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Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3. Author: Humboldt, Alexander von, 1769-1859 Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3." *** Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3. by Alexander von Humboldt In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers. Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache. ------------------ 1859 ------------------ Dritter Band INHALT Achzehntes Kapitel. Neunzehntes Kapitel. Zwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Kapitel. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Liste explizit genannter Werke Anmerkungen des Korrekturlesers ACHZEHNTES KAPITEL. San Fernando de Apure. -- Verschlingungen und Gabeltheilungen der Flüsse Apure und Arauca. -- Fahrt auf dem Rio Apure. Bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts waren die großen Flüsse Apure, Payara, Arauea und Meta in Europa kaum dem Namen nach bekannt, ja weniger als in den vorhergehenden Jahrhunderten, als der tapfere Felipe de Urre und die Eroberer von Tocuyo durch die Llanos zogen, um jenseits des Apure die große Stadt des Dorado und das reiche Land Omaguas, das Tombuctu des neuen Continents, aufzusuchen. So kühne Züge waren nur in voller Kriegsrüstung auszuführen. Auch wurden die Waffen, die nur die neuen Ansiedler schützen sollten, beständig wider die unglücklichen Eingeborenen gekehrt. Als diesen Zeiten der Gewaltthätigkeit und der allgemeinen Noth friedlichere Zeiten folgten, machten sich zwei mächtige indianische Volksstämme, die Cabres und die Caraiben vom Orinoco, zu Herren des Landes, welches die Conquistadoren jetzt nicht mehr verheerten. Von nun an war es nur noch armen Mönchen gestattet, südlich von den Steppen den Fuß zu setzen. Jenseits des Uritucu begann für die spanischen Ansiedler eine neue Welt, und die Nachkommen der unerschrockenen Krieger, die von Peru bis zu den Küsten von Neu-Grenada und an den Amazonenstrom alles Land erobert hatten, kannten nicht die Wege, die von Coro an den Rio Meta führen. Das Küstenland von Venezuela blieb isolirt, und mit den langsamen Eroberungen der Missionäre von der Gesellschaft Jesu wollte es nur längs der Ufer des Orinoco glücken. Diese Väter waren bereits bis über die Katarakten von Atures und Maypures hinausgedrungen, als die andalusischen Kapuziner von der Küste und den Thälern von Aragua aus kaum die Ebenen von Calabozo erreicht hatten. Aus den verschiedenen Ordensregeln läßt sich ein solcher Contrast nicht wohl erklären; vielmehr ist der Charakter des Landes ein Hauptmoment, ob die Missionen raschere oder langsamere Fortschritte machen. Mitten im Lande, in Gebirgen oder auf Steppen, überall, wo sie nicht am selben Flusse fortgehen, dringen sie nur langsam vor. Man sollte es kaum glauben, daß die Stadt San Fernando am Apure, die in gerader Linie nur fünfzig Meilen von dem am frühesten bevölkerten Küstenstrich von Caracas liegt, erst im Jahre 1789 gegründet worden ist. Man zeigte uns ein Pergament voll hübscher Malereien, die Stiftungsurkunde der kleinen Stadt. Dieselbe war auf Ansuchen der Mönche aus Madrid gekommen, als man noch nichts sah als ein paar Rohrhütten um ein großes, mitten im Flecken aufgerichtetes Kreuz. Da die Missionäre und die weltlichen obersten Behörden gleiches Interesse haben, in Europa ihre Bemühungen für Förderung der Cultur und der Bevölkerung in den Provinzen über dem Meer in übertriebenem Lichte erscheinen zu lassen, so kommt es oft vor, daß Stadt- und Dorfnamen lange vor der wirklichen Gründung in der Liste der neuen *Eroberungen* aufgeführt werden. Wir werden an den Ufern des Orinoco und des Cassiquiare dergleichen Ortschaften nennen, die längst projektirt waren, aber nie anderswo standen als auf den in Rom und Madrid gestochenen Missionskarten. San Fernando, an einem großen schiffbaren Strome, nahe bei der Einmündung eines andern, der die ganze Provinz Barinas durchzieht, ist für den Handel ungemein günstig gelegen. Alle Produkte dieser Provinz, Häute, Cacao, Baumwolle, der Indigo von Mijagual, der ausgezeichnet gut ist, gehen über diese Stadt nach den Mündungen des Orinoco. In der Regenzeit kommen große Fahrzeuge von Angostura nach San Francisco herauf, so wie auf dem Rio Santo Domingo nach Torunos, dem Hafen der Stadt Barinas. Um diese Zeit treten die Flüsse aus und zwischen dem Apure, dem Capanaparo und Sinaruco bildet sich dann ein wahres Labyrinth von Verzweigungen, das über eine Fläche Landes von 400 Quadratmeilen reicht. Hier ist der Punkt, wo der Orinoco, nicht wegen naher Berge, sondern durch das Gefälle der Gegenhänge seinen Lauf ändert und sofort, statt wie bisher die Richtung eines Meridians zu verfolgen, ostwärts fließt. Betrachtet man die Erdoberfläche als einen vielseitigen Körper mit verschieden geneigten Flächen, so springt schon bei einem Blick auf die Karten in die Augen, daß zwischen San Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, West und Süd ansteigen, sich durchschneiden, wodurch eine bedeutende Bodensenkung entstehen mußte. In diesem Becken steht in der Regenzeit das Wasser 12--14 Fuß hoch auf den Grasfluren, so daß sie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichsam auf Untiefen dieses Sees liegen, stehen kaum 2--3 Fuß über dem Wasser. Alles erinnert hier an die Ueberschwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes, die früher bei den Geographen so vielberufen war, obgleich sie nur ein paar Monate im Jahr besteht. Das Austreten der Flüsse Apure, Meta und Orinoco ist ebenso an eine bestimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savane wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil sie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man sieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Theil des Tags herumschwimmen und die Gräser abweiden, die nur mit den Spitzen über das Wasser reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man sieht nicht selten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieser fleischfressenden Reptilien aufzuweisen haben. Die Aase von Pferden, Maulthieren und Kühen ziehen zahllose Geier herbei. Die *Zamuros* [_Vultur aura_] sind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des _‘Huhns der Pharaonen’_ und leisten den Bewohnern der Llanos dieselben Dienste, wie der _Vultur Percnopterus_ den Egyptern. Ueberdenkt man die Wirkungen dieser Ueberschwemmungen, so kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegsam die Organisation der Thiere ist, die der Mensch seiner Herrschaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die Abfälle beim Fischfang, und gibt es keine Fische, so nährt er sich von Seegras. Der Esel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochasiens stammen, begleiten den Menschen in die neue Welt, treten hier in den wilden Zustand zurück und fristen im heißen tropischen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beschwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Nässe geplagt, suchen sie bald, um ihren Durst zu löschen, eine Lache auf dem kahlen, staubigten Boden, bald flüchten sie sich vor den Wassern der austretenden Flüsse, vor einem Feinde, der sie von allen Seiten umzingelt. Den Tag über werden Pferde, Maulthiere und Rinder von Bremsen und Moskitos gepeinigt, und bei Nacht von ungeheuren Fledermäusen angefallen, die sich in ihren Rücken einkrallen und ihnen desto schlimmere Wunden beibringen, da alsbald Milben und andere bösartige Insekten in Menge hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maulthiere sogar den ganz mit Stacheln besetzten Melocactus,(1) um zum erfrischenden Saft und so gleichsam zu einer vegetabilischen Wasserquelle zu gelangen. Während der großen Ueberschwemmungen leben dieselben Thiere wahrhaft amphibisch, in Gesellschaft von Krokodilen, Wasserschlangen und Seekühen. Und dennoch erhält sich, nach den unabänderlichen Gesetzen der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen, mitten unter zahllosen Plagen und Gefahren. Fällt das Wasser wieder, kehren die Flüsse in ihre Betten zurück, so überzieht sich die Savane mit zartem, angenehm duftendem Gras, und im Herzen des heißen Landstrichs scheinen die Thiere des alten Europas und Hochasiens in ihr Heimathland versetzt zu seyn und sich des neuen Frühlingsgrüns zu freuen. Während des hohen Wasserstandes gehen die Bewohner dieser Länder, um die starke Strömung und die gefährlichen Baumstämme, die sie treibt, zu vermeiden, in ihren Canoes nicht in den Flußbetten hinauf, sondern fahren über die Grasfluren. Will man von San Fernando nach den Dörfern San Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Francisco de Capanaparo, wendet man sich gerade nach Süd, als führe man auf einem einzigen 20 Meilen breiten Strome. Die Flüsse Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo sie sich in den Orinoco ergießen, 160 Meilen von der Küste von Guyana, eine Art *Binnendelta*, dergleichen die Hydrographie in der alten Welt wenige aufzuweisen hat. Nach der Höhe des Quecksilbers im Barometer hat der Apure von San Fernando bis zur See nur ein Gefälle von 34 Toisen. Dieser Fall ist so unbedeutend als der von der Einmündung des Osageflusses und des Missouri in den Mississippi bis zur Barre desselben. Die Savanen in Nieder-Louisiana erinnern überhaupt in allen Stücken an die Savanen am untern Orinoco. Wir hielten uns drei Tage in der kleinen Stadt San Francisco auf. Wir wohnten beim Missionär, einem sehr wohlhabenden Kapuziner. Wir waren vom Bischof von Caracas an ihn empfohlen und er bewies uns die größte Aufmerksamkeit und Gefälligkeit. Man hatte Uferbauten unternommen, damit der Fluß den Boden, auf dem die Stadt liegt, nicht unterwühlen könnte, und er zog mich deßhalb zu Rath. Durch den Einfluß der Portuguesa in den Apure wird dieser nach Südost gedrängt, und statt dem Fluß freieren Lauf zu verschaffen, hatte man Dämme und Deiche gebaut, um ihn einzuengen. Es war leicht vorauszusagen, daß, wenn die Flüsse stark austraten, diese Wehren um so schneller weggeschwemmt werden mußten, da man das Erdreich zu den Wasserbauten hinter dem Damme genommen und so das Ufer geschwächt hatte. San Fernando ist berüchtigt wegen der unmäßigen Hitze, die hier den größten Theil des Jahres herrscht, und bevor ich von unserer langen Fahrt auf den Strömen berichte, führe ich hier einige Beobachtungen an, welche für die Meteorologie der Tropenländer nicht ohne Werth seyn mögen. Wir begaben uns mit Thermometern aus das mit weißem Sand bedeckte Gestade am Apure. Um 2 Uhr Nachmittags zeigte der Sand überall, wo er der Sonne ausgesetzt war, 52°,5 [42° R]. In achtzehn Zoll Höhe über dem Sand stand der Thermometer auf 42°, in sechs Fuß Höhe auf 38°,7. Die Lufttemperatur im Schatten eines Ceibabaums war 36°,2. Diese Beobachtungen wurden bei völlig stiller Luft gemacht. Sobald der Wind zu wehen anfing, stieg die Temperatur der Luft um 3 Grad, und doch befanden wir uns in keinem _‘Sandwind’_. Es waren vielmehr Luftschichten, die mit einem stark erhitzten Boden in Berührung gewesen, oder durch welche _‘Sandhosen’_ durchgegangen waren. Dieser westliche Strich der Llanos ist der heißeste, weil ihm die Luft zugeführt wird, welche bereits über die ganze dürre Steppe weggegangen ist. Denselben Unterschied hat man zwischen den östlichen und westlichen Strichen der afrikanischen Wüsten da bemerkt, wo die Passate wehen. -- In der Regenzeit nimmt die Hitze in den Llanos bedeutend zu, besonders im Juli, wenn der Himmel bedeckt ist und die strahlende Wärme gegen den Erdboden zurückwirft. In dieser Zeit hört der Seewind ganz auf, und nach POZO’s guten thermometrischen Beobachtungen steigt der Thermometer im Schatten auf 39--39°,5 [31°,2--31°,6 R], und zwar noch über 15 Fuß vom Boden. Je näher wir den Flüssen Portugueza, Apure und Apurito kamen, desto kühler wurde die Luft, in Folge der Verdunstung so ansehnlicher Wassermassen. Dieß ist besonders bei Sonnenaufgang fühlbar; den Tag über werfen die mit weißem Sand bedeckten Flußufer die Sonnenstrahlen auf unerträgliche Weise zurück, mehr als der gelbbraune Thonboden um Calabozo und Tisnao. Am 28. März bei Sonnenaufgang befand ich mich am Ufer, um die Breite des Apure zu messen. Sie beträgt 206 Toisen. Es donnerte von allen Seiten; es war dieß das erste Gewitter und der erste Regen der Jahreszeit. Der Fluß schlug beim Ostwind starke Wellen, aber bald wurde die Luft wieder still, und alsbald fingen große Cetaceen aus der Familie der Spritzfische, ganz ähnlich den Delphinen unserer Meere, an sich in langen Reihen an der Wasserfläche zu tummeln. Die Krokodile, langsam und träge, schienen die Nähe dieser lärmenden, in ihren Bewegungen ungestümen Thiere zu scheuen; wir sahen sie untertauchen, wenn die Spritzfische ihnen nahe kamen. Daß Cetaceen so weit von der Küste vorkommen, ist sehr auffallend. Die Spanier in den Missionen nennen sie, wie die Seedelphine, *Toninas*; ihr indianischer Name ist _Orinucua_. Sie sind 3--4 Fuß lang und zeigen, wenn sie den Rücken krümmen und mit dem Schwanz auf die untern Wasserschichten schlagen, ein Stück des Rückens und der Rückenfloße. Ich konnte keines Stücks habhaft werden, so oft ich auch Indianer aufforderte, mit Pfeilen auf sie zu schießen. Pater Gili versichert, die Guamos essen das Fleisch derselben. Gehören diese Cetaceen den großen Strömen Südamerikas eigenthümlich an, wie der Lamantin (die Seekuh), der nach CUVIER’s anatomischen Untersuchungen gleichfalls ein *Süßwassersäugethier* ist, oder soll man annehmen, daß sie aus der See gegen die Strömung so weit heraufkommen, wie in den asiatischen Flüssen der _Delphinapterus Beluga_ zuweilen thut? Was mir letztere Vermuthung unwahrscheinlich macht, ist der Umstand, daß wir im Rio Atabapo, oberhalb der großen Fälle des Orinoco, Toninas angetroffen haben. Sollten sie von der Mündung des Amazonenstroms her durch die Verbindungen desselben mit dem Rio Negro, Cassiquiare und Orinoco bis in das Herz von Südamerika gekommen seyn? Man trifft sie dort in allen Jahreszeiten an und keine Spur scheint anzudeuten, daß sie zu bestimmten Zeiten wandern wie die Lachse. Während es bereits rings um uns donnerte, zeigten sich am Himmel nur einzelne Wolken, die langsam, und zwar in entgegengesetzter Richtung dem Zenith zuzogen. DELUC’s Hygrometer stand auf 53°, der Thermometer auf 23°,7; der Elektrometer mit rauchendem Docht zeigte keine Spur von Elektricität. Während das Gewitter sich zusammenzog, wurde die Farbe des Himmels zuerst dunkelblau und dann grau. Die Dunstbläschen wurden sichtbar und der Thermometer stieg um 3 Grad, wie fast immer unter den Tropen bei bedecktem Himmel, weil dieser die strahlende Wärme des Bodens zurückwirft. Jetzt goß der Regen in Strömen nieder. Wir waren hinlänglich an das Klima gewöhnt, um von einem tropischen Regen keinen Nachtheil fürchten zu dürfen; so blieben wir denn am Ufer, um den Gang des Elektrometers genau zu beobachten. Ich hielt ihn 6 Fuß über dem Boden 20 Minuten lang in der Hand und sah die Fliedermarkkügelchen meist nur wenige Secunden vor dem Blitz auseinander gehen, und zwar 4 Linien. Die elektrische Ladung blieb sich mehrere Minuten lang gleich; wir hatten Zeit, mittelst einer Siegellackstange die Art der Elektricität zu untersuchen, und so sah ich hier, wie später oft auf dem Rücken der Anden während eines Gewitters, daß die Luftelektricität zuerst Positiv war, dann Null und endlich negativ wurde. Dieser Wechsel zwischen Positiv und Negativ (zwischen Glas- und Harzelektricität) wiederholte sich öfters. Indessen zeigte der Elektrometer ein wenig vor dem Blitz immer nur Null oder positive Elektricität, niemals negative. Gegen das Ende des Gewitters wurde der Westwind sehr heftig. Die Wolken zerstreuten sich und der Thermometer fiel auf 22°, in Folge der Verdunstung am Boden und der freieren Wärmestrahlung gegen den Himmel. Ich bin hier näher auf Einzelnes über elektrische Spannung der Luft eingegangen, weil die Reisenden sich meist darauf beschränken, den Eindruck zu beschreiben, den ein tropisches Gewitter auf einen neu angekommenen Europäer macht. In einem Land, wo das Jahr in zwei große Hälften zerfällt, in die trockene und in die nasse Jahreszeit, oder, wie die Indianer in ihrer ausdrucksvollen Sprache sagen, in *Sonnenzeit* und in *Regenzeit*, ist es von großem Interesse, den Verlauf der meteorologischen Erscheinungen beim Uebergang von einer Jahreszeit zur andern zu verfolgen. Bereits seit dem 18. und 19. Februar hatten wir in den Thälern von Aragua mit Einbruch der Nacht Wolken aufziehen sehen. Mit Anfang März wurde die Anhäufung sichtbarer Dunstbläschen und damit die Anzeichen von Luftelektricität von Tag zu Tag stärker. Wir sahen gegen Süd wetterleuchten und der VOLTA’sche Elektrometer zeigte bei Sonnenuntergang fortwährend Glaselektricität. Mit Einbruch der Nacht wichen die Fliedermarkkügelchen, die sich den Tag über nicht gerührt, 3--4 Linien auseinander, dreimal weiter, als ich in Europa mit demselben Instrument bei heiterem Wetter in der Regel beobachtet. Vom 26. Mai an schien nun aber das elektrische Gleichgewicht in der Luft völlig gestört. Stundenlang war die Elektricität Null, wurde dann sehr stark -- 4 bis 5 Linien -- und bald daraus war sie wieder unmerklich. DELUC’s Hygrometer zeigte fortwährend große Trockenheit an, 33--35°, und dennoch schien die Luft nicht mehr dieselbe. Während dieses beständigen Schwankens der Luftelektricität fingen die kahlen Bäume bereits an frische Blätter zu treiben, als hätten sie ein Vorgefühl vom nahenden Frühling. Der Witterungswechsel, den wir hier beschrieben, bezieht sich nicht etwa auf ein einzelnes Jahr. In der Aequinoctialzone folgen alle Erscheinungen in wunderbarer Einförmigkeit auf einander, weil die lebendigen Kräfte der Natur sich nach leicht erkennbaren Gesetzen beschränken und im Gleichgewicht halten. Im Binnenlande, ostwärts von den Cordilleren von Merida und Neu-Grenada, in den Llanos von Venezuela und am Rio Meta, zwischen dem 4. und 10. Breitegrad, aller Orten, wo es vom Mai bis Oktober beständig regnet und demnach die Zeit der größten Hitze, die im Juli und August eintritt, in die Regenzeit fällt, nehmen die atmosphärischen Erscheinungen folgenden Verlauf. Unvergleichlich ist die Reinheit der Luft vom December bis in den Februar. Der Himmel ist beständig wolkenlos, und zieht je Gewölk auf, so ist das ein Phänomen, das die ganze Einwohnerschaft beschäftigt. Der Wind bläst stark aus Ost und Ost-Nord-Ost. Da er beständig Luft von der gleichen Temperatur herführt, so können die Dünste nicht durch Abkühlung sichtbar werden. Gegen Ende Februar und zu Anfang März ist das Blau des Himmels nicht mehr so dunkel, der Hygrometer zeigt allmählig stärkere Feuchtigkeit an, die Sterne sind zuweilen von einer feinen Dunstschicht umschleiert, ihr Licht ist nicht mehr planetarisch ruhig, man sieht sie hin und wieder bis zu 20 Grad über dem Horizont flimmern. Um diese Zeit wird der Wind schwächer, unregelmäßiger, und es tritt öfter als zuvor völlige Windstille ein. In Süd-Süd-Ost ziehen Wolken auf. Sie erscheinen wie ferne Gebirge mit sehr scharfen Umrissen. Von Zeit zu Zeit lösen sie sich vom Horizont ab und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem schwachen Wind in den untern Luftschichten außer Verhältniß steht. Zu Ende März wird das südliche Stück des Himmels von kleinen, leuchtenden elektrischen Entladungen durchzuckt, phosphorischen Ausleuchtungen, die immer nur von Einer Dunstmasse auszugehen scheinen. Von nun an dreht sich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach West und Südwest. Es ist dieß ein sicheres Zeichen, daß die Regenzeit bevorsteht, die am Orinoco gegen Ende April eintritt. Der Himmel fängt an sich zu beziehen, das Blau verschwindet und macht einem gleichförmigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme stetig zu, und nicht lange, so sind nicht mehr Wolken am Himmel, sondern verdichtete Wasserdünste hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geschrei. Die Luftelektricität, die während der großen Dürre vom December bis März bei Tag fast beständig gleich 1,7--2 Linien am VOLTAschen Elektrometer war, fängt mit dem März an äußerst veränderlich zu werden. Ganze Tage lang ist sie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar Stunden lang 3--4 Linien auseinander. Die Luftelektricität, die in der heißen wie in der gemäßigtenz Zone in der Regel Glaselektricität ist, schlägt auf 8--10 Minuten in Harzelektricität um. Die Regenzeit ist die Zeit der Gewitter, und doch erscheint als Ergebniß meiner zahlreichen, dreijährigen Beobachtungen, daß gerade in dieser Gewitterzeit die elektrische Spannung in den tiefen Luftregionen geringer ist. Sind die Gewitter die Folge dieser ungleichen Ladung der über einander gelagerten Luftschichten? Was hindert die Elektricität in einer Luft, die schon seit Merz feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um diese Zeit scheint die Elektricität nicht durch die ganze Luft verbreitet, sondern auf der äußern Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu seyn. Daß sich das elektrische Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht, ist, nach GAY-LUSSAC, eben eine Folge der Wolkenbildung. In den Ebenen steigt das Gewitter zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian aus, also kurze Zeit nach dem Eintritt des täglichen Wärmemaximums unter den Tropen. Im Binnenlande hört man bei Nacht oder Morgens äußerst selten donnern; nächtliche Gewitter kommen nur in gewissen Flußthälern vor, die ein eigenthümliches Klima haben. Auf welchen Ursachen beruht es nun, daß das Gleichgewicht in der elektrischen Spannung der Luft gestört wird, daß sich die Dünste fortwährend zu Wasser verdichten, daß der Wind aufhört, daß die Regenzeit eintritt und so lange anhält? Ich bezweifle, daß die Elektricität bei Bildung der Dunstbläschen mitwirkt; durch diese Bildung wird vielmehr nur die elektrische Spannung gesteigert und modificirt. Nördlich und südlich vom Aequator kommen die Gewitter oder die großen Entladungen in der gemäßigten und in der äquinoctialen Zone um dieselbe Zeit vor. Besteht ein Moment, das durch das große Luftmeer aus jener Zone gegen die Tropen her wirkt? Wie läßt sich denken, daß in letzterem Himmelsstrich, wo die Sonne sich immer so hoch über den Horizont erhebt, der Durchgang des Gestirns durch das Zenith bedeutenden Einfluß auf die Vorgänge in der Luft haben sollte? Nach meiner Ansicht ist die Ursache, welche unter den Tropen das Eintreten des Regens bedingt, keine örtliche, und das scheinbar so verwickelte Problem würde sich wohl unschwer lösen, wenn wir mit den obern Luftströmungen besser bekannt wären. Wir können nur beobachten, was in den untern Luftschichten vorgeht. Ueber 2000 Toisen Meereshöhe sind die Anden fast unbewohnt, und in dieser Höhe äußern die Nähe des Bodens und die Gebirgsmassen, welche die *Untiefen* im Luftocean sind, bedeutenden Einfluß auf die umgebende Luft. Was man auf der Hochebene am Antisana beobachtet, ist etwas Anderes, als was man wahrnähme, wenn man in derselben Höhe in einem Luftballon über den Llanos oder über der Meeresfläche schwebte. Wie wir gesehen haben, fällt in der nördlichen Aequinoctialzone der Anfang der Regenniederschläge und Gewitter zusammen mit dem Durchgang der Sonne durch das Zenith des Orts, mit dem Aufhören der See- oder Nordostwinde, mit dem häufigen Eintreten von Windstillen und _‘Bendavales’_, das heißt heftigen Südost- und Südwestwinden bei bedecktem Himmel. Vergegenwärtigt man sich die allgemeinen Gesetze des Gleichgewichts, denen die Gasmassen, aus denen unsere Atmosphäre besteht, gehorchen, so ist, nach meiner Ansicht, in den Momenten, daß der Strom, der vom *gleichnamigen* Pol herbläst, unterbrochen wird, daß die Luft in der heißen Zone sich nicht mehr erneuert, und daß fortwährend ein feuchter Strom aufwärts geht, einfach die Ursache zu suchen, warum jene Erscheinungen zusammenfallen. So lange nördlich vom Aequator der Seewind aus Nordost mit voller Kraft bläst, läßt er die Luft über den tropischen Ländern und Meeren sich nicht mit Wasserdunst sättigen. Die heiße, trockene Luft dieser Erdstriche steigt aufwärts und fließt den Polen zu ab, während untere, trockenere und kältere Luft herbeiführende Polarströmungen jeden Augenblick die aufsteigenden Luftsäulen ersetzen. Bei diesem unaufhörlichen Spiel zweier entgegengesetzten Luftströmungen kann sich die Feuchtigkeit in der Aequatorialzone nicht anhäufen, sondern wird kalten und gemäßigten Regionen zugeführt. Während dieser Zeit der Nordostwinde, wo sich die Sonne in den südlichen Zeichen befindet, bleibt der Himmel in der nördlichen Aequatorialzone beständig heiter. Die Dunstbläschen verdichten sich nicht, weil die beständig erneuerte Luft weit vom Sättigungspunkt entfernt ist. Jemehr die Sonne nach ihrem Eintritt in die nördlichen Zeichen gegen das Zenith heraufrückt, desto mehr legt sich der Nordostwind und hört nach und nach ganz auf. Der Temperaturunterschied zwischen den Tropen und der nördlichen gemäßigten Zone ist jetzt der kleinstmögliche. Es ist Sommer am Nordpol, und während die mittlere Wintertemperatur unter dem 42.--52. Grad der Breite um 20--26 Grad niedriger ist als die Temperatur unter dem Aequator, beträgt der Unterschied im Sommer kaum 4--6 Grad. Steht nun die Sonne im Zenith und hört der Nordostwind auf, so treten die Ursachen, welche Feuchtigkeit erzeugen und sie in der nördlichen Aequinoctialzone anhäufen, zumal in vermehrte Wirksamkeit. Die Luftsäule über dieser Zone sättigt sich mit Wasserdampf, weil sie nicht mehr durch den Polarstrom erneuert wird. In dieser gesättigten und durch die vereinten Wirkungen der Strahlung und der Ausdehnung beim Aufsteigen erkalteten Luft bilden sich Wolken. Im Maaß als diese Luft sich verdünnt, nimmt ihre Wärmecapacität zu. Mit der Bildung und Zusammenballung der Dunstbläschen häuft sich die Elektricität in den obern Luftregionen an. Den Tag über schlagen sich die Dünste fortwährend nieder; bei Nacht hört dieß meist auf, häufig sogar schon nach Sonnenuntergang. Die Regengüsse sind regelmäßig am stärksten und von elektrischen Entladungen begleitet, kurze Zeit nachdem das Maximum der Tagestemperatur eingetreten ist. Dieser Stand der Dinge dauert an, bis die Sonne in die südlichen Zeichen tritt. Jetzt beginnt in der nördlichen gemäßigten Zone die kalte Witterung. Von nun an tritt die Luftströmung vom Nordpol her wieder ein, weil der Unterschied zwischen den Wärmegraden im tropischen und im gemäßigten Erdstrich mit jedem Tage bedeutender wird. Der Nordostwind bläst stark, die Luft unter den Tropen wird erneuert und kann den Sättigungspunkt nicht mehr erreichen. Daher hört es auf zu regnen, die Dunstbläschen lösen sich auf, der Himmel wird wieder rein und blau. Von elektrischen Entladungen ist nichts mehr zu hören, ohne Zweifel weil die Elektricität in den hohen Luftregionen jetzt keine Haufen von Dunstbläschen, fast hätte ich gesagt, keine Wolkenhüllen mehr antrifft, auf denen sich das Fluidum anhäufen könnte. Wir haben das Aufhören des Nordostwinds als die Hauptursache der tropischen Regen betrachtet. Diese Regen dauern in jeder Halbkugel nur so lange, als die Sonne die der Halbkugel gleichnamige Abweichung hat. Es muß hier aber noch bemerkt werden, daß, wenn der Nordost aufhört, nicht immer Windstille eintritt, sondern die Ruhe der Luft häufig, besonders längs den Westküsten von Amerika, durch _‘Bendavales’_, d. h. Südwest- und Südostwinde unterbrochen wird. Diese Erscheinung scheint darauf hinzuweisen, daß die feuchten Luftsäulen, die im nördlichen äquatorialen Erdstrich aufsteigen, zuweilen dem Südpol zuströmen. In der That hat in den Ländern der heißen Zone nördlich und südlich vom Aequator in ihrem Sommer, wenn die Sonne durch ihr Zenith geht, der Unterschied zwischen ihrer Temperatur und der am *ungleichnamigen* Pol sein Maximum erreicht. Die südliche gemäßigte Zone hat jetzt Winter, während es nördlich vom Aequator regnet und die mittlere Temperatur um 5--6 Grad höher ist als in der trockenen Jahreszeit, wo die Sonne am tiefsten steht. Daß der Regen fortdauert, während die Bendavales wehen, beweist, daß die Luftströmungen vom entfernteren Pol her in der nördlichen Aequatorialzone nicht die Wirkung äußern wie die vom benachbarten Pole her, weil die Südpolarströmung weit feuchter ist. Die Luft, welche diese Strömung herbeiführt, kommt aus einer fast ganz mit Wasser bedeckten Halbkugel; sie geht, bevor sie zum achten Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze südliche Aequinoctialzone weg, ist folglich nicht so trocken, nicht so kalt als der Nordpolarstrom oder der Nordostwind, und somit auch weniger geeignet, als *Gegenstrom* aufzutreten und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die Bendavales an manchen Küsten, z. B. an denen von Guatimala, als heftige Winde austreten, so rührt dieß ohne Zweifel daher, daß sie nicht Folge eines allmähligen, regelmäßigen Absiusses der tropischen Luft gegen den Südpol sind, sondern mit Windstillen abwechseln, von elektrischen Entladungen begleitet sind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde daraus hinweist, daß im Luftmeer eine Rückstauung, eine rasche, vorübergehende Störung des Gleichgewichts stattgefunden hat. Wir haben hier eine der wichtigsten meteorologischen Erscheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet. Wie die Grenzen der Passatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreise bilden, so äußert sich auch die Wirkung der Polarluftströmungen unter verschiedenen Meridianen verschieden. In derselben Halbkugel haben nicht selten die Gebirgsketten und das Küstenland entgegengesetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalien der Art zu erwähnen; will man aber zur Erkenntniß der Naturgesetze gelangen, so muß man, bevor man sich nach den Ursachen lokaler Erscheinungen umsieht, den *mittleren Zustand* der Atmosphäre und die beständige Norm ihrer Veränderungen kennen. Das Aussehen des Himmels, der Gang der Elektricität und der Regenguß am 28. Merz verkündeten den Beginn der Regenzeit; man rieth uns indessen, von San Fernando am Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio nach dem kürzlich am Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoco etwas oberhalb Carichana einzuschiffen. Dieser Landweg führt durch einen ungesunden, von Fiebern heimgesuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez, bot sich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein sprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in diesen entlegenen Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als hunderttausend Piastern, und doch stieg er mit nackten Füßen, an die mächtige silberne Sporen geschnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vegetation auf den Llanos ist, und schlugen daher lieber den längeren Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoco ein. Wir wählten dazu eine der sehr breiten Piroguen, welche die Spanier _‘Lanchas’_ nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann (_el patron_) und vier Indianer hinreichend. Am Hintertheil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war so geräumig, daß Tisch und Bänke Platz darin fanden. Letztere bestanden aus über Rahmen von Brasilholz straff gespannten und angenagelten Ochsenhäuten. Ich führe diese kleinen Umstände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoco in den schmalen elenden Canoes. Wir nahmen in die Pirogue Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando(2) gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniocmehl und Cacao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszusehen, daß ein Dach aus Palmblättern sich im breiten Flußbett, wo man fast immer den senkrechten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, sehr stark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebensmittel, die wir angeschafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Missionäre wegen der übermäßigen Feuchtigkeit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es sehr viele Fische, Seekühe und Schildkröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine sehr angenehme Speise sind. Die Ufer sind mit unzähligen Vögelschaaren bevölkert. Die ersprießlichsten für uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Fasan des Landes nennen könnte. Ihr Fleisch kam mir härter und nicht so weiß vor als das unserer hühnerartigen Vögel in Europa, weil sie ihre Muskeln ungleich stärker brauchen. Neben dem Mundvorrath, dem Geräthe zum Fischfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fässer Branntwein zum Tauschhandel mit den Indianern am Orinoco einzunehmen. Wir fuhren von San Fernando am 30. Merz, um vier Uhr Abends, bei sehr starker Hitze ab; der Thermometer stand im Schatten auf 34°, obgleich der Wind stark aus Südost blies. Wegen dieses widrigen Windes konnten wir keine Segel aufziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoco und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters der Provinz Barinas, Don Nicolas Sotto, der erst kürzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers sind, entschloß er sich, mit uns vier und siebzig Tage auf einem engen, von Moskitos wimmelnden Canoe zuzubringen. Sein geistreiches, liebenswürdiges Wesen und seine muntere Laune haben uns oft die Beschwerden einer zuweilen nicht gefahrlosen Fahrt vergessen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vorbei und an der Insel dieses Namens hin, die vom Apure und dem Guarico gebildet wird. Diese Insel ist im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landstrich, der von zwei großen Flüssen eingefaßt wird, die sich in geringer Entfernung von einander in den Orinoco ergießen, nachdem sie bereits unterhalb San Fernando durch eine erste Gabelung des Apure sich vereinigt haben. Die *Isla* del Apurito ist 22 Meilen lang und 2--3 Meilen breit. Sie wird durch den *Caño* de la Tigrera und den *Caño* del Manati in drei Stücke getheilt, wovon die beiden äußersten Isla de Blanco und Isla de las Garzilas heißen. Ich mache hier diese umständlichen Angaben, weil alle bis jetzt erschienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewässer zwischen dem Guarico und dem Meta aufs sonderbarste entstellen. Unterhalb des Apurito ist das rechte Ufer des Apure etwas besser angebaut als das linke, wo einige Hütten der Yaruros-Indianer aus Rohr und Palmblattstielen stehen. Sie leben von Jagd und Fischfang und sind besonders geübt im Erlegen der Jaguars, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch sie in die spanischen Dörfer kommen. Ein Theil dieser Indianer ist getauft, besucht aber niemals eine christliche Kirche. Man betrachtet sie als Wilde, weil sie unabhängig bleiben wollen. Andere Stämme der Yaruros leben unter der Zucht der Missionäre im Dorfe Achaguas, südlich vom Rio Payara. Die Leute dieser Nation, die ich am Orinoco zu sehen Gelegenheit gehabt, haben einige Züge von der fälschlich so genannten tartarischen Bildung, die manchen Zweigen der mongolischen Race zukommt. Ihr Blick ist ernst, das Auge stark in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Nase aber der ganzen Länge nach vorspringend. Sie sind größer, brauner und nicht so untersetzt wie die Chaymas. Die Missionare rühmen die geistigen Anlagen der Yaruros, die früher eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoco waren, besonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einflusses des Guarico. Wir brachten die Nacht in *Diamante* zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Insel dieses Namens gegenüber. Auf meiner ganzen Reise von San Fernando nach San Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Angostura war ich bemüht, Tag für Tag, sey es im Canoe, sey es im Nachtlager, aufzuschreiben, was mir Bemerkenswerthes vorgekommen. Durch den starken Regen und die ungeheure Menge Moskitos, von denen die Luft am Orinoco und Cassiquiare wimmelt, hat diese Arbeit nothwendig Lücken bekommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die folgenden Seiten sind ein Auszug aus diesem Tagebuch. Was im Angesicht der geschilderten Gegenstände niedergeschrieben ist, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte sagen von Individualität), das auch den unbedeutendsten Dingen einen gewissen Reiz gibt. Um unnöthige Wiederholungen zu vermeiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen, was über die beschriebenen Gegenstände später zu meiner Kenntniß gelangt ist. Je gewaltiger und großartiger die Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern erscheint, desto strenger muß man bei den Naturschilderungen an der Einfachheit festhalten, die das vornehmste, oft das einzige Verdienst eines ersten Entwurfes ist. Am 31. März. Der widrige Wind nöthigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir sahen die Zuckerfelder zum Theil durch einen Brand zerstört, der sich aus einem nahen Wald bis hieher fortgepflanzt hatte. Die wandernden Indianer zünden überall, wo sie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen von diesen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerstörung schützte. Wir fanden Stämme des Mahagonibaums (_caoba_) und von Desmanthus, die kaum zwei Zoll tief verkohlt waren. Vom Diamante an betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und _Chiguire_, einer großen Art von LINNÉs Gattung Cavia, bewohnt ist. Hier sahen wir dichtgedrängte Vogelschwärme sich vom Himmel abheben, wie eine schwärzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick verändern. Der Fluß wird allmählig breiter. Das eine Ufer ist meist dürr und sandigt, in Folge der Ueberschwemmungen; das andere ist höher und mit hochstämmigen Bäumen bewachsen. Hin und wieder ist der Fluß zu beiden Seiten bewaldet und bildet einen geraden, 150 Toisen breiten Canal. Die Stellung der Bäume ist sehr merkwürdig. Vorne sieht man Büsche von _Sauso_ (_Hermesia castaneifolia_) die gleichsam eine vier Schuh hohe Hecke bilden, und es ist, als wäre diese künstlich beschnitten. Hinter dieser Hecke kommt ein Gehölz von Cedrela, Brasilholz und Gayac. Die Palmen sind ziemlich selten; man sieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der stachligten Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieses Landstrichs, die Tiger, Tapire und Pecarischweine, haben Durchgänge in die eben beschriebene Sausohecke gebrochen, durch die sie zum trinken an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Canoe herbeikommt, hat man den Genuß, sie langsam am Ufer hinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Lücken im Gebüsch im Walde verschwinden. Ich gestehe, diese Auftritte, so oft sie vorkamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Lust, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Interesse des Naturforschers, sondern daneben auf einer Empfindung, die allen im Schooße der Cultur aufgewachsenen Menschen gemein ist. Man sieht sich einer neuen Welt, einer wilden, ungezähmten Natur gegenüber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, der schöne amerikanische Panther; bald wandelt der Hocco (_Crax alector_) mit schwarzem Gefieder und dem Federbusch langsam an der Uferhecke hin. Thiere der verschiedensten Classen lösen einander ab. »_es como in el Paraiso_« (es ist wie im Paradies), sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich, Alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen stellen; beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Thiere genau, so zeigt es sich, daß sie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradies der amerikanischen Wälder, wie aller Orten, hat lange traurige Erfahrung alle Geschöpfe gelehrt, daß Sanftmuth und Stärke selten beisammen sind. Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sausobüschen weiter vom Strome weg. Auf diesem Zwischengebiet sieht man Krokodile, oft ihrer acht und zehn, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgesperrt, ruhen sie neben einander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man sie sonst bei gesellig lebenden Thieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, sobald er vom Ufer ausbricht, und doch besteht er wahrscheinlich nur aus Einem männlichen und vielen weiblichen Thieren; denn, wie schon DESCOURTILS, der die Krokodile auf St. Domingo so fleißig beobachtet, vor mir bemerkt hat, die Männchen sind ziemlich selten, weil sie in der Brunst mit einander kämpfen unds sich ums Leben bringen. Diese gewaltigen Reptilien sind so zahlreich, daß auf dem ganzen Stromlauf fast jeden Augenblick ihrer fünf oder sechs zu sehen waren, und doch fieng der Apure erst kaum merklich an zu steigen und hunderte von Krokodilen lagen also noch im Schlamme der Savanen begraben. Gegen vier Uhr Abends hielten wir an, um ein todtes Krokodil zumessen, das der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 16 Fuß 8 Zoll lang; einige Tage später fand Bonpland ein anderes (männliches), das 22 Fuß 3 Zoll maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Egypten, erreicht das Thier dieselbe Größe; auch ist die Art, die im Apure, im Orinoco und im Magdalenenstrom so häufig vorkommt,(3) kein Cayman oder Alligator, sondern ein wahres Krokodil mit an den äußern Rändern gezähnten Füßen, dem Nilkrokodil sehr ähnlich. Bedenkt man, daß das männliche Thier erst mit zehn Jahren mannbar wird und daß es dann 8 Fuß lang ist, so läßt sich annehmen, daß das von Bonpland gemessene Thier wenigstens 28 Jahre alt war. Die Indianer sagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, wo nicht zwei, drei erwachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschöpfen am Fluß, von diesen fleischfressenden Eidechsen zerrissen würden. Man erzählte uns die Geschichte eines jungen Mädchens aus Uritucu, das sich durch seltene Unerschrockenheit und Geistesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald sie sich gepackt fühlte, griff sie nach den Augen des Thiers und stieß ihre Finger mit solcher Gewalt hinein, daß das Krokodil vor Schmerz sie fahren ließ, nachdem es ihr den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheuern Blutverlusts gelangte die Indianerin, mit der übrig gebliebenen Hand schwimmend, glücklich ans Ufer. In diesen Einöden, wo der Mensch in beständigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man sich täglich von den Kunstgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder _Traga Venado_, einem Krokodil zu entgehen; jeder rüstet sich gleichsam auf die bevorstehende Gefahr. »Ich wußte,« sagte das junge Mädchen in Uritucu gelassen, »daß der Cayman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt.« Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasselbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert sich nicht mit lebhafter Theilnahme, wie Isaaco, der Führer des unglücklichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulinkombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Ungeheuers entkam, weil es ihm gelang, demselben unter dem Wasser die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Isaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung derselben Geistesgegenwart, demselben Gedankengang. Das Krokodil im Apure bewegt sich sehr rasch und gewandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt ist, so langsam hin wie ein Salamander. Läuft das Thier, so hört man ein trockenes Geräusch, das von der Reibung seiner Hautplatten gegen einander herzurühren scheint. Bei dieser Bewegung krümmt es den Rücken und erscheint hochbeinigter als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Nähe; es ist aber nicht wahr, was die Indianer behaupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppenthier, »ihre Schuppen und ihre ganze Rüstung sollen ausrichten können.« Die Thiere bewegen sich allerdings meistens gerade aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke seine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängsel von falschen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschränken scheinen, wenden die Krokodile ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beißen sehen; Andere haben dasselbe bei erwachsenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung fast immer geradlinigt erscheint, so rührt dieß daher, daß dieselbe, wie bei unsern kleinen Eidechsen, stoßweise erfolgt. Die Krokodile schwimmen vortrefflich und überwinden leicht die stärkste Strömung. Es schien mir indessen, als ob sie, wenn sie flußabwärts schwimmen, nicht wohl rasch umwenden könnten. Eines Tags wurde ein großer Hund, der uns auf der Reise von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Fluß von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war schon ganz nahe an ihm und der Hund entging seinem Feinde nur dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom schwamm. Das Krokodil führte nun dieselbe Bewegung aus, aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte glücklich das Ufer. Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den *Chiguire* (_Cavia Capybara_; Wasserschwein), die in Rudeln von 50--60 Stücken an den Flußufern leben. Diese unglücklichen Thiere, von der Größe unserer Schweine, besitzen keinerlei Waffe, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser, als sie laufen; aber auf dem Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und am Lande werden sie von den Tigern gefressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier gewaltigen Feinde so zahlreich seyn können; sie vermehren sich aber so rasch, wie die Cobayes, oder Meerschweinchen, die aus Brasilien zu uns gekommen sind. Unterhalb der Einmündung des Caño de la Tigrera, in einer Bucht, *Vuelta de Joval* genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu messen; sie betrug nur 3-1/2 Fuß in der Secunde, was 2,56 Fuß mittlere Geschwindigkeit ergibt.(4) Die Barometerhöhen ergaben, unter Berücksichtigung der kleinen stündlichen Abweichungen, ein Gefälle von kaum 17 Zoll auf die Seemeile (zu 950 Toisen). Die Geschwindigkeit ist das Produkt zweier Momente, des Falls des Bodens und des Steigens des Wassers im obern Stromgebiet. Auch hier sahen wir uns von Chiguire umgeben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Wasser strecken. Auf dem Strand gegenüber sahen wir zu unserer Ueberraschung ein mächtiges Krokodil mitten unter diesen Nagethieren regungslos daliegen und schlafen: Es erwachte, als wir mit unserer Pirogue näher kamen, und ging langsam dem Wasser zu, ohne daß die Chiguire unruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser Gleichgültigkeit in der Dummheit des Thiers; wahrscheinlich aber wissen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure und Orinoco auf dem Lande nicht angreift, der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblick, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen. Beim *Joval* wird der Charakter der Landschaft großartig wild. Hier sahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbst die Indianer erstaunten über seine ungeheure Länge; er war größer als alle indischen Tiger, die ich in Europa in Menagerien gesehen. Das Thier lag im Schatten eines großen Zamang.(5) Es hatte eben einen Chiguire erlegt, aber seine Beute noch nicht angebrochen; nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unteregypten verglichen haben, hatten sich in Schaaren versammelt, um die Reste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den seltsamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten sich bis auf zwei Fuß vom Jaguar vor, aber bei der leisesten Bewegung desselben wichen sie zurück. Um die Sitten dieser Thiere noch mehr in der Nähe zu beobachten, bestiegen wir das kleine Canoe, das unsere Pirogue mit sich führte. Sehr selten greift der Tiger Kähne an, indem er darnach schwimmt, und dieß kommt nur vor, wenn durch langen Hunger seine Wuth gereizt ist. Beim Geräusch unserer Ruder erhob sich das Thier langsam, um sich hinter den Sausobüschen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten sich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unseres Canoe, einen Satz unter sie und schleppte zornerfüllt, wie man an seinem Gang und am Schlagen seines Schwanzes sah, seine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß sie ihre Lanzen nicht bei sich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie sind an diese Waffe gewöhnt, und thaten wohl, sich nicht auf unsere Gewehre zu verlassen, die in einer so ungemein feuchten Luft häufig versagten. Im Weiterfahren flußabwärts sahen wir die große Heerde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er sich ein Stück geholt hatte. Die Thiere sahen uns ganz ruhig landen. Manche saßen da und schienen uns zu betrachten, wobei sie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menschen schienen sie sich nicht zu fürchten, aber beim Anblick unseres großen Hundes ergriffen sie die Flucht. Da das Hintergestell bei ihnen höher ist als das Vordergestell, so laufen sie im kurzen Galopp, kommen aber dabei so wenig vorwärts, daß wir zwei fangen konnten. Der Chiguire, der sehr fertig schwimmt, läßt im Laufen ein leises Seufzen hören, als ob ihm das Athmen beschwerlich würde. Er ist das größte Thier in der Familie der Nager; er setzt sich nur in der äußersten Noth zur Wehr, wenn er umringt und verwundet ist. Da seine Backzähne, besonders die hinteren, ausnehmend stark und ziemlich lang sind, so kann er mit seinem Biß einem Tiger die Tatze oder einem Pferd den Fuß zerreißen. Sein Fleisch hat einen ziemlich unangenehmen Moschusgeruch; man macht indessen im Lande Schinken daraus, und dieß rechtfertigt gewissermaßen den Namen _‘Wasserschwein’_, den manche alte Naturgeschichtschreiber dem Chiguire beilegen. Die geistlichen Missionare lassen sich in den Fasten diese Schinken ohne Bedenken schmecken; in ihrem zoologischen System stehen das Gürtelthier, das Wasserschwein und der Lamantin oder die Seekuh neben den Schildkröten; ersteres, weil es mit einer harten Kruste, einer Art Schaale bedeckt ist, die beiden andern, weil sie im Wasser wie auf dem Lande leben. An den Ufern des Santo Domingo, Apure und Arauca, in den Sümpfen und auf den überschwemmten Savanen der Llanos kommen die Chiguire in solcher Menge vor, daß die Weiden darunter leiden. Sie fressen das Kraut weg, von dem die Pferde am fettesten werden, und das _Chiguirero_ (Kraut des Chiguire) heißt. Sie fressen auch Fische, und wir sahen mit Verwunderung, daß das Thier, wenn es, erschreckt durch ein nahendes Canoe, untertaucht, 8--10 Minuten unter Wasser bleibt. Wir brachten die Nacht, wie immer, unter freiem Himmel zu, obgleich auf einer *Pflanzung*, deren Besitzer die Tigerjagd trieb. Er war fast ganz nackt und schwärzlich braun wie ein Zambo, zählte sich aber nichts destoweniger zum weißen Menschenschlag. Seine Frau und seine Tochter, die so nackt waren wie er, nannte er Donna Isabela und Donna Manuela. Obgleich er nie vom Ufer des Apure weggekommen, nahm er den lebendigsten Antheil »an den Neuigkeiten aus Madrid, an den Kriegen, deren kein Ende abzusehen, und an all den Geschichten dort drüben (_todas las cosas de allà_). Er wußte, daß der König von Spanien bald zum Besuche »Ihrer Herrlichkeiten im Lande Caracas« herüber kommen würde, setzte aber scherzhaft hinzu: »Da die Hofleute nur Weizenbrod essen können, werden sie nie über die Stadt Valencia hinaus wollen, und wir werden sie hier nicht zu sehen bekommen.« Ich hatte einen Chiguire mitgebracht und wollte ihn braten lassen; aber unser Wirth versicherte uns, _nos otros cavalleros blancos_ weiße Leute wie er und ich, seyen nicht dazu gemacht, von solchem _‘Indianerwildpret’_ zu genießen. Er bot uns Hirschfleisch an; er hatte Tags zuvor einen mit dem Pfeil erlegt, denn er hatte weder Pulver noch Schießgewehr. Wir glaubten nicht anders, als hinter einem Bananengehölze liege die Hütte des Gehöftes; aber dieser Mann, der sich auf seinen Adel und seine Hautfarbe so viel einbildete, hatte sich nicht die Mühe gegeben, aus Palmblättern eine Ajoupa zu errichten. Er forderte uns auf, unsere Hängematten neben den seinigen zwischen zwei Bäumen befestigen zu lassen, und versicherte uns mit selbstgefälliger Miene, wenn wir in der Regenzeit den Fluß wieder heraufkämen, würden wir ihn *unter Dach* (_baxo techo_) finden. Wir kamen bald in den Fall, eine Philosophie zu verwünschen, die der Faulheit Vorschub leistet und den Menschen für alle Bequemlichkeiten des Lebens gleichgültig macht. Nach Mitternacht erhob sich ein furchtbarer Sturmwind, Blitze durchzuckten den Horizont, der Donner rollte und wir wurden bis auf die Haut durchnäßt. Während des Ungewitters versetzte uns ein seltsamer Vorfall auf eine Weile in gute Laune. Donna Isabelas Katze hatte sich auf den Tamarindenbaum gesetzt, unter dem wir lagerten. Sie fiel in die Hängematte eines unserer Begleiter, und der Mann, zerkratzt von der Katze und aus dem tiefsten Schlafe aufgeschreckt, glaubte, ein wildes Thier aus dem Walde habe ihn angefallen. Wir liefen auf sein Geschrei hinzu und rißen ihn nur mit Mühe aus seinem Irrthum. Während es auf unsere Hängematten und unsere Instrumente, die wir ausgeschifft, in Strömen regnete, wünschte uns Don Ignacio Glück, daß wir nicht am Ufer geschlafen, sondern uns auf seinem Gute befänden, »_entre gento blanca y de trato_« (unter Weißen und Leuten von Stande). Durchnäßt wie wir waren, fiel es uns denn doch schwer, uns zu überzeugen, daß wir es hier so besonders gut haben, und wir hörten ziemlich widerwillig zu, wie unser Wirth ein Langes und Breites von seinem sogenannten Kriegszuge an den Rio Meta erzählte, wie tapfer er sich in einem blutigen Gefechte mit den Guahibos gehalten, und »welche Dienste er Gott und seinem König geleistet, indem er den Eltern die Kinder (_los Indiecitos_) genommen und in die Missionen vertheilt.« Welch seltsamen Eindruck machte es, in dieser weiten Einöde bei einem Manns der von europäischer Abkunft zu seyn glaubt und kein anderes Obdach kennt als den Schatten eines Baumes, alle eitle Anmaaßung, alle ererbten Vorurtheile, alle Verkehrtheiten einer alten Cultur anzutreffen! Am 1. April. Mit Sonnenaufgang verabschiedeten wir uns von Señor Don Ignacio und von Señora Donna Isabela, seiner Gemahlin. Die Luft war abgekühlt; der Thermometer, der bei Tag meist auf 30--35° stand, war auf 24° gefallen. Die Temperatur des Flusses blieb sich fast ganz gleich, sie war fortwährend 26--27°. Der Strom trieb eine ungeheure Menge Baumstämme. Man sollte meinen, auf einem völlig ebenen Boden, wo das Auge nicht die geringste Erhöhung bemerkt, hätte sich der Fluß durch die Gewalt seiner Strömung einen ganz geraden Canal graben müssen. Ein Blick auf die Carte, die ich nach meinen Aufnahmen mit dem Compaß entworfen, zeigt das Gegentheil. Das abspülende Wasser findet an beiden Ufern nicht denselben Widerstand, und fast unmerkliche Bodenerhöhungen geben zu starken Krümmungen Anlaß. Unterhalb des *Jovals*, wo das Flußbett etwas breiter wird, bildet dasselbe wirklich einen Canal, der mit der Schnur gezogen scheint und zu beiden Seiten von sehr hohen Bäumen beschattet ist. Dieses Stück des Flusses heißt _Caño ricco_; ich fand dasselbe 136 Toisen breit. Wir kamen an einer niedrigen Insel vorüber, auf der Flamingos, rosenfarbige Löffelgänse, Reiher und Wasserhühner, die das mannigfaltigste Farbenspiel boten, zu Tausenden nisteten. Die Vögel waren so dicht an einander gedrängt, daß man meinte, sie könnten sich gar nicht rühren. Die Insel heißt *Isla de Aves*. Weiterhin fuhren wir an der Stelle vorbei, wo der Apure einen Arm (den Rio Arichuna) an den Cabullare abgibt und dadurch bedeutend an Wasser verliert. Wir hielten am rechten Ufer bei einer kleinen indianischen, vom Stamm der Guamos bewohnten Mission. Es standen erst 16 bis 18 Hütten aus Palmblättern; aber aus den statistischen Tabellen, welche die Missionäre jährlich bei Hofe einreichen, wird diese Gruppe von Hütten als das *Dorf Santa Barbara de Arichuna* aufgeführt. Die Guamos sind ein Indianerstamm, der sehr schwer seßhaft zu machen ist. Sie haben in ihren Sitten Vieles mit den Achaguas, Guajibos und Otomacos gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachsucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig von einander ab. Diese vier Stämme leben größtentheils von Fischfang und Jagd aus den häufig überschwemmten Ebenen zwischen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben scheint hier durch die Beschaffenheit des Landes selbst bedingt. Wir werden bald sehen, daß man, sobald man die Berge an den Katarakten des Orinoco betritt, bei den Piraoas, Macos und Maquiritares sanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Gebirge, in undurchdringlichen Wäldern sieht sich der Mensch genöthigt, sich fest niederzulassen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anstrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine andern Wege führen als die Flüsse, ein hartes, mühseliges Leben führt. Die Guamos in der Mission Santa Barbara konnten uns die Mundvorräthe, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern; sie bauten nur etwas Manioc. Sie schienen indessen gastfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten sie uns getrocknete Fische und Wasser (in ihrer Sprache _Cub_) an. Das Wasser war in porösen Gefäßen abgekühlt. Unterhalb der *Vuelta del Cochino roto* an einer Stelle, wo sich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, sehr breiten Gestade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und so brachten wir nur mit Noth trockenes Holz zusammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indier glauben, vor dem nächtlichen Angriff des Tigers sicher ist. Unsere eigene Erfahrung scheint diesen Glauben zu bestätigen; dagegen versichert AZARRO, zu seiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savane weggeholt. Die Nacht war still und heiter und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich so gelegt, daß sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andere Wasserthiere. Die Indianer zeigten uns im Sand die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen seine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und befestigten unsere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich ruhig bis um eilf Uhr Nachts; da aber erhob sich im benachbarten Wald ein so furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein Auge schließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Thiere, die zusammen schrieen, erkannten unsere Indianer nur diejenigen, die sich auch einzeln hören ließen, namentlich die leisen Flötentöne der Sapajous, die Seufzer der Alouatos, das Brüllen des Tigers und des Cuguars, oder amerikanischen Löwen ohne Mähne, das Geschrei des Bisamschweins, des Faulthiers, des Hocco, des Parraqua und einiger andern hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguars dem Waldrande sich näherten, so fing unser Hund, der bis dahin fortwährend gebellt hatte, an zu heulen und suchte Schutz unter den Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geschwiegen, erscholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter, und dann folgte daraus das anhaltende schrille Pfeifen der Affen, die sich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten. Ich schildere Zug für Zug diese nächtlichen Auftritte, weil wir zu Anfang unserer Fahrt auf dem Apure noch nicht daran gewöhnt waren. Monate lang, aller Orten, wo der Wald nahe an die Flußufer rückt, hatten wir sie zu erleben. Die Sorglosigkeit der Indianer macht dabei auch dem Reisenden Muth. Man redet sich mit ihnen ein, die Tiger fürchten alle das Feuer und greifen niemals einen Menschen in seiner Hängematte an. Und solche Angriffe kommen allerdings sehr selten vor und auf meinem langen Aufenthalt in Südamerika erinnere ich mich nur eines einzigen Falls, wo, den Achaguas-Inseln gegenüber, ein Llanero in seiner Hängematte zerfleischt gefunden wurde. Befragt man die Indianer, warum die Thiere des Waldes zu gewissen Stunden einen so furchtbaren Lärm erheben, so geben sie die lustige Antwort: »Sie feiern den Vollmond.« Ich glaube, die Unruhe rührt meist daher, daß im innern Walde sich irgendwo ein Kampf entsponnen hat. Die Jaguars zum Beispiel machen Jagd auf die Bisamschweine und Tapirs, die nur Schutz finden, wenn sie beisammenbleiben, und in gedrängten Rudeln fliehend das Gebüsch, das ihnen in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, scheu und furchtsam, erschrecken ob dieser Jagd und beantworten von den Bäumen herab das Geschrei der großen Thiere. Sie wecken die gesellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, so ist die ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald sehen, daß dieser Lärm keineswegs nur bei schönem Mondschein, sondern vorzugsweise während der Gewitter und starken Regengüsse unter den wilden Thieren ausbricht. »Der Himmel verleihe ihnen eine ruhsame Nacht, wie uns andern!« sprach der Mönch, der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todtmüde von der Last des Tages, unser Nachtlager einrichten half. Es war allerdings seltsam, daß man mitten im einsamen Wald sollte keine Ruhe finden können. In den spanischen Herbergen fürchtet man sich vor den schrillen Tönen der Guitarren im anstoßenden Zimmer; in denen am Orinoco, das heißt auf offenem Gestade oder unter einem einzeln stehenden Baum, besorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlaf gestört zu werden. Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war schön und kühl, wie es Leuten vorkommt, die an die große Hitze in diesen Ländern gewöhnt sind. Der Thermometer stand in der Luft nur auf 28°, aber der trockene, weiße Sand am Gestade hatte trotz der Strahlung gegen einen wolkenlosen Himmel eine Tempetatur von 36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen, in langen Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fischfangenden Vögeln bedeckt. Manche machen sich das Floßholz, das den Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraschen die Fische, die sich mitten in der Strömung halten. Unser Canoe stieß im Laufe des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn sie sehr heftig sind, können schwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die Jahre lang in schiefer Richtung im Schlamm stecken bleiben. Diese Bäume kommen beim Hochwasser aus dem Sarare herunter und verstopfen das Flußbett dergestalt, daß die Piroguen stromaufwärts häufig zwischen den Untiefen und überall, wo Wirbel sind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Insel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilstämme aus dem Wasser ragten. Sie saßen voll Vögeln, einer Art Plotus, die der *Anhinga* sehr nahe steht. Diese Vögel sitzen in Reihen auf, wie die Fasanen und die Parraquas, und bleiben stundenlang, den Schnabel gen Himmel gestreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Aussehen gibt. Von der Insel Carizales an wurde die Abnahme des Wassers im Fluß desto auffallender, da unterhalb der Gabelung bei der *Boca de Arichuna* kein Arm, kein natürlicher Abzugscanal mehr dem Apure Wasser entzieht. Der Verlust rührt allein von der Verdunstung und Einsickerung auf sandigten, durchnäßten Ufern her. Man kann sich vorstellen, wie viel dieß ausmacht, wenn man bedenkt, daß wir den trockenen Sand zu verschiedenen Tagesstunden 36--52, den Sand, über dem drei bis vier Zoll Wasser standen, noch 32 Grad warm fanden. Das Flußwasser erwärmt sich dem Boden zu, so weit die Sonnenstrahlen eindringen können, ohne beim Durchgang durch die über einander gelagerten Wasserschichten zu sehr geschwächt zu werden. Dabei reicht die Einsickerung weit über das Flußbett hinaus und ist, so zu sagen, seitlich. Das Gestade, das ganz trocken scheint, ist bis zur Höhe des Wasserspiegels mit Wasser getränkt. Fünfzig Toisen vom Fluß sahen wir Wasser hervorquellen, so oft die Indianer die Ruder in den Boden steckten; dieser unten feuchte, oben trockene und dem Sonnenstrahl ausgesetzte Sand wirkt nun aber wie ein Schwamm. Er gibt jeden Augenblick durch Verdunstung vom eingesickerten Wasser ab; der sich entwickelnde Wasserdampf zieht durch die obere, stark erhitzte Sandschicht und wird sichtbar, wenn sich am Abend die Luft abkühlt. Im Maaß, als das Gestade Wasser abgibt, zieht es aus dem Strom neues an, und man sieht leicht, daß dieses fortwährende Spiel von Verdunstung und seitlicher Einsaugung dem Fluß ungeheure Wassermassen entziehen muß, nur daß der Verlust schwer genau zu berechnen ist. Die Zunahme dieses Verlustes wäre der Länge des Stromlaufes proportional, wenn die Flüsse von der Quelle bis zur Mündung überall gleiche Ufer hätten; da aber diese von den Anschwemmungen herrühren, und die Gewässer, je weiter von der Quelle weg, desto langsamer fließen und somit nothwendig im untern Stromlauf mehr absetzen als im obern, so werden viele Flüsse im heißen Erdstrich ihrer Mündung zu seichter. BARROW hat diese auffallende Wirkung des Sandes im östlichen Afrika an den Ufern des Orangeflusses beobachtet. Sie gab sogar bei den verschiedenen Annahmen über den Lauf des Nigers zu sehr wichtigen Erörterungen Anlaß. Bei der *Vuelta de Basilio*, wo wir ans Land gingen, um Pflanzen zu sammeln, sahen wir oben auf einem Baum zwei hübsche kleine pechschwarze Affen, von der Größe des Saï, mit Wickelschwänzen. Ihrem Gesicht und ihren Bewegungen nach konnte es weder der Coaïta, noch der Chamek, noch überhaupt ein *Atele* seyn. Sogar unsere Indianer hatten nie dergleichen gesehen. In diesen Wäldern gibt es eine Menge Sapajous, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, besonders die in Rudeln lebenden und darum rührigeren, zu gewissen Zeiten weit wandern, so kommt es vor, daß bei Eintritt der Regenzeit die Eingeborenen bei ihren Hütten welche ansichtig werden, die sie nie zuvor gesehen. Am selben Ufer zeigten uns unsere Führer ein Nest junger Leguans, die nur vier Zoll lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechse zu unterscheiden. Die Rückenstacheln, die großen ausgerichteten Schuppen, all die Anhängsel, die dem Leguan, wenn er 4 bis 5 Fuß lang ist, ein so ungeheuerliches Ansehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleisch dieser Eidechse fanden wir in allen sehr trockenen Ländern von angenehmem Geschmack, selbst zu Zeiten, wo es uns nicht an andern Nahrungsmitteln fehlte. Es ist sehr weiß und nach dem Fleisch des Tatu oder Gürtelthiers, das hier _Cachicamo_ heißt, eines der besten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet. Gegen Abend regnete es; vor dem Regen strichen die Schwalben, die vollkommen den unsrigen glichen, über die Wasserfläche hin. Wir sahen auch, wie ein Flug Papagayen von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geschrei der Papagayen stach vom Pfeifen der Raubvögel seltsam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel am Gestade, in der Nähe der Insel Carizales. Nicht weit standen mehrere indianische Hütten auf Pflanzungen. Unser Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Jaguar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr ist. »Die Menschen machen ihn übellaunig,« »_los hombres lo enfadan_« sagt das Volk in den Missionen, ein spaßhafter, naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung. Am 3. April. Seit der Abfahrt von San Fernando ist uns kein einziges Canoe auf dem schönen Strome begegnet. Ringsum herrscht tiefe Einsamkeit. Am Morgen fingen unsere Indianer mit der Angel den Fisch, der hier zu Lande _Caribe_ oder _Caribito_ heißt, weil keiner so blutgierig ist. Er fällt die Menschen beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch ab. Ist man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur schwer aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Wunden davon zu tragen. Die Indianer fürchten diese Caraibenfische ungemein, und verschiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln vernarbte, sehr tiefe Wunden, die von diesen kleinen Thieren herrührten, die bei den Maypures _Umati_ heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüsse, gießt man aber ein paar Tropfen Blut ins Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf. Bedenkt man, wie zahlreich diese Fische sind, von denen die gefräßigsten und blutgierigsten nur 4--5 Zoll lang werden, betrachtet man ihre dreiseitigen schneidenden, spitzen Zähne und ihr weites retractiles Maul, so wundert man sich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoco den Caribe so sehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fisch zu sehen war, warfen wir kleine blutige Fleischstücke ins Wasser. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Caraibenfischen da und stritt sich um den Fraß. Der Fisch hat einen kantigen, sägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den *Serra-Salmen*, den *Myleten* und den *Pristigastern* zukommt. Nach dem Vorhandenseyn einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinander stehenden, in der untern Kinnlade größeren Zähne gehört der Caribe zu den Serra-Salmen. Er hat ein viel weiter gespaltenes Maul als CUVIERs Myleten. Der Körper ist am Rücken aschgrau, ins Grünliche spielend; aber Bauch, Kiemen, Brust-, Bauch- und Afterfloßen sind schön orangegelb. Im Orinoco kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unterscheidet. Die mittlere scheint identisch mit MARCGRAVs mittlerer Art des Piraya oder Piranha (_Salmo rhombeus_, LINNÉ). Ich habe sie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen sehr angenehmen Geschmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, ist er als eine der größten Plagen dieser Landstriche zu betrachten, wo der Stich der Moskitos und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Bedürfniß machen. Wir hielten gegen Mittag an einem unbewohnten Ort, *Algodonal* genannt. Ich trennte mich von meinen Gefährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittagessen rüstete. Ich ging am Gestade hin, um in der Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne schliefen, wobei sie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze auf einander legten. Kleine schneeweiße Reiher(6) liefen ihnen auf dem Rücken, sogar auf dem Kopf herum, als wären es Baumstämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit trockenem Schlamm überzogen; ihrer Farbe und ihrer Regungslosigkeit nach konnte man sie für Bronzebilder halten. Wenig fehlte aber, so wäre mir der Spaziergang übel bekommen. Ich hatte immer nur nach dem Flusse hin gesehen, aber indem ich Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die frische Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe so leicht zu erkennen ist. Das Thier war dem Walde zu gegangen, und als ich nun dorthin blickte, sah ich achtzig Schritte von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba liegen. Nie ist mir ein Tiger so groß vorgekommen. Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Vernunft zu Hülfe ruft. Ich war sehr erschrocken, indessen noch soweit Herr meiner selbst und meiner Bewegungen, daß ich die Verhaltungsregeln befolgen konnte, die uns die Indianer schon oft für dergleichen Fälle ertheilt hatten. Ich ging weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen, und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit seinen Gedanken ganz bei einer Heerde Capybaras war, die über den Fluß schwammen. Jetzt kehrte ich um und beschrieb einen ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm weg kam, desto rascher glaubte ich gehen zu können. Wie oft war ich in Versuchung, mich umzusehen, ob ich nicht verfolgt werde! Glücklicherweise gab ich diesem Drange erst sehr spät nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Diese ungeheuren Katzen mit geflecktem Fell sind hier zu Lande, wo es Capybaras, Bisamschweine und Hirsche im Ueberfluß gibt, so gut genährt, daß sie selten einen Menschen anfallen. Ich kam athemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern mein Abenteuer. Sie schienen nicht viel daraus zu machen; indessen luden wir unsere Flinten und sie gingen mit uns auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen, war nicht gerathen, da man sich zerstreuen oder in einer Reihe durch die verschlungenen Lianen gehen muß. Abends kamen wir an der Mündung des *Caño del Manati* vorüber, so genannt wegen der ungeheuern Menge Manatis oder Lamantins, die jährlich hier gefangen werden. Dieses grasfressende Wassersäugethier, das die Indianer _Apcia_ und _Avia_ nennen, wird hier meist 10--12 Fuß lang und 500--800 Pfund schwer. Wir sahen das Wasser mit dem Koth desselben bedeckt, der sehr stinkend ist, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es ist im Orinoco unterhalb der Katarakten, im Meta und im Apure zwischen den beiden Inseln Carizales und Conserva sehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußern Fläche und am Rande der Schwimmfloßen, die ganz glatt sind; zieht man aber die Haut der Floße ab, so zeigen sich an der dritten Phalange kleine Nägelrudimente. Bei einem 9 Fuß langen Thier, das wir in Carichana, einer Mission am Orinoco, zergliederten, sprang die Oberlippe vier Zoll über die untere vor. Jene ist mit einer sehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüßel oder Fühler zum Betasten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim frisch getödteten Thier auffallend warm ist, zeigt einen ganz eigenthümlichen Bau. Die Zunge ist fast unbeweglich; aber vor derselben befindet sich in jeder Kinnlade ein fleischiger Knopf und eine mit sehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die in einander passen. Der Lamantin verschluckt so viel Gras, daß wir sowohl den in mehrere Fächer getheilten Magen, als den 108 Fuß langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Thier am Rücken auf, so erstaunt man über die Größe, Gestalt und Lage seiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblasen; sie ist drei Fuß lang. Mit Luft gefüllt hat sie ein Volumen von mehr als tausend Cubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit so ansehnlichen Luftbehältern so oft an die Wasserfläche heraufkommt, um zu athmen. Sein Fleisch, das, aus irgend einem Vorurtheil, für ungesund und _calenturioso_ (fiebererzeugend) gilt, ist sehr schmackhaft; es schien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleisch als mit Rindfleisch zu haben. Die Guamos und Otamacos essen es am liebsten, daher geben sich auch diese zwei Stämme vorzugsweise mit dem Seekuhfang ab. Das eingesalzene und an der Sonne gedörrte Fleisch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieses Säugethier bei der Clerisei für einen Fisch gilt, so ist es in den Fasten sehr gesucht. Der Lamantin hat ein äußerst zähes Leben; man harpunirt ihn und bindet ihn sodann, schlachtet ihn aber erst, nachdem er in die Pirogue geschafft worden. Dieß geschieht oft, wenn das Thier sehr groß ist, mitten auf dem Flusse, und zwar so, daß man die Pirogue zu zwei Drittheilen mit Wasser füllt, sie unter das Thier schiebt und mit einer Kürbißflasche wieder ausschöpft. Am leichtesten sind sie am Ende der großen Ueberschwemmungen zu fangen, wenn sie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe gerathen sind und das Wasser schnell fällt. Zur Zeit, wo die Jesuiten den Missionen am untern Orinoco vorstanden, kamen diese alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zusammen, um mit den Indianern aus ihren Missionen am Fuße des Bergs, der. gegenwärtig *el Capuchino* heißt, eine große Seekuhjagd anzustellen. Das Fett des Thiers, die _manteca de manati_ wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Wallfischthrans, oder des Fetts anderer Cetaceen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über anderthalb Zoll dick ist, wird in Streifen zerschnitten und diese dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochsenhaut, als Stricke. Kommt sie ins Wasser, so hat sie den Fehler, daß sie zu faulen anfängt. Man macht in den spanischen Colonien Peitschen daraus, daher auch die Worte _latigo_ und _manati_ gleichbedeutend sind. Diese Peitschen aus Seekuhhaut sind ein schreckliches Werkzeug zur Züchtigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Missionen, die nach den Gesetzen als freie Menschen behandelt werden sollten. Wir übernachteten der Insel Conserva gegenüber. Als wir am Waldsaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, siebzig Fuß hoher, mit verästeten Dornen bedeckter Baum auf. Die Indianer nennen ihn _barba de tigre_. Es ist vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die Indianer hatten unsere Feuer dicht am Wasser angezündet; da fanden wir wieder, daß sein Glanz die Krokodile herlockte, und sogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht schlafen ließ, bis man das Feuer auslöschte. Wir wurden in dieser Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieser Wildniß liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unserem Nachtlager nahe, um sein Junges am Strome trinken zu lassen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Geschrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unsere große Dogge von ungeheuern Fledermäusen, die um unsere Hängematten flattevten, vorne an der Schnauze gebissen, oder, wie die Eingeborenen sagen, *gestochen*. Sie hatten lange Schwänze wie die Molossen; ich glaube aber, daß es Phyllostomen waren, deren mit Warzen besetzte Zunge ein Saugorgan ist, das sie bedeutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, sobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er über die Fledermäuse, als sie unter unsern Hängematten hervorkamen, erschrak. Dergleichen Fälle sind weit seltener, als man im Lande selbst glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähnliche Fledermausarten so häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir doch nie von ihnen gebissen worden. Ueberdem ist der *Stich* keineswegs gefährlich und der Schmerz meist so unbedeutend, daß man erst aufwacht, wenn die Fledermaus sich bereits davongemacht hat. Am 4. April. Dieß war unser letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer einförmiger. Seit einigen Tagen, besonders seit der Mission Arichuna, fingen wir an arg von den Insekten gequält zu werden, die sich uns auf Gesicht und Hände setzten. Es waren keine *Moskitos*, die den Habitus kleiner Mücken von der Gattung _Simulium_ haben,(7) sondern *Zancudos*, ächte Schnacken, aber von unserem _Culex pipiens_ ganz verschieden. Sie kommen erst nach Sonnenuntergang zum Vorschein; ihr Saugrüssel ist so lang, daß, wenn sie sich an die Unterseite der Hängematte setzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die dicksten Kleider dringt. Wir wollten in der *Vuelta del Palmito* übernachten, aber an diesem Strich des Apure gibt es so viele Jaguars, daß unsere Indianer, als sie unsere Hängematten befestigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilstamm versteckt fanden. Man rieth uns, das Schiff wieder zu besteigen und unser Nachtlager auf der Insel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in den Orinoco, aufzuschlagen. Dieser Theil der Insel gehört zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Barinas und das rechte Ufer des Orinoco zu spanisch Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unsere Hängematten zu befestigen, und mußten am Boden auf Ochsenhäuten schlafen. Die Canoes sind zu eng und wimmeln zu sehr von Zancudos, als daß man darin übernachten könnte. An der Stelle, wo wir unsere Instrumente ans Land gebracht hatten, war das Ufer ziemlich steil, und da sahen wir denn einen neuen Beweis von der oben besprochenen Trägheit der hühnerartigen Vögel unter den Tropen. Die Hoccos und Pauxis(8) kommen immer mehrmals des Tags an den Fluß herunter, um ihren Durst zu löschen. Sie trinken viel und in kurzen Pausen. Eine Menge dieser Vögel und ein Schwarm Parraquas-Fasanen hatten sich bei unserem Nachtlager zusammengefunden. Es wurde ihnen sehr schwer, am abschüssigen Ufer hinaufzukommen; sie versuchten es mehreremale, ohne ihre Flügel zu brauchen. Wir jagten sie vor uns her wie Schaafe. Die Zamurosgeier entschließen sich gleichfalls sehr schwer zum Auffliegen. Ich konnte nach Mitternacht eine gute Beobachtung der Meridianhöhe von α des südlichen Kreuzes anstellen. Der Einfluß des Apure liegt unter 7° 36′ 23″ der Breite. Pater GUMILLA gibt 5° 5′, D’ANVILLE 7° 3′, CAULIN 7° 26′ an. Die Länge der *Boca* des Apure ist nach den Sonnenhöhen, die ich am 5. April Morgens aufgenommen, 69° 7′ 29″, oder 1° 12′ 41″ östlich vom Meridian von San Fernando. *Am 5. April*. Es fiel uns sehr auf, wie gering die Wassermasse ist, welche der Apure in dieser Jahreszeit dem Orinoco zuführt. Derselbe Strom, der nach meinen Messungen beim *Caño ricco* noch 136 Toisen breit war, maß an seiner Ausmündung nur zwischen 60 und 80.(9) Seine Tiefe betrug hier nur 3--4 Toisen. Er verliert allerdings Wasser durch den Rio Arichuna und den Caño del Manati, zwei Arme des Apure, die zum Payara und Guarico laufen; aber der größte Verlust scheint von der Einsickerung an den Ufern herzurühren, von der oben die Rede war. Die Geschwindigkeit der Strömung bei der Ausmündung war nur 3 Fuß in der Secunde, so daß ich die ganze Wassermasse leicht berechnen könnte, wenn mir durch Sondirungen in kurzen Abständen alle Dimensionen des Querschnitts bekannt wären. Der Barometer, der in San Fernando, 28 Fuß über dem mittleren Wasserstand des Apure, um 9-1/2 Uhr Morgens 335,6 Linien hoch gestanden hatte, stand an der Ausmündung des Apure in den Orinoco 337,3 Linien hoch. Rechnet man die ganze Länge des Wegs (die Krümmungen des Stroms mitgerechnet(10)) zu 94 Seemeilen oder 893,000 Toisen und nimmt man die kleine, wegen der stündlichen Schwankung des Barometers vorzunehmende Correction in Rechnung, so ergibt sich im Durchschnitt ein Gefälle von 13 Zoll auf die Seemeile von 950 Toisen. LA CONDAMINE und der gelehrte Major RENNEL glauben, daß der Fall des Amazonenstroms und des Ganges durchschnittlich kaum 4--5 Zoll auf die Seemeile beträgt. Wir fuhren, ehe wir in den Orinoco einliefen, mehrmals auf; die Anschwemmungen sind beim Zusammenfluß der beiden Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers am Tau ziehen lassen. Welcher Contrast zwischen diesem Zustand des Stroms unmittelbar vor dem Beginn der Regenzeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunstung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stand im Herbste, wo der Apure gleich einem Meeresarm, so weit das Auge reicht, über den Grasfluren steht! Gegen Süd sahen wir die einzelnstehenden Hügel bei Coruato; im Osten fingen die Granitfelsen von Curiquima, der Zuckerhut von Caycara und die *Cerros del Tirano* an über den Horizont emporzusteigen. Mit einem gewissen Gefühl der Rührung sahen wir zum erstenmale, wornach wir uns so lange gesehnt, die Gewässer des Orinoco, an einem von der Meeresküste so weit entfernten Punkte. ------------------ 1 Ganz besonders geschickt wissen die Esel sich die Feuchtigkeit im Innern des _Cactus melocactus_ zu Nutze zu machen. Sie stoßen die Stacheln mit den Füßen ab, und man sieht welche in Folge dieses Verfahrens hinken. 2 Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoco (acht Tagereisen) 10 Piaster für die Lancha, und außerdem dem Steuermann einen halben Piaster oder vier Realen und jedem der indianischen Ruderer zwei Realen Taglohn. 3 Es ist dieß der _Arue_ der Tamanaken, der _Amana_ der Maypuren, CUVIERs _Crocodilus acutus_. 4 Um die Geschwindigkeit eines Stroms an der Oberfläche zu ermitteln, maaß ich meist am Ufer eine Standlinie von 250 Fuß ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom schwimmender Körper brauchte, um dieselbe Strecke zurückzulegen. 5 Eine Mimosenart. _ 6 Garzon Chico_. In Oberägypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil sie sich beim Fischfang den Umstand zu Nutze machen, daß die Fische sich über das ungeheure Thier entsetzen und sich vor ihm vom Grunde des Wassers an die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe. 7 LATREILLE hat gefunden, daß die *Moustiques* in Süd-Carolina zur Gattung _Simulium_ (_Atractocera_, Meigen) gehören. 8 Letzterer (_Crax Pauxi_) ist nicht so häufig als ersterer. 9 Dieß ist nicht ganz die Breite der Seine am Pontroyal, den Tuilerien gegenüber. 10 Ich schätzte sie auf ein Viertheil der geraden Entfernung. NEUNZEHNTES KAPITEL. Zusammenfluß des Apure mit dem Orinoco. -- Die Gebirge von Encaramada. -- Uruana. -- Baraguan. -- Carichana. -- Der Einfluß des Meta. -- Die Insel Panumana. Mit der Ausfahrt aus dem Apure sahen wir uns in ein ganz anderes Land versetzt. So weit das Auge reichte, dehnte sich eine ungeheure Wasserfläche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geschrei der Reiher, Flamingos und Löffelgänse, wenn sie in langen Schwärmen von einem Ufer zum andern ziehen, erfüllte nicht mehr die Luft. Vergeblich sahen wir uns nach den Schwimmvögeln um, deren gewerbsmäszige Listen bei jeder Sippe wieder andere sind. Die ganze Natur schien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein großes Krokodil, das mittelst seines langen Schwanzes die bewegte Wasserfläche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel begrenzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beständig der Sonnengluth ausgesetzte Ufer, kahl und dürr wie der Meeresstrand, glichen in Folge der Luftspiegelung von weitem Lachen stehenden Wassers. Diese sandigten Ufer verwischten vielmehr die Grenzen des Stromes, statt sie für das Auge festzustellen; nach dem wechselnden Spiel der Strahlenbrechung rückten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg. Diese zerstreuten Landschaftszüge, dieses Gepräge von Einsamkeit und Großartigkeit kennzeichnen den Lauf des Orinoco, eines der gewaltigsten Ströme der neuen Welt. Aller Orten haben die Gewässer wie das Land ihren eigenthümlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoco ist ganz anders als die Betten des Meta, des Guaviare, des Rio Negro und des Amazonenstroms. Diese Unterschiede rühren nicht bloß von der Breite und der Geschwindigkeit des Stromes her; sie beruhen auf einer Gesammtheit von Verhältnissen, die an Ort und Stelle leichter aufzufassen, als genau zu beschreiben sind. So erriethe ein erfahrener Schiffer schon an der Form der Wogen, an der Farbe des Wassers, am Aussehen des Himmels und der Wolken, ob er sich im atlantischen Meer, oder im Mittelmeer, oder im tropischen Strich des großen Oceans befindet. Der Wind wehte stark aus Ost-Nord-Ost; er war uns günstig, um stromaufwärts nach der Mission Encaramada zu segeln; aber unsere Pirogue leistete dem Wogenschlag so geringen Widerstand, daß, wer gewöhnlich seekrank wurde, bei der heftigen Bewegung selbst auf dem Fluß sich sehr unbehaglich fühlte. Das Scholken rührt daher, daß die Gewässer der beiden Ströme beider Bereinigung auf einander stoßen. Dieser Stoß ist sehr stark, aber lange nicht so gefährlich, als Pater GUMILLA behauptet. Wir fuhren an der Punta Curiquima vorbei, einer einzeln stehenden Masse von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Blöcken bestehenden Vorgebirge. Hier, auf dem rechten Ufer des Orinoco, hatte zur Zeit der Jesuiten Pater Rotella unter den Palenques- und Biriviri-Indianern eine Mission angelegt. Bei Hochwasser waren der Berg Curiquima und das Dorf am Fuß desselben rings von Wasser umgeben. Wegen dieses großen Uebelstandes und wegen der Unzahl Moskitos und _‘Niguas’_,(11) von denen Missionäre und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt ist er völlig verlassen, während gegenüber auf dem linken Ufer in den Hügeln von Coruato herumziehende Indianer hausen, die entweder aus den Missionen oder aus freien, den Mönchen nicht unterworfenen Stämmen ausgestoßen worden sind. Die ungemeine Breite des Orinoco zwischen der Einmündung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir sehr auf; ich berechnete sie daher nach einer Standlinie, die ich am westlichen Ufer zweimal abgemessen. Das Bett des Orinoco war beim gegenwärtigen tiefen Wasserstand 1906 Toisen breit; aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Capuchino beim Hügel Pocopocori Inseln sind, mögen es 5517 Toisen werden. Zum starken Anschwellen des Orinoco trägt auch der Druck der Wasser des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenflüsse, mit dem Obertheil des Hauptstroms einen spitzen Winkel bildet, sondern unter einem rechten Winkel einmündet. Wir maßen an verschiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Wassers; mitten im Thalweg, wo die Strömung am stärksten ist, betrug sie 28°,3, in der Nähe der Ufer 29°,2. Wir fuhren zuerst gegen Südwest hinaus bis zum Gestade der Guaricotos-Indianer auf dem linken Ufer des Orinoco, und dann gegen Süd. Der Strom ist so breit, daß die Berge von Encaramada aus dem Wasser emporzusteigen scheinen, wie wenn man sie über dem Meereshorizont sähe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Ost nach West streichende Kette, und je näher man ihnen kommt, desto malerischer wird die Landschaft. Diese Berge bestehen aus ungeheuren zerklüfteten, auf einander gethürmten Granitblöcken. Die Theilung der Gebirgsmasse in Blöcke ist eine Folge der Verwitterung. Zum Reiz der Gegend von Encaramada trägt besonders der kräftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswände bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei läßt. Man meint, altes Gemäuer rage aus einem Walde empor. Aus dem Berg, an den sich die Mission lehnt, dem *Tepupano* der Tamanacos, stehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt sind, während der dritte, unten schmälere und über 80 Fuß hohe, senkrecht stehen geblieben ist. Dieser Felsen, dessen Form an die *Schnarcher* im Harz oder an die *Orgeln von Actopan* in Mexico erinnert, war früher ein Stück des runden Berggipfels. Zu allen Erdstrichen hat der nicht geschichtete Granit das Eigenthümliche, daß er durch Verwitterung in prismatische, cylindrische oder säulenförmige Blöcke zerfällt. Gegenüber dem Gestade der Guaricotos kamen wir in die Nähe eines andern, ganz niedrigen, drei bis vier Toisen langen Felshaufens. Er steht mitten in der Ebene und gleicht nicht sowohl einem Tumulus als den Granitmassen, die man in Holland und Niederdeutschland _‘Hünenbetten’_ nennt. Der Ufersand an diesem Stück des Orinoco ist nicht mehr reiner Quarzsand, er besteht aus Thon und Glimmerblättchen in sehr dünnen Schichten, die meist unter einen Winkel von 40--50 Grad fallen; er sieht aus wie verwitterter Glimmerschiefer. Dieser Wechsel in der geologischen Beschaffenheit der Ufer tritt schon weit oberhalb der Mündung des Apure ein; schon beim Algodonal und beim Caño de Manati fingen wir in letzterem Flusse an denselben zu bemerken. Die Glimmerblättchen kommen ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Ost findet man nur Quarzsand, Sandstein, festen Kalkstein und Gyps. Daß Anschwemmungen von Süd nach Nord geführt werden, kann am Orinoco nicht befremden; aber wie erklärt sich dieselbe Erscheinung im Bett des Apure, sieben Meilen westwärts von seiner Ausmündung? Beim gegenwärtigen Zustand der Dinge läuft der Apure auch beim höchsten Wasserstand des Orinoco nie so weit rückwärts, und um sich von der Erscheinung Rechenschaft zu geben, muß man annehmen, die Glimmerschichten haben sich zu einer Zeit niedergeschlagen, wo der ganze, sehr tief gelegene Landstrich zwischen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein Seebecken war. Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es ist dieß eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zusammenkommen. Das Ufer besteht aus einem 40--50 Fuß hohen Felsen, wieder jenen aufeinander gethürmten Granitblöcken, wie sie am Schneeberg in Franken und fast in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieser abgesonderten Massen sind kugeligt; es sind aber keine Kugeln mit concentrischen Schichten, sondern nur abgerundete Blöcke, Kerne, von denen das umhüllende Gestein abgewittert ist. Der Granit ist bleigrau, oft schwarz, wie mit Manganoxyd überzogen; aber diese Farbe dringt kaum 1/5 Linie tief ins Gestein, das röthlich weiß, grobkörnig ist und keine Hornblende enthält. Die indianischen Namen der Mission *San Luis del ** Encaramada* sind _Guaja_ und _Caramana_.(12) Es ist dieß das kleine Dorf, das im Jahr 1749 vom Jesuitenpater GILI, dem Verfasser der in Rom gedruckten _Storia dell Orinoco_, gegründet wurde. Dieser in den Indianersprachen sehr bewanderte Mann lebte hier achtzehn Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde diese Landstriche sind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 40 Meilen von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und daß er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat. Im Hafen von Encaramada trafen wir Caraiben aus Panapana. Es war ein Cazike, der in seiner Pirogue zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinausging. Seine Pirogue war gegen den Boden zugerundet wie ein *Bongo* und führte ein kleineres Canoe, _‘Curiara’_ genannt, mit sich. Er saß unter einer Art Zelt (_Toldo_), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern bestand. Sein kalter, einsylbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeugten, Alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor sich hatte. Der Cazike trug sich übrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit *Onoto*, dem Farbestoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerschaft, Geräthe, Fahrzeug, Segel, Alles war roth angestrichen. Diese Caraiben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit höher gewachsen als die Indianer, die wir bisher gesehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarz gefärbten Augenbrauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Cabineten in Europa ein paar Caraibenschädel von den Antillen gesehen und waren daher überrascht, daß bei diesen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abständen mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeschnürt. Das Fleisch unter den Binden wird stark zusammengepreßt und quillt in den Zwischenräumen heraus. Die Caraiben verwenden meist auf ihr Aeußeres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und roth bemalte Menschen nur immer können. Sie legen bedeutenden Werth auf gewisse Körperformen, und eine Mutter würde gewissenloser Gleichgültigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ihnen nicht durch künstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unserer Indianer vom Apure caraibisch sprach, konnten wir uns beim Caziken von Panapana nicht nach den Lagerplätzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoco zum Sammeln der Schildkröteneier zusammenkommt. Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felsenbucht, gegenüber der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaicà sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schön; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme so gleichmäßig vertheilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5 Grad über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auffallend geschwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des scheinbaren Durchmessers Jupiters einen Irrthum in der Beobachtung fürchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum erstenmal mit bloßem Auge die Scheibe Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er führte keine Wolken heraus, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstöße ein und machten uns für unsere Pirogue besorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur sehr wenige Krokodile gesehen, aber lauter ungewöhnlich große, 20--24 Fuß lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüsse auf; besonders in den Caños sind sie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen sagen, was ABD-ALLATIF von den Nilkrokodilen sagt, »sie wimmeln wie Würmer an den seichten Stromstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln.« Am 6. April. Wir fuhren erst gegen Süd, dann gegen Südwest weiter den Orinoco hinauf und bekamen den Südabhang der *Serrania* oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fluß am nächsten gelegene Strich ist nicht mehr als 140--160 Toisen hoch, aber die steilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savane; ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel lassen die Serrania auffallend hoch erscheinen. Ihre größte Breite beträgt nur drei Meilen; nach den Mittheilungen von Pareka-Indianern wird sie gegen Ost bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichsten Zug eines Bergstocks, welcher sich am rechten Ufer des Orinoco zwischen dem 5. und 7-1/2 Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwischen den verschiedenen Zügen dieses Bergstocks liegen kleine grasbewachsene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichsten ziehen sich von West nach Ost, die südlichsten von Nordwest nach Südost. Aus dieser verschiedenen Richtung erklärt sich vollkommen, warum die Cordillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Orinoco und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir einmal über die großen Katarakten von Atures und Maypures hinauf gelangt sind, werden wir hinter einander sieben Hauptketten erscheinen sehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Chaviripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geologischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmäßig gruppirt scheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoco fährt, im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolirung ist nur scheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encaramada hängen mit denen des Mato zusammen, in welchen der Rio Asiveru oder Cuchivero entspringt; die Berge von Chaviripe erstrecken sich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Corosal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari. Ueber diese Berge, die von sanftmüthigen, ackerbauenden Indianern bewohnt sind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atobapo versorgt werden sollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den spanischen Soldaten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man diese beiden Flüsse hinab, so gelangt man in den Orinoco und Atobapo, ohne über die großen Katarakten zu kommen, über welche Vieh hinaufzuschaffen so gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeist, der den Castilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vorzüglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf kurze Frist noch einmal auf, als König Ferdinand VI. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen kennen lernen wollte, und in den Wäldern von Guyana, dem classischen Lande der Lüge und der mährchenhaften Ueberlieferungen, die Arglist der Indianer die chimärische Vorstellung von den Schätzen des Dorado, welche die Einbildungskraft der ersten Eroberer so gewaltig beschäftigt hatte, von Neuem in Umlauf brachte. In diesen Bergen der Encaramada, die, wie der meiste grobkörnige Granit, keine Gänge enthalten, fragt man sich, wo die Goldgeschiebe herkommen, welche Juan MARTINEZ(13) und RALEGH bei den Indianern am Orinoco in so großer Menge gesehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in diesem Theile von Amerika glaube ich, daß das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum sichtbaren Theilchen durch die ganze Masse des Granitgesteins zerstreut ist, ohne daß man kleine verästete und in einander verschlungene Gänge anzunehmen hat. Noch nicht lange fanden Indianer aus Encaramada in der _Quebrada del tigre_ (Tigerschlucht) ein Goldkorn von zwei Linien Durchmesser. Es war rund und schien im Wasser gerollt. Diese Entdeckung war den Missionären noch wichtiger als den Indianern, aber sie blieb alleinstehend. Ich kann dieses erste Glied des Bergstocks der Encaramada nicht verlassen, ohne eines Umstandes zu erwähnen, der Pater GILI nicht unbekannt geblieben war und dessen man während unseres Aufenthalts in den Missionen am Orinoco häufig gegen uns erwähnte. Unter den Eingeborenen dieser Länder hat sich die Sage erhalten, »beim großen Wasser, als ihre Väter das Canoe besteigen mußten, um der allgemeinen Ueberschwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felsen der Encaramada bespült.« Diese Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, sie gehört zu einem Kreise geschichtlicher Ueberlieferungen, aus dem sich einzelne Vorstellungen bei den Maypures an den großen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der sich in den Caura ergießt, und fast bei allen Stämmen am obern Orinoco finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menschengeschlecht diese große Katastrophe, die *Wasserzeit* der Mexicaner, überlebt habe, so sagen sie, »ein Mann und ein Weib haben sich auf einen hohen Berg, Namens Tamanacu, am Ufer des Asiveru, geflüchtet; da haben sie Früchte der Mauritiapalme hinter sich über ihre Köpfe geworfen, und aus den Kernen derselben seyen Männlein und Weiblein entsprossen, welche die Erde wieder bevölkert.« In solch einfacher Gestalt lebt bei jetzt wilden Völkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft geschmückt worden ist. Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savane ein Fels, der sogenannte *Tepumereme*, *der gemalte Fels*. Man sieht darauf Thierbilder und symbolische Zeichen, ähnlich denen, wie wir sie auf der Rückfahrt auf dem Orinoco nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara gesehen. In Afrika heißen dergleichen Felsen bei den Reisenden _‘Fetischsteine’_. Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoco von einem Fetischdienst nichts wissen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten auf Felsen gefunden, Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenstände religiöser Verehrung vorzustellen scheinen. Zwischen dem Cassiquiare und dem Orinoco, zwischen Encaramada, Capuchino und Caycara sind diese hieroglyphische n Figuren häufig sehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nur mittelst sehr hoher Gerüste gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich gewesen sey, die Bilder einzuhauen, so erwiedern sie lächelnd, als sprächen sie eine Thatsache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt seyn kann, »zur Zeit des *großen Wassers* seyen ihre Väter so hoch oben im Canoe gefahren.« Diese alten Sagen des Menschengeschlechts, die wir gleich Trümmern eines großen Schiffbruchs über den Erdball zerstreut finden, sind für die Geschichtsphilosophie von höchster Bedeutung. Wie gewisse Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verschiedensten Meereshöhen das Gepräge des gemeinsamen Typus behalten, so haben die cosmogonischen Ueberlieferungen der Völker aller Orten denselben Charakter, eine Familienähnlichkeit, die uns in Erstaunen setzt. Im Grundgedanken hinsichtlich der Vernichtung der lebendigen Schöpfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen fast gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine örtliche Färbung. Auf den großen Festländern, wie auf den kleinsten Inseln im stillen Meer haben sich die übrig gebliebenen Menschen immer auf den höchsten Berg in der Nähe geflüchtet, und das Ereigniß erscheint desto neuer, je roher die Völker sind und je weniger, was sie von sich selbst wissen, weit zurückreicht. Untersucht man die mexicanischen Denkmale aus der Zeit vor der Entdeckung der neuen Welt genau, dringt man in die Wälder am Orinoco, sieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europäischen Niederlassungen sind und in welchen Zuständen die unabhängig gebliebenen Stämme verharren, so kann man nicht daran denken, die eben besprochene Uebereinstimmung dem Einfluß der Missionare und des Christenthums auf die Volkssagen zuzuschreiben. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß die Völker am Orinoco durch den Umstand, daß sie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorstellung vom großen Wasser gekommen seyn sollten, das eine Zeit lang die Keime des organischen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoco bis zum Cassiquiare und Rio Negro besteht aus Urgebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandstein- oder Conglomeratsormation angetroffen, aber keinen secundären Kalkstein, keine Spur von Versteinerungen. Der frische Nordostwind brachte uns mit vollen Segeln zur *Boca de la Tortuga*. Gegen eilf Uhr Vormittags stiegen wir an einer Insel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Mission Uruana als ihr Eigenthum betrachten. Diese Insel ist berühmt wegen des Schildkrötenfangs, oder, wie man hier sagt, wegen der _Cosecha_ der *Eierernte*, die jährlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beisammen und unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Das Lager war über dreihundert Köpfe stark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an öde Gestade gewöhnt, und so fiel uns das Leben, das hier herrschte, ungemein auf. Außer den Guamos und Otomacos aus Uruana, die beide für wilde, unzähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Indianer vom untern Orinoco da. Jeder Stamm lagerte für sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in diesem lärmenden Haufen einige Weiße, namentlich _‘Pulperos’_ oder Krämer aus Angostura, die den Fluß herausgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen. Wir trafen auch den Missionär von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebürtig war. Der Mann verwunderte sich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unsere Instrumente bewundert, entwarf er uns eine übertriebene Schilderung von den Beschwerden, denen wir uns nothwendig aussetzten, wenn wir auf dem Orinoco bis über die Fälle hinaufgingen. Der Zweck unserer Reise schien ihm in bedeutendes Dunkel gehüllt. »Wie soll einer glauben,« sagte er, »daß ihr euer Vaterland verlassen habt, um euch auf diesem Flusse von den Moskitos auszehren zu lassen und Land zu vermessen, das euch nicht gehört?« Zum Glück hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franciscaner-Missionen bei uns, und der Schwager des Statthalters von Barinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unsere Tracht, unsern Accent und unsere Ankunft auf diesem sandigen Eiland unter den Weißen aufgetaucht waren. Der Missionar lud uns zu seinem frugalen Mahl aus Bananen und Fischen ein und erzählte uns, er sey mit den Indianern über die »Eierernte« herübergekommen, »um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel für die Altarlampe zu verschaffen, besonders aber um diese _republica de Indios y Castellanos_ in Ordnung zu halten, in der jeder für sich allein haben wolle, was Gott allen bescheert.« Wir umgingen die Insel in Begleitung des Missionars und eines Pulpero, der sich rühmte, daß er seit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur _pesca de Tortugas_ komme. Man besucht dieses Stück des Orinoco, wie man bei uns die Messen von Frankfurt und Beaucaire besucht. Wir befanden uns auf einem ganz ebenen Sandstrich. Man sagte uns: »So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkröteneier unter einer Erdschicht.« Der Missionar trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange (_vera_) sondirt, um zu sehen, wie weit die Eier*schicht* reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Vara senkrecht in den Boden, so spürt man daran, daß der Widerstand auf einmal aufhört, daß man in die Höhlung oder das lose Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen ist. Wie wir sahen, ist die Schicht im Ganzen so gleichförmig verbreitet, daß die Sonde in einem Halbmesser von 10 Toisen rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stößt. Auch spricht man hier nur von *Quadratstangen Eiern*, wie wenn man ein Bodenstück, unter dem Mineralien liegen, in Loose theilte und ganz regelmäßig abbaute. Indessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Insel; sie hört überall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkröte auf diese kleinen Plateaus nicht hinaufkriechen kann. Ich erzählte meinen Führern von den hochtrabenden Beschreibungen Pater GUMILLAs, wie die Ufer des Orinoco nicht soviel Sandkörner enthalten, als der Strom Schildkröten, und wie diese Thiere die Schiffe in ihrem Lauf aufhielten, wenn Menschen und Tiger nicht alljährlich so viele tödteten. »_Son cuentos de fraíles_« sagte der Krämer aus Angostura leise, denn da arme Missionäre hier zu Lande die einzigen Reisenden sind, so nennt man hier »Pfaffenmährchen,« was man in Europa den Reisenden überhaupt aufbürden würde. Die Indianer versicherten uns, von der Mündung des Orinoco bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine einzige Insel und kein einziges Gestade, wo man Schildkröteneier in Masse sammeln könnte. Die große Schildkröte, der Arrau (sprich Arra-u), meidet von Menschen bewohnte oder von Fahrzeugen besuchte Orte. Es ist ein furchtsames, scheues Thier, das den Kopf über das Wasser streckt und sich beim leisesten Geräusch versteckt. Die Uferstrecken, wo fast sämmtliche Schildkröten des Orinoco sich jährlich zusammenzufinden scheinen, liegen zwischen dem Zusammenfluß des Orinoco und des Apure und den großen Fällen oder *Raudales*, das heißt zwischen Cabruta und der Mission Atures. Hier befinden sich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder _boca del Cabullare_, Cucuruparu oder _boca de la Tortugay_ und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrau-Schildkröte geht, wie es scheint, nicht über die Fälle hinauf, und wie man uns versichert, kommen oberhalb Atures und Maypures nur *Terekay*-Schildkröten vor. Es ist hier der Ort, einige Worte über diese beiden Arten und ihr Verhältniß zu den verschiedenen Familien der Schildkröten zu sagen. Wir beginnen mit der Arrau-Schildkröte, welche die Spanier in den Colonien kurzweg _‘Tortuga’_ nennen, und deren Geschlecht für die Völker am untern Orinoco von so großer Bedeutung ist. Es ist eine große Süßwasserschildkröte, mit Schwimmfüßen, sehr plattem Kopf, zwei fleischigen, sehr spitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb gefurcht sind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 seitliche und 24 Randplatten; er ist oben schwarzgrau, unten orangegelb, die Füße sind gleichfalls orangegelb und sehr lang. Zwischen den Augen ist eine sehr tiefe Furche. Die Nägel sind sehr stark und gebogen. Die Afteröffnung befindet sich am letzten Fünftheil des Schwanzes. Das erwachsene Thier wiegt 40--50 Pfund. Die Eier, weit größer als Taubeneier, sind nicht so länglicht wie die Gier des Terekay. Sie haben eine Kalkschaale und sollen so fest seyn, daß die Kinder der Otomaken, die starke Ballspieler sind, sie einander zuwerfen können. Käme der Arrau oberhalb der Kararakten im Strome vor, so gingen die Indianer am obern Orinoco nicht so weit nach dem Fleisch und den Eiern dieser Schildkröte; man sah aber früher ganze Volksstämme von den Flüssen Atabapo und Cassiquiare über die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana Theil zu nehmen. Die *Terekays* sind kleiner als die Arrau. Sie haben meist nur 14 Zoll Durchmesser. Ihr Schild hat gleichviel Platten, sie sind aber etwas anders vertheilt. Ich zählte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 sechsseitige, am Rand 24 vierseitige, stark gebogene. Der Schild ist schwarz, ins Grüne spielend; Füße und Nägel sind wie beim Arrau. Das ganze Thier ist olivengrün, hat aber oben auf dem Kopf zwei aus roth und gelb gemischte Flecke. Auch der Hals ist gelb und hat einen stachligten Anhang. Die Terekays thun sich nicht in große Schwärme zusammen, wie die Arraus, um ihre Eier mit einander auf demselben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geschmack und sind bei den Bewohnern von spanisch Guyana sehr gesucht. Sie kommen sowohl im obern Orinoco als unterhalb der Fälle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Flüssen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Füße und des Kopfs, nach den Anhängen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteröffnung scheint der Arrau und wahrscheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen wäre. Durch die Anhänge und die Stellung des Afters nähern sie sich der _Emys nasuta_ SCHWEIGGERs und dem *Matamata* in französisch Guyana, unterscheiden sich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine pyramidalischen Buckel haben. Die Zeit, wo die große Arrau-Schildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoco von der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfängt, so liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. März die tiefsten Uferstrecken trocken. Die Arraus sammeln sich schon im Januar in große Schwärme; sie gehen jetzt aus dem Wasser und wärmen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Thier bedürfe zu seinem Wohlbefinden nothwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arraus fast den ganzen Tag aus dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkröte jedes Jahr an dasselbe Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Wasser, ausschauend, ob nichts von Tigern oder Menschen zu fürchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beisammen bleiben, daß sich die Schildkröten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, stellen längs des Ufers Wachen auf. Man bedeutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strom zu halten und die Schildkröten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnenuntergang an. Das Thier gräbt mit seinen Hinterfüßen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein drei Fuß weites und zwei Fuß tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkröte denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruch wahrzunehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder _‘Eiernest’_, wie man hier sagt, öffnet. Der Drang der Thiere zum Eierlegen ist so stark, daß manche in die von andern gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinunter gehen und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stürmischen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Missionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen ausgrub, daß der Verlust ein Drittheil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das vertrocknende Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch stärker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschaalen in großen Klumpen zusammengekittet. Der Thiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Die Schildkröten, die sich verspätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die früh Morgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie _‘närrische Schildkröten.’_ Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen. Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den ersten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das einemal vor sich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrscht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Missionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maaße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, daß sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franciskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoco abgelöst haben, rühmen sich zwar, daß sie das Verfahren ihrer Vorgänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der gehörigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; sie ließen ein Stück unberührt liegen, weil sie besorgten, die Arrau-Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rücksichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die *Ernten* von Jahr zu Jahr geringer werden. Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär von Uruana seinen Stellvertreter oder den _‘Commissär’_, der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianerstämme, die sich in die Ernte theilen, in Loose zerlegt. Es sind lauter »Indianer aus den Missionen,« aber so nackt und versunken, wie die »Indianer aus den Wäldern;« man nennt sie _reducidos_ und _neofitos_ weil sie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen. Der _Comissionado del Padre_ beginnt das Geschäft damit, daß er den Boden sondirt. Mit einer langen hölzernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambusrohr untersucht er, wie weit die »Eierschicht« reicht. Nach unsern Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 120 Fuß vom Ufer und ist im Durchschnitt drei Fuß tief. Der Commissär steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Ertrag eines Getreideackers schätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau hundertzwanzig Fuß lang und dreißig breit hundert Krüge oder für tausend Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine, _‘Mappiri’_ genannte Körbe, tragen sie ins Lager und werfen sie in große mit Wasser gefüllte hölzerne Tröge. In diesen Trögen werden die Eier mit Schaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der öligte Theil), das obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser öligte Theil wird, wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschöpft und bei einem starken Feuer gekocht. Dieses thierische Oel, das bei den Spaniern _manteca de tortugas_ heißt, soll sich desto besser halten, je stärker es gekocht wird. Gut zubereitet ist es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Missionäre schätzen es dem besten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugsweise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Es hält indessen schwer, ganz reines Schildkrötenöl zu bekommen. Es hat meist einen fauligten Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter gerathen sind, in denen sich, weil sie schon länger der Sonne ausgesetzt gewesen, die jungen Schildkröten (_los tortuguillos_) bereits ausgebildet hatten. Diese unangenehme Erfahrung machten wir namentlich auf der Rückfahrt vom Rio Negro, wo das flüssige Fett, das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die Gefäße hatten einen faserigen Bodensatz, und dieß ist das Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls. Ich theile hier einige statistische Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Missionärs von Uruana, seines Commissärs und der Krämer aus Angostura herhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich tausend Botijas(14) oder Krüge Oel (_manteca_). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana, gemeinhin Angostura genannt, 2--2-1/2 Piaster. Der ganze Ertrag der drei Uferstrecken, wo jährlich die _cosecha_ oder Ernte gehalten wird, läßt sich auf 5000 Botijas anschlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder _‘limeta’_ voll Oel geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100--116 Eier, und ein Drittheil werde während des Legens, namentlich von den »närrischen« Schildkröten zerbrochen, so ergibt sich, daß, sollen jährlich 5000 Krüge Oel gewonnen werden, 330,000 Arrau-Schildkröten, die zusammen 165,000 Centner wiegen, auf den drei Ernteplätzen 33 Millionen Eier legen müssen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur 60--70 Eier; viele werden im Augenblick, wo sie aus dem Wasser gehen, von den Jaguars gefressen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und sie zerbrechen bei der Ernte sehr viele aus Fahrlässigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeschlüpft sind, ehe der Mensch darüber kommt, ist so ungeheuer, daß ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoco von jungen, einen Zoll breiten Schildkröten wimmeln sah, die mit Noth den Kindern der Indianer entkamen, welche Jagd auf sie machten. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arraus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwischen der Mündung des Orinoco und dem Einfluß des Apure einzeln und ein paar Wochen später legen, so kommt man nothwendig zum Schluß, daß sich die Zahl der Schildkröten, welche jährlich an den Ufern des untern Orinoco ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dieß ist ausnehmend viel für ein Thier von beträchtlicher Größe, das einen halben Centner schwer wird, und unter dessen Geschlecht der Mensch so furchtbar aufräumt. Im Allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die großen Arten in geringerer Zahl fort als die kleinen. Das Erntegeschäft und die Zubereitung des Oels währen drei Wochen. Nur um diese Zeit stehen die Missionen mit der Küste und den benachbarten civilisirten Ländern in Verkehr. Die Franciskaner, die südlich von den Katarakten leben, kommen zur Eierernte nicht sowohl, um sich Oel zu verschaffen, als um *weiße Gesichter* zu sehen, wie sie sagen, und um zu hören, »ob der König sich im Escurial oder in San Ildefonso aufhält, ob die Klöster in Frankreich noch immer aufgehoben sind, vor allem aber, ob der Türke sich noch immer ruhig verhält.« Das ist Alles, wofür ein Mönch am Orinoco Sinn hat, Dinge, worüber die Krämer aus Angostura, die in die Lager kommen, nicht einmal genaue Auskunft geben können. In diesen weit entlegenen Ländern wird eine Neuigkeit, die ein Weißer aus der Hauptstadt bringt, niemals in Zweifel gezogen. Zweifeln ist fast so viel wie Denken, und wie sollte man es nicht beschwerlich finden, den Kopf anzustrengen, wenn man sein Lebenlang über die Hitze und die Stiche der Moskitos zu klagen hat? Die Oelhändler haben 70--80 Procent Gewinn; denn die Indianer verkaufen den Krug oder die Botija für einen harten Piaster an sie und die Transportkosten machen für den Krug nur Zweifünftel Piaster. Die Indianer, welche die _cosecha de huevos_ mitmachen, bringen auch ganze Massen an der Sonne getrockneter oder leicht gesottener Eier nach Haus. Unsere Ruderer hatten immer welche in Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geschmack kam uns nicht unangenehm vor, wenn sie gut erhalten sind. Man zeigte uns große, von Jaguars geleerte Schildkrötenpanzer. Die Tiger gehen den Arraus auf die Uferstriche nach, wo sie legen wollen. Sie überfallen sie auf dem Sand, und um sie gemächlich verzehren zu können, kehren sie sie um, so daß der Brustschild nach oben sieht. Aus dieser Lage können die Schildkröten sich nicht ausrichten, und da der Tiger ihrer weit mehr umwendet, als er in der Nacht verzehren kann, so sachen sich die Indianer häufig seine List und seine boshafte Habsucht zu Nutze. Wenn man bedenkt, wie schwer der reisende Naturforscher den Körper der Schildkröte herausbringt, wenn er Rücken- und Brustschild nicht trennen will, so kann man die Gewandtheit des Tigers nicht genug bewundern, der mit seiner Tatze den Doppelschild des Arrau leert, als wären die Ansätze der Muskeln mit einem chirurgischen Instrumente losgetrennt. Der Tiger verfolgt die Schildkröte sogar ine Wasser, wenn dieses nicht sehr tief ist. Er gräbt auch die Eier aus und ist nebst dem Krokodil, den Reihern und dem Gallinazogeier der furchtbarste Feind der frisch ausgeschlüpften Schildkröten. Im verflossenen Jahr wurde die Insel Pararuma während der Eierernte von so vielen Krokodilen heimgesucht, daß die Indianer in einer einzigen Nacht ihrer achtzehn, 12--15 Fuß lange, mit hakenförmigen Eisen und Seekuhfleisch daran, fingen. Außer den eben erwähnten Waldthieren thun auch die wilden Indianer der Oelbereitung bedeutenden Eintrag. Sobald die ersten kleinen Regenschauer, von ihnen _‘Schildkrötenregen’_ genannt, sich einstellen, ziehen sie an die Ufer des Orinoco und tödten mit vergifteten Pfeilen die Schildkröten, die mit emporgerecktem Kopf und ausgestreckten Tatzen sich sonnen. Die jungen Schildkröten (_tortuguillos_) zerbrechen die Eischale bei Tag, man sieht sie aber nie anders als bei Nacht aus dem Boden schlüpfen. Die Indianer behaupten, das junge Thier scheue die Sonnenhitze. Sie wollten uns auch zeigen, wie der Tortuguillo, wenn man ihn in einem Sack weit weg vom Ufer trägt und so an den Boden setzt, daß er dem Flusse den Rücken kehrt, alsbald den kürzesten Weg zum Wasser einschlägt. Ich gestehe, daß dieses Experiment, von dem schon Pater GUMILLA spricht, nicht immer gleich gut gelingt; meist aber schienen mir die kleinen Thiere sehr weit vom Ufer, selbst auf einer Insel, mit äußerst feinem Gefühl zu spüren, von woher die feuchteste Luft weht. Bedenkt man, wie weit sich die Eierschicht fast ohne Unterbrechung am Ufer hin erstreckt, und wie viele tausende kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausschlüpfen dem Wasser zugehen, so läßt sich nicht wohl annehmen, daß so viele Schildkröten, die am selben Ort ihre Nester gegraben, ihre Jungen herausfinden und sie, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoco führen können. Soviel ist aber gewiß, daß das Thier seine ersten Lebensjahre in den seichtesten Lachen zubringt und erst, wenn es erwachsen ist, in das große Flußbett geht. Wie finden nun die Tortuguillos diese Lachen? Werden sie von weiblichen Schildkröten hingeführt, die sich ihrer annehmen, wie sie ihnen aufstoßen? Die Krokodile, deren weit nicht so viele sind, legen ihre Eier in abgesonderte Löcher, und wir werden bald sehen, daß in dieser Eidechsenfamilie das Weibchen gegen das Ende der Brutzeit wieder hinkommt, den Jungen ruft, die darauf antworten, und ihnen meist aus dem Boden hilft. Die Arrau-Schildkröte erkennt sicher, so gut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo sie ihr Nest gemacht; da sie aber nicht wagt wieder zum Ufer zu kommen, wo die Indianer ihr Lager aufgeschlagen haben, wie könnte sie ihre Jungen von fremden Tortuguillos unterscheiden? Andererseits wollen die Otomaken beim Hochwasser weibliche Schildkröten gesehen haben, die eine ganze Menge junger Schildkröten hinter sich hatten. Dieß waren vielleicht Arraus, die allein an einem einsamen Ufer gelegt hatten, zu dem sie wieder kommen konnten. Männliche Thiere sind unter den Schildkröten sehr selten; unter mehreren Hunderten trifft man kaum Eines. Der Grund dieser Erscheinung kann hier nicht derselbe seyn wie bei den Krokodilen, die in der Brunst einander blutige Gefechte liefern. Unser Steuermann war in die *Playa de Huevos* eingelaufen, um einige Mundvorräthe zu kaufen, die bei uns auf die Neige gingen. Wir fanden daselbst frisches Fleisch, Reis aus Angostura, sogar Zwieback aus Weizenmehl. Unsere Indianer füllten die Pirogue zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nachdem wir vom Missionär, der uns sehr herzlich aufgenommen, uns verabschiedet hatten, gingen wir gegen vier Uhr Abends unter Segel. Der Wind blies frisch und in Stößen. Seit wir uns im gebirgigen Theil des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, daß unsere Pirogue ein sehr schlechtes Segelwerk führe; aber der »Patron« wollte den Indianern, die am Ufer beisammen standen, zeigen, daß er, wenn er sich dicht am Wind halte, mit Einem Schlage mitten in den Strom kommen könne. Aber eben, als er seine Geschicklichkeit und die Kühnheit seines Manövers pries, fuhr der Wind so heftig in das Segel, daß wir beinahe gesunken wären. Der eine Bord kam unter Wasser und dasselbe stürzte mit solcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin standen. Es lief über ein Tischchen weg, an dem ich im Hintertheil des Fahrzeugs eben schrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im nächsten Augenblick sahen wir unsere Bücher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherschwimmen. Bonpland schlief mitten in der Pirogue. Vom eindringenden Wasser und dem Geschrei der Indianer aufgeschreckt, übersah er unsere Lage sogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter allen Verhältnissen treu geblieben ist. Der im Wasser stehende Bord hob sich während der Windstöße von Zeit zu Zeit wieder, und so gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlassen müssen, so konnte man sich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da sich kein Krokodil blicken ließ. Während wir so ängstlich gespannt waren, riß auf einmal das Tauwerk des Segels. Derselbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt ausrichten. Man machte sich alsbald daran, das Wasser mit den Früchten der _Crescentia Cujete_ auszuschöpfen; das Segel wurde ausgebessert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Windstöße, die mit Windstillen wechseln, sind übrigens hier, wo der Orinoco im Gebirge läuft, sehr häufig und können überladenen Schiffen ohne Verdeck sehr gefährlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verschanzte sich hinter sein indianisches Phlegma, als man ihn heftig schalt, daß er sich zu nahe am Wind gehalten. Er äußerte kaltblütig, »es werde hier herum den weißen Leuten nicht an Sonne fehlen, um *ihre Papiere* zu trocknen.« Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den ersten Band von SCHREBERs _genera plantarum_ der ins Wasser gefallen war. Dergleichen Verluste thun weh, wenn man auf so wenige wissenschaftliche Werke beschränkt ist. Mit Einbruch der Nacht schlugen wir unser Nachtlager auf einer kahlen Insel mitten im Strome in der Nähe der Mission Uruana auf. Bei herrlichem Mondschein, auf großen Schildkrötenpanzern sitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unser Abendessen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beisammen waren! Wir stellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der sich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wie er jeden Augenblick an ein Wasser kam, das in den Orinoco läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Caraibenfische nur mit Lebensgefahr schwimmen konnte. Und dieser Mann mit gefühlvollem Herzen weiß nicht, was aus seinen Unglücksgefährten geworden ist, und ihr Loos bekümmert ihn mehr als das seine! Gerne überläßt man sich solchen wehmüthigen Vorstellungen, weil einen nach einer überstandenen Gefahr unwillkürlich nach starken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war innerlich mit dem beschäftigt, was sich eben vor unsern Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger ist als sonst. Wir waren erst drei Tage auf dem Orinoco und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüssen voll Klippen, in Fahrzeugen, noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grund gegangen wären. Die Nacht war sehr schwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befestigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskitos wurde mit jedem Tag ärger. Wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, daß die Jaguars hier unsere Feuer nicht scheuten. Sie schwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und Morgens hörten wir sie ganz in unserer Nähe brüllen. Sie waren auf die Insel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer sagten uns, während der Eierernte zeigen sich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als sonst, und sie seyen um diese Zeit auch am kecksten. Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der ungeheuern Menge von Vögeln berühmt ist, die auf ihm leben, zur Linken die Mission Uruana, gemeiniglich _Conception de Uruana_ genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jesuiten gegründet und daselbst Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angesiedelt. Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken bestehenden Berges, der, glaube ich, *Saraguaca* heißt. Durch die Verwitterung von einander getrennte Steinmassen bilden hier Höhlen, in denen man unzweideutige Spuren einer. alten Cultur der Eingeborenen findet. Man sieht hier hieroglyphische Bilder, sogar Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indessen, daß diesen Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir besuchten die Mission Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und sahen daselbst mit eigenen Augen die Erdmassen, welche die Otomaken essen und über die in Europa so viel gestritten worden ist. Wir maßen die Breite des Orinoco zwischen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben sich, bei Hochwasser, 2694 Toisen, also beinahe vier Seemeilen. Er ist demnach hier, 194 französische Meilen von der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Mansalout und Syout. Die Temperatur des Wassers an der Oberfläche war bei Uruana 27°,8; den Zaire- oder Congofluß in Afrika, in gleichem Abstand vom Aequator, fand Capitän TUCKEY im Juli und August nur 23°,9--25°,6 warm. Wir werden in der Folge sehen, daß im Orinoco, sowohl in der Nähe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Wassers aus 29°,5 [23°,6 Reaumur] steigt und nicht unter 27°,5 herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tag meist 28--30°, bei Nacht 24--26°, während im Thal des Congo von acht Uhr Morgens bis Mittag der Thermometer nur zwischen 20°,6 und 26°,7 stand. Das westliche Ufer des Orinoco bleibt flach bis über den Einfluß des Meta hinaus, wogegen von der Mission Uruana an die Berge immer näher an das östliche Ufer herantreten. Da die Strömung stärker wird, je mehr das Flußbett sich einengt, so kamen wir jetzt mit unserem Fahrzeug bedeutend langsamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel stromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachsene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber schnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einflusses des Rio Arauca zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Orinoco in Verbindung steht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem innern Lande, wo sie im trockenen Schlamm der Savanen begraben gelegen. Sobald sie bei den ersten Regengüssen aus ihrer Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem sie sich wieder zerstreuen. Hier, im tropischen Erdstrich, wachen sie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten Erdstrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Thiere aus der Erstattung oder dem Zustand von Nerven- und Muskelschwäche, in dem der Athmungsproceß unterbrochen oder doch sehr stark beschränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der _‘Sommer der heißen Zone’_ genannt, entspricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es ist physiologisch sehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligators zur selben Zeit der Kälte wegen im *Winterschlaf* liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre *Sommersiesta* halten. Erschiene es als wahrscheinlich, daß diese derselben Familie angehörenden Thiere einmal in einem nördlicheren Lande zusammen gelebt hätten, so könnte man glauben, sie fühlen, auch näher an den Aequator versetzt, noch immer, nachdem sie sieben bis acht Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfniß auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmelsstrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigste mit ihrem Körperbau zusammenzuhängen scheint. Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromstück, wo das Bett durch die Berge des *Baraguan* eingeengt ist. Es ist eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher die Strecke des Orinoco zwischen dem Einfluß des Arauca und dem des Atabapo den Fluß *Baraguan* genannt, wie denn bei wilden Völkern große Ströme in verschiedenen Strecken ihres Laufs verschiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan ist ein recht malerischer Ort. Die Granitfelsen fallen senkrecht ab, und da die Bergkette, die sie bilden, von Nordwest nach Südost streicht, und der Strom diesen Gebirgsdamm fast unter einem rechten Winkel durchbricht, so stellen sich die Höhen als freistehende Gipfel dar. Die meisten sind nicht über 170 Toisen hoch, aber durch ihre Lage inmitten einer kleinen Ebene, durch ihre steilen, kahlen Abhänge erhalten sie etwas Großartiges. Auch hier sind wieder ungeheure, an den Rändern abgerundete Granitmassen, in Form von Parallelipipeden, über einander gethürmt. Die Blöcke sind häufig 80 Fuß lang und 20--30 breit. Man müßte glauben, sie seyen durch eine äußere Gewalt übereinander gehäuft, wenn nicht ein ganz gleichartiges, nicht in Blöcke getheiltes, aber von Gängen durchzogenes Gestein anstände und deutlich verriethe, daß das Zerfallen in Parallelipipede von atmosphärischen Einflüssen herrührt. Jene zwei bis drei Zoll mächtigen Gänge bestehen aus einem quarzreichen, feinkörnigen Granit im grobkörnigen, fast porphyrartigen, an schönen rothen Feldspathkrystallen reichen Granit. Umsonst habe ich mich in der Cordillere des Baraguan nach der Hornblende und den Specksteinmassen umgesehen, die für mehrere Granite der Schweizer Alpen charakteristisch sind. Mitten in der Stromenge beim Baraguan gingen wir ans Land, um dieselbe zu messen. Die Felsen stehen so dicht am Fluß, daß ich nur mit Mühe eine Standlinie von 80 Toisen abmessen konnte. Ich fand den Strom 889 Toisen breit. Um begreiflich zu finden, wie man diese Strecke eine *Stromenge* nennen kann, muß man bedenken, daß der Strom von Uruana bis zum Einfluß des Meta meist 1500--2500 Toisen breit ist. Am selben, außerordentlich heißen und trockenen Punkt maß ich auch zwei ganz runde Granitgipfel, und fand sie nur 110 und 85 Toisen hoch. Im Innern der Bergkette sind wohl höhere Gipfel, im Ganzen aber sind diese so wild aussehenden Berge lange nicht so hoch, als die Missionäre angeben. In den Ritzen des Gesteins, das steil wie Mauern dasteht und Spuren von Schichtung zeigt, suchten wir vergeblich nach Pflanzen. Wir fanden nichts als einen alten Stamm der _Aubletia Tiburba_ mit großer birnförmiger Frucht, und eine neue Art aus der Familie der Apocyneen (_Allamanda salicifolia_). Das ganze Gestein war mit zahllosen Leguans und Geckos mit breiten, häutigen Zehen bedeckt. Regungslos, mit aufgerichtetem Kopf und offenem Maul saßen die Eidechsen da und schienen sich von der heißen Luft durchströmen zu lassen. Der Thermometer, an die Felswand gehalten, stieg auf 50°,2 [40°,1 R] Der Boden schien in Folge der Luftspiegelung auf und ab zu schwanken, während sich kein Lüftchen rührte. Die Sonne war nahe am Zenith und ihr glänzendes, vom Spiegel des Stromes zurückgeworfenes Licht stach scharf ab vom röthlichen Dunst, der alle Gegenstände in der Nähe umgab. Wie tief ist doch der Eindruck, den in diesen heißen Landstrichen um die Mittagszeit die Stille der Natur auf uns macht! Die Waldthiere verbergen sich im Dickicht, die Vögel schlüpfen unter das Laub der Bäume oder in Felsspalten. Horcht man aber in dieser scheinbaren tiefen Stille auf die leisesten Laute, die die Luft an unser Ohr trägt, so vernimmt man ein dumpfes Schwirren, ein beständiges Brausen und Summen der Insekten, von denen alle untern Luftschichten wimmeln. Nichts kann dem Menschen lebendiger vor die Seele führen, wie weit und wie gewaltig das Reich des organischen Lebens ist. Myriaden Insekten kriechen aus dem Boden oder umgaukeln die von der Sonnenhitze verbrannten Gewächse. Ein wirres Getöne dringt aus jedem Busch, aus faulen Baumstämmen, aus den Felsspalten, aus dem Boden, in dem Eidechsen, Tausendfüße, Cäcilien ihre Gänge graben. Es sind ebenso viele Stimmen, die uns zurufen, daß Alles in der Natur athmet, daß in tausendfältiger Gestalt das Leben im staubigten, zerklüfteten Boden waltet, so gut wie im Schooße der Wasser und in der Luft, die uns umgibt. Die Empfindungen, die ich hier andeute, sind keinem fremd, der zwar nicht bis zum Aequator gekommen, aber doch in Italien, in Spanien oder in Egypten gewesen ist. Dieser Contrast zwischen Regsamkeit und Stille, dieses ruhige und doch wieder so bewegte Antlitz der Natur wirken lebhaft auf die Einbildungskraft des Reisenden, sobald er das Becken des Mittelmeers, die Zone der Olive, des Chamärops und der Dattelpalme betritt. Wir übernachteten am östlichen Ufer des Orinoco am Fuße eines Granithügels. An diesem öden Fleck lag früher die Mission San Regis. Gar gerne hätten wir im Baraguan eine Quelle gefunden. Das Flußwasser hatte einen Bisamgeruch und einen süßlichten, äußerst unangenehmen Geschmack. Beim Orinoco wie beim Apure ist es sehr auffallend, wie abweichend sich in dieser Beziehung, am dürrsten Ufer, verschiedene Stellen im Strome verhalten. Bald ist das Wasser ganz trinkbar, bald scheint es mit gallertigen Stoffen beladen. »Das macht die Rinde (die lederartige Hautdecke) der faulenden Caymans,« sagen die Indianer. »Je älter der Cayman, desto bitterer ist seine Rinde.« Ich bezweifle nicht, daß die Aase dieser großen Reptilien, die der Seekühe, die 500 Pfund wiegen, und der Umstand, daß die im Fluß lebenden Delphine eine schleimigte Haut haben, das Wasser verderben mögen, zumal in Buchten, wo die Strömung schwach ist. Indessen waren die Punkte, wo man das übelriechendste Wasser antraf, nicht immer solche, wo wir viele todte Thiere am Ufer liegen sahen. Wenn man in diesem heißen Klima, wo man fortwährend vom Durst geplagt ist, Flußwasser mit einer Temperatur von 27--28 Grad trinken muß, so wünscht man natürlich, daß ein so warmes, mit Sand verunreinigtes Wasser wenigstens geruchlos seyn möchte. Am 8. April. Im Weiterfahren lagen gegen Ost die Einmündungen des Suapure oder Sivapuri und des Caripo, gegen West die des Sinaruco. Letzterer Fluß ist nach dem Rio Arauca der bedeutendste zwischen Apure und Meta. Der Suapure, der eine Menge kleiner Fälle bildet, ist bei den Indianern wegen des vielen wilden Honigs berühmt, den die Waldungen liefern. Die Meliponen hängen dort ihre ungeheuren Stöcke an die Baumäste. Pater GILI hat im Jahr 1766 den Suapure und den Turiva, der sich in jenen ergießt, befahren. Er fand dort Stämme der Nation der Areverier. Wir übernachteten ein wenig unterhalb der Insel Macupina. Am 9. April. Wir langten früh Morgens am *Strande von Pararuma* an und fanden daselbst ein Lager von Indianern, ähnlich dem, das wir an der _boca de la Tortuga_ gesehen. Man war beisammen, um den Sand aufzugraben, die Schildkröteneier zu sammeln und das Oel zu gewinnen, aber man war leider ein paar Tage zu spät daran. Die jungen Schildkröten waren ausgekrochen, ehe die Indianer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Auch hatten sich die Krokodile und die *Garzes*, eine große weiße Reiherart, das Säumniß zu Nutze gemacht. Diese Thiere lieben das Fleisch der jungen Schildkröten sehr und verzehren unzählige. Sie gehen auf diesen Fang bei Nacht aus, da die Tortuguillos erst nach der Abenddämmerung aus dem Boden kriechen und dem nahen Flusse zulaufen. Die Zamurosgeier sind zu träge [S. Band I. Seite 402.], um nach Sonnenuntergang zu jagen. Bei Tag streifen sie an den Ufern umher und kommen mitten ins Lager der Indianer herein, um Eßwaaren zu entwenden, und meist bleibt ihnen, um ihren Heißhunger zu stillen, nichts übrig, als auf dem Lande oder in seichtem Wasser junge, 7--8 Zoll lange Krokodile anzugreifen. Es ist merkwürdig anzusehen, wie schlau sich die kleinen Thiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald sie einen ansichtig werden, richten sie sich auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, strecken den Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und weisen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeschlüpften Thieren sehr lang und spitz sind. Oft, während so ein Zamuro ganz die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils in Anspruch nimmt, benützt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er stößt auf das Thier nieder, packt es am Halse und steigt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampfspiel halbe Vormittage lang zusehen; in der Stadt Mompor am Magdalenenstrom hatten wir mehr als 40 seit vierzehn Tagen bis drei Wochen ausgeschlüpfte Krokodile in einem großen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beisammen. Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weiße, die von Angostura herauf gekommen waren, um _manteca de tortuga_ zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen über die »schlechte Ernte« und den Schaden, den die Tiger während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich unter eine Ajoupa mitten im Indianerlager. Hier saßen die Missionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten spielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geschorenen Köpfen und langen Bärten hätten wir sie für Orientalen gehalten! Die armen Ordensleute nahmen uns sehr freundlich auf und ertheilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten seit mehreren Monaten am dreitägigen Wechselfieber, und ihr blasses, abgezehrtes Aussehen überzeugte uns unschwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Begriff standen, die Gesundheit des Reisenden allerdings gefährdet sey. Dem indianischen Steuermann, der uns von San Fernando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die *Stromschnellen*(15) des Orinoco neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten uns seinem Willen fügen. Glücklicherweise fand sich der Missionär von Carichana willig, uns zu sehr billigem Preise eine hübsche Pirogue abzutreten; ja der Missionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot sich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Brasilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Canoes über die *Raudales* hinauf schaffen helfen, sind so wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an diesem feuchten, ungesunden Orte liegen bleiben zu müssen. An den Ufern des Orinoco gelten die Wälder am Rio Negro für ein köstliches Land. Wirklich ist auch die Luft dort frischer und gesunder, und es gibt im Fluß fast keine Krokodile; man kann unbesorgt baden und ist bei Tag und Nacht weniger als am Orinoco vom Insektenstich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Missionen am Rio Negro besuchte, seine Gesundheit wiederherzustellen. Er sprach von der dortigen Gegend mit der Begeisterung, mit der man in den Colonien auf dem Festland Alles ansieht, was in weiter Ferne liegt. Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauspiel, wie es den Culturmenschen immer dazu anregt, den wilden Menschen und die allmähliche Entwicklung unserer Geisteskräfte zu beobachten. Man sträubt sich gegen die Vorstellung, daß wir in diesem gesellschaftlichen Kindheitszustand, in diesem Haufen trübseliger, schweigsamer, theilnahmloser Indianer das ursprüngliche Wesen unseres Geschlechts vor uns haben sollen. Die Menschennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie sie die Poesie in allen Sprachen so hinreißend schildert. Der Wilde am Orinoco schien uns so widrig abstoßend als der Wilde am Mississippi, wie ihn der reisende Philosoph [VOLNEY], der größte Meister in der Schilderung des Menschen in verschiedenen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gerne redet man sich ein, diese Eingeborenen, wie sie da, den Leib mit Erde und Fett beschmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schildkrötenpanzern sitzen und stundenlang mit dummen Gesichtern auf das Getränk glotzen, das sie bereiten, seyen keineswegs der ursprüngliche Typus unserer Gattung, vielmehr ein entartetes Geschlecht, die schwachen Ueberreste von Völkern, die versprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Barbarei zurückgesunken. Die rothe Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung der Indianer, und es lassen sich zwei Arten derselben unterscheiden, nach der größeren oder geringeren Wohlhabenheit der Individuen. Die gemeine Schminke der Caraiben, Otomaken und Jaruros ist der _‘Onoto’_, von den Spaniern _‘Achote’_, von den Colonisten in Cayenne _‘Rocou’_ genannt. Es ist der Farbstoff, den man aus dem Fruchtfleisch der _Bixa orellana_ auszieht. Wenn sie Onoto bereiten, werfen die indianischen Weiber die Samen der Pflanze in eine Kufe mit Wasser, peitschen das Wasser eine Stunde lang und lassen dann den Farbstoff, der lebhaft ziegelroth ist, sich ruhig absetzen. Das Wasser wird abgegossen; der Bodensatz herausgenommen, mit den Händen ausgedrückt, mit Schildkröteneieröl geknetet und runde 3--4 Unzen schwere Kuchen daraus geformt. In Ermanglung von Schildkrötenöl vermengen einige Nationen den Onoto mit Krokodilfett. Ein anderer, weit kostbarerer Farbstoff wird aus einer Pflanze aus der Familie der Bignonien gewonnen, die Bonpland unter dem Namen _Bignonia Chica_ bekannt gemacht hat. Die Tamanaken nennen dieselbe _‘Craviri’_, die Maypures _‘Chirraviri’_. Sie klettert auf die höchsten Bäume und heftet sich mit Ranken an. Die zweilippigen Blüthen sind einen Zoll lang, schön violett, und stehen zu zweien oder dreien beisammen. Die doppelt gefiederten Blätter vertrocknen leicht und werden röthlich. Die Frucht ist eine zwei Fuß lange Schote mit geflügelten Samen. Diese Bignonie wächst bei Maypures in Menge wild, ebenso noch weiter am Orinoco hinauf jenseits des Einflusses des Guaviare, von Santa Barbara bis zum hohen Berge Duida, besonders bei Esmeralda. Auch an den Ufern des Cassiquiare haben wir sie gefunden. Der rothe Farbstoff des Chica wird nicht, wie der Onoto, aus der Frucht gewonnen, sondern aus den im Wasser geweichten Blättern. Er sondert sich in Gestalt eines sehr leichten Pulvers ab. Man formt ihn, ohne ihn mit Schildkrötenöl zu vermischen, zu kleinen 8--9 Zoll langen, 2--3 Zoll hohen, an den Rändern abgerundeten Broden. Erwärmt verbreiten diese Brode einen angenehmen Geruch, wie Benzoe. Bei der Destillation zeigt der Chica keine merkbare Spur von Ammoniak; es ist kein stickstoffhaltiger Körper wie der Indigo. In Schwefel- und Salzsäure, selbst in den Alkalien löst er sich etwas auf. Mit Oel abgerieben, gibt der Chica eine rothe, dem Lack ähnliche Farbe. Tränkt man Wolle damit, so könnte man sie mit Krapproth verwechseln. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Chica, der vor unserer Reise in Europa unbekannt war, sich technisch nützlich verwenden ließe: Am Orinoco wird diese Farbe am besten von den Völkerschaften der Salivas, Guipunaves, Caveres und Piravas bereitet. Die meisten Völker am Orinoco können mit dem Infundiren und Maceriren gut umgehen. So treiben die Maypures ihren Tauschhandel mit kleinen Broden von *Pucuma*, einem Pflanzenmehl, das wie der Indigo getrocknet wird und eine sehr dauerhafte gelbe Farbe liefert. Die Chemie des Wilden beschränkt sich auf die Bereitung von Farbstoffen und von Giften und auf das Aussüßen der stärkmehlhaltigen Wurzeln der Arumarten und der Euphorbien. Die meisten Missionäre am obern und untern Orinoco gestatten den Indianern in ihren Missionen, sich die Haut zu bemalen. Leider gibt es manche, die auf die Nacktheit der Eingeborenen speculiren. Da die Mönche nicht Leinwand und Kleider an sie verkaufen können, so handeln sie mit rother Farbe, die bei den Eingeborenen so sehr gesucht ist. Oft sah ich in ihren Hütten, die vornehm _Conventos_ heißen, Niederlagen von Chica. Der Kuchen, die _turtu_, wird bis zu vier Franken verkauft. Um einen Begriff zu geben, welchen Luxus die nackten Indianer mit ihrem Putze treiben, bemerke ich hier, daß ein hochgewachsener Mann durch zwei wöchentliche Arbeit kaum genug verdient, um sich durch Tausch so viel Chica zu verschaffen, daß er sich roth bemalen kann. Wie man daher in gemäßigten Ländern von einem armen Menschen sagt, er habe nicht die Mittel, sich zu kleiden, so hört man die Indianer am Orinoco sagen: »Der Mensch ist so elend, daß er sich den Leib nicht einmal halb malen kann.« Der kleine Handel mit Chica wird besonders mit den Stämmen am untern Orinoco getrieben, in deren Land die Pflanze, die den kostbaren Stoff liefert, nicht wächst. Die Caraiben und Otomaken färben sich bloß Gesicht und Haare mit Chica, aber den Salives steht die Farbe in solcher Menge zu Gebot, daß sie den ganzen Körper damit überziehen können. Wenn die Missionäre nach Angostura auf ihre Rechnung kleine Sendungen von Cacao, Tabak und *Chiquichiqui*(16) vom Rio Negro machen, so packen sie immer auch Chicakuchen, als einen sehr gesuchten Artikel, bei. Manche Leute europäischer Abkunft brauchen den Farbstoff, mit Wasser angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel. Der Brauch, den Körpers zu bemalen, ist nicht bei allen Völkern am Orinoco gleich alt. Erst seit den häufigen Einfällen der mächtigen Nation der Caraiben in diese Länder ist derselbe allgemeiner geworden. Sieger und Besiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu seyn, mußte man sich bemalen wie er und seine Farbe tragen. Jetzt ist es mit der Macht der Caraiben vorbei, sie sind auf das Gebiet zwischen den Flüssen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beschränkt, aber die caraibische Mode, den ganzen Körper zu färben, hat sich erhalten; der Brauch ist dauernder als die Eroberung. Ist nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern so häufigen Gefallsucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er sich vielleicht auf die Beobachtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligten Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskitos schützt? In den Missionen am Orinoco und überall, wo die Luft von giftigen Insekten wimmelt, habe ich diese Frage sehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Caraibe und der Saliva, die roth bemalt sind, von Moskitos und Zancudos so arg geplagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Insects keine Geschwulst zur Folge; fast nie bilden sich die Blasen oder kleinen Beulen, die frisch angekommenen Europäern ein so unerträgliches Jucken verursachen. So lange aber das Insekt den Saugrüssel nicht aus der Hautgezogen hat, schmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich sehr. Nach tausend andern nutzlosen Versuchen haben Bonpland und ich uns selbst Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröteneieröl eingerieben und davon nie die geringste Erleichterung gespürt; wir wurden gestochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirksamsten Schutzmittel gerühmt werden; aber die scandinavischen Insekten und die am Orinoco sind nicht von derselben Art. Der Tabaksrauch verscheucht unsere Schnacken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung vom fetten und adstringirenden Stoffen(17) die unglücklichen Landeseinwohner vor der Insektenplage schützte, wie Pater GUMILLA behauptet, warum wäre der Brauch sich zu bemalen hier zu Lande nicht ganz allgemein geworden? wie könnten so viele nackte Völker, die sich bloß das Gesicht bemalen, dicht neben solchen wohnen, die den ganzen Körper färben? Es erscheint auffallend, daß die Indianer am Orinoco, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rothe Farbstoffe allen andern vorziehen. Rührt diese Vorliebe davon her, daß der Wilde sich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verschafft? Das möchte ich sehr be- zweifeln. In einem großen Theil des tropischen Amerika wächst der Indigo wild, und diese Pflanze, wie so viele andere Schotengewächse, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, sich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch sehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn die Amerikaner der rothen Farbe den Vorzug geben, so beruht dieß, wie schon oben bemerkt, wahrscheinlich auf dem Triebe der Völker, Alles, was sie nationell auszeichnet, schön zu finden. Menschen, deren Haut von Natur rothbraun ist, lieben die rothe Farbe. Kommen sie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, so suchen sie bei ihren Kindern die Stirne niederzudrücken. Unterscheiden sie sich von andern Völkern durch sehr dünnen Bart, so suchen sie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachsen lassen, auszuraufen. Sie halten sich für desto schöner, je stärker sie die charakteristischen Züge ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten lassen. Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, daß sehr alte Weiber mit ihrem Putz sich mehr zu schaffen machten als die jüngsten. Wir sahen eine Indianerin vom Stamme der Otomaken, die sich die Haare mit Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und *Caruto* bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieses Geschäft verrichten. Die Malerei bestand in einer Art Gitter von schwarzen sich kreuzenden Linien auf rothem Grund; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein schwarzer Punkt gemacht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir hatten sehr lange botanisirt, und als wir zurückkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert sich über einen so umständlichen Putz um so mehr, wenn man bedenkt, daß die Linien und Figuren nicht tätowirt werden, und daß das so mühsam Aufgemalte sich verwischt,(18) wenn sich der Indianer unvorsichtigerweise einem starken Regen aussetzt. Manche Nationen bemalen sich nur, wenn sie Feste begehen, andere sind das ganze Jahr mit Farbe angestrichen, und bei diesen ist der Gebrauch des Onoto so unumgänglich, daß Männer und Weiber sich wohl weniger schämten, wenn sie sich ohne *Guayuco*, als wenn sie sich unbemalt blicken ließen. Die *Guayucos* bestehen am Orinoco theils aus Baumrinde, theils aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen sie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Missionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Christoph Columbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgültigkeit der Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher rühren, daß das andere Geschlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von Seiten der Männer so tief herabgewürdigt und zu Sklavendiensten verurtheilt ist? Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangaras- und Colibrifedern geschmückt ist. Von jeher gilt bei unsern Malern und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoco und Cassiquiare nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meisten Völkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geisteskräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baumwollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Theil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsachen, namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlichkeit gebraucht. Die Federbüsche der Guaypuñaves sind wegen der Auswahl der schönen Manakin- und Papagayenfedern die berühmtesten. Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Hautmalerei in der wunderlichsten Weise den Schnitt europäischer Kleidungsstücke nach. Wir sahen in Pararuma welche, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knöpfen malen ließen. Die Missionäre erzählten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura färben sich mit Onoto und machen sich dem Körper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimmerblättchen kleben. Von weitem sieht es aus, als trügen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Wären die *bemalten* Völker so scharf beobachtet worden, wie die *bekleideten*, so wäre man zum Schlusse gelangt, daß beim Bemalen, so gut wie bei der Bekleidung, der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und starkem Wechsel der Laune erzeugt wird. Das Bemalen und Tätowiren ist in beiden Welten weder auf Einen Menschenstamm, noch auf Einen Erdstrich beschränkt. Am häufigsten kommen diese Arten von Putz bei Völkern malayischer und amerikanischer Race vor; aber zur Zeit der Römer bestand die Sitte auch bei der weißen Race im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im griechischen Archipel und in Westasien am malerischsten sind, so sind Bemalung und Tätowirung bei den Insulanern der Südsee am höchsten ausgebildet. Manche bekleideten Völker bemalen sich dabei doch Hände, Nägel und Gesicht. Die Bemalung erscheint hier auf die Körpertheile beschränkt, die allein blos getragen werden, und während die Schminke, die an den wilden Zustand der Menschheit erinnert, in Europa nach und nach verschwindet, meinen die Damen in manchen Städten der Provinz Peru ihre doch so feine und sehr weiße Haut durch Auftragen von vegetabilischen Farbstoffen, von Stärke, Eiweiß und Mehl schöner zu machen. Wenn man lange unter Menschen gelebt hat, die mit Onoto und Chica bemalt sind, fallen einem diese Ueberreste alter Barbarei inmitten aller Gebräuche der gebildeten Welt nicht wenig auf. Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Thiere, die wir bis dahin nur von den europäischen Sammlungen her kannten, zum erstenmal lebend zu sehen. Die Missionäre treiben mit dergleichen kleinen Thieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, _‘Gallitos’_ (Felshühner), *Titi-*, *Kapuziner-* und andere an den Küsten sehr gesuchte Affen tauschen sie Zeuge, Nägel, Aexte, Angeln und Stecknadeln ein. Die Producte vom Orinoco werden den Indianern, die unter der Herrschaft der Mönche leben, zu niedrigem Preise abgekauft, und dieselben Indianer kaufen dann von den Mönchen, aber zu sehr hohen Preisen, mit dem Geld, das sie bei der Eierernte erlösen, ihr Fischergeräthe und ihre Ackerwerkzeuge. Wir kauften mehrere Thiere, die uns auf der übrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweise wir somit beobachten konnten. Ich habe diese Beobachtungen in einem andern Werke bekannt gemacht; da ich aber einmal von denselben Gegenständen zweimal handeln muß, beschränke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und füge Notizen bei, wie sie mir seitdem hier und da in meinen Reisetagebüchern aufstießen. Die *Gallitos* oder *Felshühner*, die man in Pararuma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattstielen verkauft, sind an den Ufern des Orinoco und im ganzen Norden und Westen des tropischen Amerika weit seltener als in französisch Guyana. Man fand sie bisher nur bei der Mission Encaramada und in den *Raudales* oder Fällen von Maypures. Ich sage ausdrücklich in den Fällen; denn diese Vögel nisten gewöhnlich in den Höhlungen der kleinen Granitfelsen, die sich durch den Orinoco ziehen und so zahlreiche Wasserfälle bilden. Wir sahen sie manchmal mitten im Wasserschaum zum Vorschein kommen, ihrer Henne rufen und mit einander kämpfen, wobei sie wie unsere Hähne den doppelten beweglichen Kamm, der ihren Kopfschmuck bildet, zusammenfalten. Da die Indianer selten erwachsene Gallitos fangen und in Europa nur die Männchen geschätzt sind, die vom dritten Jahre an prächtig goldgelb werden, so muß der Käufer auf der Hut seyn, um nicht statt junger Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide sind olivenbraun; aber der _Pollo_ oder junge Hahn zeichnet sich schon ganz jung durch seine Größe und seine gelben Füße aus. Die Henne bleibt ihr Lebenlang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Untertheil der Flügel sind bei ihr gelb. Soll der erwachsene Felshahn in unsern Sammlungen die schöne Farbe seines Gefieders erhalten, so darf man dasselbe nicht dem Licht aussetzen. Die Farbe bleicht weit schneller als bei andern Gattungen sperlingsartiger Vögel. Die jungen Hahnen haben, wie die meisten Thiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein so ausgezeichneter Beobachter wie LE VAILLANT in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer dunkelfarbig, olivenbraun bleibt. Die Indianer bei den Raudales versicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen gesehen zu haben. Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, sahen wir mehrere Spielarten des *Saï* [_Simia capucina_], der der kleinen Gruppe der Winselaffen angehört, die in den spanischen Colonien *Matchi* heißen, ferner *Marimondas* [_Simia Belzebuth_] oder Atelen mit rothem Bauch, *Titis* und *Viuditas*. Die beiden letzteren Arten interessirten uns besonders, und wir kauften sie, um sie nach Europa zu schicken.(19) BUFFONs *Ouistiti* [_Simia Jacchus_] ist AZZARAs Titi, der *Titi* [_Simia Oedipus_] von Carthagena und Darien ist BUFFONs Pinche, und der *Titi* [_Simia sciurea_] vom Orinoco ist der Saïmiri der französischen Zoologen, und diese Thiere dürfen nicht verwechselt werden. In den verschiedenen spanischen Colonien heißen *Titi* Affen, die drei verschiedenen Untergattungen angehören und in der Zahl der Backzähne von einander abweichen. Nach dem eben Angeführten ist die Bemerkung fast überflüssig, wie wünschenswerth es wäre, daß man in wissenschaftlichen Werken sich der landesüblichen Namen enthielte, die durch unsere Orthographie entstellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und so die klägliche Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur vermehren. Der *Titi vom Orinoco* (_Simia sciurea_), bis jetzt schlecht abgebildet, indessen in unsern Sammlungen sehr bekannt, heißt bei den Maypures-Indianern _Bititeni_. Er kommt südlich von den Katarakten sehr häufig vor. Er hat ein weißes Gesicht und über Mund und Nasenspitze weg einen kleinen blauschwarzen Fleck. Die am zierlichsten gebauten und am schönsten gefärbten (der Pelz ist goldgelb) kommen von den Ufern des Cassiquiare. Die man am Guaviare fängt, sind groß und schwer zu zähmen. Kein anderer Affe sieht im Gesicht einem Kinde so ähnlich wie der Titi; es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselbe schalkhafte Lächeln: derselbe rasche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine großen Augen füllen sich mit Thränen, sobald er über etwas ängstlich wird. Er ist sehr lüstern nach Insekten, besonders nach Spinnen. Das kleine Thier ist so klug, daß ein Titi, den wir aus unserem Canoe nach Angostura brachten, die Tafeln zu CUVIERs _Tableau élémentaire d’histoire naturelle_ ganz gut unterschied. Diese Kupfer sind nicht colorirt, und doch streckte der Titi rasch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heuschrecke oder eine Wespe zu erhaschen, so oft wir ihm die eilfte Tafel vorhielten, auf der diese Insekten abgebildet sind. Zeigte man ihm Skelette oder Köpfe von Säugethieren, blieb er völlig gleichgültig.(20) Setzt man mehrere dieser kleinen Affen, die im selben Käfigt beisammen sind, dem Regen aus, und fällt die gewöhnliche Lufttemperatur rasch um 2--3 Grad, so schlingen sie sich den Schwanz, der übrigens kein Wickelschwanz ist, um den Hals und verschränken Arme und Beine, um sich gegenseitig zu erwärmen. Die indianischen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern häufig Haufen von zehn, zwölf solcher Affen, die erbärmlich schreien, weil die auswärts Stehenden in den Knäuel hinein möchten, um Wärme und Schutz zu finden. Schießt man mit Pfeilen, die in _Curare destemplado_ (in verdünntes Gift) getaucht sind, auf einen solchen Knäuel, so fängt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an seiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, so weicht er nicht von Schulter und Hals des todten Thiers. Die meisten, die man in den Hütten der Indianer lebend antrifft, sind auf diese Weise von den Leichen ihrer Mütter gerissen worden. Erwachsene Thiere, wenn sie auch von leichten Wunden genesen sind, gehen meist zu Grunde, ehe sie sich an den Zustand der Gefangenschaft gewöhnt haben. Die Titis sind meist zarte, furchtsame kleine Thiere. Sie sind aus den Missionen am Orinoco schwer an die Küsten von Cumana und Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter sich hat und die Llanos betritt, werden sie traurig und niedergeschlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man diese Veränderung nicht zuschreiben, sie scheint vielmehr vom stärkeren Licht, von der geringeren Feuchtigkeit und von irgend welcher chemischen Beschaffenheit der Luft an der Küste herzurühren. Den Saïmiris oder Titis vom Orinoco, den Atelen, Sajous und andern schon lange in Europa bekannten Vierhändern steht in scharfem Abstich, nach Habitus und Lebensweise, der *Macavahu* [_Simia lugens_] gegenüber, den die Missionäre _‘Viudita’_ oder *Wittwe in Trauer* nennen. Das kleine Thier hat feines, glänzendes, schön schwarzes Haar. Das Gesicht hat eine weißlichte, ins Blaue spielende Larve, in der Augen, Nase und Mund stehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Rand, sind klein, wohlgebildet und fast ganz nackt. Vorn am Halse hat die *Wittwe* einen weißen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfüße oder vielmehr Hände sind schwarz wie der übrige Körper, aber die Vorderhände sind außen weiß und innen glänzend schwarz. Diese weißen Abzeichen deuten nun die Missionare als Schleier, Halstuch und Handschuhe einer *Wittwe in Trauer*. Die Gemüthsart dieses kleinen Affen, der sich nur beim Fressen auf den Hinterbeinen ausrichtet, verräth sich durch seine Haltung nur sehr wenig. Er sieht sanft und schüchtern aus; häufig berührt er das Fressen nicht, das man ihm bietet, selbst wenn er starken Hunger hat. Er ist nicht gerne in Gesellschaft anderer Affen; wenn er den kleinsten Samïri ansichtig wird, läuft er davon. Sein Auge verräth große Lebhaftigkeit. Wir sahen ihn stundenlang regungslos dasitzen, ohne daß er schlief, und auf Alles, was um ihn vorging, achten. Aber diese Schüchternheit und Sanftmuth sind nur scheinbar. Ist die Viudita allein, sich selbst überlassen, so wird sie wüthend, sobald sie einen Vogel sieht. Sie klettert und läuft dann mit erstaunlicher Behendigkeit; sie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und erwürgt, was sie erhaschen kann. Dieser sehr seltene und sehr zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoco in den Granitgebirgen hinter der Mission Santa Barbara, ferner am Guaviare bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reise auf dem Cassiquiare und Rio Negro mitgemacht und ist zweimal mit uns über die Katarakten gegangen. Will man die Sitten der Thiere genau beobachten, so ist es, nach meiner Meinung, sehr vortheilhaft, wenn man sie Monate lang in freier Luft, nicht in Häusern, wo sie ihre natürliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen hat. Die neue für uns bestimmte Pirogue wurde noch am Abend geladen. Es war, wie alle indianischen Canoes, ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumstamm, vierzig Fuß lang und drei breit. Drei Personen konnten nicht neben einander darin sitzen. Diese Piroguen sind so beweglich, sie erfordern, weil sie so wenig Widerstand leisten, eine so gleichmäßige Vertheilung der Last, daß man, wenn man einen Augenblick aufstehen will, den Ruderern (_bogas_) zurufen muß, sich auf die entgegengesetzte Seite zu lehnen; ohne diese Vorsicht liefe das Wasser nothwendig über den geneigten Bord. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem solchen elenden Fahrzeug daran ist. Der Missionär aus den *Raudales* betrieb die Zurüstungen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man besorgte nicht genug Macos- und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanälen und Wasserfällen, welche die Raudales oder Katarakten bilden, bekannt wären; man legte daher die Nacht über zwei Indianer in den *Cepo*, das heißt, man legte sie auf den Boden und steckte ihnen die Beine durch zwei Holzstücke mit Ausschnitten, um die man eine Kette mit Vorlegeschloß legte. Am frühen Morgen weckte uns das Geschrei eines jungen Mannes, den man mit einem Seekuhriemen unbarmherzig peitschte. Es war *Zerepe*, ein sehr verständiger Indianer, der uns in der Folge die besten Dienste leistete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Mission Atures gebürtig, sein Vater war ein Maco, seine Mutter vom Stamme der Maypures; er war in die Wälder (_al monte_) entlaufen und hatte ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelebt. Dadurch hatte er sich mehrere Sprachen zu eigen gemacht, und der Missionär brauchte ihn als Dolmetscher. Nur mit Mühe brachten wir es dahin, daß der junge Mann begnadigt wurde. »Ohne solche Strenge,« hieß es, »würde es euch an Allem fehlen. Die Indianer aus den Raudales und vom obern Orinoco sind ein stärkerer und arbeitsamerer Menschenschlag als die am untern Orinoco. Sie wissen wohl, daß sie in Angostura sehr gesucht sind. Ließe man sie machen, so gingen sie alle den Fluß hinunter, um ihre Produkte zu verkaufen und in voller Freiheit unter den Weißen zu leben, und die Missionen stünden leer.« Diese Gründe mögen scheinbar etwas für sich haben, richtig sind sie nicht. Will der Mensch der Vortheile des geselligen Lebens genießen, so muß er allerdings seine natürlichen Rechte, seine frühere Unabhängigkeit zum Theil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auferlegt, nicht durch die Vortheile der Civilisation aufgewogen, so nährt der Wilde in seiner verständigen Einfalt fort und fort den Wunsch, in die Wälder zurückzukehren, in denen er geboren worden. Weil der Indianer aus den Wäldern in den meisten Missionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Früchte seiner Arbeit nicht froh wird, deßhalb veröden die christlichen Niederlassungen am Orinoco. Ein Regiment, das sich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gründet, tödtet die Geisteskräfte oder hemmt doch ihre Entwicklung. Wenn man sagt, der Wilde müsse wie das Kind unter strenger Zucht gehalten werden, so ist dieß ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoco haben in den Aeußerungen ihrer Freude, im raschen Wechsel ihrer Gemüthsbewegungen etwas Kindliches; sie sind aber keineswegs große Kinder, sowenig als die armen Bauern im östlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalsystems sich der tiefsten Verkommenheit nicht entringen können. Zwang, als hauptsächlichstes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erscheint zudem als ein Grundsatz, der bei der Erziehung der Völker und bei der Erziehung der Jugend gleich falsch ist. Wie schwach, und wie tief gesunken auch der Mensch seyn mag, keine Fähigkeit ist ganz erstorben. Die menschliche Geisteskraft ist nur dem Grad und der Entwicklung nach verschieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwärtigen Zustand mit dem vergangenen; er bestimmt seine Handlungen nicht nach blindem Instinkt, sondern nach Rücksichten der Nützlichkeit. Unter allen Umständen kann Vernunft durch Vernunft aufgeklärt werden; die Entwicklung derselben wird aber desto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die sich zur Erziehung der Jugend oder zur Regierung der Völker berufen glauben, im hochmüthigen Gefühl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Untergebenen herabblicken und Zwang und Gewalt brauchen, statt der sittlichen Mittel, die allein keimende Fähigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenschaften sänftigen und die gesellschaftliche Ordnung befestigen können. Am 10. April. Wir konnten erst um zehn Uhr Morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewöhnten wir uns an die neue Pirogue, die uns eben ein neues Gefängniß war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hintertheil des Fahrzeugs aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das aus beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (_el toldo_) darüber so niedrig, daß man gebückt sitzen oder ausgestreckt liegen mußte, wo man dann nichts sah. Da man die Piroguen durch die Stromschnellen, ja von einem Fluß zum andern schleppen muß, und weil man dem Wind zu viel Fläche böte, wenn man den _Toldo_ höher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinauf gehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leib durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochsenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vordertheil des Fahrzeugs nahmen die indianischen Ruderer ein, die drei Fuß lange, löffelsörmige *Pagaies* führen. Sie sind ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merkwürdig genau einhalten. Ihr Gesang ist trübselig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unsern Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren theils am Toldo, theils am Vordertheil aufgehängt. Es war unsere Reisemenagerie. Obgleich viele der kleinen Thiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Cassiquiare noch vierzehn. Naturaliensammler, die lebende Thiere nach Europa bringen wollen, könnten sich in Angostura und Gran-Para, den beiden Hauptstädten am Orinoco und Amazonenstrom, eigens für ihren Zweck Piroguen bauen lassen, wo im ersten Drittheil zwei Reihen gegen die Sonnengluth geschützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer in der Mitte; ringsum kamen sofort unsere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerst die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar ferne zu halten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Thieren derselben Art, die einander zugethan sind, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit genießen, nach der die andern sich sehnen, hat etwas Wehmüthiges, Rührendes. Auf der überfüllten, keine drei Fuß breiten Pirogue blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inclinationscompaß und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Theil des Tags ausgestreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und aussteigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskitos, die unter einem so niedrigen Dache in Schaaren hausen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausstrahlen, deren obere Fläche beständig der Sonnengluth ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unseres Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schützen, verlangte der andere, man solle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig anwendbar als das andere. Aber mit einem muntern Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieser weiten Stromthäler fällt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Gewohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schifffahrt auf dem Orinoco zu schildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf diesem Stück unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so reiche Naturumgebung aufforderte. Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jesuiten gegründete Mission Pararuma gestanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivas-Indianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Einwohner, welche die schreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Nomans Aussage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel fiel. Dieß ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meeres liegenden Niederung vorgekommen; denn im Allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 300 Toisen Meereshöhe [S. Band II Seite 156]. Bildet sich der Hagel in derselben Höhe über Niederungen und Hochebenen, so muß man annehmen, er schmelze bei seinem Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und 300 Toisen), deren mittlere Temperatur 27°,5 und 24° beträgt. Ich gestehe indessen, daß es beim jetzigen Stande der Meteorologie sehr schwer zu erklären ist, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißesten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In den Vereinigten Staaten und im südlichen Europa (unter dem 40--43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr eben so hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme ist nach meinen Untersuchungen nur wenig verschieden. Rührt nun der Umstand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die untern Luftschichten schmelzen, so muß man annehmen, daß die Körner im Moment der Bildung in der gemäßigten Zone größer sind als in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert, noch so wenig, daß wir nicht zu beurtheilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieselben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß sich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist, und die bei uns im Sommer 1500--1600 Toisen hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor sie fallen, an einander schlagen hört, und die wagrecht ziehen, kamen mir immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich, daß in solch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der aufsteigenden Luft, welche an Wärmecapacität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, besonders aber (nach GAY-LUSSAC) durch die Strahlung der obern Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist, unter denen auf den Anden in 2000--2600 Toisen Meereshöhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Fortsetzung der Wolkenschicht betrachten kann, die wir in den Niederungen gerade über uns sich bilden sehen. Im Orinoco sind sehr viele Inseln und der Strom fängt jetzt an sich in mehrere Arme zu theilen, deren westlichster in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom ist 2900--3000 Toisen breit. Der Insel Javanavo gegenüber sahen wir gegen Ost die Mündung des *Caño* Aujacoa. Zwischen diesem Caño und dem Rio Paruasi oder Paruati wird das Land immer stärker bewaldet. Aus einem Palmenwald nicht weit vom Orinoco steigt, ungemein malerisch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, dessen kahle, schroffe Wände gegen zweihundert Fuß hoch sind. Den Gipfel, der über die höchsten Waldbäume emporragt, krönt eine ebene, wagrechte Felsplatte. Auf diesem Gipfel, den die Missionäre Pic oder _Mogote de Cocuyza_ nennen, stehen wieder Bäume. Dieses großartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyclopischen Bauwerke. Sein scharf gezeichneter Umriß und oben darauf die Bäume und das Buschwerk heben sich vom blauen Himmel ab, ein Wald über einem Walde. Weiterhin beim Einfluß des Paruasi wird der Orinoco wieder schmaler. Gegen Osten sahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er ist gegen 300 Fuß hoch und diente den Jesuiten als fester Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien entthielt und in dem beständig ein Militärposten lag. In Carichana und Atures sahen wir die Kanonen ohne Lafetten, halb im Sand begraben. Die Jesuitenschanze (oder _Fortaleza de San Francisco Xavier_) wurde nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu zerstört, aber der Ort heißt noch el Castillo. Auf einer in neuester Zeit in Caracas von einem Weltgeistlichen entworfenen, nicht gestochenen Karte führt derselbe den seltsamen Namen _Trinchera del despotismo monacal_ (Schanze des Mönchsdespotismus). In allen politischen Umwälzungen spricht sich der Geist der Neuerung, der über die Menge kommt, auch in der geographischen Nomenclatur aus. Die Besatzung, welche die Jesuiten auf diesem Felsen hatten, sollte nicht allein die Missionen gegen die Einfälle der Caraiben schützen, sie diente auch zum Angriffskriege, oder, wie man hier sagt, zur Eroberung von Seelen (_conquista de almas_). Die Soldaten, durch die ausgesetzten Geldbelohnungen angefeuert, machten mit bewaffneter Hand Einfälle oder _Entradas_ auf das Gebiet unabhängiger Indianer. Man brachte um, was Widerstand zu leisten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerstörte die Pflanzungen und schleppte Greise, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Gefangenen wurden sofort in die Missionen am Meta, Rio Negro und obern Orinoco vertheilt. Man wählte die entlegensten Orte, damit sie nicht in Versuchung kämen, wieder in ihr Heimathland zu entlaufen. Dieses gewaltsame Mittel, *Seelen zu erobern*, war zwar nach spanischem Gesetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Obern der *Gesellschaft*, als der Religion und dem Aufkommen der Missionen förderlich, höchlich gepriesen. »Die Stimme des Evangeliums,« sagt ein Jesuit vom Orinoco in den »erbaulichen Briefen«(21) äußerst naiv, »wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören (_el eco de la polvora_). Sanftmuth ist ein gar langsames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man sich die Belehrung der Eingebornen.« Dergleichen die Menschheit schändenden Grundsätze wurden sicher nicht von allen Gliedern einer Gesellschaft getheilt, die in der neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausschließlich in den Händen von Mönchen geblieben ist, der Wissenschaft und der Cultur Dienste geleistet hat. Aber die *Entradas*, die *geistlichen Eroberungen* mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf rasche Ausbreitung der Missionen ankam, unzertrennlicher Gräuel. Es thut dem Gemüthe wohl, daß die Franciskaner, Dominikaner und Augustiner, welche gegenwärtig einen großen Theil von Südamerika regieren und, je nachdem sie von milder oder roher Sinnesart sind, auf das Geschick von vielen Tausenden von Eingeborenen den mächtigsten Einfluß üben, nicht nach jenem System verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand sind fast ganz abgestellt, und wo sie noch vorkommen, werden sie von den Ordensobern mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob diese Wendung des Mönchsregiments zum Bessern daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erschlafft ist und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man so gerne thäte, einen Beweis sehen soll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geist des Christenthums entsprechendere Gesinnung Platz greift. Vom Einfluß des Rio Paruasi an wird der Orinoco wieder schmaler. Er ist voll Inseln und Granitklippen, und so entstehen hier die *Stromschnellen* oder kleinen Fälle (_los remolinos_), die beim ersten Anblick wegen der vielen Wirbel dem Reisenden bange machen können, aber in keiner Jahreszeit den Schiffen gefährlich sind. Man muß wenig zu Schiffe gewesen seyn, wenn man wie Pater GILI, der sonst so genau und verständig ist, sagen kann: »e terrible pe molti scogli il tratto del fiume tral Castello e Caricciana.« Eine Reihe von Klippen, die fast über den ganzen Fluß läuft, heißt *Raudal de Marimara*. Wir legten sie ohne Schwierigkeit zurück, und zwar in einem schmalen Kanal, in dem das Wasser ungestüm, wie siedend, unter der *Piedra de Marimara* heraufschießt, einer compakten Granitmasse, 80 Fuß hoch und 300 im Umfang, ohne Spalten und ohne Spur von Schichtung. Der Fluß tritt weit ins Land hinein und bildet in den Felsen weite Buchten. Eine dieser Buchten zwischen zwei kahlen Vorgebirgen heißt der *Hafen von Carichana*. Der Ort hat ein wildes Aussehen; das Felsenufer wirft Abends seine mächtigen Schatten über den Wasserspiegel und das Wasser erscheint schwarz, wenn sich diese Granitmassen darin spiegeln, die, wie schon bemerkt, wegen der eigenen Färbung ihrer Oberfläche, bald wie Steinkohlen, bald wie Bleierz aussehen. Wir übernachteten im kleinen Dorfe Carichana, wo wir auf die Empfehlung des guten Missionärs Fray Jose Antonio de Torre im Pfarrhaus oder _‘Convento’_ Aufnahme fanden. Wir hatten seit fast vierzehn Tagen unter keinem Dache geschlafen. Am 11. April. Um die für die Gesundheit oft so nachtheiligen Folgen der Ueberschwemmungen zu vermeiden, wurde die Mission Carichana dreiviertel Meilen vom Fluß angelegt. Die Indianer sind vom Stamme der Salivas. Die ursprünglichen Wohnsitze desselben scheinen auf dem westlichen Ufer des Orinoco zwischen dem Rio Vichada und dem Guaviare, sowie zwischen dem Meta und dem Rio Paute gewesen zu seyn. Gegenwärtig findet man Salivas nicht nur in Carichana, sondern auch in den Missionen der Provinz Casanare, in Cabapuna, Guanapalo, Cabiuna und Macuco. Letzteres im Jahr 1730 vom Jesuiten Fray Manuel Roman gegründete Dorf hat 1300 Einwohner. Die Salivas sind ein geselliges, sanftes, fast schüchternes Volk, und leichter, ich sage nicht zu civilisiren, aber in der Zucht zu halten als andere am Orinoco, Um sich der Herrschaft der Caraiben zu entziehen, ließen die Salivas sich leicht herbei, sich den ersten Jesuitenmissionen anzuschließen. Die Patres rühmen aber auch in ihren Schriften durchgängig ihren Verstand und ihre Gelehrigkeit. Die Salivas haben großen Hang zur Musik; seit den ältesten Zeiten blasen sie Trompeten aus gebrannter Erde, die vier bis fünf Fuß lang sind und mehrere kugelförmige Erweiterungen haben, die durch enge Röhren zusammenhängen. Diese Trompeten geben sehr klägliche Töne. Die Jesuiten haben die natürliche Neigung der Salivas zur Instrumentalmusik mit Glück ausgebildet, und auch nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu haben die Missionare am Rio Meta in San Miguel de Macuco die schöne Kirchenmusik und den musikalischen Unterricht der Jugend fort gepflegt. Erst kürzlich sah ein Reisender zu seiner Verwunderung die Eingeborenen Violine, Violoncell, Triangel, Guitarre und Flöte spielen. In den vereinzelten Missionen am Orinoco wirkt die Verwaltung nicht so günstig auf die Entwicklung der Cultur der Salivas und die Zunahme der Bevölkerung als das System, das die Augustiner auf den Ebenen am Casanare und Meta befolgen. In Macuco haben die Eingeborenen durch den Verkehr mit den Weißen im Dorf, die fast lauter _‘Flüchtlinge von Socorro’_(22) sind, sehr gewonnen. Zur Jesuitenzeit wurden die drei Dörfer am Orinoco, Pararuma, Castillo oder Marumarutu und Carichana in Eines, Carichana, verschmolzen, das damit eine sehr ansehnliche Mission wurde. Im Jahr 1759, als die _Fortaleza de San Francisco Xavier_ und ihre drei Batterien noch standen, zählte Pater Caulin in der Mission Carichana 400 Salivas; im Jahr 1800 fand ich ihrer kaum 150. Vom Dorfe ist nichts übrig als einige Lehmhütten, die symmetrisch um ein ungeheuer hohes Kreuz herliegen. Wir trafen unter diesen Indianern eine Frau von weißer Abkunft, die Schwester eines Jesuiten aus Neu-Grenada. Unbeschreiblich ist die Freude, wenn man mitten unter Völkern, deren Sprache man nicht versteht, einem Wesen begegnet, mit dem man sich ohne Dolmetscher unterhalten kann. Jede Mission hat zum wenigsten zwei solche Dolmetscher, _lenguarazes_. Es sind Indianer, etwas weniger beschränkt als die andern, mittelst deren die Missionäre am Orinoco, die sich gegenwärtig nur selten die Mühe nehmen, die Landessprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Diese Dolmetscher begleiteten uns beim Botanisiren. Sie verstehen wohl spanisch, aber sie können es nicht recht sprechen. In ihrer faulen Gleichgültigkeit geben sie, man mag fragen, was man will, wie auf Gerathewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Antwort: »Ja, Pater; nein, Pater.« Man begreift leicht, daß einem die Geduld ausgeht, wenn man Monate lang solche Gespräche zu führen hat, statt über Gegenstände Auskunft zu erhalten, für die man sich lebhaft interessirt. Nicht selten konnten wir nur mittelst mehrerer Dolmetscher und so, daß derselbe Satz mehrmals übersetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren. »Von meiner Mission an,« sagte der gute Ordensmann in Uruana, »werdet ihr reisen wie Stumme.« Und diese Vorhersagung ist so ziemlich in Erfüllung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Verkehr selbst mit den versunkensten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichensprache. Sobald der Eingeborene merkt, daß man sich keines Dolmetschers bedienen will, sobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenstände deutet, so legt er seine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß sich mit merkwürdiger Gewandtheit verständlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er spricht die Worte langsam aus, er wiederholt sie unaufgefordert. Es scheint seiner Eigenliebe zu schmeicheln, daß man ihn beachtet und sich von ihm belehren läßt. Diese Leichtigkeit, sich verständlich zu machen, zeigt sich besonders auffallend beim unabhängigen Indianer, und was die christlichen Niederlassungen betrifft, muß ich den Reisenden den Rath geben, sich vorzugsweise an Eingeborene zu wenden, die erst seit Kurzem *unterworfen* sind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingeborenen belehrender und sicherer ist, als der mittelst des Dolmetschers [S. Band II. Seite 25--26], wenn man nur seine Fragen zu vereinfachen weiß und dieselben hinter einander an mehrere Individuen in verschiedener Gestalt richtet. Zudem sind der Mundarten, welche am Meta, Orinoco, Cassiquiare und Rio Negro gesprochen werden, so unglaublich viele, daß der Reisende selbst mit dem bedeutendsten Sprachtalent nie so viele derselben sich aneignen könnte, um sich längs der schiffbaren Ströme von Angostura bis zum Fort San Carlos am Rio Negro verständlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntniß der Oquichua- oder Incasprache aus, in Chili mit dem Araucanischen, in Paraguay mit dem Guarany; man kann sich wenigstens der Mehrzahl der Bevölkerung verständlich machen. Ganz anders in den Missionen in spanisch Guyana, wo im selben Dorf Völker verschiedenen Stammes unter einander wohnen. Hier wäre es nicht einmal genug, wenn man folgende Sprachen verstände: Caraibisch oder Carina, Guamo, Guahiva, Jaruro, Ottomaco, Maypure, Saliva, Marivitano, Maquiritare und Guaica, zehn Sprachen, von denen es nur ganz rohe Sprachlehren gibt und die unter einander weniger verwandt sind, als Griechisch, Deutsch und Persisch. Die Umgegend der Mission Carichana schien uns ausgezeichnet schön. Das kleine Dorf liegt auf einer der grasbewachsenen Ebenen, wie sie von Encaramada bis über die Katarakten von Maypures hinaus sich zwischen all den Ketten der Granitberge hinziehen. Der Waldsaum zeigt sich nur in der Ferne. Ringsum ist der Horizont von Bergen begrenzt, zum Theil bewaldet, von düsterer Färbung, zum Theil kahl, mit felsigten Gipfeln, die der Strahl der untergehenden Sonne vergoldet. Einen ganz eigenthümlichen Charakter erhält die Gegend durch die fast ganz kahlen Felsbänke, die oft achthundert Fuß im Umfang haben und sich kaum ein paar Zoll über die umgebende Grasflur erheben. Sie machen gegenwärtig einen Theil der Ebene aus. Man fragt sich mit Verwunderung, ob hier ein ungewöhnliches stürmisches Ereigniß Dammerde und Gewächse weggerissen, oder ob der Granitkern unseres Planeten hier nackt zu Tage tritt, weil sich die Keime des Lebens noch nicht auf allen Punkten entwickelt haben. Dieselbe Erscheinung scheint in *Shamo* zwischen der Mongolei und China vorzukommen. Diese in der Wüste zerstreuten Felsbänke heißen _‘Tsy’_. Es wären, wie mir scheint, eigentliche Plateaus, wären von der Ebene umher der Sand und die Erde weg, welche das Wasser an den tiefsten Stellen angeschwemmt hat. Aus den Felsplatten bei Carichana hat man, was sehr interessant ist, den Gang der Vegetation von ihren Anfängen durch die verschiedenen Entwicklungsgrade vor Augen. Da sieht man Flechten, welche das Gestein zerklüften und mehr oder weniger dicke Krusten bilden; wo ein wenig Quarzsand sich angehäuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Höhlungen des Gesteins haben sich schwarze, aus zersetzten Wurzeln und Blättern sich bildende Erdschichten abgesetzt, auf denen immergrünes Buschwerk wächst. Handelte es sich hier von großartigen Natureffekten, so käme ich nicht auf unsere Gärten und die ängstlichen Künsteleien der Menschenhand; aber der Contrast zwischen Felsgestein und blühendem Gesträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und dort in der Savane erinnern unwillkürlich an die mannigfaltigsten und malerischsten Partien unserer Parke. Es ist als hätte hier der Mensch mit tiefem Gefühl für Naturschönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen. Zwei, drei Meilen von der Mission findet man auf diesen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenso üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern oberhalb der großen Katarakten gegenüber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß man sich an die Flußufer hält und auf Wälder stößt, in die nicht einzudringen ist. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu Pferd, auf denen er sehr viele Gewächse erbeutete. Ich erwähne nur den Paraguatan, eine sehr schöne Art von Macrocnemum, deren Rinde roth färbt, den Guaricamo mit giftiger Wurzel, die _Jacaranda obusifolia_ und den *Serrape* oder *Jape* der Salivas-Indianer, AUBLETs Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen seiner aromatischen Frucht berühmt ist. Diese Frucht, die man in Caracas zwischen die Wäsche legt, während man sie in Europa unter dem Namen *Tonca-* oder *Tongobohne* unter den Schnupftabak mischt, wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigenthümliche Arom des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom *Jape*; dieß ist aber unrichtig. Derselbe heißt in den Missionen *Simaruba*, ein Name, der zu argen Mißgriffen Anlaß geben kann, denn die ächte *Simaruba* ist eine Quassiaart, eine Fieberrinde, und wächst in spanisch Guyana nur im Thal des Rio Caura, wo die Paudacotos-Indianer sie *Achechari* nennen. In Carichana, auf dem großen Platz, fand ich die Inclination der Magnetnadel gleich 33°,70, die Intensität der magnetischen Kraft gleich 227 Schwingungen in zehn Zeitminuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im Spiel seyn mochten. Die vom Wasser des Orinoco geschwärzten Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer stand um Mittag 336,6 Linien hoch, der Thermometer zeigte im Schatten 30°,6. Bei Nacht fiel die Temperatur der Luft auf 26°,2; der Delucsche Hygrometer stand auf 46°. Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll gestiegen; die Erscheinung war den Eingeborenen auffallend, da sonst der Strom Anfangs fast unmerklich steigt, und man ganz daran gewöhnt ist, daß er im April ein paar Tage lang wieder fällt. Der Orinoco stand bereits drei Fuß über dem niedrigsten Punkt. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwärtigen Hochgewässer; sie standen nach unserer Messung 42 Fuß hoch, und dieß ist doppelt so viel als durchschnittlich beim Nil. Aber dieses Maaß wurde an einem Ort genommen, wo das Strombett durch Felsen bedeutend eingeengt ist, und ich konnte mich nur an die Angabe der Indianer halten. Man sieht leicht, daß das Stromprofil, die Beschaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenflüsse, die das Regenwasser hereinführen, und die Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewässer und auf ihre Höhe von bedeutendem Einfluß seyn müssen. Unzweifelhaft ist, und es macht auf Jedermann im Lande einen starken Eindruck, daß man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo sich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, hundert, zuweilen hundert dreißig Fuß über dem höchsten gegenwärtigen Wasserstand schwarze Streifen und Auswaschungen sieht, die beweisen, daß das Wasser einmal so hoch gestanden. So wäre denn dieser Orinocostrom, der uns so großartig und gewaltig erscheint, nur ein schwacher Rest der ungeheuren Ströme süßen Wassers, die einst, geschwellt von Alpenschnee oder noch stärkeren Regenniederschlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern beschattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der Verdunstung Vorschub leisten, das Land ostwärts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen? In welchem Zustande müssen sich damals diese Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueberschwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Massen von Krokodilen, Seekühen und Boas müssen auf dem weiten Landstrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen stehenden Wassers bestand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, ist eine ungleich stürmischere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden sich Knochen von Mastodonten und amerikanischen eigentlichen Elephanten, und auf den Ebenen am Uruguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die Erde, so findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarn mehr vorkommen, Steinkohlenflötze, in denen riesenhafte Reste monocotyledonischer Gewächse begraben liegen. Es war also lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewächse anders vertheilt, wo die Thiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. Soviel und nicht mehr sagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wissen nicht, ob das Menschengeschlecht, das bei der Entdeckung von Amerika ostwärts von den Cordilleren kaum ein paar schwache Volksstämme aufzuweisen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom *großen Wasser*, die sich bei den Völkern am Orinoco, Erevato und Caura findet, andern Himmelsstrichen angehört, aus denen sie in diesen Theil des neuen Continents gewandert ist. Am 11. April. Nach unserer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr Nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir ließen den Caño Orupe westwärts und fuhren darauf am großen, unter dem Namen _Pieda del Tigre_ bekannten Felsen vorbei. Der Strom ist hier so tief, daß ein Senkblei von 22 Faden den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und düster, Windstöße und dazwischen ganz stille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die Regenströme die Moskitos, die uns den Tag über grausam geplagt, wenigstens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Wassers war so stark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wurden immer wieder mitten in die Strömung geworfen. Endlich sprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Wasser, zogen die Pirogue mit einem Strick ans Ufer und banden sie an der _Piedra de Carichana vieja_ fest, einer nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß stieg bedeutend und man fürchtete mehreremale, die wilden Wogen möchten unser schwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen. Der Granitfels, auf dem wir lagerten, ist einer von denen, auf welchen Reisende zu Zeiten gegen Sonnenaufgang unterirdische Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Missionare nennen dergleichen Steine _‘laxas de musica’_. »Es ist Hexenwerk« (_cosa de bruxas_) sagte unser junger indianischer Steuermann, der castilianisch sprach. Wir selbst haben diese geheimnißvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana, noch am obern Orinoco; aber nach den Aussagen glaubwürdiger Zeugen läßt sich die Erscheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und sie scheint auf einem gewissen Zustand der Luft zu beruhen. Die Felsbänke sind voll feiner, sehr tiefer Spalten und sie erhitzen sich bei Tag auf 48--50 Grad. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche 39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterschied zwischen der unterirdischen und der äußern Luft sein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt sich zugleich vom Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weitesten entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn man, das Ohr dicht am Gestein, auf dem Fels schläft, nicht von einem Luftstrom herrühren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umstand, daß die Luft an die elastischen Glimmerblättchen stößt, welche in den Spalten hervorstehen, die Töne modificiren? Läßt sich nicht annehmen, daß die alten Egypter, die beständig den Nil auf und ab fuhren, an gewissen Felsen in der Thebais dieselbe Beobachtung gemacht, und daß _‘die Musik der Felsen’_ Veranlassung zu den Gaukeleien gegeben, welche die Priester mit der Bildsäule Memnons trieben? Wenn die »rosenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon, eine Stimme verlieh,«(23) so war diese Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgestell der Bildsäule versteckten Menschen, aber die Beobachtung der Eingeborenen am Orinoco, von der hier die Rede ist, scheint ganz natürlich zu erklären, was zu dem Glauben der Egypter, ein Stein töne bei Sonnenaufgang, Anlaß gegeben. Fast zur selben Zeit, da ich diese Vermuthungen einigen Gelehrten in Europa mittheilte, kamen französische Reisende, die Herrn JOMARD, JOLLOIS und DEVILLIERS, auf ähnliche Gedanken. In einem Denkmal aus Granit, mitten in den Tempelgebäuden von Karnak, hörten sie bei Sonnenaufgang ein Geräusch wie von einer reißenden Saite. Gerade denselben Vergleich brauchen aber die Alten, wenn von der Stimme Memnons die Rede ist. Die französischen Reisenden sind mit mir der Ansicht, das Durchstreichen der Luft durch die Spalten eines klingenden Steins habe wahrscheinlich die egyptischen Priester auf die Gaukeleien im Memnonium gebracht. Am 12. April. Wir brachen um 4 Uhr Morgens auf. Der Missionär sah voraus, daß wir Noth haben würden, über die Stromschnellen und den Einfluß des Meta wegzukommen. Die Indianer ruderten zwölf und eine halbe Stunde ohne Unterlaß. Während dieser Zeit nahmen sie nichts zu sich als Manioc und Bananen. Bedenkt man, wie schwer es ist, die Gewalt der Strömung zu überwinden und die Katarakten hinauszufahren, und weiß man, daß die Indianer am Orinoco und Amazonenstrom auf zweimonatlichen Flußfahrten in dieser Weise ihre Muskeln anstrengen, so wundert man sich gleich sehr über die Körperkraft und über die Mäßigkeit dieser Menschen. Stärkmehl- und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fische und Schildkröteneierfett ersetzen hier die Nahrung, welche die zwei ersten Thierklassen, Säugethiere und Vögel, Thiere mit rothem, warmem Blute, geben. Wir fanden das Flußbett auf einer Strecke von 600 Toisen voll Granitblöcken; dieß ist der sogenannte *Raudal de Cariven*. Wir liefen durch Kanäle, die nicht fünf Fuß breit waren, und manchmal stak unsere Pirogue zwischen zwei Granitblöcken fest. Man suchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die sich das Wasser mit furchtbarem Getöse stürzt. Es ist keine ernstliche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianischen Steuermann hat. Ist die Strömung nicht zu überwinden, so springen die Ruderer ins Wasser, binden ein Seil an die Felsspitzen und ziehen die Pirogue heraus. Dieß geht sehr langsam vor sich, und wir benützten zuweilen die Gelegenheit und kletterten auf die Klippen, zwischen denen wir staken. Es gibt ihrer von allen Größen; sie sind abgerundet, ganz schwarz, bleiglänzend und ohne alle Vegetation. Es ist ein merkwürdiger Anblick, wenn man auf einem der größten Ströme der Erde gleichsam das Wasser verschwinden sieht. Ja noch weit vom Ufer sahen wir die ungeheuern Granitblöcke aus dem Boden steigen und sich an einander lehnen. In den Stromschnellen sind die Kanäle zwischen den Felsen über 25 Faden tief, und sie sind um so schwerer zu finden, da das Gestein nicht selten nach unten eingezogen ist und eine Wölbung über dem Flußspiegel bildet. Im Raudal von Cariven sahen wir keine Krokodile; die Thiere scheinen das Getöse der Katarakten zu scheuen. Von Cabruta bis zum Einfluß des Rio Sinaruco, aus einer Strecke von fast zwei Breitegraden, ist das linke Ufer des Orinoco völlig unbewohnt; aber westlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Jaruros- und Otomacos-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Auf diesen Civilisationsversuch hatten die Mönche unmittelbar keinen Einfluß. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß Don Felix mit den Missionären am rechten Ufer des Stroms in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage besprechen, ob, unter den gegenwärtigen Verhältnissen in spanisch Amerika, dergleichen _‘Capitanes pobladores’_ und _‘fundadores’_ an die Stelle der Mönche treten können, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkürlich. sind, für die armen Indianer die schlimmste ist. Um 9 Uhr langten wir an der Einmündung des Meta an, gegenüber dem Platze, wo früher die von den Jesuiten gegründete Mission Santa Teresa gestanden. Der Meta ist nach dem Guaviare der bedeutendste unter den Nebenflüssen des Orinoco. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Länge des Laufs, aber hinsichtlich der Wassermasse. Er ist durchschnittlich 34, oft bis zu 84 Fuß tief. Die Vereinigung beider Ströme gewährt einen äußerst großartigen Anblick. Am östlichen Ufer steigen einzelne Felsen empor, und aufeinander gethürmte Granitblöcke sehen von ferne wie verfallene Burgen aus. Breite sandigte Ufer legen sich zwischen den Strom und den Saum der Wälder, aber mitten in diesen sieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen sich vom Himmel abheben. Wir brachten zwei Stunden auf einem großen Felsen mitten im Orinoco zu, auf der *Piedra de paciencia* so genannt, weil die Piroguen, die den Fluß hinauf gehen, hier nicht selten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel herauszukommen, der von diesem Felsen herrührt. Es gelang mir meine Instrumente darauf aufzustellen. Nach den Sonnenhöhen, die ich aufnahm, liegt der Einfluß des Meta unter 70° 4′ 29″ der Länge. Nach dieser chronometrischen Beobachtung ist D’ANVILLEs Karte von Südamerika, was diesen Punkt betrifft, in der Länge fast ganz richtig, während der Fehler in der Breite einen ganzen Grad beträgt. Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Casanare; er ist fast bis zum Fuß der Anden von Neu-Grenada schiffbar und muß einmal für die Bevölkerung von Guyana und Venezuela politisch von großer Bedeutung werden. Aus dem *Golfo triste* und der *Boca del Dragon* kann eine Flottille den Orinoco und Meta bis auf 15--20 Meilen von Santa Fe de Bogota herauffahren. Auf demselben Wege kann das Mehl aus Neu-Grenada hinunterkommen. Der Meta ist wie ein Schiffsahrtskanal zwischen Ländern unter derselben Breite, die aber ihren Produkten nach so weit auseinander sind als Frankreich und der Senegal. Durch diesen Umstand wird es von Belang, daß man die Quellen des Flusses, der auf unsern Karten so schlecht gezeichnet ist, genan kennen lernt. Der Meta entsteht durch die Vereinigung zweier Flüsse, die von den Paramos von Chingasa und Suma Paz herabkomrnen. Ersterer ist der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt; der zweite ist der Rio _de aguas blancas_ oder Umadea. Sie vereinigen sich in der Nähe des Hafens von Marayal. Vom Passo de la Cabulla, wo man den Rio Negro verläßt, bis zur Hauptstadt Santa Fe sind es nur 8--10 Meilen. Ich habe diese interessanten Notizen, wie ich sie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der ersten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benützt. Die _Reisebeschreibung_ des Canonicus DON JOSEF CORTES MADARIAGA hat nicht allein meine erste Ansicht vom Laufe des Meta bestätigt, sondern mir auch schätzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Dörfern Xiramena und Cabullaro bis zu den Dörfern Guanapalo und Santa Rosalia de Cabapuna, auf einer Strecke von 60 Meilen, sind die Ufer des Meta stärker bewohnt als die des Orinoco. Es sind dort vierzehn zum Theil stark bevölkerte christliche Niederlassungen, aber vom Einfluß des Pauto und des Casanare an, über 50 Meilen weit, machen die wilden Guahibos den Meta unsicher. Zur Jesuitenzeit, besonders aber zur Zeit von ITURIAGAs Expedition im Jahr 1756 war die Schifffahrt auf dem Strom weit stärker als jetzt. Missionäre aus Einem Orden waren damals Herrn an den Ufern des Meta und des Orinoco. Die Dörfer Macuco, Zurimena, Casimena einerseits, andererseits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jesuiten gegründet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluß des Casanare in den Meta bis zum Einfluß des Meta in den Orinoco eine Reihe von Missionen zu gründen, so daß ein schmaler Streif bebauten Landes über die weite Steppe zwischen den Wäldern von Guyana und den Anden von Neu-Grenada gelaufen wäre. Außer dem Mehl von Santa Fe gingen damals zur Zeit der »Schildkröteneierernte« das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die gedruckten Decken von Socorro den Fluß herunter. Um den Krämern, die diesen Binnenhandel trieben, einigermaßen Sicherheit zu verschaffen, machte man vom *Castillo* oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Guahibos-Indianer. Da auf demselben Wege, der den Handel mit den Produkten von Neu-Grenada förderte, das geschmuggelte Gut von der Küste von Guyana ins Land ging, so setzte es der Handelsstand von Carthagena de Indias bei der Regierung durch, daß der freie Handel auf dem Meta bedeutend beschränkt wurde. Derselbe Geist des Monopols schloß den Meta, den Rio Atracto und den Amazonenstrom. Es ist doch eine wunderliche Politik von Seiten der Mutterländer, zu glauben, es sey vortheilhaft, Länder, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Händen ausgestreut, unangebaut liegen zu lassen. Daß das Land nicht bewohnt ist, haben sich nun die wilden Indianer aller Orten zu Nutze gemacht. Sie sind an die Flüsse herangerückt, sie machen Angriffe auf die Vorüberfahrenden, sie suchen *wiederzuerobern*, was sie seit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Missionen am Orinoco auf die Jesuiten folgten, an der Ausmündung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Trägheit und die Furcht vor dem dreitägigen Fieber ließen es nicht dazu kommen, und ein sauber gemaltes Wappen auf einem Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist Alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tausende beträgt, sind so frech geworden, daß sie, als wir nach Carichana kamen, dem Missionär hatten ankündigen lassen, sie werden auf Flößen kommen und ihm sein Dorf anzünden. Diese Flöße (_valzas_), die wir zu sehen Gelegenheit hatten, sind kaum 3 Fuß breit und 12 lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und andern Rankengewächsen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen Fahrzeuge in den Stromschnellen beisammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Casanare und Apure entlaufene Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders beigebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Theil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reisenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluß des Casanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neu-Grenada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden. Vom Einfluß des Meta an erschien der Orinoco freier von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 500 Toisen breiten offenen Stromstrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Pirogue zu schieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geschrei zu belästigen. Gegen West lagen im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem *Raudal de Tabaje* hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem höchst unbequemen Ort, auf einer mehr als 18 Grad geneigten Felsplatte, in deren Spalten Schaaren von Fledermäusen staken. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unser großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorschein kämen; der Himmel war grauenhaft schwarz. Das dumpfe Tosen der Fälle des Orinoco stach scharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hören ließ. Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Stromschnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater GUMILLA auf seiner Fahrt gekommen war,(24) und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehenden Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht catechisirten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verriethen mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; sie wollten ihn nicht einmal kosten. Die Gesichter der jungen Mädchen waren alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt; dieselben nahmen sich aus wie die Schönpflästerchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht bemalt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seyen wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoco in der Gesichtsbildung mit einander haben. Ihr Blick ist düster, trübselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebräuchen (der Missionär von Carichana liest in San Borja nur drei- oder viermal im Jahr Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus anständig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gerne dulden sie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, daß man auf sie sieht. Bei der Communion machten sie einander Zeichen, daß jetzt der Priester den Kelch zum Munde führen werde. Diese Geberde ausgenommen, saßen sie da, ohne sich zu rühren, völlig theilnahmlos. Die Theilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht Schuld daran, daß die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen als das Land bauten, beredeten die andern, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und sie dann in ihren Canoes fortschleppen und in Angostura als _‘Poitos’_, als Sklaven verkaufen. Die Guahibos warteten, bis sie hörten, daß wir vom Rio Negro über den Cassiquiare zurückkamen, und als sie erfuhren, daß wir beim ersten großen Katarakt, bei Apures, angelangt seyen, liefen alle davon in die Savanen westlich vom Orinoco. Am selben Platz und unter demselben Namen hatten schon die Jesuiten eine Mission gegründet. Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Die andern Indianer sagen daher sprüchwörtlich: »Ein Guahibo ißt Alles auf der Erde und unter der Erde.« Kommt man auf dem Orinoco weiter nach Süden, so nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegentheil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tag 26--27°,5 [20°,18--22° R], bei Nacht 23°,7 [19°6 R]. Das Wasser des Stroms behielt seine gewöhnliche Temperatur von 27°,7 [22°,2 R]. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskitos erschrecklich zu. Nie hatten wir so arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht sprechen oder das Gesicht entblößen, ohne Mund und Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36 Grad stehen sahen; beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Caraibenfischen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über gesehen, waren alle außerordentlich groß, 22--24 Fuß lang. Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, schon um fünf Uhr Morgens aufzubrechen. In der Luftschicht über dem Fluß selbst sind weniger Insekten als am Waldsaume. Zum Frühstück hielten wir an der Insel Guachaco, wo eine Sandsteinformation oder ein Conglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthält Quarz-, sogar Feldspathtrümmer und das Bindemittel ist verhärteter Thon. Es befinden sich darin kleine Gänge von Brauneisenerz, das in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwischen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Missionäre hatten dieselben bald für Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese secundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet gewesen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macos-Indianer wohnen, und übernachteten auf der Insel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Bestimmung der Länge des Orts, bei dem der Fluß eine scharfe Wendung nach West macht, Höhenwinkel des Canopus zu messen. Die Insel Panumana ist sehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felsen, die Melastomenbüsche, die kleinen Baumpartien, deren Gruppirung uns schon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den großen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Südost. Je weiter wir hinauf kamen, desto großartiger und malerischer wurden die Ufer des Orinoco. ------------------ 11 Die Sandflöhe (_pulex penetrans_, LINNÉ) die sich beim Menschen und Affen unter die Nägel der Zehen eingraben und daselbst ihre Eier legen. 12 Die Namen der Missionen in Südamerika bestehen sämmtlich aus zwei Worten, von denen das erste nothwendig ein Heiligenname ist (der Name des Schutzpatrons der Kirche), das zweite ein indianisches (der Name des Volks, das hier lebt, und der Gegend, wo die Mission liegt). So sagt man: _San Jose de Maypures_, _Santa Cruz de Cachipo_, _San Juan-Nepomuceno de los Atures_ etc. Diese zusammengesetzten Namen kommen aber nur in der amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur Einen, meist, wenn er wohlklingend ist, den indianischen. Benachbarten Orten kommen oft dieselben Heiligennamen zu, und dadurch entsteht in der Geographie eine heillose Verwirrung. Die Namen San Juan, San Pedro, San Diego sind wie auf Gerathewohl auf unsern Karten umhergestreut. 13 Der Begleiter des Diego de Ordaz. 14 Die Botija hält 25 französische Flaschen; sie hat 1000--1200 Cubikzoll Inhalt. 15 Kleine Wasserfälle, _chorros_, _raudalitos_. 16 Stricke aus den Blattstielen einer Palme mit gefiederten Blättern, von der unten die Rede seyn wird. 17 Das Fleisch des Rocou und auch der Chica sind adstringirend und leicht abführend. 18 Der schwarze, ätzende Farbstoff des *Caruto* (_Genipa americana_) widersteht dem Wasser länger, wie wir zu unserem großen Verdruß an uns selbst erfuhren. Wir scherzten eines Tags mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Gesicht, und man sah dieselben noch, als wir schon wieder in Angostura, im Schooße europäischer Cultur waren. 19 Einen schönen Saïmiri oder Titi vom Orinoco kauft man in Paramara für 8 bis 9 Piaster; der Missionär bezahlt dem Indianer, der den Affen gefangen und gezähmt, 1-1/2 Piaster. 20 Ich führe bei dieser Gelegenheit an, daß ich niemals bemerkt habe, daß ein Gemälde, auf dem Hasen und Rehe in natürlicher Größe und vortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verstand sehr entwickelt schien, den mindesten Eindruck gemacht hätte. Gibt es einen beglaubigten Fall, wo ein Hund das Porträt seines Herrn in ganzer Figur erkannt hätte? In allen diesen Fällen wird das Gesicht nicht vom Geruch unterstützt. _ 21 Cartas edificantes de la Compaña de Jesus_, 1757 22 Die Stadt Socorro, südlich vom Rio Sogamoza und nord-nord-östlich von Santa Fe de Bogota, war der Hauptherd des Aufruhrs, der im Jahr 1781 im Königreich Neu-Grenada unter dem Erzbischof Vicekönig Gongora wegen der Plackereien ausbrach, denen das Volk in Folge der Einführung der Tabakspacht ausgesetzt gewesen. Viele fleißige Einwohner von Socorro wanderten damals in die Llanos am Meta aus, um sich den Verfolgungen zu entziehen, welche der vom Madrider Hof ertheilten allgemeinen Amnestie folgten. Diese Ausgewanderten heißen in den Missionen _Socorreños refugiados_. 23 So heißt es in einer Inschrift, die bezeugt, daß am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahr Antonins die Töne vernommen worden. 24 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren seyn. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4′ der Breite, was um 5° 10′ zu wenig ist. ZWANZIGSTES KAPITEL. Die Mündung des Rio Anaveni. -- Der Pic Uniana. -- Die Mission Atures. -- Der Katarakt oder Raudal Mapara. -- Die Inseln Surupamana und Uirapuri. Auf seinem Lauf von Süd nach Nord streicht über den Orinocostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem Laufe gehemmt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieses Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fe de Bogota, noch die gewaltige Naturscenerie der Cordilleren vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich sie zum erstenmale sah. Steht man so, daß man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstfläche mit Einem Blicke übersieht, so ist es, als sähe man den ganzen Strom über seinem Bette hängen. So ausgezeichnete Naturbildungen mußten schon seit Jahrhunderten bei den Bewohnern der neuen Welt Aufmerksamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herera und der unerschrockene RALEGH in der Mündung des Orinoco vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Katarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort gewesen; sie verwechsclten sie sogar mit weiter ostwärts, gelegenen Fällen. Wie sehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses dem Verkehr unter den Völkern hinderlich ist, Alles, was sich auf den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoco, Amazonenstrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landstrich, auf dem Völker hausen, die zum Theil Menschenfresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit die Cultur und das sanfte Licht einer menschlicheren Religion an den Ufern dieser uralten, von der Natur gegrabenen Kanäle aufwärts ziehen; aber lange vor Einführung des Ackerbaus, ehe zwischen den zerstreuten, oft sich befehdenden Horden ein Tauschverkehr zu Stande kam, verbreitete sich auf tausend zufälligen Wegen die Kunde von außerordentlichen Naturerscheinungen, von Wasserfällen, vulkanischen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. Dreihundert Meilen von den Küsten, im Herzen von Südamerika, unter Völkern, deren Wanderungen sich in den Grenzen von drei Tagereisen halten, findet man die Kunde vom Ocean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Masse von Salzwasser, die sich hinbreitet, soweit das Auge reicht. Verschiedene Vorfälle, wie sie im Leben des Wilden nicht selten sind, helfen zur Verbreitung solcher Kenntnisse. In Folge der kleinen Kriege zwischen benachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geschleppt, wo er als _‘Poito’_ oder _‘Mero’_, das heißt als Sklave behandelt wird. Nachdem er mehreremale verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt er und kehrt zu den Seinigen zurück. Da erzählt er denn, was er gesehen, was er andere hat erzählen hören, deren Sprache er hat lernen müssen. So kommt es, daß man, wenn man eine Rippe findet, von den großen Thieren weit im innern Lande sprechen hört; so kommt es, daß man, wenn man das Thal eines großen Flusses betritt, mit Ueberraschung sieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Wasser fahren, von weit entlegenen Dingen zu sagen wissen. Auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung tritt in gewissem Grade der Gedankenaustausch früher ein als der Tausch von Erzeugnissen. Die beiden großen Katarakten des Orinoco, die eines so ausgebreiteten, uralten Rufs genießen, entstehen dadurch, daß der Strom die Berge der Parime durchbricht [S. Band II. Seite 374]. Bei den Eingeborenen heißen sie *Mapara* und *Quittuna*; aber die Missionäre haben dafür Atures und Maypures gesetzt nach den Namen der beiden Stämme, die sie in den beiden den Fällen zunächst gelegenen Dörfern zusammengebracht. An den Küsten von Caracas nennt man die zwei großen Katarakten einfach: die zwei *Raudales*(25) (Stromschnellen), was darauf hindeutet, daß man die andern Fälle, sogar die Stromschnellen von Camiseta und Carichana, gegenüber den Katarakten von Apures und Maypures gar nicht der Beachtung werth findet. Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, hundert Meilen westwärts von den Cordilleren von Neu-Grenada, im Meridian von Porto Cabello, und nur zwölf Meilen von einander. Es ist sehr auffallend, daß D’ANVILLE nichts von denselben gewußt hat, da er doch auf seiner schönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakten theilen die christlichen Niederlassungen in spanisch Guyana in zwei ungleiche Hälften. *Missionen am untern Orinoco* heißen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den *Missionen am obern Orinoco* sind die Dörfer zwischen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf des untern Orinoco ist, wenn man mit LA CONDAMINE die Krümmungen auf ein Drittheil der geraden Richtung schätzt, 260 Seemeilen, der des obern Orinoco, die Quellen drei Grad ostwärts vom Duida angenommen, 167 Meilen lang. Jenseits der großen Katarakten beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Theil gebirgigter, zum Theil ebener Landstrich, über den die Nebenflüsse sowohl des Amazonenstroms als des Orinoco ziehen. Wegen des leichten Verkehrs mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Colonien anzugehören. Keiner der Missionäre, die vor mir den Orinoco beschrieben haben, die Patres GUMILLA, GILI und CANLIN, ist über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom obern Orinoco und vom Cassiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die SOLANOs Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Katarakten fanden wir längs des Orinoco auf einer Strecke von hundert Meilen nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weiße, das heißt Menschen europäischer Abkunft. Es ist nicht zu verwundern, daß ein so ödes Land von jeher der classische Boden für Sagen und Wundergeschichten war. Hieher versetzten ernste Missionäre die Völker, die Ein Auge auf der Stirne, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden sie Alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den Arimaspen und den Hyperboräern erzählen. Man thäte den schlichten, zuweilen ein wenig rohen Missionären Unrecht, wenn man glaubte, sie selbst haben diese übertriebenen Mähren erfunden; sie haben sie vielmehr großentheils den Indianergeschichten entnommen. In den Missionen erzählt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie überall, wo man sich langweilt. Ein Missionär ist schon nach Standesgebühr nicht zum Sceptirismus geneigt; er prägt sich ein, was ihm die Eingeborenen so oft vorgesagt, und kommt er nach Europa, in die civilisirte Welt zurück, so findet er eine Entschädigung für seine Beschwerden in der Lust, durch die Erzählung von Dingen, die er als Thatsachen aufgenommen, durch lebendige Schilderung des im Raum so weit Entrückten, die Leute in Verwunderung zu setzen. Ja, diese _cuentos de viageros y frailes_ werden immer unwahrscheinlicher, je weiter man von den Wäldern am Orinoco weg den Küsten zu kommt, wo die Weißen wohnen. Läßt man in Cumana, Nueva Barcelona und in andern Seehäfen, die starken Verkehr mit den Missionen haben, einigen Unglauben merken, so schließt man einem den Mund mit den wenigen Worten: »Die Patres haben es gesehen, aber weit über den großen Katarakten, _mos ariba de los Raudales._« Jetzt, da wir ein so selten besuchtes, von denen, die es bereist, nur zum Theil beschriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gründe, meine Reisebeschreibung auch ferner in der Form eines Tagebuchs fortzusetzen. Der Leser unterscheidet dabei leichter, was ich selbst beobachtet, und was ich nach den Aussagen der Missionäre und Indianer berichte; er begleitet die Reisenden bei ihren täglichen Beschäftigungen; er sieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebot stand und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten, und wird in seinem Urtheil nachsichtiger. Am 15. April. Wir brachen von der Insel Panumana um vier Uhr Morgens aus, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war großentheils bedeckt und durch dickes, über 40 Grad hoch stehendes Gewölk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, daß wir nicht donnern hörten: kam es daher, daß das Gewitter so ausnehmend hoch stand? Es kam uns vor, als würden in Europa die elektrischen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbestimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit näher am Horizont gesehen. Beim bedeckten Himmel, der die strahlende Wärme des Bodens zurückwarf, war die Hitze erstickend; kein Lüftchen bewegte das Laub der Bäume. Wie gewöhnlich waren die Jaguars über den Flußarm zwischen uns und dem Ufer herübergekommen, und wir hörten sie ganz in unserer Nähe brüllen. Im Lauf der Nacht hatten uns die Indianer gerathen, aus dem Bivouac in eine verlassene Hütte zu ziehen, die zu den _‘Conucos’_ der Einwohner von Apures gehört; sie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich überflüssig vorkam. Die Tiger sind bei den Katarakten so häufig, daß vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Conucos von Panumana, seine Hütte wieder aufsuchte, dieselbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen besetzt sand. Die Thiere hatten sich seit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Mühe brachte man sie hinaus, und erst nach hartnäckigem Kampfe konnte der Eigenthümer einziehen. Die Jaguars ziehen sich gern in verlassene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reisende meist klüger, unter freiem Himmel zwischen zwei Feuern zu übernachten, als in unbewohnten Hütten Schutz zu suchen. Bei der Abfahrt von der Insel Panumana sahen wir auf dem westlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Missionär, der bei uns war, ließ einige blinde Schüsse abfeuern, um sie einzuschüchtern, sagte er, und ihnen zu zeigen, daß wir uns wehren könnten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Canoes und wohl auch keine Lust, uns mitten auf dem Strom zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluß des Rio Anaveni vorüber, der von den östlichen Bergen herabkommt. Jetzt sind seine Ufer verlassen; aber zur Jesuitenzeit hatte Pater Olmos hier Japuin- oder Jaruro-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Die Hitze am Tage war so stark, daß wir lange an einem schattigen Platze hielten und mit der Leine fischten. Wir konnten die Fische, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erst ganz spät langten wir unmittelbar unter dem großen Katarakt in einer Bucht an, die der *untere Hafen* (_puerto de abaxo_) heißt, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Beschwerde, auf schmalem Fußpfad in die Mission Atures, eine Meile vom Flußufer. Man kommt dabei über eine mit großen Granitblöcken bedeckte Ebene. Das kleine Dorf *San Juan Nepomuceno de los Atures* wurde im Jahr 1748 vom Jesuiten Pater Francisco Gonzales angelegt. Es ist stromaufwärts die letzte vom Orden des heiligen Ignatius gegründete christliche Niederlassung. Die weiter nach Süd gelegenen Niederlassungen am Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro rühren von den dem Franciskanerorden angehörenden Observanten her. Wo jetzt das Dorf Atures steht, muß srüher der Orinoco geflossen seyn, und die völlig, ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stück des Flußbetts. Oestlich von der Mission sah ich eine Felsreihe, die mir das alte Flußufer zu seyn schien. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Strom gegen West hinübergedrängt, weil den östlichen Bergen zu, von denen viele Wildwasser herabkommen, die Anschwemmungen stärker sind. Der Katarakt heißt, wie oben bemerkt, Mapara, während das Dorf nach dem Volke der Atures genannt ist, das man jetzt für ausgestorben hält. Auf den Karten des siebzehnten Jahrhunderts finde ich: »Insel und Katarakt *Athule*;« dieß ist *Atures* nach der Aussprache der Tamanacas, die, wie so viele Völker, die Consonanten l und r verwechseln. Noch bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war dieses gebirgigte Land in Europa so wenig bekannt, daß D’ANVILLE in der ersten Ausgabe seines _Südamerika_ beim *Salto de los Atures* vom Orinoco einen Arm abgehen läßt, der sich in den Amazonenstrom ergießt und der bei ihm Rio Negro heißt. Die alten Karten, sowie Pater GUMILLA in seinem Werke, setzen die Mission unter 1° 30′ der Breite; der Abbé GILI gibt 3° 30′ an. Nach Meridianhöhen des Canopus und des α des südlichen Kreuzes fand ich 5° 38′ 4″ Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Secunden westliche Länge vom Pariser Meridian. Die Inclination der Magnetnadel war am 16. April 30°25; 223 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Maß der Intensität der magnetischen Kraft; in Paris sind es 245 Schwingungen. Wir fanden die kleine Mission in der kläglichsten Verfassung. Zur Zeit von SOLANOs Expedition, gewöhnlich _‘die Grenzexpedition’_ genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir über die Katarakten gingen, nur noch 47, und der Missionär versicherte uns, mit jedem Jahr werde die Abnahme stärker. Er zeigte uns, daß in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht catechisirten Indianern vor dem indianischen *Governador* geschlossen und damit, wie wir in Europa sagen, der Civilakt vollzogen worden. Bei der Gründung der Mission waren hier Atures, Maypures, Meyepures, Abanis und Quirupas unter einander; statt dieser Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stämme der Macos. Die Atures sind fast völlig verschwunden; man kennt sie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabstätten der Guanchen aus Teneriffa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerstamme der *Salivas* angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves Einer Abkunft seyen mit den *Cabres* oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Caraiben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Völkerschaften, die einander so schroff gegenüberstehen, wie einst die Völker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, läßt sich das Zusammengehörige im Allgemeinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind; nur sie, nicht an den Boden gefesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind so zu sagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei erobernden und bei civilisirten Völkern, als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Feinden in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter. Zwischen dem vierten und achten Breitengrad bildet der Orinoco nicht nur die Grenze zwischen dem großen Walde der Parime und den kahlen Savanen am Apure, Meta und Guaviare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebensweise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Völker, stolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die spanischen Missionäre bezeichnen sie ganz gut als _Indios andantes_ (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoco, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmüthige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unterwerfende Völker. Der *Indianer der Ebene* unterscheidet sich vom *Indianer der Wälder* durch Sprache, wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des ersteren ist rauher, kürzer, leidenschaftlicher; beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Ausdrücken. In der Mission Atures, wie in den meisten Missionen am Orinoco zwischen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volksstämmen neben einander; man trifft daselbst Indianer aus den Wäldern und früher nomadische Indianer (_Indios monteros_ und _Indios andantes_ oder _llaneros_. Wir besuchten mit dem Missionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. In ersteren zeigt sich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhängigen Macos (wilde möchte ich sie nicht nennen) haben ihre _‘Rochelas’_ oder festen Wohnplätze zwei bis drei Tagereisen östlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Manioc, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht hat der Franciskaner Pater Bernardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alcade der *unterworfenen* Macos verließ mit der Genehmigung des Missionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos besaß. In Folge dieses friedlichen Verkehrs hatten sich vor einiger Zeit mehrere dieser _Indios monteros_ in der Mission niedergelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbots der Ordensleute nicht als Halsbänder, sondern zum Aufputz des *Guayuco* (Gürtels) dienen. Nachdem sie das Gewünschte erhalten, gingen sie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt der Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahr 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures sehr stark. Dem Waldindianer wird das Leben des civilisirten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglück, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustößt. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender großer Trockenheit für immer aus den christlichen Niederlassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen nicht ebenso betroffen hätte, wenn sie immer unabhängig geblieben wären. Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen großen Theil des Jahrs hindurch in den Dörfern Atures und Maypures an den zwei großen Katarakten des Orinoco herrschen und die Gegend für den europäischen Reisenden so gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich starken Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünste, die sich aus den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoco-Fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwischen Nueva-Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamische Fieber ausarten. »Ich habe mein kleines Fieber (_mi calenturita_) erst seit acht Monaten,« sagte der gute Missionär von Atures, der uns an den Rio Negro begleitete; er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Pirogue auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgesetzt war. Diese dreitägigen Fieber sind mit bedeutender Schwächung des Muskelsystems verbunden; indessen sieht man am Orinoco arme Ordensgeistliche sich jahrelang mit dieser _Calenturidas_ und _Tercianas_ schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsstrichen. Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und sogar die Missionäre den kahlen Felsen einen nachtheiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Erscheinung zusammenhängt, die kürzlich in verschiedenen Landstrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt ist. In den Katarakten und überall, wo der Orinoco zwischen den Missionen Carichana und Santa Barbara periodisch das Granitgestein bespült, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit Wasserblei überzogen. Die färbende Substanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit ist, welcher hie und da Hornblendecrystalle enthält. Der schwarze Ueberzug ist 3/10 Linien dick und findet sich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; die Feldspathcrystalle haben zuweilen äußerlich ihre röthlich weiße Farbe behalten und springen aus der schwarzen Rinde vor. Zerschlägt man das Gestein mit dem Hammer, so ist es innen unversehrt, weiß, ohne Spur von Zersetzung. Diese ungeheuren Steinmassen treten bald in viereckigten Umrissen auf, bald in der halbkugligten Gestalt, wie sie dem Granitgestein eigen ist, wenn es sich in Blöcke sondert. Sie geben der Gegend etwas eigenthümlich Düsteres, da ihre Farbe vom Wasserschaum, der sie bedeckt, und vom Pflanzenwuchs um sie her scharf absticht. Die Indianer sagen, die Felsen seyen »von der Sonnengluth verbrannt oder verkohlt.« Wir sahen sie nicht nur im Bett des Orinoco, sondern an manchen Punkten bis zu 500 Toisen vom gegenwärtigen Ufer in Höhen, bis wohin der Fluß beim höchsten Wasserstande jetzt nicht steigt. Was ist diese schwarzbraune Kruste, die diesen Felsen, wenn sie kugligt sind, das Ansehen von Meteorsteinen gibt? Wie hat man sich die Wirkung des Wassers bei diesem Niederschlag oder bei diesem auffallenden Farbwechsel zu denken? Vor allem ist zu bemerken, daß die Erscheinung nicht auf die Katarakten des Orinoco beschränkt ist, sondern in beiden Hemisphären vorkommt. Als ich, nach der Rückkehr aus Mexico, im Jahr 1807 die Granite von Atures und Maypures Roziere sehen ließ, der das Nilthal, die Küste des rothen Meeres und den Berg Sinai bereist hat, so zeigte mir der gelehrte Geolog, daß das Urgebirgsgestein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoco, eine glänzende, schwarzgraue, fast bleifarbige Oberfläche hat; manche Bruchstücke sehen aus wie mit Theer überzogen. Erst neuerlich, bei der unglücklichen Expedition des Capitän Tuckey, fiel dieselbe Erscheinung englischen Naturforschern an den *Yellalas* (Stromschnellen und Klippen) auf, welche den Congo- oder Zairefluß verstopfen. Dr. KÖNIG hat im britischen Museum neben Syenite vom Congo Granite von Atures gestellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen sind, die Bonpland und ich dem Präsidenten der Londoner königlichen Gesellschaft überreicht hatten. »Diese Handstücke,« sagt König, »sehen beide aus wie Meteorsteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoco wie bei der afrikanischen, besteht die schwarze Rinde, nach der Analyse von Children, aus Eisen- und Manganoxyd.« Nach einigen Versuchen, die ich in Mexico in Verbindung mit del Rio gemacht, kam ich auf die Vermuthung, das Gestein von Atures, welches das Papier, in das es eingeschlagen ist, schwarz färbt, möchte außer dem Manganoxyd Kohle und überkohlensaures Eisen enthalten. Am Orinoco sind 40--50 Fuß dicke Granitmassen gleichförmig mit diesen Oxyden überzogen, und so dünn diese Rinden erscheinen, enthalten sie doch ganz ansehnliche Mengen Eisen und Mangan, da sie über eine Quadratmeile Fläche haben. Es ist zu bemerken, daß alle diese Erscheinungen von Färbung des Gesteins bis jetzt nur in der heißen Zone beobachtet worden sind, an Flüssen, deren Temperatur gewöhnlich 24--28 Grad beträgt und die nicht über Sandstein oder Kalkstein, sondem über Granit, Gneiß und Hornblendegestein laufen. Der Quarz und der Feldspath enthalten kaum 5--6 Tausendtheile Eisen- und Manganoxyd; dagegen im Glimmer und in der Hornblende kommen diese Oxyde, besonders das Eisenoxyd, nach KLAPROTH und HERRMANN, bis zu 15 und 20 Procent vor. Die Hornblende enthält zudem Kohle, wie auch der lydische Stein und der Kieselschiefer. Bildet sich nun diese schwarze Rinde durch eine langsame Zersetzung des Granits unter dem doppelten Einfluß der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie soll man es erklären, daß die Oxyde sich so gleichförmig über die ganze Oberfläche des Gesteins verbreiten, daß um einen Glimmer- und Hornblendecrystall nicht mehr davon liegt als über dem Feldspath und dem milchigten Quarz? Der eisenschüssige Sandstein, der Granit, der Marmor, die aschfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Aussehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde lassen vielmehr vermuthen, daß der Stoff ein Niederschlag aus dem Wasser des Orinoco ist, das in die Spalten des Gesteins gedrungen. Geht man von dieser Voraussetzung aus, so fragt man sich, ob jene Oxyde im Fluß nur suspendirt sind, wie der Sand und andere erdigten Substanzen, oder wirklich chemisch ausgelöst? Der ersteren Annahme widerspricht der Umstand, daß die Rinde völlig homogen ist und neben den Oxyden weder Sandkörner noch Glimmerblättchen sich darin finden. Man muß daher annehmen, daß chemische Auflösung vorliegt, und die Vorgänge, die wir täglich in unsern Laboratorien beobachten, widersprechen dieser Voraussetzung durchaus nicht. Das Wasser großer Flüsse enthält Kohlensäure, und wäre es auch ganz rein, so könnte es doch immer in sehr großen Mengen einige Theilchen Metalloxyd oder Hydrat auflösen, wenn dieselben auch für unauflöslich gelten. Im Nilschlamm, also im Niederschlag der im Fluß suspendirten Stoffe, findet sich kein Mangan; er enthält aber nach Reynaults Analyse 6 Procent Eisenoxyd und seine Anfangs schwarze Farbe wird beim Trocknen und durch die Einwirkung der Luft gelbbraun. Von diesem Schlamm kann also die schwarze Rinde an den Felsen von Syene nicht herrühren. Auf meine Bitte hat BERZELIUS diese Rinde untersucht; er fand darin Eisen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoco und Congo. Der berühmte Chemiker ist der Ansicht, die Oxyde werden von den Flüssen nicht dem Boden entzogen, über den sie laufen, sie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdischen Quellen zu und sie schlagen dieselben auf das Gestein nieder, wie durch Cämentation, in Folge eigenthümlicher Affinitäten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feldspath. Nur durch einen langen Aufenthalt an den Katarakten des Orinoco, des Nil und des Congoflusses und durch genaue Beobachtung der Umstände, unter denen die Färbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beschäftigt hat, ganz zur Entscheidung gebracht werden. Ist die Erscheinung von der Beschaffenheit des Gesteins unabhängig? Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß weder Granitmassen, die weit vom alten Bett des Orinoco liegen, aber in der Regenzeit abwechselnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den bräunlichen Wassern des Rio Negro bespült wird, äußerlich den Meteorsteinen ähnlich werden. Die Indianer sagen, »die Felsen seyen nur da schwarz, wo das Wasser weiß ist.« Sie sollten vielleicht weiter sagen: »wo das Wasser eine große Geschwindigkeit erlangt hat und gegen das Gestein am Ufer anprallt.« Die Cämentation scheint zu erklären, warum die Rinde so dünn bleibt. Ob der in den Missionen am Orinoco herrschende Glaube, daß in der Nähe des kahlen Gesteins, besonders der Felsmassen mit einer Rinde von Kohle, Eisen- und Manganoxyd die Luft ungesund sey, grundlos ist, weiß ich nicht zu sagen. In der heißen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheiterregenden Ursachen vom Volke willkührlich gehäuft. Man scheut sich dort im Freien zu schlafen, wenn einem der Vollmond ins Gesicht schiene; ebenso hält man es für bedenklich, sich nahe am Flusse auf Granit zu lagern, und man erzählt viele Fälle, wo Leute nach einer auf dem schwarzen kahlen Gestein zugebrachten Nacht Morgens mit einem starken Fieberanfall erwacht sind. Wir schenkten nun zwar dieser Behauptung der Missionäre und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die _laxas negras_ und lagerten uns auf mit weißem Sand bedeckten Uferstrecken, wenn wir keine Bäume fanden, um unsere Hängematten zu befestigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den *schwarzen Felsen* wegzukommen, von einem Ort, wo auf einer Strecke von mehr als 10,000 Quadrattoisen die Bodenfläche aus kahlem Granitgestein besteht. Aus ähnlichen Gründen, die den Physikern in Europa als bloße Einbildungen erscheinen müssen, versetzten die Jesuiten Olmo, Forneri und Mellis ein Dorf der Jaruros an drei verschiedene Punkte zwischen dem Raudal von Tabaje und dem Rio Anaveni. Ich glaubte diese Dinge, ganz wie sie mir zu Ohren gekommen, anführen zu müssen, da wir so gut wie gar nicht wissen, was eigentlich die Gasgemenge sind, wodurch die Luft ungesund wird. Läßt sich annehmen, daß unter dem Einfluß starker Hitze und beständiger Feuchtigkeit die schwarze Rinde des Gesteins auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternäre Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoco enthält allerdings häufig Hornblende, und praktische Bergleute wissen wohl, daß die schlimmsten Schwaden sich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendestein getrieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Strömungen fortwährend erneuert wird, kann die Wirkung nicht dieselbe seyn wie in einer Grube. Wahrscheinlich ist es nur deßhalb gefährlich, auf den _laxas negras_ zu schlafen, weil das Gestein bei Nacht eine sehr hohe Temperatur behält. Ich fand dieselbe bei Tag 48°, während die Luft im Schatten 29°,7 warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Gestein gelegt, 36°, die Luft nur 26°. Wenn die Wärmeanhänfung in den Gesteinsmassen zum Stillstand gekommen ist, so haben diese Massen zu denselben Stunden immer wieder ungefähr dieselbe Temperatur. Den Ueberschuß von Wärme, den sie bei Tag bekommen, verlieren sie in der Nacht durch die Strahlung, deren Stärke von der Beschaffenheit der Oberfläche des strahlenden Körpers, von der Anordnung seiner Molecüle im Innern, besonders aber von der Reinheit des Himmels abhängt, das heißt davon, ob die Luft durchsichtig und wolkenlos ist. Wo der Unterschied in der Abweichung der Sonne nur gering ist, geht von ihr jeden Tag fast die gleiche Wärmemenge aus und das Gestein ist am Ende des Sommers nicht wärmer als zu Anfang desselben. Es kann ein gewisses Maximum nicht überschreiten, weil sich weder der Zustand seiner Oberfläche, noch seine Dichtigkeit, noch seine Wärmecapacität verändert hat. Steigt man am Ufer des Orinoco bei Nacht aus der Hängematte und betritt den Felsboden mit bloßen Füßen, so ist die Wärme, die man empfindet, sehr auffallend. Wenn ich die Thermometerkugel an das nackte Gestein legte, fand ich fast immer, daß die _laxas negras_ bei Tag wärmer sind als der röthlich weiße Granit weitab vom Ufer, daß aber letzterer sich bei Nacht nicht so schnell abkühlt als jener. Begreiflich geben Massen mit einem schwarzen Ueberzug den Wärmestoff rascher wieder ab als solche, in denen viele silberfarbige Glimmerblätter stecken. Geht man in Carichana, Atures oder Maypures zwischen ein und drei Uhr Nachmittags unter diesen hoch ausgethürmten Felsblöcken ohne alle Dammerde, so erstickt man beinahe, als stände man vor der Mündung eines Schmelzofens. Der Wind (wenn man ihn je in diesen bewaldeten Ländern spürt) bringt statt Kühlung nur noch heißere Luft herbei, da er über Steinschichten und aufgethürmte Granitkugeln weggegangen ist. Durch diese Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungesunder, als es ohnehin ist. Unter den Ursachen der Entvölkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in andern Strichen von Amerika so schreckliche Verheerungen anrichten, daß die Eingeborenen, von Entsetzen ergriffen, ihre Hütten anzünden, ihre Kinder umbringen und alle Gemeinschaft fliehen. Am obern Orinoco weiß man von dieser Geißel so gut wie nichts, und käme sie je dahin, so ist zu hoffen, daß ihr die Kuhpockenimpfung, deren Segen man auf den Küsten von Terra Firma täglich empfindet, alsbald Schranken setzte. Die Ursachen der Entvölkerung in den christlichen Niederlassungen sind der Widerwillen der Indianer gegen die Zucht in den Missionen, das ungesunde, zugleich heiße und feuchte Klima, die schlechte Nahrung, die Verwahrlosung der Kinder, wenn sie krank sind, und die schändliche Sitte der Mütter, giftige Kräuter zu gebrauchen, damit sie nicht schwanger werden. Bei den barbarischen Völkern in Guyana, wie bei den halb civilisirten Bewohnern der Südseeinseln gibt es viele junge Weiber, die nicht Mütter werden wollen. Bekommen sie Kinder, so sind dieselben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildniß, sondern noch manchen andern ausgesetzt, die aus dem abgeschmacktesten Aberglauben herfließen. Sind es Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. »Zwillinge in die Welt setzen, heißt sich dem allgemeinen Spott preisgeben, heißt es machen wie Ratten, Beutelthiere und das niedrigste Gethier, das viele Junge zugleich wirft.« Aber noch mehr: »Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von Einem Vater seyn.« Das ist ein Lehrsatz in der Physiologie der Salivas, und unter allen Himmelsstrichen, auf allen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung sieht man, daß das Volk, hat es sich einmal einen Satz der Art zu eigen gemacht, zäher daran festhält, als die Unterrichteten, die ihn zuerst aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die _mure japoic-nei_ (Hebamme) auf sich, eines der Kinder auf die Seite zu schaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling ist, irgend eine körperliche Mißbildung, so bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlgebildete, kräftige Kinder; denn bei den Mißbildungen hat der böse Geist *Joloquiamo* die Hand im Spiel, oder der Vogel *Tikitiki*, der Feind des Menschengeschlechts. Zuweilen haben auch bloß sehr schwächliche Kinder dasselbe Loos. Fragt man einen Vater, was aus einem seiner Söhne geworden sey, so thut er, als wäre er ihm durch einen natürlichen Tod entrissen worden. Er verläugnet eine That, die er für tadelnswerth, aber nicht für strafbar hält. »Das arme _Mure_ (Kind)«, heißt es, »konnte nicht mit uns Schritt halten; man hätte jeden Augenblick auf es warten müssen; man hat nichts mehr von ihm gesehen, es ist nicht dahin gekommen, wo wir geschlafen haben.« Dieß ist die Unschuld und Sitteneinfalt, dieß ist das gepriesene Glück des Menschen *im Urzustand!* Man bringt sein Kind um, um nicht wegen Zwillingen lächerlich zu werden, um nicht langsamer wandern, um sich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu müssen. Grausamkeiten der Art sind nun allerdings nicht so häufig, als man glaubt; indessen kommen sie sogar in den Missionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und sich auf den _‘Conucos’_ in den nahen Wäldern aushalten. Mit Unrecht schriebe man sie der Polygamie zu, in der die nicht catechisirten Indianer leben. Bei der Vielweiberei ist allerdings das häusliche Glück und der Frieden in den Familien gefährdet, aber trotz dieses Brauchs, der ja auch ein Gesetz des Islams ist, lieben die Morgenländer ihre Kinder zärtlich. Bei den Indianern am Orinoco kommt der Vater nur nach Hause, um zu essen und sich in seine Hängematte zu legen; er liebkost weder seine kleinen Kinder, noch seine Weiber, die da sind, ihn zu bedienen. Die väterliche Zuneigung kommt erst dann zum Vorschein, wenn der Sohn so weit herangewachsen ist, daß er an der Jagd, am Fischfang und an der Arbeit in den Pflanzungen Theil nehmen kann. Wenn nun aber auch der schändliche Brauch, durch gewisse Tränke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten vermindert, so greifen diese Tränke die Gesundheit nicht so sehr an, daß nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Mütter werden könnten. Diese physiologisch sehr merkwürdige Erscheinung ist den Mönchen in den Missionen längst aufgefallen. Der Jesuit GILI, der fünfzehn Jahre lang die Indianer am Orinoco Beichte gehört hat und sich rühmt, _i segreti delle donne maritate_ zu kennen, äußert sich darüber mit verwunderlicher Naivetät. »In Europa,« sagt er, »fürchten sich die Eheweiber vor dem Kinderbekommen, weil sie nicht wissen, wie sie sie ernähren, kleiden, ausstatten sollen. Von all diesen Sorgen wissen die Weiber am Orinoco nichts. Sie wählen die Zeit, wo sie Mütter werden wollen, nach zwei gerade entgegengesetzten Systemen, je nachdem sie von den Mitteln, sich frisch und schön zu erhalten, diese oder jene Vorstellung haben. Die einen behaupten, und diese Meinung ist die vorherrschende, es sey besser, man fange spät an Kinder zu bekommen, um sich in den ersten Jahren der Ehe ohne Unterbrechung der Arbeit im Haus und Feld widmen zu können. Andere glauben im Gegentheil, es stärke die Gesundheit und verhelfe zu einem glücklichen Alter, wenn man sehr jung Mutter geworden sey. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere System haben, werden die Abtreibemittel in verschiedenen Lebensaltern gebraucht.« Sieht man hier, wie selbstsüchtig der Wilde seine Berechnungen anstellt, so möchte man den civilisirten Völkern in Europa Glück wünschen, daß *Ecbolia*, die dem Anschein nach der Gesundheit so wenig schaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben sind. Durch die Einführung von dergleichen Tränken würde vielleicht die Sittenverderbniß in den Städten noch gesteigert, wo ein Viertheil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verstoßen zu werden. Leicht möglich aber auch, daß die neuen Abtreibemittel in unserem Klima so gefährlich wären wie der Sevenbaum, die Aloe und das flüchtige Zimmt- und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhängiger von einander sind, widersteht besser und länger übermäßigen Reizen und den Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Constitution des civilisirten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrachtungen einlassen zu müssen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Geschlechts, wie auf der höchsten Stufe der Cultur, die Bevölkerung kaum merkbar zunimmt. Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesentlich verschiedene. Im Collegium für die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an sehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als in den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang, also wenn die Luft am kühlsten ist, zu baden, scheint die Constitution zu schwächen. Der Pater Gardian der Franciscaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Katarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Race in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Niederlassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Gardian beabsichtigte, einen Theil dieser schwarzen Colonisten an die Katarakten des Orinoco zu verpflanzen, oder aber Sklaven aus den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Esquibo entlaufen, anzusiedeln. Wahrscheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derselbe erinnerte im Kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone; es war Aussicht vorhanden, daß der Zustand der Schwarzen sich damit verbesserte und so das Christenthum zu seinem ursprünglichen Ziele, Förderung des Glücks und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverständniß vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: »Da man für das Leben der Neger so wenig bürgen könne, als für das der Indianer, so erscheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Dörfern bei den Katarakten zu zwingen.« Gegenwärtig hängt die Existenz dieser Missionen so ziemlich an zwei Guahibo- und Maco-Familien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civilisation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben diese Haushaltungen aus, so laufen die andern Indianer, die der Missionszucht längst müde sind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schlüssel des Orinoco betrachten kann, finden dann die Reisenden nichts mehr, was sie bedürfen, zumal keinen Steuermann, der die Canoes durch die Stromschnellen schafft; der Verkehr zwischen dem Fort am Rio Negro und der Hauptstadt Angostura wäre, wo nicht unterbrochen, doch ungemein erschwert. Es bedarf ganz genauer Kenntniß der Oertlichkeiten, um sich in das Labyrinth von Klippen und Felsblöcken zu wagen, die bei Atures und Maypures das Strombett verstopfen. Während man unsere Pirogue auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Nähe das ergreifende Schauspiel eines eingeengten und wie völlig in Schaum verwandelten großen Stromes. Ich versuche es, nicht unsere Empfindungen, sondern eine Oertlichkeit zu schildern, die unter den Landschaften der neuen Welt so berühmt ist. Je großartiger, majestätischer die Gegenstände sind, desto wichtiger ist es, sie in ihren kleinsten Zügen aufzufassen, die Umrisse des Gemäldes, mit dem man zur Einbildungslraft des Lesers sprechen will, fest zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale der großen, unvergänglichen Denkmäler der Natur einfach zu schildern. Von seiner Mündung bis zum Einfluß des Anaveni, auf einer Strecke von 260 Meilen, ist die Schifffahrt auf dem Orinoco durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, _‘Boca del infierno’_ genannt, sind Klippen und Wirbel; bei Carichana und San Borja sind Stromschnellen (_Raudalitos_); aber an allen diesen Punkten ist der Strom nie ganz gesperrt, es bleibt eine Wasserstraße, auf der die Fahrzeuge hinab- und hinauffahren können. Auf dieser ganzen Fahrt auf dem untern Orinoco wird dem Reisenden nur Eines gefährlich, die natürlichen Flöße aus Bäumen, die der Fluß entwurzelt und bei Hochwasser forttreibt. Wehe den Piroguen, die bei Nacht an solchem Gitterwerk aus Holz und Schlinggewächsen auffahren! Dasselbe ist mit Wasserpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf dem Mississippi, schwimmenden Wiesen, den *Chinampas*(26) der mexicanischen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde überfallen wollen, binden sie mehrere Canoes mit Stricken zusammen; bedecken sie mit Kräutern und Baumzweigen und bilden so die Haufen von Bäumen nach, die der Orinoco auf seinem Thalweg abwärts treibt. Man sagt den Caraiben nach, sie seyen früher in dieser Kriegslist ausgezeichnet gewesen, und gegenwärtig bedienen sich die spanischen Schmuggler in der Nähe von Angostura desselben Mittels, um die Zollaufseher hinter das Licht zu führen. Oberhalb des Rio Anaveni, zwischen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Mapara und Quittuna, oder, wie die Missionäre gemeiniglich sagen, zu den Raudales von Atures und Maypures. Diese beiden vom einen zum andern Ufer laufenden Stromsperren geben im Großen ungefähr dasselbe Bild: zwischen zahllosen Inseln, Felsdämmen, aufeinander gethürmten, mit Palmen bewachsenen Granitblöcken löst sich einer der größten Ströme der neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieser Uebereinstimmung im Aussehen hat jeder der Fälle seinen eigenthümlichen Charakter. Der erste, nördliche, ist bei niedrigem Wasser leichter zu passiren; beim zweiten, dem von Maypures, ist den Indianern die Zeit des Hochwassers lieber. Oberhalb Maypures und der Einmündung des Caño Cameji ist der Orinoco wieder frei auf einer Strecke von mehr als 169 Meilen, bis in die Nähe seiner Quellen, das heißt bis zum Raudalito der Guayaribos, ostwärts vom Caño Chiguire und den hohen Bergen von Yumariquin. Ich habe die beiden Becken des Orinoco und des Amazonenstroms besucht, und es fiel mir ungemein auf, wie verschieden sie sich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Beim Amazonenstrom, der gegen 980 Seemeilen (20 auf den Grad) lang ist, sind die großen Fälle ziemlich nahe bei den Quellen, im ersten Sechstheil der ganzen Länge; fünf Sechstheile seines Laufe sind vollkommen frei. Beim Orinoco sind die Fälle, weit ungünstiger für die Schifffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des ersten Drittheils seiner Länge gelegen. Bei beiden Strömen werden die Fälle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der über einander liegenden Plateaus, wo sie entspringen, gebildet, sondern durch andere Berge, durch andere über einander gelagerte Stufen, durch die sich die Ströme nach langem friedlichen Lauf Bahn brechen müssen, wobei sie sich von Staffel zu Staffel herabstürzen. Der Amazonenstrom durchbricht keineswegs die Hauptkette der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund voraussetzte, daß überall, wo sich die Gebirge in parallele Ketten theilen, die mittlere oder Centralkette höher seyn müsse als die andern. Dieser große Strom entspringt (und dieser Umstand ist geologisch nicht ohne Belang) ostwärts von der westlichen Kette, der einzigen, welche unter dieser Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er entsteht aus der Vereinigung der kleinen Flüsse Aguamiros und Chavinillo, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in einem Längenthale zwischen der westlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um diese hydrographischen Verhältnisse richtig aufzufassen, muß man sich vorstellen, daß der colossale Gebirgsknoten von Pasco und Huanuco sich in drei Ketten theilt. Die westlichste, höchste streicht unter dem Namen _Cordillera real de Nieve_ (zwischen Huary und Caxatambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guangamarca) über die *Nevados* von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die *Paramos* von Guamani und Guaringa gegen die Stadt Loxa. Der mittlere Zug scheidet die Gewässer des oberen Amazonenstroms und des Guallaga und bleibt lange nur tausend Toisen hoch; erst südlich von Huanuco steigt er in der Cordillere von Sasaguanca über die Schneelinie empor. Er streicht zuerst nach Nord über Huacrachuco, Chachapoyas, Moyobamba und den Paramo von Piscoguañuna, dann fällt er allmählig ab, Peca, Copallin und der Mission San Yago am östlichen Ende der Provinz Jaen de Bracamoros zu. Die dritte, östlichste Kette zieht sich am rechten Ufer des Rio Guallaga hin und läuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. So lange der Amazonenstrom von Süd nach Nord im Längenthal zwischen zwei Gebirgszügen von ungleicher Höhe läuft (das heißt von den Höfen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hölzernen Brücken über den Fluß geht, bis zum Einfluß des Rio Chinchipe), ist die Fahrt im Canoe weder durch Felsen, noch durch sonst etwas gehemmt. Die Fälle fangen erst da an, wo der Amazonenstrom sich gegen Ost wendet und durch die mittlere Andenkette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er stößt auf die ersten Felsen von rothem Sandstein oder altem Conglomerat zwischen Tambillo und dem *Pongo* Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wassers gemessen habe; er tritt aus dem rothen Sandstein ostwärts von der vielberufenen Stromenge Manseriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Hügel sich nur noch 40--60 Toisen über den Flußspiegel erheben. Den östlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinläuft, erreicht der Fluß nicht. Von den Hügeln von Tayuchuc bis Gran-Para, auf einer Strecke von mehr als 750 französischen Meilen, ist die Schifffahrt ganz frei. Aus dieser raschen Uebersicht ergibt sich, daß der Marañon, hätte er nicht das Bergland zwischen San Yago und Tomependa, das zur Centralkette der Anden gehört, zu durchziehen, schiffbar wäre von seinem Ausfluß ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 43 Meilen von seiner Quelle. Wir haben gesehen, daß sich beim Orinoco wie beim Amazonenstrom die großen Fälle nicht in der Nähe des Ursprungs befinden. Nach einem ruhigen Lauf von mehr als 160 Meilen vom kleinen Raudal der Guaharibos, ostwärts von Esmeralda, bis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er sich durch die Flüsse Jao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verstärkt, biegt der Orinoco aus seiner bisherigen Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord um und stößt auf dem Lauf über die _‘Land-Meerenge’_(27) in den Niederungen am Meta auf die Ausläufer der Cordillere der Parime. Und dadurch entstehen nun Fälle, die weit stärker sind und der Schifffahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle *Pongos* im obern Marañon, weil sie, wie wir oben auseinandergesetzt, der Mündung des Flusses verhältnißmäßig näher liegen. Ich habe mich in diese geographischen Details eingelassen, um am Beispiel der größten Ströme der neuen Welt zu zeigen: 1) daß sich nicht absolut eine gewisse Toisenzahl, eine gewisse Meereshöhe angeben läßt, über welcher die Flüsse noch nicht schiffbar sind; 2) daß die Stromschnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbüchern der allgemeinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der ersten Bergschwellen, bei den ersten Höhenzügen vorkommen, über welche die Gewässer in der Nähe ihrer Quellen zu laufen haben. Nur der nördliche der großen Katarakten des Orinoco hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer ist meist niedriger, gehört aber zu einem Landstrich, der westwärts von Atures gegen den Pic Uniana ansteigt, einen gegen 3000 Fuß hohen Bergkegel auf einer steil abfallenden Felsmauer. Dadurch, daß er frei aus der Ebene aufsteigt, nimmt sich dieser Pic noch großartiger und majestätischer aus. In der Nähe der Mission, auf dem Landstrich am Kararakt nimmt die Landschaft bei jedem Schritt einen andern Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauhsten, finstersten Naturgebilde neben freiem Feld, bebauten, lachenden Fluren. In der äußern Natur wie in unserem Innern ist der Gegensatz der Eindrücke, das Nebeneinander des Großartigen, Drohenden, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unserer Empfindungen und Genüsse. Ich nehme hier einige zerstreute Züge einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rückkehr nach Europa in einem andern Buche entworfen.(28) Die mit zarten Kräutern und Gräsern bewachsenen Savanen von Atures sind wahre Prärien, ähnlich unsern europäischen Wiesen; sie werden nie vom Flusse überschwemmt und scheinen nur der Menschenhand zu harren, die sie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdehnung sind sie nicht so eintönig wie unsere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um übereinander gethürmte Granitblöcke her. Dicht am Rand dieser Ebenen, dieser offenen Fluren stößt man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gründe, wo einem aus dem feuchten, mit Arum, Heliconia und Lianen dicht bewachsenen Boden bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ueberall kommen, dem Boden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich sie bei Carichana beschrieben, und wie ich sie in der alten Welt nirgends so ausnehmend breit gesehen habe wie im Orinocothal. Da wo Quellen aus dem Schooße dieses Gesteins vorbrechen, haben sich Verrucarien, Psoren und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerde erzeugt. Kleine Euphorbien, Peperomien und andere Saftpflanzen sind den cryptogamischen Gewächsen gefolgt, und jetzt bildet immergrünes Strauchwerk, Rhexien, Melastomen mit purpurrothen Blüthen, grüne Eilande inmitten der öden steinigten Ebene. Man kommt immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savanen zerstreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit lederartigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke schlängeln, Alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischsten Parthien unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Cultur zu begegnen. Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächst bei der Mission Atures erhält die Gegend eine so auffallende Physiognomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont begrenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzenwuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 7--800 Fuß über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (_el Cucurito_) deren gleich Federbüschen gekräuselte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad majestätisch emporsteigen, stehen mitten unter Bäumen mit wagerechten Aesten; ihre nackten Stämme schießen gleich hundert bis hundertzwanzig Fuß hohen Säulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, »ein Wald über dem Walde.« Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die röthliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Wäldern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die BERNARDIN DE SAINT PIERRE als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Bourbon schildert, und fühlte so recht, wie sehr die Gewächse nach Wuchs und Gruppirung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im indischen Ocean hat der unnachahmliche Verfasser von _Paul und Virginie_ vom gewaltigen Bild der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er für all ihre harmonischen Verhältnisse in Gestaltung, Farbe und innern Kräften ein tiefes Gefühl besaß. Oestlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen. zwei Wälder von Laurineen und Palmen über einander stehen, erheben sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüsch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Castilien; sie wiederholt sich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (400--600 Toisen) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abständen sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgethürmten Blöcken oder sind in regelmäßige, wagerechte Bänke getheilt. Auf die ganz nahe am Orinoco stellen sich die Flamingos, die *Soldados*(29) und andere fischfangende Vögel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Dieß ist zuweilen so täuschend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angostura eines Tags kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Bestürzung geriethen, als sich auf einmal auf einem Berge gegen Süd Reiher, *Soldados* und *Garzas* blicken ließen. Sie glaubten sich von einem Ueberfall der _Indios monteros_ (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Täuschung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoco zu fortsetzten. Die schöne Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzenfasern gemischten Dammerde und dem Granitgestein eine Schichte weißen Sandes. Der Missionär versicherte uns, in der Nähe der Wasserfälle sey das Grün beständig frisch, in Folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 3000--4000 Toisen in Strudel und Wasserfälle zerschlagenen Strom aussteigt. Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation aller Orten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Küsten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Bannisterien, Bignonien mit blauen Blüthen, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baumstamm waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstrich. Neben diesen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächsen sahen wir hier mitten in der heißen Zone und fast im Niveau des Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den europäischen glichen. Beim großen Katarakt von Atures pflückten wir die schöne Grimmia-Art mit Fontinalis-Blättern, welche die Botaniker so sehr beschäftigt hat; sie hängt an den Aesten der höchsten Bäume. Unter den Phanerogamen herrschen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Ficus und Laurineen vor. Dieß ist um so charakteristischer, als nach BROWNs neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüber liegenden Continent, im tropischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen scheinen. Gewächse, welche Feuchtigkeit lieben, schmücken die Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen Büsche von Heliconia und andern Scitamineen mit breiten glänzenden Blättern, Bambusrohre, die drei Palmenarten *Murichi*, *Jagua* und *Vadgiai*, deren jede besondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit schuppigter Frucht ist die berühmte Sagopalme der Guaranos-Indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächst nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekräuselten Blättern, dem *Jagua*, der eine Art Cocospalme zu seyn scheint, und dem *Vadgiai* oder *Cucurito*, den man neben die schöne Gattung _Oreodoxa_ stellen kann. Der *Cucurito*, bei den Fällen von Atures und Maypures die häufigste Palme, ist durch seinen Habitus ausgezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel stehen auf einem 80--100 Fuß hohen Stamm fast senkrecht, und zwar im jugendlichen Zustand wie in der vollen Entwicklung; nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federbüsche vom zartesten, frischesten Grün. Der Cucurito, der Seje, dessen Frucht der Aprikose gleicht, die _Oreodoxa regia_ oder _Palma real_ von der Insel Cuba und das _Ceroxylon_ der hohen Anden sind im Wuchs die großartigsten Palmen der neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, desto mehr nehmen die Gewächse dieser Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben erwähnten Arten und der orientalischen Dattelpalme, die bei den europäischen Landschaftsmalern leider der Typus der Palmenfamilie geworden ist! Es ist nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sicilien oder Murcia bereist hat, nicht begreifen kann, daß unter allen großen Baumgestalten die Gestalt der Palme die großartigste und schönste seyn soll. Unzureichende Analogieen sind Schuld, daß sich der Europäer keine richtige Vorstellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beispiel, daß die Contraste des Baumlaubs, besonders aber die große Menge von Gewächsen mit gefiederten Blättern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Esche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Achazie der Vereinigten Staaten, die Gleditsia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deßhalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom malerischen Effekt zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, dünnen, zartgefiederten Blättern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewächse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurück auf die geistige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter mit einander übereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, daß dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malvaceen, die Bäume mit gefiederten Blättern sind nicht alle malerisch gleich schön, und meist, im Pflanzenreich wie im Thierreich, gehören die schönsten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstrich an. Die Protaceen, Croton, Agaven und die große Sippe der Cactus, die ausschließlich nur in der neuen Welt vorkommt, verschwinden allmählig, wenn man auf dem Orinoco über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indessen ist vielmehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küsten daran Schuld, wenn die Cactus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben östlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem obern Amazonenstrom zu, ganze Cactuswälder, mit Croton dazwischen, große dürre Landstriche bedecken sehen. Die Baumfarn scheinen an den Fällen des Orinoco ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einfluß des Guaviare in den Orinoco. Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeschnittene Flußbett fast unzugängliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoco gelangen, um zwischen zwei Wasserfällen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpen, in den Pyrenäen, selbst in den Cordilleren aufgehalten hat, so vielberufen wegen der Zerrissenheit des Bodens und der Spuren von Zerstörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Beschreibung sich vom Zustand des Strombetts hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als fünf Seemeilen laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben so viele natürliche Wehre, eben so viele *Schwellen*, ähnlich denen im Dnieper, welche bei den Alten _‘Phragmoi’_ hießen. Der Raum zwischen den Felsdämmen im Orinoco ist mit Inseln von verschiedener Größe gefüllt; manche sind hügligt, in verschiedene runde Erhöhungen getheilt und 200--300 Toisen lang, andere klein und niedrig, wie bloße Klippen. Diese Inseln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht; alle sind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuschförmigem Laub bewachsen, ein Palmendickicht mitten auf der schäumenden Wasserfläche. Die Indianer, welche die leeren Piroguen durch die Raudales schaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerst zum *Salto del Piapoco*, zum Sprung des Tucans; zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni ist der Raudal de Javariveni; hier verweilten wir auf unserer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Canoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem großen Theil trocken zu liegen. Granitblöcke sind auf einander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stürzt sich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieser Höhlen hörten wir das Wasser zugleich über unsern Köpfen und unter unsern Füßen rauschen. Der Orinoco ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche getheilt, deren jeder sich durch die Felsen Bahn zu brechen sucht. Man muß nur staunen, wie wenig Wasser man im Flußbett sieht, über die Menge Wasserstürze, die sich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Wasser, die sich schäumend an den Felsen brechen. _ Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis _ _ Spumens invictis canescit fluctibus amnis._(_30_)_ _ Ist man über den Raudal Javariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigsten der Fälle), so kommt man zum Raudal *Canucari*, der durch eine Felsbank zwischen den Inseln Surupamana und Uirapuri gebildet wird. Sind die Dämme oder natürlichen Wehre nur zwei, drei Fuß hoch, so wagen es die Indianer im Canoe hinabzufahren. Fluß aufwärts schwimmen sie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um eine der Felsspitzen über dem Damm und ziehen das Fahrzeug am Seil auf die Höhe des Raudals. Während dieser mühseligen Arbeit füllt sich das Fahrzeug häufig mit Wasser; anderemale zerschellt es an den Felsen, und die Indianer, mit zerschlagenem, blutendem Körper, reißen sich mit Noth aus dem Strudel und schwimmen an die nächste Insel. Sind die Felsstaffeln oder Schwellen sehr hoch und versperren sie den Strom ganz, so schafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, schiebt Baumäste als Walzen darunter und schleppt sie bis an den Punkt, wo der Fluß wieder schiffbar wird.(31) Bei Hochwasser ist solches selten nöthig. Spricht man von den Wasserfällen des Orinoco, so denkt man von selbst an die Art und Weise, wie man in alter Zeit über die Katarakten des Nil herunterfuhr, wovon uns SENECA(32) eine Beschreibung hinterlassen hat, die poetisch, aber schwerlich richtig ist. Ich führe nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwärtigt, was man in Atures, Maypures und in einigen *Pongos* des Amazonenstroms alle Tage sieht. »Je zwei mit einander besteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere schöpft es aus. Sodann, nachdem sie unter dem reißenden Toben des Nil und den sich begegnenden Wellen tüchtig herumgeschaukelt worden sind, halten sie sich endlich an die seichtesten Kanäle, durch die sie den Engpässen der Felsen entgehen, und mit der ganzen Strömung niederstürzend, lenken sie den schießenden Nachen.« In den hydrographischen Beschreibungen der Länder werden meistens unter den unbestimmten Benennungen: »_Saltos_, _Chorros_, _Pongos_, _Cachoeiras_, _Raudales_; _Cataractes_, _Cascades_, _Chûtes_, _Rapides_; Wasserfälle, Wasserstürze, Stromschnellen,« stürmische Bewegungen der Wasser zusammengeworfen, die durch sehr verschiedene Bodenbildungen hervorgebracht werden. Zuweilen stürzt sich ein ganzer Fluß aus bedeutender Höhe in Einem Falle herunter, wodurch die Schifffahrt völlig unterbrochen wird. Dahin gehört der prächtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen _Vues des Cordillères_ abgebildet habe; dahin die Fälle des Niagara und der Rheinfall, die nicht sowohl durch ihre Höhe als durch die Wassermasse bedeutend sind. Anderemale liegen niedrige Steindämme in weiten Abständen hinter einander und bilden getrennte Wasserfälle; dahin gehören die _Cachoeiras_ des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die _Saltos_ des Rio Cauca und die meisten _Pongos_ im obern Amazonenstrom zwischen dem Einfluß des Chinchipe und dem Dorfe San Borja. Der höchste und gefährlichste dieser Pongos, den man auf Flößen herunter fährt, der bei Mayafi, ist übrigens nur drei Fuß hoch. Noch anderemale liegen kleine Steindämme so nahe an einander, daß sie auf mehrere Meilen Erstreckung eine ununterbrochene Reihe von Fällen und Strudeln, _Chorros_ und _Remolinos_ bilden, und dieß nennt man eigentlich _Raudales_, _Rapides_, Stromschnellen. Dahin gehören die *Yellalas*, die Stromschnellen des Zaire- oder Congoflusses, mit denen uns Capitän Tuckey kürzlich bekannt gemacht hat; die Stromschnellen des Orangeflusses in Afrika oberhalb Pella, und die vier Meilen langen Fälle des Missouri da, wo der Fluß aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hieher gehören nun auch die Fälle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropischen Erdstrich der neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geschmückt sind. In allen Jahreszeiten gewähren sie den Anblick eigentlicher Wasserfälle und hemmen die Schifffahrt auf dem Orinoco in sehr bedeutendem Grade, während die Stromschnellen des Ohio und in Oberegypten zur Zeit der Hochgewässer kaum sichtbar sind. Ein vereinzelter Wasserfall, wie der Niagara oder der Fall bei Terni, gibt ein herrliches Bild, aber nur Eines; er wird nur anders, wenn der Zuschauer seinen Standpunkt verändert; Stromschnellen dagegen, namentlich wenn sie zu beiden Seiten mit großen Bäumen besetzt sind, machen eine Landschaft meilenweit schön. Zuweilen rührt die stürmische Bewegung des Wassers nur daher, daß die Strombetten sehr eingeengt sind. Dahin gehört die Angostura de Carare im Magdalenenfluß, ein Engpaß, der dem Verkehr zwischen Santa Fe de Bogota und der Küste von Carthagena Eintrag thut; dahin gehört der Pongo von Manseriche im obern Amazonenstrom, den LA CONDAMINE für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, so oft er im Dorfe San Yago eine Amtsverrichtung hat. Der Orinoco, der Rio Negro und fast alle Nebenflüsse des Amazonenstromes oder Marañon haben Fälle oder Stromschnellen entweder in der Nähe ihres Ursprungs durch Berge laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufs auf andere Berge stoßen. Wenn, wie oben bemerkt, die Wasser des Amazonenstroms vom Pongo von Manseriche bis zu seiner Mündung, mehr als 750 Meilen weit, nirgends heftig aufgeregt sind, so verdankt er diesen ungemein großen Vortheil dem Umstand, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt von Ost nach West über eine weite Ebene, die gleichsam ein Längenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem großen brasilianischen Gebirgsstock bildet. Zu meiner Ueberraschung ersah ich aus unmittelbarer Messung, daß die Stromschnellen des Orinoco, deren Donner man über eine Meile weit hört, und die durch die mannigfaltige Vertheilung von Wasser, Palmbäumen und Felsen so ausnehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Länge schwerlich mehr als 28 Fuß senkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es sich, daß dieß für Stromschnellen viel ist. während es für einen einzelnen Wasserfall sehr wenig wäre. Bei den Yellalas im Congofluß, in der Einschnürung seines Bettes zwischen Banza Noki und Banza Inga, ist der Höhenunterschied zwischen den obern und den untern Staffeln weit bedeutender; BARROW bemerkt aber, daß sich hier unter den vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 30 Fuß hoch ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Amazonenstrom, wo die Bergfahrt so gefährlich ist, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein paar Fuß senkrechte Höhe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem großen Flusse eine Schwellung von 18--20 Zoll hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, sondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle hinter einander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsendämme, von den sogenannten _‘lames de réflexion’_ die in einander stoßen und über einander weggehen, von der Gestalt der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenströmungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den Kanälen, durch die das Wasser von einer Staffel zur andern sich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüssen kann der eine Fälle haben, die nicht so hoch sind als die des andern, und doch weit gefährlicher und tobender. Meine obige Angabe über die senkrechte Höhe der Raudales des Orinoco lautet nicht ganz bestimmt, und ich habe damit auch nur eine *Grenzzahl* gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine constanten Unterschiede beobachten. Bekanntlich wird die barometrische Messung sehr schwierig, wenn es sich um ganz unbedeutenden Höhenunterschied handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der stündlichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die sich mehr auf das Maaß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebniß zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte ein Barometer hat, und wenn man Unterschiede im Luftdruck von einer halben Linie auffassen soll. Wahrscheinlich wird die Wassermasse des Stromes durch die Katarakten geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagen des Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird, sondern auch, und hauptsächlich, weil viel Wasser in unterirdische Höhlungen versinkt. Dieser Verlust ist übrigens nicht sehr auffallend, wenn man die Wassermasse da, wo sie in die Raudales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluß des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine solche Vergleichung hat man gefunden, daß unter den Yelladas oder Raudales des Congoflusses unterirdische Höhlungen liegen müssen. Im Pongo von Manseriche, der vielmehr eine Stromenge als ein Wasserfall heißen sollte, verschwindet auf eine noch nicht gehörig ermittelte Weise das Wasser des obern Amazonenstroms zum Theil mit all seinem Treibholz. Sitzt man am Ufer des Orinoco und betrachtet die Felsdämme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt man sich, ob die Fälle im Lauf der Jahrhunderte nach Gestaltung und Höhe sich verändern werden. Ich bin nicht sehr geneigt, dem Stoß des Wassers gegen Granitblöcke und dem Zerfressen kieselhaltigen Gesteins solche Wirkungen zuzuschreiben. Die nach unten sich verengenden Löcher, die Trichter, wie man sie in den Raudales und bei so vielen Wasserfällen in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Geschiebe gesehen, welche die Strömung am Boden der Trichter beständig herumwirbelt und diese dadurch nach allen Durchmessern erweitert. Die Pongos des Amazonenstroms sind leicht zerstörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit bestehen, sondern aus Conglomerat, aus rothem, grobkörnigem Sandstein. Der Pongo von Rentama stürzte vor 80 Jahren theilweise ein, und da sich das Wasser hinter einem neu gebildeten Damm staute, so lag das Flußbett ein paar Stunden trocken, zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, sieben Meilen unter dem eingestürzten Pongo. Die Indianer in Atures versichern (und diese Aussage widerspricht der Ansicht des Paters CAULIN), die Felsen im Raudal haben immer dasselbe Aussehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerschlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels können den Katarakten sehr ferne liegen; denn in den Flüssen, die auf der Erdoberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organischen Körpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die Anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf die ganze flüssige Masse im Stamm und den vielen Verzweigungen desselben. Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zustand der Stromschnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum sechs Zoll hoch sind,(33) mit den großartigen Beschreibungen der Alten, man leicht geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen der Auswaschungen, überhaupt die gewaltigen Einflüsse des strömenden Wassers zu erblicken, aus denen man in der Geologie lange die Bildung der Thäler und die Zerrissenheit des Bodens in den Cordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Diese Ansicht wird durch den Augenschein keineswegs unterstützt. Wir stellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein, in secundäre Gebirgsformationen einschneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelsen bei Elephantine haben wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren an absoluter Höhe so wenig abgenommen, als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturscenerien in verschiedenen Klimaten selbst gesehen, so sieht man sich zu der Anschauung gedrängt, daß jene tiefen Spalten, jene hoch aufgerichteten Schichten, jene zerstreuten Blöcke, all die Spuren einer allgemeinen Umwälzung Wirkungen außergewöhnlicher Ursachen sind, die mit denen, welche im gegenwärtigen Zustand der Ruhe und des Friedens an der Erdoberfläche thätig sind, nichts gemein haben. Was das Wasser durch Auswaschung vom Granit wegführt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Gestein zerstört, entzieht sich unsern Sinnen fast ganz, und ich kann nicht glauben, daß, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen niedriger werden, weil die Geschiebe sich in den Gründen am Fuße der Gebirge aufhäufen. Im Nil wie im Orinoco können die Stromschnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne daß die Felsdämme merkbar anders werden. Die relative Höhe der Fälle kann durch die Anschwemmungen, die sich unterhalb der Stromschnellen bilden, abnehmen. Wenn auch diese Betrachtungen einiges Licht über die anziehende Erscheinung der Katarakten verbreiten, so sind damit die übertriebenen Beschreibungen der Stromschnellen bei Syene, welche von den Alten(34) auf uns gekommen, allerdings nicht begreiflich zu machen. Sollten sie aber nicht vielleicht auf diesen untern Wasserfall übertragen haben, was sie vom Hörensagen von den obern Fällen des Flusses in Nubien und Dongola wußten, die zahlreicher und gefährlicher sind?(35) Syene lag an der Grenze des römischen Reichs,(36) fast an der Grenze der bekannten Welt, und im Raume, wie in den Schöpfungen des menschlichen Geistes fangen die phantastischen Vorstellungen an, wo die klaren Begriffe aufhören. Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Missionäre in ihren Schriften sagen mögen, vom Tosen der großen Katarakte so wenig taub als die Catadupen am Nil. Hört man das Getöse auf der Ebene bei der Mission, eine starke Meile weit, so glaubt man in der Nähe einer felsigten Meeresküste mit starker Brandung zu seyn. Es ist bei Nacht dreimal stärker als bei Tag und gibt dem einsamen Ort unaussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstärkung des Schalls in einer Einöde rühren, wo sonst nichts. das Schweigen der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Schalls nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird schwächer, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall ist schwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erschütterten Lufttheilchen in jedem Strahl größer ist. Die Stärke desselben ist in trockener und in mit Wasserdunst vermengter Luft gleich groß, aber in kohlensaurem Gas ist sie geringer als in Gemengen von Stickstoff und Sauerstoff. Nach diesen Erfahrungssätzen (und es sind die einzigen einigermaßen zuverläßigen) hält es schwer, eine Erscheinung zu erklären, die man bei jedem Wasserfall in Europa beobachtet, und die lange vor unserer Ankunft im Dorfe Atures Missionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht ist die Temperatur der Luft um drei Grad niedriger als bei Tage; zugleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben gesehen, daß der hygroscopische Zustand der Luft aus die Fortpflanzung des Schalls keinen Einfluß hat, und daß die Abkühlung der Luft die Geschwindigkeit vermindert. Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menschen leben, bringe am Tag das Sumsen der Insekten, der Gesang der Vögel, das Rauschen des Laubs beim leisesten Luftzug ein verworrenes Getöne hervor, das wir um so weniger wahrnehmen, da es sich immer gleich bleibt und es fortwährend zu unserem Ohre dringt. Dieses Getöse, so unmerklich es seyn mag, kann nun allerdings einen stärkeren Schall schwächen, und diese Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Gesang der Vögel, das Sumsen der Insekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre aber diese Folgerung auch richtig, so findet sie keine Anwendung auf die Wälder am Orinoco, wo die Luft fortwährend von zahllosen Moskitoschwärmen erfüllt ist, wo das Gesumse der Insekten bei Nacht weit stärker ist als bei Tag, wo der Wind, wenn er je weht, sich erst, nach Sonnenuntergang aufmacht. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß, so lange die Sonne am Himmel steht, der Schall sich langsamer fortpflanzt und geschwächt wird, weil die Luftströme von verschiedener Dichtigkeit, die theilweisen Schwingungen der Atmosphäre in Folge der ungleichen Erwärmung der verschiedenen Bodenstücke, Hindernisse bilden. In ruhiger Luft, sey sie nun trocken oder mit gleichförmig vertheilten Dunstbläschen erfüllt, pflanzt sich die Schallwelle ungehindert fort; wird aber die Luft nach allen Richtungen von kleinen Strömen wärmerer Luft durchzogen, so theilt sich die Welle da, wo die Dichtigkeit des Mittels rasch wechselt, in zwei Wellen; es bilden sich lokale Echos, die den Schall schwächen, weil eine der Wellen zurückläuft: es tritt die Theilung der Wellen ein, deren Theorie in jüngster Zeit von POISSON so scharfsinnig entwickelt worden ist. Nach unserer Anschauung wird daher die Fortpflanzung der Schallwellen nicht dadurch gehemmt, daß durch die Ortsveränderung der im Luftstrome von unten nach oben aufsteigenden Lufttheilchen, durch die kleinen schiefen Strömungen ein Stoß ausgeübt würde. Ein Stoß auf die Oberfläche einer Flüssigkeit bringt Kreise um den Mittelpunkt der Erschütterung hervor, selbst wenn die Flüssigkeit in Bewegung ist. Mehrere Arten von Wellen können sich im Wasser wie in der Luft kreuzen, ohne sich in ihrer Fortpflanzung zu stören; kleine Bewegungen schieben sich übereinander, und die wahre Ursache der geringeren Stärke des Schalls bei Tag scheint der zu seyn, daß das elastische Mittel dann nicht homogen ist. Bei Tag ändert sich die Dichtigkeit rasch überall, wo kleine Luftzüge von hoher Temperatur über ungleich erwärmten Bodenstücken aussteigen. Die Schallwellen theilen sich, wie die Lichtstrahlen sich brechen, und überall, wo Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit sich berühren, tritt *Spiegelung* ein. Der Schall pflanzt sich langsamer fort, wenn man in einer am einen Ende geschlossenen Röhre eine Schicht Wasserstoffgas über eine Schicht atmosphärischer Luft aufsteigen läßt, und BIOT erklärt den Umstand, daß ein Glas mit Champagner nicht hell klingt, so lange er perlt und die Luftblasen im Wein aufsteigen, sehr gut eben daraus, daß die Bläschen von kohlensaurem Gas die Flüssigkeit ungleichförmig machen. Für diese Ansichten könnte ich mich fast auf die Autorität eines Philosophen berufen, den die Physiker noch immer sehr geringschätzig behandeln, während die ausgezeichnetsten Zoologen seinem Scharfsinn als Beobachter längst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. »Warum,« sagt ARISTOTELES in seiner merkwürdigen Schrift von den _Problemen_, »hört man bei Nacht Alles besser als bei Tag? Weil Alles bei Nacht regungsloser ist, da die Wärme fehlt. Dadurch wird überhaupt Alles ruhiger, denn die Sonne ist es, die Alles bewegt.«(37) Sicher schwebte Aristoteles die wahre Ursache der Erscheinung als unbestimmte Ahnung vor; er schreibt aber die Bewegung der Luft dem Stoß der kleinsten Theilchen derselben zu, was vielmehr dem raschen Wechsel der Dichtigkeit in sich berührenden Luftschichten zuzuschreiben seyn möchte. Am 16. April gegen Abend erhielten wir Nachricht, unsere Pirogue sey in weniger als sechs Stunden über die Stromschnellen geschafft worden und liege wohlbehalten in einer Bucht, *Puerto de ariba*, *der obere Hafen*, genannt. »Eure Pirogue wird nicht in Stücken gehen, weil ihr kein Kaufmannsgut führt und der Mönch aus den Raudales mit euch reist,« so hatte im Lager von Pararuma ein kleiner brauner Mann, in dem wir an der Mundart den Catalonier erkannten, boshaft gegen uns geäußert. Es war ein Schildkrötenölhändler, der mit den Indianern in den Missionen in Verkehr und eben kein Freund der Missionare war. »Die Fahrzeuge, die leicht zerbrechen,« fuhr er fort, »sind die der *Catalonier*, die mit einem Licenzschein vom Statthalter von Guyana, nicht aber mit der Genehmigung des Präsidenten der Missionen jenseits Atures und Maypures Handel treiben wollen. Man läßt unsere Piroguen in den Raudales, die der Schlüssel sind zu den Missionen am obern Orinoco, am Cassiquiare und Rio Negro, zu Schanden gehen; man schafft uns dann durch die Indianer in Atures nach Carichana zurück und zwingt uns unsere Handelsspeculationen aufzugeben.« Als unpartheiischer Geschichtschreiber der von mir bereisten Länder kann ich einer solchen, wohl etwas leichtfertig ausgesprochenen Meinung nicht beitreten. Der gegenwärtige Missionar bei den Raudales ist nicht der Mann, die Plackereien, über welche die catalonischen Krämer klagen, sich zu Schulden kommen zu lassen; man fragt sich aber, weßhalb das Regiment in den Missionen sogar in den spanischen Colonien so gründlich verhaßt ist? Verläumdete man nur reiche Leute, so waren die Missionare am obern Orinoco vor dergleichen boshaften Angriffen sicher. Sie besitzen kein Pferd, keine Ziege, kaum eine Kuh, während ihre Ordensbrüder, die Kapuziner in den Missionen am Carony, Heerden von 40000 Stücken besitzen. Der Groll der arbeitenden Classen unter den Colonisten gilt also nicht dem Wohlstand der Observanten, sondern ihrem Prohibitivsystem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzusperren, den Hindernissen, die sie dem Austausch der Produkte in den Weg legen. Aller Orten empört sich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn sie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfnisse Einfluß äußern, sondern auch wenn sich ein Stand oder eine Schichte der Gesellschaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu sagen zu civilisiren. Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibsel vom einstigen Wohlstand der Jesuiten. Eine silberne Lampe von ansehnlichem Gewicht lag, halb im Sand begraben, am Boden. Ein Gegenstand der Art würde allerdings nirgends die Habsucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoco erwähnen, daß sie keine Diebe sind, wie die lange nicht so rohen Bewohner der Südseeinseln. Jene haben große Achtung vor dem Eigenthum; sie suchen nicht einmal Eßwaaren, Fischangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlössern an den Thüren; sie werden eingeführt werden, sobald Weiße und Mischlinge sich in den Missionen niederlassen. Die Indianer in Atures sind gutmüthig, leidenschaftslos, Dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt Die Jesuiten früher trieben sie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäische Gemüse; sie pflanzten um das Dorf her sogar süße Orangen und Tamarinden, sie besaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana zwanzig bis dreißigtausend Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Heerden eine Menge Sklaven und Knechte (_peones_). Gegenwärtig wird nichts gebaut als etwas Manioc und Bananen. Und doch ist der Boden so fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Pisangbüschel 108 Früchte zählte, deren 4--5 fast zur täglichen Nahrung eines Menschen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachläßigt, Rosse und Kühe sind verschwunden. Ein Uferstrich am Raudal heißt noch *Passo del ganado* (Viehfurth), während die Nachkommen der Indianer, mit denen die Jesuiten die Mission gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgestorbenen Thiergattung sprechen. Auf unserer Fahrt den Orinoco hinauf San Carlos am Rio Negro zu sahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres Observanten, welche gegenwärtig diese weiten Landstriche unter sich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jesuiten. Während eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Missionen nur von Zeit zu Zeit besucht, und zwar von Kapuzinern. Unter dem Namen königlicher Commissäre verwalteten weltliche Regierungsbeamte die _Hatos_ oder Höfe der Jesuiten, aber schändlich liederlich. Man stach das Vieh, um die Häute zu verkaufen, viele jüngere Thiere wurden von den Tigern gefressen, noch viel mehr gingen an den Bissen der Fledermäuse zu Grunde, die an den Katarakten kleiner sind, aber kecker als in den Llanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Jose de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portugiesen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter Ferne auf dem Amazonenstrom und dem Gran-Para beziehen konnten. Seit dem Jahr 1795 ist das Vieh der Jesuiten gänzlich verschwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren Anbaus dieser Länder und der wirthschaftlichen Thätigkeit der ersten Missionare sieht man in den Savanen hie und da mitten unter wilden Bäumen einen Orangen- oder Tamarindenstamm. Die Tiger oder Jaguars, die den Heerden weniger gefährlich sind als die Fledermäuse, kommen sogar ins Dorf herein und fressen den armen Indianern die Schweine. Der Missionär erzählte uns ein auffallendes Beispiel von der Zuthulichkeit dieser sonst so wilden Thiere. Einige Monate vor unserer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein junges Thier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet, mit dem er spielte; der Ausdruck mag sonderbar scheinen, aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle Thatsachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeschichte der Thiere nicht ohne Bedeutung sind. Zwei indianische Kinder von acht bis neun Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, saßen bei Atures mitten in einer Savane, über die wir oft gegangen, im Gras. Es war zwei Uhr Nachmittags, da kommt ein Jaguar aus dem Wald und auf die Kinder zu, die er springend umkreist; bald versteckt er sich im hohen Gras, bald macht er mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf einen Sprung, gerade wie unsere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in welcher Gefahr er schwebt, und wird sie erst inne, als der Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf schlägt. Erst schlägt er sachte, dann immer stärker; die Krallen verwunden das Kind und es blutet stark. Da nimmt das kleine Mädchen einen Baumzweig, schlägt das Thier, und dieses läuft vor ihr davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer herbeigelaufen und sehen den Jaguar, der sichtbar an keine Gegenwehr dachte, in Sprüngen sich davon machen. Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und gescheit aussah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten ander Stirne die Haut abgestreift, und eine zweite Narbe hatte er oben auf dem Kopf. Woher nun auf einmal diese muntere Laune bei einem Thiere, das in unsern Menagerien nicht schwer zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grausam ist? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, sicher seiner Beute, mit dem kleinen Indianer gespielt, wie unsere Katzen mit Vögeln mit beschnittenen Flügeln spielen, wie soll man es sich erklären, daß ein großer Jaguar so duldsam ist, daß er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In der Zuneigung und im Haß der Thiere ist manches Geheimnißvolle. Wir haben gesehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die man in ihren Käfigt setzte, umbrachten und einen fünften, der weniger furchtsam den König der Thiere an der Mähne packte, vom ersten Augenblick an liebkoste. Das sind eben Aeußerungen jenes Instinkts, der dem Menschen ein Räthsel ist. Es ist als ob der Schwache desto mehr für sich einnähme, je zutraulicher er ist. Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Jaguars angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen von europäischer Race gibt es in diesen Ländern verschiedene Arten von Pecaris mit Drüsen an den Leisten, von denen nur zwei den europäischen Zoologen bekannt sind. Die Indianer nennen den kleinen Pecari (_Dicoteles torquatus_) auf Maypurisch _Chacharo_; _Apida_ aber heißt bei ihnen ein Schwein, das keinen Beutel haben soll und größer, schwarzbraun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß ist. Der Chacharo, den man im Hause aufzieht, wird so zahm wie unsere Schafe und Rehe. Sein sanftes Wesen erinnert an die anatomisch nachgewiesene interessante Aehnlichkeit zwischen dem Bau der Pecaris und dem der Wiederkäuer. Der Apida, der ein Hausthier wird wie unsere Schweine, zieht in Rudeln von mehreren hundert Stücken. Man hört es schon von weitem, wenn solche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen, rauhen Lauten, die sie von sich geben, sondern noch mehr, weil sie ungestüm das Gebüsch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botanisiren sein indianischer Führer zu, er solle sich hinter einen Baum verstecken, und da sah er denn diese Pecaris (_cochinos_ oder _puercos del monte_) ganz nahe an sich vorüberkommen. Der Rudel zog in dicht gedrängten Reihen, die männlichen Thiere voran, jedes Mutterschwein mit seinen Jungen hinter sich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht sehr angenehmes Fleisch; sie werden übrigens von den Indianern stark gegessen, die sie mit kleinen an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man versicherte uns in Atures, der Tiger fürchte sich im Walde unter einen solchen Rudel von Wildschweinen zu gerathen, und suche sich, um nicht erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Ist das nun eine Jägergeschichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald sehen, daß in manchen Ländern von Amerika die Jäger an die Existenz eines _‘Javali’_ oder einheimischen Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern(38) glauben. Ich habe nie einen gesehen, die amerikanischen Missionäre führen ihn aber in ihren Schriften auf, und diese von unsern Zoologen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpsten Uebertreibungen sehr interessante lokale Beobachtungen. Unter den Affen, die wir in der Mission Atures zu sehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der *Saïs* oder *Sajous*, von den Hispano-Amerikanern gewöhnlich _‘Machis’_ genannt. Es ist dieß der *Ouavapavi* [_Simia albifrons_, HUMBOLDT.] mit grauem Pelz und bläulichem Gesicht. Augenränder und Stirne sind schneeweiß, und dadurch unterscheidet er sich auf den ersten Blick von der _Simia capucina_, der _Simia apella_, _Simia trepida_ und den andern Winselaffen, in deren Beschreibung bis jetzt so große Verwirrung herrscht. Das kleine Thier ist so sanftmüthig als häßlich. Jeden Tag sprang es im Hofe der Mission auf ein Schwein und blieb auf demselben von Morgen bis Abend sitzen, während es auf den Grasfluren umherlief. Wir sahen es auch auf dem Rücken einer großen Katze, die mit ihm im Hause des Pater Zea aufgezogen worden war. In den Katarakten hörten wir auch zum erstenmal von dem behaarten Waldmenschen, dem sogenannten *Salvaje* sprechen, der Weiber entführt, Hütten baut und zuweilen Menschenfleisch frißt. Die Tamanacas nennen ihn _Achi_, die Maypures _Vasitri_ oder den großen Teufel. Die Eingeborenen und die Missionäre zweifeln nicht an der Existenz dieses menschenähnlichen Affen, vor dem sie sich sehr fürchten. Pater GILI erzählt in vollem Ernst eine Geschichte von einer Dame aus der Stadt San Carlos, welche dem Waldmenschen wegen seiner Gutmüthigkeit und Zuvorkommenheit das beste Zeugniß gab. Sie lebte mehrere Jahre sehr gut mit ihm und ließ sich von Jägern nur deßhalb wieder in den Schooß ihrer Familie bringen, »weil sie, nebst ihren Kindern (die auch etwas behaart waren), der Kirche und der heiligen Sacramente nicht langer entbehren mochte.« Bei aller Leichtgläubigkeit gesteht dieser Schriftsteller, er habe keinen Indianer auftreiben können, der ausdrücklich gesagt hätte, er habe den *Salvaje* mit eigenen Augen gesehen. Dieses Mährchen, das ohne Zweifel von den Missionären, den spanischen Colonisten und den Negern aus Afrika mit verschiedenen Zügen aus der Sittengeschichte des Orangoutang, Gibbon, Joko oder Chimpanse und Pongo ausstaffirt worden ist, hat uns fünf Jahre lang in der nördlichen wie in der südlichen Halbkugel verfolgt, und überall, selbst in den gebildetsten Kreisen, nahm man es übel, daß wir allein uns herausnahmen, daran zu zweifeln, daß es in Amerika einen großen menschenähnlichen Affen gebe. Wir bemerken zunächst, daß in gewissen Gegenden dieser Glaube besonders stark unter dem Volk verbreitet ist, so namentlich am obern Orinoco, im Thale Upar beim See Maracaybo, in den Bergen von Santa Martha und Merida, im Distrikt von Quixos und am. Amazonenstrom bei Tomependa. An allen diesen, soweit auseinander gelegenen Orten kann man hören, den Salvaje erkenne man leicht an seinen Fußstapfen, denn die Zehen seyen nach hinten gekehrt. Gibt es aber auf dem neuen Continent einen Affen von ansehnlicher Größe, wie kommt es, daß sich seit dreihundert Jahren kein glaubwürdiger Mann das Fell desselben hat verschaffen können? Was zu einem so alten Irrthum oder Glauben Anlaß gegeben haben mag, darüber lassen sich mehrere Vermuthungen aufstellen. Sollte der vielberufene Kapuzineraffe von Esmeralda [_Simia chiropotes_], dessen Hundszähne über sechs und eine halbe Linie lang sind, der ein viel menschenähnlicheres Gesicht hat als der Orangoutang,(39) der sich den Bart mit der Hand streicht, wenn man ihn reizt, das Mährchen vom Salvaje veranlaßt haben? Allerdings ist er nicht so groß als der Coaïta (_Simia paniscus_); wenn man ihn aber oben auf einem Baum und nur den Kopf von ihm sieht, könnte man ihn leicht für ein menschliches Wesen halten. Es wäre auch möglich (und dieß scheint mir das wahrscheinlichste), daß der Waldmensch einer der großen Bären ist, deren Fußspur der menschlichen ähnlich ist und von denen man in allen Ländern glaubt, daß sie Weiber anfallen. Das Thier, das zu meiner Zeit am Fuß der Berge von Merida geschossen und als ein *Salvaje* dem Obristen Ungaro, Statthalter der Provinz Varinas, geschickt wurde, war auch wirklich nichts als ein Bär mit schwarzem, glänzendem Pelz. Unser Reisegefährte Don Nicolas Sotto hat denselben näher untersucht. Die seltsame Vorstellung von einem Sohlengänger, bei dem die Zehen so stehen, als ob er rückwärts ginge, sollte sie etwa daher rühren, daß die wahren wilden Waldmenschen, die schwächsten, furchtsamsten Indianerstämme, den Brauch haben, wenn sie in den Wald oder über einen Uferstrich ziehen, ihre Feinde dadurch irre zu machen, daß sie ihre Fußstapfen mit Sand bedecken oder rückwärts gehen? Ich habe angegeben, weßhalb zu bezweifeln ist, daß es eine unbekannte große Affenart auf einem Continente gibt, wo gar keine Vierhänder aus der Familie der Orangs, Cynocephali, Mandrils und Pongos vorzukommen scheinen. Es ist aber nicht zu vergessen, daß jeder, auch der abgeschmackteste Volksglaube auf wirklichen, nur unrichtig aufgefaßten Naturverhältnissen beruht. Wendet man sich von dergleichen Dingen mit Geringschätzung ab, so kann man, in der Physik wie in der Physiologie, leicht die Fährte einer Entdeckung verlieren. Wir erklären daher auch keineswegs mit einem spanischen Schriftsteller das Mährchen vom Waldmenschen für eine pfiffige Erfindung der indianischen Weiber, die entführt worden seyn wollen, wenn sie hinter ihren Männern lange ausgeblieben sind; vielmehr fordern wir die Reisenden, die nach uns an den Orinoco kommen, auf, unsere Untersuchungen hinsichtlich des Salvaje oder großen Waldteufels wieder aufzunehmen und zu ermitteln, ob eine unbekannte Bärenart oder ein sehr seltener, der _Simia chiropotes_ oder _Simia Satanas_ ähnlicher Affe so seltsame Mährchen veranlaßt haben mag. Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir sehr froh, unsere Pirogue wieder laden und einen Ort verlassen zu können, wo der Thermometer bei Tage meist auf 29, bei Nacht auf 26 Grad stand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Instruments und die Empfindung so wenig übereinstimmten, so rührte dieß vom beständigen Hautreiz durch die Moskitos her. Eine von giftigen Insekten wimmelnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als sie wirklich ist. Das Saussuresche Hygrometer -- im Schatten beobachtet, wie immer -- zeigte bei Tag, im Minimum (um drei Uhr Nachmittags), 78°2; bei Nacht, im Maximum, 81°5. Diese Feuchtigkeit ist um 5 Grad geringer als die mittlere Feuchtigkeit an der Küste von Cumana, aber um 10 Grad stärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumlosen Ebenen. Die Wasserfälle und die dichten Wälder steigern die Menge des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskitos und den *Jejen*, kleinen giftigen Mücken aus der Gattung _Simulium_ furchtbar geplagt, bei Nacht von den *Zancudos*, einer großen Schnakenart, vor denen sich selbst die Eingeborenen fürchten. Unsere Hände fingen an stark zu schwellen und die Geschwulst nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Thiere los zu werden sucht, sind sehr merkwürdig. Der gute Missionar Bernardo Zea, der sein Leben unter den Qualen der Moskitos zubringt, hatte sich neben der Kirche auf einem Gerüste von Palmstämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier athmete. Abends stiegen wir mit einer Leiter in dasselbe hinauf, um unsere Pflanzen zu trocknen und unser Tagebuch zu schreiben. Der Missionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Insekten in der tiefsten Luftschicht am Boden, 15--20 Fuß hoch, am häufigsten sind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorf und schlafen auf kleinen Inseln mitten in den Wasserfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskitos eine mit Wasserdunst beladene Luft zu fliehen scheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Orinoco hinab, als wenn man aufwärts fährt. Wer die großen Ströme des tropischen Amerika, wie den Orinoco oder den Magdalenenfluß nicht befahren hat, kann nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im Leben von den Insekten, die in der Luft schweben, gepeinigt werden, wie die Unzahl dieser kleinen Thiere weite Landstrecken fast unbewohnbar machen kann. So sehr man auch gewöhnt seyn mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, so lebhaft einen auch der Gegenstand, den man eben beobachtet, beschäftigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon abgezogen, wenn *Moskitos*, *Zancudos*, *Jejen* und *Tempraneros* einem Hände und Gesicht bedecken, einen mit ihrem Saugrüssel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider durch stechen, und in Nase und Mund kriechen, so daß man husten und nießen muß, sobald man in freier Luft spricht. In den Missionen am Orinoco, in diesen von unermeßlichen Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, ist aber auch die _plaga de los moscos_ ein unerschöpflicher Stoff der Unterhaltung. Begegnen sich Morgens zwei Leute, so sind ihre ersten Fragen: »_Que le han parecido los zancudos de noche?_ Wie haben Sie die Zancudos heute Nacht gefunden?« -- »_Como stamos hoy de mosquitos?_ Wie steht es heute mit den Moskitos?« Diese Fragen erinnern an eine chinesische Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zustand des Landes, in dem sie entstanden seyn mag, zurückweist. Man begrüßte sich früher im himmlischen Reich mit den Worten: _Vou-to-hou?_ seyd ihr diese Nacht von Schlangen beunruhigt worden?« Wir werden bald sehen, daß am Tuamini, auf dem Magdalenenstrom, besonders aber in Choco, im Gold- und Platinaland, neben dem Moskitoscompliment auch das chinesische Schlangencompliment am Platze wäre. Es ist hier der Ort, von der *geographischen Vertheilung* dieser Insekten aus der Familie der *Tipu1ae* zu sprechen, die ganz merkwürdige Erscheinungen darbietet. Dieselbe scheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtigkeit und den dichten Wäldern abzuhängen, sondern auch von schwer zu ermittelnden örtlichen Verhältnissen. Vorab ist zu bemerken, daß die Plage der Moskitos und Zancudos in der heißen Zone nicht so allgemein ist, als man gemeiniglich glaubt. Auf Hochebenen mehr als 400 Toisen über dem Meeresspiegel; in sehr trockenen Niederungen weit von den großen Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auffallend mehr Schnaken als in dem am stärksten bevölkerten Theile Europas. In Nueva Barcelona dagegen und weiter westwärts an der Küste, die gegen Cap Codera läuft, nehmen sie ungeheuer zu. Zwischen dem kleinen Hafen von Higuerote und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen Einwohner den Brauch, sich bei Nacht auf die Erde zu legen und sich drei, vier Zoll tief in den Sand zu begraben, so daß nur der Kopf frei bleibt, den sie mit einem Tuch bedecken. Man leidet vom Insektenstich, doch so, daß es leicht zu ertragen ist, wenn man den Orinoco von Cabruta gegen Angostura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt, zwischen dem siebenten und achten Grad der Breite. Aber über dem Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun an findet der Reisende keine Ruhe mehr. Hat er poetische Stellen aus DANTE im Kopfe, so mag ihm zu Muthe seyn, als hätte er die _‘Città dolente’_ betreten, als ständen an den Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verse aus dem dritten Buch der Hölle geschrieben: _ Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto _ _ Che tu vedrai le genti dolorose. _ [_Inferno_. C. III. 16.] Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 15--20 Fuß Höhe sind mit giftigen Insekten wie mit einem dichten Dunste angefüllt. Stellt man sich an einen dunkeln Ort, z. B. in die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgethürmten Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, so sieht man Wolken von Moskitos, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Thierchen bei ihren langsamen und taktmäßigen Bewegungen sich zusammen- oder auseinanderziehen. In der Mission San Borja hat man schon mehr von den Moskitos zu leiden als in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, besonders aber in Maypures erreicht die Plage so zu sagen ihr Maximum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der Mensch grausamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man über den fünften Breitegrad hinaus, wird man etwas weniger zerstochen, aber am obern Orinoco sind die Stiche schmerzlicher, weil bei der Hitze und der völligen Windstille die Luft glühender ist und die Haut, wo sie dieselbe berührt, mehr reizt. »Wie gut muß im Mond wohnen seyn!« sagte ein Saliva-Indianer zu Pater Gumilla. »Er ist so schön und hell, daß es dort gewiß keine Moskitos gibt.« Diese Worte, die dem Kindesalter eines Volkes angehören, sind sehr merkwürdig. Ueberall ist der Trabant der Erde für den wilden Amerikaner der Wohnplatz der Seligen, das Land des Ueberflusses. Der Eskimo, für den eine Planke, ein Baumstamm, den die Strömung an eine pflanzenlose Küste geworfen, ein Schatz ist, sieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Wäldern am Orinoco sieht darin kahle Savanen, deren Bewohner nie von Moskitos gestochen werden. Weiterhin gegen Süd, wo das System der braungelben Gewässer beginnt, gemeinhin _‘schwarze Wasser’_, _aguas __ negras_ genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tuamini und des Rio Negro genossen wir einer Ruhe, ich hätte bald gesagt eines Glücks, wie wir es gar nicht erwartet hatten. Diese Flüsse laufen, wie der Orinoco, durch dichte Wälder; aber die Schnaken wie die Krokodile halten sich von den _‘schwarzen Wassern’_ ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulä und Schnaken, die man als eigentliche Wasserthiere betrachten kann, in diesen Gewässern, die ein wenig kühler sind als die weißen und sich chemisch anders verhalten, nicht so gut fort? Einige kleine Flüsse, deren Wasser entweder dunkelblau oder braungelb ist, der Toparo, Mataveni und Zama, machen eine Ausnahme von der sonst ziemlich allgemeinen Regel, daß es über _‘schwarzem Wasser’_ keine Moskitos gibt. An jenen drei Flüssen wimmelt es davon, und selbst die Indianer machten uns auf die räthselhafte Erscheinung aufmerksam und ließen uns über deren Ursachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro athmeten wir frei in den Dörfern Maroa, Davipe und San Carlos an der brasilianischen Grenze; allein diese Erleichterung unserer Lage war von kurzer Dauer und unsere Leiden begannen von neuem, sobald wir in den Cassiquiare kamen. In Esmeralda, am östlichen Ende des obern Orinoco, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, sind die Moskitowolken fast so dick wie bei den großen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Missionär, der mit jammervoller Miene gegen uns äußerte: *er habe seine zwanzig Moskitojahre auf dem Rücken* (_ya tengo mis vento anos de mosquitos_). Er forderte uns auf, seine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tags _‘por alla’_ (über dem Meer) davon zu sagen wüßten, was die armen Missionäre in den Wäldern am Cassiquiare auszustehen haben. Da jeder Stich einen kleinen schwarzbraunen Punkt zurückläßt, waren seine Beine dergestalt gefleckt, daß man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weiße Haut sah. Auf dem Cassiquiare, der *weißes Wasser* hat, wimmelt es von Mücken aus der Gattung _Simulium_, aber die *Zancudos*, der Gattung _Culex_ angehörig, sind desto seltener; man sieht fast keine, während auf den Flüssen mit schwarzem Wasser meist einige *Zancudos*, aber keine *Moskitos* vorkommen. Wir haben schon oben bemerkt, daß wenn bei den kleinen Revolutionen im Schooße des Ordens der Observanten der Pater Gardian sich an einem Laienbruder rächen will, er ihn nach Esmeralda schickt; er wird damit verbannt, oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, *zu den Moskitos verurtheilt*. Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, daß in diesem Labyrinth weißer und schwarzer Wasser die geographische Vertheilung der giftigen Insekten eine sehr ungleichförmige ist. Es wäre zu wünschen, daß ein tüchtiger Entomolog an Ort und Stelle die specifischen Unterschiede dieser bösartigen Insekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heißen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalt der Natur spielen, beobachten könnte. Sehr merkwürdig schien uns der Umstand, der auch allen Missionären wohl bekannt ist, daß die verschiedenen Arten nicht unter einander fliegen, und daß man zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder von andern Arten gestochen wird. So oft die Scene wechselt, und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Missionäre, andere Insekten »auf die Wache ziehen,« hat man ein paar Minuten, oft eine Viertelstunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Insekten sind die Nachfolger nicht sogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von sechs ein halb Uhr Morgens bis fünf Uhr Abends wimmelt die Luft von Moskitos, die nicht, wie in manchen Reisebeschreibungen zu lesen ist, unsern Schnaken,(40) sondern vielmehr einer kleinen Mücke gleichen. Es sind dieß Arten der Gattung _Simulium_ aus der Familie der Nemoceren nach LATREILLEs System. Ihr Stich hinterläßt einen kleinen braunrothen Punkt, weil da, wo der Rüssel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskitos von einer kleinen Schnakenart abgelöst, _‘Tempraneros’_(41) genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen; sie bleiben kaum anderhalb Stunden und verschwinden zwischen sechs und sieben Uhr Abends, oder, wie man hier sagt, nach dem *Angelus* (_a la oration_). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der *Zancudos*, einer andern Schnakenart (_Culex_) mit sehr langen Füßen. Der Zancudo, dessen Rüssel eine stechende Saugröhre enthält, verursacht die heftigsten Schmerzen und die Geschwulst, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an; sein Sumsen gleicht dem unserer europäischen Schnaken, nur ist es stärker und anhaltender. Die Indianer wollen *Zancudos* und *Tempraneros* »am Gesang« unterscheiden können; letztere sind wahre Dämmerungsinsekten, während die Zancudos meist *Nachtinsekten* sind und mit Sonnenaufgang verschwinden. Auf der Reise von Carthagena nach Santa Fe de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwischen Mompox und Honda im Thal des großen Magdalenenflusses die Zancudos zwischen acht Uhr Abends und Mitternacht die Luft verfinstern, gegen Mitternacht abnehmen, sich drei, vier Stunden lang verkriechen und endlich gegen vier Uhr Morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache dieses Wechsels von Bewegung und Ruhe? Werden die Thiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoco sieht man bei Tag sehr selten wahre Schnaken, während man auf dem Magdalenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur nicht von Mittag bis zwei Uhr. Ohne Zweifel sind die Zancudos beider Flüsse verschiedene Arten; werden etwa die zusammengesetzten Augen der einen Art vom starken Sonnenlicht mehr angegriffen als die der andern? Wir haben gesehen, daß die tropischen Insekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens überall einen gewissen Typus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter derselben Breite erhält die Luft zu bestimmten, nie wechselnden Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird,(42) wo Alles mit so bewundernswürdiger Regelmäßigkeit auf einander folgt, könnte man beinahe am Sumsen der Insekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes Insekt in der Wunde zurückläßt, wieder anders schmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen errathen, welche Zeit es ist. Zur Zeit, da die Thier- und Pflanzengeographie noch keine Wissenschaft war, warf man häufig verwandte Arten aus verschiedenen Himmelsstrichen zusammen. In Japan, auf dem Rücken der Anden und an der Magellanschen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirsche, Ratten und Schnaken des nördlichen Europa wieder zu finden. Hochverdiente, berühmte Naturforscher glaubten, der Maringouin der heißen Zone sey die Schnake unserer Sümpfe, nur kräftiger, gefräßiger, schädlicher in Folge des heißen Klimas; dieß ist aber ein großer Irrthum. Ich habe die Zancudos, von denen man am ärgsten gequält wird, an Ort und Stelle sorgfältig untersucht und beschrieben. Im Magdalenenfluß und im Guayaquil gibt es allein fünf ganz verschiedene Arten. Die *Culex*arten in Südamerika sind meist geflügelt, Bruststück und Füße sind blau, geringelt, mit metallisch glänzenden Flecken und daher schillernd. Hier, wie in Europa, sind die Männchen, die sich durch ihre gefiederten Fühlhörner auszeichnen, sehr selten; man wird fast immer nur von Weibchen gestochen. Aus dem großen Uebergewicht dieses Geschlechts erklärt sich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hundert Eier legt. Fährt man einen der großen amerikanischen Ströme hinauf, so bemerkt man, daß sich aus dem Auftreten einer neuen Culexart schließen läßt, daß bald wieder ein Nebenfluß hereinkommt. Ich führe ein Beispiel dieser merkwürdigen Erscheinung an. Den _Culex lineatus_ dessen Heimath der Caño Tamalameque ist, trifft man im Thal des Magdalenenstroms nur bis auf eine Meile nördlich vom Zusammenfluß der beiden Gewässer an; derselbe geht den großen Strom hinauf, aber nicht hinab; in ähnlicher Weise verkündigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Substanz in der Gangmasse dem Bergmann die Nähe eines secundären Ganges, der sich mit jenem verbindet. Fassen wir die hier mitgetheilten Beobachtungen zusammen, so sehen wir, daß unter den Tropen die Moskitos und Maringouins am Abhang der Cordilleren(43) nicht in die gemäßigte Region hinausgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19--20 Grad beträgt;(44) daß sie mit wenigen Ausnahmen die *schwarzen Gewässer* und trockene, baumlose Landstriche meiden. Am obern Orinoco finden sie sich weit massenhafter als am untern, weil dort der Strom an seinen Ufern dicht bewaldet ist und kein weiter kahler Uferstrich zwischen dem Fluß und dem Waldsaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewässer und der Ausrodung der Wälder nehmen die Moskitos auf dem neuen Continent ab; aber alle diese Momente sind in ihren Wirkungen so langsam als die Fortschritte des Anbaus. Die Städte Angostura, Nueva Barcelona und Mompox, wo schlechte Polizei auf den Straßen, den Plätzen und in den Höfen der Häuser das Buschwerk wuchern läßt, sind wegen der Menge ihrer Zancudos in trauriger Weise vielberufen. Alle im Lande Geborenen, Weiße, Mulatten, Neger, Indianer, haben vom Insektenstich zu leiden; wie aber der Norden Europas trotz des Frostes nicht unbewohnbar ist, so hindern auch die Moskitos den Menschen nicht, sich in Ländern, welche stark davon heimgesucht sind, niederzulassen, wenn anders durch Lage und Regierungsweise die Verhältnisse für Handel und Gewerbfleiß günstiger sind. Die Leute klagen ihr Lebenlang _de la plaga, del insufrible tormento de las moscas_; aber trotz dieses beständigen Jammerns ziehen sie doch, und zwar mit einer gewissen Vorliebe, in die Handelsstädte Angostura, Santa Martha und Rio la Hacha. So sehr gewöhnt man sich an ein Uebel, das man zu jeder Tagesstunde zu erdulden hat, daß die drei Missionen San Borja, Atures und Esmeralda, wo es, nach dem hyperbolischen Ausdruck der Mönche, »mehr Mücken als Luft« gibt (_mas moscas que ayre_), unzweifelhaft blühende Städte würden, wenn der Orinoco den Colonisten zum Austausch der Produkte dieselben Vortheile gewährte, wie der Ohio und der untere Mississippi. Wo es sehr viele Insekten gibt, nimmt zwar die Bevölkerung langsamer zu, aber gänzlicher Stillstand tritt deßhalb doch nicht ein; die Weißen lassen sich aus diesem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den commerciellen und politischen Verhältnissen des Landes kein erklecklicher Vortheil in Aussicht steht. Ich habe anderswo in diesem Werke des merkwürdigen Umstandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone geborenen Weißen barfuß ungestraft in demselben Zimmer herumgehen, in dem ein frisch angekommener Europäer Gefahr läuft, *Niguas* oder *Chiques*, Sandflöhe (_Pulex penetrans_) zu bekommen. Diese kaum sichtbaren Thiere graben sich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raschen Entwicklung der in einem eigenen Sack am Bauche des Insekts liegenden Eier, so groß wie eine kleine Erbse. Die *Nigua* unterscheidet also, was die feinste chemische Analyse nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von dem eines weißen Creolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darüber an den Küsten von Südamerika hört, fallen diese Insekten die Eingeborenen so gut an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs sind bei beiden Menschenracen verschieden. Dieselbe giftige Flüssigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menschen von indianischer Race und eines frisch angekommenen Weißen gebracht, bringt beim ersteren keine Geschwulst hervor, beim letzteren dagegen harte, stark entzündete Beulen, die mehrere Tage schmerzen. So verschieden reagirt das Hautsystem, je nachdem die Organe bei dieser oder jener Race, bei diesem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar sind. Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, so gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, selbst während des Ruderns, schlagen sich die Indianer beständig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Insekten zu verscheuchen. Im Schlaf schlagen sie, ungestüm in allen ihren Bewegungen, auf sich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das persische Mährchen vom Bären, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirne seines schlafenden Herrn todtschlägt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grausam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupfersarbige Race fähig ist, waren indianische Weiber beschäftigt, mit einem spitzen Knochen die kleine Masse geronnenen Bluts in der Mitte jeden Stichs, die der Haut ein geflecktes Aussehen gibt, auszustechen. Eines der barbarischsten Völker am Orinoco, die Ottomacas, kennt den Gebrauch der _Mosquiteros_ (Fliegennetze), die aus den Fasern der Murichipalme gewoben werden. Wir haben oben gesehen, daß die Farbigen in Higuerote an der Küste von Caracas sich zum Schlafen in den Sand graben. In den Dörfern am Magdalenenfluß forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der *plaza grande* auf Ochsenhäute zu legen. Man hatte daselbst alles Vieh aus der Umgegend zusammen getrieben, denn in der Nähe desselben findet der Mensch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am obern Orinoco und am Cassiquiare sahen, daß Bonpland wegen der unaufhörlichen Moskitoplage seine Pflanzen nicht einlegen konnte, forderten sie ihn auf, in ihre _Hornitos_ (Oefen) zu gehen. So heißen kleine Gemächer ohne Thüre und Fenster, in die man durch eine ganz niedrige Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittelst eines Feuers von feuchtem Strauchwerk, das viel Rauch gibt, jagt man die Insekten hinaus und verschließt dann die Oeffnung des Ofens. Daß man jetzt die Moskitos los ist, erkauft man ziemlich theuer; denn bei der stockenden Luft und dem Rauch einer Copalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entsetzlich heiß darin. Bonpland hat mit einem Muth und einer Geduld, die das höchste Lob verdienen, viele hundert Pflanzen in diesen Hornitos der Indianer getrocknet. Die Mühe, die sich die Eingebornen geben, um die Insektenplage zu lindern, beweist hinlänglich, daß der kupferfarbige Mensch, trotz der verschiedenen Organisation seiner Haut, für die Mückenstiche empfindlich ist, so gut wie der Weiße; aber, wir wiederholen es, beim ersteren scheint der Schmerz nicht so stark zu seyn und der Stich hat nicht die Geschwulst zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederkehrt, die Reizbarkeit der Haut steigert und empfindliche Personen in den fieberhaften Zustand versetzt, der allen Ausschlagskrankheiten eigen ist. Die im tropischen Amerika geborenen Weißen und die Europäer, die sehr lange in den Missionen in der Nähe der Wälder und an den großen Flüssen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als frisch angekommene Europäer. Es kommt also nicht, wie manche Reisende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhält, mehr oder weniger schmerzt, und bei den Indianern tritt nicht deßhalb weniger Geschwulst und Entzündung ein, weil ihre Haut eigenthümlich organisirt ist; vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nervensystems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, so versetzt man die Haut in einen Zustand nervöser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zöge sich alle Empfindung in die Hautdecken. Da die Moskitos und die Schnaken zwei Dritttheile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüssen durchzogenen Wäldern diese bösartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzuhalten, wo ihre Verwandlung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen sich auch die wilden Indianer (_Indios monteros_) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christlichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, von der sie daheim im innern Lande fast nichts wissen. Man sah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene _al monte_ (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskitos. Leider sind gleich Anfangs alle Missionen am Orinoco zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so könnten sie freier athmen und fänden einige Ruhe. _La nube de moscos_ die Mückenwolke -- so sagen die Mönche -- schwebt nur über dem Orinoco und seinen Nebenflüssen; die Wolke zertheilt sich mehr und mehr, wenn man von den Flüssen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den großen, 400 Meilen breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem untern Orinoco nach den Flußthälern beurtheilte, die dadurch hinziehen. Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die gesellig lebenden Affen der Gruppe der Alouaten. Man sieht an gewissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magdalenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den *Jejen*. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinsekt ist. Seit dem Jahr 1801 aber ist die große Schnake mit blauen Flügeln (_Culex __ cyanopterus_) in solchen Massen erschienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nachtruhe verschaffen sollen. In den sumpfigten Kanälen (_esteros_) auf der Insel Baru bei Carthagena lebt eine kleine weißlichte Mücke, *Cafasi* genannt. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum sichtbar und verursacht doch äußerst schmerzhafte Geschwülste. Man muß die *Toldos* oder Baumwollengewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Fäden durchschlüpfen kann. Dieses zum Glück sonst ziemlich seltene Insekt geht im Januar auf dem Kanal oder _Dique_ von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung _Simulium_ und Zancudos an, aber keine Jejen mehr. Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen bei denselben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirksamkeit des Giftes, das die Thiere aus ihrem schneidenden und am untern Ende gezahnten Saugrüssel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoco sind die lästigsten oder, wie die Creolen sagen, die wildesten (_los mas feroces_) Insekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Magdalenenstrom ist der _Culex cyanopterus_ besonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er ist dort größer und stärker und seine Beine sind schwärzer. Man kann sich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Missionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskitos in verschiedenen Strichen desselben Flusses streiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, ist dieß das Lieblingsthema der Unterhaltung. »Wie sehr bedaure ich Euch!« sagte beim Abschied der Missionär aus den Raudales zu dem am Cassiquiare. »Ihr seyd allein, wie ich, in diesem Lande der Tiger und der Affen; Fische gibt es hier noch weniger, und heißer ist es auch; was aber meine Mücken (_mis moscas_) anbelangt, so darf ich mich rühmen, daß ich mit Einer von den meinen drei von den Euren schlage.« Diese Gefräßigkeit der Insekten an gewißen Orten, diese Blutgier, womit sie den Menschen anfallen,(45) die ungleiche Wirksamkeit des Giftes bei derselben Art sind sehr merkwürdige Erscheinungen; es stellen sich ihnen jedoch andere aus den Classen der großen Thiere zur Seite. In Angostura greift das Krokodil den Menschen an, während man in Nueva Barcelona im Rio Neveri mitten unter diesen fleischfressenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguars in Maturin, Cumanacoa und auf der Landenge von Panama sind feig denen am obern Orinoco gegenüber. Die Indianer wissen recht gut, daß die Affen aus diesem und jenem Thale leicht zu zähmen sind, während Individuen derselben Art, die man anderswo fängt, lieber Hungers sterben, als sich in die Gefangenschaft ergeben. Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gesundheit der Gegenden und der Krankheitserscheinungen Systeme gebildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und diese Systeme widersprechen sich, gleichfalls wie bei uns, in den verschiedenen Provinzen, in die der neue Continent zerfällt, ganz und gar. Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskitos lästig, aber sie gelten für sehr gesund. »Diese Thiere,« sagen die Leute, »machen uns kleine Aderläßen und schützen uns in einem so furchtbar heißen Land vor dem _Tabardillo_, dem Scharlachfieber und andern entzündlichen Krankheiten.« Am Orinoco, dessen Ufer höchst ungesund sind, schreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskitos zu. »Diese Insekten entstehen aus der Fäulniß und vermehren sie; sie entzünden das Blut (_vician y incienden la sangre_).« Der Volksglaube, als wirkten die Moskitos durch örtliche Blutentziehung heilsam, braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wissen die Bewohner sumpfigter Länder gar wohl, daß die Insekten das Hautsystem reizen, und durch das Gift, das sie in die Wunden bringen, die Funktionen desselben steigern. Durch die Stiche wird der entzündliche Zustand der Hautbedeckung nicht nur nicht vermindert, sondern gesteigert. Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur insofern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicklung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen abhängen, aus denen Miasmen entstehen. Diese lästigen Thiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mittleren Grad von Licht, Wärmestoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitäten Vorschub leistet und damit die Fäulniß organischer Substanzen beschleunigt. Tragen die Moskitos an sich zur Ungesundheit der Luft bei? Bedenkt man, daß bis auf 3--4 Toisen vom Boden im Cubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter Insekten(46) enthalten ist, die eine ätzende, giftige Flüssigkeit bei sich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruststücks (die Füße ungerechnet) 1-1/5 Linien lang sind; endlich daß in dem Schnaken- und Mückenschwarm, der wie ein Rauch die Luft erfüllt, sich eine Menge todter Insekten befinden, die durch den aufsteigenden Luftstrom, oder durch seitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte Ströme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine solche Anhäufung von thierischen Stoffen in der Luft nicht zur örtlichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube, diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine Behauptung aufzustellen. Von den vielen Räthseln, welche das Ungesundseyn der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöst; sie hat uns nur soviel gelehrt, daß wir gar Vieles nicht wissen, was wir vor fünfzehn Jahren Dank den sinnreichen Träumen der alten Eudiometrie zu wissen meinten. Nicht so ungewiß und fast durch tägliche Erfahrung bestätigt ist der Umstand, daß am Orinoco, am Cassiquiare, am Rio Caura, überall wo die Luft sehr ungesund ist, der Stich der Moskitos die Disposition der Organe zur Aufnahme der Miasmen steigert. Wenn man Monatelang Tag und Nacht von den Insekten gepeinigt wird, so erzeugt der beständige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwächt, in Folge des schon so frühe erkannten Antagonismus zwischen dem gastrischen und dem Hautsystem, die Verrichtung des Magens. Man fängt an schwer zu verdauen, die Entzündung der Haut veranlaßt profuse Schweiße, den Durst kann man nicht löschen, und auf die beständig zunehmende Unruhe folgt bei Personen von schwacher Constitution eine geistige Niedergeschlagenheit, in der alle pathogenischen Ursachen sehr heftig einwirken. Gegenwärtig sind es nicht mehr die Gefahren der Schifffahrt in kleinen Canoes, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguars, was den Spaniern die Reise auf dem Orinoco bedenklich macht, sondern nur, wie sie naiv sich ausdrücken, _el sudar y las moscas_ (der Schweiß und die Mücken). Es ist zu hoffen, daß der Mensch, indem er die Bodenfläche umgestaltet, damit auch die Beschaffenheit der Luft allmälig umändert. Die Insekten werden sich vermindern, wenn einmal die alten Bäume im Wald verschwunden sind und man in diesen öden Ländern die Stromufer mit Dörfern besetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfeldern bedeckt sieht. Wer lange in von Moskitos heimgesuchten Ländern gelebt hat, wird gleich uns die Erfahrung gemacht haben, daß es gegen die Insektenplage kein Radikalmittel gibt. Die mit Onoto, Bolus oder Schildkrötenfett beschmierten Indianer klatschen sich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Rücken und Beine, ungefähr wie wenn sie gar nicht *bemalt* wären. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verschafft; soviel ist aber gewiß, daß es nicht schützt. Die Europäer, die eben erst an den Orinoco, den Magdalenenstrom, den Guayaquil oder den Rio Chagre kommen (ich nenne hier die vier Flüsse, wo die Insekten am furchtbarsten sind), bedecken sich zuerst Gesichts und Hände; bald aber fühlen sie eine unerträgliche Hitze, die Langeweile, da sie gar nichts thun können, drückt sie nieder, und am Ende lassen sie Gesicht und Hände frei. Wer bei der Flußschifffahrt auf jede Beschäftigung verzichten wollte, könnte aus Europa eine eigens verfertigte, sackförmige Kleidung mitbringen, in die er sich steckte und die er nur alle halbe Stunden aufmachte; der Sack müßte durch Fischbeinreife ausgespannt seyn, denn eine bloße Maske und Handschuhe wären nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Häuten oder in Hängematten lagen, hätten wir uns auf dem Orinoco der Fliegennetze (_toldos_) nicht bedienen können. Der Toldo leistet nur dann gute Dienste, wenn er um das Lager ein so gut verschlossenes Zelt bildet, daß auch nicht die kleinste Oeffnung bleibt, durch die eine Schnake schlüpfen könnte. Diese Bedingung ist aber schwer zu erfüllen, und gelingt es auch (wie zum Beispiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenstrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reist), so muß man, um nicht vor Hitze zu ersticken, den Toldo verlassen und sich in freier Luft ergehen. Ein schwacher Wind, Rauch, starke Gerüche helfen an Orten, wo die Insekten sehr zahlreich und gierig sind, so gut wie nichts. Fälschlich behauptet man, die Thierchen fliehen vor dem eigenthümlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Carthagena nach Honda wurden wir jämmerlich zerstochen, während wir ein eilf Fuß langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpestete. Die Indianer loben sehr den Dunst von brennendem Kuhmist. Ist der Wind sehr stark und regnet es dabei, so verschwinden die Moskitos auf eine Weile; am grausamsten stechen sie, wenn ein Gewitter im Anzug ist, besonders wenn auf die elektrischen Entladungen keine Regengüsse folgen. Alles was um Kopf und Hände flattert, hilft die Insekten verscheuchen. »Je mehr ihr euch rührt, desto weniger werdet ihr gestochen,« sagen die Missionäre. Der Zancudo summt lange umher, ehe er sich niedersetzt; hat er dann einmal Vertrauen gefaßt, hat er einmal angefangen, seinen Saugrüssel einzubohren und sich voll zu saugen, so kann man ihm die Flügel berühren, ohne daß er sich verscheuchen läßt. Er streckt während dessen seine beiden Hinterfüße in die Luft, und läßt man ihn ungestört sich satt saugen, so bekommt man keine Geschwulst, empfindet keinen Schmerz. Wir haben diesen Versuch im Thale des Magdalenenstroms nach dem Rathe der Indianer oft an uns selbst gemacht. Man fragt sich, ob das Insekt die reizende Flüssigkeit erst im Augenblick ergießt, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Flüssigkeit wieder aufpumpt, wenn man es saugen läßt, soviel es will? Letztere Annahme scheint mir die wahrscheinlichere; denn hält man dem _Culex cyanopterus_ ruhig den Handrücken hin, so ist der Schmerz anfangs sehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Insekt fortsaugt, und hört ganz auf im Moment, wo es von selbst fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut gestochen und die Stiche mit zerdrückten Moskitos (_mosquitos machucados_) gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Flüssigkeit der _Diptera Nemocera_ die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Säure verhält, ist, wie bei den Ameisen und andern Hymenopteren, in eigenen Drüsen enthalten; dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verdünnt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Thiere reibt. Ich habe am Ende dieses Kapitels Alles zusammengestellt, was wir auf unsern Reisen über Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlässigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevölkerung, die Gesundheit der Länder und die Gründung neuer Colonien an den Strömen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluß sind. Ich bedarf wohl keiner Rechtfertigung, daß ich diesen Gegenstand mit einer Umständlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen könnte, fiele nicht derselbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Einbildungskraft wird nur vom Großen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie geflügelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugrüssel eine die Haut reizende Flüssigkeit bergen, große Länder fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten (_Comejen_), setzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tropischen Erdstrichs der Entwicklung der Cultur schwer zu besiegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament; sie zerstören Archive und Bibliotheken. In ganzen Provinzen von spanisch Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie soll sich die Cultur bei den Völkern entwickeln, wenn nichts Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse öfters erneuern muß, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht überliefert werden kann? Je weiter man gegen die Hochebene des Anden hinaufkommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort athmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen, ohne Furcht vor gefährlichen Termiten. In 200 Toisen Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten sind in 300 Toisen Höhe noch sehr häufig, aber in Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito kommen sie selten vor. In diesen großen Hauptstädten auf dem Rücken der Cordilleren findet man Bibliotheken und Archive, die sich durch die Theilnahme gebildeter Bewohner täglich vermehren. Zu diesen Verhältnissen, die ich hier nur flüchtig berühre, kommen andere, welche der Alpenregion das moralische Uebergewicht über die niedern Regionen des heißen Erdstrichs sichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, in Folge der Erdumwälzungen, die der Erneuerung unseres Geschlechts vorangegangen, sey der Mensch von den Gebirgen in die Niederungen herabgestiegen, so läßt sich noch weit bestimmter annehmen, daß diese Berge, die Wiege so vieler und so verschiedener Völker, in der heißen Zone für alle Zeit der Mittelpunkt der Gesittung bleiben werden. Von diesen fruchtbaren, gemäßigten Hochebenen, von diesen Inseln im Ocean der Luft, werden sich Aufklärung und der Segen gesellschaftlicher Einrichtungen über die unermeßlichen Wälder am Fuße der Anden verbreiten, die jetzt noch von Stämmen bewohnt sind, welche eben die Fülle der Natur in Trägheit niedergehalten hat. ------------------ 25 Vom spanischen Wort _raudo_, schnell, _rapidus_. 26 Schwimmende Gärten. 27 Diese Landenge, von der schon öfters die Rede war, wird von den Cordilleren der Anden von Neu-Grenada und von der Cordillere der Parime gebildet. S. Bd. II. Seite 378--379. _ 28 Ansichten der Natur_, 2. Auflage, 1826, Bd. 1. S. 181; 3. Auflage, Bd. 1. S. 249. 29 Eine große Reiherart. 30 LUCAN., _Pharsal._ X. 132. * 31 Arastrando la Picagua*. Von diesem Wort _arastrar_ aus dem Boden ziehen, kommt der spanische Ausdruck: _Arastradero_, Trageplatz, Portage. _ 32 Nat. Quaest._ IV. c. 2. 33 Der *Chellal* zwischen Philä und Syene hat zehn Staffeln, die zusammen einen 5 bis 7 Fuß hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Wasserstand des Nil. Der Fall ist 500 Toisen lang. 34 Auszunehmen ist STRABO, dessen Beschreibung eben so einfach als genau erscheint. Nach ihm hätte seit dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Schnelligkeit des Wassersturzes abgenommen und seine Richtung sich verändert. Damals ging man den Chellal auf beiden Seiten hinauf, gegenwärtig ist nur auf Einer Seite eine Wasserstraße; der Katarakt ist also eher schwerer befahrbar geworden. 35 Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde von den großen Katarakten des östlichen oder blauen Nil zwischen Fazuclo und Alata, die über 200 Fuß hoch sind? _ 36 Claustra imperii romani_ sagt TACITUS. Im Namen der Insel *Philä* findet man das coptische Wort _phe-lakh_, Ende (Ende Egyptens) wieder. 37 Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß, so mangelhaft noch die Physik der Alten war, die Werke des Philosophen von Stagira ungleich mehr scharfsinnige Beobachtungen enthalten, als die der andern Philosophen. Vergeblich sucht man bei ARISTOXENES (_Liber de musica_), bei THEOPHYLACTUS SIMOCATTA (_de quaestionibus physicis_), im fünften Buche von SENECAs _quaestiones naturales_ eine Erklärung der Verstärkung des Schalls bei Nacht. Ein in den Schriften der Alten sehr bewanderter Mann, Hr. Laurencit, hat mir eine Stelle des PLUTARCH mitgetheilt (_Tischgespräche_, Buch VIII. Frage 3), welche die angeführte des Aristoteles unterstützt. -- Boethus, der erste der Disputirenden, behauptet, die Kälte bei Nacht ziehe die Luft zusammen und verdichte sie, und man höre den Schall bei Tag nicht so gut, weil dann weniger Zwischenräume zwischen den Atomen seyen. Der zweite der Disputirenden, Ammonius, verwirft die leeren Räume, wie Boethus sie voraussetzt, und nimmt mit Anaxagoras an, die Luft werde von der Sonne in eine zitternde und schwankende Bewegung versetzt; man höre bei Tag schlecht wegen der Staubtheile, die im Sonnenschein herumtreiben und die ein gewisses Zischen und Geräusch verursachen; des Nachts aber höre diese Bewegung auf und folglich auch das damit verbundene Geräusch. Boethus versichert, daß er keineswegs Anaxagoras meistern wolle, meint aber, das Zischen der kleinsten Theile müsse man wohl aufgeben, die zitternde Bewegung und das Herumtreiben derselben im Sonnenschein sey schon hinreichend. Die Luft macht den Körper und die Substanz der Stimme aus; ist sie also ruhig und beständig, so läßt sie auch die Theile und Schwingungen des Schalls gerade, ungetheilt und ohne Hinderniß fortgehen und befördert deren Verbreitung. Windstille ist dem Schalle günstig, Erschütterung der Luft aber zuwider. Die Bewegung in der Luft verhindert, daß von einer Stimme artikulirte und ausgebildete Töne zu den Ohren gelangen, ob sie gleich immer von einer starken und vielfachen ihnen etwas zuzuführen pflegt. Die Sonne, dieser große und mächtige Beherrscher des Himmels, bringt auch die kleinsten Theile der Luft in Bewegung, und sobald er sich zeigt, erregt und belebt er alle Wesen. -- (Auszug aus Kaltwassers Uebersetzung; Humboldt hat die alte französische Uebersetzung des Amyot ausgezogen. Anm. des Herausgebers). 38 CORTES behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber mit gekrümmten Hauern und Längsstreifen auf dem Rücken geschossen. Sollte es dort verwilderte europäische Schweine gehen? 39 Im Gesammtausdruck der Züge, nicht der Stirne nach. _ 40 Culex pipiens_. Dieser Unterschied zwischen _Mosquito_ (kleine Mücke, _Simulium_) und _Zancudo_ (Schnake, _Culex_) besteht in allen spanischen Colonien. Das Wort _Zancudo_ bedeutet »Langfuß,« _qui tiene las zancas largas_. 41 »Die früh auf sind,« _temprano_. 42 Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im stündlichen Wechsel des Luftdrucks. 43 Der europäische _Culex pipiens_ meidet das Gebirgsland nicht, wie die Culexarten der heißen Zone Amerikas. GIESECKE wurde in Disco in Grönland unter dem 70. Breitegrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 300--400 Toisen Meereshöhe bei einer mittleren Temperatur von 11--12° vor. 44 Weniger als 15°,2 und 16° Reaumur. Das ist die mittlere Temperatur von Montpellier und Rom. 45 Diese Gefräßigkeit, diese Blutgier bei kleinen Insekten, die sonst von Pflanzensäften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. »Was fräßen die Thiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen?« sagen oft die Creolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer bedeckte Krokodile und behaarte Affen gibt. 46 Bei dieser Gelegenheit soll nur daran erinnert werden, daß der Cubikfuß 2,985,984 Cubiklinien enthält. EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Der Raudal von Garcita. -- Maypures. -- Die Katarakten von Quittuna. -- Der Einfluß des Vichada und Zama. -- Der Fels Aricagua. -- Siquita. Unsere Pirogue lag im *Puerto de arriba*, oberhalb des Katarakts von Atures, dem Einfluß des Rio Cataniapo gegenüber; wir brachen dahin auf. Auf dem schmalen Wege, der zum Landungsplatze führt, sahen wir den Pic Uniana zum letztenmal. Er erschien wie eine über dem Horizont der Ebenen aufsteigende Wolke. Die Guahibos-Indianer ziehen am Fuß dieser Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vichada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Fluß die Felsen bei der Höhle von Ataruipe; wir hatten aber nicht Zeit, diese Grabstätte des ausgestorbenen Stammes der Atures zu besuchen. Wir bedauerten dieß um so mehr, da Pater Zea nicht müde wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Höhle, von den großen Gefäßen aus gebrannter Erde, in welchen je die Gebeine einer Familie zu liegen scheinen, und von vielen andern merkwürdigen Dingen zu erzählen, so daß wir uns vornahmen, dieselben auf der Rückreise vom Rio Negro in Augenschein zu nehmen. »Sie werden es kaum glauben,« sagte der Missionär, »daß diese Gerippe, diese bemalten Töpfe, diese Dinge, von denen wir meinten, kein Mensch in der Welt wisse davon, mir und meinem Nachbar, dem Missionär von Carichana, Unglück gebracht haben. Sie haben gesehen, wie elend ich in den Raudales lebe, von den Moskitos gefressen, oft nicht einmal Bananen und Manioc im Hause! Und dennoch habe ich Neider in diesem Lande gefunden. Ein Weißer, der auf den Weiden zwischen dem Meta und dem Apure lebt, hat kürzlich der *Audiencia* in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Missionär von Carichana gefunden, unter den Gräbern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa Fe de Bogota haben zum voraus gewußt, daß die Gesellschaft werde aufgehoben werden; da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefäße bei Seite schaffen wollen und dieselben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoco geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Raudales zu Verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Obern mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, persönlich zu erscheinen. Wir mußten ganz umsonst eine Reise von hundert fünfzig Meilen machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menschengebeine, Marder und vertrocknete Fledermäuse; man ernannte mit großer Wichtigkeit Commissäre, die sich hieher begeben und an Ort und Stelle inspiciren sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sey. Aber wir können lange auf die Commissäre warten. Wenn sie auf dem Orinoco bis San Borja heraufkommen, werden sie vor den Moskitos Angst bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (_nube de moscas_), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen.« Diese Geschichte des Missionärs wurde uns später in Angostura aus dem Munde des Statthalters vollkommen bestätigt. Zufällige Umstände geben zu den seltsamsten Vermuthungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europäischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstücken, Rosenkränzen und Glaswaaren. Man vermuthete, die Gegenstände haben portugiesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para angehört, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoco über Trageplätze und die Flußverbindungen im Innern nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seyen den Seuchen, die in den Raudales so häufig sind, erlegen und ihre Kisten den Indianern in die Hände gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besaßen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Mährchen von einem versteckten Schätze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, sogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die französischen Akademiker bei der Messung des Meridians errichtet, für ein _Inca pilca_, das heißt für ein Werk des Inca gilt, so kann am Orinoco jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat, als Kapuziner und Observanten, dessen Reichthum und dessen Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr übertrieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa Fe verhaftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge besitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluß, die Schätze seyen allerdings vorhanden gewesen, aber treuen Indianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoco bis zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugniß beibringen, aus dem unzweifelhaft hervorgeht, daß der Vicekönig von Neu-Grenada die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vicente Orosco, ein spanischer Genieofficier, erzählte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Centurion den Auftrag gehabt, die Missionäre in Carichana zu verhaften und dabei sey ihnen eine indianische Pirogue begegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem fruchtlosem Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fe residirende Superior der Gesellschaft die Missionäre am Orinoco von den Verfolgungen benachrichtigte, welche die Jesuiten in Neu-Grenada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Regierung, deren Befehle mit unnöthiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurden. Acht Indianer von Atures hatten unsere Pirogue durch die Raudales geschafft; sie schienen mit dem mäßigen Lohne, der ihnen gereicht wurde [kaum 30 Sous der Mann], gar wohl zufrieden. Das Geschäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuständen und dem Darniederliegen des Handels in den Missionen am Orinoco zu geben, merke ich hier an, daß der Missionar in drei Jahren, außer den Fahrzeugen, welche der Commandant von San Carlos am Rio Negro jährlich nach Angostura schickt, um die Löhnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fünf Piroguen vom obern Orinoco, die zur Schildkröteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Canoes sah. Am 17. April. Nach dreistündigem Marsch kamen wir gegen eilf Uhr Morgens bei unserem Fahrzeug an. Pater Zea ließ mit unsern Instrumenten den wenigen Mundvorrath einschiffen, den man für die Reise, die er mit uns fortsetzen sollte, hatte auftreiben können: ein paar Bananenbüschel, Manioc und Hühner. Dicht am Landungsplatz fuhren wir am Einfluß des Cataniapo vorbei, eines kleinen Flusses, an dessen Ufern, drei Tagereisen weit, die Macos oder Piaroas hausen, die zur großen Familie der Salivas-Völker gehören. Wir haben oben Gelegenheit gehabt, ihre Gutmüthigkeit und ihre Neigung zur Landwirthschaft zu rühmen. Im Weiterfahren fanden wir den Orinoco frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir über den Raudal von Garcita, dessen Stromschnellen bei Hochwasser leicht zu überwinden sind. Im Osten kommt die kleine Bergkette Cumadaminari zum Vorschein, die aus Gneiß, nicht aus geschichtetem Granit besteht. Auffallend war uns eine Reihe großer Löcher mehr als 180 Fuß über dem jetzigen Spiegel des Orinoco, die dennoch vom Wasser ausgewaschen scheinen. Wir werden später sehen, daß diese Erscheinung beinahe in derselben Höhe an den Felsen neben den Katarakten von Maypures und 50 Meilen gegen Ost beim Einfluß des Rio Jao vorkommt. Wir übernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Insel Tomo. Die Nacht war schön und hell, aber die Moskitoschicht nahe am Boden so dick, daß ich mit dem Nivellement des künstlichen Horizonts nicht fertig werden konnte und um die Sternbeobachtung kam. Ein Quecksilberhorizont wäre mir auf dieser Reise von großem Nutzen gewesen. Am 18. April. Wir brachen um drei Uhr Morgens auf, um desto sicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen *Raudal de Guahibos* bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einfluß des Rio Tomo an; die Indianer lagerten sich am Ufer, um ihr Essen zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen fünf Uhr Abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Strömung hinaufzukommen und eine Wassermasse zu überwinden, die sich von einer mehrere Fuß hohen Gneißbank stürzt. Ein Indianer schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften theilt; man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Pirogue nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auftreiben können, aus. Zu unserer Ueberraschung sahen wir, daß auf dem natürlichen Wehr, über das sich der Strom stürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen. Der Gneißfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 4 Fuß tief und 18 Zoll weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Körper entstanden zu seyn. Unser Standpunkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unser Begleiter, der Missionar, bekam seinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durst zu löschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen kühlenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Grenadillen oder Früchten der Passionsblumen, von den Spaniern _Parchas_ genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüssigkeiten mischen konnte, so goß man mit einer _Tutuma_ (Frucht der _Crescentia Cujete_) Flußwasser in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der sauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das fast eine Schwelgerei am unwirthbaren Ort; aber der Drang des Bedürfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer. Nachdem wir unsern Durst gelöscht, hatten wir große Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Felsdamm, auf dem wir standen, und bemerkten, daß er in seinem obern Theile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getöse des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwähne dieser kleinen Umstände, einmal weil sie unsere Art zu reisen lebendig schildern, und dann weil sie allen, die große Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umständen im Leben sich Genuß verschaffen kann. Nach einer Stunde Harrens sahen wir endlich die Pirogue über den Raudal heraufkommen. Man lud die Instrumente und Vorräthe wieder ein und wir eilten vom Felsen der Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß ist 800 Toisen breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts schief darüber fahren, an einem Punkt, wo das Wasser, weil das Bett stärker fällt, dem Wehr zu, über das es sich stürzt, mit großer Gewalt hinunterzieht. Wir wurden von einem Gewitter überrascht, bei dem zum Glück kein starker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Diese Augenblicke der Spannung kamen uns gewaltig lang war. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wenn sie in einer verfänglichen Lage zu seyn glauben. Indessen verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an. Die Gewitter unter den Tropen sind eben so kurz als heftig. Zwei Blitzschläge waren ganz nahe an unserer Pirogue gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich führe diesen Fall an, weil man in diesen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektrisch geladen sind, stehen so hoch, daß der Blitz seltener in den Boden schlage als in Europa. Die Nacht war sehr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durchnäßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unschlüssig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unsern Weg zu Fuß fortsetzen sollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Missionär ist, wollte durchaus noch nach Hause kommen; Er hatte angefangen sich durch die Indianer in der Mission ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu lassen. »Sie finden dort,« meinte er naiv, »dieselbe Bequemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Bank, aber Sie hätten nicht so viel von den Mücken zu leiden; denn so unverschämt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluß.« Wir folgten dem Rath des Missionärs und er ließ Copalfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, drei Zoll dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glätte Felsbänke und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf Baumstämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt (der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unser Gefährte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamm über den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr besorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinuntergefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich ziemlich fertig auf spanisch ausdrückte, ermangelte nicht, davon zu sprechen, daß wir leicht von Ottern, Wasserschlangen und Tigern angegriffen werden könnten. Solches ist eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man Nachts mit den Eingeborenen unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem europäischen Reisenden Angst einjagen, sich nothwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste Bursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie überall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschiedenem Stand und Bildungsgrad mit einander verkehren. Unter dem absoluten und hie und da etwas quälerischen Regiment der Mönche sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder physischen und geistigen Schwäche sind. Da wir in der Mission *San Jose de Maypures* in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Orts doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf; man hörte nichts als das Geschrei der Nachtvögel und das ferne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brausen eines Wasserfalls etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Jose Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt als Atures. Der Raudal von Maypures, von den Indianern *Quittuna* genannt, entsteht, wie alle Wasserfälle, durch den Widerstand den der Fluß findet, indem er sich durch einen Felsgrat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Orts kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem Generalgouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß sich der Raudal umgehen und die Schifffahrt bedeutend erleichtern ließe, wenn man zwischen zwei Nebenflüssen des Orinoco, in einem Thal, das früher das Strombett gewesen zu seyn scheint, einen Canal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Calitamini, zwischen den Quellen der Flüsse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieser Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, nämlich am östlichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen sich die Berge in einem Bogen zurück und bilden, wie eine felsigte Küste, eine nach Südwest offene Bucht. Zwischen dem Einfluß des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses großartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt. Gegenwärtig fließt der Orinoco am Fuß der östlichen Bergkette. Vom westlichen Landstrich hat er sich ganz weggezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum dreißig Fuß über dem mittleren Wasserstand, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstämmen die kleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Hütten. Im trockenen Grund, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz ähnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco im verlassenen Strombett westlich von Maypures mit den Inseln Ouvitari und Camanitamini verglich, die östlich von der Mission gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gegend, das inselhafte Ansehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegensten Hügel, die Löcher, welche das Wasser im Felsen Oco ausgespült zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (25--30 Toisen hoch) wie die Höhlungen an der Insel Ouvitari gegenüber -- alle diese Umstände zusammen beweisen, daß diese ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Wasser stand. Das Wasser bildete hier wahrscheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieser Damm durchbrochen wurde, erschien die Grasflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses umgebene Insel. Man kann annehmen, der Orinoco habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem Fels, der darin steht, den Keri-Grund nennen wollen; erst als das Wasser allmälig fiel, zog es sich ganz gegen die östliche Kette und ließ den westlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren schwarze Farbe ohne Zweifel von Eisen- und Manganoxyden herrührt, scheinen die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen. Man findet dieselben auf allem Gestein, weit weg von der Mission, und sie weisen darauf hin, daß hier einst das Wasser gestanden. Geht man den Fluß hinauf, so ladet man die Fahrzeuge am Einfluß des Toparo in den Orinoco aus und übergibt sie den Eingeborenen, die den Raudal so genau kennen, daß sie für jede Staffel einen besondern Namen haben. Sie bringen die Canoes bis zum Einfluß des Cameji, wo die Gefahr für überstanden gilt. Der Katarakt von Quittuna oder Maypures stellt sich in den zwei Zeitpunkten, in denen ich denselben beim Hinab- und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Bilde dar. Er besteht, wie der von Mapara oder Atures, aus einem Archipel von Inseln, die auf einer Strecke von 3000 Toisen das Strombett verstopfen, und aus Felsdämmen zwischen diesen Inseln. Die berufensten unter diesen Dämmen oder natürlichen Wehren sind: *Purimarimi*, *Manimi* und der *Salto de la Sardina* (der Sardellensprung). Ich nenne sie in der Ordnung, wie ich sie von Süd nach Nord auf einander folgen sah. Die letztere dieser drei Staffeln ist gegen neun Fuß hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen prachtvollen Fall. Aber, ich muß das wiederholen: das Getöse, mit dem die Wasser niederstürzen, gegen einander stoßen und zerstäuben, hängt nicht sowohl von der absoluten Höhe jeder Staffel, jedes Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Strudel, von der Stellung der Inseln und Klippen am Fuß der Raudalitos oder partiellen Fälle, von der größeren oder geringeren Weite der Kanäle, in denen das Fahrwasser oft nur 20--30 Fuß breit ist. Die östliche Hälfte der Katarakten von Maypures ist weit gefährlicher als die westliche, weßhalb auch die indianischen Steuerleute die Canoes vorzugsweise am linken Ufer hinauf- und hinabschaffen. Leider liegt bei niedrigem Wasser dieses Ufer zum Theil trocken, und dann muß man die Piroguen *tragen*, das heißt auf Walzen oder runden Baumstämmen schleppen. Wir haben schon oben bemerkt, daß bei Hochwasser (aber nur dann) der Raudal von Maypures leichter zu passiren ist als der von Atures. Um diese wilde Landschaft in ihrer ganzen Großartigkeit mit Einem Blicke zu umfassen, muß man sich auf den Hügel Manimi stellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Missionskirche aus der Savane aufsteigt und nichts ist als eine Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht sich nicht satt an diesem außerordentlichen Schauspiel in einem der entlegensten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felsen erreicht, so liegt auf einmal, eine Meile weit, eine Schaumfläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmassen eisenschwarz aufragen. Die einen sind, je zwei und zwei beisammen, abgerundete Massen, Basalthügeln ähnlich; andere gleichen Thürmen, Castellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düstere Färbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wasserschaums ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kräftiger Bäume bewachsen. Vom Fuß dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strom, und über den weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Diese großartigen Gewächse -- wie nennt man sie? Ich glaube es ist der _Vadgiai_, eine neue Art der Gattung _Oreodoxa_, deren Stamm über 80 Fuß hoch ist. Die einen Federbusch bildenden Blätter dieser Palme sind sehr glänzend und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde nimmt sich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darüber, bald bricht sich der Strahl der untergehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhüllt. Farbige Bogen bilden sich, verschwinden und erscheinen wieder, und im Spiel der Lüfte schwebt ihr Bild über der Fläche. Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal geäußert: weder die Zeit, noch der Anblick der Cordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexico haben den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Katarakten auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer Landschaften, deren Hauptreize strömende Wasser und ein kräftiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über einer Dunstschicht emporragen. Es ist mit den großartigen Naturscenen, wie mit dem Höchsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und sich unser Lebenlang in unsere Empfindung mischen, so oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt. Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigenthümlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächse mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser Anblick hat für den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederstürzt, so denkt er sich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Wasserfälle sich mischt, wo am düstern, nebligten Tage die Wolken in das Thal herunter steigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Festländer unter den Tropen hat die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die selbst da sich nicht verläugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hindernissen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inseln, in pflanzenlosen Wüsten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit sehr abweichender Strahlung ruht. Der Hügel Manimi bildet die östliche Grenze einer Ebene, aus der man dieselben, für die Geschichte der Vegetation, das heißt ihrer allmähligen Entwicklung auf nackten, kahlen Bodenstrecken wichtigen Erscheinungen beobachtet, wie wir sie oben beim Raudal von Atures beschrieben. In der Regenzeit schwemmt das Wasser Dammerde aus dem Granitgestein zusammen, dessen kahle Bänke wagerecht daliegen. Diese mit den schönsten, wohlriechendsten Gewächsen geschmückten Landeilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich schwer zugänglichen Klippen wächst die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen. An einem Platz, wo wir Tags zuvor gebadet hatten, am Fuß des Felsen Manimi, schlugen die Indianer eine sieben und einen halben Fuß lange Schlange todt, die wir mit Muße untersuchen konnten. Die Macos nannten sie _Camudu_; der Rücken hatte auf schön gelbem Grunde theils schwarze, theils braungrüne Querstreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein schönes, nicht giftiges Thier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 15 Fuß lang wird. Ich hielt den Camudu Anfangs für eine Boa, sah aber zu meiner Ueberraschung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen getheilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein *Python* des neuen Continents; ich sage vielleicht, denn große Naturforscher (CUVIER) scheinen anzunehmen, daß alle Pythons der alten, alle Boas der neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius(47) eine afrikanische und südeuropäische Schlange war, so hätte DAUDIN wohl die amerikanischen Boas Pythons und die indischen Pythons Boas nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheuern Reptil, das Menschen, sogar große Vierfüßer packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Küste von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen ist, so gewöhnt man sich doch nur schwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit südlicheren Völkern entlehnt), keine _Boa constrictor_ geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur nicht durch neue Vorschläge zur Abänderung vermehren, und bemerke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Colonisten in Guyana, doch die Missionäre und die *latinisirten* Indianer in den Missionen [S. Bd. II. Seite 24] ganz gut die _Traga Venadas_ (Zauberschlangen, ächte Boas mit einfachen Afterschuppen) von den _Culebras de agua_, den dem Camudu ähnlichen Wasserottern (Pythons mit doppelten Afterschuppen), unterscheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querstreifen, sondern eine Kette rautenförmiger oder sechseckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trockenen Orten, andere lieben das Wasser, wie die Pythons oder _Culebras de agua_. Geht man nach Westen, so sieht man die runden Hügel oder Eilande im verlassenen Orinocoarm mit denselben Palmen bewachsen, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Einer dieser Felsen, der sogenannte Keri, ist im Lande berühmt wegen eines weißen, weithin glänzenden Flecks, in dem die Eingeborenen ein Bild des Vollmonds sehen wollen. Ich konnte die steile Felswand nicht erklimmen, wahrscheinlich aber ist der weiße Fleck ein mächtiger Quarzknoten, wie zusammenscharende Gänge sie im Granit, der in Gneiß übergeht, häufig bilden. Gegenüber dem Keri oder *Mondfelsen*, am Zwillingshügel Ouivitari, der ein Eiland mitten in den Katarakten ist, zeigen einem die Indianer mit geheimnißvoller Wichtigkeit einen ähnlichen weißen Fleck. Derselbe ist scheibenförmig, und sie sagen, es sey das Bild der Sonne, Camosi. Vielleicht hat die geographische Lage dieser beiden Dinge Veranlassung gegeben, sie so zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camosi gegen Aufgang. Da die Sprachen die ältesten geschichtlichen Denkmäler der Völker sind, so haben die Sprachforscher die Aehnlichkeit des amerikanischen Wortes _Camosi_ mit dem Worte _Camosch_, das in einem semitischen Dialekt ursprünglich Sonne bedeutet zu haben scheint, sehr auffallend gefunden. Diese Aehnlichkeit hat zu Hypothesen Anlaß gegeben, die mir zum wenigsten sehr gewagt scheinen.(48) Der Gott der Moabiter, Chamos oder Camosch, der den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Ammianus Marcellinus sprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Wintersolstitium; was will man aber aus einer einzelnen, zufälligen Lautähnlichkeit in Sprachen schließen, die sonst nichts mit einander gemein haben? Betrachtet man die Namen der von den spanischen Mönchen gestifteten Missionen, so irrt man sich leicht hinsichtlich der Bevölkerungselemente, mit denen sie gegründet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jesuiten, als sie diese Dörfer erbauten, Maypures-Indianer, aber die Mission Maypures selbst wurde nicht mit Indianern dieses Namens gegründet, vielmehr mit Guipunabis-Indianern, die von den Ufern des Irinida stammen und nach der Sprachverwandtschaft, sammt den Maypures, Cabres, Avani und vielleicht den Parent, demselben Zweig der Orinocovölker angehören. Zur Zeit der Jesuiten war die Mission am Raudal von Maypures sehr ansehnlich; sie zählte 600 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevölkerung auf weniger als 60 herabgesunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in diesem Theile von Südamerika die Cultur seit einem halben Jahrhundert zurückgegangen ist, während wir jenseits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000--3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures sind ein sanftmüthiges, mäßiges Volk, das sich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoco haben nicht den wüsten Hang zu geistigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomacos, Jaruros, Achaguas und Caraiben berauschen sich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der _Chiza_ und so mancher andern gegohrenen Getränke, die sie aus Manioc, Mais und zuckerhaltigen Palmfrüchten zu bereiten wissen; die Reisenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und sehr erschöpft schienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müssen erst länger in diesen Ländern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbreiten, die unter den Indianern an den Küsten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Eingeborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man denselben in den Häusern der Missionäre selten begegnet. Sie bauen Bananen und Manioc, aber keinen Mais. Siebzig bis achtzig Pfund Manioc in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brod, kosten sechs Silberrealen, ungefähr vier Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoco haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getränke, das im Lande sehr berühmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Mission, am Ufer des Auvana wild wächst. Dieser Baum ist der Seje; ich habe an Einer Blüthentraube 44,000 Blüthen geschätzt; der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fleischigte Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vom Fleische trennt, das zuckersüß ist, und sofort in einem großen Gefäß mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelblichte Flüssigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man setzt manchmal _Papelon_ oder Rohzucker zu. Der Missionar versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo sie Seje-Saft trinken, sichtlich fetter; sie brocken Cassavekuchen hinein. Die _Piaches_, oder indianischen Gaukler, gehen in die Wälder und blasen unter der Sejepalme auf dem _Botuto_ (der heiligen Trompete). »Dadurch«, sagen sie, »wird der Baum gezwungen im folgenden Jahr reichen Ertrag zu geben.« Das Volk bezahlt für diese Ceremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei uns, Schamanen, Marabouts und andere Arten von Priestern dafür bezahlt, daß sie mit Zaubersprüchen oder Gebeten die weißen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren. »_Tengo en mi pueblo la fabrica de loza._« (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und führte uns zu einer indianischen Familie, die beschäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, zwei und einen halben Fuß hohe Thongefäße zu brennen. Dieses Gewerbe ist den verschiedenen Zweigen des großen Volksstamms der Maypures eigenthümlich und sie scheinen dasselbe seit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menschlichen Wohnsitz, stößt man, wenn man den Boden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Liebhaberei für diese Arbeit scheint früher unter den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas gleich verbreitet gewesen zu seyn. Im Norden von Mexico, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekischen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miamis, in Florida und überall, wo sich Spuren einer alten Cultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geschirren. Und höchst auffallend ist die durchgängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und solche civilisirten Völker, die durch ihre staatlichen und religiösen Einrichtungen dazu verurtheilt sind, immer nur sich selbst zu copiren, (49) treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen zu wiederholen, an einem eigenthümlichen Typus oder Styl festzuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nordamerika wurden Steingutscherben an den Befestigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgestorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unsern Augen Verzierungen, ganz wie wir sie in der Höhle von Ataruipe auf den Gefäßen gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind. Es sind wahre »_‘Grecques’_« Mäanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen, und von einem großen vierfüßigen Thier, von dem ich nicht wußte, was es vorstellen soll, das aber immer dieselbe plumpe Gestalt hat. Ich könnte bei dieser Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elephantenrüssel gedenken, den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexicanischen Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypothese aufstellen, das große vierfüßige Thier auf den Töpfen der Maypures gehöre einem andern Lande an und der Typus desselben habe sich auf der großen Wanderung der amerikanischen Völker von Nordwest nach Süd und Südost in der Erinnerung erhalten; wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich stützenden Vermuthungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoco haben einen Tapir vorstellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimischen Thiers sey einer der Typen geworden, die sich forterben. Oft hat nur Ungeschick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar ernsthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nachahmung zu Grunde. Am geschicktesten führen die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach combinirten Linien aus, wie wir sie auf den großgriechischen Vasen, auf den mexicanischen Gebäuden in Mitla und auf den Werken so vieler Völker sehen, die, ohne daß sie mit einander in Verkehr gestanden, eben gleiches Vergnügen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unser Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder bestehen, in rhythmischer Folge an einander gereiht sind. Das Auge verhält sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wiederkehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Aufeinanderfolge von Tönen und Accorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den Rhythmus schon beim ersten Morgenroth der Cultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt? Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und arbeiten mit den Händen die größten Gefäße aus; Der amerikanische Indianer weiß nichts von der Töpferscheibe, die sich bei den Völkern des Orients aus dem frühesten Alterthum herschreibt. Man kann sich nicht wundern, daß die Missionäre die Eingeborenen am Orinoco nicht mit diesem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man bedenkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den Indianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen ist.[S. Bd. I. Seite 273] Die Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und rother Ocker, der in Höhlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der _Bignonia Chica_ an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firniß von _Algarobo_, dem durchsichtigen Harz der _Hymenaea Courbaril_. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der _Chiza_ heißen _Ciamacu_, die kleineren _Mucra_, woraus die Spanier an der Küste _Murcura_ gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoco nicht allein von den Maypures, sondern auch von den Guaypunabis, Caraiben, Otomacos und selbst von den Guamos, daß sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon ORELLANA fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas aus, die zu seiner Zeit ein zahlreiches, handeltreibendes Volk waren. Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas Anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwärts von den Alleghanis, besonders zwischen dem Ohio und den großen canadischen Seen, findet man im Boden fast überall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dieß erscheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die sich vom Aequator bis zum achten Grad nördlicher Breite, das heißt vom Fuße der Anden bis zum atlantischen Meer ausdehnen, findet man dasselbe bemalte Töpfergeschirr an den einsamsten Orten; aber es kommen damit nur künstlich durchbohrte Aexte aus Nephrit und anderem hartem Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeuge oder Schmucksachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Küste und auf dem Rücken der Cordilleren Gold und Kupfer zu schmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von schneidenden Werkzeugen zu legiren verstand. Woher rührt dieser scharfe Gegensatz zwischen der gemäßigten und der heißen Zone? Die peruanischen Incas hatten ihre Eroberungen und Religionskriege bis an den Napo und den Amazonenstrom ausgedehnt, und dort hatte sich auch ihre Sprache auf einem beschränkten Landstrich verbreitet; aber niemals scheint die Cultur der Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neu-Grenada auf den moralischen Zustand der Völker von Guyana irgend einen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Noch mehr: in Nordamerika, zwischen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Systematiker von den Tolteken und Azteken abstammen lassen möchten, aus Erde, zuweilen sogar aus Steinen(50) ohne Mörtel zehn bis fünfzehn Fuß hohe und sieben bis achttausend Fuß lange Mauern gebaut. Diese räthselhaften Ringwälle und Ringmauern umschließen oft gegen 150 Morgen Land. Bei den Niederungen am Orinoco, wie bei den Niederungen an der Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittelpunkt einer alten Cultur westwärts auf dem Rücken der Gebirge; aber der Orinoco und die Länder zwischen diesem großen Fluß und dem Amazonenstrom scheinen niemals von Völkern bewohnt gewesen zu seyn, deren Bauten dem Zahn der Zeit widerstanden hätten. Sieht man dort auch symbolische Figuren ins härteste Felsgestein eingegraben, so hat man doch südlich vom achten Breitengrade bis jetzt nie weder einen Grabhügel, noch einen Ringwall, noch Erddämme gefunden, wie sie weiter nordwärts auf den Ebenen von Barinas und Canagua vorkommen. Solches ist der Gegensatz zwischen den östlichen Stücken der beiden Amerika, zwischen denen, die sich von der Hochebene von Cundinamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das atlantische Meer ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neu-Spanien gegen die Alleghanis hinstreichen. In der Cultur vorgeschrittene Völker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den *Casas grandes* am Rio Gila entgegen treten, mochten einzelne Stämme gegen Ost in die offenen Fluren am Missouri und Ohio vorschieben, wo das Klima nicht viel anders ist als in Neu-Mexico; aber in Südamerika, wo die große Völkerströmung von Nord nach Süd ging, konnten Menschen, die schon so lange auf dem Rücken der tropischen Cordilleren einer milden Temperatur genossen, keine Lust haben, in die glühend heißen, mit Urwald bedeckten, periodisch von den Flüssen überschwemmten Ebenen niederzusteigen. Man sieht leicht, wie in der heißen Zone die Ueberfülle des Pflanzenwuchses, die Beschaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen der Eingeborenen in starken Haufen beschränkten, Niederlassungen, die eines weiten freien Raumes bedürfen, nicht aufkommen ließen, das Elend und die Versunkenheit der vereinzelten Horden verewigten. Heutzutage geht die schwache Cultur, wie die spanischen Mönche sie eingeführt, wieder rückwärts. PATER GILI berichtet, zur Zeit der Grenzexpedition habe der Ackerbau am Orinoco angefangen Fortschritte zu machen; das Vieh, besonders die Ziegen hatten sich in Maypures bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieser Mission, noch sonst in einem Dorfe am Orinoco mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefressen. Nur die schwarzen und weißen Schweine (letztere heißen französische Schweine, _puercos franceses_ weil man glaubt, sie seyen von den Antillen gekommen) haben trotz der reißenden Thiere ausgedauert. Mit großem Interesse sahen wir um die Hütten der Indianer _‘Guacamayas’_ oder zahme Aras, die auf den Feldern herumflogen wie bei uns die Tauben. Es ist dieß die größte und prächtigste Papagaienart mit nicht befiederten Wangen, die wir aus unsern Reisen angetroffen. Sie mißt mit dem Schwanz 2 Fuß 3 Zoll, und wir haben sie auch am Atabapo, Temi und Rio Negro gefunden. Das Fleisch des _Cahuei_ -- so heißt hier der Vogel -- das häufig gegessen wird, ist schwarz und etwas hart. Diese Aras, deren Gefieder in den brennendsten Farben, purpurroth, blau und gelb, schimmert, sind eine große Zierde der indianischen Hühnerhöfe. Sie stehen an Pracht den Pfauen, Goldfasanen, Pauxis und Alectors nicht nach. Die Sitte, Papagaien, Vögel aus einer dem Hühnergeschlecht so ferne stehenden Familie aufzuziehen, war schon CHRISTOPH COLUMBUS aufgefallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, daß die Eingeborenen auf den Antillen statt Hühner Aras oder große Papagaien aßen. Beim kleinen Dorfe Maypures wächst ein prächtiger, über 60 Fuß hoher Baum, den die Colonisten _‘Frutta de Burro’_ nennen. Es ist eine neue Gattung _Unona_, die den Habitus von AUBLETs _Uvaria Zeylandica_ hat und die ich früher _Uvaria febrifuga_ benannt hatte. Ihre Zweige sind gerade und stehen pyramidalisch aufwärts, fast wie bei der Pappel vom Mississippi, fälschlich italienische Pappel genannt. Der Baum ist berühmt, weil seine aromatischen Früchte, als Ausguß gebraucht, ein wirksames Fiebermittel sind. Die armen Missionare am Orinoco, die den größten Theil des Jahres am dreitägigen Fieber leiden, reisen nicht leicht, ohne ein Säckchen mit _fruttas de Burro_ bei sich zu führen. Unter den Tropen braucht man meist lieber aromatische Mittel, z. B. sehr starken Kaffee, _Croton Cascarilla_ oder die Fruchthülle unserer Unona, als die adstringirenden Rinden der _Cinchona_ und der _Bonplandia trifoliata_ welch letztere die China von Angostura ist. Das amerikanische Volk hat ein tief wurzelndes Vorurtheil gegen den Gebrauch der verschiedenen Chinaarten, und in dem Lande, wo dieses herrliche Heilmittel wächst, sucht man die Fieber durch Aufgüsse von _Scoparia dulcis_ _‘abzuschneiden’_, oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Citrone, deren Rinde öligt und aromatisch zugleich ist. Das Wetter war astronomischen Beobachtungen nicht günstig; indessen erhielt ich doch am 20. April eine gute Reihe eorrespondirender Sonnenhöhen, nach denen der Chronometer für die Mission Maypures 70° 37′ 33″ Länge ergab; die Breite wurde durch Beobachtung eines Sterns gegen Norden gleich 59° 13′ 57″ gefunden. Die neuesten Karten sind in der Länge um 1/2 Grad, in der Breite um 1/4 Grad unrichtig. Wie mühsam und qualvoll diese nächtlichen Beobachtungen waren, vermöchte ich kaum zu beschreiben. Nirgends war die Moskitowolke so dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuß über dem Boden gleichsam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je näher man gegen den künstlichen Horizont hinleuchtete. Die meisten Einwohner von Maypures gehen aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den Katarakten, wo es weniger Insekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer stand bei Nacht auf 27 und 29°, bei Tag auf 30°. Am 19. April fand ich um zwei Uhr Nachmittags einen losen, grobkörnigen Granitsand 60°,3 [48°,2 Reaumur, Gräser von frischestem Grün wuchsen in diesem Sand], einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granitsand 52°,5 heiß; die Temperatur eines kahlen Granitfelsen war 47°,6. Zu derselben Stunde zeigte der Thermometer 8 Fuß über dem Boden im Schatten 29°,6, in der Sonne 36°,2. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38°,8, die Luft 28°,6, das Wasser des Orinoco im Raudal, an der Oberfläche, 27°,6, das Wasser einer schönen Quelle, die hinter dem Haus der Missionare aus dem Granit kommt, 27°,8. Es ist dieß vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inclination der Magnetnadel in Maypures betrug 31°,10, also 1°,15 weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt. Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tag im kleinen Dorfe Maypures neben dem obern großen Katarakt schifften wir uns um zwei Uhr Nachmittags in derselben Pirogue wieder ein, die der Missionär von Carichana uns überlassen; sie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Schiffsleute ziemlich beschädigt; aber ihrer warteten noch größere Fahrlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 36,000 Fuß weit geschleppt werden, sie mußte über den Cassiquiare wieder in den Orinoco herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudales. Man untersuchte Boden und Seitenwände der Pirogue und meinte, sie sey stark genug, die lange Reise auszuhalten. Sobald man über die großen Katarakten weg ist, befindet man sich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den cultivirten Küstenstrichen und den wilden, unbekannten Ländern im Innern gezogen zu haben scheint. Gegen Ost in blauer Ferne zeigte sich zum letztenmale die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer wagerechter Kamm erinnert an die Gestalt der Mesa im Bergantin bei Cumana, nur endigt sie mit einem abgestutzten Kegel. Der Pic Calitamini (so heißt dieser Gipfel) ist bei Sonnenuntergang wie von röthlichem Feuer bestrahlt, und zwar einen Tag wie den andern. Kein Mensch ist je diesem Berge nahe gekommen, der nicht über 600 Toisen hoch ist.(51) Ich glaube, dieser gewöhnlich röthliche, zuweilen silberweiße Schimmer ist ein Reflex von großen Talgblättern oder von Gneiß, der in Glimmerschiefer übergeht. Das ganze Land besteht hier aus Granitgestein, dem da und dort, auf kleinen Ebenen, unmittelbar ein thonigter Sandstein mit Quarztrümmern und Brauneisenstein aufgelagert ist. Auf dem Wege zum Landungsplatz fingen wir auf einem Heveastamm [Einer der Bäume, deren Milch Cautschuc gibt.] eine neue, durch ihre schöne Färbung ausgezeichnete Froschart. Der Bauch war gelb, Rücken und Kopf schön sammtartig purpurfarb; ein einziger ganz schmaler weißer Streif lief von der Spitze des Mauls zu den Hinterbeinen. Der Frosch war zwei Zoll lang, nahe verwandt der _Rana tinctoria_, deren Blut (wie man behauptet), wenn man es Papagaien da, wo man ihnen Federn ausgerauft, in die Haut einreibt, macht, daß die neuen gelben oder rothen Federn scheckigt werden. Den Weg entlang zeigten uns die Indianer etwas, was hier zu Land allerdings sehr merkwürdig ist, Räderspuren im Gestein. Sie sprachen, wie von einem unbekannten Geschöpf, von den Thieren mit großen Hörnern, welche zur Zeit der Grenzexpedition die Fahrzeuge durch das Thal des Keri vom Rio Toparo zum Rio Cameji gezogen, um die Katarakten zu umgehen und die Mühe des Umladens zu ersparen. Ich glaube, diese armen Einwohner von Maypures wunderten sich jetzt beim Anblick eines Ochsen von castilischer Race, wie die Römer über die _‘lucanischen Ochsen’_ (die Elephanten im Heere des Pyrrhus). Wenn man durch das Thal des Keri einen Canal zöge, der die kleinen Flüsse Cameji und Toparo vereinigte, brauchten die Piroguen nicht mehr durch die Raudales zu gehen. Auf diesem ganz einfachen Gedanken beruht der Plan, den ich im ersten Entwurf durch den Generalcapitän von Caracas, Guevara Basconzelos, der spanischen Regierung habe vorlegen lassen. Beim Katarakt von Maypures sind die Bodenverhältnisse so günstig, wie man sie bei Atures vergeblich suchte. Der Canal würde 2850 oder 1360 Toisen lang, je nachdem man ihn nahe an der Mündung der beiden Flüßchen oder weiter ihren Quellen zu anfangen ließe. Das Terrain scheint im Durchschnitt von Süd Süd Ost nach Nord Nord West um 6--7 Toisen zu fallen, und im Thal des Keri ist der Boden ganz eben, mit Ausnahme eines kleinen Kamms oder einer Wasserscheide, welche im Parallel der Kirche von Maypures die beiden Nebenflüsse des Stromes nach entgegengesetzten Seiten laufen läßt. Die Ausführung dieses Plans wäre durchaus nicht kostspielig, da die Landenge größtentheils aus angeschwemmtem Boden besteht, und Pulver hätte man dabei gar nicht nöthig. Dieser Canal, der nicht über zehn Fuß breit zu seyn brauchte, wäre als ein schiffbarer Arm des Orinoco zu betrachten. Es bedürfte keiner Schleuße, und die Fahrzeuge, die in den obern Orinoco gehen, würden nicht mehr wie jetzt durch die Reibung an den rauhen Klippen im Raudal beschädigt; man zöge sie hinauf, und da man die Waaren nicht mehr auszuladen brauchte, würde viel Zeit erspart. Man hat die Frage erörtert, wozu der von mir in Vorschlag gebrachte Canal dienen sollte. Hier ist die Antwort, die ich im Jahr 1801 auf meiner Reise nach Quito dem Ministerium ertheilt habe: »Auf den Bau eines Canals bei Maypures und eines andern, von dem in der Folge die Rede seyn wird, lege ich nur in der Voraussetzung Gewicht, daß die Regierung sich mit Handel und Gewerbfleiß am obern Orinoco ernstlich beschäftigen wollte. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, da, wie es scheint, die Ufer des majestätischen Stromes gänzlich vernachlässigt bleiben sollen, wären Canäle allerdings so gut wie überflüssig.« Nachdem wir uns im *Puerto de arriba* eingeschifft, gingen wir mit ziemlicher Beschwerde über den Raudal de Cameji; diese Stelle gilt bei sehr hohem Wasserstand für gefährlich. Jenseits des Raudals fanden wir den Strom spiegelglatt. Wir übernachteten auf einer felsigten Insel, genannt Piedra Raton; sie ist gegen dreiviertel Meilen lang, und auch hier wiederholt sich die interessante Erscheinung einer in der Entwicklung begriffenen Vegetation, jener zerstreuten Gruppen von Buschwerk auf ebenem Felsboden, wovon schon öfters die Rede war. Ich konnte in der Nacht mehrere Sternbeobachtungen machen und fand die Breite der Insel gleich 5° 4′ 51″, ihre Länge gleich 70° 57′. Ich konnte die im Strom reflektirten Sternbilder benützen; obgleich wir uns mitten im Orinoco befanden, war die Moskitowolke so dick, daß ich nicht die Geduld hatte, den künstlichen Horizont zu richten. Am 22. April. Wir brachen anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang auf. Der Morgen war feucht, aber herrlich; kein Lüftchen ließ sich spüren, denn südlich von Atures und Maypures herrscht beständig Windstille. Am Rio Negro und Cassiquiare, am Fuß des Cerro Duida in der Mission Santa Barbara hörten wir niemals das Rauschen des Laubs, das in heißen Ländern einen ganz eigenthümlichen Reiz hat. Die Krümmungen des Stroms, die schützenden Berge, die undurchdringlichen Wälder und der Regen, der einen bis zwei Grade nördlich vom Aequator fast gar nicht aussetzt, mögen diese Erscheinung veranlassen, die den Missionen am Orinoco eigenthümlich ist. In dem unter südlicher Breite, aber eben so weit vom Aequator gelegenen Thal des Amazonenstroms erhebt sich alle Tage, zwei Stunden nach der Culmination der Sonne, ein sehr starker Wind. Derselbe weht immer gegen die Strömung und wird nur im Flußbett selbst gespürt. Unterhalb San Borja ist es ein Ostwind; in Tomependa fand ich ihn zwischen Nord und Nord Nord Ost. Es ist immer die Brise, der von der Umdrehung der Erde herrührende Wind, der aber durch kleine örtliche Verhältnisse bald diese, bald jene Richtung bekommt. Mit diesem beständigen Wind segelt man von Gran Para bis Tefe, 750 Meilen weit, den Amazonenstrom hinauf. In der Provinz Jaen de Bracamoros, am Fuß des Westabhangs der Cordilleren, tritt dieser vom atlantischen Meere herkommende Wind zuweilen als ein eigentlicher Sturm auf. Wenn man auf das Flußufer zugeht, kann man sich kaum auf den Beinen halten; so auffallend anders sind die Verhältnisse am obern Orinoco und am obern Amazonenstrom. Sehr wahrscheinlich ist es diesem beständig wehenden Winde zuzuschreiben, daß der Amazonenstrom so viel gesunder ist. In der stockenden Luft am obern Orinoco sind die chemischen Affinitäten eingreifender und es entwickeln sich mehr schädliche Miasmen. Die bewaldeten Ufer des Amazonenstroms wären eben so ungesund, wenn nicht der Fluß, gleich dem Niger, seiner ungeheuren Länge nach von West nach Ost, also in der Richtung der Passatwinde, gerade fortliefe. Das Thal des Amazonenstroms ist nur an seinem westlichen Ende, wo es der Cordillere der Anden nahe rückt, geschlossen. Gegen Ost, wo der Seewind auf den neuen Continent trifft, erhebt sich das Gestade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantischen Meeres. Der obere Orinoco läuft Anfangs von Ost nach West, und dann von Nord nach Süd. Da wo sein Lauf dem des Amazonenstroms ziemlich parallel ist, liegt zwischen ihm und dem atlantischen Meer ein sehr gebirgiges Land, der Gebirgsstock der Parime und des holländischen und französischen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erst vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoco von West nach Ost über eine weite, dem atlantischen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieses Stromstück ist daher auch nicht so ungesund als der obere Orinoco. Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenstromes an. Derselbe behält, wie der Amazonenstrom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist ungünstig, weil sie nicht mit der des Seewinds zusammenfällt, sondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoco. Vom Canal Mahates bis Honda, namentlich südlich von der Stadt Mompox, spürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die sehr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als ungemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windstille aufhört, wenn man im obern Stromlauf dem Gebirge näher kommt; aber es erscheint erklärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftströmungen herrühren. Kalte Luftsäulen stürzen von den *Nevadas* von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die untern Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe schneebedeckter Gebirge örtliche Luftströmungen. Jene sehr starken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Passatwinde zurückgeworfen würden; sie entstehen vielmehr da, wohin der Seewind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Bäumen bewachsenen Berge am obern Orinoco höher wären, so würden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichtsstörungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von Peru, Abyssinien und Tibet beobachten. Dieser genaue ursachliche Zusammenhang zwischen der Richtung der Ströme, der Höhe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Bewegungen der Atmosphäre und der Salubrität des Klima verdient die größte Aufmerksamkeit. Wie ermüdend und unfruchtbar wäre doch das Studium der Erdoberfläche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Gesichtspunkten aufgefaßt würde! Sechs Meilen von der Insel Piedra Raton kam zuerst ostwärts die Mündung des Rio Sipapo, den die Indianer Tipapu nennen, dann westwärts die Mündung des Rio Vichada. In der Nähe der letzteren bilden Felsen ganz unter Wasser einen kleinen Fall, einen _‘Raudalito’_. Der Rio Sipapo, den PATER GILI im Jahr 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter ist als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im südlichen Theil trägt dieselbe den Namen des Flusses und verbindet sich mit dem Bergstock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pic von Duida, der über der Mission Esmeralda aufsteigt, schienen mir die Cerros de Sipapo die höchsten in der ganzen Cordillere der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die schroff aus der Ebene aussteigt und deren von Süd Süd Ost nach Nord Nord West gerichteter Kamm ausgezackt ist. Ich denke, aufgethürmte Granitblöcke bringen diese Einschnitte, diese Auszackung hervor, die man auch am Sandstein des Montserrat in Catalonien beobachtet. Jede Stunde war der Anblick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnenaufgang gibt der dichte Pflanzenwuchs den Bergen die dunkelgrüne, ins Bräunlichte spielende Farbe, wie sie Landstrichen eigen ist, wo Bäume mit lederartigen Blättern vorherrschen. Breite, scharfe Schatten fallen über die anstoßende Ebene und stechen ab vom glänzenden Licht, das auf dem Boden, in der Luft und auf der Wasserfläche verbreitet ist. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Sonne das Zenith erreicht, verschwinden diese kräftigen Schatten allmählig und die ganze Kette hüllt sich in einen leisen Dust, der weit satter blau ist als der niedrige Strich des Himmelsgewölbes. In diesem um den Felskamm schwebenden Dust verschwimmen halb die Umrisse, werden die Lichteffekte gedämpft, und so erhält die Landschaft das Gepräge der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken CLAUDE LORRAINs und POUSSINs, aus der Harmonie zwischen Form und Farbe entspringt. Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit seiner kriegerischen Horde von den Ebenen zwischen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die Indianer versicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachse in Menge der _‘Vehuco de Maimure’_. Dieses Schlinggewächs ist den Indianern sehr wichtig, weil sie Körbe und Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo sind völlig unbekannt, und die Missionäre versetzen hieher das Volk der _‘Rayas’_,(52) »die den Mund am Nabel haben.« Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der sich rühmte oft Menschenfleisch gegessen zu haben, hatte diese kopflosen Menschen »mit eigenen Augen« gesehen. Diese abgeschmackten Mährchen haben sich auch in den Llanos verbreitet, und dort ist es nicht immer gerathen, die Existenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsstrichen ist Unduldsamkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte meinen, die Hirngespinnste der alten Erdbeschreiber seyen aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wüßte, daß die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie die Naturbildungen, überall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit zeigen. Bei der Mündung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die Pflanzen des Landstrichs zu untersuchen. Die Gegend ist höchst merkwürdig; der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei auf der Ebene. Es sind prismatische Steinmassen und sie sehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe Thürmchen aus. Die einen sind von den Bäumen des Waldes beschattet, bei andern ist der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felsen sind Granit, der in Gneiß übergeht. Befände man sich hier nicht im Bereich des Urgebirgs, man glaubte sich in die Felsen von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantasie in Franken versetzt. Sandstein und secundärer Kalkstein können keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des Vichada sind die Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit Moosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von _Cladonia pyxidata_ und _Lichen rangiferinus_, die im nördlichen Europa so häufig vorkommen. Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine hundert Toisen über dem Meer, unter dem fünften Breitegrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man so lange glaubte, daß keine kryptogamischen Gewächse in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen feuchten Ortes beträgt wahrscheinlich über 26 Grad des hunderttheiligen Thermometers. In Betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns über das schöne Grün der Wälder. Dieser Umstand ist für das obere Orinocothal charakteristisch; an der Küste von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter(53) ab und man sieht am Boden nur gelbes, vertrocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden Felsen wuchsen mehrere große Stämme Säulencactus (_Cactus septemangularis_), was südlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine große Seltenheit ist. Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von _Laurus cinnamomoides_ anzutreffen, eines sehr gewürzreichen Zimmtbaumes, der am Orinoco unter dem Namen _‘Varimacu’_ und _‘Canelilla’_ bekannt ist.(54) Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und östlich von den großen Katarakten vor. Der Jesuit FRANCISCO DE OLMA scheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Missionar GILI, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede ist, scheint den *Varimacu* oder *Guarimacu* mit der Myristica oder dem amerikanischen Muskatbaum zu verwechseln. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimmt, die Muskatnuß, _Myrtus Pimenta_ und _Laurus pucheri_ wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Gewürze und Wohlgerüche Ostindiens gewöhnt gewesen wäre. Der Zimmt vom Orinoco und der aus den Missionen der Andaquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neu-Grenada eingeführt hat, sind übrigens weniger gewürzhaft als der Ceylonzimmt, und wären solches selbst dann, wenn sie ganz so getrocknet und zubereitet würden. Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewächsen, und es erklärt sich keineswegs aus der Verschiedenheit der Klimate, warum das tropische Afrika keine Laurineen, die neue Welt keine Heidekräuter hervorbringt, warum es in der südlichen Halbkugel keine Calceolarien gibt, warum auf dem indischen Festlande das Gefieder der Vögel nicht so glänzend ist wie in den heißen Landstrichen Amerikas, endlich warum der Tiger nur Asien, das Schnabelthier nur Neuholland eigen ist? Die Ursachen der Vertheilung der Arten im Pflanzen- wie im Thierreich gehören zu den Räthseln, welche die Naturphilosophie nicht zu lösen im Stande ist. Mit dem Ursprung der Wesen hat diese Wissenschaft nichts zu thun, sondern nur mit den Gesetzen, nach denen die Wesen über den Erdball vertheilt sind. Sie untersucht das, was ist, die Pflanzen- und Thierbildungen, wie sie unter jeder Breite, in verschiedenen Höhen und bei verschiedenen Wärmegraden neben einander vorkommen; sie erforscht die Verhältnisse, unter denen sich dieser oder jener Organismus kräftiger entwickelt, sich vermehrt oder sich umwandelt; aber sie rührt nicht an Fragen, die unmöglich zu lösen sind, weil sie mit der Herkunft, mit dem Uranfang eines Lebenskeimes zusammenhängen. Ferner ist zu bemerken, daß die Versuche, die Vertheilung der Arten auf dem Erdball allein aus dem Einfluß der Klimate zu erklären, einer Zeit angehören, wo die physische Geographie noch in der Wiege lag, wo man fortwährend an vermeintlichen Gegensätzen beider Welten festhielt und sich vorstellte, ganz Afrika und Amerika gleichen den Wüsten Egyptens und den Sümpfen Cayennes. Seit man den Sachverhalt nicht nach einem willkührlich angenommenen Typus, sondern nach positiven Kenntnissen beurtheilt, weiß man auch, daß die beiden Continente in ihrer unermeßlichen Ausdehnung Bodenstücke mit völlig übereinstimmenden Naturverhältnissen aufzuweisen haben. Amerika hat so dürre und glühend heiße Landstriche als das innere Afrika. Die Inseln, welche die indischen Gewürze erzeugen, zeichnen sich keineswegs durch Trockenheit aus, und die Feuchtigkeit des Klimas ist durchaus nicht, wie in neueren Werken behauptet wird, die Ursache, warum auf dem neuen Continent die schönen Laurineen- und Myristiceenarten nicht vorkommen, die im indischen Archipel in einem kleinen Erdwinkel neben einander wachsen. Seit einigen Jahren wird in mehreren Ländern des neuen Continents der ächte Zimmtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landstrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, _Myrtus pimenta_, der Tolubalsam, _Myroxylon peruvianum_, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (_Gaultheria odorata_), der Incienso der Silla von Caracas [_Trixis nereifolia_. S. Bd. II Seite 183], der Quereme, die Pancratium-Arten und so viele herrliche Lilienarten wachsen, kann nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem ist Trockenheit der Luft der Entwicklung aromatischer und reizender Eigenschaften nur bei gewissen Pflanzenarten förderlich. Die heftigsten Gifte werden im feuchtesten Landstrich Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltenden tropischen Regen gedeiht der amerikanische Pfeffer (_capsicum baccatum_) am besten, dessen Frucht häufig so scharf und beißend ist als der ostindische Pfeffer. Aus diesen Betrachtungen geht Folgendes hervor: 1) Der neue Continent besitzt sehr starke Gewürze, Arome und vegetabilische Gifte, die ihm allein angehören, sich aber specifisch von denen der alten Welt unterscheiden; 2) die ursprüngliche Vertheilung der Arten in der heißen Zone ist allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der Vertheilung der Wärme, wie sie im gegenwärtigen Zustand unseres Planeten stattfindet, nicht zu erklären, aber diese Verschiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organischer Typus sich an der einen Oertlichkeit kräftiger entwickelt als an der andern. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und Palmen, daß sie wegen ihres innern Baus und der Wichtigkeit gewisser Organe unmöglich sehr kalten Landstrichen angehören können; wir vermögen aber nicht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melastomeen nördlich vom dreißigsten Breitegrad wächst, warum keine einzige Rosenart der südlichen Halbkugel angehört. Häufig sind auf beiden Continenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugnisse gleichartig wären. Der Rio Vichada (Vichada), der bei seinem Zusammenfluß mit dem Orinoco einen kleinen Raudal hat, schien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus Westen kommenden Flüssen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermuthe sie mit denen des Tomo auf den Ebenen südwärts von Casimena. Wenigstens ist wohl nicht zweifelhaft, daß die frühesten Missionen an den Ufern des Vichada von Jesuiten aus den Missionen am Casanare gegründet worden sind. Noch in neuester Zeit sah man flüchtige Indianer von Santa Rosalia de Cabapuna, einem Dorf am Meta, über den Rio Vichada an den Katarakt von Maypures kommen, was darauf hinweist, daß die Quellen desselben nicht sehr weit vom Meta seyn können. Pater GUMILLA hat uns die Namen mehrerer deutscher und spanischer Jesuiten aufbewahrt, die im Jahr 1734 an den jetzt öden Ufern des Vichada von der Hand der Caraiben als Opfer ihres religiösen Eifers fielen. Nachdem wir zuerst gegen Ost am Caño Pirajavi, sodann gegen West an einem kleinen Fluß vorübergekommen, der nach der Aussage der Indianer aus einem See Namens Nao entspringt, übernachteten wir am Ufer des Orinoco, beim Einfluß des Zama, eines sehr ansehnlichen Flusses, der so unbekannt ist als der Rio Vichada. Trotz des schwarzen Wassers des Zama hatten wir viel von den Insekten auszustehen. Die Nacht war schön; in den niedern Luftregionen wehte kein Lüftchen, aber gegen zwei Uhr sahen wir dicke Wolken rasch von Ost nach West durch das Zenith gehen. Als sie beim Niedergehen gegen den Horizont vor die großen Nebelflecken im Schützen oder im Schiff traten, erschienen sie schwarzblau. Die Nebelflecken sind nie lichtstärker, als wenn sie zum Theil von Wolkenstreifen bedeckt sind. Wir beobachten in Europa dieselbe Erscheinung an der Milchstraße, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht strahlt, endlich bei Sonnenauf- und Untergang an dem Stück des Himmels, das weiß wird aus Ursachen, welche die Physik noch nicht gehörig ermittelt hat. Kein Mensch kennt den weiten Landstrich zwischen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf eine Meile vom Ufer. Man glaubt, daß hier wilde Indianer vom Stamm der Chiricoas hausen, die glücklicherweise keine Canoes bauen. Früher, als noch die Caraiben und ihre Feinde, die Cabres, mit ihren Geschwadern von Flößen und Piroguen hier umherzogen, wäre es unvorsichtig gewesen, an der Mündung eines Flusses zu übernachten, der aus Westen kommt. Gegenwärtig, da die kleinen Niederlassungen der Europäer die unabhängigen Indianer von den Ufern des obern Orinoco verdrängt haben, ist dieser Landstrich so öde, daß uns von Carichana bis Javita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo auf einer Stromfahrt von 180 Meilen nicht ein einziges Fahrzeug begegnete. Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Flußsystem, das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben *schwarzes Wasser* (_aguas negras_), das heißt, ihr Wasser, in großen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun oder grünlich schwarz, und doch sind es die schönsten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwähnt, daß die Krokodile und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskitos fast überall die schwarzen Wasser meiden. Das Volk behauptet ferner, diese Wasser bräunen das Gestein nicht, und die weißen Flüsse haben schwarze, die schwarzen Flüsse weiße Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Europäer unter dem Namen *Rio Negro* kennen, häufig blendend weiße Quarzmassen aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiß, das des Atabapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser _‘schwarzen Flüsse’_ kräuselt, so erscheinen sie schön wiesengrün wie die Schweizer Seen. Im Schatten sind der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Diese Erscheinungen sind so auffallend, daß die Indianer aller Orten die Gewässer in schwarze und weiße eintheilen. Erstere haben mir häufig als künstlicher Horizont gedient; sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurück. Die Farbe des Quellwassers, Flußwassers und Seewassers gehört zu den physikalischen Problemen, die durch unmittelbare Versuche schwer oder gar nicht zu lösen sind. Die Farben bei reflektirtem Licht sind meist ganz andere als bei durchgehendem, besonders wenn es durch eine große Masse Flüssigkeit durchgeht. Fände keine Absorption der Strahlen statt, so hätte das durchgehende Licht immer die Farbe, welche die complementäre des reflektirten Lichtes wäre, und meist beurtheilt man bei einem Wasser in einem nicht tiefen Glase mit enger Oeffnung das durchgehende Licht falsch. Bei einem Flusse gelangt das reflektirte farbige Licht immer von den innern Schichten der Flüssigkeit zu uns, nicht von der obersten Schicht derselben. Berühmte Physiker, welche das reinste Gletscherwasser untersucht haben, so wie das, welches aus mit ewigem Schnee bedeckten Bergen entspringt, wo keine vegetabilischen Reste sich in der Erde finden, sind der Meinung, die eigenthümliche Farbe des Wassers möchte blau oder grün seyn. In der That ist durch nichts erwiesen, daß das Wasser von Natur weiß ist und immer ein Farbstoff im Spiele seyn muß, wenn dasselbe, bei reflektirtem Licht gesehen, eine Färbung zeigt. Wo Flüsse wirklich einen färbenden Stoff enthalten, ist derselbe meist in so geringer Menge, daß er sich jeder chemischen Untersuchung entzieht. Die Färbung des Meeres scheint häufig weder von der Beschaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhängen. Ein großer Physiker, DAVY, soll der Ansicht seyn, die verschiedene Färbung der Meere könnte daher rühren, daß das Jod in verschiedenen Verhältnissen darin enthalten ist. Aus den alten Erdbeschreibern ersehen wir, daß bereits den Griechen die blauen Wasser der Thermopylen, die rothen bei Joppe, die schwarzen der heißen Bäder von Astyra, Lesbos gegenüber, aufgefallen waren. Manche Flüsse, z. B. die Rhone bei Genf, haben eine entschieden blaue Farbe. Das Schneewasser in den Schweizeralpen soll zuweilen smaragdgrün seyn, in wiesengrün übergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru sind bräunlich, ja fast schwarz. Die meisten dergleichen Farbenerscheinungen kommen bei Gewässern vor, welche für die reinsten gelten, und man wird sich vielmehr an auf Analogien gegründete Schlüsse als an die unmittelbare Analyse halten müssen, um über diesen noch sehr dunkeln Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flußsystem, das wir bereist -- und dieser Umstand scheint mir sehr auffallend -- kommen die _‘schwarzen Wasser’_ vorzugsweise nur in dem Strich in der Nähe des Aequators vor. Um den fünften Grad nördlicher Breite fängt man an sie anzutreffen, und sie sind über den Aequator hinaus bis gegen den zweiten Grad südlicher Breite sehr häufig. Die Mündung des Rio Negro liegt sogar unter dem 3° 9′ der Breite; aber auf diesem ganzen Landstrich kommen in den Wäldern und auf den Grasfluren weiße und schwarze Wasser dergestalt unter einander vor, daß man nicht weiß, welcher Ursache man die Färbung des Wassers zuschreiben soll. Der Cassiquiare, der sich in den Rio Negro ergießt, hat weißes Wasser wie der Orinoco, aus dem er entspringt. Von zwei Nebenflüssen des Cassiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, ist der eine weiß, der andere schwarz. Fragt man die Indianer nach den Ursachen dieser sonderbaren Färbung, so lautet ihre Antwort, wie nicht selten auch in Europa, wenn es sich von physischen und physiolologischen Fragen handelt: sie wiederholen das Faktum mit andern Worten. Wendet man sich an die Missionäre, so sprechen sie, als hätten sie die strengsten Beweise für ihre Behauptung, »das Wasser färbe sich, wenn es über Sarsaparillewurzeln laufe.« Die Smilaceen sind allerdings am Rio Negro, Pacimony und Cababury sehr häufig, und ihre Wurzeln geben in Wasser eingeweicht einen braunen, bittern, schleimigten Extraktivstoff; aber wie viele Smilaxbüsche haben wir an Orten gesehen, wo die Wasser ganz weiß sind! Wie kommt es, daß wir im sumpfigten Wald, durch den wir unsere Pirogue vom Rio Tuamini zum Caño Pimichin und an den Rio Negro schleppen mußten, auf demselben Landstrich jetzt durch Bäche mit weißem, jetzt durch andere mit schwarzem Wasser wateten? Warum hat man niemals einen Fluß gefunden, der seiner Quelle zu weiß und im untern Stück seines Laufes schwarz war? Ich weiß nicht, ob der Rio Negro seine braungelbe Farbe bis zur Mündung behält, obgleich ihm durch den Cassiquiare und den Rio Blanco sehr viel weißes Wasser zufließt. Da LA CONDAMINE den Fluß nordwärts vom Aequator nicht sah, konnte er vom Unterschied in der Farbe nicht urtheilen. Die Vegetation ist wegen der Regenfülle ganz in der Nähe des Aequators allerdings kräftiger als 8--10 Grad gegen Nord und gegen Süd; es läßt sich aber keineswegs behaupten, daß die Flüsse mit schwarzem Wasser vorzugsweise in den dichtesten, schattigsten Wäldern entspringen. Im Gegentheil kommen sehr viele _aguas negras_ aus den offenen Grasfluren, die sich vom Meta jenseits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Reise, die ich zur Zeit der Ueberschwemmung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guyaquil nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es mir auf, daß die weiten Savanen am *Invernadero del Carzal* und am *Lagartero* ganz ähnlich gefärbt waren wie der Rio Negro und der Atabapo. Diese zum Theil seit drei Monaten unter Wasser stehenden Grasfluren bestehen aus Paspalum, Eriochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in vier bis fünf Fuß tiefem Wasser; dasselbe war bei Tag 33--34 Grad warm; es roch stark nach Schwefelwasserstoff, was ohne Zweifel zum Theil von den faulenden Arum- und Heliconienstauden herrührte, die auf den Lachen schwammen. Das Wasser des Lagartero sah bei durchgehendem Licht goldgelb, bei reflektirtem kaffeebraun aus. Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohltem Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Düngerwasser, das unsere Gärtner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfließt. Läßt sich demnach nicht annehmen, daß auch die schwarzen Flüsse, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserstoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivstoff gefärbt werden? Der starke Regen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grasfilz sickert. Ich gebe diese Gedanken nur als Vermuthung. Die färbende Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten; denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden läßt, sah ich es nicht braun werden wie andere Flüssigkeiten, welche viel Kohlenwasserstoff enthalten. Es erscheint übrigens sehr merkwürdig, daß diese _‘schwarzen Wasser’_, von denen man glauben sollte, sie seyen auf die Niederungen der heißen Zone beschränkt, gleichfalls, wenn auch sehr selten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Königreich Quito von drei Bächen umgeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Yanuncai. Die zwei ersteren sind weiß, letzterer hat schwarzes Wasser. Dasselbe ist, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektirtem, blaßgelb bei durchgehendem Licht. Es ist sehr schön, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweise trinken, schreiben die Farbe ohne weiteres der Sarsaparille zu, die am Rio Yanuncai sehr häufig wachsen soll. Am 23. April. Wir brachen von der Mündung des Zama um drei Uhr Morgens auf. Auf beiden Seiten lief fortwährend dicker Wald am Strom hin. Die Berge im Osten schienen immer weiter wegzurücken. Wir kamen zuerst am Einfluß des Rio Mataveni, und dann an einer merkwürdig gestalteten Insel vorbei. Ein viereckigter Granitfels steigt wie eine Kiste gerade aus dem Wasser empor; die Missionäre nennen ihn el Castillito. Aus schwarzen Streifen daran sollte man schließen, daß der Orinoco, wenn er anschwillt, an dieser Stelle nicht über 8 Fuß steigt, und daß die hohen Wasserstände, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenflüssen herrühren, die nördlich von den Katarakten von Atures und Maypures hereinkommen. Wir übernachteten am rechten Ufer, der Mündung des Rio Siucurivapu gegenüber, bei einem Felsen, der Aricagua heißt. In der Nacht kamen zahllose Fledermäuse aus den Felsspalten und schwirrten um unsere Hängematten. Ich habe früher von dem Schaden gesprochen, den diese Thiere unter den Heerden anrichten. Sie vermehren sich besonders stark in sehr trockenen Jahren. Am 24. April. Ein starker Regen zwang uns, schon sehr früh Morgens die Pirogue wieder zu besteigen. Wir fuhren um zwei Uhr ab und mußten einige Bücher zurücklassen, die wir in der finstern Nacht auf dem Felsen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom läuft ganz gerade von Süd nach Nord; die Ufer sind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Wäldern beschattet. Wir kamen an den Mündungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorüber. Gegen vier Uhr Abends stiegen wir bei den _‘Conucos de Siquita’_ aus, Pflanzungen von Indianern aus der Mission San Fernando. Die guten Leute hätten uns gern behalten, aber wir fuhren weiter gegen den Strom, der in der Secunde fünf Fuß zurücklegt. Dieß ist das Ergebniß einer Messung, bei der ich die Zeit schätzte, die ein schwimmender Körper braucht, um eine gegebene Strecke zurückzulegen. Wir liefen bei finsterer Nacht in die Mündung des Guaviare ein, fuhren über den Zusammenfluß des Atabapo mit dem Guaviare hinaus und langten nach Mitternacht in der Mission an. Wir erhielten unsere Wohnung, wie immer, im Kloster, das heißt im Hause des Missionärs, der von unserem unerwarteten Besuch höchlich überrascht war, uns aber nichts desto weniger mit der liebenswürdigsten Gastlichkeit aufnahm. ------------------ 47 War es _Coluber Elaphis_ oder _Coluber Aesculapii_ oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getödtet worden? 48 Im Jahr 1806 erschien in Leipzig ein Buch unter dem Titel: _Untersuchungen, über die von Humboldt am Orinoco entdeckten Spuren der phönicischen Sprache_. 49 Die Hindus, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Egypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massencultur die freie Entwicklung der Geistesthätigkeit in den Individuen niederhielt. 50 Aus kieselhaltigem Kalkstein in Pique am großen Miami, aus Sandstein am Paint Creek zehn Meilen von Chillicothe, wo die Mauer 1500 Toisen lang ist. 51 Er erscheint in Maypures unter einem Winkel von 1 Grad 27 Minuten. * 52 Rochen*, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fisch dieses Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt scheint. 53 In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom Aequator Sommer heißt. 54 Diminutiv des spanischen Worts _Canela_, das _Cinnamomum_ (_Kinnamomon_ der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort gehört zu den wenigen, die seit dem höchsten Alterthum aus dem Phönicischen (einer semitischen Sprache) in die abendländischen Sprachen übergegangen sind. ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. San Fernando de Atabapo. -- San Baltasar. -- Die Flüsse Temi und Tuamini. -- Javita. -- Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro. Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewässer des Orinoco verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten aussprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. »Sie müssen,« sagte uns der Präsident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, »zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der starken Strömung der *schwarzen Wasser* nicht mehr weiter kommen, so führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wüsten Landstrich zwischen Orinoco und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Pirogue vier Tagereisen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Südost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann den Cassiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist über den obern Orinoco (von Ost nach West) wieder nach San Fernando.« Diesen Plan entwarf man uns für unsere Flußfahrt, und wir führten ihn, nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in drei und dreißig Tagen aus. Die Krümmungen in diesem Flußlabyrinth sind so stark, daß man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen könnte. Für diejenigen, welche nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu behaltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoco von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluß des Atabapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieser Strecke die großen Katarakten bildet, daß er endlich vom Einfluß des Apure bis Angostura und zur Seeküste von West nach Ost läuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Lauf von Ost nach West, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoco, der Cassiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Maragnon oder Amazonenstrom fällt. Der natürlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para wäre also den Orinoco hinauf bis Esmeralda, und dann den Cassiquiare, Rio Negro und Amazonenstrom hinunter; da aber der Rio Negro auf seinem oberen Lauf sich sehr den Quellen einiger Flüsse nähert, die sich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoco ergießen (am Punkte, wo der Orinoco aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoco ab, fährt die zusammenhängenden kleinen schwarzen Flüsse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf, und läßt die Pirogue über eine 6000 Toisen breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, ist so kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Cassiquiare herauf 50--60 brauchte. Man kann also über den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoco kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Strömung, des Mangels an Lebensmitteln und der Moskitos gemieden wird. Für französische Leser führe ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, statt auf dem Canal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Flußsysteme verbindet, von den Zuflüssen der Loire zu denen der Seine sein Fahrzeug tragen lassen; er könnte die Nièvre hinauffahren, über eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und sofort die Yonne hinab in die Seine gelangen. Wir werden bald sehen, welche Vortheile es hätte, wenn man über den sumpfigten Landstrich zwischen dem Tuamini und dem Pimichin einen Canal zöge. Käme dieser Plan einmal zur Ausführung, so hätte die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Mission Maroa einige Schwierigkeit; von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoco abwärts. Ueber den Cassiquiare ist der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Hälfte länger als über Javita und den Caño Pimichin. Auf diesem Landstrich, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein astronomisches Werkzeug gekommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhöhen von Gestirnen Länge und Breite von San Balthasar am Atabapo, Javita, San Carlos am Rio Negro, des Felsen Culimacari und der Mission Esmeralda bestimmt; die von mir entworfene Karte hat somit die Zweifel über die gegenseitigen Entfernungen der christlichen Niederlassungen gehoben. Wenn es keinen andern Weg gibt, als auf vielgekrümmten, verschlungenen Gewässern, wenn in dichten Wäldern nur kleine Dörfer stecken, wenn auf völlig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenstand von zwei Punkten zugleich sichtbar ist, kann man nur am Himmel lesen, wo man sich auf Erden befindet. In den wildesten Ländern der heißen Zone fühlt man mehr als anderswo das Bedürfniß astronomischer Beobachtungen. Dieselben sind dort nicht allein nützliche Hülfsmittel, um Karten zu vollenden und zu verbessern: sie sind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerläßlich. Der Missionär von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, führt den Titel eines Präsidenten der Missionen am Orinoco. Die sechs und zwanzig Ordensgeistlichen, die am Rio Negro, Cassiquiare, Atabapo, Caura und Orinoco leben, stehen unter ihm und er seinerseits steht unter dem Gardian des Klosters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier sagt, des _‘Colegio de la purissima Conception de Propaganda Fide’_. Sein Dorf sah etwas wohlhabender aus, als die wir bis jetzt auf unserem Wege angetroffen, indessen hatte es doch nur 266 Einwohner. Ich habe schon öfters bemerkt, daß die Missionen in der Nähe der Küsten, die gleichfalls unter den Observanten stehen, z. B. Pilar, Caigua, Huere und Cupapui, zwischen 800 und 2000 Einwohnern zählen. Es sind größere und schönere Dörfer als in den cultivirtesten Ländern Europas. Man versicherte uns, die Mission San Fernando habe unmittelbar nach der Gründung eine stärkere Bevölkerung gehabt als jetzt. Da wir auf der Rückreise vom Rio Negro noch einmal an den Ort kamen, so stelle ich hier die Beobachtungen zusammen, die wir an einem Punkte des Orinoco gemacht, der einmal für den Handel und die Gewerbe der Colonien von großer Bedeutung werden kann. San Fernando de Atabapo liegt an der Stelle, wo drei große Flüsse, der Orinoco, der Guaviare und der Atabapo sich vereinigen. Die Lage ist ähnlich wie die von St. Louis oder Neu-Madrid am Einfluß des Missouri und des Ohio in den Mississippi. Je größeren Aufschwung der Handel in diesen von ungeheuren Strömen durchzogenen Ländern nimmt, desto mehr werden die Städte, die an zwei Flüssen liegen, von selbst Schiffsstationen, Stapelplätze für die Handelsgüter, wahre Mittelpunkte der Cultur. Pater GUMILLA gesteht, daß zu seiner Zeit kein Mensch vom Laufe des Orinoco oberhalb des Einflusses des Guaviare etwas gewußt habe. Er sagt ferner sehr naiv, er habe sich an Einwohner von Timana und Pasto um einige, noch dazu unsichere Auskunft über den obern Orinoco wenden müssen. Heutzutage erkundigt man sich allerdings nicht in den Anden von Popayan nach einem Flusse, der am Westabhang der Gebirge von Cayenne entspringt. Pater Gumilla verwechselte zwar nicht, wie man ihm Schuld gegeben, die Quellen des Guaviare und die des Orinoco; da er aber das Stück des letzteren Flusses, das von Esmeralda San Fernando zu von Ost nach West gerichtet ist, nicht kannte, so setzt er voraus, man müsse, um oberhalb der Katarakten und der Einmündungen des Vichada und Guaviare den Orinoco weiter hinaufzukommen, sich nach Südwest wenden. Zu jener Zeit hatten die Geographen die Quellen des Orinoco in die Nähe der Quellen des Putumayo und Caqueta an den östlichen Abhang der Anden von Pasto und Popayan gesetzt, also nach meinen Längenbestimmungen auf dem Rücken der Cordilleren und in Esmeralda, 240 Meilen vom richtigen Punkt. Unrichtige Angaben LA CONDAMINEs über die Verzweigungen des Caqueta, wodurch SANSONs Annahmen Bestätigung zu finden schienen, haben Irrthümer verbreiten helfen, die sich Jahrhunderte lang erhalten haben. In der ersten Ausgabe seiner großen Karte von Südamerika (eine sehr seltene Ausgabe, die ich auf der großen Pariser Bibliothek gefunden habe) zeichnete D’ANVILLE den Rio Negro als einen Arm des Orinoco, der vom Hauptstrom zwischen den Einflüssen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von *los Astures* (Atures) abgeht. Diesem großen Geographen war damals die Existenz des Cassiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoco oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entspringen. Erst durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und SOLANOs wurde das wahre Verhältniß bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahr 1756 über die großen Katarakten bis zum Einfluß des Guaviare hinauf. Er sah, daß man, um auf dem Orinoco weiter hinaufzukommen, sich ostwärts wenden müsse, und daß die Wasser des Guaviare, der zwei Meilen weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4′ der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugiesischen Besitzungen so nahe als möglich zu kommen, so entschloß er sich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zusammenfluß des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegerischen Nation der Guaypunabis angesiedelt. Er lockte sie durch Geschenke an sich und gründete mit ihnen die Mission San Fernando, die er, in der Hoffnung sich beim Ministerium in Madrid wichtig zu machen, emphatisch *Villa* betitelte. Um die politische Bedeutung dieser Niederlassung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältnisse zwischen den kleinen Indianerstämmen in Guyana ins Auge fassen. Die Ufer des untern Orinoco waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwischen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Caraiben, gewesen. Letztere, deren eigentliche Wohnsitze seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts zwischen den Quellen des Carony, des Esquibo, des Orinoco und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, sie machten auch Einfälle in die Länder am obern Orinoco, und zwar über die *Trageplätze* zwischen dem Paruspa und dem Caura, dem Eredato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Niemand wußte so gut, wie sich die Flüsse verzweigen, wo die Nebenflüsse zur Hand sind, wie man auf dem kürzesten Wege ans Ziel kommt. Die Caraiben hatten die Cabres geschlagen und beinahe ausgerottet; waren sie jetzt aber Herren am untern Orinoco, so stießen sie auf Widerstand bei den Guaypunabis, die sich am obern Orinoco die Herrschaft errungen hatten und neben den Cabres, Manitivitanos und Parenis die ärgsten Anthropophagen in diesem Landstrich sind. Sie waren ursprünglich am großen Fluß Inirida bei seiner Vereinigung mit dem Chamochiquini und im Gebirgslande von Mabicore zu Hause. Um das Jahr 1744 hieß ihr Häuptling oder, wie die Eingeborenen sagen, ihr _‘Apoto’_ (König), Macapu, ein Mann durch Geisteskraft und Muth gleich ausgezeichnet. Er war mit einem Theil seiner Nation an den Atabapo gekommen, und als der Jesuit Roman seinen merkwürdigen Zug vom Orinoco an den Rio Negro machte, gestattete Macapu, daß der Missionar einige Familien Guaypunabis mitnahm, um sie in Uriana und beim Katarakt von Maypures anzusiedeln. Diese Nation gehört der Sprache nach dem großen Volksstamm der Maypures an; sie ist gewerbfleißiger, man könnte beinahe sagen, civilisirter als die andern Völker am obern Orinoco. Nach dem Bericht der Missionäre waren die Guaypunabis, als sie in diesen Ländern die Herren spielten, fast alle bekleidet und besaßen ansehnliche Dörfer. Nach Macapus Tode ging das Regiment auf einen andern Krieger über, auf Cuseru, von den Spaniern Capitän Cruzero genannt. Er hatte am Inirida Vertheidigungslinien und eine Art Fort aus Erde und Holz angelegt. Die Pfähle waren über sechzehn Fuß hoch und umgaben das Haus des _Apoto_, sowie eine Niederlage von Bogen und Pfeilen. Pater FORNERI beschreibt diese in einem sonst so wilden Lande merkwürdigen Anlagen. Am Rio Negro waren die Stämme der Marepizanas und Manitivitanos die mächtigsten. Die Häuptlinge der ersteren waren ums Jahr 175O zwei Krieger Namens Imu und Cajamu; der König der Manitivitanos war Cocuy, vielberufen wegen seiner Grausamkeit und seiner raffinirten Schwelgerei. Zu meiner Zeit lebte noch seine Schwester in der Nähe der Mission Maypure. Man lächelt, wenn man hört, daß Männer wie Cuseru, Imu und Cocuy hier zu Lande so berühmt sind, wie in Indien die Holkar, Tippo und die mächtigsten Fürsten. Die Häuptlinge der Guaypunabis und Manitivitanos fochten mit kleinen Haufen von zwei bis dreihundert Mann; aber in der langen Fehde verwüsteten sie die Missionen, wo die armen Ordensleute nur fünfzehn bis zwanzig spanische Soldaten zur Verfügung hatten. Horden, wegen ihrer Kopfzahl und ihrer Vertheidigungsmittel gleich verächtlich, verbreiteten einen Schrecken, als wären es Heere. Den Patres Jesuiten gelang es nur dadurch, ihre Missionen zu retten, daß sie List wider Gewalt setzten. Sie zogen einige mächtige Häuptlinge in ihr Interesse und schwächten die Indianer durch Entzweiung. Als Ituriaga und Solano auf ihrem Zuge an den Orinoco kamen, hatten die Missionen von den Einfällen der Caraiben nichts mehr zu befürchten. Cusaru hatte sich hinter den Granitbergen von Sipapo niedergelassen; er war der Freund der Jesuiten; aber andere Völker vom obern Orinoco und Rio Negro, die Matepizanos, Amuizanos und Manitivitanos, fielen unter Imus, Cajamus und Cocuys Führung von Zeit zu Zeit in das Land nordwärts von den großen Katarakten ein. Sie hatten andere Beweggründe zur Feindseligkeit als Haß. Sie trieben *Menschenjagd*, wie es früher bei den Caraiben Brauch gewesen und wie es in Afrika noch Brauch ist. Bald lieferten sie Sklaven (_poitos_) den Holländern oder _Paranaquiri_ (*Meerbewohner*); bald verkauften sie dieselben an die Portugiesen oder _Jaranavi_ (*Musikantensöhne*.)(55) In Amerika wie in Afrika hat die Habsucht der Europäer gleiches Unheil gestiftet; sie hat die Eingebornen gereizt, sich zu bekriegen, um Gefangene zu bekommen [S. Bd. I. Seite 251] Ueberall führt der Verkehr zwischen Völkern auf sehr verschiedenen Bildungsstufen zum Mißbrauch der physischen Gewalt und der geistigen Ueberlegenheit. Phönizien und Karthago suchten einst ihre Sklaven in Europa; heutzutage liegt dagegen die Hand Europas schwer auf den Ländern, wo es die ersten Keime seines Wissens geholt, wie auf denen, wo es dieselben, so ziemlich wider Willen, verbreitet, indem es ihnen die Erzeugnisse seines Gewerbfleißes zuführt. Ich habe hier treu berichtet, was ich über die Zustände eines Landes in Erfahrung bringen konnte, wo die besiegten Völker nach und nach absterben und keine andere Spur ihres Daseyns hinterlassen, als ein paar Worte ihrer Sprache, welche die siegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben gesehen, daß im Norden, jenseits der Katarakten, die Caraiben und die Cabres, südwärts am obern Orinoco die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mächtigsten Nationen waren. Der lange Widerstand, den die unter einem tapfern Führer vereinigten Cabres den Caraiben geleistet, hatte jenen nach dem Jahr 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura geschlagen; eine Menge Caraiben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwischen den Stromschnellen des Torno und der Isla del Infierno erschlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinirten Verschlagenheit und Grausamkeit, wie sie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen ist, ließen sie Einen Caraiben am Leben, der, um Zeuge des barbarischen Auftritts zu seyn, auf einen Baum steigen und sofort den Geschlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrausch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Caraiben kamen in solcher Masse wieder, daß nur kümmerliche Reste der menschenfressenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben. Am obern Orinoco lagen Cocuy und Cuseru im erbittertsten Kampf gegen einander, als Solano an der Mündung des Guaviare erschien. Ersterer hatte für die Portugiesen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jesuiten, that es diesen immer zu wissen, wenn die Manitivitanos gegen die christlichen Niederlassungen in Atures und Carichana im Anzug waren. Cuseru wurde erst wenige Tage vor seinem Tode Christ; er hatte aber im Gefecht an seine linke Hüfte ein Crucifix gebunden, das die Missionäre ihm geschenkt und mit dem er sich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der sich ganz seine wilde Leidenschaftlichkeit ausspricht. Er hatte die Tochter eines indianischen Häuptlings vom Rio Temi geheirathet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen seinen Schwiegervater erklärte er seinem Weibe, er ziehe aus, sich mit ihm zu messen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend stark ihr Vater sey; da nahm Cuseru, ohne ein Wort weiter zu sprechen, einen vergifteten Pfeil und schoß ihr ihn durch die Brust. Im Jahr 1756 versetzte die Ankunft einer kleinen Abtheilung spanischer Truppen unter Solanos Befehl diesen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er stand im Begriff, es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, da gaben ihm die Patres Jesuiten zu verstehen, wie es sein Vortheil wäre, sich mit den Christen zu vertragen. Cuseru speiste am Tisch des spanischen Generals; man köderte ihn mit Versprechungen, namentlich mit der Aussicht, daß man nächstens seinen Feinden den Garaus machen werde. Er war König gewesen, nunmehr ward er Dorfschulze und ließ sich dazu herbei, sich mit den Seinigen in der neuen Mission San Fernando de Atabapos niederzulassen. Ein solch trauriges Ende nahmen meist jene Häuptlinge, welche bei Reisenden und Missionären indianische Fürsten heißen. »In meiner Mission,« sagt der gute Pater GILI, »hatte ich fünf _‘Neyecillos’_ (kleine Könige) der Tamanacos, Avarigotos, Parecas, Quaquas und Maypures. In der Kirche setzte ich alle neben einander auf Eine Bank, ermangelte aber nicht, den ersten Platz Monaiti, dem Könige der Tamanacos, anzuweisen, weil er mich bei der Gründung des Dorfs unterstützt hatte. Er schien ganz stolz auf die Auszeichnung.« Wir sind auch Pater Gili’s Meinung, daß ehemalige, von ihrer Höhe herabgesunkene Gewalthaber selten mit so Wenigem zufrieden zu stellen sind. Als Cuseru, der Häuptling der Guaypunabis, die spanischen Truppen durch die Katarakten ziehen sah, rieth er Don Jose Solano, die Niederlassung am Atabapo noch ein ganzes Jahr aufzuschieben; er prophezeite Unheil, das denn auch nicht ausblieb. »Laßt mich,« sagte Cuseru zu den Jesuiten, »mit den Meinigen arbeiten und das Land umbrechen; ich pflanze Manioc, und so habt ihr später mit so vielen Leuten zu leben.« Solano, in seiner Ungeduld, weiter vorzudringen, hörte nicht auf den Rath des indianischen Häuptlings. Die neuen Ansiedler in San Fernando verfielen allen Schrecknissen der Hungersnoth. Man ließ mit großen Kosten zu Schiff auf dem Meta und dem Vichada Mehl aus Neu-Grenada kommen. Die Vorräthe langten aber zu spät an, und viele Europäer und Indianer erlagen den Krankheiten, die in allen Himmelsstrichen Folgen des Mangels und der gesunkenen moralischen Kraft sind. Man sieht in San Fernando noch einige Spuren von Anbau; jeder Indianer hat eine kleine Pflanzung von Cacaobäumen. Die Bäume tragen vom fünften Jahr an reichlich, aber sie hören damit früher auf als in den Thälern von Aragua. Die Bohne ist klein und von vorzüglicher Güte. Gin _Almuda_, deren zehn auf eine Fanega gehen, kostet in San Fernando 6 Realen, etwa 4 Franken, an den Küsten wenigstens 20--25 Franken; aber die ganze Mission erzeugt kaum 80 Fanegas im Jahr, und da, nach einem alten Mißbrauch, die Missionäre am Orinoco und Rio Negro allein mit Cacao Handel treiben, so wird der Indianer nicht aufgemuntert, einen Culturzweig zu erweitern, von dem er so gut wie keinen Nutzen hat. Es gibt bei San Fernando ein paar Savanen und gute Weiden; man sieht aber kaum sieben oder acht Kühe darauf, Ueberbleibsel der ansehnlichen Heerde, welche die Grenzexpedition ins Land gebracht. Die Indianer sind etwas civilisirter als in den andern Missionen. Zu unserer Ueberraschung trafen wir einen Schmied von der eingeborenen Race. Was uns in der Mission San Fernando am meisten auffiel und was der Landschaft einen eigenthümlichen Charakter gibt, das ist die _‘Pihiguao’_- oder _‘Pirijao’_-Palme. Der mit Stacheln bewehrte Stamm ist über sechzig Fuß hoch; die Blätter sind gefiedert, sehr schmal, wellenförmig und an den Spitzen gekräuselt. Höchst merkwürdig sind die Früchte des Baumes; jede Traube trägt 50 bis 80; sie sind gelb wie Apfel, werden beim Reifen roth, sind zwei bis drei Zoll dick und der Fruchtkern kommt meist nicht zur Entwicklung. Unter den 80--90 Palmenarten, die ausschließlich der neuen Welt angehören und die ich in den _nova genera plantarum aequinoctialium_ aufgezählt, ist bei keiner das Fruchtfleisch so außerordentlich stark entwickelt. Die Frucht des Pirijao enthält einen mehligten, eigelben, nicht stark süßen, sehr nahrhaften Stoff. Man ißt sie wie die Banane und die Kartoffel, gesotten oder in der Asche gebraten; es ist ein eben so gesundes als angenehmes Nahrungsmittel. Indianer und Missionäre erschöpfen sich im Lobe dieser herrlichen Palme, die man die _‘Pfirsichpalme’_ nennen könnte und die in San Fernando, San Balthasar, Santa Barbara, überall, wohin wir nach Süd und Ost am Atabapo und obern Orinoco kamen, in Menge angebaut fanden. In diesen Landstrichen erinnert man sich unwillkührlich der Behauptung LINNÉs, die Palmenregion sey die ursprüngliche Heimath unseres Geschlechts, der Mensch sey eigentlich ein _‘Palmfruchtesser’_.(56) Mustert man die Vorräthe in den Hütten der Indianer, so sieht man, daß mehrere Monate im Jahr die mehligte Frucht des Pirijao für sie so gut ein Hauptnahrungsmittel ist als der Manioc und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahr, aber oft drei Trauben, also 150--200 Früchte. San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Francisco Solano sind die bedeutendsten Missionen am obern Orinoco. In San Fernando, wie in den benachbarten Dörfern San Balthasar und Javita, fanden wir hübsche Pfarrhäuser, mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gärten umgeben. Die schlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unsern Augen die Hauptzierde dieser Pflanzungen. Auf unsern Spaziergängen erzählte uns der Pater Präsident sehr lebhaft von seinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er sprach davon, wie sehr sich die Indianer auf Züge »zur Eroberung von Seelen« freuen; jedermann, selbst Weiber und Greise wollen daran Theil nehmen. Unter dem nichtigen Vorwand, man verfolge Neubekehrte, die aus dem Dorf entlaufen, schleppt man dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und vertheilt sie an die Indianer in den Missionen als Leibeigene oder _Poitos_. Die Reisetagebücher, die Pater BARTHOLOMEO MANCILLA uns gefällig mittheilte, enthalten sehr wichtiges geographisches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüssen des Orinoco die Rede wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Uebersicht dieser Entdeckungen. Hier nur soviel, daß es, nach meinen astronomischen Beobachtungen am Atabapo und auf dem westlichen Abhang der Cordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fernando bis zu den ersten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 107 Meilen ist. Auch versicherten mich Indianer, die früher westlich von der Insel Amanaveni, jenseits des Einflusses des Rio Supavi, gelebt, sie haben auf einer Lustfahrt im Canoe (was die Wilden so heißen) auf dem Guaviare bis über die _Angostura_ (den Engpaß) und den Hauptwasserfall hinauf, in drei Tagereisen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte suchten. Darüber waren die Indianer so erschrocken, daß sie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrscheinlich kamen diese weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da sich die zwei Flüsse Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es ist nicht zu verwundern, daß die Missionare am Orinoco und Atabapo fast keine Ahnung davon haben, wie nahe sie bei den Missionären von Mocoa, am Rio Fragua und Caguan leben. In diesen öden Landstrichen kann man nur durch Längenbeobachtungen die wahren Entfernungen kennen lernen, und nur nach astronomischen Ermittlungen und den Erkundigungen, die ich in den Klöstern zu Popayan und Pasto westwärts von den Cordilleren der Anden eingezogen, erhielt ich einen richtigen Begriff von der gegenseitigen Lage der christlichen Niederlassungen am Atabapo, Guayavero und Caqueta. So bald man das Bett des Atabapo betritt, ist Alles anders, die Beschaffenheit der Luft, die Farbe des Wassers, die Gestalt der Bäume am Ufer. Bei Tage hat man von den Moskitos nicht mehr zu leiden; die Schnaken mit langen Füßen (_zancudos_) werden bei Nacht sehr selten, ja oberhalb der Mission San Fernando verschwinden diese Nachtinsekten ganz. Das Wasser des Orinoco ist trübe, voll erdigter Stoffe, und in den Buchten hat es wegen der vielen todten Krokodile und anderer faulender Körper einen bisamartigen, süßlichten Geruch. Um dieses Wasser trinken zu können, mußten wir es nicht selten durch ein Tuch seihen. Das Wasser des Atabapo dagegen ist rein, von angenehmem Geschmack, ohne eine Spur von Geruch, bei reflektirtem Licht bräunlich, bei durchgehendem gelblich. Das Volk nennt dasselbe »leicht,« im Gegensatz zum trüben, schweren Orinocowasser. Es ist meist um 2°, der Einmündung des Rio Temi zu um 3° kühler als der obere Orinoco. Wenn man ein ganzes Jahr lang Wasser von 27--28 Grad [22°,4--22°,8 Reaumur] trinken muß, hat man schon bei ein paar Graden weniger ein äußerst angenehmes Gefühl. Diese geringere Temperatur rührt wohl daher, daß der Fluß nicht so breit ist, daß er keine sandigten Ufer hat, die sich am Orinoco bei Tag auf 50 Grad erhitzen, und daß der Atabapo, Temi, Tuamini und der Rio Negro von dichten Wäldern beschattet sind. Daß die schwarzen Wasser ungemein rein seyn müssen, das zeigt ihre Klarheit und Durchsichtigkeit und die Deutlichkeit, mit der sich die umgebenden Gegenstände nach Umriß und Färbung darin spiegeln. Auf 20--30 Fuß tief sieht man die kleinsten Fische darin und meist blickt man bis auf den Grund des Flusses hinunter. Und dieser ist nicht etwa Schlamm von der Farbe des Flusses, gelblich oder bräunlich, sondern blendend weißer Quarz- und Granitsand. Nichts geht über die Schönheit der Ufer des Atabapo; ihr üppiger Pflanzenwuchs, über den Palmen mit Federbuschlaub hoch in die Luft steigen, spiegelt sich im Fluß. Das Grün am reflektirten Bilde ist ganz so satt als am direkt gesehenen Gegenstand, so glatt und eben ist die Wasserfläche, so frei von suspendirtem Sand und organischen Trümmern, die auf der Oberfläche minder heller Flüsse Streifen und Unebenheiten bilden. Wo man vom Orinoco abfährt, kommt man, aber ohne alle Gefahr, über mehrere kleine Stromschnellen. Mitten in diesen _Raudalitos_ ergießt sich, wie die Missionäre annehmen, der Atabapo in den Orinoco. Nach meiner Ansicht ergießt sich aber der Atabapo vielmehr in den Guaviare, und diesen Namen sollte man der Flußstrecke vom Orinoco bis zur Mission San Fernando geben. Der Rio Guaviare ist weit breiter als der Atabapo, hat weißes Wasser und der ganze Anblick seiner Ufer, seine gefiederten Fischsänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoco weit mehr gleicht als der Theil dieses Flusses, der von Esmeralda herkommt. Wenn sich ein Strom durch die Vereinigung zweier fast gleich breiten Flüsse bildet, so ist schwer zu sagen, welchen derselben man als die Quelle zu betrachten hat. Die Indianer in San Fernando haben noch heute eine Anschauung, die der der Geographen gerade zuwider läuft. Sie behaupten, der Orinoco entspringe aus zwei Flüssen, aus dem Guaviare und dem Rio Paragua. Unter letzterem Namen verstehen sie den obern Orinoco von San Fernando und Santa Barbara bis über Esmeralda hinauf. Dieser Annahme zufolge ist ihnen der Cassiquiare kein Arm des Orinoco, sondern des Rio Paragua. Ein Blick auf die von mir entworfene Karte zeigt, daß diese Benennungen völlig willkührlich sind. Ob man dem Rio Paragua den Namen Orinoco abstreitet, daran ist wenig gelegen, wenn man nur den Lauf der Flüsse naturgetreu zeichnet, und nicht, wie man vor meiner Reise gethan, Flüsse, die unter einander zusammenhängen und Ein System bilden, durch eine Gebirgskette getrennt seyn läßt. Will man einen der beiden Zweige, die einen großen Fluß bilden, nach dem letzteren benennen, so muß man den Namen dem wasserreichsten derselben beilegen. In den beiden Jahreszeiten, wo ich den Guaviare und den obern Orinoco oder Rio Paragua (zwischen Esmeralda und San Fernando) gesehen, kam es mir nun aber vor, als wäre letzterer nicht so breit als der Guaviare. Die Vereinigung des obern Mississippi mit dem Missouri und Ohio, die des Maragnon mit dem Guallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reisenden Geographen ganz dieselben Bedenken erregt. Um die rein willkührlich angenommene Flußnomenclatur nicht noch mehr zu verwirren, schlage ich keine neuen Venennungen vor. Ich nenne mit Pater CAULIN und den spanischen Geographen den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoco oder obern Orinoco, bemerke aber, daß, wenn man den Orinoco von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Insel Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortsetzung des Rio Guaviare und das Stück des obern Orinoco zwischen Esmeralda und der Mission San Fernando als einen Nebenfluß betrachtete, der Orinoco von den Savanen von San Juan de los Llanos und dem Ostabhang der Anden bis zu seiner Mündung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Südwest nach Nordost hätte. Der Rio Paragua, oder das Stück des Orinoco, auf dem man ostwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt, hat klareres, durchsichtigeres und reineres Wasser als das Stück unterhalb San Fernando. Das Wasser des Guaviare dagegen ist weiß und trüb; es hat, nach dem Ausspruch der Indianer, deren Sinne sehr scharf und sehr geübt sind, denselben Geschmack wie das Wasser des Orinoco in den großen Katarakten. »Gebt mir,« sagte ein alter Indianer aus der Mission Javita zu uns, »Wasser aus drei, vier großen Flüssen des Landes, so sage ich euch nach dem Geschmack zuverlässig, wo das Wasser geschöpft worden, ob aus einem weißen oder einem schwarzen Fluß, ob aus dem Orinoco oder dem Atabapo, dem Paragua oder dem Guaviare.« Auch die großen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoco mit einander gemein; diese Thiere kommen, wie man uns sagte, im Rio Paragua (oder obern Orinoco zwischen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dieß sind doch sehr auffallende Verschiedenheiten hinsichtlich der Beschaffenheit der Gewässer und der Vertheilung der Thiere. Die Indianer verfehlen nicht, sie aufzuzählen, wenn sie den Reisenden beweisen wollen, daß der obere Orinoco östlich von San Fernando ein eigener, sich in den Orinoco ergießender Fluß, und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu suchen sey. Die europäischen Geographen haben sicher unrecht, daß sie die Anschauung der Indianer nicht theilen, welche die natürlichen Geographen ihres Landes sind; aber bei Nomenclatur und Orthographie thut man nicht selten gut, eine Unrichtigkeit, auf die man aufmerksam gemacht, dennoch selbst beizubehalten. Meine astronomischen Beobachtungen in der Nacht des 25. April gaben mir die Breite nicht so bestimmt, als zu wünschen war. Der Himmel war bewölkt und ich konnte nur ein paar Höhen von α im Centaur und dem schönen Stern am Fuß des südlichen Kreuzes nehmen. Nach diesen Höhen schien mir die Breite der Mission San Fernando gleich 4° 2′ 48″; Pater CAULIN gibt auf der Karte, die SOLANOs Beobachtungen im Jahr 1756 zu Grunde legt, 4° 4′ an. Diese Uebereinstimmung spricht für die Richtigkeit meiner Beobachtung, obgleich sich dieselbe nur auf Höhen ziemlich weit vom Meridian gründet. Eine gute Sternbeobachtung in Guapasoso ergibt mir für San Fernando 4° 2′. (GUMILLA setzte den Zusammenfluß des Atabapo und Guaviare unter 0° 30′, D’ANVILLE unter 2° 51′). Die Länge konnte ich auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dem Rückweg von diesem Fluß sehr genau bestimmen: sie ist 70° 30′ 46″ (oder 4° 0′ westlich vom Meridian von Cumana). Der Gang des Chronometers war während der Fahrt im Canoe so regelmäßig, daß er vom 16. April bis 9. Juli nur um 27,9 bis 28,5 Secunden abwich. In San Fernando fand ich die sehr sorgfältig rectificirte Inclination der Magnetnadel gleich 29° 70, die Intensität der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren also seit Maypures bei einem Breitenunterschied von 1° 11′ beträchtlich kleiner und weniger geworden. Das anstehende Gestein war nicht mehr eisenschüssiger Sandstein, sondern Granit, in Gneiß übergehend. Am 26. April. Wir legten nur zwei oder drei Meilen zurück und lagerten zur Nacht auf einem Felsen in der Nähe der indianischen Pflanzungen oder Conucos von Guapasoso. Da man das eigentliche Ufer nicht sieht, und der Fluß, wenn er anschwillt, sich in die Wälder verläuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau sich über das Wasser erhebt. Der Atabapo hat überall ein eigenthümliches Ansehen; das eigentliche Ufer, das aus einer acht bis zehn Fuß hohen Bank besteht, sieht man nirgends; es versteckt sich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Bäumen mit sehr dünnen Stämmen, deren Wurzeln vom Wasser bespült werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoco abgeht, bis zur Mission San Fernando gibt es viele Krokodile, und dieser Umstand beweist, wie oben bemerkt, daß dieses Flußstück zum Guaviare, nicht zum Atabapo gehört. Im eigentlichen Bett des letzteren oberhalb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr; man trifft hie und da einen *Bava* an und viele *Süßwasser-Delphine*, aber keine Seekühe. Man sucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguatos oder großen Brüllaffen, den Zamuro oder _Vultur aura_ und den Fasanen mit der Haube, den sogenannten _‘Guacharaca’_. Ungeheure Wassernattern, im Habitus der *Boa* gleich, sind leider sehr häufig und werden den Indianern beim Baden gefährlich. Gleich in den ersten Tagen sahen wir welche neben unserer Pirogue herschwimmen, die 12--14 Fuß lang waren. Die Jaguars am Atabapo und Temi sind groß und gut genährt, sie sollen aber lange nicht so keck seyn als die am Orinoco. Am 27. April. Die Nacht war schön, schwärzlichte Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein rasch durch das Zenith. In den untern Schichten der Atmosphäre regte sich kein Lüftchen, der allgemeine Ostwind wehte erst in tausend Toisen Höhe. Ich betone diesen Umstand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenströmungen (von West nach Ost), wie man sie zuweilen in der heißen Zone auf den höchsten Gebirgen der Cordilleren wahrzunehmen glaubt, sie rührte vielmehr von einer eigentlichen Brise, vom Ostwind her. Ich konnte die Meridianhöhe von α im südlichen Kreuz gut beobachten; die einzelnen Resultate schwankten nur um 8--10 Secunden um das Mittel. Die Breite von Guapasoso ist 3° 53′ 55″. Das schwarze Wasser des Flusses diente mir als Horizont, und diese Beobachtungen machten mir desto mehr Vergnügen, als wir auf den Flüssen mit weißem Wasser, auf dem Apure und Orinoco von den Insekten furchtbar zerstochen worden waren, während Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um zwei Uhr von den Conucos von Guapasoso aus. Wir fuhren immer nach Süden hinauf und sahen den Fluß oder vielmehr den von Bäumen freien Theil seines Bettes immer schmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an diese Wälder, in denen es weniger Thiere gibt als am Orinoco, noch nicht gewöhnt, und so wunderten wir uns beinahe, daß wir die Araguatos nicht mehr brüllen hörten. Die Delphine oder Toninas spielten um unser Canoe. Nach COLEBROOKE begleitet der _Delphinus gangetius_, der Süßwasser-Delphin der alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Benares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt, sind es nur 200 Meilen, von Atabapo aber an die Mündung des Orinoco über 320. Gegen Mittag lag gegen Ost die Mündung des kleinen Flusses Ipurichapano, und später kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen *piedra del Tigre* bekannt ist. Dieser einzeln stehende Fels ist nur 60 Fuß hoch und doch im Lande weit berufen. Zwischen dem vierten und fünften Grad der Breite, etwas südlich von den Bergen von Sipapo, erreicht man das südliche Ende der *Kette der Katarakten*, für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen _‘Kette der Parime’_ in Vorschlag gebracht habe. Unter 4° 20′ streicht sie vom rechten Orinocoufer gegen Ost und Ost-Süd-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der Parime und dem Amazonenstrom, über den der Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum Theil mit Wald, zum Theil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schlösser. Wir bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufgeschlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur sehr schwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um unser Feuer anzünden und unsere Instrumente und Hängematten unterbringen zu können. Am 28. April. Der Regen goß seit Sonnenuntergang in Strömen; wir fürchteten unsere Sammlungen möchten beschädigt werden. Der arme Missionär bekam seinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem östlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora, Cladonia und andern Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneiß- und Granitberge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen. Die Cladonien schienen mir identisch mit dem _Lichen rangiferinus_, dem _L. pyxidatus_ und _L. polymorphus_ Linnés. Als wir die Stromschnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Rechten die Trümmer der seit lange verlassenen Mission Mendaxari. Auf dem andern, östlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kemarumo, wurden wir auf einen riesenhaften Käsebaum (_Bombax Ceiba_) aufmerksam, der mitten in den Pflanzungen der Indianer stand. Wir stiegen aus, um ihn zu messen: er war gegen 120 Fuß hoch und hatte 14--15 Fuß Durchmesser. Ein so außerordentliches Wachsthum fiel uns um so mehr auf, da wir bisher am Atabapo nur kleine Bäume mit dünnem Stamm, von weitem jungen Kirschbäumen ähnlich, gesehen hatten. Nach den Aussagen der Indianer bilden diese kleinen Bäume eine nur wenig verbreitete Gewächsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Flusses im Wachsthum gehemmt; auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini wächst dagegen vortreffliches Bauholz. Diese Wälder (und dieser Umstand ist wichtig, wenn man sich von den *Ebenen unter dem Aequator am Rio Negro und Amazonenstrom* eine richtige Vorstellung machen will), diese Wälder erstrecken sich nicht ohne Unterbrechung ostwärts und westwärts bis zum Cassiquiare und Guaviare: es liegen vielmehr die kahlen Savanen von Manuteso und am Rio Inirida dazwischen. Am Abend kamen wir nur mit Mühe gegen die Strömung vorwärts, und wir übernachteten in einem Gehölz etwas oberhalb Mendaxari. Hier ist wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzschicht läuft; wir fanden eine Gruppe schöner schwarzer Schörlkrystalle darin. Am 29. April. Die Luft war kühler; keine Zancudos, aber der Himmel fortwährend bedeckt und sternlos. Ich fing an mich wieder auf den untern Orinoco zu wünschen. Bei der starken Strömung kamen wir wieder nur langsam vorwärts. Einen großen Theil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu suchen, und es war Nacht, als wir in der Mission San Balthasar ankamen, oder, wie die Mönche sagen (da Balthasar nur der Name eines indianischen Häuptlings ist), in der Mission _‘la divina Pastora de Balthasar de Atabapo’_. Wir wohnten bei einem catalonischen Missionär, einem muntern liebenswürdigen Mann, der hier in der Wildniß ganz die seinem Volksstamm eigenthümliche Thätigkeit entwickelte. Er hatte einen schönen Garten angelegt, wo der europäische Feigenbaum der Persea, der Citronenbaum dem Mamei zur Seite stand. Das Dorf war nach einem regelmäßigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutschland und im protestantischen Amerika bei den Gemeinden der mährischen Brüder sieht. Die Pflanzungen der Indianer schienen uns besser gehalten als anderswo. Hier sahen wir zum erstenmal den weißen, schwammigten Stoff, den ich unter dem Namen _‘Dapicho’_ und _‘Zapis’_ bekannt gemacht habe. Wir sahen gleich, daß derselbe mit dem »elastischen Harz« Aehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denselben in der Erde, so vermutheten wir, bis wir in die Mission Javita kamen, das *Dapicho* möchte ein *fossiles Cautschuc* seyn, wenn auch abweichend vom *elastischen Bitumen* in Derbyshire. In der Hütte des Missionärs saß ein Poimisano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in schwarzes Cautschuc. Er hatte mehrere Stücke auf ein dünnes Holz gespießt und briet dieselben wie Fleisch. Je weicher und elastischer das Dapicho wird, desto mehr schwärzt es sich. Nach dem harzigen, aromatischen Geruch, der die Hütte erfüllte, rührt dieses Schwarzwerden wahrscheinlich davon her, daß eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff zersetzt und der Kohlenstoff frei wird, während der Wasserstoff bei gelinder Hitze verbrennt. Der Indianer klopfte die erweichte schwarze Masse mit einem vorne keulenförmigen Stück Brasilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 3--4 Zoll Durchmesser und ließ ihn erkalten. Diese Kugeln gleichen vollkommen dem Cautschuc, wie es in den Handel kommt, sie bleiben jedoch außen meist etwas klebrig. Man braucht sie in San Balthasar nicht zum indianischen Ballspiel, das bei den Einwohnern von Uruana und Encaramada in so hohem Ansehen steht; man schneidet sie cylindrisch zu, um sie als Stöpsel zu gebrauchen, die noch weit besser sind als Korkstöpsel. Diese Anwendung des Cautschuc war uns desto interessanter, da uns der Mangel europäischer Stöpsel oft in große Verlegenheit gesetzt hatte. Wie ungemein nützlich der Kork ist, fühlt man erst in Ländern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Südamerika kommt nirgends, selbst nicht auf dem Rücken der Anden, eine Eichenart vor, die dem _Quercus suber_ nahe stände, und weder das leichte Holz der Bombax- und Ochroma-Arten und anderer Malvaceen, noch die Maisspindeln, deren sich die Indianer bedienen, ersetzen unsere Stöpsel vollkommen. Der Missionär zeigte uns vor der _‘Casa de los Solteros’_ (Haus, wo sich die jungen, nicht verheiratheten Leute versammeln) eine Trommel, die aus einem zwei Fuß langen und achtzehn Zoll dicken hohlen Cylinder bestand. Man schlug dieselbe mit großen Stücken Dapicho, wie mit Trommelschlägeln; sie hatte Löcher, die man mit der Hand schließen konnte, um höhere oder tiefere Töne hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stützen. Wilde Völker lieben rauschende Musik. Die Trommel und die _Botutos_ oder Trompeten aus gebrannter Erde, 3--4 Fuß lange Röhren, die sich an mehreren Stellen zu Hohlkugeln erweitern, sind bei den Indianern unentbehrliche Instrumente, wenn es sich davon handelt, mit Musik Effekt zu machen. Am 30. April. Die Nacht war ziemlich schön, so daß ich die Meridianhöhen des α im südlichen Kreuz und der zwei großen Sterne in den Füßen des Centauren beobachten konnte. Ich fand für San Balthasar eine Breite von 3° 14′ 23″. Als Länge ergab sich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70° 14′ 21″. Die Inclination der Magnetnadel war 27′ 80. Wir verließen die Mission Morgens ziemlich spät und fuhren den Atabapo noch fünf Meilen hinauf; statt ihm aber weiter seiner Quelle zu gegen Osten, wo er Atacavi heißt, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Mündung desselben kamen, beim Einfluß des Guasacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am westlichen Ufer aufmerksam. Dieselbe heißt der *Fels der Guahiba-Indianerin*, oder der Fels der Mutter, _Piedra de la madre_. Wir fragten nach dem Grund einer so sonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unsere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen später erzählte uns ein anderer Missionär einen Vorfall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den schmerzlichsten Eindruck auf uns machte. Wenn der Mensch in diesen Einöden kaum eine Spur seines Daseyns hinter sich läßt, so ist es für den Europäer doppelt demüthigend, daß durch den Namen eines Felsen, durch eines der unvergänglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die sittliche Verworfenheit unseres Geschlechts, an den Gegensatz zwischen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civilisirten Menschen verewigt wird. Der Missionär von San Fernando(57) war mit seinen Indianern an den Guaviare gezogen, um einen jener feindlichen Einfälle zu machen, welche sowohl die Religion als die spanischen Gesetze verbieten. Man fand in einer Hütte eine Mutter vom Stamme der Guahibos mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sie bereiteten Maniocmehl. An Widerstand war nicht zu denken; der Vater war auf dem Fischfang, und so suchte die Mutter mit ihren Kindern sich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte sie die Savane erreicht, so wurde sie von den Indianern aus der Mission eingeholt, die auf die *Menschenjagd* gehen, wie die Weißen und die Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Fluß geschleppt. Der Ordensmann saß in seinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die für ihn sehr gefahrlos war. Hätte sich die Mutter zu stark gewehrt, so wäre sie von den Indianern umgebracht worden; Alles ist erlaubt, wenn man auf die _conquista espiritual_ auszieht, und man will besonders der Kinder habhaft werden, die man dann in der Mission als Poitos oder Sklaven der Christen behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter könnte zu Land sich nicht wieder in ihre Heimath zurückfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entführung den Vater begleitet hatten, gerieth das Weib in die höchste Verzweiflung. Sie beschloß, die Kinder, die in der Gewalt des Missionärs waren, zur Familie zurückzubringen; sie lief mit ihnen mehrere male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Missionär sie unbarmherzig hatte peitschen lassen, faßte er den grausamen Entschluß, die Mutter von den beiden Kindern, die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man führte sie allein den Atabapo hinauf, den Missionen am Rio Negro zu. Leicht gebunden saß sie auf dem Vordertheil des Fahrzeugs. Man hatte ihr nicht gesagt, welches Loos ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne sah sie wohl, daß sie immer weiter von ihrer Hütte und ihrer Heimath wegkam. Es gelang ihr, sich ihrer Bande zu entledigen, sie sprang in den Fluß und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trug sie an eine Felsbank, die noch heute ihren Namen trägt. Sie ging hier ans Land und lief ins Holz; aber der Präsident der Missionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde sie zurückgebracht, auf den Fels (_piedra de la madre_) gelegt und mit einem Seekuhriemen, die hier zu Lande als Peitschen dienen und mit denen die Alcaden immer versehen sind, unbarmherzig gepeitscht. Man band dem unglücklichen Weibe mit starken Mavacureranken die Hände aus den Rücken und brachte sie in die Mission Javita. Man sperrte sie hier in eines der Caravanserais, die man _Cases del Rey_ nennt. Es war in der Regenzeit und die Nacht ganz finster. Wälder, die man bis da für undurchdringlich gehalten, liegen, 25 Meilen in gerader Linie breit, zwischen Javita und San Fernando. Man kennt keinen andern Weg als die Flüsse. Niemals hat ein Mensch versucht zu Land von einem Dorf zum andern zu gehen, und lägen sie auch nur ein paar Meilen aus einander. Aber solche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder sind in San Fernando am Atabapo; sie muß zu ihnen, sie muß sie aus den Händen der Christen befreien, sie muß sie dem Vater am Guaviare wieder bringen. Die Guahiba ist im Caravanserai nachläßig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Javita ohne Vorwissen des Missionärs und des Alcaden die Bande gelockert. Es gelingt ihr, sie mit den Zähnen vollends loszumachen, und sie verschwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum vierten mal aufgeht, sieht man sie in der Mission San Fernando um die Hütte schleichen, wo ihre Kinder eingesperrt sind. »Was dieses Weib ausgeführt«, sagte der Missionär, der uns diese traurige Geschichte erzählte, »der kräftigste Indianer hätte sich nicht getraut es zu unternehmen.« Sie ging durch die Wälder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist und die Sonne Tage lang nur auf wenige Minuten zum Vorschein kommt. Hatte sie sich nach dem Lauf der Wasser gerichtet? Aber da Alles überschwemmt war, mußte sie sich weit von den Flußufern, mitten in den Wäldern halten, wo man das Wasser fast gar nicht laufen sieht. Wie oft mochte sie von den stachligten Lianen aufgehalten worden sehn, welche um die von ihnen umschlungenen Stämme ein Gitterwerk bilden! Wie oft mußte sie über die Bäche schwimmen, die sich in den Atabapo ergießen! Man fragte das unglückliche Weib, von was sie sich vier Tage lang genährt; sie sagte, völlig erschöpft habe sie sich keine andere Nahrung verschaffen können als die großen schwarzen Ameisen, _Vachacos_ genannt, die in langen Zügen an den Bäumen hinaufkriechen, um ihre harzigten Nester daran zu hängen. Wir wollten durchaus vom Missionär wissen, ob jetzt die Guahiba in Ruhe des Glückes habe genießen können, um ihre Kinder zu seyn, ob man doch endlich bereut habe, daß man sich so maßlos vergangen? Er fand nicht für gut, unsere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rückreise vom Rio Negro hörten wir, man habe der Indianerin nicht Zeit gelassen, von ihren Wunden zu genesen, sondern sie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Mission am obern Orinoco gebracht. Dort wies sie alle Nahrung von sich und starb, wie die Indianer in großem Jammer thun. Dieß ist die Geschichte, deren Andenken an diesem unseligen Gestein, an der _Piedra de la madre_ haftet. Es ist mit in dieser meiner Reisebeschreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Unglücksscenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt überall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civilisirte Europäer unter versunkenen Völkern leben, wo Priester mit unumschränkter Gewalt über unwissende, wehrlose Menschen herrschen. Als Geschichtschreiber der Länder, die ich bereist, beschränke ich mich meist darauf, anzudeuten, was in den bürgerlichen und religiösen Einrichtungen mangelhaft oder der Menschheit verderblich erscheint. Wenn ich beim *Fels der Guahiba* länger verweilt habe, geschah es nur, um ein rührendes Beispiel von Mutterliebe bei einer Menschenart beizubringen, die man so lange verläumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen schien, einen Vorfall zu veröffentlichen, den ich aus dem Munde von Franciskanern habe, und der beweist, wie nothwendig es ist, daß das Auge des Gesetzgebers über dem Regiment der Missionäre wacht. Oberhalb dem Einfluß des Guasacavi liefen wir in den Rio Temi ein, der von Süd nach Nord läuft. Wären wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, so wären wir gegen Ost-Süd-Ost vom Guainia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi ist nur 80--90 Toisen breit, und in jedem andern Lande als Guyana wäre dieß noch immer ein bedeutender Fluß. Das Land ist äußerst einförmig, nichts als Wald auf völlig ebenem Boden. Die schöne Pirijaopalme mit Früchten wie Pfirsiche, und eine neue Art *Bache* oder Mauritia mit stachlichtem Stamm ragen hoch über den kleineren Bäumen, deren Wachsthum, wie es scheint, durch das lange Stehen unter Wasser niedergehalten wird. Diese _Mauritia aculeata_ heißt bei den Indianern _Juria_ oder _Cauvaja_. Sie hat fächerförmige, gegen den Boden gesenkte Blätter; auf jedem Blatte sieht man gegen die Mitte, wahrscheinlich in Folge einer Krankheit des Parenchyms, concentrische, abwechselnd gelbe und blaue Kreise; gegen die Mitte herrscht das Gelb vor. Diese Erscheinung fiel uns sehr auf. Diese wie ein Pfauenschweif gefärbten Blätter sitzen auf kurzen, sehr dicken Stämmen. Die Stacheln sind nicht lang und dünn, wie beim Corozo und andern stachligten Palmen; sie sind im Gegentheil stark holzigt, kurz, gegen die Basis breiter, wie die Stacheln der _Hura crepitans_. An den Ufern des Atabapo und Temi steht diese Palme in Gruppen von zwölf bis fünfzehn Stämmen, die sich so nah an einander drängen, als kämen sie aus Einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blätter gleichen diese Bäume den Fächerpalmen und Chamärops der alten Welt. Wir bemerkten, daß einige Juriastämme gar keine Früchte trugen, während andere davon ganz voll hingen; dieß scheint auf eine Palme mit getrennten Geschlechtern zu deuten. Ueberall wo der Temi Schlingen bildet, steht der Wald über eine halbe Quadratmeile weit unter Wasser. Um die Krümmungen zu vermeiden und schneller vorwärts zu kommen, wird die Schifffahrt hier ganz seltsam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flußbett ab, und wir fuhren südwärts durch den Wald auf sogenannten _‘Sendas’_, das heißt vier bis fünf Fuß breiten, offenen Canälen. Das Wasser ist selten über einen halben Faden tief. Diese *Sendas* bilden sich im überschwemmten Wald, wie auf trockenem Boden die Fußsteige. Die Indianer schlagen von einer Mission zur andern mit ihren Canoes wo möglich immer denselben Weg ein; da aber der Verkehr gering ist, so stößt man bei der üppigen Vegetation zuweilen unerwartet auf Hindernisse. Deßhalb stand ein Indianer mit einem Machette (ein großes Messer mit vierzehn Zoll langer Klinge) vorne auf unserem Fahrzeug und hieb fortwährend die Zweige ab, die sich von beiden Seiten des Canals kreuzten. Im dicksten Walde vernahmen wir mit Ueberraschung einen sonderbaren Lärm. Wir schlugen an die Büsche, und da kam ein Schwarm vier Fuß langer *Toninas* (Süßwasserdelphine) zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aesten eines Käsebaums oder _Bombax Ceiba_ versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Wasser und comprimirter Luft, nach denen sie in allen Sprachen Blasefische oder Spritzfische, _souffleurs_ u. s. w. heißen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, drei- und vierhundert Meilen von den Mündungen des Orinoco und des Amazonenstroms! Ich weiß wohl, daß Fische von der Familie Pleuronectes [_Limanda_] aus dem atlantischen Meer in der Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Ansicht, daß die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoco, von den Seerochen und Seedelphinen ganz verschiedene Arten sind. In den ungeheuren Strömen Südamerikas und in den großen Seen Nordamerikas scheint die Natur mehrere Typen von Seethieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delphine;(58) sie gehen aus dem Meer im Delta nicht über Biana und Metonbis, Selamoun zu, hinauf. Gegen fünf Uhr Abends gingen wir nicht ohne Mühe in das eigentliche Flußbett zurück. Unsere Pirogue blieb ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstämmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Canäle sich kreuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Wir haben oben gesehen, daß man in der Provinz Varinas im Canoe über die offenen Savanen von San Fernando am Apure bis an den Arauca fährt; hier fuhren wir durch einen Wald, der so dicht ist, daß man sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientiren kann. Heute fiel es uns wieder recht auf, daß es in diesem Landstrich keine baumartigen Farn mehr gibt. Sie nehmen vom sechsten Grad nördlicher Breite an sichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aequator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Heimath der baumartigen Farn ist ein nicht so heißes Klima, ein etwas bergigter Boden, Plateaus von 300 Toisen Höhe. Nur wo Berge sind, gehen diese prachtvollen Gewächse gegen die Niederungen herab; ganz ebenes Land, wie das, über welches der Cassiquiare, der Temi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, scheinen sie zu meiden. Wir übernachteten an einem Felsen, den die Missionäre Piedra de Astor nennen. Von der Mündung des Guaviare an ist der geologische Charakter des Bodens derselbe. Es ist eine weite aus Granit bestehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Gestein zu Tage kommt und keine Hügel, sondern kleine senkrechte Massen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebäuden gleichen. Am ersten Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnenaufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriff war durch den Meridian zu gehen. Auf diesem nassen, dicht bewaldeten Landstrich wurden die Nächte immer finsterer, je näher wir dem Rio Negro und dem innern Brasilien kamen. Wir blieben im Flußbett, bis der Tag anbrach; man hätte besorgen müssen, sich unter den Bäumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der starken Strömung auszuweichen, durch den überschwemmten Wald. So kamen wir an den Zusammenfluß des Temi mit einem andern kleinen Fluß, dem Tuamini, dessen Wasser gleichfalls schwarz ist, und gingen den letzteren gegen Südwest hinauf. Damit kamen wir auf die Mission Javita zu, die am Tuamini liegt. In dieser christlichen Niederlassung sollten wir die erforderlichen Mittel finden, um unsere Pirogue zu Land an den Rio Negro schaffen zu lassen. Wir kamen in *San Antonio de Javita* erst um elf Uhr Vormittags an. Ein an sich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtsam die kleinen Sagoins sind, hatte uns an der Mündung des Tuamini eine Zeitlang aufgehalten. Der Lärm, den die Spritzfische machen, hatte unsere Affen erschreckt, und einer war ins Wasser gefallen. Da diese Affenart, vielleicht weil sie ungemein mager ist, sehr schlecht schwimmt, so kostete es Mühe, ihn zu retten. Zu unserer Freude trafen wir in Javita einen sehr geisteslebendigen, vernünftigen und gefälligen Mönch. Wir mußten uns vier bis fünf Tage in seinem Hause aufhalten, da so lange zum Transport unseres Fahrzeugs über den *Trageplatz* am Pimichin erforderlich war; wir benützten diese Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzusehen, sondern auch um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir seit zwei Tagen litten. Wir hatten sehr starkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handrücken. Der Missionär sagte uns, das seyen _aradores_ (Ackerer), die sich in die Haut gegraben. Mit der Loupe sahen wir nur Streifen, parallele weißlichte Furchen. Wegen der Form dieser Furchen heißt das Insekt der *Ackerer*. Man ließ eine Mulattin kommen, die sich rühmte, all die kleinen Thiere, welche sich in die Haut des Menschen graben, die *Nigua*, den *Nuche*, die *Coya* und den *Ackerer*, aus dem Fundament zu kennen; es war die _‘Curandera’_, der Dorfarzt. Sie versprach uns die Insekten, die uns so schreckliches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete sie mit dem pedantischen Ernst, der den Farbigen eigen ist, da sey bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier solche Aradores heraus hätte, sollte ich mich erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tag heilte uns ein Indianer aus Javita radical und überraschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt *Uzao*, mit kleinen, denen der Cassia ähnlichen, stark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich aussah und wie Süßholz (_Glycyrrhiza_) schmeckte und geschlagen starken Schaum gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüthe noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie der Schotengewächse anzugehören, deren chemische Eigenschaften so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir auszustehen gehabt, hatte uns so ängstlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Canoe mitführten; der Strauch wächst am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die _Aradores_ oder mikroskopischen Acariden verursachen? Im Jahr 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen den Missionen Javita und San Balthasar als zu Brasilien gehörig betrachtet. Die Portugiesen waren vom Rio Negro über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianischer Häuptling, Javita, berühmt wegen seines Muthes und seines Unternehmungsgeistes, war mit den Portugiesen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüsse des Amazonenstromes über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den schwarzen Gewässern des Temi und Tuamini, über hundert Meilen weit. Er war mit einem Patent versehen, das ihn ermächtigte, »Indianer aus dem Wald zu holen, zur Eroberung der Seelen.« Er machte von dieser Befugniß reichlichen Gebrauch; aber er bezweckte mit seinen Einfällen etwas, das nicht so ganz geistlich war, Sklaven (_poitos_) zu machen und sie an die Portugiesen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ er Capitän Javita aus einem seiner Streifzüge am Temi festnehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Versprechungen, die nicht gehalten wurden, für die spanische Regierung zu gewinnen. Die Portugiesen, die bereits einige feste Niederlassungen im Lande gegründet hatten, wurden bis an den untern Rio Negro zurückgedrängt, und die Mission San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianischen Gründer Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo sie jetzt liegt. Der alte Capitän Javita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er ist ein Indianer von bedeutender Geistes- und Körperkraft. Er spricht geläufig spanisch und hat einen gewissen Einfluß auf die benachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim Botanisiren und ertheilte uns mancherlei Auskunft, die wir desto mehr schätzten, da die Missionäre ihn für sehr zuverlässig halten. Er versichert, er habe in seiner Jugend fast alle Indianerstämme, welche auf dem großen Landstrich zwischen dem obern Orinoco, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura wohnen, Menschenfleisch essen sehen. Er hält die Daricavanas, Puchirinavis und Manitibitanos für die stärksten Anthropophagen. Er hält diesen abscheulichen Brauch bei ihnen nur für ein Stück systematischer Rachsucht: sie essen nur Feinde, die im Gefecht in ihre Hände gefallen. Die Beispiele, wo der Indianer in der Grausamkeit so weit geht, daß er seine Nächsten, sein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, sind, wie wir weiter unten sehen werden, sehr selten. Auch weiß man am Orinoco nichts von der seltsamen Sitte der scythischen und massagetischen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Todten zu Ehren die Leiche zum Theil aßen. Auf beiden Continenten kommt dieser Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleisch eines Gefangenen verabscheuen. Der Indianer auf Haiti (St. Domingo) hätte geglaubt dem Andenken eines Angehörigen die Achtung zu versagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten Leiche in sein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl mit einem orientalischen Dichter sagen, »am seltsamsten in seinen Sitten, am ausschweifendsten in seinen Trieben sey von allen Thieren der Mensch.« Das Klima in San Antonio de Javita ist ungemein regnerisch. Sobald man über den dritten Breitegrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man selten Gelegenheit Sonne und Gestirne zu beobachten. Es regnet fast das ganze Jahr und der Himmel ist beständig bedeckt. Da in diesem unermeßlichen Urwald von Guyana der Ostwind nicht zu spüren ist und die Polarströme nicht hieher reichen, so wird die Luftsäule, die auf dieser Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten ersetzt. Der Wasserdunst, mit dem sie gesättigt ist, verdichtet sich zu äquatorialen Regengüssen. Der Missionär versicherte uns, er habe hier oft vier, fünf Monate ohne Unterbrechung regnen sehen. Ich maß den Regen, der am ersten Mai innerhalb fünf Stunden fiel: er stand 21 Linien hoch, und am dritten Mai bekam ich sogar 14 Linien in drei Stunden Und zwar, was wohl zu beachten, wurden diese Beobachtungen nicht bei starkem, sondern bei ganz gewöhnlichem Regen angestellt. Bekanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, selbst in den nassesten, März, Juli und September, nur 28 bis 30 Linien Wasser. Allerdings kommen auch bei uns Regengüsse vor, bei denen in der Stunde über einen Zoll Wasser fällt, man darf aber nur den mittleren Zustand der Atmosphäre in der gemäßigten und in der heißen Zone vergleichen. Aus den Beobachtungen, die ich hinter einander im Hafen von Guayaquil an der Südsee und in der Stadt Quito in 1492 Toisen Meereshöhe angestellt, scheint hervorzugehen, daß gewöhnlich auf dem Rücken der Anden in der Stunde zwei- bis dreimal weniger Wasser fällt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge öfter, dabei fällt aber in einer gegebenen Zeit weniger Wasser. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos ist der Himmel bedeutend heiterer als in Javita und am Temi. Dieser Unterschied rührt nach meiner Ansicht daher, daß dort die Savanen am untern Rio Negro in der Nähe liegen, über die der Ostwind frei wehen kann, und die durch ihre Strahlung einen stärkeren aufsteigenden Luftstrom verursachen als bewaldetes Land. Es ist in Javita kühler als in Maypures, aber bedeutend heißer als am Rio Negro. Der hunderttheilige Thermometer stand bei Tag auf 26--27°, bei Nacht auf 21°; nördlich von den Katarakten, besonders nördlich von der Mündung des Meta, war die Temperatur bei Tag meist 28--30°, bei Nacht 25--26°. Diese Abnahme der Wärme am Atabapo, Tuamini und Rio Negro rührt ohne Zweifel davon her, daß bei dem beständig bedeckten Himmel die Sonne so wenig scheint und die Verdunstung aus dem nassen Boden so stark ist. Ich spreche nicht vom erkältenden Einfluß der Wälder, wo die zahllosen Blätter eben so viele dünne Flächen sind, die sich durch Strahlung gegen den Himmel abkühlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieses Moment nicht viel ausmachen. Auch scheint die Meereshöhe von Javita etwas dazu beizutragen, daß die Temperatur niedriger ist. Maypures liegt wahrscheinlich 60--70, San Fernando de Atabapo 122, Javita 166 Toisen über dem Meer. Da die kleine atmosphärische Ebbe und Fluth an der Küste (in Cumana) von einem Tag zum andern um 0,8 bis 2 Linien variirt, und ich das Unglück hatte, das Instrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, so sind diese Resultate nicht ganz zuverlässig. Als ich in Javita die stündlichen Variationen des Luftdrucks beobachtete, bemerkte ich, daß eine kleine Luftblase die Quecksilbersäule zum Theil sperrte(59) und durch ihre thermometrische Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluß äußerte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwängt waren, ließ sich der Barometer fast unmöglich senkrecht oder doch stark aufwärts geneigt halten. Ich benützte unsern Aufenthalt in Javita, um das Instrument auszubessern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehörig rertificirt, stand der Thermometer bei 23°,4 Temperatur Morgens 11 1/2 Uhr 325,4 Linien hoch. Ich lege einiges Gewicht auf diese Beobachtung, da es für die Kenntniß der Bodenbildung eines Continents von größerem Belang ist, die Meereshöhe der Ebenen zwei- bis dreihundert Meilen von der Küste zu bestimmen, als die Gipfel der Cordilleren zu messen. Barometrische Beobachtungen in Sego am Niger, in Bornou oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami wären für die Geologie wichtiger als die Bestimmung der Höhe der Gebirge in Abyssinien und im Musart. Die stündlichen Variationen des Barometers treten in Javita zu denselben Stunden ein wie an den Küsten und im Hof Antisana, wo mein Instrument in 2104 Toisen Meereshöhe hing. Sie betrugen von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr Abends 1,6 Linien, am vierten Mai sogar fast 2 Linien. Der Deluc’sche auf den Saussure’schen reducirte Hygrometer stand fortwährend im Schatten zwischen 84 und 92°, wobei nur die Beobachtungen gerechnet sind, die gemacht wurden, so lange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte somit seit den großen Katarakten bedeutend zugenommen: sie war mitten in einem stark beschatteten, von Aequatorialregen überflutheten Lande fast so groß wie auf der See. Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sterns im Meridian ansichtig werden, um die Länge zu bestimmen. Ich blieb ganze Nächte wach, um die Methode der doppelten Höhen anzuwenden; all mein Bemühen war vergeblich. Die Nebel im nördlichen Europa sind nicht anhaltender, als hier in Guyana in der Nähe des Aequators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorschein. Ich fand mit dem Chronometer und mittelst Stundenwinkeln die Länge von Javita gleich 70° 22′ oder 1° 1′ 5″ weiter nach West als die Länge der Einmündung des Apure in den Orinoco. Dieses Ergebniß ist von Bedeutung, weil wir damit aus unsern Karten die Lage des gänzlich unbekannten Landes zwischen dem Xie und den Quellen des Issana angeben können, die auf demselben Meridian wie die Mission Javita liegen. Die Inclination der Magnetnadel war in der Mission 26°,40; sie hatte demnach seit dem großen nördlichen Katarakt, bei einem Breitenunterschied von 3° 50′, um 5° 85 abgenommen. Die Abnahme der Intensität der magnetischen Kraft war ebenso bedeutend. Die Kraft entsprach in Atures 223, in Javita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten. Die Indianer in Javita, 160 an der Zahl, sind gegenwärtig größtentheils Poimisanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Stämme einer großen Lorbeerart, von den Missionären _‘Sassafras’_(60) genannt, die man mit Feuer und Axt zugleich aushöhlt. Diese Bäume sind über hundert Fuß hoch; das Holz ist gelb, harzigt, verdirbt fast nie im Wasser und hat einen sehr angenehmen Geruch. Wir sahen es in San Fernando, in Javita, besonders aber in Esmeralda, wo die meisten Piroguen für den Orinoco gebaut werden, weil die benachbarten Wälder die dicksten Sassafrasstämme liefern. Man bezahlt den Indianern für die halbe Toise oder *Vara* vom Boden der Pirogue, das heißt für den untern, hauptsächlichen Theil (der aus einem ausgehöhlten Stamm besteht), einen harten Piaster, so daß ein 16 Varas langes Canoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster kostet; aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt so hoch. Auf dem obern Orinoco sah ich 40 Piaster oder 200 Franken für eine 48 Fuß lange Pirogue bezahlen. Im Walde zwischen Javita und dem Caño Pimichin wächst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Ocoteen und ächte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Persea, ist wild nur in mehr als 1000 Toisen Meereshöhe gefunden worden), die _Amasonia arborea_, das _Retiniphyllum secundiflorum_ der Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen Holz roth ist wie Brasilholz, der Guamufate mit schönen, 7--8 Zoll langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die _Amyris Caranna_ und der Mani. Alle diese Bäume (mit Ausnahme unserer neuen Gattung _Retiniphyllum_) waren hundert bis hundert zehn Fuß hoch. Da die Aeste erst in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, so kostete es Mühe, sich Blätter und Blüthen zu verschaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen am Boden; da aber in diesen Wäldern Arten verschiedener Familien durch einander wachsen und jeder Baum mit Schlingpflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten, die Blüthen gehören diesem oder jenem Baum an. In der Fülle der Naturschätze machte uns das Botanisiren mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten unaufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künstlicher Wärme zu trocknen suchte, größtentheils zu Grunde. Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten sie besser zu unterscheiden als Blüthen und Früchte. Da sie nur Bauholz (Stämme zu Piroguen) suchen, kümmern sie sich wenig um den Blüthenstand. »Alle diese großen Bäume tragen weder Blüthen noch Früchte,« so lautete fortwährend ihr Bescheid. Gleich den Kräuterkennern im Alterthum ziehen sie in Abrede, was sie nicht der Mühe werth gesunden zu untersuchen. Wenn unsere Fragen sie langweilten, so machten sie ihrerseits uns ärgerlich. Wir haben schon oben die Bemerkung gemacht, daß zuweilen dieselben chemischen Eigenschaften denselben Organen in verschiedenen Pflanzenfamilien zukommen, so daß diese Familien in verschiedenen Klimaten einander ersetzen. Die Einwohner des tropischen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was die Nadelhölzer für die gemäßigte Zone, das sind die Terebenthaceen und Guttiferen für die heiße. In diesen Wäldern des heißen Erdstrichs, wo es keine Fichte, keine Tuya, kein Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus gibt, kommen Harze, Balsame, aromatisches Gummi von den Maronobea-, Icica-, Amyrisarten. Das Einsammeln dieser Gummi und Harze ist ein Erwerbszweig für das Dorf Javita. Das berühmteste Harz heißt *Mani*; wir sahen mehrere Centner schwere Klumpen desselben, die Colophonium oder Mastix glichen. Der Baum, den die Paraginis-Indianer *Mani* nennen, und den Bonpland für die _Moronobea coccinea_ hält, liefert nur einen sehr kleinen Theil der Masse, die in den Handel von Angostura kommt. Das meiste kommt vom *Mararo* oder *Caragna*, der eine Amyris ist. Es ist ziemlich auffallend, daß der Name *Mani*, den AUBLET aus dem Munde der Galibis-Indianer in Cayenne gehört hat, uns in Javita, 300 Meilen von französisch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Symphonia bei Javita gibt ein gelbes Harz, der *Caragna* ein stark riechendes, schneeweißes Harz, das gelb wird, wo es innen an alter Rinde sitzt. Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu sehen, ob es mit dem Transport unseres Fahrzeugs zu Land vorwärts ging. Drei und zwanzig Indianer waren angestellt, dasselbe zu schleppen, wobei sie nach einander Baumäste als Walzen unterlegten. Ein kleines Canoe gelangt in einem oder anderthalb Tagen aus dem Tuamini in den Caño Pimichin, der in den Rio Negro fällt; aber unsere Pirogue war sehr groß, und da sie noch einmal durch die Katarakten mußte, bedurfte es besonderer Vorsichtsmaßregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. Der Transport währte auch über vier Tage. Erst seit dem Jahr 1795 ist ein Weg durch den Wald angelegt. Die Indianer in Javita haben denselben zur Hälfte vollendet, die andere Hälfte haben die Indianer in Maroa, Davipe und San Carlos herzustellen. Pater Eugenio Cereso maß den Weg mit einem hundert Varas [Eine Vara ist gleich 0,83 Meter] langen Strick und fand denselben 17,180 Varas lang. Legte man statt des »Trageplatzes« einen Canal an, wie ich dem Ministerium König Karls IV. vorgeschlagen, so würde die Verbindung zwischen dem Rio Negro und Angostura, zwischen dem spanischen Orinoco und den portugiesischen Besitzungen am Amazonenstrom ungemein erleichtert. Die Fahrzeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr über den Cassiquiare, der eine Menge Krümmungen hat und wegen der starken Strömung gerne gemieden wird; sie gingen nicht mehr den Orinoco von seiner Gabeltheilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Bergfahrt wäre über den Rio Negro und den Caño Pimichin um die Hälfte kürzer. Vom neuen Canal bei Javita an ginge es über den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoco abwärts bis Angostura. Ich glaube, man könnte auf diese Weise von der brasilianischen Grenze in die Hauptstadt von Guyana leicht in 24--26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewöhnlichen Umständen 10 Tage weniger und der Weg wäre für die Ruderer (Bogas) weniger beschwerlich, weil man nur halb so lang gegen die Strömung anfahren muß, als auf dem Cassiquiare. Fährt man aber den Orinoco herauf, geht man von Angostura an den Rio Negro, so beträgt der Unterschied in der Zeit kaum ein paar Tage; denn über den Pimichin muß man dann die kleinen Flüsse hinauf, während man auf dem alten Wege den Cassiquiare hinunter fährt. Wie lange die Fahrt von der Mündung des Orinoco nach San Carlos dauert, hängt begreiflich von mehreren wechselnden Umständen ab, ob die Brise zwischen Angostura und Carichana stärker oder schwächer weht, wie in den Katarakten von Atures und Maypures und in den Flüssen überhaupt der Wasserstand ist. Im November und December ist die Brise ziemlich kräftig und die Strömung des Orinoco nicht stark, aber die kleinen Flüsse haben dann so wenig Wasser, daß man jeden Augenblick Gefahr läuft aufzufahren. Die Missionäre reisen am liebsten im April, zur Zeit der Schildkröteneierernte, durch die an ein paar Uferstriche des Orinoco einiges Leben kommt. Man fürchtet dann auch die Moskitos weniger, der Strom ist halb voll, die Brise kommt einem noch zu gute und man kommt leicht durch die großen Katarakten. Aus den Barometerhöhen, die ich in Javita und beim Landungsplatz am Pimichin beobachtet, geht hervor, daß der Canal im Durchschnitt von Nord nach Süd einen Fall von 30--40 Toisen hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Piroguen schleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, daß unter diesen Bächen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektirtem Licht so weiß war als das Orinocowasser. Woher mag dieser Unterschied rühren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savanen, aus denselben Sümpfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Canal würde daher nicht 6000 Toisen lang. Ich steckte den kürzesten Weg mittelst des Compasses ab und man hieb hie und da in die ältesten Waldbäume Marken. Der Boden ist völlig eben; auf fünf Meilen in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhöhung. Wie die Verhältnisse jetzt sind, sollte man das »Tragen« wenigstens dadurch erleichtern, daß man den Weg besserte, die Piroguen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche schlüge, durch welche die Indianer oft Tage lang aufgehalten werden. In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Auskunft über das vermeintliche fossile Cautschuc, das die Indianer *Dapicho* nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfigten Erdreich zwei, drei Fuß zwischen den Wurzeln zweier Bäume, des *Jacio* und des *Curvana* graben muß. Ersterer ist AUBLETs Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, das Cautschuc kommt, das in Cayenne und Gran Para im Handel ist; der zweite hat gefiederte Blätter; sein Saft ist milchigt, aber sehr dünn und fast gar nicht klebrigt. Das Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dieß geschieht besonders, wenn die Bäume sehr alt sind und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint bekommen Risse, und so erfolgt auf natürlichem Wege, was der Mensch künstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Castilloa und der Cautschuc gehenden Feigenbäume in Menge zu sammeln. Nach AUBLETs Bericht machen die Galibis und Garipons in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so daß diese von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zusammenlaufen. Alle diese Rinnen leiten den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefäß steht, in dem das Cautschuc aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefähr eben so verfahren. Wenn, wie ich vermuthe, die Anhäufung und das Austreten der Milch beim *Jacio* und *Curvana* eine pathologische Erscheinung ist, so muß der Proceß zuweilen durch die Spitzen der längsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden zwei Fuß breite und vier Zoll dicke Massen Dapicho acht Fuß vom Stamm entfernt. Oft sucht man unter abgestorbenen Bäumen vergebens, andere male findet man Dapicho unter noch grünenden Hevea- oder Jaciostämmen. Die Substanz ist weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinander liegenden Blätter und die gewellten Ränder dem _Boletus igniarius_. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, daß in Folge eines eigenthümlichen Zustandes des vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigenthümlich beschaffenes, ich möchte fast sagen »vergeiltes« Cautschuc. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das welligte Ansehen der Ränder des Dapicho und seine Blätterung zu erklären. Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles Wasser gießt, das Gerinsel wellenförmige Umrisse zeigt. Das Dapicho kommt sicher nicht bloß in dem Walde zwischen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nicht, daß man in französisch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von korkartigem Cautschuc fände, wie wir sie eben beschrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft sich gegen die Wurzeln zieht; es wäre interessant zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsäfte der Urticeen, der Euphorbien, und der Apocyneen in gewissen Jahreszeiten gleichfalls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyclus, unterliegen Veränderungen mit periodischer Wiederkehr. Das Dapicho ist wichtiger für die Pflanzenphysiologie als für die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung ALLENs über den Unterschied zwischen dem Cautschuc in seinem gewöhnlichen Zustande und der bei Javita gefundenen Substanz, von der ich Sir Joseph Banks gesendet hatte. Gegenwärtig kommt im Handel ein gelblich weißes Cautschuc vor, das man leicht vom Dapicho unterscheidet, da es weder trocken wie Kork, noch zerreiblich ist, sondern sehr elastisch, glänzend und seifenartig. Ich sah kürzlich in London ansehnliche Massen, die zwischen 6 und 15 Francs das Pfund im Preise standen. Dieses weiße, fett anzufühlende Cautschuc kommt aus Ostindien. Es hat den thierischen, nauseosen Geruch, den ich weiter oben von einer Mischung von Käsestoff und Eiweißstoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele und mannigfaltige tropische Gewächse Cautschuc geben, so muß man bedauern, daß dieser so nützliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler ist. Man brauchte die Bäume mit Milchsaft gar nicht künstlich zu pflanzen; allein in den Missionen am Orinoco ließe sich so viel Cautschuc gewinnen, als das civilisirte Europa immer bedürfen mag. Im Königreich Neu-Grenada ist hie und da mit Glück versucht worden, aus dieser Substanz Stiefeln und Schuhe ohne Nath zu machen. Unter den amerikanischen Völkern verstehen sich die Omaguas am Amazonenstrom am besten auf die Verarbeitung des Cautschuc. Bereits waren vier Tage verflossen und unsere Pirogue hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. »Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Mission,« sagte Pater Cereso; »Sie haben Bananen und Fische, bei Nacht werden Sie nicht von den Moskitos gestochen, und je länger Sie bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, daß Ihnen auch noch die Gestirne meines Landes zu Gesicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim »Tragen«, so geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es so gut, daß ich ein paar Wochen _con gente blanca y de razon_ lebe.«(61) Trotz unserer Ungeduld, hörten wir die Schilderungen des guten Missionärs mit großem Interesse an. Er bestätigte Alles, was wir bereits über die sittlichen Zustände der Eingeborenen dieser Landstriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40 bis 50 Köpfen unter einem Familienhaupte; einen gemeinsamen Häuptling (_apoto_, _sibierene_) erkennen sie nur an, sobald sie mit ihren Nachbarn in Fehde gerathen. Das gegenseitige Mißtrauen ist bei diesen Horden um so stärker, da selbst die, welche einander zunächst hausen, gänzlich verschiedene Sprachen sprechen. Auf offenen Ebenen oder in Ländern mit Grasfluren halten sich die Völkerschaften gerne nach der Stammverwandtschaft, nach der Aehnlichkeit der Gebräuche und Mundarten zusammen. Auf dem tartarischen Hochland wie in Nordamerika sah man große Völkerfamilien in mehreren Marschcolonnen über schwach bewaldete, leicht zugängliche Länder fortziehen. Der Art waren die Züge der toltekischen und aztekischen Race über die Hochebenen von Mexiko vom sechsten bis zum eilften Jahrhundert unserer Zeitrechnung; der Art war vermuthlich auch die Völkerströmung, in der sich die kleinen Stämme in Canada, die Mengwe (Irokesen) oder fünf Nationen, die Algonkins oder Lenni-Lenapes, die Chikesaws und die Muskohgees vereinigten. Da aber der unermeßliche Landstrich zwischen dem Aequator und dem achten Breitengrad nur Ein Wald ist, so zerstreuten sich darin die Horden, indem sie den Flußverzweigungen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens nöthigte sie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Flüsse, daß die Familien sich niederließen, ohne zu wissen, welche Menschenart zunächst neben ihnen wohnte. In spanisch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein eine halbe Meile breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren müßten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Cultur schon vorgeschrittenen Ländern Flußverbindungen mächtig auf Verschmelzung der Sprachen, der Sitten und der politischen Einrichtungen; dagegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Landstrichs, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechts, zerschlagen sie große Völker in Bruchstücke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverschieden aussehen, nähren sie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwischen dem Caura und dem Padamo trägt Alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen; sie hassen sich, weil sie einander fürchten. Betrachtet man dieses wilde Gebiet Amerikas mit Aufmerksamkeit, so glaubt man sich in die Urzeit versetzt, wo die Erde sich allmählig bevölkerte; man meint die frühesten gesellschaftlichen Bildungen vor seinen Augen entstehen zu sehen. In der alten Welt sehen wir, wie das Hirtenleben die Jägervölker zum Leben des Ackerbauers erzieht. In der neuen sehen wir uns vergeblich nach dieser allmähligen Culturentwicklung um, nach diesen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Völker. Der üppige Pflanzenwuchs ist den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, so hört des tiefen Wassers wegen der Fischfang Monate lang auf. Die Arten von Wiederkäuern, die der kostbarste Besitz der Völker der alten Welt sind, fehlen in der neuen; der Bison und der Moschusochse sind niemals Hausthiere geworden. Die Vermehrung der Llamas und Guanacos führte nicht zu den Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den Ufern des Missouri wie auf dem Hochland von Neu-Mexico, ist der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen, in den Wäldern von Guyana pflanzt er Manioc, Bananen, zuweilen Mais. Die Natur ist so überschwenglich freigebig, daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden ist, daß das Urbarmachen darin besteht, daß man die Sträucher wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder Steckreiser dem Boden anvertraut. So weit man sich in Gedanken in der Zeit zurückversetzt, nie kann man in diesen dicken Wäldern die Völker anders denken als so, daß ihnen der Boden vorzugsweise die Nahrung lieferte; da aber dieser Boden auf der kleinsten Fläche fast ohne Arbeit so reichlich trägt, so hat man sich wiederum vorzustellen, daß diese Völker immer einem und demselben Gewässer entlang häufig ihre Wohnplätze wechselten: Und der Eingeborene am Orinoco wandert ja mit seinem Saatkorn noch heute, und legt wandernd seine Pflanzung (_conuco_) an, wie der Araber sein Zelt aufschlägt rund die Weide wechselt. Die Menge von Culturgewächsen, die man mitten im Walde wild findet, weisen deutlich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadischer Lebensweise hin. Kann man sich wundern, daß bei solchen Sitten vom Segen der festen Niederlassung, des Getreidebaus, der weite Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, so gut wie nichts übrig bleibt? Die Völker am obern Orinoco, am Atabapo und Inirida verehren, gleich den alten Germanen und Persern, keine andern Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Princip nennen sie *Cachimana*; das ist der Manitu, der große Geist, der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben dem Cachimana steht ein böses Princip, der *Jolokiamo*, der nicht so mächtig ist, aber schlauer und besonders rühriger. Die Indianer aus den Wäldern, wenn sie zuweilen in die Missionen kommen, können sich von einem Tempel oder einem Bilde sehr schwer einen Begriff machen. »Die guten Leute,« sagte der Missionär, »lieben Processionen nur im Freien. Jüngst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Messe bei. Da sagten sie zu mir: »Euer Gott schließt sich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank; der unsrige ist im Wald, auf dem Feld, auf den Sipapubergen, woher der Regen kommt.« Bei zahlreicheren und eben deßhalb weniger barbarischen Völkerschaften bilden sich seltsame religiöse Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht seyn als die andern, und diese haben das berühmte *Botuto* in Verwahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Früchte tragen. An den Ufern des Orinoco gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim ursprünglichen Naturgottesdienst stehen geblieben sind; aber der *Botuto*, die heilige Trompete, ist zum Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt seyn. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geißelung, dem Fasten und andern angreifenden Andachtsübungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige und die altberühmteste befindet sich auf einem Hügel beim Zusammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie soll zugleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe, zehn Meilen weit, gehört werden. Nach Pater Ceresos Bericht sprechen die Indianer von diesem Botuto am Rio Tomo so, als wäre derselbe für mehrere Völkerschaften in der Nähe ein Gegenstand der Verehrung. Man stellt Früchte und berauschende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläst der Große Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald läßt er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt sind (von den Vätern unserer Väter her, sagen die Indianer), so ist es nicht zu verwundern, daß es bereits Menschen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber diese Ungläubigen äußern nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Instrument gar nicht sehen; sie sind überhaupt von jedem Gottesdienste ausgeschlossen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionär erzählte uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Mädchen zu retten, der ein eifersüchtiger, rachsüchtiger Liebhaber Schuld gegeben, sie sey aus Vorwitz den Indianern nachgeschlichen, die in den Pflanzungen den Botuto bliesen. »Oeffentlich hätte man sie nicht umgebracht,« sagte Pater Cereso, »aber wie sollte man sie vor dem Fanatismus der Eingebornen schützen, da es hier zu Lande so leicht ist, einem Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte solche Besorgniß gegen mich und ich schickte sie in eine Mission am untern Orinoco.« Wären die Völker in Guyana Herren dieses großen Landes geblieben, könnten sie, ungehindert von den christlichen Niederlassungen, ihre barbarischen Gebräuche frei entwickeln, « so erhielte der Botutodienst ohne Zweifel eine politische Bedeutung. Dieser geheimnißvolle Verein von Eingeweihten, diese Hüter der heiligen Trompete würden zu einer mächtigen Priesterkaste und das Orakel am Rio Tomo schlänge nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf diese Weise sind durch gemeinsame Gottesverehrung (_communia sacra_), durch religiöse Gebräuche und Mysterien so viele Völker der alten Welt einander näher gebracht, mit einander versöhnt und vielleicht der Gesittung zugeführt worden. Am vierten Mai Abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unserer Pirogue an den Pimichin beschäftigt war, sey von einer Natter gebissen worden. Der große starke Mann wurde in sehr bedenklichem Zustand in die Mission gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden gestürzt, und auf die Ohnmacht waren Uebligkeit, Schwindel, Congestionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane *Vejuco de Guaco*, die durch MUTIS so berühmt geworden, und die das sicherste Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen ist, war hier zu Lande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von *Raiz de Mato*. Wir können nicht mit Bestimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieses Gegengift kommt. Der reisende Botaniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutzbarsten Gewächsen weder Blüthe noch Frucht zu Gesicht bekommt, während er so viele Arten, die sich durch keine besondern Eigenschaften rauszeichnen, täglich mit allen Fructificationsorganen vor Augen hat. Die *Raiz de Mato* ist vermuthlich eine Apocynee, vielleicht die _Cerbera thevetia_ welche die Einwohner von Cumana _Lengua de Mato_ oder _Contra-Culebra_ nennen und gleichfalls gegen Schlangenbiß brauchen. Eine der Cerbera sehr nahe stehende Gattung (_Ophioxylon serpentinum_) leistet in Indien denselben Dienst. Ziemlich häufig findet man in derselben Pflanzenfamilie vegetabilische Gifte und Gegengifte gegen den Biß der Reptilien. Da viele tonische und narkotische Mittel mehr oder minder wirksame Gegengifte sind, so kommen diese in weit auseinanderstehenden Familien vor, bei den Aristolochien, Apocyneen, Gentianen, Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zusammengesetzten Blüthen, und was noch auffallender ist, sogar bei den Palmen. In der Hütte des Indianers, der von einer Natter gebissen worden, fanden wir 2--3 Zoll große Kugeln eines erdigten, unreinen Salzes, _‘Chivi’_ genannt, das von den Eingeborenen sehr sorgfältig zubereitet wird. In Maypures verbrennt man eine Conferve, die der Orinoco, wenn er nach dem Hochgewässer in sein Bett zurückkehrt, auf dem Gestein sitzen läßt. In Javita bereitet man Salz durch Einäscherung des Blüthenkolbens und der Früchte der *Seje* oder *Chimupalme*. Diese schöne Palme, die am Ufer des Auvena beim Katarakt Guarinuma und zwischen Javita und dem Pimichin sehr häufig vorkommt, scheint eine neue Art Cocospalme zu seyn. Bekanntlich ist das in der gemeinen Cocosnuß eingeschlossene Wasser häufig salzigt, selbst wenn der Baum weit von der Meeresküste wächst. Auf Madagascar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens *Cira*. Außer den Blüthenkolben und den Früchten der Sejepalme laugen die Indianer in Javita auch die Asche des vielberufenen Schlinggewächses *Cupana* aus. Es ist dieß eine neue Art der Gattung Paullinia, also eine von LINNÉs Cupania sehr verschiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß ein Missionär selten auf die Reise geht, ohne den zubereiteten Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Diese Zubereitung erfordert große Sorgfalt. Die Indianer zerreiben den Samen, mischen ihn mit Maniocmehl, wickeln die Masse in Bananenblätter und lassen sie im Wasser gähren, bis sie safrangelb wird. Dieser gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet, und mit Wasser angegossen genießt man ihn Morgens statt Thee. Das Getränk ist bitter und magenstärkend, ich fand aber den Geschmack sehr widrig. Am Niger und in einem großen Theile des innern Afrika, wo das Salz sehr selten ist, heißt es von einem reichen Mann: »Es geht ihm so gut, daß er Salz zu seinen Speisen ißt.« Dieses Wohlergehen ist auch im Innern Guyanas nicht allzu häufig. Nur die Weißen, besonders die Soldaten im Fort San Carlos, wissen sich reines Salz zu verschaffen, entweder von der Küste von Caracas oder von Chita, am Ostabhang der Cordilleren von Neu-Grenada, aus dem Rio Meta. Hier, wie in ganz Amerika, essen die Indianer wenig Fleisch und verbrauchen fast kein Salz. Daher trägt auch die Salzsteuer aller Orten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorschlägt, wie in Mexico und Guatimala, der Staatskasse wenig ein. Der *Chivi* in Javita ist ein Gemenge von salzsaurem Kali und salzsaurem Natron, Aetzkalk und verschiedenen erdigten Salzen. Man löst ein ganz klein wenig davon in Wasser auf, füllt mit der Auflösung ein dütenförmig aufgewickeltes Heliconienblatt und läßt wie aus der Spitze eines Filtrums ein paar Tropfen auf die Speisen fallen. Am 5. Mai machten wir uns zu Fuß aus den Weg, um unsere Pirogue einzuholen, die endlich über den Trageplatz im Caño Pimichin angelangt war. Wir mußten über eine Menge Bäche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorsicht nöthig. Die Indianer zeigten uns auf dem nassen Thon die Fährte der kleinen schwarzen Bären, die am Temi so häufig vorkommen. Sie unterscheiden sich wenigstens in der Größe vom _Ursus americanus_; die Missionäre nennen sie _Osso carnicero_ zum Unterschied vom _Osso palmero_ (_Myrmecophaga jubata_) und dem _Osso hormigero_ oder Tamandua-Ameisenfresser. Diese Thiere sind nicht übel zu essen; die beiden erstgenannten setzen sich zur Wehr und stellen sich dabei auf die Hinterbeine. BUFFONs Tamanoir heißt bei den Indianern *Uaraca*; er ist reizbar und beherzt, was bei einem zahnlosen Thier ziemlich auffallend erscheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Wald, der uns desto reicher erschien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikanische Gruppe mit Blüthen in Rispen bildet wahrscheinlich eine Gattung für sich), die _Galega piscatorum_, deren, sowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zusammengesetzter Blüthe vom Rio Temi [_Bailliera Barbasco_], die Indianer sich als *Barbasco* bedienen, um die Fische zu betäuben, endlich die hier *Vejuco de Mavacure* genannte Liane, von der das vielberufene Gift *Curare* kommt. Es ist weder ein _Phyllanthus_, noch eine _Coriaria_ wie WILLDENOW gemeint, sondern nach KUNTHs Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein _Strychnos_. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen Substanz zu sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handelsartikel ist. Wenn ein Reisender, der sich gleich uns durch die Gastfreundschaft der Missionäre gefördert sähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Iahr in den Bergen bei Esmeralda und am obern Orinoco zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von AUBLET und RICHARD beschriebenen Gattungen verdreifachen. Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die riesige Höhe von 80--120 Fuß. Es sind dieß die Laurineen und Amyris, die in diesen heißen Himmelsstrichen das schöne Bauholz liefern, das man an der Nordwestküste von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20 Grad unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika ist unter allen Himmelsstrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft so ausnehmend stark, daß unter dem 57 Grad nördlicher Breite, auf derselben Isotherme wie Petersburg und die Orkneyinseln, _Pinus canadensis_ 150 Fuß hohe und 6 Fuß dicke Stämme hat.(62) Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem *Puerto* oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, »wo ein armer Missionär, ein Kapuziner, von den Wespen umgebracht worden.« Ich spreche dieß dem Mönch in Javita und den Indianern nach. Man spricht hier zu Lande viel von giftigen Wespen und Ameisen; wir konnten aber keines von diesen beiden Insekten auftreiben. Bekanntlich verursachen im heißen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht selten Fieberanfälle fast so heftig wie die, welche bei uns bei sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erschöpfung und der Feuchtigkeit gewesen seyn, als des Giftes im Stachel der Wespen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Diese Wespen bei Javita sind nicht mit den Honigbienen zu verwechseln, welche die Spanier *Engelchen* nennen [S. Bd. II Seite 192] und die sich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufenweise auf Gesicht und Hände setzten. Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Cacaobäumen. Die Bäume sind sehr kräftig und hier wie am Altabapo und Rio Negro in allen Jahreszeiten mit Blüthen und Früchten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahr an zu tragen, auf der Küste von Caracas erst im sechsten bis achten. Der Boden ist am Tuamini und Pimichin überall, wo er nicht sumpfigt ist, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, daß der Cacaobaum in diesen Wäldern der Parime, südlich vom sechsten Breitengrad, eigentlich zu Hause ist, und daß das nasse Klima am obern Orinoco diesem kostbaren Baume weit besser zusagt als die Luft in den Provinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, so muß man bedauern, daß dieses schöne Stück Erde in den Händen von Mönchen ist, von denen keinerlei Cultur befördert wird. Die Missionen der Observanten allein könnten 50,000 Fanegas(63) Cacao in den Handel bringen, dessen Werth sich in Europa auf mehr als sechs Millionen Franken beliefe. Um die Conugos am Pimichin wächst wild der *Igua*, ein Baum, ähnlich dem _Caryocar nuciferum_ den man in holländisch und französisch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita (_Caryocar amygdaliferum_), dem Juvia von Esmeralda (_Bertholletia excelsa_) und der _Geoffraea_ vom Amazonenstrom die gesuchtesten Mandeln in Südamerika kommen. Die Früchte des Igua kommen hier gar nicht in den Handel; dagegen sah ich an den Küsten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Früchte des _Caryocar tomentosum_, AUBLETs _Pecea tuberculosa_, einführten. Diese Bäume werden hundert Fuß hoch und nehmen sich mit ihrer schönen Blumenkrone und ihren vielen Staubfäden prachtvoll aus. Ich müßte den Leser ermüden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche diese großen Wälder auszuweisen haben, noch weiter herzählen. Ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit rührt daher, daß hier auf kleiner Bodenfläche so viele Pflanzenfamilien neben einander vorkommen, und daß bei dem mächtigen Reiz von Licht und Wärme die Säfte, die in diesen riesenhaften Gewächsen circuliren, so vollkommen ausgearbeitet werden. Wir übernachteten in einer Hütte, welche erst seit kurzem verlassen stand. Eine indianische Familie hatte darin Fischergeräthe zurückgelassen, irdenes Geschirr, aus Palmblattstielen geflochtene Matten, den ganzen Hausrath dieser sorglosen, um Eigenthum wenig bekümmerten Menschenart. Große Vorräthe von *Mani* (eine Mischung vom Harz der _Moronobea_ und der _Amyris_ Caraña) lagen um die Hütte. Die Indianer bedienen sich desselben hier wie in Cayenne zum Theeren der Piroguen und zum Befestigen des knöchernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Näpfe voll vegetabilischer Milch, die zum Firnissen dient und in den Missionen als _leche para pindar_ viel genannt wird. Man bestreicht mit diesem klebrichten Saft das Geräthe, dem man eine schöne weiße Farbe geben will. An der Luft verdickt er sich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden [S. Bd. II. Seite 337], ist das Cautschuc der fette Theil, die Butter in jeder Pflanzenmilch. Dieses Gerinsel nun, diese weiße Haut, die glänzt, als wäre sie mit Copalfirniß überzogen, ist ohne Zweifel eine eigene Form des Cautschuc. Könnte man diesem milchigten Firniß verschiedene Farben geben, so hätte man damit, sollte ich meinen, ein Mittel, um unsere Kutschenkasten rasch, in Einer Handlung zu bemalen und zu firnissen. Je genauer man die chemischen Verhältnisse der Gewächse der heißen Zone kennen lernt, desto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europäischen Handel zugänglichen Orten in den Organen gewisser Gewächse halbfertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Ansicht nur dem Thierreich angehören, oder die wir auf künstlichem, zwar sicherem, oft aber langem und mühsamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palmbaum der Anden von Quindiu überzieht, die Seide der Mocoapalme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikanischen Butterbaum, den käseartigen Stoff im fast animalischen Safte der _Carica Papaya_. Dergleichen Entdeckungen werden sich häufen, wenn, wie nach den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in der Welt wahrscheinlich ist, die europäische Cultur großentheils in die Aequinoctialländer des neuen Continents überfließt. Wie ich oben erwähnt, ist die sumpfigte Ebene zwischen Javita und dem Landungsplatz am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande berüchtigt. Bevor wir von der verlassenen Hütte Besitz nahmen, schlugen die Indianer zwei große, 4--5 Fuß lange *Mapanare*-Schlangen todt. Sie schienen mir von derselben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beschrieben habe. Es ist ein schönes, aber sehr giftiges Thier, am Bauch weiß, auf dem Rücken braun und roth gefleckt. Da in der Hütte eine Menge Kraut lag und wir am Boden schliefen (die Hängematten ließen sich nicht befestigen), so war man in der Nacht nicht ohne Besorgniß; auch fand man Morgens, als man das Jaguarfell aushob, unter dem einer unserer Diener am Boden gelegen, eine große Natter. Wie die Indianer sagen, sind diese Reptilien langsam in ihren Bewegungen, wenn sie nicht verfolgt werden, und machen sich an den Menschen, weil sie der Wärme nachgehen. Am Magdalenenstrom kam wirklich eine Schlange zu einem unserer Reisebegleiter ins Bett und brachte einen Theil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zu Leide zu thun. Ich will hier keineswegs Nattern und Klapperschlangen das Wort reden, aber das läßt sich behaupten, wären diese giftigen Thiere so angriffslustig, als man glaubt, so hätte in manchen Strichen Amerikas, z. B. am Orinoco und in den feuchten Bergen von Choco, der Mensch ihrer Unzahl erliegen müssen. Am 6. Mai. Wir schifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unserer Pirogue genau untersucht hatten. Er war beim »Tragen« wohl dünner geworden, aber nicht gesprungen. Wir dachten, das Fahrzeug könne die dreihundert Meilen, die wir den Rio Negro hinab, den Cassiquiare hinauf und den Orinoco wieder hinab bis Angostura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Caño) heißt, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Bäume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, daß nur ein 15--20 Toisen breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewässern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt sind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 2--3 Meilen hinter einander. Um den Längenunterschied zwischen dem Ladungsplatz und dem Punkt, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Compaß den Lauf des Caño Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 2,4 Fuß in der Sekunde, aber unsere Pirogue legte beim Rudern 4,6 Fuß zurück. Meiner Schätzung nach liegt der Landungsplatz am Pimichin 1100 Toisen westwärts von seiner Mündung und 0° 2′ westwärts von der Mission Javita. Der Caño ist das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen *Raudal*, über den ziemlich schwer heraufzukommen ist; seine Ufer sind niedrig, aber felsigt. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang den Krümmungen des schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein. Der Morgen war kühl und schön. Sechs und dreißig Tage waren wir in einem schmalen Canoe eingesperrt gewesen, das so unstet war, daß es umgeschlagen hätte, wäre man unvorsichtig aufgestanden, ohne den Ruderern am andern Bord zuzurufen, sich überzulehnen und das Gleichgewicht herzustellen. Wir hatten vom Insektenstich furchtbar gelitten, aber das ungesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuschlagen, über eine ganze Menge Wasserfälle und Flußdämme gekommen, welche die Stromfahrt sehr beschwerlich und oft gefährlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich gestattet seyn auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüsse des Amazonenstroms erreicht, daß wir die Landenge zwischen zwei großen Flußsystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Hauptzwecks unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Arms des Orinoco, der sich in den Rio Negro ergießt, und dessen Existenz seit einem halben Jahrhundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem innern Auge gehabt, wächst uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiquiare beschäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte der Culturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Continents, gewöhnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht nothwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewächsen, und ihre freie Entwicklung findet nirgends ein Hinderniß. Eine mächtige Schicht Dammerde weist darauf hin, daß die organischen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Krokodile und Boas sind die Herren des Stroms; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; sie hausen hier wie auf ihrem angestammten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ocean und im Sande Afrika’s gewöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmückt mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man, glaubt sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am obern Orinoco zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heitern Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondsbewohner, über tausend Dinge, von denen ich so viel wußte als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier nicht genügen, und so sagte er in zuversichtlichem Tone: »Was die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Land von Javita an den Cassiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (_mucho monte_), durch den ein Strom fließt.« Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Einöde hervorbringt. Möchte diese Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser, die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschichtlichen Erinnerungen des alten Continents gewöhnt sind, es nicht ermüdend finden! ------------------ 55 Die wilden Völker bezeichnen jedes europäische Handelsvolk mit Beinamen, die ganz zufällig entstanden zu seyn scheinen. Ich habe schon oben bemerkt, daß die Spanier vorzugsweise *bekleidete Menschen*, _gheme_ oder _Uavemi_ heißen. _ 56 Homo __habitat__ inter tropicos, vescitur Palmis, Lotophagus; __hospitatur__ entre tropicos sub novercante Cerere, carnivorus._ 57 Einer der Vorgänger des Geistlichen, den wir in San Fernando als Präsidenten der Missionen fanden. 58 Die Delphine, welche in die Nilmündung kommen, fielen indessen den Alten so auf, daß sie auf einer Büste des Flußgottes aus Syenit im Pariser Museum halb versteckt im wallenden Barte dargestellt sind. 59 Ich führe diesen geringfügigen Umstand hier an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen, wie nöthig es ist, nur solche Barometer zu haben, bei denen die Röhre der ganzen Länge nach sichtbar ist. Eine ganz kleine Luftblase kann das Quecksilber zum Theil oder ganz sperren, ohne daß der Ton beim Anschlagen des Quecksllbers am Ende der Röhre sich veränderte. _ 60 Ocotea cymbarum_, sehr verschieden vom _Laurus Sassafras_ in Nordamerika. 61 »Mit weißen und vernünftigen Menschen.« Die europäische Eigenliebe stellt gemeiniglich die _gente de razon_ und die _gente parda_ einander gegenüber. 62 LANGSDORF sah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Canoes aus Einem Stück 50 Fuß lang, 4 1/2 :breit und an den Rändern 3 Fuß hoch; sie faßten 30 Menschen. Auch _Populus balsamifera_ wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch. 63 Die Fanega wiegt 110 spanische Pfund. DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Der Rio Negro. -- Die brasilianische Grenze. Der Rio Negro ist dem Amazonenstrom, dem Rio de la Plata und dem Orinoco gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Besitz desselben war aber seit Jahrhunderten für die spanische Regierung von großer politischer Wichtigkeit, weil er für einen eifersüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße ist, um sich in die Missionen in Guyana einzudrängen und die südlichen Grenzen der _Capitania general_ von Caracas zu beunruhigen. Dreihundert Jahre verflossen über zu nichts führenden Grenzstreitigkeiten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Culturgrad der Völker hielt man sich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hülfsmittel der Astronomie. Da man es meist vortheilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Continents bei diesem endlosen Proceß gewonnen. Es ist bekannt, daß durch die Bullen der Päpste Nicolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordesillas und die Nothwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu lösen, die Ephemeriden zu verbessern und die Instrumente zu vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Händel in Paraguay und der Besitz der Colonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Lissabon Sachen von großem Belang wurden, schickte man Grenzcommissäre an den Orinoco, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata. Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Verrechnungen und Protokollen füllten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineofficier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küsten Ortsbestimmungen vornehmen kann, Bescheid wußte. Das Wenige, was wir am Schluß des vorigen Jahrhunderts von der astronomischen Geographie des neuen Continents wußten, verdankt man diesen achtbaren, fleißigen Männern, den französischen und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian gemessen, und Officieren, welche von Valparaiso nach Buenos Ayres gegangen waren, um sich Malaspinas Expedition anzuschließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissenschaften fast zufällig durch jene »Grenzcommissionen« gefördert worden sind, die für den Staat eine große Last waren und von denen, die sie ins Leben gerufen, noch öfter vergessen als ausgelöst wurden. Weiß man, wie unzuverlässig die Karten von Amerika sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten Landstriche zwischen dem Jupura und Rio Negro, dem Madeira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küste von Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen Ernstes streitig gemacht, so kann man sich über die Beharrlichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Colonien liegen meist Wüsten, deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den berühmten Conferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papst, als er die Demarcationslinie 370 spanische Meilen [Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt.] westwärts von den Inseln des grünen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erste Meridian solle vom Mittelpunkt der Insel St. Nicolas aus, oder aber (wie der portugiesische Hof behauptete) vom westlichen Ende der kleinen Insel San Antonio gezählt werden. Im Jahr 1754, zur Zeit von Ituriagas und Solanos Expedition, unterhandelte man über den Besitz der damals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stück Sumpfland, über das wir zwischen Javita und dem Pimichin an Einem Abend gegangen. Noch in neuester Zeit wollten die spanischen Commissäre die Scheidungslinie an die Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während die portugiesischen Astronomen sie bis zum Salto Grande zurückschoben. Die Missionäre und das Publikum überhaupt betheiligten sich sehr lebhaft an diesen Grenzstreitigkeiten. In den spanischen wie in den portugiesischen Colonien beschuldigt man die Regierung der Gleichgültigkeit und Lässigkeit. Ueberall wo die Völker keine Verfassung haben, deren Grundlage die Freiheit ist, gerathen die Gemüther nur dann in Aufregung, wenn es sich davon handelt, die Grenzen des Landes weiter oder enger zu machen. Der Rio Negro und der Jupura sind zwei Nebenflüsse des Amazonenstromes, die in Länge der Donau wenig nachgeben, und deren oberer Lauf den Spaniern gehört, während der untere in den Händen der Portugiesen ist. An diesen zwei majestätischen Strömen hat sich die Bevölkerung nur in der Nähe des ältesten Mittelpunktes der Cultur bedeutend vermehrt. Die Ufer des obern Jupura oder Caqueta wurden von Missionären cultivirt, die aus den Cordilleren von Popayan und Neiva gekommen waren. Von Macoa bis zum Einfluß des Caguan gibt es sehr viele christliche Niederlassungen, während am untern Jupura die Portugiesen kaum ein paar Dörfer gegründet haben. Am Rio Negro dagegen konnten es die Spanier ihren Nachbarn nicht gleich thun. Wie kann man sich auf eine Bevölkerung stützen, wenn sie so weit abliegt als die in der Provinz Caracas? Fast völlig unbewohnte Steppen und Wälder liegen, 160 Meilen breit, zwischen dem angebauten Küstenstrich und den vier Missionen Macoa, Tomo, Davipe und San Carlos, den einzigen, welche die spanischen Franciscaner längs des Rio Negro zu Stande gebracht. Bei den Portugiesen in Brasilien hat das militärische Regiment, das System der _Presides_ und _Capitanes pobladores_ dem Missionsregiment gegenüber die Oberhand gewonnen. Von Gran-Para ist es allerdings sehr weit zur Einmündung des Rio Negro [In gerader Linie 150 Meilen.], aber bei der bequemen Schifffahrt auf dem Amazonenstrom, der wie ein ungeheurer Canal von West nach Ost gerade fortläuft, konnte sich die portugiesische Bevölkerung längs des Stromes rasch ausbreiten. Die Ufer des untern Amazonenstroms von Vistoza bis Serpa, so wie die des Rio Negro von Forte da Bara bis San Jose de Marabitanos sind geschmückt mit reichem Anbau und mit zahlreichen Städten und ansehnlichen Dörfern bedeckt. An diese Betrachtungen über die örtlichen Verhältnisse reihen sich andere an, die sich auf die moralische Verfassung der Völker beziehen. Auf der Nordwestküste Amerikas sind bis auf diesen Tag keine festen Niederlassungen außer den russischen und den spanischen Colonien. Noch ehe die Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Ost nach West den Küstenstrich erreicht hatte, der zwischen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die castilianischen Mönche und die sibirischen Jäger(64) getrennt, ließen sich letztere südlich vom Rio Colombia nieder. So waren denn in Neucalifornien die Missionäre vom Orden des heiligen Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erstaunt, als sie hörten, in ihrer Nachbarschaft seyen griechische Priester eingetroffen, so daß die beiden Völker, welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen, auf den Küsten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn geworden waren. Anders wiederum gestalteten sich die Verhältnisse in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dieselben Portugiesen wieder, die mit ihnen durch Sprache und Gemeindeverfassung einen der edelsten Reste des römischen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung geflossen, zu einer nicht selten feindseligen, immer aber eifersüchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küste von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen überhaupt, die europäische Handelpolitik der tägliche Gegenstand des Interesses ist) nach Süd, so fühlt man sich mit jedem Tage mehr und mit wachsender Geschwindigkeit Allem entrückt, was mit dem Mutterlande zusammenhängt. Mitten in den Steppen oder Llanos, in den mit Ochsenhäuten gedeckten Hütten inmitten wilder Heerden unterhält man sich von nichts als von der Pflege des Viehs, von der Trockenheit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermäuse an Färsen und Füllen angerichtet. Kommt man aus dem Orinoco in die Missionen in den Wäldern, so findet man die Einwohnerschaft wieder mit andern Dingen beschäftigt, mit der Unzuverlässigkeit der Indianer, die aus den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Ernte der Schildkröteneier, mit den Beschwerden eines heißen, ungesunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage der Moskitos noch zu einem andern Gedanken, so beklagt man sich leise über den Präsidenten der Missionen, so seufzt man über die Verblendung der Leute, die im nächsten Capitel den Gardian des Klosters in Nueva Barcelona wieder wählen wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Interesse, und zwar beschränkt sich dasselbe auf die Angelegenheiten des Ordens, »auf diese Wälder, wie die Mönche sagen, _estas selvas_, die Gott uns zum Wohnsitz angewiesen.« Dieser etwas enge, aber ziemlich trübselige Ideenkreis erweitert sich, wenn man vom obern Orinoco an den Rio Negro kommt und sich der Grenze Brasiliens nähert. Hier scheinen alle Köpfe vom Dämon europäischer Politik besessen. Das Nachbarland jenseits des Amazonenstroms heißt in der Sprache der spanischen Missionen weder Brasilien, noch _Capitania general_ von Gran-Para, sondern *Portugal*; die kupferfarbigen Indianer, die halbschwarzen Mulatten, die ich von Barcelos zur spanischen Schanze San Carlos herauskommen sah, sind *Portugiesen*. Diese Namen sind im Munde des Volkes bis an die Küste von Cumana, und mit Behagen erzählt man den Reisenden, welche Verwirrung sie im Kopfe eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Commandanten von Vieja Guayana angerichtet hatten. Der alte Kriegsmann beschwerte sich, daß er zur See habe an den Orinoco kommen müssen. »Ist es wahr,« sprach er, »wie ich hier höre, daß spanisch Guyana, diese große Provinz, sich bis nach Portugal erstreckt (zu _los Portugueses_), so möchte ich wissen, warum der Hof mich in Cadix sich hat einschiffen lassen? Ich hätte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande gemacht.« Diese Aeußerung von naiver Unwissenheit erinnert an eine verwunderliche Meinung des Cardinals LORENZANA. Dieser Prälat, der übrigens in der Geschichte ganz zu Hause ist, sagt in einem in neuerer Zeit in Mexico gedruckten Buche, die Besitzungen des Königs von Spanien in Neu-Californien und Neu-Mexico (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 48′ der Breite) »hängen über Land mit Sibirien zusammen.« Wenn zwei Völker, die in Europa neben einander wohnen, Spanier und Portugiesen, auch auf dem neuen Continent Nachbarn geworden sind, so verdanken sie dieses Verhältniß, um nicht zu sagen diesen Uebelstand, dem Unternehmungsgeist, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriegerischen Ruhmes und ihrer politischen Größe entwickelt. Die castilianische Sprache wird gegenwärtig in Süd- und Nordamerika auf einer 1900 Meilen langen Strecke gesprochen; betrachtet man aber Südamerika für sich, so zeigt sich, daß das Portugiesische über einen größeren Flächenraum verbreitet ist, aber von nicht so vielen Menschen gesprochen wird, als das Castilianische. Das innige Band, das die schönen Sprachen eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, sollte man meinen, Völker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet sich keineswegs nur nach der Verschiedenheit in Abstammung, Sitten und Culturstufe; überall, wo er sehr stark ausgesprochen ist, erscheint er als die Folge geographischer Verhältnisse und der damit gegebenen widerstreitenden Interessen. Man verabscheut sich etwas weniger, wenn man weit auseinander ist und bei wesentlich Verschiedenen Sprachen gar nicht in Versuchung kommt, mit einander zu verkehren. Diese Abstufungen in der gegenseitigen Stimmung neben einander-lebender Völker fallen Jedem auf, der Neucalifornien, die innern Provinzen von Mexico und die Nordgrenzen Brasiliens bereist. Als ich mich am spanischen Rio Negro befand, war, in Folge der auseinander gehenden Politik der beiden Höfe von Lissabon und Madrid, das systematische Mißtrauen, dem die Commandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den ruhigsten Zeiten gerne Nahrung geben, noch stärker als gewöhnlich. Die Canoes kamen von Barcelos bis zu den spanischen Missionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der Befehlshaber einer Truppenabtheilung von 16 bis 18 Mann plagte »die Garnison« mit Sicherheitsmaßregeln, welche »der Ernst der Lage« erforderlich machte, und im Fall eines Angriffs hoffte er »den Feind zu umzingeln.« Sprachen wir davon, daß die portugiesische Regierung in Europa die vier kleinen Dörfer, welche die Franciscaner am obern Rio Negro angelegt, ohne Zweifel sehr wenig beachte, so fühlten sich die Leute durch die Gründe, mit denen wir sie beruhigen wollten, nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechsel im Lauf von Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeschwächt erhalten haben, ist jede Gelegenheit erwünscht, die demselben neue Nahrung gibt. Dem Menschen ist bei Allein wohl, was sein Gemüth aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtseyn bringt, sey es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eifersüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurtheilen entspringt. Die ganze Persönlichkeit der Völker ist aus dem Mutterlande in die entlegensten Colonien übergegangen, und der gegenseitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wissen aus KRUSENSTERNs anziehendem Reisebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matrosen, eines Franzosen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwischen den Bewohnern der Marquesasinseln Anlaß gab. Am Amazonenstrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portugiesischen und spanischen Dörfern einander nicht ausstehen. Diese armen Menschen sprechen nur amerikanische Sprachen, sie wissen gar nicht, was »am andern Ufer des Oceans, drüben über der großen Salzlache« vorgeht; aber die Kutten ihrer Missionäre sind von verschiedener Farbe, und dieß mißfällt ihnen im höchsten Grade. Ich habe bei der Schilderung der Folgen des Nationalhasses verweilt, den kluge Beamte zu mildern suchten, ohne ihn ganz beschwichtigen zu können. Diese Eifersucht ist nicht ohne Einfluß auf den Umstand gewesen, daß unsere geographische Kunde von den Nebenflüssen des Amazonenstromes bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Eingeborenen gehemmt ist, und die eine Nation an der Mündung, die andere im obern Flußgebiet sitzt, so fällt es den Kartenzeichnern sehr schwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodischen Ueberschwemmungen, besonders aber die Trageplätze, über die man die Canoes von einem Nebenfluß zum andern schafft, dessen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüsse, die in Wahrheit nicht bestehen. Die Indianer in den portugiesischen Missionen zum Beispiel schleichen sich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerseits auf dem Rio Guaicia und Rio Tomo in den spanischen Rio Negro, andererseits über die Trageplätze zwischen dem Cababuri, dem Pasimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den obern Orinoco, um hinter Esmeralda den aromatischen Samen des Pucherylorbeers zu sammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, sind vortreffliche Geographen; sie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie sie auf den Karten gezogen sind, trotz der Schanzen und Estacamentos, und wenn die Missionäre sie von so weither, und zwar in verschiedenen Jahreszeiten kommen sehen, so machen sie sich daran, Hypothesen über vermeintliche Flußverbindungen zu schmieden. Jeder Theil hat ein Interesse dabei, nicht zu sagen, was er ganz gut weiß, und der Hang zu allem Geheimnißvollen, der bei rohen Menschen so gemein und so lebendig ist, thut das Seinige dazu, um die Sache im Dunkeln zu lassen. Noch mehr, die verschiedenen Indianerstämme, welche dieses Wasserlabyrinth befahren, geben den Flüssen ganz verschiedene Namen, und diese Namen werden durch Endungen, welche »Wasser, großes Wasser, Strömung« bedeuten, unkenntlich gemacht und verlängert. Wie oft bin ich beim nothwendigen Geschäft, die Synonymie der Flüsse ins Reine zu bringen, in größter Verlegenheit gewesen, wenn ich die gescheitesten Indianer vor mir hatte und sie mittelst eines Dolmetschers über die Zahl der Nebenflüsse, die Quellen und die Trageplätze befragte! Da in derselben Mission drei, vier Sprachen gesprochen werden, so hält es sehr schwer, die Aussagen in Uebereinstimmung zu bringen. Unsere Karten wimmeln von willkürlich abgekürzten oder entstellten Namen. Um herauszubringen, was darauf richtig ist, muß man sich von der geographischen Lage der Nebenflüsse, fast möchte ich sagen von einem gewissen etymologischen Takt leiten lassen. Der Rio Uaupe oder Uapes der portugiesischen Karten ist der Guapue der spanischen und der Ucayari der Eingeborenen. Der Anava der älteren Geographen ist ARROWSMITHs Anauahu, und der Unanauhau oder Guanauhu der Indianer. Man ließ nicht gerne einen leeren Raum auf den Karten, damit sie recht genau aussehen möchten, und so erschuf man Flüsse und legte ihnen Namen bei, ohne zu wissen, daß dieselben nur Synonyme waren. Erst in der neuesten Zeit haben die Reisenden in Amerika, in Persien und Indien eingesehen, wie viel darauf ankommt, daß man in der Namengebung correkt ist. Liest man die Reise des berühmten RALEGH, so ist es eben nicht leicht, im See Mrecabo den See Maracaybo und im Marquis Paraco den Namen Pizarros, des Zerstörers des Reichs der Incas, zu erkennen. Die großen Nebenflüsse des Amazonenstroms heißen, selbst bei den Missionären von europäischer Abstammung, in ihrem obern Lauf anders als im untern. Der Jça heißt weiter oben Putumayo; der Jupura führt seinen Quellen zu den Namen Caqueta. Wenn man in den Missionen der Andaquies sich nach dem wahren Ursprung des Rio Negro umsah, so konnte dieß um so weniger zu etwas führen, da man den indianischen Namen des Flusses nicht kannte. In Javita, Maroa und San Carlos hörte ich ihn *Guainia* nennen. SOUTHEY, der gelehrte Geschichtschreiber Brasiliens, den ich überall sehr genau fand, wo ich seine geographischen Angaben mit dem, was ich selbst aus meinen Reisen gesammelt, vergleichen konnte, sagt ausdrücklich, der Rio Negro heiße auf seinem untern Laufe bei den Eingeborenen Guiari oder Curana, aus seinem obern Lauf *Ueneya*. Das ist soviel wie Gueneya statt Guainia; denn die Indianer in diesen Landstrichen sprechen ohne Unterschied Guanaracua und Uanaracua, Guarapo und Uarapo. Aus dem letzteren haben HONDIUS [Auf seiner Karte zu Raleghs Reise.] und alle alten Geographen durch ein komisches Mißverständniß ihren _‘Europa fluvius’_ gemacht. Es ist hier der Ort, von den Quellen des Rio Negro zu sprechen, über welche die Geographen schon so lange im Streit liegen. Diese Frage erscheint nicht allein darum wichtig, weil es sich vom Ursprung eines mächtigen Stromes handelt, was ja immer von Interesse ist; sie hängt mit einer Menge anderer Fragen zusammen, mit den angeblichen Gabelungen des Caqueta, mit den Verbindungen zwischen dem Rio Negro und dem Orinoco, und mit dem *örtlichen Mythus* vom Dorado, früher Enim oder das Reich des Großen Paytiti geheißen. Studirt man die alten Karten dieser Länder und die Geschichte der geographischen Irrthümer genau, so sieht man, wie der Mythus vom Dorado mit den Quellen des Orinoco allmählich nach Westen rückt. Er entstand auf dem Ostabhang der Anden und setzte sich zuerst, wie ich später nachweisen werde, im Südwesten vom Rio Negro fest. Der tapfere PHILIPP DE URRE ging, um die große Stadt Manoa zu entdecken, über den Guaviare. Noch jetzt erzählen die Indianer in San Jose de Maravitanos, »fahre man vierzehn Tage lang auf dem Guape oder Uaupe nach Nordost, so komme man zu einer berühmten *Laguna de Oro*, die von Bergen umgeben und so groß sey, daß man das Ufer gegenüber nicht sehen könne. Ein wildes Volk, die Guanes, leide nicht, daß man im Sandboden um den See Gold sammle.« Pater ACUÑA setzt den See Manoa oder Yenefiti zwischen den Japura und den Rio Negro. Manaos-Indianer (dieß ist das Wort Manoa mit Verschiebung der Vokale, was bei so vielen amerikanischen Völkern vorkommt) brachten dem Pater FRITZ im Jahr 1687 viele Blätter geschlagenen Goldes. Diese Nation, deren Namen noch heute am Urarira zwischen Lamalonga und Moreira bekannt ist, saß am Jurubesh (Yurubech, Yurubets). LA CONDAMINE sagt mit Recht, dieses Mesopotamien zwischen dem Caqueta, dem Rio Negro, dem Jurubesh und dem Iquiare sey der erste Schauplatz des Dorado. Wo soll man aber die Namen Jurubesh und Iquiare der Patres Acuña und Fritz suchen? Ich glaube sie in den Flüssen Urubaxi und Iguari der handschriftlichen portugiesischen Karten wieder zu finden, die ich besitze und die im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro gezeichnet wurden. Seit vielen Jahren habe ich nach den ältesten Karten und einem ansehnlichen, von mir gesammelten, nicht veröffentlichten Material mit anhaltendem Eifer Untersuchungen über die Geographie Südamerikas nördlich vom Amazonenstrom angestellt. Da ich meinem Werke den Charakter eines wissenschaftlichen Werkes bewahren möchte, darf ich mich nicht scheuen, von Gegenständen zu handeln, über die ich hoffen kann einiges Licht zu verbreiten, nämlich von den Quellen des Rio Negro und des Orinoco, von der Verbindung dieser Flüsse mit dem Amazonenstrom, und vom Problem vom Goldlande, das den Bewohnern der neuen Welt so viel Blut und so viel Thränen gekostet hat. Ich werde diese Fragen nach einander behandeln, wie ich in meinem Reisetagebuche an die Orte komme, wo sie von den Einwohnern selbst am lebhaftesten besprochen werden. Da ich aber sehr ins Einzelne gehen müßte, wenn ich alle Beweise für meine Ausstellungen beibringen wollte, so beschränke ich mich hier darauf, die hauptsächlichsten Ergebnisse mitzutheilen, und verschiebe die weitere Ausführung auf die »_Analyse des Cartes_« und den »_Essai sur la géographie astronomique du Nouveau-Continent_«, welche den geographischen Atlas eröffnen sollen. Diese meine Untersuchungen führen zum allgemeinen Schluß, daß die Natur bei der Vertheilung der fließenden Gewässer auf der Erdoberfläche, wie beim Bau der organischen Körper, lange nicht nach einem so verwickelten Plane verfahren ist, als man unter dem Einfluß unbestimmter Anschauungen und des Hangs zum Wunderbaren geglaubt hat. Es geht auch daraus hervor, daß alle jene Anomalien, alle jene Ausnahmen von den Gesetzen der Hydrographie, die im Innern Amerikas vorkommen, nur scheinbar sind; daß in der alten Welt beim Lauf fließender Gewässer gleich außerordentliche Erscheinungen vorkommen, daß aber diese Erscheinungen vermöge ihres unbedeutenden Umfangs den Reisenden weniger aufgefallen sind. Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden können als aus mehreren, unter einander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen bestehend, wenn diese Ströme nicht in Thäler eingeschlossen sind, und wenn das Innere eines großen Festlandes so eben ist als bei uns das Meeresufer, so müssen die Verzweigungen, die Gabelungen, die netzförmigen Verschlingungen sich ins Unendliche häufen. Nach Allem, was wir vom Gleichgewicht der Meere wissen, kann ich nicht glauben, daß die neue Welt später als die alte dem Schooß des Wassers entstiegen, daß das organische Leben in ihr jünger, frischer seyn sollte; wenn man aber auch keine Gegensätze zwischen den zwei Halbkugeln desselben Planeten gelten läßt, so begreift sich doch, daß auf derjenigen, welche die größte Wasserfülle hat, die verschiedenen Flußsysteme längere Zeit gebraucht haben, sich von einander zu scheiden, sich gegenseitig völlig unabhängig zu machen. Die Anschwemmungen, die sich überall bilden, wo fließendes Wasser an Geschwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die großen Strombetten zu erhöhen und die Ueberschwemmungen stärker zu machen; aber auf die Länge werden die Flußarme und schmalen Kanäle, welche benachbarte Flüsse mit einander verbinden, durch diese Anschwemmungen ganz verstopft. Was das Regenwasser zusammenspült, bildet, indem es sich aushäuft, Schwellen, _‘isthmes d’attérissement’_, Wasserscheiden, die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon ist, daß die natürlichen, ursprünglichen Verbindungscanäle nach und nach in zwei Wasserläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung des Bodens in der Quere zwei Gefälle nach entgegengesetzten Richtungen erhalten. Ein Theil ihres Wassers fällt in den Hauptwasserbehälter zurück, und zwischen zwei parallelen Becken erhebt sich eine Böschung, so daß die ehemalige Verbindung spurlos verschwindet. Sofort bestehen zwischen verschiedenen Flußsystemen keine Gabelungen mehr, und wo sie zur Zeit der großen Ueberschwemmungen noch immer vorhanden sind, tritt das Wasser vom Hauptbehälter nur weg, um nach größeren oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die Gebiete, deren Grenzen anfangs schwankend durcheinander liefen, schließen sich nach und nach ab, und im Laufe der Jahrhunderte wirkt Alles, was an der Erdoberfläche beweglich ist, Wasser, Schwemmung und Sand, zusammen, um die Flußbetten zu trennen, wie die großen Seen in mehrere zerfallen und die Binnenmeere ihre alten Verbindungen verlieren.(65) Da die Geographen schon im sechzehnten Jahrhundert die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß in Südamerika zwischen verschiedenen Flußsystemen Gabeltheilungen bestehen, die sie gegenseitig von einander abhängig machen, so nahmen sie an, daß die fünf großen Nebenflüsse des Orinoco und des Amazonenstromes, Guaviare, Inirida, Rio Negro, Caqueta oder Hyapura, und Putumayo oder Iça unter einander zusammenhängen. Diese Hypothesen, welche auf unsern Karten in verschiedenen Gestalten dargestellt sind, entstanden zum Theil in den Missionen in den Ebenen, zum Theil auf dem Rücken der Cordilleren der Anden. Reist man von Santa Fe de Bogota über Fusagafuga nach Popayan und Pasto, so hört man die Gebirgsbewohner behaupten, am Ostabhang der _Paramos de la Suma Paz_ (des ewigen Friedens), des Iscancè und Aponte entspringen alle Flüsse, die zwischen dem Meta und dem Putumayo durch die Wälder von Guyana ziehen. Da man die Nebenflüsse für den Hauptstrom hält und man alle Flüsse rückwärts bis zur Bergkette reichen läßt, so wirft man dort die Quellen des Orinoco, des Rio Negro und des Guaviare zusammen. Am steilen Ostabhang der Anden ist sehr schwer herunterzukommen, eine engherzige Politik hat dem Handel mit den Llanos am Meta, am San Juan und Caguan Fesseln angelegt, man hat wenig Interesse, die Flüsse zu verfolgen, um ihre Verzweigungen kennen zu lernen: durch all diese Umstände ist die geographische Verwirrung noch größer geworden. Als ich in Santa Fe de Bogota war, kannte man kaum den Weg, der über die Dörfer Usme, Ubaque und Caqueza nach Apiay und zum Landungsplatz am Rio Meta führt. Erst in neuester Zeit konnte ich die Karte dieses Flusses nach den _Reisetagebüchern_ des CANONICUS CORTES MADARIAGA und nach den Ermittlungen während des Unabhängigkeitskriegs in Venezuela berichtigen. Ueber die Lage der Quellen am Fuß der Cordilleren zwischen dem 4° 20′ und 1° 10′ nördlicher Breite wissen wir zuverlässig, was folgt. Hinter dem Paramo de la Suma Paz, den ich von Pandi an aufnehmen konnte, entspringt der Rio de Aguas Blancas, der mit dem Pachaquiaro oder Rio Negro von Apiay den *Meta* bildet; weiter nach Süden kommt der Rio Ariari, ein Nebenfluß des *Guaviare*, dessen Mündung ich bei San Fernando de Atabapo gesehen. Geht man auf dem Rücken der Cordillere weiter gegen Ceja und den Paramo von Aponte zu, so kommt man an den Rio Guayavero, der am Dorfe Aramo vorbeiläuft und sich mit dem Ariari verbindet; unterhalb ihrer Vereinigung bekommen die Flüsse den Namen *Guaviare*. Südwestlich vom Paramo de Aponte entspringen am Fuß der Berge bei Santa Rosa der Rio Caqueta, und auf der Cordillere selbst der Rio de Mocoa, der in der Geschichte der Eroberung eine große Rolle spielt. Diese beiden Flüsse, die sich etwas oberhalb der Mission San Augustin de Nieto vereinigen, bilden den *Japura* oder *Caqueta*. Der Cerro del Portachuelo, ein Berg, der sich auf der Hochebene der Cordilleren selbst erhebt, liegt zwischen den Quellen des Mocoa und dem See Sebondoy, aus dem der Rio *Putumayo* oder Jça entspringt. Der Meta, der Guaviare, der Caqueta und der Putumayo sind also die einzigen großen Flüsse, die unmittelbar am Ostabhang der Anden von Santa Fe, Popayan und Pasto entspringen. Der Vichada, der Zama, der Inirida, der Rio Negro, der Uaupe und der Apoporis, die unsere Karten gleichfalls westwärts bis zum Gebirge fortführen, entspringen weit weg von demselben entweder in den Savanen zwischen Meta und Guaviare oder im bergigten Land, das, nach den Aussagen der Eingeborenen, fünf, sechs Tagereisen westwärts von den Missionen am Javita und Maroa anfängt und sich als Sierra Tunuhy jenseits des Xiè dem Issana zu erstreckt. Es erscheint ziemlich auffallend, daß dieser Kamm der Cordillere, dem so viele majestätische Flüsse entspringen (Meta, Guaviare, Caqueta, Putumayo), so wenig mit Schnee bedeckt ist als die abyssinischen Gebirge, aus denen der blaue Nil kommt; dagegen trifft man, wenn man die Gewässer, die über die Ebenen ziehen, hinausgeht, bevor man an die Cordillere der Anden kommt, einen noch thätigen Vulkan. Derselbe wurde erst in neuester Zeit von den Franciscanern entdeckt, die von Ceja über den Rio Fragua an den Caqueta herunterkommen. Nordöstlich von der Mission Santa Rosa, westlich vom Puerto del Pescado, liegt ein einzeln stehender Hügel, der Tag und Nacht Rauch ausstößt. Es rührt dieß von einem Seitenausbruch der Vulkane von Popayan und Pasto her, wie der Guacamayo und der Sangay, die gleichfalls am Fuß des Ostabhangs der Anden liegen, von Seitenausbrüchen des Vulkansystems von Quito herrühren. Ist man mit den Ufern des Orinoco und des Rio Negro bekannt, wo überall das Granitgestein zu Tage kommt, bedenkt man, daß in Brasilien, in Guyana, auf dem Küstenland von Venezuela, vielleicht auf dem ganzen Continent ostwärts von den Anden, sich gar kein Feuerschlund findet, so erscheinen die drei thätigen Vulkane an den Quellen des Caqueta, des Napo und des Rio Macas oder Morona sehr interessant. Die imposante Größe des Rio Negro fiel schon ORELLANA auf, der ihn im Jahr 1539 bei seinem Einfluß in den Amazonenstrom sah, _undas nigras spargens_; aber erst ein Jahrhundert später suchten die Geographen seine Quellen am Abhang der Cordilleren auf. ACUÑAs Reise gab Anlaß zu Hypothesen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und von LA CONDAMINE und D’ANVILLE maßlos gehäuft wurden. ACUÑA hatte im Jahr 1638 an der Einmündung des Rio Negro gehört, einer seiner Zweige stehe mit einem andern großen Strom in Verbindung, an dem die Holländer sich niedergelassen. SOUTHEY bemerkt scharfsinnig, daß man so etwas in so ungeheurer Entfernung von der Küste gewußt, beweise, wie stark und vielfach damals der Verkehr unter den barbarischen Völkern dieser Länder (besonders unter denen von caraibischem Stamme) gewesen. Es bleibt unentschieden, ob die Indianer, die Acuña Rede standen, den Cassiquiare meinten, den natürlichen Canal zwischen Orinoco und Rio Negro, den ich von San Carlos nach Esmeralda hinaufgefahren bin, oder ob sie ihm nur unbestimmt die Trageplätze zwischen den Quellen des Rio Branco(66) und des Rio Essequebo andeuten wollten. Acuña selbst dachte nicht daran, daß der große Strom, dessen Mündung die Holländer besaßen, der Orinoco sey; er nahm vielmehr eine Verbindung mit dem Rio San Felipe an, der westlich vom Cap Nord ins Meer fällt, und auf dem nach seiner Ansicht der Tyrann Lopez de Aguirre seine lange Flußfahrt beschlossen hatte. Letztere Annahme scheint mir sehr gewagt, wenn auch der Tyrann in seinem närrischen Briefe an Philipp II. selbst gesteht, »er wisse nicht, wie er und die Seinigen aus der großen Wassermasse herausgekommen.« [S. Bd. I. Seite 233]. Bis zu Acuñas Reise und den schwankenden Angaben, die er über Verbindungen mit einem andern großen Fluß nordwärts vom Amazonenstrom erhielt, sahen die unterrichtetsten Missionare den Orinoco für eine Fortsetzung des Caqueta (Kaqueta, Caketa) an. »Dieser Strom,« sagte Fray PEDRO SIMON im Jahr 1625, »entspringt am Westabhang des Paramo d’Iscancè. Er nimmt den Papamene auf, der von den Anden von Neiva herkommt, und heißt nach einander Rio Iscancè, Tama (wegen des angrenzenden Gebiets der Tamas-Indianer), Guayare, Baraguan und Orinoco.« Nach der Lage des Paramo d’Iscancè, eines hohen Kegelbergs, den ich auf der Hochebene von Mamendoy und an den schönen Ufern des Mayo gesehen, muß in dieser Beschreibung der Caqueta gemeint seyn. Der Rio Papamene ist der Rio de la Fragua, der mit dem Rio Mocoa ein Hauptzweig des Caqueta ist; wir kennen denselben von den ritterlichen Zügen Georgs von Speier und Philipps von Hutten her.(67) Die beiden Kriegsmänner kamen an den Papamene erst, nachdem sie über den Ariari und den Guayavero gegangen. Die Tamas-Indianer sind noch jetzt am nördlichen Ufer des Caqueta eine der stärksten Nationen; es ist also nicht zu verwundern, daß, wie Fray Pedro Simon sagt, dieser Fluß Rio Tama genannt wurde. Da die Quellen der Nebenflüsse des Caqueta und die Nebenflüsse des Guaviare nahe beisammen liegen, und da dieser einer der großen Flüsse ist, die in den Orinoco fallen, so bildete sich mit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts die irrige Ansicht, Caqueta (Rio de Iscancè und Papamene), Guaviare (Guayare) und Orinoco seyen ein und derselbe Fluß. Niemand war den Caqueta dem Amazonenstrom zu hinabgefahren, sonst hätte man gesehen, daß der Fluß, der weiter unten Jupupa heißt, eben der Caqueta ist. Eine Sage, die sich bis jetzt unter der Bevölkerung dieses Landstrichs erhalten hat, derzusolge ein Arm des Caqueta oberhalb des Einflusses des Caguan und des Payoya zum Irinida und Rio Negro geht, muß auch zu der Meinung beigetragen haben, daß der Orinoco am Abhang der Gebirge von Pasto entspringe. Wie wir gesehen, setzte man in Neu-Grenada voraus, die Wasser des Caqueta laufen, wie die des Ariari, Meta und Apure, dem großen Orinocobecken zu. Hätte man genauer auf die Richtung dieser Nebenflüsse geachtet, so wäre man gewahr geworden, daß allerdings das ganze Land im Großen nach Osten abfällt, daß aber die Bodenpolyeder, aus denen die Niederungen bestehen, schiefe Flächen zweiter Ordnung bilden, die nach Nordost und Südost geneigt sind. Eine fast unmerkliche Wasserscheide läuft unter dem zweiten Breitengrad von den Anden von Timana zu der Landenge zwischen Javita und dem Caño Pimichin, über die unsere Pirogue geschafft worden. Nördlich vom Parallel von Timana laufen die Gewässer [Inirida, Guaviare, Vichada, Zama, Meta, Casanare, Apure.] nach Nordost und Ost: es sind die Nebenflüsse des Orinoco oder die Nebenflüsse seiner Nebenflüsse. Aber südlich vom Parallel von Timana, aus den Ebenen, welche denen von San Juan vollkommen zu gleichen scheinen, laufen der Caqueta oder Jupura, der Putumayo oder Jça, der Napo, der Pastaça und der Morona nach Südost und Süd-Südost und ergießen sich ins Becken des Amazonenstroms. Dabei ist sehr merkwürdig, daß diese Wasserscheide selbst nur als eine Fortsetzung derjenigen erscheint, die ich in den Cordilleren auf dem Wege von Popayan nach Pasto gefunden. Zieht man den Landhöhen nach eine Linie über Ceja (etwas südlich von Timana) und den Paramo de las Papas zum Alto del Noble, zwischen 1° 45′ und 2° 20′ der Breite, in 970 Toisen Meereshöhe, so findet man die _‘divortia aquarum’_ zwischen dem Meere der Antillen und dem stillen Ocean. Vor Acuñas Reise herrschte bei den Missionären die Ansicht, Caqueta, Guaviare und Orinoco seyen nur verschiedene Benennungen desselben Flusses; aber der Geograph SANSON ließ auf den Karten, die er nach ACUÑAs Beobachtungen entwarf, den Caqueta sich in zwei Arme theilen, deren einer der Orinoco, der andere der Rio Negro oder Curiguacuru seyn sollte. Diese Gabeltheilung unter rechtem Winkel erscheint auf allen Karten von SANSON, CORONELLI, DU VAL und DE L’ISLE von 1656 bis 1730. Man glaubte auf diese Weise die Verbindungen zwischen den großen Strömen zu erklären, von denen Acuña die erste Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die Fortsetzung des Caqueta sey. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der sich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoco ehemals hieß. DE L’ISLE ließ in seiner letzten Zeit den Caqueta sich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß LA CONDAMINES; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unabhängigen Flüssen, und als wollte er alle Aussicht auf eine Verbindung zwischen Orinoco und Rio Negro abschneiden, zeichnete er zwischen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater FRITZ hatte dasselbe System und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrscheinlichste. LA CONDAMINEs Reise, die über verschiedene Striche Amerikas so viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegenheit vom Laufe des Caqueta, Orinoco und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte sah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß ist, der am Amazonenstrom Jupura heißt; dennoch nahm er nicht allein SANSONs Hypothese an, er brachte die Zahl der Gabeltheilungen des Caqueta sogar auf drei. Durch die erste gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten theilt sich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüsse, den Orinoco und den Rio Negro. Dieses rein ersonnene System sieht man in der ersten Ausgabe von D’ANVILLEs schöner Karte von Amerika dargestellt. Es ergibt sich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoco unterhalb der großen Katarakten abgeht, und daß man, um an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Jupura entspringt, hinauf muß. Als LA CONDAMINE erfuhr, daß der Orinoco keineswegs am Fuß der Anden von Pasto, sondern auf der Rückseite der Berge von Cayenne entspringe, änderte er seine Vorstellungen auf sehr sinnreiche Weise ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoco ab; Guaviare, Atabapo, Cassiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erschienen auf D’ANVILLES zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Gestalt, aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entstehen der Inirida und der Rio Negro; Dieses System wurde von Pater CAULIN gut geheißen, auf der Karte von LA CRUZ dargestellt und auf allen Karten bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts copirt. Diese Namen: Caqueta, Orinoco, Inirida, haben allerdings nicht so viel Anziehendes, wie die Flüsse im Innern Nigritiens; es knüpfen sich eben keine geschichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Combinationen der Geographen der neuen Welt erinnern an die krausen Zeichnungen vom Laufe des Niger, des weißen Nil, des Gambaro, des Joliba und des Zaïre. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypothesen an Umfang ab; die Probleme sind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie, das man speculative, um nicht zu sagen divinatorische Geographie nennen könnte, zieht sich in immer engere Grenzen zusammen. Also nicht am Caqueta, sondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Flusses erhalten. Die Indianer in den Missionen Maroa, Tomo und San Carlos wissen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe seine Breite bei der Schanze San Agostino gemessen; es ergaben sich 292 Toisen;(68) die mittlere Breite war 200--250 Toisen. LA CONDAMINE schätzt dieselbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazonenstrom an der schmalsten Stelle auf 1200 Toisen; der Fluß wäre also auf einem Lauf von 10 Grad in gerader Linie um 1000 Toisen breiter geworden. Obgleich die Wassermasse, wie wir sie zwischen Maroa und San Carlos gesehen, schon ziemlich bedeutend ist, versichern die Indianer dennoch, der Guainia entspringe fünf Tagereisen zu Wasser nordwestwärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigten Landstrich, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Cassiquiare von San Carlos bis zum Punkt der Gabeltheilung am Orinoco in 10--11 Tagen hinauffährt, so kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht so starke Strömung zu etwas über einen Grad 20 Minuten in gerader Richtung annehmen, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längenbeobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35′ westlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich die Aussagen der Eingeborenen vollkommen übereinstimmten, liegen die Quellen wohl noch weiter nach Westen, da die Canoes nur so weit hinaufkommen, als das Flußbett es gestattet. Nach der Analogie der europäischen Flüsse läßt sich das Verhältniß zwischen der Breite und Länge des obern Flußstücks(69) nicht bestimmt beurtheilen. In Amerika nimmt häufig die Wassermasse in den Flüssen auf kurzen Strecken sehr auffallend zu. Der Guainia ist in seinem obern Lauf vorzüglich dadurch ausgezeichnet, daß er keine Krümmungen hat; er erscheint wie ein breiter Kanal, der durch einen dichten Wald gezogen ist. So oft der Fluß die Richtung verändert, liegt eine gleich lange Wasserstrecke vor dem Auge. Die Ufer sind hoch, aber eben und selten felsigt. Der Granit, den ungeheure Quarzgänge durchsetzen, kommt meist nur mitten im Bett zu Tage. Fährt man den Guainia nach Nordwest hinauf, so wird die Strömung mit jeder Tagreise reißender. Die Flußufer sind unbewohnt; erst in der Nähe der Quellen (_las cavezeras_), im bergigten Land, hausen die Manivas- oder Poignaves-Indianer. Die Quellen des Inirida (Iniricha) liegen, nach der Aussage der Indianer, nur 2--3 Meilen von denen des Guainia und es ließe sich dort ein Trageplatz anlegen. Pater Caulin hörte in Cabruta aus dem Munde eines indianischen Häuptlings Namens Tapo, der Inirida sey sehr nahe beim Patavita (Paddavida auf der Karte von LA CRUZ), der ein Nebenfluß des Rio Negro ist. Die Eingeborenen am obern Guainia kennen diesen Namen nicht, so wenig als den eines Sees (_laguna del Rio Negro_), der auf alten portugiesischen Karten vorkommt. Dieser angebliche Rio Patavita ist wahrscheinlich nichts als der Guainia der Indianer in Maroa; denn so lange die Geographen an die Gabeltheilung des Caqueta glaubten, ließen sie den Rio Negro aus diesem Arm und einem Flusse entstehen, den sie Patavita nannten. Nach dem Bericht der Eingeborenen sind die Berge bei den Quellen des Inirida und Guainia nicht höher als der Baraguan, der nach meiner Messung 120 Toisen hoch ist. Portugiesische handschriftliche Karten, die in neuester Zeit im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro entworfen worden sind, bestätigen, was ich an Ort und Stelle in Erfahrung gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; sie stellen jeden dieser Nebenflüsse als einen unabhängigen Strom dar; sie lassen den Rio Patavita weg und setzen die Quellen des Guainia nur 2° 15′ westwärts vom Meridian von Javita. Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, scheint viel weiter aus Westen herzukommen als der Guainia selbst; und seine Richtung ist so, daß kein Arm des Caqueta in den obern Guainia kommen könnte, ohne ihn zu schneiden. Ich bringe zum Schluß dieser Erörterung einen Beweis bei, der direkt gegen die Annahme spricht, nach welcher der Guainia, wie der Guaviare und der Caqueta, am Ostabhang der Cordilleren der Anden entspringen soll. Während meines Aufenthalts in Popayan machte mir der Gardian des Franciskanerklosters, Fray Francisco Pugnet, ein liebenswürdiger, verständiger Mann, zuverlässige Mittheilungen über die Missionen der Adaquies, in denen er lange gelebt hat. Der Pater hatte eine beschwerliche Reise vom Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von Hutten (Urre) und den ersten Zeiten der Eroberung war kein Europäer durch dieses unbekannte Land gekommen. Pater Pugnet kam von der Mission Caguan am Flusse dieses Namens, der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baumlose Savane, in deren östlichem Striche die Tamas- und Coreguajes-Indianer hausen. Nach sechstägigem Marsch nordwärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am Guayavero, etwa 15 Meilen westlich vom Punkt, wo der Guayavero und der Ariari den großen Guaviarestrom bilden. Aramo ist das am weitesten nach West gelegene Dorf der Missionen von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel denselben, die der Präsident der Missionen am Orinoco auf seiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare hinauf gesehen, s. Bd. III. Seite 296), aber er kam zwischen Caguan und Aramo über keinen Fluß. Es ist also erwiesen, daß unter dem 75. Grad der Länge, auf 40 Meilen vom Abhang der Cordilleren, mitten in den Llanos weder Rio Negro (Patavita, Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden sind und daß diese drei Flüsse ostwärts von diesem Meridian entspringen. Diese Angaben sind von großem Werth; denn im innern Afrika ist die Geographie kaum so verworren als hier zwischen dem Atabapo und den Quellen des Meta, Guaviare und Caqueta. »Man glaubt es kaum,« sagt CALDAS in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, die in Santa Fe de Bogota erscheint, »daß wir noch keine Karte von den Ebenen besitzen, die am Ostabhang der Gebirge beginnen, die wir täglich vor Augen haben und auf denen die Kapellen Guadeloupe und Monserrate stehen. Kein Mensch weiß, wie breit die Cordilleren sind, noch wie die Flüsse laufen, die in den Orinoco und in den Amazonenstrom fallen, und doch werden einst in besseren Zeiten eben auf diesen Nebenflüssen, dem Meta, dem Guaviare, dem Rio Negro, dem Caqueta, die Einwohner von Cundinamarca mit Brasilien und Paraguay verkehren.« Ich weiß wohl, daß in den Missionen der Andaquies ziemlich allgemein der Glaube herrscht, der Caqueta gebe zwischen dem Einfluß des Rio Fragua und des Caguan einen Arm an den Putumayo, und weiter unten, unterhalb der Einmündung des Rio Payoya, einen andern an den Orinoco ab; aber diese Meinung stützt sich nur auf eine unbestimmte Sage der Indianer, welche häufig Trageplätze und Gabeltheilungen verwechseln. Wegen der Katarakten an der Mündung des Payoya und der wilden Huaques-Indianer, auch »Murcielagos« (Fledermäuse) genannt, weil sie den Gefangenen das Blut aussaugen, können die spanischen Missionäre nicht den Caqueta hinabfahren. Nie hat ein weißer Mensch den Weg von San Miguel de Mocoa zum Einfluß des Caqueta in den Amazonenstrom gemacht. Bei der letzten Grenzcommission fuhren die portugiesischen Astronomen zuerst den Caqueta bis zu 0° 36′ südlicher Breite, dann den Rio de los Engaños (den trügerischen Fluß) und den Rio Cunare, die in den Caqueta fallen, bis zu 0° 28′ nördlicher Breite hinauf. Auf dieser Fahrt sahen sie nordwärts keinen Arm vom Caqueta abgehen. Der Amu und der Yabilla, deren Quellen sie genau untersucht, sind Flüßchen, die in den Rio de los Engaños und mit diesem in den Caqueta fallen. Findet also wirklich eine Gabeltheilung statt, so wäre sie nur auf der ganz kurzen Strecke zwischen dem Einfluß des Payoya und dem zweiten Katarakt oberhalb des Einflusses des Rio de los Engaños zu suchen; aber, ich wiederhole es, wegen dieses Flusses, wegen des Cunare, des Apoporis und des Uaupes könnte dieser angebliche Arm des Caqueta gar nicht zum obern Guainia gelangen. Alles scheint vielmehr darauf hinzuweisen, daß zwischen den Zuflüssen des Caqueta und denen des Uaupes und Rio Negro eine Wasserscheide ist. Noch mehr: durch barometrische Beobachtung haben wir für das Ufer des Pimichin 130 Toisen Meereshöhe gefunden. Vorausgesetzt, das bergigte Land an den Quellen des Guainia liege 50 Toisen über Javita, so folgt daraus, daß das Bett des Flusses in seinem oberen Lauf wenigstens 200 Toisen über dem Meere liegt, also nur so hoch, als wir mit dem Barometer das Ufer des Amazonenstroms bei Tomependa in der Provinz Jaen de Bracamoros gefunden. Bedenkt man nun, wie stark dieser ungeheure Strom von Tomependa bis zum Meridian von 75° fällt und wie weit es von den Missionen am Rio Caguan bis zur Cordillere ist, so bleibt kein Zweifel, daß das Bett des Caqueta unterhalb der Mündungen des Caguan und des Payoya viel tiefer liegt als das Bett des obern Guainia, an den er einen Theil seines Wassers abgeben soll. Ueberdieß ist das Wasser des Caqueta durchaus weiß, das des Guainia dagegen schwarz oder kaffeebraun; man hat aber kein Beispiel, daß ein weißer Fluß auf seinem Laufe schwarz würde. Der obere Guainia kann also kein Arm des Caqueta seyn. Ich zweifle sogar, daß man Grund hat anzunehmen, dem Guainia, als vornehmsten und unabhängigen Wasserbehälter, komme südwärts durch einen Seitenzweig einiges Wasser zu. Die kleine Berggruppe an den Quellen des Guainia, die wir haben kennen lernen, ist um so interessanter, da sie einzeln in der Ebene liegt, die sich südwestlich vom Orinoco ausdehnt. Nach der Länge, unter der sie liegt, könnte man vermuthen, von ihr gehe ein Kamm ab, der zuerst die Stromenge (Angostura) des Guaviare und dann die großen Katarakten des Uaupes und des Jupura bildet. Kommt vielleicht dort, wo die Gebirgsart wahrscheinlich, wie im Osten, Granit ist, Gold in kleinen Theilen im Boden vor? Gibt es vielleicht weiter nach Süden, dem Uaupes zu, am Iquiare (Iguiari, Iguari) und am Yurubesh (Yurubach, Urubaxi) Goldwäschen? Dort suchte PHILIPP VON HUTTEN zuerst den Dorado und lieferte mit einer Handvoll Leute den Omaguas das im sechzehnten Jahrhundert vielberufene Gefecht. Entkleidet man die Berichte der Conquistadoren des Fabelhaften, so erkennt man an den erhaltenen Ortsnamen immerhin, daß geschichtliche Wahrheit zu Grunde liegt. Man folgt dem Zuge Huttens über den Guaviare und den Caqueta; man erkennt in den *Guaypes* unter dem Caziken von Macatoa die Anwohner des Uaupes, der auch *Guape* oder Guapue heißt; man erinnert sich, daß Pater Acuña den Iquiari (Quiguiare) einen *Goldfluß* nennt, und daß fünfzig Jahre später Pater FRITZ, ein sehr glaubwürdiger Missionär, in seiner Mission Yurimaguas von den Manaos (Manoas) besucht wurde, die mit Goldblechen geputzt waren und aus dem Landstrich zwischen dem Uaupe und dem Caqueta oder Jupura kamen. Die Flüsse, die am Ostabhang der Anden entspringen, (z. B. der Napo) führen viel Gold, auch wenn ihre Quellen im Trachytgestein liegen: warum sollte es ostwärts von den Cordilleren nicht so gut goldhaltiges aufgeschwemmtes Land geben, wie westwärts bei Sonora, Choco und Barbacoas? Ich bin weit entfernt, den Reichthum dieses Landstrichs übertreiben zu wollen; aber ich halte mich nicht für berechtigt, das Vorkommen edler Metalle im Urgebirge von Guyana nur deßhalb in Abrede zu ziehen, weil wir auf unserer Reise durch das Land keinen Erzgang gefunden haben. Es ist auffallend, daß die Eingeborenen am Orinoco in ihren Sprachen ein Wort für Gold haben (caraibisch Carucuru, tamanakisch *Caricuri*, maypurisch *Cavitta*), während das Wort, das sie für Silber gebrauchen, *Prata*, offenbar dem Spanischen entlehnt ist. Die Nachrichten über Goldwäschen südlich und nördlich vom Rio Uaupes, die Acuña, Pater Fritz und La Condamine gesammelt, stimmen mit dem überein, was ich über die Goldlager in diesem Landstrich in Erfahrung gebracht. So stark man sich auch den Verkehr unter den Völkern am Orinoco vor der Ankunft der Europäer denken mag, so haben sie doch ihr Gold gewiß nicht vom Ostabhang der Cordilleren geholt. Dieser Abhang ist arm an Erzgruben, zumal an solchen, die schon von Alters her in Betrieb waren; er besteht in den Provinzen Popayan, Pasto und Quito fast ganz aus vulkanischem Gestein. Wahrscheinlich kam das Gold nach Guyana aus dem Lande ostwärts von den Anden. Noch zu unserer Zeit wurde in einer Schlucht bei der Mission Encaramada ein Goldgeschiebe gefunden, und man darf sich nicht wundern, daß man, sobald sich Europäer in diesen Einöden niederlassen, weniger von Goldblech, Goldstaub und Amuletten aus Nephrit sprechen hört, die man sich früher von den Caraiben und andern umherziehenden Völkern im Tauschhandel verschaffen konnte. Die edlen Metalle waren am Orinoco, Rio Negro und Amazonenstrom nie sehr häufig, und sie verschwinden fast ganz, sobald die Zucht in den Missionen dem Verkehr der Eingeborenen über weite Strecken ein Ende macht. Am obern Guainia ist das Klima nicht so heiß, vielleicht auch etwas weniger feucht als am Tuamini. Ich fand das Wasser des Rio Negro im Mai 23°,9 [19°,2 Reaumur] warm, während der Thermometer in der Luft bei Tag auf 22°,7, bei Nacht auf 21°,8 stand. Diese Kühle des Wassers, die fast ebenso beim Congofluß beobachtet wird, ist so nahe beim Aequator (1° 53′ bis 2° 15′ nördliche Breite) sehr auffallend. Der Orinoco ist zwischen dem vierten und achten Grad der Breite meist 27°,5 bis 29°,5 warm. Die Quellen, die bei Maypures aus dem Granit kommen, haben 27°,8. Diese Abnahme der Wärme dem Aequator zu stimmt merkwürdig mit den Hypothesen einiger Physiker des Alterthums;(70) es ist indessen nur eine örtliche Erscheinung und nicht sowohl eine Folge der Meereshöhe, des Landstrichs, als vielmehr des beständig bedeckten, regnerischen Himmels, der Feuchtigkeit des Bodens, der dichten Wälder, der starken Ausdünstung der Gewächse und des Umstandes, daß kein sandiges Ufer den Wärmestoff anzieht und durch Strahlung wieder von sich gibt. Der Einfluß eines bezogenen Himmels zeigt sich recht deutlich am Küstenstrich in Peru, wo niemals Regen fällt und die Sonne einen großen Theil des Jahres, zur Zeit der *Garua* (Nebel), dem bloßen Auge wie die Mondscheibe erscheint. Dort, zwischen dem 10. und 12. Grad südlicher Breite ist die mittlere Temperatur kaum höher als in Algier und Cairo. Am Rio Negro regnet es fast das ganze Jahr, December und Januar ausgenommen, und selbst in der trockenen Jahreszeit sieht man das Blau des Himmels selten zwei, drei Tage hinter einander. Bei heiterer Luft erscheint die Hitze desto größer, da sonst das Jahr über die Einwohner sich bei Nacht über Frost beklagen, obgleich die Temperatur immer noch 21° beträgt. Ich stellte in San Carlos, wie früher in Javita, Beobachtungen über die Regenmenge an, die in einer gegebenen Zeit fällt. Diese Untersuchungen sind von Belang, wenn es sich davon handelt, die ungeheure Anschwellung der Flüsse in der Nähe des Aequators zu erklären, von denen man lange glaubte, sie werden von den Cordilleren mit Schneewasser gespeist. Ich sah zu verschiedenen Zeiten in 2 Stunden 7,5 Linien, in 3 Stunden 18 Linien, in 9 Stunden 48,2 Linien Regen fallen. Da es unaufhörlich fort regnet (der Regen ist fein, aber sehr dicht), so können, glaube ich, in diesen Wäldern jährlich nicht wohl unter 90 bis 100 Zoll Wasser fallen. So außerordentlich viel dieß auch scheinen mag, so wird diese Schätzung doch durch die sorgfältigen Beobachtungen des Ingenieurobristen COSTANZO in Neuspanien bestätigt. In Vera-Cruz fielen allein in den Monaten Juli, August und September 35 Zoll 2 Linien, im ganzen Jahr 62 Zoll 2 Linien Regenwasser; aber zwischen dem Klima der dürren, kahlen mexicanischen Küsten und dem Klima in den Wäldern ist ein großer Unterschied. Auf jenen Küsten fällt in den Monaten December und Januar kein Tropfen Regen und im Februar, April und Mai meist nur 2--2,3 Zoll; in San Carlos dagegen ist es neun, zehn Monate hinter einander, als ob die Luft sich in Wasser auflöste. In diesem nassen Himmelsstriche würde ohne die Verdunstung und den Abzug der Wasser der Boden im Verlauf eines Jahres mit einer 8 Fuß hohen Wasserschicht bedeckt. Diese Aequatorialregen, welche die majestätischen Ströme Amerikas speisen, sind von elektrischen Entladungen begleitet, und während man am Ende desselben Continents, auf der Westküste von Grönland,(71) in fünf und sechs Jahren nicht Einmal donnern hört, toben in der Nähe des Aequators die Gewitter fast Tag für Tag. Die Gleichzeitigkeit der elektrischen Entladungen und der Regengüsse unterstützt übrigens keineswegs die alte Hypothese, nach der sich in der Luft durch Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff Wasser bildet. Man hat bis zu 3600 Toisen Höhe vergeblich Wasserstoff gesucht. Die Menge des in der gesättigten Luft enthaltenen Wassers nimmt von 20 bis 25 Grad weit rascher zu als von 10 bis 15 Grad. Unter der heißen Zone bildet sich daher, wenn sich die Luft um einen einzigen Grad abkühlt, weit mehr sichtbarer Wasserdunst als in der gemäßigten. Eine durch die Strömungen fortwährend erneuerte Luft kann somit alles Wasser liefern, das bei den Aequatorialregen fällt und dem Physiker so erstaunlich groß dünkt. Das Wasser des Rio Negro ist (bei reflektirtem Licht) dunkler von Farbe als das des Atabapo und des Tuamini. Ja die Masse weißen Wassers, die der Cassiquiare hereinbringt, ändert unterhalb der Schanze San Carlos so wenig an der Farbe, daß es mir auffiel. Der Verfasser der _Chorographie moderne du Brésil_ sagt ganz richtig, der Fluß habe überall, wo er nicht tief sey, eine Bernsteinfarbe, wo das Wasser aber sehr tief sey, erscheine es schwarzbraun, wie Kaffeesatz. Auch bedeutet *Curana*, wie die Eingeborenen den untern Guainia nennen, schwarzes Wasser. Die Vereinigung des Guainia oder Rio Negro mit dem Amazonenstrom gilt in der Statthalterschaft Gran-Para für ein so wichtiges Moment, daß der Rio das Amazonas westlich vom Rio Negro seinen Namen ablegt und fortan Rio dos Solimöes heißt (eigentlich Sorimöes, mit Anspielung auf das Gift der Nation der Sorimans). Westlich von Ucayale nimmt der Amazonenstrom den Namen Rio Maranhao oder Marañon an. Die Ufer des obern Guainia sind im Ganzen ungleich weniger von Wasservögeln bevölkert als die des Cassiquiare, Meta und Arauca, wo die Ornithologen die reichste Ausbeute für die europäischen Sammlungen finden. Daß diese Thiere so selten sind, rührt ohne Zweifel daher, daß der Strom keine Untiefen und keine offenen Gestade hat, so wie von der Beschaffenheit des schwarzen Wassers, in dem (gerade wegen seiner Reinheit) Wasserinsekten und Fische weniger Nahrung finden. Trotz dem nähren sich die Indianer in diesem Landstrich zweimal im Jahr von Zugvögeln, die auf ihrer langen Wanderung am Ufer des Rio Negro ausruhen. Wenn der Orinoco zu steigen anfängt, also nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, ziehen die Enten (_Patos careteros_) in ungeheuern Schwärmen vom 8. bis 3. Grad nördlicher zum 1. bis 4. Grad südlicher Breite gegen Süd-Süd-Ost. Diese Thiere verlassen um diese Zeit das Thal des Orinoco, ohne Zweifel weil sie, wenn das Wasser steigt und die Gestade überfluthet, keine Fische, Wasserinsekten und Würmer mehr fangen können. Man erlegt sie zu Tausenden, wenn sie über den Rio Negro ziehen. Auf der Wanderung zum Aequator sind sie sehr fett und wohlschmeckend, aber im September, wenn der Orinoco fällt und in sein Bett zurücktritt, ziehen die Enten, ob sie nun der Ruf der erfahrensten Zugvögel dazu antreibt, oder jenes innere Gefühl, das man Instinkt nennt, weil es nicht zu erklären ist, vom Amazonenstrom und Rio Branco wieder nach Norden. Sie sind zu mager, als daß die Indianer am Rio Negro lüstern darnach wären, und sie entgehen ihren Nachstellungen um so eher, da eine Reiherart (Gavanes) mit ihnen wandert, die ein vortreffliches Nahrungsmittel abgibt. So essen denn die Eingeborenen im März Enten, im September Reiher. Sie konnten uns nicht sagen, was aus den *Gavanes* wird, wenn der Orinoco ausgetreten ist, und warum sie die Patos careteros auf ihrer Wanderung vom Orinoco an den Rio Branco nicht begleiten. Dieses regelmäßige Ziehen der Vögel aus einem Striche der Tropen in den andern, in einer Zone, die das ganze Jahr über dieselbe Temperatur hat, sind eine ziemlich auffallende Erscheinung. So kommen auch jedes Jahr, wenn in Terra Firma die großen Flüsse austreten, viele Schwärme von Wasservögeln vom Orinoco und seinen Nebenflüssen an die Südküsten der Antillen. Man muß annehmen, daß unter den Tropen der Wechsel von Trockenheit und Nässe auf die Sitten der Thiere denselben Einfluß hat, wie in unserem Himmelsstrich bedeutende Temperaturwechsel. Die Sonnenwärme und die Insektenjagd locken in den nördlichen Ländern der Vereinigten Staaten und in Canada die Colibris bis zur Breite von Paris und Berlin herauf; gleicherweise zieht der leichtere Fischfang die Schwimmvögel und die Stelzenläufer von Nord nach Süd, vom Orinoco zum Amazonenstrom. Nichts ist wunderbarer, und in geographischer Beziehung noch so dunkel als die Wanderungen der Vögel nach ihrer Richtung, ihrer Ausdehnung und ihrem Endziel. Sobald wir aus dem Pimichin in den Rio Negro gelangt und durch den kleinen Katarakt am Zusammenfluß gegangen waren, lag auf eine Viertelmeile die Mission Maroa vor uns. Dieses Dorf mit 150 Indianern sieht so sauber und wohlhabend aus, daß es angenehm auffällt. Wir kauften daselbst schöne lebende Exemplare einiger Tucanarten (_Piapoco_), muthiger Vögel, bei denen sich die Intelligenz wie bei unsern zahmen Raben entwickelt. Oberhalb Maroa kamen wir zuerst rechts am Einfluß des Aquio, dann an dem des Tomo vorbei; an letzterem Flusse wohnen die Cheruvichahenas-Indianer, von denen ich in San Francisko Solano ein paar Familien gesehen habe. Derselbe ist ferner dadurch interessant, daß er den heimlichen Verkehr mit den portugiesischen Besitzungen vermitteln hilft. Der Tomo kommt auf seinem Lauf dem Rio Guaicia (Xie) sehr nahe, und auf diesem Wege gelangen zuweilen flüchtige Indianer vom untern Rio Negro in die Mission Tomo. Wir betraten die Mission nicht, Pater Zea erzählte uns aber lächelnd, die Indianer in Tomo und in Maroa seyen einmal in vollem Aufruhr gewesen, weil man sie zwingen wollte, den vielberufenen »Teufelstanz« zu tanzen. Der Missionär hatte den Einfall gehabt, die Ceremonien, womit die *Piaches*, die Priester, Aerzte und Zauberer zugleich sind, den bösen Geist *Jolokiamo* beschwören, in burleskem Styl darstellen zu lassen. Er hielt den »Teufelstanz« für ein treffliches Mittel, seinen Neubekehrten darzuthun, daß Jolokiamo keine Gewalt mehr über sie habe. Einige junge Indianer ließen sich durch die Versprechungen des Missionärs bewegen, die Teufel vorzustellen, und sie hatten sich bereits mit schwarzen und gelben Federn geputzt und die Jaguarfelle mit lang nachschleppenden Schwänzen umgenommen. Die Soldaten, die in den Missionen liegen, um die Ermahnungen der Ordensleute eindringlicher zu machen, stellte man um den Platz vor der Kirche auf und führte die Indianer zur Festlichkeit herbei, die aber hinsichtlich der Folgen des Tanzes und der Ohnmacht des bösen Geistes nicht so ganz beruhigt waren. Die Partei der Alten und Furchtsamen gewann die Oberhand; eine abergläubische Angst kam über sie, alle wollten _al monte_ laufen, und der Missionär legte seinen Plan, den Teufel der Eingeborenen lächerlich zu machen, zurück. Was für wunderliche Einfälle doch einem müßigen Mönche kommen, der sein Leben in den Wäldern zubringt, fern von Allem, was ihn an menschliche Cultur mahnen könnte! Daß man in Tomo den geheimnißvollen Teufelstanz mit aller Gewalt öffentlich wollte aufführen lassen, ist um so auffallender, da in allen von Missionären geschriebenen Büchern davon die Rede ist, wie sie sich bemüht, das; keine Tänze aufgeführt werden, keine »Todtentänze«, keine »Tänze der heiligen Trompete,« auch nicht der alte »Schlangentanz«, der _‘Queti’_, bei dem vorgestellt wird, wie diese listigen Thiere aus dem Wald kommen und mit den Menschen trinken, um sie zu hintergehen und ihnen die Weiber zu entführen. Nach zweistündiger Fahrt kamen wir von der Mündung des Tomo zu der kleinen Mission San Miguel de Davipe, die im Jahr 1775 nicht von Mönchen, sondern von einem Milizlieutenant, Don Francisco Bobadilla, gegründet worden. Der Missionär Pater Morillo, bei dem wir ein paar Stunden verweilten, nahm uns sehr gastfreundlich auf und setzte uns sogar Maderawein vor. Als Tafelluxus wäre uns Weizenbrod lieber gewesen. Auf die Länge fällt es einem weit schwerer, das Brod zu entbehren, als geistige Getränke. Durch die Portugiesen am Amazonenstrom kommt hie und da etwas Maderawein an den Rio Negro, und da *Madera* auf Spanisch *Holz* bedeutet, so hatten schon arme, in der Geographie nicht sehr bewanderte Missionäre Bedenken, ob sie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; sie hielten denselben für ein irgend einem Baume abgezapftes gegohrenes Getränk, wie Palmwein, und forderten den Gardian der Missionen auf, sich darüber auszusprechen, ob der _vino de Madera_ Wein aus Trauben _de uvas_) sey oder aber der Saft eines Baumes (_vino de algun palo_). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Priestern gestattet sey, mit einem gegohrenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszusehen, wurde die Frage verneint. Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrath, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieser Einkauf war unsern Indianern sehr wichtig, da sie schon lange kein Fleisch mehr gegessen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Insel Dapa kämen, wo das Schwein geschlachtet und in der Nacht gebraten werden sollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloster (_convento_) große Haufen *Maniharz* zu betrachten, sowie Seilwerk aus der Chiquichiqui-Palme, das in Europa besser bekannt zu seyn verdiente. Dasselbe ist ausnehmend leicht, schwimmt auf dem Wasser und ist auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten soll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropischen Sonne aussetzen. DON ANTONIO SANTOS, der im Lande wegen seiner Reise zur Auffindung des Parimesees viel genannt wird, lehrte die Indianer am spanischen Rio Negro die Blattstiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüthen noch Früchte zu Gesicht bekommen haben. Dieser Officier ist der einzige weiße Mensch, der, um von Angostura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte sich in den portugiesischen Colonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui-Taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenstrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Missionen in Guyana ein. Es wäre zu wünschen, daß am Rio Negro und Cassiquiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um diese Taue in den europäischen Handel zu bringen. Etwas Weniges wird bereits von Angostura auf die Antillen ausgeführt. Sie kosten dort 50 bis 60 Procent weniger als Hanftaue.(72) Da man nur junge Palmen benützt, müßten sie angepflanzt und cultivirt werden. Etwas oberhalb der Mission Davipe nimmt der Rio Negro einen Arm des Cassiquiare auf, der in der Geschichte der Flußverzweigungen eine merkwürdige Erscheinung ist. Dieser Arm geht nördlich von Vasiva unter dem Namen Itinivini vom Cassiquiare ab, läuft 25 Meilen lang durch ein ebenes, fast ganz unbewohntes Land und fällt unter dem Namen Conorichite in den Rio Negro. Er schien mir an der Mündung über 120 Toisen breit und bringt eine bedeutende Masse weißen Wassers in das schwarze Gewässer. Obgleich die Strömung im Conorichite sehr stark ist, kürzt dieser natürliche Kanal dennoch die Fahrt von Davipe nach Esmeralda um drei Tage ab. Eine doppelte Verbindung zwischen Cassiquiare und Rio Negro kann nicht auffallen, wenn man weiß, wie viele Flüsse in Amerika beim Zusammenfluß mit andern Delta’s bilden. So ergießen sich der Rio Branco und der Jupura mit zahlreichen Armen in den Rio Negro und in den Amazonenstrom. Beim Einfluß des Jupura kommt noch etwas weit Auffallenderes vor. Ehe dieser Fluß sich mit dem Amazonenstrom vereinigt, schickt dieser, der Hauptwasserbehälter, drei Arme, genannt Uaranapu, Manhama und Avateperana, zum Jupura, also zum Nebenfluß. Der portugiesische Astronom RIBEIRO hat diesen Umstand außer Zweifel gesetzt. Der Amazonenstrom gibt Wasser an den Jupura ab, ehe er diesen seinen Nebenfluß selbst aufnimmt. Der Rio Conorichite oder Itinivini spielte früher im Sklavenhandel, den die Portugiesen auf spanischem Gebiet trieben, eine bedeutende Rolle. Die Sklavenhändler fuhren auf dem Cassiquiare und dem Caño Mee in den Conorichite hinauf, schleppten von da ihre Piroguen über einen Trageplatz zu den *Rochelas* von Manuteso und kamen so in den Atabapo. Ich habe diesen Weg auf meiner Reisekarte des Orinoco angegeben. Dieser schändliche Handel dauerte bis um das Jahr 1756. Solanos Expedition und die Errichtung der Missionen am Rio Negro machten demselben ein Ende. Alte Gesetze von Carl V. und Philipp III. verboten unter Androhung der schwersten Strafen (wie Verlust bürgerlicher Aemter und 2000 Piaster Geldbuße), »Eingeborene durch gewaltsame Mittel zu bekehren und Bewaffnete gegen sie zu schicken;« aber diesen weisen, menschenfreundlichen Gesetzen zum Trotz hatte der Rio Negro noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie sich LA CONDAMINE ausdrückt, für die europäische Politik nur in sofern Interesse, als er die *Entradas* oder feindlichen Einfälle erleichterte und dem Sklavenhandel Vorschub that. Die Caraiben, ein kriegerisches Handelsvolk, erhielten von den Portugiesen und den Holländern Messer, Fischangeln, kleine Spiegel und Glaswaaren aller Art. Dafür hetzten sie die indianischen Häuptlinge gegen einander auf, so daß es zum Kriege kam; sie kauften ihnen die Gefangenen ab und schleppten selbst mit List oder mit Gewalt Alles fort, was ihnen in den Weg kam. Diese Streifzüge der Caraiben erstreckten sich über ein ungeheures Gebiet. Dieselben gingen vom Essequebo und Carony aus auf dem Rupunuri und dem Paraguamuzi einerseits gerade nach Süd dem Rio Branco zu, andererseits nach Südwest über die Trageplätze zwischen dem Rio Paragua, dem Caura und dem Ventuario. Waren sie einmal bei den zahlreichen Völkerschaften am obern Orinoco, so theilten sie sich in mehrere Banden und kamen über den Cassiquiare, Cababury, Itinivini und Atabapo an vielen Punkten zugleich an den Guainia oder Rio Negro und trieben mit den Portugiesen Sklavenhandel. So empfanden die unglücklichen Eingeborenen die Nachbarschaft der Europäer schwer, lange ehe sie mit diesen selbst in Berührung kamen. Dieselben Ursachen haben überall dieselben Folgen. Der barbarische Handel, den die civilisirten Völker an der afrikanischen Küste trieben und zum Theil noch treiben, wirkt Verderben bringend bis in Länder zurück, wo man vom Daseyn weißer Menschen gar nichts weiß. Nachdem wir von der Mündung des Conorichite und der Mission Davipe aufgebrochen, langten wir bei Sonnenuntergang bei der Insel Dapa an, die ungemein malerisch mitten im Strome liegt. Wir fanden daselbst zu unserer nicht geringen Verwunderung einige angebaute Grundstücke und auf einem kleinen Hügel eine indianische Hütte. Vier Eingeborene saßen um ein Feuer von Buschwerk und aßen eine Art weißen, schwarz gefleckten Teigs, der unsere Neugierde nicht wenig reizte. Es waren *Vachacos*, große Ameisen, deren Hintertheil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geschwärzt. Wir sahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vierzehn Menschen ganz nackt in Hängematten über einander. Als aber Pater Zea erschien, wurde er mit großen Freudenbezeugungen empfangen. Am Rio Negro stehen wegen der Grenzwache mehr Soldaten als am Orinoco, und überall, wo Soldaten und Mönche sich die Herrschaft über die Indianer streitig machen, haben diese mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber stiegen aus den Hängematten, um uns Casavekuchen zu bereiten. Man fragte sie durch einen Dollmetscher, ob der Boden der Insel fruchtbar sey; sie erwiederten, der Manioc gerathe schlecht, dagegen sey es ein *gutes Ameisenland*, man habe gut zu leben. Diese *Vachacos* dienen den Indianern am Nio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameisen nicht aus Leckerei, sondern weil, wie die Missionäre sagen, das *Ameisenfett* (der weiße Theil des Unterleibs) sehr nahrhaft ist. Als die Casavekuchen fertig waren, ließ sich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßlust vielmehr zu reizen als zu schwächen schien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er mischte die zerdrückten Insekten mit Maniocmehl und ließ nicht nach, bis wir davon kosteten. Es schmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brodkrumen geknetet. Der Manioc schmeckte nicht sauer, es klebte uns aber noch soviel europäisches Vorurtheil an, daß wir mit dem guten Missionär, wenn er das Ding eine vortreffliche *Ameisenpaste* nannte, nicht einverstanden seyn konnten. Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer schliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit schwatzten sie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, schürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lufttemperatur 21 Grad war. Diese Sitte, vier, fünf Stunden Vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu seyn, herrscht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den »Entradas« die Eingeborenen überraschen will, wählt man dazu die Zeit, wo sie im ersten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht. Wir verließen die Insel Dapa lange vor der Morgendämmerung und kamen trotz der starken Strömung und des Fleißes unserer Ruderer erst nach zwölfstündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen wir die Einmündung des Cassiquiare, rechts die kleine Insel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felsen Culimacari liegt sie unter 1° 54′ 11″. Jede Nation hat die Neigung, den Flächenraum ihrer Besitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da man es versäumt, die Reiseentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduciren, so sind immer die Grenzen am meisten verunstaltet. Die Portugiesen setzen, vom Amazonenstrom ausgehend, San Carlos und San Jose de Maravitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küste von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd schieben. Dieß gilt von allen Karten der Colonieen. Weiß man, wo sie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, so weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrthümer in Länge und Breite laufen. In San Carlos fanden wir Quartier beim Commandanten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauses hatte man eine sehr hübsche Aussicht auf drei sehr lange, dicht bewachsene Inseln. Der Strom läuft geradeaus von Nord nach Süd, als wäre sein Bett von Menschenhand gegraben. Der beständig bedeckte Himmel gibt den Landschaften hier einen ernsten, finstern Charakter. Wir fanden im Dorfe ein paar Juviastämme; es ist dieß das majestätische Gewächs, von dem die dreieckigten Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenstrom nennt. Wir haben dasselbe unter dem Namen _ __Bertholletia__ excelsa_ bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren dreißig Fuß hoch. Die bewaffnete Macht an der Grenze hier bestand aus siebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Missionäre in der Nachbarschaft detachirt waren. Die Luft ist so feucht, daß nicht vier Gewehre schußfertig sind. Die Portugiesen haben fünf und zwanzig bis dreißig besser gekleidete und bewaffnete Leute in der Schanze San Jose de Maravitanos. In der Mission San Carlos fanden wir nur eine *Garita*, ein viereckigtes Gebäude aus ungebrannten Backsteinen, in dem sechs Feldstücke standen. Die Schanze, oder, wie man hier gerne sagt, das *Castillo de San Felipe* liegt San Carlos gegenüber am westlichen Ufer des Rio Negro. Der Commandant trug Bedenken, Bonpland und mich die *Fortalezza* sehen zu lassen; in unsern Pässen stand wohl, daß ich sollte Berge messen und überall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometrische Operationen vornehmen dürfen, aber vom Besehen fester Plätze stand nichts darin. Unser Reisebegleiter, Don Nicolas Soto, war als spanischer Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Vertheidigung 500 Mann erforderte. Es ist eine Viereckigte Verschanzung mit kaum sichtbarem Graben. Die Brustwehr ist fünf Fuß hoch und mit großen Steinen verstärkt. Dem Flusse zu liegen zwei Bastionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufstellen könnte. Im ganzen Werk sind 14--15 Geschütze, meist ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her stehen drei oder vier indianische Hütten. Dieß heißt das Dorf San Felipe, und damit das Ministerium in Madrid Wunder meine, wie sehr diese christlichen Niederlassungen gedeihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchenbuch. Abends nach dem Angelus wurde dem Commandanten Rapport erstattet und sehr ernsthaft gemeldet, daß es überall um die Festung ruhig scheine; dieß erinnerte mich an die Schanzen an der Küste von Guinea, von denen man in Reisebeschreibungen liest, die zum Schutz der europäischen Faktoreien dienen sollen und in denen vier bis fünf Mann Garnison liegen. Die Soldaten in San Carlos sind nicht besser daran als die in den afrikanischen Faktoreien, denn. überall an so entlegenen Punkten herrschen dieselben Mißbräuche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der schon sehr lange geduldet wird, bezahlen die Commandanten die Truppen nicht in Geld, sondern liefern ihnen zu hohen Preisen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angostura fürchtet man sich so sehr davor, in die Missionen am Carony, Caura und Rio Negro detachirt oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen sehr schwer zu rekrutiren sind. Die Lebensmittel sind am Rio Negro sehr theuer, weil man nur wenig Manioc und Bananen baut und der Strom (wie alle schwarzen, klaren Gewässer) wenig Fische hat. Die beste Zufuhr kommt von den portugiesischen Niederlassungen am Rio Negro, wo die Indianer regsamer und wohlhabender sind. Indessen werden bei diesem Handel mit den Portugiesen jährlich kaum für 3000 Piaster Waaren eingeführt. Die Ufer des obern Rio Negro werden mehr ertragen, wenn einmal mit Ausrodung der Wälder die übermäßige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens abnimmt und die Insekten, welche Wurzeln und Blätter der krautartigen Gewächse verzehren, sich vermindern. Beim gegenwärtigen Zustand des Ackerbaus kommt der Mais fast gar nicht fort; der Tabak, der auf den Küsten von Caracas von ausgezeichneter Güte und sehr gesucht ist, kann eigentlich nur aus alten Baustätten, bei zerfallenen Hütten, bei _‘pueblo viejo’_ gebaut werden. In Folge der nomadischen Lebensweise der Eingeborenen fehlt es nun nicht an solchen Baustätten, wo der Boden umgebrochen worden und der Luft ausgesetzt gewesen, ohne daß etwas darauf wuchs. Der Tabak, der in frisch ausgerodeten Wäldern gepflanzt wird, ist wässrigt und ohne Arom. Bei den Dörfern Maroa, Davipe und Tomo ist der Indigo verwildert. Unter einer andern Verwaltung, als wir sie im Lande getroffen, wird der Rio Negro eines Tags Indigo, Kaffee, Cacao, Mais und Reis im Ueberfluß erzeugen. Da man von der Mündung des Rio Negro nach Gran-Para in 20--25 Tagen fährt, so hätten wir den Amazonenstrom hinab bis zur Küste von Brasilien nicht viel mehr Zeit gebraucht, als um über den Cassiquiare und den Orinoco an die Nordküste von Caracas zurückzukehren. Wir hörten in San Carlos, der politischen Verhältnisse wegen sey im Augenblick aus den spanischen Besitzungen schwer in die portugiesischen zu kommen; aber erst nach unserer Rückkehr nach Europa sahen wir in vollem Umfang, welcher Gefahr wir uns ausgesetzt hätten, wenn wir bis Barcellos hinabgegangen wären. Man hatte in Brasilien, vielleicht aus den Zeitungen, deren wohlwollender, unüberlegter Eifer schon manchem Reisenden Unheil gebracht hat, erfahren, ich werde in die Missionen am Rio Negro kommen und den natürlichen Canal untersuchen, der zwei große Stromsysteme verbindet. In diesen öden Wäldern hatte man Instrumente nie anders als in den Händen der Grenzcommission gesehen, und die Unterbeamten der portugiesischen Regierung hatten bis dahin so wenig als der gute Missionär, von dem in einem früheren Capitel die Rede war, einen Begriff davon, wie ein vernünftiger Mensch eine lange beschwerliche Reise unternehmen kann, »um Land zu vermessen, das nicht sein gehört.« Es war der Befehl ergangen, sich meiner Person und meiner Instrumente zu versichern, ganz besonders aber der Verzeichnisse astronomischer tz Beobachtungen, welche die Sicherheit der Staaten so schwer gefährden könnten. Man hätte uns auf dem Amazonenfluß nach Gran-Para geführt und uns von dort nach Lissabon geschickt. Diese Absichten, die, wären sie in Erfüllung gegangen, eine aus fünf Jahre berechnete Reise stark gefährdet hätten, erwähne ich hier nur, um zu zeigen, wie in den Colonialregierungen meist ein ganz anderer Geist herrscht als an der Spitze der Verwaltung im Mutterland. Sobald das Ministerium in Lissabon vom Diensteifer seiner Untergebenen Kunde erhielt, erließ es den Befehl, mich in meinen Arbeiten nicht zu stören, im Gegentheil sollte man mir hilfreich an die Hand gehen, wenn ich durch einen Theil der portugiesischen Besitzungen käme. Von diesem aufgeklärten Ministerium selbst wurde mir kundgethan, welch freundliche Rücksicht man mir zugedacht, um die ich mich in so großer Entfernung nicht hatte bewerben können. Unter den Portugiesen, die wir in San Carlos trafen, befanden sich mehrere Officiere, welche die Reise von Barcellos nach Gran-Para gemacht hatten. Ich stelle hier Alles zusammen, was ich über den Lauf des Rio Negro in Erfahrung bringen konnte. Selten kommt man aus dem Amazonenstrom über den Einfluß des Cababuri herauf, der wegen der Sarsaparill-Ernte weitberufen ist, und so ist Alles, was in neuerer Zeit über die Geographie dieser Länder veröffentlicht worden, selbst was von Rio Janeiro ausgeht, in hohem Grade verworren. Weiter den Rio Negro hinab läßt man rechts den Caño Maliapo, links die Caños Dariba und Guy. Fünf Meilen weiter, also etwa unter 1° 38′ nördlicher Breite, liegt die Insel San Josef, die provisorisch (denn in diesem endlosen Grenzproceß ist Alles provisorisch) als südlicher Endpunkt der spanischen Besitzungen gilt. Etwas unterhalb dieser Insel, an einem Ort, wo es viele verwilderte Orangebäume gibt, zeigt man einen kleinen, 200 Fuß hohen Felsen mit einer Höhle, welche bei den Missionären »Cocuys *Glorieta*« heißt. Dieser *Lustort*, denn solches bedeutet das Wort Glorieta im Spanischen, weckt nicht die angenehmsten Erinnerungen. Hier hatte Cocuy, der Häuptling der Manitivitanos, von dem oben die Rede war [S. Bd. III. Seite 277.], sein *Harem*, und hier verspeiste er -- um Alles zu sagen -- aus besonderer Vorliebe die schönsten und fettesten seiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menschenfresser war; »es ist dieß,« sagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikanischen Missionärs, »eine üble Gewohnheit dieser Völker in Guyana, die sonst so sanft und gutmüthig sind;« aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abscheulichen Ausschweifungen Cocuys am untern Orinoco weit verbreiteter ist als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menschheit entehrende Handlung begangen; geschieht solches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Christ geworden und der mir ein verständiger, civilisirter Mensch schien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos ist? Unterhalb der Glorieta kommen auf portugiesischem Gebiet das Fort San Josef de Maravitanos, die Dörfer Joam Baptista de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaisia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Nossa Senhora da Guya, Boavista am Rio Içanna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape [S. Bd. III. Seite 348--367], Calderon, San Miguel de Iparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Festung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle diese Ortsnamen absichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlassungen die portugiesische Regierung sogar in diesem abgelegenen Winkel von Brasilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 25 Meilen liegen eilf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, außer den sechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehmals die Guayannas-Indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Flusse desselben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine so große Rolle spielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieses Nebenflusses des Amazonenstroms allein sind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des obern und des untern Orinoco, des Cassiquiare, des Atabapo und des spanischen Rio Negro zusammen. Dieser Gegensatz beruht keineswegs bloß auf dem Unterschied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordwest nach Südost läuft, leichter zu befahren ist; er ist vielmehr Folge der politischen Einrichtungen. Nach der Colonialverfassung der Portugiesen stehen die Indianer unter Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Carmel zumal. Es ist eine gemischte Regierung, wobei die weltliche Gewalt sich unabhängig erhält. Die Observanten dagegen, unter denen die Missionen am Orinoco stehen, vereinigen alle Gewalten in Einer Hand. Die eine wie die andere dieser Regierungsweisen ist drückend in mehr als Einer Beziehung; aber in den portugiesischen Colonien wird für den Verlust der Freiheit wenigstens durch etwas mehr Wohlstand und Cultur Ersatz geleistet. Unter den Zuflüssen, die der Rio Negro von Norden her erhält, nehmen drei besonders unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, weil sie wegen ihrer Verzweigungen, ihrer Trageplätze und der Lage ihrer Quellen bei der so oft verhandelten Frage nach dem Ursprung des Orinoco stark in Betracht kommen. Die am weitesten südwärts gelegenen dieser Nebenflüsse sind der Rio Branco, von dem man lange glaubte, er entspringe mit dem Orinoco aus dem Parimesee, und der Rio Padaviri, der mittelst eines Trageplatzes mit dem Mavaca und somit mit dem obern Orinoco ostwärts von der Mission Esmeralda in Verbindung steht. Wir werden Gelegenheit haben, vom Rio Branco und dem Padaviri zu sprechen, wenn wir in der letztgenannten Mission angelangt sind; hier brauchen wir nur beim dritten Nebenfluß des Rio Negro, dem Cababuri, zu verweilen, dessen Verzweigungen mit dem Cassiquiare in hydrographischer Beziehung und für den Sarsaparillehandel gleich wichtig sind. Von den hohen Gebirgen der Parime, die am Nordufer des Orinoco in seinem obern Lauf oberhalb Esmeralda hinstreichen, geht ein Zug nach Süden ab, in dem der Cerro de Unturan einer der Hauptgipfel ist. Dieser gebirgigte Landstrich ist nicht sehr groß, aber reich an vegetabilischen Produkten, besonders an *Mavacure*-Lianen, die zur Bereitung des Curaregiftes dienen, an Mandelbäumen (Juvia oder _Bertholletia excelsa_), aromatischem *Puchery* und wildem Cacao, und bildet eine Wasserscheide zwischen den Gewässern, die in den Orinoco, in den Cassiquiare und in den Rio Negro gehen. Gegen Norden oder dem Orinoco zu fließen der Mavaca und der Daracapo, nach Westen oder zum Cassiquiare der Idapa und der Pacimoni, nach Süden oder zum Rio Negro der Padaviri und der Cababuri. Der letztere theilt sich in der Nähe seiner Quelle in zwei Arme, von denen der westlichste unter dem Namen Baria bekannt ist. In der Mission San Francisco Solano gaben uns die Indianer die umständlichsten Nachrichten über seinen Lauf. Er verzweigt sich, was sehr selten vorkommt, so, daß zu einem untern Zufluß das Wasser eines obern nicht herunterkommt, sondern daß im Gegentheil jener diesem einen Theil seines Wassers in einer der Richtung des Hauptwasserbehälters entgegengesetzten Richtung zusendet. Ich habe mehrere Beispiele dieser Verzweigungen mit Gegenströmungen, dieses scheinbaren Wasserlaufs bergan, dieser Flußgabelungen, deren Kenntniß für die Hydrographen von Interesse ist, auf Einer Tafel meines Atlas zusammengestellt. Dieselbe mag ihnen zeigen, daß man nicht geradezu Alles für Fabel erklären darf, was von dem Typus abweicht, den wir uns nach Beobachtungen gebildet, die einen zu unbedeutenden Theil der Erdoberfläche umfassen. Der Cababuri fällt bei der Mission Nossa Senhora das Caldas in den Rio Negro; aber die Flüsse Ya und Dimity, die weiter oben hereinkommen, stehen auch mit dem Cababuri in Verbindung, so daß von der Schanze San Gabriel de Cachoeiras an bis San Antonio de Castanheira die Indianer aus den portugiesischen Besitzungen auf dem Baria und dem Pacimoni auf das Gebiet der spanischen Missionen sich einschleichen können. Wenn ich sage Gebiet, so brauche ich den ungewöhnlichen Ausdruck der Observanten. Es ist schwer zu sagen, aus was sich das Eigenthumsrecht in unbewohnten Ländern gründet, deren natürliche Grenzen man nicht kennt, und die man nicht zu cultiviren versucht hat. In den portugiesischen Missionen behaupten die Leute, ihr Gebiet erstrecke sich überall so weit, als sie im Canoe auf einem Fluß, dessen Mündung in portugiesischem Besitz ist, gelangen können. Aber Besitzergreifung ist eine Handlung, die durchaus nicht immer ein Eigenthumsrecht begründet, und nach den obigen Bemerkungen über die vielfachen Verzweigungen der Flüsse dürfte es für die Höfe von Madrid und Lissabon gleich gefährlich seyn, diesen seltsamen Satz der Missions-Jurisprudenz gelten zu lassen. Der Hauptzweck bei den Einfällen auf dem Rio Cababuri ist, Sarsaparille und die aromatischen Samen des Puchery-Lorbeers (_Laurus pichurim_) zu sammeln. Man geht dieser kostbaren Produkte wegen bis auf zwei Tagereisen von Esmeralda an einen See nördlich vom Cerro Unturan hinauf, und zwar über die Trageplätze zwischen dem Pacimoni und Idapa, und dem Idapa und dem Mavaca, nicht weit vom See desselben Namens. Die Sarsaparille von diesem Landstrich steht in Gran-Para, in Angostura, Cumana, Nueva Barcelona und andern Orten von Terra Firma unter dem Namen _‘Zarza del Rio Negro’_ in hohem Ruf. Es ist die wirksamste von allen, die man kennt; man zieht sie der *Zarza* aus der Provinz Caracas und von den Bergen von Merida weit vor. Sie wird sehr sorgfältig getrocknet und absichtlich dem Rauch ausgesetzt, damit sie schwärzer wird. Diese Schlingpflanze wächst in Menge an den feuchten Abhängen der Berge Unturan und Achivaquery. DE CANDOLLE vermuthet mit Recht, daß verschiedene Arten von Smilax unter dem Namen Sarsaparille gesammelt werden. Wir fanden zwölf neue Arten, von denen _Smilax syphilitica_ vom Cassiquiare und _Smilax officinalis_ vom Magdalenenstrom wegen ihrer harntreibenden Eigenschaften die gesuchtesten sind. Da syphilitische Uebel hier zu Lande unter Weißen und Farbigen so gemein als gutartig sind, so wird in den spanischen Colonien eine sehr bedeutende Menge Sarsaparille als Hausmittel verbraucht. Wir ersehen aus den Werken des CLUSIUS, daß Europa in den ersten Zeiten der Eroberung diese heilsame Arznei von der mexicanischen Küste bei Honduras und aus dem Hafen von Guayaquil bezog. Gegenwärtig ist der Handel mit *Zarza* lebhafter in den Häfen, die mit dem Orinoco, Rio Negro und Amazonenstrom Verbindungen haben. Versuche, die in mehreren botanischen Gärten in Europa angestellt worden, thun dar, daß _Smilax glauca_ aus Virginien, die man für LINNÉ _Smilax Sarsaparilla_ erklärt, überall im Freien gebaut werden kann, wo die mittlere Temperatur des Winters mehr als 6 bis 7 Grad des hunderttheiligen Thermometers beträgt;(73) aber die wirksamsten Arten gehören ausschließlich der heißen Zone an und verlangen einen weit höheren Wärmegrad. Wenn man des CLUSIUS Werke liest, begreift man nicht, warum in unsern Handbüchern der _materia medica_ ein Gewächs der Vereinigten Staaten für den ältesten Typus der officinellen Smilaxarten gilt. Wir fanden bei den Indianern am Rio Negro einige der grünen Steine, die unter dem Namen *Amazonensteine* bekannt sind, weil die Indianer nach einer alten Sage behaupten, sie kommen aus dem Lande der »Weiber ohne Männer« (_Cougnantainsecouima_ oder _Aikeambenano_ -- Weiber, die allein leben). In San Carlos und den benachbarten Dörfern nannte man uns die Quellen des Orinoco östlich von Esmeralda, in den Missionen am Carony und in Angostura die Quellen des Rio Branco als die natürlichen Lagerstätten der grünen Steine. Diese Angaben bestätigen den Bericht eines alten Soldaten von der Garnison von Cayenne, von dem LA CONDAMINE spricht, und demzufolge diese Mineralien aus dem *Lande der Weiber* westwärts von den Stromschnellen des Oyapoc kommen. Die Indianer im Fort Topayos am Amazonenstrom, 5 Grad ostwärts vom Einfluß des Rio Negro, besaßen früher ziemlich viele Steine der Art. Hatten sie dieselben von Norden her bekommen, das heißt aus dem Lande, das die Indianer am Rio Negro angeben, und das sich von den Bergen von Cayenne bis an die Quellen des Essequebo, des Carony, des Orinoco, des Parime und des Rio Trombetas erstreckt, oder sind diese Steine aus dem Süden gekommen, über den Rio Topayos, der von der großen Hochebene der Campos Parecis herabkommt? Der Aberglaube legt diesen Steinen große Wichtigkeit bei; man trägt sie als Amulette am Hals, denn sie schützen nach dem Volksglauben vor Nervenleiden, Fiebern und dem Biß giftiger Schlangen. Sie waren daher auch seit Jahrhunderten bei den Eingeborenen nördlich und südlich vom Orinoco ein Handelsartikel. Durch die Caraiben, die für die Bokharen der neuen Welt gelten können, lernte man sie an der Küste von Guyana kennen, und da dieselben Steine, gleich dem umlaufenden Geld, in entgegengesetzten Richtungen von Nation zu Nation gewandert sind, so kann es wohl seyn, daß sie sich nicht vermehren und daß man ihre Lagerstätte nicht verheimlicht, sondern gar nicht kennt. Vor wenigen Jahren wurden mitten im hochgebildeten Europa, aus Anlaß eines lebhaften Streites über die einheimische China, allen Ernstes die grünen Steine vom Orinoco als ein kräftiges Fiebermittel in Vorschlag gebracht; wenn man der Leichtgläubigkeit der Europäer soviel zutraut, kann es nicht Wunder nehmen, wenn die spanischen Colonisten auf diese Amulette so viel halten als die Indianer, und sie zu sehr bedeutenden Preisen verkauft werden.(74) Gewöhnlich gibt man ihnen die Form der der Länge nach durchbohrten und mit Inschriften und Bildwerk bedeckten persepolitanischen Cylinder. Aber nicht die heutigen Indianer, nicht diese so tief versunkenen Eingeborenen am Orinoco und Amazonenstrom haben so harte Körper durchbohrt und Figuren von Thieren und Früchten daraus geschnitten. Dergleichen Arbeiten, wie auch die durchbohrten und geschnittenen Smaragde, die in den Cordilleren von Neu-Grenada und Quito vorkommen, weisen auf eine frühere Cultur zurück. Die gegenwärtigen Bewohner dieser Länder, besonders der heißen Zone, haben so wenig einen Begriff davon, wie man harte Steine (Smaragd, Nephrit, dichten Feldspath und Bergkrystall) schneiden kann, daß sie sich vorstellen, der »grüne Stein« komme ursprünglich weich aus dem Boden und werde erst hart, nachdem er bearbeitet worden. Aus dem hier Angeführten erhellt, daß der Amazonenstein nicht im Thale des Amazonenstromes selbst vorkommt, und daß er keineswegs von diesem Flusse den Namen hat, sondern, wie dieser selbst, von einem Volke kriegerischer Weiber, welche Pater Acuña und Oviedo in seinem Brief an den Cardinal Bembo mit den Amazonen der alten Welt vergleichen. Was man in unsern Sammlungen unter dem falschen Namen »Amazonenstein« sieht, ist weder Nephrit noch dichter Feldspath, sondern gemeiner apfelgrüner Feldspath, der vom Ural am Onegasee in Rußland kommt und den ich im Granitgebirg von Guyana niemals gesehen habe. Zuweilen verwechselt man auch mit dem so seltenen und so harten Amazonenstein Werners *Beilstein*,(75) der lange nicht so zäh ist. Das Mineral, das ich aus der Hand der Indianer habe, ist zum *Saussurit*(76) zu stellen, zum eigentlichen Nephrit, der sich oryctognostisch dem dichten Feldspath nähert und ein Bestandtheil des *Verde de Corsica* oder des Gabbro ist. Er nimmt eine schöne Politur an und geht vom Apfelgrünen ins Smaragdgrüne über; er ist an den Rändern durchscheinend, ungemein zäh und klingend, so daß von den Eingeborenen in alter Zeit geschliffene, sehr dünne, in, der Mitte durchbohrte Platten, wenn man sie an einem Faden aufhängt · und mit einem andern harten Körper(77) anschlägt, fast einen metallischen Ton geben. Bei den Völkern beider Welten finden wir auf der ersten Stufe der erwachenden Cultur eine besondere Vorliebe für gewisse Steine, nicht allein für solche, die dem Menschen wegen ihrer Härte als schneidende Werkzeuge dienen können, sondern auch für Mineralien, die der Mensch wegen ihrer Farbe oder wegen ihrer natürlichen Form mit organischen Verrichtungen, ja mit psychischen Vorgängen verknüpft glaubt. Dieser uralte Steincultus, dieser Glaube an die heilsamen Wirkungen des Nephrits und des Blutsteins kommen den Wilden Amerikas zu, wie den Bewohnern der Wälder Thraciens, die wir wegen der ehrwürdigen Institutionen des Orpheus und des Ursprungs der Mysterien nicht wohl als Wilde ansprechen können. Der Mensch, so lange er seiner Wiege noch näher steht, empfindet sich als Autochthone; er fühlt sich wie gefesselt an die Erde und die Stoffe, die sie in ihrem Schooße birgt. Die Naturkräfte, und mehr noch die zerstörenden als die erhaltenden, sind die frühesten Gegenstände seiner Verehrung. Und diese Kräfte offenbaren sich nicht allein im Gewitter, im Getöse, das dem Erdbeben vorangeht, im Feuer der Vulkane; der leblose Fels, die glänzenden, harten Steine, die gewaltigen, frei aufsteigenden Berge wirken auf die jugendlichen Gemüther mit einer Gewalt, von der wir bei vorgeschrittener Cultur keinen Begriff mehr haben. Besteht dieser Steincultus einmal, so erhält er sich auch fort neben späteren Cultusformen, und aus einem Gegenstand religiöser Verehrung wird ein Gegenstand abergläubischen Vertrauens. Aus Göttersteinen werden Amulette, die vor allen Leiden Körpers und der Seele bewahren. Obgleich zwischen dem Amazonenstrom und dem Orinoco und der mexicanischen Hochebene fünfhundert Meilen liegen, obgleich die Geschichte von keinem Zusammenhang zwischen den wilden Völkern von Guyana und den civilisirten von Anahuac weiß, fand doch in der ersten Zeit der Eroberung der Mönch BERNHARD VON SAHAGUN in Cholula *grüne Steine*, die einst Quetzalcohuatl angehört, und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Diese geheimnißvolle Person ist der Buddha der Mexicaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, stiftete die ersten religiösen Vereine und führte eine Regierungsweise ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat. Die Geschichte des Nephrits oder grünen Steins in Guyana steht in inniger Verbindung mit der Geschichte der kriegerischen Weiber, welche die Reisenden des sechzehnten Jahrhunderts die Amazonen der neuen Welt nennen. LA CONDAMINE bringt viele Zeugnisse zur Unterstützung dieser Sage bei. Seit meiner Rückkehr vom Orinoco und Amazonenstrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Ansicht dieses Gelehrten theile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenossen desselben glaube, er habe den _‘Cougnantainsecouima’_ den unabhängigen Weibern, die nur im Monat April Männer unter sich aufnahmen, nur deßhalb das Wort geredet, um in einer öffentlichen Sitzung der Akademie einer Versammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hört, sich angenehm zu machen. Es ist hier der Ort, mich offen über eine Sage auszusprechen, die einen so romantischen Anstrich hat, um so mehr, als LA CONDAMINE behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame seyen über den Maragnon gegangen und haben sich am Rio Negro niedergelassen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beschreibungen der neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem classischen Alterthum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß ORELLANAs erste Berichte so wichtig genommen wurden. Liest man die Schriften des VESPUCCI, FERDINAND COLUMBUS, GERALDINI, OVIEDO, PETER MARTYR VON ANGHIERA, so begegnet man überall der Neigung der Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern Alles wieder zu finden, was uns die Griechen vom ersten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbarischen Scythen und Afrikaner erzählen. An der Hand dieser Reisenden, die uns in eine andere Halbkugel versetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die längst dahin sind; denn die amerikanischen Horden in ihrer primitiven Einfalt sind ja für Europa »eine Art Alterthum, dem wir fast als Zeitgenossen gegenüber stehen.« Was damals nur Stylblume und Geistesergötzlichkeit war, ist heutzutage zum Gegenstand ernster Erörterungen geworden. In einer in Louisiana erschienenen Abhandlung wird die ganze griechische Mythologie, die Amazonen eingeschlossen, aus den Oertlichkeiten am Nicaraguasee und einigen andern Gegenden in Amerika entwickelt. Wenn Oviedo in seinen Briefen an Cardinal Bembo dem Geschmack eines mit dem Studium des Alterthums so vertrauten Mannes schmeicheln zu müssen glaubte, so hatte der Seefahrer Sir WALTHER RALEGH einen minder poetischen Zweck. Ihm war es darum zu thun, die Aufmerksamkeit der Königin Elisabeth auf das große *Reich Guyana* zu lenken, das nach seinem Plan England erobern sollte. Er beschrieb die Morgentoilette des *vergoldeten Königs* (_‘el dorado’_)(78), wie ihn jeden Tag seine Kammerherren mit wohlriechenden Oelen salben und ihm dann aus langen Blaserohren den Goldstaub auf den Leibblasen; nichts mußte aber die Einbildungskraft Elisabeths mehr ansprechen als die kriegerische Republik der Weiber ohne Männer, die sich gegen die castilianischen Helden wehrten. Ich deute hiemit die Gründe an, welche die Schriftsteller, die die amerikanischen Amazonen vorzugsweise in Ruf gebracht, zur Uebertreibung verführt haben; aber diese Gründe berechtigen uns nach meiner Ansicht nicht, eine Sage, die bei verschiedenen, in gar keinem Verkehr mit einander stehenden Völkern verbreitet ist, gänzlich zu verwerfen. Die Zeugnisse, die LA CONDAMINE gesammelt, sind sehr merkwürdig; er hat dieselben sehr umständlich bekannt gemacht, und mit Vergnügen bemerke ich noch, daß dieser Reisende, wenn er in Frankreich und England für einen Mann von der unermüdlichsten Neugier galt, in Quito, im Lande, das er beschrieben, im Ruf des redlichsten, wahrheitsliebendsten Mannes steht. Dreißig Jahre nach La Condamine hat ein portugiesischer Astronom, der den Amazonenstrom und seine nördlichen Nebenflüsse befahren, RIBEIRO, Alles, was der gelehrte Franzose vorgebracht, an Ort und Stelle bestätigt gefunden. Er fand bei den Indianern dieselben Sagen und sammelte sie desto unparteiischer, da er selbst nicht an Amazonen glaubt, die eine besondere Völkerschaft gebildet hätten. Da ich keine der Sprachen verstehe, die am Orinoco und Rio Negro gesprochen werden, so konnte ich hinsichtlich der Volkssagen von den *Weibern ohne Männer* und der Herkunft der *grünen Steine*, die damit in genauer Verbindung stehen sollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe aber ein neueres Zeugniß an, das nicht ohne Gewicht ist, das des Pater GILI. Dieser gebildete Missionär sagt: »Ich fragte einen Quaqua-Indianer, welche Völker am Rio Cuchivero lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam-benanos. Da ich gut tamanakisch verstand, war mir gleich der Sinn des letzteren Wortes klar: es ist ein zusammengesetztes Wort und bedeutet: *Weiber, die allein leben*. Der Indianer bestätigte dieß auch und erzählte, die Aikeam-benanos seyen eine Gesellschaft von Weibern, die lange Blaserohre und anderes Kriegsgeräthe verfertigten. Sie nehmen nur einmal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vokearos bei sich auf und machen ihnen zum Abschied Blaserohre zum Geschenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieser Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht.« Diese Geschichte erscheint wie eine Copie der Sagen, welche bei den Indianern am Maragnon und bei den Caraiben in Umlauf sind. Der Quaqua-Indianer, von dem Pater Gili spricht, verstand aber nicht spanisch; er hatte niemals mit Weißen verkehrt und wußte sicher nicht, daß es südlich vom Orinoco einen andern Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos oder der Amazonen heißt. Was folgt aus diesem Bericht des alten Missionärs von Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen gibt, wohl aber, daß in verschiedenen Landstrichen Amerikas Weiber, müde der Sklavendienste, zu denen die Männer sie verurtheilen, sich wie die flüchtigen Neger in ein *Palenque* zusammengethan; daß der Trieb, sich die Unabhängigkeit zu erhalten, sie kriegerisch gemacht; daß sie von einer befreundeten Horde in der Nähe Besuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz so methodisch als in der Sage. Ein solcher Weiberverein durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewissen Festigkeit gediehen seyn, so wurden sehr einfache Vorfälle, wie sie an verschiedenen Orten vorkommen mochten, nach Einem Muster gemodelt und übertrieben. Dieß ist ja der eigentliche Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufstand, von dem oben die Rede war [S. Bd. II. Seite 354.], nicht auf der Küste von Venezuela, sondern mitten im Continent stattgefunden, so hätte das leichtgläubige Volk in jedem *Palenque* von Marronnegern den Hof des Königs Miguel, seinen Staatsrath und den schwarzen Bischof von Buria gesehen. Die Caraiben in Terra Firma standen mit denen auf den Inseln in Verkehr, und höchst wahrscheinlich haben sich auf diesem Wege die Sagen vom Maragnon und Orinoco gegen Norden verbreitet. Schon vor Orellanas Flußfahrt glaubte Christoph Columbus auf den Antillen Amazonen gefunden zu haben. Man erzählte dem großen Manne, die kleine Insel Madanino (Montserrate) sey von kriegerischen Weibern bewohnt, die den größten Theil des Jahrs keinen Verkehr mit Männern hätten. Anderemale sahen die Conquistadoren einen Amazonenfreistaat, wo sie nur Weiber vor sich hatten, die in Abwesenheit der Männer ihre Hütten vertheidigten, oder auch -- und dieses Mißverständniß ist schwerer zu entschuldigen -- jene religiösen Vereine, jene Klöster mexicanischer Jungfrauen, die zu keiner Zeit im Jahre Männer bei sich aufnahmen, sondern nach der strengen Regel Quetzalcohuatls lebten. Die allgemeine Stimmung brachte es mit sich, daß von den vielen Reisenden, die nach einander in der neuen Welt Entdeckungen machten und von den Wundern derselben berichteten, jeder auch gesehen haben wollte, was seine Vorgänger gemeldet hatten. Wir brachten in San Carlos del Rio Negro drei Nächte zu. Ich zähle die Nächte, weil ich sie in der Hoffnung, den Durchgang eines Sterns durch den Meridian beobachten zu können, fast ganz durchwachte. Um mir keinen Vorwurf machen zu dürfen, waren die Instrumente immer zur Beobachtung hergerichtet; ich konnte aber nicht einmal doppelte Höhen bekommen, um nach der Methode von Douwes die Breite zu berechnen. Welch ein Contrast zwischen zwei Strichen derselben Zone! dort der Himmel Cumanas, ewig heiter wie in Persien und Arabien, und hier der Himmel am Rio Negro, dick umzogen wie auf den Faröerinseln, ohne Sonne, Mond und Sterne! Ich verließ die Schanze San Carlos mit desto größerem Verdruß, da ich keine Aussicht hatte, in der Nähe des Orts eine gute Breitenbeobachtung machen zu können. Die Inclination der Magnetnadel fand ich in San Carlos gleich 20° 60; 216 Schwingungen in zehn Zeitminuten gaben das Maaß der magnetischen Kraft. Da die magnetischen Parallelen gegen West aufwärts gehen und ich auf dem Rücken der Cordilleren zwischen Santa Fe de Bogota und Popayan dieselben Inclinationswinkel beobachtet habe wie am obern Orinoco und am Rio Negro, so sind diese Beobachtungen für die Theorie der *Linien von gleicher ** Intensität* oder *isodynamischen Linien* von großer Bedeutung geworden. Die Zahl der Schwingungen ist in Javita und Quito dieselbe, und doch ist die magnetische Inclination am ersteren Ort 26° 40, am zweiten 14° 85. Nimmt man die Kraft unter dem magnetischen Aequator (in Peru) gleich eins an, so ergibt sich für Cumana 1,1779, für Carichana 1,1575, für Javita 1,0675, für San Carlos 1,0480. In diesem Verhältniß nimmt die Kraft von Nord nach Süd auf 8 Breitengraden zwischen dem 66 1/2 und 69sten Grad westlicher Länge von Paris ab. Ich gebe absichtlich die Meridian-Unterschiede an; denn ein Mathematiker, der auf dem Gebiete des Erdmagnetismus große Erfahrung besitzt, HANSTEEN, hat meine *isodynamischen Beobachtungen* einer neuen Prüfung unterworfen und gefunden, daß die Intensität der Kraft auf demselben magnetischen Parallel nach sehr constanten Gesetzen wechselt, und daß die scheinbaren Anomalien der Erscheinung größtentheils verschwinden, wenn man diese Gesetze kennt. Im Allgemeinen steht fest, was für mich aus der ganzen Reihe meiner Beobachtungen hervorgeht, daß die Intensität der Kraft vom magnetischen Aequator gegen den Pol zunimmt; aber diese Zunahme scheint unter verschiedenen Meridianen mit ungleicher Geschwindigkeit zu erfolgen. Wenn zwei Orte dieselbe Inclination haben, so ist die Intensität westwärts vom Meridian, der mitten durch Südamerika läuft, am stärksten, und sie nimmt unter demselben Parallel ostwärts, Europa zu ab. In der südlichen Halbkugel scheint sie ihr Minimum an der Ostküste von Afrika zu erreichen; sie nimmt dann unter demselben magnetischen Parallel gegen Neuholland hin wieder zu. Ich fand die Intensität der Kraft in Mexico beinahe so groß wie in Paris, aber der Unterschied in der Inclination beträgt mehr als 31 Grad. Meine Nadel, die unter dem magnetischen Aequator (in Peru) 211 mal schwang, hätte unter demselben Aequator auf dem Meridian der Philippinen nur 202 oder 203 mal geschwungen. Dieser auffallende Unterschied ergibt sich aus der Zusammenstellung meiner Beobachtungen der Intensität in Santa Cruz auf Teneriffa mit denen, die ROSSEL daselbst sieben Jahre früher gemacht. Die magnetischen Beobachtungen am Rio Negro sind unter allen, die auf einem großen Festland bekannt geworden, die nächsten am magnetischen Aequator. Sie dienten somit dazu, die Lage dieses Aequators zu bestimmen, über den ich weiter westwärts auf dem Kamm der Anden zwischen Micuipampa und Caxamarca unter dem 7. Grad südlicher Breite gegangen bin. Der magnetische Parallel von San Carlos (der von 22° 60) läuft durch Popayan und in die Südsee an einem Punkt (unter 3° 12′ nördlicher Breite und 89° 36′ westlicher Länge), wo ich so glücklich war, bei ganz stiller Luft beobachten zu können. ------------------ 64 Diese Jäger gehören zu Militärposten und hängen von der russischen Gesellschaft ab, deren Hauptactionäre in Irkutsk sind. Im Jahr 1804 war die kleine Festung (Crepoft) in der Bucht von Jakutal noch 600 Meilen von den nördlichslen mexicanischen Besitzungen entfernt. 65 Die geologische Bodenbeschaffenheit scheint, trotz der gegenwärtigen Verschiedenheit in der Höhe des Wasserspiegels, darauf hinzudeuten, daß in vorgeschichtlicher Zeit das schwarze Meer, das caspische Meer und der Aralsee mit einander in Verbindung gestanden haben. Der Ausfluß des Arals in das caspische Meer scheint zum Theil sogar jünger und unabhängig von der Gabeltheilung des Gihon (Oxus), über die einer der gelehrtesten Geographen unserer Zeit, RITTER, neues Licht verbreitet hat. 66 Dieß ist der Rio Parime, Rio Blanco, Rio de Aguas Blancas unserer Karten, der unterhalb Barcellos in den Rio Negro fällt. 67 Den berühmten Namen Hutten erkennt man in den spanischen Geschichtschreibern kaum wieder. Sie nennen Philipp von Hutten, mit Wegwerfung des aspirirten H, Felipe de Uten, de Urre, oder de Utre. 68 Dieß ist dreimal die Breite der Seine beim _Jardin des plantes_ 69 Bei Seine und Marne z. B. sind es von Paris bis zu den Quellen in gerader Richtung mehr als zwei Grade. 70 Geminus, Isagoge in Aratum cap. 13. STRABO, _lib. II_ 71 Der Ritter Giseke, der sieben Jahre unter dem 70sten Breitegrad gelebt hat, sah in der langen Verbannung, der er sich aus Liebe zur Wissenschaft unterzogen, nur ein einzigesmal blitzen. Auf der Küste von Grönland verwechselt man häufig das Getöse der Lawinen oder stürzender Eismassen mit dem Donner. 72 Ein Chiquichiqui-Tau, 66 Varas (171 Fuß) lang und 5 Zoll 4 Linien im Durchmesser, kostet den Missionär 12 harte Piaster und es wird in Angostura für 25 Piaster verkauft. Ein Stück von einem Zoll Durchmesser, 70 Varas (182 Fuß) lang, wird in den Missionen für 3 Piaster, an der Küste für 5 verkauft. 73 Wintertemperatur in London und Paris 4°,2 und 3°,7, in Montpellier 7°,7, in Rom 7°,7, in dem Theile von Mexico und Terra Firma, wo wir die wirksamsten Sarsaparille-Arten (diejenigen, welche aus den spanischen und portugiesischen Colonien in den Handel kommen) haben wachsen sehen, 20--26°. 74 Ein zwei Zoll langer Cylinder kostet 12--15 Piaster. 75 Punamuftein, _Jade axinien_. Die Steinäxte, die man in Amerika, z. B. in Mexico findet, sind kein Beilstein, sondern dichter Feldspath. _ 76 Jade de Saussure_ nach BRONGNIARTs System, _Jade tenace_ und _Feldspath compacte tenace_ nach HAILY, einige Varietäten des Varioliths nach WERNER. 77 Brongniart, dem ich nach meiner Rückkehr nach Europa solche Platten zeigte, verglich diese Nephrite aus der Parime ganz richtig mit den klingenden Steinen, welche die Chinesen zu ihren musikalischen Instrumenten, den sogenannten King, verwenden. * 78 Dorado* ist nicht der Name eines Landes; es bedeutet nur den *Vergoldeten*, _‘el rey dorado’_ LISTE EXPLIZIT GENANNTER WERKE Die folgenden Werke werden von Humboldt im Text in Kurzform genannt. ACUÑA, CHRISTOBAL DE Christian Edschlager Fernandez, Juan Patricio _ Nachricht von dem grossen Strom Derer Amazonen in der neuen Welt. Darinnen enthalten seynd alle eintzele Begebenheiten der Reise, welche P. Christophorus de Acunna, aus der Gesellschaft Jesu im Jahr 1639. auf Befehl Philippi des vierdten Königs in Spanien verrichtet. Gezogen aus der Spanischen Schrifft P. de Acunna selbst, und mit andern Nachrichten zu besserer Erläuterung vermehret._ _Erbauliche und angenehme Geschichten derer Chiqvitos, und anderer von denen Patribus der Gesellschafft Jesu in Paraquaria neubekehrten Völcker, samt einem ausführlichen Bericht von dem Amazonen-Strom/ wie auch einigen Nachrichten von der Landschaft Guiana, in der neuen Welt. Alles aus dem Spanisch- und Französischen in das Teutsche übersetzet/ von einem aus erwehnter Gesellschaft_ Wien Paul Straub 1729 551-772 ACUÑA, CHRISTOBAL DE _ Nvevo Descvbrimento del Gran Rio de las Amazonas. Por el Padre Chrstoval de Acuña, Religioso de la Compañia de Iesus, y Calificador de la Suprema General Inquisicion, al qval fue, y se hizo por Orden de su Magestad, el año de 1639. Por la Provincia de Qvito en los Reynos del Perù al Excelentissimo Señor Conde Duque de Oliuares (Escudo de la Compañía de Jesús, llevado por dos angelitos)._ Madrid Imprenta del Reyno 1641 CAULIN, ANTONIO _Historia Coro-Graphica Natural y Evangelica de la Nueva Andalucia, Provincias de Cumaná, Guayana y Vertientes del Rio Orinoco, Dedicada al Rei N.S. D. Carlos III Por el M. R. P. fr. Antonio Caulin, dos vezes Prov.l de los Observantes de Granada. Dada á luz de orden y a Expensas de S. M. año de 1779._ Madrid Juan de San Martin 1779 GILIJ, PHILIPPE SALVATORE _Nachrichten von dem Lande Guiana; dem Oronocoflus und den dortigen Wilden._ _Aus dem Italienischen des Abt Philip Salvator Gilii Auszugsweise übersetzt._ Matthias Christian Sprengel Hamburg 1785 Bohn XVI, 528 S. GILIJ, PHILIPPE SALVATORE _Saggio di Storia Americana o sia Storia naturale, civile, e sacra De regni, e delle provincie Spagnuole di Terra-ferma nell¿ America meridionale descritta dall¿ Abbate Filippo Salvadore Gilij._ Rom 1780--1784 T.1-4 GUMILLA, JOSÉ _ El Orinoco Ilustrado, y Defendido, Historia Natural, Civil y Geografica de este gran Rio, y de sus Caudalosas vertientes: Govierno, Usos y Costumbres de los Indios sus habitadores, con nuevas y útiles noticias de Animales, Arboles, Frutos, Aceytes, Resinas, Yervas y Raíces medicinales; y sobre todo, se hallaran conversiones muy singulares à N. Santa Fé, y casos de mucha edificacion. Escrita por el Padre Joseph Gumilla, de la Compañia de Jesus, Missionero, y Superior de las Misiones del Orinoco, Meta, y Casanare, Calificador, y Consultor del Santo Tribunal de la Inquisicion de Cartagena de Indias, y Examinador Synodal del Mismo Obispado, Provincial que fuè de su Provincia del Nuevo Reyno de Granada, y actual Procurador à emtrambas Curias, por sus dichas Missiones y Provincia. Segunda Impression, revista y aumentada por su mismo Autor y dividida en dos partes. (Dos volúmenes)._ Madrid Por Manuel Fernández, Impressor de el Supremo Consejo de la Inquisicion, y de la Reverenda Camara Apostolica, en la Caba Baxa. 1745 LA CONDAMINE, CHARLES-MARIE DE _Geschichte der zehenjährigen Reisen der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Paris vornemlich des Herrn de la Condamine nach Peru in America in den Jahren 1735 bis 1745 worinne ausser verschiedenen Nachrichten von der gegenwärtigen Beschaffenheit der spanischen Colonien in America, und einer vollständigen Beschreibung des berühmten Amazonenflusses, auch noch verschiedene und besondere Anmerkungen zur Aufnahme der Sternkunde, Erdbeschreibung und Naturlehre befindlich sind, herausgegeben und mit einigen Beylagen und Kupfern begleitet von J. C. S._ Erfurt Johann Friedrich Hartung 1763 LA CONDAMINE, CHARLES-MARIE DE _Relation abrégée d¿un Voyage fait dans l¿Interieur de l¿Amerique Méridionale. Depuis la Côte de la Mer du Sud, jusqu¿ aux Côtes du Brésil & de la Guiane, en descendant La Riviere des Amazones; Lûe à l¿Assemblée publique de l¿Academie des Sciences, le 28. Avril 1745. Par M. de la Condamine, de la même Académie._ Paris la Veuve Pissot 1745 OVIEDO Y BAÑOS, JOSEPH DE _Historia de la Conquista, y Población de la Provincia de Venezuela. Escrita por D. Joseph de Oviedo y Baños Vecino de la Ciudad de Santiago de León de Caracas. Quien la Consagra, y dedica a su Hermano el Señor D. Diego Antonio de Oviedo y Baños, Oydor de las reales Audiencias de Santo Domingo, Guatemala, y México, del Consejo de su Magestad en el Real, y Supremo de las Indias. Primera parte. Con Privilegio._ Madrid en la Imprenta de D. Gregorio Hermosilla, en la calle de los Jardines 1723 SAINT PIERRE, BERNARDIN DE _Paul et Virginie_ 1788 RALEGH, SIR WALTER _Die Fünffte Kurtze Wunderbare Beschreibung deß Goldreichen Königsreichs Guianæ in America oder newen Welt unter der linea Æquinoctiali gelegen: So newlich Anno 1594. 1595. vnd 1596. von dem Wolgebornen Hern, Hern Walthero Raleigh einem Engelischen Ritter, besucht worden: Erstlich auf Befehl seiner Gnaden in zweyen Büchlein beschrieben, darauss Jodocus Hondius, eine schöne Landt Tafel, mit einer Niderländischen Erklärung gemacht. Jetzt aber ins Hochteutsch gebracht, vnd auß vnterschiedlichen Authoribus erkläret._ Frankfurt (Main) Leuini Hulsii Wittibe 1612 RALEGH, SIR WALTER _The Discoverie of the Large, Rich, And Beavtifvl Empire of Gviana, With a relation of the great and Golden Citie of Manoa, (which the Spanyards call El Dorado) And of the Prouinces of Emeria, Arromaia, Amapaia, and other Countries, with their riuers adioyning. Performed in the yeare 1595. by Sir W. Ralegh Knight, Captaine of her Maiesties Guard, Lo. Warden of the Scanneries, and her Highnesse Lieutenant generall of the Countie of Cornewall._ London Robert Robinson 1598 THEOPHYLACTUS SIMOCATTA _Theophylacti Simocatæ Quæstiones physicæ nunquam antehac editæ. Eiusdem, Epistolæ morales, rusticæ, amatoriæ. Cassii Quæstiones medicæ. Iuliani Imp. Galli Cæs. Basilij, & Greg. Nazianzeni Epistolæ aliquot nunc primu¿m editæ; opera Bon. Vulcanii Brugensis._ Lugduni Batauorum Ex officina Ioannis Balduini. M.D. XCVII. ANMERKUNGEN DES KORREKTURLESERS Vom Korrekturleser wurden mehrere Änderungen am Originaltext vorgenommen. Inkonsistente Schreibweisen, die nichts an der Aussprache des Wortes ändern, wurden im Text belassen. Es folgen paarweise Textzeilen im Original und in der vorliegenden geänderten Fassung. die berühmte Sagopalme der Guaraons-Indianer; die berühmte Sagopalme der Guaranos-Indianer; wenn es sich von ganz unbedeutenden Höhenunterschieden handelt. wenn es sich um ganz unbedeutenden Höhenunterschied handelt. trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zanducos an, trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an, *** End of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3." *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.