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Title: Der Tor und der Tod
Author: Hofmannsthal, Hugo von, 1874-1929
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Der Tor und der Tod" ***


  [ Anmerkungen zur Transkription:

    Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.

    Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit _ markiert.
  ]



                          DER TOR UND DER TOD

                                  VON

                         HUGO VON HOFMANNSTHAL


                       IM INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG



  Der Tod

  Claudio, ein Edelmann

  Sein Kammerdiener

  Claudios Mutter           }
                            }
  Eine Geliebte des Claudio } Tote
                            }
  Ein Jugendfreund          }


Claudios Haus -- Kostüm der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts



Studierzimmer des Claudio, im Empiregeschmack. Im Hintergrund links und
rechts große Fenster, in der Mitte eine Glastüre auf den Balkon hinaus,
von dem eine hängende Holztreppe in den Garten führt. Links eine weiße
Flügeltür, rechts eine gleiche nach dem Schlafzimmer, mit einem grünen
Samtvorhang geschlossen. Am Fenster links steht ein Schreibtisch, davor
ein Lehnstuhl. An den Pfeilern Glaskasten mit Altertümern. An der Wand
rechts eine gotische, dunkle, geschnitzte Truhe; darüber altertümliche
Musikinstrumente. Ein fast schwarz gedunkeltes Bild eines italienischen
Meisters. Der Grundton der Tapete licht, fast weiß; mit Stukkatur und
Gold.


Claudio allein

Er sitzt am Fenster. Abendsonne.

  Die letzten Berge liegen nun im Glanz,
  In feuchten Schmelz durchsonnter Luft gewandet.
  Es schwebt ein Alabasterwolkenkranz
  Zuhöchst, mit grauen Schatten, goldumrandet:
  So malen Meister von den frühen Tagen
  Die Wolken, welche die Madonna tragen.
  Am Abhang liegen blaue Wolkenschatten,
  Der Bergesschatten füllt das weite Tal
  Und dämpft zu grauem Grün den Glanz der Matten;
  Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.
  Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,
  Die dort auf weiten Halden einsam wohnen
  Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,
  Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.
  Der wundervolle, wilde Morgenwind,
  Der nackten Fußes läuft im Heidenduft,
  Der weckt sie auf; die wilden Bienen sind
  Um sie, und Gottes helle, heiße Luft.
  Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte,
  In allen ihren Wünschen quillt Natur,
  Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte
  Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.
  Jetzt rückt der goldne Ball, und er versinkt
  In fernster Meere grünlichem Kristall;
  Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,
  Jetzt atmet roter Rauch, ein Glutenwall
  Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,
  Die mit Najadenarmen, flutenttaucht,
  In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,
  Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.
  Sie gleiten über ferne, wunderschwere,
  Verschwiegne Flut, die nie ein Kiel geteilt,
  Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,
  Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.
  So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet
  Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,
  Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,
  Wird alles öd, verletzender und trüber;
  Es scheint mein ganzes so versäumtes Leben
  Verlorne Lust und nie geweinte Tränen
  Um diese Gassen, dieses Haus zu weben
  Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.

Am Fenster stehend:

  Jetzt zünden sie die Lichter an und haben
  In engen Wänden eine dumpfe Welt
  Mit allen Rausch- und Tränengaben
  Und was noch sonst ein Herz gefangen hält.
  Sie sind einander herzlich nah
  Und härmen sich um einen, der entfernt;
  Und wenn wohl einem Leid geschah,
  So trösten sie ... ich habe Trösten nie gelernt.
  Sie können sich mit einfachen Worten,
  Was nötig zum Weinen und Lachen, sagen,
  Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten
  Mit blutigen Fingern schlagen.

  Was weiß denn ich vom Menschenleben?
  Bin freilich scheinbar drin gestanden,
  Aber ich hab es höchstens verstanden,
  Konnte mich nie darein verweben.
  Hab mich niemals daran verloren.
  Wo andre nehmen, andre geben,
  Blieb ich beiseit, im Innern stummgeboren.
  Ich hab von allen lieben Lippen
  Den wahren Trank des Lebens nie gesogen,
  Bin nie von wahrem Schmerz durchschüttert,
  Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.
  Wenn ich von guten Gaben der Natur
  Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,
  So nannte ihn mein überwacher Sinn,
  Unfähig des Vergessens, grell beim Namen.
  Und wie dann tausende Vergleiche kamen,
  War das Vertrauen, war das Glück dahin.
  Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen
  Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!
  Wie wollte ich an meine Brust es pressen,
  Wie hätt ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt:
  Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt,
  Und Unbehagen kam an Schmerzes Statt ...

Aufschreckend:

  Es dunkelt schon. Ich fall in Grübelei.
  Ja, ja: die Zeit hat Kinder mancherlei.
  Doch ich bin müd und soll wohl schlafen gehen.

Der Diener bringt eine Lampe, geht dann wieder.

  Jetzt läßt der Lampe Glanz mich wieder sehen
  Die Rumpelkammer voller totem Tand,
  Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,
  Wenn ich den graden Weg auch nimmer fand
  In jenes Leben, das ich so ersehnte.

Vor dem Kruzifix:

  Zu deinen wunden, elfenbeinern Füßen,
  Du Herr am Kreuz, sind etliche gelegen,
  Die Flammen niederbetend, jene süßen,
  Ins eigne Herz, die wundervoll bewegen,
  Und wenn statt Gluten öde Kälte kam,
  Vergingen sie in Reue, Angst und Scham.

Vor einem alten Bild:

  Gioconda, du, aus wundervollem Grund,
  Herleuchtend mit dem Glanz durchseelter Glieder,
  Dem rätselhaften, süßen, herben Mund,
  Dem Prunk der träumeschweren Augenlider:
  Gerad so viel verrietest du mir Leben,
  Als fragend ich vermocht dir einzuweben!

Sich abwendend, vor einer Truhe:

  Ihr Becher, ihr, an deren kühlem Rand
  Wohl etlich Lippen selig hingen,
  Ihr alten Lauten, ihr, bei deren Klingen
  Sich manches Herz die tiefste Rührung fand,
  Was gäb ich, könnt mich euer Bann erfassen,
  Wie wollt ich mich gefangen finden lassen!
  Ihr hölzern, ehern Schilderwerk,
  Verwirrend, formenquellend Bilderwerk,
  Ihr Kröten, Engel, Greife, Faunen,
  Phantastsche Vögel, goldnes Fruchtgeschlinge,
  Berauschende und ängstigende Dinge,
  Ihr wart doch all einmal gefühlt,
  Gezeugt von zuckenden, lebendgen Launen,
  Vom großen Meer emporgespült,
  Und wie den Fisch das Netz, hat euch die Form gefangen!
  Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,
  Von eurem Reize allzusehr gebunden:
  Und wie ich eurer eigensinngen Seelen
  Jedwede, wie die Masken, durchempfunden,
  War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,
  Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm, umstellt,
  Abweidend, unerbittliche Harpyien,
  An frischen Quellen jedes frische Blühen ...
  Ich hab mich so an Künstliches verloren,
  Daß ich die Sonne sah aus toten Augen,
  Und nicht mehr hörte, als durch tote Ohren:
  Stets schleppte ich den rätselhaften Fluch,
  Nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt,
  Mit kleinem Leid und schaler Lust
  Mein Leben zu erleben wie ein Buch,
  Das man zur Hälft noch nicht und halb nicht mehr begreift,
  Und hinter dem der Sinn erst nach Lebendgem schweift;
  Und was mich quälte und was mich erfreute,
  Mir war, als ob es nie sich selbst bedeute,
  Nein, künftgen Lebens vorgeliehnen Schein
  Und hohles Bild von einem vollem Sein.
  So hab ich mich in Leid und jeder Liebe
  Verwirrt mit Schatten nur herumgeschlagen,
  Verbraucht, doch nicht genossen alle Triebe,
  In dumpfem Traum, es würde endlich tagen.
  Ich wandte mich und sah das Leben an:
  Darinnen Schnellsein nicht zum Laufen nützt
  Und Tapfersein nicht hilft zum Streit; darin
  Unheil nicht traurig macht und Glück nicht froh;
  Auf Frag ohn Sinn folgt Antwort ohne Sinn;
  Verworrner Traum entsteigt der dunklen Schwelle,
  Und Glück ist alles, Stunde, Wind und Welle!
  So schmerzlich klug und so enttäuschten Sinn
  In müdem Hochmut liegend, in Entsagen
  Tief eingesponnen leb ich ohne Klagen
  In diesen Stuben, dieser Stadt dahin.
  Die Leute haben sich entwöhnt zu fragen
  Und finden, daß ich recht gewöhnlich bin.

Der Diener kommt und stellt einen Teller Kirschen auf den Tisch, dann
will er die Balkontüre schließen.

Claudio

  Laß noch die Türen offen -- Was erschreckt dich?

Diener

  Euer Gnaden glauben mirs wohl nicht.

Halb für sich, mit Angst:

  Jetzt haben sie im Lusthaus sich versteckt.

Claudio

  Wer denn?

Diener

            Entschuldigen, ich weiß es nicht.
  Ein ganzer Schwarm unheimliches Gesindel.

Claudio

  Bettler?

Diener

           Ich weiß es nicht.

Claudio

                              So sperr die Tür,
  Die von der Gasse in den Garten, zu,
  Und leg dich schlafen und laß mich in Ruh.

Diener

  Das eben macht mir solches Graun. Ich hab
  Die Gartentür verriegelt. Aber ...

Claudio

                                     Nun?

Diener

  Jetzt sitzen sie im Garten. Auf der Bank,
  Wo der sandsteinerne Apollo steht,
  Ein paar im Schatten dort am Brunnenrand,
  Und einer hat sich auf die Sphinx gesetzt.
  Man sieht ihn nicht, der Taxus steht davor.

Claudio

  Sinds Männer?

Diener

                Einige. Allein auch Frauen.
  Nicht bettelhaft, altmodisch nur von Tracht,
  Wie Kupferstiche angezogen sind.
  Mit einer solchen grauenvollen Art
  Still dazusitzen und mit toten Augen
  Auf einen wie in leere Luft zu schauen,
  Das sind nicht Menschen. Euer Gnaden sein
  Nicht ungehalten, nur um keinen Preis
  Der Welt möcht ich in ihre Nähe gehen.
  So Gott will, sind sie morgen früh verschwunden;
  Ich will -- mit gnädiger Erlaubnis -- jetzt
  Die Tür vom Haus verriegeln und das Schloß
  Einsprengen mit geweihtem Wasser. Denn
  Ich habe solche Menschen nie gesehn,
  Und solche Augen haben Menschen nicht.

Claudio

  Tu, was du willst, und gute Nacht.

Er geht eine Weile nachdenklich auf und nieder. Hinter der Szene
erklingt das sehnsüchtige und ergreifende Spiel einer Geige, zuerst
ferner, allmählich näher, endlich warm und voll, als wenn es aus dem
Nebenzimmer dränge.

                                     Musik?
  Und seltsam zu der Seele redende!
  Hat mich des Menschen Unsinn auch verstört?
  Mich dünkt, als hätt ich solche Töne
  Von Menschengeigen nie gehört ...

Er bleibt horchend gegen die rechte Seite gewandt.

  In tiefen, scheinbar lang ersehnten Schauern
  Dringts allgewaltig auf mich ein;
  Es scheint unendliches Bedauern,
  Unendlich Hoffen scheints zu sein,
  Als strömte von den alten, stillen Mauern
  Mein Leben flutend und verklärt herein.
  Wie der Geliebten, wie der Mutter Kommen,
  Wie jedes Langverlornen Wiederkehr,
  Regt es Gedanken auf, die warmen, frommen,
  Und wirft mich in ein jugendliches Meer:
  Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen
  Und meinte aufzuschweben in das All,
  Unendlich Sehnen über alle Grenzen
  Durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall!
  Und Wanderzeiten kamen, rauschumfangen,
  Da leuchtete manchmal die ganze Welt,
  Und Rosen glühten, und die Glocken klangen,
  Von fremdem Lichte jubelnd und erhellt:
  Wie waren da lebendig alle Dinge
  Dem liebenden Erfassen nah gerückt,
  Wie fühlt ich mich beseelt und tief entzückt,
  Ein lebend Glied im großen Lebensringe!
  Da ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet,
  Den Liebesstrom, der alle Herzen nährt,
  Und ein Genügen hielt mein Ich geweitet,
  Das heute kaum mir noch den Traum verklärt.
  Tön fort, Musik, noch eine Weile so
  Und rühr mein Innres also innig auf:
  Leicht wähn ich dann mein Leben warm und froh,
  Rücklebend so verzaubert seinen Lauf:
  Denn alle süßen Flammen, Loh an Loh
  Das Starre schmelzend, schlagen jetzt herauf!
  Des allzu alten, allzu wirren Wissens
  Auf diesen Nacken vielgehäufte Last
  Vergeht, von diesem Laut des Urgewissens,
  Den kindisch-tiefen Tönen angefaßt.
  Weither mit großem Glockenläuten
  Ankündigt sich ein kaum geahntes Leben,
  In Formen, die unendlich viel bedeuten,
  Gewaltig-schlicht im Nehmen und im Geben.

Die Musik verstummt fast plötzlich.

  Da, da verstummt, was mich so tief gerührt,
  Worin ich Göttlich-Menschliches gespürt!
  Der diese Wunderwelt unwissend hergesandt,
  Er hebt wohl jetzt nach Kupfergeld die Kappe,
  Ein abendlicher Bettelmusikant.

Am Fenster rechts:

  Hier unten steht er nicht. Wie sonderbar!
  Wo denn? Ich will durchs andre Fenster schaun ...

Wie er nach der Türe rechts geht, wird der Vorhang leise
zurückgeschlagen, und in der Tür steht der Tod, den Fiedelbogen in der
Hand, die Geige am Gürtel hängend. Er sieht Claudio, der entsetzt
zurückfährt, ruhig an.

  Wie packt mich sinnlos namenloses Grauen!
  Wenn deiner Fiedel Klang so lieblich war,
  Was bringt es solchen Krampf, dich anzuschauen?
  Und schnürt die Kehle so und sträubt das Haar?
  Geh weg! Du bist der Tod. Was willst du hier?
  Ich fürchte mich. Geh weg! Ich kann nicht schrein,

Sinkend:

  Der Halt, die Luft des Lebens schwindet mir!
  Geh weg! Wer rief dich? Geh! Wer ließ dich ein?

Der Tod

  Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir!
  Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!
  Aus des Dionysos, der Venus Sippe,
  Ein großer Gott der Seele steht vor dir.
  Wenn in der lauen Sommerabendfeier
  Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt,
  Hat dich mein Wehen angeschauert,
  Das traumhaft um die reifen Dinge webt;
  Wenn Überschwellen der Gefühle
  Mit warmer Flut die Seele zitternd füllte,
  Wenn sich im plötzlichen Durchzucken
  Das Ungeheure als verwandt enthüllte,
  Und du, hingebend dich im großen Reigen,
  Die Welt empfingest als dein eigen:
  In jeder wahrhaft großen Stunde,
  Die schauern deine Erdenform gemacht,
  Hab ich dich angerührt im Seelengrunde
  Mit heiliger, geheimnisvoller Macht.

Claudio

  Genug! Ich grüße dich, wenngleich beklommen.

Kleine Pause.

  Doch wozu bist du eigentlich gekommen?

Der Tod

  Mein Kommen, Freund, hat stets nur _einen_ Sinn!

Claudio

  Bei mir hats eine Weile noch _dahin_!
  Merk: eh das Blatt zu Boden schwebt,
  Hat es zur Neige seinen Saft gesogen!
  Dazu fehlt viel: Ich habe nicht gelebt!

Der Tod

  Bist doch, wie alle, deinen Weg gezogen!

Claudio

  Wie abgerißne Wiesenblumen
  Ein dunkles Wasser mit sich reißt,
  So glitten mir die jungen Tage,
  Und ich hab nie gewußt, daß das schon Leben heißt.
  Dann ... stand ich an den Lebensgittern,
  Der Wunder bang, von Sehnsucht süß bedrängt,
  Daß sie in majestätischen Gewittern
  Auffliegen sollten, wundervoll gesprengt.
  Es kam nicht so ... und einmal stand ich drinnen,
  Der Weihe bar, und konnte mich auf mich
  Und alle tiefsten Wünsche nicht besinnen,
  Von einem Bann befangen, der nicht wich.
  Von Dämmerung verwirrt und wie verschüttet,
  Verdrießlich und im Innersten zerrüttet,
  Mit halbem Herzen, unterbundnen Sinnen
  In jedem Ganzen rätselhaft gehemmt,
  Fühlt ich mich niemals recht durchglutet innen,
  Von großen Wellen nie so recht geschwemmt,
  Bin nie auf meinem Weg dem Gott begegnet,
  Mit dem man ringt, bis daß er einen segnet.

Der Tod

  Was allen, ward auch dir gegeben,
  Ein Erdenleben, irdisch es zu leben.
  Im Innern quillt euch allen treu ein Geist,
  Der diesem Chaos toter Sachen
  Beziehung einzuhauchen heißt,
  Und euren Garten draus zu machen
  Für Wirksamkeit, Beglückung und Verdruß.
  Weh dir, wenn ich dir das erst sagen muß!
  Man bindet und man wird gebunden,
  Entfaltung wirken schwül und wilde Stunden,
  In Schlaf geweint und müd geplagt
  Noch wollend, schwer von Sehnsucht, halbverzagt
  Tiefatmend und vom Drang des Lebens warm ...
  Doch alle _reif_, fallt ihr in meinen Arm.

Claudio

  Ich aber bin nicht reif, drum laß mich hier.
  Ich will nicht länger töricht jammern,
  Ich will mich an die Erdenscholle klammern,
  Die tiefste Lebenssehnsucht schreit in mir.
  Die höchste Angst zerreißt den alten Bann;
  Jetzt fühl ich -- laß mich -- daß ich leben kann!
  Ich fühls an diesem grenzenlosen Drängen:
  Ich kann mein Herz an Erdendinge hängen.
  O, du sollst sehn, nicht mehr wie stumme Tiere,
  Nicht Puppen werden mir die andern sein!
  Zum Herzen reden soll mir all das Ihre,
  Ich dränge mich in jede Lust und Pein.
  Ich will die Treue lernen, die der Halt
  Von allem Leben ist ... ich füg mich so,
  Daß Gut und Böse über mich Gewalt
  Soll haben und mich machen wild und froh.
  Dann werden sich die Schemen mir beleben!
  Ich werde Menschen auf dem Wege finden,
  Nicht länger stumm im Nehmen und im Geben,
  Gebunden werden -- ja! -- und kräftig binden.

Da er die ungerührte Miene des Todes wahrnimmt, mit steigender Angst:

  Denn schau, glaub mir, das war nicht so bisher:
  Du meinst, ich hätte doch geliebt, gehaßt ...
  Nein, nie hab ich den Kern davon erfaßt,
  Es war ein Tausch von Schein und Worten leer!
  Da schau, ich kann dir zeigen: Briefe, sieh,

Er reißt eine Lade auf und entnimmt ihr Pakete geordneter alter Briefe:

  Mit Schwüren voll und Liebeswort und Klagen;
  Meinst du, ich hätte je _gespürt_, was _die_ --
  _Gespürt_, was _ich_ als Antwort schien zu sagen?!

Er wirft ihm die Pakete vor die Füße, daß die einzelnen Briefe
herausfliegen.

  Da hast du dieses ganze Liebesleben,
  Daraus nur ich und ich nur widertönte,
  Wie ich der Stimmung Auf- und Niederbeben
  Mitbebend, jeden heilgen Halt verhöhnte!
  Da! da! und alles andre ist wie das:
  Ohn Sinn, ohn Glück, ohn Schmerz, ohn Lieb, ohn Haß!

Der Tod

  Du Tor! Du schlimmer Tor, ich will dich lehren,
  Das Leben, eh dus endest, einmal ehren.
  Stell dich dorthin und schweig und sieh hieher
  Und lern, daß alle andern diesen Schollen
  Mit lieberfülltem Erdensinn entquollen,
  Und nur du selber schellenlaut und leer.

Der Tod tut ein paar Geigenstriche, gleichsam rufend. Er steht an der
Schlafzimmertüre, im Vordergrund rechts, Claudio an der Wand links, im
Halbdunkel. Aus der Tür rechts tritt die Mutter. Sie ist nicht sehr alt.
Sie trägt ein langes, schwarzes Samtkleid, eine schwarze Samthaube mit
einer weißen Rüsche, die das Gesicht umrahmt. In den feinen blassen
Fingern ein weißes Spitzentaschentuch. Sie tritt leise aus der Tür und
geht lautlos im Zimmer umher.

Die Mutter

  Wie viele süße Schmerzen saug ich ein
  Mit dieser Luft. Wie von Lavendelkraut
  Ein feiner toter Atem weht die Hälfte
  Von meinem Erdendasein hier umher:
  Ein Mutterleben, nun, ein Dritteil Schmerzen,
  Eins Plage, Sorge eins. Was weiß ein Mann
  Davon?

An der Truhe:

         Die Kante da noch immer scharf?
  Da schlug er sich einmal die Schläfe blutig;
  Freilich, er war auch klein und heftig, wild
  Im Laufen, nicht zu halten. Da, das Fenster!
  Da stand ich oft und horchte in die Nacht
  Hinaus auf seinen Schritt mit solcher Gier,
  Wenn mich die Angst im Bett nicht länger litt,
  Wenn er nicht kam, und schlug doch zwei, und schlug
  Dann drei und fing schon blaß zu dämmern an ...
  Wie oft ... Doch hat er nie etwas gewußt --
  Ich war ja auch bei Tag hübsch viel allein.
  Die Hand, die gießt die Blumen, klopft den Staub
  Vom Kissen, reibt die Messingklinken blank,
  So läuft der Tag; allein der Kopf hat nichts
  Zu tun: da geht im Kreis ein dumpfes Rad
  Mit Ahnungen und traumbeklommenem
  Geheimnisvollem Schmerzgefühle, das
  Wohl mit der Mutterschaft unfaßlichem
  Geheimen Heiligtum zusammenhängt
  Und allem tiefsten Weben dieser Welt
  Verwandt ist. Aber mir ist nicht gegönnt,
  Der süß beklemmend, schmerzlich nährenden,
  Der Luft vergangnen Lebens mehr zu atmen.
  Ich muß ja gehen, gehen ...

Sie geht durch die Mitteltüre ab.

Claudio

                              Mutter!

Der Tod

                                      Schweig!
  Du bringst sie nicht zurück.

Claudio

                               Ah! Mutter, komm!
  Laß mich dir einmal mit den Lippen hier,
  Den zuckenden, die immer schmalgepreßt,
  Hochmütig schwiegen, laß mich doch vor dir
  So auf den Knien ... Ruf sie! Halt sie fest!
  Sie wollte nicht! Hast du denn nicht gesehn?!
  Was zwingst du sie, Entsetzlicher, zu gehn?

Der Tod

  Laß mir, was mein. Dein _war_ es.

Claudio

                                    Ah! und nie
  Gefühlt! Dürr, alles dürr! Wann hab ich je
  Gespürt, daß alle Wurzeln meines Seins
  Nach ihr sich zuckend drängten, ihre Näh
  Wie einer Gottheit Nähe wundervoll
  Durchschauert mich und quellend füllen soll
  Mit Menschensehnsucht, Menschenlust -- und -weh?!

Der Tod, um seine Klagen unbekümmert, spielt die Melodie eines alten
Volksliedes. Langsam tritt ein junges Mädchen ein; sie trägt ein
einfaches, großgeblümtes Kleid, Kreuzbandschuhe, um den Hals ein
Stückchen Schleier, bloßer Kopf.

Das junge Mädchen

  Es war doch schön ... Denkst du nie mehr daran?
  Freilich, du hast mir weh getan, so weh ...
  Allein, was hört denn nicht in Schmerzen auf?
  Ich hab so wenig frohe Tag' gesehn,
  Und die, die waren schön als wie ein Traum!
  Die Blumen vor dem Fenster, meine Blumen,
  Das kleine, wacklige Spinett, der Schrank,
  In den ich deine Briefe legte und
  Was du mir etwa schenktest ... alles das
  -- Lach mich nicht aus -- das wurde alles schön
  Und redete mit wachen, lieben Lippen!
  Wenn nach dem schwülen Abend Regen kam
  Und wir am Fenster standen -- ah, der Duft
  Der nassen Bäume! -- Alles das ist hin,
  Gestorben, was daran lebendig war!
  Und liegt in unsrer Liebe kleinem Grab.
  Allein es war so schön, und du bist schuld,
  Daß es so schön war. Und daß du mich dann
  Fortwarfest, achtlos grausam, wie ein Kind,
  Des Spielens müd, die Blumen fallen läßt ...
  Mein Gott, ich hatte nichts, dich festzubinden.

Kleine Pause.

  Wie dann dein Brief, der letzte, schlimme, kam,
  Da wollt ich sterben. Nicht, um dich zu quälen,
  Sag ich dir das. Ich wollte einen Brief
  Zum Abschied an dich schreiben, ohne Klag,
  Nicht heftig, ohne wilde Traurigkeit;
  Nur so, daß du nach meiner Lieb und mir
  Noch einmal solltest Heimweh haben und
  Ein wenig weinen, weils dazu zu spät.
  Ich hab dir nicht geschrieben. Nein. Wozu?
  Was weiß denn ich, wieviel von deinem Herzen
  In all dem war, was meinen armen Sinn
  Mit Glanz und Fieber so erfüllte, daß
  Ich wie im Traum am lichten Tage ging.
  Aus Untreu macht kein guter Wille Treu,
  Und Tränen machen kein Erstorbnes wach.
  Man stirbt auch nicht daran. Viel später erst,
  Nach langem, ödem Elend durft ich mich
  Hinlegen, um zu sterben. Und ich bat,
  In deiner Todesstund bei dir zu sein.
  Nicht grauenvoll, um dich zu quälen nicht,
  Nur wie wenn einer einen Becher Wein
  Austrinkt und flüchtig ihn der Duft gemahnt
  An irgendwo vergeßne, leise Lust.

Sie geht ab; Claudio birgt sein Gesicht in den Händen. Unmittelbar nach
ihrem Abgehen tritt ein Mann ein. Er hat beiläufig Claudios Alter. Er
trägt einen unordentlichen, bestaubten Reiseanzug. In seiner linken
Brust steckt mit herausragendem Holzgriff ein Messer. Er bleibt in der
Mitte der Bühne, Claudio zugewendet, stehen.

Der Mann

  Lebst du noch immer, Ewigspielender?
  Liest immer noch Horaz und freuest dich
  Am spöttisch-klugen, nie bewegten Sinn?
  Mit feinen Worten bist du mir genaht,
  Scheinbar gepackt von was auch mich bewegte ...
  Ich hab dich, sagtest du, gemahnt an Dinge,
  Die heimlich in dir schliefen, wie der Wind
  Der Nacht von fernem Ziel zuweilen redet ...
  O ja, ein feines Saitenspiel im Wind
  Warst du, und der verliebte Wind dafür
  Stets eines andern ausgenützter Atem,
  Der meine oder sonst. Wir waren ja
  Sehr lange Freunde. Freunde? Heißt: gemein
  War zwischen uns Gespräch bei Tag und Nacht,
  Verkehr mit gleichen Menschen, Tändelei
  Mit einer gleichen Frau. Gemein: so wie
  Gemeinsam zwischen Herr und Sklave ist
  Haus, Sänfte, Hund und Mittagstisch und Peitsche:
  Dem ist das Haus zur Lust, ein Kerker dem;
  Den trägt die Sänfte, jenem drückt die Schulter
  Ihr Schnitzwerk wund; der läßt den Hund im Garten
  Durch Reifen springen, jener wartet ihn!...
  Halbfertige Gefühle, meiner Seele
  Schmerzlich geborne Perlen, nahmst du mir
  Und warfst sie als dein Spielzeug in die Luft,
  Du, schnellbefreundet, fertig schnell mit jedem,
  Ich mit dem stummen Werben in der Seele
  Und Zähne zugepreßt, du ohne Scheu
  An allem tastend, während mir das Wort
  Mißtrauisch und verschüchtert starb am Weg.
  Da kam uns in den Weg ein Weib. Was mich
  Ergriff, wie Krankheit über einen kommt,
  Wo alle Sinne taumeln, überwach
  Von allzu vielem Schaun nach einem Ziel ...
  Nach einem solchen Ziel, voll süßer Schwermut
  Und wildem Glanz und Duft, aus tiefem Dunkel
  Wie Wetterleuchten webend ... Alles das,
  Du sahst es auch, es reizte dich!... »Ja, weil
  Ich selber ähnlich bin zu mancher Zeit,
  So reizte mich des Mädchens müde Art
  Und herbe Hoheit, so enttäuschten Sinns
  Bei solcher Jugend.« Hast du mirs denn nicht
  Dann später so erzählt? Es reizte dich!
  Mir war es mehr als dieses Blut und Hirn!
  Und sattgespielt, warfst du die Puppe mir,
  Mir zu, ihr ganzes Bild vom Überdruß
  In dir entstellt, so fürchterlich verzerrt,
  Des wundervollen Zaubers so entblößt,
  Die Züge sinnlos, das lebendge Haar
  Tot hängend, warfst mir eine Larve zu,
  In schnödes Nichts mit widerlicher Kunst
  Zersetzend rätselhaften süßen Reiz.
  Für dieses haßte endlich ich dich so,
  Wie dich mein dunkles Ahnen stets gehaßt,
  Und wich dir aus.
                    Dann trieb mich mein Geschick,
  Das endlich mich Zerbrochnen segnete,
  Mit einem Ziel und Willen in der Brust --
  Die nicht in deiner giftgen Nähe ganz
  Für alle Triebe abgestorben war --
  Ja, für ein Hohes trieb mich mein Geschick
  In dieser Mörderklinge herben Tod,
  Der mich in einen Straßengraben warf,
  Darin ich liegend langsam moderte
  Um Dinge, die du nicht begreifen kannst,
  Und dreimal selig dennoch gegen dich,
  Der keinem etwas war und keiner ihm.

Er geht ab.

Claudio

  Wohl keinem etwas, keiner etwas mir.

Sich langsam aufrichtend:

  Wie auf der Bühn ein schlechter Komödiant --
  Aufs Stichwort kommt er, redt sein Teil und geht
  Gleichgültig gegen alles andre, stumpf,
  Vom Klang der eignen Stimme ungerührt
  Und hohlen Tones andre rührend nicht:
  So über diese Lebensbühne hin
  Bin ich gegangen ohne Kraft und Wert.
  Warum geschah mir das? Warum, du Tod,
  Mußt du mich lehren erst das Leben sehen,
  Nicht wie durch einen Schleier, wach und ganz,
  Da etwas weckend, so vorübergehen?
  Warum bemächtigt sich des Kindersinns
  So hohe Ahnung von den Lebensdingen,
  Daß dann die Dinge, wenn sie wirklich sind,
  Nur schale Schauer des Erinnerns bringen?
  Warum erklingt uns nicht ein Geigenspiel,
  Aufwühlend die verborgne Geisterwelt,
  Die unser Busen heimlich hält,
  Verschüttet, dem Bewußtsein so verschwiegen,
  Wie Blumen im Geröll verschüttet liegen?
  Könnt ich mit dir sein, wo man dich nur hört,
  Nicht von verworrner Kleinlichkeit verstört!
  Ich kanns! Gewähre, was du mir gedroht:
  Da tot mein Leben war, sei du mein Leben, Tod!
  Was zwingt mich, der ich beides nicht erkenne,
  Daß ich dich Tod und jenes Leben nenne?
  In eine Stunde kannst du Leben pressen,
  Mehr als das ganze Leben konnte halten,
  Das schattenhafte will ich ganz vergessen
  Und weih mich deinen Wundern und Gewalten.

Er besinnt sich einen Augenblick.

  Kann sein, dies ist nur sterbendes Besinnen,
  Heraufgespült vom tödlich wachen Blut,
  Doch hab ich nie mit allen Lebenssinnen
  So viel ergriffen, und so nenn ichs gut!
  Wenn ich jetzt ausgelöscht hinsterben soll,
  Mein Hirn von dieser Stunde also voll,
  Dann schwinde alles blasse Leben hin:
  Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin.
  Wenn einer träumt, so kann ein Übermaß
  Geträumten Fühlens ihn erwachen machen,
  So wach ich jetzt, im Fühlensübermaß
  Vom Lebenstraum, wohl auf im Todeswachen.

Er sinkt tot zu den Füßen des Todes nieder.

Der Tod

indem er kopfschüttelnd langsam abgeht

  Wie wundervoll sind diese Wesen,
  Die, was nicht deutbar, dennoch deuten,
  Was nie geschrieben wurde, lesen,
  Verworrenes beherrschend binden
  Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.

Er verschwindet in der Mitteltür, seine Worte verklingen. Im Zimmer
bleibt es still. Draußen sieht man durchs Fenster den Tod geigenspielend
vorübergehen, hinter ihm die Mutter, auch das Mädchen, dicht bei ihnen
eine Claudio gleichende Gestalt.


             Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig





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