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Title: Schach von Wuthenow - Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes
Author: Fontane, Theodor, 1819-1898
Language: German
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Schach von Wuthenow



Von ~Theodor Fontane~ erschienen in gleichem Verlage:

~L'Adultera.~ Roman aus der Berliner Gesellschaft.

~Cécile.~ Roman.

~Graf Petöfy.~ Roman.

~Irrungen Wirrungen.~ Berliner Roman.

~Stine.~ Berliner Sitten-Roman.

~Kriegsgefangen.~ Erlebtes 1870.

~Aus den Tagen der Occupation.~ Eine Osterreise.

~Frau Jenny Treibel.~ Roman.

~Meine Kinderjahre.~ Autobiographischer Roman.

~Von vor und nach der Reise.~ Plaudereien und kleine Geschichten.

~Effi Briest.~ Roman.

~Die Poggenpuhls.~ Erzählung.

~Von Zwanzig bis Dreissig.~ Autobiographisches.

~Der Stechlin.~ Roman.

~Aus England und Schottland.~ Reisebilder.


Gesammelte Romane und Erzählungen.

Ausgabe in 12 Bänden mit dem Bilde des Dichters.

=Inhalt=: ~L'Adultera.~ Roman aus der Berliner Gesellschaft. --
Ellernklipp. Nach einem Harzer Kirchenbuch. -- ~Graf Petöfy.~ Roman. --
~Unterm Birnbaum.~ Erzählung. -- ~Schach von Wuthenow.~ Erzählung. --
~Grete Minde.~ Nach einer altmärkischen Chronik. -- ~Vor dem Sturm.~
Roman aus dem Winter 1812 auf 13. -- ~Irrungen Wirrungen.~ Berliner
Roman. -- ~Stine.~ Berliner Sitten-Roman. -- ~Kriegsgefangen.~ Erlebtes
1870.



  Schach von Wuthenow

  Erzählung
  aus der Zeit des Regiments Gensdarmes

  von
  Theodor Fontane

  Vierte Auflage.

  Berlin W
  F. Fontane & Co.
  1901



  Alle Rechte, vor allem das der Uebersetzung, vorbehalten.



Erstes Kapitel.

Im Salon der Frau von Carayon.


In dem Salon der in der Behrenstraße wohnenden Frau von Carayon und
ihrer Tochter Victoire waren an ihrem gewöhnlichen Empfangsabend einige
Freunde versammelt, aber freilich wenige nur, da die große Hitze des
Tages auch die treuesten Anhänger des Zirkels ins Freie gelockt hatte.
Von den Offizieren des Regiments Gensdarmes, die selten an einem dieser
Abende fehlten, war nur einer erschienen, ein Herr von Alvensleben, und
hatte neben der schönen Frau vom Hause Platz genommen unter
gleichzeitigem scherzhaftem Bedauern darüber, daß gerade =der= fehle,
dem dieser Platz in Wahrheit gebühre.

Beiden gegenüber, an der der Mitte des Zimmers zugekehrten Tischseite,
saßen zwei Herren in Civil, die, seit wenig Wochen erst heimisch in
diesem Kreise, sich nichtsdestoweniger bereits eine dominirende Stellung
innerhalb desselben errungen hatten. Am entschiedensten der um einige
Jahre jüngere von beiden, ein ehemaliger Stabskapitän, der, nach einem
abenteuernden Leben in England und den Unionsstaaten in die Heimat
zurückgekehrt, allgemein als das Haupt jener militärischen Frondeurs
angesehen wurde, die damals die politische Meinung der Hauptstadt
machten, beziehungsweise terrorisirten. Sein Name war von Bülow.
Nonchalance gehörte mit zur Genialität, und so focht er denn, beide Füße
weit vorgestreckt und die linke Hand in der Hosentasche, mit seiner
Rechten in der Luft umher, um durch lebhafte Gestikulationen seinem
Kathedervortrage Nachdruck zu geben. Er konnte, wie seine Freunde
sagten, nur sprechen um Vortrag zu halten, und -- er sprach eigentlich
immer. Der starke Herr neben ihm war der Verleger seiner Schriften, Herr
Daniel Sander, im Uebrigen aber sein vollkommener Widerpart, wenigstens
in allem was Erscheinung anging. Ein schwarzer Vollbart umrahmte sein
Gesicht, das ebensoviel Behagen wie Sarkasmus ausdrückte, während ihm
der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischem Tuche
sein Embonpoint zusammenschnürte. Was den Gegensatz vollendete, war die
feinste weiße Wäsche, worin Bülow keineswegs excellirte.

Das Gespräch, das eben geführt wurde, schien sich um die kurz vorher
beendete Haugwitzsche Mission zu drehen, die, nach Bülows Ansicht, nicht
nur ein wünschenswerthes Einvernehmen zwischen Preußen und Frankreich
wieder hergestellt, sondern uns auch den Besitz von Hannover noch als
»Morgengabe« mit eingetragen habe. Frau von Carayon aber bemängelte
diese »Morgengabe«, weil man nicht gut geben oder verschenken könne, was
man nicht habe, bei welchem Worte die bis dahin unbemerkt am Theetisch
beschäftigt gewesene Tochter Victoire der Mutter einen zärtlichen Blick
zuwarf, während Alvensleben der schönen Frau die Hand küßte.

»Ihrer Zustimmung, lieber Alvensleben,« nahm Frau von Carayon das Wort,
»war ich sicher. Aber sehen Sie, wie minos- und rhadamantusartig unser
Freund Bülow dasitzt. Er brütet mal wieder Sturm, Victoire, reiche Herrn
von Bülow von den Karlsbader Oblaten. Es ist, glaub' ich, das Einzige,
was er von Oesterreich gelten läßt. Inzwischen unterhält uns Herr Sander
von unsern Fortschritten in der neuen Provinz. Ich fürchte nur, daß sie
nicht groß sind.«

»Oder sagen wir lieber, gar nicht existiren,« erwiderte Sander. »Alles
was zum welfischen Löwen oder zum springenden Roß hält, will sich nicht
preußisch regieren lassen. Und ich verdenk es Keinem. Für die Polen
reichten wir allenfalls aus. Aber die Hannoveraner sind feine Leute.«

»Ja, das sind sie,« bestätigte Frau von Carayon, während sie gleich
danach hinzufügte: »Vielleicht auch etwas hochmüthig.«

»Etwas!« lachte Bülow. »O, meine Gnädigste, wer doch allzeit einer
ähnlichen Milde begegnete. Glauben Sie mir, ich kenne die Hannoveraner
seit lange, hab ihnen in meiner Altmärker-Eigenschaft so zu sagen von
Jugend auf über den Zaun gekuckt, und darf Ihnen danach versichern, daß
alles das, was mir England so zuwider macht, in diesem welfischen
Stammlande doppelt anzutreffen ist. Ich gönn' ihnen deshalb die
Zuchtruthe, die wir ihnen bringen. Unsere preußische Wirthschaft ist
erbärmlich, und Mirabeau hatte Recht, den gepriesenen Staat Friedrichs
des Großen mit einer Frucht zu vergleichen, die schon faul sei, bevor
sie noch reif geworden, aber faul oder nicht, =Eines= haben wir
wenigstens: ein Gefühl davon, daß die Welt in diesen letzten funfzehn
Jahren einen Schritt vorwärts gemacht hat, und daß sich die großen
Geschicke derselben nicht nothwendig zwischen Nuthe und Notte vollziehen
müssen. In Hannover aber glaubt man immer noch an eine Spezialaufgabe
Kalenbergs und der Lüneburger Haide. _Nomen est omen._ Es ist der Sitz
der Stagnation, eine Brutstätte der Vorurtheile. =Wir= wissen
wenigstens, daß wir nichts taugen, und in dieser Erkenntniß ist die
Möglichkeit der Besserung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter ihnen
zurück, zugegeben, aber im Ganzen sind wir ihnen voraus, und darin
steckt ein Anspruch und ein Recht, die wir geltend machen müssen. Daß
wir, trotz Sander, in Polen eigentlich gescheitert sind, beweist nichts;
der Staat strengte sich nicht an und hielt seine Steuereinnehmer gerade
für gut genug, um die Kultur nach Osten zu tragen. In soweit mit Recht,
als selbst ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich
von der unangenehmen Seite.«

Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Gespräch gezogen
worden war, ihren Platz am Theetisch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu
dem Sprecher hinüber und sagte: »Sie müssen wissen, Herr von Bülow, daß
ich die Polen liebe, sogar _de tout mon coeur_.« Und dabei beugte sie
sich aus dem Schatten in den Lichtschein der Lampe vor, in dessen Helle
man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil einst dem der
Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um
seine frühere Schönheit gekommen war.

Jeder mußt' es sehen, und der Einzige, der es =nicht= sah, oder, wenn er
es sah, als absolut gleichgültig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte
nur: »o ja, die Polen. Es sind die besten Mazurkatänzer, und darum
lieben Sie sie.«

»Nicht doch. Ich liebe sie, weil sie ritterlich und unglücklich sind.«

»Auch das. Es läßt sich dergleichen sagen. Und um dies ihr Unglück
könnte man sie beinah beneiden, denn es trägt ihnen die Sympathien aller
Damenherzen ein. In Fraueneroberungen haben sie, von alter Zeit her, die
glänzendste Kriegsgeschichte.«

»Und wer rettete ....«

»Sie kennen meine ketzerischen Ansichten über Rettungen. Und nun gar
Wien! Es wurde gerettet. Allerdings. Aber wozu? Meine Phantasie schwelgt
ordentlich in der Vorstellung, eine Favoritsultanin in der Krypta der
Kapuziner stehen zu sehen. Vielleicht da, wo jetzt Maria Theresia steht.
Etwas vom Islam ist bei diesen Hahndel- und Fasahndelmännern immer zu
Hause gewesen, und Europa hätt' ein bischen mehr von Serail- oder
Haremwirthschaft ohne großen Schaden ertragen ....«

Ein eintretender Diener meldete den Rittmeister von Schach, und ein
Schimmer freudiger Ueberraschung überflog beide Damen, als der
Angemeldete gleich darnach eintrat. Er küßte der Frau von Carayon die
Hand, verneigte sich gegen Victoire, und begrüßte dann Alvensleben mit
Herzlichkeit, Bülow und Sander aber mit Zurückhaltung.

»Ich fürchte, Herrn von Bülow unterbrochen zu haben ....«

»Ein allerdings unvermeidlicher Fall,« antwortete Sander und rückte
seinen Stuhl zur Seite. Man lachte, Bülow selbst stimmte mit ein, und
nur an Schachs mehr als gewöhnlicher Zurückhaltung ließ sich erkennen,
daß er entweder unter dem Eindruck eines ihm persönlich unangenehmen
Ereignisses oder aber einer politisch unerfreulichen Nachricht in den
Salon eingetreten sein müsse.

»Was bringen Sie, lieber Schach? Sie sind präokkupirt. Sind neue
Stürme ....«

»Nicht =das=, gnädigste Frau, nicht das. Ich komme von der Gräfin
Haugwitz, bei der ich um so häufiger verweile, je mehr ich mich von dem
Grafen und seiner Politik zurückziehe. Die Gräfin weiß es und billigt
mein Benehmen. Eben begannen wir ein Gespräch, als sich draußen vor dem
Palais eine Volksmasse zu sammeln begann, erst Hunderte, dann Tausende.
Dabei wuchs der Lärm und zuletzt ward ein Stein geworfen und flog an dem
Tisch vorbei, daran wir saßen. Ein Haar breit und die Gräfin wurde
getroffen. Wovon sie aber =wirklich= getroffen wurde, das waren die
Worte, die Verwünschungen, die heraufklangen. Endlich erschien der Graf
selbst. Er war vollkommen gefaßt und verleugnete keinen Augenblick den
Kavalier. Es währte jedoch lang', eh' die Straße gesäubert werden
konnte. Sind wir bereits dahin gekommen? Emeute, Krawall. Und das im
Lande Preußen, unter den Augen Seiner Majestät.«

»Und speziell =uns= wird man für diese Geschehnisse verantwortlich
machen,« unterbrach Alvensleben, »speziell =uns= von den Gensdarmes. Man
weiß, daß wir diese Liebedienerei gegen Frankreich mißbilligen, von der
wir schließlich nichts haben als gestohlene Provinzen. Alle Welt weiß,
wie wir dazu stehen, auch bei Hofe weiß man's, und man wird nicht
säumen, =uns= diese Zusammenrottung in die Schuh zu schieben.«

»Ein Anblick für Götter,« sagte Sander. »Das Regiment Gensdarmes unter
Anklage von Hochverrath und Krawall.«

»Und nicht mit Unrecht,« fuhr Bülow in jetzt wirklicher Erregung
dazwischen. »Nicht mit Unrecht, sag' ich. Und das witzeln Sie nicht
fort, Sander. Warum führen die Herren, die jeden Tag klüger sein wollen,
als der König und seine Minister, warum führen sie diese Sprache? Warum
politisiren sie? Ob eine Truppe politisiren darf, stehe dahin, aber
=wenn= sie politisirt, so politisire sie wenigstens richtig. Endlich
sind wir jetzt auf dem rechten Weg, endlich stehen wir da, wo wir von
Anfang an hätten stehen sollen, endlich hat Seine Majestät den
Vorstellungen der Vernunft Gehör gegeben und was geschieht? Unsere
Herren Offiziere, deren drittes Wort der König und ihre Loyalität ist,
und denen doch immer nur wohl wird, wenn es nach Rußland und Juchten und
recht wenig nach Freiheit riecht, unsere Herren Offiziere, sag' ich,
gefallen sich plötzlich in einer ebenso naiven wie gefährlichen
Oppositionslust, und fordern durch ihr keckes Thun und ihre noch
keckeren Worte den Zorn des kaum besänftigten Imperators heraus.
Dergleichen verpflanzt sich dann leicht auf die Gasse. Die Herren vom
Regiment Gensdarmes werden freilich den Stein nicht selber heben, der
schließlich bis an den Theetisch der Gräfin fliegt, aber sie sind doch
die moralischen Urheber dieses Krawalles, =sie= haben die Stimmung dazu
gemacht.«

»Nein, diese Stimmung war da.«

»Gut. Vielleicht war sie da. Aber =wenn= sie da war, so galt es, sie zu
bekämpfen, nicht aber sie zu nähren. Nähren wir sie, so beschleunigen
wir unsern Untergang. Der Kaiser wartet nur auf eine Gelegenheit, wir
sind mit vielen Posten in sein Schuldbuch eingetragen, und zählt er erst
die Summe, so sind wir verloren.«

»Glaub's nicht,« antwortete Schach. »Ich vermag Ihnen nicht zu folgen,
Herr von Bülow.«

»Was ich beklage.«

»Ich desto weniger. Es trifft sich bequem für Sie, daß Sie mich und
meine Kameraden über Landes- und Königstreue belehren und aufklären
dürfen, denn die Grundsätze, zu denen Sie sich bekennen, sind momentan
obenauf. Wir stehen jetzt nach Ihrem Wunsch und allerhöchstem Willen am
Tische Frankreichs und lesen die Brosamen auf, die von des Kaisers
Tische fallen. Aber auf wie lange? Der Staat Friedrichs des Großen muß
sich wieder auf sich selbst besinnen.«

»So er's nur thäte,« replizirte Bülow. »Aber das versäumt er eben. Ist
dies Schwanken, dies immer noch halbe Stehen zu Rußland und Oesterreich,
das uns dem Empereur entfremdet, ist das Fridericianische Politik? Ich
frage Sie?«

»Sie mißverstehen mich.«

»So bitt ich, mich aus dem Mißverständniß zu reißen.«

»Was ich wenigstens versuchen will .... Uebrigens =wollen= Sie mich
mißverstehen, Herr von Bülow. Ich bekämpfe nicht das französische
Bündniß, weil es ein Bündniß ist, auch nicht =deshalb=, weil es nach Art
aller Bündnisse darauf aus ist, unsere Kraft zu diesem oder jenem Zweck
zu doubliren. O, nein; wie könnt' ich? Allianzen sind Mittel, deren
=jede= Politik bedarf; auch der große König hat sich dieser Mittel
bedient und innerhalb dieser Mittel beständig =gewechselt=. Aber =nicht=
gewechselt hat er in seinem Endzweck. Dieser war unverrückt: ein starkes
und selbstständiges Preußen. Und nun frag' ich Sie, Herr von Bülow, ist
=das=, was uns Graf Haugwitz heimgebracht hat, und was sich Ihrer
Zustimmung so sehr erfreut, ist =das= ein starkes und selbstständiges
Preußen? Sie haben =mich= gefragt, nun frag ich =Sie=.«



Zweites Kapitel.

»Die Weihe der Kraft.«


Bülow, dessen Züge den Ausdruck einer äußersten Ueberheblichkeit
anzunehmen begannen, wollte repliziren, aber Frau von Carayon unterbrach
und sagte: »Lernen wir etwas aus der Politik unserer Tage: wo nicht
Friede sein kann, da sei wenigstens Waffenstillstand. Auch hier .... Und
nun rathen Sie, lieber Alvensleben, wer heute hier war, uns seinen
Besuch zu machen? Eine Berühmtheit. Und von der Rahel Lewin uns
zugewiesen.«

»Also der Prinz,« sagte Alvensleben.

»O nein, berühmter oder doch wenigstens tagesberühmter. Der Prinz ist
eine etablirte Celebrität, und Celebritäten, die zehn Jahre gedauert
haben, sind keine mehr .... Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe kommen, es
geht ins Litterarische hinüber, und so möcht' ich denn auch annehmen,
daß uns Herr Sander das Räthsel lösen wird.«

»Ich will es wenigstens versuchen, gnädigste Frau, wobei mir Ihr
Zutrauen vielleicht eine gewisse Weihekraft, oder sagen wirs lieber rund
heraus, eine gewisse ›Weihe der Kraft‹ verleihen wird.«

»O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und
so sind wir denn um den uns zugedachten Besuch gekommen. Ich hab es sehr
bedauert.«

»Sie sollten sich umgekehrt beglückwünschen, einer Enttäuschung
entgangen zu sein,« nahm Bülow das Wort. »Es ist selten, daß die Dichter
der Vorstellung entsprechen, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten
einen Olympier, einen Nektar- und Ambrosiamann, und sehen statt dessen
einen Gourmand einen Putenbraten verzehren; wir erwarten Mittheilungen
aus seiner geheimsten Zwiesprach mit den Göttern und hören ihn von
seinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die allergnädigsten Worte
citiren, die Serenissimus über das jüngste Kind seiner Muse geäußert
hat. Vielleicht auch Serenissima, was immer das denkbar Albernste
bedeutet.«

»Aber doch schließlich nichts Alberneres, als das Urtheil solcher, die
den Vorzug haben, in einem Stall oder einer Scheune geboren zu sein,«
sagte Schach spitz.

»Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr verehrter Herr von Schach,
auch auf =diesem= Gebiete widersprechen. Der Unterschied, den Sie
bezweifeln, ist wenigstens nach =meinen= Erfahrungen thatsächlich
vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen gestatten wollen, zu
=Nicht=-Gunsten von Serenissimus. In der Welt der kleinen Leute steht
das Urtheil an und für sich nicht höher, aber die verlegene
Bescheidenheit, darin sich's kleidet und das stotternde
Schlechte-Gewissen, womit es zu Tage tritt, haben allemal etwas
Versöhnendes. Und nun spricht der Fürst! Er ist der Gesetzgeber seines
Landes in all und jedem, in Großem und Kleinem, also natürlich auch in
Aestheticis. Wer über Leben und Tod entscheidet, sollte der nicht auch
über ein Gedichtchen entscheiden können? Ah, bah! Er mag sprechen was er
will, es sind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche zehn Gebote
mehr als einmal verkünden hören und weiß seitdem was es heißt: _regarder
dans le Néant_.«

»Und doch stimm' ich der Mama bei,« bemerkte Victoire, der daran lag das
Gespräch auf seinen Anfang, auf das Stück und seinen Dichter also
zurückzuführen. »Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den
›tagesberühmten Herrn‹, wie Mama ihn einschränkend genannt hat, kennen
zu lernen. Sie vergessen, Herr von Bülow, daß wir =Frauen= sind, und daß
wir als solche ein Recht haben, neugierig zu sein. An einer Berühmtheit
wenig Gefallen zu finden, ist schließlich immer noch besser, als sie gar
nicht gesehen zu haben.«

»Und wir werden ihn in der That nicht mehr sehen, in aller Bestimmtheit
nicht,« fügte Frau von Carayon hinzu. »Er verläßt Berlin in den nächsten
Tagen schon und war überhaupt nur hier, um den ersten Proben seines
Stückes beizuwohnen.«

»Was also heißt,« warf Alvensleben ein, »daß an der Aufführung selbst
nicht länger mehr zu zweifeln ist.«

»Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigstens
alle beigebrachten Bedenken niederzuschlagen gewußt.«

»Was ich unbegreiflich finde,« fuhr Alvensleben fort. »Ich habe das
Stück gelesen. Er will Luther verherrlichen, und der Pferdefuß des
Jesuitismus guckt überall unter dem schwarzen Doktormantel hervor. Am
räthselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür interessirt,
Iffland, ein Freimaurer.«

»Woraus ich einfach schließen möchte, daß er die Hauptrolle hat,«
erwiderte Sander. »Unsere Prinzipien dauern gerade so lange, bis sie mit
unsern Leidenschaften oder Eitelkeiten in Konflikt gerathen und ziehen
dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther spielen wollen. Und das
entscheidet.«

»Ich bekenne, daß es mir widerstrebt,« sagte Victoire, »die Gestalt
Luthers auf der Bühne zu sehen. Oder geh' ich darin zu weit?«

Es war Alvensleben, an den sich die Frage gerichtet hatte. »Zu weit? O,
meine theuerste Victoire, gewiß nicht. Sie sprechen mir ganz aus dem
Herzen. Es sind meine frühesten Erinnerungen, daß ich in unserer
Dorfkirche saß, und mein alter Vater neben mir, der alle
Gesangbuchsverse mitsang. Und links neben dem Altar da hing unser Martin
Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein
lebensvolles Bild, und sah zu mir herüber. Ich darf sagen, daß dies
ernste Mannesgesicht an manchem Sonntage besser und eindringlicher zu
mir gepredigt hat als unser alter Kluckhuhn, der zwar dieselben hohen
Backenknochen und dieselben weißen Päffchen hatte wie der Reformator,
aber auch weiter nichts. Und diesen Gottesmann, nach dem wir uns nennen
und unterscheiden, und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und
Andacht aufgeschaut habe, den will ich nicht aus den Koulissen oder aus
einer Hinterthür treten sehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt, den
ich übrigens schätze, nicht blos als Künstler, sondern auch als Mann von
Grundsätzen und guter preußischer Gesinnung.«

»_Pectus facit oratorem_«, versicherte Sander, und Victoire jubelte.
Bülow aber, der nicht gern neue Götter neben sich duldete, warf sich in
seinen Stuhl zurück und sagte, während er sein Kinn und seinen Spitzbart
strich: »Es wird Sie nicht überraschen, mich im Dissens zu finden.«

»O, gewiß nicht,« lachte Sander.

»Nur dagegen möcht' ich mich verwahren, als ob ich durch einen solchen
Dissens irgendwie den Anwalt dieses pfäffischen Zacharias Werner zu
machen gedächte, der mir in seinen mystisch-romantischen Tendenzen
einfach zuwider ist. Ich bin Niemandes Anwalt ....«

»Auch nicht Luthers?« fragte Schach ironisch.

»Auch nicht Luthers!«

»Ein Glück, daß er dessen entbehren kann ....«

»Aber auf wie lange?« fuhr Bülow sich aufrichtend fort. »Glauben Sie
mir, Herr von Schach, auch =er= ist in der Decadence, wie so viel
anderes mit ihm, und über ein Kleines wird keine Generalanwaltschaft der
Welt ihn halten können.«

»Ich habe Napoleon von einer ›Episode Preußen‹ sprechen hören,«
erwiderte Schach. »Wollen uns die Herren Neuerer, und Herr von Bülow an
ihrer Spitze, vielleicht auch mit einer ›Episode Luther‹ beglücken?«

»Es ist so. Sie treffen es. Uebrigens sind nicht =wir= es, die dies
Episodenthum schaffen wollen. Dergleichen schafft nicht der Einzelne,
die Geschichte schafft es. Und dabei wird sich ein wunderbarer
Zusammenhang zwischen der Episode Preußen und der Episode Luther
herausstellen. Es heißt auch da wieder: ›Sage mir, mit wem Du umgehst,
und ich will Dir sagen, wer Du bist.‹ Ich bekenne, daß ich die Tage
Preußens gezählt glaube, und ›wenn der Mantel fällt, muß der Herzog
nach.‹ Ich überlass' es Ihnen, die Rollen dabei zu vertheilen. Die
Zusammenhänge zwischen Staat und Kirche werden nicht genugsam gewürdigt;
jeder Staat ist in gewissem Sinne zugleich auch ein =Kirchenstaat=; er
schließt eine Ehe mit der Kirche, und soll diese Ehe glücklich sein, so
müssen beide zu einander passen. In Preußen passen sie zu einander. Und
warum? Weil beide gleich dürftig angelegt, gleich eng gerathen sind. Es
sind Kleinexistenzen, beide bestimmt in etwas Größerem auf- oder
unterzugehen. Und zwar bald. _Hannibal ante portas._«

»Ich glaubte Sie dahin verstanden zu haben,« erwiderte Schach, »daß uns
Graf Haugwitz nicht den Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden
gebracht habe.«

»Das hat er. Aber er kann unser Geschick nicht wenden, wenigstens auf
die Dauer nicht. Dies Geschick heißt Einverleibung in das Universelle.
Der nationale wie der konfessionelle Standpunkt sind hinschwindende
Dinge, vor allem aber ist es der preußische Standpunkt und sein _alter
ego_ der lutherische. Beide sind künstliche Größen. Ich frage, was
bedeuten sie? welche Missionen erfüllen sie? Sie ziehen Wechsel
aufeinander, sie sind sich gegenseitig Zweck und Aufgabe, das ist alles.
Und das soll eine Weltrolle sein! Was hat Preußen der Welt geleistet?
Was find' ich, wenn ich nachrechne? Die Großen Blauen König Friedrich
Wilhelms I., den eisernen Ladestock, den Zopf, und jene wundervolle
Moral, die den Satz erfunden hat, ›ich hab' ihn an die Krippe gebunden,
warum hat er nicht gefressen?‹«

»Gut, gut. Aber Luther ....«

»Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit dem Manne von Wittenberg die
Freiheit in die Welt gekommen sei, und beschränkte Historiker haben es
dem norddeutschen Volke so lange versichert, bis man's geglaubt hat.
Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldsamkeit und
Hexenprozesse, Nüchternheit und Langeweile. Das ist kein Kitt für
Jahrtausende. Jener Weltmonarchie, der nur noch die letzte Spitze fehlt,
wird auch eine Weltkirche folgen, denn wie die kleinen Dinge sich finden
und im Zusammenhange stehen, so die großen noch viel mehr. Ich werde mir
den Bühnen-Luther nicht ansehen, weil er mir in dieses Herren Zacharias
Werner Verzerrung einfach ein Ding ist, das mich ärgert; aber ihn nicht
ansehen, weil es Anstoß gebe, weil es =Entheiligung= sei, das ist mehr
als ich fassen kann.«

»Und =wir=, lieber Bülow,« unterbrach Frau von Carayon, »wir werden ihn
uns ansehen, =trotzdem= es uns Anstoß giebt. Victoire hat Recht, und
wenn bei Iffland die Eitelkeit stärker sein darf als das Prinzip, so bei
=uns= die Neugier. Ich hoffe, Herr von Schach und Sie, lieber
Alvensleben, werden uns begleiten. Uebrigens sind ein paar der
eingelegten Lieder nicht übel. Wir erhielten sie gestern. Victoire, Du
könntest uns das ein' oder andere davon singen.«

»Ich habe sie kaum durchgespielt.«

»O, dann bitt' ich um so mehr,« bemerkte Schach. »Alle Salonvirtuosität
ist mir verhaßt. Aber was ich in der Kunst liebe, das ist ein solches
poetisches Suchen und Tappen.«

Bülow lächelte vor sich hin und schien sagen zu wollen: »Ein jeder nach
seinen Mitteln.«

Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und diese sang, während er
begleitete.

    Die Blüthe, sie schläft so leis und lind
    Wohl in der Wiege von Schnee;
    Einlullt sie der Winter »Schlaf ein geschwind
    Du blühendes Kind«
    Und das Kind es weint und verschläft sein Weh
    Und hernieder steigen aus duftiger Höh
    Die Schwestern und lieben und blühn

Eine kleine Pause trat ein, und Frau von Carayon fragte: »Nun, Herr
Sander, wie besteht es vor Ihrer Kritik?« »Es muß sehr schön sein,«
antwortete dieser. »Ich versteh es nicht. Aber hören wir weiter. Die
Blüthe, die vorläufig noch schläft, wird doch wohl mal erwachen.«

      Und kommt der Mai dann wieder so lind,
    Dann bricht er die Wiege von Schnee,
    Er schüttelt die Blüthe »Wach auf geschwind
    Du welkendes Kind.«
    Und es hebt das Aeuglein, es thut ihm weh
    Und steigt hinauf in die leuchtende Höh
    Wo strahlend die Brüderlein blühn.

Ein lebhafter Beifall blieb nicht aus. Aber er galt ausschließlich
Victoiren und der Komposition, und als schließlich auch der Text an die
Reihe kam, bekannte sich Alles zu Sanders ketzerischen Ansichten.

Nur Bülow schwieg. Er hatte, wie die meisten mit Staatenuntergang
beschäftigten Frondeurs, auch seine schwachen Seiten, und eine davon war
durch das Lied getroffen worden. An dem halbumwölkten Himmel draußen
funkelten ein paar Sterne, die Mondsichel stand dazwischen, und er
wiederholte, während er durch die Scheiben der hohen Balkonthür
hinaufblickte: »wo strahlend die Brüderlein blühn.«

Wider Wissen und Willen, war er ein Kind seiner Zeit, und romantisirte.

Noch ein zweites und drittes Lied wurde gesungen, aber das Urtheil blieb
dasselbe. Dann trennte man sich zu nicht allzu später Stunde.



Drittes Kapitel.

Bei Sala Tarone.


Die Thurmuhren auf dem Gensdarmenmarkt schlugen elf, als die Gäste der
Frau von Carayon auf die Behrenstraße hinaustraten und nach links
einbiegend auf die Linden zuschritten. Der Mond hatte sich verschleiert,
und die Regenfeuchte, die bereits in der Luft lag und auf Wetterumschlag
deutete, that allen wohl. An der Ecke der Linden empfahl sich Schach,
allerhand Dienstliches vorschützend, während Alvensleben, Bülow und
Sander übereinkamen, noch eine Stunde zu plaudern.

»Aber wo?« fragte Bülow, der im Ganzen nicht wählerisch war, aber doch
einen Abscheu gegen Lokale hatte, darin ihm »Aufpasser und Kellner die
Kehle zuschnürten.«

»Aber wo?« wiederholte Sander. »Sieh, das Gute liegt so nah,« und wies
dabei auf einen Eckladen, über dem in mäßig großen Buchstaben zu lesen
stand: Italiener-, Wein- und Delikatessen-Handlung von Sala Tarone. Da
schon geschlossen war, klopfte man an die Hausthür, an deren einer Seite
sich ein Einschnitt mit einer Klappe befand. Und wirklich, gleich darauf
öffnete sich's von innen, ein Kopf erschien am Kuckloch, und als
Alvenslebens Uniform über den Charakter der etwas späten Gäste beruhigt
hatte, drehte sich innen der Schlüssel im Schloß, und alle drei traten
ein. Aber der Luftzug, der ging, löschte den Blaker aus, den der Küfer
in Händen hielt, und nur eine ganz im Hintergrunde, dicht über der
Hofthür schweelende Laterne, gab gerade noch Licht genug, um das
Gefährliche der Passage kenntlich zu machen.

»Ich bitte Sie, Bülow, was sagen Sie zu diesem Defilé,« brummte Sander,
sich immer dünner machend, und wirklich hieß es auf der Hut sein, denn
in Front der zu beiden Seiten liegenden Oel- und Weinfässer, standen
Zitronen- und Apfelsinenkisten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt
waren. »Achtung,« sagte der Küfer. »Is hier allens voll Pinnen und
Nägel. Habe mir gestern erst einen eingetreten.«

»Also auch spanische Reiter .... O, Bülow! In solche Lage bringt einen
ein militärischer Verlag.«

Dieser Sandersche Schmerzensschrei stellte die Heiterkeit wieder her,
und unter Tappen und Tasten war man endlich bis in die Nähe der Hofthür
gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht
nebeneinander lagen. Hier zwängte man sich denn auch durch, und gelangte
mit Hülfe von vier oder fünf steilen Stufen in eine mäßig große
Hinterstube, die gelb gestrichen und halb verblakt und nach Art aller
»Frühstücksstuben« um Mitternacht am vollsten war. Ueberall, an
niedrigen Panelen hin, standen lange, längst eingesessene Ledersophas,
mit kleinen und großen Tischen davor, und nur =eine= Stelle war da, wo
dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr ein mit Kästen und Realen
überbautes Pult, vor welchem einer der Repräsentanten der Firma tagaus
tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein
Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller
hinunterrief, dessen Fallthür immer offen stand.

Unsere drei Freunde hatten in einer dem Kellerloch schräg gegenüber
gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger
war, um sich auf lukullische Feinheiten zu verstehen, überflog eben die
Wein- und Speisekarte. Diese war in russisch Leder gebunden, roch aber
nach Hummer. Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte, was ihm
gefiel; er schob also die Karte wieder fort und sagte: »Das Geringste,
was ich von einem solchen hundstäglichen April erwarten kann, sind
Maikräuter, _Asperula odorata Linnéi_. Denn ich hab auch Botanisches
verlegt. Von dem Vorhandensein frischer Apfelsinen haben wir uns draußen
mit Gefahr unseres Lebens überzeugt, und für den Mosel bürgt uns die
Firma.«

Der Herr am Pult rührte sich nicht, aber man sah deutlich, daß er mit
seinem Rücken zustimmte, Bülow und Alvensleben thaten desgleichen, und
Sander resolvirte kurz: »Also Maibowle.«

Das Wort war absichtlich laut und mit der Betonung einer Ordre
gesprochen worden, und im selben Augenblicke scholl es auch schon vom
Drehstuhl her in das Kellerloch hinunter »Fritz!« Ein zunächst nur mit
halber Figur aus der Versenkung auftauchender, dicker und kurzhalsiger
Junge, wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, sofort
sichtbar, übersprang diensteifrig, indem er die Hand aufsetzte, die
letzten zwei, drei Stufen und stand im Nu vor Sander, den er, allem
Anscheine nach, am besten kannte.

»Sagen Sie, Fritz, wie verhält sich die Firma Sala Tarone zur Maibowle?«

»Gut. Sehr gut.«

»Aber wir haben erst April, und so sehr ich im allgemeinen der Mann der
Surrogate bin, so hass' ich doch eins: die Toncabohne. Die Toncabohne
gehört in die Schnupftabacksdose, nicht in die Maibowle. Verstanden?«

»Zu dienen, Herr Sander.«

»Gut denn. Also Maikräuter. Und nicht lange ziehen lassen. Waldmeister
ist nicht Kamillenthee. Der Mosel, sagen wir ein Zeltlinger oder ein
Brauneberger, wird langsam über die Büschel gegossen; das genügt.
Apfelsinenschnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht
Kopfweh. Und nicht zu süß, und eine Cliquot extra. Extra, sag ich.
Besser ist besser.«

Damit war die Bestellung beendet und ehe zehn Minuten um waren, erschien
die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeisterblättchen
schwammen, nur gerade genug, den Beweis der Aechtheit zu führen.

»Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle schwimmt es wie
Entengrütze. Und das ist schrecklich. Ich denke wir werden Freunde
bleiben. Und nun grüne Gläser.«

Alvensleben lachte. »Grüne?«

»Ja. Was sich dagegen sagen läßt, lieber Alvensleben, weiß ich und laß
es gelten. Es ist in der That eine Frage, die mich seit länger
beschäftigt, und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwiespalte
gehört, die sich, wir mögen es anfangen wie wir wollen, durch unser
Leben hinziehen. Die Farbe des Weins geht verloren, aber die Farbe des
Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das festliche Gesammtkolorit. Und
dies erscheint mir als der wichtigere Punkt. Unser Essen und Trinken, so
weit es nicht der gemeinen Lebensnothdurft dient, muß mehr und mehr zur
symbolischen Handlung werden, und ich begreife Zeiten des späteren
Mittelalters, in denen der Tafelaufsatz und die Fruchtschalen mehr
bedeuteten, als das Mahl selbst.«

»Wie gut Ihnen das kleidet, Sander,« lachte Bülow. »Und doch dank ich
Gott, Ihre Kapaunenrechnung nicht bezahlen zu müssen.«

»Die Sie schließlich =doch= bezahlen.«

»Ah, das =erste= Mal, daß ich einen dankbaren Verleger in Ihnen
entdecke. Stoßen wir an .... Aber alle Welt, da steigt ja der lange
Nostitz aus der Versenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein
Ende ....«

Wirklich, es war Nostitz, der, unter Benutzung eines geheimen Eingangs,
eben die Kellertreppe hinaufstolperte, Nostitz von den Gensdarmes, der
längste Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Sächsischen
stammte, seiner sechs Fuß drei Zoll halber so ziemlich ohne Widerrede
beim Elite-Regiment Gensdarmes eingestellt und mit einem verbliebenen
kleinen Reste von Antagonismus mittlerweile längst fertig geworden war.
Ein tollkühner Reiter und ein noch tollkühnerer Kour- und
Schuldenmacher, war er seit lang ein Allerbeliebtester im Regiment, so
beliebt, daß ihn sich der »Prinz«, der kein anderer war als Prinz Louis,
bei Gelegenheit der vorjährigen Mobilisirung, zum Adjutanten erbeten
hatte.

Neugierig, woher er komme, stürmte man mit Fragen auf ihn ein, aber erst
als er sich in dem Ledersopha zurecht gerückt hatte, gab er Antwort auf
all das, was man ihn fragte. »Woher ich komme? Warum ich bei den
Carayons geschwänzt habe? Nun, weil ich in Französisch-Buchholz
nachsehen wollte, ob die Störche schon wieder da sind, ob der Kuckuck
schon wieder schreit, und ob die Schulmeisterstochter noch so lange
flachsblonde Flechten hat, wie voriges Jahr. Ein reizendes Kind. Ich
lasse mir immer die Kirche von ihr zeigen, und wir steigen dann in den
Thurm hinauf, weil ich eine Passion für alte Glockeninschriften habe.
Sie glauben gar nicht, was sich in solchem Thurme Alles entziffern läßt.
Ich zähle das zu meinen glücklichsten und lehrreichsten Stunden.«

»Und eine Blondine, sagten Sie. Dann freilich erklärt sich alles. Denn
neben einer Prinzessin Flachshaar kann unser Fräulein Victoire nicht
bestehn. Und nicht einmal die schöne Mama, die schön ist, aber doch am
Ende brünett. Und blond geht immer vor schwarz.«

»Ich möchte das nicht geradezu zum Axiom erheben,« fuhr Nostitz fort.
»Es hängt doch alles noch von Nebenumständen ab, die hier freilich
ebenfalls zu Gunsten meiner Freundin sprechen. Die schöne Mama, wie Sie
sie nennen, wird siebenunddreißig, bei welcher Addition ich
wahrscheinlich galant genug bin, ihr ihre vier Ehejahre =halb= statt
doppelt zu rechnen. Aber das ist Schachs Sache, der über kurz oder lang
in der Lage sein wird, ihren Taufschein um seine Geheimnisse zu
befragen.«

»Wie das?« fragte Bülow.

»Wie das?« wiederholte Nostitz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es
gelehrte Militärs wären, für schlechte Beobachter sind. Ist Ihnen denn
das Verhältniß zwischen Beiden entgangen? Ein ziemlich vorgeschrittenes,
glaub' ich. _C'est le premier pas, qui coûte ...._«

»Sie drücken sich etwas dunkel aus, Nostitz.«

»Sonst nicht gerade mein Fehler.«

»Ich meinerseits glaube Sie zu verstehen,« unterbrach Alvensleben. »Aber
Sie täuschen sich, Nostitz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.
Schach ist eine sehr eigenartige Natur, die, was man auch an ihr
aussetzen mag, wenigstens manche psychologische Probleme stellt. Ich
habe beispielsweise keinen Menschen kennen gelernt, bei dem alles so
ganz und gar auf das Aesthetische zurückzuführen wäre, womit es
vielleicht in einem gewissen Zusammenhange steht, daß er überspannte
Vorstellungen von Intaktheit und Ehe hat. Wenigstens von einer Ehe, wie
=er= sie zu schließen wünscht. Und so bin ich denn wie von meinem Leben
überzeugt, er wird niemals eine Wittwe heirathen, auch die schönste
nicht. Könnt' aber hierüber noch irgend ein Zweifel sein, so würd' ihn
=ein= Umstand beseitigen, und dieser eine Umstand heißt: »=Victoire=.«

»Wie das?«

»Wie schon so mancher Heirathsplan an einer unrepräsentablen Mutter
gescheitert ist, so würd' er hier an einer unrepräsentablen Tochter
scheitern. Er fühlt sich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu genirt,
und erschrickt vor dem Gedanken, seine Normalität, wenn ich mich so
ausdrücken darf, mit ihrer Unnormalität in irgend welche Verbindung
gebracht zu sehen. Er ist krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche,
von dem Urtheile der Menschen, speziell seiner Standesgenossen, und
würde sich jederzeit außer Stande fühlen, irgend einer Prinzessin oder
auch nur einer hochgestellten Dame, Victoiren als seine Tochter
vorzustellen.«

»Möglich. Aber dergleichen läßt sich vermeiden.«

»Doch schwer. Sie zurückzusetzen, oder ganz einfach als Aschenbrödel zu
behandeln, das widerstreitet seinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu
sehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau von Carayon das einfach
nicht dulden. Denn so gewiß sie Schach liebt, so gewiß liebt sie
Victoire, ja, sie liebt diese noch um ein gut Theil =mehr=. Es ist ein
absolut ideales Verhältniß zwischen Mutter und Tochter, und gerade dies
Verhältniß ist es, was mir das Haus so werth gemacht hat und noch
macht.«

»Also begraben wir die Partie,« sagte Bülow. »Mir persönlich zu
besondrer Genugthuung und Freude, denn ich schwärme für diese Frau. Sie
hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und selbst ihre
Schwächen sind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieser =Schach=!
Er mag seine Meriten haben, meinetwegen, aber mir ist er nichts als ein
Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Verkörperung jener preußischen
Beschränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat: erstes Hauptstück »die
Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas, als der preußische
Staat auf den Schultern der preußischen Armee«, zweites Hauptstück »der
preußische Infanterieangriff ist unwiderstehlich«, und drittens und
letztens »eine Schlacht ist nie verloren, so lange das Regiment Garde du
Corps nicht angegriffen hat«. Oder natürlich auch das Regiment
Gensdarmes. Denn sie sind Geschwister, Zwillingsbrüder. Ich verabscheue
solche Redensarten, und der Tag ist nahe, wo die Welt die Hohlheit
solcher Rodomontaden erkennen wird.«

»Und doch unterschätzen Sie Schach. Er ist immerhin einer unserer
Besten.«

»Um so schlimmer.«

»Einer unsrer Besten, sag ich, und =wirklich= ein Guter. Er spielt nicht
blos den Ritterlichen, er =ist= es auch. Natürlich auf seine Weise.
Jedenfalls trägt er ein ehrliches Gesicht und keine Maske.«

»Alvensleben hat Recht,« bestätigte Nostitz. »Ich habe nicht viel für
ihn übrig, aber das ist wahr, alles an ihm ist echt, auch seine steife
Vornehmheit, so langweilig und so beleidigend ich sie finde. Und =darin=
unterscheidet er sich von uns. Er ist immer er selbst, gleichviel ob er
in den Salon tritt, oder vorm Spiegel steht, oder beim Zubettegehn sich
seine saffranfarbenen Nachthandschuh anzieht. Sander, der ihn nicht
liebt, soll entscheiden und das letzte Wort über ihn haben.«

»Es ist keine drei Tage,« hob dieser an, »daß ich in der Haude und
Spenerschen gelesen, der Kaiser von Brasilien habe den Heiligen Antonius
zum Obristlieutenant befördert und seinen Kriegsminister angewiesen,
besagtem Heiligen die Löhnung bis auf Weiteres gut zu schreiben. Welche
Gutschreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die
Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und
Beförderungen wird es nicht auffallen, wenn ich die Gefühle dieser
Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entscheid und
Richterspruch, in die Worte zusammenfasse: Seine Majestät der
Rittmeister von Schach, er lebe hoch.«

»O, vorzüglich Sander,« sagte Bülow, »damit haben Sie's getroffen. Die
ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen
Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!«

»Da haben wir denn zum Ueberfluß auch noch die Sprache von »Sr. Majestät
getreuster Opposition,« antwortete Sander und erhob sich. »Und nun
Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geschäftliche
arrangire.«

»In besten Händen,« sagte Nostitz.

Und fünf Minuten später traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte
vom Thor her die Linden herauf, augenscheinlich war ein starkes Gewitter
im Anzug, und die ersten großen Tropfen fielen bereits.

»_Hâtez-vous._«

Und Jeder folgte der Weisung und mühte sich, so rasch wie möglich und
auf nächstem Wege seine Wohnung zu erreichen.



Viertes Kapitel.

In Tempelhof.


Der nächste Morgen sah Frau von Carayon und Tochter in demselben
Eckzimmer, in dem sie den Abend vorher ihre Freunde bei sich empfangen
hatten. Beide liebten das Zimmer, und gaben ihm auf Kosten aller andern
den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenster, von denen die beiden unter
einander im rechten Winkel stehenden auf die Behren- und
Charlottenstraße sahen, während das dritte, thürartige, das ganze, breit
abgestumpfte Eck einnahm, und auf einen mit einem vergoldeten
Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es die Jahreszeit
erlaubte, stand diese Balkonthür offen, und gestattete, von beinah jeder
Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das benachbarte Straßentreiben,
das, der aristokratischen Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein
besonders belebtes war, am meisten um die Zeit der Frühjahrsparaden, wo
nicht blos die berühmten alten Infanterieregimenter der Berliner
Garnison, sondern, was für die Carayons wichtiger war, auch die
Regimenter der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem Klang ihrer
silbernen Trompeten an dem Hause vorüberzogen. Bei solcher Gelegenheit
(wo sich dann selbstverständlich die Augen der Herrn Offiziers zu dem
Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erst seinen eigentlichen
Werth, und hätte gegen kein anderes vertauscht werden können.

Aber es war auch an stillen Tagen ein reizendes Zimmer, vornehm und
gemüthlich zugleich. Hier lag der türkische Teppich, der noch die
glänzenden, fast ein halbes Menschenalter zurückliegenden Petersburger
Tage des Hauses Carayon gesehen hatte, hier stand die malachitne
Stutzuhr, ein Geschenk der Kaiserin Katharina, und hier paradirte vor
allem auch der große, reich vergoldete Trumeau, der der schönen Frau
täglich aufs Neue versichern mußte, daß sie noch eine schöne Frau sei.
Victoire ließ zwar keine Gelegenheit vorübergehn, die Mutter über diesen
wichtigen Punkt zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug genug,
es sich jeden Morgen durch ihr von ihr selbst zu kontrolirendes
Spiegelbild neu bestätigen zu lassen. Ob ihr Blick in solchem Momente zu
dem Bilde des mit einem rothen Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha
hängenden Herrn von Carayon hinüberglitt, oder ob sich ihr ein
stattlicheres Bild vor die Seele stellte, war für Niemanden zweifelhaft,
der die häuslichen Verhältnisse nur einigermaßen kannte. Denn Herr von
Carayon war ein kleiner, schwarzer Koloniefranzose gewesen, der außer
einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer
ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches
in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigsten aber männliche Schönheit.

Es schlug elf, erst draußen, dann in dem Eckzimmer, in welchem beide
Damen an einem Tapisserierahmen beschäftigt waren. Die Balkonthür war
weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte,
stand die Sonne schon wieder hell am Himmel und erzeugte so ziemlich
dieselbe Schwüle, die schon den Tag vorher geherrscht hatte. Victoire
blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'schen kleinen
Groom, der mit Stulpenstiefeln und zwei Farben am Hut, von denen sie zu
sagen liebte, daß es die Schach'schen »Landesfarben« seien, die
Charlottenstraße heraufkam.

»O sieh nur,« sagte Victoire, »da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie
wichtig er wieder thut! Aber er wird auch zu sehr verwöhnt, und immer
mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag?«

Ihre Neugier sollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen
Augenblick später hörten beide die Klingel gehn, und ein alter Diener in
Gamaschen, der noch die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte,
trat ein, um auf einem silbernen Tellerchen ein Billet zu überreichen.
Victoire nahm es. Es war an Frau von Carayon adressirt.

»An =Dich= Mama.«

»Lies nur,« sagte diese.

»Nein, Du selbst; ich hab eine Scheu vor Geheimnissen.«

»Närrin,« lachte die Mutter und erbrach das Billet und las: »Meine
gnädigste Frau. Der Regen der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege
gebessert, sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner Tag, wie
sie der April uns Hyperboreern nur selten gewährt. Ich werde vier Uhr
mit meinem Wagen vor Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire
zu einer Spazierfahrt abzuholen. Ueber das Ziel erwarte ich Ihre
Befehle. Wissen Sie doch wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu
können. Bitte Bescheid durch den Ueberbringer. Er ist gerade firm genug
im Deutschen, um ein »ja« oder »nein« nicht zu verwechseln. Unter Gruß
und Empfehlungen an meine liebe Freundin Victoire (die zu größerer
Sicherheit vielleicht eine Zeile schreibt) Ihr Schach.«

»Nun, Victoire, was lassen wir sagen ...?«

»Aber Du kannst doch nicht ernsthaft fragen, Mama?«

»Nun denn also ›ja‹.«

Victoire hatte sich mittlerweile bereits an den Schreibtisch gesetzt,
und ihre Feder kritzelte: »Herzlichst acceptirt, trotzdem die Ziele
vorläufig im Dunkeln bleiben. Aber ist der Entscheidungsmoment erst da,
so wird er uns auch das Richtige wählen lassen.«

Frau von Carayon las über Victoires Schulter fort. »Es klingt so
vieldeutig,« sagte sie.

»So will ich ein bloßes Ja schreiben, und Du kontrasignirst.«

»Nein; laß es nur.«

Und Victoire schloß das Blatt, und gab es dem draußen wartenden Groom.

Als sie vom Flur her in das Zimmer zurückkehrte, fand sie die Mama
nachdenklich. »Ich liebe solche Pikanterien nicht, und am wenigsten
solche Räthselsätze.«

»=Du= dürftest sie auch nicht schreiben. Aber ich? Ich darf alles. Und
nun höre mich. Es muß etwas geschehen, Mama. Die Leute reden so viel,
auch schon zu mir, und da Schach immer noch schweigt und Du nicht
sprechen =darfst=, so muß =ich= es thun statt Eurer und Euch
verheirathen. Alles in der Welt kehrt sich einmal um. Sonst verheirathen
Mütter ihre Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirathe Dich. Er
liebt Dich und Du liebst ihn. In den Jahren seid ihr gleich, und ihr
werdet das schönste Paar sein, das seit Menschengedenken im
französischen Dom oder in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du
siehst, ich lasse Dir wenigstens hinsichtlich der Prediger und der
Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht thun in dieser Sache. Daß Du mich
mit in die Ehe bringst, ist nicht gut, aber auch nicht schlimm. Wo viel
Licht ist, ist viel Schatten.«

Frau von Carayons Auge wurde feucht. »Ach meine süße Victoire, Du siehst
es anders, als es liegt. Ich will Dich nicht mit Bekenntnissen
überraschen, und in bloßen Andeutungen zu sprechen, wie Du gelegentlich
liebst, widerstreitet mir. Ich mag auch nicht philosophiren. Aber =das=
laß Dir sagen, es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Ursach
scheint, ist meist schon wieder Wirkung und Folge. Glaube mir, Deine
kleine Hand wird das Band =nicht= knüpfen, das Du knüpfen möchtest. Es
geht nicht, es kann nicht sein. Ich weiß es besser. Und warum auch?
Zuletzt lieb' ich doch eigentlich nur =Dich=.«

Ihr Gespräch wurde durch das Erscheinen einer alten Dame, Schwester des
verstorbenen Herrn von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienstag ein für
allemal zu Mittag geladen war, und unter »zu Mittag« pünktlicherweise
zwölf Uhr verstand, trotzdem sie wußte, daß bei den Carayons erst um
drei Uhr gegessen wurde. Tante =Marguerite=, das war ihr Name, war noch
eine echte Koloniefranzösin, d. h. eine alte Dame, die das damalige,
sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem
Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß, oder in die
»Kürche« ging, und ihre Rede selbstverständlich mit französischen
Einschiebseln und Anredefloskeln garnirte. Sauber und altmodisch
gekleidet, trug sie Sommer und Winter denselben kleinen Seidenmantel,
und hatte jene halbe Verwachsenheit, die damals bei den alten
Koloniedamen so allgemein war, daß Victoire einmal als Kind gefragt
hatte: »Wie kommt es nur, liebe Mama, das fast alle Tanten so ›ich weiß
nicht wie‹ sind?« Und dabei hatte sie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem
Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar seidene
Handschuhe, die sie ganz besonders in Ehren hielt, und immer erst auf
dem obersten Treppenabsatz anzog. Ihre Mittheilungen, an denen sie's nie
fehlen ließ, entbehrten all und jedes Interesses, am meisten aber dann,
wenn sie, was sie sehr liebte, von hohen und höchsten Personen sprach.
Ihre Spezialität waren die kleinen Prinzessinnen der königlichen
Familie: _la petite princesse Charlotte, et la petite princesse
Alexandrine_, die sie gelegentlich in den Zimmern einer ihr befreundeten
französischen Erzieherin sah, und mit denen sie sich derartig liirt
fühlte, daß, als eines Tages die Brandenburger Thorwache beim
Vorüberfahren von _la princesse Alexandrine_ versäumt hatte, rechtzeitig
ins Gewehr zu treten und die Trommel zu rühren, sie nicht nur das
allgemeine Gefühl der Empörung theilte, sondern das Ereigniß überhaupt
ansah, als ob Berlin ein Erdbeben gehabt habe.

Das war das Tantchen, das eben eintrat.

Frau von Carayon ging ihr entgegen und hieß sie herzlich willkommen,
herzlicher als sonst wohl, und das einfach deshalb, weil durch ihr
Erscheinen ein Gespräch unterbrochen worden war, das selbst fallen zu
lassen, sie nicht mehr die Kraft gehabt hatte. Tante Marguerite fühlte
sofort heraus, wie günstig heute die Dinge für sie lagen, und begann
denn auch in demselben Augenblicke, wo sie sich gesetzt und die
Seidenhandschuh in ihren Pompadour gesteckt hatte, sich dem hohen Adel
königlicher Residenzien zuzuwenden, diesmal mit Umgehung der
»Allerhöchsten Herrschaften«. Ihre Mittheilungen aus der Adelssphäre
waren ihren Hofanekdoten in der Regel weit vorzuziehn, und hätten ein
für allemal passiren können, wenn sie nicht die Schwäche gehabt hätte,
die doch immerhin wichtige Personalfrage mit einer äußersten
Geringschätzung zu behandeln. Mit andern Worten, sie verwechselte
beständig die Namen, und wenn sie von einer Escapade der Baronin
Stieglitz erzählte, so durfte man sicher sein, daß sie die Gräfin Taube
gemeint hatte. Solche Neuigkeiten eröffneten denn auch das heutige
Gespräch, Neuigkeiten, unter denen =die=, »daß der Rittmeister von
Schenk vom Regiment Garde du Corps der Prinzessin von Croy eine Serenade
gebracht habe« die weitaus wichtigste war, ganz besonders als sich nach
einigem Hin- und Herfragen herausstellte, daß der Rittmeister von Schenk
in den Rittmeister von Schach, das Regiment Garde du Corps in das
Regiment Gensdarmes, und die Prinzessin von Croy in die Prinzessin von
Carolath zu transponiren sei. Solche Richtigstellungen wurden von Seiten
der Tante jedesmal ohne jede Spur von Verlegenheit entgegengenommen, und
solche Verlegenheit kam ihr denn auch =heute= nicht, als ihr, zum Schluß
ihrer Geschichte, mitgetheilt wurde, daß der Rittmeister von Schenk
_alias_ Schach noch im Laufe dieses Nachmittags erwartet werde, da man
eine Fahrt über Land mit ihm verabredet habe. Vollkommener Kavalier wie
er sei, werde er sich sicherlich freuen, eine liebe Verwandte des Hauses
an dieser Ausfahrt mit theilnehmen zu sehen. Eine Bemerkung, die von
Tante Marguerite sehr wohlwollend aufgenommen und von einem
unwillkürlichen Zupfen an ihrem Taftkleide begleitet wurde.

Um Punkt drei war man zu Tische gegangen und um Punkt vier --
_l'exactitude est la politesse des rois_, würde Bülow gesagt haben --
erschien eine zurückgeschlagene Halbchaise vor der Thür in der
Behrenstraße. Schach, der selbst fuhr, wollte die Zügel dem Groom geben,
beide Carayons aber grüßten schon reisefertig vom Balkon her, und waren
im nächsten Moment mit einer ganzen Ausstattung von Tüchern, Sonnen- und
Regenschirmen unten am Wagenschlag. Mit ihnen auch Tante Marguerite, die
nunmehr vorgestellt und von Schach mit einer ihm eigenthümlichen
Mischung von Artigkeit und Grandezza begrüßt wurde.

»Und nun das dunkle Ziel, Fräulein Victoire.«

»Nehmen wir Tempelhof,« sagte diese.

»Gut gewählt. Nur Pardon, es ist das undunkelste Ziel von der Welt.
Namentlich heute. Sonne und wieder Sonne.«

In raschem Trabe ging es, die Friedrichsstraße hinunter, erst auf das
Rondel und das Hallesche Thor zu, bis der tiefe Sandweg, der zum
Kreuzberg hinaufführte, zu langsamerem Fahren nöthigte. Schach glaubte
sich entschuldigen zu müssen, aber Victoire, die rückwärts saß und in
halber Wendung bequem mit ihm sprechen konnte, war, als echtes
Stadtkind, aufrichtig entzückt über all und jedes, was sie zu beiden
Seiten des Weges sah, und wurde nicht müde Fragen zu stellen und ihn
durch das Interesse, das sie zeigte, zu beruhigen. Am meisten amüsirten
sie die seltsam ausgestopften Alt-Weiber-Gestalten, die zwischen den
Sträuchern und Gartenbeeten umher standen, und entweder eine
Strohhutkiepe trugen oder mit ihren hundert Papilloten im Winde
flatterten und klapperten.

Endlich war man den Anhang hinauf, und über den festen Lehmweg hin, der
zwischen den Pappeln lief, trabte man jetzt wieder rascher auf Tempelhof
zu. Neben der Straße stiegen Drachen auf, Schwalben schossen hin und
her, und am Horizonte blitzten die Kirchthürme der nächstgelegenen
Dörfer.

Tante Marguerite, die, bei dem Winde der ging, beständig bemüht war,
ihren kleinen Mantelkragen in Ordnung zu halten, übernahm es
nichtsdestoweniger den Führer zu machen, und setzte dabei beide
Carayonsche Damen ebenso sehr durch ihre Namensverwechselungen, wie
durch Entdeckung gar nicht vorhandener Aehnlichkeiten in Erstaunen.

»Sieh, liebe Victoire, dieser Wülmersdörfer Kürchthürm! Aehnelt er nicht
unsrer Dorotheenstädtschen Kürche?«

Victoire schwieg.

»Ich meine nicht um seiner Spitze, liebe Victoire, nein, um seinem Corps
de Logis.«

Beide Damen erschraken. Es geschah aber was gewöhnlich geschieht, =das=
nämlich, das alles das was die Näherstehenden in Verlegenheit bringt,
von den Fernerstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit
aufgenommen wird. Und nun gar Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt
alter Prinzessinnen und Hofdamen gelebt, um noch durch irgend ein
Dummheits- oder Nicht-Bildungszeichen in ein besondres Erstaunen gesetzt
werden zu können. Er lächelte nur und benutzte das Wort
»Dorotheenstädtische Kirche«, das gefallen war, um Frau von Carayon zu
fragen »ob sie schon von dem Denkmal Kenntniß genommen habe, das in
ebengenannter Kirche, seitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem
Grafen von der Mark errichtet worden sei?«

Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite jedoch, die nicht gerne
zugestand, etwas =nicht= zu wissen oder wohl gar nicht gesehen zu haben,
bemerkte ganz ins allgemeine hin. »Ach, der liebe, kleine Prinz. Daß er
so früh sterben mußte. Wie jämmerlich. Und ähnelte doch seiner
hochseligen Frau Mutter um beiden Augen.«

Einen Augenblick war es, als ob der in seinem Legitimitätsgefühle stark
verletzte Schach antworten und den »von seiner hochseligen Mutter«
geborenen »lieben kleinen Prinzen« aufs schmählichste dethronisiren
wollte, rasch aber übersah er die Lächerlichkeit solcher Idee, wies also
lieber um doch wenigstens etwas zu thun, auf das eben sichtbar werdende
grüne Kuppeldach des Charlottenburger Schlosses hin, und bog im nächsten
Augenblick in die große, mit alten Linden bepflanzte Dorfgasse von
Tempelhof ein.

Gleich das zweite Haus war ein Gasthaus. Er gab dem Groom die Zügel und
sprang ab, um den Damen beim Aussteigen behülflich zu sein. Aber nur
Frau von Carayon und Victoire nahmen die Hülfe dankbar an, während Tante
Marguerite verbindlich ablehnte, »weil sie gefunden habe, daß man sich
auf seinen eigenen Händen immer am besten verlassen könne.«

Der schöne Tag hatte viele Gäste hinausgelockt, und der von einem
Staketenzaun eingefaßte Vorplatz war denn auch an allen seinen Tischen
besetzt. Das gab eine kleine Verlegenheit. Als man aber eben schlüssig
geworden war, in dem Hintergarten, unter einem halboffenen
Kegelbahnhäuschen, den Kaffee zu nehmen, ward einer der Ecktische frei,
so daß man in Front des Hauses, mit dem Blick auf die Dorfstraße
verbleiben konnte. Das geschah denn auch, und es traf sich, daß es der
hübscheste Tisch war. Aus seiner Mitte wuchs ein Ahorn auf und wenn es
auch, ein paar Spitzen abgerechnet, ihm vorläufig noch an allem
Laubschmucke fehlte, so saßen doch schon die Vögel in seinen Zweigen und
zwitscherten. Und nicht =das= blos sah man; Equipagen hielten in der
Mitte der Dorfstraße, die Stadtkutscher plauderten, und Bauern und
Knechte, die mit Pflug und Egge vom Felde herein kamen, zogen an der
Wagenreihe vorüber. Zuletzt kam eine Heerde, die der Schäferspitz von
rechts und links her zusammenhielt, und dazwischen hörte man die
Betglocke, die läutete. Denn es war eben die sechste Stunde.

Die Carayons, so verwöhnte Stadtkinder sie waren, oder vielleicht auch
=weil= sie's waren, enthusiasmirten sich über all und jedes, und
jubelten, als Schach einen Abendspaziergang in die Tempelhofer Kirche
zur Sprache brachte. Sonnenuntergang sei die schönste Stunde. Tante
Marguerite freilich, die sich »vor dem unvernünftigen Viehe« fürchtete,
wäre lieber am Kaffeetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu
weiterer Beruhigung herbeigerufene Wirth aufs eindringlichste versichert
hatte, »daß sie sich um den Bullen nicht zu fürchten brauche,« nahm sie
Victoirens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während
Schach und Frau von Carayon folgten. Alles, was noch an dem
Staketenzaune saß, sah ihnen nach.

»Es ist nichts so fein gesponnen,« sagte Frau von Carayon und lachte.

Schach sah sie fragend an.

»Ja lieber Freund, ich weiß alles. Und niemand Geringeres als Tante
Marguerite hat uns heute Mittag davon erzählt.«

»Wovon?«

»Von der Serenade. Die Carolath ist eine Dame von Welt und vor allem
eine Fürstin. Und Sie wissen doch, was Ihnen nachgesagt wird, ›daß Sie
der garstigsten _princesse_ vor der schönsten _bourgeoise_ den Vorzug
geben würden.‹ Jeder garstigen Prinzeß sag ich. Aber zum Ueberfluß ist
die Carolath auch noch schön. _Un teint de lys et de rose._ Sie werden
mich eifersüchtig machen.«

Schach küßte der schönen Frau die Hand. »Tante Marguerite hat Ihnen
richtig berichtet, und Sie sollen nun alles hören. Auch das Kleinste.
Denn, wenn es mir, wie zugestanden, eine Freude gewährt, einen solchen
Abend unter meinen Erlebnissen zu haben, so gewährt es mir doch eine
noch größere Freude, mit meiner schönen Freundin darüber plaudern zu
können. Ihre Plaisanterien, die so kritisch und doch zugleich so voll
guten Herzens sind, machen mir erst alles lieb und werth. Lächeln Sie
nicht. Ach daß ich Ihnen alles sagen könnte. Theure Josephine, Sie sind
mir das Ideal einer Frau: klug und doch ohne Gelehrsamkeit und Dünkel,
espritvoll und doch ohne Mocquanterie. Die Huldigungen, die mein =Herz=
darbringt, gelten nach wie vor nur Ihnen, Ihnen, der Liebenswürdigsten
und Besten. Und das ist Ihr höchster Reiz, meine theure Freundin, daß
Sie nicht einmal wissen, wie gut Sie sind, und welch stille Macht Sie
über mich üben.«

Er hatte fast mit Bewegung gesprochen, und das Auge der schönen Frau
leuchtete, während ihre Hand in der seinen zitterte. Rasch aber nahm sie
den scherzhaften Ton wieder auf und sagte: »Wie gut Sie zu sprechen
verstehen. Wissen Sie wohl, so gut spricht man nur aus der Verschuldung
heraus.«

»Oder aus dem Herzen. Aber lassen wir's bei der Verschuldung, die nach
Sühne verlangt. Und zunächst nach Beichte. Deshalb kam ich gestern. Ich
hatte vergessen, daß Ihr Empfangsabend war, und erschrak fast, als ich
Bülow sah, und diesen aufgedunsenen Roturier, den Sander. Wie kommt er
nur in Ihre Gesellschaft?«

»Er ist der Schatten Bülows.«

»Ein sonderbarer Schatten, der dreimal schwerer wiegt als der
Gegenstand, der ihn wirft. Ein wahres Mammuth. Nur seine Frau soll ihn
noch übertreffen, weshalb ich neulich spöttisch erzählen hörte, ›Sander,
wenn er seine Brunnenpromenade vorhabe, gehe nur dreimal um seine Frau
herum.‹ Und =dieser= Mann Bülows Schatten! Wenn Sie lieber sagten, sein
Sancho Pansa ....«

»So nehmen Sie Bülow selbst als Don Quixote?«

»Ja, meine Gnädigste .... Sie wissen, daß es mir im allgemeinen
widersteht, zu medisiren, aber dies ist _au fond_ nicht medisiren, ist
eher Schmeichelei. Der gute Ritter von La Mancha war ein ehrlicher
Enthusiast, und nun frag ich Sie, theuerste Freundin, läßt sich von
Bülow dasselbe sagen? Enthusiast! Er ist excentrisch, nichts weiter, und
das Feuer, das in ihm brennt, ist einfach das einer infernalen
Eigenliebe.«

»Sie verkennen ihn, lieber Schach. Er ist verbittert, gewiß; aber ich
fürchte, daß er ein Recht hat, es zu sein.«

»Wer an krankhafter Ueberschätzung leidet, wird immer tausend Gründe
haben, verbittert zu sein. Er zieht von Gesellschaft zu Gesellschaft,
und predigt die billigste der Weisheiten, die Weisheit _post festum_.
Lächerlich. An allem, was uns das letzte Jahr an Demüthigungen gebracht
hat, ist, wenn man ihn hört, nicht der Uebermuth oder die Kraft unserer
Feinde schuld, o nein, dieser Kraft würde man mit einer größeren Kraft
unschwer haben begegnen können, wenn man sich unsrer Talente, will also
sagen, der Talente Bülows rechtzeitig versichert hätte. Das unterließ
die Welt, und daran geht sie zu Grunde. So geht es endlos weiter. Darum
Ulm und darum Austerlitz. Alles hätt ein andres Ansehen gewonnen, sich
anders zugetragen, wenn diesem korsischen Thron- und Kronenräuber,
diesem Engel der Finsterniß, der sich Bonaparte nennt, die Lichtgestalt
Bülows auf dem Schlachtfeld entgegengetreten wäre. Mir widerwärtig. Ich
hasse solche Fanfaronaden. Er spricht von Braunschweig und Hohenlohe,
wie von lächerlichen Größen, ich aber halte zu dem fridericianischen
Satze, daß die Welt nicht sicherer auf den Schultern des Atlas ruht, als
Preußen auf den Schultern seiner Armee.«

Während dieses Gespräch zwischen Schach und Frau von Carayon geführt
wurde, war das ihnen voranschreitende Paar bis an eine Wegstelle
gekommen, von der aus ein Fußpfad über ein frisch gepflügtes Ackerfeld
hin sich abzweigte.

»Das ist die Kürche,« sagte das Tantchen und zeigte mit ihrem Parasol
auf ein neugedecktes Thurmdach, dessen Roth aus allerlei Gestrüpp und
Gezweig hervorschimmerte. Victoire bestätigte, was sich ohnehin nicht
bestreiten ließ, und wandte sich gleich danach nach rückwärts, um die
Mama durch eine Kopf- und Handbewegung zu fragen, ob man den hier
abzweigenden Fußpfad einschlagen wolle? Frau von Carayon nickte
zustimmend, und Tante und Nichte schritten in der angedeuteten Richtung
weiter. Ueberall aus dem braunen Acker stiegen Lerchen auf, die hier,
noch ehe die Saat heraus war, schon ihr Furchennest gebaut hatten, ganz
zuletzt aber kam ein Stück brachliegendes Feld, das bis an die
Kirchhofsmauer lief, und, außer einer spärlichen Grasnarbe, nichts
aufwies, als einen trichterförmigen Tümpel, in dem ein Unkenpaar
musizirte, während der Rand des Tümpels in hohen Binsen stand.

»Sieh, Victoire, das sind Binsen.«

»Ja, liebe Tante.«

»Kannst Du Dir denken, _ma chère_, daß, als ich jung war, die Binsen als
kleine Nachtlichter gebraucht wurden, und auch wirklich ganz ruhig auf
einem Glase schwammen, wenn man krank war oder auch bloß nicht schlafen
konnte ....«

»Gewiß,« sagte Victoire. »Jetzt nimmt man Wachsfädchen, die man
zerschneidet, und in ein Kartenstückchen steckt.«

»Ganz recht, mein Engelchen. Aber früher waren es Binsen, _des joncs_.
Und sie brannten auch. Und deshalb erzähl' ich es Dir. Denn sie müssen
doch ein natürliches Fett gehabt haben, ich möchte sagen etwas
Kienenes.«

»Es ist wohl möglich,« antwortete Victoire, die der Tante nie
widersprach, und horchte, während sie dies sagte, nach dem Tümpel hin,
in dem das Musiziren der Unken immer lauter wurde. Gleich danach aber
sah sie, daß ein halberwachsenes Mädchen von der Kirche her im vollen
Lauf auf sie zukam und mit einem zottigen weißen Spitz sich neckte, der
bellend und beißend an der Kleinen empor sprang. Dabei warf die Kleine,
mitten im Lauf, einen an einem Strick und einem Klöppel hängenden
Kirchenschlüssel in die Luft, und fing ihn so geschickt wieder auf, daß
weder der Schlüssel noch der Klöppel ihr weh thun konnte. Zuletzt aber
blieb sie stehn und hielt die linke Hand vor die Augen, weil die
niedergehende Sonne sie blendete.

»Bist Du die Küsterstochter?« fragte Victoire.

»Ja,« sagte das Kind.

»Dann bitte, gieb uns den Schlüssel oder komm mit uns und schließ uns
die Kirche wieder auf. Wir möchten sie gerne sehen, wir und die
Herrschaften da.«

»Gerne,« sagte das Kind und lief wieder vorauf, überkletterte die
Kirchhofsmauer und verschwand alsbald hinter den Haselnuß- und
Hagebuttensträuchern, die hier so reichlich standen, daß sie, trotzdem
sie noch kahl waren, eine dichte Hecke bildeten.

Das Tantchen und Victoire folgten ihr und stiegen langsam über
verfallene Gräber weg, die der Frühling noch nirgends mit seiner Hand
berührt hatte; nirgends zeigte sich ein Blatt, und nur unmittelbar neben
der Kirche war eine schattig-feuchte Stelle wie mit Veilchen überdeckt.
Victoire bückte sich, um hastig davon zu pflücken, und als Schach und
Frau von Carayon im nächsten Augenblick den eigentlichen Hauptweg des
Kirchhofes heraufkamen, ging ihnen Victoire entgegen und gab der Mutter
die Veilchen.

Die Kleine hatte mittlerweile schon aufgeschlossen und saß wartend auf
dem Schwellstein; als aber beide Paare heran waren, erhob sie sich rasch
und trat, allen vorauf, in die Kirche, deren Chorstühle fast so schräg
standen, wie die Grabkreuze draußen. Alles wirkte kümmerlich und
zerfallen, der eben sinkende Sonnenball aber, der hinter den nach Abend
zu gelegenen Fenstern stand, übergoß die Wände mit einem röthlichen
Schimmer und erneuerte, für Augenblicke wenigstens, die längst blind
gewordene Vergoldung der alten Altarheiligen, die hier noch, aus der
katholischen Zeit her, ihr Dasein fristeten. Es konnte nicht ausbleiben,
daß das genferisch reformirte Tantchen aufrichtig erschrak, als sie
dieser »Götzen« ansichtig wurde, Schach aber, der unter seine
Liebhabereien auch die Genealogie zählte, fragte bei der Kleinen an, ob
nicht vielleicht alte Grabsteine da wären?

»Einer ist da,« sagte die Kleine. »Dieser hier,« und wies auf ein
abgetretenes, aber doch noch deutlich erkennbares Steinbild, das
aufrecht in einen Pfeiler, dicht neben dem Altar, eingemauert war. Es
war ersichtlich ein Reiteroberst.

»Und wer ist es?« fragte Schach.

»Ein Tempelritter,« erwiderte das Kind, »und hieß der Ritter von
Tempelhof. Und diesen Grabstein ließ er schon bei Lebzeiten machen, weil
er wollte, daß er ihm ähnlich werden sollte.«

Hier nickte das Tantchen zustimmend, weil das Aehnlichkeitsbedürfniß des
angeblichen Ritters von Tempelhof eine verwandte Saite in ihrem Herzen
traf.

»Und er baute diese Kirche,« fuhr die Kleine fort, »und baute zuletzt
auch das Dorf, und nannt es Tempelhof, weil er selber Tempelhof hieß.
Und die Berliner sagen »Templow«. Aber es ist falsch.«

All das nahmen die Damen in Andacht hin, und nur Schach, der neugierig
geworden war, fragte weiter »ob sie nicht das ein oder andre noch aus
den Lebzeiten des Ritters wisse?«

»Nein, aus seinen Lebzeiten nicht. Aber nachher.«

Alle horchten auf, am meisten das sofort einen leisen Grusel verspürende
Tantchen, die Kleine hingegen fuhr in ruhigem Tone fort: »Ob es alles so
wahr ist, wie die Leute sagen, das weiß ich nicht. Aber der alte
Kossäthe Maltusch hat es noch mit erlebt.«

»Aber was denn, Kind?«

»Er lag hier vor dem Altar über hundert Jahre, bis es ihn ärgerte, daß
die Bauern und Einsegnungskinder immer auf ihm herumstanden, und ihm das
Gesicht abschurrten, wenn sie zum Abendmahl gingen. Und der alte
Maltusch, der jetzt ins neunzigste geht, hat mir und meinem Vater
erzählt, er hab es noch mit seinen eigenen Ohren gehört, daß es noch
mitunter so gepoltert und gerollt hätte, wie wenn es drüben über
Schmargendorf donnert.«

»Wohl möglich.«

»Aber sie verstanden nicht, was das Poltern und Rollen bedeutete,« fuhr
die Kleine fort. »Und so ging es bis das Jahr, wo der russische General,
dessen Namen ich immer vergesse, hier auf dem Tempelhofer Felde lag. Da
kam einen Sonnabend der vorige Küster und wollte die Singezahlen
wegwischen und neue für den Sonntag anschreiben. Und nahm auch schon das
Kreidestück. Aber da sah er mit einem Male, daß die Zahlen schon
weggewischt und neue Gesangbuchzahlen und auch die Zahlen von einem
Bibelspruch, Kapitel und Vers, mit angeschrieben waren. Alles altmodisch
und undeutlich, und nur so grade noch zu lesen. Und als sie
nachschlugen, da fanden sie: ›Du sollst Deinen Todten in Ehren halten
und ihn nicht schädigen an seinem Antlitz.‹ Und nun wußten sie, wer die
Zahlen geschrieben, und nahmen den Stein auf, und mauerten ihn in diesen
Pfeiler.«

»Ich finde doch,« sagte Tante Marguerite, die, je schrecklicher sie sich
vor Gespenstern fürchtete, desto lebhafter ihr Vorhandensein bestritt,
»ich finde doch, die Regierung sollte mehr gegen dem Aberglauben thun.«
Und dabei wandte sie sich ängstlich von dem unheimlichen Steinbild ab,
und ging mit Frau von Carayon, die, was Gespensterfurcht anging, mit dem
Tantchen wetteifern konnte, wieder dem Ausgange zu.

Schach folgte mit Victoire, der er den Arm gereicht hatte.

»War es wirklich ein Tempelritter?« fragte diese. »Meine
Tempelritter-Kenntniß beschränkt sich freilich nur auf den =einen= im
›Nathan,‹ aber wenn unsre Bühne die Kostümfrage nicht =zu= willkürlich
behandelt hat, so müssen die Tempelritter durchaus anders ausgesehen
haben. Hab ich Recht?«

»=Immer= Recht, meine liebe Victoire.« Und der Ton dieser Worte traf ihr
Herz und zitterte darin nach, ohne daß sich Schach dessen bewußt gewesen
wäre.

»Wohl. Aber wenn kein Templer, was =dann=?« fragte sie weiter und sah
ihn zutraulich und doch verlegen an.

»Ein Reiteroberst aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Oder
vielleicht auch erst aus den Tagen von Fehrbellin. Ich las sogar seinen
Namen: Achim von Haake.«

»So halten Sie die ganze Geschichte für ein Märchen?«

»Nicht eigentlich das, oder wenigstens nicht in allem. Es ist erwiesen,
daß wir Templer in diesem Lande hatten, und die Kirche hier mit ihren
vorgothischen Formen mag sehr wohl bis in jene Templertage
zurückreichen. So viel ist glaubhaft.«

»Ich höre so gern von diesem Orden.«

»Auch ich. Er ist von der strafenden Hand Gottes am schwersten
heimgesucht worden und eben deshalb auch der poetischste und
interessanteste. Sie wissen, was ihm vorgeworfen wird: Götzendienst,
Verleugnung Christi, Laster aller Art. Und ich fürchte mit Recht. Aber
groß wie seine Schuld, so groß war auch seine Sühne, ganz dessen zu
geschweigen, daß auch hier wieder der unschuldig Ueberlebende die Schuld
voraufgegangener Geschlechter zu büßen hatte. Das Loos und Schicksal
aller Erscheinungen, die sich, auch da noch wo sie fehlen und irren, dem
Alltäglichen entziehn. Und so sehen wir denn den schuldbeladenen Orden,
all seiner Unrühmlichkeiten unerachtet, schließlich in einem
wiedergewonnenen Glorienschein zu Grunde gehen. Es war der Neid, der ihn
tödtete, der Neid und der Eigennutz, und schuldig oder nicht, mich
überwältigt seine Größe.«

Victoire lächelte. »Wer Sie so hörte, lieber Schach, könnte meinen,
einen nachgebornen Templer in Ihnen zu sehen. Und doch war es ein
mönchischer Orden, und mönchisch war auch sein Gelübde. Hätten Sie's
vermocht als Templer zu leben und zu sterben?«

»Ja.«

»Vielleicht verlockt durch das Kleid, das noch kleidsamer war, als die
Supra-Weste der Gensdarmes.«

»Nicht durch das Kleid, Victoire. Sie verkennen mich. Glauben Sie mir,
es lebt etwas in mir, das mich vor keinem Gelübde zurückschrecken läßt.«

»Um es zu halten?«

Aber eh er noch antworten konnte, fuhr sie rasch in wieder scherzhafter
werdendem Tone fort: »Ich glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem
Gewissen. Sonderbar, daß alle historischen Personen, die den Beinamen
des ›=Schönen=‹ führen, mir unsympathisch sind. Und ich hoffe, nicht aus
Neid. Aber die Schönheit, das muß wahr sein, macht selbstisch, und wer
selbstisch ist, ist undankbar und treulos.«

Schach suchte zu widerlegen. Er wußte, daß sich Victoirens Worte, so
sehr sie Piquanterien und Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen =ihn=
gerichtet haben konnten. Und darin traf er's auch. Es war alles nur _jeu
d'esprit_, eine Nachgiebigkeit gegen ihren Hang zu philosophiren. Und
doch, alles was sie gesagt hatte, so gewiß es absichtslos gesagt worden
war, so gewiß war es doch auch aus einer dunklen Ahnung heraus
gesprochen worden.

Als ihr Streit schwieg, hatte man den Dorfeingang erreicht, und Schach
hielt, um auf Frau von Carayon und Tante Marguerite, die sich beide
versäumt hatten, zu warten.

Als sie heran waren, bot er der Frau von Carayon den Arm, und führte
=diese= bis an das Gasthaus zurück.

Victoire sah ihnen betroffen nach, und sann nach über den Tausch, den
Schach mit keinem Worte der Entschuldigung begleitet hatte. »Was war
das?« Und sie verfärbte sich, als sie sich, aus einem plötzlichen
Argwohn heraus, die selbstgestellte Frage beantwortet hatte.

Von einem Wiederplatznehmen vor dem Gasthause war keine Rede mehr, und
man gab es um so leichter und lieber auf, als es inzwischen kühl
geworden und der Wind, der den ganzen Tag über geweht hatte, nach
Nordwesten hin umgesprungen war.

Tante Marguerite bat sich den Rücksitz aus, »um nicht gegen dem Winde zu
fahren.«

Niemand widersprach. So nahm sie denn den erbetenen Platz, und während
jeder in Schweigen überdachte, was ihm der Nachmittag gebracht hatte,
ging es in immer rascherer Fahrt wieder auf die Stadt zurück.

Diese lag schon in Dämmer als man bis an den Abhang der Kreuzberghöhe
gekommen war und nur die beiden Gensdarmenthürme ragten noch mit ihren
Kuppeln aus dem graublauen Nebel empor.



Fünftes Kapitel.

Victoire von Carayon an Lisette von Perbandt.


Berlin, den 3. Mai. _Ma chère Lisette._

Wie froh war ich, endlich von Dir zu hören, und so Gutes. Nicht als ob
ich es anders erwartet hätte; wenige Männer hab ich kennen gelernt, die
mir so ganz eine Garantie des Glückes zu bieten scheinen, wie der
Deinige. Gesund, wohlwollend, anspruchslos, und von jenem schönen
Wissens- und Bildungsmaß, das ein gleich gefährliches Zuviel und Zuwenig
vermeidet. Wobei ein »Zuviel« das vielleicht noch gefährlichere ist.
Denn junge Frauen sind nur zu geneigt, die Forderung zu stellen »Du
sollst keine andren Götter haben neben mir.« Ich sehe das beinah täglich
bei Rombergs, und Marie weiß es ihrem klugen und liebenswürdigen Gatten
wenig Dank, daß er über Politik und französische Zeitungen die Visiten
und Toiletten vergißt.

Was mir allein eine Sorge machte, war Deine neue masurische Heimat, ein
Stück Land, das ich mir immer als einen einzigen großen Wald mit hundert
Seen und Sümpfen vorgestellt habe. Da dacht ich denn, diese neue Heimat
könne Dich leicht in ein melancholisches Träumen versetzen, das dann
immer der Anfang zu Heimweh oder wohl gar zu Trauer und Thränen ist. Und
davor, so hab ich mir sagen lassen, erschrecken die Männer. Aber ich
sehe zu meiner herzlichen Freude, daß Du auch =dieser= Gefahr entgangen
bist, und daß die Birken, die Dein Schloß umstehn, grüne Pfingstmaien
und keine Trauerbirken sind. _A propos_ über das Birkenwasser mußt Du
mir gelegentlich schreiben. Es gehört zu den Dingen, die mich immer
neugierig gemacht haben, und die kennen zu lernen mir bis diesen
Augenblick versagt geblieben ist.

Und nun soll ich Dir über =uns= berichten. Du frägst theilnehmend nach
all und jedem, und verlangst sogar von Tante Margueritens neuester
Prinzessin und neuester Namensverwechslung zu hören. Ich könnte Dir
gerade =davon= erzählen, denn es sind keine drei Tage, daß wir
(wenigstens von diesen Verwechslungen) ein gerüttelt und geschüttelt Maß
gehabt haben.

Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr von =Schach= mit uns machte,
nach Tempelhof, und zu der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte,
weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir sie jeden Dienstag als Gast in
unsrem Hause sehn. Sie war denn auch mit uns in der »Kürche«, wo sie,
beim Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholischen Zeit her, nicht
nur beständig auf Ausrottung des Aberglaubens drang, sondern sich mit
eben diesem Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie wenn dieser
im Konsistorium säße. Und da leg ich denn (weil ich nun mal die Tugend
oder Untugend habe, mir alles gleich leibhaftig vorzustellen) während
des Schreibens die Feder hin, um mich erst herzlich auszulachen. _Au
fond_ freilich ist es viel weniger lächerlich, als es im ersten
Augenblick erscheint. Er hat etwas konsistorialräthlich Feierliches, und
wenn mich nicht alles täuscht, so ist es gerade dies Feierliche, was
Bülow so sehr gegen ihn einnimmt. Viel, viel mehr als der Unterschied
der Meinungen.

Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner Schilderung Bülow
anschlösse. Wirklich, wüßtest Du's nicht besser, Du würdest dieser
Charakteristik unsres Freundes nicht entnehmen können, wie sehr ich ihn
schätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem Schmerzlichen nicht
fehlt. Aber in meiner Lage lernt man milde sein, sich trösten, verzeihn.
Hätt ich es =nicht= gelernt, wie könnt ich leben, =ich=, die ich so gern
lebe! Eine Schwäche, die (wie ich einmal gelesen) alle diejenigen haben
sollen, von denen man es am wenigsten begreift.

Aber ich sprach von manchem Schmerzlichen, und es drängt mich, Dir davon
zu erzählen.

Es war erst gestern auf unsrer Spazierfahrt. Als wir den Gang aus dem
Dorf in die Kirche machten, führte Schach Mama. Nicht zufällig, es war
arrangirt, und zwar durch =mich=. Ich ließ beide zurück, weil ich eine
Aussprache (Du weißt =welche=) zwischen beiden herbeiführen wollte.
Solche stillen Abende, wo man über Feld schreitet, und nichts hört als
das Anschlagen der Abendglocke, heben uns über kleine Rücksichten fort
und machen uns freier. Und sind wir erst =das=, so findet sich auch das
rechte Wort. Was zwischen ihnen gesprochen wurde, weiß ich nicht,
jedenfalls nicht =das=, was gesprochen werden sollte. Zuletzt traten wir
in die Kirche, die vom Abendroth wie durchglüht war, alles gewann Leben,
und es war unvergeßlich schön. Auf dem Heimwege tauschte Schach, und
führte =mich=. Er sprach sehr anziehend, und in einem Tone, der mir
ebenso wohlthat, als er mich überraschte. Jedes Wort ist mir noch in der
Erinnerung geblieben, und giebt mir zu denken. Aber was geschah? Als wir
wieder am Eingange des Dorfes waren, wurd er schweigsamer, und wartete
auf die Mama. Dann bot er =ihr= den Arm, und so gingen sie durch das
Dorf nach dem Gasthause zurück, wo die Wagen hielten und viele Leute
versammelt waren. Es gab mir einen Stich durchs Herz, denn ich konnte
mich des Gedankens nicht erwehren, daß es ihm peinlich gewesen sei, mit
=mir= und an meinem Arm unter den Gästen zu erscheinen. In seiner
Eitelkeit, von der ich ihn nicht freisprechen kann, ist es ihm
unmöglich, sich über das Gerede der Leute hinwegzusetzen, und ein
spöttisches Lächeln verstimmt ihn auf eine Woche. So selbstbewußt er
ist, so schwach und abhängig ist er in diesem =einen= Punkte. Vor
niemandem in der Welt, auch vor der Mama nicht, würd ich ein solches
Bekenntniß ablegen, aber =Dir= gegenüber mußt ich es. Hab ich Unrecht,
so sage mir, daß mein Unglück mich mißtrauisch gemacht habe, so halte
mir eine Strafpredigt in allerstrengsten Worten, und sei versichert, daß
ich sie mit dankbarem Auge lesen werde. Denn all seiner Eitelkeit
unerachtet, schätz ich ihn wie keinen andern. Es ist ein Satz, daß
Männer nicht eitel sein dürfen, weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir
scheint dies übertrieben. Ist aber der Satz dennoch richtig, so bedeutet
Schach eine Ausnahme. Ich hasse das Wort »ritterlich« und habe doch kein
anderes für ihn. =Eines= ist er vielleicht noch mehr, diskret,
imponirend, oder doch voll natürlichen Ansehns, und sollte sich mir
=das= erfüllen, was ich um der Mama und auch um meinetwillen wünsche, so
würd es mir nicht schwer werden, mich in eine Respektsstellung zu ihm
hinein zu finden.

Und dazu noch eins. Du hast ihn nie für sehr gescheidt gehalten, und ich
meinerseits habe nur schüchtern widersprochen. Er hat aber doch die
beste Gescheidtheit, die mittlere, dazu die des redlichen Mannes. Ich
empfinde dies jedesmal, wenn er seine Fehde mit Bülow führt. So sehr ihm
dieser überlegen ist, so sehr steht er doch hinter ihm zurück. Dabei
fällt mir mitunter auf, wie der Groll, der sich in unserm Freunde regt,
ihm eine gewisse Schlagfertigkeit, ja, selbst Esprit verleiht. Gestern
hat er Sander, dessen Persönlichkeit Du kennst, den Bülowschen Sancho
Pansa genannt. Die weiteren Schlußfolgerungen ergeben sich von selbst,
und ich find es nicht übel.

Sanders Publikationen machen mehr von sich reden, denn je; die Zeit
unterstützt das Interesse für eine lediglich polemische Litteratur.
Außer von Bülow sind auch Aufsätze von Massenbach und Phull erschienen,
die von den Eingeweihten als etwas Besonderes und nie Dagewesenes
ausgepriesen werden. Alles richtet sich gegen Oesterreich, und beweist
aufs neue, daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht sorgen darf.
Schach ist empört über dies anmaßliche Besserwissen, wie er's nennt, und
wendet sich wieder seinen alten Liebhabereien zu, Kupferstichen und
Rennpferden. Sein kleiner Groom wird immer kleiner. Was bei den
Chinesinnen die kleinen Füße sind, sind bei den Grooms die kleinen
Proportionen überhaupt. Ich meinerseits verhalte mich ablehnend gegen
beide, ganz besonders aber gegen die chinesisch eingeschnürten Füßchen,
und bin umgekehrt froh, in einem bequemen Pantoffel zu stecken. Führen,
schwingen werd' ich ihn nie; das überlasse ich meiner theuren Lisette.
Thu' es mit der Milde, die Dir eigen ist. Empfiehl mich Deinem theuren
Manne, der nur den =einen= Fehler hat, Dich mir entführt zu haben. Mama
grüßt und küßt ihren Liebling, ich aber lege Dir den Wunsch ans Herz,
vergiß in der Fülle des Glücks, die Dir zu Theil wurde, nicht =ganz=
Deine, wie Du weißt auf ein bloßes Pflichttheil des Glückes gesetzte
=Victoire=.



Sechstes Kapitel.

Bei Prinz Louis.


An demselben Abend, an dem Victoire von Carayon ihren Brief an Lisette
von Perbandt schrieb, empfing Schach in seiner in der Wilhelmstraße
gelegenen Wohnung ein Einladungsbillet von der Hand des Prinzen Louis.

Es lautete:

»Lieber Schach. Ich bin erst seit drei Tagen hier im Moabiter Land und
dürste bereits nach Besuch und Gespräch. Eine Viertelmeile von der
Hauptstadt, hat man schon die Hauptstadt nicht mehr und verlangt nach
ihr. Darf ich für morgen auf Sie rechnen? Bülow und sein verlegerischer
Anhang haben zugesagt, auch Massenbach und Phull. Also lauter
Opposition, die mich erquickt, auch wenn ich sie bekämpfe. Von Ihrem
Regiment werden Sie noch Nostitz und Alvensleben treffen. Im
Interimsrock und um fünf Uhr. Ihr =Louis=, Prinz von Pr.«

Um die festgesetzte Stunde fuhr Schach, nachdem er Alvensleben und
Nostitz abgeholt hatte, vor der prinzlichen Villa vor. Diese lag am
rechten Flußufer, umgeben von Wiesen und Werftweiden, und hatte die
Front, über die Spree fort, auf die Westlisière des Thiergartens.
Anfahrt und Aufgang waren von der Rückseite her. Eine breite, mit
Teppich belegte Treppe führte bis auf ein Podium und von diesem auf
einen Vorflur, auf dem die Gäste vom Prinzen empfangen wurden. Bülow und
Sander waren bereits da, Massenbach und Phull dagegen hatten sich
entschuldigen lassen. Schach war es zufrieden, fand schon Bülow mehr als
genug, und trug kein Verlangen die Zahl der Genialitätsleute verstärkt
zu sehen. Es war heller Tag noch, aber in dem Speisesaal, in den sie von
dem Vestibul aus eintraten, brannten bereits die Lichter und waren
(übrigens bei offenstehenden Fenstern) die Jalousien geschlossen. Zu
diesem künstlich hergestellten Licht, in das sich von außen her ein
Tagesschimmer mischte, stimmte das Feuer, in dem in der Mitte des Saales
befindlichen Kamine. Vor eben diesem, ihm den Rücken zukehrend, saß der
Prinz, und sah, zwischen den offenstehenden Jalousiebrettchen hindurch,
auf die Bäume des Thiergartens.

»Ich bitte fürlieb zu nehmen,« begann er, als die Tafelrunde sich
arrangirt hatte. »Wir sind hier auf dem Lande, das muß als
Entschuldigung dienen, für alles was fehlt. ›_A la guerre, comme à la
guerre._‹ Massenbach, unser Gourmé, muß übrigens etwas derart geahnt,
respektive gefürchtet haben. Was mich auch nicht überraschen würde.
Heißt es doch, lieber Sander, Ihr guter Tisch habe mehr noch als Ihr
guter Verlag die Freundschaft zwischen Ihnen besiegelt.«

»Ein Satz, dem ich kaum zu widersprechen wage, Königliche Hoheit.«

»Und doch =müßten= Sie's eigentlich. Ihr ganzer Verlag hat keine Spur
von jenem ›_laisser passer_,‹ das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller
gesättigten Leute ist. Ihre Genies (Pardon, Bülow) schreiben alle wie
Hungrige. Meinetwegen. Unsre Paradeleute geb ich Ihnen Preis, aber daß
Sie mir auch die Oesterreicher so schlecht behandeln, das mißfällt mir.«

»Bin =ich= es, Königliche Hoheit? Ich, für meine Person, habe nicht die
Prätension höherer Strategie. Nebenher freilich, möcht ich, so zu sagen
aus meinem Verlage heraus, die Frage stellen dürfen: »war Ulm etwas
Kluges?«

»Ach, mein lieber Sander, was ist klug? Wir Preußen bilden uns beständig
ein, es zu sein; und wissen Sie, was Napoleon über unsre vorjährige
thüringische Aufstellung gesagt hat? Nostitz, wiederholen Sie's!.... Er
will nicht. Nun, so muß ich es selber thun. ›_Ah, ces Prussiens_‹ hieß
es, ›_ils sont encore =plus= stupides, que les Autrichiens_‹. Da haben
Sie Kritik über unsere vielgepriesene Klugheit, noch dazu Kritik von
einer allerberufensten Seite her. Und hätt er's damit getroffen, so
müßten wir uns schließlich zu dem Frieden noch beglückwünschen, den uns
Haugwitz erschachert hat. Ja, erschachert. Erschachert, indem er für ein
Mitbringsel unsre Ehre preisgab. Was sollen wir mit Hannover? Es ist der
Brocken, an dem der preußische Adler ersticken wird.«

»Ich habe zu der Schluck- und Verdauungskraft unsres preußischen Adlers
ein besseres Vertrauen,« erwiderte Bülow. »Gerade =das= kann er und
versteht er von alten Zeiten her. Indessen =darüber= mag sich streiten
lassen; worüber sich aber =nicht= streiten läßt, das ist der Friede, den
uns Haugwitz gebracht hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und
mußten ihn haben, so lieb uns unser Leben ist. Königliche Hoheit haben
freilich einen Haß gegen den armen Haugwitz, der mich insoweit
überrascht, als dieser Lombard, der doch die Seele des Ganzen ist, von
jeher Gnade vor Eurer Königlichen Hoheit Augen gefunden hat.«

»Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht ernsthaft, und stell ihm
außerdem noch in Rechnung, daß er ein halber Franzose ist. Dazu hat er
eine Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wissen doch, sein Vater
war =Friseur= und seiner Frau Vater ein =Barbier=. Und nun kommt eben
diese Frau, die nicht nur eitel ist bis zum Närrischwerden, sondern auch
noch schlechte französische Verse macht, und fragt ihn, was schöner sei:
›_L'hirondelle =frise= la surface des eaux_‹ oder ›_l'hirondelle =rase=
la surface des eaux_?‹ Und was antwortet er? ›Ich sehe keinen
Unterschied, meine Theure; _l'hirondelle =frise=_ huldigt =meinem= Vater
und _l'hirondelle =rase=_ dem =Deinigen=.‹ In diesem Bonmot haben Sie
den ganzen Lombard. Was mich aber persönlich angeht, so bekenn ich Ihnen
offen, daß ich einer so witzigen Selbstpersiflage nicht widerstehen
kann. Er ist ein Polisson, kein Charakter.«

»Vielleicht, daß sich ein Gleiches auch von Haugwitz sagen ließe, zum
Guten wie zum Schlimmen. Und wirklich, ich geb Eurer Königlichen Hoheit
den =Mann= preis. Aber =nicht= seine Politik. Seine Politik ist gut,
denn sie rechnet mit gegebenen Größen. Und Eure Königliche Hoheit wissen
das besser als ich. Wie steht es denn in Wahrheit mit unsren Kräften?
Wir leben von der Hand in den Mund und warum? weil der Staat Friedrichs
des Großen nicht ein Land mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem
Lande ist. Unser Land ist nur Standquartier und Verpflegungsmagazin. In
sich selber entbehrt es aller großen Ressourcen. Siegen wir, so geht es;
aber Kriege führen dürfen nur solche Länder, die Niederlagen ertragen
können. Das können wir =nicht=. Ist die Armee hin, so ist alles hin. Und
wie schnell eine Armee hin sein kann, das hat uns Austerlitz gezeigt.
Ein Hauch kann uns tödten, gerad auch =uns=. ›Er blies, und die Armada
zerstob in alle vier Winde.‹ _Afflavit Deus et dissipati sunt._«

»Herr von Bülow,« unterbrach hier Schach, »möge mir eine Bemerkung
verzeihn. Er wird doch, denk ich, in dem Höllenbrodem, der jetzt über
die Welt weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht =den=, der
die Armada zerblies.«

»=Doch=, Herr von Schach. Oder glauben Sie wirklich, daß der Odem Gottes
im Spezialdienste des Protestantismus, oder gar Preußens und seiner
Armee steht?«

»Ich hoffe, ja.«

»Und ich fürchte, =nein=. Wir haben die ›propreste Armee‹, das ist
alles. Aber mit der ›Propretät‹ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern
sich Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als General Lehwald
ihm seine dreimal geschlagenen Regimenter in Parade vorführte? ›Propre
Leute‹ hieß es. ›Da seh' er meine. Sehen aus wie die Grasdeibel, =aber
beißen=‹. Ich fürchte, wir haben jetzt zu viel Lehwaldsche Regimenter
und zu wenig altenfritzige. Der Geist ist heraus, alles ist Dressur und
Spielerei geworden. Giebt es doch Offiziere, die, der großen Prallheit
und Drallheit halber, ihren Uniformrock direkt auf dem Leibe tragen.
Alles Unnatur. Selbst das Marschiren-können, diese ganz gewöhnliche
Fähigkeit des Menschen, die Beine zu setzen, ist uns in dem ewigen
Paradeschritt verloren gegangen. Und Marschiren-können ist jetzt die
erste Bedingung des Erfolges. Alle modernen Schlachten sind mit den
Beinen gewonnen worden.«

»Und mit =Gold=,« unterbrach hier der Prinz. »Ihr großer Empereur,
lieber Bülow, hat eine Vorliebe für kleine Mittel. Ja, für
allerkleinste. Daß er lügt, ist sicher. Aber er ist auch ein Meister in
der Kunst der Bestechung. Und wer hat uns die Augen darüber geöffnet? Er
selber. Lesen Sie, was er unmittelbar vor der Austerlitzer Bataille
sagte. ›Soldaten‹ hieß es, ›der Feind wird marschiren und unsre Flanke
zu gewinnen suchen; bei dieser Marschbewegung aber wird er die seinige
preisgeben. Wir werden uns auf diese seine Flanke werfen, und ihn
schlagen und vernichten.‹ Und genau so verlief die Schlacht. Es ist
unmöglich, daß er aus der bloßen Aufstellung der Oesterreicher auch
schon ihren Schlachtplan errathen haben könnte.«

Man schwieg. Da dies Schweigen aber dem lebhaften Prinzen um vieles
peinlicher war als Widerspruch, so wandt er sich direkt an Bülow und
sagte: »Widerlegen Sie mich.«

»Königliche Hoheit befehlen und so gehorch ich denn. Der Kaiser wußte
genau was geschehen werde, =konnt= es wissen, weil er sich die Frage
›was thut hier die =Mittelmäßigkeit=‹ in vorausberechnender Weise nicht
blos gestellt, sondern auch beantwortet hatte. Die höchste Dummheit, wie
zuzugestehen ist, entzieht sich ebenso der Berechnung wie die höchste
Klugheit, -- das ist eine von den großen Seiten der echten und
unverfälschten Stupidität. Aber jene ›Mittelklugen‹, die gerade klug
genug sind, um von der Lust ›es auch einmal mit etwas Geistreichem zu
probiren‹, angewandelt zu werden, diese Mittelklugen sind allemal am
leichtesten zu berechnen. Und warum? Weil sie jederzeit nur die Mode
mitmachen und heute kopiren, was sie gestern sahn. Und das alles wußte
der Kaiser. _Hic haeret._ Er hat sich nie glänzender bewährt, als in
dieser Austerlitzer Aktion, auch im Nebensächlichen nicht, auch nicht in
jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen,
die so recht eigentlich das Kennzeichen des Genies sind.«

»Ein Beispiel.«

»Eines für hundert. Als das Centrum schon durchbrochen war, hatte sich
ein Theil der russischen Garde, vier Bataillone, nach ebenso viel
gefrorenen Teichen hin zurückgezogen, und eine französische Batterie
fuhr auf, um mit Kartätschen in die Bataillone hineinzufeuern. In diesem
Augenblick erschien der Empereur. Er überblickte sofort das Besondere
der Lage. ›Wozu hier ein sich Abmühen _en détail_?‹ Und er befahl mit
Vollkugeln auf das =Eis= zu schießen. Eine Minute später und das Eis
barst und brach, und alle vier Bataillone gingen _en carré_ in die
morastige Tiefe. Solche vom Moment eingegebenen Blitze hat nur immer das
Genie. Die Russen werden sich jetzt vornehmen, es bei nächster
Gelegenheit ebenso zu machen, aber wenn Kutusow auf Eis wartet, wird er
plötzlich in Wasser oder Feuer stecken. Oesterreich-russische Tapferkeit
in Ehren, nur nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ›In meinem
Wolfstornister, Regt sich des Teufels Küster, Ein =Kobold=, heißt
›Genie‹ -- nun, in dem russisch-österreichischen Tornister ist dieser
›Kobold und Teufelsküster‹ nie und nimmer zu Hause gewesen. Und um dies
Manko zu kassiren, bedient man sich der alten, elenden Trostgründe:
Bestechung und Verrätherei. Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund
seiner Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich =in sich
selbst= zu suchen, und auch Kaiser Alexander, mein ich, verzichtet auf
ein solches Nachforschen am recht eigentlichsten Platz.«

»Und wer wollt ihm darüber zürnen?« antwortete Schach. »Er that das
seine, ja mehr. Als die Höhe schon verloren und doch andrerseits die
Möglichkeit einer Wiederherstellung der Schlacht noch nicht geschwunden
war, ging er klingenden Spiels an der Spitze neuer Regimenter vor; sein
Pferd ward ihm unter dem Leibe erschossen, er bestieg ein zweites, und
eine halbe Stunde lang schwankte die Schlacht. Wahre Wunder der
Tapferkeit wurden verrichtet, und die Franzosen selbst haben es in
enthusiastischen Ausdrücken anerkannt.«

Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner Anwesenheit des
unausgesetzt als _deliciae generis humani_ gepriesenen Kaisers, keinen
allzu günstigen Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einigermaßen
unbequem, den »liebenswürdigsten der Menschen« auch noch zum
»heldischsten« erhoben zu sehen. Er lächelte deshalb und sagte: »Seine
kaiserliche Majestät in Ehren, so scheint es mir doch, lieber Schach,
als ob Sie französischen Zeitungsberichten mehr Gewicht beilegten, als
ihnen beizulegen =ist=. Die Franzosen sind kluge Leute. Je mehr Rühmens
sie von ihrem Gegner machen, desto größer wird ihr eigner Ruhm, und
dabei schweig ich noch von allen möglichen politischen Gründen, die
jetzt sicherlich mitsprechen. ›Man soll seinem Feinde goldene Brücken
bauen‹, sagt das Sprichwort, und sagt es mit Recht, denn, wer heute mein
Feind war, kann morgen mein Verbündeter sein. Und in der That, es spukt
schon dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, so verhandelt
man bereits über eine neue Theilung der Welt, will sagen über die
Wiederherstellung eines morgenländischen und abendländischen
Kaiserthums. Aber lassen wir Dinge, die noch in der Luft schweben, und
erklären wir uns das dem Heldenkaiser gespendete Lob lieber einfach aus
dem Rechnungssatze: ›wenn der unterlegene russische Muth einen vollen
Centner wog, so wog der siegreich französische natürlich =zwei=‹.«

Schach, der, seit Kaiser Alexanders Besuch in Berlin, das Andreaskreuz
trug, biß sich auf die Lippen und wollte repliziren. Aber Bülow kam ihm
zuvor und bemerkte: »Gegen ›unter dem Leibe erschossene Kaiserpferde‹
bin ich überhaupt immer mißtrauisch. Und nun gar hier. All diese
Lobeserhebungen müssen Seine Majestät sehr in Verlegenheit gebracht
haben, denn es giebt ihrer zu viele, die das Gegentheil bezeugen können.
Er ist der ›gute Kaiser‹ und damit Basta.«

»Sie sprechen das so spöttisch, Herr von Bülow,« antwortete Schach. »Und
doch frag ich Sie, giebt es einen schöneren Titel?«

»O gewiß giebt es den. Ein =wirklich= großer Mann wird nicht um seiner
Güte willen gefeiert und noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt
ein Gegenstand beständiger Verleumdungen sein. Denn das Gemeine, das
überall vorherrscht, liebt nur das, was ihm gleicht. Brenkenhof, der,
trotz seiner Paradoxien, mehr gelesen werden sollte, als er gelesen
wird, behauptet geradezu, ›daß in unserm Zeitalter die besten Menschen
die schlechteste Reputation haben müßten‹. Der gute Kaiser! Ich bitte
Sie. Welche Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde, wenn man ihn
den ›guten Friedrich‹ genannt hätte.«

»Bravo, Bülow,« sagte der Prinz, und grüßte mit dem Glase hinüber. »Das
ist mir aus der Seele gesprochen.«

Aber es hätte dieses Zuspruches nicht bedurft. »Alle Könige,« fuhr Bülow
in wachsendem Eifer fort, »die den Beinamen des ›guten‹ führen, sind
solche, die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen oder doch bis
an den Rand der Revolution gebracht haben. Der letzte König von Polen
war auch ein sogenannter ›guter‹. In der Regel haben solche
Fürstlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen Verstand. Und geht
es in den Krieg, so muß irgend eine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit
oder ohne Schlange.«

»Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow,« entgegnete Schach, »durch
Auslassungen wie =diese=, den Kaiser Alexander charakterisirt zu haben.«

»Wenigstens annähernd.«

»Da wär ich doch neugierig.«

»Es ist zu diesem Behufe nur nöthig, sich den letzten Besuch des Kaisers
in Berlin und Potsdam zurückzurufen. Um was handelte sich's? Nun,
anerkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches, um Abschluß eines
Bündnisses auf Leben und Tod, und wirklich, bei Fackellicht trat man in
die Gruft Friedrichs des Großen, um sich, über dem Sarge desselben, eine
halbmystische Blutsfreundschaft zuzuschwören. Und was geschah
unmittelbar danach? Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß der aus
der Gruft Friedrichs des Großen glücklich wieder ans Tageslicht
gestiegene Kaiser, die fünf anerkanntesten _beautés_ des Hofes in eben
so viele Schönheitskategorien gebracht habe: _beauté coquette_ und
_beauté triviale_, _beauté céleste_ und _beauté du diable_, und endlich
fünftens ›_beauté, qui inspire seul du vrai sentiment_‹. Wobei wohl
jeden die Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchste ›_vrai
sentiment_‹ kennen zu lernen.«



Siebentes Kapitel.

Ein neuer Gast.


All diese Sprünge Bülows hatten die Heiterkeit des Prinzen erregt, der
denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über _beauté
céleste_ und _beauté du diable_ beginnen wollte, als er, vom Korridor
her, unter dem halbzurückgeschlagenen Portièrenteppich, einen ihm
wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künstlerallüren
erscheinen und gleich danach eintreten sah.

»Ah, Dussek, das ist brav,« begrüßte ihn der Prinz. »_Mieux vaut tard
que jamais._ Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich alles was an
Süßigkeiten noch da ist, in den Bereich unsres Künstlerfreundes bringen
zu wollen. Sie finden noch _tutti quanti_, lieber Dussek. Keine
Einwendungen. Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Asti,
Montefiascone, Tokayer.«

»Irgend einen Ungar.«

»Herben?«

Dussek lächelte.

»Thörichte Frage,« korrigirte sich der Prinz und fuhr in gesteigerter
guter Laune fort: »Aber nun, Dussek, erzählen Sie. Theaterleute haben,
die Tugend selber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter diesen auch
=die= der Mittheilsamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ›was Neues‹
selten eine Antwort schuldig.«

»Und auch heute nicht, Königliche Hoheit,« antwortete Dussek, der,
nachdem er genippt hatte, eben sein Bärtchen putzte.

»Nun, so lassen Sie hören. Was schwimmt obenauf?«

»Die ganze Stadt ist in Aufregung. Versteht sich, wenn ich sage, ›die
ganze Stadt‹, so mein ich das Theater.«

»Das Theater =ist= die Stadt. Sie sind also gerechtfertigt. Und nun
weiter.«

»Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir sind in unsrem Haupt und
Führer empfindlich gekränkt worden und haben denn auch aus eben diesem
Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theateremeute gehabt. =Das=
also, hieß es, seien die neuen Zeiten, =das= sei das bürgerliche
Regiment, =das= sei der Respekt vor den preußischen ›_belles lettres et
beaux arts_.‹ Eine ›Huldigung der Künste‹ lasse man sich gefallen, aber
eine Huldigung =gegen= die Künste, die sei so fern wie je.«

»Lieber Dussek,« unterbrach der Prinz, »Ihre Reflexionen in Ehren. Aber
da Sie gerade von Kunst sprechen, so muß ich Sie bitten, die Kunst der
Retardirung nicht übertreiben zu wollen. Wenn es also möglich ist,
Thatsachen. Um was handelt es sich?«

»Iffland ist gescheitert. Er wird den Orden, von dem die Rede war,
=nicht= erhalten.«

Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostitz skandirte:
»_Parturiunt montes nascetur ridiculus mus._«

Aber Dussek war in wirklicher Erregung, und diese wuchs noch unter der
Heiterkeit seiner Zuhörer. Am meisten verdroß ihn Sander. »Sie lachen,
Sander. Und doch trifft es in diesem Kreise nur Sie und mich. Denn gegen
wen anders ist die Spitze gerichtet, als gegen das Bürgerthum
überhaupt.«

Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tisch hin die Hand. »Recht,
lieber Dussek. Ich liebe solch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?«

»Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Königliche
Hoheit wissen, daß seit lange von einer Dekorirung die Rede war, und wir
freuten uns, alles Künstlerneides vergessend, als ob wir den Orden
mitempfangen und mittragen sollten. In der That, alles ließ sich gut an,
und die ›Weihe der Kraft‹, für deren Aufführung der Hof sich
interessirt, sollte den Anstoß und zugleich die spezielle Gelegenheit
geben. Iffland ist Maçon (auch =das= ließ uns hoffen), die Loge nahm es
energisch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun =doch=
gescheitert. Eine kleine Sache, werden Sie sagen; aber nein, meine
Herren, es ist eine große Sache. Dergleichen ist immer der Strohhalm, an
dem man sieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von
der alten Seite her. _Chi va piano va sano_, sagt das Sprüchwort. Aber
im Lande Preußen heißt es ›_pianissimo_.‹«

»Gescheitert, sagten Sie, Dussek. Aber gescheitert woran?«

»An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören.
Er hat den Gelehrten gespielt und darauf hingewiesen, wie niedrig das
Histrionenthum immer und ewig in der Welt gestanden habe, mit alleiniger
Ausnahme der neronischen Zeiten. Und =die= könnten doch kein Vorbild
sein. Das half. Denn welcher allerchristlichste König will Nero sein
oder auch nur seinen Namen hören. Und so wissen wir denn, daß die Sache
vorläufig _ad acta_ verwiesen ist. Die Königin ist chagrinirt, und an
diesem Allerhöchsten Chagrin müssen wir uns vorläufig genügen lassen.
Neue Zeit und alte Vorurtheile.«

»Lieber Kapellmeister,« sagte Bülow, »ich sehe zu meinem Bedauern, daß
Ihre Reflexionen Ihren Empfindungen weit voraus sind. Uebrigens ist das
das Allgemeine. Sie sprechen von Vorurtheilen, in denen wir stecken, und
stecken selber drin. Sie, sammt Ihrem ganzen Bürgerthum, das keinen
neuen freien Gesellschaftszustand schaffen, sondern sich nur eitel und
eifersüchtig in die bevorzugten alten Klassen einreihen will. Aber damit
schaffen Sie's nicht. An die Stelle der Eifersüchtelei, die jetzt das
Herz unsres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen
alle diese Kindereien treten, die sich einfach überlebt haben. Wer
Gespenster wirklich ignorirt, für den giebt es keine mehr, und wer Orden
ignorirt, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung
einer wahren Epidemie ....«

»Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreichs
Utopien arbeitet,« unterbrach Sander. »Ich meinerseits nehme vorläufig
an, daß die Krankheit, von der er spricht, in der Richtung von Osten
nach Westen immer weiter wachsen, aber nicht umgekehrt in der Richtung
von Westen nach Osten hin absterben wird. Im Geiste seh ich vielmehr
immer neue Multiplikationen, und das Erblühen einer Ordens-Flora mit 24
Klassen wie das Linnésche System.«

Alle traten auf die Seite Sanders, am entschiedensten der Prinz. Es
müsse durchaus etwas in der menschlichen Natur stecken, das, wie
beispielsweise der Hang zu Schmuck und Putz, sich auch zu =dieser= Form
der Quincaillerie hingezogen fühle. »Ja,« so fuhr er fort, »es giebt
kaum einen Grad der Klugheit, der davor schützt. Sie werden doch alle
Kalkreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der,
wie wenige, von dem ›Alles ist eitel‹ unsres Thuns und Trachtens
durchdrungen sein muß. Und doch, als er den rothen Adler erhielt,
während er den schwarzen erwartet hatte, warf er ihn wüthend ins
Schubfach und schrie: ›Da liege, bis du =schwarz= wirst.‹ Eine
Farbenänderung, die sich denn auch mittlerweile vollzogen hat.«

»Es ist mit Kalkreuth ein eigen Ding,« erwiderte Bülow, »und offen
gestanden, ein andrer unsrer Generäle, der gesagt haben soll: ›ich gäbe
den schwarzen drum, wenn ich den rothen wieder los wäre,‹ gefällt mir
noch besser. Uebrigens bin ich minder streng, als es den Anschein hat.
Es giebt auch Auszeichnungen, die =nicht= als Auszeichnung ansehn zu
wollen, einfach Beschränktheit oder niedrige Gesinnung wäre. Admiral
Sidney Smith, berühmter Vertheidiger von St. Jean d'Acre und Verächter
aller Orden, legte =doch= Werth auf ein Schaustück, das ihm der Bischof
von Acre mit den Worten überreicht hatte: ›Wir empfingen dieses
Schaustück aus den Händen König Richards Coeur de Lion, und geben es,
nach sechshundert Jahren, einem seiner Landsleute zurück, der,
heldenmüthig wie er, unsre Stadt vertheidigt hat.‹ Und ein Elender und
Narr, setz ich hinzu, der sich einer =solchen= Auszeichnung =nicht= zu
freuen versteht.«

»Schätze mich glücklich, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören,«
erwiderte der Prinz. »Es bestärkt mich in meinen Gefühlen für Sie,
lieber Bülow, und ist mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel
nicht halb so schwarz ist, als er gemalt wird.«

Der Prinz wollte weiter sprechen. Als aber in eben diesem Augenblick
einer der Diener an ihn heran trat und ihm zuflüsterte, daß der
Rauchtisch arrangirt und der Kaffee servirt sei, hob er die Tafel auf,
und führte seine Gäste, während er Bülows Arm nahm, auf den an den
Eßsaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß gestreifte Marquise,
deren Ringe lustig im Winde klapperten, war schon vorher herabgelassen
worden, und unter ihren weit niederhängenden Fransen hinweg, sah man,
flußaufwärts, auf die halb im Nebel liegenden Thürme der Stadt,
flußabwärts aber auf die Charlottenburger Parkbäume, hinter deren eben
ergrünendem Gezweige die Sonne niederging. Jeder blickte schweigend in
das anmuthige Landschaftsbild hinaus, und erst als die Dämmrung
angebrochen und eine hohe Sinumbralampe gebracht worden war, nahm man
Platz und setzte die holländischen Pfeifen in Brand, unter denen jeder
nach Gefallen wählte. Dussek allein, weil er die Musikpassion des
Prinzen kannte, war phantasirend an dem im Eßsaale stehenden Flügel
zurückgeblieben, und sah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die
jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tischgenossen und ebenso die
Lichtfunken, die von Zeit zu Zeit aus ihren Thonpfeifen aufflogen.

Das Gespräch hatte das Ordensthema nicht wieder aufgenommen, wohl aber
sich der ersten Veranlassung desselben, also Iffland und dem in Sicht
stehenden neuen Schauspiele zugewandt, bei welcher Gelegenheit
Alvensleben bemerkte, »daß er einige der in den Text eingestreuten
Gesangsstücke während dieser letzten Tage kennen gelernt habe.
Gemeinschaftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswürdigen Frau
von Carayon und ihrer Tochter Victoire. Diese habe gesungen und Schach
begleitet.«

»Die Carayons,« nahm der Prinz das Wort. »Ich höre keinen Namen jetzt
öfter als =den=. Meine theure Freundin Pauline, hat mir schon früher von
beiden Damen erzählt, und neuerdings auch die Rahel. Alles vereinigt
sich, mich neugierig zu machen und Anknüpfungen zu suchen, die sich,
mein ich, unschwer werden finden lassen. Entsinn ich mich doch des
schönen Fräuleins vom Massowschen Kinderballe her, der, nach Art aller
Kinderbälle, des Vorzugs genoß, eine ganz besondre Schaustellung
erwachsener und voll erblühter Schönheiten zu sein. Und wenn ich sage,
›voll erblühter‹, so sag ich noch wenig. In der That, an keinem Ort und
zu keiner Zeit hab ich je so schöne Dreißigerinnen auftreten sehen, als
auf Kinderbällen. Es ist, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf
Umsturz sinnenden Jugend, alles, was heute noch herrscht, doppelt und
dreifach anspornte, sein Uebergewicht geltend zu machen, ein
Uebergewicht, das vielleicht morgen schon nicht mehr vorhanden ist. Aber
gleichviel, meine Herren, es wird sich ein für allemal sagen lassen, daß
Kinderbälle nur für Erwachsene da sind, und dieser interessanten
Erscheinung in ihren Ursachen nachzugehen, wäre so recht eigentlich ein
Thema für unsren Gentz. Ihr philosophischer Freund Buchholtz, lieber
Sander, ist mir zu solchem Spiele nicht graziös genug. Uebrigens nichts
für ungut; er ist Ihr Freund.«

»Aber doch nicht so,« lachte Sander, »daß ich nicht jeden Augenblick
bereit wäre, ihn Euer Königlichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei
dieser Gelegenheit gestattet sein mag, hinzuzusetzen, nicht bloß aus
einem allerspeziellsten, sondern auch noch aus einem ganz allgemeinen
Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Ansicht und Erfahrung Euer
Königlichen Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder bestehen, so die
Freundschaften am besten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt
alles im Leben, und sind recht eigentlich die letzte Weisheitsessenz.«

»Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber Sander,« entgegnete der Prinz,
»daß Sie sich zu solchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können.
_Mais révenons à notre belle Victoire._ Sie war unter den jungen Damen,
die durch lebende Bilder das Fest damals einleiteten, und stellte, wenn
mich mein Gedächtniß nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine
Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich davon spreche, tritt mir
das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von
jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint. Aber sie
zerbrechen nie. ›_Comme un ange_‹, sagte der alte Graf Neale, der neben
mir stand, und mich durch eine Begeisterung langweilte, die mir einfach
als eine Karrikatur der meinigen erschien. Es wäre mir eine Freude, die
Bekanntschaft der Damen erneuern zu können.«

»Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wieder
erkennen,« sagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz sprach, wenig
angenehm war. »Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den
Blattern befallen, und nur wie durch ein Wunder gerettet. Ein gewisser
Reiz der Erscheinung ist ihr freilich geblieben, aber es sind immer nur
Momente, wo die seltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur einen
Schönheitsschleier über sie wirft, und den Zauber ihrer früheren Tage
wiederherzustellen scheint.«

»Also _restitutio in integrum_,« sagte Sander.

Alles lachte.

»Wenn Sie so wollen, ja,« antwortete Schach in einem spitzen Tone,
während er sich ironisch gegen Sander verbeugte.

Der Prinz bemerkte die Verstimmung und wollte sie coupiren. »Es hilft
Ihnen nichts, lieber Schach. Sie sprechen, als ob Sie mich abschrecken
wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was ist Schönheit? Einer der
allervaguesten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern,
die wir in erster Reihe Sr. Majestät dem Kaiser Alexander und in zweiter
unsrem Freunde Bülow verdanken? =Alles ist schön= und =nichts=. Ich
persönlich würde der _beauté du diable_ jederzeit den Vorzug geben, will
also sagen einer Erscheinungsform, die sich mit der des _ci-devant_
schönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken würde.«

»Königliche Hoheit halten zu Gnaden,« entgegnete Nostitz, »aber es
bleibt mir doch zweifelhaft, ob Königliche Hoheit die Kennzeichen der
_beauté du diable_ an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein
hat einen witzig-elegischen Ton, was auf den ersten Blick als ein
Widerspruch erscheint, und doch keiner ist, unter allen Umständen aber
als ihr charakteristischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch,
Alvensleben?«

Alvensleben bestätigte.

Der Prinz indessen, der ein sich Einbohren in Fragen über die Maßen
liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute hingab, immer
lebhafter werdend fort: »Elegisch« sagen Sie, »witzig-elegisch; ich
wüßte nicht, was einer _beauté du diable_ besser anstehn könnte. Sie
fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei
vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltäglichsten
Schönheitsform, der _beauté coquette_: das Näschen ein wenig mehr
gestubst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig
rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichtsloser. Aber damit
erschöpfen Sie die höhere Form der =beauté du diable= keineswegs. Diese
hat etwas Weltumfassendes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrage
weit hinausgeht. Ganz wie die Katholische Kirche. Diese wie jene sind
auf ein Innerliches gestellt, und das Innerliche, das in =unserer= Frage
den Ausschlag giebt, heißt Energie, Feuer, Leidenschaft.«

Nostitz und Sander lächelten und nickten.

»Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wiederhole ›was ist Schönheit?‹
Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen
verzichtet werden, ihr Fehlen kann sogar einen allerdirektesten Vorzug
bedeuten. In der That, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlagen
und noch wunderbarere Siege gesehn. Es ist auch in der Liebe wie bei
Morgarten und Sempach, die schönen Ritter werden geschlagen und die
häßlichen Bauern triumphiren. Glauben Sie mir, das Herz entscheidet,
=nur= das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, ist auch
liebenswürdig, und es wäre grausam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die
Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was ist alltäglicher, als eine
schöne Frau durch eine nicht schöne Geliebte verdrängt zu sehn! Und
nicht etwa nach dem Satze _toujours perdrix_. O nein, es hat dies viel
tiefre Zusammenhänge. Das Langweiligste von der Welt ist die
lymphatisch-phlegmatische _beauté_, die _beauté par excellence_. Sie
kränkelt hier, sie kränkelt da, ich will nicht sagen immer und
nothwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine _beauté
du diable_ die Trägerin einer allervollkommensten Gesundheit ist, jener
Gesundheit, die zuletzt alles bedeutet und gleichwerthig ist mit
höchstem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herren, wer hätte mehr davon
als =die= Natur, die durch die größten und gewaltigsten
Läuterungsprozesse wie durch ein Fegefeuer gegangen ist. Ein paar
Grübchen in der Wange sind das Reizendste von der Welt, das hat schon
bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und
unlogisch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Respekt und eine
Huldigung zu versagen, die der Einheit oder dem Pärchen von Alters her
gebührt. Das paradoxe ›_le laid c'est le beau_‹ hat seine vollkommne
Berechtigung, und es heißt nichts andres, als daß sich hinter dem
anscheinend Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre
meine theure Pauline hier, wie sie's leider =nicht= ist, sie würde mir
zustimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch persönliche Schicksale
captivirt zu sein.«

Der Prinz schwieg. Es war ersichtlich, daß er auf einen allseitigen
Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentlich die
Honneurs des Hauses machte, heute =nicht= anwesend zu sehn. Als aber
Niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: »Es fehlen uns die Frauen,
und damit dem Wein und unsrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunsch
wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die
Carayon'schen Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen.
Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreise der Frau von
Carayon angehören, sich zum Interpreten meiner Wünsche machen. Sie
Schach, oder auch Sie, lieber Alvensleben.«

Beide verneigten sich.

»Alles in allem wird es das Beste sein, meine Freundin Pauline nimmt es
persönlich in die Hand. Ich denke, sie wird den Carayon'schen Damen
einen ersten Besuch machen, und ich sehe Stunden eines angeregtesten
geistigen Austausches entgegen.«

Die peinliche Stille, womit auch diese Schlußworte hingenommen wurden,
würde noch fühlbarer gewesen sein, wenn nicht Dussek in eben diesem
Moment auf den Balkon hinausgetreten wäre. »Wie schön,« rief er und wies
mit der Hand auf den westlichen, bis hoch hinauf in einem glühgelben
Lichte stehenden Horizont.

Alle waren mit ihm an die Brüstung des Balkons getreten, und sahen
flußabwärts in den Abendhimmel hinein. Vor dem gelben Lichtstreifen
standen schwarz und schweigend die hohen Pappeln und selbst die
Schloßkuppel wirkte nur noch als Schattenriß.

Einen jeden der Gäste berührte diese Schönheit. Am schönsten aber war
der Anblick zahlloser Schwäne, die, während man in den Abendhimmel sah,
vom Charlottenburger Park her in langer Reihe herankamen. Andre lagen
schon in Front. Es war ersichtlich, daß die ganze Flottille durch irgend
was bis in die Nähe der Villa gelockt sein mußte, denn sobald sie die
Höhe derselben erreicht hatte, schwenkten sie wie militärisch ein und
verlängerten die Front derer, die hier schon still und regungslos und
die Schnäbel unter dem Gefieder verborgen, wie vor Anker lagen. Nur das
Rohr bewegte sich leis in ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit.
Endlich aber erschien einer in unmittelbarer Nähe des Balkons, und
reckte den Hals, als ob er etwas sagen wollte.

»Wem gilt es?« fragte Sander. »Dem Prinzen oder Dussek oder der
Sinumbralampe.«

»Natürlich dem Prinzen,« antwortete Dussek.

»Und warum?«

»Weil er nicht blos Prinz ist, sondern auch Dussek und ›_sine umbra_‹.«

Alles lachte (der Prinz mit), während Sander allerförmlichst »zum
Hofkapellmeister« gratulirte. »Und wenn unser Freund,« so schloß er, »in
Zukunft wieder Strohhalme sammelt, um an ihnen zu sehen, »woher der Wind
weht,« so wird dieser Wind ihm allemal aus dem Lande geheiligter
Traditionen und nicht mehr aus dem Lande der Vorurtheile zu kommen
scheinen.«

Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenflottille, die wohl
durch die Dusseksche Musik herbeigelockt sein mußte, wieder in Bewegung,
und segelte flußabwärts, wie sie bis dahin flußaufwärts gekommen war.
Nur der Schwan, der den Obmann gemacht, erschien noch einmal, als ob er
seinen Dank wiederholen und sich in ceremoniellster Weise verabschieden
wolle.

Dann aber nahm auch er die Mitte des Flusses, und folgte den übrigen,
deren Tête schon unter dem Schatten der Parkbäume verschwunden war.



Achtes Kapitel.

Schach und Victoire.


Es war kurz nach diesem Diner beim Prinzen, daß in Berlin bekannt wurde,
der König werde noch vor Schluß der Woche von Potsdam herüberkommen, um
auf dem Tempelhofer Felde eine große Revue zu halten. Die Nachricht
davon weckte diesmal ein mehr als gewöhnliches Interesse, weil die
gesammte Bevölkerung nicht nur dem Frieden mißtraute, den Haugwitz mit
heimgebracht hatte, sondern auch mehr und mehr der Ueberzeugung lebte,
daß im Letzten immer nur unsre eigene Kraft auch unsere Sicherheit
beziehungsweise unsre Rettung sein werde. Welch andre Kraft aber hatten
wir als die Armee, die Armee, die, was Erscheinung und Schulung anging,
immer noch die friedericianische war.

In solcher Stimmung sah man dem Revuetage, der ein Sonnabend war,
entgegen.

Das Bild, das die Stadt vom frühen Morgen an darbot, entsprach der
Aufregung, die herrschte. Tausende strömten hinaus, und bedeckten vom
Halleschen Thor an die bergansteigende Straße, zu deren beiden Seiten
sich die »Knapphänse«, diese bekannten Zivilmarketender, mit ihren
Körben und Flaschen etablirt hatten. Bald danach erschienen auch die
Equipagen der vornehmen Welt, unter diesen =die= Schachs, die für den
heutigen Tag den Carayonschen Damen zur Disposition gestellt worden war.
Im selben Wagen mit ihnen befand sich ein alter Herr von der Recke,
früher Offizier, der, als naher Anverwandter Schachs, die Honneurs und
zugleich den militärischen Interpreten machte. Frau von Carayon trug ein
stahlgraues Seidenkleid und eine Mantille von gleicher Farbe, während
von Victoirens breitrandigem Italienerhut ein blauer Schleier im Winde
flatterte. Neben dem Kutscher saß der Groom und erfreute sich der Huld
beider Damen, ganz besonders auch der ziemlich willkürlich accentuirten
englischen Worte, die Victoire von Zeit zu Zeit an ihn richtete.

Für elf Uhr war das Eintreffen des Königs angemeldet worden, aber lange
vorher schon erschienen die zur Revue befohlenen, altberühmten
Infanterieregimenter Alt Larisch, von Arnim und Möllendorff, ihre
Janitscharenmusik vorauf. Ihnen folgte die Kavallerie: Garde du Corps,
Gensdarmes und Leibhusaren, bis ganz zuletzt in einer immer dicker
werdenden Staubwolke die Sechs- und Zwölfpfünder heranrasselten und
klapperten, die zum Theil schon bei Prag und Leuthen und neuerdings
wieder bei Valmy und Pirmasens gedonnert hatten. Enthusiastischer Jubel
begleitete den Anmarsch, und wahrlich, wer sie so heranziehen sah, dem
mußte das Herz in patriotisch stolzer Erregung höher schlagen. Auch die
Carayons theilten das allgemeine Gefühl, und nahmen es als bloße
Verstimmung oder Altersängstlichkeit, als der alte Herr von der Recke
sich vorbog und mit bewegter Stimme sagte: »Prägen wir uns diesen
Anblick ein, meine Damen. Denn glauben Sie der Vorahnung eines alten
Mannes, wir werden diese Pracht nicht wiedersehen. Es ist die
Abschiedsrevue der friedericianischen Armee.«

                   *       *       *       *       *

Victoire hatte sich auf dem Tempelhofer Felde leicht erkältet und blieb
in ihrer Wohnung zurück, als die Mama gegen Abend ins Schauspiel fuhr,
ein Vergnügen, das sie jederzeit geliebt hatte, zu keiner Zeit aber mehr
als damals, wo sich zu der künstlerischen Anregung auch noch etwas von
wohlthuender politischer Emotion gesellte. Wallenstein, die Jungfrau,
Tell erschienen gelegentlich, am häufigsten aber Holbergs »politischer
Zinngießer«, der, wie Publikum und Direktion gemeinschaftlich fühlen
mochten, um ein Erhebliches besser als die hohe Schillersche Muse zu
lärmenden Demonstrationen geeignet war.

Victoire war allein. Ihr that die Ruhe wohl und in einen türkischen
Shawl gehüllt, lag sie träumend auf dem Sopha, vor ihr ein Brief, den
sie kurz vor ihrer Vormittagsausfahrt empfangen und in jenem Augenblicke
nur flüchtig gelesen hatte. Desto langsamer und aufmerksamer freilich,
als sie von der Revue wieder zurückgekommen war.

Es war ein Brief von Lisette.

Sie nahm ihn auch jetzt wieder zur Hand, und las eine Stelle, die sie
schon vorher mit einem Bleistiftsstrich bezeichnet hatte: ».... Du mußt
wissen, meine liebe Victoire, daß ich, Pardon für dies offne Geständniß,
mancher Aeußerung in Deinem letzten Briefe keinen vollen Glauben
schenke. Du suchst Dich und mich zu täuschen, wenn Du schreibst, daß Du
Dich in ein Respektsverhältniß zu S. hineindenkst. Er würde selber
lächeln, wenn er davon hörte. Daß Du Dich plötzlich so verletzt fühlen,
ja, verzeihe, so piquirt werden konntest, als er den Arm Deiner Mama
nahm, verräth Dich, und giebt mir allerlei zu denken, wie denn auch
andres noch, was Du speziell in dieser Veranlassung schreibst. Ich lerne
Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht
kannte, von der argwöhnischen nämlich. Und nun, meine theure Victoire,
hab ein freundliches Ohr für das, was ich Dir in Bezug auf diesen
wichtigen Punkt zu sagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfst Dich
ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinleben, die
durchaus den entgegengesetzten Anspruch erheben dürfen. Und zu diesen
Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall
überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und entweder
Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen =gegen= ihn fallen
lassen mußt. Er sei Kavalier, schreibst Du mir, ›ja, das Ritterliche‹,
fügst Du hinzu, ›sei so recht eigentlich seine Natur‹, und im selben
Augenblicke, wo Du dies schreibst, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer
Handelsweise, die, träfe sie zu, das Unritterlichste von der Welt sein
würde. Solche Widersprüche giebt es nicht. Man ist entweder ein Mann von
Ehre, oder man ist es nicht. Im Uebrigen, meine theure Victoire, sei
gutes Muthes, und halte Dich ein für allemal versichert, =Dir lügt der
Spiegel=. Es ist nur =Eines=, um dessentwillen wir Frauen leben, wir
leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber =wodurch= wir es gewinnen, ist
gleichgiltig.«

Victoire faltete das Blatt wieder zusammen. »Es räth und tröstet sich
leicht aus einem vollen Besitz heraus; sie hat alles und nun ist sie
großmüthig. Arme Worte, die von des Reichen Tische fallen.«

Und sie bedeckte beide Augen mit ihren Händen.

In diesem Augenblick hörte sie die Klingel gehen, und gleich danach ein
zweites Mal, ohne daß jemand von der Dienerschaft gekommen wäre. Hatten
es Beate und der alte Jannasch überhört? Oder waren sie fort? Eine
Neugier überkam sie. Sie ging also leise bis an die Thür und sah auf den
Vorflur hinaus. Es war Schach. Einen Augenblick schwankte sie, was zu
thun sei, dann aber öffnete sie die Glasthür und bat ihn einzutreten.

»Sie klingelten so leise. Beate wird es überhört haben.«

»Ich komme nur, um nach dem Befinden der Damen zu fragen. Es war ein
prächtiges Paradewetter, kühl und sonnig, aber der Wind ging doch
ziemlich scharf ....«

»Und Sie sehen mich unter seinen Opfern. Ich fiebre, nicht gerade
heftig, aber wenigstens =so=, daß ich das Theater aufgeben mußte. Der
Shawl (in den ich bitte, mich wieder einwickeln zu dürfen) und diese
Tisane, von der Beate wahre Wunder erwartet, werden mir wahrscheinlich
zuträglicher sein als Wallensteins Tod. Mama wollte mir anfänglich
Gesellschaft leisten. Aber Sie kennen ihre Passion für alles, was
Schauspiel heißt, und so hab ich sie fortgeschickt. Freilich auch aus
Selbstsucht; denn daß ich es gestehe, mich verlangte nach Ruhe.«

»Die nun mein Erscheinen =doch= wiederum stört. Aber nicht auf lange,
nur gerade lange genug, um mich eines Auftrags zu entledigen, einer
Anfrage, mit der ich übrigens leichtmöglicherweise zu spät komme, wenn
Alvensleben schon gesprochen haben sollte.«

»Was ich nicht glaube, vorausgesetzt, daß es nicht Dinge sind, die Mama
für gut befunden hat, selbst vor mir als Geheimniß zu behandeln.«

»Ein sehr unwahrscheinlicher Fall. Denn es ist ein Auftrag, der sich an
Mutter und Tochter gleichzeitig richtet. Wir hatten ein Diner beim
Prinzen, _cercle intime_, zuletzt natürlich auch Dussek. Er sprach vom
Theater (von was andrem sollt er) und brachte sogar Bülow zum Schweigen,
was vielleicht eine That war.«

»Aber Sie medisiren ja, lieber Schach.«

»Ich verkehre lange genug im Salon der Frau von Carayon, um wenigstens
in den Elementen dieser Kunst unterrichtet zu sein.«

»Immer schlimmer, immer größere Ketzereien. Ich werde Sie vor das
Großinquisitoriat der Mama bringen. Und wenigstens der Tortur einer
Sittenpredigt sollen Sie nicht entgehen.«

»Ich wüßte keine liebere Strafe.«

»Sie nehmen es zu leicht .... Aber nun der Prinz ....«

»Er will Sie sehen, =beide=, Mutter und Tochter. Frau Pauline, die, wie
Sie vielleicht wissen, den Zirkel des Prinzen macht, soll Ihnen eine
Einladung überbringen.«

»Der zu gehorchen, Mutter und Tochter sich zu besondrer Ehre rechnen
werden.«

»Was mich nicht wenig überrascht. Und Sie können, meine theure Victoire,
dies kaum im Ernste gesprochen haben. Der Prinz ist mir ein gnädger
Herr, und ich lieb ihn _de tout mon coeur_. Es bedarf keiner Worte
darüber. Aber er ist ein Licht mit einem reichlichen Schatten, oder,
wenn Sie mir den Vergleich gestatten wollen, ein Licht, das mit einem
Räuber brennt. Alles in allem, er hat den zweifelhaften Vorzug so vieler
Fürstlichkeiten, in Kriegs- und in Liebesabenteuern gleich hervorragend
zu sein, oder es noch runder heraus zu sagen, er ist abwechselnd ein
Helden- und ein Debauchenprinz. Dabei grundsatzlos und rücksichtslos,
sogar ohne Rücksicht auf den Schein. Was vielleicht das Allerschlimmste
ist. Sie kennen seine Beziehungen zu Frau Pauline?«

»Ja.«

»Und ....«

»Ich billige sie nicht. Aber sie nicht billigen, ist etwas andres als
sie verurtheilen. Mama hat mich gelehrt, mich über derlei Dinge nicht zu
kümmern und zu grämen. Und hat sie nicht Recht? Ich frage Sie, lieber
Schach, was würd aus uns, ganz speziell aus uns zwei Frauen, wenn wir
uns innerhalb unsrer Umgangs- und Gesellschaftssphäre zu Sittenrichtern
aufwerfen und Männlein und Weiblein auf die Korrektheit ihres Wandels
hin prüfen wollten? Etwa durch eine Wasser- und Feuerprobe. Die
Gesellschaft ist souverän. Was sie gelten läßt, gilt, was sie verwirft,
ist verwerflich. Außerdem liegt hier alles exzeptionell. Der Prinz ist
ein Prinz, Frau von Carayon ist eine Wittwe, und ich .... bin ich.«

»Und bei diesem Entscheide soll es bleiben, Victoire?«

»Ja. Die Götter balanciren. Und wie mir Lisette Perbandt eben schreibt:
›wem genommen wird, dem wird auch gegeben‹. In meinem Falle liegt der
Tausch etwas schmerzlich, und ich wünschte wohl, ihn nicht gemacht zu
haben. Aber andrerseits geh ich nicht blind an dem eingetauschten Guten
vorüber, und freue mich meiner Freiheit. Wovor andre meines Alters und
Geschlechts erschrecken, das darf ich. An dem Abende bei Massows, wo man
mir zuerst huldigte, war ich, ohne mir dessen bewußt zu sein, eine
Sklavin. Oder doch abhängig von hundert Dingen. Jetzt bin ich frei.«

Schach sah verwundert auf die Sprecherin. Manches, was der Prinz über
sie gesagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Waren das Ueberzeugungen oder
Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten sich geröthet, und ein
aufblitzendes Feuer in ihrem Auge traf ihn mit dem Ausdruck einer
trotzigen Entschlossenheit. Er versuchte jedoch sich in den leichten
Ton, in dem ihr Gespräch begonnen hatte, zurückzufinden, und sagte:
»Meine theure Victoire scherzt. Ich möchte wetten, es ist ein Band
Rousseau, was da vor ihr liegt, und ihre Phantasie geht mit dem
Dichter.«

»Nein, es ist nicht Rousseau. Es ist ein anderer, der mich =mehr=
interessirt.«

»Und =wer=, wenn ich neugierig sein darf?«

»Mirabeau.«

»Und warum =mehr=?«

»Weil er mir näher steht. Und das Allerpersönlichste bestimmt immer
unser Urtheil. Oder doch fast immer. Er ist mein Gefährte, mein
spezieller Leidensgenoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ›Ah, das
schöne Kind,‹ hieß es tagein, tagaus. Und dann eines Tags war alles hin,
hin wie .... wie ....«

»Nein, Victoire, Sie sollen das Wort nicht aussprechen.«

»Ich =will= es aber, und würde den Namen meines Gefährten und
Leidensgenossen zu meinem =eigenen= machen, wenn ich es könnte. Victoire
=Mirabeau= de Carayon, oder sagen wir Mirabelle de Carayon, das klingt
schön und ungezwungen, und wenn ich's recht übersetze, so heißt es
Wunderhold.«

Und dabei lachte sie voll Uebermuth und Bitterkeit. Aber die Bitterkeit
klang vor.

»Sie dürfen =so= nicht lachen, Victoire, nicht =so=. Das kleidet Ihnen
nicht, das verhäßlicht Sie. Ja, werfen Sie nur die Lippen, --
=verhäßlicht= Sie. Der Prinz hatte doch Recht, als er enthusiastisch von
Ihnen sprach. Armes Gesetz der Form und der Farbe. Was allein gilt, ist
das ewig Eine, daß sich die Seele den Körper schafft oder ihn
durchleuchtet und verklärt.«

Victoirens Lippen flogen, ihre Sicherheit verließ sie, und ein Frost
schüttelte sie. Sie zog den Shawl höher hinauf, und Schach nahm ihre
Hand, die eiskalt war, denn alles Blut drängte nach ihrem Herzen.

»Victoire, Sie thun sich Unrecht; Sie wüthen nutzlos gegen sich selbst,
und sind um nichts besser als der Schwarzseher, der nach allem Trüben
sucht und an Gottes hellem Sonnenlicht vorüber sieht. Ich beschwöre Sie,
fassen Sie sich und glauben Sie wieder an Ihr Anrecht auf Leben und
Liebe. War ich denn blind? In dem bittren Wort, in dem Sie sich
demüthigen wollten, in eben diesem Worte haben Sie's getroffen, ein für
allemal. Alles ist Märchen und Wunder an Ihnen; ja Mirabelle, ja
Wunderhold!«

Ach, das waren die Worte, nach denen ihr Herz gebangt hatte, während es
sich in Trotz zu waffnen suchte.

Und nun hörte sie sie willenlos und schwieg in einer süßen Betäubung.

                   *       *       *       *       *

Die Zimmeruhr schlug neun und die Thurmuhr draußen antwortete. Victoire,
die den Schlägen gefolgt war, strich das Haar zurück und trat ans
Fenster und sah auf die Straße.

»Was erregt Dich?«

»Ich meinte, daß ich den Wagen gehört hätte.«

»Du hörst zu fein.«

Aber sie schüttelte den Kopf, und im selben Augenblicke fuhr der Wagen
der Frau von Carayon vor.

»Verlassen Sie mich .... Bitte.«

»Bis auf morgen.«

Und ohne zu wissen, ob es ihm glücken werde, der Begegnung mit Frau von
Carayon auszuweichen, empfahl er sich rasch und huschte durch Vorzimmer
und Korridor.

Alles war still und dunkel unten, und nur von der Mitte des Hausflurs
her fiel ein Lichtschimmer bis in die Nähe der obersten Stufen. Aber das
Glück war ihm hold. Ein breiter Pfeiler, der bis dicht an die
Treppenbrüstung vorsprang, theilte den schmalen Vorflur in zwei Hälften,
und hinter diesen Pfeiler trat er und wartete.

Victoire stand in der Glasthür und empfing die Mama.

»Du kommst so früh. Ach, und wie hab ich Dich erwartet!«

Schach hörte jedes Wort. »Erst die Schuld und dann die Lüge,« klang es
in ihm. »Das alte Lied.«

Aber die Spitze seiner Worte richtete sich gegen ihn und nicht gegen
Victoire.

Dann trat er aus seinem Versteck hervor und schritt rasch und
geräuschlos die Treppe hinunter.



Neuntes Kapitel.

Schach zieht sich zurück.


»Bis auf morgen,« war Schachs Abschiedswort gewesen, aber er kam nicht.
Auch am zweiten und dritten Tage nicht. Victoire suchte sich's
zurechtzulegen, und wenn es nicht glücken wollte, nahm sie Lisettens
Brief und las immer wieder die Stelle, die sie längst auswendig wußte.
»Du darfst Dich, ein für allemal, nicht in ein Mißtrauen gegen Personen
hineinleben, die durchaus den entgegengesetzten Anspruch erheben dürfen.
Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich
den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und
entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn
fallen lassen mußt.« Ja, Lisette hatte Recht und doch blieb ihr eine
Furcht im Gemüthe. »Wenn doch alles nur ....« Und es übergoß sie mit
Blut.

Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf sich, daß sie kurz vorher
in die Stadt gegangen war. Als sie zurückkehrte, hörte sie von seinem
Besuch; er sei sehr liebenswürdig gewesen, habe zwei-, dreimal nach ihr
gefragt, und ein Bouquet für sie zurückgelassen. Es waren Veilchen und
Rosen, die das Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während ihr die
Mama von dem Besuche vorplauderte, bemühte sich, einen leichten und
übermüthigen Ton anzuschlagen, aber ihr Herz war zu voll von
widerstreitenden Gefühlen, und sie zog sich zurück, um sich in zugleich
glücklichen und bangen Thränen auszuweinen.

Inzwischen war der Tag herangekommen, wo die »Weihe der Kraft« gegeben
werden sollte. Schach schickte seinen Diener und ließ anfragen, ob die
Damen der Vorstellung beizuwohnen gedächten? Es war eine bloße Form,
denn er wußte, daß es so sein werde.

Im Theater waren alle Plätze besetzt. Schach saß den Carayons gegenüber
und grüßte mit großer Artigkeit. Aber bei diesem Gruße blieb es, und er
kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhaltung, über die Frau von
Carayon kaum weniger betroffen war, als Victoire. Der Streit indessen,
den das hinsichtlich des Stücks in zwei Lager getheilte Publikum führte,
war so heftig und aufregend, daß beide Damen ebenfalls mit hingerissen
wurden und momentan wenigstens alles Persönliche vergaßen. Erst auf dem
Heimweg kehrte die Verwunderung über Schachs Benehmen zurück.

Am andern Vormittage ließ er sich melden. Frau von Carayon war erfreut,
Victoire jedoch, die schärfer sah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er
hatte ganz ersichtlich diesen Tag abgewartet, um einen bequemen
Plauderstoff zu haben und mit Hilfe desselben über die Peinlichkeit
eines ersten Wiedersehens mit ihr leichter hinwegzukommen. Er küßte der
Frau von Carayon die Hand und wandte sich dann gegen Victoire, um dieser
sein Bedauern auszusprechen, sie bei seinem letzten Besuche verfehlt zu
haben. Man entfremde sich fast, anstatt sich fester anzugehören. Er
sprach dies so, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er es mit tieferer
Bedeutung oder aus bloßer Verlegenheit gesagt habe. Sie sann darüber
nach, aber ehe sie zum Abschluß kommen konnte, wandte sich das Gespräch
dem Stücke zu.

»Wie finden Sie's?« fragte Frau von Carayon.

»Ich liebe nicht Komödien,« antwortete Schach, »die fünf Stunden
spielen. Ich wünsche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine
Strapaze.«

»Zugestanden. Aber dies ist etwas Aeußerliches, und beiläufig ein
Mißstand, dem ehestens abgeholfen sein wird. Iffland selbst ist mit
erheblichen Kürzungen einverstanden. Ich will Ihr Urtheil über das
Stück.«

»Es hat mich =nicht= befriedigt.«

»Und warum nicht?«

»Weil es alles auf den Kopf stellt. =Solchen= Luther hat es Gott sei
Dank nie gegeben, und wenn solcher je käme, so würd er uns einfach dahin
zurückführen, von wo der echte Luther uns seinerzeit wegführte. Jede
Zeile widerstreitet dem Geist und Jahrhundert der Reformation; alles ist
Jesuitismus oder Mysticismus, und treibt ein unerlaubtes und beinah
kindisches Spiel mit Wahrheit und Geschichte. Nichts paßt. Ich wurde
beständig an das Bild Albrechts Dürers erinnert, wo Pilatus mit
Pistolenhalftern reitet oder an ein ebenso bekanntes Altarblatt in
Soest, wo statt des Osterlamms ein westfälischer Schinken in der
Schüssel liegt. In diesem seinwollenden Lutherstück aber liegt ein
allerpfäffischster Pfaff in der Schüssel. Es ist ein Anachronismus von
Anfang bis Ende.«

»Gut. Das ist Luther. Aber ich wiederhole, das =Stück=?«

»Luther ist das Stück. Das andre bedeutet nichts. Oder soll ich mich für
Katharina von Bora begeistern, für eine Nonne, die schließlich keine
war.«

Victoire senkte den Blick und ihre Hand zitterte. Schach sah es, und
über seinen _faux pas_ erschreckend, sprach er jetzt hastig und in sich
überstürzender Weise von einer Parodie, die vorbereitet werde, von einem
angekündigten Proteste der lutherischen Geistlichkeit, vom Hofe, von
Iffland, vom Dichter selbst, und schloß endlich mit einer übertriebenen
Lobpreisung der eingelegten Lieder und Kompositionen. Er hoffe, daß
Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe, wo er diese Lieder
am Klavier begleiten durfte.

All dies wurde sehr freundlich gesprochen, aber so freundlich es klang,
so fremd klang es auch, und Victoire hörte mit feinen Ohren heraus, daß
es nicht =die= Sprache war, die sie fordern durfte. Sie war bemüht, ihm
unbefangen zu antworten, aber es blieb ein äußerliches Gespräch bis er
ging.

Den Tag nach diesem Besuche kam Tante Marguerite. Sie hatte bei Hofe von
dem schönen Stücke gehört, »das so schön sei, wie noch gar keins,« und
so wollte sie's gerne sehn. Frau von Carayon war ihr zu Willen, nahm sie
mit in die zweite Vorstellung, und da wirklich sehr gekürzt worden war,
blieb auch noch Zeit daheim eine halbe Stunde zu plaudern.

»Nun Tante Marguerite,« fragte Victoire, »wie hat es Dir gefallen?«

»Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den Hauptpunkt in unsrer
gereinigten Kürche.«

»Welchen meinst Du, liebe Tante?«

»Nun =den= von der chrüstlichen Ehe.«

Victoire zwang sich ernsthaft zu bleiben und sagte dann: »Ich dachte,
dieser Hauptpunkt in unsrer Kirche läge doch noch in etwas andrem, also
z. B. in der Lehre vom Abendmahl.«

»O nein, meine liebe Victoire, =das= weiß ich ganz genau. Mit oder ohne
Wein, das macht keinen so großen Unterschied; aber ob unsre
_prédicateurs_ in einer sittlich getrauten Ehe leben oder nicht, =das=,
mein Engelchen, ist von einer würklichen _importance_.«

»Und ich finde, Tante Marguerite hat ganz Recht,« sagte Frau von
Carayon.

»Und das ist es auch,« fuhr die gegen alles Erwarten Belobigte fort,
»was das Stück =will=, und was man um so deutlicher sieht, als die
Bethmann würklich eine sehr hübsche Frau ist. Oder doch zum wenigstens
viel hübscher, als sie würklich war. Ich meine die Nonne. Was aber
nichts schadet, denn er war ja auch kein hübscher Mann, und lange nicht
so hübsch als =er=. Ja werde nur roth, meine liebe Victoire, so viel
weiß ich auch.«

Frau von Carayon lachte herzlich.

»Und das muß wahr sein, unser Herr Rittmeister von Schach ist würklich
ein =sehr= angenehmer Mann, und ich denke noch ümmer an Tempelhof und
den aufrechtstehenden Ritter .... Und wißt Ihr denn, in Wülmersdorf soll
auch einer sein, und auch ebenso weggeschubbert. Und von wem ich es
habe? Nun? Von _la petite Princesse Charlotte_.«



Zehntes Kapitel.

»Es muß etwas geschehn.«


Die »Weihe der Kraft« wurde nach wie vor gegeben, und Berlin hörte nicht
auf in zwei Lager getheilt zu sein. Alles was mystisch-romantisch war,
war =für=, alles was freisinnig war, =gegen= das Stück. Selbst im Hause
Carayon setzte sich diese Fehde fort, und während die Mama theils um des
Hofes, theils um ihrer eignen »Gefühle« willen überschwänglich
mitschwärmte, fühlte sich Victoire von diesen Sentimentalitäten
abgestoßen. Sie fand alles unwahr und unecht, und versicherte, daß
Schach in jedem seiner Worte Recht gehabt habe.

Dieser kam jetzt von Zeit zu Zeit, aber doch immer nur, wenn er sicher
sein durfte, Victoiren in Gesellschaft der Mutter zu treffen. Er bewegte
sich wieder viel in den »großen Häusern,« und legte, wie Nostitz
spottete, den Radziwills und Carolaths zu, was er den Carayons entzog.
Auch Alvensleben scherzte darüber, und selbst Victoire versuchte, den
gleichen Ton zu treffen. Aber ohne daß es ihr glücken wollte. Sie
träumte so hin, und nur eigentlich traurig war sie nicht. Noch weniger
unglücklich.

Unter denen, die sich mit dem Stück, also mit der Tagesfrage
beschäftigten, waren auch die Offiziere vom Regiment Gensdarmes, obschon
ihnen nicht einfiel, sich ernsthaft auf ein =Für= oder =Wider=
einzulassen. Sie sahen alles ausschließlich auf seine komische Seite hin
an, und fanden in der Auflösung eines Nonnenklosters, in Katharina von
Boras, »neunjähriger Pflegetochter« und endlich in dem beständig Flöte
spielenden Luther, einen unerschöpflichen Stoff für ihren Spott und
Uebermuth.

Ihr Lieblingsversammlungsort in jenen Tagen war die Wachtstube des
Regiments, wo die jüngeren Kameraden den dienstthuenden Offizier zu
besuchen und sich bis in die Nacht hinein zu divertiren pflegten. Unter
den Gesprächen, die man in Veranlassung der neuen Komödie hier führte,
kamen Spöttereien wie die vorgenannten kaum noch von der Tagesordnung,
und als einer der Kameraden daran erinnerte, daß das neuerdings von
seiner früheren Höhe herabgestiegene Regiment eine Art patriotische
Pflicht habe, sich mal wieder »als es selbst« zu zeigen, brach ein
ungeheurer Jubel aus, an dessen Schluß alle einig waren, »daß etwas
geschehen müsse.« Daß es sich dabei lediglich um eine Travestie der
»Weihe der Kraft«, etwa durch eine Maskerade, handeln könne, stand von
vornherein fest, und nur über das »wie« gingen die Meinungen noch
auseinander. In Folge davon beschloß man, ein paar Tage später eine
=neue= Zusammenkunft abzuhalten, in der nach Anhörung einiger
Vorschläge, der eigentliche Plan fixirt werden sollte.

Rasch hatte sich's herumgesprochen, und als Tag und Stunde da waren,
waren einige zwanzig Kameraden in dem vorerwähnten Lokal erschienen:
Itzenplitz, Jürgaß und Britzke, Billerbeck und Diricke, Graf Haeseler,
Graf Herzberg, von Rochow, von Putlitz, ein Kracht, ein Klitzing, und
nicht zum letzten ein schon älterer Lieutenant von Zieten, ein kleines,
häßliches und säbelbeiniges Kerlchen, das durch entfernte Vetterschaft
mit dem berühmten General und beinahe mehr noch durch eine keck in die
Welt hineinkrähende Stimme zu balanciren wußte, was ihm an sonstigen
Tugenden abging. Auch Nostitz und Alvensleben waren erschienen. Schach
fehlte.

»Wer präsidirt?« fragte Klitzing.

»Nur zwei Möglichkeiten,« antwortete Diricke. »Der längste oder der
kürzeste. Will also sagen, Nostitz oder Zieten.«

»Nostitz, Nostitz,« riefen alle durcheinander, und der so durch
Akklamation Gewählte nahm auf einem ausgebuchteten Gartenstuhle Platz.
Flaschen und Gläser standen die lange Tafel entlang.

»Rede halten: Assemblée nationale ....«

Nostitz ließ den Lärm eine Weile dauern, und klopfte dann erst mit dem
ihm als Zeichen seiner Würde zur Seite liegenden Pallasch auf den Tisch.

»_Silentium, Silentium._«

»Kameraden vom Regiment Gensdarmes, Erben eines alten Ruhmes auf dem
Felde militärischer und gesellschaftlicher Ehre (denn wir haben nicht
nur der Schlacht die Richtung, wir haben auch der Gesellschaft den =Ton=
gegeben), Kameraden, sag ich, wir sind schlüssig geworden: =es muß etwas
geschehn!=«

»Ja, ja. Es muß etwas geschehn.«

»Und neu geweiht durch die ›Weihe der Kraft‹, haben wir, dem alten
Luther und uns selber zu Liebe, beschlossen, einen Aufzug zu
bewerkstelligen, von dem die spätesten Geschlechter noch melden sollen.
Es muß etwas Großes werden! Erinnern wir uns, wer nicht vorschreitet,
der schreitet zurück. Ein Aufzug also. So viel steht fest. Aber Wesen
und Charakter dieses Aufzuges bleibt noch zu fixiren, und zu diesem
Behufe haben wir uns hier versammelt. Ich bin bereit, Ihre Vorschläge
der Reihe nach entgegen zu nehmen. Wer Vorschläge zu machen hat, melde
sich.«

Unter denen, die sich meldeten, war auch Lieutenant von Zieten.

»Ich gebe dem Lieutenant von Zieten das Wort.«

Dieser erhob sich und sagte, während er sich leicht auf der Stuhllehne
wiegte: »Was ich vorzuschlagen habe, heißt =Schlittenfahrt=.«

Alle sahen einander an, Einige lachten.

»Im Juli?«

»Im Juli,« wiederholte Zieten. »Unter den Linden wird Salz gestreut, und
über diesen Schnee hin, geht unsre Fahrt. Erst ein paar aufgelöste
Nonnen; in dem großen Hauptschlitten aber, der die Mitte des Zuges
bildet, paradiren Luther und sein Famulus, jeder mit einer Flöte,
während Katharinchen auf der Pritsche reitet. _Ad libitum_ mit Fackel
oder Schlittenpeitsche. Vorreiter eröffnen den Zug. Kostüme werden dem
Theater entnommen oder angefertigt. Ich habe gesprochen.«

Ein ungeheurer Lärm antwortete, bis der Ruhe gebietende Nostitz endlich
durchdrang. »Ich nehme diesen Lärm einfach als Zustimmung, und
beglückwünsche Kamerad Zieten, mit einem einzigen und ersten
Meisterschuß gleich ins Schwarze getroffen zu haben. Also
Schlittenfahrt. Angenommen?«

»Ja, ja.«

»So bleibt nur noch Rollenvertheilung. Wer giebt den Luther?«

»Schach.«

»Er wird ablehnen.«

»Nicht doch,« krähte Zieten, der gegen den schönen, ihm bei mehr als
einer Gelegenheit vorgezogenen Schach eine Spezialmalice hegte: »wie
kann man Schach so verkennen! Ich kenn ihn besser. Er wird es freilich
eine halbe Stunde lang beklagen, sich hohe Backenknochen auflegen und
sein Normal-Oval in eine bäurische _tête carré_ verwandeln zu müssen.
Aber schließlich wird er Eitelkeit gegen Eitelkeit setzen, und seinen
Lohn darin finden, auf vierundzwanzig Stunden der Held des Tages zu
sein.«

Ehe Zieten noch ausgesprochen hatte, war von der Wache her ein Gefreiter
eingetreten, um ein an Nostitz adressiertes Schreiben abzugeben.

»Ah, _lupus in fabula_.«

»Von Schach?«

»Ja!«

»Lesen, lesen!«

Und Nostitz erbrach den Brief und las. »Ich bitte Sie, lieber Nostitz,
bei der muthmaßlich in eben diesem Augenblicke stattfindenden
Versammlung unsrer jungen Offiziere, meinen Vermittler und wenn nöthig,
auch meinen Anwalt machen zu wollen. Ich habe das Zirkular erhalten, und
war anfänglich gewillt zu kommen. Inzwischen aber ist mir mitgetheilt
worden, um was es sich aller Wahrscheinlichkeit nach handeln wird, und
diese Mittheilung hat meinen Entschluß geändert. Es ist Ihnen kein
Geheimniß, daß all das, was man vorhat, meinem Gefühl widerstreitet, und
so werden Sie sich mit Leichtigkeit herausrechnen können, wie viel oder
wie wenig ich (dem schon ein =Bühnen=-Luther _contre coeur_ war) für
einen Mummenschanz-Luther übrig habe. Daß wir diesen Mummenschanz in
eine Zeit verlegen, die nicht einmal eine Fastnachtsfreiheit in Anspruch
nehmen darf, bessert sicherlich nichts. Jüngeren Kameraden soll aber
durch diese meine Stellung zur Sache kein Zwang auferlegt werden, und
jedenfalls darf man sich meiner Diskretion versichert halten. Ich bin
nicht das Gewissen des Regiments, noch weniger sein Aufpasser. Ihr
Schach.«

»Ich wußt es,« sagte Nostitz in aller Ruhe, während er das Schachsche
Billet an dem ihm zunächst stehenden Lichte verbrannte. »Kamerad Zieten
ist größer in Vorschlägen und Phantastik, als in Menschenkenntniß. Er
will mir antworten, seh ich, aber ich kann ihm nicht nachgeben, denn in
diesem Augenblicke heißt es ausschließlich: wer spielt den Luther? Ich
bringe den Reformator unter den Hammer. Der Meistbietende hat ihn. Zum
Ersten, Zweiten und zum .... Dritten. Niemand? So bleibt mir nichts
übrig als Ernennung: Alvensleben, Sie.«

Dieser schüttelte den Kopf. »Ich stehe dazu wie Schach; machen Sie das
Spiel, ich bin kein Spielverderber, aber ich spiele persönlich nicht
mit. Kann nicht und will nicht. Es steckt mir dazu zu viel Katechismus
_Lutheri_ im Leibe.«

Nostitz wollte nicht gleich nachgeben. »Alles zu seiner Zeit,« nahm er
das Wort »und wenn der Ernst seinen Tag hat, so hat der Scherz
wenigstens seine Stunde. Sie nehmen alles zu gewissenhaft, zu feierlich,
zu pedantisch. Auch darin wie Schach. Keinerlei Ding ist an sich gut
oder bös. Erinnern Sie sich, daß wir den alten Luther nicht verhöhnen
wollen, im Gegentheil, wir wollen ihn rächen. Was verhöhnt werden soll,
ist das =Stück=, ist die Lutherkarrikatur, ist der Reformator in
falschem Licht und an falscher Stelle. Wir sind Strafgericht, Instanz
aller oberster Sittlichkeit. Thun Sie's. Sie dürfen uns nicht im Stiche
lassen oder es fällt alles in den Brunnen.«

Andere sprachen in gleichem Sinn. Aber Alvensleben blieb fest, und eine
kleine Verstimmung schwand erst, als sich unerwartet (und eben deshalb
von allgemeinstem Jubel begrüßt) der junge Graf Herzberg erhob, um sich
für die Lutherrolle zu melden.

Alles was danach noch zu ordnen war, ordnete sich rasch, und ehe zehn
Minuten um waren, waren bereits die Hauptrollen vertheilt: Graf Herzberg
den Luther, Diricke den Famulus, Nostitz, wegen seiner kolossalen Größe,
die Katharina von Bora. Der Rest wurde einfach als Nonnenmaterial
eingeschrieben, und nur Zieten, dem man sich besonders verpflichtet
fühlte, rückte zur Aebtissin auf. Er erklärte denn auch sofort, auf
seinem Schlittensitz ein »_jeu_ entriren« oder mit dem Klostervogt eine
Partie Mariage spielen zu wollen. Ein neuer Jubel brach aus, und nachdem
noch in aller Kürze der nächste Montag für die Maskerade festgesetzt,
alles Ausplaudern aber aufs strengste verboten worden war, schloß
Nostitz die Sitzung.

In der Thür drehte sich Diricke noch einmal um, und fragte: »Aber wenn's
regnet?«

»Es darf nicht regnen.«

»Und was wird aus dem Salz?«

»_C'est pour les domestiques._«

»_Et pour la canaille_,« schloß der jüngste Cornet.



Elftes Kapitel.

Die Schlittenfahrt.


Schweigen war gelobt worden, und es blieb auch wirklich verschwiegen.
Ein vielleicht einzig dastehender Fall. Wohl erzählte man sich in der
Stadt, daß die Gensdarmes »etwas vorhätten« und mal wieder über einem
jener tollen Streiche brüteten, um derentwillen sie vor andern
Regimentern einen Ruf hatten, aber man erfuhr weder worauf die Tollheit
hinauslaufen werde, noch auch für welchen Tag sie geplant sei. Selbst
die Carayonschen Damen, an deren letztem Empfangsabende weder Schach
noch Alvensleben erschienen waren, waren ohne Mittheilung geblieben, und
so brach denn die berühmte »Sommer-Schlittenfahrt« über Näher- und
Fernerstehende gleichmäßig überraschend herein.

In einem der in der Nähe der Mittel- und Dorotheenstraße gelegenen
Stallgebäude hatte man sich bei Dunkelwerden versammelt, und ein Dutzend
prachtvoll gekleideter und von Fackelträgern begleiteter Vorreiter
vorauf, ganz also wie Zieten es proponirt hatte, schoß man mit dem
Glockenschlage neun an dem Akademiegebäude vorüber auf die Linden zu,
jagte weiter abwärts erst in die Wilhelms-, dann aber umkehrend in die
Behren- und Charlottenstraße hinein und wiederholte diese Fahrt um das
ebenbezeichnete Linden-Quarré herum in einer immer gesteigerten Eile.

Als der Zug das =erste= Mal an dem Carayonschen Hause vorüberkam und das
Licht der vorausreitenden Fackeln grell in alle Scheiben der Bel-Etage
fiel, eilte Frau von Carayon, die sich zufällig allein befand,
erschreckt ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. Aber statt des
Rufes »Feuer«, den sie zu hören erwartete, hörte sie nur, wie mitten im
Winter, ein Knallen großer Hetz- und Schlittenpeitschen mit
Schellengeläut dazwischen, und ehe sie sich zurecht zu finden im Stande
war, war alles schon wieder vorüber und ließ sie verwirrt und fragend
und in einer halben Betäubung zurück. In solchem Zustande war es, daß
Victoire sie fand.

»Um Gotteswillen, Mama, was ist?«

Aber ehe Frau von Carayon antworten konnte, war die Spitze der Maskerade
zum =zweiten= Male heran, und Mutter und Tochter, die jetzt rasch und zu
bessrer Orientirung von ihrem Eckzimmer aus auf den Balkon
hinausgetreten waren, waren von diesem Augenblick an nicht länger mehr
im Zweifel, was das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen und
was. Erst unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe von Aebtissin an der Spitze,
johlend, trinkend und Karte spielend, und in der Mitte des Zuges ein auf
Rollen laufender und in der Fülle seiner Vergoldung augenscheinlich als
Triumphwagen gedachter Hauptschlitten, in dem Luther sammt Famulus und
auf der Pritsche Katharina von Bora saß. An der riesigen Gestalt
erkannten sie Nostitz. Aber wer war =der= auf dem Vordersitz? fragte
sich Victoire. Wer verbarg sich hinter dieser Luther-Maske? War =er= es?
Nein, es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es =nicht= war, er war
doch immer ein Mitschuldiger in diesem widerlichen Spiele, das er
gutgeheißen oder wenigstens nicht gehindert hatte. Welche verkommne
Welt, wie pietätlos, wie baar aller Schicklichkeit! Wie schaal und ekel.
Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff sie, das Schöne verzerrt und das
Reine durch den Schlamm gezogen zu sehen. Und warum? Um einen Tag lang
von sich reden zu machen, um einer kleinlichen Eitelkeit willen. Und
=das= war die Sphäre, darin sie gedacht und gelacht, und gelebt und
gewebt, und darin sie nach Liebe verlangt, und ach, das Schlimmste von
allem, an Liebe geglaubt hatte!

»Laß uns gehen,« sagte sie, während sie den Arm der Mutter nahm, und
wandte sich, um in das Zimmer zurückzukehren. Aber ehe sie's erreichen
konnte, wurde sie wie von einer Ohnmacht überrascht und sank auf der
Schwelle des Balkons nieder.

Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und beide trugen sie bis an das
Sopha, wo sie gleich danach von einem heftigen Brustkrampfe befallen
wurde. Sie schluchzte, richtete sich auf, sank wieder in die Kissen, und
als die Mutter ihr Stirn und Schläfe mit kölnischem Wasser waschen
wollte, stieß sie sie heftig zurück. Aber im nächsten Augenblick riß sie
der Mama das Flacon aus der Hand und goß es sich über Hals und Nacken.
»Ich bin mir zuwider, zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals
hab ich Gott um mein Leben gebeten .... Aber wir =sollen= nicht um unser
Leben bitten .... Gott weiß am besten, was uns frommt. Und wenn er uns
zu sich hinaufziehen will, so sollen wir nicht bitten: laß uns noch ....
O, wie schmerzlich ich das fühle! Nun leb ich .... Aber wie, wie!«

Frau von Carayon kniete neben dem Sopha nieder und sprach ihr zu.
Denselben Augenblick aber schoß der Schlittenzug zum =dritten= Mal an
dem Hause vorüber, und wieder war es, als ob sich schwarze phantastische
Gestalten in dem glührothen Scheine jagten und haschten. »Ist es nicht
wie die Hölle?« sagte Victoire, während sie nach dem Schattenspiel an
der Decke zeigte.

Frau von Carayon schickte Beaten, um den Arzt rufen zu lassen. In
Wahrheit aber lag ihr weniger an dem Arzt, als an einem Alleinsein und
einer Aussprache mit dem geliebten Kinde.

»Was ist Dir? Und wie Du nur fliegst und zitterst. Und siehst so starr.
Ich erkenne meine heitre Victoire nicht mehr. Ueberlege, Kind, was ist
denn geschehen? Ein toller Streich mehr, einer unter vielen, und ich
weiß Zeiten, wo Du diesen Uebermuth mehr belacht als beklagt hättest. Es
ist etwas andres, was Dich quält und drückt; ich seh es seit Tagen
schon. Aber Du verschweigst mir's, Du hast ein Geheimniß. Ich beschwöre
Dich, Victoire, sprich. Du darfst es. Es sei, was es sei.«

Victoire schlang ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein Strom von
Thränen entquoll ihrem Auge.

»Beste Mutter!«

Und sie zog sie fester an sich, und küßte sie und beichtete ihr alles.



Zwölftes Kapitel.

Schach bei Frau von Carayon.


Am andern Vormittage saß Frau von Carayon am Bette der Tochter und
sagte, während diese zärtlich und mit einem wiedergewonnenen
ruhig-glücklichen Ausdruck zu der Mutter aufblickte: »Habe Vertrauen,
Kind. Ich kenn ihn so lange Zeit. Er ist schwach und eitel nach Art
aller schönen Männer, aber von einem nicht gewöhnlichen Rechtsgefühl und
einer untadligen Gesinnung.«

In diesem Augenblicke wurde Rittmeister von Schach gemeldet, und der
alte Jannasch setzte hinzu, »daß er ihn in den Salon geführt habe.«

Frau von Carayon nickte zustimmend.

»Ich wußte, das er kommen würde,« sagte Victoire.

»Weil Du's geträumt?«

»Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und rechne. Seit einiger Zeit
weiß ich im voraus, an welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er
erscheinen wird. Er kommt immer, wenn etwas geschehen ist oder eine
Neuigkeit vorliegt, über die sich bequem sprechen läßt. Er geht einer
intimen Unterhaltung mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Aufführung
des Stücks, und heute kommt er nach der Aufführung der Schlittenfahrt.
Ich bin doch begierig, ob er mit dabei war. War er's, so sag ihm, wie
sehr es mich verletzt hat. Oder sag es lieber nicht.«

Frau von Carayon war bewegt. »Ach, meine süße Victoire, Du bist zu gut,
viel zu gut. Er verdient es nicht; keiner.« Und sie streichelte die
Tochter und ging über den Korridor fort in den Salon, wo Schach ihrer
wartete.

Dieser schien weniger befangen als sonst und verbeugte sich ihr die Hand
zu küssen, was sie freundlich geschehen ließ. Und doch war ihr Benehmen
verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr sonst fremd war, auf
einen der zur Seite stehenden japanischen Stühle, schob sich ein
Fußkissen heran, und nahm ihrerseits auf dem Sopha Platz.

»Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu fragen und zugleich in
Erfahrung zu bringen, ob die gestrige Maskerade Gnade vor Ihren Augen
gefunden hat oder nicht.«

»Offen gestanden, nein. Ich, für meine Person, fand es wenig passend,
und Victoire fühlte sich beinah widerwärtig davon berührt.«

»Ein Gefühl, das ich theile.«

»So waren Sie nicht mit von der Partie?«

»Sicherlich nicht. Und es überrascht mich, es noch erst versichern zu
müssen. Sie kennen ja meine Stellung zu dieser Frage, meine theure
Josephine, kennen sie seit jenem Abend, wo wir zuerst über das Stück und
seinen Verfasser sprachen. Was ich damals äußerte, gilt ebenso noch
heut. Ernste Dinge fordern auch eine ernste Behandlung, und es freut
mich aufrichtig, Victoiren auf meiner Seite zu sehen. Ist sie zu Haus?«

»Zu Bett.«

»Ich hoffe nichts Ernstliches.«

»Ja und nein. Die Nachwirkungen eines Brust- und Weinkrampfes, von dem
sie gestern Abend befallen wurde.«

»Muthmaßlich infolge dieser Maskeradentollheit. Ich beklag es von ganzem
Herzen.«

»Und doch bin ich eben dieser Tollheit zu Danke verpflichtet. In dem
Degoût über die Mummerei, deren Zeuge sie sein mußte, löste sich ihr die
Zunge; sie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir ein Geheimniß
an, ein Geheimniß, das Sie kennen.«

Schach, der sich doppelt schuldig fühlte, war wie mit Blut übergossen.

»Lieber Schach,« fuhr Frau von Carayon fort, während sie jetzt seine
Hand nahm und ihn aus ihren klugen Augen freundlich aber fest ansah:
»lieber Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene zu machen
oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu den Dingen, die mir am meisten
verhaßt sind, gehört auch Tugendschwätzerei. Ich habe von Jugend auf in
der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an meinem eignen
Herzen erfahren. Und wär ich heuchlerisch genug, es vor mir und andern
verbergen zu wollen, wie könnt ich es vor =Ihnen=?«

Sie schwieg einen Augenblick, während sie mit ihrem Battisttuch ihre
Stirn berührte. Dann nahm sie das Wort wieder auf und setzte hinzu:
»Freilich es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die den Spruch
von der Linken, die nicht wissen soll was die Rechte thut, dahin deuten,
daß das Heute nicht wissen soll, was das Gestern that. Oder wohl gar das
Vorgestern! Ich aber gehöre nicht zu diesen Virtuosinnen des Vergessens.
Ich leugne nichts, will es nicht, mag es nicht. Und nun verurtheilen Sie
mich, wenn Sie können.«

Er war ersichtlich getroffen, als sie so sprach, und seine ganze Haltung
zeigte, welche Gewalt sie noch immer über ihn ausübte.

»Lieber Schach,« fuhr sie fort, »Sie sehen, ich gebe mich Ihrem Urtheil
preis. Aber wenn ich mich auch bedingungslos einer jeden Vertheidigung
oder Anwaltschaft für Josephine von Carayon enthalte, für =Josephine=
(Verzeihung, Sie haben eben selbst den alten Namen wieder
heraufbeschworen) so darf ich doch nicht darauf verzichten, der Anwalt
der =Frau= von Carayon zu sein, ihres Hauses und ihres Namens.«

Es schien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie ließ es aber nicht zu.
»Noch einen Augenblick. Ich werde gleich gesagt haben, was ich zu sagen
habe. Victoire hat mich gebeten, über =alles= zu schweigen, nichts zu
verrathen, auch =Ihnen= nicht, und nichts zu verlangen. Zur Sühne für
eine halbe Schuld (und ich rechne hoch, wenn ich von einer =halben=
Schuld spreche) will sie die =ganze= tragen, auch vor der Welt, und will
sich in jenem romantischen Zuge, der ihr eigen ist, aus ihrem Unglück
ein Glück erziehen. Sie gefällt sich in dem Hochgefühl des Opfers, in
einem süßen Hinsterben für =den=, den sie liebt, und für =das=, was sie
lieben =wird=. Aber so schwach ich in meiner Liebe zu Victoire bin, so
bin ich doch nicht schwach genug, ihr in dieser Großmuthskomödie zu
willen zu sein. Ich gehöre der Gesellschaft an, deren Bedingungen ich
erfülle, deren Gesetzen ich mich unterwerfe; daraufhin bin ich erzogen,
und ich habe nicht Lust, einer Opfermarotte meiner einzig geliebten
Tochter zur Liebe meine gesellschaftliche Stellung mit zum Opfer zu
bringen. Mit andern Worten, ich habe nicht Lust ins Kloster zu gehen
oder die dem Irdischen entrückte Säulenheilige zu spielen, auch nicht um
Victoirens willen. Und so muß ich denn auf Legitimisirung des
Geschehenen dringen. Dies, mein Herr Rittmeister, war es, was ich Ihnen
zu sagen hatte.«

Schach, der inzwischen Gelegenheit gefunden hatte sich wieder zu
sammeln, erwiderte, »daß er wohl wisse, wie jegliches Ding im Leben
seine natürliche Konsequenz habe. Und solcher Konsequenz gedenk er sich
nicht zu entziehen. Wenn ihm =das=, was er jetzt wisse, bereits früher
bekannt geworden sei, würd er um eben die Schritte, die Frau von Carayon
jetzt fordere, seinerseits aus freien Stücken gebeten haben. Er habe den
Wunsch gehabt, unverheirathet zu bleiben, und von einer solchen
langgehegten Vorstellung Abschied zu nehmen, schaffe momentan eine
gewisse Verwirrung. Aber er fühle mit nicht mindrer Gewißheit, daß er
sich zu dem Tage zu beglückwünschen habe, der binnen kurzem diesen
Wechsel in sein Leben bringen werde. Victoire sei der Mutter Tochter,
das sei die beste Gewähr seiner Zukunft, die Verheißung eines wirklichen
Glücks.«

All dies wurde sehr artig und verbindlich gesprochen, aber doch zugleich
auch mit einer bemerkenswerthen Kühle.

Dies empfand Frau von Carayon in einer ihr nicht nur schmerzlichen,
sondern sie geradezu verletzenden Weise; das, was sie gehört hatte, war
weder die Sprache der Liebe noch der Schuld, und als Schach schwieg,
erwiderte sie spitz: »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Worte, Herr
von Schach, ganz besonders auch für =das=, was sich darin an meine
Person richtete. Daß Ihr ›ja‹ rückhaltloser und ungesuchter hätte
klingen können, empfinden Sie wohl am eignen Herzen. Aber gleichviel,
mir genügt das ›Ja‹. Denn wonach dürst ich denn am Ende? Nach einer
Trauung im Dom und einer Galahochzeit. Ich will mich einmal wieder in
gelbem Atlas sehn, der mir kleidet, und haben wir dann erst unsren
Fackeltanz getanzt und Victoirens Strumpfband zerschnitten -- denn ein
wenig prinzeßlich werden wir's doch wohl halten müssen, schon um Tante
Margueritens willen -- nun so geb ich Ihnen _carte blanche_, Sie sind
dann wieder frei, frei wie der Vogel in der Luft, in Thun und Lassen, in
Haß und Liebe, denn es ist dann einfach geschehen, was geschehen
=mußte=.«

Schach schwieg.

»Ich nehme vorläufig ein stilles Verlöbniß an. Ueber alles andre werden
wir uns leicht verständigen. Wenn es sein muß, schriftlich. Aber die
Kranke wartet jetzt auf mich, und so verzeihen Sie.«

Frau von Carayon erhob sich und gleich danach verabschiedete sich Schach
in aller Förmlichkeit, ohne daß weiter ein Wort zwischen ihnen
gesprochen worden wäre.



Dreizehntes Kapitel.

»_Le choix du Schach._«


In beinah offner Gegnerschaft hatte man sich getrennt. Aber es ging
alles besser, als nach dieser gereizten Unterhaltung erwartet werden
konnte, wozu sehr wesentlich ein Brief beitrug, den Schach andern Tags
an Frau von Carayon schrieb. Er bekannte sich darin in allem Freimuth
schuldig, schützte, wie schon während des Gesprächs selbst,
Ueberraschung und Verwirrung vor, und traf in allen diesen Erklärungen
einen wärmeren Ton, eine herzlichere Sprache. Ja, sein Rechtsgefühl, dem
er ein Genüge thun wollte, ließ ihn vielleicht mehr sagen, als zu sagen
gut und klug war. Er sprach von seiner Liebe zu Victoiren und vermied
absichtlich oder zufällig all jene Versicherungen von Respekt und
Werthschätzung, die so bitter wehe thun, wo das einfache Geständniß
einer herzlichen Neigung gefordert wird. Victoire sog jedes Wort ein,
und als die Mama schließlich den Brief aus der Hand legte, sah diese
letztre nicht ohne Bewegung, wie zwei Minuten Glück ausgereicht hatten,
ihrem armen Kinde die Hoffnung, und =mit= dieser Hoffnung auch die
verlorene Frische zurückzugeben. Die Kranke strahlte, fühlte sich wie
genesen, und Frau von Carayon sagte: »wie hübsch Du bist, Victoire.«

Schach empfing am selben Tage noch ein Antwortsbillet, das ihm
unumwunden die herzliche Freude seiner alten Freundin ausdrückte.
Manches Bittre, was sie gesagt habe, mög er vergessen; sie habe sich,
lebhaft wie sie sei, hinreißen lassen. Im Uebrigen sei noch nichts
Ernstliches und Erhebliches versäumt, und wenn, dem Sprichworte nach,
aus Freude Leid erblühe, so kehre sich's auch wohl um. Sie sehe wieder
hell in die Zukunft und hoffe wieder. Was sie persönlich zum Opfer
bringe, bringe sie gern, wenn dies Opfer die Bedingung für das Glück
ihrer Tochter sei.

Schach, als er das Billet gelesen, wog es hin und her, und war
ersichtlich von einer gemischten Empfindung. Er hatte sich, als er in
seinem Briefe von Victoire sprach, einem ihr nicht leicht von irgendwem
zu versagenden, freundlich-herzlichen Gefühl überlassen, und diesem
Gefühle (dessen entsann er sich) einen besonders lebhaften Ausdruck
gegeben. Aber das, woran ihn das Billet seiner Freundin jetzt aufs neue
gemahnte, das war =mehr=, das hieß einfach Hochzeit, Ehe, Worte, deren
bloßer Klang ihn von alter Zeit her erschreckte. Hochzeit! Und Hochzeit
mit =wem=? Mit einer Schönheit, die, wie der Prinz sich auszudrücken
beliebt hatte, »durch ein Fegefeuer gegangen war.« »Aber,« so fuhr er in
seinem Selbstgespräche fort, »ich stehe nicht auf dem Standpunkte des
Prinzen, ich schwärme nicht für ›Läuterungsprozesse‹, hinsichtlich deren
nicht feststeht, ob der Verlust nicht größer ist als der Gewinn, und
wenn ich mich auch persönlich zu diesem Standpunkte bekehren könnte, so
bekehr ich doch nicht die Welt .... Ich bin rettungslos dem Spott und
Witz der Kameraden verfallen, und das Ridikül einer allerglücklichsten
›Land-Ehe‹, die wie das Veilchen im Verborgenen blüht, liegt in einem
wahren Musterexemplare vor mir. Ich sehe genau, wie's kommt: ich
quittire den Dienst, übernehme wieder Wuthenow, ackre, meliorire, ziehe
Raps oder Rübsen, und befleißige mich einer allerehelichsten Treue.
Welch Leben, welche Zukunft! An =einem= Sonntage Predigt, am =andern=
Evangelium oder Epistel, und dazwischen Whist _en trois_, immer mit
demselben Pastor. Und dann kommt einmal ein Prinz in die nächste Stadt,
vielleicht Prinz Louis in Person, und wechselt die Pferde, während ich
erschienen bin um am Thor oder am Gasthof ihm aufzuwarten. Und er
mustert mich und meinen altmodischen Rock und frägt mich: ›wie mir's
gehe?‹ Und dabei drückt jede seiner Mienen aus: ›O Gott, was doch drei
Jahr aus einem Menschen machen können.‹ Drei Jahr .... Und vielleicht
werden es dreißig.«

Er war in seinem Zimmer auf und abgegangen, und blieb vor einer
Spiegelkonsole stehen, auf der der Brief lag, den er während des
Sprechens bei Seite gelegt hatte. Zwei, drei mal hob er ihn auf und ließ
ihn wieder fallen. »Mein Schicksal. Ja, ›der Moment entscheidet.‹ Ich
entsinne mich noch, so schrieb sie damals. Wußte sie, was kommen würde?
=Wollte= sie's? O pfui, Schach, verunglimpfe nicht das süße Geschöpf.
Alle Schuld liegt bei =Dir=. Deine =Schuld= ist Dein Schicksal. Und ich
will sie tragen.«

Er klingelte, gab dem Diener einige Weisungen, und ging zu den Carayons.

Es war, als ob er sich durch das Selbstgespräch, das er geführt, von dem
Drucke, der auf ihm lastete, frei gemacht habe. Seine Sprache der alten
Freundin gegenüber war jetzt natürlich, beinah herzlich, und ohne daß
auch nur eine kleinste Wolke das wiederhergestellte Vertrauen der Frau
von Carayon getrübt hätte, besprachen beide was zu thun sei. Schach
zeigte sich einverstanden mit allem: in einer Woche Verlobung, und nach
drei Wochen die Hochzeit. Unmittelbar nach der Hochzeit aber sollte das
junge Paar eine Reise nach Italien antreten, und nicht vor Ablauf eines
Jahres in die Heimath zurückkehren, Schach nach der Hauptstadt, Victoire
nach Wuthenow, dem alten Familiengute, das ihr, von einem früheren
Besuche her, (als Schachs Mutter noch lebte) in dankbarer und
freundlicher Erinnerung war. Und war auch das =Gut= inzwischen in Pacht
gegeben, so war doch noch das =Schloß= da, stand frei zur Verfügung, und
konnte jeden Augenblick bezogen werden.

Nach Festsetzungen wie diesen, trennte man sich. Ein Sonnenschein lag
über dem Hause Carayon, und Victoire vergaß aller Betrübniß die
vorausgegangen war.

Auch Schach legte sich's zurecht. Italien wiederzusehen, war ihm seit
seinem ersten, erst um wenige Jahre zurückliegenden Aufenthalte
daselbst, ein brennender Wunsch geblieben; =der= erfüllte sich nun, und
kehrten sie dann zurück, so ließ sich ohne Schwierigkeit auch aus der
geplanten doppelten Wirthschaftsführung allerlei Nutzen und Vortheil
ziehen. Victoire hing an Landleben und Stille. Von Zeit zu Zeit nahm er
dann Urlaub und fuhr oder ritt hinüber. Und dann gingen sie durch die
Felder und plauderten. O, sie plauderte ja so gut, und war einfach und
espritvoll zugleich. Und nach abermals einem Jahr, oder einem zweiten
und dritten, je nun, da hatte sich's verblutet, da war es todt und
vergessen. Die Welt vergißt so leicht, und die Gesellschaft noch
leichter. Und dann hielt man seinen Einzug in das Eckhaus am
Wilhelmsplatz und freute sich beiderseits der Rückkehr in Verhältnisse,
die doch schließlich nicht blos seine, sondern auch =ihre= Heimath
bedeuteten. Alles war überstanden und das Lebensschiff an der Klippe des
Lächerlichen =nicht= gescheitert.

Armer Schach! Es war anders in den Sternen geschrieben.

Die Woche, die bis zur Verlobungsanzeige vergehen sollte, war noch nicht
um, als ihm ein Brief mit voller Titelaufschrift und einem großen rothen
Siegel ins Haus geschickt wurde. Den ersten Augenblick hielt er's für
ein amtliches Schreiben (vielleicht eine Bestallung) und zögerte mit dem
Oeffnen, um die Vorfreude der Erwartung nicht abzukürzen. Aber woher kam
es? von wem? Er prüfte neugierig das Siegel und erkannte nun leicht, daß
es überhaupt kein Siegel, sondern ein Gemmenabdruck sei. Sonderbar. Und
nun erbrach er's und ein Bild fiel ihm entgegen, eine radirte Skizze mit
der Unterschrift: _Le choix du Schach_. Er wiederholte sich das Wort,
ohne sich in ihm oder dem Bilde selbst zurecht finden zu können und
empfand nur ganz allgemein und aufs Unbestimmte hin etwas von Angriff
und Gefahr. Und wirklich, als er sich orientirt hatte, sah er, daß sein
erstes Gefühl ein richtiges gewesen war. Unter einem Thronhimmel saß der
persische Schach, erkennbar an seiner hohen Lammfellmütze, während an
der untersten Thronstufe zwei weibliche Gestalten standen und des
Augenblicks harrten, wo der von seiner Höhe her kalt und vornehm
Dreinschauende seine Wahl zwischen ihnen getroffen haben würde. Der
persische Schach aber war einfach =unser= Schach und zwar in
allerfrappantester Porträtähnlichkeit, während die beiden ihn fragend
anblickenden, und um vieles flüchtiger skizzirten Frauenköpfe,
wenigstens ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit
aller Leichtigkeit erkennen zu lassen. Also nicht mehr und nicht weniger
als eine Karrikatur. Sein Verhältniß zu den Carayons hatte sich in der
Stadt herumgesprochen und einer seiner Neider und Gegner, deren er nur
zu viel hatte, hatte die Gelegenheit ergriffen, seinem boshaften Gelüst
ein Genüge zu thun.

Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut stieg ihm zu Kopf, und es
war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.

Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Bewegung folgend, oder
vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht
abgeschossen sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu machen.
Begegnungen und Geplauder sollten ihn zerstreuen, ihm seine Ruhe
wiedergeben. Was war es denn schließlich? Ein kleinlicher Akt der Rache.

Die Frische draußen that ihm wohl; er athmete freier und hatte seine
gute Laune fast schon wiedergewonnen, als er vom Wilhelmsplatz her die
Linden einbiegend, auf die schattigere Seite der Straße hinüberging, um
hier ein paar Bekannte, die des Wegs kamen, anzusprechen. Sie vermieden
aber ein Gespräch und wurden sichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte
nonchalant und wenn nicht alles täuschte sogar mit hämischer Miene.
Schach sah ihm nach, und sann und überlegte noch, was die Suffisance des
einen und die verlegenen Gesichter der andern bedeutet haben mochten,
als er, einige Hundert Schritte weiter aufwärts, einer ungewöhnlich
großen Menschenmenge gewahr wurde, die vor einem kleinen Bilderladen
stand. Einige lachten, andre schwatzten, alle jedoch schienen zu fragen
»was es eigentlich sei?« Schach ging im Bogen um die Zuschauermenge
herum, warf einen Blick über ihre Köpfe weg, und wußte genug. An dem
Mittelfenster hing dieselbe Karrikatur, und der absichtlich niedrig
normirte Preis war mit Rothstift groß darunter geschrieben.

Also eine Verschwörung.

Schach hatte nicht die Kraft mehr seinen Spaziergang fortzusetzen, und
kehrte in seine Wohnung zurück.

Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow: »Lieber Sander. Eben
erhalte ich eine Karrikatur, die man auf Schach und die Carayonschen
Damen gemacht hat. Im Zweifel darüber, ob Sie dieselbe schon kennen,
schließ ich sie diesen Zeilen bei. Bitte, suchen Sie dem Ursprunge
nachzugehn. Sie wissen ja alles, und hören das Berliner Gras wachsen.
Ich meinerseits bin empört. =Nicht= Schachs halber, der diesen ›Schach
von Persien‹ einigermaßen verdient (denn er ist wirklich so was), aber
der Carayons halber. Die liebenswürdige Victoire! So blosgestellt zu
werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den Franzosen an, und an
ihrem Guten, wohin auch die Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr
B.«

Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das er kannte,
setzte sich an sein Pult und antwortete: »_Mon Général!_ Ich brauche dem
Ursprunge nicht nachzugehen, er ist =mir= nachgegangen. Vor etwa vier,
fünf Tagen erschien ein Herr in meinen Kontor und befragte mich, ob ich
mich dazu verstehen würde, den Vertrieb einiger Zeichnungen in die Hand
zu nehmen. Als ich sah, um was es sich handelte, lehnte ich ab. Es waren
drei Blätter, darunter auch _le choix du Schach_. Der bei mir
erschienene Herr gerirte sich als ein Fremder, aber er sprach, alles
gekünstelten Radebrechens unerachtet, das Deutsche so gut, daß ich seine
Fremdheit für eine bloße Maske halten mußte. Personen aus dem Prinz
R.schen Kreise, nehmen Anstoß an seinem Gelieble mit der Prinzessin, und
stecken vermuthlich dahinter. Irr ich aber in dieser Annahme, so wird
mit einer Art von Sicherheit auf Kameraden seines Regiments zu schließen
sein. Er ist nichts weniger als beliebt, wer den Aparten spielt, ist es
nie. Die Sache möchte hingehn, wenn nicht, wie Sie sehr richtig
hervorheben, die Carayons mit hineingezogen wären. Um =ihret=willen
beklag ich den Streich, dessen Gehässigkeit sich in diesem =einem= Bilde
schwerlich erschöpft haben wird. Auch die beiden andern, deren ich
Eingangs erwähnte, werden muthmaßlich folgen. Alles in diesem anonymen
Angriff ist klug berechnet, und klug berechnet ist auch der Einfall, das
Gift nicht gleich auf einmal zu geben. Es wird seine Wirkung nicht
verfehlen, und nur auf das ›wie‹ haben wir zu warten. _Tout à vous. S._«

In der That, die Besorgniß, die Sander in diesen Zeilen an Bülow
ausgesprochen hatte, sollte sich nur als zu gerechtfertigt erweisen.
Intermittirend wie das Fieber, erschienen in zweitägigen Pausen auch die
beiden andern Blätter, und wurden, wie das erste, von jedem
Vorübergehenden gekauft oder wenigstens begafft und besprochen. Die
Frage Schach-Carayon war über Nacht zu einer _cause celèbre_ geworden,
trotzdem das neubegierige Publikum nur die Hälfte wußte. Schach, so hieß
es, habe sich von der schönen Mutter ab- und der unschönen Tochter
zugewandt. Ueber das Motiv erging man sich in allerlei Muthmaßungen,
ohne dabei das Richtige zu treffen.

Schach empfing auch die beiden andern Blätter unter Kouvert. Das Siegel
blieb dasselbe. Blatt 2 hieß »_la gazza ladra_« oder die »diebische
=Schach=-Elster,« und stellte eine Elster dar, die, zwei Ringe von
ungleichem Werthe musternd, den unscheinbareren aus der Schmuckschale
nimmt.

Am weitaus verletzendsten aber berührte das den Salon der Frau von
Carayon als Szenerie nehmende dritte Blatt. Auf dem Tische stand ein
Schachbrett, dessen Figuren, wie nach einem verloren gegangenen Spiel
und wie um die Niederlage zu besiegeln, umgeworfen waren. Daneben saß
Victoire, gut getroffen, und ihr zu Füßen kniete Schach, wieder in der
persischen Mütze des ersten Bildes. Aber diesmal bezipfelt und
eingedrückt. Und darunter stand: »Schach -- matt.«

Der Zweck dieser wiederholten Angriffe wurde nur =zu= gut erreicht.
Schach ließ sich krank melden, sah niemand und bat um Urlaub, der ihm
auch umgehend von seinem Chef, dem Obersten von Schwerin, gewährt wurde.

So kam es, daß er am selben Tag, an dem, nach gegenseitigem Abkommen,
seine Verlobung mit Victoire veröffentlicht werden sollte, Berlin
verließ. Er ging auf sein Gut, ohne sich von den Carayons (deren Haus er
all die Zeit über nicht betreten hatte) verabschiedet zu haben.



Vierzehntes Kapitel.

In Wuthenow am See.


Es schlug Mitternacht, als Schach in Wuthenow eintraf, an dessen
entgegengesetzter Seite das auf einem Hügel erbaute, den Ruppiner See
nach rechts und links hin überblickende =Schloß= Wuthenow lag. In den
Häusern und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den
Ställen her hörte man noch das Stampfen eines Pferds oder das halblaute
Brüllen einer Kuh.

Schach passirte das Dorf und bog am Ausgang in einen schmalen Feldweg
ein, der, allmählich ansteigend, auf den Schloßhügel hinauf führte.
Rechts lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte Wiese, deren
Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß selbst aber war nichts als ein
alter, weißgetünchter und von einer schwarzgetheerten Balkenlage
durchzogener Fachwerkbau, dem erst Schachs Mutter, die »verstorbene
Gnädige«, durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige,
nach dem Muster von Sanssouci hergerichtete Terrasse, das Ansehen
allernüchternster Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt freilich, unter
dem Sternenschein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach
hielt öfters an und sah hinauf, augenscheinlich betroffen von der
Schönheit des Bildes.

Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrtsthor zu, das sich in einem
flachen Bogen zwischen dem Giebel des Schlosses und einem
danebenstehenden Gesindehause wölbte. Vom Hof her vernahm er im selben
Augenblick ein Bellen und Knurren und hörte, wie der Hund wüthend aus
seiner Hütte fuhr und mit seiner Kette nach rechts und links hin an der
Holzwandung umherschrammte.

»Kusch Dich, Hektor.« Und das Thier, die Stimme seines Herrn erkennend,
begann jetzt vor Freude zu heulen und zu winseln, und abwechselnd auf
die Hütte hinauf- und wieder hinunterzuspringen.

Vor dem Gesindehause stand ein Wallnußbaum mit weitem Gezweige. Schach
stieg ab, schlang den Zügel um den Ast, und klopfte halblaut an einen
der Fensterläden. Aber erst als er das zweite Mal gepocht hatte, wurd es
lebendig drinnen, und er hörte von dem Alkoven her eine halb
verschlafene Stimme: »Wat is?«

»Ich, Krist.«

»Jott, Mutter, dat's joa de junge Herr.«

»Joa, dat is hei. Steih man upp un mach flink.«

Schach hörte jedes Wort und rief gutmüthig in die Stube hinein, während
er den nur angelegten Laden halb öffnete: »Laß Dir Zeit, Alter.«

Aber der Alte war schon aus dem Bette heraus, und sagte nur immer,
während er hin und her suchte: »Glieks, junge Herr, glieks. Man noch en
beten.«

Und wirklich nicht lange, so sah Schach einen Schwefelfaden brennen, und
hörte, daß eine Laternenthür auf- und wieder zugeknipst wurde. Richtig,
ein erster Lichtschein blitzte jetzt durch die Scheiben, und ein paar
Holzpantinen klappten über den Lehmflur hin. Und nun wurde der Riegel
zurückgeschoben, und Krist, der in aller Eile nichts als ein leinenes
Beinkleid übergezogen hatte, stand vor seinem jungen Herrn. Er hatte vor
manchem Jahr und Tag, als der alte »Gnädge-Herr« gestorben war, den
durch diesen Todesfall erledigten Ehren- und Respektstitel auf seinen
jungen Herrn übertragen wollen, aber dieser, der mit Krist das erste
Wasserhuhn geschossen und die erste Bootfahrt über den See gemacht
hatte, hatte von dem neuen Titel nichts wissen wollen.

»Jott, junge Herr, sunst schrewens doch ümmer ihrst, o'r schicken uns
Baarsch'en o'r den kleenen inglischen Kierl. Un nu keen Wort nich. Awers
ick wußt' et joa, as de Poggen hüt Oabend mit ehr Gequoak nich to Enn'
koam' künn'n. ›Jei, jei, Mutter,‹ seggt ick, ›dat bedüt' wat.‹ Awers as
de Fruenslüd' sinn! Wat seggt se? ›Wat sall et bedüden?‹ seggt se,
›Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn uns' Tüffeln bruken't.‹«

»Ja, ja,« sagte Schach, der nur mit halbem Ohr hingehört hatte, während
der Alte die kleine Thür aufschloß, die von der Giebelseite her ins
Schloß führte. »Ja, ja. Regen ist gut. Aber geh nur vorauf.«

Krist that wie sein junger Herr ihm geheißen, und beide gingen nun einen
mit Fliesen gedeckten schmalen Korridor entlang. Erst in der Mitte
verbreiterte sich dieser und bildete nach links hin eine geräumige
Treppenhalle, während nach rechts hin eine mit Goldleisten und
Rokokoverzierungen reich ausgelegte Doppelthür in einen Gartensalon
führte, der als Wohn- und Empfangszimmer der verstorbenen Frau Generalin
von Schach, einer sehr vornehmen und sehr stolzen alten Dame gedient
hatte. Hierher richteten sich denn auch die Schritte beider, und als
Krist die halb verquollene Thür nicht ohne Müh und Anstrengung geöffnet
hatte, trat man ein.

Unter dem Vielen, was an Kunst- und Erinnerungsgegenständen in diesem
Gartensalon umherstand, war auch ein bronzener Doppelleuchter, den
Schach selber, vor drei Jahren erst, von seiner italienischen Reise mit
nach Hause gebracht und seiner Mutter verehrt hatte. Diesen Leuchter
nahm jetzt Krist vom Kamin und zündete die beiden Wachslichter an, die
seit lange schon in den Leuchtertellern steckten, und ihrerzeit der
verstorbenen Gnädigen zum Siegeln ihrer Briefe gedient hatten. Die
Gnädige selbst aber war erst seit einem Jahre todt, und da Schach, von
jener Zeit an, nicht wieder hier gewesen war, so hatte noch alles den
alten Platz. Ein paar kleine Sophas standen wie früher an den
Schmalseiten einander gegenüber, während zwei größere die Mitte der
Längswand einnahmen und nichts als die vergoldete Rokoko-Doppelthür
zwischen sich hatten. Auch der runde Rosenholztisch (ein Stolz der
Generalin) und die große Marmorschale, darin alabasterne Weintrauben und
Orangen und ein Pinienapfel lagen, standen unverändert an ihrem Platz.
In dem ganzen Zimmer aber, das seit lange nicht gelüftet war, war eine
stickige Schwüle.

»Mach ein Fenster auf,« sagte Schach. »Und dann gieb mir eine Decke. Die
da.«

»Wullen's sich denn =hier= hen leggen, junge Herr?«

»Ja, Krist. Ich habe schon schlechter gelegen.«

»Ick weet. Jott, wenn de oll jnädge Herr uns =doa=vunn vertellen deih!
Uemmer so platsch in'n Kalkmodder 'rin. Nei, nei, dat wihr nix för mi.
›Jott, jnädge Herr,‹ seggt ick denn ümmer, ›ick gloob de Huut geit em
runner‹. Awers denn lachte joa de oll jnädge Herr ümmer, un seggte:
›Nei, Krist, =uns'= Huut sitt fast.‹«

Während der Alte noch so sprach und vergangener Zeiten gedachte, griff
er zugleich doch nach einem breiten, aus Rohr geflochtenen Ausklopfer,
der in einer Kaminecke stand, und versuchte damit das eine Sopha, das
sich Schach als Lagerstätt ausgewählt hatte, wenigstens aus dem Gröbsten
herauszubringen. Aber der dichte Staub, der aufstieg, zeigte nur das
Vergebliche solcher Bemühungen, und Schach sagte mit einem Anfluge von
guter Laune: »Störe den Staub nicht in seinem Frieden.« Und erst als
er's gesprochen hatte, fiel ihm der Doppelsinn darin auf, und er
gedachte der Eltern, die drunten in der Dorfkirche in großen
Kupfersärgen und mit einem aufgelötheten Kruzifix darauf in der alten
Gruft der Familie standen.

Aber er hing dem Bilde nicht weiter nach und warf sich aufs Sopha.
»Meinem Schimmel gieb ein Stück Brod und einen Eimer Wasser; dann hält
er aus bis morgen. Und nun stelle das Licht ans Fenster und laß es
brennen .... Nein, nicht da, nicht ans offene; an das daneben. Und nun
gute Nacht, Krist. Und schließe von außen zu, daß sie mich nicht
wegtragen.«

»Ih, se wihren doch nich ....«

Und Schach hörte bald darnach die Pantinen, wie sie den Korridor
hinunterklappten. Ehe Krist aber die Giebelthür noch erreicht, und von
außen her zugeschlossen haben konnte, legte sich's schon schwer und
bleiern auf seines Herrn überreiztes Gehirn.

Freilich nicht auf lang. Aller auf ihm lastenden Schwere zum Trotz,
empfand er deutlich, daß etwas über ihn hinsumme, ihn streife und
kitzle, und als ein sich Drehen und Wenden und selbst ein
unwillkürliches und halbverschlafenes Umherschlagen mit der Hand nichts
helfen wollte, riß er sich endlich auf und zwang sich ins Wachen zurück.
Und nun sah er, was es war. Die beiden eben verschweelenden Lichter, die
mit ihrem Qualme die schon stickige Luft noch stickiger gemacht hatten,
hatten allerlei Gethier vom Garten her in das Zimmer gelockt, und nur
über Art und Beschaffenheit desselben war noch ein Zweifel. Einen
Augenblicke dacht er an Fledermäuse; sehr bald aber mußt er sich
überzeugen, daß es einfach riesige Motten und Nachtschmetterlinge waren,
die zu ganzen Dutzenden in dem Saale hin und her flogen, an die Scheiben
stießen und vergeblich das offene Fenster wieder zu finden suchten.

Er raffte nun die Decke zusammen und schlug mehrmals durch die Luft, um
die Störenfriede wieder hinauszujagen. Aber das unter diesem Jagen und
Schlagen immer nur ängstlicher werdende Geziefer schien sich zu
verdoppeln und summte nur dichter und lauter als vorher um ihn herum. An
Schlaf war nicht mehr zu denken, und so trat er denn ans offene Fenster
und sprang hinaus, um, draußen umhergehend, den Morgen abzuwarten.

Er sah nach der Uhr. Halb zwei. Die dicht vor dem Salon gelegene
Gartenanlage bestand aus einem Rondeel mit Sonnenuhr, um das herum, in
meist dreieckigen und von Buchsbaum eingefaßten Beeten, allerlei
Sommerblumen blühten: Reseda und Rittersporn und Lilien und Levkojen.
Man sah leicht, daß eine ordnende Hand hier neuerdings gefehlt hatte,
trotzdem Krist zu seinen vielfachen Aemtern auch das eines Gärtners
zählte; die Zeit indeß, die seit dem Tode der Gnädigen vergangen war,
war andrerseits eine viel zu kurze noch, um schon zu vollständiger
Verwilderung geführt zu haben. Alles hatte nur erst den Charakter eines
wuchernden Blühens angenommen, und ein schwerer und doch zugleich auch
erquicklicher Levkojenduft lag über den Beeten, den Schach in immer
volleren Zügen einsog.

Er umschritt das Rondeel, einmal, zehnmal, und balancirte, während er
einen Fuß vor den andern setzte, zwischen den nur handbreiten Stegen
hin. Er wollte dabei seine Geschicklichkeit proben und die Zeit mit
guter Manier hinter sich bringen. Aber diese Zeit wollte nicht
schwinden, und als er wieder nach der Uhr sah, war erst eine
Viertelstunde vergangen.

Er gab nun die Blumen auf und schritt auf einen der beiden Laubengänge
zu, die den großen Parkgarten flankirten und von der Höhe bis fast an
den Fuß des Schloßhügels herniederstiegen. An mancher Stelle waren die
Gänge nach obenhin überwachsen, an andern aber offen, und es unterhielt
ihn eine Weile den abwechselnd zwischen Dunkel und Licht liegenden Raum
in Schritten auszumessen. Ein paarmal erweiterte sich der Gang zu
Nischen und Tempelrundungen, in denen allerhand Sandsteinfiguren
standen: Götter und Göttinnen, an denen er früher viele hundertmale
vorübergegangen war, ohne sich auch nur im geringsten um sie zu kümmern
oder ihrer Bedeutung nachzuforschen; heut aber blieb er stehn und freute
sich besonders aller derer, denen die Köpfe fehlten, weil sie die
dunkelsten und unverständlichsten waren, und sich am schwersten errathen
ließen. Endlich war er den Laubengang hinunter, stieg ihn wieder hinauf
und wieder hinunter und stand nun am Dorfausgang und hörte daß es zwei
schlug. Oder bedeuteten die beiden Schläge halb? War es halb drei? Nein,
es war erst zwei.

Er gab es auf, das Auf und Nieder seiner Promenade noch weiter
fortzusetzen und beschrieb lieber einen Halbkreis um den Fuß des
Schloßhügels herum, bis er in Front des Schlosses selber war. Und nun
sah er hinauf, und sah die große Terrasse, die von Orangeriekübeln und
Cypressenpyramiden eingefaßt, bis dicht an den See hinunterführte. Nur
ein schmal Stück Wiese lag noch dazwischen, und auf eben dieser Wiese
stand eine uralte Eiche, deren Schatten Schach jetzt umschritt, einmal,
vielemal, als würd er in ihrem Bann gehalten. Es war ersichtlich, daß
ihn der Kreis, in dem er ging, an einen andern Kreis gemahnte, denn er
murmelte vor sich hin: könnt' ich heraus!

Das Wasser, das hier so verhältnißmäßig nah an die Schloßterrasse
herantrat, war ein bloßer todter Arm des Sees, nicht der See selbst. Auf
diesen See hinauszufahren aber war in seinen Knabenjahren immer seine
höchste Wonne gewesen.

»Ist ein Boot da, so fahr ich.« Und er schritt auf den Schilfgürtel zu,
der die tief einmündende Bucht von drei Seiten her einfaßte. Nirgends
schien ein Zugang. Schließlich indeß fand er einen überwachsenen Steg,
an dessen Ende das große Sommerboot lag, das seine Mama viele Jahre lang
benutzt hatte, wenn sie nach Karwe hinüberfuhr, um den Knesebecks einen
Besuch zu machen. Auch Ruder und Stangen fanden sich, während der flache
Boden des Boots, um einen trockenen Fuß zu haben, mit hochaufgeschüttetem
Binsenstroh überdeckt war. Schach sprang hinein, löste die
Kette vom Pflock und stieß ab. Irgend welche Ruderkünste zu
zeigen war ihm vor der Hand noch unmöglich, denn das Wasser war so
seicht und schmal, daß er bei jedem Schlage das Schilf getroffen haben
würde. Bald aber verbreiterte sichs und er konnte nun die Ruder
einlegen. Eine tiefe Stille herrschte; der Tag war noch nicht wach, und
Schach hörte nichts als ein leises Wehen und Rauschen und den Ton des
Wassers, das sich glucksend an dem Schilfgürtel brach. Endlich aber war
er in dem großen und eigentlichen See, durch den der Rhin fließt, und
die Stelle, wo der Strom ging, ließ sich an einem Gekräusel der sonst
spiegelglatten Fläche deutlich erkennen. In diese Strömung bog er jetzt
ein, gab dem Boote die rechte Richtung, legte sich und die Ruder ins
Binsenstroh und fühlte sofort, wie das Treiben und ein leises Schaukeln
begann.

Immer blasser wurden die Sterne, der Himmel röthete sich im Osten und er
schlief ein.

Als er erwachte, war das mit dem Strom gehende Boot schon weit über die
Stelle hinaus, wo der todte Arm des Sees nach Wuthenow hin abbog. Er
nahm also die Ruder wieder in die Hand und legte sich mit aller Kraft
ein, um aus der Strömung heraus und an die verpaßte Stelle
zurückzukommen, und freute sich der Anstrengung die es ihn kostete.

Der Tag war inzwischen angebrochen. Ueber dem First des Wuthenower
Herrenhauses hing die Sonne, während drüben am andern Ufer die Wolken im
Widerschein glühten und die Waldstreifen ihren Schatten in den See
warfen. Auf dem See selbst aber begann es sich zu regen, und ein die
Morgenbrise benutzender Torfkahn glitt mit ausgespanntem Segel an Schach
vorüber. Ein Frösteln überlief diesen. Aber dies Frösteln that ihm wohl,
denn er fühlte deutlich, wie der Druck, der auf ihm lastete, sich dabei
minderte. »Nahm er es nicht zu schwer? Was war es denn am Ende? Bosheit
und Uebelwollen. Und wer kann sich =dem= entziehn! Es kommt und geht.
Eine Woche noch, und die Bosheit hat sich ausgelebt.« Aber während er so
sich tröstete, zogen auch wieder andre Bilder herauf, und er sah sich in
einem Kutschwagen bei den prinzlichen Herrschaften vorfahren, um ihnen
Victoire von Carayon als seine Braut vorzustellen. Und er hörte
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter, der schönen
Radziwill, zuflüsterte: »_Est-elle riche?_« »_Sans doute._« »_Ah, je
comprends._«

Unter so wechselnden Bildern und Betrachtungen bog er wieder in die kurz
vorher so stille Bucht ein, in deren Schilf jetzt ein buntes und
bewegtes Leben herrschte. Die darin nistenden Vögel kreischten oder
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wildente, die sich
neugierig umsah, tauchte nieder, als das Boot plötzlich in Sicht kam.
Eine Minute später, und Schach hielt wieder am Steg, schlang die Kette
fest um den Pflock, und stieg unter Vermeidung jedes Umwegs die Terrasse
hinauf, auf deren oberstem Absatz er Krists Frau, der alten Mutter
Kreepschen begegnete, die schon auf war, um ihrer Ziege das erste
Grünfutter zu bringen.

»Tag, Mutter Kreepschen.«

Die Alte schrak zusammen, ihren drinnen im Gartensalon vermutheten
jungen Herrn (um dessentwillen sie die Hühner nicht aus dem Stall
gelassen hatte, bloß damit ihr Gackern ihn nicht im Schlafe stören
sollte) jetzt von der Frontseite des Schlosses her auf sich zukommen zu
sehn.

»Jott, junge Herr. Wo kümmen's denn her?«

»Ich konnte nicht schlafen, Mutter Kreepschen.«

»Wat wihr denn los? Hätt et wedder spökt?«

»Beinah. Mücken und Motten waren's. Ich hatte das Licht brennen lassen.
Und der eine Fensterflügel war auf.«

»Awers worümm hebbens denn dat Licht nich utpuust? Dat weet doch
jed-een, wo Licht is, doa sinn ook ümmer Gnitzen un Motten. Ick weet
nich! Un mien oll Kreepsch, he woahrd ook ümmer dümmscher. Jei, jei. Un
nich en Oog to.«

»Doch, Mutter Kreepschen. Ich habe geschlafen, im Boot, und ganz gut und
ganz fest. Aber jetzt frier ich. Und wenns Feuer brennt, dann bringt Ihr
mir wohl was Warmes. Nicht wahr? 'Ne Suppe oder 'nen Kaffee.«

»Jott, et brennt joa all lang, junge Herr; Füer is ümmer dat ihrst.
Versteiht sich, versteiht sich, wat Warm's. Un ick bring et ook glieks;
man blot de oll Zick, de geiht för. Se jloben joar nich, junge Herr, wie
schabernacksch so'n oll' Zick' is. De weet, as ob se 'ne Uhr in'n Kopp
hätt, ob et feif is o'r söss. Un wenn't söss is, denn wohrd se falsch.
Un kumm ick denn un will ehr melken, joa, wat jloben se woll, wat se
denn deiht? Denn stött se mi. Un ümmer hier in't Krüz, dicht bi de
Hüft'. Un worümm? Wiel se weet, dat ick doa miene Wehdag hebben deih.
Awers nu kummen's man ihrst in uns Stuw, un setten sich en beten dahl.
Mien oll Kreepsch is joa nu groad bie't Pierd und schütt't em wat in.
Awers keen Viertelstunn mihr, junge Herr, denn hebben's ehren Koffe. Un
ook wat dato. De oll Semmelfru von Herzberg wihr joa all hier.«

Unter diesen Worten war Schach in Kreepschens gute Stube getreten. Alles
darin war sauber und rein, nur die Luft nicht. Ein eigenthümlicher
Geruch herrschte vor, der von einem Pfeffer- und Koriander-Mixtum
herrührte, das die Kreepschen als Mottenvertreibungsmittel in die
Sophaecken gesteckt hatte. Schach öffnete deshalb das Fenster, kettelte
den Haken ein, und war nun erst im Stande, sich all der Kleinigkeiten zu
freun, die die »gute Stube« schmückten. Ueber dem Sopha hingen zwei
kleine Kalenderbildchen, Anekdoten aus dem Leben des Großen Königs
darstellend, »Du, du« stand unter dem einen, und »_Bon soir, Messieurs_«
unter dem andern. Um die Bilderchen und ihre Goldborte herum hingen zwei
dicke Immortellenkränze mit schwarzen und weißen Schleifen daran,
während auf dem kleinen, niedrigen Ofen eine Vase mit Zittergras stand.
Das Hauptschmuckstück aber war ein Schilderhäuschen mit rothem Dach, in
dem früher, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Eichkätzchen gehaust und
seinen Futterwagen an der Kette herangezogen hatte. Jetzt war es leer,
und der Wagen hatte stille Tage.

Schach war eben mit seiner Musterung fertig, als ihm auch schon gemeldet
wurde »daß drüben alles klar sei.«

Und wirklich, als er in den Gartensalon eintrat, der ihm ein Nachtlager
so beharrlich verweigert hatte, war er überrascht, was Ordnungssinn und
ein paar freundliche Hände mittlerweile daraus gemacht hatten. Thür und
Fenster standen auf, die Morgensonne füllte den Raum mit Licht und aller
Staub war von Tisch und Sopha verschwunden. Einen Augenblick später
erschien auch schon Krists Frau mit dem Kaffee, die Semmeln in einen
Korb gelegt, und als Schach eben den Deckel von der kleinen Meißner
Kanne heben wollte, klangen vom Dorfe her die Kirchenglocken herauf.

»Was ist denn =das=?« fragte Schach. »Es kann ja kaum sieben sein.«

»Justement sieben, junge Herr.«

»Aber sonst war es doch erst um elf. Und um zwölfe dann Predigt.«

»Joa, so wihr et. Awers nu nich mihr. Un ümmer den dritt'n Sünndag is et
anners. Twee Sünndag', wenn de Radenslebensche kümmt, denn is't um
twölwen, wiel he joa ihrst in Radensleben preestern deiht, awers den
dritten Sünndag, wenn de oll Ruppinsche röwer kümmt, denn is et all um
achten. Un ümmer, wenn uns oll Kriwitz von sine Thurmluk' ut unsen
Ollschen von dröwen abstötten seiht, denn treckt he joa sien Klock. Und
dat's ümmer um seb'n.«

»Wie heißt denn jetzt der Ruppinsche?«

»Na, wie sall he heten? He heet ümmer noch so. Is joa ümmer noch de oll
Bienengräber.«

»Bei dem bin ich ja eingesegnet. War immer ein sehr guter Mann.«

»Joa, dat is he. Man blot, he hett keene Teihn mihr, ook nich een', un
nu brummelt un mummelt he ümmerto, un keen Minsch versteiht em.«

»Das ist gewiß nicht so schlimm, Mutter Kreepschen. Aber die Leute haben
immer was auszusetzen. Und nun gar erst die Bauern! Ich will hingehen
und mal wieder nachsehen, was mir der alte Bienengräber zu sagen hat,
mir und den andern. Hat er denn noch in seiner Stube das große Hufeisen,
dran ein Zehnpfundgewicht hing? Das hab ich mir immer angesehn, wenn ich
nicht aufpaßte.«

»Dat woahrd he woll noch hebben. De Jungens passen joa all nich upp.«

Und nun ging sie, um ihren jungen Herrn nicht länger zu stören, und
versprach ihm ein Gesangbuch zu bringen.

Schach hatte guten Appetit und ließ sich die Herzberger Semmeln
schmecken. Denn seit er Berlin verlassen, war noch kein Bissen über
seine Lippen gekommen. Endlich aber stand er auf, um in die Gartenthür
zu treten und sah von hier aus über das Rondeel und die
Buchsbaumrabatten und weiter dahinter über die Baumwipfel des Parkes
fort, bis sein Auge schließlich auf einem sonnenbeschienenen
Storchenpaar ausruhte, das unten, am Fuße des Hügels, über eine mit
Ampfer und Ranunkel roth und gelb gemusterte Wiese hinschritt.

Er verfiel im Anblicke dieses Bildes in allerlei Betrachtungen; aber es
läutete gerade zum dritten Mal, und so ging er denn ins Dorf hinunter,
um, von dem herrschaftlichen Chorstuhl aus zu hören, »was ihm der alte
Bienengräber zu sagen habe.«

Bienengräber sprach gut genug, so recht aus dem Herzen und der Erfahrung
heraus, und als der letzte Vers gesungen und die Kirche wieder leer war,
wollte Schach auch wirklich in die Sakristei gehen, dem Alten danken für
manches gute Wort aus längst vergangener Zeit her, und ihn in seinem
Boot über den See hin zurückbegleiten. Unterwegs aber wollt er ihm alles
sagen, ihm beichten, und seinen Rath erbitten. Er würde schon Antwort
wissen. Das Alter sei allemal weise, und wenn nicht von Weisheits-, so
doch bloß schon von Alters wegen. »Aber,« unterbrach er sich mitten in
diesem Vorsatze, »was soll mir schließlich seine Antwort? hab ich diese
Antwort nicht schon vorweg? hab ich sie nicht in mir selbst? Kenn ich
nicht die Gebote? Was mir fehlt, ist bloß die Lust, ihnen zu gehorchen.«

Und während er so vor sich hinredete, ließ er den Plan eines
Zwiegesprächs fallen, und stieg den Schloßberg wieder hinauf.

Er hatte von dem Gottesdienst in der Kirche nichts abgehandelt, und
=doch= schlug es erst zehn, als er wieder oben anlangte.

Hier ging er jetzt durch alle Zimmer, einmal, zweimal, und sah sich die
Bilder aller der Schachs an, die zerstreut und in Gruppen an den Wänden
umherhingen. Alle waren in hohen Stellungen in der Armee gewesen, alle
trugen sie den Schwarzen Adler oder den Pour le Merite. =Das= hier war
der General, der bei Malplaquet die große Redoute nahm, und =das= hier
war das Bild seines eigenen Großvaters, des Obersten im Regiment
Itzenplitz, der den Hochkirchner Kirchhof mit vierhundert Mann eine
Stunde lang gehalten hatte. Schließlich fiel er, zerhauen und
zerschossen, wie alle die, die mit ihm waren. Und dazwischen hingen die
Frauen, einige schön, am schönsten aber seine Mutter.

Als er wieder in dem Gartensalon war, schlug es zwölf. Er warf sich in
die Sopha-Ecke, legte die Hand über Aug und Stirn und zählte die
Schläge. »Zwölf. Jetzt bin ich zwölf Stunden hier, und mir ist als wären
es zwölf Jahre .... Wie wird es sein? Alltags die Kreepschen, und
Sonntags Bienengräber oder der Radenslebensche, was keinen Unterschied
macht. Einer wie der andre. Gute Leute, versteht sich, alle gut .... Und
dann geh ich mit Victoire durch den Garten, und aus dem Park auf die
Wiese, dieselbe Wiese, die wir vom Schloß aus immer und ewig und ewig
und immer sehn, und auf der der Ampfer und die Ranunkeln blühn. Und
dazwischen spazieren die Störche. Vielleicht sind wir allein; aber
vielleicht läuft auch ein kleiner Dreijähriger neben uns her und singt
in einem fort: ›Adebaar, Du Bester, bring mir eine Schwester.‹ Und meine
Schloßherrin erröthet und wünscht sich das Schwesterchen =auch=. Und
endlich sind elf Jahre herum, und wir halten an der ›ersten Station,‹ an
der ersten Station, die die ›stroherne Hochzeit‹ heißt. Ein sonderbares
Wort. Und dann ist auch allmählich die Zeit da, sich malen zu lassen,
malen zu lassen für die Galerie. Denn wir dürfen doch am Ende nicht
fehlen! Und zwischen die Generäle rück ich dann als Rittmeister ein, und
zwischen die schönen Frauen kommt Victoire. Vorher aber hab ich eine
Konferenz mit dem Maler und sag ihm: ›Ich rechne darauf, daß Sie den
=Ausdruck= zu treffen wissen. Die Seele macht ähnlich.‹ Oder soll ich
ihm geradezu sagen: ›machen Sie's gnädig‹.... Nein, nein!«



Fünfzehntes Kapitel.

Die Schachs und die Carayons.


Was immer geschieht, geschah auch diesmal: die Carayons erfuhren nichts
von dem, was die halbe Stadt wußte. Dienstag, wie gewöhnlich, erschien
Tante Marguerite, fand Victoiren »um dem Kinn etwas spitz« und warf im
Laufe der Tischunterhaltung hin: »Wißt Ihr denn schon, es sollen ja
Karrikatüren erschienen sein?«

Aber dabei blieb es, da Tante Marguerite jenen alten Gesellschaftsdamen
zuzählte, die nur immer von allem »gehört haben«, und als Victoire
fragte: »=was= denn, liebe Tante?« wiederholte sie nur: »Karrikatüren,
liebes Kind. Ich weiß es ganz genau.« Und damit ließ man den
Gesprächsgegenstand fallen.

Es war gewiß ein Glück für Mutter und Tochter, daß sie von den Spott-
und Zerrbildern, deren Gegenstand sie waren, nichts in Erfahrung
brachten; aber für den =Dritt=betheiligten, für Schach, war es ebenso
gewiß ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfnisse. Hätte Frau von
Carayon, als deren schönster Herzenszug ein tiefes Mitgefühl gelten
konnte, nur die kleinste Vorstellung von all dem Leid gehabt, das, die
ganze Zeit über, über ihren Freund ausgeschüttet worden war, so würde
sie von der ihm gestellten Forderung zwar nicht Abstand genommen, aber
ihm doch Aufschub gewährt und Trost und Theilnahme gespendet haben; ohne
jede Kenntniß jedoch von dem, was inzwischen vorgefallen war, aigrirte
sie sich gegen Schach immer mehr und erging sich von dem Augenblick
an, wo sie von seinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr, über seinen
»Wort- und Treubruch«, als den sie's ansah, in den heftigsten und
unschmeichelhaftesten Ausdrücken.

Es war sehr bald, daß sie von diesem Rückzuge hörte. Denselben Abend
noch, an dem Schach seinen Urlaub angetreten hatte, ließ sich
Alvensleben bei den Carayons melden. Victoire, der jede Gesellschaft
peinlich war, zog sich zurück, Frau von Carayon aber ließ bitten und
empfing ihn mit besondrer Herzlichkeit.

»Daß ich Ihnen sagen könnte, lieber Alvensleben, wie sehr ich mich
freue, Sie nach so vielen Wochen einmal wieder zu sehen. Eine Welt von
Dingen hat sich seitdem zugetragen. Und ein Glück, daß Sie standhaft
blieben, als man Ihnen den Luther aufzwingen wollte. Das hätte mir Ihr
Bild ein für allemal verdorben.«

»Und doch, meine Gnädigste, schwankt' ich einen Augenblick, ob ich
ablehnen sollte.«

»Und weshalb?«

»Weil unser beiderseitiger Freund unmittelbar =vor=her abgelehnt hatte.
Nachgerade widersteht es mir, immer wieder und wieder in seine Fußtapfen
zu treten. Giebt es ihrer doch ohnehin schon genug, die mich einfach als
seinen Abklatsch bezeichnen, an der Spitze Zieten, der mir erst neulich
wieder zurief: ›Hüten Sie sich, Alvensleben, daß Sie nicht als
Schach II. in die Rang- und Quartierliste kommen‹.«

»Was nicht zu befürchten steht. Sie sind eben doch anders.«

»Aber nicht besser.«

»Wer weiß.«

»Ein Zweifel, der mich aus dem Munde meiner schönen Frau von Carayon
einigermaßen überrascht, und unsrem verwöhnten Freunde, wenn er davon
hörte, seine Wuthenower Tage vielleicht verleiden würde.«

»Seine Wuthenower Tage?«

»Ja, meine Gnädigste. Mit unbestimmtem Urlaub. Und Sie wissen nicht
davon? Er wird sich doch nicht ohne vorgängigen Abschied von Ihnen in
sein altes Seeschloß zurückgezogen haben, von dem Nostitz neulich
behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb Romantik sei.«

»Und doch ist es geschehen. Er ist launenhaft, wie Sie wissen.« Sie
wollte mehr sagen, aber es gelang ihr, sich zu bezwingen und das
Gespräch über allerhand Tagesneuigkeiten fortzusetzen, bei welcher
Gelegenheit Alvensleben zu seiner Beruhigung wahrnahm, daß sie von der
Haupttagesneuigkeit, von dem Erscheinen der Bilder, nicht das Geringste
wußte. Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der
zwischenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick in den Sinn
gekommen, etwas Näheres über das von dem Tantchen Angedeutete hören zu
wollen.

Endlich empfahl sich Alvensleben, und Frau von Carayon, alles Zwanges
nunmehr los und ledig, eilte, während Thränen ihren Augen entstürzten,
in Victoirens Zimmer, um ihr die Mittheilung von Schachs Flucht zu
machen. Denn eine Flucht war es.

Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre Hoffnung und Zuversicht
oder umgekehrt ihre Resignation war, gleichviel, sie blieb ruhig.

»Ich bitte Dich, urtheile nicht zu früh. Ein Brief von ihm wird
eintreffen und über alles Aufklärung geben. Laß es uns abwarten; Du
wirst sehn, daß Du Deinem Verdacht und Deiner Verstimmung gegen ihn mehr
nachgegeben hast, als recht und billig war.«

Aber Frau von Carayon wollte sich nicht umstimmen lassen.

»Ich kannt ihn schon, als Du noch ein Kind warst. Nur zur gut. Er ist
eitel und hochfahrend, und die prinzlichen Höfe haben ihn vollends
überschraubt. Er verfällt mehr und mehr ins Ridiküle. Glaube mir, er
will Einfluß haben und zieht sich im Stillen irgend einen politischen
oder gar staatsmännischen Ehrgeiz groß. Was mich aber am meisten
verdrießt, ist das, er hat sich auch plötzlich auf seinen Obotritenadel
besonnen, und fängt an sein Schach- oder Schachenthum für etwas ganz
Besondres in der Weltgeschichte zu halten.«

»Und thut damit nicht mehr, als was =alle= thun .... Und die Schachs
sind doch =wirklich= eine alte Familie.«

»Daran mag er denken und das Pfauenrad schlagen, wenn er über seinen
Wuthenower Hühnerhof hingeht. Und solche Hühnerhöfe giebt es hier
überall. Aber was soll =uns= das? Oder zum wenigsten was soll es =Dir=? An
mir hätt er vorbeistolzieren und der bürgerlichen Generalpächterstochter,
der kleinen Roturière, den Rücken kehren können. Aber Du
Victoire, Du; Du bist nicht blos meine Tochter, Du bist auch
Deines Vaters Tochter, Du bist eine =Carayon=!«

Victoire sah die Mama mit einem Anfluge schelmischer Verwunderung an.

»Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dir's nicht. Hast Du mich
doch selber oft genug über diese Dinge lachen sehen. Aber, meine süße
Victoire, die Stunden sind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem Vater
ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in seinem Adelsstolze, mit dem
er mich zur Verzweiflung gebracht und aus seiner Nähe hinweg gelangweilt
hat, eine willkommene Waffe gegen diesen mir unerträglichen Dünkel in
die Hand giebt. Schach, Schach! Was ist Schach? Ich kenn ihre Geschichte
nicht und =will= sie nicht kennen, aber ich wette diese meine Broche
gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das ganze Geschlecht auf die
Tenne wirfst, da, wo der Wind am schärfsten geht, daß nichts übrig
bleibt, sag ich, als ein halbes Dutzend Obersten und Rittmeister, alle
devotest erstorben und alle mit einer Pontaknase. Lehre mich =diese=
Leute kennen!«

»Aber, Mama ....«

»Und nun die Carayons! Es ist wahr, ihre Wiege hat nicht an der Havel
und nicht einmal an der Spree gestanden, und weder im Brandenburger noch
im Havelberger Dom ist je geläutet worden, wenn einer von ihnen kam oder
ging. _Oh, ces pauvres gens, ces malheureux Carayon!_ Sie hatten ihre
Schlösser, beiläufig =wirkliche= Schlösser, so blos armselig an der
Gironde hin, waren blos Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern
fielen unter der Guillotine, weil sie treu und frei zugleich waren und
uneingeschüchtert durch das Geschrei des Berges für das Leben ihres
Königs gestimmt hatten.«

Immer verwunderter folgte Victoire.

»Aber,« fuhr Frau von Carayon fort, »ich will nicht von
Jüngstgeschehenem sprechen, will nicht sprechen von =heute=. Denn ich
weiß wohl, das von Heutesein ist immer ein Verbrechen in den Augen
derer, die schon gestern da waren, gleichviel =wie=. Nein, ich will von
alten Zeiten sprechen, von Zeiten, als der erste Schach ins Land und an
den Ruppiner See kam, und einen Wall und Graben zog, und eine
lateinische Messe hörte, von der er nichts verstand. Eben damals zogen
die Carayons, _ces pauvres et malheureux Carayon_, mit vor Jerusalem und
eroberten es und befreiten es. Und als sie heimkamen, da kamen Sänger an
ihren Hof, und sie sangen selbst, und als Victoire de Carayon (ja sie
hieß auch Victoire) sich dem großen Grafen von Lusignan vermählte,
dessen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens vom Spital und
endlich König von Cypern war, da waren wir mit einem Königshause
versippt und verschwägert, mit den Lusignans, aus deren großem Hause die
schöne Melusine kam, unglücklichen aber Gott sei Dank unprosaischen
Angedenkens. Und von uns Carayons, die wir ganz andere Dinge gesehn
haben, will sich dieser Schach abwenden und sich hochmüthig zurückziehn?
=Unsrer= will er sich schämen? Er, Schach. Will er es als Schach, oder
will er es als Grundherr von Wuthenow? Ah, bah! Was ist es denn mit
beiden? Schach ist ein blauer Rock mit einem rothen Kragen, und Wuthenow
ist eine Lehmkathe.«

»Mama, glaube mir, Du thust ihm Unrecht. Ich such es nach einer andern
Seite hin. Und da =find= ich es auch.«

Frau von Carayon beugte sich zu Victoire nieder und küßte sie
leidenschaftlich. »Ach, wie gut Du bist, viel viel besser, als Deine
Mama. Und nur =Eines= ist gut an ihr, daß sie Dich liebt. Er aber sollte
Dich =auch= lieben! Schon um Deiner Demuth willen.«

Victoire lächelte.

»Nein, nicht so. Der Glaube, daß Du verarmt und ausgeschieden seiest,
beherrscht Dich mit der Macht einer fixen Idee. Du =bist= nicht so
verarmt. Und auch er ....«

Sie stockte.

»Sieh, Du warst ein schönes Kind, und Alvensleben hat mir erzählt, in
welch enthusiastischen Worten der Prinz erst neulich wieder von Deiner
Schönheit auf dem Massowschen Balle gesprochen habe. Das ist nicht hin,
davon blieb Dir, und jeder muß es finden, der ihm liebevoll in Deinen
Zügen nachzugehen den Sinn und das Herz hat. Und wenn wer dazu
verpflichtet ist, so ist =er='s! Aber er sträubt sich, denn so hautain
er ist, so konventionell ist er. Ein kleiner ängstlicher Aufmerker. Er
hört auf das, was die Leute sagen, und wenn das ein Mann thut (=wir=
müssen's), so heiß ich das Feigheit und _lâcheté_. Aber er soll mir Rede
stehn. Ich habe meinen Plan jetzt fertig und will ihn demüthigen, so
gewiß er =uns= demüthigen wollte.«

Frau von Carayon kehrte nach diesem Zwiegespräch in das Eckzimmer
zurück, setzte sich an Victoirens kleinen Schreibtisch und schrieb.

»Einer Mittheilung Herrn von Alvenslebens entnehme ich, daß Sie, mein
Herr von Schach, heute, Sonnabend Abend, Berlin verlassen und sich für
einen Landaufenthalt in Wuthenow entschieden haben. Ich habe keine
Veranlassung, Ihnen diesen Landaufenthalt zu mißgönnen oder Ihre
Berechtigung dazu zu bestreiten, muß aber Ihrem Rechte =das= meiner
Tochter gegenüberstellen. Und so gestatten Sie mir denn, Ihnen in
Erinnerung zu bringen, daß die Veröffentlichung des Verlöbnisses, für
morgen, Sonntag, zwischen uns verabredet worden ist. Auf diese
Veröffentlichung besteh ich auch heute noch. Ist sie bis Mittwoch früh
nicht erfolgt, erfolgen meinerseits andre, durchaus selbstständige
Schritte. So sehr dies meiner Natur widerspricht (Victoirens ganz zu
geschweigen, die von diesem meinem Schreiben nichts weiß und nur bemüht
sein würde, mich daran zu hindern), so lassen mir doch die Verhältnisse,
die Sie, das Mindeste zu sagen, nur zu gut kennen, keine Wahl. Also bis
auf Mittwoch! Josephine von Carayon.«

Sie siegelte den Brief und übergab ihn persönlich einem Boten mit der
Weisung, sich bei Tagesanbruch nach Wuthenow hin auf den Weg zu machen.

Auf Antwort zu warten, war ihm eigens untersagt worden.



Sechzehntes Kapitel.

Frau von Carayon und der alte Köckritz.


Der Mittwoch kam und ging, ohne daß ein Brief Schachs oder gar die
geforderte Verlobungsankündigung erschienen wäre. Frau von Carayon hatte
dies nicht anders erwartet und ihre Vorbereitungen darauf hin getroffen.

Am Donnerstag früh hielt ein Wagen vor ihrem Hause, der sie nach Potsdam
hinüber führen sollte, wo sich der König seit einigen Wochen aufhielt.
Sie hatte vor, einen Fußfall zu thun, ihm den ihr widerfahrenen Affront
vorzustellen und seinen Beistand anzurufen. Daß es in des Königs Macht
stehen werde, diesen Beistand zu gewähren und einen Ausgleich
herbeizuführen, war ihr außer Zweifel. Auch über die Mittel und Wege,
sich Sr. Majestät zu nähern, hatte sie nachgedacht, und mit gutem
Erfolge. Sie kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor dreißig
Jahren und länger, als ein junger Lieutenant oder Stabskapitän, in ihrem
elterlichen Hause verkehrt und der »kleinen Josephine«, dem allgemeinen
Verzuge, manche Bonbonnière geschenkt hatte. Der war jetzt Liebling des
Königs, einflußreichste Person seiner nächsten Umgebung, und durch
=ihn=, zu dem sie wenigstens in oberflächlichen Beziehungen geblieben
war, hoffte sie sich einer Audienz versichert halten zu dürfen.

Um die Mittagsstunde war Frau von Carayon drüben, stieg im »Einsiedler«
ab, ordnete ihre Toilette, und begab sich sofort ins Schloß. Aber hier
mußte sie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden Kammerherrn
in Erfahrung bringen, daß Seine Majestät Potsdam bereits wieder
verlassen und sich zur Begrüßung Ihrer Majestät der Königin, die Tags
darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach =Paretz= begeben
habe, wo man, frei vom Zwange des Hofes, eine Woche lang in glücklicher
Zurückgezogenheit zu verleben gedenke.

Das war nun freilich eine böse Nachricht. Wer sich zu einem peinlichen
Gange (und wenn es der »hochnothpeinlichste« wäre) anschickt und mit
Sehnsucht auf das Schreckensende wartet, für den ist nichts härter als
Vertagung. Nur rasch, rasch! Eine kurze Strecke geht es, aber dann
versagen die Nerven.

Schweren Herzens, und geängstigt durch die Vorstellung, daß ihr dieser
Fehlschlag vielleicht einen Fehlschlag überhaupt bedeute, kehrte Frau
von Carayon in das Gasthaus zurück. An eine Fahrt nach Paretz hinaus war
für heute nicht mehr zu denken, um so weniger, als zu so später
Nachmittagszeit unmöglich noch eine Audienz erbeten werden konnte. So
denn also warten bis morgen! Sie nahm ein kleines Diner, setzte sich
wenigstens zu Tisch, und schien entschlossen, die langen langen Stunden
in Einsamkeit auf ihrem Zimmer zu verbringen. Aber die Gedanken und
Bilder, die vor ihr aufstiegen und vor allem die feierlichen Ansprachen,
die sie sich zum hundertsten Male wiederholte, so lange wiederholte, bis
sie zuletzt fühlte, sie werde, wenn der Augenblick da sei, kein einziges
Wort hervorbringen können, -- alles das gab ihr zuletzt den gesunden
Entschluß ein, sich gewaltsam aus ihren Grübeleien herauszureißen und in
den Straßen und Umgebungen der Stadt umherzufahren. Ein Lohndiener
erschien denn auch, um ihr seine Dienste zur Verfügung zu stellen, und
um die sechste Stunde hielt eine mittel-elegante Miethschaise vor dem
Gasthause, da sich das von Berlin her benutzte Gefährt, nach seiner
halbtägigen Anstrengung im Sommersand, als durchaus ruhebedürftig
herausgestellt hatte.

»Wohin befehlen, gnädige Frau?«

»Ich überlaß es Ihnen. Nur keine Schlösser, oder doch so wenig wie
möglich; aber Park und Garten, und Wasser und Wiesen.«

»_Ah, je comprends_,« radebrechte der Lohndiener, der sich daran gewöhnt
hatte, seine Fremden ein für allemal als Halbfranzosen zu nehmen, oder
vielleicht auch dem französischen Namen der Frau von Carayon einige
Berücksichtigung schuldig zu sein glaubte. »_Je comprends._« Und er gab
dem in einem alten Tressenhut auf dem Bock sitzenden Kutscher Ordre,
zunächst in den »Neuen Garten« zu fahren.

In dem »Neuen Garten« war es wie todt, und eine dunkle, melancholische
Cypressenallee schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Endlich lenkte man
nach rechts hin in einen neben einem See hinlaufenden Weg ein, dessen
einreihig gepflanzte Bäume mit ihrem weit ausgestreckten und
niederhängenden Gezweige den Wasserspiegel berührten. In dem Gitterwerke
der Blätter aber glomm und glitzerte die niedergehende Sonne. Frau von
Carayon vergaß über diese Schönheit all ihr Leid, und fühlte sich dem
Zauber derselben erst wieder entrissen, als der Wagen aus dem Uferweg
abermals in den großen Mittelgang einbog, und gleich danach vor einem
aus Backstein aufgeführten, im Uebrigen aber mit Gold und Marmor reich
geschmückten Hause hielt.

»Wem gehört es?«

»Dem König.«

»Und wie heißt es?«

»Das Marmor-Palais.«

»Ah das Marmor-Palais. Das ist also das Palais ....«

»Zu dienen, gnädige Frau. Das ist das Palais, in dem weiland Seine
Majestät König Friedrich Wilhelm der Zweite seiner langen und
schmerzlichen Wassersucht allerhöchst erlag. Und steht auch noch alles
ebenso, wies damals gestanden hat. Ich kenne das Zimmer ganz genau, wo
der gute gnädige Herr immer ›den Lebensgas‹ trank, den ihm der
Geheimrath Hufeland in einem kleinen Ballon ans Bett bringen ließ oder
vielleicht auch bloß in einer Kalbsblase. Wollen die gnädige Frau das
Zimmer sehn? Es ist freilich schon spät. Aber ich kenne den
Kammerdiener, und er thut es, denk ich, auf meinen Empfehl .... versteht
sich .... Und ist auch dasselbe kleine Zimmer, worin sich eine Figur von
der Frau Rietz oder wie manche sagen von der Mamsell Encken oder der
Gräfin Lichtenau befindet, das heißt, nur eine kleine Figur, so bloß bis
an die Hüften oder noch weniger.«

Frau von Carayon dankte. Sie war bei dem Gange, der ihr für morgen
bevorstand, nicht in der Laune, das Allerheiligste der Rietz oder auch
nur ihre Porträtbüste kennen lernen zu wollen. Sie sprach also den
Wunsch aus, immer weiter in den Park hineinzufahren, und ließ erst
umkehren, als schon die Sonne nieder war und ein kühlerer Luftton den
Abend ankündigte. Wirklich, es schlug neun, als man auf der Rückfahrt an
der Garnisonkirche vorüberkam, und ehe noch das Glockenspiel seinen
Choral ausgespielt hatte, hielt der Wagen wieder vor dem »Einsiedler.«

Die Fahrt hatte sie gekräftigt und ihr ihren Muth zurückgegeben. Dazu
kam eine wohlthuende Müdigkeit, und sie schlief besser als seit lange.
Selbst was sie träumte, war hell und licht.

Am andern Morgen erschien, wie verabredet, ihre nun wieder ausgeruhte
Berliner Equipage vor dem Hotel; da sie jedoch allen Grund hatte, der
Kenntniß und Umsicht ihres eigenen Kutschers zu mißtrauen, engagirte
sie, wie zur Aushilfe, denselben Lohndiener wieder, der sich gestern,
aller kleinen Eigenheiten seines Standes unerachtet, so vorzüglich
bewährt hatte. Das gelang ihm denn auch heute wieder. Er wußte von jedem
Dorf und Lustschloß, an dem man vorüber kam, zu berichten, am meisten
von Marquardt, aus dessen Parke, zu wenigstens vorübergehendem Interesse
der Frau von Carayon, jenes Gartenhäuschen hervorschimmerte, darin unter
Zuthun und Anleitung des Generals von Bischofswerder, dem »dicken
Könige« (wie sich der immer konfidentieller werdende Cicerone jetzt ohne
weiteres ausdrückte) die Geister erschienen waren.

Eine Viertelmeile hinter Marquardt hatte man die »Wublitz«, einen von
Mummeln überblühten Havelarm zu passiren, dann folgten Aecker und
Wiesengründe, die hoch in Gras und Blumen standen, und ehe noch die
Mittagsstunde heran war, war ein Brückensteg und alsbald auch ein
offenstehendes Gitterthor erreicht, das den Paretzer Parkeingang
bildete.

Frau von Carayon, die sich ganz als Bittstellerin empfand, ließ in dem
ihr eigenen, feinen Gefühl an dieser Stelle halten und stieg aus, um den
Rest des Weges zu Fuß zu machen. Es war nur eine kleine,
sonnenbeschienene Strecke noch, aber gerade das Sonnenlicht war ihr
peinlich, und so hielt sie sich denn seitwärts unter den Bäumen hin, um
nicht vor der Zeit gesehen zu werden.

Endlich indeß war sie bis an die Sandsteinstufen des Schlosses heran und
schritt sie tapfer hinauf. Die Nähe der Gefahr hatte ihr einen Theil
ihrer natürlichen Entschlossenheit zurückgegeben.

»Ich wünschte den General von Köckritz zu sprechen,« wandte sie sich an
einen im Vestibül anwesenden Lakaien, der sich gleich beim Eintritt der
schönen Dame von seinem Sitz erhoben hatte.

»Wen hab ich dem Herrn General zu melden?«

»Frau von Carayon.«

Der Lakai verneigte sich und kam mit der Antwort zurück: »Der Herr
General lasse bitten in das Vorzimmer einzutreten.«

Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten. General von Köckritz, von
dem die Sage ging, daß er außer seiner leidenschaftlichen Liebe zu
seinem Könige keine weitere Passion als eine Pfeife Tabak und einen
Rubber Whist habe, trat ihr von seinem Arbeitszimmer her entgegen,
entsann sich sofort der alten Zeit und bat sie mit verbindlichster
Handbewegung Platz zu nehmen. Sein ganzes Wesen hatte so sehr den
Ausdruck des Gütigen und Vertrauenerweckenden, daß die Frage nach seiner
Klugheit nur sehr wenig daneben bedeutete. Namentlich für solche, die
wie Frau von Carayon mit einem Anliegen kamen. Und das sind bei Hofe die
meisten. Er bestätigte durchaus die Lehre, daß eine =wohlwollende=
Fürstenumgebung einer geistreichen immer weit vorzuziehen ist. Nur
freilich sollen diese fürstlichen Privatdiener nicht auch Staatsdiener
sein und nicht mitbestimmen und mitregieren wollen.

General von Köckritz hatte sich so gesetzt, daß ihn Frau von Carayon im
Profil hatte. Sein Kopf steckte halb in einem überaus hohen und steifen
Uniformkragen, aus dem nach vorn hin ein Jabot quoll, während nach
hinten ein kleiner sauber behandelter Zopf fiel. Dieser schien ein
eigenes Leben zu führen und bewegte sich leicht und mit einer gewissen
Koketterie hin und her, auch wenn an dem Manne selbst nicht die
geringste Bewegung wahrzunehmen war.

Frau von Carayon, ohne den Ernst ihrer Lage zu vergessen, erheiterte
sich doch offenbar an diesem eigenthümlich neckischen Spiel, und erst
einmal ins Heitre gekommen, erschien ihr das, was ihr oblag, um vieles
leichter und bezwingbarer, und befähigte sie, mit Freimuth über all und
jedes zu sprechen, auch über =das=, was man als den »delikaten Punkt« in
ihrer oder ihrer Tochter Angelegenheit bezeichnen konnte.

Der General hatte nicht nur aufmerksam, sondern auch theilnahmevoll
zugehört und sagte, als Frau von Carayon schwieg: »Ja, meine gnädigste
Frau, das sind sehr fatale Sachen, Sachen, von denen Seine Majestät
nicht zu hören liebt, weshalb ich im allgemeinen darüber zu schweigen
pflege, wohlverstanden so lange nicht Abhilfe zu schaffen und überhaupt
nichts zu bessern ist. Hier aber =ist= zu bessern, und ich würde meine
Pflicht versäumen und Seiner Majestät einen schlechten Dienst erweisen,
wenn ich ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalten oder da Sie selber
gekommen sind Ihre Sache vorzutragen, Sie, meine gnädigste Frau, durch
künstlich erfundene Schwierigkeiten an solchem Vortrage behindern
wollte. Denn solche Schwierigkeiten sind allemalen erfundene
Schwierigkeiten in einem Lande wie das unsre, wo von alter Zeit her die
Fürsten und Könige das Recht ihres Volkes wollen und nicht gesonnen
sind, der Forderung eines solchen Rechtes bequem aus dem Wege zu gehen.
Am allerwenigsten aber mein Allergnädigster König und Herr, der ein
starkes Gefühl für das =Ebenmäßige= des Rechts und eben deshalb einen
wahren Widerwillen und rechten Herzensabscheu gegen alle =die=jenigen
hat, die sich, wie manche Herren Offiziers, insonderheit aber die sonst
so braven und tapfren Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes, aus einem
schlechten Dünkel allerlei Narrethei zu permittiren geneigt sind, und es
für angemessen und löblich oder doch zum mindesten für nicht unstatthaft
halten, das Glück und den Ruf Andrer ihrem Uebermuth und ihrer
schlechten _moralité_ zu opfern.«

Frau von Carayons Augen füllten sich mit Thränen. »_Que vous êtes bon,
mon cher General._«

»Nicht ich, meine theure Frau. Aber mein Allergnädigster König und Herr,
=der= ist gut. Und ich denke, Sie sollen den Beweis dieser seiner
Herzensgüte bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen schlimmen
oder sagen wir lieber einen schwierigen Tag haben. Denn wie Sie
vielleicht schon in Erfahrung gebracht haben, der König erwartet in
wenig Stunden die Königin zurück, um nicht gestört zu werden in der
Freude des Wiedersehns, =des=halb befindet er sich hier, =des=halb ist
er hierher gegangen nach Paretz. Und nun läuft ihm in dies Idyll ein
Rechtsfall und eine Streitsache nach. Und eine Streitsache von so
delikater Natur. Ja, wirklich ein Schabernack ist es und ein rechtes
Schnippchen, das ihm die Laune der Frau Fortuna schlägt. Er will sich
seines Liebesglückes freuen (Sie wissen, wie sehr er die Königin liebt)
und in demselben Augenblicke fast, der ihm sein Liebesglück bringen
soll, hört er eine Geschichte von unglücklicher Liebe. Das verstimmt
ihn. Aber er ist zu gütig, um dieser Verstimmung nicht Herr zu werden,
und treffen wir's nur einigermaßen leidlich, so müssen wir uns aus eben
diesem Zusammentreffen auch noch einen besonderen Vortheil zu ziehen
wissen. Denn das eigne Glück, das er erwartet, wird ihn nur noch
geneigter machen als sonst, das getrübte Glück andrer wieder
herzustellen. Ich kenn ihn ganz in seinem Rechtsgefühl und in der Güte
seines Herzens. Und so geh ich denn, meine theure Frau, Sie bei dem
Könige zu melden.«

Er hielt aber plötzlich wie nachdenkend inne, wandte sich noch einmal
wieder und setzte hinzu: »Irr ich nicht, so hat er sich eben in den Park
begeben. Ich kenne seinen Lieblingsplatz. Lassen Sie mich also sehen. In
wenig Minuten bring ich Ihnen Antwort, ob er Sie hören will oder nicht.
Und nun noch einmal, seien Sie gutes Muthes. Sie dürfen es.«

Und damit nahm er Hut und Stock, und trat durch eine kleine Seitenthür
unmittelbar in den Park hinaus.

In dem Empfangszimmer, in dem Frau von Carayon zurückgeblieben war,
hingen allerlei Buntdruckbilder, wie sie damals von England her in der
Mode waren: Engelsköpfe von Josua Reynolds, Landschaften von
Gainsborough, auch ein paar Nachbildungen italienischer Meisterwerke,
darunter eine büßende Magdalena. War es die von Corregio? Das wundervoll
tiefblau getönte Tuch, das die Büßende halb verhüllte, fesselte Frau von
Carayons Aufmerksamkeit, und sie trat heran, um sich über den Maler zu
vergewissern. Aber ehe sie noch seinen Namen entziffern konnte, kehrte
der alte General zurück, und bat seinen Schützling ihm zu folgen.

Und so traten sie denn in den Park, drin eine tiefe Stille herrschte.
Zwischen Birken und Edeltannen hin schlängelte sich der Weg und führte
bis an eine künstliche, von Moos und Epheu überwachsene Felswand, in
deren Front (der alte Köckritz war jetzt zurückgeblieben) der König auf
einer Steinbank saß.

Er erhob sich, als er die schöne Frau sich nähern sah, und trat ihr
ernst und freundlich entgegen. Frau von Carayon wollte sich auf ein Knie
niederlassen, der König aber litt es nicht, nahm sie vielmehr
aufrichtend bei der Hand, und sagte: »Frau von Carayon? Mir sehr wohl
bekannt ... Erinnre Kinderball ... schöne Tochter ... Damals ...«

Er schwieg einen Augenblick, entweder in Verlegenheit über das ihm
entschlüpfte letzte Wort, oder aber aus Mitgefühl mit der tiefen
Bewegung der unglücklichen und beinah zitternd vor ihm stehenden Mutter,
und fuhr dann fort: »Köckritz mir eben Andeutungen gemacht .... =Sehr=
fatal .... Aber bitte .... sich setzen, meine Gnädigste .... Muth ....
Und nun sprechen Sie.«



Siebzehntes Kapitel.

Schach in Charlottenburg.


Eine Woche später hatten König und Königin Paretz wieder verlassen, und
schon am Tage danach ritt Rittmeister von Schach in Veranlassung eines
ihm in Schloß Wuthenow übergebenen Kabinetsschreibens nach
Charlottenburg hinaus, wohin inzwischen der Hof übersiedelt war. Er nahm
seinen Weg durchs Brandenburger Thor und die große Thiergartenallee,
links hinter ihm Ordonnanz Baarsch, ein mit einem ganzen Linsengericht
von Sommersprossen überdeckter Rothkopf mit übrigens noch rötherem
Backenbart, auf welchen rothen und etwas abstehenden Bart hin Zieten zu
versichern pflegte, »daß man auch =diesen= Baarsch an seinen Flossen
erkennen könne.« Wuthenower Kind und seines Gutsherrn und Rittmeisters
ehemaliger Spielgefährte, war er diesem und allem, was Schach hieß,
selbstverständlich in unbedingten Treuen ergeben.

Es war vier Uhr Nachmittags und der Verkehr nicht groß, trotzdem die
Sonne schien und ein erquickender Wind wehte. Nur wenige Reiter
begegneten ihnen, unter diesen auch ein paar Offiziere von Schachs
Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, passirte den Landwehrgraben und
ritt bald danach in die breite Charlottenburger Hauptstraße mit ihren
Sommerhäusern und Vorgärten ein.

Am türkischen Zelt, das sonst wohl sein Ziel zu sein pflegte, wollte
sein Pferd einbiegen; zwang er es aber weiter und hielt erst bei dem
Morellischen Kaffeehause, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte,
bequemer gelegen war. Er schwang sich aus dem Sattel, gab der Ordonnanz
den Zügel und ging ohne Versäumniß auf das Schloß zu. Hier trat er nach
Passirung eines öden und von der Julisonne längst verbrannten
Grasvierecks erst in ein geräumiges Treppenhaus und bald danach in einen
schmalen Korridor ein, an dessen Wänden in anscheinend überlebensgroßen
Porträts die glotzäugigen blauen Riesen König Friedrich Wilhelms I.
paradirten. Am Ende dieses Ganges aber traf er einen Kammerdiener, der
ihn, nach vorgängiger Meldung, in das Arbeitskabinet des Königs führte.

Dieser stand an einem Pult, auf dem Karten ausgebreitet lagen, ein paar
Pläne der Austerlitzer Schlacht. Er wandte sich sofort, trat auf Schach
zu, und sagte: »Habe Sie rufen lassen, lieber Schach .... Die Carayon;
fatale Sache. Spiele nicht gern den Moralisten und Splitterrichter; mir
verhaßt; auch meine Verirrungen. Aber in Verirrungen nicht stecken
bleiben; wieder gut machen. Uebrigens nicht recht begreife. Schöne Frau,
die Mutter; mir =sehr= gefallen; kluge Frau.«

Schach verneigte sich.

»Und die Tochter! Weiß wohl, weiß; armes Kind .... Aber _enfin_, müssen
sie doch charmant gefunden haben. Und was man einmal charmant gefunden,
findet man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das ist =Ihre= Sache,
geht mich nichts an. Was mich angeht, das ist die _honnêteté_. =Die=
verlang ich und um dieser _honnêteté_ willen verlang ich Ihre Heirath
mit dem Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn Ihren Abschied nehmen
und den Dienst quittiren wollen.«

Schach schwieg, verrieth aber durch Haltung und Miene, daß ihm dies das
Schmerzlichste sein würde.

»Nun denn bleiben also; schöner Mann; liebe das. Aber Remedur muß
geschafft werden, und bald, und gleich. Uebrigens alte Familie, die
Carayons, und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber Schach) die
Stiftsanwartschaft auf Marienfließ oder Heiligengrabe nicht verderben.
Abgemacht also. Rechne darauf, dringe darauf. Und werden mir Meldung
machen.«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Und noch eines; habe mit der Königin darüber gesprochen; will Sie sehn;
Frauenlaune. Werden sie drüben in der Orangerie treffen .... Dank
Ihnen.«

Schach war gnädig entlassen, verbeugte sich und ging den Korridor
hinunter auf das am entgegengesetzten Flügel des Schlosses gelegene
große Glas- und Gewächshaus zu, von dem der König gesprochen hatte.

Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht noch im Park. So trat er
denn in diesen hinaus und schritt auf einem Fliesengange zwischen einer
Menge hier aufgestellter römischer Kaiser auf und ab, von denen ihn
einige faunartig anzulächeln schienen. Endlich sah er die Königin von
der Fährbrücke her auf sich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem
Anscheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er ging beiden Damen
entgegen, und trat in gemessener Entfernung bei Seite, um die
militärischen Honneurs zu machen. Das Hoffräulein aber blieb um einige
Schritte zurück.

»Ich freue mich Sie zu sehen, Herr von Schach. Sie kommen vom Könige.«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Es ist etwas gewagt,« fuhr die Königin fort, »daß ich Sie habe bitten
lassen. Aber der König, der anfänglich dagegen war und mich darüber
verspottete, hat es schließlich gestattet. Ich bin eben eine Frau, und
es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart entschlagen müßte, nur weil
ich eine =Königin= bin. Als Frau aber interessirt mich alles, was unser
Geschlecht angeht, und was ging uns näher an als eine solche _question
d'amour_.«

»Majestät sind so gnädig.«

»Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es ist um des Fräuleins willen .... Der
König hat mir alles erzählt, und Köckritz hat von dem Seinen
hinzugethan. Es war denselben Tag, als ich von Pyrmont wieder in Paretz
eintraf, und ich kann Ihnen kaum aussprechen, wie groß meine Theilnahme
mit dem Fräulein war. Und nun wollen Sie, gerade =Sie=, dem lieben Kinde
diese Theilnahme versagen und mit dieser Theilnahme zugleich sein Recht.
Das ist unmöglich. Ich kenne Sie so lange Zeit und habe Sie jederzeit
als einen Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei, denk ich,
belassen wir's. Ich habe von den Spottbildern gehört, die publizirt
worden sind, und diese Bilder, so nehm ich an, haben Sie verwirrt und
Ihnen Ihr ruhiges Urtheil genommen. Ich begreife das, weiß ich doch aus
allereigenster Erfahrung, wie weh dergleichen thut und wie der giftige
Pfeil uns nicht bloß in unserem Gemüthe verwundet, sondern auch
verwandelt und =nicht= verwandelt zum Besseren. Aber wie dem auch sei,
Sie mußten sich auf sich selbst besinnen, und damit zugleich auch auf
=das=, was Pflicht und Ehre von Ihnen fordern.«

Schach schwieg.

»Und Sie =werden= es,« fuhr die Königin immer lebhafter werdend fort,
»und werden sich als einen Reuigen und Bußfertigen zeigen. Es kann Ihnen
nicht schwer werden, denn selbst aus der Anklage gegen Sie, so
versicherte mir der König, habe noch immer ein Ton der Zuneigung
gesprochen. Seien Sie dessen gedenk, wenn Ihr Entschluß je wieder ins
Schwanken kommen sollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch kaum
etwas, was mir in diesem Augenblicke so lieb wäre, wie die Schlichtung
dieses Streits und der Bund zweier Herzen, die mir für einander bestimmt
erscheinen. Auch durch eine recht eigentliche Liebe. Denn Sie werden
doch, hoff ich, nicht in Abrede stellen wollen, daß es ein
geheimnißvoller Zug war, was Sie zu diesem lieben und einst so schönen
Kinde hinführte. Das Gegentheil anzunehmen, widerstreitet mir. Und nun
eilen Sie heim, und machen Sie glücklich und werden Sie glücklich. Meine
Wünsche begleiten Sie, Sie =Beide=. Sie werden sich zurückziehen, so
lang es die Verhältnisse gebieten; unter allen Umständen aber erwart
ich, daß Sie mir Ihre Familienereignisse melden, und den Namen Ihrer
Königin als erste Taufpathin in Ihr Wuthenower Kirchenbuch eintragen
lassen. Und nun Gott befohlen.«

Ein Gruß und eine freundliche Handbewegung begleiteten diese Worte;
Schach aber, als er sich kurz vor der Gartenfront noch einmal umsah,
sah, wie beide Damen in einem Seitenweg einbogen und auf eine
schattigere, mehr der Spree zu gelegene Parthie des Parkes zuschritten.

Er selbst saß eine Viertelstunde später wieder im Sattel; Ordonnanz
Baarsch folgte.

Die gnädigen Worte beider Majestäten hatten eines Eindrucks auf ihn
nicht verfehlt; trotzdem war er nur getroffen, in nichts aber umgestimmt
worden. Er wußte, was er dem König schuldig sei: =Gehorsam=! Aber sein
Herz widerstritt, und so galt es denn für ihn, etwas ausfindig zu
machen, was Gehorsam und Ungehorsam in sich vereinigte, was dem Befehle
seines Königs und dem Befehle seiner eigenen Natur gleichmäßig
entsprach. Und dafür gab es nur =einen= Weg. Ein Gedanke, den er schon
in Wuthenow gefaßt hatte, kam ihm jetzt wieder und reifte rasch zum
Entschluß, und je fester er ihn werden fühlte, desto mehr fand er sich
in seine frühere gute Haltung und Ruhe zurück. »Leben,« sprach er vor
sich hin. »Was ist leben? Eine Frage von Minuten, eine Differenz von
heut auf morgen.« Und er fühlte sich, nach Tagen schweren Druckes, zum
ersten Male wieder leicht und frei.

Als er, heimreitend, bis an die Wegstelle gekommen war, wo eine alte
Kastanienallee nach dem Kurfürstendamm hin abzweigte, bog er in diese
Allee ein, winkte Baarsch an sich heran und sagte, während er den Zügel
fallen ließ und die linke Hand auf die Kruppe seines Pferdes stemmte:
»Sage Baarsch, was hältst Du eigentlich von heirathen?«

»Jott, Herr Rittmeister, wat soll ich davon halten? Mein Vater selig
sagte man ümmer: heirathen is gut, aber nich heirathen is noch besser.«

»Ja, das mag er wohl gesagt haben. Aber wenn =ich= nun heirathe,
Baarsch?«

»Ach, Herr Rittmeister werden doch nich!«

»Ja wer weiß .... Ist es denn ein solches Malheur?«

»Jott, Herr Rittmeister, vor =Ihnen= grade nich, aber vor =mir= ....«

»Wie das?«

»Weil ich mit Untroffzier Czepanski gewett't hab, es würd' =doch=
nichts. Un wer verliert, muß die ganze Corporalschaft freihalten.«

»Aber woher wußtet Ihr denn davon?«

»I Jott, des munkelt ja nu all lang. Un wie nu vorige Woch ooch noch die
Bilders kamen ....«

»Ah, so .... Nu sage, Baarsch, wie steht es denn eigentlich mit der
Wette? Hoch?«

»I nu, 's jeht, Herr Rittmeister. 'Ne Cottbusser un'n Kümmel. Aber vor
jed' een.«

»Nu, Baarsch, Du sollst dabei nicht zu Schaden kommen. Ich werde die
Wette bezahlen.«

Und danach schwieg er und murmelte nur noch vor sich hin »_et payer les
pots cassés_.«



Achtzehntes Kapitel.

Fata Morgana


Schach war zu guter Stunde wieder heim, und noch denselben Abend schrieb
er ein Billet an Frau von Carayon, in dem er in anscheinend aufrichtigen
Worten um seines Benehmens willen um Entschuldigung bat. Ein
Kabinetsschreiben, das er vorgestern in Wuthenow empfangen habe, hab ihn
heute Nachmittag nach Charlottenburg hinausgeführt, wo König und Königin
ihn an =das=, was seine Pflicht sei, gemahnt hätten. Er bedaure, solche
Mahnung verschuldet zu haben, finde den Schritt, den Frau von Carayon
gethan, gerechtfertigt, und bäte morgen im Laufe des Vormittags sich
beiden Damen vorstellen zu dürfen, um ihnen sein Bedauern über diese
neuen Versäumnisse persönlich zu wiederholen. In einer Nachschrift, die
länger als der Brief selbst war, war hinzugefügt, »daß er durch eine
Krisis gegangen sei; diese Krisis aber liege jetzt hinter ihm, und er
hoffe sagen zu dürfen, ein Grund an ihm oder seinem Rechtsgefühle zu
zweifeln, werde =nicht= wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunsch
und Gedanken, alles was geschehen sei, durch Gesetzlichkeit
auszugleichen. Ueber ein Mehr leg er sich vorläufig Schweigen auf.«

Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte, wurde, trotz der schon
vorgerückten Stunde, von Frau von Carayon auf der Stelle beantwortet.
Sie freue sich, in seinen Zeilen einer so versöhnlichen Sprache zu
begegnen. Ueber alles, was seinem Briefe nach als ein nunmehr
Zurückliegendes anzusehen sei, werd es am besten sein zu schweigen; auch
=sie= fühle, daß sie ruhiger und rücksichtsvoller hätte handeln sollen,
sie habe sich hinreißen lassen, und nur das =Eine= werd ihr vielleicht
zur Entschuldigung dienen dürfen, daß sie von jenen hämischen Angriffen
in Wort und Bild, die sein Benehmen im Laufe der letzten Woche bestimmt
zu haben schienen, erst seit zwei Tagen Kenntniß habe. Hätte sie diese
Kenntniß früher gehabt, so würde sie vieles milder beurtheilt,
jedenfalls aber eine abwartende Haltung ihm und seinem Schweigen
gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß alles wieder
einklingen werde. Victoirens große Liebe (nur zu groß) und seine eigene
Gesinnung, die, wie sie sich überzeugt halte, wohl schwanken aber nie
dauernd erschüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr einer friedlichen
und wenn ihre Bitten Erhörung fänden auch einer glücklichen Zukunft.

Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau von Carayon gemeldet. Sie
ging ihm entgegen, und das sich sofort entspinnende Gespräch verrieth
auf beiden Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vorgefallenen hätte
vorausgesetzt werden sollen. Und doch erklärte sich's auch wieder. Alles
was geschehen war, so schmerzlich es hüben und drüben berührt hatte, war
doch schließlich von jeder der beiden Parteien verstanden worden, und wo
Verständniß ist, ist auch Verzeihung oder wenigstens die Möglichkeit
einer solchen. Alles hatte sich in natürlicher Konsequenz aus den
Verhältnissen heraus entwickelt, und weder die Flucht, die Schach
bewerkstelligt, noch die Klage, die Frau von Carayon an oberster Stelle
geführt hatte, hatten Uebelwollen oder Gehässigkeit ausdrücken sollen.

Als das Gespräch einen Augenblick zu stocken begann, erschien Victoire.
Sie sah sehr gut aus, nicht abgehärmt, vielmehr frischer als sonst. Er
trat ihr entgegen, nicht kalt und ceremoniös, sondern herzlich, und der
Ausdruck einer innigen und aufrichtigen Theilnahme, womit er auf sie sah
und ihr die Hand reichte, besiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel,
er war ergriffen, und während Victoire vor Freude strahlte, füllten
Thränen das Auge der Mutter.

Es war der beste Moment, das Eisen zu schmieden. Sie bat also Schach,
der sich schon erhoben hatte, seinen Platz noch einmal auf einen kurzen
Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinschaftlich mit ihm die
nöthigsten Festsetzungen zu treffen. Was sie zu sagen habe, seien nur
wenige Worte. So viel sei gewiß, Zeit sei versäumt worden, und diese
Versäumniß wieder einzubringen, empfehle sich wohl zunächst. Ihre
langjährige freundschaftliche Beziehung zum alten Konsistorialrath
Bocquet, der sie selber getraut und Victoiren eingesegnet habe, böte
dazu die beste Gelegenheit. Es werde leicht sein, an die Stelle des
herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein einmaliges zu setzen; das müsse
nächsten Sonntag geschehen, und am Freitage der nächsten Woche -- denn
die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten, hätte sie
persönlich von der durchaus entgegengesetzten Seite kennen gelernt --
werde dann die Hochzeit zu folgen haben. Und zwar in ihrer eignen
Wohnung, da sie Hochzeiten in einem Hotel oder Gasthause von ganzer
Seele hasse. Was dann weiter zu geschehen habe, das stehe bei dem jungen
Paare; sie sei neugierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow über
Venedig den Sieg davon tragen werde. Die Lagunen hätten sie gemeinsam
und die Gondel auch, und nur um Eines müsse sie bitten, daß der kleine
Brückensteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur
Seufzerbrücke erhoben werde.

So ging das Geplauder, und so verging der Besuch.

Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Aufgebot, und der Freitag, an
dem die Hochzeit stattfinden sollte, rückte heran. Alles im Carayonschen
Hause war Aufregung, am aufgeregtesten Tante Marguerite, die jetzt
täglich erschien, und durch ihre naive Glückseligkeit alles Unbequeme
balancirte, das sonst unzertrennlich von ihrem Erscheinen war.

Abends kam Schach. Er war heitrer und in seinem Urtheile milder als
sonst, und vermied nur in ebenso bemerkenswerther wie zum Glück
unbemerkt bleibender Weise von der Hochzeit und den Vorbereitungen dazu
zu sprechen. Wurd er gefragt, ob er dies oder jenes wünsche, so bat er
mit einer Art von Empressement, »ganz nach eigenem Dafürhalten verfahren
zu wollen; er kenne den Takt und guten Geschmack der Damen und wisse,
daß ohne sein Rathen und Zuthun alles am besten entschieden werden
würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheimnißvoll bleibe, so sei
dies ein Vortheil mehr für ihn, hab er doch von Jugend auf eine Neigung
gehabt, sich überraschen zu lassen.«

Unter solchen Ausflüchten entzog er sich jedem Geplauder, das, wie Tante
Marguerite sich ausdrückte, »den Ehrentag _en vue_ hatte,« war aber um
so plauderhafter, wenn das Gespräch auf die Reisetage =nach= der
Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau
von Carayon zum Trotz, hatte doch schließlich über Wuthenow gesiegt, und
Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm sonst völlig
fremden Phantastik allen erdenklichen Reiseplänen und Reisebildern nach.
Er wollte nach Sizilien hinüber und die Sireneninseln passiren, »ob frei
oder an den Mast gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen.«
Und dann wollten sie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber
auf dem Wege dahin, sei die Stelle, wo der geheimnißvolle schwarze
Welttheil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererstes Mal zu dem in
Nebel und Schnee gebornen Hyperboreer spräche. =Das= sei die Stelle, wo
die bilderreiche Fee wohne, die =stumme= Sirene, die mit dem Zauber
ihrer Farbe fast noch verführerischer locke, als die singende. Beständig
wechselnd seien die Scenen und Gestalten ihrer _Laterna magica_, und
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne
sichs plötzlich wie grüne Triften und unter der schattengebenden Palme
säße die Schaar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand,
und schwarz und braune Mädchen, ihre Flechten gelöst und wie zum Tanze
geschürzt, erhüben die Becken und schlügen das Tambourin. Und mitunter
sei's, als lach es. Und dann schwieg es und schwänd es wieder. Und diese
Spiegelung aus der geheimnißvollen Ferne, =das= sei das Ziel!

Und Victoire jubelte, hingerissen von der Lebhaftigkeit seiner
Schilderung.

Aber im selben Augenblick überkam es sie bang und düster, und in ihrer
Seele rief eine Stimme: =Fata Morgana=.



Neunzehntes Kapitel.

Die Hochzeit.


Die Trauung hatte stattgefunden und um die vierte Stunde versammelten
sich die zur Hochzeit Geladenen in dem nach dem Hofe hinaus gelegenen
großen Eßsaale, der für gewöhnlich als ein bloßes unbequemes Anhängsel
der Carayonschen Wohnung angesehen und seit einer ganzen Reihe von
Jahren heute zum erstenmale wieder in Gebrauch genommen wurde. Dies
erschien thunlich, trotzdem die Zahl der Gäste keine große war. Der alte
Konsistorialrath Bocquet hatte sich bewegen lassen, dem Mahle mit
beizuwohnen, und saß, dem Brautpaare gegenüber, neben der Frau von
Carayon; unter den anderweit Geladenen aber waren, außer dem Tantchen
und einigen alten Freunden aus der Generalfinanzpächterzeit her, in
erster Reihe Nostitz, Alvensleben und Sander zu nennen. Auf letzteren
hatte Schach, aller sonstigen, auch bei Feststellung der Einladungsliste
beobachteten Indifferenz unerachtet, mit besonderem Nachdruck bestanden,
weil ihm inzwischen das rücksichtsvolle Benehmen desselben bei
Gelegenheit des Verlagsantrages der drei Bilder bekannt geworden war,
ein Benehmen, das er um so höher anschlug, als er es von =dieser= Seite
her nicht erwartet hatte. Bülow, Schachs alter Gegner, war nicht mehr in
Berlin, und hätte wohl auch gefehlt, wenn er noch dagewesen wäre.

Die Tafelstimmung verharrte bis zum ersten Trinkspruch in der
herkömmlichen Feierlichkeit; als indessen der alte Konsistorialrath
gesprochen und in einem dreigetheilten und als »historischer Rückblick« zu
bezeichnenden Toast, erst des großväterlichen Generalfinanzpächterhauses,
dann der Trauung der Frau von Carayon und drittens (und
zwar unter Citirung des ihr mit auf den Lebensweg gegebenen
Bibelspruches) der Konfirmation Victoirens gedacht, endlich
aber mit einem halb ehrbaren, halb scherzhaften Hinweis auf den
»egyptischen Wundervogel, in dessen verheißungsvolle Nähe man sich
begeben wolle« geschlossen hatte, war das Zeichen zu einer Wandlung der
Stimmung gegeben. Alles gab sich einer ungezwungenen Heiterkeit hin, an
der sogar Victoire theilnahm, und nicht zum wenigsten, als sich
schließlich auch das zu Ehren des Tages in einem grasgrünen Seidenkleid
und einem hohen Schildpattkamme erschienene Tantchen erhob, um einen
=zweiten= Toast auf das Brautpaar auszubringen. Ihr verschämtes Klopfen
mit dem Dessertmesser an die Wasserkaraffe war eine Zeitlang unbemerkt
geblieben, und kam erst zur Geltung, als Frau von Carayon erklärte:
Tante Marguerite wünsche zu sprechen.

Diese verneigte sich denn auch zum Zeichen der Zustimmung, und begann
ihre Rede mit viel mehr Selbstbewußtsein, als man nach ihrer
anfänglichen Schüchternheit erwarten durfte. »Der Herr Konsistorialrath
hat so schön und so lange gesprochen, und ich ähnle nur dem Weibe Ruth,
das über dem Felde geht und Aehren sammelt, was auch der Text war,
worüber am letzten Sonntag in der kleinen Melonenkürche gepredigt wurde,
die wieder sehr leer war, ich glaube nicht mehr als ölf oder zwölf. Aber
als Tante der lieben Braut, in welcher Beziehung ich wohl die älteste
bin, erheb ich dieses Glas, um noch einmal auf dem Wohle des jungen
Paares zu trinken.«

Und danach setzte sie sich wieder, um die Huldigungen der Gesellschaft
entgegenzunehmen. Schach versuchte der alten Dame die Hand zu küssen,
was sie jedoch wehrte, wogegen sie Victoirens Umarmung mit allerlei
kleinen Liebkosungen und zugleich mit der Versicherung erwiderte: »sie
hab es alles vorher gewußt, von dem Nachmittag an, wo sie die Fahrt nach
Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht hätten. Denn sie hab es
wohl gesehen, daß Victoire neben dem großen für die Mama bestimmten
Veilchenstrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand gehalten
hätte, den habe sie dem lieben Bräutigam, dem Herrn von Schach, in der
Kürchenthüre präsentiren wollen. Aber als er dann gekommen sei, habe sie
das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es sei dicht neben der Thür
auf ein Kindergrab gefallen, was immer etwas bedeute, und auch =dies=mal
etwas bedeutet habe. Denn so sehr sie gegen dem Aberglauben sei, so
glaube sie doch an Sympathie, natürlich bei abnehmendem Mond. Und der
ganze Nachmittag stehe noch so deutlich vor ihr, als wär es gestern
gewesen, und wenn manche so thäten, als wisse man nichts, so hätte man
doch auch seine zwei gesunden Augen, und wisse recht gut wo die besten
Kürschen hingen.« In diesen Satz vertiefte sie sich immer mehr, ohne daß
die Bedeutung desselben dadurch klarer geworden wäre.

Nach Tante Margueritens Toast löste sich die Tafelreihe; jeder verließ
seinen Platz, um abwechselnd hier oder dort eine Gastrolle geben zu
können, und als bald danach auch die großen Jostyschen Devisenbonbons
umhergereicht und allerlei Sprüche wie beispielsweise »Liebe wunderbare
Fee, Selbst dein Wehe thut nicht weh«, aller kleinen und undeutlichen
Schrift unerachtet, entziffert und verlesen worden waren, erhob man sich
von der Tafel. Alvensleben führte Frau von Carayon, Sander Tante
Marguerite, bei welcher Gelegenheit, und zwar über das Ruth-Thema, von
Seiten Sanders allerlei kleine Neckereien verübt wurden, Neckereien, die
der Tante so sehr gefielen, daß sie Victoiren, als der Kaffee servirt
wurde, zuflüsterte: »Charmanter Herr. Und so galant. Und so
bedeutungsvoll.«

Schach sprach viel mit Sander, erkundigte sich nach Bülow, »der ihm zwar
nie sympathisch, aber trotz all seiner Schrullen immer ein Gegenstand
des Interesses gewesen sei« und bat Sander, ihm, bei sich darbietender
Gelegenheit, dies ausdrücken zu wollen. In allem was er sagte, sprach
sich Freundlichkeit und ein Hang nach Versöhnung aus.

In diesem Hange nach Versöhnung stand er aber nicht allein da, sondern
begegnete sich darin mit Frau von Carayon. Als ihm diese persönlich eine
zweite Tasse präsentirte, sagte sie, während er den Zucker aus der
Schale nahm: »Auf ein Wort, lieber Schach. Aber im Nebenzimmer.«

Und sie ging ihm dahin vorauf.

»Lieber Schach,« begann sie, hier auf einem großgeblümten Kanapee Platz
nehmend, von dem aus beide mit Hilfe der offenstehenden Flügelthür einen
Blick auf das Eckzimmer hin frei hatten, »es sind dies unsere letzten
Minuten, und ich möchte mir, ehe wir Abschied von einander nehmen, noch
manches von der Seele heruntersprechen. Ich will nicht mit meinem Alter
kokettiren, aber ein Jahr ist eine lange Zeit, und wer weiß, ob wir uns
wiedersehen. Ueber Victoire kein Wort. Sie wird Ihnen keine trübe Stunde
machen: sie liebt Sie zu sehr, um es zu können oder zu wollen. Und Sie,
lieber Schach, werden sich dieser Liebe würdig zeigen. Sie werden ihr
nicht wehe thun, diesem süßen Geschöpf, das nur Demuth und Hingebung
ist. Es ist unmöglich. Und so verlang ich denn kein Versprechen von
Ihnen. Ich weiß im Voraus, ich hab es.«

Schach sah vor sich hin, als Frau von Carayon diese Worte sprach, und
tröpfelte, während er die Tasse mit der Linken hielt, den Kaffee langsam
aus dem zierlichen kleinen Löffel.

»Ich habe seit unsrer Versöhnung,« fuhr sie fort, »mein Vertrauen
wieder. Aber dies Vertrauen, wie mein Brief Ihnen schon aussprach, war
in Tagen, die nun glücklicher Weise hinter uns liegen, um vieles mehr
als ich es für möglich gehalten hätte, von mir gewichen, und in diesen
Tagen hab ich harte Worte gegen Sie gebraucht, harte Worte, wenn ich mit
Victoiren sprach, und noch härtere, wenn ich mit mir allein war. Ich
habe Sie kleinlich und hochmüthig, eitel und bestimmbar gescholten, und
habe Sie, was das Schlimmste war, der Undankbarkeit und der _lâcheté_
geziehen. Und das beklag ich jetzt, und schäme mich einer Stimmung, die
mich unsre Vergangenheit so vergessen lassen konnte.«

Sie schwieg einen Augenblick. Aber als Schach antworten wollte, litt
sie's nicht und sagte: »Nur ein Wort noch. Alles was ich in jenen Tagen
gesagt und gedacht habe, bedrückte mich, und verlangte nach dieser
Beichte. Nun erst ist alles wieder klar zwischen uns, und ich kann Ihnen
wieder frei ins Auge sehen. Aber nun genug. Kommen Sie. Man wird uns
ohnehin schon vermißt haben.«

Und sie nahm seinen Arm und scherzte: »Nicht wahr? _On revient toujours
à ses premiers amours._ Und ein Glück, daß ich es Ihnen lachend
aussprechen kann, und in einem Momente reiner und ganzer Freude.«

Victoire trat Schach und ihrer Mama von dem Eckzimmer her entgegen, und
sagte: »Nun, was war es?«

»Eine Liebeserklärung.«

»Ich dacht es. Und ein Glück, Schach, daß wir morgen reisen. Nicht wahr?
Ich möchte der Welt um keinen Preis das Bild einer eifersüchtigen
Tochter geben.«

Und Mutter und Tochter nahmen auf dem Sopha Platz, wo sich Alvensleben
und Nostitz ihnen gesellten.

In diesem Augenblick wurde Schach der Wagen gemeldet, und es war als ob
er sich bei dieser Meldung verfärbe. Frau von Carayon sah es auch. Er
sammelte sich aber rasch wieder, empfahl sich, und trat in den Korridor
hinaus, wo der kleine Groom mit Mantel und Hut auf ihn wartete. Victoire
war ihm bis an die Treppe hinaus gefolgt, auf der noch vom Hof her ein
halber Tagesschein flimmerte.

»Bis auf morgen,« sagte Schach, und trennte sich und ging.

Aber Victoire beugte sich weit über das Geländer vor und wiederholte
leise: »Bis auf morgen. Hörst Du?.... Wo sind wir morgen?«

Und siehe, der süße Klang ihrer Stimme verfehlte seines Eindrucks
=nicht=, auch in =diesem= Augenblicke nicht. Er sprang die Stufen wieder
hinauf, umarmte sie, wie wenn er Abschied nehmen wolle für immer, und
küßte sie.

»Auf Wiedersehn, Mirabelle.«

Und nachhorchend hörte sie noch seinen Schritt auf dem Flur. Dann fiel
die Hausthür ins Schloß, und der Wagen rollte die Straße hinunter.

Auf dem Bocke saßen Ordonnanz Baarsch und der Groom, von denen jener
sich's eigens ausbedungen hatte, seinen Rittmeister und Gutsherrn an
diesem seinem Ehrentage fahren zu dürfen. Was denn auch ohne weiteres
bewilligt worden war. Als der Wagen aus der Behren- in die
Wilhelmsstraße einbog, gab es einen Ruck oder Schlag, ohne daß ein Stoß
von unten her verspürt worden wäre.

»_Damm_,« sagte Groom. »_What's that?_«

»Wat et is? Wat soll et sind, Kleener? En Steen is et; en doter
Feldwebel.«

»_Oh no_, Baarsch. Nich _stone. 't was something .... dear me .... like
shooting._«

»Schuting? Na nu.«

»_Yes; pistol-shooting ...._«

Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn der Wagen hielt vor Schachs
Wohnung, und der Groom sprang in Angst und Eile vom Bock, um seinem
Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein. Er öffnete den Wagenschlag,
ein dichter Qualm schlug ihm entgegen, und Schach saß aufrecht in der
Ecke, nur wenig zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag das
Pistol. Entsetzt warf der Kleine den Schlag wieder ins Schloß und
jammerte: »_Heavens, he is dead._«

Die Wirthsleute wurden alarmirt, und so trugen sie den Todten in seine
Wohnung hinauf.

Baarsch fluchte und flennte, und schob alles auf die »Menschheit«, weil
er's aufs Heirathen zu schieben nicht den Muth hatte. Denn er war eine
diplomatische Natur wie alle Bauern.



Zwanzigstes Kapitel.

Bülow an Sander.


=Königsberg=, 14. Sept. 1806. ».... Sie schreiben mir, lieber Sander,
auch von Schach. Das rein Thatsächliche wußt ich schon, die Königsberger
Zeitung hatte der Sache kurz erwähnt, aber erst Ihrem Briefe verdank ich
die Aufklärung, so weit sie gegeben werden kann. Sie kennen meine
Neigung (und dieser folg ich auch heut), aus dem Einzelnen aufs Ganze zu
schließen, aber freilich auch umgekehrt aus dem Ganzen aufs Einzelne,
was mit dem Generalisiren zusammenhängt. Es mag das sein Mißliches haben
und mich oft zu weit führen. Indessen wenn jemals eine Berechtigung dazu
vorlag, so hier, und speziell =Sie= werden es begreiflich finden, daß
mich dieser Schach-Fall, der nur ein Symptom ist, um eben seiner
symptomatischen Bedeutung willen aufs ernsteste beschäftigt. Er ist
durchaus Zeiterscheinung, aber wohlverstanden mit lokaler Begrenzung,
ein in seinen Ursachen ganz abnormer Fall, der sich in dieser Art und
Weise nur in Seiner Königlichen Majestät von Preußen Haupt- und
Residenzstadt, oder, wenn über diese hinaus, immer nur in den Reihen
unsrer nachgeborenen fridericianischen Armee zutragen konnte, einer
Armee, die statt der Ehre nur noch den Dünkel, und statt der Seele nur
noch ein Uhrwerk hat -- ein Uhrwerk, das bald genug abgelaufen sein
wird. Der große König hat diesen schlimmen Zustand der Dinge
vorbereitet, aber daß er =so= schlimm werden konnte, dazu mußten sich
die großen Königsaugen erst schließen, vor denen bekanntermaßen jeder
mehr erbangte, als vor Schlacht und Tod.

Ich habe lange genug dieser Armee angehört, um zu wissen daß ›Ehre‹ das
dritte Wort in ihr ist; eine Tänzerin ist charmant ›auf Ehre‹, eine
Schimmelstute magnifique ›auf Ehre‹, ja, mir sind Wucherer empfohlen und
vorgestellt worden, die süperb ›auf Ehre‹ waren. Und dies beständige
Sprechen von Ehre, von einer falschen Ehre, hat die Begriffe verwirrt
und die richtige Ehre todt gemacht.

All das spiegelt sich auch in diesem Schach-Fall, in Schach selbst, der,
all seiner Fehler unerachtet, immer noch einer der besten war.

Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem adligen Hause; die
Mutter gefällt ihm, und an einem schönen Maitage gefällt ihm auch die
Tochter, vielleicht, oder sagen wir lieber sehr wahrscheinlich, weil ihm
Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag über »_beauté du
diable_« gehalten hat. Aber gleichviel, sie gefällt ihm, und die Natur
zieht ihre Konsequenzen. Was, unter so gegebenen Verhältnissen, wäre nun
wohl einfacher und natürlicher gewesen, als Ausgleich durch einen
Eheschluß, durch eine Verbindung, die weder gegen den äußeren Vortheil,
noch gegen irgend ein Vorurtheil verstoßen hätte. Was aber geschieht? Er
flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde Geschöpf, um das sich's
handelt, ein paar Grübchen mehr in der Wange hat, als gerade modisch
oder herkömmlich ist, und weil diese »paar Grübchen zuviel« unsren
glatten und wie mit Schachtelhalm polirten Schach auf vier Wochen in
eine von seinen Feinden bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er
flieht also, sag ich, löst sich feige von Pflicht und Wort, und als ihn
schließlich, um ihn selber sprechen zu lassen, sein »Allergnädigster
König und Herr« an Pflicht und Wort erinnert und strikten Gehorsam
fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente des Gehorchens den
Gehorsam in einer allerbrüskesten Weise zu brechen. Er kann nun mal
Zietens spöttischen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen
Ansturm von Karrikaturen, und in Angst gesetzt durch einen Schatten,
eine Erbsenblase, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der
Verzweifelten: _un peu de poudre_.

Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem
Schwankendsten und Willkürlichsten, was es giebt, von dem auf Triebsand
aufgebauten Urtheile der Gesellschaft, und veranlaßt uns, die heiligsten
Gebote, die schönsten und natürlichsten Regungen eben diesem
Gesellschaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und diesem Kultus einer
falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Verschrobenheit, ist
denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie
sich dieser Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand
gesteckt, um nicht zu hören und nicht zu sehen. Aber diese
Straußenvorsicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynastie zur
Neige ging und die siegreichen Mandschuheere schon in die Palastgärten
von Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch Boten und
Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil
es gegen ›den Ton‹ der guten Gesellschaft und des Hofes war, von
Niederlagen zu sprechen. O, dieser gute Ton! Eine Stunde später war ein
Reich zertrümmert und ein Thron gestürzt. Und warum? weil alles
Geschraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod.

Entsinnen Sie sich des Abends in Frau von Carayons Salon, wo bei dem
Thema ›_Hannibal ante portas_‹ Aehnliches über meine Lippen kam? Schach
tadelte mich damals als unpatriotisch. Unpatriotisch! Die Warner sind
noch immer bei diesem Namen genannt worden. Und nun! Was ich damals als
etwas blos Wahrscheinliches vor Augen hatte, jetzt ist es =thatsächlich=
da. Der Krieg ist erklärt. Und was das bedeutet, steht in aller
Deutlichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derselben Welt des Scheins
zu Grunde gehn, an der Schach zu Grunde gegangen ist. Ihr =Bülow=.

=Nachschrift.= Dohna (früher bei der Garde du Corps), mit dem ich eben
über die Schachsche Sache gesprochen habe, hat eine Lesart, die mich an
frühere Nostitzsche Mittheilungen erinnerte. Schach habe die Mutter
geliebt, was ihn, in einer Ehe mit der Tochter, in seltsam peinliche
Herzenskonflikte geführt haben würde. Schreiben Sie mir doch darüber.
Ich persönlich find es pikant, aber nicht zutreffend. Schachs Eitelkeit
hat ihn zeitlebens bei voller Herzenskühle gehalten, und seine
Vorstellungen von Ehre (hier ausnahmsweise die richtige) würden ihn
außerdem, wenn er die Ehe mit der Tochter wirklich geschlossen hätte,
vor jedem _faux pas_ gesichert haben. B.«



Einundzwanzigstes Kapitel.

Victoire von Schach an Lisette von Perbandt.


=Rom=, 18. August 1807. _Ma chère Lisette._

Daß ich Dir sagen könnte, wie gerührt ich war über so liebe Zeilen! Aus
dem Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verlusten heraus, hast Du mich
mit Zeichen alter, unveränderter Freundschaft überschüttet und mir meine
Versäumnisse nicht zum Ueblen gedeutet.

Mama wollte mehr als einmal schreiben, aber ich selber bat sie, damit zu
warten.

Ach, meine theure Lisette, Du nimmst Theil an meinem Schicksal und
glaubst, der Zeitpunkt sei nun da, mich gegen Dich auszusprechen. Und Du
hast Recht. Ich will es thun, so gut ich's kann.

»Wie sich das alles erklärt?« fragst Du und setzest hinzu: »Du stündest
vor einem Räthsel, das sich Dir nicht lösen wolle.« Meine liebe Lisette,
wie lösen sich die Räthsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem
bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch
nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken, ist uns versagt. Er
sei, so versichern die Leute, der schöne Schach gewesen, und ich, das
Mindeste zu sagen, die nicht-schöne Victoire, -- das habe den Spott
herausgefordert, und diesem Spotte Trotz zu bieten, dazu habe er nicht
die Kraft gehabt. Und so sei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod
gegangen.

So sagt die Welt, und in vielem wird es zutreffen. Schrieb er mir doch
ähnliches und verklagte sich darüber. Aber wie die Welt strenger gewesen
ist, als nöthig, so vielleicht auch er selbst. Ich seh es in einem
andern Licht. Er wußte sehr wohl, daß aller Spott der Welt schließlich
erlahmt und erlischt, und war im Uebrigen auch Manns genug, diesen Spott
zu bekämpfen, im Fall er =nicht= erlahmen und =nicht= erlöschen wollte.
Nein, er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf, oder wenigstens nicht
so, wie vermuthet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme seiner
eigensten und innersten Natur war, rief ihm beständig zu, daß er diesen
Kampf =umsonst= kämpfen, und daß er, wenn auch siegreich gegen die Welt,
=nicht= siegreich gegen sich selber sein würde. =Das= war es. Er gehörte
durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennen gelernt habe, zu =den=
Männern, die =nicht= für die Ehe geschaffen sind. Ich erzählte Dir
schon, bei früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tempelhof, der
überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns
bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, sprachen wir über Ordensritter
und Ordensregeln, und der ungesucht ernste Ton, mit dem er, trotz meiner
Neckereien, den Gegenstand behandelte, zeigte mir deutlich, welchen
Idealen er nachhing. Und unter diesen Idealen -- all seiner Liaisons
unerachtet, oder vielleicht auch um dieser Liaisons willen -- war
sicherlich =nicht= die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir versichern, und die
Sehnsucht meines Herzens ändert nichts an dieser Erkenntniß, daß es mir
schwer, ja fast unmöglich ist, ihn mir _au sein de sa famille_
vorzustellen. Ein Kardinal (ich seh ihrer hier täglich) läßt sich eben
nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.

Da hast Du mein Bekenntniß, und ähnliches muß er selber gedacht und
empfunden haben, wenn er auch freilich in seinem Abschiedsbriefe darüber
schwieg. Er war seiner ganzen Natur nach auf Repräsentation und
Geltendmachung einer gewissen Grandezza gestellt, auf mehr =äußerliche=
Dinge, woraus Du sehen magst, daß ich ihn nicht überschätze. Wirklich,
wenn ich ihn in seinen Fehden mit Bülow immer wieder und wieder
unterliegen sah, so fühlt ich nur zu deutlich, daß er weder ein Mann von
hervorragender geistiger Bedeutung, noch von superiorem Charakter sei;
zugegeben das alles; und doch war er andererseits durchaus befähigt,
innerhalb enggezogener Kreise zu glänzen und zu herrschen. Er war wie
dazu bestimmt, der Halbgott eines prinzlichen Hofes zu sein, und würde
diese Bestimmung, Du darfst darüber nicht lachen, nicht bloß zu seiner
persönlichen Freude, sondern auch zum Glück und Segen andrer, ja vieler
anderer, erfüllt haben. Denn er war ein guter Mensch, und auch klug
genug, um immer das Gute zu wollen. An dieser Laufbahn als ein
prinzlicher Liebling und Plenipotentiaire, hätt ich ihn verhindert, ja,
hätt ihn, bei meinen anspruchslosen Gewohnheiten, aus all und jeder
Karrière herausgerissen und ihn nach Wuthenow hingezwungen, um mit mir
ein Spargelbeet anzulegen oder der Kluckhenne die Küchelchen
wegzunehmen. Davor erschrak er. Er sah ein kleines und beschränktes
Leben vor sich, und war, ich will nicht sagen auf ein großes gestellt,
aber doch auf ein solches, das =ihm= als groß erschien.

Ueber meine Nichtschönheit wär er hinweggekommen. Ich hab' ihm, ich
zögre fast es niederzuschreiben, nicht eigentlich mißfallen, und
vielleicht hat er mich wirklich geliebt. Befrag ich seine letzten, an
mich gerichteten Zeilen, so wär es in Wahrheit so. Doch ich mißtraue
diesem süßen Wort. Denn er war voll Weichheit und Mitgefühl, und alles
Weh, was er mir bereitet hat, durch sein Leben und sein Sterben, er
wollt es ausgleichen, so weit es auszugleichen war.

Alles Weh! Ach wie so fremd und strafend mich dieses Wort ansieht! Nein,
meine liebe Lisette, nichts von Weh. Ich hatte früh resignirt, und
vermeinte kein Anrecht an jenes Schönste zu haben, was das Leben hat.
Und nun hab ich es gehabt. Liebe. Wie mich das erhebt und durchzittert,
und alles Weh in Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und schlägt eben die
blauen Augen auf. =Seine= Augen. Nein, Lisette, viel Schweres ist mir
auferlegt worden, aber es federt leicht in die Luft, gewogen neben
meinem Glück. --

Das Kleine, Dein Pathchen, war krank bis auf den Tod, und nur durch ein
Wunder ist es mir erhalten geblieben.

Und davon muß ich Dir erzählen.

Als der Arzt nicht mehr Hülfe wußte, ging ich mit unserer Wirthin (einer
ächten alten Römerin in ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der
Kirche Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen alten
Rundbogenbau, wo sie den ›Bambino,‹ das Christkind, aufbewahren, eine
hölzerne Wickelpuppe mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem von
Ringen, wie sie dem Christkind, um seiner gespendeten Hülfe willen, von
unzähligen Müttern verehrt worden sind. Ich bracht ihm einen Ring mit,
noch eh ich seiner Fürsprache sicher war, und dieses Zutrauen muß den
Bambino gerührt haben. Denn sieh, er half. Eine Krisis kam unmittelbar,
und der Dottore verkündigte sein ›_va bene_‹; die Wirthin aber lächelte,
wie wenn sie selber das Wunder verrichtet hätte.

Und dabei kommt mir die Frage, was wohl Tante Marguerite, wenn sie davon
hörte, zu all dem ›Aberglauben‹ sagen würde? Sie würde mich vor der
›alten Kürche‹ warnen, und mit =mehr= Grund, als sie weiß.

Denn nicht nur =alt= ist Araceli, sondern auch trostreich und labevoll,
und kühl und schön.

Sein Schönstes aber ist sein Name, der ›=Altar des Himmels=‹ bedeutet.
Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.



Verlag von F. Fontane & Co. -- Berlin W 35


Unentbehrlich für jeden Gebildeten, der sich über die
litterarische Bewegung des In- und Auslandes auf
dem Laufenden halten will, ist

Das litterarische Echo

Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde

Herausgeber: Dr. =Josef Ettlinger=

Dritter Jahrgang

Sammel-Organ für alle litterarischen Interessen

Essais, Biographien, Kritiken aus angesehenen Federn * Litteraturbriefe
aus allen Kulturländern * Gedrängte Revue der in- und ausländischen
Zeitschriften * Vollständige Bibliographie * Porträts * Proben aus neu
erscheinenden Werken * Nachrichten

In der »~Zeitschrift f. deutschen Unterricht~« (Leipzig, B. G. Teubner)
vom Februar 1899 widmete deren Herausgeber Prof. ~Dr. Otto Lyon~ dem
»Litt. Echo« eine dritthalb Seiten lange Besprechung, in der es u. a.
heißt:

»Das gesamte litterarische Leben unserer Nation wie in einem Spiegel
zusammenzufassen und den Litteraturfreunden so die Möglichkeit zu
verschaffen, dieses eigenartige und intime geistige Leben unseres Volkes
zu überschauen und mit lebendigem Anteil zu verfolgen, ist der Zweck der
vorliegenden neuen Zeitschrift. ~Daß eine solche Zeitschrift eine
unbedingte Notwendigkeit für unsere Zeit ist~, wird jeder zugestehen,
der mit uns der Meinung ist, daß in unserem Zeitalter nur das Volk auf
die Dauer lebens- und leistungsfähig bleibt, das durch das gemeinsame
Bindemittel einer tiefgehenden litterarischen Bildung fest
zusammengekittet wird ... darum ist es heute vielleicht unsere
allerwichtigste Aufgabe, die Kreise der Gebildeten unseres Volkes für
dessen Litteratur ~nachdrücklich zu interessieren~ und so unser Volk vor
Verflachung und gigerlhafter Verblödung, die uns leider in den Straßen
und Gesellschaftssälen unserer Hauptstädte schon vielfach entgegentritt,
zu bewahren. Eines fehlt gerade den maßgebenden Kreisen unseres Volkes
vielfach noch in großem Maße: Die Fähigkeit litterarisch zu genießen und
die zu litterarischem Genuß drängende Eß- oder Trinklust. Zu dieser muß
unser Volk seinem größten Teile nach erst erzogen werden, die Aufgabe,
eine solche Erziehung anzubahnen und in die rechten Formen zu leiten,
will die vorliegende Zeitschrift zu lösen versuchen. Ich glaube, dieses
Ziel ist so hoch und groß, daß alle, die unser Volk und sein geistiges
Leben lieben, sich freudig in den Dienst dieses reinen Strebens stellen
werden. Und ~jeder, der zur Verbreitung dieser Zeitung beiträgt, hilft
an der Erreichung des weitgesteckten Zieles thatkräftig mitarbeiten~. --
Und diese Zeitschrift verdient es, daß sie die ~weiteste Verbreitung vor
allem auch in Lehrer- und Schulkreisen~, den berufenen Erziehern unseres
Volkes, findet« u. s. w.

Preis vierteljährlich Mark 3.--

Probenummern kostenfrei

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter



Verlag von ~Wilhelm Hertz~ in Berlin W 9.

Werke von Theodor Fontane.


Gedichte.

Sechste Auflage.

=Mit einem Bildniß.=

8o. 462 Seiten.

~Preis brosch. 5 M., geb. in
Leinw. 6 M.~


Vor dem Sturm.

Roman aus dem Winter
1812 auf 1813.

Dritte, wohlfeile Volksausgabe in
1 Bande, 8o. 773 Seiten.

~Preis brosch. 4 M., geb. in
Leinw. 5 M.~


Quitt.

Roman.

8o. 338 Seiten.

~Preis brosch. 5 M., geb. in
Leinw. 6 M.~


Grete Minde.

Nach einer altmärkischen Chronik.

Zweite Auflage.

kl. 8o. 154 Seiten.

~Preis brosch. 3 M., geb. in
Leinw. 4 M.~


Unwiederbringlich.

Roman.

Dritte Auflage.

8o. 343 Seiten.

~Preis brosch. 4 M., geb. in
Leinw. 5 M.~


Ellernklipp.

Nach einem Harzer Kirchenbuch.

Zweite Auflage.

8o. 190 Seiten.

~Preis brosch. 3 M., geb. in
Leinw. 4 M.~


Wanderungen durch die Mark Brandenburg.

4 Bände. ~Wohlfeile Ausgabe.~

~Jeder Band brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 M.~

    I. ~Die Grafschaft Ruppin.~ (559 S.)

   II. ~Das Oderland.~ Barnim-Lebus. (506 S.)

  III. ~Havelland.~ Die Landschaft um Spandau, Potsdam,
       Brandenburg. (485 S.)

   IV. ~Spreeland.~ Beeskow-Storkow u. Barnim-Teltow. (459 S.)


Fünf Schlösser.

Altes und Neues aus Mark Brandenburg.

8o. 468 Seiten.

~Preis brosch. 7 M., geb. in Leinw. 8 M. 20 Pf.~

=Inhalt:=
Quitzöwel. -- Plaue a. B. -- Hoppenrade. -- Liebenberg. -- Dreilinden.


Christian Friedrich Scherenberg
und das litterarische Berlin von 1840 bis 1860.

8o. 260 Seiten.

~Preis brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 M. 20 Pf.~



  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischen Tuche
  der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischem Tuche

  Kalenbergs und der Lüneburger Haide. _Nomen et omen._ Es ist der Sitz
  Kalenbergs und der Lüneburger Haide. _Nomen est omen._ Es ist der Sitz

  man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, einst dem der
  man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil einst dem der

  räthselhaftesten aber aber ist es mir, daß sich Iffland dafür
  räthselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür

  Iffland ein Freimaurer.«
  Iffland, ein Freimaurer.«

  Es war Alvensleben, an dem sich die Frage gerichtet hatte. »Zu weit? O,
  Es war Alvensleben, an den sich die Frage gerichtet hatte. »Zu weit? O,

  tagein auf einem Drehschemmel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein
  tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein

  schon wieder schreit, und ob die Schulmeisters Tochter noch so lange
  schon wieder schreit, und ob die Schulmeisterstochter noch so lange

  »Wie das?« wiederholte Nostiz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es
  »Wie das?« wiederholte Nostitz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es

  Sie täuschen sich, Nostiz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.
  Sie täuschen sich, Nostitz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.

  gebessert, sondern auch die Luft, Alles in allem ein so schöner Tag, wie
  gebessert, sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner Tag, wie

  von den Fernenstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit
  von den Fernerstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit

  ebengenannter Kirche, eitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem
  ebengenannter Kirche, seitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem

  wäre lieber am Kaffetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu
  wäre lieber am Kaffeetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu

  Victoriens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während
  Victoirens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während

  und keine Trauerbirken sind. _A propos_ über das Birkenwasser muß Du
  und keine Trauerbirken sind. _A propos_ über das Birkenwasser mußt Du

  Regiment werden Sie noch Nostiz und Alvensleben treffen. Im
  Regiment werden Sie noch Nostitz und Alvensleben treffen. Im

  Nostiz abgeholt hatte, vor der prinzlichen Villa vor. Diese lag am
  Nostitz abgeholt hatte, vor der prinzlichen Villa vor. Diese lag am

  jenem Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen,
  jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen,

  der Lage. ›Wozu hier ein sich Abmühen _en détail_? Und er befahl mit
  der Lage. ›Wozu hier ein sich Abmühen _en détail_?‹ Und er befahl mit

  ›Genie‹ -- nun, in dem russisch-östereichischen Tornister ist dieser
  ›Genie‹ -- nun, in dem russisch-österreichischen Tornister ist dieser

  so viele Schönheitskategorien gebracht habe: _beauté coquettte_ und
  so viele Schönheitskategorien gebracht habe: _beauté coquette_ und

  Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostiz skandirte:
  Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostitz skandirte:

  im Lande Preußen heißt es ›_pianissimo_.‹
  im Lande Preußen heißt es ›_pianissimo_.‹«

  worden, und unter ihren weit niederhängenden Frangen hinweg, sah man,
  worden, und unter ihren weit niederhängenden Fransen hinweg, sah man,

  angenehm war. Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den
  angenehm war. »Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den

  »Königliche Hoheit halten zu Gnaden,« entgegnete Nostiz, »aber es
  »Königliche Hoheit halten zu Gnaden,« entgegnete Nostitz, »aber es

  fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren Alles was Ihnen dabei
  fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei

  Nostiz und Sander lächelten und nickten.
  Nostitz und Sander lächelten und nickten.

  Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenflotille, die wohl
  Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenflottille, die wohl

  heftig, aber wenigstens =so=, daß ich das Theater aufgeben mußte Der
  heftig, aber wenigstens =so=, daß ich das Theater aufgeben mußte. Der

  Frau von Carayon die Hand und wandte sich dann gegen Victoiren, um dieser
  Frau von Carayon die Hand und wandte sich dann gegen Victoire, um dieser

  »Welchen meinst Du, liebe Tante.«
  »Welchen meinst Du, liebe Tante?«

  Dieser erhob sich und sagte, während er sich leicht auf der Stuhllene
  Dieser erhob sich und sagte, während er sich leicht auf der Stuhllehne

  Schlittenfahrt Angenommen?«
  Schlittenfahrt. Angenommen?«

  Margueritens willen -- nun so geb ich Ihnen _charte blanche_, Sie sind
  Margueritens willen -- nun so geb ich Ihnen _carte blanche_, Sie sind

  Nach Festsetzungen wie diese, trennte man sich. Ein Sonnenschein lag
  Nach Festsetzungen wie diesen, trennte man sich. Ein Sonnenschein lag

  abgeschossen sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu machen
  abgeschossen sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu machen.

  Ich meinseits bin empört. =Nicht= Schachs halber, der diesen ›Schach
  Ich meinerseits bin empört. =Nicht= Schachs halber, der diesen ›Schach

  nimmt
  nimmt.

  Häusern und und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den
  Häusern und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den

  ›Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn uns' Tüffeln bruken't.‹
  ›Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn uns' Tüffeln bruken't.‹«

  ›Nei, Krist, =uns'= Huut sitt fast.‹
  ›Nei, Krist, =uns'= Huut sitt fast.‹«

  Wiederschein glühten und die Waldstreifen ihren Schatten in den See
  Widerschein glühten und die Waldstreifen ihren Schatten in den See

  Deines Vaters Tochter, Du bist eine =Carayon=!
  Deines Vaters Tochter, Du bist eine =Carayon=!«

  »Einer Mittheilung Herrn von Alvensleben entnehme ich, daß Sie, mein
  »Einer Mittheilung Herrn von Alvenslebens entnehme ich, daß Sie, mein

  auf Mittwoch! Josephine von Carayon.
  auf Mittwoch! Josephine von Carayon.«

  mon chèr General._«
  mon cher General._«

  und fuhr dann fort: »Köckeritz mir eben Andeutungen gemacht .... =Sehr=
  und fuhr dann fort: »Köckritz mir eben Andeutungen gemacht .... =Sehr=

  Ich habe lange genug dieser Armee angehört, um zu wissen ›daß Ehre‹ das
  Ich habe lange genug dieser Armee angehört, um zu wissen daß ›Ehre‹ das

  vor jedem _faux pas_ gesichert haben. B.
  vor jedem _faux pas_ gesichert haben. B.«

  überhaupt in mehr als einer Beziehung ein Wendepunkt für uns
  überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns

  Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.«
  Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.

  Verflachung und gigerlhafte Verblödung, die uns leider in den Straßen
  Verflachung und gigerlhafter Verblödung, die uns leider in den Straßen

  Nach einer altmärkischen Chronik
  Nach einer altmärkischen Chronik.

  ~Jeder Band brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 Mk.~
  ~Jeder Band brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 M.~

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*** End of this LibraryBlog Digital Book "Schach von Wuthenow - Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes" ***

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