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Title: Gedichte
Author: Hofmannsthal, Hugo von, 1874-1929
Language: German
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  [ Anmerkungen zur Transkription:

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    verschoben.
  ]



                          HUGO VON HOFMANNSTHAL

                                GEDICHTE

                                  1922

                       IM INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG



INHALT


  DIE GESAMMELTEN GEDICHTE

  Vorfrühling                                                          7

  Erlebnis                                                             9

  Vor Tag                                                             11

  Reiselied                                                           13

  Die beiden                                                          14

  Lebenslied                                                          15

  Gute Stunde                                                         17

  Dein Antlitz ...                                                    18

  Weltgeheimnis                                                       19

  Ballade des äußeren Lebens                                          20

  Nox portentis gravida                                               21

  Glückliches Haus                                                    23

  Botschaft                                                           24

  Terzinen über Vergänglichkeit (I-IV)                                26

  Manche freilich ...                                                 29

  Ein Traum von großer Magie                                          30

  Im Grünen zu singen (I-III)                                         32

  Liedchen des Harlekin                                               34

  Zerbinetta                                                          35

  Gesang der Ungeborenen                                              37

  Lied der Welt                                                       38


  GESTALTEN

  Ein Knabe (I-II)                                                    41

  Der Jüngling in der Landschaft                                      42

  Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt                              43

  Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer                          44

  Verse auf ein kleines Kind                                          46

  Der Kaiser von China spricht                                        47

  Großmutter und Enkel                                                49

  Gespräch                                                            51

  Gesellschaft                                                        53

  Der Jüngling und die Spinne                                         55

  Idylle. Nach einem antiken Vasenbild: Zentaur mit verwundeter
  Frau am Rand eines Flusses                                          58


  PROLOGE UND TRAUERREDEN

  Prolog zu dem Buch ›Anatol‹                                         69

  Zu einem Buch ähnlicher Art                                         72

  Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer                       74

  Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller                        77

  Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz                  79

  Zu einer Totenfeier für Arnold Böcklin                              82



DIE GESAMMELTEN GEDICHTE



VORFRÜHLING


  Es läuft der Frühlingswind
  Durch kahle Alleen,
  Seltsame Dinge sind
  In seinem Wehn.

  Er hat sich gewiegt,
  Wo Weinen war,
  Und hat sich geschmiegt
  In zerrüttetes Haar.

  Er schüttelte nieder
  Akazienblüten
  Und kühlte die Glieder,
  Die atmend glühten.

  Lippen im Lachen
  Hat er berührt,
  Die weichen und wachen
  Fluren durchspürt.

  Er glitt durch die Flöte
  Als schluchzender Schrei,
  An dämmernder Röte
  Flog er vorbei.

  Er flog mit Schweigen
  Durch flüsternde Zimmer
  Und löschte im Neigen
  Der Ampel Schimmer.

  Es läuft der Frühlingswind
  Durch kahle Alleen,
  Seltsame Dinge sind
  In seinem Wehn.

  Durch die glatten
  Kahlen Alleen
  Treibt sein Wehn
  Blasse Schatten

  Und den Duft,
  Den er gebracht,
  Von wo er gekommen
  Seit gestern nacht.



ERLEBNIS


  Mit silbergrauem Dufte war das Tal
  Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond
  Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.
  Mit silbergrauem Duft des dunklen Tales
  Verschwammen meine dämmernden Gedanken,
  Und still versank ich in dem webenden,
  Durchsichtgen Meere und verließ das Leben.
  Wie wunderbare Blumen waren da,
  Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,
  Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen
  In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze
  War angefüllt mit einem tiefen Schwellen
  Schwermütiger Musik. Und dieses wußt ich,
  Obgleich ichs nicht begreife, doch ich wußt es:
  Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,
  Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,
  Verwandt der tiefsten Schwermut.
                                   Aber seltsam!
  Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
  In meiner Seele nach dem Leben, weinte,
  Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
  Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
  Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
  Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er
  Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
  Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber.
  Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
  Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
  Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer --
  Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,
  Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
  Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.



VOR TAG


  Nun liegt und zuckt am fahlen Himmelsrand
  In sich zusammgesunken das Gewitter.
  Nun denkt der Kranke: ›Tag! jetzt werd ich schlafen!‹
  Und drückt die heißen Lider zu. Nun streckt
  Die junge Kuh im Stall die starken Nüstern
  Nach kühlem Frühduft. Nun im stummen Wald
  Hebt der Landstreicher ungewaschen sich
  Aus weichem Bett vorjährigen Laubes auf
  Und wirft mit frecher Hand den nächsten Stein
  Nach einer Taube, die schlaftrunken fliegt,
  Und graust sich selber, wie der Stein so dumpf
  Und schwer zur Erde fällt. Nun rennt das Wasser,
  Als wollte es der Nacht, der fortgeschlichnen, nach
  Ins Dunkel stürzen, unteilnehmend, wild
  Und kalten Hauches hin, indessen droben
  Der Heiland und die Mutter leise, leise
  Sich unterreden auf dem Brücklein: leise.
  Und doch ist ihre kleine Rede ewig
  Und unzerstörbar wie die Sterne droben.
  Er trägt sein Kreuz und sagt nur: ›Meine Mutter!‹
  Und sieht sie an, und: ›Ach, mein lieber Sohn!‹
  Sagt sie. -- Nun hat der Himmel mit der Erde
  Ein stumm beklemmend Zwiegespräch. Dann geht
  Ein Schauer durch den schweren, alten Leib:
  Sie rüstet sich, den neuen Tag zu leben.
  Nun steigt das geisterhafte Frühlicht. Nun
  Schleicht einer ohne Schuh von einem Frauenbett,
  Läuft wie ein Schatten, klettert wie ein Dieb
  Durchs Fenster in sein eigenes Zimmer, sieht
  Sich im Wandspiegel und hat plötzlich Angst
  Vor diesem blassen, übernächtigen Fremden,
  Als hätte dieser selbe heute nacht
  Den guten Knaben, der er war, ermordet
  Und käme jetzt, die Hände sich zu waschen
  Im Krüglein seines Opfers wie zum Hohn,
  Und darum sei der Himmel so beklommen
  Und alles in der Luft so sonderbar.
  Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch Tag.



REISELIED


  Wasser stürzt, uns zu verschlingen,
  Rollt der Fels, uns zu erschlagen,
  Kommen schon auf starken Schwingen
  Vögel her, uns fortzutragen.

  Aber unten liegt ein Land,
  Früchte spiegelnd ohne Ende
  In den alterslosen Seen.

  Marmorstirn und Brunnenrand
  Steigt aus blumigem Gelände,
  Und die leichten Winde wehn.



DIE BEIDEN


  Sie trug den Becher in der Hand
  -- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand --,
  So leicht und sicher war ihr Gang,
  Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

  So leicht und fest war seine Hand:
  Er ritt auf einem jungen Pferde,
  Und mit nachlässiger Gebärde
  Erzwang er, daß es zitternd stand.

  Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
  Den leichten Becher nehmen sollte,
  So war es beiden allzu schwer:
  Denn beide bebten sie so sehr,
  Daß keine Hand die andre fand
  Und dunkler Wein am Boden rollte.



LEBENSLIED


  Den Erben laß verschwenden
  An Adler, Lamm und Pfau
  Das Salböl aus den Händen
  Der toten alten Frau!
  Die Toten, die entgleiten,
  Die Wipfel in dem Weiten --
  Ihm sind sie wie das Schreiten
  Der Tänzerinnen wert!

  Er geht wie den kein Walten
  Vom Rücken her bedroht.
  Er lächelt, wenn die Falten
  Des Lebens flüstern: Tod!
  Ihm bietet jede Stelle
  Geheimnisvoll die Schwelle;
  Es gibt sich jeder Welle
  Der Heimatlose hin.

  Der Schwarm von wilden Bienen
  Nimmt seine Seele mit;
  Das Singen von Delphinen
  Beflügelt seinen Schritt:
  Ihn tragen alle Erden
  Mit mächtigen Gebärden.
  Der Flüsse Dunkelwerden
  Begrenzt den Hirtentag!

  Das Salböl aus den Händen
  Der toten alten Frau
  Laß lächelnd ihn verschwenden
  An Adler, Lamm und Pfau:
  Er lächelt der Gefährten. --
  Die schwebend unbeschwerten
  Abgründe und die Gärten
  Des Lebens tragen ihn.



GUTE STUNDE


  Hier lieg ich, mich dünkt es der Gipfel der Welt,
  Hier hab ich kein Haus, und hier hab ich kein Zelt!

  Die Wege der Menschen sind um mich her,
  Hinauf zu den Bergen und nieder zum Meer:

  Sie tragen die Ware, die ihnen gefällt,
  Unwissend, daß jede mein Leben enthält.

  Sie bringen in Schwingen aus Binsen und Gras
  Die Früchte, von denen ich lange nicht aß:

  Die Feige erkenn ich, nun spür ich den Ort,
  Doch lebte der lange vergessene fort!

  Und war mir das Leben, das schöne, entwandt,
  Es hielt sich im Meer, und es hielt sich im Land!



DEIN ANTLITZ ...


  Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen.
  Ich schwieg und sah dich an mit stummem Beben.
  Wie stieg das auf! Daß ich mich einmal schon
  In frühern Nächten völlig hingegeben

  Dem Mond und dem zuviel geliebten Tal,
  Wo auf den leeren Hängen auseinander
  Die magern Bäume standen und dazwischen
  Die niedern kleinen Nebelwolken gingen

  Und durch die Stille hin die immer frischen
  Und immer fremden silberweißen Wasser
  Der Fluß hinrauschen ließ -- wie stieg das auf!

  Wie stieg das auf! Denn allen diesen Dingen
  Und ihrer Schönheit -- die unfruchtbar war --
  Hingab ich mich in großer Sehnsucht ganz,
  Wie jetzt für das Anschaun von deinem Haar
  Und zwischen deinen Lidern diesen Glanz!



WELTGEHEIMNIS


  Der tiefe Brunnen weiß es wohl,
  Einst waren alle tief und stumm,
  Und alle wußten drum.

  Wie Zauberworte, nachgelallt
  Und nicht begriffen in den Grund,
  So geht es jetzt von Mund zu Mund.

  Der tiefe Brunnen weiß es wohl;
  In den gebückt, begriffs ein Mann,
  Begriff es und verlor es dann.

  Und redet' irr und sang ein Lied --
  Auf dessen dunklen Spiegel bückt
  Sich einst ein Kind und wird entrückt.

  Und wächst und weiß nichts von sich selbst
  Und wird ein Weib, das einer liebt
  Und -- wunderbar wie Liebe gibt!

  Wie Liebe tiefe Kunde gibt! --
  Da wird an Dinge, dumpf geahnt,
  In ihren Küssen tief gemahnt ...

  In unsern Worten liegt es drin,
  So tritt des Bettlers Fuß den Kies,
  Der eines Edelsteins Verlies.

  Der tiefe Brunnen weiß es wohl,
  Einst aber wußten alle drum,
  Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.



BALLADE DES ÄUSSEREN LEBENS


  Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
  Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
  Und alle Menschen gehen ihre Wege.

  Und süße Früchte werden aus den herben
  Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
  Und liegen wenig Tage und verderben.

  Und immer weht der Wind, und immer wieder
  Vernehmen wir und reden viele Worte
  Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.

  Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
  Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
  Und drohende, und totenhaft verdorrte ...

  Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
  Einander nie? und sind unzählig viele?
  Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

  Was frommt das alles uns und diese Spiele,
  Die wir doch groß und ewig einsam sind
  Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

  Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?
  Und dennoch sagt der viel, der ›Abend‹ sagt,
  Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt

  Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.



NOX PORTENTIS GRAVIDA


  In hohen Bäumen ist ein Nebelspiel,
  Und drei der schönen Sterne funkeln nah:
  Die Hyazinthen an der dunkeln Erde
  Erinnern sich, daß hier geschehen werde,
  Was früher schon und öfter wohl geschah:
  Daß Hermes und die beiden Dioskuren,
  Funkelnd vor Übermut, die luftigen Spuren
  Der windgetragenen Grazien umstellen
  Und spielend, mit der Grausamkeit der Jagd,
  Sie aus den Wipfeln scheuchen, ja die Wellen
  Des Flusses nahe treiben, bis es tagt.

  Der Dichter hat woanders seinen Weg,
  Und mit den Augen der Meduse schauend
  Sieht er das umgelegene fahle Feld
  Sogleich entrückt und weiß nicht, wie es ist,
  Und fügt es andern solchen Orten zu,
  Wo seine Seele wie ein Kind verstellt,
  Ein Dasein hat von keiner sichern Frist
  In Adlersluft und abgestorbner Ruh.
  Dort streut er ihr die Schatten und die Scheine
  Der Erdendinge hin und Edelsteine.

  Den dritten Teil des Himmels aber nimmt
  Die Wolke ein von solcher Todesschwärze,
  Wie sie die Seele dessen anfällt, der
  Durch Nacht den Weg sich sucht mit einer Kerze:
  Die Wolke, die hinzog am nächsten Morgen,
  Mit Donnerschlag von tausenden Gewittern
  Und blauem Lichte stark wie nahe Sonnen
  Und schauerlichem Sturz von heißen Steinen,
  Die Insel heimzusuchen, wo das Zittern
  Aufblühen ließ die wundervollsten Wonnen;
  Vor ungeheurer Angst erstorbenes Weinen
  Der Kaufpreis war: daß in verstörten Gärten,
  Die nie sich sahen, sich fürs Leben fanden
  Und trunken sterbend, Rettung nicht begehrten;
  Daß Gott entsprang den Luft- und Erdenbanden,
  Verwaiste Kinder gleich Propheten glühten
  Und alle Seelen wie die Sterne blühten.



GLÜCKLICHES HAUS


  Auf einem offenen Altane sang
  Ein Greise orgelspielend gegen Himmel,
  Indes auf einer Tenne, ihm zu Füßen,
  Der schlanke mit dem bärtigen Enkel focht,
  Daß durch den reinen Schaft des Oleanders
  Ein Zittern aufwärtslief; allein ein Vogel
  Still in der Krone blütevollem Schein
  Floh nicht und äugte klugen Blicks herab.
  Auf dem behauenen Rand des Brunnens aber
  Die junge Frau gab ihrem Kind die Brust.

  Allein der Wanderer, dem die Straße sich
  Entlang der Tenne ums Gemäuer bog,
  Warf hinter sich den einen Blick des Fremden
  Und trug in sich -- gleich jener Abendwolke
  Entschwebend, über stillem Fluß und Wald --
  Das wundervolle Bild des Friedens fort.



BOTSCHAFT


  Ich habe mich bedacht, daß schönste Tage
  Nur jene heißen dürfen, da wir redend
  Die Landschaft uns vor Augen in ein Reich
  Der Seele wandelten; da hügelan
  Dem Schatten zu wir stiegen in den Hain,
  Der uns umfing wie schon einmal Erlebtes,
  Da wir auf abgetrennten Wiesen still
  Den Traum vom Leben niegeahnter Wesen,
  Ja ihres Gehns und Trinkens Spuren fanden
  Und überm Teich ein gleitendes Gespräch,
  Noch tiefere Wölbung spiegelnd als der Himmel:
  Ich habe mich bedacht auf solche Tage,
  Und daß nächst diesen drei: gesund zu sein,
  Am eignen Leib und Leben sich zu freuen,
  Und an Gedanken, Flügeln junger Adler,
  Nur eines frommt: gesellig sein mit Freunden.
  So will ich, daß du kommst und mit mir trinkst
  Aus jenen Krügen, die mein Erbe sind,
  Geschmückt mit Laubwerk und beschwingten Kindern,
  Und mit mir sitzest in dem Gartenturm:
  Zwei Jünglinge bewachen seine Tür,
  In deren Köpfen mit gedämpftem Blick
  Halbabgewandt ein ungeheueres
  Geschick dich steinern anschaut, daß du schweigst
  Und meine Landschaft hingebreitet siehst:
  Daß dann vielleicht ein Vers von dir sie mir
  Veredelt künftig in der Einsamkeit
  Und da und dort Erinnerung an dich
  Ein Schatten nistet und zur Dämmerung
  Die Straße zwischen dunklen Wipfeln rollt
  Und schattenlose Wege in der Luft
  Dahinrolln wie ein ferner goldner Donner.



TERZINEN ÜBER VERGÄNGLICHKEIT


I

  Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
  Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
  Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

  Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
  Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
  Daß alles gleitet und vorüberrinnt

  Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
  Herüberglitt aus einem kleinen Kind
  Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.

  Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
  Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
  Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,

  So eins mit mir als wie mein eignes Haar.


II

  Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen
  Des Meeres starren und den Tod verstehn,
  So leicht und feierlich und ohne Grauen,

  Wie kleine Mädchen, die sehr blaß aussehn,
  Mit großen Augen, und die immer frieren,
  An einem Abend stumm vor sich hinsehn

  Und wissen, daß das Leben jetzt aus ihren
  Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt
  In Bäum' und Gras, und sich matt lächelnd zieren

  Wie eine Heilige, die ihr Blut vergießt.


III

  Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
  Und Träume schlagen so die Augen auf
  Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

  Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
  Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
  ... Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

  Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,
  Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
  Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

  Das Innerste ist offen ihrem Weben,
  Wie Geisterhände in versperrtem Raum
  Sind sie in uns und haben immer Leben.

  Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.


IV

  Zuweilen kommen niegeliebte Frauen
  Im Traum als kleine Mädchen uns entgegen
  Und sind unsäglich rührend anzuschauen,

  Als wären sie mit uns auf fernen Wegen
  Einmal an einem Abend lang gegangen,
  Indes die Wipfel atmend sich bewegen

  Und Duft herunterfällt und Nacht und Bangen,
  Und längs des Weges, unsres Wegs, des dunkeln,
  Im Abendschein die stummen Weiher prangen

  Und, Spiegel unsrer Sehnsucht, traumhaft funkeln,
  Und allen leisen Worten, allem Schweben
  Der Abendluft und erstem Sternefunkeln

  Die Seelen schwesterlich und tief erbeben
  Und traurig sind und voll Triumphgepränge
  Vor tiefer Ahnung, die das große Leben

  Begreift und seine Herrlichkeit und Strenge.



MANCHE FREILICH ...


  Manche freilich müssen drunten sterben,
  Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
  Andre wohnen bei dem Steuer droben,
  Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

  Manche liegen immer mit schweren Gliedern
  Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
  Andern sind die Stühle gerichtet
  Bei den Sibyllen, den Königinnen,
  Und da sitzen sie wie zu Hause,
  Leichten Hauptes und leichter Hände.

  Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
  In die anderen Leben hinüber,
  Und die leichten sind an die schweren
  Wie an Luft und Erde gebunden:

  Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
  Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
  Noch weghalten von der erschrockenen Seele
  Stummes Niederfallen ferner Sterne.

  Viele Geschicke weben neben dem meinen.
  Durcheinander spielt sie alle das Dasein.
  Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
  Schlanke Flamme oder schmale Leier.



EIN TRAUM VON GROSSER MAGIE


  Viel königlicher als ein Perlenband
  Und kühn wie junges Meer im Morgenduft,
  So war ein großer Traum -- wie ich ihn fand.

  Durch offene Glastüren ging die Luft.
  Ich schlief im Pavillon zu ebner Erde,
  Und durch vier offne Türen ging die Luft --

  Und früher liefen schon geschirrte Pferde
  Hindurch und Hunde eine ganze Schar
  An meinem Bett vorbei. Doch die Gebärde

  Des Magiers -- des Ersten, Großen -- war
  Auf einmal zwischen mir und einer Wand:
  Sein stolzes Nicken, königliches Haar.

  Und hinter ihm nicht Mauer: es entstand
  Ein weiter Prunk von Abgrund, dunklem Meer
  Und grünen Matten hinter seiner Hand.

  Er bückte sich und zog das Tiefe her.
  Er bückte sich, und seine Finger gingen
  Im Boden so, als ob es Wasser wär.

  Vom dünnen Quellenwasser aber fingen
  Sich riesige Opale in den Händen
  Und fielen tönend wieder ab in Ringen.

  Dann warf er sich mit leichtem Schwung der Lenden --
  Wie nur aus Stolz -- der nächsten Klippe zu;
  An ihm sah ich die Macht der Schwere enden.

  In seinen Augen aber war die Ruh
  Von schlafend- doch lebendgen Edelsteinen.
  Er setzte sich und sprach ein solches Du

  Zu Tagen, die uns ganz vergangen scheinen,
  Daß sie herkamen trauervoll und groß:
  Das freute ihn zu lachen und zu weinen.

  Er fühlte traumhaft aller Menschen Los,
  So wie er seine eignen Glieder fühlte.
  Ihm war nichts nah und fern, nichts klein und groß.

  Und wie tief unten sich die Erde kühlte,
  Das Dunkel aus den Tiefen aufwärts drang,
  Die Nacht das Laue aus den Wipfeln wühlte,

  Genoß er allen Lebens großen Gang
  So sehr -- daß er in großer Trunkenheit
  So wie ein Löwe über Klippen sprang.
  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  Cherub und hoher Herr ist unser Geist --
  Wohnt nicht in uns, und in die obern Sterne
  Setzt er den Stuhl und läßt uns viel verwaist:

  Doch Er ist Feuer uns im tiefsten Kerne
  -- So ahnte mir, da ich den Traum da fand --
  Und redet mit den Feuern jener Ferne

  Und lebt in mir wie ich in meiner Hand.



IM GRÜNEN ZU SINGEN


I

  Hörtest du denn nicht hinein,
  Daß Musik das Haus umschlich?
  Nacht war schwer und ohne Schein,
  Doch der sanft auf hartem Stein
  Lag und spielte, das war ich.

  Was ich konnte, sprach ich aus:
  ›Liebste du, mein Alles du!‹
  Östlich brach ein Licht heraus,
  Schwerer Tag trieb mich nach Haus,
  Und mein Mund ist wieder zu.


II

  War der Himmel trüb und schwer,
  Waren einsam wir so sehr,
  Voneinander abgeschnitten!
  Aber das ist nun nicht mehr:
  Lüfte fließen hin und her;
  Und die ganze Welt inmitten
  Glänzt, als ob sie gläsern wär.

  Sterne kamen aufgegangen,
  Flimmern mein- und deinen Wangen,
  Und sie wissens auch:
  Stark und stärker wird ihr Prangen;
  Und wir atmen mit Verlangen,
  Liegen selig wie gefangen,
  Spüren eins des andern Hauch.


III

  Die Liebste sprach: ›Ich halt dich nicht,
  Du hast mir nichts geschworn.
  Die Menschen soll man halten nicht,
  Sind nicht zur Treu geborn.

  Zieh deine Straßen hin, mein Freund,
  Beschau dir Land um Land,
  In vielen Betten ruh dich aus,
  Viel Frauen nimm bei der Hand.

  Wo dir der Wein zu sauer ist,
  Da trink du Malvasier,
  Und wenn mein Mund dir süßer ist,
  So komm nur wieder zu mir!‹



LIEDCHEN DES HARLEKIN


  Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen,
  Alle Lust und alle Qual,
  Alles kann ein Herz ertragen
  Einmal um das andere Mal.

  Aber weder Lust noch Schmerzen,
  Abgestorben auch der Pein,
  Das ist tödlich deinem Herzen,
  Und so darfst du mir nicht sein!

  Mußt dich aus dem Dunkel heben,
  Wär es auch um neue Qual,
  Leben mußt du, liebes Leben,
  Leben noch dies eine Mal!



ZERBINETTA


  Noch glaub ich dem einen ganz mich gehörend,
  Noch mein' ich mir selber so sicher zu sein,
  Da mischt sich im Herzen leise betörend
  Schon einer nie gekosteten Freiheit,
  Schon einer neuen verstohlenen Liebe
  Schweifendes freches Gefühle sich ein!
  Noch bin ich wahr, und doch ist es gelogen,
  Ich halte mich treu und bin schon schlecht.
  Mit falschen Gewichten wird alles gewogen --
  Und halb mich wissend und halb im Taumel
  Betrüg ich ihn endlich und lieb ihn noch recht!
  Ja, halb mich wissend und halb im Taumel
  Betrüge ich endlich und liebe noch recht!
  So war es mit Pagliazzo
  Und mit Mezzetin!
  Dann war es Cavicchio,
  Dann Buratin,
  Dann Pasquariello!
  Ach, und zuweilen,
  Will es mir scheinen,
  Waren es zwei!
  Doch niemals Launen,
  Immer ein Müssen!
  Immer ein neues
  Beklommenes Staunen.
  Daß ein Herz so gar sich selber,
  Gar sich selber nicht versteht!
  Als ein Gott kam jeder gegangen,
  Und sein Schritt schon machte mich stumm,
  Küßte er mir Stirn und Wangen,
  War ich von dem Gott gefangen
  Und gewandelt um und um!



GESANG DER UNGEBORENEN


  Vater, dir drohet nichts,
  Siehe, es schwindet schon,
  Mutter, das Ängstliche,
  Das dich beirrte!
  Wäre denn je ein Fest,
  Wären nicht insgeheim
  Wir die Geladenen,
  Wir auch die Wirte?



LIED DER WELT


  Flieg hin, Zeit, du bist meine Magd,
  Schmück mich, wenn es nächtet, schmück mich, wenn es tagt,
  Flicht mir mein Haar, spiel mir um den Schuh,
  Ich bin die Frau, die Magd bist du.
  Heia!
  Doch einmal trittst du zornig herein,
  Die Sterne schießen schiefen Schein,
  Der Wind durchfährt den hohen Saal,
  Die Sonn geht aus, das Licht wird fahl,
  Der Boden gibt einen toten Schein,
  Da wirst du meine Herrin sein!
  O weh!
  Und ich deine Magd, schwach und verzagt,
  Gott sei's geklagt!
  Flieg hin, Zeit! Die Zeit ist noch weit!
  Heia!



GESTALTEN



EIN KNABE


I

  Lang kannte er die Muscheln nicht für schön:
  Er war zu sehr aus einer Welt mit ihnen;
  Der Duft der Hyazinthen war ihm nichts
  Und nichts das Spiegelbild der eigenen Mienen.

  Doch alle seine Tage waren so
  Geöffnet wie ein leierförmig Tal,
  Darin er Herr zugleich und Knecht zugleich
  Des weißen Lebens war und ohne Wahl.

  Wie einer, der noch tut, was ihm nicht ziemt,
  Doch nicht für lange, ging er auf den Wegen:
  Der Heimkehr und unendlichem Gespräch
  Hob seine Seele ruhig sich entgegen.


II

  Eh er gebändigt war für sein Geschick,
  Trank er viel Flut, die bitter war und schwer.
  Dann richtete er sonderbar sich auf
  Und stand am Ufer seltsam leicht und leer.

  Zu seinen Füßen rollten Muscheln hin,
  Und Hyazinthen hatte er im Haar,
  Und ihre Schönheit wußte er, und auch,
  Daß dies der Trost des schönen Lebens war.

  Doch mit unsicherm Lächeln ließ er sie
  Bald wieder fallen, denn ein großer Blick
  Auf diese schönen Kerker zeigte ihm
  Das eigne unbegreifliche Geschick.



DER JÜNGLING IN DER LANDSCHAFT


  Die Gärtner legten ihre Beete frei,
  Und viele Bettler waren überall
  Mit schwarzverbundnen Augen und mit Krücken --
  Doch auch mit Harfen und den neuen Blumen,
  Dem starken Duft der schwachen Frühlingsblumen.

  Die nackten Bäume ließen alles frei:
  Man sah den Fluß hinab und sah den Markt,
  Und viele Kinder spielten längs den Teichen.
  Durch diese Landschaft ging er langsam hin
  Und fühlte ihre Macht und wußte -- daß
  Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen.

  Auf jene fremden Kinder ging er zu
  Und war bereit, an unbekannter Schwelle
  Ein neues Leben dienend hinzubringen.
  Ihm fiel nicht ein, den Reichtum seiner Seele,
  Die frühern Wege und Erinnerung
  Verschlungner Finger und getauschter Seelen
  Für mehr als nichtigen Besitz zu achten.

  Der Duft der Blumen redete ihm nur
  Von fremder Schönheit -- und die neue Luft
  Nahm er stillatmend ein, doch ohne Sehnsucht:
  Nur daß er dienen durfte, freute ihn.



DER SCHIFFSKOCH, EIN GEFANGENER, SINGT:


  Weh, geschieden von den Meinigen,
  Lieg ich hier seit vielen Wochen;
  Ach und denen, die mich peinigen,
  Muß ich Mahl- um Mahlzeit kochen.

  Schöne purpurflossige Fische,
  Die sie mir lebendig brachten,
  Schauen aus gebrochenen Augen,
  Sanfte Tiere muß ich schlachten.

  Stille Tiere muß ich schlachten,
  Schöne Früchte muß ich schälen
  Und für sie, die mich verachten,
  Feurige Gewürze wählen.

  Und wie ich gebeugt beim Licht in
  Süß- und scharfen Düften wühle,
  Steigen auf ins Herz der Freiheit
  Ungeheuere Gefühle!

  Weh, geschieden von den Meinigen,
  Lieg ich hier seit wieviel Wochen!
  Ach und denen, die mich peinigen,
  Muß ich Mahl- um Mahlzeit kochen!



DES ALTEN MANNES SEHNSUCHT NACH DEM SOMMER


  Wenn endlich Juli würde anstatt März,

  Nichts hielte mich, ich nähme einen Rand,
  Zu Pferd, zu Wagen oder mit der Bahn
  Käm ich hinaus ins schöne Hügelland.

  Da stünden Gruppen großer Bäume nah,
  Platanen, Rüster, Ahorn oder Eiche:
  Wie lang ists, daß ich keine solchen sah!

  Da stiege ich vom Pferde oder riefe
  Dem Kutscher: Halt! und ginge ohne Ziel
  Nach vorwärts in des Sommerlandes Tiefe.

  Und unter solchen Bäumen ruht ich aus;
  In deren Wipfel wäre Tag und Nacht
  Zugleich, und nicht so wie in diesem Haus,

  Wo Tage manchmal öd sind wie die Nacht
  Und Nächte fahl und lauernd wie der Tag.
  Dort wäre Alles Leben, Glanz und Pracht.

  Und aus dem Schatten in des Abendlichts
  Beglückung tret ich, und ein Hauch weht hin,
  Doch nirgend flüsterts: ›Alles dies ist nichts.‹

  Das Tal wird dunkel, und wo Häuser sind,
  Sind Lichter, und das Dunkel weht mich an,
  Doch nicht vom Sterben spricht der nächtige Wind.

  Ich gehe übern Friedhof hin und sehe
  Nur Blumen sich im letzten Scheine wiegen,
  Von gar nichts anderm fühl ich eine Nähe.

  Und zwischen Haselsträuchern, die schon düstern,
  Fließt Wasser hin, und wie ein Kind, so lausch ich
  Und höre kein ›Dies ist vergeblich‹ flüstern!

  Da ziehe ich mich hurtig aus und springe
  Hinein, und wie ich dann den Kopf erhebe,
  Ist Mond, indes ich mit dem Bächlein ringe.

  Halb heb ich mich aus der eiskalten Welle,
  Und einen glatten Kieselstein ins Land
  Weit schleudernd steh ich in der Mondeshelle.

  Und auf das mondbeglänzte Sommerland
  Fällt weit ein Schatten: dieser, der so traurig
  Hier nickt, hier hinterm Kissen an der Wand?

  So trüb und traurig, der halb aufrecht kauert
  Vor Tag und böse in das Frühlicht starrt
  Und weiß, daß auf uns beide etwas lauert?

  Er, den der böse Wind in diesem März
  So quält, daß er die Nächte nie sich legt,
  Gekrampft die schwarzen Hände auf sein Herz?

  Ach, wo ist Juli und das Sommerland!



VERSE AUF EIN KLEINES KIND


  Dir wachsen die rosigen Füße,
  Die Sonnenländer zu suchen:
  Die Sonnenländer sind offen!
  An schweigenden Wipfeln blieb dort
  Die Luft der Jahrtausende hangen,
  Die unerschöpflichen Meere
  Sind immer noch, immer noch da.
  Am Rande des ewigen Waldes
  Willst du aus der hölzernen Schale
  Die Milch mit der Unke dann teilen?
  Das wird eine fröhliche Mahlzeit,
  Fast fallen die Sterne hinein!
  Am Rande des ewigen Meeres
  Schnell findest du einen Gespielen:
  Den freundlichen guten Delphin.
  Er springt dir ans Trockne entgegen,
  Und bleibt er auch manchmal aus,
  So stillen die ewigen Winde
  Dir bald die aufquellenden Tränen.
  Es sind in den Sonnenländern
  Die alten, erhabenen Zeiten
  Für immer noch, immer noch da!
  Die Sonne mit heimlicher Kraft,
  Sie formt dir die rosigen Füße,
  Ihr ewiges Land zu betreten.



DER KAISER VON CHINA SPRICHT:


  In der Mitte aller Dinge
  Wohne Ich, der Sohn des Himmels.
  Meine Frauen, meine Bäume,
  Meine Tiere, meine Teiche
  Schließt die erste Mauer ein.
  Drunten liegen meine Ahnen:
  Aufgebahrt mit ihren Waffen,
  Ihre Kronen auf den Häuptern,
  Wie es einem jeden ziemt,
  Wohnen sie in den Gewölben.
  Bis ins Herz der Welt hinunter
  Dröhnt das Schreiten meiner Hoheit.
  Stumm von meinen Rasenbänken,
  Grünen Schemeln meiner Füße,
  Gehen gleichgeteilte Ströme
  Osten-, west- und süd- und nordwärts,
  Meinen Garten zu bewässern,
  Der die weite Erde ist.
  Spiegeln hier die dunkeln Augen,
  Bunten Schwingen meiner Tiere,
  Spiegeln draußen bunte Städte,
  Dunkle Mauern, dichte Wälder
  Und Gesichter vieler Völker.
  Meine Edlen, wie die Sterne,
  Wohnen rings um mich, sie haben
  Namen, die ich ihnen gab,
  Namen nach der einen Stunde,
  Da mir einer näher kam,
  Frauen, die ich ihnen schenkte,
  Und den Scharen ihrer Kinder,
  Allen Edlen dieser Erde
  Schuf ich Augen, Wuchs und Lippen,
  Wie der Gärtner an den Blumen.
  Aber zwischen äußern Mauern
  Wohnen Völker meine Krieger,
  Völker meine Ackerbauer.
  Neue Mauern und dann wieder
  Jene unterworfnen Völker,
  Völker immer dumpfern Blutes,
  Bis ans Meer, die letzte Mauer,
  Die mein Reich und mich umgibt.



GROSSMUTTER UND ENKEL


  ›Ferne ist dein Sinn, dein Fuß
  Nur in meiner Tür!‹
  Woher weißt du's gleich beim Gruß?
  ›Kind, weil ich es spür.‹

  Was? ›Wie Sie aus süßer Ruh
  Süß durch dich erschrickt.‹ --
  Sonderbar, wie =Sie= hast du
  Vor dich hingenickt.

  ›Einst ...‹ Nein: jetzt im Augenblick!
  Mich beglückt der Schein --
  ›Kind, was haucht dein Wort und Blick
  Jetzt in mich hinein?

  Meine Mädchenzeit voll Glanz
  Mit verstohlnem Hauch
  Öffnet mir die Seele ganz!‹
  Ja, ich spür es auch:

  Und ich bin bei dir und bin
  Wie auf fremdem Stern:
  Ihr und dir mit wachem Sinn
  Schwankend nah und fern!

  ›Als ich dem Großvater dein
  Mich fürs Leben gab,
  Trat ich so verwirrt nicht ein
  Wie nun in mein Grab.‹

  Grab? Was redest du von dem?
  Das ist weit von dir!
  Sitzest plaudernd und bequem
  Mit dem Enkel hier.

  Deine Augen frisch und reg,
  Deine Wangen hell --
  ›Flog nicht übern kleinen Weg
  Etwas schwarz und schnell?‹

  Etwas ist, das wie im Traum
  Mich Verliebten hält.
  Wie der enge schwüle Raum
  Seltsam mich umstellt!

  ›Fühlst du, was jetzt mich umblitzt
  Und mein stockend Herz?
  Wenn du bei dem Mädchen sitzt,
  Unter Kuß und Scherz,

  Fühl es fort und denk an mich,
  Aber ohne Graun:
  Denk, wie ich im Sterben glich
  Jungen, jungen Fraun.‹



GESPRÄCH


DER JÜNGERE:

  Ihr gleicht nun völlig dem vertriebnen Herzog,
  Der zaubern kann und eine Tochter hat:
  Dem im Theaterstück, dem Prospero.
  Denn ihr seid stark genug, in dieser Stadt
  Mit eurem Kind so frei dahinzuleben,
  Als wäret ihr auf einer wüsten Insel.
  Ihr habt den Zaubermantel und die Bücher,
  Mit Geistern zur Bedienung und zur Lust
  Euch und die Tochter zu umgeben, nicht?
  Sie kommen, wenn ihr winkt, und sie verblassen,
  Wenn ihr die Stirne runzelt. Dieses Kind
  Lernt früh, was wir erst spät begreifen lernten:
  Daß alles Lebende aus solchem Stoff
  Wie Träume und ganz ähnlich auch zergeht.
  Sie wächst so auf und fürchtet sich vor nichts:
  Mit Tieren und mit Toten redet sie
  Zutraulich wie mit ihresgleichen, blüht
  Schamhafter als die festverschloßne Knospe,
  Weil sie auch aus der leeren Luft so etwas
  Wie Augen stets auf sich gerichtet fühlt.
  Allmählich wird sie größer, und ihr lehrt sie:
  ›Hab du das Leben lieb, dich nicht zu lieb,
  Und nur um seiner selbst, doch immerfort
  Nur um des Guten willen, das darin ist.‹
  In all dem ist für sie kein Widerspruch,
  Denn so wie bunte Muscheln oder Vögel
  Hat sie die Tugend lieb. Bis eines Tages
  Ihr sie vermählt mit Einem, den ihr völlig
  Durchschaut, den ihr geprüft auf solche Art,
  Die kein unedler Mensch erträgt, als wäre er
  Schiffbrüchig ausgeworfen auf der Insel,
  Die ihr beherrscht, und ganz euch zugefallen
  Wie Strandgut.


DER ÄLTERE:

  Nun meine ich, ist mir ein Maß geschenkt,
  Ein unveränderlich und sichres Maß,
  Das mich für immer und untrüglich abhält,
  Ein leeres Ding für voll zu nehmen, mich
  Für Schales zu vergeuden, fremdem Fühlen
  Und angelerntem Denken irgend Platz
  In einer meiner Adern zu gestatten.
  Nun kann zwar Krankheit, Elend oder Tod
  Mich noch bedrohen, aber Lüge kaum.
  Dazu ist dies mein neues Amt zu voll
  Einfacher Hoheit. Und daran gemessen
  Vergeht erlogne Wichtigkeit zu Nichts.
  Ins Schloß gefallen sind die letzten Türen,
  Durch die ich hatte einen schlimmen Weg
  Antreten können. Durch und durch verstört,
  Im Kern beschmutzt und völlig irr an Güte
  Werd ich nun nicht mehr. Denn mich hat ein Glanz
  Vom wahren Sinn des Lebens angeglüht.



GESELLSCHAFT


SÄNGERIN

  Sind wir jung und sind nicht alt,
  Lieder haben viel Gewalt,
  Machen leicht und machen schwer,
  Ziehen deine Seele her.


FREMDER

  Leben gibt es nah und fern,
  Was ich zeige, seht ihr gern --
  Nicht die Schwere vieler Erden,
  Nur die spielenden Gebärden.


JUNGER HERR

  Vieles, was mir Freude schafft,
  Fühl ich hier herangeflogen,
  Aber gar so geisterhaft:
  Glücklich -- bin ich wie betrogen!


DICHTER

  Einen hellen Widerschein
  Sehe ich im Kreise wandern:
  Spürt auch jeder sich allein,
  Spürt sich doch in allen andern.


MALER

  Und wie zwischen leichten Lichtern
  Flattert zwischen den Gesichtern
  Schwaches Lachen hin und her.


FREMDER

  Lieder machen leicht und schwer!


DICHTER

  Lieder haben große Kraft --
  Leben gibt es nah und fern.


JUNGER HERR

  Was sie reden, hör ich gern,
  Sei es immer geisterhaft.



DER JÜNGLING UND DIE SPINNE


DER JÜNGLING

     (=vor sich mit wachsender Trunkenheit=):

  Sie liebt mich! Wie ich nun die Welt besitze,
  Ist über alle Worte, alle Träume:
  Mir gilt es, daß von jeder dunklen Spitze
  Die stillen Wolken tieferleuch'te Räume
  Hinziehn, von ungeheurem Traum erfaßt:
  So trägt es mich -- daß ich mich nicht versäume! --
  Dem schönen Leben, Meer und Land zu Gast.
  Nein! wie ein Morgentraum vom Schläfer fällt
  Und in die Wirklichkeit hineinverblaßt,
  Ist mir die Wahrheit jetzt erst aufgehellt:
  Nicht treib ich als ein Gast umher, mich haben
  Dämonisch zum Gebieter hergestellt
  Die Fügungen des Schicksals: Junge Knaben
  Sind da, die Ernst und Spiele von mir lernten,
  Ich seh, wie manche meine Mienen haben,
  Geheimnisvoll ergreift es mich, sie ernten
  Zu sehn, und an den Ufern, an den Hügeln
  Spür ich in einem wundervoll entfernten
  Traumbilde sich mein Innerstes entriegeln
  Beim Anblick, den mir ihre Taten geben.
  Ich schaue an den Himmel auf, da spiegeln
  Die Wolkenreiche, spiegeln mir im Schweben
  Ersehntes, Hergegebnes, mich, das Ganze!
  Ich bin von einem solchen großen Leben
  Umrahmt, ich habe mit dem großen Glanze
  Der schönen Sterne eine also nah
  Verwandte Trunkenheit --
  Nach welcher Zukunft greif ich Trunkner da?
  Doch schwebt sie her, ich darf sie schon berühren:
  Denn zu den Sternen steigt, was längst geschah,
  Empor, und andre, andre Ströme führen
  Das Ungeschehene herauf, die Erde
  Läßt es empor aus unsichtbaren Türen,
  Bezwungen von der bittenden Gebärde!

     (=So tritt er ans offene Fenster, das mit hellem Mondlicht
     angefüllt und von den Schatten wilder Weinblätter eingerahmt ist.
     Indem tritt unter seinen Augen aus dem Dunkel eines Blattes eine
     große Spinne mit laufenden Schritten hervor und umklammert den Leib
     eines kleinen Tieres. Es gibt in der Stille der Nacht einen äußerst
     leisen, aber kläglichen Laut, und man meint die Bewegungen der
     heftig umklammernden Glieder zu hören.=)


DER JÜNGLING

     (=muß zurücktreten=):

  Welch eine Angst ist hier, welch eine Not.
  Mein Blut muß ebben, daß ich dich da sehe,
  Du häßliche Gewalt, du Tier, du Tod!
  Der großen Träume wundervolle Nähe
  Klingt ab, wie irgendwo das ferne Rollen
  Von einem Wasserfall, den ich schon ehe
  Gehört, da schien er kühn und angeschwollen,
  Jetzt sinkt das Rauschen, und die hohe Ferne
  Wird leer und öd aus einer ahnungsvollen:
  Die Welt besitzt sich selber, o ich lerne!
  Nicht hemme ich die widrige Gestalt
  So wenig als den Lauf der schönen Sterne.
  Vor meinen Augen tut sich die Gewalt,
  Sie tut sich schmerzend mir im Herzen innen,
  Sie hat an jeder meiner Fibern Halt,
  Ich kann ihr -- und ich will ihr nicht entrinnen:
  Als wärens Wege, die zur Heimat führen,
  Reißt es nach vorwärts mich mit allen Sinnen
  Ins Ungewisse, und ich kann schon spüren
  Ein unbegreiflich riesiges Genügen
  Im Vorgefühl: ich werde dies gewinnen:
  Schmerzen zu leiden, Schmerzen zuzufügen.
  Nun spür ich schaudernd etwas mich umgeben,
  Es türmt sich auf bis an die hohen Sterne,
  Und seinen Namen weiß ich nun: das Leben.



IDYLLE

NACH EINEM ANTIKEN VASENBILD: ZENTAUR MIT VERWUNDETER FRAU AM RAND EINES
FLUSSES


     (=Der Schauplatz im Böcklinschen Stil. Eine offene Dorfschmiede.
     Dahinter das Haus, im Hintergrunde ein Fluß. Der Schmied an der
     Arbeit, sein Weib müßig an die Türe gelehnt, die von der Schmiede
     ins Haus führt. Auf dem Boden spielt ein blondes kleines Kind mit
     einer zahmen Krabbe. In einer Nische ein Weinschlauch, ein paar
     frische Feigen und Melonenschalen.=)


DER SCHMIED

  Wohin verlieren dir die sinnenden Gedanken sich,
  Indes du schweigend mir das Werk, feindselig fast,
  Mit solchen Lippen, leise zuckenden, beschaust?


DIE FRAU

  Im blütenweißen, kleinen Garten saß ich oft,
  Den Blick aufs väterliche Handwerk hingewandt,
  Das nette Werk des Töpfers: wie der Scheibe da,
  Der surrenden im Kreis, die edle Form entstieg,
  Im stillen Werden einer zarten Blume gleich,
  Mit kühlem Glanz des Elfenbeins. Darauf erschuf
  Der Vater Henkel, mit Akanthusblatt geziert,
  Und ein Akanthus-, ein Olivenkranz wohl auch
  Umlief als dunkelroter Schmuck des Kruges Rand.
  Den schönen Körper dann belebte er mit Reigenkranz
  Der Horen, der vorüberschwebend lebenspendenden.
  Er schuf, gestreckt auf königliche Ruhebank,
  Der Phädra wundervollen Leib, von Sehnsucht matt,
  Und drüber flatternd Eros, der mit süßer Qual die Glieder füllt.
  Gewaltgen Krügen liebte er ein Bacchusfest
  Zum Schmuck zu geben, wo der Purpurtraubensaft
  Aufsprühte unter der Mänade nacktem Fuß
  Und fliegend Haar und Thyrsusschwung die Luft erfüllt.
  Auf Totenurnen war Persephoneias hohes Bild,
  Die mit den seelenlosen, roten Augen schaut,
  Und Blumen des Vergessens, Mohn, im heiligen Haar,
  Das lebenfremde, asphodelische Gefilde tritt.
  Des Redens wär kein Ende, zählt ich alle auf,
  Die göttlichen, an deren schönem Leben ich
  -- Zum zweiten Male lebend, was gebildet war --
  An deren Gram und Haß und Liebeslust
  Und wechselndem Erlebnis jeder Art
  Ich also Anteil hatte, ich, ein Kind,
  Die mir mit halbverstandener Gefühle Hauch
  Anrührten meiner Seele tiefstes Saitenspiel,
  Daß mir zuweilen war, als hätte ich im Schlaf
  Die stets verborgenen Mysterien durchirrt
  Von Lust und Leid, Erkennende mit wachem Aug,
  Davon, an dieses Sonnenlicht zurückgekehrt,
  Mir mahnendes Gedenken andern Lebens bleibt
  Und eine Fremde, Ausgeschloßne aus mir macht
  In dieser nährenden, lebendgen Luft der Welt.


DER SCHMIED

  Den Sinn des Seins verwirrte allzu vieler Müßiggang
  Dem schön gesinnten, gern verträumten Kind, mich dünkt.
  Und jene Ehrfurcht fehlte, die zu trennen weiß,
  Was Göttern ziemt, was Menschen! Wie Semele dies,
  Die töricht fordernde, vergehend erst begriff.
  Des Gatten Handwerk lerne heilig halten du,
  Das aus des mütterlichen Grundes Eingeweiden stammt
  Und, sich die hundertarmig Ungebändigte,
  Die Flamme, unterwerfend, klug und kraftvoll wirkt.


DIE FRAU

  Die Flamme anzusehen, lockts mich immer neu,
  Die wechselnde, mit heißem Hauch berauschende.


DER SCHMIED

  Vielmehr erfreue Anblick dich des Werks!
  Die Waffen sich, der Pflugschar heilige Härte auch,
  Und dieses Beil, das wilde Bäume uns zur Hütte fügt.
  So schafft der Schmied, was alles andre schaffen soll.
  Wo duftig aufgeworfne Scholle Samen trinkt
  Und gelbes Korn der Sichel dann entgegenquillt,
  Wo zwischen stillen Stämmen nach dem scheuen Wild
  Der Pfeil hinschwirrt und tödlich in den Nacken schlägt,
  Wo harter Huf von Rossen staubaufwirbelnd dröhnt
  Und rasche Räder rollen zwischen Stadt und Stadt,
  Wo der gewaltig klirrende, der Männerstreit
  Die hohe liederwerte Männlichkeit enthüllt:
  Da wirk ich fort und halt umwunden so die Welt
  Mit starken Spuren meines Tuens, weil es tüchtig ist.

     (=Pause.=)


DIE FRAU

  Zentauren seh ich einen nahen, Jüngling noch,
  Ein schöner Gott mir scheinend, wenn auch halb ein Tier,
  Und aus dem Hain, entlang dem Ufer, traben her.


DER ZENTAUR

     (=einen Speer in der Hand, den er dem Schmied hinhält=)

  Find ich dem stumpfgewordnen Speere Heilung hier
  Und neue Spitze der geschwungnen Wucht? Verkünd!


DER SCHMIED

  Ob deinesgleichen auch, dich selber sah ich nie.


DER ZENTAUR

  Zum ersten Male lockte mir den Lauf
  Nach eurem Dorf Bedürfnis, das du kennst.


DER SCHMIED

                                            Ihm soll
  In kurzem abgeholfen sein. Indes erzählst
  Du, wenn du dir den Dank der Frau verdienen willst,
  Von fremden Wundern, die du wohl gesehn, wovon
  Hieher nicht Kunde dringt, wenn nicht ein Wandrer kommt.


DIE FRAU

  Ich reiche dir zuerst den vollen Schlauch: er ist
  Mit kühlem, säuerlichem Apfelwein gefüllt,
  Denn andrer ist uns nicht. Das nächste Dürsten stillt
  Wohl etwa weit von hier aus beßrer Schale dir
  Mit heißerm Safte eine schönre Frau als ich.

     (=Sie hat den Wein aus dem Schlauch in eine irdene Trinkschale
     gegossen, die er langsam schlürft.=)


DER ZENTAUR

  Die allgemeinen Straßen zog ich nicht und mied
  Der Hafenplätze vielvermengendes Gewühl,
  Wo einer leicht von Schiffern bunte Mär erfährt.
  Die öden Heiden wählte ich zum Tagesweg,
  Flamingos nur und schwarze Stiere störend auf,
  Und stampfte nachts das Heidekraut dahin im Duft,
  Das hyazinthne Dunkel über mir.
  Zuweilen kam ich wandernd einem Hain vorbei,
  Wo sich, zu flüchtig eigensinnger Lust gewillt,
  Aus einem Schwarme von Najaden eine mir
  Für eine Strecke Wegs gesellte, die ich dann
  An einen jungen Satyr wiederum verlor,
  Der syrinxblasend, lockend wo am Wege saß.


DIE FRAU

  Unsäglich reizend dünkt dies Ungebundne mir.


DER SCHMIED

  Die Waldgebornen kennen Scham und Treue nicht,
  Die erst das Haus verlangen und bewahren lehrt.


DIE FRAU

  Ward dir, dem Flötenspiel des Pan zu lauschen? Sag!


DER ZENTAUR

  In einem stillen Kesseltal ward mirs beschert.
  Da wogte mit dem schwülen Abendwind herab
  Vom Rand der Felsen rätselhaftestes Getön,
  So tief aufwühlend wie vereinter Drang
  Von allem Tiefsten, was die Seele je durchbebt,
  Als flög mein Ich im Wirbel fortgerissen mir
  Durch tausendfach verschiedne Trunkenheit hindurch.


DER SCHMIED

  Verbotenes laß lieber unberedet sein!


DIE FRAU

  Laß immerhin, was regt die Seele schöner auf?


DER SCHMIED

  Das Leben zeitigt selbst den höhern Herzensschlag,
  Wie reife Frucht vom Zweige sich erfreulich löst.
  Und nicht zu andern Schauern sind geboren wir,
  Als uns das Schicksal über unsre Lebenswelle haucht.


DER ZENTAUR

  So blieb die wunderbare Kunst dir unbekannt,
  Die Götter üben: unter Menschen Mensch,
  Zu andern Zeiten aufzugehn im Sturmeshauch,
  Und ein Delphin zu plätschern wiederum im Naß
  Und ätherkreisend einzusaugen Adlerlust?
  Du kennst, mich dünkt, nur wenig von der Welt, mein Freund.


DER SCHMIED

  Die ganze kenn ich, kennend meinen Kreis,
  Maßloses nicht verlangend, noch begierig ich,
  Die flüchtge Flut zu ballen in der hohlen Hand.
  Den Bach, der deine Wiege schaukelte, erkennen lern,
  Den Nachbarbaum, der dir die Früchte an der Sonne reift
  Und dufterfüllten lauen Schatten niedergießt,
  Das kühle grüne Gras, es trats dein Fuß als Kind.
  Die alten Eltern tratens, leise frierende,
  Und die Geliebte trats, da quollen duftend auf
  Die Veilchen, schmiegend unter ihre Sohlen sich,
  Das Haus begreif, in dem du lebst und sterben sollst,
  Und dann, ein Wirkender, begreif dich selber ehrfurchtsvoll,
  An diesen hast du mehr, als du erfassen kannst --,
  Den Wanderliebenden, ich halt ihn länger nicht, allein
  Der letzten Glättung noch bedarfs, die Feile fehlt,
  Ich finde sie und schaffe dir das letzte noch.

     (=Er geht ins Haus.=)


DIE FRAU

  Dich führt wohl nimmermehr der Weg hieher zurück.
  Hinstampfend durch die hyazinthne Nacht, berauscht,
  Vergissest meiner du am Wege, fürcht ich, bald,
  Die deiner, fürcht ich, nicht so bald vergessen kann.


DER ZENTAUR

  Du irrst: verdammt von dir zu scheiden, wärs,
  Als schlügen sich die Gitter dröhnend hinter mir
  Von aller Liebe dufterfülltem Garten zu.
  Doch kommst du, wie ich meine, mir Gefährtin mit,
  So trag ich solchen hohen Reiz als Beute fort,
  Wie nie die hohe Aphrodite ausgegossen hat,
  Die allbelebende, auf Meer und wilde Flut.


DIE FRAU

  Wie könnt ich Gatten, Haus und Kind verlassen hier?


DER ZENTAUR

  Was sorgst du lang, um was du schnell vergessen hast?


DIE FRAU

  Er kommt zurück, und schnell zerronnen ist der Traum!


DER ZENTAUR

  Mit nichten, da doch Lust und Weg noch offen steht.
  Mit festen Fingern greif mir ins Gelock und klammre dich,
  Am Rücken ruhend, mir an Arm und Nacken an!

     (=Sie schwingt sich auf seinen Rücken, und er stürmt hell schreiend
     zum Fluß hinunter, das Kind erschrickt und bricht in klägliches
     Weinen aus. Der Schmied tritt aus dem Haus. Eben stürzt sich der
     Zentaur in das aufrauschende Wasser des Flusses. Sein bronzener
     Oberkörper und die Gestalt der Frau zeichnen sich scharf auf der
     abendlich vergoldeten Wasserfläche ab. Der Schmied wird sie gewahr;
     in der Hand den Speer des Zentauren, läuft er ans Ufer hinab und
     schleudert, weit vorgebeugt, den Speer, der mit zitterndem Schaft
     einen Augenblick im Rücken der Frau stecken bleibt, bis diese mit
     einem gellenden Schrei die Locken des Zentauren fahren läßt und mit
     ausgebreiteten Armen rücklings ins Wasser stürzt. Der Zentaur fängt
     die Sterbende in seinen Armen auf und trägt sie hocherhoben
     stromabwärts, dem andern Ufer zuschwimmend.=)



PROLOGE UND TRAUERREDEN



PROLOG ZU DEM BUCH ›ANATOL‹


  Hohe Gitter, Taxushecken,
  Wappen nimmermehr vergoldet,
  Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd ...
  ... Knarrend öffnen sich die Tore. --
  Mit verschlafenen Kaskaden
  Und verschlafenen Tritonen.
  Rokoko, verstaubt und lieblich,
  Seht ... das Wien des Canaletto,
  Wien von siebzehnhundertsechzig ...
  ... Grüne, braune, stille Teiche,
  Glatt und marmorweiß umrandet,
  In dem Spiegelbild der Nixen
  Spielen Gold- und Silberfische ...
  Auf dem glattgeschornen Rasen
  Liegen zierlich gleiche Schatten
  Schlanker Oleanderstämme;
  Zweige wölben sich zur Kuppel,
  Zweige neigen sich zur Nische
  Für die steifen Liebespaare,
  Heroinen und Heroen ...
  Drei Delphine gießen murmelnd
  Fluten in ein Muschelbecken ...
  Duftige Kastanienblüten
  Gleiten, schwirren leuchtend nieder
  Und ertrinken in den Becken ...
  ... Hinter einer Taxusmauer
  Tönen Geigen, Klarinetten,
  Und sie scheinen den graziösen
  Amoretten zu entströmen,
  Die rings auf der Rampe sitzen,
  Fiedelnd oder Blumen windend,
  Selbst von Blumen bunt umgeben,
  Die aus Marmorvasen strömen:
  Goldlack und Jasmin und Flieder ...
  ... Auf der Rampe, zwischen ihnen
  Sitzen auch kokette Frauen,
  Violette Monsignori ...
  Und im Gras, zu ihren Füßen
  Und auf Polstern, auf den Stufen
  Kavaliere und Abbati ...
  Andre heben andre Frauen
  Aus den parfümierten Sänften ...
  ... Durch die Zweige brechen Lichter,
  Flimmern auf den blonden Köpfchen,
  Scheinen auf den bunten Polstern,
  Gleiten über Kies und Rasen,
  Gleiten über das Gerüste,
  Das wir flüchtig aufgeschlagen.
  Wein und Winde klettert aufwärts
  Und umhüllt die lichten Balken,
  Und dazwischen farbenüppig
  Flattert Teppich und Tapete,
  Schäferszenen, keck gewoben,
  Zierlich von Watteau entworfen ...

  Eine Laube statt der Bühne,
  Sommersonne statt der Lampen,
  Also spielen wir Theater,
  Spielen unsre eignen Stücke,
  Frühgereift und zart und traurig,
  Die Komödie unsrer Seele,
  Unsres Fühlens Heut und Gestern,
  Böser Dinge hübsche Formel,
  Glatte Worte, bunte Bilder,
  Halbes, heimliches Empfinden,
  Agonieen, Episoden ...
  Manche hören zu, nicht alle ...
  Manche träumen, manche lachen,
  Manche essen Eis ... und manche
  Sprechen sehr galante Dinge ...
  ... Nelken wiegen sich im Winde,
  Hochgestielte, weiße Nelken,
  Wie ein Schwarm von weißen Faltern,
  Und ein Bologneserhündchen
  Bellt verwundert einen Pfau an.



ZU EINEM BUCH ÄHNLICHER ART


  Merkt auf, merkt auf! Die Zeit ist sonderbar,
  Und sonderbare Kinder hat sie: Uns!
  Wer allzusehr verliebt ist in das Süße,
  Erträgt uns nicht, denn unsre Art ist herb,
  Und unsre Unterhaltung wunderlich.
    ›Schlagt eine kleine Bühne auf im Zimmer,
    Denn die Haustochter will Theater spielen!‹
    Meint ihr, sie wird als kleine Muse kommen,
    Mit offnem Haar, und in den bloßen Armen
    Wird eine leichte goldne Leier liegen?
    Meint ihr als Schäferin, ein weißes Lamm
    Am blauen Seidenband und auf den Lippen
    Ein Lächeln, süß und billig wie die Reime
    In Schäferspielen? Auf! und geht hinaus!
    Geht fort, ich bitt euch, wenn ihr das erwartet!
    Ihr könnt uns nicht ertragen, wir sind anders!
    Wir haben aus dem Leben, das wir leben,
    Ein Spiel gemacht, und unsere Wahrheit gleitet
    Mit unserer Komödie durcheinander
    Wie eines Taschenspielers hohle Becher --
    Je mehr ihr hinseht, desto mehr betrogen!
    Wir geben kleine Fetzen unsres Selbst
    Für Puppenkleider. Wie die wahren Worte --
    (An denen Lächeln oder Tränen hängen
    Gleich Tau an einem Busch mit rauhen Blättern)
    Erschrecken müssen, wenn sie sich erkennen,
    In dieses Spiel verflochten, halb geschminkt,
    Halb noch sich selber gleich, und so entfremdet
    Der großen Unschuld, die sie früher hatten!
  Ward je ein so verworrnes Spiel gespielt?
  Es stiehlt uns von uns selbst und ist nicht lieblich
  Wie Tanzen oder auf dem Wasser Singen,
  Und doch ist es das reichste an Verführung
  Von allen Spielen, die wir Kinder wissen.
  Wir Kinder dieser sonderbaren Zeit
    Was wollt ihr noch? So sind wir nun einmal,
    Doch wollt ihr wirklich solche Dinge hören,
    Bleibt immerhin! Wir lassen uns nicht stören.



ZUM GEDÄCHTNIS DES SCHAUSPIELERS MITTERWURZER


  Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.
  Wir trugen alle wie von einem Blitz
  Den Widerschein als Blässe im Gesicht.

  Er fiel: da fielen alle Puppen hin,
  In deren Adern er sein Lebensblut
  Gegossen hatte; lautlos starben sie,
  Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen,
  Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer
  In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp
  Mit Caliban als Alp um seinen Hals,
  Und jeder tot.

  Da wußten wir, wer uns gestorben war:
  Der Zauberer, der große, große Gaukler!
  Und aus den Häusern traten wir heraus
  Und fingen an zu reden, wer er war.
  Wer aber war er, und wer war er nicht?

  Er kroch von einer Larve in die andre,
  Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib
  Und tauschte wie Gewänder die Gestalten.

  Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell,
  Daß niemand ihre Klinge funkeln sah,
  Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war
  Vielleicht das eine, und die andre Hälfte
  Gab einen süßen Narren oder Träumer.
  Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier,
  In dessen Falten alle Dinge wohnen:
  Er holte Tiere aus sich selbst hervor:
  Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel
  Und einen schrecklichen, und den, und jenen,
  Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend,
  Von innerlichem Schicksal durch und durch
  Wie Kohle glühend, und er lebte drin
  Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen,
  Mit jenem undurchdringlich fremden Blick
  Des Salamanders, der im Feuer wohnt.

  Er war ein wilder König. Um die Hüften
  Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht
  Die Wahrheit und die Lüge von uns allen.
  In seinen Augen flogen unsre Träume
  Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel
  Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser.

  Hier trat er her, auf eben diesen Fleck,
  Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn
  Der Lärm des Meeres eingefangen ist,
  So war in ihm die Stimme alles Lebens:
  Er wurde groß. Er war der ganze Wald,
  Er war das Land, durch das die Straßen laufen.
  Mit Augen wie die Kinder saßen wir
  Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen
  Von einem großen Berg: in seinem Mund
  War eine Bucht, drin brandete das Meer.

  Denn in ihm war etwas, das viele Türen
  Aufschloß und viele Räume überflog:
  Gewalt des Lebens, diese war in ihm.
  Und über ihn bekam der Tod Gewalt!
  Blies aus die Augen, deren innrer Kern
  Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen,
  Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen
  Und tötete den Leib, der Glied für Glied
  Beladen war mit ungebornem Leben.

  Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht?
  Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust,
  Bevölkert mit verständlichen Gestalten,
  Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust?
  Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten
  Und starren nun bei seines Namens Klang
  Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.



AUF DEN TOD DES SCHAUSPIELERS HERMANN MÜLLER


  Dies Haus und wir, wir dienen einer Kunst,
  Die jeden tiefen Schmerz erquicklich macht
  Und schmackhaft auch den Tod.

  Und er, den wir uns vor die Seele rufen,
  Er war so stark! Sein Leib war so begabt,
  Sich zu verwandeln, daß es schien, kein Netz
  Vermöchte ihn zu fangen! Welch ein Wesen!
  Er machte sich durchsichtig, ließ das Weiße
  Von seinem Aug die tiefste Heimlichkeit,
  Die in ihm schlief, verraten, atmete
  Die Seele der erdichteten Geschöpfe
  Wie Rauch in sich und trieb sie durch die Poren
  Von seinem Leib ans Tageslicht zurück.
  Er schuf sich um und um, da quollen Wesen
  Hervor, kaum menschlich, aber so lebendig --
  Das Aug bejahte sie, ob nie zuvor
  Dergleichen es geschaut: ein einzig Blinzeln,
  Ein Atemholen zeugte, daß sie waren
  Und noch vom Mutterleib der Erde dampften!
  Und Menschen! Schließt die Augen, denkt zurück!
  Bald üppige Leiber, drin nur noch im Winkel
  Des Augs ein letztes Fünkchen Seele glost,
  Bald Seelen, die um sich, nur sich zum Dienst
  Ein durchsichtig Gehäus, den Leib, erbauen:
  Gemeine Menschen, finstre Menschen, Könige,
  Menschen zum Lachen, Menschen zum Erschaudern --
  Er schuf sich um und um: da standen sie.
  Doch wenn das Spiel verlosch und sich der Vorhang
  Lautlos wie ein geschminktes Augenlid
  Vor die erstorbne Zauberhöhle legte
  Und er hinaustrat, da war eine Bühne
  So vor ihm aufgetan wie ein auf ewig
  Schlafloses aufgerißnes Aug, daran
  Kein Vorhang je mitleidig niedersinkt:
  Die fürchterliche Bühne Wirklichkeit.
  Da fielen der Verwandlung Künste alle
  Von ihm, und seine arme Seele ging
  Ganz hüllenlos und sah aus Kindesaugen.
  Da war er in ein unerbittlich Spiel
  Verstrickt, unwissend, wie ihm dies geschah;
  Ein jeder Schritt ein tiefrer als der frühere
  Und unerbittlich jedes stumme Zeichen:
  Das Angesicht der Nacht war mit im Bund,
  Der Wind im Bund, der sanfte Frühlingswind,
  Und alle =gegen= ihn! Nicht den gemeinen,
  Den zarten Seelen stellt das dunkle Schicksal
  Fallstricke dieser Art. Dann kam ein Tag,
  Da hob er sich, und sein gequältes Auge
  Erfüllte sich mit Ahnung und mit Traum,
  Und festen Griffs, wie einen schweren Mantel,
  Warf er das Leben ab und achtete
  Nicht mehr, denn Staub an seines Mantels Saum,
  Die nun in nichts zerfallenden Gestalten.

  So denkt ihn. Laßt ehrwürdige Musik
  Ihn vor euch rufen, ahnet sein Geschick
  Und mich laßt schweigen, denn hier ist die Grenze,
  Wo Ehrfurcht mir das Wort im Mund zerbricht.



VERSE ZUM GEDÄCHTNIS DES SCHAUSPIELERS JOSEF KAINZ


  O hätt ich seine Stimme, hier um ihn
  Zu klagen! Seinen königlichen Anstand,
  Mit meiner Klage dazustehn vor euch!
  Dann wahrlich wäre diese Stunde groß
  Und Glanz und Königtum auf mir, und mehr
  Als Trauer: denn dem Tun der Könige
  Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt,
  Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn.

  O seine Stimme, daß sie unter uns
  Die Flügel schlüge! -- Woher tönte sie?
  Woher drang dies an unser Ohr? Wer sprach
  Mit solcher Zunge? Welcher Fürst und Dämon
  Sprach da zu uns? Wer sprach von diesen Brettern
  Herab? Wer redete da aus dem Leib
  Des Jünglings Romeo, wer aus dem Leib
  Des unglückseligen Richard Plantagenet
  Oder des Tasso? Wer?
  Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen,
  Ein niebezauberter Bezauberer,
  Ein Ungerührter, der uns rührte, einer,
  Der fern war, da wir meinten, er sei nah,
  Ein Fremdling über allen Fremdlingen,
  Einsamer über allen Einsamen,
  Der Bote aller Boten, namenlos
  Und Bote eines namenlosen Herrn.

  Er ist an uns vorüber. Seine Seele
  War eine allzu schnelle Seele, und
  Sein Aug glich allzusehr dem Aug des Vogels.
  Dies Haus hat ihn gehabt -- doch hielt es ihn?
  Wir haben ihn gehabt -- er fiel dahin,
  Wie unsre eigne Jugend uns entfällt,
  Grausam und prangend gleich dem Wassersturz.

  O Unrast! O Geheimnis, offenkundiges
  Geheimnis menschlicher Natur! O Wesen,
  Wer warest du? O Schweifender! O Fremdling!
  O nächtlicher Gespräche Einsamkeit
  Mit deinen höchst zufälligen Genossen!
  O starrend tiefe Herzenseinsamkeit!
  O ruheloser Geist! Geist ohne Schlaf!
  O Geist! O Stimme! Wundervolles Licht!
  Wie du hinliefest, weißes Licht, und rings
  Ins Dunkel aus den Worten dir Paläste
  Hinbautest, drin für eines Herzschlags Frist
  Wir mit dir wohnten -- Stimme, die wir nie
  Vergessen werden -- o Geschick -- o Ende --
  Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod!

  O wie das Leben um ihn rang und niemals
  Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis
  Wollüstiger Verwandlung! Wie er =blieb=!
  Wie königlich er standhielt! Wie er schmal,
  Gleich einem Knaben, =stand=! O kleine Hand
  Voll Kraft, o kleines Haupt auf feinen Schultern,
  O vogelhaftes Auge, das verschmähte,
  Jung oder alt zu sein, schlafloses Aug,
  O Aug des Sperbers, der auch vor der Sonne
  Den Blick nicht niederschlägt, o kühnes Aug,
  Das beiderlei Abgrund gemessen hat,
  Des Lebens wie des Todes -- Aug des =Boten=!
  O Bote aller Boten, Geist! Du Geist!
  Dein Bleiben unter uns war ein Verschmähen,
  Fortwollender! Enteilter! Aufgeflogener!

  Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst,
  Schauspieler ohne Maske du, Vergeistiger,
  Du bist empor, und wo mein Auge dich
  Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich,
  Dem Unzerstörbaren, und hältst in Fängen
  Den Spiegel, der ein weißes Licht herabwirft,
  Weißer als Licht der Sterne: dieses Lichtes
  Bote und Träger bist du immerdar,
  Und als des Schwebend-Unzerstörbaren
  Gedenken wir des Geistes, der du bist.

  O Stimme! Seele! aufgeflogene!



ZU EINER TOTENFEIER FÜR ARNOLD BÖCKLIN


     (=In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine
     Fackelträger hinter ihm. -- Der Prolog ist ein Jüngling; er ist
     venezianisch gekleidet, ganz in Schwarz, als ein Trauernder.=)

  Nun schweig, Musik! Nun ist die Szene mein,
  Und ich will klagen, denn mir steht es zu!
  Von dieser Zeiten Jugend fließt der Saft
  In mir; und er, des Standbild auf mich blickt,
  War meiner Seele so geliebter Freund!
  Und dieses Guten hab ich sehr bedurft,
  Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit,
  Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier,
  Aus der Najade triefend weißen Händen
  Sich seine Nahrung küßt, so bog ich mich
  In dunklen Stunden über seine Hände
  Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.
  Schmück ich dein Bild mit Zweig und Blüten nur?
  Und du hast mir das Bild der Welt geschmückt
  Und aller Blütenzweige Lieblichkeit
  Mit einem solchen Glanze überhöht,
  Daß ich mich trunken an den Boden warf
  Und jauchzend fühlte, wie sie ihr Gewand
  Mir sinken ließ, die leuchtende Natur!
  Hör mich, mein Freund! Ich will nicht Herolde
  Aussenden, daß sie deinen Namen schrein
  In die vier Winde, wie wenn Könige sterben:
  Ein König läßt dem Erben seinen Reif
  Und einem Grabstein seines Namens Schall.
  Doch du warst solch ein großer Zauberer,
  Dein Sichtbares ging fort, doch weiß ich nicht,
  Was da und dort nicht alles von dir bleibt,
  Mit heimlicher fortlebender Gewalt
  Sich dunklen Auges aus der nächtigen Flut
  Zum Ufer hebt -- oder sein haarig Ohr
  Hinter dem Efeu horchend reckt,
                                  drum will ich
  Nie glauben, daß ich irgendwo allein bin,
  Wo Bäume oder Blumen sind, ja selbst
  Nur schweigendes Gestein und kleine Wölkchen
  Unter dem Himmel sind: leicht daß ein Etwas,
  Durchsichtiger wie Ariel, mir im Rücken
  Hingaukelt, denn ich weiß: geheimnisvoll
  War zwischen dir und mancher Kreatur
  Ein Bund geknüpft, ja! und des Frühlings Au,
  Siehe, sie lachte dir so, wie ein Weib
  Den anlacht, dem sie in der Nacht sich gab!

  Ich meint um dich zu klagen, und mein Mund
  Schwillt an von trunkenem und freudigem Wort:
  Drum ziemt mir nun nicht länger hier zu stehen.
  Ich will den Stab dreimal zu Boden stoßen
  Und dies Gezelt mit Traumgestalten füllen.
  Die will ich mit der Last der Traurigkeit
  So überbürden, daß sie schwankend gehn,
  Damit ein jeder weinen mag und fühlen:
  Wie große Schwermut allem unsern Tun
  Ist beigemengt.
                  Es weise euch ein Spiel
  Das Spiegelbild der bangen, dunklen Stunde,
  Und großen Meisters trauervollen Preis
  Vernehmet nun aus schattenhaftem Munde!



  Gedruckt bei
  Poeschel & Trepte
  in Leipzig





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