Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Onkel Tom's Hütte - oder die Geschichte eines christlichen Sklaven. Band 1 (von 3).
Author: Stowe, Harriet Beecher, 1811-1896
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Onkel Tom's Hütte - oder die Geschichte eines christlichen Sklaven. Band 1 (von 3)." ***


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersetzt:

Sperrung: =gesperrter Text=
Antiquaschrift: #Antiquatext#


                        Onkel Tom's Hütte
                            oder die
             Geschichte eines christlichen Sklaven.

                               Von

                      Harriet Beecher Stowe.
                             ________

                  Aus dem Englischen übertragen
                               von
                           L. Du Bois.

                          Erster Band.

                           S. Zickel.
                      Nro. 19. Dey-Street.
                            NEW-YORK.



Erstes Kapitel.

In welchem der Leser die Bekanntschaft eines menschenfreundlichen Mannes
macht.


An einem kalten Februartage, spät des Nachmittags, saßen zwei Herren in
einem schön möblirten Eßzimmer, in der Stadt P-- in Kentucky, allein
beim Weine. Keine Dienstboten waren gegenwärtig, und die Herren, mit
dicht an einander gerückten Stühlen, schienen den Gegenstand ihrer
Unterhaltung mit sehr großem Eifer zu besprechen.

Der Bequemlichkeit halber haben wir uns bisher des Ausdrucks: »zwei
=Herren=« bedient; allein einer derselben würde bei einer genaueren
Untersuchung, im strengeren Sinne des Wortes, nicht unter diese
Kathegorie zu bringen gewesen sein. Er war ein kurzer, untersetzter
Mann, mit groben, gemeinen Zügen, und jenem großthuenden, gemeinen
Wesen, welches stets einen Menschen niedrigen Standes verräth, der
bemüht ist, sich in höhere Sphären hinauf zu drängen. Seine Kleidung war
überladen, und ließ eine bunte Weste von zahllosen Farben mit einer
blauen, gelbgefleckten Halsbinde sehen, deren stutzermäßige Schleife mit
dem ganzen Wesen des Mannes in genauem Einklange stand. Seine großen,
ungeschickten Hände waren reich mit Ringen bedeckt, und an seiner Brust
hing eine schwere goldene Uhrkette, mit Petschaften von ungewöhnlicher
Größe und sehr verschiedenartigen Farben, welche er im Eifer des
Gesprächs, augenscheinlich mit großem Wohlgefallen, durch seine Hände
spielen ließ. Seine Unterhaltung verrieth eine freie und dreiste
Verachtung jeder grammatischen Regel, und war überdies in passenden
Zwischenräumen mit verschiedenen gemeinen Ausdrücken und Wendungen
ausgeschmückt, die selbst der Wunsch, in unserer Schilderung getreu zu
sein, uns nicht bestimmen kann, hier wiederzugeben.

Sein Gesellschafter, Mr. Shelby, hatte das Aeußere eines Gentleman, und
die häuslichen Einrichtungen, so wie das ganze Aeußere des Hauses und
Haushaltes ließen auf gute Verhältnisse und sogar auf Reichthum
schließen. Wie wir vorher erwähnt haben, befanden sich Beide in sehr
angelegentlicher Unterhaltung.

»Dies ist der Weg, den ich vorschlagen würde, um die Sache in Ordnung zu
bringen,« sagte Mr. Shelby.

»Kann auf diese Weise keinen Handel machen, -- kann wahrhaftig nicht,
Mr. Shelby,« sagte der Andere, ein Glas Wein zwischen seinem Auge und
dem Lichte haltend.

»Ja, aber ich versichere Euch, Haley, der Tom ist ein ganz
ungewöhnlicher Kerl; er ist ganz ohne Zweifel die Summe überall
werth, -- beständig, ehrlich, tüchtig, und verwaltet eine ganze Wirthschaft
wie nach der Uhr.«

»Ihr meint, so ehrlich, wie's bei Negern möglich ist,« sagte Haley, sich
selbst ein Glas Brandwein einschenkend.

»Nein, ich meine in vollem Ernste, Tom ist ein guter, stätiger,
vernünftiger, frommer Kerl. Er hat seine Religion in einer
Brüderversammlung, vor vier Jahren empfangen; und ich glaube, er besitzt
=wirklich= Religion. Ich habe ihm seitdem Alles anvertraut, was ich
besitze, -- Geld, Haus und Pferde, -- habe ihn durch das Land gehen
lassen und ihn dennoch stets treu und redlich gefunden.«

»Manche Leute glauben nicht an fromme Neger, Shelby,« sagte Haley mit
einer ungenirten Handbewegung, »aber ich glaube dran. Ich hatte 'mal
einen Kerl, -- er war mit unter dem letzten Trupp, den ich dieses Jahr
nach Orleans brachte, -- 's war so gut wie eine Betstunde, wenn man den
Kerl beten hörte, und dabei war er ganz sanft und gefügig. Brachte mir
auch eine gute Summe ein, denn ich hatte ihn von Einem gekauft, der
verkaufen =mußte=; so gewann ich netto sechs hundert an ihm. Ja, kein
Zweifel, Religion ist eine ganz vortreffliche Sache in einem Neger,
wenn's ächte Waare ist, kein Zweifel.«

»Nun, bei Tom ist es ächte Waare,« entgegnete der Andere. »Seht, letzten
Herbst ließ ich ihn allein nach Cincinnati gehen, um für mich Geschäfte
abzumachen und ungefähr fünfhundert Dollar zu holen. >Tom,< sagte ich zu
ihm, >ich vertrau Dir, weil ich weiß, daß Du ein Christ bist, -- daß Du
nicht betrügen willst.< Tom kömmt zurück, pünktlich, ich wußte es wohl.
Einige schlechte Kerle sollen zu ihm gesagt haben: >Tom, warum nahmst Du
nicht den Weg nach Canada?< >Ah,< hat er geantwortet, >Master hat mir
getraut, und ich konnte nicht.< So ist mir erzählt worden. Ich muß sagen,
es thut mir leid, mich von ihm zu trennen. Ihr solltet ihn für den ganzen
Rest der Schuld annehmen; und Ihr würdet es thun, Haley, wenn Ihr ein
Gewissen hättet.«

»Je nun, ich habe gerade so viel Gewissen, wie ein Mann in Geschäften
brauchen kann, -- grade so etwas, um drauf zu schwören, so zu sagen,«
entgegnete der Händler scherzhaft, »und dann bin ich auch immer gern
bereit, guten Freunden gefällig zu sein; aber dieses Jahr, seht, dieses
Jahr ist ein wenig zu schwer für einen Mann, -- zu schwer.« Bei diesen
Worten seufzte der Händler gedankenvoll und schüttete von Neuem etwas
Brandwein hinunter.

»Nun so sagt, Haley, wie soll der Handel werden?« sagte Mr. Shelby nach
einer peinlichen Pause.

»Wohl, ist denn da kein Junge oder Mädchen, das mit Tom in den Handel
geworfen werden kann?«

»Hm! -- ich wüßte keinen, den ich entbehren könnte, und, um die Wahrheit
zu sagen, es ist nur eine bittere Nothwendigkeit, was mich überhaupt
dazu bestimmt, zu verkaufen. Ich trenne mich höchst ungern von irgend
einem meiner Leute, ganz gewiß.«

Hier öffnete sich die Thür, und ein kleiner Mulattenknabe von vier bis
fünf Jahren kam in das Zimmer. Es lag etwas außerordentlich Liebliches
und Einnehmendes in seiner Erscheinung. Sein schwarzes, seidenfeines
Haar hing in vollen Locken um sein volles Gesicht, während ein Paar
großer, dunkler Augen unter schweren, langen Wimpern hervorschauten, als
er neugierig in das Zimmer blickte. Ein buntes Röckchen von gelber und
scharlachrother Farbe, welches sehr sorgfältig gearbeitet und besonders
passend für ihn war, hob seine üppige, dunkle Schönheit noch mehr, und
eine gewisse komische Zuversicht mit einer eigenthümlichen Mischung von
Schüchternheit in seinem Wesen verrieth, daß er von seinem Herrn nicht
unbeachtet und ungehätschelt geblieben war.

»Sieh da, Jim Crow!« rief Mr. Shelby pfeifend und ihm eine Weintraube
zuwerfend, »greif zu!«

Das Kind sprang mit allen Kräften nach der Beute, während sein Herr
lachte.

»Komm hierher, Jim Crow,« sagte Mr. Shelby, und klopfte, als das Kind zu
ihm getreten war, freundlich seinen lockigen Kopf und sein Kinn. »Nun,
Jim Crow, zeige diesem Herrn, wie Du tanzen und singen kannst.«

Der Knabe begann augenblicklich mit seiner hellen, klaren Stimme einen
jener wilden Gesänge, die unter den Negern üblich sind, und begleitete
ihn mit mannigfachen Bewegungen seiner Hände, Füße und seines ganzen
Körpers, welche in genauem Einklange mit dem Takte der Musik waren.

»Bravo!« sagte Haley, ihm eine halbe Orange zuwerfend.

»Nun, Jim, laß uns sehen, wie Onkel Cudjoe geht, wenn er die Gicht hat,«
sagte sein Herr.

Sofort nahmen die biegsamen Glieder des Knaben eine mißgestaltete
verzerrte Form an, während er, mit hinaufgezogenen Schultern, den Stock
seines Herrn in der Hand, durch das Zimmer hinkend, sein kindliches
Gesicht in eine schmerzhafte Miene verzog, und, nach rechts und links
speiend, die Gewohnheit eines alten Mannes nachäffte.

Beide Anwesende brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Nun, Jim, zeige uns, wie der alte Elder Robins den Psalm singt,« sagte
drauf sein Herr.

Der Knabe verzog sein rothwangiges Gesicht in unglaubliche Länge und
begann einen Psalm mit unerschütterlichem Ernste durch die Nase zu
singen.

»Hurra, bravo! was für ein Junge ist das!« rief Haley. »Der Junge ist
ein Kapital, auf mein Wort! -- Hört,« sagte er dann plötzlich, seine
Hand auf Mr. Shelby's Schulter legend, »werft den Jungen mit in den
Handel -- und unsre Rechnung soll abgemacht sein. Kommt, seht, das ist
der beste Weg!«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre langsam geöffnet, und eine junge
Mulattin, ungefähr fünfundzwanzig Jahr alt, trat ein. Es bedurfte nur
eines Blickes auf sie und das Kind, um sie als die Mutter desselben zu
erkennen. Sie hatte dasselbe tiefe, volle und dunkle Auge, mit den
langen Wimpern, und dieselben Locken schwarzen seidenen Haares. Das
Braun ihrer Haut wich auf den Wangen einem deutlich erkennbaren Anfluge
von Röthe, welche sich steigerte, als sie den Blick des fremden Mannes
in dreister und unverstellter Bewunderung auf ihre Person geheftet sah.
Ihre Kleidung war im höchsten Grade sauber und passend, und ließ ihre
schönen Körperformen vortheilhaft hervortreten. Ihre zart geformte Hand
und ihr niedlicher Fuß waren Dinge, die dem schnellen Auge des Händlers
nicht entgingen, welches daran gewöhnt war, in einem Blicke alle
Merkmale eines schönen weiblichen Artikels aufzufassen.

»Nun, Elisa?« fragte der Herr, als sie zaudernd still stand und ihn
anblickte.

»Ich suchte Harry,« erwiderte sie, während der Knabe in großen Sätzen
auf sie zugesprungen kam, ihr seine Beute zeigend, die er im Schooße
seines Kleides trug.

»Wohl, so nimm' ihn hinweg,« sagte Mr. Shelby, worauf sie sich eiligst,
den Knaben auf den Arm nehmend, mit ihm entfernte.

»Bei Jupiter!« rief der Händler, sich voll von Bewunderung zu Mr. Shelby
umwendend, »das ist ein Artikel! Ihr könntet Euer Glück mit dem Mädchen
allein jeden Augenblick in Orleans machen. Ich habe mehr als tausend für
Mädchen bezahlen sehen, die kaum so hübsch waren.«

»Ich will mein Glück mit ihr nicht machen,« entgegnete Mr. Shelby
trocken, und suchte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken,
indem er eine neue Flasche öffnete und den Gast um seine Meinung darüber
fragte.

»Vortrefflich, -- erste Qualität!« sagte der Händler und fuhr dann fort,
sich zu Shelby wendend und ihm vertraulich auf die Schulter schlagend:
»Kommt, was wollt Ihr für das Mädchen haben? -- was soll ich sagen? --
was verlangt Ihr?« »Mr. Haley, sie soll nicht verkauft werden,« sagte
Shelby, »meine Frau würde sich nicht für eben so viel Gold, als sie
wiegt, von ihr trennen.«

»Pah, pah, Weiber reden immer so, weil sie keine Berechnung haben. Zeigt
ihnen nur, wie viel Uhren, Federn und andere Sachen für so viel Gold,
als ein Mensch wiegt, gekauft werden können, das wird die Sache schon
ändern, denke ich.«

»Ich sage Euch, Haley, davon darf keine Rede sein, ich sage nein und ich
meine nein,« sagte Shelby mit Nachdruck.

»Nun, so werdet Ihr mir wenigstens den Jungen lassen,« sagte der
Händler, »Ihr müßt zugestehen, daß ich ein hübsches Gebot für ihn
gemacht habe.«

»Wozu in aller Welt braucht Ihr den Jungen?« sagte Shelby.

»Wozu? seht, ich habe einen Freund, der in diesen Artikeln handelt, --
der hübsche Jungen aufkaufen und für den Markt aufziehen will. Sind
natürlich Luxusartikel, -- werden als Aufwärter und so dergleichen an
Reiche verkauft, die dafür bezahlen können. Es macht sich gar nicht übel
in solchen großen Häusern, -- wenn ein wirklich hübscher Junge die Thür
aufmacht, und aufwartet und bedient. Diese Art bringt einen hübschen
Preis; und dieser kleine Hallunke ist so ein komisches, musikalisches
Exemplar, daß er gerade dazu paßt.«

»Ich möchte ihn doch lieber nicht verkaufen,« sagte Mr. Shelby
nachdenkend; »seht, Herr, ich habe menschliches Gefühl, und kann das
Kind nicht von der Mutter reißen.«

»O wahrhaftig? -- So etwas von der Art? -- ich verstehe, ganz richtig.
S'ist manchmal =gewaltig= fatal, mit Weibern zu thun zu haben. Ich hasse
das Geschrei und Geheul. S'ist =gewaltig= fatal; aber seht, so wie ich
das Geschäft einrichte, wird es gewöhnlich vermieden. Warum schickt Ihr
nicht das Mädchen für eine Woche, oder ein paar Tage oder so aus dem
Wege? -- dann macht sich die Sache ganz ruhig ab; -- ehe sie zurückkömmt
ist Alles vorüber. Eure Frau mag ihr dann ein Paar Ohrringe, oder ein
neues Kleid, oder so etwas Aehnliches geben, was Alles wieder gut macht
bei ihr.«

»Ich fürchte nicht!« sagte Shelby.

»Gott helf mir! Diese Geschöpfe sind ja nicht wie weiße Menschen; die
kommen da bald drüber weg, wenn Ihr's richtig angreift. Da sagt das
Volk,« fügte er, eine vertrauliche Miene annehmend, hinzu, -- »diese Art
Geschäft mache Einen hartherzig; aber ich habe das nie gefunden. Die
Sache ist, ich hab's nie so treiben können; wie es Manche thun. Ich habe
Viele gesehen, die die Kinder den Weibern aus den Armen rissen, und zum
Verkaufe ausstellten, während jene wie wahnsinnig schrieen; -- große
Thorheit, -- schadet dem Artikel nur, -- macht ihn zuweilen ganz
unbrauchbar. Ich sah einmal in Orleans ein hübsches Weib, das durch
solche Art Behandlung total drauf ging. Der Kerl, der sie in Handel
hatte, wollte ihr Kind nicht haben, und sie war eine von der rechten,
hohen Art, wenn ihr Blut heiß war. Ich sage Euch, sie drückte das Kind
in ihre Arme, und schrie, und gebährdete sich auf eine schrecklich
Weise. Es läuft mir noch jetzt kalt über, wenn ich daran denke; und als
sie das Kind fortschleppten und sie einsperrten, fing sie an zu rasen,
und war acht Tage nachher todt. Tausend Dollar, Herr, gradezu
weggeworfen, -- nur durch unrichtige Behandlung, -- so ist's. Es ist am
besten, die Sache menschlich zu betreiben; das ist meine Erfahrung.«

Nach diesen Worten lehnte sich der Händler, mit verschränkten Armen und
einer Miene tugendhafter Entschlossenheit, zurück in seinen Stuhl, und
hielt sich augenscheinlich für einen zweiten Wilberforce. Der Gegenstand
schien indeß den Ehrenmann zu interessiren, denn während Mr. Shelby
gedankenvoll eine Orange abschälte, hub er von Neuem an, zwar mit
bescheidener Zurückhaltung, aber als wenn er von der Gewalt der Wahrheit
unwiderruflich getrieben würde, noch einige Worte hinzuzufügen.

»Es sieht zwar nicht gut aus, wenn ein Mensch sich selbst rühmt, aber
ich sage es nur, weil's die Wahrheit ist. Ich glaube, ich bin bekannt
dafür, daß ich die besten Negerzüge auf den Markt bringe; wenigstens hat
man mir so gesagt: alle in gutem Stande, -- fett und gesund, und ich
verliere weniger als irgend Einer im Geschäfte. Alles das kommt aber nur
von der Art her, wie ich das Geschäft betreibe, Herr! Menschlichkeit,
Herr, kann ich sagen, ist die große Säule meines Geschäfts.«

Mr. Shelby wußte nicht, was er eben dazu sagen sollte, und sagte deshalb
nur: »Wirklich?«

»Ja, seht, man hat mich ausgelacht wegen dieser Ideen, und hat mir
Vorwürfe gemacht. Sie wären nicht populär, und nicht allgemein, hieß es;
aber ich blieb dabei, -- blieb dabei, und habe guten Profit damit
gemacht; -- ja, Herr, sie haben sich bezahlt gemacht, kann ich sagen,«
fügte er, über seinen eigenen Witz lachend, hinzu.

Es lag etwas so Pikantes und Originelles in dieser Anschaulichmachung
von Menschlichkeit, daß Mr. Shelby unwillkürlich mitlachen mußte.
Vielleicht lachst Du auch, lieber Leser; allein Du weißt, daß
Menschlichkeit sich heut zu Tage unter sehr verschiedenartigen Formen
und Gestalten zeigt, und daß die Sonderbarkeiten des menschlichen Thuns
und Treibens nie aufhören werden.

Mr. Shelby's Lachen ermuthigte den Händler, fortzufahren.

»S'ist kurios! aber ich habe das niemals den Leuten in den Kopf bringen
können. Da war Tom Locker, mein alter Compagnon, in Natchez, -- ein
gewandter, geschickter Kerl, dieser Tom, -- aber ein wahrer Teufel bei
den Negern; -- und aus Grundsatz, -- aus Grundsatz, denn einen
gutherzigeren Kerl hat es nie gegeben; -- aber s'war sein System, Herr.
Ich pflegte mit ihm zu reden. >Tom,< sagte ich, >wenn Deine Weiber an zu
schreien fangen, was nützt es dann, ihnen mit der Peitsche um die Ohren zu
hauen? S'ist lächerlich,< sagt' ich, >und thut nicht gut. Ich nehm's ihnen
nicht übel,< sagt' ich, >s'ist Natur,< sagt' ich, -- >und muß sich Bahn
machen so oder so. Und nebenbei, Tom,< -- sagt' ich -- >verdirbt's Dir die
Weiber, sie werden kränklich und lassen's Maul hängen; -- und manchmal
werden sie häßlich, -- besonders die gelben, -- oder der Teufel holt sie
ganz und gar. Warum< -- sagt' ich -- >kannst Du sie nicht lustig machen,
und freundlich mit ihnen reden? Glaube mir, Tom, so ein Bischen
Menschlichkeit mit hineingeworfen in's Geschäft, ist ein gut Theil besser,
als Dein Fluchen und Peitschen; und außerdem bringt's mehr ein,< -- sagt'
ich, -- >glaube mir.< Aber Tom wollte nichts davon wissen, und verdarb mir
so Viele, daß ich zuletzt mit ihm abbrechen mußte, obgleich er ein
gutherziger Kerl war, und ganz vortrefflich im Geschäfte.«

»Und findet Ihr, daß Eure Art das Geschäft zu betreiben, vortheilhafter
ist, als Tom seine?« sagte Mr. Shelby.

»Ja, ich glaube. Seht, wenn ich irgend kann, so geb' ich wohl Acht, bei
den unangenehmen Theilen des Geschäfts, wie Kinder verkaufen, -- schaffe
die Weiber aus dem Wege, -- aus den Augen, aus dem Sinn, Ihr wißt ja, --
und wenn Alles abgemacht ist, und Nichts mehr dran geändert werden kann,
so gewöhnten sie sich natürlich daran. S'ist ja nicht, als wenn es Weiße
wären, die dazu erzogen worden sind, für ihre Weiber und Kinder zu
sorgen, und alles das. Neger, wißt Ihr wohl, die richtig aufgebracht
worden sind, wissen von allem Dem nichts und so wird's ihnen viel
leichter.«

»Dann fürchte ich, daß die meinigen nicht richtig aufgebracht worden
sind,« sagte Mr. Shelby.

»Wahrscheinlich. Ihr Kentucky Leute verderbt alle Eure Neger. Ihr
meint's ganz gut, aber das heißt nicht ihnen wirklich Gutes thun. Seht,
ein Neger, der in der Welt herumgestoßen und geworfen, und an Tom, und
Dick, und Gott weiß wen, verkauft werden soll, -- für den ist's keine
Wohlthat, Begriffe zu bekommen und Hoffnungen, oder zu gut aufgebracht
zu werden, denn das Rauhe und Harte fällt ihm nachher um so schwerer.
Die Sache ist, Mr. Shelby, jeder Mensch hält natürlich seinen eigenen
Weg für den besten; und ich denke, ich behandle meine Neger gerade so
gut, als es ihnen zuträglich ist.«

»Es ist eine schöne Sache, mit sich selbst zufrieden zu sein,« sagte Mr.
Shelby mit einem leichten Schauder und einer lebhaften Empfindung von
Abscheu.

»Wohl,« sagte Haley, nachdem Beide eine Zeit lang stillschweigend ihre
Nüsse geschält hatten, »was meint Ihr dazu?«

»Ich will die Sache mit meiner Frau überlegen und besprechen,« sagte Mr.
Shelby. »Inzwischen, Haley, wenn Ihr wünscht, daß die Sache in aller
Stille abgemacht werden soll, wie Ihr vorhin erwähntet, so würdet Ihr am
besten thun, Euch nichts davon hier in der Nachbarschaft merken zu
lassen. Es könnte sonst unter meine Leute kommen, und es möchte kein
sehr ruhiges Geschäft sein, einen von ihnen von hier wegzubekommen, wenn
sie es vorher wissen, -- darauf verlaßt Euch.«

»Versteht sich, auf jeden Fall, nichts gesprochen. Aber hört, ich hab's
teufelmäßig eilig, und muß es so schnell wie möglich wissen, woran ich
bin,« sagte er indem er aufstand und sich seinen Ueberrock anzog.

»Wohl, kommt diesen Abend zwischen sechs und sieben Uhr, dann sollt Ihr
meine Antwort haben,« sagte Mr. Shelby, worauf der Händler sich mit
einer Verbeugung aus dem Zimmer entfernte.

»Ich wollte, ich hätte den Kerl die Treppe hinunter werfen können,«
sagte Shelby zu sich selbst, als die Thür wieder fest geschlossen
war, -- »mit seiner Unverschämtheit! allein er weiß, welchen Vortheil er
über mich hat. Wenn Jemand jemals zu mir gesagt hätte, daß ich den Tom
an einen dieser schuftigen Händler im Süden verkaufen sollte, so würde
ich gefragt haben: >Ist Dein Diener ein Hund, daß das mit ihm geschehen
soll?< -- und nun muß es doch geschehen, so viel ich sehen kann. Und
Elisa's Kind dazu! Ich weiß im voraus, daß ich deshalb bei meiner Frau
einen harten Strauß zu bestehen haben werde: und eben so wegen Tom's.
Alles wegen der fatalen Schulden! -- Der Kerl sieht seinen Vortheil und
will so viel Nutzen wie möglich davon ziehen.«

Die mildeste Form von Sklaverei ist vielleicht in Kentucky zu finden, wo
die ausgedehntere Betreibung eines ruhigen Feldbaues in regelmäßigen
Abstufungen nicht jene periodischen Ueberhäufungen von Arbeit
herbeiführt, die in den südlicheren Provinzen so gewöhnlich sind, und
deshalb das Loos des Negers ein unerträglicheres ist, während der Herr,
zufrieden mit einem allmählicheren Erwerbe, nicht jenen Versuchungen,
hartherzig zu werden, ausgesetzt ist, die stets den Sieg über die
schwache menschliche Natur davon tragen, sobald die Aussicht auf einen
schnellen und plötzlichen Gewinn in die Wagschaale fällt, und kein
schwereres Gegengewicht vorhanden ist, als die Rücksicht auf Hülflose
und Schutzlose.

Wer gewisse Besitzungen dort besucht, und die nachsichtige, wohlwollende
Behandlung einzelner Herren und Herrinnen, und die aufrichtige
Anhänglichkeit einzelner Sklaven sieht, möchte sich versucht fühlen, von
der oft wiederholten poetischen Fabel patriarchalischer Institutionen zu
träumen; allein über diesen Scenen hängt ein schwarzer Schatten, -- der
Schatten =des Gesetzes=. So lange das Gesetz alle diese menschlichen
Wesen mit schlagenden Herzen und regen Empfindungen nur als eben so viel
Dinge ansieht, die einem Herrn gehören, -- so lange das Falissement,
oder sonstiges Unglück, oder Unklugheit, oder der Tod eines
menschenfreundlichen Herrn die Ursache werden kann, daß dieselben ein
Leben freundlichen Schutzes und Wohlwollens gegen ein Leben voll harter
Arbeit und endloses Elend vertauschen müssen, -- so lange ist es
unmöglich, auch das bestverwaltete Sklavenverhältniß zu einem schönen,
angenehmen Loose zu machen.

Mr. Shelby war ein gewöhnlicher, gutmüthiger Mensch, freundlich und
stets bereit, den Wünschen seiner Umgebung zu entsprechen, so daß den
Negersklaven seiner Besitzung nie etwas mangelte, was zu ihrem
körperlichen Wohlbefinden beitragen konnte. Er hatte sich aber in
bedeutende und unvorsichtige Speculationen eingelassen, hatte sich dabei
tief verwickelt, und seine Wechsel waren zu einem bedeutenden Betrage in
Haley's Hände gefallen. Dieser Umstand diene als Schlüssel zu der
vorangegangenen Unterhaltung.

Inzwischen hatte es sich zugetragen, daß Elisa, als sie sich der Thür
nahte, genug von obiger Unterhaltung hörte, um zu erfahren, daß der
Händler ihrem Herrn Anerbietungen für irgend Jemanden mache. Sie hätte
gern an der Thür gehorcht, als sie das Zimmer wieder verließ, allein
ihre Herrin rief gerade nach ihr und zwang sie davon zu eilen. Dennoch
glaubte sie gehört zu haben, daß der Händler ein Gebot für ihr Kind
gemacht habe; -- konnte sie sich geirrt haben? Ihr Herz schlug
fieberhaft, und unwillkürlich preßte sie ihn so gewaltsam an sich, daß
das Kind ihr erstaunt ins Gesicht blickte.

»Elisa, Mädchen, was ist heut mit Dir?« fragte ihre Herrin, als Elisa
das Waschbecken ausgeschüttet, die Wasserkaravine umgestoßen hatte, und
endlich ihrer Herrin in voller Gedankenlosigkeit ein langes Nachthemde
an Stelle des seidenen Kleides brachte, welches sie ihr aufgetragen
hatte, aus der Garderobe zu holen.

Elisa erschrack, und kam zur Besinnung. »O Mistreß!« sagte sie, indem
sie ihre Augen aufschlug, und dann in Thränen ausbrechend, sich
schluchzend auf einen Stuhl niedersetzte.

»Elisa, Kind, was fehlt Dir?« fragte ihre Herrin.

»O Mistreß, Mistreß,« sagte Elisa, »ein Sklavenhändler ist bei dem Herrn
im Zimmer, und hat mit ihm gesprochen. Ich hörte ihn.«

»Nun, dummes Mädchen, wenn auch, was ist's weiter?«

»O Mistreß, glauben Sie, daß der Herr meinen Harry verkaufen könnte?«
Und das arme Wesen fiel von Neuem in einen Stuhl, und begann
convulsivisch zu schluchzen.

»Ihn zu verkaufen! Nein, albernes Mädchen! Du weißt, daß Dein Herr nie
mit diesen südlichen Händlern Geschäfte macht, und nicht Willens ist, je
einen seiner Dienstboten zu verkaufen, so lange diese sich gut betragen.
Wer denkst Du denn, thörichtes Kind, würde Deinen Harry kaufen wollen?
Glaubst Du denn, daß die ganze Welt in ihn so vernarrt ist, wie Du,
Gänschen? Komm her, sei munter, und hake mein Kleid zu. Nun lege mein
Haar in die hübsche Flechte, die Du vor ein paar Tagen gelernt hast, und
horche nie wieder an den Thüren.«

»Ja, aber nicht wahr, Mistreß, Sie würden nie Ihre Einwilligung dazu
geben, daß -- daß --«

»Dummes Zeug! Kind. Gewiß, nimmer. Wozu sind diese Schwatzereien? Eben
so wenig, wie daß eins meiner Kinder verkauft würde. Aber wahrhaftig,
Elisa, Du wirst mir beinahe zu stolz auf den Buben. Kein Mensch darf
seine Nase zur Thüre hinein stecken, ohne daß Du glaubst, Dein Bube soll
verkauft werden.«

Beruhigt durch den zuversichtlichen Ton ihrer Herrin fuhr Elisa flink
und gewandt mit ihren Toilettengeschäften fort, und lachte selbst über
ihre Befürchtungen.

Mistreß Shelby war eine Frau von hoher geistiger und moralischer
Bildung. Mit jener angeborenen Hochherzigkeit, welche so häufig als ein
charakteristisches Merkmal der Weiber in Kentucky gefunden wird, verband
sie ein religiöses Gefühl, welches sich in allen ihren Handlungen
praktisch kund gab. Ihr Mann, der keinen Anspruch auf besondere
Religiosität machte, achtete und ehrte nichts destoweniger diese Seite
in ihrem Charakter, und hegte vielleicht sogar eine Art Scheu vor ihrer
Meinung. Gewiß ist, daß er ihr unbegränzte Machtvollkommenheit in allen
ihren Bestrebungen für das Wohl und den Unterricht ihrer Dienstboten
gab, obgleich er selbst keinen direkten Antheil daran nahm. In der That,
wenn er auch nicht an die Lehre von der Wirksamkeit der =besondern=
guten Werke der Heiligen glaubte, so schien er doch gewissermaßen
anzunehmen, daß seine Frau Frömmigkeit und Wohlthätigkeit genug für zwei
besitze, -- und die schwache Hoffnung zu hegen, durch Vermittlung
derjenigen Tugenden in den Himmel zu gelangen, welche seine Frau in so
großem Maaße besaß, obgleich er selbst darauf keinen besondern Anspruch
machen konnte.

Die schwerste Last auf seiner Seele jetzt, nach der Unterredung mit dem
Sklavenhändler, war die von ihm vorempfundene Nothwendigkeit, seiner
Frau die getroffenen Verabredungen mitzutheilen, und den dringenden
Gegenvorstellungen zu begegnen, auf die er, wie er wußte, mit Sicherheit
rechnen konnte.

Da Mistreß Shelby von den finanziellen Verlegenheiten ihres Ehemannes
durchaus keine Ahnung hatte, und die gewöhnliche Gutmüthigkeit seines
Herzens kannte, so war sie in dem Ausdrucke ihrer Ungläubigkeit
rücksichtlich des von Elisa geäußerten Verdachtes ganz aufrichtig
gewesen. Sie hatte in der That mit keinem Gedanken weiter daran gedacht;
und da sie überdieß mit den Vorbereitungen zu einem Abendbesuche
beschäftigt war, so entschwand der Gegenstand gänzlich aus ihrem Kopfe.



Zweites Kapitel.

Die Mutter.


Elisa war von ihrer Kindheit an bei ihrer Herrin als ein gehätschelter
und verwöhnter Günstling auferzogen worden.

Der Reisende im Süden wird oft jene Zartheit und Sanftheit der Stimme
und des ganzen Wesens bemerkt haben, welche sehr häufig eine besondre
Gabe der Mestizen und Mulattenweiber zu sein scheint. Die natürliche
Grazie der Mulattin ist oft mit einer blendenden Schönheit, und stets
wenigstens mit einem äußerst angenehmen und einnehmenden Aeußeren
verbunden. Elisa, wie wir sie geschildert haben, ist kein Phantasiebild,
sondern der Erinnerung entnommen, wie wir sie vor Jahren in Kentucky
gesehen haben. Sicher unter der schützenden Sorge ihrer Herrin hatte sie
ihre körperliche Reife ohne jene Versuchungen erlangt, welche die
Schönheit einer Sklavin so häufig zu einer so unheilvollen Erbschaft
machen. Sie war an einen hübschen und talentvollen jungen Mulatten
verheirathet worden, der Sklave auf einer nachbarlichen Besitzung war,
und den Namen Georg Harris führte.

Dieser junge Mann war von seinem Herrn in eine Fabrik von Sackleinwand
verdungen worden, wo seine Geschicklichkeit und Einsicht ihm sehr bald
den Ruf des besten Arbeiters verschafft hatten. Er hatte eine Maschine
erfunden, den Hanf zu reinigen, welche, wenn man die Erziehung und
Verhältnisse des Erfinders berücksichtigte, eben so viel mechanisches
Genie verrieth, wie Whitney's Baumwollenspinnmaschine. Er war von
hübscher Figur und einnehmendem Wesen, wodurch er bald der allgemeine
Liebling in der Fabrik wurde. Nichtsdestoweniger waren alle diese
edleren Eigenschaften, da der junge Mann vor dem Gesetze nicht ein
Mensch, sondern nur eine Sache war, der Herrschaft eines gemeinen,
engherzigen, tyrannischen Herrn unterworfen. Dieser Ehrenmann, als er
von der in der Umgegend viel besprochenen Erfindung Georgs gehört hatte,
nahm sich eines Tages die Mühe, nach der Fabrik hinüber zu reiten, um zu
sehen, was dieses einsichtsvolle Stück seines Eigenthums dort treibe.
Der Besitzer empfing ihn mit großer Begeisterung, und gratulirte ihm,
einen so werthvollen Sklaven zu besitzen. Er wurde durch die ganze
Fabrik geführt, und Georg zeigte ihm das ganze Maschinenwesen, und
sprach dabei so lebhaft und so fließend, zeigte eine solche Haltung, und
erschien so schön und männlich, daß seinen Herrn ein gewisses
unbehagliches Gefühl von Untergeordnetheit beschlich. Wozu hatte sein
Sklave nöthig, durch das Land zu gehen, Maschinen zu erfinden, und mit
Gentlemen zu verkehren? Er wollte dem bald ein Ende machen, -- er wollte
ihn zurückholen und hacken und graben lassen, und sehen, »ob er sich
dabei auch so stattlich ausnehmen werde.« Wie gesagt, so geschehen. Der
Fabrikbesitzer und alle dabei gegenwärtigen Arbeiter waren erstaunt, als
er plötzlich Georgs Lohn verlangte, und seine Absicht zu erkennen gab,
ihn mit sich nach Hause zu nehmen.

»Aber, Mr. Harris,« entgegnete der Fabrikbesitzer, »ist das nicht
eigentlich zu schnell?«

»Und wenn es ist? -- ist der Mann nicht =mein=?«

»Ich würde nichts dagegen haben, Mr. Harris, den Lohn zu erhöhen.«

»Gleichviel, Herr, ich habe nicht nöthig meine Arbeiter auszudingen,
wenn ich keine Lust dazu habe.«

»Aber, Herr, er scheint ganz besonders geeignet zu diesem Geschäfte.«
»Mag sein, -- er taugte aber nie viel zu irgend einer Sache die ich ihm
auftrug, mein Seel'!«

»Denken Sie aber nur an seine Erfindung der Maschine,« wendete hier
einer der Arbeiter unglücklicher Weise ein.

»O ja! -- eine Maschine um Arbeit zu sparen, nicht wahr? So etwas wird
er schon erfinden, ohne Zweifel! 's müßte ja kein Neger sein. Die sind
alle selbst Maschinen, die Arbeit zu sparen, -- einer wie der andere!
Nein, er soll das Feld treten!«

Georg stand wie angezaubert da, als er so plötzlich sein Urtheil von
einer Gewalt ausgesprochen hörte, gegen die kein Widerstand möglich war.
Er preßte die Lippen krampfhaft zusammen, und ein ganzer Vulkan bitterer
Empfindungen brannte in seinem Busen, und sandte Feuerströme durch seine
Adern. Sein Athem ging kurz, seine großen, dunklen Augen glühten wie
feurige Kohlen, und es möchte vielleicht ein gefährlicher Ausbruch bei
ihm statt gefunden haben, wenn nicht der gutherzige Fabrikbesitzer
seinen Arm berührt, und ihm leise zugeflüstert hätte: »Gieb nach, Georg;
geh jetzt mit ihm; wir wollen doch sehen, wie wir Dir helfen können.«

Der Tyrann bemerkte das Flüstern, und errieth seine Bedeutung, obgleich
er nicht hören konnte, was gesagt wurde, und diese Wahrnehmung bestärkte
ihn nur in seinem Vorsatze, die Gewalt, die ihm über sein Opfer zustand,
geltend zu machen.

Georg wurde nach Hause geführt und an die niedrigsten Arbeiten der
Farmwirthschaft gestellt. Er hatte es über sich vermocht, jedes
unehrerbietige Wort zu unterdrücken; aber das funkelnde Auge und die
finstere Stirn waren Theile einer natürlichen Sprache, welche sich nicht
unterdrücken ließ, -- sichere Anzeichen dessen, daß der Mensch nicht zur
Sache werden könne.

Es war während jener glücklichen Periode seiner Beschäftigung in der
Fabrik, daß Georg sein Weib kennen gelernt und geheirathet hatte.
Während jener Zeit hatte er, da der Fabrikherr ihm seine Gunst und sein
Vertrauen in besonderem Grade zugewendet hatte, volle Freiheit gehabt,
zu gehen und zu kommen, wann und wie er wollte. Die Heirath wurde von
Mistreß Shelby besonders begünstigt, die, mit einer Art weiblichen
Gefallens an Ehestiftungen, sich gefreut hatte, ihren schönen Schützling
mit einem in jeder Beziehung passenden Manne derselben Klasse verbunden
zu sehen; und so wurden Beide in dem Wohnzimmer ihrer Herrin verbunden,
und diese selbst schmückte das schöne Haar der Braut mit Orangenblüthen,
und warf den bräutlichen Schleier darüber, der ohne Zweifel auf keinem
schöneren Kopfe geruht haben könnte. Auch fehlte es nicht an weißen
Handschuhen und Kuchen und Wein, und an Gästen, die die Schönheit der
Braut und die Güte und Freigebigkeit der Herrin priesen.

Ein oder zwei Jahre lang sah Elisa ihren Gatten häufig, und nichts
störte ihr Glück, als der Verlust zweier Kinder im ersten Alter, an
denen sie mit leidenschaftlicher Liebe hing, und um die sie mit so
verzehrendem Kummer trauerte, daß ihre Herrin sich veranlaßt fühlte, ihr
sanfte Vorwürfe zu machen, und sich bemühte, ihre von Natur
leidenschaftlichen Empfindungen durch den Einfluß der Vernunft und
Religion zu mäßigen. Nach der Geburt des kleinen Harry war sie jedoch
allmählig ruhiger geworden und jeder blutende, zuckende Nerv schien
durch die neue Verbindung mit diesem jungen Leben geheilt worden zu
sein, und Elisa war wieder ein glückliches Weib bis zu dem Augenblicke,
wo ihr Mann von seinem menschenfreundlichen Principale auf so rohe Weise
losgerissen, und unter die eiserne Herrschaft seines rechtmäßigen
Besitzers zurückgebracht worden war.

Der Fabrikherr besuchte, seinem Versprechen getreu, nach ein oder zwei
Wochen Mr. Harris, in der Hoffnung, daß die erste Hitze sich gelegt
haben werde, und wandte alles Mögliche an, um ihn zu bestimmen, Georg
seiner früheren Beschäftigung zurückzugeben.

»Sie brauchen sich keine Mühe zu geben, und weiter darüber zu sprechen,«
sagte er mürrisch, »ich weiß am besten selbst was ich zu thun habe.«

»Ich wollte mir nicht anmaßen, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen;
sondern ich dachte nur, Sie würden es selbst Ihrem Interesse angemessen
finden, uns diesen Mann unter den offerirten Bedingungen zu überlassen.«

»O ich verstehe Alles vollkommen. Ich sah Ihr Winken und Flüstern an dem
Tage, wo ich ihn von der Fabrik wegholte, aber ich lasse mich auf diese
Weise nicht hintergehen. Es ist hier ein freies Land, Herr; der Mann ist
=mein=, und ich thue mit ihm was mir gefällt, -- verstanden?«

Und so fiel Georgs letzte Hoffnung zu Boden. Nichts lag nun vor ihm als
ein Leben voll Mühe und Qual, welches durch die gesuchten Kränkungen und
Entwürdigungen noch mehr verbittert wurde, welche eine tyrannische
Erfindungskunst zu erdenken vermochte.

Ein sehr menschenfreundlicher Jurist sagte einst: »das größte Uebel, das
du dem Menschen zufügen kannst, ist ihn zu hängen.« Nein, es gibt noch
ein anderes Uebel, welches dem Menschen zugefügt werden kann, und
welches =größer= ist!



Drittes Kapitel.

Der Gatte und Vater.


Mistreß Shelby hatte das Haus verlassen, um ihren Besuch zu machen, und
Elisa stand in der Veranda des Hauses und schaute traurig dem
fortfahrenden Wagen nach, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
Sie wandte sich um, und ein freundliches Lächeln leuchtete
augenblicklich aus ihren schönen Augen.

»Georg, bist Du es? Wie Du mich erschreckt hast! Ach, wie froh bin ich,
daß Du gekommen bist! Mistreß ist ausgefahren, um einen Besuch zu
machen; komm' also in mein kleines Zimmer, wir haben den ganzen
Nachmittag für uns.«

Indem sie dies sagte, zog sie ihn in ein niedliches kleines Gemach,
welches an der einen Seite der Vorhalle lag und in welchem sie sich
gewöhnlich aufhielt, mit ihren Nähereien beschäftigt, um den Ruf ihrer
Herrin hören zu können.

»Wie froh ich bin! Warum bist Du denn nicht freundlich? -- Und sieh'
Harry, wie er wächst.« Der Knabe blickte scheu durch seine Locken
hindurch auf den Vater und hielt sich ängstlich an den Röcken seiner
Mutter fest. »Ist er nicht hübsch?« sagte Elisa, seine Locken aufhebend
und ihn küssend.

»Ich wollte, er wäre nie geboren worden!« sagte Georg bitter. »Ich
wollte, ich wäre selbst nie geboren worden!«

Ueberrascht und erschreckt setzte sich Elisa nieder, lehnte ihren Kopf
an ihres Gatten Schulter und brach in Thränen aus.

»Das noch, Elisa, o es ist zu sündlich von mir, Dir solchen Schmerz zu
bereiten, armes Weib!« sagte er zärtlich, »'s ist zu sündlich. O, wie
wünsche ich, daß Du mich nie gesehen hättest, -- dann hättest Du
vielleicht glücklich werden können.«

»Georg, Georg, wie kannst Du so reden? Was ist denn Schreckliches
geschehen, oder was soll geschehen? Wir waren doch so glücklich bis vor
Kurzem.«

»Das waren wir,« sagte Georg. Dann das Kind auf seinen Schooß nehmend,
schaute er ihm in seine funkelnden, dunklen Augen und fuhr mit den
Händen durch seine langen Locken.

»Gerade wie Du, Elisa; und Du bist das hübscheste Weib, das ich je
gesehen habe, und das beste, das ich je zu sehen wünsche. Aber ach! ich
wollte, ich hätte Dich nie gesehen, und Du nie mich.«

»O Georg, wie kannst Du --?«

»Ja, Elisa, 's ist Alles Elend, Elend, nichts als Elend. Mein Leben ist
bitter wie Wermuth; alle Lebenskraft verzehrt sich in mir. Ich bin ein
armes, elendes, verlorenes Lastthier; ich werde Dich nur mit mir
hinabziehen, das ist Alles! Was nützt es, daß man sich Mühe giebt, etwas
zu verrichten, etwas zu lernen, etwas zu sein? Wozu nützt das ganze
Leben? Ich wollte, ich wäre todt!«

»O lieber Georg, aber das ist wahrhaftig sündlich! Ich weiß, wie sehr es
Dich schmerzt, daß Du Deinen Platz in der Fabrik verloren hast, und daß
Du einen harten Herrn hast; aber, bitte, sei geduldig, vielleicht --«

»Geduldig!« sagte er, sie unterbrechend; »bin ich nicht geduldig
gewesen? Sagte ich ein Wort, als er kam und mich ohne jeden irdischen
Grund von dem Orte wegnahm, wo Jeder freundlich gegen mich war? Ich habe
ihm gewissenhaft jeden Cent von meinem Lohne ausgeliefert, -- und Alle
sagten, daß ich ein guter Arbeiter wäre.«

»Ja, es ist schrecklich,« sagte Elisa, »aber Du weißt, er ist doch nun
einmal Dein Herr!«

»Mein Herr? und wer machte ihn zu meinem Herrn? Das ist es gerade, was
mir durch den Kopf geht, -- welches Recht hat er auf mich? Ich bin ein
Mensch, so gut wie er; -- ich bin ein besserer Mensch als er. Ich
verstehe mehr vom Geschäfte als er; ich kann besser lesen als er, besser
schreiben als er, -- und ich habe es Alles selbst gelernt, ohne seinen
Beistand, -- selbst gegen seinen Willen. Welches Recht hat er nun, aus
mir ein Zugpferd zu machen? -- mich von Geschäften wegzunehmen, die ich
verrichten kann, und besser verrichten kann als er, um mich zu Arbeiten
anzustellen, die nur für ein Pferd geeignet sind. Er versucht es; er
sagt, er will mich niederdrücken, er will mich demüthigen, und giebt mir
deshalb absichtlich die schwerste, niedrigste und schmutzigste Arbeit.«

»O Georg, Georg! Du erschreckst mich! Ich habe Dich nie so reden hören;
ich fürchte mich, daß Du etwas Schreckliches begehen könntest. Ich
wundere mich durchaus nicht über Deine Empfindungen, aber ich bitte
Dich, sei vorsichtig, -- bitte, bitte, -- um meinetwillen, um Harry's
willen!«

»Ich bin vorsichtig gewesen, und bin geduldig gewesen, aber es wird
immer schlimmer; Fleisch und Blut kann es nicht länger tragen: jede
Gelegenheit, die sich darbietet, mich zu kränken und zu quälen, benutzt
er. Ich dachte, ich könnte meine Arbeit ruhig und still verrichten, und
würde dann nach den Arbeitsstunden einige Zeit zum Lesen und Lernen
haben; allein je mehr er sieht, daß ich thun kann, desto mehr ladet er
mir auf. Er sagt, daß obgleich ich nichts sage, er dennoch sehe, daß ich
den Teufel in mir habe, und den wolle er austreiben; -- ja, er soll
dieser Tage herausfahren, aber in einer Weise, die ihm nicht gefallen
wird, denke ich.«

»O Gott! was sollen wir thun?« sagte Elisa traurig.

»Erst gestern wieder,« sagte Georg, »als ich beschäftigt war, Steine in
einen Wagen zu laden, stand der junge Master Tom dabei und knallte mit
seiner Peitsche so dicht über dem Pferde, daß es unruhig wurde. Ich bat
ihn so freundlich als ich konnte, es nicht zu thun, -- allein nun fuhr
er erst recht fort. Ich bat ihn abermals, worauf er sich gegen mich
wendete und mich an zu peitschen fing. Ich hielt seine Hand fest, und
dann schrie er und schlug um sich und lief zu seinem Vater, dem er
erzählte, ich habe ihn angreifen wollen. =Der= kam wüthend zu mir gerannt
und sagte, er wolle mir zeigen, wer mein Herr sei, und band mich an
einen Baum und schnitt Ruthen für den jungen Herrn aus, und hieß ihn
mich peitschen, so lange er könne, -- und das that er. -- Wenn ich ihm
das nicht noch 'mal vergelte!«

Bei diesen Worten wurde die Stirn des jungen Mannes so finster und seine
Augen begannen so zu funkeln, daß seine junge Frau davor erbebte. »Wer
machte diesen Mann zu meinem Herrn? Das ist es, was ich wissen will!«
sagte er.

»Wohl,« sagte Elisa traurig, »ich dachte immer, daß ich meinem Herrn und
meiner Herrin gehorchen müsse, oder ich könne keine Christin sein.«

»In Deinem Falle hat es Etwas für sich. Sie haben Dich auferzogen wie
ein Kind, haben Dich genährt, gekleidet und unterrichtet, so daß Du eine
gute Erziehung bekommen hast. Hier ist wenigstens einiger Grund, weshalb
sie auf Dich Anspruch haben. Aber ich bin gestoßen und gepeitscht und
verflucht worden, und im glücklichsten Falle mir allein überlassen
worden; und was schulde ich? Ich habe meine Erhaltung mehr als
hundertmal bezahlt. Ich =will= es nicht länger tragen! Nein, ich =will=
nicht!« sagte er, seine Faust mit einem wilden Blicke ballend.

Elisa zitterte und schwieg. Sie hatte ihren Gatten noch nie in solcher
Stimmung gesehen, und ihr sanftes System von Ethik schien sich wie
Schilf in der Brandung solcher Leidenschaft zu beugen.

»Du weißt, du gabst mir den armen kleinen Carlo,« fügte Georg hinzu;
»das Thierchen war mein einziger Trost. Er schlief mit mir des Nachts
und folgte mir des Tages überall, und sah mich an, als wenn er wisse,
was ich fühlte. Eines Tages fütterte ich ihn gerade mit einigen
Ueberbleibseln, die ich vor der Küchenthür gefunden hatte, als der Herr
vorüber kam und sagte, ich füttere den Hund auf seine Kosten, und das
könne er nicht ausführen, daß jeder Neger seinen Hund halte. Er befahl
mir, ihm einen Stein an den Hals zu binden und ihn in's Wasser zu
werfen.«

»O Georg, Du thatest es doch nicht?«

»Ich nicht, aber er that es. Er und Tom warfen das arme Thier mit
Steinen, während es im Ertrinken war. Es sah mich so traurig an, als
wenn es sich wundere, daß ich ihm nicht zu Hülfe komme. Ich wurde
gepeitscht, weil ich es nicht selbst thun wollte. Ich frage nichts
darnach. Er wird schon sehen, daß ich Keiner bin, der sich durch
Peitschenhiebe zähmen läßt. Meine Zeit wird schon noch kommen, wenn er
sich nicht vorsieht.«

»Was hast Du im Sinne? O Georg, thue nichts Schlechtes! Wenn Du nur auf
Gott vertraust und Recht thust, so wird er Dich erretten.«

»Ich bin kein Christ, wie Du, Elisa; mein Herz ist voll Bitterkeit; ich
kann nicht auf Gott vertrauen. Warum läßt er das so geschehen?«

»O Georg, wir müssen glauben. Mistreß sagt, daß, wenn uns Alles
mißglückt, wir glauben müssen, Gott habe es zu unserm Besten gethan.«

»Das können solche Leute leicht sagen, die auf ihrem Sopha sitzen und in
ihrem Wagen fahren; aber laß sie an meinem Platze sein, ich glaube, dann
würde es ihnen etwas schwerer fallen. Ich wollte, ich könnte fromm sein;
aber mein Herz brennt mir und kann nicht wieder ruhig werden. Du
könntest es auch nicht in meiner Stelle, -- Du kannst es jetzt nicht,
wenn ich Dir Alles gesagt habe, was ich zu sagen habe. Du weißt noch
nicht Alles.«

»Was kann denn jetzt noch kommen?«

»Vor einiger Zeit sagte mein Herr, er sei ein Narr gewesen, daß er mir
erlaubt habe, außerhalb des Platzes zu heirathen; daß er Mr. Shelby und
seine ganze Familie hasse, weil sie Alle stolz wären und ihre Köpfe
höher trügen als er, und daß ich stolze Begriffe von ihnen bekommen
hätte; und sagte, daß er mich gar nicht wieder hierher gehen lassen
wolle, und daß ich auf seinem Gute ein Weib nehmen solle. Anfangs sagte
er diese Dinge nur, wenn er brummte und schalt, aber gestern befahl er
mir, Mina als Weib zu mir zu nehmen und mit ihr in eine Hütte zu ziehen,
oder er wolle mich den Fluß hinunter schicken und verkaufen lassen.«

»Wie? -- Du bist ja aber mit =mir= verheirathet worden, durch den
Geistlichen, gerade so, als wenn Du ein Weißer wärest!« sagte Elisa
einfach.

»Weißt Du nicht, daß ein Sklave sich nicht verheirathen kann? Es giebt
kein Gesetz dafür in diesem Lande. Ich kann Dich nicht als mein Weib
behalten, wenn es ihm einfällt uns zu trennen. Das ist der Grund,
weshalb ich wollte, ich hätte Dich nie gesehen, -- weshalb ich wünschte,
ich wäre nie geboren worden; es wäre für uns beide besser gewesen, -- es
wäre für dieses arme Kind besser gewesen, wenn es nie geboren worden
wäre. Alles dies kann ihm auch noch begegnen!«

»O, aber mein Herr ist so gut!«

»Ja, aber wer weiß? -- er kann sterben, -- und dann kann er verkauft
werden, Gott weiß, an wen. Welche Freude kann es uns gewähren, daß er
schön und kräftig ist? Ich sage Dir, Elisa, daß ein Schwert Dein Herz
durchdringen wird für jede gute und schöne Eigenschaft, die das Kind
besitzt; es wird ihn Dir zu werth machen, als daß Du ihn behalten
könntest!«

Diese Worte fielen Elisa schwer auf's Herz. Die Erscheinung des
Sklavenhändlers trat wieder vor ihre Augen, und als wenn irgend Jemand
ihr einen tödtlichen Schlag versetzt hätte, wurde sie plötzlich bleich
und verlor den Athem. Sie blickte angstvoll nach der Veranda, wohin sich
der Knabe, überdrüssig der ernsten Unterhaltung, zurückgezogen hatte,
und wo er auf Mr. Shelby's Spazierstock triumphirend auf- und
niederritt. Sie war im Begriff, ihrem Manne ihre Befürchtungen
mitzutheilen, aber hielt dennoch zurück.

»Nein, nein, -- er hat genug zu tragen, der Arme!« dachte sie. »Nein,
ich will ihm nichts davon sagen; überdies ist es ja auch nicht wahr;
Mistreß täuscht uns niemals.«

»Also, Elisa, mein Weib,« sagte der Mann traurig, »sei standhaft, und
nun lebe wohl, ich gehe.«

»Du gehst, Georg? -- wohin denn?«

»Nach Canada,« sagte er, sich hoch aufrichtend, »und wenn ich dort bin,
will ich Dich kaufen; das ist die einzige Hoffnung, die uns bleibt. Ich
will Dich und den Knaben kaufen, -- so Gott mir helfe!«

»O schrecklich! wenn Du gefangen werden solltest!«

»Ich werde nicht gefangen werden, Elisa; eher will ich =sterben=! Ich
will frei sein, oder sterben!«

»Du wirst Dich doch nicht selbst umbringen?«

»Das wird nicht nöthig sein, -- sie werden mich schnell genug
niedermachen. Nimmer sollen sie mich lebendig den Fluß hinab bringen!«

»O Georg, um meinetwillen sei vorsichtig! Thue nichts Böses, lege nicht
Hand an Dich selbst, oder an irgend einen Andern! Du bist zu sehr
gereizt, -- zu sehr. Gehen mußt Du, -- aber sei vorsichtig, sei weise.
Bitte Gott, daß er Dir beistehe.«

»Wohlan denn, Elisa, so höre meinen Plan. Meinem Herrn fiel es ein, mich
grade hier vorbei zu schicken mit einem Briefe an Mr. Symmes, der eine
Meile weiter wohnt. Ich glaube, er rechnete drauf, daß ich hierher
gehen würde, Dir zu erzählen, was ich bekommen habe. Es würde ihm Freude
machen, wenn er denken könnte, daß das >Shelby'sche Volk<, wie er es
nennt, sich darüber ärgerte. Ich gehe jetzt nach Hause, und thue, als
wenn ich ganz resignirt wäre, verstehst Du, als wenn Alles vorbei wäre.
Inzwischen habe ich schon einige Vorbereitungen getroffen, -- und ich
habe Freunde, die mir helfen werden, -- und in Zeit von acht Tagen oder
so werde ich vermißt werden. Elisa, bete für mich, vielleicht erhört
=Dich= der gute Gott!«

»O bete selbst für Dich, Georg, und vertraue auf ihn, wenn Du gehst;
dann wirst Du nichts Böses thun.«

»So =lebe wohl= denn,« sagte Georg, Elisa's Hände haltend, und
unverwandt in ihre Augen blickend. Beide standen eine Zeit lang
schweigend; dann folgten die letzten Worte, Schluchzen und bittre
Thränen, und ein solcher Abschied, wie er zwischen Personen stattfinden
muß, deren Hoffnung auf Wiedersehen so schwach wie Spinngewebe ist. Dann
trennten sich Gatte und Gattin.



Viertes Kapitel.

Ein Abend in Onkel Tom's Hütte.


Onkel Tom's Hütte war ein kleines von Balken errichtetes Gebäude dicht
bei »=dem Hause=«, wie die Neger #par excellence# die Wohnung ihres
Herrn bezeichnen. Vor demselben lag ein sauberer Gartenfleck, in welchem
jeden Sommer Stachelbeeren und Himbeeren und allerhand andere Früchte
und Gemüse unter sorgsamer Hand blühten. Die ganze Front des Häuschens
war von den Stauden einer einheimischen, immerblühenden Rose bedeckt,
deren Ranken sich so verflochten, daß kaum eine Spur von den rauhen
Balken sichtbar war. Auch verschiedene Jahresblumen, wie Goldlack,
Nelken und Levkojen fanden hier im Sommer ein stilles Plätzchen, in dem
sie ihre Pracht und ihre Wohlgerüche entfalten konnten, und waren der
Stolz und die Freude Tante Chloë's.

Laßt uns in die Wohnung eintreten. Die Abendmahlzeit im Herrenhause ist
vorüber, und Tante Chloë, die als oberste Köchin die Zubereitung
desselben zu leiten pflegt, hat den Unterbeamten der Küche das Geschäft
des Reinigens und Aufräumens überlassen, und sich in ihr eignes,
behagliches Territorium begeben, um »ihrem Alten« das Abendbrod zu
reichen. Ihr dürft deshalb nicht daran zweifeln, daß sie es ist, die am
Feuer steht, und mit ängstlicher Aufmerksamkeit gewisse zischende
Gegenstände in einer Pfanne beobachtet, und von Zeit zu Zeit mit sehr
ernster Vorsicht den Deckel der Backpfanne aufhebt, unter welchem ganz
unzweifelhafte Anzeigen von »etwas Guten« hervordampfen. Ihr Gesicht ist
rund, schwarz und so glänzend, daß man glauben möchte, sie wäre, wie
eine ihrer Theezwiebacke, mit Eiweiß überstrichen worden. Ihr ganzes,
volles Gesicht strahlt unter ihrem wohlgestärkten Turbane von
Zufriedenheit und Frohsinn, obgleich es, wenn wir doch einmal gestehen
müssen, einen leichten Anstrich des Selbstbewußtseins verräth, welches
der ersten Köchin in der ganzen Nachbarschaft, wofür Tante Chloë ganz
allgemein galt und gehalten wurde, rechtmäßig zustand.

Eine Köchin war sie ohne Zweifel durch und durch. Allen Hühnern,
Truthähnen und Enten auf dem Hühnerhofe wurde Angst, wenn sie Tante
Chloë sich nahen sahen, und dachten augenscheinlich an ihr Ende; und
gewiß ist, daß sie fortwährend über schmoren, braten und backen mit
solcher Lebhaftigkeit nachdachte, daß sie jeden denkenden lebendigen
Vogel dadurch in Schrecken setzen mußte. Ihr Kornkuchen, in allen seinen
Modificationen war ein erhabenes Geheimniß für alle weniger geübten
Küchenpraktikanten; und sie schüttelte ihre fetten Seiten vor Freude und
Stolz, wenn sie von den fruchtlosen Versuchen erzählte, die einer oder
der andre ihrer Collegen gemacht hatte, ihren Höhenpunkt zu erreichen.

Die Ankunft von Gästen im »Hause«, die Zubereitung von Mittag- und
Abendessen im »großen Style« erweckte alle ihre Lebensgeister; und kein
Anblick war ihr erfreulicher als eine hohe Schicht Reisekoffer in der
Veranda, denn dann hatte sie Aussicht auf neue Anstrengungen und neue
Triumphe.

Grade in diesem Augenblicke schaut jedoch Tante Chloë in die Backpfanne,
und wir wollen sie in dieser ihr innig verwandten Beschäftigung lassen,
bis wir das Bild der Hütte vollendet haben.

In einer Ecke derselben steht ein Bett mit saubrer, weißer Decke; und an
der Seite desselben lag ein Stück Teppich von ziemlich bedeutendem
Umfange. Auf diesem Stücke Teppich hatte Tante Chloë ihren Stand, da sie
unzweifelhaft zu den höheren Regionen des menschlichen Lebens gehörte,
und dasselbe, so wie das Bett, bei dem es lag, und überhaupt die ganze
Ecke des Zimmers, wurden mit rücksichtsvoller Achtung behandelt, und so
viel wie möglich vor den Einbrüchen und Entheiligungen des kleineren
Volkes geschützt. Diese Ecke war das Gastzimmer des Hauses. In einer
andern Ecke stand ein Bett von weit unscheinbarerem Aeußern, und war
augenscheinlich für den Gebrauch bestimmt. Die Wand über dem Kamin war
mit einigen hellfarbigen Bildern aus der heiligen Schrift und einem
Portrait General Washington's geschmückt, welches dergestalt gezeichnet
und colorirt war, daß es ohne Zweifel diesen Helden in Erstaunen
gesetzt haben würde, wenn er je einen Abdruck desselben gesehen hätte.

Auf einer rohen Bank in einer andern Ecke war ein Paar wollköpfiger
Knaben mit glänzend schwarzen Augen und fetten, glänzenden Wangen
beschäftigt, die ersten Gehversuche des jüngsten Kindes zu überwachen,
welche, wie gewöhnlich, darin bestanden, sich auf den Füßen zu erheben,
einen Augenblick zu schwanken, und dann wieder umzufallen, wobei jeder
erfolglose Versuch mit schallendem Gelächter begleitet wurde.

Ein Tisch, schon etwas rheumatisch in seinen Gliedmaßen, befand sich vor
dem Feuer, und war mit einem Tuche bedeckt, welches Tassen und Schalen,
von unzweifelhaft schönem Muster, mit noch anderen Symptomen eines
herannahenden Mahles trug. An diesem Tische saß Onkel Tom, Mr. Shelby's
bester Sklave, den wir, da er der Held unserer Erzählung ist, für unsere
Leser daguerreotypiren müssen. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann,
mit breiter Brust, vom glänzendsten Schwarz und mit einem Gesichte,
dessen ächt afrikanische Züge Ernst und Verstand in Verbindung mit
natürlicher Herzensgüte verriethen. Es lag in seinem ganzen Aeußern eine
gewisse Selbstachtung und Würde, verbunden mit vertrauungsvoller
Einfachheit des Sinnes.

Er war grade in diesem Augenblicke sehr eifrig mit einer Tafel
beschäftigt, welche vor ihm lag, und auf der er langsam und mit großer
Sorgfalt einige Buchstaben nachzumalen versuchte, während Master Georg,
ein muntrer, hübscher Knabe von dreizehn Jahren, diese Beschäftigung
überwachte, und der Würde seiner Stellung als Lehrer vollkommen zu
entsprechen schien.

»Nicht so, Onkel Tom, -- nicht so,« sagte er lebhaft, als Onkel Tom
mühsam den Schweif seines G auf die falsche Seite gebracht hatte; »das
macht Q, siehst Du?«

»Gott's Willen, wirklich?« sagte Onkel Tom, ehrfurchtsvoll und
bewundrungsvoll seinen jungen Lehrer anblickend, während dieser mit
flüchtiger Hand zahllose Q's und G's zu seiner Erbauung auf die Tafel
malte; und sodann den Griffel in seine dicken, schweren Finger nehmend,
begann er sein Werk von Neuem.

»Wie leicht weiße Menschen Alles machen!« sagte Tante Chloë, einen
Augenblick inne haltend, während sie beschäftigt war, eine eiserne
Pfanne mit einem Stück Speck auf der Gabel auszufetten, und blickte
stolz auf Master Georg. »Wie er schreiben kann! und lesen dazu! Und dann
Abends herunter zu kommen, und uns die Bibel vorzulesen, -- s'ist
mächtig interessant!«

»Aber Tante Chloë, ich werde mächtig hungrig,« sagt Georg; »ist denn der
Kuchen in der Pfanne noch nicht bald gut?«

»Beinahe, Master Georg,« sagte Tante Chloë, den Deckel aufhebend und
hinunter blickend; -- »bräunt wunderschön, -- prächtiges Braun. Für das,
laßt nur Tante Chloë allein! Neulich Missis ließ Sally Versuch machen,
'nen Kuchen zu backen, -- grade nur, um's zu lernen,« sagte sie. »O
geht, Missis,« sagte ich, »es thut mir wirklich weh, zu sehen, die guten
Sachen alle so wegzuwerfen! Kuchen riß ganz auf an einer Seite, -- keine
Form, nichts -- nicht mehr als mein Schuh, geht!«

Und mit diesen Schlußworten, dem Ausdrucke über die Ungeschicklichkeit
Sally's, nahm Tante Chloë den Deckel der Backpfanne schnell hinweg, und
ließ einen schön gebackenen Pfundkuchen sehen, dessen sich kein
städtischer Zuckerbäcker zu schämen gehabt haben würde. Da dieser
augenscheinlich der wesentlichste Bestandtheil des Gastmahls war, so
begann Tante Chloë nunmehr sehr ernstlich den Tisch herzurichten.

»Hier, Ihr, Mose und Pete! geht aus dem Wege, Ihr Niggers! -- Geh'
Polly, mein Honig, -- Mama gibt ihrem Kinde was, nachher. Nun, Master
Georg, Sie, nehmen Sie die Bücher fort da, und setzen Sie sich zu meinem
Alten, und ich will die Würste heraus nehmen, und Ihre Teller sollen im
Augenblick voll Kuchen sein.«

»Ich sollte zum Abendessen in's Haus kommen,« sagte Georg, »aber ich
wußte was besser war, Tante Chloë.«

»Ja, ja, Sie wußten's -- Sie wußten's, Zuckerkind,« sagte Tante Chloë,
die dampfenden Kuchen auf seinen Teller häufend; »Sie wußten's, alte
Tante würde schon s'Beste aufheben für Sie. O freilich!« Und mit diesen
Worten gab Tante Chloë Georg einen Stoß mit ihrem Finger, und wandte
sich dann wieder mit großer Geschäftigkeit zu ihrer Pfanne.

»Nun soll's an den Kuchen gehen,« sagte Master Georg, als die Thätigkeit
der Pfanne etwas nachgelassen hatte, und schwang dabei ein großes Messer
über besagtem Artikel.

»Gott's willen, Master Georg!« rief Tante Chloë, mit großem Ernste ihm
in den Arm fallend, »Sie wollen ihn doch nicht mit dem großen, schweren
Messer schneiden? Zerquetschen ja Alles, verderben's ganz und gar. Hier,
ich habe ein altes, dünnes Messer; ich halt's immer scharf, grade dazu!
Hier, nun, sehen Sie, -- geht aus einander leicht wie 'ne Feder! Nun
essen's los! -- s'nichts zu beißen drin.«

»Tom Lincoln sagt,« bemerkte Georg, mit vollem Munde redend, »daß ihre
Jinny eine bessere Köchin wäre, als Du.«

»Kommt nichts drauf an, was die Lincoln's sagen, -- gar nicht!« sagte
Tante Chloë verächtlich; »sind nichts, ich meine neben =unsern= Leuten.
Sind ganz achtbare Leute, ganz genug, in 'ner einfachen Art; aber was in
großen Style machen -- nichts davon, keinen Begriff davon. Just nun,
stellen Sie Master Lincoln neben Master Shelby! Guter Gott! und Missis
Lincoln! -- kann sie auftreten wie meine Missis -- so glänzend
verstehen Sie? O nichts! gehn Sie mir, sagen Sie mir nichts von den
Lincoln's!« -- und Tante Chloë warf ihren Kopf in die Höhe, wie Jemand,
der sich selbst bewußt war, etwas von der Welt zu verstehen.

»Gut, aber ich habe Dich doch selbst sagen hören, Tante Chloë,« sagte
Georg, »daß Jinny eine gute Köchin sei.«

»Ganz richtig,« sagte Tante Chloë, -- »und das 's wahr. Gut, gewöhnlich,
einfachen kochen -- Jinny kann; -- kann gutes Brod backen, -- Kartoffeln
kochen, -- ihr Kornkuchen sind nicht extra, nein, Jinny's Kornkuchen
sind nicht extra; aber nun höher 'nauf, in höheren Zweigen, was kann
sie? -- lieber Gott! Sie kann Pasteten machen, -- gewiß, sie kann, --
aber was für Teig und Kruste? Kann sie den wirklichen, leichten Teig
machen, der Ihnen im Munde zerfließt und aufgeht wie ein Hauch? Just,
hören Sie, -- ich ging da h'nüber, wenn Miß Marien's Hochzeit war, und
Jinny just zeigte mir die Hochzeitpasteten. Jinny und ich sind's gute
Freunde immer, Sie wissen. Ich sagte nichts, nimmer, Master Georg!
Gewiß, glauben's mir, -- könnte nicht 'nen Augenblick schlafen, die
ganze Woche, wenn ich solches Gebäck Pasteten gemacht hätte; -- waren
nichts werth, gar nichts!«

»Ich glaube, Jinny hat gedacht, sie wären vortrefflich,« sagte Georg.

»Nicht wahr? -- so sie dachte. Da war sie, zeigte sie, ganz
unschuldig, -- sehen Sie's just hier, Jinny wußte's nicht. Geht mir, die
Familie ist nichts! Wie kann sie's wissen? Nicht ihre Schuld. Ah, Master
Georg, Sie kennen nicht halb Ihre Privilegien in Ihrer Familie, und in 'er
Auferziehung!« Bei diesen Worten seufzte Tante Chloë und schlug ihre
Augen mit tiefer Bewegung auf.

»Ganz gewiß, Tante Chloë, ich kenne alle meine Pasteten und
Puddings-Privilegien,« sagte Georg. »Frage nur Tom Lincoln, ob ich mich
nicht jedesmal damit rühme, wenn ich ihn treffe und ihn auslache.«

Tante Chloë lehnte sich in ihren Stuhl zurück und lachte aus
Herzenskräften über den Witz des jungen Herrn, lachte, bis die Thränen
ihre schwarzen, glänzenden Backen hinunterliefen, während sie
abwechselnd dabei beschäftigt war, ihn im Scherze zu stoßen und zu
schlagen und ihm zu sagen, daß er fortgehen solle und daß er ein
Bösewicht sei, -- daß er im Stande sei, sie zu tödten und daß er sie
sicherlich nächstens umbringen werde, und verfiel dabei zwischen diesen
blutigen Prophezeihungen in immer neue Ausbrüche des Lachens, die immer
länger anhielten, bis endlich Georg wirklich zu glauben begann, er sei
ein höchst gefährlich witziger Mensch, und daß er wohl Acht geben müsse,
auf was er spreche.

»Und das haben Sie Tom gesagt? Haben Sie? O Herr, was die Jugend nicht
alles thut? Haben ihn ausgelacht, und wie haben Master Georg ihn
ausgelacht!«

»Ja,« sagte Georg, »ich sagte zu ihm, >Tom, Du mußt 'mal Tante Chloë's
Pasteten sehen; das ist die rechte Art!< sagte ich.«

»'S ist ein Jammer, nun, Tom kann nicht,« sagte Tante Chloë, auf deren
menschenfreundliches Herz Tom's ungünstiges Loos einen tiefen Eindruck
zu machen schien. »Sollten ihn doch 'mal zu Mittag laden, 'mal dieser
Tage, Master Georg,« fügte sie hinzu; »'s würde sich ganz hübsch von
Ihnen machen. Sie wissen's, Master Georg, Sie sollen sich nicht über
Niemand erheben, wegen Ihrer Priv'legien, weil alle unsre Priv'legien
uns sind gegeben. Wir sollen immer daran denken,« sagte Tante Chloë ganz
ernsthaft.

»Gut, ich will Tom an irgend einem Tage in der nächsten Woche hierher
einladen,« sagte Georg, »und Du thust Dein Bestes, Tante Chloë, und er
soll die Augen aufreißen. Soll er uns nicht so viel essen, daß er für
vierzehn Tage genug hat?«

»Ja, ja, -- gewiß!« sagte Tante Chloë ganz erfreut, -- »Sie sollen
sehen. O Herr! an manche von unsern Mahlzeiten zu denken! Wissen's noch
die große Hühnerpastete, die ich machte, wenn General Knox war hier? Ich
und Missis, wir beinahe hatten was Streit, wegen des Teigs. Was manchmal
solche Damen Einfälle haben, -- weiß nicht; aber manchmal, wenn ein
Mensch just am meisten Verantwortlichkeit hat auf sich, so zu sagen, und
ist 'ne ganz wichtige Sache, solche Damen haben den Einfall um Einen
herumzuhängen, und sich in Alles zu mischen! Nun, Missis wollte, ich
sollte's =so= machen, und dann sollt' ich's =so= machen; und endlich
wurd ich beinahe unartig und sagte: >Nun, Missis, schauen Sie auf die
schönen, weißen Hände, Ihre, mit langen Fingern, alle mit blanken
Ringen, just wie meine weißen Lilien, wenn der Thau drauf liegt; und nun
schauen Sie meine großen, schwarzen Hände. Nun, denken Sie nicht, daß
der Herr gewollt hat, ich soll den Pastetenteig machen, und Sie sollen
im Zimmer bleiben?< Da haben Sie's, Master Georg, so unartig war ich.«

»Und was sagte Mutter?« fragte Georg.

»Sagte? -- je nun, sie lachte gar mit den Augen, -- den schönen, großen
Augen, ihren, und sagte: >Gut Tante Chloë, ich glaube, Du hast recht,<
sagte sie, und fort ging sie in's Zimmer. Sie hätte mir eins an den Kopf
geben sollen, daß ich so unartig war; aber so ist's, -- ich kann nichts
thun mit Damen in der Küche!«

»Wohl, Du legtest große Ehre mit dem Gastmahle ein, -- ich entsinne mich
deutlich, Jedermann sagte es,« bemerkte Georg.

»Und stand ich nicht hinter der Thür des Speisezimmers an dem Tage? und
sah ich nicht, wie General Knox dreimal seinen Teller hinreichte, grade
nach dieser Pastete? -- und, sagte er: >Sie müssen eine
außerordentliche Köchin haben, Mistreß Shelby.< -- O Herr! ich hätte aus
einander gehen mögen!« --

»Und der General, er weiß, was kochen ist,« fügte Tante Chloë hinzu,
sich stolz aufrichtend. »Sehr hübscher Mann, der General! Er kommt von
der ersten Familie in Virginien! Er weiß was es heißt, so gut wie ich --
der General. Sehen Sie, da sind Punkte in allen Pasteten, Master Georg;
aber 's weiß nicht jeder, was das ist oder sein soll. Aber der General,
er weiß es; o, ich merkt's, was er sagte. Ja, er weiß, was die Punkte
sind!«

Um diese Zeit war Master Georg endlich zu dem Punkte gelangt, den selbst
ein Knabe (unter besondern Umständen) erreichen kann, daß er in der That
keinen Bissen mehr hinunterbringen konnte, und hatte deßhalb Zeit, die
Reihe von Wollköpfen und leuchtenden Augen zu bemerken, die aus einem
entfernten Winkel seine Operationen mit hungrigem Magen beobachtet
hatten.

»Hier, Du, Mose, Pete,« rief er, freigebig große Stücke vom Kuchen vor
sich abbrechend und ihnen zuwerfend; »Ihr wollt was haben, nicht wahr?
Komm, Tante Chloë, backe ihnen ein paar Kuchen.«

Und Georg und Tom begaben sich nach einem bequemen Sitze in der
Kaminecke, während Tante Chloë, nachdem sie einen ansehnlichen Haufen
Kuchen gebacken hatte, ihr jüngstes Kind auf den Schooß nahm, und nun
begann abwechselnd dessen Mund und ihren eigenen zu füllen und
angemessene Antheile an Mose und Pete auszutheilen, welche es
vorzuziehen schienen, ihre Portionen zu verzehren, während sie sich auf
dem Erdboden, unter dem Tische, umherwälzten und einander kitzelten.

»O geht, wollt Ihr?« sagte die Mutter, ihnen von Zeit zu Zeit, wenn die
Bewegungen derselben zu lästig wurden, einen Stoß mit dem Fuße unter dem
Tische gebend. »Könnt Ihr nicht artig sein, wenn weiße Leute hier sind
bei Euch? Wollt Ihr? ruhig da, oder ich setze Euch ein Knopfloch tiefer,
wenn Master Georg fort ist!«

Was diese schreckliche Drohung für eine Bedeutung hatte, läßt sich
schwer sagen, gewiß ist aber, daß sie einen sehr geringen Eindruck auf
die jungen Sünder machte.

»Na, denn!« sagte Onkel Tom, »die sind so voller Uebermuth, die können
sich nicht ordentlich betragen.«

Die Knaben tauchten unter dem Tische hervor, Gesicht und Hände wohl
bedeckt mit einer Mischung von Fett, Zucker und Schmutz, und begannen
ein herzhaftes Küssen des jüngsten Kindes.

»Fort mit euch!« sagte die Mutter, die wolligen Köpfe bei Seite stoßend.
»Ihr müßt ja alle zusammenkleben und nie wieder los kommen, wenn Ihr's
so macht. Fort, geht an den Brunnen, und wascht Euch!« sagte sie, diese
Worte mit einem Schlage begleitend, welcher einen furchtbaren Schall
verursachte, aber keine andere Wirkung zu haben schien, als ein noch
größeres Gelächter auf Seiten der Kinder zu erzeugen, während sie über
einander zur Thür hinauspurzelten und im vollsten Jubel aus
Leibeskräften schrieen.

»Gab es je solche ungezogenen Bälge?« sagte Tante Chloë, halb
schmunzelnd, während sie ein altes Handtuch hervorsuchte, welches
besonders für solche Zwecke gehalten wurde, etwas Wasser aus dem
halbzerbrochenen Theetopfe darauf schüttete und jene pflasterartige
Mischung von dem Gesichte und den Händen des jüngsten Kindes abwusch,
worauf sie es in Tom's Schooß setzte und sodann das Geschirr und die
Ueberreste des Abendessens wegzuräumen begann. Das Kind benutzte diese
Zwischenzeit dazu, an Tom's Nase zu zupfen, ihm das Gesicht zu
zerkratzen und die kleinen, fetten Hände in sein wolliges Haar zu
stecken, was ihm besonderes Vergnügen zu gewähren schien.

»Ist's nicht ein prächtiges Kind?« sagte Tom, es von sich entfernt
haltend, um es in seiner ganzen Länge zu betrachten; und sodann
aufstehend setzte er es auf seine breite Schulter und begann mit ihm zu
springen und zu tanzen, während Master Georg mit dem Taschentuche nach
ihm schnappte, und Mose und Pete, welche inzwischen zurückgekehrt waren,
dergestalt hinter her brüllten, daß Tante Chloë erklärte, sie verliere
ihren Kopf in dem Lärmen. Da jedoch, ihrer eigenen Angabe zufolge dies
eine chirurgische Operation war, welche sich täglich wiederholte, so
verminderte diese Erklärung nicht im geringsten die Heiterkeit der
Kinder, bis sie sich vollständig müde getanzt, gewälzt und geschrieen
hatten.

»Na, denn, hoffe, nun seid Ihr fertig,« sagte Tante Chloë, die
inzwischen ein aus einem rohen Kasten bestehendes Rollbett hervorgezogen
hatte; »nun, Mose und Pete, hier hinein, denn wir haben jetzt
Betstunde.«

»O Mutter, noch nicht. Wir wollen mit in Betstunde, -- Betstunde ist so
komisch, -- wir gern in Betstunde.«

»Ah was, Tante Chloë, schieb's wieder hinunter, und laß sie mit
aufbleiben,« sagte Master Georg mit Bestimmtheit, der rohen Maschine
einen Stoß gebend.

Nachdem Tante Chloë auf diese Weise den Schein gewahrt hatte, schien sie
höchlich erfreut, den Kasten wieder bei Seite schieben zu können, indem
sie sagte: »Gut, vielleicht thut's ihnen gut!«

Nunmehr löste sich das Haus in eine Comite auf, um die Vorbereitungen
und Vorrichtungen für die Betstunde zu berathschlagen.

»Wo nun Stühle her bekommen, ich weiß wahrlich nicht,« sagte Tante
Chloë.

Da die Betstunde seit längerer Zeit regelmäßig jede Woche bei Onkel Tom
gehalten worden war, ohne Hülfe von mehr »Stühlen,« so war einige
Aussicht vorhanden, daß sich gegenwärtig vielleicht ein Ausweg finden
lassen werde.

»Onkel Pete hat beide Beine von der alten Stuhl abgesungen -- vorige
Woche,« bemerkte Mose.

»Du geh! weiß gewiß, Du hast sie abgebrochen, selbst,« sagte Tante
Chloë, »so einer von Deinen Streichen.«

»Aber er steht noch,« sagte Mose, »wenn er nur an der Wand stehen
bleibt.«

»Denn Onkel Pete muß nicht sitzen drin, denn er rückt immer, wenn er
anfängt singen. Einen Abend er beinahe durch das ganze Zimmer gerückt,«
sagte Pete.

»Ho, denn lass' ihn sitzen drin,« sagte Mose, »und denn er wird
anfangen: >O Heilige und Sünder kommt --< und denn bricht er ein;« --
und Mose ahmte dabei den näselnden Ton des alten Mannes genau nach und
wälzte sich zugleich an der Erde, um ein Bild der zu erwartenden
Katastrophe zu geben.

Während Mose und Pete dies zwischen sich verhandelten, waren zwei leere
Fässer in die Hütte gerollt worden, und nachdem beide durch an die
Seiten gelegte Steine einen festen Stand bekommen hatten, wurden Bretter
darüber gelegt, so daß durch diese Vorrichtung, mit Hülfe
verschiedentlicher umgestülpter Eimer und anderer ähnlicher Hausgeräthe,
die Vorbereitungen beendigt waren.

»Master Georg liest die Bibel so wunderschön, na, ich weiß, er wird doch
hier bleiben, und uns was lesen,« sagte Tante Chloë, -- »ich dächte,
s'wäre gleich viel mehr interessant.«

Georg bequemte sich sehr gern dazu, denn welcher Knabe ist nicht jeder
Zeit zu Allem bereit, was ihm eine Art Wichtigkeit verleiht. Das Zimmer
füllte sich bald mit einer gemischten Versammlung vom alten, greisen
achtzigjährigen Patriarchen bis zum jungen Mädchen und dem
fünfzehnjährigen Buben hinab, von denen Mehrere nachbarlichen Familien
angehörten und Erlaubniß erhalten hatten, dieser Versammlung
beizuwohnen.

Nach einer einleitenden Unterhaltung über die verschiedenartigsten
Gegenstände, je nachdem sie gerade die Interessen der anwesenden
Andächtigen berührten, begann zum augenscheinlichen Ergötzen Aller der
Gesang. Selbst die störende Einwirkung der näselnden Töne konnte den
mächtigen Eindruck der natürlich schönen Stimmen in Gesängen, die
zugleich lebhaft und geistig waren, nicht vernichten. Der Text war
zuweilen der wohlbekannter gewöhnlicher Kirchenhymnen, und zuweilen von
einem unbestimmteren, milderen Charakter, wie er namentlich in den
freien Brüderversammlungen zu hören ist.

In vielen dieser Gesänge kamen wiederholte Beziehungen auf »die Ufer des
Jordan«, »die Felder Canaan's« und »das neue Jerusalem« vor; denn der
Geist des Negers, von Natur mit Leidenschaftlichkeit und
Einbildungskraft begabt, wählt sich Hymnen und Ausdrücke eines
lebhaften, malerischen Charakters; und während die Anwesenden sangen,
lachten Einige derselben, und Andere weinten, und noch Andere schlugen
die Hände zusammen, oder drückten sich die Hände in Entzückung, als wenn
sie schon glücklich am jenseitigen Ufer des Flusses angelangt wären.

Master Georg las auf Verlangen die letzten Kapitel der Offenbarung,
wobei er oft durch Ausrufungen wie: »O hört nur das!« »O denkt an das!«
»Wird das nicht alles geschehen?« u. s. w. unterbrochen wurde.

Georg, der ein aufgeweckter Knabe, und in religiösen Gegenständen von
seiner Mutter wohl unterrichtet worden war und sich hier ein Gegenstand
allgemeiner Bewunderung sah, warf von Zeit zu Zeit Erklärungen seiner
eignen Eingebung mit hinein, natürlich mit dem erforderlichen Ernste und
der nöthigen Würde, wofür er von den Alten gesegnet und von den Jungen
bewundert wurde; und Alle stimmten endlich darin überein, daß »ein
Geistlicher es nicht besser auslegen könne, als er,« und daß »es
wirklich zum Erstaunen sei!«

Onkel Tom galt in der ganzen Nachbarschaft als eine Art Patriarch in
religiösen Gegenständen. Da in seinem Geiste, vermöge natürlicher
Anlage, das moralische Gefühl vorherrschend war, und da sein Geist einen
größeren Umfang und größere Bildung besaß, als seine Gefährten sich
dessen zu rühmen vermochten, so wurde er von Allen mit großer Achtung
und als eine Art Geistlicher angesehen; und der einfache, herzliche,
aufrichtige Ausdruck seiner Ermahnungen hätte vielleicht selbst höher
gebildete Personen erbauen können. Aber es war namentlich die Art des
Gebets, worin er sich auszeichnete. Nichts konnte die rührende
Einfachheit, die kindliche Begeisterung seines Gebetes übertreffen, so
getreu gehalten in der Sprache der Bibel, die ein so integrirender Theil
seines Wesens geworden zu sein schien, daß sie unwillkührlich seinen
Lippen entfloß. Er betete in der Ausdrucksweise eines frommen, alten
Negers »gerade hinauf.« Und einen solchen Eindruck äußerte stets sein
Gebet auf die Empfindungen der Andacht unter seiner Zuhörerschaft, daß
oft Gefahr drohte, es möchte ganz verloren gehen unter dem Ausbruche der
Gefühle und Antworten von allen Seiten.

                         -------------------------

Während sich diese Scene in der Hütte des Sklaven zutrug, fand eine
davon sehr verschiedene in dem Salon des Herrn statt.

Der Sklavenhändler und Mr. Shelby saßen wieder in dem früher erwähnten
Eßzimmer beisammen, an einem Tische, der mit Papieren und
Schreibmaterialien bedeckt war.

Mr. Shelby war beschäftigt, verschiedene Packete Wechsel zu überzählen
und zu überrechnen, und schob sie sodann zu dem Händler hinüber, der sie
ebenfalls nachzählte.

»Alles richtig,« sagte der Händler; »nun also =unterzeichnen= diese da!«

Mr. Shelby zog hastig die Verkaufsbriefe an sich und unterzeichnete sie,
wie ein Mann, der über ein unangenehmes Geschäft hinwegeilt, und schob
sie sodann mit dem Gelde zur andern Seite hinüber. Haley zog hierauf aus
einer stark abgenutzten Brieftasche ein Pergament hervor, welches er,
nachdem er es zuvor überblickt hatte, an Mr. Shelby aushändigte, der es
mit einer Bewegung unterdrückten Eifers an sich nahm.

»Wohl, die Sache ist =gemacht=,« sagte der Händler aufstehend.

»Ist =abgemacht=!« sagte Mr. Shelby in sinnendem Tone und wiederholte
nach einem langen und tiefen Athemzuge: »ist =abgemacht=!«

»Ihr scheint mir nicht sonderlich damit zufrieden zu sein,« sagte der
Händler.

»Haley,« sagte Mr. Shelby, »ich hoffe, Ihr werdet nicht vergessen, was
Ihr mir auf Eure Ehre versprochen habt, daß Ihr nämlich den Tom nicht
verkaufen wollt, ohne vorher zu wissen, in was für Hände er geht.«

»Warum? Ihr habt jetzt gerade dasselbe gethan,« sagte der Händler.

»Umstände, wie Ihr wohl wißt, nöthigten mich,« sagte Shelby in stolzem
Tone.

»Wohl, sehet, die können mich auch nöthigen,« sagte der Händler. »Indeß,
will mein Bestes thun, ihm 'ne gute Koje zu verschaffen; -- und was mich
betrifft, so braucht Ihr nicht besorgt zu sein, daß ich ihn schlecht
behandele. Wenn's etwas in der Welt gibt, wofür ich dem Herrn dankbar
bin, so ist's, daß ich nicht grausam bin.«

Nach den Erläuterungen, welche der Händler zuvor über die Principien
seiner Menschlichkeit gegeben hatte, fühlte sich Mr. Shelby durch diese
Erklärungen nicht sonderlich beruhigt; allein da sie die einzige
Beruhigung waren, die er finden konnte, so ließ er den Händler
schweigend gehen und suchte Zerstreuung in einer einsamen Cigarre.



Fünftes Kapitel.

Die Gefühle lebenden Eigenthums unter wechselnden Besitzern.


Mr. und Missis Shelby hatten sich am Abend in ihr Zimmer zurückgezogen.
Er streckte sich in einem großen, bequemen Armstuhle und las einige
Briefe, die mit der Nachmittagspost angekommen waren, während sie vor
dem Spiegel stand und die verwickelten Flechten und Locken wieder glatt
bürstete, welche Elisa zuvor gemacht hatte; denn als ihr die bleichen
Wangen und verweinten Augen derselben zu Gesicht gekommen waren, hatte
sie sie von ihren Dienstgeschäften für diesen Abend entbunden und sie zu
Bett geschickt. Ihre gegenwärtige Beschäftigung erinnerte unwillkührlich
an die Unterhaltung dieses Morgens mit ihrer Dienerin. Indem sie sich
deßhalb zu ihrem Manne umwandte, sagte sie nachlässig:

»Sage mir doch, lieber Arthur, wer war denn der ordinaire Mensch, den
Du heut an unsern Mittagstisch zogst?«

»Haley ist sein Name,« sagte Shelby, sich unbehaglich in seinem Stuhle
umwendend und seine Augen unverwandt auf den Brief gerichtet haltend.

»Haley! Bitte, sage mir, was ist er denn? und was mag er denn nur für
Geschäfte hier gehabt haben?«

»Nun, s'ist ein Mann, mit dem ich einige Geschäfte gemacht hatte, als
ich zum letzten Male in Natchez war,« sagte Mr. Shelby.

»Und deßhalb machte er sich's hier so bequem und kam und lud sich zum
Mittagessen ein, -- ja?«

»Nein, ich lud ihn ein; ich hatte einige Rechnungen mit ihm abzumachen,«
sagte Shelby.

»Ist er ein Sklavenhändler?« fragte Mrs. Shelby, eine gewisse
Verlegenheit im Wesen ihres Mannes erkennend.

»Warum, mein Kind, was bringt Dich denn auf die Frage?« sagte Mr. Shelby
aufblickend.

»O nichts, -- nur, Elisa kam heut nach Tische weinend und in größter
Verzweiflung zu mir und sagte, Du sprächest mit einem Händler und sie
habe ihn gehört Dir ein Gebot für ihren Jungen machen, -- das alberne
Gänschen!«

»So?« sagte Mr. Shelby, wieder auf seinen Brief blickend, der einige
Augenblicke lang seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen
schien, obgleich er nicht bemerkte, daß er ihn verkehrt in der Hand
hielt.

»Es muß heraus, jetzt oder später,« sagte er im Geiste zu sich.

»Ich sagte Elisa,« bemerkte Mrs. Shelby, während sie fortfuhr, ihr Haar
zu bürsten, »daß sie eine Närrin sei, sich solche Angst zu bereiten, und
daß Du nie irgend etwas mit solchen Menschen zu thun habest. Ich wußte
ja, daß Du nie die Absicht hattest, irgend einen unserer Leute zu
verkaufen, -- am wenigsten an solchen Menschen.«

»Richtig, Emilie,« sagte der Mann, »so habe ich immer gedacht und
gesagt; allein die Sache ist, meine Verhältnisse sind jetzt von der Art,
daß ich jetzt nicht mehr umhin kann. Ich werde einige meiner Leute
verkaufen müssen.«

»An dieses Geschöpf? Unmöglich! Shelby, das kann nicht Dein Ernst sein.«

»Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß es wirklich mein Ernst ist,«
sagte Mr. Shelby. »Ich habe mich dazu verstanden, Tom zu verkaufen.«

»Was? unsern Tom? -- dieses gute, treue Geschöpf! -- ist Dein treuer
Diener von seiner Kindheit an gewesen! -- O Shelby! -- und Du hast ihm
außerdem die Freiheit versprochen, -- Du und ich, wir haben hundertmal
mit ihm davon gesprochen. -- Wohl, nun kann ich Alles glauben, -- =nun=
kann ich auch glauben, daß Du den kleinen Harry, das einzige Kind der
armen Elisa, verkaufen könntest!« sagte Mrs. Shelby in einem Tone, der
eine Mischung von Kummer und Unwillen verrieth.

»Wohl, da Du doch einmal Alles wissen mußt, -- es ist so. Ich habe
versprochen, Tom und Harry zu verkaufen; und ich sehe nicht ein, weßhalb
ich um einer Handlung willen für ein Ungeheuer gehalten werden soll, die
von Andern jeden Tag verübt wird.«

»Aber warum unter Allen grade diese wählen?« sagte Mrs. Shelby, »wenn Du
überhaupt verkaufen mußt.«

»Weil diese die höchste Summe von Allen einbringen, -- das ist der
Grund. Ich hätte allerdings noch eine andere Wahl treffen können, wenn
Du so willst. Der Kerl machte mir ein hohes Gebot für Elisa. Hätte Dir
das besser zugesagt?«

»Der Elende!« sagte Mrs. Shelby mit Heftigkeit.

»Ich habe ihn natürlich keinen Augenblick angehört; -- aus Rücksicht
für Dich wollte ich nicht. Laß mir also wenigstens so viel Gerechtigkeit
widerfahren.«

»Mein Lieber,« sagte Mrs. Shelby sich sammelnd, »verzeihe mir. Ich war
überrascht, und gänzlich unvorbereitet für diese Nachrichten; aber gewiß
wirst Du mir erlauben, ein Fürwort für diese armen Geschöpfe einzulegen.
Tom ist ein edelherziger, treuer Mensch, wenn er auch schwarz ist. Ich
glaube, Shelby, daß, wenn es nöthig wäre, er sogar willig sein Leben für
Dich hingeben würde.«

»Ich weiß es, -- ich glaube es, -- aber was hilft das alles? Ich kann
mir nicht anders helfen!«

»Warum nicht ein Opfer in Geld bringen? Ich will gern meinen Theil daran
tragen. O, Shelby, ich habe mich bemüht, -- gewissenhaft bemüht, wie
eine Christin soll, -- meine Pflichten gegen diese armen, einfachen,
abhängigen Geschöpfe zu erfüllen. Ich habe für sie gesorgt, sie
unterrichtet, über sie gewacht, und alle ihre kleinen Sorgen und Freuden
seit Jahren gekannt; und wie kann ich jemals wieder meinen Kopf unter
ihnen aufrichten, wenn wir, um eines kleinen, erbärmlichen Gewinnes
willen, ein so treues, vortreffliches, vertrauungsvolles Wesen, wie den
armen Tom, verkaufen, und in einem Augenblick ihn von Allem losreißen,
was wir ihn schätzen und lieben gelehrt haben? Ich habe ihnen die
Pflichten der Familie gelehrt, der Eltern und der Kinder, des Gatten und
des Weibes; und wie kann ich den Gedanken tragen, öffentlich anerkennen
zu müssen, daß wir, sobald es sich um den Werth des Geldes handelt,
keine Pflicht und kein Band ehren, wie heilig es auch immer sein möge.
Ich habe mit Elisa über ihren Knaben gesprochen, -- über ihre Pflicht
gegen ihn als eine christliche Mutter über ihn zu wachen, für ihn zu
beten, und ihn nach christlichen Grundsätzen zu erziehen; und was soll
ich nun sagen, wenn Du ihn von ihr reißest, und ihn verkaufst, Seele und
Leib, an einen gemeinen Menschen ohne alle Grundsätze, -- nur um etwas
Geld zu gewinnen? Ich habe ihr gesagt, daß eine menschliche Seele mehr
werth sei, als alles Geld in der Welt: und wie kann sie nun meinen
Worten Glauben schenken, wenn sie uns, im Widerspruche hiermit, ihr Kind
verkaufen sieht, -- vielleicht zu seinem sichern Ruine an Leib und
Seele!«

»Es thut mir leid, daß Du Dir das so sehr zu Herzen nimmst, Emilie, --
wahrlich,« sagte Mr. Shelby, »und ich ehre Deine Empfindungen, wenn ich
sie auch nicht in ihrer ganzen Ausdehnung theile, aber ich versichere
Dir heilig, daß es nichts nützt, -- ich kann mir nicht anders helfen. Es
war nicht meine Absicht, Dir dies zu sagen; aber, um die reine Wahrheit
zu gestehen, es bleibt mir keine andere Wahl, als entweder diese Beiden
oder -- Alles zu verkaufen. Haley ist in den Besitz einer Hypothek
gekommen, welche, wenn ich sie nicht unverzüglich abzahle, Alles
verschlingt. Ich habe zusammengescharrt und gekratzt, was möglich war,
ich habe geborgt und Alles gethan, nur nicht gebettelt, und der Preis
für diese Beiden war grade noch nöthig, um das Fehlende zu decken, und
so mußte ich sie dran geben. Haley hatte an dem Kinde Gefallen gefunden,
und wollte auch kein anderes Arrangement eingehen. Ich war in seiner
Gewalt und mußte es thun. Wenn es Dir so nahe geht, diese verkauft zu
sehen, würde es besser sein, wenn Alle verkauft würden?«

Mrs. Shelby stand wie vom Schlage gerührt. Endlich, sich wieder zu ihrer
Toilette wendend, bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und seufzte
tief.

»Das ist der Fluch der Sklaverei! -- Ein Fluch für den Herrn wie für den
Sklaven! Ich war eine Thörin zu glauben, daß ich aus einem so tödtlichen
Uebel noch etwas Gutes bilden könne. Es ist eine Sünde, unter Gesetzen,
wie die unsrigen sind, Sklaven zu halten; ich fühlte das immer, -- ich
dachte das immer, als ich noch ein Mädchen war, -- ich fühlte es noch
mehr, als ich in den Kirchenverband getreten war; aber ich dachte, ich
könne es mit Gold überziehen, ich könne durch Güte, Sorgfalt und
Belehrung das Verhältniß der Meinigen besser machen, als es in der
Freiheit sein würde, -- Thörin, die ich war!«

»Aber Weib, Du wirst ja ein vollständiger Abolitionist.«

»Abolitionist! Wenn Jene von der Sklaverei so viel wüßten wie ich, so
möchten sie reden. Wir bedürfen ihrer nicht. Du weißt, daß ich Sklaverei
nie gebilligt habe, -- daß ich nie gewünscht habe, Sklaven zu besitzen.«

»Ja, in diesem Punkte bist Du verschiedener Meinung von vielen weisen
und gelehrten Männern,« sagte Mr. Shelby. »Erinnerst Du Dich an Mr.
B...'s Predigt, vor einigen Wochen?«

»Ich will solche Predigten nicht hören; ich mag Mr. B. nie wieder in
unserer Kirche hören. Geistliche können dem Uebel vielleicht nicht
abhelfen, -- können es nicht heilen, so wenig wie wir, -- aber es
vertheidigen! -- das ging immer gegen meinen Verstand. Und ich glaube,
Du selbst hast auch von der Predigt nicht viel gehalten!«

»Ich muß gestehen,« sagte Mr. Shelby, »diese Geistlichen treiben die
Sache zuweilen noch weiter, als wir armen Sünder es thun würden. Wir
Weltmenschen müssen gewaltig oft ein Auge zudrücken, und uns an Manches
gewöhnen, was nicht ganz in Ordnung ist; aber wir mögen's nicht leiden,
wenn Weiber und Geistliche groß und breit auftreten und in solchen
Dingen noch weiter gehen als wir. Aber nun, meine Liebe, hoffe ich, hast
Du die Nothwendigkeit eingesehen, und Dich überzeugt, daß ich das Beste
gethan habe, was die Umstände zuließen.«

»O ja, ja,« sagte Mrs. Shelby hastig und zerstreut, ihre goldene Uhr in
der Hand wiegend, und fügte sodann nach einer Pause gedankenvoll hinzu:
-- »ich besitze keine Juwelen von einigem Werthe, aber -- würde diese
Uhr nicht vielleicht etwas nützen? -- sie war sehr theuer, als sie
gekauft wurde. Wenn ich nur wenigstens Elisa's Kind retten könnte, so
würde ich gern Alles opfern, was ich habe.«

»Es thut mir leid, sehr leid, Emilie,« sagte Mr. Shelby, »daß Dir dies
so sehr zu Herzen geht; aber es hilft nichts. Die Sache ist, Emilie,
Alles ist bereits abgemacht; die Verkaufsscheine sind bereits
unterschrieben und in Haley's Händen, und Du mußt Gott danken, daß es
nicht noch schlimmer ist. Der Mann hatte es in seiner Gewalt, uns alle
zu Grunde zu richten, -- und nun sind wir ihn glücklich los. Wenn Du den
Mann kenntest, wie ich ihn kenne, so würdest Du einsehen, daß wir einer
großen Gefahr entgangen sind.«

»Ist er denn so hartherzig?«

»Nicht hart und grausam grade, aber ein Mensch wie Leder, -- ein Mensch,
der für nichts Anderes lebt, als für Handel und Gewinn, -- kalt und ohne
Bedenken, und unerbittlich wie Tod und Grab. Er würde für einen guten
Gewinn seine eigne Mutter verkaufen, -- ohne dabei der alten Frau
irgendwie Uebles zu wünschen.«

»Und diesem Elenden gehören der gute, treue Tom, und Elisa's Kind!«

»In der That, meine Liebe, dies liegt mir schwer auf dem Herzen, -- ich
kann nicht daran denken. Haley will die Sache schnell betrieben haben,
und schon morgen Besitz ergreifen. Ich werde mein Pferd aus dem Stalle
nehmen, bei guter Zeit, und mich auf und davon machen. Ich kann Tom
nicht sehen, das ist gewiß; und Du thätest auch am besten, wenn Du eine
Fahrt irgendwohin unternähmest, und Elisa mit Dir führtest. Laß die
Sache abgemacht werden, während sie aus dem Wege ist.«

»Nein,« sagte Mrs. Shelby, »ich will auf keine Weise Mitschuldige oder
Mithelferin in diesem grausamen Geschäfte sein. Ich will den armen,
alten Tom sehen, und möge Gott ihm Kraft geben in seinem Unglück! Sie
sollen wenigstens sehen, daß ihre Herrin für sie und mit ihnen fühlen
kann. Was Elisa betrifft, so wage ich nicht an sie zu denken! -- Gott
sei uns gnädig! Was haben wir denn gethan, daß diese grausame
Nothwendigkeit über uns kommen muß?« --

Es gab einen Zuhörer dieser Unterhaltung, an den Mr. und Mrs. Shelby
wenig dachten.

In Verbindung mit dem Zimmer, in welchem sich Beide befanden, stand ein
geräumiges Kabinet, welches nach dem äußeren Gange führte. Als Elisa von
Mrs. Shelby für den Abend entlassen worden war, hatte ihr fieberhaft
aufgeregter Geist sie an dieses Kabinet erinnert, und sie hatte sich
dort versteckt, und mit fest gegen die Spalte der Thüre gedrücktem Ohre
kein Wort der ganzen Unterhaltung verloren.

Als die Stimmen allmählig erstarben, schlich sie leise davon. Blaß,
fröstelnd, mit starren Zügen und zusammengepreßten Lippen, schien aus
dem zarten, furchtsamen Geschöpfe, was sie bisher gewesen war, ein ganz
anderes Wesen geworden zu sein. Sie schlich vorsichtig den Flur entlang,
hielt einen Augenblick an der Zimmerthür ihrer Herrin an, hob ihre Hände
auf wie in stummem Rufe zum Himmel, und schlich dann in ihr eignes
Zimmer. Es war ein stilles, reinliches Gemach, auf demselben Flure mit
dem Zimmer ihrer Herrin belegen. Hier war das freundliche, sonnige
Fenster, wo sie so oft singend, mit ihrer Näherei beschäftigt, gesessen
hatte; dort stand eine kleine Büchersammlung, vor der verschiedene
kleine Schmuckartikel, Geschenke des Weihnachtsfestes, in sorgfältiger
Ordnung lagen; hier befand sich ihre einfache Garderobe, im Wandschranke
und in der Kommode; hier, mit einem Worte, war ihre Heimath, die im
Ganzen genommen bisher eine glückliche gewesen war. Aber dort, auf dem
Bette, lag ihr schlummerndes Kind, dessen lange Locken nachlässig um
seine bewußtlosen Züge fielen, während sein rosiger Mund halb geöffnet
war, seine kleinen, fetten Hände ausgestreckt auf der Bettdecke lagen,
und ein Lächeln, gleich einem Sonnenstrahle, sich über das ganze Gesicht
breitete.

»Armes Kind! armes Wesen!« sagte Elisa, »sie haben Dich verkauft! aber
Deine Mutter will Dich dennoch retten!«

Keine Thräne fiel auf das Kissen; in solchen Momenten hat das Herz keine
Thränen; -- es tröpfelt nur Blut, bis es sich still und schweigend
ausgeblutet hat. Sie ergriff ein Blatt Papier und Bleifeder, und schrieb
eilig folgende Worte:

»O Mistreß! theure Mistreß! halten Sie mich nicht für undankbar, --
denken Sie nicht zu hart von mir, -- ich habe Alles gehört, was Sie heut
Abend mit dem Herrn gesprochen haben. Ich will es versuchen, mein Kind
zu retten, -- Sie werden mich nicht verdammen! Gott segne Sie, und lohne
Ihnen alle Ihre Güte!«

Nachdem sie dieses Blatt hastig zusammengelegt und addressirt hatte,
öffnete sie eine Kommode, und legte ein kleines Packet Kleidungsstücke
für das Kind zurecht, welches sie mittelst eines Taschentuches fest um
ihren Leib band; und so zärtlich ist die Sorge einer Mutter, daß sie
selbst in den Schrecken dieser Stunde nicht vergaß, ein oder zwei
Lieblingsstücke seines Spielzeugs mit in das Packet zu legen, während
sie einen bunt gemalten Papagei zurückbehielt, um ihn damit zu
unterhalten, wenn sie ihn aufwecken mußte. Es kostete einige Mühe, den
kleinen Schläfer zu ermuntern; allein nach einigen Versuchen saß er im
Bette auf, und spielte mit seinem Vogel, während seine Mutter sich den
Hut aufsetzte und das Tuch umhing.

»Wo willst Du hingehen, Mutter?« fragte er, als sie sich mit seinem
Röckchen und seiner Mütze dem Bette näherte.

Seine Mutter kam dicht zu ihm heran, und sah ihm so ernst in die Augen,
daß er sogleich merkte, daß etwas Ungewöhnliches vorgehen müsse.

»Still, Harry,« sagte sie, »Du mußt nicht laut sprechen, oder sie hören
uns. Ein böser Mann ist gekommen, um den kleinen Harry seiner Mutter
wegzunehmen, und im Dunkeln fortzutragen; Mutter aber will ihn nicht
lassen, -- Mutter will ihrem kleinen Harry das Röckchen anziehen und die
Mütze aufsetzen, und mit ihm davon laufen, so daß der böse Mann ihn
nicht fangen kann.«

Während dieser Worte hatte sie dem Kinde die einfache Kleidung angelegt,
und ihn in ihre Arme genommen, und indem sie ihm zuflüsterte, recht
still zu sein, öffnete sie eine Thüre ihres Zimmers, welches in die
äußere Veranda führte, und schlich leise hinaus.

Es war eine sternhelle, kalte Nacht, und die Mutter schlug ihr Tuch so
dicht wie möglich um das Kind, welches von dumpfen Schrecken ganz still
geworden war, und sich ängstlich um ihren Hals klammerte.

Der alte Bruno, ein großer Neufundland-Hund, welcher am Eingange des
Portals schlief, erhob sich mit leisem Geknurre, als sie sich ihm nahte.
Sie rief jedoch freundlich seinen Namen, worauf das Thier, ihr alter
Spielgefährte, augenblicklich zu wedeln und ihr zu folgen begann,
obgleich er in seinem schlichten Kopfe mit großem Bedenken zu erwägen
schien, was diese nächtliche Promenade zu bedeuten haben möge; denn
mehrmals stand er still, und blickte außerordentlich ernsthaft erst nach
Elisa und dann nach dem Hause, bis er endlich, wie durch Nachdenken
beruhigt, ihr weiter nachtrabte. Wenige Minuten brachten sie an das
Fenster von Onkel Tom's Hütte, wo Elisa still stand und leise an die
Scheibe klopfte.

Die Betstunde bei Onkel Tom war durch Absingen mehrerer Hymnen bis zu
einer späten Stunde ausgedehnt worden; und da Onkel Tom nach derselben
noch zu seiner eigenen Erbauung einige lange Solos unternommen hatte,
so war die Folge davon, daß, obgleich es jetzt zwischen zwölf und ein
Uhr war, er und seine würdige Ehehälfte noch nicht schliefen.

»Guter Gott! was ist das?« sagte Tante Chloë, aufspringend und hastig
den Fenstervorhang wegziehend. »Meiner Seel! ist's nicht Lizy! Zieh Dich
an, Alter, schnell! -- da ist Bruno auch, der herumwedelt; was in aller
Welt! Ich will die Thür aufmachen.«

Wie gesagt, so geschehen. Die Thüre flog auf, und der Schein des
Talglichtes, welches Tom in der Eile angezündet hatte, fiel auf das
bleiche Gesicht und die dunklen, wilden Augen des Flüchtlings.

»Gott helf! -- Ich fürchte mich, Dich anzusehen, Lizy! Bist Du so krank,
oder was ist vorgegangen mit Dir?«

»Ich will entfliehen, Onkel Tom und Tante Chloë, -- und mein Kind mit
mir nehmen, -- Master hat es verkauft!«

»Verkauft?« riefen Beide einstimmig, ihre Hände vor Schrecken aufhebend.

»Ja verkauft,« sagte Eliza mit fester Stimme. »Ich kroch diesen Abend in
das Kabinet an Mistreß's Thür, und hörte, wie der Herr ihr erzählte, daß
er meinen Harry und Euch, Onkel Tom, an einen Händler verkauft habe; und
daß er diesen Morgen fort reiten wolle, und daß der Händler heut' Besitz
ergreifen wolle.«

Tom hatte während dieser Rede mit aufgehobenen Händen und aufgerissenen
Augen wie ein Träumender da gestanden. Langsam und allmählig, wie er die
Bedeutung begriff, sank er in seinem alten Stuhl zusammen, und ließ sein
Haupt auf das Knie herabfallen.

»Der gute Gott sei uns barmherzig!« sagte Tante Chloë. »O, es scheint
mir, es kann nicht wahr sein! Was hat er denn gethan, daß der Herr =ihn=
verkaufen sollte?«

»Nichts hat er gethan, -- es ist nicht deßwegen. Master verkauft ihn
nicht gern; und Mistreß, -- ach, sie ist immer gut. Ich hörte, wie sie
für uns stritt und bat; aber er sagte ihr, daß Alles vergeblich sei, daß
er in der Schuld dieses Mannes sei, und daß dieser Mann ihn in seiner
Gewalt habe; und daß, wenn er ihn nicht rein ausbezahle, es damit enden
müsse, daß das ganze Gut mit allen Leuten verkauft würde, und er
fortziehen müsse. Ja, ich hörte ihn deutlich sagen, daß er keine andere
Wahl habe, als entweder diese beiden oder Alles zu verkaufen, weil der
Mann ihn so hart dränge. Master sagte, es thäte ihm leid; aber o!
Missis, -- Ihr hättet sie sprechen hören sollen! Wenn sie keine Christin
und kein Engel ist, so hat es nie einen gegeben. Ich bin ein schlechtes
Weib, daß ich sie so verlasse, aber ich kann nicht anders. Sie sagte
selbst, eine Seele sei mehr werth als die Welt, -- und dieser Knabe hat
eine Seele; und wenn ich ihn fortschleppen lasse, wer kann dann wissen,
was daraus wird? Es muß recht sein; -- aber wenn es unrecht ist, so mag
Gott mir verzeihen, denn ich kann nicht anders!«

»Nun, Alter,« sagte Tante Chloë, »warum gehst Du nicht auch? Willst Du
warten, bis Du den Fluß 'nuntergeschleppt wirst, wo sie Niggers tödten
mit schwerer Arbeit und Hungerleiden? Ich wollte viel, viel lieber
sterben, als dahin gehen, jemals! S' ist noch Zeit, -- mach' fort mit
Lizy, -- Du hast 'nen Paß zu kommen und zu gehen, alle Zeit. Komm',
mach' auf, -- ich will Deine Sachen zusammen suchen.«

Tom hob langsam seinen Kopf auf, und blickte kummervoll und gefaßt um
sich und sagte:

»Nein, nein, -- ich will nicht gehen. Laß' Elisa gehen, -- sie hat
recht! Ich wollte nicht der Eine sein, zu sagen, nein -- 's ist nicht in
=Natur= für sie, zu bleiben; aber Du hast gehört, was sie sagte! Wenn
ich verkauft werden muß, oder alles Volk auf dem Gute, und Alles geht
zu Grunde, nun -- so laßt mich verkauft werden. Denke, kann's tragen so
gut wie Einer,« fügte er hinzu, während ein Seufzer und eine Art
Schluchzen seine breite, rauhe Brust convulsivisch erschütterte. --
»Master hat mich immer am Platze gefunden, -- er soll es immer. Ich habe
nie mein Wort gebrochen, -- und nie meinen Paß nirgend gegen mein
Versprechen gebraucht, und will es nimmer. S' ist besser, daß ich allein
gehe, als daß Alles genommen und verkauft wird. Master ist nicht zu
tadeln, Chloë, und er wird sorgen für Dich und die armen --«

Hier wandte er sich zu dem breiten Rollbett um, welches voll von
kleinen, wolligen Köpfen lag, und brach gänzlich zusammen. Er lehnte
über dem Rücken eines Stuhles, und bedeckte sein Gesicht mit seinen
großen Händen. Schweres und tiefes Stöhnen machte den Stuhl unter ihm
wanken, und große und schwere Thränen fielen durch seine Finger auf den
Fußboden; grade solche Thränen, Mann, wie Du über dem Sarge Deines
Erstgeborenen weintest; solche Thränen, Weib, wie Deinem Auge
entströmten, als Du das Schreien Deines sterbenden Säuglings hörtest.
Denn, Herr, er war ein Mann, und Du bist auch nur einer; -- und, Weib,
wenn gleich mit Seide und Juwelen bedeckt, bist Du doch nur ein Weib,
und in des Lebens schweren Stunden fühlt Ihr beide denselben Schmerz!

»Und nun noch,« -- sagte Elisa, während sie in der Thür stand, »ich sah
und sprach noch diesen Nachmittag meinen Mann, als ich keine Ahnung von
dem hatte, was kommen würde. Sie haben ihn ganz niedergetreten, und er
sagte mir heut', daß er entfliehen wolle. Bitte, seht zu, ihm Nachricht
zu geben. Sagt ihm, wie ich gegangen bin, und warum; und sagt ihm, daß
ich versuchen wolle, Canada zu erreichen. Ihr müßt ihm meinen Gruß
bringen, und ihm sagen, im Fall ich ihn nie wieder sehen sollte,« --
hier wandte sie sich um, und stand einen Augenblick lang Jenen mit dem
Rücken zugewandt; dann fügte sie mit heiserer Stimme hinzu: »ihm sagen,
daß er immer gut sein möge, -- um mich im Himmel wieder zu sehen.«

»Ruft Bruno herein,« fügte sie hinzu. »Macht die Thür vor ihm zu, gutes
Thier! Er darf nicht mit mir gehen!«

Einige Worte und Thränen noch, ein einfaches Lebewohl, und ihr
verwundertes, erschrecktes Kind in ihre Arme drückend, schlich sie leise
davon.



Sechstes Kapitel.

Die Entdeckung.


Mr. und Mrs. Shelby fanden in Folge der langen Besprechung am Abend
nicht sehr bald ihren Schlaf, und schliefen deßhalb am nächsten Morgen
etwas länger als gewöhnlich.

»Ich wundre mich, wo Elisa bleibt,« sagte Mrs. Shelby, nachdem sie die
Glocke mehrmals vergeblich gezogen hatte.

Mr. Shelby stand vor seinem Toilettenspiegel, und wetzte sein
Rasirmesser, und grade in diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und
ein farbiger Knabe brachte das Rasirwasser herein.

»Andy,« sagte seine Mistreß, »geh' an Elisa's Thür, und sage ihr, daß
ich schon dreimal geschellt habe. Armes Wesen!« fügte sie seufzend
hinzu.

Andy kehrte bald zurück, aber mit Augen, die vor Erstaunen weit
aufgerissen waren.

»O Missis! Lizy's Kommode ist alles offen, und ihre Sachen alles umher,
-- und ich glaube, sie ist davon!«

Mr. Shelby und seine Frau erkannten in demselben Moment, was geschehen
war. Er rief: »Dann hat sie Verdacht geschöpft, und ist fort!«

»Gott sei gedankt!« sagte Mrs. Shelby. »Ich hoffe es!«

»Weib, Du sprichst wie eine Thörin! Wahrhaftig, das wird eine schöne
Verlegenheit für mich geben, wenn sie wirklich fort ist. Haley sah, daß
ich zauderte, dieses Kind zu verkaufen, und nun wird er denken, ich habe
mit dazu geholfen, es fortzuschaffen. Das berührt meine Ehre!« Und Mr.
Shelby verließ eiligst das Zimmer.

Nun begann etwa eine Viertelstunde lang ein Laufen und Schreien, und
Thürenauf- und Zumachen, und Gesichter in allen Farben und Schattirungen
wurden an verschiedenen Orten sichtbar. Nur eine Person, die vielleicht
etwas Licht über die Sache hätte verbreiten können, sagte kein Wort, und
das war die oberste Köchin, Tante Chloë. Schweigend und mit einer
finstern Wolke auf ihrem sonst so frohen Gesichte, war sie beschäftigt,
die Zwiebacke für das Frühstück zu rösten, als wenn sie von der
allgemeinen Bewegung um sie her nichts hörte und sähe.

Sehr bald hing etwa ein Dutzend junger farbiger Sprößlinge, gleich
ebenso vielen Krähen, auf dem eisernen Gitter der Veranda, jeder fest
entschlossen, der Erste zu sein, der dem fremden Herrn die Nachricht
bringe.

»Er wird ganz toll werden, mein Seel'!« sagte Andy.

»Wird er nicht =fluchen=?« sagte der kleine schwarze Jack.

»Ja, denn er flucht immer,« sagte die wollköpfige Mandy. »Ich hören ihn
gestern, bei Tische, ich hören denn Alles, weil ich in Missis Kammer
gewesen, wo die großen Töpfe sein, -- da ich Alles hören.« Und Mandy,
die nie zuvor in ihrem Leben an die Bedeutung eines Wortes, welches sie
gehört, mehr gedacht hatte als eine schwarze Katze, gab sich nun das
Ansehen eines besonderen Wissens, und vergaß dabei gänzlich zu erwähnen,
daß, obgleich sie sich zur angegebenen Zeit zusammengekauert in der
Geschirrkammer befunden, sie dort die ganze Zeit fest geschlafen hatte.

Als endlich Haley erschien, gestiefelt und gespornt, wurde er von allen
Seiten mit der bösen Nachricht begrüßt. Die jungen Kobolde an der
Veranda wurden in ihrer Erwartung, ihn »fluchen« zu hören, nicht
getäuscht, denn er that dies mit einer Geläufigkeit, die Alle höchlich
ergötzte, während sie sich duckten und schmiegten, um außerhalb des
Bereiches seiner Reitpeitsche zu sein, und dann, ihn in vollem Chore
verhöhnend, unter endlosem Gelächter in einen Haufen auf dem dürren
Rasen unter der Veranda zusammenfielen, und nach Herzenslust schrieen
und lärmten.

»Wenn ich die kleinen Teufel nur hätte!« murmelte Haley zwischen den
Zähnen.

»Aber Ihr habt sie nicht!« rief Andy mit triumphirendem Lachen hinter
dem Rücken des unglücklichen Händlers her, als dieser entfernt genug
war, um nicht mehr gehört zu werden, und schnitt ihm die abscheulichsten
Gesichter nach.

»Nun wahrhaftig, Shelby, dies ist ein ganz sonderbarer Handel!« sagte
Haley, während er ohne Umstände in dessen Wohnzimmer trat. »Es scheint,
die Dirne ist fort mit ihrem Jungen!«

»Mr. Haley, Mistreß Shelby ist gegenwärtig,« sagte Shelby.

»Ah, ich bitte um Verzeihung, Madame,« sagte Haley, sich ein wenig
verneigend, doch immer noch mit finsterer Stirn; »aber ich muß es noch
'mal sagen, dies ist 'ne sehr sonderbare Nachricht. Ist es wahr, Herr?«

»Mr. Haley,« sagte Shelby, »wenn Sie mit mir zu sprechen wünschen, so
müssen Sie in Ihrem Betragen das Decorum eines Gentleman beobachten.
Andy, nimm dem Herrn den Hut und die Reitpeitsche ab. Setzen Sie sich.
Ja, mein Herr, ich bedaure Ihnen sagen zu müssen, daß das junge
Frauenzimmer, nachdem es entweder unsere Unterhaltung behorcht oder
deren Inhalt auf andere Weise erfahren hat, während der Nacht mit ihrem
Kinde entflohen ist.«

»Ich muß gestehen,« sagte Haley, »ich erwartete hier ehrlichen Handel.«

»Halt, Herr!« sagte Mr. Shelby, sich scharf gegen ihn umwendend, »wie
soll ich diese Bemerkung verstehen? Sobald Jemand meine Ehre in Zweifel
zieht, so habe ich nur =eine= Antwort.«

Diese Worte machten Eindruck auf den Händler und er bemerkte nun mit
gemäßigterer Stimme, daß es verdammt hart für einen Menschen sei, der
sich ehrlich auf einen Handel eingelassen habe, auf diese Weise
hintergangen zu werden.

»Mr. Haley,« sagte Shelby, »wenn ich nicht annähme, daß Sie einigen
Grund zur Unzufriedenheit hätten, so würde ich selbst nicht die rohe und
unhöfliche Weise, mit der Sie diesen Morgen in dieses Zimmer traten,
geduldet haben. Ich muß Ihnen jedoch so viel sagen, da es nothwendig zu
sein scheint, daß ich keine Bemerkungen erlauben werde, die mich einer
Unredlichkeit in diesem Geschäfte beschuldigen. Ueberdies werde ich es
für meine Pflicht halten, Ihnen jeden möglichen Beistand durch Benützung
meiner Pferde, Diener u. s. w. zu leisten. Also mit einem Worte, Haley,«
fügte er, plötzlich aus dem Tone einer gemessenen Kälte in seinen
gewöhnlichen freimüthigen verfallend, hinzu, »das Beste, was Sie thun
können, ist, guter Laune zu bleiben, und mit mir zu frühstücken, und
dann wollen wir sehen, was zu thun ist.«

Nach diesen Worten erhob sich Mrs. Shelby, indem sie erklärte, daß ihre
Geschäfte sie verhinderten, diesen Morgen beim Frühstücke gegenwärtig zu
sein; und nachdem sie sodann eine Mulattin von ganz wohlgefälligem
Aeußern beauftragt hatte, beim Frühstücke den Herren aufzuwarten,
verließ sie das Zimmer.

»Alte Dame -- mag ihren ergebenen Diener nicht leiden, durchaus nicht,«
sagte Haley, mit einiger Anstrengung, einen möglichst vertraulichen Ton
anzunehmen.

»Ich bin nicht gewohnt, von meiner Frau in dieser Weise reden zu hören,«
bemerkte Mr. Shelby trocken.

»Bitte um Verzeihung; natürlich nur Scherz, -- versteht sich,« sagte
Haley, ein Lachen erzwingend.

»Es giebt gewisse Scherze, die nicht angenehm sind,« entgegnete Shelby.

»Verdammt dreist, seit ich die Papiere unterzeichnet habe, -- der Teufel
soll ihn holen!« brummte Haley für sich. »Ganz vornehm seit gestern.«

Nie verursachte der Fall irgend eines Premierministers bei Hofe mehr
Sensation als Tom's Schicksal unter seinen Gefährten auf dem Gute. Es
war der Gegenstand des Gespräches in jedem Munde und überall; und auf
dem Felde wie im Hause geschah fast nichts Anderes als daß die möglichen
Folgen dieses Ereignisses besprochen wurden. Endlich trug Elisa's
Flucht -- ein ganz unerhörter Fall auf dem Gute -- noch dazu bei, die
allgemeine Aufregung zu erhöhen.

Der schwarze Sam, wie er gewöhnlich genannt wurde, weil seine Haut
ungefähr um drei Schatten schwärzer war als die seiner andern
ebenholzfarbigen Brüder auf dem Gute, betrachtete die Sache von allen
Seiten und Gesichtspunkten mit einer Schärfe des Urtheils und einer
Fürsorge für seine eigne Wohlfahrt, die dem besten Patrioten in
Washington Ehre gemacht haben würde.

»Ein böser Wind, das weht hier jetzt, -- das 's gewiß!« sagte Sam mit
geheimnißvoller Miene, während er beschäftigt war, seine Beinkleider
höher hinaufzuziehen und an Stelle eines abgerissenen Knopfes einen
langen Nagel zu befestigen. »Ja, 's ist ein böser Wind, das weht,«
wiederholte er. -- »Da, Tom ist nieder, -- natürlich, Platz für einen
andern Nigger 'naufzukommen, -- und warum ich nicht dieser Nigger?
Tom -- reitet in's Land, -- Stiefeln geputzt -- Paß in Tasche -- ganz groß
wie Kuffe -- wer anders als er? Nu, warum nicht Sam? -- Das ist, was ich
wissen möchte.«

»Halloh, Sam, -- Sam! Master will, Du sollst Bill und Jerry fangen,«
sagte Andy, Sams Selbstgespräch unterbrechend.

»Hoho, was 's nun los, Junge?« fragte Sam.

»Haha, weißt nicht -- gar -- daß Lizy ist ausgerissen, mit ihrem
Jungen?«

»Du geh' zu Deiner Großmutter!« sagte Sam mit unaussprechlicher
Verachtung, »wußt's 'nen Haufen früher als Du, dummer Nigger!«

»Gut, Master will, Bill und Jerry soll 'sattelt und 'zäumt werden; und
Du und ich soll mit Master Haley gehen, und suchen nach ihr.«

»Gut, das 's die rechte Zeit!« sagte Sam. »S' ist Sam, der jetz' nöthig
ist, -- in solcher Zeit; ja, er's der Nigger. Sehn, ob ich sie nicht
fange, nun; Master soll sehen, was Sam kann!«

»Eh, aber Sam,« sagte Andy, »Du besser denkst noch 'mal nach; denn
Missis will nicht, sie soll gefangen werden, -- Missis wird Dir in die
Wolle fahren.«

»Hoho!« sagte Sam, seine Augen weit aufreißend. »Wie wissen Du das?«

»Hört' sie sagen so -- mir selbst -- diesen Morgen, wenn ich Master
Wasser brachte. Sie schickte mich nach Lizy, zu sehen, warum sie nicht
kommen that, sie anziehen; und wenn ich ihr sagte, daß sie davon war,
stund sie grad' auf und sagt: >Der Herr sei gelobt!< und Master, er
schien ganz toll, er sagte: >Weib, sprichst wie ein Narr!< Aber eh, sie
wird ihn bringen 'rum! weiß schon, ganz genau, wie das wird sein, --
sage Dir, 's ist immer 's Beste, bei Missis stehen, -- sage Dir!«

Der schwarze Sam kratzte sich nach dieser Mittheilung seinen wolligen
Schädel, welcher, wenn er auch nicht sehr tiefe Weisheit enthielt, doch
einen großen Theil jener besondern Art Klugheit besaß, die in der
Volkssprache am besten dadurch auszudrücken ist: »daß er wußte, auf
welcher Seite das Brod mit Butter geschmiert ist.«

»Kann's kein Mensch nie sagen, -- was will geschehen in =dieser= Welt,«
sagte er endlich.

Sam sprach wie ein Philosoph, einen besondern Nachdruck auf »=dieser=«
legend, als wenn er eine ausgedehnte Kenntniß andrer Welten habe, und
deshalb nach reiflicher Ueberlegung zu diesem Schlusse gelangt sei.

»Nun doch, ganz gewiß, hätte ich gesagt, Missis würde die ganze Welt
nach Lizy durchfegen,« fügte Sam sinnend hinzu.

»Und das würde sie,« sagte Andy, »aber -- kannst denn nicht durch 'ne
Leiter sehen, schwarzer Nigger? Missis will nicht, daß dieser Master
Haley Lizy's Jungen haben soll, -- das ist's!«

»Hoh!« rief Sam mit einer unbeschreibbaren Betonung, die nur Denen
bekannt sein kann, welche sie unter den Negern gehört haben.

»Und ich will Dir noch mehr sagen, -- und Alles,« sagte Andy, »ich
meine, am besten Du machtest jetzt hinter die Pferde her, -- ganz
schnell dazu, -- denn ich höre Missis fragen nach Dir, -- hast lange
genug hier 'rum genarrt.«

Sam begann nunmehr in allem Ernste sich an das Geschäft zu machen, und
erschien nach einiger Zeit mit Bill und Jerry in kurzem Gallop graden
Weg's nach dem Hause zureitend, und indem er geschickt absprang, ehe
noch die Pferde daran dachten, still zu stehen, brachte er sie, gleich
einer Windsbraut, grade an die Seite des Pferdepfostens heran. Haley's
Pferd, welches ein munteres junges Hengstfüllen war, schlug aus, und
bäumte sich, und riß gewaltsam am Halfter.

»Hoho!« sagte Sam, »scheu? bist du?« und sein schwarzes Gesicht
leuchtete von einem sonderbaren, boshaften Scheine. »Ich will dich
festmachen,« sagte er.

Auf dem Platze stand eine große Buche mit breiten schattigen Zweigen,
deren kleine, scharfe, dreieckige Nüsse den Boden unterhalb bedeckten.
Eine derselben zwischen seinen Fingern haltend, nahte sich Sam dem
Füllen, streichelte und klopfte es, und bemühte sich scheinbar, die
Unruhe desselben zu stillen. Unter dem Scheine, den Sattel befestigen zu
wollen, schob er geschickt die kleine, scharfe Nuß darunter, so daß die
geringste Last auf dem Sattel das reizbare Gefühl des Thieres
schmerzhaft erregen mußte, ohne eine sichtbare Schramme oder Wunde zu
verursachen.

»Da!« sagte er, seine Augen mit einem beifälligen Grinsen rollend, »ich
es festgemacht.«

In diesem Augenblicke erschien Mrs. Shelby auf dem Balkone, und winkte
ihm. Sam näherte sich mit einem eben so festen Entschlusse, sich
angenehm zu machen, als es je ein Bewerber um eine leere Stelle am Hofe
von St. James oder in Washington that.

»Weshalb hast Du Dich so lange herum getrieben, Sam? Ich ließ Dir durch
Andy sagen, eilig zu sein.«

»Gott helf mir, Missis,« sagte Sam, »Pferde kann nicht alle im Nu
gefangen werden; -- waren ein gut Stück Weg die Weide hinunter gerannt,
und Gott weiß, wo alles.«

»Sam, wie oft muß ich Dir sagen, nicht die Worte zu gebrauchen: >Gott
helf, und Gott weiß,< und solche Dinge? Es ist sündlich.«

»O Gott sei mir gnädig! Ich 's ganz vergessen, Missis! Ich will nichts
solches mehr sagen.«

»Ja aber, Sam, grade in diesem Augenblicke hast Du es wieder gesagt.«

»Habe ich? Gott! ich meine -- ich wollts nicht sagen, Missis.«

»Du mußt auf Dich Acht geben, Sam.«

»Laßt mich nur zu Athem kommen, Missis, und ich will ganz ordentlich
reden; -- ich sehr Acht geben.«

»Gut, Sam, Du mußt mit Mr. Haley reiten, und ihm den Weg zeigen, und ihm
helfen. Nimm die Pferde wohl in Acht, Sam, Du weißt, Jerry war vorige
Woche etwas lahm; =reite sie nicht zu schnell=.«

Mrs. Shelby sprach die letzten Worte mit gedämpfter Stimme und
besonderem Nachdrucke.

»Laßt mich nur machen!« sagte Sam, seine Augen bedeutungsvoll rollend.
»Gott weiß! -- Hei! -- hab's nicht gesagt, das!« fügte er mit einer
possierlichen Affectation von Schrecken hinzu, die selbst Mrs. Shelby
wider Willen zum Lachen nöthigte. »Ja, Missis, ich die Pferde schon in
Acht nehmen.«

»Nu, Andy,« sagte Sam, als er zu seinem Stande unter der Buche
zurückkehrte, »siehst Du, ich würd' gar nicht wundern, wenn den Herrn
sein Thier 'nen Satz machen sollte, nachher, wenn er aufsteigen will.
Weißt ja, Andy, Thiere machens so,« und gab Andy bei diesen Worten in
höchst bedeutungsvoller Weise einen Stoß in die Seite.

»Hei!« sagte Andy, mit dem Ausdrucke augenblicklichen Verständnisses.

»Ja, siehst Du, Andy, Missis will Zeit gewinnen, -- das ist klar, -- das
ein blinder Mann sieht. Ich will dazu was thun. Siehst nun, Du machst
alle die Pferde da los, laß sie alle permiskus hier um diese da 'rum
springen, und 'nunter da an den Wald, und ich denke, Master soll so
schnell nicht fortkommen.«

Andy grinste.

»Siehst Du,« sagte Sam, »siehst Du, Andy, wenn so was sollt' passiren,
wie Masters Pferd widerspenstig sein, -- und ausschlagen, -- denn Du und
ich just lassen gehn uns're, ihm zu helfen, eh' =wir wollen ihm helfen=,
-- o ja!« Und Sam und Andy legten ihre Köpfe zurück, und brachen in ein
unmäßiges aber unterdrücktes Lachen aus, und schnappten mit den Fingern,
und schlugen mit den Hacken aus in unbegränztem Entzücken.

In diesem Augenblicke erschien Haley in der Veranda. Etwas besänftigt
durch eine Anzahl Tassen vortrefflichen Kaffe's kam er schmunzelnd und
schmalzend in ziemlich guter Laune heraus. Sam und Andy griffen nach
gewissen Stücken von Palmblättern, die sie gewohnt waren, als ihre Hüte
zu betrachten, und eilten nach dem Pferdepfosten, um dem »Master zu
helfen.«

Sam's Palmblatt war auf sehr sinnreiche Weise von jeder Art Flechtung
befreit, und die grade auf- und abwärts stehenden Nebenschößlinge
verliehen der ganzen Kopfbedeckung einen solchen Schein von Freiheit und
Trotz, daß sie irgend eines Fejee-Häuptlings würdig gewesen sein würde;
während Andy den Scheitel seiner Kopfhülle mit einem geschickten Drucke
zusammenpreßte, und sich so wohlgefällig umschaute, als wollte er sagen:
»Wer sagt, daß ich keinen Hut habe?«

»Nun, Jungens,« sagte Haley, »jetzt munter; wir haben keine Zeit zu
verlieren.«

»Nicht einen Moment, Master!« sagte Sam, indem er Haley die Zügel seines
Pferdes in die Hände gab und den Steigbügel hielt, während Andy die
andern beiden Pferde vom Pfosten los machte.

In demselben Augenblicke, wo Haley den Sattel berührte, hob sich das
feurige Thier in einem plötzlichen Sprunge von der Erde, und warf seinen
Herrn einige Fuß weit auf den weichen trockenen Rasen. Sam versuchte
mit einem wilden Schreie einen Griff nach den Zügeln, aber erreichte
weiter nichts, als daß er das vorher erwähnte, hoch aufstehende
Palmblatt dem Pferde in's Auge stieß, was keineswegs zur Beruhigung der
erregten Nerven desselben beitrug. Indem es ihn deßhalb mit heftiger
Gewalt umrannte, zwei oder dreimal ein verächtliches Schnaufen ausstieß,
und kräftig mit den Hufen in die Luft schlug, jagte es dem unteren Ende
des freien Platzes zu, während Bill und Jerry ihm folgten, welche Andy,
der Uebereinkunft gemäß, nicht verfehlt hatte, los zu machen, und nun
mit verschiedenen wüthenden Ausrufungen zu noch größerer Eile antrieb.
Und nun folgte eine Scene der größten Verwirrung. Sam und Andy rannen
und schrieen, -- Hunde bellten hier und dort, -- und Mike, Mose, Mandy,
Fanny, und alle die jüngeren Sprößlinge des Gutes, weiblichen wie
männlichen Geschlechts, rannen und schlugen in die Hände, pfiffen und
schrieen mit unmäßiger Geschäftigkeit und unermüdlichem Eifer.

Haley's Pferd, ein Schimmel, flüchtig und feurig, schien mit großem
Wohlgefallen auf den Geist der ganzen Scene einzugehen; und indem es zu
seinem Rennlaufe, einen freien Platz, von beinahe einer halben Meile
Ausdehnung vor sich hatte, der nach allen Seiten hin sich in eine
unbegränzte Waldung sanft abflachte, schien es besonderes Vergnügen daran
zu finden, seine Verfolger nahe herankommen zu lassen, und dann, wenn
sie sich ihm bis auf eine Hand breit genähert hatten, schnaubend und
springend davon zu fliegen, und weit hinab in einen der Holzwege zu
galoppiren. Nichts war Sam's Absicht weniger, als daß irgend eins der
Pferde früher gefangen werden solle, als er für zeitgemäß hielt, -- und
dabei waren die Anstrengungen, die er machte, wirklich heroisch. Gleich
dem Schwerdte #Coeur de Lion's#, welches stets voran und im dicksten
Gefechte flammte, war Sam's Palmblatt überall sichtbar, wo nicht die
entfernteste Gefahr vorhanden war, daß das Pferd gefangen werden könne;
-- da sprang er in vollem Laufe drauf los, und schrie: »drauf! drauf!
fang ihn! fang ihn!« in solcher Weise, daß in einem Augenblicke Alles in
die vollständigste Verwirrung gesetzt war.

Haley rann inzwischen auf und ab, und schwor und fluchte und stampfte
mit dem Fuße abwechselnd. Mr. Shelby bemühte sich vergeblich, Befehle
vom Balkone aus hinunter zu rufen, und Mrs. Shelby stand bald lachend,
bald sich wundernd am Fenster ihres Zimmers, -- jedoch nicht ohne eine
leise Ahnung dessen, was dieser ganzen Verwirrung zu Grunde lag.

Endlich, ungefähr gegen zwölf Uhr Mittags, erschien Sam triumphirend,
auf Jerry reitend und Haley's Pferd an der Seite führend, welches zwar
von Schweiß triefend war, aber dessen noch immer flammende Augen und
ausgedehnten Nasenlöcher verriethen, daß der Geist der Freiheit es noch
nicht gänzlich verlassen hatte.

»Er's gefangen!« rief Sam mit triumphirender Miene. »Wenn's nicht ich
gewesen wäre, die Alle hätten sich können quälen, -- Alle! aber ich ihn
gefangen.«

»Du!« brummte Haley in keiner sehr liebenswürdigen Stimmung, »wenn Du
nicht gewesen wärest, so würde Alles das nicht geschehen sein.«

»Gott helf mir! Master,« sagte Sam im Tone tiefster Betrübniß, »ich, der
'rumgejagt und gerannt ist, daß der Schweiß mir 'nunter läuft!«

»Gut, gut!« sagte Haley, »Du hast mich um beinahe drei Stunden mit
Deinem verfluchten Unsinn gebracht; -- nun fort, keine Narrheiten
weiter.«

»Wie, Master?« sagte Sam in einem beschwörenden Tone, »ich glaube, Ihr
wollt uns Alle umbringen, -- Pferde und Alle. Hier, wir sind Alle just
fertig, umzufallen, und die Pferde rauchen nur so von Schweiß. Denke,
Master wird nicht wollen aufbrechen, nur erst nach Tische. -- Masters
Pferd muß abgerieben werden, -- hat sich ganz voll gespritzt; -- und
Jerry ist noch dazu lahm! -- glaube nicht, Missis wird uns lassen reiten
so just nun. Gott helf mir, Master, -- wir wollen sie schon noch
fangen, -- warten thut nichts. Lizy nie war großer Läufer nicht.«

Mrs. Shelby, welche von der Veranda aus diese Unterhaltung nicht ohne
großes Vergnügen mit angehört hatte, beschloß nunmehr, auch ihren Theil
zu thun. Sie trat deßhalb hervor, drückte in höflichster Weise ihr
Bedauern über Haleys Unfall aus, und bat ihn dringend, zum Mittagessen
zu bleiben, indem sie hinzufügte, daß die Köchin es sofort auf den Tisch
bringen sollte.

Unter diesen Umständen sah Haley sich genöthigt, sich, obgleich mit sehr
zweifelhafter guter Laune, in das Wohnzimmer zu begeben, während Sam,
seine Augen mit unaussprechlicher Bedeutung hinter ihm her rollend,
sodann die Pferde mit der ernsthaftesten Miene nach dem Stalle führte.

»Hast ihn gesehen, Andy? hast ihn gesehen?« sagte Sam, nachdem er
glücklich hinter eine ihn verbergende Scheune gelangt war und die Pferde
an einen Pfosten befestigt hatte. »O Herr, war's nicht ein Spaß, zu
sehen -- wie er tanzte und schlug und fluchte. Fluche nur, alter Kerl
(sagt' ich zu mir), -- willst Dein Pferd jetzt haben, oder willst
warten, bis ich's fange? (sagte ich). O Herr, ich denke, ich seh'n noch
jetzt!« Und Sam und Andy legten sich gegen die Scheune und lachten aus
vollem Herzen.

»Hätt'st nur sehen sollen, wie toll er aussah, als ich's Pferd 'rauf
brachte. Guter Gott, glaub', er hätt' mich umgebracht, wenn er gedurft
hätte; -- und da stand ich -- ganz unschuldig und demüthig.«

»O ja, ich sah Dich,« sagte Andy, »bist Du nicht ein altes Pferd, Sam?«

»Glaub's beinahe, ich bin's,« sagte Sam. »Hast nicht Missis gesehen --
oben am Fenster? Ich sah's, wie sie lachte.«

»Nein,« sagte Andy, »hatte so gelaufen, habe nichts gesehen.«

»Wohl, siehst Du,« sagte Sam, indem er ernsten Gesichts dazu schritt,
Haley's Tony abzuwaschen, -- »ich habe mir angenommen eine Gewohnheit,
was man =Beobachtung= nennen kann, Andy. S' ist 'ne sehr wichtige
Gewohnheit, Andy; und ich rathe Dir's, zu üben, weil Du jung bist. --
Heb' den Hinterfuß hier auf, Andy. Siehst, Andy, 's ist Beobachtung, was
allen Unterschied macht zwischen Niggers. Hab' ich nicht gesehen, wo der
Wind her kam, diesen Morgen? Hab' ich nicht gesehen, was Missis wollte,
wenn sie auch nichts sagte? Das 's Beobachtung, Andy. Glaube, 's ist,
was man 'ne Gabe nennen kann. Gaben ist verschieden in verschiedenen
Leuten, aber Uebung thut groß viel.«

»So? ich glaube, wenn ich Deiner Beobachtung nicht geholfen hätte,
diesen Morgen, würdest Deinen Weg nicht so gut gefunden haben,« sagte
Andy.

»Andy,« erwiderte Sam, »bist ein hoffnungsvolles Kind, -- kein Zweifel!
Denke groß viel von Dir, Andy, -- schäme mich nicht, Ideen von Dir
anzunehmen. Sollen Niemand übersehen, Andy, denn der Klügste wird auch
manchmal angeführt. Und nun, Andy, laß uns in's Haus gehen; -- bin
gewiß, Missis gibt uns 'nen ganz besonders guten Bissen -- diesmal.«



Siebentes Kapitel.

Der Kampf der Mutter.


Es ist unmöglich, sich ein mehr verlassenes und verlorenes menschliches
Wesen zu denken, als Elisa in dem Augenblicke war, wo sie ihre Schritte
von Onkel Tom's Hütte abwendete. Ihres Mannes Leiden und Gefahren, die
Gefahr ihres Kindes, Alles vermischte sich in ihrem Geiste mit einem
dunkeln, betäubenden Gefühle des großen Wagnisses, welches sie
unternahm, indem sie die einzige Heimath verließ, die sie jemals gekannt
hatte, und sich von dem Schutze einer Freundin losriß, die sie geliebt
und geehrt hatte. Dazu kam die Trennung von jedem ihr vertrauten
Gegenstande, -- von dem Orte, an dem sie aufgewachsen war, den Bäumen,
unter denen sie gespielt hatte, den Gebüschen, in denen sie so manches
Mal Abends an der Seite ihres jungen Gatten gewandelt hatte, -- jeder
Gegenstand, der in der kalten, sternhellen Nacht vor ihr lag, schien sie
vorwurfsvoll zu fragen, wohin sie sich von einer so glücklichen Heimath
wenden wolle?

Aber stärker als Alles war das Gefühl der Mutterliebe, welches sich vor
der so nahe drohenden, schrecklichen Gefahr zu einem Paroxismus von
Raserei steigerte. Ihr Knabe war alt genug, um an ihrer Seite gehen zu
können, und unter anderen Umständen würde sie ihn nur an der Hand
geführt haben; allein jetzt machte sie der bloße Gedanke, ihn aus ihren
Armen zu lassen, schaudern, und während sie eilends vorwärts schritt,
preßte sie ihn mit krampfhaftem Drucke an ihren Busen.

Der gefrorene Boden knarrte unter ihren Füßen und sie zitterte bei
diesen Tönen; jedes rauschende Blatt und jeder fliehende Schatten machte
ihr Blut im Herzen erstarren und trieb ihre Füße zu noch größerer Eile
an. Sie wunderte sich innerlich selbst über die Stärke, die sie zu
durchströmen schien; denn sie fühlte die Last ihres Kindes wie die einer
Feder, und jede neu aufsteigende Regung von Furcht schien die
übernatürliche Kraft zu erhöhen, die sie forttrug, während von ihren
bleichen Lippen häufige Anrufe an einen Freund im Himmel flossen: »Gott,
hilf mir! Gott, rette mich!«

Wenn es =Dein= Harry wäre, Mutter, oder Dein William, der Dir morgen
früh durch einen rohen Sklavenhändler entrissen werden sollte, -- wenn
Du den Mann gesehen und gehört hättest, daß die Papiere unterzeichnet
und übergeben wären, und Du hättest nur Zeit von Mitternacht bis zum
Morgen, um Deine Flucht zu bewerkstelligen, wie schnell würden =Deine=
Schritte sein? Wie viel Meilen würdest Du nicht in jenen wenigen, kurzen
Stunden zurücklegen können, mit dem Liebling an Deiner Brust, -- die
kleinen, schlafmüden Hände auf Deiner Schulter, und die zarten, weichen
Arme um Deinen Nacken geschlungen?

Denn der Knabe schlief. Anfangs hatten ihn die Neuheit der Umstände und
die Unruhe wach erhalten; aber seine Mutter hielt so ängstlich den Athem
und jeden Laut zurück, und hatte ihn so fest versichert, daß, wenn er
nur still sei, sie ihn sicherlich retten werde, daß er beruhigt ihren
Nacken umschlang, und schon halb entschlummert nur noch Fragen an sie
richtete.

»Mutter, ich brauche nicht wach zu bleiben, nicht wahr?«

»Nein, mein Liebling, schlafe, wenn Du müde bist.«

»Aber, Mutter, wenn ich einschlafe, wirst Du doch nicht zugeben, daß er
mich nimmt?«

»Nein, so Gott mir helfe!« sagte die Mutter mit blässerer Wange und
hellerer Gluth in ihrem dunklen Auge.

»=Gewiß= nicht, Mutter?«

»=Gewiß= nicht!« sagte die Mutter mit einer Stimme, vor der sie selbst
erschrack, denn sie schien von einem geistigen Wesen in ihr zu kommen,
das keinen Theil an ihr habe; und der Knabe senkte seinen kleinen, müden
Kopf auf ihre Schulter, und war bald entschlummert. Wie die Berührung
dieser warmen Arme, der sanfte Hauch seiner Athemzüge an ihrem Nacken
ihren Bewegungen neues Leben und Feuer zu verleihen schienen! Es kam ihr
vor, als wenn aus jeder Berührung, jeder Bewegung des schlummernden, auf
sie vertrauenden Kindes elektrische Ströme neuer Kraft auf sie
ausströmten. Erhaben ist die Herrschaft des Geistes über den Körper, die
Fleisch und Nerven unüberwindlich macht, und die Sehnen sich wie Stahl
spannen läßt, so daß Schwache so mächtig werden.

Die Grenzen der Farmbesitzung, die Gebüsche, die Waldung schwanden
dämmernd an ihr vorüber, während sie weiter schritt; aber sie hielt
nicht an, sie eilte vorwärts, einen vertrauten Gegenstand nach dem
andern hinter sich zurücklassend, bis die röthlichen Strahlen des ersten
Tageslichtes sie, manche lange Meile weit von jeder Spur vertrauter
Gegenstände entfernt, auf der offenen Landstraße fanden.

Sie hatte öfters ihre Herrin auf Besuchen bei Bekannten in dem kleinen
Dorfe T-- nicht weit vom Ohioflusse, begleitet, und kannte den Weg dahin
genau. Dorthin zu eilen und über den Ohiofluß zu fliehen, waren die
ersten Umrisse ihres Fluchtplanes gewesen; darüber hinaus konnte sie nur
auf Gottes Hülfe vertrauen.

Als Wagen und Pferde sich auf der Landstraße zu bewegen begannen, wurde
sie vermöge der einem aufgeregten geistigen Zustande so eigenthümlichen
Schärfe des Fassungsvermögens inne, daß ihr eilender Schritt und ihr
verstörtes Aeußere Veranlassung zu Aufmerksamkeit und Verdacht geben
könnten. Sie ließ deßhalb den Knaben auf die Erde nieder, brachte ihre
Kleidung und Kopfbedeckung in Ordnung, und ging so schnell, wie es sich
mit der Bewahrung des äußeren Scheines vertrug, weiter. In ihrem kleinen
Vorrathe hatte sie für eine hinreichende Quantität von Kuchen und
Aepfeln gesorgt, deren sie sich als Mittel bediente, um den Fortschritt
des Kindes zu beschleunigen, indem sie den Apfel einige Schritte weit
vorauswarf, dem der Knabe sodann mit allen Kräften nacheilte; und diese
List öfters wiederholt, brachte sie über manche halbe Meile hinweg.

Nach einiger Zeit kamen sie an eine dichte Waldung, durch die ein
klarer, murmelnder Bach floß. Da der Knabe über Hunger und Durst klagte,
so stieg sie mit ihm über den umgebenden Zaun, setzte sich hinter einem
großen Felsen nieder, der sie den auf der Landstraße Vorübergehenden
verbarg, und reichte ihm sein Frühstück aus ihrem kleinen Bündel. Der
Knabe wunderte sich und war traurig, daß sie nicht essen wolle; und als
er seine Arme um ihren Nacken schlang und etwas Kuchen in ihren Mund zu
drücken versuchte, war es ihr, als müsse das in ihrer Kehle aufsteigende
Gefühl sie ersticken.

»Nein, nein, Harry, mein liebes Kind! Mutter kann nicht essen, bis Du in
Sicherheit bist! Wir müssen fort, -- fort, bis wir an den Fluß kommen!«
Und sie eilte wieder auf den Weg zurück, und zwang sich wieder,
ordentlich und in ruhiger Haltung weiter zu gehen.

Sie war jetzt viele Meilen über denjenigen Theil der Gegend hinaus, wo
sie persönlich bekannt war. Im Falle sie irgend Jemanden begegnen
sollte, der sie kannte, dachte sie, daß die allbekannte Güte der
Familie, der sie angehörte, jeden Verdacht insofern unterdrücken werde,
als es eben um deßhalb unwahrscheinlich erschien, daß sie auf der Flucht
sein könne. Da sie überdies so weiß war, daß ihre farbige Abstammung,
ohne besonders scharfe Beobachtung, nicht erkennbar war, und ihr Kind
dieselbe Farbe hatte, so war es für sie um so leichter, ihren Weg ohne
Erregung von Verdacht fortsetzen zu können.

In dieser Annahme hielt sie um Mittag bei einem niedlichen, reinlichen
Farmhause an, um sich auszuruhen und um ein Mittagsmahl für ihr Kind und
sich selbst zu erlangen; denn, indem die Gefahr mit der zunehmenden
Entfernung abnahm, ließ auch die übernatürliche Spannung ihres
Nervensystemes nach, und sie fühlte sich ermattet und hungrig.

Die Wirthin, welche freundlich und geschwätzig war, schien froh zu sein,
daß irgend jemand bei ihr eingekehrt sei, mit dem sie schwatzen könne,
und nahm deßhalb Elisa's Angaben, »daß sie einen kleinen Ausflug mache,
um Freunde einige Tage zu besuchen,« ohne weitere Prüfung und
Untersuchung als richtig an.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichte sie das Dorf T--, am Ohioflusse, müde
zwar, und mit wunden Füßen, aber immer noch stark im Herzen. Ihr erster
Blick war auf den Fluß, der gleich dem Jordan zwischen ihr und dem
Canaan der Freiheit auf der andern Seite lag. Es war jetzt in der ersten
Zeit des Frühjahrs, weßhalb der Fluß angeschwollen und unruhig war, und
große Schollen schwimmenden Eises im trüben Wasser schwerfällig auf- und
niederschwankten. Vermöge der eigenthümlichen Gestaltung des Ufers an
der Kentucky-Seite, wo das Land sich weit in das Wasser hinein
erstreckte, hatte sich das Eis in großen Massen angesammelt, und der
enge Kanal, welcher diese Landzunge umfloß, war mit übereinander
geschichteten Schollen so angefüllt, daß sich daselbst ein förmlicher
Wall gebildet hatte, welcher das heranschwimmende Eis aufhielt, und
dieses eine Art wellenförmigen Flosses bildete, welches den ganzen Fluß
bedeckte und sich beinahe bis dicht an das Ufer der Kentucky-Seite
erstreckte.

Elisa stand einen Augenblick still, diesen unglücklichen Zustand der
Dinge betrachtend, welcher, wie sie sogleich erkannte, das Ueberfahren
der gewöhnlichen Fähre verhindern mußte, und begab sich sodann in ein
kleines Wirthshaus am Ufer, um Erkundigungen einzuziehen.

Die Wirthin, welche mit Braten und Schmoren, als Vorbereitungen zum
Abendessen beschäftigt war, hielt, mit der Gabel in der Hand, inne, als
Elisa's sanfte und klagende Stimme sie anredete.

»Was giebts?« sagte sie.

»Geht jetzt hier keine Fähre über, die Reisende nach B-- bringt?« fragte
Elisa.

»Nein, jetzt nicht!« sagte das Weib. »Die Boote gehen jetzt nicht.«

Der Ausdruck von Furcht und getäuschter Hoffnung in Elisa's Gesichte
fiel der Frau auf, und sie fragte:

»Ihr wollt wohl überfahren? -- Jemand krank? Ihr scheint in großer
Unruhe zu sein?«

»Ich habe ein Kind, das gefährlich krank ist,« sagte Elisa. »Ich bekam
gestern Abend die erste Nachricht davon, und bin nun den ganzen Tag
gewandert, in der Hoffnung, hier eine Fähre zu finden.«

»So, das ist freilich unglücklich,« sagte die Frau, deren mütterliche
Sympathie angeregt worden war. »Ihr thut mir wahrlich leid. Solomon!«
rief sie dann zum Fenster hinaus nach einem kleinen Hintergebäude,
worauf ein Mann mit einer Lederschürze und sehr schmutzigen Händen
erschien.

»Höre, Sol,« sagte die Frau zu ihm, »geht denn der Mann mit den Fässern
heute Abend noch hinüber?«

»Er sagte, er woll's versuchen, wenn's einiger Maßen rathsam wäre,«
entgegnete der Mann.

»Da ist ein Mann hier, ein Stück Weg's weiter hinunter, der diesen Abend
mit Waaren hinüberfahren will, wenn's geht; er wird zum Abendessen hier
sein. So thut Ihr am besten, Ihr setzt Euch und wartet hier. Was für ein
lieber kleiner Bube,« sagte die Frau, dem Knaben ein Stück Kuchen
reichend.

Allein das Kind, übermäßig erschöpft, weinte vor Müdigkeit.

»Armer Wurm! er ist nicht daran gewöhnt, so weit zu gehen, und ich habe
ihn so getrieben,« sagte Elisa.

»Nun, so nehmt ihn in das Zimmer da,« sagte die Frau, ein kleines
Schlafgemach öffnend, in welchem ein bequemes Bett stand.

Elisa legte den ermüdeten Knaben darauf, und hielt seine Hände in den
ihrigen, bis er eingeschlafen war. Denn für sie war hier keine Ruhe. Wie
ein Feuer in ihren Gebeinen trieb der Gedanke an ihren Verfolger sie
weiter, und mit sehnsüchtigen Blicken schaute sie auf die finsteren,
brausenden Wellen, die zwischen ihr und ihrer Freiheit lagen.

Allein hier müssen wir für jetzt von ihr Abschied nehmen, um den Lauf
ihrer Verfolger zu begleiten.

                         -------------------------

Obgleich Mrs. Shelby versprochen hatte, daß das Essen so schnell wie
möglich auf den Tisch gebracht werden solle, so zeigte sich doch bald,
daß mehr als eine Person dazu erforderlich sei, um einen Handel zu
machen. Ungeachtet dessen also, daß der Befehl in Haley's Gegenwart
ertheilt, und wenigstens durch ein Dutzend jugendlicher Boten an Tante
Chloë befördert worden war, ließ diese würdige Dame dennoch nichts als
ein wiederholtes mürrisches Schnaufen als Antwort darauf hören, und
fuhr in ihren Geschäften auf eine sehr gemächliche und umständliche
Weise fort.

Aus irgend einem besondern Grunde, schien sich die allgemeine Meinung
unter der Dienerschaft verbreitet zu haben, daß Mistreß über etwas
Verzug nicht besonders ungehalten sein werde; und es war wunderbar, was
für eine Menge widriger Umstände sich ereigneten, um den Lauf der Dinge
zu verzögern. Ein unglücklicher Bursche schüttete die Sauçe aus; und
dann mußte die Sauçe #de novo# gemacht werden, und zwar mit gehöriger
Sorgfalt und Umständlichkeit, wobei Tante Chloë mit der hartnäckigsten
Genauigkeit verfuhr, und auf alles Antreiben zur Eile nur kurz
antwortete, »daß sie keine rohe Sauçe auf den Tisch bringen wolle, um
Anderen beim Fangen behülflich zu sein.« Ein Andrer stolperte und fiel
mit dem Wasser nieder, und mußte deßhalb von Neuem an den Brunnen gehen,
um frisches zu holen; und wieder ein Andrer schüttete die Butter als
Hinderniß in den Lauf der Begebenheiten; und während dessen gelangten
von Zeit zu Zeit kichernde Nachrichten in die Küche, daß Master Haley
gewaltig unruhig sei, und auf seinem Stuhle nicht still sitzen könne,
sondern unaufhörlich zwischen Fenster und Thür auf und nieder laufe.

»Geschieht ihm recht!« sagte Tante Chloë unwillig. »Wird ihm schon noch
schlimmer ergehen, bald, wenn er seine Wege nicht ändert. =Sein= Herr
wird ihn rufen, und wie wird er dann aussehen!«

»Er kommt in die Hölle, ohne Zweifel!« sagte der kleine Jack.

»Er verdient's!« sagte Tante Chloë mit grimmiger Miene, -- »ich sage
Euch -- er hat viele, viele, viele Herzen gebrochen!« sagte sie, inne
haltend in ihrer Beschäftigung, und mit aufgehobener Gabel in ihrer
Hand; »'s ist, was Master Georg in der Offenbarung liest: -- >Seelen,
schreien unter dem Altare den Herrn um Rache an, gegen Solche!< -- und
der Herr wird sie hören! -- er wird!«

Tante Chloë, welche in der Küche sehr geachtet war, wurde von Allen mit
offenem Munde angehört; und da das Mittagessen endlich glücklich
abgesendet worden war, so hatte die ganze Küchenbevölkerung Muße mit ihr
zu schwatzen, und ihre Bemerkungen anzuhören.

»Solche müssen ewig brennen, -- ganz gewiß, -- nicht wahr?« sagte Andy.

»Ich möchte sie brennen sehen, -- mein Seel'!« sagte der kleine Jack.

»Kinder!« sagte hier plötzlich eine Stimme, welche Alle aufschreckte. Es
war Onkel Tom, welcher in die Thür getreten war, und die Unterhaltung
mit angehört hatte. »Kinder!« sagte er, »ich fürchte, Ihr wißt nicht was
Ihr sprecht. Ewig ist ein =schreckliches= Wort; -- 's schaudert Einen
dran zu denken; -- solltet das keiner menschlichen Kreatur wünschen.«

»Wir wollen's Niemanden wünschen, -- nur den Seelenverkäufern,« sagte
Andy; -- »man kann sich nicht helfen, die sind so schlecht.«

»Thut nicht die Natur selbst schreien gegen sie?« sagte Tante Chloë.
»Reißen sie nicht den Säugling gerade weg von Mutters Brust, und
verkaufen ihn, -- und die kleinen Kinder, wenn sie schreien, und sich
festhalten an Mutters Kleidern, -- reißen sie sie nicht los und
verkaufen sie? Reißen sie nicht Mann und Weib auseinander?« fuhr sie zu
weinen anfangend fort, -- »wenn's ihnen auch das Leben nimmt? -- und
fühlen sie was dabei? -- trinken und rauchen sie nicht, und sind ganz
gleichgültig dabei? -- O Herr, wenn der Teufel die nicht holt, -- wozu
ist er dann nütze?« Und Tante Chloë bedeckte ihr Gesicht mit ihrer
buntgefleckten Schürze, und fing in vollem Ernste bitterlich an zu
weinen.

»Bittet für die, so Euch beleidigen, sagt das gute Buch,« bemerkte Tom.

»Bitten für sie,« sagte Tante Chloë; -- »o Herr! das ist zu viel! Ich
kann nicht für sie beten.«

»'s ist Natur, Chloë, und Natur ist mächtig,« sagte Tom, »aber des Herrn
Gnade ist mächtiger; -- außerdem, solltest auch an den schrecklichen
Zustand denken, in dem die Seele solcher armen Kreatur ist, die solche
Dinge thut; -- solltest Gott danken, Chloë, daß Du nicht bist =wie= sie.
-- Weiß gewiß, -- wollte lieber zehntausendmal verkauft werden, als die
Verantwortung haben, die solche arme Kreatur hat auf sich.«

»Ich auch, ein gut Theil lieber,« sagte Jack. »O Herr, wie würde 's uns
gehen, Andy?«

Andy zuckte mit den Achseln, und gab ein beifälliges Pfeifen zu
vernehmen.

»Ich bin froh, daß Master heute früh nicht fortgegangen ist, wie er
wollte,« fuhr Tom fort; -- »das hätte mir weher gethan, als verkauft
werden. Vielleicht, es wäre natürlich für ihn gewesen, aber mir wär's
hart angekommen, -- hab' ihn ja gekannt, als er noch ein Säugling war.
Aber ich habe Master gesehn, und bin versöhnt nun mit Gottes Willen.
Master konnte sich nicht anders helfen; er hat recht gethan, aber
fürchte, daß doch Alles wird zu Grunde gehen, wenn ich fort bin. Master
kann nicht überall herumkriechen und aufpassen, wie ich habe gethan, --
und alle Enden zusammenhalten. Die Jungens meinen's ganz gut, aber sind
mächtig nachlässig. Das macht mir Sorge.«

In diesem Augenblicke erscholl die Glocke, und Tom wurde in's Zimmer
berufen.

»Tom,« sagte sein Herr in gütigem Tone zu ihm, »ich mache Dich
aufmerksam darauf, daß ich diesem Herrn Verschreibungen über tausend
Dollar gegeben habe für den Fall, daß Du nicht da sein solltest, wenn er
Dich verlangt. Er hat heut mit seinen übrigen Geschäften zu thun, und
Du kannst den Tag für Dich frei haben. Geh', wohin Du willst, mein alter
Junge.«

»Dank schön, Master,« sagte Tom.

»Und paß' auf,« sagte der Händler, »und bring's nicht über Deinen Herrn
mit einem von Deinen Niggerpfiffen, denn ich will jeden Cent aus ihm
herausdrücken, wenn Du nicht da bist. Wär' er mir gefolgt, so hätt' er
gar nicht einem von Euch -- glatten Aalen getraut!«

»Master,« sagte Tom, -- sich grade aufrichtend, -- »ich war just acht
Jahr alt, wenn alte Missis Euch in meine Arme legte, und Ihr wart noch
kein Jahr alt. >Da,< sagte sie, >Tom, das wird =Dein= junger Herr sein;
nimm ihn wohl in Acht,< sagte sie. Und nun wollt' ich Euch fragen, Master,
hab' ich Euch je ein Wort gebrochen oder Euch zuwider gehandelt, besonders,
seit ich ein Christ bin?«

Mr. Shelby war von seinem Gefühle vollständig überwältigt und Thränen
drangen aus seinen Augen hervor.

»Mein guter Junge,« sagte er, »Gott weiß, daß das wahr ist, was Du
sagst; und wenn es in meinen Kräften stände, es zu verhindern, so sollte
Niemand in der Welt Dich kaufen dürfen.«

»Und so wahr ich eine christliche Frau bin,« sagte Mrs. Shelby, »Du
sollst wieder eingelöst werden, sobald ich einigermaßen Mittel
zusammenbringen kann. Mr. Haley,« fügte sie zu Haley gewendet hinzu,
»merken Sie sich ja genau, an wen Sie ihn verkaufen, und lassen Sie mich
es wissen.«

»Gott, ja, warum denn nicht?« sagte der Händler, »kann ihn ja in einem
Jahr wieder 'raufbringen, nicht viel abgenutzt, und ihn zurückhandeln.«

»Ich will dann mit Ihnen handeln, und es soll Ihr Nutzen sein,« sagte
Mrs. Shelby.

»Natürlich,« sagte der Händler, -- »'s mir Alles gleich, handle hin und
zurück, wenn es nur ein gutes Geschäft gibt. Will ja nur meinen
Lebensunterhalt verdienen, Madame, das ist Alles, was unser Einer will,
denk' ich.«

Mr. und Mrs. Shelby waren innerlich empört über die unverschämte
Vertraulichkeit des Händlers, aber dennoch fühlten Beide die absolute
Nothwendigkeit, ihre Gefühle zurückzuhalten. Je gefühlloser und
schmutziger er erschien, desto größer war Mrs. Shelby's Furcht, daß es
ihm gelingen könne, Elisa und ihr Kind wieder einzufangen, und um so
mehr fühlte sie sich deßhalb gedrungen, jeden weiblichen Kunstgriff zu
benutzen, um ihn noch länger aufzuhalten. Sie lächelte ihm deßhalb
beifällig zu, schwatzte vertraulich mit ihm und that Alles, was sie
konnte, um ihm die Zeit unbemerkt entfliehen zu lassen.

Um zwei Uhr endlich führten Sam und Andy die Pferde vor, wie es schien,
bedeutend erfrischt und ermuthigt durch den am Morgen gehaltenen
Rennlauf.

Sam kam frisch geölt vom Essen, mit einem Ueberfluß von eifriger und
williger Geschäftigkeit. Während Haley sich näherte, prahlte er gegen
Andy von dem sichern, ganz unzweifelhaften Erfolge, den das Unternehmen
haben müsse, nachdem er nun endlich so weit gekommen sei, »dran gehen«
zu können.

»Euer Herr hält wohl keine Hunde?« sagte Haley nachdenkend, während er
sich anschickte aufzusteigen.

»Die Menge,« sagte Sam triumphirend; »da 's Bruno, -- 's ist ein
Brüller! und dann hat hier auch noch jeder Nigger ein paar junge Hunde
von einer Sorte oder anderer!«

»Pah!« sagte Haley, -- und fügte noch etwas Anderes mit Bezug auf die
erwähnten Hunde hinzu, worauf Sam murmelte:

»Seh' nicht ein, wozu -- was nöthig -- drauf zu fluchen.«

»Aber Euer Herr hält keine Hunde (ich weiß es ganz gewiß), um Niggers
aufzuspüren.«

»Unsere Hunde alle haben sehr scharfen Geruch. Glaube, 's ist die rechte
Sorte, -- haben zwar nie keine Praxis gehabt. Brave Hunde, Master, auf
Alles, wenn Ihr sie loslaßt. Hier, Bruno,« rief er, einem
umherschlendernden Neufundländer zupfeifend, worauf dieser mit
gewaltigem Geräusche auf ihn zugesprungen kam.

»Du sollst gehenkt werden!« sagte Haley aufsteigend. »Komm, kriech'
hinauf nun.«

Sam kroch demgemäß hinauf, dabei jedoch auf geschickte Weise Gelegenheit
findend, Andy zu kitzeln, was diesen nöthigte, in ein helles Lachen
auszubrechen, in Folge dessen Haley in heftigem Unmuthe mit der
Reitpeitsche nach ihm hieb.

»'s ist erstaunlich, Andy!« sagte Sam mit schrecklichem Ernste. »Dieß
ein sehr wichtiges Geschäft; -- mußt hier keinen Spaß treiben; -- das
ist keine Art, Master zu helfen.«

»Ich werde den graden Weg nach dem Flusse nehmen,« sagte Haley mit
Bestimmtheit, als sie die Gränzen der Besitzung erreicht hatten. »Ich
weiß, welchen Weg alle Die nehmen, -- die laufen Alle in die Niederung.«

»Sicher,« sagte Sam, »das ist die rechte Idee. Master Haley trifft's
just in die Mitte. Nun, da sind zwei Wege an den Fluß, -- der Holzweg
und die Chaussee; -- welchen will Master nehmen?«

Andy blickte unschuldig zu Sam auf, überrascht, diese neue Geographie zu
hören, aber bestätigte augenblicklich, was jener gesagt hatte, durch
eine lebhafte Wiederholung desselben.

»Natürlich,« sagte Sam, »sollte eher denken, Lizy ist den Holzweg
gegangen, weil er einsamer ist.«

Haley, obgleich er ein erfahrener alter Fuchs war und stets mißtrauisch,
war dennoch nahe daran, sich durch diese Ansicht bestimmen zu lassen.

»Wenn Ihr nicht Beide so verdammte Lügner wäret!« sagte er gedankenvoll,
während er einen Augenblick nachsann.

Der tiefsinnige Ton, in dem dieß gesagt wurde, schien Andy so über alle
Maßen zu amüsiren, daß er ein Stückchen hinter Haley zurückblieb und
sich vor Lachen so schüttelte, daß er Gefahr lief vom Pferde zu fallen,
während Sam's Gesicht unbeweglich den schwermüthigsten Ernst bewahrte.

»Natürlich,« sagte Sam, »Master kann thun, was er will; -- gehen den
graden Weg, wenn Master hält's für's Beste, -- uns Alles einerlei. Ja,
wenn ich so drüber studire, denk' ich auch, der grade Weg ist am Besten,
-- ohne Zweifel.«

»Sie wird natürlich einen einsamen Weg gewählt haben,« sagte Haley, laut
denkend, und Sam's Bemerkung nicht beachtend.

»Läßt sich da nichts sagen,« fuhr Sam fort; -- »Weiber immer sonderbar,
-- Weiber immer thun, was Ihr denkt, -- gewöhnlich grade 's Gegentheil.
Weiber von Natur entgegen, -- und so, wenn Ihr denkt, sie sind gegangen
=den= Weg, 's ist gewiß, Ihr thut am Besten und nehmt den andern, --
dann findet Ihr sie ganz sicher. Hier nun ist meine Meinung, Lizy hat
den Holzweg genommen, -- also wäre 's am Besten, den graden zu nehmen.«

Diese gründliche, geschlechtliche Ansicht über die weibliche Natur
schien Haley nicht sonderlich für den chaussirten Weg bestimmen zu
können, und er erklärte seinen festen Entschluß, den andern zu wählen,
und fragte Sam, wann sie diesen erreichen würden.

»Ein Stückchen weiter hinauf,« sagte Sam, indem er Andy einen Wink mit
dem Auge der ihm zugewendeten Seite seines Kopfes gab, und fügte dann im
ernstesten Tone hinzu: »aber ich habe drüber nachgedacht und 's ist mir
ganz klar, wir sollten nicht diesen Weg gehen. Bin nie diesen Weg
gekommen, 's ist ein verzweifelt einsamer, -- könnten uns leicht
verlieren, -- Gott weiß, wo wir hinkommen könnten.«

»Thut nichts,« sagte Haley, »ich will dennoch diesen Weg gehen.«

»Nun ich nachdenke drüber,« fuhr Sam fort, »ist mir's, als hätt' ich
hören sagen, daß der Weg ganz abgesperrt ist durch Dämme und Zäune, und
so -- nicht wahr, Andy?«

Andy wußte es nicht gewiß; er hatte nur »reden hören« von dem Wege, aber
war ihn nie selbst gegangen. Mit einem Worte, er hielt sich ganz
neutral.

Haley, gewohnt, das Gewicht der Wahrscheinlichkeiten zwischen größeren
und geringen Lügen gehörig abzuwägen, nahm an, daß dasselbe sich zu
Gunsten des erwähnten Holzweges neige. Er glaubte, daß die erste
Erwähnung desselben von Seiten Sam's unwillkührlich gewesen sei, und
seine verwirrten Versuche, ihm davon abzurathen, hielt er für
verzweifelte Lügen, die aus späterem Nachdenken und der Absicht
hervorgingen, Elisa außer Gefahr zu bringen. Als Sam deßhalb den
bewußten Weg anzeigte, nahm er mit entschiedener Wendung seine Richtung
in denselben, während Sam und Andy ihm folgten.

Dieser Weg war in der That ein alter, der früher zum Flusse geführt
hatte, aber seit vielen Jahren, nach Errichtung der Chausseestraße
verlassen worden war. Ungefähr eine Stunde weit zu reiten war er offen,
aber nachher durch verschiedene Zäune und Farmgebäude abgesperrt. Sam
wußte dies alles ganz genau -- und der Weg war in der That schon seit so
langer Zeit unfahrbar geworden, daß Andy niemals davon gehört hatte. Er
ritt deßhalb mit der Miene pflichtschuldiger Ergebung weiter, und nur
von Zeit zu Zeit ließ er einzelne Ausrufe hören, wie, »daß es sehr
holpriger Weg« und »sehr böse für Jerry's Fuß« sei.

»Na denn, ich will Euch was sagen,« begann Haley plötzlich, »ich weiß,
was Ihr wollt mit all dem Geschwätze, -- Ihr wollt mich von dieser
Straße abbringen, aber 's hilft Euch nichts, -- also thut Ihr besser,
Ihr haltet 's Maul.«

»Master will seinen eigenen Weg gehen!« sagte Sam mit dem Ausdrucke
schmerzlicher Ergebung, gleichzeitig jedoch Andy sehr bedeutungsvoll
zuwinkend, dessen Entzücken jetzt nahe daran war loszubrechen.

Sam schien in besonders guter Laune zu sein und that, als wenn er sich
außerordentliche Mühe gebe, die Gegend scharf zu beobachten, indem er
bald ausrief, daß er »einen Weiberhut« auf der Spitze einer entfernten
Höhe sehe, und bald Andy fragte, »ob das nicht Lizy sei -- da unten in
dem Hohlwege,« und dabei diese und ähnliche Ausrufungen immer grade dann
erschallen ließ, wenn sie sich an einer besonders rauhen Stelle des
Weges befanden, wo das schärfere Antreiben der Pferde für alle Theile
besonders unangenehm war, so daß Haley dadurch in einem Zustande
fortwährender Aufregung erhalten wurde.

Nachdem sie auf diesem Wege etwa eine Stunde lang geritten waren, lief
derselbe plötzlich in einen Ackerhof aus, welcher zu einer bedeutenden
Farmbesitzung gehörte. Keine Seele war daselbst sichtbar, da alle
Arbeiter auf dem Felde beschäftigt waren; allein da das nächste
Scheunengebäude klar und deutlich quer über dem Wege stand, so konnte
kein Zweifel darüber obwalten, daß ihre Reise in dieser Richtung zu
einem entschiedenen Ende gelangt sei.

»War's das nicht, was ich Euch vorher gesagt habe?« sagte Sam mit der
Miene beleidigter Unschuld. »Warum denken fremde Herren mehr zu wissen
von der Gegend, als die, die drin geboren und erzogen sind?«

»Du Schuft!« sagte Haley, »Du hast das Alles vorhergewußt.«

»Hab' ich's denn nicht gesagt, daß ich's =wußte=, und Ihr wolltet mir
nicht glauben! Ich sagte Master, daß Alles wäre gesperrt und daß ich
nicht dächte, wir könnten durchkommen -- Andy hat's gehört.«

Es war Alles zu wahr, als daß es hätte in Abrede gestellt werden können,
und der unglückliche Mann mußte seinen Aerger mit so viel Anstand
niederbeißen, als er konnte. Alle drei nahmen dann ihre Wendung zur
Rechten, in gerader Richtung nach der Landstraße.

In Folge aller dieser verschiedenen Verzögerungen war es ungefähr drei
Viertelstunden später, nachdem Elisa ihr Kind in der Dorfschenke zur
Ruhe niedergelegt hatte, als die Gesellschaft auf dasselbe Gebäude
zugeritten kam. Elisa stand am Fenster, nach einer andern Richtung
blickend, als Sam's scharfes Auge ihrer gewahr wurde. Haley und Andy
waren einige Schritte weit hinter ihm zurück. In diesem kritischen
Momente gelang es Sam, seine Kopfbedeckung zu verlieren, als wenn der
Wind sie ihm abgeweht hätte, in Folge dessen er einen lauten, ihm
eigenthümlichen Schrei ausstieß, durch welchen Elisa auf ihn aufmerksam
wurde. Sie zog sich schnell vom Fenster zurück, an dem der ganze Zug
vorüber ging, um an den Haupteingang zu gelangen.

Tausend Leben schienen in diesem Augenblicke in Elisa concentrirt zu
sein. Ihr Zimmer gewährte durch eine Seitenthür einen Ausgang nach dem
Flusse. Sie raffte ihr Kind auf und sprang die zum Ufer hinabführenden
Stufen hinunter. Der Sklavenhändler bekam sie deutlich zu Gesicht gerade
in dem Augenblicke, als sie unter dem Ufer verschwand, und indem er sich
vom Pferde hinab warf, und Sam und Andy ihm zu folgen zurief, sprang er
hinter ihr her wie ein Hund hinter einer gejagten Hirschkuh. In diesem
schwindelnden Momente schienen Elisa's Füße kaum den Boden zu berühren
und ein Augenblick brachte sie an den Wasserrand des Flusses. Dicht
hinter ihr folgten Jene, und -- wie gestählt von einer Kraft, wie sie
Gott nur den Verzweifelnden verleiht, und mit einem wilden Schrei und
flugartigen Sprunge, flog sie über den trüben Strom am Ufer hin bis auf
die nächste Eisscholle. Es war ein unbegreiflicher Sprung, -- der nur in
Wahnsinn oder Verzweiflung gemacht werden konnte, und Haley, Sam und
Andy schrieen instinktmäßig wie aus einem Munde auf und hoben ihre Hände
auf, als sie ihn gewahrten.

Das riesige, grüne Eisstück, auf welchem sie Fuß faßte, krachte und
senkte sich, als ihre Last darauf nieder fiel, aber sie hielt nicht
einen Augenblick an. Unter wilden Schreien und mit verzweifelnder Kraft
sprang sie auf ein anderes und wieder ein anderes Eisstück, während sie
bald stolperte, bald sprang, bald ausglitt, und wieder aufsprang! Ihre
Schuhe waren zurückgelassen -- ihre Strümpfe von den Füßen geschnitten,
-- und jeder Fußtritt war mit Blut gezeichnet; aber sie sah nichts, sie
fühlte nichts, bis nebelartig, wie im Traume, die Ohio-Seite des Flusses
vor ihre Blicke trat und ein Mann ihr das Ufer hinauf half.

»Bist eine brave Dirne, wahrhaftig, wer Du auch immer sein magst!« sagte
der Mann mit einem Schwure.

Elisa erkannte die Stimme und das Gesicht eines Mannes, welcher nicht
weit von ihrer alten Heimath eine Farm besaß.

»O Mr. Symmes! -- retten Sie mich -- bitte, retten Sie mich, --
verbergen Sie mich!« rief Elisa flehend.

»Wie, was ist das?« sagte der Mann. »Ist denn das nicht Shelby's Dirne?«

»Mein Kind! -- dieses Kind! -- er hat es verkauft! Dort ist sein Herr!«
sagte sie, nach dem Kentucky-Ufer hindeutend. »O Mr. Symmes, Sie haben
auch ein Kind!«

»Das habe ich,« sagte der Mann, während er rauh, aber gütig sie das
steile Ufer hinaufzog. »Ueberdieß bist Du eine brave Dirne. Ich achte
Muth, wo ich ihn auch immer finde.«

Als Beide die Höhe des Ufers erreicht hatten, stand der Mann still.

»Ich möchte gern was für Dich thun,« sagte er, »aber ich weiß keinen
Ort, wo ich Dich hinbringen könnte. Das Beste, was ich thun kann, ist,
daß ich Dir rathe, =dort= hinzugehen,« sagte er, auf ein großes, weißes
Gebäude deutend, welches isolirt an der Hauptstraße des Dorfes stand.
»Geh dort hin; das sind gute Leute. Dort ist keine Gefahr für Dich, --
die werden Dir helfen, -- die sind in solchen Fällen immer bereit.«

»Gott segne Sie!« rief Elisa inbrünstig.

»Keine Ursache, gar keine Ursache,« sagte der Mann. »Was ich gethan
habe, hat gar nichts zu bedeuten.«

»O, und nicht wahr, Herr, -- Sie werden's Niemanden sagen?«

»Geh' zum Donnerwetter, Mädchen! Wofür hältst Du Einen? Versteht sich --
nein,« sagte der Mann. »Komm nun, geh' zu, wie eine brave, vernünftige
Dirne, was Du bist. Hast Dir Deine Freiheit gewonnen und sollst sie
behalten, so weit ich's helfen kann.«

Elisa wickelte ihr Kind dichter an ihren Busen, und schritt fest und
eilig weiter. Der Mann blieb stehen und schaute ihr nach.

»Shelby wird dies vielleicht nicht gerade für 'nen sehr nachbarlichen
Dienst halten, -- aber was soll ein Mensch thun? Wenn er eine von meinen
Dirnen auf demselben Striche findet, so mag er mir zurückzahlen. Hab's
nie mit ansehen können, wie die armen Kreaturen rennen und keuchen, um
sich zu retten, und dann die Hunde hinten drein. Weiß auch überhaupt
nicht, warum ich für andere Leute jagen und fangen soll.«

So sprach dieser arme, heidnische Mann von Kentucky, welcher über seine
constitutionellen Beziehungen und Verpflichtungen nie aufgeklärt worden
war, und sich deßhalb verleiten ließ, in einer Art christlichen Weise zu
handeln, welche er, wenn er sich in größerem Wohlstande befunden und
mehr Aufklärung genossen hätte, -- sich schwerlich erlaubt haben würde.

Haley hatte einen förmlich erstarrten Zuschauer der Scene abgegeben, bis
Elisa am gegenüberliegenden Ufer verschwunden war, worauf er sich mit
einem leeren, fragenden Blicke nach Sam und Andy umwandte.

»Das war kein übles Stückchen,« sagte Sam.

»Ich glaube, das Weibstück hat sieben Teufel im Leibe!« sagte Haley,
»Gerade wie 'ne wilde Katze sprang sie!«

»Ja, nu,« sagte Sam, sich in den Haaren kratzend, -- »hoffe, Master wird
uns entschuldigen -- von dem Wege da. -- Denke, habe nicht Courage genug
-- dazu!« mit einem heiseren Lachen hinzufügend.

»Du lachst!« sagte Haley brummend.

»Gott helf mir, Master, ich kann nicht anders -- nun,« sagte Sam, seinem
lange zurückgehaltenen Entzücken vollen Lauf lassend. »'s sah so curios
aus -- wie sie sprang und hüpfte, -- und nun, krack -- das Eis -- und
plump! und platsch! -- Spring' Du und -- o Herr!« -- und Sam und Andy
lachten, daß ihnen die Thränen an den Backen hinunter liefen.

»Wart', ich will Euch auf 'ne andere Weise lachen machen!« sagte Haley,
indem er mit der Reitpeitsche um ihre Köpfe schlug.

Beide duckten sich und rannen schreiend und jauchzend das Ufer hinab,
und waren bei ihren Pferden, ehe er ihnen nachkommen konnte.

»Guten Abend, Master!« rief Sam mit großem Ernste. »Vermuthe sehr,
Missis wird um Jerry besorgt sein. Master Haley wird uns nicht länger
brauchen, -- Missis möcht' 's nicht gerne hören, wenn wir die Thiere
über Lizy's Brücke ritten -- heute Abend noch!« und, Andy muthwillig in
die Rippen stoßend, trabte er, von Letzterem gefolgt, in voller Eile
davon, während der Wind ihr fernes, lautes Gelächter zu Haley
zurücktrug.



Achtes Kapitel.

Ein würdiges Trio.


Die Dämmerung begann gerade herein zu brechen, als Elisa ihren
verzweifelten Rückzug über den Fluß unternahm. Die grauen Abendnebel,
welche langsam vom Flusse aufstiegen, umhüllten sie, als sie am
jenseitigen Ufer verschwand, und der angeschwollene Lauf des Stromes mit
den wogenden Eismassen bildete eine hoffnungslose Schranke zwischen ihr
und ihrem Verfolger. Haley kehrte deßhalb langsam und mißmuthig nach dem
kleinen Wirthshause zurück, um darüber nachzudenken, was weiter zu thun
sei. Die Wirthsfrau öffnete die Thür eines kleinen Zimmers, dessen Boden
mit einem Fragmente von Teppich bedeckt war, und in welchem ein Tisch
mit einer glänzend schwarzen Wachstuchdecke, sowie verschiedene
schlanke, hochlehnige Holzstühle standen, während über dem Kamine und
oberhalb eines schwellenden, dampfenden Feuers mehrere Papierbilder mit
hellen und grellen Farben die Wand bedeckten. Ein langer, harter,
hölzerner Sitz breitete seine unbequeme Länge vor dem Kamine aus, und
hier ließ Haley sich nieder, um über die Unbeständigkeit menschlichen
Glückes und menschlicher Hoffnungen im Allgemeinen zu reflektiren.

»Wozu brauchte ich den verdammten kleinen Balg nun?« sagte er zu sich
selbst, »daß ich mich wie einen Affen habe behandeln lassen müssen, --
was ich bin!« und erleichterte sein Herz sodann dadurch, daß er eine
nicht sehr ausgewählte Litanei von Verwünschungen und Schimpfnamen gegen
sich ausstieß, welche, obgleich jeder mögliche Grund vorhanden ist, sie
als passend zu erachten, wir hier des guten Geschmackes halber unerwähnt
lassen wollen.

Aus diesen Selbstbetrachtungen wurde er durch eine laute und
unharmonische Stimme eines Mannes erweckt, welcher vor der Thür des
Hauses abzusteigen schien. Er eilte an das Fenster.

»Beim Himmel! nun, wenn das nicht gerade so was ist, was die Leute
Vorsehung nennen,« sagte Haley. »Glaube wahrhaftig, das ist Tom Locker.«

Haley eilte hinaus. Am Schenktische, in der Ecke des Zimmers, stand ein
fleischiger, muskulöser Mann, volle sechs Fuß hoch und im Verhältniß
ebenso breit. Er trug einen Rock von Buffalohaut, mit der rauhen Seite
nach Außen, was ihm ein wildes Aeußere verlieh, welches mit dem ganzen
Ausdrucke seiner Physiognomie in vollem Einklange stand. In seiner Kopf-
und Gesichtsbildung zeigte sich jedes Organ, welches Rohheit und
rücksichtslose Gewaltthätigkeit verrieth, in der höchst vollkommensten
Ausbildung. In der That, wenn sich unsere Leser einen Bullenbeißer in
menschlicher Gestalt, mit einem Rock und Hut umherwandelnd denken
könnten, so würden sie keine unrichtige Vorstellung von der Erscheinung
und dem Eindrucke seiner Körperbildung haben. An seiner Seite befand
sich ein Reisegesellschafter, welcher in verschiedenen Beziehungen ein
vollständiges Gegenstück zu ihm bildete. Er war klein und schlank, und
geschmeidig wie eine Katze in seinen Bewegungen, und hatte einen
lauernden Ausdruck in seinen stechenden, schwarzen Augen, mit denen
jeder Zug seines Gesichts im Einklang zu stehen schien. Seine schmale,
lange Nase lief in einer solchen Richtung aus, als wolle sie sich in die
Natur aller Dinge im Allgemeinen einbohren; sein glattes, dünnes,
schwarzes Haar war sorgfältig nach vorn zusammen gelegt, und alle seine
Wendungen und Bewegungen drückten eine trockene, vorsichtige Schärfe
aus. Der große, dicke Mann schenkte ein Bierglas halb voll mit reinem
Branntwein ein und stürzte es hinunter, ohne ein Wort zu sagen. Der
kleine Mann stand auf den Zehen, und nachdem er seinen Kopf zuerst nach
der einen, und dann nach der andern Seite vorgestreckt, und in allen
Richtungen nach den verschiedenen Flaschen gerochen hatte, bestellte er
endlich mit einer dünnen, zitternden Stimme und mit besonders
vorsichtiger Miene ein Glas Sodawasser. Als er es eingeschenkt hatte,
betrachtete er es mit scharfem, wohlgefälligem Blicke, wie ein Mann, der
der Meinung ist, das Rechte gefunden und den Nagel auf den Kopf
getroffen zu haben, und schritt sodann dazu, es in langsamen und
wohlbedachten Schlückchen zu leeren.

»Wahrhaftig, wer hätte das gedacht, daß ich's so gut treffen sollte?
Sieh da, Locker, wie geht's Euch?« sagte Haley vortretend und seine Hand
dem großen Manne entgegen streckend.

»Der Teufel!« war die höfliche Antwort. »Was bringt Euch denn hierher,
Haley?«

Der Mann mit dem lauernden Blicke, welcher den Namen Marks führte, hielt
sofort mit seinem Schlürfen inne und streckte seinen Kopf vor, und
betrachtete scharf und neugierig die neue Bekanntschaft, so wie eine
Katze zuweilen ein wehendes, trockenes Blatt oder irgend einen andern
ähnlichen Gegenstand der Verfolgung betrachtet.

»Na, ich sage, Tom, das ist der glücklichste Zufall in der Welt. Ich bin
in 'ner teufelsmäßigen Patsche, und Ihr sollt mir 'raushelfen.«

»Uf! so? -- wahrscheinlich!« grunzte sein höflicher Freund. »Man kann
sicher auf so 'was rechnen, wenn Ihr Euch freut, Einen zu sehen, daß Ihr
ihn zu irgend 'was braucht. Was gibts denn nun?«

»Ihr habt 'nen Freund hier?« sagte Haley, etwas zweifelhaft auf Marks
blickend, -- »vielleicht ein Compagnon?«

»Ja,« entgegnete Jener. »Hier, Marks! hier, das ist der Kerl, mit dem
ich in Natchez zusammen war.«

»Werde mich freuen, seine Bekanntschaft zu machen,« sagte Marks, seine
lange, dünne Hand wie eine Rabenklaue ausstreckend. »Vermuthe, Mr.
Haley?«

»Derselbe,« sagte Haley. »Und nun, meine Herren, da wir hier so
glücklich zusammen getroffen sind, so denke ich, ich kann hier 'ne
Kleinigkeit zum Besten geben, hier da, in der Wirthsstube. Also nun,
alter Affe,« sagte er zu dem Manne hinter dem Schenktische, »bring' uns
heißes Wasser und Zucker und Cigarren, und 'ne gute Quantität >ächten
Stoff<, und dann wollen wir 'mal lustig sein.«

Der Anordnung gemäß wurden die Lichter angezündet, das Feuer zur hellen
Flamme aufgestört, und bald saßen unsere drei Ehrenmänner um den Tisch,
welcher mit den vorher aufgezählten Erfordernissen guter Kameradschaft
reichlich bedeckt war.

Haley begann einen pathetischen Vortrag seiner eigenthümlichen
Unglücksfälle, welchem Locker mit geschlossenem Munde und finsterer,
mürrischer Aufmerksamkeit zuhörte. Marks, welcher mit großer
Aengstlichkeit und Sorgsamkeit und sehr lebhaften Bewegungen beschäftigt
war, sich ein Glas nach seinem eigenen, besonderen Geschmacke zu
bereiten, blickte von Zeit zu Zeit von seiner Beschäftigung auf, und
indem er sodann seine lange, scharfe Nase und Kinn bis beinahe in
Haley's Gesicht steckte, schien er der ganzen Erzählung die gespannteste
Aufmerksamkeit zu widmen. Der Schluß derselben schien ihn
außerordentlich zu belustigen, denn er schüttelte schweigend seine
Schultern und Seiten, und preßte seine dünnen Lippen mit dem Ausdrucke
großen inneren Vergnügens zusammen.

»Also richtig angeführt, -- nicht so?« sagte er, -- »he, he, he, he! --
's war gut gemacht!«

»Der verdammte Kinderhandel macht Einem unmenschliche Umstände im
Geschäfte,« sagte Haley mit sehr verdrießlicher Miene.

»Wenn wir 'ne Brut Dirnen ausfinden könnten, die nach ihren Jungen
nichts fragen, -- ich sage Euch, 's würde der größte moderne Fortschritt
sein, den ich kenne, -- nicht wahr?« sagte Marks, indem er seinen Scherz
mit einem stillen und wohlgefälligen Lächeln begleitete.

»Ganz recht,« sagte Haley, -- »ich hab's nie begreifen können; Junge
machen ihnen doch 'ne schreckliche Menge Umstände; man sollte doch
denken, sie müßten froh sein, wenn sie sie los würden, -- aber nein. Und
je mehr Umstände solch' ein Junges macht, und je weniger es nütze ist im
Allgemeinen, desto mehr hängen sie dran.«

»Ja, Mr. Haley,« sagte Marks, -- »just reicht mir das heiße Wasser, --
ja, Ihr sagt just das, was ich denke, und wir Alle. Einmal kauft' ich
'ne Dirne, als ich noch im Geschäfte war, -- und 's war ein strammes,
nettes Mensch, und die hatte ein Junges, ein elendes, kränkliches Ding,
bucklich, und wer weiß was Alles. So gab ich's also weg an 'nen Mann,
der's versuchen wollte und 's aufziehen, -- kostete nichts, natürlich;
-- dachte nimmer, wißt Ihr, daß sie was darnach fragen würde, -- aber, o
Herr, nun hättet Ihr sehen sollen, wie sie los ging. Wahrhaftig, mir
kam's vor, als wenn sie 's Balg gerade darum lieber hätte, just weil's
so elend war und immer schrie und sie plagte; -- und sie wollt' sich's
nicht beibringen lassen und wollt's nicht glauben, und schrie und lief
umher, als wenn sie Alles verloren hätte. 's ist meiner Seel' drollig,
daran zu denken. Ja, was die Weiber für Begriffe haben, -- da ist kein
Ende dran!«

»Just so mit mir,« sagte Haley. »Vorigen Sommer, unten am Flusse,
kriegt' ich 'ne Dirne mit in den Handel, die hatte ein Kind, und 's sah
ganz gut aus, und hatte Augen so hell wie Eure; aber, wie ich's näher
besah, fand ich, 's war stockblind. So, wißt Ihr, dacht' ich, 's hätte
weiter nichts auf sich, wenn ich's so mit weg gäbe in den Handel, ohne
weiter was davon zu sagen; -- und wurd's auch richtig los für ein Faß
Whisky; aber wie 's von der Dirne los kriegen? -- die war grade wie ein
Tieger. Es war just ehe wir abgingen, und ich hatte meinen Trupp noch
nicht zusammen gekettet; so -- was hat sie zu thun? -- sie springt auf
'nen Ballen Baumwolle wie 'ne Katze, und reißt einem von den
Schiffsleuten ein Messer weg, und jagt 'ne Minute lang Alles in die
Flucht, bis sie endlich sah, es half ihr nichts; und dann -- dreht sie
sich herum, und mit dem Kopf zuerst, und ihr Junges im Arm, stürzt sie
sich in den Fluß, und, plump, -- ging sie unter, und kam nie wieder
herauf.«

»Pah!« sagte Tom Locker, der diese Erzählungen mit schlecht verhehltem
Widerwillen mit angehört hatte, -- »Dummköpfe, alle beide! =meine=
Dirnen machen mir solche Streiche nicht, -- das sag ich Euch!«

»Wirklich! und wie macht Ihr's denn?« fragte Marks dreist.

»Machen? was, -- wenn ich 'ne Dirne kaufe, und sie hat ein Junges, das
loszuschlagen ist, so geh' ich zu ihr 'ran, und halt' ihr meine Faust
unter's Gesicht, und sage: >Gieb Acht, nun, wenn Du mir ein Wort hören
läßt aus Deinem Munde, so zerschmettr' ich Dir 's Gesicht. Kein Wort
will ich hören, -- nicht den Anfang davon.< So sag' ich zu ihr, und:
>das Junge da ist mein, und nicht Dein, Du hast nichts damit zu thun;
-- ich verkaufe 's an den Ersten besten, und merke Dir, daß Du mir keine
Streiche machst, oder Du sollst wünschen, daß Du nie geboren worden
wärest.< Sage Euch, sie merken's bald, s' ist kein Spaß zu machen, wenn ich
sie habe. Ich mache sie so stumm wie Fische; und wenn eine anfängt, und
schreit los, und dann --;« und Mr. Locker ließ seine Faust mit einer
solchen Gewalt auf den Tisch niederfallen, daß der unausgesprochene Schluß
seiner Rede sich vollständig daraus erklären ließ.

»Das ist, was Ihr =Nachdruck= nennen könnt,« sagte Marks, indem er Haley
in die Seite stieß, und wieder in ein leises Kichern verfiel. »Ist Tom
nicht ein kurioser Kerl? he, he, he! Tom, ich glaube, Ihr bringt's den
Negerköpfen bei, -- Euch verstehen sie, Tom, ohne Zweifel. Wenn Ihr
nicht der Teufel selbst seid, so seid Ihr wenigstens sein
Zwillingsbruder, -- so viel sage ich!«

Tom nahm das Compliment mit angemessener Bescheidenheit auf, und begann
eine so leutselige Miene anzunehmen, wie es, nach John Bunyan's Worten,
»mit seiner hündischen Natur möglich war.«

Haley, welcher von den Vorräthen des Abends in reichem Maße zu sich
genommen hatte, fühlte seine moralischen Fähigkeiten angeregt und
gehoben, -- was unter ähnlichen Umständen bei Männern von ernster und
schweigsamer Natur kein ungewöhnliches Phänomen ist.

»Na, hört, Tom,« sagte er, »Ihr seid wirklich zu schlecht, wie ich's
immer gesagt habe. Ihr wißt, Tom, Ihr und ich haben öfters über diese
Dinge gesprochen in Natchez, und ich habe Euch immer bewiesen, daß wir
grade eben so viel machten und wären wohl auf in dieser Welt, wenn wir
sie gut behandelten, und hätten außerdem mehr Aussicht endlich in's
Himmelreich zu kommen, wenn Staub geht zu Staub, und dann nichts mehr zu
holen ist, -- Ihr wißt?«

»Pah!« sagte Tom, »weiß ich nicht? -- macht mir nicht übel mit Eurem
Unsinn, -- mein Magen ist so nicht in Ordnung;« -- und Tom schüttete ein
halbes Glas reinen Brandwein hinunter.

»Ich meine,« sagte Haley, sich in seinen Stuhl zurück legend, und sehr
nachdrucksvoll gestikulirend, -- »ich meine, 's war immer meine Absicht,
meinen Handel so zu treiben, daß ich =vor allen Dingen= Geld bei
verdiene, so viel wie Einer; aber dann, -- Handel macht nicht Alles, und
Geld macht nicht Alles, denn wir haben Seelen. Ich frage nichts darnach,
nun, wer's hört, -- und schere mich den Henker darum, -- und kann's also
grade heraus sagen. Ich glaube an Religion, und nächstens, wenn ich
Alles sicher und in Ordnung habe, so will ich meine Seele auf diese
Dinge richten; -- also wozu nützt's, mehr Schlechtigkeit zu begehen, als
durchaus nothwendig ist? -- 's scheint mir gar nicht klug gethan.«

»Eure Seele richten!« wiederholte Tom verächtlich; »sucht nur in Euch
herum nach 'ner Seele, -- thut besser, spart Euch alle Mühe, was das
betrifft. Wenn der Teufel Euch durch ein Haarsieb siebt, so wird er
keine finden.«

»Nun, aber, Tom, Ihr nehmt's übel,« sagte Haley, »warum könnt Ihr's
nicht gut aufnehmen, wenn ein Mensch zu Eurem Besten spricht.«

»Halt Euer Maul davon,« entgegnete Tom brummisch. »Kann meist all' Euer
Geschwätz aushalten, ausgenommen Euren frommen Unsinn. Und am Ende, was
ist denn der Unterschied zwischen Euch und mir? 'S ist nicht, daß Ihr
Euch ein Bißchen mehr daraus macht, oder daß Ihr ein Bißchen mehr Gefühl
habt, -- nein, 's ist reine, klare, hünd'sche Gemeinheit, -- wollt' den
Teufel betrügen, und Eure eigne Haut retten; -- seh' ich nicht durch und
durch? All Euer religiös Werden, wie Ihr's nennt, ist zu erbärmlich
gemein für irgend eine Kreatur; -- habt Euer ganzes Leben 'ne lange
Rechnung mit dem Teufel gemacht, und wollt Euch dann davon schleichen,
wenn's an's Zahlen geht! Pah!«

»Kommt', kommt', meine Herren, halt, das ist kein Geschäft,« sagte
Marks. »Ihr wißt, es giebt verschiedene Seiten, alle Dinge zu
betrachten. Mr. Haley ist ein vortrefflicher Mann, ohne Zweifel, und hat
sein eignes Gewissen; und Ihr, Tom, habt Eure Ansichten, und sehr gute,
Tom; aber Streit anfangen, wißt Ihr, führt zu keinem Zwecke. Laßt uns
also an's Geschäft gehen. Nun, Mr. Haley, was ist's? -- Ihr wollt, wir
sollen's übernehmen, die Dirne da einzufangen?«

»Die Dirne geht mich nichts an, -- sie gehört Shelby; 's ist nur ihr
Junges. Ein Esel war ich, daß ich den Affen gekauft habe!«

»Ihr seid meist immer ein Esel!« sagte Tom brummisch.

»Na, Locker, keine Bisse weiter,« sagte Marks, seine Lippen leckend;
»Ihr seht, Mr. Haley will uns ein gutes Geschäft machen lassen, gewiß;
nun seid 'mal ruhig; -- diese Art Sachen abzumachen das ist grade mein
Forte. Also, Mr. Haley, diese Dirne, -- wie ist sie? was ist sie?«

»Nun, -- weiß und hübsch, -- gut aufgebracht. Ich hätte Shelby so 'n
achthundert oder tausend für geboten, und doch noch ein gutes Geschäft
mit gemacht.«

»Weiß und hübsch, -- gut aufgebracht!« sagte Marks, während seine
scharfen Augen, Nase und Mund von Begierde strahlten; -- »nun, schaut
hier, Locker, ist das nicht eine prächtige Gelegenheit? Wir machen hier
ein Geschäft für eigne Rechnung; -- wir besorgen 's Fangen: -- das Junge
natürlich kriegt Mr. Haley, -- und die Dirne bringen wir nach Orleans,
und speculiren mit. Ist es nicht prächtig?«

Tom, dessen großer, schwerer Mund während der Mittheilung weit offen
gestanden hatte, ließ ihn jetzt plötzlich zuschnappen, ungefähr so, wie
ein großer Hund ein Stück Fleisch fest zu halten pflegt, und schien die
Idee in Gemächlichkeit verdauen zu wollen.

»Seht,« sagte Marks zu Haley, während er seinen Punsch umrührte, »seht,
wir haben hier das ganze Ufer entlang, auf allen Punkten, Richter genug,
die uns 'nen kleinen Gefallen in unsern Geschäften thun, -- ganz billig.
Tom besorgt das Festhalten und so, -- und ich komme dann herein, --
angezogen, -- blanke Stiefeln, -- alles großartig, wenn das Schwören
abzunehmen ist. Solltet nur 'mal sehen,« sagte Marks in einem Gefühle
geschäftigen Stolzes, »wie ich dabei reden kann. Heut bin ich Mr.
Twickem, von New-Orleans, -- und morgen komm' ich von meinen Plantagen
am Perl-Fluß; und ein andres Mal bin ich ein weitläufiger Verwandter von
Henry Clay, oder sonst irgend 'nen alten Hahn in Kentucky. Ihr wißt,
Talente sind verschieden. Tom ist ein Hauptkerl, wenn's an's Schlagen
geht, -- aber lügen, -- nein, dazu ist er nichts nütze, Tom nicht, --
seht, 's ist ihm gar nicht natürlich; aber, Herr, wenn da Einer ist, im
ganzen Lande, der Alles und Jedes beschwören kann, und alle die Umstände
und was dazu gehört, hinein bringen kann, und bringt's besser durch als
ich, -- den möcht' ich sehen! -- Ich glaube, -- meiner Seel' -- ich käme
durch, wenn auch die Richter genauer wären, als sie sind. Manchmal war's
mir wirklich lieber, wenn sie genauer waren; -- 's machte mehr Spaß, --
wißt Ihr.«

Tom Locker, der, wie wir angedeutet haben, ein Mensch von langsamen
Entschlüssen und Bewegungen war, unterbrach hier Marks dadurch, daß er
seine schwere Faust in solcher Weise auf den Tisch niederfallen ließ,
daß Alles davon wiederhallte. »Das 's genug!« rief er.

»Gott sei bei Euch, Tom, Ihr braucht ja nicht alle Gläser zu
zerbrechen!« sagte Marks; »hebt Euch Eure Faust auf, wenn's Noth thut.«

»Aber, meine Herren, soll ich denn keinen Theil am Profit haben?« fragte
Haley.

»Ist 's nicht genug, wenn wir 's Junge für Euch fangen?« sagte Locker.
»Was wollt Ihr weiter?«

»So,« sagte Haley, »wenn ich Euch 's Geschäft gebe, so ist's doch 'was
werth, -- wenigstens zehn Procent vom Profit, die Ausgaben abgerechnet.«

»Nu seht mir,« sagte Locker mit einem schrecklichen Fluche seine schwere
Faust von Neuem auf den Tisch nieder schlagend, -- »kenn' ich denn Euch
nicht, Daniel Haley? Denkt nur nicht, daß Ihr über mich kommen wollt!
Nicht wahr, -- Marks und ich, wir haben den Fanghandel angefangen grade
nur um solchen Herren, wie Ihr seid, zu dienen, und nichts für uns
selbst dabei zu haben? -- Nein, noch lange nicht, wir wollen's
Frauenzimmer haben -- ganz, und Ihr haltet 's Maul, oder -- versteht
Ihr -- wir wollen sie beide haben. -- Wer sollt' uns hindern? -- Habt Ihr
uns nicht gezeigt, wie man 's machen muß? 'S ist uns so gut erlaubt wie
Euch, denk' ich; -- und wenn Ihr oder Shelby etwa Jagd auf uns machen
wollt, -- na, da seht zu wo die Rebhühner voriges Lager lagen; -- wenn
Ihr sie findet, soll's recht sein.«

»Schon gut, versteht sich, laßt 's nur so gehen,« sagte Haley
unruhig: -- »Ihr fangt mir den Jungen dafür; -- weiß ja, Tom, Ihr habt
immer ehrlich mit mir gehandelt, und Euer Versprechen gehalten.«

»Ihr wißt's,« sagte Tom, »daß ich keinen von Euren Schleich- und
Schniffelwegen habe, aber ich will auch selbst den Teufel nicht belügen
in meinem Geschäfte; -- was ich sage, das halt' ich, -- Ihr wißt das,
Dan Haley!«

»Ganz recht, ganz recht, ich sagt's schon,« entgegnete Haley, »und wenn
Ihr mir nur versprechen wollt, den Jungen in acht Tagen oder so an
irgend 'nen bestimmten Ort zu bringen, -- das ist Alles, was ich will.«

»Aber, 's ist nicht Alles, was ich will, -- lange nicht, --« sagte Tom.
»Ihr müßt nicht denken, ich bin mit Euch in Natchez im Geschäfte gewesen
für nichts, Haley; -- ich hab's gelernt von Euch 'nen Aal festzuhalten,
wenn ich ihn gefangen habe. Ihr müßt mir fünfzig Dollar spucken, baar
Geld, -- oder mit dem Kinde geht's keinen Schritt vorwärts -- kenne
Euch!«

»Was, wenn Ihr ein Geschäft macht, was Euch 'en tausend oder
sechszehnhundert rein einbringt, Tom, -- das ist unbillig,« sagte Haley.

»Ja, und haben wir denn nicht Geschäfte auf fünf Wochen vollauf, -- mehr
als wir machen können? Und wenn wir nun Alles liegen lassen und rennen
hinter Eurem Jungen her und kriegen endlich 's Weibsstück doch nicht, --
und Weibsvolk ist teufelmäßig zu fangen, -- was dann? Werdet Ihr uns
dann einen Cent bezahlen, -- he, wollt Ihr? O ja, ich seh's Euch schon
thun, -- uf! -- Nein, nein, Ihr schmeißt Eure fünfzig Dollar 'raus. Wenn
wir 's Geschäft machen und 's lohnt sich, so sollt Ihr sie zurück haben;
wenn nicht, so ist's für unsre Mühe, -- das ist nicht mehr als billig,
nicht wahr, Marks?«

»Versteht sich, versteht sich,« sagte Marks mit versöhnendem Tone, --
»'s ist nur ein Kostenvorschuß, versteht Ihr -- he! he! he! -- wir sind
Advokaten. Wohl, wir müssen Alle bei guter Laune bleiben -- versteht
Ihr. Tom bringt Euch den Jungen wohin Ihr ihn haben wollt, -- nicht
wahr, Tom?«

»Wenn ich 's Junge finde, will ich's nach Cincinnati bringen und bei
Granny Betcher, am Strande, lassen,« sagte Locker.

Marks hatte inzwischen aus seiner Tasche eine schmutzige Brieftasche
hervorgeholt, aus welcher er ein langes Papier herausnahm, sich
niedersetzte und seine stechenden, schwarzen Augen darauf heftend,
dessen Inhalt halblaut und abgebrochen zu lesen begann: »Barnes --
Shelby Distrikt -- Bursche Jim, dreihundert Dollar, todt oder lebendig.
-- Edwards -- Dick und Luey -- Mann und Frau, sechshundert Dollar; --
Weib Polly mit zwei Jungen -- sechshundert für sie oder ihren Kopf.«

»Ich laufe grade nur unsre Liste über, um zu sehen, ob wir das Geschäft
handlich übernehmen können. Locker,« sagte er nach einer Pause, »ich
denke, wir müssen Adams und Springer auf die Spur setzen; die sind schon
'ne gute Weile hier notirt.«

»Werden zu viel fordern,« sagte Tom.

»Das will ich schon abmachen; -- sind noch jung im Geschäfte und müssen
billig arbeiten,« sagte Marks, während er fortfuhr zu lesen. »Hier sind
drei ganz leichte Fälle, -- haben natürlich nichts weiter zu thun, als
sie niederzuschießen oder zu schwören, daß sie niedergeschossen sind, --
können nicht viel fordern dafür. Die andern Fälle,« fügte er hinzu, sein
Papier wieder zusammenschlagend, »lassen sich schon noch 'ne Weile
aufschieben. Also laßt uns die besondern Umstände hören, Mr. Haley. Ihr
habt sie also gesehen, die Dirne, als sie an's Ufer kam?«

»Zuverlässig, -- so deutlich, wie ich Euch sehe.«

»Und ein Mann half ihr das Ufer hinauf?« fragte Locker.

»Freilich, das hab' ich gesehen.«

»Wahrscheinlich,« sagte Marks, »ist sie irgendwo versteckt worden; aber
wo -- das ist die Frage. Tom, was sagt Ihr?«

»Müssen heute Abend noch über den Fluß, -- keine Frage,« sagte Tom.

»Aber da ist kein Boot,« sagte Marks; -- »und das Eis treibt
fürchterlich, Tom, -- ist's nicht gefährlich?«

»Weiß nicht -- nichts, -- aber 's muß geschehen,« sagte Tom entschieden.

»Nun, aber,« sagte Marks unruhig, »'s wird -- seht nur,« an das Fenster
gehend, »'s ist finster wie in 'nem Wolfsrachen, und, Tom --«

»Kurz und lang, Ihr seid furchtsam, Marks; -- kann aber nichts helfen,
-- müßt hinüber. Glaube gar, Ihr wollt hier ein paar Tage liegen
bleiben, bis die Dirne in die Niederung geschleppt ist, nach Sandusky
oder so, eh' Ihr Euch dran macht.«

»O nein, bin nicht furchtsam, -- gar nicht,« sagte Marks, »nur --«

»Was nur?« sagte Tom.

»Ich meine 's Boot. Ihr seht, 's ist kein Boot hier.«

»Die Frau hat mir gesagt, daß eins kommt diesen Abend, und daß ein Mann
drin überfahren will. Alles oder nichts, wir müssen mit ihm hinüber,«
sagte Tom.

»Ihr habt doch gute Hunde?« sagte Haley.

»Die allerbesten,« sagte Marks; »aber was helfen sie? Ihr habt nichts
von ihr, um sie dran riechen zu lassen.«

»O ja,« entgegnete Haley triumphirend. »Hier ist ihr Tuch, was sie in
der Eile auf dem Bette zurückgelassen hat, -- und ihr Hut auch.«

»Das ist gut,« bemerkte Locker, »gebt's her.«

»Aber die Hunde könnten 's Weib beschädigen, wenn sie unversehends drauf
zu kämen,« sagte Haley.

»Freilich, das ist 'ne andre Frage,« erwiderte Marks. »Unsre Hunde
rissen neulich 'nen Kerl halb in Stücke, in Mobile, eh' wir sie von ihm
loskriegen konnten.«

»Ja, also, seht, =die= Sorte wird verkauft darnach wie sie aussieht,
also, seht, -- das geht nicht,« sagte Haley.

»Freilich,« entgegnete Marks. »Außerdem, wenn sie irgendwo versteckt
worden ist, hilft's auch nichts. Hunde sind nichts nütze hier in diesen
Staaten, wo sie diese Ausreißer fahren; natürlich, sie können die Spur
nicht finden. Sie sind nur weiter unten gut, in den Plantagen, wo die
Niggers, wenn sie ausreißen wollen, selbst laufen müssen und keine Hülfe
bekommen.«

»Na denn,« sagte Locker, der inzwischen hinausgegangen war, um
Erkundigungen einzuziehen, »ich höre, der Mann mit dem Boote ist
gekommen; also Marks --«

Dieser Ehrenmann warf einen traurigen Blick auf die behaglichen
Verhältnisse, die er verlassen mußte, aber erhob sich langsam von seinem
Sitze, um zu gehorchen. Nach einigen weiter gewechselten Worten, das
Uebereinkommen betreffend, händigte Haley mit sichtbarem inneren
Sträuben, die fünfzig Dollar an Tom aus, und das würdige Trio trennte
sich sodann für diesen Abend.

Wenn Einigen unter unsern gebildeten und christlichen Lesern die
Gesellschaft zuwider ist, in welche sie in dieser Scene eingeführt
worden sind, so müssen wir sie bitten, ihre Vorurtheile bei Zeiten zu
bekämpfen, indem wir sie daran erinnern, daß das Geschäft des Einfangens
der Sklaven jetzt angefangen hat zu einem gesetzlichen und patriotischen
Berufe erhoben zu werden. Wenn all' das weite Land zwischen dem
Mississippi und dem stillen Ocean ein großer Markt für Körper und Seelen
wird und menschliches Eigenthum die locomotiven Tendenzen des
neunzehnten Jahrhunderts beibehält, so können der Sklavenhändler und der
Sklavenfänger leicht noch in den Reihen unserer Aristokratie Aufnahme
finden.

                         -------------------------

Während diese Scene sich im Wirthshause zutrug, verfolgten Sam und Andy
in höchster Selbstzufriedenheit ihren Rückweg. Sam befand sich im
Zustande der vollkommensten Ausgelassenheit und drückte seinen Jubel
durch übernatürliches Schreien und Geheul aller Art und durch die
verschiedenartigsten Bewegungen und Verdrehungen seines ganzen Körpers
aus. Zuweilen saß er rückwärts, mit dem Gesichte nach dem Pferdeschweife
zugewendet und sprang dann plötzlich mit einem Schrei und Burzelbaume
herum auf die andre Seite und zog sein Gesicht in eine ernste Länge und
begann Andy in hochtrabenden Worten Vorhaltungen über sein Lachen und
seine Narrenstreiche zu machen. Mit allen diesen Evolutionen gelang es
ihm, die Pferde in vollster Eile zu erhalten, bis deren Hufe endlich
zwischen zehn und elf Uhr auf dem gepflasterten Wege unter dem Balkone
des Hauses erklangen. Mistreß Shelby flog hinaus auf den Balkon.

»Bist Du es, Sam? Wo sind sie?« rief sie.

»Master Haley ausruht in dem Wirthshause; er 's schrecklich müde,
Missis,« entgegnete Sam.

»Und Elisa, Sam?«

»Sie 's über den Jordan, -- wie man könnte sagen, im Lande Canaan.«

»Wie, Sam, was meinst Du?« sagte Mrs. Shelby athemlos und beinahe
ohnmächtig, als sie die mögliche Meinung dieser Worte faßte.

»Wohl, Missis, der Herr schützt die Seinen. Lizy ist über den Fluß
gekommen, in Ohio, so merkwürdig, als wenn sie der Herr hinüber getragen
hätte in 'nem feurigen Wagen und zwei Pferden.«

Sam's Frömmigkeitsader war immer sehr voll und warm, wenn er vor seiner
Mistreß stand, und er pflegte sich dann stark in biblischen Figuren und
Bildern zu bewegen.

»Komm' hier herauf, Sam,« sagte Mr. Shelby, der seiner Frau in die
Veranda gefolgt war, »und erzähle Deiner Mistreß, was sie zu wissen
verlangt. Komm', komm', Emilie,« fügte er dann hinzu, »Du bist kalt und
frierst; Du gibst Dich Deinen Gefühlen zu sehr hin.«

»Meinen Gefühlen zu sehr hin? Bin ich nicht ein Weib und -- eine Mutter?
Sind wir nicht beide Gott für dieses arme Wesen verantwortlich? O mein
Gott! schreibe diese Sünde nicht in unser Schuldbuch!«

»Welche Sünde, Emilie? Du siehst ja selbst, daß wir nur das gethan
haben, was wir gezwungen waren zu thun.«

»Und dennoch lastet ein schreckliches Gefühl von Schuld auf mir,« sagte
Mrs. Shelby, -- »ich kann es durch keine Vernunftgründe verscheuchen.«

»Hier Andy, Du, Nigger, sei munter!« rief Sam unter der Veranda; »bringe
hier diese Pferde in den Stall, -- hörst nicht Master rufen?« und gleich
darauf erschien Sam, sein Palmblatt in der Hand, in der Thür des
Zimmers.

»Nun, Sam, erzähle uns deutlich, was sich begeben hat,« sagte Mr.
Shelby. »Wo ist Elisa, wenn Du es weißt.«

»Wohl, Master, ich sah sie mit mein eigen Augen, wie sie ging 'nüber das
schwimmende Eis. 's war ganz erstaunlich, 's war beinahe ein Wunder; --
und dann sah' ich einen Mann, der half ihr 'nauf die Ohioseite, und dann
war sie verschwunden in Nebel.«

»Sam, dies kommt mir etwas apocryphisch vor -- dieses Wunder. Ueber das
schwimmende Eis zu gehen, ist nicht so leicht,« sagte Mr. Shelby.

»Leicht, -- kein Mensch hätt's thun können ohne den Herrn. Ja, seht,«
sagte Sam, »'s war just so. Master Haley, und ich, und Andy, wir kommen
an das kleine Wirthshaus am Flusse, und ich reite ein Stückchen voraus
(war so begierig Lizy zu fangen, konnt' mich gar nicht halten) -- und
wie ich näher an's Fenster komme, da stand sie groß und breit, und =Die=
hinter mir drein. So ich verliere meinen Hut, und schreie auf laut
genug, um alle Todten aufzuwecken. Lizy, natürlich, hört's und duckt
sich, wie Master Haley das Fenster passirt; und dann, seht, springt sie
durch 'ne Seitenthür hinaus und hinunter an den Fluß. Master Haley sah
sie ganz deutlich, und schrie uns zu, und er und ich und Andy, wir
hinter ihr drein. -- Sie springt grad' hinunter an den Fluß, und da ging
ein Strom am Ufer entlang -- zehn Fuß breit -- und dahinter 'ne große
Menge Eis auf und nieder -- grade als wär's ein Eiland. Wir sind dicht
hinter ihr, und ich dacht' mein Seel', er hätte sie sicher genug, --
wenn sie mit einmal solchen Schrei ausstößt wie ich nimmer gehört, --
und da war sie -- grad' hinüber über den Strom -- bis auf's Eis, und nun
ging sie weiter -- springend und schreiend, -- und das Eis ging krack!
-- krack! -- auf und nieder -- und sie drüber weg springt grad' wie ein
Bock! -- O Herr! die Sprünge, die diese Dirnen in sich haben, 's ist
unglaublich -- denk' ich!«

Mrs. Shelby saß schweigend da, blaß vor innerer Aufregung, während Sam
seine Geschichte erzählte.

»Gott sei gelobt, so ist sie nicht todt!« sagte sie dann; »aber wo ist
das arme Kind nun?«

»Der Herr wird sorgen,« sagte Sam, seine Augen fromm aufrollend. »Wie
ich gesagt habe, 's ist 'ne Vorsehung und kein Zweifel, wie Missis uns
immer gelehrt hat. Da immer sind Werkzeuge, um des Herrn Willen zu thun.
So, wenn's ich nicht gewesen wäre heut, sie wäre ein Dutzend Mal
gefangen worden. War's nicht ich, der die Pferde los ließ diesen Morgen
und bis gegen Mittag mit herum jagte? Und habe ich nicht Master Haley
gut fünf Meilen weit vom Wege abgebracht, diesen Abend, oder er hätte
Lizy so leicht eingeholt, wie ein Hund 'nen Affen. Diese Dinge alle
Vorsehung.«

»Diese Dinge sind eine Art Vorsehung, die ich Dir in Zukunft rathe wohl
zu vermeiden, Master Sam. Ich erlaube nicht dergleichen Streiche gegen
Herren auf meiner Besitzung,« sagte Mr. Shelby mit so vielem Ernste,
wie er unter den obwaltenden Umständen in seinem Gesichte
zusammenbringen konnte.

Es ist jedoch eben so vergeblich, einen Neger glauben machen zu wollen,
daß man erzürnt gegen ihn sei, wie ein Kind; beide erkennen
instinktmäßig den wahren Stand der Dinge, aller Bemühungen ungeachtet,
den entgegengesetzten Eindruck zu erzeugen, und Sam wurde deßhalb durch
diesen Vorwurf nicht im Geringsten entmuthigt, obgleich er die Miene
ernster Betrübniß annahm und mit heruntergezogenen Mundwinkeln in höchst
reuiger Haltung da stand.

»Master ganz recht -- ganz recht; war sehr häßlich von mir -- ohne
Zweifel, -- und natürlich, Master und Missis werden so 'was nicht gut
heißen. Sehe das ein, ja -- aber ein armer Nigger wie ich manchmal groß
in Versuchung, häßlich zu handeln, wenn ein Mensch sich solchen Anschein
geben will, wie da Mr. Haley; -- er kein Gentleman; -- wer so erzogen
worden wie ich, das leicht kann sehen.«

»Gut, Sam,« sagte Mrs. Shelby, »da Du Deine Fehler gebührender Maßen
einzusehen scheinst, so magst Du nun zu Tante Chloë gehen und ihr sagen,
daß sie Dir von dem kalten Schinken etwas geben soll, der von heut
Mittag übrig geblieben ist. Du und Andy, Ihr müßt beide hungrig sein.«

»Missis groß viel zu gut für uns,« sagte Sam, indem er seine Verbeugung
mit großer Behendigkeit machte und das Zimmer verließ.

Unsere Leser werden bemerkt haben, was von uns schon früher angedeutet
worden ist, daß Sam ein angeborenes Talent besaß, welches ihn in einem
politischen Leben ohne Zweifel zu großer Auszeichnung erhoben haben
würde, -- das Talent, ein Kapital aus Allem zu machen, was sich ihm
darbot, und es zu seinem besondern Preise und Ruhme zweckmäßig
anzulegen. Nachdem er jetzt, wie er glaubte, hinreichende Frömmigkeit
und Demuth an den Tag gelegt hatte, um sich die Zufriedenheit des
herrschaftlichen Wohnzimmers zu sichern, klappte er sein Palmblatt um
den Kopf mit einer Art #rakish, free and easy air#, und wandte sich dem
Gebiete Tante Chloë's zu, mit der Absicht, diesen Abend in der Küche
eine sehr bedeutende Rolle zu spielen.

»Ich will reden zu diesen Niggers,« sagte er zu sich selbst, »nun ich
'ne Gelegenheit habe. Herr! wie will ich das rollen auf, daß sie sollen
starren!«

Es muß hier erwähnt werden, daß es von jeher zu Sam's größten Genüssen
gehört hatte, seinen Herrn als Diener auf Reisen zu politischen
Versammlungen jeder Art begleiten zu dürfen, wo er, auf irgend einem
eisernen Gitter sitzend oder hoch oben in einem Baume hängend, die
Redner mit dem größten Wohlgefallen anzuhören schien, und sodann zu den
verschiedenartigen Brüdern seiner eignen Farbe hinab stieg, welche sich
zu demselben Zwecke hier versammelt hatten, und diese durch die
seltsamsten Possen und Nachahmungen zu ergötzen suchte, welche jedoch
alle von ihm mit dem feierlichsten und unerschütterlichsten Ernste zum
Besten gegeben wurden; und obgleich die um ihn zunächst versammelten
Zuhörer meist Brüder seiner eigenen Farbe waren, so geschah es doch
nicht selten, daß diese von einem Kranze hellerer Gesichter
eingeschlossen wurden, welche lachend und winkend zu Sam's größter
Genugthuung zuhörten. Sam sah überhaupt die Redekunst als das Feld
seines Berufes an und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, diesen Beruf
zu verherrlichen.

Leider herrschte zwischen Sam und Tante Chloë seit alten Zeiten eine Art
chronischer Fehde, oder vielmehr eine entschiedene Kälte; allein, da
Sam, als nothwendige Unterlage zu seinen Operationen, auf etwas Solides
aus dem Departement der Vorrathskammer speculirte, so beschloß er bei
dieser Gelegenheit den möglichst versöhnendsten Ton anzustimmen; denn er
wußte sehr wohl, daß, obgleich die von »Missis« gegebenen Befehle ohne
Zweifel buchstäblich befolgt werden würden, es dennoch für ihn von
Vortheil sein könne, wenn es ihm zugleich gelänge, den guten Willen
Tante Chloë's für sich zu gewinnen. Er erschien deßhalb vor ihr mit
einer rührenden Miene von Erschöpfung und Resignation, wie Jemand, der
um eines verfolgten Mitmenschen willen namenlose Leiden ausgestanden
hat, -- brachte die von »Missis« erhaltene Weisung vor, sich an Tante
Chloë wegen der zur Wiederherstellung seines Gleichgewichts
erforderlichen Speisen und Getränke zu wenden, -- und erkannte dadurch
auf unzweifelhafte Weise ihr Hoheitsrecht über das ganze
Küchendepartement mit allen Zubehörungen an.

Die List gelang vollkommen; denn nie wurde eine arme, einfache,
unschuldige Seele durch einen Stimmen sammelnden Parlamentscandidaten
leichter gewonnen, als Tante Chloë durch Sam's Schmeicheleien; und wenn
er selbst der verlorene Sohn gewesen wäre, so hätte er nicht mit mehr
mütterlicher Freigebigkeit überschüttet werden können. Er fand sich also
sehr bald, glücklich und ruhmvoll vor einer zinnernen Pfanne sitzend,
welche eine Art #olla potrida# alles dessen enthielt, was in den letzten
zwei bis drei Tagen auf den Tisch gekommen war. Saftige Scheiben
Schinken, goldene Stücke Kornkuchen und Fragmente einer Pastete von
jeder denkbaren mathematischen Figur, Hühnerflügel, Kropf und Magen,
Alles zeigte sich in einer malerischen Mischung; und Sam, als
Beherrscher alles dessen, was er übersehen konnte, saß mit fröhlich auf
die Seite gedrücktem Palmblatte davor, und erlaubte huldreich Andy, an
seiner rechten Seite zu sitzen.

Die ganze Küche war angefüllt mit seinen Gevattern, die von ihren
verschiedenen Hütten herbeigeeilt waren und sich hineingedrängt hatten,
um das Resultat der Tagesbegebenheiten zu hören. Jetzt hatte Sam's
glorreiche Stunde geschlagen. Die Geschichte des Tages wurde mit jeder
möglichen Ausschmückung wiederholt, die dazu dienen konnte, den Effekt
zu erhöhen; denn Sam, gleich einigen unserer modernen Dilettanti, ließ
nie eine Erzählung an ihrer Vergoldung dadurch verlieren, daß sie durch
seine Hände ging. Brüllendes Gelächter begleitete den Bericht, und wurde
von der jüngern Brut, welche in verschiedenen Gruppen auf dem Erdboden
und in allen Ecken umher lag, aufgenommen und fortgesetzt. Sam hingegen
bewahrte während dieses Tumultes und Gelächters den unerschütterlichsten
Ernst, nur von Zeit zu Zeit seine Augen aufrollend und seinen Zuhörern
unaussprechlich komische Blicke zuwerfend, ohne jedoch seinen
salbungsreichen Ton zu verlassen.

»Seht, Landsleute,« sagte Sam, während er eine Entenkeule mit großer
Energie aufhob, -- »Ihr seht nun, dieses Kind grade -- wie das ist ein
Schutz geworden für Euch alle, -- ja, Euch alle, denn wer einen von
unsern Leuten versucht zu langen, ist eben so gut, als wenn alle: Ihr
seht, das =Princip= 's dasselbe, -- das ist klar. Und jeder von diesen
Treibern, der da kommt hier herum schnüffeln nach unsern Leuten, ja, er
soll mich treffen in seinem Wege; -- =ich= bin der Kerl, mit dem er
anbinden muß, -- =ich= bin der Kerl, zu dem Ihr alle kommen müßt,
Brüder, -- ich will aufstehen für Eure Rechte, -- ich sie vertheidigen
bis zum letzten Hauch!«

»Aber Sam, erst diesen Morgen sagtest Du mir, daß Du Master helfen
wolltest, Lizy zu fangen, -- scheint mir doch, 's hängt nicht recht
zusammen, was Du sagst,« bemerkte Andy.

»Ich will Dir sagen, Andy,« entgegnete Sam mit dem Ausdrucke einer
furchtbaren Ueberlegenheit, »mußt nicht sprechen, von was Du gar nicht
verstehst, -- Burschen wie Du, Andy, meinen's gut, aber können nicht die
großen Princips von Handlungen colludiren.«

Andy machte eine verlegene Miene, besonders in Folge des gewichtigen
Wortes »colludiren,« welches alle die jüngeren Mitglieder der
Gesellschaft als entscheidend in der Sache ansahen, während Sam
fortfuhr:

»Das war =Gewissen=, Andy; -- als ich dachte drauf Lizy zu verfolgen,
glaubt' ich, Master sitze den Weg; als ich fand, Missis saß den andern
Weg, das war Gewissen =noch mehr=, -- denn 's immer besser für unser
Einen auf Missis Seite halten, -- so Du siehst also, ich bin persistent
auf jedem Wege, und halte auf Gewissen -- und auf Princips. Ja,
Princips,« sagte Sam, einem Gänsehalse einen enthusiastischen Stoß
versetzend, -- »wozu sind Princips gut, wenn wir nicht persistent sind,
ich möchte wissen? -- Da, Andy, kannst den Knochen hier haben, -- 's ist
noch was dran.«

Da Sam's Zuhörer mit offenem Munde an seinen Worten hingen, so konnte er
nicht anders als fortfahren.

»Dieser Gegenstand von Persistenz, Brüder Niggers,« sagte Sam mit einer
Miene, als wolle er auf ein höchst abstraktes Thema eingehen, -- »ist
ein Ding nicht ganz klar für manchen Einen. Seht, wenn ein Mensch ist
ganz einen Tag und Nacht für eine Sache, und den nächsten für 'ne andre,
die Leute sagen (natürlich genug) er ist nicht persistent; -- Andy,
reich' mir das Stück Kornkuchen da. -- Aber wollen's näher anschauen.
Ich hoffe, die Herren und die Damen vom schönen Geschlecht werden 'ne
ordinäre Gleichung entschuldigen. Hier! ich will hinauf steigen den
Heuhaufen. Gut, ich setze meine Leiter diese Seite, -- 's geht nicht; --
dann, versteht sich, ich setze meine Leiter just die andere Seite, --
bin ich nicht persistent? Ich bin persistent, weil ich irgend eine Seite
hinauf steigen will, wo meine Leiter ist; -- seht Ihr nicht das alle?«

»'S ist das Einzige, wo Du je bist persistent in, Gott weiß!« murmelte
Tante Chloë, welche allmählig anfing aufsätzig zu werden, da die
Fröhlichkeit des Abends für sie -- nach einem biblischen Gleichnisse --
»wie Essig auf der Kreide« war.

»Ja, wirklich!« sagte Sam, erfüllt von Abendessen und Ruhmgefühl, zu
einer letzten Anstrengung sich erhebend. »Ja, meine Mitbürger und Damen
vom andern Geschlecht im Allgemeinen, ich habe Princip's, -- bin stolz
zu bekennen, -- sind vortrefflich in dieser Zeit und aller Zeit. Ich
habe Princips, und halte fest dran wie vierzig; -- ja, Alles was ich
denke, ist Princip, ich gehe hinein; -- ich fragte nicht, wenn sie mich
verbrennen wollten lebendig, ich ging grade 'nauf an den Scheiterhaufen,
ich wollte, -- und sagte, hier ich komme, mein Blut zu gießen für meine
Princips, mein Vaterland, und die gemeinen Vortheile der menschlichen
Gesellschaft.«

»So,« sagte Tante Chloë, »ich denke, eins von Deinen Princips wird sein,
endlich zu Bett zu gehen, und nicht alle Welt aufzuhalten bis 'n frühen
Morgen. Nu, Ihr da, Jungens, wenn Ihr nicht 'was an den Kopf haben
wollt, macht fort, -- mächtig schnell!«

»Niggers! Ihr alle!« sagte Sam, sein Palmblatt mit Wohlwollen
schwenkend, »ich gebe Euch allen meinen Segen; -- geht zu Bett und seid
gute Jungens!«

Und nach dieser pathetischen Benediktion zerstreute sich die
Versammlung.



Neuntes Kapitel.

Worin es sich zeigt, daß ein Senator nur ein Mensch ist.


Der Schein eines behaglichen Feuers fiel auf den Teppich eines kleinen,
bequemen Wohnzimmers, und schimmerte auf den Seiten der Theetassen und
der blank geputzten Theekanne, als Senator Bird sich seine Stiefeln
auszog, als Vorbereitung dazu, seine Füße in ein Paar neuer, schöner
Pantoffeln schlüpfen zu lassen, welche seine Frau für ihn während seiner
Abwesenheit in seinen Geschäften als Senator gefertigt hatte. Mistreß
Bird, ein Bild innerer Wonne in diesem Momente, war beschäftigt, das
Arrangement des Tisches zu treffen, während sie dabei von Zeit zu Zeit
ermahnende Bemerkungen an eine Zahl fröhlicher Kleinen ergehen ließ,
welche sich mit allerhand Arten nicht zu beschreibender, muthwilliger
Streiche belustigten, die je Mütter seit der Sündfluth in Erstaunen
gesetzt haben.

»Tom, laß den Thürknopf los, es kömmt ein Mann! -- Marie! Marie! zupfe
die Katze nicht an dem Schwanz, -- armes Thierchen! Dim, Du mußt nicht
auf den Tisch klettern, -- nein! -- Ach, Du kannst nicht glauben, mein
Lieber, wie Du uns Alle überrascht hast, Dich heut Abend noch hier zu
sehen!« sagte sie, als sie endlich einen Augenblick Zeit gefunden, auch
ein paar Worte an ihren Mann zu richten.

»Ja, ja, ich dachte, ich wollte grad 'mal hinunterlaufen, eine Nacht
hier zubringen und mich zu Hause pflegen. Ich bin todtmüde und mein Kopf
thut mir weh.«

Mrs. Bird warf einen Blick nach der Kampferflasche, welche in dem halb
geöffneten Wandschranke stand, und verrieth die Absicht, sie holen zu
wollen, allein ihr Mann verhinderte es.

»Nein, nein, Marie, nicht doktern, eine Tasse guten, heißen Thees und
etwas von unserer guten Hauskost ist Alles, was ich brauche. 's ist ein
ermüdendes Geschäft, -- diese Gesetzgebung!«

Und der Senator lächelte, als wenn er sich in dem Gedanken gefiele, sich
als eine Art Opfer für sein Vaterland anzusehen.

»Nun,« sagte seine Frau, als die Geschäfte am Theetische allmählich
nachzulassen schienen, »was ist denn im Senate verhandelt worden?«

Es war eine ganz ungewöhnliche Erscheinung bei der sanften, kleinen
Mistreß Bird, daß sie sich jemals den Kopf mit dem beschwerte, was im
Senatshause vorging, indem sie weislich bedachte, daß sie genug mit
ihren eigenen Geschäften zu thun habe. Mr. Bird schlug deßhalb seine
Augen verwundert auf und sagte nur:

»Nicht viel von Bedeutung.«

»Aber ist es denn wahr,« fuhr seine kleine Frau fort, »daß ein Gesetz
erlassen worden ist, was verbietet, den armen farbigen Leuten, die
manchmal des Weges kommen, zu essen und zu trinken zu geben? Ich hörte
davon reden, daß ein solches Gesetz im Vorschlage sei; aber ich konnte
mir nicht denken, daß irgend eine christliche Gesetzgebung es wirklich
erlassen könne!«

»Wie, Marie, Du wirst ja förmlich ein Politiker, -- mit einem Male,«
sagte Mr. Bird lächelnd.

»Nein, Thorheit! Ich kümmere mich für gewöhnlich nicht im Geringsten um
Eure Politik, aber dieses würde ich für etwas durchaus Grausames und
Unchristliches halten. Nicht wahr, lieber Mann, ein solches Gesetz ist
nicht erlassen worden?«

»Es ist allerdings ein Gesetz erlassen worden, mein Kind, welches
verbietet, den von Kentucky herüber kommenden flüchtigen Sklaven
fortzuhelfen. So weit haben es diese rücksichtslosen Abolitionisten
getrieben, daß unsere Brüder in Kentucky in gewaltiger Aufregung sind,
und es sowohl nothwendig wie christlich und billig zu sein scheint, daß
von Seiten unseres Staates Etwas geschehe, um diese Aufregung zu
stillen.«

»Und worin besteht das Gesetz? Es verbietet uns doch nicht, diesen armen
Kreaturen ein Nachtlager zu geben, und ihnen etwas zu essen und ein paar
alte Kleidungsstücke zu reichen, und sodann ruhig wieder fortzuschicken?
-- oder thut es das?«

»Allerdings, meine Liebe, das würde helfen und begünstigen sein, --
verstehst Du?«

Mrs. Bird war eine furchtsame, scheue, kleine Frau, ungefähr vier Fuß
groß, mit sanften, blauen Augen, einem Gesichtchen, so zart wie eine
Pfirsichblüthe, und einer weichen, sanften Stimme. Was ihren Muth
betraf, so war es bekannt, daß ein mäßiger Truthahn sie durch sein
erstes Kollern oft in die Flucht gejagt hatte, und ein gewöhnlicher
Haushund sie durch bloßes Zähnefletschen zur Unterwürfigkeit bringen
konnte. Ihr Mann und ihre Kinder waren ihre Welt, und in dieser
herrschte sie mehr durch Bitte und Ueberredung, als durch Gründe und
Befehle. Es gab nur eine Art von Veranlassung, die sie zu Heftigkeit
aufreizen konnte, und diese war gerade gegen ihr sanftes, mitfühlendes
Gemüth gerichtet; -- jede Art von Grausamkeit versetzte sie in heftige
Leidenschaft, die um so auffallender und unerklärlicher war, als sie mit
der gewöhnlichen Sanftmuth ihres Gemüthes in so grellem Widerspruche
stand. Obgleich sie für gewöhnlich die nachsichtigste Mutter und so sehr
leicht zu erbitten war, so bewahrten ihre Söhne dennoch ein sehr
ehrfurchtsvolles Andenken an eine strenge Züchtigung, die sie ihnen
einst ertheilt hatte, als sie in Verbindung mit einigen gottlosen Buben
der Nachbarschaft ein hülfloses Hühnchen gesteinigt hatten.

»Ich sage Dir,« pflegte Bill zu sagen, »ich war ganz erschrocken damals.
Mutter kam auf mich zu, als wenn sie rasend wäre, und peitschte mich,
und warf mich in's Bett, ohne Abendbrod, ehe ich nur zur Besinnung
kommen konnte; und nachher hörte ich Mutter'n vor der Thüre weinen, was
mir noch mehr weh that, als alles Andere. Ich sage Dir, wir Jungens
haben nie wieder ein Huhn gesteinigt!«

Bei der gegenwärtigen Veranlassung erhob sich Mrs. Bird schnell mit hoch
gerötheten Wangen, die ihre ganze Erscheinung verschönerten, ging mit
einer ganz entschlossenen Miene auf ihren Mann zu und sagte zu ihm in
entschiedenem Tone:

»Nun, John, ich möchte wissen, ob Du solch ein Gesetz für recht und
christlich hältst?«

»Du wirst mich doch nicht todt schießen, Marie, wenn ich ja sage?«

»Ich hätte es nie von Dir gedacht, John; -- nicht wahr, Du hast nicht
dafür gestimmt?«

»Ganz gewiß habe ich, mein schöner, kleiner Politiker.«

»So solltest Du Dich schämen, John! Arme, heimathlose, obdachlose
Geschöpfe! Es ist ein schändliches, schlechtes, abscheuliches Gesetz,
und ich will bei der ersten Gelegenheit, die sich mir darbietet, es
übertreten; und ich hoffe, daß sich mir eine darbieten wird, gewiß! Es
ist weit gekommen, wenn eine Frau nicht mehr ein warmes Abendbrod und
ein Bett solchen verkümmernden Kreaturen geben kann, gerade deßhalb,
weil sie Sklaven sind, und ihr ganzes Leben lang mißhandelt und gedrückt
worden sind!«

»Aber, Marie, höre mich nur einmal an. Deine Gefühle sind ganz wahr und
achtungswerth, und ich liebe Dich um ihrer willen; aber, meine
Theuerste, wir dürfen unser Urtheil nicht mit unsern Gefühlen davon
laufen lassen; bedenke, es hat nichts mit unsern Privatempfindungen zu
thun, -- es handelt sich hier um große, allgemeine Interessen, -- es
herrscht und steigert sich täglich eine so allgemeine Aufregung, daß wir
unsere Privatempfindungen bei Seite setzen müssen.«

»Höre, John, ich verstehe nichts von Politik, aber ich kann meine Bibel
lesen; und die sagt mir, daß ich Hungrige speisen, Nackte kleiden und
die bekümmerten Herzens sind, trösten soll; und meiner Bibel bin ich zu
folgen entschlossen.«

»Allein in Fällen, in denen eine solche Handlungsweise von Deiner Seite
große allgemeine Nachtheile zur Folge haben würde --«

»Gott gehorchen kann nie allgemeine Uebel herbei führen; ich weiß, es
kann nicht. Es ist immer am sichersten, überall das zu thun, was =Er uns
gebietet=!«

»Höre mich nur einmal an, Marie, und ich kann Dir einen ganz klaren
Beweis geben, daß --«

»O Thorheit, John! Du könntest die ganze Nacht sprechen, es würde Dir
doch nicht gelingen. Ich frage Dich, John, könntest Du ein armes,
frierendes, hungriges Wesen von der Thür jagen, weil es ein entlaufener
Sklave ist? Könntest =Du= es thun?«

Um die Wahrheit zu sagen, unser Senator hatte das Unglück, ein Mann von
ganz besonders menschenfreundlichem, zugänglichem Gemüthe zu sein, und
Jemanden von sich zu stoßen, der sich in Noth und Elend befand, war nie
seine starke Seite gewesen; und was die Verlegenheit, in welche ihn
dieses Argument versetzte, noch vermehrte, war das, daß seine Frau es
wußte, und also einen Angriff auf einen ganz unzuvertheidigenden Punkt
machte. Er nahm deßhalb zu den unter solchen Umständen gewöhnlichen
Mitteln, Zeit zu gewinnen, Zuflucht: er sagte »hm« und hustete mehrmals,
und nahm sein Taschentuch heraus, um seine Brillengläser abzuwischen.
Mrs. Bird inzwischen, die den vertheidigungslosen Zustand des
feindlichen Gebietes erkannte, war gewissenlos genug, ihren Vortheil
noch weiter zu verfolgen.

»Ich möchte Dich das wohl thun sehen, John, -- wahrlich! Zum Beispiel,
ein Weib in ein Schneegestöber hinausstoßen; oder vielleicht würdest Du
sie aufnehmen und dann in's Gefängniß abliefern, -- nicht wahr? Das wäre
ganz was für Dich!«

»Es würde natürlich eine sehr unangenehme Pflicht für mich sein,« begann
Mr. Bird in gemäßigtem Tone.

»Pflicht, John! gebrauche nicht diesen Ausdruck! Du weißt, es ist keine
Pflicht, es kann keine Pflicht sein! Wenn Leute wollen, daß ihre Sklaven
nicht davonlaufen, so mögen sie sie gut behandeln, -- das ist meine
Ansicht. Wenn ich Sklaven besäße (was, ich hoffe, nie geschehen wird),
so möchte ich wohl sehen, ob sie mir oder Dir davonlaufen würden, John.
Ich sage Dir, sie laufen nicht davon, wenn sie glücklich sind; und wenn
sie entfliehen, -- die armen Wesen! -- so haben sie genug an Kälte,
Hunger und Furcht auszustehen, auch wenn sie nicht von Jedermann
feindlich behandelt und verfolgt werden; Gesetz oder nicht, ich will es
nimmer thun, so helfe mir Gott!«

»Marie! Marie! Meine Liebe, laß mich mit Dir aus Gründen streiten,«
sagte Mr. Bird.

»Ich hasse dieses Streiten aus Gründen, John, -- besonders über solche
Gegenstände. Ihr Politiker habt eine Weise, eine einfache, richtige
Sache gänzlich zu verdrehen, und wenn es zum Handeln kömmt, so glaubt
Ihr selbst nicht dran. Ich kenne Dich zu gut, John, Du hältst es ebenso
wenig für recht wie ich, -- und Du würdest es ebenso wenig thun wie
ich.«

In diesem kritischen Momente steckte der alte Cudjoe, der einzige
schwarze Diener des Hauses, seinen Kopf in die Thür und bat, »daß
Missis in die Küche kommen möchte;« und unser Senator, ziemlich
erleichtert, schaute seiner kleinen Frau mit einer komischen Mischung
von Vergnügen und Aerger nach, und setzte sich sodann in den Lehnstuhl
und begann die Zeitungen zu lesen.

Wenige Augenblicke nachher wurde die Stimme seiner Frau in einem
hastigen, eifrigen Tone an der Thür gehört: -- »John! John! bitte, komm'
einen Augenblick hierher!«

Mr. Bird legte die Zeitungen bei Seite und ging nach der Küche, wo er
über den Anblick erschrack, der sich ihm darbot. Ein junges, schlank
gebautes Frauenzimmer, mit zerrissenen und gefrorenen Kleidungsstücken,
nur mit einem Schuhe bekleidet, während von dem andern verwundeten und
blutenden Fuße der Strumpf herabgerissen war, befand sich in einer
todtenähnlichen Ohnmacht auf zwei Stühlen liegend. Der Ausdruck des
verachteten Geschlechtes lag auf ihrem Gesichte, aber jeder Umstehende
fühlte unwillkührlich die rührende, traurige Schönheit desselben,
während die steinerne Schärfe, der kalte, starre, todtenähnliche Anblick
einen feierlichen Schauer über Jeden ausgossen. Mr. Bird hielt den Athem
an und stand schweigend da. Seine Frau und deren einzige farbige
Dienerin, die alte Tante Dinah, waren eifrigst bemüht, wiederbelebende
Mittel zur Anwendung zu bringen, während der alte Cudjoe den Knaben auf
seinem Schooße hielt, ihm die Schuhe und Strümpfe auszog und die kalten
kleinen Füße zu erwärmen versuchte.

»Nu sicher, ist's nicht ein schrecklicher Anblick zu sehen!« sagte die
alte Dinah mitleidig; »'s scheint, sie ist von der Hitze ohnmächtig
geworden. Sie war ziemlich munter als sie hereinkam, und fragte, ob sie
sich hier ein Bißchen wärmen könnte; und ich wollte sie just fragen, wo
sie her käme, als sie gradezu ohnmächtig niederfiel. Hat nie viel harte
Arbeit gethan, vermuthe, nach ihren Händen.«

»Armes Wesen!« sagte Mrs. Bird mitleidig, während das Frauenzimmer
langsam ihre großen, schwarzen Augen aufschlug, und gedankenlos um sich
schaute. Plötzlich fuhr ein schmerzhafter Zug über ihr Gesicht, und sie
sprang auf mit den Worten: »O mein Harry! Haben sie ihn?«

Der Knabe, als er dies hörte, sprang von Cudjoe's Schooß, und lief an
ihre Seite, indem er seine Arme zu ihr hinaufstreckte. »O, da ist er! da
ist er!« rief sie.

»O Madame,« fuhr sie in wilder Aufregung fort, »ich bitte Sie,
beschützen Sie uns! lassen Sie sie ihn mir nicht nehmen!«

»Niemand soll Dir hier ein Leid zufügen, armes Weib,« sagte Mrs. Bird,
ihr Muth einflößend. »Du bist hier sicher; fürchte nichts.«

»Gott segne Sie!« sagte das Weib schluchzend und ihr Gesicht bedeckend,
während der Knabe, als er seine Mutter weinen sah, auf ihren Schooß zu
steigen versuchte.

Durch manche sanfte, weibliche Zusprache, die Niemand besser verstand
als Mistreß Bird, wurde das arme Weib allmählig ruhiger. Ein
einstweiliges Bett wurde für sie auf den Sitz am Feuer aufgeschlagen;
und nach kurzer Zeit fiel sie mit dem Kinde in einen festen Schlaf,
welches, nicht weniger ermüdet, ebenfalls in tiefen Schlummer versank,
während sie es in ihrem Arme hielt; denn die Mutter widerstand mit
fieberhafter Angst jedem, auch dem freundlichsten Versuche, es ihr
abzunehmen, und selbst während des Schlafes preßte sich ihr Arm mit
krampfhaftem Drucke um dasselbe, als könne sie selbst dann nicht in
ihrer wachsamen Hut betrogen werden.

Mr. und Mistreß Bird waren nach ihrem Zimmer zurückgegangen, wo, so
sonderbar es erscheinen mag, von keiner Seite irgend eine Erwähnung der
vorangegangenen Unterhaltung gemacht wurde, indem Mrs. Bird eifrig zu
stricken begann, und Mr. Bird sich den Anschein gab, als lese er die
Zeitungen.

»Ich möchte wissen, wer und was sie ist!« sagte endlich Mr. Bird, das
Blatt niederlegend.

»Wenn sie aufwacht und sich erholt hat, können wir es hören,« entgegnete
Mrs. Bird.

»Höre, Frau!« sagte Mr. Bird, nachdem er wieder eine Weile über seinen
Zeitungen gebrütet hatte.

»Was, lieber Mann?«

»Sie könnte wohl keins von Deinen Kleidern tragen, wenn Du einen Saum
ausließest, oder so etwas? Sie scheint etwas größer zu sein als Du.«

Ein stilles Lächeln schimmerte über Mistreß Bird's Gesicht, während sie
antwortete: »Wir wollen sehen.«

Nach einer neuen Pause brach Mr. Bird von Neuem hervor: »höre Frau!«

»Was denn nun?«

»Sieh, da ist der alte Mantel von Bombasin, den Du besonders aufhebst,
um ihn über mich zu breiten, wenn ich mein Nachmittagsschläfchen mache,
-- den könntest Du ihr wohl geben, -- sie braucht neue Kleidung.«

In diesem Augenblicke schaute Dinah in die Thür mit der Anzeige, daß die
Frau erwacht sei, und Missis zu sehen wünsche.

Mr. und Mistreß Bird gingen nach der Küche, von ihren beiden ältesten
Söhnen gefolgt, während die jüngere Brut vorher schon in ihre Betten
sicher niedergelegt worden war.

Die Frau saß jetzt aufrecht auf dem Sitze am Feuer, unverwandt in die
Gluth mit einem ruhigen, schmerzlichen Ausdrucke schauend, der von ihrer
vorherigen, wilden Aufregung sehr verschieden war.

»Hast Du nach mir verlangt?« sagte Mrs. Bird in sanften Tönen. »Ich
hoffe, Du fühlst Dich jetzt wohler, arme Frau.«

Ein tiefer, bebender Seufzer war die einzige Antwort; aber sie schlug
ihre dunklen Augen auf, und heftete sie auf die Fragende mit einem so
trostlosen, flehenden Blicke, daß der kleinen Frau augenblicklich die
Thränen in die Augen traten.

»Du brauchst Dich nicht zu fürchten, wir sind Freunde hier, arme Frau!
Sage mir, woher Du kommst, und was Du willst?« sagte sie.

»Ich kam von Kentucky,« entgegnete die Frau.

»Wann?« fragte Mr. Bird, das Verhör fortsetzend.

»Diesen Abend.«

»Auf welche Weise kamst Du herüber?«

»Ich ging über das Eis.«

»Ueber das Eis?« wiederholten alle Umstehenden.

»Ja,« entgegnete die Frau langsam. »Gott half mir, und ich ging über das
Eis; denn Jene waren hinter mir, -- dicht hinter mir, -- und es gab
keinen andern Weg!«

»O Herr!« rief Cudjoe, »Missis, das Eis ist lauter Stücke und Blöcke, --
geht auf und nieder in dem Wasser!«

»Ich wußte das, -- ich wußte es!« sagte sie wieder mit lebhafter
Aufregung; -- »aber ich that es! Ich hätte nicht gedacht, daß ich's
könnte, -- ich dachte nicht, daß ich hinüber kommen würde, aber 's war
mir gleich! ich konnte nur sterben, wenn's nicht gelang. Der Herr half
mir; -- o Niemand weiß, wie groß die Hülfe des Herrn ist, bis er's
versucht,« sagte die Frau mit flammendem Auge.

»Warst Du Sklavin?« fragte Mr. Bird.

»Ja, Herr, ich gehörte einem Manne in Kentucky.«

»War er hart gegen Dich?«

»Nein, Herr, er war ein guter Herr.«

»Oder war Deine Mistreß hart gegen Dich?«

»Nein, o nein! meine Mistreß war immer gut gegen mich.«

»Was hat Dich denn aber veranlaßt, eine gute Heimath zu verlassen, und
davon zu laufen, um Dich solchen Gefahren auszusetzen?«

Die Frau schaute auf zu Mrs. Bird mit einem scharfen, forschenden
Blicke, und es entging ihr nicht, daß diese in tiefe Trauer gekleidet
war.

»Madame,« sagte sie plötzlich, »haben Sie jemals ein Kind verloren?«

Die Frage kam unerwartet, und war ein Stoß auf eine frische Wunde; denn
erst einen Monat zuvor war ein Lieblingskind der Familie in's Grab
gelegt worden.

Mr. Bird wandte sich um und ging an's Fenster, und Mrs. Bird brach in
Thränen aus; aber ihre Stimme wieder sammelnd, sagte sie:

»Warum fragst Du mich das? -- ja, ich habe ein Kind verloren.«

»Dann werden Sie für mich empfinden. Ich habe zwei verloren, eins nach
dem andern, -- ich ließ dort ihre Gräber zurück, als ich fortging, --
und hatte nur dieses Eine noch. Ich schlief nie eine Nacht ohne ihn; er
war Alles, was ich besaß. Er war mein Trost und mein Stolz, Tag und
Nacht! und, Madame, sie wollten ihn mir nehmen, -- ihn verkaufen --
verkaufen nach Süden hinunter, -- das Kind, das noch nie in seinem Leben
seine Mutter verlassen hatte! -- Ich konnt' es nicht tragen, Madame. Ich
wußte, daß ich nie wieder zu etwas tauglich sein würde, wenn sie es
thaten; und als ich deßhalb wußte, daß die Papiere unterzeichnet waren,
und daß er verkauft war, nahm ich ihn und entfloh in der Nacht; und sie
verfolgten mich, -- der Mann, der ihn gekauft hatte, und einige andre
von Masters Leuten, -- und sie kamen dicht hinter mir, und ich hörte
sie. Da sprang ich auf's Eis, -- und wie ich hinüber kam, weiß ich
nicht, -- das Erste, was ich mich besinnen kann, war, daß mir ein Mann
das Ufer hinauf half.«

Das Weib schluchzte nicht und weinte nicht; es war bis zu einem Stadium
gelangt, wo Thränen versiegen. Aber alle Umstehenden verriethen, je nach
der ihnen eigenthümlichen Weise, das innigste Mitgefühl.

Die beiden kleinen Knaben, nachdem sie verzweiflungsvoll ihre Taschen
nach jenen Tüchern durchsucht hatten, von denen Mütter wissen, daß sie
dort nie zu finden sind, hatten ihre Gesichter in die Falten des
mütterlichen Kleides gesteckt und schluchzten und wischten sich die
Augen und Nase nach Herzenslust. Mrs. Bird verbarg ihr Gesicht
vollständig im Taschentuche; und die alte Dinah, über deren schwarzes,
ehrliches Gesicht die Thränen hinab strömten, rief wiederholt, und mit
all' der Inbrunst einer Brüderversammlung: »O Herr! sei uns gnädig!«
während der alte Cudjoe, seine Augen heftig mit dem Rockärmel reibend
und die seltsamsten und verschiedenartigsten Gesichter dabei schneidend,
zuweilen aus demselben Schlüssel, und mit großer Inbrunst, antwortete.
Unser Senator war ein Staatsmann, und konnte deshalb nicht, wie andre
Sterbliche, weinen; und deshalb wandte er der ganzen Gesellschaft den
Rücken, und sah zum Fenster hinaus, und schien besonders bemüht seine
Kehle zu reinigen, und seine Augengläser abzuwischen, wobei er sich
zuweilen in einer Weise ausschnaubte, die Verdacht hätte erregen können,
wenn Jemand im Stande gewesen wäre, ihn genau zu beobachten.

»Wie kamst Du dazu, mir zu sagen, daß Du einen guten Herrn gehabt
habest?« rief plötzlich Mr. Bird, indem er gewaltsam etwas hinunter
schluckte, was ihm in der Kehle aufstieg, und sich plötzlich nach der
Frau umwandte.

»Weil er wirklich ein guter Herr war; ich werde das immer von ihm sagen;
-- und meine Missis war gut; -- aber sie konnten sich nicht anders
helfen. Sie waren Geld schuldig, und auf eine oder die andre Weise, --
ich kann nicht sagen, wie, -- war es geschehen, daß ein Mann sie in
seine Gewalt bekommen hatte, und daß sie ihm seinen Willen thun mußten.
Ich horchte, und hörte, wie er dies zu Missis sagte, und wie sie für
mich bat und stritt, -- und er sagte, daß er sich nicht helfen könne,
und daß die Papiere schon alle unterschrieben wären; -- und dann nahm
ich mein Kind, und verließ meine Heimath, und floh. Ich wußte, es wäre
ganz fruchtlos gewesen, wenn ich hätte versuchen wollen zu leben,
nachdem sie 's gethan hätten, -- denn dies Kind ist Alles, was ich
habe!«

»Hast Du keinen Mann?«

»Ja, aber er gehört einem anderen Herrn. Sein Master ist sehr hart gegen
ihn, und will ihn nie ausgehen lassen, um mich zu sehen; und er ist
immer schlimmer gegen uns geworden, und hat ihm gedroht, ihn nach Süden
zu verkaufen -- ich werde ihn wohl nie wieder sehen!«

Der ruhige Ton, in welchem die Frau diese Worte sagte, hätte einen
oberflächlichen Beobachter verleiten können zu glauben, daß sie sich in
vollständiger Apathie befinde; aber aus ihrem großen dunklen Auge sprach
ein stummer, tiefer Schmerz, der einen ganz andern Gemüthszustand
verrieth.

»Und wohin willst Du denn gehen, meine gute Frau?« fragte Mistreß Bird.

»Nach Canada; -- wenn ich nur wüßte, wo es wäre. Ist es sehr weit von
hier, -- Canada?« sagte sie, mit einfachem, vertrauungsvollem Blicke zu
Mrs. Bird aufschauend.

»Armes Wesen!« sagte Mrs. Bird unwillkührlich.

»Ist es =sehr= weit von hier, -- glauben Sie?« fragte die Frau eifriger.

»Viel weiter, als Du glaubst, armes Kind!« sagte Mrs. Bird; »aber wir
wollen versuchen und sehen was sich für Dich thun läßt. Hier, Dinah,
schlage ihr ein Bett auf in Deinem eignen Zimmer, dicht bei der Küche,
und ich will überlegen was morgen früh für sie gethan werden kann.
Inzwischen fürchte nichts, liebe Frau; setze Dein Vertrauen auf Gott, er
wird Dich beschützen.«

Mrs. Bird und ihr Mann kehrten in das Zimmer zurück. Sie setzte sich in
ihren kleinen Wiegenstuhl vor das Feuer und schaukelte sich gedankenvoll
hin und her, während Mr. Bird im Zimmer auf und ab schritt, und vor sich
hin murmelte: »Puh! pah! fatale, verdammte Geschichte!« Endlich, zu
seiner Frau heran tretend, sagte er:

»Höre, Frau, sie wird von hier fort müssen, heute Nacht noch. Der Kerl
wird ihr nach sein auf der Spur und wird morgen früh bei guter Zeit hier
sein. Wenn's das Weib allein wäre, so könnte sie ruhig liegen bleiben,
bis Alles vorüber ist; aber der kleine Bengel wird nicht still sein
können, wenn da ein Trupp Pferde und Menschen ankommt; er wird uns alle
verrathen, indem er den Kopf durch irgend ein Fenster oder eine Thür
steckt. 'S wär' ein schönes Gericht Fische für mich, wenn Beide gerade
jetzt hier gefangen würden! Nein, sie müssen diese Nacht noch fort.«

»Diese Nacht! Wie ist das möglich? -- Wohin denn?«

»Gut, ich weiß schon, wohin,« sagte der Senator, indem er mit
nachdenkender Miene anfing, seine Stiefel anzuziehen, und dann
innehaltend, als sein Bein halb hinein war, sein Knie mit beiden Armen
umschlang und sich in tiefstes Nachsinnen zu verlieren schien.

»'S ist eine verdammte, fatale Geschichte,« sagte er endlich, seinen
Stiefel von Neuem anziehend, »das ist gewiß!« Als der eine Stiefel
glücklich angezogen war, saß der Senator mit dem andern in der Hand da
und schien die Figuren des Teppichs gründlich zu studiren. »Aber 's muß
doch geschehen, sehe keinen andern Weg, -- häng' die ganze Geschichte!«
und er zog den andern Stiefel hastig an und schaute zum Fenster hinaus.

Mrs. Bird war eine sehr discrete kleine Frau, -- eine Frau, die nie zu
ihrem Manne sagte: ich hab's Dir vorher gesagt! und bei der
gegenwärtigen Gelegenheit, obgleich sie recht wohl errieth, welche
Richtung die Gedanken ihres Mannes nahmen, hütete sie sich weislich, in
dieselben einzugreifen, sondern saß ganz ruhig in ihrem Stuhle und
schien ganz vorbereitet, die Beschlüsse ihres Herrn und Gemahls zu
hören, sobald er für gut befinden sollte, dieselben zu äußern.

»Siehst Du,« sagte er, »da ist mein alter Freund, Van Trompe, der von
Kentucky herüber gekommen ist und alle seine Sklaven frei gelassen hat,
-- er hat einen Platz gekauft, etwa sieben Meilen weit die Bucht hinauf,
tief in der Waldung drin, wo Niemand hinkommt, ausgenommen, wenn er
absichtlich hingeht; -- und es ist ein Ort, der nicht leicht ausgefunden
wird. Da ist sie sicher genug; aber das Uebel ist, daß Niemand mit einem
Wagen diese Nacht dahin fahren kann, als ich selbst.«

»Warum denn nicht? Cudjoe ist ein vortrefflicher Fuhrmann.«

»Ganz gut, aber hier, das ist die Sache. Man muß zweimal über die Bucht
fahren, und die zweite Ueberfahrt ist sehr gefährlich, wenn man die
Richtung nicht genau kennt. Ich bin hundertmal durchgeritten, und kenne
ganz genau alle Wendungen, die ich zu nehmen habe. Also Du siehst, da
hilft nichts. Cudjoe muß die Pferde, ungefähr um zwölf Uhr, so still wie
möglich anspannen, und ich will sie hinüber bringen; und dann, um der
Sache einen Anschein zu geben, muß er mich bis an das nächste Wirthshaus
bringen, um mit der Post nach Columbus weiter fahren zu können, die
ungefähr zwischen drei und vier Uhr dort ankommt, und so hat es dann
den Schein, als wenn ich den Wagen blos zu diesem Zwecke genommen hätte.
Ich werde morgen früh recht zeitig in meinen Geschäften sein, aber ich
glaube, ich werde nicht viel nütze sein nach alle dem, was gesprochen
und gethan worden ist; aber, zum Henker, ich kann nicht anders!«

»Dein Herz ist in diesem Falle besser, als Dein Kopf, John,« sagte seine
Frau, ihre kleine weiße Hand in die seinige legend. »Hätte ich Dich je
lieben können, wenn ich Dich nicht besser gekannt hätte, als Du Dich
selbst?« Und die kleine Frau sah bei diesen Worten so hübsch aus,
während Thränen in ihren Augen glänzten, daß der Senator dachte, er
müsse ganz entschieden ein außerordentlicher Mensch sein, um ein so
hübsches Wesen in eine so leidenschaftliche Bewunderung für ihn
versetzen zu können; und was konnte er unter diesen Umständen also
anderes thun, als gelassen fortgehen, um nach dem Wagen zu sehen. An der
Thür hielt er jedoch einen Augenblick an, und kam dann zurück, indem er
zaudernd sagte:

»Marie, ich weiß nicht, wie Du darüber denkst, -- aber da ist die
Kommode voll von Sachen von -- von -- unsrem armen kleinen Henry.« So
sagend wandte er sich schnell um und schloß die Thür hinter sich.

Die Frau öffnete eine nach einem kleinen Schlafgemach führende Thür,
welches dicht neben dem Wohnzimmer belegen war, setzte ein Licht auf ein
darin befindliches Bureau, und nahm einen Schlüssel aus einem kleinen
Kästchen hervor, den sie gedankenvoll in das Schloß eines unterhalb
befindlichen Schubkastens schob, und hielt dann plötzlich inne, während
zwei Knaben, welche kinderähnlich ihren Tritten gefolgt waren, hinter
ihr standen und ihre Mutter schweigend und mit bedeutsamen Blicken
betrachteten. Und o Mutter, die Du dieses liesest, ist in Deinem Hause
nie ein Kästchen oder irgend ein Behältniß gewesen, dessen Oeffnen für
Dich wie das Wiederöffnen eines kleinen Grabes war? O glückliche
Mutter, die Du das nie erfahren hast.

Mrs. Bird öffnete den Schubkasten langsam. Es lagen darin kleine
Röckchen von verschiedener Form, Stöße von Hemdchen und Reihen von
kleinen Strümpfchen, und aus den Falten eines Papieres blickten selbst
ein Paar kleiner, getragener Schuhe mit abgeriebenen Fußspitzen hervor.
Ein hölzernes Pferdchen und ein Wagen, ein Kreisel und ein Ball lagen
darin, -- alles Angedenken, die mit mancher Thräne und dem bittersten
Schmerze gesammelt worden waren! Sie setzte sich nieder an den Kasten,
lehnte ihr Haupt in ihre Hände, und weinte, bis die Thränen durch ihre
Finger in den Kasten niederfielen; dann plötzlich sich aufrichtend,
begann sie mit ängstlicher Eile die einfachsten und dauerhaftesten
Stücke auszusuchen und sie in ein Bündel zu sammeln.

»Mamma,« sagte der eine Knabe, ihren Arm sanft berührend, »willst Du
denn diese Sachen fortgeben?«

»Meine lieben Kinder,« entgegnete sie sanft und ernst, »wenn unser
lieber kleiner Henry vom Himmel herabblickt, so wird er sich freuen, daß
wir dieß thun. Mein Herz hätte sich nie dazu verstehen können, sie an
eine gewöhnliche Person fort zu geben, aber ich gebe sie einer Mutter,
deren Herz noch mehr gebrochen und noch kummervoller als das meinige
ist, und ich hoffe, Gott wird ihnen seinen Segen mit geben!«

Es gibt in dieser Welt besonders gesegnete Seelen, aus deren Kummer
Freuden für Andere entsprießen; deren irdische Hoffnungen, wenn sie mit
vielen Thränen ins Grab gelegt worden sind, der Same zu heilenden Blumen
und zu Balsam für Leidende und Trostlose werden. Und zu diesen gehörte
die zarte Frau, die jetzt mit der Lampe dort sitzt und aus deren Augen
langsame Thränen fallen, während sie die Angedenken ihres eignen
verlorenen Kindes für die ausgestoßene Heimathlose sammelt.

Nach einiger Zeit öffnete Mrs. Bird einen Kleiderschrank, nahm ein oder
zwei einfache, brauchbare Kleider heraus, setzte sich an ihrem
Arbeitstische mit Nadel, Scheere und Fingerhut nieder, und begann
schweigend den ihr von ihrem Manne empfohlenen Proceß des »Auslassens,«
und fuhr emsig damit fort, bis die alte Uhr in der Ecke des Zimmers
zwölf schlug und sie ein leises Rasseln der Räder vor der Thür hörte.

»Marie,« sagte ihr Mann, mit dem Mantel auf dem Arme eintretend, »Du
mußt sie nun aufwecken; wir müssen fort.«

Mrs. Bird legte schnell die verschiedenen, von ihr gesammelten Artikel
in einen kleinen Mantelsack, bat ihren Mann, diesen in den Wagen bringen
zu lassen und ging hinaus, um die Frau zu wecken. Bald darauf erschien
diese, in einen Mantel gehüllt, mit Hut und Shawl, was Alles ihrer
Wohlthäterin angehört hatte, in der Thür, ihr Kind auf dem Arme tragend.
Mr. Bird drängte sie in den Wagen und Mrs. Bird folgte ihr bis an den
Tritt desselben. Elisa lehnte sich hinaus und streckte ihre Hand aus,
eine Hand, so sanft und schön wie die war, die als Erwiederung gereicht
wurde. Sie heftete ihre großen, dunkeln Augen mit unbeschreiblichem
Ausdrucke auf Mrs. Bird's Gesicht und schien sprechen zu wollen. Ihre
Lippen bewegten sich, -- sie versuchte ein, zweimal, aber kein Laut
wurde hörbar, und indem sie endlich nur himmelwärts zeigte, mit einem
nie zu vergessenden Blicke, sank sie in ihren Sitz zurück und bedeckte
ihr Gesicht. Die Thür schloß sich und der Wagen fuhr fort.

Welche Lage war dies nun für einen patriotischen Senator, der die ganze
Woche vorher den gesetzgebenden Körper seines Geburtslandes angeregt
hatte, strengere Bestimmungen gegen flüchtige Sklaven und deren Helfer
und Mitschuldige zu erlassen!

Unser guter Senator wurde in seinem Geburtsstaate von keinem seiner
Brüder in Washington in Betreff derjenigen Beredsamkeit übertroffen,
welche diesen unsterblichen Ruhm erworben hatte! Wie stolz er dort
gesessen hatte, mit den Händen in der Tasche, während er die
sentimentale Schwäche derjenigen bespöttelte, die die großen
Staatsinteressen über das Wohl einiger elenden Flüchtlinge vergessen
wollten! Er war kühn wie ein Löwe in dieser Sache, und »vollständig
überzeugt« davon, so wie jeder, der ihn hörte; allein seine Vorstellung
von einem Flüchtlinge war lediglich eine Vorstellung, welche den
Buchstaben, aus denen das Wort bestand, -- oder höchstens der Abbildung
irgend eines kleinen Zeitungsbildes entnommen war, welches einen Mann
mit einem Stocke und Bündel darstellte und die Unterschrift trug: »dem
Unterzeichneten entlaufen!« Die zauberische Wirkung wirklichen Elends,
-- das flehende, menschliche Auge, die schwache, zitternde Hand, das
verzweifelnde Flehen um Beistand, der hülflose Todesschmerz, -- diese
waren ihm fremd geblieben. Er hatte nie daran gedacht, daß ein
Flüchtling eine unglückliche Mutter, ein wehrloses Kind sein könne, --
gleich dem, das jetzt das wohlbekannte Mützchen seines kleinen
verlorenen Henry trug, und da unser armer Senator weder von Stein noch
von Stahl, sondern ein Mensch war, und dazu ein edelherziger, so muß
Jeder sehen, daß er sich mit seinem Patriotismus in einer bösen Lage
befand. Du brauchst nicht über ihn zu frohlocken, guter Bruder des
Südens, denn wir haben Winke bekommen, daß Mancher von Euch unter
ähnlichen Umständen nicht anders gehandelt haben würde. Wir haben Grund
anzunehmen, daß in Kentucky sowohl wie in Mississippi edle, großmüthige
Herzen schlagen, denen nie eine Schilderung menschlichen Leidens
vergeblich gemacht worden ist. Also, guter Bruder, ist es billig, daß
Du von uns Dienste erwartest, die Dein eigenes braves ehrenhaftes Herz
Dir nicht zu leisten erlauben würde, wenn Du in unsrer Stelle wärest?

Dem sei, wie ihm wolle, wenn unser guter Senator ein politischer Sünder
war, so befand er sich auf dem besten Wege, dafür eine nächtliche Buße
zu thun. Es hatte seit längerer Zeit anhaltendes Regenwetter geherrscht
und der weiche, fruchtbare Boden von Ohio ist, wie jedermann weiß, ganz
besonders für die Fabrikation von Schlamm geeignet, -- und der Weg war
überdies ein Ohio'scher Bahnweg der guten, alten Zeit.

»O bitte, was für eine Art Weg mag dies sein?« fragt irgend ein
östlicher Reisender, der gewohnt ist, keine andern Ideen mit einem
Bahnwege zu verbinden, als die der Ebenheit und Schnelligkeit.

So wisse denn, unschuldiger, östlicher Freund, daß in den gesegneten
Regionen des Westens, wo der Koth von sublimer, unergründlicher Tiefe
ist, Straßen von runden, rohen Scheiten gebaut werden, welche man dicht
und quer über einander legt und sodann mit Erde, Rasen, oder was immer
zur Hand sein mag, bewirft, -- und dies nennt selbstzufrieden der
Eingeborene einen Weg, und versucht sofort darauf zu fahren. Im Laufe
der Zeit wäscht natürlich der Regen Rasen und Erde ab, und die Scheite
verlieren ihre ursprüngliche Lage und nehmen allerhand malerische
Stellungen an, auf und nieder und quer, mit verschieden Abgründen und
Gleisen schwarzen Schlammes dazwischen.

Ein solcher Weg war es, welchen unser Senator jetzt stolpernd verfolgte,
während er sich mit moralischen Betrachtungen in so ununterbrochener
Weise beschäftigte, wie die Umstände es zuließen, indem der Lauf des
Wagens etwa folgender Art war: -- bump! bump! bump! platsch! nieder in
den Schlamm! -- Der Senator, die Frau und das Kind verändern ihre Sitze
so plötzlich, daß sie ohne besondere Vorbereitung gegen die Fenster der
Seite liegen. Der Wagen steckt fest, während Cudjoe außerhalb sehr laut
mit den Pferden verhandelt.

Nach wiederholtem Anziehen und Reißen der Zügel, gerade in dem
Augenblicke, wo der Senator alle seine Geduld verliert, hebt sich
plötzlich der Wagen in Bogen, -- die beiden Vorderräder gehen nieder in
einen andern Abgrund, und der Senator, die Frau und das Kind, fallen in
bunter Mischung auf den Vordersitz, -- des Senators Hut ist ihm ohne
alle Ceremonie bis über Augen und Nase hinunter gedrückt, und er hält
sich für vollständig ausgelöscht; das Kind schreit, und Cudjoe hält
außerhalb eine sehr lebhafte Anrede an die Pferde, welche toben und
schlagen, und unter wiederholten Peitschenhieben die Stränge reißen. Der
Wagen springt auf in einen neuen Bogen, -- nieder gehen die Hinterräder,
-- und Senator, Frau und Kind fliegen zurück auf den Rücksitz, während
die Ellbogen des Ersteren Elisa's Hut sehr unsanft berühren, und ihre
beiden Füße sich in dem Hute des Senators eingeklemmt befinden, welcher
ihm während des Stoßes vom Kopfe gefallen ist. Nach einigen Augenblicken
hat der Wagen das Morastloch verlassen; -- der Senator findet seinen
Hut, die Frau bringt den ihrigen wieder in Ordnung, und beruhigt das
Kind, und Alle bereiten sich auf eine Wiederholung vor.

Eine Zeit lang mischt sich nur das regelmäßige bump! bump! der
Abwechselung halber, mit einigen Seitenstößen, und die Reisenden fangen
an sich Glück zu wünschen, daß ihre Lage dennoch nicht so ganz schlimm
ist; allein endlich, und zwar mit einem heftigen Stoße, daß Alle in die
Höhe und dann mit unglaublicher Schnelligkeit in ihren Sitz
zurückgeworfen werden, hält der Wagen plötzlich ganz still, und nach
einer längeren und sehr lebhaften Bewegung außerhalb, erscheint endlich
Cudjoe an der Wagenthür.

»Verzeihen Sie, Herr, 's ist mächtig dunkel hier; -- weiß nicht, wie
wir 'raus kommen sollen; -- denke, wir müssen frische Gleise legen.«

Der Senator steigt verzweiflungsvoll aus, indem er vorsichtig mit dem
einen Fuße nach einem festen Grunde sucht; -- nieder fährt ein Fuß in
eine bodenlose Tiefe, -- er versucht ihn wieder herauszuziehen, allein
er verliert das Gleichgewicht und fällt in den Schlamm, aus welchem er
durch Cudjoe in einem höchst traurigen Zustande wieder hervorgezogen
wird.

Aber wir wollen aus Mitleid für unsere Leser uns jeder weiteren
Schilderung enthalten; genug, es war spät in der Nacht, als der Wagen
endlich, triefend und mit Koth bedeckt, die Bucht verließ, und vor der
Thür eines großen Farmgebäudes anhielt.

Es kostete nicht wenig Geduld und Ausdauer, die schlafenden Inwohner zu
erwecken; aber endlich erschien der ehrenwerthe Besitzer und öffnete die
Thür. Es war ein großer, struppiger Orson von Mann, volle sechs Fuß und
einige Zoll hoch, und in ein rothwollenes Jagdhemde gekleidet. Eine
ziemlich schwere Decke rothen Haares, in einem entschieden ungekämmten
Zustande, und ein mehrere Tage alter Bart, verliehen dem Ehrenmanne ein,
im gelindesten Ausdrucke, nicht sehr einnehmendes Aeußere. Er stand
einige Minuten lang, das Licht hoch erhoben haltend, stumm da, und
schaute unsere Reisenden mit einer finsteren, mystischen Miene an, die
wirklich komisch war. Unser Senator hatte einige Mühe, ihm das ganze
Sachverhältniß vollkommen deutlich zu machen; und während der gute Mann
sein Bestes thut, es gehörig aufzufassen, wollen wir unsere Leser etwas
näher mit ihm bekannt machen.

Der brave, alte John Van Trompe war früher ein sehr bedeutender Land-
und Sklavenbesitzer im Staate Kentucky. Da er nichts weiter zu tragen
hatte, als seine eigene Haut, und da er von Natur ein großes, gutes,
gerechtes Herz besaß, welches im richtigsten Verhältniß mit seinem
gigantischen Körper stand, so hatte er schon seit längeren Jahren mit
Mißbehagen die Wirkungen eines für den Unterdrücker und den
Unterdrückten gleich nachtheiligen Systems beobachtet. Eines Tages
endlich, begann John's großes, gutes Herz zu sehr zu schwellen um seine
Fesseln länger tragen zu können; und so nahm er sein Taschenbuch aus
seinem Schreibtische hervor, und ging hinüber nach Ohio, und kaufte ein
Viertel eines ganzen Stadtgebietes, üppiges Land, fertigte
Freilassungsscheine für alle seine Sklaven aus, -- Männer, Weiber und
Kinder, packte sie auf Wagen, und sandte sie fort, um sich dort
niederzulassen; und dann wandte sich Ehren John der Bucht zu, und ließ
sich auf einer kleinen, abgelegenen Farm nieder, um sich seines
Bewußtseins und seiner Betrachtungen zu freuen.

»Seid Ihr der Mann, der ein armes Weib und ein Kind aufnehmen will, um
sie nicht den Sklavenhäschern in die Hände fallen zu lassen?« sagte der
Senator mit Nachdruck.

»Denke schon, daß ich's bin,« entgegnete Ehren John mit demselben
Nachdrucke.

»Ich dachte so,« sagte der Senator.

»Wenn Jemand kommen solle,« sagte der gute Mann, seine große, muskulöse
Figur aufrichtend, »=na=, so will ich ihn empfangen; habe auch sieben
Söhne, jeder sechs Fuß hoch, die für ihn bereit sind. Bestellt ihm nur
mein Compliment,« fügte John hinzu, »und sagt ihm nur, 's komme gar
nicht drauf an, wie bald er komme, -- macht gar keinen Unterschied,«
sagte John, durch seine struppigen Haare fahrend, und in lautes Lachen
ausbrechend.

Matt, ermüdet und gebrochen, schleppte sich Elisa bis an die Thür,
während ihr Kind in festem Schlafe auf ihrem Arme lag. Der rauhe Mann
hielt das Licht vor ihr Gesicht, und indem er dann eine Art mitleidigen
Grunzens ausstieß, öffnete er die Thür eines kleinen Schlafzimmers,
welches neben der großen Küche lag, in der sie standen, und bedeutete
sie, da hinein zu gehen. Er holte ein Talglicht, zündete es an, setzte
es auf den Tisch, und wendete sich dann an Elisa.

»Brauchst Dich hier nicht zu fürchten, mein Wort, laß kommen wer will.
Bin fertig für alles das,« sagte er, auf einige handfeste Gewehre
deutend, die über dem Kamine hingen: -- »und die Meisten, die mich
kennen, wissen, daß es nicht gut gethan ist, Einen aus meinem Hause
wegzuholen, so lange ich drin bin. Also nun, lege Dich hin und schlafe,
so ruhig als wenn Dich Deine Mutter wiegte,« sagte er, während er die
Thür zumachte.

»Das ist ein ungewöhnlich hübsches Weibsbild,« sagte er dann zu dem
Senator. »Ja, ja, die Hübschen haben die größte Gefahr auszustehen, oft,
wenn sie ein Bißchen Gefühl haben, wie ordentliche Frauenzimmer haben
sollen. Kenne das alles.«

Der Senator theilte ihm kurz, in wenigen Worten, Elisa's Geschichte mit.

»O! o! sieh Einer!« sagte der gute Mann mitleidig; »nun ja! das ist
natürlich, versteht sich, armes Wesen! -- gehetzt wie ein Thier, grade
deshalb, weil sie natürliche Gefühle hat, und das thut, was keine Mutter
anders kann. Ich sage Euch, diese Dinge hätten mich beinahe zum Fluchen
gebracht, -- zu wer weiß was,« sagte der ehrliche John, während er seine
Augen mit der Kehrseite seiner großen, fleckigen Hand wischte. »Ich sage
Euch, Mann, es hat Jahre und Jahre gedauert, daß ich nicht in die Kirche
ging, weil die Geistlichen da in unsrer ganzen Gegend predigten, daß die
Bibel alle diese Schändlichkeiten gut heiße, -- und ich konnte nicht mit
ihnen fertig werden, mit ihrem Griechisch und Ebräisch, und so ließ ich
sie hinter mir, Bibel und Alles. Bin nie in der Kirche gewesen, bis ich
einen Pfarrer fand, der 's Alles verstand, Griechisch und Alles, und der
grade das Gegentheil sagte; und dann hielt ich fest dran, und ging in
die Kirche, -- so ist's,« sagte John, der inzwischen emsig beschäftigt
gewesen war, einige vortreffliche Flaschen Cider zu öffnen, die er
nunmehr, bei dieser Pause, seinem Gaste offerirte.

»Solltet nun grade hier bleiben, bis es Tag wird,« sagte er in
herzlichem Tone; »ich will meine alte Frau wecken, und Ihr sollt ein
Bett im Nu fertig haben.«

»Ich danke Euch, mein guter Freund,« sagte der Senator, »ich muß fort,
um die Nachtpost nach Columbus zu treffen.«

»So, nun, wenn Ihr müßt, so will ich Euch ein Stück begleiten, und Euch
einen Richteweg zeigen, der Euch besser hinbringen wird, als der, auf
dem Ihr kamt. Das ist ein bitter böser Weg.«

John zog sich an, und war bald fertig, mit einer Laterne in der Hand, um
des Senators Wagen einen Hohlweg hinab zu führen, der hinter seinem
Hause hinlief. Als sie von einander schieden, drückte der Senator ihm
einen Zehndollarschein in die Hand.

»Das ist für sie,« sagte er kurz.

»Ja, ja,« entgegnete John mit ähnlicher Kürze.

Beide reichten sich die Hand, und schieden.



Zehntes Kapitel.

Das Eigenthum wird fortgeschafft.


Der Februarmorgen blickte trübe und feucht durch Onkel Tom's
Hüttenfenster. Er schien auf traurige Gesichter, den Spiegel trauriger
Herzen. Vor dem Feuer stand der Tisch, auf dem eine Plettdecke lag;
über einem Stuhl am Feuer hingen einige grobe, aber reine Hemden, und
Tante Chloë hatte ein andres vor sich auf dem Tische ausgebreitet.
Sorgfältig plettete sie jede Falte und jede Naht mit der
gewissenhaftesten Genauigkeit, und hob nur von Zeit zu Zeit ihre Hand
zum Gesichte auf, um die Thränen abzuwischen, die herabliefen.

Tom saß dabei, die aufgeschlagene Bibel auf dem Knie haltend, und seinen
Kopf in die Hand lehnend, -- aber keiner sprach. Es war noch früh, und
die Kinder lagen alle fest schlafend in ihrem Rollbette.

Tom, der im vollsten Maße das sanfte, weiche Gefühl für Häuslichkeit
hatte, welches ein besondrer charakteristischer Zug dieses unglücklichen
Geschlechtes ist, stand auf und ging schweigend an das Bett seiner
Kinder, um sie zu betrachten.

»'s ist das letzte Mal,« sagte er.

Tante Chloë antwortete nicht, sondern plettete nur mit erhöhtem Eifer
das grobe Hemd weiter, das bereits so glatt war wie Hände es machen
konnten; und indem sie endlich ihr Eisen mit einem verzweifelnden Stoße
bei Seite schob, setzte sie sich am Tische nieder, und erhob ihre
Stimme, und weinte.

»Glaube schon, wir müssen gefaßt sein; aber, o Herr! wie kann ich? Wenn
ich nur wüßte, wo Du hinkämst, und wie sie Dich behandeln werden! Missis
sagt, sie will versuchen, und Dich einlösen in ein oder zwei Jahren;
aber, o Herr, da kommt ja keiner zurück, der hingegangen ist! Jeder wird
ja umgebracht! Hab's ja gehört, wie sie abgetrieben werden da in den
Plantagen!«

»'s wird derselbe Gott da sein, Chloë, wie hier.«

»Mag sein,« sagte Tante Chloë, »aber der Herr läßt schreckliche Dinge
geschehen, manchmal. Ich kann da keinen Trost drin finden, -- nein!«

»Ich bin in Gottes Hand,« sagte Tom, »nichts kann gehn weiter als er es
will; und da ist eins, wofür ich ihm kann dankbar sein. Ich bin's, der
verkauft ist, und hinunter gehen muß, und nicht Du oder die Kinder. Ihr
seid hier sicher; -- was kommt, kommt nur über mich, und der Herr wird
mir helfen, -- ich weiß, er wird.«

Braves, männliches Herz! -- das seinen eignen Kummer niederdrückt, um
andre geliebte Wesen zu trösten! Tom sprach mit schwerer stockender
Stimme, aber sprach brav und männlich.

»Laß uns an unsre Wohlthaten denken!« fügte er mit bebender Stimme
hinzu, als wenn er dessen gewiß wäre, daß er das Bedürfniß fühle, an
diese sehr ernstlich zu denken.

»Wohlthaten!« sagte Tante Chloë, »sehe keine Wohlthat drin! 's ist nicht
recht! 's ist nicht recht, daß es so sein muß! Master hätte 's nie
sollen so kommen lassen, daß Du für seine Schulden genommen werden
konntest. Hast ihm Alles verdient, was er für Dich kriegt, doppelt. Er
war Dir Deine Freiheit schuldig, und hätte sie Dir geben sollen, vor
Jahren schon. Mag sein, daß er sich jetzt nicht helfen kann, aber ich
fühle 's, 's ist doch unrecht; -- nichts bringt das heraus aus mir.
Solches treues Geschöpf, wie Du gewesen bist, -- hast immer seine
Geschäfte vorgesetzt, überall, vor Deinen eignen, -- und immer an ihn
mehr gedacht als an Dein eigen Weib und Kinder! Wer Herzliebe und
Herzblut verkaufen kann, um herauszukommen aus seiner Noth, -- der Herr
wird ihm schon dafür lohnen!«

»Chloë! nun, wenn Du mich lieb hast, sprichst Du nicht so, wenn 's
vielleicht grade das letzte Mal ist, daß wir so mit einander reden! Und
ich sage Dir, Chloë, 's geht mir ganz zuwider, ein Wort gegen Master zu
hören. Ist er nicht als ein Säugling in meinen Arm gelegt worden? -- 's
ist natürlich, daß ich viel auf ihn halte, -- und Master kann nicht so
viel auf den armen Tom halten. Masters sind gewöhnt, sich alle solche
Sachen thun zu lassen, und denken natürlich nicht so viel davon; -- 's
kann's Niemand erwarten. Setz' ihn andern Mastern an die Seite, -- wer
hat die Behandlung und 's gute Leben, wie ich's gehabt habe? Und er
hätte das nie über mich kommen lassen, wenn er 's hätte vorher sehen
können. Ich weiß gewiß!«

»'s ist gut, irgendwo steckt da doch was Unrecht's,« sagte Tante Chloë,
in der ein hartnäckiger Gerechtigkeitssinn vorherrschend war; -- »ich
kann's nicht ausfinden, wo es steckt, aber irgendwo ist was Unrecht's,
-- das weiß ich gewiß.«

»Du solltest aufblicken zum Herrn über uns, -- er ist über Alle -- kein
Sperling fällt vom Dache ohne ihn.«

»Es will mich nicht trösten, aber 's kann wohl sein, es sollte,« sagte
Tante Chloë. »Aber 's Reden hilft alles nichts; ich will nur jetzt den
Kornkuchen herausnehmen, und Dir ein gutes Frühstück zurecht machen,
denn wer weiß, wenn Du wieder eins findest.«

Um die Leiden der nach dem Süden verkauft werdenden Neger gehörig zu
würdigen, müssen wir daran erinnern, daß alle instinktmäßigen Neigungen
dieses Geschlechtes besonders stark sind. Ihre Anhänglichkeit an Orte
namentlich ist dauernd; sie sind zwar nicht kühn und unternehmend, aber
häuslich und anhänglich. Man rechne hinzu alle die Schrecken, mit denen
Unwissenheit das Fremde, Unbekannte bekleidet, und ferner den Umstand,
daß nach dem Süden verkauft werden dem Neger von früher Jugend an als
der äußerste, schrecklichste Grad von Strafe vorschwebt. Die Drohung,
welche mehr schreckt, als gepeitscht werden oder Tortur irgend einer
Art, ist die, den Fluß hinab geschickt zu werden. Wir haben selbst den
Ausdruck dieses Gefühl's und den ungekünstelten Schrecken beobachtet,
mit dem sie in ihren Mußestunden bei einander sitzen, und sich
schauderhafte Geschichten von dem Süden erzählen, der ihnen als

      »Das unentdeckte Land, von dessen Gränzen
      Kein Reisender je kehrt,«

gilt. Ein Missionär unter den entflohenen Negern in Canada erzählte uns,
daß viele von ihnen bekannt hätten, verhältnißmäßig gütigen Herrn
entflohen zu sein, und sich den Gefahren der Flucht ausgesetzt zu haben,
lediglich durch den furchtbaren Schrecken dazu bewogen, den sie vor dem
Verkauftwerden nach dem Süden hegten, einem Schicksale, das drohend über
den Häuptern Aller, über Männern, Weibern und Kindern hänge. Dies
erfüllt den Afrikaner, der von Natur geduldig und schüchtern ist, mit
heroischem Muthe, und läßt ihn Hunger, Kälte und Schmerzen tragen, und
sich den Gefahren der Wildniß, und den noch schrecklicheren Strafen des
Wiedereinfangens aussetzen.

Das einfache Morgenmahl dampfte jetzt auf dem Tische, denn Mistreß
Shelby hatte Tante Chloë von ihren Dienstleistungen im Herrenhause für
diesen Morgen entbunden. Die arme Seele hatte alle ihre geringen Kräfte
zu diesem Abschiedsmahle erschöpft, -- hatte ihre besten Hühner
geschlachtet und gebraten, und ihren Kornkuchen mit der
gewissenhaftesten Genauigkeit, ganz nach dem Geschmacke ihres Mannes,
zubereitet, und brachte endlich noch ein Paar Krüge hervor mit einigen
aufbewahrten Raritäten, die nur bei ganz besondern Gelegenheiten zum
Vorschein kamen.

»O Pete,« sagte Mose triumphirend, »haben wir nicht ein prächtiges
Frühstück auf dem Tisch!« in demselben Augenblicke nach einem Stücke
Huhn greifend.

Tante Chloë gab ihm eine unerwartete Ohrfeige. »Da nun,
kräht über 's letzte Frühstück, das Euer armer Tate hier zu Hause essen
wird!«

»O Chloë!« sagte Tom sanft.

»Ach, ich kann mir nicht helfen,« sagte Tante Chloë, ihr Gesicht in der
Schürze bergend! »ich bin so voll Jammer, das macht mich so häßlich.«

Die Knaben blieben still stehen, und sahen erst ihren Vater, und dann
ihre Mutter an, während das jüngste Kind an den Kleidern derselben empor
kletterte, und einen gebieterischen, befehlenden Schrei zu erheben
begann.

»Da!« sagte Tante Chloë, ihre Augen trocknend und das Kind aufhebend; --
»nun bin ich fertig, denk' ich, -- nun iß etwas, -- das hier ist mein
bestes Huhn. Da, Jungens, sollt' auch was haben, arme Bälger! Mamme ist
häßlich gegen Euch gewesen.«

Die Knaben bedurften keiner zweiten Einladung, sondern machten sich mit
großem Eifer an die Vorräthe, und es war gut, daß sie es thaten, denn
sonst würde von keiner Seite zu diesem Zwecke viel gethan worden sein.

»Nun,« sagte Tante Chloë, nach dem Frühstück geschäftig aufstehend, »ich
muß nun Deine Kleider zusammenthun. 's ist zwar so gut, wie nicht;
werden sie doch alle nehmen. Kenne ihre Wege, -- sind schmutzig, wie
Koth, sind sie! Also hier, Deine Unterjacken, gegen den Fluß, hier in
der Ecke; sei vorsichtig, denn 's wird Dir keiner wieder welche machen.
Dann hier sind Deine alten Hemden und hier die neuen. Habe die Strümpfe
hier gestopft, gestern Abend, und neue Hacken eingesetzt, -- aber, o
großer Gott, wer wird sie je wieder ausbessern?« und Tante Chloë war von
Neuem so überwältigt, daß sie ihren Kopf an die Seite des Kastens lehnte
und schluchzte. »Nur dran zu denken! -- kein Mensch, der was für Dich
thun wird, krank oder gesund! Ich weiß nicht, wozu ich noch gut sein
soll!«

Die Knaben, nachdem sie Alles verzehrt hatten, was auf dem Tische zu
finden war, begannen ihre Aufmerksamkeit auf das zu richten, was um sie
vorging; und als sie ihre Mutter weinen sahen und das traurige Gesicht
ihres Vaters gewahrten, fingen sie auch an zu wimmern und ihre Hände zu
den Augen zu erheben. Onkel Tom hatte das jüngste Kind auf seinem Knie,
und ließ es sich nach Herzenslust damit vergnügen, sein Gesicht zu
kratzen und sein Haar zu zausen, während es von Zeit zu Zeit laute
Ausbrüche von Wonne hören ließ, die augenscheinlich aus eigenen inneren
Betrachtungen hervorgingen.

»Krähe nur, krähe, armes Geschöpf!« sagte Tante Chloë, »kommst auch noch
an die Reihe! wirst leben und sehen, wie Dein Mann verkauft wird, oder
selbst verkauft werden; -- und diese armen Jungen da werden auch
verkauft werden, ohne Zweifel, wenn sie zu was gut sind, -- taugt nicht,
wenn Niggers zu was gut sind!«

In diesem Augenblicke rief einer der Knaben laut: »Da, Missis kommt
herein!«

»Sie kann nichts mehr helfen; -- was nützt 's kommen?« sagte Tante
Chloë.

Mrs. Shelby trat ein. Tante Chloë setzte ihr einen Stuhl in einer
auffallend mürrischen Weise hin. Sie schien jedoch weder die Handlung
noch die Art und Weise zu beachten. Sie sah blaß und aufgeregt aus.

»Tom,« sagte sie, »ich komme um --« aber plötzlich inne haltend und die
schweigende Gruppe vor sich betrachtend, setzte sie sich nieder auf den
Stuhl, bedeckte ihr Gesicht mit dem Taschentuche und brach in heftiges
Schluchzen aus.

»Nun, Missis, o nein, nicht -- das nicht?« sagte Tante Chloë, ihrerseits
auch in Weinen ausbrechend, und einige Augenblicke lang war die ganze
Gesellschaft in Thränen. Und in diesen Thränen, die Alle
gemeinschaftlich vergoßen, Hohe und Niedere, schmolz aller Groll und
alle Bitterkeit der Unterdrückten hinweg. O Ihr, die Ihr Leidende
besucht, wißt Ihr nicht, daß Alles, was Euer Geld kaufen kann, wenn es
mit kaltem, abgewandtem Gesichte gegeben wird, nicht so viel werth ist,
wie eine warme Thräne, die aus wahrem Mitgefühl geweint wird?

»Mein guter Tom,« sagte Mrs. Shelby, »ich kann Dir nichts geben, was für
Dich von Nutzen wäre. Wollte ich Dir Geld geben, so würde es Dir nur
genommen werden. Aber ich verspreche Dir heilig und vor Gott, daß ich
Dich nicht aus meinen Augen verlieren und Dich zurückkaufen will, sobald
ich genug Geld dazu aufbringen kann, bis dahin vertraue auf Gott!«

Hier riefen plötzlich die Knaben, daß Master Haley komme und unmittelbar
darauf flog durch einen sehr unceremoniösen Stoß die Thür auf. Da stand
Haley in sehr übler Laune, indem er die vorhergehende Nacht einen langen
Ritt gemacht hatte und das in Verfolgung seiner Beute gehabte
Mißgeschick nicht sonderlich zur Aufheiterung seines Gemüthes beitrug.

»Komm,« sagte er, »Nigger, bist Du fertig? -- Diener, Madame!« fügte er,
seinen Hut abnehmend, hinzu, als er Mrs. Shelby gewahrte.

Tante Chloë machte den Kasten zu und band einen Strick darum, und stand
dann auf, den Händler finster anblickend, wobei ihre Thränen sich in
Feuerfunken zu verwandeln schienen.

Tom erhob sich geduldig, um seinem neuen Herrn zu folgen, und legte den
schweren Kasten auf seine Schulter. Seine Frau nahm das jüngste Kind auf
den Arm, um ihn bis an den Wagen zu begleiten, und die andern Kinder,
noch immer weinend, folgten nach.

Mrs. Shelby trat zu dem Händler heran und hielt ihn einige Augenblicke
fest, indem sie in sehr eifrigem Tone zu ihm sprach; und während dieß
geschah, bewegte sich die ganze Familie einem Wagen zu, der angespannt
und bereit vor der Thür stand.

Alle Sklaven der Besitzung, Alt und Jung, hatten sich in großer Menge
versammelt und umgaben ihn, um ihrem alten Genossen ein letztes Lebewohl
zu sagen. Tom war von Allen als der erste Diener und als ihr
christlicher Lehrer angesehen worden, und es zeigte sich deßhalb unter
ihnen, namentlich unter den Weibern, viel aufrichtige Theilnahme und
Betrübniß.

»Wie, Chloë, Du trägst's besser als wir?« sagte eins der Weiber, welches
in heftigem Weinen begriffen war und die finstere Ruhe bemerkte, mit der
Chloë am Wagen stand.

»Bei mir ist's mit den Thränen vorbei!« entgegnete sie, grimmig den
Händler anblickend, der sich näherte, »mag nicht weinen vor dem alten
Schuft da!«

»Steig hinein!« sagte Haley zu Tom, während er durch die Menge von
Sklaven hindurchschritt, die ihn mit finsteren Blicken betrachteten.

Tom stieg ein und Haley zog unter dem Wagensitze ein Paar schwerer
Fußschellen hervor, welche er um seine Fußgelenke befestigte. Ein
unterdrücktes Stöhnen von Unwillen rann durch die ganze Versammlung, und
Mrs. Shelby rief von der Veranda aus hinab:

»Mr. Haley, ich versichere Sie, diese Vorsicht ist ganz unnöthig.«

»Weiß nicht, Madame,« entgegnete Haley, -- »habe schon fünfhundert
Dollar hier auf dem Platze verloren, kann mich durchaus nicht solcher
Gefahr noch 'mal aussetzen.«

»Was konnte sie anders von ihm erwarten?« sagte Tante Chloë, innerlich
empört, während ihre beiden Knaben die Lage ihres Vaters nun mit einem
Male zu begreifen schienen, und sich an die Kleider ihrer Mutter hängend
heftig schluchzten und stöhnten.

»Es thut mir leid,« sagte Tom, »daß Master Georg nicht hier ist.«

Georg hatte einen Ausflug in die Umgegend auf einige Tage unternommen,
um einen Jugendfreund zu besuchen; und da er früh am Morgen abgereist
war, ehe das Gerücht von Tom's Unglück sich allgemein verbreitet hatte,
so war es ihm unbekannt geblieben.

»Bringt Master Georg meinen Gruß,« sagte er dringend zu seiner Frau und
den Umstehenden.

Haley hieb auf die Pferde, und mit einem festen, traurigen Blicke, den
er unverwandt auf seine heimathliche Stätte richtete, sah Tom sie
allmählig vor seinen Augen verschwinden.

Mr. Shelby war um diese Zeit nicht zu Hause. Er hatte Tom im Drange der
Nothwendigkeit verkauft, um aus der Gewalt eines Mannes zu kommen, den
er fürchtete, -- und sein erstes Gefühl nach dem Abschlusse des
Geschäftes war das innerer Beruhigung gewesen. Allein die Vorstellungen
seiner Frau erweckten seine halb schlummernde Reue, und Tom's männliche
Uneigennützigkeit hatte die Peinlichkeit seiner Empfindungen erhöht.
Vergeblich sagte er sich, daß er ein Recht habe es zu thun, -- daß
Jedermann es thue, -- und daß Viele sogar es thäten, ohne die
Entschuldigung der Nothwendigkeit für sich zu haben, -- sein Gefühl
wollte sich dadurch nicht beruhigen lassen; und um nicht die traurigen
Schlußscenen mit ansehen zu müssen, hatte er eine kleine Geschäftsreise
in die Umgegend unternommen, in der Hoffnung, daß bei seiner Rückkehr
Alles vorüber sein werde.

Tom und Haley rasselten den staubigen Weg entlang, bei allen den
vertrauten Oertern vorüber fliegend, bis die Gränzen der Besitzung
hinter ihnen lagen, und sie sich auf der offenen Landstraße befanden.
Als sie ungefähr eine Meile weit gefahren waren, hielt Haley plötzlich
vor der Thür eines Hufschmieds an, nahm ein paar Handschellen aus dem
Wagen hervor und trat damit in die Schmiede, um eine Aenderung derselben
vornehmen zu lassen.

»Diese hier sind etwas zu klein für seinen Bau,« sagte Haley, die
Handschellen zeigend und auf Tom deutend.

»Mein Seel'! ist denn das nicht Shelby's Tom? -- er hat ihn doch nicht
verkauft?« sagte der Schmied.

»Ja, er hat ihn verkauft,« entgegnete Haley.

»Warum nicht gar, wirklich?« sagte der Schmied, »wer hätte das gedacht!
Je, ich glaube, Ihr habt nicht nöthig, ihn auf diese Weise fest zu
machen, -- er ist die treueste, beste Seele --«

»Ja, ja,« sagte Haley, »aber Eure guten Seelen sind grade die rechten,
um davon zu laufen. Die Dummen, die nichts darnach fragen, wohin sie
gehen, und andere Versoffene, die sich aus nichts was machen, die
bleiben und haben's eher gern, nach allen Gegenden herumgerollt zu
werden; aber grade diese Hauptkerle, die hassen's wie die Sünde. Hilft
nichts, -- die Schellen müssen dran, -- hat Beine, wird sie schon
gebrauchen -- kein Zweifel!«

»Na, Mann,« sagte der Schmied, unter seinem Arbeitszeug umher suchend,
»die Plantagen da unten sind auch nicht grade der Platz, wo ein
Kentucky-Nigger hin verlangt; sie sterben da ziemlich schnell, -- nicht
wahr?«

»O ja, sterben ziemlich schnell; von Klima und sonst so sterben sie so,
daß immer ein ziemlich starker Markt ist,« sagte Haley.

»Man sollte aber doch meinen, daß es ein Jammer wäre, so 'nen ruhigen,
ordentlichen, guten Kerl zu haben, so einen wie Tom, und ihn denn nun da
fertig machen zu lassen in den Zucker-Plantagen.«

»Na, er hat 'ne gute Aussicht. Ich habe versprochen, was für ihn zu
thun; -- will sehen, daß ich ihn bei irgend 'ner guten, alten Familie
in's Haus bringen kann; und wenn er dann 's Fieber aushält und 's Klima,
na, so hat er 's so gut wie 's irgend ein Nigger nur verlangen kann.«

»Seine Frau und Kinder hat er wohl da gelassen?«

»Ja; aber wird schon 'ne andre da kriegen; -- 's gibt ja Weiber genug da
überall,« sagte Haley.

Tom saß inzwischen traurig außerhalb der Schmiede, während diese
Unterhaltung geführt wurde. Plötzlich hörte er einen schnellen, kurzen
Hufschlag hinter sich, und ehe er sich vollständig von seiner
Ueberraschung erholen konnte, sprang Master Georg in den Wagen, schlang
in wilder Aufregung seine Arme um Tom's Nacken, und schluchzte und
schalt aus Leibeskräften.

»Ich sage, es ist abscheulich! Ich frage nichts danach, was sie sagen,
wer 's auch ist! Es ist eine Schande! Wenn ich ein Mann wäre, sollten
sie es nicht thun, -- sollten sie es ganz bestimmt nicht thun!« rief er
mit unterdrücktem Schluchzen.

»O Master Georg! das thut mir wohl!« sagte Tom. »Ich konnt 's nicht
tragen, daß ich fort mußte, ohne Sie noch 'mal gesehen zu haben! Das
thut mir wahrlich wohl, -- Sie können's nicht glauben!«

Bei diesen Worten machte Tom eine Bewegung mit seinen Füßen, und Georg's
Blicke fielen auf die Fessel.

»Welche Schande!« rief er, seine Hände aufhebend. »Ich schlage den alten
Kerl nieder, -- ja, ich thue es!«

»Nein, Sie thun 's nicht, Master Georg; und müssen nicht so laut
sprechen. Es kann mir zu nichts helfen, ihn ärgerlich zu machen.«

»Gut, ich will es nicht thun, um Deinetwillen; aber nur dran zu denken,
-- ist es nicht abscheulich? Sie haben mich nicht holen lassen, haben
mir nicht einmal Nachricht davon gegeben, und wenn Tom Lincoln nicht
gewesen wäre, so hätte ich gar nichts davon gehört. Ich sage Dir, ich
habe sie ausgescholten, Alle zusammen zu Hause!«

»Das war wohl nicht recht, Master Georg!«

»Ich konnte nicht anders! Es ist eine Schande, sage ich! -- Sieh' hier,
Onkel Tom,« fügte er dann hinzu, seinen Rücken gegen die Schmiede
wendend und in geheimnißvollem Tone sprechend: »=ich habe Dir meinen
Dollar gebracht=!«

»O, ich kann ihn ja nicht annehmen, Master Georg, nein, um Alles in der
Welt nicht!« sagte Tom ganz gerührt.

»Aber Du =sollst= ihn nehmen!« sagte Georg; »sieh' hier, -- ich sagte es
Tante Chloë, daß ich's thun wollte, und sie hat mir den Rath gegeben,
ein Loch hineinzubohren und eine Schnur hinein zu ziehen, so, nun kannst
Du ihn um den Hals hängen und ihn verstecken; sonst würde dieser gemeine
Räuber ihn Dir wegnehmen. Ich sage Dir, Tom, ich möchte mit ihm
anbinden! es würde mir gut thun!«

»Nein, thun Sie 's nicht, Master Georg, denn es würde =mir= nichts Gutes
bringen!«

»Wohl, ich will es nicht thun, um Deinetwillen,« sagte Georg, seinen
Dollar geschäftig um Tom's Hals hängend; »aber nun knöpfe Deinen Rock
fest drüber zu und bewahre ihn, und jedes Mal, wenn Du ihn ansiehst, so
denke daran, daß ich zu Dir hinunter kommen will und Dich zurück holen.
Ich habe mit Tante Chloë darüber gesprochen; ich habe ihr gesagt, daß
sie nichts fürchten soll; ich will dafür sorgen, und ich will Vater'n zu
Tode ärgern, wenn er 's nicht thut!«

»O Master Georg, Sie müssen nicht so von Ihrem Vater reden.«

»Gott, Onkel Tom, ich meine ja nichts Böses!«

»Und nun, Master Georg,« fuhr Onkel Tom fort, »Sie müssen immer ein
guter Sohn sein; bedenken Sie, wie viele Herzen da sind, die an Ihnen
hängen. Halten Sie immer fest an Ihrer Mutter und fallen Sie nie in
solche thörichten Wege, wie Knaben sie manchmal haben, und wollen zu
groß sein, um auf ihre Mutter zu hören. Will Ihnen was sagen, Master
Georg, der Herr gibt manche gute Dinge zweimal, aber 'ne Mutter gibt er
nur einmal. Sie werden nie wieder 'ne solche Frau finden, Master Georg,
und wenn Sie hundert Jahr alt werden. Also nun, Sie halten fest an ihr,
und werden groß, und werden ihr Trost sein, -- da, das ist mein guter
Sohn, -- nicht wahr, Sie wollen?«

»Ja, ich will, Onkel Tom,« sagte Georg ernsthaft.

»Und sein Sie vorsichtig was Sie sprechen, Master Georg. Junge Leute,
wenn sie in Ihr Alter kommen, sind eigenwillig, manchmal, -- 's ist
Natur; aber wirkliche Gentlemen, wie Sie einer sein werden, ich hoffe,
lassen nie Worte fallen über ihre Eltern, die nicht ehrerbietig sind.
Sie sind doch nicht böse, Master Georg?«

»O nein, gewiß nicht, Onkel Tom; Du hast mir immer gute Lehren gegeben.«

»Bin älter, Sie wissen,« sagte Tom, indem er die schönen lockigen Haare
des Knaben mit seiner großen starken Hand strich, aber dabei mit einer
Stimme sprach, die so weich wie die eines Weibes war, »und ich sehe
Alles was in Ihnen steckt, -- Klugheit, Stand, Lesen, Schreiben, -- und
Sie werden aufwachsen und ein großer, gelehrter, guter Mann sein, und
alle Leute im Orte, und Ihr Vater und Ihre Mutter werden stolz auf Sie
sein. Sein Sie auch ein guter Herr, wie Ihr Vater, -- und ein guter
Christ, wie Ihre Mutter. Denken Sie an Ihren Schöpfer in den Tagen wo
Sie jung sind, Master Georg.«

»Ja, ich will wirklich gut sein, Onkel Tom, ich gelobe 's Dir!« sagte
Georg, »und sei Du nicht muthlos. Ich will Dich auf jeden Fall zu uns
zurück haben. Wie ich Tante Chloë diesen Morgen gesagt habe, -- ich will
Dein Haus neu ausbauen lassen und Du sollst ein eignes Zimmer haben mit
einem Teppich darin, wenn ich ein Mann bin. O, Du sollst noch gute
Zeiten haben!«

Haley trat in die Thüre der Schmiede mit den Handeisen in der Hand.

»Hört, Mister Haley,« sagte Georg mit einer Miene großer Ueberlegenheit,
während er aus dem Wagen sprang, »ich werde es meinen Eltern anzeigen,
wie Ihr Onkel Tom behandelt!«

»Soll mir lieb sein,« sagte der Händler.

»Ich sollte denken, Ihr müßtet Euch schämen, Euer ganzes Leben lang
Männer und Weiber aufzukaufen und sie wie Vieh zusammen zu schließen!
Ich sollte meinen, Ihr müßtet Euch selbst abscheulich vorkommen!« sagte
Georg.

»So lange Eure vornehmen Leute noch Männer und Weiber kaufen wollen, --
bin ich so gut wie jene,« sagte Haley; »'s ist nicht schlechter
verkaufen, als kaufen.«

»Ich werde keines von beiden thun, wenn ich ein Mann bin,« sagte Georg.
»Ich schäme mich heut, daß ich ein Kentuckier bin; -- früher war ich
immer stolz darauf.« Und Georg saß auf seinem Pferde so grade, und
blickte mit einer solchen Miene um sich, als erwarte er, daß der ganze
Staat davon durchdrungen werden solle.

»Leb' wohl, Onkel Tom, behalte guten Muth!« sagte Georg.

»Leben Sie wohl, Master Georg,« entgegnete Onkel Tom, ihn zärtlich und
mit Bewunderung anblickend. »Gott der Allmächtige segne Sie! -- Ach,
Kentucky hat nicht Viele wie Sie!« fügte er hinzu, als das freie, offene
Gesicht des Knaben seinem Blicke entzogen war. Fort flog Georg, und Tom
schaute ihm nach, bis der Hufschlag seines Pferdes nicht mehr zu hören
war, -- der letzte Ton, der letzte Blick aus seiner Heimath. Aber über
seinem Herzen schien eine warme Stelle zu sein, da wo jene jugendlichen
Hände den kostbaren Dollar hingelegt hatten. Tom hob seine Hand auf und
drückte sie fest auf sein Herz.

»Nun höre, Tom, ich will Dir was sagen,« sagte Haley, während er an den
Wagen trat und die Handschellen hinein warf, »ich meine, Du sollst 's
gut bei mir haben, wie 's meine Nigger immer haben; und also sag' ich
Dir gleich zum Anfang, Du bist ehrlich gegen mich, und ich bin gut gegen
Dich. Bin nie hart gegen meine Nigger, -- thue immer 's Beste für sie,
was ich kann. Also, Du siehst, das Gescheidste ist, Du bist ruhig und
zufrieden und machst mir keine Streiche; denn die Niggerstreiche kenn'
ich alle, und werde damit fertig. Wenn Niggers ruhig sind und versuchen
nicht davon zu laufen, so haben sie gute Zeit bei mir; und wenn nicht,
na, denn so ist 's ihre eigne Schuld und nicht meine.«

Tom versicherte Haley, daß er nicht die Absicht habe, davon zu laufen.
Die Ermahnung schien in der That ziemlich überflüssiger Weise an einen
Mann gerichtet zu sein, der schwere Fußeisen an seinen Beinen trug.
Allein Mr. Haley hatte die Gewohnheit angenommen, sein Verhältniß zu
neuen Waarenartikeln stets mit kleinen derartigen Ermahnungen zu
eröffnen, die darauf hinwirkten, wie er glaubte, ihnen guten Muth und
Zutrauen einzuflößen, und die Nothwendigkeit unangenehmer Scenen zu
verhüten.

Und hier nehmen wir für jetzt von Onkel Tom Abschied, um die Schicksale
andrer Personen unserer Erzählung zu verfolgen.



Elftes Kapitel.

Worin das Eigenthum in einen unpassenden Geisteszustand geräth.


Es war an einem regnichten Nachmittage, als ein Reisender an der Thür
eines kleinen Gasthofes im Dorfe N-- in Kentucky abstieg. Im
Schenkzimmer fand er eine sehr gemischte Gesellschaft, die vom Wetter
hier, um Schutz zu suchen, zusammen getrieben worden war, und der Ort
gewährte deshalb die gewöhnliche Scenerie solcher Versammlungen. Große,
hagere Kentuckier, in ihren Jagdhemden, die ihre gelenkigen Gliedmaßen,
in der ihnen so eigenthümlichen, behaglichen Faulheit über einen
unglaublichen Raum ausstreckten; -- Gewehre, die aufgestapelt in den
Ecken standen, Jagdtaschen, Schrotbeutel, Jagdhunde, kleine Neger, in
bunter Mischung durch einander rollend, -- waren die charakteristischen
Züge des Gemäldes. Auf jeder Seite des Kamines saß ein langbeiniger
Gentleman, mit zurück gelehntem Stuhle, seinen Hut auf dem Kopfe, und
die Hacken seiner schlammigen Stiefel auf dem Kaminsimse ruhen lassend,
-- eine Stellung, die, wie wir unserm Leser versichern müssen,
entschieden günstig für diejenige Art von Betrachtungen ist, welche in
jenen westlichen Wirthshäusern gefunden werden, in denen die Reisenden
eine besondre Vorliebe für diese besondre Art und Weise, ihrem
Reflektionsvermögen nachzuhelfen, an den Tag legen.

Der Wirth, welcher hinter dem Schenktische stand, war, wie die meisten
seiner Landsleute, groß von Gestalt, gutmüthig und gewandt, mit einer
unglaublichen Decke von Haar auf seinem Kopfe, auf der er einen großen,
hohen Hut trug.

Es trug überhaupt Jeder im Zimmer dieses charaktervolle Zeichen der
männlichen Souveränetät, sei es ein Felbelhut, oder ein Palmblatt, ein
schmutziger Filzhut, oder ein schöner, neuer #chapeau#, -- dort ruhte er
mit ächt republikanischer Unabhängigkeit, und schien in der That das
charakteristische Merkmal jeder einzelnen Individualität zu sein. Einige
trugen ihn verwegen auf die Seite gedrückt, -- das waren muntere,
lustige, fröhliche Burschen; Andere hatten ihn bis tief auf die Nasen
hinabgedrückt, -- das waren jene harten Charaktere, Männer durch und
durch, die, wenn sie einen Hut trugen, ihn ganz tragen wollten, und
grade so wie es ihnen gefiel; noch Andre ließen ihn weit hinten über
fallen, -- tief blickende Männer, die von Allem eine deutliche
Anschauung haben wollten; während wieder andre, sorglose Männer, welche
entweder nicht wußten, oder sich nichts daraus machten, wie ihr Hut saß,
ihn nach allen Seiten umher schwanken ließen. Die verschiedenartigen
Hüte gewährten in der That ein Feld für ein wahrhaft Shakespearsches
Studium.

Verschiedene Neger, in weiten Beinkleidern, liefen geschäftig hin und
her, ohne daß man ein besondres Resultat ihrer Geschäftigkeit entdecken
konnte, aber mit der ihrem Geschlechte eigenthümlichen Willigkeit, Alles
in der ganzen Schöpfung umzukehren, um ihrem Master und seinen Gästen
dienstlich zu sein. Denke Dir endlich, lieber Leser, zu diesem Bilde ein
munteres, prasselndes Feuer, welches den großen, weiten Rauchfang
hinauffährt, -- alle Thüren und Fenster weit offen, so daß die Gardinen
in der kalten, feuchten Zugluft hin und her wehen, -- und Du hast eine
Idee von den Annehmlichkeiten eines Kentuckischen Wirthshauses.

Der Kentuckier der jetzigen Zeit ist eine treffliche Versinnlichung der
Lehre von ererbten Instinkten und Eigenthümlichkeiten. Seine Vorväter
waren gewaltige Jäger, -- Männer, die in den Wäldern lebten, und unter
dem freien Himmel und dem Lichte der Sterne schliefen; und ihr
Abkömmling handelt bis auf den heutigen Tag so, als wenn das Haus sein
Lager wäre, -- trägt seinen Hut zu allen Zeiten, rollt sich umher und
wirft seine Hacken auf die Stühle und Kaminsimse, grade so wie sein
Vorvater sich auf dem grünen Rasen umher rollte, und seine Füße auf
Stämme und Bäume legte, -- hält alle Fenster und Thüren Sommer und
Winter offen, -- nennt jedermann »Fremder« mit #nonchalant bonhommie#,
und ist überhaupt die offenherzigste, ungenirteste und gemüthlichste
Kreatur der Welt.

In eine solche freie und leichte Gesellschaft trat unser Reisender. Er
war ein kleiner, untersetzter Mann, sorgfältig gekleidet, mit einem
runden, gutmüthigen Gesichte, und hatte etwas Komisches, Sonderbares in
seiner ganzen Erscheinung. Er schien für seine Reisetasche und seinen
Regenschirm sehr besorgt zu sein, denn er brachte sie mit eignen Händen
herein und widerstand dabei hartnäckig allen Versuchen der Dienstboten,
ihm diese Last abzunehmen. Indem er sich etwas ängstlich im Schenkzimmer
umschaute, zog er sich mit seinen Kostbarkeiten in die wärmste Ecke
desselben zurück, legte diese unter seinen Stuhl, setzte sich nieder,
und blickte beinahe furchtsam auf zu dem Ehrenmanne, dessen Hacken vom
Kaminsimse getragen wurden, und der ununterbrochen von rechts nach links
mit einem Muthe und einer Heftigkeit ausspie, daß Leute von schwachen
Nerven und besondern Gewohnheiten sich nothwendig dadurch beunruhigt
fühlen mußten.

»Guten Tag, Fremder, wie geht's?« sagte der so eben beschriebene Herr,
indem er eine Ehrensalve von Tabackssaft nach der Gegend des neuen
Ankömmling's zu abfeuerte.

»Ziemlich gut,« war die Antwort des Anderen, während er mit einiger
Unruhe der drohenden Ehre auszuweichen suchte.

»Neuigkeiten?« fragte Ersterer wieder, eine Rolle Taback und ein großes
Jagdmesser aus seiner Tasche nehmend.

»Wüßte keine,« war die Antwort.

»Kauen?« fragte Jener, indem er dem alten Herrn ein Stück Taback mit
ächt brüderlicher Miene hinreichte.

»Nein, danke schön, -- es bekommt mir nicht,« sagte der kleine Mann,
zurück rückend.

»Nicht, ah so!« bemerkte der Andre, während er den Taback in seinen
eignen Mund steckte, um daselbst den nöthigen Vorrath von Saft zum
allgemeinen Besten der Gesellschaft in steter Bereitschaft zu halten.

Der alte Herr ließ jedesmal einen leisen Schrecken sehen, wenn sein
langer Bruder nach seiner Gegend zu feuerte; und als dieser das
bemerkte, richtete er gutmüthig seine Artillerie nach einer andern
Seite, und begann die Feuerzange mit einem Grade militärischen Talentes
anzugreifen, der hinreichend gewesen sein würde, um eine Stadt zu
stürmen.

»Was ist das?« fragte der alte Herr, als er mehrere Anwesende um einen
großen Anschlagezettel gruppirt sah.

»Ein Nigger ist bekannt gemacht!« entgegnete Einer derselben kurz.

Mr. Wilson, denn dies war der Name des alten Herrn, stand auf, und
nachdem er sorgfältig seine Reisetasche und seinen Regenschirm zurecht
gelegt hatte, schritt er bedächtig dazu, seine Brille hervor zu ziehen,
setzte diese auf die Nase, und begann sodann zu lesen:

     »Dem Unterzeichneten entlaufen ein Mulattenbursche, Georg. Besagter
     Georg ist sechs Fuß groß, ein sehr hellfarbiger Mulatte, hat
     braunes, lockiges Haar, spricht gut, kann lesen und schreiben;
     wird wahrscheinlich versuchen für einen Weißen zu gelten; hat tiefe
     Narben auf dem Rücken und Schultern, und trägt an der rechten Hand
     ein Brandmal mit dem Buchstaben #H#.

     Ich will vierhundert Dollar für ihn lebendig geben, und dieselbe
     Summe für den vollständigen Nachweis, daß er getödtet worden ist.«

Der alte Herr las diese Anzeige von Anfang bis zu Ende mit leiser
Stimme, als wenn er sie studiere.

Der langbeinige Veteran, der, wie vorher erwähnt, die Feuerzange
gestürmt hatte, ließ jetzt seine bedeutende Länge nieder, erhob seine
hohe Gestalt, schritt nach dem Orte, wo diese Anzeige angeschlagen war,
und spie dann eine volle Ladung von Tabackssaft auf dieselbe.

»Das ist meine Meinung darüber!« sagte er kurz, und setzte sich dann
wieder nieder.

»Oho, Fremder, was soll das heißen?« sagte der Wirth.

»Ich würde dasselbe mit Dem thun, der's geschrieben hat, wenn er hier
wäre,« entgegnete kaltblütig der lange Mann, während er seine alte
Beschäftigung, Taback zu schneiden, wieder vornahm. »Jeder, der einen
Burschen besitzt wie der, und keinen bessern Weg finden kann, ihn zu
behandeln, =verdient= ihn zu verlieren. Solche Papiere wie das da, sind
eine Schande für Kentucky! Das ist meine Meinung grade heraus, wenn
Jemand sie wissen will!«

»Das ist 'mal gewiß!« sagte der Wirth, während er Etwas in sein Buch
eintrug.

»Ich habe einen Trupp Burschen, Herr,« sagte der lange Mann, indem er
seinen Angriff auf die Feuerzange von Neuem begann, »und rede mit ihnen
so: -- >Jungens,< sage ich -- >rennt nun, lauft! wenn ihr wollt! -- ich
will Euch nie nachlaufen!< -- So halt' ich =meine=. Laßt sie 's wissen,
daß sie fortlaufen können wenn sie wollen, dann grade verlieren sie die
Lust. Ueberdies habe ich Freischeine für sie alle ausgefertigt, im Fall
es mir 'mal zu bunt wird in den jetzigen Zeiten; und das wissen sie. Ich
sage Euch, Fremder, 's giebt keinen Kerl hier, der mehr aus seinen
Negern herausbringt, als ich. Glaubt Ihr's? Meine Burschen sind bis nach
Cincinnati gegangen mit Füllen, fünfhundert Dollar werth, und haben mir
das Geld alles richtig heimgebracht, -- mehr als einmal. 'S ist ganz
natürlich, warum. Behandelt sie wie Hunde, und Ihr habt Hundewerk;
behandelt sie wie Menschen, und Ihr habt Menschenwerk.« Und der ehrliche
Pferdehändler bekräftigte sein moralisches Gefühl dadurch, daß er ein
förmliches #feu de joie# gegen den Kamin losließ.

»Ich glaube, Ihr habt vollkommen recht, Freund,« sagte Mr. Wilson; »und
der hier beschriebene Bursche ist wirklich ein braver Bursche, -- kein
Zweifel darüber. Er hat für mich beinahe sechs Jahre lang in meiner
Sackfabrik gearbeitet, und war mein bester Arbeiter, Herr. Er ist
außerdem ein kluger, erfinderischer Bursche. Er hat eine Maschine zum
Reinigen des Hanfes erfunden, -- eine wirklich werthvolle Sache, die
jetzt in vielen Fabriken angewendet wird. Sein Herr hat das Patent
darauf.«

»Kann mir's denken,« sagte der Pferdehändler, »hat es und macht Geld
mit, und dann dreht er sich um und brennt den Burschen in die rechte
Hand. Wenn ich 'ne gute Gelegenheit hätte, ich wollte ihn zeichnen,
meiner Seele, er sollte 's 'ne gute Zeit mit sich herum tragen.«

»Ja, die klugen Burschen das sind alle ungezogene, impertinente
Schlingel,« sagte ein Mann von rohem, ungeschlachtem Aeußern auf der
andern Seite des Zimmers; »das ist's warum sie gepeitscht und so
gezeichnet werden. Wenn sie sich ordentlich betrügen, würde 's nicht
geschehen.«

»Das heißt, Gott hat sie Menschen werden lassen, und 's muß ein harter
Druck sein, um sie zu Bestien zu machen,« sagte der Pferdehändler
trocken.

»Kluge Niggers sind gar nichts nütze für 'nen Herrn,« fuhr der Andre
fort, der gegen die Verachtung seines Gegners in einer rohen,
bewußtlosen Stumpfheit wohl verschanzt war; -- »wozu brauchen sie
Talente und solche Sachen, wenn Ihr selbst keinen Nutzen davon haben
könnt? Alles, was sie mit thun ist, daß sie Euch betrügen. Habe ein paar
solche Burschen gehabt, aber habe sie bald den Fluß hinunter verkauft.
Wußte doch, daß ich sie früh oder spät verlieren würde, wenn ich's nicht
that.«

»Noch besser, Ihr schickt eine Bestellung hinauf zum lieben Gott, daß er
Euch welche schafft ohne Seelen,« sagte der Pferdehändler.

Hier wurde die Unterhaltung durch das Heranfahren eines kleinen,
einspännigen Kabriolet's vor das Wirthshaus unterbrochen. Es hatte ein
anständiges Aeußeres, und darin saß ein fein gekleideter Mann mit einem
farbigen Diener, welcher fuhr.

Die ganze Versammlung im Schenkzimmer betrachtete den neuen Ankömmling
mit der Neugierde, mit welcher Wirthshausgäste an einem regnichten Tage
gewöhnlich einen frisch Ankommenden beobachten. Er war sehr groß, und
hatte eine dunkle, spanische Gesichtsbildung, schöne, ausdrucksvolle
Augen, und dichtes, lockiges Haar, welches ebenfalls rabenschwarz war.
Seine schöngeformte, gebogene Nase, seine schmalen Lippen, und die
auffallend schönen Formen seiner Glieder erregten bei der ganzen
Gesellschaft sofort die Idee von etwas Ungewöhnlichem. Er schritt mit
leichter Haltung in das Zimmer, grüßte die Gesellschaft, und deutete dem
Kellner durch einen Wink an, wo er seinen Mantelsack niederzusetzen
habe, worauf er, mit seinem Hute in der Hand, sich nachlässig an den
Schenktisch begab, und seinen Namen als Henry Butler, von Oakland,
Grafschaft Shelby, angab. Sich sodann mit gleichgültiger Miene
umwendend, schlenderte er an die im Zimmer ausgehängte Bekanntmachung
heran, und las sie.

»Jim,« sagte er zu seinem Diener, »ich glaube, wir sind einem Burschen,
der diesem ähnlich sieht, in der Nähe von Bernan begegnet, nicht wahr?«

»Ja wohl, Master,« sagte Jim, »nur weiß ich nicht, ob's mit der Hand
zutrifft?«

»Ich habe natürlich nicht darauf geachtet,« sagte der Fremde, nachläßig
gähnend. Sodann sich zum Wirth begebend, verlangte er ein besonderes
Zimmer, da er, wie er sagte, sofort einige Schreibereien zu besorgen
habe.

Der Wirth war äußerst bereitwillig, und ein halbes Dutzend Neger, alt
und jung, männlichen und weiblichen Geschlechts, groß und klein,
sprangen gleich darauf umher, eilig und geschäftig, wie ein Volk
Rebhühner, einander auf die Füße tretend und über einander stolpernd in
ihrem Eifer, um Master's Zimmer in Stand zu setzen, während dessen er
sich nachlässig in einen Stuhl in der Mitte des Zimmers niedergelassen
und mit dem ihm zunächst Sitzenden ein Gespräch begonnen hatte.

Der Fabrikant, Mr. Wilson, hatte den Fremden vom ersten Augenblicke ab,
wo er in's Zimmer getreten war, mit dem Ausdrucke unruhiger Neugierde
betrachtet. Er glaubte ihn irgendwo gesehen und kennen gelernt zu haben,
aber er konnte sich nicht besinnen, wo. Jeden Augenblick, wenn der Mann
sprach oder lächelte, oder sich bewegte, hob er sich und heftete seine
Blicke auf ihn und wandte sich dann schnell wieder ab, wenn die dunkeln,
leuchtenden Augen desselben den seinigen mit dem Ausdrucke der
sorglosesten Ruhe begegneten. Endlich schien eine plötzliche Erinnerung
in ihm aufzuflammen, denn er starrte den Fremden mit einer Miene solcher
Verwunderung und solchen Schreckens an, daß dieser auf ihn zuging.

»Mr. Wilson, wenn ich nicht irre,« sagte er in einem Tone, als erkenne
er ihn so eben, seine Hand ausstreckend. »Ich bitte um Verzeihung, ich
habe Sie vorher nicht erkannt. Ich sehe, Sie erinnern sich meiner -- Mr.
Butler, von Oakland, Grafschaft Shelby.«

»Ja -- ja -- ja,« sagte Mr. Wilson wie Jemand, der in einem Traume
spricht.

Grade in diesem Augenblicke kam ein Negerknabe herein, welcher
ankündigte, daß das Zimmer des Herrn bereit sei.

»Jim, sieh nach dem Gepäck,« sagte der Herr nachläßig, und fügte sodann,
sich an Mr. Wilson wendend, hinzu: »Ich würde Sie um eine kurze
Unterhaltung über Geschäftssachen in meinem Zimmer bitten, wenn Sie
nichts dagegen haben.«

Mr. Wilson folgte ihm, wie Jemand, der im Schlafe wandelt, und sie
gelangten in ein großes Zimmer im oberen Stocke, wo ein frisch
angezündetes Feuer prasselte, und verschiedene Dienstboten noch umher
flogen, um die letzte Hand an die Ordnung des Zimmers zu legen.

Als Alles gethan war und die Dienstboten sich entfernt hatten, schloß
der junge Mann vorsichtig die Thür zu und steckte den Schlüssel die
Tasche, schaute sich um, und dann seine Arme auf der Brust über einander
schlagend, schaute er Mr. Wilson voll in's Gesicht.

»Georg,« sagte Mr. Wilson.

»Ja, Georg,« entgegnete der junge Mann.

»Ich hätte mir's nicht denken können!«

»Ich bin ziemlich gut entstellt, glaube ich,« sagte der junge Mann.
»Etwas Wallnußschale hat meiner gelben Haut ein sanftes Braun verliehen,
und mein Haar habe ich schwarz gefärbt. So, sehen Sie, paßt die
Bekanntmachung auf mich durchaus nicht.«

»O Georg! aber das ist gefährliches Spiel, was Du treibst. Ich hätte Dir
nicht rathen können, es zu thun.«

»Ich kann es auf meine eigene Verantwortung thun,« entgegnete Georg mit
demselben stolzen Lächeln.

Wir müssen #en passant# bemerken, daß Georg von seines Vaters Seite
weißer Abkunft war. Seine Mutter war eine jener Unglücklichen ihres
Geschlechtes, die durch ihre persönliche Schönheit dazu bestimmt sind,
die Sklavinnen der Begierden ihrer Besitzer, und Mütter von Kindern zu
werden, die nie ihren Vater kennen dürfen. Von einer der stolzesten
Familien in Kentucky hatte er schöne, europäische Züge und einen
stolzen, unzähmbaren Geist ererbt. Von seiner Mutter hatte er eine
leichte Mulattenfärbung empfangen, die durch das damit verbundene
glänzende, dunkle Auge vollständig aufgewogen wurde. Eine kleine
Veränderung in der Farbe seiner Haut und seiner Haare hatte ihm das
Ansehen eines Spaniers verliehen, unter welchem er sich jetzt zeigte;
und da eine edle Haltung und ein anständiges Benehmen ihm von jeher
natürlich gewesen waren, so fand er keine Schwierigkeit darin, die kühne
Rolle zu spielen, in der er sich jetzt bewegte, -- die eines mit seinem
Bedienten reisenden Gentlemans.

Mr. Wilson, ein gutmüthiger, aber außerordentlich zaghafter und
vorsichtiger alter Mann, lief unruhig im Zimmer auf und ab, während in
seinem Innern der Wunsch, Georg beizustehen, mit einem dunkeln Begriffe
von Aufrechterhaltung des Gesetzes und der Ordnung zu kämpfen schien.
Während er deßhalb im Zimmer umherstrich, gab er sich etwa auf folgende
Weise zu vernehmen:

»So, Georg, vermuthe, Du bist davon gelaufen Deinem rechtmäßigen Herrn,
Georg, -- (wundere mich nicht) -- aber ich muß Dir doch sagen, es thut
mir leid, Georg, -- ja, entschieden -- ich muß Dir das sagen, Georg, --
es ist meine Pflicht, Dir das zu sagen.«

»Was thut Ihnen leid, lieber Herr?« fragte Georg ruhig.

»Je nun, daß ich sehe, daß Du dich gleichsam den Gesetzen Deines
Vaterlandes entgegen stellst.«

»=Meines= Vaterlandes!« sagte Georg mit starker und bitterer Betonung;
»welches andere Vaterland habe ich, als das Grab? -- und ich wünschte
bei Gott, daß ich schon darin läge.«

»Wie, Georg, nein -- nein -- das geht nicht; solches Gespräch ist
sündhaft, unchristlich. Georg, Du hast einen schlimmen Herrn -- das ist
wahr, -- sein Betragen ist sehr zu tadeln, -- ich will ihn nicht
vertheidigen; aber Du weißt, wie der Engel Hagar befahl, zu ihrer Herrin
zurückzukehren und sich ihrer Hand zu unterwerfen, -- und der Apostel
sandte Onesimus zurück zu seinem Herrn.«

»Führen Sie mir nicht die Bibel an auf diese Weise, Mr. Wilson,« sagte
Georg mit flammendem Auge, -- »ich bitte Sie, thun Sie es nicht! denn
mein Weib ist eine Christin, und ich gedenke ein Christ zu sein, wenn
ich je dahin gelangen sollte, wohin ich kann; aber einem Menschen in
meinen Verhältnissen gegenüber die Bibel anführen ist genug, um ihn
Alles aufgeben zu lassen. Ich berufe mich auf Gott den Allmächtigen, --
ich bin bereit, mit meiner Sache vor Ihn zu treten und Ihn zu fragen, ob
ich Unrecht thue, indem ich meine Freiheit suche.«

»Diese Gefühle sind ganz natürlich, Georg,« sagte der gutmüthige Mann,
sein Taschentuch gebrauchend. »Ja, sie sind natürlich, aber es ist meine
Pflicht, Dich nicht darin zu bestärken. Ja, mein Junge, Du thust mir
leid, es ist ein schlimmes Ding -- sehr schlimm; aber der Apostel sagt:
>Ein Jeglicher bleibe in dem Berufe, darinnen er berufen ist.< Wir
müssen uns alle den Winken der Vorsehung unterwerfen, -- siehst Du das
nicht ein?«

Georg stand da mit zurückgebogenem Kopfe, mit fest unter einander
geschlagenen Armen auf seiner breiten Brust, und mit einem bittern
Lächeln auf der Lippe.

»Es sollte mich wundern, Mr. Wilson, ob, wenn die Indianer kämen und Sie
von Weib und Kindern wegschleppten, und Sie lebenslang bei sich behalten
wollten, um ihnen das Korn zu mahlen, -- ob Sie es dann für Ihre Pflicht
halten würden, in der Lage zu bleiben, in die Sie versetzt worden sind.
Ich glaube eher, Sie würden das erste, beste frei umher laufende Pferd,
das Sie finden könnten, für einen Wink der Vorsehung halten, -- was
meinen Sie?«

Der alte Herr starrte mit beiden Augen, als er diese Anschauung der
Sachlage hörte; und obgleich er kein großer Denker war, so hatte er doch
so viel gesunden Sinn, worin er von manchen Logikern nicht übertroffen
wird, -- da nichts zu sagen, wo nichts gesagt werden kann. Während er
deßhalb beschäftigt war, seinen Regenschirm zu streichen und jede Falte
darin auszuglätten, fuhr er mit seinen Ermahnungen in allgemeiner
Beziehung fort.

»Du siehst, Georg, Du weißt, daß ich immer Dein Freund gewesen bin, und
was ich gesagt habe, habe ich immer nur zu Deinem Besten gesagt. Hier
nun, scheint es mir, setzest Du dich einer schrecklichen Gefahr aus. Du
kannst nicht darauf hoffen, es auszuführen, und wenn sie Dich fangen, so
wird Deine Lage noch schlimmer werden, als sie bisher gewesen ist. Sie
werden Dich mißhandeln und halb umbringen, und Dich den Fluß hinunter
verkaufen.«

»Mr. Wilson, ich weiß das Alles,« sagte Georg. »Ich setze mich einer
Gefahr aus, aber --« hier öffnete er seinen Ueberrock und ließ zwei
Pistolen und ein Weidmesser sehen. »Hier!« sagte er, »ich bin bereit für
sie! Hinunter nach Süden will ich nimmer gehen. Nein! wenn es dahin
kömmt, so kann ich mir wenigstens noch sechs Fuß freien Grund und Boden
erringen, -- den ersten und letzten, den ich jemals in Kentucky besitzen
werde!«

»Höre, Georg, diese Gemüthsstimmung ist schrecklich! -- sie ist ganz
verzweifelt, Georg. Das bekümmert mich sehr; -- so die Gesetze Deines
Vaterlandes übertreten zu wollen!«

»Wieder, =meines Vaterlandes=! Mr. Wilson, =Sie= haben ein Vaterland;
aber welches Vaterland habe ich oder irgend Einer, der von einer
Sklavenmutter geboren worden ist? Welche Gesetze bestehen denn für uns?
Wir erlassen sie nicht, -- wir geben nicht unsre Stimme dazu, wir haben
nichts mit ihnen zu thun; Alles, was sie für uns thun, ist, daß sie uns
niederschmettern und uns niederhalten. Habe ich denn nicht ihre Reden am
4ten Juli gehört? Haben sie uns nicht allen alljährlich einmal gesagt,
daß die Regierungen ihre Gewalt nur durch den Willen der Regierten
erhalten? Kann ein Mensch denn nicht denken, der solche Sachen hört?
Kann er dies und jenes nicht zusammenreimen und sich daraus Schlüsse
ziehen?«

Mr. Wilson's Geist war einer von denjenigen, die nicht unpassend mit
einem Ballen Baumwolle verglichen werden können, -- sanft, weich,
nachgiebig und verworren. Er bedauerte wirklich Georg von ganzem Herzen,
und hatte sogar eine dunkle, nebelichte Ahnung von dem Gefühl, welches
diesen erfüllte: aber er hielt es für seine Pflicht, beharrlich mit
seinen =guten= Vorstellungen fortzufahren.

»Georg, das ist unrecht. Ich muß es Dir sagen, als Dein Freund, Du
weißt, Du thätest besser, Dich mit solchen Ideen nicht zu beschäftigen;
die sind ganz unpassend, Georg, ganz unpassend für Burschen in Deinem
Verhältniß.« Und Mr. Wilson setzte sich nieder und begann in heftigster
Aufregung an dem Knopfe seines Schirmes zu kauen.

»Nun sehen Sie hier, Mr. Wilson,« sagte Georg, indem er zu ihm herantrat
und sich mit entschiedenem Wesen dicht vor ihn setzte; -- »sehen Sie
mich jetzt an. Sitze ich hier nicht vor Ihnen als ein Mensch in jeder
Beziehung grade so gut wie Sie? Schauen Sie in mein Gesicht, auf meine
Hände, auf meinen Körper,« und bei diesen Worten hob sich der junge Mann
stolz auf, »bin ich nicht ein Mensch so gut wie Einer? Wohl, Mr. Wilson,
hören Sie, was ich Ihnen sagen will. Ich hatte einen Vater, -- er
gehörte zu Ihren Kentucky'schen Gentlemen, -- der sich nicht so viel aus
mir machte, daß er mich dagegen sicherte, mit seinen Pferden und Hunden
nach seinem Tode verkauft zu werden. Ich sah meine Mutter zum Verkaufe
ausgestellt mit ihren sieben Kindern. Sie wurden alle, eins nach dem
andern, vor ihren Augen an verschiedene Herren verkauft; und ich war das
jüngste. Sie kam und sank vor meinem alten Master zu Füßen und flehte
ihn an, sie mit mir zu kaufen, damit sie wenigstens ein Kind bei sich
habe; -- und er stieß sie mit dem Hacken zur Seite. Ich sah es, als er
es that; und das Letzte, was ich von ihr hörte, war ihr Stöhnen und
Schreien, als ich an den Hals seines Pferdes gebunden wurde, um mit ihm
fortgeschleppt zu werden.«

»Nun, also?«

»Mein Herr kaufte später meine älteste Schwester von dem Manne, der sie
erstanden hatte. Sie war ein frommes, gutes Mädchen, -- und so schön wie
ihre arme Mutter gewesen war. Sie war gut erzogen worden, und wußte sich
gut zu benehmen. Anfangs freute ich mich, daß sie gekauft worden war,
denn ich hatte nun eine Freundin in meiner Nähe; aber bald bereute ich
es. Ich habe an der Thür gestanden und gehört, wie sie gepeitscht wurde,
während jeder Schlag mein entblößtes Herz zu treffen schien, und konnte
ihr nicht helfen; und sie wurde gepeitscht, Herr, blos deshalb, weil sie
ein sittliches, christliches Leben führen wollte, ein solches, wie Ihre
Gesetze einem Sklavenmädchen nicht erlauben zu führen; und endlich sah
ich sie geschlossen in dem Trupp eines Sklavenhändlers, um nach
New-Orleans auf den Markt gebracht zu werden, -- dort hingeschickt blos
deshalb, weil sie -- und das ist das Letzte, was ich von ihr weiß. --
Ich selbst wuchs auf, -- lange, lange Jahre, -- keinen Vater, keine
Mutter, keine Schwester, kein menschliches Wesen bei mir, das sich um
mich mehr als um einen Hund kümmerte; nichts als gepeitscht, geschimpft
werden, und Hunger leiden. Ich bin oft so hungrig gewesen, daß ich froh
war, die Knochen zu finden, die den Hunden vorgeworfen wurden; und
dennoch war es nicht der Hunger, nicht der Schmerz der Peitschenhiebe,
weshalb ich oft als ein kleiner Knabe lange Nächte wachend und weinend
auf meinem Lager zubrachte. Nein, Herr, es war meine Mutter und meine
Schwestern, um die ich weinte, -- es war, weil ich keinen Freund auf
Erden hatte, der mich liebte. Ich habe nie gewußt, was Friede und
Annehmlichkeiten des Lebens waren; nie wurde ein freundliches Wort zu
mir gesprochen, bis ich in Ihre Fabrik kam. Mr. Wilson, Sie haben mich
gut behandelt, Sie haben mich ermuthigt, gut zu sein, lesen und
schreiben zu lernen, und etwas aus mir selbst zu machen; und Gott weiß
es, wie dankbar ich Ihnen dafür bin. Dann fand ich meine Frau; Sie haben
sie gesehen, -- Sie wissen, wie schön sie ist. Als ich sah, daß sie mich
liebte, als ich sie heirathete, konnte ich kaum glauben, daß ich
wirklich lebe, so glücklich war ich; und sie ist ebenso gut wie schön.
Aber was kam nun? -- Mein Master kommt und nimmt mich von meiner Arbeit
fort, von meinen Freunden und Allem, was ich lieb hatte, um mich in den
Staub zu treten! Und weshalb? Weil ich, wie er sagt, vergessen habe, was
ich sei, um, wie er sagt, mir zu lehren, daß ich nichts als ein Neger
sei! Endlich tritt er auch zwischen mich und mein Weib, und verlangt,
ich solle sie aufgeben und mit einem andern Weibe leben. Und zu allen
diesen Handlungen geben ihm Ihre Gesetze Macht und Vollkommenheit, trotz
Gott und Menschen. Mr. Wilson, hören Sie! Es ist hier nicht =eine
einzige= Handlung unter allen diesen, die die Herzen meiner Mutter,
meiner Schwester, meines Weibes und mein eignes gebrochen haben, welche
Ihre Gesetze nicht billigten, und jedem Manne in Kentucky ohne
Widerspruch erlaubten! Nennen Sie nun diese die Gesetze =meines=
Vaterlandes? Nein, Herr, ich habe nicht mehr ein Vaterland, als ich
einen Vater habe. Aber ich bin im Begriffe, eins zu erlangen. Ich
verlange nichts von =Ihrem= Vaterlande, als daß es mich in Frieden lasse
und mir erlaube, ruhig hinaus zu gehen; und wenn ich nach Kanada komme,
wo die Gesetze mich anerkennen und mich beschützen werden, so soll dies
mein Vaterland sein, und ich will seinen Gesetzen gehorchen. Aber wenn
Jemand versuchen sollte, mich aufzuhalten, so mag er sich vorsehen, denn
ich bin verzweifelt. Ich werde kämpfen für meine Freiheit bis zum
letzten Hauche. Sie sagen, Ihre Vorväter thaten dasselbe; wohl, wenn es
für sie recht war, so ist es auch für mich recht.«

Diese Rede, welche von ihm, theils am Tische sitzend, theils im Zimmer
auf und ab gehend, gesprochen wurde, mit Thränen, funkelnden Augen und
verzweifelnden Geberden, war für den guten alten Mann zu viel, an den
sie gerichtet war, und der inzwischen ein großes, gelbes Taschentuch
herausgezogen hatte und sein Gesicht damit herzhaft wischte.

»Laß sie alle zum Henker gehen!« brach er plötzlich hervor. »Habe ich's
nicht immer gesagt, -- die verdammten Hallunken! -- Ich habe doch nicht
geflucht, jetzt? -- Gut, Georg, geh' zu, geh' zu! aber sei vorsichtig,
mein Junge; schieße Keinen todt, Georg, wenn's nicht -- ja, -- aber noch
besser, Du schießest gar nicht, denk' ich; wenigstens würde ich
Niemandem Schaden zufügen, verstehst Du? -- Wo ist Dein Weib, Georg?«
fügte er hinzu, während er heftig erregt aufstand, und im Zimmer auf und
ab zu gehen begann.

»Fort, fort, mit ihrem Kinde im Arme, Gott weiß, wohin, -- dem Nordstern
nach, und wann wir uns wieder sehen, und ob wir uns je wieder in dieser
Welt, kann Niemand sagen.«

»Ist es möglich! unglaublich! fort von einer so guten Familie?«

»Ja, aber gute Familien gerathen in Schulden, und die Gesetze =unseres=
Vaterlandes erlauben ihnen, das Kind von der Mutterbrust weg zu
verkaufen, um die Schulden des Herrn zu bezahlen,« sagte Georg mit
bitterem Tone.

»Gut, gut,« sagte der brave alte Mann, in seiner Tasche herum fühlend.
»Ich glaube vielleicht, ich folge hier nicht ganz meinem Verstande, --
aber, laß Alles gehenkt werden, ich will ihm nicht folgen!« fügte er
plötzlich hinzu; »also hier, Georg!« diesem eine Rolle Banknoten
hinreichend, die er aus seiner Brieftasche genommen hatte.

»Nein, nein, mein guter, guter Herr!« sagte Georg; »Sie haben so viel
für mich gethan, und dies könnte Sie in Verlegenheit bringen. Ich habe
Geld genug, hoffe ich, um mich so weit zu bringen, wie ich nöthig habe.«

»Nein, aber Du mußt, Georg. Geld ist eine große Hülfe überall; -- man
kann nicht zu viel haben, wenn's ehrlich gewonnen ist. Nimm es, --
bitte, nimm es, nun, -- nimm es, mein Junge!«

»Unter der Bedingung, daß ich es später zurückzahlen darf, will ich es
annehmen,« sagte Georg.

»Und nun, Georg, wie lange denkst Du auf diese Weise zu reisen? -- nicht
lange oder weit, hoffe ich. 'S ist gut angefangen, aber zu dreist. Und
der schwarze Bursche, -- wer ist das?«

»Ein treuer Mensch, der länger als vor Jahresfrist nach Kanada ging.
Nachdem er dorthin gelangt war, hörte er, daß sein Herr über sein
Entlaufen so zornig geworden sei, daß er seine arme alte Mutter
gepeitscht habe; und er ist deshalb den ganzen Weg zurückgekommen, um
sie zu trösten und sie mit fortzunehmen.«

»Hat er sie?«

»Noch nicht; er ist lange Zeit um den Ort herum geschlichen, aber hat
noch keine Gelegenheit gefunden. Inzwischen will er mich bis nach Ohio
begleiten, um mich zu Freunden zu bringen, die ihm geholfen haben, und
dann will er wieder hierher zurückkehren.«

»Gefährlich, sehr gefährlich!« sagte der alte Mann.

Georg richtete sich auf und lächelte stolz.

Der alte Mann betrachtete ihn von Kopf bis zu Füßen mit einer Art
unschuldiger Verwunderung.

»Georg, irgend Etwas hat Dich erstaunlich verändert. Du trägst Deinen
Kopf, und sprichst und bewegst Dich grade wie ein anderer Mensch,« sagte
Mr. Wilson.

»Weil ich ein =freier Mensch= bin,« sagte Georg stolz. »Ja, Herr, ich
habe zum letzten Male zu irgend einem Menschen >Master< gesagt. =Ich bin
frei!=«

»Sieh Dich vor! Du bist noch nicht sicher, -- Du könntest wieder
gefangen werden.«

»Alle Menschen sind frei und gleich im Grabe, wenn es dahin kommen
sollte, Mr. Wilson,« entgegnete Georg.

»Ich bin vollständig erstarrt vor Deiner Dreistigkeit!« sagte Mr.
Wilson, -- »grade hierher in das nächste Wirthshaus zu kommen!«

»Mr. Wilson, es ist =so= dreist, und dieses Wirthshaus ist =so= nahe,
daß Niemand je daran denken wird; man wird mich weiter voraus suchen,
und Sie selbst würden mich nicht kennen. Jim's Master wohnt nicht in
dieser Gegend; es kennt ihn hier Niemand. Ueberdies ist er längst
vergessen; Niemand sucht ihn mehr, und Niemand wird mich nach der
Bekanntmachung erkennen, glaube ich.«

»Aber das Zeichen an Deiner Hand.«

Georg zog seinen Handschuh aus und zeigte eine frisch geheilte Wunde an
seiner Hand.

»Das ist ein Liebeszeichen, was Mr. Harris mir zum Abschiede gegeben
hat,« sagte Georg spöttisch. »Vor ungefähr vierzehn Tagen kam es ihm in
den Kopf, mir dies zu geben, weil er, wie er sagte, glaubte, daß ich
dieser Tage davon laufen werde. Sieht es nicht interessant aus?« fügte
er hinzu, indem er seinen Handschuh wieder anzog.

»Ich versichere Dich, Georg, mein Blut wird kalt wie Eis, wenn ich daran
denke, -- an Deine Lage und Deine Gefahren!« sagte Mr. Wilson.

»Das meinige ist manches lange Jahr kalt gewesen; -- jetzt ist es
ungefähr im Siedepunkte,« entgegnete Georg.

»Und nun, mein guter Herr,« fuhr Georg nach einer Pause von wenigen
Minuten fort, »ich bemerkte, daß Sie mich erkannten; und so dachte ich,
es wäre am besten, wenn ich eine Unterredung hier mit Ihnen hätte, damit
mich Ihre verwunderten Blicke nicht verrathen möchten. Ich reise morgen
früh, vor Tagesanbruch, wieder ab, und gedenke morgen Abend in Ohio in
Sicherheit zu schlafen. Ich werde bei Tage reisen, in den besten
Gasthöfen logiren, und mit den Herren des Landes an einer Tafel speisen.
Also leben Sie wohl, lieber Herr; und wenn Sie hören sollten, daß ich
gefangen worden bin, so können Sie als gewiß annehmen, daß ich todt
bin!«

Georg stand wie ein Fels, und streckte seine Hand mit der Miene eines
Fürsten aus. Der gutmüthige, kleine alte Mann drückte sie herzlich, und
nahm sodann vorsichtig seinen Regenschirm und suchte tappend seinen Weg
zum Zimmer hinaus.

Georg schaute ihm gedankenvoll nach, als der alte Mann die Thüre schloß.
Ein Gedanke schien plötzlich in ihm aufzusteigen; er eilte zur Thüre,
öffnete sie und sagte:

»Mr. Wilson, noch auf ein Wort!«

Der alte Herr kehrte in's Zimmer zurück, und Georg schloß, wie zuvor,
die Thür ab, und stand dann einige Augenblicke lang still, unschlüssig
auf den Boden schauend. Endlich seinen Kopf mit plötzlicher Anstrengung
erhebend, sagte er:

»Mr. Wilson, Sie haben sich mir in der Behandlung, die ich von Ihnen
erfahren habe, als ein Christ gezeigt, -- ich wollte Sie um einen
letzten christlichen Liebesdienst bitten.«

»Gut, Georg, was ist's?«

»Was Sie vorher sagten, -- ist wahr; ich setze mich einer entsetzlichen
Gefahr aus. Es gibt auf der ganzen Erde keine lebende Seele, die sich
darum kümmert, wenn ich umkomme,« sagte er mit schwerem Athem und mit
großer Anstrengung, -- »man wird mich mit dem Fuße auf die Seite stoßen
und wie einen Hund einscharren, und kein Mensch wird den folgenden Tag
mehr daran denken, -- nur =mein armes Weib=! Arme Seele! sie wird
trauern und sich abhärmen. -- Wenn es Ihnen nur möglich wäre, Mr.
Wilson, ihr diese Busennadel zu senden. Sie gab sie mir einst zum
Weihnachtsgeschenke, das arme Wesen! Geben Sie sie ihr, und sagen Sie
ihr, daß ich sie bis zum letzten Augenblicke lieben würde. Wollen Sie?
=wollen= Sie es thun?« fügte er dringend hinzu.

»Ja, sicher, -- mein armer Junge!« sagte der alte Herr, die Nadel
nehmend, mit nassen Augen und einem melancholischen Zittern seiner
Stimme.

»Sagen Sie ihr dieses Eine noch,« fuhr Georg fort; »es ist mein letzter
Wunsch, -- nach Kanada zu gehen, wenn sie irgend hinkommen könne.
Gleichviel, wie gut ihre Mistreß sei, -- gleichviel, wie sehr sie an
ihrer Heimath hänge; bitten Sie sie, nicht dahin zurückzukehren, -- denn
Sklaverei endet immer in Elend. Sagen Sie ihr, sie solle unser Kind zu
einem freien Menschen erziehen, dann werde er nicht das erdulden müssen,
was ich erduldet habe. Sagen Sie ihr dies, Mr. Wilson, -- wollen Sie?«

»Ja, Georg, ich will es ihr sagen; aber ich hoffe, Du wirst nicht
sterben; fasse Muth, -- bist ja ein braver Bursche. Vertraue auf Gott,
Georg. Ich wünschte nur, Du wärest erst glücklich durch, -- das ist mein
Wunsch.«

»Gibt es einen Gott, auf den man vertrauen kann?« sagte Georg in einem
Tone so bitterer Verzweiflung, daß der alte Mann dadurch in seiner Rede
stockte. »O ich habe mein ganzes Leben lang so viele Dinge gesehen, die
in mir das Gefühl erzeugt haben, daß es keinen Gott geben könne. Ihr
Christen wißt nicht, wie uns diese Dinge erscheinen. Für Euch gibt es
einen Gott, -- aber nicht für uns.«

»O nein, sprich nicht so -- nicht so, mein Junge!« sagte der alte Mann
beinahe schluchzend; »laß nicht solche Gedanken aufkommen. Es gibt -- es
gibt einen Gott; Wolken und Dunkel ist um ihn her, aber Gerechtigkeit
und Gericht ist seines Stuhles Festung. Es lebt ein Gott, Georg! --
glaube an Ihn, vertraue auf Ihn, und Er wird Dir sicher helfen. Er wird
Alles in Ordnung bringen, wenn nicht in dieser, doch in einer anderen
Welt.«

Die wahrhafte Frömmigkeit und Güte des schlichten, alten Mannes verlieh
ihm momentan, während er sprach, eine Art Würde. Georg hielt in seinem
verzweifelten Laufe das Zimmer auf und nieder inne, blieb einen
Augenblick gedankenvoll stehen und sagte dann ruhig:

»Ich danke Ihnen für das, was Sie mir gesagt haben, mein guter Freund;
-- ich will =daran denken=!«





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Onkel Tom's Hütte - oder die Geschichte eines christlichen Sklaven. Band 1 (von 3)." ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home