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Title: Der Hahn von Quakenbrück und andere Novellen
Author: Huch, Ricarda Octavia, 1864-1947
Language: German
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  Ricarda Huch / Novellen


  Die Fünfzig Bücher
  Band 16


  Der Hahn von Quakenbrück
  und andere Novellen von Ricarda Huch



  Verlegt bei Ullstein & Co
  Berlin 1920



  Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten
  Amerikanisches Copyright 1920 by Ullstein & Co, Berlin



  Inhalt


  Der Hahn von Quakenbrück      7

  Der Sänger                   53

  Der neue Heilige             93



Der Hahn von Quakenbrück


Im folgenden wird gemeldet, was die Chroniken über den staatswichtigen
Prozeß wegen des eierlegenden Hahnes überliefert haben, durch welchen
eine freie Reichsstadt Quakenbrück im Jahre 1650 ängstlich erschüttert
wurde und leicht zu gänzlicher Auflösung gebracht worden wäre.

Es hatte nämlich der Pfarrer an der Heiligengeistkirche, der der
Reformation anhing, mehrere Male auf der Kanzel vorgebracht, daß der
Hahn des Bürgermeisters, wider Natur und Gebrauch, als wäre er eine
Henne, Eier lege, darüber gewitzelt wie auch merken lassen, daß
dergleichen ohne die Beihilfe des Teufels oder teuflischer Künste
nicht wohl zu bewerkstelligen sei. Dies verursachte der Zuhörerschaft
des beredten Pfarrers teils Belustigung, teils Grausen, und es wurde
in den Bürgerhäusern hin und her darüber geredet, besonders in den
Kreisen der zünftigen Handwerker, welche behaupteten, von
Bürgermeister und Ratsherren aus dem Regimente verdrängt worden zu
sein, an dem sie vielerlei auszusetzen hatten. Allmählich kam es so
weit, daß die müßigen Buben, wenn der Bürgermeister sich auf der
Straße blicken ließ, anfingen zu krähen und zu gackern und mit solchen
Bezeigungen unehrerbietig hinter ihm herliefen. Auch dem
Stadthauptmann, der die Kriegsmacht von Quakenbrück im Namen des
Kaisers befehligte und eine gewaltige Person war, kam etwas davon zu
Ohren, und da er mit dem Bürgermeister wie auch vorzüglich mit der
Bürgermeisterin, Frau Armida, befreundet war, begab er sich selbst in
sein Haus, um ihn deswegen zur Rede zu stellen. Bevor noch der
Bürgermeister nach Gewohnheit eine Kanne Wein auftragen lassen konnte,
setzte sich der Stadthauptmann auf einen Sessel, schlug auf den Tisch
und sagte: »Tile Stint« -- denn so hieß der Bürgermeister --, »das mit
dem Hahn muß aufhören, oder du sollst sehn, daß ich nicht von Pappe
bin!«

Tile Stint klopfte dem Stadthauptmann auf den Rücken, als ob er einen
Hustenanfall hätte, und sagte begütigend. »Wenn du mir sagst, was es
mit dem Hahne auf sich hat, so mag es meinetwegen aufhören, da dir
viel daran zu liegen scheint.« »Was,« rief der Stadthauptmann noch
lauter als zuvor, »so willst du zu der Schandbarkeit deiner Tat noch
die Dreistigkeit fügen, sie mir abzuleugnen, da doch das Gelichter der
Gasse ungestraft hinter dir her kräht.« Diese Worte stimmten den
Bürgermeister nachdenklich, und er sagte: »Das Krähen der mutwilligen
Buben ist mir in der Tat aufgefallen, und es wäre mir lieb, den
eigentlichen Grund desselben zu erfahren. Ich dachte schon, es sei ein
Symbolum und diene den Reformierten, uns Altgläubige damit zu
verspotten, doch will ich sie gern einer derartigen Herausforderung
und Tücke freisprechen, wenn es sich anders verhält.« Der
Stadthauptmann runzelte die Brauen und brummte: »Firlefanz! Solltest
du nicht wissen, daß auf das niederträchtige Eierlegen deines Hahnes
gezielt wird?«

Auf diese Insinuierung öffnet Tile von Stint seine matten blauen Augen
voll Staunen, indem er ausrief: »Der kann Eier legen! Mache mir das
nicht weis! Tun es doch nicht einmal meine Hühner nach der Ordnung, so
daß ich ihn schon habe abschlachten lassen wollen, da er noch dazu die
Federn läßt und schäbig wie von einer Rauferei daherkommt; aber ich
unterließ es, da er wegen seiner Magerkeit keinen guten Bissen
verspricht.«

Das Gesicht des Stadthauptmanns verdüsterte sich, und er herrschte den
Bürgermeister an: »Verlege dich mir gegenüber nicht aufs Leugnen! Das
Mistvieh legt Eier und gehört von Rechtens auf den Scheiterhaufen. Du
weißt, daß ich im Christentum unerbittlich bin und meine besten
Freunde nicht verschone, wenn ich sie bei Frivolität und
Gotteslästerung ertappe. Das Volk muß in Respekt erhalten werden und
an den Regierenden ein Beispiel sehen; deshalb trage ich dir auf,
dafür zu sorgen, daß der üble Leumund von dir abgewaschen und künftig
nichts Ungebührliches mehr von deinem Haus und Hof vernommen wird, da
ich zuvor meinen Fuß nicht wieder auf deine Schwelle setzen werde.«

Über dies majestätische Auftreten seines Freundes heftig erschrocken,
rief der Bürgermeister: »Erlaubt wenigstens, daß ich Frau Armida
rufe!« und riß heftig an einem Klingelzuge, dessen Geläut sich
indessen noch kaum erhoben hatte, als die Erwünschte schon in das
Zimmer trat. Sie war eine prächtige Frau, die immer in einem
burgunderfarbenen Seidenkleide umherging und eine hochaufgetürmte,
weitläufige Frisur auf dem Kopfe trug, von deren Spitze ein Kranz von
weißen und hellblauen Federn herunternickte. Infolge eines
liebenswürdigen Temperamentes erglomm sie zwar leicht zu großer
Heftigkeit, besänftigte sich aber auch unversehens, liebte die
Geselligkeit und verscheuchte mit viel Geräusch die Langeweile und
üble Laune, weswegen sie wohlgelitten und dem Stadthauptmann
unentbehrlich war.

»Ihr seid es, Klöterjahn,« rief sie, als sie den erhabenen Mann
erblickte, und wollte mit einer angemessenen Begrüßung fortfahren;
allein der Bürgermeister schnitt ihr die Rede ab, indem er kläglichen
und gereizten Tones ausrief: »Warum meldet man es mir nicht, wenn
solche Unrichtigkeiten im Hühnerstall vorfallen? Du bist die Hausfrau
und solltest es wissen, wer bei uns die Eier legt! Oder hält man es
nicht für nötig, mich von so gröblichen Mißständen in Kenntnis zu
setzen?«

»Ereifere dich nicht!« sagte Frau Armida strenge, denn sie mißbilligte
es, wenn andere heftig wurden; »wenn du selbst nicht weißt, was du
sagst, verstehen es andere noch weniger.« Diese Entgegnung brachte den
Bürgermeister vollends auf, so daß er böse rief: »Verstehst du nicht,
daß es Sache der Hühner ist, Eier zu legen, wie die der Weiber, Kinder
zu gebären!« und hoffte mit dieser Anzüglichkeit seine Frau zu ärgern,
welche ihm keine Kinder geschenkt hatte. Diese jedoch hielt an sich
und lud nur durch einen funkelnden Blick den Stadthauptmann ein, ihr
unschuldiges Leiden zu bezeugen. »Ich bin ein einfacher Kriegsmann,
aber ein guter Christ,« sagte von Klöterjahn, düster ihrem Blicke
ausweichend; »bevor ihr diesen Schandfleck nicht von euch abgewaschen
habt, kann ich eure Schwelle nicht mehr betreten. Was ich gesagt habe,
kann ich nicht zurücknehmen, also muß es dabei bleiben!« Damit stand
er eisern entschlossen auf und griff nach der Türklinke. »Klöterjahn!«
schrie Frau Armida auf und brauste hinter dem Entweichenden her,
willens, ihn mit ihren Armen festzuhalten, konnte ihn aber nicht mehr
einholen, der gerade die Gartentür hinter sich zuwarf und mit starken
Schritten sich ihrem Klageruf entzog.

Unterdessen bereute es Tile von Stint schon, daß er gegen seine Frau
ausgefallen war; denn er war keineswegs bösartig, vielmehr sanft und
verträglich, nur hatte er schwache Nerven, konnte Lärm, Streit und
Aufregung nicht vertragen und wurde zuweilen hitzig, wenn es in seinem
Kopfe durcheinanderzugehen anfing. Er besaß einen mittelmäßigen
Verstand, den er von jeher aus Bequemlichkeit nur selten in Betrieb
gesetzt hatte, und nun, seit er alterte und meist schläfrig war, wie
eine gute Stube mit überzogenen Kanapee und Stühlen vermuffen ließ.
Die Ratsgeschäfte liefen mehr oder weniger von selber, und zu Hause
bekümmerte er sich nur ein wenig um den Garten und die Hühner,
hauptsächlich aber um die Küche, in der er sich gern aufhielt, um an
den Töpfen zu schieben und mit der blonden, rosigen und runden Köchin,
welche Molli hieß, liebreich umzugehen. Nachdem der Stadthauptmann und
seine Frau das Zimmer verlassen hatten, klingelte er sämtliche
Dienstleute zusammen und befragte sie wegen des Hahnes. Es war aus
ihnen nichts herauszubringen, als daß sie von der Munkelei schon
vernommen hatten; übrigens stotterten sie, verdrehten die Augen und
kratzten sich hinter den Ohren, was den Bürgermeister so aufregte, daß
er sie in großem Unwillen wieder fortschickte, sich in einen
Lehnsessel warf und einschlief.

Ganz anders war Frau Armida tätig: sie ließ die vertrautesten Freunde
ihres Mannes zu einem Plauderstündchen am häuslich beschickten Tische
bitten, nämlich die Ratsherren Lüddeke und Druwel von Druwelstein und
den Rechtsgelehrten Engelbert von Würmling, der nur von den
vornehmsten Familien als Beistand gewonnen wurde. Es zeigte sich, daß
auch diesen Herren das häßliche Gerede bereits zu Ohren gekommen war,
daß sie aber aus verschiedenen Gründen gegen den Bürgermeister
geschwiegen hatten, der kleine Lüddeke, weil es eine heikle Sache und
Tile Stint vielleicht nicht genehm wäre. Druwel, weil es ihm schien,
als wäre eine Sache noch nicht ganz wahr, wenn man nicht davon
spräche, Würmling dagegen, der italienische Universitäten besucht
hatte und sehr aufgeklärt war, weil es ihm nicht wichtig vorgekommen
war. »Ich glaube nicht, daß ein Hahn Eier legen kann,« sagte er, »tut
er es aber dennoch, so mag er es meinetwegen, ich habe keine
Vorurteile. Es ist außergewöhnlich; gut. Es ist unnatürlich; gut.
Schadet es mir? nein. Überlassen wir es doch alten Weibern, über
Himmel und Hölle, Tugend und Laster zu disputieren.« »Indessen doch,«
wandte Druwel schüchtern ein, »da der Herr Stadthauptmann seine
Ungnade darüber ausgesprochen hat, möchte die Sache noch von einem
anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten sein.« Herr Engelbert schloß
die Augen, wie wenn er sich davor behüten wolle, den Anblick dummer
und schwacher Menschen in sich aufzunehmen, und sagte im Tone der
Erschöpfung: »Die Meinung des Herrn Stadthauptmann ist wohl, dem Volke
das Maul zu stopfen, vor dessen Unverstand und Aberglauben
allerdings manches Ungewöhnliche verborgen bleiben muß.«

Druwel war ein Kriegsmann und hatte sich bei allen Waffentaten der
Stadt hervorgetan, und wenn er daherkam mit steifem Knebelbart,
blitzenden Augen und sonnenverbrannter Haut, dick und steifbeinig wie
ein aufrechter Kanonenlauf, dachte ein jeder, es könne Quakenbrück
nicht fehlen, solange es seinen Druwel habe. Nur in moralischen Dingen
war er nicht beherzt, weil er wohl Neigung dafür, aber keine
Unterscheidung hatte und sich, so gut es gehen wollte, nach
irgendeinem ansehnlichen Manne, besonders dem Stadthauptmann von
Klöterjahn, richtete. Er hatte immer Angst, daß er sich unversehens
wider die Religion oder das Moralische verfehlen könnte, ja schon daß
er etwas sähe und hörte, was ihn bei der Beichte in Ungelegenheiten
bringen könnte. Der kleine Lüddeke dagegen, ein munteres Männchen,
ließ das Christentum auf sich beruhen, wenn er nur das Vorschriftsmäßige
absolviert hatte, und freute sich schon des Abends beim Zubettgehen auf
die Neuigkeiten, die der folgende Tag bringen könnte. »Gestrenger,«
sagte er, sich ungeduldig am Bärtchen zupfend, »da wir nun doch einmal
daraufgekommen sind, so führe uns doch in den Garten und zeige uns den
Teufelsbraten, und laß ihn womöglich ein Pröbchen seiner Kunst ablegen.«
Obwohl Druwel zögerte unter dem Vorwande, es dämmere und man könne doch
nichts sehen, öffnete Tile Stint die Tür, um den Herren voranzugehen: da
kam Frau Armida durch dieselbe hereingestoben und rief zornig, der
Gärtner habe gekündigt, da er in einem solchen Hause nicht bleiben
könne, und Molli, die Köchin, ließe das Trüffelgemüse in der Pfanne
verbrennen, um nicht Schaden an ihrer Seele zu nehmen. Hätte man doch
der Bestie, dem Hahn, der an allem schuld sei, zeitig den Hals
umgedreht, wie sie gewollt habe! Nun werde man heute abend vor leeren
Schüsseln sitzen müssen, oder sie werde kochen müssen, obwohl sie die
Hitze des Herdes nicht vertragen könne. Die ganze Gesellschaft begab
sich darauf in die Küche, wo Molli unter Händeringen erzählte, wie sie
fünf Eier bereits habe wegwerfen müssen, weil das Dotter in denselben
nicht gelb, sondern karminrot gewesen sei und noch dazu das Ei fast ganz
ausgefüllt habe, wie sie sich darüber bis ins Herz entsetzt habe und nun
die Geschichte glaube, was sie bisher nicht habe tun wollen, wie sie
keines von den verhexten Eiern mehr anrühren werde und folglich die
Trüffelomelette auch nicht zu Ende bringen könne.

»Molli,« sagte der Bürgermeister sanft, indem er den Arm um ihre
Schulter legte, »was die Eier betrifft, so werde ich sie zerklopfen,
und wenn es mir gerät, hoffe ich von deiner Liebe und Treue, daß du
auch mir beistehst und die Trüffelomelette, die du so geschmackvoll
wie kein anderes Mädchen zu backen verstehst, wie auch alle anderen
Speisen in gewohnter Weise vollendest.« Darauf teilte er mit ziemlichem
Geschick ein Ei, obwohl ihm die Hände zitterten, teils infolge seiner
schwachen Nerven, teils weil Druwel ihn durch Ziehen am Rocke von dem
Geschäfte abzuhalten versuchte. Als sie ihren Brotherrn so hantieren
sah, wurde Molli weich, begann laut zu weinen und erklärte, den
Anblick seines Eierzerklopfens nicht länger ertragen zu können; da
außerdem die von ihm aufgeschlagenen Eier recht und schlecht wie
andere auch waren, nahm sie ihm den Napf weg und schickte sich an,
unter einem Stoßgebet die Zurüstung selbst wieder in die Hand zu
nehmen.

In dieser Zeit hatte Frau Armida ein großes Beil auf einem Küchentische
liegen sehen, bewaffnete sich damit und eilte in den Garten, was das
Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gab, da die Herren nicht zweifelten,
sie wolle dem Hahn zu Leibe, und das Gefühl hatten, als müßten sie
eine rasche Tat verhindern. Der kleine Lüddeke lief so schnell er
konnte, und Druwel ließ sich so weit hinreißen, daß er sie am Schweif
ihres rotseidenen Kleides faßte, um sie aufzuhalten, während der
Bürgermeister und Würmling langsamer nachfolgten. Eben hatte die
Bürgermeisterin die Tür des Hühnerstalles, der von einem hölzernen
Zaun umgeben war, erfaßt, und da sie glaubte, daß ihr Kleid an einer
Latte festgehakt wäre, suchte sie es ärgerlich loszureißen, wobei sie
sich umdrehte und den Druwel gewahrte, der sie beschwor, den Stall
nicht zu betreten, welcher vielleicht ein Bezirk des Teufels sei. »Wer
ein gutes Gewissen hat, fürchtet den Teufel nicht,« sagte Frau Armida
spitz, riß mit einer scharfen Bewegung ihre Schleppe aus den Händen
des Druwel und trat mit stiebendem Schritt unter die Hühner, die
erschreckt auseinanderflogen. Dem Hahn gelang es, sich mit Aufopferung
einer Schwanzfeder ihrem Griff zu entziehen und, an einer Scheune
hinaufflatternd, die den Hintergrund des Stalles bildete, eine offene
Luke zu entdecken, in der er sich niederließ.

Tile, Lüddeke und Würmling, die inzwischen näher gekommen waren,
versuchten der Frau zu erklären, man dürfe das Tier nicht töten, da es
so ausgelegt werden würde, als hätten sie ein verräterisches Zeugnis
aus der Welt geschafft; aber sie war Belehrungen nicht leicht
zugänglich, wenn ihr Gemüt in Aufruhr war, und forderte die Herren mit
Ungestüm auf, die Bestie herunterzuschießen, wenn anders sie sie nicht
für Feiglinge halten sollte. Herr Lüddeke blinzelte mit seinen kleinen
Augen bald Frau Armida, bald den Hahn an, der in der viereckigen Luke
saß, mit den Flügeln schlug, den Schnabel weit aufreißend krähte und
in der einfallenden Dämmerung größer als natürlich aussah. »Er hat
eine gellende Stimme und abscheuliche Figur,« sagte er, »und es wäre
nicht schade um ihn; allein wenn Herr von Würmling uns rät, daß wir
uns nicht mit Übereilungen verdächtig machen, so müssen wir wohl
unseren berechtigten Groll und unsere Verwegenheit einstweilen
zügeln.«

»Nun denn,« rief Frau Armida, welche dass Zureden und die Gründe der
Herren wie Wassertropfen an sich ablaufen ließ, »wenn die Männer kein
Herz in der Brust haben, so werde ich dem Federvieh seinen Lohn
geben,« raffte ein paar große Feldsteine auf, die inmitten des Stalles
einen Futtertrog bildeten, und warf sie weit ausholend nach der Luke.
Die Herren sputeten sich, aus dem Bereich der niedersausenden Blöcke
zu kommen, woran sie durch das Lachen nicht wenig behindert wurden, in
das sie über die Heftigkeit der Dame geraten waren; doch kehrte der
gute Tile wieder zurück, um seine Frau darauf aufmerksam zu machen,
daß sie leichter sich selbst als den Hahn treffen würde. Da ihr das
soeben selbst eingefallen war, verließ sie den Kampfplatz, auf dem das
Beil und die Steine wild umherlagen. »Druwel,« sagte sie streng, indem
sie vor den Herren stehenblieb, »in manchem Korsett steckt ein Held
und in mancher Rüstung eine Memme.« »Das erste«, sagte der Druwel
demütig, »wird niemand bestreiten, der Euch kennt; was mich betrifft,
so ist mein körperliches System derart beschaffen, daß ich vor
geheimen Dingen, als Gespenster, Furien, Miasmen, Seuchen, Visionen,
Erdbeben und Gewittern, eine unüberwindliche, innere Zurückhaltung und
Grausen verspüre, während ein ganzes Kriegsheer mein Herz nicht um
einen einzigen Wirbel schneller schlagen läßt.« »In Eurem Verzeichnis
habt Ihr die Weiber vergessen,« bemerkte Frau Armida, »und doch habt
Ihr Ursache, auch vor ihnen die Augen niederzuschlagen.« »Von dem
Blick einer schönen und edlen Dame überwunden zu werden, dessen
braucht sich kein Mann zu schämen,« antwortete Druwel und bot der
nunmehr versöhnten Bürgermeisterin den Arm, um sie in den Speisesaal
zu führen.

Die charaktervolle Molli hatte nicht wie die übrigen Dienstboten dem
Auftritt im Garten zugeschaut, sondern war bei ihren Omeletten,
Pasteten und Bäckereien geblieben, so daß eitel Wohlgeschmack und
Üppigkeit die Gesellschaft an der Tafel empfing. Frau Armida, die noch
stark atmete, eröffnete das Tischgespräch, indem sie ausrief: »Habe
ich mich bisher nicht darum gekümmert, so bin ich jetzt dessen sicher,
daß der Bösewicht Eier legt, und schlau muß er es anfangen, daß wir
ihn nie dabei betroffen haben.« Von Würmling sagte: »Gnädigste haben
dem Armen ihre Huld entzogen und halten ihn nun jeder Übeltat fähig:
das ist die Art der Frauen.« »Ei freilich,« entgegnete sie rasch, »die
Art der Frauen ist es, sich nicht verblenden zu lassen, weder durch
ein geschabtes Kinn noch durch einen langen Bart oder bunte Federn,
sondern die schlechten Faxen zu durchschauen und damit aufzuräumen.«
Als sie bemerkte, daß Herr Lüddeke sie der bedienenden Mädchen wegen
durch Zublinzeln und allerhand Zeichen zur Vorsicht zu mahnen suchte,
blickte sie sich herausfordernd um und sagte: »Warum soll ich in
dieser Sache schweigen, wie wenn ich die Eier gelegt hätte? Wir wollen
schon dahinterkommen und einen Stecken dabeistecken, so daß jedermann
mit unserer Justiz zufrieden sein muß.« Ja, sagte der Bürgermeister,
so sollte es wohl sein, aber die Zeiten wären nicht mehr so, sondern
es herrsche Mutwillen und Unbotmäßigkeit im Volke, es gebe freche
Leute, die sich ungestraft aufbliesen und den höheren Personen etwas
am Zeuge flickten. Der Stadthauptmann habe ihm ernstlich aufgegeben,
das Gerede Lügen zu strafen, als lege sein Hahn Eier, wie sollte er
das aber anstellen, wenn sein eigenes Eheweib auf die Straße
hinausriefe, daß es wahr sei?

Die Erwähnung des Stadthauptmanns stimmte Frau Armida nachdenklich und
trübe, so daß sie aus Schwermut und wachsender Besorgnis das Knäuel
der Unterhaltung sich entrollen ließ. Indessen wurden Herr Lüddeke und
der von Würmling immer lustiger; der letztere nämlich fing an, wenn er
eine Flasche guten Weins getrunken hatte, umgänglich zu werden und
Witz und Laune spielen zu lassen, wie wenn das edle Feuerzeug ein Holz
anzündete, das zuvor stumm und dumm dagelegen hatte, nun aber
knisterte, wärmte, leuchtete und Wohlgeruch verbreitete. Sie
versuchten auch den Druwel in die Lustbarkeit hineinzuziehen; der
aber, nachdem ihn das Essen zuerst ein wenig ermuntert hatte, war
wieder in Sorgen verfallen, die ihn so drangsalierten, daß er sich
zuweilen den Schweiß von der Stirne trocknen mußte.

»Du weißt, Tile,« sagte er, »daß ich in allen Gefahren zu dir halte
und ein mannhafter Kriegsoberst immer gewesen bin, es ist dir aber
auch bekannt, daß ich im Christentum heikel bin, und wenn ich einen
Eid habe schwören müssen, am liebsten den Mund nicht wieder auftäte,
geschweige denn, daß ich dagegen anlöge. Wie soll ich mich denn nun
daraus ziehen, wenn ich wegen des Hahnes befragt werde? Wenn ich auf
die Folterbank gelegt und mit glühenden Zangen gekneipt würde, ließe
ich mir bei Gott über dich und das Eierlegen nichts entschlüpfen; wenn
sie mich aber mit drei Fingern gen Himmel schwören lassen, so ist mir
die Zunge wie vom Schlage gerührt und geht keine Unwahrhaftigkeit mehr
darüber.«

Alle blieben betroffen, nur Herr Engelbert lächelte und sagte, indem
er seinen schlanken blassen Zeigefinger über den Tisch auf des Druwels
Brust zu bewegte: »Habt Ihr denn den Gockel Eier legen sehen?« Der
Druwel rollte erstaunt seine Augen hin und her und sagte endlich
aufatmend mit großer Erleichterung: »Wenn ich es recht bedenke, so
habe ich gar nichts gesehen.« »Nun, so könnt Ihr aussagen, was Euch
beliebt, ohne Euer Gewissen zu verstricken,« sagte der Rechtsgelehrte,
»und die Wahrheit wird uns so wenig schaden wie Euch die Lüge.« Jetzt
brachte der Bürgermeister noch ein Bedenken vor, nämlich, daß es doch
etwa besser gewesen wäre, das Tier abzutun, denn wenn es in der
Untersuchung peinlich mit Schrauben und Drehen behandelt würde, könnte
es durch einen unglücklichen Zufall doch noch Eier legen, wodurch sie
dann ohne Verschulden häßlich bloßgestellt sein würden; allein der
Druwel winkte heftig mit beiden Armen Schweigen und rief: »Redet mir
nicht mehr von dem verfluchten Viehzeug. Laßt mich über die ganze
Sache im Dunkeln, daß ich so wenig davon weiß wie von der unbefleckten
Empfängnis Mariä! Eure gelehrte Spitzfindigkeit, Herr Engelbert, mögt
Ihr vor dem Tribunal entfalten, einem einfachen Kriegsobersten wird
dadurch nur der Verstand verwirrt. Schenkt nur ein und füllt mir den
Teller, denn vorher hat sich mir jeder Schluck und Bissen in Galle
verwandelt.«

So begann der Druwel das Festmahl von neuem, nachdem die übrigen
bereits abgespeist hatten, und es ergab sich ein lautes Pokulieren bis
in die späte Nacht, wobei die Herren zum voraus ihren Sieg feierten
und beredeten, wie sie den alten Zustand wieder einführen, den Zünften
einen Denkzettel anhängen und die reformierte Sekte hinausbefördern
wollten, am liebsten durch Feuer und Wasser, aber aus Mildherzigkeit
und anderen Gründen durch Verbannung, nachdem die Rädelsführer auf dem
Markte wacker ausgestäupt wären.

So plauderten die Herren beim Weine, indessen von weitem greuliche
Wetterwolken gegen sie dahergefahren kamen. Der Pfarrer Splitterchen
war ein unerschrockener und vorwitziger Mann, und da er nun verklagt
wurde, die Herrlichkeit des Bürgermeisters gröblich verleumdet zu
haben, als ob er ein Zauberer und Heide sei, dermaßen, daß er einen
eierlegenden Hahn auf dem Hofe hege, war ihm keinerlei Beschämung oder
Kleinmut anzumerken, im Gegenteil, er trat noch dreister auf als sonst
und führte eine ganze Sippe seinesgleichen mit sich, die sich
gebärdeten, als wollten sie den Fürsten Beelzebub vom Throne stoßen
und die betrogene Welt vom Schwefelstanke räuchern. Er war annehmlich
von außen, kraushaarig und mager, mit so feurigen Augen, daß es
zischte, wenn er sie umherwarf, dazu voll loser Worte, die wohlgezielt
geflossen kamen wie ein Wasserguß, womit man kranke Gliedmaßen
bearbeitet. Er hatte auch einen rechtsgelehrten Beistand mitgebracht,
den er aber nicht an die Rede gelangen ließ und also füglich hätte
daheim lassen können, wenn er nicht in seinem breiten schimmeligen
Gesichte ein giftgrünes Lächeln versteckt gehabt hätte, das zuweilen
anzüglich herausspritzte und die Gegner zu ihrem großen Schaden und
zum Vergnügen der anderen Partei besabberte. Außerdem waren eine Reihe
von Zunftvorstehern und einige von der Kaufmannschaft gekommen, welche
aus alten Briefen ihr Recht erwiesen, einer solchen Verhandlung
beizuwohnen, während die Ratsherren lieber unter sich geblieben wären.

Der Richter, welcher den Vorsitz führte, mit Namen Tiberius Tönepöhl,
hielt es im Herzen mit den Reformierten und freute sich, wenn den
Katholischen etwas aufgemutzt werden konnte, aber er hatte gleichsam
einen Pakt und Blutsbrüderschaft mit der Gerechtigkeit abgeschlossen,
wonach sein eigener Trieb so wohl eingepfercht war, daß er nicht
einmal die Schnauze durch die Gitterstäbe zu stecken wagte; anstatt
dessen war die göttliche Themis bei ihm behaust und weissagte aus
seinem Munde heraus, bis auf einige Mußestunden, wo das Behältnis
einmal aufgetan wurde und das Herz sich ein wenig tummeln und
verschnaufen durfte. Unter den beisitzenden Richtern befanden sich
auch ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer, da die Sache
ebensosehr geistlicher wie weltlicher Natur sei. Tiberius Tönepöhl bot
zwar den Übergriffen der Kirche die Stirn, ließ ihr aber andererseits
das ihrige zukommen und betonte, wenn Gelegenheit war, daß er als ein
Laie von den religiösen Mysterien nichts wisse noch wissen wolle, und
jede Konfession ihre Ketzer verbrennen lasse, soviel ihr zustehe, aber
nicht ein Titelchen mehr.

Tönepöhl eröffnete die Verhandlung damit, daß er sagte, er tue es
nicht ohne Bedauern und Schamgefühl, daß ein hochangesehener Mann, wie
der Bürgermeister und beinahe die höchste Person im Gemeinwesen,
öffentlich eines solchen Greuels habe geziehen werden können, wie es
sei, einen Hahn zu besitzen, der Eier lege. Das wären anrüchige Dinge,
die einen auf den Scheiterhaufen bringen könnten, wenn er die
geistliche Gerichtsbarkeit recht einschätze, der er übrigens nicht
vorgreifen wolle. Was man auch sonst für Grundsätze haben möge, jeder
müsse zugeben, sich mit dem Teufel einzulassen, sei das Laster aller
Laster, wie der Teufel der Vater aller Sünde sei, und die Verehrung
der von Gott angeordneten natürlichen Leibesvorgänge deute auf einen
Auswuchs oder Monstruosität des Gewissens, die doppelt abscheulich an
einer Regierungsperson sei, die den Untergebenen beispielsweise in
fleckenloser Tugend voranleuchten solle. Er hoffe aber, es werde dem
Herrn Bürgermeister gelingen, sich von dem peinlichen Verdacht zu
säubern, und wenn der Pfarrer Splitterchen etwa jetzt schon fühle, daß
er in seinen Behauptungen zu weit gegangen sei, so möge er dieselben
sogleich zurücknehmen, was doch besser sei, als hernach wie ein
Ehrabschneider dazustehen. Verleumdung sei von Moses in den zehn
Geboten gerügt und sicherlich ein Haupt- und Grundlaster, das scharf
geahndet werden müsse, und das vorzüglich Geistliche sich nicht
sollten zuschulden kommen lassen. Man wisse ja wohl, daß die Besorgnis
um das Heil des Gemeinwesens Splitterchen veranlaßt habe, von dem
berüchtigten Hahn zu reden; um so mehr könne er ja zugestehen, daß
eben diese feurige Liebe des Guten zu seiner Vaterstadt ihn
hingerissen habe, etwas als Tatsache hinzustellen, was eine zunächst
nur unsicher begründete Vermutung sei. Es sei freilich tadelnswert,
überhaupt nur Anlaß zu einem so gräßlichen Verdacht gegeben zu haben,
aber man müsse bedenken, daß einer dem Rechte nach auch des Teufels
Buhle sein könne, solange es ihm nicht nachzuweisen sei, und so solle
sich niemand aufopfern, indem er auf eine Wahrheit poche, die nicht
ans Licht zu bringen sei. Er fordere also pflichtgemäß den Pfarrer
auf, seine Unterschiebungen zurückzunehmen und dem Herrn Bürgermeister
frei zu gestehen, was zu gestehen sei; da sonst der Augenblick
gekommen sei, wo die Gerechtigkeit ihre eisernen Füße aufheben und
losmarschieren und ohne Ansehen der Person den Schuldigen zermalmen
werde.

Sogleich erhob sich der Pfarrer mit einer Handbewegung gegen seinen
Rechtsbeistand, Augustus Zirbeldrüse, des Bedeutens, er möge sich
wegen einer solchen Kleinigkeit nicht bemühen, und sagte freimütig,
daß er den heidnischen Unfug im Hühnerstalle des Herrn Bürgermeisters
bisher nur leichthin angedeutet habe, damit der Herr Bürgermeister
einlenken und die Schweinerei zudecken könne und das Gemeinwesen nicht
dadurch verseucht werde. Er befasse sich nicht damit, die katholische
Kirche anzutasten und die Obrigkeit zu unterwühlen, teils aus
natürlicher Friedfertigkeit, und dann auch, um den Herrn
Stadthauptmann, dem er wie jedermann treu ergeben sei, nicht zu
verstimmen, von dem man wisse, daß er in herzlich vertraulichen
Beziehungen zum Herrn Bürgermeister und seiner Familie stehe, so sehr,
daß er gewissermaßen mit ihm verschwägert sei. Aus diesen Gründen habe
er seine Entrüstung hintangesetzt und zartsinnig geschwiegen, soweit
es mit seiner Pflicht vereinbar gewesen sei. Ob er ruhig hätte zusehen
sollen, wie diejenigen, die Gottes Gebote in den Staub, ja in den
Dreck träten, mächtig am Steuer säßen, während die guten Handwerker
und Bürgersleute, die ihre in Zucht und schlichter Frömmigkeit
erworbenen Eier verzehrten, das Maul halten und unter jeder Willkür
sich ducken müßten? Er habe trotzdem geschwiegen, solange er es
vermocht habe; nun aber der Bürgermeister ihn nicht verstehen wolle,
sondern trotzig gegen ihn vorrücke, um ihm eine Grube zu graben, der
offen und redlich an ihm gehandelt habe, wolle er denn das aufgeklebte
Blatt von Pietät und Rücksicht vom Munde reißen und die Wahrheit
herauslassen.

Bei den Worten des Pfarrers, die Beziehungen des Stadthauptmanns zum
Hause des Bürgermeisters betreffend, lächelte sein Rechtsbeistand
Augustus Zirbeldrüse, so daß sein Gesicht einem auseinanderlaufenden
Käse ähnlich wurde, und gab ein leises Pfeifen von sich, das die
Zuhörer kichern machte und ein erwartungsvolles Schweigen im Saale
verbreitete.

Tile Stint, der nicht bemerkt hatte, woher das Pfeifen kam, sah sich
erschrocken und ein wenig verlegen um in der Meinung, es sei einem aus
Versehen entwischt und als eine Unschicklichkeit peinlich, und er
räusperte sich, um zu antworten und zugleich den kleinen Zwischenfall
zuzudecken. Allein von Würmling drehte den Kopf ein wenig nach ihm und
sagte, ohne die Augenlider von den Augen zu heben, er sowohl wie der
Bürgermeister wären recht neugierig, die Wahrheit kennenzulernen, die
nun sollte vorgeführt werden. Dieselbe sei als ein sprödes
Frauenzimmer bekannt, die viele Propheten und Potentaten vergebens um
sich habe freien lassen, Herr Splitterchen dürfe also billig stolz
sein, daß er es einer so wählerischen Person angetan habe. Freilich
sei er ein verdienstlicher Mann in den besten Jahren und brauche sich
als ein Reformierter auch um das Zölibat nicht zu kümmern.

»Zunächst«, antwortete der Pfarrer keck, »sollen einmal die
Kränzeljungfern und Brautführer antreten, zum Schlusse werde ich dann
die Braut zum Altare führen.«

Da begannen denn die Zeugen hervorzuströmen; es war, wie wenn die
Schleuse eines starken Stromes aufgemacht wird. Zuerst kam die Köchin
Molli, welche das Sacktuch an die Augen drückte und vor Schluchzen
nicht reden konnte, worauf Tiberius Tönepöhl sie einige Minute weinen
ließ, sodann sie gelinde tröstete, dann sachte zu fragen anhub, wie
sie heiße, wie lange sie beim Herrn Bürgermeister im Dienst sei, und
ob sie mit seinem Hahn jemals etwas zu schaffen gehabt habe. Bei
Erwähnung des Hahnes fing die Molli, welche sich eben ein wenig erholt
hatte, von neuem zu weinen an und sagte nach erneuerter Tröstung, daß
sie die Bestie einige Male habe abstechen wollen, daß aber der Herr
Bürgermeister solches verhindert habe, weil er zäh und nicht
schmackhaft sein würde. Hier wurde das Verhör durch Augustus
Zirbeldrüse unterbrochen, der sich aufnotierte, daß der Hahn, weil
zäh, vermutlich sehr alt sei, und die Molli fragte, wie lange er sich
schon im Hause des Bürgermeisters befinde.

Auf die Frage des Vorsitzenden, warum sie die Bestie habe abstechen
wollen, besann sie sich eine Weile und sagte, daß es so Sitte sei, von
Zeit zu Zeit das Federvieh abzuschlachten, bevor es zu alt sei, da sie
ja auch dazu da wären und immer junge nachwüchsen; wurde aber ermahnt,
sich an die Wahrheit zu halten und auch ihres Eides erinnert, da sie
unzweifelhaft ein tieferliegender Grund zu der sonst nicht gewöhnlich
an ihr scheinenden Mordlust bewogen haben müsse. Dies Zureden
beängstigte die Köchin, und sie gab errötend zu, daß sie in der Tat
dem Hahne gram gewesen sei, da er eine häßlich kreischende Stimme
habe, von der sie oft vor Tage geweckt sei. Wegen der Eier sagte sie
aus, daß zwar letzthin mehrere Eier durch eine sonderlich rote Farbe
und Ausdehnung des Dotters ihr Bedenken gemacht hätten, daß sie aber
den Hahn niemals beim Eierlegen betroffen habe, und daß sich etliche
Hühner im Hühnerhofe befänden, denen die vorkommenden Eier ihrer Zahl
und Beschaffenheit nach wohl zugeschrieben werden könnten.

Der Vorsitzende ging nun dazu über, die Molli zu fragen, ob im Hause
des Bürgermeisters viel Eier verbraucht, und ob sie im Familienkreise
oder mit Gästen genossen würden, und als sie das letztere bejahte, wer
die Gäste wären und wie sie sich aufführten. Hierüber wurde Molli
zornig und sagte, daß zu den Gästen der Herr Stadthauptmann und der
Herr Druwel von Druwelstein gehörten, und daß diese von niemandem
Lehren über ihr Betragen anzunehmen brauchten, und daß sie, obwohl sie
nur eine Köchin sei, Bildung genug besitze, um zu wissen, daß es
ungehörig sei, solche Fragen stellen, auf welche sie nicht antworten
würde. Tönepöhl, welcher infolge seiner Gerechtigkeit sich niemals
ereiferte, sagte: »Liebes Kind, mir mußt du Rede stehen, als ob ich
dein Beichtvater wäre, sollte ich dich auch noch unziemlichere Dinge
fragen, als diese waren,« worauf Augustus Zirbeldrüse mit quiekender
Stimme einfiel, ihm stehe das Recht zu fragen nicht minder zu, und er
wolle denn auch gleich wissen, wie lange die Gesellschaft gemeinhin
bei Tafel gesessen habe, auf welche Weise Molli die Speisen,
insbesondere die Eierspeisen zubereitet, und ob die Frau
Bürgermeisterin dabei geholfen habe. Die eingeschüchterte Molli
erzählte, wie einmal der Herr Bürgermeister mit eigenen Händen die
Eier zerklopft habe, überhaupt zuweilen in die Küche gekommen sei und
ihr zugesehen habe. Bei diesen Worten hob Zirbeldrüse seinen dicken
Kopf ein wenig aus den Schultern und machte Kikeriki, was er halb
krähend, halb flötend überaus scherzhaft zuwegebrachte, um so mehr,
als er sein Gesicht dabei kaum bewegte und es schien, als ob der
Hahnenkraht wie ein Lebewesen eigenwillig aus seinem Munde stiege.
Nachdem der Pfarrer noch gefragt hatte, ob der Herr Bürgermeister das
Tischgebet spräche, und ob in seinen Gemächern Heiligenbilder ständen
oder hingen, wurde Molli entlassen, von den wohlwollenden Blicken
Tönepöhls und Zirbeldrüses begleitet.

Tile Stints übrige Diener sagten aus, daß sie freilich den Hahn nicht
hätten Eier legen sehen, daß er aber etwas Widriges an sich habe und
sie ihm wohl allerlei Unrichtiges zutrauten; ferner, wie oft der
Stadthauptmann zu Besuch gekommen sei, wie oft der Herr und die Frau
Bürgermeister zur Kirche gegangen seien, daß sie keine Kinder hätten
und woran dies etwa liegen könne, was für Aufwand sie trieben, wieviel
Röcke, Unterröcke, Pelze und Hauben die Bürgermeisterin hätte, daß sie
alle ihre Bezahlung reichlich und pünktlich erhielten und auch sonst,
was ins Haus käme, auf den Heller bezahlt würde.

Danach kamen die Freunde des Hauses, zuerst der Druwel, der sich
vorher mit einem Becher starken Weines Mut getrunken hatte und deshalb
mit gläsernen Augen und blauroten Backen daherkam, so daß ein
mißfälliges Murmeln durch die Reihe der Zunftvorsteher lief. Er hatte
indessen doch zu wenig getrunken und es wollte ihm mit dem Schwören
durchaus nicht glücken; der Schweiß trat ihm tropfenweise auf die
Schläfen, und er mußte um einen Stuhl bitten, wobei er sein Alter, die
Gicht und die ausgestandenen Feldzüge vorschützte. Wegen des Hahnes
wollte er sich von vornherein entschuldigen, daß er durchaus nichts
davon wisse und verstehe, überhaupt ein einfacher Kriegsmann sei;
allein der Vorsitzende erklärte ihm lächelnd, daß er nur auf jede
einzelne Frage der Wahrheit gemäß antworten müsse, und da wurde er
denn freilich ärger bedrängt, als er sich hatte träumen lassen. Bald
hatte er zugegeben, daß Frau Armida den Hahn habe umbringen wollen,
daß sie durch unüberwindliche Abneigung dazu angetrieben worden sei,
und daß der Bürgermeister sie daran verhindert habe. Vollends aber
machte es jedermann stutzig, daß es der Frau Armida trotz ihres festen
Willens nicht gelungen war, den Hahn zu töten, was nach der Aussage
mehrerer Sachverständiger, die sogleich herbeigerufen wurden, kein
schweres Geschäft sei, sondern durch Halsumdrehen von jedem Kinde
könne bewirkt werden. Bei dieser Gelegenheit erhob sich Zirbeldrüse
und verlangte, daß die Köchin Molli noch einmal vorgeladen werde,
damit man erführe, ob es bei Bürgermeisters üblich gewesen sei, das
Geflügel durch Steinewerfen zu töten, widrigenfalls es sehr auffallend
und belastend sei, daß Frau Armida sich zu einer so mühsamen und
umständlichen Beförderungsart entschlossen habe.

Tönepöhl, der Vorsitzende, war mit dieser Wendung unzufrieden, weil er
bemerkt hatte, daß Zirbeldrüse auf Molli eine ebenso große Zuneigung
geworfen hatte wie er selbst, und zum Anwachsen eines solchen Gefühls
keine Gelegenheit bieten wollte, zumal er auch fand, daß zu
dergleichen verliebten Einfädelungen das Gericht in seiner Würde der
Ort nicht sei, und lehnte daher ab mit der Begründung, ein jeder habe
sich aus den Tatsachen, die Druwel von Druwelstein beigebracht habe,
genugsam seine Meinung bilden können; denn wenn die Frau Bürgermeister
häufiger Hühner durch Steinwürfe getötet habe, beziehungsweise habe
töten wollen, so würde es ihr entweder bei dem Hahne besser gelungen
sein, oder sie würde es wegen der Ergebnislosigkeit für den gemeinen
Gebrauch längst aufgegeben haben. Während sich alle über den
Scharfsinn des Tönepöhl wunderten und freuten, ärgerte sich
Zirbeldrüse dermaßen, daß er grün anlief, und es bildete sich
verdeckterweise eine grimmige Feindschaft zwischen beiden, die sich
nun als Nebenbuhler erkannten.

Der Druwel wurde noch mehrere Stunden lang ausgefragt, erstens über
das Verhältnis des Stadthauptmanns zum Bürgermeister, über des
letzteren kirchliche Gewohnheiten, ob er die Fasten halte, ob er
zuweilen Ablaß kaufe, dann aber auch über seinen eigenen Lebenswandel,
wieviel Wein er im Keller habe, ob er schon einmal Lotto oder Würfel
gespielt habe und dergleichen mehr, so daß er, zu Hause angekommen,
sich auf der Stelle zu Bette legte und nicht mehr zum Aufstehen zu
bewegen war.

Nachdem alle Freunde des Bürgermeisters sowie alle Händler, die ihm
Waren lieferten, und alle Ratsangestellten vernommen waren, kamen zum
Schlusse noch ein Nachtwächter, welcher den Hahn des öfteren zur
unrichtigen Zeit, nämlich um Mitternacht statt um drei Uhr, hatte
krähen hören, und ein Dieb, welcher vor etwa einem Jahre in einem dem
Bürgermeister benachbarten Hause hatte einbrechen wollen und jetzt
seine Strafe im Gefängnis verbüßte. Dieser sagte aus, daß in jener
Nacht alle Fenster im Hause des Bürgermeisters erleuchtet gewesen
wären und ein großer Schall von Bankettieren in den Garten und auf die
Straße gedrungen wäre, daß es einen recht gotteslästerlichen Eindruck
auf ihn gemacht habe und er in Zweifel gefallen sei, ob er sein
Vorhaben ausführen solle, da doch nebenan so viele Menschen wach
wären. Er wäre aber doch dabei verblieben, weil er sich gesagt hätte,
daß in einem solchen Taumel und Hexensabbat keiner auf sein gelindes
Wesen merken würde, wie es denn auch wirklich geschehen sei, so daß
alles gut herausgekommen wäre, wenn nicht im Hause, wo er es vorhatte,
die Leute durch ein schreiendes Kind auf ihn aufmerksam geworden
wären.

Hiermit, sagte der Vorsitzende, könne man wohl das Zeugenverhör
schließen. Es hätten sich zwar noch an hundert gemeldet, die
merkwürdige Dinge über den Bürgermeister und ihn Betreffendes
vorzubringen versprächen, er glaube aber, es sei nun übergenug Stoff
gesammelt, daraus man sich ein Urteil bilden könne, und er wolle es
dabei bewenden lassen damit der Prozeß doch einmal zu Ende käme und
auch übrigens wieder Gerechtigkeit gepflegt werden könne. Etwa käme es
noch in Frage, ob man den Stadthauptmann vorladen solle, was er als
ein tapferer und gerechtigkeitsliebender Mann ohne weiteres tun würde,
wenn dadurch mehr Licht in eine vorhandene Dunkelheit gebracht würde.
Er seinerseits sähe aber hell genug, womit er indessen den anderen
Richtern oder dem Kläger und Beklagten nicht vorgreifen wolle. Da
niemand in betreff des Stadthauptmanns etwas wünschte, wollte oder
meinte, erteilte am folgenden Tage der Vorsitzende dem von Würmling
das Wort, damit er die Klage seines Klienten noch einmal kurz und
faßlich begründe.

Herr Engelbert, der während der Zeugenvernehmung meist das blasse
spitzbärtige Gesicht in die schlanke Hand gestützt dagesessen hatte,
als ob er schliefe oder an etwas anderes dächte, öffnete die Augen ein
wenig und setzte auseinander, daß der Pfarrer überhaupt höchst
unbefugterweise auf der Kanzel etwas gegen den Herrn Bürgermeister
vorgebracht hätte, da den Reformierten das Predigen nur unter der
Bedingung gestattet wäre, daß sie sich in allen Stücken ruhig und
gehorsam verhielten und weder durch Tat noch durch Wort sich gegen
eine hohe Obrigkeit aufsässig zeigten, welches zu beweisen er mehrere
Erlasse aus vergangener Zeit vorlas. Auch gab er einen schönen Abriß
der Verfassung und der Rechte von Bürgermeister und Ratsherren, welche
die Untertanen zu nichts anderem als zu schuldigem Gehorsam
verpflichteten, der durch den Pfarrer gröblich verletzt war, und gab
verschiedene Beispiele, wie in vergangener Zeit vorwitzige Gesellen
wegen loser Worte enthauptet oder gevierteilt wären, welches zu
beweisen er wiederum einige Abschnitte aus den Büchern der Stadt
vorlas. Da es nun den Untertanen und den reformierten Pfarrern
insbesondere verboten sei, der Obrigkeit etwas Schmähliches
vorzuhalten oder nachzusagen, selbst wenn es wahr wär, so sei es über
allen Ausdruck verbrecherisch und gemeingefährlich, wenn dasselbe
erfunden und erlogen sei; und das sei eben hier der Fall. Der
Bürgermeister sei über sechzig Jahre alt und in Ehren ergraut, habe
öfter kommuniziert und gebeichtet, sich niemals gegen die Kirchenzucht
verfehlt und wanke dem Grabe zu, so daß es jeden rühren müsse, und es
sei von vornherein widersinnig, einen solchen Mann mit verdächtigem
Teufelswerk in Verbindung zu bringen. Die Hauptsache sei aber dies,
daß das Eierlegen des Gockels nimmermehr als bewiesen zu erachten sei,
da er weder von irgend jemand dabei betroffen sei noch auch vor
versammeltem Gerichtshof eine Probe seiner Unnatur abgelegt habe.

»Ei,« rief der Pfarrer aufspringend, »da möchte wohl jeder
Kirchenschänder und Muttermörder frei ausgehen, wenn die Richter an
seine Übeltat nicht glaubten, bis er sie in ihrer Versammlung als ein
Schauspiel vorgestellt hätte! Ist die Natur dieses Basilisken nicht
genugsam durch die hundertfachen Aussagen so vieler argloser Menschen
dargetan? Hat nicht eine unverdorbene Jungfrau, die Köchin Molli, aus
deren tränenden Augen abzulesen war, wie ungern sie wider ihren
Brotherrn zeugte, ihren unüberwindlichen Abscheu vor der heillosen
Bestie gestanden? Haben nicht alle, die mit ihm in Berührung kamen,
wes Alters, Standes und Geschlechtes sie waren, dasselbe unerklärliche
Gefühl des Grauens, gleichsam einen inneren Warner, im Herzen gespürt?
Hat nicht die Bürgermeisterin selbst die Höllenausgeburt mit
feindlichen Gefühlen verfolgt, die sich bis zu einer der weiblichen
Natur sonst fremden Mordlust vergifteten? Selbst wenn der satanische
Vogel niemals mit Erlaubnis zu sagen Eier gelegt hätte, muß es doch
jedem klar geworden sein, daß er dies und noch viel anderes vermöchte,
seiner Abkunft und Konnexion, die ich nicht näher bezeichnen will,
gemäß.«

An dieser Stelle brüllte Augustus Zirbeldrüse so laut, daß ein
allgemeines Lachen und Beifallklatschen entstand und der Redner erst
nach einigen Minuten fortfahren konnte.

»O, schweigen wir«, rief er mit edler Betonung, »von diesen
unnennbaren, unkeuschen und unflätigen Dingen, da wir den
Unschuldschnee der Volksseele schon allzusehr mit Schlamm durchmistet
haben! Wie ungern habe ich meine Stimme in dieser Sache erhoben! Wie
leicht und lieblich ist es, die Nase wegzuwenden, wenn wo Gestank ist.
Uns Prediger aber hat Gott berufen, die Gemeinde vor Übel zu bewahren,
und uns mit einem wundersamen Harnisch gerüstet, daß wir den Mächtigen
der Erde furchtlos als Angreifer und Entlarver entgegentreten. Liebe
Freunde, ich weiß, daß die Besten unter euch schon lange mit Murren
zugesehen haben, wie das Volkswohl, unbeachtet am Karren der Regierung
hängend, durch den Kot geschleift wird. Wir haben tüchtige Männer
genug, die zugreifen und die Ordnung herstellen könnten, die löblichen
Meister der Gilden, die Herren Bäcker, Kürschner, Kupferschmiede und
Gewürzkrämer, mit Herzen und Händen, die in Entsagung und ehrlicher
Arbeit geläutert sind, das Steuer zu drehen; aber sie scheuen den
Aufruhr und warten, bis das Maß voll ist. Liebe Freunde, wir haben
gehört, was für Aufwand im Hause des Bürgermeisters getrieben wird.
Wir wissen, wie überflüssig mittags sowohl wie abends seine Tafel
besetzt ist. Von dem übermäßigen Eierverbrauch will ich nicht reden;
aber führen wir uns noch einmal alle die Speisen vor, die das
zahlreich zusammengetriebene Gesinde, im sauren Frondienst schwitzend,
von früh bis spät herstellen mußte: da folgen sich die mit Wein und
Nelken gewürzte Suppe, die Pastete voll Trüffeln, die schwer mit
Äpfeln und Rosinen gespickte Mastgans, der üppige Kapaun, der
zartblätterige Salat, das Mandelgebäck und die aus Pistazien, Mandeln
und anderen fremden Zutaten wie Mosaik gemusterte Magenmorselle. Und
alle diese Leckerbissen sind bezahlt! Bezahlt sind die Muskateller und
Malvasier, das böhmische Glas und der russische Hermelin! Wovon? Das
würde ein Rätsel bleiben, wenn die Lösung nicht in einer anderen
häßlichen Frage läge: Warum wächst der nördliche Turm der
Hundertjungfrauenkirche nicht, zu dessen Vollendung seit Jahren unter
der Bürgerschaft gesammelt wird? Da prahlt wohl ein Baumeister mit
seinen Plänen, da steigen Maurer an den Leitern auf und nieder, da ist
seit Jahren das Hauptportal mit Gerüsten verstellt; aber an dem Turme
ändert sich nichts, als daß ein Jahr ums andere ein neues Kränzlein
von Steinen auf die alten kommt. Laßt mich nebenbei bemerken, daß die
Hundertjungfrauenkirche, wie schon in ihrem abgöttischen Namen liegt,
der katholischen Konfession vorbehalten ist, wir also einen
selbstischen Zweck an ihrer Vollendung nicht haben können und uns nur
aus unparteilicher Gerechtigkeitsliebe um eine diesbezügliche
Verwahrlosung und Unterschleif bekümmern. Diejenigen, die mich des
Parteihasses bezichtigen und wohl selbst dessen voll sind, werden
überzeugt sein, ich lachte in mir hämisch und schadenfroh, wenn ich
die Münstertürme der Papisten wie vom Blitz geköpft oder wie im Frost
verkohlte Strünke dem Untergang anheimfallen sehe. Nein, meine Lieben,
wo immer ich Mißstände und Treulosigkeit erblicke, unter denen das
Gemeinwesen leidet, rühre ich mich, dem Arzte vergleichbar, der, wenn
es an seinem Glöckchen läutet, sei es auch um Mitternacht und zur
Winterszeit, aus dem lauschigen Federbett springt und über die dunklen
Straßen durch Tümpel und Pfützen der Pflicht nacheilt, die mit
bescheidenem Lämpchen voranleuchtet an das Wochenbett, an das
Sterbelager, manchmal auch zu Besessenen, die sich, unter dem Zwang
ihres teuflischen Schmarotzers, gegen den, der es gut mit ihnen meint
und das Übel austreiben will, mit Beißen und Kratzen zur Wehr setzen ...«

Weiter konnte der Pfarrer nicht reden; denn das Jauchzen und
Lebehochrufen der Gildenmeister und anderen Zuhörer verursachte ein
solches Geräusch, daß seine tapfere Stimme nicht mehr hindurchzudringen
vermochte. Als er sich wieder vernehmlich machen konnte, wiederholte er
den letzten Satz und fügte noch mehrere voll rühmlicher Gesinnung hinzu,
worauf er mit den Worten schloß: aus allem diesem erhellte wohl für
jeden, daß der Hahn des Bürgermeisters wider göttliche Ordnung Eier
lege, was er oben behauptet habe, zu welcher Behauptung er, da sie
gewissermaßen wahr sei, nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet
gewesen sei, und wodurch er sich um den Bürgermeister, für den es
vielleicht noch Zeit sei, seine Seele zu retten, verdient gemacht zu
haben glaube.

Der Pfarrer hatte noch nicht ausgesprochen, als er von allen Seiten
unter Händeklatschen beglückwünscht wurde, da niemand mehr an seinem
Siege zweifelte. Eben forderte der Vorsitzende die anderen Richter
auf, sich mit ihm zur Findung des Urteils zurückzuziehen, was sie, wie
er bedeutsam fallen ließ, nun nicht mehr viel Zeit kosten würde, als
etwas Unerwartetes eintrat, das dem Verlaufe der Sache eine andere
Wendung gab.

Unter dem erweichenden Einfluß der sehnenden Liebe nämlich schien es
dem Stadthauptmann bald, als sei er allzu grausam gegen Frau Armida
gewesen; da er aber doch an seinem Worte, dem eine gewisse Heiligkeit
innewohnte, unerschütterlich festhalten mußte, ergrimmte er gegen den
Pfarrer, der das ganze unnütze Lärmen verursacht hatte. Wie sich im
Laufe des Prozesses merken ließ, daß der Bürgermeister mit seiner
Anklage abprallte, dagegen selbst und vielleicht auch Frau Armida in
eine gefährliche Malefizsache geriet, wurde sein Zorn unbändig, und er
schalt insgeheim auf seine eigene Langmut, mit der er den Aufruhrgeist
im Volke sich hatte ausbreiten lassen, anstatt es von vornherein mit
scharfen Mitteln zu Bescheidenheit und Gehorsam anzuhalten. Da er
ohnehin mit dem Bischofe von Osnabrück, einem ausnehmend feinen Manne,
Geschäfte abzumachen hatte, reiste er zu ihm und stellte ihm die
Angelegenheit vor, ließ auch einfließen, wieviel ihm daran läge, wenn
der Bürgermeister aus der Falle gezogen würde, dem reformierten
Pfarrer und seinem Anhang aber eine merkliche Belehrung für die
Zukunft erteilt würde. Aus diesem Grunde geschah es, daß der Bischof
mit einem Male in den Gerichtssaal zu Quakenbrück trat und begehrte
vernommen zu werden, da er etwas Wichtiges in der Sache des Herrn
Bürgermeisters auszusagen habe.

Die plötzliche Erscheinung des Kirchenfürsten wirkte so erbaulich, daß
einige auf die Knie fielen, die anderen wenigstens sich tief und
eilfertig verbeugten; einzig Pfarrer Splitterchen blieb aufrecht
stehen, und der von Würmling verneigte sich nur mit den Augenlidern.
Auf Grund seiner Vorurteilslosigkeit und Gerechtigkeitsliebe zögerte
Tönepöhl nicht, den Bischof in höflichen Worten zum Sprechen
aufzufordern, ja sogar ihm im voraus für sein Kommen zu danken, falls
er etwas Förderliches in diesem schwierigen Handel beizubringen habe.
Nachdem sich der Bischof, der ein beleibter Mann war, mehrere Male
nach rechts und links umgesehen hatte, wurde ihm ein Sessel
herbeigerollt, in den er sich mit Anmut niedersetzte, und von dem aus
er nun behaglich um sich blickte und dem und jenem zulächelte, der ihm
bekannt vorkam. Unterweilen zog er eine funkelnde Schnupftabakdose
hervor und sagte lächelnd: »Euer Pflaster ist holperig, ich habe
meinen Wagen am Tore stehenlassen und mich in einer Sänfte hertragen
lassen; so bin ich zwar anständig hereingekommen, aber die guten
Leute, die mich trugen, ließen die Zunge zum Verdampfen aus dem Munde
hängen, denn sie mußten springen, damit ich zu rechter Zeit käme, und
dazu zeigt der Kalender noch den Hundsstern an.« Nachdem er sich noch
einige Male nach rechts und links umgesehen hatte, brachte man ihm auf
einem Brett eine Flasche Wein nebst einem Glase, das man auf ein
Tischchen neben ihm stellte, so daß er nun bequem und vergnüglich
eingerichtet war. »Es trifft sich gut,« sagte er, indem er das Glas in
die Hand nahm, »daß heute kein Fastentag ist, sonst würde ich mir
diesen Labetrunk versagen,« und ging dann allmählich zu der
schwebenden Sache über, indem er folgendes erzählte: Er sei vor einem
Jahre, um einen Ablaß für den Turmbau zu verkünden, in Quakenbrück
gewesen und habe bei der Gelegenheit Haus und Hof des Bürgermeisters
samt allen Bewohnern, Mensch und Vieh, geweiht, und dieser Segen habe
auch den fraglichen Hahn getroffen, welcher dadurch entweder des
teuflischen Charakters ledig geworden sei oder niemals dergleichen an
sich gehabt habe, da er sonst der Weihespende ausgewichen sein würde,
wie es böser Geister Sitte oder Unsitte sei.

Tönepöhl unterdrückte eine leichte Verlegenheit und sagte, er wisse
als Laie in weltlichen Dingen besser als in kirchlichen Bescheid,
allein er achte auch die letzteren und sei fern davon, etwas in der
Kirche zu Recht Bestehendes antasten zu wollen. Hochwürden möge
ausdrücklich feststellen, ob wirklich der fragliche, des Eierlegens
bezichtigte Hahn und nicht ein anderer sich unter dem Geflügel
befunden habe, dem der Bischof die Weihe gütigst habe angedeihen
lassen. Ein Hahn sei dabeigewesen, sagte der Bischof leutselig, ein
hübsches Tier von stattlichem Betragen, der ihm wegen seines übermäßig
geschwollenen Kammes aufgefallen sei; er habe damals diesen Kamm mit
der päpstlichen Tiara verglichen und den Hahn scherzweise Seine
Heiligkeit genannt, wessen sich namentlich die Frau Bürgermeisterin
gewiß noch entsinnen würde.

Daß der Bischof mit so gewaltigen Dingen tändelte, machte auf
Tönepöhl, der ein Freigeist war, sich dessen aber doch nicht getraut
hätte, einen bedeutenden Eindruck, so daß er begann, den Bischof als
seinesgleichen zu bewundern. Er lächelte ein wenig und sagte, daß man
die Frau Bürgermeisterin gern hören würde, wenn es ihr belieben
sollte, der Darstellung des Bischofs ihre Glossen hinzuzufügen. Als
dann die Dame in ihrem burgunderroten Kleide wie ein Windessausen
dahergefahren kam, winkte er nach einem zweiten Sessel, da der Bischof
Miene machte aufzustehen und ihr den seinigen anzubieten, wobei er
sich aber etwas langsam und schwerfällig bewegte.

Frau Armida dankte kurz mit Kopfnicken und sagte, daß der Hahn, der
die Weihe des Bischofs empfangen habe, derselbe sei, welcher jetzt von
Lästerzungen schmählich besudelt werde, leide keinen Zweifel; denn sie
besäßen ihn seit zwei Jahren und hätten inzwischen keinen anderen
gehabt. Es würde dann wohl das beste sein, den Hahn selbst
herbeizuholen, damit der Bischof ihn anerkennte und auch die Richter
ihn in Augenschein nähmen, ob etwas Verdächtiges an ihm zu vermerken
sei.

»Es soll mich freuen, das gute Tier wiederzusehen,« sagte der Bischof
liebenswürdig. »Und wie wäre es,« meinte er, »wenn man, um ihn
zutraulich zu machen und des Vergleiches wegen, ein paar Hühner vom
Hofe des Herrn Splitterchen dazu lüde? Es wäre merkwürdig zu sehen,
wie diese, die zweifelsohne natur- und ordnungsgemäße Hühner sind,
sich mit dem übelbeleumdeten Hahn vertragen, ob sie etwas Anrüchiges
an ihm wittern, oder ihn als einen tauglichen Hahn und Herrn
zulassen.«

Splitterchen erwiderte mit beißender Freundlichkeit, er wolle mit
seinen Hühnern nicht zurückhalten, halte aber dafür, daß es ein
schlechtes Appellieren sei von menschlicher Vernunft zu tierischer.

»Nun,« entgegnen der Bischof, »es wird ja nichts anderes von ihnen
verlangt, als daß sie den Bösen wittern, wozu man, meine ich, weder
des Verstandes noch der Vernunft bedarf, sondern des einfältigen
Instinktes, womit die Tiere vorzüglich behaftet sind.«

Nachdem noch einige Reden dieser Art zwischen den Parteien gewechselt
waren, entschied Tönepöhl, daß der beschuldigte Hahn den
Splitterchenschen Hühnern sollte konfrontiert oder gegenübergestellt
werden, jedoch erst am folgenden Tage, da die Mittagsstunde sogar
schon vorüber war und anzunehmen stand, daß alle, besonders aber der
Bischof, der unaufhaltsam gereist war, einer Erfrischung bedürftig
wären.

Inzwischen hatte Molli gekocht und gebraten, damit dem Bischof eine
ziemliche Bewirtung vorgesetzt würde. Während des Mahles wurde dem
hochwürdigen Manne ein Brief des Herrn von Klöterjahn überbracht, der
sehr vertraulicher Natur war, und nach dessen Lesung er sagte, daß der
Stadthauptmann bald wieder mit Freuden in diesem Hause verweilen
würde, wie denn jetzt schon sein gerechter Unwille sich ein wenig
verkühlt hätte und er dem Bürgermeister seine volle Liebe und Gnade
wieder zuwenden würde, wenn derselbe sein Christentum sauber gereinigt
vor aller Augen könnte glänzen lassen. Nachdem der Bischof sich über
den schönen Glaubenseifer des Stadthauptmanns, über den unbotmäßigen
Geist der Untertanen und der Reformierten insbesondere und die
Notwendigkeit, solchen zu dämpfen, unwiderleglich geäußert hatte, ging
er zu den auserlesenen Speisen über, die wie die Sterne am
Himmelsgewölbe nach einer weisen und festen Anordnung die Tafel
umliefen, erkundigte sich nach der Herstellung der einen oder anderen
bei der Hausfrau und sprach den Wunsch aus, der verdienstvollen Molli
seine Zufriedenheit selbst in der Küche auszudrücken.

Da man sich am Schlusse der Traktierung dorthin begab, stand das
Gesinde am Wege aufgereiht und begehrte den Segen des Bischofs, dessen
Herablassung bekannt war; dazu war er fett und schön, mit sicheren
blauen Augen und einer erhabenen Nase und einer Umgangsweise, als ob
er gewohnt wäre, von einem Thron herunter mit den Leuten zu reden.
Molli empfing den hohen Gast in der Küche mit Kniebeugung und Handkuß,
worauf sie von ihm auf die Stirn geküßt und sowohl wegen ihres Kochens
belobt wurde, als auch weil sie sich bei dem Verhör als ein tapferes,
kluges und ihrer Herrschaft ergebenes Mädchen erwiesen habe. Molli
lächelte verschämt und sagte, sie gehöre freilich nicht zu denen, die
eine gute Herrschaft im Unglück verließen. Zuerst sei sie wohl über
die unanständigen Dinge erschrocken gewesen, die man von dem Herrn
Bürgermeister gemunkelt habe, und als ihr dann noch die karminroten
Eidotter in die Hände geraten seien, habe sie den Kopf verloren,
nachher aber sich desto besser gefaßt und sich vorgesetzt, zu ihrem
Herrn zu halten, der doch einmal die Obrigkeit sei und bei der guten
katholischen Religion bleibe. Die Herren vom Gericht hätten sich zwar
recht darangehalten, um sie auf ihre Seite zu ziehen, sie hätte
gestern noch von Herrn Tiberius Tönepöhl sowie auch von Herrn Augustus
Zirbeldrüse je ein hübsch gemaltes Schreiben erhalten, worin sie artig
um das Vergnügen gebeten hätten, sie als Köchin in ihr Haus einführen
zu dürfen, wenn der Herr Bürgermeister, wie es doch nun wohl nicht
anders sein könnte, von Amt und Würden hinunter in Schande und
vielleicht gar Lebensverlust stürzte; aber sie hätte nicht darauf
geantwortet, da sie erst hätte erwarten wollen, ob der Herr
Bürgermeister wirklich so übel daran sei, und dann auch aus den
Blicken der beiden Herren den Argwohn gezogen hätte, daß es ihnen nur
darum zu tun wäre, die Ehre einer unschuldigen Jungfrau zu Falle zu
bringen. Diese letzten Worte gingen in ein zartfühlendes Schluchzen
über, das nur durch liebreiches Zureden des Bürgermeisters und des
Bischofs sowie durch eine Geldspende von beiden endlich gestillt
werden konnte.

Gegen Abend meldete sich Tiberius Tönepöhl zu einer Rücksprache bei
dem Bürgermeister und trug vor, daß es ihm ungeziemend vorkomme, wenn
das Geflügel im Saale des Rathauses vorgestellt würde, der dadurch wie
ein Stall mit Geschrei und Unrat erfüllt werden würde. Man könnte den
Garten des Bürgermeisters dazu verwenden, um diesem gefällig zu sein;
allein darin könnte Pfarrer Splitterchen eine Benachteiligung
erblicken, was er auch nicht scheinweise auf sich laden möchte; sein
Vorschlag gehe deshalb dahin, daß die Sitzung vor dem Lindentore auf
dem Anger abgehalten werde, wo nach altem Gebrauch die städtischen
Truppen eingeübt und auch Märkte und Feste veranstaltet wurden. Wegen
des Imbiß, zu dem Tile Stint den Richter einlud, entschuldigte sich
Tönepöhl, da er in seinem Amte sich der weichen Regung, die ein
trauliches Verkehren bei Tische anfache, nicht unterstehen dürfe,
vielmehr beständig das Bild des Rechtes vor Augen haben müsse,
gleichsam als den Nabel, auf den die indischen Mönche ihr unentwegtes
Augenmerk richteten, um zur Gefühllosigkeit zu erstarren.

Am folgenden Morgen strömten Fußgänger, Wagen und Karren aus dem Tore
nach dem Stadtanger, der auf allen vier Seiten von alten, nun
blühenden Linden umrandet war. Wie ein Sternenkörper in einer
Lichtregion schwebt, die er von sich ausstrahlt, so schwamm der Anger
in einem Lindenduftgewoge, als ob ein elysisches Seligenland aus der
harten Erdenkruste hervorblühte oder daran vorüberwehte. Wer der
Zauberinsel nahekam, spürte eine reizende Betäubung und wurde mitten
in ein magisches Wohlgeruchsreich hineingezogen, wo es eitel Scherz
und Liebe und Wonnedasein gab. Einzig Pfarrer Splitterchen und sein
Rechtsbeistand Zirbeldrüse gingen, wie wenn ihre irdischen Sinne mit
Wachs verstopft wären, in dieser sommerlichen Trunkenheit umher, als
zwei Gerechte zwischen ein Volk von Toren und Schelmen, und die wohl
wissen, daß sie wegen ihrer Überlegenheit und Tugend, deren sie sich
nun einmal nicht entbrechen können noch wollen, zuerst ausgelacht und
dann gekreuzigt werden müssen. Der Pfarrer rieb zuweilen die Zähne
aufeinander vor Verachtung und Ungeduld, oder er lachte, um
anzudeuten, er wisse wohl, daß er in einer Komödie mitspiele;
Zirbeldrüses Gesicht glich nicht mehr einem auseinanderlaufenden,
sondern einem hartgewordenen Käse, den man nicht schneiden, höchstens
zu einem grünlichen Pulver zerreiben kann. Sein Mund sah aus wie ein
Strick, an dessen Enden zwei schwere Gewichtsstücke hängen, und er
blinzelte von Zeit zu Zeit immer um sich wie ein Hund, der ein Loch im
Zaune sucht, durch das er entwischen könnte, der aber zu voll im Bauch
und zu träge ist, um davon Gebrauch zu machen, selbst wenn er eins
fände. Zwischen den Linden standen einige Ratsbüttel, um dem
zuströmenden Volke abzuwehren, allein sie nahmen es nicht genau und
ließen alt und jung lustwandeln, so weit die Macht der alten Bäume
schattete, sofern sie sich nur nicht in den Ring des Gerichtes mitten
auf dem Platze wagten.

Auf die Nachricht von dem hilfreichen Erscheinen des Bischofs war
Druwel von Druwelstein vom Bette aufgestanden und kam mit festlich
strahlendem Gesicht auf den Lindenanger, ohne sich durch den Spott und
Mutwillen Frau Armidas beirren zu lassen. »Da war ich«, rief er, »im
Getümmel unter mein Pferd geraten und sind mir die Knochen arg
zerquetscht worden; aber ich habe mich hervorgearbeitet und sitze
wieder aufrecht, bereit zu einem neuen Gange.« »So laget Ihr unter dem
Pferde, als man Euch allenthalben vergeblich suchte?« erwiderte Frau
Armida, »darunter ist man freilich vor Stich und Kugel sicherer als
darauf; aber ein Kavalier geht nach Ehre aus, und die ist unter einem
Pferdekadaver nicht zu holen!« »Warum nicht!« rief Druwel frohmütig,
»wenn man nur mit Ehren darunter gekommen ist. Den möchte ich sehen,
der den Druwel von Druwelstein nicht da finden wird, wo der Herrgott
und das Recht ist, gleichviel ob einer in Ängsten ist oder florieret.
Verzagt nicht, gestrenge Freundin, solange Ihr mein Fähnlein flattern
seht, ist Eure Sache nicht verloren.« »Ei was, für den Herrgott
brauche ich keine Freunde, aber wider den Teufel,« sagte Frau Armida
ungeduldig, aber nicht herbe; denn sie ließ vielmehr ein tröstliches
Lächeln über Druwels bräunlichblinkende Wange und seinen straffen
Knebelbart gleiten.

Der Vorsitzende machte sich unterdessen mit der Einrichtung des
Tisches und mit dem Federvieh zu schaffen, das in Körben
herbeigeschafft war. Ratsherr Lüddeke, der Bürgermeister und die
Bürgermeisterin legten selbst Hand an, um den Hahn aus der Watte
herauszuwickeln, in die er wegen neuerlicher Gebrechlichkeit verpackt
war. Als davon nichts mehr an ihm und um ihn saß, glich er einer
Leichnammumie, von der soeben der Kalkbewurf abgekratzt ist, welcher
sie jahrhundertelang bedeckt hatte; der kleine Lüddeke, der sich
indessen nicht versehen hatte, geriet in einige Verlegenheit und sah
den Bürgermeister von der Seite an, der gleichfalls die Augen
niederschlug; denn hier draußen, wo der lautere Sonnenglanz gleichsam
in einem kristallenen Bade zwiefach erglitzerte, stach das abgeschabte
Jammergerippe widriger hervor, als es sich zu Hause dargestellt hatte.
Der Armselige hatte sich an jenem Abend, als die Bürgermeisterin mit
Steinwürfen nach seinem Leben trachtete, zwischen das Dachgebälk der
Scheune verkrochen und war erst am vorhergehenden Tage wieder
aufgefunden und gewaltsam ans Licht gefördert. In dieser Zeit war
seine Ernährung und sonstige Pflege ungenügend gewesen: er sah nicht
anders aus, als ob der Böse ihn geholt, mit seinen rußigen Händen ihm
das Gefieder zerzaust und den Hals umgedreht hätte. Während der kleine
Lüddeke und der Bürgermeister sich unschlüssig ansahen, und der Druwel
sich räusperte, rief Frau Armida mit heller Stimme: »So ist der Arme
in der Zeit der Verfolgung heruntergekommen! Sollte er, was der Himmel
verhüte, tödlich abgehen, so werden wir auf Ersatz des Schadens
klagen, da wir nicht nur einen guten alten Haushahn, sondern auch
unseren Liebling mit ihm verlieren!« Auch der Bischof war nun
hinzugetreten und sagte: »Wie sehe ich Eure Heiligkeit wieder! So kann
es Gott gefallen, die Hohen dieser Erde zu erniedrigen. Immerhin trägt
er noch die Tiara, an der ich ihn wiedererkenne, obwohl sie für seinen
augenblicklichen Kräftezustand zu schwer ist und trübselig wie eine
Zipfelmütze von seinem Haupt herabhängt!«

Als der Bischof bei den Linden aus seiner Sänfte gestiegen war, hatte
sich das lustwandelnde Volk um ihn geschart und im Schutze seines
leutseligen Lächelns wie eine bunte und brausende Schleppe hinter ihm
hergewälzt. Eine solche hinter sich herzuziehen, war er gewöhnt und
hätte sich ohne das unvollkommen bekleidet gefühlt, und ebensowenig
dachten die Büttel daran, ihm den Huldigungsschweif hinterrücks
abzureißen. Demzufolge war der Hahn im Nu von vielen Frauen und
Kindern umgeben, die ihn streichelten und ihm allerlei Futter
beizubringen suchen, wovon er schließlich etwas nahm und angstvoll
hinunterschluckte. Die beobachtende Menge begrüßte dies und andere
Zeichen wiederkehrenden Lebens mit frohem Geschrei; denn er schloß nun
auch einige Male die Augen ganz und öffnete sie wieder, als wollte er
versuchen, ob die Maschine noch ginge. Als er sogar mit dem Schnabel,
wiewohl schwächlich, unter die Körner stieß, die vor ihm ausgestreut
waren, mit den wackelnden Beinen nach hinten auszukratzen sich bemühte
und ein heiseres Krächzen von sich gab, kamen die Hühner, um die sich
niemand bekümmert hatte, erst schüchtern, dann eilfertiger
herbeigerannt und fingen um das Scheusal herum zu picken und zu essen
an. Hierüber erhob sich anhaltender Jubel, der mit leichten
Flügelschlägen den ausgebreiteten Lindenduft bewegte, so daß ein
seliges Jagen von Balsam und Schall sich zu Häupten des Volkes auf und
ab wiegte und als ein Baldachin der Freude über den Berauschten
schwebte.

Der Bürgermeister begann vor Rührung zu weinen, und auch dem Druwel
wurden die Augen feucht, als er seinem Freund und Frau Armida kräftig
die Hand schüttelte.

»Nun,« sagte der Bischof, auf die Hühner deutend, »das Völkchen hat
sich einträchtlich zusammengefunden, wie es nicht der Fall sein
könnte, wenn die Hölle dazwischen nistete.«

Tönepöhl ließ den Bischof aus Achtung den Satz zu Ende bringen, fiel
dann aber schnell ein, damit er ihm nicht zuvorkäme, und schickte sich
mit lächelndem Ernst zu einer Rede an. »Wenn man sagt, daß die Stimme
des Volkes die Stimme Gottes sei, so kann man diesen Spruch wohl mit
ebensoviel Recht auf die Tiere anwenden, die noch mehr als das Volk
aus der Tiefe untrüglicher Grundgefühle heraus sich äußern. Hier haben
wir nun beide, das Volk und das Vieh, vernommen. Es hat sich vor
unseren Augen ein Gottesgericht abgespielt, markerschütternd und doch
auch lieblich in seiner Ahnungslosigkeit. Wenn wir heute vom strengen
Gange der Justiz abgewichen sind, so ist es mit Fug und durchdachter
Absicht geschehen, da zuweilen Freiheit Weisheit sein kann. Möge doch
jeder sich überzeugen, wie unberechtigt die Klage ist, daß in unserem
Gemeinwesen das Volk von der Regierung ausgeschlossen sei; wo es
ersprießlich ist, geben wir seinem Urteil Raum und Gehör.«

Hier wurde Tönepöhl durch einen Zwischenfall, der sich geräuschvoll
abspielte, unterbrochen. Es ertönte nämlich aus der Mitte der Hühner
ein lautes Kreischen oder Krächzen, dem auf der Stelle ein Aufschreien
der Bürgermeisterin folgte, eines von den Pfarrershühnern habe
Kikeriki gerufen. Sie bezeichnete das Huhn, dem sie den Hahnenkraht
zuschrieb, mit hindeutendem Finger und sagte, rot vor Entrüstung, so
komme denn Ungebührlichkeit und Unnatur unter den Hühnern desjenigen
vor, der ihren Hahn teuflischer Umtriebe beschuldigt habe. Mit raschen
Schritten näherte sich der Pfarrer und sagte spöttisch: »Wenn irgendwo
Kikeriki gerufen wird, so schließt man daraus, daß ein Hahn anwesend
sei, und da in der Tat der Hahn des Herrn Bürgermeisters hier
vorhanden ist, so wird jeder Vernünftige der Ansicht sein, daß er es
getan habe.« »Freilich, freilich,« rief Frau Armida, »so meint man
auch, wenn irgendwo Eier gelegt werden, daß es Hühner getan haben.
Indessen habe ich mit meinen Augen gesehen, daß das Kikeriki aus dem
dünnen Halse jenes Huhnes kam, und stelle es außerdem den Anwesenden
anheim, ob unser armer schlotternder Hahn imstande wäre, in so lauter,
durchdringender Weise zu krähen, wie eben geschehen ist.« »Gesehen
habe ich nichts, aber daß eben vernehmlich und deutlich gekräht worden
ist, bestätige ich als richtig,« sagte Tönepöhl. »Das kann jeder,«
wandte Zirbeldrüse hämisch ein. »Ich sage, daß von einem Hahn gekräht
worden ist,« wiederholte Tönepöhl aufgebracht, aber doch gemessen;
»und zwar von einem Hahn in der Gestalt eines eigentlichen Hahnes oder
eines wirklichen Huhnes.«

Jetzt meldeten sich Männer, Frauen und Kinder durcheinander, um zu
bezeugen, daß das von der Frau Bürgermeisterin bezeichnete Huhn den
vorgefallenen Hahnenkraht wirklich begangen habe. Auf den Befehl
Tönepöhls wurde das Huhn ergriffen und auf den Tisch gesetzt, wo es
verzweifelt herumstolperte, um zu entkommen, als ob es sich seiner
häßlichen Erscheinung schäme. Der Hals des Tieres war nämlich,
vielleicht durch die Arbeit von Ungeziefer, ganz von Federn entblößt,
und so schien es von einer grausamen Köchin lebendigen Leibes gerupft,
aber noch vor Beendigung des Geschäftes entsprungen zu sein. »Das Tier
ist ein Greuel!« rief Druwel von Druwelstein, mit markiger Stimme das
atemlose Schauen und Staunen der Menge durchbrechend. »Man veranlasse
es, noch einmal einen Ton von sich zu geben,« sagte der Bischof
heiter, »damit jeder sich von dem Charakter desselben überzeugen
kann.« Dieser Vorschlag wurde unmittelbar als so einsichtig befunden,
daß die Richter ihre Gänsefedern ergriffen und das Huhn damit stachen
und belästigten, so gut sie konnten, wovon die Folge war, daß der
entsetzte Vogel hierhin und dorthin flatterte und endlich auch in ein
mißtönendes Kreischen ausbrach, dem sich ein nicht schwächeres,
sondern donnernd verstärktes Echo aus der Versammlung anschloß. Als
das Triumphgeschrei verhallt war, sagte Tönepöhl: »Daß das Huhn krähen
kann, halte ich hiermit für bewiesen,« in welchem Sinne auch die
übrigen Richter ihre Stimme abgaben; dann wurde auf einen Wink des
Vorsitzenden das gesamte Federvieh in die Körbe gepackt und
fortgeschafft.

Der Pfarrer, der bisher zähneknirschend und hier und da den Kopf in
den Nacken werfend, als rufe er Gott zum Zeugen solcher Dummheit an,
zugehört hatte, trat nun hastig vor und rief: »Und was folgt daraus,
wenn es bewiesen wäre, was ich nicht anerkenne? Es gibt Tauben, die
lachen, Pfauen, die trompeten, Papageien, die menschlich schwatzen,
warum soll ein Huhn nicht krähen? Hängt solches doch nur von der
zufälligen Bildung der Kehle ab!«

»Das Krähen,« entgegnete Tönepöhl mit nachdrücklicher Ruhe, die dem
Pfarrer seine unanständige Hitze beschämend zum Bewußtsein bringen
sollte, »das Krähen ist ein Abzeichen der Männlichkeit und kann auf
natürlichem Wege vom Huhne nicht erfolgreich nachgeahmt werden. Wir
haben vor mehreren Jahren eine Frau, die in Männerkleidern einherging
und auf ihrem Geschlecht ertappt wurde, öffentlich ausgestäupt und des
Landes verwiesen, da das Weib sich die Tracht des Mannes, das ist des
höhergeborenen Menschen, nicht anmaßen darf. Wie soll man es da
beurteilen, wenn ein Weibswesen sogar die dem Manne angeborenen
Eigenheiten, gleichsam die ihn auszeichnende Naturtracht, nachahmen
oder sich erwerben will? Wo sollte bei einer solchen Vermischung die
notwendige Zucht und Botmäßigkeit bleiben, die im Hause wie im
Hühnerstall herrschen muß?« Wie nun der Pfarrer im hellen Ärger sich
die Worte entfahren ließ: »Wie konnte ich auch so albern sein, gegen
papistischen Aberglauben kämpfen zu wollen!« entstand ein unwilliges
Murren in der Menge, und sie hätten es ihm wohl übel eingetränkt, wenn
nicht der Bischof beschwichtigende Zeichen gegeben und Tönepöhl
aufgefordert hätte, den Pfarrer zu seinem Besten zu verhaften und in
ein gutes Gewahrsam zu bringen, damit ihm von dem zwar aus
verständlichen und schätzbaren Ursachen, aber doch über Gebühr
aufgeregten Volke nicht ein Leides zugefügt werde.

Dem Hahn war das hastige Fressen nach langer Enthaltsamkeit so
schlecht angeschlagen, daß Molli für gut fand, ihn abzuschlachten und
sein mageres und zähes Fleisch geschickt in eine lüsterne Pastete
verwurstete, welche bei dem Sieges- und Versöhnungsmahl, das unter
Teilnahme des Stadthauptmanns beim Bürgermeister stattfand, verzehrt
wurde.



Der Sänger


Durch die breiten widerhallenden Gänge des Gefängnisses San Callisto
gingen an einem warmen Frühlingsvormittage der Kardinal Mazzamori und
der Meister der päpstlichen Kapelle, Don Orazio, der seinen Stammbaum
auf den berühmten römischen Dichter zurückführte, beide Günstlinge des
Papstes Innozenz des Zehnten. Sie waren im Begriff, einen jungen
Menschen aufzusuchen, der des Mordes angeklagt und in Gefahr, das
Leben zu verlieren, dem Kardinal durch seine Geliebte, die schöne
Donna Olimpia, empfohlen worden war. Diese Dame, die durch Heirat mit
einem Ottobuoni aus kleinbürgerlichem Stande gehoben war, hatte den
Zusammenhang mit ihrer im Schatten weiterlebenden Familie nicht
verloren und pflegte ihn besonders, wenn sie sich in ihren neuen
Verhältnissen beeinträchtigt und unzufrieden fühlte. Als nun eine
ihrer Tanten zu ihr gekommen war und sie angefleht hatte, das bedrohte
Leben des einzigen Sohnes zu retten, wozu sie vermittels ihres
Freundes, des Kardinals Mazzamori, wohl imstande sei, war sie nicht
nur von Mitleid, sondern von Ehrfurcht für die Frau ergriffen worden,
die, von den Todesschmerzen der Mutter durchbohrt, ein geheiligtes
Schicksal zu erfüllen schien, während sie selbst nie geboren noch die
eheliche Treue bewahrt hatte und jetzt sogar an ihrem geistlichen
Freunde die Lust zu verlieren begann. Ihrem herb erteilten Befehl
hatte der Kardinal sich nicht entziehen können, obwohl er die
Möglichkeit, Hilfe zu schaffen, in diesem Falle für ausgeschlossen
hielt.

Es war nämlich der junge Lancelotto -- so hieß der Vetter Olimpias --
durch seinen verstorbenen Vater, einen Kaufmann, der Gläubiger eines
Anverwandten des Papstes und hatte sich im Auftrage seiner Mutter,
nachdem verschiedene Mahnungen nicht gefruchtet hatten, selbst in das
Haus des Schuldners begeben, um ihn zur Zahlung aufzufordern. Da der
Herr sich kurzweg weigerte, seiner Verpflichtung nachzukommen, oder
sie gar leugnete, entstand ein lebhafter Wortwechsel, in dessen
Verlaufe der Nepot einige seiner Leute herbeirief und ihnen befahl,
den unverschämten Dränger zu ergreifen und ihn durch das Fenster auf
die Straße zu werfen. So aufs äußerste gereizt, hatte Lancelotto,
indem er sich der Männer, die roh über ihn herfielen, zu erwehren
suchte, einen derselben auf den Tod verwundet. So viel Ursache der
adlige Herr auch hatte, den Vorfall zu verbergen, machte er ihn doch
anhängig, um sich des lästigen Gläubigers zu entledigen und zu seinem
Glück trafen mehrere Umstände zusammen, durch welche die Richter gegen
den Angeklagten eingenommen wurden.

Unter den Papieren Lancelottos fand sich außer allerlei verbotenen
philosophischen Schriften ein Spottgedicht auf den Papst, und so
liebenswürdig und empfindungsvoll Innozenz der Zehnte in mancher
Beziehung auch war, so hätten doch sogar seine verwöhntesten
Vertrauten sich jäher Ungnade versehen müssen, wenn sie ein gegen ihn
gerichtetes Witzwort zu verteidigen gewagt hätten. Vornehmlich seine
Schwäche, sich für einen Dichter zu halten, mußte von jedermann
geschont werden, und nichts hätte ihn davon abgehalten, in demjenigen
einen Mörder und Ketzer zu sehen, der mit viel Geist und komischen
Wendungen seine sapphischen Oden parodiert hatte; denn dies war die
Form, in die er die Ergießungen seines Christenherzens vorzugsweise
einzukleiden liebte.

Das Gedicht war »Die römische Sirene« betitelt und lautete etwa so:
»Segle nicht an der römischen Küste vorüber, Odysseus, oder tust du es
dennoch, so versäume nicht, deine Ohren mit Wachs zu verkleben, damit
du den Gesang des Papstes nicht vernimmst. Hörtest du ihn, so würde
dich ein solcher Schauer ergreifen, daß du nicht mehr imstande wärest,
dein Schiff zu lenken, und elend scheitern würdest.« Es wäre tollkühn
gewesen, sich eines Menschen anzunehmen, der die Unvorsichtigkeit
gehabt hatte, eine solche Keckheit nicht nur aufzuschreiben und bei
sich finden zu lassen, sondern sogar seine Urheberschaft zuzugestehen.

Unter diesen Umständen schritt Kardinal Mazzamori mit bekümmerter
Miene neben seinem Freunde Orazio her, ihm seine Sorgen und Bedenken
mitteilend. »Ich kann Olimpias Teilnahme für die Tante nicht anders
als liebenswert finden,« sagte er, »obschon ich darunter leide. Ihr
Mitgefühl für ihre Verwandten macht ihr Herz unzugänglich gegen meine
Ansprüche, die ich ihrer düsteren Miene gegenüber kaum geltend zu
machen wage. Wie leicht wird die Tugend zum Feinde des Glücks, und wie
schwer ist es deswegen, zum Freunde der Tugend zu werden. Ich kann mir
keinen glücklichen Abschluß dieser Angelegenheit vorstellen, da ich
mich durchaus nicht in den Prozeß einmischen kann, der schon zu viele
Torheiten des Beklagten ans Licht gebracht hat, und da doch die
unberatene Olimpia ihre Zärtlichkeit für mich an seine Rettung
geknüpft hat.«

Orazio gab zu, daß es eine heikle Sache sei, und fügte bei, er könne
sich nicht genug freuen, daß seine Veranlagung ihn vor dem
unheilvollen Einfluß der Weiber beschützt. »Nach meinem Dafürhalten«,
sagte er, »wiegen die Vergnügungen, die uns dies Geschlecht bereiten
kann, die Ärgernisse und Enttäuschungen nicht auf, die aus seinem
Umgange fließen.«

Der Kardinal seufzte statt der Erwiderung, ohnehin war inzwischen der
ihnen vorangehende Wärter vor einer der vielen Türen stehengeblieben,
die auf den Gang führten, und gab ihnen ein Zeichen, daß sie am Ziele
seien.

Bei ihrem Eintritt richtete sich der Gefangene von seiner Pritsche
auf, sah die Fremden verdutzt und mißlaunig an, sprang dann auf und
sagte mit höflichem Gruß, daß er fest geschlafen habe und sich nicht
gleich auf seine Lage habe besinnen können. »Die barmherzige Natur hat
mir«, sagte er lachend, »die Gabe reichlichen Schlafes verliehen,
womit ich die Zeit verscheuchen kann, da mir keine Gelegenheit gegeben
wird, sie mir durch Arbeit oder Unterhaltung zu befreunden.«

»Die Fähigkeit, zu schlafen, deutet auf ein freies Gewissen,« bemerkte
der Kardinal, worauf der junge Mann erwiderte: »Das habe ich freilich;
ich möchte den Mehlsack sehen, der sich von ehrlosen Schurken mit
Füßen treten ließe, ohne sich zu wehren. Wäre meine Zunge so
fehlerlos, wie meine Hände ohne Makel sind; aber die ist so
beschaffen, daß sie alles ausspricht, was durch mein Gehirn zuckt, als
ob sie eine Glocke wäre, an die der Schlegel der Gedanken beständig
anschlüge. Da wird denn manches laut, was den Leuten Verdruß erregt;
sprächen alle aus, was sie denken, so hätte ich zu viele
Gesinnungsgenossen, als daß man sie alle einsperren oder ihnen allen
den Kopf abschlagen könnte.«

»Ihr redet nicht eben wie ein bußfertiger Sünder,« sagte Don Orazio
nicht ohne Wohlgefallen an dem hübschen Jüngling, dessen Munterkeit
durch seine jammervolle Lage nicht gebrochen zu sein schien.

»Was wollt Ihr, mein Herr!« entgegnen er zutraulich. »Einen Mord habe
ich nicht begangen; soll ich zerknirscht sein, weil ich nach Maßgabe
meines Verstandes über das Wunder des Daseins nachgedacht, oder etwa
gar, weil ich einen unbedeutenden Witz über Seine Heiligkeit gemacht
habe? Ich mache wohl auch einmal einen frechen Scherz über die
höchsten Herrschaften im Himmel, die doch ehrwürdigere Häupter sind
als der Papst, ohne daß ich mich deshalb der Sünde zeihe; denn was für
Abbruch tut es ihrer Herrlichkeit, wenn ein Erdenwurm, ihnen fast
unsichtbar, ein wenig daran zupft? Ich bin nur ein armer Schlucker,
den man leicht des Lebens und der Ehre berauben kann, und bin doch den
Richtern nicht böse, die mich täglich als einen blutdürstigen Raufbold
und Rebellen traktieren.«

Der Kardinal, welcher inzwischen verlegen seine weißen Nägel
betrachtet hatte, sagte, indem er eine ernste Miene annahm: »Die
Gerechtigkeit des Heiligen Vaters bürgt dafür, daß Euch kein Leid
widerfährt, wenn Ihr so schuldlos seid, wie Ihr behauptet. Hättet Ihr
nicht durch Euren Mutwillen die Anwartschaft auf Gnade verscherzt, so
möchte ich Euch raten, Euch mit Eurem Anliegen ganz zu den Füßen
Seiner Heiligkeit zu werfen.« Da der junge Mann nicht sogleich
antwortete, setzte Orazio im Tone wohlmeinender Überredung hinzu:
»Würdet Ihr nicht wenigstens das leidige Gedicht, das Euch der Teufel
eingegeben hat, zurücknehmen?«

»Warum nicht?« antwortete Lancelotto. »Am liebsten auch alle Gedichte
Seiner Heiligkeit, wenn ich es könnte.«

Es war Don Orazio unmöglich, das Lachen zurückzuhalten; der Kardinal
indessen spürte nur einen schwachen Anreiz zur Heiterkeit, da das
Bewußtsein der Widerwärtigkeit seiner Lage in ihm fortwährend zunahm.

Wie der arme junge Mensch wahrzunehmen begann, daß der Besuch durch
ein gewisses Interesse an seiner Befreiung veranlaßt war, färbte die
erwachende Hoffnung seine blassen Wangen um einen Hauch röter, und
durch sein vorher so gelassenes Benehmen zitterte verhaltene Unruhe.
Ob es nicht wirksamer wäre, fragte er, indem er seine Blicke zwischen
den beiden Herren hin und her gehen ließ, wenn seine Mutter sich an
die Gnade des Papstes wendete? Sie würde alles tun, was ihn retten und
ihn ihr wiedergeben könnte. Auf ihr Betreiben wären gewiß auch die
beiden Herren mit so viel gütigem Anteil zu ihm gekommen.

Der Kardinal nickte und ließ einige Worte fallen, wie die Liebe der
unglücklichen Frau zu ihrem Sohne nicht nachlasse, obwohl er ihr so
schweren Kummer bereite.

»Nicht durch meine Schuld,« sagte Lancelotto frei und freundlich;
»wäre ich aber noch so schuldig, so würde ich an ihrer Liebe doch
nicht zweifeln; denn ich bin noch in ihrem Herzen, wie ich einst in
ihrem Leibe war, und Gott selbst mit seiner Allmacht könnte mich nicht
herausreißen.«

Während er dies sagte, hatten seine Augen sich gefeuchtet und waren
dadurch glänzender und dunkler geworden, und den beiden Herren fiel es
jetzt auf, daß diese Augen ungewöhnlich schmal und lang waren, so wie
die älteren Maler die Augen der Cherubim und der verklärten Heiligen
zu bilden pflegten. Das geisthaft Schwebende, spielend Süße, das ihnen
eigen war, mochte dadurch bedingt sein, daß die kleinen Pupillen den
irdischen Leidenschaften keinen Versteck zu gewähren und die Vielheit
der bunten und veränderlichen Erdendinge nur von ferne spiegeln zu
können schienen.

Inzwischen hatten die scharfsichtigen Augen Lancelottos erfaßt, daß
die Herren doch nicht eigentlich darauf ausgingen, etwas Wirksames für
ihn zu tun, und die frohe Welle der Hoffnung sickerte langsam wieder
zurück. Wenn die Herren, sagte er nach einer Pause, einen Auftrag an
seine Mutter übernehmen wollten, so möchte er sie bitten, ihr einen
Büschel seiner Haare zuzustellen, der ihr als ein lebendiges Stück von
ihm teuer sein würde. Ihm würde jedoch weder ein Messer noch sonst ein
scharfes Instrument in die Hände gegeben, so daß er ohne ihre Hilfe
nicht imstande sein würde, sich Haare abzuschneiden.

Der Kardinal zog ein mit Schmelz und farbigen Steinen verziertes
silbernes Büchschen aus dem weiten Ärmel, worin ein kleiner Spiegel,
eine Schere, ein Stückchen Wachs, eine Feile zum Glätten der Nägel und
dergleichen enthalten waren, öffnete es und blickte unschlüssig
hinein. Während er zögerte, bemächtigte sich Don Orazio der Schere und
beugte sich über den Kopf des jungen Mannes, um den erforderlichen
Schnitt zu tun, wobei er mit einer liebkosenden Bewegung in die ein
wenig geringelten kastanienbraunen Haare griff.

Bei diesem Anblick fiel es dem Kardinal ein, daß die unglückliche
Mutter in der Besinnungslosigkeit ihres Schmerzes gewimmert hatte: »Er
ist ja noch ein Kind! Er hat Löckchen wie ein Kind!« und es berührte
ihn überaus peinlich, die Klage mit eigenen Augen bestätigt zu sehen.
Nachdem er sich leicht geräuspert hatte, sagte er, daß er Sorge tragen
werde, das Andenken in die Hände der Mutter gelangen zu lassen, und
daß er gern etwas tun würde, um die Lage des Gefangenen zu
erleichtern. Ob er Wünsche in betreff des Essens habe? Oder womit ihm
sonst gedient wäre?

Was das Essen angehe, sagte Lancelotto, so werde er durch seine Mutter
beköstigt, die ihm mehr Leckerbissen vorsetzen lasse, als er
bewältigen könne. Bücher, etwa ein Bändchen Gedichte, würden ihn wohl
erfreuen, am liebsten würde ihm aber sein, wenn er einen Gefährten
zugesellt bekäme, mit dem er ein wenig plaudern und lachen könnte.
Dieser Gedankengang brachte ihn darauf, daß er seine Gäste, von denen
namentlich der Kardinal augenscheinlich sehr niedergeschlagen und
durch die trübselige Umgebung bedrückt war, bisher nicht eben gut
unterhalten habe, und er begann ein munteres Geschwätz, wobei aus den
schmalen Augen die unschuldige Schelmerei eines übermütigen Knaben
blitzte. Er erzählte Schulstreiche aus dem geistlichen Kolleg, das er
besucht hatte, von Lehrern und von dem Abt eines gewissen Klosters,
der ihn als einen jungen Heiligen angesehen habe und noch immer darauf
warte, ihn als Novizen eintreten zu sehen. Er habe den guten Mann oft
besucht und sich im Kloster wohl gefühlt; aber lange halte er es in
der Abgeschiedenheit nicht aus, dem Getümmel des Lebens zuzusehen, sei
ihm die liebste Beschäftigung; je toller es um ihn her zugehe, desto
stiller und behaglicher fühle er sich im Innern.

Dann sei die enge Zelle freilich nicht der rechte Aufenthalt für ihn,
meinte Orazio teilnehmend; aber der junge Mann erwiderte, es sei
immerhin so arg nicht, wie es den Anschein habe. Sein Fenster gehe auf
den Hof, wo die zur Gefangenschaft Verurteilten sich zu gewissen
Stunden ergehen dürften und untereinander handelten, lachten, lärmten
und zankten, wie wenn Viehmarkt auf der Piazza Navona wäre.
Zwischenhinein könne er schlafen, und schließlich befinde sich in
einer nicht weit entfernten Zelle ein Untersuchungsgefangener, der
eine so schöne Stimme besitze, daß man sich einbilden könne, schon im
Paradiese zu sein, wenn man ihn singen höre.

Die Pause, die hierauf entstand, benutzte der Kardinal, um Lancelotto
zu fragen, wie es denn in Hinsicht der Religion mit ihm bestellt sei.
Ob er auf das Jenseits vorbereitet sei, oder ob er etwa von einem
verständigen Geistlichen über den heiligen Glauben belehrt zu werden
wünsche.

Der junge Mann schüttelte lachend den Kopf und sagten »Ich habe
Augenblicke, wo der Glaube mich mitten in Gottes Schoß trägt, und ich
habe Stunden, wo ich zweifle und denke, bis meine Gedanken an jenes
schwarze Tor stoßen, das sie nicht durchdringen und übersteigen
können. Das vermag kein Priester zu ändern, und ich möchte es auch
nicht. Den Platz, der in der weiten Welt für meine Seele ist, werde
ich erreichen; hat ja doch Gott dem Maultier eingepflanzt, bei Nacht
den rechten Weg, und einer Katze, das Haus zu finden, wo sie
hingehört. Die Herren müssen nicht um mich besorgt sein, noch soll
meine Mutter sich um mich grämen. Soll ich sterben, so muß ich durch
ein paar bittere Stunden hindurch, die ebenso schnell vorübergehen
werden wie manche andere, die ich auch überstanden habe. Wie wohl wird
mir aber hernach sein, wenn mir Gott einen Anteil an der himmlischen
Vollkommenheit gewährt. Dann werden meine neugemachten,
allgegenwärtigen und allwissenden Augen auf die Verwirrung und das
Händeringen und Zähnefletschen der Menschen hinuntersehen und lachen,
daß ich auch einmal mitten dazwischen war und von armseligem
Schlachtvieh zum Tode verurteilt und auf das Schafott geschleppt
wurde.« Sein frischer feuchter Mund lächelte dabei mit besonderer
Lieblichkeit, die man kaum wehmütig nennen konnte, weil sie allzu
unbefangen war.

Als die beiden Herren die Zelle verlassen und der Wärter die Tür
abgeschlossen hatte, winkten sie diesem, daß er nunmehr entlassen sei,
und gingen langsam den Gang hinunter. Der Kardinal tupfte sich mit dem
Taschentuch und sagte, es sei jammerschade, daß ein solcher Knabe so
zu Falle gekommen sei. Was sei da zu machen? Der Mord könne
schließlich nicht ungestraft bleiben, er sähe keinen Ausweg.

»Ein allerliebster Junge,« sagte Don Orazio nachdenklich, »und scheint
durchaus nichts Strafwürdiges begangen zu haben. Ich hätte Lust, mich
seiner anzunehmen und ihn den Krallen dieses gottvergessenen Tribunals
zu entreißen, wenn sich nur ein zweckmäßiger Weg dazu finden ließe.«

»Mir fehlt der Mut, mich vor Olimpia sehen zu lassen, wenn ich keine
Hoffnung bringe,« fuhr der Kardinal bekümmert fort. »Und wie, wenn ich
gar die Mutter mir vor Augen stelle! Ohnehin werde ich diese Frau nie
mehr vergessen können, die aussah, als ob sie tausend Jahre gelebt und
Schmerzen gelitten hätte. Sie sah aus wie ein verwitterter Stein, und
wenn sie zu weinen und zu schreien anhub, so war es, wie wenn ein Berg
sich bewegte und Feuer auswürfe.«

»So, so,« sagte Don Orazio, »ich hatte sie mir als ein anmutiges Weib
vorgestellt mit süßen Lippen und zärtlichen Augen.«

Ohne diesen Einwurf zu beachten, ging der Kardinal in seinen
Betrachtungen weiter: »Was man ihr auch sagen mochte, sie schrie:
>Mein Kind, das ich geboren habe! Mein Paradiesvogel! Meines Herzens
Herz! Mein Eingeweide! Es ist mein, ich muß es wiederhaben!<, als ob
das Gründe wären, mit welchen sich etwas durchsetzen ließe.«

»Das ist«, fiel Don Orazio ein, »wie alle Frauen sind. Die setzen
ihren Eigenwillen der offenkundigen Notwendigkeit entgegen und lassen
sich durch Vernunft nicht belehren.«

Der Kardinal nickte verständnisvoll und nahm Anlaß, in behutsamen
Andeutungen über die Launenhaftigkeit der Donna Olimpia zu klagen, die
sie in letzter Zeit wie eine Krankheit überfallen habe, während sie
sonst liebevoll und verträglich wie ein Engel gewesen sei. Was ihr
sonst eine willkommene Zerstreuung gewesen sei, gefalle ihr nicht
mehr, sie liebe Einsamkeit und trübe Gedanken, und die Verzweiflung
jener unglücklichen Tante vermehre ihren Tiefsinn. Sie werde es ihn
entgelten lassen, wenn der Prozeß des jungen Mannes übel auslaufe, als
wenn er etwas dazu zu tun vermöge; so sähe er einer unfrohen Zukunft
entgegen. Da würde es das beste sein, meinte Orazio, die launische
Dame zu meiden und bequemere Gesellschaft aufzusuchen; allein der
Kardinal sagte, die Frau habe sich doch um ihn verdient gemacht, und
er halte sich verpflichtet, nun, da sie offenbar krank und des
Beistandes bedürftig sei, bei ihr auszuharren. Er war beschämt, indem
er dies sagte, denn er fühlte, daß sein Freund seine Worte für eitel
Ausflucht und ihn für einen verliebten Toren hielt.

Als die Freunde, in dies Gespräch vertieft, in dem breiten und kahlen,
widerhallenden Gange auf und ab gingen, vernahmen sie plötzlich den
Gesang einer Männerstimme und blieben augenblicklich, von dem Glanz
derselben betroffen, stehen. Es war ein Volkslied, das mit so viel
Kraft und Sicherheit gesungen wurde, als ob es von der Bühne eines
großen Theaters her tönte, und mit so viel Leidenschaft, als gälte es,
ein zauderndes Mädchen zu einer Entführung willig zu machen. Mazzamori
und Orazio sahen einander, vor Staunen und Vergnügen errötend, an, und
als der Sänger dem Abschluß einer Strophe eine Kadenz folgen ließ,
hielten sie den Atem an, besorgt, ob die schwindelnde Figur auch zu
einem glücklichen Ende gebracht würde.

Während der Dauer des Liedes näherte sich ein wachehabender Soldat und
machte Miene, dem Sänger Schweigen zu gebieten, wie das den
Vorschriften des Gefängnisses entsprochen hätte, trat jedoch willig
zurück, als die beiden Herrschaften ihm einen Wink gaben, sich ruhig
zu verhalten. Diesen riefen sie heran, sowie das Lied zu Ende war, um
Auskunft über die Wundererscheinung zu erhalten. Der Sänger sei ein
Bauer, meldete der Soldat, dem wegen mehrfachen Mordes der Prozeß
gemacht werde; er sei ein wilder und böser Kerl, der den Mund nur zum
Fluchen öffne, aber der unerforschliche Gott habe für gut befunden,
ihn mit einer Stimme zu begnaden, wie kein Engel der himmlischen
Heerscharen sie herrlicher besitzen könne. Niemand habe den Mut, ein
solches Wunder der Natur zu unterdrücken, darum ließe man ihn singen,
womit auch der Direktor einverstanden sei, der manchmal selbst, wenn
er in der Nähe sei, stehenbleibe, um zuzuhören.

Ob man ihn nicht veranlassen könne, weiterzusingen? fragte Don Orazio.
Nein, sagte der Soldat, wenn man ihn um etwas bäte, würde er es
deswegen unterlassen, weil er bösartig und mißtrauisch sei. Es könne
ein Tag vorübergehen, ohne daß er die Stimme erhebe, andere Male höre
er stundenlang nicht auf; das sei von seiner Laune abhängig.

»Ich kann mich nicht begnügen, von der Stelle zu gehen, ohne ihn noch
einmal gehört zu haben,« sagte Don Orazio, »sonst würde ich morgen
wähnen, daß mich meine Einbildungskraft geneckt hätte.«

Auch der Kardinal zeigte sich nach einer Wiederholung des Genusses
begierig. Sie erwogen eben, ob sie nicht dennoch versuchen sollten,
den Gefangenen zu einem Vortrage zu bewegen, als der Gesang von neuem
begann, um sie nicht minder als der erste zu entzücken.

»Ich habe einen Tenor wie diesen noch nie in meiner Kapelle besessen,«
sagte Don Orazio.

Der Kardinal stimmte ihm bei; er habe zwar die unvergleichliche
Schulung des berühmten Mignotta nicht, die Unfehlbarkeit des Ansatzes
und die Gleichmäßigkeit des Organs beim An- und Abschwellen des Tones,
aber an Kraft, Schmelz und Süßigkeit lasse er alle anderen hinter
sich. »Ich würde jederzeit«, so schloß er, »eine Stunde lang auf einem
Beine stehen, um ein solches Konzert in mich aufnehmen zu können.«

»Mein Freund,« sagte Don Orazio, »ich habe keine Ruhe, bevor ich nicht
Näheres über diesen Mann erfahren habe; begleite mich augenblicklich
zum Direktor, damit wir Schritte tun können, um uns dieser Kostbarkeit
zu versichern.«

Der Direktor bestätigte die Aussage des Soldaten und führte sie dahin
aus, daß es sich in diesem Falle um einen erwiesenen mehrfachen Mord
aus Rachsucht handle; es habe nämlich der Verbrecher, Ronco mit Namen,
die Gewohnheit gehabt, nachts die Kühe seines Nachbarn zu melken, und
wie nun ein junger Bube, der Sohn eines in der Nähe wohnenden
Pächters, dem Geheimnis auf die Spur gekommen sei und den
Geschädigten, dessen rätselhafter Milchmangel im Dorfe bekannt
geworden sei, darauf aufmerksam gemacht habe, so habe er sich
anfänglich ruhig verhalten, als ob die Sache nur ein Scherz und des
Aufhebens nicht wert sei, aber nach acht Tagen nicht nur den Buben,
der ihn angegeben, sondern auch dessen Vater und Mutter sowie eine
alte Großmutter, die alle dieselbe Hütte bewohnten, mit einem Messer
umgebracht. Die Entrüstung über die Tat sei allgemein, und der Mensch
habe den Tod verdient und werde ihm nicht entgehen; auch sei ihm
nichts daran gelegen, der Kerl sei so wild, daß er kaum einen
Unterschied zwischen Leben und Tod zu machen wisse.

Das sei ein seltsamer Bericht, sagte Don Orazio; man müsse doch
annehmen, daß ein alter Hader zwischen den Familien bestanden habe,
wie es bei solchen Rachehandlungen meistens der Fall sei, und
unüberlegt und empfindlich müsse der Mann auch sein. Er hätte Lust,
einmal selber mit ihm zu reden, um der Sache auf den Grund zu kommen.

Der Direktor zuckte die Achseln und sagte, die Herren Richter hätten
sich schon genug Mühe mit ihm gegeben, die Bestie sei dessen nicht
wert; jedoch sei er bereit, die Herrschaften hinzuführen, möchte ihnen
aber raten, nicht ohne einen Wärter hineinzugehen, da man sich von
einem solchen Patron des Schlimmsten müsse gewärtig sein.

An diesen Rat hätte der Kardinal sich gern gehalten, allein Don Orazio
lachte hoch aus und sagte, seine kräftige Gestalt reckend und seine
breite Brust aufblähend, er getraue sich wohl, es mit einem
maisfressenden Bauern aufzunehmen.

Auch war es in der Tat nicht eben Furcht, was den Meister der Kapelle
überlief, als er mit seinem Freunde dem Unhold gegenüberstand, der sie
mit einem schnellen Blick mißtrauischen Hasses streifte, um sogleich
wieder stumpfsinnig vor sich hinzustieren; sondern vielmehr ein
unwillkürliches Grauen vor dem bösen Blick, dessen das Scheusal
mächtig sein konnte. Vorher getroffener Verabredung gemäß begann der
Kardinal, nachdem er verschiedenemal angesetzt hatte, und sagte, sie
seien im Begriff, die Ordnung der Gefängnisse zu untersuchen; ob er,
der Gefangene, über irgend etwas Klage zu führen habe? ob er den
Besuch eines Geistlichen empfangen habe? ob er geneigt sei,
irgendwelche Geständnisse zu machen oder seine Reue in den Schoß einer
vertrauenswürdigen Person geistlichen Charakters zu ergießen?

Die Antwort Roncos auf die sorgfältige Anrede des Kardinals bestand
darin, daß er knurrte und mit dem Daumen nach der Tür deutete, worauf
der Kardinal von neuem einigemal ansetzte und fortfuhr, er, Ronco, sei
eines grausamen und unerklärlichen Verbrechens angeklagt; ob er
vielleicht zur Erhärtung seiner Unschuld oder zur Verminderung seiner
Schuld etwas beizubringen habe, was Verwirrung oder Scham den
Inquisitoren gegenüber ihn vielleicht gehindert hätte auszusprechen?
Der Heilige Vater habe viel mehr Freude an einer erlösten Unschuld als
an der Bestrafung eines Schuldigen und dehne seine Milde auch über
diejenigen aus, die durch Unbesonnenheit, Jähzorn oder Anstiftung des
Teufels wider ihren Willen zu einer bösen Tat hingerissen worden
seien.

»Pest und Krebs über den päpstlichen Saustall!« zischte Ronco zwischen
den Zähnen hervor, indem er einen wilden Blick auf die Tür warf und
wiederum nach der Tür deutete, so daß der Kardinal unwillkürlich einen
Schritt zurückwich, wie um einen Platz jenseits der Hörweite solcher
Schimpfworte zu gewinnen.

Don Orazio, der das Bedürfnis fühlte, seinem Freunde zu Hilfe zu
kommen, sagte: »Weder der Heilige Vater noch seine Diener, mein
Freund, wollen dir übel, wie du vorauszusetzen scheinst. Wir wären
nicht an dieser Stelle, wenn wir deinen Tod suchten, den du allerdings
verdient zu haben scheinst. Gott der Allwissende hat dich mit einer
schönen Stimme begabt und dich dadurch nach unerforschlichem Beschluß
ausgezeichnet. Wie wäre es, wenn du uns noch eine Probe dieser
wunderherrlichen Kunst gäbest, der du mächtig bist, und die beweist,
daß mehr Göttlichkeit in dir wohnt, als deine Taten, deine Worte und
selbst dein Anblick vermuten lassen.«

Ob nun Ronco diese Worte als eine Verhöhnung auffaßte, oder ob er das
Gespräch überhaupt als eine Belästigung empfand, er schrie in
ausgelassener Wut: »Hinaus! hinaus! Oder ich werde euch etwas singen,
daß euch die Lumpenschädel zerplatzen sollen!« und begleitete die
Aufforderung mit einer so drohenden Gebärde, daß die beiden Herren es
für das beste hielten, sich zunächst zu bescheiden und den Rückzug
anzutreten. Mit dem Schwunge des Triumphes und der Verachtung spuckte
Ronco hinter ihnen her.

Kardinal Mazzamori war so erschrocken, daß er nicht sofort weitergehen
konnte, sondern an dem nächsten Fenster des Ganges stehenblieb, um
Luft zu schöpfen und sich ein wenig zu erholen.

»Was für ein Tier!« sagte Orazio. »Man muß zugeben, daß unsere Bauern
nicht viel mehr als Vieh sind und die Anforderungen, die man an sie
stellt, danach bemessen.«

»Er hat eine wölfische Physiognomie,« sagte der Kardinal, »und ich
möchte wetten, daß er ein echtes Wolfsgebiß besitzt. Es scheint in der
Tat nötig, daß die Menschheit vor einem solchen Wüterich beschützt
werde.«

Seine letzten Worte wurden durch die Stimme Roncos übertönt, der eben
jetzt wieder zu singen begann, vielleicht aus Trotz, oder weil ihm die
Lobsprüche der vornehmen Herren dennoch geschmeichelt hatten.

»Göttlich, göttlich!« flüsterte Don Orazio. »Dieses Wunderwerk von
Stimme darf nicht zerstört werden! Ich werde nicht Mühe noch Kosten
scheuen, sie mir zu retten.«

Unter den geschlossenen Augenlidern des lauschenden Kardinals perlten
Tränen hervor. »Welcher Wohllaut quillt noch aus dem Rachen der
Hölle!« hauchte er. »O Geheimnisse der Allmacht! Jeder Ton ist rein,
weich und lauter, wie ein Tropfen Tau, der sich in der Frühe auf
Knospen wiegt. Was wird Seine Heiligkeit sagen, wenn sie diesen Gesang
hört!«

In großer Erregung verließen die Herren das Gefängnis und ließen sich
in der bereitgehaltenen Sänfte zu dem Palast des Kardinals tragen, um
über die zunächst vorzunehmenden Schritte zu beraten; denn darin
stimmten sie überein, daß der rare Vogel für die päpstliche Kapelle
durchaus erworben werden müsse. Nachdem sie sich bei einem Glase guten
Weins in einem kleinen wohnlichen Gemach, dessen Wände mit schönen
Teppichen aus Arezzo verhängt waren, von den verschiedenen heftigen
Eindrücken des Vormittags erholt hatten, schien es ihnen nicht
unmöglich, das Tribunal zu einem Freispruch des kostbaren Ronco zu
bewegen. Sie hatten in Erfahrung gebracht, daß ein gewisser Guidobaldo
die Verteidigung des Verbrechers führe, und mit diesem beschlossen sie
sich zunächst ins Vernehmen zu setzen. Don Orazio nämlich hatte ihn in
einem befreundeten Hause kennengelernt und sich gut mit ihm
unterhalten, obwohl der Advokat ein Freidenker und Feind des Klerus
war. Da er aber seine Ansichten nicht äußerte, außer wenn es am Platze
war, die Formen der Religion mit großem Anstand in acht nahm, sobald
er sich beobachtet wußte, und dazu ein fröhlicher und gewandter Mann
war, so konnten auch Geistliche seinen vorurteilslosen Verstand und
seine geselligen Gaben genießen und waren es zufrieden, einstweilen in
gutem Einvernehmen mit ihm zu bleiben. Es traf sich glücklich, daß der
Advokat gerade damals im Sinn hatte, eine Villa zu kaufen, deren
ausgedehnter Garten sich den Janikulus hinaufzog, daß er aber den
hohen Preis, der dafür gefordert wurde, nicht zahlen konnte oder
wollte; denn dadurch bot sich die erwünschte Gelegenheit, den
nützlichen Mann durch eine Gefälligkeit zu gewinnen. Ohne Zaudern
suchten die Freunde den Advokaten noch am selben Tage auf und baten
ihn, an die Bekanntschaft mit Don Orazio knüpfend, ihm die Summe,
deren er zum Erwerb der Villa benötige, vorstrecken zu dürfen. Sie
hofften, sagte Don Orazio, sich dadurch ein Anrecht auf gütiges
Entgegenkommen seinerseits zu verdienen, wenn sich das, was sie von
ihm wünschten, mit seiner Ehre und anderen Rücksichten vereinigen
ließe. Nach dieser Einleitung erzählte er von seinem Funde im
Gefängnis, sprach von der Vorliebe des Papstes für Musik, insbesondere
die menschliche Stimme, und von seinem Wunsch, eine so überaus seltene
Kraft für die päpstliche Kapelle zu gewinnen, zumal damit ein
Menschenleben gerettet und auf eine nutzbringende, vielleicht
ruhmvolle Bahn gebracht würde.

Der Advokat erwiderte, er habe bereits von der schönen Stimme des
Ronco gehört, sich aber nicht sonderlich dafür interessiert; er trage
jedoch gern dazu bei, dem Heiligen Vater ein Vergnügen zu bereiten,
auch sei es sowieso seines Amtes, die Verbrecher zu verteidigen und
womöglich zu retten. Immerhin sei das im vorliegenden Falle schwierig,
weil der Bauer überwiesen und geständig sei und viel zu stumpfsinnig
oder zu roh, um Schritte zu seiner Rettung zu tun oder zu
unterstützen, wenn solche überhaupt erfindlich wären. Nach einigem
Besinnen fuhr er fort, es ließen sich wohl Wege zum Ziel ausdenken,
wenn man fest entschlossen sei; es sei schon mancher freigesprochen,
der den Tod ebensowohl wie der schlimme Ronco verdient hätte; von dem
Präsidenten des Tribunals, Monsignor Aloisio, sei es nur allzu
bekannt, daß seine Stimme feil sei, freilich um kein Geringes,
wohingegen der weltliche Beisitzer für ein billiges Trinkgeld zu haben
sei. Da sei aber Don Petronio, ein unzugänglicher Mann, dessen einzige
Eitelkeit und Liebhaberei seine Unbestechlichkeit sei, der stets den
Sittenrichter spiele und emsig aufpasse, damit ja nicht etwa unter
seiner Mitwirkung etwas Ungebührliches unterliefe. Wenn man sich
diesem mit wohlgemeinten Anerbietungen irgendwelcher Art näherte, so
würde man von vornherein alles verderben; wie man ihn aber umgehen
oder überlisten könne, dazu könne er noch keinen Plan absehen, wolle
die Sache aber bedenken. Ein Übelstand sei es auch, daß der Prozeß im
vollen Gange sei und nur noch ein Verhör stattzufinden habe, worauf
der Urteilsspruch bei der Klarheit des Falles nicht auf sich warten
lassen würde. Indessen ermutigte er die beiden Bittsteller damit, daß
guter Rat sich oft über Nacht einstelle, und gab ihnen anheim, sich
einstweilen mit dem Präsidenten in Übereinstimmung zu setzen, offen
gegen ihn zu sein und etwa eine Art Mitwissen des Papstes anzudeuten,
was seiner Beflissenheit einen gedeihlichen Schwung geben würde.

Monsignor Aloisio war ein prachtliebender Mann und heiteren
Temperaments, der gern gut lebte und auch anderen Gutes gönnte, wenn
er nur Geld genug zur Verfügung hatte, dessen Mangel das einzige war,
was seine Laune auf die Dauer zu trüben vermochte. Als er innewurde,
daß Kardinal Mazzamori und Don Orazio ihm einen erheblichen Zufluß des
geschätzten Metalls zu eröffnen gedachten, nahm er sie mit lauter und
glänzender Gastlichkeit auf, führte sie durch die pomphaft
ausgestatteten Räume seines Hauses, zeigte ihnen eine Sammlung
chinesischer Porzellane und versprach für seine Person, einem so
billigen und harmlosen Wunsche ohne kleinliche Bedenken
entgegenzukommen, führte aber, wie der Advokat, den unbestechlichen
Don Petronio ins Feld, der, seiner schrullenhaften Eitelkeit zuliebe,
jeden Versuch, den armen Sünder durchschlüpfen zu lassen, vereiteln
würde. »Nach meiner Meinung«, sagte er behaglich, »ist die
Gerechtigkeit bei Gott, der es nicht immer für gut findet, uns zu
erleuchten. Wie kurz ist die Kette von Ursache und Wirkungen, der wir
folgen können! Nun ja, man urteilt nach seiner Kurzsichtigkeit und
glaubt, etwas Großes getan zu haben, wenn man einen Dieb oder Räuber
aufhängt. Wie oft dieser ein frommes Herz im Busen hatte, ein guter
Vater oder edler Freund war, während sein sogenanntes Opfer auf dem
Grunde der Seele, wohin kein sterbliches Auge blicken kann, die Farbe
der Hölle trug, wer mag das wissen? Unser guter Petronio hingegen
begreift nur den Buchstaben und meint, unsere Erde zu verbessern, wenn
die Paragraphen recht in Anwendung kommen.«

Nachdem verschiedene Einfälle, um zum Ziele zu gelangen, vorgebracht
und verworfen waren, trennten sich die Herren, ohne zu einem Schluß
gekommen zu sein, mit der Befürchtung, daß ihnen der Sänger dennoch
entgehen würde. Indessen empfing Don Orazio noch zu später Abendstunde
einen Brief des Präsidenten, der so lautete: Es sei ihm plötzlich ein
eigenartiger, aber wohl tunlicher Einfall gekommen. Wenn man nämlich
den Petronio könnte glauben machen, Richter und Advokat seien
bestochen, um den Ronco, der zwar ein ungebildeter Bauer, aber brav
und nichts als das Opfer tückischer Ränke sei, an den Galgen zu
bringen, und sie alle ihre Rolle gut spielten, auch der Advokat sich
willig finden lasse, so sei zu verhoffen, daß Don Petronio seine Kraft
einsetze, die vermeintliche Unschuld zu retten, so daß ihnen nach
einem Kampfe von gewisser Dauer nichts erübrige, als zu ihren eigenen
Gunsten nachzugeben.

Das Einverständnis der Beteiligten wurde schleunig hergestellt.
Mazzamori und Don Orazio kargten nicht mit dem Gelde, indem sie nicht
zweifelten, der Heilige Vater würde ihnen am Schluß reichlich
ersetzen, was sie auf die Ausbildung eines so erlesenen Sängers würden
verwendet haben. Guidobaldo, der Advokat, trug Sorge, daß Don Petronio
durch eine anonyme Zuschrift auf das Unwesen aufmerksam gemacht wurde,
dem diesmal ein hilfloser Bauer zum Opfer fallen sollte, und daß die
Nachricht von seinem Hauskauf sich verbreitete, und nahm den launigen
Glückwunsch, den der Präsident ihm in Gegenwart des versammelten
Tribunals dazu machte, händereibend entgegen. Er selbst, sagte der
Präsident, habe auch im Sinne, sich eine bescheidene Freude zu machen.
Der französische Gesandte, der von seinem König abberufen sei und Rom
zu verlassen gedenke, wolle eine goldene Karosse mit vier Pferden
verkaufen, und er habe ein Angebot darauf gemacht, wisse aber noch
nicht, ob es angenommen sei. Die Summe flüsterte er dem Advokaten
lächelnd ins Ohr, wie er denn überhaupt es so einrichtete, daß die
Mitteilung als eine vertrauliche, durch den zufälligen Lauf des
Gesprächs entlockte erscheinen mußte. Petronio, der die Herren scharf
beobachtete, säumte nicht, ihre so plötzlich auftretende Verschwendung
mit der schmachvollen Rechtsbeugung in Einklang zu bringen, zu der sie
sich dem empfangenen Briefe nach hatten bereitfinden lassen. Um sicher
zu gehen, lenkte er selbst die Rede auf Ronco und sagte, mit dem
würden sie hoffentlich heute zu Ende kommen; denn man solle darauf
halten, in einer so klaren Sache wenigstens keine Zeit zu verlieren.
Der Präsident stimmte bei, und der Advokat fügte mit liebenswürdig
scherzender Ironie hinzu, er wisse wohl, daß er die Herren Richter,
die gern Zeugen einer breiten Entfaltung seiner Beredsamkeit wären,
damit enttäuschte, habe aber doch beschlossen, diesmal schlechtweg
ohne weitere Worte um ein gnädiges Urteil zu bitten, da er sich mit
der Verteidigung eines so verworfenen Übeltäters nicht verunzieren
wolle. Das töne anders, sagte Petronio mit Nachdruck, als er,
Guidobaldo, sich zuvor habe vernehmen lassen. Er habe damals gesagt,
der Grund, der den Ronco zum Morde getrieben haben solle, sei zu
geringfügig, um eine solche Untat zu erklären, auch würde ein gemeiner
Verbrecher die Bluttat zu leugnen versuchen, um sein Leben zu retten;
es lasse sich also erwägen, ob nicht der augenscheinlich halb
blödsinnig gemachte Bauer das Werkzeug Mächtiger sei, die sich nebst
ihren Absichten und Mitteln im Hintergrunde hielten.

Der Advokat lachte künstlich verlegen: »Da sehen die Herren,« sagte
er, »wie weit ich den Pflichteifer getrieben habe! Nun aber scheint es
mir besser, an der Grenze der Höflichkeit haltzumachen, die ich euch
schulde, Männern, die leicht einsehen, daß Mächtigen nicht mit der
Ermordung einer unschuldigen Pächterfamilie noch mit der Hinrichtung
eines Ronco gedient sein kann, und daß das, was ich damit vorbrachte,
nichts als die Redensarten und Mutmaßungen waren, die ein geübter
Advokat stets im Vorrat haben muß.«

»Sie, mein Teurer,« sagte der Präsident mit heiterer Miene gegen Don
Petronio, »wittern überall Ungerechtigkeiten, weil Ihr großmütiger
Trieb, Verfolgten beizustehen, sich die Gelegenheit zum Handeln
schaffen muß. Ach, die Schlechtigkeit ist weniger interessant, als Sie
meinen! Erleben wir es nicht alle Tage, daß das rohe Gesindel
untereinander rauft und sticht? Wir brauchen keine Fabeln zu erfinden,
um das begreiflich zu machen.«

Don Petronio, den nichts mehr beleidigte als wenn man ihn nicht ernst
nahm, begann nun einen unmittelbaren Angriff, wobei er sich
fortwährend das Ansehen eines ruhigen, unbeeinflußbaren Geistes zu
geben suchte. An dem Schicksal des Ronco sei nichts gelegen, sagte er,
das sei sonnenklar. Er sei nicht viel mehr als ein Tier, sei es nun,
daß Stumpfsinn oder daß Roheit seine Menschlichkeit gestört habe. Man
möge nicht glauben, daß er Teilnahme für Ronco habe, für ihn selbst
wie für andere sei es vielleicht das beste, wenn er der Zeitlichkeit
enthoben würde. Solche Rücksichten würden ihn aber niemals abhalten,
der Wahrheit nachzutrachten und das Recht in Ausübung zu setzen. Nur
um Recht und Wahrheit handele es sich für alle, nicht um das Wohl von
Klägern oder Beklagten, vor allen Dingen nicht um das eigene. Er wolle
nichts von jenem Ronco wissen, wolle nicht wissen, ob er Weib und
Kind, Verwandte oder Freunde habe. Eine derartige Gesinnung sei zwar
dem jetzigen Zeitalter fremd, um so mehr werde er daran festhalten. Er
werde niemals Landgüter kaufen oder Kunstsammlungen anlegen können,
vielleicht stifte er nicht einmal Gutes mit seiner Handlungsweise; es
sei ihm genug, der Wahrheit und Gerechtigkeit, auf die er verpflichtet
sei, ohne Gewinn gedient zu haben.

Die Gegner ließen eine gewisse Gereiztheit merken, und es entspann
sich ein Streit, der noch im Gange war, als Ronco vorgeführt wurde.
Dieser hatte sich zuvor nie so in Anspruch genommen gesehen, denn Don
Petronio ließ jeder Frage, die der Präsident an ihn richtete, eine
anders gesetzte folgen, die den Zweck hatte, die bisher listig
verschüttete Wahrheit ans Licht zu fördern. So viel hatte der Wilde
inzwischen gemerkt, daß man sich von hoher Seite seiner anzunehmen
begonnen hatte, ja geradezu auf seine Befreiung hinarbeitete, und
seine vielberedete Stumpf- und Roheit hinderte ihn nicht, diese
Aussicht als angenehm zu empfinden und seinen Helfern, soweit er sie
verstand, in die Hände zu arbeiten. Zuweilen begriff er den Sinn der
kreuz und quer an ihn gestellten Fragen so gut, daß er Antworten gab,
die die Richtigkeit seiner früheren Aussagen in Frage stellten und
eine böse Verwirrung in den bisher so glatten Prozeß brachten. Bei
solchen Gelegenheiten warf Don Petronio jedesmal einen ernsten,
leidenschaftlich forschenden Blick auf seine Widersacher, die sich
scheinbar mehr verwickelten und erhitzten und gegen Ronco heftig und
beinahe drohend losfuhren, wodurch sie ihn in eine solche Gemütslage
versetzten, die für ihren Zweck eben die richtige war. Denn er fing
allmählich an, sich für eine ansehnliche Person zu halten, und wenn er
schon vorher mit sich und seiner Untat durchaus zufrieden gewesen war,
so glaubte er jetzt vollends, daß er sich nichts von dem großmäuligen
Tribunal brauche gefallen zu lassen, das keineswegs besser und
wahrscheinlich dümmer sei als er. Er gab nun zwar keine Erklärungen,
mit denen sich etwas hätte anfangen lassen, aber er bejahte das, was
ihm Don Petronio fleißig in den Mund legte, daß er das Verbrechen
nicht aus eigenem Antriebe begangen habe, sondern, daß er dazu
angestiftet, eigentlich gezwungen worden sei, aber nicht sagen dürfe,
von wem, und schloß damit, man möge ihn zum Tode verurteilen, er sei
es zufrieden, doch sei er unschuldig und weniger ein Mörder, als
diejenigen sein würden, die ihn an den Galgen brächten.

So schnell indessen gaben die Verschwörer nicht nach, vielmehr
stellten sie sich an, als wären sie erpicht darauf, den Ronco zu
liefern, und erhoben gegen Don Petronio den Vorwurf, als habe er dem
Fuchs, der schon in der Falle gewesen sei, ein Türlein geöffnet und
halte sie unnützerweise bei einer nebensächlichen und üblen Sache auf.
Dadurch reizten sie diesen immer mehr, so daß er sich fest vornahm,
der hehren Wahrheit zum Siege zu helfen, was es ihm auch für Mühe und
Verdrießlichkeiten eintragen möchte.

Der Zufall wollte, daß es Don Petronio gelang, einen bisher nicht
bekannt gewordenen Umstand zu ermitteln, daß nämlich sowohl der Mörder
wie der Ermordete Besitzer freien Bauerngutes waren und vor Jahren
einmal mit dem Herrn, von dem sie das Land in Pacht hatten, in Streit
gewesen waren, weil er sie ganz und gar zu abhängigen Pächtern hatte
herabdrücken wollen. Es unterlag für Petronio kaum einem Zweifel, daß
dieser Herr, ein Aldobrandini, sich der beiden halsstarrigen Männer,
die ihm zu trotzen wagten, auf einmal zu entledigen versucht hatte,
indem er sie gegeneinanderhetzte, und obwohl er darauf verzichtete,
den Schuldigen zu entlarven, der jedenfalls zu mächtig, schlau und
gerissen war, um sich fangen zu lassen, so wollte er ihm doch das
Opfer abjagen, so wenig es an sich der Teilnahme wert sein mochte.

Mittlerweile hatte der Meister der Kapelle, Don Orazio, eine
endgültige Aussprache mit Ronco, der sich auf vieles Zureden
bereitfinden ließ, wenn er freigesprochen sein würde, als Sänger in
den Dienst des Heiligen Vaters zu treten. Er vermochte nunmehr seine
Rolle besser zu spielen und gebärdete sich tagtäglich dreister, so daß
das gesamte Tribunal endlich den Augenblick herbeisehnte, wo es die
Bürde seines Schützlings würde abwerfen können. Die Freude und
Genugtuung war auf allen Seiten gleich groß, als der Freispruch
erfolgte, wenn auch der Präsident und der Advokat sich nichts davon
merken ließen, sondern Ingrimm und Beschämung zu verhehlen schienen,
um sich desto besser zu belustigen, wenn sie unter sich waren.

Einzig Kardinal Mazzamori machte böse Zeiten durch; denn die üble
Laune seiner Herrin Olimpia nahm zu, seit er in der Angelegenheit
ihres jungen Vetters nichts ausgerichtet hatte. Er mochte noch so sehr
beteuern, daß er alles Erdenkliche unternommen habe, ihn zu retten,
daß aber die Gerechtigkeit ihren Lauf hätte nehmen müssen, und daß es
ihn nicht minder als sie betrübe: sie beharrte dabei, er hätte es sich
keine Mühe kosten lassen, weil seine Liebe zu ihr selbstischer Natur
sei und nur genießen, nicht wirken oder opfern wolle, und sie
bestrafte ihn durch eine durch nichts zu erhellende Traurigkeit. Der
Jammer ihrer unglücklichen Tante, sagte sie, habe ihr auf einmal die
Augen für das Elend des Lebens eröffnet, so daß sie sich an den
irdischen Dingen nicht mehr ergötzen und nur in der Hingebung an Gott
einigen Trost finden könne. Wirklich war sie selten mehr zu Hause
anzutreffen, sondern hielt sich schwarz gekleidet in Kirchen auf, wo
sie bald vor diesem, bald vor jenem Altar sich in Tränen auflöste.
Empfing sie den Freund einmal, so forderte sie ihn auf, von
geistlichen Dingen mit ihr zu reden, und wenn er ihr auf diesem
Gebiete nicht genugtun konnte, hielt sie ihm mit großer Bitterkeit
vor, daß er seinen Beruf nicht verstehe, und ließ ihn merken, daß er
nicht viel Besseres als ein Heuchler und Betrüger sei. Sie fühlte sich
tiefunglücklich und alles dessen beraubt, was früher ihrem Dasein Halt
und Inhalt gegeben hatte. Es schien ihr, als sei ihr Mann, von dem sie
nun schon lange getrennt lebte, im Grunde viel annehmbarer gewesen als
der Kardinal, insofern, als er sich doch für nichts Höheres ausgegeben
hatte als er war. Wenn sie sich die Zeit zurückrief, wo Mazzamori ihre
Liebe erregt hatte, so vermochte sie in allen jenen Szenen, die
zwischen ihnen vorgefallen waren, den Zauber der Poesie nicht mehr zu
finden, der sie früher in ihrer Einbildung vergoldet hatte. Was war
daran, so dachte sie nun, anderes und Edleres gewesen, als was sich
alltäglich in jedem Winkel abspielt und oft genug zu Gelächter und
Ekel reizt? Wie sehr sie sich bemühte, etwas Besonderes und
Ausgezeichnetes an dem Kardinal zu finden, ihr Gewissen wollte ihr
nichts sagen, als daß er eine unkeusche Bestie sei wie die anderen
Männer auch, mit dem Unterschiede, daß sein geistlicher Beruf ihn noch
dazu zu einem gleisnerischen Lügner machte. Sie hätte ihn am liebsten
nicht mehr gesehen; wenn sie ihn zuweilen dennoch herbeiwünschte und
seinen Besuch annahm, so tat sie es hauptsächlich, um ihn fühlen zu
lassen, was sie von ihm dachte, und wie unglücklich sie sei.

Ein schweres Verhängnis war es für den Kardinal, daß der verdüsterte
Gemütszustand der schönen Olimpia sie ihm noch weit liebenswerter
erscheinen ließ als früher. Ihr Blick, da er so seelenvoll geworden
war, zog ihn mehr an, als es je ihr sinnlich erglühender getan hatte,
und ihre demütige Trauer, die ihn hätte abwehren sollen, reizte mit
seinem Mitleid und seiner Bewunderung zugleich seine aufrichtigsten
Liebesempfindungen. Wieviel reicher und erhabener erschien sie ihm,
seit sie seiner nicht mehr bedurfte! Wenn er zusah, wie milde und
verständnisvoll sie mit armen Leuten umging -- denn sie suchte nun
Gelegenheiten, um sich Notleidenden wohltätig zu erweisen --, wenn er
hörte, wie klug und frei sie über alle Verhältnisse des Lebens zu
reden wußte, so kam sie ihm wie eine Wiedergeborene vor, ihm weit
entrückt und doppelt begehrenswert. Er gab sich Mühe, auf ihre neuen
Gedankengänge einzugehen, ohne daß er etwas anderes als Spott und
Bitterkeit dabei geerntet hätte. Olimpia fand diese Bestrebungen, die
nicht der Sache galten, sondern nur ein Ausfluß seiner Verliebtheit
waren, lächerlich oder gar abstoßend und wurde durch sie in der
Meinung bestärkt, daß der Kardinal ein seichter Heuchler sei.

In der Hoffnung, die ihm Entschlüpfende zu fesseln und ihre weltlichen
Interessen wieder ein wenig anzufachen, erzählte der Kardinal ihr von
dem wunderwürdigen Sänger, den sein Freund Don Orazio kürzlich
kennengelernt und für den päpstlichen Dienst erworben habe. Dieser
Sänger sei, erzählte er, durch widrige Schicksalsfälle verfolgt und
unter höchst seltsamen Umständen von Don Orazio entdeckt worden, die
auch ihm noch Geheimnis wären. Gewiß sei, daß er die herrlichste
Stimme besitze, die je ein italienisches Ohr bezaubert habe, und die
durch die sorgfältige Ausbildung, der sie jetzt unterzogen werde, noch
gewinnen solle. Die Mittel dazu hätten Orazio und er hergegeben, da
der Sänger durch die erwähnten Schicksalsschläge mittellos geworden
sei; es reue sie aber das Opfer nicht, da jeder Ton aus der gesegneten
Kehle edleres Gold als das sei, was sie dafür ausgegeben hätten. Wenn
Olimpia ihn zu hören geneigt sei, so wolle er eine Gelegenheit dazu in
seinem Hause veranstalten.

Indessen Olimpia war zu sehr in ihre schwermütigen Anschauungen
versenkt, um sich irgendwelche Zerstreuungen gefallen lassen zu mögen;
nichts war ihr recht, was sie davon entfernte, nur das willkommen, was
sie darin bestärkte. Schöner Gesang wäre ihr wohl lieb, sagte sie,
aber zu teuer erkauft, wenn sie ihn im Beisein anderer, etwa sogar
unter geselligen Zurüstungen hören müsse. Könne der Sänger sie
aufsuchen und ihr seine Kunst vorführen, ohne sie in ihrer einsamen
Beschaulichkeit zu stören, so wäre es möglich, daß sie Genuß daran
hätte. Das wußte der Kardinal nun nicht einzurichten; denn einmal
wußte er nicht, ob Ronco, der sich übermütig und habgierig entfaltete,
sich ohne weiteres und namentlich ohne die Aussicht beträchtlicher
Vorteile dazu verstehen würde, und zudem hätte er für das Benehmen
seines Schützlings nicht einzustehen gewagt, wenn derselbe ohne Zwang
und Aufsicht allein mit einer Dame gewesen wäre. So mußte er auf eine
Gelegenheit warten, um Olimpia mit dem Wundermanne bekannt zu machen,
und eine solche bot sich denn auch, als der Gesangmeister, der ihm
Unterricht erteilte, seine Stimme für so geschult erklärte, daß seiner
Vorstellung bei Hofe nichts mehr im Wege stehe.

Der Papst hatte zur Teilnahme an dem Konzert, das in seinen Gemächern
stattfinden sollte, einen kleinen gewählten Kreis musikliebender
Freunde um sich versammelt, unter denen Kardinal Mazzamori, als um den
Fund so sehr verdient, nicht fehlen durfte. Auch war ihm bereitwillig
gestattet worden, seine Freundin Olimpia mitzubringen, die eine
Einladung des Heiligen Stuhls auszuschlagen sich denn doch nicht
getraute. Sie wählte zwar eine Frisur und Kleidung, die, dunkel und
schlicht, gegen die früher von ihr geliebte reichliche Ausschmückung
weit abstach, und hielt sich auch bescheiden und fast schamhaft im
Hintergrunde; aber daß ihr zartes Fleisch um so lieblicher aus dem
Schatten hervorleuchtete, hatte sie durch diese Veranstaltung doch
nicht hindern können.

Innozenz war ein feiner, kleiner alter Herr mit einem zierlichen
Gesicht, mit etwas undeutlichen Augen, einer gebogenen zugespitzten
Nase und einem dünnlippigen, meist freundlichen Munde. Er nahm die
Huldigung der Gäste geschwind entgegen und ließ einem jeden einige
scherzende Worte zukommen, wobei ihm aber die Ungeduld wegen der
bevorstehenden Vorführung anzumerken war. Als es eine Minute über die
Zeit war, auf welche man den Sänger bestellt hatte, wurde ein nervöses
Zucken um seine Augen sichtbar, und Mazzamori blickte ängstlich von
der kostbar verzierten Uhr, die auf dem Marmorkamine stand, zur
Flügeltür; er atmete auf, als diese sich öffnete und Don Orazio,
eintretend, um die Ehre bat, den Sänger Ronco vorstellen zu dürfen.
Ronco hatte sich in der Zeit seiner Vorbereitung eine Richtschnur
seines künftigen Betragens gemacht, die einfach, aber nichtsdestoweniger
ausnehmend zweckmäßig war: nämlich den Beifall des Papstes zu erwerben
und einzig darauf sein beständiges Augenmerk zu richten. Von diesem
Vorsatz beseelt, ging er stracks, die Augen mit einer gewissen
eindringlichen Heftigkeit auf das erhabene Ziel gestellt, auf den alten
Herrn zu, fiel vor ihm nieder, küßte ihm die Füße und verharrte in
dieser Stellung, indem er die Arme vor der Brust faltete. Diese
kindliche Gebärde inbrünstiger Hingebung rührte Innozenz so sehr, daß er
unwillkürlich die Lippen auf die Stirn und die Hände auf die breiten
Schultern des vor ihm knienden Mannes drückte, worauf er ihn mit
ermunternden Worten begrüßte und aufzustehen und sich zu setzen
aufforderte. Fast fürchtete der alte Herr, das erschütternde Gefühl,
sich zum erstenmal in seiner Gegenwart zu befinden, könne den Sänger der
Macht über seine Kehle berauben; es zeigte sich aber, daß der starke
Mann mit der Hingebung die Unbefangenheit eines Kindes vereinte, denn
ohne durch das leiseste Zittern beeinträchtigt zu werden, rollten die
ersten Töne wie große glänzende Perlen in den Saal. Infolge einer
Anordnung des Orazio sang er zuerst das Volkslied, das er und Mazzamori
im Gefängnis von ihm gehört hatten, und das ohnehin als etwas Neues und
Befremdliches Aufsehen erregte und Eindruck machte.

Es war, als ob der Stab eines Zauberers die Herzen der Zuhörer berührt
habe; einem jeden tauchten liebe Träume auf, allerschönste
Augenblicke, deren sie sich erinnerten oder die sie erhofften, und die
einen süßeren Duft aushauchten, als der zerkleinernden Wirklichkeit
übrigzubleiben pflegt. Olimpia überkam ein gewaltsamer Schmerz, der
aber nicht niederdrückend war wie der, dem sie seit vielen Wochen in
wechselnder Art hingegeben war, sondern durchdringend und angenehm,
als eine Kraft, die sie über das gemeine Leben emporzutragen schien.
Sie fühlte, was sie einst als Mädchen gewesen war, was sie von der
Zukunft erwartet und was sie selbst hätte leisten und erringen wollen,
und mit der schrecklichen Einsicht zugleich, wie weit sie von diesem
Ziele abgewichen war, glaubte sie zu wissen, daß es nur auf sie
ankomme, wieder die reine, starke und freudige Seele von damals zu
werden. Sie hörte nicht auf, ihre Beziehungen zu Mazzamori zu bereuen,
aber sie tadelte sich in diesem Augenblick, daß sie ihn mit Härte
behandelt hatte, da doch nicht er allein, sondern auch sie gesündigt
habe, und da er ihr doch nicht die Möglichkeit rauben könne, aus den
Irrwegen, auf die er sie geführt, zur Klarheit aufzusteigen. Es
erschien ihr wie ein Wunder, daß sie trotz ihres Widerstrebens in die
Nähe des Mannes gebracht worden war, dessen Stimme ihr so tröstlich
wurde, und der ihr dadurch fast wie ein Abgesandter Gottes erscheinen
wollte. Aus dem Winkel, wo sie Platz genommen hatte, konnte sie
ungestört seine heldenhafte Gestalt bewundern und das dunkle Antlitz,
dessen Wildheit sie erbeben machte.

Ronco war bei der sorglichen Pflege, die er sich seit geraumer Zeit
hatte angedeihen lassen können, nur auf die Art schöner geworden, wie
aus einem schäbigen hungrigen Wolf ein wohlgenährter wird; aber dies
genügte um auf aller Augen einen blendenden und überwältigenden
Eindruck zu machen. Die Begeisterung war allgemein; doch machte
niemand dem Heiligen Vater das Recht streitig, sie zuerst zu äußern.
Der kleine Herr saß mit geröteten Wangen da, klopfte hie und da in die
Hände, rief: »Bravo! bravo!«, wiegte den Kopf und unterbrach auch wohl
den Gesang mit Ausrufen des Entzückens: »Ah! Welcher Ansatz! Welche
Süßigkeit! Welche Erfindung!«, wenn die Kadenzen wie aus dem Füllhorn
des Überflusses aus seinem Munde strömten. Es vermehrte die
Bewunderung Olimpias, daß der Sänger keinen Blick auf die
Gesellschaft, geschweige denn in ihren Winkel warf; er schien nur für
den Heiligen Vater da zu sein und auf seinen Wink zu singen oder zu
schweigen. Einem Erzengel mußte sie ihn vergleichen, der, in voller
Pracht gerüstet, demutvoll den Befehl des Herrn der Heerscharen
erwartet.

Erst als die Gesellschaft aufstand und auseinanderging, fiel ein Blick
des Sängers auf sie, der mehr als Gleichgültigkeit, der
niederschmetternde Verachtung auszudrücken schien. Sie schloß daraus,
daß er wisse, in welchen Beziehungen sie zu Kardinal Mazzamori
gestanden habe, ja seiner Meinung nach noch stehe, und daß er sie aus
diesem Grunde für eine Verworfene halte, was sie ja im Grunde auch
sei.

In Wirklichkeit hatte der Sänger weder sie noch sonst eine von den
Zuhörerinnen beachtet, da es ihm zunächst nur um den Papst zu tun war
und er überhaupt an den vornehmen Damen noch keinen Geschmack gewonnen
hatte. Allmählich jedoch stellte sich das Verständnis dafür ein, und
nunmehr konnte ihm die Verehrung nicht unbemerkt bleiben, mit der die
schöne Olimpia zu ihm aufblickte. Es schmeichelte ihm nicht wenig, daß
die Geliebte des Kardinals Mazzamori ihn diesem angesehenen,
einflußreichen, liebenswürdigen und gebildeten Manne vorzog, den zu
beleidigen er ohnehin einen lebhaften Antrieb in sich verspürte. Je
mehr seine Stellung beim Papst und in Rom sich befestigte, desto
unleidlicher wurden ihm die beiden Herren, denen seine Vergangenheit
so wohlbekannt war, so daß er mit dem Gedanken umging, sie, wenn sich
ein Anlaß böte, aus Rom zu entfernen.

In den ersten Tagen, die dem Konzert folgten, war Mazzamori
hochbeglückt über den Erfolg. Schien es doch die geliebte Frau weich
und zugänglich gestimmt zu haben. Um so schneidender war seine
Enttäuschung, als sie ihm, wenn auch in gütigen Worten, ihren
unerschütterlichen Entschluß mitteilte, jeden Verkehr mit ihm
abzubrechen, da sie ein neues, reineres Leben in Gott nunmehr beginnen
wolle.

Da er sah, daß jeder Versuch, sie ihrem Vorsatz abtrünnig zu machen,
scheiterte, ergab er sich und rang bereits mit dem Plane, ihr
nachzueifern, um ihr wenigstens in den Regionen der Entsagung wieder
zu begegnen, als er durch Neckereien Bekannter auf die zarten Fäden
aufmerksam gemacht wurde, die zwischen dem Sänger und der Büßerin hin
und her gingen. War er auch überzeugt, daß bei Olimpia nichts vorlag
als die Schwärmerei einer empfänglichen Seele für die Stimme, in der
etwas Göttliches sinnfällig zu werden schien, so zweifelte er doch
billig, ob der gewalttätige Bauer einer ähnlichen Erhabenheit der
Empfindung fähig sei, dem er vielmehr die Absicht zutraute, das Weib
in die Niederungen seiner Sinnlichkeit herabzuziehen.

Dies wurde ihm zur Gewißheit, als verlautete, der Sänger habe vor
einigen Tagen um Urlaub gebeten und solchen auch erhalten, um irgendwo
am Meere oder im Gebirge seine Stimme zu schonen, was zu deren
Erhaltung von den Ärzten für durchaus notwendig erklärt worden sei.
Außer sich eilte der Kardinal zum Papste, um ihn darüber aufzuklären,
welche Gefahr seiner Meinung nach eine edle Freundin bedrohe, und wie
freventlich die Güte des huldvollen Gebieters mißbraucht werde.

Der alte Herr merkte kaum, daß es sich um einen Angriff auf seinen
Liebling handelte, als seine Lippen sich ärgerlich zusammenkniffen. Er
selbst litt unter dessen bevorstehender Abwesenheit, hatte seiner
Bitte aber dennoch willfahrt und ein Beispiel der Selbstverleugnung
gegeben; mußte er dem geistvollen Zauberer nicht einmal ein Abenteuer,
in dem er sich austobte, gestatten? War er doch selbst jung gewesen!
Und wieviel mehr als ein anderer bedurfte der Feurige, der Zündende,
der Verschwender Zufuhr neuer Kräfte, die ihm, dem Papst, und allen,
die ihn hörten, wieder zuteil werden würden! Wenn er sich vorstellte,
wie der löwenhafte Mann das erstemal, die Arme über der Brust
gekreuzt, vor ihm niedergekniet war, so pflegten ihm Tränen in die
Augen zu treten. Niemals war er seitdem von dieser kindlichen und
ritterlichen Hingebung abgewichen. Obwohl hitzigen Temperaments und
hochfahrenden Sinnes, wie er denn im Umgang mit anderen Menschen oft
durch zügellose Laune und Grobheit überraschte, nahte er sich ihm, dem
Heiligen Vater, dem zierlichen kleinen Manne, nie ohne Unterwürfigkeit,
nahm er von ihm jeden Tadel mit Bescheidenheit und Geduld entgegen und
rief in jeder Angelegenheit sein Urteil als das höchste, gleichsam von
Gott selbst ausgefertigte an, dem sich zu beugen ihm augenscheinlich
sowohl Lust wie Pflichtgebot war.

Indem er sich in seinem Sessel zurücksetzte, betrachtete Innozenz den
Kardinal erstaunt und bat um eine Erklärung des Anteils, den er an dem
Urlaub und der Reise des Sängers nähme. Ein wenig errötend sagte der
Kardinal, es sei dem Heiligen Vater vielleicht nicht bekannt, daß
Ronco den Ausflug in Begleitung einer Dame zu machen gedenke, einer
Dame, mit der er weder in verwandtschaftlicher noch in ehelicher
Beziehung stehe, soviel ihm bekannt sei.

»Und was weiter?« fragte der Papst kühl. »Sollten Sie, mein Freund,
niemals, eine Reise mit Damen ohne verwandtschaftliche Beziehung
unternommen haben? Oder wenn Sie, ein Geistlicher, ein Diener Gottes,
es nicht getan haben, warum sollten Sie einem Sänger diese Freiheit
mißgönnen?«

Der Kardinal zitterte vor Verlegenheit, Angst und Enttäuschung.
»Verzeihen mir Eure Herrlichkeit,« sagte er, »wenn die Sorge um eine
Frau, die mir teuer ist, und über deren Heil zu wachen ich mich
verpflichtet halte, mich zu weit hingerissen hat.«

Bevor er noch mehreres hinzufügen konnte, unterbrach ihn der Papst,
indem er sagte: »Gut, gut! Überlassen Sie es mündigen Frauen, sich
selbst zu schützen, wenn sie überhaupt des Schutzes bedürfen oder ihn
wünschen. Ich habe es stets so gehalten, daß ich meinen Untergebenen
in Familiensachen freie Hand ließ, denn dies ist der Punkt, wo aus
Herrschaft Tyrannei würde.«

Nach dieser Zurechtweisung wurde der Kardinal nicht ungnädig
entlassen; ja, der Heilige Vater zeichnete ihn beim nächsten Empfang
mit liebenswürdigen Worten aus; aber als er nach einigen Tagen an die
Spitze einer Mission zur Bekehrung der Heiden in Japan gestellt wurde,
konnte er nicht umhin, darin mehr den Wunsch des Papstes, ihn zu
entfernen, als einen Beweis seiner Hochachtung zu sehen.

Das Bewußtsein seiner Untauglichkeit zu einer solchen Aufgabe war so
stark in ihm, daß er es wagte, dem Papst seine Befürchtungen
dieserhalb zu unterbreiten; doch beruhigte ihn dieser mit dem Hinweis
auf seine mannigfachen Talente, denen, wenn sie der Glaubenseifer
unterstütze, nichts unmöglich sein werde, und auf die Märtyrerkrone,
die er sich im besten Fall erwerben könne.

Don Orazio hielt sich etwas länger, schließlich jedoch wußte der
unentwegte Ronco auch ihn zu stürzen, indem er ihn durch fortwährende
Widersetzlichkeiten und Kränkungen dahin brachte, sich beim Heiligen
Vater über ihn zu beklagen. Als dieser ihn damit abwies und ihm
vielmehr empfahl, sich einem so herrlichen Künstler, der Zierde seines
Hofs, gegenüber nicht zu überheben, brauste Orazio auf und rief aus:
»Wie? Von diesem Vieh, das ich aus dem Morast gezogen habe, soll ich
mich ungerecht verhöhnen lassen?«, mit welcher unbesonnenen Äußerung
er die Gunst seines Herrn vollends verscherzte. Denn wie er sich wegen
des beleidigenden Ausdrucks rechtfertigen wollte, bedachte er, daß er
den wahren Hergang seiner Bekanntschaft mit Ronco nicht wohl enthüllen
konnte, ohne sich in verhängnisvolle Mißhelligkeiten zu verwickeln,
und mußte, da er sich über sein Benehmen nicht ausreden konnte, als
verleumderischer Schwätzer oder ungezähmter Tollkopf dastehen. Die es
gut mit ihm meinten, waren der Ansicht, daß er es noch für Gnade und
Glücksfall ansehen müsse, als der Papst ihn nach dem kleinen Hofe von
Lucca empfahl, wo er zwar in schmalen Verhältnissen, aber doch ohne
Not und Gefährdung sein Dasein fristen konnte.

Schlimmer und besser zugleich erging es seinem Freunde Mazzamori, der
zwar mancherlei Entbehrungen und Todesgefahr zu bestehen hatte, aber,
wenn solche vorübergegangen war, auch Augenblicke bisher unbekannter
Seligkeit feierte, und über dessen liebe und traurige Vergangenheit
die vielen absonderlichen Eindrücke, die er empfing, einen bunten
Schleier webten, der sie undeutlich machte. Zuweilen, wenn er in
fremder Einsamkeit am Gestade des Ozeans zwischen namenlosen
Riesenbäumen und vorüberhuschendem Getier in der Dämmerung sich
erging, erinnerte ihn, er wußte nicht wie, ein lieblicher Himmelsglanz
zu seinen Häupten an die schmalen länglichen Cherubsaugen jenes jungen
Lancelotto, mit denen er frei in paradiesischen Sphären auf die
verlassene Erde hinabsehen wollte. Vielleicht, dachte er, lächelt er
über die Verworrenheit, in die wir armen Toren verstrickt sind, wenn
er sich nicht lange schon ermüdet weggewendet hat zu den gelösten
Geheimnissen der Weltregierung. Auf Augenblicke schwieg dann das
Heimweh nach der goldenen Küste Italiens, das ihn in Stunden, wo er
allein war, zu beschleichen pflegte, und er dachte mit bänglicher
Sehnsucht an die Märtyrerkrone, die seine Arbeit unter den bösen
Heiden ihm eintragen konnte, und die vielleicht, von unsichtbaren
Händen bereit gehalten, schon über ihm schwebte.



Der neue Heilige


Im Küchengarten des Kapuzinerklosters in München gingen zwei der
vornehmsten Väter, Pater Gumppenberg und Pater Wildgruber, in
ernstlichem Gespräch über die schweren Zeitläufe zwischen den an
Stangen hochgezogenen Bohnen auf und nieder. »Es tut nicht gut,« sagte
Pater Gumppenberg, »wenn die Frau stärker ist als der Mann, im
Bürgerhause so wenig wie auf dem Fürstenthrone, das habe ich immer
gesagt und darum die savoyische Heirat widerraten. War es nicht
vorauszusehen, daß sie mit ihren welschen Dienern und ihrer welschen
Pracht einwirken und mit ihrem welschen Gespreiz alles und jedes bei
unserem guten Herrn durchsetzen würde?« Es hatte nämlich vor einigen
Jahren der Kurfürst Ferdinand Maria die schöne, stolze und kluge
Henriette von Savoyen geheiratet, die zwar in kirchlicher Gesinnung
niemandem nachstand, aber den Bedarf dazu von jenseits der Alpen in
Gestalt verschiedener Geistlicher italienischer und französischer
Herkunft mitgebracht hatte, unter denen ihr Beichtvater Filiberto aus
dem Orden der Theatiner der hervorragendste war. »Der Anstand würde
erfordern,« fuhr Pater Gumppenberg fort, »daß diese Fremden sich in
die Gebräuche unseres Landes zu schicken suchten; anstatt dessen
fahren sie naserümpfend daher wie Eroberer und möchten das
wohlerprobte einheimische Wesen mit ihrem scheckigen Tändelkram
austapezieren. Es sind bald hundert Jahre her, daß unsere Stadt und
unser Fürstenhaus unter dem Schutze des heiligen Benno nicht nur in
gutem Zustande verharren, sondern erst recht zu florieren angefangen
haben, wie denn auch unser seliger Herr, der verstorbene Kurfürst, ihm
allezeit die Ehre gegeben und es an Dank und Verherrlichung nicht hat
fehlen lassen. Auch wir haben uns den Dienst des uralten deutschen
Heiligen angelegen sein lassen, obwohl wir absonderlich auf den
heiligen Franziskus Seraphikus, diesen hochberühmten, eigentlich aus
Gottes Geiste geborenen Himmelsmann, verpflichtet sind, und haben also
doppelte Ursache, von den Welschen, die über uns gekommen sind, ohne
daß wir ihrer bedürfen, die gleiche Unterordnung zu verlangen. Mögen
sie in der Stille verehren, wen sie wollen; unerträglich aber müßte es
jedem gläubigen Bayernherzen sein, wenn wir in der altheiligen
Frauenkirche einen neumodischen Altar für einen gewissen Cajetan sich
spreizen sähen, der uns so wenig angeht wie ein Derwisch oder Mufti
der Heiden im Orient.«

Pater Wildgruber nickte nachdrücklich und fügte hinzu: »Meine
sorgfältigen Erkundigungen haben bestätigt, was ich dir schon sagte,
daß dieser Cajetan erst kürzlich vom Heiligen Vater selig gesprochen
ist, auf das beschwerliche Drangsalieren der adeligen Familie, die ihn
zu ihren Verwandten zählt und ihre schäbige Herrlichkeit mit seinem
Namen ausputzen möchte. Dergleichen Adel ist, wie du weißt, über den
Bergen billig wie der Kies im Bache zu haben. Es mag sein, daß der
gute Mann aus Vicenza sich ein Verdienst um jenes Völkchen erworben
hat, als er den Theatinerorden stiftete, in den nur Leute
seinesgleichen aufgenommen wurden, die dort eine ansehnliche
Versorgung finden. Wenn sie es dabei bewenden lassen und sich ruhig
verhalten, wohl und gut, so mag man es ihnen gönnen; ein anderes ist
es, wenn sie ihren Familien- und Standespatron uns hierorts als
Heiligen aufdrängen und das Volk zu dieser fremdartigen, übelberufenen
Verehrung anlocken wollen. Dergleichen Seltsamkeit dürfen diejenigen,
die Gott zu Hütern seiner Schafe bestellt hat, nicht einschleichen
lassen.«

Die herzhafte Zustimmung seines Freundes erheiterte Pater Gumppenberg,
so daß er stehenblieb, eine Ranke der kletternden Bohnen zu sich bog
und den Ansatz der angenehmen Frucht, die sich zeigte, auf ihr
Wachstum untersuchte. »In acht bis vierzehn Tagen, denke ich, können
wir ein erstes Bohnengericht auf unserer Tafel sehen,« sagte er
behaglich. »Unser Himmel reift die Gottesgabe langsam, ist es aber so
weit, dann hat sie eine gediegene Würze, die sich nach meinem Urteil
über alle die gepriesenen Erzeugnisse der Fremde erhebt.«

Auch hierin war Pater Wildgruber derselben Meinung. »Ich bin nicht von
denjenigen,« sagte er, »die ohne einen Tropfen französischen oder
welschen Weines die Mahlzeit fade finden; unser braunes Bier mag es
mit dem vielbeliebten Traubenstoff wohl aufnehmen, ja, indem es das
Blut nicht erhitzt, sondern kühlt, und den erwünschten Schlaf
herbeiführt, anstatt die Sinne zu kitzeln, ist es aus erheblichen und
auch gottgefälligen Gründen dem kostbaren Nebenbuhler wohl noch
vorzuziehen.«

Weiterschreitend gingen die frommen Männer zu der Erwägung über, wie
der von seiten der welschen Geistlichen drohenden Gefahr füglich
entgegenzuarbeiten sei. »Ich schrecke«, sagte Pater Gumppenberg,
»keineswegs davor zurück, unserem Herrn, dem Kurfürsten, eine
dringliche Vorstellung zu machen; habe ich doch auch das Antlitz
seines gestrengen Vaters nicht gefürchtet, da ich mich im Schutze
Gottes und seiner Heiligen sicher fühle.«

»Du hattest es damals nicht mit einem Weibe zu tun,« gab Pater
Wildgruber zu bedenken, »einem Weibe, das ich ganz und gar der Dalila
vergleichen möchte, wenn auch unser hochgeliebter Herr, der Kurfürst,
nichts mit dem Helden Simson gemein hat als die Bezauberung durch
seine Gemahlin.«

»Es ist meine Pflicht, mich durch nichts von dem abhalten zu lassen,
was zum Heil unserer Kirche notwendig ist, am wenigsten durch ein
Weib,« sagte Pater Gumppenberg gefaßt, indem er seinen schwärzlichen,
mit vielen grauen Haaren durchschossenen Vollbart über der breiten
Brust auseinanderstrich; »es wird verhoffentlich nicht ohne Eindruck
bleiben, wenn ich den Geist seines hochseligen Vaters berufe, um meine
Vorstellungen zu unterstützen.«

Für den jungen Kurfürsten, der in seinem Vater das Abbild Gottes auf
Erden verehrt hatte, war die Anrufung desselben überwältigend, und er
wagte nicht leicht etwas durchzusetzen, wenn man ihn glauben machte,
daß es seiner Gesinnung zuwider sei. Freilich bekämpfte den erhabenen
Schatten seit seiner Vermählung das lebendige Auge der geliebten Frau,
allein er getraute sich in wichtigen Dingen noch nicht immer dieser
neuen, allzu reizenden Kraft nachzugeben, weil es ihm unglaubhaft
schien, daß irgend jemand, und nun sogar ein junges Weib, seinem
gewaltigen Erzeuger in etwas sollte überlegen sein können. Demgemäß
erwiderte er dem Pater Gumppenberg auf dessen eindringlichen Vortrag,
es sei ihm unbekannt gewesen, daß das Volk der Einführung des neuen
Heiligen so sehr entgegen sei; ein vortrefflicher Künstler habe zwar
den Entwurf zu einem Altare ihm bereits vorgelegt, die Genehmigung
habe er aber noch nicht erteilt und werde die Sache einstweilen ruhen
lassen, bis die Vortrefflichkeit des vicentinischen Cajetan in Bayern
besser bekannt und bezeugt sein werde.

Ein wenig betreten begab er sich in das nach dem neuesten
italienischen Kunstgeschmack erst kürzlich fertiggestellte Wohnzimmer
seiner Gemahlin, bei der er zu seinem Troste Pater Filiberto anwesend
fand; denn obgleich dieser der Kurfürstin selbst einflüsterte, was sie
in bezug auf die Religion und die Geistlichen ihrer Heimat verlangen
solle, suchte er doch immer zu begütigen, wenn der Kurfürst in seiner
Gegenwart darüber verdrießlich wurde, im Vertrauen darauf, daß der
Streit sich hernach weiterspänne und zu dem erforderten Zwecke führe.
Henriette Adelaide nahm die Botschaft ihres Mannes, die er unter
mancherlei Scherzen vorbrachte, unwillig entgegen und sagte: »Das kann
ich am wenigsten leiden, daß du deine eigene Einsicht geringer
anschlägst als die des Pater Gumppenberg, des ungeschlachten
Dickschädels. Glichen alle Menschen dir, so würde die Stadt München in
Ewigkeit nichts anderes werden als ein Häuflein bäurischer Hütten um
die barbarische Ausgeburt der Frauenkirche herum. Soll etwa jeder
Christ zwischen Spanien und Rußland zu jenem Benno beten, dessen
Knochen man in nordischen Urwäldern zwischen den Knochen von Bären und
Auerochsen zusammengelesen haben wird?«

»Er hat doch«, sagte Ferdinand Maria, »vor deinem Cajetan das voraus,
daß er ein regelrechter Heiliger ist, während jener, wie ich höre, nur
der Seligsprechung wert befunden wurde, ihm also doch wohl etliche
schätzenswerte Qualitäten abgehen müssen.«

»Das haben dir die Schelme weisgemacht!« rief Henriette Adelaide
heftig. »Die Heiligsprechung wird seinerzeit schon erfolgen, und wenn
Cajetan nur eine gute Tat getan hätte, die beglaubigt ist, so gälte
das mehr als hundert Wundertaten eines Benno, die niemand mit
angesehen hat, und von dem niemand beweisen kann, ob er überhaupt
gelebt habe.«

Hier legte sich Filiberto ins Mittel, indem er mit liebenswürdigem
Lächeln einschaltete, daß daran wohl kein Zweifel obwalten dürfe, da
Papst Hadrian im Jahre 1523 den würdigen Bischof und Heidenbekehrer
unter die Heiligen gestellt habe; indessen müsse er auch bestätigen,
was die Kurfürstin mit ihrem hohen Geiste bereits festgestellt habe,
daß die Heiligsprechung des Cajetan der Seligsprechung sicher
nachfolgen werde, so daß man sie schon für geschehen annehmen könne.
Er für seine Person müsse jedoch sagen, wenn ihm eine Meinung
gestattet sei, daß der Kurfürst tiefdurchdachte Regierungsweisheit an
den Tag lege, wenn er es vermeiden wolle, durch stürmisches Vorgehen
Ärgernis in seinem treuen Volke zu erregen; die Kraft, die dem
heiligen Cajetan innewohne, sei so groß, daß sie sich selbst
durchwirken und ihn bei jedermann beliebt machen würde.

Es werde nie zu befürchten sein, sagte Henriette Adelaide, indem sie
den stolzen Mund ein wenig spöttisch verzog, daß ihr Gemahl stürmisch
vorgehen werde. Sie würde also darauf verzichten, die vandalische
Halle der Frauenkirche durch ein geläutertes Kunstwerk verschönt zu
sehen. Ihr könne es im Grunde gleich sein, da sie diese Kirche, deren
grobe nordische Bauart ihr nun einmal zuwider sei, sowieso nicht
besuche, und für die Theatiner und den heiligen Cajetan könne
anderweitig gesorgt werden, indem man ihnen eine besondere Kirche
baue, was denn besser und gründlicher sei als ein bloßer, unwillig im
fremden Raume geduldeter Altar. Sie warf diesen überraschenden Plan
nicht ohne Schelmerei hin, ließ aber nur ein wenig davon aus den
beredten Augen und von dem ernsten Munde lächeln und trat voll
Unbefangenheit an das Fenster, indem sie sagte: »Es ist hier gegenüber
Platz genug, um einen großen Entwurf ins Werk zu richten. Eine weite
Kuppel und ein paar schmuckreiche Türme nach römischer Art wären mehr
geeignet, unser Auge zu erfreuen, als die Wüstenei, aus der wie die
Buckel erschöpfter Kamele hie und da ein paar steile Dächer steigen.«
Ferdinand Maria blickte zunächst nicht aus dem Fenster, sondern auf
die aufrechte Gestalt seiner Frau und sagte zwischen Erstaunen und
Bewunderung schwankend: »Meine Teure, du bist eine neue Semiramis, und
ich fürchte nur, daß mein armes München und vielleicht auch dein armer
Gatte dir zu klein seien. Wie soll ich eine Kirche ausrichten, da ich
schon mit dem Altar angestoßen habe?«

»Für den, der will,« entgegnete sie, »gibt es keine Hindernisse; aber
nicht ein jeder kann wollen.«

Der Beichtvater, dem es an der Zeit schien, die Gatten sich selbst zu
überlassen, pries sowohl die fürstliche Gesinnung seiner Herrin wie
die landesväterliche Bedächtigkeit des Kurfürsten, worauf er um die
Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen.

»Möchtest du nicht auch lieber Beherrscher einer prächtigen Stadt als
eines veralteten Dorfes sein?« fragte Henriette Adelaide ihren Gatten,
als sie allein waren. »Wir genießen des Friedens, wir können das Geld
nach unserem Herzen ausgeben. Richten wir uns denn eine schöne
Wohnstätte her, wie sie uns behagt, nicht jenen Mönchen, die keine
Nasenlänge über ihren Rosenkranz hinausblicken können.«

»Ach,« sagte der Kurfürst, indem er einen komischen Seufzer ausstieß,
»wenn ich bedenke, wie kurze Zeit wir in dieser Wohnstätte bleiben
werden, so scheint es mir, daß wir ein wenig zu viel Lärm darüber
vollführen, ob sie so oder so gestaltet ist.«

Die Kurfürstin maß sein feines junges Gesicht mit dem äußersten
Erstaunen und erst nach einer Minute mit aufgehendem Verständnis
seiner Rede. »Wenn du so willst,« sagte sie, »sollte man freilich in
Blockhäusern leben und nichts als Pyramiden zu dauerhafter Versorgung
seiner Leiche bauen.« Sie setzte sich bei diesen Worten neben ihn auf
die steife Lehne eines Damastsessels und küßte ihn mit zärtlicher
Behutsamkeit auf die wohlgebildeten roten Lippen. »Du hast eine
seltsame Art, das Leben anzusehen,« sagte sie, »mit welcher man nicht
viel ausrichten kann. Wer möchte denn Kinder erzeugen, wenn man
beständig vor Augen hätte, daß er sie vielleicht morgen verlassen
muß?«

Aus seinen dunklen Augen fiel ein warmer Strahl auf ihr lachend ihm
zugeneigtes, schönes Antlitz, und er sagte: »Du hast recht, weil du
stark und gesund bist und Gott und dir vertraust. Darum mag ich auch
entschuldigt sein, wenn ich dir schon mehr nachgegeben habe, als
deinem Fürsten und Eheherrn geziemt.« Unter mancherlei Neckereien und
Scherzen zog sie ihn an das Fenster, um ihm die dürftige Umgebung zu
weisen und den Einfall, den der Augenblick ihr gebracht hatte, zu
einem verlockenden Plane auszumalen. Obwohl das Herz des Kurfürsten
gestimmt war, sich durch die Unternehmungslust seiner Gemahlin
hinreißen zu lassen, so hielt er doch mit der endgültigen Zustimmung
vorsichtig zurück. Bei sich bedachte er, daß sie beide vor seinem
Volke anders dastehen würden, wenn er ihm erst einmal einen Erben
vorzustellen hätte, sprach dies aber nicht aus, da er wohl wußte, wie
übel sie es aufnahm, wenn man sie daran wie an eine versäumte
Schuldigkeit mahnte. Auch ging es ihm zuweilen durch den Sinn, daß er
vielleicht von Gott nicht bestimmt sei, sich fortzupflanzen; denn er
hatte sich von jeher im Vergleich mit seinem bewunderten Vater als
einen schwachen, unwerten Sproß gefühlt; oder er dachte, daß es der
Kurfürstin an der rechten Liebe zu ihm fehle, und daß diese
Ungeneigtheit der Seele auch ihren Leib gegen ihn verschließe, so daß
sie kein Kind von ihm empfangen könne. Diese traurige Einbildung hatte
er einmal, einer wehmütigen Stimmung nachgebend, ihr gegenüber laut
werden lassen, da sie ihn aber ausgelacht und ihn einen Phantasten
genannt hatte, kam er nie wieder darauf zurück; im stillen hatte er
gehofft, sie werde ihm eine liebevollere Antwort daraus geben.

Die Zurückhaltung ihres Gemahls veranlaßte Henriette Adelaide nicht,
auf ihren Einfall zu verzichten; vielmehr schrieb sie ihrer Mutter,
der Herzogin von Savoyen, sie möge ihr ohne Säumen einen erfahrenen
Baumeister schicken, der die jüngsten Meisterwerke der Kirchenbaukunst
namentlich in Rom durch und durch studiert habe und willens und fähig
sei, seinen Geist auf eine außerordentliche Erfindung dieser Art zu
richten. Kaum war derselbe eingetroffen, so mußte er den Platz, den
sie ausgewählt hatte, besichtigen und die Zeichnungen und Risse
vorlegen, mit deren Besichtigung sie manche Stunde in ihren Gemächern
verbrachte, was alles den Personen, die einige Wachsamkeit auf das
öffentliche Leben richteten, nicht verborgen blieb. Es währte nicht
lange, so stellte sich Pater Gumppenberg von neuem ein mit
kummervoller Anfrage, ob es denn an dem sei, daß dem seligen Cajetan
nunmehr nicht nur ein Altar, sondern ein ganzer Kirchenbau errichtet
werden solle, und zwar dem Schlosse preislich gegenüber, gerade als ob
ein sonderbares Einvernehmen zwischen dem Kurfürsten und dem
landsfremden Neuling bestehe? Was für Ursache denn der Kurfürst habe,
mit den bewährten Schutzheiligen des Bayerlandes, die bisher alles so
wohl geführt hätten, unzufrieden zu sein oder ihnen einen hohlen Namen
von jenseits der Berge vorzuziehen?

In dem Bestreben, die Verlegenheit, die ihn überkam, nicht merken zu
lassen, winkte Ferdinand Maria beruhigend mit der Hand und sagte mit
nachdrücklicher Unbefangenheit, da sei kein Anlaß zu Mißtrauen und
Empfindlichkeit! Die Sache sei so: Er habe dem heiligen Cajetan
gelobt, wenn ihm durch seine Fürbitte ein Erbe geschenkt werde, so
wolle er ihm unweit seiner Residenz eine Kirche aufrichten, so schön
er irgend vermöge, und damit er, wenn es so weit sei, sein Wort lösen
könne, habe er einstweilen die Örtlichkeit besichtigen und einen
Voranschlag machen lassen, so daß der Bau ohne Zeitverlust könne in
Angriff genommen werden, wenn der Erbe da sei.

Bei sich selbst lachte der Kurfürst über die stattliche Antwort, die
ihm in der Not eingefallen war, und die den strengen Pater
augenscheinlich verblüffte und verstummen machte; allein er erholte
sich geschwind und ließ nun eine verdoppelte Mißbilligung und
strafenden Eifer ohne Hehl merken. Es habe zwar, sagte er, gewiß dem
Kurfürsten Gott eingegeben, daß er durch ein frommes, christkatholisches
Gelübde sich den Segen der Nachkommenschaft erflehen wolle; wie er es
aber verantworten wolle, von den Übungen seiner löblichen Vorfahren
eigenmütig abzuweichen? Auch seine hochselige Mutter, die gottergebene
Kurfürstin Maria Anna, habe bei dem ehrwürdigen Alter ihres Gemahls um
die Fruchtbarkeit ihrer Ehe besorgt sein müssen; sie habe aber ihre
Zuflucht nicht zu ausländischen Meerwundern genommen, sondern sei in
Demut und Sitte nach Alt-Ötting gepilgert und habe der hölzernen Maria
in der alten Kapelle viele auserlesene Kostbarkeiten gestiftet, worauf
sie denn zum Troste des ganzen Bayerlandes schwanger geworden sei und
ihn selbst, Ferdinand Maria, geboren habe. Wenn seine Gemahlin dem
Beispiel seiner erlauchten Mutter folgen wollte, so würden die erprobten
Heiligen und Fürbitter an ihr gewiß kein geringeres Wunder als an jener
vollziehen, und die bekümmerten Untertanen würden, der Sorge entledigt,
wieder ruhig in ihren Betten schlafen können. Wenn dann die erwartete
Gnade nicht einträfe, möchte die Kurfürstin es immerhin mit ihren
einheimischen Patronen versuchen, er würde der erste sein, seine Gebete
zum Gedeihen des Werkes mit denen der geliebten Herrschaft zu
vereinigen.

Das Heranziehen seiner in Gott ruhenden Eltern bewegte das Gemüt des
Kurfürsten so sehr, daß er für den Vorschlag des Pater Gumppenberg
völlig gewonnen wurde und erst, als dieser fortgegangen war, mit
leisem Bangen den Widerstand seiner Frau in Betracht zog. Freilich zog
sie die feinen schwarzen Brauen ärgerlich zusammen, aber mehr
deswegen, weil das Unternehmen nicht von ihr oder ihrem Beichtvater
ausgegangen war, als weil sie ihre Pflicht verkannt hätte, dem Lande
einen Kurprinzen zu geben und alles Erdenkliche zu tun, um das hohe
Ziel zu erreichen. Auch hätte ihr eine schöne Wallfahrt, etwa nach
Loreto, als das rechte Mittel voll eingeleuchtet; aber daß ein
armseliger bäurischer Ort wie Alt-Ötting für eine Person ihrer Art das
Angemessene sei, hielt sie nicht für wahrscheinlich und lehnte dies
mit Entschiedenheit ab, ohne jedoch die Sache selbst von der Hand zu
weisen. Schließlich erklärte sie sich bereit, nach Andechs zu
pilgern, welches zwar bei weitem wilder und wüster gelegen war als
Alt-Ötting, für sie aber den Vorzug hatte, daß es ihr nicht von den
Kapuzinern aufgedrängt, sondern aus freien Stücken von ihr erwählt
war. Ebenso widersetzte sie sich allen anderen Anordnungen, die Pater
Gumppenberg zu vorschriftsmäßiger Veranstaltung der Reise für nötig
hielt. Er sagte nämlich, den letzten, beschwerlichen Aufstieg zum
heiligen Berg, welcher etwa eine Stunde dauerte, müsse die Beterin
allein, ohne ihr Frauenzimmer oder sonstige Begleiter ausführen, damit
aber keine Besorgnis über ihr Wohlergehen in dieser Wildnis aufkommen
könne, wolle er ihr als Wegweiser und Beschützer einen Bruder seines
Ordens mitgeben; denn einen geistlichen Gesellschafter bei sich zu
haben, sei ihr nicht nur nicht verboten, sondern empfohlen.

Entrüstet sagte Henriette Maria, das Umherfahren in dem öden
Gebirgslande verspreche ohnehin keine Kurzweil, durch einen Begleiter
aus dem Orden, der ihr nun einmal widerwärtig sei, werde es ihr
vollends unerträglich gemacht, sie wolle ihren Beichtvater, Pater
Filiberto, mitnehmen, an den sie gewöhnt sei, und zu dem sie Vertrauen
habe. Gegen diesen wendete der Kurfürst ein, daß er Land und Leute
nicht kenne und nicht einmal der deutschen Sprache mächtig sei; sie
solle sich doch den Bruder, den Pater Gumppenberg für sie ausgelesen
habe, wenigstens einmal ansehen, es werde gewiß ein bescheidener,
verständiger Mann sein, der ihr nicht lästig fallen werde.

Die Kurfürstin erstaunte nicht wenig, als sich ihr bald darauf ein
schöner Jüngling vorstellte mit einem Kranz bläulich-schwarzer Haare
um die breite, kindliche Stirn, mit Augen, deren dunkelbraune Farbe
eine starke Flamme zu verhüllen schien, mit gerader Nase und schönem,
großem Munde, der selten lächelte, dann aber unversehens eine volle
Perlenreihe gelblich-weißer Zähne sehen ließ. Auf ihre Fragen teilte
er mit, daß er aus dem südlichen Tirol stamme und der jüngste Sohn
adeliger Eltern sei, die ihn für das Klosterleben bestimmt hätten.
Sein Benehmen war, wenn auch nicht höfisch, so doch voll sicherer
Würde, die auf gutem Blute und unantastbarer Unschuld zu beruhen
schien. Er war in Blicken und Worten bei aller Ehrerbietung so
zurückhaltend, daß Henriette Adelaide kaum wußte, wie sie ihn
ermuntern sollte; denn sie fühlte, daß sein kindlich strenger Sinn
weder ihrem weiblichen Reiz noch ihrer fürstlichen Hoheit zugänglich
war, und fürchtete ebensosehr seine Reinheit zu verwirren, wie sie
wünschte, in seiner Seele irgendeinen Widerhall zu erregen. Ihrem
Gemahl sagte sie in guter Laune, daß sie nicht geglaubt hätte, in
einer Kapuzinerkutte könne sich ein so hübscher, wohlerzogener
Jüngling verstecken; sie habe nichts an ihm auszusetzen, als daß er
allzu schweigsam sei, vielleicht indessen sei das Fräulein La Perouse,
ihr erstes Kammerfräulein, das sie nebst mehreren anderen mitzunehmen
beabsichtige, fromm genug, um von ihm eines Gespräches wert gehalten
zu werden. Der Kurfürst war hocherfreut, daß sich das Unternehmen so
friedlich und aussichtsvoll ordnete; doch ließ er die Gesellschaft
nicht abreisen, ohne ihr einen Teil seiner Leibgarde zum Schutze
beigeordnet zu haben unter der Führung ihres Kapitäns, des Chevaliers
La Perouse, der der genannten Hofdame Bruder war.

Das Geschwisterpaar entstammte einer uralten, französischen, in
Savoyen ansässigen Familie, beide waren um mehrere Jahre älter als
Henriette Maria und seit sie denken konnten am Turiner Hofe
beschäftigt und beliebt. Beide waren in großer Frömmigkeit erzogen,
was bei dem Fräulein so gewirkt hatte, daß sie trotz angeborener
Lebhaftigkeit sich jede Lustbarkeit versagte und auch die
schuldloseste Ausgelassenheit, zu der Jugend und Gelegenheit sie
einmal fortrissen, durch anhaltende Bußübungen wieder einzubringen
suchte, bis sie zuletzt ein gedrücktes, leicht geängstetes Wesen
erhielt, aus dem die Wärme ihrer Natur zuweilen rührend hervorbrach.
Ihr Bruder hatte im militärischen Dienst und bei den Gepflogenheiten
des männlichen Lebens die klösterliche Strenge aus dem Kinderdasein
beiseitegesetzt und vergessen, nur daß er die erlernten Formen
getreulich beobachtete und das ganze Glaubenswesen bei den Frauen
seiner Familie und denen des achtbaren Umgangs überhaupt als
vornehmstes Erfordernis voraussetzte. Die Kurfürstin war nach seinem
Gefühl unter allen Frauen die in jedem Betracht vollendetste, und
seine Verehrung für sie war so unbedingt, daß selbst der Kurfürst vor
seinem rächenden Schwert nicht sicher gewesen wäre, wenn er sie durch
ihn verletzt gewußt hätte.

Der Weisung gemäß, die er vom Kurfürsten empfangen hatte, hielt sich
der Chevalier mit seinen Leuten immer ein Stück von dem Wagen
entfernt, der seine Herrin einschloß, doch so, daß er das umfangreiche
Gefährt nie ganz aus den Augen verlor. Zuweilen sah er, wie der
Sommerwind, der über die Hochebene spielte, einen lichten, aus dem
Wagenfenster hängenden Schleier hob und gegen den braunen Umhang des
Kapuziners trieb, der zu Pferde neben der Kutsche einherritt, oder ein
helles Lachen der Fürstin überzeugte ihn, daß sie einstweilen mit dem
Verlauf ihrer Wallfahrt nicht unzufrieden war. In Herrsching, wo im
größten Bauernhofe übernachtet wurde, lud Henriette sowohl den
Chevalier wie den Mönch ein, die Abendmahlzeit in ihrer und ihrer
Fräulein Gesellschaft einzunehmen; es wurde dazu eine Tafel vor dem
Hause gedeckt, von wo man das allgemach untertauchende Sonnenfeuer
rötliche Farben über den dämmernden See ergießen und das Leuchten der
fernen Alpen langsam in den Abend versinken sah. Der ländliche Tisch
war mit dem in einem Wagen mitgeführten fürstlichen Silbergeschirr und
Leckereien beladen, feingebackenem Brot, Obst, Wein und Süßigkeiten;
einzig die gebackenen Fische, den edeln Amaul, den Kilch und die
geschätzte Bodenrenke, lieferte der Wirt als Erzeugnisse seines
Landes. Das appetitliche Essen würzte die Kurfürstin durch die
fröhliche Laune, mit der sie ihrem alten Freund und Diener La Perouse
wiedererzählte, was der Mönch ihr unterwegs von den Wundern des
Heiligen Berges erzählt hatte: wie, während zwischen den Andechsern
und den Wittelsbachern eine Fehde wütete, die Mönche alle Reliquien so
gut und tief verscharrten, daß sie in der Folge nicht wiedergefunden
werden konnten, bis nach vielen Jahren, als gerade ein Franziskaner
die Messe feierte, eine Maus über den Altar sprang, zwischen den
Zähnen einen Pergamentstreifen tragend, auf welchem nicht nur
sämtliche Reliquien, die diesen Wallfahrtsort einst berühmt gemacht
hatten, sondern auch der Ort ihres Verstecks verzeichnet waren.

Jetzt erst bemerkte der Chevalier, was für ein schöner Jüngling der
Mönch war, den er bisher nur flüchtig in Augenschein genommen hatte,
und auch mit wieviel zarter und bescheidener Fürsorge die Kurfürstin
ihn behandelte. Dies war nun freilich nicht merkwürdig, insofern der
junge Mann eine geistliche Person war, allein bei seiner Schönheit
fiel es schwer, sich dessen bewußt zu bleiben, und der Chevalier
ertappte sich immer wieder darauf, daß er sich hinter dem unbekannten
und unberühmten Jüngling zurückgesetzt fühlte. An ihm war indessen
kein Fehler irgendwelcher Art zu entdecken: er aß mäßig, trank nichts
als Wasser und blickte mit unbefangenem Ernst auf seinen Teller, wenn
er nicht der Kurfürstin auf eine Anrede Auskunft zu geben hatte.

Den letzten Teil des Weges, der sich zwischen Tannen an einem
wildabrauschenden Bache steil hinaufwand, wollte die Kurfürstin mit
ihrem geistlichen Begleiter zu Fuß zurücklegen; da jedoch die
Frauenzimmer dringend baten, den Heiligen Berg gleichfalls besteigen
zu dürfen, und der Chevalier sich in ritterlicher Ehrerbietung
weigerte, die ihm Anvertraute ganz ohne Schutz der Waffen zu lassen,
gab sie allen die Erlaubnis, ihr in einiger Entfernung nachzugehen,
und schritt tapfer voraus, ohne sich um ihr Gefolge zu bekümmern. Der
Chevalier bekam sie erst am späten Nachmittage wieder zu Gesicht, als
sie alle die vorgeschriebenen Gebete und die Verehrung der
berühmtesten Reliquien vollendet hatte und sich zum Abstieg
anschickte. Sie war von der herben Luft und der Anstrengung des
Steigens gerötet, und es schien ihm, als blicke sie zerstreut an ihm
vorüber, wie es sonst nicht ihre Art war. Obwohl an dem Kapuziner im
Gegensatz zu ihr keine Spur von Erregung wahrzunehmen, die
bräunlichblasse Farbe seines edlen Gesichtes unverändert, seine Miene
ebenso kindlich strenge wie zuvor war, so konnte der Chevalier doch
eines feindseligen Verdachtes nicht Herr werden, als habe er ihren
Stolz und ihre Überlegenheit durch irgendeine unerlaubte Einwirkung
ins Wanken gebracht. Während des Abendessens, das im selben Bauernhofe
von Herrsching verzehrt wurde, neckte die Fürstin ihn mehrmals, er
habe solchen Ernst auf die Wallfahrt gestellt, daß ihm das Lachen
abhanden gekommen sei und er künftig nur noch zu einem Führer auf
Pilgerfahrten taugen werde, und wenn er auch die Scherze sich höflich
und untertänig gefallen ließ, schnellte er doch unversehens einen
scharfen, zürnenden Blick auf sie, der sie befremdete und leise in
sich erschauern machte. Sie erhob sich zeitiger als am vergangenen
Tage von der Tafel, indem sie sagte, in dieser unwirtlichen Gegend sei
der Abend feucht und frostig, sie wolle mit ihren Frauen das Lager
aufsuchen, die Männer möchten es halten, wie sie wollten.

So kam es, daß der Chevalier mit dem Kapuziner alleinblieb, der sein
Brevier aus einer Tasche seiner Kutte zog und, die langbewimperten
Lider über die umflorte Flamme seiner Augen senkend, still für sich zu
lesen anhub. Bei diesem Anblick schwoll der schlecht bemeisterte
Unwille des La Perouse so an, als sollte er ihm die Brust zersprengen;
wider sein Gewissen, das ihn zurückhalten wollte, machte er seine
Stimme stark und sagte unvermittelt zu dem Lesenden: »Ihr habt da
einen kurzweiligen Auftrag von Euerem Kloster empfangen! Es muß eine
Wonne für einen jungen Mann sein, mit einer schönen Dame wie die
Kurfürstin durch die Wildnis zu lustwandeln.« Der Angeredete hob seine
Augen ruhig von dem Brevier auf und sagte: »Die Kurfürstin würde
schöner sein, wenn sie glücklicher, und glücklicher, wenn sie
gehorsamer wäre.«

Die unerwartete Antwort versetzte den Chevalier in ein so großes
Erstaunen, daß er eine Weile still und steif auf seinem Sitze blieb
und erst, als der Kapuziner sich schon wieder zum Lesen anschickte,
gedämpfter als zuvor fragte, wie diese Worte zu verstehen seien: Was
einer so hochgestellten Dame zum Glück fehle, und wer von ihr Gehorsam
verlangen könne?

Der junge Mönch richtete die Augen seinerseits verwundert auf den
Kapitän und sagte: »Wäre sie glücklich, hätte sie die Wallfahrt nicht
zu machen brauchen, und wenn sie Gott widerstrebt, dem auch die Kaiser
und Könige unterworfen sind, wird ihr auch dieser Bittgang nicht
anschlagen; denn Gott vollbringt zwar Wunder, aber nicht wider die
Natur, und wird sie kein Kind gebären lassen, ohne daß sie es zuvor
empfangen habe. Wenn nun Gottes Ratschluß nicht ihren Gemahl, sondern
einen anderen dazu auserwählt hat, so sollte sie nach dem Vorbild der
allerseligsten Jungfrau Maria sich dem Herrn unterwerfen, wohingegen
sie sich störrisch erweist und durch keinen als den Kurfürsten Mutter
werden will.« Dunkelrot vor Zorn sprang der Chevalier auf und rief
drohend: »Ihr hingegen würdet gehorsam sein und Euch nicht weigern,
wenn Gott Euch zu diesem Werk auserwählt haben sollte?«

Jetzt errötete auch das Marmorgesicht des Jünglings ein wenig, und er
sagte mit stolzer Gebärde abweisend: »Mich, einen Gottgelobten, kann
Gott dazu nicht befehlen. Ich habe der Fürstin die Meinung der Kirche
erklärt; eine andere Pflicht hat die Welt nicht von mir zu fordern.
Diene ich auch, soweit ich frei bin, Reichen und Armen mit meinem
Leben, so seid ihr alle doch, soweit ich Gottes bin, meiner nicht
mächtig.«

Dem Kapitän war so zumute, als wenn die Ordnung der Dinge, so wie sie
bis jetzt in seinem Kopfe gewesen war, sich durcheinanderzudrehen
begänne. Er hätte glauben mögen, daß der Kapuziner ein Einfältiger
sei, aber wenn auch aus seinem schönen Gesichte nicht gerade
überflüssiger Verstand sprach, so glänzte doch in diesem Augenblick
eine edle Entrüstung darauf, der gegenüber er sich seines unsittlichen
Argwohns schämte. »Verzeiht mir,« sagte er, ihm gutmütig die Hand
reichend; »Ihr habt mit unserem Treiben nichts zu schaffen und seid
wohl deshalb um so glücklicher. Erlaubt mir aber, daß ich Euch um eine
Erklärung bitte: Wenn die Ehe ein Sakrament ist, wie kann die Kirche
den Ehebruch anraten oder billigen? Wir sind Katholiken, nicht aber
Ketzer oder Heiden!«

Den inständigen Blick des Chevalier freimütig erwidernd, sagte der
Bruder, hier handle es sich eben um keinen Ehebruch, insofern als
Gott, um dem kurfürstlichen Hause Erben zu schenken, was sonst Sünde
sei, in Recht umwandle. Wie dies möglich sei, das sei für Menschen
unfaßbar und könne auch von der Kirche nur ausgelegt, nicht in seinem
Wesen erklärt werden.

Woran man denn aber erkennen könne, fragte der Chevalier lebhaft, wer
der Gottgesandte sei? Könne sich nicht ein jeder für den Auserwählten
halten und der Kurfürstin mit strafbaren Gelüsten nachstellen? »Wo
strafbares Gelüsten ist,« sagte der Mönch ernst, »da ist die Hand
Gottes nicht. Wen der Geist treibt, den verwirren keine Zweifel.«
Nachdem er das gesagt hatte, beugte er sich mit einer nachdrücklichen
Wendung über sein Brevier, als wolle er zu verstehen geben, daß er die
Auseinandersetzung hiermit für beendet halte.

Die Nacht brachte der Chevalier ohne Schlaf zu und sah am folgenden
Morgen bleich und hohlwangig aus, was an dem blühenden Manne etwas so
Auffälliges war, daß die Kurfürstin wieder Gelegenheit nahm, ihn zu
necken, während die Frühsuppe eingenommen wurde. Wieder empfing sie
neben der in angemessener Untertänigkeit gegebenen Erwiderung den
stolzen Blick, der sie seltsam durchschauerte, obwohl sie sich
anstellte, als habe sie ihn gar nicht aufgefangen. Bei der Rückfahrt
führte er seine Leibwache in einiger Entfernung der Kutsche nach und
sah den Kapuziner zu Pferde, wie er den Kopf in sein Brevier neigte
und ihn nur zuweilen wendete, um einer Anrede der Kurfürstin zu
entsprechen; ihr Lachen indessen hörte er nicht so hell und häufig wie
auf dem Hinwege, was der Ermüdung zuzuschreiben sein mochte.

Als man wieder in der Residenz angelangt war, wurde der Kapuziner von
dem kurfürstlichen Paare liebreich und ehrerbietig entlassen, war aber
nicht zur Annahme eines anderen Geschenkes zu bewegen als einer dem
Kloster zu überweisenden Stiftung, die den Armen zugutekommen sollte.
Er sprach zugleich mit seinem Dank den Wunsch aus, Gott möge die
Wallfahrt der hohen Frau an ihrem Leibe segnen, wobei sie ein wenig
errötete, während der anmutige Ernst seiner Miene sich nicht um einen
Hauch veränderte.

Auch Pater Gumppenberg und Pater Wildgruber forschten vergeblich,
während sie den Bericht ihres jungen Abgesandten entgegennahmen, nach
der Spur eines Eindrucks, den die merkwürdige Reise ihm hinterlassen
habe. »Ich fürchte, wir haben kein Glück mit dem jesuitischen
Systema,« sagte Pater Gumppenberg nachdenklich: »ein biderbes,
altdeutsches Gemüt tut nicht wohl, sich mit den spanischen Kniffen
abzugeben.«

»Eben darum«, sagte Pater Wildgruber, »hatten wir doch den Tiroler
Buben ausgelesen! Mit diesem muß es einen Haken haben, und wenn mich
nicht alles trügt, sitzt derselbe in seinem Verstande, sei es nun, daß
er zu dumm oder nicht dumm genug für eine so heikelige Konstellation
ist.«

Während die Väter sorgenvoll den Erfolg der Wallfahrt erwarteten,
hatte der Chevalier La Perouse scharfe Schlachten in seiner Brust
geschlagen; denn die Leidenschaft für die Kurfürstin, die ihn
ergriffen hatte, nahm täglich zu und war um so schwieriger zu
bekämpfen, als sein Amt ihn in ihrer Nähe hielt. Es entging ihm nicht,
daß das Feuer, das in ihm wütete, auch sie erfaßte und ihre Würde und
ihren Hochmut schmolz, so daß sie auf Augenblicke wie erweichtes Wachs
erschien, das durch seine Hand geformt werden sollte. Freilich war sie
wiederum herb und launisch, wie sie es nie zuvor gegen ihn gewesen
war, und legte es darauf ab, ihn durch nichtachtende Behandlung zu
reizen. Eines Abends, als sie ihn, der bestellt war, eine Partie
Tricktrack mit ihr zu spielen, ungebührlich lange im Vorzimmer hatte
warten lassen, weil sie mit ihrem Musikmeister den Entwurf zu einer
Oper durchgenommen habe, und er, ohnehin von Leidenschaft erregt und
glühend, sich über die Vernachlässigung beklagte, sagte sie: »Bei der
Arbeit vergaß ich, daß ich mit Euch spielen wollte,« und betonte die
Worte so, daß er den herabsetzenden Sinn wohl verstand, den sie
hineinlegen wollte. Seine Stirn färbte sich dunkelrot, und indem er
rasch auf sie zutrat, herrschte er sie drohend an: »Aber ich vergaß
nicht, daß ich Euch besiegen wollte!«, riß sie an sich und küßte sie
so gewaltsam, als ob er sie zermalmen wollte. Mit erlöschendem und
todesseligem Herzen ertrug sie die liebkosende Mißhandlung und war
ihrer sich kaum noch bewußt geworden, als er sie freigab, vor ihr
niederkniete und sagte: »Nun lege ich mein Haupt vor Eure Füße.« Die
Brust noch ungestüm wogend, das Antlitz bleich, erschien er ihr
herrlicher als je zuvor; Tränen brachen aus ihren Augen, und mit
bebender Stimme sagte sie: »Ich bin die Schuldige!«, worauf sie
schnellen Schrittes das Zimmer verließ.

Unter bitteren Schmerzen erkämpfte Henriette Adelaide am nächsten Tage
den Entschluß, den unseligen Mann zu sich zu befehlen und ihn mit
angemessenen Worten in die Stellung zurückzuweisen, die ihrer und
seiner Würde und Ehre entsprächen; jedoch, sowie sie ihn eintreten
sah, mit dem sieghaften Blick in den großen Augen, mit den Händen,
die, fein und gepflegt, sie doch grausam angefaßt und ihr Schmerz
zugefügt hatten, erlahmte ihre mühsam gesammelte Kraft sogleich, und
anstatt einer Herrin stand sie ihm, einer Sklavin nicht ungleich,
gegenüber. Ein solches Gefühl hatte sie noch niemals vorher empfunden,
und es war ein Rausch für sie, sich ihm hinzugeben, in welchem
Zustande es ihr erschien, als sei sie jetzt in den Mittelpunkt des
Lebens gerissen worden. War er nicht bei ihr, so fühlte sie sich zwar
geängstigt und gequält; allein sie brauchte sich nur die Empfindung zu
vergegenwärtigen, mit der sie die Wange an seine Schulter schmiegte,
um über jeden Zwiespalt hoch emporgehoben zu werden.

Voll Sorge und Schrecken bemerkte das Fräulein La Perouse, was
vorging; ihr Bruder, an den sie sich mit flehenden und drohenden
Vorstellungen wendete, verwies ihr die Einmischung, und der Kurfürstin
gegenüber wagte sie keine Andeutung zu machen. Sie wußte in ihrer Not
kein anderes Hilfsmittel, als in der Kirche oder in ihrem Schlafgemach
vor dem Betpult zu weinen und zu beten, und durch ihre Anwesenheit, zu
der ihr Amt als Kammerfräulein ihr Anlaß gab, den beiden Frevlern das
Alleinsein zu erschweren. Das verweinte Gesicht ihrer Gesellschafterin
trug dazu bei, die Kurfürstin trübe zu stimmen, wenn sie von dem
Gegenstand ihrer Leidenschaft entfernt war. Vor allem aber ergriff sie
der Anblick ihres Gemahls, so daß ihr zuweilen, wenn sie bei den
Mahlzeiten ihm gegenübersaß, Tränen in die Augen traten, ohne daß sie
einen Grund dafür angeben konnte. Eine solche Reizbarkeit war ihr
früher nicht eigen gewesen, da im Gegenteil der Strahlenglanz ihres
Blickes noch selten durch Weinen verwischt worden war, und der
Kurfürst besorgte ernstlich, ihre Gesundheit könne etwa bei der
Wallfahrt Schaden gelitten haben. Überhaupt, dachte er, hätte er sie
nicht dazu veranlassen sollen, weil vielleicht der Gedanke für sie
belastend sei, daß sie ihn im Hinblick auf den mangelnden Erben
enttäusche.

Eines Tages begab es sich, daß der Kurfürst, um seine Gemahlin zu
zerstreuen, sie einlud, ihn in den Grottenhof zu begleiten, wo die
beschädigte Figur einer Nymphe durch italienische Arbeiter
wiederhergestellt wurde. Ein etwa dreijähriges Kind, das zu diesen
gehören mochte, spielte am Rande des Beckens, aus dem die Schale mit
der Statue des Perseus aufsteigt, und bückte sich eben mit ganzem
Leibe so tief über das Wasser, daß der Kurfürst, im Gefühl, es sei in
Gefahr hineinzufallen, es rasch ergriff und auf seinen Arm hob.
Sogleich eilte einer von den Arbeitern erschrocken hinzu,
entschuldigte die Anwesenheit des Kindes und wollte es dem Kurfürsten
abnehmen; der jedoch machte eine beschwichtigende Bewegung mit der
Hand, als bedürfe es der Entschuldigung nicht, und nickte dem Kinde
zu, das über den plötzlichen Eingriff des fremden Mannes zunächst ein
wenig entrüstet zu sein schien. Seine Versuche, mit ihm zu spielen,
ließ es sich gefallen, ohne sie gerade zu billigen, und betrachtete
ihn trotzig und aufmerksam untersuchend, wobei es einen mit Rubinen
und Diamanten besetzten Knopf entdeckte, der nebst anderen ähnlichen
sein Gewand schmückte. Nachdem es ihn eine Weile mißfälligen Blickes
angesehen hatte, ergriff es ihn plötzlich mit einer seiner kleinen
schmutzigen Hände und riß ihn, sich kräftig gegen die Brust des
Kurfürsten stemmend, mit entschlossenem Ruck los. Der Kurfürst lachte,
drückte einen Kuß auf den kleinen trotzigen Mund des Kindes und sagte:
»Behalte diesen, aber die anderen lasse mir!« worauf er es
niedersetzte und dem Vater empfahl, es besser zu beaufsichtigen, damit
es nicht in das Wasser falle.

Im Weitergehen schob Henriette Adelaide leise ihren Arm in den ihres
Mannes, und als sie im Münzhof angekommen waren, der kalt und stillag,
ergriff sie seine Hand, zog sie zärtlich und demütig an ihre Lippen
und sagte: »Nur dich habe ich lieb! nur dich, nur dich!« mit
anschmiegender Stimme. Nach einem Augenblick der Überraschung zog er
sie rasch an sich, küßte sie und sah ihr ins Gesicht, wobei er
wahrnahm, daß ihre Augen feucht waren, und fühlte, daß ihr Herz
unruhig klopfte. Wie sie so standen, kam ihr der Gedanke, daß sie dem
schmählichen Zustande, in dem sie lebte, jetzt ein Ende machen müsse,
bevor ihr die Kraft dazu wieder entfiele, und sie sagte, den Arm ihres
Mannes fest umfassend: »Ich möchte dir, lieber Freund, den Vorschlag
zu einer Veränderung in meinem Hofstaate machen. Du weißt, daß mein
Vater mir den Chevalier La Perouse als Oberhofmeister mitgab, da ich
ihn seit meinen Kinderjahren kenne und an seinen Umgang gewöhnt bin.
Nun scheint es mir aber, daß für einen Mann seiner Art dies Amt zu
höfisch und weichlich ist, und daß er sich nach der rühmlicheren
Laufbahn des Soldaten sehnt, und ich möchte ihn in so berechtigten
Wünschen nicht hindern, vielmehr fördern.«

Der Kurfürst sah sie groß an und sagte mit fester Stimme: »Es ist mir
vor einiger Zeit einmal aufgefallen, daß La Perouse einen Blick auf
dich warf, der einem Funken glich. Hängt dein Gesuch mit der Gefahr
zusammen, die das Umherfliegen zündenden Stoffes mit sich bringt?«

Sie erwiderte tapfer, indem sie sich ein wenig aufrichtete und den
Kopf hob: »Ja, so ist es,« und wollte die Bitte hinzufügen, er möge
den Chevalier nicht ein Gefühl entgelten lassen, das sie sich anklagen
müsse, nicht im Keim unterdrückt zu haben. Er jedoch unterbrach sie,
indem er sagte: »Was ich nicht gesehen habe, ist nicht. Der Chevalier
hat keine andere Schuld als jenen Blick, den ich zufällig aufgefangen
habe, und diese vergebe ich ihm.« In seinem Wesen und seiner Haltung
lag, wie er das sagte, etwas Königliches, das Henriette Adelaide
schweigen machte; sie lehnte sich still an ihn, worauf er mit
herzlicher Sicherheit einen Kuß auf ihre Stirn drückte und ihr, durch
das Antiquarium schreitend, die Herkunft und den Wert verschiedener
Kunstmerkwürdigkeiten erklärte, die dort aufgestellt waren, ohne daß
eines von ihnen die schaurige Kälte empfunden hätte, die bei der
herbstlichen Jahreszeit in dem breiten Gewölbe herrschte.

Seit diesem Tage war der Kurfürst von zuversichtlichem Frohsinn
beseelt, und wenn er ohnehin stets bedacht war, seine Gemahlin zu
erfreuen, so legte er es jetzt vollends darauf ab, den leichten
Schleier von Niedergeschlagenheit von ihr abzulösen, der die stolze
Heiterkeit ihres Wesens seit einiger Zeit verhüllte. Zu dem Zweck
ermunterte er ihre frühere Baulust und begann von der Kirche des
heiligen Cajetan zu sprechen, die sie hatte begründen wollen, was denn
auch nicht verfehlte, ihre Teilnahme zu erregen und ihre
Unternehmungslust anzuschwellen. Bald lag ihr künstlich eingelegter
Tisch aus Lapislazuli und Korallen, dessen Fläche ein dunkelblaues,
von scharlachroten Segeln durchflammtes Meer darstellte, voll von den
Plänen römischer Kirchen und den neuen Entwürfen des italienischen
Baumeisters, die den Sommer über in Vergessenheit geraten waren, und
es wurde beschlossen, sowie die günstige Frühlingszeit einträte, mit
der Arbeit zu beginnen.

Als im Scheine der kräftigen Maisonne auf dem der Residenz
gegenüberliegenden freien Platze ein frohgemächliches Hantieren von
Arbeitern sich zu entfalten begann und das Volk von der jesuitischen
Kirche munkelte, die dort errichtet werden sollte, schürzte sich Pater
Gumppenberg noch einmal und erschien mit ernstem Vorwurf vor dem
Kurfürsten. Dieser hörte die Klage ohne Verlegenheit, vielmehr fragte
er erstaunt, ob der ehrwürdige Vater sich nicht erinnere, daß er
selbst ihm, dem Kurfürsten, geraten habe, es mit dem heiligen Cajetan
zu versuchen, wenn die Wallfahrt nicht fruchten werde? Er habe den
ganzen Sommer und Winter hindurch gehofft und geharrt, nun habe er
betrübt auf den erflehten Segen verzichtet und beschlossen, das
Anliegen seines Hauses dem heiligen Cajetan anheimzustellen, obwohl
derselbe dem Bayerlande fremd und in keiner Weise verbunden sei. In
der Hoffnung, daß er sich wundertätig erweise, errichte er ihm einen
würdigen Altar, damit er und seine Untertanen ihm Dank und Preis
darbringen könnten für die Hilfe, die er ihnen in der Bedrängnis
erwiesen.

Diese Erklärung schlug zwar den Kampfesmut des Pater Gumppenberg
beträchtlich nieder, doch gab er seine Sache noch nicht völlig auf,
sondern rückte dem Kurfürsten einige Gegengründe vor: Ob man denn in
Bayern schon so rat- und mittellos sei, daß man gleich zum
Entlegensten greifen müßte? Wenn die Frau Kurfürstin, wie er empfohlen
hätte, nach dem Herkommen zu der hölzernen Maria in Alt-Ötting
gepilgert wäre, möchte alles andere gekommen sein. Ob da nicht der
heilige Franz Xaver, der heilige Michael und vor allen Dingen der
schon vielerwähnte heilige Benno wären? Hätte nicht der heilige Benno
sogar den blutdürstigen Schwedenkönig im Zaune gehalten, daß er, ohne
der Kirche und der Stadt einigen Schaden zu tun, vorübergezogen wäre?
Hätte nicht die heilige Mutter Gottes mancher Pest Einhalt geboten,
die sonst Land und Leute verzehrt haben würde? Was aber würde in
dieser Art von dem sogenannten heiligen Cajetan berichtet? Und wenn er
auch einmal ein Wunder täte, so müßte man noch zweifeln, ob es zum
Guten ausschlüge.

So weit wolle er sich nicht einlassen, entgegnete der Kurfürst, wisse
auch nicht, wie es zu verstehen sei, daß seine Nachkommenschaft, die
Enkel so hochberühmter Ahnen, übel ausschlagen sollten.

Pater Gumppenberg entschuldigte sich, daß er so etwas, als des
kurfürstlichen Hauses treuester Knecht und Berater, niemals habe
andeuten wollen. Auch würde er der erste sein, dem heiligen Cajetan zu
danken, wenn durch seine Fürbitte die Kurfürstin gesegnet werden
sollte; nur gebe er zu bedenken, ob der Kurfürst nicht erst die Gnade
erwarten wolle, bevor er den Dank darbringe, wie das jederzeit mit
einem Gelübde gehalten worden sei. Nein, erwiderte der Kurfürst
freundlich, er gedenke nun einmal, den Heiligen durch sein Vertrauen
und seine Dienstwilligkeit zuvor zu ermuntern. Suche doch ein Volk die
Huld eines fremden Monarchen durch Geschenke sich zu verdienen,
anstatt daß es die empfangene belohne; und nicht weniger ehrerbietig
wolle er sich Gott und seinen Heiligen gegenüber verhalten.

Es war erst ein kleines Kränzlein von Steinen an dem neuen Bau ablegt
worden, als die glorreiche Kunde sich verbreitete, die Kurfürstin sei
guter Hoffnung, und wenn Gott sich ferner gnädig erweise, werde die
Not des Landes binnen Jahresfrist ein Ende nehmen. Nun wurde lustig
gebaut, und als zu rechter Zeit ein fürstlicher Knabe das heitere
Licht der Stadt München erblickte, stiegen die Mauern vollends hurtig
empor, ohne daß fernerhin jemand ein Mißfallen daran laut werden zu
lassen hätte wagen dürfen. Freilich erst wenige Jahre vor ihrem Tode
konnte Henriette Adelaide die im fröhlichen Triumphe thronende Kuppel
vollendet sehen, von der unermeßlich schwebenden Himmelsrotunde
lächelnd umwölbt.

Nach der Geburt des Kronprinzen blieb die Gesundheit der Fürstin
gebrechlich, wiewohl sie in ungetrübtem Eheglück bis an ihr Ende lebte
und noch manches herrliche Lustgebäude errichtete und auszierte. Indes
sie glanzvolle Feste voll Musik und schöner Symbole anordnete und in
bedeutungsvollen Tänzen selbst ausführte, übte das Fräulein La Perouse
die Reue und Buße, die nach ihrem Dafürhalten durch die strafbare
Leidenschaft ihres Bruders zu seiner Herrin verpfändet war. Abend für
Abend las sie stundenlang in Gebetbüchern und rollte, auf dem
Betschemel kniend, unermüdlich Rosenkränze ab, wodurch ihr Gesicht
länger, ihre Wangen hohler, ihre Augen tiefer wurden. Dieser
Gewohnheit frönend, verursachte sie in einer Nacht den Brand des
Schlosses, der nicht wenig Kunst und Pracht zerstörte und dazu noch
das zarte Leben Henriette Adelaides antastete; denn sie vermochte die
Folgen des Schrecks und der Flucht vor den nachjagenden Flammen nicht
zu überwinden und starb nach kurzem Kränkeln, ihren Gemahl nach sich
ziehend, der nur noch auf Erden zu verweilen schien, um ein Denkmal
unsterblicher Trauer über dem verschwindenden Leibe zu errichten und
sich dann für die Dauer der Grabesruhe ihm beizugesellen.



Ullstein & Co

Berlin





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