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Title: Flaubert und die Herkunft des modernen Romans Author: Mann, Heinrich Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Flaubert und die Herkunft des modernen Romans" *** Heinrich Mann Flaubert und die Herkunft des modernen Romans Flaubert vollbringt sein ganzes Werk im Kampf gegen sich selbst. Dieser endgültige Eroberer des Realismus ist kein Liebhaber der Wirklichkeit; dieser Moderne haßt die Bürgerwelt, dieser Erfinder des unpersönlichen Romanstils hat Lyrik zu verbergen. Die letzten Windstöße des romantischen Sturmes gelangten, als er jung war, bis in seine Provinz. Er und seine Kameraden, gesprengt von Schwärmerei, fühlten sich als Ausnahmen in der platten Menschheit um sie her. Sie träumten vom Räuberleben, von der Liebe großer Damen und dem Kampf für den Islam, von allem, was beim frühen Victor Hugo steht; trugen Dolche, benutzten sie auch und verstanden zu sterben. Eine Pariser Geistesmode hat sie verspätet erreicht, als man in Paris schon anfing, sie abzulegen: so verspätet dringt sie auch in das Kloster, worin Emma Bovary ihre Mädchenzeit verträumt. In ihren bildsamsten Jahren werden diese jungen Gehirne nach Vorstellungen und Bedürfnissen gefaltet, gegen die alsbald die ganze Wirklichkeit als Feind aufstehen wird. Einige erliegen ihr: so erliegt Emma Bovary. Vor allem darum, weil Paris, das sie nie zu sehen bekommt, ihr immer das Irrlicht bleibt. Flaubert sieht es, wie es ist, vergleicht, schämt sich, und was er von seinem Herzen zu Papier zu bringen sich trotzdem nicht versagen kann, Stimmungsprosa, wolkig wie Novembertage, Herzensdrang an Chateaubriands, seines Helden, Geburtstätte und Grab: das ist von diesem Augenblick ab verurteilt, verschlossen zu bleiben. Er unterdrückt seine Jugend, seine ganze Jugend, um reif vor die Welt hinzutreten, mit einem kurz vor den Dreißig begonnenen Werk, aus dem vermeintlich der Autor abwesend, das angeblich die unter den unerforschlichen Augen eines uns sichtbaren Gottes geschehene Selbstgestaltung der Dinge ist. Aber die wilde Ironie, die nirgends nachweisbar hervortritt und deren Katzenaugen man doch überall ahnt, hinter den Vorgängen, hinter dem Stil, hinter der verfälschten und unangemessenen Gefühlssucht der Heldin: wie entsteht sie? Wer hat hier gelitten, um so ironisch sein zu dürfen? Eine arme Frau, die sich weder ihre Sinne noch ihre Eindrücke selbst gab, muß, weil sie ihnen und nicht den Bürgerregeln folgte, ärgste Erniedrigung, bittersten Tod erdulden. Die Tatsachen hetzen sie, und kein Mensch ist da, dem die Wimper zucken würde, kein verstehender Mensch; so konnte ihr Dichter in den Ruf eines harten Erziehers kommen. Gewiß, er erzog. Aber er war kein Gewissensrat für Bürgerfrauen, und nicht eine Dame namens Emma Bovary hat ihn zum Schreiben genötigt. Er erzieht sein Herz. Die Éducation sentimentale, die er später beschrieb, hier geschieht sie. Alle Gewalt des Buches liegt darin: daß jemand mit bitterer Überzeugung gegen sein eigenes Herz wütet und gegen seines Herzens ehebrecherische Gelüste nach Poesie. Gäbe er ihnen nach, er wäre gewiß, von der Zeit beiseite geschoben zu werden, unwirksam zu bleiben und abzusterben. Die Zeit will ihn modern, wissenschaftlich und nüchtern. Sie erhebt ihre Forderungen in ihm selbst. Seine zunehmende Geistigkeit verfeindet ihn mit seinem Herzen. So ergibt er sich der Unterwerfung dessen, was er war, dem Kampf gegen den Jüngling, der noch in ihm lebendig ist. Aber dieser Jüngling scheint in denen, die als Erstes die Romantik sahen, ein zähes Leben gehabt zu haben. Flauberts nächster Freund, Louis Bouilhet, blieb all seine Dauer ein Poet aus den Boheme-Tagen und immer im Zorn gegen die nachkommenden Zeiten, die er mitmachen mußte. So nimmt der Pessimismus Flauberts seinen Ursprung in entrüsteter Romantik. Rodolphe, der Dichter, sitzt, hoffnungslos verdüstert, in seiner winterlichen Dachkammer. Das Feuer, das er, seiner Unerschöpflichkeit gewiß, mit den Manuskripten seiner Gedichte entfachte, erlosch im Kamin. Wo kamen die Genossen hin? Der Mond ist untergegangen und Mimi tot. Aus dem mißverständlichen Erfolg von Madame Bovary mag Flaubert bittere Genugtuung geschöpft haben. Vielleicht, er war noch jung, hat er sich auch berauschen und täuschen lassen, hat sich -- nach Beendigung eines Buches ist uns sein Keim und, was es uns war, oft ganz entfallen -- im Augenblick selbst für den unbeirrbaren Realisten gehalten, als den man ihn ansprach. Er kann den Pessimismus seines Buches für nüchternen Wirklichkeitssinn angesehen haben, während er leidende Rache war; kann die Form, die er seinem Pessimismus gegeben hatte, das Groteske, für wirkliche, überlegene Stärke gehalten haben; und doch verdankte er es nur seinem Drang, sich zu behaupten, griff an aus Not und gestand, indem er karikierte, Schwäche ein. In seiner Jugendprosa, wo er noch das gute Gewissen zu seinen ersten Idealen hat, gibt es kein Groteskes. Während einer Orientreise nimmt es überhand. Hier, wo der Romantiker sich im Burnus an der Spitze von Mameluken und bei Brunnen mit Rosenwasser hätte fühlen sollen, verbringt er ganze Tage damit, einen imaginären alten Franzosen zu parodieren. Seine Feinde, die Bürger, halten ihn schon belagert, lassen ihm keine volle Ruhe mehr zum Genuß von Träumen. Nach der Heimkehr schließt er sich ein mit den Phantomen der Menschheit, um sich von ihnen vorspielen zu lassen. Sein noch jugendlicher Übermut verdüstert sich wohl; aber kein Zweifel, daß Monsieur Homais früher in ihm entstanden ist als Emma Bovary und daß sein Drang, darzustellen, vor allem eine Sucht zu herrschen ist. -- Das Verlangen treibt ihn, die Welt dadurch unter sich zu bringen, daß er sie als arme Fratze sich gebärden läßt. Nie selbst hervortreten; die »Unpersönlichkeit« zu seiner Rache machen; und in seiner hohen Einsamkeit mehr als menschliche Genüsse feiern! Denn welchen menschlichen Genuß vermöchte er nicht durch Literatur zu überbieten? Von der Liebe gibt sie ihm das Beste: intellektuelle Wollust, Hingabe wie Beherrschung, das Selbstvergessen in der Umarmung des Vollkommenen, und das Fragwürdigste, Aufstachelndste, Genüsse wie das keuchende Entsagen in der Éducation sentimentale, oder Salambos Python; oder die Tochter der Herodias. Die Literatur gibt ihm, stärker als das Leben, die Exaltation des Zeugens; sie gibt ihm konzentrierter das angstvolle Heranziehen der Geschöpfe. Sie gibt ihm Abenteuer, Reisen, unvorhergesehene Bekanntschaften, Qualen, Krankheiten und Krisen jeder Art. Mehrere Tage hindurch hat er den süßlichen Geschmack des Giftes auf der Zunge, das die Bovary nahm. Nur will dieser Rausch, der schnell unentbehrlich wird, immer üppiger genährt werden. Die mitlebenden Bürger findet Flaubert längst ohne Reiz, ihr Groteskes kläglich. Er braucht wildere Absonderlichkeiten, eine Welt der Ungeheuer und Gifte, einen Himmel, der wie ein Alpdruck ist; eine Welt auch, wo die Worte rasseln und klirren dürfen wie Panzer und Foltern, trompeten wie Elefanten, hysterisch beben wie eine mit Wohlgerüchen durchseuchte Priesterin; wo die Worte in die Augen schreien, die Augen sengen, die Augen zu Göttern machen und martern dürfen gleich der unerbittlichen Schönheit des harten Südens. Die wirklichen Bedürfnisse, aus denen »Salambo« kam, sind diese. Vor sich selbst wird Flaubert den anderen Beweggrund ausgespielt haben: wenn bei seinem ersten Buch die Moralisten, Gesellschaftstheoretiker, Pädagogen sich aufgeregt hatten, -- diesmal sollten die Archäologen staunen, die von der gerade modernsten Wissenschaft! Er wollte -- da es schon Wirklichkeit sein sollte -- eine allen unbekannte, von ihm allein schwer errungene Wirklichkeit hinlegen, an der sollten sie ihre Freude haben. Auf die Geste kam es an, die herrische, unberührte Geste, mit der man dies alles hinausschleuderte: niedergestampfte Armeen und den heulenden, blutrünstigen Liebeswahnsinn eines Halbwilden, Baal mit Kindern auf den rotglühenden Armen und Felsenkessel voll Menschen und reißende Tiere darüber her! . . . Geheimnis bleibt es, ob der jahrelang in dieser Hölle Schmiedende nie darauf geachtet hat, daß es hier von den Grenzen härtester Wirklichkeit wieder in sein altes Traumland geht; daß sich in der Überfülle prachtvoller Landschaften die unausweichliche Nähe Chateaubriands erklärt, in Salambo die mystische Liebende Velleda -- und die unbesiegliche Zärtlichkeit des Lyrikers, der Hamilkars Tochter sang, in der Bezauberung, die dies kleine Mädchen, kaum daß es sich zeigt, an tausend Bluthunden mit Menschengesichtern übt. Niemand fehlt als René; und fehlt er? Der gallische General, der, erstickt vom Schirokko und der Schwere der Wüstenweiten, an einem Luftloch des verschlossenen Zeltes röchelt und nach Galliens Viehweiden, dem aus Walddunkel zitternden Licht seiner Strohhütte lechzt: wäre er nicht die Seele dessen, der sich an solche schlimme Schöpfung vergab, in diese von Seelen leere Einsamkeit sich verirrte? * * * Wenn soviel Entsagen, soviel Selbstvergewaltigung wenigstens Ruhm eintrüge! Flaubert hatte nicht den Körper eines Skeptikers; mochte seine Geistigkeit das Geräusch der Gewöhnlichen verachten, seine Sinnlichkeit gierte nach ihrer Anerkennung. Er empfand: »Um Dauerhaftes zu schaffen, darf man über den Ruhm nicht lachen«, und litt heftig unter dem Achtungserfolg von Salambo. Damals zuerst mag er sich überblickt, mit seinem Schicksal abgerechnet haben: erstaunte und wehe Fragen, die niemand gehört hat. Wie kommt es, daß ich hier sitze, abseits und mit vierzig Jahren noch immer allein? Zwölf Jahre sind vergangen, seit ich mich einschloß. Die von meiner Kraft, mit meiner Bovary geschaffene Bewegung haben andere ausgenutzt; inzwischen war ich fern, bei dieser Salambo, die nun alle künstlich nennen. Es gelang mir also zu gut, euch zu täuschen. Mein überreiztes Herz habe ich unter Lichtgarben und Tubengebrüll so wohl versteckt, daß niemand es spürt. Als ich jung war, liebte ich allzu glänzende Frauen, denen ich es nie sagte. So habe ich dich geliebt, Salambo, und dich, grausames Afrika! Aber niemand weiß, daß um die schönen Dinge, um die fernen, kaum mehr menschlichen Gestalten gelitten werden muß. Man faselt von seelenloser Schönheit. Man ist so unwissend über den Künstler, daß man ihm zutraut, er mache leichten Herzens Schönheit; so unerfahren in der Schönheit, daß man für möglich hält, es sei jemals eine vollendet worden, hinter der nicht der Schmerz stand, den Meißel noch in der Hand. Ich werde ihnen nichts darüber verraten. Spricht jemand von Salambo, und wäre es meine gütigste Freundin, ich werde ihr antworten: Der Schmöker hätte es nötig, daß man ihn um gewisse Inversionen leichter macht; es sind zu viele Damals, Aber und Und darin: man merkt die Arbeit. Gelte ich nicht als Techniker? Fast bin ich es geworden! Ich, der den überschäumendsten Achtzehnhundertdreißiger abgab, wäre ich so glücklich gewesen, mit der Hernani-Bande zur Welt zu kommen! Wie ich Verse gedonnert, was ich auf meiner breiten Brust für leuchtende Stoffe getragen, welchen Gottesdienst ich einer Frau geweiht haben würde, einer einzigen! In dieser nüchternen Zeit mußte ich mich in eine Werkstatt schließen, Sätze feilen, meinen Stolz auf die Verknüpfung einer Analyse, eines Porträts und eines Dialoges setzen, neue Arten erfinden, um eine Empfindung auszudrücken, und die Empfindung selbst für Nebensache ausgeben, mußte das Äußere am wichtigsten nehmen. In Wahrheit aber glaube ich nicht einmal, daß es in der Kunst ein Äußeres gibt. Ich erinnere mich, wie ich Herzklopfen bekam und eine heftige Lust empfand, als ich eine Mauer der Akropolis betrachtete, eine ganz nackte Mauer (die zur Linken, wenn man nach den Propyläen hinausgeht). Und ich frage mich, ob ein Buch, unabhängig von dem, was es sagt, nicht dieselbe Wirkung hervorbringen kann. Liegt nicht in der Genauigkeit der Wortgefüge, der Seltenheit der Bestandteile, der Glätte der Oberfläche, der Übereinstimmung des Ganzen, liegt darin nicht eine innere Tugend, eine Art göttlicher Kraft, etwas Ewiges wie ein Prinzip? (Ich spreche als Platoniker.) Warum besteht, zum Beispiel, eine notwendige Beziehung zwischen dem richtigen und musikalischen Wort? Warum kommt man immer auf einen Vers hinaus, wenn man seine Gedanken zu sehr zusammendrängt? Das Gesetz des Wohlklanges regiert also die Gefühle und die Bilder. Und was als das Äußere erscheint, ist gerade das Innere. . . . Ich bin Mystiker: ich, der Handwerker der Form. In der Form erst glüht meine Phantasie und wird flüssig. An einer Seite voll bunter und tönender Namen berausche ich mich bis zu der Gewißheit, mit den Schicksalen dieser Namen einst dagewesen zu sein. Ich bin alter Schönheit so voll, daß ich das Gefühl beginnenden Lebens, das starre Staunen eines frisch erschlossenen Daseins nie gekannt habe. Das in den Tiefen der Geschichte Verlorene zieht mich an, der ich von jeher dabei war. Mit den Priestern des Orients konnte ich reden, und wenn vor dem Tor meiner Stadt Zigeuner aus ihrem grünen Wagen lugen, regt sich in mir etwas Brüderliches. Denn ich habe -- ob mir das von meinen nordischen Vätern kommt? -- die Körperverfassung raffinierter Barbaren, überreizte Nerven in einem Riesen, eine Geistigkeit, die sich schwer aus den Schlacken der Sinne losringt. Ich habe eine ungeheure Animalität abzuschleifen, bevor Geist entstehen kann. Zu ihrer Bändigung bin ich auf eine Hygiene der Ungesundheit verfallen: keinen Schritt vors Haus und Nachtarbeit, bis mir die Augen kochen. Hinter allen fünf Fenstern meines Zimmers, rings um dies alte Kloster, ist weites, grau schlafendes Land, Mondgleiten den Fluß entlang; und in der ungeheuren Stille zucke ich empor bei jedem Knistern, jedem Ästeknacken: Kommst du? Es regt sich in den Zauberworten, die ich ansammle, und aus ihnen hervor, in wahnsinnig aufregenden Schleiern und auf den Sohlen verstorbener Tänzerinnen erscheint mir mein Werk! Betrachte dich: wie es dich schon zurichtete! In deinem kuttenähnlichen Rock haben deine Schultern sich gewölbt; dein Gesicht mit dem gallischen Schnurrbart war rund und fest, nun ist es zerfetzt durch die sich windende Seele; es hat sich, rot von den Ausschweifungen der Arbeit, gesenkt um die Augen her, deine Lider liegen in Falten vom Hohn auf das groteske Leben, und dein Blick ist so müde, als wäre dies Gelächter schwere Arbeit gewesen, eine Braue krampft sich die kahle Stirn hinan; und als übrig gebliebene Lüge von Jugendmut fallen dir romantische Locken über die Ohren. Du bist vierzig, und es ist keine Hoffnung, von dieser Galeere noch einmal zu entkommen. Auch würdest du nicht wollen. Ach, sobald die Qual eines Werkes aus ist, ist auch die Erleichterung meiner Leidenschaft vorbei. Ich vergleiche diese Leidenschaft einem Ausschlag, den man schreiend kratzt . . . Ich habe nicht gelebt und bin ein Paria. Es gibt Parias hier auf der Höhe, wie es welche ganz unten gibt. Warum? Der Literat war ehemals eine so regelrechte Existenz. Was war Herr von Voltaire? Ein geistreicher Großbürger, nichts weiter, mit all seinen Tugenden und Lastern, Eitelkeit, Habgier, physischer Furchtsamkeit, Anfällen moralischer Kühnheit, dem Trieb zu geistigem Fortschritt; politisch reaktionär, sobald der Despot seiner Ansicht war, priesterfeindlich, weil er die Priester in der Macht über das Volk abzulösen wünschte, aber gewillt, dem Volk den Glauben an die ewigen Strafen zu erhalten, aus Furcht vor seinen Lakaien. Selbst eine so fragwürdige Erscheinung wie Rousseau, das wühlerischste Sklavengenie, das je gelebt hat, konnte in die alte Gesellschaft gut aufgenommen werden, Gräfinnen lieben und sich zeitweilig wohlgeraten und einwandfrei fühlen. Das geht nicht mehr. Die Revolution hat uns allzusehr befreit. In der romantischen Zeit genossen wir die zynische Poesie unserer Losgelöstheit von der Bürgerwelt, von der gent épicière, und da nun der erste Übermut dahin ist, sind wir mit unserer allen Guten unverständlichen Sensibilität zurückgeblieben. Denke ich nach, ist es mir, als wäre ich noch Jüngling, ein verbrauchter, überreizter Jüngling, aber ohne die Fähigkeit, reif zu werden. Ich bin, sobald ich es einmal wage, zu handeln, noch immer Enttäuschungen ausgesetzt, denn ich habe noch immer die uninteressierten Ideale eines Zwanzigjährigen, sein ungebundenes Denken, nicht spezialisiert und rein spielerisch, zusammen mit dem theoretischen Pessimismus derer, die am Leben noch nicht tätigen Anteil nahmen und bisher nirgends eingereiht sind: werde ich es doch niemals werden. Ich stehe, sozial gesprochen, auf demselben Fleck wie beim Verlassen der Schule. So will ich denn die Welt der Zwanzigjährigen schildern. Ein gut veranlagter Zwanzigjähriger ist mir verwandt, ist immer ein Stück Künstler, eine Spur Dichter. Da werde ich also dichten dürfen! Und lieben! Die romantische Liebe, die ich in der Bovary verhöhnt und weggejagt habe, aus Härte gegen mich selbst, nun soll sie zurückkehren, tiefernst und unbesieglich. Ah! Die Lyrismen, die ich mir gönnen will! Den Bürger sollen sie außer sich bringen. Ich werde ihm ins Gesicht sagen, wie ein junger Mensch mit Idealen im Herzen ihn ansieht. Er geht nur über die Straße und fühlt sich, werde ich sagen, übel von der Niedrigkeit der Gesichter, den dummen Reden, der einfältigen Genugtuung, die auf all den schwitzenden Stirnen durchbricht. Zwar werde ich hinzufügen: >Indessen, das Bewußtsein, mehr wert zu sein als diese Menschen, erleichterte die Mühe des Anblickes< und derart ironisch feststellen, daß ich immerhin über meinen Zwanzigjährigen hinaus bin. Auch werde ich Sorge tragen, daß für jenen Liebesgesang nicht ich verantwortlich bleibe. Und wenn ich, den alle zum Pontifex des Realismus machen, einmal mit meiner Meinung über ihn herauskomme, lasse ich sie natürlich von einem vorbringen, den ich so eingerichtet habe, daß keiner ihm glauben wird. >Laßt mich in Ruhe mit eurer abscheulichen Wirklichkeit! Was soll das heißen: Wirklichkeit? Die einen sehen schwarz, andere blau, die Menge sieht dumm. Nichts ist weniger natürlich als Michelangelo und nichts stärker! Die Sorge um äußere Wahrheit ist bezeichnend für die niedrige Gesinnung dieser Zeit; und die Kunst wird, geht es so weiter, ich weiß nicht was für ein Plunder werden, weniger poetisch als die Religion und weniger interessant als die Politik. Ihr Ziel -- jawohl, ihr Ziel! --, das darin besteht, eine unpersönliche Exaltation in uns zu bewirken, erreicht ihr nie mit kleinen Werken, trotz aller feinsäuberlichen Ausführung. Ohne Gedanken nichts Großes! Ohne Größe nichts Schönes! Der Olymp ist ein Berg! Das kühnste Denkmal bleiben immer die Pyramiden. Besser Überschwang als Geschmack, besser die Wüste als ein Trottoir, besser ein Wilder als ein Friseur!< Das erleichtert! In diesem Buche werde ich endlich sagen dürfen, was ich gelitten habe. Daß ich eure gemeine Herzlichkeit nie teilen konnte, und wie meine Liebe beschaffen ist. Es handelt sich darum, Bilder zu finden dafür, wie das Anschauen einer Frau uns schwach machen und erregen kann, gleich dem Gebrauch eines zu starken Parfüms. Eine nervenzerrüttende Enthaltsamkeit wird dem Buch die tiefere, fragwürdige Wollust eintränken. Wenn die Liebenden beim Krachen einer Täfelung zusammenfahren, als wären sie schuldig, wenn ihr überreiztes Gefühl sie Abgründen zutreibt, um sie her eine Sturmluft gießt, dann schildere ich meine Nächte. Die Nächte zwischen mir und meinem Werk. Und mit der Liebe jener romantischen Tage soll alle Bitterkeit der geschlagenen Illusionen sich vermischen, die Achtundvierzig endeten. Ich will schwelgen; aber niemand darf es merken. Ich muß unsere größten Worte von damals einem Bramarbas der Freiheit und des Patriotismus zuschreiben, einem Idioten mit einem pomphaften Namen; wie sage ich? Regimbart! Der und eine zappelnde Mauer von Grotesken wird meine Zärtlichkeit verstecken. Nicht ganz: ich ertrüge es nicht! Ein Mensch soll dabei sein, ein schlichter Mensch, etwas wie ein Kommis, nichts weiter. Der soll Gerechtigkeit für möglich halten, den Staat hassen, sich eine einzige Liebe wünschen, für das ganze Leben, und an einem gewissen Punkt einen -- o, wie weise herbeigeführten! -- Schrei ausstoßen: >Es lebe die Republik!< Alles soll er sein, was ich hätte bleiben wollen, und das Kindergemüt obendrein haben, mit dem man den letzten Enttäuschungen immer entgeht, sei es auch, indem man sich rechtzeitig von der Polizei niedersäbeln läßt. Die aber leben bleiben: was werden sie gehabt haben, woran werden sie, den Fünfzig nah, mit wirklicher Dankbarkeit gegen das Leben einander erinnern? Der Ehrgeizige und der Liebende, beide an nichts als an einen Abend ihrer frühsten Zeit, als sie sich aufmachten, um ihre Keuschheit herzugeben. Ein wenig platte Leiblichkeit ist alles, was übrigbleibt nach so viel verpuffter Seele. Es wird das Buch der Enttäuschungen sein, worin trotz vielem Hin und Her nichts geschieht, nichts je ans Ende gelangt, nur aus Fließen Sickern wird, -- und kein schmerzlicheres wird geschrieben worden sein . . . *** End of this LibraryBlog Digital Book "Flaubert und die Herkunft des modernen Romans" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.