Geschick, vermochte aber dem Ernst der Lage gegenüber nicht mehr
durchgreifend genug zu wirken. Im Verkehr mit der Obersten Heeresleitung
blieb leider ein wohl von früher übernommenes Mißtrauen bestehen, das ab
und zu das Zusammenarbeiten erschwerte. Meine Verehrung für den Grafen
wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Er starb bekanntlich, kurz nachdem er
sein dornenvolles Amt niedergelegt hatte.

Auch abgesehen von den eben berührten Mißständen ist in der Heimat am Ende
des Jahres 1917 nicht alles erfreulich. Man kann es auch nicht verlangen.
Denn der Krieg und die Entbehrungen lasten schwer auf vielen Teilen des
Volkes und greifen an seine Stimmung. Ein jahrelang ungesättigter oder
mindestens nicht befriedigter Magen erschwert einen höheren Schwung,
drückt die Menschen zur Gleichgültigkeit herab. Die große Menge denkt auch
bei uns bei körperlich ungenügender Ernährung nicht viel besser als
anderswo, wenn auch die staatliche Kraft und die sittlichen Werte des
Volkes unser ganzes Leben kräftiger durchsetzen. Dieses Leben muß aber
unter solchen Verhältnissen leiden, besonders, wenn es keine neuen
geistigen und seelischen Anregungen mehr erhält. An einer solchen Belebung
fehlt es aber auch bei uns. Man stößt in Kreisen, in denen man sonst
anderes denken gewohnt war, auf die gefährliche Ansicht, daß gegen die
Gleichgültigkeit der Massen nichts mehr zu machen sei. Die Verfechter
dieser Anschauung legen die Hände in den Schoß und lassen den Dingen ihren
Lauf. Sie sehen zu, wie Parteien die Ermattung des Volkes als fruchtbaren
Boden für ihre die staatliche Ordnung auflösenden Ideen ausnützen und eine
verderbliche Saat ausstreuen, die weiter und weiter wuchert, weil sich
keine Hände finden, das Unkraut auszureißen.

Die Gleichgültigkeit wirkt wie Untätigkeit. Sie durchsäuert den Boden für
Unzufriedenheit. Diese aber steckt an, nicht nur die Bevölkerung der
Heimat sondern auch den Soldaten, der dorthin zurückkehrt.

Der Soldat, der aus dem Felde kommend die Heimat wiedersieht, kann auf sie
belebend und erhebend wirken. Und das taten die meisten. Aber er kann auch
niederdrückend wirken, und auch das taten leider so manche, selbstredend
nicht die Besten aus unseren Reihen. Diese wollten vom Kriege nichts mehr
wissen; sie wirkten schlimmes auf dem schon verdorbenen Boden, nahmen aus
diesem noch schlimmeres in sich auf und trugen die heimatliche Zersetzung
hinaus ins Feld.

Es ist viel Unerfreuliches in diesen Bildern. Nicht alles hiervon ist eine
Folge des Krieges oder brauchte wenigstens eine Folge des Krieges zu sein.
Aber der Krieg erhebt nicht nur, er löst auch auf. Und dieser Krieg tat
dies mehr, wie jeder frühere; er verdarb nicht nur die Körper, sondern
auch die Seelen.

Auch der Gegner sorgt für diese Zersetzung. Nicht bloß durch seine
Blockade und den dadurch hervorgerufenen Halbhunger sondern auch noch
durch ein anderes Mittel, das man „Propaganda im feindlichen Lager“
nannte. Es ist das ein neues Kampfmittel, das die Vergangenheit wenigstens
in solcher Größe und in solch rücksichtsloser Anwendung nicht kannte. Der
Gegner benutzte es in Deutschland wie in der Türkei, in Österreich-Ungarn
wie in Bulgarien. Der Regen verhetzender Flugblätter fällt nicht nur
hinter unseren Fronten in Ost und West, sondern auch hinter den türkischen
im Irak und in Syrien herab.

Als „Aufklärung des Gegners“ bezeichnete man diese Art von Propaganda.
„Verschleierung der Wahrheit“ sollte man sie nennen, ja noch schlimmer als
das, „Vergiftung der Seelen des Feindes“. Sie entspringt einer Auffassung,
die nicht die Kraft in sich fühlt, den Gegner im offenen, ehrlichen Kampfe
zu überwinden und seine moralische Kraft nur durch Siege des tapfer
geführten Schwertes niederzuzwingen.

Schließlich noch der Versuch eines Blickes in das Innere der uns
feindlichen Staaten:

Ich sage absichtlich „Versuch“, denn nur um einen solchen konnte es sich
für uns während des Kriegszustandes handeln. Wir waren nämlich nicht nur
blockiert in unserem wirtschaftlichen Verkehr sondern auch in all den
anderen Beziehungen zum Auslande. Daran änderte unsere teilweise
Angrenzung an neutrale Nachbarstaaten nur wenig. Unser Agentendienst
lieferte nur ganz klägliche Ergebnisse. Im Kampfe zwischen uns und unsern
Gegnern unterlag auf diesem Gebiete auch das deutsche Gold!

Wir wußten, daß jenseits der kämpfenden Westfront eine Regierung sitzt,
die persönlich von Haß- und Rachegedanken erfüllt, das Innerste ihres
Volkes ununterbrochen aufpeitscht. Es klingt wie ein „Wehe dem bisherigen
Sieger“, wenn die Stimme Clémenceaus erschallt. Frankreich blutet aus
tausend Wunden. Würden wir es nicht wissen, so könnten wir es den offenen
Erklärungen seines Diktators entnehmen. Aber Frankreich wird
weiterkämpfen. Kein Wort, kein Gedanke von Nachgiebigkeit! Wo Risse in dem
wie mit eisernen Ketten zusammengefaßten Staatsgefüge erscheinen, da
greift die Regierung mit rücksichtslosester Gewalt zusammenpressend ein.
Und der Zweck wird erreicht. Mag das Volk in seiner Mehrheit den Frieden
ersehnen, im Lande der republikanischen Freiheit wird jegliche solche
offene Regung kaltherzig in den Boden getreten und das Volk mit liberalen
Phrasen weiter gefüttert. Schon vor dem Ausbruch des Krieges waren in dem
sogenannten antimilitaristischen Frankreich die Worte „Humanismus und
Pazifizismus“ als „gefährliche Betäubungsmittel“ gebrandmarkt, „mit denen
die doktrinären Verfechter des Friedens die Mannhaftigkeit der Völker
schwächen wollen.“ „Pazifizismus hat es zu allen Zeiten gegeben, sein
rechter Name ist Feigheit, d. h. übertriebene Liebe des Individuums zu
sich selbst, die es von jedem persönlichen Risiko zurückschrecken läßt,
das ihm keinen unmittelbaren Vorteil bringt“. So sprach man in dem
„Frankreich des Friedens“. War es ein Wunder, daß das „Frankreich des
Krieges“ nicht milder dachte und jeden, der im Kriege überhaupt von
Frieden zu reden wagte, als Landesverräter brandmarkte?

Wir können es nicht bezweifeln, daß das französische Volk auch Ende 1917
besser genährt wird als das deutsche. Vor allem sorgt man für den Pariser,
entschädigt ihn für so manches und beruhigt ihn auch durch alle noch
möglichen Genüsse. Es scheint uns fraglich, ob der Gallier die
Entbehrungen des täglichen Lebens in gleich hingebender Weise und so lange
ertragen kann, als sein germanischer Gegner. Noch hoffen wir, daß die
Probe vielleicht gemacht werden wird. Allein wir dürfen uns nicht im
Unklaren sein, daß auch ein wirklich hungerndes Frankreich so lange
kämpfen muß, als England es will, mag es auch dabei zugrunde gehen.

Die französischen Gefangenen sprechen wohl vom Elend des Krieges; sie
erzählen von in der Heimat eingetretener Not. Aber ihr eigenes Aussehen
läßt auf keinen Mangel schließen. Alle ersehnen das Ende des Ringens, doch
keiner glaubt, daß es kommen wird, solange „die anderen kämpfen wollen“.

Wie steht es in England?

Das Mutterland befindet sich in seiner Wirtschafts- und Weltstellung vor
einer ungeheueren Gefahr. Niemand scheut sich dort, es auszusprechen. Es
gibt nur einen Ausweg: den Sieg! Im Laufe dieses Kriegsjahres hat England
einen „Schwächeanfall“ überwunden. Es hatte eine Zeitlang den Anschein,
als ob die Geschlossenheit des allgemeinen Kriegswillens gelockert und die
Kriegsziele herabgemindert werden würden. Die Stimme eines Lord Lansdowne
ertönte. Aber sie verhallte unter dem Druck einer alles beherrschenden
Kriegsgewalt, die das nahende Ende des Kampfes in sichere Aussicht stellt.
Nach einem Tiefstand der wirtschaftlichen und politischen Stimmung hatte
man im Sommer wieder Morgenluft des heranreifenden Erfolges gewittert,
eine Morgenluft, deren Ursprung uns bis zum Ende des Jahres 1917 freilich
noch nicht bekannt war. Sie war, wie uns später erst bekannt wurde, einem
politischen Pfuhle auf mitteleuropäischem Boden entstiegen. Der Gedanke an
das nahende Ende reißt das ganze Volk in voller Geschlossenheit wieder
empor. Man erträgt wiederum williger das Entbehren von Genüssen,
verzichtet leichter auf bisherige Lebensgewohnheiten und politische
Freiheiten in der Hoffnung, daß die Vorhersage in Erfüllung geht, nach
einem glücklichen Ende dieses Krieges würde jeder einzelne Engländer
reicher sein. Zur wirtschaftlichen Selbstsucht tritt die politische
Selbstzucht des einzelnen Engländers. Also auch hier nichts von Frieden,
es sei denn, daß der Krieg nicht doch noch zu teuer wird. Die englischen
Gefangenen sprechen auch Ende 1917 wie Ende 1914. Freude am Kampfe hat
keiner. Doch danach fragt da drüben kein Mensch. Man fordert, und es wird
geleistet.

Anders wie in Frankreich und in England scheint der Zustand in Italien. Im
Feldzug des vergangenen Herbstes haben italienische Soldaten ohne
zwingende Kampfesnot zu vielen Tausenden ihre Waffen gesenkt, nicht aus
Mangel an Mut sondern aus Ekel vor diesem für sie sinnlosen Blutvergießen.
Sie traten mit frohen Gesichtern die Fahrt in unser Heimatland an und
begrüßten die ihnen dort bekannten Arbeitsstätten mit deutschen Gesängen.
Wenn auch die Kriegsbegeisterung im Heer und Land auf dem Nullpunkt steht,
das Volk erlahmt nicht völlig. Es weiß, daß es sonst hungern und frieren
muß. Der italienische Wille muß sich auch weiterhin vor fremdem beugen,
das war sein bitteres Schicksal von Anfang an. Man findet es erträglich
durch den Anblick einer lockenden, reichen Beute.

Aus den Vereinigten Staaten kommen noch weniger Stimmen zu uns als vom
fremden europäischen Boden. Was wir vernehmen, bestätigt unsere Vermutung.
Das glänzende, wenn auch mitleidslose Kriegsgeschäft ist in den Dienst des
Patriotismus getreten, und dieser versagt nicht. Auch in diesem Lande, an
dessen Eingangspforte die Statue der Freiheit ihr blendendes Licht dem
Fremden entgegensendet, herrscht unter dem Zwange der
Kriegsnotwendigkeiten mit Recht eine rücksichtslose Gewalt. Man begreift
den Krieg. Die weichen Stimmen müssen schweigen, bis die harte Arbeit
getan ist. Dann mag die goldene Freiheit wieder sprechen zum Wohle der
Menschen, jetzt wird sie unterdrückt zum Nutzen des Staates. Man fühlt
sich in allen Schichten und Volksarten einig in einem Kampf für ein Ideal,
und wo der Glaube an dieses oder der Drang des Blutes nicht zugunsten des
an den Rand des Verderbens gedrückten Angelsachsen spricht, da wird Gold
in die Wagschale der Entscheidung des Verstandes geworfen.

Von Rußland brauche ich nicht weiter zu sprechen. Wir blicken in sein
Inneres wie in einen offenen Glutherd. Es wird vielleicht völlig
ausbrennen, jedenfalls liegt es am Boden und hat den rumänischen
Verbündeten mit sich gerissen.

So erschienen mir die Verhältnisse, von denen ich sprechen wollte, am Ende
des Jahres 1917.

Mancher hat sich wohl in jenen Tagen die bedeutungsvolle Frage vorgelegt:
„Wie erklärt es sich, daß der Gegner in seinen rücksichtslosen politischen
Forderungen uns gegenüber nichts nachließ, trotz seiner vielen
militärischen Mißerfolge des Jahres 1917, trotz des Ausscheidens Rußlands
als Machtfaktor aus dem Kriege, trotz der doch zweifellos tiefgreifenden
Wirkung des Unterseebootkrieges und der dadurch geschaffenen Unsicherheit
für einen Transport starker nordamerikanischer Kräfte auf den europäischen
Kriegsschauplatz? Wie vermochte uns Wilson noch am 18. Januar 1918 unter
dem Beifall der gegnerischen Regierungen Bedingungen für einen Frieden
zuzumuten, die man wohl einem völlig geschlagenen Feind diktieren konnte,
mit denen man aber doch nicht an einen Gegner herantreten durfte, der
bisher erfolgreich gefochten hatte, und der fast überall tief in
Feindesland stand?“

Meine Antwort darauf war damals und ist noch jetzt folgende:

Während wir die feindlichen Armeen niederschlugen, richteten sich die
Blicke ihrer Regierungen und Völker unentwegt auf die Entwicklung der
inneren Zustände unseres Vaterlandes und der Länder unserer
Bundesgenossen. Dem Gegner konnten die Schwächen, die ich im
Vorausgehenden geschildert habe, nicht verborgen bleiben. Diese Schwächen
aber stärkten seine uns so oft unbegreiflichen Hoffnungen und seinen
Willen zum Siege.

Nicht nur der feindliche Nachrichtendienst, der unter den denkbar
günstigsten Verhältnissen arbeitete, gab dem Gegner den wünschenswerten
vollen Einblick in unsere Verhältnisse, sondern auch unser Volk und seine
politischen Vertreter taten nichts, um die heimatlichen Mißstände vor den
gegnerischen Augen zu verbergen. Der Deutsche erwies sich als noch nicht
so weit politisch geschult, daß er imstande gewesen wäre, sich zu
beherrschen. Er mußte seine Gedanken aussprechen, mochten sie für den
Augenblick auch noch so verheerend wirken. Er glaubte, seine Eitelkeit
befriedigen zu müssen, indem er sein Wissen und seine Gefühle der weiten
Welt mitteilte. Ob er mit diesem Verhalten dem Vaterland nützte oder
schadete, war bei dem vagen weltbürgerlichen Gefühle, in dem er vielfach
lebt, für ihn meist eine Frage zweiter Ordnung. Er glaubte, gerecht und
klug geredet zu haben, war hiervon selbst befriedigt und setzte voraus,
daß es auch seine Zuhörer sein würden. Damit war der Fall für ihn dann
erledigt.

Dieser Fehler hat uns im großen Ringen um unser völkisches Dasein mehr
geschadet als militärischer Mißerfolg. Dem Mangel an politischer
Selbstzucht, wie sie dem Engländer zur zweiten Natur geworden ist, dem
Fehlen einer von kosmopolitischen Schwärmereien völlig freien
Vaterlandsliebe, wie sie den Franzosen durchglüht, schiebe ich letzten
Endes auch die deutsche Friedensresolution zu, die am 19. Juli 1917 die
Billigung des Reichstages fand, also an dem Tage, an dem das Todesringen
der russischen Kriegsmacht handgreiflich wurde. Ich weiß sehr wohl, daß
unter den sachlichen Gründen, die damals für diese Resolution
ausschlaggebend waren, mancherlei Enttäuschungen über den Gang des Krieges
sowie über die sichtbaren Ergebnisse unserer Unterseebootkriegführung eine
große Rolle spielten. Man konnte über die Berechtigung zu einem solchen
Mißtrauen unserer Lage gegenüber verschiedener Anschauung sein –
bekanntlich beurteilte ich sie günstiger – aber für völlig verfehlt
glaubte ich die Art und Weise beurteilen zu müssen, in der man sich von
parlamentarischer Seite zu einem solchen Schritte entschloß. Zu einem
Zeitpunkt, in dem die Gegner bei einem richtigen, politischen Verhalten
der Deutschen vielleicht froh gewesen wären, wenn sie irgend welche leisen
Friedensneigungen aus dem Pulsschlag unseres Volkes hätten entnehmen
können, schrien wir ihnen unsere Friedenssehnsucht geradezu in die Ohren.
Die Redensarten, mit denen man das Wesen der Sache zu umkleiden versuchte,
waren zu fadenscheinig, als daß sie irgend jemanden im feindlichen Lager
hätten täuschen können. So fand bei uns das Wort Clémenceaus „Ich führe
Krieg!“ das Echo: „Wir suchen Frieden!“

Ich wandte mich damals gegen diese Friedensresolution nicht vom
Standpunkte menschlichen Gefühles sondern vom Standpunkte soldatischen
Denkens. Ich sah voraus, was sie uns kosten würde, und kleidete das in die
Worte: „Mindestens ein weiteres Kriegsjahr!“ Ein weiteres Kriegsjahr in
unserer eigenen und unserer Verbündeten schweren Lage!



                               VIERTER TEIL


                       ENTSCHEIDUNGSKAMPF IM WESTEN



                       Die Frage der Westoffensive



                    Absichten und Aussichten für 1918


Angesichts der ernsten Schilderungen, mit denen ich den vorhergehenden
Teil meiner Darlegungen abschloß, wird man wohl die berechtigte Frage an
mich richten, welche Aussichten ich für eine günstige Beendigung des
Krieges durch eine letzte große Waffenentscheidung zu haben glaubte.

Ich mache mich in der Antwort von politischen Gesichtspunkten frei und
spreche lediglich vom Standpunkte des Soldaten, indem ich mich zunächst zu
den Verhältnissen bei unseren Bundesgenossen wende:

Österreich-Ungarn glaubte ich angesichts der militärischen Machtlosigkeit
Rußlands und Rumäniens sowie der schweren Niederlage Italiens derartig
militärisch entlastet, daß es dem Donaureiche nicht schwer fallen konnte,
die jetzige Kriegslage auf seinen Fronten zu ertragen. Bulgarien hielt ich
für durchaus imstande, den Ententekräften gegenüber in Mazedonien
auszuhalten, um so mehr, als ja die bulgarischen Kampfkräfte, die noch
gegen Rußland und Rumänien standen, in absehbarer Zeit vollständig für
Mazedonien frei gemacht werden konnten. Auch die Türkei war durch den
Zusammenbruch Rußlands in Kleinasien ausreichend entlastet. Sie hatte
dadurch, so weit ich beurteilen konnte, genügend Kräfte frei, um ihre
Armeen in Mesopotamien und Syrien wesentlich zu verstärken.

Nach meiner Anschauung hing demnach das weitere Durchhalten unserer
Bundesgenossen, abgesehen von ihrem guten Willen, lediglich von der
zweckmäßigen Verwendung der für ihre Aufgabe ausreichend vorhandenen
Kampfmittel ab. Mehr als Durchhalten verlangte ich von keinem. Wir selbst
wollten im Westen die Kriegsentscheidung erringen. Für eine solche bekamen
wir nunmehr unsere Ostkräfte frei, oder hofften sie wenigstens bis zum
Eintritt der besseren Jahreszeit frei zu bekommen. Mit Hilfe dieser Kräfte
vermochten wir uns im Westen eine zahlenmäßige Überlegenheit zu schaffen.
Zum ersten Male während des ganzen Krieges auf einer unserer Fronten eine
deutsche Überlegenheit! Sie konnte freilich nicht so groß sein, als es
diejenige war, mit der England und Frankreich seit mehr als drei Jahren
unsere Westfront vergeblich bestürmt hatten. Insbesondere reichten unsere
Ostkräfte nicht hin, um die gewaltige Überlegenheit unserer Gegner an
Artillerie- und Fliegerverbänden auszugleichen. Immerhin waren wir aber
jetzt imstande, an einem Punkte der Westfront eine gewaltige Macht zur
Überwältigung der feindlichen Linien zu vereinigen, ohne dabei allzuviel
auf anderen Teilen dieser Front aufs Spiel zu setzen.

Leicht und einfach war der Entschluß zum Angriff im Westen aber auch unter
diesen für uns günstigeren Zahlenverhältnissen nicht. Die Bedenken, ob uns
ein großer Erfolg gelingen würde, blieben nicht gering. Im Verlauf und
Ergebnis der bisherigen gegnerischen Angriffsschlachten konnte ich
wahrlich keine Ermunterung zu einer Offensive finden. Was hatte der Gegner
mit allen seinen zahlenmäßigen Überlegenheiten, mit seinen Millionen von
Granaten und Wurfminen und endlich mit seinen Hekatomben von
Menschenopfern schließlich erreicht? Örtliche Gewinne von etlichen
Kilometern Tiefe waren die Frucht monatelanger Anstrengungen. Auch wir
hatten freilich als die Verteidiger schwere Verluste erlitten, es mußte
jedoch angenommen werden, daß diejenigen der Angreifer die unsern
wesentlich übertrafen. Mit bloßen sogenannten Materialschlachten konnten
wir ein entscheidendes Ziel nie erreichen. Wir hatten für die Führung
solcher Kämpfe weder die Kräfte noch auch die Zeit. Denn näher und näher
rückte der Augenblick, an welchem das noch vollkräftige Amerika allmählich
auf dem Plan erscheinen konnte. Wenn bis dahin unsere Unterseeboote nicht
derartig wirkten, daß der Seetransport großer Massen und ihrer Bedürfnisse
in Frage gestellt war, dann mußte unsere Lage ernst werden.

Die Frage liegt nahe, was uns Anrecht für die Hoffnung auf einen oder
mehrere durchgreifende Siege zu geben schien wie sie unseren Gegnern doch
bisher stets versagt geblieben waren. Die Antwort ist leicht zu erteilen,
aber schwer zu erklären; sie ist ausgesprochen in dem Worte: „Vertrauen“.
Nicht Vertrauen auf einen glücklichen Stern, auf vage Hoffnungen, noch
weniger das Vertrauen auf Zahlen und äußere Stärken; es war das Vertrauen,
mit dem der Führer seine Truppen in das feindliche Feuer entläßt,
überzeugt, daß sie das Schwerste ertragen und das Unmöglichscheinende
möglich machen werden. Es war das gleiche Vertrauen, das in mir lebte, als
wir in den Jahren 1916 und 1917 unsere Westfront einer ungeheuren, fast
übermenschlichen Belastungsprobe aussetzten, um anderwärts
Angriffsfeldzüge zu führen, das gleiche Vertrauen, das uns wagen ließ, mit
Unterlegenheiten feindliche Übermacht auf allen Kriegsschauplätzen in
Schach zu halten oder gar zu schlagen.

Wenn die nötige zahlenmäßige Kraft vorhanden war, so schien mir auch der
Wille zum guten Werke nirgends zu fehlen. Ich fühlte förmlich die
Sehnsucht der Truppen, herauszukommen aus dem Elend und der Last des
Abwehrkampfes. Ich wußte, daß aus dem deutschen „Kaninchen“, das der Spott
eines unserer erbittertsten Gegner als „aus dem freien Felde in die
Erdlöcher vertrieben“ der englischen Lächerlichkeit preisgeben zu dürfen
glaubte, der deutsche Mann im Sturmhut werden würde, der mit seinem
ganzen, mächtigen Zorne dem Schützengraben entsteigt, um die jahrelange
Kampfqual der Verteidigung im Vorstürmen zu beenden.

Darüber hinaus glaubte ich aber von dem Ruf zum Angriff noch größere und
weitergehende Folgen erwarten zu dürfen. Ich hoffte, daß mit unseren
ersten siegreichen Schlägen auch die Heimat emporgehoben würde aus ihrem
dumpfen Brüten und Grübeln über die Not der Zeit, über die
Aussichtslosigkeit unseres Kampfes, über die Unmöglichkeit, den Krieg noch
anders zu beenden als mit der Unterwerfung unter den Urteilsspruch
tyrannischer Gewalten. Fährt erst das blitzende Schwert in die Höhe, so
reißt es die Herzen mit sich, so war es immer; sollte es diesmal anders
sein? Und meine Hoffnungen flogen hinüber über die Grenzen des
Heimatlandes. Unter den mächtigen Eindrücken großer kriegerischer
deutscher Erfolge dachte ich an eine Wiederbelebung des Kampfgeistes in
dem so sehr bedrückten Österreich-Ungarn, an das volle Aufflammen aller
politischen und völkischen Hoffnungen in Bulgarien und an das Erstarken
des Willens zum Durchhalten selbst in entlegenen osmanischen Gebieten.

Wie hätte ich auf mein felsenfestes Vertrauen in das Gelingen unserer
Sache verzichten dürfen, um meinem Kaiser gegenüber vor meinem Vaterland
und meinem Gewissen eine Waffenstreckung zu empfehlen? „Waffenstreckung?“
Ja gewiß! Es konnte keine Täuschung darüber geben, daß unsere Gegner ihre
Forderungen bis zu dieser Höhe treiben würden. Gerieten wir nur erst
einmal auf die abschüssige Bahn des Nachgebens, hörte die straffe Spannung
unserer Kräfte auf, dann war kein anderes Ende mehr abzusehen, als ein
Ende mit Schrecken, es sei denn, daß wir vorher dem Gegner selbst die Arme
und den Willen lahm geschlagen hatten. So waren unsere Aussichten schon
1917, so verwirklichten sie sich später. Wir standen immer in der Wahl
zwischen Kampf bis zum Siege oder Unterwerfung bis zur Selbstentsagung.
Äußerten sich jemals unsere Gegner in anderem Sinne? An mein Ohr drang
niemals eine andere Stimme. Wenn eine solche also wirklich irgendwo
friedensverheißender ertönt sein sollte, dann durchdrang sie nicht die
Atmosphäre, die zwischen dem feindlichen Staatsmann und mir lag.

Wir hatten nach meiner Überzeugung die nötige Stärke und den nötigen
kriegerischen Geist zum Entscheidung suchenden letzten Waffengang. Wir
hatten uns darüber schlüssig zu werden, wie und wo wir ihn ausfechten
wollten. Das „Wie“ ließ sich im allgemeinen mit den Worten ausdrücken:
Vermeidung eines Festrennens in einer sogenannten Materialschlacht. Wir
mußten einen großen, wenn möglich überraschenden Schlag anstreben. Gelang
es uns nicht, auf einen Hieb den feindlichen Widerstand zum Zusammenbruch
zu bringen, dann sollten diesem ersten Schlag weitere Schläge an anderen
Stellen der feindlichen Widerstandslinien folgen, bis unser Endziel
erreicht war.

Als kriegerisches Ideal schwebte mir natürlich von vornherein ein völliger
Durchbruch der gegnerischen Linien vor, ein Durchbruch, der uns das Tor zu
freien Operationen öffnen würde. Dieses Tor sollte in der Linie
Arras-Cambrai-St. Quentin-La Fère aufgeschlagen werden. Die Wahl der
Angriffsfront war nicht durch politische Gesichtspunkte beeinflußt. Wir
wollten dort nicht deswegen angreifen, weil uns Engländer in diesem
Angriffsgebiet gegenüber standen. Ich sah freilich in England noch immer
die Hauptstütze des feindlichen Widerstandes, war mir aber zugleich
darüber auch klar, daß in Frankreich der Wille, unser staatliches Dasein
bis zur Vernichtung zu schädigen, mindestens ebenso stark vertreten war,
wie in England.

Auch in militärischer Beziehung war es von geringer Bedeutung, ob wir
unseren ersten Angriff gegen Franzosen oder Engländer richteten. Der
Engländer war zweifellos ungewandter im Gefecht als sein Waffengefährte.
Er verstand nicht, rasch wechselnde Lagen zu beherrschen. Er arbeitete zu
schematisch. Diese Mängel hatte er bisher im Angriffe gezeigt, und ich
glaubte, daß das in der Verteidigung nicht anders sein würde. Derartige
Erscheinungen waren für jeden Kenner soldatischer Erziehung ganz
selbstverständlich. Sie hatten ihre Ursachen in dem Fehlen einer
entsprechenden Friedensschulung. Auch ein mehrjähriger Krieg konnte diese
mangelnde Vorbereitung nicht völlig ersetzen. Was dem Engländer an
Gefechtsgewandtheit fehlte, ersetzte er wenigstens teilweise durch seine
Zähigkeit im Festhalten seiner Aufgabe und seines Zieles, sowohl im
Angriff wie in der Verteidigung. Die englischen Truppenverbände waren von
verschiedenem Werte. Die Elitetruppen entstammten den Kolonien, eine
Erscheinung, die wohl darauf zurückzuführen ist, daß die dortige
Bevölkerung vorwiegend eine agrarische ist.

Der Franzose war durchschnittlich gefechtsgewandter als sein englischer
Bundesgenosse. Dafür war er aber wohl weniger zähe in der Verteidigung als
dieser. In der französischen Artillerie erblickten unsere Führer wie
Soldaten ihren gefährlichsten Feind, während der französische Infanterist
in weniger großem Ansehen stand. Doch waren in dieser Beziehung auch die
französischen Truppenverbände je nach den Landesteilen, aus denen sie sich
ergänzten, verschieden.

Trotz der augenscheinlich lockeren Befehlsgemeinschaft an der
französisch-englischen Front war bestimmt damit zu rechnen, daß jeder der
Bundesgenossen dem anderen im Falle der Not zu Hilfe eilen würde. Daß
dabei der Franzose rascher und rückhaltloser handeln würde, wie der
Engländer, betrachtete ich bei der politischen Abhängigkeit Frankreichs
vom englischen Willen und nach den bisherigen Kriegserfahrungen als
selbstverständlich.

Zur Zeit unseres Angriffsentschlusses stand das englische Heer seit der
Flandernschlacht noch besonders stark auf dem nördlichen Flügel seiner
sich vom Meere bis in die Gegend südlich St. Quentin ausdehnenden Front
massiert. Eine andere etwas schwächere Kräftegruppe schien aus der
Schlacht bei Cambrai in dem dortigen Kampfgelände verblieben zu sein. Im
übrigen waren die englischen Kräfte augenscheinlich ziemlich gleichmäßig
verteilt; am schwächsten besetzt zeigten sich die Stellungen südlich der
Gruppe von Cambrai. Der englische Einbruchsbogen in unsere Linien bei
dieser Stadt war infolge unseres Gegenstoßes vom 30. November 1917 nur
noch flach; er war aber ausgesprochen genug, das Ansetzen einer, wie man
sich ausdrückte, taktischen Zange von Norden und Osten her zu gestatten.
Durch eine solche wollten wir die dortigen englischen Kräfte zerdrücken.
Es war allerdings fraglich, ob die englische Kräfteverteilung bis zum
Beginn unseres Angriffes auch tatsächlich in der geschilderten Weise
bestehen bleiben würde. Dies hing wohl wesentlich davon ab, ob uns ein
Verbergen unserer Angriffsabsichten möglich sein würde. Eine
bedeutungsvolle Frage! Alle unsere Erfahrungen ließen eigentlich eine
solche Möglichkeit, ja selbst Wahrscheinlichkeit zweifelhaft erscheinen.
Wir selbst hatten die feindlichen Vorbereitungen für all die großen
Durchbruchsversuche gegen unsere Westfront bisher meist lange vor dem
Beginn der eigentlichen Kämpfe erkannt. Fast regelmäßig waren wir
imstande, sogar die Flügelausdehnung der gegnerischen Angriffe
festzustellen. Die monatelange Tätigkeit der Feinde war den Späheraugen
unserer Erkundungsflieger nie entgangen. Aber auch unsere Erderkundung
hatte sich zu einem außerordentlich feinen Empfinden für jede Veränderung
auf gegnerischer Seite entwickelt. Der Gegner hatte offenbar bei seinen
Großkämpfen angesichts der scheinbaren Unmöglichkeit, die ausgedehnten
Vorbereitungsarbeiten und Truppenanhäufungen zu verbergen, auf
Überraschungsversuche absichtlich verzichtet. Trotz alledem glaubten wir,
auf Überraschung ein ganz besonderes Gewicht legen zu müssen. Dieses
Bestreben forderte natürlich in gewissem Grade einen Verzicht auf
eingehende technische Vorbereitungen. Wie weit hierin gegangen werden
durfte, mußte dem taktischen Gefühle unserer Unterführer und unserer
Truppen überlassen werden.

Unser Angriffskampf bedurfte aber nicht nur der materiellen Vorbereitung
sondern auch der taktischen Schulung. Wie ein Jahr vorher für die
Verteidigung, so wurden jetzt für den Angriff neue Grundsätze festgelegt
und in zusammenfassenden Vorschriften ausgegeben. Im Vertrauen auf den
Geist der Truppe wurde der Schwerpunkt des Angriffes in dünne
Schützenlinien gelegt, die durch massenhafte Verwendung von
Maschinengewehren, durch unmittelbare Begleitung von Feldartillerie und
Kampffliegern im hohen Grade feuerkräftig gemacht wurden. Solche dünne
Infanterielinien waren freilich nur dann angriffsfähig, wenn ein starker
Angriffswille sie durchdrang. Wir entsagten demnach völlig einer Taktik
von Gewalthaufen, bei der der einzelne im Schutze der Leiber seiner
Mitkämpfer den Angriffstrieb erhält, eine Taktik, wie wir sie von
gegnerischer Seite im Osten reichlichst kennen gelernt hatten, und wie sie
ab und zu auch im Westen gegen uns in die Erscheinung getreten war.

Wenn die gegnerische Presse im Jahre 1918 der Welt von deutschen
Massenstürmen berichtete, so bediente sie sich dieser Ausdrücke wohl in
erster Linie, um Sensationsbedürfnisse zu befriedigen, dann aber wohl
auch, um die Schlachtbilder für die Masse ihrer Leser anschaulicher und
die eingetretenen Ereignisse verständlicher zu machen. Woher hätten wir
allein schon die Menschen zu solch einer Massentaktik und zu solchen
Massenopfern nehmen sollen? Außerdem hatten wir genügende Erfahrung darin
gemacht, wie nutzlos meist die kostbaren Kräfte vor unseren Linien
hinsanken, wenn unsere Schnitter an der modernen Sense des Schlachtfeldes,
am Maschinengewehr, sich der blutigen Ernte um so erfolgreicher widmen
konnten, je dichter die Menschenhalme standen.

Diese Ausführungen, die sich mehr mit dem Geiste als der Technik unseres
Kampfverfahrens beschäftigen, dürften zur allgemeinen Kennzeichnung
unserer Angriffsgrundsätze genügen. Der deutsche Infanterist trug
natürlich auch jetzt die Last des Kampfes. Seine Schwesterwaffen hatten
aber die nicht weniger ruhm- und verlustreiche Aufgabe, dem braven
Musketier die Arbeit zu erleichtern.

Die Schwere des bevorstehenden großen Waffenganges im Westen wurde von uns
in ihrer ganzen Größe gewürdigt. Sie machte es uns zur
selbstverständlichen Pflicht, alle brauchbaren Kräfte für das blutige Werk
heranzuziehen, die wir irgendwie auf den übrigen Kriegsschauplätzen
entbehrlich machen konnten.

Der jetzige Stand und die weitere Entwicklung unserer politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse legte der Durchführung mancherlei
Schwierigkeiten in den Weg, die wiederholt mein persönliches Eingreifen
nötig machten. Ich möchte diese wichtige Frage im Zusammenhang darstellen
und beginne mit dem Osten:

Am 15. Dezember war an der russischen Front der Waffenstillstand
geschlossen worden. Angesichts der Zersetzung des russischen Heeres hatten
wir schon vorher mit der Abbeförderung eines großen Teiles unserer
Kampfverbände von dort begonnen. Ein Teil der operations- und kampffähigen
Divisionen mußte jedoch bis zur endgültigen politischen Abrechnung mit
Rußland und Rumänien zurückbleiben.

Unseren militärischen Wünschen würde es natürlich durchaus entsprochen
haben, wenn das Jahr 1918 im Osten mit Friedensglocken eingeläutet worden
wäre. Statt ihrer tönten aus dem Verhandlungsraum in Brest-Litowsk die
wildesten Agitationsreden umstürzlerischer Doktrinäre. Die breiten
Volksmassen aller Länder wurden von diesen politischen Hetzern aufgerufen,
die auf ihnen lastende Knechtschaft durch Aufrichtung einer Herrschaft des
Schreckens abzuschütteln. Der Friede auf Erden sollte durch Massenmord am
Bürgertum gesichert werden. Die russischen Unterhändler, allen voran
Trotzki, würdigten den Verhandlungstisch, an dem die Versöhnung mächtiger
Gegner sich vollziehen sollte, zum Rednerpult wüster Agitatoren herab.
Unter diesen Umständen war es kein Wunder, wenn die Friedensverhandlungen
keine Fortschritte machten. Nach meiner Auffassung trieben Lenin und
Trotzki aktive Politik nicht wie Unterlegene, sondern wie Sieger, indem
sie die politische Auflösung in unserem Rücken und in die Reihen unserer
Heere tragen wollten. Der Friede drohte unter solchen Verhältnissen
schlimmer zu werden als ein Waffenstillstand. Unsere Regierungsvertreter
gaben sich bei der Behandlung der Friedensfragen darüber doch wohl einem
falschen Optimismus hin. Die Oberste Heeresleitung darf für sich in
Anspruch nehmen, daß sie die Gefahren erkannte und vor ihnen warnte.

Die Schwierigkeiten, unter denen unsere deutsche Vertretung in
Brest-Litowsk litt, mochten noch so groß sein, ich hatte jedenfalls die
Pflicht, darauf zu dringen, daß mit Rücksicht auf unsere beabsichtigen
Operationen im Westen baldigst ein Friede im Osten erreicht würde. Die
Angelegenheit kam aber erst dann richtig in Fluß, als Trotzki am
10. Februar die Unterzeichnung eines Friedensvertrages verweigerte, im
übrigen jedoch den Kriegszustand als beendet erklärte. Ich konnte in
diesem, allen völkerrechtlichen Grundsätzen hohnsprechenden Verhalten
Trotzkis nur einen Versuch erblicken, die Lage im Osten dauernd in der
Schwebe zu halten. Ob bei diesem Versuche auch Einflüsse der Entente
wirksam waren, muß ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls war der
damalige Zustand in militärischer Beziehung unerträglich. Der
Reichskanzler Graf von Hertling schloß sich dieser Anschauung der Obersten
Heeresleitung an. Seine Majestät der Kaiser entschied am 13. Februar, daß
die Feindseligkeiten im Osten am 18. wieder aufzunehmen seien.

Die Durchführung der Operation traf fast nirgends mehr auf ernstlichen
feindlichen Widerstand. Die russische Regierung erkannte jetzt die ihr
drohende Gefahr. Am 3. März wurde in Brest-Litowsk der Friede zwischen dem
Vierbund und Großrußland unterzeichnet. Die russische militärische Macht
war damit auch rechtsgültig aus dem Kriege ausgeschieden. Große
Landesteile und Völkerstämme waren von dem bisherigen geschlossenen
russischen Körper abgesprengt, in dem eigentlichen Kernrußland ein tiefer
Riß zwischen Großrußland und der Ukraine entstanden. Die Abtrennung der
Randstaaten vom früheren Zarenreiche durch die Friedensbedingungen war für
mich in erster Linie ein militärischer Gewinn. Dadurch war ein, wenn ich
mich so ausdrücken darf, weites Vorfeld jenseits unserer Grenzen gegen
Rußland geschaffen. Vom politischen Standpunkt aus begrüßte ich die
Befreiung der baltischen Provinzen, weil anzunehmen war, daß von jetzt ab
das Deutschtum sich dort freier entwickeln und eine ausgedehnte deutsche
Besiedelung jener Gebiete eintreten konnte.

Ich brauche wohl nicht besonders zu versichern, daß die Verhandlungen mit
einer russischen Schreckensregierung meinen politischen Ansichten äußerst
wenig entsprachen. Wir waren aber gezwungen gewesen, zunächst einmal mit
den jetzt in Großrußland vorhandenen Machthabern zu einem abschließenden
Vertrag zu kommen. Im übrigen war ja zurzeit dort alles in größter Gärung,
und ich persönlich glaubte nicht an eine längere Dauer der Herrschaft des
damaligen Terrors.

Trotz des Friedensschlusses war es uns freilich auch jetzt nicht möglich,
alle unsere kampfbrauchbaren Truppen vom Osten abzubefördern. Wir konnten
die besetzten Gebiete nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Schon
allein das Ziehen einer Barriere zwischen den bolschewistischen Heeren und
den von uns befreiten Ländern forderte gebieterisch das Belassen stärkerer
deutscher Truppen im Osten. Auch waren unsere Operationen in der Ukraine
noch nicht abgeschlossen. Wir mußten in dieses Land einmarschieren, um in
die dortigen politischen Verhältnisse Ordnung zu bringen. Nur dann, wenn
dieses gelang, hatten wir Aussicht, aus dem ukrainischen Gebiete
Lebensmittel in erster Linie für Österreich-Ungarn, dann aber auch für
unsere Heimat, ferner Rohstoffe für unsere Kriegsindustrie und
Kriegsbedürfnisse für unser Heer zu gewinnen. Politische Gesichtspunkte
spielten bei diesen Unternehmungen für die Oberste Heeresleitung keine
Rolle.

Von einer wesentlich anderen Bedeutung war die militärische Unterstützung,
die wir im Frühjahr des Jahres Finnland in seinem Freiheitskriege gegen
die russische Gewaltherrschaft angedeihen ließen. Hatte doch die
bolschewistische Regierung die uns zugesagte Räumung des Landes nicht
durchgeführt. Wir hofften außerdem dadurch, daß wir Finnland auf unsere
Seite zogen, der Entente eine militärische Einwirkung auf die weitere
Entwicklung der Verhältnisse in Großrußland von Archangelsk und der
Murmanküste her aufs äußerste zu erschweren. Auch erreichten wir damit
gleichzeitig eine Drohstellung nahe an Petersburg, die für den Fall
wichtig wurde, daß das bolschewistische Rußland auf unsere Ostfront
erneute Angriffe versuchen sollte. Der geringe Kräfteaufwand, es handelte
sich hierfür um kaum eine Division, lohnte sich für uns jedenfalls
reichlichst. Die aufrichtige Zuneigung, die ich dem Freiheitskampfe des
finnischen Volkes entgegenbrachte, ließ sich meiner Ansicht nach durchaus
mit den Forderungen der militärischen Lage in Einklang bringen.

Die Kampftruppen, die wir gegen Rumänien stehen hatten, wurden
größtenteils frei, als sich die Regierung dieses Landes angesichts unseres
Friedensschlusses mit Rußland genötigt sah, auch ihrerseits zu einem
friedlichen Abschluß mit uns zu kommen. Der dann noch im Osten bleibende
Rest unserer fechtenden Truppen bildete für die Zukunft eine gewisse
Kraftquelle zur Ergänzung unseres Westheeres.

Die Heranziehung der deutschen Divisionen, die wir im Feldzug gegen
Italien eingesetzt hatten, konnte ohne weiteres schon im Verlauf des
Winters durchgeführt werden. Österreich-Ungarn mußte nach meiner Ansicht
durchaus imstande sein, die Lage in Oberitalien fortan allein zu
beherrschen.

Eine wichtige Frage war, ob wir nicht an Österreich-Ungarn mit dem
Ersuchen herantreten sollten, uns Teile seiner im Osten und in Italien
frei werdenden Kräfte zum kommenden Entscheidungskampf zur Verfügung zu
stellen. Auf Grund von Berichten glaubte ich indessen, daß diese Kräfte
sich in Italien besser verwerten ließen als bei unserem schweren Ringen im
Westen. Gelang es Österreich-Ungarn, durch eindrucksvolle Bedrohung des
Landes das gesamte italienische Heer, ja vielleicht auch die noch dort
befindlichen Teile der englischen und französischen Truppen zu binden oder
gar Kräfte derselben durch erfolgreich Angriffe von der Entscheidungsfront
abzuziehen, so war die Entlastung, die uns dadurch im Westen geschaffen
wurde, vielleicht größer, als ein Nutzen durch unmittelbare Unterstützung.
Wir beschränkten uns daher auf Heranziehung österreichisch-ungarischer
Artillerie. Für mich bestand übrigens kein Zweifel, daß General von Arz
ein Ersuchen unsererseits um größere österreichische Hilfe jederzeit und
mit allen seinen Kräften vertreten hätte.

Der österreichisch-ungarische Außenminister hat in dieser Zeit in einer
Rede darauf hingewiesen, daß die Kräfte der Donaumonarchie ebensowohl für
Straßburg wie für Triest eingesetzt würden. Diese bundesfreundliche
Äußerung fand meinen vollsten Beifall. Erst nachträglich wurde mir
bekannt, daß diese Worte des Grafen Czernin innerhalb nichtdeutscher
Kreise der Donaumonarchie heftige Widersprüche hervorgerufen hatten. Diese
politische Erregung übte sonach auf meine militärische Entscheidung über
die Größe der österreichisch-ungarischen Waffenhilfe auf unseren künftigen
Schlachtfeldern im Westen keinen Einfluß.

Es galt für mich als selbstverständlich, daß wir den Versuch machen
mußten, auch diejenigen unserer Kampftruppen für unsere Westoffensive frei
zu machen, die bisher in Bulgarien und der asiatischen Türkei verwendet
waren. Ich habe schon darauf hingewiesen, wie groß die politischen
Widerstände gegen einen derartigen Gedanken in Bulgarien waren. General
Jekoff war ein zu einsichtiger Soldat, um nicht die Richtigkeit unserer
Forderungen anzuerkennen; er hielt jedoch augenscheinlich die deutschen
Pickelhauben in Mazedonien für ebenso unentbehrlich wie sein König. Die
Zurückziehung der deutschen Truppen von der mazedonischen Front kam
infolgedessen nur recht allmählich in Fluß. Nur schwer entschloß sich
General Jekoff auf unser wiederholtes Drängen, sie durch die bulgarischen
Truppen aus der Dobrudscha abzulösen. Ernste Mitteilungen unserer
deutschen Kommandostellen an der mazedonischen Front über Stimmung und
Haltung der dortigen bulgarischen Truppen veranlaßten uns schließlich, den
Rest der deutschen Infanterie, drei Bataillone, und einen Teil der immer
noch zahlreichen deutschen Artillerie noch weiter dort zu belassen.

Ein ähnliches Ergebnis hatte unser gleiches Bemühen in der Türkei. Unser
Asienkorps war im Herbste 1917 mit den ursprünglich für den Feldzug nach
Bagdad bestimmten türkischen Divisionen nach Syrien befördert worden. Die
bedenkliche Lage an der dortigen Front zwang uns, bei Beginn des Jahres
1918 eine Verstärkung dieses Korps auf etwa das Doppelte durchzuführen.
Die meisten der hierfür bestimmten Truppen wurden unfern in Mazedonien
stehenden Verbänden entnommen. Bevor diese Verstärkungen ihren neuen
Bestimmungsort erreicht hatten, glaubten wir, eine wesentliche Besserung
in der Lage an der syrischen Front feststellen zu können, und traten daher
mit Enver Pascha wegen Zurückziehung aller dortigen deutschen Truppen in
Verbindung. Der Pascha gab sein Einverständnis. Dringende militärische und
politische Vorstellungen von seiten des deutschen Oberkommandos in Syrien
sowie von seiten der durch dieses Oberkommando beeinflußten deutschen
Reichsleitung veranlaßten uns indessen, von dem Abruf Abstand zu nehmen.

Zusammenfassend darf ich wohl behaupten, daß von unserer Seite nichts
unterlassen wurde, um möglichst alle unsere deutschen Kampfkräfte im
Westen zur Entscheidung zu versammeln. Wenn dies nicht bis auf den letzten
Mann gelang, so lag der Grund in Verhältnissen verschiedenster Art, in
keinem Falle aber in einer Verkennung der Wichtigkeit dieser Frage von
unserer Seite.

So war im Winter 1917/18 endlich das erreicht, was ich vor drei Jahren so
sehnsüchtig angestrebt hatte. Wir konnten uns mit freiem Rücken dem
Entscheidungskampf im Westen zuwenden, wir mußten jetzt zu diesem
Waffengang schreiten. Ein solcher würde uns vielleicht erspart geblieben
sein, wenn wir die Russen schon im Jahre 1915 endgültig geschlagen hätten.

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, wie viel schwerer jetzt, 1918,
die Aufgabe für uns geworden war. Noch immer stand Frankreich als
mächtiger Gegner auf dem Plan, mochte es gleich mehr geblutet haben als
wir selbst. Ihm zur Seite ein englisches mehrfaches Millionenheer, voll
gerüstet, wohl geschult und kriegsgewohnt. Ein neuer Gegner,
wirtschaftsgewaltig wie kein zweiter, alle Quellen der uns feindlichen
Kriegführung beherrschend, all unserer Feinde Hoffnung belebend und vor
dem Niederbruch stützend, gewaltige Truppenmassen bereitstellend, die
Vereinigten Staaten von Nordamerika, zeigte sich in drohender Nähe. Wird
dieser noch zur rechten Zeit kommen, um uns den Siegeslorbeer aus den
Händen zu reißen? Darin lag die kriegsentscheidende Frage, und nur darin!
Ich glaubte sie verneinen zu können!

Der Ausgang unserer großen Offensive im Westen hat die Frage aufwerfen
lassen, ob es für uns nicht rätlich gewesen wäre, auch im Jahre 1918 den
Krieg an der Westfront, unter Stützung der bisher dort verwendeten Armeen
mit starken Reserven, im wesentlichsten verteidigungsweise zu führen, alle
übrigen militärischen und politischen Anstrengungen aber darauf zu
vereinigen, im Osten geordnete staatliche und wirtschaftliche Verhältnisse
zu schaffen und unsere Bundesgenossen bei ihren Kriegsaufgaben zu
unterstützen. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß mich derartige Gedanken
nicht vor unseren Offensivplänen beschäftigt hatten. Ich wies sie nach
reiflichster Überlegung zurück. Gefühlsmomente spielten dabei keine Rolle.
Wie wäre ein Ende des Krieges bei solcher Führung abzusehen gewesen?
Selbst wenn ich am Ende 1917 noch keine Veranlassung zu haben glaubte, an
unserer deutschen Widerstandskraft über das kommende Jahr hinaus zu
zweifeln, so konnte ich über dem bedenklichen Zerfall dieser Kraft bei
unseren Bundesgenossen nicht im Unklaren sein. Wir mußten mit allen
Mitteln zu einem erfolgreichen Ende zu kommen trachten. Das war die mehr
oder minder laut ausgesprochene Forderung aller unserer Verbündeten. Man
kann dagegen nicht einwenden, daß auch unsere Gegner an den äußersten Rand
ihrer menschlichen und seelischen Leistungsfähigkeit herankamen. Sie
konnten, wenn wir sie nicht angriffen, den Krieg noch jahrelang hinziehen,
und wer unter ihnen nicht hätte mittun wollen, würde durch die anderen
einfach gezwungen worden sein. Ein allmählicher Erschöpfungstod war,
nachdem wir die Gegner nicht vor einen solchen stellen konnten, zweifellos
unser Los. Auch wenn ich das jetzige Unglück meines Vaterlandes vor Augen
habe, trage ich die felsenfeste Überzeugung, daß ihm das Bewußtsein, die
letzte Kraft an sein Dasein und seine Ehre gesetzt zu haben, mehr zu
seinem inneren Aufbau nützen wird, als wenn der Krieg in einem
allmählichen Ermatten bis zur Kraftlosigkeit geendet hätte. Dem Schicksal,
das es jetzt tragen muß, wäre es doch nicht entgangen, wohl aber würde ihm
der erhebende Gedanke an ein unvergleichliches Heldentum fehlen. Ich suche
nach einem Beispiel in der Geschichte, und da finde ich, daß der
Waffenruhm von Preußisch-Eylau, mochte er auch das Schicksal des alten
Preußens nicht mehr haben wenden können, doch wie ein Stern in der
lichtlosen Finsternis der Jahre 1807–1812 leuchtete. An seinem Glanze fand
so mancher Erbauung und Belehrung. Sollte das deutsche Herz jetzt anders
geworden sein? Mein preußisches schlägt in diesen Bahnen!



                             Spa und Avesnes


In Genehmigung unseres Antrages wurde auf Befehl Seiner Majestät des
Kaisers am 8. März das deutsche Große Hauptquartier nach Spa verlegt. Die
Änderung war durch die kommenden Operationen im Westen bedingt. Von dem
neuen Hauptquartier aus konnten wir die nunmehr wichtigsten Teile unserer
westlichen Heeresfront auf kürzerem Wege erreichen als von Kreuznach. Da
wir jedoch den kommenden Ereignissen in möglichst unmittelbarer Nähe
folgen wollten, so wählten wir außerdem Avesnes als eine Art von
vorgeschobener Befehlsstelle der Obersten Heeresleitung. Dort trafen wir
am 19. März mit dem größten Teil des Generalstabes ein und befanden uns
damit in dem Mittelpunkte der Heeresgruppen- und Armee-Oberkommandos, die
bei den bevorstehenden Entscheidungskämpfen die Hauptrolle zu spielen
hatten.

Das Bild der Stadt wird äußerlich beherrscht durch den mächtigen,
klotzigen Bau seiner alten Kirche. Teilweise verfallene oder nur in Teilen
noch vorhandene Befestigungsanlagen erinnern daran, daß Avesnes in
früheren Zeiten eine kriegsgeschichtliche Rolle gespielt hatte. So weit
mir erinnerlich, hatten sich 1815 Teile der preußischen Armee nach der
Schlacht von Belle Alliance in den Besitz der damaligen Festung gesetzt
und waren dann in Richtung auf Paris weitergezogen. Vom Kriege 1870/71 war
die Gegend nicht betroffen worden.

Die Stadt, ganz in grüne Umgebung gebettet, ist ein stiller Landort. Durch
unsere Anwesenheit erhielt sie ein nur wenig lebhafteres Gepräge. Ich
selbst befand mich dort nach 47 Jahren wieder für längere Zeit unter
französischer Bevölkerung. Die verschiedenen Straßentypen erschienen mir
gegen die Zeit von 1870/71 so unverändert, daß ich den zeitlichen
Zwischenraum vergessen konnte. So saßen auch jetzt noch, wie damals, die
Einwohner vor ihren Türen, die Männer meist still in Schauen vertieft, die
Frauen lebhaft, die Unterhaltung beherrschend, die Kinder auf dem
Ballplatz bei frohem Spiel und Gesang, wie mitten im tiefsten Frieden.
Glückliche Jugend!

Unser langes Verbleiben in Avesnes bestätigte mir im übrigen die
allgemeine Erfahrung, daß die französische Bevölkerung sich mit Würde in
das harte Schicksal fügte, das die lange Dauer des Krieges über sie
verhängt hatte. Wir waren nicht veranlaßt, irgendwelche besondern
Maßregeln für Aufrechterhaltung der Ordnung oder gar unsern Schutz zu
ergreifen, konnten uns vielmehr darauf beschränken, die Ruhe für unsere
Arbeit sicherzustellen.

Seine Majestät der Kaiser nahm in Avesnes nicht Unterkunft, sondern
verweilte während der Zeit der folgenden großen Ereignisse in seinem
Sonderzug. Dieser wurde je nach der Kriegslage verschoben. Der wochenlange
Aufenthalt in den engen Räumen des Zuges mag als Beweis für die
Anspruchslosigkeit unseres Kriegsherrn dienen. Er lebte in diesen Zeiten
völlig seinem Heer. Rücksichten auf bestehende Gefahren, etwa durch
feindliche Flieger, lagen außerhalb der Gedankenreihe des Kaisers.

Der Aufenthalt in Avesnes gab mir im Verlauf der nächsten Monate
Gelegenheit, häufiger als bisher mit unseren Heeresgruppen- und
Armeeführern sowie sonstigen höheren Stäben in persönliche Berührung zu
kommen. Ganz besonders begrüßte ich die Möglichkeit, Truppenoffiziere bei
mir zu sehen. Ihre Kriegserfahrungen und ihre sonstigen, meist mit
ergreifend schlichten Worten vorgetragenen Kriegserlebnisse waren für mich
nicht nur vom kriegerischen sondern auch vom allgemein menschlichen
Standpunkt aus von hohem Interesse.

Der gelegentlich ausgeführte Besuch bei dem masurischen Regiment, das
meinen Namen trug, bei dem Garderegiment, in dessen Reihen ich als junger
Offizier während zweier Kriege gestanden, bei der Oldenburger Infanterie,
die ich einst als Kommandeur befehligt hatte, war für mich eine ganz
besondere Freude. Freilich war von den Friedensstämmen nur noch wenig
übrig geblieben, aber im neuen Geschlechte fand ich den alten soldatischen
Geist. Die meisten Offiziere und Mannschaften sah ich zum ersten und viele
auch gleichzeitig zum letzten Male. Ehre ihrem Andenken!



                      Unsere drei Angriffsschlachten



                    Die „Große Schlacht“ in Frankreich


Noch vor unserer Abfahrt von Spa erließ Seine Majestät der Kaiser den
Befehl für die demnächstige große Angriffsschlacht. Ich führe diesen
Befehl in seinem wesentlichsten Inhalt wörtlich an, um weitläufige
Ausführungen über unsere Kampfabsichten entbehrlich zu machen. Zur
Erläuterung bemerke ich im voraus, daß die Vorarbeiten zu dieser großen
Schlacht mit dem Deckwort: „Michael“ bezeichnet worden waren, und daß
Angriffstag und Angriffsstunde erst eingefügt wurden, als sich der
Abschluß der Vorbereitungen einwandfrei übersehen ließ.

                                          Großes Hauptquartier, 10. 3. 18.

  „Seine Majestät befehlen:

  1. Der Michaelangriff findet am 21. 3. statt. Einbruch in die erste
  feindliche Stellung 940 vormittags.

  2. Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schnürt dabei als erstes großes
  taktisches Ziel den Engländer im Cambraibogen ab und gewinnt ... die
  Linie Croisilles (südöstlich Arras)-Bapaume-Peronne. Bei günstigem
  Fortschreiten des Angriffes des rechten Flügels (17. Armee) ist dieser
  über Croisilles weiter vorzutragen.

  Weitere Aufgabe der Heeresgruppe ist, in Richtung Arras-Albert
  vorzustoßen, mit linkem Flügel die Somme bei Peronne festzuhalten und
  mit Schwerpunkt auf dem rechten Flügel die englische Front auch vor der
  6. Armee ins Wanken zu bringen und weitere deutsche Kräfte aus dem
  Stellungskriege für den Vormarsch frei zu machen ...

  3. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz gewinnt zunächst südlich des
  Omigonbaches (dieser mündet südlich Peronne) die Somme und den
  Crosatkanal (westlich La Fère). Bei raschem Vorwärtskommen hat die
  18. Armee (rechter Flügel der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz) die
  Übergänge über die Somme und die Kanalübergänge zu erkämpfen ...“

Die Spannung, unter der wir am 18. März abends Spa verlassen hatten,
steigerte sich bei unserem Eintreffen auf der Befehlsstelle Avesnes. Das
bisher herrliche, klare Vorfrühlingswetter war umgeschlagen. Heftige
Regenböen zogen über das Land. Sie machten dem Spottnamen, mit dem Avesnes
und seine Umgebung von den Franzosen belegt war, alle Ehre. An sich
konnten wir uns Wolken und Regen an diesen Tagen wohl gefallen lassen. Sie
verschleierten vielleicht unsere letzten Angriffsvorbereitungen. Hatten
wir aber wirklich noch berechtigte Hoffnung, daß der Gegner in unsere
bisherigen Maßnahmen noch keinen Einblick gewonnen hatte? Die feindliche
Artillerie hatte sich in letzter Zeit ab und zu besonders aufmerksam und
lebhaft gezeigt. Das Feuer war indessen immer wieder abgeflaut. Da und
dort suchten feindliche Flieger während der Nacht im Scheine von
Leuchtkugeln einzelne unserer wichtigsten Vormarschstraßen ab und schossen
mit Maschinengewehren auf alle wahrgenommenen Bewegungen. Aber all das gab
noch keinen festen Anhalt für eine Antwort auf die Frage: „Kann unsere
Überraschung gelingen?“

Die Angriffsverstärkungen rückten in den letzten Nächten in ihre
Ausgangsstellungen zum Sturme; die letzten Minenwerfer und Batterien
wurden vorgezogen. Keine wesentliche Störung durch den Gegner! An
einzelnen Stellen unternahm man es, schwere Geschütze bis an die
Hindernisse vorzuschieben und sie dort in Geschoßtrichtern unterzubringen.
Man glaubte Überkühnes wagen zu sollen, um der stürmenden Infanterie die
artilleristische Unterstützung während ihres Durchbruches durch das ganze
feindliche Stellungssystem zu gewährleisten. Keine feindliche
Gegenmaßregel verhinderte auch diese Vorbereitungen.

Der größte Teil des 20. März verging in Sturm und Regen. Die Aussichten
auf den 21. waren unsicher, örtlicher Nebel wahrscheinlich. Trotzdem
entschieden wir uns am Mittag für den Beginn der Schlacht am Morgen des
folgenden Tages.

Die Frühdämmerung des 21. März fand das nördliche Frankreich von der Küste
bis zur Aisne unter einer Dunstschicht. Je höher die Sonne stieg, um so
dichter wurde der Nebel auf den Erdboden gedrückt. Er beschränkte
zeitweise den Blick bis auf wenige Meter Entfernung. Selbst die
Schallwellen schienen sich in den grauen Schwaden zu verzehren. In Avesnes
vernahm man nur fernes unbestimmtes Rollen von dem Schlachtfelde her, auf
dem seit den ersten Tagesstunden Tausende von Geschützen jeden Kalibers im
heftigsten Feuer standen.

Ungesehen und selbst nicht sehend arbeitete unsere Artillerie. Nur die
Gewissenhaftigkeit der Vorbereitungen konnte Gewähr geben für die Wirkung
unserer Batterien. Die Antwort des Gegners war örtlich und zeitlich von
wechselnder Stärke. Sie war mehr ein Herumtasten nach einem unbekannten
Gegner, als eine systematische Bekämpfung des lästigen Feindes.

Also auch jetzt noch keine Gewißheit, ob nicht der Engländer in voller
Abwehrbereitschaft unseren Angriff erwartete. Der Schleier, der über allem
lag, lichtete sich nicht. In ihn hinein stürmte gegen 10 Uhr vormittags
unsere brave Infanterie. Zunächst kamen von ihr nur unklare Meldungen,
Angaben über erreichte Ziele, Abänderungen dieser Nachrichten, Widerrufe.
Erst allmählich hob sich die Ungewißheit, und es ließ sich überblicken,
daß wir überall in die vordersten feindlichen Stellungen eingebrochen
waren. Gegen Mittag begann der Nebel zu schwinden, die Sonne zu siegen.

In den späten Abendstunden war ein Bild des Erreichten mit einiger
Klarheit zu erkennen. Die rechte Flügelarmee und die Mitte unserer
Schlachtfront waren im wesentlichen vor der zweiten feindlichen Stellung
zum Halten gekommen. Die linke Armee war über St. Quentin hinaus mächtig
vorwärts geschritten. Kein Zweifel, daß der rechte Flügel den stärksten
Widerstand vor sich hatte. Der Engländer spürte die ihm aus nördlicher
Richtung drohende Gefahr, er warf ihr alle seine verfügbaren Reserven
entgegen. Der linke Flügel dagegen hatte bei augenscheinlich weitgehender
Überraschung die verhältnismäßig leichteste Kampfarbeit gehabt. Der
Kräfteverbrauch war im Norden über unser Erwarten groß, sonst entsprach er
unseren Voraussetzungen.

Das Ergebnis des Tages schien mir befriedigend. In diesem Sinne sprachen
sich auch unsere vom Schlachtfeld zurückkehrenden Generalstabsoffiziere
aus, die den Truppen in den Kampf gefolgt waren. Doch konnte erst der
zweite Tag zeigen, ob nicht unser Angriff das Schicksal aller derjenigen
teilte, die der Gegner seit Jahren gegen uns geführt hatte, nämlich eine
Versumpfung des Vorwärtsschreitens nach dem ersten gelungenen Einbruch.

Der Abend dieses zweiten Tages sah unseren rechten Flügel im Besitz der
zweiten feindlichen Stellung. Unsere Mitte hatte auch die dritte
feindliche Widerstandslinie genommen, während die linke Armee im vollen
Siegeslauf schon jetzt meilenweit nach Westen vorgedrungen war. Hunderte
von feindlichen Geschützen, ungeheure Mengen Schießbedarfs und sonstige
Beute jeder Art lagen im Rücken unserer vordersten Linien. Lange
Gefangenenkolonnen marschierten nach Osten. Die Zertrümmerung der
englischen Besatzung im Cambraibogen konnte jedoch nicht mehr gelingen, da
unser rechter Flügel entgegen unseren Erwartungen nicht weit und rasch
genug vorwärts gekommen war.

Der dritte Kampftag veränderte nicht das bisherige Bild des
Schlachtenverlaufes: Schwerstes Ringen unseres rechten Flügels, wo
höchstgespannte englische Zähigkeit sich uns entgegenwirft und auch heute
noch die dritte Verteidigungslinie behauptet. Dafür weiterer großer
Geländegewinn in unserer Mitte und auch auf unserem linken Flügel. Südlich
Peronne wurde schon an diesem Tage die Somme erreicht, an einem Punkte
sogar überschritten.

An diesem Tage, dem 23. März, fallen die ersten Granaten in die feindliche
Hauptstadt.

Bei diesem glänzenden Fortschreiten unseres Angriffes in westlicher
Richtung, das alles in Schatten stellt, was seit Jahren auf der Westfront
geleistet worden war, erscheint mir unser Durchdringen bis nach Amiens
möglich. Amiens ist der große Vereinigungspunkt der wichtigsten
Bahnverbindungen zwischen dem durch die Somme scharf geschiedenen
Kriegsgebiet des mittleren und nördlichen Frankreichs, letzteres das
hauptsächliche Kampffeld Englands. Die Stadt ist also von größtem
strategischen Wert. Fällt sie in unsere Hand, oder gelingt es uns,
wenigstens Amiens und Umgebung unter unser kräftiges Artilleriefeuer zu
bringen, so ist das gegnerische Operationsfeld in zwei Teile gesprengt,
der taktische Durchbruch zum strategischen erweitert, England auf der
einen, Frankreich auf der anderen Seite. Vielleicht lassen sich die
verschiedenen politischen und strategischen Interessen beider Länder durch
solch einen Erfolg trennen. Bezeichnen wir diese Interessen durch die
beiden Namen „Calais“ und „Paris“. Darum vorwärts gegen Amiens!

Und in der Tat geht es auch weiter vorwärts mit Riesenschritten. Für
lebhafte Phantasien und heiße Wünsche freilich immer noch nicht rasch
genug. Muß man doch befürchten, daß auch der Gegner die ihm nunmehr
drohende Gefahr erkennt, und daß er alles versuchen wird, ihr zu begegnen.
Englische Reserven vom Nordflügel, französische Truppen aus ganz
Mittelfrankreich werden jedenfalls Amiens und dessen Umgebung zustreben.
Auch ist zu erwarten, daß die französische Führung sich unserem Vordrängen
von Süden her in die Flanke werfen wird.

Der Abend des vierten Schlachttages sieht Bapaume in unseren Händen.
Peronne und die Sommelinie südwärts liegt schon hinter unseren vordern
Divisionen. Wir haben das alte Schlachtfeld an der Somme wieder betreten;
für manchen unserer Soldaten reich an stolzen, wenn auch ernsten
Erinnerungen, für alle, die es zum ersten Male sahen, tiefergreifend durch
die Sprache, die auch jetzt noch aus den Millionen von Granattrichtern,
aus dem Gewirr halbverfallener und verwachsener Gräben, aus dem
majestätischen Schweigen über den verödeten Flächen und aus den Tausenden
von Gräbern an das menschliche Herz dringt.

Starke Frontteile der Engländer sind völlig geschlagen und weichen
ziemlich haltlos in Richtung auf Amiens zurück. Zunächst stockt aber nun
das Vorschreiten unserer rechten Flügelarmee. Um die Schlacht hier wieder
in Fluß zu bringen, greifen wir das Höhengelände ostwärts Arras mit neuen
Kräften an. Der Versuch gelingt indessen nur stellenweise. Das Unternehmen
wird abgebrochen. Inzwischen nimmt die Mitte unseres Angriffes Albert. Der
linke Flügel stößt am siebenten Schlachttage unter Deckung gegen
französische Angriffe aus südlicher Richtung über Roye bis Montdidier vor.

Die Entscheidung liegt also mehr als je in der Richtung auf Amiens.
Dorthin scheinen wir augenblicklich noch gut vorwärts zu kommen. Aber bald
wird auch hier der Widerstand zäher und zäher, die Bewegung langsamer und
langsamer. Die auf Amiens vorausgeflogenen Phantasien und Hoffnungen
müssen zurückgeholt werden. Die Tatsachen müssen so betrachtet werden, wie
sie sind. Menschliche Arbeit bleibt Stückwerk. Günstige Gelegenheiten
werden versäumt, nicht überall wird mit gleicher Tatkraft zugegriffen,
selbst da, wo ein glänzendes Ziel in Aussicht steht. Man möchte es jedem
einzelnen Soldaten zurufen: „Dringe vorwärts auf Amiens, gib den letzten
Rest deines Willens her! Vielleicht bedeutet Amiens den entscheidenden
Sieg. Nimm wenigstens noch Villers-Bretonneux, damit wir von den dortigen
Höhen mit Massen schwerer Artillerie Amiens beherrschen können!“
Vergebens, die Kräfte sind erlahmt.

Der Gegner erkennt klar, was er mit Villers-Bretonneux verlieren würde. Er
wirft der Stirnseite unseres Durchbruches alles entgegen, was er
heranbringen kann. Der Franzose erscheint und rettet mit seinen
Massenangriffen und seiner gefechtsgewandten Artillerie die Lage für den
Verbündeten und für sich selber.

Bei uns fordert die menschliche Natur zwingend ihr Recht. Wir müssen Atem
schöpfen. Die Infanterie braucht Ruhe, die Artillerie Munition. Ein Glück
war es, daß wir teilweise aus den reichen Vorräten des geschlagenen
Gegners leben konnten; wir hätten sonst die Somme wohl nicht überschreiten
können, denn die im breiten Trichterfeld der zuerst genommenen feindlichen
Stellungen verschütteten Straßen können erst durch tagelange Arbeit wieder
benutzbar gemacht werden. Noch aber geben wir die Hoffnung,
Villers-Bretonneux zu gewinnen, nicht völlig auf. Am 4. April versuchen
wir aufs neue, den Gegner von dort zu vertreiben. Verheißungsvoll lauten
an diesem Tage zuerst die Nachrichten über das Vorschreiten unseres
Angriffes. Der folgende 5. April aber bringt an diesem Punkte Rückschlag
und Enttäuschung.

Amiens bleibt in den Händen der Gegner und wird nur von unserem Fernfeuer
berührt, das die Verkehrsadern des Feindes zwar beunruhigen, aber nicht
unterbinden kann.

Die „Große Schlacht“ in Frankreich ist zu Ende!



                         Die Schlacht an der Lys


Unter den Schlachtentwürfen für den Beginn des Feldzugsjahres 1918 befand
sich auch eine Bearbeitung des Angriffes auf die englische Stellung in
Flandern. Bei dieser war von dem Gedanken ausgegangen, sich gegen den nach
Osten vorspringenden englischen Nordflügel beiderseits Armentières zu
wenden, um durch Vordringen in allgemeiner Richtung Hazebrouck den
Zusammenbruch herbeizuführen. Die Aussichten, die eine solche Operation im
Falle günstigen Vorschreitens bot, waren sehr verlockend, aber der
Durchführung des Angriffes standen sehr erhebliche Bedenken gegenüber.
Zunächst war es klar, daß wir es hier mit der stärksten englischen
Kampfgruppe zu tun bekamen. Diese, auf verhältnismäßig engem Raum
zusammengefaßt, war wohl in der Lage, unsern Ansturm nach kurzem
Vorschreiten zum Festrennen zu bringen. Wir begaben uns mit einer solchen
Unternehmung demnach gerade in die Gefahr, die wir vermeiden wollten. Dazu
kamen die Schwierigkeiten des Angriffsgeländes beiderseits Armentières. Da
waren zunächst die meilenbreiten Wiesengründe der Lys und dann dieser Fluß
selbst zu überwinden. Im Winter waren die Niederungen auf weite Strecken
überschwemmt, im Frühjahr oft wochenlang versumpft, ein wahrer Schrecken
für die Besatzung der dortigen Verteidigungsstellungen. Nördlich der Lys
stieg das Gelände allmählich an und erhob sich dann schärfer zu den
gewaltigen Höhenstellungen, die bei Kemmel und Cassel ihre mächtigsten
Eckpfeiler hatten.

Bevor die Lys-Niederung nicht einigermaßen gangbar war, ließ sich an die
Durchführung dieses Angriffes überhaupt nicht denken. Ein genügendes
Trockenwerden war bei gewöhnlichen Witterungsverhältnissen erst gegen
Mitte April mit einiger Sicherheit zu erwarten. Wir glaubten indessen den
Beginn des entscheidenden Ringens im Westen nicht so lange hinausschieben
zu können. Mußten wir doch ununterbrochen die Möglichkeit des Eingreifens
von Nordamerika im Auge behalten. Ungeachtet der gegen den Angriff
vorhandenen Bedenken ließen wir das Unternehmen wenigstens theoretisch
vorbereiten. An seine Verwirklichung war für den Fall gedacht, daß unsere
Operation bei St. Quentin die gegnerische Führung veranlassen würde,
starke Kräfte von der Gruppe in Flandern wegzuziehen, um sie unserem
Durchbruch entgegenzuwerfen.

Dieser Fall war Ende März eingetreten. Sobald sich nun übersehen ließ, daß
unser Angriff in Richtung nach Westen ins Stocken kommen mußte,
entschlossen wir uns daher, auf unsere Operation an der Lys-Front
zurückzugreifen. Eine Anfrage bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht
erhielt die Antwort: Der Angriff über die Lys-Niederung sei dank des
trockenen Vorfrühlingswetters schon jetzt möglich. Mit außerordentlicher
Tatkraft wurde nunmehr das Unternehmen von seiten der Armeeführungen und
Truppen gefördert.

Am 9. April, am Jahrestage der großen Krisis von Arras, erhoben sich aus
den verschlammten Stellungen an der Lys-Front von Armentières bis La
Bassée unsere sturmbereiten Truppen. Freilich nicht in breiten
Angriffswellen sondern meist in kleinen Abteilungen und in schmalsten
Kolonnen wateten sie durch einen von Granaten und Minen zerwühlten Morast,
zwischen tiefen, mit Wasser gefüllten Geschoßtrichtern oder auf den
wenigen einigermaßen festen Geländestreifen den feindlichen Linien
entgegen. Unter dem Feuerschutz unserer Artillerie und Minenwerfer gelang
trotz aller natürlichen und künstlichen Hindernisse das überraschende
Vorgehen, an das anscheinend weder die Engländer noch die zwischen ihnen
eingeschobenen Portugiesen geglaubt hatten. Die portugiesischen Truppen
verließen größtenteils in haltloser Flucht das Schlachtfeld und
verzichteten endgültig zugunsten ihrer Bundesgenossen auf die Kampfarbeit.
Unsere Ausnützung der Überraschung und des portugiesischen Versagens fand
freilich in dem Gelände die größten Schwierigkeiten; nur mit Mühe konnten
einzelne Geschütze und Munitionswagen hinter der Infanterie nach vorwärts
gebracht werden. Doch wurde die Lys am Abend erreicht, an einer Stelle
überschritten. Die Entscheidung lag also auch diesmal in dem Kampfverlauf
der nächstfolgenden Tage. Die Aussichten blieben zunächst günstig. Der
10. April sieht Estaires in unserer Hand; auch wird besonders in der
Gegend nordwestlich Armentières Gelände gewonnen. Am gleichen Tage wird
unser Angriff bis in die Gegend von Wytschaete ausgedehnt. Die
Trümmerstätten des wiederholt umstrittenen Messines werden von uns wieder
gestürmt.

Auch der nächste Tag bringt uns neue Erfolge und neue Hoffnungen.
Armentières wird vom Gegner geräumt, Merville von uns genommen. Wir nähern
uns von Süden her der ersten Stufe zu dem mächtigen Höhengelände, von dem
aus der Blick und die Artillerie des Gegners unsern Angriff beherrschten.
Die Fortschritte werden aber von jetzt ab immer geringer. Sie hören am
linken Flügel in westlicher Richtung bald ganz auf und ermatten bedenklich
in Richtung auf Hazebrouck. In der Mitte nehmen wir in den nächsten Tagen
noch Bailleul und setzen von Süden her den Fuß auf das Hügelgelände. Auch
Wytschaete fällt in unsere Hand. Damit erschöpft sich jedoch dieser erste
Schlag.

Wie Ketten hatten sich die Schwierigkeiten der Verbindungen durch die
Lys-Niederung an die Bewegungen unserer vom Süden her angreifenden Truppen
gelegt. Schießbedarf kommt in nur ungenügenden Mengen durch, und wir sind
nur dank der Beute auf dem bis jetzt eroberten Kampffelde in der Lage,
unsere Truppen ausreichend zu verpflegen.

In dem Ringen gegen die feindlichen Maschinengewehrnester blutet unsere
Infanterie außerordentlich, ihre Erschöpfung droht, wenn wir nicht eine
Zeitlang im Angriff innehalten. Andrerseits drängt die Lage zu einer
Entscheidung. Wir waren in eine jener Krisen geraten, in denen der Angriff
äußerst schwierig, die Verteidigung bedenklich wird. Nicht im Durchhalten,
nur im Vorwärtskommen konnte die Befreiung aus diesem Zustande liegen.

Wir müssen den Kemmelberg stürmen. Wie ein Klotz liegt dieser Berg seit
Jahren vor unseren Augen. Es ist damit zu rechnen, daß ihn der Gegner zum
Kernpunkt seiner flandrischen Stellung ausgebaut hat. Die Lichtbilder
unserer Flieger enthüllen wohl nur einen Teil der dort vorhandenen
Feinheiten der Verteidigungsanlagen. Wir hoffen aber, daß der äußere
Eindruck des Berges stärker ist als sein wirklicher taktischer Wert.
Solche Erfahrungen waren von uns ja schon an anderen Angriffsobjekten
gemacht worden. Kerntruppen, die am Roten-Turmpaß, bei den Kämpfen in den
transsylvanischen Bergen, im serbisch-albanischen Gebirge und in den
oberitalienischen Alpen ihren Willen gezeigt und ihre Kraft bewährt
hatten, dürften vielleicht auch hier das scheinbar Unmögliche möglich
machen.

Voraussetzung für das Gelingen unseres weiteren Angriffes in Flandern ist,
die französische Führung zu veranlassen, den englischen Bundesgenossen die
Last des dortigen Kampfes allein tragen zu lassen. Wir greifen daher
zunächst am 24. April erneut bei Villers-Bretonneux an, hoffend, daß der
französischen Kriegsleitung die Sorge um Amiens näherliegen würde als die
Hilfeleistung für den schwer bedrängten englischen Freund in Flandern.
Aber dieser unser neuer Angriff scheitert. Dagegen bricht am 25. April die
englische Verteidigung auf dem Kemmelberge auf den ersten Anhieb zusammen.
Der Verlust dieser Stütze erschüttert die ganze feindliche Flandernfront.
Der Gegner beginnt aus dem Ypernbogen zu weichen, den er in monatelangem
Ringen im Jahre 1917 ausgeweitet hatte. An die letzte flandrische Stadt
klammert er sich jedoch wie an ein Kleinod, das er aus politischen
Rücksichten nicht verlieren will. Doch nicht bei Ypern sondern von
Südosten her, in der Angriffsrichtung auf Cassel, liegt die Entscheidung
in Flandern. Gelingt es uns, in dieser Richtung vorzukommen, dann muß die
ganze englisch-belgische Flandernfront ins Rollen nach Westen kommen. Wie
vor einem Monat im Gedanken an Amiens, so erweitern sich auch diesmal die
Hoffnungen und eilen bis an die Küste des Kanals. Ich glaube zu fühlen,
wie ganz England mit verhaltenem Atem dem Fortgang der flandrischen
Schlacht folgt.

Nachdem das Riesenbollwerk, der Kemmelberg, gefallen ist, haben wir keinen
Grund, vor den Schwierigkeiten der weiteren Angriffe zurückzuweichen.
Freilich kommen Nachrichten über das Versagen einzelner unserer Truppen.
Auch werden wieder Fehler auf dem Schlachtfelde gemacht, Versäumnisse
begangen. Doch solche Fehler und Versäumnisse liegen in der menschlichen
Natur. Wer die wenigsten macht, wird Herr des Schlachtfeldes bleiben. Wir
waren bis jetzt die Herren und wollen es weiter sein. Erfolge, wie der am
Kemmel, reißen nicht nur die Truppe empor, die solches geleistet hat, sie
beleben ganze Armeen. Also weiter vor, zunächst wenigstens bis Cassel! Von
dort aus kann das Fernfeuer unserer schwersten Geschütze Boulogne und
Calais erreichen. Beide Städte sind vollgepfropft mit englischen
Kriegsvorräten, sie sind außerdem die hauptsächlichsten Ausschiffhäfen der
englischen Kriegsmacht. Diese englische Kriegsmacht hat bei dem Kampf am
Kemmelberge überraschend versagt. Gelingt es uns, hier mit ihr allein
abzurechnen, dann haben wir sicherlich Aussicht auf großen Erfolg. Trifft
keine französische Hilfe ein, so ist England in Flandern vielleicht
verloren. Doch diese Hilfe kommt wieder in Englands äußerster Not. Mit
verbissenem Zorne gegen den Freund, der den Kemmelberg preisgegeben hat,
versuchen die eintreffenden französischen Truppen, uns diesen Stützpunkt
zu entreißen. Vergeblich! Aber auch unsere letzten großen Anstürme gegen
die neuen französisch-englischen Stellungen dringen Ende April nicht mehr
durch.

Am 1. Mai gehen wir in Flandern zur Verteidigung über, oder, wie wir
damals hofften, zur einstweiligen Verteidigung.



                   Die Schlacht bei Soissons und Reims


Der von uns zur Erreichung unseres großen Zieles eingeschlagene Weg wurde
auch nach Beendigung der Kämpfe in Flandern eingehalten. Wir wollen auch
weiterhin „durch eng zusammenhängende Teilschläge das feindliche Gebäude
derartig erschüttern, daß es gelegentlich doch einmal zusammenbricht“. So
kennzeichnete eine damals verfaßte Niederschrift unsere Absichten. Zweimal
war England in äußerster Krisis durch Frankreich gerettet worden;
vielleicht gelang es uns beim dritten Male, einen endgültigen Sieg gegen
diesen Gegner zu erringen. Der Angriff auf den englischen Nordflügel blieb
auch weiterhin der leitende Gesichtspunkt für unsere Operationen. In der
glücklichen Durchführung dieses Angriffes lag nach meiner Ansicht die
Entscheidung des Krieges. Gelangten wir an die Küste des Kanals, so
berührten wir die Lebensadern Englands unmittelbar. Wir kamen nicht nur in
die denkbar günstigste Lage für Bekämpfung seiner Seeverbindungen, sondern
wir vermochten von dort aus mit unseren schwersten Geschützen sogar einen
Teil von Britanniens Südküste unter Feuer zu nehmen. Das geheimnisvolle
Wunder der Technik, das zur Zeit aus der Gegend von Laon seine Granaten
bis in die französische Hauptstadt schleudert, kann auch gegen England zur
Wirkung gebracht werden. Nur noch eine geringe Vergrößerung dieses Wunders
ist nötig, um das Herz des englischen Handels und Staates von der Küste
bei Calais aus unter Feuer zu nehmen. Ernste Aussichten für Großbritannien
damals, aber auch weiter für alle Zukunft! Man kann solche Wunder nach
Kruppschen Gedanken nunmehr überall bauen. Ob in ihnen Friedensgarantien
oder Kriegserreger gegeben sind, muß die Zukunft entscheiden. England hat
wohl in weitsichtigen Gedanken und feinem Empfinden für die ihm drohenden
Gefahren der Zukunft dies alles schon bedacht. Vielleicht hat auch
Frankreich im geheimen schon die Folgerungen daraus gezogen. Daß man über
solches Denken Schweigen bewahrt, ist zwischen Freunden
selbstverständlich; doch fühlt man wohl beiderseits die Waffe in der
Tasche des anderen.

Für uns handelte es sich im Mai 1918 zunächst darum, die beiden jetzigen
Freunde in Flandern wiederum zu trennen. England ist leichter zu schlagen,
wenn Frankreich fern steht. Stellen wir demnach die Franzosen vor eine
Krisis an ihrer Front, dann werden sie wohl die Divisionen wegziehen, die
zurzeit in Flandern in den englischen Linien verwendet sind. Möglichste
Eile ist notwendig, sonst entreißt uns der wieder gestärkte Gegner die
Vorhand. Ein gefahrvoller Einbruch in unsere nicht sehr starken
Verteidigungsfronten würde unsere Absichten empfindlich stören, ja
unmöglich machen.

Der Franzose ist am empfindlichsten in der Richtung auf Paris. Dort ist
die politische Atmosphäre gegenwärtig ziemlich stark geladen. Unsere
Granaten und Fliegerbomben haben sie zwar bisher nicht zur Entladung
gebracht, doch können wir hoffen, daß dies gelingt, wenn wir näher an die
Stadt heranrücken. In Richtung auf Soissons steht nach allem, was wir
wissen, die französische Verteidigung zahlenmäßig besonders schwach, doch
gerade hier im angriffsschwierigsten Gelände.

Als ich am Beginn des Jahres 1917 bei meiner ersten Anwesenheit in Laon
die Terrasse der Präfektur am Südteil der eigenartig aufgebauten
Felsenstadt betrat, lag die Gegend vor mir in der vollen Klarheit eines
herrlichen Vorfrühlingtages. Eingefaßt zwischen zwei Hügelrahmen im Westen
und Osten erstreckte sich das Landschaftsbild nach Süden, dort
abgeschlossen durch einen mächtigen Wall, den Chemin des Dames. Vor
103 Jahren hatten Preußen und Russen unter Blüchers Führung nach
kampfheißen Tagen südlich der Marne die Höhen des Chemin des Dames von
Süden her überschritten und sich nach dem mörderischen Gefechte bei
Craonne unmittelbar bei Laon zum Kampfe gegen den Korsen gestellt. Im
Ostgelände des steilen Laoner Felsens entschied sich in der Nacht vom 9.
auf den 10. März 1814 der Kampf zugunsten der Verbündeten.

An den Höhen des Chemin des Dames war die französische Frühjahrsoffensive
1917 abgeprallt. Wochenlang hatte man damals mit wechselndem Erfolg um die
dortige Stellung gerungen, dann war es still geworden. Im Oktober 1917
aber wurde der rechte Schulterpunkt dieser Stellung nordöstlich Soissons
vom Gegner gestürmt, und wir waren gezwungen, den Chemin des Dames zu
räumen und unsere Verteidigung hinter die Ailette zurückzulegen.

Über die Steilhänge des Chemin des Dames hinüber hatten unsere Truppen
nunmehr aufs neue anzugreifen. Fast noch mehr als bei den bisherigen
Angriffen hing das Gelingen dieses Unternehmens von der Überraschung ab.
War eine solche nicht möglich, dann scheiterte unser Angriff wohl schon an
den nördlichen Steilhängen des Höhenrückens. Die Überraschung gelang
jedoch vollständig.

Eine eigenartige Erklärung für diese Tatsache möchte ich hier anführen.
Ein Offizier, der bei den Vorbereitungen an der Ailette tätig gewesen war,
vertrat die Anschauung, daß der Lärm der quakenden Frösche in den
Flußarmen und feuchten Wiesengründen so stark gewesen sei, daß er selbst
das Geräusch unserer vorfahrenden Brückenwagen übertönte. Mag ein anderer
über diese Mitteilung denken, wie er will, ich möchte nur versichern, daß
ich den Erzähler vorher durch Wiedergabe von Erlebnissen aus meinem
Jägerleben nicht gereizt hatte! Eine andere mir mehr einleuchtende
Erklärung für das Gelingen der Verschleierung unseres Angriffs entstammt
dem Munde eines gefangenen feindlichen Offiziers. Zu diesem wurde am Tage
vor Beginn unseres Angriffes ein preußischer Unteroffizier gebracht, der
auf Erkundung gefangen war. Auf die Frage, ob er etwas über einen
deutschen Angriff sagen könnte, gab dieser folgende Auskunft:

  „In den frühesten Morgenstunden des 27. Mai wird ein mächtiges deutsches
  Artilleriefeuer losbrechen. Es dient aber nur Täuschungszwecken, denn
  der anschließende deutsche Infanterieangriff wird nur von wenigen
  Freiwilligenabteilungen ausgeführt werden. Die Moral der deutschen
  Truppen ist durch die furchtbaren Verluste bei St. Quentin und in
  Flandern so erschüttert, daß sich die Infanterie einem allgemeinen
  Angriffsbefehl offen widersetzt hat“.

Der Offizier gab offen zu, daß ihm diese Angaben den Eindruck voller
Glaubwürdigkeit gemacht hätten, und daß er deswegen am 27. Mai in voller
Ruhe den Verlauf der Dinge abwarten zu können glaubte. Vielleicht kommen
diese meine Erinnerungen dem braven deutschen Soldaten zur Kenntnis. Ich
drücke ihm in Gedanken die Hand und danke ihm im Namen des ganzen Heeres,
dem er einen so unschätzbaren Dienst erwies, und im Namen von vielen
Hunderten, ja vielleicht Tausenden braver Kameraden, deren Leben er durch
seine Geistesgegenwart erhalten hat. Die Täuschung des feindlichen
Offiziers hätte übrigens nicht so gelingen können, wenn nicht die
feindliche Propaganda durch die sinnlose Übertreibung unserer bisherigen
Verluste einen günstigen Boden für die Glaubwürdigkeit der Angaben des
preußischen Unteroffiziers vorbereitet hätte. So rächen sich hier und da
propagandistische Unwahrheiten und Übertreibungen.

Die Schlacht begann am 27. Mai. Sie nahm einen glänzenden Verlauf. Wir
hatten ursprünglich damit rechnen zu müssen geglaubt, daß unser Angriff an
der Linie der Aisne-Vesle zum Halten kommen würde, und wollten dann über
diese Abschnitte hinaus nicht weiter vordringen. Wir waren daher nicht
wenig überrascht, als wir schon am Nachmittage des ersten Schlachttages
die Meldung erhielten, daß die deutschen Schrapnellwolken bereits auf dem
Südufer der Aisne liegen, und daß unsere Infanterie dorthin noch am
gleichen Tage vorgehen wollte.

Die Mitte unseres vollen taktischen Durchbruches erreichte in wenigen
Tagen die Marne von Château-Thierry bis Dormans. Unsere Flügel schwenkten
nach Westen gegen Villers-Cotterêts und nach Osten gegen Reims und das
Höhengelände südlich dieser Stadt ein. Die Beute war ungeheuer, das ganze
Aufmarschgebiet der französischen Frühjahrsoffensive von 1917 mit seinen
noch vorhandenen reichen Vorräten aller Art war in unserem Besitz. Die
Anlage neuer Straßen, Lagerbauten für viele Tausende von Mannschaften und
anderes legten Zeugnis davon ab, in welch großzügiger Weise der Franzose
damals seine Angriffe in mehrmonatiger Arbeit vorbereitet hatte. Wir
hatten die Sache kürzer gemacht!

In diesen Tagen sah ich gelegentlich eines Besuches der Schlachtfelder
Laon wieder. Wie hatte sich in der Zeit seit Winter 1917 der damals fast
friedliche Charakter des dortigen Lebens gewandelt. Wenige Tage, nachdem
unsere größten Geschütze aus den Waldungen bei Crépy, westlich Laon, das
Feuer gegen Paris eröffnet hatten, begannen nämlich feindliche Batterien
aus dem Tale der Aisne das Feuer gegen die unglückliche Stadt. Ich möchte
damit nicht behaupten, daß die Gegner gegen das eigene Fleisch und Blut
wüteten ohne verständlichen militärischen Zweck. Sie nahmen wohl an, daß
die Munitionszufuhr zu unseren Paris so lästigen Batterien über Laon gehen
würde, ein begreiflicher Irrtum. Bei dem Feuer auf den Bahnhof fiel eine
große Anzahl schwerer Geschosse in die noch dicht bevölkerte Stadt, auch
warfen nunmehr feindliche Flieger zu jeder Tageszeit Bomben dort nieder.
Wer von den hart heimgesuchten Einwohnern sich von der mit Vernichtung
bedrohten Heimstätte nicht losreißen konnte, mußte in Kellern oder
Erdräumen leben, ein Bild unsagbaren Massenelends, wie wir es freilich aus
ähnlichen Gründen auch an anderen Stellen hinter unseren westlichen
Verteidigungsfronten mit ansehen mußten, ohne etwas daran ändern zu
können. Am ersten Angriffstage waren die feindlichen Fernfeuergeschütze am
Aisne-Tal erobert worden, und damit hatte die Beschießung Laons ein Ende
genommen. Ein Zugehöriger dieser Batterien wurde gefangen durch die Stadt
geführt. Hier stellte er die Bitte, die beschossenen Häuserviertel
besuchen zu dürfen, da ihn die Lage der Schüsse seiner Geschütze
interessiere. Welch überraschender Tiefstand eines durch den Krieg
versteinerten Herzens!

Der Krieg wirkte freilich nicht immer derartig; auch bei unseren Gegnern
fanden sich weiche Herzen nach hartem Männerkampfe. Von den mir erzählten
Beispielen möchte ich nur eines verzeichnen: Es war am 21. März in dem
noch immer mit schwerem englischen Feuer belegten St. Quentin. Dort stauen
sich in den zerschossenen Straßen deutsche Kolonnen. Feindliche Gefangene,
aus dem Kampfe kommend und Verwundete tragend, werden zum Halten
gezwungen. Sie legen ihre Bürde nieder. Da hebt ein schwer verwundeter
deutscher Soldat, dem Tode näher als dem Leben, den ermattenden Arm
suchend und stöhnt zu dem sich niederbeugenden Träger: „Mutter, Mutter.“
Das englische Ohr versteht den deutschen Laut. Der Tommy kniet nieder an
der Seite des Grenadiers, streichelt die erkaltende Hand und sagt:
„_Mother, yes, mother is here!_“

Auch ich selbst sah auf diesen Schlachtfeldern Bilder tiefen menschlichen
Fühlens. So wanderte ich Ende Mai an der Seite eines deutschen Generals
über die kurz vorher erstürmten Höhen westlich Craonne. Bei jedem der noch
nicht bestatteten gegnerischen Gefallenen bückt er sich und bedeckt das
noch entblößte Gesicht, eine Huldigung an die Majestät des Todes. Er sorgt
aber auch für lebende Feinde, labt aus eigenen Mitteln einige aus Schwäche
zurückgebliebene Verwundete und veranlaßt ihren bequemen Transport. Auch
schon früher hatte ich Gelegenheit, in das wahre Menschentum dieses
Deutschen zu blicken. In den Märztagen des Jahres fahre ich in der Gegend
von St. Quentin an seiner Seite an Kolonnen gegnerischer Gefangener
entlang, die sein ernstes Auge in tiefen Gedanken betrachtet. An der
Spitze einer dieser Kolonnen läßt er Halt machen und spricht den dort
vereinigten feindlichen Offizieren die Anerkennung für die tapfere Haltung
ihrer Truppen aus, sie mit dem Hinweis tröstend, daß das härteste Los, das
der Gefangenenschaft, oft den trifft, der am tapfersten ausgeharrt hat.
Die Wirkung dieser Worte scheint groß. Am größten bei einem jungen
hochgewachsenen Offizier, der augenscheinlich schwer berührt bisher den
Kopf wie aus Scham zu Boden senkte. Jetzt erhebt sich die schlanke
Gestalt, wie die junge Tanne vom Schneedruck befreit, und ihr dankbarer
Blick trifft das Auge – meines Kaisers.

Zur Erweiterung unserer Erfolge hatten wir noch während der Kämpfe in dem
bis zur Marne aufspringenden Bogen den rechten Flügel unseres Angriffes
nach Westen hin bis zur Oise ausgedehnt. Der Angriff gelang nur
unvollständig. Ein Angriff, den wir aus der Linie Montdidier-Noyon am
9. Juni in Richtung Compiègne führten, drang nur bis halbwegs dieser Stadt
vor. Auch unsere Versuche in der Richtung auf Villers-Cotterêts gelangten
zu keinem größeren Ergebnis. Wir mußten uns davon überzeugen, daß wir in
der Gegend von Compiègne-Villers-Cotterêts die Hauptkräfte des feindlichen
Widerstandes vor uns hatten, den zu brechen wir die Kräfte nicht besaßen.

Zusammenfassend möchte ich meine Bemerkungen über die Schlacht von
Soissons-Reims damit schließen, daß uns die Kämpfe viel weiter geführt
hatten, als es ursprünglich beabsichtigt war. Auch hier hatten sich aus
unerwarteten Erfolgen neue Hoffnungen und neue Ziele ergeben. Daß diese
schließlich nicht voll erreicht wurden, lag in der allmählichen
Erschöpfung der eingesetzten Kräfte begründet. Unseren allgemeinen
Absichten entsprach es jedoch nicht, noch mehr Divisionen für die
Operation in der Marnegegend einzusetzen. Unsere Blicke richteten sich
ununterbrochen nach Flandern.



                  Rückblick und Ausblick Ende Juni 1918


Das von uns in den drei großen Schlachten Erreichte stellte vom
kriegerischen Gesichtspunkte aus alles in den Schatten, was seit dem
Herbste 1914 im Westen im Angriffskampfe geleistet worden war. Aus dem
Geländegewinn, den Beutezahlen, den schweren blutigen Verlusten des
Gegners sprach mit aller Deutlichkeit die Größe der deutschen Erfolge. Wir
hatten das Gefüge des feindlichen Widerstandes bis in seine Grundfesten
erschüttert. Unsere Truppen hatten sich den großen Anforderungen, die wir
an sie stellten, voll gewachsen gezeigt. In den wochenlangen
Angriffskämpfen hatte der deutsche Soldat bewiesen, daß der alte Geist
durch die jahrelangen Verteidigungskämpfe nicht erstickt war, sondern sich
unter dem Worte „Vorwärts“ bis zu der Höhe des seelischen Schwunges des
Jahres 1914 emporgehoben hatte. Der Sturmdrang unserer Infanterie hatte
seine Wirkung auf den Gegner nicht verfehlt: „_What an admirable and
gallant infanterie you have_“, so sprach ein feindlicher Offizier sich
gegenüber einem meiner Generalstabsoffiziere aus. Im engsten Anschluß an
diese Infanterie hatten ihre Schwesterwaffen in allen Gefechtslagen in
vorderster Linie gestanden. Ein mächtiger Einheitszug war durch das Ganze
hindurch gegangen, durchgreifend bis zum letzten Mann am hintersten
Munitionswagen. Wie hatten sie alle vorwärts gestrebt, um teilzuhaben,
mitzuwirken und mitzufühlen an dem großen Geschehen! Wie oft löste sich da
ein freudiger Jubel, ein erhebendes Singen, ein lautes dankbares Gebet.
Auch ich hatte auf den Schlachtfeldern von jenem Geiste wieder genossen,
der mich wie ein Herüberwehen aus meiner längst vergangenen militärischen
Jugendzeit anmutete. Ein Menschenalter lag dazwischen, aber das
Menschenherz, der deutsche Soldatengeist war unverändert geblieben. So
hatten unsere braven Jungens im alten blauen Rock in den Biwaks von
Königgrätz und Sedan gesprochen und gesungen, wie die Feldgrauen jetzt
wieder sprachen und sangen in den großen Kämpfen um Dasein und Vaterland,
für Kaiser und Reich.

Aber all das, was geleistet worden war, hatte bisher nicht ausgereicht,
den Gegner militärisch und politisch in das Lebensmark zu treffen. Auf der
gegnerischen Seite zeigte sich keine Spur von Nachgiebigkeit. Nach außen
hin schien im Gegenteil jede militärische Niederlage den
Vernichtungswillen des Feindes nur noch zu verstärken. Dieser Eindruck
wurde auch nicht dadurch abgeschwächt, daß ab und zu im gegnerischen Lager
Stimmen zur Mäßigung rieten. Der diktatorische Druck der uns feindlichen
Staatsgebäude war im großen und ganzen nirgends gelockert. Wie mit
eisernen Klammern hielt er den Willen und die Kraft der Völker zusammen
und machte in mehr oder minder ausgesprochen gewaltsamer Form alle
diejenigen unschädlich, die in andrer Richtung zu denken wagten, als die
jetzigen tyrannischen Machthaber. In dem Wirken dieser Gewalten lag für
mich etwas sehr Eindrucksvolles. Sie stützten ihre eigenen Hoffnungen und
verwiesen ihre Völker in erster Linie auf das allmähliche Ermatten unserer
Kraft. Diese mußte sich nach ihrer Anschauung allmählich verbrauchen. Der
Hunger in der deutschen Heimat, der Kampf an der Front, das Gift der
Propaganda, Bestechungsgelder, Flugschriften, innere staatliche Kämpfe
hatten uns bisher nicht zu Fall zu bringen vermocht. Jetzt wurde ein neuer
Faktor wirksam: die amerikanische Hilfe. Wir hatten ihre ersten
kampfgeschulten Truppen bei Château-Thierry kennen gelernt. Sie traten uns
dort entgegen, noch ungelenk aber von kräftigem Willen geführt. Sie
wirkten auf unsere schwachen Verbände überraschend durch ihre zahlenmäßige
Überlegenheit.

Mit dem Eingreifen der Amerikaner auf dem Schlachtfelde waren die so lange
gehegten französischen und englischen Hoffnungen endlich erfüllt. War es
da ein Wunder, wenn die feindlichen Staatsmänner jetzt weniger als je an
einen friedlichen Ausgleich mit uns dachten? Die Vernichtung unseres
staatlichen und wirtschaftlichen Daseins war von ihrer Seite seit langem
beschlossen, mochten sie diese Absicht auch hinter fadenscheinigen, milden
und sophistischen Redensarten verbergen wollen. Sie wandten solche Phrasen
nur an, wenn diese ihren propagandistischen Zwecken entsprachen, sei es,
um ihren eigenen Völkern die auferlegte Blutsteuer erträglich erscheinen
zu lassen, sei es, um die Kampflust unseres Volkes zu zermürben. So war
ein Ende des Krieges für uns nicht abzusehen.

Mitte des Monats Juni hatte die allgemeine militärische Lage für den
Vierbund eine wesentliche Verschlechterung erfahren: Nach
erfolgverheißenden Anfängen war der Angriff Österreich-Ungarns in Italien
gescheitert. Wenn auch unser dortiger Gegner nicht die Kraft besaß, aus
dem Mißlingen des österreichisch-ungarischen Unternehmens größeren Vorteil
zu ziehen, so war doch das Scheitern des Angriffs von Folgen begleitet,
die schlimmer waren, als sie aus einem Unterlassen des Angriffs hätten
entstehen können. Das Mißgeschick unseres Bundesgenossen war ein Unglück
auch für uns. Der Gegner wußte so gut wie wir, daß Österreich-Ungarn mit
diesem Angriff seine letzten Gewichte in die Wagschale des Krieges
geworfen hatte. Von jetzt ab hörte die Donaumonarchie auf, eine Gefahr für
Italien zu bedeuten. Ich glaubte, damit rechnen zu müssen, daß Italien
sich nunmehr dem Drängen seiner Verbündeten nicht mehr entziehen könnte
und auch seinerseits Kräfte auf den alles entscheidenden westlichen
Kriegsschauplatz werfen würde, nicht nur, um die feindliche politische
Einheitsfront zu beweisen, sondern auch um bei den weiteren Kämpfen eine
wirkungsvolle Rolle zu spielen. Sollte nicht auch diese neue Last auf
unsere Schultern allein fallen, so mußten wir österreichisch-ungarische
Divisionen an unsere Westfront heranzuholen versuchen. Das war der für uns
maßgebende Grund für das Ersuchen um nunmehrige unmittelbare
österreichisch-ungarische Unterstützung. Große Wirkung konnten wir uns von
dieser Unterstützung allerdings zunächst nicht versprechen. Die
Entscheidung über die Geschicke des gesamten Vierbundes hing jetzt mehr
als je ab von Deutschlands Kraft.

Die Frage war also, ob diese noch ausreichen würde, um ein siegreiches
Ende des Krieges zu erzwingen. Ich habe weiter oben von den glänzenden
Leistungen unserer Truppen gesprochen; zur Beantwortung dieser Frage wende
ich mich jetzt zu anderen, ernsteren Seiten:

Bei aller Liebe und Anerkennung für unsere Soldaten durften wir doch die
Augen vor den sich im Laufe des langen Krieges ergebenden Mängeln in dem
Gefüge unserer Armee nicht verschließen. Das Fehlen einer genügenden Zahl
langgeschulter Führer der unteren Dienstgrade hatte sich bei unsern großen
Angriffsschlachten sehr fühlbar gemacht. Die Gefechtsdisziplin war ab und
zu bedenklich gelockert. Es war an sich verständlich, daß der Soldat sich
inmitten der erbeuteten reichen Bestände gegnerischer Depots dem Genusse
lang entbehrter Lebens- und Genußmittel hingab. Aber es hätte verhindert
werden müssen, daß er sich auf diese Genüsse zur Unzeit stürzte und dabei
seine augenblickliche Pflicht vernachlässigte. Ganz abgesehen von den
auflösenden Wirkungen derartigen Verhaltens auf den Geist der Truppe trat
auch die Gefahr ein, daß uns günstige Gefechtslagen ungenutzt verstrichen
und sich wiederholt in das Gegenteil verwandelten.

Die Kämpfe hatten weitere schwere, unausfüllbare Lücken in unsere Truppen
gerissen. So manche Infanterie-Regimenter bedurften eines völlig neuen
Aufbaues. Die Bausteine hierfür waren dem alten Material moralisch meist
nicht mehr gleichwertig. Die Schwächen der heimatlichen Verhältnisse
spiegelten sich vielfach in den Stimmungen wieder, die den ins Feld
nachkommenden Ersatz durchdrangen.

Unter dem Einfluß unserer kriegerischen Erfolge hatte sich zwar die
Stimmung der Heimat in weiten Kreisen mächtig gehoben. Man folgte den
Nachrichten aus dem Felde mit größter Spannung und hoffte auf ein
baldiges, glückliches Ende des schweren Ringens. Hunger, Opfer, Sorge
schienen nicht umsonst gewesen zu sein, und manches wurde vergessen,
manches wurde auch weiter mannhaft ertragen, wenn nur ein glücklicher
Schluß des ungeheuern Duldens in greifbare Nähe gerückt blieb. So
bewirkten die Erfolge des Heeres vieles, was die politische Führung
versäumte. Aber das vaterlandslose Empfinden einzelner Teile des deutschen
Volkes, die von durch Eigennutz und Selbstsucht entarteten politischen
Ideenrichtungen durchtränkt waren, die bei ihrer Nervenzerrüttung und
sittlichen Verderbnis im Siege des Gegners das Glück und den Frieden des
Vaterlandes sahen, und die das Gute ausschließlich im feindlichen Lager,
das Böse ebenso ausschließlich im eigenen Lande suchten und zu finden
glaubten, bildete den Ausstrahlungspunkt für die Zersetzung, die unsern
ganzen Volkskörper verderben wollte. Wahrlich, Trotzki schien in
Brest-Litowsk nicht in den Wind gesprochen zu haben. Seine politischen
Irrlehren drangen über unsere Grenzpfähle und fanden zahlreiche Anbeter in
allen Berufsklassen und aus den verschiedensten Beweggründen. Die
feindliche Propaganda setzte ihre Einwirkung offen und im geheimen fort.
Sie warf sich mit wechselnder Stärke auf alle Gebiete unseres Lebens.

So drohte das Schwinden der Widerstandskraft in unserm Volk und Heer sich
mit dem Vernichtungswillen des Gegners zu unserm Verderben zu verbinden.
Kriegerische Erfolge schienen allein einen Ausweg aus dieser schweren Lage
geben zu können. Mit ihrer Hilfe zu einem glücklichen Ende zu kommen, war
nicht nur mein bestimmter Wille, sondern auch meine sichere Hoffnung.
Vorbedingung für solche Erfolge war, daß wir die Vorhand nicht verloren,
das heißt im Angriff blieben. Wir gerieten sofort unter den Hammer, wenn
wir ihn selbst aus der Hand gaben.

Wir konnten uns durchkämpfen, wenn nur die Heimat uns weiter die
körperlichen und sittlichen Kräfte gab, über die sie noch verfügte, wenn
sie nicht den Mut und den Glauben an unsern Endsieg verlor, und wenn die
Bundesgenossen nicht versagten.

In diesen Gedanken und Empfindungen trat ich an die Fortführung unseres
bisherigen Gesamtplanes heran.



                          Im Angriff gescheitert



                     Der Plan zur Schlacht bei Reims


Die Lage im Marnebogen nach dem Abschluß der Junikämpfe machte den
Eindruck eines unvollendeten, nicht abgeschlossenen Werkes. So wie wir von
Mitte Juni ab in diesem Bogen standen, konnten wir auf die Dauer nicht
stehen bleiben. Die Zufuhrverhältnisse in den gewaltigen Halbkreis hinein
waren mangelhaft. Sie genügten knapp für den Zustand verhältnismäßiger
Kampfruhe, drohten aber für den Fall eines ausbrechenden, länger dauernden
Großkampfes bedenklich zu werden. Wir hatten nur eine, noch dazu wenig
leistungsfähige Bahnlinie als hauptsächlichste Zufuhrstraße für unsere
großen Truppenmassen auf dem im Verhältnis zu deren Stärke engen Raum zur
Verfügung. Dazu kam, daß der vorspringende Bogen den Gegner geradezu zu
allseitigen Angriffen reizen mußte.

Die gründliche Besserung der Versorgungsverhältnisse sowie der taktischen
Lage war nur möglich, wenn wir Reims in unseren Besitz brachten. Die
Wegnahme dieser Stadt war im Zusammenhang mit den Mai-Junikämpfen nicht
gelungen. Wir hatten damals unser Schwergewicht hauptsächlich in westliche
Richtung verlegt. Der Gewinn von Reims mußte jetzt Aufgabe einer
besonderen Operation werden. Die dadurch notwendige Schlacht fügte sich
aber auch in den Rahmen unserer gesamten Pläne ein.

An früherer Stelle habe ich schon betont, daß es nach Abbruch der
Lys-Schlacht unser Ziel blieb, dem Engländer in Flandern nochmals einen
entscheidenden Schlag zu versetzen. Unser Angriff bei Soissons hatte
diesem Gedanken gedient, indem wir dadurch die gegnerische Oberste Führung
veranlassen wollten, den Engländern in Flandern die französischen Stützen
wieder zu entziehen.

Die Vorbereitungen für die neue Flandernschlacht waren in der Zwischenzeit
fortgesetzt worden. Während der Arbeiten an den zukünftigen
Angriffsfronten lagen unsere für die Durchführung bestimmten Divisionen in
Belgien und im nördlichen Frankreich zur Erholung und Ausbildung in
Unterkunft.

Ich befürchtete von englischer Seite einstweilen keine angriffsweisen
Gegenmaßregeln. Hatte auch der größte Teil des englischen Heeres nunmehr
seit Monaten Gelegenheit zur Wiederherstellung seiner schwer erschütterten
Kampfbrauchbarkeit gehabt, so schien es doch angesichts unserer drohenden
Stellung in Flandern nicht wahrscheinlich, daß der Engländer zum Angriff
übergehen würde.

Auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen hoffte ich, daß wir mit den
englischen Hauptkräften in Flandern fertig werden würden, wenn es uns nur
gelang, den Franzosen von dem dortigen Schlachtfeld dauernd fernzuhalten.
Die Erneuerung unserer Angriffe bei Reims sollte also auch jetzt unserem
größeren und weiteren Zwecke, nämlich dem entscheidenden Kampf gegen die
Masse des englischen Heeres, dienen.

Die Lage an der französischen Front zeigte Anfang Juli ungefähr folgendes
Bild: die Hauptmasse der Reserven des Generals Foch stand in der Gegend
Compiègne-Villers-Cotterêts. Sie befanden sich dort in einer strategisch
sehr günstigen Aufstellung. Sie waren einerseits bereit, einer Fortsetzung
unserer Angriffe in Richtung auf die beiden eben genannten Städte
entgegenzutreten, und konnten andrerseits dank der außerordentlich
günstigen Bahnverbindungen von ihrem jetzigen Aufstellungsraume rasch an
jeden Teil der französischen und englischen Front verschoben werden. Der
Übergang Fochs zu einer großen Offensive schien mir vor dem Eintreffen
starker amerikanischer Kräfte wenig wahrscheinlich, es sei denn, daß Foch
zu einer solchen Offensive durch besonders günstige oder zwingende
Verhältnisse veranlaßt wurde.

Südlich der Marne standen anscheinend keine sehr starken feindlichen
Kräfte. Bei Reims und im Berggelände südlich davon befand sich dagegen
zweifellos eine große gegnerische Kampfgruppe, die, abgesehen von
Franzosen, auch aus Engländern und Italienern gebildet war. An den übrigen
französischen Fronten hatten sich die Verhältnisse im Vergleich mit der
Zeit unserer Frühjahrsangriffe nicht wesentlich verändert. Mit dem
ständigen Wechsel zwischen Stellungstruppen und verbrauchten
Kampfdivisionen änderte sich die Gesamtlage an diesen Fronten nicht
wesentlich.

Über das Eintreffen der amerikanischen Hilfe war eine erschöpfende
Klarheit nicht gewonnen. Offenkundig aber war, daß die amerikanischen
Massen sich nunmehr ununterbrochen nach Frankreich ergossen. Unsere
Unterseeboote waren nicht imstande, diese Bewegungen zu verhindern oder
abzuschwächen, ebenso wenig wie ihre bisherige Wirkung ausgereicht hatte,
den gegnerischen Schiffsraum derartig zu verringern, daß ein solcher
Massentransport überhaupt nicht in Frage gekommen wäre. Die Gegner
stellten nunmehr angesichts der unbedingten Notwendigkeit einer raschen
und umfassenden militärischen Hilfe für Frankreich und England alle
Rücksichten auf Lebensmittelversorgung und Wirtschaftsbedürfnisse ihrer
Länder zurück. Wir mußten uns mit dieser Tatsache abzufinden suchen.

Brachten wir den beabsichtigten Angriff bei Reims in engen operativen
Zusammenhang mit unsern Plänen in Flandern, so blieb die Frage zu
entscheiden, welche Ausdehnungen wir den Kämpfen bei Reims geben wollten
und mußten. Wir hatten ursprünglich die Absicht, uns mit der Wegnahme der
Stadt zu begnügen. Über den Besitz von Reims entschied die Beherrschung
des Hügelgeländes zwischen Epernay und Reims. In der Wegnahme dieses
Hügellandes lag somit das Schwergewicht unseres Angriffes. Zur
Erleichterung unseres dortigen Vorgehens, das heißt zur Ausschaltung einer
etwaigen flankierenden Wirkung des Gegners vom südlichen Marneufer her,
sollten stärkere Kräfte beiderseits Dormans auf das Südufer dieses Flusses
vorstoßen und dann auch dort gegen Epernay vorgehen. Der Flußübergang
angesichts eines kampfbereiten Gegners war zweifellos ein kühnes
Unternehmen. In Anbetracht unserer immer wiederholten Erfahrungen bei den
verschiedenen Fluß- und Stromübergängen hielten wir jedoch auch in diesem
Falle ein solches Vorgehen nicht für zu bedenklich. Die
Hauptschwierigkeiten lagen nicht in der unmittelbaren Bewältigung des
Flußabschnittes sondern in der Fortführung des Kampfes jenseits des
Hindernisses. Die Nachführung der Artillerie und aller Kampf- und
Lebensbedürfnisse für die Angriffstruppen war auf Kriegsbrücken
angewiesen, die naturgemäß dankbare Ziele für das artilleristische
Fernfeuer und für die Fliegerangriffe des Gegners boten.

Über die anfängliche Beschränkung unseres Kampfes lediglich auf den Besitz
von Reims hinaus erhielt unser Plan im Verlaufe verschiedener
Besprechungen eine Ausdehnung nach Osten bis tief in die Champagne hinein.
Die Anregung hierzu entstand einerseits aus unserer Absicht, Reims auch im
Südosten abzuschnüren, andererseits glaubten wir nach den letzten
Erfahrungen unseren Angriff vielleicht bis Chalons-sur-Marne vortreiben zu
können, verlockt durch die Aussichten auf große Beute an Gefangenen und
Kriegsbedürfnissen, wenn das Unternehmen in diesem Umfange gelang. Wir
nahmen damit allerdings die Gefahr in Kauf, zugunsten einer großen
Angriffsbreite unsere Kraft an den entscheidenden Stellen zu schwächen.

An dem baldigen Beginn unserer neuen Operation hatten wir natürlich ein
großes Interesse. Angesichts der eintreffenden amerikanischen
Verstärkungen arbeitete die Zeit nicht für sondern gegen uns. Das richtige
Ausmaß zwischen der Notwendigkeit der Vorbereitungen und der Forderung der
gesamten Kriegslage zu finden, war unsere ganz besondere Aufgabe und
wahrlich nicht der leichteste Teil unserer Entscheidungen. Ganz abgesehen
von den rein taktischen Vorbereitungen, wie zum Beispiel dem Heranbringen
und Vorführen der Kampfmittel an die Angriffsstellen, durften wir bei
allem Drängen der Gesamtlage nicht übersehen, welche Schwierigkeiten die
jedesmalige Auffrischung unserer Truppen für neue Kampfaufgaben in sich
schloß. So konnten wir in vorliegendem Falle den Angriff erst am 15. Juli
beginnen lassen.



                          Die Schlacht bei Reims


In den ersten Tagesstunden des 15. Juli beginnt unsere tausendstimmige
Artillerie an der neuen Angriffsfront ihre Schlachtweise zu spielen.
Gleichzeitig wird es an der Marne auf unserer Seite lebendig. Die
Gegenwirkung des Feindes ist anfangs nicht besonders lebhaft, nimmt aber
allmählich zu. Wir hatten keinerlei Anzeichen für eine Verstärkung der
gegnerischen Front oder für besondere Abwehrmaßregeln des Feindes bemerkt.
Unserer Infanterie gelingt es, auf das südliche Marneufer überzusetzen.
Feindliche Maschinengewehrnester werden ausgehoben, die Höhen jenseits des
Flusses erstiegen, Geschütze erobert. Die Nachricht von diesen ersten
Vorgängen erreicht uns in Avesnes schon sehr frühzeitig. Sie löst die
begreifliche Spannung und verstärkt unsere Hoffnung.

Wie an der Marne, so entbrennt der Kampf im weiten Umkreis auch um Reims,
ohne sich freilich gegen diese Stadt und deren unmittelbare Umgegend zu
richten, sollte die Stadt doch durch beiderseitige Abschnürung zu Fall
gebracht werden. In der Champagne, bis gegen die Argonnen hin, wird das
erste gegnerische Verteidigungssystem durch unsere Artillerie und
Minenwerfer zertrümmert. Hinter den vorderen Linien des Feindes befindet
sich aus den früheren Kämpfen noch ein ausgedehntes Grabengewirr. Niemand
kann angeben, ob oder welche Teile davon besetzt sind. Der Gegner besitzt
in ihnen jedenfalls zahllose Stützpunkte, und es bedarf kaum einer
besonderen Arbeit, um diese wieder verteidigungsfähig zu machen und neue
veränderte Verteidigungsmöglichkeiten zu schaffen. Andererseits scheint
der Gegner hier in der Champagne nach den ersten Eindrücken am wenigsten
auf Widerstand vorbereitet zu sein. Seine Artillerie antwortet nicht sehr
stark, sie steht augenscheinlich ziemlich locker und in auffallend tiefer
Gruppierung.

Nach Zusammenfassung unserer schweren Feuerkraft auf die erste feindliche
Stellung beginnt, wie in unseren bisherigen Angriffskämpfen, diese
zusammengeballte Wetterwolke ihren verderbenbringenden Marsch über die
gegnerische Verteidigung. Unsere Infanterie folgt ihr. Die erste
feindliche Stellung wird auf der ganzen Linie nahezu widerstandslos
gestürmt, dann will man den Angriff fortsetzen. Als aber unsere Feuerwalze
die weiteren Sturmziele verläßt, um sie der Infanterie freizugeben, da
erhebt sich unerwartet heftiger feindlicher Widerstand. Die Artillerie des
Gegners beginnt ihr Feuer aufs äußerste zu steigern. Unsere Truppen
versuchen trotzdem, vorwärts zu kommen. Vergeblich! Die Begleitbatterien
werden herangeholt. Geschützweise und von Menschen gezogen treffen sie
ein, denn in dem Trichterfelde versagen größtenteils die Pferde. Kaum sind
die Geschütze in Stellung gebracht, so liegen sie auch schon zertrümmert
am Boden. Der Gegner hat offensichtlich die Hauptabwehr in die zweite
Stellung verlegt. Unser wirkungsvollstes Vorbereitungsfeuer war
meistenteils ohne Nutzen verpufft. Ein neues feindliches
Verteidigungsverfahren ist der vernichtenden Gewalt unserer
artilleristischen Massenwirkung gegenüber angeordnet und angewendet worden
auf Grund begangenen deutschen Verrates, wie der Gegner später selbst der
ganzen Welt jubelnd verkündet.

Die Kampfverhältnisse in der Champagne bleiben bis zum Abend des ersten
Tages unverändert.

Einen günstigeren Verlauf nehmen unsere Kämpfe südwestlich Reims und
beiderseits der Marne. Südlich des Flusses dringt unsere Infanterie auf
fast eine Wegstunde vorwärts, mit dem Hauptdruck längs des Flusses in
Richtung auf Epernay. Ein Drittel der Strecke dorthin wird bis zum Abend
in erbittertem Kampfe zurückgelegt. Auch nördlich des Flusses ist unser
Angriff im Vorschreiten. Mächtiger wie die Kalkhänge des Chemin des Dames
erhebt sich hier das Reimser Berggelände, von tiefen Schluchten
zerklüftete Höhen, deren flachgewölbte Kuppen großenteils von dichtem
Walde bestanden sind. Das ganze Gelände ist für zäheste Verteidigung
hervorragend geeignet, da es dem Angreifer im höchsten Grade eine
Zusammenfassung seiner artilleristischen Kräfte auf ausgesprochene Ziele
erschwert. Trotzdem kommt unsere Infanterie vorwärts. Sie trifft hier zum
ersten Male an der Westfront auf italienische Truppen, die sich
anscheinend auf französischem Boden mit geringer Begeisterung schlagen.

Am Abend des 15. Juli haben wir auf der gesamten Angriffsfront etwa 50
Geschütze erbeutet. 14.000 Gefangene werden gemeldet. Das Ergebnis
entspricht freilich nicht unseren höheren Hoffnungen. Doch erwarten wir
mehr von dem folgenden Tag.

Der Vormittag des 16. Juli verläuft in der Champagne, ohne daß unsere
Truppen noch irgendwo merklich vorwärts kommen. Wir stehen vor der
schweren Frage, hier den Kampf abzubrechen oder mit der ohnehin nicht sehr
tief gegliederten Angriffskraft die weitere Entscheidung zu versuchen. Die
Gefahr besteht, daß die Truppe sich umsonst verblutet, oder daß sie selbst
im günstigen Falle so schwere Verluste erleidet, daß sie kaum mehr
befähigt sein wird, die errungenen Vorteile gründlichst auszunutzen. Das
Ziel Chalons ist also in unsichere Ferne gerückt. Aus diesen Gründen gebe
ich meine Zustimmung zum Übergang in die Verteidigung an dieser Stelle.
Dagegen bleibt es bei der Fortführung unserer Angriffe südlich der Marne
und in dem Reimser Berggelände. Jenseits des Flusses werden wir aber im
Verlauf des Tages immer mehr und mehr in die Verteidigung gezwungen. Der
Feind wirft uns starke Kräfte im Angriff entgegen. Dicht beiderseits des
Flusses, in Richtung Epernay, gewinnen wir dagegen noch weiter Boden. Wir
stehen am Abend des Tages etwa halbwegs der Stadt, 10 km von ihr entfernt.
Auch im Berggelände nähern wir uns der Straße Epernay-Reims trotz
verzweifelter Gegenstöße des Feindes mehr und mehr. Das Schicksal von
Reims scheint an einem Faden zu hängen. Wenngleich die übrige Operation
jetzt schon als gescheitert angesehen werden muß, so soll doch wenigstens
Reims fallen. Die Stadt ist ein bedeutendes militärisches Wertobjekt für
uns, das den Einsatz lohnt; ihr Gewinn bleibt vielleicht nicht ohne tiefen
Eindruck auf den Gegner.

Am 17. Juli verstummt der Kampf in der Champagne. Südlich der Marne
beginnen die Verhältnisse sich mehr und mehr zu unsern Ungunsten zu
gestalten. Wir behaupten zwar das gewonnene Gelände gegen erbitterte
feindliche Angriffe, aber unsere Aufstellung ist dem Fluß so nahe, hat
also so wenig Tiefe, daß jeder Rückschlag zum Verhängnis werden kann.
Hinzu kommt, daß die Kriegsbrücken über die Marne durch das Fernfeuer
feindlicher Artillerie und durch französische Fliegerbomben immer mehr
gefährdet werden. Wir müssen also wieder nach Norden zurück, da wir nach
Süden keinen weiteren Raum mehr gewinnen können. Ich ordne daher das
Zurücknehmen der Truppen auf das nördliche Marne-Ufer an, so schwer es mir
wird. In der Nacht vom 20. zum 21. Juli soll diese Bewegung durchgeführt
werden.

Im Berggelände setzen am 17. Juli die feindlichen Angriffe mit vollster
Wucht ein. Sie werden abgewiesen. Aber auch von unserer Seite ist weiteres
Vordringen einstweilen undenkbar. Ein solches bedarf erneuter gründlicher
Vorbereitung.

Von all dem Erstrebten bleibt nur noch wenig übrig. Das Unternehmen
scheint gescheitert und bringt daher der französischen Front gegenüber
keine positiven Gewinne. Doch damit ist seine Auswertung für unseren
Angriff auf der Flandernfront nicht ausgeschlossen. Wenn von allen Zielen
auch nur das Fernhalten der französischen Kräfte von der englischen
Verteidigung erreicht ist, so sind die Kämpfe nicht vergebens gewesen.

In diesem Gedankengang begibt sich General Ludendorff am Abend des
17. Juli zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, um dort wegen des
Angriffsbeginnes gegen den englischen Nordflügel das Nähere zu besprechen.

Vorbedingung für die Durchführung unserer Angriffe bei Reims war, daß der
nach Westen gerichtete Teil unseres bis an die Marne vorspringenden Bogens
zwischen Soissons und Château-Thierry feststand. Es war vorauszusehen, daß
unser Angriff eine Gegenwirkung der um Compiègne und Villers-Cotterêts
versammelten französischen Kräfte geradezu herausforderte. War General
Foch auch nur einigermaßen zu einer aktiven Tätigkeit imstande, so mußte
er aus seiner bisherigen passiven Haltung heraustreten, sobald sich unser
Angriff über die Marne und auf Reims aussprach. Ich habe schon gesagt, daß
der französische Führer frühzeitig von unseren Plänen erfuhr und
ausreichend Zeit fand, diesen zu begegnen.

Die Aufgabe unserer Truppen zwischen Aisne und Marne gegen einen
französischen Angriff aus der allgemeinen Richtung von Villers-Cotterêts
her war daher nicht einfach. Wir hatten deshalb hinter den Truppen der
vordersten Verteidigungslinien eine Anzahl von Eingreifdivisionen
bereitgestellt, und glaubten daher, mit vollem Vertrauen an den eben
geschilderten großen Angriff auf Reims herangehen zu können. Freilich
waren die zwischen Soissons und Château-Thierry stehenden Truppen nicht
alle frisch, aber sie hatten sich in den vorausgegangenen Kämpfen so
glänzend geschlagen, daß ich sie ihrer jetzigen lediglich defensiven
Aufgabe für durchaus gewachsen hielt. Hauptsache schien mir zu sein, daß
auch alle Teile unserer dortigen Verteidigung die Wahrscheinlichkeit eines
starken feindlichen Angriffs ununterbrochen nicht aus den Augen ließen. Ob
in dieser Beziehung an der Front Soissons-Château-Thierry Versäumnisse
vorgekommen sind, bleibt vielleicht immer eine Streitfrage. Ich selbst
glaube auf Grund späterer Mitteilungen, daß der anfänglich günstige
Verlauf der Ereignisse an der Marne und bei Reims vom 15. bis 17. Juli die
Truppen an der Front Soissons-Château-Thierry an einigen Stellen den Ernst
der Lage vor ihren eigenen Linien verkennen ließ.

Man hört dort während dieser Tage den Kanonendonner aus der
Angriffsschlacht herüberschallen, man erfährt unser anfänglich Erfolg
versprechendes Vorgehen über die Marne; Übertreibungen der erreichten
Erfolge kommen, wie so oft, auf ungeprüftem Wege zu den Truppen. Man
erzählt sich von der Eroberung von Reims, von großen Siegen in der
Champagne. Vor der eigenen Front bleibt es aber drei Tage lang still, für
einen sachlichen Beobachter unheimlich still, für jemand, der ohne nähere
Kenntnis der Lage dem Gefühle nachgibt, beruhigend still. Beobachtungen in
der Richtung auf Villers-Cotterêts, die am 15. Juli noch volle
Aufmerksamkeit finden, werden am 17. Juli nicht mehr entsprechend
gewürdigt. Meldungen, die bei Beginn unseres Unternehmens sofort alle
Fernsprechleitungen durchfliegen, bleiben am 3. Kampftage irgendwo an
einer Zwischenstelle stecken. Das Gefühl für die Lage ist eben teilweise
abgestumpft, die erste Spannung hat nachgelassen.

Am Morgen des 18. Juli gehen Teile der nicht in den
Verteidigungsstellungen liegenden Kampftruppen zur Erntearbeit in die
Kornfelder. Sie sind überrascht, als plötzlich ein heftiger Granathagel in
das Gelände schlägt. – Ein Feuerüberfall? – Die eigene Artillerie
antwortet nicht sehr stark, anscheinend deswegen, weil ziemlich dichter
Nebel alles verschleiert. Das Knattern der Maschinengewehre beginnt auf
breiter Front und zeigt, daß es sich um mehr handelt, als um einen
Feuerüberfall. Ehe man sich darüber völlig klar wird, tauchen in den hohen
Kornfeldern feindliche Panzerwagen auf. Der Gegner ist auf der ganzen
Front zwischen Aisne und Marne im entscheidenden Angriff. Unsere vorderen
Linien sind schon stellenweise durchbrochen; die größte Gefahr scheint
zwischen der Ourq und Soissons eingetreten zu sein.

Während dort die übriggebliebenen Teile der zertrümmerten und versprengten
Truppen vorderster Linie einen Verzweiflungskampf führen, versuchen die
rückwärts befindlichen Unterstützungen einen neuen Widerstand zu bilden
und auszuhalten, bis die Divisionen zweiten Treffens zum Gegenstoß
herankommen. Manche Heldentat wird vollbracht. In vorübergehend wieder
genommenen Stellungen finden unsere Eingreiftruppen deutsche
Maschinengewehrnester, in denen die Bedienung bis zum letzten Mann
verblutet liegt, umgeben von ganzen Reihen gefallener Gegner. Doch dieser
Heldenmut vermag die Lage nicht mehr wiederherzustellen, er rettet uns nur
vor einer vollen Katastrophe. In der Richtung auf Soissons und weiter
südlich ist der Gegner besonders tief eingedrungen, also gerade an unserer
empfindlichsten Stelle, nämlich an dem westlichen Ansatzpunkt unseres
Marnebogens südlich der Aisne. Aber von hier aus drückt der Feind auf die
ganze übrige bis Château-Thierry reichende Verteidigungsfront. Ja noch
mehr, er drückt auch auf unsere einzige in den Marnebogen hineinführende
Bahnverbindung gerade dort, wo sie sich östlich Soissons aus dem Aisnetal
nach Süden in die Mitte unseres gewaltigen Halbkreises wendet.

Unsere Lage ist daher vom ersten Augenblick an nicht unbedenklich. Sie
droht zur Katastrophe zu werden, wenn es uns nicht gelingt, sie in der
früheren Weise wiederherzustellen, oder sie wenigstens in ihrem jetzigen
Zustand zuverlässig zu festigen. Meinen Wünschen und Absichten hätte es
entsprochen, den feindlichen Einbruch von Norden her über die Aisne bei
Soissons flankierend zu fassen um den Gegner dadurch zu zermalmen. Der
Aufmarsch hierfür hätte jedoch zu viel Zeit gekostet, und so mußte ich den
Gegengründen nachgeben, die zunächst eine völlige Sicherung unserer
angegriffenen Frontteile forderten, damit wir dadurch wieder Herren
unserer Entschlüsse wurden. Was also an Truppen verfügbar ist, wird zu
diesem Zwecke eingesetzt. Damit ist leider die Krisis nicht überwunden,
sondern nur hinausgeschoben. Neue Einbrüche des Gegners verschärfen die
Lage in dem Marnebogen. Was hilft es, wenn südlich der Ourq die
feindlichen Anstürme in der Hauptsache scheitern, wenn besonders bei
Château-Thierry die starken, aber ungeübt geführten amerikanischen
Angriffe vor unseren schwachen Linien zerschellen? Wir können und dürfen
die Lage nicht dauernd in dieser bedenklichen Schwebe lassen. Das wäre
Tollkühnheit. Wir lösen daher unseren linken Flügel von Château-Thierry
los und weichen zunächst ein Stück weiter nach Osten, behalten aber noch
die Anlehnung an die Marne.

Vom Südufer dieses Flusses sind wir in Ausführung unseres Entschlusses vom
17. Juli nach schweren Kämpfen rechtzeitig zurückgewichen. Die treffliche
Haltung unserer Truppen, an der alle französischen Angriffe scheitern, hat
uns die gefährliche Lage dort glücklich überdauern lassen. Das Zurückgehen
gelingt über Erwarten gut. Der Gegner erstürmt erst am 21. Juli nach
gewaltiger Feuervorbereitung, Panzerwagen voran, gefolgt von starken
Kolonnen, unsere schon geräumten Stellungen. Unsere Truppen beobachten
dieses Schauspiel vom Nordufer der Marne aus.

Die Kampfführung in der noch immer tiefen Bogenstellung wird durch den
gegnerischen Feuerdruck von allen Seiten her aufs äußerste erschwert. Die
gegnerische Artillerie nimmt die empfindliche Bahnstrecke östlich von
Soissons unter Feuer. Ein wahrer Hagel feindlicher Fliegerbomben fällt bei
Tag und bei Nacht dort nieder. Wir sind gezwungen, die Ausladungen neu
eintreffender Verstärkungen und Kampfablösungen weit außerhalb des Bogens
in die Gegend von Laon zu verlegen. In tagelangen Gewaltmärschen werden
sie von da auf das Schlachtfeld vorgeführt. Sie erreichen ihre Bestimmung
manchmal gerade noch rechtzeitig, um die ernste Kampflage vor dem
Zusammenbrechen aus den Händen der ermatteten Kameraden zu übernehmen.

So kann und darf der Zustand nicht lange dauern. Die Schlacht droht alle
unsere Kräfte zu verzehren. Wir müssen aus dem Bogen heraus, uns von der
Marne trennen. Ein schwerer Entschluß, nicht vom Standpunkte kriegerischer
Einsicht, aber von demjenigen soldatischen Empfindens. Wie wird der Gegner
jubeln, wenn sich zum zweiten Male mit dem Namen: „Marne“ ein Umschwung
der Kriegslage verbindet! Wie wird Paris, ganz Frankreich aufatmen; wie
wird diese Nachricht auf die ganze Welt wirken! Man denke daran, wie viele
Augen und Herzen uns folgen mit Neid, mit Haß, mit Hoffnung.

Aber jetzt darf nur die militärische Einsicht sprechen. Ihre Forderung
lautet klar und einfach: Heraus aus dieser Lage! Zur Überstürzung der
Maßregel ist kein Grund. Wohl wirft General Foch alle seine Kräfte und von
allen Seiten auf uns, aber nur selten gelingt ihm jetzt noch ein tiefer
greifender Einbruch. So können wir Schritt um Schritt weichen. Wir können
unser kostbares Kriegsgerät dem Feinde entziehen, in Ordnung in die neue
Verteidigungslinie rücken, die uns die Natur in dem Abschnitt der Aisne
und Vesle bietet. Diese Bewegung ist in den ersten Tagen des August
vollzogen. Sie ist eine Meisterleistung von Führung und Truppe.

Nicht die Waffengewalt des Feindes preßte uns aus dem Marnebogen heraus
sondern die Unerträglichkeit der dortigen Lage, eine Folge der
Schwierigkeiten der Verbindungen im Rücken unserer nach drei Seiten
kämpfenden Truppen. General Foch hatte diese Schwierigkeiten klar erkannt.
Ein hohes Ziel lag ihm vor Augen. Dies zu erreichen, verhinderte ihn die
treffliche Haltung unserer Truppen. Sie hatten sich nach der ersten
Überraschung glänzend geschlagen. Was von Menschen gefordert werden
konnte, wurde hier geleistet. So kam es, daß unsere Infanterie aus diesem
Kampfe keineswegs mit dem Gefühle einer verlorenen Schlacht wich. Ihr
stolzes Selbstbewußtsein war zum Teil auf die Beobachtung gegründet, daß
ihre Gegner ohne den Schutz oder die moralische Stütze der Panzerwagen
vielfach im Angriff versagten.

Wo Panzerwagen fehlten, hatte der Gegner uns schwarze Wellen
entgegengetrieben, Wellen aus afrikanischen Menschenleibern. Wehe, wenn
diese in unsere Linien einbrachen und die Wehrlosen mordeten, oder was
schlimmer war, marterten. Nicht gegen die Schwarzen, die solche
Scheußlichkeiten begingen, wendet sich menschliche Empörung und Anklage,
sondern gegen die, die solche Horden angeblich zum Kampf um Ehre, Freiheit
und Recht auf europäischen Boden heranholten. Zu Tausenden wurden diese
Schwarzen auf die Schlachtbank geführt.

Mochten Engländer, Amerikaner, Italiener, Franzosen mit allen ihren
Hilfsvölkern unserm Infanteristen entgegentreten, kam es nur erst zum
Kampfe Mann gegen Mann, dann fühlte und zeigte sich damals noch unser
Soldat als Herr des Schlachtfeldes. Auch das Gefühl persönlicher
Machtlosigkeit gegenüber den feindlichen Panzerwagen war teilweise
überwunden. In tollkühnen Unternehmungen hatte man vielfach versucht, sich
dieser lästigen Gegner zu entledigen, kräftigst unterstützt durch die
eigene Artillerie. Die schwersten Kampfkrisen brachte über unsere Truppen
auch diesmal wieder die französische Artillerie. Den stunden-, ja
tagelangen Wirkungen dieser Vernichtungswaffe im freien Felde ausgesetzt,
nicht einmal in einem Trichterfelde Deckung findend, wurden die Linien
unserer Infanterie zerrissen, ihr Nervenhalt auf die äußerste Probe
gestellt. Das Antreten der feindlichen Sturmtruppen ward oft wie eine
Erlösung aus einem Drucke wehrloser Zermürbung empfunden.

Die Truppen hatten das äußerste leisten müssen, nicht nur im Kampfe,
sondern auch in ruhelosen Bereitschaften, in Märschen und Entbehrungen.
Ihr Kräfteverbrauch war groß, ihr Nervenverbrauch noch größer. Ich sprach
Soldaten aus diesen letzten Schlachten. Ihre schlichten und einfachen
Antworten und Erzählungen redeten deutlicher als ganze Bücher von dem, was
sie erlebt hatten, und von dem kraftvoll sittlichen Werte, der in ihnen
steckte. Wie sollte man an diesen prächtigen Menschen verzweifeln können!
Sie waren freilich müde, bedurften der körperlichen Ruhe und der
seelischen Entspannung. Wir waren besten Willens, ihnen all das zu
gewähren; es war aber fraglich, ob der Gegner uns die Zeit dafür ließ.

Wenn wir in den Kämpfen im Marnebogen auch dem Verderben, das uns der
Gegner zufügen wollte, entgangen waren, so durften wir uns doch über die
weitreichende Rückwirkung dieser Schlacht und unseres Rückzuges keiner
Täuschung hingeben.

Militärisch war für uns von der größten und folgenschwersten Bedeutung,
daß wir die Vorhand an den Gegner verloren hatten, und daß wir zunächst
keine Kraft besaßen, sie wieder an uns zu reißen. Wir waren gezwungen
gewesen, starke Teile von jenen Kräften zum Kampfe heranzuziehen, die wir
zum Angriff in Flandern bereitgestellt hatten. Dafür entfiel für uns die
Möglichkeit, den lang geplanten entscheidenden Schlag gegen das englische
Heer durchführen zu können. Die gegnerische Führung war dadurch von dem
Druck befreit, der durch diese drohende Offensive auf ihre Maßnahmen
ausgeübt wurde. Auch Englands Kräfte waren durch die Schlacht in dem
Marnebogen aus dem Banne gelöst, in dem wir sie monatelang gehalten
hatten. Es war zu erwarten, daß eine tatkräftige gegnerische Führung
diesen Umschwung der Lage, der ihr nicht entgehen konnte, ausnutzte,
soweit sie irgendwie Kräfte hierfür verfügbar machen konnte. Günstige
Aussichten mußten sich hier bieten, da unsere Verteidigungsfronten
vielfach nicht stark und nicht mit voll kampfkräftigen Truppen besetzt
sein konnten. Zudem hatten diese Fronten seit dem Frühjahr wesentlich an
Ausdehnung zugenommen und waren strategisch empfindlicher geworden.

Es war freilich anzunehmen, daß auch der Gegner durch die letzten Kämpfe
schwer gelitten hatte. 74 feindliche Divisionen, darunter 60 französische,
hatten vom 15. Juli bis 4. August geblutet. Waren hierbei zwar die
englischen Kräfte in der Hauptsache seit Monaten geschont geblieben, so
mußte doch der andauernde Zustrom amerikanischer Hilfe unter diesen
Umständen für den Gegner äußerst wertvoll sein. Mochte diese Hilfe auch in
militärischer Beziehung nicht voll auf der Höhe neuzeitlicher
Anforderungen stehen, jetzt, wo unsere Verbände so schwer gelitten hatten,
wirkte mehr als je die bloße zahlenmäßige Überlegenheit.

Schwerer noch als dies wog nach den ersten Eindrücken die Wirkung unseres
Mißgeschickes auf Heimat und Verbündete. Wie viele in den letzten Monaten
aufgelebte Hoffnungen brachen vielleicht zusammen! Wie manche Berechnung
wurde zerstört!

Konnten wir jedoch wieder Herren der militärischen Lage werden, so war
auch die Wiederherstellung des politischen Gleichgewichts mit Bestimmtheit
zu erwarten.



                               FÜNFTER TEIL


                            ÜBER UNSERE KRAFT



                       In die Verteidigung geworfen



                              Der 8. August


Unsere Truppen hatten ihre neuen Stellungen an der Aisne-Vesle
eingenommen. Die letzten Wogen des feindlichen Angriffes prallten heran
und prallten ab; stellenweise flackerte der Kampfeifer hier und da wieder
auf.

Zahlreiche unserer Divisionen, abgekämpft, der Auffrischung bedürftig,
wurden hinter unsere Verteidigungslinien in Unterkunft gebracht. Auch um
Avesnes herum lagen sie in Quartieren. Ich konnte mich davon überzeugen,
wie rasch sich unser Soldat erholte. Durfte er ein paar Tage gründlich
ausschlafen, konnte man ihn geregelt verpflegen und ruhen lassen, so
schien er schnell über all das Schwere, das er durchgemacht hatte, auch
seelisch hinwegzukommen. Freilich bedurfte er hierfür der wirklichen Ruhe,
ungestört von feindlichen Granaten und Bombenabwürfen und, wenn möglich,
auch entfernt aus dem Hörbereiche des Donners der Geschütze. Aber wie
wenig und wie selten haben unsere Truppen in den langjährigen Kämpfen eine
solche Ruhe gefunden! Von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz, von
Schlachtfeld zu Schlachtfeld geworfen, waren sie fast ruhelos in
körperlicher und seelischer Spannung geblieben. In dieser Tatsache liegt
der gewaltigste Unterschied zwischen den Leistungen unserer Soldaten und
denjenigen aller unserer Gegner.

Nach Avesnes war der Geschützdonner aus den Schlachten im Marnebogen wie
ein ununterbrochenes Rollen schweren Gewitters bald lauter, bald
undeutlicher gedrungen. Jetzt war es fast still geworden.

Am 8. August morgens wurde diese Ruhe jählings unterbrochen; von Südwesten
her dröhnte auffallend starker Gefechtslärm. Die ersten Meldungen – sie
kamen vom Armee-Oberkommando aus der Gegend von Peronne – lauteten ernst.
Der Gegner war mit mächtigen Tankgeschwadern beiderseits der Straße
Amiens-St. Quentin in unsere Linien eingedrungen. Näheres ließ sich
vorläufig nicht feststellen.

Die Ungewißheit wurde jedoch in den nächsten Stunden behoben, wenn auch
die Verbindungen vielfach zerrissen waren. Kein Zweifel, der Gegner war
tief in unsere Stellung hineingestoßen, Batterien waren verloren. Unsere
Befehle ergingen, sie wieder zu nehmen, die Lage überhaupt durch
sofortigen Gegenangriff wieder herzustellen. Wir entsandten Offiziere, um
die Vorgänge klarzulegen und vollen Einklang zwischen unserem Willen und
den Verfügungen der Kommandostellen an der augenblicklich erschütterten
Front zu schaffen. Was war geschehen?

Im dichtesten Nebel war ein starker englischer Tankangriff erfolgt. Die
Panzerwagen hatten auf ihrer Fahrt fast nirgends besondere Hindernisse,
nicht natürliche und leider auch nicht künstliche, getroffen. Man hatte an
dieser Front wohl etwas zu viel an Fortsetzung des Angriffes gedacht, zu
wenig an Verteidigung.

Allerdings war es verlustreiche Arbeit, dicht am Gegner zu schanzen und
Hindernisse zu bauen. Denn wo immer die gegnerischen Beobachter irgend
eine Bewegung, und sei es auch nur von einzelnen Leuten, wahrnahmen,
dorthin lenkten sie das Feuer ihrer Artillerie. Es schien das beste zu
sein, sich im hohen Getreide still zu verhalten, zwar ohne Schutz gegen
feindliche Granaten aber ungesehen durch feindliche Ferngläser. Man
schonte auf diese Weise während der Zeit des Stilleliegens augenscheinlich
viel Leben, lief aber Gefahr, mit einem Schlage noch viel mehr zu
verlieren. Nicht nur in den vordersten Linien war die Arbeit gering, an
den rückwärtigen war sie fast noch geringer; nur einzelne Grabenstücke,
verstreute Stützpunkte, waren vorhanden. Die Truppen waren an diesen
sogenannten ruhigen Fronten für ausgedehnte Schanzarbeiten nur dünn gesät.
Wir brauchten die Massen anderwärts zu den großen Angriffsschlachten.

An diesem 8. August mußten wir handeln, wie wir schon so oft in gleich
drohenden Lagen gehandelt hatten. Gegnerische Anfangserfolge waren für uns
ja keine befremdenden Erscheinungen. Wir kannten sie von 1916/17, von
Verdun, Arras, Wytschaete, Cambrai her. Wir hatten sie erst jüngst wieder
bei Soissons kennen und überwinden gelernt. In dem jetzt vorliegenden
Falle war die Lage freilich ganz besonders ernst. Der breite Tankeinbruch
des Gegners war gleichzeitig überraschend tief erfolgt. Die Panzerwagen,
schneller wie bisher, überfielen Divisionsstäbe in ihrer Unterkunft,
zerrissen die Fernsprechverbindungen, die von dort zu den kämpfenden
Truppen führten. Die höheren Kommandobehörden werden dadurch
ausgeschaltet; die vorderen Linien bleiben ohne Befehl. An diesem Tage ist
es ganz besonders bedenklich, da der dichte Nebel jede Übersicht
verhindert. Die bereitgestellten Tankabwehrkanonen schießen zwar in die
Richtungen, aus denen Motorgeräusche und Kettengerassel hörbar sind,
werden aber vielfach durch Stahlkolosse überrascht, die aus anderer
Richtung plötzlich auftauchen. Wirre Gerüchte beginnen sich in unsern
Kampflinien zu verbreiten. Es wird behauptet, daß englische
Kavalleriemassen schon weit im Rücken der vordersten deutschen Infanterie
sich befinden. Man wird vorn bedenklich, verläßt die Stellungen, aus denen
heraus man soeben noch starke feindliche Angriffe in der Front abgewiesen
hat, man sucht nach rückwärts den verlorenen Anschluß. Die Phantasie
zaubert Wahngebilde hervor und sieht in ihnen wirkliche Gefahren.

Alles, was da geschah, was uns zum ersten großen Unheil werden sollte, ist
ja menschlich begreiflich. Der alte, schlachtenerprobte Soldat bleibt in
solchen Lagen ruhig; er phantasiert nicht, er denkt! Aber diese alten
Soldaten sind eben in verschwindender Minderheit; ihr Einfluß ist auch
nicht allerorts mehr der beherrschende. Es zeigen sich andere Einflüsse.
Der Mißmut und die Enttäuschung, daß trotz aller Siege der Krieg für uns
kein Ende nehmen will, hat auch so manchen unserer braven Soldaten
verdorben. Im Felde Gefahren und Arbeit, Kampf und Ruhelosigkeit, aus der
Heimat Klagen über wirkliche, manchmal auch eingebildete Lebensnot. Das
zermürbt allmählich, besonders, wenn man sich kein Ende vorstellen kann.
Der Gegner sagt und schreibt in seinen massenhaft von Fliegern
abgeworfenen Flugblättern, daß er es nicht so schlimm mit uns meine, wir
müßten nur vernünftig sein und vielleicht auch auf dies und jenes, was wir
erobert haben, verzichten. Dann würde alles rasch wieder gut werden. Und
wir könnten in Frieden weiter leben, im ewigen Frieden der Völker. Für den
Frieden im Innern der Heimat würden dann neue Männer, neue Regierungen
sorgen. Auch das würde ein segensreicher Frieden nach all den jetzigen
Kämpfen werden. Das weitere Ringen sei also zwecklos.

Solches liest und bespricht man; der Soldat meint, daß der Gegner doch
nicht all das erlügen kann, läßt sich vergiften und vergiftet andere.

Unsere Befehle zum Gegenstoß können an diesem 8. August nicht mehr
ausgeführt werden. Es fehlt an Truppen, es fehlt besonders an Geschützen
zur Vorbereitung eines solchen Angriffes, denn an den Einbruchsstellen
sind die meisten Batterien verloren. Frische Infanterie- und neue
Artillerieverbände müssen erst herangeholt werden, und zwar auf Kraftwagen
und Eisenbahnen. Der Gegner erkennt die ausschlaggebende Wichtigkeit, die
in dieser Lage die Eisenbahnen für uns besitzen. Weithin in unsern Rücken
feuern seine schweren und schwersten Geschütze. Auf einzelne
Eisenbahnpunkte, wie beispielsweise Peronne, regnet es zeitweise Bomben
feindlicher Flieger, die in nie gesehenen Schwärmen über Stadt und Bahnhof
kreisen. Nutzt aber der Gegner auf diese Weise die Schwierigkeiten im
Rücken unserer Armee aus, so verkennt er zu unserm Glücke die ganze Größe
seines ersten taktischen Erfolges. Er stößt an diesem Tage nicht bis an
die Somme vor, obwohl ihm auf diesem Wege von unserer Seite kaum noch
nennenswerte Kräfte hätten entgegengestellt werden können.

Dem verhängnisvollen Vormittage des 8. August folgte ein verhältnismäßig
ruhiger Nachmittag und eine noch ruhigere Nacht. Während dieser rollen
unsere ersten Verstärkungen heran.

Die Lage ist bereits zu ungünstig, als daß wir von dem anfänglich
geforderten Gegenangriff die Wiedergewinnung der alten Kampffront erwarten
können. Der Gegenstoß hätte längerer Vorbereitung und stärkerer Truppen,
als am Morgen des 9. August zur Hand sein können, bedurft. Daher soll und
darf nichts überstürzt werden. Die Ungeduld an der Kampffront glaubt
jedoch, nicht warten zu können. Man meint, günstige Gelegenheiten zu
versäumen, und stürzt sich in unbezwingliche Schwierigkeiten. So geht ein
Teil der herangebrachten kostbaren, frischen Infanteriekraft in örtlich
begrenzten Erfolgen verloren, ohne der Lage im großen zu nutzen.

Der Angriff am 8. August war durch den rechten englischen Flügel
unternommen worden. Die südlich anschließenden französischen Truppen
hatten sich nur in geringem Umfange am Kampfe beteiligt. Es war aber zu
erwarten, daß die großen britischen Erfolge nunmehr auch die französischen
Linien in Bewegung bringen würden. Gelang dem Franzosen ein rasches
Durchdringen in der Richtung auf Nesle, so mußte unsere Lage in dem weit
nach Südwesten vorspringenden Verteidigungsbogen verhängnisvoll werden.
Wir befehlen daher die Räumung unserer bisherigen ersten Stellungen
südwestlich Roye und weichen in die Gegend dieser Stadt zurück.



Die Folgen des 8. August und die Fortsetzung unserer Kämpfe im Westen bis
                              Ende September


Über die politischen Wirkungen unserer Niederlage am 8. August gab ich
mich keinen Täuschungen hin. Unsere Kämpfe vom 15. Juli bis 4. August
konnten im Ausland wie in der Heimat als die Folge einer nicht geglückten,
kühnen Unternehmung angesehen werden, wie solches sich in jedem Kriege
ereignet. Das Mißgeschick am 8. August stellte sich dagegen vor aller
Augen dar als die Folgen einer offenkundigen Schwäche. Es war etwas ganz
anderes, ob wir in einem Angriff scheiterten, oder ob wir in einer
Verteidigungsschlacht besiegt wurden. Die Beutezahlen, die unsere Gegner
der Welt bekanntgeben konnten, sprachen eine deutliche Sprache. Heimat und
Verbündete mußten ängstlich aufhorchen. Um so mehr war es unsere Aufgabe,
die Ruhe zu behalten und die Verhältnisse zwar ohne Selbsttäuschung, aber
auch ohne übertriebenen Pessimismus zu betrachten.

Die militärische Lage war freilich ernst geworden. Die Gefechtslage auf
der angegriffenen Verteidigungsfront konnte allerdings wiederhergestellt,
das verlorene Kriegsgerät wieder ergänzt, neue Kräfte konnten herangeführt
werden. Damit war jedoch die Wirkung der Niederlage nicht aufgehoben. Es
war zu erwarten, daß der Gegner, durch seinen großen Erfolg angeregt,
solche Angriffe nunmehr auch an anderen Stellen unternehmen würde. Er
hatte jetzt die Erfahrung gemacht, daß sich in unserem Verteidigungssystem
dem des Jahres 1917 gegenüber mancherlei Mängel befanden. Zunächst in
technischer Beziehung. Auf den seit dem Frühjahr 1918 neu gewonnenen
Linien war von unseren Truppen im allgemeinen nur wenig geschanzt worden.
Es wurde, wie in der Gegend östlich Amiens, so auch an anderen Stellen der
Front, zu viel von Fortsetzung der Angriffe, zu wenig von der
Notwendigkeit der Verteidigung gesprochen. Dazu kam, daß die Haltung eines
großen Teiles unserer Truppen im Gefecht den Gegner überzeugt haben mußte,
daß an unseren Verteidigungsfronten der zähe Widerstandswille von 1917
nicht mehr durchgehends vorhanden war. Der Feind hatte ferner seit dem
Frühjahr von uns gelernt. Er hatte in den letzten Operationen diejenige
Taktik gegen uns angewendet, mit der wir ihn wiederholt gründlich
geschlagen hatten. Er war auf unsere Linien gefallen, nicht mehr nach
monatelangen Angriffsvorbereitungen, auch hatte er die Entscheidung nicht
mehr in dem Hineintreiben eines Keiles in unsere Verteidigung gesucht,
sondern er hatte uns in breiten Anstürmen überrascht. Er wagte nunmehr
diese unsere Taktik, weil er die Schwächen unserer Verteidigungsfront
erkannt hatte. Wiederholte der Gegner diese Angriffe mit gleicher Wucht,
so entbehrte er bei der nunmehrigen Verfassung unseres Heeres nicht völlig
der Aussicht, unsere Widerstandskraft allmählich zu lähmen. Andererseits
schöpfte ich aber aus dem Umstande, daß der Feind aus seinen großen
Anfangserfolgen auch dieses Mal nicht die Vorteile eingeheimst hatte, die
ihm hätten werden können, wieder die Hoffnung, daß wir weitere Krisen
überwinden würden.

Aus diesem Gedankengang heraus glaubte ich, mich am 13. August der
Reichsleitung gegenüber in einer politischen Beratung in Spa über die
militärische Lage dahin aussprechen zu müssen, daß diese zwar ernst sei,
daß aber nicht vergessen werden dürfe, daß wir noch immer tief in
Feindesland ständen. Ich trug diese Auffassung am folgenden Tag auch
meinem Kaiser vor, indem ich nach einer längeren gemeinsamen Sitzung das
Schlußwort ergriff. Ich hatte auch nichts einzuwenden gegen die Auffassung
des Reichskanzlers Graf Hertling, daß mit einem wirklich offiziellen
Friedensschritt unsererseits gewartet werden sollte, bis eine Besserung in
unserer damaligen militärischen Lage eintreten würde. Von dieser hing es
dann ab, inwieweit wir auf unsere bisherigen politischen Ziele würden
verzichten müssen.

Die Zeit, an einem befriedigenden Abschluß des Krieges zu zweifeln, hielt
ich demnach Mitte August noch nicht für gekommen. Ich hoffte bestimmt, daß
die Armee, trotz betrübender Einzelerscheinungen auf dem letzten
Schlachtfelde, imstande sein würde, zunächst einmal auszuhalten. Auch
hatte ich das Vertrauen auf die Heimat, daß sie Kraft genug hätte, auch
diese jetzige Krisis zu überwinden. Ich erkannte dabei durchaus an, was
die Heimat an Opfern und Entbehrungen bisher ertragen hatte, und was sie
vielleicht noch weiter ertragen mußte. Hatte nicht Frankreich, auf dessen
Boden der Krieg seit nunmehr vier Jahren tobte, weit mehr zu leiden? War
dieses Land während dieser ganzen Zeit jemals unter Mißerfolgen verzagt;
war es verzweifelt, als unsere Granaten seine Hauptstadt erreichten? Das,
so dachte ich, würde sich in dieser schweren Krisis auch die Heimat vor
Augen halten und standhaft bleiben, wenn nur wir an der Front standhaft
blieben. Gelang das, so konnte nach meiner Ansicht die Wirkung auf unsere
Verbündeten nicht ausbleiben. Ihre militärische Aufgabe war ja, soweit sie
Österreich-Ungarn und Bulgarien betraf, eine leichte.

Bei diesen meinen Erwägungen spielte die Sorge um Erhaltung unserer
Waffenehre keine ausschlaggebende Rolle. Unser Heer hatte diese Ehre in
den vier Kriegsjahren so fest begründet, daß diese uns, mochte kommen was
wollte, vom Gegner nicht mehr entrissen werden konnte. Ausschlaggebend für
meine Entschlüsse und Vorschläge blieb einzig und allein die Rücksicht auf
das Wohl des Vaterlandes. Konnten wir auch den Gegner durch Siege auf dem
Schlachtfeld nicht mehr zu einem Frieden zwingen, der uns alles das gab,
was unsere deutsche Zukunft endgültig sicher stellte, so konnten wir es
doch wenigstens dahin bringen, daß die gegnerischen Kräfte im Kampfe
erlahmten. Auch dann retteten wir voraussichtlich ein erträgliches
staatliches Dasein.

General Foch hat nach Beendigung der Schlacht im Marnebogen wohl erkannt,
daß die errungenen Erfolge ihm wieder verloren gehen würden, wenn unseren
Truppen die Zeit zur Erholung gelassen würde. Ich hatte das Gefühl, daß
die gegnerische Führung nunmehr glaubte, alles auf eine Karte setzen zu
müssen.

Am 20. August schreiten die Franzosen zwischen Oise und Aisne in der
Richtung auf Chauny zum Angriff. Sie werfen uns in dreitägigen Kämpfen auf
diesen Punkt zurück. Am 21. August und in den ihm folgenden Tagen
verbreitern die Engländer ihre Angriffsfront vom 8. August in nördlicher
Richtung bis nordwestlich Bapaume. Wiederholte feindliche Einbrüche
zwingen uns auch hier zum allmählichen Zurücknehmen unserer Linien. Am
26. August wirft sich der Engländer beiderseits Arras in der Richtung auf
Cambrai auf unsere Stellungen. Er bricht durch, wird aber schließlich
aufgehalten. Da überrennt ein neuer feindlicher Ansturm am 2. September
endgültig unsere Linien an der großen Straße Arras-Cambrai und zwingt uns,
die gesamte Front in die Siegfriedstellung zurückzunehmen. Zur
Kräfteersparnis räumen wir gleichzeitig den weit über den Kemmel-Berg und
Merville vorspringenden Bogen nördlich der Lys. Alles schwere Entschlüsse,
die bis zum Ende der ersten Septemberwoche ausgeführt werden. Die erhoffte
Erleichterung der Lage bringen sie nicht. Der Gegner drängt überall sofort
nach, und die Spannung dauert an.

Am 12. September setzen die Kämpfe an der bisher ruhigen Front südöstlich
Verdun und bei Pont-à-Mousson ein. Wir standen hier in der Stellung, in
der unsere Angriffe im Herbste 1914 erstarrt waren, ein taktisches
Mißgebilde, das den Gegner zu einem großen Schlag einladen konnte. Es ist
nicht recht verständlich, warum uns der Franzose jahrelang in diesem
großen Dreieck stehen ließ, das in seine Gesamtfront hineinsprang.
Durchstieß er dieses in mächtigem Schlage an der Basis, so war eine
schwere Krisis für uns unausbleiblich. Man wird uns vielleicht als einen
Fehler anrechnen, daß wir diese Lage nicht schon längst, spätestens mit
dem Einstellen unseres Angriffes auf Verdun, aufgaben. Allein wir übten
gerade durch diese Stellung einen im hohen Grade wichtigen Druck auf die
Bewegungsfreiheit des Gegners um Verdun aus und sperrten das ihm so
wichtige Maastal südlich der Festung. Erst Anfang September, als es
zwischen Maas und Mosel auf feindlicher Seite lebhafter wurde, beschlossen
wir, diese Stellung zu räumen und auf die schon lange vorbereitete
Basisstellung zurückzugehen. Bevor die Bewegung vollendet wurde, griffen
uns aber die Franzosen und Amerikaner an und brachten uns eine ernste
Niederlage bei.

Im übrigen gelang es, den feindlichen Angriffen gegenüber unsere Front im
wesentlichen zu halten. Die Ausdehnung der gegnerischen Angriffe auf die
Champagne am 26. September änderte die Lage von der Küste bis zu den
Argonnen zunächst wenig. Dagegen drang der Amerikaner an diesem Tage
zwischen Argonnen und Maas in unsere Linien ein. Damit machte sich die
nordamerikanische Macht auf den Schlachtfeldern des Schlußkampfes in einer
selbständigen Armee zum ersten Male entscheidend geltend.

Unsere Westfront war, wenn auch infolge feindlicher Einbrüche wiederholt
zurückgenommen, nicht durchbrochen. Sie wankte, aber sie fiel nicht. Um
diese Zeit wurde jedoch in unsere gesamte Kriegsfront eine breite Lücke
gerissen. Bulgarien brach zusammen.



                     Der Kampf unserer Bundesgenossen



                         Bulgariens Zusammenbruch


Die Lage im Innern Bulgariens hatte sich auch im Jahre 1918 nicht
wesentlich geändert. Sie blieb ernst. Die äußere Politik des Landes schien
jedoch darunter nicht zu leiden. Ab und zu gelangten freilich Mitteilungen
über Verhandlungen bulgarischer unverantwortlicher Persönlichkeiten mit
der Entente auf neutralem schweizerischen Boden zu uns. Auch war in der
amerikanischen Gesandtschaft in Sofia zweifellos eine Brutstätte von uns
verderblichen Plänen vorhanden. Wir machten den vergeblichen Versuch, sie
zu beseitigen. Die Politik forderte Samthandschuhe in der eisernen
Wirklichkeit des Krieges.

Die Kampfwut zwischen den politischen Parteien des Landes dauerte an. Die
Armee wurde auch weiterhin davon berührt. Der Sturz Radoslawows war
endlich im Frühjahr von seinen Gegnern erreicht. Die neuen Männer
versicherten uns ihres treuen Festhaltens an dem Bündnis. Das war für uns
das Entscheidende.

Die Kriegsunlust im bulgarischen Volke nahm indessen stark zu. Die
Lebensmittelversorgung machte immer größere Schwierigkeiten. Unter diesen
litt besonders die Armee, das heißt, man ließ sie darunter leiden. Der
Soldat mußte zeitweise geradezu hungern, ja mehr noch, er wurde auch so
elend gekleidet, daß ihm eine Zeitlang das Nötigste fehlte. Meutereien
fanden statt, wurden uns gegenüber aber meistens vertuscht. Die Armee
wurde durchsetzt mit völkisch fremden Elementen. Man stellte aus den
besetzten Gebieten gepreßte Mannschaften ein, um die Truppenstärken in der
Höhe zu halten. Das Überlaufen nahm daher einen außerordentlichen Umfang
an. War es ein Wunder, daß unter allen diesen Umständen der Geist der
Truppe zerfiel? Er erreichte anscheinend im Frühjahr seinen Tiefstand. Die
bulgarische Oberste Heeresleitung hatte damals auf Anregung des deutschen
Heeresgruppenkommandos einen Angriff auf albanischem Boden, westlich des
Ochridasees, vorbereitet. Man erhoffte von seinem Gelingen eine
wirkungsvolle Sperrung der für den Gegner so wichtigen Straße Santa
Quaranti-Korca, sowie eine günstige Rückwirkung auf die Stimmung von Heer
und Volk. Die Durchführung des Unternehmens erwies sich schließlich als
unmöglich, da nach Erklärungen bulgarischer Offiziere die Truppe den
Angriff verweigern würde. Noch bedenklichere Zustände zeigten sich, als im
Monat Mai die bulgarischen Truppen den Angriff der Griechen und Franzosen
in der Mitte der mazedonischen Front nicht aushielten und ihre Stellung
fast kampflos verließen. Die zum Gegenangriff bestimmte Division meuterte
größtenteils.

Die Zustände innerhalb des Heeres schienen sich jedoch im Verlauf des
Sommers wieder zu bessern. Wir halfen aus, wo wir konnten, gaben von
unseren Lebensmittelvorräten und schickten Bekleidungsstücke. Auch lösten
unsere damaligen Erfolge an der Westfront in der bulgarischen Armee große
Begeisterung aus. Es war aber klar, daß diese gehobene Stimmung rasch
wieder in sich zusammenbrechen würde, wenn auf unserer Seite Rückschläge
erfolgten. Darüber konnten uns auch bessere Stimmungsberichte Ende Juli
nicht im Zweifel lassen.

Die gegenseitigen Stärkeverhältnisse an der mazedonischen Front schienen
sich im Laufe des Jahres 1918 nicht wesentlich verschoben zu haben. Nach
dem schließlichen Ausgleich mit Rumänien war Bulgarien imstande, alle
seine Kräfte auf einer Front zu versammeln. Dieser Verstärkung gegenüber
kam das Wegziehen einiger deutscher Bataillone aus Mazedonien zahlenmäßig
gar nicht in Betracht. Eine englische Division war nach Syrien abbefördert
worden; die französischen Truppen hatten ihre jüngsten Jahrgänge nach der
Heimat abgegeben; die neu mobilisierten sogenannten königlich griechischen
Divisionen zeigten sich wenig kampflustig. Anscheinend aus diesem Grunde
wurde letzteren die Verteidigung des Struma-Abschnittes übertragen. Nach
Mitteilungen von Überläufern war der größte Teil dieser Truppen bereit,
sich uns anzuschließen, wenn deutsche Truppen vor der Struma-Front
eingesetzt würden. Wir schickten daher etliche Bataillone, die in den
Hauptkampffronten des Westens nicht verwendbar waren, nach Mazedonien. Sie
trafen an ihrem Bestimmungsort in dem Augenblick ein, als die Entscheidung
des Krieges für Bulgarien fiel.

Am 15. September abends erhielten wir die erste Nachricht vom Beginn des
Angriffes der Ententearmeen in Mazedonien. Dieses Datum war auffallend.
Hatten doch bulgarische Soldaten schon im Frühjahr erklärt, daß sie an
diesem Tage die Stellungen verlassen würden, sofern der Krieg bis dahin
nicht beendet wäre.

Nicht weniger auffallend war es andererseits, daß sich der Gegner zu einem
Angriff eine Stelle mitten im wildesten Berglande wählte, an der bei
einigem Widerstandswillen der bulgarischen Truppe und ihrer niederen
Führung das Durchdringen die allergrößten Schwierigkeiten bieten mußte.
Wir glaubten daher dem Ausgang dieses Kampfes mit Vertrauen entgegensehen
zu können, und erwarteten den schwereren und entscheidenden Angriff des
Gegners im Wardartal. Dort und in der Gegend des Doiransees waren seit
längerer Zeit schon Angriffsvorbereitungen der Engländer erkannt worden.
Auch hier bestand angesichts der ganz außerordentlichen Stärke der
Verteidigungsstellungen unseres Erachtens keine Gefahr, sofern man einer
solchen von bulgarischer Seite entsprechend entgegentreten wollte. Über
die zahlenmäßigen Kräfte verfügte die bulgarische Oberste Heeresleitung
ganz gewiß.

Die zuerst eintreffenden Meldungen über den Verlauf der Kämpfe am
15. September gaben zu Besorgnissen keinen Anlaß. Die vordersten
Stellungen waren freilich verloren gegangen. Ein solcher Verlauf hatte
nichts ungewöhnliches an sich. Die Hauptsache war, daß dem Gegner der
glatte Durchbruch am ersten Tage nicht gelungen war. Spätere Nachrichten
lauteten bedenklicher. Die Bulgaren waren weiter nach Norden gedrängt, als
man zuerst annehmen konnte. Die zunächst am Kampfe beteiligten Truppen
hatten anscheinend wenig Kampfkraft, noch weniger Kampfwillen gezeigt. Die
Reserven, die herankamen oder herankommen sollten, zeigten keine Neigung,
sich dem feindlichen Feuer auszusetzen. Sie zogen es anscheinend vor, dem
Gegner das Kampffeld zu überlassen, und das an einer Stelle, die dem
wichtigsten Knotenpunkt aller Verbindungen des mazedonischen
Kriegsschauplatzes, nämlich Gradsko, bedenklich nahe lag.

Fällt Gradsko, oder kann es der Gegner mit seinen Geschützen erreichen, so
ist die rechte bulgarische Armee in der Gegend von Monastir der
wichtigsten Verbindung beraubt, ihre Versorgung in der jetzigen Stellung
für die Dauer unmöglich. Aber auch die mittlere bulgarische Armee
beiderseits des Wardartales ist dann von jeder Bahnverbindung mit der
Heimat abgeschnitten. Es erscheint unbegreiflich, daß die bulgarischen
Führer diese drohende Gefahr nicht erkennen sollten, daß sie nicht alles
daran setzen würden, ein namenloses Unheil für die Masse des Heeres
abzuwenden.

Im Gegensatz zu den bulgarischen Armeen südlich von Gradsko kämpfen die
bulgarischen Truppen zwischen dem Wardar und dem Doiransee seit dem
18. September mit größter Erbitterung. Vergeblich versuchen die Engländer,
sich hier Bahn zu brechen. Nochmals zeigt sich bulgarischer Mut und zäher
Wille in glänzendem Licht. Aber was nützt der Heldenmut am Doiransee, wenn
in der Richtung auf Gradsko Mutlosigkeit herrscht, ja vielleicht noch
Schlimmeres als Mutlosigkeit.

Vergeblich versucht die deutsche Führung mit deutschen Truppen die Lage in
der Mitte des bulgarischen Heeres zu retten. Was helfen die schwachen
kleinen deutschen Gruppen, wenn rechts und links der Bulgare das Feld
räumt? Den gegen den Feind marschierenden deutschen Bataillonen strömen
ganze bulgarische Regimenter entgegen, die den Kampf offen verweigern. Ein
eigenartiges Bild. Und noch eigenartiger die Erklärung der bulgarischen
Mannschaften: Sie ziehen in die Heimat zu Weib und Kind, wollen wieder
einmal Haus und Hof sehen und ihre Felder bestellen. Sie lassen vielfach
ihre Offiziere unbelästigt. Gehen diese mit ihnen nach Hause, so sind sie
willkommen, wollen sie zurückbleiben auf dem Felde der Ehre, so sollen sie
das allein tun. Der Bulgare springt bereitwillig zu, wenn im Gedränge ein
Deutscher, der gegen den Feind marschiert, in Bedrängnis kommt, er hilft
den deutschen Geschützen beim Marsch auf das Gefechtsfeld über schlechte
Wegestrecken fort. Den Kampf indessen überläßt er den Deutschen.
Mazedonien wird auf diese Weise freilich für Bulgarien verloren gehen.
Aber der bulgarische Bauer sagt sich, daß er in der Heimat Land genug
habe; also zieht er in die Heimat und überläßt die Sorge und den Kampf um
Mazedonien und die bisherigen Großmachtspläne anderen Menschen.

Die deutsche Führung, die vom Ochridasee bis zum Doiransee das
verantwortliche Kommando hat, sieht sich angesichts dieser Verhältnisse
vor einer unendlich schwierigen Lage. Was an deutschen Truppen, an
Etappenmannschaften, Landsturm und Rekruten vorhanden ist, wird
zusammengerafft, um die bulgarische Mitte zu stützen und Gradsko zu
retten. Die Aussichten, daß dieses gelingt, werden immer geringer. Bei der
Haltlosigkeit der bulgarischen Mitte bleibt sonach als einzigste Rettung,
die Flügel des Heeres zurückzunehmen. Eine solche Bewegung würde an sich
nur geringe taktische Nachteile verursachen, denn in Mazedonien liegt eine
gewaltige Verteidigungsstellung hinter der anderen und je weiter der
Gegner nach Norden kommt, um so schwieriger werden seine rückwärtigen
Verbindungen. Freilich mit der Preisgabe des Wardartales verschlechtern
sich auch die rückwärtigen Verbindungen der Bulgaren. Aber es scheint
wenigstens möglich, durch diese Maßnahme die Masse des Heeres zu retten.

Dem Entschluß des deutschen Heeresgruppenkommandos stellen die
bulgarischen Führer die ernstesten Bedenken entgegen. Sie glauben, daß
ihre Truppen in den jetzigen Stellungen noch zusammenhalten, ja sogar
kämpfen würden. Dagegen sind sie der Anschauung, daß die Armeen sich
völlig auflösen würden, wenn man ihnen den Rückzugsbefehl gäbe.

Eine wahrhaft verzweiflungsvolle Lage, verzweiflungsvoll für alle
Beteiligten. Die Bulgaren klagen, daß nicht genug deutsche Truppen zur
Stelle sind, daß man die früher vorhandenen zum Teil entfernt hätte. Was
aber hätten ein paar deutsche Bataillone mehr in diesem allgemeinen
Zusammenbruch genutzt? Wie viele deutsche Divisionen hätte man schicken
müssen, um die mazedonische Front zu verteidigen? Deutschland kann nicht
im Westen die Entscheidung suchen und seine Divisionen nach Bulgarien
schicken wollen. Der Bulgare will nicht einsehen, daß die deutsche Kraft
auch zu erschöpfen ist. Die bulgarische ist an sich noch lange nicht
erschöpft, erschöpft ist nur der bulgarische Kriegswille.

Auch wir im Großen Hauptquartier stehen vor verhängnisvollen Fragen. Wir
müssen wenigstens versuchen, in Bulgarien zu retten, was zu retten ist.
Wir müssen also doch Unterstützungen schicken und zwar sofort, so schwer
uns das werden mag. Es ist der 18. September, als sich diese Notwendigkeit
in vollem Umfange ausprägt. Man denke daran, wie schwer der Kampf zu
dieser Zeit an unserer Westfront tobt. Wenige Tage vorher hatten die
Amerikaner ihren großen Erfolg zwischen Maas und Mosel errungen, und eine
weitere Ausdehnung der Angriffe steht dort noch bevor.

Die erste Unterstützung, die wir freimachen können, sind Truppen, eine
gemischte Brigade, die für Transkaukasien bestimmt waren und eben über das
Schwarze Meer befördert werden. Sie werden durch Funkspruch abgedreht und
sollen über Varna-Sofia herankommen. Diese Kräfte genügen jedoch nicht. An
unserer Ostfront können wohl noch einige Divisionen entbehrlich gemacht
werden. Wir wollten sie an eine ruhige Front des Westens bringen. Doch was
sind das für Truppen? Kein Mann unter 35 Jahren, und alle Vollkräftigen
schon nach dem Westen geholt! Kann von ihnen noch eine besondere Leistung
erwartet werden? Sie mögen den besten Willen mitbringen, aber in diesem
Klima und ohne Ausrüstung für den Krieg in einem gebirgigen Lande sind sie
an der mazedonischen Front nur bedingt brauchbar. Doch es muß sein, denn
nicht nur die bulgarische Armee, auch die bulgarische Regierung und der
Zar müssen in dieser schwersten Gefahr deutsche Hilfe erhalten.

Auch vom Westen her schicken wir Unterstützung. Unser Alpenkorps, eben
erst aus schwerstem Kampfe gezogen, wird zur Fahrt nach Nisch auf die Bahn
gesetzt. Ebenso beteiligt sich Österreich-Ungarn an dem Versuch, Bulgarien
zu helfen, und stellt mehrere Divisionen hierfür zur Verfügung. Wir
verzichten daher auf weitere österreichisch-ungarische Unterstützung an
unserer Westfront.

Bis diese deutsche und österreichische Hilfe eintreffen kann, muß versucht
werden, wenigstens die Masse des bulgarischen Heeres zu retten. Trotz
aller bulgarischen Bedenken wird deshalb von dem deutschen
Heeresgruppenkommando der Befehl zum Rückzug an die rechte und mittlere
bulgarische Armee gegeben. Die Stellungen auf der Belasiza, nördlich des
Doiransees, sollen den Drehpunkt der ganzen Bewegung bilden.

Die linke bulgarische Armee wird während dieser ganzen Zeit nicht
angegriffen. Ihre Stellungen auf der Belasiza und hinter der Struma sind
von größter Stärke. Wenige Maschinengewehre und Batterien genügen für ihre
Verteidigung. Trotzdem verbreitet sich auch in dieser Armee Verwirrung;
Mut und ruhige Überlegung schwinden. Der Führer hält seine Lage für
unhaltbar und beschwört den Zaren, sofort Waffenstillstand zu schließen.
Der Zar antwortet: „Gehen Sie in den Stellungen, die Sie innehaben, zu
Grunde.“ Das Wort beweist, daß der Zar Herr der Lage ist, und daß ich mich
nicht in ihm täuschte.

Auch Kronprinz Boris befindet sich auf der Höhe seiner Aufgabe. Er eilt an
die Front, um dort zu retten, was zu retten ist. Was vermag jedoch ein
einzelner, auch wenn er von der Liebe vieler, und von der Achtung aller
getragen wird, in solcher allgemeinen Kopflosigkeit und in solchem
Schwinden des Willens?

Die mittlere Armee beginnt am 20. September befehlsgemäß den Rückzug.
Dieser wird zur Auflösung; ungeschickte Anordnungen vervollständigen die
Verwirrung. Die Stäbe versagen, am gründlichsten der Armeestab. Hier ist
nur ein ganzer Mann vorhanden, klar blickend und von bestem Wollen
beseelt, nämlich der Führer.

Die rechte Armee hat eine schwierige Aufgabe. Ihre Hauptrückzugsstraße
führt über Prilep auf Veles. Da der Gegner schon vor Gradsko steht, ist
diese Straße äußerst bedroht. Ein anderer Weg führt aus dem Seengebiete
und dem Gebiete von Monastir weiter im Westen mitten durch das wilde
Albaner-Gebirge auf Kalkandelen. Er vereinigt sich mit demjenigen über
Veles bei Üsküb. Dieser Weg durch das Albaner-Gebirge ist gesichert, aber
sehr schwierig, und es ist zweifelhaft, ob größere Truppenmassen in diesen
Gebieten die nötige Verpflegung finden. Trotz dieser Bedenken müssen
starke Teile auf ihn verwiesen werden. Noch stärkere werden dorthin
gedrängt, als der Feind Gradsko nimmt und nunmehr gegen das Straßenstück
Prilep-Veles von Südosten her vorrückt. Gradsko fällt schon am
21. September. Aus einem elenden Ort war es im Laufe des Krieges zu einer
förmlichen Lagerstatt geworden, die in ihrer Anlage und Größe an eine
amerikanische Neugründung erinnert. Ungeheuere Vorräte sind hier
aufgespeichert, ausreichend für einen ganzen Feldzug. In den dortigen
Depots merkt man nichts davon, daß die bulgarischen Armeen an der Front
irgend etwas entbehren mußten. Jetzt fällt alles der bulgarischen
Vernichtung anheim oder wird Beute des Feindes. Nicht nur in Gradsko
sondern auch anderwärts verfügt Bulgarien noch über reiche Bestände. Sie
ruhten bisher im Verborgenen, behütet von der einseitigen Sorge
bureaukratischer Wirtschaft, die auch in Bulgarien wie eine Kruste das
Volksleben überzieht, trotz liberalster Gesetze und freiheitlichem
Parlament.

Bulgarien kann also den Krieg noch weiter führen, wenn es ihn nur nicht
selbst für verloren hält oder halten will. Unser Plan, der auch die
Zustimmung der bulgarischen Obersten Heeresleitung findet, ist folgender:
Die mittlere Armee soll an die altbulgarische Grenze zurückschwenken. Die
rechte Armee soll sich bei Üsküb oder weiter nördlich versammeln; sie wird
verstärkt durch die anrollenden deutschen und österreichischen Divisionen.
Diese Kräfte bei Üsküb werden reichlichst genügen, um die Lage zu halten;
ja es ist bei einiger Brauchbarkeit der bulgarischen Verbände damit zu
rechnen, daß wir von Üsküb aus bald wieder zu einem Angriff in südlicher
Richtung vorgehen können. Es scheint ausgeschlossen, daß der Gegner ohne
Rast mit starken Massen bis Üsküb und bis an die altbulgarische Grenze
nachdrängt. Wie sollte er seinen Nachschub regeln, da wir die Bahnen und
Straßen gründlich zerstört haben? Wir hoffen auch, daß in den bulgarischen
Truppen bei Berührung mit dem heimatlichen Boden sich wieder Kraft und
Verantwortungsgefühl zusammenfinden.

Die vorgeschlagene Operation ist nur möglich, wenn Üsküb so lange gehalten
wird, bis die bulgarischen Truppen über Kalkandelen herankommen. Diese
Aufgabe erscheint leicht, denn der Gegner folgt in der Tat über Gradsko
hinaus mit nur verhältnismäßig schwachen Kräften.

Während dieser Vorgänge bleibt Sofia auffallend ruhig. Unsere dort
eintreffenden Bataillone, die der Bevölkerung zur Beruhigung, der
Regierung zum Schutz und zur Stütze dienen sollen, finden nichts von der
gefürchteten Aufregung. Das Leben macht freilich einen eigenartigen
Eindruck, hervorgerufen durch die Scharen von Soldaten, die außerhalb
ihrer Verbände durch die Stadt der Heimat zuziehen. Die Mannschaften
liefern ihre Gewehre in die Waffendepots ab, verabschieden sich von
Kameraden und Vorgesetzten, versichern sogar teilweise, daß sie
wiederkommen würden, wenn sie nur erst einmal ihre Felder bestellt hätten.
Ein eigenartiges Bild, ein merkwürdiger Seelenzustand. Oder ein
abgekartetes Spiel? Wir haben aber keinen Grund, ein solches bei den
Soldaten vorauszusetzen. Daß es in dieser Auflösung nicht überall
friedlich zugeht, ist klar. Die Gerüchte von schweren Ausschreitungen
erweisen sich aber meist als übertrieben.

An der Front ändert sich die Lage nicht. Der Rückzug der bulgarischen
Massen dauert ununterbrochen an. Er ist auch gegen die schwachen Kräfte
des verfolgenden Feindes nicht dauernd zum Halten zu bringen. Vergeblich
versucht man einzelne Haufen, von geschlossenen Truppen kann man kaum noch
sprechen, dazu zu bringen, die Front wieder gegen den Feind zu nehmen und
wenigstens stellenweise einen geregelten Widerstand zu ordnen. Kommt der
Gegner heran, so verlassen die Bulgaren schon nach wenigen Schüssen ihre
Stellungen. Deutsche Truppen sind nicht mehr imstande, dem bulgarischen
Widerstand einen Halt zu geben. Ebenso vergeblich ist das Bemühen
deutscher und bulgarischer Offiziere, mit dem Gewehre in der Hand durch
ihr Beispiel auf die haltlose gleichgültige Masse zu wirken.

So nähert sich der Gegner Üsküb, bevor neue deutsche und
österreichisch-ungarische Truppen dort eintreffen können. Am 29. September
treten aber starke Teile der rechten bulgarischen Armee bei Kalkandelen
aus dem Gebirge. Sie brauchen von da nur noch auf guter Straße nach Üsküb
zu rücken. Die Truppen sind, wie uns gemeldet wird, durchaus kampffähig.
Die schwerste Krisis scheint demnach überwunden zu sein. Militärisch
mochte das der Fall sein, aber moralisch ist die Sache endgültig verloren.
Daran war bald nicht mehr zu zweifeln. Schwache serbische Kräfte haben
Üsküb besetzt. Die Truppen bei Kalkandelen versagen: sie kapitulieren. Am
29. September abends schließt Bulgarien Waffenstillstand.



                 Der Sturz der türkischen Macht in Asien


Der Anfang des Jahres 1918 brachte einen kühnen Aufschwung des osmanischen
Kriegswillens. Die Türkei schritt, ehe noch der Winter im armenischen
Hochlande zu Ende ging, zum Angriff gegen die dortigen russischen Armeen.
Die russische Macht erwies sich in diesen Gebieten nur noch als Phantom.
Die Masse der Truppen hatte sich bereits völlig aufgelöst. Der Vormarsch
der Türken fand daher nur noch Widerstand bei armenischen Banden.
Schwieriger als dessen Beseitigung war die Überwindung der Hindernisse,
die in dieser Jahreszeit die Hochlandnatur den Türken in den Weg legte.
Daß der Vormarsch trotzdem gelang, war eine jener merkwürdigen
Erscheinungen aufwallender Lebenskraft des osmanischen Staatswesens. Die
Türkei warf sich über die Grenzen des osmanischen Armeniens hinaus auf die
Gebiete Transkaukasiens, angetrieben durch verschiedene Beweggründe:
Panislamitische Träumereien, Rachegedanken, Hoffnung auf Entschädigungen
für bis jetzt verlorene Landesteile und Erwartung von Beute. Dazu kam noch
ein weiteres, nämlich die Suche nach Menschenkräften. Das Land, in erster
Linie die Siedlungsgebiete der prächtigen Anatolier, ist in bezug auf
Menschenkräfte völlig erschöpft. Im transkaukasischen Aserbeidschan und
unter den kaukasischen Mohammedanern scheinen sich neue große Quellen zu
eröffnen. Rußland hat diese Mohammedaner zu dem regelmäßigen Militärdienst
nicht herangezogen, nun sollen sie unter dem Halbmond fechten. Die Zahlen
der voraussichtlichen Freiwilligen, die uns mitgeteilt werden, zeigen die
Üppigkeit der orientalischen Phantasie. Auch müßte man, wenn man den
osmanischen Mitteilungen glauben sollte, annehmen, daß die
mohammedanischen Völker Rußlands seit langem keine höhere Sehnsucht
gekannt hätten, als mit dem türkischen Reiche zusammen ein einiges großes
geschlossenes Glaubensland zu bilden. Immerhin ist der Gedanke nicht von
der Hand zu weisen, daß die Türkei sich in diesen Gebieten neue Kräfte
erschließt, und daß England sich gezwungen sehen wird, der Entwicklung
dieser Vorgänge sein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Einstweilen ist es
aber gut, mit nüchterner Wirklichkeit zu rechnen. Wir versuchen daher, auf
die hochgehenden Wogen osmanischer Hoffnungen beruhigend einzuwirken,
freilich nicht mit dem wünschenswerten Erfolg. Man stimmt uns bei, daß die
Hauptaufgabe der Türkei im Rahmen des Gesamtkrieges weit mehr in der
Richtung auf Syrien und Mesopotamien zu suchen ist, als in derjenigen auf
den Kaukasus und das Kaspische Meer. Was helfen aber Versprechungen und
guter Wille in Konstantinopel, wenn die Führer auf den entlegenen
Kriegsschauplätzen ihre eigenen Wege gehen!

Um wenigstens einen Anteil an den reichen Vorräten von Kriegsrohstoffen in
Transkaukasien für die allgemeine Kriegführung zu retten, senden wir
Truppen nach Georgien. Wir hoffen, der dortigen Regierung den Aufbau eines
geordneten Wirtschaftslebens zu ermöglichen.

Aber der Panislamismus und der Kriegswucher in Konstantinopel ruhen nicht
eher, als bis Baku auch in die Hand der Türken fällt, und zwar zu einer
Zeit, in der sich der Zusammenbruch der alten asiatischen Herrschaft der
Türkei vollzieht.

Auch die Absicht, über Transkaukasien in Persien entscheidenden Einfluß zu
gewinnen, führte die Türkei so weit in östlicher Richtung vor. Man will
durch Persien hindurch den englischen Operationen in Mesopotamien in die
Flanke fallen, ein Plan, der an sich gut ist, dessen Durchführung aber
Zeit braucht. Es ist freilich zweifelhaft, ob wir diese Zeit finden
werden. Vielleicht aber binden schon die ersten türkischen Bewegungen im
nördlichen Persien englische Kräfte und retten dadurch Mesopotamien für
die Türkei.

Wie durch das Weiße Meer über Archangelsk, so scheint England auch über
das Kaspische Meer und über Baku sich einen Einfluß in Rußland sichern zu
wollen. Aus diesen Gründen liegt die Durchführung der osmanischen Pläne in
Persien und in Transkaukasien auch in unserem Interesse. Nur hätte
demgegenüber die Verteidigung in Mesopotamien und besonders in Syrien
nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Aufstellung einer
verwendungsbereiten türkischen Reservearmee in der Gegend von Aleppo wäre
jedenfalls mit Rücksicht auf alle operativen Möglichkeiten des Engländers
südlich des Taurus von mehr Wert gewesen, als größere Operationen in
Persien.

In Mesopotamien ist die Lage seit dem Herbst 1917 nach der Karte
betrachtet unverändert geblieben. In Wirklichkeit hat sich aber in den
Gegenden südlich von Mosul für die türkischen Armeen eine Katastrophe
vollzogen, freilich nicht unter Geschützdonner. Wie im armenischen
Hochlande im Winter 1916/17, so gingen in der mesopotamischen Ebene im
Winter 1917/18 die türkischen Soldaten in großer Zahl zugrunde. Man
spricht von 17.000, die in dortigen Stellungen verhungerten oder an den
Folgen dieses Elendes starben. Ob die Zahl richtig ist, vermögen wir nicht
nachzuprüfen. „Auch wer verhungert, stirbt den Heldentod“, so versicherte
uns ein Türke, nicht im Zynismus, sondern aus innerer ehrlichster
Überzeugung. Nur noch Reste der ehemaligen türkischen Armee überleben in
Mesopotamien das Frühjahr. Es ist zweifelhaft, ob sie je wieder zu
gefechtsfähiger Stärke gebracht werden können. Man fragt sich, warum
greift England in Mesopotamien nicht an? Oder besser gesagt, warum
marschiert es nicht einfach vorwärts? Genügen die Schatten dieser
osmanischen Macht, um ihren Gegner zur Innehaltung seines Programms
kolonialer Kriegführung zu veranlassen? Die englische Führung mag für
diese Vorsicht ihrer Operationen alle möglichen Gründe anführen können,
nur einen hat sie nicht, nämlich die Stärke des Gegners.

Während im armenischen Hochlande die türkische Wehrmacht nochmals einen
Triumph feierte, hatten die Kämpfe in Syrien nicht geruht. Wiederholt kam
es an der syrischen Front zu frontalen englischen Angriffen, ohne daß
hierdurch die Lage wesentlich geändert wurde. Im Frühjahr 1918 schien die
englische Kriegführung dieses ewigen Einerleis endlich müde zu werden. Sie
raffte sich zu einem neuen Gedanken auf und brach über Jericho in das
Ostjordanland ein. Man nahm an, daß die Araberstämme in diesem Gebiete das
Auftreten ihrer Befreier vom türkischen Joch nur erwarteten, um sofort den
osmanischen Armeen in den Rücken zu fallen. Das Unternehmen scheiterte
jedoch ziemlich ruhmlos vor geringen deutschen und türkischen Kräften dank
ausgezeichneter osmanischer Führung. Die Lage an der syrischen Front wurde
hierdurch in den Sommer hinein gerettet. In dieser Jahreszeit pflegte in
jenen glutheißen Gebieten allgemeine Ruhe einzutreten. Es war jedoch mit
Sicherheit zu erwarten, daß der Engländer im Herbste seine Angriffe in
irgend einer Richtung wiederholen würde. Wir glaubten, daß die
Zwischenzeit genügend sei, um die Lage an der syrischen Front durch
Zuführung neuer türkischer Kräfte zu festigen.

Die inneren Schwierigkeiten im türkischen Staate dauerten auch im Jahre
1918 an. Der Tod des Sultans übte nach außen hin zunächst keinen
sichtbaren Einfluß aus. Im Innern begann allmählich eine Bewegung zur
Besserung einzusetzen. Der neue Sultan war augenscheinlich ein Mann der
Tat. Er zeigte den besten Willen, sich von der bisherigen Bevormundung
durch das Komitee freizumachen und den schweren Staatsschäden
entgegenzutreten. Er wählte die Männer seiner Umgebung aus den Kreisen,
die sich den alttürkischen Richtungen zuneigten.

Ich hatte den neuen Padischa als Thronfolger in Kreuznach kennen gelernt.
Damals hatte ich die Ehre, ihn als meinen Gast zu sehen. Bei den
Schwierigkeiten unmittelbaren sprachlichen Verkehrs, der Sultan sprach nur
türkisch, war unsere Unterhaltung durch Dolmetscher im wesentlichen auf
den Austausch von Ansprachen beschränkt. Die Erwiderung des Thronfolgers
auf meine Anrede trug einen sehr bundesfreundlichen Charakter. Diesem
entsprach auch seine Haltung nach der Thronbesteigung.

Der Sultan hatte vornehmlich die Absicht, auf das Heerwesen einen
persönlichen Einfluß auszuüben. Er wollte auch die Armeen in den
entfernten Provinzen aufsuchen. Ob hierdurch wesentliche Mängel hätten
beseitigt werden können, wage ich nicht zu entscheiden.

Das Land war durch den Kriegszustand völlig erschöpft. Es konnte dem Heere
kaum noch irgend welche neuen Kräfte bieten. So gelang es auch während des
Sommers nicht, die Verhältnisse an der syrischen Front wesentlich zu
stärken. Es ist schwer zu entscheiden, inwieweit bei den geradezu
kläglichen Verbindungen dorthin ausreichenderes hätte geleistet werden
können. Die Zustände in der Versorgung der Armee blieben schlecht. Die
Truppe verhungerte nicht, aber sie lebte nahezu beständig in ungestilltem
Hunger dahin, körperlich müde, seelisch empfindungslos.

Wie ich schon früher anführte, mußten wir auf das Wegziehen der deutschen
Truppen aus der syrischen Front verzichten. Die dortige deutsche Führung
glaubte nur mit deutscher Hilfe die Lage als gesichert betrachten zu
können. Man schätzte freilich den Angriffsgeist der gegenüberstehenden
englisch-indischen Armee besonders auf Grund von Aussagen
mohammedanisch-indischer Überläufer nicht sehr hoch ein. Auch waren die
bisherigen Leistungen der englischen Führung so wenig eindrucksvoll, daß
man sich zu der Hoffnung berechtigt fühlte, mit den vorhandenen geringen
Kräften dem Feinde wenigstens die Möglichkeit eines weiteren Widerstandes
vortäuschen zu können. Wie lange eine solche Täuschung vorhielt, hing
lediglich davon ab, ob sich der Gegner endlich einmal zu einer
kraftvollen, geschlossenen Gefechtshandlung aufraffen und damit das Gerüst
des türkischen Widerstandes mit seinen schwachen deutschen Stützen
umwerfen würde oder nicht.

Am 19. September griff der Engländer überraschend den rechten türkischen
Heeresflügel in den Küstenebenen an. Er durchbrach fast widerstandslos die
dortigen Linien. Die Niederlage der beiden türkischen Armeen an der
syrischen Front wurde durch das rasche Vordringen der
indisch-australischen Reitergeschwader besiegelt.

In diesen Tagen wurde die Türkei durch den bulgarischen Zusammenbruch
ihres bisherigen Landschutzes in Europa beraubt. Konstantinopel war
dadurch im ersten Augenblick auf der europäischen Landseite völlig
schutzlos. Die türkischen Truppen an den Dardanellen waren im Verlaufe der
letzten Zeiten dauernd schlechter geworden. Aus ihnen holten die Armeen
der entlegenen Provinzen alles heraus, was noch an Gefechtswert in ihnen
steckte. Thrazien war mit Ausnahme einer schwachen kaum gefechtsfähigen
Küstenbesatzung ungeschützt. Die Befestigungen der berühmten
Tschataldschalinie bestanden nur aus zerfallenen Schützengräben, wie sie
nach den Kämpfen der Jahre 1912/13 von den türkischen Truppen verlassen
waren. Alles übrige war nur in der Phantasie oder auf trügerischen Plänen
vorhanden. Man mag über diese Zustände nachträglich den Kopf schütteln,
letzten Endes offenbart sich in ihnen doch der große Wille, alle
vorhandenen Kräfte auf den entscheidenden Außenposten zu verwenden. Wehe
dann freilich, wenn der äußere Schutzwall durchbrochen wurde, und sich die
feindlichen Fluten in das Innere des Landes ergossen.

Solch eine Flut bedrohte nunmehr das Herz des ganzen Landes. Unter den
Eindrücken der ersten Nachrichten vom drohenden bulgarischen Zusammenbruch
wurden aus Konstantinopel heraus einzelne rasch zusammengestellte
Formationen an die Tschataldschalinie geworfen. Ein nennenswerter
Widerstand wäre jedoch mit ihnen nicht zu leisten gewesen. Mehr der
moralischen als der praktischen Wirkung wegen ordneten wir die sofortige
Überführung von deutschen Landwehrformationen aus dem südlichen Rußland
nach Konstantinopel an. Auch entschloß sich die Türkei dazu, alle aus
Transkaukasien zurückgerufenen Divisionen zunächst nach Thrazien zu
werfen. Bis jedoch nennenswerte Kräfte Konstantinopel erreichen konnten,
mußte geraume Zeit vergehen. Warum der Gegner diese Zeit nicht ausnutzte,
um sich der Hauptstadt zu bemächtigen, läßt sich nach den bis jetzt
vorhandenen Quellen nicht feststellen. Nochmals blieb die Türkei vor einer
unmittelbaren Katastrophe bewahrt. Der Eintritt einer solchen schien aber
Ende September doch nur eine Frage von wenigen Tagen.



           Militärisches und Politisches aus Österreich-Ungarn


Nach den vergeblichen Angriffen des österreichisch-ungarischen Heeres in
Oberitalien zeigte sich immer mehr, daß die Donaumonarchie ihre letzte und
beste Stärke an dieses Unternehmen gesetzt hatte. Sie hatte nicht mehr so
viel zahlenmäßige und sittliche Kräfte, um einen solchen Angriff
wiederholen zu können. Die Verhältnisse dieses Heeres traten uns so recht
deutlich in der Beschaffenheit der Divisionen vor Augen, die zu unserer
Unterstützung an die Westfront geschickt wurden. Ihr sofortiger Einsatz
war unmöglich, wenn man später größere Kampfleistungen von ihnen verlangen
wollte. Sie bedurften der Erholung, Schulung und besonders auch der
Ausrüstung. Diese Tatsachen wurden innerhalb der eintreffenden Truppen
ebenso rückhaltslos anerkannt wie von seiten des k. u. k.
Armee-Oberkommandos. Alle österreichisch-ungarischen Befehlsstellen gaben
sich die größte Mühe, die im Westen verwendeten k. u. k. Truppen in
verhältnismäßig kurzer Zeit ihrer kommenden Aufgabe entsprechend
leistungsfähig zu machen. Wenn das Ziel nicht voll und ganz erreicht
wurde, so lag es wahrlich nicht an mangelnder Tätigkeit und Einsicht der
Offiziere. Auch die Mannschaften zeigten sich in hohem Grade willig.

Die großen Verluste der österreichisch-ungarischen Wehrmacht in Italien,
die mangelhaften Ersatzverhältnisse, die politische Unzuverlässigkeit
einzelner Truppenteile, die unsicheren Zustände im Innern des Landes
machten eine wirklich große und ausschlaggebende Unterstützung unserer
Westfront leider unmöglich. General von Arz mußte sich angesichts dieser
Verhältnisse in des Wortes vollster Bedeutung jede einzelne Division, die
er uns schicken wollte, von der Seele reißen. Er selbst war von der großen
Bedeutung dieser Hilfe durchaus überzeugt. Ich vermag nicht zu sagen, ob
man in allen österreichisch-ungarischen Kreisen von der gleichen
Hilfsbereitschaft durchdrungen war, ob man überall die gleiche
Dankesschuld uns gegenüber empfand, wie General von Arz.

An den österreichisch-ungarischen Heeresfronten ereignete sich im Verlauf
des Sommers nichts wesentliches. Die einzige bemerkenswerte kriegerische
Leistung vollzog sich in diesem Zeitraume auf albanischem Boden. Dort
hatte man sich jahrelang eigentlich tatenlos gegenübergestanden, die
Italiener, etwa ein verstärktes Armeekorps, um Valona und östlich, die
Österreicher im nördlichen Albanien. Der Kriegsschauplatz wäre ohne jede
militärische Bedeutung gewesen, wenn er nicht einen Zusammenhang mit den
mazedonischen Fronten gehabt hätte. Bulgarien befürchtete beständig, daß
durch ein feindliches Vordringen westlich des Ochridasees die rechte
Flanke seiner Heeresfront umfaßt werden könnte. Militärisch wäre einem
solchen feindlichen Unternehmen leicht durch Zurücknahme des bulgarischen
Westflügels aus dem Gebiete von Ochrida in nordöstlicher Richtung zu
begegnen gewesen. Allein die innerpolitischen Verhältnisse Bulgariens
machten, wie ich das schon erwähnt habe, damals jedes Zurückziehen
bulgarischer Truppen aus diesem besetzten Lande unmöglich. Dazu kamen
bulgarisch-österreichische Eifersüchteleien in Albanien, die mit Mühe von
uns ausgeglichen worden waren.

Man hat wiederholt die Frage gestellt, warum die Österreicher ihre
italienischen Gegner nicht aus Valona vertrieben haben. Die
außerordentliche Wichtigkeit dieses Flottenstützpunktes als zweiter
Torflügel zur Sperrung der Adria war mit den Händen zu greifen. Für eine
solche Operation fehlte jedoch für Österreich-Ungarn die erste
Voraussetzung, nämlich die entsprechende leistungsfähige, rückwärtige
Verbindung in das Kampfgebiet an der Vojusa. Auf die See konnte ein
solches Unternehmen nicht basiert werden, Landverbindungen waren aber in
dem öden albanischen Berglande vor dem Kriege nicht vorhanden, und
Österreich-Ungarn konnte sie im Verlauf des Krieges dort nicht in
genügendem Umfang schaffen.

Die österreichisch-ungarischen Operationen in Albanien befanden sich in
einer Art von Dornröschenschlaf, in dem sie nur zeitweise durch
gegenseitige Unternehmungen geringeren Umfanges und noch geringerer
Tatkraft gestört wurden. Einen größeren Ernst nahm die Lage in Albanien
erst an, als die Italiener im Sommer 1918 zu einem breit entwickelten
Angriff von der Meeresküste bis in die Gegend des Ochridasees schritten.
Die schwachen, teilweise auch sehr vernachlässigten
österreichisch-ungarischen Verbände wurden nach Norden zurückgedrückt.
Sogleich erhob sich die bulgarische Sorge in Sofia und an der
mazedonischen Grenze und verlangte unser Eingreifen als Oberste
Kriegsleitung. Dieses Eingreifen vollzog sich in der Form eines Ersuchens
an das k. u. k. Armee-Oberkommando, die österreichischen Kräfte in
Albanien zu verstärken, um auch weiterhin den Schutz der mazedonischen
Flanke durchführen zu können. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung
entschloß sich darüber hinausgehend in Albanien zu einem Gegenangriff. Die
Italiener wurden wieder zurückgeschlagen.

Es ist nicht klar zu erkennen, ob diese italienische Offensive irgend
welche weiter gesteckten politischen und militärischen Ziele im Auge
hatte. Besonders muß ich die Frage offen lassen, ob sie mit dem später
einsetzenden Angriff der Entente gegen die Mitte der mazedonischen Front
in irgendwelchem inneren Zusammenhang stand. Der österreichische
Gegenangriff stellte angesichts der ganz außerordentlichen Schwierigkeiten
in den albanischen Geländeverhältnissen und der feindlichen zahlenmäßigen
Überlegenheit eine sehr beachtenswerte Leistung dar. Sie verdient
durchaus, von seiten unserer Bundesgenossen als solche gefeiert zu werden.

Die inneren Verhältnisse Österreich-Ungarns hatten sich im Laufe des
Jahres 1918 in der früher erwähnten bedenklichen Richtung weiter
entwickelt. Die ungewöhnlichen Schwierigkeiten in der Volksernährung
bedrohten Wien zeitweise geradezu mit einer Katastrophe. Da war es kein
Wunder, daß die österreichisch-ungarischen Behörden in dem Zusammenraffen
greifbarer Verpflegungsbestände, sei es in Rumänien, sei es in der
Ukraine, zu Maßnahmen griffen, die unseren eigenen Interessen im höchsten
Grade entgegengesetzt waren.

Unter den trüben politischen Verhältnissen Österreich-Ungarns war es nicht
weiter erstaunlich, wenn uns von dort immer wieder erklärt wurde, daß eine
Weiterführung des Krieges über das Jahr 1918 hinaus von seiten der
Donaumonarchie ausgeschlossen wäre. Der Drang nach Abschluß der
Feindseligkeiten äußerte sich immer häufiger und immer stärker. Ob dabei,
wie behauptet wurde, auch der Ehrgeiz, die Rolle des Friedensbringers zu
spielen, bei irgendwem einen wirklich ausschlaggebenden Einfluß ausübte,
lasse ich dahingestellt sein.

Im Sommer erfolgte der Rücktritt des Grafen Czernin von seinem Posten als
Außenminister. Als Grund gab der Graf selbst an, daß die von seinem Kaiser
an den Prinzen Sixtus von Parma gerichteten Briefe einen unüberbrückbaren
Gegensatz zwischen ihm und seinem Herrn geschaffen hätten. Mir war der
Graf nicht unsympathisch, trotz der mancherlei Gegensätze, die zwischen
seinen politischen Anschauungen und den meinigen bestanden, und die er uns
gegenüber ebenso offen vertrat, wie wir die unserigen.

Für mich war Graf Czernin der typische Vertreter der
österreichisch-ungarischen Außenpolitik. Er war klug und von scharfem
Erkennen der Schwierigkeiten unserer gemeinsamen Lage sowie von
zutreffender, rückhaltsloser Kritik der Schwächen des von ihm vertretenen
Staatswesens. Seine politischen Pläne bewegten sich dabei aber weit mehr
im Bestreben, ein Unheil zu vermeiden als unsere Erfolge auszunutzen. Für
die Interessen seines Vaterlandes hatte der Graf zwar immer ein offenes
Auge und ein weitem Herz, doch im auffallenden Gegensatz hierzu sah er in
der Beurteilung unserer Gesamtlage das rettende Heil meist im Verzicht.
Aus diesen Widersprüchen kam es, daß er für die Doppelmonarchie
Erweiterung ihrer Machtsphäre anzustreben nicht aufhörte, auch wenn er
gleichzeitig uns Deutschen große Opfer für die Interessen der verbündeten
Gemeinschaft zumutete. Graf Czernin unterschätzte, wie alle
österreichisch-ungarischen Staatsmänner dieser Zeit, die
Leistungsfähigkeit seines Vaterlandes. Sonst hätte er nicht im Frühjahr
1917 kurz nach seiner Amtsübernahme von der Unmöglichkeit weiteren
Durchhaltens sprechen dürfen, obwohl die österreichisch-ungarische Kraft
noch länger ausreichte und auch bei der Geschäftsniederlegung des Grafen
noch keineswegs bei dem Erschöpfungstod angelangt war. Es lag in den
Gedankenverbindungen des Grafen Czernin eine Art von Sichselbstaufgeben.
Ob er dabei nicht imstande war, den Friedensbestrebungen seines Kaisers
Widerstand zu leisten, oder ob er diese vielleicht in innerster
Überzeugung unterstützte, vermochte ich während seiner Amtsführung nicht
klar zu durchschauen. Jedenfalls verkannte der Graf die Gefahren, die in
einer übertriebenen und ganz besonders zu oft wiederholten Betonung der
Friedensbereitschaft solchen Feinden wie den unserigen gegenüber enthalten
waren. Nur so wird es verständlich, daß er in einer Zeit des scheinbar
beginnenden Heranreifens unserer Unterseebooterfolge, des Mißerfolges der
feindlichen Frühjahrsoffensive und der Rückwirkung der staatlichen
Auflösung in Rußland auf unsere Feinde die politische Ruhe verlor und die
Friedensresolution im Deutschen Reichstage anregte.

Ich war der Meinung, daß es Graf Czernin an der bundesbrüderlichen
Gesinnung uns gegenüber nicht fehlen lassen wollte, selbst als er uns bei
den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und Bukarest vor mancherlei
Überraschungen stellte. Er befürchtete damals wohl, daß die Donaumonarchie
ein etwaiges Scheitern dieser Verhandlungen nicht überwinden könnte, und
daß der Schrei nach Brot in Wien unbedingt eine baldige Vereinbarung mit
der Ukraine forderte.

Unter der außenpolitischen Leitung Czernins fand die polnische Frage
zwischen uns und Österreich-Ungarn keinen Abschluß. Eine Preisgabe ganz
Polens an die Doppelmonarchie war und blieb aus den schon früher berührten
Gründen für uns unannehmbar.

Der Nachfolger des Grafen Czernin, Graf Burian, war mir aus seiner
Tätigkeit als Außenminister der vorczerninschen Zeit schon in Pleß bekannt
geworden. Bei der Umständlichkeit Burians, die bei allen wichtigeren
Fragen zutage trat, konnte ich eine Erledigung des polnischen Problems in
absehbarer Zeit nicht erhoffen. Ich muß auch offen eingestehen, daß meine
Gedanken in der nunmehr folgenden Zeit von entscheidenderen Dingen in
Anspruch genommen wurden als von so langwierigen, unfruchtbaren
Verhandlungen.

Bei seiner Wiederberufung als Außenminister hatte Graf Burian das
begreifliche Bestreben, möglichst bald einen Ausweg aus unserer
politischen Lage zu finden. Es war menschlich verständlich, daß er unter
dem Eindruck der sich im besten verschlimmernden Kriegslage mit größter
Hartnäckigkeit zum Frieden drängte. Nach meiner Anschauung sollte indessen
keiner der verbündeten Staaten aus dem Rahmen der politischen
Einheitsfront heraustreten und dem Gegner Friedensangebote machen. Es war
ein Irrtum, zu glauben, daß dadurch jetzt noch wesentliches für einen
Einzelstaat oder für unsere Gesamtheit gebessert werden könne. Der
türkische Großwesir, der in der ersten Septemberhälfte in Spa weilte,
beurteilte die Lage ganz ebenso wie wir. Auch Zar Ferdinand sprach noch zu
gleichem Zeitpunkt davon, daß Friedensbestrebungen seines Landes außerhalb
des gemeinsamen Bundes nicht in Frage kommen könnten. Vielleicht ahnte der
Zar damals aber schon, welch eine geringe Rolle Bulgarien als Machtfaktor
in den gegnerischen Berechnungen nur noch spielte.

Aus den angeführten Gründen heraus fühlte ich mich nicht veranlaßt, den
österreichisch-ungarischen Versuch, Mitte September mit der Entente
einseitig einen friedlichen Vergleich anzuregen, für glücklich zu halten.
Die Gegner verhielten sich diesem Schritte gegenüber in der Tat auch
völlig ablehnend. Sie übersahen unsere damalige Lage schon zu klar, als
daß sie sich auf Anbahnung eines Verhandlungsfriedens einlassen wollten.
Die Frage weiterer Menschenopfer spielte für sie keine Rolle. Die
Befürchtung, daß wir Deutschen uns rasch wieder erholen könnten, wenn uns
auch nur ein Augenblick der Ruhe gelassen würde, beherrschte völlig den
feindlichen Gedankenkreis. So gewaltig war der Eindruck, den unsere
Leistungen auf unsere Gegner gemacht hatten und vielleicht jetzt noch
machten. Für uns ein stolzes Gefühl mitten in alledem, was um uns zurzeit
vorging und noch vorgehen sollte!



                            Dem Ende entgegen



                    Vom 29. September zum 26. Oktober


Wäre in dem Buch des großen Krieges das Kapitel über das Heldentum des
deutschen Heeres nicht schon längst geschrieben gewesen, so würde es in
dem letzten furchtbaren Ringen mit dem Blute unserer Söhne in ewig
unauslöschlicher Schrift geschehen sein. Welch ungeheure Anforderungen
wurden in diesen Wochen an die Körper- und Seelenkräfte von Offizieren und
Mannschaften aller Stäbe und Truppenteile gestellt! Die Truppen mußten
auch jetzt wieder von einem Kampf in den anderen geworfen, von einem
Schlachtfeld auf das andere geführt werden. Kaum, daß die sogenannten
Ruhetage ausreichten, die zerschossenen oder zersprengten Verbände neu zu
ordnen, ihnen Ersatz zuzuführen, die Bestände aufgelöster Divisionen in
die Truppenteile anderer einzuordnen. Offiziere wie Mannschaften begannen
wohl zu ermatten, aber sie rissen sich immer wieder empor, wenn es galt,
den feindlichen Anstürmen Halt zu gebieten. Offiziere aller Dienstgrade
bis zu den höheren Stäben hinauf wurden Mitkämpfer in den vordersten
Linien, teilweise mit dem Gewehr in der Hand. Zu befehlen gab es ja
vielfach nichts anderes mehr als: „Aushalten bis zum Äußersten.“

Ja: „Aushalten!“ Welch eine Entsagung nach so vielen ruhmreichen Tagen
glänzender Erfolge. Für mich kann der Anblick solch todesmutigen Kämpfens
nicht beeinträchtigt werden durch einzelne Bilder des Verzagens und des
Versagens. In einem solchen entsagungsvollen Ringen, in dem jeder
Aufschwung siegreichen Kraftgefühles fehlt, müssen menschliche Schwächen
stärker zur Geltung kommen als sonstwo.

Für zusammenhängende Linien fehlte es an Kräften. In Gruppen und Grüppchen
leistet man Widerstand. Erfolgreich ist solcher nur, weil auch der Gegner
sichtbar ermattet. Wo seine Panzerwagen nicht Bahn brechen, wo seine
Artillerie nicht alles deutsche Kampfleben ertötet hat, da schreitet er
nur selten noch zu großen Gefechtshandlungen. Er stürmt nicht auf unsern
Widerstand los, er schleicht sich allmählich ein in unsere lückenreichen,
zerschmetterten Kampflinien. An dieser Tatsache hatte sich meine Hoffnung
immer wieder aufgerichtet, die Hoffnung, aushalten zu können bis zur
Erlahmung des Gegners.

Wir haben keine neue Kraft mehr einzusetzen wie der Feind. Statt eines
frischen Amerikas haben wir nur ermattete Bundesgenossen, und auch diese
stehen hart vor dem Zusammenbruch.

Wie lange wird unsere Front diese ungeheure Belastung noch zu tragen
vermögend? Ich stehe vor der Frage, vor der schwersten aller Fragen: „Wann
müssen wir zu einem Ende kommen?“ Wendet man sich in solchen Fällen an die
große Lehrmeisterin der Menschheit, an die Geschichte, so ermahnt sie
nicht zur Vorsicht, sondern zur Kühnheit. Richte ich meine Blicke auf die
Gestalt unseres größten Königs, so erhalte ich die Antwort: „Durchhalten!“

Gewiß, die Zeiten sind anders geworden, als sie es fast 160 Jahre früher
waren. Nicht ein geworbenes Heer, sondern das ganze Volk führt den Krieg,
ist in ihn hineingerissen, blutet und leidet. Aber die Menschheit ist im
Grunde genommen die gleiche geblieben mit ihren Stärken und Schwächen. Und
wehe dem, der vorzeitig schwach wird. Alles vermag ich zu verantworten,
dieses niemals!

So tobt mit dem Kampf auf dem Schlachtfeld gleichzeitig ein anderer Kampf.
Sein Schauplatz liegt in unserem Innern. Auch in diesem Kampfe stehen wir
allein. Niemand rät uns als die eigene Überzeugung und das Gewissen.
Nichts hält uns aufrecht, als die Hoffnung und der Glaube. Sie bleiben in
mir stark genug, um auch noch andere zu stützen.

Aber immer dunkler wird es um uns! Mag auch der deutsche Mut an der
Westfront dem Gegner noch immer den entscheidenden Durchbruch wehren,
mögen Frankreich und England sichtlich ermatten, mag Amerikas erdrückende
Überlegenheit an einem Tage tausendfach ergebnislos bluten, so nehmen doch
unsere Kräfte sichtlich ab. Sie werden um so früher versagen, je
bedrückender die Nachrichten aus dem fernen Osten auf sie wirken. Wer
schließt die Lücke, wenn Bulgarien endgültig zusammenbricht? Manches
können wir wohl noch leisten, aber wir vermögen nicht eine neue Front
aufzubauen. Eine neue Armee ist freilich in Serbien in Bildung begriffen,
aber wie schwach sind diese Truppen! Unser Alpenkorps hat kaum noch
gefechtsfähige Verbände; eine der anrollenden österreichisch-ungarischen
Divisionen wird für völlig unbrauchbar erklärt; sie besteht aus Tschechen,
die voraussichtlich den Kampf verweigern. Liegt auch der Schauplatz in
Syrien weit ab von der Entscheidung des Krieges, so zermürbt die dortige
Niederlage doch zweifellos den treuen türkischen Genossen, der nun auch in
Europa wieder bedroht wird. Wie wird Rumänien sich verhalten, was werden
die großen Trümmer Rußlands tun? Alles dies drängt auf mich ein und
erzwingt den Entschluß, nun doch ein Ende zu suchen, das heißt ein Ende in
Ehren. Niemand wird sagen: „Zu früh.“

In solchen Gedanken und mit dem gereiften Entschluß trifft mich mein
Erster Generalquartiermeister am späten Nachmittag des 28. September. Ich
sehe ihm an, was ihn zu mir führt. Wie so oft seit dem 23. August 1914
fanden sich unsere Gedanken auch heute, bevor sie zu Worten geworden sind.
Unser schwerster Entschluß wird auf gleicher Überzeugung gefaßt.

In den Vormittagsstunden des 29. September erfolgt unsere Beratung mit dem
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Die Lage nach außen wird von ihm mit
wenig Worten gekennzeichnet: Bis jetzt alle Versuche eines friedlichen
Ausgleichs mit den Gegnern gescheitert und keine Aussicht, durch
Verhandlungen unter Vermittlung neutraler Mächte irgend eine Annäherung an
die feindlichen Staatslenker zu erreichen. Der Staatssekretär bespricht
dann die innere Lage der Heimat: die Revolution stehe vor der Türe, man
habe die Wahl, ihr mit Diktatur oder Nachgiebigkeit entgegenzutreten;
parlamentarische Regierung sei das beste Abwehrmittel.

Wirklich das beste? Wir wissen, welch gewaltige Belastungen wir der Heimat
gerade jetzt durch unseren Schritt zum Waffenstillstand und Frieden
auferlegen müssen, ein Schritt, der dort begreiflicherweise schwere Sorgen
über die Lage an der Front und über unsere Zukunft auslösen wird. In
diesem Augenblick, wo so viele Hoffnung zu Grabe getragen, wo bitterste
Enttäuschung sich mit tiefster Erbitterung mengen wird, wo jeder nach
einem festen Halt im Staatswesen blickt, sollen die politischen
Leidenschaften in höhere Wallung versetzt werden? In welcher Richtung
werden sie ausschlagen? Sicherlich nicht in der Richtung der Erhaltung
sondern in derjenigen der weiteren Zerstörung. Die das Unkraut in unsere
Saat gesäet haben, werden die Zeit der Ernte für gekommen erachten. Wir
beginnen, zu gleiten.

Glaubt man durch Nachgiebigkeiten im eigenen Heim einen Gegner milder
stimmen zu können, der sich durch das Schwert nicht zwingen ließ? Fragt
diejenigen unserer Soldaten, die im Vertrauen auf die feindlichen
Verlockungen leider freiwillig die Waffen aus der Hand legten! Die
feindliche Maske fiel gleichzeitig mit der deutschen Waffe. Die
verblendeten Deutschen wurden nicht um ein Haar menschenwürdiger behandelt
als ihre sich bis zur letzten Kraft wehrenden Kameraden. Dies Bild im
Kleinen wird sich im Großen, ja im Größten wiederholen.

Wir müssen auch befürchten, daß die Bildung einer neuen Regierung den
Schritt, den wir so lange als möglich hinausschoben, noch weiter verzögern
wird. Zu bald haben wir ihn wahrlich nicht getan. Soll er durch die
staatliche Neuordnung verspätet werden?

Das sind meine Sorgen; sie gleichen denjenigen des Generals Ludendorff.

Auf Grund unserer Beratung unterbreiten wir Seiner Majestät dem Kaiser
unseren Vorschlag zum Friedensschritt. Mir obliegt es, dem Allerhöchsten
Kriegsherrn zur Begründung des politischen Aktes die militärische Lage zu
schildern, deren jetziger Ernst dem Kaiser nicht unbekannt ist. Seine
Majestät billigt, was wir vortragen, mit festem, starkem Herzen.

Wie immer bisher, so vermischen sich auch jetzt unsere Sorgen um das Heer
mit denen um die Heimat. Kann das Eine nicht standhalten, so bricht auch
das Andere zusammen. In dem gegenwärtigen Augenblick, mehr wie in jedem
anderen vorher, muß sich dies beweisen.

Mein Allerhöchster Kriegsherr kehrt in die Heimat zurück, wohin ich ihm am
1. Oktober folge. Ich möchte dem Kaiser nahe sein, wenn er in diesen Tagen
meiner bedürfen sollte. Politische Einwirkungen ausüben zu wollen, lag mir
fern. Zu Aufschlüssen für die sich neubildende Regierung war ich bereit
und beantwortete ihre Anfragen, soweit dies nach meiner Überzeugung
möglich war. Ich hoffte, Pessimismus zu bekämpfen und Vertrauen wieder
aufzurichten. Die innern Erschütterungen erwiesen sich aber bereits als zu
schwere, um diesen Zweck noch erreichen zu können. Ich selbst hatte auch
damals noch die feste Zuversicht, daß wir dem Gegner trotz des Abnehmens
unserer Kräfte das Betreten unseres vaterländischen Bodens monatelang
verwehren konnten. Gelang dies, so war auch die politische Lage nicht
hoffnungslos. Stillschweigende Voraussetzung war freilich hierbei, daß
unsere Landesgrenzen nicht etwa von Osten oder Süden bedroht würden, und
daß die Heimat in ihrem Innern feststand.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober erging unser Angebot an den
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die von ihm im Januar
dieses Jahres aufgestellten Grundlinien für einen „gerechten Frieden“
waren von uns angenommen worden.

Uns selbst blieb zunächst nur die Fortsetzung des Kampfes. Das Nachlassen
der Spannkraft der Truppe, das Schwinden der Kämpferzahlen, die
wiederholten Einbrüche des Gegners zwangen uns an der Westfront zu
weiterem allmählichen Ausweichen in kürzere Linien. Was ich der
Reichsleitung am 3. Oktober erklärt hatte, wurde ausgeführt: Wir
klammerten uns so viel wie möglich an den feindlichen Boden. Die
Bewegungen und Schlachten behielten den gleichen Charakter, wie seit Mitte
August. Der Abnahme unserer Kampfkraft entsprach auch weiterhin eine
gleiche Abnahme gegnerischer Angriffslust. Irrten sich die Feinde in dem
Glauben, daß wir ganz zusammenbrechen, so irrten wir uns andererseits in
der Hoffnung, daß die Gegner völlig erlahmen würden. So war der endgültige
Ausgang des Kampfes nicht mehr zu ändern, wenn es uns nicht gelang, ein
Aufgebot letzter heimatlicher Kraft zustande zu bringen. Eine
Massenerhebung des Volkes würde den Eindruck auf den Gegner und unser
eigenes Heer nicht verfehlt haben. War aber eine solche brauchbare
Lebensstärke und opferwillige Masse noch vorhanden? Jedenfalls war unser
Versuch, eine solche in die Front zu bringen, vergeblich.

Die Heimat erlahmte früher als das Heer. Unter diesen Umständen vermochten
wir dem immer härter werdenden Druck des Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Nordamerika keinen eindrucksvollen Widerstand
entgegenzusetzen. Unsere Regierung gab nach in der Hoffnung auf Milde und
Gerechtigkeit. Der deutsche Soldat und der deutsche Staatsmann gingen in
verschiedenen Richtungen. Der eingetretene Riß wurde nicht mehr beseitigt.
Mein letzter Versuch, zu einem vereinten Schlagen ergibt sich aus
folgendem Brief an den Reichskanzler vom 24. Oktober 1918:

  „Euerer Großherzoglichen Hoheit darf ich nicht verhehlen, daß ich in den
  letzten Reichstagsreden einen warmen Aufruf zu Gunsten und für die Armee
  schmerzlich vermißt habe.

  Ich habe von der neuen Regierung erhofft, daß sie alle Kräfte des
  gesamten Volkes in den Dienst der vaterländischen Verteidigung sammeln
  würde. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil, es ist, von wenigen
  Ausnahmen abgesehen, nur von Versöhnung, nicht aber von Bekämpfung des
  dem Vaterlande drohenden Feindes gesprochen. Dies hat auf die Armee erst
  niederdrückend, dann erschütternd gewirkt. Ernste Anzeichen beweisen
  dies.

  Zur Führung der nationalen Verteidigung braucht die Armee nicht nur
  Menschen sondern den Geist der Überzeugung für die Notwendigkeit, zu
  kämpfen, und den seelischen Schwung für diese hohe Aufgabe.

  Euere Großherzogliche Hoheit werden mit mir überzeugt sein, daß, in
  Anerkennung der durchschlagenden Bedeutung der Moral des Volkes in
  Waffen, Regierung und Volksvertretung solchen Geist in Heer und Volk
  hineintragen und erhalten müssen.

  An Euere Großherzogliche Hoheit als das Haupt der neuen Regierung richte
  ich den ernsten Ruf, dieser heiligen Aufgabe zu entsprechen.“

Es war zu spät. Die Politik forderte ihre Opfer; das erste wurde am
26. Oktober gebracht.

Am Abend dieses Tages fuhr ich von der Reichshauptstadt, wohin ich mich
mit meinem Ersten Generalquartiermeister zum Vortrag bei unserem
Allerhöchsten Kriegsherrn begeben hatte, nach dem Großen Hauptquartier
zurück. Ich war allein. Seine Majestät hatte dem General Ludendorff den
erbetenen Abschied bewilligt, meine gleiche Bitte abgeschlagen.

Am folgenden Tage betrat ich die bisher gemeinsamen Arbeitsräume wieder.
Mir war zumute, wie wenn ich von der Beerdigung eines mir besonders teuren
Toten in die verödete Wohnung zurückkehrte.

Bis zum heutigen Tage, ich schreibe dies im September 1919, habe ich
meinen vieljährigen treuen Gehilfen und Berater nicht wieder gesehen. Ich
habe ihn in meinen Gedanken viel tausendmal gesucht und in meinem
dankerfüllten Herzen stets gefunden!



                     Vom 26. Oktober zum 9. November


Mein Allerhöchster Kriegsherr verfügte auf meine Bitte die Ernennung des
Generals Gröner zum Ersten Generalquartiermeister. Der General war mir aus
seinen früheren Kriegsverwendungen wohlbekannt. Ich wußte, daß er eine
vortreffliche organisatorische Begabung und eine gründliche Kenntnis der
inneren Verhältnisse unseres Vaterlandes besaß. Die kommenden gemeinsamen
Zeiten brachten mir den reichlichen Beweis dafür, daß ich mich in meinem
neuen Mitarbeiter nicht getäuscht hatte.

Die Aufgaben, die des Generals harrten, waren ebenso schwierig als
undankbar. Sie forderten eine rastlose Tätigkeit, eine volle
Selbstentsagung und jeden Verzicht auf einen anderen Ruhm, als denjenigen
hingebendster Pflichterfüllung, und auf jede andere Anerkennung, als
diejenige seiner augenblicklichen Mitarbeiter. Wir alle kannten die Größe
und die Schwierigkeiten des Werkes, das seiner harrte.

Unsere gesamte Lage begann sich immer weiter zu verschlechtern. Ich möchte
sie nur in Streiflichtern beleuchten:

Im Orient brach der letzte Widerstand des osmanisch-asiatischen Reiches
zusammen. Mosul wie Aleppo fielen fast widerstandslos in die Hände der
Gegner. Die mesopotamische wie die syrische Armee hatten aufgehört, zu
bestehen. Georgien mußte von uns geräumt werden, nicht weil wir
militärisch dazu gezwungen waren, sondern weil unsere wirtschaftlichen
Pläne dort unausführbar wurden oder wenigstens nicht mehr gewinnbringend
gemacht werden konnten. Auch die Truppen, die wir zur Stütze der
Verteidigung Konstantinopels abgeschickt hatten, wurden zurückgeholt. Die
Entente griff aber Thrazien nicht an. Stambul sollte nicht fallen durch
kühne Heldentaten und eindrucksvolle Machtentfaltung. Der Grund hierfür
ist unbekannt. Er mag in sachlich für uns damals nicht verständlichen
militärischen Bedenken liegen; es können aber auch politische Erwägungen
hierbei für die Entente ausschlaggebend gewesen sein.

Unsere deutsche Hilfe, die sonst noch in der Türkei stand, wurde in
Richtung auf Konstantinopel zusammengezogen. Sie schied aus dem gemeinsam
verteidigten Land, geachtet vom ritterlichen Osmanentum, dem wir in seinem
Ringen auf Leben und Tod beigestanden hatten. Was sich dort jetzt gegen
uns wandte, entsprang jenen Kreisen, die nunmehr ihren Weizen blühen
sahen, und die sich durch Hassesäußerungen einen Vorschuß auf die
Zuneigung der Neuankommenden zu erwerben suchten. Der eigentliche Osmane
wußte, daß wir nicht nur zum jetzigen Kampfe, sondern auch zum späteren
Neubau seines Staates hilfsbereit gewesen waren.

Enver und Talaat Pascha traten von dem Schauplatz ihrer Tätigkeit ab, von
ihren Gegnern beschimpft, sonst unbescholten.

Aus Bulgarien waren unsere letzten Truppen abgerückt. Auch ihnen folgte so
manches dankbare Gefühl und ehrliches Gedenken, am lebhaftesten
ausgesprochen in einem Briefe, den der ehemalige Führer des bulgarischen
Heeres an mich in dieser Zeit richtete. Ich konnte mich des Eindruckes
nicht erwehren, als ob aus den Zeilen das sprach, was ich so manchmal in
den Äußerungen dieses ehrlichen Offiziers zu fühlen glaubte: „Wäre ich
politisch frei gewesen, so hätte ich militärisch anders gehandelt.“ Die
Einsicht kam wohl zu spät, bei ihm wie an anderen Stellen.

Österreich-Ungarn löste sich in seinem politischen Bestande wie in seiner
Wehrkraft auf. Es gab nicht nur sich selbst, sondern auch unsere
Landesgrenzen preis. In Ungarn erhob sich die Revolution im Hasse gegen
die Deutschen. Konnte das überraschend wirken? Gehörte dieser Haß nicht
zum Stolze des Magyaren? Im Kriege hatte man freilich im Ungarlande anders
empfunden, wenn der Russe an die Grenze pochte. Ein wiederholtes
gewaltiges Pochen! Mit welchem Jubel waren die deutschen Truppen auch
begrüßt, mit welcher Hingebung verpflegt, selbst verwöhnt worden, als es
sich darum handelte, Serbien niederzuschlagen. Welch eine Begeisterung
empfing uns, als wir zur Wiedereroberung Siebenbürgens erschienen!
Dankesbetätigung ist im menschlichen Dasein selten, im staatlichen Leben
noch weit seltener.

Dagegen fanden wir in Rumänien mehrfach offenen Dank. Man sah dort ein,
daß ohne Zertrümmerung Rußlands ein freies rumänisches Leben sich nicht
hätte verwirklichen lassen.

Wenn jetzt in Deutschland einzelne Kreise auf den Haß ehemaliger
Bundesgenossen gegen uns hinweisen und darin einen Beweis unserer
verfehlten politischen und militärischen Haltung erblicken, so übersehen
sie dabei wohl, daß Ausbrüche des Hasses aus Freundesmund auch im
feindlichen Lager ertönten. Ballten sich doch Fäuste französischer
Soldaten vor unseren Augen unter Schimpfworten gegen den englischen
Bundesgenossen. Riefen doch französische Stimmen zu uns herüber: „Heute
mit England gegen Euch, morgen mit Euch gegen England!“ Schrie doch ein
französischer Soldat im März des Jahres 1918, hinweisend auf die Trümmer
des Domes von St. Quentin, seinen englischen mit ihm gefangenen
Waffengenossen zornesbebend zu: „Das waret Ihr!“

Ich hoffe, daß die Äußerungen des Mißverstehens zwischen uns und unsern
ehemaligen Verbündeten mehr und mehr verstummen werden, wenn die düstern
Nebel sich verziehen, die die Wahrheit verhüllen, und die unsern
bisherigen Kampfgenossen zur Zeit den freien Blick auf die gemeinsamen
Ruhmesfelder nehmen, auf denen das deutsche Leben zur Verwirklichung auch
ihrer Pläne und Träume eingesetzt wurde.

Der Zusammenbruch zeigt sich von Ende Oktober ab überall; nur an der
Westfront wußten wir ihn immer noch zu verhindern. Schwächer wurde dort
der feindliche Andrang, matter aber freilich auch unser Widerstand. Immer
kleiner wurde die Zahl der deutschen Truppen, immer größer wurden die
freien Lücken in den Verteidigungsstellungen. Nur wenige frische deutsche
Divisionen, und Großes hätte geleistet werden können. Vergebliche Wünsche,
eitle Hoffnungen! Wir sinken, denn die Heimat sinkt. Sie kann uns kein
neues frisches Leben mehr geben, ihre Kraft ist verbraucht!

General Gröner begibt sich am 1. November zur Front. Das Zurücknehmen
unserer Verteidigung in die Stellung Antwerpen-Maas ist unsere
demnächstige Sorge. Der Entschluß ist einfach, die Ausführung schwer.
Kostbarstes Kampfmaterial liegt noch feindwärts in dieser Linie, doch
kostbarer als dessen Rettung ist für uns die Zurückführung von 80.000
Verwundeten in den vorwärts befindlichen Lazaretten. So wird die
Durchführung des Entschlusses aus Dankesgefühlen, die wir unseren
blutenden Kameraden schulden, verzögert. Dauernd kann freilich die jetzige
Lage nicht mehr gehalten werden. Dazu sind unsere Kräfte nunmehr zu
schwach und zu müde geworden. Dazu ist der Druck zu stark, der von den
frischen amerikanischen Massen auf unsere empfindlichste Stelle im
Maasgebiet ausgeübt wird. Der Kampf dieser Massen wird aber die
Vereinigten Staaten für die Zukunft belehrt haben, daß das Kriegshandwerk
nicht in wenigen Monaten zu erlernen ist, daß die Unkenntnis dieses
Handwerkes im Ernstfalle Ströme von Blut kostet.

Mit der deutschen Kampflinie hält damals auch noch die Etappe, der
Lebensnerv, der zur Heimat führt. Düstere Bilder zeigen sich freilich hier
und da, aber in der Gesamtheit ist noch innerer Halt. Lange wird es
indessen nicht mehr dauern können. Die Spannung ist auf das äußerste
gestiegen. Erfolgt irgend wo eine Erschütterung, sei es in Heimat oder
Heer, so ist der Zusammenbruch unvermeidlich.

Das sind meine Eindrücke in den ersten Tagen des November.

Die befürchtete Erschütterung kündigt sich an. In der Heimat regt es sich
mit Gewalt. Der Umsturz beginnt. Noch am 5. November eilt General Gröner
in die Reichshauptstadt, da er voraussieht, was kommen muß, wenn man jetzt
in den letzten Stunden nicht zusammenhält. Er tritt für seinen Kaiser ein
und schildert die Folgen, wenn man dem Heere sein Haupt nimmt. Umsonst!
Der Umsturz ist schon in unaufhaltsamem Marsche, und nur durch Zufall
entgeht der General auf der Rückreise ins Hauptquartier den Händen der
Revolutionäre. Das ist am Abend des 6. November.

Ein Fieber beginnt nunmehr den ganzen Volkskörper zu schütteln. Ruhiges
Überlegen schwindet. Man denkt nicht mehr an die Folgen für das Ganze,
sondern nur noch an das Durchsetzen eigener Leidenschaften. Diese machen
nicht mehr Halt vor den wahnwitzigsten Plänen. Denn gibt es einen
wahnwitzigeren, als den, dem Heere das weitere Leben unmöglich zu machen?
War je ein größeres Verbrechen menschlichem Denken und menschlichem Hasse
entsprungen? Der Körper wird nach außen machtlos; zwar schlägt er noch um
sich, aber er stirbt. Ist es überraschend, daß der Gegner mit solch einem
Körper macht, was er will, daß er seine harten Bedingungen noch härter
auslegt, als er sie geschrieben hat?

Alle Versprechungen, die die gegnerische Propaganda uns verkündet hatte,
sind verstummt. Die Rache tritt in ihrer nackten Gestalt auf: „Wehe dem
Besiegten!“ Ein Wort, das aber nicht nur dem Hasse sondern auch der Furcht
entspringt.

So ist die Lage am 9. November. Das Drama schließt an diesem Tage nicht,
erhält aber eine neue Farbe. Der Umsturz siegt. Verweilen wir nicht bei
seinen Gründen. Er trifft zunächst vernichtend die Stütze des Heeres, den
deutschen Offizier. Er reißt ihm, wie ein Fremdländer sagt, den verdienten
Lorbeer vom Haupte und drückt ihm die Dornenkrone des Martyriums auf die
blutende Stirne. Der Vergleich ist ergreifend in seiner Wahrheit. Möge er
jedem Deutschen zum Herzen sprechen!

Das äußere Zeichen des Sieges der neuen Gewalt ist der Sturz der Throne.
Auch das deutsche Kaisertum fällt.

Man verkündet im Vaterlande die Thronentsagung seines Kaisers und Königs,
ehe der Entschluß dazu von diesem gefaßt ist. Auf dunklem Wege vollzieht
sich so manches in diesen Tagen und Stunden, was dem Lichte der Geschichte
hoffentlich dereinst nicht entgehen wird.

Der Gedanke wird erwogen, mit unseren Fronttruppen in der Heimat Ordnung
zu schaffen. Jedoch zahlreiche Kommandeure, Männer, würdig des größten
Vertrauens und fähig des tiefsten Einblickes, erklären, daß unsere Truppen
zwar noch die Front nach dem Feinde behalten werden, daß sie aber die
Front gegen die Heimat nicht nehmen würden.

Ich bin meinem Allerhöchsten Kriegsherrn in jenen Stunden zur Seite. Er
überträgt mir die Aufgabe, das Heer in die Heimat zurückzuführen. Als ich
am Nachmittag des 9. November meinen Kaiser verlasse, sollte ich ihn nicht
mehr wiedersehen! Er war gegangen, um dem Vaterlande neue Opfer zu
ersparen, um ihm günstigere Friedensbedingungen zu schaffen.

Mitten in dieser gewaltigsten kriegerischen und politischen Spannung
verlor das deutsche Heer seinen innersten Halt. Für hunderttausende
getreuer Offiziere und Soldaten wankte damit der Untergrund ihres Fühlens
und Denkens. Schwerste innere Konflikte bahnten sich an. Ich glaubte,
vielen der Besten die Lösung dieser Konflikte zu erleichtern, wenn ich
voranschritte auf dem Wege, den mir der Wille meines Kaisers, meine Liebe
zu Vaterland und Heer und mein Pflichtgefühl wiesen. Ich blieb auf meinem
Posten.



                              Mein Abschied


Wir waren am Ende!

Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so
stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem
versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Unsere
Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres
Heeres für den spätern Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war
verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft.

Heran an die Arbeit!

Ich verstehe den Gedanken an Weltflucht, der sich vieler Offiziere
angesichts des Zusammenbruches alles dessen, was ihnen lieb und teuer war,
bemächtigte. Die Sehnsucht, „nichts mehr wissen zu wollen“ von einer Welt,
in der die aufgewühlten Leidenschaften den wahren Wertkern unseres Volkes
bis zur Unkenntlichkeit entstellten, ist menschlich begreiflich und doch –
ich muß es offen aussprechen, wie ich denke:

Kameraden der einst so großen, stolzen deutschen Armee! Könntet ihr vom
Verzagen sprechen? Denkt an die Männer, die uns vor mehr als hundert
Jahren ein innerlich neues Vaterland schufen. Ihre Religion war der Glaube
an sich selbst und an die Heiligkeit ihrer Sache. Sie schufen das neue
Vaterland, nicht es gründend auf eine uns wesensfremde Doktrinwut, sondern
es aufbauend auf den Grundlagen freier Entwicklung des einzelnen in dem
Rahmen und in der Verpflichtung des Gesamtwohles! Diesen selben Weg wird
auch Deutschland wieder gehen, wenn es nur erst einmal wieder zu gehen
vermag.

Ich habe die feste Zuversicht, daß auch diesmal, wie in jenen Zeiten, der
Zusammenhang mit unserer großen reichen Vergangenheit gewahrt, und wo er
vernichtet wurde, wieder hergestellt wird. Der alte deutsche Geist wird
sich wieder durchsetzen, wenn auch erst nach den schwersten Läuterungen in
dem Glutofen von Leiden und Leidenschaften. Unsere Gegner kannten die
Kraft dieses Geistes; sie bewunderten und haßten ihn in der Werktätigkeit
des Friedens, sie staunten ihn an und fürchteten ihn auf den
Schlachtfeldern des großen Krieges. Sie suchten unsere Stärke mit dem
leeren Worte „Organisation“ ihren Völkern begreiflich zu machen. Den
Geist, der sich diese Hülle schuf, in ihr lebte und wirkte, den
verschwiegen sie ihnen. Mit diesem Geiste und in ihm wollen wir aber aufs
neue mutvoll wieder aufbauen.

Deutschland, das Aufnahme- und Ausstrahlungszentrum so vieler
unerschöpflicher Werte menschlicher Zivilisation und Kultur, wird so lange
nicht zu Grunde gehen, als es den Glauben behält an seine große
weltgeschichtliche Sendung. Ich habe das sichere Vertrauen, daß es der
Gedankentiefe und der Gedankenstärke der Besten unseres Vaterlandes
gelingen wird, neue Ideen mit den kostbaren Schätzen der früheren Zeit zu
verschmelzen und aus ihnen vereint dauernde Werte zu prägen, zum Heile
unseres Vaterlandes.

Das ist die felsenfeste Überzeugung, mit der ich die blutige Wahlstatt des
Völkerkampfes verließ. Ich habe das Heldenringen meines Vaterlandes
gesehen und glaube nie und nimmermehr, daß es sein Todesringen gewesen
ist.

Man hat mir die Frage gestellt, worauf ich in den schwersten Stunden des
Krieges meine Hoffnung auf unseren Endsieg stützte. Ich konnte nur auf
meinen Glauben an die Gerechtigkeit unserer Sache, auf mein Vertrauen zu
Vaterland und Heer hinweisen.

Die ernsten Stunden dieses jahrelangen Kampfes und seiner Folgezeit
bestand ich in Gedanken und Gefühlen, für die ich nirgends einen besseren
Ausdruck finde, als in den Worten, die der nachmalige preußische
Kriegsminister, Generalfeldmarschall Herrmann v. Boyen, im Jahre 1811,
inmitten der größten politischen und militärischen Nöte unseres
geknechteten Heimatlandes, an seinen König schrieb:

  „Ich übersehe das Gefahrvolle unserer Lage keineswegs, aber da, wo nur
  zwischen Unterjochung oder Ehre zu wählen sein dürfte, da gibt mir die
  Religion Kraft, alles das zu tun, was das Recht und die Pflicht fordert.

  Niemals kann der Mensch mit Gewißheit den Ausgang eines begonnenen
  Unternehmens vorhersehen, aber der, der nach höherer Überzeugung nur
  seinen Pflichten lebt, trägt einen Schild um sich, der in jeder Lage des
  Lebens, es komme auch, wie es wolle, ihm Beruhigung gibt und auch oft
  selbst zu einem glücklichen Ausgang führt.

  Es ist dies nicht die Sprache aufgeregter Schwärmerei, sondern der
  Ausdruck eines religiösen Gefühles, das ich meinen Erziehern danke, die
  mich früh schon König und Vaterland als das Heiligste auf Erden lieben
  lehrten.“

Gegenwärtig hat eine Sturmflut wilder politischer Leidenschaften und
tönender Redensarten unsere ganze frühere staatliche Auffassung unter sich
vergraben, anscheinend alle heiligen Überlieferungen vernichtet. Aber
diese Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem ewig bewegten
Meere völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen, an den sich einst
die Hoffnung unserer Väter geklammert hat, und auf dem vor fast einem
halben Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft
vertrauensvoll begründet wurde: Das deutsche Kaisertum! Ist so erst der
nationale Gedanke, das nationale Bewußtsein wieder erstanden, dann werden
für uns aus dem großen Kriege, auf den kein Volk mit berechtigterem Stolz
und reinerem Gewissen zurückblicken kann als das unsere, so lange es treu
war, sowie auch aus dem bitteren Ernst der jetzigen Tage sittlich
wertvolle Früchte reifen. Das Blut aller derer, die im Glauben an
Deutschlands Größe gefallen sind, ist dann nicht vergeblich geflossen.

In dieser Zuversicht lege ich die Feder aus der Hand und baue fest auf
Dich – Du deutsche Jugend!



                           PERSONENVERZEICHNIS


_Albrecht von Preußen_, Prinz 28.

_Alexander von Preußen_, Prinz 49. 54.

_Anton von Hohenzollern_, Prinz 24. 25.

_Arz_, von, General 236. 309. 384.

_August von Württemberg_, Prinz 33.

_Augusta Victoria_, Deutsche Kaiserin 61.


_Bartenwerffer_, von, Oberst 52.

_Bazaine_, Marschall 30.

_Below_, von, General 87.

_Bernhardi_, von, General der Kavallerie 43. 49.

_Bernstorff_, Graf 214. 230. 232.

_Bethmann Hollweg_, von, Reichskanzler 131. 147. 211. 233. 284. 285.

_Bismarck_, Otto, Fürst 39. 45. 74. 200. 201. 215.

_Blücher_, General 27. 77. 110. 234. 328.

_Blumenthal_, von, General 21.

_Bölcke_, Hauptmann 175.

_Boris_, Kronprinz von Bulgarien 162. 374.

_Bothmer_, Graf, General 143.

_Boyen_, Herrmann von 405.

_Bronsart_, von, General 57.

_Brussilow_, General 142. 249.

_Bülow_, von, Generalfeldmarschall 49. 62.

_Burian_, Baron, Minister 210. 388.


_Cadorna_, General 261. 262.

_Canrobert_, Marschall 33.

_Clausewitz_, General 101. 234.

_Clémenceau_, Ministerpräsident 293.

_Conrad von Hötzendorf_, Generaloberst 123. 163. 180. 224. 225. 236. 261.

_Czernin_, Graf, Minister 309. 386. 387. 388.


_Duncker_, Geheimrat, Historiker 49.


_Eichhorn_, Generalfeldmarschall 49. 123.

_Elisabeth_, Königin 13.

–, Großherzogin von Oldenburg 59.

_Enver Pascha_, Generalissimus 154. 159. 164. 165. 180. 188. 190. 207.
208. 270. 272. 275. 310. 398.

_Escherich_, Forstmeister 133.

_Ewert_, Generaladjutant 139.


_Falkenhayn_, von, General 148. 183. 184. 185. 203. 273. 276.

_Ferdinand_, Zar von Bulgarien 162. 206. 275. 374. 389.

_Fichte_, Philosoph 176.

_Foch_, General 340. 341. 347. 351. 364.

_François_, von, General 86. 88. 90.

_Franz Joseph I._, Kaiser von Österreich 163.

_Freytag-Loringhoven_, von, General 57.

_Friedrich II._, Erbgroßherzog von Baden 60.

_Friedrich August II._, Großherzog von Oldenburg 59.

_Friedrich Karl_, Prinz 20. 54. 55.

_Friedrich Wilhelm I._, König von Preußen 281.

_Friedrich der Große_ 17. 234.

_Friedrich Wilhelm IV._, König von Preußen 13.

_Friedrich III._, Deutscher Kaiser 13. 21. 56.


_Gallwitz_, von, General 128.

_Gneisenau_, General 27. 77. 110.

_Goltz_, von der, General 99.

_Groeben_, von der 5.

_Gröner_, General 397. 400. 401.


_Hakki_, Ismail, Generalintendant 279.

_Hann von Weyherrn_, General 51.

_Helldorff_, von, Major 31.

–, von, Leutnant (Sohn des Majors) 31.

_Hertling_, Graf, Reichskanzler 286. 306. 363.

_Hintze_, Staatssekretär 393.

_Hutier_, von, General 57. 137.


_Jekoff_, General 165. 177. 180. 182. 189. 206. 309. 398.

_Joseph II._, Deutscher Kaiser 26.


_Kämmerer_, Major 172.

_Kerenski_, Minister 249. 250. 251. 254.

_Keßler_, Oberst 49.

_Kobelt_, Lehrer 7.

_König_, Kapitän 175.

_Krupp_, Großindustrieller 327.


_Lansdowne_, Lord 290.

_Lauenstein_, von, General 57.

_Lenin_, Minister 305.

_Leopold von Bayern_, Prinz 61.

_Linsingen_, von, Hauptmann 172. 173.

_Ludendorff_, General 75. 76. 77. 78. 102. 112. 122. 128. 131. 133. 147.
169. 170. 171. 197. 215. 242. 347. 392. 394. 396. 397.

_Ludwig III._, König von Bayern 286.

_Luitpold_, Prinzregent von Bayern 62.

_Lüttwitz_, von, General 57.


_Mac Mahon_, Marschall 37.

_Mackensen_, Feldmarschall 87. 90. 109. 110. 112. 180. 182. 183. 185. 256.

_Massenbach_, von, Rittergutsbesitzer 8.

_Michaelis_, Dr., Reichskanzler 285.

_Miroslawski_, polnischer Führer 7.

_Moltke_, Graf, Feldmarschall 39. 49. 54. 55. 56. 74. 200.

–, von, Generaloberst, Generalstabschef 75. 76.


_Napoleon I._, Kaiser 4. 234.

_Napoleon III._, Kaiser 37. 40.

_Nikolaij-Nikolaijewitsch_, Großfürst 107.

_Nikolaus II._, Zar von Rußland 246.

_Nivelle_, Feldmarschall 241. 242.


_Pape_, von, Generalleutnant 35.

_Petersdorff_, von, Oberst 51.

_Pleß_, von, Fürst 235.


_Radoslawow_, Ministerpräsident 167. 205. 282. 367.

_Rappard_, von, Frau 8.

_Rennenkampf_, General 76. 80. 81. 82. 83. 85. 86. 87. 88. 90. 91. 93. 94.
95. 97. 98. 100. 101.

_Richter_, Professor, Historiker 49.

_Richthofen_, von, Rittmeister 175.

_Roon_, von, Generalfeldmarschall 56.


_Samsonoff_, General 76. 80. 81. 82. 85. 87. 88. 89. 90. 92. 94.

_Sarrail_, General 149. 177. 178. 182. 187.

_Schakir Bey_, Generalstabsoffizier 57.

_Scharnhorst_, General 27. 275.

_Schlieffen_, Graf von, General 53.

_Scholtz_, von, General 86. 88.

_Schwerin_, Graf, Feldmarschall 26.

_Schwickart_, Generalarzt 5.

_Seegenberg_, von, Major 29.

_Seel_, von, Major 29. 36.

_Sievers_, General 124.

_Sixtus von Parma_, Prinz 386.

_Skobeleff_, General 51.

_Sperling_, von, General 51.

_Stein_, von, General 57.

_Steinmetz_, von, General 20.

_Sven Hedin_, Forschungsreisender 131.


_Talaat Pascha_, Großwesir 166. 167. 208. 389. 398.

_Tewfyk Effendi_, Generalstabsoffizier 57.

_Tirpitz_, von, Großadmiral 131. 132.

_Tisza_, Graf, Minister 173.

_Trotzki_, Minister 305. 306. 338.


_Verdy du Vernois_, von, General und Kriegsminister 52. 58.

_Villaume_, Hauptmann 49.

_Vogel von Falckenstein_, General 54. 60.


_Waldersee_, Graf, Major 24.

–, General 51. 54.

_Wartensleben_, Graf, General 62.

_Wilhelm I._, Deutscher Kaiser 7. 13. 215.

_Wilhelm II._, Deutscher Kaiser 54. 57. 90. 112. 124. 144. 147. 161. 170.
187. 194. 197. 211. 236. 237. 259. 273. 306. 312. 314. 315. 333. 394. 396.
397. 402.

_Wilhelm_, Deutscher Kronprinz 196.

_Wilson_, Präsident der Vereinigten Staaten 132. 211. 212. 213. 214. 231.
232. 395.

_Winterfeldt_, von, General 54. 55.

_Wittich_, von, Oberstleutnant 11. 12. 49.

_Woyrsch_, von, Feldmarschall 24. 113.


_York_, General 9.


_Zeppelin_, Graf 175.

_Zingler_, von, Oberstleutnant 51.

          Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei; Papier von
           H. H. Ullstein; Einband von H. Fikentscher, Julius
              Hager, Hübel & Denck, Leipziger Buchbinderei
                 A.-G. vorm. G. Fritzsche und Spamersche
                   Buchbinderei, sämtliche in Leipzig.
                    Druckaufsicht und Einbandentwurf
                           von _Walter Tiemann_



                     Verlag von S. Hirzel in Leipzig

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                         Heinrich von Treitschke:

              Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert

                                Fünf Bände

              10. Auflage                  Gebunden 190 Mark

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                                  Briefe

                            Herausgegeben von

                             Max Cornicelius

                                Drei Bände

             2. Auflage                  Gebunden 112,80 Mark

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                                 Politik

             Vorlesungen, gehalten an der Universität Berlin

                            Herausgegeben von

                             Max Cornicelius

                                Zwei Bände

               4. Auflage                  Gebunden 47 Mark

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                   Historische und Politische Aufsätze

                                Vier Bände

             8. Auflage                  Gebunden 81,60 Mark

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                  Im Sommer 1920 liegt vollständig vor:

                         Eine Weltreise 1911/1912

                                   und

                      Der Zusammenbruch Deutschlands

          Eindrücke und Betrachtungen aus den Jahren 1911–1914
                  mit einem Nachwort aus dem Jahre 1919

                                   von

                         Friedrich von Bernhardi
                       General der Kavallerie z. D.

                                    *

                                Drei Bände

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                        Im Sommer 1920 erscheint:

                            Freiherr vom Stein

                                   von

                        Professor Dr. Max Lehmann
                          Geheimer Regierungsrat

                                    *

                       Volksausgabe in einem Bande



                       BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT


Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr
römische Zahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung
wiedergegeben, ebenso die Abkürzung „km“) und einzelne Wörter aus fremden
Sprachen (hier durch Unterstrich [_] gekennzeichnet). Gesperrt gesetzt
sind die zweite Hierarchieebene im Inhaltsverzeichnis (hier ohne
Hervorhebung wiedergegeben) und die Namen im Personenverzeichnis (hier
durch Unterstrich gekennzeichnet).

Fünf- und sechsstellige Zahlen sind im Original durch schmales Spatium
untergliedert, das hier durch einen Punkt ersetzt ist.

In der Originalausgabe sind längere Zitate in den meisten Fällen mit
Anführungszeichen am Beginn jeder Zeile versehen. In der elektronischen
Fassung sind sie stattdessen durch Einrückung gekennzeichnet.

Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern:

      Seite IX: „139“ in „140“ geändert (zweimal)
      Seite IX: „Befehlbereichs“ in „Befehlsbereichs“ geändert
      Seite 8: „derem“ in „deren“ geändert (eventuell kein Druckfehler,
      sondern sprachliche Ungenauigkeit des Verfassers)
      Seite 24: „hin“ in „hin-“ geändert
      Seite 59: „frohen“ in „frohe“ geändert
      Seite 148: Punkt ergänzt (nach „aufgegeben“)
      Seite 189: „1916“ in „1917“ geändert
      Seite 193: „uberwunden“ in „überwunden“ geändert
      Seite 202: Punkt ergänzt (nach „für uns in sich“)
      Seite 398: „Talaat-Pascha“ in „Talaat Pascha“ geändert
      Seite 407: Komma ergänzt (vor „Großherzogin von Oldenburg“)
      Seite 408: Punkt ergänzt (nach „110“)

Nicht vereinheitlicht wurden Variationen in der Schreibweise wie
„San-Mündung“ und „Sanmündung“, „Doiran-See“ und „Doiransee“, „Padischa“
und „Padischah“, „Gefangenschaft“ und „Gefangenenschaft“, „Entwicklung“
und „Entwickelung“. Die deutsche Form „infanterie“ in einem englischen
Zitat (S. 334) wurde nicht korrigiert, ebensowenig die alphabetische
Einordnung von Sven Hedin im Personenverzeichnis unter „S“.





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