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Title: Lebensansichten des Katers Murr - nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern
Author: Hoffmann, E. T. A. (Ernst Theodor Amadeus), 1776-1822
Language: German
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      Wörtliche Rede ist in diesem Text sehr unregelmäßig
      gekennzeichnet. Die dargestellten An- und Ausführungszeichen
      entsprechen den im Original gedruckten.



E. T. A. Hoffmann

LEBENSANSICHTEN DES KATERS MURR


Hamburgische Hausbibliothek

Herausgegeben
im Auftrage der Gesellschaft Hamburgischer
Kunstfreunde, der Patriotischen Gesellschaft
und der Lehrervereinigung für die
Pflege der künstlerischen
Bildung

[Illustration]

Hamburg 1912

Alfred Janssen


LEBENSANSICHTEN DES KATERS MURR

nebst
fragmentarischer Biographie des
Kapellmeisters Johannes Kreisler
in zufälligen Makulaturblättern

Herausgegeben von
E. T. A. Hoffmann



1. bis 5. Tausend

Hamburg 1912
Alfred Janssen

Druckerei-Gesellschaft Hartung & Co. m. b. H., Hamburg



Vorwort.


E. Th. Amadeus Hoffmann wurde am 21. Januar 1776 in Königsberg geboren.
Er wurde Jurist und kam als preußischer Beamter 1804 nach Warschau.
Durch die französische Besetzung verlor er 1807 sein Amt. Er fand
schließlich ein Unterkommen als Kapellmeister an dem Theater in Hamburg.
Als das Unternehmen einging, wurde er Mitarbeiter an der Allgemeinen
Musikzeitung in Leipzig. 1816 wurde er wieder als Kammergerichtsrat in
Berlin angestellt, wo er am 24. Juli 1822 starb.

Diese Daten enthalten alles, was den Lebensgang und die Eigenart des
Mannes kennzeichnet. Er war preußischer Beamter; der Untergang seines
Staates warf ihn in das unsichere Dasein eines fahrenden Musikers und
eines lohnschreibenden Journalisten. So wurde die Schriftstellerei sein
zweiter Beruf, den er fortführte, als er wieder ins Amt kam.

Er besaß in hohem Maße den scharfen Verstand und die unbedingte
Sachlichkeit, welche sein Amt verlangte. Aber in seinen Erzählungen,
auch wohl im Leben außer dem Dienste liebte seine Phantasie es, die
ordnungsliebende Vernunft am hellen Tage durch tolle Launen zu
erschrecken. Spiel ist ursprünglich sein Verhältnis zur Kunst. Drei
Künste, Malerei, Musik, Poesie hat er zunächst als Dilettant ausgeübt.
Er zeichnete Karikaturen, er dichtete und komponierte Singspiele und
kleine Opern. Von der Musik kam er zur Musikschriftstellerei; aus den
Rezensionen wurden Erzählungen. So entstand die Figur des Kapellmeisters
Kreisler. Malerei und Musik blieben Lieblingsgegenstände seiner
Erzählungen und Kreisler taucht wieder in dem Werke auf, welches zwar
nicht das letzte ist, aber als reifer Abschluß seiner Dichtung angesehen
werden darf.

In dieser Geschichte laufen zwei Erzählungen nebeneinander her. Die
Geschichte des Katers Murr zeigt die Entwicklung des Naturburschen, des
Autodidakten; seine Seele und sein Geist sind ein unbeschriebenes Blatt,
in welches Gott und Welt gern hineinschreiben und das sich daher bald
füllt.

Die parallel laufende Geschichte des Kapellmeisters Johannes Kreisler
zeigt dagegen lauter Kulturmenschen. Kreisler ist der edle, hochbegabte
stets mit den Widerwärtigkeiten des Lebens und der Trivialität der
Menschen ringende Künstler. In Julia ist ihm ein weibliches Ideal
gegenübergestellt. Meister Abraham, der väterliche Freund Kreislers, ist
der angesehene, wohlgesinnte, tüchtige Mann, der seinen Weg durchs Leben
gemacht hat. Er ist der männliche, die Rätin Benzon der weibliche Mentor
des mediatisierten Fürsten Irenäus, an dessen Miniaturhofe die
Geschichte spielt. Die Familie des Fürsten Irenäus zeigt deutlich die
Schwächen einer durch viele Generationen gepflegten Überkultur. Er
selbst zeigt Züge des Serenissimus, ja, man könnte sagen, er ist der
Prototyp desselben; der Dichter hat sich jedoch sorgfältig vor Karikatur
gehütet. Die Prinzessin Hedwiga, die Freundin Julias, ist die zwar in
ihrem Charakter an sich aufrechte, aber mit hysterischer Nervenschwäche
belastete Tochter eines alten Geschlechts. Ihr Bruder Prinz Ignaz ist
ein Trottel.

In der Episode der Chiara, der Geliebten des Meisters Abraham und in der
Geschichte des Mönches Cyprianus und der Angela kommt der Hang des
Dichters zum Übersinnlichen, Romantischen zu seinem Rechte. Es ist ein
eigentümlicher Zug Hoffmanns, daß trotz aller scheinbar ernsten
Versuche, die wunderbaren Ereignisse auf natürliche Weise zu erklären,
ihnen doch immer ein Zug ins Übersinnliche anhaften bleibt.

                                                         Dr. Ernst Hipp.



Vorwort des Herausgebers.


Keinem Buche ist ein Vorwort nötiger als gegenwärtigem, da es, wird
nicht erklärt, auf welche wunderliche Weise es sich zusammengefügt hat,
als ein zusammengewürfeltes Durcheinander erscheinen dürfte.

Daher bittet der Herausgeber den günstigen Leser, wirklich zu lesen,
nämlich dies Vorwort.

Besagter Herausgeber hat einen Freund, mit dem er ein Herz und eine
Seele ist, den er eben so gut kennt, als sich selbst. Dieser Freund
sprach eines Tages zu ihm ungefähr also. »Da Du, mein Guter, schon
manches Buch hast drucken lassen, und Dich auf Verleger verstehst, wird
es Dir ein leichtes sein, irgend einen von diesen wackern Herren
aufzufinden, der auf Deine Empfehlung etwas druckt, was ein junger Autor
von dem glänzendsten Talent, von den vortrefflichsten Gaben vorher
aufschrieb. Nimm Dich des Mannes an, er verdient es.«

Der Herausgeber versprach, sein Bestes zu tun für den
schriftstellerischen Kollegen. Etwas verwunderlich wollt' es ihm nun
wohl bedünken, als sein Freund ihm gestand, daß das Manuskript von einem
Kater, Murr geheißen, herrühre, und dessen Lebensansichten enthalte; das
Wort war jedoch gegeben, und da der Eingang der Historie ihm ziemlich
gut stilisiert schien, so lief er sofort, mit dem Manuskript in der
Tasche, zu dem Herrn Dümmler unter den Linden und proponierte ihm den
Verlag des Katerbuchs.

Herr Dümmler meinte, bis jetzt habe er zwar nicht unter seinen Autoren
einen Kater gehabt, wisse auch nicht, daß irgend einer seiner werten
Kollegen mit einem Mann des Schlages bis jetzt sich eingelassen,
indessen wolle er den Versuch wohl machen.

Der Druck begann, und dem Herausgeber kamen die ersten Aushängebogen zu
Gesicht. Wie erschrak er aber, als er gewahrte, daß Murrs Geschichte hin
und wieder abbricht, und dann fremde Einschiebsel vorkommen, die einem
andern Buch, die Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler
enthaltend, angehören.

Nach sorgfältiger Nachforschung und Erkundigung erfuhr der Herausgeber
endlich folgendes. Als der Kater Murr seine Lebensansichten schrieb,
zerriß er ohne Umstände ein gedrucktes Buch, das er bei seinem Herrn
vorfand, und verbrauchte die Blätter harmlos, teils zur Unterlage, teils
zum löschen. Diese Blätter blieben im Manuskript und -- wurden, als zu
demselben gehörig, aus Versehen mit abgedruckt!

De- und wehmütig muß nun der Herausgeber gestehen, daß das verworrene
Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander lediglich durch seinen
Leichtsinn veranlaßt, da er das Manuskript des Katers hätte genau
durchgehen sollen, ehe er es zum Druck beförderte, indessen ist noch
einiger Trost für ihn vorhanden.

Für's erste wird der geneigte Leser sich leicht aus der Sache finden
können, wenn er die eingeklammerten Bemerkungen: Mak. Bl.
(Makulatur-Blatt) und M. f. f. (Murr fährt fort) gütigst beachten will.
Dann ist aber das zerrissene Buch höchst wahrscheinlich gar nicht in den
Buchhandel gekommen, da niemand auch nur das Mindeste davon weiß. Den
Freunden des Kapellmeisters wenigstens wird es daher angenehm sein, daß
sie durch den literarischen Vandalismus des Katers zu einigen
Nachrichten über die sehr seltsamen Lebensumstände jenes in seiner Art
nicht unmerkwürdigen Mannes kommen.

Der Herausgeber hofft auf gütige Verzeihung.

Wahr ist es endlich, daß Autoren ihre kühnsten Gedanken, die
außerordentlichsten Wendungen, oft ihren gütigen Setzern verdanken, die
dem Aufschwunge der Ideen nachhelfen durch sogenannte Druckfehler. So
sprach z. B. der Herausgeber im zweiten Teile seiner Nachtstücke pag.
326 von geräumigen =Bosketts=, die in einem Garten befindlich. Das war dem
Setzer nicht genial genug, er setzte daher das Wörtlein =Bosketts= um in
das Wörtlein =Kasketts=. So läßt in der Erzählung, das Fräulein von
Scudery der Setzer pfiffigerweise besagtes Fräulein statt in einer
schwarzen =Robe=, in einer schwarzen =Farbe= von schwerem Seidenzeug
erscheinen u. s. w.

Jedem jedoch das Seine! Weder der Kater Murr, noch der unbekannte
Biograph des Kapellmeisters Kreisler soll sich mit fremden Federn
schmücken, und der Herausgeber bittet daher den günstigen Leser
dringend, bevor er das Werklein liest, nachfolgende Änderungen zu
veranstalten, damit er von beiden Autoren nicht besser oder schlechter
denke, als sie es verdienen.

Übrigens werden nur die Haupterrata bemerkt, geringere dagegen der
Diskretion des gütigen Lesers überlassen. (Die in der früheren Ausgabe
hier folgenden Druckfehler sind in dieser verbessert.)

Schließlich darf der Herausgeber versichern, daß er den Kater Murr
persönlich kennen gelernt und in ihm einen Mann von angenehmen milden
Sitten gefunden hat.

  Berlin, im November 1819.                           E. T. A. Hoffmann.



Vorrede des Autors.


Schüchtern -- mit bebender Brust, übergebe ich der Welt einige Blätter
des Lebens, des Leidens, der Hoffnung, der Sehnsucht, die in süßen
Stunden der Muße, der dichterischen Begeisterung, meinem innersten Wesen
entströmten.

Werde, kann ich bestehen vor dem strengen Richterstuhl der Kritik? Doch
Ihr seid es, Ihr fühlenden Seelen, Ihr rein kindlichen Gemüter, Ihr mir
verwandten treuen Herzen ja Ihr seid es, für die ich schrieb, und eine
einzige schöne Träne in Eurem Auge wird mich trösten, wird die Wunde
heilen, die der kalte Tadel unempfindlicher Rezensenten mir schlug!

                                                        Murr,
  Berlin, im Mai (18--).                 (_Étudiant en belles lettres_).



Vorwort, unterdrücktes des Autors.


Mit der Sicherheit und Ruhe, die dem wahren Genie angeboren, übergebe
ich der Welt meine Biographie, damit sie lerne, wie man sich zum großen
Kater bildet, meine Vortrefflichkeit im ganzen Umfange erkenne, mich
liebe, schätze, ehre, bewundere, und ein wenig anbete.

Sollte jemand verwegen genug sein, gegen den gediegenen Wert des
außerordentlichen Buchs einige Zweifel erheben zu wollen, so mag er
bedenken, daß er es mit einem Kater zu tun hat, der Geist, Verstand
besitzt, und scharfe Krallen.

                                                     Murr,
  Berlin, im Mai (18--).              (_homme de lettres très renommé_).

N.S. Das ist zu arg! -- Auch das Vorwort des Autors, welches unterdrückt
werden sollte, ist abgedruckt! -- Es bleibt nichts übrig, als den
günstigen Leser zu bitten, daß er dem schriftstellerischen Kater den
etwas stolzen Ton dieses Vorworts nicht zu hoch anrechnen, und bedenken
möge, daß, wenn manche wehmütige Vorrede irgendeines andern empfindsamen
Autors in die wahre Sprache der innigen Herzensmeinung übersetzt werden
sollte, es nicht viel anders herauskommen würde.

                                                                   D. H.



Erster Teil.



Erster Abschnitt.

Gefühle des Daseins, die Monate der Jugend.


Es ist doch etwas Schönes, Herrliches, Erhabenes um das Leben! -- »O du
süße Gewohnheit des Daseins!« ruft jener niederländische Held in der
Tragödie aus. So auch ich, aber nicht wie der Held in dem schmerzlichen
Augenblick, als er sich davon trennen soll -- nein! -- in dem Moment, da
mich eben die volle Lust des Gedankens durchdringt, daß ich in jene süße
Gewohnheit nun ganz und gar hineingekommen und durchaus nicht Willens
bin, jemals wieder hinauszukommen. -- Ich meine nämlich, die geistige
Kraft, die unbekannte Macht, oder wie man sonst das über uns waltende
Prinzip nennen mag, welches mir besagte Gewohnheit ohne meine Zustimmung
gewissermaßen aufgedrungen hat, kann unmöglich schlechtere Gesinnungen
haben, als der freundliche Mann bei dem ich in Kondition gegangen, und
der mir das Gericht Fische, das er mir vorgesetzt, niemals vor der Nase
wegzieht, wenn es mir eben recht wohlschmeckt.

O Natur, heilige hehre Natur! wie durchströmt all' deine Wonne, all'
dein Entzücken meine bewegte Brust, wie umweht mich dein geheimnisvoll
säuselnder Atem! -- Die Nacht ist etwas frisch und ich wollte -- doch
jeder der dies lieset oder nicht lieset, begreift nicht meine hohe
Begeisterung, denn er kennt nicht den hohen Standpunkt, zu dem ich mich
hinaufgeschwungen! -- Hinaufgeklettert wäre richtiger, aber kein Dichter
spricht von seinen Füßen, hätte er auch deren viere so wie ich, sondern
nur von seinen Schwingen, sind sie ihm auch nicht angewachsen, sondern
nur Vorrichtung eines geschickten Mechanikers. Über mir wölbt sich der
weite Sternenhimmel, der Vollmond wirft seine funkelnden Strahlen herab,
und in feurigem Silberglanz stehen Dächer und Türme um mich her! Mehr
und mehr verbraust das lärmende Gewühl unter mir in den Straßen, stiller
und stiller wird die Nacht -- die Wolken ziehen -- eine einsame Taube
flattert in bangen Liebesklagen girrend um den Kirchturm! -- Wie! -- wenn
die liebe Kleine sich mir nähern wollte? -- Ich fühle wunderbar es sich
in mir regen, ein gewisser schwärmerischer Appetit reißt mich hin mit
unwiderstehlicher Gewalt! -- O käme sie die süße Huldin, an mein
liebeskrankes Herz wollt ich sie drücken, sie nimmer von mir lassen -- ha
dort flattert sie hinein in den Taubenschlag, die Falsche, und läßt mich
hoffnungslos sitzen auf dem Dache! -- Wie selten ist doch in dieser
dürftigen, verstockten, liebeleeren Zeit wahre Sympathie der Seelen! --

Ist denn das auf zwei Füßen aufrecht Einhergehen etwas so Großes, daß
das Geschlecht, welches sich Mensch nennt, sich die Herrschaft über uns
alle, die wir mit sichererem Gleichgewicht auf vieren daherwandeln,
anmaßen darf? Aber ich weiß es, sie bilden sich was Großes ein auf
etwas, was in ihrem Kopfe sitzen soll und das sie die Vernunft nennen.
Ich weiß mir keine rechte Vorstellung zu machen, was sie darunter
verstehen, aber so viel ist gewiß, daß wenn, wie ich es aus gewissen
Reden meines Herrn und Gönners schließen darf, Vernunft nichts anderes
heißt, als die Fähigkeit, mit Bewußtsein zu handeln und keine dummen
Streiche zu machen, ich mit keinem Menschen tausche. -- Ich glaube
überhaupt, daß man sich das Bewußtsein nur angewöhnt; durch das Leben
und zum Leben kommt man doch, man weiß selbst nicht wie. Wenigstens ist
es mir so gegangen, und wie ich vernehme, weiß auch kein einziger Mensch
auf Erden das Wie und Wo seiner Geburt aus eigner Erfahrung, sondern nur
durch Tradition, die noch dazu öfters sehr unsicher ist. Städte streiten
sich um die Geburt eines berühmten Mannes, und so wird es, da ich selbst
nichts Entscheidendes darüber weiß, immerdar ungewiß bleiben, ob ich in
dem Keller, auf dem Boden, oder in dem Holzstall das Licht der Welt
erblickte, oder vielmehr nicht erblickte, sondern nur in der Welt
erblickt wurde von der teueren Mama. Denn wie es unserm Geschlecht
eigen, waren meine Augen verschleiert. Ganz dunkel erinnere ich mich
gewisser knurrender, prustender Töne, die um mich her erklangen, und die
ich beinahe wider meinen Willen hervorbringe, wenn mich der Zorn
überwältigt. Deutlicher und beinahe mit vollem Bewußtsein finde ich mich
in einem sehr engen Behältnis mit weichen Wänden eingeschlossen, kaum
fähig, Atem zu schöpfen und in Not und Angst ein klägliches
Jammergeschrei erhebend. Ich fühle, daß etwas in das Behältnis
hinabgriff und mich sehr unsanft beim Leibe packte, und dies gab mir
Gelegenheit, die erste wunderbare Kraft, womit mich die Natur begabt, zu
fühlen und zu üben. Aus meinen reich überpelzten Vorderpfoten schnellte
ich spitze gelenkige Krallen hervor und grub sie ein in das Ding, das
mich gepackt und das, wie ich später gelernt, nichts anderes sein konnte
als eine menschliche Hand. Diese Hand zog mich aber heraus aus dem
Behältnis und warf mich hin, und gleich darauf fühlte ich zwei heftige
Schläge auf den beiden Seiten des Gesichts, über die jetzt ein, wie ich
wohl sagen mag, stattlicher Bart herüberragt. Die Hand teilte mir, wie
ich jetzt beurteilen kann, von jenem Muskelspiel der Pfoten verletzt,
ein paar Ohrfeigen zu; ich machte die erste Erfahrung von moralischer
Ursache und Wirkung, und eben ein moralischer Instinkt trieb mich an,
die Krallen ebenso schnell wieder einzuziehen, als ich sie
hervorgeschleudert. Später hat man dieses Einziehen der Krallen mit
Recht als einen Akt der höchsten Bonhommie und Liebenswürdigkeit
anerkannt und mit dem Namen »Samtpfötchen« bezeichnet.

Wie gesagt, die Hand warf mich wieder zur Erde. Bald darauf erfaßte sie
mich aber aufs neue beim Kopf und drückte ihn nieder, so daß ich mit dem
Mäulchen in eine Flüssigkeit geriet, die ich, selbst weiß ich nicht, wie
ich darauf verfiel, es mußte daher physischer Instinkt sein, aufzulecken
begann, welches mir eine seltsame innere Behaglichkeit erregte. Es war,
wie ich jetzt weiß, süße Milch, die ich genoß; mich hatte gehungert, und
ich wurde satt, indem ich trank. So trat, nachdem die moralische
begonnen, die physische Ausbildung ein.

Aufs neue, aber sanfter als vorher, faßten mich zwei Hände und legten
mich auf ein warmes weiches Lager. Immer besser und besser wurde mir zu
Mute, und ich begann mein inneres Wohlbehagen zu äußern, indem ich jene
seltsamen, meinem Geschlecht allein eigenen Töne von mir gab, die die
Menschen durch den nicht unebenen Ausdruck, spinnen, bezeichnen. So ging
ich mit Riesenschritten vorwärts in der Bildung für die Welt. Welch ein
Vorzug, welch ein köstliches Geschenk des Himmels, inneres physisches
Wohlbehagen ausdrücken zu können durch Ton und Gebärde! -- Erst knurrte
ich, dann kam mir jenes unnachahmliche Talent, den Schweif in den
zierlichsten Kreisen zu schlängeln, dann die wunderbare Gabe, durch das
einzige Wörtlein »Miau« Freude, Schmerz, Wonne und Entzücken, Angst und
Verzweiflung, kurz, alle Empfindungen und Leidenschaften in ihren
mannigfaltigsten Abstufungen auszudrücken. Was ist die Sprache der
Menschen gegen dieses einfachste aller einfachen Mittel, sich
verständlich zu machen! -- Doch weiter in der denkwürdigen, lehrreichen
Geschichte meiner ereignisreichen Jugend!

Ich erwachte aus tiefem Schlaf, ein blendender Glanz umfloß mich, vor
dem ich erschrak: fort waren die Schleier von meinen Augen, ich sah! --

Ehe ich mich an das Licht, vorzüglich aber an das buntscheckige
Allerlei, das sich meinen Augen darbot, gewöhnen konnte, mußte ich
mehrmals hintereinander entsetzlich niesen, bald ging es indessen mit
dem Sehen ganz vortrefflich, als habe ich es schon mehrere Zeit
hintereinander getrieben.

O das Sehen! es ist eine wunderbare, herrliche Gewohnheit, eine
Gewohnheit, ohne die es sehr schwer werden würde, überhaupt in der Welt
zu bestehen! -- Glücklich diejenigen Hochbegabten, denen es so leicht
wird als mir, sich das Sehen anzueignen.

Leugnen kann ich nicht, daß ich doch in einige Angst geriet und
dasselbe Jammergeschrei erhob, wie damals in dem engen Behältnis.
Sogleich erschien ein kleiner hagerer alter Mann, der mir unvergeßlich
bleiben wird, da ich meiner ausgebreiteten Bekanntschaft unerachtet
keine Gestalt, die ihm gleich oder auch nur ähnlich zu nennen, jemals
wieder erblickt habe. Es trifft sich häufig bei meinem Geschlecht, daß
dieser, jener Mann einen weiß und schwarz gefleckten Pelz trägt, selten
findet man aber wohl einen Menschen, der schneeweißes Haupthaar haben
sollte und dazu rabenschwarze Augenbraunen, dies war aber der Fall bei
meinem Erzieher. Der Mann trug im Hause einen kurzen hochgelben
Schlafrock, vor dem ich mich entsetzte und daher, so gut es bei meiner
damaligen Unbehülflichkeit gehen wollte, von dem weißen Kissen herab zur
Seite kroch. Der Mann bückte sich herab zu mir mit einer Gebärde, die
mir freundlich schien und mir Zutrauen einflößte. Er faßte mich, ich
hütete mich wohl vor dem Muskelspiel der Krallen, die Ideen kratzen und
Schläge verbanden sich von selbst, und in der Tat, der Mann meinte es
gut mit mir, denn er setzte mich nieder vor einer Schüssel süßer Milch,
die ich begierig auflutschte, worüber er sich nicht wenig zu freuen
schien. Er sprach vieles mit mir, welches ich aber nicht verstand, da
mir damals als einem jungen unerfahrnen Kiek in die Welt von Käterchen
das Verstehen der menschlichen Sprache noch nicht eigen. Überhaupt weiß
ich von meinem Gönner nur wenig zu sagen. So viel ist aber gewiß, daß er
in vielen Dingen geschickt -- in Wissenschaften und Künsten hocherfahren
sein mußte, denn alle, die zu ihm kamen (ich bemerkte Leute darunter,
die gerade da, wo mir die Natur einen gelblichen Fleck im Pelze beschert
hat, d. h. auf der Brust, einen Stern oder ein Kreuz trugen),
behandelten ihn ausnehmend artig, ja zuweilen mit einer gewissen scheuen
Ehrfurcht, wie ich späterhin den Pudel Skaramuz, und nannten ihn nicht
anders als mein hochverehrtester, mein teuerer, mein geschätztester
Meister Abraham! -- Nur zwei Personen nannten ihn schlechtweg »mein
Lieber!« Ein großer dürrer Mann in papageigrünen Hosen und weißseidenen
Strümpfen, und eine kleine sehr dicke Frau mit schwarzem Haar und einer
Menge Ringe an allen Fingern. Jener Herr soll aber ein Fürst, die Frau
hingegen eine jüdische Dame gewesen sein.

Dieser vornehmen Besucher unerachtet wohnte Meister Abraham doch in
einem kleinen hochgelegenen Stübchen, so daß ich meine ersten Promenaden
sehr bequem durchs Fenster aufs Dach und auf den Hausboden machen
konnte. --

Ja, es ist nicht anders, auf einem Boden muß ich geboren sein! -- Was
Keller, was Holzstall -- ich entscheide mich für den Boden! -- Klima,
Vaterland, Sitten, Gebräuche, wie unauslöschlich ist ihr Eindruck, ja,
wie sind sie es nur, die des Weltbürgers äußere und innere Gestaltung
bewirken! -- Woher kommt in mein Inneres dieser Höhesinn, dieser
unwiderstehliche Trieb zum Erhabenen? Woher diese wunderbar seltene
Fertigkeit im Klettern, diese beneidenswerte Kunst der gewagtesten
genialsten Sprünge? -- Ha! es erfüllt eine süße Wehmut meine Brust!
-- Die Sehnsucht nach dem heimatlichen Boden regt sich mächtig! -- Dir
weihe ich diese Zähren, o schönes Vaterland! dir dies wehmütig
jauchzende Miau! -- Dich ehren diese Sprünge, diese Sätze, es ist Tugend
darin und patriotischer Mut! -- Du, o Boden! spendest mir in freigebiger
Fülle manch Mäuslein, und nebenher kann man manche Wurst, manche
Speckseite aus dem Schornstein erwischen, ja wohl manchen Sperling
haschen, und sogar hin und wieder ein Täublein erlauern. »Gewaltig ist
die Liebe zu dir, o Vaterland!« --

Doch ich muß, rücksichts meiner --

=(Mak. Bl.)= -- -- und erinnern Sie sich, gnädigster Herr! denn nicht des
großen Sturms, der dem Advokaten, als er zur Nachtzeit über den Pontneuf
wandelte, den Hut vom Kopfe herunter in die Seine warf? -- Ähnliches
steht im Rabelais, doch war es eigentlich nicht der Sturm, der dem
Advokaten den Hut raubte, den er, indem er den Mantel dem Spiel der
Lüfte preisgab, mit der Hand fest auf den Kopf gedrückt hielt, sondern
ein Grenadier riß, mit dem lauten Ausruf: es weht ein großer Wind, mein
Herr, vorüberlaufend, schnell den feinen Kastor dem Advokaten unter der
Hand von der Perücke, und nicht dieser Kastor war es, der in die Wellen
der Seine hinabgeschleudert wurde, sondern des Soldaten eignen schnöden
Filz führte wirklich der Sturmwind in den feuchten Tod. Sie wissen nun,
gnädigster Herr, daß in dem Augenblick, als der Advokat ganz verblüfft
da stand, ein zweiter Soldat mit demselben Ausruf: Es weht ein großer
Wind, mein Herr! vorüberrennend, den Mantel des Advokaten beim Kragen
packte und ihn ihm herabriß von den Schultern, und daß gleich darauf ein
dritter Soldat, mit demselben Ausruf: Es weht ein großer Wind, mein
Herr! vorbeilaufend, ihm das spanische Rohr mit dem goldnen Knopf aus
den Händen wand. Der Advokat schrie aus allen Kräften, warf dem letzten
Spitzbuben die Perücke nach und ging dann barhäuptig ohne Mantel und
Stock hin, um das merkwürdigste aller Testamente aufzunehmen, um das
seltsamste aller Abenteuer zu erfahren. Sie wissen das alles, gnädigster
Herr!

Ich weiß, erwiderte der Fürst, als ich dies gesprochen, ich weiß gar
nichts, und begreife überhaupt nicht, wie Ihr, Meister Abraham, mir
solches wirres Zeug vorschwatzen könnt? Den Pontneuf kenne ich
allerdings, er befindet sich zu Paris, und bin ich zwar niemals darüber
zu Fuße gegangen, wohl aber oft darüber gefahren, wie es meinem Stande
geziemt. Den Advokaten Rabelais habe ich niemals gesehen und um
Soldatenstreiche in meinem ganzen Leben mich nicht bekümmert. Als ich in
jüngeren Jahren noch meine Armee kommandierte, ließ ich wöchentlich
einmal sämtliche Junker durchfuchteln für die Dummheiten, die sie
begangen oder künftig noch begehen möchten, das Prügeln der gemeinen
Leute war aber die Sache der Lieutenants, die damit, meinem Beispiel
gemäß, auch allwöchentlich verfuhren, und zwar Sonnabends so, daß
Sonntags es keinen Junker, keinen gemeinen Kerl in der ganzen Armee gab,
der nicht seine gehörige Tracht Schläge erhalten, wodurch die Truppen,
nächst der eingeprügelten Moralität, auch ans Geschlagenwerden überhaupt
gewöhnt wurden, ohne jemals vor dem Feinde gewesen zu sein, und in
diesem Fall nichts anders tun konnten als Schlagen. Das leuchtet Euch
ein, Meister Abraham, und nun sagt mir um tausend Gotteswillen, was
wollt Ihr mit Euerm Sturm, mit Euerm auf dem Pontneuf beraubten
Advokaten Rabelais, wo bleibt Eure Entschuldigung, daß das Fest sich
auflöste in wilder Verwirrung, daß mir eine Leuchtkugel ins Toupet fuhr,
daß mein teuerer Sohn in das Bassin geriet und von verräterischen
Delphinen bespritzt wurde über und über, daß die Prinzessin entschleiert
mit aufgeschürztem Rock wie Atalanta durch den Park fliehen mußte, daß
-- daß -- wer zählt die Unglücksfälle der verhängnisvollen Nacht? -- Nun,
Meister Abraham, was sagt Ihr?«

Gnädigster Herr, erwiderte ich, mich demutsvoll verbeugend, was war an
allem Unheil schuld als der Sturm -- das gräßliche Unwetter, welches
einbrach, als alles im schönsten Gange war. Kann ich den Elementen
gebieten? -- Hab' ich denn nicht selbst dabei schlimmes Malheur
erlitten, habe ich nicht wie jener Advokat, den ich untertänigst nicht
mit dem berühmten französischen Schriftsteller Rabelais zu verwechseln
bitte, Hut, Rock und Mantel verloren? Habe ich nicht --

Höre, unterbrach hier den Meister Abraham Johannes Kreisler, höre,
Freund, noch jetzt, unerachtet es schon ziemlich lange her ist, spricht
man von dem Geburtstage der Fürstin, dessen Feier du angeordnet hast,
wie von einem dunkeln Geheimnis, und gewiß hast du nach deiner
gewöhnlichen Art und Weise viel Abenteuerliches begonnen. Hielt das Volk
dich schon immer für eine Art von Hexenmeister, so scheint dieser Glaube
durch jenes Fest noch um vieles stärker geworden zu sein. Sage mir nur
geradezu, wie sich alles begeben! Du weißt, ich war damals nicht hier --

Eben das, fiel Meister Abraham dem Freunde ins Wort, daß du nicht hier,
daß du, der Himmel weiß von welchen Furien der Hölle getrieben,
fortgerannt warst wie ein Wahnsinniger, eben das machte mich toll und
wild, eben deshalb beschwor ich die Elemente herauf, ein Fest zu stören,
das meine Brust zerschnitt, da du, der eigentliche Held des Stücks,
fehltest, ein Fest, das nur erst dürftig und mühsam daher schlich, dann
aber über geliebte Personen nichts brachte als die Qual beängstigender
Träume -- Schmerz -- Entsetzen! -- Erfahre es jetzt, Johannes, ich habe
tief in dein Inneres geschaut und das gefährliche, bedrohliche Geheimnis
erkannt, das darin ruht, -- ein gärender Vulkan, in jedem Augenblick
vermögend loszubrechen in verderblichen Flammen, rücksichtslos alles um
sich her verzehrend. Es gibt Dinge in unserm Innern, die sich so
gestalten, daß die vertrautesten Freunde darüber nicht reden dürfen.
Darum verhehlte ich dir sorglich, was ich in dir erschaut, aber mit
jenem Fest, dessen tieferer Sinn nicht die Fürstin, sondern eine andere
geliebte Person und dich selbst traf, wollte ich dein ganzes Ich
gewaltsam erfassen. Die verborgensten Qualen sollten lebendig werden in
dir, und wie aus dem Schlaf erwachte Furien mit verdoppelter Kraft deine
Brust zerfleischen. Wie einem zum Tode Siechen sollte Arznei, dem Orkus
selbst entnommen, die im stärksten Paroxysmus kein weiser Arzt scheuen
darf, dir den Tod bereiten oder Genesung! -- Wisse, Johannes, daß der
Fürstin Namenstag zusammentrifft mit dem Namenstage Julia's, die auch
wie sie Maria geheißen.

Ha! rief Kreisler, indem er, zehrendes Feuer im Blick, aufsprang, ha!
-- Meister! ist dir die Macht gegeben, mit mir freches, höhnendes Spiel
zu treiben? -- Bist du das Verhängnis selbst, daß du mein Inneres
erfassen magst?

Wilder, unbesonnener Mensch, erwiderte Meister Abraham ruhig, wann wird
endlich der verwüstende Brand in deiner Brust zur reinen Naphthaflamme
werden, genährt von dem tiefsten Sinn für die Kunst, für alles Herrliche
und Schöne, der in dir wohnt! -- Du verlangtest von mir die Beschreibung
jenes verhängnisvollen Festes; so höre mich denn ruhig an, oder ist
deine Kraft gebrochen ganz und gar, daß du das nicht vermagst, so will
ich dich verlassen. --

Erzähle, sprach Kreisler mit halb erstickter Stimme, indem er, beide
Hände vors Gesicht, sich wieder hinsetzte. Ich will, sprach Meister
Abraham, plötzlich einen heiteren Ton annehmend, dich, lieber Johannes,
gar nicht ermüden mit der Beschreibung aller der sinnreichen
Anordnungen, die größtenteils dem erfindungsreichen Geiste des Fürsten
selbst ihren Ursprung verdankten. Da das Fest am späten Abend begann, so
versteht es sich von selbst, daß der ganze schöne Park, der das
Lustschloß umgibt, erleuchtet war. Ich hatte mich bemüht, in dieser
Erleuchtung ungewöhnliche Effekte hervorzubringen, das gelang aber nur
zum Teil, da auf des Fürsten ausdrücklichen Befehl in allen Gängen,
mittels auf großen schwarzen Tafeln angebrachter, buntfarbiger Lampen,
der Namenszug der Fürstin brennen mußte, nebst der fürstlichen Krone
darüber. Da die Tafeln auf hohen Pfählen angenagelt, so glichen sie
beinahe illuminierten Warnungsanzeigen, daß man nicht Tabak rauchen oder
die Maut nicht umfahren solle. Der Hauptpunkt des Festes war das durch
Gebüsch und künstliche Ruinen gebildete Theater in der Mitte des Parks,
welches du kennst. Auf diesem Theater sollten die Schauspieler aus der
Stadt etwas Allegorisches agieren, welches läppisch genug war, um ganz
außerordentlich zu gefallen, hätte es auch nicht der Fürst selbst
verfaßt und wäre es daher auch nicht, um mich des geistreichen Ausdrucks
jenes Schauspieldirektors, der ein fürstliches Stück aufführte, zu
bedienen, aus einer durchlauchtigen Feder geflossen. Der Weg vom Schloß
bis zum Theater war ziemlich weit. Nach der poetischen Idee des Fürsten
sollte der wandelnden Familie ein in Lüften schwebender Genius mit zwei
Fackeln vorleuchten, sonst aber kein Licht brennen, sondern erst,
nachdem die Familie und das Gefolge Platz genommen, das Theater
plötzlich erleuchtet werden. Deshalb blieb besagter Weg finster.
Vergebens stellte ich die Schwierigkeit dieser Maschinerie vor, welche
die Länge des Wegs herbeiführte; der Fürst hatte in den >_Fêtes de
Versailles_< etwas Ähnliches gelesen, und da er hinterher den poetischen
Gedanken selbst gefunden, bestand er auf dessen Ausführung. Um jedem
unverdienten Vorwurf zu entgehen, überließ ich den Genius samt den
Fackeln dem Theatermaschinisten aus der Stadt. -- So wie nun das
fürstliche Paar, hinter ihm das Gefolge, aus der Türe des Salons trat,
wurde ein kleines pausbackiges Männlein, in die Hausfarben des Fürsten
gekleidet, mit zwei brennenden Fackeln in den Händchen, vom Dache des
Lustschlosses herabgezogen. Die Puppe war aber zu schwer, und es begab
sich, daß kaum zwanzig Schritte davon die Maschine stockte, so daß der
leuchtende Schutzgeist des fürstlichen Hauses hängen blieb, und da die
Arbeiter stärker anzogen, sich überkugelte. Nun schleuderten die
brennenden abwärts gekehrten Wachskerzen glühende Tropfen zur Erde. Der
erste dieser Tropfen traf den Fürsten selbst, der indessen mit stoischem
Gleichmut den Schmerz verbiß, wiewohl er in der Gravität des Schrittes
nachließ und schneller vorwärts eilte. Der Genius schwebte jetzt fort
über der Gruppe, die der Hofmarschall mit den Kammerjunkern nebst andern
Hofchargen bildete, Füße oben, Kopf unten, so daß der Glutregen aus den
Fackeln bald diesen, bald jenen auf den Kopf und auf die Nase traf. Den
Schmerz zu äußern und so das frohe Fest zu stören, hätte den Respekt
verletzt; es war daher hübsch anzusehen, wie die Unglücklichen, eine
ganze Kohorte stoischer Scävolas, mit gräßlich verzerrten Gesichtern und
doch mit Gewalt die Qual niederkämpfend, ja wohl gar ein Lächeln
erzwingend, das dem Orkus anzugehören schien, daherschritten, lautlos,
kaum bangen Seufzern Raum gebend. Dazu wirbelten die Pauken,
schmetterten die Trompeten, riefen hundert Stimmen: Vivat, vivat die
gnädigste Frau Fürstin! Vivat der gnädigste Herr Fürst! so daß das durch
den wunderlichen Kontrast jener Laokoontischen Gesichter mit dem
lustigen Jubel erzeugte tragische Pathos der ganzen Szene eine Majestät
gab, wie kaum zu denken.

Der alte dicke Hofmarschall konnte es endlich nicht mehr ertragen; als
ihn ein glühender Tropfen gerade auf die Backe traf, sprang er in
grimmer Wut der Verzweiflung seitwärts, verwickelte sich aber in die
Stricke, die zur Flugmaschine gehörend gerade an der Seite hart über dem
Boden fortliefen, und stürzte mit dem lauten Ausruf: Alle Teufel! nieder
zur Erde. In demselben Moment hatte auch der luftige Page seine Rolle
ausgespielt. Der gewichtige Hofmarschall zog ihn mit Zentnerschwere
nieder, er stürzte herab mitten unter das Gefolge, das laut aufschreiend
auseinander prallte. Die Fackeln verlöschten; man befand sich in der
dicksten Finsternis. Dies alles geschah dicht vor dem Theater. Ich
hütete mich wohl den Zünder anzustecken, der alle Lampen, alle
Feuerbecken des Platzes auf einmal in Brand setzen mußte, sondern
wartete damit ein paar Minuten, um der Gesellschaft Zeit zu lassen, sich
in Baum und Gebüsch gehörig zu verwirren. »Licht -- Licht!« rief der
Fürst wie der König im Hamlet, -- »Licht -- Licht!« eine Menge heisere
Stimmen durcheinander. Als der Platz erleuchtet, glich der auseinander
gesprengte Haufe einem geschlagenen Heer, das sich mühsam zusammen
findet. Der Oberkammerherr bewies sich als ein Mann von Gegenwart des
Geistes, als der geschickteste Taktiker seiner Zeit; denn in wenigen
Minuten war vermöge seiner Bemühungen die Ordnung wiederhergestellt. Der
Fürst trat mit der nächsten Umgebung auf eine Art von erhöhten
Blumenthron, der in der Mitte des Zuschauer-Platzes errichtet. Sowie das
fürstliche Paar sich niederließ, fielen vermöge einer sehr pfiffigen
Vorrichtung jenes Maschinisten eine Menge Blumen auf dasselbe herab. Nun
wollte es aber das dunkle Verhängnis, daß eine große Feuerlilie dem
Fürsten gerade auf die Nase fiel und sein ganzes Gesicht glutrot
überstäubte, wodurch er ein ungemein majestätisches, der Feierlichkeit
des Festes würdiges, Ansehen gewann.

Das ist zu arg -- das ist zu arg, rief Kreisler, indem er eine rasende
Lache aufschlug, daß die Wände dröhnten.

Lache nicht so konvulsivisch, sprach Meister Abraham, auch ich
lachte in jener Nacht unmäßiger als jemals, ich fühlte mich eben zu
allerlei tollem Mutwillen aufgelegt und hätte wie der Spukgeist Droll
selbst gern alles noch mehr durcheinander jagen, noch mehr verwirren
mögen; aber desto tiefer drangen dann die Pfeile, die ich gegen andere
gerichtet, ein in meine eigene Brust. -- Nun! -- ich will es nur sagen!
Den Moment des läppischen Blumenbewerfens hatte ich gewählt, um den
unsichtbaren Faden festzuknüpfen, der sich nun durch das ganze Fest
ziehen und, wie ein elektrischer Leiter, das Innerste der Personen
durchbeben sollte, die ich mit meinem geheimnisvollen geistigen Apparat,
in den sich der Faden verlor, mir in Rapport gesetzt denken mußte.
-- Unterbrich mich nicht Johannes -- höre mich ruhig an. -- Julia saß mit
der Prinzessin hinter der Fürstin seitwärts, ich hatte beide im Auge.
Sowie Pauken und Trompeten schwiegen, fiel Julien eine unter duftenden
Nachtviolen versteckte aufbrechende Rosenknospe in den Schoß, und wie
strömender Hauch des Nachtwindes schwammen die Töne deines tief ins Herz
dringenden Liedes herüber: _mi lagnerò tacendo della mia sorte amara._
-- Julie war erschrocken, als aber das Lied, das ich, ich sag' es, damit
du über die Art des Vortrags etwa nicht in bange Zweifel gerätst, von
unsern vier vortrefflichen Bassetthornisten ganz in der Ferne spielen
ließ -- begann, entfloh ein leichtes Ach ihren Lippen, sie drückte den
Strauß an die Brust, und ich hörte deutlich, daß sie zur Prinzessin
sprach: Er ist gewiß wieder da! -- Die Prinzessin umarmte Julien mit
Heftigkeit und rief so laut: Nein, nein -- ach, niemals! daß der Fürst
sein feuriges Antlitz umdrehte und ihr ein zorniges _Silence!_ zuwarf. Der
Herr mochte auch wohl eben nicht gerade auf das liebe Kind sehr böse
sein, aber ich will es hier bemerken, daß die wunderbare Schminke, ein
_tiranno ingrato_ in der Oper hätte sich nicht zweckmäßiger anmalen
können, ihm wirklich das Ansehen eines fortwährenden unvertilgbaren
Zornes gab, so daß die rührendsten Reden, die zartesten Situationen,
welche häusliches Glück auf dem Throne allegorisch darstellten, rein
verloren schienen; Schauspieler und Zuschauer gerieten darüber in nicht
geringe Verlegenheit. Ja selbst wenn der Fürst bei den Stellen, die er
sich zu dem Behuf in dem Exemplar, das er in der Hand hielt, rot
angestrichen, der Fürstin die Hand küßte und mit dem Tuch eine Träne von
dem Auge wegdrückte, schien es in verbissenem Ingrimm zu geschehen, so
daß die Kammerherren, die diensttuend ihm zur Seite standen, sich
zuflüsterten: O Jesus, was ist unserm gnädigsten Herrn! -- Ich will dir
nur sagen, Johannes, daß, während die Schauspieler das alberne Zeug
vorne auf dem Theater hertragierten, ich mittels magischer Spiegel und
anderer Vorrichtungen hinterwärts in den Lüften ein Geisterschauspiel
darstellte zur Verherrlichung des Himmelskindes, der holden Julia, daß
eine Melodie nach der andern, die du in hoher Begeisterung geschaffen,
ertönte, ja, daß oft ferner, oft näher, wie banger ahnungsvoller
Geisterruf, der Name: Julia, erklang. -- Aber du fehltest -- du
fehltest, mein Johannes! Und wenn ich auch, nachdem das Schauspiel
geendet, meinen Ariel rühmen, wie Shakespeares Prospero den seinigen,
wenn ich auch sagen müßte, daß er alles trefflich vollführt, so fand ich
doch das, was ich mit tiefem Sinn angeordnet zu haben glaubte, schal und
matt. -- Die Julia hatte alles mit feinem Takt verstanden. Doch schien
sie nur angeregt wie von einem lieblichen Traum, dem man übrigens keine
sonderliche Einwirkung ins wache Leben verstattet. Die Prinzessin war
dagegen tief in sich gekehrt. Arm in Arm lustwandelte sie mit Julien in
den erleuchteten Gängen des Parks, während der Hof in einem Pavillon
Erfrischungen zu sich nahm. -- Ich hatte den Hauptschlag in diesem
Moment vorbereitet, aber du fehltest -- du fehltest, mein Johannes.
-- Voller Unmut und Zorn rannte ich umher, ich sah zu, ob alle Anstalten
zu dem großen Feuerwerk, womit das Fest schließen sollte, gehörig
geordnet. Da gewahrte ich, aufschauend zum Himmel, über dem fernen
Geierstein, im Schimmer der Nacht die kleine rötliche Wolke, die
jedesmal ein Wetter bedeutet, das still heraufzieht und dann hier über
uns mit einer fürchterlichen Explosion losbricht. Zu welcher Zeit diese
Explosion geschehen muß, berechne ich, wie du weißt, nach dem Stand der
Wolke auf die Sekunde. Keine Stunde konnte es mehr dauern, ich beschloß
daher, mit dem Feuerwerk zu eilen. In dem Augenblick vernahm ich, daß
mein Ariel mit jener Phantasmagorie begonnen, die alles, alles
entscheiden sollte, denn ich hörte am Ende des Parks in der kleinen
Marienkapelle den Chor dein _Ave maris stella_ singen. Ich eilte schnell
hin. Julia und die Prinzessin knieten in dem Betstuhl, der vor der
Kapelle im Freien angebracht. Kaum war ich an Ort und Stelle, als --
aber du fehltest -- du fehltest, mein Johannes! -- Laß mich darüber
schweigen, was sich jetzt begab. -- Ach! -- wirkungslos blieb das, was
ich für ein Meisterstück meiner Kunst gehalten, und ich erfuhr, was ich
blöder Tor nicht geahnt. --

Heraus mit der Sprache! rief Kreisler; alles, alles sage, Meister wie es
sich begeben.

Mit nichten, erwiderte Meister Abraham; es nützt dir nichts, Johannes,
und mir zerschneidet es die Brust, wenn ich noch sagen soll, wie meine
eignen Geister mir Graus einjagten und Entsetzen! -- Die Wolke!
-- glücklicher Gedanke! So soll, rief ich wild aus, denn alles in toller
Verwirrung enden! und rannte fort nach dem Platze des Feuerwerks. Der
Fürst ließ mir sagen, wenn alles fertig sei, sollte ich das Zeichen
geben. Das Auge nicht abwendend von der Wolke, die vom Geierstein weg
höher und höher heraufzog, ließ ich, als sie mir hoch genug schien, die
Böller lösen. Bald war der Hof, die ganze Gesellschaft, an Ort und
Stelle. Nach dem gewöhnlichen Spiel mit Feuerrädern, Raketen,
Leuchtkugeln und anderm gemeinen Zeuge ging endlich der Namenszug der
Fürstin in Chinesischem Brillantfeuer auf, doch hoch über ihm in den
Lüften schwamm und verschwamm in milchweißem Licht der Name Julia. -- Nun
war es Zeit. -- Ich zündete die Girandole an, und wie zischend und
prasselnd die Raketen in die Höhe fuhren, brach das Wetter los mit
glutroten Blitzen, mit krachenden Donnern, von denen Wald und Gebirge
erdröhnten. Und der Orkan brauste hinein in den Park und störte auf den
tausendstimmig heulenden Jammer im tiefsten Gebüsch. Ich riß einem
fliehenden Trompeter das Instrument aus der Hand und blies lustig
jauchzend darin, während die Artilleriesalven der Feuertöpfe, der
Kanonenschläge, der Böller, wacker dem rollenden Donner
entgegenknallten.

Während Meister Abraham also erzählte, sprang Kreisler auf, schritt
heftig im Zimmer auf und ab, focht mit den Armen um sich und rief
endlich ganz begeistert: Das ist schön, das ist herrlich, daran erkenne
ich meinen Meister Abraham, mit dem ich ein Herz bin und eine Seele!

O, sprach Meister Abraham, ich weiß es ja, das Wildeste,
Schauerlichste, ist dir eben recht, und doch habe ich das vergessen, was
dich ganz und gar den unheimlichen Mächten der Geisterwelt preisgegeben
hätte. -- Ich hatte die Wetterharfe, die, wie du weißt, sich über das
große Bassin hinzieht, anspannen lassen, auf der der Sturm als ein
tüchtiger Harmoniker gar wacker spielte. In dem Geheul, in dem Gebraus
des Orkans, in dem Krachen des Donners, erklangen furchtbar die Akkorde
der Riesenorgel. Schneller und schneller schlugen die gewaltigen Töne
los, und man mochte wohl ein Furienballett vernehmen, dessen Stil
ungemein groß zu nennen, wie man es beinahe zwischen den leinwandnen
Wänden des Theaters nicht zu hören bekommt. -- Nun! -- in einer halben
Stunde war alles vorüber. Der Mond trat hinter den Wolken hervor. Der
Nachtwind säuselte tröstend durch den erschrockenen Wald und trocknete
die Tränen weg von den dunklen Büschen. Dazwischen ertönte noch dann und
wann die Wetterharfe wie dumpfes, fernes Glockengeläute. -- Mir war
wunderlich zu Mute. Du, mein Johannes, erfülltest mein Inneres so ganz
und gar, daß ich glaubte, du würdest gleich vor mir aufsteigen aus dem
Grabhügel verlorner Hoffnungen, unerfüllter Träume, und an meine Brust
sinken. Nun in der Stille der Nacht kam der Gedanke, was für ein Spiel
ich unternommen, wie ich gewaltsam den Knoten, den das dunkle Verhängnis
geschlungen, zerreißen wollen, aus meinem Innern herausgetreten,
fremdartig, in anderer Gestaltung, auf mich los, und indem mich kalte
Schauer durchbebten, war ich es selbst, vor dem ich mich entsetzen
mußte. -- Eine Menge Irrlichter tanzten und hüpften im ganzen Park
umher, aber es waren die Bedienten mit Laternen, welche die auf der
schnellen Flucht verlornen Hüte, Perücken, Haarbeutel, Degen, Schuhe und
Shawls zusammensuchten. Ich machte mich davon. Mitten auf der großen
Brücke vor unserer Stadt blieb ich stehen und schaute noch einmal zurück
nach dem Park, der vom magischen Schimmer des Mondes umflossen da stand
wie ein Zaubergarten, in dem das lustige Spiel flinker Elfen begonnen.
Da fiel mir ein feines Piepen in die Ohren, ein Quäken, das beinahe dem
eines neugebornen Kindes glich. Ich vermutete eine Untat, bückte mich
tief über das Geländer und entdeckte im hellen Mondschein ein Kätzchen,
daß sich mühsam an den Pfosten angeklammert, um dem Tode zu entgehen.
Wahrscheinlich hatte man eine Katzenbrut ersäufen wollen, und das
Tierchen war wieder hinaufgekrochen. Nun, dacht' ich, ist's auch kein
Kind, so ist es doch ein armes Tier, das dich um Rettung anquäkt und das
du retten mußt.

O du empfindsamer Just, rief Kreisler lachend, sage, wo ist dein
Tellheim?

Erlaube, fuhr Meister Abraham fort, mein Johannes, mit dem Just magst
du mich kaum vergleichen. Ich habe den Just überjustet. Er rettete einen
Pudel, ein Tier, das jeder gern um sich duldet, von dem sogar angenehme
Dienstleistungen zu erwarten, mittels Apportieren, Handschuhe,
Tabaksbeutel und Pfeife nachtragen usw., aber ich rettete einen Kater,
ein Tier, vor dem sich viele entsetzen, das allgemein als perfid, keiner
sanften, wohlwollenden Gesinnung, keiner offenherzigen Freundschaft
fähig, ausgeschrieen wird, das niemals ganz und gar die feindliche
Stellung gegen den Menschen aufgibt, ja, einen Kater rettete ich aus
purer uneigennütziger Menschenliebe. -- Ich kletterte über das Geländer,
griff, nicht ohne Gefahr, herab, faßte das wimmernde Kätzchen, zog es
hinauf und steckte es in die Tasche. Nach Hause gekommen, zog ich mich
schnell aus und warf mich ermüdet und erschöpft, wie ich war, aufs Bett.
Kaum war ich aber eingeschlafen, als mich ein klägliches Piepen und
Winseln weckte, das aus meinem Kleiderschrank herzukommen schien. -- Ich
hatte das Kätzchen vergessen und es in der Rocktasche gelassen. Ich
befreite das Tier aus dem Gefängnis, wofür es mich dermaßen kratzte, daß
mir alle fünf Finger bluteten. Schon war ich im Begriff, den Kater
durchs Fenster zu werfen, ich besann mich aber und schämte mich meiner
kleinlichen Torheit, meiner Rachsucht, die nicht einmal bei Menschen
angebracht ist, viel weniger bei der unvernünftigen Kreatur. -- Genug,
ich zog mit aller Mühe und Sorgfalt den Kater groß. Es ist das
gescheuteste, artigste, ja witzigste Tier der Art, das man sehen kann,
dem es nur noch an der höhern Bildung fehlt, die du, mein lieber
Johannes, ihm mit leichter Mühe beibringen wirst, weshalb ich denn
gesonnen bin, dir den Kater Murr, so habe ich ihn benannt, fernerhin zu
überlassen. Obschon Murr zur Zeit, wie die Juristen sich ausdrücken,
noch kein homo sui juris ist, so habe ich ihn doch um seine Einwilligung
gefragt, ob er in deine Dienste treten wolle. Er ist durchaus damit
zufrieden.«

Du faselst, sprach Kreisler, Meister Abraham! Du weißt, daß ich Katzen
nicht sonderlich leiden mag, daß ich dem Geschlecht der Hunde bei weitem
den Vorzug gebe. --

Ich bitte dich, erwiderte Meister Abraham, lieber Johannes, recht von
Herzen, nimm meinen hoffnungsvollen Kater Murr wenigstens so lange zu
dir, bis ich heimkehre von meiner Reise! Ich habe ihn schon deshalb
mitgebracht, er ist draußen und wartet auf gütigen Bescheid. Sieh ihn
wenigstens an.

Damit öffnete Meister Abraham die Türe, und auf der Strohmatte
zusammengekrümmt, schlafend, lag ein Kater, der wirklich in seiner Art
ein Wunder von Schönheit zu nennen. Die grauen und schwarzen Streifen
des Rückens liefen zusammen auf dem Scheitel zwischen den Ohren und
bildeten auf der Stirne die zierlichste Hieroglyphenschrift. Ebenso
gestreift und von ganz ungewöhnlicher Länge und Stärke war der
stattliche Schweif. Dabei glänzte des Katers buntes Kleid und schimmerte
von der Sonne beleuchtet, so daß man zwischen dem Schwarz und Grau noch
schmale goldgelbe Streifen wahrnahm. Murr! Murr! rief Meister Abraham,
krrr -- krrr, erwiderte der Kater sehr vernehmlich, dehnte -- erhob
sich, machte den außerordentlichsten Katzenbuckel und öffnete ein paar
grasgrüne Augen, aus denen Geist und Verstand in funkelndem Feuer
hervorblitzten. Das behauptete wenigstens Meister Abraham, und auch
Kreisler mußte so viel einräumen, daß der Kater etwas Besonderes,
Ungewöhnliches im Antlitz trage, daß sein Kopf hinlänglich dick, um die
Wissenschaften zu fassen, sein Bart aber schon jetzt in der Jugend weiß
und lang genug sei, um dem Kater gelegentlich die Autorität eines
griechischen Weltweisen zu verschaffen.

Wie kann man aber auch überall gleich schlafen, sprach Meister Abraham
zum Kater, du verlierst alle Heiterkeit darüber und wirst vor der Zeit
ein grämliches Tier. Putz dich fein, Murr!

Sogleich setzte der Kater sich auf die Hinterfüße, fuhr mit den
Samtpfötchen sich zierlich über Stirn und Wangen und stieß dann ein
klares freudiges Miau aus.

Dies ist, fuhr Meister Abraham fort, der Herr Kapellmeister Johannes
Kreisler, bei dem du in Dienste treten wirst. Der Kater glotzte den
Kapellmeister mit seinen großen funkelnden Augen an, begann zu knurren,
sprang auf den Tisch, der neben Kreislern stand, und von da ohne
weiteres auf seine Schulter, als wolle er ihm etwas ins Ohr sagen. Dann
setzte er wieder herab zur Erde und umkreiste schwänzelnd und knurrend
den neuen Herrn, als wolle er recht Bekanntschaft mit ihm machen.

Gott verzeih mir, rief Kreisler, ich glaube gar, der kleine graue Kerl
hat Verstand und stammt aus der illustren Familie des gestiefelten
Katers her.

So viel ist gewiß, erwiderte Meister Abraham, daß der Kater Murr das
possierlichste Tier von der Welt ist, ein wahrer Pulcinell und dabei
artig und sittsam, nicht zudringlich und unbescheiden, wie zuweilen
Hunde, die uns mit ungeschickten Liebkosungen beschwerlich fallen.

Indem ich, sprach Kreisler, diesen klugen Kater betrachte, fällt es mir
wieder schwer aufs Herz, in welchen engen Kreis unsere Erkenntnis
gebannt ist. -- Wer kann es sagen, wer nur ahnen, wie weit das
Geistesvermögen der Tiere geht! -- Wenn uns etwas, oder vielmehr alles,
in der Natur unerforschlich bleibt, so sind wir gleich mit Namen bei der
Hand, und brüsten uns mit unserer albernen Schulweisheit, die eben nicht
viel weiter reicht als unsere Nase. So haben wir denn auch das ganze
geistige Vermögen der Tiere, das sich oft auf die wunderbarste Art
äußert, mit der Bezeichnung Instinkt abgefertigt. Ich möchte aber nur
die einzige Frage beantwortet haben, ob mit der Idee des Instinkts, des
blinden willkürlosen Triebes, die Fähigkeit zu träumen vereinbar sei.
Daß aber z. B. Hunde mit der größten Lebhaftigkeit träumen, weiß jeder,
der einen schlafenden Jagdhund beobachtet hat, dem im Traum die ganze
Jagd aufgegangen. Er sucht, er schnuppert, er bewegt die Füße, als sei
er im vollen Rennen, er keucht, er schwitzt. -- Von träumenden Katern
weiß ich zur Zeit nichts. --

Der Kater Murr, unterbrach Meister Abraham den Freund, träumt nicht
allein sehr lebendig, sondern er gerät auch, wie deutlich zu bemerken,
häufig in jene sanften Reverien, in das träumerische Hinbrüten, in das
somnambule Delirieren, kurz, in jenen seltsamen Zustand zwischen
Schlafen und Wachen, der poetischen Gemütern für die Zeit des
eigentlichen Empfanges genialer Gedanken gilt. In diesem Zustande stöhnt
und ächzt er seit kurzer Zeit ganz ungemein, so daß ich glauben muß, daß
er entweder in Liebe ist, oder an einer Tragödie arbeitet.

Kreisler lachte hell auf, indem er rief: Nun so komm denn, du kluger,
artiger, witziger, poetischer Kater Murr, laß uns --

=(M. f. f.)= -- ersten Erziehung, meiner Jugendmonate überhaupt noch
vieles anführen.

Es ist nämlich wohl höchst merkwürdig und lehrreich, wenn ein großer
Geist in einer Autobiographie über alles, was sich mit ihm in seiner
Jugend begab, sollte es auch noch so unbedeutend scheinen, sich recht
umständlich ausläßt. Kann aber auch wohl einem hohen Genius jemals
Unbedeutendes begegnen? Alles, was er in seiner Knabenzeit unternahm
oder nicht unternahm, ist von der höchsten Wichtigkeit, und verbreitet
helles Licht über den tiefern Sinn, über die eigentliche Tendenz seiner
unsterblichen Werke. Herrlicher Mut geht auf in der Brust des strebenden
Jünglings, den bange Zweifel quälen, ob die innere Kraft auch wohl
genüge, wenn er lieset, daß der große Mann als Knabe auch Soldat
spielte, sich in Naschwerk übernahm und zuweilen was weniges Schläge
erhielt, weil er faul war ungezogen und tölpisch. »Gerade wie ich,
gerade wie ich«, ruft der Jüngling begeistert aus und zweifelt nicht
länger, daß auch er ein hoher Genius ist trotz seinem angebeteten Idol.

Mancher las den Plutarch oder auch wohl nur den Cornelius Nepos und
wurde ein großer Held, mancher die Tragödien-Dichter der Alten in der
Übersetzung, und nebenher den Calderon und Shakespeare, den Goethe und
Schiller und wurde, wo nicht ein großer Dichter, doch ein kleiner
allerliebster Versmacher, wie ihn die Leute eben so gern haben. So
werden meine Werke auch gewiß in der Brust manches jungen geist- und
gemütreichen Katers das höhere Leben der Poesie entzünden, und nimmt
dann der edle Katerjüngling meine biographischen Belustigungen auf dem
Dache vor, geht er ganz ein in die hohen Ideen des Buches, das ich
soeben unter den Klauen habe, dann wird er im Entzücken der Begeisterung
ausrufen: Murr, göttlicher Murr, größter deines Geschlechts, dir, dir
allein verdanke ich alles, nur dein Beispiel macht mich groß. --

Es ist zu rühmen, daß Meister Abraham bei meiner Erziehung sich weder
an den vergessenen Basedow hielt, noch die Pestalozzische Methode
befolgte, sondern mir unbeschränkte Freiheit ließ, mich selbst zu
erziehen, insofern ich mich nur in gewisse Normalprinzipien fügte, die
Meister Abraham sich als unbedingt notwendig für die Gesellschaft, die
die herrschende Macht auf dieser Erde versammelt, dachte, da sonst alles
blind und toll durcheinander rennen und es überall vertrackte
Rippenstöße und garstige Beulen setzen, eine Gesellschaft überhaupt
nicht denkbar sein würde. Den Inbegriff dieser Prinzipien nannte der
Meister die natürliche Artigkeit im Gegensatz der konventionellen, der
gemäß man sprechen muß: ich bitte ganz gehorsamst um gütige Verzeihung,
wenn man von einem Lümmel angerannt, oder auf den Fuß getreten worden.
Mag es sein, daß jene Artigkeit den Menschen nötig ist, so kann ich doch
nicht begreifen, wie sich ihr auch mein freigebornes Geschlecht fügen
soll, und war nun das Hauptregens, mittels dessen der Meister mir jene
Normalprinzipien beibrachte, ein gewisses sehr fatales Birkenreis, so
kann ich mich wohl mit Recht über Härte meines Erziehers beklagen.
Davongelaufen wäre ich, hätte mich nicht der mir angeborene Hang zur
höhern Kultur an den Meister festgebunden. -- Je mehr Kultur, desto
weniger Freiheit, das ist ein wahres Wort. Mit der Kultur steigen die
Bedürfnisse, mit den Bedürfnissen -- Nun; eben die augenblickliche
Befriedigung mancher natürlichen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf Ort und
Zeit, das war das erste was mir der Meister mittels des verhängnisvollen
Birkenreises total abgewöhnte. Dann kam es an die Gelüste, die, wie ich
mich später überzeugt habe, lediglich aus einer gewissen abnormen
Stimmung des Gemüts entstehen. Eben diese seltsame Stimmung, die
vielleicht von meinem psychischen Organismus selbst erzeugt wurde, trieb
mich an, die Milch, ja selbst den Braten, den der Meister für mich
hingestellt, stehen zu lassen, auf den Tisch zu springen, und das
wegzunaschen, was er selbst genießen wollte. Ich empfand die Kraft des
Birkenreises, und ließ es bleiben. -- Ich sehe es ein, daß der Meister
recht hatte, meinen Sinn von dergleichen abzulenken, da ich weiß, daß
mehrere meiner guten Mitbrüder, weniger kultiviert, weniger gut erzogen
als ich, dadurch in die abscheulichsten Verdrießlichkeiten, ja in die
traurigste Lage, auf ihre Lebenszeit geraten sind. Ist es mir doch
bekannt worden, daß ein hoffnungsvoller Katerjüngling den Mangel an
innerer geistiger Kraft, seinem Gelüst zu widerstehen einen Topf Milch
auszunaschen, mit dem Verlust seines Schweifs büßen, und verhöhnt,
verspottet, sich in die Einsamkeit zurückziehen mußte. Also der Meister
hatte recht, mir dergleichen abzugewöhnen; daß er aber meinem Drange
nach den Wissenschaften und Künsten Widerstand leistete, das kann ich
ihm nicht verzeihen. --

Nichts zog mich in des Meisters Zimmer mehr an als der mit Büchern,
Schriften und allerlei seltsamen Instrumenten bepackte Schreibtisch. Ich
kann sagen, daß dieser Tisch ein Zauberkreis war, in den ich mich
gebannt fühlte, und doch empfand ich eine gewisse heilige Scheu, die
mich abhielt, meinem Triebe ganz mich hinzugeben. Endlich eines Tages,
als eben der Meister abwesend war, überwand ich meine Furcht und sprang
hinauf auf den Tisch. Welche Wollust, als ich nun mitten unter den
Schriften und Büchern saß, und darin wühlte. Nicht Mutwille, nein nur
Begier, wissenschaftlicher Heißhunger war es, daß ich mit den Pfoten ein
Manuskript erfaßte, und so lange hin und her zauste, bis es in kleine
Stücke zerrissen vor mir lag. Der Meister trat herein, sah was
geschehen, stürzte mit dem kränkenden Ausruf: Bestie, vermaledeite! auf
mich los, und prügelte mich mit dem Birkenreis so derb ab, daß ich mich
winselnd vor Schmerz unter den Ofen verkroch, und den ganzen Tag über
durch kein freundliches Wort wieder hervorzulocken war. Wen hätte dies
Ereignis nicht abgeschreckt auf immer, selbst die Bahn zu verfolgen, die
ihm die Natur vorgezeichnet! Aber kaum hatte ich mich ganz erholt von
meinen Schmerzen, als ich, meinem unwiderstehlichen Drange folgend,
wieder auf den Schreibtisch sprang. Freilich war ein einziger Ruf meines
Meisters, ein abgebrochener Satz wie z. B. »Will er!« -- hinlänglich,
mich wieder herab zu jagen, so daß es nicht zum Studieren kam; indessen
wartete ich ruhig auf einen günstigen Moment, meine Studien anzufangen,
und dieser trat denn auch bald ein. Der Meister rüstete sich eines Tages
zum Ausgehen, alsbald versteckte ich mich so gut im Zimmer, daß er mich
nicht fand, als er, eingedenk des zerrissenen Manuskripts, mich
hinausjagen wollte. Kaum war der Meister fort, so sprang ich mit einem
Satz auf den Schreibtisch und legte mich mitten hinein in die Schriften,
welches mir ein unbeschreibliches Wohlgefallen verursachte. Geschickt
schlug ich mit der Pfote ein ziemlich dickes Buch auf, welches vor mir
lag, und versuchte, ob es mir nicht möglich sein würde, die
Schriftzeichen darin zu verstehen. Das gelang mir zwar anfangs ganz und
gar nicht, ich ließ aber gar nicht ab, sondern starrte hinein in das
Buch, erwartend, daß ein ganz besonderer Geist über mich kommen und mir
das Lesen lehren werde. So vertieft überraschte mich der Meister. Mit
einem lauten: Seht die verfluchte Bestie, sprang er auf mich zu. Es war
zu spät mich zu retten, ich kniff die Ohren an, ich duckte mich nieder,
so gut es gehen wollte, ich fühlte schon die Rute auf meinem Rücken.
Aber die Hand schon aufgehoben hielt der Meister plötzlich inne, schlug
eine helle Lache auf und rief: Kater -- Kater du liesest? ja, das kann,
das will ich dir nicht verwehren. Nun sieh -- sieh! -- was für ein
Bildungstrieb dir inwohnt. -- Er zog mir das Buch unter den Pfoten weg,
schaute hinein, und lachte noch unmäßiger als vorher. Das muß ich sagen,
sprach er dann, ich glaube gar, du hast dir eine kleine Handbibliothek
angeschafft, denn ich wüßte sonst gar nicht, wie das Buch auf meinen
Schreibtisch kommen sollte? -- Nun lies nur -- studiere fleißig mein
Kater, allenfalls magst du auch die wichtigsten Stellen im Buche durch
sanfte Einrisse bezeichnen, ich stelle dir das frei! -- Damit schob er
mir das Buch aufgeschlagen wieder hin. Es war, wie ich später erfuhr,
Knigge über den Umgang mit Menschen, und ich habe aus diesem herrlichen
Buch viel Lebensweisheit geschöpft. Es ist so recht aus meiner Seele
geschrieben, und paßt überhaupt für Kater, die in der menschlichen
Gesellschaft etwas gelten wollen, ganz ungemein. Diese Tendenz des Buchs
ist, soviel ich weiß, bisher übersehen, und daher zuweilen das falsche
Urteil gefällt worden, daß der Mensch, der sich ganz genau an die im
Buch aufgestellten Regeln halten wolle, notwendig überall als ein
steifer herzloser Pedant auftreten müsse.

Seit dieser Zeit litt mich der Meister nicht allein auf dem
Schreibtisch, sondern er sah es sogar gern, wenn ich, arbeitete er
selbst, heraufsprang, und mich vor ihm unter die Schriften hinlagerte.

Meister Abraham hatte die Gewohnheit oftmals viel hintereinander laut
zu lesen. Ich unterließ dann nicht, mich so zu postieren, daß ich ihm
ins Buch sehen konnte, welches bei den scharfblickenden Augen, die mir
die Natur verliehen, möglich war, ohne ihm beschwerlich zu fallen.
Dadurch, daß ich die Schriftzeichen mit den Worten verglich, die er
aussprach, lernte ich in kurzer Zeit lesen, und wem dies etwa
unglaublich vorkommen möchte, hat keinen Begriff von dem ganz besonderen
Ingenium womit mich die Natur ausgestattet. Genies die mich verstehen
und mich würdigen, werden keinen Zweifel hegen. Rücksichts einer Art
Ausbildung, die vielleicht der ihrigen gleich ist. Dabei darf ich auch
nicht unterlassen, die merkwürdige Beobachtung mitzuteilen, die ich
rücksichts des vollkommenen Verstehens der menschlichen Sprache gemacht.
Ich habe nämlich mit vollem Bewußtsein beobachtet, daß ich gar nicht
weiß wie ich zu diesem Verstehen gekommen bin. Bei den Menschen soll
dies auch der Fall sein. Das nimmt mich aber gar nicht wunder, da dies
Geschlecht in den Jahren der Kindheit beträchtlich dümmer und
unbeholfener ist als wir. Als ein ganz kleines Käterchen ist es mir
niemals geschehen, daß ich mir selbst in die Augen gegriffen, ins Feuer
oder ins Licht gefaßt oder Stiefelwichse statt Kirschmus gefressen, wie
dies wohl bei kleinen Kindern zu geschehen pflegt.

Wie ich nun fertig las, und ich mich täglich mehr mit fremden Gedanken
vollstopfte, fühlte ich den unwiderstehlichsten Drang, auch meine eignen
Gedanken, wie sie der mir innewohnende Genius gebar, der Vergessenheit
zu entreißen, und dazu gehörte nun allerdings die freilich sehr schwere
Kunst des Schreibens. So aufmerksam ich auch meines Meisters Hand, wenn
er schrieb, beobachten mochte, durchaus wollte es mir doch nicht
gelingen, ihm die eigentliche Mechanik abzulauern. Ich studierte den
alten Hilmar Curas, das einzige Schreibevorschriftsbuch, welches mein
Meister besaß, und wäre beinahe auf den Gedanken geraten, daß die
rätselhafte Schwierigkeit des Schreibens nur durch die große Manschette
gehoben werden könne, welche die darin abgebildete schreibende Hand
trägt, und daß es nur besonders erlangte Fertigkeit sei, wenn mein
Meister ohne Manschette schriebe, so wie der geübte Seiltänzer zuletzt
nicht mehr der Balancierstange bedarf. Ich trachtete begierig nach
Manschetten, und war im Begriff, die Dormeuse der alten Haushälterin für
meine rechte Pfote zuzureißen und zu adaptieren, als mir plötzlich in
einem Moment der Begeisterung, wie es bei Genies zu geschehen pflegt,
der geniale Gedanke einkam, der alles löste. Ich vermutete nämlich, daß
die Unmöglichkeit, die Feder, den Stift, so zu halten wie mein Meister,
wohl in dem verschiedenen Bau unserer Hände liegen könne, und diese
Vermutung traf ein. Ich mußte eine andere dem Bau meines rechten
Pfötchens angemessene Schreibart erfinden und erfand sie wirklich, wie
man wohl denken mag. -- So entstehen aus der besonderen Organisation des
Individuums neue Systeme. --

Eine zweite böse Schwierigkeit fand ich in dem Eintunken der Feder in
das Tintenfaß. Nicht glücken wollt' es mir nämlich, bei dem Eintunken
das Pfötchen zu schonen, immer kam es mit hinein in die Tinte, und so
konnte es nicht fehlen, daß die ersten Schriftzüge, mehr mit der Pfote
als mit der Feder gezeichnet, etwas groß und breit gerieten.
Unverständige mochten daher meine ersten Manuskripte beinahe nur für mit
Tinte beflecktes Papier ansehen. Genies werden den genialen Kater in
seinen ersten Werken leicht erraten und über die Tiefe, über die Fülle
des Geistes, wie er zuerst aus unversiegbarer Quelle aussprudelte,
erstaunen, ja ganz außer sich geraten. Damit die Welt sich dereinst
nicht zanke über die Zeitfolge meiner unsterblichen Werke, will ich hier
sagen, daß ich zuerst den philosophisch-sentimental-didaktischen Roman
schrieb: »Gedanke und Ahnung, oder Kater und Hund.« Schon dieses Werk
hätte ungeheures Aufsehen machen können. Dann, in allen Sätteln gerecht,
schrieb ich ein politisches Werk, unter dem Titel: Ȇber Mausefallen und
deren Einfluß auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit;« hierauf fühlt'
ich mich begeistert zu der Tragödie: »Rattenkönig Kawdallor.« Auch diese
Tragödie hätte auf allen nur erdenklichen Theatern unzähligemal mit dem
lärmendsten Beifall gegeben werden können. Den Reihen meiner sämtlichen
Werke sollen diese Erzeugnisse meines hoch emporstrebenden Geistes
eröffnen; über den Anlaß, sie zu schreiben, werde ich mich gehörigen
Orts auslassen können.

Als ich die Feder besser zu halten gelernt, als das Pfötchen rein blieb
von Tinte, wurde auch freilich mein Stil anmutiger, lieblicher, heller;
ich legte mich ganz vorzüglich auf Musenalmanache, schrieb verschiedene
freundliche Schriften und wurde übrigens sehr bald der liebenswürdige
gemütliche Mann, der ich noch heute bin. Beinahe hätte ich schon damals
ein Heldengedicht gemacht, in vier und zwanzig Gesängen, doch als ich
fertig, war es etwas anderes worden, wofür Tasso und Ariost noch im
Grabe dem Himmel danken können. Sprang wirklich ein Heldengedicht unter
meinen Klauen hervor, beide hätte kein Mensch mehr gelesen.

Ich komme jetzt auf die --

=(Mak. Bl.)= -- zum bessern Verständnis doch nötig sein, dir, geneigter
Leser, das ganze Verhältnis der Dinge klar und deutlich auseinander zu
setzen.

Jeder, der nur ein einzigesmal im Gasthofe des anmutigen
Landstädtchens Sieghartsweiler abgestiegen ist, hat sogleich von dem
Fürsten Irenäus reden gehört. Bestellte er nämlich bei dem Wirt nur ein
Gericht Forellen, die in der Gegend vorzüglich, so erwiderte derselbe
gewiß: Sie haben recht, mein Herr, unser gnädigster Fürst essen auch
dergleichen ungemein gern, und ich vermag die angenehmen Fische gerade
so zuzubereiten, wie es bei Hofe üblich. Aus den neuesten Geographien,
Landkarten, statistischen Nachrichten wußte der unterrichtete Reisende
aber nichts anderes, als daß das Städtchen Sieghartsweiler samt dem
Geierstein und der ganzen Umgebung längst dem Großherzogtum, das er
soeben durchreiset, einverleibet worden; nicht wenig mußte es ihn daher
verwundern, hier einen gnädigsten Herrn Fürsten und einen Hof zu finden.
Die Sache hatte aber folgenden Zusammenhang. Fürst Irenäus regierte
sonst wirklich ein artiges Ländchen nicht fern von Sieghartsweiler, und
da er mittels eines guten Dollonds von dem Belvedere seines Schlosses im
Residenzmarktflecken seine sämtlichen Staaten zu übersehen vermochte, so
konnt' es nicht fehlen, daß er das Wohl und Weh seines Landes, das Glück
der geliebten Untertanen, stets im Auge behielt. Er konnte in jeder
Minute wissen, wie Peters Weizen in dem entferntesten Bereich des Landes
stand, und ebensogut beobachten, ob Hans und Kunz ihre Weinberge gut und
fleißig besorgten. Man sagt, Fürst Irenäus habe sein Ländchen auf einem
Spaziergange über die Grenze aus der Tasche verloren, so viel ist aber
gewiß, daß in einer neuen mit mehrern Zusätzen versehenen Ausgabe jenes
Großherzogtums, das Ländchen des Fürsten Irenäus einfoliiert und
einregistriert war. Man überhob ihn der Mühe des Regierens, indem man
ihm aus den Revenüen des Landes, das er besessen, eine ziemlich reiche
Apanage aussetzte, die er eben in dem anmutigen Sieghartsweiler
verzehren sollte.

Außer jenem Ländchen besaß Fürst Irenäus noch ein ansehnliches bares
Vermögen, das ihm unverkürzt blieb, und so sah er sich aus dem Stande
eines kleinen Regenten plötzlich versetzt in den Stand eines
ansehnlichen Privatmannes, der zwanglos nach freier Willkür sich das
Leben gestalten konnte wie er wollte.

Fürst Irenäus hatte den Ruf eines feingebildeten Herrn, der empfänglich
für Wissenschaft und Kunst. Kam nun noch hinzu, daß er oft die lästige
Bürde der Regentschaft schmerzlich gefühlt, ja, ging auch schon einmal
von ihm die Rede, daß er den romanhaften Wunsch, in einem kleinen Hause,
an einem murmelnden Bach, mit einigem Hausvieh ein einsames idyllisches
Leben procul negotiis zu führen, in anmutige Verse gebracht, so hätte
man denken sollen, daß er nun, den regierenden Herrn vergessend, sich
einrichten werde mit dem gemütlichen Hausbedarf, wie es in der Macht
steht des reichen, unabhängigen Privatmannes. Dem war aber ganz und gar
nicht so!

Es mag wohl sein, daß die Liebe der großen Herren zur Kunst und
Wissenschaft nur als ein integrierender Teil des eigentlichen Hoflebens
anzusehen ist. Der Anstand erfordert es Gemälde zu besitzen und Musik zu
hören, und übel würde es sein, wenn der Hofbuchbinder feiern und nicht
die neueste Literatur fortwährend in Gold und Leder kleiden sollte. Ist
aber jene Liebe ein integrierender Teil des Hoflebens selbst, so muß sie
mit diesem zugleich untergehen und kann nicht als etwas für sich fort
Bestehendes Trost gewähren für den verlornen Thron oder das kleine
Regentenstühlchen, auf dem man zu sitzen gewohnt.

Fürst Irenäus erhielt sich beides, das Hofleben und die Liebe für die
Künste und Wissenschaften, indem er einen süßen Traum ins Leben treten
ließ, in dem er selbst mit seiner Umgebung, so wie ganz Sieghartsweiler,
figurierte.

Er tat nämlich so, als sei er regierender Herr, behielt die ganze
Hofhaltung, seinen Kanzler des Reichs, sein Finanzkollegium &c. bei,
erteilte seinen Hausorden, gab Cour, Hofbälle, die meistenteils aus
zwölf bis funfzehn Personen bestanden, da auf die eigentliche
Courfähigkeit strenger geachtet wurde, als an den größten Höfen, und die
Stadt war gutmütig genug, den falschen Glanz dieses träumerischen Hofes
für etwas zu halten, das ihr Ehre und Ansehen bringe. So nannten die
guten Sieghartsweiler den Fürsten Irenäus ihren gnädigsten Herrn,
illuminierten die Stadt an seinem Namensfeste und an den Namenstagen
seines Hauses, und opferten sich überhaupt gern auf für das Vergnügen
des Hofes, wie die atheniensischen Bürgersleute in Shakespeares
Sommernachtstraum.

Es war nicht zu leugnen, daß der Fürst seine Rolle mit dem
wirkungsvollsten Pathos durchführte, und dieses Pathos seiner ganzen
Umgebung mitzuteilen wußte. -- So erscheint ein fürstlicher Finanzrat in
dem Klub zu Sieghartsweiler finster, in sich gekehrt, wortkarg. -- Wolken
ruhen auf seiner Stirn, er versinkt oft in tiefes Nachdenken, fährt dann
auf, wie plötzlich erwachend. -- Kaum wagt man es laut zu sprechen, hart
aufzutreten in seiner Nähe. Es schlägt neun Uhr, da springt er auf,
nimmt seinen Hut, vergebens sind alle Bemühungen, ihn festzuhalten, er
versichert mit stolzem tiefbedeutendem Lächeln, daß ihn Aktenstöße
erwarten, daß er die Nacht würde opfern müssen, um sich zu der
morgenden, höchst wichtigen, letzten Quartalsitzung des Kollegiums
vorzubereiten, eilt hinweg und hinterläßt die Gesellschaft in
ehrfurchtsvoller Erstarrung über die enorme Wichtigkeit und
Schwierigkeit seines Amtes. -- Und der wichtige Vortrag, auf den sich
der geplagte Mann die Nacht über vorbereiten muß? -- Je nun, die
Waschzettel aus sämtlichen Departements, der Küche, der Tafel, der
Garderobe usw. fürs verflossene Vierteljahr sind eingegangen, und er ist
es, der in allen Waschangelegenheiten den Vortrag hat. -- So bemitleidet
die Stadt den armen fürstlichen Wagenmeister, spricht jedoch, von dem
sublimen Pathos des fürstlichen Kollegiums ergriffen, strenge aber
gerecht! -- Der Mann hat nämlich, erhaltener Instruktion gemäß, einen
Halbwagen, der unbrauchbar geworden, verkauft, das Finanzkollegium ihm
aber bei Strafe augenblicklicher Kassation aufgegeben, binnen drei Tagen
nachzuweisen, wo er die andere Hälfte gelassen, die vielleicht noch
brauchbar gewesen. --

Ein besonderer Stern, der am Hofe des Fürsten Irenäus leuchtete, war die
Rätin Benzon, Witwe in der Mitte der dreißiger Jahre, sonst eine
gebietende Schönheit, noch jetzt nicht ohne Liebreiz, die einzige, deren
Adel zweifelhaft und die der Fürst dennoch ein für allemal als courfähig
angenommen. Der Rätin heller, durchdringender Verstand, ihr lebhafter
Geist, ihre Weltklugheit, vorzüglich aber eine gewisse Kälte des
Charakters, die dem Talent zu herrschen unerläßlich, übten ihre Macht in
voller Stärke, so daß sie es eigentlich war, die die Fäden des
Puppenspiels an diesem Miniaturhofe zog. Ihre Tochter, Julia geheißen,
war mit der Prinzessin Hedwiga aufgewachsen, und auch auf die
Geistesbildung dieser hatte die Rätin so gewirkt, daß sie in dem Kreise
der fürstlichen Familie wie eine Fremde erschien und sonderbar abstach
gegen den Bruder. Prinz Ignaz war nämlich zu ewiger Kindheit verdammt,
beinahe blödsinnig zu nennen.

Der Benzon gegenüber, ebenso einflußreich, ebenso eingreifend in die
engsten Verhältnisse des fürstlichen Hauses, wiewohl auf ganz andere
Weise als sie, stand der seltsame Mann, den du, geneigter Leser, bereits
kennst als Maître de plaisir des Irenäusschen Hofes und ironischen
Schwarzkünstler.

Merkwürdig genug ist es, wie Meister Abraham in die fürstliche Familie
geriet.

Des Fürsten Irenäus hochseliger Herr Papa war ein Mann von einfachen,
milden Sitten. Er sah es ein, daß irgend eine Kraftäußerung das kleine
schwache Räderwerk der Staatsmaschine zerbrechen müsse, statt ihm einen
bessern Schwung zu geben. Er ließ es daher in seinem Ländlein fortgehen,
wie es zuvor gegangen, und fehlt' es ihm dabei an Gelegenheit, einen
glänzenden Verstand oder andere besondere Gaben des Himmels zu zeigen,
so begnügte er sich damit, daß in seinem Fürstentum jedermann sich wohl
befand, und daß, rücksichts des Auslandes, es ihm so ging wie den
Weibern, die dann am tadelfreisten sind, wenn man gar nicht von ihnen
spricht. War des Fürsten kleiner Hof steif, zeremoniös, altfränkisch,
konnte der Fürst gar nicht eingehen in manche loyale Ideen, wie sie die
neuere Zeit erzeugt, so lag das an der Unwandelbarkeit des hölzernen
Gestelles, das Oberhofmeister, Hofmarschälle, Kammerherren in seinem
Innern mühsam zusammengerichtet. In diesem Gestelle arbeitete aber ein
Triebrad, das kein Hofmeister, kein Marschall jemals hätte zum
Stillstehen bringen können. Dies war nämlich ein dem Fürsten angeborner
Hang zum Abenteuerlichen, Seltsamen, Geheimnisvollen. -- Er pflegte
zuweilen, nach dem Beispiel des würdigen Kalifen Harun al Raschid
verkleidet Stadt und Land zu durchstreichen, um jenen Hang, der mit
seiner übrigen Lebenstendenz in dem sonderbarsten Widerspiel stand, zu
befriedigen, oder wenigstens Nahrung dafür zu suchen. Dann setzte er
einen runden Hut auf und zog einen grauen Oberrock an, so daß jedermann
auf den ersten Blick wußte, daß der Fürst nun nicht zu erkennen.

Es begab sich, daß der Fürst also verkleidet und unerkennbar die Allee
durchschritt, die von dem Schloß aus nach einer entfernten Gegend
führte, in der einzeln ein kleines Häuschen stand, von der Witwe eines
fürstlichen Mundkochs bewohnt. Gerade vor diesem Häuschen angekommen,
gewahrte der Fürst zwei in Mäntel gehüllte Männer, die zur Haustüre
hinausschlichen. Er trat zur Seite, und der Historiograph des
Irenäusschen Hauses, dem ich dies nachschreibe, behauptet, der Fürst sei
selbst dann nicht bemerkt und erkannt worden, wenn er, statt des grauen
Oberrocks, das glänzendste Staatskleid angehabt, mit dem funkelnden
Ordensstern darauf, aus dem Grunde, weil es stockfinsterer Abend
gewesen. Als die beiden verhüllten Männer dicht vor dem Fürsten langsam
vorübergingen, vernahm dieser ganz deutlich folgendes Gespräch. Der
eine: Bruder Exzellenz, ich bitte dich, nimm dich zusammen, sei nur
diesesmal kein Esel! -- Der Mensch muß fort, ehe der Fürst etwas von ihm
erfährt, denn sonst behalten wir den verfluchten Hexenmeister auf dem
Halse, der uns mit seinen Satanskünsten alle ins Verderben stürzt. Der
andere: _Mon cher frère,_ ereifere dich doch nur nicht so, du kennst meine
Sagazität, mein _savoir faire._ Morgen werf' ich dem gefährlichen Menschen
ein paar Karolin an den Hals, und da mag er seine Kunststückchen den
Leuten vormachen, wo er will; hier darf er nicht bleiben. Der Fürst ist
übrigens ein --.«

Die Stimmen verhallten, der Fürst erfuhr daher nicht, wofür ihn sein
Hofmarschall hielt, denn kein anderer als dieser und sein Bruder, der
Oberjägermeister, waren die Personen, welche aus dem Hause schlichen und
das verfängliche Gespräch führten. Der Fürst hatte beide sehr genau an
der Sprache erkannt.

Man kann denken, daß der Fürst nichts Angelegentlicheres zu tun hatte,
als jenen Menschen, jenen gefährlichen Hexenmeister aufzusuchen, dessen
Bekanntschaft ihm entzogen werden sollte. Er klopfte an das Häuschen,
die Witwe trat mit einem Licht in der Hand heraus und fragte, da sie den
runden Hut und den grauen Oberrock des Fürsten gewahrte, mit kalter
Höflichkeit: Was steht zu Ihren Diensten, Monsieur? Monsieur wurde
nämlich der Fürst angeredet, wenn er verkleidet war und unkenntlich. Der
Fürst erkundigte sich nach dem Fremden, der bei der Witwe eingekehrt
sein sollte, und erfuhr, daß der Fremde kein anderer sei, als ein sehr
geschickter, berühmter, mit vielen Attestaten, Konzessionen und
Privilegien versehener Taschenspieler, der hier seine Künste zu
produzieren gedenke. Soeben, erzählte die Witwe, wären zwei Herrn vom
Hofe bei ihm gewesen, die er, vermöge der ganz unerklärlichen Sachen,
welche er ihnen vorgemacht, dermaßen in Erstaunen gesetzt, daß sie ganz
blaß, verstört, ja ganz außer sich, das Haus verlassen hätten.

Ohne weiteres ließ sich der Fürst hinauf führen. Meister Abraham
(niemand anders war der berühmte Taschenspieler) empfing ihn wie einen,
den er längst erwartet, und verschloß die Türe.

Niemand weiß, was nun Meister Abraham begonnen, gewiß ist es aber, daß
der Fürst die ganze Nacht über bei ihm blieb, und daß am andern Morgen
Zimmer eingerichtet wurden auf dem Schlosse, die Meister Abraham bezog,
und zu denen der Fürst aus seinem Studierzimmer mittels eines geheimen
Ganges unbemerkt gelangen konnte. Gewiß ist es ferner, daß der Fürst den
Hofmarschall nicht mehr mon cher ami nannte, und sich von dem
Oberjägermeister niemals mehr die wunderbare Jagdgeschichte von dem
weißen gehörnten Hasen, den er (der Oberjägermeister) bei seinem ersten
jägerischen Ausflug in den Wald nicht schießen können, erzählen ließ,
welches die Gebrüder in Gram und Verzweiflung stürzte, so, daß beide
sehr bald den Hof verließen. Gewiß endlich, daß Meister Abraham nicht
allein durch seine Phantasmagorieen, sondern auch durch das Ansehen, das
er sich immer mehr und mehr bei dem Fürsten zu erwerben wußte, Hof,
Stadt und Land in Erstaunen setzte.

Von den Kunststücken, die Meister Abraham vollführte, erzählt oben
bemeldeter Historiograph des Irenäusschen Hauses so viel ganz
Unglaubliches, daß man es nicht nachschreiben kann, ohne alles Zutrauen
des geneigten Lesers aufs Spiel zu setzen. Dasjenige Kunststück, welches
aber der Historiograph für das wunderbarste von allen hält, ja von dem
er behauptet, daß es hinlänglich beweise, wie Meister Abraham offenbar
mit fremden unheimlichen Mächten in bedrohlichem Bunde stehe, ist indes
nichts anders, als jenes akustische Zauberspiel, das später unter der
Benennung des unsichtbaren Mädchens so viel Aufsehen gemacht, und das
Meister Abraham schon damals sinnreicher, phantastischer, das Gemüt
ergreifender, aufzustellen wußte, als es nachher jemals geschehen.

Nebenher wollte man auch wissen, daß der Fürst selbst mit dem Meister
Abraham gewisse magische Operationen unternehme, über deren Zweck unter
den Hofdamen, Kammerherrn und andern Leuten vom Hofe ein angenehmer
Wettstreit alberner, sinnloser Vermutungen entstand. Darin waren alle
einig, daß Meister Abraham dem Fürsten das Goldmachen beibringe, wie aus
dem Rauch, der aus dem Laboratorio bisweilen dringe, zu schließen, und
daß er ihn eingeführt in allerlei nützliche Geister-Konferenzen. Alle
waren ferner davon überzeugt, daß der Fürst das Patent für den neuen
Bürgermeister im Marktflecken nicht vollziehe, ja, dem fürstlichen
Ofenheizer keine Zulage bewillige, ohne den »Agathodämon«, den _Spiritum
familiarem_, oder die Gestirne zu befragen.

Als der alte Fürst starb und Irenäus ihm in der Regierung folgte,
verließ Meister Abraham das Land. Der junge Fürst, der von des Vaters
Neigung zum Abenteuerlichen, Wunderbaren durchaus nichts vererbt, ließ
ihn zwar ziehen, fand aber bald, daß Meister Abrahams magische Kraft
vorzüglich sich darin bewähre, einen gewissen bösen Geist zu beschwören,
der sich an kleinen Höfen nur gar zu gern einnistet, nämlich den
Höllengeist der Langenweile. Dann hatte auch das Ansehen, in dem Meister
Abraham bei dem Vater stand, tiefe Wurzel gefaßt in dem Gemüt des jungen
Fürsten. Es gab Augenblicke, in denen dem Fürsten Irenäus zu Mute wurde,
als sei Meister Abraham ein überirdisches Wesen, über alles was
menschlich erhaben, stehe es auch noch so hoch. Man sagt, daß diese ganz
besondere Empfindung von einem kritischen unvergeßlichen Moment in der
Jugendgeschichte des Fürsten herrühre. Als Knabe war er einst mit
kindischer, überlästiger Neugier in Meister Abrahams Zimmer eingedrungen
und hatte läppisch eine kleine Maschine, die der Meister eben mit vieler
Mühe und Kunst vollendet, zerbrochen, der Meister aber im vollen Zorn
über das verderbliche Ungeschick dem kleinen fürstlichen Bengel eine
fühlbare Ohrfeige zugeteilt, und ihn dann mit einiger nicht ganz sanfter
Schnelligkeit hinausgeführt aus der Stube auf den Korridor. Unter
hervorquellenden Tränen konnte der junge Herr nur mit Mühe die Worte
hervorstammeln: _Abraham -- soufflet_ -- so daß der bestürzte
Oberhofmeister es für ein gefahrvolles Wagnis hielt, tiefer einzudringen
in das fürchterliche Geheimnis, das zu ahnen er sich unterstehen mußte.

Der Fürst fühlte lebhaft das Bedürfnis, den Meister Abraham als das
belebende Prinzip der Hofmaschine bei sich zu behalten; vergebens waren
aber alle seine Bemühungen, ihn zurückzubringen. Erst nach jenem
verhängnisvollen Spaziergange, als Fürst Irenäus sein Ländchen verloren,
als er die chimärische Hofhaltung zu Sieghartsweiler eingerichtet, fand
sich auch Meister Abraham wieder ein, und in der Tat, zu gelegenerer
Zeit hätte er gar nicht kommen können. Denn außerdem daß --

=(M. f. f.)= -- merkwürdige Begebenheit, die, um mich des gewöhnlichen
Ausdrucks geistreicher Biographen zu bedienen, einen Abschnitt in meinem
Leben machte.

-- Leser! -- Jünglinge, Männer, Frauen, unter deren Pelz ein fühlend
Herz schlägt, die ihr Sinn habt für Tugend -- die ihr die süßen Bande
erkennet, womit uns die Natur umschlingt, ihr werdet mich verstehen und
-- mich lieben!

Der Tag war heiß gewesen, ich hatte ihn unter dem Ofen verschlafen. Nun
brach die Abenddämmerung ein, und kühle Winde sausten durch meines
Meisters geöffnetes Fenster. Ich erwachte aus dem Schlaf, meine Brust
erweiterte sich, durchströmt von dem unnennbaren Gefühl, das, Schmerz
und Lust zugleich, die süßesten Ahnungen entzündet. Von diesen Ahnungen
überwältigt, erhob ich mich hoch in jener ausdrucksvollen Bewegung, die
der kalte Mensch Katzenbuckel benennet. -- Hinaus -- hinaus trieb es
mich in die freie Natur, ich begab mich daher aufs Dach und lustwandelte
in den Strahlen der sinkenden Sonne. Da vernahm ich Töne von dem Boden
aufsteigen, so sanft, so heimlich, so bekannt, so anlockend, ein
unbekanntes Etwas zog mich hinab mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich
verließ die schöne Natur und kroch durch eine kleine Dachluke hinein in
den Hausboden. -- Hinabgesprungen gewahrte ich alsbald eine große,
schöne, weiß und schwarz gefleckte Katze, die, auf den Hinterfüßen
sitzend in bequemer Stellung, eben jene anlockenden Töne von sich gab
und mich nun mit forschenden Blicken durchblitzte. Augenblicklich setzte
ich mich ihr gegenüber und versuchte, dem innern Trieb nachgebend, in
das Lied einzustimmen, das die weiß und schwarz Gefleckte angestimmt.
Das gelang mir, ich muß es selbst sagen, über die Maßen wohl, und von
diesem Augenblick an datiert sich, wie ich für die Psychologen, die mich
und mein Leben studieren, hier bemerke, mein Glaube an mein inneres
musikalisches Talent, und, wie zu erachten, mit diesem Glauben auch das
Talent selbst. Die Gefleckte blickte mich schärfer und emsiger an,
schwieg plötzlich, sprang mit einem gewaltigen Satz auf mich los. Ich,
nichts Gutes erwartend, zeigte meine Krallen, doch in dem Augenblick
schrie die Gefleckte, indem ihr die hellen Tränen aus den Augen
stürzten: Sohn -- o Sohn! komm! eile in meine Pfoten! -- Und dann, mich
umhalsend, mich mit Inbrunst an die Brust drückend: Ja, du bist es, du
bist mein Sohn, mein guter Sohn, den ich ohne sonderliche Schmerzen
geboren! --

Ich fühlte mich tief im Innersten bewegt, und schon dies Gefühl mußte
mich überzeugen, daß die Gefleckte wirklich meine Mutter war, dem
unerachtet fragte ich doch, ob sie auch dessen ganz gewiß sei.

Ha, diese Ähnlichkeit, sprach die Gefleckte, diese Augen, diese
Gesichtszüge, dieser Bart, dieser Pelz, alles erinnert mich nur zu
lebhaft an den Treulosen, Undankbaren, der mich verließ. -- Du bist ganz
das getreue Ebenbild deines Vaters, lieber Murr (denn so wirst du ja
geheißen), ich hoffe jedoch, daß du mit der Schönheit des Vaters
zugleich die sanftere Denkungsart, die milden Sitten deiner Mutter Mina
erworben haben wirst. -- Dein Vater hatte einen sehr vornehmen Anstand,
auf seiner Stirne lag eine imponierende Würde, voller Verstand funkelten
die grünen Augen, und um Bart und Wangen spielte oft ein anmutiges
Lächeln. Diese körperlichen Vorzüge, so wie sein aufgeweckter Geist und
eine gewisse liebenswürdige Leichtigkeit, mit der er Mäuse fing, ließen
ihn mein Herz gewinnen. -- Aber bald zeigte sich ein hartes,
tyrannisches Gemüt, daß er so lange geschickt zu verbergen gewußt. -- Mit
Entsetzen sag' ich es! -- Kaum warst du geboren, als dein Vater den
unseligen Appetit bekam, dich nebst deinen Geschwistern zu verspeisen.

Beste Mutter, fiel ich der Gefleckten ins Wort, verdammen Sie nicht ganz
jene Neigung. Das gebildetste Volk der Erde legte den sonderbaren
Appetit des Kinderfressens dem Geschlecht der Götter bei, aber gerettet
wurde ein Jupiter und so auch ich! --

Ich verstehe dich nicht, mein Sohn, erwiderte Mina, aber es kommt mir
vor, als sprächest du albernes Zeug, oder als wolltest du gar deinen
Vater verteidigen. Sei nicht undankbar, du wärest ganz gewiß erwürgt und
gefressen worden von dem blutdürstigen Tyrannen, hätte ich dich nicht so
tapfer verteidigt mit diesen scharfen Krallen, hätte ich nicht, bald
hier, bald dort hinfliehend in Keller, Boden, Ställe, dich den
Verfolgungen des unnatürlichen Barbaren entzogen. -- Er verließ mich
endlich! nie habe ich ihn wiedergesehen! Und doch schlägt noch mein Herz
für ihn! -- Es war ein schöner Kater! -- Viele hielten ihn seines
Anstandes, seiner feinen Sitten wegen, für einen reisenden Grafen. -- Ich
glaubte nun, im kleinen häuslichen Zirkel meine Mutterpflichten übend,
ein stilles, ruhiges Leben führen zu können, doch der entsetzlichste
Schlag sollte mich noch treffen. -- Als ich von einem kleinen
Spaziergange einst heimkehrte, weg warst du samt deinem Geschwister! --
Ein altes Weib hatte mich Tages zuvor in meinem Schlupfwinkel entdeckt,
und allerlei verfängliche Worte von ins Wasser werfen und dergleichen
gesprochen. -- Nun! ein Glück, daß du, mein Sohn, gerettet, komm
nochmals an meine Brust, Geliebter! --

Die gefleckte Mama liebkoste mich mit aller Herzlichkeit, und fragte
mich dann nach den nähern Umständen meines Lebens. Ich erzählte ihr
alles, und vergaß nicht, meiner hohen Ausbildung zu erwähnen, und wie
ich dazu gekommen.

Mina schien weniger gerührt von den seltenen Vorzügen des Sohnes, als
man hätte denken sollen. Ja, sie gab mir nicht undeutlich zu verstehen,
daß ich mitsamt meinem außerordentlichen Geiste, mit meiner tiefen
Wissenschaft auf Abwege geraten, die mir verderblich werden könnten.
Vorzüglich warnte sie mich aber, dem Meister Abraham ja nicht meine
erworbenen Kenntnisse zu entdecken, da dieser sie nur nützen würde, mich
in der drückendsten Knechtschaft zu erhalten.

»Ich kann mich, sprach Mina, zwar gar nicht deiner Ausbildung rühmen,
indessen fehlt es mir doch durchaus nicht an natürlichen Fähigkeiten und
angenehmen, mir von der Natur eingeimpften Talenten. Darunter rechne ich
z. B. die Macht, knisternde Funken aus meinem Pelz hervorstrahlen zu
lassen, wenn man mich streichelt. Und was für Unannehmlichkeiten hat mir
nicht schon dieses einzige Talent bereitet! Kinder und Erwachsene haben
unaufhörlich auf meinem Rücken herumhantiert, jenes Feuerwerks halber,
mir zur Qual, und wenn ich unmutig wegsprang oder die Krallen zeigte,
mußte ich mich ein scheues wildes Tier schelten, ja wohl gar prügeln
lassen. -- Sowie Meister Abraham erfährt, daß du schreiben kannst, lieber
Murr, macht er dich zu seinem Kopisten, und als Schuldigkeit wird von
dir gefordert, was du jetzt nur aus eigenem Antriebe zu deiner Lust
tust.« --

Mina sprach noch mehreres über mein Verhältnis zum Meister Abraham und
über meine Bildung. Erst später habe ich eingesehen, daß das, was ich
für Abscheu gegen die Wissenschaften hielt, wirkliche Lebensweisheit
war, die die Gefleckte in sich trug.

Ich erfuhr, daß Mina bei der alten Nachbarsfrau in ziemlich dürftigen
Umständen lebe, und daß es ihr oft schwer falle ihren Hunger zu stillen.
Dies rührte mich tief, die kindliche Liebe erwachte in voller Stärke in
meinem Busen, ich besann mich auf den schönen Heringskopf, den ich vom
gestrigen Mahle erübrigt, ich beschloß, ihn darzubringen der guten
Mutter, die ich so unerwartet wiedergefunden.

Wer ermißt die Wandelbarkeit der Herzen derer, die da wandeln unter dem
Mondschein! -- Warum verschloß das Schicksal nicht unsere Brust dem
wilden Spiel unseliger Leidenschaften! -- Warum müssen wir, ein dünnes
schwankendes Rohr, uns beugen vor dem Sturm des Lebens? -- Feindliches
Verhängnis! -- O Appetit, dein Name ist Kater! -- Den Heringskopf im
Maule kletterte ich, ein pius Aeneas aufs Dach -- ich wollte hinein ins
Bodenfenster. Da geriet ich in einen Zustand, der auf seltsame Weise
mein Ich meinem Ich entfremdend, doch mein eigentliches Ich schien.
-- Ich glaube mich verständlich und scharf ausgedrückt zu haben, so daß
in dieser Schilderung meines seltsamen Zustandes jeder den die geistige
Tiefe durchschauenden Psychologen erkennen wird. -- Ich fahre fort! --

Das sonderbare Gefühl, gewebt aus Lust und Unlust, betäubte meine Sinne
-- überwältigte mich -- kein Widerstand möglich, -- ich fraß den
Heringskopf! --

Ängstlich hörte ich Mina miauen, ängstlich sie meinen Namen rufen -- Ich
fühlte mich von Reue, von Scham durchdrungen, ich sprang zurück in
meines Meisters Zimmer, ich verkroch mich unter den Ofen. Da quälten
mich die ängstlichsten Vorstellungen. Ich sah Mina, die wiedergefundene
gefleckte Mutter, trostlos, verlassen, lechzend nach der Speise, die ich
ihr versprochen, der Ohnmacht nahe -- Ha! -- der durch den Rauchfang
sausende Wind rief den Namen Mina -- Mina -- Mina! rauschte es in den
Papieren meines Meisters, knarrte es in den gebrechlichen Rohrstühlen,
Mina -- Mina -- lamentierte die Ofentüre. -- O! es war ein bitteres
herzzerschneidendes Gefühl, das mich durchbohrte! -- Ich beschloß, die
Arme womöglich einzuladen zur Frühstücksmilch. Wie kühlender,
wohltuender Schatten kam bei diesem Gedanken ein seliger Frieden über
mich! -- Ich kniff die Ohren an und schlief ein! --

Ihr fühlenden Seelen, die ihr mich ganz versteht, ihr werdet es, seid
ihr sonst keine Esel, sondern wahrhaftige honette Kater, ihr werdet es,
sage ich, einsehen, daß dieser Sturm in meiner Brust meinen Jugendhimmel
aufheitern mußte, wie ein wohltätiger Orkan, der die finstern Wolken
zerstäubt und die reinste Aussicht schafft. O! so schwer anfangs der
Heringskopf auf meiner Seele lastete, doch lernte ich einsehen, was
Appetit heißt, und daß es Frevel ist, der Mutter Natur zu widerstreben.
Jeder suche sich seine Heringsköpfe und greife nicht vor der Sagazität
der andern, die, vom richtigen Appetit geleitet, schon die ihrigen
finden werden.

So schließe ich diese Episode meines Lebens die --

=(Mak. Bl.)= -- -- nichts verdrießlicher für einen Historiographen oder
Biographen, als wenn er, wie auf einem wilden Füllen reitend, hin und
her sprengen muß, über Stock und Stein, über Äcker und Wiesen, immer
nach gebahnten Wegen trachtend, niemals sie erreichend. So geht es dem,
der es unternommen, für dich, geliebter Leser, das aufzuschreiben, was
er von dem wunderlichen Leben des Kapellmeisters Johannes Kreisler
erfahren. Gern hätte er angefangen: In dem kleinen Städtchen N. oder B.
oder K., und zwar am Pfingstmontage oder zu Ostern des und des Jahres
erblickte Johannes Kreisler das Licht der Welt! -- Aber solche schöne
chronologische Ordnung kann gar nicht aufkommen, da dem unglücklichen
Erzähler nur mündlich, brockenweis mitgeteilte Nachrichten zu Gebote
stehen, die er, um nicht das Ganze aus dem Gedächtnisse zu verlieren,
sogleich verarbeiten muß. Wie es eigentlich mit der Mitteilung dieser
Nachrichten herging, sollst du, sehr lieber Leser! noch vor dem Schlusse
des Buchs erfahren, und dann wirst du vielleicht das rhapsodische Wesen
des Ganzen entschuldigen, vielleicht aber auch meinen, daß, trotz des
Anscheins der Abgerissenheit, doch ein fester durchlaufender Faden alle
Teile zusammenhalte.

Eben in diesem Augenblick ist nichts anders zu erzählen, als daß nicht
lange nachher, als Fürst Irenäus in Sieghartsweiler sich niedergelassen,
an einem schönen Sommerabend Prinzessin Hedwiga und Julia in dem
anmutigen Park Sieghartshof lustwandelten. Wie ein goldner Schleier lag
der Schein der sinkenden Sonne ausgebreitet über dem Walde. Kein
Blättlein rührte sich. In ahnungsvollem Schweigen harrten Baum und
Gebüsch, daß der Abendwind komme und mit ihnen kose. Nur das Getöse des
Waldbachs, der über weiße Kiesel fortbrauste, unterbrach die tiefe
Stille. Arm in Arm verschlungen, schweigend, wandelten die Mädchen fort
durch die schmalen Blumengänge, über die Brücken, die über die
verschiedenen Schlingungen des Bachs führten, bis sie an das Ende des
Parks, an den großen See kamen, in dem sich der ferne Geierstein mit
seinen malerischen Ruinen abspiegelte.

»Es ist doch schön!« rief Julia recht aus voller Seele. Laß uns, sprach
Hedwiga, in die Fischerhütte treten. Die Abendsonne brennt entsetzlich
und drinnen ist die Aussicht nach dem Geierstein aus dem mittlern
Fenster noch schöner als hier, da die Gegend dort nicht Panorama,
sondern in gruppierter Ansicht, wahrhaftes Bild erscheint.

Julia folgte der Prinzessin, die, kaum hineingetreten und zum Fenster
hinausschauend, sich nach Crayon und Papier sehnte, um die Aussicht in
der Beleuchtung zu zeichnen, welche sie ungemein pikant nannte.

Ich möchte, sprach Julia, ich möchte dich beinahe um deine
Kunstfertigkeit beneiden, Bäume und Gebüsche, Berge, Seen, so ganz nach
der Natur zeichnen zu können. Aber ich weiß es schon, könnte ich auch so
hübsch zeichnen als du, doch würd' es mir niemals gelingen, eine
Landschaft nach der Natur aufzunehmen, und zwar um desto weniger, je
herrlicher der Anblick. Vor lauter Freude und Entzücken des Schauens
würd' ich gar nicht zur Arbeit kommen. -- Der Prinzessin Antlitz
überflog bei diesen Worten Julia's ein gewisses Lächeln, das bei einem
sechzehnjährigen Mädchen bedenklich genannt werden dürfte. Meister
Abraham, der im Ausdruck zuweilen etwas seltsam, meinte, solch
Muskelspiel im Gesicht sei dem Wirbel zu vergleichen auf der Oberfläche
des Wassers, wenn sich in der Tiefe etwas Bedrohliches rührt. -- Genug,
Prinzessin Hedwiga lächelte; indem sie aber die Rosenlippen öffnete, um
der sanften unkünstlerischen Julia etwas zu entgegnen, ließen sich ganz
in der Nähe Akkorde hören, die so stark und wild angeschlagen wurden,
daß das Instrument kaum eine gewöhnliche Guitarre zu sein schien.

Die Prinzessin verstummte, und beide, sie und Julia, eilten vor das
Fischerhaus.

Nun vernahmen sie eine Weise nach der andern, verbunden durch die
seltsamsten Übergänge, durch die fremdartigste Akkordenfolge. Dazwischen
ließ sich eine sonore männliche Stimme hören, die bald alle Süßigkeit
des italienischen Gesanges erschöpfte, bald, plötzlich abbrechend, in
ernste düstere Melodien fiel, bald rezitativisch, bald mit starken
kräftig akzentierten Worten dreinsprach. --

Die Guitarre wurde gestimmt -- dann wieder Akkorde -- dann wieder
abgebrochen und gestimmt -- dann heftige, wie im Zorn ausgesprochene
Worte -- dann Melodien -- dann aufs neue gestimmt. --

Neugierig auf den seltsamen Virtuosen, schlichen Hedwiga und Julia näher
heran, bis sie einen Mann in schwarzer Kleidung gewahrten, der, den
Rücken ihnen zugewendet, auf einem Felsstück dicht an dem See saß, und
das wunderliche Spiel trieb, mit Singen und Sprechen.

Eben hatte er die Guitarre ganz und gar umgestimmt, auf ungewöhnliche
Weise, und versuchte nun einige Akkorde, dazwischen rufend: Wieder
verfehlt -- keine Reinheit -- bald ein Komma zu tief, bald ein Komma zu
hoch! --

Dann faßte er das Instrument, das er von dem blauen Bande, an dem es
ihm um die Schultern hing, losgenestelt, mit beiden Händen, hielt es vor
sich hin und begann: Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo ruht
eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich
die reine Skala verkrochen? -- Oder willst du dich vielleicht auflehnen
gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehämmert worden in
der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur, und seine Enharmonik nur
ein kindisches Vexierspiel? Du verhöhnst mich, glaub' ich, unerachtet
ich den Bart viel besser geschoren trage, als Meister Stefano Pacini,
_detto il Venetiano_, der die Gabe des Wohllauts in dein Innerstes legte,
die mir ein unerschließbares Geheimnis bleibt. Und, liebes Ding, daß du
es nur weißt, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder
Cis und Des -- oder vielmehr sämtlicher Töne durchaus nicht verstatten,
so schicke ich dir neue tüchtige deutsche Meister auf den Hals, die
sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit unharmonischen Worten.
-- Und du magst dich nicht deinem Stefano Pacini in die Arme werfen, du
magst nicht wie ein keifendes Weib das letzte Wort behalten wollen.
-- Oder bist du vielleicht gar dreist und stolz genug, zu meinen, daß
alle schmucken Geister, die in dir wohnen, nur dem gewaltigen Zauber der
Magier folgen, die längst von der Erde gegangen, und daß in den Händen
eines Hasenfußes --

Bei dem letzten Worte hielt der Mann plötzlich inne, sprang auf und
schaute wie in tiefen Gedanken versunken, in den See hinein. -- Die
Mädchen, gespannt durch des Mannes seltsames Beginnen, standen wie
eingewurzelt hinter dem Gebüsch; sie wagten kaum zu atmen.

Die Guitarre, brach der Mann endlich los, ist doch das miserabelste,
unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von
girrenden liebeskranken Schäfern in die Hand genommen zu werden, die das
Emboucheur zur Schalmei verloren haben, da sie sonst es vorziehen
würden, erklecklich zu blasen, das Echo zu wecken mit den Kuhreigen der
süßesten Sehnsucht, und klägliche Melodien entgegenzusenden den
Emmelinen in den weiten Bergen, die das liebe Vieh zusammentreiben mit
dem lustigen Geknalle empfindsamer Hetzpeitschen. -- O Gott! -- Schäfer,
die »wie ein Ofen seufzen mit Jammerlied auf ihrer Liebsten Brau'n«
-- lehrt ihnen, daß der Dreiklang aus nichts anderm bestehe, als aus drei
Klängen, und niedergestoßen werde durch den Dolchstich der Septime, und
gebt ihnen die Guitarre in die Hände! -- Aber ernsten Männern von
leidlicher Bildung, von vorzüglicher Erudition, die sich abgegeben mit
griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder
Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schäferei und
Schafzucht, was soll denen das Ächzen und Klimpern? -- Hasenfuß, was
beginnst du? Denke an den seligen Hippel, welcher versichert, daß, säh'
er einen Mann Unterricht erteilen im Klavierschlagen, es ihm zu Mute
werde als sötte besagter Lehrherr weiche Eier -- und nun Guitarre
klimpern -- Hasenfuß! -- Pfui Teufel! -- Damit schleuderte der Mann das
Instrument weit von sich ins Gebüsch und entfernte sich raschen
Schrittes, ohne die Mädchen zu bemerken.

Nun, rief Julia nach einer Weile lachend, Hedwiga, was sagst Du zu
dieser verwunderlichen Erscheinung? Wo mag der seltsame Mann her sein,
der erst so hübsch mit seinem Instrument zu sprechen weiß und es dann
verächtlich von sich wirft, wie eine zerbrochene Schachtel?

Es ist unrecht, sprach Hedwiga wie im plötzlich aufwallenden Zorn, indem
ihre verbleichten Wangen sich blutrot färbten, daß der Park nicht
verschlossen ist, daß jeder Fremde hinein kann.

Wie, erwiderte Julia, der Fürst sollte, meinst Du, engherzig, den
Sieghartsweilern -- nein, nicht diesen allein, jedem, der des Weges
wandelt, gerade den anmutigsten Fleck der ganzen Gegend verschließen?
Das ist unmöglich Deine ernste Meinung! -- Du bedenkst, fuhr die
Prinzessin noch bewegter fort, die Gefahr nicht, die für uns daraus
entsteht. Wie oft wandeln wir so wie heute allein, entfernt von aller
Dienerschaft, in den entlegensten Gängen des Waldes umher! -- Wie, wenn
einmal irgendein Bösewicht --

Ei, unterbrach Julia die Prinzessin, ich glaube gar, Du fürchtest, aus
diesem, jenem Gebüsch könnte irgendein ungeschlachter, märchenhafter
Riese, oder ein fabelhafter Raubritter hervorspringen und uns entführen
auf seine Burg! -- Nun, das wolle der Himmel verhüten! -- Aber sonst muß
ich Dir gestehen, daß mir irgendein kleines Abenteuer hier in dem
einsamen romantischen Walde recht hübsch, recht anmutig bedünken möchte.
-- Ich denke eben an Shakespeares »Wie es Euch gefällt«, das uns die
Mutter so lange nicht in die Hände geben wollte, und das uns endlich
Lothario vorgelesen. Was gilt es, Du würdest auch gern ein bißchen Celia
spielen, und ich wollte Deine treue Rosalinde sein. -- Was machen wir
aus unserm unbekannten Virtuosen?

O, erwiderte die Prinzessin, eben dieser unbekannte Mensch -- Glaubst
du wohl, Julia, daß mir seine Gestalt, seine wunderlichen Reden ein
inneres Grauen erregten, das mir unerklärlich ist? -- Noch jetzt
durchbeben mich Schauer, ich erliege beinahe einem Gefühl, das, seltsam
und entsetzlich zugleich, alle meine Sinne gefangen nimmt. In dem
tiefsten, dunkelsten Gemüt regt sich eine Erinnerung auf und ringt
vergebens sich deutlich zu gestalten. -- Ich sah diesen Menschen schon
in irgendeine fürchterliche Begebenheit verflochten, die mein Herz
zerfleischte -- vielleicht war es nur ein spukhafter Traum, dessen
Andenken mir geblieben -- Genug -- der Mensch mit seinem seltsamen
Beginnen, mit seinen wirren Reden, deuchte mir ein bedrohliches,
gespenstisches Wesen, das uns vielleicht verlocken wollte in
verderbliche Zauberkreise.

Welche Einbildungen, rief Julia, ich für mein Teil verwandle das
schwarze Gespenst mit der Guitarre in den Monsieur Jacques, oder gar in
den ehrlichen Probstein, dessen Philosophie beinahe so lautet, wie die
wunderlichen Reden des Fremden. -- Doch hauptsächlich ist es nun nötig,
die arme Kleine zu retten, die der Barbar so feindselig in das Gebüsch
geschleudert hat. --

Julia -- was beginnst Du -- um des Himmels willen! rief die Prinzessin;
doch ohne auf sie zu achten, schlüpfte Julia hinein in das Dickicht und
kam nach wenigen Augenblicken triumphierend, die Guitarre, die der
Fremde weggeworfen, in der Hand, zurück.

Die Prinzessin überwand ihre Scheu und betrachtete sehr aufmerksam das
Instrument, dessen seltsame Form schon von hohem Alter zeugte, hätte das
auch nicht die Jahreszahl und der Name des Meisters bestätigt, den man
durch die Schallöffnung auf dem Boden deutlich wahrnahm. Schwarz
eingeätzt waren nämlich die Worte: _Stefano Pacini fec. Venet. 1532._

Julia konnte es nicht unterlassen, sie schlug einen Akkord auf dem
zierlichen Instrument an, und erschrak beinahe über den mächtigen,
vollen Klang, der aus dem kleinen Dinge heraustönte. O herrlich
-- herrlich! rief sie aus und spielte weiter. Da sie aber gewohnt, nur
ihren Gesang mit der Guitarre zu begleiten, so konnte es nicht fehlen,
daß sie bald unwillkürlich zu singen begann, indem sie weiter
fortwandelte. Die Prinzessin folgte ihr schweigend. Julia hielt inne; da
sprach Hedwiga: Singe, spiele auf dem zauberischen Instrumente,
vielleicht gelingt es Dir, die bösen, feindlichen Geister, die Macht
haben wollten über mich, hinabzubeschwören in den Orkus.

Was willst Du, erwiderte Julia, mit Deinen bösen Geistern, die sollen
uns beiden fremd sein und bleiben, aber singen will ich und spielen;
denn ich wüßte nicht, daß jemals mir ein Instrument so zur Hand gewesen,
mir überhaupt so zugesagt hätte, als eben dieses. Mir scheint auch, als
wenn meine Stimme viel besser dazu laute als sonst. -- Sie begann eine
bekannte italienische Canzonetta und verlor sich in allerlei zierliche
Melismen, gewagte Läufe und Capriccios, Raum gebend dem vollen Reichtum
der Töne, der in ihrer Brust ruhte.

War die Prinzessin erschrocken über den Anblick des Unbekannten, so
erstarrte Julia zur Bildsäule, als er, da sie eben in einen andern Gang
einbiegen wollte, plötzlich vor ihr stand.

Der Fremde, wohl an dreißig Jahre alt, war nach dem Zuschnitt der
letzten Mode schwarz gekleidet. In seinem ganzen Anzuge fand sich
durchaus nichts Sonderbares, Ungewöhnliches, und doch hatte sein Ansehen
etwas Seltsames, Fremdartiges. Trotz der Sauberkeit seiner Kleidung war
eine gewisse Nachlässigkeit sichtbar, die weniger von Mangel an
Sorgfalt, als davon herzurühren schien, daß der Fremde gezwungen worden,
einen Weg zu machen, auf den er nicht gerechnet, und zu dem sein Anzug
nicht paßte. Mit aufgerissener Weste, das Halstuch nur leicht
umschlungen, die Schuhe dick bestäubt, auf denen die goldnen Schnällchen
kaum sichtbar, stand er da, und närrisch genug sah es aus, daß er an dem
kleinen dreieckigen Hütchen, das nur bestimmt, unter den Armen getragen
zu werden, die hintere Krempe herabgeschlagen hatte, um sich gegen die
Sonne zu schützen. Er hatte sich durchgedrängt durch das tiefste
Dickicht des Parks, denn sein wirres schwarzes Haar hing voller
Tannadeln. Flüchtig schaute er die Prinzessin an und ließ dann den
seelenvollen leuchtenden Blick seiner großen dunkeln Augen auf Julia
ruhen, deren Verlegenheit noch dadurch erhöht wurde, so daß ihr, wie es
in dergleichen Fällen ihr zu geschehen pflegte, die Tränen in die Augen
traten.

»Und diese Himmelstöne,« begann der Fremde endlich mit weicher, sanfter
Stimme, »schweigen vor meinem Anblick und zerfließen in Tränen?«

Die Prinzessin, den ersten Eindruck, den der Fremde auf sie gemacht, mit
Gewalt niederkämpfend, blickte ihn stolz an und sprach dann mit beinahe
schneidendem Ton: Allerdings überrascht uns Ihre plötzliche Erscheinung,
mein Herr! man erwartet um diese Zeit keine Fremden mehr im fürstlichen
Park. -- Ich bin die Prinzessin Hedwiga. --

Der Fremde hatte sich, sowie die Prinzessin zu sprechen begann, rasch zu
ihr gewendet und schaute ihr jetzt in die Augen, aber sein ganzes
Antlitz schien ein anderes worden. -- Vertilgt war der Ausdruck
schwermütiger Sehnsucht, vertilgt jede Spur des tief im Innersten
aufgeregten Gemüts, ein toll verzerrtes Lächeln steigerte den Ausdruck
bitterer Ironie bis zum Possierlichen, bis zum Skurrilen. -- Die
Prinzessin blieb, als träfe sie ein elektrischer Schlag, mitten in der
Rede stecken und schlug, blutrot im ganzen Gesicht, die Augen nieder.

Es schien, als wollte der Fremde etwas sagen, in dem Augenblick begann
indessen Julia: Bin ich nicht ein dummes, törichtes Ding, daß ich
erschrecke, daß ich weine wie ein kindisches Kind, das man ertappt über
dem Naschen? -- Ja, mein Herr, ich habe genascht, hier die trefflichsten
Töne weggenascht von Ihrer Guitarre -- die Guitarre ist an allem schuld
und unsere Neugier! -- Wir haben Sie belauscht, wie Sie mit dem kleinen
Dinge so hübsch zu sprechen wußten, und wie Sie dann im Zorn die Arme
wegschleuderten in das Gebüsch, daß sie im lauten Klageton aufseufzte,
auch das haben wir gesehen. Und das ging mir so recht tief ins Herz, ich
mußte hinein in das Dickicht und das schöne, liebliche Instrument
aufheben. -- Nun, Sie wissen wohl, wie Mädchen sind, ich klimpere etwas
auf der Guitarre und da fuhr es mir in die Finger -- ich konnt' es nicht
lassen. -- Verzeihen Sie mir, mein Herr, und empfangen Sie Ihr Instrument
zurück.

Julia reichte die Guitarre dem Fremden hin.

Es ist, sprach der Fremde, ein sehr seltnes klangvolles Instrument, noch
aus alter, guter Zeit her, das nur in meinen ungeschickten Händen -- doch
was Hände -- was Hände! -- Der wunderbare Geist des Wohllauts, der
diesem kleinen seltsamen Dinge befreundet, wohnt auch in meiner Brust,
aber eingepuppt, keiner freien Bewegung mächtig; doch aus Ihrem Innern,
mein Fräulein, schwingt er sich auf zu den lichten Himmelsräumen, in
tausend schimmernden Farben, wie das glänzende Pfauenauge. -- Ha! mein
Fräulein, als Sie sangen, aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles
Entzücken süßer Träume, die Hoffnung, das Verlangen, wogte durch den
Wald und fiel nieder wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche,
in die Brust horchender Nachtigallen! -- Behalten Sie das Instrument,
nur Sie gebieten über den Zauber, der in ihm verschlossen!

Sie warfen das Instrument fort, erwiderte Julia hoch errötend.

Es ist wahr, sprach der Fremde, indem er mit Heftigkeit die Guitarre
ergriff und an seine Brust drückte, ich warf es fort und empfange es
geheiligt zurück; nie kommt es mehr aus meinen Händen. --

Plötzlich verwandelte sich nun das Antlitz des Fremden wieder in jene
skurrile Larve, und er sprach mit hohem, schneidenden Ton: Eigentlich
hat mir das Schicksal oder mein Kakodämon einen sehr bösen Streich
gespielt, daß ich hier so ganz _ex abrupto_, wie die Lateiner und noch
andere ehrliche Leute sagen, vor Ihnen erscheinen muß, meine
hochverehrtesten Damen! -- O Gott, gnädigste Prinzessin, riskieren Sie
es, mich anzuschauen von Kopf bis zu Fuß. Sie werden dann aus meinem
Ajustement zu entnehmen geruhen, daß ich mich auf einer großen
Visitenfahrt befinde. -- Ha! ich gedachte eben bei Sieghartsweiler
vorzufahren und der guten Stadt, wo nicht meine Person, doch wenigstens
eine Visitenkarte abzugeben. -- O Gott! fehlt es mir denn an
Konnexionen, meine gnädigste Prinzessin? -- War nicht sonst der
Hofmarschall Dero Herrn Vaters mein Intimus? -- Ich weiß es, sah er mich
hier, so drückte er mich an seine Atlasbrust und sagte gerührt, indem er
mir eine Prise darbot: Hier sind wir unter uns, mein Lieber, hier kann
ich meinem Herzen und den angenehmsten Gesinnungen freien Lauf lassen.
-- Audienz hätte ich erhalten bei dem gnädigsten Herrn Fürsten Irenäus,
und wäre auch Ihnen vorgestellt worden, o Prinzessin! Vorgestellt worden
auf eine Weise, daß ich mein bestes Gespann von Septime-Akkorden gegen
eine Ohrfeige setze, ich hätte Ihre Huld erworben! -- Aber nun! -- hier
im Garten am unschicklichsten Orte, zwischen Ententeich und
Froschgraben, muß ich mich selbst präsentieren, mir zum ewigen Malheur!
-- O Gott, könnt' ich nur was weniges hexen, könnt' ich nur _subito_
diese edle Zahnstocherbüchse (er zog eine aus der Westentasche hervor)
verwandeln in den schmuckesten Kammerherrn des Irenäusschen Hofes,
welcher mich beim Fittich nähme und spräche: Gnädigste Prinzessin, hier
ist der und der! -- Aber nun! -- _che far', che dir'!_ -- Gnade -- Gnade,
o Prinzessin! o Damen! -- -- o Herren!

Damit warf sich der Fremde vor der Prinzessin nieder und sang mit
kreischender Stimme: _Ah pietà, pietà Signora!_

Die Prinzessin faßte Julien und rannte mit ihr unter dem lauten Ausruf:
Es ist ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger, der dem Tollhause
entsprungen! so schnell von dannen, als sie es nur vermochte.

Dicht vor dem Lustschlosse kam die Rätin Benzon den Mädchen entgegen,
die atemlos ihr beinahe zu Füßen sanken. »Was ist geschehen, um des
Himmels willen, was ist Euch geschehen, was bedeutet die übereilte
Flucht?« So fragte sie. Die Prinzessin vermochte, außer sich, verstört,
wie sie war, nur in abgebrochenen Reden etwas von einem Wahnsinnigen
herzustammeln, der sie überfallen. Julia erzählte ruhig und besonnen,
wie sich alles begeben, und schloß damit, daß sie den Fremden durchaus
nicht für wahnsinnig, sondern nur für einen ironischen Schalk, wirklich
für eine Art von Monsieur Jacques halte, der zur Komödie im Ardenner
Walde passe.

Die Rätin Benzon ließ sich alles nochmals wiederholen, sie fragte nach
dem kleinsten Umstande, sie ließ sich den Fremden beschreiben in Gang,
Stellung, Gebärde, Ton der Sprache usw. Ja, rief sie dann, es ist nur zu
gewiß, er ist es, er ist es selbst, kein anderer kann -- darf es sein!

Wer -- wer ist es? fragte die Prinzessin ungeduldig.

Ruhig, liebe Hedwiga, erwiderte die Benzon, Sie haben Ihren Atem umsonst
verkeucht; kein Wahnsinniger ist dieser Fremde, der Ihnen so bedrohlich
erschien. Welchen bittern, unziemlichen Scherz er sich auch seiner
barocken Manier gemäß erlaubte, so glaube ich doch, daß Sie sich mit ihm
aussöhnen werden.

Nimmermehr, rief die Prinzessin, sehe ich ihn wieder, den -- unbequemen
Narren.

Ei Hedwiga, sprach die Benzon lachend, welcher Geist gab Ihnen das Wort,
unbequem, ein, das nach dem, was vorgegangen, viel besser paßt, als Sie
vielleicht selbst glauben und ahnen mögen.

Ich weiß auch gar nicht, begann Julia, wie Du auf den Fremden so zürnen
magst, liebe Hedwiga? -- Selbst in seinem närrischen Tun, in seinen
wirren Reden, lag etwas, das auf seltsame und gar nicht unangenehme
Weise mein Innerstes anregte. Wohl Dir, erwiderte die Prinzessin, indem
ihr die Tränen in die Augen traten, daß Du so ruhig sein kannst und
unbefangen, aber mir zerschneidet der Hohn des entsetzlichen Menschen
das Herz! -- Benzon, wer ist es, wer ist der Wahnsinnige? »Mit zwei
Worten,« sprach die Benzon, »erkläre ich alles. Als ich mich vor fünf
Jahren in ...«

=(M. f. f.)= -- mich überzeugte, daß in einem echten, tiefen Dichtergemüt
auch kindliche Tugend wohnt und Mitleid mit dem Bedrängnis der Genossen.

Eine gewisse Schwermut, wie sie oft junge Romantiker befällt, wenn sie
den Entwicklungskampf der großen erhabenen Gedanken in ihrem Innern
bestehen, trieb mich in die Einsamkeit. Unbesucht blieben mehrere Zeit
hindurch Dach, Keller und Boden. Ich empfand mit jenem Dichter die süßen
idyllischen Freuden im kleinen Häuschen am Ufer eines murmelnden Bachs,
umschattet von düster belaubten Hängebirken und Trauerweiden, und blieb,
mich meinen Träumen hingebend, unter dem Ofen. So kam es aber, daß ich
Mina, die süße, schöngefleckte Mutter, nicht wiedersah. -- In den
Wissenschaften fand ich Trost und Beruhigung. O, es ist etwas Herrliches
um die Wissenschaften! -- Dank, glühender Dank dem edlen Mann, der sie
erfunden! -- Wie viel herrlicher, wie viel nützlicher ist diese
Erfindung, als jene des entsetzlichen Mönchs, der zuerst es unternahm,
Pulver zu fabrizieren, ein Ding, das mir, seiner Natur und Wirkung nach,
in den Tod zuwider. Die richtende Nachwelt hat auch den Barbaren, den
höllischen Barthold, gestraft mit höhnender Verachtung, indem man noch
heutigen Tages, um einen scharfsinnigen Gelehrten, einen umschauenden
Statistiker, kurz, jeden Mann von exquisiter Bildung, recht hoch zu
stellen, sprichwörtlich sagt: Er hat das Pulver nicht erfunden!

Zur Belehrung der hoffnungsvollen Katerjugend, kann ich nicht unbemerkt
lassen, daß ich, wollte ich studieren, mit zugedrückten Augen in die
Bibliothek meines Meisters sprang, und dann das Buch, was ich
angekrallt, herauszupfte und durchlas, mochte es einen Inhalt haben wie
es wollte. Durch diese Art zu studieren gewann mein Geist diejenige
Biegsamkeit und Mannigfaltigkeit, mein Wissen den bunten glänzenden
Reichtum, den die Nachwelt an mir bewundern wird. Der Bücher, die ich in
dieser Periode des dichterischen Schwermuts hintereinander las, will ich
hier nicht erwähnen, teils, weil sich dazu eine schicklichere Stelle
vielleicht finden wird, teils, weil ich auch die Titel davon vergessen,
und dies wieder gewissermaßen darum, weil ich die Titel meistenteils
nicht gelesen, und also nie gewußt habe. -- Jedermann wird mit dieser
Erklärung zufrieden sein, und mich nicht biographischen Leichtsinnes
anklagen.

Mir standen neue Erfahrungen bevor.

Eines Tages, als mein Meister eben in einen großen Folianten vertieft
war, den er vor sich aufgeschlagen, und ich dicht bei ihm unter dem
Schreibtisch, auf einem Bogen des schönsten Royalpapiers liegend, mich
in griechischer Schrift versuchte, die mir vorzüglich in der Pfote zu
liegen schien, trat rasch ein junger Mann hinein, den ich schon mehrmals
bei dem Meister gesehen, und der mich mit freundlicher Hochachtung, ja
mit der wohltuenden Verehrung behandelte, die dem ausgezeichneten
Talent, dem entschiedenen Genie gebührt. Denn nicht allein, daß er
jedesmal, nachdem er den Meister begrüßt, zu mir sprach: Guten Morgen
Kater! so kraute er mir auch jedesmal mit leichter Hand hinter den
Ohren, und streichelte mir sanft den Rücken, so daß ich in diesem
Betragen wahre Aufmunterung fand, meine innern Gaben leuchten zu lassen
vor der Welt.

Heute sollte sich alles anders gestalten!

Wie sonst niemals sprang nämlich heute dem jungen Mann ein schwarzes
zottiges Ungeheuer mit glühenden Augen nach zur Türe hinein, und als es
mich erblickte, gerade auf mich zu. Mich überfiel eine unbeschreibliche
Angst, mit einem Satz war ich auf dem Schreibtisch meines Meisters, und
stieß Töne des Entsetzens und der Verzweiflung aus, als das Ungeheuer
hoch hinaufsprang nach dem Tisch, und dazu einen mörderlichen Lärm
machte. Mein guter Meister, dem um mich bange, nahm mich auf den Arm,
und steckte mich unter den Schlafrock. Doch der junge Mann sprach: »Seid
doch nur ganz unbesorgt, lieber Meister Abraham! Mein Pudel tut keiner
Katze was, er will nur spielen. Setzt den Kater nur hin, sollt Euch
freuen wie die Leutchen miteinander Bekanntschaft machen werden, mein
Pudel und Euer Kater.

Mein Meister wollte mich wirklich niedersetzen, ich klammerte mich aber
fest an, und begann kläglich zu lamentieren, wodurch ich es denn
wenigstens dahin brachte, daß der Meister mich, als er sich niederließ,
dicht neben sich auf dem Stuhle litt.

Ermutigt durch meines Meisters Schutz, nahm ich, auf den Hinterpfoten
sitzend, den Schweif umschlungen, eine Stellung an, deren Würde, deren
edler Stolz meinem vermeintlichen schwarzen Gegner imponieren mußte. Der
Pudel setzte sich vor mir hin auf die Erde, schaute mir unverwandt ins
Auge, und sprach zu mir in abgebrochnen Worten, die mir freilich
unverständlich blieben. Meine Angst verlor sich nach und nach ganz und
gar, und ruhig geworden im Gemüt, vermochte ich zu bemerken, daß in dem
Blick des Pudels nichts zu entdecken, als Gutmütigkeit und biederer
Sinn. Unwillkürlich fing ich an, meine zum Vertrauen geneigte
Seelenstimmung durch sanftes Hin- und Herbewegen des Schweifes an den
Tag zu legen, und sogleich begann auch der Pudel mit dem kurzen
Schweiflein zu wedeln auf die anmutigste Weise.

O! mein Inneres hatte ihn angesprochen, nicht zu zweifeln war an dem
Anklang unserer Gemüter! -- Wie, sprach ich zu mir selbst, wie konnte
dich das ungewohnte Betragen dieses Fremden so in Furcht und Schrecken
setzen? -- Was bewies dieses Springen, dieses Klaffen, dieses Toben,
dieses Rennen, dieses Heulen anders als den in Liebe und Lust, in der
freudigen Freiheit des Lebens heftig und mächtig bewegten Jüngling? -- O
es wohnt Tugend, edle Pudeltümlichkeit in jener schwarz bepelzten Brust!
-- Durch diese Gedanken erkräftigt, beschloß ich, den ersten Schritt zu
tun zu näherer engerer Einigung unserer Seelen, und herabzusteigen von
dem Stuhl des Meisters.

Sowie ich mich erhob und dehnte, sprang der Pudel auf und in der Stube
umher, mit lautem Klaffen! -- Äußerungen eines herrlichen
lebenskräftigen Gemüts! -- Es war nichts mehr zu befürchten, ich stieg
sogleich herab, und näherte mich behutsam leisen Schrittes dem neuen
Freunde. Wir begannen jenen Akt, der in bedeutender Symbolik die nähere
Erkenntnis verwandter Seelen, den Abschluß des aus dem inneren Gemüt
heraus bedingten Bündnisses ausdrückt, und den der kurzsichtige
frevelige Mensch mit dem gemeinen unedlen Ausdruck »Beschnüffeln«,
bezeichnet. Mein schwarzer Freund bezeigte Lust, etwas von den
Hühnerknochen zu genießen, die in meiner Speiseschüssel lagen. So gut
ich es vermochte, gab ich ihm zu verstehen, daß es der Weltbildung, der
Höflichkeit gemäß sei, ihn als meinen Gast zu bewirten. Er fraß mit
erstaunlichem Appetit, während ich von weitem zusah. -- Gut war es doch,
daß ich den Bratfisch beiseite gebracht und einmagaziniert unter mein
Lager. -- Nach der Tafel begannen wir die anmutigsten Spiele, bis wir
uns zuletzt, ganz ein Herz und eine Seele, umhalsten, und fest
aneinander geklammert, uns einmal über das andere überkugelnd, uns
innige Treue und Freundschaft zuschworen.

Ich weiß nicht, was dieses Zusammentreffen schöner Seelen, dieses
Einandererkennen herziger Jünglingsgemüter, Lächerliches in sich tragen
konnte; so viel ist aber gewiß, daß beide, mein Meister und der fremde
junge Mann, unaufhörlich aus vollem Halse lachten, zu meinem nicht
geringen Verdruß.

Auf mich hatte die neue Bekanntschaft einen tiefen Eindruck gemacht, so
daß ich in der Sonne und im Schatten, auf dem Dach und unter dem Ofen,
nichts dachte, nichts sann, nichts träumte, nichts empfand als, Pudel
-- Pudel -- Pudel! Dadurch ging mir das innerste Wesen des Pudeltums
mächtig auf, mit glänzenden Farben, und durch diese Erkenntnis wurde das
tiefsinnige Werk geboren, dessen ich schon erst erwähnte, nämlich:
Gedanke und Ahnung, oder Kater und Hund. Sitten, Gebräuche, Sprache
beider Geschlechter, entwickelte ich als tief bedingt durch ihr
eigentümlichstes Wesen und bewies, wie beide nur diverse Strahlen, aus
einem Prisma geworfen. Vorzüglich faßte ich den Charakter der Sprache
auf, und bewies, daß da Sprache überhaupt nur symbolische Darstellung
des Naturprinzips in der Gestaltung des Lauts sei, mithin es nur =eine=
Sprache geben könne, auch das Kätzische und Hündische in der besondern
Formung des Pudelischen, Zweige eines Baumes wären, von höherem Geist
inspirierte Kater und Pudel sich daher verstünden. Um meinen Satz ganz
ins klare zu stellen, führte ich mehrere Beispiele aus beiden Sprachen
an und machte auf die gleichen Stammwurzeln aufmerksam, von: Bau -- Bau
-- Mau -- Miau -- Blaf blaf -- Anvau -- Korr -- Kurr -- Ptsi -- Pschrzi
usw.

Nachdem das Buch vollendet, fühlte ich die unwiderstehlichste Lust, das
Pudelische wirklich zu erlernen, welches mir, vermöge meines neu
erworbenen Freundes, des Pudels Ponto, wiewohl nicht ohne Mühe, gelang,
da das Pudelische für uns Kater wirklich eine schwere Sprache. Genies
finden sich indes in alles, und eben diese Genialität ist es, die ein
berühmter menschlicher Schriftsteller verkennt, wenn er behauptet, daß,
um eine fremde Sprache, mit allen Eigentümlichkeiten des Volks, dem
Volke nachzusprechen, man durchaus was weniges ein Narr sein müsse. Mein
Meister hatte freilich dieselbe Meinung, und mochte eigentlich nur die
gelehrte Kenntnis der fremden Sprache statuieren, welche Kenntnis er dem
Parlieren entgegensetzte, worunter er die Fertigkeit verstand, in einer
fremden Sprache über nichts und um nichts reden zu können. Er ging so
weit, daß er das Französisch sprechen unserer Herren und Damen vom Hofe
für eine Art von Krankheit hielt, die, wie kataleptische Zufälle, mit
schrecklichen Symptomen eintrete, und hörte ich ihn diese absurde
Behauptung gegen den Hofmarschall des Fürsten selbst ausführen.

»Erzeigen Sie,« sprach Meister Abraham, »mir die Güte, beste Exzellenz,
und beobachten Sie sich selbst! Hat Ihnen der Himmel nicht ein schönes
volltönendes Stimmorgan verliehen, und wenn Ihnen das Französische
ankommt, da beginnen Sie plötzlich zu zischen, zu lispeln, zu schnarren,
und dabei verzerren sich Dero angenehme Gesichtszüge ganz erschrecklich,
und selbst der hübsche, feste, ernste Anstand, dessen Dieselben sonst
mächtig, wird verstört durch allerlei seltsame Konvulsionen. Was kann
dies alles anders bedeuten, als empörtes Treiben irgendeines fatalen
Krankheitskobolds im Innern! -- Der Hofmarschall lachte sehr, und zum
Lachen war auch wirklich Meister Abrahams Hypothese von der Krankheit
fremder Sprachen.

Ein sinnreicher Gelehrter gibt in irgendeinem Buche den Rat, daß man
sich bemühen möge in der fremden Sprache, die man rasch erlernen will,
zu =denken=. Der Rat ist vortrefflich, seine Ausführung aber nicht ohne
Gefahr. Es gelang mir nämlich sehr bald, pudelisch zu denken, ich
vertiefte mich aber in diese pudelischen Gedanken so sehr, daß meine
eigentliche Sprachfertigkeit zurückblieb, und ich selbst nicht verstand
was ich dachte. Diese nicht verstandenen Gedanken brachte ich
meistenteils zu Papier, und ich erstaune über die Tiefe dieser Sprache,
die ich unter dem Titel »Akanthusblätter« gesammelt, und die ich noch
nicht verstehe.

Ich glaube, daß diese kurzen Andeutungen über die Geschichte meiner
Jugendmonate hinreichen dürften, dem Leser ein deutliches Bild davon zu
geben was ich bin und wie ich es wurde.

Unmöglich kann ich mich aber von der Blütezeit meines merkwürdigen
ereignisreichen Lebens trennen, ohne noch eines Vorfalls zu erwähnen,
der gewissermaßen meinen Übertritt in die Jahre der reifern Bildung
bezeichnet. Die Katerjugend wird daraus lernen, daß keine Rose ohne
Dornen ist, und daß dem mächtig emporstrebenden Geiste manches Hindernis
gelegt, mancher Stein des Anstoßes in den Weg geworfen wird, an dem er
sich die Pfoten wund stoßen muß. -- Und der Schmerz solcher Wunden ist
empfindlich, sehr empfindlich! --

Gewiß, hast du mich, geliebter Leser, beinahe beneidet um meine
glückliche Jugendzeit, um den günstigen Stern der über mich wachte! -- In
Dürftigkeit von vornehmen aber armen Eltern geboren, dem schmachvollen
Tode nahe, komme ich plötzlich in den Schoß des Überflusses, in den
Peruschacht der Literatur! -- Nichts stört meine Bildung, nichts
widerstrebt meinen Neigungen, mit Riesenschritten gehe ich der
Vollkommenheit entgegen, die mich hoch erhebt über meine Zeit. Da hält
mich plötzlich ein Zollverwalter an und fordert den Tribut, dem alles
hienieden unterworfen!

Wer hätte denken sollen, daß unter den Banden der süßesten, innigsten
Freundschaft die Dornen verborgen, die mich ritzen, verwunden, blutig
verwunden mußten!

Jeder, der ein gefühlvolles Herz im Busen trägt, wie ich, wird aus dem,
was ich über mein Verhältnis mit dem Pudel Ponto gesagt, sehr leicht
entnehmen können, was der Teure mir war, und doch mußte =er= es sein, der
den ersten Anlaß gab zu der Katastrophe, die mich gänzlich verderben
konnte, hätte der Geist meines großen Ahnherrn nicht über mich gewacht.
-- Ja mein Leser! -- ich hatte einen Ahnherrn, einen Ahnherrn, ohne den
ich gewissermaßen gar nicht existieren würde -- einen großen
vortrefflichen Ahnherrn, einen Mann von Stande, Ansehen, Vermögen,
ausgebreiteter Wissenschaft, mit einer ganz vortrefflichen Sorte Tugend,
mit der feinsten Menschenliebe begabt, einen Mann von Eleganz und
Geschmack, nach dem neuesten Geschmack -- einen Mann der -- doch dies
alles jetzt nur beiläufig gesagt, künftig mehr von dem Würdigen, der
niemand anders war, als der berühmte Premierminister Hinz von
Hinzenfeldt, der der Welt so teuer, so über alles wert worden unter dem
Namen des gestiefelten Katers. --

Wie gesagt, künftig mehr von dem edelsten der Kater! --

Konnt' es anders sein; mußt' ich, als ich mich im Pudelischen leicht und
zierlich auszudrücken vermochte, mit meinem Freunde Ponto nicht davon
reden, was mir das Höchste im Leben war, nämlich von mir selbst und von
meinen Werken? So kam es, daß er mit meinen besondern Geistesgaben, mit
meiner Genialität, mit meinem Talent bekannt wurde, und hier entdeckte
ich zu meinem nicht geringen Leid, daß ein unüberwindlicher Leichtsinn,
ja ein gewisser Übermut es dem jungen Ponto unmöglich machte, in den
Künsten und Wissenschaften etwas zu tun. Statt in Erstaunen zu geraten
über meine Kenntnis, versicherte er, daß es gar nicht zu begreifen, wie
ich darauf fallen könnte, mich mit derlei Dingen abzugeben, und daß er
seinerseits, was Künste betreffe, sich lediglich darauf beschränke, über
den Stock zu springen, und seines Herrn Mütze aus dem Wasser zu
apportieren, die Wissenschaften anlangend er aber der Meinung sei, daß
Leute, wie ich und er, sich nur den Magen dabei verdürben und allen
Appetit gänzlich verlören.

Bei einem solchen Gespräch, in dem ich mich mühte, meinen jungen
leichtsinnigen Freund eines Bessern zu belehren, geschah das
Entsetzliche. Denn ehe ich mir's versah, sprang...

=(Mak. Bl.)= -- Und immer werden Sie, erwiderte die Benzon, mit dieser
phantastischen Überspanntheit, mit dieser herzzerschneidenden Ironie
nichts anstiften als Unruhe -- Verwirrung -- völlige Dissonanz aller
konventionellen Verhältnisse, wie sie nun einmal bestehen.

O wundervoller Kapellmeister, rief Johannes Kreisler lachend, der
solcher Dissonanzen mächtig!

Seien Sie ernst, fuhr die Rätin fort, Sie entkommen mir nicht durch
bittern Scherz! Ich halte Sie fest, lieber Johannes! -- Ja, so will ich
Sie nennen, mit dem sanften Namen Johannes, damit ich wenigstens hoffen
darf, daß hinter der Satyrmaske am Ende ein sanftes, weiches Gemüt
verborgen. Und dann! -- nimmermehr werde ich mich davon überzeugen, daß
der bizarre Name: Kreisler, nicht eingeschwärzt, nicht einem ganz andern
Familien-Namen untergeschoben sein sollte!

Rätin, sprach Kreisler, indem sein ganzes Gesicht in einem seltsamen
Muskelspiel an tausend Falten und Furchen vibrierte, teuerste Rätin, was
haben Sie gegen meinen ehrlichen Namen? -- Vielleicht führte ich sonst
einen andern, aber das ist lange her, und mir geht es so wie dem
Ratgeber in Tiecks Blaubart, der da sagt: Ich hatte sonst einmal einen
ganz vortrefflichen Namen, durch die Länge der Zeit hab' ich ihn fast
vergessen, ich kann mich nur noch dunkel daran erinnern.

Besinnen Sie sich, Johannes, rief die Rätin, ihn mit leuchtenden Blicken
durchbohrend, der halbvergessene Name kommt Ihnen gewiß wieder in die
Gedanken!

Durchaus nicht, Teuerste, erwiderte Kreisler, es ist unmöglich, und ich
vermute beinahe, daß die dunkle Erinnerung, wie ich sonst, was eben
meine äußere Gestalt rücksichts des Namens als Lebenspasseport
betrifft, anders gestaltet, aus der angenehmen Zeit herrührt, da ich
eigentlich noch gar nicht geboren. -- Erzeigen Sie mir die Güte,
Verehrungswürdigste, betrachten Sie meinen schlichten Namen im gehörigen
Licht, und Sie werden ihn, was Zeichnung, Kolorit und Physiognomie
betrifft, allerliebst finden! Noch mehr! stülpen Sie ihn um, sezieren
Sie ihn mit dem grammatischen Anatomiermesser, immer herrlicher wird
sich sein innerer Gehalt zeigen. Es ist ganz unmöglich, Vortreffliche!
daß Sie meines Namens Abstammung in dem Worte =Kraus= finden, und mich,
nach der Analogie des Wortes =Haarkräusler,= für einen Tonkräusler, oder
gar für einen Kräusler überhaupt halten können, da ich mich alsdann eben
=Kräusler= schreiben müßte. Sie können nicht wegkommen von dem Worte
=Kreis,= und der Himmel gebe, daß Sie dann gleich an die wunderbaren
Kreise denken mögen, in denen sich unser ganzes Sein bewegt, und aus
denen wir nicht herauskommen können, wir mögen es anstellen wie wir
wollen. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler, und wohl mag es
sein, daß er oft, ermüdet von den Sprüngen des St. Veits-Tanzes, zu dem
er gezwungen, rechtend mit der dunklen unerforschlichen Macht, die jene
Kreise umschrieb, sich mehr als es einem Magen, der ohnedies nur
schwächlicher Konstitution, zusagt, hinaussehnt ins Freie. Und der tiefe
Schmerz dieser Sehnsucht mag nun wieder eben jene Ironie sein, die Sie,
Verehrte! so bitter tadeln, nicht beachtend, daß die kräftige Mutter
einen Sohn gebar, der in das Leben eintritt wie ein gebietender König.
Ich meine den Humor, der nichts gemein hat mit seinem ungeratenen
Stiefbruder, dem Spott! -- Ja, sprach die Rätin, eben dieser Humor,
dieser Wechselbalg einer ausschweifenden, grillenhaften Phantasie ohne
Gestalt, ohne Farbe, von dem ihr harten Männerseelen selbst nicht wißt,
für wen ihr ihn ausgeben sollt nach Stand und Würden, eben dieser ist
es, den ihr uns gern als etwas Großes, Herrliches unterschieben möchtet,
wenn ihr alles, was uns lieb und wert, in bitterm Hohne zu vernichten
trachtet. Wissen Sie wohl, Kreisler, daß Prinzessin Hedwiga noch jetzt
ganz außer sich ist über Ihre Erscheinung, über Ihr Betragen im Park?
Reizbar, wie sie ist, verwundet sie jeder Scherz, in dem sie nur die
leiseste Verspottung ihrer Persönlichkeit findet, überdies aber
beliebten Sie, lieber Johannes, sich ihr als ein vollkommen Wahnsinniger
darzustellen, und ihr so ein Entsetzen zu erregen, das sie hätte auf das
Krankenlager werfen können. Ist das zu entschuldigen?

Ebensowenig, erwiderte Kreisler, als wenn ein Prinzeßlein es unternimmt,
in dem offnen Park ihres Herrn Papas einem Fremden von honettem Ansehen,
der ihr zufällig begegnet, durch ihre kleine Person imponieren zu
wollen.

Dem sei wie ihm wolle, fuhr die Rätin fort, genug, Ihre abenteuerliche
Erscheinung in unserm Park hätte böse Folgen haben können. Daß diese
abgewandt, daß die Prinzessin wenigstens sich an den Gedanken gewöhnt
Sie wiederzusehen, alles das haben wir meiner Julia zu verdanken. Sie
allein nimmt Sie in Schutz, indem sie in allem, was Sie begonnen, was
Sie gesprochen, nur den Erguß einer überspannten Laune findet, wie sie
oft einem tief verletzten oder zu reizbaren Gemüt eigen. Mit einem Wort,
Julia, die erst vor kurzer Zeit Shakespeares: »Wie es euch gefällt,«
kennen gelernt, hat Sie gerade mit dem melancholischen Monsieur Jacques
verglichen.

O du ahnendes Himmelskind! rief Kreisler, indem ihm die Tränen in die
Augen traten.

Überdies, sprach die Benzon weiter, hat meine Julia in Ihnen, als Sie
auf der Guitarre phantasierten und, wie sie erzählt, dazwischen sangen
und sprachen, den sublimen Musiker und Komponisten erkannt. Sie meint,
in dem Augenblick sei ihr ein ganz besonderer Geist der Musik
aufgegangen, sie habe, wie von unsichtbarer Macht dazu gezwungen, singen
und spielen müssen, und das sei ihr gar anders geglückt, als sonst
jemals. -- Erfahren Sie nur, Julia konnte sich gar nicht darin finden,
daß sie den seltsamen Mann nicht wiedersehen, daß er ihr nur wie ein
anmutig wunderlicher, musikalischer Spuk erschienen sein solle; wogegen
die Prinzessin mit aller ihr eignen Heftigkeit behauptete, daß ein
zweiter Besuch des gespenstischen Wahnsinnigen ihr den Tod geben würde.
Da die Mädchen sonst ein Herz und eine Seele sind, und niemals eine
Entzweiung unter ihnen stattgefunden, so konnt' ich mit vollem Recht
behaupten, daß sich jene Szene aus früher Kindheit umgekehrt wiederhole,
als Julia einen etwas bizarren Skaramuz, der ihr einbeschert worden,
durchaus in den Kamin werfen wollte, die Prinzessin hingegen ihn in
Schutz nahm und für ihren Liebling erklärte.

Ich lasse mich, fiel Kreisler der Benzon laut lachend in die Rede, ein
zweiter Skaramuz, von der Prinzessin in den Kamin werfen, und vertraue
der süßen Huld der holden Julia. -- Sie müssen, fuhr die Benzon fort,
die Erinnerung an den Skaramuz für einen humoristischen Einfall halten,
und diesen können Sie, Ihrer eigenen Theorie gemäß, nicht übel deuten.
Übrigens mögen Sie es sich wohl vorstellen, daß ich in der Schilderung,
die die Mädchen mir von Ihrer Erscheinung, von dem ganzen Vorfall im
Park machten, Sie augenblicklich wiedererkannte, und daß es Juliens
Sehnsucht Sie wiederzusehen, gar nicht bedurfte; ohnedies hätte ich in
dem nächsten Augenblick alle Leute, die mir zu Gebote standen, in
Bewegung gesetzt, den ganzen Park, ganz Sieghartsweiler durchsuchen
lassen, um Sie, der mir bei kurzer Bekanntschaft so wert geworden,
wiederzufinden. Alle Nachforschungen blieben vergebens, ich glaubte Sie
verloren, um so mehr mußte ich erstaunen, als Sie heute morgen bei mir
eintraten. Julia ist bei der Prinzessin, welch ein Zwiespalt der
verschiedensten Empfindungen würde sich erheben, wenn die Mädchen in
diesem Augenblick Ihre Ankunft erführen. -- Was Sie, den ich als
wohlbestallten Kapellmeister an dem Hofe des Großherzogs glaubte, so
plötzlich herbringt, darüber verlange ich nur dann Aufschluß, wenn es
Ihnen recht und gemütlich sein wird, mir darüber etwas zu sagen.

Kreisler war, als die Rätin dies alles sprach, in tiefes Nachdenken
versunken. Er starrte zur Erde nieder und fingerte an der Stirn wie
einer, der sich auf etwas Vergessenes zu besinnen trachtet.

Ach, begann er, als die Rätin schwieg, das ist eine sehr alberne
Geschichte, kaum des Erzählens wert. Doch so viel ist gewiß, daß das,
was die kleine Prinzessin für die wirren Reden eines Wahnwitzigen zu
halten geruht hat, in der Wahrheit begründet ist. In der Tat befand ich
mich damals, als ich das Unglück hatte, die kleine Reizbare im Park zu
erschrecken, auf einer Visitenfahrt, denn ich kam eben von einer Visite,
die ich niemanden anders abstattete, als dem Durchlauchtigsten
Großherzoge selbst, und hier in Sieghartsweiler wollte ich nun ja eben
mit den außerordentlichsten, angenehmsten Visiten kontinuieren.

O Kreisler, rief die Rätin, ein wenig lächelnd, niemals lachte sie stark
und laut, das ist gewiß wieder irgendein bizarrer Einfall, dem Sie
freien Lauf gestattet. Irre ich nicht, so liegt die Residenz wenigstens
dreißig Stunden entfernt von Sieghartsweiler.

So ist es, erwiderte Kreisler, aber man wandelt in einem Garten, der
mir in solch großem Stil angelegt scheint, daß selbst ein Le Notre
darüber erstaunen müßte. Statuieren Sie nun, Verehrte, nicht meine
Visitenfahrt, so mögen Sie bedenken, daß ein empfindsamer Kapellmeister,
Stimme in Kehle und Brust, Guitarre in der Hand, lustwandelnd durch
duftende Wälder, über frisch grünende Wiesen, über wildgetürmtes
Steingeklüft, über schmale Stege, unter denen die Waldbäche schäumend
fortbrausen, ja, daß ein solcher Kapellmeister als Solosänger
einstimmend in die Chöre, die überall ihn umtönen, sehr leicht
hineingeraten kann in einzelne Partien des Gartens, absichtslos, ohne es
zu wollen. So mag ich hineingeraten sein in den fürstlichen Park zu
Sieghartshof, der nichts ist als eine etwas kleinliche Partie in dem
großen Park, den die Natur anlegte. -- Doch nein, es ist dem nicht so!
-- Als Sie vorhin davon sprachen, wie ein ganzes lustiges Jägervolk
aufgeboten worden, mich einzufangen als jagdbares Wild, das sich
verlaufen, gewann ich erst die innere feste Überzeugung von der
Notwendigkeit meines Hierseins -- eine Notwendigkeit, die mich, hätte ich
auch meinen irren Lauf fortsetzen wollen, ins Garn treiben mußte. -- Sie
erwähnten gütigst, daß meine Bekanntschaft Ihnen wert geworden, mußten
mir dabei nicht jene verhängnisvollen Tage der Verwirrung, der
allgemeinen Not einfallen, in denen uns das Schicksal zusammenführte?
Sie fanden mich damals hin und her schwankend, unfähig, einen Entschluß
zu fassen, zerrissen im innersten Gemüt. Sie nahmen mich auf mit
freundlicher Gesinnung, und indem Sie, mir den klaren, wolkenlosen
Himmel einer ruhigen, in sich abgeschlossenen Weiblichkeit auftuend,
mich zu trösten gedachten, tadelten und verziehen Sie zugleich die tolle
Ausgelassenheit meines Treibens, welches Sie einer durch den Drang der
Umstände herbeigeführten trostlosen Verzweiflung zuschrieben. Sie
entzogen mich einer Umgebung, die ich selbst für zweideutig anerkennen
mußte; Ihr Haus wurde das friedliche, freundliche Asyl, in dem ich,
Ihren stillen Schmerz ehrend, den meinigen vergaß. Ihre Gespräche voll
Heiterkeit und Milde wirkten als wohltuende Arznei, ohne daß Sie meine
Krankheit kannten. Nicht die bedrohlichen Ereignisse, die meine Stellung
im Leben vernichten konnten, waren es, die so feindlich auf mich
wirkten. Längst hatte ich gewünscht, Verhältnisse aufzugeben, die mich
drückten und ängstigten, und nicht zürnen konnte ich auf das Schicksal,
welches das bewirkte, was auszuführen ich selbst so lange nicht Mut und
Kraft genug gehabt hatte. Nein! -- Als ich mich frei fühlte, da erfaßte
mich jene unbeschreibliche Unruhe, die, seit meinen frühen Jugendjahren,
so oft mich mit mir selbst entzweit hat. Nicht die Sehnsucht ist es,
die, wie jener tiefe Dichter so herrlich sagt, aus dem höheren Leben
entsprungen, ewig währt, weil sie ewig nicht erfüllt wird, weder
getäuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfüllt, damit sie nicht
sterbe; nein -- ein wüstes, wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor
nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben außer mir selbst suche,
da es doch in meinem eigenen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis,
ein wirrer, rätselhafter Traum von einem Paradies der höchsten
Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag,
und diese Ahnung ängstigt mich mit den Qualen des Tantalus. Dies Gefühl
bemeisterte sich schon, als ich noch ein Kind, meiner oft so plötzlich,
daß ich mitten aus dem frohsten Spiel mit meinen Kameraden davonlief in
den Wald, auf den Berg, dort mich niederwarf auf die Erde und trostlos
weinte und schluchzte, unerachtet ich eben der Tollste, Ausgelassenste
von allen gewesen. Später lernte ich mich selbst mehr bekämpfen, aber
nicht auszusprechen vermag ich die Marter meines Zustandes, wenn in der
heitersten Umgebung gemütlicher, wohlwollender Freunde, bei irgendeinem
Kunstgenuß, ja selbst in den Momenten, wenn meine Eitelkeit in Anspruch
genommen wurde auf diese, jene Weise, ja! wenn mir dann plötzlich alles
elend, nichtig, farblos, tot erschien und ich mich versetzt fühlte in
eine trostlose Einöde. Nur einen Engel des Lichts gibt es, der Macht hat
über den bösen Dämon. Es ist der Geist der Tonkunst, der oft aus mir
selbst sich siegreich erhebt, und vor dessen mächtiger Stimme alle
Schmerzen irdischer Bedrängnis verstummen. --

Immer, nahm die Rätin das Wort, habe ich geglaubt, daß die Musik auf
Sie zu stark, mithin verderblich wirke; denn indem bei der Aufführung
irgendeines vortrefflichen Werks Ihr ganzes Wesen durchdrungen schien,
veränderten sich alle Züge Ihres Gesichts. Sie erblaßten, Sie waren
keines Wortes mächtig, Sie hatten nur Seufzer und Tränen, und fielen
dann her mit dem bittersten Spott, mit tief verletzendem Hohn, über
jeden, der auch nur ein Wort über das Werk des Meisters sagen wollte.
-- Ja, wenn --

O beste Rätin, fiel Kreisler der Benzon ins Wort, indem er, so ernst und
tiefbewegt er zuvor gesprochen, plötzlich den besondern Ton der Ironie
wieder aufnahm, der ihm eigen, das ist nun alles anders geworden. Sie
glauben gar nicht, Verehrte, was ich an dem großherzoglichen Hofe artig
und gescheut geworden bin. Ich kann mit der größten Seelenruhe und
Gemütlichkeit zum Don Juan und zur Armida den Takt schlagen, ich kann
der ersten Sängerin freundlich zuwinken, wenn sie in der merkwürdigsten
Kadenz auf den Sprossen der Tonleiter herumhopst, ich kann, wenn der
Hofmarschall nach Haydn's Jahreszeiten mir zuflüstert: _C'etoit bien
ennuyant, mon cher maître de chapelle,_ lächelnd mit dem Kopfe nicken und
eine bedeutungsvolle Prise nehmen, ja ich kann es geduldig anhören, wenn
der kunstverständige Kammer- und Spektakelherr mir weitläuftig
demonstriert, daß Mozart und Beethoven den Teufel was von Gesang
verstünden, und daß Rossini, Pucitta und wie die Männerchen alle heißen
mögen, sich _à la hauteur_ aller Opernmusik geschwungen. -- Ja, Verehrte,
Sie glauben nicht, was ich während meiner Kapellmeisterschaft
profitiert, vorzüglich aber die schöne Überzeugung, wie gut es ist, wenn
Künstler förmlich in Dienst treten; der Teufel und seine Großmutter
könnte es sonst mit dem stolzen, übermütigen Volke aushalten! Laßt den
braven Komponisten Kapellmeister oder Musikdirektor werden, den Dichter
Hofpoet, den Maler Hofporträtisten, den Bildhauer Hofporträtmeißler, und
Ihr habt bald keine unnützen Phantasten mehr im Lande, vielmehr lauter
nützliche Bürger von guter Erziehung und milden Sitten! --

Still, still, rief die Rätin unmutig, halten Sie ein, Kreisler, Ihr
Steckenpferd fängt wieder an, sich zu bäumen, nach gewöhnlicher Art und
Weise. Übrigens merke ich Unrat, und wünsche jetzt in der Tat recht
sehnlich zu wissen, welch ein schlimmes Ereignis Sie zur schnellen,
übereilten Flucht aus der Residenz nötigte. Denn auf eine solche Flucht
deuten alle Umstände Ihrer Erscheinung im Park.

Und ich, sprach Kreisler ruhig, indem er seinen Blick fest auf die Rätin
heftete, ich kann versichern, daß das schlimme Ereignis, welches mich
forttrieb aus der Residenz, unabhängig von allen äußern Dingen, nur in
mir selbst lag.

Eben jene Unruhe, von der ich vorhin vielleicht mehr und ernster
sprach, als gerade nötig, überfiel mich mit stärkerer Macht als jemals,
es war meines Bleibens nicht länger. -- Sie wissen, wie ich mich auf
meine Kapellmeisterschaft bei dem Großherzog freute. Törichterweise
glaubte ich, daß, in der Kunst lebend, meine Stellung eben mich ganz
beschwichtigen, daß der Dämon in meinem Innern besiegt werden würde. Aus
dem wenigen, was ich erst über meine Bildung am großherzoglichen Hofe
angebracht, werden Sie, Verehrte, aber entnehmen, wie sehr ich mich
täuschte. Erlassen Sie mir die Schilderung, wie ich durch fade Spielerei
mit der heiligen Kunst, zu der ich notgedrungen die Hand bieten mußte,
durch die Albernheiten seelenloser Kunstpfuscher, abgeschmackter
Dilettanten, durch das ganze tolle Treiben einer Welt voll
Kunstgliederpuppen, immer mehr und mehr dahin gebracht wurde, die
erbärmliche Nichtswürdigkeit meiner Existenz einzusehen. An einem Morgen
mußt' ich zum Großherzog, um meine Einwirkung bei den Festlichkeiten,
die in den nächsten Tagen stattfinden sollten, zu erfahren. Der
Spektakelherr war, wie natürlich, zugegen und stürmte auf mich ein mit
allerlei sinn- und geschmacklosen Anordnungen, denen ich mich fügen
sollte. Vorzüglich war es ein von ihm selbst verfaßter Prolog, den er,
als höchste Spitze der Theaterfeste, von mir komponiert verlangte. Da
diesmal, so sprach er zum Fürsten, einen stechenden Seitenblick auf mich
werfend, nicht von gelehrter deutscher Musik, sondern von
geschmackvollem italienischen Gesange die Rede sein, so habe er selbst
einige zarte Melodien aufgesetzt, die ich gehörig anzubringen hätte. Der
Großherzog genehmigte nicht nur alles, sondern nahm auch Gelegenheit,
mir überhaupt anzudeuten, daß er meine fernere Ausbildung durch eifriges
Studium der neueren Italiener hoffe und erwarte. -- Wie ich so
erbärmlich da stand! -- ich verachtete mich selbst tief -- alle
Demütigungen erschienen mir gerechte Strafe für meinen kindischen,
aberwitzigen Langmut! -- Ich verließ das Schloß, um nie wieder
zurückzukehren. Noch denselben Abend wollte ich meine Entlassung
fordern, aber selbst dieser Entschluß konnte mich nicht über mich selbst
beruhigen, da ich mich schon durch einen geheimen Ostrazismus verbannt
sah. Die Guitarre, die ich zu anderm Beruf mitgenommen, nahm ich aus dem
Wagen, den ich, vors Tor gekommen, fortschickte, und lief hinaus ins
Freie, unaufhaltsam fort, immer weiter fort! -- Schon sank die Sonne,
immer breiter und schwärzer wurden die Schatten der Berge, des Waldes.
Unerträglich, ja vernichtend war mir der Gedanke, zurückzukehren nach
der Residenz. -- Welche Macht zwingt mich zum Rückweg! so rief ich laut.
Ich wußte, daß ich mich auf dem Wege nach Sieghartsweiler befand; ich
gedachte meines alten Meisters Abraham, von dem ich Tages zuvor einen
Brief erhalten, worin er, meine Lage in der Residenz ahnend, mich
wegwünschte von dort, mich zu sich einlud. --

Wie, unterbrach die Rätin den Kapellmeister, Sie kennen den wunderlichen
Alten?

Meister Abraham, fuhr Kreisler fort, war der innigste Freund meines
Vaters, mein Lehrer, zum Teil mein Erzieher! -- Nun, Verehrte, wissen
Sie ausführlich, wie ich in den Park des wackern Fürsten Irenäus kam,
und werden nicht mehr daran zweifeln, daß ich, kommt es darauf an, im
Stande bin, ruhig, mit erforderlicher historischer Genauigkeit und so
angenehm zu erzählen, daß mir selbst davor graut. Überhaupt kommt mir
die ganze Geschichte meiner Flucht aus der Residenz, wie gesagt, so
albern vor, und von solcher allen Geist zerstörender Nüchternheit, daß
man selbst nicht davon sprechen kann, ohne in erkleckliche Schwachheit
zu verfallen. -- Möchten Sie, Teure, aber die seichte Begebenheit als
krampfstillendes Wasser der erschrockenen Prinzessin beibringen, damit
sie sich beruhige, und daran denken, daß ein ehrlicher deutscher
Musikus, den, als er gerade seidene Strümpfe angezogen, und sich in
einem saubern Kutschkasten vornehm geberdete, Rossini und Pucitta, und
Pavesi und Fioravanti, und Gott weiß welche andere inis und ittas, in
die Flucht schlugen, sich unmöglich sehr gescheut betragen kann.
Verzeihung ist zu hoffen, will ich hoffen! -- Als poetischen Nachklang
des langweiligen Abenteuers vernehmen Sie aber, beste Rätin, daß in dem
Augenblick, da ich, gepeitscht von meinem Dämon, fortrennen wollte, mich
der süßeste Zauber festbannte. Schadenfroh trachtete der Dämon eben das
tiefste Geheimnis meiner Brust zu Schanden zu machen, da rührte der
mächtige Geist der Tonkunst die Schwingen, und vor dem melodischen
Rauschen erwachte der Trost, die Hoffnung, ja selbst die Sehnsucht, die
die unvergängliche Lieb selbst ist und das Entzücken ewiger Jugend.
-- Julia sang! --

Kreisler schwieg. Die Benzon horchte auf, gespannt auf das, was nun
nachfolgen würde. Da der Kapellmeister sich in stumme Gedanken zu
verlieren schien, fragte sie mit kalter Freundlichkeit: Sie finden den
Gesang meiner Tochter in der Tat angenehm, lieber Johannes?

Kreisler fuhr heftig auf, das, was er sagen wollte, erstickte aber ein
Seufzer aus der tiefsten Brust.

Nun, fuhr die Rätin fort, das ist mir recht lieb. Julia kann von Ihnen,
lieber Kreisler, was den wahren Gesang betrifft, recht viel lernen, denn
daß Sie hier bleiben, sehe ich nun als eine ausgemachte Sache an.

Verehrteste, begann Kreisler, aber in dem Augenblicke öffnete sich die
Türe und Julia trat herein.

Als sie den Kapellmeister gewahrte, verklärte ihr holdes Antlitz ein
süßes Lächeln, und ein leises: Ach! hauchte von ihren Lippen.

Die Benzon stand auf, nahm den Kapellmeister bei der Hand und führte ihn
Julien entgegen, indem sie sprach: Nun, mein Kind, da ist der
seltsame -- --

=(M. f. f.)= -- der junge Ponto los auf mein neuestes Manuskript, das
neben mir lag, faßte es, ehe ich's verhindern konnte, zwischen die Zähne
und rannte damit spornstreichs auf und davon. Er stieß dabei ein
schadenfrohes Gelächter aus, und schon dies hätte mich vermuten lassen
sollen, daß nicht bloßer jugendlicher Mutwille ihn zur bösen Tat
spornte, sondern daß noch etwas mehr im Spiele war. Bald wurde ich
darüber aufgeklärt.

Nach ein paar Tagen trat der Mann, bei dem der junge Ponto in Diensten,
hinein zu meinem Meister. Es war, wie ich nachher erfahren, Herr
Lothario, Professor der Ästhetik am Gymnasio zu Sieghartsweiler. -- Nach
gewöhnlicher Begrüßung schaute der Professor im Zimmer umher und sprach,
als er mich erblickte: Wolltet Ihr nicht, lieber Meister, den Kleinen
dort aus der Stube entfernen? Warum? fragte der Meister. -- Ihr konntet
doch sonst die Katzen leiden, Professor, und vorzüglich meinen Liebling,
den zierlichen, gescheuten Kater Murr! -- Ja, sprach der Professor,
indem er höhnisch lachte, zierlich und gescheut, das ist wahr! -- Aber
tut mir den Gefallen, Meister, und entfernt Euern Liebling, denn ich
habe Dinge mit Euch zu reden, die er durchaus nicht hören darf. Wer?
rief Meister Abraham, indem er den Professor anstarrte. Nun, fuhr dieser
fort, Euer Kater. Ich bitte Euch, fragt nicht weiter, sondern tut, warum
ich Euch bitte! -- Das ist doch seltsam, sprach der Meister, indem er
die Türe des Kabinetts öffnete und mich hineinrief. Ich folgte seinem
Ruf, ohne daß er es gewahrte, schlüpfte ich aber wieder hinein und
verbarg mich im untersten Fach des Bücherschranks, so daß ich unbemerkt
das Zimmer übersehen und jedes Wort, das gesprochen wurde, vernehmen
konnte.

Nun möchte ich, sprach Meister Abraham, indem er sich dem Professor
gegenüber in seinen Lehnstuhl setzte, doch in aller Welt wissen, welch
ein Geheimnis Ihr mir zu entdecken habt, das meinem ehrlichen Kater Murr
verschwiegen bleiben soll.

Sagt mir, begann der Professor sehr ernst und nachdenklich, zuvörderst,
lieber Meister, was haltet Ihr von dem Grundsatz, daß, nur körperliche
Gesundheit vorausgesetzt, sonst ohne Rücksicht auf angeborne geistige
Fähigkeit, auf Talent, auf Genie, vermöge einer besonders geregelten
Erziehung aus jedem Kinde in kurzer Zeit, mithin noch in den
Knabenjahren, ein Heros in Wissenschaft und Kunst geschaffen werden
kann?

Es erwiderte der Meister: Was kann ich von diesem Grundsatz anders
halten, als daß er albern und abgeschmackt ist. Möglich, ja sogar leicht
mag es sein, daß man einem Kinde, das die Auffassungsgabe, wie sie
ungefähr bei den Affen anzutreffen, und ein gutes Gedächtnis besitzt,
eine Menge Dinge systematisch eintrichtern kann, die es dann vor den
Leuten auskramt; nur muß es diesem Kinde durchaus an allem natürlichen
Ingenium fehlen, da sonst der innere bessere Geist der heillosen
Prozedur widerstrebt. Wer wird aber jemals solch einen einfältigen, mit
allerlei verschluckbaren Brocken des Wissens dick gemästeten Jungen
einen Gelehrten im echten Sinne des Wortes nennen?

Die Welt, rief der Professor heftig, die ganze Welt! -- O es ist
entsetzlich! Aller Glaube an die innere, höhere, angeborene
Geisteskraft, die allein nur den Gelehrten, den Künstler schafft, geht
ja über jenen heillosen, tollen Grundsatz zum Teufel!

Ereifert Euch nicht, sprach der Meister lächelnd, soviel wie ich weiß,
ist bis jetzt in unserm guten Deutschland nur ein einziges Produkt jener
Erziehungsmethode aufgestellt worden, von dem die Welt eine Zeit lang
sprach, und zu sprechen aufhörte, als sie einsah, daß das Produkt eben
nicht sonderlich geraten. Zudem fiel die Blütezeit jenes Präparats in
die Periode, als gerade die Wunderkinder in die Mode gekommen, die, wie
sonst mühsam abgerichtete Hunde und Affen, gegen ein billiges Entree
ihre Künste zeigten.

So sprecht Ihr nun, nahm der Professor das Wort, Meister Abraham, und
man würde Euch glauben, kennte man nicht den verborgenen Schalk in Euch,
wüßte man nicht, daß Euer ganzes Leben eine Reihe der wunderlichsten
Experimente darbietet. Gesteht es nur Meister Abraham, gesteht es nur,
Ihr habt ganz im Stillen, im geheimsten Geheim, experimentiert nach
jenem Grundsatz, aber überbieten wolltet Ihr den Mann, den Verfertiger
jenes Präparats von dem wir sprachen. -- Ihr wolltet, wart Ihr ganz
fertig, hervortreten mit Eurem Zögling, und alle Professoren in der
ganzen Welt in Erstaunen versetzen und Verzweiflung, Ihr wolltet den
schönen Grundsatz, _non ex quovis ligno fit Mercurius_ ganz und gar zu
Schanden machen! -- Nun kurz, der _quovis_ ist da, aber kein _Mercurius_,
sondern ein Kater! -- Was sagt Ihr, rief der Meister, indem er laut
auflachte, was sagt Ihr, ein Kater?

Leugnet es nur nicht, fuhr der Professor fort, an dem Kleinen dort in
der Kammer habt Ihr jene abstrakte Erziehungsmethode versucht, Ihr habt
ihn lesen, schreiben gelehrt, Ihr habt ihm die Wissenschaft beigebracht,
so daß er sich schon jetzt unterfängt den Autor zu spielen, ja sogar
Verse zu machen.

Nun sprach der Meister, das ist doch in der Tat das Tollste was mir
jemals vorgekommen! -- Ich meinen Kater erziehen, ich ihm die
Wissenschaften beibringen! -- Sagt, was für Träume rumoren in Eurem
Sinn, Professor? -- Ich versichere Euch, daß ich von meines Katers
Bildung nicht das mindeste weiß, dieselbe auch für ganz unmöglich halte.

So! fragte der Professor mit gedehntem Ton, zog ein Heft aus der Tasche,
das ich augenblicklich für das mir von dem jungen Ponto geraubte
Manuskript erkannte, und las:

  =Sehnsucht nach dem Höheren.=

  Ha, welch Gefühl, das meine Brust beweget!
  Was sagt dies unruh -- ahnungsvolle Beben,
  Will sich zum kühnen Sprung der Geist erheben,
  Vom Sporn des mächt'gen Genius erreget?

  Was ist es, was der Sinn im Sinne träget,
  Was will dem Liebesdrang -erfüllten Leben
  Dies rastlos brennend feurig süße Streben,
  Was ist es, das im bangen Herzen schläget?

  Entrückt werd ich nach fernen Zauberlanden,
  Kein Wort, kein Laut, die Zunge ist gebunden,
  Ein sehnlich Hoffen weht mit Frühlingsfrische,

  Befreit mich bald von drückend schweren Banden.
  Erträumt, erspürt, im grünsten Laub gefunden!
  Hinauf mein Herz! beim Fittich =ihn= erwische!

Ich hoffe, daß jeder meiner gütigen Leser die Musterhaftigkeit dieses
herrlichen Sonetts, das aus der tiefsten Tiefe meines Gemüts hervorfloß,
einsehen, und mich um so mehr bewundern wird, wenn ich versichere, daß
es zu den ersten gehört, die ich überhaupt verfertigt habe. Der
Professor las es aber, in seiner Bosheit, so ohne allen Nachdruck, so
abscheulich vor, daß ich mich kaum selbst erkannte, und daß ich von
plötzlichem Jähzorn, wie er jungen Dichtern wohl eigen, übermannt, im
Begriff war, aus meinem Schlupfwinkel hervor, dem Professor ins Gesicht
zu springen, und ihn die Schärfe meiner Krallen fühlen zu lassen. Der
kluge Gedanke, daß ich doch, wenn beide, der Meister und der Professor,
sich über mich her machten, notwendig den Kürzern ziehen müsse, ließ
mich meinen Zorn mit Gewalt niederkämpfen, jedoch entfuhr mir
unwillkürlich ein knurrendes Miau, das mich unfehlbar verraten haben
würde, hätte der Meister nicht, da der Professor mit dem Sonett fertig,
aufs neue eine dröhnende Lache aufgeschlagen, die mich beinahe noch mehr
kränkte als des Professors Ungeschick.

Hoho, rief der Meister, wahrhaftig, das Sonett ist eines Katers
vollkommen würdig; aber noch immer verstehe ich nicht Euern Spaß,
Professor, sagt mir nur lieber gerade zu, wo Ihr hinauswollt.

Der Professor, ohne dem Meister zu antworten, blätterte im Manuskript,
und las weiter:

  =Glosse.=

  Liebe schwärmt auf allen Wegen,
  Freundschaft bleibt für sich allein,
  Liebe kommt uns rasch entgegen,
  Aufgesucht will Freundschaft sein.

         *       *       *       *       *

  Schmachtend wehe, bange Klagen,
  Hör ich überall ertönen,
  Ob den Sinn zum Schmerz gewöhnen,
  Ob zur Lust, ich kann's nicht sagen,
  Möchte oft mich selber fragen,
  Ob ich träume, ob ich wache.
  Diesem Fühlen, diesem Regen,
  Leih' ihm Herz die rechte Sprache;
  Ja im Keller, auf dem Dache,
  Liebe schwärmt auf allen Wegen!

  Doch, es heilen alle Wunden,
  Die der Liebesschmerz geschlagen,
  Und in einsam stillen Tagen
  Mag, von aller Qual entbunden,
  Geist und Herz wohl bald gesunden;
  Art'ger Kätzchen los Gehudel
  Darf es auf die Dauer sein?
  Nein! -- fort aus dem bösen Strudel,
  Unterm Ofen mit dem Pudel,
  Freundschaft bleibt für sich allein!

  Wohl ich weiß es --

Nein, unterbrach hier der Meister den lesenden Professor, mein Freund,
Ihr macht mich in der Tat ungeduldig, Ihr oder ein anderer Schalk hat
sich den Spaß gemacht, im Geist eines Katers, der nun gerade mein guter
Murr sein soll, Verse zu machen, und nun foppt Ihr mich den ganzen
Morgen damit herum. Der Spaß ist übrigens nicht übel, und wird
vorzüglich dem Kreisler sehr wohl gefallen, der wohl nicht unterlassen
dürfte, damit eine kleine Parforcejagd anzustellen, in der Ihr am Ende
selbst ein gehetztes Wild sein könntet. Aber nun laßt Eure sinnreiche
Einkleidung fahren und sagt mir ganz ehrlich und trocken, was es mit
Eurem seltsamen Spaß eigentlich für eine Bewandnis hat.

Der Professor schlug das Manuskript zusammen, sah dem Meister ernst ins
Auge, und sprach dann: diese Blätter brachte mir vor einigen Tagen mein
Pudel Ponto, der, wie Euch bekannt sein wird, mit Eurem Kater Murr in
freundschaftlichen Verhältnissen lebt. Zwar trug er das Manuskript
zwischen den Zähnen, wie er nun einmal alles zu tragen gewohnt ist,
indessen legte er es mir doch ganz unversehrt in den Schoß, und gab mir
dabei deutlich zu verstehen, daß er es von keinem andern habe, als von
seinem Freunde Murr. Als ich nun einen Blick hineinwarf, fiel mir gleich
die ganz besondere, eigentümliche Handschrift auf, als ich aber einiges
gelesen, stieg in mir, selbst weiß ich nicht auf welche unbegreifliche
Art, der seltsame Gedanke auf, Murr könne das alles selbst gemacht
haben. So sehr mir die Vernunft, ja eine gewisse Lebenserfahrung, der
wir alle nicht entgehen können, und die am Ende nun wieder weiter nichts
ist, als die Vernunft, so sehr mir also eben diese Vernunft sagt: daß
jener Gedanke unsinnig, da Kater weder zu schreiben noch Verse zu machen
im Stande, so konnte ich ihn doch durchaus nicht los werden. Ich
beschloß Euern Kater zu beobachten, und stieg, da ich von meinem Ponto
wußte, daß Murr viel auf Eurem Boden hausiere, auf meinen Boden, nahm
einige Dachziegel herab, so daß ich mir die freie Aussicht in Eure
Dachluken verschaffte. Was gewahrte ich! -- Hört es und erstaunt! -- In
dem einsamsten Winkel des Bodens sitzt Euer Kater! -- sitzt aufgerichtet
vor einem kleinen Tisch, auf dem Schreibzeug und Papier befindlich,
sitzt und reibt sich bald mit der Pfote Stirn und Nacken, fährt sich
über's Gesicht, tunkt bald die Feder ein, schreibt, hört wieder auf,
schreibt von neuem, überliest das Geschriebene, knurrt (ich konnte es
hören) knurrt und spinnt vor lauter Wohlbehagen. -- Um ihn her liegen
verschiedene Bücher, die, nach ihrem Einband, aus Eurer Bibliothek
entnommen. --

Das wäre ja der Teufel, rief der Meister, nun so will ich denn gleich
nachsehen, ob mir Bücher fehlen.

Damit stand er auf, und trat an den Bücherschrank. Sowie er mich
erblickte, prallte er drei Schritte zurück, und blickte mich an voll
Erstaunen. Aber der Professor rief: seht Ihr wohl, Meister? Ihr denkt,
der Kleine sitzt harmlos in der Kammer, in die Ihr ihn eingesperrt, und
er hat sich hinein geschlichen in den Bücherschrank, um zu studieren,
oder noch wahrscheinlicher, um uns zu belauschen. Nun hat er alles
gehört was wir gesprochen, und kann seine Maßregeln darnach nehmen.
»Kater, begann der Meister, indem er fortwährend den Blick voll
Erstaunen auf mir ruhen ließ, »Kater, wenn ich wüßte daß du, deine
ehrliche, natürliche Natur ganz und gar verleugnend, dich wirklich
darauf verlegtest, solche vertrakte Verse zu machen, wie sie der
Professor vorgelesen, wenn ich glauben könnte, daß du wirklich den
Wissenschaften nachstelltest, statt den Mäusen, ich glaube, ich könnte
dir die Ohren wund zwicken, oder gar --«

Mich überfiel eine schreckliche Angst, ich kniff die Augen zu, und tat,
als schliefe ich fest.

Aber nein, nein, fuhr der Meister fort, schaut nur einmal her,
Professor, wie mein ehrlicher Kater so sorglos schläft, und sagt selbst,
ob er in seinem gutmütigen Antlitz etwas trägt, das auf solche geheime
wunderbare Schelmereien, wie Ihr sie ihm Schuld gebt, gedeutet werden
könnte -- Murr! -- Murr! --

So rief der Meister mich an, und ich unterließ nicht wie gewöhnlich mit
meinem Krr -- Krr -- zu antworten, die Augen aufzuschlagen, mich zu
erheben und einen hohen, sehr anmutigen Katzenbuckel zu machen.

Der Professor warf mir, voller Zorn, mein Manuskript an den Kopf, ich
tat aber, (die mir angeborne Schlauheit gab es mir ein,) als wollte er
mit mir spielen, und zerrte springend und tänzelnd die Papiere hin und
her, so daß die Stücke umherflogen.

Nun, sprach der Meister, ist es ausgemacht, daß Ihr ganz unrecht habt,
Professor, und daß Euch Ponto etwas vorlog. Seht nur hin, wie Murr die
Gedichte bearbeitet, welcher Dichter würde sein Manuskript handhaben auf
diese Weise?

Ich habe Euch gewarnt, Meister, tut nun was Ihr wollt, erwiderte der
Professor, und verließ das Zimmer.

Nun glaubte ich, der Sturm sei vorüber; wie sehr war ich im Irrtum!
-- Meister Abraham hatte sich, mir zum großen Verdruß, gegen meine
wissenschaftliche Bildung erklärt, und demunerachtet er es so getan, als
glaube er den Worten des Professors gar nicht, so wurde ich doch bald
gewahr, daß er mir auf allen Gängen nachspürte, mir den Gebrauch seiner
Bibliothek dadurch abschnitt, daß er den Schrank sorgfältig verschloß,
und es durchaus nicht mehr leiden wollte, daß ich mich, wie sonst, auf
seinen Schreibtisch unter die Papiere legte.

So kam Leid und Kümmernis über meine keimende Jugend! Was kann einem
Genie mehr Schmerz verursachen, als sich verkannt, ja verspottet zu
sehen, was kann einen großen Geist mehr erbittern, als da auf
Hindernisse zu stoßen, wo er nur allen möglichen Vorschub erwartete!
-- Doch, je stärker der Druck, desto gewaltiger die Kraft der Entlastung,
je straffer der Bogen gespannt, desto schärfer der Schuß! -- War mir die
Lektüre versperrt, so arbeitete desto freier mein eigner Geist, und
schuf aus sich selbst.

Unmutig wie ich war, brachte ich in dieser Periode manche Nächte, manche
Tage, in den Kellern des Hauses zu, wo mehrere Mäusefallen aufgestellt
waren, und sich überdem viele Kater verschiedenen Alters und Standes
versammelten.

Einem tapfern philosophischen Kopf entgehen überall nicht die
geheimsten Beziehungen des Lebens im Leben, und er erkennt, wie sich
eben aus denselben das Leben gestaltet in Gesinnung und Tat. So gingen
mir auch in den Kellern die Verhältnisse der Mäusefallen und der Katzen
in ihrer Wechselwirkung auf. Es wurde mir, als einem Kater von edlem
echten Sinn, warm um's Herz, wenn ich gewahren mußte, wie jene tote
Maschinen, in ihrem pünktlichen Treiben, eine große Schlaffheit in den
Katerjünglingen hervorbrachten. Ich ergriff die Feder und schrieb das
unsterbliche Werk, dessen ich schon vorhin gedachte, nämlich: »Über
Mäusefallen, und deren Einfluß auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit.«
In diesem Büchlein hielt ich den verweichlichten Katerjünglingen einen
Spiegel vor die Augen, in dem sie sich selbst erblicken mußten, aller
eignen Kraft entsagend, indolent, träge, ruhig es ertragend, daß die
schnöden Mäuse nach dem Speck liefen! -- Ich rüttelte sie aus dem
Schlafe mit donnernden Worten. -- Nächst dem Nutzen, den das Werklein
schaffen mußte, hatte das Schreiben desselben auch noch den Vorteil für
mich, daß ich selbst indessen keine Mäuse fangen durfte, und auch
nachher, da ich so kräftig gesprochen, es wohl keinem einfallen konnte,
von mir zu verlangen, daß ich selbst ein Beispiel des von mir
ausgesprochenen Heroismus im Handeln geben solle.

Damit könnte ich nun meine erste Lebensperiode schließen, und zu meinen
eigentlichen Jünglingsmonaten, die an das männliche Alter streifen,
übergehen; unmöglich kann ich aber den günstigen Lesern die beiden
letzten Strophen der herrlichen Glosse vorenthalten, die mein Meister
nicht hören wollte. Hier sind sie:

  Wohl, ich weiß es, widerstehen
  Mag man nicht dem süßen Kosen,
  Wenn aus Büschen duft'ger Rosen
  Süße Liebeslaute wehen.
  Will das trunkne Aug' dann sehen,
  Wie die Holde kommt gesprungen,
  Die da lauscht' an Blumenwegen,
  Kaum ist Sehnsuchts Ruf erklungen,
  Hat sich schnell hinangeschwungen.
  Liebe kommt uns rasch entgegen.

  Dieses Sehnen, dieses Schmachten
  Kann wohl oft den Sinn berücken;
  Doch wie lange kann's beglücken,
  Dieses Springen, Rennen, Trachten!
  Holder Freundschaft Trieb' erwachten,
  Strahlten auf bei Hesper's Scheine,
  Und den Edlen brav und rein,
  Ihn zu finden den ich meine,
  Klettr' ich über Mau'r und Zäune,
  Aufgesucht will Freundschaft sein.

=(Mak.-Bl.)= -- -- gerade den Abend in solch' heitrer, gemütlicher
Stimmung, wie man sie an ihm nicht verspürt hatte seit gar geraumer
Zeit. Und diese Stimmung war es, die das Unerhörte geschehen ließ. Denn
ohne wild aufzufahren, und davon zu rennen, wie er sonst in gleichem
Fall wohl zu tun pflegte, hörte er ruhig und sogar mit gutmütigem
Lächeln den langen und noch langweiligern ersten Akt eines entsetzlichen
Trauerspiels an, den ein junger hoffnungsvoller Lieutenant mit roten
Wangen und wohlgekräuseltem Haupthaar verfaßt hatte und mit aller
Prätension des glücklichsten Dichters vortrug. Ja als besagter
Lieutenant, da er geendet, ihn heftig fragte, was er von der Dichtung
halte, begnügte er sich, mit dem mildesten Ausdruck des inneren
Ergötzens im ganzen Gesicht, dem jungen Kriegs- und Vershelden zu
versichern, daß der Aushängeakt, das gierigen ästhetischen Leckermäulern
dargebotene Koststück, in der Tat herrliche Gedanken enthalte, für deren
originelle Genialität schon der Umstand spräche, daß auch anerkannt
große Dichter wie z. B. Calderon, Shakespeare und der moderne Schiller
darauf gefallen. Der Lieutenant umarmte ihn sehr, und verriet mit
geheimnisvoller Miene, daß er gedenke, noch denselben Abend eine ganze
Gesellschaft der auserlesensten Fräuleins, unter denen sogar eine Gräfin
befindlich, die spanisch lese, und in Öl male, mit dem vortrefflichsten
aller ersten Akte zu beglücken. Auf die Versicherung, daß er daran
ungemein wohl tun werde, lief er voller Enthusiasmus von dannen.

Ich begreife Dich, sprach jetzt der kleine Geheimrat, heute gar nicht,
lieber Johannes, mit Deiner unbeschreiblichen Sanftmut! -- Wie war es
Dir möglich, das durchaus abgeschmackte Zeug so ruhig, so aufmerksam
anzuhören! -- Angst und bange wurde mir, als der Lieutenant uns, die wir
unbewacht keine Gefahr ahnten, überfiel, und uns rettungslos eingarnte
in die tausendfältigen Schlingen seiner endlosen Verse! -- Ich dachte,
jeden Augenblick würdest Du dazwischen fahren, wie Du es sonst wohl tust
bei geringerem Anlaß; aber Du bleibst ruhig, ja, Dein Blick spricht
Wohlgefallen aus, und am Ende, nachdem ich für meine Person ganz schwach
und elend worden, fertigst Du den Unglückseligen ab mit einer Ironie,
die er nicht einmal zu fassen im Stande, und sagst ihm wenigstens nicht
zur Warnung für künftige Fälle, daß das Ding viel zu lang sei, und
merklich amputiert werden müsse.

Ach, erwiderte Kreisler, was hätte ich denn ausgerichtet mit diesem
kläglichen Rat! -- Kann denn ein prägnanter Dichter wie unser lieber
Lieutenant, wohl mit Nutzen irgendeine Amputation an seinen Versen
vornehmen, wachsen sie ihm nicht nach, unter der Hand? -- Und weißt Du
denn nicht, daß überhaupt die Verse unserer jungen Dichter die
Reproduktionskraft der Eidechsen besitzen, denen die Schwänze munter
wiederum hervor schießen, hat man sie auch an der Wurzel weggeschnitten!
-- Wenn Du aber meinst, daß ich des Lieutenants Leserei ruhig angehört,
so bist Du in großem Irrtum! -- Der Sturm war vorüber, alle Gräser und
Blumen im kleinen Garten erhoben ihre gebeugten Häupter, und schlürften
begierig den Himmelsnektar ein, der aus den Wolkenschleiern in einzelnen
Tropfen hinabfiel. Ich stellte mich unter den großen blühenden
Apfelbaum, und horchte auf die verhallende Stimme des Donners in den
fernen Bergen, die wie eine Weissagung von unaussprechlichen Dingen in
meiner Seele wider klang, und schaute auf zu dem Blau des Himmels, das
wie mit leuchtenden Augen dort und dort durch die fliehenden Wolken
blickte! -- Aber dazwischen rief der Onkel: ich solle fein ins Zimmer und
mir den neuen geblümten Schlafrock nicht verderben durch ungeziemliche
Nässe, und mir nicht den Schnupfen holen im feuchten Grase. Und dann war
es wieder nicht der Onkel, welcher sprach, sondern irgendein Filou von
Papagei oder Starmatz hinterm Busch oder im Busch, oder Gott weiß wo
sonst, machte sich den unnützen Spaß, mich damit zu necken, daß er mir
allerlei köstliche Gedanken aus dem Shakespeare zurief nach seiner
Manier. Und das war nun wieder der Lieutenant und sein Trauerspiel!
-- Geheimer Rat, gib Dir die Mühe zu merken, daß es eine Erinnerung an
meine Knabenzeit war, die mich Dir und dem Lieutenant entführte! Ich
stand wirklich, ein Junge von höchstens zwölf Jahren, in des Onkels
kleinem Garten, und hatte den schönsten Zitz als Schlafrock an, den
jemals eine Kattundruckerseele ersonnen, und vergebens hast Du, o
Geheimerat! heute Dein Königsräucherpulver verschwendet, denn ich habe
nichts verspürt, als das Aroma meines blühenden Apfelbaums, nicht einmal
das Haaröl des Versifikanten, der sein Haupt salbt, ohne es jemals
schützen zu können gegen Wind und Wetter durch eine Krone, vielmehr
nichts aufstülpen darf, als Filz und Leder, durch das Reglement
ausgeprägt zu einem Tschako! -- Genug Bester! Du warst von uns dreien
das einzige Opferlamm, das sich dem infernalischen Trauerspielmesser des
dichterischen Helden darbot. Denn, während ich mich, alle Extremitäten
sorglich einziehend, in das kleine Schlafröckchen eingeputzt hatte, und
mit zwölfjähriger, zwölfflötiger Leichtigkeit hinein gesprungen war in
mehrbesagten Garten, verbrauchte Meister Abraham, wie Du siehst, drei
bis vier Bogen des schönsten Notenpapiers, um allerlei ergötzliche
Phantasmata zuzuschneiden. Auch er ist also dem Lieutenant entwischt! --

Kreisler hatte recht; Meister Abraham verstand sich darauf,
Kartonblätter so zuzuschneiden, daß, fand man auch aus dem Gewirre
durchschnittner Flecke nicht das mindeste deutlich heraus, doch, hielt
man ein Licht hinter das Blatt, in dem auf die Wand geworfenen Schatten,
sich die seltsamsten Gestalten in allerlei Gruppen bildeten. Hatte nun
Meister Abraham schon an und für sich selbst einen natürlichen Abscheu
gegen alles Vorlesen, war ihm noch besonders des Lieutenants Verselei im
Grunde des Herzens zuwider, so konnt' es nicht fehlen, daß er, kaum
hatte der Lieutenant begonnen, begierig nach dem steifen Notenpapier
griff, das zufällig auf dem Tische des Geheimerats lag, eine kleine
Schere aus der Tasche langte, und eine Beschäftigung begann, die ihn dem
Attentat des Lieutenants gänzlich entzog.

Höre Kreisler, begann nun der Geheimerat, -- also eine Erinnerung an
Deine Knabenzeit war es, die in Deine Seele kam, und dieser Erinnerung
mag ich es wohl zuschreiben, daß Du heute so mild bist, so gemütlich,
-- höre, mein innigstgeliebter Freund! es wurmt mich wie alle, die Dich
ehren und lieben, daß ich von Deinem frühern Leben so ganz und gar
nichts weiß, daß Du der leisesten Frage darüber so unfreundlich
ausweichst, ja, daß Du absichtlich Schleier über die Vergangenheit
wirfst, die doch zuweilen zu durchsichtig sind, um nicht durch allerlei
in seltsamer Verzerrung durchschimmernde Bilder die Neugierde zu reizen.
Sei offen gegen die, denen Du doch schon Dein Vertrauen schenktest. --

Kreisler blickte den Geheimerat an mit großen Augen voll Verwunderung,
wie einer, der aus dem tiefen Schlafe erwachend, eine fremde unbekannte
Gestalt vor sich erblickt, und fing dann sehr ernsthaft an:

»Am Tage Johannis Chrysostomi, das heißt am vier und zwanzigsten Januar
des Jahres Ein tausend siebenhundert und etzliche dazu, um die
Mittagsstunde, wurde einer geboren, der hatte ein Gesicht und Hände und
Füße. Der Vater aß eben Erbsensuppe, und goß sich vor Freuden einen
ganzen Löffel voll über den Bart, worüber die Wöchnerin, unerachtet sie
es nicht gesehen, dermaßen lachte, daß von der Erschütterung dem
Lautenisten, der dem Säugling seinen neuesten Murki vorspielte, alle
Saiten sprangen, und er bei der atlasnen Nachthaube seiner Großmutter
schwur, was Musik betreffe, würde der kleine Hans Haase ein elender
Stümper bleiben ewiglich und immerdar. Darauf wischte sich aber der
Vater das Kinn rein und sprach pathetisch: Johannes soll er zwar heißen,
jedoch kein Hase sein. Der Lautenist --«

Ich bitte Dich, Kreisler, unterbrach der kleine Geheimrat den
Kapellmeister, verfalle nicht in die verdammte Sorte von Humor, die mir,
ich mags wohl sagen, den Atem versetzt! Verlange ich denn, daß Du mir
eine pragmatische Selbstbiographie geben, will ich denn mehr, als daß Du
mir vergönnen sollst, einige Blicke in Dein früheres Leben zu tun, ehe
ich Dich kannte? -- In der Tat magst du mir eine Neugierde nicht
verargen, die keine andere Quelle hat, als die innigste Zuneigung recht
aus dem tiefsten Herzen. Und nebenher mußt Du es Dir, da Du nun einmal
seltsam genug auftrittst, gefallen lassen, daß jeder glaubt, nur das
bunteste Leben, eine Reihe der fabelhaftesten Ereignisse könne die
psychische Form so auskneten und bilden, wie es bei Dir geschehen. -- »O
des groben Irrtums, sprach Kreisler, indem er tief seufzte, meine
Jugendzeit gleicht einer dürren Heide ohne Blüten und Blumen, Geist und
Gemüt erschlaffend im trostlosen Einerlei! --«

Nein nein, rief der Geheimerat, dem ist nicht so, denn ich weiß
wenigstens, daß in der Heide ein hübscher kleiner Garten steht, mit
einem blühenden Apfelbaum, der mein feinstes Königspulver überduftet.
Nun! ich meine, Johannes, Du rückst hervor mit der Erinnerung aus Deiner
frühern Jugendzeit, die heute, wie Du erst sagtest, Deine ganze Seele
befängt.

Ich dächte, sprach Meister Abraham, indem er dem eben fertig gewordenen
Kapuziner die Tonsur einschnitt, ich dächte auch, Kreisler, daß Ihr in
Eurer heutigen passablen Stimmung nichts Besseres tun könntet, als Euer
Herz oder Euer Gemüt, oder wie Ihr sonst gerade Euer inneres
Schatzkästlein nennen möget, aufschließen, und dies, jenes daraus
hervorlangen. Das heißt, da Ihr nun einmal verraten, daß Ihr
wider den Willen des besorgten Oheims im Regen hinausliefet und
abergläubischerweise auf die Weissagungen des sterbenden Donners
horchtet, so möget Ihr immer noch mehr erzählen, wie sich damals alles
begab. Aber lügt nicht, Johannes, denn Ihr wißt, daß Ihr, was wenigstens
die Zeit betrifft, als Ihr die ersten Hosen truget, und dann der erste
Haarzopf Euch eingeflochten wurde, unter meiner Kontrolle stehet.

Kreisler wollte etwas erwidern, aber Meister Abraham wandte sich
schnell zum kleinen Geheimenrat und sprach: »Sie glauben gar nicht,
Vortrefflichster, wie unser Johannes sich dem bösen Geist des Lügens
ganz und gar hingibt, wenn er, wie es jedoch gar selten geschieht, von
seiner frühesten Jugendzeit erzählt. Gerade wenn die Kinder noch sagen:
Pä pä und Mä mä und mit den Fingern ins Licht fahren, gerade zu der Zeit
will er schon alles beachtet, und tiefe Blicke getan haben ins
menschliche Herz.

Ihr tut mir unrecht, sprach Kreisler, mild lächelnd, mit sanfter Stimme,
Ihr tut mir großes Unrecht, Meister! Sollt' es mir denn möglich sein,
Euch was weismachen zu wollen von frühreifem Geistesvermögen, wie es
wohl eitle Gecken tun? -- Und ich frage Dich, Geheimerrat, ob es Dir
auch nicht widerfährt, daß oft Momente lichtvoll vor Deine Seele treten
aus einer Zeit, die manche erstaunlich kluge Leute ein bloßes Vegetieren
nennen und nichts statuieren wollen, als bloßen Instinkt, dessen höhere
Vortrefflichkeit wir den Tieren einräumen müssen! -- Ich meine, daß es
damit eine eigene Bewandnis hat! -- Ewig unerforschlich bleibt uns das
erste Erwachen zum klaren Bewußtsein! -- Wäre es möglich, daß dies mit
einem Ruck geschehen könnte, ich glaube, der Schreck darüber müßte uns
töten. -- Wer hat nicht schon die Angst der ersten Momente im Erwachen
aus tiefem Traum, bewußtlosen Schlaf empfunden, wenn er sich selbst
fühlend, sich auf sich selbst besinnen mußte! -- Doch, um mich nicht zu
weit zu verlieren, ich meine, jeder starke psychische Eindruck in jener
Entwicklungszeit läßt wohl ein Samenkorn zurück, das eben mit dem
Emporsprossen des geistigen Vermögens fortgedeiht, und so lebt aller
Schmerz, alle Lust jener Stunden der Morgendämmerung in uns fort, und es
sind wirklich die süßen wehmutsvollen Stimmen der Lieben, die wir, als
sie uns aus dem Schlafe weckten, nur im Traum zu hören glaubten, und die
noch in uns forthallen! -- Ich weiß aber, worauf der Meister anspielt.
Auf nichts anders, als auf die Geschichte von der verstorbenen Tante,
die er mir wegstreiten will, und die ich, um ihn erklecklich zu ärgern,
nun gerade Dir, Geheimerat erzählen werde, wenn Du mir versprichst, mir
was weniges empfindelnde Kinderei zu Gute zu halten. -- Was ich Dir von
der Erbssuppe und dem Lautenisten -- O, unterbrach der Geheimerat den
Kapellmeister, still still, nun merk' ich wohl, Du willst mich foppen,
und das ist denn doch wider alle Sitte und Ordnung.

Keinesweges, fuhr Kreisler fort, mein Herz! Aber von dem Lautenisten
muß ich anfangen; denn er bildet den natürlichsten Übergang zur Laute,
deren Himmelstöne das Kind in süße Träume wiegten. Die jüngere Schwester
meiner Mutter war Virtuosin auf diesem, zur Zeit in die musikalische
Polterkammer verwiesenen Instrument. Gesetzte Männer, die schreiben und
rechnen können und wohl noch mehr als das, haben in meiner Gegenwart
Tränen vergossen, wenn sie bloß dachten an das Lautenspiel der seligen
Mamsell Sophie, mir ist es deshalb gar nicht zu verdenken, wenn ich ein
durstig Kind, meiner selbst nicht mächtig, noch ohne in Wort und Rede
aufgekeimtes Bewußtsein, alle Wehmut des wunderbaren Tonzaubers, den die
Lautenistin aus ihrem Innersten strömen ließ, in begierigen Zügen
einschlürfte. -- Jener Lautenist an der Wiege war aber der Lehrer der
Verstorbenen, klein von Person, mit hinlänglich krummen Beinen, hieß
Monsieur Turtel, und trug eine sehr saubere weiße Perücke mit einem
breiten Haarbeutel, sowie einen roten Mantel. -- Ich sage das nur, um zu
beweisen, wie deutlich mir die Gestalten aus jener Zeit aufgehen, und
daß weder Meister Abraham, noch sonst jemand, daran zweifeln darf, wenn
ich behaupte, daß ich, ein Kind von noch nicht drei Jahren, mich finde
auf dem Schoß eines Mädchens, deren mild blickende Augen mir recht in
die Seele leuchteten, daß ich noch die süße Stimme höre, die zu mir
sprach, zu mir sang, daß ich es noch recht gut weiß, wie ich der
anmutigen Person all' meine Liebe, all' meine Zärtlichkeit zuwandte.
Dies war aber eben Tante Sophie, die in seltsamer Verkürzung »Füßchen«
gerufen wurde. Eines Tages lamentierte ich sehr, weil ich Tante Füßchen
nicht gesehen hatte. Die Wärterin brachte mich in ein Zimmer, wo Tante
Füßchen im Bette lag, aber ein alter Mann, der neben ihr gesessen,
sprang schnell auf, und führte, heftig scheltend, die Wärterin, die mich
auf dem Arm hatte, heraus. Bald darauf kleidete man mich an, hüllte mich
ein in dicke Tücher, brachte mich ganz und gar in ein anderes Haus zu
andern Personen, die sämtlich Onkel und Tanten von mir sein wollten, und
versicherten, daß Tante Füßchen sehr krank sei, und ich, wäre ich bei
ihr geblieben, ebenso krank geworden sein würde. Nach einigen Wochen
brachte man mich zurück nach meinem vorigen Aufenthalt. Ich weinte, ich
schrie, ich wollte zu Tante Füßchen. Sowie ich in jenes Zimmer gekommen,
trippelte ich hin an das Bette, in dem Tante Füßchen gelegen, und zog
die Gardinen auseinander. Das Bette war leer, und eine Person, die nun
wieder eine Tante von mir war, sprach, indem ihr die Tränen aus den
Augen stürzten: Du findest sie nicht mehr, Johannes, sie ist gestorben,
und liegt unter der Erde. --

Ich weiß wohl, daß ich den Sinn dieser Worte nicht verstehen konnte,
aber noch jetzt, jenes Augenblicks gedenkend, erbebe ich in dem
namenlosen Gefühl, das mich damals erfaßte. Der Tod selbst preßte mich
hinein in seinen Eispanzer, seine Schauer drangen in mein Innerstes und
vor ihnen erstarrte alle Lust der ersten Knabenjahre. -- Was ich begann,
weiß ich nicht mehr, wüßte es vielleicht niemals, aber erzählt hat man
mir oft genug, daß ich langsam die Gardinen fahren ließ, ganz ernst und
still einige Augenblicke stehen blieb, dann aber, wie tief in mich
gekehrt und darüber nachsinnend, was man mir eben gesagt, mich auf ein
kleines Rohrstühlchen setzte, das mir eben nahe stand. Man fügte hinzu,
daß diese stille Trauer des sonst zu den lebhaftesten Ausbrüchen
geneigten Kindes etwas unbeschreiblich Rührendes gehabt, und daß man
selbst einen nachteiligen psychischen Einfluß gefürchtet, da ich mehrere
Wochen in demselben Zustande geblieben, nicht weinend, nicht lachend, zu
keinem Spiel aufgelegt, kein freundlich Wort erwidernd, nichts um mich
her beachtend. --

In diesem Augenblick nahm Meister Abraham ein in Kreuz- und Querzügen
wunderlich durchschnittenes Blatt zur Hand, hielt es vor die brennenden
Kerzen, und auf der Wand reflektierte sich ein ganzes Chor von Nonnen,
die auf seltsamen Instrumenten spielten.

Hoho! rief Kreisler, indem er die ganz artig geordnete Gruppe der
Schwestern erblickte, hoho Meister, ich weiß wohl, woran Ihr mich
erinnern wollt! -- Und noch jetzt behaupte ich keck, daß Ihr unrecht
tatet mich auszuschelten, mich einen störrigen, unverständigen Burschen
zu nennen, der durch die dissonierende Stimme seiner Torheit einen
ganzen singenden und spielenden Konvent aus Ton und Takt bringen könne.
Hatte ich nicht zu der Zeit, als Ihr mich, zwanzig oder dreißig Meilen
weit von meiner Vaterstadt, in das Klarissen-Kloster führtet, um die
erste wahrhaft katholische Kirchenmusik zu hören; hatte ich, sag' ich,
damals nicht den gerechtesten Anspruch auf die brillanteste
Lümmelhaftigkeit, da ich gerade mitten in den Lümmeljahren stand? War es
nicht desto schöner, daß dem unerachtet der längst verwundene Schmerz
des dreijährigen Knaben erwachte mit neuer Kraft, und einen Wahn gebar,
der meine Brust mit allem tötenden Entzücken der herzzerschneidendsten
Wehmut erfüllte? -- Mußte ich nicht behaupten, und alles Einredens
unerachtet dabei bleiben, daß niemand anders das wunderliche Instrument,
die Trompette marine geheißen, spiele, als Tante Füßchen, unerachtet sie
längst verstorben? -- Warum hieltet Ihr mich ab, einzudringen in den
Chor, wo ich sie wiedergefunden hatte in ihrem grünen Kleide mit
ros'farbnen Schleifen! --

Nun starrte Kreisler hin nach der Wand, und sprach mit bewegter,
zitternder Stimme: Wahrhaftig! -- Tante Füßchen ragt hervor unter den
Nonnen! -- Sie ist auf eine Fußbank getreten um das schwierige
Instrument besser handhaben zu können. Doch der Geheimerat trat vor ihn
hin, so daß er ihm den Anblick des Schattenbildes entzog, faßte ihn bei
beiden Schultern und begann: In der Tat, Johannes! es wäre gescheuter,
Du überließest Dich nicht Deinen seltsamen Träumereien und sprächest
nicht von Instrumenten die gar nicht existieren, denn in meinem Leben
habe ich nichts gehört von einer Trompette marine! --

O, rief Meister Abraham lachend, indem er, das Blatt unter den Tisch
werfend, den ganzen Nonnenkonvent samt der chimärischen Tante Füßchen
mit ihrer Trompette marine schnell verschwinden ließ, o mein würdigster
Geheimerat, der Herr Kapellmeister ist auch jetzt wie immer, ein
vernünftiger, ruhiger Mann, und kein Phantast oder Haselant, wofür ihn
gern viele ausgeben möchten. Ist es nicht möglich, daß die Lautenistin,
nachdem sie Todes verblichen, sich mit Effekt auf das wunderbare
Instrument verlegte, welches sie vielleicht noch jetzt hin und wider in
Nonnenklöstern wahrnehmen und darüber in Erstaunen geraten können?
-- Wie! -- Die Trompette marine soll nicht existieren? -- Schlagen Sie
doch nur diesen Artikel gefälligst in Kochs musikalischem Lexikon nach,
das Sie ja selbst besitzen.

Der Geheimerat tat es auf der Stelle, und las laut:

»Dieses alte ganz einfache Bogeninstrument besteht aus drei dünnen,
sieben Schuh langen Brettern, die unten, wo das Instrument auf dem
Fußboden aufstehet, sechs bis sieben Zoll, oben aber kaum zwei Zoll
breit und in der Form eines Triangels zusammengeleimt sind, so daß das
Korpus, welches oben eine Art von Wirbelkasten hat, von unten bis oben
verjüngt zuläuft. Eins von diesen drei Brettern macht den Sangboden aus,
der mit einigen Schallöchern versehen, und mit einer einzigen, etwas
starken Darmsaite bezogen ist. Bei dem Spielen stellt man das Instrument
schief vor sich hin, und stemmt den obern Teil desselben gegen die
Brust. Mit dem Daumen der linken Hand berührt der Spieler die Saite da,
wo die zu greifenden Töne liegen, ganz gelinde und ungefähr ebenso wie
bei dem Flautino oder Flageolett auf der Geige, während mit der rechten
Hand die Saite mit dem Bogen angestrichen wird. Der eigentümliche Ton
dieses Instruments, der dem Tone einer gedämpften Trompete gleicht, wird
durch den besondern Steg hervorgebracht, auf welchem die Saite unten auf
dem Resonanzboden ruhet. Dieser Steg hat beinahe die Gestalt eines
kleinen Schuhes, der vorn ganz niedrig und dünne, hinten hingegen höher
und stärker ist. Auf dem hintern Teile desselben liegt die Saite auf,
und verursacht, wenn sie angestrichen wird, durch ihre Schwingungen, daß
sich der vordere und leichte Teil des Steges auf dem Sangboden auf und
nieder bewegt, wodurch der schnarrende, und der gedämpften Trompete
ähnliche Ton, hervorgebracht wird!« --

Baut mir ein solches Instrument, rief der Geheimerat mit glänzenden
Augen, Meister Abraham, ich werfe meine Nagelgeige in den Winkel,
berühre nicht mehr den Euphon, sondern setze Hof und Stadt in Erstaunen,
auf der Trompette marine die wunderbarsten Lieder spielend! --

Ich tue das, erwiderte Meister Abraham, und möge, bester Geheimerat, der
Geist von Tante Füßchen im grüntaftnen Kleide über Sie kommen, und Sie
eben als Geist begeistern! --

Der Geheimerat umarmte entzückt den Meister, aber Kreisler trat
zwischen beide, indem er beinahe ärgerlich sprach. Ei, seid Ihr nicht
ärgere Haselanten, als ich jemals einer gewesen bin, und dabei
unbarmherzig gegen den, den Ihr zu lieben vorgebt! -- Begnügt Euch doch
damit, daß Ihr mit jener Beschreibung eines Instruments, dessen Ton mein
Innerstes durchbebte, mir Eiswasser über die heiße Stirn gegossen, und
schweigt von der Lautenistin! -- Nun, Du wolltest ja Geheimerat, ich
sollte von meiner Jugend sprechen, und schnitt der Meister dazu
Schattenbilder, die zu Momenten aus jener Zeit paßten, so konntest Du
mit der schönen, mit Kupferstichen verzierten, Ausgabe meiner
biographischen Skizzen zufrieden sein. Als Du aber den Artikel aus dem
Koch lasest, fiel mir sein lexikalischer Kollege Gerber ein, und ich
erblickte mich, einen Leichnam, ausgestreckt auf der Tafel liegend,
bereit zur biographischen Sektion. -- Der Prospekt könnte sagen: es ist
gar nicht zu verwundern, daß in dem Innern dieses jungen Mannes durch
tausend Adern und Äderchen lauter musikalisches Blut läuft, denn das war
der Fall bei vielen seiner Blutsverwandten, deren Blutsverwandter er
eben deshalb ist. -- Ich will nämlich sagen, daß die mehrsten von meinen
Tanten und Onkels, deren es, wie der Meister weiß, und Du eben erst
erfahren hast, eine nicht geringe Anzahl gab, Musik trieben, und noch
dazu meistenteils Instrumente spielten, die schon damals sehr selten
waren, jetzt aber zum Teil verschwunden sind, so, daß ich nur noch im
Traum die ganz wunderbar klingenden Konzerte vernehme, die ich ungefähr
bis zu meinem zehnten, eilften Jahr hörte. -- Mag es sein, daß deshalb
mein musikalisches Talent schon im ersten Aufkeimen die Richtung
genommen hat, die in meiner Art zu instrumentieren sich kund tun soll,
und die man als zu phantastisch verwirft. -- Kannst Du Dich, Geheimerat,
der Tränen enthalten, wenn Du recht schön auf dem uralten Instrument,
auf der Viola d'Amore, spielen hörst, so danke dem Schöpfer für Deine
robuste Konstitution; ich für mein Teil flennte beträchtlich, als der
Ritter Eßer sich darauf hören ließ, früher aber noch mehr, wenn ein
großer ansehnlicher Mann, dem die geistliche Kleidung ungemein gut
stand, und der nun wieder mein Onkel war, mir darauf vorspielte. So war
denn auch eines andern Verwandten Spiel auf der Viola di Gamba gar
angenehm und verlockend, wiewohl derjenige Onkel, der mich erzog, oder
vielmehr nicht erzog, und der das Spinett mit barbarischer Virtuosität
zu hantieren wußte, ihm mit Recht Mangel an Takt vorwarf. Der Arme
geriet auch bei der ganzen Familie in nicht geringe Verachtung, als man
erfahren, daß er in aller Fröhlichkeit nach der Musik einer Sarabande
eine Menuett à la Pompadour getanzt. Ich könnte Euch überhaupt viel
erzählen von den musikalischen Belustigungen meiner Familie, die oft
einzig in ihrer Art sein mochten, aber es würde manches Groteske mit
unter laufen, worüber Ihr lachen müßtet; und meine werten Verwandten
Eurem Gelächter preiszugeben, das verbietet mir der Respectus
Parentelis.

Johannes, begann der Geheimerat, Du wirst es mir in Deiner Gemütlichkeit
nicht verargen, wenn ich eine Saite in Deinem Innern anschlage, deren
Berührung Dich vielleicht schmerzt. -- Immer sprichst Du von Onkeln, von
Tanten, nicht gedenkst Du Deines Vaters, Deiner Mutter! --

O mein Freund, erwiderte Kreisler mit dem Ausdruck der tiefsten
Bewegung, eben heute gedachte ich, -- doch nein, nichts mehr von
Erinnerungen, von Träumen, nichts von dem Augenblick, der heute alles
nur gefühlte, nicht verstandene Weh meiner frühen Knabenzeit weckte,
aber eine Ruhe kam dann in mein Gemüt, die der ahnungsvollen Stille des
Waldes gleicht, wenn der Gewittersturm vorüber! Ja Meister, Ihr habt
recht, ich stand unter dem Apfelbaum, und horchte auf die weissagende
Stimme des hinsterbenden Donners! -- Du kannst Dir deutlicher die dumpfe
Betäubung denken, in der ich wohl ein paar Jahre fortleben mochte, als
ich Tante Füßchen verloren, wenn ich Dir sage, daß der Tod meiner
Mutter, der in diese Zeit fällt, keinen sonderlichen Eindruck auf mich
machte. Weshalb aber mein Vater mich ganz dem Bruder meiner Mutter
überließ, oder überlassen mußte, darf ich Dir nicht sagen, da Du
Ähnliches in manchem verbrauchten Familienroman, oder in irgendeiner
Ifflandschen Hauskreuzkomödie nachlesen kannst. Es genügt, Dir zu sagen,
daß, wenn ich meine Knaben-, ja einen guten Teil meiner Jünglingsjahre,
im trostlosen Einerlei verlebte, dies wohl eben dem Umstande
zuzuschreiben, daß ich elternlos war. Der schlechte Vater ist noch immer
viel besser, als jeder gute Erzieher, mein' ich, und mir schauert die
Haut, wenn Eltern in lieblosem Unverstande ihre Kinder von sich lassen
und verweisen in diese, jene Erziehungsanstalt, wo die Armen ohne
Rücksicht auf ihre Individualität, die ja niemanden anders als eben den
Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und
appretiert werden. -- Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich
kein Mensch auf Erden darüber verwundern, daß ich ungezogen bin, denn
der Oheim zog oder erzog mich ganz und gar nicht, sondern überließ mich
der Willkür der Lehrer, die ins Haus kamen, da ich keine Schule
besuchen, und auch durch irgendeine Bekanntschaft mit einem Knaben
meines Alters die Einsamkeit des Hauses, das der unverheiratete Oheim
mit einem alten trübsinnigen Bedienten allein bewohnte, nicht stören
durfte. -- Ich besinne mich nur auf drei verschiedene Fälle, in denen
der beinahe bis zum Stumpfsinn gleichgültige, ruhige Oheim einen kurzen
Akt der Erziehung vornahm, indem er mir eine Ohrfeige zuteilte, so, daß
ich wirklich während meiner Knabenzeit drei Ohrfeigen empfangen. Ich
könnte Dir, mein Geheimerat, da ich eben zum Schwatzen so aufgelegt, die
Geschichte von den drei Ohrfeigen als ein romantisches Kleeblatt
auftischen, doch hebe ich nur die mittelste heraus, da ich weiß, daß Du
auf nichts so erpicht bist, als auf meine musikalischen Studien, und es
Dir nicht gleichgültig sein kann, zu erfahren, wie ich zum erstenmal
komponierte. -- Der Oheim hatte eine ziemlich starke Bibliothek, in der
ich nach Gefallen stöbern und lesen durfte was ich wollte; mir fielen
Rousseau's Bekenntnisse in der deutschen Übersetzung in die Hände. Ich
verschlang das Buch, das eben nicht für einen zwölfjährigen Knaben
geschrieben, und das den Samen manches Unheils in mein Inneres hätte
streuen können. Aber nur ein einziger Moment aus allen, zum Teil sehr
verfänglichen, Begebenheiten erfüllte mein Gemüt so ganz und gar, daß
ich alles übrige darüber vergaß. Gleich elektrischen Schlägen traf mich
nämlich die Erzählung, wie der Knabe Rousseau von dem mächtigen Geist
seiner innern Musik getrieben, sonst aber ohne alle Kenntnis der
Harmonik, des Kontrapunkts, aller praktischen Hilfsmittel, sich
entschließt, eine Oper zu komponieren, wie er die Vorhänge des Zimmers
herabläßt, wie er sich aufs Bette wirft, um sich ganz der Inspiration
seiner Einbildungskraft hinzugeben, wie ihm nun sein Werk aufgeht,
gleich einem herrlichen Traum! -- Tag und Nacht verließ mich nicht der
Gedanke an diesen Moment, mit dem mir die höchste Seligkeit über den
Knaben Rousseau gekommen zu sein schien! -- Oft war es mir, als sei ich
auch schon dieser Seligkeit teilhaftig geworden, und dann, nur von
meinem festen Entschlusse hänge es ab, mich auch in dies Paradies
hinaufzuschwingen, da der Geist der Musik in mir ebenso mächtig
beschwingt sei. Genug, ich kam dahin, es meinem Vorbilde nachmachen zu
wollen. Als nämlich an einem stürmischen Herbstabend, der Oheim wider
seine Gewohnheit das Haus verlassen, ließ ich sofort die Vorhänge herab,
und warf mich auf des Oheims Bett, um, wie Rousseau, eine Oper im Geiste
zu empfangen. So vortrefflich aber die Anstalten waren, so sehr ich mich
abmühte, den dichterischen Geist heranzulocken, doch blieb er im
störrischen Eigensinn davon. Durchaus summte mir, statt aller herrlichen
Gedanken, die mir aufgehen sollten, ein altes erbärmliches Lied vor den
Ohren, dessen weinerlicher Text begann: »Ich liebte nur Ismenen, Ismene
liebt' nur mich«, und ließ, so sehr ich mich dagegen sträubte, nicht
nach. Jetzt kommt der erhabene Priesterchor: »Hoch von Olympos Höh'n«,
rief ich mir zu, aber: »Ich liebte nur Ismenen«, summte die Melodie fort
und unaufhörlich fort, bis ich zuletzt fast einschlief. Mich weckten
laute Stimmen, indem ein unerträglicher Geruch mir in die Nase fuhr und
den Atem versetzte. Das ganze Zimmer war von dickem Rauch erfüllt, und
in dem Gewölk stand der Oheim, und trat die Reste der flammenden
Gardine, die den Kleiderschrank verbarg, nieder und rief: Wasser her
-- Wasser her! bis der alte Diener Wasser in reichlicher Fülle
herbeibrachte, über den Boden ausgoß, und so das Feuer löschte. Der
Rauch zog langsam durch die Fenster. »Wo ist nur der Unglücksvogel,«
fragte der Oheim, indem er im Zimmer umherleuchtete. Ich wußte wohl,
welchen Vogel er meinte, und blieb mäuschenstill im Bette, bis der Oheim
hinantrat und mir mit einem zornigen: »Will Er wohl gleich heraus!« auf
die Beine half. »Steckt mir der Bösewicht das Haus über dem Kopfe an,«
fuhr der Onkel fort! Ich versicherte, auf weiteres Befragen, ganz ruhig,
daß ich auf dieselbe Weise wie der Knabe Rousseau nach dem Inhalt seiner
Bekenntnisse es getan, eine _Opera seria_ im Bett komponiert hätte, und
daß ich durchaus gar nicht wisse, wie der Brand entstanden. -- »Rousseau?
komponiert? _Opera seria?_ -- Pinsel!« -- So stotterte der Oheim vor Zorn,
und teilte mir die kräftige Ohrfeige zu, die ich als die zweite empfing,
so daß ich, vor Schreck erstarrt, sprachlos stehen blieb, und in dem
Augenblick hörte ich wie einen Nachklang des Schlages ganz deutlich:
»Ich liebte nur Ismenen« usw. usw. Sowohl gegen dieses Lied, als gegen
die Begeisterung des Komponierens überhaupt, empfand ich von diesem
Augenblick an einen lebhaften Widerwillen.

Aber wie war nur das Feuer entstanden? fragte der Geheimerat.

Noch in diesem Augenblick, erwiderte Kreisler, ist es mir
unbegreiflich, durch welchen Zufall die Gardine in Brand geriet, und
einen schönen Schlafrock des Oheims, sowie drei oder vier schön
frisierte Toupets, die der Oheim als partielle Perücken-Studien aus
einer Gesamtfrisur aufzusetzen pflegte, mit in ihr Verderben riß. Mir
ist es auch immer so vorgekommen, als habe ich nicht des unverschuldeten
Feuers, sondern nur der unternommenen Komposition halber, die Ohrfeige
erhalten. -- Seltsam genug war es die Musik allein, die zu treiben mich
der Oheim mit Strenge anhielt, unerachtet der Lehrer, getäuscht von dem
nur momentanen Widerwillen, den ich dagegen äußerte, mich für ein
durchaus unmusikalisches Prinzip hielt. Was ich übrigens lernen oder
nicht lernen mochte, das war dem Oheim völlig gleich. Äußerte er
manchmal lebhaften Unwillen, daß es so schwer hielt, mich zur Musik
anzuhalten, so hätte man denken sollen, daß er von der Freude hätte
durchdrungen sein müssen, als nach ein paar Jahren der musikalische
Geist sich so mächtig in mir regte, daß er alles übrige überflügelte,
das war aber nun wieder ganz und gar nicht der Fall. Der Oheim lächelte
bloß ein wenig, wenn er bemerkte, daß ich bald mehrere Instrumente mit
einiger Virtuosität spielte, ja daß ich manches kleine Stück aufsetzte
zur Zufriedenheit der Meister und Kenner. Ja, er lächelte bloß ein
wenig, und sprach, wenn man ihn mit Lobeserhebungen anfuhr, mit schlauer
Miene: Ja, der kleine Neveu ist närrisch genug. -- So ist es mir, nahm
der Geheimerat das Wort, aber ganz unbegreiflich, daß der Oheim Deiner
Neigung nicht Freiheit ließ, sondern Dich hineinzwang in eine andere
Laufbahn. Soviel ich nämlich weiß, ist Deine Kapellmeisterschaft eben
nicht von lange her.

Und auch nicht weit her, rief Meister Abraham lachend, und fuhr, indem
er das Bildnis eines kleinen, wunderlich gebauten Mannes an die Wand
warf, weiter fort. Aber nun muß ich mich des wackern Oheims, den mancher
verruchte Neffe den O weh Onkel nannte, weil er sich mit Vornamen
Ottfried Wenzel schrieb, ja nun muß ich mich seiner annehmen, und der
Welt versichern, daß wenn der Kapellmeister Johannes Kreisler es sich
einfallen ließ, Legationsrat zu sein und sich abzuquälen mit seiner
innersten Natur ganz widrigen Dingen, niemand weniger daran schuld ist,
als eben der O weh Onkel. -- O still davon, Meister, sprach Kreisler,
und nehmt mir dort den Oheim von der Wand, denn mocht' er auch wirklich
lächerlich genug aussehen, so mag ich doch eben heute über den Alten,
der lange im Grabe ruht, nicht lachen! --

Ihr übernehmt Euch heute ja ganz in geziemlicher Empfindsamkeit,
erwiderte der Meister; Kreisler achtete aber nicht darauf, sondern
sprach, sich zum kleinen Geheimerat wendend: Du wirst es bedauern, mich
zum Schwatzen gebracht zu haben, da ich Dir, der vielleicht das
Außerordentliche erwartete, nur Gemeines, wie es sich tausendmal im
Leben wiederholt, auftischen kann. -- So ist es auch gewiß, daß es nicht
Erziehungszwang, nicht besonderer Eigensinn des Schicksals, nein, daß es
der gewöhnlichste Lauf der Dinge war, der mich fortschob, so daß ich
unwillkürlich dort hinkam, wo ich eben nicht hin wollte. Hast du nicht
bemerkt, daß es in jeder Familie einen gibt, der sich, sei es durch
besonderes Genie, oder durch das glückliche Zusammentreffen günstiger
Ereignisse, zu einer gewissen Höhe hinaufschwang, und der nun, ein
Heros, in der Mitte des Kreises steht, zu dem die lieben Verwandten
demütig hinaufblicken, dessen gebietende Stimme vernommen wird in
entscheidenden Sprüchen, von denen keine Appellation möglich? -- So ging
es mit dem jüngern Bruder meines Oheims, der dem musikalischen
Familiennest entflohen war, und in der Residenz als geheimer
Legationsrat, in der Nähe des Fürsten, eine ziemlich wichtige Person
vorstellte. Sein Emporsteigen hatte die Familie in eine staunende
Bewunderung gesetzt, die nicht nachließ. Man nannte den Legationsrat mit
feierlichem Ernst, und wenn es hieß: der geheime Legationsrat hat
geschrieben, der geheime Legationsrat hat das und das geäußert, so
horchte alles in stummer Ehrfurcht auf. Dadurch schon seit meiner
frühesten Kindheit daran gewöhnt, den Oheim in der Residenz als einen
Mann anzusehen, der das höchste Ziel alles menschlichen Strebens
erreicht, mußte ich es natürlich finden, daß ich gar nichts anders tun
konnte, als in seine Fußtapfen treten. Das Bildnis des vornehmen Oheims
hing in dem Prunkzimmer, und keinen größern Wunsch hegte ich, als so
frisiert, so gekleidet umherzugehen, wie der Oheim auf dem Bilde. Diesen
Wunsch gewährte mein Erzieher, und ich muß wirklich, als zehnjähriger
Knabe, anmutig genug ausgesehen haben, im himmelhoch frisierten Toupet,
und kleinen zirkelrunden Haarbeutel, im zeisiggrünen Rock mit schmaler
silberner Stickerei, seidenen Strümpfen und kleinem Degen. Dies
kindische Streben ging tiefer ein, als ich älter worden, da, um mir Lust
zur trockensten Wissenschaft einzuflößen, es genügte, mir zu sagen, dies
Studium sei mir nötig, damit ich, dem Oheim gleich, dereinst
Legationsrat werden könne. Daß die Kunst, welche mein Inneres erfüllte,
mein eigentliches Streben, die wahre einzige Tendenz meines Lebens sein
dürfe, fiel mir um so weniger ein, als ich gewohnt war, von Musik,
Malerei, Poesie, nicht anders reden zu hören, als von ganz angenehmen
Dingen, die zur Erheiterung und Belustigung dienen könnten. Die
Schnelle, mit der ich, ohne daß sich jemals auch nur ein einziges
Hindernis offenbart hätte, durch mein erlangtes Wissen, und durch den
Vorschub des Oheims in der Residenz, in der Laufbahn, die ich
gewissermaßen selbst gewählt, vorwärts schritt, ließ mir keinen Moment
übrig, mich umzuschauen, und die schiefe Richtung des Weges, den ich
genommen, wahrzunehmen. Das Ziel war erreicht, umzukehren nicht mehr
möglich, als in einem nicht geahnten Moment die Kunst sich rächte, der
ich abtrünnig worden, als der Gedanke eines ganzen verlornen Lebens mich
mit trostlosem Weh erfaßte, als ich mich in Ketten geschlagen sah, die
mir unzerbrechlich dünkten! --

Glückselig, heilbringend also die Katastrophe, rief der Geheimerat, die
Dich aus den Fesseln befreite!

Sage das nicht, erwiderte Kreisler, zu spät trat die Befreiung ein. Mir
geht es, wie jenem Gefangenen, der, als er endlich befreit wurde, dem
Getümmel der Welt, ja dem Licht des Tages, so entwöhnt war, daß er,
nicht vermögend der goldnen Freiheit zu genießen, sich wieder
zurücksehnte in den Kerker.

Das ist, nahm Meister Abraham das Wort, nun eine von Euern konfusen
Ideen, Johannes, mit denen Ihr Euch und andere plagt! -- Geht! geht!
-- Immer hat es das Schicksal mit Euch gut gemeint, aber daß Ihr nun
einmal nicht im gewöhnlichen Trott bleiben könnt, daß Ihr rechts, links
hinausspringt aus dem Wege, daran ist niemand schuld als Ihr selbst.
Recht habt Ihr indessen wohl, daß, was Eure Knabenjahre betrifft, Euer
Stern besonders waltete, und -- --



Zweiter Abschnitt.

Lebenserfahrungen des Jünglings. Auch ich war in Arkadien.


=(M. f. f.)= -- »Närrisch genug und zugleich ungemein merkwürdig wär' es
doch, sprach eines Tages mein Meister zu sich selbst, wenn der kleine
graue Mann dort unter dem Ofen wirklich die Eigenschaften besitzen
sollte, die der Professor ihm andichten will! -- Hm! ich dächte, er
könnte mich dann reich machen, mehr als mein unsichtbares Mädchen es
getan. Ich sperrt' ihn ein in einen Käficht, er müßte seine Künste
machen vor der Welt, die reichlichen Tribut dafür gern zahlen würde. Ein
wissenschaftlich gebildeter Kater will doch immer mehr sagen, als ein
frühreifer Junge, dem man die Exercitia eingetrichtert. Überdem erspart'
ich mir einen Schreiber! -- Ich muß dem Dinge näher auf die Spur
kommen!«

Ich gedachte, als ich des Meisters verfängliche Worte vernahm, der
Warnung meiner unvergeßlichen Mutter Mina, und wohl mich hütend, auch
nur durch das geringste Zeichen zu verraten, daß ich den Meister
verstanden, nahm ich mir fest vor, auf das sorgfältigste meine Bildung
zu verbergen. Ich las und schrieb daher nur des Nachts, und erkannte
auch dabei mit Dank die Güte der Vorsehung, die meinem verachteten
Geschlechte manchen Vorzug vor den zweibeinigen Geschöpfen, die sich,
Gott weiß warum, die Herren der Schöpfung nennen, gegeben hat.
Versichern kann ich nämlich, daß ich bei meinen Studien weder des
Lichtziehers noch des Ölfabrikanten bedurfte, da der Phosphor meiner
Augen hell leuchtet in der finstersten Nacht. Gewiß ist es daher auch,
daß meine Werke erhaben sind über den Vorwurf, der irgendeinem
Schriftsteller aus der alten Welt gemacht wurde, daß nämlich die
Erzeugnisse seines Geistes nach der Lampe röchen. Doch innig überzeugt
von der hohen Vortrefflichkeit, mit der mich die Natur begabt hat, muß
ich doch gestehen, daß alles hienieden gewisse Unvollkommenheiten in
sich trägt, die wieder ein gewisses abhängiges Verhältnis verraten. Von
den leiblichen Dingen, die die Ärzte nicht natürlich nennen, unerachtet
sie mir eben recht natürlich dünken, will ich gar nicht reden, sondern
nur rücksichts unseres psychischen Organismus bemerken, daß sich auch
darin jene Abhängigkeit recht deutlich offenbaret. Ist es nicht ewig
wahr, daß unsern Flug oft Bleigewichte hemmen, von denen wir nicht
wissen, was sie sind, woher sie kommen, wer sie uns angehängt?

Doch besser und richtiger ist es wohl, wenn ich behaupte, daß alles Übel
vom bösen Beispiel herrührt, und daß die Schwäche unserer Natur
lediglich darin liegt, daß wir dem bösen Beispiel zu folgen gezwungen
sind. Überzeugt bin ich auch, daß das menschliche Geschlecht recht
eigentlich dazu bestimmt ist, dies böse Beispiel zu geben.

Bist du geliebter Katerjüngling, der du dieses liesest, nicht einmal in
deinem Leben in einen Zustand geraten, der, dir selbst unerklärlich, dir
überall die bittersten Vorwürfe und vielleicht auch -- einige tüchtige
Bisse deiner Kumpane zuzog? Du warst träge, zänkisch, ungebärdig,
gefräßig, fandest an nichts Gefallen, warst immer da, wo du nicht sein
solltest, fielst allen zur Last, kurz, warst ein ganz unausstehlicher
Bursche! -- Tröste dich o Kater! Nicht aus deinem eigentlichen, tiefern
Innern formte sich diese heillose Periode deines Lebens, nein, es war
der Zoll, den du dem über uns waltenden Prinzip dadurch darbrachtest,
daß auch du dem bösen Beispiel der Menschen, die diesen vorübergehenden
Zustand eingeführt haben, folgtest. Tröste dich o Kater! denn auch mir
ist es nicht besser ergangen!

Mitten in meinen Lukubrationen überfiel mich eine Unlust -- eine Unlust
gleichsam der Übersättigung von unverdaulichen Dingen, so daß ich ohne
weiteres auf demselben Buch, worin ich gelesen, auf demselben
Manuskript, woran ich geschrieben, mich zusammenkrümmte und einschlief.
Immer mehr und mehr nahm diese Trägheit zu, so daß ich zuletzt nicht
mehr schreiben, nicht mehr lesen, nicht mehr springen, nicht mehr
laufen, nicht mehr mit meinen Freunden im Keller, auf dem Dache, mich
unterhalten mochte. Statt dessen fühlte ich einen unwiderstehlichen
Trieb, alles das zu tun, was dem Meister, was den Freunden nie angenehm
sein, womit ich ihnen beschwerlich fallen mußte. Was den Meister
anlangt, so begnügte er, lange Zeit hindurch, sich damit, mich
fortzujagen, wenn ich zu meiner Lagerstätte immer Plätze erkor, wo er
mich durchaus nicht leiden konnte, bis er endlich genötigt wurde, mich
etwas zu prügeln. Immer wieder auf des Meisters Schreibtisch gesprungen,
hatt' ich nämlich so lange hin und her geschwänzelt, bis die Spitze
meines Schweifes in das große Tintenfaß geraten, mit der ich nun auf
Boden und Kanapee die schönsten Malereien ausführte. Das brachte den
Meister, der keinen Sinn für dieses Genre der Kunst zu haben schien, in
Harnisch. Ich flüchtete auf den Hof; aber beinah noch schlimmer ging es
mir dort. Ein großer Kater von Ehrfurcht gebietendem Ansehen, hatte
längst sein Mißfallen über mein Betragen geäußert; jetzt, da ich ihm
freilich tölpischerweise einen guten Bissen, den er zu verzehren eben im
Begriff, vor dem Maule wegschnappen wollte, gab er mir ohne Umstände
eine solche Menge Ohrfeigen von beiden Seiten, daß ich ganz betäubt
wurde und mir beide Ohren bluteten. -- Irre ich nicht, so war der
würdige Herr mein Oheim, denn Minas Züge strahlten aus seinem Antlitz,
und die Familienähnlichkeit des Barts unleugbar. -- Kurz, ich gestehe,
daß ich mich in dieser Zeit in Unarten erschöpfte, so daß der Meister
sprach: ich weiß gar nicht, was dir ist, Murr! ich glaube am Ende, du
bist jetzt in die Lümmeljahre getreten! Der Meister hatte recht, es war
meine verhängnisvolle Lümmelzeit, die ich überstehen mußte, nach dem
bösen Beispiel der Menschen, die, wie gesagt, diesen heillosen Zustand,
als durch ihre tiefste Natur bedingt, eingeführt haben. =Lümmeljahre=
nennen sie diese Periode, unerachtet mancher Zeit seines Lebens nicht
herauskommt; unsereins kann nur von Lümmelwochen reden, und ich
meinerseits kam nun auf einmal heraus, mittels eines starken Rucks, der
mir ein Bein oder ein paar Rippen hätte kosten können. Eigentlich =sprang=
ich heraus aus den Lümmelwochen auf vehemente Weise.

Ich muß sagen, wie sich das begab:

Auf dem Hofe der Wohnung meines Meisters stand eine inwendig reich
ausgepolsterte Maschine auf vier Rädern, wie ich nachher einsehen
lernte, ein englischer Halbwagen. Nichts war in meiner damaligen
Stimmung natürlicher, als daß mir die Lust ankam, mit Mühe hinauf zu
klettern und hinein zu kriechen in diese Maschine. Ich fand die darin
befindlichen Kissen so angenehm, so anlockend, daß ich nun die mehrste
Zeit in den Polstern des Wagens verschlief, verträumte.

Ein heftiger Stoß, dem ein Knattern, Klirren, Brausen, wirres Lärmen
folgte, weckte mich, als eben süße Bilder von Hasenbraten und
dergleichen vor meiner Seele vorübergingen. Wer schildert meinen jähen
Schreck, als ich wahrnahm, daß die ganze Maschine sich mit
ohrbetäubendem Getöse fortbewegte, mich hin und her schleudernd auf
meinen Polstern. Die immer steigende und steigende Angst wurde
Verzweiflung, ich wagte den entsetzlichen Sprung heraus aus der
Maschine, ich hörte das wiehernde Hohngelächter höllischer Dämonen, ich
hörte ihre barbarischen Stimmen: Katz -- Katz, huz, huz! hinter mir her
kreischen, sinnlos rannte ich in voller Furie von dannen, Steine flogen
mir nach, bis ich endlich hineingeriet in ein finsteres Gewölbe, und
ohnmächtig niedersank.

Endlich war es mir, als höre ich hin und her gehen über meinem Haupte,
und schloß aus dem Schall der Tritte, da ich wohl schon Ähnliches
erfahren, daß ich mich unter einer Treppe befinden müsse. Es war dem so.

Als ich nun aber herausschlich, Himmel! da dehnten sich überall
unabsehbare Straßen vor mir aus, und eine Menge Menschen, von denen ich
nicht einen einzigen kannte, wogte vorüber. Kam noch hinzu, daß Wagen
rasselten, Hunde laut bellten, ja, daß zuletzt eine ganze Schar, deren
Waffen in der Sonne blitzten, die Straße einengte; daß dicht bei mir
einer urplötzlich so ganz erschrecklich auf eine große Trommel schlug,
daß ich unwillkürlich drei Ellen hoch aufsprang, ja, so konnte es nicht
fehlen, daß eine seltsame Angst meine Brust erfüllte. Ich merkte nun
wohl, daß ich mich in der Welt befand, in der Welt, die ich aus der
Ferne von meinem Dache erblickt, oft nicht ohne Sehnsucht, ohne
Neugierde, ja, mitten in dieser Welt stand ich nun, ein unerfahrner
Fremdling. Behutsam spazierte ich dicht an den Häusern die Straße
entlang, und begegnete endlich ein paar Jünglingen meines Geschlechts.
Ich blieb stehen, ich versuchte ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen, aber
sie begnügten sich, mich mit funkelnden Augen anzuglotzen, und sprangen
dann weiter. »Leichtsinnige Jugend« dacht' ich, du weißt nicht, wer es
war, der dir in den Weg trat! -- so gehen große Geister durch die Welt,
unerkannt, unbeachtet. -- Das ist das Los sterblicher Weisheit! -- Ich
rechnete auf größere Teilnahme bei den Menschen, sprang auf einen
hervorragenden Kellerhals, und stieß manches fröhliche, wie ich glaubte,
anlockende Miau aus; aber kalt, ohne Teilnahme, kaum sich nach mir
umblickend, gingen alle vorüber. Endlich gewahrte ich einen hübschen,
blondgelockten Knaben, der mich freundlich ansah, und, mit den Fingern
schnalzend, rief: Mies -- Mies! -- Schöne Seele, du verstehst mich
endlich! dacht' ich, sprang herab, und nahte mich ihm freundlich
schnurrend. Er fing mich an zu streicheln, aber indem ich glaubte, mich
dem freundlichen Gemüt ganz hingeben zu können, kniff er mich dermaßen
in den Schwanz, daß ich vor rasendem Schmerz aufschrie. =Das= eben schien
dem tückischen Bösewicht rechte Freude zu machen; denn er lachte laut,
hielt mich fest, und versuchte das höllische Manöver zu wiederholen. Da
faßte mich der tiefste Ingrimm, von dem Gedanken der Rache durchflammt,
grub ich meine Krallen tief in seine Hände, in sein Gesicht, so daß er
aufkreischend mich fahren ließ. Aber in dem Augenblick hörte ich auch
rufen: -- Tyras -- Kartusch -- hez hez! -- Und laut blaffend setzten
zwei Hunde hinter mir her. -- Ich rannte, bis mir der Atem verging, sie
waren mir auf den Fersen -- keine Rettung. -- Blind vor Angst fuhr ich
hinein in das Fenster eines Erdgeschosses, daß die Scheiben
zusammenklirrten, und ein paar Blumentöpfe, die auf der Fensterbank
gestanden, krachend hineinfielen in das Stübchen. Erschrocken fuhr eine
Frau, die an einem Tisch sitzend arbeitete, in die Höhe, rief dann:
»Seht die abscheuliche Bestie,« ergriff einen Stock, und ging auf mich
los. Aber meine zornglühenden Augen, meine ausgestreckten Krallen, das
Geheul der Verzweiflung, das ich ausstieß, hielten sie zurück, so daß,
wie es in jenem Trauerspiel heißt, der zum Schlagen aufgehobene Stock in
der Luft gehemmt schien, und sie da stand, ein gemalter Wütrich,
parteilos zwischen Kraft und Willen! -- In dem Augenblick ging die Türe
auf, schnellen Entschluß fassend, schlüpfte ich dem eintretenden Mann
zwischen den Beinen durch, und war so glücklich, mich aus dem Hause
herauszufinden auf die Straße.

Ganz erschöpft, ganz entkräftigt, gelangte ich endlich zu einem einsamen
Plätzchen, wo ich mich ein wenig niederlassen konnte. Da fing aber der
wütendste Hunger an, mich zu peinigen, und ich gedachte nun erst mit
tiefem Schmerz des guten Meisters Abraham, von dem mich ein hartes
Schicksal getrennt. Aber, wie ihn wiederfinden! -- Ich blickte wehmütig
umher, und als ich keine Möglichkeit sah, den Weg zur Rückkehr zu
erforschen, traten mir die blanken Tränen in die Augen.

Doch neue Hoffnung ging in mir auf, als ich an der Ecke der Straße ein
junges, freundliches Mädchen wahrnahm, die vor einem kleinen Tische saß,
vor dem die appetitlichsten Bröte und Würste lagen. Ich näherte mich
langsam, sie lächelte mich an, und um mich ihr gleich als einen Jüngling
von guter Erziehung, von galanten Sitten darzustellen, machte ich einen
höheren, schöneren Katzenbuckel als jemals. Ihr Lächeln wurde lautes
Lachen. »Endlich eine schöne Seele, ein teilnehmendes Herz gefunden! -- O
Himmel, wie tut das wohl der wunden Brust!« So dachte ich, und langte
mir eine von den Würsten herab, aber in demselben Nu schrie auch das
Mädchen laut auf, und hätte mich der Schlag, den sie mit einem derben
Stück Holz nach mir führte, getroffen, in der Tat, weder die Wurst, die
ich mir im Vertrauen auf die Loyalität, auf die menschenfreundliche
Tugend des Mädchens, herabgelangt, noch irgendeine andere, hätte ich
jemals mehr genossen. Meine letzte Kraft setzte ich daran, der Unholdin,
die mich verfolgte, zu entrinnen. Das gelang mir, und ich erreichte
endlich einen Platz, wo ich die Wurst in Ruhe verzehren konnte.

Nach dem frugalen Mahle kam viel Heiterkeit in mein Gemüt, und da eben
die Sonne mir warm auf den Pelz schien, so fühlte ich lebhaft, daß es
doch schön sei auf dieser Erde. Als aber dann die kalte, feuchte Nacht
einbrach, als ich kein weiches Lager fand wie bei meinem guten Meister,
als ich, vor Frost starrend, vom Hunger auf's neue gepeinigt, am andern
Morgen erwachte, da überfiel mich eine Trostlosigkeit, die an
Verzweiflung grenzte. »Das ist« (so brach ich aus in laute Klagen) also
die Welt, in die du dich hineinsehntest von dem heimatlichen Dache?
-- Die Welt, wo du Tugend zu finden hofftest, und Weisheit, und die
Sittlichkeit der höhern Ausbildung! -- O diese herzlosen Barbaren!
-- Worin besteht ihre Kraft als im Prügeln? Worin ihr Verstand, als in
hohnlachender Verspottung? Worin ihr ganzes Treiben, als in
scheelsüchtiger Verfolgung tieffühlender Gemüter? -- O fort -- fort aus
dieser Welt voll Gleisnerei und Trug! -- Nimm mich auf in deine kühlen
Schatten, süßer heimatlicher Keller! -- O Boden -- Ofen -- o Einsamkeit,
die mich erfreut, nach dir mein Herz, sich sehnt mit Schmerz! --

Der Gedanke meines Elends, meines hoffnungslosen Zustandes, übermannte
mich. Ich kniff die Augen zu, und weinte sehr.

Bekannte Töne schlugen an mein Ohr. »Murr -- Murr! -- geliebter Freund,
wo kommst du her? Was ist mit dir geschehen?«

Ich schlug die Augen auf -- der junge Ponto stand vor mir!

So sehr mich Ponto auch gekränkt hatte, doch war mir seine unverhoffte
Erscheinung tröstlich. Ich vergaß die Unbill, die er mir angetan,
erzählte ihm, wie sich alles mit mir begeben, stellte ihm unter vielen
Tränen meine traurige, hülflose Lage vor, schloß damit, ihm zu klagen,
daß mich ein tötender Hunger quäle.

Statt mir, wie ich geglaubt, seine Teilnahme zu bezeigen, brach der
junge Ponto in ein schallendes Gelächter aus. Bist du nicht, sprach er
dann, ein ausgemachter törichter Geck, lieber Murr? -- Erst setzt sich
der Hase in eine Halbchaise hinein, wo er nicht hingehört, schläft ein,
erschrickt, als er weggefahren wird, springt hinaus in die Welt, wundert
sich gar mächtig, daß ihn, der kaum vor die Türe seines Hauses geguckt,
niemand kennt, daß er mit seinen dummen Streichen überall schlecht
ankommt, und ist dann so einfältig, nicht einmal den Rückweg finden zu
können zu seinem Herrn. -- Sieh Freund Murr, immer hast du geprahlt mit
deiner Wissenschaft, mit deiner Bildung, immer hast du vornehm getan
gegen mich, und nun sitzest du da, verlassen, trostlos, und all' die
großen Eigenschaften deines Geistes reichen nicht hin, dich zu belehren,
wie du es anfangen mußt, deinen Hunger zu stillen, und nach Hause
zurückzufinden zu deinem Meister! -- Und wenn sich nun der, den du tief
unter dir glaubtest, nicht deiner annimmt, so stirbst du zuletzt eines
elendiglichen Todes, und keine sterbliche Seele frägt was nach deinem
Wissen, nach deinem Talent, und keiner von den Dichtern, denen du dich
befreundet glaubtest, setzt ein freundliches: _Hic jacet!_ auf die Stelle,
wo du aus lauter Kurzsichtigkeit verschmachtetest! -- Siehst du, daß ich
wohl auch durch die Schule gelaufen bin und lateinische Brocken
einmischen kann, trotz einem? -- Aber du hungerst, armer Kater, und
diesem Bedürfnis muß zuerst abgeholfen werden, komm nur mit mir.

Der junge Ponto hüpfte fröhlich vorauf, ich folgte niedergeschlagen,
ganz zerknirscht über seine Reden, die mir in meiner hungrigen Stimmung
viel Wahres zu enthalten schienen. Doch wie erschrak ich als --

=(Mak.-Bl.)= -- für den Herausgeber dieser Blätter das angenehmste
Ereignis von der Welt, daß er das ganze merkwürdige Gespräch Kreislers
mit dem kleinen Geheimerat brühwarm wieder erfuhr. Dadurch wurde er in
den Stand gesetzt, Dir, geliebter Leser, wenigstens ein paar Bilder aus
der frühern Jugendzeit des seltnen Mannes, dessen Biographie er
aufzuschreiben gewissermaßen genötigt, vor die Augen zu bringen, und er
vermeint, daß, was Zeichnung und Kolorit betrifft, diese Bilder wohl für
charakteristisch und bedeutsam genug gelten können. Wenigstens mag man
nach dem, was Kreisler von Tante Füßchen und ihrer Laute erzählt, nicht
daran zweifeln, daß die Musik mit all' ihrer wunderbaren Wehmut, mit
all' ihrem Himmelsentzücken, recht in die Brust des Knaben mit tausend
Adern verwuchs, und nicht zum Verwundern mag's darum auch sein, daß eben
dieser Brust, wird sie nur leise verwundet, gleich heißes Herzblut
entquillt. Auf zwei Momente aus dem Leben des geliebten Kapellmeisters
war bemeldeter Herausgeber besonders begierig, ja wie man zu sagen
pflegt, ganz versessen. Nämlich, auf welche Weise Meister Abraham in die
Familie geriet und einwirkte auf den kleinen Johannes, und welche
Katastrophe den ehrlichen Kreisler aus der Residenz warf und umstempelte
zum Kapellmeister, welches er hätte von Haus aus sein sollen, wiewohl
man der ewigen Macht trauen darf, die jeden zu rechter Zeit an die
rechte Stelle setzt. Manches ist darüber ausgemittelt worden, welches Du
o Leser! sogleich erfahren sollst.

Fürs erste ist gar nicht daran zu zweifeln, daß zu Göniönesmühl, wo
Johannes Kreisler geboren und erzogen wurde, es einen Mann gab, der in
seinem ganzen Wesen, in allem, was er unternahm, seltsam und
eigentümlich erschien. Überhaupt ist das Städtlein Göniönesmühl seit
jeher das wahre Paradies aller Sonderlinge gewesen, und Kreisler wuchs
auf, umgeben von den seltsamsten Figuren, die einen desto stärkern
Eindruck auf ihn machen mußten, als er wenigstens während der Knabenzeit
mit seinesgleichen keinen Umgang pflegte. Jener Mann trug aber mit einem
bekannten Humoristen gleichen Namen, denn er hieß Abraham Liscov und war
ein Orgelbauer, welches Metier er bisweilen tief verachtete, so daß man
nicht recht wußte, was er eigentlich wollte.

So wie Kreisler erzählt, wurde in der Familie von dem Herrn Liscov
immer mit hoher Bewunderung gesprochen. Man nannte ihn den
geschicktesten Künstler, den es geben könne, und bedauerte nur, daß
seine tollen Grillen, seine ausgelassenen Einfälle ihn von jedermann
entfernt hielten. Als einen besondern Glücksfall rühmte dieser, jener,
daß Herr Liscov wirklich da gewesen und seinen Flügel neu befiedert und
gestimmt habe. Eben von Liscov's phantastischen Streichen wurde dann
auch manches erzählt, welches auf den kleinen Johannes ganz besonders
wirkte, so daß er sich von dem Mann, ohne ihn zu kennen, ein ganz
bestimmtes Bild entwarf, sich nach ihm sehnte und als der Oheim
versicherte, Herr Liscov würde vielleicht kommen und den schadhaften
Flügel reparieren, jeden Morgen fragte, ob Herr Liscov denn nicht
endlich erscheinen werde. Dieses Interesse des Knaben für den
unbekannten Herrn Liscov steigerte sich aber bis zur höchsten
anstaunenden Ehrfurcht, als er in der Hauptkirche, die der Oheim in der
Regel nicht zu besuchen pflegte, zum erstenmal die mächtigen Töne der
großen schönen Orgel vernahm, und als der Oheim ihm sagte, niemand
anders, als eben Herr Abraham Liscov habe dies herrliche Werk
verfertigt. Von diesem Augenblick an verschwand auch das Bild, das
Johannes sich von Herrn Liscov entworfen, und ein ganz anderes trat an
seine Stelle. Herr Liscov mußte nach des Knaben Meinung ein großer,
schöner Mann sein, von stattlichem Ansehen, hell und stark sprechen, und
vor allen Dingen einen pflaumfarbnen Rock tragen, mit breiten goldnen
Tressen wie der Pate Kommerzienrat, der so gekleidet ging, und vor
dessen reicher Tracht der kleine Johannes den tiefsten Respekt hegte.

Als eines Tages der Oheim mit Johannes am offnen Fenster stand, kam ein
kleiner hagerer Mann die Straße herab geschossen, in einem Rockelor von
hellgrünem Berkan, dessen offne Ärmelklappen seltsam im Winde auf und
nieder flatterten. Dazu hatte er ein kleines dreieckiges Hütchen
martialisch auf die weißgepuderte Frisur gedrückt, und ein zu langer
Haarzopf schlängelte sich herab über den Rücken. Er trat hart auf, daß
das Straßenpflaster dröhnte, und stieß auch bei jedem zweiten Schritt
mit dem langen spanischen Rohr, das er in der Hand trug, heftig auf den
Boden. Als der Mann vor dem Fenster vorbeikam, warf er aus seinen
funkelnden pechschwarzen Augen dem Oheim einen stechenden Blick zu, ohne
seinen Gruß zu erwidern. Dem kleinen Johannes bebte es eiskalt durch
alle Glieder, und zugleich war es ihm zu Mute, als müsse er über den
Mann entsetzlich lachen, und könne nur nicht dazu kommen, weil ihm die
Brust so beengt. »Das war der Herr Liscov«, sprach der Oheim; »das wußte
ich ja,« erwiderte Johannes, und er mochte recht haben. Weder ein großer
stattlicher Mann war Herr Liscov, noch trug er einen pflaumfarbnen Rock
mit goldnen Tressen, wie der Pate Kommerzienrat; seltsam, ja wunderbar
genug begab es sich aber, daß Herr Liscov ganz genau so aussah, wie der
Knabe sich ihn früher gedacht hatte, ehe er das Orgelwerk vernommen.
Noch hatte sich Johannes nicht von seinem Gefühl erholt, das dem eines
jähen Schrecks zu vergleichen, als Herr Liscov plötzlich still stand,
sich umdrehte, die Straße entlang hinanpolterte, bis vor das Fenster,
dem Oheim eine tiefe Verbeugung machte, davon rannte unter lautem
Gelächter.

Ist das wohl, sprach der Oheim, ein Betragen für einen gesetzten Mann,
der in den Studiis nicht unerfahren, der als privilegierter Orgelbauer
zu den Künstlern zu rechnen, und dem Gesetze des Landes verstatten einen
Degen zu tragen? Sollte man nicht vermeinen, er habe schon am lieben
frühen Morgen zu tief ins Glas geguckt, oder sei dem Tollhause
entsprungen? Aber ich weiß es, nun wird er herkommen und den Flügel in
Ordnung bringen.

Der Oheim hatte recht. Schon andern Tages war Herr Liscov da, aber statt
die Reparatur des Flügels vorzunehmen, verlangte er, der kleine Johannes
sollte ihm vorspielen. Dieser wurde auf den mit Büchern bepackten Stuhl
gesetzt, Herr Liscov ihm gegenüber am schmalen Ende des Flügels, stützte
beide Arme auf das Instrument, und sah dem Kleinen starr ins Antlitz,
welches ihn dermaßen außer Fassung brachte, daß die Menuetts, die Arien,
die er aus dem alten Notenbuche abspielte, holpricht genug gingen. Herr
Liscov blieb ernst, aber plötzlich rutschte der Knabe herab, und versank
unter des Flügels Gestell, worüber der Orgelbauer, der ihm mit einem
Ruck die Fußbank unter den Füßen weggezogen, eine unmäßige Lache
aufschlug. Beschämt rappelte sich der Knabe hervor, doch in dem
Augenblick saß Herr Liscov auch schon vor dem Flügel, hatte einen Hammer
hervorgezogen, und hämmerte auf das arme Instrument so unbarmherzig los,
als wolle er alles in tausend Stücke schlagen. »Herr Liscov sind Sie von
Sinnen!« schrie der Onkel, aber der kleine Johannes, ganz entrüstet,
ganz außer sich über des Orgelbauers Beginnen, stemmte sich mit aller
Gewalt gegen den Deckel des Instruments, so, daß er mit lautem Krachen
zuschlug, und Herr Liscov schnell den Kopf zurückziehen mußte, um nicht
getroffen zu werden. Dann rief er: Ei lieber Onkel, das ist nicht der
geschickte Künstler, der die schöne Orgel gebaut hat, er kann es nicht
sein, denn dieser hier ist ja ein alberner Mensch, der sich beträgt wie
ein ungezogner Bube!

Der Oheim verwunderte sich über die Dreistigkeit des Knaben; aber Herr
Liscov sah ihn lange starr an, sprach: »Er ist wohl ein kurioser
Monsieur!« öffnete leise und behutsam den Flügel, zog Instrumente
hervor, begann seine Arbeit, die er in paar Stunden beendete, ohne ein
einziges Wort zu sprechen.

Seit diesem Augenblick zeigte sich des Orgelbauers entschiedene
Vorliebe für den Knaben. Beinahe täglich kam er ins Haus, und wußte den
Knaben bald für sich zu gewinnen, indem er ihm eine ganze neue bunte
Welt erschloß, in der sich sein reger Geist mutiger und freier bewegen
konnte. Eben nicht löblich war es, daß Liscov, vorzüglich als Johannes
schon in Jahren mehr vorgerückt, den Knaben anregte zu den seltsamsten
Foppereien, die oft gegen den Oheim selbst gerichtet waren, der
freilich, beschränkten Verstandes, und voll der lächerlichsten
Eigenheiten, dazu reichen Anlaß bot. Gewiß ist es aber, daß, wenn
Kreisler über die trostlose Verlassenheit in seinen Knabenjahren klagt,
wenn er das zerrissene Wesen, das ihn oft in seiner innersten Natur
verstört, jener Zeit zuschreibt, wohl das Verhältnis mit dem Oheim in
Anschlag zu bringen ist. Er konnte den Mann, der Vaterstelle zu
vertreten berufen, und der ihm mit seinem ganzen Tun und Wesen
lächerlich erscheinen mußte, nicht achten.

Liscov wollte den Johannes ganz an sich reißen, und es wäre ihm
gelungen, hätte sich nicht des Knaben edlere Natur dagegen gesträubt.
Ein durchdringender Verstand, ein tiefes Gemüt, eine ungewöhnliche
Erregbarkeit des Geistes, alles das waren anerkannte Vorzüge des
Orgelbauers. Was man aber Humor zu nennen beliebte, war nicht jene
seltne wunderbare Stimmung des Gemüts, die aus der tieferen Anschauung
des Lebens in all' seinen Bedingnissen, aus dem Kampf der feindlichsten
Prinzipe sich erzeugt, sondern nur das entschiedene Gefühl des
Ungehörigen, gepaart mit dem Talent, es ins Leben zu schaffen, und der
Notwendigkeit der eignen bizarren Erscheinung. Dies war die Grundlage
des verhöhnenden Spottes, den Liscov überall ausströmen ließ, der
Schadenfreude, mit der er alles als ungehörig Erkannte rastlos verfolgte
bis in die geheimsten Winkel. Eben diese schadenfrohe Verspottung
verwundete des Knaben zartes Gemüt, und stand dem innigsten Verhältnis,
wie es der in wahrhafter innerer Gesinnung väterliche Freund
herbeigeführt haben würde, entgegen. Zu leugnen ist aber auch nicht, daß
der wunderliche Orgelbauer recht dazu geeignet war, den Keim des tiefern
Humors, der in des Knaben Innern lag, zu hegen und zu pflegen, der denn
auch sattsam gedieh und emporwuchs. --

Herr Liscov pflegte viel von Johannes Vater zu erzählen, dessen
vertrautester Freund er in seinen Jünglingsjahren gewesen, zum Nachteil
des erziehenden Oheims, der merklich in den Schatten trat, wenn der
Bruder in hellem Sonnenlicht erschien. So rühmte auch eines Tages der
Orgelbauer den tiefen musikalischen Sinn des Vaters, und verspottete die
verkehrte Art, wie der Oheim dem Knaben die ersten Elemente der Musik
beigebracht. Johannes, dessen ganze Seele durchdrungen war von dem
Gedanken an den, der ihm der Nächste gewesen, und den er nie gekannt,
wollte immer noch mehr hören. Da verstummte aber Liscov plötzlich, und
sah, wie einer, dem irgendein das Leben erfassender Gedanke vor die
Seele tritt, starr zum Boden nieder.

Was ist Euch Meister, fragte Johannes, was bewegt Euch so?

Liscov fuhr auf, wie aus einem Traum, und sprach lächelnd Weißt Du noch
Johannes! wie ich Dir die Fußbank wegzog unter den Beinen, und Du
hinabschobst unter den Flügel, da Du mir des Oheims abscheuliche Murkis
und Menuetten vorspielen mußtest?

Ach, erwiderte Johannes, wie ich Euch zum ersten Male sah, daran mag ich
gar nicht denken. Es machte Euch gerade Spaß, ein Kind zu betrüben.

Und das Kind, nahm Liscov das Wort, war dafür tüchtig grob. Doch
nimmermehr hätt' ich damals geglaubt, daß in Euch ein solch tüchtiger
Musiker verborgen, und darum, Söhnlein, tu mir den Gefallen und spiele
mir einen ordentlichen Choral vor auf dem papiernen Positiv. Ich will
den Balg treten.

-- Es ist hier nachzuholen, daß Liscov großen Geschmack fand an allerlei
wunderlichen Spielereien, und den Johannes damit sehr ergötzte. Schon,
als Johannes noch ein Kind, pflegte Liscov bei jedem Besuch ihm irgend
etwas Seltsames mitzubringen.

Empfing das Kind bald einen Apfel, der in hundert Stücke zerfiel, wenn
er abgeschält wurde, oder irgendein seltsam geformtes Backwerk, so wurde
der erwachsene Knabe bald mit diesem, bald mit jenem überraschenden
Kunststück aus der natürlichen Magie erfreut, so half der Jüngling
optische Maschinen bauen, sympathetische Tinten kochen usw. An der
Spitze der mechanischen Künsteleien, die der Orgelbauer für den Johannes
verfertigte, stand aber ein Positiv mit achtfüßigem Gedackt, dessen
Pfeifen von Papier geformt, das mithin jenem Kunstwerk des alten
Orgelbauers aus dem siebzehnten Jahrhundert, Eugenius Casparini
geheißen, glich, welches in der kaiserlichen Kunstkammer in Wien zu
sehen. Liscovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen Stärke und
Anmut unwiderstehlich hinriß, und Johannes versichert noch, daß er
niemals darauf spielen können, ohne in die tiefste Bewegung zu geraten,
und daß ihm dabei manche wahrhaft fromme Kirchenmelodie hell
aufgegangen. --

Auf diesem Positiv mußte Johannes nun dem Orgelbauer vorspielen.
Nachdem er, wie Liscov verlangt, ein paar Choräle gespielt, fiel er in
den Hymnus: _Misericordias Domini cantabo,_ den er vor wenigen Tagen
gesetzt. -- Da Johannes geendet, so sprang Liscov auf, drückte ihn
stürmisch an die Brust, rief laut lachend: Hasenfuß, was foppst Du mich
mit Deiner lamentablen Cantilena? Wär' ich nicht immer und ewig Dein
Kalkant gewesen, nichts Vernünftiges hättest Du jemals herausgebracht.
-- Aber nun renne ich fort, und lasse Dich im Stich ganz und gar, und Du
magst Dir in der Welt einen andern Kalkanten suchen, der es mit Dir so
gut meint als ich! Dabei standen ihm die hellen Tränen in den Augen. Er
sprang zur Türe hinaus, die er sehr heftig zuschlug. Dann steckte er
aber nochmals den Kopf hinein und sprach sehr weich: Es kann nun einmal
nicht anders sein. -- Adieu Johannes! -- Wenn der Oheim seine
rotgeblümte Gros de Tours Weste vermißt, so sage nur, ich hätte sie
gestohlen, und ließe mir daraus einen Turban machen, um dem Groß-Sultan
vorgestellt zu werden! -- Adieu Johannes! -- Kein Mensch konnte
begreifen, warum Herr Liscov so plötzlich die angenehme Stadt
Göniönesmühl verlassen, warum er niemanden entdeckt, wohin er sich zu
wenden entschlossen.

Der Oheim sprach: Längst hab' ich vermutet, daß der unruhige Geist sich
auf und davon machen würde, denn er hält es, unerachtet er schöne Orgeln
verfertigt, doch nicht mit dem Spruch: Bleibe im Lande und nähre dich
redlich! -- Es ist nur gut, daß unser Flügel im Stande; nach dem
überspannten Menschen selbst frag' ich nicht viel! -- Anders dachte wohl
Johannes, dem Liscov überall fehlte, und dem nun ganz Göniönesmühl ein
totes, düstres Gefängnis dünkte.

So kam es, daß er den Rat des Orgelbauers befolgen, und sich in der Welt
einen andern Kalkanten suchen wollte. Der Oheim meinte, da er seine
Studien vollendet, könne er in der Residenz sich unter den Fittich des
Geheimen-Legationsrates begeben und vollends ausbrüten lassen. -- Es
geschah so! --

-- In diesem Augenblick ärgert sich gegenwärtiger Biograph über alle
Maßen, denn indem er an den zweiten Moment aus Kreislers Leben kommt,
von dem er Dir, geliebter Leser, zu erzählen versprochen, nämlich, wie
Johannes Kreisler den wohlerworbenen Posten eines Legationsrates verlor,
und gewissermaßen aus der Residenz verwiesen wurde, wird er gewahr, daß
alle Nachrichten, die ihm darüber zu Gebote stehen, ärmlich, dürftig,
seicht, unzusammenhängend sind. --

Es genügt indessen am Ende wohl, zu sagen, daß, bald nachdem Kreisler
in die Stelle seines verstorbenen Oheims getreten, und Legationsrat
geworden, ehe man sich's versah, ein gewaltiger gekrönter Koloß den
Fürsten in der Residenz heimsuchte, und ihn als seinen besten Freund so
innig und herzlich in seine eisernen Arme schloß, daß der Fürst darüber
den besten Teil seines Lebensatems verlor. Der Gewaltige hatte in seinem
Tun und Wesen etwas ganz Unwiderstehliches, und so kam es, daß seine
Wünsche befriedigt werden mußten, sollte auch, wie es wirklich geschah,
darüber alles in Not und Verwirrung geraten. Manche fanden die
Freundschaft des Gewaltigen etwas verfänglich, wollten sich wohl gar
dagegen auflehnen, gerieten aber selbst darüber in das verfängliche
Dilemma, entweder die Vortrefflichkeit jener Freundschaft anzuerkennen,
oder außerhalb Landes einen andern Standpunkt zu suchen, um vielleicht
den Gewaltigen im richtigeren Licht zu erblicken.

Kreisler befand sich unter diesen.

Trotz seines diplomatischen Charakters hatte Kreisler geziemliche
Unschuld konserviert, und eben deshalb gab es Augenblicke, in denen er
nicht wußte, wozu sich entschließen. Eben in einem solchen Augenblick
erkundigte er sich bei einer hübschen Frau in tiefer Trauer, was sie
überhaupt von Legationsräten halte? Sie erwiderte vieles in zierlichen,
artigen Worten; am Ende kam aber so viel heraus, daß sie von einem
Legationsrat gar nicht viel halten könne, sobald er sich auf
enthusiastische Weise mit der Kunst beschäftige, ohne sich ihr ganz
zuzuwenden.

»Vortrefflichste der Witwen, sprach darauf Kreisler, ich reiße aus!«

Als er bereits Reisestiefel angezogen und mit dem Hute in der Hand sich
empfehlen wollte, nicht ohne Rührung und gehörigen Abschiedsschmerz,
steckte ihm die Witwe den Ruf zur Kapellmeisterstelle bei dem
Großherzog, der das Ländchen des Fürsten Irenäus verspeist, in die
Tasche.

Kaum ist es nötig, hinzuzufügen, daß die Dame in Trauer niemand anders
war, als die Rätin Benzon, die eben des Rates verlustig geworden, da der
Gemahl verstorben.

Merkwürdigerweise trug es sich zu, daß die Benzon eben zu der Zeit
als --

=(M. f. f.)= -- Ponto geradezu auf das Brot und Würste feilhaltende
Mädchen loshüpfte, die mich, da ich freundlich bei ihr zulangte, beinahe
tot geschlagen. »Mein Pudel Ponto, mein Pudel Ponto, was tust du, nimm
dich in acht, hüte dich vor der herzlosen Barbarin, vor dem
rachedürstenden Wurstprinzip! -- So rief ich hinter Ponto her -- ohne
auf mich zu achten, setzte er aber seinen Weg fort -- und ich folgte in
der Ferne, um, sollte er in Gefahr geraten, mich gleich aus dem Staube
machen zu können. -- Vor dem Tisch angekommen, richtete sich Ponto auf
den Hinterfüßen in die Höhe -- und tänzelte in den zierlichsten Sprüngen
um das Mädchen her, die sich darüber gar sehr erfreute. Sie rief ihn an
sich, er kam, legte den Kopf in ihren Schoß, sprang wieder auf, bellte
lustig, hüpfte wieder um den Tisch, schnupperte bescheiden, und sah dem
Mädchen freundlich in die Augen.

»Willst du ein Würstchen, artiger Pudel?« So fragte das Mädchen, und als
nun Ponto anmutig schwänzelnd laut aufjauchzte, nahm sie zu meinem nicht
geringen Erstaunen eine der schönsten, größten Würste, und reichte sie
dem Ponto dar. Dieser tanzte wie zur Danksagung noch ein kurzes Ballett,
und eilte dann zu mir mit der Wurst, die er mit den freundlichen Worten
hinlegte: »Da, iß, erquicke dich Bester!« Nachdem ich die Wurst
verzehrt, lud mich Ponto ein, ihm zu folgen, er wolle mich zurückführen
zum Meister Abraham.

Wir gingen langsam nebeneinander her, so daß es uns nicht schwer fiel,
wandelnd, vernünftige Gespräche zu führen.

»Ich seh' es wohl ein, (so begann ich die Unterredung) daß du, geliebter
Ponto, es viel besser verstehst, in der Welt fortzukommen, als ich.
Nimmermehr würd' es mir gelungen sein, das Herz jener Barbarin zu
rühren, welches dir so ungemein leicht wurde. Doch verzeih! -- In deinem
ganzen Benehmen gegen die Wurstverkäuferin lag doch etwas, wogegen mein
innerer mir angeborner Sinn sich auflehnt. Eine gewisse unterwürfige
Schmeichelei, ein Verleugnen des Selbstgefühls, der edleren Natur
-- nein! guter Pudel, nicht entschließen könnte ich mich, so freundlich
zu tun, so mich außer Atem zu setzen mit angreifenden Manövers, so recht
demütig zu betteln, wie du es tatest. Bei dem stärksten Hunger, oder
wenn mich ein Appetit nach etwas Besonderem anwandelt, begnüge ich mich,
hinter den Meister auf den Stuhl zu springen, und meine Wünsche durch
ein sanftes Knurren anzudeuten. Und selbst dies ist mehr Erinnerung an
die übernommene Pflicht, für meine Bedürfnisse zu sorgen, als Bitte um
eine Wohltat.

Ponto lachte laut auf, als ich dies gesprochen und begann dann: O Murr,
mein guter Kater, du magst ein tüchtiger Literatus sein und dich wacker
auf Dinge verstehen, von denen ich gar keine Ahnung habe, aber von dem
eigentlichen Leben weißt du gar nichts, und würdest verderben, da dir
alle Weltklugheit gänzlich abgeht. -- Fürs erste würdest du vielleicht
anders geurteilt haben, ehe du die Wurst genossen, denn hungrige Leute
sind viel artiger und fügsamer, als satte, dann aber bist du rücksichts
meiner sogenannten Unterwürfigkeit in großem Irrtum. Du weißt ja, daß
das Tanzen und Springen mir großes Vergnügen macht, so, daß ich es oft
auf meine eigene Hand unternehme. Treibe ich nun, eigentlich nur zu
meiner Motion, meine Künste vor den Menschen, so macht es mir ungemeinen
Spaß, daß die Toren glauben, ich täte es aus besonderm Wohlgefallen an
ihrer Person, und nur um ihnen Lust und Freude zu erregen. Ja sie
glauben das, sollte auch eine andere Absicht ganz klar sein. Du hast,
Geliebter! das lebendige Beispiel davon soeben erfahren. Mußte das
Mädchen nicht gleich einsehen, daß es mir nur um eine Wurst zu tun war,
und doch geriet sie in volle Freude, daß ich ihr, der Unbekannten, meine
Künste vormachte, als einer Person, die dergleichen zu schätzen
vermögend, und eben in dieser Freude tat sie das, was ich bezweckte. Der
Lebenskluge muß es verstehen, allem, was er bloß seinetwegen tut, den
Anschein zu geben, als täte er es um anderer willen, die sich dann hoch
verpflichtet glauben, und willig sind zu allem, was man bezweckte.
Mancher erscheint gefällig, dienstfertig, bescheiden, nur den Wünschen
anderer lebend, und hat nichts im Auge, als sein liebes Ich, dem die
andern dienstbar sind, ohne es zu wissen. Das, was du also unterwürfige
Schmeichelei zu nennen beliebst, ist nichts als weltkluges Benehmen, das
in der Erkenntnis und der foppenden Benutzung der Torheit anderer seine
eigentlichste Basis findet.

O Ponto, erwiderte ich, du bist ein Weltmann, das ist gewiß, und ich
wiederhole, daß du dich auf das Leben besser verstehst als ich, aber dem
unerachtet kann ich kaum glauben, daß deine seltsamen Künste dir selbst
Vergnügen machen sollten. Wenigstens ist mir das entsetzliche Kunststück
durch Mark und Bein gegangen, als du in meiner Gegenwart deinem Herrn
ein schönes Stück Braten apportiertest, es sauber zwischen den Zähnen
haltend, und nicht eher einen Bissen davon genossest, bis dein Herr dir
die Erlaubnis zuwinkte.

Sage mir doch, guter Murr, fragte Ponto, was sich nachher begab!

Beide, erwiderte ich, dein Herr und Meister Abraham lobten dich über
alle Maßen, und setzten dir einen ganzen Teller mit Braten hin, den du
mit erstaunlichem Appetit verzehrtest.

Nun also, bester Kater, fuhr Ponto fort, glaubst du wohl, daß, hätt'
ich apportierend das kleine Stück Braten gefressen, daß ich dann eine
solch reichliche Portion, und überhaupt Braten erhalten? Lerne, o
unerfahrner Jüngling! daß man kleine Opfer nicht scheuen darf, um Großes
zu erreichen. Mich wundert's, daß bei deiner starken Lektüre dir nicht
bekannt worden, was es heißt, die Wurst nach der Speckseite werfen.
-- Pfote aufs Herz, muß ich dir gestehen, daß, träf' ich einsam im Winkel
einen ganzen schönen Braten an, ich ihn ganz gewiß verzehren würde, ohne
auf die Erlaubnis meines Herrn zu warten, könnt' ich das nur unbelauscht
vollbringen. Es liegt nun einmal in der Natur, daß man im Winkel ganz
anders handelt, als auf offener Straße. Übrigens ist es auch ein aus
tiefer Weltkenntnis geschöpfter Grundsatz, daß es ratsam ist, in
Kleinigkeiten ehrlich zu sein.

Ich schwieg einige Augenblicke, über Pontos geäußerte Grundsätze
nachdenkend; mir fiel ein, irgendwo gelesen zu haben, ein jeder müsse so
handeln, daß seine Handlungsweise als allgemeines Prinzip gelten könne,
oder wie er wünsche, daß alle rücksichts seiner handeln möchten, und
bemühte mich vergebens, dies Prinzip mit Pontos Weltklugheit in
Übereinstimmung zu bringen. Mir kam in den Sinn, daß alle Freundschaft,
die mir Ponto in dem Augenblick erzeigte, wohl auch gar zu meinem
Schaden nur seinen eignen Vorteil bezwecken könne, und ich äußerte dies
unverholen.

Kleiner Schäker, rief Ponto lachend, von dir ist gar nicht die Rede!
-- Du kannst mir keinen Vorteil gewähren, keinen Schaden verursachen. Um
deine toten Wissenschaften beneide ich dich nicht, dein Treiben ist
nicht das meinige, und solltest du dir es etwa beikommen lassen,
feindliche Gesinnungen gegen mich zu äußern, so bin ich dir an Stärke
und Gewandheit überlegen. Ein Sprung, ein tüchtiger Biß meiner scharfen
Zähne, würde dir auf der Stelle den Garaus machen.

Mich wandelte eine große Furcht an vor meinem eignen Freunde, die sich
vermehrte, als ein großer schwarzer Pudel ihn freundlich nach
gewöhnlicher Art begrüßte, und beide, mich mit glühenden Augen
anblickend, leise miteinander sprachen.

Die Ohren angekniffen, drückte ich mich an die Seite, doch bald sprang
Ponto, den der Schwarze verlassen, wieder auf mich zu, und rief: Komm
nur, mein Guter!

»Ach Himmel, fragte ich in der Bestürzung, wer war denn der ernste Mann,
der vielleicht ebenso weltklug als du?«

»Ich glaube gar, erwiderte Ponto, du fürchtest dich vor meinem guten
Oheim, dem Pudel Skaramuz? Ein Kater bist du schon, und willst nun gar
ein Hase werden. --«

»Aber, sprach ich, warum warf der Oheim mir solche glühende Blicke zu,
und was flüstertet ihr so heimlich, so verdächtig miteinander? --«

»Nicht verhehlen will ich's dir, mein guter Murr, erwiderte Ponto, daß
mein alter Oheim etwas mürrisch ist, und wie es denn nun bei alten
Leuten gewöhnlich der Fall, an verjährten Vorurteilen hängt. Er wunderte
sich über unser Beisammensein, da die Ungleichheit unsers Standes jede
Annäherung verbieten müsse. Ich versicherte, daß du ein junger Mann von
vieler Bildung und angenehmem Wesen wärst, der mich bisweilen sehr
belustige. Da meinte er, dann könne ich mich wohl dann und wann einsam
mit dir unterhalten, nur solle ich's mir nicht etwa einfallen lassen,
dich mitzubringen in eine Pudelassemblee, da du nun und nimmermehr
assembleefähig werden könntest, schon deiner kleinen Ohren halber, die
nur zu sehr deine niedere Abkunft verrieten, und von tüchtigen
großgeohrten Pudeln durchaus für unanständig geachtet würden.

Ich versprach das.«

Hätt' ich schon damals etwas gewußt von meinem großen Ahnherrn, dem
gestiefelten Kater, der Ämter und Würden erlangte, dem Busenfreunde
König Gottliebs, ich würde dem Freunde Ponto sehr leicht bewiesen haben,
daß jede Pudelassemblee sich geehrt fühlen müsse durch die Gegenwart
eines Abkömmlings aus der illustersten Familie; so mußte ich, aus der
Obskurität noch nicht hervorgetreten, es aber leiden, daß beide,
Skaramuz und Ponto, sich über mich erhaben dünkten. -- Wir schritten
weiter fort. Dicht vor uns wandelte ein junger Mann, der trat mit einem
lauten Ausruf der Freude so schnell zurück, daß er mich, sprang ich
nicht schnell zur Seite, schwer verletzt haben würde. Ebenso laut schrie
ein anderer junger Mann, der, die Straße herab, jenem entgegenkam. Und
nun stürzten sich beide in die Arme, wie Freunde, die sich lange nicht
gesehen, und wandelten dann eine Strecke vor uns her, Hand in Hand, bis
sie still standen und, ebenso zärtlich voneinander Abschied nehmend,
sich trennten. Der, der vor uns hergeschritten, sah dem Freunde lange
nach und schlüpfte dann schnell in ein Haus hinein. Ponto stand still,
ich desgleichen. Da wurde im zweiten Stock des Hauses, in das der junge
Mann getreten, ein Fenster geöffnet, ein bildhübsches Mädchen schaute
heraus; hinter ihr stand der junge Mann, und beide lachten sehr, dem
Freunde nachschauend, von dem sich der junge Mann soeben getrennt. Ponto
sah herauf, und murmelte etwas zwischen den Zähnen, welches ich nicht
verstand.

Warum weilst du hier, lieber Ponto, wollen wir nicht weitergehen? So
fragte ich, Ponto ließ sich aber nicht stören, bis er nach einigen
Augenblicken heftig den Kopf schüttelte, und dann schweigend den Weg
fortsetzte.

Laß uns, sprach er, als wir auf einen mit Bäumen umgebenen, mit Statuen
verzierten, anmutigen Platz gelangten, hier ein wenig verweilen, guter
Murr. Mir kommen jene beiden jungen Männer, die sich so herzlich auf der
Straße umarmten, nicht aus dem Sinn. Es sind Freunde, wie Damon und
Pylades.

Damon und Pythias, verbesserte ich, Pylades war der Freund des Orestes,
den er jedesmal getreulich im Schlafrock zu Bette brachte, und mit
Kamillentee bediente, wenn die Furien und Dämonen dem armen Mann zu hart
zugesetzt. Man merkt, guter Ponto, daß du in der Geschichte nicht
sonderlich bewandert.

Gleichviel, fuhr der Pudel fort, aber die Geschichte von den beiden
Freunden weiß ich sehr genau, und will sie dir erzählen mit allen
Umständen, so wie ich sie zwanzigmal von meinem Herrn erzählen hörte.
Vielleicht wirst du neben Damon und Pythias, Orestes und Pylades, als
drittes Paar, Walter und Formosus nennen. Formosus ist nämlich derselbe
junge Mann, der dich beinahe zu Boden getreten, in der Freude, seinen
geliebten Walter wiederzusehen. -- Dort in dem schönen Hause mit den
hellen Spiegelfenstern wohnt der alte steinreiche Präsident, bei dem
sich Formosus durch seinen leuchtenden Verstand, durch seine Gewandheit,
durch sein glänzendes Wissen, so einzuschmeicheln wußte, daß er dem
Alten bald war, wie der eigene Sohn. Es begab sich, daß Formosus
plötzlich all' seine Heiterkeit verlor, daß er blaß aussah und
kränklich, daß er in einer Viertelstunde zehnmal aus tiefer Brust
aufseufzte, als wolle er sein Leben aushauchen, daß er, ganz in sich
gekehrt, ganz in sich verloren, für nichts in der Welt mehr seine Sinne
aufschließen zu können schien. -- Lange Zeit hindurch drang der Alte
vergebens in den Jüngling, daß er ihm die Ursache seines geheimen
Kummers entdecken möge; endlich kam es heraus, daß er bis zum Tode
verliebt war in des Präsidenten einzige Tochter. Anfangs erschrak der
Alte, der mit seinem Töchterlein ganz andere Dinge im Sinne haben
mochte, als sie an den rang- und amtlosen Formosus zu verheiraten, als
er aber den armen Jüngling immer mehr und mehr hinwelken sah, ermannte
er sich und fragte Ulriken, wie ihr der junge Formosus gefalle, und ob
er ihr schon etwas von seiner Liebe gesagt? -- Ulrike schlug die Augen
nieder, und meinte, erklärt habe sich der junge Formosus zwar gar nicht
gegen sie, aus lauter Zurückhaltung und Bescheidenheit, aber gemerkt
habe sie wohl längst, daß er sie liebe, denn so was sei wohl zu
bemerken. Übrigens gefalle ihr der junge Formosus recht wohl, und wenn
sonst dem nichts im Wege stände, und wenn der Herzenspapa nichts dagegen
habe, und -- kurz, Ulrike sagte alles, was Mädchen bei derlei
Gelegenheit zu sagen pflegen, die nicht mehr in der ersten vollsten
Blüte stehen, und fleißig denken: Wer wird der sein, der dich heimführt?
-- Darauf sprach der Präsident zum Formosus: Richte dein Haupt auf, mein
Junge! -- Sei froh und glücklich, du sollst sie haben, meine Ulrike! und
so wurde Ulrike die Braut des jungen Herrn Formosus. Alle Welt gönnte
dem hübschen bescheidenen Jüngling sein Glück, nur einer geriet darüber
in Gram und Verzweiflung, und das war Walter, mit dem Formosus ein Herz
und eine Seele aufgewachsen. Walter hatte Ulriken einigemal gesehen,
auch wohl gesprochen, und sich in sie verliebt, vielleicht noch viel
ärger, als Formosus! -- Doch ich rede immer von Liebe und verliebt sein,
und weiß nicht, ob du, mein Kater, schon jemals in Liebe gewesen bist
und also dies Gefühl kennst? Was mich betrifft, lieber Ponto, erwiderte
ich, glaube ich nicht, daß ich schon geliebt habe oder liebe, da ich mir
bewußt bin, noch nicht in den Zustand geraten zu sein, wie ihn mehrere
Dichter beschreiben. Den Dichtern ist nicht allemal ganz zu trauen, nach
dem was ich aber sonst darüber weiß und gelesen habe, muß die Liebe
eigentlich nichts anders sein, als ein psychischer Krankheitszustand,
der sich bei dem menschlichen Geschlecht als partieller Wahnsinn darin
offenbart, daß man irgendeinen Gegenstand für etwas ganz anders hält,
als was er eigentlich ist, z. B. ein kleines dickes Ding von Mädchen,
welche Strümpfe stopft, für eine Göttin. Doch fahre nur fort, geliebter
Pudel, in deiner Erzählung von den beiden Freunden Formosus und Walter.
--

Walter, so sprach Ponto weiter, stürzte dem Formosus an den Hals und
sprach unter vielen Tränen: Du raubst mir das Glück meines Lebens, aber
daß Du es bist, daß Du glücklich wirst, das ist mein Trost, lebe wohl,
mein Geliebter, lebe wohl auf ewig! -- Darauf lief Walter in den Busch,
wo er am dicksten war, und wollte sich totschießen. Es unterblieb aber,
weil er in der Verzweiflung vergessen hatte, das Pistol zu laden, er
begnügte sich daher mit einigen Ausbrüchen des Wahnsinnes, die jeden Tag
wiederkehrten. Eines Tages trat Formosus, den er in vielen Wochen nicht
gesehen, ganz unvermutet zu ihm herein, als er eben vor Ulrikens
Pastellgemälde, das unter Glas und Rahmen an der Wand hing, auf den
Knien lag und gräßlich lamentierte. -- Nein, rief Formosus, indem er den
Walter an seine Brust drückte, ich konnte Deinen Schmerz, Deine
Verzweiflung nicht ertragen, Dir opfere ich gern mein Glück. -- Ich habe
Ulriken entsagt, ich habe den alten Vater dahin gebracht, daß er Dich
zum Eidam annimmt. -- Ulrike liebt Dich, vielleicht ohne es selbst zu
wissen. -- Bewirb Dich um sie, ich scheide. -- Lebe wohl! -- Er wollte
fort, Walter hielt ihn fest. Es war diesem, als läge er im Traum, er
glaubte an alles nicht früher, als bis Formosus ein eigenhändiges
Billett des alten Präsidenten hervorzog, worin es ungefähr hieß: Edler
Jüngling! Du hast gesiegt, ungern lasse ich Dich, aber ich ehre Deine
Freundschaft, die dem Heroismus gleicht, von welchem man in den alten
Skribenten lieset. Mag Herr Walter, der ein Mann ist von löblichen
Eigenschaften und ein schönes einträgliches Amt hat, sich um meine
Tochter Ulrike bewerben; will sie ihn ehelichen, so habe ich meinerseits
nichts dagegen. -- Formosus verreiste wirklich, Walter bewarb sich um
Ulriken, Ulrike wurde wirklich Walters Frau. -- Der alte Präsident
schrieb nun nochmals an Formosus, überhäufte ihn mit Lobsprüchen und
fragte, ob es ihm vielleicht Vergnügen machen würde, nicht etwa als
Entschädigung, denn er wisse wohl, daß es in solchem Fall keine gebe,
sondern nur als ein geringes Zeichen seiner innigen Zuneigung
dreitausend Taler anzunehmen. Formosus antwortete, der Alte kenne die
Geringfügigkeit seiner Bedürfnisse, Geld mache, könne ihn nicht
glücklich machen, und nur die Zeit ihn trösten über einen Verlust, an
dem niemand schuld sei als das Schicksal, welches in der Brust des
teuren Freundes die Liebe zu Ulriken entzündet, und nur dem Schicksal
sei er gewichen, von irgendeiner edlen Tat daher gar nicht die Rede.
Übrigens nehme er das Geschenk unter der Bedingung, daß der Alte es
einer armen Witwe, die da und da mit einer tugendhaften Tochter in
trostlosem Elende lebe, zuwende. Die Witwe wurde ausfindig gemacht und
erhielt die dem Formosus zugedachten dreitausend Reichstaler. Bald
darauf schrieb Walter dem Formosus: Ich kann nicht mehr leben ohne Dich,
kehre zurück in meine Arme! -- Formosus tat es und erfuhr, als er
gekommen, daß Walter seinen schönen einträglichen Posten aufgegeben,
unter der Bedingung, daß Formosus, der sich längst einen ähnlichen
gewünscht, ihn erhalte. Formosus erhielt den Posten wirklich und geriet,
rechnete man die getäuschte Hoffnung rücksichts der Heirat mit Ulriken
ab, in die behaglichste Lage. Stadt und Land erstaunte über den
Wettstreit des Edelmuts beider Freunde, ihre Tat wurde als Nachklang aus
einer längst vergangenen schöneren Zeit vernommen, als Beispiel
aufgestellt eines Heroismus, dessen nur hohe Geister fähig.

In der Tat, begann ich, als Ponto schwieg, nach allem, was ich gelesen,
müssen Walter und Formosus edle kräftige Menschen sein, die in treuer
Aufopferung für einander nichts von deiner gerühmten Weltklugheit
wissen.

Hm, erwiderte Ponto hämisch lächelnd, es kommt darauf an! -- Ein paar
Umstände, von denen die Stadt keine Notiz genommen, und die ich zum Teil
von meinem Herrn erfahren, teils selbst belauscht habe, sind noch
nachzuholen. -- Mit der Liebe des Herrn Formosus zu der reichen
Präsidententochter muß es doch nicht so arg gewesen sein, wie der Alte
glaubte, denn im höchsten Stadium dieser tötenden Leidenschaft unterließ
der junge Mann nicht, nachdem er den Tag über verzweifelt, jeden Abend
eine hübsche niedliche Putzmacherin zu besuchen. Als Ulrike nun aber
seine Braut worden, fand er bald, daß das engelsmilde Fräulein das eigne
Talent besaß, sich bei schicklicher Gelegenheit plötzlich in einen
kleinen Satan zu verwandeln. Außerdem kam ihm aus sicherer Quelle die
verdrießliche Nachricht zu, daß Fräulein Ulrike in der Residenz, was
Liebe und Liebesglück betrifft, ganz besondere Erfahrungen gemacht, und
nun ergriff ihn plötzlich ein unwiderstehlicher Edelmut, vermöge dessen
er die reiche Braut dem Freunde abtrat. Walter hatte sich in seltsamer
Verwirrung in Ulriken, die er an öffentlichen Orten im höchsten Glanz
aller Toilettenkünste gesehen, wirklich verliebt, und Ulriken ihrerseits
war es ziemlich einerlei, wer von beiden sich ihr als Gemahl anheftete,
Formosus oder Walter. Dieser hatte auch wirklich ein schönes
einträgliches Amt, bei dessen Verwaltung aber solche krause Streiche
gemacht, daß er der Entsetzung binnen weniger Zeit entgegensehen mußte.
Er zog es vor, früher zugunsten seines Freundes den Abschied zu nehmen
und so durch einen Akt, der alle Kennzeichen der edelsten Gesinnung
trug, seine Ehre zu retten. Die dreitausend Taler wurden in guten
Papieren einer alten, sehr anständigen Frau eingehändigt, die zuweilen
die Mutter, zuweilen die Muhme, zuweilen die Aufwärterin jener hübschen
Putzmacherin vorstellte. Bei diesem Geschäft erschien sie in doppelter
Gestalt. Erst bei dem Empfang des Geldes als Mutter, dann, als sie das
Geld überbrachte und einen guten Tragelohn empfing, als Aufwärterin des
Mädchens, die du kennst, lieber Murr, da sie eben erst mit dem Herrn
Formosus zum Fenster hinausschaute. -- Übrigens wissen beide, Formosus
und Walter längst, auf welche Weise sie sich in edelmütiger Gesinnung
überboten, sie haben sich, um wechselseitigen Lobeserhebungen
auszuweichen, lange vermieden, und deshalb waren ihre heutigen
Begrüßungen, als der Zufall sie auf der Straße zusammenführte, so
herzlich. --

In dem Augenblick entstand ein fürchterlicher Lärm. Die Menschen liefen
durcheinander, schrien Feuer! -- Feuer! Reiter sprengten durch die
Straßen -- Wagen rasselten. -- Aus den Fenstern eines Hauses, unfern von
uns, strömten Rauchwolken und Flammen. -- Ponto sprang schnell vorwärts,
ich aber in der Angst kletterte eine hohe Leiter hinauf, die an ein Haus
gelehnt, und befand mich bald auf dem Dache in voller Sicherheit.
Plötzlich kam mir --

=(Mak. Bl.)= -- ganz unvermutet über den Hals, sprach Fürst Irenäus, ohne
Anfrage des Hofmarschalls, ohne Vorwort des diensttuenden Kammerherrn,
beinahe -- ich sag' Euch das unter uns, Meister Abraham, bringt es nicht
etwa unter die Leute -- beinahe unangemeldet -- keine Liverei in den
Vorzimmern. Die Esel spielten Brausebart im Vestibule. Spielen ist ein
großes Laster. Schon in die Türe getreten erwischte ihn der Tafeldecker,
der zum Glück gerade durchging, beim Rockschoß und fragte, wer der Herr
sei, und wie er ihn dem Fürsten servieren solle. Aber er hat mir wohl
gefallen, es ist ein ganz artiger Mensch. Sagtet Ihr nicht, daß er sonst
nichts weniger gewesen wäre, als ein purer simpler Musikant? -- sogar
von einigem Stande? --

Meister Abraham versicherte, daß Kreisler allerdings sonst in ganz
anderen Verhältnissen gelebt, die es ihm sogar vergönnt an der
fürstlichen Tafel zu speisen, und daß nur der verwüstende Sturm der Zeit
ihn aus diesen Verhältnissen vertrieben. Übrigens wünsche er aber, daß
der Schleier den er über die Vergangenheit geworfen, unverrückt liegen
bleiben möge.

Also, nahm der Fürst das Wort, von Adel, vielleicht Baron -- Graf
-- vielleicht gar -- Nun man muß nicht zu weit gehen in träumerischer
Hoffnung! -- Ich habe ein Faible für dergleichen Mysterien! Es war eine
schöne Zeit nach der französischen Revolution als Marquis Siegellack
fabrizierten und Comtes Nachtmützen strickten von Filet, und nichts sein
wollten als simple Monsieurs, und man sich erlustigte auf dem großen
Maskenball. -- Ja, was den Herrn von Kreisler betrifft! -- Die Benzon
versteht sich auf so etwas, sie rühmte ihn, sie empfahl mir ihn, sie hat
recht. An der Manier den Hut unter dem Arm zu halten, erkannte ich
gleich den Mann von Bildung von feinem geläuterten Ton.

Der Fürst setzte noch einiges Lob über Kreisler's äußere Erscheinung
hinzu, so daß Meister Abraham überzeugt war, sein Plan müsse gelingen.
Er hatte nämlich im Sinn, den Herzensfreund dem eingebildeten Hofstaat
einzuschieben als Kapellmeister, und ihn so in Sieghartsweiler
festzuhalten. Als er nun aber auf's neue davon sprach, erwiderte der
Fürst ganz entschieden, daß daraus ganz und gar nichts werden könne.

Sagt selbst, fuhr er dann fort, Meister Abraham, ob es möglich sein
würde den angenehmen Mann in meinen engeren Familienkreis zu ziehen,
wenn ich ihn zum Kapellmeister, und so zu meinem Offizianten mache?
-- Ich könnte ihm eine Hofcharge verleihen, und ihn zum _Maître de
Plaisirs_ oder _des Spectacles_ machen, aber der Mann versteht die Musik
aus dem Grunde, und ist auch, wie Ihr sagt, im Theaterwesen wohl
erfahren. Nun weiche ich aber nicht ab von dem Grundsatz meines höchst
seligen in Gott ruhenden Herrn Vaters, der immer behauptete, besagter
Maitre müsse um des Himmels willen sich auf die Sachen, deren Maitre er
repräsentiere, nicht verstehen, da er sich sonst gar zu sehr darum
bekümmere, und sich viel zu sehr für die Menschen, die dabei
beschäftigt, als da sind Schauspieler, Musikanten u. s. w.,
interessiere. -- Also dafür behalte Herr von Kreisler die Maske des
fremden Kapellmeisters, und schreite damit hinein in die inneren
Gemächer des fürstlichen Hauses nach dem Beispiel eines hinlänglich
vornehmen Mannes, der vor einiger Zeit in der freilich verwerflichen
Maske eines schnöden Histrionen die auserlesensten Zirkel mit den
anmutigsten Faxen amüsierte.

Und da Ihr gewissermaßen, rief der Fürst dem Meister Abraham, der sich
fortbegeben wollte, zu, den _Chargé d'affaires_ des Herrn von Kreisler zu
machen scheinet, so will ich es Euch nicht verhehlen, daß nur zwei Dinge
mir nicht recht an ihm gefallen wollen, die vielleicht mehr Gewohnheiten
sind, als wirkliche Dinge. -- Ihr versteht schon, wie ich das meine.
-- Fürs erste starrt er mir, wenn ich mit ihm spreche, geradezu ins
Antlitz. Ich habe doch konsiderable Augen, kann fürchterlich daraus
blitzen, wie weiland Friedrich der Große, kein Kammerjunker, kein Page
wagt es aufzuschauen, wenn ich den entsetzlichen Blick auf ihn schießend
frage, ob das _mauvais sujet_ schon wieder Schulden gemacht, oder den
Marzipan aufgefressen, aber der Herr von Kreisler, den mag ich
anblitzen, wie ich will, er macht sich gar nichts daraus, sondern
lächelt mich an auf eine Weise, daß -- ich selbst die Augen
niederschlagen muß. Dann hat der Mann eine solche besondere Art zu
sprechen, zu antworten, das Gespräch fortzuführen, daß man zuweilen
ordentlich glaubt, das, was man selbst gesagt, sei eben nicht sonderlich
gewesen, man wäre gewissermaßen ein _Be--_. Beim St. Januar, Meister, das
ist ganz unausstehlich, und Ihr müßt dafür sorgen, daß Herr von Kreisler
sich diese Dinge oder Gewohnheiten abgewöhne.

Meister Abraham versprach zu tun, was Fürst Irenäus von ihm verlangte,
und wollte aufs neue davon, da erwähnte der Fürst noch des besonderen
Widerwillens, den Prinzessin Hedwige gegen den Kreisler geäußert, und
meinte, daß das Kind seit einiger Zeit von seltsamen Träumen und
Einbildungen geplagt werde, weshalb der Leibarzt die Molkenkur zum
nächsten Frühjahr angeraten. Hedwiga sei nämlich jetzt auf den
sonderbaren Gedanken geraten, daß Kreisler dem Tollhause entsprungen,
und allerlei Unheil anrichten werde bei nächster Gelegenheit.

Sagt, sprach der Fürst, sagt Meister Abraham, ob der vernünftige Mann
wohl nur die mindeste Spur der Geisteszerrüttung an sich trägt? Abraham
erwiderte, daß Kreisler zwar ebensowenig verrückt sei, als er selbst,
jedoch sich zuweilen etwas seltsam gebärde, und in einen Zustand gerate,
der beinahe dem des Prinzen Hamlet zu vergleichen, dadurch aber nur um
so interessanter werde. -- Soviel wie ich weiß, nahm der Fürst das Wort,
war der junge Hamlet ein vortrefflicher Prinz aus einem alten
angesehenen Regentenhause, der sich nur zu Zeiten mit der sonderbaren
Idee herumtrug, daß sämtliche Hofleute sich auf das Flötenblasen
verstehen sollten. Hohen Personen steht es wohl an, auf Seltsames zu
verfallen, es vermehrt den Respekt. Was bei dem Mann ohne Rang und Stand
eine Absurdität zu nennen, ist bei ihnen bloß die angenehme Kapriole
eines ungemeinen Geistes, welche Staunen erregen muß, und Bewunderung.
-- Herr von Kreisler sollte fein im geraden Wege bleiben, will er aber
durchaus den Prinzen Hamlet imitieren, so ist das ein schönes Streben
nach dem Höhern, vielleicht veranlaßt durch seine überwiegende Neigung
zu den musikalischen Studien. Man mag es ihm verzeihen, wenn er
bisweilen sich wunderlich betragen will. --

Es schien, als wenn Meister Abraham heute nun einmal nicht aus dem
Zimmer des Fürsten kommen sollte; denn wiederum rief der Fürst ihn
zurück, als er schon die Türe geöffnet, und verlangte zu wissen, woher
der seltsame Widerwille der Prinzessin Hedwiga gegen den Kreisler wohl
rühren möge. Meister Abraham erzählte die Art, wie Kreisler der
Prinzessin und Julien zum erstenmal im Park zu Sieghartshof erschienen
und meinte, daß die aufgeregte Stimmung, in der der Kapellmeister damals
gewesen, auf eine Dame von zarten Nerven wohl habe feindlich wirken
müssen.

Der Fürst gab mit einiger Heftigkeit zu erkennen, wie er hoffe, daß Herr
von Kreisler nicht wirklich zu Fuße nach Sieghartshof gekommen, sondern
daß der Wagen hier oder dort im breiten Fahrwege des Parks gehalten, da
nur gemeine Abenteurer zu Fuße zu reisen pflegten.

Meister Abraham meinte, daß man zwar das Beispiel eines tapfern
Offiziers vor Augen habe, der von Leipzig nach Syrakus gelaufen, ohne
sich ein einziges Mal die Stiefel versohlen zu lassen, was aber den
Kreisler betreffe, so sei er überzeugt, daß ein Wagen wirklich im Park
gehalten. -- Der Fürst war zufrieden. --

Während sich dies im Gemach des Fürsten begab, saß Johannes bei der
Rätin Benzon vor dem schönsten Flügel, den jemals die kunstreiche
Nannette Streicher gebaut, und begleitete Julien das große
leidenschaftliche Rezitativ der Klytämnestra aus Glucks Iphigenia in
Aulis. --

Gegenwärtiger Biograph ist leider genötigt, seinen Helden, soll das
Porträt richtig sein, als einen extravaganten Menschen darzustellen,
der, vorzüglich was die musikalische Begeisterung betrifft, oft dem
ruhigen Beobachter beinahe wie ein Wahnsinniger erscheint. Er hat ihm
schon die ausschweifende Redensart nachschreiben müssen, daß, »als Julia
sang, aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles Entzücken süßer
Träume, die Hoffnung, das Verlangen, durch den Wald wogte und niederfiel
wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust
horchender Nachtigallen.« Kreislers Urteil über Julias Gesang scheint
hiernach eben nicht von sonderlichem Wert. Versichern kann aber
bemeldeter Biograph bei dieser Gelegenheit dem günstigen Leser, daß
Julias Gesang, den er, dem Himmel sei's geklagt, niemals selbst hörte,
etwas Geheimnisvolles, etwas ganz Wunderbares, in sich getragen haben
muß. Ungemein solide Leute, die sich erst seit kurzer Zeit den Zopf
wegschneiden lassen, die, nachdem sie einen tüchtigen Rechtsfall, eine
malitiös merkwürdige Krankheit, oder einen jungen Ankömmling von
Straßburger Pastete, gehörig erprobt, der Umgang mit Gluck, Mozart,
Beethoven, Spontini im Theater nicht im mindesten aus der schicklichen
Seelenruhe brachte, ja solche Leute haben oft versichert, daß, sänge das
Fräulein Julia Benzon, ihnen ganz absonderlich zu Mute würde, sie
könnten gar nicht sagen, wie. Eine gewisse Beklommenheit, die ihnen denn
doch ein unbeschreibliches Wohlbehagen errege, bemächtige sich ihrer
ganz und gar, und oft kämen sie auf den Punkt, Narrenstreiche zu machen,
und sich zu gebärden, wie junge Phantasten und Versmacher. Anzuführen
ist auch ferner, daß einmal, als Julia bei Hofe sang, Fürst Irenäus
vernehmlich ächzte, und als der Gesang geendet, geradezu losschritt auf
Julien, ihre Hand an den Mund drückte und dabei sehr weinerlich sprach:
bestes Fräulein! -- Der Hofmarschall wagte zu behaupten, Fürst Irenäus
habe der kleinen Julia wirklich die Hand geküßt, und dabei wären ihm ein
paar Tränen aus den Augen getröpfelt. Auf Anlaß der Oberhofmeisterin,
wurde aber diese Behauptung, als ungeziemend, und dem Wohl des Hofes
zuwider, unterdrückt.

Julia, einer vollen metallreichen, glockenreinen Stimme mächtig, sang
mit dem Gefühl, mit der Begeisterung, die aus dem im Innersten bewegten
Gemüt hervorströmt, und darin mochte wohl der wunderbare,
unwiderstehliche Zauber liegen, den sie auch heute übte. Der Atem jedes
Zuhörers stockte, als sie sang; jeder fühlte seine Brust beengt von
süßem, namenlosem Weh, erst ein paar Augenblicke, nachher als sie
geendet, brach das Entzücken los im stürmischen ungemessensten Beifall.
Nur Kreisler saß da, stumm und starr, zurückgelehnt in den Sessel: dann
stand er leise und langsam auf, Julia wandte sich zu ihm mit einem
Blick, der deutlich fragte: war es denn auch wohl so recht? -- Errötend
schlug sie aber die Augen nieder, als Kreisler, die Hand aufs Herz
legend, mit zitternder Stimme lispelte: Julia! und dann mit gebücktem
Haupte mehr schlich als ging hinter den Kreis, den die Damen
geschlossen.

Mit Mühe hatte die Rätin Benzon Prinzessin Hedwiga dahin vermocht, in
der Abendgesellschaft zu erscheinen, wo sie den Kapellmeister Kreisler
antreffen mußte. Sie gab nur nach, als die Rätin ihr sehr ernsthaft
vorstellte, wie kindisch es sein würde, einen Mann zu meiden, bloß weil
er nicht zu den, auf eine Art und Weise, wie Scheidemünze ausgeprägten,
zu rechnen, sondern sich in freilich hin und wieder bizarrer
Eigentümlichkeit darstelle. Zudem habe Kreisler auch Eingang gefunden
bei dem Fürsten, und unmöglich würd' es daher sein, den seltsamen
Eigensinn durchzuführen.

Prinzessin Hedwiga wußte sich den ganzen Abend über so geschickt zu
drehen und zu wenden, daß Kreisler, dem es, harmlos und gefügig, wie er
war, wirklich galt, die Prinzessin zu versöhnen, alles Mühens
unerachtet, sich nicht ihr nähern konnte. Den geschicktesten Manövres
wußte sie zu begegnen mit schlauer Taktik. -- Desto mehr mußte der
Benzon, die das alles bemerkt, es auffallen, als die Prinzessin jetzt
plötzlich den Kreis der Damen durchbrach, und geradezu losschritt auf
den Kapellmeister. So tief in sich versunken stand Kreisler da, daß erst
die Anrede der Prinzessin, ob er allein denn keine Zeichen, keine Worte
habe, für den Beifall, den Julia errungen, ihn aus dem Traume weckte.

»Gnädigste,« erwiderte Kreisler mit einem Ton, der die innere Bewegung
verriet, »nach der bewährten Meinung berühmter Schriftsteller haben die
Seligen statt des Worts nur Gedanken und Blick. -- Ich war, glaub' ich,
im Himmel!«

»So ist, erwiderte die Prinzessin lächelnd, unsere Julia ein Engel des
Lichts, da sie vermochte, Ihnen das Paradies zu erschließen. -- Jetzt
bitte ich sie aber, auf einige Augenblicke den Himmel zu verlassen, und
einem armen Erdenkinde, wie ich es nun einmal bin, Gehör zu geben.« --

Die Prinzessin hielt inne, als erwarte sie, daß Kreisler etwas sage. Da
dieser sie aber schweigend anschaute, mit leuchtendem Blick, schlug sie
die Augen nieder, und wandte sich rasch um, so daß der leicht
umgeworfene Shawl von den Schultern hinabwallte. Kreisler faßte ihn im
Fallen. Die Prinzessin blieb stehen. Lassen Sie uns, sprach sie dann mit
unsicherm, schwankendem Ton, als ringe sie mit irgendeinem Entschluß,
als würd' es ihr schwer, es herauszusagen, was sie im Innern beschlossen
-- lassen Sie uns von poetischen Dingen ganz prosaisch reden. Ich weiß,
Sie geben Julien Unterricht im Gesange, und ich muß gestehen, daß sie
seit der Zeit in Stimme und Vortrag unendlich gewann. Das gibt mir die
Hoffnung, daß Sie imstande wären, selbst ein mittelmäßiges Talent, wie
das meinige, zu heben. -- Ich meine daß --

Die Prinzessin stockte hocherrötend, die Benzon trat hinzu, und
versicherte, daß die Prinzessin sich selbst großes Unrecht tue, wenn sie
ihr musikalisches Talent mittelmäßig nenne, da sie das Pianoforte
vorzüglich spiele, und recht ausdrucksvoll singe. Kreisler, dem die
Prinzessin, in ihrer Verlegenheit, auf einmal über alle Maßen
liebenswürdig erschien, ergoß sich in einen Strom freundlicher
Redensarten, und schloß damit, daß ihm nichts Glücklicheres begegnen
könne, als wenn die Prinzessin es vergönne, ihr beizustehen im Studium
der Musik mit Rat und Tat.

Die Prinzessin hörte den Kapellmeister an mit sichtlichem Wohlgefallen,
und als er geendet, und der Benzon Blick ihr die seltsame Scheu vor dem
artigen Mann vorwarf, da sprach sie halbleise: ja, ja, Benzon, Sie haben
recht, ich bin wohl oft ein kindisches Kind! -- In demselben Augenblick
faßte sie, ohne hinzublicken, nach dem Shawl, den Kreisler noch immer in
den Händen hielt, und den er ihr nun hinreichte. Selbst wußte er nicht,
wie es sich begab, daß er dabei der Prinzessin Hand berührte. Aber ein
heftiger Pulsschlag dröhnte ihm durch alle Nerven, und es war, als
wollten ihm die Sinne vergehen. --

Wie ein Lichtstrahl, der durch finstere Wolken bricht, vernahm Kreisler
Juliens Stimme. »Ich soll, sprach sie, noch mehr singen, lieber
Kreisler! man läßt mir keine Ruhe. -- Wohl möchte ich das schöne Duett
versuchen, das Sie mir letzthin gebracht. Sie dürfen das, nahm die
Benzon das Wort, meiner Julie nicht abschlagen, lieber Kapellmeister
-- fort an den Flügel!«

Kreisler keines Wortes mächtig saß am Flügel, schlug die ersten Akkorde
des Duetts an, wie von einem seltsamen Rausch betört und befangen. Julia
begann: _Ah che mi manca l'anima in si fatal momento._ -- -- Es ist
nötig zu sagen, daß die Worte dieses Duetts nach gewöhnlicher italischer
Weise ganz einfach die Trennung eines liebenden Paars aussprachen, daß
auf _momento_ natürlicherweise _sento_ und _tormento_ gereimt war, und
daß es wie in hundert andern Duetten ähnlicher Art, auch nicht an dem
_Abbi pietade o cielo_ und an der _pena di morir_ fehlte. Kreisler hatte
indessen diese Worte in der höchsten Aufregung des Gemüts, mit einer
Inbrunst komponiert, die beim Vortrage jeden, dem der Himmel nur
passable Ohren gegeben, unwiderstehlich hinreißen mußte. Das Duett war
den leidenschaftlichsten dieser Art an die Seite zu stellen, und da
Kreisler nur nach dem höchsten Ausdruck des Moments, und nicht darnach
strebte, was eben ganz ruhig und bequem von der Sängerin aufzufassen, in
der Intonation ziemlich schwer geraten. So kam es, daß Julia schüchtern,
mit beinahe ungewisser Stimme, begann, und daß Kreisler eben nicht viel
besser eintrat. Bald erhoben sich aber beide Stimmen auf den Wellen des
Gesanges wie schimmernde Schwäne, und wollten bald mit rauschendem
Flügelschlag emporsteigen zu dem goldnen, strahlenden Gewölk, bald in
süßer Liebesumarmung sterbend untergehen in dem brausenden Strom der
Akkorde, bis tief aufatmende Seufzer den nahen Tod verkündeten und das
letzte _Addio_ in dem Schrei des wilden Schmerzes, wie ein blutiger
Springquell herausstürzte aus der zerrissenen Brust.

Niemand befand sich in dem Kreise, den das Duett nicht tief ergriffen,
vielen standen die hellen Tränen in den Augen, selbst die Benzon
gestand, daß sie selbst im Theater bei irgendeiner gut dargestellten
Abschiedsszene Ähnliches noch nicht empfunden. Man überhäufte Julien und
den Kapellmeister mit Lobsprüchen, man sprach von der wahren
Begeisterung, die beide beseelt, und stellte die Komposition vielleicht
noch höher, als sie es verdiente.

Der Prinzessin Hedwiga hatte man während des Gesanges die innere
Bewegung wohl angemerkt, unerachtet sie bemüht war, ruhig zu scheinen,
ja durchaus jede Teilnahme zu verbergen. Neben ihr saß ein junges Ding
von Hofdame mit roten Wangen, zum Weinen und Lachen gleich aufgelegt,
der raunte sie allerlei in die Ohren, ohne daß es ihr gelang, irgend
andere Antwort zu erhalten, als einzelne Wörter, in der Angst der
höfischen Konvenienz ausgestoßen. Auch der Benzon, die an der andern
Seite saß, flüsterte sie gleichgültige Dinge zu, als höre sie gar nicht
auf das Duett, die, nach ihrer strengen Manier, bat aber die Gnädigste,
die Unterhaltung aufzusparen bis nach geendetem Duett. Jetzt aber sprach
die Prinzessin, im ganzen Gesicht glühend, mit blitzenden Augen, so
laut, daß sie die Lobsprüche der ganzen Gesellschaft übertönte. »Es wird
mir nun wohl erlaubt sein, auch meine Meinung zu sagen. Ich gebe zu, daß
das Duett als Komposition seinen Wert haben mag, daß meine Julie
vortrefflich gesungen hat, aber ist es recht, ist es billig, daß man im
gemütlichen Zirkel, wo freundliche Unterhaltung oben anstehen soll, wo
wechselseitige Anregungen Rede, Gesang, forttreiben sollen, wie einen
zwischen Blumenbeeten sanft murmelnden Bach, daß man da extravagante
Sachen auftischt, die das Innere zerschneiden, deren gewaltsamen
zerstörenden Eindruck man nicht verwinden kann? Ich habe mich bemüht,
mein Ohr, meine Brust zu verschließen dem wilden Schmerz des Orkus, den
Kreisler mit unser leicht verletzliches Inneres verhöhnender Kunst in
Tönen aufgefaßt hat, aber niemand war so gütig, sich meiner anzunehmen.
Gern will ich meine Schwäche Ihrer Ironie preisgeben, Kapellmeister,
gern will ich gestehen, daß der üble Eindruck Ihres Duetts mich ganz
krank gemacht hat. -- Gibt es denn keinen Cimarosa, keinen Paesiello,
deren Kompositionen recht für die Gesellschaft geschrieben sind?

O Gott, rief Kreisler, indem sein Gesicht in dem mannigfaltigsten
Muskelspiel vibrierte, wie es allemal zu geschehen pflegte, wenn der
Humor aufstieg in dem Innern, o Gott, gnädigste Prinzessin! -- wie ganz
bin ich ärmster Kapellmeister Ihrer gütigen gnädigen Meinung! -- Ist es
nicht gegen alle Sitte und Kleiderordnung, die Brust mit all' der
Wehmut, mit all' dem Schmerz, mit all' dem Entzücken, das darin
verschlossen, anders in die Gesellschaft zu tragen, als dick verhüllt
mit dem Fichu vortrefflicher Artigkeit und Konvenienz? Taugen denn alle
Löschanstalten, die der gute Ton überall bereitet, taugen sie wohl was,
sind sie wohl hinlänglich, um das Naphthafeuer zu dämpfen, das hie und
da hervorlodern will? Spült man noch so viel Tee, noch so viel
Zuckerwasser, noch so viel honettes Gespräch, ja noch so viel angenehmes
Dudeldumdei hinunter, doch gelingt es diesem, jenem freveligen
Mordbrenner, eine Congrevische Rakete ins Innere zu werfen, und die
Flamme leuchtet empor, leuchtet und brennt sogar, welches dem puren
Mondschein niemals geschieht! -- Ja! gnädigste Prinzessin! -- ja, ich!
-- aller Kapellmeister hienieden unseligster, ich habe schändlich
gefrevelt mit dem entsetzlichen Duett, das wie ein höllisches Feuerwerk
mit allerlei Leuchtkugeln, Schwanzraketen, Schwärmern und
Kanonenschlägen durch die ganze Gesellschaft gefahren ist, und leider
merk' ichs, fast überall gezündet hat! -- Ha! -- Feuer -- Feuer
-- Mordio! -- es brennt -- Spritzenhaus auf -- Wasser -- Wasser -- Hilfe
-- rettet!

Kreisler stürzte zu auf den Notenkasten, zog ihn hervor unter dem
Flügel, öffnete ihn -- warf die Noten umher -- riß eine Partitur heraus,
es war Paesiellos _Molinara,_ setzte sich an das Instrument, begann das
Ritornell der bekannten hübschen Ariette: _La Rachelina, Molinarina,_ mit
der die Müllerin auftritt. --

Aber lieber Kreisler! sprach Julia ganz schüchtern und erschrocken.

Doch Kreisler warf sich vor Julien nieder auf beide Knie, und flehte:
»Teuerste, holdseligste Julia! erbarmen Sie sich der hochverehrten
Gesellschaft, gießen Sie Trost in die hoffnungslosen Gemüter, singen Sie
die Rachelina! -- Tun Sie es nicht, so bleibt mir nichts übrig, als mich
hier vor Ihren sichtlichen Augen hinabzustürzen in die Verzweiflung, an
deren Rand ich mich bereits befinde, und Sie halten den verlornen Maitre
de la Chapelle vergebens am Rockschoß, denn indem Sie gutmütig rufen:
Bleibe bei uns o Johannes! so ist er schon hinabgefahren zum Acheron,
und wagt im dämonischen Shawltanz die allerzierlichsten Sprünge: darum
singen Sie Werte!«

Julia tat, wiewohl, so schien es, mit einigem Widerwillen, warum
Kreisler sie gebeten.

Sowie die Ariette geendet, begann Kreisler sofort das bekannte komische
Duett des Notars mit der Müllerin. --

Julia's Gesang, in Stimme und Methode, neigte sich ganz zum Ernsten,
Pathetischen, demungeachtet stand ihr eine Laune zu Gebote, wenn sie
komische Sachen vortrug, die die reizendste Liebenswürdigkeit selbst
war. Kreisler hatte sich den seltsamen aber unwiderstehlich hinreißenden
Vortrag der italienischen Buffi zu eigen gemacht, das ging heute aber
beinahe bis zur Übertreibung, denn indem Kreisler's Stimme nicht
dieselbe schien, da sie dem höchsten dramatischen Ausdruck in tausend
Nuancen sich fügte, so schnitt er dabei auch solche absonderliche
Gesichter, die einen Cato zum Lachen gebracht hätten.

Es konnte nicht fehlen, daß alle laut aufjauchzten, losbrachen in
schallendem Gelächter.

Kreisler küßte Julien entzückt die Hand, die sie ihm ganz unmutig
schnell wegzog. »Ach, sprach Julie, Kapellmeister, ich kann mich nun
einmal in Ihre seltsame Launen -- abenteuerliche möcht ich sie nennen,
ich kann mich nun einmal gar nicht darin finden! -- Dieser Todessprung
von einem Extrem zum andern zerschneidet mir die Brust! -- Ich bitte
Sie, lieber Kreisler, verlangen Sie nicht mehr, daß ich mit tief
bewegtem Gemüt, wenn noch die Töne der tiefsten Wehmut widerklingen in
meinem Innern, daß ich dann Komisches singe, sei es auch noch so artig
und hübsch! Ich weiß es -- ich vermag es, ich setze es durch, aber es
macht mich ganz matt und krank. -- Verlangen Sie es nicht mehr! -- nicht
wahr, Sie versprechen mir das, lieber Kreisler?«

Der Kapellmeister wollte antworten, in dem Augenblick umarmte aber die
Prinzessin Julien stärker, ausgelassener lachend, als es irgendeine
Oberhofmeisterin für schicklich halten, oder verantworten kann.

»Komm an meine Brust, rief sie, Du aller Müllerinnen holdeste,
stimmreichste, launigste! -- Du mystifizierst alle Barone, Amtsverweser,
Notare in der ganzen Welt, und wohl noch gar --« Das übrige, was sie
noch sagen wollte, ging unter in der dröhnenden Lache, die sie von neuem
aufschlug.

Und dann sich rasch zum Kapellmeister wendend: »Sie haben mich ganz mit
sich ausgesöhnt, lieber Kreisler! -- O jetzt verstehe ich Ihren
springenden Humor. -- Er ist köstlich, in der Tat köstlich! -- Nur in
dem Zwiespalt der verschiedensten Empfindungen, der feindlichsten
Gefühle -- geht das höhere Leben auf! -- Haben Sie Dank, herzlichen Dank
-- da! -- ich erlaube Ihnen, mir die Hand zu küssen!«

Kreisler faßte die ihm dargebotene Hand, und wiederum, wiewohl nicht so
heftig als zuvor, durchdröhnte ihn der Pulsschlag, so daß er einen
Moment zu zögern genötigt war, ehe er die zarten enthandschuhten Finger
an den Mund drückte, sich mit solchem Anstand verbeugend, als sei er
noch Legationsrat. Selbst wußte er nun nicht, wie es kam, daß ihm diese
physische Empfindung bei dem Berühren der fürstlichen Hand ungemein
lächerlich bedünken wollte. Am Ende, sprach er zu sich selbst, als die
Prinzessin ihn verlassen, am Ende ist die Gnädigste eine Art von Leydner
Flasche, und walkt honette Leute durch mit elektrischen Schlägen nach
fürstlichem Belieben! --

Die Prinzessin hüpfte, tänzelte im Saal umher, lachte, trällerte
dazwischen _la Rachelina molinarina,_ und herzte und küßte bald diese,
bald jene Dame, versicherte, nie in ihrem Leben sei sie froher gewesen,
und das habe sie dem wackern Kapellmeister zu verdanken. Der ernsten
Benzon war das alles im höchsten Grade zuwider, sie konnte es nicht
lassen, die Prinzessin endlich bei Seite zu ziehen, und ihr ins Ohr zu
flüstern: »Hedwiga, ich bitte Sie, welch ein Betragen!«

Ich dächte, liebe Benzon, erwiderte die Prinzessin mit funkelnden Augen:
wir ließen heute das Hofmeistern und gingen alle zu Bette! -- Ja! -- zu
Bette -- zu Bette! Und damit rief sie nach ihrem Wagen.

Schweifte die Prinzessin aus in krampfhafter Lustigkeit, so war Julia
indessen still und trübe geworden. Den Kopf auf die Hand gestützt, saß
sie am Flügel, und ihr sichtliches Verbleichen, das umflorte Auge,
bewies, daß ihr Unmut bis zum physischen Weh sich gesteigert.

Auch Kreislern war das Brillantfeuer des Humors verlöscht. Jedem
Gespräch ausweichend, tappte er mit leisen Schritten nach der Türe. Die
Benzon trat ihm in den Weg. Ich weiß nicht, sprach sie, welche
sonderbare Verstimmung heute mir -- --

=(M. f. f.)= alles so bekannt, so heimisch vor, ein süßes Aroma, selbst
wußt' ich nicht, von welchen vortrefflichen Braten, wallte in bläulichen
Wolken über die Dächer daher, und wie aus weiter -- weiter Ferne, im
Säuseln des Abendwindes, lispelten holde Stimmen: Murr mein Geliebter!
wo weiltest du so lange. --

  Was ist's, das die beengte Brust,
  Mit Wonneschauer so durchbebt,
  Den Geist zum Himmel hoch erhebt,
  Ist's Ahnung hoher Götterlust?
  Ja -- springe auf, du armes Herz,
  Ermut'ge dich zu kühnen Taten,
  Verwandelt ist in Lust und Scherz,
  Der trostlos bittre Todesschmerz,
  Die Hoffnung lebt -- ich rieche Braten!

So sang ich, und verlor mich, des entsetzlichen Feuerlärms nicht
achtend, in die angenehmsten Träume! Doch auch hier auf dem Dache
sollten mich noch die schreckhaften Erscheinungen des grotesken
Weltlebens, in das ich hineingesprungen, verfolgen. Denn ehe ich mir's
versah, stieg aus dem Rauchfange eines jener seltsamen Ungetüme empor,
die die Menschen Schornsteinfeger nennen. Kaum mich gewahrend, rief der
schwarze Schlingel: Husch Katz! und warf den Besen nach mir. Dem Wurfe
ausweichend, sprang ich über das nächste Dach hinweg, und hinunter in
die Dachrinne. Doch wer schildert mein frohes Erstaunen, ja meinen
freudigen Schreck, als ich wahrnahm, daß ich mich auf dem Hause meines
wackern Herrn befand. Behende kletterte ich von Dachluke zu Dachluke,
doch alle waren verschlossen. Ich erhob meine Stimme, jedoch umsonst,
niemand hörte mich. Indessen wirbelten die Rauchwolken von dem
brennenden Hause hoch auf, Wasserstrahlen zischten dazwischen, tausend
Stimmen schrien durcheinander, das Feuer schien bedrohlicher zu werden.
Da öffnete sich die Dachluke, und Meister Abraham schaute heraus in
seinem gelben Schlafrock. »Murr, mein guter Kater Murr, da bist du ja!
-- Komm hinein, komm hinein, kleiner Graupelz!« So rief der Meister
freudig, als er mich erblickte. Ich unterließ nicht, ihm durch alle
Zeichen, die mir zu Gebote standen, auch =meine= Freude zu erkennen zu
geben: es war ein schöner herrlicher Moment des Wiedersehens, den wir
feierten. Der Meister streichelte mich, als ich zu ihm hinein in den
Dachboden gesprungen, so, daß ich vor Wohlbehagen in jenes sanfte, süße
Knurren ausbrach, das die Menschen in höhnender Verspottung mit dem
Worte »spinnen« bezeichnen. Ha ha, sprach der Meister lachend, ha ha,
mein Junge, dir ist wohl, da du vielleicht von weiter Wanderung
zurückgekehrt bist in die Heimat, du erkennst nicht die Gefahr in der
wir schweben. -- Beinahe möchte ich wie du, ein glücklicher harmloser
Kater sein, der sich den Teufel was schert um Feuer und Spritzenmeister,
und dem kein Mobiliar verbrennen kann, da das einzige Mobile, dessen
sein unsterblicher Geist mächtig, er selbst ist.«

Damit nahm mich der Meister auf den Arm und stieg herab in sein Zimmer.

Kaum waren wir hineingetreten, als Professor Lothario uns nachstürzte,
dem noch zwei Männer folgten.

Ich bitte Euch, rief der Professor, um des Himmels Willen, Meister! Ihr
seid in der dringendsten Gefahr, das Feuer schlägt schon über Euer Dach.
-- Erlaubt, daß wir Eure Sachen wegtragen. --

Der Meister erklärte sehr trocken, daß in solcher Gefahr der jähe Eifer
der Freunde viel verderblicher sich gestalte, als die Gefahr selbst, da
das, was vor dem Feuer geborgen, gewöhnlich zum Teufel ginge, wiewohl
auf schönere Art. Er selbst habe in früherer Zeit einem Freunde, der von
Feuer bedroht, in dem wohlwollendsten Enthusiasmus, beträchtliches
chinesisches Porzellan durch's Fenster geworfen, damit es nur ja nicht
verbrenne. Wollten sie aber fein ruhig, drei Nachtmützen, ein paar graue
Röcke, und andere Kleidungsstücke, worunter eine seidne Hose vorzüglich
zu beachten, nebst einiger Wäsche in einen Koffer, Bücher und
Manuskripte in ein paar Körbe packen, seine Maschinen aber nicht mit
einem Finger anrühren, so werde es ihm lieb sein. Stehe dann das Dach in
Flammen, so wolle er samt dem Mobiliar sich von dannen machen.

»Erst aber, (so schloß er) erlaubt, daß ich meinen Hausgenossen und
Stubenkameraden, der soeben von weiten Reisen müde, ermattet,
zurückgekommen, mit Speis und Trank erquicke, nachher möget Ihr
wirtschaften!« --

Alle lachten sehr, da sie gewahrten, daß der Meister niemanden anders
gemeint, als mich.

Es schmeckte mir herrlich, und die schöne Hoffnung, die ich auf dem Dach
in sehnsuchtsvollen süßen Tönen ausgesprochen, wurde ganz erfüllt.

Als ich mich erquickt, setzte mich der Meister in einen Korb; neben mir,
es war dazu Platz, stellte er eine kleine Schüssel mit Milch hin, und
deckte den Korb sorgfältig zu.

Wart's ruhig ab, sprach der Meister, mein Kater! in dunkler Behausung,
was aus uns noch werden wird, nippe zum Zeitvertreib von deinem
Lieblingstrank, denn springst oder trottierst du hier im Zimmer umher,
so treten sie dir den Schwanz, die Beine entzwei im Tumult des Rettens.
Kommt es zur Flucht, so trage ich dich selbst mit mir fort, damit du
dich nicht wieder verläufst, wie es schon geschehen. Sie glauben nicht,
verehrteste Herren und Helfer in der Not, was der kleine graue Mann im
Korbe, was das für ein herrlicher, grundgescheuter Kater ist.
Naturhistorische Galls behaupten, daß sonst, mit den vortrefflichsten
Organen, als da sind, Mordlust, Diebssinn, Schelmerei u. s. w.,
ausgerüsteten Katern von leidlicher Edukation, doch der Ortsinn gänzlich
mangele, daß sie, einmal sich verlaufen, die Heimat nie wiederfänden,
aber mein guter Murr macht davon eine glänzende Ausnahme. Seit ein paar
Tagen vermißte ich ihn, und betrauerte recht herzlich seinen Verlust,
heut, soeben ist er zurückgekehrt, und hat, wie ich mit Recht vermuten
darf, noch dazu die Dächer benutzt, als angenehme Kunststraße. Die gute
Seele hat nicht allein Klugheit bewiesen und Verstand, sondern auch die
treueste Anhänglichkeit an seinen Herrn, weshalb ich ihn nun noch viel
mehr liebe als vorher. -- Mich erfreute des Meisters Lob ganz ungemein,
mit innerm Wohlbehagen fühlte ich meine Überlegenheit über mein ganzes
Geschlecht, über ein ganzes Heer verirrter Kater ohne Ortsinn und
wunderte mich, daß ich selbst das ganz Ungemeine meines Verstandes nicht
hinlänglich eingesehen. Zwar dacht' ich daran, daß eigentlich der junge
Ponto mich auf den rechten Weg, und der Wurf des Schornsteinfegers mich
auf das rechte Dach gebracht, indessen glaubte ich doch nicht im
mindesten an meiner Sagazität, und an der Wahrheit des Lobes, das mir
der Meister erteilte, zweifeln zu dürfen. Wie gesagt, ich fühlte meine
innere Kraft, und dies Gefühl bürgte mir für jene Wahrheit. Daß
unverdientes Lob viel mehr erfreue, und den Gelobten viel mehr aufblähe
als verdientes, wie ich einmal las, oder jemanden behaupten hörte, das
gilt wohl nur von den Menschen, gescheute Kater sind frei von solcher
Torheit, und ich glaube bestimmt, daß ich vielleicht ohne Ponto und
Schornsteinfeger den Rückweg nach Hause gefunden hätte, und daß beide
sogar nur den richtigen Ideengang im Innern verwirrten. Das bißchen
Weltklugheit, womit der junge Ponto so prahlte, wäre mir auch wohl
zugekommen auf andere Weise, wenngleich die mancherlei Begebenheiten,
die ich mit dem liebenswürdigen Pudel, mit dem _aimable roué,_ erlebte,
mir guten Stoff gaben zu den freundschaftlichen Briefen, in welche ich
meine Reisebeschreibung einkleidete. In allen Morgen- und
Abendzeitungen, in allen eleganten und freimütigen Blättern könnten
diese Briefe mit Effekt abgedruckt stehen, da mit Geist und Verstand
darin die glänzendsten Seiten meines Ich's hervorgehoben sind, was doch
jedem Leser am interessantesten sein muß. Aber ich weiß es schon, die
Herren Redakteurs und Verleger fragen: wer ist dieser Murr? und erfahren
sie dann, daß ich ein Kater bin, wiewohl der vortrefflichste auf Erden,
so sprechen sie verächtlich: ein Kater und will schreiben! -- Und hätt'
ich Lichtenbergs Humor und Hamanns Tiefe -- von beiden habe ich viel
Gutes vernommen, sie sollen für Menschen nicht übel geschrieben haben,
sind aber Todes verblichen, welches für jeden Schriftsteller und
Dichter, der leben will, eine durchaus riskante Sache ist -- und, sag'
ich noch einmal, hätt' ich Lichtenbergs Humor und Hamanns Tiefe, doch
erhielte ich das Manuskript zurück, bloß weil man mir vielleicht meiner
Krallen halber keine amüsante Schreibart zutraut. So was chagriniert!
-- O Vorurteil, himmelschreiendes Vorurteil, wie befängst du doch die
Menschen, und vorzüglich diejenigen, die da heißen Verleger!

Der Professor, und die, die mit ihm gekommen, machten nun einen
grimmigen Spektakel um mich her, der meines Bedünkens, wenigstens bei
dem Verpacken der Nachtmützen und der grauen Röcke, nicht nötig gewesen
wäre.

Auf einmal rief draußen eine hohle Stimme: das Haus brennt! »Hoho,
sprach der Meister Abraham, da muß ich auch dabei sein, bleibt nur
ruhig, Ihr Herren! wenn die Gefahr da ist, bin ich wieder hier und wir
packen an!« --

Und damit verließ er eilig das Zimmer.

Mir wurde in meinem Korbe wirklich bange. Das wilde Getöse -- der
Rauch, der nun in das Zimmer zu dringen begann, alles mehrte meine
Angst! -- Allerlei schwarze Gedanken stiegen in mir auf! -- Wie wenn der
Meister mich vergäße, wenn ich schmachvoll umkommen müßte in den
Flammen! -- Ich fühlte, die furchtbare Angst mochte es verschulden, ein
besonderes häßliches Kneifen im Leibe. -- Ha! dacht' ich, wenn im Herzen
falsch, wenn neidisch ob meiner Wissenschaft, mich los zu werden,
enthoben jeder Sorg' zu sein, nun mich der Meister noch in diesen Korb
gespunden. -- Wie wenn selbst dieser unschuldsweiße Trank -- wie, wär'
es Gift, das er mit schlauer Kunst hier zubereitet, mir den Tod zu
geben? -- Herrlicher Murr, selbst in der Todesangst denkst du in Jamben,
läss'st nicht aus der Acht, was du im Shakespeare, Schlegel einst
gelesen! -- Meister Abraham steckte den Kopf zur Türe hinein, und
sprach: die Gefahr ist vorüber, Ihr Herren! Setzt Euch nur ruhig hin an
jenen Tisch, und trinkt die paar Flaschen Wein aus, die Ihr in dem
Wandschrank gefunden, ich meinesteils begebe mich noch ein wenig auf's
Dach, und will erklecklich spritzen. -- Doch halt, erst muß ich
nachsehen, was mein guter Kater macht.

Der Meister trat vollends hinein, nahm den Deckel von dem Korbe, in dem
ich saß, sprach mir zu mit freundlichen Worten, erkundigte sich nach
meinem Wohlbefinden, fragte, ob ich vielleicht noch einen gebratenen
Vogel verspeisen wolle, welches alles ich mit mehrmaligem süßen Miau
erwiderte, und mich recht bequem ausstreckte, welches mein Meister mit
Recht für das beredte Zeichen nahm, daß ich satt sei, noch im Korbe zu
bleiben wünsche, und stülpte den Deckel wieder auf.

Wie wurde ich nun von der guten, freundlichen Gesinnung überzeugt, die
Meister Abraham für mich hegte. Ich hätte mich meines schnöden
Mißtrauens schämen müssen, wenn es überhaupt für einen Mann von
Verstande schicklich wäre, sich zu schämen. Am Ende, dacht' ich, war
auch die fürchterliche Angst, das ganze, Unheil ahnende Mißtrauen weiter
nichts, als poetische Schwärmerei, wie sie jungen, genialen Enthusiasten
eigen, die dergleichen oft förmlich brauchen, als berauschendes Opium.
Das beruhigte mich ganz und gar.

Kaum hatte der Meister die Stube verlassen, als der Professor, ich
konnt' es durch eine kleine Fitze des Korbes bemerken, sich mit
mißtrauischen Blicken nach dem Korbe umschaute, und dann den andern
zuwinkte, als habe er ihnen irgend Wichtiges zu entdecken. Dann sprach
er mit so leiser Stimme, daß ich kein Wörtlein verstanden, hätte der
Himmel nicht in meine spitzen Ohren mir unglaublich scharfes Gehör
gelegt. Wißt ihr wohl, wozu ich eben jetzt Lust hätte? -- Wißt ihr wohl,
daß ich hingehen zu jenem Korbe, ihn öffnen, und dem verfluchten Kater,
der drinnen sitzt, und der uns jetzt vielleicht alle mit seinem
übermütigen Selbstgenugsein verhöhnt, dies spitze Messer in die Kehle
stoßen möchte?

Was fällt Euch ein, Lothario, rief ein anderer, den hübschen Kater, den
Liebling unseres wackeren Meisters wolltet Ihr umbringen? -- Und warum
sprecht Ihr denn so leise?

Der Professor ebenso mit gedämpfter Stimme wie vorher weiter sprechend,
erklärte, daß ich alles verstehe, daß ich lesen und schreiben könne, daß
mir Meister Abraham auf eine, freilich geheimnisvolle, unerklärliche
Weise, die Wissenschaften beigebracht, so daß ich schon jetzt, wie ihm
der Pudel Ponto verraten, schriftstellere und dichte, und daß das alles
dem schelmischen Meister zu nichts anderem dienen werde, als zur
Verspottung der vortrefflichsten Gelehrten und Dichter.

O, sprach Lothario mit unterdrückter Wut, ich seh' es kommen, daß
Meister Abraham, der ohnedem das Vertrauen des Großherzogs in vollem
Maße besitzt, daß er mit dem unglückseligen Kater alles durchsetzt, was
er nur will. Die Bestie wird _Magister legens_ werden, die Doktorwürde
erhalten, zuletzt als Professor der Ästhetik Kollegia lesen über den
Äschylos -- Corneille -- Shakespeare! -- ich komme von Sinnen! -- der
Kater wird in meinen Eingeweiden wühlen, und hat ganz infame Krallen! --

Alle gerieten bei diesen Reden Lotharios, des Professors der Ästhetik,
in das tiefste Erstaunen. Einer meinte, es sei ganz unmöglich, daß ein
Kater lesen und schreiben lernen könne, da diese Elemente aller
Wissenschaft nächst der Geschicklichkeit, der nur der Mensch fähig, eine
gewisse Überlegung, man möchte sagen, Verstand, erforderten, der sogar
nicht allemal bei dem Menschen, dem Meisterstück der Schöpfung,
anzutreffen, viel weniger bei gemeinem Vieh!

Bester, nahm ein anderer, wie mir's in meinem Korbe schien, sehr
ernsthafter Mann, das Wort, was nennen Sie gemeines Vieh? -- Es gibt gar
kein gemeines Vieh. Oft in stille Selbstbetrachtung versunken, empfinde
ich den tiefsten Respekt vor Eseln und andern nützlichen Tieren. Ich
begreife nicht, warum einer angenehmen Hausbestie von glücklichen,
natürlichen Anlagen nicht sollte das Lesen und Schreiben beigebracht
werden, ja warum sich ein solches Tierlein nicht sollte erheben können
zum Gelehrten und Dichter? -- Ist denn das so etwas Beispielloses? -- An
Tausend und Eine Nacht, als der besten, historischen Quelle voll
pragmatischer Authentizität, mag ich gar nicht denken, sondern Sie, mein
allerliebster! nur an den gestiefelten Kater erinnern, einen Kater, der
voll Edelmut, durchdringendem Verstand war, und tiefer Wissenschaft.

Vor Freude über dieses Lob eines Katers, der, wie mir eine deutliche
Stimme im Innern sagte, mein würdiger Ahnherr sein mußte, konnt' ich
mich nicht enthalten, zwei-, dreimal ziemlich stark zu niesen. -- Der
Redner hielt inne, und alle schauten sich ganz verschüchtert um nach
meinem Korbe.

_Contentement mon cher,_ rief endlich der ernsthafte Mann, der eben
gesprochen, und fuhr dann weiter fort: Irre ich nicht, so erwähnten Sie,
teurer Ästhetiker, vorhin eines Pudels Ponto, der Ihnen des Katers
dichterisches und wissenschaftliches Treiben verraten. Dies bringt mich
denn auf Cervantes höchst vorzüglichen Berganza, von dessen neuesten
Schicksalen in einem gewissen neuen höchst abenteuerlichen Buche
Nachricht gegeben wird. Auch dieser Hund gibt ein entscheidendes
Beispiel über das Naturell und über die Bildungsfähigkeit der Tiere.

Aber, nahm der andere das Wort, mein teurer, liebster Freund, welche
Beispiele führen Sie denn da an? Von dem Hunde Berganza spricht ja
Cervantes, der bekanntlich ein Romanschreiber war, und die Geschichte
vom gestiefelten Kater ist ja ein Kindermärchen, welches Herr Tieck
freilich mit solcher Lebendigkeit uns vor Augen gebracht hat, daß man
beinahe die Torheit begehen könnte, wirklich daran zu glauben. Also zwei
Dichter allegieren Sie, als wären es ernste Naturhistoriker und
Psychologen, nun sind aber Dichter nichts weniger als das, sondern
ausgemachte Phantasten, die lauter eingebildetes Zeug ausbrüten und
vorbringen. Sagen Sie, wie mag denn aber ein verständiger Mann, wie Sie
sich auf Dichter berufen, um das zu bewahrheiten, was wider Sinn und
Verstand läuft? Lothario ist Professor der Ästhetik, und es ist billig,
daß er als solcher bisweilen etwas weniges über die Schnur haue, aber
Sie --

Halt, sprach der Ernste, mein Liebster, ereifern Sie sich nicht.
Bedenken Sie fein, daß wenn vom Wunderbaren, Unglaublichen die Rede, man
füglich Dichter allegieren darf, denn simple Historiker verstehen den
Teufel was davon. Ja, wenn das Wunderbare in Schick und Form gebracht,
und als reine Wissenschaft vorgetragen werden soll, wird der Beweis
irgendeines Erfahrungssatzes am besten aus berühmten Dichtern entnommen,
auf deren Wort man bauen darf. Ich führe Ihnen, und damit werden Sie,
selbst ein gelehrter Arzt, zufrieden sein -- ja! sage ich, ich führe
Ihnen das Beispiel eines berühmten Arztes an, der in seiner
wissenschaftlichen Darstellung des animalischen Magnetismus um unsern
Rapport mit dem Weltgeiste, um das Dasein eines wunderbaren
Ahnungsvermögens unleugbar ins Licht zu stellen, sich auf Schiller und
dessen Wallenstein bezieht, welcher sagt: »Es gibt im Menschenleben
Augenblicke und dergleichen Stimmen gibts -- es ist kein Zweifel« -- und
wie es denn weiter heißt. Sie können das Weitere selbst nachlesen, in
der Tragödie. -- Ho ho! erwiderte der Doktor, Sie springen ab -- Sie
geraten in den Magnetismus, und sind imstande, zuletzt zu behaupten,
daß, nächst allen Wundern, die dem Magnetiseur zu Gebote stehen, er auch
den Schulmeister für empfängliche Kater abgeben könnte. --

Nun, sprach der Ernste, wer weiß, wie der Magnetismus auf Tiere wirkt.
Kater, die schon das elektrische Fluidum in sich tragen, wie Sie sich
gleich überzeugen können --

Plötzlich an Mina denkend, die über dergleichen Versuche, die mit ihr
angestellt worden, so bitter klagte, erschrak ich so heftig, daß ich ein
lautes Miau ausstieß!

Bei dem Orkus und all' seinem Entsetzen, rief der Professor erschrocken,
der höllische Kater hört uns, versteht uns -- Herz gefaßt! -- mit diesen
Händen erwürg' ich ihn. --

Ihr seid nicht klug, sprach der Ernste, Ihr seid wahrhaftig nicht klug,
Professor. Nimmermehr leide ich, daß Ihr dem Kater, den ich schon jetzt
herzlich lieb gewonnen, ohne das Glück seiner nähern Bekanntschaft zu
genießen, daß Ihr ihm nur das geringste Leid zufügt. Am Ende muß ich
glauben, daß Ihr eifersüchtig seid auf ihn, weil er Verse macht?
Professor der Ästhetik kann ja der kleine graue Mann niemals werden,
darüber beruhigen Sie sich nur ganz. Steht es denn nicht deutlich in den
uralten akademischen Statuten, daß, überhand genommenen Mißbrauchs
halber, keine Esel mehr zur Professur gelangen sollen, und ist diese
Verordnung nicht auch auf Tiere auszudehnen von jeder Art und Gattung,
mithin auch auf Kater?

Mag es sein, sprach der Professor unmutig, daß der Kater niemals weder
_Magister legens_, noch Professor der Ästhetik, werden wird, als
Schriftsteller tritt er doch auf über kurz oder lang, findet der Neuheit
wegen Verleger und Leser, schnappt uns gute Honorare weg --

Ich finde, erwiderte der Ernste, durchaus keine Ursache, warum dem guten
Kater, dem aimablen Liebling unsers Meisters, es verwehrt sein solle,
eine Bahn zu betreten, auf der sich so viele ohne Rücksicht auf Kraft
und Haltung umhertummeln. Die einzige Maßregel, die dabei zu beobachten,
wäre, daß man ihn nötigte, sich die spitzen Krallen verschneiden zu
lassen, und das wäre vielleicht das einzige, was wir jetzt gleich tun
könnten, um sicher zu sein, daß er uns nie verwunde, wenn er ein Autor
worden.

Alle standen auf. Der Ästhetiker griff nach der Schere. Man kann sich
meine Lage denken, ich beschloß, mit Löwenmut anzukämpfen gegen die
Verunglimpfung, die man mir zugedacht; den ersten, der sich mir nahen
würde, zu zeichnen auf ewige Zeiten, ich rüstete mich zum Sprunge, sowie
der Korb geöffnet werden würde.

In dem Augenblick trat Meister Abraham hinein, und vorüber war meine
Angst, die sich schon steigern wollte zur Verzweiflung. Er öffnete den
Korb, und noch ganz außer mir, sprang ich mit einem Satz hinaus, und
schoß dem Meister wild vorbei, unter den Ofen.

Was ist dem Tiere widerfahren, rief der Meister, die andern mißtrauisch
anblickend, welche da standen ganz verlegen und, vom bösen Gewissen
geplagt, gar nicht zu antworten vermochten.

So bedrohlich auch meine Lage im Gefängnis war, doch empfand ich inniges
Wohlbehagen darüber, was der Professor von meiner mutmaßlichen Laufbahn
sagte, sowie sein deutlich ausgesprochener Neid mich höchlich erfreute.
Ich fühlte schon das Doktorhütlein auf meiner Stirne, ich sah mich schon
auf dem Katheder! -- Sollten meine Vorlesungen denn nicht am häufigsten
besucht werden von der wißbegierigen Jugend? -- Sollte wohl ein einziger
Jüngling, von milden Sitten, es übel deuten können, wenn der Professor
bäte, keine Hunde ins Kollegium zu bringen? -- Nicht alle Pudel hegen
solch freundlichen Sinn, wie mein Ponto, und dem Jägervolk mit langen
hängenden Ohren ist nun vollends gar nicht zu trauen, da sie überall mit
den gebildetsten Leuten meines Geschlechts unnütze Händel anfangen und
sie mit Gewalt nötigen, zu den unartigsten Äußerungen des Zorns, als da
ist Prusten -- Kratzen -- Beißen usw. usw.

Wie höchst fatal müßt' es --

=(Mak. Bl.)= -- nur der kleinen rotwangigen Hofdame gelten, die Kreisler
bei der Benzon gesehen. Tun Sie mir, sprach die Prinzessin, den
Gefallen, Nannette, gehen Sie selbst herab, und sorgen Sie, daß man die
Nelkenstöcke in meinen Pavillon trage, die Leute sind saumselig genug,
um nichts auszurichten. -- Das Fräulein sprang auf, verbeugte sich sehr
zeremoniös, flog dann aber schnell zum Zimmer heraus, wie ein Vogel, dem
man den Käfig geöffnet.

Ich kann, wandte sich die Prinzessin zum Kreisler, nun einmal nichts
herausbringen, wenn ich nicht mit dem Lehrer allein bin! der den
Beichtvater vorstellt, dem man ohne Scheu alle Sünden vertrauen kann.
Überhaupt werden Sie, lieber Kreisler, die steife Etikette bei uns
seltsam, werden es lästig finden, daß ich überall von Hofdamen umgeben,
gehütet werde wie die Königin von Spanien. -- Wenigstens sollte man hier
in dem schönen Sieghartshof mehr Freiheit genießen. Wäre der Fürst im
Schlosse, ich hätte Nannette nicht fortschicken dürfen, die sich selbst
bei unseren musikalischen Studien ebensosehr langeweilt, als sie mich
geniert. -- Fangen wir noch einmal an, jetzt wird es besser gehen.
-- Kreisler, bei dem Unterricht die Geduld selbst, begann das
Gesangstück, welches die Prinzessin einzustudieren unternommen, von
neuem, aber so sichtlich Hedwiga sich auch mühte, so viel Kreisler auch
einhelfen mochte, sie verirrte sich in Takt und Ton, sie machte Fehler
über Fehler, bis sie glutrot im ganzen Gesicht aufsprang, an das Fenster
lief, und hinausschaute in den Park. Kreisler glaubte zu bemerken, daß
die Prinzessin heftig weine, und fand seinen ersten Unterricht, den
ganzen Auftritt, etwas peinlich. Was konnte er Bessers tun, als
versuchen, ob der feindliche, unmusikalische Geist, der die Prinzessin
zu verstören schiene, sich nicht bannen lasse eben durch Musik. Er ließ
daher allerlei angenehme Melodien fortströmen, variierte die
bekanntesten Lieblingslieder in kontrapunktischen Wendungen und
melismatischen Schnörkeln, so daß er zuletzt sich selbst darüber
wunderte, wie er so charmant den Flügel zu spielen verstehe, und die
Prinzessin vergaß, samt ihrer Arie, und ihrer rücksichtslosen Ungeduld.

»Wie herrlich doch der Geierstein in der leuchtenden Abendsonne steht«,
sprach die Prinzessin, ohne sich umzuwenden.

Kreisler war eben in einer Dissonanz begriffen, natürlicherweise mußte
er diese auflösen, und konnte daher nicht mit der Prinzessin den
Geierstein und die Abendsonne bewundern. »Gibt's wohl einen reizendern
Aufenthalt weit und breit, als unser Sieghartshof?« sprach Hedwiga
lauter und stärker als vorher. -- Nun mußte Kreisler wohl, nachdem er
einen tüchtigen Schlußakkord angeschlagen, zu der Prinzessin an das
Fenster treten, der Aufforderung zum Gespräch höflich genügend.

In der Tat, gnädigste Prinzessin, sprach der Kapellmeister, der Park ist
herrlich, und ganz besonders ist es mir lieb, daß sämtliche Bäume grünes
Laub tragen, welches ich überhaupt an allen Bäumen, Sträuchern und
Gräsern sehr bewundere und verehre, und jeden Frühling dem Allmächtigen
danke, daß es wieder grün worden und nicht rot, welches in jeder
Landschaft zu tadeln, und bei den besten Landschaften, wie z. B. Claude
Lorrain oder Berghem, ja selbst bei Hackert, der bloß seine Wiesengründe
was weniges pudert, nirgends zu finden.

Kreisler wollte weiter reden, als er aber in dem kleinen Spiegel, der
zur Seite des Fensters angebracht, der Prinzessin totbleiches, seltsam
verstörtes Antlitz erblickte, verstummte er vor dem Schauer, der sein
Inneres durcheiste.

Die Prinzessin unterbrach endlich das Schweigen, indem sie, ohne sich
umzuwenden, immerfort hinausschauend, mit dem rührenden Ton der tiefsten
Wehmut sprach: Kreisler, das Schicksal will es nun einmal, daß ich Ihnen
überall wie von seltsamen Einbildungen geplagt -- aufgeregt, ich möchte
sagen, albern, erscheine, daß ich Ihnen Stoff darbieten soll, Ihren
schneidenden Humor an mir zu üben. Es ist Zeit, Ihnen zu erklären, daß,
und warum Sie es sind, dessen Anblick mich in einen Zustand versetzt,
der dem nervenerschütternden Anfall eines heftigen Fiebers zu
vergleichen. Erfahren Sie alles! Ein offnes Geständnis wird meine Brust
erleichtern, und nur die Möglichkeit verschaffen, Ihren Anblick, Ihre
Gegenwart zu ertragen. -- Als ich Sie zum erstenmale dort im Park
antraf, da erfüllten Sie, da erfüllte Ihr ganzes Betragen, mich mit dem
tiefsten Entsetzen, selbst wußte ich nicht warum! -- aber es war eine
Erinnerung aus meinen frühsten Kinderjahren, die plötzlich mit all'
ihrem Schrecken in mir aufstieg, und die sich erst später in einem
seltsamen Traume deutlich gestaltete. An unserm Hofe befand sich ein
Maler, Ettlinger geheißen, den Fürst und Fürstin sehr hoch hielten, da
sein Talent wunderbar zu nennen. Sie finden auf der Galerie
vortreffliche Gemälde von seiner Hand, auf allen erblicken Sie die
Fürstin, in dieser, jener Gestalt, in der historischen Gruppe
angebracht. Das schönste Gemälde, daß die höchste Bewunderung aller
Kenner erregt, hängt aber in dem Kabinet des Fürsten. Es ist das Porträt
der Fürstin, die er, als sie in der höchsten Blüte der Jugend stand,
ohne daß sie ihm jemals gesessen, so ähnlich malte, als habe er das Bild
aus dem Spiegel gestohlen. Leonhard, so wurde der Maler mit seinem
Vornamen am Hofe genannt, muß ein milder guter Mensch gewesen sein. Alle
Liebe, deren meine kindische Brust fähig, ich mochte kaum drei Jahre alt
sein, hatte ich ihm zugewandt, ich wollte, er sollte mich nie verlassen.
Aber unermüdlich spielte er auch mit mir, malte mir kleine bunte Bilder,
schnitt mir allerlei Figuren aus. Plötzlich, es mochte ein Jahr
vergangen sein, blieb er aus. Die Frau, der meine erste Erziehung
anvertraut, sagte mir mit Tränen in den Augen, Herr Leonhard sei
gestorben. Ich war untröstlich, ich mochte nicht mehr in dem Zimmer
bleiben, wo Leonhard mit mir gespielt. So wie ich nur konnte,
entschlüpfte ich meiner Erzieherin, den Kammerfrauen, lief im Schlosse
umher, rief laut den Namen: Leonhard! Denn immer glaubt' ich, es sei
nicht wahr, daß er gestorben, und er sei irgendwo im Schlosse versteckt.
So begab es sich, daß ich auch an einem Abend, als die Erzieherin sich
nur auf einen Augenblick entfernt, mich aus dem Zimmer schlich, um die
Fürstin aufzusuchen. Die sollte mir sagen, wo Herr Leonhard sei, und mir
ihn wiederschaffen. Die Türen des Korridors standen offen, und so
gelangte ich wirklich zur Haupttreppe, die ich hinauflief, und oben, auf
gut Glück, in das erste geöffnete Zimmer trat. Als ich mich nun
umschaute, wurde die Türe, die, wie ich meinte, in die Gemächer der
Fürstin führen mußte, und an die ich zu pochen im Begriff stand, heftig
aufgestoßen, und hinein stürzte ein Mensch in zerrissenen Kleidern, mit
verwildertem Haar. Es war Leonhard, der mich mit fürchterlich funkelnden
Augen anstarrte. Totenbleich, eingefallen, kaum wiederzuerkennen, war
sein Antlitz. Ach, Herr Leonhard, rief ich, wie siehst Du aus, warum
bist Du so blaß, warum hast Du solche glühende Augen, warum starrst Du
mich so an? -- Ich fürchte mich vor Dir! -- O sei doch gut, wie sonst
-- male mir wieder hübsche bunte Bilder!« -- da sprang Leonhard mit einem
wilden wiehernden Gelächter auf mich los, -- eine Kette, die um den Leib
befestigt schien, klirrte ihm nach -- kauerte nieder auf den Boden,
sprach mit heiserer Stimme: »Ha ha, kleine Prinzeß, -- bunte Bilder?
-- ja nun kann ich erst recht malen, malen -- nun will ich Dir ein Bild
malen und Deine schöne Mutter! nicht wahr, Du hast eine schöne Mutter?
-- Aber bitte sie, daß sie mich nicht wieder verwandelt -- ich will
nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein -- der ist längst
gestorben. Ich bin der rote Geier und kann malen, wenn ich
Farbenstrahlen gespeist! -- ja malen kann ich, wenn ich heißes Herzblut
habe zum Firnis -- und Dein Herzblut brauche ich, kleine Prinzeß!« -- Und
damit faßte er mich, riß mich an sich, entblößte mir den Hals, mir
war's, als sähe ich ein kleines Messer in seiner Hand blinken. Auf das
durchdringende Angstgeschrei, das ich ausstieß, stürzten Diener hinein,
und warfen sich her über den Wahnsinnigen. Der schlug sie aber mit
Riesenkraft zu Boden. In demselben Augenblick polterte und klirrte es
aber die Treppe herauf, ein großer, starker Mann sprang hinein mit dem
lauten Ausruf: »Jesus, er ist mir entsprungen! Jesus, das Unglück!
-- Warte, warte, Höllenkerl!« -- Sowie der Wahnsinnige diesen Mann
gewahrte, schienen ihn plötzlich alle Kräfte zu verlassen, heulend
stürzte er zu Boden. Man legte ihm die Ketten an, die der Mann
mitgebracht, man führte ihn fort, indem er entsetzliche Töne ausstieß,
wie ein gefesseltes, wildes Tier.

Sie mögen sich es denken, mit welcher verstörenden Gewalt dieser
entsetzliche Auftritt das vierjährige Kind erfassen mußte. Man versuchte
mich zu trösten, mir begreiflich zu machen, was wahnsinnig sei. Ohne
dies ganz zu verstehen, ging doch ein tiefes, namenloses Grausen durch
mein Inneres, das noch jetzt wiederkehrt, wenn ich einen Wahnsinnigen
erblicke, ja wenn ich nur an den fürchterlichen Zustand denke, der einer
fortgesetzten ununterbrochenen Todesqual zu vergleichen. -- Jenem
Unglücklichen sehen Sie ähnlich, Kreisler, als wären Sie sein Bruder.
Vorzüglich erinnert mich Ihr Blick, den ich oft seltsam nennen möchte,
nur zu lebhaft an Leonhard, und dies ist es, was mich, als ich Sie zum
erstenmal erblickte, außer Fassung brachte, was mich noch jetzt in Ihrer
Gegenwart beunruhigt, beängstigt! -- --

Kreisler stand da, tief erschüttert, keines Wortes mächtig. Von je her
hatte er die fixe Idee, daß der Wahnsinn auf ihn lauere, wie ein nach
Beute lechzendes Raubtier, und ihn einmal plötzlich zerfleischen werde;
er erbebte nun in demselben Grausen, das die Prinzessin bei seinem
Anblick erfaßt, vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken,
daß er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr die Prinzessin fort: Der
unglückliche Leonhard liebte insgeheim meine Mutter, und diese Liebe,
schon selbst Wahnsinn, brach zuletzt aus in Wut und Raserei.

So, sprach Kreisler sehr weich und mild wie er pflegte, wenn ein Sturm
im Innern vorübergegangen, so war in Leonhards Brust nicht die Liebe des
Künstlers aufgegangen.

Was wollen Sie damit sagen, Kreisler, fragte die Prinzessin, indem sie
sich rasch umwandte.

Als ich, erwiderte Kreisler sanft lächelnd, einst in einem hinlänglich
toll lustigen Schauspiel einen Witzbold von Diener die Spielleute mit
der süßen Anrede beehren hörte: »Ihr guten Leute und schlechten
Musikanten«, teilte ich, wie der Weltenrichter, flugs alles Menschenvolk
in zwei verschiedene Haufen, einer davon bestand aber aus den guten
Leuten, die schlechte, oder vielmehr gar keine Musikanten sind, der
andere aber aus den eigentlichen Musikanten. Doch niemand sollte
verdammt, sondern alle sollten selig werden, wiewohl auf verschiedene
Weise. -- Die guten Leute verlieben sich leichtlich in ein paar schöne
Augen, strecken beide Arme aus nach der angenehmen Person, aus deren
Antlitz besagte Augen strahlen, schließen die Holde ein in Kreise, die,
immer enger und enger werdend, zuletzt zusammenschrumpfen zum Trauring,
den sie der Geliebten an den Finger stecken als _pars pro toto_ -- Sie
verstehen einiges Latein, gnädigste Prinzeß -- als _pars pro toto_ sag'
ich, als Glied der Kette, an der sie die in Liebeshaft Genommene
heimführen in das Ehestandsgefängnis. Dabei schreien Sie denn ungemein:
O Gott! -- oder o Himmel! oder, sind sie der Astronomie ergeben, o ihr
Sterne! oder haben sie Inklination zum Heidentum, o all' ihr Götter! sie
ist mein, die Schönste, all' mein sehnend Hoffen erfüllt! -- Also
lärmend, gedenken die guten Leute es nachzumachen den Musikanten, jedoch
vergebens, da es mit der Liebe dieser durchaus sich anders verhält. -- Es
begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich
den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf
Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis,
schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem
Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen
zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren aus dem
Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der
Geist aus in brünstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und
hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt! --
Und =sie, sie= selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete
Ahnung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet als Gesang -- Bild --
Gedicht! -- Ach, Gnädigste, glauben Sie mir, sein Sie überzeugt, daß
wahre Musikanten, die mit ihren leiblichen Armen und den daran
gewachsenen Händen nichts tun, als passabel musizieren, sei es nun mit
der Feder, mit dem Pinsel oder sonst, in der Tat nach der wahrhaften
Geliebten nichts ausstrecken, als geistige Fühlhörner, an denen weder
Hand noch Finger befindlich, die mit konvenabler Zierlichkeit einen
Trauring erfassen und anstecken könnten an den kleinen Finger der
Angebeteten; schnöde Mesalliancen sind daher durchaus nicht zu
befürchten, und scheint ziemlich gleichgültig, ob die Geliebte, die in
dem Innern des Künstlers lebt, eine Fürstin ist oder eine
Bäckerstochter, insofern letztere nur keine Eule. Besagte Musikanten
schaffen, sind sie in Liebe gekommen, mit der Begeisterung des Himmels,
herrliche Werke und sterben weder elendiglich dahin an der Schwindsucht,
noch werden sie wahnsinnig. Sehr verdenke ich es daher dem Herrn
Leonhard Ettlinger, daß er in einige Raserei verfiel, er hätte, nach der
Art echter Musikanten, die durchlauchtige Frau Fürstin ohne allen
Nachteil lieben können, wie er nur wollte!

Die humoristischen Töne, die der Kapellmeister anschlug, gingen bei dem
Ohr der Prinzessin vorüber, unvernommen oder übertönt von dem Nachhall
der Saite, die er berührt, und die, in der weiblichen Brust schärfer
gespannt, stärker vibrieren mußte als alle übrigen.

»Die Liebe des Künstlers, sprach sie, indem sie niedersank in den
Lehnstuhl und wie im Nachsinnen den Kopf auf die Hand stützte, die Liebe
des Künstlers! -- so geliebt zu werden! -- o es ist ein schöner
herrlicher Traum des Himmels -- nur ein Traum, ein leerer Traum.« --

Sie scheinen, nahm Kreisler das Wort, Gnädigste, für Träume eben nicht
sehr portiert, und doch sind es lediglich die Träume, in denen uns recht
die Schmetterlingsflügel wachsen, so daß wir dem engsten, festesten
Kerker zu entfliehen, uns bunt und glänzend in die hohen, in die
höchsten Lüfte zu erheben vermögen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen
angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt,
die am späten Abend sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas,
füllten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen
zu können. --

Sich so geliebt zu wissen, wiederholte die Prinzessin noch bewegter als
vorher.

Und, sprach, als die Prinzessin schwieg, Kreisler weiter, was die Liebe
des Künstlers betrifft, wie ich sie zu schildern mich bemüht, so haben
Sie, Gnädigste! freilich das böse Beispiel des Herrn Leonhard Ettlinger
vor Augen, der Musikant war, und lieben wollte wie die guten Leute,
worüber sein schöner Verstand freilich etwas wacklicht werden konnte,
aber eben deshalb mein ich, war Herrn Leonhard kein echter Musikant.
Diese tragen die erkorne Dame im Herzen und wollen nichts als ihr zu
Ehren singen, dichten, malen, und sind in der vorzüglichsten Courtoisie
den galanten Rittern zu vergleichen, ja was unschuldsvolle Gesinnung
betrifft, ihnen vorzuziehen, da sie nicht verfahren wie sonst diese, die
blutdürstiger Weise, waren nicht gleich Riesen, Drachen bei der Hand,
die schätzbarsten Leute niederstreckten in den Staub, um der Herzensdame
zu huldigen! --

Nein, rief die Prinzessin, wie erwachend aus einem Traum, es ist
unmöglich, daß in der Brust des Mannes ein solch reines Vestas Feuer
sich entzünden sollte! -- Was ist die Liebe des Mannes anders, als die
verräterische Waffe, die er gebraucht, einen Sieg zu feiern, der das
Weib verdirbt, ohne ihn zu beglücken.

Kreisler wollte sich eben über solche absonderlichen Gesinnungen einer
siebzehn-, achtzehnjährigen Prinzessin höchlich verwundern, als die
Türe aufging, und Prinz Ignatius hineintrat.

Der Kapellmeister war froh, ein Gespräch zu enden, das er sehr gut mit
einem wohleingerichteten Duett verglich, in dem jede Stimme ihrem
eigentümlichen Charakter getreu bleiben muß. Während die Prinzessin, so
behauptete er, im wehmütigen Adagio beharrt, und nur hie und da einen
Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzüglicher
Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten
parlando dazwischengefahren, so daß er, da das Ganze ein wahres
Meisterstück der Komposition und der Ausführung zu nennen, nichts weiter
gewünscht, als der Prinzessin und sich selbst zuhören zu können aus
irgendeiner Loge oder einem schicklichen Sperrsitz.

Also Prinz Ignatius trat hinein mit einer zerbrochenen Tasse in der
Hand, schluchzend und weinend.

Es ist nötig, zu sagen, daß der Prinz, unerachtet hoch in die zwanzig,
doch sich noch immer nicht von den Lieblingsspielen der Kinderjahre
trennen konnte. Ganz vorzüglich liebte er schöne Tassen, mit denen er
stundenlang in der Art spielen konnte, daß er sie in Reihen vor sich
hinstellte auf den Tisch, und diese Reihen immer anders und anders
ordnete, so daß bald die gelbe Tasse neben der roten, dann die grüne bei
der roten usw. stehen mußte. Dabei freute er sich so innig, so herzlich,
wie ein frohes zufriedenes Kind.

Das Unglück, worüber er jetzt lamentierte, bestand darin, daß ihm der
kleine Mops unversehens auf den Tisch gesprungen war, und die schönste
der Tassen herabgeworfen hatte.

Die Prinzessin versprach, dafür zu sorgen, daß er eine Mundtasse im
neuesten Geschmack aus Paris erhalten solle. Da gab er sich zufrieden,
und lächelte mit dem ganzen Gesicht. Jetzt erst schien er den
Kapellmeister zu bemerken. Er wandte sich zu ihm mit der Frage, ob er
auch viele schöne Tassen besitze. Kreisler wußte schon, von Meister
Abraham hatte er es erfahren, was man darauf zu antworten. Er
versicherte nämlich, daß er keineswegs solche schöne Tassen besitze, wie
der gnädigste Herr, und daß es ihm auch ganz unmöglich sei, so viel Geld
darauf zu verwenden, als der gnädige Herr es tue.

Sehn Sie wohl, erwiderte Ignaz sehr vergnügt, ich bin ein Prinz und
kann deshalb schöne Tassen haben, wie ich nur mag, aber das können Sie
nicht, weil Sie kein Prinz sind, denn weil ich nun einmal ganz gewiß ein
Prinz bin, so sind schöne Tassen --. Tassen und Prinzen, und Prinzen und
Tassen gingen nun durcheinander in immer mehr verwirrter Rede, und dabei
lachte und hüpfte Ignatius und klopfte in die Hände vor seligem
Vergnügen! -- Hedwiga schlug errötend die Augen nieder, sie schämte sich
des imbezillen Bruders, sie fürchtete mit Unrecht Kreisler's Spott, dem
nach seiner innersten Gemütsstimmung, des Prinzen Albernheit, als ein
Zustand des wirklichen Wahnsinnes, nur ein Mitleid erregte, das eben
nicht wohltun konnte, vielmehr die Spannung des Augenblicks vermehren
mußte. Um den armen nur abzubringen von den unseligen Tassen, bat die
Prinzessin ihn, die kleine Handbibliothek in Ordnung zu bringen, die in
einem zierlichen Wandschrank aufgestellt war. Ganz vergnügt, unter
fröhlichem Gelächter, begann der Prinz sogleich die sauber gebundenen
Bücher herauszunehmen, und sie, nach dem Format sorglich ordnend, so
hinzustellen, daß die goldnen Schnitte nach außen stehend eine blanke
Reihe formten, worüber er sich über alle Maßen freute.

Fräulein Nannette stürzte hinein, und rief laut: der Fürst, der Fürst
mit dem Prinzen! -- O mein Gott, sprach die Prinzessin, meine Toilette,
in der Tat, Kreisler, wir haben die Stunden verplaudert, ohne daran zu
denken. -- Ich habe mich ganz vergessen! Mich und den Fürsten und den
Prinzen. Sie verschwand mit Nannetten in das Nebengemach. Prinz Ignaz
ließ sich in seinem Geschäft gar nicht stören.

Schon rollte der Staatswagen des Fürsten heran; als Kreisler sich unten
an der Haupttreppe befand, stiegen eben die beiden Laufer in
Staatslivree aus der Wurst. -- Das muß näher erklärt werden.

Fürst Irenäus ließ nicht ab von dem alten Brauch; und so hatte er zur
selben Zeit, als kein schnellfüßiger Hanswurst in bunter Jacke vor den
Pferden herzulaufen genötigt, wie ein gehetztes Tier, in der zahlreichen
Dienerschaft von allen Waffen auch noch zwei Laufer, artige hübsche
Leute von gesetzten Jahren, wohlgefüttert, und nur zuweilen von
Unterleibsbeschwerden geplagt, wegen der sitzenden Lebensweise. Viel zu
menschenfreundlich war nämlich der Fürst gesinnt, um irgendeinem Diener
zuzumuten, daß er sich zu Zeiten umsetzte in ein Windspiel, oder einen
andern vergnügten Köter, um indessen doch die gehörige Etikette im
Ansehen zu erhalten, mußten die beiden Laufer, fuhr der Fürst in Gala
aus, vorauffahren auf einer passablen Wurst, und an schicklichen
Stellen, wo z. B. einige Gaffer sich versammelt, etwas die Beine rühren
als Andeutung des wirklichen Laufs. -- Es war hübsch anzusehen. --

Also, -- die Laufer waren eben ausgestiegen, die Kammerherrn traten ins
Portal, und ihnen folgte Fürst Irenäus, an dessen Seite ein junger Mann
von stattlichem Ansehen daherschritt, in reicher Uniform der
neapolitanischen Garde, Sterne und Kreuze auf der Brust. -- _»Je vous
salue Monsieur de Krösel«_ sprach der Fürst, als er Kreisler erblickte.
-- _Krösel_ pflegte er zu sagen, statt Kreisler, wenn er bei festlichen
feierlichen Gelegenheiten französisch sprach, und sich auf keinen
deutschen Namen recht besinnen konnte. Der fremde Prinz -- denn den
jungen stattlichen Mann hatte doch wohl die Fräulein Nannette gemeint,
als sie rief, daß der Fürst komme mit dem Prinzen -- nickte Kreislern im
Vorbeigehen flüchtig zu mit dem Kopfe, eine Art der Begrüßung, die
Kreislern selbst von den vornehmsten Personen ganz unausstehlich war. Er
bückte sich daher bis tief an die Erde auf solch burleske Weise, daß der
dicke Hofmarschall, der überhaupt Kreislern für einen ausgemachten
Spaßmacher, und alles für Spaß hielt, was er tat und sprach, nicht umhin
konnte, etwas zu kichern. Der junge Fürst warf aus seinen dunklen Augen
Kreislern einen glühenden Blick zu, murmelte zwischen den Zähnen:
Hasenfuß, und schritt dann schnell dem Fürsten nach, der sich mit milder
Gravität nach ihm umschaute. -- Für einen italienischen Gardisten, rief
Kreisler laut lachend dem Hofmarschall zu, spricht der durchlauchtige
Herr ein passables Deutsch, sagen Sie ihm, beste Exzellenz, daß ich ihm
dafür mit dem auserlesensten Neapolitanisch dienen und dabei kein
artiges Romanisch, am wenigsten aber als Gozzische Maske schnödes
Venetianisch einschwärzen, kurz kein X für ein U machen will. -- Sagen
Sie ihm, beste Exzellenz --. Aber die Exzellenz stieg schon, die
Schultern hoch heraufgezogen, als Bollwerk und Schutzschanze der Ohren,
die Treppe hinauf. --

Der fürstliche Wagen, mit dem Kreisler gewöhnlich nach Sieghartshof zu
fahren pflegte, hielt, der Jäger öffnete den Schlag und fragte ob's
gefällig wäre. In dem Augenblick rannte aber ein Küchenjunge vorbei,
heulend und schreiend. Ach das Unglück -- ach das Malheur! -- Was ist
geschehen, rief ihm Kreisler nach. Ach das Unglück, erwiderte der
Küchenjunge noch heftiger weinend, da drinnen liegen der Herr
Oberküchenmeister in der Verzweiflung, in purer Raserei, und wollen sich
durchaus das Ragoutmesser in den Leib stoßen, weil der gnädigste Herr
plötzlich befohlen hat zu soupieren, und es ihm an Muscheln fehlt zum
italienischen Salat. Er will selbst nach der Stadt, und der Herr
Oberstallmeister weigern sich anspannen zu lassen, da es an einer Ordre
des gnädigsten Herrn fehlt. -- Da ist zu helfen, sprach Kreisler, der
Herr Oberküchenmeister steige in gegenwärtigen Wagen, und versehe sich
mit den schönsten Muscheln in Sieghartsweiler, während ich zu Fuß nach
selbiger Stadt promeniere. -- Damit rannte er fort in den Park.

Große Seele -- edles Gemüt -- scharmanter Herr! rief ihm der alte Jäger
nach, indem ihm die Tränen in die Augen traten.

In den Flammen des Abendrots stand das ferne Gebirge, und der goldne
glühende Widerschein gleitete spielend über den Wiesenplan, durch die
Bäume, durch die Büsche, wie getrieben von dem Abendwinde, der sich
säuselnd erhoben.

Kreisler blieb mitten auf der Brücke stehen, die über einen breiten Arm
des Sees nach dem Fischerhäuschen führte, und schaute in das Wasser
hinab, in dem sich der Park mit seinen wunderbaren Baumgruppen, der hoch
darüber emporragende Geierstein, der seine weißblinkenden Ruinen auf dem
Haupte wie eine seltsame Krone trug, abspiegelte in magischem Schimmer.
Der zahme Schwan, der auf den Namen Blanche hörte, plätscherte auf dem
See daher, den schönen Hals stolz emporgehoben, rauschend mit den
glänzenden Schwingen. »Blanche, Blanche, rief Kreisler laut indem er
beide Arme weit ausstreckte, singe dein schönstes Lied, glaube ja nicht,
daß du dann sterben mußt! du darfst dich nur singend an meine Brust
schmiegen, dann sind deine herrlichsten Töne mein, und nur ich gehe
unter in brünstiger Sehnsucht, während du in Liebe und Leben
daherschwebst auf den kosenden Wellen! --« Selbst wußte Kreisler nicht,
was ihn plötzlich so tief bewegte, er stützte sich auf das Geländer,
schloß unwillkürlich die Augen. Da hörte er Julia's Gesang, und ein
unnennbar süßes Weh durchbebte sein Inneres.

Düstere Wolken zogen daher, und warfen breite Schatten über das Gebirge,
über den Wald, wie schwarze Schleier. Ein dumpfer Donner dröhnte im
Morgen; stärker sauste der Nachtwind, rauschten die Bäche, und
dazwischen schlugen einige Töne der Wetterharfe an, wie ferne
Orgelklänge, aufgescheucht erhob sich das Geflügel der Nacht, und
schweifte kreischend durch das Dickicht.

Kreisler erwachte aus dem Traume, und erblickte seine dunkle Gestalt im
Wasser. Da war es ihm, als schaue ihn Ettlinger, der wahnsinnige Maler,
an aus der Tiefe. »Hoho, rief er hinab, bist Du da geliebter
Doppelgänger, wackerer Kumpan? -- Höre, mein ehrlicher Junge, für einen
Maler, der etwas über die Schnur gehauen, der im stolzen Übermut
fürstliches Herzblut verbrauchen wollte, statt Firnis, siehst Du
passabel genug aus. -- Ich glaube am Ende, guter Ettlinger, daß Du
illustre Familien genarrt hast mit Deinem wahnsinnigen Treiben! -- Je
länger ich Dich anschaue, desto mehr gewahre ich an Dir die vornehmsten
Manieren, und so Du magst, will ich der Fürstin Maria versichern, Du
wärst, was Deinen Stand oder Deine Lage im Wasser betrifft, ein Mann von
dem importantesten Range, und sie könne Dich lieben ohne alle weiteren
Umstände. -- Willst Du aber, Kumpan, daß die Fürstin noch jetzt Deinem
Bilde gleiche, so mußt Du es nachtun dem fürstlichen Dilettanten, der
seine Porträts ausglich mit den zu porträtierenden, durch geschicktes
Anpinseln der letztern. -- Nun! -- haben sie Dich einmal unverdienter
Weise hinabgeschickt in den Orkus, so trage ich Dir hiermit allerlei
Neuigkeiten zu! -- Wisse, verehrter Tollhauskolonist, daß die Wunde, die
Du dem armen Kinde, der schönen Prinzessin Hedwiga beibrachtest, noch
immer nicht recht geheilt ist, so daß sie vor Schmerz manchmal allerlei
Faxen macht. Trafst Du denn ihr Herz so hart, so schmerzlich, daß ihr
noch jetzt heißes Blut entquillt, wenn sie deine Larve erblickt, so wie
Leichname bluten, wenn der Mörder hinantritt? Rechne es mir nicht zu,
Guter, daß sie mich für ein Gespenst hält, und zwar für das Deinige.
-- Aber bin ich so recht in voller Lust ihr zu beweisen, daß ich kein
schnöder Revenant bin, sondern der Kapellmeister Kreisler, dann kommt
mir der Prinz Ignatius in die Quere, der offenbar an einer _paranoia_
laboriert, an einer _fatuitas, stoliditas_, die nach =Kluge= eine sehr
angenehme Sorte der eigentlichen Narrheit ist. -- Mache mir nicht alle
Gesten nach, Maler, wenn ich ernsthaft mit Dir rede! -- Schon wieder?
Fürchtete ich mich nicht vor dem Schnupfen, ich spränge zu Dir hinab,
und prügelte Dich erklecklich! -- Schere Dich zum Teufel, halunkischer
Mimiker! --

Kreisler sprang schnell fort.

Es war nun ganz finster geworden, Blitze leuchteten durch die schwarzen
Wolken, der Donner rollte, und der Regen begann in großen Tropfen
herabzufallen. Aus dem Fischerhäuschen strahlte ein helles blendendes
Licht, dem eilte Kreisler entgegen.

Unfern der Türe, im vollen Schimmer des Lichts, erblickte Kreisler sein
Ebenbild, sein eigenes Ich, das neben ihm daherschritt. Vom tiefsten
Entsetzen erfaßt, stürzte Kreisler hinein in das Häuschen, sank atemlos,
zum Tode erbleicht, in den Sessel.

Meister Abraham, der vor einem kleinen Tische saß, auf dem eine
Astrallampe ihre blendenden Strahlen umherwarf, in einem großen
Folianten lesend, fuhr erschrocken in die Höhe, nahte sich Kreisler,
rief: Um des Himmels willen, was ist Euch, Johannes, wo kommt Ihr her am
späten Abend -- was hat Euch so entsetzt! --

Mit Mühe ermannte sich Kreisler, und sprach dann mit dumpfer Stimme: Es
ist nun nicht anders, wir sind unserer Zwei -- ich meine, ich und mein
Doppelgänger, der aus dem See gesprungen ist, und mich verfolgt hat,
hieher. -- Seid barmherzig Meister, nehmt Euern Dolchstock, stoßt den
Halunken nieder -- er ist rasend, glaubt mir das, und kann uns beide
verderben. Er hat draußen das Wetter heraufbeschworen. -- Die Geister
rühren sich in den Lüften, und ihr Choral zerreißt die menschliche
Brust! -- Meister -- Meister, lockt den Schwan herbei, -- er soll singen
-- erstarrt ist mein Gesang, denn der Ich hat seine weiße kalte
Totenhand auf meine Brust gelegt, die muß er wegziehen, wenn der Schwan
singt -- und sich wieder untertauchen in den See. -- Meister Abraham
ließ Kreislern nicht weiter reden, er sprach ihm zu mit
freundschaftlichen Worten, nötigte ihm einige Gläser eines feurigen
italienischen Weins ein, den er eben zur Hand hatte, und fragte ihm dann
nach und nach ab, wie sich alles begeben.

Aber kaum hatte Kreisler geendet, als Meister Abraham laut lachend rief.
Da sieht man den eingefleischten Phantasten, den vollendeten
Geisterseher! -- Was den Organisten betrifft, der Euch draußen in dem
Park schauerliche Chorale vorgespielt hat, so ist das niemand anders
gewesen, als der Nachtwind, der durch die Lüfte brausend, daher fuhr,
und vor dem die Saiten der Wetterharfe erklangen. Ja ja, Kreisler, die
Wetterharfe habt Ihr vergessen, die zwischen den beiden Pavillons am
Ende des Parks aufgespannt ist[A]. Und was Euern Doppelgänger betrifft,
der im Schimmer meiner Astrallampe neben Euch her lief, so will ich Euch
sogleich beweisen, daß, sobald ich nur vor die Türe trete, auch mein
Doppelgänger bei der Hand ist, ja, daß ein jeder, der zu mir
hineintritt, solch einen Chevalier d'Honneur seines Ichs an der Seite
leiden muß.

[Fußnote A: Der Abt Gattoni zu Mailand ließ, von einem Turme zum
andern fünfzehn eiserne Saiten ausspannen, und dergestalt stimmen, daß
sie die diatonische Tonleiter angaben. Bei jeder Veränderung in der
Atmosphäre erklangen diese Saiten stärker oder schwächer, nach dem Maß
jener Veränderung. Man nannte diese Äolsharfe im großen, Riesen- oder
Wetterharfe.]

Meister Abraham trat vor die Türe, und sogleich stand in dem Schimmer
ein zweiter Meister Abraham ihm zur Seite.

Kreisler merkte die Wirkung eines verborgenen Hohlspiegels, und ärgerte
sich, wie jeder, dem das Wunderbare, woran er geglaubt, zu Wasser
gemacht wird. Dem Menschen behagt das tiefste Entsetzen mehr, als die
natürliche Aufklärung dessen, was ihm gespenstisch erschienen, er will
sich durchaus nicht mit dieser Welt abfinden lassen; er verlangt etwas
zu sehen aus einer andern, die des Körpers nicht bedarf, um sich ihm zu
offenbaren.

Ich kann, nun einmal, Meister, sprach Kreisler, Euren seltsamen Hang zu
solchen Foppereien nicht begreifen. Ihr präpariert das Wunderbare wie
ein geschickter Mundkoch, aus allerlei scharfen Ingredienzien, und
meint, daß die Menschen, deren Phantasie, wie der Magen der Schlemmer,
flau geworden, irritiert werden müssen durch solches Unwesen. Nichts ist
abgeschmackter, als wenn man bei solchen vermaledeiten Kunststückchen,
die einem die Brust zusammenschnüren, dahinterkommt, daß alles natürlich
zugegangen.

Natürlich! -- natürlich, rief Meister Abraham, als ein Mann vom
ziemlichen Verstande, solltet Ihr doch einsehen, daß nichts in der Welt
natürlich zugeht, gar nichts! -- Oder glaubt Ihr, werter Kapellmeister,
daß deshalb, weil wir mit uns zu Gebote stehenden Mitteln eine bestimmte
Wirkung hervorzubringen vermögen, uns die aus dem geheimnisvollen
Organism strömende Ursache der Wirkung klar vor Augen liegt? -- Ihr habt
doch sonst vielen Respekt vor meinen Kunststücken gehabt, unerachtet Ihr
die Krone davon niemals schautet. -- Ihr meint das unsichtbare Mädchen,
sprach Kreisler.

Allerdings, fuhr der Meister fort, eben dieses Kunststück -- es ist wohl
mehr als das -- würde Euch bewiesen haben, daß die gemeinste am
leichtesten zu berechnende Mechanik oft mit den geheimnisvollsten
Wundern der Natur in Beziehung treten, und dann Wirkungen hervorbringen
kann, die unerklärlich, -- selbst dies Wort im gewöhnlichen Sinn
genommen, bleiben müssen. Hm, sprach Kreisler, wenn Ihr nach der
bekannten Theorie des Schalls verfuhret, den Apparat geschickt zu
verbergen wußtet, und ein schlaues gewandtes Wesen an der Hand hattet --

O Chiara, rief Meister Abraham, indem Tränen in seinen Augen perlten, o
Chiara mein süßes liebes Kind!

Kreisler hatte noch nie den Alten so tief bewegt gesehen, wie dieser
denn von jeher keiner wehmütigen Empfindung Raum geben wollte, sondern
dergleichen wegzuspotten pflegte.

Was ist das mit der Chiara? fragte der Kapellmeister.

Es ist wohl dumm, sprach der Meister lächelnd, daß ich Euch heute
erscheinen muß, wie ein alter weinerlicher Geck, aber die Gestirne
wollen es nun einmal, daß ich von einem Moment meines Lebens mit Euch
reden soll, über den ich so lange schwieg. -- Kommt her, Kreisler,
schaut dieses große Buch, es ist das merkwürdigste, was ich besitze, das
Erbstück eines Tausendkünstlers, Severino geheißen, und eben sitze ich
da und lese die wunderbarsten Sachen, und schaue die kleine Chiara an,
die darin abgebildet, und da stürzt Ihr herein, außer Euch selbst, und
verachtet meine Magie in dem Augenblick, als ich eben in der Erinnerung
schwelge an ihr schönstes Wunder, das mein war in der Blütezeit meines
Lebens!

Nun erzählt nur, rief Kreisler, damit ich stracks mit Euch heulen kann
--

Es ist nun eben nicht sehr merkwürdig, begann Meister Abraham,
daß ich, sonst ein junger kräftiger Mann, von ganz hübschem Ansehn, aus
übertriebenem Eifer und großer Ruhmbegier, mich matt und krank
gearbeitet hatte an der großen Orgel in der Hauptkirche zu Göniönesmühl.
Der Arzt sprach laufen Sie, werter Orgelbauer, laufen Sie über Berg und
Tal, weit in die Welt hinein, und das tat ich denn wirklich, indem ich
mir den Spaß machte, überall als Mechaniker aufzutreten, und den Leuten
die artigsten Kunststücke vorzumachen. Dies ging recht gut, und brachte
viel Geld ein, bis ich auf den Mann stieß, Severino geheißen, der mich
derb auslachte mit meinen Kunststückchen, und durch manches mich beinahe
dahin gebracht hätte, mit dem Volk zu glauben, er stehe mit dem Teufel
oder wenigstens mit andern honetteren Geistern im Bunde. Das mehreste
Aufsehen erregte sein weibliches Orakel, ein Kunststück, das eben später
unter dem Namen des unsichtbaren Mädchens bekannt worden. Mitten im
Zimmer, von der Decke herab, hing frei eine Kugel von dem feinsten,
klarsten Glase, und aus dieser Kugel strömten, wie ein linder Hauch, die
Antworten auf die an das unsichtbare Wesen gerichteten Fragen. Nicht
allein das unbegreiflich scheinende dieses Phänomens, sondern auch die
ins Herz dringende, das Innerste erfassende Geisterstimme der
Unsichtbaren, das Treffende ihrer Antworten, ja ihre wahrhafte
Weissagungsgabe, verschaffte dem Künstler unendlichen Zulauf. Ich
drängte mich an ihn, ich sprach viel von meinen mechanischen
Kunststücken, er verachtete aber, wiewohl im andern Sinn, als Ihr es
tut, Kreisler, all mein Wissen, und bestand darauf, ich sollte ihm eine
Wasserorgel bauen zu seinem häuslichen Gebrauch, unerachtet ich ihm
bewies, daß, wie auch der verstorbene Herr Hofrat Meister zu Göttingen,
in seinem Traktat: _De veterum Hydraulo_ versichre, an einem solchen
_Hydraulos_ gar nichts sei, und nichts erspart werde, als einige Pfund
Luft, die man, dem Himmel sei es gedankt, doch noch überall umsonst
haben könne. Endlich beteuerte Severino, er brauche die sanfteren Töne
eines solchen Instruments, um der Unsichtbaren beizustehen, und er wolle
mir das Geheimnis entdecken, wenn ich auf das Sakrament schwöre, es
weder selbst zu gebrauchen, noch andern zu entdecken, wiewohl er glaube,
daß es nicht leicht möglich sein werde, sein Kunstwerk nachzuahmen, ohne
-- hier stockte er und machte ein geheimnisvolles, süßes Gesicht, wie
weiland Cagliostro, wenn er von seinen zaubrischen Verzückungen zu
Weibern sprach. Voll Begier, die Unsichtbare zu schauen, versprach ich
die Wasserorgel zu verfertigen, so gut es ginge, und nun schenkte er mir
sein Zutrauen, -- gewann mich sogar lieb, als ich ihm willig Beistand
leistete in seinen Arbeiten. Eines Tages, eben wollte ich zu Severino
gehen, war das Volk auf der Straße zusammengelaufen. Man sagte mir, ein
anständig gekleideter Mann sei ohnmächtig zu Boden gefallen. Ich drängte
mich durch, und erkannte Severino, den man eben aufhob und ins nächste
Haus trug. Ein Arzt, der des Weges gekommen, nahm sich seiner an.
Severino schlug, nachdem verschiedene Mittel angewandt, mit einem tiefen
Seufzer die Augen auf. Der Blick, mit dem er unter den krampfhaft
zusammengezogenen Augenbrauen mich anstarrte, war furchtbar, alle
Schrecken des Todeskampfs glühten darin in düstrem Feuer. Seine Lippen
bebten, er versuchte zu reden, und vermocht's nicht. Endlich schlug er
einigemal heftig mit der Hand auf die Westentasche. Ich faßte hinein,
und zog einige Schlüssel hervor. »Das sind die Schlüssel Eurer Wohnung«,
sprach ich, er nickte mit dem Kopfe. Das ist, fuhr ich fort, indem ich
ihm einen von den Schlüsseln vor Augen hielt, der Schlüssel zu dem
Kabinett, in das Ihr mich niemals hineinlassen wolltet. Er nickte auf's
neue. Als ich aber weiter fragen wollte, begann er wie in fürchterlicher
Angst zu ächzen und zu stöhnen, kalte Schweißtropfen standen ihm auf der
Stirne, er breitete die Arme aus, und bog sie im Zirkel zusammen, wie
wenn man etwas umfaßt, und wies auf mich. »Er will, sprach der Arzt, daß
Sie seine Sachen, seine Apparate, in Sicherheit bringen, vielleicht;
stirbt er, behalten sollen?« Severino nickte stärker mit dem Kopfe,
schrie endlich: _Corre_! und sank auf's neue ohnmächtig zurück. Schnell
eilte ich nun nach Severinos Wohnung, vor Neugier, vor Erwartung bebend,
öffnete ich das Kabinett, in dem die geheimnisvolle Unsichtbare
verschlossen sein mußte, und erstaunte nicht wenig, als ich es ganz leer
fand. Das einzige Fenster war dicht verhängt, so daß das Licht nur
hinein dämmerte, und ein großer Spiegel hing an der Wand, der Türe des
Zimmers gegenüber. Sowie ich zufällig vor diesen Spiegel trat, und meine
Gestalt im schwachen Schimmer erblickte, durchströmte mich ein seltsames
Gefühl, als befände ich mich auf dem Isolierstuhl einer
Elektrisiermaschine. In demselben Augenblick sprach die Stimme des
unsichtbaren Mädchens auf italienisch: verschont mich nur heute Vater!
Geißelt mich nicht so grausam, Ihr seid ja doch nun gestorben! -- Schnell
öffnete ich die Türe des Zimmers, so, daß das volle Licht hineinströmte,
aber keine lebendige Seele konnt' ich erblicken. »Es ist gut, Vater,
sprach die Stimme, daß Ihr Herrn Liscov geschickt habt, aber der läßt es
nicht mehr zu, daß Ihr mich geißelt, er zerbricht den Magnet, und Ihr
könnt nicht mehr aus dem Grabe heraus, in das er Euch legen läßt, Ihr
möget Euch sträuben, wie Ihr wollt, denn Ihr seid doch nun ein
Verstorbener, und gehört nicht mehr dem Leben.« Ihr könnt wohl denken,
Kreisler, daß mich tiefe Schauer durchbebten, da ich niemand sah, und
die Stimme doch dicht vor meinen Ohren schwebte. Teufel, sprach ich
laut, um mich zu ermutigen, säh ich nur irgendwo ein lumpiges
Fläschchen, so würd ich es zerschmeißen, und der _diable boiteux_ stünde,
seinem Kerker entronnen, leibhaftig vor mir, aber so. -- Nun kam es mir
plötzlich vor, als gingen die leisen Seufzer, die durch das Kabinett
wehten, aus einem Verschlage hervor, der in der Ecke stand, und mir viel
zu klein schien, um ein menschliches Wesen zu beherbergen. Doch springe
ich hin, öffne den Schieber, und zusammengekrümmt, wie ein Wurm, liegt
ein Mädchen darin, starrt mich an mit großen, wunderbar schönen Augen,
streckt endlich mir den Arm entgegen, als ich rufe: Komm heraus, mein
Lämmchen, komm heraus meine kleine Unsichtbare! -- Ich fasse endlich die
Hand, die sie emporhält, und ein elektrischer Schlag fährt mir durch
alle Glieder. -- Halt, Meister Abraham, rief Kreisler, was ist das, als
ich zum erstenmal zufällig der Prinzessin Hedwiga Hand berührte, ging es
mir ebenso, und noch immer, wiewohl schwächer, fühl' ich dieselbe
Wirkung, wenn sie mir sehr gnädig die Hand reicht. Hoho, erwiderte
Meister Abraham, am Ende ist unser Prinzeßlein eine Art von _Gymnotus
electricus_ oder _Raja torpedo_ oder _Trichiurus indicus_, wie in gewisser
Art meine süße Chiara es war, oder auch wohl nur eine muntere Hausmaus,
wie jene, die dem wackern Signor Cotugno eine tüchtige Ohrfeige
versetzte, als er sie beim Rücken erfaßte, um sie zu sezieren, was Ihr
freilich mit der Prinzessin nicht im Sinn haben konntet! -- Doch
sprechen wir ein andermal von der Prinzessin, und bleiben wir jetzt bei
meiner Unsichtbaren! -- Als ich, erschrocken über den unvermuteten
Schlag des kleinen Torpedo zurückprallte, sprach das Mädchen mit
wunderbar anmutigem Ton auf deutsch: Ach, nehmet es doch nur ja nicht
übel, Herr Liscov, aber ich kann nicht anders, der Schmerz war gar zu
groß. -- Ohne mich weiter mit meinem Erstaunen aufzuhalten, faßte ich
die Kleine sanft bei den Schultern, zog sie aus dem abscheulichen
Gefängnis, und ein zart gebautes, liebliches Ding in der Größe eines
zwölfjährigen Mädchens, nach der körperlichen Ausbildung zu urteilen
aber wenigstens sechzehn Jahre alt, stand vor mir. Schaut nur dort in's
Buch hinein, das Bild ist ähnlich, und Ihr werdet gestehen müssen, daß
es kein lieblicheres, ausdrucksvolleres Antlitz geben kann, wozu Ihr
aber rechnen müßt, daß das wunderbare, das Innerste entzündende Feuer
der schönsten schwarzen Augen in keinem Bilde zu erreichen. Jeder, der
nicht auf eine Schneehaut und Flachshaar erpicht ist, mußte das
Gesichtlein für vollendet schön anerkennen, denn freilich war die Haut
meiner Chiara etwas zu braun, und ihr Haar glänzte im brennenden
Schwarz. -- Chiara -- Ihr wißt nun schon, daß die kleine Unsichtbare so
geheißen war -- Chiara fiel vor mir nieder, ganz Wehmut und Schmerz, ein
Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen, und sie sprach mit einem
unnennbaren Ausdruck _je suis sauvée_. Ich fühlte mich von dem tiefsten
Mitleid durchdrungen, ich ahnte entsetzliche Dinge! -- Man brachte jetzt
Severinos Leiche, ein zweiter Anfall des Schlages hatte ihn, gleich
nachdem ich ihn verlassen, getötet. Sowie Chiara den Leichnam gewahrte,
versiegten ihre Tränen, sie schaute den toten Severino an mit ernstem
Blick, und entfernte sich dann, als die Leute, die mitgekommen, sie
neugierig betrachteten und lachend meinten, das sei wohl gar am Ende das
unsichtbare Mädchen in dem Kabinett. Ich fand es unmöglich, das Mädchen
allein zu lassen bei dem Leichnam, die gutmütigen Wirtsleute erklärten
sich bereit, sie bei sich aufzunehmen. Als ich nun aber, nachdem sich
alles entfernt, hineintrat in's Kabinett, saß Chiara vor dem Spiegel in
dem seltsamsten Zustande. Mit fest auf den Spiegel gerichteten Augen
schien sie nichts zu gewahren, gleich einer Mondsüchtigen. Sie lispelte
unverständliche Worte, die aber immer deutlicher und deutlicher wurden,
bis sie, deutsch, französisch, italienisch, spanisch, wechselnd von
Dingen sprach, die sich auf entfernte Personen zu beziehen schienen.
-- Ich bemerkte zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß gerade die Stunde
eingetreten, in der Severino das weibliche Orakel reden zu lassen
pflegte. -- Endlich schloß Chiara die Augen, und schien in tiefen Schlaf
verfallen. Ich nahm das arme Kind in meine Arme, und trug sie herab zu
den Wirtsleuten. Am andern Morgen fand ich die kleine heiter und ruhig,
erst jetzt schien sie ihre Freiheit ganz zu begreifen, und erzählte
alles, was ich zu wissen verlangte. -- Es wird Euch nicht verschnupfen,
Kapellmeister, unerachtet Ihr sonst auf gute Geburt was haltet, daß
meine kleine Chiara nichts anders war, als ein Zigeunermägdlein, die mit
einer ganzen Bande des schmutzigen Volks auf dem Markte in irgendeiner
großen Stadt, von Häschern bewacht, sich von der Sonne braten ließ, als
eben Severino vorüberging. »Blanker Bruder, soll ich Dir wahrsagen?«
rief ihm das achtjährige Mädchen an. Severino sah der Kleinen lange in
die Augen, ließ sich dann wirklich die Züge seines Handtellers deuten,
und äußerte ein besonderes Erstaunen. Er mußte etwas ganz Besonderes an
dem Mädchen gefunden haben, denn sogleich trat er zu dem
Polizei-Lieutenant, der den Zug der verhafteten Zigeuner führte, und
meinte, er wolle was Erkleckliches geben, wenn es ihm vergönnt würde,
das Zigeunermädchen mit sich zu nehmen. Der Polizei-Lieutenant erklärte
barsch, es sei hier kein Sklavenmarkt; setzte indessen hinzu, da die
Kleine doch eigentlich nicht zu den wirklichen Menschen zu rechnen, und
das Zuchthaus nur molestiere, so stände sie zu Befehl, wenn der Herr
zehn Dukaten zur Stadtarmenkasse zahlen wolle. Severino zog sogleich
seinen Beutel hervor, und zählte die Dukaten ab. Chiara und ihre alte
Großmutter, beide hatten die ganze Verhandlung gehört, fingen an zu
heulen und zu schreien, und wollten sich nicht trennen, da traten aber
die Häscher hinzu, schmissen die Alte auf den Leiterwagen, der zum
Abfahren bereit stand; der Polizei-Lieutenant, der vielleicht seinen
Beutel in dem Augenblick für die Stadtarmenkasse halten mochte, steckte
die blanken Dukaten ein, und Severino schleppte die kleine Chiara fort,
die er dadurch möglichst zu beruhigen suchte, daß er ihr auf demselben
Markt, wo er sie gefunden, ein hübsches neues Röcklein kaufte, und sie
überdies mit Zuckerwerk fütterte. -- Es ist gewiß, daß Severino damals
eben das Kunststück mit dem unsichtbaren Mädchen im Kopf hatte, und in
der kleinen Zigeunerin alle Anlagen fand, die Rolle der Unsichtbaren zu
übernehmen. Neben einer sorgfältigen Erziehung suchte er auf ihren
Organismus, der zu einem erhöhten Zustande besonders geeignet, zu
wirken. Er brachte diesen erhöhten Zustand, in dem ein prophetischer
Geist in dem Mädchen aufglühte, durch künstliche Mittel hervor, -- denkt
an Mesmer und seine furchtbaren Operationen -- und versetzte sie
jedesmal, wenn sie wahrsagen sollte, in diesen Zustand. Ein
unglückliches Ungefähr ließ ihn wahrnehmen, daß die Kleine nach
empfundenem Schmerz vorzüglich reizbar war, und daß dann ihre Gabe, das
fremde Ich zu durchschauen, bis zum Unglaublichen stieg, so daß sie ganz
vergeistigt schien. Und nun geißelte sie der entsetzliche Mensch
jedesmal vor der Operation, die sie in den Zustand des höhern Wissens
versetzte, auf die grausamste Weise. Zu dieser Qual kam noch, daß
Chiara, die Ärmste, oft tagelang, wenn Severino abwesend, sich
zusammenkrümmen mußte in jenem Verschlag, damit, dränge selbst jemand in
das Kabinett, doch Chiara's Gegenwart ein Geheimnis bliebe. Ebenso
machte sie die Reisen mit Severino in jenem Kasten. Unglücklicher,
fürchterlicher, war Chiara's Schicksal, als das jenes Zwerges, den der
bekannte Kempelen mit sich führte, und der, in dem Türken versteckt,
Schach spielen mußte. -- Ich fand in Severinos Pult eine namhafte Summe
in Gold und Papieren, es gelang mir, der kleinen Chiara dadurch ein
gutes Einkommen zu sichern, den Apparat zum Orakel, das heißt die
akustischen Vorrichtungen, im Zimmer und Kabinett vernichtete ich, sowie
manches andere Kunstwerk, das nicht transportabel, wogegen ich nach
Severinos deutlich ausgesprochenem Vermächtnis manches Geheimnis aus
seinem Nachlaß mir zu eigen machte. Dies alles abgetan, nahm ich von der
kleinen Chiara, die die Wirtsleute halten wollten wie ihr liebes
Kindlein, den wehmütigsten Abschied, und verließ den Ort. -- Ein Jahr
war vergangen, ich wollte zurück nach Göniönesmühl, wo der hochlöbliche
Magistrat die Reparatur der Stadtorgel von mir verlangte, aber der
Himmel hatte ein besonderes Wohlgefallen daran, mich als Taschenspieler
hinzustellen vor den Leuten, und gab daher einem verfluchten Spitzbuben
die Macht, meine Börse, in der mein ganzer Reichtum befindlich, zu
stehlen, und mich so zu zwingen, noch als berühmter, mit vielen Attesten
und Konzessionen versehener Mechaniker Künste zu machen des nötigen
Proviants halber. -- Das geschah an einem Örtchen unsern
Sieghartsweiler. Eines Abends sitze ich und hämmere und feile an einem
Zauberkästchen, da geht die Türe auf, ein weibliches Wesen tritt herein,
ruft: nein, ich konnte es nicht länger ertragen, ich mußte Euch nach,
Herr Liscov -- ich wäre gestorben vor Sehnsucht! -- Ihr seid mein Herr,
gebietet über mich! -- stürzt auf mich zu, will mir zu Füßen fallen, ich
fange sie auf in meinen Armen -- es ist Chiara! -- Kaum erkenne ich das
Mädchen, wohl einen Fuß höher, stärker ist sie geworden, ohne daß das
den zartesten Formen ihres Wuchses geschadet! -- Liebe süße Chiara!
-- rief ich tief bewegt, und drückte sie an meine Brust! Nicht wahr,
spricht nun Chiara, Ihr leidet mich bei Euch, Herr Liscov, Ihr verstoßet
nicht die arme Chiara, die Euch Freiheit und Leben zu verdanken hat?
-- Und damit springt sie schnell an den Kasten, den eben ein Postknecht
hineinschiebt, drückt den Kerl so viel Geld in die Hand, daß er mit
einem großen Katzensprung zur Türe hinaus, laut ruft: ei der Daus, das
liebe Mohrenkind, öffnet den Kasten, nimmt dieses Buch heraus, gibt mir
es sprechend: Da, Herr Liscov, nehmt das Beste aus Severinos Nachlaß,
das Ihr vergessen, fängt an, während ich das Buch aufschlage, ganz
getrost Kleider und Wäsche auszupacken -- Ihr möget denken, Kreisler,
daß mich die kleine Chiara in nicht geringe Verlegenheit setzte; aber
-- nun ist es Zeit, Kerl! daß Du auf mich was halten lernst, da Du, weil
ich Dir half, dem Oheim die reifen Birnen vom Baume naschen, und ihm
hölzerne mit saubrer Malerei hinhängen, oder ihm gedüngtes
Pommeranzenwasser hinstellen in der Gießkanne, womit er die auf dem
Rasen zum Bleichen ausgespannten weißen Kanevashosen begoß, und einen
schönen Marmor herausbrachte ohne Mühe, -- kurz, weil ich Dich zu tollen
Narrenstreichen anführte, da Du, sag' ich, sonst mich selbst zu nichts
anderm machtest, als zu einem puren Schalksnarren, der niemals ein Herz,
oder wenigstens die Hanswurstjacke so dick darüber gelegt hatte, daß er
nichts von seinen Schlägen spürte! -- Brüste Dich nicht, Mensch, mit
Deiner Empfindsamkeit, mit Deinen Tränen, denn siehe, schon wieder muß
ich, so wie Du es nur zu oft tust, niederträchtig flennen; aber der
Teufel hole doch alles, wenn man erst im hohen Alter jungen Leuten das
Innere aufschließen soll wie eine Chambre garnie. -- Meister Abraham
trat ans Fenster, und schaute hinaus in die Nacht. Das Gewitter war
vorüber, im Säuseln des Waldes hörte man die einzelnen Tropfen fallen,
die der Nachtwind herabschüttelte. Von fern her aus dem Schlosse ertönte
lustige Tanzmusik. Prinz Hektor, sprach Meister Abraham, eröffnet die
Partie _à la chasse_ mit einigen Sprüngen, glaub ich --

Und Chiara? fragte Kreisler.

Recht, mein Sohn, fuhr Meister Abraham fort, indem er sich erschöpft in
den Lehnstuhl niederließ, daß Du mich erinnerst an Chiara, denn ich muß
in dieser verhängnisvollen Nacht den Kelch der bittersten Erinnerungen
nun einmal ausschlürfen bis auf den letzten Tropfen. -- Ach! -- so wie
Chiara geschäftigt hin und her hüpfte, wie aus ihren Blicken die reinste
Freude strahlte, da fühlt' ich es wohl, daß es mir ganz unmöglich sein
würde, mich jemals von ihr zu trennen, daß sie mein Weib werden müsse.
-- Und doch sprach ich: aber Chiara, was soll ich mit Dir anfangen, wenn
Du nun hier bleibst? -- Chiara trat vor mich hin und sprach sehr ernst:
Meister, Ihr findet in dem Buche, das ich Euch gebracht, die genaue
Beschreibung des Orakels, Ihr habt ja ohnedies die Vorrichtungen dazu
gesehen. -- Ich will Euer unsichtbares Mädchen sein! -- Chiara, rief ich
ganz bestürzt, was sprichst Du? -- Kannst Du mich für einen Severino
halten! -- »O, schweigt von Severino,« erwiderte Chiara. -- Nun, was soll
ich Euch alles umständlich erzählen, Kreisler, Ihr wißt ja schon, daß
ich alle Welt in Erstaunen setzte mit meinem unsichtbaren Mädchen, und
möget mir wohl zutrauen, daß ich es verabscheute, auch nur durch
irgendein künstliches Mittel meine liebe Chiara aufzuregen, oder auf
irgendeine Weise ihre Freiheit zu verschränken. -- Sie deutete mir
selbst Zeit und Stunde an, wenn sie sich fähig fühlte, oder vielmehr
fühlen würde, die Rolle der Unsichtbaren zu spielen, und nur dann sprach
mein Orakel. -- Überdies war meiner Kleinen jene Rolle zum Bedürfnis
geworden. Gewisse Umstände, die Ihr künftig erfahren sollt, brachten
mich nach Sieghartsweiler. Es lag in meinem Plan, sehr geheimnisvoll
aufzutreten. Ich bezog eine einsame Wohnung bei der Witwe des
fürstlichen Mundkochs, durch die ich sehr bald das Gerücht von meinen
wunderbaren Kunststücken an den Hof brachte. Was ich erwartet hatte,
geschah. Der Fürst, ich meine den Vater des Fürsten Irenäus, suchte mich
auf, und mein weissagende Chiara war die Zauberin, die, wie von
überirdischer Kraft beseelt, ihm oft sein eigenes Inneres erschloß, so
daß er manches, was ihm sonst verschleiert gewesen, jetzt klar
durchschaute. Chiara, die mein Weib worden, wohnte bei einem mir
vertrauten Mann in Sieghartshof, und kam zu mir im Dunkel der Nacht, so
daß ihre Gegenwart ein Geheimnis blieb. Denn seht Kreisler, so versessen
sind die Menschen auf Wunder, das, war auch das Kunststück mit dem
unsichtbaren Mädchen nicht anders möglich, als durch die Mitwirkung
eines menschlichen Wesens, sie doch das ganze Ding für eine dumme
Fopperei geachtet haben würden, sobald sie erfuhren, daß das unsichtbare
Mädchen von Fleisch und Bein. So wie denn in jener Stadt den Severino
nach seinem Tode, alle Leute einen Betrüger schalten, da es
herausgekommen, daß eine kleine Zigeunerin im Kabinett gesprochen, ohne
die künstliche akustische Einrichtung die den Ton aus der Glaskugel
kommen ließ, auch nur im mindesten zu beachten. -- Der alte Fürst starb,
ich hatte die Kunststücke, die Geheimniskrämerei mit meiner Chiara,
herzlich satt, ich wollte mit meinem lieben Weibe hinziehen nach
Göniönesmühl, und wieder Orgeln bauen. Da blieb eine Nacht Chiara, die
zum letztenmal, die Rolle des unsichtbaren Mädchens spielen sollte, aus,
ich mußte die Neugierigen unbefriedigt fortschicken. Mir schlug das Herz
vor banger Ahnung. -- Am Morgen lief ich nach Sieghartshof, Chiara war
zur gewöhnlichen Stunde fortgegangen. -- Nun Kerl! was schaust Du mich
so an? ich hoffe, daß Du keine alberne Frage tun wirst! -- Du weißt es ja
-- Chiara war spurlos verschwunden, nie -- nie hab' ich sie
wiedergesehen! -- Meister Abraham sprang rasch auf, und stürzte ans
Fenster. Ein tiefer Seufzer machte den Blutstropfen Luft, die aus der
aufgerissenen Herzwunde quollen. Kreisler ehrte den tiefen Schmerz des
Greises durch Schweigen. Ihr könnet nun, begann endlich Meister Abraham,
nicht mehr zurück nach der Stadt, Kapellmeister. Mitternacht ist heran,
draußen, Ihr wißt es, hausen böse Doppelgänger, und allerlei anderes
bedrohliches Zeug könnt' uns in den Kram pfuschen. Bleibt bei mir! Toll,
ganz toll müßt es ja --

=(M. f. f.)= aber sein, wenn dergleichen Unschicklichkeiten vorfielen an
heiliger Stätte, -- ich meine im Auditorio. -- Es wird mir so enge, so
beklommen um's Herz -- ich vermag, von den erhabensten Gedanken
durchströmt, nicht weiter zu schreiben -- ich muß abbrechen, muß ein
wenig spazieren gehen!

Ich kehre zurück an den Schreibtisch, mir ist besser -- Aber wovon das
Herz voll ist, davon geht der Mund über, und auch wohl der Federkiel des
Dichters! -- Ich hört' einmal den Meister Abraham erzählen, in einem
alten Buche stände etwas von einem kuriosen Menschen, dem eine besondere
_Materia peccans_ im Leibe rumorte, die nicht anders abging, als durch die
Finger. Er legte aber hübsches weißes Papier unter die Hand, und fing so
alles, was nur von dem bösen rumorenden Wesen abgehen wollte, auf, und
nannte diesen schnöden Abgang Gedichte, die er aus dem Innern
geschaffen. Ich halte das Ganze für eine boshafte Satire, aber wahr ist
es, zuweilen fährt mir ein eignes Gefühl, beinahe möcht' ich's geistiges
Leibkneifen nennen, bis in die Pfoten, die alles hinschreiben müssen,
was ich denke. -- Eben jetzt geht's mir so -- es kann mir Schaden tun,
betörte Kater können in ihrer Verblendung böse werden, sogar mich ihre
Krallen fühlen lassen, aber es muß heraus! --

Mein Meister hatte heute den ganzen Vormittag hindurch in einem
schweinsledernen Quartanten gelesen, als er sich endlich zur
gewöhnlichen Stunde entfernte, ließ er das Buch aufgeschlagen auf dem
Tische liegen. Schnell sprang ich herauf, um neugierig, erpicht auf die
Wissenschaften, wie ich nun einmal bin, zu erschnuppern, was das wohl
für ein Buch sein könne, worin der Meister mit so vieler Anstrengung
studiert. Es war das schöne herrliche Werk des alten Johannes
Kunisperger, vom natürlichen Einfluß der Gestirne, Planeten und zwölf
Zeichen. Ja wohl, mit Recht kann ich das Werk schön und herrlich nennen,
denn, indem ich las, gingen mir da nicht die Wunder meines Seins, meines
Wandelns hienieden, auf in voller Klarheit? -- Ha! indem ich dieses
schreibe, flammt über meinem Haupt das herrliche Gestirn, das in treuer
Verwandtschaft in meine Seele herein, aus meiner Seele hinaus leuchtet
-- ja ich fühle den glühenden, sengenden Strahl des langgeschweiften
Kometen auf meiner Stirne, -- ja ich bin selbst der glänzende
Schwanzstern, das himmlische Meteor, das in hoher Glorie prophetisch
dräuend durch die Welt zieht. So wie der Komet alle Sterne überleuchtet,
so verschwindet ihr -- stell' ich nur nicht meine Gaben unter den
Scheffel, sondern lasse mein Licht gehörig leuchten, und das dependiert
ganz von mir -- ja, so verschwindet ihr alle in finstre Nacht, ihr
Kater, andere Tiere und Menschen! -- Aber trotz der göttlichen Natur,
die aus mir, dem geschwänzten Lichtgeist, herausstrahlt, teile ich doch
nicht das Los aller Sterblichen? -- Mein Herz ist gut, ich bin ein zu
empfindsamer Kater, möchte mich gern gemütlich anschließen den
Schwächern, und gerate darüber in Trauer und Herzeleid. -- Denn muß ich
nicht überall gewahren, daß ich allein stehe, wie in der tiefsten
Einöde, da ich nicht dem jetzigen Zeitalter, nein einem künftigen der
höhern Ausbildung angehöre, da es keine einzige Seele gibt, die mich
gehörig zu bewundern versteht? Und es macht mir doch so viel Freude,
wenn ich tüchtig bewundert werde, selbst das Lob junger, gemeiner,
ungebildeter Kater tut mir unbeschreiblich wohl. Ich weiß sie vor
Erstaunen außer sich zu setzen, aber was hilft's, sie können doch, bei
aller Anstrengung, nicht den rechten Lobposaunenton treffen, schreien
sie auch noch so sehr, Mau -- Mau! -- An die Nachwelt muß ich denken,
die mich würdigen wird. Schreib' ich jetzt ein philosophisches Werk, wer
ist's, der die Tiefen meines Geistes durchdringt? Laß ich mich herab,
ein Schauspiel zu dichten, wo sind die Schauspieler, die es aufzuführen
vermögen? Laß ich mich ein auf andere literarische Arbeiten; schreib'
ich z. B. =Kritiken=, die mir schon deshalb anstehen, weil ich über alles,
was Dichter, Schriftsteller, Künstler heißt, schwebe, mich gleich
überall selbst, als freilich unerreichbares Muster, als Ideal der
Vollkommenheit hinstellen, deshalb auch allein ein kompetentes Urteil
aussprechen kann, wer ist's, der sich auf meinen Standpunkt
hinaufzuschwingen, meine Ansichten mit mir zu teilen vermag? -- Gibt es
denn Pfoten oder Hände, die mir den verdienten Lorbeerkranz auf die
Stirne drücken könnten? -- Doch dafür ist guter Rat vorhanden, das tue
ich selbst, und lasse den die Krallen fühlen, der sich etwa unterstehen
möchte, an der Krone zu zupfen. -- Es existieren wohl solche neidische
Bestien, ich träume oft nur, daß ich von ihnen angegriffen werde, fahre,
in der Einbildung, mich verteidigen zu müssen, mir selbst ins Gesicht
mit meinen spitzen Waffen und verwunde kläglich das holde Antlitz. -- Man
wird auch wohl im edeln Selbstgefühl etwas mißtrauisch, aber es kann
nicht anders sein. Hielt ich es doch neulich für einen versteckten
Angriff auf meine Tugend und Vortrefflichkeit, als der junge Ponto mit
mehreren Pudeljünglingen auf der Straße über die neuesten Erscheinungen
des Tages sprach, ohne meiner zu erwähnen, unerachtet ich doch kaum
sechs Schritte von ihm an der Kellerluke meiner Heimat saß. Nicht wenig
ärgerte es mich, daß der Fant, als ich ihm darüber Vorwürfe machte,
behaupten wollte, er habe mich wirklich gar nicht bemerkt.

Doch es ist Zeit, daß ich Euch, mir verwandte Seelen einer schönern
Nachwelt, -- o ich wollte, diese Nachwelt befände sich schon mitten in
der Gegenwart, und hätte gescheute Gedanken über Murrs Größe, und
spräche diese Gedanken laut aus, mit so heller Stimme, daß man nichts
anderes vernehmen könnte vor dem lauten Geschrei, -- ja, daß Ihr etwas
weiteres davon erfahrt, was sich mit Eurem Murr zutrug in seinen
Jünglingsjahren. Paßt auf gute Seelen, ein merkwürdiger Lebenspunkt
tritt ein. --

Des Märzen Idus war angebrochen, die schönen milden Strahlen der
Frühlingssonne fielen auf das Dach, und ein sanftes Feuer durchglühte
mein Inneres. Schon seit ein paar Tagen hatte mich eine unbeschreibliche
Unruhe, eine unbekannte, wunderbare Sehnsucht geplagt, -- jetzt wurde
ich ruhiger, doch nur um bald in einen Zustand zu geraten, den ich
niemals geahnt! --

Aus einer Dachluke, unfern von mir, stieg leis und linde ein Geschöpf
heraus, -- o, daß ich es vermöchte, die Holdeste zu malen! -- Sie war
ganz weiß gekleidet, nur ein kleines schwarzes Samtkäppchen bedeckte die
niedliche Stirn, so wie sie auch schwarze Strümpfchen an den zarten
Beinen trug. Aus dem lieblichsten Grasgrün der schönsten Augen funkelte
ein süßes Feuer, die sanften Bewegungen der feingespitzten Ohren ließen
ahnen, daß Tugend in ihr wohne und Verstand, so wie das wellenförmige
Ringeln des Schweifes hohe Anmut aussprach und weiblichen Zartsinn! --

Das holde Kind schien mich nicht zu erschauen, es blickte in die Sonne,
blinzelte und nieste. -- O der Ton durchbebte mein Innerstes mit süßen
Schauern, meine Pulse schlugen -- mein Blut wallte siedend durch alle
Adern, -- mein Herz wollte zerspringen, -- alles unnennbar schmerzliche
Entzücken, das mich außer mir selbst setzte, strömte heraus in dem lang
gehaltenen Miau! -- das ich ausstieß. Schnell wandte die Kleine den Kopf
nach mir, blickte mich an, Schreck, kindliche süße Scheu in den Augen.
-- Unsichtbare Pfoten rissen mich hin zu ihr mit unwiderstehlicher
Gewalt -- aber, sowie ich auf die Holde lossprang, um sie zu erfassen,
war sie, schnell wie der Gedanke, hinter dem Schornstein verschwunden!
-- Ganz Wut und Verzweiflung rannte ich auf dem Dache umher, und stieß
die kläglichsten Töne aus, alles umsonst -- sie kam nicht wieder! -- Ha
welcher Zustand! -- mir schmeckte kein Bissen, die Wissenschaften
ekelten mich an, ich mochte weder lesen noch schreiben. -- Himmel! rief
ich andern Tages aus, als ich die Holde überall gesucht, auf dem Dache,
auf dem Boden, in dem Keller, in allen Gängen des Hauses, und nun
trostlos heim kehrte, als, da ich die Kleine beständig in Gedanken, mich
nun selbst der Bratfisch, den mir der Meister vorgesetzt, aus der
Schüssel anstarrte mit ihren Augen, so daß ich laut rief im Wahnsinn des
Entzückens: bist du es, Langersehnte und ihn auffraß mit einem Schluck;
ja da rief ich: Himmel o Himmel! sollte das Liebe sein? Ich wurde
ruhiger, ich beschloß als ein Jüngling von Erudition mich über meinen
Zustand ganz ins klare zu setzen, und begann sogleich, wiewohl mit
Anstrengung, den Ovid _de arte amandi_ durchzustudieren, sowie Manso's
Kunst zu lieben, aber keines von den Kennzeichen eines Liebenden, wie es
in diesen Werken angegeben, wollte recht auf mich passen. Endlich fuhr
es mir plötzlich durch den Sinn, daß ich in irgend einem Schauspiel[B]
gelesen, ein gleichgültiger Sinn und ein verwilderter Bart seien sichere
Kennzeichen eines Verliebten! -- Ich schaute in einen Spiegel, Himmel
mein Bart war verwildert! -- Himmel mein Sinn war gleichgültig!

[Fußnote B: Der Kater meint Shakespeares: Wie es Euch gefällt, dritter
Aufzug, zweite Szene. A. d. H.]

Da ich nun wußte, daß es seine Richtigkeit hatte mit meinem
Verliebtsein, kam Trost in meine Seele. Ich beschloß, mich gehörig mit
Speis' und Trank zu stärken, und dann die Kleine aufzusuchen, der ich
mein ganzes Herz zugewandt. Eine süße Ahnung sagte mir, daß sie vor der
Türe des Hauses sitze, ich stieg die Treppe hinab, und fand sie
wirklich! -- O welch ein Wiedersehen! -- wie wallte in meiner Brust das
Entzücken, die unnennbare Wonne des Liebesgefühls. -- Miesmies, so wurde
die Kleine geheißen, wie ich von ihr später erfuhr, Miesmies saß da in
zierlicher Stellung auf den Hinterfüßen, und putzte sich, indem sie mit
den Pfötchen mehrmals über die Wangen, über die Ohren fuhr. Mit welcher
unbeschreiblichen Anmut besorgte sie vor meinen Augen das, was
Reinlichkeit und Eleganz erfordern, sie bedurfte nicht schnöder
Toiletten-Künste, um die Reize, die ihr die Natur verliehen, zu erhöhen!
Bescheidner als das erste Mal nahte ich mich ihr, setzte mich zu ihr
hin! -- Sie floh nicht, sie sah mich an mit forschendem Blick, und
schlug dann die Augen nieder. -- Holdeste, begann ich leise, sei mein!
-- »Kühner Kater, erwiderte sie verwirrt, wer bist du? Kennst du mich
denn? -- Wenn du aufrichtig bist, so wie ich, und wahr, so sage und
schwöre mir, daß du mich wirklich liebst!« -- O rief ich begeistert, ja
bei den Schrecken des Orkus, bei dem heiligen Mond, bei allen sonstigen
Sternen und Planeten, die künftige Nacht scheinen werden, wenn der
Himmel heiter, schwöre ich dir's, daß ich dich liebe! -- Ich dich auch,
lispelte die Kleine, und neigte in süßer Verschämung das Haupt mir zu.
Ich wollte sie voll Inbrunst umpfoten, da sprangen aber mit teuflischem
Geknurre zwei riesige Kater auf mich los, zerbissen, zerkratzten mich
kläglich, und wälzten mich zum Überfluß noch in die Gosse, so daß das
schmutzige Spülwasser über mich zusammenschlug.

Kaum konnt' ich mich aus den Krallen der mordlustigen Bestien retten,
die meinen Stand nicht achteten; mit vollem Angstgeschrei lief ich die
Treppe hinauf. Als der Meister mich erblickte, rief er, laut lachend:
Murr, Murr, wie siehst du aus? Ha ha! ich merke schon, was geschehen,
du hast Streiche machen wollen, wie der im Irrgarten der Liebe
herumtaumelnde Kavalier, und dabei ist's dir übel ergangen! -- Und
dabei brach der Meister zu meinem nicht geringen Verdruß aufs neue aus
in ein schallendes Gelächter. Der Meister hatte ein Gefäß mit lauwarmem
Wasser füllen lassen, darein stülpte er mich ohne Umstände einigemal
ein, so daß mir vor Niesen und Prusten Hören und Sehen verging, wickelte
mich dann fest in Flanell ein, und legte mich in meinen Korb.

Ich war beinahe besinnungslos vor Wut und Schmerz, ich vermochte kein
Glied zu rühren. Endlich wirkte die Wärme wohltätig auf mich, ich fühlte
meine Gedanken sich ordnen. »Ha, klagte ich, welch neue bittere
Täuschung des Lebens! -- Das ist also die Liebe, die ich schon so
herrlich besungen, die das Höchste sein, die uns mit namenloser Wonne
erfüllen, die uns in den Himmel tragen soll! -- Ha! -- mich hat sie in
die Gosse geworfen! -- ich entsage einem Gefühl, das mir nichts
eingebracht als Bisse, ein abscheuliches Bad, und niederträchtige
Einmummung in schnöden Flanell! -- Aber kaum war ich wieder in Freiheit
und genesen, als aufs neue Miesmies mir unaufhörlich vor Augen stand,
und ich, jener ausgestandenen Schmach wohl eingedenk, zu meinem
Entsetzen gewahrte, daß ich noch in Liebe. Mit Gewalt nahm ich mich
zusammen, und las als ein vernünftiger gelehrter Kater den Ovid nach, da
ich mich wohl erinnerte, in der _Ars amandi_ auch auf Rezepte =gegen= die
Liebe gestoßen zu sein.

Ich las die Verse:

  _Venus otia amat. Qui finem quaeris amoris
  Cedit amor rebus; res age, tutus eris;_

Mit neuem Eifer wollt' ich mich dieser Vorschrift gemäß in die
Wissenschaften vertiefen, aber Miesmies hüpfte auf jedem Blatte mir vor
den Augen, Miesmies dachte -- las -- schrieb ich! -- Der Autor, dacht'
ich muß andere Arbeit meinen, und da ich von andern Katern gehört, daß
die Mäusejagd ein ungemein angenehmes zerstreuendes Vergnügen sein
solle, war es ja möglich, das unter den rebus auch die Mäusejagd
begriffen sein konnte. Ich begab mich daher, sowie es finster worden, in
den Keller, und durchstrich die düstern Gänge indem ich sang: »Im Walde
schlich ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr --«

Ha! -- statt des Wildes, das ich zu jagen trachtete, schaute ich aber
wirklich ihr holdes Bild, aus den tiefen Gründen trat es wirklich
überall hervor! Und dabei zerschnitt der herbe Liebesschmerz mein nur zu
leicht verwundbar Herz! Und ich sprach: Lenk auf mich die holden Blicke,
Jungfräulichen Morgenschein, Und als Braut und Bräut'gam wandeln Murr
und Miesmies selig heim. Also sprach ich, freud'ger Kater, Hoffend auf
des Sieges Preis. -- Armer! mit verhüllten Augen floh die scheue Katz
dachein! -- So geriet ich Bedaurenswürdiger immer mehr und mehr in
Liebe, die ein feindlicher Stern mir zum Verderben in meiner Brust
entzündet zu haben schien. Wütend, mich auflehnend gegen mein Schicksal,
fiel ich auf's neue her über den Ovid und las die Verse:

  _Exige quod cantet, si qua est sine voce puella,
  Non didicit chordas tangere, posce lyram._

Ha, rief ich zu ihr hinauf auf's Dach; -- Ha ich werde sie wiederfinden
die süße Huldin, da, wo ich sie zum erstenmal erblickte aber singen soll
sie, ja singen, und bringt sie nur eine einzige falsche Note heraus,
dann ist's vorbei, dann bin ich geheilt, gerettet. -- Der Himmel war
heiter, und der Mond bei dem ich der holden Miesmies Liebe zugeschworen,
schien wirklich, als ich auf das Dach stieg, um sie zu erlauern. Lange
gewahrte ich sie nicht, und meine Seufzer wurden laute Liebesklagen.

Ich stimmte endlich ein Liedlein an im wehmütigsten Ton, ungefähr
folgendermaßen:

  Rauschende Wälder, flüsternde Quellen
  Strömender Ahnung spielende Wellen
  Mit mir o klaget!
  Saget o saget!
  Miesmies die Holde, wo ist sie gegangen,
  Jüngling in Liebe, Jüngling wo hat er,
  Miesmies die süße Huldin umfangen?
  Tröstet den Bangen.
  Tröstet den gramverwilderten Kater!
  Mondschein o Mondschein,
  Sag' mir wo thront mein
  Artiges Kindlein, liebliches Wesen!
  Wütender Schmerz kann niemals genesen!
  Trostloser liebender kluger Berater,
  Eil ihn zu retten
  Von Liebesketten!
  Hilf ihm, o hilf dem verzweifelnden Kater.

Seht ein, geliebte =Leser=! daß ein wackerer Dichter weder sich im
rauschenden Walde befinden, noch an einer flüsternden Quelle sitzen
darf, ihm strömen der Ahnung spielende Wellen doch zu, und in diesen
Wellen erschaut er doch alles, =was= er will, und kann davon singen wie er
will. Sollte jemand über die hohe Vortrefflichkeit obiger Verse zu sehr
in Erstaunen geraten, so will ich bescheiden ihn darauf aufmerksam
machen, daß ich mich in der Ekstase befand, in verliebter Begeisterung,
und nun weiß jeder, daß jedem, der von dem Liebesfieber ergriffen,
konnt' er auch sonst kaum Wonne auf Sonne, und Triebe auf Liebe reimen,
konnt' er, sag' ich, auf diese nicht ganz ungewöhnlichen Reime trotz
aller Anstrengung, sich durchaus nicht besinnen, plötzlich das Dichten
ankommt und er die vortrefflichsten Verse heraussprudeln muß, wie einer,
der vom Schnupfen befallen, unwiderstehlich ausbricht in schreckliches
Niesen. Wir haben dieser Ekstase prosaischer Naturen schon viel
Vortreffliches zu verdanken, und schön ist es, daß oft dadurch
menschliche Miesmiese von nicht sonderlicher beauté auf einige Zeit
einen herrlichen Ruf erhielten. Geschieht das nun am dürren Holz, was
muß sich am grünen begeben? -- Ich meine, werden schon hündische
Prosaiker, bloß durch die Liebe umgesetzt in Dichter, was muß erst
wirklichen Dichtern geschehen in diesem Stadium des Lebens? -- Nun!
weder im rauschenden Walde saß ich, noch an flüsternder Quelle, ich saß
auf einem kahlen, hohen Dache, das bißchen Mondschein war kaum zu
rechnen, und doch flehte ich in jenen meisterhaften Versen, Wälder und
Quellen und Wellen, und zuletzt meinen Freund Ovid an, mir zu helfen,
mir beizustehen in der Liebesnot. Etwas schwer wurde es mir, Reime zu
den Namen meines Geschlechts zu finden, den gewöhnlichen Vater wußte ich
selbst in der Begeisterung nicht anzubringen. Daß ich aber wirklich
Reime fand, bewies mir auf's neue den Vorzug meines Geschlechts vor dem
menschlichen, da auf das Wort Mensch sich bekanntlich nichts reimt,
weshalb, wie schon irgend ein Witzbold von Theaterdichter bemerkt hat,
der Mensch ein ungereimtes Tier ist. Ich bin dagegen ein gereimtes.
-- Nicht vergebens hatte ich die Töne der schmerzhaften Sehnsucht
angeschlagen, nicht vergebens Wälder, Quellen, den Mondschein
beschworen, mir die Dame meiner Gedanken zuzuführen, hinter dem
Schornstein kam die Holde daherspaziert mit leichten, anmutigen
Schritten. »Bist du es, lieber Murr, der so schön singt?« So rief mir
Miesmies entgegen. Wie, erwiderte ich mit freudigem Erstaunen, du kennst
mich, süßes Wesen? »Ach, ja wohl, sprach sie, du gefielst mir gleich
beim ersten Blick, und es hat mir in der Seele weh getan, daß meine
beiden unartigen Vettern dich so unbarmherzig in die Gosse« -- Schweigen
wir, unterbrach ich sie, von der Gosse, bestes Kind -- o sage mir, ob du
mich liebst? -- »Ich habe mich, sprach Miesmies weiter, nach deinen
Verhältnissen erkundigt, und erfahren, daß du Murr hießest, und bei
einem sehr gütigen Mann nicht allein dein reichliches Auskommen hättest,
sondern auch alle Bequemlichkeiten des Lebens genössest, ja, diese wohl
mit einer zärtlichen Gattin teilen könntest! -- o ich liebe dich sehr,
guter Murr! -- Himmel, rief ich im höchsten Entzücken, ist es möglich,
ist es Traum, ist es Wahrheit? -- O halte dich, -- halte dich Verstand,
schnappe nicht über! -- Ha! bin ich noch auf der Erde? -- sitze ich noch
auf dem Dache? -- schwebe ich noch in den Wolken? Bin ich noch der Kater
Murr, bin ich nicht der Mann im Monde? -- Komm an meinen Busen Geliebte
-- doch sage mir erst deinen Namen Schönste. -- Ich heiße Miesmies,
erwiderte die Kleine süß lispelnd in holder Verschämtheit, und setzte
sich traulich neben mir hin. Wie schön sie war! Silbern glänzte ihr
weißer Pelz im Mondschein, in sanftem, schmachtendem Feuer funkelten die
grünen Äuglein. Du --

=(Mak. Bl.)= -- Hättest, geliebter Leser, das freilich schon etwas früher
erfahren können, aber der Himmel gebe, daß ich nicht noch mehr
querfeldein springen muß, als es bis jetzt schon geschehen. -- Also, wie
gesagt, dem Vater des Prinzen Hektor war es ebenso ergangen wie dem
Fürsten Irenäus: er hatte, selbst wußte er nicht wie, sein Ländlein aus
der Tasche verloren. Prinz Hektor, der zu nichts Wenigerem aufgelegt,
als zum stillen, friedlichen Leben, der, unerachtet ihm der Fürstenstuhl
unter den Beinen weggezogen, doch gern aufrecht stehen, und statt zu
regieren, wenigstens kommandieren wollte, nahm französische Dienste, war
ungemein tapfer, ging aber, als ihn eines Tages ein Zittermädel
anplärrte: Kennst du das Land, wo die Zitronen glühn? sofort nach dem
Lande, wo dergleichen Zitronen wirklich glühn, das heißt nach Neapel,
und zog statt der französischen Uniform eine neapolitanische Uniform an.
Er wurde nämlich so geschwinde General, wie es nur irgendeinem Prinzen
geschehen kann. -- Als der Vater des Prinzen Hektor gestorben, schlug
Fürst Irenäus das große Buch auf, worin er selbst sämtliche fürstliche
Häupter in Europa verzeichnet, und notierte den erfolgten Tod seines
fürstlichen Freundes und Gefährten im Malheur. Nachdem dies geschehen,
schaute er lange den Namen des Prinzen Hektor an, rief dann sehr laut:
Prinz Hektor! und klappte den Folianten so heftig zu, daß der
Hofmarschall entsetzt drei Schritte zurückprallte. Nun stand der Fürst
auf, ging langsam im Zimmer auf und ab, und schnupfte so viel Spaniol,
als nötig, um eine ganze Welt von Gedanken in Ordnung zu bringen. Der
Hofmarschall sprach viel von dem seligen Herrn, der nächst vielen
Reichtümern ein aimables Herz besessen, vom jungen Prinzen Hektor, der
vergöttert werde in Neapel von dem Monarchen und der Nation usw. Fürst
Irenäus schien das alles nicht zu beachten, er blieb plötzlich dicht vor
dem Hofmarschall stehen, schaute ihn an mit dem entsetzlichen
Friedrichsblick, sprach sehr stark: _Peutêtre_! und verschwand in das
Nebenkabinett.

Gott, sprach der Hofmarschall, der gnädigste Fürst haben gewiß die
konsiderabelsten Gedanken, vielleicht gar Pläne.

Es war dem so. -- Fürst Irenäus dachte an den Reichtum des Prinzen, an
seine Verwandtschaft mit mächtigen Häuptern, er rief sich die
Überzeugung in's Gedächtnis, daß Prinz Hektor gewiß noch den Degen mit
dem Zepter vertauschen werde, und ihm kam der Gedanke, daß die
Vermählung des Prinzen mit der Prinzessin Hedwiga von den
ersprießlichsten Folgen sein könne. Ganz im geheimsten Geheim mußte der
Kammerherr, den der Fürst sogleich absandte, um dem Prinzen seinerseits
namhaftes Beileid über den Tod des Vaters zu bezeigen, das bis auf die
Farbe der Haut wohlgetroffene Miniaturbild der Prinzessin in die Tasche
stecken. -- Es ist hier zu bemerken, daß die Prinzessin in der Tat eine
vollendete Schönheit zu nennen gewesen, hätte ihre Haut weniger in's
Gelbe gespielt. Daher war ihr die Beleuchtung des Kerzenscheins günstig.
--

Der Kammerherr richtete den geheimen Auftrag des Fürsten -- niemanden,
selbst nicht der Fürstin, hatte dieser das mindeste von seiner Absicht
vertraut, -- sehr geschickt aus. Als der Prinz das Gemälde sah, geriet
er beinahe in dieselbe Ekstase, wie sein prinzlicher Kollege in der
Zauberflöte. Wie Tamino hätte er beinahe, wenn auch nicht gesungen, doch
gerufen: »dies Bildnis ist bezaubernd schön, und dann weiter: soll die
Empfindung Liebe sein, ja, ja die Liebe ist's allein!« -- Bei Prinzen
ist es sonst eben nicht die Liebe allein, die sie streben läßt nach der
Schönsten, indessen dachte Prinz Hektor gerade nicht an andere
Verhältnisse, als er sich hinsetzte und an den Fürsten Irenäus schrieb:
es möge ihm vergönnet sein, sich um Herz und Hand der Prinzessin Hedwiga
zu bewerben.

Fürst Irenäus antwortete, daß, da er mit Freuden in eine Vermählung
willige, die er schon seines verstorbenen fürstlichen Freundes halber
aus dem Grunde des Herzens wünsche, es gar keiner weitern Bewerbung
eigentlich bedürfe. Da aber die Form sauviert werden müsse, möge der
Prinz einen artigen Mann von dem gehörigen Stande nach Sieghartsweiler
senden, den er ja auch gleich mit Vollmacht versehen könne, die Trauung
zu vollziehen, und nach altem schönem Herkommen, gestiefelt und
gespornt, den Bettsprung zu unternehmen. Der Prinz schrieb zurück: Ich
komme selbst, mein Fürst! --

Dem Fürsten war das nicht recht, er hielt die Trauung durch einen
Bevollmächtigten für schöner, erhabner, fürstlicher, hatte sich im
Innersten auf das Fest gefreut, und beruhigte sich nur damit, daß vor
dem Beilager ein großes Ordensfest gefeiert werden könne. Er wollte
nämlich das Großkreuz eines Hausordens, den sein Vater gestiftet hatte,
und den kein Ritter mehr trug, nicht tragen durfte, dem Prinzen umhängen
auf die solenneste Weise.

Prinz Hektor kam also nach Sieghartsweiler, um die Prinzessin Hedwiga
heimzuführen, und nebenher das Großkreuz eines verschollenen Hausordens
zu erhalten. Es schien ihm erwünscht, daß der Fürst seine Absicht geheim
gehalten, er bat vorzüglich, rücksichts Hedwiga's in diesem Schweigen zu
verharren, da er erst der vollen Liebe Hedwiga's versichert sein müsse,
ehe er mit seiner Bewerbung hervortreten könne.

Der Fürst verstand nicht recht, was der Prinz damit sagen wollte, und
meinte, daß, so viel er wisse und sich erinnere, diese Form, was nämlich
die Versicherung der Liebe vor dem Beilager beträfe, in fürstlichen
Häusern niemals üblich gewesen sei. Verstehe der Prinz aber darunter
weiter nichts, als die Äußerung eines gewissen Attachements, so dürfe
das vorzüglich während des Brautstandes wohl eigentlich nicht
stattfinden, könne aber, da doch die leichtsinnige Jugend über alles,
was die Etikette gebiete, hinwegzuspringen geneigt, ja in der Kürze
abgemacht werden, drei Minuten vor dem Ringewechseln. Herrlich und
erhaben wär's freilich, wenn das fürstliche Brautpaar in diesem
Augenblick einigen Abscheu gegeneinander bewiese, leider wären aber
diese Regeln des höchsten Anstandes in neuester Zeit zu leeren Träumen
geworden.

Als der Prinz Hedwiga zum erstenmal erblickte, flüsterte er seinem
Adjutanten in, den andern unverständlichem, neapolitanischen Dialekt zu:
bei allen Heiligen! sie ist schön, aber unfern des Vesuvs geboren, und
sein Feuer blitzt aus ihren Augen.

Prinz Ignaz hatte sich bereits sehr angelegentlich erkundigt, ob es in
Neapel schöne Tassen gebe, und wieviel davon Prinz Hektor besitze, so
daß dieser, durch die ganze Tonleiter der Begrüßungen durchgestiegen,
sich wieder zu Hedwiga wenden wollte, als die Türen sich öffneten, und
der Fürst den Prinzen einlud zu der Prachtszene, die er durch
Zusammenberufung sämtlicher Personen, welche nur im mindesten was
Hoffähiges an und in sich trugen, im Prunksaal bereitet. Er war diesmal
in dem Auswählen weniger strenge gewesen als sonst, da der Zirkel in
Sieghartshof eigentlich für eine Landpartie zu achten. Auch die Benzon
war zugegen mit Julien.

Prinzessin Hedwiga war still, in sich gekehrt, teilnahmlos, sie schien
den schönen Fremdling aus dem Süden nicht mehr, nicht weniger zu
beachten, als jede andere neue Erscheinung am Hofe, und fragte ziemlich
mürrisch ihr Hoffräulein, die rotwangige Nannette, ob sie närrisch
geworden, als diese nicht aufhören konnte, ihr in's Ohr zu flüstern, der
fremde Prinz sei doch gar zu hübsch und eine schönere Uniform habe sie
zeit ihres Lebens nicht gesehen.

Prinz Hektor entfaltete nun vor der Prinzessin den bunten prahlenden
Pfauenschweif seiner Galanterie, sie, beinahe verletzt durch den
Ungestüm seiner süßlichen Verzücktheit, fragte nach Italien, nach
Neapel. Der Prinz gab ihr die Beschreibung eines Paradieses, in dem sie
als herrschende Göttin wandelte. Er bewährte sich als ein Meister in der
Kunst, zu der Dame so zu sprechen, daß alles, alles sich gestaltet, als
ein Hymnus, der ihre Schönheit, ihre Anmut preiset. Mitten aus diesem
Hymnus sprang aber die Prinzessin heraus, und hin zu Julien, die sie in
der Nähe gewahrte. Die drückte sie an ihre Brust, nannte sie mit tausend
zärtlichen Namen, rief, das ist meine liebe, liebe Schwester, meine
herrliche, süße Julia! als der Prinz etwas betroffen über Hedwiga's
Flucht, hinzutrat. Der Prinz heftete einen langen, seltsamen Blick auf
Julien, so daß diese, über und über errötend, die Augen niederschlug,
und sich scheu zur Mutter wandte, die hinter ihr stand. Aber die
Prinzessin umarmte sie auf's Neue und rief: »Meine liebe, liebe Julia«,
und dabei traten ihr die Tränen in die Augen. Prinzessin, sprach die
Benzon leise, warum dieses krampfhafte Benehmen? Die Prinzessin, ohne
die Benzon zu beachten, drehte sich zu dem Prinzen, dem wirklich über
alles das der Strom der Rede versiegt, und war sie erst still, ernst,
mißmütig gewesen, so schweifte sie beinahe jetzt aus in seltsamer,
krampfhafter Lustigkeit. Endlich ließen die zu stark gespannten Saiten
nach, und die Melodien, die nun aus ihrem Innern heraustönten, waren
weicher, milder, jungfräulich zarter. Sie war liebenswürdiger als
jemals, und der Prinz schien ganz und gar hingerissen. Endlich begann
der Tanz. Der Prinz, nachdem mehrere Tänze gewechselt, erbot sich, einen
neapolitanischen Nationaltanz anzuführen, und es gelang ihm bald, den
Tanzenden die volle Idee davon zu geben, so daß sich alles gar artig
fügte, und selbst der leidenschaftlich zärtliche Charakter des Tanzes
gut hervortrat.

Niemand hatte aber eben diesen Charakter so ganz begriffen, als Hedwiga,
die mit dem Prinzen tanzte. Sie verlangte die Wiederholung, und als der
Tanz zum zweitenmal geendet, bestand sie, des Mahnens der Benzon, die
auf ihren Wangen schon die verdächtige Blässe wahrnahm, nicht achtend,
darauf, zum drittenmal den Tanz auszuführen, der ihr nun erst recht
gelingen werde. Der Prinz war entzückt. Er schwebte hin mit Hedwiga, die
in jeder Bewegung die Anmut selbst schien. Bei einer der vielen
Verschlingungen, die der Tanz gebot, drückte der Prinz die Holde
stürmisch an die Brust, aber in demselben Augenblicke sank auch Hedwiga
entseelt in seinen Armen zusammen. --

Der Fürst meinte, eine unschicklichere Störung eines Hofballes könne es
nicht geben, und nur das Land entschuldige vieles. --

Prinz Hektor hatte selbst die Ohnmächtige in ein benachbartes Zimmer auf
ein Sofa getragen, wo ihr die Benzon die Stirne rieb mit irgendeinem
starken Wasser, das der Leibarzt zur Hand gehabt. Dieser erklärte
übrigens die Ohnmacht für einen Nervenzufall, den die Erhitzung des
Tanzes veranlaßt, und der sehr bald vorübergehen werde.

Der Arzt hatte recht, nach wenigen Sekunden schlug die Prinzessin mit
einem tiefen Seufzer die Augen auf. Der Prinz, sobald er vernommen, die
Prinzessin habe sich erholt, drang durch den dichten Kreis der Damen,
von dem sie umschlossen, kniete nieder bei dem Sofa, klagte sich bitter
an, daß er allein schuld sei an dem Begegnis, das ihm das Herz
durchschneide. Sowie die Prinzessin ihn aber erblickte, rief sie mit
allen Zeichen des Abscheues: Fort, fort, und sank auf's Neue in
Ohnmacht.

Kommen Sie, sprach der Fürst, indem er den Prinzen bei der Hand
erfaßte, kommen Sie, bester Prinz, Sie wissen nicht, daß die Prinzessin
oft an den seltsamsten Reverien leidet. Weiß der Himmel, auf welche
sonderbare Weise Sie ihr in diesem Augenblick erschienen sind!
-- Imaginieren Sie sich, bester Prinz, schon als Kind -- _entre nous soit
dit_! -- hielt mich einmal die Prinzessin einen ganzen Tag hindurch für
den Großmogul, und prätendierte, ich solle in Samtpantoffeln ausreiten,
wozu ich mich auch endlich entschloß, wiewohl nur im Garten.

Prinz Hektor lachte dem Fürsten ohne Umstände in's Gesicht, und rief
nach dem Wagen.

Die Benzon mußte, so wollt' es die Fürstin aus Besorgnis für Hedwiga,
mit Julien im Schlosse bleiben. Sie wußte, welche psychische Macht sonst
die Benzon über die Prinzessin übte, und ebenso, daß dieser psychischen
Macht auch Krankheitszufälle der Art zu weichen pflegten. In der Tat
geschah es auch diesmal, daß Hedwiga in ihrem Zimmer sich bald erholte,
als die Benzon ihr unermüdlich zugeredet mit sanften Worten. Die
Prinzessin behauptete nichts Geringeres, als daß im Tanzen der Prinz
sich in ein drachenartiges Ungeheuer verwandelt, und mit spitzer,
glühender Zunge ihr einen Stich ins Herz gegeben habe. »Gott behüte,
rief die Benzon, am Ende ist Prinz Hektor gar das _mostro turchino_ aus
der Gozzischen Fabel! -- Welche Einbildungen! zuletzt wird es sich so
begeben, wie mit Kreisler, den Sie für einen bedrohlichen Wahnsinnigen
hielten!« -- »Nimmermehr, rief die Prinzessin heftig, und setzte dann
lachend hinzu: wahrhaftig, ich wollte nicht, daß mein guter Kreisler
sich so plötzlich in das _mostro turchino_ verwandelte, wie Prinz Hektor!«
--

Als am frühsten Morgen die Benzon, die bei der Prinzessin gewacht, in
Juliens Zimmer trat, kam ihr diese entgegen, erblaßt, übernächtig, das
Köpfchen gehängt, wie eine kranke Taube. »Was ist Dir, Julie«, rief ihr
die Benzon, die nicht gewohnt, die Tochter in solchem Zustande zu sehen,
erschrocken entgegen. »Ach Mutter«, sprach Julie ganz trostlos, »ach
Mutter, niemals mehr in diese Umgebungen; mein Herz erbebt, wenn ich an
die gestrige Nacht denke. -- Es ist etwas Entsetzliches in diesem
Prinzen; als er mich anblickte, ich kann Dir's nicht beschreiben, was in
meinem Innern vorging. -- Ein Blitzstrahl fuhr tötend aus diesen dunklen,
unheimlichen Augen, von dem getroffen ich Ärmste vernichtet werden
konnte. -- Lache mich nicht aus, Mutter, aber es war der Blick des
Mörders, der sein Opfer erkoren, das mit der Todesangst getötet wird,
noch ehe der Dolch gezückt! -- Ich wiederhol' es, ein ganz fremdes
Gefühl, ich vermag es nicht zu nennen, bebte wie ein Krampf mir durch
alle Glieder! -- Man spricht von Basilisken, deren Blick, ein giftiger
Feuerstrahl, augenblicklich tötet, wenn man es wagt, sie anzuschauen.
Der Prinz mag solchem bedrohlichen Untier gleichen.«

»Nun, rief die Benzon laut lachend, muß ich in der Tat glauben, daß es
mit dem _mostro turchino_ seine Richtigkeit hat, da der Prinz, ist er
gleich der schönste, liebenswürdigste Mann, zweien Mädchen erschienen
ist als Drache, als Basilisk. Der Prinzessin traue ich die tollsten
Einbildungen zu, aber daß meine ruhige sanfte Julie, mein süßes Kind,
sich hingeben sollte, närrischen Träumen.« -- Und Hedwiga, unterbrach
Julie die Benzon, ich weiß nicht, welch' eine böse feindliche Macht sie
losreißen von meinem Herzen, ja mich hineinstürzen will in den Kampf
einer fürchterlichen Krankheit, der in ihrem Innern wütet! -- Ja,
Krankheit nenne ich der Prinzessin Zustand, gegen den die Ärmste nichts
vermag. Als sie gestern sich schnell abwandte von dem Prinzen, als sie
mich liebkoste, umarmte, da fühlte ich, wie sie in Fieberhitze glühte.
Und dann das Tanzen, das entsetzliche Tanzen! Du weißt Mutter, wie ich
die Tänze hasse, in denen es den Männern vergönnt, uns zu umschlingen.
-- Es ist mir, als müßten wir in dem Augenblick alles aufgeben, was
Sitte und Anstand erfordern und den Männern eine Übermacht einräumen,
die wenigstens den zartfühlenden unter ihnen unerfreulich bleiben wird.
-- Und nun Hedwiga, die nicht aufhören konnte, jenen südlichen Tanz zu
tanzen, der mir, je länger er dauerte, desto abscheulicher schien.
Rechte teuflische Schadenfreude war es, die aus den Augen des Prinzen
blitzte --«

»Närrin, sprach die Benzon, was fällt Dir alles ein! -- Doch! -- ich kann
Deine Gesinnung über das alles nicht tadeln, bewahre sie treulich, aber
sei nicht ungerecht gegen Hedwiga, denke überhaupt gar nicht weiter
nach, was mit ihr ist und mit dem Prinzen, schlage es Dir aus dem Sinn!
-- Willst Du, so werd' ich dafür sorgen, daß Du eine Zeitlang weder
Hedwiga noch den Prinzen sehen darfst. Nein, Deine Ruhe soll nicht
gestört werden, mein gutes, liebes Kind! Komm an mein Herz!« -- Damit
umarmte die Benzon Julien mit aller mütterlicher Zärtlichkeit.

»Und, fuhr Julie fort, indem sie das glühende Antlitz an die Brust der
Mutter drückte, aus der entsetzlichen Unruhe, die ich empfand, mochten
auch wohl die seltsamen Träume kommen, die mich ganz verstört haben.«

»Was träumtest Du denn?« fragte die Benzon.

»Mir war's, sprach Julie weiter, ich wandle in einem herrlichen Garten,
in dem unter dichtem, dunklem Gebüsch Nachtviolen und Rosen
durcheinander blühten, und ihr süßes Aroma in die Lüfte streuten. Ein
wunderbarer Schimmer, wie Mondesglanz, ging auf in Ton und Gesang, und
wie er die Bäume, die Blumen mit goldnem Strahl berührte, bebten sie vor
Entzücken, und die Büsche säuselten und die Quellen flüsterten in
leisen, sehnsüchtigen Seufzern. Da gewahrte ich aber, daß ich selbst der
Gesang sei, der durch den Garten ziehe, doch sowie der Glanz der Töne
verbleiche, müsse ich auch vergehen in schmerzlicher Wehmut! -- Nun
sprach aber eine sanfte Stimme: nein! der Ton ist die Seligkeit und
keine Vernichtung, und ich halte Dich fest mit starken Armen, und in
Deinem Wesen ruht mein Gesang, der ist aber ewig wie die Sehnsucht! -- Es
war Kreisler, der vor mir stand und diese Worte sprach. Ein himmlisches
Gefühl von Trost und Hoffnung ging durch mein Inneres, und selbst wußte
ich nicht -- ich sage Dir alles, Mutter! -- ja selbst wußte ich nicht,
wie es kam, daß ich Kreislern an die Brust sank. Da fühlte ich
plötzlich, wie mich eiserne Arme fest umschlangen, und eine
entsetzliche, höhnende Stimme rief: Was sträubst Du Dich, Elende, Du
bist ja schon getötet und mußt nun mein sein. -- Es war der Prinz, der
mich festhielt. -- Mit einem lauten Angstgeschrei fuhr ich auf aus dem
Schlafe, ich warf mein Nachtkleid über, und lief an's Fenster, das ich
öffnete, da die Luft im Zimmer schwül und dunstig. In der Ferne gewahrte
ich einen Mann, der mit einem Perspektiv nach den Fenstern des Schlosses
schaute, dann aber die Allee hinabsprang auf seltsame, ich möchte sagen,
närrische Weise, indem er von beiden Seiten allerlei Entrechats und
andere Tänzerpas ausführte, mit den Armen in den Lüften herumfocht und,
wie ich zu vernehmen glaubte, laut dazu sang. Ich erkannte Kreislern,
und indem ich über sein Beginnen herzlich lachen mußte, kam er mir doch
vor, wie der wohltätige Geist, der mich schützen würde vor dem Prinzen.
Ja es war, als würde mir jetzt erst Kreislers inneres Wesen recht klar,
und ich sähe jetzt erst ein, wie sein schalkisch scheinender Humor, von
dem mancher sich oft verwundet fühle, aus dem treuesten, herrlichsten
Gemüte komme. Ich hätte hinablaufen in den Park, ich hätte Kreislern
alle Angst des entsetzlichen Traums klagen mögen! --«

»Das ist, sprach die Benzon ernst, ein einfältiger Traum und das
Nachspiel noch einfältiger! -- Du bedarfst der Ruhe, Julie, ein leichter
Morgenschlummer wird Dir wohltun, auch ich gedenke noch ein paar Stunden
zu schlafen.«

Damit verließ die Benzon das Zimmer und Julie tat, wie ihr geheißen.

Als sie erwachte, strahlte die Mittagssonne in die Fenster hinein, und
ein starker Duft von Nachtviolen und Rosen strömte durch das Zimmer.
»Was ist das; rief Julie voll Erstaunen, was ist das! -- mein Traum! --«
Doch wie sie sich umschaute, lag über ihr auf der Lehne des Sofas, auf
dem sie geschlafen, ein schöner Strauß jener Blumen! --

»Kreisler, mein lieber Kreisler,« sprach Julie sanft, nahm den Strauß,
und geriet in träumerisches Sinnen.

Prinz Ignaz ließ anfragen, ob es ihm nicht erlaubt sei, Julien ein
Stündchen zu sehen. Schnell kleidete sich Julie an, und eilte in das
Zimmer, wo Ignaz sie schon mit einem ganzen Korbe voll Porzellantassen
und chinesischer Puppen erwartete. Julie, das gute Kind, ließ es sich
gefallen, stundenlang mit dem Prinzen, der ihr tiefes Mitleid einflößte,
zu spielen. Kein Wort der Neckerei, oder wohl gar der Verachtung,
entschlüpfte ihr, wie es wohl andern bisweilen, vorzüglich der
Prinzessin Hedwiga, geschah, daher kam es, das dem Prinzen Julias
Gesellschaft über alles ging, und er sie oft gar seine kleine Braut
nannte. -- Die Tassen waren aufgestellt, die Puppen geordnet, Julie
hielt eben im Namen eines kleinen Harlekins eine Anrede an den Kaiser
von Japan (beide Püppchen standen einander gegenüber) als die Benzon
hereintrat.

Nachdem sie eine Weile dem Spiele zugeschaut, drückte sie Julien einen
Kuß auf die Stirn und sprach: »Du bist doch mein liebes, gutes Kind! --«

Es war späte Dämmerung eingebrochen. Julie, die, wie sie gewünscht, bei
der Mittagstafel nicht erscheinen dürfen, saß einsam in ihrem Zimmer und
erwartete die Mutter. Da schlichen leise Tritte hinan, die Türe öffnete
sich und totenbleich, mit starren Augen, in weißem Kleide, gespenstisch,
trat die Prinzessin hinein. »Julia, sprach sie leise und dumpf, Julia!
-- nenne mich töricht, ausgelassen -- wahnsinnig, aber entziehe mir nicht
Dein Herz, ich bedarf Deines Mitleids, Deines Trostes! -- Es ist nichts
als der Überreiz, die heillose Erschöpfung des abscheulichen Tanzes, die
mich krank gemacht hat, aber es ist vorüber, mir ist besser! -- Der
Prinz ist fort nach Sieghartsweiler! -- Ich muß in die Luft, laß uns
hinabwandeln in den Park! --«

Als beide, Julie und die Prinzessin, sich am Ende der Allee befanden,
strahlte ein helles Licht ihnen aus dem tiefsten Dickicht entgegen, und
sie vernahmen fromme Gesänge. »Das ist die Abendlitanei aus der
Marien-Kapelle,« rief Julia.

»Ja, sprach die Prinzessin, wir wollen hin, laß uns beten! -- bete Du
auch für mich, Julie! --«

»Wir wollen, erwiderte Julie, vom tiefsten Schmerz über der Freundin
Zustand ergriffen, wir wollen beten, daß nie ein böser Geist Macht habe
über uns, daß unser reines, frommes Gemüt nicht verstört werden möge
durch des Feindes Verlockung.«

Eben zogen, als die Mädchen bei der Kapelle angekommen, die am äußersten
Ende des Parks befindlich, die Landleute von dannen, die die Litanei vor
dem mit Blumen geschmückten, und mit vielen Lampen erleuchteten
Marienbilde gesungen. Sie knieten nieder in dem Betstuhl. Da begannen
die Sänger auf dem kleinen Chor, der zur Seite des Altars angebracht,
das Ave maris stella, das Kreisler erst vor kurzem komponiert.

Leise beginnend brauste der Gesang stärker und mächtiger auf in dem dei
mater alma, bis die Töne in dem _felix coeli porta_ dahinsterbend,
fortschwebten auf den Fittichen des Abendwindes.

Noch immer lagen die Mädchen auf den Knien, tief versunken in brünstige
Andacht. Der Priester murmelte Gebete, und aus weiter Ferne, wie ein
Chor von Engelstimmen aus dem nächtlichen verschleierten Himmel, hallte
der Hymnus: _O sanctissima_, den die hereinziehenden Sänger angestimmt.

Endlich erteilte ihnen der Priester den Segen. Da standen sie auf, und
fielen sich in die Arme. Ein namenloses Weh, aus Entzücken und Schmerz
gewoben, schien gewaltsam sich loswinden zu wollen aus ihrer Brust, und
Blutstropfen, dem wunden Herzen entquollen, waren die heißen Tränen, die
aus ihren Augen stürzten. »Das war =er=,« lispelte die Prinzessin leise.
»Er war's,« erwiderte Julie. -- Sie verstanden sich.

In ahnungsvollem Schweigen harrte der Wald, daß die Mondscheibe
aufsteige, und ihr schimmerndes Gold über ihn ausstreue. Der Choral der
Sänger, noch immer vernommen in der Stille der Nacht, schien
entgegenzuziehen dem Gewölk, das glühend aufflammte, und sich über den
Bergen lagerte, die Bahn des leuchtenden Gestirns bezeichnend, vor dem
die Sterne erblaßten.

»Ach, sprach Julia, was ist es denn, das uns so bewegt, das so mit
tausend Schmerzen unser Inneres durchschneidet? -- Horche doch nur, wie
das ferne Lied so tröstend zu uns herüberhallt? Wir haben gebetet, und
aus den goldnen Wolken sprechen fromme Geister zu uns herab von
himmlischer Seligkeit. --« »Ja, meine Julia, erwiderte die Prinzessin
ernst und fest, über den Wolken ist Heil und Seligkeit, und ich wollte,
daß ein Engel des Himmels mich hinauftrüge zu den Sternen, ehe mich die
finstere Macht erfaßte. Ich möchte wohl sterben, aber ich weiß es, dann
trügen sie mich in die fürstliche Gruft, und die Ahnherrn, die dort
begraben, würden es nicht glauben, daß ich gestorben bin, und erwachen
aus der Totenerstarrung zum entsetzlichen Leben, und mich hinaustreiben.
Dann gehörte ich ja aber weder den Toten an, noch den Lebendigen, und
fände nirgends Obdach.«

»Was sprichst Du, Hedwiga, um aller Heiligen willen, was sprichst Du?«
rief Julie erschrocken.

»Mir hat, fuhr die Prinzessin fort, in demselben festen, beinahe
gleichgültigen Ton beharrend, dergleichen einmal geträumt. Es kann aber
auch sein, daß ein bedrohlicher Ahnherr im Grabe zum Vampyr geworden,
der mir nun das Blut aussaugt. Davon mögen meine häufigen Ohnmachten
herrühren.«

»Du bist krank, rief Julia, sehr krank, Hedwiga, die Nachtluft schadet
Dir, laß uns forteilen.«

Damit umschlang sie die Prinzessin, die sich schweigend fortführen ließ.

Der Mond war nun hoch heraufgestiegen über den Geierstein, und in
magischer Beleuchtung standen die Büsche, die Bäume, und flüsterten und
rauschten, mit dem Nachtwinde kosend, in tausend lieblichen Weisen.

»Es ist doch schön, sprach Julie, o es ist doch schön auf der Erde,
beut uns die Natur nicht ihre herrlichsten Wunder dar wie eine gute
Mutter ihren lieben Kindern?« -- »Meinst Du? erwiderte die Prinzessin,
und fuhr dann nach einer Weile fort: Ich wollte nicht, daß Du mich erst
ganz verstanden hättest, und bitte, alles nur für den Erguß einer bösen
Stimmung zu halten. -- Du kennst noch nicht den vernichtenden Schmerz
des Lebens. Die Natur ist grausam, sie hegt und pflegt nur die gesunden
Kinder, die kranken verläßt sie, ja richtet bedrohliche Waffen gegen ihr
Dasein. -- Ha! Du weißt, daß mir sonst die Natur nichts war, als eine
Bildergalerie, hingestellt um die Kräfte des Geistes und der Hand zu
üben, aber jetzt ist es anders worden, da ich nichts fühle, nichts ahne,
als ihr Entsetzen. Ich möchte lieber in erleuchteten Sälen zwischen
bunter Gesellschaft wandeln, als einsam mit Dir in dieser mondhellen
Nacht. --

Julien wurde nicht wenig bange, sie bemerkte, wie Hedwiga immer
schwächer, erschöpfter wurde, so daß die Arme all' ihre geringe Kraft
anwenden mußte, um sie im Gehen aufrecht zu erhalten.

Endlich hatten sie das Schloß erreicht. Unfern desselben, auf der
steinernen Bank, die unter einem Hollunderbusch stand, saß eine
finstere, verhüllte Gestalt. Sowie Hedwiga diese gewahrte, rief sie voll
Freude: Dank der Jungfrau und allen Heiligen, da ist sie! und ging
plötzlich erkräftigt, und sich von Julien losmachend auf die Gestalt
los, die sich erhob, und mit dumpfer Stimme sprach: Hedwiga, mein armes
Kind! -- Julia gewahrte, daß die Gestalt eine von Kopf bis zu Fuß in
braune Gewänder gehüllte Frau war, die tiefen Schatten ließen die Züge
ihres Gesichts nicht erkennen. Von innern Schauern durchbebt, blieb
Julia stehen.

Beide, die Frau und die Prinzessin, ließen sich auf die Bank nieder. Die
Frau strich ihr sanft die Haarlocken von der Stirne, legte dann die
Hände darauf, und sprach langsam und leise in einer Sprache, die Julie
sich nicht erinnern konnte, jemals gehört zu haben. Nachdem dies einige
Minuten gewährt, rief die Frau Julien zu: Mädchen, eile nach dem Schloß,
rufe die Kammerfrauen, sorge, daß man die Prinzessin hineinschaffe! Sie
ist in sanften Schlaf gesunken, von dem sie gesund und froh erwachen
wird.

Julie, ihrem Erstaunen nicht einen Augenblick Raum gebend, tat schnell,
wie ihr geheißen.

Als sie mit den Kammerfrauen ankam, fand man die Prinzessin, sorgsam in
ihren Shawl eingehüllt, wirklich im sanften Schlaf, die Frau war
verschwunden.

Sage mir, sprach Julie am andern Morgen, als die Prinzessin ganz genesen
erwacht, und keine Spur innerer Zerrüttung sich zeigte, was Julie
befürchtet, sage mir um Gott, wer war die wunderbare Frau?

»Ich weiß es nicht, erwiderte die Prinzessin, ein einziges Mal in
meinem Leben habe ich sie gesehen. Du erinnerst Dich, wie ich einmal,
noch ein Kind, in eine tödliche Krankheit verfallen, so daß die Ärzte
mich aufgaben. Da saß sie in einer Nacht plötzlich an meinem Bette, und
lullte mich, wie heute, ein in süßen Schlummer, von dem ich ganz genesen
erwachte. -- In der gestrigen Nacht trat zum ersten Mal das Bild dieser
Frau mir wieder vor die Augen, es war mir, als müsse sie mir wieder
erscheinen, und mich retten, und so hat es sich wirklich begeben. -- Tu'
es mir zur Liebe, und schweige ganz von der Erscheinung, laß Dir auch
nichts merken durch Wort oder Zeichen, daß uns etwas Wunderbares
begegnet. Denke an den Hamlet, und sei mein lieber Horatio! -- Es ist
gewiß, daß es mit dieser Frau eine geheimnisvolle Bewandtnis haben muß,
aber, mag das Geheimnis mir und Dir verschlossen bleiben, weiteres
Forschen bedünkt mir gefährlich. -- Ist es nicht genug, daß ich genesen
bin, und froh, frei von allen Gespenstern, die mich verfolgten? --

Alles verwunderte sich über der Prinzessin so plötzlich wiedergekehrte
Gesundheit. Der Leibarzt behauptete, der nächtliche Spaziergang nach der
Marienkapelle habe durch die Erschütterung aller Nerven so drastisch
gewirkt, und er nur vergessen denselben ausdrücklich zu verordnen. Die
Benzon sprach aber in sich hinein: Hm! -- die Alte ist bei ihr gewesen
-- mag das dies Mal hingehen! -- Es ist nun an der Zeit, daß jene
verhängnisvolle Frage des Biographen: Du --

=(M. f. f.)= liebst mich also, holde Miesmies? O wiederhol' es mir
tausendmal, damit ich noch in ferneres Entzücken geraten und soviel
Unsinn aussprechen möge, wie es einem von dem besten Romandichter
geschaffenen Liebeshelden geziemt! -- Doch Beste, du hast meine
erstaunliche Neigung zum Gesange, sowie meine Kunstfertigkeit darin,
schon bemerkt, würd' es dir wohl gefällig sein, Teure! mir ein kleines
Liedchen vorzusingen? »Ach, erwiderte Miesmies, ach, geliebter Murr,
zwar bin ich auch in der Kunst des Gesanges nicht unerfahren; aber du
weißt, wie es jungen Sängerinnen geht, wenn sie zum erstenmal singen
sollen vor Meistern und Kennern! -- Die Angst, die Verlegenheit, schnürt
ihnen die Kehle zu, und die schönsten Töne, Trillos und Mordenten
bleiben auf die fatalste Weise in der Kehle stecken, wie Fischgräten.
-- Eine Arie zu singen ist dann pur unmöglich, weshalb der Regel nach mit
einem Duett begonnen wird. Laß uns ein kleines Duett versuchen, Teurer!
wenn's dir gefällig! -- Das war mir recht. -- Wir stimmten nun gleich
das zärtliche Duett an: Bei meinem ersten Blick, flog dir mein Herz
entgegen usw. Miesmies begann furchtsam, aber bald ermutigte sie mein
kräftiges Falsett. Ihre Stimme war allerliebst, ihr Vortrag gerundet,
weich, zart, kurz, sie zeigte sich als wackre Sängerin. Ich war
entzückt, wiewohl ich einsah, daß mich Freund Ovid wiederum im Stich
gelassen. Da Miesmies mit dem _cantare_ so herrlich bestanden, so war es
mit dem _chordas tangere_ gar nichts, und ich durfte nicht erst nach der
Guitarre verlangen. --

Miesmies sang nun mit seltener Geläufigkeit, mit ungemeinem Ausdruck,
mit höchster Eleganz das bekannte: _Di tanti palpiti_ usw. Von der
heroischen Stärke des Rezitativs stieg sie herrlich hinein in die
wahrhaft kätzliche Süßigkeit des Andantes. Die Arie schien ganz für sie
geschrieben, so daß auch mein Herz überströmte und ich in ein lautes
Freudengeschrei ausbrach. Ha! -- Miesmies mußte mit dieser Arie eine
Welt fühlender Katerseelen begeistern! -- Nun stimmten wir noch ein
Duett an, aus einer ganz neuen Oper, das ebenfalls herrlich gelang, da
es ganz und gar für uns geschrieben schien. Die himmlischen Rouladen
gingen glanzvoll aus unserm Innern heraus, da sie meistenteils aus
chromatischen Gängen bestanden. Überhaupt muß ich bei dieser Gelegenheit
bemerken, daß unser Geschlecht chromatisch ist, und daß daher jeder
Komponist, der für uns komponieren will, sehr wohl tun wird, Melodien
und alles Übrige, chromatisch einzurichten. Leider hab' ich den Namen
des trefflichen Meisters, der jenes Duett komponiert, vergessen, das ist
ein wackrer lieber Mann, ein Komponist nach meinem Sinn. --

Während dieses Singens war ein schwarzer Kater heraufgestiegen, der uns
mit glühenden Augen anfunkelte. »Bleiben Sie gefälligst von dannen,
bester Freund, rief ich ihm entgegen, sonst kratze ich Ihnen die Augen
aus, und werfe Sie vom Dache hinab, wollen Sie aber eins mit uns singen,
so kann das geschehen.« -- Ich kannte den jungen, schwarz gekleideten
Mann als einen vortrefflichen Bassisten, und schlug daher vor, eine
Komposition zu singen, die ich zwar sonst nicht sehr liebe, die sich
aber zu der bevorstehenden Trennung von Miesmies sehr gut schickte.
-- Wir sangen: Soll ich dich Teurer nicht mehr sehen! Kaum versicherte
ich aber mit dem Schwarzen, daß die Götter mich bewahren würden, als
eine gewaltige Ziegelscherbe zwischen uns durchfuhr, und eine
entsetzliche Stimme rief: wollen die verfluchten Katzen wohl die Mäuler
halten! -- Wir stoben, von der Todesfurcht gehetzt, wild auseinander in
den Dachboden hinein. O der herzlosen Barbaren ohne Kunstgefühl, die
selbst unempfindlich bleiben bei den rührendsten Klagen der
unaussprechlichen Liebeswehmut, und nur Rache und Tod brüten und
Verderben! --

Wie gesagt, das, was mich befreien sollte von meiner Liebesnot,
stürzte mich nur noch tiefer hinein. Miesmies war so musikalisch, daß
wir beide auf das anmutigste miteinander zu phantasieren vermochten.
Zuletzt sang sie meine eignen Melodien herrlich nach, darüber wollte ich
denn nun ganz und gar närrisch werden, und quälte mich schrecklich ab in
meiner Liebespein, so daß ich ganz blaß, mager und elend wurde.
-- Endlich, endlich, nachdem ich mich lange genug abgehärmt, fiel mir das
letzte, wiewohl verzweifelte Mittel ein, mich von meiner Liebe zu
heilen. -- Ich beschloß, meiner Miesmies Herz und Pfote zu bieten. Sie
schlug ein, und sobald wir ein Paar worden, merkte ich auch alsbald, wie
meine Liebesschmerzen sich ganz und gar verloren. Mir schmeckte
Milchsuppe und Braten vortrefflich, ich gewann meine joviale Laune
wieder, mein Bart kam in Ordnung, mein Pelz erhielt wieder den alten
schönen Glanz, da ich nun die Toilette mehr beachtete als vorher,
wogegen meine Miesmies sich gar nicht mehr putzen mochte. Ich fertigte
demunerachtet, wie zuvor geschehen, noch einige Verse auf meine
Miesmies, die um so hübscher, um so wahrer empfunden wahren, als ich den
Ausdruck der schwärmerischen Zärtlichkeit so immer mehr und mehr
heraufschrob, bis er mir die höchste Spitze erreicht zu haben schien.
Ich dedizierte endlich der Guten noch ein dickes Buch, und hatte so auch
in literarisch-ästhetischer Hinsicht alles abgetan, was von einem
honetten treuverliebten Kater nur verlangt werden kann. Übrigens führten
wir, ich und meine Miesmies, auf der Strohmatte vor der Türe meines
Meisters, ein häuslich ruhiges, glückliches Leben. -- Doch welches Glück
ist hienieden auch nur von einigem Bestand! -- Ich bemerkte bald, daß
Miesmies oft in meiner Gegenwart zerstreut war, daß sie, wenn ich mit
ihr sprach, verwirrtes Zeug antwortete, daß ihr tiefe Seufzer entflohen,
daß sie nur schmachtende Liebeslieder singen mochte, ja daß sie zuletzt
ganz matt und krank tat. Fragte ich dann, was ihr fehle, so streichelte
sie mir zwar die Wangen und erwiderte: »Nichts, gar nichts, mein liebes,
gutes Papachen,« aber das Ding war mir doch gar nicht recht. Oft
erwartete ich sie vergebens auf der Strohmatte, suchte sie vergebens im
Keller, auf dem Boden, und fand ich sie denn endlich und machte ihr
zärtliche Vorwürfe, so entschuldigte sie sich damit, daß ihre Gesundheit
weite Spaziergänge erfordere, und daß ein ärztlicher Kater sogar eine
Badereise angeraten. Das war mir wieder nicht recht. Sie mochte wohl
meinen versteckten Ärger gewahren, und ließ es sich angelegen sein, mich
mit Liebkosungen zu überhäufen, aber auch in diesen Liebkosungen lag so
etwas Sonderbares, ich weiß es nicht zu nennen, das mich erkältete,
statt mich zu erwärmen, und auch das war mir nicht recht. Ohne zu
vermuten, daß dies Betragen meiner Miesmies seinen besonderen Grund
haben könne, wurde ich nur inne, daß nach und nach auch das letzte
Fünkchen der Liebe zu der Schönsten erlosch, und daß in ihrer Nähe mich
die tötendste Langeweile erfaßte. Ich ging daher meine Wege und sie die
ihrigen; kamen wir aber einmal zufällig auf der Strohmatte zusammen, so
machten wir uns die liebevollsten Vorwürfe, waren dann die zärtlichsten
Gatten, und besangen die friedliche Häuslichkeit, in der wir lebten.

Es begab sich, daß mich einmal der schwarze Bassist in dem Zimmer meines
Meisters besuchte. Er sprach in abgebrochenen geheimnisvollen Worten,
fragte dann stürmisch, wie ich mit meiner Miesmies lebe -- kurz, ich
merkte wohl, daß der Schwarze etwas auf dem Herzen hatte, das er mir
entdecken wollte. Endlich kam es denn auch zum Vorschein. Ein Jüngling,
der im Felde gedient, war zurückgekehrt, und lebte in der Nachbarschaft
von einer kleinen Pension, die ihm ein dort wohnender Speisewirt an
Fischgräten und Speisabgang ausgeworfen. Schön von Figur, herkulisch
gebaut, wozu noch kam, daß er eine reiche fremde Uniform trug, schwarz
grau und gelb, und wegen bewiesener Tapferkeit, als er mit wenigen
Kameraden einen ganzen Speicher von Mäusen reinigen wollen, das
Ehrenzeichen des gebrannten Specks auf der Brust trug, fiel er allen
Mädchen und Frauen in der Gegend auf. Alle Herzen schlugen ihm entgegen,
wenn er auftrat keck und kühn, den Kopf emporgehoben, feurige Blicke um
sich werfend. Der hatte sich, wie der Schwarze versicherte, in meine
Miesmies verliebt, sie war ihm ebenso mit Liebe entgegengekommen, und es
war nur zu gewiß, daß sie heimliche verliebte Zusammenkünfte hielten
allnächtlich hinter dem Schornstein oder im Keller.

»Mich wundert, sprach der Schwarze, bester Freund! daß Sie bei Ihrer
sonstigen Sagazität das nicht längst bemerkt; aber liebende Gatten sind
oft blind, und es tut mir leid, daß Freundespflicht mir gebot, Ihnen die
Augen zu öffnen, da ich weiß, daß Sie in Ihre vortreffliche Gattin ganz
und gar vernarrt sind.«

O Muzius, so hieß der Schwarze, rief ich, ob ich ein Narr bin, ob ich
sie liebe, die süße Verräterin! Ich bete sie an, mein ganzes Wesen
gehört ihr! -- Nein, sie kann mir das nicht tun, die treue Seele!
-- Muzius, schwarzer Verleumder, empfange den Lohn deiner Schandtat! --
Ich hob die gekrallte Pfote auf, Muzius blickte mich freundlich an und
sprach sehr ruhig: »ereifern Sie sich nicht, mein Guter, Sie teilen das
Los vieler vortrefflichen Leute, überall ist schnöder Wankelmut zu
Hause, und leider vorzüglich bei unserm Geschlecht.« Ich ließ die
aufgehobene Pfote wieder sinken, sprang wie in voller Verzweiflung
einigemal in die Höhe und schrie dann wütend: wär es möglich, wär es
möglich! -- O Himmel -- Erde! -- was noch sonst? -- nenn' ich die Hölle
mit! -- Wer hat mir das getan, der schwarz grau gelbe Kater? -- Und sie,
die süße Gattin, treu und hold sonst, sie konnte, höllischen Trugs voll,
=den= verachten, der oft, an ihrem Busen eingewiegt, in süßen
Liebesträumen selig schwelgte? -- O fließt, ihr Zähren, fließt der
Undankbaren! -- Himmel tausend sapperment, das geht nicht an, den bunten
Kerl am Schornstein soll der Teufel holen!

»Beruhigen Sie sich doch nur, sprach Muzius, Sie überlassen sich zu sehr
der Wut des jähen Schmerzes. Als Ihr wahrer Freund mag ich Sie jetzt
weiter nicht in Ihrer angenehmen Verzweiflung stören. Wollen Sie sich in
Ihrer Trostlosigkeit ermorden, so könnte ich Ihnen zwar mit einem
tüchtigen Rattenpulver aufwarten, ich will es aber nicht tun, da Sie
sonst ein lieber charmanter Kater sind und es jammerschade wäre um Ihr
junges Leben. Trösten Sie sich, lassen sie Miesmies laufen, es gibt der
anmutigen Katzen noch viele in der Welt. -- Adieu, Bester!« -- Damit
sprang Muzius fort durch die geöffnete Türe.

Sowie ich, still unter dem Ofen liegend, mehr nachsann über die
Entdeckungen, die mir der Kater Muzius gemacht, fühlte ich wohl etwas in
mir sich regen, wie heimliche Freude. Ich wußte nun, wie ich mit
Miesmies daran war, und die Quälerei mit dem ungewissen Wesen war am
Ende. Hatte ich aber anstandshalber erst die gehörige Verzweiflung
geäußert, so glaubte ich, daß derselbe Anstand es erfordere, dem
Schwarzgraugelben zu Leibe zu gehen. Ich belauschte zur Nachtzeit das
Liebespaar hinter dem Schornstein, und fuhr mit den Worten: »höllischer
bestialischer Verräter«, auf meinen Nebenbuhler grimmig los. Der aber,
an Stärke, wie ich leider zu spät bemerkte, mir weit überlegen, packte
mich, ohrfeigte mich gräßlich ab, daß ich mehreres Pelzwerk einbüßte,
und sprang dann schnell fort. Miesmies lag in Ohnmacht, als ich mich ihr
aber näherte, sprang sie ebenso behende wie ihr Liebhaber auf, und ihm
nach in den Dachboden hinein.

Lendenlahm, mit blutigen Ohren, schlich ich hinab zu meinem Meister, und
verwünschte den Gedanken, meine Ehre konservieren zu wollen, hielt es
auch für gar keine Schande, die Miesmies dem Schwarzgraugelben ganz und
gar zu überlassen.

Welch' ein feindliches Schicksal, dacht' ich, der himmlischromantischen
Liebe halber werde ich in die Gosse geworfen, und das häusliche Glück
verhilft mir zu nichts anderm, als zu gräßlichen Prügeln.

Am andern Morgen erstaunte ich nicht wenig, als ich, aus dem Zimmer des
Meisters heraustretend, Miesmies auf der Strohmatte fand. »Guter Murr,
sprach sie sanft und ruhig, ich glaube zu fühlen, daß ich dich nicht
mehr so liebe, als sonst, welches mich sehr schmerzt.«

O teure Miesmies, erwiderte ich zärtlich, es zerschneidet mir das Herz,
aber ich muß es gestehen, seit der Zeit, daß sich gewisse Dinge begeben,
bist du mir auch gleichgültig geworden.

»Nimm es nicht übel, sprach Miesmies weiter, süßer Freund, aber es ist
mir so, als wärst du mir schon längst ganz unausstehlich gewesen.«

Mächt'ger Himmel, rief ich begeistert, welche Sympathie der Seelen, mir
geht es so, wie dir.

Nachdem wir auf diese Weise einig geworden, daß wir uns einander ganz
unausstehlich wären, und uns notwendigerweise trennen müßten auf ewig,
umpfoteten wir uns auf das zärtlichste, und weinten heiße Tränen der
Freude und des Entzückens! --

Dann trennten wir uns, jeder war hinfort von der Vortrefflichkeit, von
der Seelengröße des andern überzeugt, und pries sie jedem an, der davon
hören mochte.

Auch ich war in Arkadien, rief ich, und legte mich auf die schönen
Künste und Wissenschaften eifriger als jemals.

=(Mak. Bl.)= -- Euch, sprach Kreisler, ja ich sag' es Euch aus tiefer
Seele, diese Ruhe scheint mir bedrohlicher, als der wütendste Sturm. Es
ist die dumpfe taube Schwüle vor dem zerstörenden Gewitter, in der sich
jetzt alles an dem Hofe bewegt, den Fürst Irenäus im Duodezformat mit
vergoldetem Schnitt, wie einen Almanach ans Tageslicht gebracht.
Vergebens steckt der gnädigste Herr unaufhörlich glänzende Feste auf,
wie Gewitterableiter, als zweiter Franklin, die Blitze werden doch
einschlagen, und vielleicht sein eignes Staatskleid versengen. -- Es ist
wahr, Prinzessin Hedwiga gleicht jetzt in ihrem ganzen Wesen einer hell
und klar hinströmenden Melodie, statt daß sonst wilde unruhige Akkorde
durcheinander auffuhren aus ihrer wunden Brust, aber -- Nun! und Hedwiga
schreitet jetzt in verklärtem freundlichem Stolz an dem Arm des wackern
Neapolitaner's daher, und Julia lächelt ihn an auf ihre holdselige
Weise, und läßt sich seine Galanterien gefallen, die der Prinz, ohne ein
Auge von der bestimmten Braut zu lassen, ihr so geschickt zuzuwenden
weiß, daß sie ein junges unerfahrenes Gemüt wie Ricochett-Schüsse
schärfer treffen müssen, als wenn das bedrohliche Geschütz geradezu
darauf gerichtet! -- Und doch glaubte sich, wie mir die Benzon erzählt,
erst Hedwiga von dem _mostro turchino_ erdrückt, und der sanften ruhigen
Julia, dem Himmelskinde, wurde der schmucke General _en chef_ zum schnöden
Basilisk! -- O ihr ahnenden Seelen, ihr hattet ja recht! -- Teufel, hab
ich denn nicht in Baumgartens Welthistorie gelesen, daß die Schlange,
die uns um das Paradies gebracht, stolzierte in goldgleißendem
Schuppenwams? -- Das fällt mir ein, wenn ich den goldverbrämten Hektor
sehe. -- Hektor hieß übrigens sonst ein sehr würdiger Bullenbeißer, der
unbeschreibliche Liebe und Treue zu mir hegte. -- Ich wollt' er wär' bei
mir, und ich könnt ihn dem fürstlichen Namensvetter in die Rockschöße
hetzen, wenn er sich so recht spreizt zwischen dem holden Schwesterpaar!
Oder sagt, Meister, da Ihr so manches Kunststück wisset, sagt mir, wie
ich es anfange, mich bei schicklicher Gelegenheit in eine Wespe zu
verwandeln, und den fürstlichen Hund dermaßen zu turbieren, daß er aus
seinem verfluchten Konzept kommt! --

Ich habe Euch ausreden lassen, Kreisler, nahm Meister Abraham das Wort,
und frage Euch nun, ob Ihr mich ruhig anhören wollt, wenn ich Euch
gewisse Dinge entdecke, die Eure Ahnungen rechtfertigen?

Bin ich denn nicht, erwiderte Kreisler, ein gesetzter Kapellmeister
-- ich meine das nicht im philosophischen Sinn, daß ich mein Ich gesetzt
als Kapellmeister; sondern beziehe das bloß auf die geistige Fähigkeit,
in honetter Gesellschaft ruhig zu bleiben, wenn mich ein Floh sticht.

Nun also, fuhr Meister Abraham fort, wisset, Kreisler, daß ein seltsamer
Zufall mir tiefe Blicke in des Prinzen Leben vergönnt hat. Ihr habt
recht, wenn Ihr ihn mit der Schlange im Paradiese vergleicht. Unter der
schönen Hülle -- die werdet Ihr ihm nicht absprechen -- liegt giftige
Verderbtheit, ich möchte lieber sagen, Verruchtheit, verborgen. -- Er
führt Böses im Schilde -- er hat, aus vielem was sich zugetragen weiß
ich's -- er hat es abgesehen auf die holde Julia. --

Hoho, schrie Kreisler, indem er im Zimmer umhersprang, blanker Vogel,
sind das deine süßen Lieder? -- Wetter, Wetter, der Prinz ist ein
tüchtiger Kerl, er greift zu, mit beiden Krallen auf einmal, nach
gebotenen und verbotenen Früchten! -- Holla, süßer Neapolitaner, Du
weißt nicht, daß Julien ein wackrer Kapellmeister, mit hinlänglicher
Musik im Leibe, zur Seite steht, der hält Dich, sowie Du Dich ihr
näherst, für einen verdammten Quartquinten-Akkord, der aufgelöst werden
muß. Und der Kapellmeister tut, was seines Berufs ist, das heißt, er
löst Dich auf, indem er Dir eine Kugel durch das Gehirn jagt, oder Dir
gegenwärtigen Stockdegen durch den Leib rennt -- Damit zog Kreisler
seine Stockklinge heraus, setzte sich in Fechterpositur, und fragte den
Meister, ob er Anstand genug besitze, einen fürstlichen Hund zu
durchspießen. »Seid doch nur ruhig, Kreisler, erwiderte Meister Abraham,
es bedarf solcher Heldentaten gar nicht, um dem Prinzen das Spiel zu
verderben. Es gibt andere Waffen für ihn, und die geb' ich Euch in die
Hand. Gestern war ich im Fischerhäuschen, der Prinz kam mit seinem
Adjutanten vorüber. Sie gewahrten mich nicht. Die Prinzessin ist schön,
sprach der Prinz, aber die kleine Benzon ist göttlich! Mein ganzes Blut
wallte siedend auf, als ich sie sah -- ha, sie muß mein werden, noch ehe
ich der Prinzessin die Hand reiche. -- Glaubst Du, daß sie unerbittlich
sein wird? -- Welches Weib hat Euch widerstanden, gnädigster Herr,
erwiderte der Adjutant. -- »Aber, beim Teufel, fuhr der Prinz fort, sie
scheint ein frommes Kind zu sein« -- und ein argloses, fiel ihm der
Adjutant lachend ins Wort, und die frommen arglosen Kindlein sind es ja
eben, die überrascht von dem Angriff des sieggewohnten Mannes duldend
unterliegen und dann alles für Gottes Fügung halten, wohl gar in
ungemeine Liebe geraten zu dem Sieger! -- Das kann Euch auch so gehen,
gnädigster Herr! -- »Das wäre toll genug, rief der Prinz. Aber könnte
ich sie nur allein sehen -- wie das anfangen?« -- Nichts ist leichter
als das, erwiderte der Adjutant. Ich habe bemerkt, daß die Kleine oft
allein lustwandelt in diesem Park. Wenn nun -- Jetzt verhallten die
Stimmen in der Ferne, ich konnte nichts mehr verstehen! -- Wahrscheinlich
wird irgendein höllischer Plan schon heute ausgeführt, und der muß
vereitelt werden. Ich könnte das selbst tun, aber aus gewissen Ursachen
möchte ich mich zurzeit dem Prinzen nicht zeigen, daher müßt Ihr
Kreisler gleich fort nach Sieghartshof, und aufpassen, wenn Julia etwa
in der Dämmerung, wie sie zu tun pflegt, nach dem See lustwandelt, um
den zahmen Schwan zu füttern. Diesen Gang hat wahrscheinlich der
italienische Bösewicht erlauscht. -- Doch empfangt die Waffe, Kreisler,
und die höchst nötige Instruktion, damit Ihr im Kampf gegen den
bedrohlichen Prinzen, als ein guter Feldherr Euch zeigen möget! --

Der Biograph erschrickt abermals über das total Abrupte der
Nachrichten, aus denen er gegenwärtige Geschichte zusammenstoppeln muß.
-- Wäre hier nicht schicklich einzurücken gewesen, welche Instruktion
Meister Abraham dem Kapellmeister erteilte, denn zeigt sich auch später
die Waffe selbst, so wird es Dir, geliebter Leser! doch unmöglich sein,
einzusehen, was es damit für eine Bewandtnis hat. Doch kein einziges
Wörtlein weiß der unglückliche Biograph zurzeit von jener Instruktion,
mittels der (so viel scheint gewiß) der wackre Kreisler in ein ganz
besonderes Geheimnis eingeweiht wurde. -- Doch! gedulde Dich, günstiger
Leser, noch ein wenig, bemeldeter Biograph setzt seinen Schreibedaumen
zum Pfande, daß noch vor dem Schluß des Buches auch dieses Geheimnis an
den Tag kommen soll. -- Es ist nun zu erzählen, daß, sowie die Sonne zu
sinken begann, Julia, ein Körbchen mit Weißbrot am Arm, singend durch
den Park wandelte, zum See, und sich mitten auf die Brücke unweit des
Fischerhäuschens stellte. Aber Kreisler lag im Hinterhalt des Gebüsches,
und hatte einen tüchtigen Dollond vor den Augen, mit dem er scharf
hinüberschaute durch die Sträucher, die ihn versteckten. Der Schwan
plätscherte heran, und Julie warf ihm Brocken hinab, die er begierig
wegnaschte. Julie fuhr fort im lauten Gesange, und so kam es, daß sie es
nicht gewahrte, wie Prinz Hektor schnell heraneilte. Als er plötzlich
bei ihr stand, fuhr sie zusammen wie im heftigen Schreck. Der Prinz
faßte ihre Hand, drückte sie an die Brust, an die Lippen und legte sich
dann dicht neben Julien über das Geländer der Brücke. Julia fütterte,
indem der Prinz eifrig sprach, den Schwan, in den See hinabschauend.
-- »Schneide nicht solche infame süße Gesichter Potentat! merkst Du denn
nicht, daß ich dicht vor Dir auf dem Geländer sitze und Dich erklecklich
maulschellieren kann? -- O Gott, warum färben sich Deine Wangen in immer
höherem Purpur, Du holdes Himmelskind? -- Warum blickst Du jetzt den
Bösen so seltsam an? -- Du lächelst? Ja es ist der glühende Gifthauch,
vor dem sich Deine Brust öffnen muß, wie vor dem sengenden Sonnenstrahl
sich die Knospe in den schönsten Blättern entfaltet, um desto jäher
hinzusterben!« -- So sprach Kreisler, das Paar beobachtend, das der gute
Dollond ihm dicht herangerückt. -- Der Prinz warf jetzt auch Brocken
hinab, der Schwan verschmähte sie aber, und brach in ein lautes widriges
Geschrei aus. Nun schlang der Prinz den Arm um Julia, und warf so die
Brocken hinab, als sollte der Schwan glauben, daß es Julia sei, die ihn
fütterte. Dabei berührte seine Wange beinahe die Wange Julia's. -- »Recht
so, sprach Kreisler, gnädigster Halunke, umkralle, würdiger Stoßvogel,
nur Deine Beute recht fest, hier liegt aber einer im Busch, der schon
auf Dich zielt, und sogleich Dir Deinen glänzenden Fittich lahmschießen
wird, und es steht dann erbärmlich mit Dir und Deiner Freijagd!«

Nun faßte der Prinz Julias Arm, und beide schritten dem Fischerhäuschen
zu. Dicht vor demselben trat aber Kreisler aus dem Gebüsch, schritt auf
das Paar zu und sprach, indem er sich vor dem Prinzen tief bückte: ein
herrlicher Abend, eine ungemein heitere Luft, ein erquickliches Aroma
darin Sie müssen sich gnädigster Herr hier befinden, wie in dem schönen
Neapolis. -- »Wer sind Sie mein Herr?« fuhr ihn der Prinz barsch an.
Doch in demselben Augenblick machte sich auch Julia los von seinem Arm,
trat freundlich auf Kreislern zu, reichte ihm die Hand und sprach: o wie
herrlich, lieber Kreisler, daß Sie wieder da sind. Wissen Sie wohl, daß
ich mich recht herzlich nach Ihnen gesehnt habe? -- In der Tat, die
Mutter schilt, daß ich mich gebärde wie ein weinerliches ungezogenes
Kind, wenn Sie nur einen einzigen Tag ausbleiben. Ich könnte krank
werden vor Verdruß, wenn ich glaube, daß Sie mich, meinen Gesang aus der
Acht lassen. »Ha, rief der Prinz, giftige Blicke schießend, auf Julien,
auf Kreislern, ha, Sie sind Monsieur de Krösel. Der Fürst sprach sehr
günstig von Ihnen!« Gesegnet, sprach Kreisler, indem sein ganzes Gesicht
in hundert Falten und Fältchen seltsam vibrierte, gesegnet sei der gute
Herr dafür, denn so wird es mir vielleicht gelingen, das zu erhalten,
warum ich Sie gnädigster Prinz anflehen wollte, nämlich Ihre angenehme
Protektion. -- Ich habe die kühne Ahnung, daß Sie mir auf den ersten
Blick Ihr Wohlwollen zuwandten, da Sie im Vorübergehen aus höchst eigner
Bewegung, mich zum Hasenfuß zu kreieren geruhten, und da nun Hasenfüße
zu allem nur Ersinnlichen taugen so -- »Sie sind, unterbrach ihn der
Prinz, ein spaßhafter Mann.« -- Ganz und gar nicht, fuhr Kreisler fort,
ich liebe zwar den Spaß, aber nur den schlechten, und der ist nun wieder
nicht spaßhaft. Gegenwärtig wollt' ich gern nach Neapel gehen, und beim
Molo einige gute Fischer- und Banditenlieder aufschreiben _ad usum
delphini._ Sie sind, bester Prinz, ein gütiger kunstliebender Herr,
sollten Sie mir vielleicht durch einige Empfehlungen. »Sie sind,
unterbrach ihn der Prinz auf's neue, Sie sind ein spaßhafter Mann,
Monsieur de Krösel, ich liebe das, ich liebe das in der Tat, aber jetzt
mag ich Sie in Ihrem Spaziergange nicht aufhalten -- Adieu! -- »Nein,
gnädigster Herr, rief Kreisler, ich kann die Gelegenheit nicht
vorüberlassen, ohne mich Ihnen in meinem vollsten Lüstre zu zeigen. Sie
wollten in das Fischerhäuschen treten, dort steht ein kleines
Pianoforte, Fräulein Julia ist gewiß so gütig, mit mir ein Duett zu
singen!« »Mit tausend Freuden, rief Julia und hing sich an Kreislers
Arm. Der Prinz biß die Zähne zusammen und schritt stolz voran. Im Gehen
flüsterte Julia Kreislern ins Ohr: Kreisler, welche seltsame Stimmung. O
Gott, erwiderte Kreisler ebenso leise, und Du liegst eingelullt in
betörenden Träumen, wenn die Schlange sich naht, Dich zu töten mit
giftigem Biß? -- Julia blickte ihn an im tiefsten Erstaunen. Nur ein
einziges Mal, im Moment der höchsten musikalischen Begeisterung, hatte
Kreisler sie Du genannt. -- Als das Duett geendet, brach der Prinz, der
schon während des Gesanges öfters _Brava, bravissima_ gerufen, aus in
stürmischen Beifall. Er bedeckte Julia's Hände mit feurigen Küssen, er
schwor, daß kein Gesang jemals so sein ganzes Wesen durchdrungen, und
bat Julien, es zu verstatten, daß er einen Kuß auf die Himmels-Lippen
drücke, über die der Nektarstrom der Paradieseslaute geflossen.

Julia wich scheu zurück. Kreisler trat vor den Prinzen hin und sprach:
»Da Sie mir, Gnädigster! auch nicht ein Wörtlein des Lobes zuwenden
wollen, das ich als Komponist und wackerer Sänger ebensogut verdient zu
haben vermeine, als Fräulein Julia, so merke ich schon, daß ich mit
meinen schwachen musikalischen Kenntnissen nicht stark genug wirke. Aber
auch in der Malerei bin ich erfahren, und werde die Ehre haben, Ihnen
ein kleines Bildnis zu zeigen, das eine Person vorstellt, deren
merkwürdiges Leben und seltsames Ende mir so bekannt ist, daß ich alles
jedem erzählen kann, der es nur hören will.« -- »Überlästiger Mensch!«
murmelte der Prinz. Kreisler zog ein Kästchen aus der Tasche, nahm ein
kleines Bildnis heraus, und hielt es dem Prinzen entgegen. Er blickte
hin, alles Blut schwand von dem Antlitz, seine Augen starrten, seine
Lippen bebten, zwischen den Zähnen murmelnd: _Maledetto!_ stürzte er fort.

»Was ist das? rief Julia zum Tode erschrocken, um aller Heiligen willen,
was ist das, Kreisler -- sagen Sie mir alles!«

»Tolles Zeug, erwiderte Kreisler, lustige Streiche, Teufelsbannerei!
Sehn Sie, teures Fräulein, wie der gütige Prinz mit den allerlängsten
Schritten, deren seine gnädigsten Beine mächtig, über die Brücke läuft!
-- Gott! er verleugnet ganz seine süße idyllische Natur, er schaut nicht
einmal in den See, er verlangt nicht mehr, den Schwan zu füttern, der
liebe gute -- Teufel!«

»Kreisler, sprach Julia, Ihr Ton geht eiskalt durch mein Inneres, ich
ahne Unheil -- was haben Sie mit dem Prinzen?«

Der Kapellmeister trat von dem Fenster weg, an dem er gestanden, schaute
tief bewegt Julia an, die vor ihm stand, die Hände gefaltet, als wolle
sie den guten Geist anflehen, daß er die Angst von ihr nehme, die ihr
Tränen aus den Augen preßte. »Nein, sprach Kreisler, kein feindlicher
Mißton soll den Wohllaut des Himmels verstören, der in Deinem Gemüt
wohnt, du frommes Kind! -- In gleisnerischer Verkappung gehen die
Geister der Hölle durch die Welt, aber sie haben keine Macht über Dich,
und Du darfst sie nicht erkennen in ihrem schwarzen Tun und Treiben!
-- Sein Sie ruhig, Julia! -- lassen Sie mich schweigen, es ist nun alles
vorüber! --«

In dem Augenblick trat die Benzon hinein in großer Bewegung. »Was ist
geschehen, rief sie, was ist geschehen? -- Wie rasend stürzt der Prinz
dicht bei mir vorüber, ohne mich zu sehen. Dicht bei dem Schloß kommt
ihm der Adjutant entgegen, sie sprechen beide heftig miteinander, dann
gibt der Prinz, so glaubt' ich zu bemerken, dem Adjutanten irgendeinen
wichtigen Auftrag, denn indem der Prinz in das Schloß schreitet, stürzt
der Adjutant in größter Eil nach dem Pavillon, in dem er wohnt. -- Der
Gärtner sagte mir, Du hättest mit dem Prinzen auf der Brücke gestanden,
da überfiel mich, selbst weiß ich nicht warum, die fürchterliche Ahnung
irgend etwas Entsetzlichen, das sich begeben -- ich eilte her, sagt, was
ist geschehen?« -- Julia erzählte alles. »Geheimnisse?« fragte die Benzon
scharf, indem sie einen durchbohrenden Blick auf Kreislern warf. »Beste
Rätin, antwortete Kreisler, es gibt Augenblicke -- Lagen -- Situationen
vielmehr, mein' ich, in denen der Mensch durchaus das Maul halten muß,
da er, sobald er es öffnet, nichts herausbringt, als konfuses Zeug, das
die vernünftigen Leute irritiert! --« Dabei blieb es, unerachtet die
Benzon verletzt schien durch Kreisler's Schweigen.

Der Kapellmeister begleitete die Rätin mit Julien bis an's Schloß, dann
begab er sich auf den Rückweg nach Sieghartsweiler. Sowie er in den
Laubgängen des Parkes verschwunden, trat der Adjutant des Prinzen aus
dem Pavillon und verfolgte denselben Weg, den Kreisler genommen. Bald
darauf fiel tief im Walde ein Schuß!

In derselben Nacht verließ der Prinz Sieghartsweiler, er hatte sich bei
dem Fürsten schriftlich beurlaubt, und baldige Rückkehr versprochen. Als
am andern Morgen der Gärtner mit seinen Leuten den Park durchsuchte,
fand er Kreisler's Hut, an dem blutige Spuren befindlich. Er selbst war
und blieb verschwunden. -- Man --



Zweiter Teil.



Dritter Abschnitt.

Die Lehrmonate. Launisches Spiel des Zufalls.


=(M. f. f.)= Sehnsucht, heißes Verlangen erfüllt die Brust, aber hat man
endlich das gewonnen, nach dem man rang mit tausend Not und Sorgen, so
erstarrt jenes Verlangen alsbald zur todkalten Gleichgültigkeit, und man
wirft das errungene Gut von sich, wie ein abgenutztes Spielzeug. Und
kaum ist dies geschehen, so folgt bittere Reue der raschen Tat, man
ringt aufs neue und das Leben eilt dahin in Verlangen und Abscheu. -- So
ist einmal der Katz. -- Richtig bezeichnet dieser Ausdruck mein
Geschlecht, zu dem sich auch der hochmütige Löwe zählt, den deshalb auch
der berühmte Hornvilla in Tiecks Oktavian einen großen Katz nennt. -- Ja,
wiederhole ich, so und nicht anders ist einmal der Katz, und das
katzliche Herz ein gar wankelmütiges Ding.

Des ehrlichen Biographen erste Pflicht ist, aufrichtig zu sein, und sich
beileibe nicht selbst zu schonen. Ganz aufrichtig, Pfote aufs Herz, will
ich daher gestehen, daß trotz des unsäglichen Eifers, mit dem ich mich
auf die Künste und Wissenschaften legte, doch oft der Gedanke an die
schöne Miesmies plötzlich in mir aufstieg und mein Studium unterbrach
ganz und gar.

Es war mir, als hätte ich sie nicht lassen sollen, als hätte ich ein
treuliebendes Herz verschmäht, das nur von einem falschen Wahn
augenblicklich verblendet. Ach! oft, wenn ich mich an dem großen
Pythagoras erlaben wollte, (ich studierte zu der Zeit viel Mathematik)
verschob plötzlich ein zartes, schwarzbestrumpftes Pfötchen alle
Katheten und Hypotenusen, und vor mir stand sie selbst, die holde
Miesmies, ihr kleines, allerliebstes Samtkäppchen auf dem Haupt, und aus
dem anmutigen Grasgrün der schönsten Augen traf mich der funkelnde Blitz
des zärtlichsten Vorwurfs. -- Welche niedliche Seitensprünge, welches
holdselige Wirbeln und Schlängeln des Schweifs. -- Umpfoten wollt' ich
sie mit Entzücken neu entflammter Liebe, doch verschwunden war die
neckende Truggestalt. --

Nicht fehlen konnt' es, daß dergleichen Träumereien aus dem Arkadien
der Liebe mich in eine gewisse Schwermut versenkten, die der gewählten
Laufbahn als Dichter und Gelehrter schädlich werden mußte, zumal sie
bald in eine Trägheit ausartete, der ich nicht zu widerstehen vermochte.
Mit Gewalt wollte ich mich herausreißen aus diesem verdrießlichen
Zustande, einen raschen Entschluß fassen, Miesmies wieder aufzusuchen.
Doch, hatte ich schon die Pfote auf die erste Treppenstufe gesetzt, um
hinaufzusteigen in die obern Regionen, wo ich die Holde zu finden hoffen
durfte, so wandelte mich Scham und Scheu an, und ich zog die Pfote
wieder zurück, und begab mich traurig unter den Ofen.

Dieser psychischen Bedrängnisse unerachtet, erfreute ich mich indessen
doch eines außerordentlichen körperlichen Wohlseins, ich nahm merklich
zu, wo nicht in Wissenschaften, so doch in der Stärke meines Leibes, und
bemerkte, wenn ich mich im Spiegel anschaute, mit Vergnügen, daß mein
rundbackiges Antlitz nächst der jugendlichen Frische etwas
Ehrfurchtgebietendes zu erhalten begann.

Selbst der Meister gewahrte meine veränderte Stimmung. Es ist wahr,
sonst knurrte ich und machte lustige Sprünge, wenn er mir schmackhafte
Speisung reichte; sonst wälzte ich mich zu seinen Füßen, kabolzte und
sprang auch wohl auf seinen Schoß, wenn er, nachdem er morgens
aufgestanden, mir zurief: Guten Morgen Murr! -- Jetzt unterließ ich das
alles und begnügte mich mit einem freundlichen Miau! und jener anmutig
stolzen Erhebung des Rückens, die dem geneigten Leser unter dem Namen
>Katzenbuckel< bekannt sein wird. Ja, ich verachtete jetzt sogar das mir
sonst so liebe Vogelspiel. -- Es möchte für junge Gymnastiker oder Turner
meines Geschlechts lehrreich sein zu sagen, worin dieses Spiel bestand.
-- Mein Meister band nämlich eine oder ein paar Schreibfedern an einen
langen Faden, und ließ sie schnell in der Luft auf und absteigen,
ordentlich fliegen. Im Winkel lauernd und die richtigen Tempos
wahrnehmend, sprang ich nun so lange nach den Federn, bis ich sie
erwischte und wacker zerzauste. Dies Spiel riß mich oft ganz hin, ich
hielt die Federn wirklich für einen Vogel, ich geriet in Feuer und
Flammen, so daß Geist und Körper zugleich in Anspruch genommen, sich
bildeten und stärkten. -- Ja selbst dies Spiel verachtete ich jetzt, und
blieb ruhig auf meinem Kissen liegen, der Meister mochte seine Federn
fliegen lassen, soviel er wollte. »Kater, sprach der Meister eines Tages
zu mir, als ich, wenn die Feder, an meine Nase streifend selbst auf mein
Kissen flog, kaum blinzelnd die Pfote darnach ausstreckte, Kater, du
bist gar nicht mehr wie sonst, du wirst mit jedem Tage träger und
fauler. Ich glaube, du frissest, du schläfst zu viel.

Ein Lichtstrahl fiel bei diesen Worten des Meisters in meine Seele!
-- Nur dem Andenken an Miesmies, an das verscherzte Paradies der Liebe,
hatte ich meine träge Traurigkeit zugeschrieben, nun erst gewahrte ich
aber, wie das irdische Leben mich mit meinen aufwärts strebenden Studien
entzweit, und seine Ansprüche geltend gemacht hatte. Es gibt Dinge in
der Natur, die es deutlich erkennen lassen, wie die gefesselte Psyche
dem Tyrannen, Körper genannt, ihre Freiheit hinopfern muß. Zu diesen
Dingen rechne ich nun ganz vorzüglich den wohlschmeckenden Brei von
Mehl, süßer Milch und Butter, sowie ein breites, mit Roßhaaren
wohlgepolstertes Kissen. Jenen süßen Brei wußte die Aufwärterin des
Meisters gar herrlich zu bereiten, so daß ich jeden Morgen zum Frühstück
zwei tüchtige Teller voll mit dem größten Appetit verzehrte. Hatte ich
aber dermaßen gefrühstückt, dann wollten mir die Wissenschaften gar
nicht mehr munden, sie kamen mir vor, wie trockene Speise, und nichts
half es auch, wenn ich davon ablassend mich rasch in die Poesie warf.
Die hochgepriesensten Werke der neuesten Autoren, die gerühmtesten
Trauerspiele hochgefeierter Dichter, konnten meinen Geist nicht
festhalten, ich geriet in ein ausschweifendes Gedankenspiel,
unwillkürlich trat die kunstfertige Aufwärterin des Meisters in Konflikt
mit dem Autor, und es wollte mir gemuten, als verstehe jene sich viel
besser auf die gehörige Gradation und Mischung der Fettigkeit, Süße und
Stärke als dieser. -- Unglückliche, träumerische Verwechselung des
geistigen und leiblichen Genusses! -- Ja, träumerisch kann ich sie
nennen, diese Verwechslung, denn Träume stiegen auf, und ließen mich
jenes zweite gefährliche Ding, das breite mit Roßhaaren gepolsterte
Kissen suchen, um sanft darauf zu entschlummern. Dann erschien mir das
süße Bild der holden Miesmies! -- Himmel, so stand wohl alles im
Zusammenhange, Milchbrei, Verachtung der Wissenschaften, Melancholie,
Polster, unpoetische Natur, Liebesandenken! -- Der Meister hatte recht,
ich fraß, ich schlief zu viel! -- Mit welchem stoischen Ernst nahm ich
mir vor, mäßiger zu sein, aber schwach ist des Katers Natur, die besten,
herrlichsten Entschlüsse scheiterten an dem süßen Geruch des
Milchbreies, an dem einladend aufgeschwellten Polster. -- Eines Tages
hört' ich den Meister, da er zum Zimmer herausgetreten, auf dem Flur zu
jemanden sagen: Mag es sein, meinetwegen, vielleicht heitert ihn
Gesellschaft auf. Aber macht ihr mir dumme Streiche, springt ihr mir auf
die Tische, schmeißt ihr mir das Tintenfaß um, oder sonst was herab, so
werf ich euch alle beide zum Tempel hinaus. Darauf öffnete der Meister
die Türe ein wenig und ließ jemanden herein. Dieser Jemand war aber kein
anderer, als Freund Muzius. Beinahe hätte ich ihn nicht wieder erkannt.
Seine Haare, sonst glatt und glänzend, waren struppig und unscheinbar,
die Augen lagen ihm tief im Kopf und sein, sonst zwar etwas rauhes, aber
doch ganz leidliches Wesen, hatte etwas Übermütiges, Brutales
angenommen. »Na, prustete er mich an, na, findet man euch einmal! Muß
man euch aufsuchen hinter euerm verfluchten Ofen? -- »Doch mit Verlaub!«
-- Er trat an den Teller und verzehrte die Backfische, die ich mir
aufgespart hatte zum Abendbrot. »Sagt, sprach er dazwischen, sagt mir
nur in's Teufels Namen, wo ihr steckt, warum ihr auf kein Dach mehr
kommt, euch nirgends mehr sehen laßt, wo es munter hergeht?«

Ich erklärte, daß, nachdem ich die Liebe zur holden Miesmies aufgegeben,
mich die Wissenschaften ganz und gar beschäftigt hätten, weshalb denn an
Spaziergänge nicht zu denken gewesen wäre. Nicht im mindesten sehne ich
mich nach Gesellschaft, da ich bei dem Meister alles hätte, was mein
Herz nur wünschen könne, Milchbrei, Fleisch, Fische, ein weiches Lager
usw. Ein ruhiges, sorgenfreies Leben, das sei für einen Kater von meinen
Neigungen und Anlagen das ersprießlichste Gut, und um so mehr müßt' ich
fürchten, daß dies, ginge ich aus, verstört werden könne, da, wie ich
leider wahrgenommen, meine Inklination zur kleinen Miesmies noch nicht
ganz erloschen, und ihr Wiedersehen mich leicht zu Übereilungen
hinreißen dürfe, die ich nachher vielleicht sehr schwer zu bereuen haben
würde.

»Ihr könnt mir nachher noch einen Backfisch aufwichsen!« So sprach
Muzius, putzte sich mit gekrümmter Pfote nur ganz obenhin Maul, Bart und
Ohren und nahm Platz dicht neben mir auf dem Polster.

»Rechnet, begann Muzius, nachdem er zum Zeichen seiner Zufriedenheit
ein paar Sekunden gesponnen, mit sanfter Stimme und Gebärde, rechnet es
euch, mein guter Bruder Murr, für ein Glück an, daß ich auf den Einfall
geriet, euch zu besuchen in eurer Klause, und daß der Meister mich zu
euch ließ ohne Widerrede! Ihr seid in der größten Gefahr, in die ein
tüchtiger, junger Kerl von Kater, der Grütz' im Kopfe hat, und Stärke in
den Gliedern, nur geraten kann. Das heißt: ihr seid in der Gefahr, ein
arger, abscheulicher Philister zu werden. Ihr sagt, daß ihr den
Wissenschaften zu strenge obliegt, um Zeit übrig zu behalten, euch
umzusehen unter Katern. Verzeiht Bruder, das ist nicht wahr, ihr seht,
rund, gemästet, spiegelglatt, wie ich euch finde, gar nicht aus, wie ein
Bücherwurm, wie ein Lukubrant. Glaubt mir, das verfluchte bequeme Leben
ist es, was euch faul und träge macht. Ganz anders würde euch zu Mute
sein, wenn ihr euch wie unsereins abstrapazieren müßtet, bis ihr einmal
ein paar Fischgräten erwischtet, oder ein Vögelein finget.« --

Ich dachte, unterbrach ich den Freund, daß Ihre Lage gut und glücklich
zu nennen, Sie waren ja sonst --

»Davon, fuhr mich Muzius zornig an, ein andermal, aber nennt mich nicht
=Sie,= das verbitt' ich mir, sondern =Ihr,= bis wir Schmolles getrunken
haben. -- Doch Ihr seid ein Philister und versteht Euch nicht auf den
Komment.«

Nachdem ich mich bei dem erzürnten Freunde zu entschuldigen gesucht,
fuhr er sanfter fort: Also wie gesagt, Eure Lebensart taugt nichts,
Bruder Murr. Ihr müßt heraus, Ihr müßt heraus in die Welt. --

Himmel! rief ich voll Schreck, was sprecht Ihr, Bruder Muzius! in die
Welt soll ich? -- Habt Ihr vergessen, was ich Euch vor einigen Monaten
im Keller davon erzählte, wie ich einst hinaussprang aus einem
englischen Halbwagen in die Welt? Welche Gefahren mir von allen Seiten
drohten? wie mich endlich der gute Ponto rettete und zurückbrachte zu
meinem Meister? Muzius lachte hämisch. -- Ja, sprach er dann, ja, das
ist es eben, darin liegt es eben, der gute Ponto! -- Der stutzerische,
superkluge, narrenhafte, stolze Heuchler, der sich eurer annahm, weil er
gerade nichts Besseres zu tun wußte, weil es ihn gerade belustigte, der,
suchtet Ihr ihn auf in seinen Assembleen und Koterien, Euch gar nicht
wiederkennen, ja Euch, weil Ihr nicht seinesgleichen seid, herausbeißen
würde! der gute Ponto, der statt Euch einzuführen in das wahre
Weltleben, Euch unterhielt mit albernen, menschlichen Geschichten!
-- Nein, guter Murr, jenes Ereignis hat Euch eine ganz andere Welt
gezeigt, als die ist, in welche Ihr hineingehört! Glaubt mir auf's Wort,
all Euer einsames Studieren hilft Euch ganz und gar nichts, und ist Euch
vielmehr noch schädlich. Denn Ihr bleibt dennoch ein Philister, und es
gibt auf der ganzen weiten Erde nichts langweiligeres und
abgeschmackteres als einen gelehrten Philister!

Aufrichtig gestand ich dem Freunde Muzius, daß ich den Ausdruck
Philister, sowie seine eigentliche Meinung nicht ganz fasse. »O mein
Bruder, erwiderte Muzius, indem er anmutig lächelte, so daß er in dem
Augenblick sehr hübsch aussah, und wieder ganz der alte propre Muzius
schien, o mein Bruder Murr, ganz vergeblich würde der Versuch sein, Euch
dieses alles zu erklären, denn nimmermehr könnt Ihr begreifen, was ein
Philister ist, solange Ihr selber einer seid. Wollt Ihr indessen zur
Zeit mit einigen Grundzügen eines Katzphilisters vorlieb nehmen, so
kann --

=(Mak. Bl.)= -- -- gar seltsames Schauspiel. In der Mitte des Zimmers
stand Prinzessin Hedwiga; ihr Antlitz war leichenblaß, todstarr ihr
Blick. Prinz Ignatius trieb sein Spiel mit ihr, wie mit einer
Gliederpuppe. Er hob ihr den Arm in die Höhe, der stehen blieb, und
sank, wenn er ihn niederbeugte. Er stieß sie sanft vorwärts, sie ging,
er ließ sie stehen, sie stand, er setzte sie in den Sessel, sie saß. So
vertieft war der Prinz in dies Spiel, daß er die Eintretenden gar nicht
bemerkte.

»Was machen Sie da, Prinz!« -- So rief ihm die Fürstin zu, da
versicherte er kichernd und fröhlich sich die Hände reibend, daß
Schwester Hedwiga jetzt gut und artig geworden und alles tue, was er
wünsche, auch ihm gar nicht so widerspreche und ihn ausschelte, wie
sonst. -- Und damit begann er auf's neue, indem er militärisch
kommandierte, die Prinzessin in allerlei Stellungen zu bringen, und
jedesmal, wenn sie wie festgezaubert in der Stellung blieb, die er ihr
gegeben, lachte er laut und sprang vor Freuden in die Höhe. »Das ist
nicht zu ertragen, sprach die Fürstin leise mit zitternder Stimme, indem
Tränen ihr in den Augen glänzten, doch der Leibarzt trat auf den Prinzen
zu, und rief mit strengem, gebietendem Ton: lassen Sie das bleiben,
gnädigster Herr! Dann nahm er die Prinzessin in die Arme, ließ sie sanft
nieder auf die Ottomane, die im Zimmer befindlich, und zog die Vorhänge
zu. »Es ist, wandte er sich dann zur Fürstin, zur Zeit der Prinzessin
nichts nötiger, als die unbedingteste Ruhe, ich bitte, daß der Prinz das
Zimmer verlasse.

Prinz Ignatius stellte sich sehr ungebärdig an, und klagte schluchzend,
daß jetzt allerlei Leute, die gar keine Prinzen wären, und nicht einmal
vom Adel, sich unterfingen, ihm zu widersprechen. Er wolle nun bei der
Prinzessin Schwester bleiben, die ihm lieber geworden sei als seine
schönsten Tassen, und der Herr Leibarzt habe ihm gar nichts zu befehlen.

»Gehen Sie in Ihre Zimmer, lieber Prinz, sprach die Fürstin sanft, die
Prinzessin muß jetzt schlafen, und nach der Tafel kommt Fräulein Julia.

»Fräulein Julia! rief der Prinz, indem er kindisch lachte und hüpfte,
Fräulein Julia! -- Ha, das ist schön, der zeige ich die neuen
Kupferstiche und wie ich abgebildet bin in der Geschichte vom
Wasserkönig als Prinz Lachs mit dem großen Orden! -- damit küßte er der
Fürstin zeremoniös die Hand und reichte die seinige mit stolzem Blick
dar, dem Leibarzt zum Kuß. Der faßte aber die Hand des Prinzen und
führte ihn zur Türe, die er öffnete, sich höflich verneigend. Der Prinz
ließ es sich gefallen, auf diese Art hinausgewiesen zu werden.

Die Fürstin sank, ganz Schmerz und Erschöpfung, nieder in den Lehnstuhl,
stützte den Kopf in die Hand und sprach mit dem Ausdruck des tiefsten
Weh's leise vor sich hin: Welche Todsünde lastet auf mir, daß mich der
Himmel so hart straft. -- Dieser Sohn zu ewiger Unmündigkeit verdammt
-- und nun -- Hedwiga -- meine Hedwiga! -- Die Fürstin verfiel in trübes,
düstres Nachdenken.

Der Leibarzt hatte indessen mit Mühe der Prinzessin ein paar Tropfen
irgend einer heilsamen Arzenei eingeflößt und die Kammerfrauen
herbeigerufen, die die Prinzessin, deren automatischer Zustand sich
nicht im mindesten änderte, fortbrachten in ihre Zimmer, nachdem sie von
dem Leibarzt die Weisung erhalten, bei dem kleinsten Zufall, den die
Prinzessin erleiden könne, ihn sogleich herbeizurufen.

Gnädigste Frau, wandte sich der Leibarzt zur Fürstin, so höchst seltsam,
so höchst besorglich auch der Zustand der Prinzessin scheinen mag, so
glaube ich doch mit Gewißheit versichern zu können, daß er bald aufhören
wird, ohne die mindesten gefährlichen Folgen zu hinterlassen. Die
Prinzessin leidet an jener ganz besondern wunderbaren Art des
Starrkrampfs, die in der ärztlichen Praxis so selten vorkommt, daß
mancher hochberühmte Arzt niemals in seinem Leben Gelegenheit fand,
dieselbe zu beobachten. Ich muß mich daher in der Tat glücklich schätzen
-- Der Leibarzt stockte --

Ha, sprach die Fürstin mit bitterm Ton, daran erkenne ich den
praktischen Arzt, der grenzenloses Leiden nicht achtet, wenn er nur
seine Kenntnis bereichert.

Noch vor ganz kurzer Zeit, fuhr der Leibarzt fort, ohne den Vorwurf der
Fürstin zu beachten, fand ich in einem wissenschaftlichen Buche das
Beispiel eines Zufalls, der ganz dem gleich ist, in den die Prinzessin
verfallen. Eine Dame (so erzählt mein Autor) kam von Vesoul nach
Besançon um einen Rechtshandel zu betreiben. Die Wichtigkeit der Sache,
der Gedanke, daß der Verlust des Prozesses die letzte, höchste Stufe der
empfindlichsten Widerwärtigkeiten, die sie erduldet, sei, und sie in Not
und Elend stürzen mußte, erfüllte sie mit der lebhaftesten Unruhe, die
bis zu einer Exaltation ihres ganzen Gemüts stieg. Sie brachte die
Nächte schlaflos zu, aß wenig, man sah sie in der Kirche auf
ungewöhnliche Weise niederfallen und beten, genug, auf verschiedene Art
tat sich der abnorme Zustand kund. Endlich aber an demselben Tage, da
ihr Prozeß entschieden werden sollte, traf sie ein Zufall, den die
anwesenden Personen für einen Schlagfluß hielten. Die herbeigerufenen
Ärzte fanden die Dame in einem Lehnstuhle unbeweglich mit gen Himmel
gerichteten, funkelnden Augen, offenen und unbeweglichen Augenlidern,
mit erhobenen Armen und gefalteten Händen. Ihr vorher trauriges,
bleiches Gesicht war blühender, heiterer, angenehmer als sonst, ihr
Atemzug ungehindert und gleich, der Puls weich, langsam, ziemlich voll,
beinahe wie bei einer ruhig schlafenden Person. Ihre Glieder waren
biegsam, leicht, und ließen ohne den geringsten Widerstand sich in alle
Stellungen bringen. Aber darin äußerte sich die Krankheit und die
Unmöglichkeit irgendeiner Täuschung, daß die Glieder von selbst nicht
aus der Stellung kamen, in die sie versetzt worden. Man drückte ihr Kinn
abwärts -- der Mund öffnete sich und blieb offen. Man hob einen Arm,
nachher den andern auf, sie fielen nicht abwärts, man bog sie ihr nach
dem Rücken hin, streckte sie hoch in die Höhe, so daß es jedem unmöglich
gewesen sein würde, sich lange in dieser Stellung zu behaupten, und doch
geschah es. Man mochte den Körper so sehr herabbeugen, als man wollte,
immer blieb er in dem vollkommensten Gleichgewicht. Sie schien gänzlich
ohne Empfindung, man rüttelte, kneipte, quälte sie, stellte ihr die Füße
auf ein heißes Kohlenbecken, schrie ihr in die Ohren, sie werde ihren
Prozeß gewinnen, alles umsonst, sie gab kein Zeichen des willkürlichen
Lebens von sich. Nach und nach kam sie zu sich selbst, doch führte sie
unzusammenhängende Reden. -- Endlich --

Fahren Sie fort, sprach die Fürstin, als der Leibarzt innehielt, fahren
Sie fort, verschweigen Sie mir nichts und sei es das Entsetzlichste!
-- Nicht wahr? -- in Wahnsinn verfiel die Dame!

Es genügt, sprach der Leibarzt weiter, hinzuzufügen, daß ein sehr böser
Zustand der Dame nur vier Tage hindurch anhielt, daß sie in Vesoul,
wohin sie zurückkehrte, völlig genas und nicht die mindesten schlimmen
Folgen ihrer harten ungewöhnlichen Krankheit verspürte. --

Während die Fürstin aufs neue in trübes Nachdenken versank, verbreitete
sich der Leibarzt weitläufig über die ärztlichen Mittel, die er
anzuwenden gedenke, um der Prinzessin zu helfen und verlor sich zuletzt
in solche wissenschaftlichen Demonstrationen, als spräche er in einer
ärztlichen Beratung zu den tief gelehrtesten Doktoren.

Was, unterbrach endlich die Fürstin den wortreichen Leibarzt, was helfen
alle Mittel, die die spekulierende Wissenschaft darbietet, wenn das
Heil, das Wohl des Geistes gefährdet.

Der Leibarzt schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er fort: Gnädigste
Frau, das Beispiel von der wunderbaren Starrsucht jener Dame in Besançon
zeigt, daß der Grund ihrer Krankheit in einer psychischen Ursache lag.
Man fing, als sie zu einiger Besinnung gekommen, ihre Kur damit an, daß
man ihr Mut einsprach und ihr den bösen Prozeß als gewonnen darstellte.
-- Einig sind auch die erfahrensten Ärzte darüber, daß eben irgendeine
plötzliche starke Gemütsbewegung jenen Zustand am ersten hervorbringt.
Prinzessin Hedwiga ist reizbar bis zum höchsten ungewöhnlichen Grade, ja
ich möchte den Organismus ihres Nervensystems manchmal schon an und für
sich selbst abnorm nennen. Gewiß scheint es, daß irgend eine heftige
Erschütterung des Gemüts auch ihren Krankheitszustand erzeugte. Man muß
die Ursache zu erforschen suchen, um psychisch mit Erfolg auf sie wirken
zu können! -- Die schnelle Abreise des Prinzen Hektor. -- Nun, gnädigste
Frau, die Mutter dürfte vielleicht tiefer schauen als jeder Arzt, und
diesem die besten Mittel an die Hand geben können zur heilsamen Kur.

Die Fürstin erhob sich und sprach stolz und kalt: Selbst die Bürgerfrau
bewahrt gern die Geheimnisse des weiblichen Herzens, das Fürstenhaus
erschließt sein Inneres nur der Kirche und ihren Dienern, zu denen der
Arzt sich nicht zählen darf.

Wie, rief der Leibarzt lebhaft, wer vermag das leibliche Wohl so scharf
zu trennen von dem geistigen? Der Arzt ist der zweite Beichtvater, in
die Tiefe des psychischen Seins müssen ihm Blicke vergönnt werden, wenn
er nicht jeden Augenblick Gefahr laufen will zu fehlen. Denken Sie an
die Geschichte jenes kranken Prinzen gnädigste Frau --

Genug! unterbrach die Fürstin den Arzt beinahe mit Unwillen, genug!
-- Nie werde ich mich bewegen lassen eine Unschicklichkeit zu begehen;
ebensowenig als ich glauben kann, daß irgendeine Unschicklichkeit auch
nur in Gedanke und Empfindung die Krankheit der Prinzessin veranlaßt
haben kann.

Damit entfernte sich die Fürstin und ließ den Leibarzt stehen.

Wunderliche Frau, sprach dieser zu sich selbst, diese Fürstin! Gern
möchte sie andere ja sich selbst überreden, daß der Kitt, womit die
Natur Seele und Körper zusammenleimt, wenn es darauf ankommt etwas
Fürstliches zu bilden, von ganz besonderer Art sei, und keineswegs dem
zu vergleichen, den sie bei uns armen Erdensöhnen bürgerlicher Abkunft
verbraucht. -- Man soll gar nicht daran denken, daß die Prinzessin ein
Herz hat, so wie jener höfische Spanier, der das Geschenk von seidnen
Strümpfen, das gute niederländische Bürger seiner Fürstin machen
wollten, deshalb verschmähte, weil es unschicklich sei daran zu
erinnern, daß eine spanische Königin wirklich Füße habe wie andere
ehrliche Leute! -- Und doch: zu wetten ist es, daß in dem Herzen, dem
Laboratorio alles weiblichen Weh's, die Ursache des fürchterlichsten
aller Nervenübel zu suchen ist, das die Prinzessin befallen. --

Der Leibarzt dachte an Prinz Hektor's schnelle Abreise, an der
Prinzessin übermäßige krankhafte Reizbarkeit, an die leidenschaftliche
Art, wie sie sich (so hatte er es vernommen) gegen den Prinzen betragen
haben sollte, und so schien es ihm gewiß, daß irgendein plötzlicher
Liebeszwist die Prinzessin bis zu jäher Krankheit verletzt. -- Man wird
sehen, ob des Leibarztes Vermutungen Grund hatten oder nicht. Was die
Fürstin betrifft, so mochte sie Ähnliches vermuten und eben deshalb alle
Nachfrage, alles Forschen des Arztes für unschicklich halten, da der Hof
überhaupt jedes tiefere Gefühl als unstatthaft verwirft und gemein.
-- Die Fürstin hatte sonst Gemüt und Herz, aber das seltsam halb
lächerliche, halb widrige Ungeheuer, Etikette genannt, hatte sich auf
ihre Brust gelegt wie ein bedrohlicher Alp, und keine Seufzer, kein
Zeichen des innern Lebens sollte mehr hinaufsteigen aus dem Herzen.
Gelingen mußt' es ihr daher selbst Szenen der Art, wie sie sich eben mit
dem Prinz und der Prinzessin begeben, zu verwinden und den stolz
abweisen, der nichts wollte als helfen.

Während sich dies im Schlosse begab, ereignete sich auch im Park
manches, was hier beizubringen ist.

In dem Gebüsch links bei dem Eingange stand der dicke Hofmarschall, zog
ein kleines goldenes Döschen aus der Tasche, wischte, nachdem er eine
Prise Tabak genommen, mit dem Rockärmel einigemal darüber weg, reichte
es dem Leibkammerdiener des Fürsten hin und sprach also: Schätzenswerter
Freund, ich weiß, Sie lieben dergleichen artige Pretiosen, nehmen Sie
gegenwärtiges Döschen als ein geringes Zeichen meines gnädigen
Wohlwollens an, auf das Sie stets rechnen können. -- Doch sagen Sie,
Liebster! wie kam das mit dem seltsamen ungewöhnlichen Spaziergange?

Mich untertänigst zu bedanken! erwiderte der Leibkammerdiener indem er
die goldne Dose einsteckte. Dann räusperte er sich und fuhr fort:
Versichern kann ich, hochgebietende Exzellenz, daß unser gnädigster Herr
sehr alarmiert sind, seit dem Augenblick, als der gnädigsten Prinzessin
Hedwiga, man weiß nicht wie, die fünf Sinne abhanden gekommen. Heute
standen sie am Fenster ganz hoch aufgerichtet wohl eine halbe Stunde und
trommelten mit den gnädigsten Fingern der rechten Hand schrecklich auf
die Spiegelscheibe, daß es klirrte und krachte. Aber lauter hübsche
Märsche von anmutiger Melodie und frischem Wesen, wie mein seliger
Schwager der Hoftrompeter zu sagen pflegte. -- Exzellenz wissen, mein
seliger Schwager der Hoftrompeter war ein geschickter Mann, er brachte
sein Flattergrob heraus wie ein Däuschen, seine Grobstimme, seine
Faulstimme klang wie Nachtigallschlag, und was das Prinzipalblasen
betrifft. -- Alles weiß ich, unterbrach der Hofmarschall den Schwätzer,
mein Bester! Ihr seliger Herr Schwager war ein vortrefflicher
Hoftrompeter, aber jetzt, was taten, was sprachen Durchlaucht, als sie
die Märsche zu trommeln geruht hatten?

Taten, sprachen! fuhr der Leibkammerdiener fort, hm! -- eben nicht viel.
Durchlaucht wandten sich um, sahen mich starr an mit recht feurigen
Augen, zogen die Klingel auf furchtbare Weise und riefen dabei laut:
François -- François! Durchlaucht ich bin schon hier, rief ich. Da
sprachen aber der gnädige Herr ganz zornig: Esel, warum sagt er das
nicht gleich! Und darauf: Mein Promenadenkleid! Ich tat wie mir
geheißen. Durchlaucht geruhten den grünseidenen Überrock ohne Stern
anzulegen und sich nach dem Park zu begeben. Sie verboten mir ihnen zu
folgen aber -- hochgebietende Exzellenz, man muß doch wissen wo sich der
gnädigste Herr befinden, wenn etwa ein Unglück -- Nun! -- ich folgte so
ganz von weitem und gewahrte, daß der gnädigste Herr sich in das
Fischerhäuschen begaben. --

Zum Meister Abraham! -- rief der Hofmarschall ganz verwundert. »So ist
es, sprach der Leibkammerdiener und schnitt ein sehr wichtiges
geheimnisvolles Gesicht.«

Ins Fischerhäuschen, wiederholte der Hofmarschall, zum Meister Abraham!
-- Nie haben Durchlaucht den Meister aufgesucht im Fischerhäuschen! --

Ein ahnungsvolles Stillschweigen folgte, dann sprach der Hofmarschall
weiter: und sonst äußerten Durchlaucht gar nichts? »Gar nichts,
erwiderte der Leibkammerdiener bedeutungsvoll. Doch, fuhr er
schlaulächelnd fort, ein Fenster des Fischerhäuschens geht heraus nach
dem dicksten Gebüsch, es ist dort eine Vertiefung, man versteht jedes
Wort, was drinnen im Häuschen gesprochen wird -- man könnte -- Bester,
wenn Sie das tun wollten, rief der Hofmarschall entzückt! -- Ich tue es,
sprach der Kammerdiener und schlich leise fort. Doch als er aus dem
Gebüsch hervortrat, stand der Fürst, der eben nach dem Schloß
zurückkehrte, dicht vor ihm, so daß er ihn beinahe berührte. In scheuer
Ehrfurcht prallte er zurück: »_Vous êtes un grand_ Tölpel!« donnerte ihn
der Fürst an, rief den Hofmarschall ein kaltes _dormez bien!_ zu und
entfernte sich mit dem Leibkammerdiener, der ihm folgte, ins Schloß.

Ganz bestürzt blieb der Hofmarschall stehen, murmelte, Fischerhäuschen
-- Meister Abraham -- _dormez bien_ -- und beschloß sogleich zu dem
Kanzler des Reichs zu fahren, um sich über die außerordentliche
Begebenheit zu beraten, und womöglich die Konstellation herauszufinden,
die am Hofe ob dieses Ereignisses sich erzeugen könne. --

Meister Abraham hatte den Fürsten bis eben an das Gebüsch begleitet, in
welchem sich der Hofmarschall und der Leibkammerdiener befanden, hier
war er umgekehrt auf Geheiß des Fürsten, der nicht wollte, daß man ihn
aus den Fenstern des Schlosses in Gesellschaft des Meisters bemerke.
-- Der geneigte Leser weiß, wie gut es dem Fürsten gelungen, seinen
einsamen geheimen Besuch bei dem Meister Abraham im Fischerhäuschen zu
verbergen. Aber noch eine Person außer dem Kammerdiener hatte den
Fürsten, ohne daß er es ahnen konnte, belauscht.

Beinahe war Meister Abraham angelangt in seiner Wohnung, als ihm ganz
unvermutet, aus den Gängen, die schon zu dunkeln begannen, die Rätin
Benzon entgegentrat.

Ha, rief die Benzon mit bittrem Lachen: der Fürst hat sich bei Euch Rats
erholt, Meister Abraham. In der Tat, Ihr seid die wahre Stütze des
fürstlichen Hauses, dem Vater und dem Sohne laßt Ihr Eure Weisheit und
Erfahrung zufließen, und wenn guter Rat teuer oder gar nicht zu haben
ist -- So, fiel Meister Abraham der Benzon ins Wort, so gibt es eine
Rätin, die eigentlich das glanzvolle Gestirn ist, das hier alles
erleuchtet, und unter dessen Einfluß auch nur ein armer alter Orgelbauer
bestehen, und sein einfaches Leben ungestört durchfristen kann.

Scherzt nicht so bitter, sprach die Benzon, Meister Abraham, ein
Gestirn, das glanzvoll geleuchtet, kann unserm Horizont entfliehend
schnell verbleichen, und endlich ganz untergehen. Die seltsamsten
Ereignisse scheinen sich durchkreuzen zu wollen, in diesem einsamen
Familienkreise, den eine kleine Stadt und ein paar Dutzend Menschen
mehr, als eben darin wohnen, Hof zu nennen gewohnt sind. -- Die schnelle
Abreise des sehnlich erwarteten Bräutigams -- Hedwiga's bedrohlicher
Zustand! -- In der Tat, tief niederbeugen mußte dies den Fürsten, wäre
er nicht ein ganz gefühlloser Mann. -- Nicht, nicht immer waren Sie
dieser Meinung, unterbrach der Meister Abraham die Benzon, Frau Rätin.
--

Ich verstehe Euch nicht, sprach die Benzon mit verächtlichem Ton, indem
sie dem Meister einen stechenden Blick zuwarf und dann schnell das
Gesicht abwandte. --

Fürst Irenäus hatte im Gefühl des Vertrauens, das er dem Meister Abraham
schenken, ja der geistigen Übermacht, die er ihm zugestehen mußte, alle
fürstliche Bedenklichkeiten beiseite gestellt, und im Fischerhäuschen
sein ganzes Herz ausgeschüttet, auf alle Äußerungen der Benzon über die
verstörenden Ereignisse des Tages aber geschwiegen. Dies wußte der
Meister, und um so weniger durfte ihm die Empfindlichkeit der Rätin
auffallen, wiewohl er sich verwunderte, daß, kalt und in sich
verschlossen, wie sie war, sie diese Empfindlichkeit nicht besser zu
verbergen vermochte.

Wohl mußte es aber die Rätin tief schmerzen, daß sie das Monopol der
Vormundschaft über den Fürsten, das sie sich angeeignet, aufs Neue, und
zwar in einem kritischen, verhängnisvollen Augenblick, gefährdet sah.

Aus Gründen, die sich vielleicht später klar entwickeln dürften, war die
Verbindung der Prinzessin Hedwiga mit dem Prinzen Hektor der Rätin
feurigster Wunsch. Auf dem Spiele stand diese Verbindung, so mußte sie
glauben, und jede Einmischung eines dritten in diese Angelegenheit ihr
bedrohlich erscheinen. Überdies sah sie sich zum erstenmal von
unerklärlichen Geheimnissen umringt, zum ersten Mal schwieg der Fürst,
konnte sie, die gewohnt das ganze Spiel des phantastischen Hofes zu
regieren, tiefer gekränkt werden?

Meister Abraham wußte, daß einem aufgeregten Weibe nichts besser
entgegenzusetzen ist als unüberwindliche Ruhe, er sprach daher kein
Wörtchen, sondern schritt schweigend daher neben der Benzon, die sich in
tiefen Gedanken nach jener Brücke wandte, die der geneigte Leser schon
kennt. Sich auf das Geländer stützend schaute die Rätin hinein in die
fernen Büsche, denen die sinkende Sonne, noch wie zum Abschiede, goldene
leuchtende Blicke zuwarf.

»Ein schöner Abend«, sprach die Rätin, ohne sich umzuwenden. Gewiß,
erwiderte Meister Abraham, still, ruhig, heiter wie ein unbefangenes,
unverstörtes Gemüt.

»Sie können, fuhr die Rätin fort, das vertraulichere Ihr, mit dem sie
sonst den Meister anredete, aufgebend, mein lieber Meister, es mir nicht
verargen, daß ich mich schmerzhaft berührt fühlen muß, wenn der Fürst
plötzlich nur =Sie= zu seinem Vertrauten macht, nur Sie zu Rate zieht, in
einer Angelegenheit, über die eigentlich die welterfahrene Frau besser
zu raten, zu entscheiden weiß. Doch vorüber, ganz vorüber ist die
kleinliche Empfindlichkeit, die ich nicht zu bergen vermochte. Ich bin
ganz beruhigt, da nur die Form verletzt ist. Der Fürst selbst hätte mir
das alles sagen sollen, was ich nun erfahren habe auf andere Weise, und
ich kann in der Tat alles, was Sie, lieber Meister, ihm erwiderten, nur
höchlich billigen. -- Selbst will ich gestehen, daß ich etwas tat, was
eben nicht lobenswert ist. Mag es nicht sowohl weibliche Neugierde, als
die tiefste Teilnahme an allem, was sich in dieser fürstlichen Familie
begibt, entschuldigen. Erfahren Sie es, Meister: ich habe Sie belauscht,
Ihre ganze Unterredung mit dem Fürsten angehört, jedes Wort
verstanden --

Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames,
von höhnender Ironie und tiefer Verbitterung gemischtes Gefühl.
Ebensogut wie jener Leibkammerdiener des Fürsten, hatte Meister Abraham
bemerkt, daß man in der buschichten Vertiefung, dicht vor dem einen
Fenster des Fischerhäuschens versteckt, jedes Wort vernehmen konnte, was
drinnen gesprochen wurde. Durch eine geschickte akustische Vorrichtung
war ihm indessen gelungen, es zu bewirken, daß jedes Gespräch im Innern
des Häuschens dem draußen Stehenden nur wie ein verwirrtes
unverständliches Geräusch klang und es schlechterdings unmöglich blieb,
auch nur eine Silbe zu unterscheiden. -- Erbärmlich mußte es daher dem
Meister erscheinen, wenn die Benzon zu einer Lüge ihre Zuflucht nahm, um
hinter Geheimnisse zu kommen, die sie zwar ahnen mochte, aber nicht der
Fürst, und die dieser daher auch nicht wohl dem Meister Abraham
vertrauen konnte. -- Man wird erfahren, was der Fürst mit dem Meister im
Fischerhäuschen verhandelte.

O! rief der Meister, o meine Gnädige, es war der rege Geist der
lebensweisen, unternehmenden Frau selbst, der Sie an das Fischerhäuschen
führte. Wie kann ich armer, alter, jedoch unerfahrner Mann mich in allen
diesen Dingen zurechtfinden, ohne Ihren Beistand! Eben wollt' ich alles,
was mir der Fürst vertraut, weitläuftig hererzählen, aber es bedarf
keiner fernern Erläuterungen, da Ihnen schon alles bekannt. Möchten Sie,
Gnädige, mich würdig achten, sich über alles, was vielleicht schlimmer
sich darstellen mag, als es wirklich ist, recht von Herzen
auszusprechen.

Meister Abraham traf den Ton der biederen Zutraulichkeit so gut, daß die
Benzon, all' ihrer Scharfsichtigkeit unerachtet, nicht gleich zu
entscheiden wußte, ob es hier auf eine Mystifikation abgesehen sei oder
nicht, und die Verlegenheit darüber schnitt ihr jeden Faden ab, den sie
erfassen und zur für den Meister verfänglichen Schlinge hätte verknüpfen
können. So geschah es aber, daß sie vergebens nach Worten ringend, wie
festgebannt auf der Brücke stehen blieb, und hinabschaute in den See.

Der Meister weidete sich einige Augenblicke an ihrer Pein, dann
richteten sich aber seine Gedanken auf die Begebnisse des Tages. Er
wußte wohl, wie Kreisler in dem Mittelpunkt eben dieser Begebnisse
gestanden, ein tiefer Schmerz über den Verlust des teuersten Freundes
erfaßte ihn, und unwillkürlich entfloh ihm der Ausruf: Armer Johannes!

Da wandte sich die Benzon rasch zu dem Meister und sprach mit
losbrechender Heftigkeit: Wie, Meister Abraham, Ihr seid doch nicht so
töricht, an Kreislers Untergang zu glauben? Was kann ein blutiger Hut
beweisen? -- Was sollte ihn auch so plötzlich zu dem schrecklichen
Entschluß gebracht haben, sich selbst zu töten -- man hätte ihn ja auch
gefunden. --

Nicht wenig erstaunte der Meister, die Benzon von Selbstmord sprechen
zu hören, hier, wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien, ehe
er indessen antworten konnte, fuhr die Rätin fort: Wohl uns, wohl uns,
daß er fort ist, der Unglückliche, der überall, wo er sich blicken läßt,
nur verstörendes Unheil anrichtet! Sein leidenschaftliches Wesen, seine
Verbitterung, nicht anders kann ich seinen hochgepriesenen Humor
bezeichnen, steckt jedes reizbare Gemüt an, mit dem er dann sein
grausames Spiel treibt. Zeugt die höhnende Verachtung aller
konventionellen Verhältnisse, ja der Trotz gegen alle üblichen Formen
von Übergewicht des Verstandes, so müssen wir alle unsere Knie beugen
vor diesem Kapellmeister, doch soll er uns in Ruhe lassen und sich nicht
auflehnen gegen alles, was durch die richtige Ansicht des wirklichen
Lebens bedingt, und als unsere Zufriedenheit begründend anerkannt wird.
Darum! -- dem Himmel sei gedankt, daß er fort ist, ich hoffe ihn nie
wiederzusehen.

Und doch, sprach der Meister sanft, waren Sie sonst die Freundin meines
Johannes, Frau Rätin, und doch nahmen Sie sich seiner an, in einer
bösen kritischen Zeit und führten ihn selbst auf die Bahn, von der ihn
nur eben jene konventionellen Verhältnisse, die Sie so eifrig in
Schutz nehmen, wegverlockt hatten? -- Welch ein Vorwurf trifft jetzt so
plötzlich meinen guten Kreisler? -- Was für Böses hat sich aus seinem
Innern aufgetan? Will man ihn darum hassen, weil in den ersten
Augenblicken, da der Zufall ihn in eine neue Region geworfen, das Leben
feindlich auf ihn zutrat, weil das Verbrechen ihn bedrohte, weil -- ein
italienischer Bandit ihm nachschlich? --

Die Rätin fuhr bei diesen Worten sichtlich zusammen. Welch', sprach sie
dann mit zitternder Stimme, welch einen Gedanken der Hölle, hegt Ihr in
der Brust, Meister Abraham? -- Aber wäre es so, wäre Kreisler wirklich
gefallen, so wurde in dem Augenblick die Braut gerächt, die er
verdorben. Eine innere Stimme sagt es mir, Kreisler allein ist schuld an
dem fürchterlichen Zustande der Prinzessin. Schonungslos spannte er die
zarten Saiten im innern Gemüt der Kranken, bis sie zersprangen. So war,
erwiderte Meister Abraham giftig, der italienische Herr ein Mann von
raschem Entschluß, der die Rache der Tat vorausschickte. Sie haben ja,
Gnädige, alles angehört, was ich mit dem Fürsten gesprochen im
Fischerhäuschen, Sie wissen daher auch, daß Prinzessin Hedwiga in
demselben Augenblick, als der Schuß im Walde fiel, zur Leblosigkeit
erstarrte.

In der Tat, sprach die Benzon, man möchte an all' das schimärische Zeug
glauben, das uns jetzt aufgetischt wird, an psychische Korrespondenzen
und dergleichen! -- Doch! noch einmal, wohl uns, daß er fort ist, der
Zustand der Prinzessin kann und wird sich ändern. -- Das Verhängnis hat
den Störer unserer Ruhe vertrieben und -- sagt selbst, Meister Abraham,
ist nicht unser Freund im Innersten zerrissen auf solche Weise, daß das
Leben ihm keinen Frieden mehr zu geben vermag? -- Gesetzt also wirklich
daß --

Die Rätin endete nicht, aber Meister Abraham fühlte den Zorn, den er mit
Mühe unterdrückt, hoch aufflammen.

Was habt Ihr alle gegen diesen Johannes, rief er mit erhöhter Stimme,
was hat er euch Böses getan, daß Ihr ihm keine Freistatt, kein Plätzchen
gönnt auf dieser Erde? -- wißt Ihrs nicht? -- Nun so will ich es Euch
sagen. Seht, der Kreisler trägt nicht Eure Farben, er versteht nicht
Eure Redensarten, der Stuhl, den Ihr ihm hinstellt, damit er Platz nehme
unter Euch, ist ihm zu klein, zu enge! Ihr könnt' ihn gar nicht für
euresgleichen achten, und das ärgert Euch. Er will die Ewigkeit der
Verträge, die Ihr über die Gestaltung des Lebens geschlossen, nicht
anerkennen, ja er meint, daß ein arger Wahn, von dem Ihr befangen, Euch
gar nicht das eigentliche Leben erschauen lasse, und daß die
Feierlichkeit, mit der Ihr über ein Reich zu herrschen glaubt, das Euch
unerforschlich, sich gar spaßhaft ausnehme, und das alles nennt Ihr
Verbitterung. Vor allen Dingen liebt er jenen Scherz, der sich aus der
tiefern Anschauung des menschlichen Seins erzeugt und der die schönste
Gabe der Natur zu nennen, die sie aus der reinsten Quelle ihres Wesens
schöpft. Aber Ihr seid vornehme ernste Leute und wollet nicht scherzen.
-- Der Geist der wahren Liebe wohnt in ihm, doch vermag dieser ein Herz
zu erwärmen, das auf ewig zum Tode erstarret ist, ja in welchem niemals
der Funke war, den jener Geist zur Flamme aufhaucht? Ihr möget den
Kreisler nicht, weil Euch das Gefühl des Übergewichts, das Ihr ihm
einzuräumen gezwungen, unbehaglich ist, weil Ihr ihn, der Verkehr treibt
mit höheren Dingen als die gerade in Euern engen Kreis passen, fürchtet.
--

Meister Abraham, sprach die Benzon mit dumpfer Stimme, der Eifer, mit
dem Du für Deinen Freund sprichst, führt Dich zu weit. Du wolltest mich
verletzen? -- Nun wohl, es ist Dir gelungen, denn Du hast Gedanken in
mir geweckt, die lange, lange schlummerten! -- Todstarr nennst Du mein
Herz? -- Weißt Du denn, ob jemals der Geist der Liebe freundlich zu ihm
gesprochen, ob ich nicht allein in konventionellen Verhältnissen des
Lebens, die der überspannte Kreisler verächtlich finden mag, Trost und
Ruhe fand? -- Glaubst Du denn nicht überhaupt, alter Mann, der auch wohl
so manches Leid erfahren, daß es ein gefährliches Spiel ist, sich über
jene Verhältnisse erheben, und dem Weltgeist näher treten zu wollen in
der Mystifikation des eigenen Seins? Ich weiß es, die kälteste,
regungsloseste Prosa des Lebens selbst, hat mich Kreisler gescholten und
es ist sein Urteil, das sich in dem Deinigen ausspricht, wenn Du mich
todstarr nennst, aber habt Ihr jemals dieses Eis zu durchblicken
vermocht, das meiner Brust schon längst ein schützender Harnisch war?
-- Mag bei den Männern die Liebe nicht das Leben schaffen, sondern es nur
auf eine Spitze stellen, von der herab noch sichre Wege führen, unser
höchster Lichtpunkt, der unser ganzes Sein erst schafft und gestaltet,
ist der Augenblick der ersten Liebe. Will es das feindliche Geschick,
daß dieser Augenblick verfehlt wurde, verfehlt ist das ganze Leben für
das schwache Weib, das untergeht in trostloser Unbedeutsamkeit, während
das mit stärkerer Geisteskraft begabte sich mit Gewalt emporrafft, und
eben in den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens eine Gestaltung
erringt, die ihm Ruhe und Frieden gibt. -- Laß es Dir sagen, alter Mann
-- hier in der Dunkelheit der Nacht, die das Vertrauen verschleiert, laß
es Dir sagen! -- Als jener Moment in mein Leben trat, als ich =den=
erblickte, der alle Glut der innigsten Liebe, deren die weibliche Brust
nur fähig, in mir entzündete -- da stand ich vor dem Traualtar mit jenem
Benzon, der ein guter Ehemann wurde wie kein anderer. Seine völlige
Bedeutungslosigkeit gewährte mir alles, was ich, um ein friedfertiges
Leben zu führen, nur wünschen konnte, und nie ist eine Klage, ein
Vorwurf meinen Lippen entflohen. Nur den Kreis des Gewöhnlichen nahm ich
in Anspruch, und wenn dann selbst in diesem Kreise sich manches begab,
das mich unvermerkt irre leitete, wenn ich manches, das strafbar
erscheinen möchte, mit nichts anderm zu entschuldigen weiß als mit dem
Drange des augenblicklichen Verhältnisses, so mag =das= Weib mich zuerst
verdammen, die, so wie ich, den schweren Kampf durchkämpfte, der zu
gänzlichem Verzicht auf alles höhere Glück führt, sollte dies auch
nichts anders sein, als ein süßer träumerischer Wahn. -- Fürst Irenäus
machte meine Bekanntschaft. -- Doch ich schweige von dem, was längst
vergangen, nur von der Gegenwart soll noch die Rede sein. -- Ich hab es
Dir vergönnt in mein Innerstes zu schauen, Meister Abraham, Du weißt
nun, warum ich, so wie die Dinge sich hier gestalten, jedes
Hineindrängen eines fremdartigen exotischen Prinzips als bedrohlich
fürchten muß. Mein eigenes Geschick in jener verhängnisvollen Stunde
grinset mich an, wie ein furchtbar warnendes Gespenst. Retten muß ich
die, die mir teuer sind, ich habe meine Pläne gemacht. -- Meister
Abraham, seid mir nicht entgegen, oder, wollt Ihr in den Kampf treten
mit mir, so seht Euch vor, daß ich Eure besten Taschenspielerkünste
nicht zu Schanden mache!

Unglückliche Frau, rief Meister Abraham.

Unglücklich nennst Du mich, erwiderte die Benzon, mich, die ich ein
feindliches Geschick zu bekämpfen wußte und mir da, wo alles verloren
schien, Ruhe und Zufriedenheit gewann?

Unglückliche Frau, rief Meister Abraham nochmals mit einem Ton, der von
seiner innern Bewegung zeugte, arme, unglückliche Frau! Ruhe,
Zufriedenheit vermeinst Du gewonnen zu haben, und ahnst nicht, daß es
die Verzweiflung war, die -- ein Vulkan, -- alle flammenden Gluten aus
Deinem Innern hinausströmen ließ, und daß Du nun die tote Asche aus der
keine Blüte, keine Blume mehr sproßt, in starrer Betörung für das reiche
Feld des Lebens hältst, das Dir noch Früchte spenden soll. -- Ein
künstliches Gebäude willst Du aufführen auf dem Grundstein, den ein
Blitzstrahl zermalmte und befürchtest nicht, daß es einstürzen wird in
dem Augenblick, da lustig bunte Bänder wehen von der Blumenkrone, die
den Sieg des Baumeisters verkünden soll? -- Julia -- Hedwiga -- ich weiß
es, für sie wurden jene Pläne künstlich gewoben! -- Unglückliche Frau,
hüte Dich, daß jenes unheilbringende Gefühl, jene eigentliche
Verbitterung, die Du mit großem Unrecht meinem Johannis vorwirfst, nicht
aus Deinem eignen tiefsten Innern hervortritt, so daß Deine weisen
Entwürfe weiter nichts sind, als das feindliche Auflehnen gegen ein
Glück, das Du niemals genossest, und das Du nun selbst Deinen Lieben
mißgönnst. -- Ich weiß mehr von Deinen Entwürfen als Du es glauben
magst, mehr von Deinen gerühmten Verhältnissen des Lebens, die Dir Ruhe
bringen sollen und die -- Dich verlockten zu strafbarer Schande!

Ein dumpfer, unartikulierter Schrei, den die Benzon bei diesen letzten
Worten des Meisters ausstieß, verriet ihre tiefe Erschütterung. Der
Meister hielt inne, da aber die Benzon ebenfalls schwieg ohne sich von
der Stelle zu rühren, fuhr er gelassen fort: Zu nichts wenigerm habe ich
Lust, als mich in irgendeinen Kampf mit Ihnen zu begeben, Gnädige. Was
aber meine sogenannten Taschenspielerkünste betrifft, so wissen Sie ja
recht gut, werteste Frau Rätin, daß seit der Zeit, da mein unsichtbares
Mädchen mich verlassen -- In dem Augenblick erfaßte den Meister der
Gedanke an die verlorne Chiara mit einer Gewalt, wie seit langer Zeit
nicht mehr, er glaubte ihre Gestalt zu erblicken in der dunklen Ferne,
er glaubte ihre süße Stimme zu vernehmen. O Chiara! -- meine Chiara! So
rief er in der schmerzlichsten Wehmut! --

Was ist Euch, sprach die Benzon sich schnell nach ihm umwendend, Meister
Abraham! -- welchen Namen nanntet Ihr? -- Doch noch einmal, laßt ruhen
alles Vergangene, beurteilt mich nicht nach jenen seltsamen Ansichten
des Lebens, die Ihr mit Kreislern teilt, versprecht mir das Vertrauen
nicht zu mißbrauchen, daß Euch Fürst Irenäus geschenkt, versprecht mir
nicht entgegen zu sein, in meinem Tun und Treiben.

So ganz vertieft in das schmerzliche Andenken an seine Chiara war
Meister Abraham, daß er kaum vernahm was die Rätin sprach und nur
unverständliche Worte zu erwidern vermochte.

Weiset mich nicht zurück, Meister Abraham, fuhr die Rätin fort, Ihr
seid, wie es scheint, in der Tat mit manchem mehr bekannt, als ich
vermuten durfte, doch ist es möglich, daß ich auch noch Geheimnisse
bewahre, deren Mitteilung Euch sehr viel wert sein würde, ja, daß ich
Euch vielleicht einen Liebesdienst erzeigen könnte, an den Ihr gar nicht
denkt. Laßt uns zusammen diesen kleinen Hof beherrschen, der in der Tat
des Gängelbandes bedarf. -- Chiara rieft Ihr mit einem Ausdrucke des
Schmerzes der -- Ein starkes Geräusch vom Schlosse her unterbrach die
Benzon. Meister Abraham erwachte aus Träumen, das Geräusch -- --

=(M. f. f.)= -- ich folgendes beibringen. Ein Katzphilister beginnt, ist
er auch noch so durstig, die Schüssel Milch vom Rande rundumher an
aufzulecken, damit er sich nicht Schnauze und Bart bemilche und
anständig bleibe, denn der Anstand gilt ihm mehr als der Durst. Besuchst
du einen Katzphilister, so bietet er dir alles nur mögliche an,
versichert dich aber, wenn du scheidest, bloß seiner Freundschaft, und
frißt nachher heimlich und allein die Leckerbissen, die er dir
angeboten. Ein Katzphilister weiß vermöge eines sichern untrüglichen
Takts überall, auf dem Boden, im Keller usw. den besten Platz zu finden,
wo er sich so wohlbehaglich und bequem hinstreckt, als es nur geschehen
kann. Er erzählt viel von seinen guten Eigenschaften und wie er, dem
Himmel sei Dank, nicht klagen könne, daß das Schicksal diese guten
Eigenschaften übersehen. Sehr wortreich setzt er dir auseinander, wie er
zu dem guten Platz gekommen, den er behaupte, und was er noch alles tun
werde, um seine Lage zu verbessern. Willst du nun aber auch endlich von
dir und deinem geringer günstigen Schicksal etwas sagen, so kneift der
Katzphilister sofort die Augen zu und drückt die Ohren an, tut auch
wohl, als wenn er schliefe oder spinnt. Ein Katzphilister leckt sich
fleißig den Pelz rein und glänzend, und passiert selbst auf der Mausjagd
keine nasse Stelle, ohne bei jedem Schritt die Pfoten auszuschütteln,
damit er, geht auch das Wild darüber verloren, doch in allen
Verhältnissen des Lebens ein feiner, ordentlicher, wohlgekleideter Mann
bleibe. Ein Katzphilister scheut und vermeidet die leiseste Gefahr und
bedauert, befindest du dich in solcher und sprichst seine Hilfe an,
unter den heiligsten Beteuerungen seiner freundschaftlichen Teilnahme,
daß gerade in dem Augenblick es seine Lage, die Rücksichten, die er
nehmen müsse, es ihm nicht erlaubten dir beizustehen. Überhaupt ist
alles Tun und Treiben des Katzphilisters bei jeder Gelegenheit abhängig
von tausend und tausend Rücksichten. Selbst z. B. gegen den kleinen
Mops, der ihn in den Schwanz gebissen auf empfindliche Weise, bleibt er
artig und höflich, um es nicht mit dem Hofhunde zu verderben, dessen
Protektion er zu erlangen gewußt, und er nutzt nur den nächtlichen
Hinterhalt, um jenem Mops ein Auge auszukratzen. Tages darauf bedauert
er den teuern Mopsfreund gar von Herzen und schmält über die Bosheit
arglistiger Feinde. Übrigens gleichen diese Rücksichten einem
wohlangelegten Fuchsbau, der dem Katzphilister Gelegenheit gibt, überall
zu entwischen in dem Augenblick, als Du ihn zu fassen glaubst. Ein
Katzphilister bleibt am liebsten unter dem heimischen Ofen, wo er sich
sicher fühlt, das freie Dach verursacht ihm Schwindel. -- Und seht ihr
nun wohl, Freund Murr, das ist euer Fall. Sage ich euch nun, daß der
Katzbursch offen, ehrlich, uneigennützig, herzhaft, stets bereit dem
Freunde zu helfen ist, daß er keine andere Rücksichten kennt, als die
Ehre und redlicher Sinn gebieten, genug, daß der Katzbursch durchaus der
Antipode des Katzphilisters ist, so werdet Ihr keinen Anstand nehmen,
euch zu erheben aus dem Philistertum, um ein ordentlicher, tüchtiger
Katzbursch zu werden. --

Lebhaft fühlte ich die Wahrheit in Muzius Worten. Ich sah ein, daß ich
nur das Wort Philister nicht gekannt, wohl aber den Charakter, da mir
schon manche Philister, d. h. schlechte Katzkerle vorgekommen waren, die
ich herzlich verachtet hatte. Um so schmerzhafter fühlte ich daher den
Irrtum, von dem befangen ich in die Kategorie jener verächtlichen Leute
hätte geraten können und beschloß, Muzius Rat in allem zu folgen, um so
vielleicht noch ein tüchtiger Katzbursche zu werden. -- Ein junger
Mensch sprach einst zu meinem Meister von einem treulosen Freunde, und
bezeichnete diesen mit einem sehr seltsamen, mir unverständlichen
Ausdruck. Er nannte ihn einen pomadigen Kerl. Nun war es mir, als sei
das Beiwort: pomadig, sehr passend dem Hauptwort Philister hinzuzufügen,
und ich befragte Freund Muzius darum. Kaum hatte ich aber das Wort
pomadig ausgesprochen, als Muzius laut jauchzend aufsprang, und, mich
kräftig umhalsend rief: Herzensjunge, nun gewahre ich, daß du mich ganz
verstanden hast -- ja, pomadiger Philister! das ist die verächtliche
Kreatur, die sich auflehnt gegen das edle Burschentum und die wir
überall, wo wir sie finden, tothetzen möchten. Ja, Freund Murr, du hast
jetzt schon dein inneres, wahrhaftes Gefühl für alles Edle, Große,
bewiesen, laß dich nochmals an diese Brust drücken, in der ein treues,
deutsches Herz schlägt. -- Damit umhalste mich Freund Muzius aufs neue
und erklärte, wie er in der nächstfolgenden Nacht mich einzuführen
gedenke in das Burschentum, ich möge mich nur in der Mitternachtsstunde
einfinden auf dem Dache, wo er mich abholen werde zu einem Fest, das ein
Katzsenior veranstaltet, nämlich der Kater Puff.

Der Meister trat ins Zimmer. Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen,
schmiegte mich, wälzte mich auf dem Boden, um ihm meine Freude zu
bezeugen. Auch Muzius glotzte ihn an mit zufriedenem Blick. Nachdem der
Meister etwas weniges mir Kopf und Hals gekraut, sah er sich um im
Zimmer und sprach, da er alles in gehöriger Ordnung fand: Nun das ist
recht! Eure Unterhaltung ist still und friedlich gewesen, wie es
anständigen, gut erzogenen Leuten geziemt. Das verdient belohnt zu
werden.

Der Meister schritt zu der Türe heraus, die nach der Küche führte, und
wir, Muzius und ich, seine gute Absicht erratend, schritten hinter ihm
her mit einem fröhlichen Mau -- Mau -- Mau! Wirklich öffnete auch der
Meister den Küchenschrank und holte die Skelette und Knöchelchen von ein
paar jungen Hühnern hervor, deren Fleisch er gestern verzehrt hatte. Es
ist bekannt, daß mein Geschlecht Hühnerskelette zu den allerfeinsten
Leckerbissen rechnet, die es geben kann, und daher kam es, daß Muzius
Augen in glanzvollem Feuer strahlten, daß er den Schweif in den
anmutigsten Windungen schlängelte, daß er laut schnurrte, als der
Meister die Schüssel vor uns hinsetzte auf den Boden. Des pomadigen
Philisters wohl eingedenk, schob ich dem Freunde Muzius die besten
Bissen hin, die Hälse, die Bäuche, die Steiße, und begnügte mich mit den
gröbern Schenkel- und Flügelknochen. Als wir mit den Hühnern fertig
waren, wollte ich den Freund Muzius fragen, ob ihm vielleicht mit einer
Tasse süßer Milch gedient sei. Doch den pomadigen Philister stets vor
Augen, unterließ ich es und schob statt dessen die Tasse, welche, wie
ich wußte, unter dem Schrank stand, hervor und lud Muzius freundlich ein
zuzusaufen, indem ich ihm Bescheid tat. -- Muzius soff die Tasse rein
aus, dann drückte er mir die Pfote und sprach, während ihm die hellen
Tränen in die Augen traten: Freund Murr, ihr lebt lukullisch, aber ihr
habt mir euer treues, biederes und edelmütiges Herz kund getan, und so
wird die eitle Lust der Welt euch nicht verlocken zum schnöden
Philistertum! Habt Dank, habt innigen Dank! --

Mit einem biedern, deutschen Pfotendruck nach altväterischer Sitte
nahmen wir Abschied. Muzius war, gewiß um die tiefe Rührung, die ihm
Tränen auspreßte, zu verbergen, mit einem halsbrechenden Satze schnell
zum offenen Fenster hinaus auf das nächst anstoßende Dach. -- Selbst
mich, den die Natur doch mit vorzüglicher Schwungkraft begabt, setzte
dieser gewagte Satz in Erstaunen, und ich fand Gelegenheit, auf's Neue
mein Geschlecht zu preisen, das aus gebornen Turnern besteht, die keines
Springstocks, keiner Kletterstange bedürfen.

Übrigens gab mir Freund Muzius auch den Beweis, wie oft hinter einem
rauhen, abschreckenden Äußern, sich ein zartes, tieffühlendes Gemüt
verbirgt. --

Ich kehrte ins Zimmer zu meinem Meister zurück und legte mich unter den
Ofen. Hier in der Einsamkeit die Gestaltung meines bisherigen Seins
bedenkend, meine letzte Stimmung, meine ganze Lebensweise erwägend,
erschrak ich bei dem Gedanken, wie nahe ich dem Abgrunde gewesen, und
Freund Muzius erschien mir trotz seines struppigen Balgs, wie ein
schöner, rettender Engel. In eine neue Welt sollte ich treten, die Leere
im Innern sollte ausgefüllt, ein anderer Kater sollte ich werden, mir
klopfte das Herz vor banger, freudiger Erwartung.

Noch lange war es nicht Mitternacht, als ich den Meister mit der
gewöhnlichen Redensart: Ma--au bat, mich hinauszulassen. Recht gerne,
erwiderte er, indem er die Türe öffnete, Recht gerne, Murr. Aus dem
ewigen Unterm-Ofen-Liegen und -Schlafen kommt gar nichts heraus. Geh
-- geh, daß du wieder in die Welt unter Kater kommst. Vielleicht findest
du gemütsverwandte Katerjünglinge, die sich mit dir ergötzen in Ernst
und Scherz.

Ach! -- der Meister ahnte wohl, daß ein neues Leben mir bevorstand!
-- Endlich, nachdem ich bis Mitternacht gewartet, stellte sich Freund
Muzius ein, und führte mich fort über verschiedene Dächer, bis endlich
auf einem beinahe ganz platten italienischen Dache, uns zehn stattliche,
nur ebenso nachlässig und seltsam wie Muzius gekleidete Katerjünglinge
mit lautem Jubelgeschrei empfingen. Muzius stellte mich den Freunden
vor, rühmte meine Eigenschaften, meinen treuen, biedern Sinn, hob
vorzüglich hervor, wie ich ihn mit Backfischen, Hühnerknochen und süßer
Milch gastlich bewirtet und schloß damit, daß ich als tüchtiger
Katzbursch aufgenommen sein wolle. Alle gaben ihre Beistimmung.

Es erfolgten nun gewisse Feierlichkeiten, die ich indessen verschweige,
da geneigte Leser meines Geschlechts vielleicht argwöhnen, ich sei in
einen verbotenen Orden getreten und noch jetzt Red' und Antwort darüber
von mir verlangen könnten. Ich versichere aber auf Gewissen, daß von
einem Orden und seinen Bedingnissen, als da sind Statuten, geheime
Zeichen u. s. w. durchaus nicht die Rede war, sondern daß der Verein
lediglich auf Gleichheit der Gesinnung beruhte. Denn es fand sich bald,
daß jeder von uns süße Milch lieber zu sich nahm als Wasser, Braten
lieber als Brot.

Nachdem die Feierlichkeiten vorüber, empfing ich von allen den
brüderlichen Kuß und Pfotendruck, und sie nannten mich: du! -- Dann
setzten wir uns zu einem einfachen aber fröhlichen Mahl, dem eine
wackere Zecherei folgte. Muzius hatte trefflichen Katzpunsch bereitet.
-- Sollte ein lüsterner Katerjüngling nach dem Rezept dieses köstlichen
Getränks Begierde tragen, so kann ich leider darüber keine genügende
Auskunft geben. So viel ist gewiß, daß die hohe Annehmlichkeit des
Geschmacks, sowie die siegende Kraft, vorzüglich durch eine derbe Zutat
von Heringslake hervorgebracht wird.

Mit einer Stimme, die weit über viele Dächer hinwegdonnerte, intonierte
nun der Senior Puff das schöne Lied: _Gaudeamus igitur._ Mit Wonne fühlte
ich mich im Innern und Äußern ganz trefflicher _Juvenis_ und mochte gar
nicht an den _tumulus_ denken, den ein düstres Verhängnis unserm
Geschlechte selten in der stillen, friedlichen Erde gönnt. Es wurden
noch verschiedene schöne Lieder gesungen, wie z. B. Laßt die Politiker
nur sprechen u. s. w., bis der Senior Puff mit gewichtiger Pfote auf den
Tisch schlug und verkündete, daß nun das wahre, echte Weihelied, nämlich
das _Ecce quam bonum_ gesungen werden müsse, und intonierte sofort den
Chor: _Ecce etc. etc._

Noch nie hatte ich dieses Lied gehört, dessen Komposition ebenso tief
gedacht, so harmonisch und melodisch richtig, als wunderbar und
geheimnisvoll zu nennen. Der Meister ist, soviel ich weiß, nicht bekannt
geworden, doch schreiben viele dieses Lied dem großen Händel zu, andere
dagegen behaupten, daß es lange, lange vor Händels Zeit schon existiert
habe, da nach der Chronik von Wittenberg es schon gesungen worden, als
Prinz Hamlet noch Fuchs gewesen. Doch gleichviel, wer es gemacht hat,
das Werk ist groß und unsterblich und vorzüglich zu bewundern, wie die
in den Chor eingeflochtenen Solos den Sängern freien Spielraum lassen zu
den anmutigsten, unerschöpflichsten Veränderungen. Einige dieser
Veränderungen, die ich in dieser Nacht hörte, habe ich treu im
Gedächtnis behalten.

Als der Chor geendet, fiel ein schwarz und weiß gefleckter Jüngling
ein:

      Gar zu spitzig klafft der Spitz,
      Gar zu grob der Pudel;
      Jenem gönnt den Steiß zum Sitz,
      Dem die Schnauz' zum Hudel.

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Darauf ein Grauer:

      Höflich zieht die Mütz vom Kopf,
      Kommt Philister gangen!
      Froh gebärdet sich der Tropf,
      Will vor nichts ihm bangen.

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Darauf ein Gelber:

      Schwimmen muß der muntere Fisch,
      Vögelein muß fliegen.
      Floss' und Federn wachsen frisch;
      Werd't sie nimmer kriegen.

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Darauf ein Weißer:

      Miaut und knurrt und knurrt und miaut,
      Nur beileib' nicht kratzen;
      Seid galant, daß man euch traut,
      Schonet eure Tatzen.

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Darauf Freund Muzius:

      Denkt Herr Aff' nach seinem Maß
      Alle uns zu messen!
      Spitzt das Maul, trägt hoch die Nas',
      Wird uns doch nicht fressen.

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Ich saß neben Muzius; an mir war daher jetzt die Reihe, mit einem Solo
einzufallen. Alle Solos, die bis jetzt vorgetragen, wichen so sehr von
den Versen ab, die ich sonst gedichtet, daß ich in Unruhe und Angst
geriet, den Ton, die Haltung des Ganzen zu verfehlen. Daher kam es, daß
ich, als der Chor geendet, noch schwieg. Schon erhoben einige die Gläser
und riefen: _pro poena,_ als ich mich mit aller Gewalt zusammennahm und
sofort sang:

      Pfot' in Pfot' und Brust an Brust
      Soll uns nichts verdüstern
      Katzbursch sein ist uns're Lust,
      Trotzen Katzphilistern!

  Chor. _Ecce quam etc. etc._

Meine Variation fand den lautesten, unerhörtesten Beifall. Die
hochherzigen Jungen stürmten jubelnd auf mich ein, umpfoteten mich,
drückten mich an ihre klopfende Brust. Auch hier erkannte man also den
hohen Genius in meinem Innern. Es war einer der schönsten Augenblicke
meines Lebens. Nun wurde noch manchen großen, berühmten Katern,
vorzüglich solchen, die ihrer Größe und Berühmtheit unerachtet sich von
aller und jeder Philisterei entfernt gehalten und dies bewiesen hatten
durch Wort und Tat, ein feuriges Lebehoch gebracht! und dann schieden
wir auseinander.

Der Punsch war mir doch etwas zu Kopfe gestiegen, die Dächer schienen
sich zu drehen, kaum vermochte ich mittels des Schweifes, den ich als
Balancierstange benutzte, mich aufrecht zu erhalten. Der treue Muzius,
meinen Zustand bemerkend, nahm sich meiner an, und brachte mich
glücklich durch die Dachluke nach Hause.

Wüst im Kopfe, wie ich mich noch niemals gefühlt, konnte ich lange
nicht --

=(Mak. Bl.)= -- -- ebensogut gewußt, als die scharfsinnige Frau Benzon,
aber daß ich gerade heute, eben jetzt von Dir Nachricht erhalten sollte,
Du treue Seele, das hat mein Herz nicht geahnt.« So sprach Meister
Abraham, verschloß den Brief, den er erhalten, und in dessen Aufschrift
er mit freudiger Überraschung Kreislers Hand erkannt hatte, ohne ihn zu
öffnen, in den Schubkasten seines Schreibtisches und ging hinaus in den
Park. -- Meister Abraham hatte schon seit vielen Jahren die Gewohnheit,
Briefe, die er erhielt, Stunden, ja oft Tage lang uneröffnet liegen zu
lassen. Ist der Inhalt gleichgültig, sprach er, so kommt es auf den
Verzug nicht an, enthält der Brief eine böse Nachricht, so gewinn' ich
noch einige frohe, oder wenigstens ungetrübte Stunden; steht eine
Freudenpost darin, so kann ein gesetzter Mann wohl es abwarten, daß die
Freude ihm über den Hals komme. Diese Gewohnheit des Meisters ist zu
verwerfen, denn einmal ist solch ein Mensch, der Briefe liegen läßt,
ganz untauglich zum Kaufmann, zum politischen oder literarischen
Zeitungsschreiber, dann leuchtet es aber auch ein, wie manches Unheil
sich sonst noch bei Personen, die weder Kaufleute sind noch
Zeitungsschreiber, daraus erzeugen kann. -- Was gegenwärtigen Biographen
betrifft, so glaubt er ganz und gar nicht an Abrahams stoischen
Gleichmut, sondern rechnet jene Gewohnheit vielmehr einer gewissen
ängstlichen Scheu zu, das Geheimnis eines verschlossenen Briefes zu
entfalten. -- Es ist eine ganz eigene Lust, Briefe zu empfangen, und
darum sind uns die Personen besonders angenehm, die zunächst uns diese
Lust verschaffen, nämlich: die Briefträger, wie schon irgendwo ein
geistreicher Schriftsteller bemerkt hat. Dies mag eine anmutige
Selbstmystifikation genannt werden. Der Biograph erinnert sich, daß, als
er einst auf der Universität mit dem sehnlichsten Schmerz, lange
vergebens auf einen Brief von einer geliebten Person gewartet hatte, er
den Briefträger mit Tränen im Auge bat, ihm doch recht bald einen Brief
aus der Vaterstadt zu bringen, er solle auch dafür ein namhaftes
Trinkgeld erhalten. Der Kerl versprach, was von ihm verlangt wurde, mit
pfiffiger Miene, brachte den Brief, der in der Tat nach wenigen Tagen
einging, triumphierend, als habe es nur an ihm gelegen, Wort zu halten,
und strich das versprochene Trinkgeld ein. -- Doch weiß der Biograph,
der eben vielleicht selbst gewissen Selbstmystifikationen zu sehr Raum
gibt -- doch weiß er nicht, ob Du, geliebter Leser, mit ihm gleichen
Sinnes, mit jener Lust eine seltsame Angst fühlest, die Dir, indem Du
den erhaltenen Brief öffnen willst, Herzklopfen verursacht, selbst wenn
es kaum möglich, daß der Brief Wichtiges für Dein Leben enthalten
sollte. -- Mag es sein, daß dasselbe die Brust beengende Gefühl, mit dem
wir in die Nacht der Zukunft schauen, auch hier sich regt, und daß eben
deshalb, weil ein leichter Druck der Finger hinreicht, das Verborgene zu
enthüllen, der Moment auf einer Spitze steht, die uns beunruhigt. Und!
-- wie viele schöne Hoffnungen zerbrachen schon mit dem verhängnisvollen
Siegel, und die lieblichen Traumbilder, die aus unserm eigenen Innern
gestaltet, unsere brünstige Sehnsucht selbst schienen, zerrannen in
nichts und das kleine Blättchen war der Zauberfluch, vor dem der
Blumengarten, in dem wir zu wandeln gedachten, verdorrte, und das Leben
lag vor uns wie eine unwirtbare, trostlose Wüstenei. -- Scheint es gut,
den Geist zu sammeln, ehe jener leichte Druck der Finger das Verborgene
erschließt, so kann dies vielleicht Meister Abrahams sonst verwerfliche
Gewohnheit entschuldigen, die übrigens auch gegenwärtigen Biographen
anklebt aus einer gewissen, verhängnisvollen Zeit, in der beinahe jeder
Brief, den er erhielt, der Büchse Pandoras glich, aus der, sowie sie
geöffnet, tausend Unheil und Ungemach aufstieg ins Leben. -- Hat aber
nun auch Meister Abraham des Kapellmeisters Brief verschlossen in seinen
Schreibepult oder Schreibtischkasten, und ist er auch spazieren gegangen
in den Park, doch soll der geneigte Leser den Inhalt sogleich
buchstäblich erfahren. -- Johannes Kreisler hatte folgendes geschrieben:

  »Mein herzlieber Meister!«

_»La fin couronne les oeuvres!«_ hätte ich rufen können, wie Lord
Clifford in Shakespeares Heinrich dem Sechsten, als ihm der sehr edle
Herzog von York eines versetzt hatte zum Tode. Denn bei Gott, mein Hut
stürzte schwer verwundet ins Gebüsch und ich ihm nach, rücklings, wie
einer, von dem man in der Schlacht zu sagen pflegt: er fällt, oder er
ist gefallen. -- Dergleichen Leute stehen aber selten wieder auf,
dagegen tat das aber Euer Johannes, mein lieber Meister, und das auf der
Stelle. -- Um meinen schwer verwundeten Kameraden, der nicht sowohl an
meiner Seite, als über oder von meinem Haupte gefallen, konnte ich mich
gar nicht bekümmern, da ich genug zu tun hatte, durch einen tüchtigen
Seitensatz (ich nehme das Wort Satz hier weder in philosophischem noch
in musikalischem, sondern lediglich in gymnastischem Sinn) der Mündung
einer Pistole auszuweichen, die jemand etwa drei Schritte davon auf mich
hielt. Doch ich tat noch mehr als das, ich ging plötzlich aus der
Defensive in die Offensive über, sprang auf den Pistolanten los und
stieß ihm ohne weitere Umstände meinen Stockdegen in den Leib. -- Immer
habt Ihr mir den Vorwurf gemacht, Meister! daß ich des historischen
Stils nicht mächtig und unfähig etwas zu erzählen, ohne unnütze Phrasen
und Abschweifungen. Was sagt Ihr zu der bündigen Darstellung meines
italienischen Abenteuers in dem Park zu Sieghartshof, den ein
hochsinniger Fürst so mild beherrscht, daß er selbst Banditen toleriert
vergnüglicher Abwechslung halber?

Nehmt, lieber Meister, das bisher Gesagte nur für die vorläufige
epitomatische Inhaltsanzeige des historischen Kapitels, das ich, erlaubt
es meine Ungeduld und der Herr Prior, statt eines ordinären Briefes für
Euch aufschreiben will. -- Wenig nachzuholen ist über das eigentliche
Abenteuer im Walde. -- Gewiß war es mir sogleich, daß, als der Schuß
fiel, ich davon profitieren sollte, denn im Niederstürzen empfand ich
einen brennenden Schmerz an der linken Seite meines Kopfs, den der
Konrektor in Göniönesmühl mit Recht einen =hartnäckigen= nannte.
Hartnäckigen Widerstand hatte der wackere Knochenbau nämlich geleistet
dem schnöden Blei, so, daß die Streifwunde kaum zu achten. Aber sagt
mir, lieber Meister, sagt mir auf der Stelle, oder heute abend, oder
wenigstens morgen in aller Frühe, in wessen Leib meine Stockklinge
gefahren? Sehr lieb würde es mir sein, zu vernehmen, daß ich eigentlich
gar kein gemeines Menschenblut vergossen, sondern bloß einigen
prinzlichen Ichor; und es will mir ahnen, als wäre dem so. -- Meister!
so hätte der Zufall denn zu der Tat geführt, die der finstere Geist mir
verkündete, bei Euch im Fischerhäuschen. -- War vielleicht diese kleine
Stockklinge in dem Augenblick, als ich sie brauchte zur Notwehr gegen
Mörder, das furchtbare Schwert der Blutschuld rächenden Nemesis?
-- Schreibt mir alles, Meister, und vor allen Dingen, was es mit der
Waffe, die Ihr mir in die Hand gabt, mit dem kleinen Bilde für eine
Bewandtnis hat. -- Doch nein -- nein, sagt mir davon nichts. Laßt mich
dieses Medusenbild, vor dessen Anblick der bedrohliche Frevel erstarrt,
bewahren, mir selbst ein unerklärliches Geheimnis. Es ist mir, als würde
dieser Talisman seine Kraft verlieren, sobald ich wüßte, was für eine
Konstellation ihn gefeit zur Zauberwaffe! -- Wollt Ihr mir's glauben,
Meister, daß ich bis jetzt Euer kleines Bild noch gar nicht einmal recht
angeschaut? -- Ist es an der Zeit, so werdet Ihr mir alles sagen, was
mir zu wissen nötig, und dann gebe ich den Talisman zurück in Eure
Hände. Also für jetzt kein Wort weiter davon! -- Doch fortfahren will
ich nun in meinem historischen Kapitel.

Als ich besagtem Jemand, besagtem Pistolanten meinen Stockdegen in den
Leib gerannt, so daß er lautlos niederstürzte, sprang ich fort mit der
Schnellfüßigkeit eines Ajax, da ich Stimmen im Park zu hören und mich
noch in Gefahr glaubte. Ich gedachte nach Sieghartsweiler zu laufen,
aber die Dunkelheit der Nacht ließ mich den Weg verfehlen. Schneller und
schneller rannte ich fort, immer noch hoffend mich zurecht zu finden.
Ich durchwatete Feldgraben, ich erklimmte eine steile Anhöhe und sank
endlich in einem Gebüsch vor Ermattung nieder. Es war, als blitze es
dicht vor meinen Augen, ich fühlte einen stechenden Schmerz am Kopf, und
erwachte aus tiefem Todesschlaf. Die Wunde hatte stark geblutet, ich
machte mir, das Taschentuch benutzend, einen Verband, der dem
geschicktesten Kompanie-Chirurgus auf dem Schlachtfelde zur Ehre
gereicht haben würde, und schaute nun ganz froh und fröhlich umher.
Unfern von mir stiegen die mächtigen Ruinen eines Schlosses empor. -- Ihr
merkt es Meister, ich war zu meiner nicht geringen Verwunderung auf den
Geierstein geraten.

Die Wunde schmerzte nicht mehr, ich fühlte mich frisch und leicht, ich
trat heraus aus dem Gebüsch, das mir zum Schlafgemach gedient, die Sonne
stieg empor und warf blinkende Streiflichter auf Wald und Flur, wie
fröhliche Morgengrüße. Die Vögel erwachten in den Gebüschen und badeten
sich zwitschernd im kühlen Morgentau, und schwangen sich auf in die
Lüfte. Noch in nächtliche Nebel gehüllt lag tief unter mir Sieghartshof,
doch bald sanken die Schleier, und in flammendem Gold standen Bäume und
Büsche. Der See des Parks glich einem blendend strahlenden Spiegel: ich
unterschied das Fischerhäuschen wie einen kleinen weißen Punkt -- sogar
die Brücke glaubte ich deutlich zu schauen. -- Das Gestern trat auf mich
ein, aber als sei es eine längst vergangene Zeit, aus der mir nichts
geblieben als die Wehmut der Erinnerung an das ewig Verlorne, die in
demselben Augenblick die Brust zerreißt und mit süßer Wonne erfüllt.
»Haselant, was willst Du denn eigentlich damit sagen, was hast Du denn
in dem längst vergangenen Gestern auf ewig verloren? so ruft Ihr mich
an, Meister, ich hör es. Ach Meister, noch einmal stelle ich mich hin
auf jene hervorragende Spitze des Geiersteins -- noch einmal breite ich
die Arme aus wie Adlersflügel, mich dort hinzuschwingen, wo ein süßer
Zauber waltete, wo jene Liebe, die nicht in Raum und Zeit bedingt, die
ewig ist, wie der Weltgeist, mir aufging in den ahnungsvollen
Himmelstönen, die die dürstende Sehnsucht selbst sind und das Verlangen.
Ich weiß es, dicht vor meiner Nase setzt sich ein Teufelskerl von
hungrigem Opponenten hin, der nur opponiert des irdischen Gerstenbrotes
halber, und fragt mich höhnisch: ob es möglich sei, daß ein Ton
dunkelblaue Augen haben könne? Ich führe den bündigsten Beweis, daß der
Ton eigentlich auch ein Blick sei, der aus einer Lichtwelt durch
zerrissene Wolkenschleier hinabstrahlet; der Opponent geht aber weiter,
und frägt nach Stirn, nach Haar, nach Mund und Lippen, nach Armen,
Händen, Füßen, und zweifelt durchaus mit hämischem Lächeln, daß ein
bloßer, purer Ton mit diesem allen begabt sein könne. -- O Gott, ich
weiß, was der Schlingel meint, nämlich nichts weiter, als daß, solange
ich ein _glebae adscriptus_ sei, wie er und die übrigen, solange wir
alle nicht bloß Sonnenstrahlen fräßen, und uns manchmal noch auf einen
andern Stuhl setzen müßten, als auf den Lehrstuhl, es mit jener ewigen
Liebe, mit jener ewigen Sehnsucht, die nichts will als sich selbst, und
von der jeder Narr zu schwatzen weiß -- Meister! ich wünschte nicht,
daß Ihr auf die Seite des hungrigen Opponenten trätet -- es würde mir
unangenehm sein. -- Und sagt selbst, könnte Euch wohl eine einzige
vernünftige Ursache dazu treiben? -- hab' ich jemals Hang gezeigt zu
trister Sekundaner Narrheit? -- Ja hab' ich, zu reifen Jahren gekommen,
mich nicht stets nüchtern zu erhalten gewußt, hab' ich etwa jemals
gewünscht ein Handschuh zu sein bloß um Julia's Wange zu küssen wie
Vetter Romeo? -- Glaubt es nur, Meister, die Leute mögen auch sagen, was
sie wollen, im Kopf trag' ich nichts als Noten, und im Gemüt und Herzen
die Klänge dazu, denn alle Teufel! wie sollt ich sonst im Stande sein,
solche manierliche, bündige Kirchenstücke zu setzen, als die Vesper es
ist, die da eben vollendet auf dem Pulte liegt. -- Doch -- schon wieder
war es um die Historie geschehen -- ich erzähle weiter.

Aus der Ferne vernahm ich den Gesang einer kräftigen Männerstimme, der
sich immer mehr und mehr näherte. Bald gewahrte ich denn auch einen
Benediktiner Geistlichen, der, auf dem Fußsteig unterwärts fortwandelnd,
einen lateinischen Hymnus sang. Nicht weit von meinem Platze stand er
still, hielt inne mit dem Singen und schaute, indem er den breiten
Reisehut vom Kopfe nahm und sich mit einem Tuch den Schweiß von der
Stirne trocknete, in der Gegend umher, dann verschwand er ins Gebüsch.
Mir kam die Lust an, mich zu ihm zu gesellen, der Mann war mehr als
wohlgenährt, die Sonne brannte stärker und stärker, und so konnt' ich
wohl denken, daß er ein Ruheplätzchen gesucht haben würde im Schatten.
Ich hatte mich nicht geirrt, denn in das Gebüsch tretend, erblickte ich
den ehrwürdigen Herrn, der sich auf einen dickbemoosten Stein
niedergelassen hatte. Ein höheres Felsstück dicht daneben diente ihm zum
Tisch; -- er hatte ein weißes Tuch darüber ausgebreitet, und holte eben
aus dem Reisesack Brot und gebratenes Geflügel hervor, das er mit vielem
Appetit zu bearbeiten begann: _Sed praeter omnia bibendum quid,_ so rief
er sich selbst zu und schenkte aus einer Korbflasche Wein ein in den
kleinen, silbernen Becher, den er aus der Tasche hervorgezogen. Eben
wollte er trinken, als ich mit einem »Gelobt sei Jesus Christ« zu ihm
hintrat. Mit dem Becher an den Lippen, schaute er auf, und ich
erkannte im Augenblick meinen alten, gemütlichen Freund aus der
Benediktiner-Abtei zu Kanzheim, den ehrlichen Pater und Präfectus Chori
Hilarius. In Ewigkeit! stammelte Pater Hilarius, indem er mich mit weit
aufgerissenen Augen starr anblickte. Ich dachte sogleich an meinen
Kopfputz, der mir vielleicht ein fremdes Ansehen geben mochte und
begann: O, mein sehr geliebter, würdiger Freund Hilarius, haltet mich
nicht für einen verlaufenen, vagabondierenden Hindus, auch nicht für ein
auf den Kopf gefallenes Landeskind, da ich doch nun einmal nichts
anderes bin und sein will, als Euer Intimus, der Kapellmeister Johannes
Kreisler! --

Beim heiligen Benedikt, rief Pater Hilarius freudig, ich hatte Euch
gleich erkannt, herrlicher Kompositor und angenehmer Freund, aber _per
diem_ sagt mir, wo kommt Ihr her, was ist Euch geschehen, Euch, den ich
mir _in floribus_ dachte am Hofe des Großherzogs?

Ich nahm gar keinen Anstand, dem Pater kürzlich alles zu erzählen, was
sich mit mir begeben und wie ich genötigt gewesen, dem, dem es beliebt
nach mir, wie nach einem aufgesteckten Ziel, Probeschüsse zu tun, meinen
Stockdegen in den Leib zu stoßen und wie besagter Zielschießer
wahrscheinlich ein italienischer Prinz gewesen, der Hektor geheißen, wie
mancher würdige Pirschhund. -- »Was nun beginnen, zurückkehren nach
Sieghartsweiler, oder -- ratet mir, Pater Hilarius!«

So schloß ich meine Erzählung. -- Pater Hilarius, der manches -- Hm!
-- so! -- ei! -- heiliger Benedikt -- dazwischen geworfen, sah jetzt vor
sich nieder, murmelte: _bibamus!_ und leerte den silbernen Becher auf
einen Zug.

Dann rief er lachend: in der Tat, Kapellmeister, der beste Rat, den ich
Euch fürs erste erteilen kann, ist, daß Ihr Euch fein zu mir hersetzt
und mit mir frühstückt. Ich kann Euch diese Feldhühner empfehlen, erst
gestern schoß sie unser ehrwürdiger Bruder Macarius, der, wie Ihr Euch
wohl erinnert, alles trifft, nur nicht die Noten in den Responsorien,
und wenn Ihr den Kräuteressig vorschmeckt, mit dem sie angefeuchtet, so
verdankt Ihr das der Sorgfalt des Bruders Eusebius der sie selbst
gebraten mir zuliebe. Was aber den Wein betrifft, so ist er wert, die
Zunge eines landflüchtigen Kapellmeisters zu netzen. Echter Bocksbeutel,
_carissime_ Johannes, echter Bocksbeutel aus dem St. Johannis-Hospital zu
Würzburg, den wir, unwürdige Diener des Herrn, erhalten in bester
Qualität. -- _Ergo bibamus!_

Damit schenkte er den Becher voll und reichte ihn mir hin. -- Ich ließ
mich nicht nötigen, ich trank und aß, wie einer, der solcher Stärkung
bedarf.

Pater Hilarius hatte den anmutigsten Platz gewählt, um sein Frühstück
einzunehmen. Ein dichtes Birkengebüsch beschattete den blumigten Rasen
des Bodens, und der kristallhelle Waldbach, der über hervorragendes
Gestein plätscherte, vermehrte noch die erfrischende Kühle. Die
einsiedlerische Heimlichkeit des Orts erfüllte mich mit Wohlbehagen und
Ruhe, und während Pater Hilarius mir von allem erzählte, was sich seit
der Zeit in der Abtei begeben, wobei er nicht vergaß, seine gewöhnlichen
Schwänke und sein hübsches Küchenlatein einzumischen, horchte ich auf
die Stimmen des Waldes, der Gewässer, die zu mir sprachen in tröstenden
Melodien.

Pater Hilarius mochte mein Schweigen der bittern Sorge zuschreiben, die
mir das Geschehene verursachte.

»Seid guten Muts, Kapellmeister!« begann er, indem er mir den aufs Neue
gefüllten Becher hinreichte, »Ihr habt Blut vergossen, das ist wahr, und
Blutvergießen ist Sünde, doch _distinguendum est inter et inter_. -- Jedem
ist sein Leben das Liebste, er hat es nur einmal. Ihr habt das Eurige
verteidigt, und das verbietet die Kirche keinesweges, wie sattsam zu
erweisen, und weder unser hochwürdiger Herr Abt, noch irgendein anderer
Diener des Herrn, wird Euch die Absolution versagen, seid Ihr auch
unversehens in fürstliche Eingeweide gefahren. -- _Ergo bibamus! Vir
sapiens non te abhorrebit Domine!_ -- Aber teuerster Kreisler, kehrt Ihr
zurück nach Sieghartsweiler, so wird man Euch garstig befragen über das
_cur, quomodo, quando, ubi_ und wollt Ihr den Prinzen des mörderischen
Angriffs zeihen, wird man Euch glauben? _Ibi iacet lepus in pipere!_
-- Aber seht, Kapellmeister, wie -- doch, _bibendum quid!_ -- Er leerte den
vollgeschenkten Becher und fuhr dann fort: Ja seht, Kapellmeister, wie
der gute Rat kommt mit dem Bocksbeutel. -- Erfahrt, daß ich mich eben
zum Kloster Allerheiligen begeben wollte, um mir von dem dortigen
Präfektus Chori Musik zu holen zu den nächsten Festen. Ich habe die
Kasten schon zwei-, dreimal umgekehrt; es ist alles alt und verbraucht,
und was die Musik betrifft, die Ihr uns komponiert habt während Eures
Aufenthalts in der Abtei, ja, die ist gar schön und neu, aber -- nehmt
mir es nicht übel, Kapellmeister, so auf kuriose Weise gesetzt, daß man
keinen Blick wenden darf von der Partitur. Will man nur ein bißchen
durchs Gitter schielen nach dieser, jener hübschen Dirne unten im
Schiff, gleich hat man einen Halt verfehlt oder sonst was und schlägt
einen falschen Takt und schmeißt das Ganze um. -- Pump, da liegt's und
Di--di--Diedel, diedel greift Bruder Jakob in die Orgeltasten! -- _ad
patibulum cum illis_ -- Ich durfte also -- doch _bibamus!_ --

Nachdem wir beide getrunken, floß der Strom der Rede also weiter:
_Desunt_ die nicht da sind und die nicht da sind, können nicht gefragt
werden, ich dächte daher, Ihr wandertet sogleich mit mir zurück nach der
Abtei, die, schlägt man Richtwege ein, kaum zwei Stunden von hier
entfernt ist. In der Abtei seid Ihr gesichert gegen alle Nachstellungen,
_contra hostium insidias,_ ich bringe Euch hin, als lebendige Musik und
Ihr bleibt da, solange es Euch gefällt oder solange Ihr es geraten
findet. Der hochwürdige Herr Abt versorgt Euch mit allem Nötigen. Ihr
kleidet Euch in die feinste Wäsche und zieht das Benediktinergewand
darüber, das Euch sehr wohl stehen wird. Aber damit Ihr nicht unterwegs
ausseht wie der wundgeschlagene auf dem Bilde vom mitleidigen Samariter,
so setzt meinen Reisehut auf, ich werde mir die Kapuze schon über die
Glatze ziehn. -- _Bibendum quid,_ Liebster!

Damit leerte er den Becher noch einmal, schwenkte ihn aus im nahen
Waldbach, packte alles schnell in seinen Reisesack, drückte mir seinen
Hut auf die Stirne und rief ganz fröhlich: Kapellmeister, wir dürfen nur
ganz langsam und bequem einen Fuß vor den andern setzen und kommen doch
gerade an, wenn sie läuten _ad conventum conventuales,_ d. h. wenn der
hochwürdige Herr Abt sich zu Tische setzt.

Ihr dürft wohl denken, lieber Meister, daß ich gegen den Vorschlag des
fröhlichen Paters Hilarius nicht das mindeste einzuwenden hatte, daß es
mir vielmehr gar willkommen sein mußte, mich an einen Ort zu begeben,
der mir in so mancher Hinsicht ein wohltätiges Asyl werden konnte.

Wir schritten gemächlich fort unter allerlei Gesprächen und langten so,
wie Pater Hilarius es gewollt, in der Abtei an, als man gerade die
Tischglocke läutete.

Um vorderhand allen Fragen zuvorzukommen, sagte Pater Hilarius dem Abt,
daß, da er zufällig erfahren, wie ich mich in Sieghartsweiler aufhalte,
er es vorgezogen, statt der Musik aus dem Kloster Allerheiligen, lieber
den Komponisten zu holen, der ja ein ganzes unerschöpfliches Magazin von
Musik in sich trage.

Der Abt Chrysostomus (mich dünkt, ich hätte Euch schon viel von ihm
erzählt) empfing mich mit jener gemütlichen Freude, die nur wahrhaft
guter Gesinnung eigen, und lobte den Entschluß des Paters Hilarius. --

Seht mich nun, Meister Abraham, wie ich, umgeschaffen zum passablen
Benediktinermönch, in einem hohen, geräumigen Zimmer des Hauptgebäudes
der Abtei, sitze und emsig Vespern und Hymnen ausarbeite, ja wie ich
schon mitunter Gedanken notiere zu einem feierlichen Hochamt -- wie sich
die singenden und spielenden Brüder, die Chorknaben versammeln, wie ich
emsig Proben halte, wie ich hinter dem Gitter des Chors dirigiere! In
der Tat, so vergraben fühle ich mich in diese Einsamkeit, daß ich mich
mit Tartini vergleichen möchte, der, die Rache des Kardinals Cornaro
fürchtend, in das Minoritenkloster zu Assisi floh, wo ihn endlich nach
Jahren ein Paduaner entdeckte, der sich in der Kirche befand und den
verlornen Freund auf dem Chore erblickte, als ein Windstoß den Vorhang,
der das Orchester verhüllte, einige Augenblicke aufhob. -- Es hätte Euch
selbst, Meister! so mit mir gehen können, wie jenem Paduaner, aber ich
mußte Euch ja doch sagen, wo ich geblieben, Ihr könntet sonst wunder
gedacht haben, was aus mir geworden. -- Hat man vielleicht meinen Hut
gefunden und sich gewundert, daß ihm der Kopf abhanden gekommen?
-- Meister! Eine besondere, wohltätige Ruhe ist in mein Inneres gekommen;
sollte ich vielleicht hier am Ankerplatz gelandet sein? Als ich neulich
an dem kleinen See, der in der Mitte des weitläuftigen Gartens der Abtei
liegt, wandelte, und mein Bild neben mir wandelnd im See erblickte, da
sprach ich: der Mensch, der da unten neben mir hergeht, das ist ein
ruhiger, besonnener Mensch, der nicht mehr wild umherschwirrend in vagen
unbegrenzten Räumen, die gefundene Bahn fest hält, und es ist ein Glück
für mich, daß der Mensch kein anderer ist, als ich selbst. -- Aus einem
andern See schaute mich einst ein fataler Doppelgänger an. Doch still
-- still von dem allen. -- Meister, nennt mir keinen Namen -- erzählt mir
nichts -- auch nicht einmal, wen ich gespießt. -- Aber von Euch selbst
schreibt mir viel. -- Die Brüder kommen zur Probe, ich schließe mein
historisches Kapitel und zugleich meinen Brief. Lebt wohl, mein guter
Meister, und gedenkt meiner! &c. &c. &c. &c.

-- In den fernen, wild verwachsenen Gängen des Parks einsam wandelnd,
bedachte Meister Abraham das Schicksal des geliebten Freundes und wie er
ihn, kaum wiedergewonnen, auf's Neue verloren. Er sah den Knaben
Johannes, sich selbst in Göniösmühl vor dem Flügel des alten Onkels, der
Kleine hämmerte mit stolzem Blick Sebastian Bachs schwerste Sonaten
herunter, mit beinahe männlicher Faust, er steckte ihm dafür eine Tüte
Zuckerwerk heimlich in die Tasche. -- Es war ihm, als sei dies erst
wenige Tage her und er mußte sich verwundern, daß der Knabe eben kein
anderer als der Kreisler, der in ein wunderliches, launenhaftes Spiel
geheimnisvoller Verhältnisse verflochten schien. Aber mit dem Gedanken
an jene vergangene Zeit, an die verhängnisvolle Gegenwart, stieg das
Bild seines eigenen Lebens vor ihm auf.

Sein Vater, ein strenger, eigensinniger Mann, hatte ihn beinahe mit
Zwang zu der Kunst des Orgelbaues angehalten, die er selbst trieb, wie
ein gewöhnliches rohes Handwerk. Er litt nicht, daß irgendein anderer,
als der Orgelbauer selbst Hand anlege an das Werk, und so mußten die
Lehrlinge geübte Tischler, Zinngießer usw. werden, ehe sie zu der innern
Mechanik gelangten. -- Genauigkeit, Dauerhaftigkeit, gute Spielart des
Werks galt dem Alten für alles; für die Seele, für den Ton hatte er
keinen Sinn, und merkwürdig genug sprach sich dies aus in den Orgeln,
die er baute und denen man mit Recht, einen harten, spitzen Klang
vorwarf. Nächstdem war der Alte den kindischen Künsteleien verjährter
Zeit ganz und gar ergeben. So hatte er an einer Orgel die Könige David
und Salomo angebracht, die während des Spiels wie vor Verwunderung die
Köpfe drehten; so fehlte es keinem seiner Werke an paukenden,
posaunenden, taktierenden Engeln, mit den Flügeln schlagenden, krähenden
Hähnen u. s. w. Abraham konnte oft verdienten oder nicht verdienten
Schlägen nicht anders entgehen und dem Alten eine Äußerung väterlicher
Freude entlocken, als wenn er vermöge eigner Erfindungsgabe irgendeine
neue Künstelei, etwa ein schärfer tönendes Kikeriki, herausgebracht für
den nächsten Orgelhahn. Mit angstvoller Sehnsucht hatte Abraham die Zeit
herbeigewünscht, in der er dem Handwerks-Gebrauch gemäß auf die
Wanderschaft gehen sollte. Endlich kam diese Zeit heran und Abraham
verließ das väterliche Haus, um nie wieder zurückzukehren.

Auf dieser Wanderung, die er in Gemeinschaft mit andern Gesellen,
meistens wüsten, rohen Burschen, unternahm, sprach er einst ein in der
Abtei St. Blasius, die im Schwarzwalde belegen und hörte dort das
berühmte Orgelwerk des alten Johannes Andreas Silbermann. In den vollen,
herrlichen Tönen dieses Werks ging zum erstenmal der Zauber des
Wohllauts auf in seinem Innern, er fühlte sich in eine andere Welt
versetzt, und von dem Augenblick an war er ganz Liebe für eine Kunst,
die er sonst mit Widerwillen treiben müssen. -- Nun kam ihm aber auch
sein ganzes Leben in der Umgebung, wie er es bis jetzt geführt hatte, so
nichtswürdig vor, daß er alle Kraft aufbot sich herauszureißen aus dem
Schlamm, in den er sich versunken glaubte. -- Sein natürlicher Verstand,
seine Fassungsgabe ließen ihn in der wissenschaftlichen Bildung
Riesenschritte machen und doch -- fühlte er oft die Bleigewichte, die die
frühere Erziehung, das Forttreiben in der Gemeinheit ihm angehängt.
-- Chiara, die Verbindung mit diesem seltsamen, geheimnisvollen Wesen,
das war der zweite Lichtpunkt in seinem Leben, und so bildete beides,
jenes Erwachen des Wohllauts und Chiaras Liebe einen Dualismus seines
poetischen Seins, der wohltätig hineinwirkte in seine rohe aber kräftige
Natur. -- Kaum den Herbergen, kaum den Schenken, wo im dicken
Tabaksqualm Zotenlieder ertönten, entronnen, brachte der Zufall oder
vielmehr die Geschicklichkeit in mechanischen Künsteleien, denen er den
Anstrich des Geheimnisses zu geben wußte (wie der geneigte Leser schon
erfahren) den jungen Abraham in Umgebungen, die ihm eine neue Welt sein
mußten, und in denen er, ewig Fremdling bleibend, sich nur dadurch
aufrecht erhielt, daß er den festen Ton behauptete, den seine innere
Natur ihm angegeben. Dieser feste Ton wurde mit der Zeit immer fester,
und da er keinesweges der eines simplen Grobians, sondern auf klaren,
gesunden Menschenverstand, richtiger Lebensansicht, und daraus sich
erzeugendem treffenden Spott basiert war, so konnt es nicht fehlen, daß
da, wo der Jüngling sich nur aufrecht erhalten und toleriert worden, der
Mann als ein zu fürchtendes Prinzip großen Respekt einflößte. Es ist
nichts leichter, als gewissen vornehmen Leuten zu imponieren, die immer
noch weiter unter dem stehen, wofür man sie etwa halten möchte. Daran
dachte nun Meister Abraham eben in dem Augenblick, als er von seinem
Spaziergange wieder an das Fischerhäuschen gekommen, und schlug eine
laute, herzliche Lache auf, die Luft machte seiner gepreßten Brust.

Zur innigsten Wehmut, die ihm sonst wohl gar nicht eigen, hatte den
Meister nämlich das lebhafte Andenken an den Moment in der Kirche der
Abtei St. Blasius gestimmt. »Warum blutet eben die Wunde jetzt so
häufig, die ich längst verharscht glaubte,« sprach er zu sich selbst,
»warum hänge ich jetzt leeren Träumereien nach, da es mir scheint, als
müsse ich tätig eingreifen in das Maschinenwerk, das ein böser Geist
falsch zu treiben scheint!« -- Der Meister fühlte sich beängstigt durch
den Gedanken, daß er, selbst wußte er nicht wodurch, in seinem
eigentümlichsten Tun und Treiben sich gefährdet sah, bis, wie gesagt, er
im Ideengange auf die vornehmen Leute kam, über die er lachte und
augenblicklich merkliche Linderung verspürte.

Er trat ins Fischerhäuschen, um nun Kreislers Brief zu lesen. --

In dem fürstlichen Schlosse hatte sich Merkwürdiges begeben. Der
Leibarzt sprach: Wunderbar! -- es geht über alle Praxis, über alle
Erfahrung hinaus! -- Die Fürstin: So mußte es kommen, und die Prinzessin
ist nicht kompromittiert! -- der Fürst: Hätt' ichs nicht ausdrücklich
verboten, aber die _Crapule_ der dienenden Esel hat keine Ohren. -- Nun
-- der Oberforstmeister soll dafür sorgen, daß der Prinz kein Pulver mehr
in die Hände bekommt! die Rätin Benzon: Dank dem Himmel, sie ist
gerettet! -- Während dessen schaute Prinzessin Hedwiga zum Fenster ihres
Schlafgemachs hinaus, indem sie dann und wann abgebrochene Akkorde
anschlug auf derselben Guitarre, die Kreisler im Unmute von sich warf
und aus Julias Händen, wie er meinte geheiligt, zurück empfing. Auf dem
Sofa saß Prinz Ignatius und weinte und klagte: es tut weh, es tut weh
-- vor ihm aber Julia, die emsig beschäftigt war, in eine kleine,
silberne Schüssel hinein -- rohe Kartoffeln zu schaben.

Alles dieses bezog sich auf ein Ereignis, das der Leibarzt mit vollem
Recht wunderbar nannte und über alle Praxis erhaben. Prinz Ignatius
hatte sich, wie der geneigte Leser schon mehrmals erfahren, den
unschuldig tändelnden Sinn, die glückliche Unbefangenheit des
sechsjährigen Knaben erhalten und spielte daher gern wie dieser. Unter
anderm Spielzeug besaß er auch eine kleine, aus Metall gegossene Kanone,
die ihm zu seinem Lieblings-Spiel diente, an dem er sich jedoch höchst
selten ergötzen konnte, da manche Dinge dazu gehörten, die nicht gleich
zur Hand waren, nämlich einige Körner Pulver, ein tüchtiges Schrotkorn
und ein kleiner Vogel. Hatte er das alles, so ließ er seine Truppen
aufmarschieren, hielt Kriegsgericht über den kleinen Vogel, der eine
Rebellion angezettelt in des fürstlichen Papas verlornem Lande, lud die
Kanone, und schoß den Vogel, den er mit einem schwarzen Herzen auf der
Brust an einen Leuchter gebunden, tot, zuweilen aber auch nicht, so daß
er mit dem Federmesser nachhelfen mußte, um die gerechte Strafe an dem
Hochverräter zu vollstrecken.

Fritz, des Gärtners zehnjähriger Knabe, hatte dem Prinzen einen gar
hübschen bunten Hänfling verschafft und dafür, wie gewöhnlich, eine
Krone erhalten. Sogleich war dann aber der Prinz in die Jägerstube
geschlichen, gerade, wenn die Jäger abwesend, hatte richtig Schrotbeutel
und Pulverhorn gefunden, und sich daraus mit der nötigen Munition
versehen. Schon wollte er mit der Exekution beginnen, die Beschleunigung
zu fordern schien, da der bunte zwitschernde Rebell alle nur möglichen
Mittel versuchte, zu entwischen, als es ihm einfiel, daß er der
Prinzessin Hedwiga, die jetzt so artig geworden, durchaus nicht die Lust
versagen dürfte, bei der Hinrichtung des kleinen Hochverräters
gegenwärtig zu sein. Er nahm also den Kasten worin seine Armee
befindlich, unter den einen, die Kanone unter den andern Arm, den Vogel
aber in die hohle Hand und schlich, da es ihm von dem Fürsten untersagt
worden die Prinzessin zu sehen, leise, leise nach Hedwigas Schlafgemach,
wo er sie in dem fortdauernden kataleptischen Zustande, auf dem
Ruhebette angekleidet liegend fand. Schlimm und, wie man sehen wird
zugleich gut war es, daß die Kammerfrau die Prinzessin eben verlassen.

Ohne weiteres band nun der Prinz den Vogel an einen Leuchter, ließ die
Armee in Reihe und Glied treten und lud die Kanone, dann hob er die
Prinzessin vom Ruhebette, ließ sie an den Tisch treten und erklärte, daß
sie jetzt den kommandierenden General vorstelle, er seinerseits bleibe
der regierende Fürst und brenne nebenher die Artillerie ab, welche den
Rebellen töte. -- Überfluß an Munition hatte den Prinzen verführt und er
nicht allein das Geschütz überladen, sondern auch Pulver rund umher auf
den Tisch verstreut. Sowie er das Stück abprotzte, gab es nicht allein
einen ungewöhnlichen Knall, sondern das umher gestreute Pulver flog auch
auf, und verbrannte ihm tüchtig die Hand, so, daß er laut aufschrie, und
gar nicht einmal bemerkte, daß die Prinzessin in dem Augenblick der
Explosion hart zu Boden gestürzt war. Der Schuß hallte durch die
Korridors, alles stürzte, Unglück ahnend herbei, und selbst Fürst und
Fürstin drängten sich, alle Etikette im jähen Schreck vergessend, mit
der Dienerschaft durch die Türe hinein. Die Kammerfrauen hoben die
Prinzessin von dem Boden und legten sie auf das Ruhebett, während man
nach dem Leibarzt, nach dem Chirurgus lief. Der Fürst ersah aus den
Anstalten auf dem Tische sehr bald was geschehen, und sprach zum
Prinzen, der entsetzlich schrie und lamentierte, mit zornfunkelnden
Augen: Sieht er Ignaz! das kommt von seinen dummen kindischen Faxen.
Laß' er sich Brandsalbe auflegen und heul er nicht, wie ein
Straßenjunge! -- Mit einem Birkenreis -- sollt -- -- Hint -- Die bebenden
Lippen ließen keine Deutlichkeit der Sprache zu, der Fürst wurde
unverständlich und verließ gravitätisch das Zimmer. Tiefes Entsetzen
hatte die Dienerschaft erfaßt, denn erst zum drittenmal redete der Fürst
den Prinzen an mit Er und Ignaz und jedesmal bewies er den wildesten,
schwer zu sühnenden Zorn.

Als der Leibarzt erklärte, die Krisis sei eingetreten und er hoffe, daß
der bedrohliche Zustand der Prinzessin nun bald vorüber und sie völlig
genesen werde, sprach die Fürstin mit weniger Teilnahme, als man wohl
denken sollte. _Dieu soit loué,_ man gebe mir weitere Nachricht. Den
weinenden Prinzen schloß sie aber zärtlich in ihre Arme, tröstete ihn
mit süßen Worten und folgte dann dem Fürsten.

Indessen war die Benzon, die im Sinne gehabt, mit Julien die
unglückliche Hedwiga zu sehen, im Schlosse angekommen. Kaum hörte sie
was geschehen, als sie hinaufeilte nach dem Zimmer der Prinzessin,
zuflog auf das Ruhebett, niederkniete, Hedwiga's Hand faßte und ihr
starr in die Augen blickte, während Julia heiße Tränen vergoß wähnend,
daß wohl der Todesschlaf über die Herzensfreundin kommen werde. Da holte
Hedwiga tief Atem und sprach mit dumpfer kaum vernehmlicher Stimme: Ist
er tot? -- Sogleich hielt Prinz Ignatius ein mit Weinen trotz seines
Schmerzes, und erwiderte in voller Freude über die gelungene Exekution
lachend und kichernd: Ja, ja -- Prinzessin Schwester, ganz tot, gerade
durch das Herz geschossen. -- »Ja, sprach die Prinzessin weiter, indem
sie die Augen, die sie aufgeschlagen, wieder sinken ließ, ja ich weiß
es. Ich sah den Blutstropfen, der aus dem Herzen quoll, aber er fiel in
meine Brust und ich erstarrte zu Kristall und er nur lebte in dem
Leichnam! »Hedwiga,« begann die Rätin leise und zärtlich, »erwachen Sie
aus bösen unglücklichen Träumen! Hedwiga, erkennen Sie mich?« Die
Prinzessin winkte sanft mit der Hand, als wolle sie verlassen sein.
Hedwiga, fuhr die Benzon fort, Julia ist hier. Ein Lächeln schimmerte
auf Hedwiga's Wangen. Julia beugte sich über sie hin, drückte einen
leisen Kuß auf die erblaßten Lippen der Freundin. Da lispelte Hedwiga
kaum hörbar: Es ist nun alles vorüber, in wenigen Minuten bin ich ganz
erkräftigt, ich fühl' es. --

Niemand hatte sich bis jetzt um den kleinen Hochverräter bekümmert, der
mit zerfleischter Brust auf dem Tische lag. Nun fiel er Julien ins Auge
und erst in dem Augenblick wurde sie auch inne, daß Prinz Ignatius
wieder das abscheuliche ihr verhaßte Spiel gespielt. Prinz, sprach sie,
indem ihre Wangen sich hoch röteten, Prinz, was hat Ihnen der arme Vogel
getan, daß Sie ihn ohne Erbarmen töten hier im Zimmer? -- Das ist ein
recht einfältiges grausames Spiel. -- Sie haben mir längst versprochen es
zu lassen, und doch nicht Wort gehalten. -- Aber! tun Sie es noch
einmal, niemals ordne ich mehr Ihre Tassen oder lehre Ihre Püppchen
reden, oder erzähle Ihnen die Geschichte vom Wasserkönig! »Nicht böse
sein, Fräulein Julia!« wimmerte der Prinz. Aber es war ein bunter
Erzschelm. Er hatte allen Soldaten heimlich die Rockschöße
abgeschnitten, und überdem eine Rebellion angezettelt. Ach es tut weh
-- es tut weh! -- Die Benzon blickte den Prinzen, dann Julien an mit
seltsamen Lächeln, dann rief sie: Was das für ein Wehklagen ist über ein
paar verbrannte Finger! -- Aber es ist wahr, der Chirurgus wird ewig mit
seiner Brandsalbe nicht fertig. Doch hilft ein gemeines Hausmittel auch
wohl ungemeinen Leuten. Man schaffe rohe Kartoffel herbei! -- Sie schritt
nach der Türe; aber wie plötzlich von irgendeinem Gedanken erfaßt, blieb
sie stehen, kehrte um, schloß Julien in die Arme, küßte sie auf die
Stirne und sprach: Du bist mein gutes liebes Kind, und wirst immer das
=ganz= sein was Du sein sollst! -- Hüte Dich nur vor überspannten
wahnsinnigen Toren und verschließe Dein Gemüt dem bösen Zauber ihrer
verlockenden Reden! Damit warf sie noch einen forschenden Blick auf die
Prinzessin, die sanft und süß zu schlummern schien, und verließ das
Zimmer.

Der Chirurgus trat herein mit einem ungeheuren Pflaster in den Händen,
unter vielen Beteuerungen versichernd, daß er schon seit geraumer Zeit
gewartet in den Zimmern des gnädigsten Prinzen, da er nicht vermuten
können, daß in dem Schlafgemach der gnädigsten Prinzessin -- Er wollte
mit dem Pflaster los auf den Prinzen, die Kammerfrau, die ein paar
stattliche Kartoffeln auf einer silbernen Schüssel herbeigebracht,
vertrat ihm aber den Weg und versicherte, daß für Verletzungen durch
Brand geschabte Kartoffeln das allerbeste Mittel wären. Und ich, fiel
Julia der Kammerfrau ins Wort, indem sie ihr die silberne Schüssel
abnahm, und ich selbst will für Sie, mein Prinzchen, das Pflaster gar
fein bereiten.

»Gnädigster Herr, sprach der Chirurg erschrocken: Bedenken Sie! -- ein
Hausmittel für verbrannte Finger eines hohen fürstlichen Herrn! -- Die
Kunst -- die Kunst soll -- muß hier allein helfen! Er wollte von neuem
auf den Prinzen los, der prallte aber zurück und rief: Weg da, weg da!
Fräulein Julia soll mir das Pflaster bereiten, die Kunst soll sich zum
Zimmer hinausscheren!

Die Kunst empfahl sich samt ihrem wohlpräparierten Pflaster, indem sie
giftige Blicke auf die Kammerfrau warf.

Stärker und stärker hörte Julia die Prinzessin atmen, doch wie erstaunte
sie als --

=(M. f. f.)= -- einschlafen. Hin und her wälzte ich mich auf meinem
Lager; ich versuchte alle nur mögliche Stellungen. Bald streckte ich
mich lang aus, bald wickelte ich mich rund zusammen, ließ den Kopf auf
den weichen Pfoten ruhen und ringelte den Schweif zierlich um mich
herum, so daß er die Augen bedeckte, bald warf ich mich auf die Seite,
ließ die Pfoten wegstarren vom Leibe, den Schweif in lebloser
Gleichgültigkeit hinabhängen vom Lager. Alles -- alles vergebens!
-- Wirrer und wirrer wurden Vorstellungen, Gedanken, bis ich endlich in
jenes Delirium fiel, das kein Schlaf, sondern ein Kampf zwischen
Schlafen und Wachen zu nennen, wie Moritz, Davidson, Rudow, Tiedemann,
Wienholt, Reil, Schubert, Kluge und andere physiologische
Schriftsteller, die über Schlaf und Traum geschrieben und die ich nicht
gelesen, mit Recht behaupten.

Die helle Sonne schien in des Meisters Zimmer hinein, als ich aus diesem
Delirium, aus diesem Kampf zwischen Schlafen und Wachen, wirklich zum
klaren Bewußtsein erwachte. Aber welch ein Bewußtsein, welch ein
Erwachen. -- O Katerjüngling, der du dieses liesest, spitze die Ohren
und lies aufmerksam, daß dir die Moral nicht entwische! -- Nimm dir zu
Herzen, was ich über einen Zustand sage, dessen unnennbare
Trostlosigkeit ich dir nur mit schwachen Farben schildern kann. -- Nimm
dir diesen Zustand, wiederhole ich, zu Herzen und dich selbst möglichst
in acht, wenn du zum erstenmal in einer Katzburschen-Gesellschaft
Katzpunsch genießest! Nippe mäßig und berufe dich, will man das nicht
leiden, auf mich und meine Erfahrung, der Kater Murr sei deine
Autorität, die jeder, hoff' ich, anerkennen und gelten lassen wird.

Nun also! -- Was zuförderst mein physisches Befinden betrifft, so fühlte
ich mich nicht allein matt und elend, sondern was mir ganz besondere
Qualen schuf, war ein gewisser kecker, abnormer Anspruch des Magens, der
eben seiner Abnormität halber nicht durchzusetzen war und nur einen
unnützen Rumor im Innern verursachte, an dem sogar die affizierten
Ganglien teilnahmen, die in ewigem physischem Wollen und nicht Vermögen
krankhaft zitterten und bebten. -- Es war ein heilloser Zustand! --

Aber beinahe noch empfindlicher war die psychische Affektion. Mit der
bittern Reue und Zerknirschung eines Gestern halber, das ich doch
eigentlich gar nicht für tadelnswert achten konnte, kam eine trostlose
Gleichgültigkeit in meine Seele gegen alles irdische Wohl! -- Ich
verachtete alle Güter der Erde, alle Gaben der Natur, Weisheit,
Verstand, Witz u. s. w. Die größten Philosophen, die geistreichsten
Dichter galten mir nicht höher als Lumpenpuppen, sogenannte Hansemänner
und was das ärgste war, auf mich selbst dehnte sich jene Verachtung aus
und ich glaubte zu erkennen, daß ich nichts sei, als ein ganz
gewöhnlicher miserabler Mausekatz! -- Niederschlagenderes gibt es nicht!
Der Gedanke, daß ich in dem größten Jammer befangen, daß die ganze
irdische Erde überhaupt ein Jammertal sei, vernichtete mich im
namenlosen Schmerz. -- Ich kniff die Augen zu und weinte sehr! --

»Du hast geschwärmt, Murr, und nun ist dir miserabel zu Mute? -- Ja, ja,
so gehts! -- Nun schlaf' nur aus, alter Junge, dann wird's besser
werden! -- So rief der Meister mir zu, als ich das Frühstück stehen ließ
und einige Schmerzenstöne von mir gab. Der Meister! -- o Gott er wußte
nicht, er kannte nicht meine Leiden! -- er ahnte nicht, wie Burschentum
und Katzpunsch wirkt auf ein zartfühlendes Gemüt! --

Es mochte Mittag sein, noch hatte ich mich nicht vom Lager gerührt, als
plötzlich, der Himmel weiß wie er sich herein zu schleichen gewußt,
Bruder Muzius vor mir stand. -- Ich klagte ihm meinen unseligen Zustand,
statt aber, wie ich gehofft, mich zu bedauern, mich zu trösten, schlug
er eine unmäßige Lache auf und rief: »Hoho, Bruder Murr, es ist weiter
nichts als die Krisis, der Übergang von unwürdiger philiströser
Knabenschaft zum würdigen Burschentum, die dich glauben läßt, daß du
krank bist und elend. Du bist das edle Kommerschieren noch nicht
gewohnt! -- Aber tu mir den Gefallen und halte das Maul und klage nicht
etwa dem Meister dein Leiden. Unser Geschlecht ist überdem schon
verrufen genug, dieser Scheinkrankheit halber, und der schmähsüchtige
Mensch hat ihr einen Namen gegeben, der sich auf uns bezieht und den ich
nicht wiederholen mag. Aber raffe dich auf, nimm dich zusammen, komm mit
mir, die frische Luft wird dir wohltun und dann mußt du vor allen Dingen
Haare auflegen. Komm nur, du wirst schon praktisch erfahren, was das
heißt.«

Bruder Muzius übte seit der Zeit, als er mich dem Philistertum
entrissen, eine unbedingte Herrschaft über mich aus; ich mußte tun was
er wollte. Mühsam stand ich daher auf von meinem Lager, dehnte mich, so
gut es bei den erschlafften Gliedern gehen wollte und folgte dem treuen
Bruder aufs Dach. Wir spazierten einigemal auf und nieder und in der
Tat, mir wurde etwas wohler, frischer zu Mute. Dann führte mich Bruder
Muzius hinter den Schornstein, und hier mußte ich, wollte ich mich auch
dagegen sträuben, zwei, drei Schnäpschen reine Heringslake nehmen. Dies
waren die Haare, die ich nach Muzius Ausdruck auflegen sollte. -- O,
wunderbarer als wunderbar war die drastische Wirkung dieses Mittels! Was
soll ich sagen? -- Des Magens abnorme Ansprüche schwiegen, der Rumor war
gestillt, das Gangliensystem beruhigt, das Leben wieder schön, ich
schätzte das irdische Wohl, die Wissenschaft, die Weisheit, den
Verstand, den Witz u. s. w., ich war mir selbst wiedergegeben, ich war
wieder der herrliche, höchst exzellente Kater Murr! -- O Natur, Natur!
Kann es denn geschehen, daß ein paar Tropfen, die der leichtsinnige
Kater genießt in unzähmbarer freier Willkür, Rebellion zu erwecken
vermögen gegen dich, gegen das wohltätige Prinzip, das du mit
mütterlicher Liebe in seine Brust gepflanzt hast und nach dem er
überzeugt sein muß, daß die Welt mit ihren Freuden, als da sind
Bratfische, Hühnerknochen, Milchbrei &c. die beste sei und er das
allerbeste in dieser Welt, da ihre Freuden nur für ihn und seinethalben
geschaffen sind? -- Aber -- ein philosophischer Kater erkennt das, es
ist tiefe Weisheit darin -- jener trostlose ungeheure Jammer ist nur das
Gegengewicht, das die zum Forttreiben in der Bedingung des Seins nötige
Reaktion bewirkt und so ist derselbe (der Jammer nämlich) in dem
Gedanken des ewigen Weltalls begründet! -- Legt Haare auf,
Katerjünglinge! und tröstet euch dann mit diesem philosophischen
Erfahrungssatz eures gelehrten, scharfsinnigen Standesgenossen.

Es genügt zu sagen, daß ich nun manche Zeit hindurch ein frisches frohes
Burschenleben führte auf den Dächern rings umher, in Kompagnie mit
Muzius und andern kreuzbraven, biderben fidelen Jungen, weißen, gelben
und bunten. Ich komme zu einer wichtigeren Begebenheit meines Lebens,
die nicht ohne Folgen blieb.

Als ich nämlich einmal bei dem Anbruch der Nacht, im Schimmer des
hellen Mondscheins, mit dem Bruder Muzius zu einer Kneiperei, die die
Burschen angeordnet, gehen wollte, begegnete mir jener schwarz, grau,
gelbe Verräter, der mir meine Miesmies geraubt. Wohl konnt es sein, daß
ich bei dem Anblick des verhaßten Nebenbuhlers, dem ich noch dazu
schändlicher Weise unterliegen müssen, etwas stutzte. Er ging indessen
hart an mir vorbei, ohne mich zu grüßen, und es wollte mich bedünken als
lächle er mich verhöhnend an, im Gefühl der Übermacht, die er über mich
gewonnen. Ich dachte an die verlorne Miesmies, an die erhaltenen Prügel,
das Blut kochte mir in den Adern! Muzius bemerkte meine Aufwallung und
da ich ihm mitteilte, was ich bemerkt zu haben glaubte, so sprach er: Du
hast recht, Bruder Murr. Der Kerl schnitt solch ein schiefes Gesicht und
trat dabei so keck auf; am Ende wollte er dich wirklich tuschieren.
-- Nun das wollen wir bald erfahren. Irre ich nicht, so hat der bunte
Philister hier in der Nähe eine neue Liebschaft angesponnen, er
schleicht alle Abende hier auf diesem Dache umher. Warten wir ein wenig,
vielleicht kommt der Monsieur bald zurück und da kann sich ja wohl das
übrige bald finden.

In der Tat dauerte es nicht lange, so kam der Bunte wieder trotzig
zurück und maß schon von weiten mich mit verächtlichen Blicken. Ich trat
ihm herzhaft und keck entgegen, wir gingen so hart aneinander vorüber,
daß unsere Schweife sich unsanft berührten: Sogleich blieb ich stehen;
drehte mich um und sprach mit fester Stimme: Mau! -- Er blieb ebenfalls
stehen, drehte sich um und erwiderte trotzig: Mau! -- Dann ging ein
jeder seinen Weg.

»Das war Tusch, rief Muzius ganz zornig aus, ich werde den bunten
trotzigen Kerl morgen koramieren.«

Muzius begab sich den andern Morgen zu ihm hin und fragte ihn in meinem
Namen: ob er meinen Schweif berührt? Er ließ mir erwidern: er hätte
meinen Schweif berührt. Darauf ich: habe er meinen Schweif berührt, so
müsse ich das für Tusch nehmen. Darauf er: ich könne es nehmen wie ich
wollte. Darauf ich: ich nehme es für Tusch. Darauf er: ich sei gar nicht
im Stande zu beurteilen was Tusch sei. Darauf ich: ich wisse das sehr
gut und besser als er. Darauf er: ich sei nicht der Mann dazu, daß er
mich tuschieren solle. Darauf ich nochmals: ich nehme es aber für Tusch.
Darauf er: ich sei ein dummer Junge. Darauf ich um mich in Avantage zu
setzen: Wenn ich ein dummer Junge sei, so sei er ein niederträchtiger
Spitz! -- Dann kam die Ausforderung.

(=Randglosse des Herausgebers.= O Murr! mein Kater. Entweder hat sich der
Ehrenpunkt seit Shakespeare's Zeit nicht geändert oder ich ertappe dich
auf einer schriftstellerischen Lüge. Das heißt, auf einer Lüge, die dazu
dienen soll, der Begebenheit, die du erzählst, mehr Glanz und Feuer zu
geben! -- Ist die Art, wie es zum Duell mit dem bunten Pensionär kam,
nicht die rein ausgesprochene Parodie von Probsteins siebenmal
zurückgeschobener Lüge in Wie es euch gefällt? Finde ich nicht in deinem
angeblichen Duell-Prozeß die ganze Stufenleiter von dem höflichen
Bescheid, dem feinen Stich, der groben Erwiderung, der beherzten
Abfertigung, bis zum trotzigen Widerspruch, und kann es dich wohl
einigermaßen retten, daß du anstatt mit der bedingten und offenbaren
Lüge, mit ein paar Schimpfreden schließest? -- Murr! mein Kater! Die
Rezensenten werden über dich herfallen, aber bewiesen hast du doch
wenigstens, daß du den Shakespeare mit Verstand und Nutzen gelesen, und
das entschuldigt vieles.)

Aufrichtig gestanden, fuhr es mir doch etwas in die Glieder, als ich
die Ausforderung erhielt, die auf den Kratz lautete. Ich dachte daran,
wie übel mich der bunte Verräter zugerichtet hatte, als von Eifersucht
und Rache getrieben, ich ihn angriff, und wünschte wenigstens die
Avantage, zu der mir Freund Muzius verholfen, hinweg. Muzius mochte
gewahren, daß ich beim Lesen des blutfordernden Handbilletts erblaßte
und überhaupt meine Seelenstimmung bemerken. »Bruder Murr, sprach er,
mir scheint, als ob dir das erste Duell, das du bestehen sollst, etwas
in die Glieder führe?« -- Keinen Anstand nahm ich dem Freunde mein
ganzes Herz zu öffnen, ihm zu sagen, was meinen Mut erschütterte.

»O mein Bruder, sprach Muzius, o mein geliebter Bruder Murr! Du
vergissest, daß damals, als der übermütige Frevler dich ausprügelte auf
schnöde Weise, du noch ein blutjunger Neuling und kein wackrer,
tüchtiger Bursche warst, wie jetzt. Auch war dein Kampf mit dem Bunten
kein ordentliches Duell nach Regel und Recht, ja nicht einmal ein
Rencontre zu nennen, sondern nichts weiter, als eine philistermäßige
Balgerei, die unanständig ist für jeden Katzbursch. Merk' dir's, Bruder
Murr, daß der auf unsre besondre Gaben neidische Mensch uns die Neigung
vorwirft, uns auf ehrwidrige, beschimpfende Weise zu prügeln, und fällt
unter seinem Geschlecht dergleichen vor, dies mit dem Schimpf- und
Spottnamen: Katzbalgerei, bezeichnet. Schon darum wird und muß ein
ordentlicher Kater, der Ehre im Leibe hat und auf gute Sitten hält,
jedes böse Rencontre der Art vermeiden; er beschämt den Menschen, der
unter gewissen Umständen sehr geneigt ist, zu prügeln und geprügelt zu
werden. -- Also, geliebter Bruder, laß alle Furcht und Scheu fahren,
bewahre dein tapfres Herz und sei überzeugt, daß du im ordentlichen
Duell genugsame Rache für alle erfahrne Unbill nehmen und den bunten
Gecken dermaßen zerkratzen kannst, daß er das dumme Liebeln und alberne
Daherstolzieren wohl auf einige Zeit lassen wird. -- Doch halt! -- Eben
will mich bedünken, daß nach dem, was zwischen euch vorgefallen, der
Zweikampf auf den Kratz keinen genügenden Ausschlag geben kann, daß ihr
euch vielmehr auf entscheidendere Weise, nämlich auf den Biß, schlagen
müßt. -- Wir wollen die Meinung der Burschen hören! --

Muzius trug in einer sehr wohlgesetzten Rede den Fall, der sich mit mir
und dem Bunten ereignet, der Burschenversammlung vor. Alle stimmten dem
Redner bei, und ich ließ daher dem Bunten durch Muzius sagen: ich nehme
die Ausforderung zwar an, könnte und würde bei der Schwere der
erlittenen Beschimpfung mich aber nicht anders schlagen, als auf den
Biß. Der Bunte wollte zwar Einwendungen machen, vorschützen, er habe
stumpfe Zähne u. s. w.; da aber Muzius ihm nach seiner ernsten und
festen Weise erklärte, daß hier nur durchaus von dem entscheidenderen
Duell auf den Biß die Rede sein könne und daß, wenn er dies nicht
eingehen wolle, er den niederträchtigen Spitz auf sich sitzen lassen
müßte, entschloß er sich zu diesem Duell auf den Biß. -- Die Nacht, in
der der Zweikampf vor sich gehen sollte, kam heran. Ich stellte mich auf
dem Dache des Hauses, das an der Grenze des Reviers lag, mit Muzius um
die bestimmte Stunde ein. Auch mein Gegner kam bald mit einem
stattlichen Kater, der beinahe bunter gefleckt war und noch viel
trotzigere, keckere Züge im Antlitz trug, als er selbst. Er war, wie wir
vermuten konnten, sein Sekundant; beide hatten verschiedene Feldzüge als
Kameraden zusammen gemacht und befanden sich auch beide bei der
Eroberung des Speichers, die dem Bunten den Orden des gebrannten Specks
erwarb. Außerdem hatte sich, wie ich nachher erfuhr, auf des um- und
vorsichtigen Muzius Anlaß, eine kleine, lichtgraue Katze eingefunden,
die sich ganz außerordentlich auf Chirurgie verstehen und die
schlimmsten, gefährlichsten Wunden zweckmäßig behandeln und in kurzer
Zeit heilen sollte. -- Es wurde noch verabredet, daß der Zweikampf in
drei Sprüngen stattfinden und falls bei dem dritten Sprunge noch nichts
Entscheidendes geschehen, weiter beschlossen werden sollte, ob das Duell
in neuen Sprüngen fortzusetzen, oder die Sache als abgemacht anzusehen.
Die Sekundanten maßen die Schritte aus, und wir setzten uns gegenüber in
Positur. Der Sitte gemäß erhoben die Sekundanten ein Zetergeschrei und
wir sprangen aufeinander los.

Im Augenblick hatte mein Gegner, indem ich ihn fassen wollte, mein
rechtes Ohr gepackt, das er dermaßen zerbiß, daß ich wider Willen laut
aufschrie. »Auseinander!« rief Muzius. Der Bunte ließ ab, wir gingen in
die Position zurück.

Neuer Zeter der Sekundanten, zweiter Sprung. Nun glaubte ich meinen
Gegner besser zu fassen, aber der Verräter duckte sich und biß mir in
die linke Pfote, daß das Blut in dicken Tropfen hervorquoll.
-- »Auseinander! rief Muzius zum zweitenmal. »Eigentlich ist nun die
Sache ausgemacht,« sprach der Sekundant meines Gegners sich zu mir
wendend, da Sie, mein Bester, durch die bedeutende Wunde an der Pfote
_hors de combat_ gesetzt sind.« Doch Zorn, tiefer Ingrimm ließen mich
keinen Schmerz fühlen und ich entgegnete, daß es sich bei dem dritten
Sprunge finden würde, inwiefern es mir an Kraft gebräche und die Sache
als abgemacht anzusehen. »Nun, sprach der Sekundant mit höhnischem
Lachen, wenn Sie denn durchaus von der Pfote Ihres Ihnen überlegenen
Gegners fallen wollen, so geschehe Ihr Wille! -- Doch Muzius klopfte mir
auf die Schultern und rief: Brav, brav mein Bruder Murr, ein echter
Bursche achtet solch einen Ritz nicht! -- Halte dich tapfer!

Zum drittenmal Zeter der Sekundanten, dritter Sprung! -- Meiner Wut
ungeachtet, hatte ich die List meines Gegners gemerkt, der immer etwas
seitwärts sprang, weshalb ich ihn fehlte, während er mich mit Sicherheit
packte. -- Diesmal nahm ich mich in acht, sprang auch seitwärts und als
er mich zu fassen glaubte, hatte ich ihn schon dermaßen in den Hals
gebissen, daß er nicht schreien, nur stöhnen konnte. »Auseinander!« rief
jetzt der Sekundant meines Gegners. Ich sprang sogleich zurück, der
Bunte sank aber ohnmächtig nieder, indem das Blut reichlich aus der
tiefen Wunde hervorquoll. Die hellgraue Katze eilte sogleich auf ihn zu
und bediente sich, um vor dem Verbande das Blut einigermaßen zu stillen,
eines Hausmittels, das, wie Muzius versicherte, ihr stets zu Gebote
stand, da sie es immer bei sich führte. Sie goß nämlich sofort eine
Flüssigkeit in die Wunde und besprengte überhaupt den Ohnmächtigen ganz
und gar damit, die ich ihres scharfen, beizenden Geruchs halber für
stark und drastisch wirkend halten mußte. Thedensche Arkebusade war es
nicht, auch nicht Eau de Cologne. -- Muzius drückte mich feurig an seine
Brust und sprach: Bruder Murr, du hast deine Ehrensache ausgefochten,
wie ein Kater, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt. -- Murr, du
wirst dich erheben zur Krone des Burschentums, du wirst keinen Makel
dulden und stets bei der Hand sein, wenn es darauf ankommt, unsre Ehre
zu erhalten. -- Der Sekundant meines Gegners, der so lange dem hellgrauen
Chirurgus beigestanden, trat nun trotzig auf und behauptete, daß ich im
dritten Gange gegen den Komment gefochten. Da setzte sich aber Bruder
Muzius in Positur und erklärte mit funkelnden Augen und
hervorgestreckten Krallen, daß der, der solches behaupte, es mit ihm zu
tun habe und daß die Sache gleich auf der Stelle ausgemacht werden
könne. Der Sekundant hielt es für geraten, nichts weiter darauf zu
erwidern, sondern packte stillschweigend den wunden Freund, der was
weniges zu sich selbst gekommen, auf den Rücken und marschierte mit ihm
ab durch die Dachluke. -- Der aschgraue Chirurgus fragte an, ob er
meiner Wunden halber mich auch etwa mit seinem Hausmittel bedienen
solle. Ich lehnte das aber ab, so sehr mich auch Ohr und Pfote
schmerzten, sondern machte mich im Hochgefühl des errungenen Sieges, der
gestillten Rache für Miesmies Entführung und erhaltene Prügel, auf den
Weg nach Hause.

Für dich, o Katerjüngling! habe ich mit gutem Bedacht, die Geschichte
meines ersten Zweikampfs so umständlich aufgeschrieben. Außerdem, daß
dich diese merkwürdige Geschichte über den Ehrenpunkt belehrt ganz und
gar, so kannst du auch noch manche für das Leben nützliche Moral daraus
schöpfen. Wie z. B. daß Mut und Tapferkeit gar nichts ausrichten gegen
Finten und daß daher das genaue Studium der Finten unerläßlich ist, um
nicht zu Boden getreten zu werden, sondern sich aufrecht zu erhalten.
_Chi no se ajuta, se nega,_ sagt Brighella in Gozzis glücklichem Bettler
und der Mann hat recht, vollkommen recht. Sieh das ein, Katerjüngling
und verachte keinesweges Finten, denn in ihnen liegt, wie im reichen
Schacht, die wahre Lebensweisheit verborgen.

-- Als ich herabkam, fand ich des Meisters Tür verschlossen und mußte
daher mit der Strohmatte, die davor lag, als Nachtlager vorlieb nehmen.
Die Wunden hatten mir einen starken Blutverlust verursacht, und mir
wurde in der Tat etwas ohnmächtig zu Mute. Ich fühlte mich sanft
fortgetragen. Es war mein guter Meister, der (ich mochte wohl, ohne es
zu wissen, etwas gewinselt haben) mich vor der Tür gehört, aufgemacht
und meine Wunden bemerkt hatte. »Armer Murr, rief er, was haben sie mit
dir gemacht? das hat tüchtige Bisse gegeben -- nun ich hoffe, du wirst
deinen Gegnern nichts geschenkt haben!« Meister, dacht ich, wenn du
wüßtest! und aufs Neue fühlte ich mich von dem Gedanken des vollständig
erfochtenen Sieges, der Ehre, die ich mir gewonnen, gar mächtig erhoben.
-- Der gute Meister legte mich auf mein Lager, holte aus dem Schrank
eine kleine Büchse, in der Salbe befindlich, hervor, bereitete zwei
Pflaster und legte sie mir auf Ohr und Pfote. Ruhig und geduldig ließ
ich alles geschehen und stieß nur ein kleines, leises Mrrr! aus, als der
erste Verband mich etwas schmerzen wollte! -- »Du bist, sprach der
Meister, ein kluger Kater, Murr! du verkennst nicht, wie andre knurrige
Wildfänge deines Geschlechts, die gute Absicht deines Herrn. Halt dich
nur ruhig, und wenn es Zeit ist, daß du die Wunde an der Pfote heil
leckst, so wirst du schon selbst den Verband lösen. Was aber das wunde
Ohr betrifft, so kannst du nichts dafür tun, armer Geselle, und mußt das
Pflaster leiden.«

Ich versprach das dem Meister und reichte zum Zeichen meiner
Zufriedenheit und Dankbarkeit für seine Hilfe ihm meine gesunde Pfote
hin, die er wie gewöhnlich nahm und leise schüttelte, ohne sie im
mindesten zu drücken. -- Der Meister verstand mit gebildeten Katern
umzugehen.

Bald spürte ich die wohltätige Wirkung der Pflaster und war froh, daß
ich des kleinen aschgrauen Chirurgus fatales Hausmittel nicht
angenommen. Muzius, der mich besuchte, fand mich heiter und kräftig.
Bald war ich im Stande, ihm zu folgen zur Burschenkneiperei. Man kann
denken, mit welchem unbeschreiblichen Jubel ich empfangen wurde. Allen
war ich doppelt lieb geworden.

Von nun an führte ich ein köstliches Burschenleben und übersah es gern,
daß ich dabei die besten Haare aus dem Pelz verlor. -- Doch gibt es
hienieden ein Glück, das von Dauer sein sollte? Lauert bei jeder Freude,
die man genießt, nicht schon der --

=(Mak. Bl.)= -- hohen und steilen Hügel, im flachen Lande hätte er für
einen Berg gegolten, belegen. Ein breiter, bequemer, von duftendem
Gebüsch eingeschlossener Weg, an dessen beiden Seiten häufig angebrachte
steinerne Sitze und Lauben die gastliche Sorge für die wandernden Pilger
bewiesen, führte hinauf. Oben angekommen, gewahrte man erst die Größe
und Pracht des Gebäudes, das man in der Ferne nur für eine einzeln
dastehende Kirche gehalten. Wappen, Bischofsmütze, Krummstab und Kreuz,
über dem Tor in Stein gehauen, zeigten, daß sonst hier eine bischöfliche
Residenz gewesen und die Inschrift: _Benedictus, qui venit in nomine
domini,_ lud fromme Gäste ein, zum Eintritt. Aber jeder, der eingetreten,
blieb wohl unwillkürlich stehen, überrascht, erfaßt von dem Anblick der
Kirche, die mit ihrer prächtigen, im Stil des Palladio erbauten Fassade,
mit ihren beiden hohen, luftigen Türmen in der Mitte stand, als
Hauptgebäude, an das sich von beiden Seiten Flügel anschlossen. In dem
Hauptgebäude, befanden sich noch die Zimmer des Abts, in den
Seitenflügeln dagegen die Wohnungen der Mönche, das Refektorium, andere
Versammlungssäle, sowie auch Zimmer zur Aufnahme einkehrender Fremden.
Unfern dem Kloster lagen die Wirtschaftsgebäude, die Meierei, das Haus
des Amtmanns; tiefer im Tal umflocht aber das schöne Dorf Kanzheim den
Hügel mit der Abtei wie ein bunter, üppiger Kranz.

Dieses Tal breitete sich aus bis an den Fuß des fernen Gebirges.
Zahlreiche Herden weideten in den von spiegelhellen Bächen
durchschnittenen Wiesengründen, fröhlich zogen die Landleute aus den
Dörfern, die hin und wieder verstreut lagen, durch die reichen
Kornfelder, jubelnder Gesang der Vögel scholl aus den anmutigen
Gebüschen, sehnsüchtiger Hörnerschall rief herüber aus der fernen,
dunklen Waldung, beschwingt mit weißen Segeln glitten schwer beladene
Kähne auf dem breiten Fluß, der das Tal durchströmte schnell vorüber und
man vernahm die frohen Grüße der Schiffer. Überall üppige Fülle,
reichlich gespendeter Segen der Natur, überall reges, ewig
forttreibendes Leben. Die Aussicht in die lachende Landschaft vom Hügel
herab aus den Fenstern der Abtei, erhob das Gemüt und erfüllte es
zugleich mit innigem Wohlbehagen.

Mocht' es sein, daß man dem innern Schmuck der Kirche, der edlen,
grandiosen Grundlage unerachtet, bei dem vielen bunten, vergoldeten
Schnitzwerk und der kleinlichen Bilderei mit Recht den Vorwurf der
Überladung, des mönchischen Ungeschmacks machen konnte, so fiel dafür
der reine Stil, in welchem die Zimmer des Abtes gebaut und verziert
waren, destomehr in's Auge. Aus dem Chor der Kirche trat man unmittelbar
in einen geräumigen Saal, der zur Versammlung der Geistlichen und
zugleich zur Aufbewahrung der Instrumente und Musikalien diente. Aus
diesem Saal führte ein langer Korridor, der eine ionische Säulenstellung
bildete, in die Gemächer des Abts. Seidene Tapeten, auserlesene Gemälde
der besten Meister aus verschiedenen Schulen, Büsten, Statuen großer
Männer der Kirche, Teppiche, zierlich ausgelegte Fußböden, kostbares
Gerät, alles deutete hier auf den Reichtum des wohl dotierten Klosters.
Dieser Reichtum, der in dem Ganzen herrschte, war aber nicht jener
glänzende Prunk, der das Auge blendet, ohne ihm wohlzutun und der
Staunen, aber nicht Wohlbehagen erzeugt. Alles war an seiner rechten
Stelle angebracht, nichts wollte prahlerisch die Aufmerksamkeit für sich
allein fesseln und die Wirkung des andern zerstören, und so dachte man
nicht an die Kostbarkeit dieses, jenes einzelnen Schmucks, sondern
fühlte sich vom Ganzen gemütlich angeregt. Das durchaus =Gehörige= in der
Anordnung brachte diesen gemütlichen Eindruck hervor, und eben das
richtig entscheidende Gefühl des Gehörigen möchte wohl das sein, was man
guten Geschmack zu nennen pflegt. Das Bequeme, Wohnliche dieser Gemächer
des Abts, grenzte an das Üppige, ohne in der Tat üppig zu werden, und so
durfte es keinen Anstoß geben, daß ein Geistlicher alles dies selbst
angeordnet und herbeigeschafft. Der Abt Chrysostomus hatte, als er vor
wenigen Jahren nach Kanzheim kam, die abteiliche Wohnung einrichten
lassen, wie sie sich jetzt fand, und sein ganzer Charakter, seine ganze
Art zu sein, sprach sich schon lebhaft aus in dieser Einrichtung, ehe
man ihn selbst sah und bald die hohe Stufe seiner geistigen Bildung
gewahrte. Noch in den vierziger Jahren, groß, wohlgebaut, geistvollen
Ausdruck im männlich schönen Antlitz, Anmut und Würde im ganzen
Betragen, flößte der Abt jedem, der sich ihm nahte, die Ehrfurcht ein,
die sein Stand forderte. Eifriger Kämpfer für die Kirche, rastloser
Verfechter der Rechte seines Ordens, seines Klosters, schien er doch
nachgiebig und duldsam. Aber eben diese scheinbare Nachgiebigkeit war
eine Waffe, die er wohl zu führen und damit jeden Widerstand, selbst den
der obersten Gewalt, zu besiegen wußte. Durfte man denn auch ahnen, daß
hinter einfachen, salbungsreichen Worten, die aus dem treusten Herzen zu
kommen schienen sich mönchische Schlauheit verberge, so gewahrte man nur
die Gewandtheit eines eminenten Geistes, der in die tiefern Verhältnisse
der Kirche eingedrungen. Der Abt war ein Zögling der Propaganda in Rom.
-- Selbst gar nicht geneigt, den Ansprüchen des Lebens zu entsagen,
insofern sie mit geistlicher Sitte und Ordnung verträglich, ließ er
seinen zahlreichen Untergebenen alle Freiheit, die sie nur nach ihrem
Stande fordern konnten. So kam es denn, daß, während einige dieser,
jener Wissenschaft ergeben, in einsamer Zelle studierten, andere lustig
umherschwärmten in dem Park der Abtei und sich erlustigten im heitern
Gespräch, während einige, zu schwärmerischer Andacht geneigt, fasteten
und ihre Zeit hinbrachten in stetem Gebet, andere sich es wohlschmecken
ließen an der reichbesetzten Tafel und ihre religiösen Übungen auf die
Ordensregel beschränkten, während einige die Abtei nicht verlassen
mochten, andere sich auf weitere Wege begaben, auch wohl, kam die Zeit
heran, das lange Priestergewand vertauschten mit dem kurzen Jägerrock
und sich als wackre Weidmänner herumtummelten. Waren nun aber die
Meinungen der Brüder verschieden und durfte jeder der seinigen
nachhängen, wie er wollte, so kamen sie alle in der enthusiastischen
Vorliebe für die Musik überein. Beinahe ein jeder war ausgebildeter
Musiker, und es gab Virtuosen unter ihnen, die der besten fürstlichen
Kapelle Ehre gemacht haben würden. Eine reiche Musikaliensammlung, eine
Auswahl der vortrefflichsten Instrumente setzte jeden in den Stand, die
Kunst zu treiben, wie er wollte, und häufige Aufführungen auserlesener
Werke erhielten jeden in praktischer Übung.

Eben diesem musikalischen Treiben gab nun Kreislers Ankunft in der
Abtei einen neuen Schwung. Die Gelehrten schlugen ihre Bücher zu, die
Andächtigen kürzten ihre Gebete ab, alle versammelten sich um Kreisler,
den sie liebten und dessen Werke sie hochschätzten, wie keine anderen.
Der Abt selbst hing ihm an mit inniger Freundschaft und er, sowie alle
übrigen beeiferten sich, ihm ihre Achtung, ihre Liebe darzutun, wie sie
es nur vermochten. War nun die Gegend, in der die Abtei lag, ein
Paradies zu nennen, gewährte das Leben im Kloster die bequemste
Behaglichkeit, wozu ein leckrer Tisch und edler Wein, für den der Vater
Hilarius sorgte, wohl auch zu rechnen, herrschte unter den Brüdern die
gemütliche Heiterkeit, welche von dem Abt selbst ausging, schwamm
überdem Kreisler, den die Kunst rastlos beschäftigte, recht in seinem
Elemente, so konnt' es nicht fehlen, daß sein bewegtes Gemüt ruhig
wurde, wie seit langer Zeit nicht mehr. Selbst der Zorn seines Humors
dämpfte sich, er wurde sanft und weich wie ein Kind. Aber noch mehr als
das alles, er glaubte an sich selbst, verschwunden war jener
gespenstische Doppelgänger, der emporgekeimt aus den Blutstropfen der
zerrissenen Brust.

Irgendwo[A] heißt es von dem Kapellmeister Johannes Kreisler, daß seine
Freunde es nicht dahin hätten bringen können, daß er eine Komposition
aufgeschrieben, und sei dies wirklich einmal geschehen, so habe er doch
das Werk, so viel Freude er auch über das Gelingen geäußert, gleich
nachher in's Feuer geworfen. So mag es sich begeben haben in einer sehr
verhängnisvollen Zeit, die dem armen Johannes den rettungslosen
Untergang drohte, von der gegenwärtiger Biograph bis jetzt aber nicht
recht viel weiß. Jetzt in der Abtei Kanzheim wenigstens hütete sich
Kreisler wohl, die Kompositionen zu vernichten, die recht aus seinem
Innersten hervorgingen, und seine Stimmung sprach sich in dem Charakter
süßer, wohltuender Wehmut aus, den seine Werke trugen, statt daß er
sonst nur zu oft im mächtigen Zauber aus der Tiefe der Harmonik die
gewaltigen Geister heraufbeschwor, die die Furcht, das Entsetzen, alle
Qualen hoffnungsloser Sehnsucht aufregen in der menschlichen Brust. --

[Fußnote A: Phantasiestücke in Callots Manier. Neue Ausgabe. T. 1,
Seite 32.]

-- Man hatte eines Abends im Chor der Kirche die letzte Probe eines
Hochamts gehalten, mit dem Kreisler fertig worden und das am folgenden
Morgen aufgeführt werden sollte. Die Brüder waren zurückgekehrt in ihre
Zellen, Kreisler allein weilte in dem Säulengange und schaute hinaus in
die Gegend, die im Schimmer der letzten Strahlen der sinkenden Sonne vor
ihm lag. Da war es ihm, als vernähme er aus weiter Ferne noch einmal
sein Werk, das ihm eben lebendig dargestellt von den Brüdern. Als nun
aber das _Agnus Dei_ kam, da erfaßte ihn aufs Neue und stärker die
namenlose Wonne jener Augenblicke, in denen ihm dieses _Agnus_
aufgegangen. »Nein, rief er aus, indem glühende Tränen seine Augen
füllten; -- nein! -- ich bin es nicht, du allein! du, mein einziger
Gedanke, du mein einziges Sehnen!« --

Wunderbar war es wohl, auf welche Weise Kreisler diesen Satz, in welchem
der Abt, die Brüder den Ausdruck der brünstigsten Andacht, der
himmlischen Liebe selbst fanden, hervorgebracht hatte. Ganz erfüllt von
dem Hochamt, das er zu setzen begonnen, aber noch lange nicht vollendet
hatte, träumte er in einer Nacht, der Heiligentag, für den die
Komposition bestimmt, sei da, das Hochamt eingeläutet, er stehe an dem
Pult, die fertige Partitur vor sich, der Abt, selbst Messe lesend,
intoniere und sein _Kyrie_ fange an. --

Satz auf Satz folge nun, die Aufführung, gediegen und kraftvoll,
überrasche ihn, reiße ihn fort bis zum _Agnus Dei._ Da gewahre er zu
seinem Schreck in der Partitur weiße Blätter, keine Note aufgeschrieben,
die Brüder schauten ihn, der plötzlich den Taktstock sinken lassen, an,
gewärtig, daß er endlich anfangen, daß die Stockung endlich aufhören
werde. Aber bleischwer drücke ihn Verlegenheit und Angst nieder und er
könne, ungeachtet er das ganze _Agnus_ fertig in seiner Brust bewahre, nur
es nicht herausbringen in die Partitur. Da erschiene aber plötzlich eine
holde Engelsgestalt, trete an den Pult, sänge das _Agnus_ mit Tönen des
Himmels und diese Engelsgestalt wäre Julia! -- Im Entzücken hoher
Begeisterung erwachte Kreisler und schrieb das _Agnus_ auf, das im seligen
Traum ihm aufgegangen. -- Und diesen Traum träumte Kreisler nun noch
einmal, er vernahm Julias Stimme, höher und höher schlugen die Wellen
des Gesanges, als nun der Chor einfiel: _Dona nobis pacem,_ er wollte
untergehen in dem Meer von tausend seligen Wonnen, das ihn überströmte.

Ein leiser Schlag auf die Schulter weckte Kreisler aus der Ekstase, in
die er geraten. Es war der Abt, der vor ihm stand und ihn mit
Wohlgefallen anblickte.

»Nicht wahr, begann der Abt, nicht wahr, mein Sohn Johannes! was Du
tief in Deinem Gemüt empfunden, was Dir gelang, herrlich und kräftig in
das Leben zu rufen, das erfreut jetzt Deine ganze Seele? -- Ich meine,
Du dachtest an Dein Hochamt, das ich zu den besten Werken zähle, die Du
jemals geschaffen.«

Kreisler starrte den Abt stillschweigend an, noch war er keines Wortes
mächtig.

»Nun nun, fuhr der Abt lächelnd fort, steige herab aus der obern Region,
zu der Du Dich hinaufgeschwungen! -- Ich glaube gar, Du komponierst in
Gedanken und lässest so nicht ab von der Arbeit, die Dir freilich eine
Lust ist, wiewohl eine gefährliche, da sie zuletzt Deine Kräfte
aufzehrt. Entschlage Dich jetzt aller schaffenden Gedanken, laß uns in
diesem kühlen Gange auf- und abwandeln und unbefangen miteinander
plaudern.

Der Abt sprach nun von den Einrichtungen des Klosters, von der
Lebensweise der Mönche, rühmte den wahrhaft heiter frommen Sinn, den
alle in sich trügen und fragte zuletzt den Kapellmeister, ob er (der
Abt) sich nicht täusche, wenn er bemerkt zu haben glaube, daß Kreisler
seit den Monaten, daß er sich in der Abtei befinde, ruhiger,
unbefangener, dem tätigen Forttreiben in der hohen Kunst, die den Dienst
der Kirche verherrliche, geneigter geworden.

Kreisler konnte nicht anders, als dies zugeben und überdies versichern,
daß die Abtei sich ihm aufgetan wie ein Asyl, in das er geflüchtet und
daß er sich hier so heimisch dünke, als sei er wirklich Ordensbruder und
werde das Kloster niemals mehr verlassen.

»Lassen Sie mir, ehrwürdiger Herr!« so endete Kreisler, »die Täuschung,
die dies Kleid befördert. Lassen Sie mich glauben, daß von bedrohlichem
Sturm verschlagen, mich die Gunst des versöhnten Geschicks an einem
Eilande stranden ließ, wo ich geborgen, wo nie mehr der schöne Traum
zerstört werden kann, der nichts anders ist, als die Begeisterung der
Kunst selbst.«

In der Tat, mein Sohn Johannes, erwiderte der Abt, indem eine besondere
Freundlichkeit sein Antlitz überstrahlte, das Kleid, das Du angelegt, um
als unser Bruder zu erscheinen, steht Dir wohl, und ich wollte, daß Du
es nie wieder ablegtest. Du bist der würdigste Benediktiner, den man nur
sehen kann.

Doch, fuhr der Abt nach einem kurzem Stillschweigen fort, indem er
Kreislers Hand faßte, kein Scherz ist hier zu treiben. Sie wissen, mein
Johannes! wie lieb Sie mir gewesen sind seit dem Augenblick, als ich Sie
kennen lernte, wie meine innige Freundschaft, sich mit der hohen Achtung
für Ihr ausgezeichnetes Talent paarend, immer höher gestiegen ist. Für
den, den man liebt, wird man mit Sorge erfüllt und eben diese Sorge war
es, die mich Sie seit der Zeit Ihres Aufenthalts im Kloster bis zur
Ängstlichkeit beobachten ließ. Das Resultat dieser Beobachtungen brachte
mich zu einer Überzeugung, die ich nicht aufgeben darf! Längst wollt'
ich Ihnen in dieser Hinsicht mein ganzes Herz öffnen, ich wartete auf
einen günstigen Augenblick, er ist gekommen! -- Kreisler! Entsagen Sie
der Welt, treten Sie in unsern Orden!

So sehr sich auch Kreisler in der Abtei gefiel, so willkommen es ihm
war, einen Aufenthalt verlängern zu können, der ihm Ruhe und Frieden
gab, indem er seine rege, künstlerische Tätigkeit in Anspruch nahm, doch
überraschte ihn der Antrag des Abts auf beinahe unangenehme Weise, da er
an nichts weniger mit wirklichem Ernst gedacht, als seine Freiheit
aufgebend, sich unter die Mönche stecken zu lassen auf immer, wiewohl
ihm manchmal schon solch eine Grille aufgestiegen und dies vom Abt
bemerkt sein mochte. Ganz verwundert schaute er den Abt an, der ihn aber
nicht zum Worte kommen ließ, sondern fortfuhr: Hören Sie mich erst ruhig
an, Kreisler, ehe Sie mir antworten. Wohl muß es mir angelegen sein der
Kirche einen tüchtigen Diener zu gewinnen, indessen verwirft die Kirche
selbst jede künstliche Überredung und will nur, daß der innere Funke der
wahren Erkenntnis angeregt werde, damit er zur hell lodernden Flamme des
Glaubens aufleuchte und jede Betörung vernichte. Und so will ich nur
das, was dunkel und verworren vielleicht in Ihrer eignen Brust liegt,
entfalten, Ihnen selbst zur deutlichen Erkenntnis bringen. Darf ich zu
Ihnen, mein Johannes! denn von den aberwitzigen Vorurteilen sprechen,
die man in der Welt gegen das Klosterleben hegt? -- Immer muß den Mönch
irgendein ungeheures Schicksal in die Klause getrieben haben, wo er
aller Lust der Welt entsagend unter beständiger Qual ein trostloses
Leben vertrauert. So wäre das Kloster der finstre Kerker, wo die
trostloste Trauer um ewig verlornes Gut, die Verzweiflung, der Wahnsinn
erfinderischer Selbstqual sich eingesperrt, wo abgehärmte bleiche
Todesgestalten ein elendes Dasein hinschleppten und ihre herzzermalmende
Angst aushauchten in dumpf murmelnden Gebeten!

Kreisler konnte sich nicht eines Lächelns erwehren, denn er gedachte,
als der Abt von abgehärmten bleichen Todesgestalten sprach, so manches
wohlgenährten Benediktiners und vorzüglich des wackern rotwangigten
Hilarius, der keine größere Qual kannte, als Wein zu trinken von
schlechtem Gewächs und nur die Angst, die ihm eine neue Partitur
verursachte, welche er nicht gleich verstand.

Sie belächeln, sprach der Abt weiter, den Kontrast des Bildes, das ich
aufstellte mit dem Klosterleben, wie Sie es hier kennen gelernt, und
haben gewiß Ursache dazu. -- Mag es auch sein, daß mancher zerrissen von
irdischem Leid, alles Glück, alles Heil der Welt für immer aufgebend, in
das Kloster flieht, wohl ihm dann, daß die Kirche ihn aufnimmt und er in
ihrem Schoß einen Frieden findet, der allein ihn über alles erlittene
Ungemach trösten und ihn erheben kann über das verderbliche Geschick im
weltlichen Treiben. Aber wie viele gibt es, die der wahre innere Hang
zum andächtigen kontemplativen Leben in das Kloster führt, die ungefügig
in der Welt, jeden Augenblick verstört durch das Andringen aller
kleinlichen Verhältnisse, wie sie sich nun einmal im Leben erzeugen, nur
in selbstgewählter Einsamkeit sich wohl befinden. Dann gibt es aber
andere, die ohne entschiedenen Hang zum klösterlichen Leben doch
nirgends anders hingehören, als eigentlich ins Kloster. -- Ich meine
diejenigen, die Fremdlinge in der Welt sind und bleiben, weil sie einem
höheren Sein angehören und die Ansprüche dieses höheren Seins für die
Bedingung des Lebens halten, so aber rastlos das verfolgend, was
hienieden nicht zu finden, ewig dürstend in nie zu befriedigender
Sehnsucht, hin und her schwanken und vergeblich Ruhe suchen und Frieden,
deren offne Brust jeder abgeschossene Pfeil trifft, für deren Wunden es
keinen Balsam gibt, als die bittre Verhöhnung des stets wider sie
bewaffneten Feindes. Nur die Einsamkeit, ein einförmiges Leben ohne
feindliche Unterbrechung und vor allem das stete freie Aufschauen zur
Lichtwelt, der sie angehören, kann das Gleichgewicht herstellen und sie
im Innern eine überirdische Zufriedenheit fühlen lassen, die in dem
wirren Treiben der Welt nicht zu erringen. -- Und Sie -- Sie mein
Johannes gehören zu diesen Menschen, die die ewige Macht im Druck des
Irdischen hoch erhebt zum Himmlischen. Das rege Gefühl des höhern Seins,
das Sie ewig mit dem schalen irdischen Treiben entzweien wird, entzweien
muß, strahlt mächtig heraus in der Kunst, die einer andern Welt gehört
und die, ein heiliges Geheimnis der himmlischen Liebe, mit Sehnsucht in
ihrer Brust verschlossen. Die glühendste Andacht selbst in diese Kunst
und ihr ganz ergeben haben Sie nichts mehr gemein mit einer
buntscheckigen Welttändelei, die Sie von sich werfen mit Verachtung, wie
der zum Jüngling gereifte Knabe das abgenutzte Spielzeug. -- Entfliehen
Sie für immer den aberwitzigen Neckereien hohnlächelnder Toren, die Sie,
mein armer Johannes, oft gequält haben bis auf's Blut! -- Der Freund
breitet die Arme aus Sie zu empfangen, Sie einzuführen in den sichern
Port, den kein Gewittersturm bedroht! --

Tief, sprach mein Johannes, da der Abt schwieg, ernst und düster, tief
fühle ich die Wahrheit ihrer Worte, mein ehrwürdiger Freund! tief, daß
ich wirklich nicht in eine Welt tauge, die sich mir gestaltet wie ein
ewiges rätselhaftes Mißverständnis. Und doch -- ich gestehe es frei,
erregt mir der Gedanke Schauer, auf Kosten so mancher Überzeugung, die
ich mit der Muttermilch eingesogen, dies Kleid zu tragen, wie einen
Kerker, aus dem ich nimmer wieder heraus kann. Es ist mir, als wenn dem
Mönch Johannes dieselbe Welt, in der der Kapellmeister Johannes doch so
manches hübsche Gärtlein voll duftender Blumen fand, plötzlich eine öde
unwirtbare Wüste sein würde, als wenn einmal in das rege Leben
verflochten, die Entsagung -- Entsagung? -- unterbrach der Abt den
Kapellmeister mit erhöhter Stimme. Gibt es für Dich, Johannes, eine
Entsagung, wenn der Geist der Kunst immer mächtiger wird in Dir, wenn Du
mit starkem Fittich Dich erhebst in die leuchtenden Wolken? -- Welche
Lust des Lebens gibt es denn noch, die Dich betören könnte? -- Doch (so
fuhr der Abt mit sanfterer Stimme fort) wohl hat die ewige Macht ein
Gefühl in unsere Brust gelegt, das mit unbesiegbarer Gewalt unser ganzes
Wesen erschüttert; es ist das geheimnisvolle Band, das Geist und Körper
verbindet, indem jener nach dem höchsten Ideal einer chimärischen
Glückseligkeit zu streben vermeint und doch nur will, was dieser als
notwendiges Bedürfnis in Anspruch nimmt, und so eine Wechselwirkung
entsteht, die in der Fortexistenz des menschlichen Geschlechts bedingt
ist. -- Nicht hinzufügen darf ich, daß ich von der Geschlechtsliebe
spreche und daß ich es allerdings für nichts Geringes achte, ihr ganz zu
entsagen. -- Doch Johannes! wenn Du entsagst, so rettest Du Dich vom
Verderben; niemals, niemals kannst Du, wirst Du des eingebildeten Glücks
der irdischen Liebe teilhaftig werden. Der Abt sprach die letzten Worte
so feierlich, mit solcher Salbung, als läge das Buch des Schicksals
offen vor ihm und er verkündige daraus dem armen Kreisler alles
bedrohliche Leid, dem zu entgehen, er sich hineinretten müsse ins
Kloster.

Da begann aber auf Kreislers Antlitz jenes seltsame Muskelspiel, das
den Geist der Ironie zu verkünden pflegte, der seiner mächtig worden.
Hoho! sprach er, Ew. Hochehrwürden haben unrecht, haben durchaus
unrecht. Ew. Hochwürden irren sich in meiner Person, werden konfuse
durch das Gewand, das ich angelegt, um _en masque_ einige Zeit hindurch
die Leute zu foppen und selbst unerkannt, ihnen ihre Namen in die Hand
zu schreiben, damit sie wissen, woran sie sind! -- Bin ich denn nicht
ein passabler Mensch, noch in den besten Jahren, von leidlich hübschem
Ansehn und sattsam gebildet und artig? -- Kann ich nicht den schönsten
schwarzen Frack ausbürsten, ihn anlegen und was die Unterkleider
betrifft, ganz Seide keck hintreten vor jede rotwangigte Professors, vor
jede blau- oder braunäugigte Hofrats Tochter, und alle Süßigkeit des
zierlichsten Amoroso in Gebärde, Antlitz und Ton, ohne weiteres fragen:
Allerschönste, wollen Sie mir Ihre Hand geben und Ihre ganze werte
Person dazu, als Attinenz derselben? Und die Professors Tochter würde
die Augen niederschlagen und ganz leise lispeln: Sprechen Sie mit Papa!
oder die Hofrats Tochter mir gar einen schwärmerischen Blick zuwerfen
und dann versichern, wie sie schon lange im stillen die Liebe bemerkt,
der ich nun erst Sprache geliehen und beiläufig vom Besatz des
Brautkleides sprechen. Und o Gott, die respektiven Herrn Väter, wie gern
würden sie die Töchter losschlagen auf das Gebot einer solchen
respektablen Person, als es ein großherzoglicher Exkapellmeister ist!
-- Aber ich könnte mich auch versteigen in das höhere Romantische, eine
Idylle beginnen und der glauen Pachterstochter mein Herz offerieren und
meine Hand, wenn sie eben Ziegenkäse bereitet, oder, ein zweiter Notar
Pistofolus, in die Mühle laufen und meine Göttin suchen in den
Himmelswolken des Mehlstaubs! -- Wo würde ein treues ehrliches Herz
verkannt werden, das nichts will, nichts verlangt als Hochzeit
-- Hochzeit -- Hochzeit! -- Kein Glück in der Liebe? -- Ew. Hochehrwürden
bedenken gar nicht, daß ich eigentlich recht der Mann dazu bin, um in
=der= Liebe ganz horrend glücklich zu sein, deren einfaches Thema weiter
nichts ist als: Willst Du mich, so nehm' ich Dich! dessen weitere
Variationen nach dem Allegro brillante der Hochzeit dann in der Ehe
weiter fortgespielt werden. Ew. Hochehrwürden wissen ferner nicht, daß
ich schon vor mehrerer Zeit sehr ernsthaft daran gedacht, mich zu
vermählen. Ich war damals freilich noch ein junger Mensch von weniger
Erfahrung und Ausbildung, nämlich erst sieben Jahr alt, aber das drei
und dreißigjährige Fräulein, das ich zu meiner Braut erkieset, versprach
mir doch mit Hand und Mund keinen andern zum Mann zu nehmen als mich,
und ich weiß selbst nicht, warum sich die Sache nachher zerschlug.
Bemerken Ew. Hochehrwürden doch nur, daß mir das Glück der Liebe lachte
von Kindesbeinen an und nun -- Seidene Strümpfe her -- seidene Strümpfe
her -- Schuhe her um gleich mit beiden Freiersfüßen hineinzufahren und
unmäßig zu rennen nach der, die schon den niedlichsten Zeigefinger
ausgestreckt hat, damit er stracks bereist werde. -- Wäre es nicht für
einen ehrsamen Benediktiner unanständig sich in Hasensprüngen zu
erlustieren, ich tanzte sogleich hier auf der Stelle vor Ew.
Hochehrwürden Augen einen Matelot, oder eine Gavotte, oder einen
Hopswalzer aus purer Freude, die mich ganz übernimmt, wenn ich nur an
Braut und Hochzeit denke. -- Hoho! -- was Liebesglück und Heirat
betrifft, da bin ich ein ganzer Kerl! -- Ich wünschte, Ew. Hochehrwürden
möchten das einsehen. -- Ich habe, erwiderte der Abt, als Kreisler nun
endlich innehielt, Sie nicht unterbrechen mögen in Ihren seltsamen
Scherzreden, Kapellmeister, die eben das beweisen, was ich behaupte.
-- Wohl fühle ich auch den Stachel, der mich verwunden sollte, aber nicht
verwundet hat! -- Wohl mir, daß ich nie an jene chimärische Liebe
geglaubt, die körperlos in den Lüften schwebt und nichts gemein haben
soll mit dem Bedingnis des menschlichen Prinzips! -- Wie ist es möglich,
daß Sie, bei dieser krankhaften Spannung des Geistes -- Doch genug
hiervon! -- Es ist an der Zeit dem bedrohlichen Feinde näher zu treten,
der Sie verfolgt -- Haben Sie während Ihres Aufenthalts in Sieghartshof
nicht von dem Schicksal jenes unglücklichen Malers, jenes Leonhard
Ettlinger gehört? -- Kreislern durchfuhren die Schauer des unheimlichen
Grauens, als der Abt diesen Namen nannte. Weggelöscht vom Antlitz war
jede Spur jener bittern Ironie, die ihn zuvor erfaßt und er fragte mit
dumpfer Stimme: Ettlinger? -- Ettlinger? was soll mir der? -- was habe
ich mit dem zu schaffen? -- Nie hab' ich ihn gekannt, nur ein Spiel
erhitzter Phantasie war es, als ich einmal wähnte, er spreche zu mir
herauf aus dem Wasser. --

Ruhig, sprach der Abt sanft und milde, indem er Kreisler's Hand faßte,
ruhig mein Sohn Johannes! -- Nichts hast du gemein mit jenem
Unglücklichen, den die Verirrung einer zu mächtig gewordenen
Leidenschaft in das tiefste Verderben stürzte. Doch zum warnenden
Beispiel mag Dir sein entsetzliches Schicksal dienen. Mein Sohn
Johannes! -- noch auf schlüpfrigerem Wege befindest Du Dich, als jener,
drum entflieh -- entflieh! -- Hedwiga! -- Johannes! ein böser Traum hält
die Prinzessin fest in Banden, die unauflöslich scheinen, wenn ein
freier Geist sie nicht durchschneidet! -- Und du? --

Tausend Gedanken gingen auf in Kreisler bei diesen Worten des Abts. Er
gewahrte, daß der Abt nicht allein mit allen Begebnissen des fürstlichen
Hauses zu Sieghartshof, sondern auch mit dem bekannt war, was sich dort
während seines Aufenthalts zugetragen. Klar wurd' es ihm, daß die
krankhafte Reizbarkeit der Prinzessin wohl in seiner Annäherung eine
Gefahr befürchten lassen, an die er gar nicht gedacht, und eben diese
Furcht, wer anders konnte sie hegen und darum wünschen, daß er vom
Schauplatz ganz abtrete, als die Benzon? -- Eben diese Benzon mußte mit
dem Abt in Verbindung stehen, von seinem (Kreisler's) Aufenthalt in der
Abtei unterrichtet sein und so war sie die Triebfeder alles Beginnens
des ehrwürdigen Herrn. Lebhaft gedachte er aller Momente, in denen die
Prinzessin wirklich, wie von einer im Innern aufkeimenden Leidenschaft
befangen, erschienen, aber selbst wußte er nicht, warum bei dem
Gedanken, daß er selbst der Gegenstand jener Leidenschaft sein könne, es
ihn erfaßte wie Gespensterfurcht. Es war ihm als wolle eine fremde
geistige Macht gewaltsam in sein Inneres dringen und ihm die Freiheit
des Gedankens rauben. Prinzessin Hedwiga stand plötzlich vor ihm, und
starrte ihn an mit jenem seltsamen Blick der ihr eigen, aber in dem
Augenblick dröhnte ein Pulsschlag ihm durch alle Nerven, wie damals, als
er zum erstenmal der Prinzessin Hand berührte. Doch war ihm auch nun
jene unheimliche Angst entnommen, er fühlte eine elektrische Wärme
wohltätig sein Inneres durchgleiten, er sprach leise wie im Traum:
Kleiner schalkischer Raja torpedo_,_ neckst Du mich schon wieder und weißt
doch, daß Du nicht ungestraft verwunden darfst, da ich aus reiner Liebe
zu Dir Benediktinermönch geworden?

Der Abt betrachtete den Kapellmeister mit durchbohrendem Blick, als
wolle er sein ganzes Ich durchschauen, und begann dann ernst und
feierlich: Mit wem redest Du, mein Sohn Johannes?

Kreisler wurde aber wach aus seinen Träumen; es fiel ihm ein, daß der
Abt, war er von allem was sich in Sieghartshof zugetragen, unterrichtet,
vor allen Dingen den weitern Verlauf der Katastrophe, die ihn
fortgetrieben, wissen mußte, und wohl war ihm daran gelegen, mehr davon
zu erfahren.

Mit niemandem anders, erwiderte er dem Abt, skurril lächelnd, sprach
ich, Hochehrwürdiger Herr, als, wie Sie ja vernommen haben, mit einer
schalkischen _Raja torpedo,_ die sich ganz unberufener Weise in unser
vernünftiges Gespräch mischen und mich noch konfuser machen wollte, als
ich es schon wirklich bin. -- Doch aus allem muß ich ja zu meinem großen
Leid gewahren, daß diverse Leute mich für eben solch' einen großen
Narren halten, als den seligen Hofporträtisten Leonardus Ettlinger, der
eine erhabene Person, die sich natürlicherweise aus ihm gar nichts
machen konnte, nicht bloß malen wollte, sondern auch lieben und zwar so
ganz ordinär, wie Hans seine Grete. O Gott! hab' ich es denn jemals an
Respekt fehlen lassen, wenn ich die schönsten Akkorde griff zu schnöder
Singefaselei! -- Habe ich jemals unziemliche oder grillenhafte Materien
aufs Tapet zu bringen gewagt von Entzücken und Schmerz, von Liebe und
Haß, wenn der kleine fürstliche Eigensinn sich seltsam gebärden in
allerlei wunderbaren Gemütsergötzlichkeiten, und ehrsame Leute vexieren
wollte mit magnetischen Visionen? -- habe ich solches jemals getan?
Sagt. --

Doch sprachst Du, mein Johannes! unterbrach ihn der Abt, einst von der
Liebe des Künstlers --

Kreisler starrte den Abt an, dann rief er, indem er die Hände
zusammenschlug und den Blick aufwärts richtete: O Himmel! Das also!
-- Schätzbare Leute, sprach er dann weiter, indem jenes skurrile Lächeln
auf dem Antlitz wieder die Oberhand gewann und dabei die innere Wehmut
die Stimme beinahe erstickte, schätzbare Leute allzumal, habt Ihr denn
nicht jemals irgendwo, sei es auch auf ordinären Brettern, den Prinzen
Hamlet zu einem ehrlichen Mann, Güldenstern geheißen, sagen gehört: Ihr
könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen? -- Wetter! -- das
ist ja ganz mein Kasus! -- Warum belauscht Ihr den harmlosen Kreisler,
wenn der Wohllaut der Liebe, der in seiner Brust verschlossen, Euch nur
mißtönt? -- O Julia! --

Der Abt schien, plötzlich von etwas ganz Unerwartetem überrascht,
vergebens Worte zu suchen, während Kreisler vor ihm stand und ganz
verzückt in das Feuermeer schaute, das im Abend emporgewogt.

Da erhoben sich die Glockentöne von den Türmen der Abtei und zogen,
wunderbare Stimmen des Himmels, durch das golden leuchtende Abendgewölk.

Mit euch will ich ziehen ihr Akkorde! rief Kreisler, indem er beide Arme
weit ausbreitete. Von euch getragen soll sich aller trostlose Schmerz
emporrichten zu mir und sich selbst vernichten in meiner eignen Brust
und eure Stimmen sollen wie himmlische Friedensboten es verkünden, daß
der Schmerz untergegangen in der Hoffnung, in der Sehnsucht der ewigen
Liebe.

Die Abendhora, sprach der Abt, wird eingeläutet, ich höre die Brüder
kommen. Morgen, mein lieber Freund, sprechen wir vielleicht weiter von
manchen Begebnissen in Sieghartshof. --

Ei, rief Kreisler, dem nun erst wieder einfiel, was er von dem Abt zu
wissen verlangt, ei, hochehrwürdiger Herr, ich will viel erfahren von
lustiger Hochzeit und dergleichen! -- Prinz Hektor wird doch nun nicht
zaudern, die Hand zu ergreifen, nach der er schon aus der Ferne gelangt?
Dem herrlichen Bräutigam ist doch nichts Arges widerfahren?

Da verschwand alles Feierliche aus des Abts Antlitz und er sprach mit
dem gemütlichen Humor, der ihm sonst wohl eigen: Nichts ist dem
herrlichen Bräutigam geschehen, mein ehrlicher Johannes, aber seinen
Adjutanten soll im Walde eine Wespe gestochen haben. Hoho! erwiderte
Kreisler, eine Wespe, die er mit Feuer und Dampf vertreiben wollte!

Die Brüder traten in den Korridor und --

=(M. f. f.)= -- böse Feind und sucht den guten Bissen einem ehrlichen
harmlosen Kater recht vor dem Maule wegzuschnappen? -- Nicht lange
dauerte es nämlich, so erhielt unser gemütlicher Verein auf dem Dache
einen Stoß, der ihn erschütterte zum gänzlichen Verfall. -- Jener böse,
alles katzliche Behagen verstörende, Feind erschien uns nämlich in der
Gestalt eines gewaltigen wütenden Philisters, namens Achilles. Mit
seinem Homerischen Namensvetter war er in weniger Hinsicht zu
vergleichen, man müßte denn annehmen, daß des letzteren Heldentum
vorzüglich auch in einer gewissen unbehilflichen Tappigkeit und in
groben topfhohlen Redensarten bestanden. Achilles war eigentlich ein
gemeiner Fleischerhund, stand aber in Diensten als Hofhund, und der
Herr, bei dem er in Dienst getreten, hatte ihn, um sein Attachement an
das Haus zu befestigen, anketten lassen, so daß er nur des Nachts frei
umher laufen konnte. Mancher von uns bedauerte ihn sehr, trotz seines
unleidlichen Wesens, er aber ließ sich den Verlust seiner Freiheit gar
nicht zu Herzen gehen, da er töricht genug war, zu vermeinen, die schwer
lastende Kette gereiche ihm zur Ehre und Zierde. Achilles fand sich nun
zu seinem nicht geringen Verdruß durch unsere Konvivia in der Nacht,
wenn er umherlaufen und das Haus beschützen sollte gegen jede Unbill, im
Schlafe gestört und drohte uns als Ruhestörern Tod und Verderben. Da er
aber seiner Unbehilflichkeit halber nicht einmal auf den Boden,
geschweige denn auf das Dach kommen konnte, so machten wir uns aus
seinen Drohungen auch nicht das allermindeste, sondern trieben unser
Wesen so nach wie vorher. Achilles nahm andere Maßregeln; er begann den
Angriff gegen uns, wie ein guter General manche Schlacht, mit verdeckten
Angriffen und dann mit offenbarer Plänkelei.

Verschiedene Spitze, denen Achilles zuweilen die Ehre antat, mit ihnen
zu spielen, indem er sie mit seinen ungeschickten Tatzen handhabte,
mußten nämlich auf sein Geheiß, sobald wir unsern Gesang begannen,
dermaßen bestialisch bellen, daß wir keine vernünftige Note verstehen
konnten! -- Noch mehr! -- Bis auf den Dachboden drangen einige dieser
Philisterknechte und trieben, ohne sich mit uns, wenn wir ihnen die
Krallen zeigten, auf irgendeinen offnen ehrlichen Kampf einlassen zu
wollen, solch einen fürchterlichen Lärm mit Schreien und Bellen, daß,
wurde erst nur der Hofhund in seinem Schlaf gestört, jetzt der Herr des
Hauses selbst kein Auge zudrücken konnte und, da der Zeterspektakel gar
nicht enden wollte, die Hetzpeitsche ergriff, um die Tumultuanten über
seinem Haupte zu vertreiben.

-- O Kater, der du dieses liesest, ist dir, trägst du wahren männlichen
Sinn in der Brust, hellen Verstand im Kopf, hast du keine verwöhnte
Ohren, ist dir, sage ich, denn jemals etwas abscheulicher, widriger,
verhaßter und dabei erbärmlicher vorgekommen, als das kreischende,
gellende durch alle Tonarten dissonierende Gebelle in Harnisch geratener
Spitze? -- Diese kleinen wedelnden, schmatzenden sich niedlich
gebärdenden Kreaturen, nimm dich für sie in acht Kater! trau ihnen
nicht. Glaube mir, eines Spitzes Freundlichkeit ist gefährlicher, als
die hervorgestreckte Kralle des Tigers! -- Schweigen wir von bittren
Erfahrungen, die wir in dieser Hinsicht leider! nur zu oft gemacht und
kehren wir zurück zu dem ferneren Verlauf unsrer Geschichte.

Also wie gesagt, der Herr ergriff die Peitsche, um die Tumultuanten vom
Boden zu vertreiben. Was aber geschah! die Spitze schwanzwedelten dem
erzürnten Herrn entgegen, leckten ihm die Füße und stellten ihm vor, wie
aller Zeterlärm nur seiner Ruhe wegen erhoben, unerachtet er eben
dadurch aus aller behaglichen Ruhe gekommen. Gebellt hätten sie bloß um
uns, die wir allerlei unduldsamen Unfug trieben auf dem Dache mit Singen
von Liedern in allzuhell klingenden Tonarten u. d. zu verjagen. Der Herr
ließ sich leider durch der Spitze geschwätzige Beredsamkeit um so mehr
dahin bringen, alles zu glauben, als der Hofhund, den er darum zu
befragen nicht unterließ, in dem bittern Haß, den er wider uns im Innern
trug, es bestätigte. Uns traf nun die Verfolgung! -- Überall wurden wir
vertrieben, von Hausknechten mit Besenstielen, mit geworfenen
Dachziegeln, ja! überall waren Schlingen und Fuchseisen aufgestellt, in
die wir uns verfangen sollten, und leider! wirklich verfingen. Selbst
mein lieber Freund Muzius fiel ins Malheur, das heißt in ein Fuchseisen,
welches ihm die rechte Hinterpfote jämmerlich zerquetschte!

So war es um unser fröhliches Zusammenleben geschehen, und ich kehrte
zurück unter den Ofen des Meisters, beweinend in tiefer Einsamkeit das
Schicksal meiner unglücklichen Freunde. --

-- Eines Tages trat Herr Lothario, der Professor der Ästhetik in meines
Herrn Zimmer und hinter ihm her -- sprang Ponto herein.

Gar nicht zu sagen vermag ich, welch ein unangenehmes unheimliches
Gefühl mir Ponto's Anblick verursachte. War er auch geradezu selbst
weder Hofhund noch Spitz, so gehörte er doch zu dem Geschlecht,
dessen üble feindselige Gesinnung mein Leben in der lustigen
Katzburschen-Gesellschaft verstört hatte, und war schon deshalb mir
mitsamt aller Freundschaft, die er mir erwiesen, dennoch zweideutig.
Überdem schien mir in Ponto's Blick, in seinem ganzen Wesen etwas
Übermütiges, Verhöhnendes zu liegen und ich beschloß daher, ihn lieber
gar nicht zu sprechen. Leise, leise schlich ich weg von meinem Kissen,
und war mit einem Satz im Ofen, dessen Türe gerade offen stand, die ich
hinter mir anzog.

Herr Lothario sprach nun mit dem Meister so manches, was meine Teilnahme
um so weniger erregte, als ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen
Ponto gerichtet hatte, der, nachdem er recht stutzermäßig ein Liedchen
trällernd, im Zimmer herumgetänzelt, auf die Fensterbank gesprungen war,
zum Fenster hinausschaute, und wie es Fanfarons zu tun pflegen, jeden
Augenblick vorübergehenden Bekannten zunickte, auch wohl gar ein wenig
blaffte, gewiß, um die Blicke vorübergehender Schönen seines Geschlechts
auf sich zu ziehen. -- An mich schien der Leichtsinnige gar nicht zu
denken, und unerachtet ich, wie gesagt, ihn gar nicht zu sprechen
wünschte, so war es mir doch gar nicht recht, daß er nicht nach mir
fragte, gar keine Notiz von mir nahm.

Ganz anderer und wie es mich bedünken wollte, viel artigerer und
vernünftigerer Gesinnung war der ästhetische Professor, Herr Lothario,
der, nachdem er sich überall im Zimmer nach mir umhergeschaut, zu dem
Meister sprach: Aber wo ist denn Euer vortrefflicher Monsieur Murr! --

Es gibt für einen ehrlichen Katzburschen keine schnödere Benennung, als
das fatale Wort: Monsieur, indessen muß man von Ästhetikern in der Welt
viel leiden, und so verzieh ich dem Professor die Unbill.

Meister Abraham versicherte, daß ich seit einiger Zeit meine eignen
Gänge gehabt und vorzüglich nachts selten zu Hause gewesen, wovon ich
denn müde und ermattet geschienen. Soeben habe ich auf dem Kissen
gelegen und er wisse in der Tat nicht, wohin ich eben jetzt so schnell
verschwunden.

Ich vermute, Meister Abraham, sprach der Professor weiter, daß Euer Murr
-- Doch ist er auch hier irgendwo versteckt und lauscht? -- Laßt uns
doch einmal ein wenig nachsehen.

Leise zog ich mich in den Hintergrund des Ofens, aber man kann denken,
wie ich die Ohren spitzte, da nun von mir die Rede. -- Der Professor
hatte vergebens alle Winkel durchsucht zu nicht geringer Verwunderung
des Meisters, der lachend rief: In der Tat, Professor, Ihr tut meinem
Murr unglaubliche Ehre an!

Hoho, erwiderte der Professor, der Verdacht, den ich gegen Euch,
Meister! hege, wegen des pädagogischen Experiments, vermöge dessen ein
Kater zum Dichter und Schriftsteller wurde, kommt mir nicht aus der
Seele. Gedenkt Ihr nicht mehr des Sonetts, der Glosse, die mein Ponto
Eurem Murr recht unter den Pfoten weggeraubt? -- Doch dem sei wie ihm
wolle, ich nutze Murrs Abwesenheit, um Euch eine schlimme Vermutung
mitzuteilen und Euch recht dringend zu empfehlen, achtsam zu sein auf
Murrs Betragen. -- So wenig ich mich sonst um Katzen bekümmere, doch ist
es mir nicht entgangen, daß manche Kater, die sonst gar artig und
manierlich waren, jetzt plötzlich ein Wesen annehmen, das gegen alle
Sitte und Ordnung gröblich anstößt.

Statt wie sonst sich demütig zu biegen und zu schmiegen, stolzieren sie
trotzig daher und scheuen sich gar nicht, durch funkelnde Blicke, durch
zorniges Knurren, ihre ursprüngliche wilde Natur zu verraten, auch wohl
gar die Krallen zu zeigen. So wenig sie auf ein bescheidenes, stilles
Betragen achten, ebensowenig ist ihnen daran gelegen, was das Äußere
betrifft, als gesittete Weltleute zu erscheinen. Da ist an kein Putzen
des Bartes, an kein Glänzendlecken des Fells, an kein Abreißen der zu
lang gewordenen Krallen zu denken; zottig und rauh, mit struppigem
Schweif rennen sie daher, allen gebildeten Katzen ein Greuel und
Abscheu. Was aber vorzüglich tadelnswert erscheint und nicht geduldet
werden darf, sind die heimlichen Zusammenkünfte, die sie zur Nachtzeit
halten und dabei ein tolles Wesen treiben, welches sie Gesang nennen,
unerachtet dabei nichts vernehmbar als ein widersinniges Geschrei, dem
es an schicklichem Takt, ordnungsmäßiger Melodie und Harmonie gänzlich
mangelt. Ich fürchte, ich fürchte, Meister Abraham, daß Euer Murr sich
auch auf die schlechte Seite gelegt hat und teilnimmt an jenen
unanständigen Belustigungen, die ihm nichts einbringen können, als
tüchtige Prügel. -- Es sollte mir leid tun, wenn alle Mühe, die Ihr auf
den kleinen Grauen verwandt, umsonst wäre und, er sich, trotz aller
Wissenschaft, zu dem gewöhnlichen, wüsten Treiben gemeiner, liederlicher
Kater herabließe. -- Als ich mich, meinen guten Muzius, meine
hochherzigen Brüder verkannt sah, auf so schnöde Weise, entfloh mir
unwillkürlich ein Schmerzenslaut. Was war das, rief der Professor, ich
glaube gar, Murr sitzt doch versteckt im Zimmer! -- Ponto! Allons!
-- Such, such!« -- Mit einem Satz war Ponto herunter von der Fensterbank
und schnüffelte im Zimmer umher. Vor der Ofentüre blieb er stehen,
knurrte, bellte, sprang herauf. -- Er ist im Ofen, das hat keinen
Zweifel! so sprach der Meister und öffnete die Türe. Ich blieb ruhig
sitzen und blickte den Meister mit klaren, glänzenden Augen an.
Wahrhaftig, rief der Meister, wahrhaftig, da sitzt er ganz hinten im
Ofen. -- Nun? -- bequemt Er sich hervorzukommen? -- Ob er hinaus will!

So wenig ich auch Lust hatte, meinen Versteck zu verlassen, so mußte ich
doch wohl dem Befehl des Meisters gehorchen, wollte ich es nicht auf
Gewalt gegen mich ankommen lassen und dabei den kürzeren ziehen. Langsam
kroch ich daher hervor. Kaum war ich aber an das Tageslicht gekommen,
als beide, der Professor und der Meister, laut riefen: Murr! -- Murr!
wie siehst du aus! -- Was sind das für Streiche! --

Freilich war ich über und über voller Asche und kam noch hinzu, daß
wirklich mein Äußeres seit einiger Zeit merklich gelitten, so daß ich
mich in der Schilderung, die der Professor von schismatischen Katern
gemacht, wiedererkennen mußte, so konnte ich mir freilich die
erbärmliche Figur, in der ich erschien, wohl denken. Verglich ich nun
eben meine erbärmliche Figur mit der meines Freundes Ponto, der in
seinem stattlichen, glänzenden, schön gekräuselten Pelz in der Tat ganz
hübsch anzusehen, so erfüllte mich tiefe Scham, und ich kroch still und
betrübt in den Winkel.

Ist das, rief der Professor, der gescheute, sittige Kater Murr? der
elegante Schriftsteller, der geistreiche Dichter, der Sonette schreibt
und Glossen? -- Nein, das ist ein ganz gemeiner Katz, der sich in Küchen
auf den Herden herumtreibt und sich auf sonst weiter nichts versteht,
als Mäuse zu fangen in Kellern und auf Böden! -- Hoho! sag' mir doch,
mein sittiges Vieh, ob du bald zu promovieren verlangst oder gar das
Katheder zu besteigen als Professor der Ästhetik? -- In der Tat, ein
netter Doktorhabit, in den du dich geworfen! --

So ging es fort in verhöhnenden Redensarten; was konnt' ich tun, als,
wie es bei derlei Fällen, nämlich: wenn ich ausgehunzt wurde, meine
Sitte war, die Ohren dicht ankneifen an den Kopf.

Beide, der Professor und der Meister, schlugen zuletzt eine helle Lache
auf, die mir das Herz durchbohrte. Beinahe noch empfindlicher war mir
aber Ponto's Betragen. Nicht allein, daß er durch Mienen und Gebärden
den Hohn seines Herrn teilte, so bewies er auch durch allerlei
Seitensprünge offenbar seine Scheu sich mir zu nahen, wahrscheinlich
fürchtete er seinen schönen, reinen Pelz zu beschmutzen. Es ist nichts
Geringes für einen Kater, der sich solcher Vortrefflichkeit bewußt ist,
als ich, von einem stutzerhaften Pudel dergleichen Verachtung dulden zu
müssen.

Der Professor geriet nun mit dem Meister in ein weitläuftiges Gespräch,
das sich nicht auf mich und auf mein Geschlecht zu beziehen schien und
von dem ich eigentlich wenig verstand. Doch so viel vernahm ich wohl,
daß davon die Rede war, ob es besser sei, dem oftmals wirren,
ungezügelten Treiben exaltierter Jugend mit offner Gewalt
entgegenzutreten, oder es nur einzugrenzen auf geschickte, unbemerkbare
Weise und Raum zu geben der eignen Erkenntnis, in der sich jenes Treiben
alsbald selbst vernichtet. Der Professor war für die offene Gewalt, da
die Gestaltung der Dinge zum äußern Wohl es fordere, daß jeder Mensch,
alles Widerstrebens unerachtet, so zeitig als möglich in die Form
gepreßt werde, wie sie durch das Verhältnis aller einzelnen Teile zum
Ganzen bedingt werde, da sonst sogleich eine verderbliche Monstruosität
entstehe, die allerlei Unheil verursachen könne. -- Der Professor
sprach dabei etwas von Pereatbringen und Fenstereinwerfen, welches
ich aber durchaus nicht verstand. -- Der Meister meinte dagegen,
daß es mit jugendlichen, exaltierten Gemütern so gehe, wie mit
Partiell-Wahnsinnigen, die der offne Widerstand immer wahnsinniger
mache, wogegen die selbst errungene Erkenntnis des Irrtums radikal heile
und nie einen Rückfall befürchten lasse.

Nun, rief der Professor endlich, indem er aufstand und Stock und Hut
ergriff, nun, Meister, was die offne Gewalt gegen exaltiertes Treiben
betrifft, so werdet Ihr mir doch insofern recht geben, daß sie da
schonungslos eintreten muß, wenn jenes Treiben verstörend hineingreift
in das Leben und so ist es nun, wieder auf Euern Kater Murr
zurückzukommen, denn doch recht gut, daß, wie ich höre, tüchtige Spitze
die verwünschten Kater auseinander getrieben haben, die so bestialisch
sangen und dabei wunder sich große Virtuosen dünken.

Wie man es nimmt, erwiderte der Meister, hätte man sie singen lassen,
vielleicht wären sie das geworden, was sie sich irrtümlicherweise schon
zu sein dünkten, nämlich: in der Tat gute Virtuosen, statt daß sie jetzt
vielleicht an der wahren Virtuosität zweifeln ganz und gar.

Der Professor empfahl sich, Ponto sprang hinterdrein, ohne mich einmal,
wie er doch sonst mit vieler Freundschaft getan, eines Abschiedsgrußes
zu würdigen.

Ich bin selbst bisher unzufrieden gewesen mit deinem Betragen, Murr,
wandte sich nun der Meister zu mir, und es ist Zeit, daß du einmal
wieder ordentlich und vernünftig wirst, damit du wieder zu besserm Ruf
gelangest, als in dem du jetzt zu stehen scheinst. Wäre es möglich, daß
du mich ganz verstündest, so würde ich dir raten, immer still,
freundlich zu sein, und alles, was du beginnen magst, ohne alles
Geräusch zu vollbringen, denn auf diese Weise erhält man sich den guten
Ruf am besten. -- Ja, ich würde dir als Beispiel zwei Leute zeigen, von
denen der eine jeden Tag still für sich allein im Winkel sitzt, und so
lange eine Flasche Wein nach der andern trinkt, bis er in völlig
trunknen Zustand gerät, den er aber vermöge langer praktischer Übung so
gut zu verbergen weiß, daß ihn niemand ahnet. Der andere trinkt dagegen
nur dann und wann in Gesellschaft fröhlicher, gemütlicher Freunde ein
Glas Wein; das Getränk macht ihm Herz und Zunge frei, er spricht, indem
seine Laune steigt, viel und eifrig, doch ohne Sitte und Anstand zu
verletzen, und eben ihn nennt die Welt einen leidenschaftlichen
Weintrinker, während jener geheime Trunkenbold für einen stillen,
mäßigen Mann gilt. Ach, mein guter Kater Murr! Kenntest du den Lauf der
Welt, so würdest du einsehen, daß ein Philister, der stets die
Fühlhörner einzieht, es am besten hat. Aber wie kannst du wissen, was
ein Philister ist, unerachtet es wohl in deinem Geschlecht auch
dergleichen genug geben mag.

Bei diesen Worten des Meisters konnte ich mich im Bewußtsein der
vortrefflichen Katerkenntnis, die ich mir durch des wackern Muzius
Belehrungen sowohl, als durch eigne Erfahrung erworben, eines lauten,
freudigen Prustens und Knurrens nicht erwehren.

Ei Murr, mein Kater! rief der Meister laut lachend, ich glaube gar, du
verstehst mich, und der Professor hat recht, der in dir einen besonderen
Verstand entdeckt haben will, und dich gar fürchtet, als seinen
ästhetischen Nebenbuhler?

Zur Bestätigung, daß dem wirklich so sei, gab ich ein sehr klares,
wohltönendes Miau von mir und sprang ohne weiteres dem Meister auf den
Schoß. Nicht bedacht hatte ich indessen, daß der Meister gerade seinen
Staatsschlafrock von gelbem, großgeblümtem, seidenem Zeuge angezogen,
den ich notwendigerweise beschmutzen mußte. Mit einem zornigen: Will Er
wohl! schleuderte der Meister mich so heftig von sich, daß ich
überpurzelte, und ganz erschrocken die Ohren ankneifend, die Augen
zudrückend, niederduckte auf den Fußboden. Gepriesen sei aber die
Gutmütigkeit meines guten Meisters! Nun, sprach er freundlich, nun, nun,
Murr, mein Kater! so böse war es nicht gemeint! -- Ich weiß es, deine
Absicht war gut, du wolltest mir deine Zuneigung beweisen, aber das
tatst du auf täppische Weise, und geschieht dieses, so fragt man
freilich den Henker was nach der Absicht! -- Nun, komm nur her, kleiner
Äscherling, ich muß dich putzen, damit du wieder aussiehst, wie ein
honetter Kater! --

Damit warf der Meister den Schlafrock ab, nahm mich in die Arme und ließ
es sich nicht verdrießen, mir mit einer weichen Bürste den Pelz rein zu
bürsten und dann die Haare mit einem kleinen Kamm glänzend zu kämmen.

Als die Toilette geendet und ich bei dem Spiegel vorüberspazierte,
erstaunte ich selbst, wie ich so plötzlich ein ganz anderer Kater
worden. Ich konnt' es gar nicht unterlassen, mich selbst behaglich
anzuschnurren, so schön kam ich mir vor und nicht leugnen mag ich, daß
in dem Augenblick sich große Zweifel gegen die Anständigkeit und
Nützlichkeit des Burschenklubs in mir regten. Daß ich in den Ofen
gekrochen, schien mir ein wahrer Barbarismus, den ich nur einer Art
Verwilderung zuschreiben konnte, und nicht einmal nötig war daher die
Warnung des Meisters, der mir zurief: Daß Er mir nur nicht wieder in den
Ofen kriecht!

In der folgenden Nacht war es mir, als vernehme ich an der Türe ein
leises Kratzen und ein furchtsames Miau! das mir sehr bekannt vorkam.
Ich schlich heran und fragte, wer da sei? -- Da erwiderte (ich erkannte
ihn sogleich an der Stimme) der wackere Senior Puff: Ich bin es, trauter
Bruder Murr, und habe dir eine höchst betrübte Nachricht zu bringen! -- O
Himmel, was --

=(Mak.-Bl.)= -- großes Unrecht getan, meine liebe süße Freundin. -- Nein!
mehr bist du mir als das, meine treue Schwester! Ich habe dich nicht
genug geliebt, dir nicht genug vertraut. Erst jetzt öffnet sich dir
meine ganze Brust, erst jetzt, da ich weiß --

Die Prinzessin stockte, ein Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen, aufs
neue drückte sie Julien zärtlich an ihr Herz.

Hedwiga, sprach Julie sanft, hast Du mich denn nicht sonst mit ganzer
Seele geliebt, trugst Du denn jemals Geheimnisse in Dir, die Du mir
nicht vertrauen wolltest? -- Was weißt Du, was hast Du erst jetzt
erfahren! Doch nein, nein! kein Wort weiter, bis diese Pulse wieder
ruhig schlagen, bis diese Augen nicht mehr so düster glühen. --

Ich weiß nicht was Ihr alle wollt, erwiderte die Prinzessin plötzlich
zur Empfindlichkeit gereizt. Krank soll ich noch sein und nie fühlte ich
mich kräftiger, gesünder. Der seltsame Zufall, der mich traf, hat Euch
erschreckt, und doch mag es sein, daß solche elektrische Schläge, die
den ganzen Organismus des Lebens in's Stocken bringen, mir gerade nötig
und nützlicher sind, als alle Mittel, die eine blöde, dürftige Kunst in
unglückseliger Selbsttäuschung darbietet. -- Wie er mir fatal ist,
dieser Leibarzt, der die menschliche Natur zu handhaben vermeint wie ein
Uhrwerk, das man abstäuben, aufziehen muß. -- Grauenhaft ist er mir mit
seinen Tropfen, mit seinen Essenzen. -- Von diesen Dingen soll mein Wohl
abhängig sein? -- So wäre ja das Leben hienieden eine entsetzliche
Neckerei des Weltgeistes. --

Und eben diese Überspannung ist der Beweis, unterbrach Julie die
Prinzessin, daß Du noch krank bist, meine Hedwiga, und Dich viel mehr
schonen solltest, als Du es wirklich tust.

Auch Du willst mir weh tun! So rief die Prinzessin, sprang hastig auf
und eilte ans Fenster, das sie öffnete und hinaus schaute in den Park.
Julia folgte ihr nach, umschlang sie mit einem Arm, und bat mit der
zärtlichsten Wehmut, daß sie doch wenigstens den rauhen Herbstwind
scheuen und sich =die= Ruhe gönnen möge, die der Leibarzt für so heilsam
geachtet. Die Prinzessin erwiderte indessen, daß sie sich gerade durch
den kalten Luftzug, der zum Fenster hereinströme, erquickt und gestärkt
fühle.

Recht aus dem innigsten Gemüt heraus sprach nun Julia von der
letztvergangenen Zeit, in der ein finster, bedrohlicher Geist gewaltet,
und wie sie alle innere Kraft aufbieten müssen, um nicht verstört zu
werden von so mancher Erscheinung, die ihr ein Gefühl erregt, dem sie
kein anderes gleichstellen könne, als die wahre, tötende
Gespensterfurcht. Dahin rechnete sie vorzüglich den geheimnisvollen
Zwiespalt, der sich zwischen dem Prinzen Hektor und Kreisler erhoben,
und der das Entsetzlichste ahnen lassen, denn nur zu gewiß sei es, daß
der arme Johannes fallen sollen von der Hand des rachsüchtigen
Italieners, und nur, wie Meister Abraham versichere, durch ein Wunder
gerettet worden.

Und dieser furchtbare Mann, so sprach Julia, er sollte Dein Gemahl
werden? -- Nein, -- nimmermehr! Dank der ewigen Macht! Du bist gerettet!
Niemals kehrt er zurück. Nicht wahr, Hedwiga? Niemals!

Niemals, erwiderte die Prinzessin mit dumpfer, kaum vernehmbarer Stimme.
Dann seufzte sie auf aus tiefer Brust und sprach leise weiter wie im
Traume: Ja dieses reine Himmelsfeuer soll nur leuchten und wärmen, ohne
mit verderblichen Flammen zu vernichten und aus der Seele des Künstlers
leuchtet die zum Leben gestaltete Ahnung -- sie selbst -- seine Liebe
hervor! So sprachst Du hier an dieser Stelle. --

Wer sprach so? rief Julia ganz bestürzt. -- An wen dachtest Du, Hedwiga?

Die Prinzessin fuhr mit der Hand über die Stirne, als müsse sie sich
besinnen auf die Gegenwart, der sie entrückt. Dann wankte sie von Julien
unterstützt, zum Sofa, auf dem sie sich ganz erschöpft niederließ.
Julia, um die Prinzessin besorgt, wollte die Kammerfrauen herbeirufen,
Hedwiga zog sie aber sanft nieder auf den Sofa, indem sie leise
lispelte: Nein, Mädchen! -- Du, Du allein sollst bei mir bleiben, glaube
ja nicht, daß mich etwa Krankheit erfaßt. -- Nein, es war der Gedanke der
höchsten Seligkeit, der zu mächtig wurde, der diese Brust sprengen
wollte, und dessen Himmelsentzücken sich gestaltete wie tötender
Schmerz. Bleibe bei mir, Mädchen, Du weißt es selbst nicht, welch einen
wunderbaren Zauber Du über mich zu üben vermagst! -- Laß mich schauen in
Deine Seele, wie in einen klaren, reinen Spiegel, damit ich mich selbst
nur wiedererkenne! -- Julia! oft ist es mir, als käme die Begeisterung
des Himmels über Dich, und die Worte, die wie Liebeshauch über Deine
süßen Lippen strömten, wären trostreiche Prophezeiung. Julia! -- Mädchen,
bleibe bei mir, verlasse mich nie -- nie!

Damit sank die Prinzessin, indem sie Julias Hände festhielt, mit
geschlossenen Augen zurück in den Sofa.

Wohl war Julia an Augenblicke gewöhnt, in denen Hedwiga geistig
krankhafter Überspannung erlag, doch fremd, ganz fremd und rätselhaft
war ihr der Paroxysmus, wie er sich eben jetzt zeigte. Sonst war es eine
leidenschaftliche Verbitterung, die, erzeugt von dem Mißverhältnis des
innern Gefühls mit der Gestaltung des Lebens, beinahe bis zum Gehässigen
sich steigernd, Julias kindliches Gemüt verletzte. Jetzt schien Hedwiga,
wie sonst niemals, ganz aufgelöst im Schmerz und namenloser Wehmut, und
dieser trostlose Zustand rührte Julien in eben dem Grade, als ihre Angst
stieg um die geliebte Freundin.

Hedwiga, rief sie, meine Hedwiga, ich verlasse Dich ja nicht, kein
treueres Herz neigt sich zu Dir, als das meinige, aber sprich, o sprich
doch nur, vertraue mir doch nur, welch eine Qual Dein Inneres zerreißt?
-- Mit Dir will ich klagen, mit Dir will ich weinen!

Da verbreitete sich ein seltsames Lächeln auf Hedwigas Antlitz, ein
sanftes Rot schimmerte auf den Wangen, und ohne die Augen zu öffnen,
lispelte sie leise: Nicht wahr, Julia, Du bist nicht in Liebe?

Seltsam fühlte sich Julia von dieser Frage der Prinzessin getroffen, als
durchbebe sie ein jäher Schreck.

In welches Mädchens Brust regen sich nicht Ahnungen einer Leidenschaft,
die das Hauptbedingnis scheint seiner Existenz, denn nur das liebende
Weib ist dies ganz. Doch ein reiner, kindlicher, frommer Sinn läßt diese
Ahnungen ruhen, ohne weiter zu forschen, ohne im lüsternen Vorwitz das
süße Geheimnis enthüllen zu wollen, das nur in =dem= Moment aufgeht, den
eine dunkle Sehnsucht verheißen. So war es mit Julia, die plötzlich
ausgesprochen hörte, was sie zu denken nicht gewagt und geängstigt, als
zeihe man sie einer Sünde, der sie selbst nicht klar sich bewußt, ihr
eignes Innere ganz zu durchschauen sich mühte.

Julia, wiederholte die Prinzessin, Du liebst nicht? -- sage es mir!
-- sei aufrichtig!

Wie sonderbar, erwiderte Julia, wie seltsam Du mich frägst, was kann,
was soll ich Dir antworten.

Sprich, o sprich, flehte die Prinzessin! -- Da ward es sonnenhell in
Julias Seele und sie fand Worte, das auszusprechen, was sie deutlich
erblickte in ihrem eignen Innern.

Was geht vor in Deinem Gemüt, Hedwiga, indem du mich so frägst? so
begann Julia sehr ernst und gefaßt. Was ist Dir die Liebe, von der Du
sprichst? Nicht wahr, man soll sich hingezogen fühlen zu dem Geliebten,
mit solcher unwiderstehlichen Macht, daß man nur ist, nur lebt in dem
Gedanken an ihn, daß man sein ganzes Ich aufgibt um ihn, daß er allein
uns alles Sehnen, alles Hoffen, alles Verlangen, die ganze Welt dünkt?
Und diese Leidenschaft soll die höchste Stufe der Seligkeit gewähren?
-- Mich schwindelts vor dieser Höhe, denn dem Blick hinab gähnt der
bodenlose Abgrund, mit allen Schrecknissen des rettungslosen Verderbens,
entgegen. Nein, Hedwiga, diese Liebe, die ebenso entsetzlich ist, als
sündhaft, hat dies Gemüt nicht erfaßt, und fest will ich halten an dem
Glauben, daß es ewig rein, ewig davon frei bleiben wird. Doch wohl mag
es sich begeben, daß ein Mann vor allen übrigen in uns die höchste
Achtung, ja, bei der männlich eminenten Kraft seines Geistes wahre
Bewunderung erregt. Doch noch mehr als das, wir fühlen uns in seiner
Nähe von einem gewissen, gemütlichen Wohlbehagen geheimnisvoll
durchströmt, erhoben über uns selbst, es scheint, als wenn unser Geist
dann erst recht erwache, als wenn uns das Leben dann erst recht leuchte,
und so sind wir froh, wenn er kommt, und traurig, wenn er geht. -- Nennst
Du dieses Liebe? -- Nun warum sollte ich es Dir nicht gestehen, daß
unser verlorner Kreisler mir dies Gefühl erweckt hat, und daß ich ihn
schmerzhaft vermisse.

Julia, rief die Prinzessin plötzlich auffahrend und Julien mit glühendem
Blick durchbohrend, kannst Du ihn Dir denken in den Armen einer andern,
ohne zu vergehn in namenloser Qual?

Hoch errötete Julia, und mit einem Ton, der erkennen ließ, wie sehr sie
sich verletzt fühlte, erwiderte sie: Nie habe ich =ihn= mir gedacht in
meinen Armen! --

Ha! -- Du liebst ihn nicht -- Du liebst ihn nicht! -- so schrie die
Prinzessin gellend auf, und sank dann wieder zurück in dem Sofa!

O, sprach Julia, o daß er wiederkehrte! -- Rein und schuldlos ist das
Gefühl, das ich für den teuern Mann hege in dieser Brust, und sehe ich
ihn niemals wieder, so wird der Gedanke an ihn, den Unvergeßlichen, in
mein Leben hineinleuchten, wie ein schöner, heller Stern. -- Doch gewiß,
er kehrt zurück! -- Denn wie kann --

Niemals, unterbrach die Prinzessin Julien mit schroffem, schneidendem
Ton, kann, darf er wiederkehren, denn wie man vernimmt, befindet er sich
in der Abtei Kanzheim und wird, sich der Welt entziehend, in den Orden
des heiligen Benedikt treten.

Julien kamen die hellen Tränen in die Augen, sie stand schweigend auf
und begab sich an das Fenster.

Deine Mutter hat recht, ganz recht, fuhr die Prinzessin fort. Wohl uns,
daß er fort ist, dieser Wahnsinnige, der sich wie ein böser Geist
eindrängte in unseres Herzens Rat, der uns in unserm eignen Innern zu
zerreißen wußte. -- Und die Musik war das Zaubermittel, mit dem er uns
umstrickte. -- Nie mag ich ihn wiedersehen. --

Dolchstiche waren für Julien die Worte der Prinzessin, sie griff nach
Hut und Shawl.

Du willst mich verlassen, meine süße Freundin? rief die Prinzessin.
-- Bleibe -- bleibe -- tröste mich, wenn Du kannst! -- Unheimliches
Grauen geht durch diese Säle, durch den Park! denn wisse -- Damit führte
Hedwiga Julien an das Fenster, zeigte nach dem Pavillon hin, in dem der
Adjudant des Prinzen Hektor gewohnt hatte, und begann mit dumpfer
Stimme: Schau dort hin, Julia, jene Mauern verbergen ein bedrohliches
Geheimnis; der Kastellan, die Gärtner, beteuern, daß seit der Abreise
des Prinzen niemand dort wohne, daß die Türe fest verschlossen, und doch
-- O schau nur hin -- schau nur hin! -- Siehst Du es nicht am Fenster?

In der Tat gewahrte Julia an dem Fenster, das in dem Giebel des
Pavillons angebracht war, eine dunkle Gestalt, die in demselben
Augenblicke wieder schnell verschwand.

Hier dürfe, meinte Julia, indem sie fühlte, wie Hedwiga's Hand
krampfhaft in der ihrigen bebte, von einem bedrohlichen Geheimnis, oder
gar von etwas Gespenstischem durchaus nicht die Rede sein, da es nur zu
leicht möglich, daß irgend jemand von der Dienerschaft den leeren
Pavillon unbefugter Weise benutze. Der Pavillon könne ja augenblicklich
durchsucht und so auf der Stelle aufgeklärt werden, was es mit der
Gestalt, die sich am Fenster blicken lasse, für eine Bewandtnis habe,
die Prinzessin versicherte aber dagegen, daß der alte, treue Kastellan
dies längst auf ihren Wunsch getan und beteuert, daß er in dem ganzen
Pavillon auch nicht die Spur eines menschlichen Wesens gefunden.

Laß es dir erzählen, sprach die Prinzessin, was sich vor drei Nächten
begab! -- Du weißt, daß mich oft der Schlaf flieht, und daß ich dann
aufzustehen, und so lange durch die Zimmer zu wandeln pflege, bis mich
eine Müdigkeit überfällt, der ich mich überlasse, und es wirklich zum
Einschlafen bringe. So geschah es, daß mich vor drei Nächten
Schlaflosigkeit in dies Zimmer trieb. Plötzlich zitterte der Widerschein
eines Lichts an der Wand vorüber, ich schaute durch das Fenster, und
gewahrte vier Männer, von denen einer eine Blendlaterne trug, und die in
der Gegend des Pavillons verschwanden, ohne daß ich bemerken konnte, ob
sie wirklich hineingingen in den Pavillon. Nicht lange dauerte es aber,
so wurde eben jenes Fenster hell und Schatten huschten inwendig hin und
her. Dann wurde es wieder finster, aber durch das Gebüsch strahlte nun
bald ein blendender Schimmer, der aus der Türe des geöffneten Pavillons
kommen mußte. Immer mehr näherte sich der Schein, bis endlich aus dem
Gebüsch ein Benediktiner-Mönch heraustrat, der in der linken Hand eine
Fackel, in der rechten aber ein Kruzifix trug. Ihm folgten vier Männer,
eine mit schwarzen Tüchern behängte Bahre auf den Schultern. Nur einige
Schritte waren sie gezogen, als ihnen eine in einen weiten Mantel
eingehüllte Gestalt entgegentrat. Sie standen still, setzten die Bahre
nieder, die Gestalt zog die Tücher weg, und ein Leichnam wurde sichtbar.
Mir wollten die Sinne vergehn, kaum gewahrte ich noch, daß die Männer
die Bahre aufhoben und dem Mönche nacheilten auf dem breiten Seitenwege,
der bald zum Park hinausführt auf die Straße nach der Abtei Kanzheim.
Seit dieser Zeit läßt sich jene Gestalt am Fenster sehen, und vielleicht
ist es der Spuk eines Ermordeten, der mich ängstigt.

Julia war geneigt, den ganzen Vorgang, wie ihn Hedwiga erzählte, für
einen Traum, oder, stand sie in der Tat wach am Fenster, für das
täuschende Spiel der aufgeregten Sinne zu halten. Wer sollte, wer konnte
der Tote sein, den man unter solchen geheimnisvollen Umständen aus dem
Pavillon forttrug, da niemand vermißt worden, und wer mochte daran
glauben, daß dieser unbekannte Tote noch spuken solle in der Behausung,
aus der man ihn fortgebracht? Julia äußerte dieses alles der Prinzessin
und fügte noch hinzu, daß jene Erscheinung am Fenster auch wohl auf
optischer Illusion beruhen, auch wohl gar ein Scherz des alten Magikers,
Meister Abraham sein könne, der ja oft sein Wesen treibe mit solchem
Spiel und vielleicht dem leeren Pavillon einen gespenstischen Einsassen
gegeben habe.

Wie, sprach die Prinzessin, die ihre ganze Fassung wiedergewonnen, sanft
lächelnd, wie man doch gleich mit der Erklärung bei der Hand ist,
geschieht das Wunderbare, Übernatürliche! -- Was den Toten betrifft, so
vergissest Du das, was sich in dem Park begab, ehe Kreisler uns verließ.
-- Um Gott, rief Julia, sollte denn wirklich eine gräßliche Tat begangen
sein? -- Wer? -- von wem? --

Du weißt ja, Mädchen, daß Kreisler lebt, fuhr Hedwiga fort. Aber auch
er lebt, der in Liebe ist zu Dir -- Sieh mich nicht so erschrocken an!
-- Solltest Du das nicht längst ahnen, was ich Dir sagen muß, damit Dir
es klar werde, was, länger verborgen, Dich verderben könnte? -- Prinz
Hektor liebt =Dich, Dich= Julia, mit all der wilden Leidenschaft, die
seiner Nation eigen. Ich war, ich bin seine Braut, Du aber, Julia, bist
seine Geliebte. Die letzten Worte betonte die Prinzessin auf eine eigne
scharfe Weise, ohne übrigens jenen besonderen Accent hineinzulegen, der
dem Gefühl innerer Kränkung eigen.

O ewige Macht, rief Julia heftig, indem ihr die Tränen aus den Augen
stürzten, Hedwiga, willst Du denn meine Brust zerreißen? -- Welcher
finstre Geist spricht aus Dir! -- Nein, nein, gern will ich es leiden,
daß Du aller bösen Träume halber, die Dich verstörten, an mir Ärmsten
Rache nimmst, aber nie werde ich an die Wahrheit dieser bedrohlichen
Phantome glauben! -- Hedwiga! -- besinne Dich doch nur, Du bist ja nicht
mehr die Braut des entsetzlichen Mannes, der uns erschien, wie das
Verderben selbst! Nie kehrt er zurück, niemals wirst Du sein!

Doch, erwiderte die Prinzessin, doch! -- Fasse Dich nur, Mädchen! -- Nur
dann, wenn die Kirche mich mit dem Prinzen verbunden, löst sich
vielleicht das ungeheure Mißverständnis des Lebens, das mich elend
macht! -- Dich rettet des Himmels wunderbare Fügung. -- Wir trennen uns,
ich folge dem Gemahl, Du bleibst! -- Die Prinzessin verstummte vor
innerer Bewegung, auch Julia war keines Wortes mächtig, beide fielen
sich schweigend, in Tränen zerfließend, an die Brust!

Man meldete, daß der Tee serviert sei. Julia war aufgeregter, als es ihr
besonnenes, ruhiges Gemüt zuzulassen schien. Es war ihr unmöglich, in
der Gesellschaft zu bleiben, und die Mutter erlaubte ihr gern, nach
Hause zu gehen, da die Prinzessin sich ebenfalls nach Ruhe sehnte.

Fräulein Nannette versicherte auf Befragen der Fürstin, daß die
Prinzessin den Nachmittag und Abend sich sehr wohl befunden, indessen
mit Julien durchaus allein sein wollen. So viel sie im Nebenzimmer
beobachten können, hätten beide, die Prinzessin und Julia sich allerlei
Geschichten erzählt, auch Komödie gespielt und bald gelacht und bald
geweint.

Die lieben Mädchen, sprach der Hofmarschall leise. Die aimable
Prinzessin, das liebe Mädchen! verbesserte der Fürst, indem er den
Hofmarschall mit großen Augen anblitzte. Dieser wollte in der Bestürzung
über den entsetzlichen Fehlgriff ein ziemliches Stücklein Zwieback, das
er sattsam in Tee getränkt, auf einmal hinunterschlucken. Das blieb ihm
aber in der Kehle stecken, und er brach aus in ein fürchterliches
Husten, so daß er schnell den Saal verlassen mußte, und nur dadurch
gerettet werden konnte vom schnöden Erstickungstode, daß der Hoffurier
im Vorsaal mit geübter Faust ein wohlgesetztes Paukensolo ausführte auf
seinem Rücken.

Nach zwei Unschicklichkeiten, deren er sich schuldig gemacht, fürchtete
indessen der Hofmarschall noch die dritte zu begehen, er wagte es daher
nicht, zurückzukehren in den Saal, sondern ließ sich bei dem Fürsten mit
plötzlich ihm angewandelter Krankheit entschuldigen.

Durch des Hofmarschalls Abwesenheit wurde aber die Whistpartie
zerrissen, wie sie der Fürst gewöhnlich zu spielen pflegte.

Als nun die Spieltische geordnet, war alles in gespannter Erwartung, was
der Fürst in diesem kritischen Fall tun werde. Der tat aber nichts, als
daß er, da auf seinen Wink die übrigen sich zum Spiel gesetzt hatten,
die Hand der Rätin Benzon faßte, sie zum Kanapee führte, und Platz
nehmen hieß, indem er selbst sich ihr zur Seite hinsetzte.

Unlieb wäre es mir doch gewesen, wenn der Hofmarschall erstickt wäre am
Zwieback, sprach er dann sanft und leise, wie immer zur Benzon. Doch
schien er Abwesenheiten des Geistes zu haben, wie ich es schon oftmals
bemerkt, daß er die Prinzessin Hedwiga ein Mädchen nannte, und würde
daher im Whist miserabel gewesen sein. -- Überhaupt, liebe Benzon, ist
es mir heute recht erwünscht und angenehm, statt des Spiels mit Ihnen
hier in der Einsamkeit einige Worte vertraulich zu wechseln, wie sonst.
Ach -- wie sonst! Nun Sie kennen mein Attachement für Sie, geliebte
Frau! Nie kann es aufhören, ein fürstliches Herz ist jedesmal ein
treues, sobald nicht unabwendbare Verhältnisse ein anderes gebieten.

Bei diesen Worten küßte der Fürst der Benzon viel zärtlicher die Hand,
als es Stand, Alter und Umgebung zu erlauben schienen. Die Benzon
versicherte mit vor Freude funkelnden Augen, daß sie längst den Moment
ersehnt, mit dem Fürsten vertraulich zu reden, da sie ihm so manches
mitzuteilen habe, was ihm nicht unangenehm sein werde.

Erfahren Sie, gnädigster Herr, sprach die Benzon, daß der
Geheime-Legationsrat auf's Neue geschrieben, daß unsere Angelegenheiten
plötzlich eine günstigere Wendung genommen, daß --

Still, beste Frau, unterbrach sie der Fürst, nichts von
Regierungsgeschäften! Auch der Fürst trägt Schlafröcke, und setzt eine
Nachtmütze auf, wenn er beinahe erdrückt von der Last des Regierens,
sich zur Ruhe begibt, wovon freilich Friedrich der Große, König von
Preußen eine Ausnahme machte, der, wie es Ihnen als einer belesenen Frau
bekannt sein wird, auch im Bette einen Filzhut aufsetzte. Nun, ich
meine, daß auch der Fürst immer zu viel von dem in sich trägt, was
-- nun! was eben, wie die Leute sagen, das sogenannte bürgerliche
Verhältnis, Ehe, Vaterfreuden usw. begründet, um sich diesen Gefühlen
ganz zu entschlagen, und es ist mindestens pardonabel, wenn er sich
ihnen überläßt in Augenblicken, da der Staat, die Vorsorge für den
gehörigen Anstand am Hofe und im Lande nicht sein ganzes Selbst in
Anspruch nimmt, -- Gute Benzon! solche Augenblicke sind die jetzigen;
fertig liegen sieben Unterschriften in meinem Kabinett, und nun lassen
Sie mich den Fürsten ganz vergessen, lassen Sie mich hier beim Tee ganz
Hausvater sein -- der deutsche Hausvater vom Freiherrn von Gemmingen!
Lassen Sie mich von meinen -- ja, von meinen Kindern reden, die mir
solchen Kummer verursachen, daß ich oft in eine ganz unschickliche
Gemütsunruhe verfalle. Von Ihren Kindern soll die Rede sein, gnädigster
Herr? sprach die Benzon mit spitzem Tone. Das heißt also, von dem
Prinzen Ignaz und von der Prinzessin Hedwiga! -- Sprechen Sie,
gnädigster Herr, sprechen Sie, vielleicht kann ich Rat und Trost geben,
wie Meister Abraham. -- Ja, sprach der Fürst weiter, ja Rat und Trost,
der möchte mir manchmal von nöten sein. -- Sehn Sie, gute Benzon, was
zuerst den Prinzen betrifft, so bedurfte er freilich nicht besonderer
Geistesgaben, die die Natur denjenigen zuzuteilen pflegt, die sonst
ihres Standes halber obskur und fühllos bleiben würden, aber etwas mehr
esprit wäre ihm doch zu wünschen, er ist und bleibt ein -- _Simple!_
-- Sehn Sie nur, da sitzt er und baumelt mit den Füßen und spielt eine
falsche Karte aus nach der andern, und kichert und lacht wie ein Knabe
von sieben Jahren! -- Benzon! _entre nous soit dit,_ nicht die Kunst des
Schreibens, insofern sie ihm nötig, ist ihm beizubringen; sein
fürstlicher Name sieht aus wie eine Eulenkralle. Ewige Barmherzigkeit,
was soll daraus werden? Neulich wurde ich in meinen Geschäften gestört
durch abscheuliches Gebelle vor meinem Fenster, ich schaue heraus, um
den unangenehmen Spitz fortjagen zu lassen, und was muß ich erblicken!
Sollten Sie es glauben, gute Frau! Es ist der Prinz, der wie wahnsinnig
laut bellend hinter dem Gärtnerburschen herspringt. -- Sie spielen
mitsammen Hase und Hund! -- Ist wohl nur einiger Verstand darin, sind das
fürstliche Passionen? -- Kann der Prinz wohl jemals zu der geringsten
Selbständigkeit kommen?

Darum ist es nötig, erwiderte die Benzon, daß der Prinz alsbald
vermählt werde, und eine Gemahlin erhalte, deren Anmut, deren Liebreiz,
deren klarer Verstand seine schlafenden Sinne weckt und die gutmütig
genug ist, sich ganz zu ihm hinabzuneigen, um ihn dann allmählich zu
sich heraufzuziehen. Diese Eigenschaften sind dem weiblichen Wesen, das
dem Prinzen angehören soll, unerläßlich, um ihn aus einem Seelenzustande
zu retten, der, mit Schmerz spreche ich es aus, gnädigster Herr! zuletzt
in wirklichen Wahnsinn ausarten kann. Eben daher dürfen auch nur diese
seltenen Eigenschaften entscheiden, und der Stand nicht in allzustrengen
Betracht kommen.

Niemals gab es Mesalliancen in unserm Hause, sprach der Fürst, indem er
die Stirn runzelte, lassen Sie ab von einem Gedanken, den ich nicht
billigen kann. Immer war und bin ich noch bereit, sonst Ihre Wünsche zu
erfüllen! --

Daß ich nicht wüßte, gnädigster Herr! erwiderte die Benzon mit scharfem
Ton. -- Wie oft mußten gerechte Wünsche schweigen chimärischer
Rücksichten halber! Aber es gibt Ansprüche, die aller Verhältnisse
spotten. --

_Laissons cela,_ unterbrach der Fürst die Benzon, indem er sich
ausräusperte und Tabak nahm. Nach einigen Augenblicken des
Stillschweigens fuhr er fort: Noch mehr Kummer als der Prinz, macht mir
die Prinzessin. Sagen Sie, Benzon, wie war es möglich, daß uns eine
Tochter von dieser seltsamen Gemütsart, noch mehr von dieser
absonderlichen Krankhaftigkeit, die selbst den Leibarzt in Verlegenheit
setzt, geboren werden konnte? Hat sich die Fürstin nicht immer einer
blühenden Gesundheit erfreut, hat sie zu mystischen Nervenzufällen
inkliniert? Bin ich selbst nicht, was Leib und Seele betrifft, ein
robuster Fürst gewesen? Wie kommen wir zu dem Kinde, das, gestehen muß
ich es zu meinem bittern Leidwesen, mir oft -- ganz verrückt erscheint,
alles fürstlichen Anstandes los und ledig? -- Auch mir ist der
Organismus der Prinzessin unbegreiflich, erwiderte die Benzon. -- Die
Mutter ist sich immer klar, verständig, von jeder zu heftigen,
verderblichen Leidenschaftlichkeit frei gewesen. -- Die letzten Worte
sprach die Benzon dumpf und leise vor sich hin, indem sie den Blick
niedersenkte. Sie meinen die Fürstin, fragte der Fürst mit Accent, da es
ihm nicht anständig schien, daß dem Worte: Mutter, nicht das Prädikat:
Fürstin hinzugefügt war.

Wen sonst sollte ich meinen, erwiderte die Benzon gespannt.

Hat mich nicht der letzte fatale Zufall der Prinzessin um den Erfolg
meiner Bemühungen, und die Freude ihrer baldigen Vermählung, meinen
Wünschen gemäß, gebracht? sprach der Fürst weiter. -- Denn, gute Benzon,
_entre nous soit dit,_ der Prinzessin plötzliche Katalepsie, die ich bloß
einer starken Erkältung zuschreibe, war wohl lediglich schuld an der
plötzlichen Abreise des Prinzen Hektor. -- Er will abbrechen und -- _juste
ciel!_ selbst muß ich es gestehen, ich kann es ihm nicht ganz verdenken,
so daß, verböte nicht ohnehin der Anstand jede weitere Annäherung, schon
dieses mich, den Fürsten, abhalten müßte, jetzt noch Schritte zu tun zur
Erfüllung eines Wunsches, den ich freilich sehr ungern und nur
notgedrungen aufgebe. Recht werden Sie mir nämlich geben, geliebte Frau,
daß es immer etwas Ängstliches hat mit einer Gemahlin, die solchen
wunderlichen Zufällen unterworfen. Kann eine solche fürstliche und
zugleich kataleptische Gemahlin nicht mitten in der glänzendsten Cour
davon erfaßt werden, automatisch dastehen und sämtliche, würdige
Anwesende zwingen, es ihr nachzutun und regungslos zu bleiben? --
Freilich kann man wohl auch eine, von einer allgemeinen Katalepsie
befallene Cour, sich als die feierlichste und erhabenste denken, die es
in der Welt nur geben mag, da die leiseste Verletzung der nötigen Würde
auch dem Leichtsinnigsten unmöglich. Doch ein Gefühl, das mich eben in
solchen hausväterlichen Augenblicken, wie die jetzigen, hier beim Spiel
befällt, läßt es mich bemerken, daß ein solcher Zustand der Braut, dem
fürstlichen Bräutigam einiges fröstelnde Grauen erregen kann, und darum
-- Benzon! Sie sind eine liebenswürdige, verständige Frau, fänden Sie
vielleicht eine Möglichkeit, die Sache mit dem Prinzen zu realisieren,
irgend ein Mittel --

Es bedarf dessen gar nicht, gnädigster Herr! unterbrach die Benzon
lebhaft den Fürsten. Nicht der Prinzessin Krankheit trieb den Prinzen so
schnell fort, ein anderes Geheimnis ist hier im Spiele, und in dieses
Geheimnis ist der Kapellmeister Kreisler verflochten.

Wie, was sagen Sie, Benzon? der Kapellmeister Kreisler? rief der Fürst
erstaunt! So sollte es doch wahr sein, daß er --

Ja, gnädigster Herr, sprach die Rätin weiter, ein Zwiespalt zwischen ihm
und dem Prinzen Hektor, der vielleicht geschlichtet werden sollte auf zu
heroische Weise, war es, der den Prinzen entfernte. --

Zwiespalt, unterbrach der Fürst die Benzon, Zwiespalt -- geschlichtet
-- heroische Weise: -- Der Schuß im Park -- der blutige Hut! -- Benzon!
es ist ja unmöglich -- der Prinz -- der Kapellmeister! -- ein Duell --
ein Renkontre, beides ist ja undenkbar! --

So viel, gnädigster Herr, ist gewiß, fuhr die Benzon fort, daß Kreisler
auf der Prinzessin Gemüt nur zu mächtig einwirkte, daß jene seltsame
Angst, ja, jenes Entsetzen, das sie erst empfand in Kreislers Gegenwart,
sich gestalten wollte zur verderblichen Leidenschaft. Möglich, daß der
Prinz scharf genug sah, dies zu gewahren, daß er in Kreisler, der ihm
von Anfang an entgegen trat, mit feindlicher, verhöhnender Ironie, einen
Widersacher fand, den er sich vom Halse schaffen zu müssen glaubte, und
daß hieraus sich eine Tat erzeugte, die freilich nur dem blutigen Haß
des gekränkten Ehrgefühls, der Eifersucht verziehen werden darf, und
die, Dank sei der ewigen Macht, nicht gelang. Ich gestehe, daß dies
alles die schnelle Abreise des Prinzen nicht erklärt, und daß, wie
gesagt, noch ein dunkles Geheimnis waltet. Der Prinz floh, wie mir Julia
erzählt, entsetzt vor einem Bilde, das Kreisler bei sich trug und ihm
vorzeigte. -- Nun, mag dem sein, wie ihm wolle, Kreisler ist fort und der
Prinzessin Krisis ist vorüber! -- Glauben Sie mir, gnädigster Herr,
blieb Kreisler, so flammte die heftigste Leidenschaft für ihn auf in der
Prinzessin Brust, und sie wäre lieber gestorben, als daß sie dem Prinzen
ihre Hand gegeben hätte. Alles hat sich jetzt anders gestaltet, bald
kehrt Prinz Hektor zurück, und die Vermählung mit der Prinzessin endigt
alle Besorgnisse.

Sehn Sie, rief der Fürst zornig, die Insolenz des schnöden Musikanten!
-- In ihn will die Prinzessin sich verlieben, seinetwegen die Hand des
liebenswürdigsten Prinzen ausschlagen! -- _Ah, le coquin!_ -- Nun verstehe
ich Euch, Meister Abraham, erst ganz! -- Ihr sollt mir den fatalen
Menschen vom Halse schaffen, daß er niemals wiederkehrt. --

Jede Maßregel, sprach die Rätin, die der weise Meister Abraham deshalb
etwa vorschlagen dürfte, würde überflüssig sein, da das Erforderliche
deshalb schon geschehen ist. Kreisler befindet sich in der Abtei
Kanzheim, und wie mir der Abt Chrysostomus schreibt, wird er
wahrscheinlich sich entschließen, der Welt zu entsagen, und in den Orden
zu treten. Die Prinzessin hat dies schon erfahren von mir zur günstigen
Stunde, und daß ich dabei keine sonderliche Gemütsbewegung der
Prinzessin gewahrte, bürgt mir dafür, daß die bedrohliche Krisis wie
gesagt, schon vorüber.

Herrliche, liebenswürdige Frau! nahm der Fürst das Wort, welches
Attachement beweisen Sie mir und meinen Kindern! Wie sorgen Sie für das
Wohl, für das Beste meines Hauses?

Wirklich? sprach die Benzon mit bittrem Tone, tue ich das? =Konnte,
durfte= ich immer für das Wohl Ihrer Kinder sorgen?

Die Benzon legte auf die letzten Worte einen besonderen Nachdruck, der
Fürst sah schweigend vor sich nieder, und spielte mit den Daumen der
zusammengefalteten Hände. Endlich murmelte er leise: »Angela! -- noch
immer keine Spur? -- ganz verschwunden?«

So ist es, erwiderte die Benzon, und ich fürchte, daß das unglückliche
Kind das Opfer irgend einer Schändlichkeit geworden ist. Man wollte sie
in Venedig gesehen haben, aber gewiß war dies ein Irrtum. -- Gestehen
Sie es, gnädigster Herr! es war grausam -- entsetzlich, daß Sie Ihr Kind
von der Brust der Mutter reißen ließen, es in ein trostloses Exil
verbannten! -- Diese Wunde, die mir Ihre Strenge schlug, werde ich
niemals verschmerzen!

Benzon, sprach der Fürst, habe ich Ihnen, dem Kinde nicht ein
ansehnliches Jahrgehalt ausgesetzt? -- konnte ich mehr tun? Mußte ich
nicht, blieb Angela bei uns, jeden Augenblick befürchten, daß unsre
_foiblesses_ verraten werden und auf unangenehme Weise die anständige
Ruhe unseres Hofes zerstören konnten? -- Sie kennen die Fürstin, gute
Benzon! Sie wissen, daß sie manchmal besondere Grillen hat. --

Also Geld, nahm die Benzon das Wort, ein Jahrgehalt soll die Mutter
entschädigen für allen Schmerz, für alle Trauer, für alle bittre Klage
um das verlorne Kind? -- In der Tat, gnädigster Herr! es gibt eine
andere Art für sein Kind zu sorgen, die die Mutter besser
zufriedenstellt, als alles Gold! --

Die Benzon sprach diese Worte mit einem Blick, mit einem Ton, der den
Fürsten in einige Verlegenheit setzte.

Vortreffliche Frau, begann er betreten, warum diese seltsame Gedanken!
-- Glauben Sie denn nicht, daß mir ebenfalls das spurlose Verschwinden
unserer lieben Angela sehr unangenehm, sehr fatal ist? Es muß ein
artiges, schönes Mägdlein geworden sein, da es von hübschen scharmanten
Eltern geboren. Aufs neue küßte der Fürst der Benzon sehr zärtlich die
Hand, die sie aber schnell wegzog und mit funkelndem, durchbohrendem
Blick dem Fürsten ins Ohr flüsterte: Gestehen Sie es, gnädigster Herr,
Sie waren ungerecht, grausam, als Sie darauf bestanden, daß das Kind
entfernt werden müsse. Ist es nicht Ihre Pflicht, den Wunsch nicht
zurückzuweisen, dessen Erfüllung ich gutmütig genug, wirklich für
einigen Ersatz all meines Leid's ansehen will?

Benzon, erwiderte der Fürst noch kleinlauter als zuvor, gute, herrliche
Benzon, kann denn unsere Angela nicht wiedergefunden werden? Ich will
Heroisches tun für Ihre Wünsche, teure Frau. Ich will mich dem Meister
Abraham anvertrauen, mich mit ihm beraten. -- Es ist ein vernünftiger
erfahrner Mann; vielleicht kann er helfen.

O, unterbrach die Benzon den Fürsten, o des weisen Meisters Abraham!
Glauben Sie denn, gnädigster Herr, daß Meister Abraham wirklich
aufgelegt ist, für Sie etwas zu unternehmen, daß er Ihnen, Ihrem Hause
getreulich anhängt? Und wie sollte er im Stande sein, etwas
herauszubringen über Angela's Schicksal, nachdem in Venedig, in Florenz,
alle Nachforschungen vergeblich geblieben sind und, was das Schlimmste
ist, ihm jenes geheimnisvolle Mittel geraubt wurde, dessen er sich sonst
bediente, um das Unbekannte zu erforschen.

Sie meinen sein Weib, die böse Zauberin Chiara, sprach der Fürst.

Sehr fraglich möchte es sein, erwiderte die Benzon, ob die vielleicht
nur inspirierte, mit höheren, wunderbaren Kräften begabte Frau, diesen
Namen verdient. Auf jeden Fall war es ungerecht, unmenschlich, dem
Meister das geliebte Wesen zu rauben, an dem er hing mit ganzer Seele,
ja, die ganz ein Teil seines Ich's war.

Benzon, rief der Fürst ganz erschrocken, Benzon, ich verstehe Sie heute
nicht! -- Mir schwindelts im Kopfe! Waren Sie selbst nicht dafür, daß
das bedrohliche Geschöpf, vermöge dessen der Meister bald alle unsere
Verhältnisse beherrschen möchte, entfernt werden möchte? Billigten Sie
nicht selbst mein Schreiben an den Großherzog, in dem ich vorstellte,
daß, da jede Zauberei im Lande längst verboten, Personen, die in dieser
Art beeigenschaftet ihr Wesen trieben, nicht geduldet werden dürften und
Sicherheits halber ein wenig eingesperrt werden müßten? Geschah es nicht
aus purer Schonung gegen den Meister Abraham, daß der mysteriösen Chiara
nicht der offne Prozeß gemacht, sondern daß sie in aller Stille
aufgegriffen und fortgeschafft wurde, wohin weiß ich nicht einmal, da
ich mich darum nicht weiter bekümmert? -- Welch' ein Vorwurf kann mich
hier treffen?

Verzeihung, gnädigster Herr, erwiderte die Benzon, aber es ist doch in
der Tat der Vorwurf des wenigstens übereilten Verfahrens, der Sie wohl
mit Recht trifft. -- Aber! -- erfahren Sie es gnädigster Herr! Meister
Abraham ist davon unterrichtet, daß seine Chiara weggeschafft wurde auf
Ihren Anlaß. Er ist still, er ist freundlich, aber glauben Sie nicht,
gnädigster Herr, daß Haß und Rache brütet in seinem Innern, gegen den,
der ihm sein Liebstes raubte auf Erden! Und diesem Mann wollen Sie
vertrauen, wollen ihm Ihr Inneres erschließen? -- Benzon, sprach der
Fürst, indem er sich die Schweißtropfen von der Stirne wegtrocknete,
Benzon! Sie alterieren mich sehr -- ganz unbeschreiblich möcht' ich
sagen! -- Barmherziger! Kann ein Fürst so aus der Contenance gebracht
werden? Muß beim Teufel -- Gott ich glaube gar, ich fluche, wie ein
Dragoner hier beim Tee! -- Benzon! warum sprachen Sie nicht früher! -- Er
weiß schon alles! -- Im Fischerhäuschen, gerade als ich ganz außer mir
war über der Prinzessin Zustand, da floß mir das Herz, der Mund über.
Ich sprach von Angela, entdeckte ihm -- Benzon, schrecklich ist es! --
_j'étois -- un_ -- Esel! -- _Voilà tout!_ --

Und er erwiderte? So fragte die Benzon gespannt.

Beinahe ist es mir so, sprach der Fürst weiter, als habe der Meister
Abraham zuerst angefangen von unserm früheren Attachement zu sprechen,
und wie ich ein glücklicher Vater sein können, statt daß ich nun ein
malheureuser sei. -- So viel ist aber richtig, daß, als ich meine
Beichte geendet, er lächelnd erklärte, wie er schon längst alles wisse
und hoffe, daß sich vielleicht in ganz kurzer Zeit aufklären werde, wo
Angela geblieben. -- Mancher Trug würde dann vernichtet werden, manche
Täuschung zerrinnen. --

Das sagte der Meister? sprach die Benzon mit bebenden Lippen.

_Sur mon honneur,_ erwiderte der Fürst, das sprach er. -- Tausend
Sapperment -- pardonieren Sie Benzon, aber ich bin im Zorn -- wenn der
Alte es mir nachtragen sollte? -- Benzon, _que faire?_

Beide, der Fürst und die Benzon, starrten sich sprachlos an.
Durchlauchtigster Herr! lispelte leise ein Kammerlakai, indem er dem
Fürsten Tee präsentierte. _Bête!_ schrie aber der Fürst, im hastigen
Aufspringen dem Lakai Präsentierteller samt der Tasse aus den Händen
schleudernd; alles fuhr entsetzt von den Spieltischen in die Höhe, das
Spiel war geendet, der Fürst, sich mit Macht bezwingend, lächelte ein
freundliches Adieu den Erschrockenen zu und begab sich mit der Fürstin
in die inneren Gemächer. Auf jedem Gesicht las man aber ganz deutlich:
Gott was ist das, was bedeutet das? -- Der Fürst spielte nicht, sprach
so lange, so angelegentlich mit der Rätin und geriet dann in solch
entsetzlichen Zorn! --

Unmöglich konnte die Benzon auch nur entfernt ahnen, was sie in ihrer
Wohnung, die in einem Seitengebäude dicht neben dem Schlosse belegen,
für ein Auftritt erwartete. -- Kaum eingetreten, stürzte ihr nämlich
ganz außer sich Julia entgegen und -- Doch! gegenwärtiger Biograph ist
sehr zufrieden, daß er diesmal das, was sich mit Julia während des
fürstlichen Tees begeben, viel besser und deutlicher zu erzählen vermag,
als manches andere Faktum der bis jetzt wenigstens etwas verworrenen
Geschichte. -- Also! -- Wir wissen, daß Julien erlaubt wurde, früher
nach Hause zurückzukehren. Ein Leibjäger leuchtete ihr mit einer Fackel
vor. Kaum waren sie aber einige Schritte von dem Schlosse entfernt, als
der Leibjäger plötzlich stillstand und die Fackel hoch emporhob. Was
gibt es, fragte Julia. Ei, erwiderte der Leibjäger, ei Fräulein Julia,
haben Sie wohl die Gestalt bemerkt, die dort vor uns so schnell
forthuschte? Ich weiß gar nicht, was ich davon denken soll, seit
mehreren Abenden schleicht hier ein Mensch umher, der bei seiner
Heimlichkeit was Böses im Schilde führen muß. Wir haben ihm schon
nachgestellt auf alle nur mögliche Weise, aber er entwischt uns unter
den Händen, ja er wird vor unsern Augen unsichtbar, wie ein Gespenst
oder wie der, Gott sei bei uns! selbst. --

Julia dachte an die Erscheinung im Giebelfenster des Pavillons und
fühlte sich von unheimlichen Schauern durchbebt. Fort, ach nur schnell
fort, rief sie dem Jäger zu, der meinte aber lachend, das liebe Fräulein
möge sich nur nicht fürchten, denn ehe ihr etwas geschehe, müsse ihm
erst das Gespenst den Hals umdrehen, überdem habe aber wohl das
unbekannte Ding, was sich in der Gegend des Schlosses blicken lasse,
Fleisch und Bein wie andere ehrliche Leute und sei ein furchtsamer,
lichtscheuer Hase.

Julia schickte ihr Mädchen, das über Kopfschmerz und Fieberfrost klagte,
zu Bette und legte ohne ihre Beihilfe die Nachtkleider an.

Nun, als sie einsam auf ihrem Zimmer, ging noch einmal alles in ihrer
Seele auf, was Hedwiga in einem Zustande zu ihr gesprochen, den sie nur
krankhafter Überspannung zuschreiben wollte. Und doch war es gewiß, daß
eben jene krankhafte Überspannung nur eine psychische Ursache haben
konnte. -- Mädchen von solch unbefangenem reinem Gemüt, wie Julia,
erraten in derlei intrikaten Fällen wohl selten das Richtige. So glaubte
auch Julia, als sie sich alles nochmals in den Sinn gerufen, nichts
anderes, als daß Hedwiga von jener entsetzlichen Leidenschaft ergriffen,
die sie selbst ihr so furchtbar, als die Ahnung davon in ihrer eignen
Seele lag, geschildert, und daß Prinz Hektor der Mann sei, dem sie ihr
eignes Selbst geopfert. -- Nun, schloß sie ferner, sei, der Himmel wisse
wie, der Wahn in Hedwiga aufgestiegen, daß der Prinz in anderer Liebe
befangen, und habe sie gequält wie ein fürchterliches, rastlos sie
verfolgendes Gespenst, so daß daraus sich die heillose Zerrüttung im
Innern erzeugt. Ach, sprach Julia zu sich selbst, ach du gute liebe
Hedwiga, kehrte Prinz Hektor zurück, wie bald würdest du dich
überzeugen, daß du von deiner Freundin nichts zu befürchten! Doch in dem
Augenblick, als Julia diese Worte sprach, trat der Gedanke, daß der
Prinz sie liebe, so aus dem Innersten hervor, daß sie vor seiner Macht
und Lebendigkeit erschrak, daß sie sich von unnennbarer Angst erfaßt
fühlte, es könne doch wahr, was die Prinzessin glaube, und ihr Verderben
gewiß sein. Jener seltsame fremdartige Eindruck, den des Prinzen Blick,
sein ganzes Wesen auf sie gemacht, kam ihr wieder zu Sinn, jenes
Entsetzen durchbebte aufs neue ihre Glieder. Sie gedachte jenes Momentes
auf der Brücke, als der Prinz sie umschlingend, den Schwan fütterte,
all' der verfänglichen Worte, die er damals sprach und die, so harmlos
ihr damals alles vorgekommen, ihr jetzt von tieferer Bedeutung schienen.
Aber auch des verhängnisvollen Traumes gedachte sie, als sie sich von
eisernen Armen fest umschlungen gefühlt und es der Prinz gewesen, der
sie festgehalten, als sie dann erwacht den Kapellmeister im Garten
erblickt und sein ganzes Wesen ihr klar geworden und sie daran geglaubt,
daß er sie schützen werde vor dem Prinzen.

Nein, rief Julia laut, nein es ist nicht so, es kann dem nicht so sein,
es ist nicht möglich! Es ist der böse Geist der Hölle selbst, der diese
sündhaften Zweifel in mir Ärmsten aufregt! -- Nein er soll nicht Macht
haben über mich! --

Mit dem Gedanken an den Prinzen, an jene gefahrvollen Augenblicke regte
sich in Julia's tiefster Brust eine Empfindung, deren Bedrohlichkeit nur
daran zu erkennen, daß sie die Scham weckte, die das wallende Blut ihr
in die Wangen, heiße Tränen in die Augen trieb. Wohl der holden, frommen
Julia, daß sie Kraft genug besaß den bösen Geist zu beschwören, ihm
keinen Raum zu verstatten, in dem er fest fußen können. Es ist hier noch
wiederholt zu bemerken, daß Prinz Hektor der schönste liebenswürdigste
Mann war, den man nur sehen konnte, daß seine Kunst zu gefallen auf die
tiefe Weiberkenntnis gegründet war, die ihm das Leben voll glücklicher
Abenteuer erworben und daß eben ein junges unbefangenes Mädchen wohl
erschrecken mochte vor der siegenden Kraft seines Blicks, seines ganzen
Wesens.

O Johannes, sprach sie sanft, du guter herrlicher Mann, kann ich denn
nicht bei dir den Schutz suchen, den du mir versprochen? Kannst du nicht
selbst zu mir tröstend reden mit den Himmelstönen, die recht widerhallen
in meiner Brust?

Damit öffnete Julia das Pianoforte und begann die Kompositionen
Kreislers, die ihr die liebsten waren, zu spielen und zu singen. In der
Tat fühlte sie sich bald getröstet, erheitert, der Gesang trug sie fort
in eine andere Welt, es gab keinen Prinzen, ja keine Hedwiga mehr, deren
krankhafte Phantome sie verstören durften!

-- Nun noch meine liebste Kanzonetta! -- So sprach Julia und begann das
von so vielen Komponisten gesetzte: _Mi lagnero tacendo etc._ In der Tat
war Kreislern dieses Lied vor allen übrigen gelungen. Der süße Schmerz
der brünstigsten Liebessehnsucht war darin in einfacher Melodie, mit
einer Wahrheit, mit einer Stärke ausgedrückt, die jedes fühlende Gemüt
unwiderstehlich ergreifen mußte. Julia hatte geendet, in das Andenken an
Kreisler ganz und gar versunken, schlug sie noch einzelne Akkorde an,
die ein Echo schienen ihrer innern Gefühle. Da ging die Türe auf, sie
schaute hin und ehe sie sich vom Sitz erheben konnte, lag Prinz Hektor
ihr zu Füßen und hielt sie fest, beide Hände erfassend. Laut schrie sie
auf vor jähem Schreck, doch der Prinz beschwor sie bei der Jungfrau und
allen Heiligen ruhig zu sein, ihm nur zwei Minuten den Himmel ihres
Anblicks, ihres Worts zu gönnen. Mit Ausdrücken wie sie nur die Raserei
der heftigsten Leidenschaft einzugeben vermag, sagte er ihr dann, daß er
nur sie, nur sie anbete, daß der Gedanke der Vermählung mit Hedwiga ihm
schrecklich, todbringend sei. Daß er deshalb fliehen wollen, doch bald,
von der Macht einer Leidenschaft, die erst mit seinem Tode enden könne,
getrieben, zurückgekehrt sei, nur um Julien zu sehen, zu sprechen, ihr
zu sagen, daß nur sie allein sein Leben, sein Alles sei! --

Fort, rief Julia in trostloser Herzensangst, -- Sie töten mich Prinz!

Nimmermehr, schrie der Prinz, indem er in Liebeswut Julia's Hände an die
Lippen drückte, der Moment ist da, der Leben über mich bringt oder Tod!
-- Julia! Kind des Himmels! Kannst Du mich, kannst Du den verwerfen,
dessen ganzes Sein, dessen Seligkeit Du bist? -- Nein Du liebst mich
Julia, ich weiß es, o sprich es aus, daß Du mich liebst, und alle Himmel
überschwenglichen Entzückens sind mir geöffnet.

Damit umschlang der Prinz die vor Entsetzen und Angst halb ohnmächtige
Julia und drückte sie heftig an seine Brust.

Weh mir -- erbarmt sich niemand meiner, rief sie mit halberstickter
Stimme.

Da erhellte Fackelglanz die Fenster und mehrere Stimmen ließen sich vor
der Türe hören. Julia fühlte einen glühenden Kuß auf den Lippen brennen
und schnell war der Prinz entflohen.

Also -- ganz außer sich, stürzte, wie gesagt Julia der eintretenden
Mutter entgegen und mit Entsetzen vernahm diese, was sich begeben. Sie
begann damit die arme Julia zu trösten, wie sie nur vermochte, ihr zu
versichern, daß sie den Prinzen zu seiner Scham aus dem Versteck, in dem
er sich befinden müsse, hervorziehen werde.

O tue das nicht Mutter, sprach Julia, ich muß vergehen, wenn der Fürst,
wenn Hedwiga erfährt -- Sie fiel schluchzend an der Mutter Brust ihr
Antlitz verbergend.

Du hast recht, mein liebes gutes Kind, erwiderte die Rätin, niemand darf
zur Zeit wissen, ahnen, daß der Prinz sich hier befindet, daß er Dir
nachstellt, Du liebe fromme Julia! -- Die im Komplott sind müssen
schweigen. Denn daß es deren gibt, die im Bunde sind mit dem Prinzen,
hat nicht den mindesten Zweifel, da er sonst ebensowenig unbemerkt hier
in Sieghartshof sich hätte aufhalten, als in unsre Wohnung schleichen
können. -- Unbegreiflich ist es mir, wie es den Prinzen möglich wurde
aus dem Hause zu entfliehen, ohne mir und Friedrich, der mir
vorleuchtete, zu begegnen? Den alten Georg fanden wir im tiefen
unnatürlichen Schlaf, aber wo ist Nanny? Weh mir, lispelte Julia, weh
mir, daß sie krank war und ich sie fortschicken mußte.

Vielleicht kann ich ihr Arzt sein, sprach die Benzon, und stieß rasch
die Türe des Nebenzimmers auf. Da stand die kranke Nanny völlig
angekleidet; sie hatte gelauscht und sank nun vor Schreck und Furcht
nieder der Benzon zu Füßen.

Wenige Fragen der Benzon reichten hin, um zu erfahren, daß der Prinz
durch den alten für so treu gehaltenen Kastellan --

=(M. f. f.)= -- mußt ich erfahren! -- Muzius mein treuer Freund, mein
herziger Bruder war an den Folgen der bösen Verwundung am Hinterbeine
Todes verblichen. -- Die Trauerpost traf mich sehr hart, nun erst fühlte
ich, was mir Muzius gewesen! -- In künftiger Nacht sollte, wie mir Puff
sagte, in dem Keller desselben Hauses, wo der Meister wohnte und wo man
die Leiche hingeschafft, die Totenfeier gehalten werden. Ich versprach,
mich nicht allein zu gehöriger Zeit einzufinden, sondern auch für Speise
und Trank zu sorgen, damit nach alter edler Sitte auch das Trauermahl
gehalten werden könne. Ich besorgte dies auch wirklich, indem ich den
Tag über nach und nach meinen reichlichen Vorrat an Fischen,
Hühnerknochen und Gemüse hinabtrug. -- Für Leser die alles gern auf das
genaueste erklärt haben und daher auch wohl wissen möchten, wie ich es
angefangen, das Getränk hinabzutransportieren bemerke ich, daß ohne
weiteres Mühen mir eine freundliche Hausmagd dazu verhalf. Die Hausmagd,
welche ich gar oft im Keller zu treffen und auch wohl in der Küche zu
besuchen pflegte, schien meinem Geschlecht und insonderheit mir ganz
vorzüglich gewogen, so daß wir uns nie sahen, ohne auf anmutige Weise
miteinander zu spielen. Sie reichte mir manchen Bissen, der eigentlich
schlechter war als wie ich ihn von meinem Meister empfing, den ich aber
doch verzehrte und dabei tat, als wenn er mir ganz vorzüglich schmeckte,
aus purer Galanterie. So was rührt wohl das Herz einer Hausmagd und sie
tat worauf es eigentlich abgesehen war. Ich sprang ihr nämlich auf den
Schoß und sie kratzte mir so lieblich Kopf und Ohren, daß ich ganz Wonne
und Seligkeit war und an die Hand mich gar sehr gewöhnte, die: Wochtags
ihren Besen führt, und Sonntags dann am besten karessiert! -- An diese
freundliche Person wandte ich mich nun in dem Augenblick, als sie aus
dem Keller, in dem ich mich gerade befand, einen großen Topf voll süßer
Milch herauftragen wollte und äußerte auf ihr verständliche Weise, den
lebhaften Wunsch, die Milch für mich zu behalten. »Närrischer Murr,«
sprach das Mädchen, die ebensogut wie alle übrigen Leute im Hause, ja
wie die ganze Nachbarschaft meinen Namen wußte, du willst gewiß die
Milch nicht für dich allein, du willst gewiß traktieren! Nun, behalt nur
die Milch, kleiner Graukittel, ich muß oben schon für andere sorgen!
Damit setzte sie den Topf mit Milch auf den Boden nieder, streichelte
mir, der ich in den zierlichsten Purzelbäumen meine Freude und meinen
Dank zu erkennen gab, noch was weniges den Rücken und stieg dann die
Kellertreppe hinauf. -- Merke dir o Katerjüngling hiebei, daß die
Bekanntschaft, ja ein gewisses sentimentell gemütliches Verhältnis mit
einer freundlichen Köchin für junge Leute unseres Standes und
Geschlechts ebenso angenehm ist als ersprießlich.

Um die Mitternachtsstunde begab ich mich hinab in den Keller.
Trauriger, herzzerreißender Anblick! Da lag in der Mitte auf einem
Katafalk, der freilich dem einfachen Sinn, den der Verstorbene stets in
sich trug, gemäß nur in einem Bündel Stroh bestand, die Leiche des
teuern geliebten Freundes! -- Alle Kater waren schon versammelt, wir
drückten uns, keines Wortes mächtig, die Pfoten, setzten uns, heiße
Tränen in den Augen, in einen Kreis rings um den Katafalk umher und
stimmten einen Klagegesang an, dessen die Brust durchschneidende Töne
furchtbar in den Kellergewölben widerhallten. Es war der trostloseste,
entsetzlichste Jammer, der jemals gehört worden, kein menschliches Organ
vermag ihn herauszubringen.

Nachdem der Gesang geendet, trat ein sehr hübscher, anständig in Weiß
und Schwarz gekleideter Jüngling aus dem Kreise, stellte sich an das
Kopfende der Leiche und hielt nachfolgende Standrede, welche er mir,
unerachtet er sie aus dem Stegreif gesprochen, schriftlich mitteilte.

                  =Trauerrede=
     am Grabe des zu früh verblichenen Katers
                    =Muzius,=
           der Phil. und Gesch. Befliss.
  gehalten von seinem treuen Freunde und Bruder,
               dem Kater =Hinzmann,=
          der Poes. und Bereds. Befliss.

      Teure in Betrübnis versammelte Brüder!

           Wackre hochherzige Bursche!

Was ist der Kater! -- ein gebrechliches, vergängliches Ding wie alles,
was geboren auf Erden! -- Ist es wahr, was die berühmtesten Ärzte und
Physiologen behaupten, daß der Tod, dem alle Kreatur unterworfen,
hauptsächlich in dem gänzlichen Aufhören alles Atmens bestehe, o so ist
unser biederer Freund, unser wackerer Bruder, dieser treue, tapfere
Genosse in Freud und Leid, o so ist unser edler Muzius gewiß tot! -- Seht
da liegt der Edle auf dem kalten Stroh und hat alle viere von sich
gestreckt! -- Nicht der leiseste Atemzug stiehlt sich durch die auf ewig
geschlossenen Lippen! Eingefallen sind die Augen, die sonst bald sanftes
Liebesfeuer, bald vernichtenden Zorn strahlten in grüngleißendem Gold!
Totenblässe überzieht das Antlitz, schlaff hängen die Ohren, hängt der
Schweif herab! -- O Bruder Muzius, wo sind nun deine lustigen Sprünge,
wo ist deine Heiterkeit, deine gute Laune, dein klares fröhliches: Miau!
das alle Herzen erfreute, dein Mut, deine Standhaftigkeit, deine
Klugheit, dein Witz? -- Alles, alles hat dir der bittre Tod geraubt und
du weißt vielleicht nun nicht einmal genau, ob du gelebt hast? -- Und
doch warst du die Gesundheit, die Kraft selbst, gerüstet gegen alles
körperliche Weh, als solltest du ewig leben! Kein Rädchen des Uhrwerks,
das dein Inneres trieb, war ja auch schadhaft, und der Todesengel hatte
sein Schwert nicht über dein Haupt geschwungen, weil das Räderwerk
abgelaufen und nicht mehr wieder aufgezogen werden konnte. -- Nein! ein
feindliches Prinzip griff gewaltsam hinein in den Organismus und
zerstörte frevelnd, was noch lange hätte bestehen können. -- Ja! -- Noch
oft hätten diese Augen freundlich gestrahlt, noch oft wären lustige
Einfälle, fröhliche Lieder diesen Lippen, dieser erstarrten Brust
entströmt, noch oft hätte dieser Schweif, frohen Mutes innere Kraft
verkündend, sich in Wellenlinien geringelt, noch oft hätten diese Pfoten
Stärke und Gewandtheit bewiesen in den mächtigsten gewagtesten Sprüngen
-- und nun. -- -- O kann es die Natur zulassen, daß das, was sie auf
lange Dauer mühsam konstruiert hat, vor der Zeit zerstört werde, oder
gibt es wirklich einen finstern Geist, Zufall genannt, der in
despotischer frevelnder Willkür hineingreifen darf in die Schwingungen,
die alles Sein dem ewigen Naturprinzip gemäß zu bedingen scheinen? -- O
du Toter, könntest du das hier der betrübten, jedoch lebendigen
Versammlung sagen! -- Doch werte Anwesende, wackre Brüder, laßt uns
solchen tiefsinnigen Betrachtungen nicht nachhängen, sondern uns ganz
der Klage um den viel zu früh verlornen Freund Muzius zuwenden. -- Es
ist gebräuchlich, daß der Trauerredner den Anwesenden die ganze
vollständige Biographie mit lobpreisenden Zusätzen und Anmerkungen
vorträgt, und dieser Gebrauch ist sehr gut, da durch einen solchen
Vortrag auch in dem betrübtesten Zuhörer der Ekel der Langeweile erregt
werden muß, dieser Ekel aber nach der Erfahrung und dem Ausspruch
bewährter Psychologen am besten jede Betrübnis zerstört, weshalb denn
auf jene Weise der Trauerredner beide Pflichten, die, dem Verewigten die
gehörige Ehre zu erweisen und die, die Hinterlassenen zu trösten, auf
einmal erfüllt. Man hat Beispiele, und die sind natürlich, daß der
Gebeugteste nach solcher Rede ganz vergnügt und munter von hinnen
gegangen ist; über der Freude erlöst zu sein von der Qual des Vortrags,
verschmerzte er den Verlust des Hingeschiedenen. -- Teure, versammelte
Brüder! wie gern folgte auch ich dem löblichen bewährten Gebrauch, wie
gern trüge ich euch die ganze ausführliche Biographie des erblaßten
Freundes und Bruders vor und setzte euch um aus betrübten Katern in
vergnügte, aber es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. -- Seht das
ein, teure, geliebte Brüder, wenn ich euch sage, daß ich von dem
eigentlichen Leben des Verblichenen, was Geburt, Erziehung, weiteres
Fortkommen betrifft, beinahe gar nichts weiß, daß ich daher euch lauter
Fabeln auftischen müßte, wozu der Ort hier bei der Leiche des Erblaßten
viel zu ernst und unsere Stimmung viel zu feierlich ist. -- Nichts für
ungut, Bursche, aber ich will statt alles weitern langweiligen Sermons
nur mit wenigen schlichten Worten sagen, was für ein schmähliches Ende
der arme Teufel, der hier starr und tot vor uns liegt, nehmen mußte und
was es für ein wackrer, tüchtiger Kerl im Leben war! -- Doch o Himmel!
ich falle aus dem Ton der Beredsamkeit, unerachtet ich derselben
beflissen und, will es das Schicksal, _Professor poeseos et eloquentiae_
zu werden hoffe! --

     (Hinzmann schwieg, putzte sich mit der rechten Pfote Ohren, Stirn,
     Nase und Bart, betrachtete lange unverwandten Blicks die Leiche,
     räusperte sich aus, fuhr nochmals mit der Pfote übers Gesicht und
     sprach dann mit erhöhtem Tone weiter.)

O bittres Verhängnis! -- o grauser Tod! mußtest du auf solch' grausame
Weise den verewigten Jüngling hinraffen in der Blüte seiner Jahre?
-- Brüder! ein Redner darf dem Zuhörer nochmals sagen, was dieser schon
erfahren bis zum Überdruß, darum wiederhole ich, was ihr schon alle
wißt, daß nämlich der dahingeschiedene Bruder fiel, als ein Opfer des
wütenden Hasses der Spitzphilister. -- Dorthin auf jenes Dach, wo sonst
wir uns ergötzten in Friede und Freude, wo fröhliche Lieder schallten,
wo Pfot in Pfot und Brust an Brust wir =ein= Herz, =eine= Seele waren,
wollte er hinaufschleichen, um in stiller Einsamkeit mit dem Senior Puff
das Andenken jener schönen Tage, wahrer Tage in Aranjuez, die nun
vorüber, zu feiern, da hatten die Spitzphilister, die auf jede Weise
jede Erneuerung unsers frohen Katerbundes hintertreiben wollten, in die
dunklen Winkel des Bodens Fuchseisen hingestellt; in eins derselben
geriet der unglückliche Muzius, zerquetschte sich das Hinterbein und
-- mußte sterben! -- Schmerzhaft und gefährlich sind die Wunden, die
Philister schlagen, denn sie bedienen sich jederzeit stumpfer,
schartiger Waffen, doch stark und kräftig von Natur hätte der
Dahingeschiedene der bedrohlichen Verletzung unerachtet wieder aufkommen
können, aber der Gram, der tiefe Gram sich von schnöden Spitzen
überwunden, in seiner schönen glanzvollen Laufbahn ganz zerstört zu
sehen, der stete Gedanke an die Schmach, die wir alle erlitten, das war
es, was an seinem Leben zehrte. -- Er litt keinen gehörigen Verband,
nahm keine Arzenei -- man sagt, er wollte sterben! --

     (Ich, wir alle konnten uns bei diesen letzten Worten Hinzmanns
     nicht lassen vor grimmem Schmerz, sondern brachen alle in solch ein
     klägliches Geheul und Jammergeschrei aus, daß ein Felsen hätte
     erweicht werden können. Als wir uns nur einigermaßen beruhigt
     hatten, so daß wir zu hören vermochten, sprach Hinzmann mit Pathos
     weiter.)

O Muzius! o schau herab! schau die Tränen, die wir um dich vergießen,
höre die trostlose Klage, die wir um dich erheben verewigter Kater!
-- Ja, schau auf uns herab oder hinauf, wie es du nun eben vermagst, sei
im Geiste unter uns, wenn du noch überhaupt eines Geistes mächtig und
derselbige, der dir innegewohnt, nicht schon anderweitig verbraucht
worden! -- Brüder! -- wie gesagt, ich halte das Maul über die Biographie
des Erblaßten, weil ich nichts davon weiß, aber desto lebhafter sind mir
die vortrefflichen Eigenschaften des Verewigten im Gedächtnis und die
will ich euch, meine teuersten, geliebtesten Freunde, vor die Nase
rücken, damit ihr den entsetzlichen Verlust, den ihr durch den Tod des
herrlichen Katers erlitten im ganzen Umfange fühlen möget! Vernehmt es,
o Jünglinge! die ihr geneigt seid nie abzuweichen von dem Pfade der
Tugend, vernehmt es! -- Muzius war, was wenige im Leben sind, ein
würdiges Glied der Katzengesellschaft, ein guter treuer Gatte, ein
vortrefflicher liebender Vater, ein eifriger Verfechter der Wahrheit und
des Rechts, ein unermüdlicher Wohltäter, eine Stütze der Armen, ein
treuer Freund in der Not! -- Ein würdiges Glied der Katzengesellschaft?
-- Ja! denn immer äußerte er die besten Gesinnungen und war sogar zu
einiger Aufopferung bereit, wenn geschah was er wollte, feindete auch
nur ausschließlich diejenigen an, die ihm widersprachen und seinem
Willen sich nicht fügten. -- Ein guter treuer Gatte? -- Ja! -- denn er
lief andern Kätzchen nur dann nach, wenn sie jünger und hübscher waren
als sein Gemahl und unwiderstehliche Lust ihn dazu trieb. Ein
vortrefflicher liebender Vater? Ja! denn niemals hat man vernommen, daß
er, wie es wohl von rohen lieblosen Vätern unsers Geschlechts zu
geschehen pflegt, im Anfall eines besonderen Appetits eines seiner
erzielten Kleinen verspeiset; es war ihm vielmehr ganz recht, wenn die
Mutter sie sämtlich forttrug und er von ihrem dermaligen Aufenthalt
weiter nichts erfuhr. Ein eifriger Verfechter der Wahrheit und des
Rechts? Ja! -- denn sein Leben hätte er gelassen dafür, weshalb er, da
man nur einmal lebt, sich um beides nicht viel kümmerte, welches ihm
auch nicht zu verargen. Ein unermüdlicher Wohltäter, eine Stütze der
Armen? Ja! denn Jahr aus Jahr ein trug er am Neujahrstage ein kleines
Heringsschwänzlein oder ein paar subtile Knöchelchen hinab in den Hof,
für die armen Brüder, die der Speisung bedurften und konnte wohl, da er
auf diese Weise seine Pflicht als würdiger Katzenfreund erfüllte,
diejenigen bedürftigen Kater mürrisch anknurren, die außerdem noch etwas
von ihm verlangten. Ein treuer Freund in der Not? Ja! denn geriet er in
Not, so ließ er nicht ab selbst von denjenigen Freunden, die er sonst
ganz vernachlässigt, ganz vergessen hatte. -- Verewigter! was soll ich
noch sagen von deinem Heldenmut, von deinem hohen geläuterten Sinn für
alles Schöne und Edle, von deiner Gelehrsamkeit, von deiner
Kunst-Kultur, von all' den tausend Tugenden, die sich in dir vereinten!
Was, sag' ich, soll ich sagen davon, ohne unsern gerechten Schmerz über
dein klägliches Hinscheiden nicht noch um vieles zu vermehren!
-- Freunde, gerührte Brüder! -- denn in der Tat an einigen unzweideutigen
Bewegungen bemerke ich zu meiner nicht geringen Befriedigung, daß es mir
gelang euch zu rühren. -- Also! gerührte Brüder! -- laßt uns ein
Beispiel nehmen an diesem Verstorbenen, laßt uns alle Mühe anwenden,
ganz in seine würdige Fußtapfen zu treten, laßt uns ganz das sein, was
der Vollendete war, und auch wir werden im Tode die Ruhe des wahrhaft
weisen, des durch Tugenden jeder Art und Gattung geläuterten Katers
genießen, wie dieser Vollendete! --

Seht nur selbst wie er so still daliegt, wie er keine Pfote rührt, wie
ihm all' mein Lob seiner Vortrefflichkeit auch nicht ein leises Lächeln
des Wohlgefallens abgewonnen! -- Glaubt ihr wohl, Traurige! daß der
bitterste Tadel, die gröbsten beleidigendsten Schmähungen ebenso jeden
Eindruck auf den Verewigten verfehlt haben würden? Glaubt ihr wohl, daß
selbst der dämonische Spitzphilister, träte er hinein in diesen Kreis,
dem er sonst unmaßgeblich beide Augen ausgekratzt haben würde, jetzt ihn
nur im mindesten in Harnisch bringen, seine sanfte süße Ruhe verstören
dürfte?

Über Lob und Tadel, über alle Anfeindungen, alle Foppereien, allen
neckhaften Spott und Hohn, über allen wirrigen Spuk des Lebens ist unser
herrlicher Muzius erhaben, er hat kein anmutiges Lächeln, keine feurige
Umarmung, keinen biedern Pfotendruck mehr für den Freund, aber auch
keine Krallen, keine Zähne mehr für den Feind! -- Er ist vermöge seiner
Tugenden zu der Ruhe gelangt, der er im Leben vergebens nachgestrebt!
-- Zwar will es mich beinahe bedünken, daß wir alle, so wie wir hier
zusammen sitzen und heulen um den Freund, zu der Ruhe kommen würden,
ohne gerade so ein Ausbund von aller Tugend zu sein als er, und daß es
wohl noch ein anderes Motiv geben müsse tugendhaft zu sein, als gerade
die Sehnsucht nach dieser Ruhe, indessen ist das nur solch ein Gedanke,
den ich euch zu fernerer Bearbeitung überlasse. -- Soeben wollte ich
euch an's Herz legen, euer ganzes Leben vorzüglich dazu anzuwenden um so
schön sterben zu lernen als Freund Muzius, indessen will ich es lieber
nicht tun, da ihr mir so manches Bedenkliche entgegensetzen könntet. Ich
meine nämlich, daß ihr mir einwenden dürftet, der Verewigte hätte auch
lernen sollen, behutsam zu sein und Fuchseisen zu vermeiden, um nicht zu
sterben vor der Zeit. Dann gedenke ich aber auch, wie ein sehr junger
Katerknabe auf gleiche Ermahnung des Lehrers, daß der Kater sein ganzes
Leben darauf verwenden müsse, um sterben zu lernen, schnippisch genug
erwiderte: es könne doch so gar schwer nicht sein, da es jedem gelinge
aufs erste Mal! -- Laßt uns jetzt, hochbetrübte Jünglinge, einige
Augenblicke stiller Betrachtung widmen! --

     (Hinzmann schwieg und fuhr sich wiederum mit der rechten Pfote über
     Ohren und Gesicht, dann schien er in tiefes Nachdenken zu
     versinken, indem er die Augen fest zudrückte. Endlich als es zu
     lange währte, stieß ihn der Senior Puff an und sprach leise:
     Hinzmann ich glaube gar, du bist eingeschlafen. Mache nur, daß du
     fertig wirst mit deinem Sermon, denn wir verspüren alle einen
     desperaten Hunger. Hinzmann fuhr in die Höhe, setzte sich wieder in
     die zierliche Rednerstellung und sprach weiter.)

Teuerste Brüder! -- ich hoffte noch zu einigen erhabenen Gedanken zu
gelangen und gegenwärtige Standrede glänzend zu schließen, es ist mir
aber gar nichts eingefallen, ich glaube der große Schmerz, den ich zu
empfinden mich bemüht, hat mich ein wenig stupid gemacht. Laßt uns daher
meine Rede, der ihr den vollkommensten Beifall nicht versagen könnet,
für geschlossen annehmen und jetzt das gewöhnliche _De_ oder _Ex profundis_
anstimmen! --

So endete der artige Katerjüngling seinen Trauersermon, der mir zwar in
rhetorischer Hinsicht wohlgeordnet und von guter Wirkung zu sein schien,
an dem ich aber doch manches auszusetzen fand. Mir kam es nämlich vor,
daß Hinzmann gesprochen, mehr, um ein glänzendes Rednertalent zu zeigen,
als den armen Muzius noch zu ehren nach seinem betrübten Hinscheiden.
Alles was er gesagt, paßte gar nicht recht auf den Freund Muzius, der
ein einfacher, schlichter, gerader Kater und, ich hatte es ja wohl recht
erfahren, eine treue gutmütige Seele gewesen. Überdem war auch das Lob,
das Hinzmann gespendet, von zweideutiger Art, so daß mir eigentlich die
Rede hinterher mißfiel, und ich während des Vortrags bloß durch die
Anmut des Redners, und durch seine in der Tat ausdrucksvolle Deklamation
bestochen worden. Auch der Senior Puff schien meiner Meinung zu sein;
wir wechselten Blicke, die Hinzmanns Rede betreffend, von unserm
Einverständnis zeugten.

Dem Schluß der Rede gemäß, stimmten wir ein _De profundis_ an, das
womöglich noch viel jämmerlicher, viel herzzerschneidender klang als das
entsetzliche Grabeslied vor der Rede. -- Es ist bekannt, daß die Sänger
von unserm Geschlecht den Ausdruck des tiefsten Weh's, des trostlosesten
Jammers, mag nun die Klage wegen zu sehnsüchtiger oder verschmähter
Liebe oder um einen geliebten Verstorbenen ertönen, ganz vorzüglich in
der Gewalt haben, so daß selbst der kalte gefühllose Mensch von Gesängen
solcher Art tief durchdrungen wird und der gepreßten Brust nur Luft zu
machen vermag durch seltsames Fluchen. -- Als das _De profundis_ geendigt,
hoben wir die Leiche des verewigten Bruders auf und senkten sie in ein
tiefes in einer Ecke des Kellers befindliches Grab.

In diesem Augenblick begab sich aber das Unerwartetste und zugleich
anmutig Rührendste der ganzen Totenfeier. Drei Katzenmädchen schön wie
der Tag, hüpften heran und streuten Kartoffel- und Petersilienkraut, das
sie im Keller gepflückt, in das offene Grab, während eine ältere ein
einfaches herziges Lied dazu sang. Die Melodie war mir bekannt, irre ich
nicht, so fängt der Originaltext des Liedes, dem die Stimme
untergeschoben, mit den Worten an: O Tannenbaum! o Tannenbaum u. s. w.
Es waren, wie mir der Senior Puff ins Ohr sagte, die Töchter des
verstorbenen Muzius, die auf diese Weise des Vaters Trauerfest mit
begingen.

Nicht das Auge abwenden konnte ich von der Sängerin; sie war
allerliebst, der Ton ihrer süßen Stimme, selbst das Rührende tief
Empfundene in der Melodie des Trauerliedes riß mich hin, ganz und gar;
ich konnte mich der Tränen nicht enthalten. Doch der Schmerz, der mir
sie auspreßte, war von ganz besonderer seltsamer Art, da er mir das
süßeste Wohlbehagen erregte.

Daß ich es nur geradezu heraussage! -- Mein ganzes Herz neigte sich der
Sängerin hin, es war mir, als habe ich nie eine Katzjungfrau erblickt
von dieser Anmut, von diesem Adel in Haltung und Blick, kurz von dieser
siegenden Schönheit! --

Das Grab wurde mit Mühe von vier rüstigen Katern, die so viel Sand und
Erde herankratzten als nur möglich, gefüllt, die Beerdigung war vorbei
und wir gingen zu Tische. Muzius schöne liebliche Töchter wollten sich
entfernen, das litten wir jedoch nicht, sie mußten vielmehr teilnehmen
am Trauermahl und ich wußte es so geschickt anzufangen, daß ich die
Schönste zur Tafel führte und mich dicht neben ihr hinsetzte. Hatte mir
erst ihre Schönheit geglänzt, hatte mich ihre süße Stimme bezaubert, so
versetzte mich jetzt ihr heller klarer Verstand, die Innigkeit, die
Zartheit ihres Gefühls, das rein weibliche fromme Wesen, das aus ihrem
Innern hervorstrahlte, in den höchsten Himmel des Entzückens. Alles
erhielt in ihrem Munde, in ihren süßen Worten einen ganz eignen
Zauberreiz, ihr Gespräch war ganz liebliche zarte Idylle. -- So sprach
sie z. B. mit Wärme von einem Milchbrei, den sie wenige Tage vor des
Vaters Tode nicht ohne Appetit genossen, und als ich sagte, daß bei
meinem Meister solch ein Brei ganz vorzüglich bereitet würde und zwar
mit einer guten Zutat von Butter, da blickte sie mich an mit ihren
frommen grünstrahlenden Taubenaugen und fragte mit einem Ton, der mein
ganzes Herz durchbebte: O gewiß -- gewiß mein Herr! -- Sie lieben auch
den Milchbrei? -- Mit Butter! wiederholte sie dann, wie in
schwärmerische Träume versunken. -- Wer weiß nicht, daß hübschen
blühenden Mädchen von sechs bis acht Monaten (so viele konnte die
Schönste zählen) nichts besser kleidet, als ein kleiner Anstrich von
Schwärmerei, ja daß sie dann oft ganz unwiderstehlich sind. So geschah
es, daß ich ganz in Liebe entflammt, die Pfote der Schönsten heftig
drückend laut rief: Eng'lisches Kind! frühstücke mit mir Milchbrei und
es gibt keine Seligkeit des Lebens, gegen die ich mein Glück austausche!
-- Sie schien verlegen, sie schlug errötend die Augen nieder, doch ließ
sie ihre Pfote in der meinigen, welches die schönsten Hoffnungen in mir
erregte. Ich hatte nämlich einmal bei meinem Meister einen alten Herrn,
der, irre ich nicht, ein Advokat war, sagen gehört, es sei für ein
junges Mädchen sehr gefährlich, ihre Hand lange in der Hand eines Mannes
zu lassen, weil dieser es mit Recht für eine _traditio brevi manu_ ihrer
ganzen Person ansehen und allerlei Ansprüche darauf begründen könne, die
dann nur mit Mühe zurückzuweisen. -- Zu solchen Ansprüchen hatte ich nun
aber große Lust und wollte eben damit beginnen, als das Gespräch durch
eine Libation zu Ehren des Verstorbenen unterbrochen wurde. --

Die drei jüngeren Töchter des hingeschiedenen Muzius hatten indessen
eine frohe Laune, eine schalkhafte Naivität entwickelt, über die alle
Kater entzückt waren. Schon durch Speise und Trank merklich dem Gram und
Schmerz entnommen, wurde nun die Gesellschaft immer froher und
lebendiger. Man lachte, man scherzte und als die Tafel aufgehoben, war
es der ernste Senior Puff selbst, welcher vorschlug, ein Tänzchen zu
machen. Schnell war alles fortgeräumt; drei Kater stimmten ihre Kehlen
und bald sprangen und drehten sich Muzius aufgeweckte Töchter mit den
Jünglingen wacker herum.

Nicht von der Seite wich ich der Schönsten, ich forderte sie auf zum
Tanz, sie gab mir die Pfote, wir flogen in die Reihen. -- Ha! wie ihr
Atem an meiner Wange spielte! wie meine Brust an der ihrigen bebte! wie
ich ihren süßen Leib mit meinen Pfoten umschlungen hielt! -- O des
seligen, himmlisch seligen Augenblicks!

Als wir zwei, auch wohl drei Hopser getanzt, führte ich die Schönste in
eine Ecke des Kellers und bediente sie galanter Sitte gemäß mit einigen
Erfrischungen, wie sie sich eben vorfinden lassen wollten, da das Fest
eigentlich auf einen Ball nicht eingerichtet. Nun ließ ich meinem innern
Gefühl ganz freien Lauf. Einmal übers andere drückte ich ihre Pfote an
meine Lippen und versicherte ihr, daß ich der glücklichste Sterbliche
sein werde, wenn sie mich ein bißchen lieben wolle.

Unglücklicher, sprach plötzlich eine Stimme dicht hinter mir,
Unglücklicher, was beginnst du! -- es ist deine Tochter Mina!

Ich erbebte, denn wohl erkannte ich die Stimme! -- Es war Miesmies!
-- Launisch spielte der Zufall mit mir, daß in dem Augenblick, als ich
Miesmies ganz vergessen zu haben geglaubt, ich erfahren, was ich nicht
ahnen können, ich in Liebe kommen mußte zu eignem Kinde! -- Miesmies war
in tiefer Trauer, ich wußte selbst nicht, was ich davon denken sollte.
Miesmies, sprach ich sanft, was führt Sie hieher, warum in Trauer und
-- o Gott! -- jene Mädchen -- Mina's Schwestern? -- Ich erfuhr das
Seltsamste! -- Mein gehässiger Nebenbuhler, der Schwarzgraugelbe, hatte
sich gleich nachher, als er in jenem mörderischen Zweikampf meiner
ritterlichen Tapferkeit erlegen, von Miesmies getrennt und war, als nur
seine Wunden geheilt, fortgegangen niemand wußte wohin. Da warb Muzius
um ihre Pfote, die sie ihm willig reichte, und es machte ihm Ehre und
bewies sein Zartgefühl, daß er mir dies Verhältnis gänzlich verschwieg.
So waren aber jene muntre naive Kätzchen nur meiner Mina
Stiefschwestern!

O Murr, sprach Miesmies zärtlich, nachdem sie erzählt, wie sich das
alles ergeben, o Murr! ihr schöner Geist hat sich nur in dem Gefühl
geirrt, das ihn überströmte. Es war die Liebe des zärtlichsten Vaters,
nicht des verlangenden Liebhabers, die in Ihrer Brust erwachte, als Sie
unsre Mina sahen. =Unsere= Mina! o welch ein süßes Wort! -- Murr! können
Sie dabei unempfindlich bleiben, sollte alle Liebe erloschen sein in
Ihrem Innern gegen die, die Sie so innig liebte -- o Himmel noch so
innig liebt, die Ihnen treu geblieben, bis in den Tod, wäre nicht ein
anderer dazwischen gekommen, und hätte Sie verlockt durch schnöde
Verführungskünste? -- O Schwachheit, dein Name ist Katz! Das denken Sie,
ich weiß es, aber ist es nicht Katertugend, der schwachen Katze zu
verzeihen? -- Murr! Sie sehen mich gebeugt! trostlos über den Verlust
des dritten zärtlichen Gatten, aber in dieser Trostlosigkeit flammt aufs
neue die Liebe auf, die sonst mein Glück, mein Stolz, mein Leben war!
-- Murr! hören Sie mein Geständnis! -- ich liebe Sie noch und ich dächte
wir verhei -- Tränen erstickten ihre Stimme!

Mir war bei dem ganzen Auftritt sehr peinlich zu Mute. Mina saß da,
bleich und schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die
letzten Blumen küßt und gleich in bitteres Wasser zerfließen wird.

     (=Anmerkung des Herausgebers.= Murr! -- Murr! schon wieder ein
     Plagiat! -- In Peter Schlemihls wundersamer Geschichte beschreibt
     der Held des Buches seine Geliebte, auch Mina geheißen, mit
     denselben Worten.)

Schweigend betrachtete ich beide, Mutter und Tochter, die letzte gefiel
mir doch unendlich viel besser, und da bei unserm Geschlecht die
nächsten verwandtschaftlichen Verhältnisse kein kanonisches Ehehindernis
-- Vielleicht verriet mich mein Blick, denn Miesmies schien meine
innersten Gedanken zu durchschauen. Barbar! was willst du beginnen?
-- rief sie, indem sie schnell auf Mina lossprang und sie heftig
umpfotend, an ihre Brust riß. Wie? du kannst dies dich liebende Herz
verschmähen und Verbrechen häufen auf Verbrechen! Unerachtet ich nun gar
nicht begriff, was für Ansprüche Miesmies geltend machen und welche
Verbrechen sie mir vorwerfen konnte, so fand ich es, um den Jubel, in
den sich das Trauerfest aufgelöst, nicht zu verstören doch geratener,
gute Miene zu machen zu bösem Spiel. Ich versicherte daher der ganz aus
sich selbst gekommenen Miesmies, daß bloß die unaussprechliche
Ähnlichkeit Mina's mit ihr mich irre geführt und ich geglaubt habe,
dasselbe Gefühl entflamme mein Inneres, das ich für sie, die noch immer
schöne Miesmies, in mir trage. Miesmies trocknete alsbald ihre Tränen,
setzte sich dicht zu mir und fing ein so vertrauliches Gespräch mit mir
an, als sei nie etwas Böses unter uns vorgefallen. Hatte nun noch der
junge Hinzmann die schöne Mina zum Tanz aufgefordert, so kann man
denken, in welcher unangenehmen peinlichen Lage ich mich befand.

Ein Glück für mich war es, daß der Senior Puff endlich Miesmies aufzog
zum Kehraus, da sie mir sonst noch allerlei seltsame Propositionen hätte
machen können. Ich schlich leise leise aus dem Keller herauf und dachte:
Kommt Zeit, kommt Rat!

Ich sehe dieses Trauerfest für den Wendepunkt an, in dem sich meine
Lehrmonate schlossen und ich eintrat in einen anderen Kreis des Lebens.

=(Mak. Bl.)= -- Kreisler veranlaßt, sich in aller Frühe in die Gemächer
des Abts zu begeben. Er fand den hochehrwürdigen Herrn, wie er eben mit
Beil und Meißel in der Hand, beschäftigt war, eine große Kiste
aufzuschlagen, in welcher der Form nach, ein Gemälde eingepackt sein
mußte. Ha! rief der Abt dem eintretenden Kreisler entgegen, gut, daß Ihr
kommt, Kapellmeister! Ihr könnt mir beistehen in einer schweren,
mühseligen Arbeit. Die Kiste ist mit tausend Nägeln zugehämmert, als
solle sie verschlossen bleiben in Ewigkeit. Sie kommt gerades Weges aus
Neapel und es ist ein Gemälde darin, das ich vorderhand in meinem
Kabinett aufhängen und den Brüdern nicht zeigen will. Darum rief ich mir
keinen zur Hülfe; aber nun sollt Ihr mir helfen Kapellmeister. Kreisler
legte Hand an, und nicht lange dauerte es, so war das große Gemälde, das
in einen prächtigen vergoldeten Rahmen gefaßt, aus der Kiste zu Tage
gefördert. Nicht wenig verwunderte sich Kreisler, als er in dem Kabinett
des Abts die Stelle über dem kleinen Altar, wo sonst ein sehr anmutiges
Bild von Leonardo da Vinci, die heilige Familie darstellend, aufgehängt
war, leer fand. Der Abt hatte dies Gemälde für eins der besten geachtet,
was die an alten Originalen reiche Sammlung besaß, und doch sollte
dieses Meisterstück Platz machen einem Gemälde, dessen große Schönheit,
aber auch entschiedene Neuheit Kreisler auf den ersten Blick erkannte.
--

Mit großer Mühe hatten beide, der Abt und Kreisler, das Gemälde an der
Wand mit Mauerschrauben befestigt, und nun stellte sich der Abt in das
rechte Licht und schaute das Bild mit einem solch innigem Wohlbehagen,
mit solch sichtlicher Freude an, daß es schien, als sei außer der in der
Tat bewundrungswürdigen Malerei, noch ein besonderes Interesse hier im
Spiele. -- Der Gegenstand des Gemäldes war ein Mirakel. Von der
strahlenden Glorie des Himmels umflossen, erschien die heilige Jungfrau;
in der linken Hand trug sie einen Lilienzweig, mit den beiden
Mittelfingern der rechten Hand berührte sie aber die nackte Brust eines
Jünglings, und man sah, wie unter den Fingern dickes Blut aus einer
offnen Wunde hervortropfte. Der Jüngling erhob sich halb von dem Lager,
auf das er ausgestreckt, er schien aus dem Todesschlafe zu erwachen,
noch hatte er nicht die Augen geöffnet, aber das verklärte Lächeln, das
auf seinem schönen Antlitz ausgebreitet, zeigte, daß er die Mutter
Gottes schaute im seligen Traum, daß ihm der Schmerz der Wunde
entnommen, daß der Tod keine Macht mehr hatte über ihn. -- Jeder Kenner
mußte die korrekte Zeichnung, die geschickte Anordnung der Gruppe, die
richtige Verteilung des Lichts und Schattens, den grandiosen Wurf der
Gewänder, die hohe Anmut der Gestalt Maria's, vorzüglich auch die
lebensvolle Farbe, die den modernen Künstlern meistens nicht zu Gebote
steht, höchlich bewundern. Worin sich aber am meisten, und wie es in der
Natur der Sache liegt auch am entschiedensten, der wahre Genius des
Künstlers offenbarte, war der unbeschreibliche Ausdruck der Gesichter.
Maria war das schönste anmutigste Weib, das man nur sehen konnte, und
doch lag auf dieser hohen Stirn des Himmels gebietende Majestät,
strahlte überirdische Seligkeit im milden Glanz aus diesen dunklen
Augen. Ebenso war die himmlische Verzückung des zum Leben erwachenden
Jünglings mit einer seltenen Kraft des schöpferischen Geistes vom
Künstler aufgefaßt und dargestellt. -- Kreisler kannte in der Tat kein
einziges Gemälde der neuern Zeit, das er diesem herrlichen Bilde hätte
an die Seite stellen können; er äußerte dies dem Abt, indem er sich über
alle einzelnen Schönheiten des Werks weitläuftig ausließ und dann
hinzufügte, daß in der neuesten Zeit wohl kaum Gediegeneres
hervorgebracht worden.

Das hat seinen guten Grund, wie Ihr, Kapellmeister! sogleich erfahren
sollt, sprach der Abt lächelnd. -- Es ist ein eignes Ding mit unsern
jungen Künstlern, sie studieren und studieren, erfinden, zeichnen,
machen gewaltige Kartons und am Ende kommt Totes, Starres hervor, das
nicht eindringen kann ins Leben, weil es selbst nicht lebt. Statt des
alten großen Meisters, den sie sich zum Muster und Vorbild gewählt
haben, Werke sorgfältig zu kopieren und so einzudringen in seinen
eigentümlichsten Geist, wollen sie gleich die Meister selbst sein und
Similia malen, verfallen aber darüber in eine Nachahmerei der
Nebendinge, die sie ebenso kindisch und lächerlich erscheinen läßt, als
jenen, der, um einem großen Mann gleich zu kommen, ebenso zu husten, zu
schnarren, etwas gebückt zu gehen sich mühte, wie dieser. -- Es fehlt
unsern jungen Malern an der wahren Begeisterung, die das Bild in aller
Glorie des vollendetsten Lebens aus dem Innern hervorruft und Ihnen vor
Augen stellt. Man sieht, wie sich dieser, jener vergebens abquält um
endlich in jene erhöhte Stimmung des Gemüts zu geraten, ohne die kein
Werk der Kunst geschaffen wird. Was dann aber die Ärmsten für wahre
Begeisterung halten, wie sie den heitern, ruhigen Sinn der alten Maler
erhob, ist nur das seltsam gemischte Gefühl von hochmütiger Bewunderung
des selbst gefaßten Gedankens und von ängstlicher, quälender Sorge, nun
bei der Ausführung es dem alten Vorbilde auch in der kleinsten
Kleinigkeit nachzutun. -- So wird denn oft die Gestalt, die selbst
lebendig, ins helle freundliche Leben treten sollte, zur widerlichen
Fratze. Unsere jungen Maler bringen es nicht zur deutlichen Anschauung
der im Innern aufgefaßten Gestalt, und mag es vielleicht nicht lediglich
daher kommen, daß sie, gerät ihnen auch sonst alles so ziemlich gut,
doch die Färbung verfehlen? -- Mit einem Wort, sie können höchstens
zeichnen, aber durchaus nicht malen. Unwahr ist es nämlich, daß die
Kenntnis der Farben und ihrer Behandlung verloren gegangen sein, daß es
den jungen Malern an Fleiß fehlen sollte. Denn was das erste betrifft,
so ist es unmöglich, da die Malerkunst seit der christlichen Zeit, in
der sie sich erst als wahrhaftige Kunst gestaltete, nie geruht hat,
sondern Meister und Schüler eine ununterbrochene, fortlaufende Reihe
bilden, und der Wechsel der Dinge, der freilich nach und nach die
Abweichungen vom Wahrhaftigen herbeiführte, auf die Übertragung des
Mechanischen keinen Einfluß haben konnte. Anlangend aber den Fleiß der
Künstler, so möchte ihnen eher Übermaß als Mangel daran vorzuwerfen
sein. Ich kenne einen jungen Künstler, der ein Gemälde, läßt es sich
auch ziemlich gut an, so lange übermalt und übermalt, bis alles in einen
stumpfen bleiernen Ton hinschwindet und so vielleicht erst dem innern
Gedanken gleicht, dessen Gestalten nicht in das vollendete, lebendige
Leben treten konnten. -- Seht da, Kapellmeister, ein Bild, aus dem
wahres, herrliches Leben haucht, und das darum, weil es die wahre fromme
Begeisterung schuf! -- Das Mirakel ist Euch deutlich. Der Jüngling, der
sich dort vom Lager erhebt, wurde in gänzlicher Hilflosigkeit von
Mördern überfallen und zum Tode getroffen. Laut rief er, der sonst ein
gottloser Frevler gewesen, der die Gebote der Kirche in höllischem Wahn
verachtet, die heilige Jungfrau um Hilfe an, und es gefiel der
himmlischen Mutter Gottes, ihn aus dem Tode zu erwecken, damit er noch
lebe, seine Irrtümer einsehe und sich in frommer Hingebung der Kirche
weihe und ihrem Dienst. -- Dieser Jüngling, dem die Gottgesandte so viel
Gnade angedeihen ließ, ist zugleich der Maler des Bildes. --

Kreisler bezeugte über das, was ihm der Abt sagte, seine nicht geringe
Verwunderung und schloß damit, daß auf diese Weise das Mirakel ja in der
neuesten Zeit sich zugetragen haben müsse?

Auch Ihr, sprach der Abt mit sanftem mildem Ton, auch Ihr, mein lieber
Johannes, seid also der törichten Meinung, daß das Gnadentor des Himmels
jetzt verschlossen sei, so daß das Mitleiden, die Barmherzigkeit in der
Gestalt des Heiligen, den der bedrängte Mensch in der zermalmenden Angst
des Verderbens brünstig anflehte, nicht mehr hindurchwandeln, selbst dem
Bedürftigen erscheinen und ihm Frieden und Trost bringen könne? -- Glaubt
mir Johannes, nie haben die Wunder aufgehört, aber des Menschen Auge ist
erblödet in sündigem Frevel, es kann den überirdischen Glanz des Himmels
nicht ertragen, und vermag daher nicht die Gnade der ewigen Macht zu
erkennen, wenn sie sich kundtut in sichtbarlicher Erscheinung. -- Doch
mein lieber Johannes: die herrlichsten göttlichsten Wunder geschehen in
dem innersten Gemüt des Menschen selbst, und diese Wunder soll er laut
verkünden, wie er es nur vermag, in Wort, Ton oder Farbe. So hat jener
Mönch, der das Bild malte, das Wunder seiner Bekehrung herrlich
verkündet, und so -- Johannes, ich muß von Euch reden, es strömt mir aus
dem Herzen -- und so verkündet Ihr in mächtigen Tönen das herrliche
Wunder der Erkenntnis des ewigen, klarsten Lichts aus Eurem tiefsten
Innern heraus. Und daß Ihr das vermöget, ist das nicht auch ein
gnadenvolles Wunder, das die ewige Macht geschehen läßt zu Euerm Heil?
--

Kreisler fühlte sich von des Abts Worten gar seltsam erregt; so wie es
selten geschehen, trat der volle Glauben an seine innere schöpferische
Kraft lebendig hervor und ihn durchbebte ein seliges Wohlbehagen.

Nicht den Blick hatte Kreisler indessen abgewandt von dem wunderbaren
Gemälde, aber wie es wohl zu geschehen pflegt, daß wir auf Bildern,
vorzüglich wenn, wie es hier der Fall, starke Lichteffekte im Vor- oder
Mittelgrunde angebracht sind, die in den dunklen Hintergrund gestellten
Figuren erst später entdecken, so gewahrte auch jetzt erst Kreisler die
Gestalt, die in einen weiten Mantel gehüllt, den Dolch, auf den nur ein
Strahl der Glorie der Himmelskönigin zu fallen schien, so daß er kaum
bemerkbar blinkte, in der Hand, durch die Türe entfloh. Es war offenbar
der Mörder; im Entfliehen blickte er rückwärts und sein Gesicht trug den
furchtbaren Ausdruck der Angst und des Entsetzens.

Wie ein Blitz traf es den Kreisler, als er in dem Antlitz des Mörders
die Züge des Prinzen Hektor erkannte; nun war es ihm auch, als habe er
den zum Leben erwachenden Jüngling schon irgendwo, wiewohl nur sehr
flüchtig, gesehen. Eine ihm selbst unerklärliche Scheu hielt ihn zurück,
diese Bemerkungen dem Abte mitzuteilen, dagegen fragte er den Abt, ob er
es nicht für störend und anstößig halte, daß der Maler ganz im
Vorgrunde, wiewohl im Schlagschatten, Gegenstände des modernen Anzuges
angebracht, und wie er jetzt erst sehe auch den erwachenden Jüngling,
also sich selbst, modern gekleidet?

In der Tat war auf dem Bilde, und zwar zur Seite des Vorgrundes, ein
kleiner Tisch und ein dicht daneben stehender Stuhl angebracht, auf
dessen Lehne ein türkischer Shawl hing, sowie auf dem Tisch ein
Offiziershut mit einem Federbusch und ein Säbel lagen. Der Jüngling trug
einen modernen Hemdkragen, eine Weste, die ganz aufgeknöpft, und einen
dunklen, ebenfalls ganz aufgeknöpften Überrock, dessen Schnitt aber
einen guten Faltenwurf zuließ. Die Himmelskönigin war gekleidet, wie man
sie auf den Bildern der besten alten Maler zu sehen gewohnt ist.

Mir ist, erwiderte der Abt auf Kreislers Frage, mir ist die Staffage im
Vorgrunde sowie des Jünglings Überrock nicht allein keineswegs anstößig,
sondern ich meine auch, daß der Maler nicht von des Himmels Gnade,
sondern von weltlicher Torheit und Eitelkeit hätte durchdrungen sein
müssen, wenn er auch nur in dem geringfügigsten Nebenpunkte von der
Wahrheit abgewichen wäre. So wie es sich wirklich begab, getreu nach
Ort, Umgebung, Kleidung der Personen u. s. w. mußte er das Mirakel
darstellen, so sieht auch jeder auf den ersten Blick, daß sich das
Mirakel in unsern Tagen begab, und so wird das Gemälde des frommen
Mönchs zur schönen Trophäe der siegenden Kirche in diesen Zeiten des
Unglaubens und der Verderbtheit.

Und doch, sprach Kreisler, und doch ist mir dieser Hut, dieser Säbel,
dieser Shawl, dieser Tisch, dieser Stuhl -- ist mir das alles, sage ich,
fatal, und ich wollte, der Maler hätte diese Staffage des Vorgrundes
weggelassen, und sich selbst ein Gewand umgeworfen, statt des Überrocks.
Sagt selbst, hochehrwürdiger Herr! könnt Ihr Euch eine heilige
Geschichte denken im modernen Kostüm, einen heiligen Joseph im
Flauschrock, einen Heiland im Frack, eine Jungfrau in einer Robe mit
umgeworfenen türkischen Shawl? Würde Euch das nicht als eine unwürdige
ja abscheuliche Profanation des Erhabensten erscheinen? Und doch
stellten die alten, vorzüglich die deutschen Maler alle biblischen und
heiligen Geschichten in dem Kostüm ihres Zeitalters dar, und ganz falsch
möchte die Behauptung sein, daß sich jene Trachten besser zur
malerischen Darstellung eigneten als die jetzigen; die freilich, bis auf
manche Kleidung der Weiber, albern und unmalerisch genug sind. Doch bis
ins Übertriebene, bis ins Ungeheuere, möcht ich sagen gingen ja manche
Moden der Vorzeit; man denke an jene Ellen hoch aufgekrümmte
Schnabelschuhe, an jene bauschichte Pluderhosen, an jene zerschnittene
Wämser und Ärmel u. s. w., vollends unausstehlich und Antlitz und Wuchs
entstellend waren aber manche Weibertrachten, wie man sie auf alten
Bildern findet, auf denen das junge blühende, bildschöne Mädchen bloß
der Tracht halber das Ansehen hat einer alten grämlichen Matrone. Und
doch sind gewiß jene Bilder niemanden anstößig gewesen.

Nun kann ich Euch, mein lieber Johannes, erwiderte der Abt, mit wenigen
Worten recht den Unterschied der alten frommen und der jetzigen
verderbten Zeit vor Augen bringen. -- Seht, damals waren die heiligen
Geschichten so in das Leben der Menschen eingedrungen, ja, ich möchte
sagen, so im Leben bedingt, daß jeder glaubte, vor seinen Augen habe
sich das Wundervolle begeben und jeden Tag könne die ewige Allmacht
Gleiches geschehen lassen. So ging dem frommen Maler die heilige
Geschichte, der er seinen Sinn zugewendet, in der Gegenwart auf; unter
den Menschen, wie sie ihn im Leben umgaben, sah er das Gnadenreiche
geschehen, und wie er es lebendig geschaut, brachte er es auf die Tafel.
Heutzutage sind jene Geschichten etwas ganz Entferntes, das als für sich
bestehend und in die Gegenwart nicht eintretend, nur in der Erinnerung
ein mattes Leben mühsam behauptet, und vergebens ringt der Künstler nach
lebendiger Anschauung, da, mag er es sich auch selbst nicht gestehen,
sein innerer Sinn durch das weltliche Forttreiben verflacht ist.
-- Ebenso fade und lächerlich ist es aber hiernach, wenn man den alten
Malern Unkenntnis des Kostüms vorwirft und darin die Ursache findet,
warum sie nur die Trachten ihrer Zeit in ihren Gemälden aufstellten, als
wenn unsere jungen Maler sich mühen die abenteuerlichsten
geschmackwidrigsten Trachten des Mittelalters in ihren Abbildungen
heiliger Geschichten anzubringen, dadurch aber zeigen, daß sie das, was
sie abzubilden unternommen, nicht unmittelbar im Leben anschauten,
sondern sich mit dem Reflex davon begnügten, wie er ihnen im Gemälde des
alten Meisters aufging. Eben daher, mein lieber Johannes, weil die
Gegenwart zu profan, um nicht mit jenen frommen Legenden im häßlichen
Widerspruch zu stehen, weil niemand im Stande ist, sich jene Wunder als
unter uns geschehen vorzustellen, eben daher würde allerdings die
Darstellung in unserem modernen Kostüm uns abgeschmackt, fratzenhaft, ja
frevelig bedünken. Ließe es aber die ewige Macht geschehen, daß vor
unser aller Augen nun wirklich ein Wunder geschehe, so würde es durchaus
unzulässig sein, das Kostüm der Zeit zu ändern, so wie die jungen Maler
nun freilich, wollen sie einen Stützpunkt finden, darauf bedacht sein
müssen, in alten Begebenheiten das Kostüm des jedesmaligen Zeitalters,
so wie es erforschlich, richtig zu beobachten. -- Recht, wiederhole ich
noch einmal, recht hatte der Maler dieses Bildes, daß er die Gegenwart
andeutete, und eben jene Staffage, die Ihr, lieber Johannes, verwerflich
findet, erfüllt mich mit frommen heiligen Schauern, da ich selbst
einzutreten wähne in das enge Gemach des Hauses zu Neapel, wo sich erst
vor ein paar Jahren das Wunder der Erweckung jenes Jünglings begab. --

Kreisler wurde durch die Worte des Abts zu Betrachtungen mancherlei Art
veranlaßt; er mußte ihm in vielem recht geben, nur meinte er doch, daß
was die höhere Frömmigkeit der alten Zeit und die Verderbtheit der
jetzigen betreffe, aus dem Abt gar zu sehr der Mönch spreche, der
Zeichen, Wunder, Verzückungen verlange und wirklich schaue, deren ein
frommer kindlicher Sinn, dem die krampfhafte Ekstase eines berauschenden
Kultus fremd bleibe, nicht bedürfe, um wahrhaft christliche Tugend zu
üben; und eben diese Tugend sei keineswegs von der Erde verschwunden,
und könne dies wirklich geschehen, so würde die ewige Macht, die uns
aufgegeben und dem finstern Dämon freie Willkür gegönnt, uns auch durch
kein Mirakel zurückbringen wollen auf den rechten Weg. --

Alle diese Betrachtungen behielt indessen Kreisler für sich und
betrachtete schweigend noch immer das Bild. Aber immer mehr traten auch
bei näherem und näherem Anschauen die Züge des Mörders aus dem
Hintergrunde hervor, und Kreisler überzeugte sich, daß das lebendige
Original der Gestalt niemand anders sein könne als Prinz Hektor.

Mich dünkt, hochehrwürdiger Herr! begann Kreisler, ich erblicke dort im
Hintergrunde einen wackern Freischützen, der es abgesehen hat auf das
edelste Tier, nämlich auf den Menschen, den er pirscht auf mannigfache
Weise. Er hat diesmal, wie ich sehe, ein treffliches wohlgeschliffnes
Fangeisen zur Hand genommen und gut getroffen, mit dem Schießgewehr
hapert's aber merklich, da er vor nicht langer Zeit auf dem Anstand
einen muntern Hirsch garstig fehlte. -- In der Tat, mich gelüstets gar
sehr nach dem _Curriculum vitae_ dieses entschlossenen Weidmanns, sei es
auch nur ein epitomatischer Auszug aus demselben, der mir schon zeigen
könnte, wo ich eigentlich meine Stelle finde und ob es nicht geraten,
mich nur gleich an die heilige Jungfrau zu wenden, wegen eines mir
vielleicht nötigen Frei- und Schutzbriefes! --

Laßt nur die Zeit hingehen, Kapellmeister! sprach der Abt, mich sollt'
es wundern, wenn Euch nicht in kurzem so manches klar würde, das jetzt
noch in trübem Dunkel liegt. -- Es kann sich noch vieles Euern Wünschen,
die ich erst jetzt erkannt, gar freudig fügen. Seltsam -- ja so viel
kann ich Euch wohl sagen -- seltsam genug scheint es, daß man in
Sieghartshof über Euch im gröbsten Irrtum ist. Meister Abraham mag
vielleicht der einzige sein, der Euer Innres durchschaut.

Meister Abraham, rief Kreisler, Ihr kennt den Alten, hochehrwürdiger
Herr?

Ihr vergeßt, erwiderte der Abt lächelnd, daß unsere schöne Orgel ihre
neue wirkungsvolle Struktur der Geschicklichkeit Meister Abrahams zu
verdanken hat! -- Doch künftig mehr! -- Wartet nur in Geduld der Dinge,
die da kommen werden.

Kreisler beurlaubte sich beim Abt; er wollte hinab in den Park, um so
manchen Gedanken nachzuhängen, die ihn durchkreuzten; doch als er schon
die Treppe hinabgestiegen war, hörte er hinter sich herrufen: _Domine,
domine Capellmeistere! -- paucis te volo!_ -- Es war der Pater Hilarius,
welcher versicherte, daß er mit höchster Ungeduld auf das Ende der
langen Konferenz mit dem Abt gewartet. Soeben habe er sein
Kellermeisteramt verrichtet und den herrlichsten Leistenwein abgezogen,
der seit Jahren im Keller gewesen. Ganz unumgänglich nötig sei es, daß
Kreisler sogleich einen Pokal davon leere zum Frühstück, um die Güte des
edlen Gewächses zu erkennen und sich zu überzeugen, daß es ein Wein sei,
der feurig, geist- und herzstärkend, für einen tüchtigen Kompositor und
echten Musikanten geboren.

Kreisler wußte wohl, daß es vergeblich sein würde, dem begeisterten
Pater Hilarius entgehen zu wollen und es war ihm selbst recht bei der
Stimmung, in die er sich versetzt fühlte, ein Glas guten Wein zu
genießen, er folgte daher dem fröhlichen Kellermeister, der ihn in seine
Zelle führte, wo er auf einem kleinen, mit einer saubern Serviette
bedeckten Tischchen schon eine Flasche des edlen Getränks sowie
frischgebacknes Weißbrot und Kümmel vorfand. -- _Ergo bibamus!_ rief Pater
Hilar, schenkte die zierlichen grünen Römer voll und stieß mit Kreislern
fröhlich an. Nicht wahr, begann er, nachdem die Pokale geleert, nicht
wahr, Kapellmeister, unser hochwürdiger Herr will Euch gern in den
langen Rock hineinvexieren? -- Tut's nicht, Kreisler! -- Mir ist wohl in
der Kutte, ich möchte sie um keinen Preis wieder ablegen; aber
_distinguendum est inter et inter._ -- Für mich ist ein gut Glas Wein und
ein tüchtiger Kirchengesang die ganze Welt, aber Ihr -- Ihr! Nun Ihr
seid noch zu ganz andern Dingen aufgehoben, Euch lacht noch das Leben
auf ganz andre Weise, Euch leuchten noch ganz andre Lichter, als die
Altarkerzen! -- Nun Kreisler! kurz von der Sache zu reden -- stoßt an!
_Vivat_ Euer Mädel, und wenn Ihr Hochzeit macht, so soll Euch der Herr Abt
alles Verdrusses unerachtet durch mich von dem besten Wein senden, der
nur in unserm reichen Keller befindlich!

Kreisler fühlte sich durch Hilarius Worte berührt auf unangenehme Weise,
so wie es uns schmerzt, wenn wir etwas Zartes, Schneereines erfaßt sehn
von plumpen ungeschickten Händen. Was Ihr nicht alles wißt, sprach
Kreisler, indem er sein Glas zurückzog, was Ihr nicht alles erfahrt in
Euern vier Mauern.

_Domine Kreislere,_ rief Pater Hilarius, nichts für ungut, _video
mysterium_ aber ich will das Maul halten! Wollt Ihr nicht auf Euer --
Nun! laßt uns frühstücken in _Camera et faciemus bonum cherubim_ -- und
_bibamus,_ daß der Herr uns hier in der Abtei die Ruhe und Gemütlichkeit
erhalten möge, die bisher geherrscht.

Ist denn die jetzt in Gefahr gekommen! -- fragte Kreisler gespannt.

_Domine,_ sprach Pater Hilarius leise, indem er Kreislern vertraulich
näher rückte. _Domine dilectissime!_ Ihr seid lange genug bei uns um zu
wissen, in welcher Eintracht wir leben, wie sich die verschiedensten
Neigungen der Brüder in einer gewissen Heiterkeit einigen, die von
allem, von unserer Umgebung, von der Milde der Klosterzucht, von der
ganzen Lebensweise begünstigt wird. -- Vielleicht hat das am längsten
gedauert. Erfahrt es Kreisler! eben ist Pater Cyprianus angekommen, der
längst erwartete, der von Rom aus dem Abt auf das dringendste empfohlen
wurde. Es ist noch ein junger Mann, aber auf diesem ausgedörrten starren
Antlitz ist auch nicht eine Spur eines heitern Gemüts zu finden,
vielmehr liegt in den finstern abgestorbenen Zügen eine unerbittliche
Strenge, die den bis zur höchsten Selbstqual gesteigerten Aszetiker
verkündet. Dabei zeugt sein ganzes Wesen von einer gewissen feindseligen
Verachtung alles dessen, was ihn umgibt, die vielleicht wirklich dem
Gefühl einer geistlichen Übermacht über uns alle ihren Ursprung
verdanken mag. Schon erkundigte er sich in abgebrochenen Worten nach der
Klosterzucht und schien großes Ärgernis an unserer Lebensweise zu
nehmen. -- Gebt acht, Kreisler, dieser Ankömmling wird unsre ganze
Ordnung, die uns so wohlgetan, verkehren! Gebt acht, _nunc probo!_ Die
Strenggesinnten werden sich leicht an ihn anschließen, und bald wird
sich eine Partei wider den Abt bilden, der vielleicht der Sieg nicht
entgehen kann, weil es mir gewiß scheint, daß Pater Cyprianus ein
Emissar Sr. päpstlichen Heiligkeit ist, dessen Willen sich der Abt
beugen muß! -- Kreisler! was wird aus unserer Musik, aus Eurem
gemütlichen Aufenthalt bei uns werden! -- Ich sprach von unserm
wohleingerichteten Chor und wie wir die Werke der größten Meister recht
wacker auszuführen im Stande, da schnitt aber der finstre Aszetiker ein
entsetzliches Gesicht und meinte, dergleichen Musik sei für die profane
Welt, aber nicht für die Kirche, aus der sie der Papst Marcellus der
Zweite mit Recht ganz verbannen wollen. -- _Per diem_ wenn es keinen Chor
mehr geben soll und man mir vielleicht auch den Weinkeller verschließt
so -- doch vorderhand, _bibamus!_ -- Man muß sich vor der Zeit keine
Gedanken machen, _ergo_ -- gluck-gluck.

Kreisler meinte, daß es sich wohl mit dem neuen Ankömmling, der
vielleicht strenger schiene als er es wirklich sei, besser fügen und er
seinerseits nicht glauben könne, daß der Abt bei dem festen Charakter,
den er stets bewiesen, so leicht dem Willen eines fremden Mönchs
nachgeben werde, zumal es ihm selbst an wichtigen, erfolgreichen
Verbindungen in Rom gar nicht fehle.

In dem Augenblick wurden die Glocken gezogen, ein Zeichen, daß die
feierliche Aufnahme des fremden Bruders Cyprianus in den Orden des
heiligen Benedikt vor sich gehen solle.

Kreisler begab sich mit dem Pater Hilarius, der mit einem
halbängstlichen: _bibendum quid_ noch die Neige seines Römers schnell
hinunter schluckte, auf den Weg nach der Kirche. Aus den Fenstern des
Korridors, den sie durchschritten, konnte man in die Gemächer des Abts
hineinschauen. Seht, seht! rief Pater Hilar, indem er den Kreisler in
die Ecke eines Fensters zog. Kreisler schaute hinüber und gewahrte in
dem Gemach des Abts einen Mönch, mit dem der Abt sehr eifrig sprach,
indem eine dunkle Röte sein Antlitz überzog. Endlich kniete der Abt
nieder vor dem Mönch, der ihm den Segen gab.

Hab ich recht, sprach Hilarius leise, wenn ich in diesem fremden Mönch,
der mit einem Mal hinabschneit in unsre Abtei, etwas Besonderes,
Seltsames suche und finde.

Gewiß, erwiderte Kreisler, hat es mit diesem Cyprianus eine eigne
Bewandtnis, und mich sollt es wundern, wenn nicht gewisse Beziehungen
sich sehr bald kundtun sollten.

Pater Hilarius begab sich zu den Brüdern um mit ihnen in feierlicher
Prozession, das Kreuz vorauf, die Laienbrüder mit angezündeten Kerzen
und Fahnen an den Seiten in die Kirche zu ziehen.

Als nun der Abt mit dem fremden Mönch dicht bei Kreisler vorüberkam,
erkannte dieser auf den ersten Blick, daß Bruder Cyprianus eben der
Jüngling war, den auf jenem Bilde die heilige Jungfrau aus dem Tode zum
Leben erweckte. -- Doch noch eine Ahnung erfaßte Kreislern plötzlich. Er
rannte hinauf in sein Zimmer, er holte das kleine Bildnis hervor, das
ihm Meister Abraham gegeben, er erblickte denselben Jüngling, nur
jünger, frischer und in Offizier-Uniform abgebildet. Als nun --



Vierter Abschnitt.

Ersprießliche Folgen höherer Kultur. -- Die reiferen Monate des Mannes.


Hinzmanns rührender Sermon, das Trauermahl, die schöne Mina, Miesmies
Wiederfinden, der Tanz, alles das hatte in meiner Brust einen Zwiespalt
der widersprechendsten Gefühle erregt, so daß ich, wie man im
gewöhnlichen Leben gemeinhin sagt, mich eigentlich gar nicht zu lassen
wußte und in einer gewissen trostlosen Bangigkeit des Gemüts wünschte,
ich läge im Keller in der Grube, wie Freund Muzius. Das war nun freilich
sehr arg und ich wüßte gar nicht, was aus mir geworden wäre, lebte nicht
der wahre, hohe Dichtergeist in mir, der sofort mich mit reichlichen
Versen versorgte, die ich niederzuschreiben nicht unterließ. -- Die
Göttlichkeit der Poesie offenbart sich vorzüglich darin, daß das
Versemachen, kostet auch der Reim hin und wieder manchen Schweißtropfen,
doch ein wunderbares inneres Wohlbehagen erregt, das jedes irdische Leid
überwindet, so wie man denn wissen will, daß es sogar oftmals schon
Hunger und Zahnschmerzen besiegt hat. Jener soll, da der Tod ihm den
Vater, die Mutter, die Gattin raubte, zwar bei jedem Todesfall, wie
billig ganz außer sich, aber doch bei dem Gedanken an das herrliche
Trauer-Carmen, das er nun im Geist zu empfangen gedachte, niemals
untröstlich gewesen sein und bloß noch einmal sich verheiratet haben, um
die Hoffnung abermaliger tragischer Begeisterung derselben Art nicht
aufzugeben. --

Hier sind die Verse, die meinen Zustand sowie den Übergang von Leid zur
Freude mit poetischer Kraft und Wahrheit schildern.

  Was wandelt horch! durch finstre Räume
  In öder Keller Einsamkeit!
  Was ruft mir zu: Nicht länger säume!
  Wes Stimme klagt ein herbes Leid?
  Dort liegt der treue Freund begraben,
  Nach mir verlangt sein irrer Geist;
  =Mein= Trost soll ihn im Tode laben,
  =Ich= bin's, der Leben ihm verheiß!

  Doch nein! -- das ist kein flücht'ger Schatten,
  Der solche Töne von sich gibt!
  Sie seufzen nach dem treuen Gatten,
  Nach ihm, der noch so heiß geliebt!
  In alte Liebesketten fallen,
  Rinaldo will's, er kehrt zurück,
  Doch wie! -- Schau' ich nicht spitze Krallen?
  Nicht eifersücht'gen Zornes Blick?

  Sie ist's -- die Frau! -- wohin entfliehen! --
  Ha! welch Gefühl bestürmt die Brust.
  Im keuschen Schnee der Jugend blühen,
  Seh' ich des Lebens höchste Lust.
  Sie springt, sie nah't, und immer heller,
  Wird's um mich Hochbeglückten her.
  Ein süßer Duft durchweht den Keller,
  Die Brust wird leicht, das Herz wird schwer.

  Der Freund gestorben -- =sie= gefunden --
  Entzücken! -- Wonne! -- bittrer Schmerz!
  Die Gattin -- Tochter -- neue Wunden! --
  Ha! sollst du brechen armes Herz?
  Doch kann den Sinn wohl so betören,
  Ein Trauermahl, ein lust'ger Tanz?
  Nein -- diesem Treiben muß ich wehren,
  Mich blendet nur ein falscher Glanz.

  Hinweg ihr eitlen Truggebilde,
  Gebt höher'm Streben willig Raum.
  Gar manches führt die Katz' im Schilde,
  Sie liebt, sie haßt und weiß es kaum.
  Kein Ton, kein Blick, senkt eure Augen,
  O Mina, Miesmies, falsch Geschlecht!
  Verderblich Gift, nicht will ich's saugen,
  Ich flieh' und Muzius sei gerächt.

  Verklärter: -- ja bei jedem Braten,
  Bei jedem Fisch gedenk ich dein!
  Denk' deiner Weisheit, deiner Taten,
  Denk' Kater ganz wie du zu sein.
  Gelang es hünd'schem Frevelwitze,
  Dich zu verderben edler Freund,
  So trifft die Schmach blutgier'ge Spitze,
  Es rächet dich, der um dich weint.

  So flau, so jammervoll im Busen
  War mir's, ich wußte gar nicht wie.
  Doch hoher Dank den holden Musen,
  Dem kühnen Flug der Phantasie.
  Mir ist jetzt wieder leidlich besser,
  Spür' gar nicht g'ringen Appetit,
  Bin Muzius gleich ein wackrer Esser,
  Und ganz in Poesie erglüht.

  Ja Kunst! du Kind aus hohen Sphären,
  Du Trösterin im tiefsten Leid,
  O! Verslein laß mich stets gebären,
  Mit genialer Leichtigkeit!
  Und: Murr, so sprechen edle Frauen,
  Hochherz'ge Jünglinge, o Murr:
  »Du Dichterherz, ein zart Vertrauen,
  »Weckt in der Brust dein süß Gemurr!«

Die Wirkung des Verslein-Machens war zu wohltätig, ich konnte mich nicht
mit diesem Gedicht begnügen, sondern machte mehre hintereinander mit
gleicher Leichtigkeit, mit gleichem Glück. Die gelungensten würd' ich
hier dem geneigten Leser mitteilen, hätte ich nicht im Sinn, dieselben
mit mehreren Witzwörtern und Impromptus, die ich in müßigen Stunden
angefertigt und über die ich schon beinahe vor Lachen bersten mögen,
unter dem allgemeinen Titel: Was ich gebar in Stunden der Begeisterung,
herauszugeben. -- Zu meinem nicht geringen Ruhm muß ich es sagen, daß
selbst in meinen Jünglingsjahren, wenn der Sturm der Leidenschaft noch
nicht verbraust ist, ein heller Verstand, ein feiner Takt für das
Gehörige, die Oberhand behielt über jeden abnormen Sinnenrausch. So
gelang es mir auch die plötzlich aufgewallte Liebe zu der schönen Mina
gänzlich zu unterdrücken. Einmal mußte mir denn doch bei ruhiger
Überlegung diese Leidenschaft in meinen Verhältnissen etwas töricht
vorkommen; dann erfuhr ich aber auch, daß Mina des äußern Scheins
kindlicher Frömmigkeit unerachtet, ein keckes eigensinniges Ding sei,
die bei gewissen Anlässen den bescheidensten Katerjünglingen in die
blanken Augen fahre. Um mir aber jeden Rückfall zu ersparen, vermied ich
sorglich Mina zu sehen, und da ich Miesmies vermeintliche Ansprüche und
ihr seltsames überspanntes Wesen noch mehr scheute, so hielt ich mich,
um ja keiner von beiden zu begegnen, einsam im Zimmer und besuchte weder
den Keller, noch den Boden, noch das Dach. Der Meister schien dies gern
zu sehen; er erlaubte, daß ich, studierte er am Schreibtisch, mich
hinter seinem Rücken auf den Lehnstuhl setzen und mit vorgestrecktem
Halse durch den Arm in das Buch gucken durfte, welches er eben las. -- Es
waren ganz hübsche Bücher die wir, ich und mein Meister auf diese Art
zusammen durchstudierten, wie z. B. Arpe, _De prodigiosis naturae et
artis operibus, Talismanes et Amuleta dictis,_ Beckers bezauberte Welt,
Francisci Petrarca Gedenkbuch u. a. m. -- Diese Lektüre zerstreute mich
ungemein und gab meinem Geist einen neuen Schwung.

Der Meister war ausgegangen, die Sonne schien so freundlich, die
Frühlingsdüfte wehten so anmutig zum Fenster hinein; ich vergaß meine
Vorsätze und spazierte hinauf auf das Dach. Kaum war ich aber oben, als
ich auch schon Muzius Witwe erblickte, die hinter dem Schornstein
hervorkam. -- Vor Schreck blieb ich regungslos stehen, wie eingewurzelt;
schon hörte ich mich bestürmt mit Vorwürfen und Beteuerungen. -- Weit
gefehlt. -- Gleich hinterher folgte der junge Hinzmann, rief die schöne
Witwe mit süßen Namen, sie blieb stehen, empfing ihn mit lieblichen
Worten, beide begrüßten sich mit dem entschiedenen Ausdruck inniger
Zärtlichkeit und gingen dann schnell an mir vorüber, ohne mich zu grüßen
oder sonst im mindesten zu beachten. Der junge Hinzmann schämte sich
ganz gewiß vor mir, denn er senkte den Kopf zu Boden und schlug die
Augen nieder, die leichtsinnige kokette Witwe warf mir aber einen
höhnischen Blick zu.

Der Kater ist, was sein psychisches Wesen betrifft, doch eine gar
närrische Kreatur. -- Hätte ich nicht froh sein können, sein müssen, daß
Muzius Witwe anderweitig mit einem Liebhaber versehen, und doch konnte
ich mich eines gewissen innern Ärgers nicht erwehren, der beinahe das
Ansehen hatte von Eifersüchtelei. -- Ich schwor niemals mehr das Dach zu
besuchen, wo ich große Unbill erlebt zu haben glaubte. Statt dessen
sprang ich nun fleißig auf die Fensterbank, sonnte mich, schaute um mich
zu zerstreuen auf die Straße herab, stellte allerlei tiefsinnige
Betrachtungen an und verband so das Angenehme mit dem Nützlichen.

Ein Gegenstand dieser Betrachtungen war denn auch, warum es mir noch
niemals eingefallen, mich aus eignem freien Antriebe vor die Haustüre zu
setzen oder auf der Straße zu lustwandeln, wie ich es doch viele von
meinem Geschlecht tun sah, ohne alle Furcht und Scheu. Ich stellte mir
das als etwas höchst Angenehmes vor und war überzeugt, daß nun, da ich
zu reiferen Monaten gekommen und Lebenserfahrung genug gesammelt, von
jenen Gefahren in die ich geriet, als das Schicksal mich, einen
unmündigen Jüngling, hinausschleuderte in die Welt, nicht mehr die Rede
sein könne. Getrost wandelte ich daher die Treppe herab und setzte mich
fürs erste auf die Türschwelle, in den hellsten Sonnenschein. Daß ich
eine Stellung annahm, die jedem auf den ersten Blick den gebildeten,
wohlerzogenen Kater verraten mußte, versteht sich von selbst. Es gefiel
mir vor der Haustüre ganz ungemein. Indem die heißen Sonnenstrahlen
meinen Pelz wohltätig auswärmten, putzte ich mit gekrümmter Pfote
zierlich Schnauze und Bart, worüber mir ein paar vorübergehende junge
Mädchen, die den großen, mit Schlössern versehenen Mappen nach, die sie
trugen, aus der Schule kommen mußten, nicht allein ihr großes Vergnügen
bezeugten, sondern mir auch ein Stückchen Weißbrot verehrten, welches
ich nach gewohnter Galanterie dankbarlichst annahm. --

Ich spielte mehr mit der mir dargebotenen Gabe, als daß ich sie
wirklich zu verzehren Anstalt machte, aber wie groß war mein Entsetzen,
als plötzlich ein starkes Brummen dicht bei mir dies Spiel unterbrach,
und der mächtige Alte, Ponto's Oheim, der Pudel Skaramuz vor mir stand.
Mit einem Satz wollte ich fort aus der Türe, doch Skaramuz rief mir zu:
Sei er kein Hasenfuß und bleib er ruhig sitzen; glaubt er, ich werd ihn
fressen? --

Mit der demütigsten Höflichkeit fragte ich, worin ich vielleicht dem
Herrn Skaramuz nach meinen geringen Kräften dienen könne, der erwiderte
aber barsch: In nichts in gar nichts kann er mir dienen, Mosje Murr, und
wie sollte das auch möglich sein. Aber fragen wollt' ich ihn, ob er
vielleicht weiß, wo mein liederlicher Neffe steckt, der junge Ponto. Er
hat sich ja wohl schon einmal mit ihm herumgetrieben, und ihr scheinet
zu meinem nicht geringen Ärger ein Herz und eine Seele. Nun? -- sag er
nur an, ob er weiß, wo der Junge herumschwärmt; ich habe ihn schon seit
mehreren Tagen mit keinem Auge gesehen.

Verlegen durch des mürrischen Alten stolzes wegwerfendes Betragen,
versicherte ich kalt, daß von einer engen Freundschaft zwischen mir und
dem jungen Ponto gar nicht die Rede sei und auch niemals die Rede
gewesen wäre. Zumal in der letzten Zeit habe sich Ponto, den ich
übrigens gar nicht aufgesucht, ganz von mir zurückgezogen.

Nun das freut mich, brummte der Alte, das zeigt doch, daß der Junge Ehre
im Leibe hat und nicht gleich bei der Hand ist mit Leuten allerlei
Gelichters sein Wesen zu treiben.

Das war denn doch nicht auszuhalten, der Zorn übermannte mich, das
Burschentum regte sich in mir, ich vergaß alle Furcht, und prustete dem
schnöden Skaramuz ein tüchtiges: Alter Grobian! ins Gesicht, hob auch
die rechte Pfote mit ausgespreizten Krallen in die Höhe und zwar in der
Richtung nach des Pudels linkem Auge. Der Alte wich zwei Schritte zurück
und sprach weniger barsch, als vorher: Nun, nun Murr! nichts für ungut,
ihr seid sonst ein guter Kater und da will ich euch denn raten, nehmt
euch in acht vor dem Blitzjungen dem Ponto! Er ist, ihr möget es
glauben, eine ehrliche Haut, aber leichtsinnig! -- leichtsinnig! zu
allen tollen Streichen aufgelegt, kein Ernst des Lebens, keine Sitte!
-- Nehmt euch in acht, sag' ich, denn bald wird er euch verlocken in
allerlei Gesellschaften, wo ihr gar nicht hingehört und euch mit
unsäglicher Mühe zu einer Art des sozialen Umgangs zwingen müßt, die
eurer innersten Natur zuwider und über die eure Individualität, eure
einfache ungeheuchelte Sitte, wie ihr sie mir eben bewiesen, zu Grunde
geht. -- Seht, guter Murr, Ihr seid, wie ich schon gesagt, als Kater
schätzenswert und habt für gute Lehre ein williges geneigtes Ohr!
-- Seht! so viel tolle, unangenehme ja zweideutige Streiche auch ein
Jüngling verführen mag, zeigt er nur dann und wann jene weichliche ja
oft süßliche Gutmütigkeit, wie sie Leuten von sanguinischem Temperament
immer eigen, so heißt es denn gleich mit dem französischen Ausdruck: _Au
fond_ ist er doch ein guter Kerl und das soll denn alles entschuldigen,
was er beginnt gegen alle Sitte und Ordnung. Aber der _fond_, in dem der
Kern des Guten steckt, liegt so tief und über ihm hat sich so viel Unrat
eines ausgelassenen Lebens gesammelt, daß er im Keime ersticken muß.
-- Für wahrhaftes Gefühl des Guten wird einem aber oft jene alberne
Gutmütigkeit aufgetischt, die der Teufel holen soll, wenn sie nicht
vermag den Geist des Bösen in einer glänzenden Maske zu erkennen. Traut,
o Kater, den Erfahrungen eines alten Pudels, der sich was in der Welt
versucht und laßt Euch nicht durch das verdammte: _Au fond_ ist er ein
guter Kerl, betören! -- Seht Ihr etwa meinen liederlichen Neffen, so
möget Ihr ihm alles geradezu heraussagen, was ich mit Euch gesprochen,
und Euch seine fernere Freundschaft gänzlich verbitten. -- Gott
befohlen! -- Ihr freßt das wohl nicht, guter Murr?

Damit nahm der alte Pudel Skaramuz das Stückchen Weißbrot, das vor mir
lag, hurtig ins Maul und schritt dann gemächlich von dannen, indem er
mit gesenktem Haupt die lang behaarten Ohren an der Erde schleppen ließ
und ein ganz klein wenig mit dem Schweife wedelte. --

Gedankenvoll schaute ich dem Alten nach, dessen Lebensweisheit mir ganz
eingehen wollte. Ist er fort, ist er fort? So lispelte es dicht hinter
mir, und ich erstaunte nicht wenig, als ich den jungen Ponto erblickte,
der sich hinter die Türe geschlichen und so lange gewartet hatte, bis
der Alte mich verlassen. Ponto's plötzliche Erscheinung setzte mich
gewissermaßen in Verlegenheit, da mir des alten Onkels Auftrag, den ich
jetzt eigentlich hätte ausrichten müssen, doch etwas bedenklich schien.
Ich dachte an jene entsetzlichen Worte, die Ponto mir einst zugerufen:
Solltest du es dir etwa beikommen lassen, feindliche Gesinnungen gegen
mich zu äußern, so bin ich dir an Stärke und Gewandheit überlegen. Ein
Sprung, ein tüchtiger Biß meiner scharfen Zähne würde dir auf der Stelle
den Garaus machen. -- Ich fand es sehr ratsam zu schweigen. --

Diese inneren Bedenklichkeiten mochten mein äußeres Betragen kalt und
gezwungen erscheinen lassen, Ponto guckte mich an mit scharfem Blick.
Dann brach er aus in eine helle Lache und rief: Ich merk es schon,
Freund Murr! Mein Alter hat dir allerlei Böses vorgeredet von meinem
Treiben, er hat mich liederlich, allen tollen Streichen und
Ausschweifungen ergeben, geschildert. Sei nicht so töricht, von dem
allem auch nur ein Wörtchen zu glauben. Fürs erste! Schau mich recht
aufmerksam an und sage mir, was du von meiner äußern Erscheinung hältst?
-- Den jungen Ponto betrachtend fand ich, daß er nie so wohl genährt, so
glau ausgesehen, daß nie diese Nettigkeit, diese Eleganz in seinem
Anzuge, nie diese wohltuende Übereinstimmung in seinem ganzen Wesen
geherrscht. Ich äußerte ihm dies unverhohlen.

Nun wohl, guter Murr, sprach Ponto, glaubst du wohl, daß ein Pudel, der
sich in schlechter Gesellschaft umhertreibt, der niedrigen
Ausschweifungen ergeben, der recht systematisch liederlich ist ohne
eigentlichen Geschmack daran zu finden, sondern bloß aus Langeweile, wie
es denn nun wirklich bei vielen Pudeln der Fall ist -- glaubst du wohl,
daß ein solcher Pudel so aussehen kann wie du mich findest? Du rühmst
vorzüglich die Harmonie in meinem ganzen Wesen. Schon das muß dich
belehren, wie sehr mein grämlicher Onkel im Irrtum ist; denke, da du ein
literarischer Kater bist, an jenen Lebensweisen, welcher dem, der an
einem Lasterhaften vorzüglich das Unharmonische der ganzen Gestaltung
rügte, erwiderte: Ist es möglich, daß das Laster Einheit haben kann?
Wundere dich, Freund Murr, nicht einen Augenblick über die schwarzen
Verleumdungen meines Alten. Grämlich und geizig, wie denn nun einmal
alle Oheime sind, hat er deshalb seinen ganzen Zorn auf mich geworfen,
weil er _par honneur_ einige kleine Spielschulden bezahlen müssen, die ich
bei einem Wurstkrämer ausgeborgt hatte, der bei sich verbotenes Spiel
duldete und den Spielern oft in Cervelaten, Grützen und Lebern (zu
Würsten aptiert nämlich) bedeutende Vorschüsse machte. Dann aber denkt
der Alte auch noch immer an eine gewisse Periode, in der meine
Lebensweise eben nicht rühmlich war, die aber längst vorüber und dem
herrlichsten Anstande gewichen ist.

In dem Augenblicke kam ein kecker Pinscher des Weges, guckte mich an,
als hab' er meines gleichen noch niemals gesehen, schrie mir die
gröbsten Insolenzen in die Ohren und schnappte dann nach dem Schweif,
den ich lang aus von mir gestreckt, welches ihm zu mißfallen schien.
Sowie ich aber hochaufgerichtet mich zur Wehre setzen wollte, war Ponto
auch schon auf den ungesitteten Krakeeler losgesprungen, hatte ihn zu
Boden getreten und zwei-, dreimal überrannt, so daß er unter dem
jammervollsten Lamento, den Schweif fest eingeklemmt, schnell davonfuhr
wie ein abgeschossener Pfeil.

Dieser Beweis, den Ponto mir von seiner guten Gesinnung, von seiner
tätigen Freundschaft gab, rührte mich ungemein und ich dachte, daß hier
das: _Au fond_ ist er ein guter Kerl! welches der Onkel Skaramuz mir hatte
verdächtig machen wollen, doch auf Ponto anzuwenden sei in besserm Sinne
und ihn mit mehrerem Grunde entschuldigen könne, als manchen andern.
Überhaupt wollt' es mich bedünken, daß der Alte gewiß zu schwarz gesehen
und Ponto zwar leichtsinnige aber nie schlechte Streiche machen könne.
Alles dieses äußerte ich meinem Freunde ganz unverhohlen und dankte ihm
dabei dafür, daß er meine Verteidigung übernommen, in den
verbindlichsten Ausdrücken.

Es freut mich, guter Murr, erwiderte Ponto, indem er, wie es seine Art
war, mit muntren schalkischen Augen umherblickte, daß der pedantische
Alte dich nicht irre gemacht hat, sondern daß du mein gutes Herz
erkennst. -- Nicht wahr, Murr, ich nahm den übermütigen Jungen tüchtig
vor? -- Er wird daran denken lange Zeit. Eigentlich habe ich ihm heute
schon den ganzen Tag aufgepaßt, der Bengel stahl mir gestern eine Wurst
und mußte dafür gezüchtigt werden. Daß dabei auch nebenher die Unbill
gerächt wurde, die du von ihm erfahren, und daß ich in dieser Art dir
meine Freundschaft bewähren konnte, ist mir gar nicht unlieb; ich
schlug, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt, zwei Fliegen mit einer
Klappe. -- Nun aber wiederum auf unser voriges Gespräch zurückzukommen!
-- Betrachte mich, guter Katz, noch einmal recht genau, und sage mir, ob
du denn gar keine merkwürdige Veränderung in meinem Äußern wahrnimmst?
--

Ich schaute meinen jungen Freund aufmerksam an und -- ach der Tausend!
nun erst fiel mir das silberne zierlich gearbeitete Halsband ins Auge,
das er trug, und auf dem die Worte graviert waren: Baron Alcibiades von
Wipp. Marschallstraße Nr. 46.

Wie Ponto, rief ich erstaunt, du hast deinen Herrn verlassen, den
ästhetischen Professor und dich zu einem Baron begeben?

Verlassen habe ich nun eigentlich den Professor nicht, erwiderte Ponto,
sondern er hat mich von sich gejagt mit Fußtritten und Prügeln.

Wie konnte das geschehen, sprach ich, dein Herr bewies dir ja sonst
alle Liebe und Güte wie nur möglich?

Ach, antwortete Ponto, das ist eine dumme ärgerliche Geschichte, die
nur durch das sonderbare Spiel des neckenden Zufalls zu meinem Glück
ausschlug. An der ganzen Sache war bloß meine alberne Gutmütigkeit
schuld, der freilich ein wenig eitle Prahlerei beigemischt. In jeder
Minute wollt' ich meinem Herrn Aufmerksamkeiten erweisen und ihm dabei
mein Geschick, meine Ausbildung zeigen. Deshalb war ich auch gewohnt
alles, was an Kleinigkeiten am Fußboden lag, dem Herrn ohne weitere
Aufforderung zu apportieren. Nun! -- Du weißt vielleicht, daß der
Professor Lothario eine blutjunge und dabei bildhübsche Frau hat, die
ihn auf das zärtlichste liebt, woran er gar nicht zweifeln darf, da sie
es ihm jeden Augenblick versichert und ihn gerade dann mit Liebkosungen
überhäuft, wenn er, in Büchern begraben, sich auf die zu haltende
Vorlesung vorbereitet. Sie ist die Häuslichkeit selbst, da sie das Haus
niemals vor zwölf Uhr verläßt da sie doch schon um halb elf Uhr
aufgestanden und einfach in ihren Sitten verschmäht sie nicht mit der
Köchin, mit dem Stubenmädchen die häuslichen Angelegenheiten bis ins
tiefste Detail zu beraten und sich, ist das Wochengeld gewisser nicht
etatsmäßiger Ausgaben halber zu früh aus dem Beutel entwischt und darf
der Herr Professor nicht angegangen werden, ihrer Kasse zu bedienen. Die
Zinsen dieser Anleihen trägt sie ab in kaum getragnen Kleidern, so wie
diese und auch wohl Federhüte, in die die erstaunte Welt der Mägde
Sonntags das Stubenmädchen geputzt sieht, als Lohn für gewisse geheime
Gänge und andre Gefälligkeiten gelten dürften. Bei so vielen
Vollkommenheiten mag wohl einer liebenswürdigen Frau die kleine Torheit
(ist es überhaupt Torheit zu nennen) kaum verargt werden, daß ihr
eifrigstes Streben, all ihr Dichten und Trachten dahin geht, stets nach
der letzten Mode gekleidet zu gehen, daß ihr das Eleganteste, das
Teuerste, nicht elegant, nicht teuer genug ist, daß sie, hat sie ein
Kleid dreimal, einen Hut viermal getragen, den türkischen Shawl einen
Monat hindurch umgehängt, eine Idiosynkrasie dagegen empfindet und die
kostbarste Garderobe wegwirft um einen Spottpreis oder wie gesagt, die
Mägde sich darin putzen läßt. Daß die Frau eines Professors der Ästhetik
Sinn hat für schöne äußere Gestaltung ist wohl gar nicht zu verwundern,
und nur erfreulich kann es dem Gemahl sein, wenn dieser Sinn sich darin
offenbart, daß die Gemahlin mit sichtlichem Wohlgefallen den Blick der
feuerblitzenden Augen auf schönen Jünglingen ruhen läßt, diesen auch
wohl zuweilen etwas nachläuft. Manchmal bemerkte ich, daß dieser, jener
junge Mann, der die Vorlesungen des Professors besuchte, die Türe des
Auditoriums verfehlte und statt dieser die Türe, welche zum Zimmer der
Professorin führte, leise öffnete und ebenso leise hineintrat. Beinahe
mußte ich glauben, daß diese Verwechslung nicht ganz absichtslos
geschah, oder wenigstens niemanden gereute, denn keiner eilte, seinen
Irrtum zu verbessern, sondern jeder, der hineingetreten, kam erst nach
einer guten Zeit heraus und zwar mit solch lächelndem zufriednem Blick
als ob ihm der Besuch bei der Professorin ebenso angenehm und nützlich
gewesen als eine ästhetische Vorlesung des Professors. Die schöne
Lätitia (so hieß des Professors Frau) war mir nicht sonderlich gewogen.
Sie litt mich nicht in ihrem Zimmer und mochte recht haben, da freilich
der kultivierteste Pudel nicht dort hingehört, wo er bei jedem Schritt
Gefahr läuft Florspitzen zu zerreißen, Kleider zu beschmutzen, die auf
allen Stühlen umherliegen. Doch wollt es der Professorin böser Genius,
daß ich einmal bis in ihr Boudoir hineindrang. Der Herr Professor hatte
eines Tages bei einem Mittagsmahl mehr Wein getrunken als gerade
dienlich und war darüber in eine hochbegeisterte Stimmung geraten. Zu
Hause angekommen, ging er, ganz gegen seine Gewohnheit geradezu in das
Kabinett seiner Frau, und ich schlüpfte, selbst wußte ich nicht, was für
eine besondere Lust mich dazu antrieb, mit hinein durch die Türe. Die
Professorin war in Hauskleidern, deren Weiße dem frisch gefallenen
Schnee zu vergleichen, ihr ganzer Anzug zeigte nicht sowohl eine gewisse
Sorglichkeit, als die tiefste Kunst der Toilette, die sich hinter dem
Einfachen verbirgt und wie ein versteckter Feind desto gewisser siegt.
Die Professorin war in der Tat allerliebst und stärker als sonst empfand
dies der halb berauschte Professor, der ganz Liebe und Entzücken die
holde Gattin mit den süßesten Namen nannte, mit den zärtlichsten
Liebkosungen überhäufte und darüber gar nicht eine gewisse Zerstreuung,
ein gewisses unruhiges Mißbehagen bemerkte, das sich in dem ganzen Wesen
der Professorin nur zu deutlich aussprach. Mir war die steigende
Zärtlichkeit des begeisterten Ästhetikers unangenehm und lästig. Ich kam
auf meinen alten Zeitvertreib und suchte am Boden umher. Gerade als der
Professor in der höchsten Ekstase laut rief: Göttliches, hehres,
himmlisches Weib, laß uns -- tänzelte ich auf den Hinterbeinen zu ihm
heran und apportierte ihm zierlich und, wie bei diesem Akt jedesmal, ein
wenig mit dem Stutzschweif wedelnd, den feinen pommeranzfarbnen
Männerhandschuh, den ich unter dem Sofa der Frau Professorin gefunden.
-- Starr blickte der Professor den Handschuh an und rief wie plötzlich
aufgeschreckt aus einem süßen Traum: Was ist das? -- Wem gehört dieser
Handschuh! wie ist er in dies Zimmer gekommen? -- Damit nahm er den
Handschuh mir aus der Schnauze, besah ihn, hielt ihn an die Nase und
rief dann wieder: Wo kommt dieser Handschuh her? Lätitia, sprich, wer
ist bei Dir gewesen? -- Wie Du, erwiderte die holde treue Lätitia mit
dem ungewissen Ton der Verlegenheit, den sie sich vergebens mühte zu
unterdrücken, wie Du nun auch seltsam bist, lieber Lothar, wem soll, wem
wird der Handschuh gehören. Die Majorin war hier und konnte bei dem
Abschiede den Handschuh nicht finden, den sie auf der Treppe ausgestreut
zu haben glaubte. -- Die Majorin, schrie der Professor ganz außer sich,
die kleine zart gebaute Frau, deren ganze Hand hineingeht in diesen
Daumen! -- Höll und Teufel, welcher Zierbengel war hier? -- Denn nach
parfümierter Seife riecht das verfluchte Ding! -- Unglückliche, wer war
hier, welcher verbrecherische Trug der Hölle zerstörte hier meine Ruhe,
mein Glück! -- Schändliches, verruchtes Weib! --

Die Professorin machte gerade Anstalt in Ohnmacht zu fallen, als das
Stubenmädchen hereintrat und ich, froh des fatalen Ehestandsauftritts,
den ich veranlaßt, entledigt zu werden, schnell hinaussprang.

Den andern Tag war der Professor ganz stumm und in sich gekehrt; ein
einziger Gedanke schien ihn zu beschäftigen, einer einzigen Idee schien
er nachzugrübeln. Ob er es nur sein mag! -- Das waren die Worte, die
dann und wann den verstummten Lippen unwillkürlich entflohen. Gegen
Abend nahm er Hut und Stock, ich sprang und bellte freudig; er sah mich
lange an, helle Tränen traten ihm in die Augen, er sprach mit dem Ton
der tiefsten innigsten Wehmut: Mein guter Ponto! -- treue ehrliche
Seele! -- Dann lief er schnell vors Tor und ich dicht hinter ihm her,
fest entschlossen, den armen Mann aufzuheitern mittels aller Künste, die
mir nur zu Gebote standen. Dicht vor dem Tor begegnete uns der Baron
Alcibiades von Wipp, einer der zierlichsten Herren in unserer Stadt, auf
einem schönen Engländer. Sowie der Baron den Professor gewahrte,
kurbettierte er zierlich an ihn heran und fragte nach des Professors,
dann aber nach der Frau Professorin Wohlbefinden. Der Professor
stotterte in der Verwirrung einige unverständliche Worte hervor. In der
Tat, sehr heiße Witterung! sprach nun der Baron und zog ein seidnes Tuch
aus der Rocktasche, schleuderte aber mit demselben Schwunge einen
Handschuh heraus, den ich gewohnter Sitte gemäß meinem Herrn
apportierte. Hastig riß mir der Professor den Handschuh fort und rief:
Das ist Ihr Handschuh, Herr Baron? Allerdings, erwiderte dieser
verwundert über des Professors Heftigkeit, ich glaube, ich schleuderte
ihn in dem Augenblick aus der Rocktasche und der dienstfertige Pudel hob
ihn auf. So habe ich, sprach der Professor mit schneidendem Ton, indem
er den Handschuh, den ich unter dem Sofa in der Professorin Zimmer
hervorgesucht, ihm hinreichte, so habe ich das Vergnügen Ihnen den
Zwillings-Bruder dieses Handschuhes, den Sie gestern verloren,
überreichen zu können.

Ohne des sichtlich betretenen Barons Antwort abzuwarten, rannte der
Professor wild von dannen.

Ich hütete mich wohl, dem Professor in das Zimmer seiner teuren Gattin
zu folgen, da ich den Sturm ahnen konnte, der sich bald bis auf die Flur
hinausbrausend vernehmen ließ. Eben in einem Winkel des Flurs lauschte
ich und gewahrte, wie der Professor alle Flammen der Wut im
rotgleißenden Antlitz, das Stubenmädchen zur Stubentür, dann aber, als
sie sich noch unterfing einige kecke Worte zu sprechen, zum Hause
hinauswarf. Endlich in später Nacht kam der Professor ganz erschöpft auf
seinem Zimmer an. Ich gab ihm meine innige Teilnahme an seinem trüben
Malheur durch leises Winseln zu verstehen. Da umhalste er mich und
drückte mich an seine Brust, als sei ich sein bester innigster Freund.
Guter, ehrlicher Ponto, so sprach er mit ganz kläglichem Ton, treues
Gemüt, du, du allein hast mich aus dem betörenden Traum geweckt, der
mich meine Schande nicht erkennen ließ, du hast mich dahin gebracht, daß
ich das Joch abwerfen, in das mich ein falsches Weib gespannt hatte, daß
ich wieder ein freier unbefangener Mensch werden kann! Ponto, wie soll
ich dir das danken! -- Nie -- nie sollst du mich verlassen, ich will
dich hegen und pflegen wie meinen besten treusten Freund, du allein
wirst mich trösten, wenn ich bei dem Gedanken an mein hartes Mißgeschick
verzweifeln will.

Diese rührenden Äußerungen eines edlen dankbaren Gemüts wurden durch die
Köchin unterbrochen, welche mit blassem verstörten Gesicht hereinstürzte
und dem Professor die entsetzliche Botschaft hinterbrachte, daß die Frau
Professorin in den fürchterlichsten Krämpfen liege und den Geist
aufgeben wolle. Der Professor flog hinab. --

Mehrere Tage hindurch sah ich nun den Professor beinahe gar nicht.
Meine Speisung, für die sonst mein Herr liebreich selbst sorgte, war der
Köchin übertragen, die aber, eine mürrische garstige Person, mir mit
Widerwillen statt der sonstigen guten Gerichte nur die elendesten kaum
genießbaren Bissen zukommen ließ. Zuweilen vergaß sie mich auch ganz und
gar, so daß ich genötigt wurde bei guten Bekannten zu schmarotzen, auch
wohl auf Beute auszugehen, um nur meinen Hunger zu stillen.

Endlich schenkte mir, als ich eines Tages hungrig und matt mit
herabhängenden Ohren im Hause herumschlich, der Professor einige
Aufmerksamkeit. Ponto, rief er lächelnd, wie denn überhaupt sein Antlitz
ganz Sonnenschein war, Ponto, mein alter ehrlicher Hund, wo hast du denn
gesteckt? Hab' ich dich doch so lange nicht gesehen? Ich glaube gar, man
hat dich ganz gegen meinen Willen vernachlässigt und nicht sorgsam
gefüttert? -- Nun komm nur komm, heute sollst du wieder von mir selbst
deine Speise erhalten.

Ich folgte dem gütigen Herrn in das Eßzimmer. Die Frau Professorin
aufgeblüht wie eine Rose, wie der Herr Gemahl vollen Sonnenglanz im
Antlitz, kam ihm entgegen. Beide taten zärtlicher miteinander als
jemals, sie nannte ihn: englischer Mann, er sie aber: mein Mäuschen, und
dabei herzten und küßten sie sich wie ein Turteltaubenpaar. Es war eine
rechte Freude, das anzusehen. Auch gegen mich war die holde Frau
Professorin freundlich wie sonst niemals, und du kannst denken, guter
Murr, daß ich mich bei meiner angebornen Galanterie artig und zierlich
zu betragen wußte. -- Wer hätte ahnen können, was über mich verhängt
war! --

Es würde mir selbst schwer fallen, dir ausführlich all' die
heimtückischen Streiche zu erzählen, die meine Feinde mir spielten um
mich zu verderben, und noch mehr als das, es würde dich ermüden.
Beschränken will ich mich darauf nur einiges zu erwähnen, welches dir
ein treues Bild meiner unglücklichen Lage geben wird. -- Mein Herr war
gewohnt, mir im Speisezimmer während er selbst aß, die gewöhnlichen
Portionen an Suppe, Gemüse und Fleisch in einem Winkel am Ofen zu
verabreichen. Ich aß mit solchem Anstande, mit solcher Reinlichkeit, daß
auch nicht das kleinste Fettfleckchen auf dem getäfelten Fußboden
sichtbar. Wie groß war daher mein Entsetzen, als eines Mittags der Napf,
kaum hatte ich mich ihm genähert, in hundert Stücke zersprang und die
Fettbrühe sich ergoß über den schönen Fußboden! Zornig fuhr der
Professor auf mich los mit argen Scheltworten, und unerachtet die
Professorin mich zu entschuldigen suchte, las man doch den bittern
Verdruß in ihrem blassen Gesicht. Sie meinte, dürfte auch der garstige
Flecken nicht wohl fortzubringen sein, so könnte ja doch die Stelle
abgehobelt oder eine neue Tafel eingesetzt werden. Der Professor hegte
einen tiefen Abscheu gegen solche Reparaturen, er hörte schon die
Tischlerjungen hobeln und hämmern, und so waren es die liebreichen
Entschuldigungen der Professorin, die ihn mein vermeintliches Ungeschick
erst recht fühlen ließen und mir noch außer jenen Scheltworten ein
tüchtiges Paar Ohrfeigen einbrachten. -- Ich stand da im Bewußtsein
meiner Unschuld, ganz verblüfft, und wußte gar nicht, was ich denken,
was ich sagen sollte. -- Erst als mir dasselbe zwei- -- dreimal
geschehen, merkte ich die Tücke! -- Man hatte mir halb zerbrochene
Schüsseln hingestellt, die bei der leisesten Berührung in hundert Stücke
zerfallen mußten. Ich durfte nicht mehr im Zimmer bleiben, draußen
erhielt ich Speise von der Köchin, aber so kärglich, daß ich, von
nagendem Hunger getrieben manches Stück Brot, manchen Knochen zu
erschnappen suchen mußte. Darüber entstand denn nun jedesmal ein
gewaltiger Lärm, und ich mußte mir eigennützigen Diebstahl da vorwerfen
lassen, wo nur von der Befriedigung des dringendsten Naturbedürfnisses
die Rede sein konnte. -- Es kam noch ärger. Mit großem Geschrei klagte
die Köchin, daß ihr eine schöne Hammelkeule aus der Küche verschwunden
und daß ich sie ganz gewiß gestohlen. Die Sache kam als eine wichtigere
häusliche Angelegenheit vor den Professor. Der meinte, daß er sonst nie
den Hang zum Diebstahl an mir bemerkt und daß auch mein Diebsorgan
durchaus nicht ausgebildet sei. Auch sei es nicht denkbar, daß ich eine
ganze Hammelkeule so verspeiset, daß keine Spur mehr davon vorhanden.
-- Man suchte nach und -- fand in meinem Lager die Überbleibsel der
Keule! -- Murr! sieh, mit der Pfote auf der Brust schwöre ich's dir, daß
ich völlig unschuldig war, daß es mir nicht in den Sinn gekommen, den
Braten zu stehlen, doch, was halfen die Beteuerungen meiner Unschuld, da
der Beweis wider mich sprach! -- Um so ergrimmter war der Professor, als
er meine Partie genommen und sich in seiner guten Meinung von mir
getäuscht sah. -- Ich erhielt eine tüchtige Tracht Prügel. -- Ließ mich
der Professor auch nachher den Widerwillen fühlen, den er gegen mich
hegte, so war die Frau Professorin desto freundlicher, streichelte mir,
was sie sonst nie getan, den Rücken und gab mir sogar dann und wann
einen guten Bissen. Wie konnt' ich ahnen, daß das alles nur
gleisnerischer Trug, und doch sollte sich dies bald zeigen. -- Die Türe
des Eßzimmers stand offen, mit leerem Magen schaute ich sehnsüchtig
hinein und gedachte schmerzvoll jener guten Zeit, als ich, wenn das süße
Aroma des Bratens sich verbreitete, nicht vergebens den Professor
bittend anschaute und dabei, wie man zu sagen pflegt, ein wenig
schnüffelte! Da rief die Professorin: Ponto, Ponto! und hielt mir
geschickt zwischen dem zarten Daumen und dem niedlichen Zeigefinger ein
schönes Stück Braten hin. -- Mag es sein, daß ich im Enthusiasmus des
aufgeregten Appetits ein wenig heftiger zuschnappte als gerade nötig,
doch gebissen habe ich nicht die zarte Lilienhand, das kannst du mir
glauben, guter Murr. Und doch schrie die Professorin laut auf: der böse
Hund! und fiel wie ohnmächtig zurück in den Sessel, und doch sah ich zu
meinem Entsetzen wirklich ein paar Blutstropfen am Daumen. Der Professor
geriet in Wut; er schlug mich, trat mich mit Füßen, mißhandelte mich so
unbarmherzig, daß ich mit dir, mein guter Kater hier wohl nicht vor der
Türe säße im lieben Sonnenschein, hätte ich mich nicht durch die
schleunige Flucht zum Hause hinaus gerettet. An Rückkehr war nicht zu
denken. Ich sah ein, daß gegen die schwarze Kabale, die die Professorin
aus reiner Rachgier wegen des freiherrlichen Handschuhs gegen mich
angezettelt, nichts auszurichten und beschloß mir gleich einen andern
Herrn zu suchen. Sonst wäre das der schönen Gaben halber, die mir die
gütige, mütterliche Natur verliehen, ein Leichtes gewesen, Hunger und
Gram hatten mich aber so heruntergebracht, daß ich bei meinem miserablen
Aussehen in der Tat befürchten mußte, überall abgewiesen zu werden.
Traurig, von drückenden Nahrungssorgen gequält, schlich ich vors Tor.
Ich erblickte den Herrn Baron Alcibiades von Wipp, der vor mir herging
und ich weiß nicht, wie mir der Gedanke kam, ihm meine Dienste
anzubieten. Vielleicht war es ein dunkles Gefühl, daß ich auf diese
Weise Gelegenheit erhalten würde mich an dem undankbaren Professor zu
rächen, wie es sich später denn auch wirklich begab. -- Ich tänzelte an
den Baron heran, wartete ihm auf und folgte, als er mich mit einigem
Wohlgefallen betrachtete, ihm ohne Umstände nach in seine Wohnung. Sehen
Sie, so sprach er zu einem jungen Menschen, den er seinen Kammerdiener
nannte, unerachtet er sonst keinen andern Diener hatte, sehen Sie
Friedrich, was sich da für ein Pudel zu mir eingefunden hat. Wär' er nur
hübscher! Friedrich rühmte dagegen den Ausdruck meines Antlitzes, sowie
den zierlichen Wuchs und meinte, ich müsse von meinem Herrn schlecht
gehalten sein und habe ihn wahrscheinlich deshalb verlassen. Setzte er
noch hinzu, daß Pudel, die sich so von selbst aus freiem Antriebe
einfänden, gewöhnlich treue rechtschaffene Tiere wären, so konnte der
Baron nicht umhin mich zu behalten. Unerachtet ich nun durch Friedrichs
Vorsorge ein recht glaues Ansehen gewann, so schien der Baron doch nicht
sonderlich viel auf mich zu halten und litt es nur eben zur Not, daß ich
ihn auf seinen Spaziergängen begleitete. -- Das sollte anders kommen. --

Wir begegneten auf einem Spaziergange der Professorin. -- Erkenne, guter
Murr, das gemütliche Gemüt -- ja so will ich sagen -- eines ehrlichen
Pudels, wenn ich versichere, daß, unerachtet mir die Frau sehr weh
getan, ich doch eine ungeheuchelte Freude empfand, sie wiederzusehen.
-- Ich tanzte vor ihr her, bellte lustig, und gab ihr meine Freude auf
alle nur mögliche Weise zu erkennen. Sieh da, Ponto! rief sie,
streichelte mich und blickte den Baron von Wipp, der stehen geblieben
war, bedeutend an. Ich sprang zu meinem Herrn zurück, der mich
liebkoste. Er schien auf besondere Gedanken zu geraten; mehrmals
hintereinander murmelte er in sich hinein: Ponto! -- Ponto, wenn das
möglich sein sollte!

Wir hatten einen nahe gelegenen Lustort erreicht; die Professorin nahm
Platz mit ihrer Gesellschaft, bei der sich jedoch der liebe gutmütige
Herr Professor nicht befand. Unfern davon setzte sich der Baron Wipp, so
daß er, ohne sonderlich von den andern bemerkt zu werden, die
Professorin beständig im Auge behielt. Ich stellte mich vor meinen Herrn
und guckte ihn an, indem ich leise mit dem Schweif wedelte, als erwarte
ich seine Befehle. Ponto, sollte es möglich sein! wiederholte er. -- Nun,
setzte er nach einem kurzen Stillschweigen hinzu, nun, es kommt auf den
Versuch an! -- Damit nahm er einen kleinen Papierstreifen aus der
Brieftasche, schrieb einige Worte mit Bleistift darauf, rollte ihn
zusammen, steckte ihn mir unter das Halsband, wies nach der Professorin
und rief leise: Ponto -- allons! -- Nicht ein solcher kluger, in der Welt
gewitzigter Pudel hätte ich sein müssen, als ich es wirklich bin, um
nicht sogleich alles zu erraten. Ich machte mich daher sogleich an den
Tisch, wo die Professorin saß und tat, als verspüre ich großen Appetit
nach dem schönen Kuchen, der auf dem Tische stand. -- Die Professorin
war die Freundlichkeit selbst, sie reichte mir Kuchen mit der einen
Hand, während sie mich mit der andern am Halse kraute. Ich fühlte, wie
sie den Papierstreifen hervor zog. Bald darauf verließ sie die
Gesellschaft und begab sich in einen Nebengang. Ich folgte ihr. Ich sah,
wie sie des Barons Worte eifrig las, wie sie aus ihrem Strickkästchen
einen Bleistift hervorholte, auf denselben Zettel einige Worte schrieb
und ihn dann wieder zusammenrollte. Ponto, sprach sie dann, indem sie
mich mit schalkischem Blick betrachtete, du bist ein sehr kluger
vernünftiger Pudel, wenn du zu rechter Zeit apportierst! Damit steckte
sie mir das Zettelchen unter das Halsband, und ich unterließ nicht
eiligst hinzuspringen zu meinem Herrn. Der mutmaßte sogleich, daß ich
Antwort brächte, denn er zog alsbald den Zettel unter dem Halsbande
hervor. -- Der Professorin Worte mußten sehr tröstlich lauten und
angenehm, denn des Barons Augen funkelten vor lauter Freude und er rief
entzückt: Ponto -- Ponto, du bist ein herrlicher Pudel, mein guter Stern
hat mir dich zugeführt. Du kannst denken, guter Murr! daß ich nicht
weniger erfreut war, da ich einsah, wie ich nach dem, was sich soeben
zugetragen, in der Gunst meines Herrn hoch steigen müsse.

In dieser Freude machte ich beinahe unaufgefordert alle nur möglichen
Kunststücke. Ich sprach wie der Hund, starb, lebte wieder auf,
verschmähte das Stück Weißbrot vom Juden und verzehrte mit Appetit das
vom Christen usw. Ein ungemein gelehriger Hund! So rief eine alte Dame,
die neben der Professorin saß, herüber. Ungemein gelehrig, erwiderte der
Baron. Ungemein gelehrig! hallte der Professorin Stimme nach wie ein
Echo. -- Ich will dir nur ganz kurz sagen, guter Murr! daß ich den
Briefwechsel auf die erwähnte Weise fortwährend besorgte und noch jetzt
besorge, da ich zuweilen sogar mit Briefchen in des Professors Haus
laufe, wenn er gerade abwesend. Schleicht aber manchmal in der
Abenddämmerung der Herr Baron Alcibiades von Wipp zur holden Lätitia, so
bleibe ich vor der Haustüre und mache, läßt sich der Herr Professor nur
in der Ferne blicken, solch einen grimmigen Teufelslärm mit Bellen, daß
mein Herr ebensogut als ich, die Nähe des Feindes wittert und ihm
ausweicht. --

Mir kam es vor, als könne ich Ponto's Betragen doch nicht recht
billigen, ich dachte an des verewigten Muzius, an meinen eignen tiefen
Abscheu vor jedem Halsbande, und schon dies setzte mich darüber ins
Klare, daß ein ehrliches Gemüt, so wie es ein rechtschaffener Kater in
sich trägt, dergleichen Liebeskuppeleien verschmähe. Alles dieses
äußerte ich dem jungen Ponto ganz unverhohlen. Der lachte mir aber ins
Gesicht und meinte, ob denn die Moral der Katzen so gar strenge sei, und
ob ich nicht selbst schon hin und wieder über die Schnur gehauen, d. h.
etwas getan, was für den engen moralischen Schubkasten etwas zu breit
sei. -- Ich dachte an Mina und verstummte.

Fürs erste, mein guter Murr! sprach Ponto weiter, ist es ein ganz
gemeiner Erfahrungssatz, daß niemand seinem Schicksal entgehen kann, er
mag es nun anstellen wie er auch will; du kannst als ein Kater von
Bildung das weitere darüber nachlesen in einem sehr belehrenden und ganz
angenehm stilisierten Buche, _Jacques le fataliste_ betitelt. War es nach
dem ewigen Ratschluß bestimmt, daß der Professor der Ästhetik, Herr
Lothario, ein -- Nun du verstehst mich, guter Katz, aber zudem hat ja
der Professor durch die Art, wie er sich bei der merkwürdigen
Handschuhgeschichte -- sie sollte mehr Celebrität erhalten, schreib' was
darüber Murr -- benommen, seinen ganz entschiedenen ihm von der Natur
eingepflanzten Beruf bewiesen, in jenen großen Orden zu treten, den so
viele viele Männer tragen, mit der gebietendsten Würde, mit dem
schönsten Anstande, ohne es zu wissen. Diesen Beruf hätte Herr Lothario
erfüllt, gäb' es auch keinen Baron Alcibiades von Wipp, keinen Ponto.
Hatte aber wohl überhaupt Herr Lothario etwas anderes, besseres um mich
verdient, als daß ich gerade seinem Feinde mich in die Arme warf? -- Dann
aber fand auch der Baron gewiß andere Mittel, sich mit der Professorin
zu verstehen und derselbe Schaden kam über den Professor, ohne mir den
Nutzen zu bringen, den ich jetzt wirklich von dem angenehmen Verhältnis
des Barons mit der holden Lätitia verspüre. Wir Pudel sind nicht solche
überstrenge Moralisten, daß wir in unserm eignen Fleische wühlen und die
im Leben schon sonst knapp genug zugeschnittenen guten Bissen
verschmähen sollten.

Ich fragte den jungen Ponto, ob denn der Nutzen, den ihm sein Dienst bei
dem Baron Alcibiades von Wipp verschaffe, in der Tat so groß und wichtig
sei, daß er das Unangenehme, das Drückende der damit verbundenen
Knechterei aufwiege. Dabei gab ich ihm nicht undeutlich zu verstehen,
daß eben diese Knechterei einem Kater, dessen Freiheitssinn in der Brust
unauslöschlich, immer widerlich bleiben müsse.

Du redest, guter Murr, erwiderte Ponto stolz lächelnd, wie du es
verstehst, oder vielmehr wie es dir deine gänzliche Unerfahrenheit in
den höhern Verhältnissen des Lebens erscheinen läßt. Du weißt nicht, was
es heißt, der Liebling eines solchen galanten gebildeten Mannes zu sein,
wie es der Baron Alcibiades von Wipp wirklich ist. Denn, daß ich seit
der Zeit, als ich mich so klug und dienstfertig benommen, sein größter
Liebling geworden, darf ich dir, o mein freiheitsliebender Katz, wohl
nicht erst sagen. Eine kurze Schilderung unserer Lebensweise wird dich
das Angenehme, das Wohltätige meiner jetzigen Lage sehr lebhaft fühlen
lassen. -- Des Morgens stehen wir (ich und mein Herr nämlich) nicht zu
früh aber auch nicht zu spät auf; das heißt, auf den Schlag elf Uhr.
-- Ich muß dabei bemerken, daß mein breites weiches Lager unfern dem
Bette des Barons aufgeschlagen ist und daß wir viel zu harmonisch
schnarchen, um beim plötzlichen Erwachen zu wissen, wer geschnarcht hat.
-- Der Baron zieht an der Glocke und sogleich erscheint der
Kammerdiener, der dem Baron einen Becher rauchender Schokolade, mir aber
einen Porzellannapf voll des schönsten süßen Kaffees mit Sahne bringt,
den ich mit demselben Appetit leere wie der Baron seinen Becher. Nach
dem Frühstück spielen wir ein halbes Stündchen miteinander, welche
Leibesbewegung nicht allein unserer Gesundheit zuträglich ist, sondern
auch unsern Geist erheitert. Ist das Wetter schön, so pflegt der Baron
auch wohl zum offenen Fenster hinauszuschauen und die Vorübergehenden
mit dem Fernglas zu begucken. Gehen gerade nicht viele vorüber, so gibt
es noch eine andere Belustigung, die der Baron eine Stunde hindurch
fortsetzen kann, ohne zu ermüden. -- Unter dem Fenster des Barons ist
ein Stein eingepflastert, der sich durch eine besonders rötliche Farbe
auszeichnet, in der Mitte dieses Steines befindet sich aber ein kleines
eingebröckeltes Loch. Nun kommt es darauf an, so geschickt
herabzuspucken, daß gerade in dieses kleine Loch hineingetroffen wird.
-- Durch viele anhaltende Übung hat es der Baron dahin gebracht, daß er
auf das drittemal Treffen pariert und schon manche Wette gewann. Nach
dieser Belustigung tritt der sehr wichtige Moment des Anziehens ein. Das
geschickte Kämmen und Kräuseln des Haares, vorzüglich aber das
kunstmäßige Knüpfen des Halstuchs besorgt der Baron ganz allein, ohne
Hilfe des Kammerdieners. Da diese beiden schwierigen Operationen etwas
lange dauern, so benutzt Friedrich die Zeit um mich auch anzukleiden. D.
h. mit einem in lauwarmes Wasser eingeweichten Schwamm wäscht er mir den
Pelz, kämmt die langen Haare, die der Friseur an schicklichen Örtern
zierlich stehen lassen mit einem genugsam engen Kamme durch und legt mir
das schöne silberne Halsband um, das der Baron mir gleich verehrte, als
er meine Tugenden entdeckt. Die folgenden Augenblicke sind der Literatur
und den schönen Künsten gewidmet. Wir gehen nämlich in eine Restauration
oder in ein Kaffeehaus, genießen Beefsteak oder Karbonade, trinken ein
Gläschen Madeira, und gucken etwas weniges in die neuesten Journale, in
die neuesten Zeitungen. Dann beginnen die Vormittags-Visiten. Wir
besuchen diese, jene große Schauspielerin, Sängerin, ja auch wohl
Tänzerin, um ihr die Neuigkeiten des Tages, hauptsächlich aber den
Verlauf irgend eines Debüts von gestern abend, zu hinterbringen. Es ist
merkwürdig, mit welchem Geschick der Baron Alcibiades von Wipp seine
Nachrichten einzurichten weiß, um die Damen stets bei guter Laune zu
erhalten. Niemals ist es der Gegnerin oder wenigstens Kombattantin
gelungen, sich nur einen Teil des Ruhms anzueignen, der die Gefeierte
krönt, die er soeben im Schmollzimmerchen heimsucht. Man hat die Arme
ausgezischt -- ausgelacht -- und ist denn wirklich erhaltener glänzender
Beifall nicht wohl zu verschweigen, so weiß der Baron ganz gewiß ein
neues skandalöses Geschichtchen von der Dame aufzutischen, das ebenso
begierig vernommen als verbreitet wird, damit gehöriges Gift die Blumen
des Kranzes vor der Zeit töte. -- Die vornehmeren Visiten bei der Gräfin
A., bei der Baronesse B., bei der Gesandtin C. usw. füllen die Zeit aus
bis halb vier Uhr; und nun hat der Baron seine eigentlichen Geschäfte
abgemacht, so daß er um vier Uhr sich beruhigt zu Tische setzen kann.
Dies geschieht gewöhnlich wieder in einer Restauration. Nach Tische
gehen wir zu Kaffee, spielen auch wohl eine Partie Billard und machen
dann, erlaubt es die Witterung, eine kleine Promenade, ich beständig zu
Fuß, der Baron aber manchmal zu Pferde. So ist die Theaterstunde
herangekommen, die der Baron niemals versäumt. Er soll im Theater eine
überaus wichtige Rolle spielen, da er das Publikum nicht allein von
allen Verhältnissen der Bühne und der auftretenden Künstler in Kenntnis
setzen, sondern auch das gehörige Lob, den gehörigen Tadel anordnen, so
aber überhaupt den Geschmack im richtigen Gleise erhalten muß. Er fühlt
einen natürlichen Beruf dazu. Da man den feinsten Leuten meines
Geschlechts ungerechterweise den Eingang in das Theater durchaus nicht
verstattet, so sind die Stunden während der Vorstellung die einzigen, in
denen ich mich von meinem lieben Baron trenne und mich allein auf meine
eigene Hand belustige. Wie dies nun geschieht, und wie ich die
Konnexionen mit Windspielen, englischen Wachtelhunden, Möpsen und andern
vornehmen Leuten benutze, das sollst du künftig erfahren, guter Murr!
-- Nach dem Theater speisen wir wieder in einer Restauration, und der
Baron überläßt sich in heitrer Gesellschaft ganz seiner frohen Laune.
Das heißt, alle sprechen, alle lachen und finden alles auf Ehre
göttlich, und keiner weiß, was er spricht und worüber er lacht und was
als auf Ehre göttlich gerühmt werden darf. Darin besteht aber das
Sublime der Konversation, das ganze soziale Leben derer, die sich zur
eleganten Lehre bekennen, wie mein Herr. Manchmal fährt aber auch wohl
der Baron noch in später Nacht in diese, jene Gesellschaft und soll dort
ganz exzellent sein. Auch davon weiß ich nichts, denn der Baron hat mich
noch niemals mitgenommen, wozu er vielleicht seine guten Gründe haben
mag. -- Wie ich auf dem weichen Lager in der Nähe des Barons herrlich
schlafe, habe ich dir schon gesagt. Gestehe aber nun selbst, guter Katz!
wie nach der Lebensweise, die ich hier ausführlich beschrieben, mich der
alte mürrische Oheim eines wüsten, liederlichen Wandels anklagen kann?
-- Es ist wahr, daß ich, schon hab' ich dir's gestanden, vor einiger Zeit
gerechten Anlaß gab zu allerlei Vorwürfen. Ich trieb mich umher in
schlechter Gesellschaft und fand eine besondere Lust darin, mich
überall, vorzüglich in Vermählungsschmäuse ungebeten einzudrängen und
ganz unnützen Skandal anzufangen. Alles dies geschah aber nicht aus
reinem Trieb zu wüster Balgerei, sondern aus bloßem Mangel an höherer
Kultur, die ich bei den Verhältnissen, wie sie in dem Hause des
Professors bestanden, nicht erhalten konnte. Jetzt ist das alles anders.
Doch! wen erblick' ich? -- Dort geht der Baron Alcibiades von Wipp! -- Er
sieht sich nach mir um -- er pfeift! _Au revoir,_ Bester! --

Schnell wie der Blitz sprang Ponto seinem Herrn entgegen. Das Äußere des
Barons entsprach ganz dem Bilde, das ich mir wohl nach dem, was Ponto
von ihm gesagt, machen durfte. -- Er war sehr groß und nicht sowohl
schlank gewachsen als spindeldürr. Kleidung, Stellung, Gang, Gebärde,
alles konnte für den Prototypus der letzten Mode gelten, die aber, bis
ins Phantastische hinausgetrieben, seinem ganzen Wesen etwas Seltsames,
Abenteuerliches gab. Er trug ein kleines sehr dünnes Röhrchen mit einer
stählernen Krücke in der Hand, über das er Ponto einigemal springen
ließ. So herabwürdigend mir dieses auch schien, gestehen mußte ich doch,
das Ponto mit der höchsten Geschicklichkeit und Stärke jetzt eine Anmut
verband, die ich sonst noch niemals an ihm bemerkt. Überhaupt, wie nun
der Baron mit vorgestreckter Brust, den Leib eingezogen, mit einem
sonderbaren ausgespreizten Hahnentritt weiter fortwandelte und Ponto in
sehr zierlichen Kurbetten bald vorwärts, bald nebenher sprang und sich
nur ganz kurze, zum Teil stolze Begrüßungen vorübergehender Kameraden
erlaubte, so sprach sich darin ein gewisses Etwas aus, das ohne mir
deutlich zu werden, dennoch mir imponierte. -- Ich ahnte, was mein
Freund Ponto mit der höheren Kultur gemeint und suchte, so viel möglich,
darüber ganz ins klare zu kommen. Das hielt aber sehr schwer, oder
vielmehr, meine Bemühungen blieben ganz vergebens. --

Später habe ich eingesehen, daß an gewissen Dingen alle Probleme, alle
Theorien, die sich in dem Geiste bilden mögen, scheitern und daß nur
durch die lebendige Praxis die Erkenntnis zu erringen; die höhere
Kultur, welche beide, der Baron Alcibiades von Wipp und der Pudel Ponto
in der feinen Welt erlangt, gehört aber zu diesen gewissen Dingen. --

Der Baron Alcibiades von Wipp lorgnettierte mich im Vorübergehen sehr
scharf. Es schien mir, als läs' ich Neugierde und Zorn in seinem Blick.
Sollte er vielleicht Ponto's Unterhaltung mit mir gewahrt und ungnädig
vermerkt haben? Mir wurde etwas ängstlich zumute, ich eilte schnell die
Treppe hinauf. --

Ich sollte nun, um alle Pflichten eines tüchtigen Selbstbiographen zu
erfüllen, wiederum meinen Seelenzustand beschreiben und könnte das nicht
besser tun, als mittels einiger sublimer Verse, die ich seit einiger
Zeit so recht, wie man zu sagen pflegt, aus dem Pelzärmel schüttle. Ich
will --

=(Mak. Bl.)= -- -- mit diesem einfältigen armseligen Spielwerk den besten
Teil meines Lebens vergeudet. -- Und nun jammerst du alter Tor und
klagst das Geschick an, dem du vermessen Trotz botest! -- Was gingen dich
die vornehmen Leute, was ging dich die ganze Welt an, die du
verhöhntest, weil du sie für närrisch hieltest, und selbst am
närrischsten warst! -- Beim Handwerk, beim Handwerk mußtest du bleiben,
Orgeln bauen und nicht den Hexenmeister spielen und den Wahrsager. -- Sie
hätten sie mir nicht gestohlen, mein Weib wäre bei mir, ein tüchtiger
Arbeiter säß' ich in der Werkstatt und rüstige Gesellen klopften und
hämmerten um mich her, und wir förderten Werke, die sich hören und sehen
ließen, wie keine andere weit und breit. -- Und Chiara! -- vielleicht
hingen muntre Knaben mir am Halse, vielleicht schaukelte ich ein
schmuckes Töchterlein auf den Knien. -- Tausend Teufel, was hält mich
ab, daß ich nicht den Augenblick davonrenne und das verlorene Weib suche
in der ganzen weiten Welt! -- Damit warf Meister Abraham, der dies
Selbstgespräch gehalten, das kleine begonnene Automat sowie alles
Handwerkszeug unter den Tisch, sprang auf, und schritt heftig hin und
her. -- Der Gedanke an Chiara, der ihn jetzt beinahe niemals verließ,
rief alle schmerzliche Wehmut in seinem Innern hervor, und wie mit
Chiara damals sein höheres Leben begonnen, verließ ihn auch jetzt jener
trotzige, dem Gemeinen entsprossene Unwille darüber, daß er über sein
Handwerk hinweggeschaut und wirkliche Kunst zu üben sich unterfangen.
-- Er schlug Severino's Buch auf und schaute lange die holde Chiara an.
Wie ein Mondsüchtiger, der der äußeren Sinne beraubt nur nach dem innern
Gedanken automatisch handelt, ging Meister Abraham dann zu einem Kasten,
der in einem Winkel des Zimmers stand, räumte Bücher und Sachen, womit
er bepackt, herunter, öffnete ihn, nahm die Glaskugel, den ganzen
Apparat zum geheimnisvollen Experiment mit dem unsichtbaren Mädchen
hervor, befestigte die Kugel an einer dünnen seidnen Schnur, die von der
Decke herabhing, stellte im Zimmer alles so her, wie es zu dem
versteckten Orakel nötig. Erst als er mit allem fertig geworden,
erwachte er aus der träumerischen Betäubung und erstaunte nicht wenig
darüber, was er begonnen. Ach, jammerte er dann laut, indem er ganz
ermattet, ganz trostlos in den Lehnstuhl sank, ach Chiara, arme verlorne
Chiara, niemals werd' ich wieder deine süße Stimme verkünden hören, was
in des Menschen tiefster Brust verschlossen. Kein Trost mehr auf Erden,
-- keine Hoffnung als das Grab. --

Da schwankte die Glaskugel hin und her und ein melodischer Ton ließ sich
vernehmen, wie wenn Windeshauch leise hinstreift über die Saiten der
Harfe. Aber bald wurde der Ton zu Worten:

  Noch ist Leben nicht dahin,
  Trost und Hoffnung nicht verschwunden.
  Was vermag der frömmste Sinn,
  Hält ihn schwerer Eid gebunden?
  Meister! Mut! -- du wirst gesunden,
  Blick auf zu der Dulderin,
  Die da heilt die tiefsten Wunden,
  Bittrer Schmerz bringt dir Gewinn.

O du barmherziger Himmel, lispelte der Alte mit bebenden Lippen, sie ist
es selbst, die zu mir spricht von dem hohen Himmel herab; sie wandelt
nicht mehr unter den Lebendigen! -- Da ließ sich jener melodische Ton
abermals vernehmen und noch leiser, noch entfernter erklangen die Worte:

  Nicht erfaßt der bleiche Tod,
  Die im Herzen Liebe tragen;
  Dem glänzt noch das Abendrot,
  Der am Morgen wollt' verzagen.
  Bald kann dir die Stunde schlagen,
  Die entreißt dich aller Not;
  Zu vollbringen magst du wagen,
  Was die ew'ge Macht gebot.

Stärker anschwellend und wieder verhallend lockten die süßen Töne den
Schlaf herbei, der den Alten einhüllte in seinen schwarzen Fittich. Aber
in dem Dunkel ging strahlend wie ein schöner Stern der Traum vergangenen
Glücks auf und Chiara lag wieder an des Meisters Brust und beide waren
wieder jung und selig, und kein finstrer Geist vermochte den Himmel
ihrer Liebe zu trüben. --

     Hier hat, wie der Herausgeber es dem geneigten Leser bemerklich
     machen muß, der Kater wieder ein paar Makulaturblätter ganz
     weggerissen, wodurch in dieser Geschichte voller Lücken wiederum
     eine Lücke entstanden. Nach der Seitenzahl fehlen aber nur acht
     Kolumnen, die eben nichts besonders Wichtiges enthalten zu haben
     scheinen, da das Folgende sich im ganzen noch so ziemlich an das
     Vorhergegangene reiht. Also weiter heißt es:

-- -- -- nicht erwarten durfte. Fürst Irenäus war überhaupt ein
abgesagter Feind von allen ungewöhnlichen Vorfällen, vorzüglich wenn
seine eigne Person in Anspruch genommen wurde, die Sache näher zu
untersuchen. Er nahm daher, wie er es in kritischen Fällen zu tun
pflegte, eine Doppelprise, starrte den Leibjäger an mit dem bekannten
niederschmetternden Friedrichsblick und sprach: Lebrecht, ich glaube,
wir sind ein mondsüchtiger Träumer und sehen Gespenster, und machen
einen ganz unnötigen Hallas?

Durchlauchtigster Herr, erwiderte der Leibjäger in sehr ruhiger Fassung,
lassen Sie mich fortjagen wie einen ordinären Schuft, wenn nicht alles
buchstäblich wahr ist, wie ich es erzählt habe! Ich wiederhole es keck
und freimütig. Rupert ist ein ausgemachter Spitzbube.

Wie, Rupert, rief der Fürst in vollem Zorn, mein alter treuer Kastellan,
der fünfzig Jahre dem Fürstenhause gedient, ohne jemals ein Schloß
einrosten zu lassen, oder im Auf- und Zuschließen zu mankieren, der soll
ein Spitzbube sein? Lebrecht! -- Er ist besessen, Er ist rasend!
Himmeltausend Sapp --

Der Fürst stockte wie immer, wenn er sich auf dem Fluchen ertappte, das
allem fürstlichen Anstande entgegen. Der Leibjäger nutzte diesen
Augenblick, um ganz geschwinde einzufallen: Durchlauchtigster Herr
werden nur gleich so hitzig und fluchen denn so gräßlich, und man darf
über so etwas doch nicht schweigen, man kann doch nichts behaupten als
die reine Wahrheit. -- Wer ist hitzig, sprach der Fürst gelassen, wer
flucht? -- Esel fluchen! -- Ich will, daß Er mir die ganze Sache in
gedrängter Kürze wiederhole, damit ich in einer geheimen Sitzung alles
meinen Räten vortragen kann zur umständlichen Beratung und Entscheidung
über die fernerhin zu ergreifenden Maßregeln. Ist Rupert wirklich ein
Spitzbube, so -- Nun, das weitere wird sich dann finden.

Wie gesagt, begann der Leibjäger, als ich gestern Fräulein Julien
vorleuchtete, schlüpfte derselbe Mensch, der hier schon längst
herumschleicht, bei uns vorüber. Halt, dacht ich in meinem Sinn, den
Urian wirst du doch ertappen, und löschte, als ich das liebe Fräulein
bis oben hinaufgebracht, meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel.
Nicht lange dauerte es, so kam derselbe Mensch aus dem Gebüsch hervor
und klopfte leise an das Haus. Behutsam schlich ich einher. Da wurde das
Haus geöffnet und ein Mädchen trat heraus und mit diesem Mädchen
schlüpfte der Fremde hinein. Es war die Nanni, Sie kennen sie doch,
durchlauchtigster Herr, der Frau Rätin schöne Nanni?

_Coquin,_ rief der Fürst, mit hohen gekrönten Häuptern spricht man nicht
von schönen Nanni's, doch! -- fahr Er fort, _mon fils._ -- Ja die schöne
Nanni, sprach der Leibjäger weiter, ich hätt' ihr solchen dummen Verkehr
gar nicht zugetraut. -- Also weiter nichts als eine einfältige
Liebschaft, dacht ich in meinem Sinn; aber es wollte mir gar nicht in
den Kopf, daß nicht noch was anders dahinter stecken sollte. Ich blieb
am Hause stehen. Da kam nach einer guten Weile die Frau Rätin zurück,
und kaum war sie ins Haus getreten, als oben ein Fenster geöffnet wurde
und mit unglaublicher Behendigkeit der fremde Mensch hinaussprang,
gerade in die schönen Nelken- und Levkojenstöcke hinein, die dort
vergattert stehen und die das liebe Fräulein Julia selbst so sorglich
wartet. Der Gärtner lamentiert schrecklich; er ist mit den zerbrochenen
Scherben draußen und wollte bei dem durchlauchtigsten Herrn selbst Klage
führen. Ich habe ihn aber nicht hereingelassen, denn der Schlingel ist
angesoffen schon am frühen Morgen. Lebrecht, das scheint eine Imitation
zu sein, unterbrach der Fürst den Leibjäger, denn selbiges kommt schon
in der Oper von Herrn Mozart Figaro's Hochzeit geheißen, vor, die ich zu
Prag geschaut. Bleib Er der Wahrheit getreu, Jäger? -- Auch nicht eine
Silbe rede ich anders, als ich es bekräftigen kann mit einem
körperlichen Eide, sprach Lebrecht weiter. Der Kerl war hingestürzt, und
ich gedachte ihn nun zu fassen; doch schnell wie der Blitz raffte der
Kerl sich auf und rannte spornstreichs -- wohin? was denken Sie wohl,
durchlauchtigster Fürst, wohin er rannte? Ich denke nichts, erwiderte
der Fürst feierlich, turbier Er mich nicht mit lästigen Fragen nach
Gedanken, Jäger! sondern erzähle Er ruhig so lange, bis die Geschichte
aus ist, dann will ich denken.

Gerade nach dem unbewohnten Pavillon rannte der Mensch, fuhr der Jäger
fort. Ja -- unbewohnt! Sowie er an die Türe geklopft, wurd' es inwendig
hell, und wer nun heraustrat, war niemand anders als der saubere,
ehrliche Herr Rupert, dem der Fremde hineinfolgte ins Haus, das er nun
wieder fest verschloß. Sie sehen, durchlauchtigster Herr, daß Rupert
Verkehr treibt mit fremden, gefährlichen Gästen, die bei ihrer
Schleicherei gewiß Böses im Schilde führen. Wer weiß, worauf alles
abzielt und es ist ja möglich, daß selbst mein durchlauchtigster Fürst
hier in dem stillen ruhigen Sieghartshof von schlechten Menschen bedroht
wird.

Da Fürst Irenäus sich für eine höchst bedeutende fürstliche Person
hielt, so konnt' es nicht fehlen, daß er manchmal von allerlei höfischen
Kabalen und bösen Nachstellungen träumte. Des Jägers letzte Äußerung
fiel ihm deshalb gar schwer aufs Herz, und er versank einige Augenblicke
in tiefes Nachsinnen. Jäger! Er hat recht, sprach er dann mit weit
aufgerissenen Augen. Die Sache mit dem fremden Menschen, der hier
herumschleicht, mit dem Licht, das sich zur Nachtzeit im Pavillon sehen
läßt, ist bedenklicher, als sie im ersten Augenblick erscheint. -- Mein
Leben steht in Gottes Hand! aber mich umgeben treue Diener, und sollte
einer sich für mich aufopfern, so würde ich ganz gewiß die Familie
reichlich bedenken! -- Verbreit' Er das unter meinen Leuten, guter
Lebrecht! -- Er weiß, ein fürstliches Herz ist frei von jeder
Bangigkeit, von jeder menschlichen Todesfurcht, aber man hat auch
Pflichten gegen sein Volk, ihm muß man sich konservieren, zumal wenn der
Thronerbe noch unmündig. Darum will ich das Schloß nicht eher verlassen,
bis die Kabale im Pavillon zerstört ist. -- Der Förster soll mit den
Revierjägern und allen übrigen Forstbedienten herankommen, alle meine
Leute sollen sich bewaffnen. Der Pavillon soll sogleich umstellt, das
Schloß fest verschlossen werden. Besorg' Er das guter Lebrecht! Ich
selbst schnalle meinen Hirschfänger um, lade Er meine Doppelpistolen,
aber vergesse Er nicht den Schieber vorzulassen, damit kein Unglück
geschieht. -- Und daß man mir Nachricht gibt, wenn etwa die Zimmer des
Pavillons erstürmt und so die Verschwornen gezwungen werden sollen, sich
zu ergeben, damit ich mich zurückziehen kann in die innern Gemächer. Und
daß man die Gefangenen auf das sorglichste durchsucht, ehe sie vor den
Thron gebracht werden, damit keiner etwa in der Verzweiflung -- doch was
steht Er, was sieht Er mich an, was lächelt Er, was soll das heißen
Lebrecht?

Ei, durchlauchtigster Herr, erwiderte der Leibjäger mit pfiffiger Miene,
ich meine nur, daß es gar nicht von nöten, den Förster mit seinen Leuten
herzubeordern.

Warum nicht? fragte der Fürst erzürnt. Ich glaube gar, Er untersteht
sich mir zu widersprechen? -- Und in jeder Sekunde steigt die Gefahr!
Tausend Sapp -- Lebrecht, werf' Er sich auf Pferd -- der Förster -- seine
Leute -- geladene Büchsen -- den Augenblick sollen sie einrücken. --

Sie sind aber schon da, durchlauchtigster Herr! sprach der Leibjäger.

Wie -- was! -- rief der Fürst, indem er den Mund offen behielt um dem
Erstaunen Luft zu gönnen.

Schon als der Morgen graute, fuhr der Jäger fort, war ich draußen beim
Förster. Schon ist der Pavillon so sorglich umstellt, daß keine Katze
heraus kann, viel weniger ein Mensch.

Er ist ein vortrefflicher Jäger, Lebrecht, und ein treuer Diener des
fürstlichen Hauses, sprach der Fürst gerührt. Rettet Er mich aus dieser
Gefahr, so kann Er sicher auf eine Verdienstmedaille rechnen, die ich
selber erfinden und ausprägen lassen werde, von Silber oder von Gold, je
nachdem bei der Erstürmung des Pavillons weniger oder mehr Menschen
geblieben sind.

Erlauben Sie es, durchlauchtigster Herr, sprach der Jäger, so gehen wir
nun gleich ans Werk. Das heißt, wir schlagen die Türe des Pavillons ein,
nehmen das Gesindel, das darin hauset, gefangen und alles ist vorüber.
Ja, ja, den Kerl, der mir so oft entschlüpft, der solch ein verfluchter
Springer ist, den verdammten Kerl, der sich dort im Pavillon als ein
ungebetener Gast selbst einquartiert hat, den will ich schon fassen, den
Spitzbuben den, der Fräulein Julien turbiert hat! --

Welcher Spitzbube hat Julien turbiert? fragte die Rätin Benzon in das
Zimmer tretend. Wovon sprecht Ihr, guter Lebrecht? -- Der Fürst schritt
feierlich, bedeutsam, wie jemand, dem Großes, Ungeheures begegnet, das
er mit aller Stärke des Geistes bemüht ist zu tragen, der Benzon
entgegen. Er faßte ihre Hand, drückte sie zärtlich und sprach dann mit
sehr weicher Stimme: Benzon! selbst in der einsamsten, tiefsten
Zurückgezogenheit folgt die Gefahr dem fürstlichen Haupt. -- Es ist das
Los der Fürsten, daß alle Milde, alle Güte des Herzens sie nicht schützt
vor dem feindlichen Dämon, der den Neid, die Herrschsucht entflammt in
der Brust verräterischer Vasallen! -- Benzon, die schwärzeste Verräterei
hat ihr schlangenhaariges Medusenhaupt erhoben gegen mich, Sie finden
mich in der dringendsten Gefahr! -- Aber bald ist der Augenblick der
Katastrophe da, diesem Getreuen verdanke ich vielleicht bald mein Leben,
meinen Thron! -- Und ist es anders beschlossen -- nun so ergebe ich mich
in mein Schicksal. -- Ich weiß, Benzon, Sie konservieren Ihre
Gesinnungen gegen mich, und so kann ich, wie jener König in dem
Trauerspiel eines deutschen Dichters, mit dem Prinzessin Hedwiga mir
neulich den Tee verdarb, hochsinnig rufen: Nichts ist verloren, denn Sie
blieben mein! -- Küssen Sie mich gute Benzon! -- Teures Malchen, wir
sind und bleiben die Alten! -- Guter Gott, ich radottiere wohl in der
Seelenangst! -- Lassen Sie uns gefaßt sein, meine Liebe, wenn die
Verräter gefangen sind, werd' ich sie mit einem Blick vernichten.
-- Leibjäger, es beginne der Angriff auf den Pavillon. -- Der Leibjäger
wollte schnell fort. -- Halt, rief die Benzon, was für ein Angriff? Auf
welchen Pavillon?

Der Leibjäger mußte auf den Befehl des Fürsten nochmals über den ganzen
Vorfall genauen Rapport abstatten.

Immer mehr und mehr schien die Benzon durch des Leibjägers Erzählung
gespannt zu werden. Als er geendet, rief die Benzon lachend: Nun das ist
das drolligste Mißverständnis, das es wohl geben mag. Ich bitte,
gnädigster Herr, daß der Förster mit seinen Leuten sogleich nach Hause
geschickt werde. -- Es ist von gar keiner Verschwörung die Rede; Sie
befinden sich nicht in der mindesten Gefahr, gnädigster Herr! -- Der
unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener.

Wer, fragte der Fürst voll Erstaunen, wer, welcher Unglückselige bewohnt
den Pavillon ohne meine Erlaubnis?

Es ist Prinz Hektor, der sich im Pavillon verbirgt! raunte die Benzon
dem Fürsten ins Ohr.

Der Fürst prallte einige Schritte zurück, als träfe ihn plötzlich ein
Schlag von unsichtbarer Hand, dann rief er: Wer? -- wie? _est il
possible_! -- Benzon! träume ich? -- Prinz Hektor? des Fürsten Blicke
fielen auf den Leibjäger, der ganz verblüfft den Hut in der Hand
zusammenknillte. Jäger, schrie der Fürst ihn an, scher' Er sich hinab,
der Förster, die Leute sie sollen fort -- fort nach Hause! kein Mensch
soll sich blicken lassen! -- Benzon, wandte er sich dann zur Rätin, gute
Benzon, können Sie es sich vorstellen, einen Kerl, einen Spitzbuben hat
Lebrecht den Prinzen Hektor genannt! -- Der Unglückliche! -- Doch es
bleibt unter uns, Benzon, es ist ein Staatsgeheimnis. -- Sagen Sie,
erklären Sie mir nur, wie es geschehen konnte, daß der Prinz vorgibt
abzureisen, und sich hier versteckt, als wolle er auf Abenteuer
ausgehen?

Die Benzon sah sich durch die Beobachtungen des Leibjägers aus großer
Verlegenheit gerettet. Hatte sie sich vollkommen überzeugt, daß es
ihrerseits nicht ratsam, dem Fürsten die Gegenwart des Prinzen in
Sieghartshof, am wenigsten aber seinen Anschlag auf Julien zu entdecken,
so konnte doch auch die Sache nicht in der Lage bleiben, die mit jeder
Minute sich für Julien, für das ganze Verhältnis das sie, die Benzon
selbst, mit aller Mühe aufrecht erhielt, bedrohlicher gestalten mußte.
Jetzt, da der Leibjäger den Schlupfwinkel des Prinzen erlauscht, und
dieser Gefahr lief, auf nicht sehr ehrenvolle Weise hervorgezogen zu
werden, konnte, durfte sie ihn verraten, ohne Julia preiszugeben. Sie
erklärte also dem Fürsten, daß wahrscheinlich ein Liebeszwist mit der
Prinzessin Hedwiga den Prinzen vermocht, eine schnelle Abreise
vorzugeben und sich mit seinem treusten Kammerdiener ganz in der Nähe
der Geliebten zu verstecken. Daß dies Beginnen etwas Romanhaftes,
Abenteuerliches in sich trage, sei nicht zu leugnen, doch welcher
Liebende habe nicht Hang zu dergleichen. Übrigens sei des Prinzen
Kammerdiener ein sehr eifriger Liebhaber ihrer Nanni, und durch diese
ihr das Geheimnis verraten worden.

Ha! rief der Fürst, dem Himmel sei es gedankt, so war es der
Kammerdiener und nicht der Prinz selbst, der sich zu Ihnen ins Haus
stahl und dann durchs Fenster sprang in die Blumentöpfe, wie der Page
Cherubim. -- Mir stiegen schon allerlei unangenehme Gedanken auf. Ein
Prinz und durchs Fenster springen, wie könnte sich das wohl in aller
Welt reimen.

Ei, erwiderte die Benzon schalkisch lachend, ich kenne doch eine
fürstliche Person, die den Weg zum Fenster hinaus nicht verschmähte,
als --

Sie alterieren mich, Benzon, unterbrach der Fürst die Rätin, Sie
alterieren mich ganz ungemein! Schweigen wir von vergangenen Dingen,
überlegen wir lieber, was jetzt mit dem Prinzen anzufangen! Alle
Diplomatie, alles Staatsrecht, alles Hofgesetz holt der Teufel in dieser
verdammten Lage! -- Soll ich ihn ignorieren? -- soll ich ihn zufällig
finden? -- soll ich ... soll ich? Alles dreht sich in meinem Kopfe wie
ein Wirbel. Das kommt davon, wenn fürstliche Häupter sich zu
wunderlichen Romanstreichen herabwürdigen!

Die Benzon wußte in der Tat nicht, wie das weitere Verhältnis mit dem
Prinzen zu formen. Doch auch dieser Verlegenheit wurde abgeholfen. Noch
ehe die Rätin nämlich dem Fürsten antworten konnte, trat der alte
Kastellan Rupert hinein und überreichte ein klein zusammengefaltetes
Billett, indem er schelmisch lächelnd versicherte, es käme von einer
hohen Person, die er gar nicht weit von hier die Ehre hätte unter Schloß
und Riegel zu bewahren. Er wußte also, Rupert, sprach der Fürst sehr
gnädig zu dem Alten, daß? Nun ich habe Ihn immer für einen ehrlichen
treuen Diener meines Hauses gehalten, und Er hat sich auch jetzt als
einen solchen bewährt, da Er, wie es seine Pflicht war, dem Befehl
meines erhabenen Eidams gehorchet. -- Ich werde an Seine Belohnung
denken. Rupert dankte in den demütigsten Ausdrücken und entfernte sich
aus dem Zimmer.

Es begibt sich gar oft im Leben, daß einer für besonders ehrlich und
tugendhaft gehalten wird, gerade in dem Augenblick, wenn er einen
Spitzbubenstreich begangen. Daran dachte die Benzon, die von des Prinzen
bösem Anschlage besser unterrichtet und überzeugt war, daß der alte
heuchlerische Rupert in das böse Geheimnis eingeweiht.

Der Fürst erbrach das Billett und las:

  _Che dolce più, che più giocondo stato
  Saria, di quel d'un amoroso core?
  Che viver più felice, e più beato,
  Che ritrovarsi in servitù d'Amore?
  Se non fosse l'huom sempre stimulato
  Da quel sospetto rio, da quel timore,
  Da quel martir, da quella frenesia,
  Da quella rabbia, detta gelosia._

In diesen Versen eines großen Dichters finden Sie, mein Fürst, die
Ursache meines geheimnisvollen Beginnens. Ich glaubte mich nicht geliebt
von der, die ich anbete, die mein Leben ist, all mein Sehnen und Hoffen,
für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust. Wohl mir!
-- ich habe mich eines Bessern überzeugt, ich weiß seit wenigen Stunden,
daß ich geliebt bin, und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor. -- Liebe
und Glück, das sei das Losungswort, das mich ankündigt. -- Bald begrüße
ich Sie, mein Fürst! mit der Ehrfurcht des Sohnes.

                                                              =Hektor.=

Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb, wenn der
Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den
Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt. -- Sie
könnten ungefähr also lauten:

  »Gäb's süßres noch, gäb's höheres Entzücken,
  Als wenn das Herz entbrannt in brünst'ger Liebe?
  Könnt' den ein sel'gres Himmelslos beglücken,
  Der in des mächt'gen Gottes Fesseln bliebe?
  Vermöchte nicht den Menschen zu berücken
  Der finstre Geist, Verdacht! der Furcht Getriebe,
  Trostlose Qual, Wahnsinns wuchernder Samen,
  Der Hölle Furie, Eifersucht ihr Namen!

Der Fürst las das Billett zwei-, dreimal sehr aufmerksam durch und je
öfter er es las, desto finstrer zogen sich die Falten auf seiner Stirne
zusammen. Benzon! was ist das mit dem Prinzen? sprach er endlich. Verse,
italienische Verse an ein fürstliches Haupt, an einen gekrönten
Schwiegervater, statt deutlicher vernünftiger Erklärung? -- Was soll
das! -- Es ist kein Verstand darin. -- Der Prinz scheint überspannt zu
sein auf ganz ungebührliche Weise. Die Verse sprechen, soviel ich davon
verstehe, von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht. Was
will der Prinz mit der Eifersucht, auf wen, um tausend Himmels willen
kann er hier eifersüchtig sein? -- Sagen Sie mir gute Benzon, finden Sie
in diesem Billett des Prinzen auch nur ein Fünkchen gesunden
Menschenverstand? --

Die Benzon entsetzte sich über den tiefern Sinn, der in den Worten des
Prinzen lag, und den sie nach dem, was sich gestern in ihrem Hause
begeben, leicht erraten konnte. Zugleich mußte sie aber die feine
Wendung bewundern, die der Prinz ersonnen, um ohne weitern Anstoß aus
seinem Versteck hervortreten zu dürfen. Weit entfernt, sich auch nur
leise darüber gegen den Fürsten zu äußern, mühte sie sich aber aus der
Lage der Dinge so viel Vorteil zu ziehen als nur möglich. Kreisler und
Meister Abraham, das waren die Personen, von denen sie Verwirrungen
ihrer geheimen Pläne befürchtete, und gegen diese glaubte sie jede Waffe
brauchen zu müssen, die ihr der Zufall in die Hand spielte. Sie
erinnerte den Fürsten daran, was sie ihm über die Leidenschaft gesagt
hatte, die in der Prinzessin Brust empor gelodert. Dem Scharfblick des
Prinzen, führte sie ferner an, könne die Stimmung der Prinzessin
ebensowenig entgangen sein, als Kreislers seltsames überspanntes
Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse, irgendein wahnsinniges
Verhältnis zwischen beiden zu vermuten. So sei hinlänglich erklärt,
warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt, warum er, da er den
Kreisler getötet zu haben geglaubt, dem Schmerz, der Verzweiflung der
Prinzessin aus dem Wege gegangen, dann aber, als er von Kreislers Leben
unterrichtet, von Liebe und Sehnsucht getrieben zurückgekehrt sei und
die Prinzessin heimlich beobachtet habe. Niemanden anders als Kreislern
habe daher die Eifersucht gegolten, von der die Verse des Prinzen
sprächen, und es sei um so nötiger und ratsamer, dem Kreisler forthin
keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten, als er mit dem Meister
Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott
geschmiedet zu haben scheine.

Benzon, sprach der Fürst sehr ernsthaft, ich habe darüber nachgedacht,
was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben, und
glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort. Fürstliches Blut wallt in
den Adern der Prinzessin. --

Glauben Sie, gnädigster Herr, fuhr die Benzon heftig auf, indem sie bis
unter die Augen errötete, daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag,
über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes?

Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung, Rätin! sprach der Fürst
verdrießlich. -- Ich wiederhole es, entstand in dem Herzen der
Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft, so war das nur ein
krankhafter Zufall -- ein Krampf sozusagen -- sie leidet ja an Spasmen
-- von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde. Was aber den
Kreisler betrifft, so ist das ein ganz amüsanter Mensch, dem nur
gehörige Kultur fehlt. Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit
zutrauen, sich der Prinzessin annähern zu wollen. Keck ist er, aber auf
ganz andere Weise. Glauben Sie wohl, Benzon, daß nach seiner
wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen
würde, sollt' es denkbar sein, daß eine dergleichen hohe Person sich
herablassen könnte, in ihn verliebt zu werden. Denn -- Benzon, _entre
nous soit dit_ -- er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen
Häuptern, und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit, die
ihn unfähig macht am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben:
kehrt er aber zurück, so sei er mir herzlich willkommen. Denn nicht
genug, daß er denn doch, wie ich vom Meister Abraham -- ja den Meister
Abraham, den lassen Sie mir aus dem Spiele, Benzon, die Komplotte, die
er geschmiedet, haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht.
-- Wie ich doch sagen wollte! Ja! -- -- Nicht genug, daß der
Kapellmeister, wie mir Meister Abraham gesagt, fliehen müssen auf
ungebührliche Weise, unerachtet er von mir freundlich aufgenommen, so
ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch, der mich amüsiert trotz
seines närrischen Wesens, _et cela suffit!_

Die Rätin erstarrte vor innerer Wut, sich so kalt abgefertigt zu sehen.
Ohne es zu ahnen war sie, als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen
wollte, auf eine verborgene Klippe gestoßen. --

Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch. Eine lange Reihe
Wagen rasselte heran, begleitet von einem starken Kommando
großherzoglicher Husaren. Der Oberhofmarschall, der Präsident, die Räte
des Fürsten, mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen
aus. Dorthin war die Nachricht gekommen, daß in Sieghartshof eine wider
das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen, und nun kamen
die Getreuen nebst andern Verehrern des Hofes, sich um die Person des
Fürsten zu stellen, und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit,
die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten.

Vor lauter Beteurungen der Versammelten, daß sie Leib und Leben für den
gnädigsten Herrn zu opfern bereit seien, kam der Fürst gar nicht zu
Worte. Eben wollt' er endlich beginnen, als der Offizier, der das
Kommando führte, hineintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan
fragte.

Es liegt in der menschlichen Natur, daß, wenn die Gefahr, die uns Furcht
einjagte, sich vor unsern Augen auflöst in einen eitlen nichtigen
Popanz, uns dies immer mit großem Unmut erfüllt. Der Gedanke der
wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein, nicht, daß gar keine
vorhanden, erregt uns Freude.

So geschah es denn auch, daß der Fürst seinen Unmut, seinen Verdruß über
den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte.

Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer
Zofe, über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen
entstanden, sollte, konnte er das sagen? Er sann hin und her, die
ahnungsvolle Stille im Saal, nur unterbrochen von dem mutigen Sieg
versprechenden Wiehern der Husarenpferde, die draußen hielten, drückte
ihn bleiern nieder.

Endlich räusperte er sich und begann sehr pathetisch: Meine Herren! Die
wunderbare Fügung des Himmels ... -- Was wollen Sie _mon ami?_

Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst
sich selbst. Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und
durch Blicke zu verstehen gegeben, daß er was Wichtiges zu
hinterbringen. Es kam heraus, daß soeben sich Prinz Hektor melden
lassen.

Des Fürsten Gesicht heiterte sich auf, er sah, daß er über die
vermeintliche Gefahr, in der sein Thron geschwebt, sehr kurz sein und
die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlage in eine
Bewillkommnungs-Cour umsetzen könne. Er tat dies! --

Nicht lange dauerte es so trat Prinz Hektor herein, in Gala-Uniform
glänzend gekleidet, schön, kräftig, stolz wie der fernhintreffende
Götter-Jüngling. Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm
entgegen, fuhr aber auch gleich zurück, als träfe ihn der Blitz. Dicht
hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal. Der
fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage dämischer und
abgeschmackter. Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz
ausnehmend gefallen haben, denn er hatte einen Husaren vermocht ihm
Säbel, Tasche und Tschako zu geben, und sich in diese Herrlichkeiten
geputzt. -- So kurbettierte er, als säße er zu Pferde, in kurzen
Sprüngen, mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher, indem er die
eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ, und lachte und
kicherte dabei ganz ungemein anmutig. _Partez -- décampez! Allez vous en
-- tout de suite._ So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder
Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen, der sich ganz geschwind davon
machte.

Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt, den Prinzen Ignaz, die
ganze Szene zu bemerken. --

Der Fürst, im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit,
sprach nun mit dem Prinzen einige Worte und dann gingen beide, der Fürst
und der Prinz, im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem,
jenem ein paar Worte. Die Cour war beendigt, d. h. die geistreichen,
tiefsinnigen Redensarten, deren man sich bei solcher Gelegenheit zu
bedienen pflegt, waren gehörig verspendet, und der Fürst begab sich mit
dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin, dann aber, da der Prinz darauf
bestand die geliebte Braut zu überraschen, in das Gemach der Prinzessin.
Sie fanden Julia bei ihr.

Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur
Prinzessin, drückte ihre Hand hundertmal zärtlich an die Lippen, schwur,
daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt, daß ein unglückliches
Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet, daß er die Trennung
von der, die er anbete, nicht länger ertrage könne, daß nun ihm alle
Seligkeit des Himmels aufgegangen. --

Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit, die ihr sonst
eben nicht eigen. Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen
geradeso, wie es eine Braut wohl tun mag, ohne sich im voraus zu viel zu
vergeben; ja sie verschmähte es nicht, den Prinzen mit seinem Versteck
ein wenig aufzuziehn und zu versichern, daß sie keine Verwandlung
hübscher und anmutiger sich denken könne, als die eines Haubenstocks in
einen Prinzenkopf. Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf
gehalten, der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen.
Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars, die
selbst den Fürsten zu ergötzen schienen. Nun glaubte er den großen
Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen, da nach
seiner Meinung Hedwiga's Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich
genug aussprach. Geist und Körper der Prinzessin schienen in der
seltenen hohen Blüte zu stehen, wie sie glücklichen Bräuten ganz
besonders eigen. -- Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien.
Sowie sie den Prinzen erblickte, bebte sie zusammen von innerm Schauer
erfaßt. Blaß wie der Tod stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen,
keiner Bewegung mächtig, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. --

Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den
Worten: Fräulein Benzon, wenn ich nicht irre?

Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her, gleichsam
ein Schwesternpaar. Während der Fürst diese Worte sprach, hatte der
Prinz Julia's Hand gefaßt und ihr leise, leise zugehaucht: Nur du
bist's, die ich meine! -- Julia schwankte, Tränen der bittersten Angst
drängten sich unter den Wimpern hervor; sie wäre niedergestürzt, hätte
die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben.

Julia, sprach die Prinzessin leise, indem sie sich über die Ärmste
hinüberbeugte, Julia, fasse Dich doch nur! -- Ahnest Du denn nicht den
harten Kampf, den ich kämpfe. -- Der Fürst öffnete die Türe und rief
nach Eau de Luce. Solches führe ich nicht bei mir, sprach der ihm
entgegentretende Meister Abraham, aber guten Äther. Ist jemand
ohnmächtig geworden? -- Äther hilft auch! --

So kommt schnell herein, Meister Abraham, erwiderte der Fürst, und helft
Fräulein Julien.

Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat, sollte sich das Unerwartete
begeben.

Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an, sein Haar schien
sich zu sträuben, kalter Angstschweiß ihm auf der Stirne zu stehen.
Einen Schritt vorwärts, den Leib zurückgebogen, die Arme dem Meister
entgegengestreckt, war er dem Macbeth zu vergleichen, wenn plötzlich
Banko's entsetzliches blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel
füllt. -- Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich
Julien nahen.

Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben. Severino, seid
Ihr's selbst? So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten
Entsetzens. Allerdings, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus
seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern, allerdings. Es
ist mir sehr lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich
hatte die Ehre Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst
zu erzeigen.

Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts da faßte ihn der Prinz beim
Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes
Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es
zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.

Severino! -- wie kam der Mensch zu dem Bildnis?

Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.

Weiß er?

Nein!

Werdet Ihr schweigen?

Zur Zeit -- ja!

Severino! -- alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! Was nennt Ihr
zur Zeit?

Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!

-- Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. -- Julia
hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck
herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie
mehr als daß sie sprach: O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich
wohl retten! -- Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? -- Eure
Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken! -- Der Meister gewahrte
in Julia's Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als
habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse
um das ganze Geheimnis!

Du bist ein frommer Engel, sprach der Meister Julien leise ins Ohr, und
darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über Dich.
Vertraue Dich mir ganz; fürchte nichts und fasse Dich mit aller Kraft
des Geistes. -- Denke auch an unsern Johannes.

Ach, rief Julia schmerzlich, ach Johannes! -- er kehrt zurück, nicht
wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!

Gewiß, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia
verstand ihn. --

Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann,
den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren
Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in
die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. -- Diese
Begebenheit zu erzählen sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er
künftig nicht damit zurückhalten. --

Der Sturm im Innern war zu heftig, als daß sein Tosen nicht auf der
Oberfläche hätte sichtbar sein sollen, und so stimmte des Prinzen
verstörtes Antlitz, dem jeder Blutstropfen entschwunden schien, sehr
schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch, zu dem er sich nun
zwang, um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen. Besser als dem
Prinzen gelang es der Prinzessin, die Spannung des Augenblicks zu
besiegen. Mit der Ironie, die selbst den Argwohn, die Verbittrung
verflüchtigt zum feinsten Hohn, neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem
Labyrinth seiner eignen Gedanken. Er, der gewandteste Weltmann, noch
mehr, ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit, die alles
Wahrhafte, jede Gestaltung des Lebens vernichtet, vermochte nicht diesem
seltsamen Wesen zu widerstehen. Je lebhafter Hedwiga sprach, je feuriger
und zündender die Blitze des geistreichen Spottes einschlugen, desto
verwirrter, beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen, bis dies
Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte.

Dem Fürsten geschah das, was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu
geschehen pflegte; er wußte gar nicht, was er von dem allen denken
sollte. Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne
sonderliche Bedeutung, die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit
ebensolchen erwiderte.

Der Prinz war schon zur Türe heraus, als Hedwiga plötzlich, im ganzen
Wesen verändert zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen das
Herz durchschneidenden Ton laut rief: Ich sehe die blutige Spur des
Mörders! -- Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen, drückte Julien
stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu: Kind, mein armes Kind, laß
Dich nicht betören!

Geheimnisse, Einbildungen, Albernheiten, Romanenstreiche, sprach der
Fürst verdrießlich. _Ma foi,_ ich kenne meinen Hof nicht mehr! Meister
Abraham! Ihr bringt meine Uhren in Ordnung, wenn sie nicht richtig
gehen; ich wollt', Ihr könntet hier nachsehen, was für Schaden das
Räderwerk genommen, das sonst niemals stockte. -- Doch was ist das mit
dem Severino?

Unter diesem Namen, erwiderte der Meister, ließ ich in Neapel meine
optische und mechanische Kunststücke sehen.

So -- so, sprach der Fürst, sah den Meister starr an, als schwebe ihm
eine Frage auf den Lippen, drehte sich aber dann schnell um und verließ
schweigend das Zimmer. --

Man hatte geglaubt, die Benzon befinde sich bei der Fürstin, dem war
aber nicht so; sie hatte sich in ihre Wohnung begeben.

Julia sehnte sich nach der freien Luft; der Meister führte sie in den
Park und lustwandelnd durch die halbentlaubten Gänge sprachen sie von
Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei. Sie waren an das
Fischerhäuschen gekommen. Julia trat hinein, um sich zu erholen;
Kreislers Brief lag auf dem Tisch; der Meister meinte, es sei gar nichts
darin, das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren.

Während Julia den Brief gelesen, hatten sich ihre Wangen höher gefärbt,
und sanftes Feuer, Abglanz des erheiterten Gemüts, strahlte aus ihren
Augen.

Siehst du wohl, mein liebes Kind, sprach der Meister freundlich, wie der
gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu Dir spricht?
Was hast Du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten, wenn
Standhaftigkeit, Liebe und Mut Dich schützen vor den Bösen, die Dir
nachstellen.

Barmherziger Himmel, rief Julia mit emporgerichtetem Blick, schütze mich
nur vor mir selber! Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte, die
sie willenlos ausgestoßen. Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und
bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz.

Ich verstehe dich nicht Mädchen, sprach der Meister, du verstehst Dich
vielleicht selbst nicht und darum magst Du Dein eignes Inneres recht auf
den Grund erforschen und Dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher
Schonung. --

Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen, in das sie versunken,
und schaute mit übereinander geschlagenen Armen zu der geheimnisvollen
Glaskugel. Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer
Ahnung.

Dich muß ich ja fragen, sprach er, mit dir muß ich mich ja beraten, mit
dir, du meines Lebens schönes, herrliches Geheimnis! Schweige nicht, laß
deine Stimme hören! -- Du weißt es ja, niemals war ich ein gemeiner
Mensch, unerachtet mich manche dafür hielten. Denn in mir glühte alle
Liebe, die der ewige Weltgeist selbst ist und der Funke glimmte in
meiner Brust, den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen
Flamme! -- Glaube nicht, Chiara, daß dies Herz darum, weil es älter
worden, vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als
damals, da ich dich dem unmenschlichen Severino entriß; glaube nicht,
daß ich jetzt weniger deiner wert geworden, als ich es damals war, da du
selbst mich aufsuchtest! -- Ja! -- laß nur deine Stimme hören, und ich
will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen, bis ich
dich gefunden, und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in
zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie, welche alle Menschen, selbst
die allgemeinsten, notgedrungen erkennen ohne daran zu glauben. -- Und
wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden, spricht deine Stimme aus
der Geisterwelt zu mir herab, so bin ich auch damit zufrieden und werde
auch dann wohl noch ein tüchtigerer Kerl, als ich jemals gewesen. -- Doch
nein nein! Wie lauteten die tröstenden Worte, die du zu mir sprachst?

  Nicht erfaßt der bleiche Tod,
  Die im Herzen Liebe tragen;
  Dem glänzt noch das Abendrot,
  Der am Morgen wollt' verzagen!

Meister, rief Julia, die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in
tiefstem Erstaunen zugehorcht hatte, Meister! mit wem redet Ihr? was
wollt Ihr beginnen? -- Ihr nanntet den Namen: Severino, güt'ger Himmel!
redete der Prinz, als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte, Euch
nicht selbst an mit diesem Namen? Welches furchtbare Geheimnis liegt
hier verborgen?

Der Alte kam bei diesen Worten Julia's augenblicklich aus dem erhöhten
Zustande zurück, und auf seinem Gesicht verbreitete sich, wie es schon
lange nicht mehr geschehen, jene seltsame beinahe grinsende
Freundlichkeit, die mit seinem übrigens treuherzigen Wesen in dem
wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den
Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab.

Mein schönes Fräulein, sprach er mit dem grellen Ton, in dem
aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen
pflegen, mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die
Ehre haben Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu
zeigen. -- Diese tanzenden Männlein, dieser kleine Türke, welcher weiß,
wie alt jeder in der Gesellschaft ist, diese Automate, diese
Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel
-- alles hübsches magisches Spielzeug, aber das Beste fehlt mir noch.
Mein unsichtbares Mädchen ist da! -- Bemerken Sie, dort oben sitzt sie
bereits in der Glaskugel. Sie spricht aber noch nicht, sie ist noch müde
von der weiten Reise, denn sie kommt gerades Weges aus dem fernen
Indien. -- In einigen Tagen, mein schönes Fräulein, kommt meine
Unsichtbare und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor,
wegen Severino und anderer Begebnisse der Vergangenheit und Zukunft!
-- Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement.

Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines
Jünglings im Zimmer umher, zog die Maschine an, ordnete die magischen
Spiegel. Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig; die Automaten
schritten daher und drehten die Köpfe, und ein künstlicher Hahn
schlug mit den Flügeln und krähte, während Papageien gellend
dazwischenkreischten, und Julia selbst und der Meister standen draußen
so gut wie im Zimmer. Julien wollte, unerachtet sie an dergleichen
Possen genugsam gewöhnt, dennoch bei der seltsamen Stimmung des Meisters
ein Grauen anwandeln. Meister, sprach sie ganz erschrocken, was ist Euch
widerfahren?

Kind, erwiderte der Meister in seiner ernsten Manier, Kind etwas Schönes
und Wunderbares, aber es taugt nicht recht, daß Du es erfährst. Doch!
-- laß die lebendigtoten Dinger hier ihre Faxen ausspielen, während ich
Dir von manchem so viel vertraue, als Dir zu wissen nötig und nützlich.
-- Meine liebe Julia, Deine eigne Mutter hat Dir ihr mütterliches Herz
verschlossen, ich will es Dir öffnen, daß Du hinein zu blicken, daß Du
die Gefahr, in der Du schwebst, zu erkennen und Dich ihr zu entziehen
vermagst. -- Erfahre also fürs erste ohne weitere Umschweife, daß Deine
Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat, als
Dich ----

=(M. f. f.)= -- es indessen lieber bleiben lassen. -- Katerjüngling, sei
bescheiden wie ich, und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen
Versen, wenn die schlichte, ehrliche Prosa hinreicht, deine Gedanken
auszuspinnen. -- Verse sollen in dem in Prosa geschriebenen Buche das
leisten was der Speck in der Wurst, nämlich hin und wieder in kleinen
Stückchen eingestreut, dem ganzen Gemengsel mehr Glanz der Fettigkeit,
mehr süße Anmut des Geschmacks verleihen. Ich fürchte nicht, daß
dichterische Kollegen dies Gleichnis zu gemein und unedel finden werden,
da es von unsrer Lieblingsspeise entnommen und in der Tat manchmal ein
guter Vers einem mittelmäßigen Roman ebenso dienlich sein kann, als ein
fetter Speck einer magern Wurst. Ich sage das als ein Kater von
ästhetischer Bildung und Erfahrung. So sehr es nach meinen bisherigen
philosophischen und moralischen Grundsätzen Ponto's ganzes Verhältnis,
seine Lebensweise, seine Art sich in der Gunst des Herrn zu erhalten mir
unwürdig, ja ein wenig miserabel vorkommen mochte, doch hatte mich sein
ungezwungener Anstand, seine Eleganz, seine anmutige Leichtigkeit im
sozialen Umgange gar sehr bestochen. Mit aller Gewalt wollte ich mich
selbst überreden, daß ich bei meiner wissenschaftlichen Bildung, bei
meinem Ernst in allem Tun und Treiben auf einer viel höheren Stufe stehe
als der unwissende Ponto, der nur hier und da etwas von den
Wissenschaften aufgeschnappt. Ein gewisses gar nicht zu unterdrückendes
Gefühl sagte mir aber ganz unverhohlen, daß Ponto überall mich in den
Schatten stellen würde; ich fühlte mich gedrungen, einen vornehmern
Stand anzuerkennen und den Pudel Ponto zu diesem Stande zu rechnen. --

Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jeder
Lebenserfahrung immer seine besonderen eigentümlichen Gedanken, und so
geriet ich auch, meine innere Seelenstimmung, mein ganzes Verhältnis mit
Ponto wohl überlegend, in allerlei sehr artige Betrachtungen, die der
ferneren Mitteilung wohl wert sind. -- Wie kommt es, sprach ich zu mir
selbst, indem ich sinnig die Pfote an die Stirn legte, wie kommt es, daß
große Dichter, große Philosophen, sonst geistreich, sich im sozialen
Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehilflich zeigen?
Sie stehen jederzeit da, wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören,
sie sprechen wenn sie gerade schweigen sollten, und schweigen umgekehrt
da, wo gerade Worte nötig, sie stoßen in -- der Form der Gesellschaft,
wie sie sich nun eben gestaltet hat, entgegengesetztem -- Streben
überall an und verletzen sich selbst und andere; genug sie gleichen dem,
der, wenn eben eine ganze Reihe muntrer Spaziergänger einträchtig
hinauswandelt, sich allein zum Tore hineindrängt und nun, mit Ungestüm
seinen Weg verfolgend, diese ganze Reihe verstört. Man schreibt, ich
weiß es, dies dem Mangel gesellschaftlicher Kultur zu, die am
Schreibtische nicht zu erlangen, ich meine indessen, daß diese Kultur
gar leicht zu erlangen sei, und daß jene unbesiegbare Unbehülflichkeit
wohl noch einen andern Grund haben müsse. -- Der große Dichter oder
Philosoph müßte es nicht sein, wenn er seine geistige Überlegenheit
nicht fühlen sollte; aber ebenso müßte er nicht das jedem geistreichen
Menschen eigne tiefe Gefühl besitzen, um nicht einzusehen, daß jene
Überlegenheit deshalb nicht anerkannt werden darf, weil sie das
Gleichgewicht aufhebt, das stets zu erhalten die Haupttendenz der
sogenannten vornehmeren Gesellschaft ist. Jede Stimme darf nur
eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen, aber des Dichters Ton
dissoniert, und ist, kann er unter Umständen auch ein sehr guter sein,
dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton, weil er nicht zum Ganzen
paßt. -- Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der
Unterlassung alles Ungehörigen. Nun meine ich ferner, daß der Unmut, der
sich aus dem widersprechenden Gefühl der Überlegenheit und der
ungehörigen Erscheinung bildet, den in dieser sozialen Welt unerfahrnen
Dichter oder Philosophen hindert, das Ganze zu erkennen und darüber zu
schweben. Es ist nötig, daß er in dem Augenblick seine innere geistige
Überlegenheit nicht zu hoch anschlage und unterläßt er dies, so wird er
auch die sogenannte höhere gesellschaftliche Kultur, die auf nichts
anders hinausläuft als auf das Bemühen, alle Ecken, Spitzen wegzuhobeln,
alle Physiognomien zu einer einzigen zu gestalten, die eben deshalb
aufhört eine zu sein, nicht zu hoch anschlagen. Dann wird er, verlassen
von jenem Unmut, unbefangen, das innerste Wesen dieser Kultur und die
armseligen Prämissen, worauf sie beruhet, leicht erkennen und schon
durch die Erkenntnis sich einbürgern in die seltsame Welt, welche eben
diese Kultur als unerläßlich fordert. -- Auf eigne Weise verhält es sich
mit den Künstlern, die, so wie Dichter, Schriftsteller, der Vornehme hie
und da in seine Zirkel ladet, um der guten Sitte nach auf eine Art von
Mäzenat Anspruch machen zu können. Diesen Künstlern klebt leider
gewöhnlich etwas vom Handwerk an, und deshalb sind sie entweder demütig
bis zur Kriecherei oder ungezogen bis zur Bengelhaftigkeit.

     (=Anmerk. des Herausgeb.:= -- Murr, es tut mir leid, daß du dich so
     oft mit fremden Federn schmückst. Du wirst, wie ich mit Recht
     befürchten muß, dadurch bei den geneigten Lesern merklich
     verlieren. -- Kommen alle diese Betrachtungen, mit denen du dich so
     brüstest, nicht geradehin aus dem Munde des Kapellmeisters Johannes
     Kreisler, und ist es überhaupt möglich, daß du solche
     Lebensweisheit sammeln konntest, um eines menschlichen
     Schriftstellers Gemüt, das wunderlichste Ding auf Erden, so tief zu
     durchschauen!)

Warum, dachte ich ferner, sollt' es aber einem geistreichen Kater, ist
er auch Dichter, Schriftsteller, Künstler, nicht gelingen können, sich
zu jener Erkenntnis der höhern Kultur in ihrer ganzen Bedeutsamkeit
hinaufzuschwingen und sie selbst zu üben mit aller Schönheit und Anmut
der äußern Erscheinung? -- Hat denn die Natur dem Geschlecht der Hunde
allein den Vorzug jener Kultur gegönnt? Sind wir Kater, was Tracht,
Lebensweise, Art und Gewohnheit betrifft, auch etwas von dem stolzen
Geschlecht verschieden, so haben wir doch ebensogut Fleisch und Blut,
Körper und Geist, und am Ende können es die Hunde auch gar nicht anders
anfangen als wir, ihr Leben fortzusetzen. Auch Hunde müssen essen,
trinken, schlafen u. s. w. und es tut ihnen weh, wenn sie geprügelt
werden. -- Was weiter! -- ich beschloß mich dem Unterricht meines jungen
vornehmen Freundes, des Pudels Ponto hinzugeben, und ganz mit mir einig,
begab ich mich zurück in meines Meisters Zimmer; ein Blick in den
Spiegel überzeugte mich, daß der bloße ernste Wille nach höherer Kultur
zu streben schon vorteilhaft auf meine äußere Haltung gewirkt. -- Ich
betrachtete mich mit dem innigsten Wohlgefallen. -- Gibt es einen
behaglichern Zustand, als wenn man mit sich selbst ganz zufrieden ist?
-- Ich spann! --

Andern Tages begnügte ich mich nicht damit, vor der Türe zu sitzen, ich
lustwandelte die Straße herab, da erblickte ich in der Ferne den Herrn
Baron Alcibiades von Wipp, und hinter ihm her sprang mein munterer
Freund Ponto. Gelegeners konnte mir nichts kommen; ich nahm mich soviel
wie möglich in Anstand und Würde zusammen und näherte mich dem Freunde
mit jener unnachahmlichen Grazie, die, unschätzbares Geschenk der
gütigen Natur, keine Kunst zu lehren vermag. -- Doch! -- entsetzlich!
Was mußte geschehen! -- Sowie mich der Baron gewahrte, blieb er stehen
und betrachtete mich sehr aufmerksam durch die Lorgnette, dann rief er
aber: Allons -- Ponto! Huß -- Huß! -- Katz! Katz! -- Und Ponto, der
falsche Freund sprang in voller Furie auf mich los! -- Entsetzt, aus
aller Fassung gebracht durch den schändlichen Verrat, war ich keines
Widerstandes fähig, sondern duckte mich so tief nieder als ich konnte,
um Pontos scharfen Zähnen zu entgehen, die er mir knurrend zeigte. Ponto
sprang aber mehrmals über mich hinweg ohne mich zu fassen, und flüsterte
mir in die Ohren: Murr! Sei doch kein Tor und fürchte dich etwa! -- du
siehst ja, daß es kein Ernst ist, ich tue das nur meinem Herrn zu
Gefallen! Nun wiederholte Ponto seine Sprünge und tat sogar, als packe
er mich bei den Ohren, ohne mir indessen im mindesten wehe zu tun.
Jetzt, raunte mir Ponto endlich zu, jetzt trolle dich ab, Freund Murr!
dort hinein ins Kellerloch! -- Ich ließ mir das nicht zweimal sagen
sondern fuhr schnell davon, wie der Blitz. -- Unerachtet der
Versicherung Ponto's, mir keinen Schaden zuzufügen, war mir doch nicht
wenig bange, denn wissen kann man in solchen kritischen Fällen immer
nicht recht, ob die Freundschaft stark genug sein wird, das angeborne
Naturell zu besiegen. --

Als ich hinein gehuscht war in den Keller, spielte Ponto die Komödie,
die er seinem Herrn zu Ehren begonnen, weiter fort. Er knurrte und
bellte nämlich vor dem Kellerfenster, steckte die Schnauze durch das
Gitter, tat, als sei er ganz außer sich darüber, daß ich ihm entwischt
sei und er mich nun nicht verfolgen könne. Siehst du, sprach aber Ponto
zu mir in den Keller hinein, siehst du, erkennst du nun aufs neue die
ersprießlichen Folgen der höhern Kultur? -- In dem Augenblick habe ich
mich gegen meinen Herrn artig, folgsam bewiesen, ohne mir deine
Feindschaft zuzuziehen, guter Murr. So macht es der wahre Weltmann, den
das Schicksal bestimmt hat, Werkzeug in der Hand eines Mächtigeren zu
sein. Angehetzt muß er losfahren aber dabei so viel Geschick beweisen,
daß er nur dann wirklich beißt, wenn es gerade auch in seinen eignen
Kram taugt. -- In aller Schnelle eröffnete ich meinem jungen Freunde
Ponto, wie ich gesonnen sei etwas von seiner höhern Kultur zu
profitieren und fragte, ob und auf welche Weise er mich vielleicht in
die Lehre nehmen könne. -- Ponto sann einige Minuten nach und meinte
dann, am besten sei es, wenn mir gleich anfangs ein lebendiges
deutliches Bild der höheren Welt aufgehe, in der er jetzt zu leben das
Vergnügen habe, und dies könne nicht besser geschehen, als wenn ich ihn
heute abend zur niedlichen Badine begleite, die gerade während der
Theaterzeit Gesellschaft bei sich sähe. -- Badine war aber Windspiel in
Diensten der fürstlichen Oberhofmeisterin. --

Ich putzte mich heraus so gut ich es vermochte, las noch etwas im
Knigge und durchlief auch ein paar ganz neue Lustspiele von Picard, um
nötigenfalls mich auch im Französischen geübt zu zeigen, und ging dann
hinab vor die Türe. Ponto ließ nicht lange auf sich warten. Wir
wandelten einträchtig die Straße hinab und gelangten bald in Badinens
hell erleuchtetes Zimmer, wo ich eine bunte Versammlung von Pudeln,
Spitzen, Möpsen, Bolognesern, Windspielen vorfand, teils im Kreise
sitzend, teils gruppenweise in die Winkel verteilt. --

Das Herz klopfte mir nicht wenig in dieser fremdartigen Gesellschaft mir
feindlicher Naturen. Mancher Pudel blickte mich an mit einer gewissen
verächtlichen Verwunderung, als wolle er sagen: Was will ein gemeiner
Kater unter uns sublimen Leuten. Hin und wieder fletschte auch wohl ein
eleganter Spitz die Zähne, so daß ich merken konnte, wie gern er mir in
die Haare gefahren wäre, hätte der Anstand, die Würde, die sittige
Bildung der Gäste nicht jede Prügelei als unschicklich verboten. -- Ponto
riß mich aus der Verlegenheit, indem er mich der schönen Wirtin
vorstellte, die mit anmutiger Herablassung versicherte, wie sehr sie
sich freue einen Kater von meinem Ruf bei sich zu sehen. -- Nun erst,
als Badine einige Worte mit mir gesprochen, schenkte mir dieser, jener
mit wahrhaft hündischer Bonhommie mehr Aufmerksamkeit, redete mich auch
wohl an und gedachte meiner Schriftstellerei, meiner Werke, die ihm
zuweilen ordentlichen Spaß gemacht. Das schmeichelte meiner Eitelkeit
und ich gewahrte kaum, daß man mich fragte ohne meine Antworten zu
beachten, daß man mein Talent lobte, ohne es zu kennen, daß man meine
Werke pries, ohne sie zu verstehen. -- Ein natürlicher Instinkt lehrte
mich antworten, wie ich gefragt wurde, nämlich ohne Rücksicht auf diese
Fragen überall kurz absprechen in solch' allgemeinem Ausdrücken, daß sie
auf alles nur mögliche bezogen werden konnten, durchaus keiner Meinung
sein und nie das Gespräch von der glatten Oberfläche hinunterziehen
wollen in die Tiefe. -- Ponto versicherte mir im Vorbeistreifen, daß ein
alter Spitz ihm versichert, wie ich für einen Kater amüsant genug sei
und Anlagen zur guten Konversation zeige. -- So etwas erfreut auch den
Mißmütigen! --

-- Jean Jacques Rousseau gesteht, als er in seinen Bekenntnissen auf
die Geschichte von dem Bande kommt, das er stahl und ein armes
unschuldiges Mädchen für den Diebstahl züchtigen sah, den er begangen,
ohne die Wahrheit zu gestehen, wie schwer es ihm werde über diese
Untiefe seines Gemüts hinwegzukommen -- Ich befinde mich eben jetzt in
gleichem Fall mit jenem verehrten Selbstbiographen. -- Habe ich auch
kein Verbrechen zu gestehen, so darf ich doch, will ich wahrhaft
bleiben, die große Torheit nicht verschweigen, die ich an demselben
Abend beging und die lange Zeit hindurch mich verstörte, ja meinen
Verstand in Gefahr setzte. -- Ist es aber nicht ebenso schwer, ja oft
noch schwerer eine Torheit zu gestehen als ein Verbrechen? --

-- Nicht lange dauerte es, so überfiel mich solch eine Unbehaglichkeit,
solch ein Unmut, daß ich mich weit fort wünschte unter den Ofen des
Meisters. Es war die gräßlichste Langeweile, die mich zu Boden drückte
und die endlich mich alle Rücksichten vergessen ließ. Ganz still schlich
ich mich in eine entfernte Ecke um dem Schlummer nachzugeben, zu dem
mich das Gespräch rund umher einlud. Dasselbe Gespräch nämlich, das ich
erst in meinem Unmut vielleicht gar irrtümlich für das geistloseste
fadeste Geschwätz gehalten, kam mir nun vor, wie das eintönige Geklapper
einer Mühle, bei dem man sehr leicht in ein ganz angenehmes
gedankenloses Hinbrüten gerät, dem dann der wirkliche Schlaf bald folgt.
-- Eben in diesem gedankenlosen Hinbrüten, in diesem sanften Delirieren
war es mir, als funkle plötzlich ein helles Licht vor den geschlossenen
Augen. Ich blickte auf und dicht vor mir stand ein anmutiges
schneeweißes Windspielfräulein, Badine's schöne Nichte, Minona geheißen,
wie ich später erfuhr.

Mein Herr, sprach Minona mit jenem süßlispelnden Ton, der nur zu sehr
widerklingt in des feurigen Jünglings erregbarer Brust, mein Herr, Sie
sitzen hier so einsam, Sie scheinen sich zu ennuyieren? -- Das tut mir
leid! -- Aber freilich, ein großer, tiefer Dichter wie Sie, mein Herr!
muß, in höhern Sphären schwebend, das Treiben des gewöhnlichen sozialen
Lebens schal und oberflächlich finden.

Ich erhob mich etwas bestürzt, und es tat mir weh, daß mein Naturell,
stärker als alle Theorien des gebildeten Anstandes, mich zwang wider
meinen Willen den Rücken hoch zu erheben, einen sogenannten Katzenbuckel
zu machen, worüber Minona zu lächeln schien.

Gleich mich zur bessern Sitte erholend faßte ich aber Minona's Pfote,
drückte sie leise an meine Lippen und sprach von begeisterten
Augenblicken, denen der Dichter oft erliege. Minona hörte mich an mit
solchen entschiedenen Zeichen der innigsten Teilnahme, mit solcher
Andacht, daß ich mich selbst immer höher steigerte zur ungemeinen Poesie
und zuletzt mich selbst nicht recht verstand. -- Minona mochte mich
ebensowenig verstehen, aber sie geriet ins höchste Entzücken und
versicherte, wie oft es schon ihr inniger Wunsch gewesen, den genialen
Murr kennen zu lernen, und daß einer der glücklichsten herrlichsten
Momente ihres Lebens der gegenwärtige sei. -- Was soll ich sagen! Bald
fand sich's, daß Minona meine Werke, meine sublimsten Gedichte gelesen
-- nein! nicht nur gelesen sondern in der höchsten Bedeutung aufgefaßt
hatte! Mehreres davon wußte sie auswendig und sagte es her mit einer
Begeisterung, mit einer Anmut, die mich in einen ganzen Himmel voll
Poesie versetzte, vorzüglich, da es =meine= Verse waren die die Holdeste
ihres Geschlechts mir anzuhören gab.

Mein bestes, holdestes Fräulein, rief ich, ganz hingerissen, Sie haben
dies Gemüt verstanden! Sie haben meine Verse auswendig gelernt; o all
ihr Himmel! gibt es eine höhere Seligkeit für den aufwärts strebenden
Dichter?

Murr, lispelte Minona, genialer Kater, können Sie glauben, daß ein
fühlendes Herz, ein poetisch gemütliches Gemüt Ihnen entfremdet bleiben
kann? -- Minona seufzte nach diesen Worten aus tiefer Brust und dieser
Seufzer gab mir den Rest. -- Was anders? -- Ich verliebte mich in das
schönste Windspielfräulein dermaßen, daß ich ganz toll und verblendet
nicht bemerkte, wie sie mitten in der Begeisterung plötzlich abbrach, um
mit einem kleinen Zierbengel von Mops gänzlich fades Zeug zu schwatzen,
wie sie mir den ganzen Abend auswich, wie sie mich auf eine Art
behandelte, die mich hätte deutlich erkennen lassen sollen, wie sie mit
jenem Lobe, mit jenem Enthusiasmus niemand anders gemeint, als sich
selbst. -- Genug ich war und blieb ein verblendeter Tor, lief der
schönen Minona nach wie und wo ich nur konnte, besang sie in den
schönsten Versen, machte sie zur Heldin mancher anmutig verrückten
Geschichte, drängte mich in Gesellschaften ein, wo ich nicht hingehörte,
und erntete dafür so manchen bittern Verdruß, so manche Verhöhnung, so
manches kränkende Ungemach.

Oft in kühlen Stunden trat mir selbst die Albernheit meines Beginnens
vor Augen; dann kam mir aber wieder närrischerweise der Tasso und
mancher neuere Dichter von ritterlicher Gesinnung ein, dem es an einer
hohen Herrin liegt, der seine Lieder gelten und die er aus der Ferne
anbetet, wie der Manchaner seine Dulcinea, und da wollt ich denn wieder
nicht schlechter und unpoetischer sein als dieser und schwur dem
Gaukelbilde meiner Liebesträume, dem anmutigen weißen Windspielfräulein
unverbrüchliche Treue und Ritterdienst bis in den Tod. Einmal von diesem
seltsamen Wahnsinn erfaßt, fiel ich aus einer Torheit in die andere, und
selbst mein Freund Ponto fand für nötig, sich, nachdem er mich ernstlich
vor den heillosen Mystifikationen gewarnt, in die man mich überall zu
verstricken suchte, von mir zurückzuziehen. Wer weiß was noch aus mir
geworden wäre, wenn nicht ein guter Stern über mir gewaltet! -- Dieser
gute Stern ließ es nämlich geschehen, daß ich einst am späten Abend zur
schönen Badine hinschlich, nur um die geliebte Minona zu sehen. Ich fand
indessen alle Türen verschlossen und alles Warten, alles Hoffen, bei
irgend einer Gelegenheit hineinzuschlüpfen, blieb ganz vergebens. Das
Herz voll Liebe und Sehnsucht, wollte ich der Holden wenigstens meine
Nähe kundtun und begann unter dem Fenster eine der zärtlichsten
spanischen Weisen, die jemals empfunden und gedichtet worden sind. Es
muß gar lamentabel anzuhören gewesen sein!

Ich hörte Badine bellen, auch Minonas süße Stimme knurrte etwas
dazwischen. Ehe ich aber mir's versah, wurde das Fenster rasch geöffnet,
und ein ganzer Eimer eiskaltes Wasser über mich ausgeleert. Man kann
denken mit welcher Schnelle ich abfuhr in meine Heimat. Die volle Glut
im Innern und Eiswasser auf dem Pelz harmoniert aber so schlecht
miteinander, daß unmöglich jemals Gutes, und wenigstens ein Fieber
daraus entstehen kann. So ging es mir. Im Hause meines Meisters
angekommen schüttelte mich der Fieberfrost tüchtig. Der Meister mochte
aus der Blässe meines Antlitzes, aus dem erloschenen Feuer meiner Augen,
aus der brennenden Glut der Stirne, an meinem unregelmäßigen Puls, meine
Krankheit ahnen. Er gab mir warme Milch, die ich, da mir die Zunge am
Gaumen klebte vor Durst, eifrig verzehrte, dann wickelte ich mich ein in
die Decke meines Lagers und gab ganz der Krankheit nach, die mich
erfaßt. Erst verfiel ich in allerlei Fieberphantasien von vornehmer
Kultur, Windspielen usw., nachher wurde mein Schlaf ruhiger und endlich
so tief, daß ich ohne Übertreibung glauben muß, ich habe drei Tage und
drei Nächte hintereinander fort geschlafen.

Als ich endlich erwachte, fühlte ich mich frei und leicht, ich war von
meinem Fieber und -- wie wundervoll! auch von meiner törichten Liebe
ganz genesen! Ganz klar wurde mir die Narrheit, zu der mich der Pudel
Ponto verleitet, ich sah ein, wie albern es war, mich als einen gebornen
Kater unter Hunde zu mischen, die mich verhöhnten, weil sie nicht meinen
Geist zu erkennen vermochten, und die sich bei der Bedeutungslosigkeit
ihres Wesens an die Form halten mußten, mir also nichts darbieten
konnten, als eine Schale ohne Kern. -- Die Liebe zur Kunst und
Wissenschaft erwachte in mir mit neuer Stärke, und meines Meisters
Häuslichkeit zog mich mehr an als jemals. Die reiferen Monate des Mannes
kamen, und weder Katzbursch noch kultivierter Elegant, fühlte ich
lebhaft, daß man beides nicht sein dürfe, um sich gerade so zu
gestalten, wie es die tieferen und bessern Ansprüche des Lebens
erfordern.

Mein Meister mußte verreisen, und fand es für gut, mich auf die Zeit
seinem Freunde, Kapellmeister Johannes Kreisler in die Kost zu geben. Da
mit dieser Veränderung meines Aufenthalts eine neue Periode meines
Lebens anfängt, so schließe ich die jetzige, aus der du, o
Katerjüngling! so manche gute Lehre für deine Zukunft entnommen haben
wirst. --

=(Mak. Bl.)= -- -- als schlügen entfernte dumpfe Töne an sein Ohr, und er
höre die Mönche durch die Gänge schreiten. Als Kreisler sich völlig aus
dem Schlaf emporraffte, gewahrte er denn aus seinem Fenster, daß die
Kirche erleuchtet, und vernahm den murmelnden Gesang des Chors. Die
Mitternachtshora war vorüber, es mußte daher irgend etwas Ungewöhnliches
sich ereignet haben, und Kreisler durfte mit Recht vermuten, daß
vielleicht ein schneller unvermuteter Tod einen der alten Mönche
dahingerafft, den man jetzt der Klostersitte gemäß in die Kirche
getragen. Rasch warf der Kapellmeister sich in die Kleider und begab
sich nach der Kirche. --

Auf dem Gange begegnete er dem Pater Hilarius, der laut gähnend und ganz
schlaftrunken hin und her wankte, keines festen Schrittes mächtig und
die angezündete Kerze, statt aufrecht, abwärts zu Boden hielt, daß das
Wachs prasselnd herabtropfte und jeden Augenblick drohte das Licht zu
verlöschen. »Hochehrwürdiger Herr Abt,« stammelte Hilarius, als Kreisler
ihn anrief, »das ist gegen alle bisherige Ordnung. Exequien in der
Nacht! -- zu dieser Stunde -- Und bloß weil der Bruder Cyprianus darauf
besteht! -- _Domine -- libera nos de hoc monacho!_« --

Es gelang endlich dem Kapellmeister den halbträumenden Hilarius zu
überzeugen, daß er nicht der Abt sondern Kreisler sei, und nun erfuhr er
von ihm mit Mühe, daß man in der Nacht, von woher wisse er nicht, den
Leichnam eines Fremden nach dem Kloster gebracht, den Bruder Cyprianus
allein zu kennen scheine, und der kein gemeiner Mann gewesen sein müßte,
da sich der Abt auf Cyprianus dringendes Gesuch dazu verstanden, die
Exequien auf der Stelle zu halten, damit morgen nach der ersten Hora die
Exportation erfolgen könne.

Kreisler folgte dem Pater in die Kirche, die nur sparsam beleuchtet
einen seltsamen schauerlichen Anblick gewährte.

Man hatte nur die Kerzen des großen metallenen Kronleuchters, der vor
dem Hochaltar von der hohen Decke herabhing, angezündet, so daß der
flackernde Schein kaum das Schiff der Kirche vollkommen erhellte, in die
Seitengänge aber nur geheimnisvolle Streiflichter warf, in denen die
Statuen der Heiligen zum gespenstischen Leben erwacht, sich zu bewegen
und daher zu schreiten schienen. Unter dem Kronleuchter in der hellsten
Beleuchtung stand der offne Sarg, in dem der Leichnam lag, und die
Mönche, die ihn umringten, schienen bleich und regungslos selbst Tote,
in der Geisterstunde den Gräbern entstiegen. Mit dumpfer heiserer Stimme
sangen sie die eintönigen Strophen des Requiems und wenn sie dazwischen
schwiegen, vernahm man nur von außen her das ahnungsvolle Rauschen des
Nachtwindes und die hohen Fenster der Kirche knisterten seltsam, als
klopften die Geister der Verstorbenen an das Haus, in dem sie die fromme
Totenklage vernahmen. Kreisler nahte sich bis an die Reihe der Mönche
und erkannte in dem Toten den Adjutanten des Prinzen Hektor. --

Da regten sich die finstern Geister, die so oft Macht hatten über ihn,
und griffen schonungslos mit scharfen Krallen in seine wunde Brust. --

Neckender Spuk, sprach er zu sich selbst, treibst du mich her, damit
jener erstarrte Jüngling bluten soll, weil man sagt, daß der Leichnam
blute, wenn der Mörder sich nahe? -- Hoho! weiß ich denn nicht, daß er
all' sein Blut wegbluten mußte, in den schlimmen Tagen, als er seine
Sünden abbüßte auf dem Siechbette? -- Er hat keinen bösen Tropfen mehr
übrig, mit dem er seinen Mörder vergiften könnte, käme er ihm auch in
die Nähe, den Johannes Kreisler aber am wenigsten, denn der hat mit der
Natter nichts zu schaffen, die er zu Boden trat, als sie schon die
spitze Zunge ausgestreckt zur Todeswunde! -- Schlage die Augen auf,
Toter, damit ich dir fest ins Antlitz blicke, damit du gewährst, daß die
Sünde keinen Teil hat an mir! -- aber du vermagst es nicht! -- Wer hieß
dich das Leben einsetzen gegen das Leben? Warum spieltest du
trügerisches Spiel mit dem Morde und du warst nicht gefaßt, es zu
verlieren? -- Aber deine Züge sind sanft und gut, du stiller blasser
Jüngling, der Todesschmerz hat jede Spur verruchter Sünde weggelöscht
von deinem schönen Antlitz, und ich könnte sagen, der Himmel hätte dir
sein Gnadentor geöffnet, weil die Liebe in deiner Brust gewesen, wenn
sich das jetzt ziemte. -- Doch wie! -- wenn ich mich in dir geirrt?
-- Wenn nicht du, kein böser Dämon, nein wenn mein guter Stern deinen Arm
gegen mich erhoben, um mich dem entsetzlichen Verhängnis zu entreißen,
das im schwarzen Hintergrunde auf mich lauert? -- Nun magst du die Augen
aufschlagen, blasser Jüngling, nun magst du mit einem Blick der
Versöhnung alles, alles entdecken, und sollt ich untergehen in Wehmut um
dich oder aus entsetzlicher furchtbarer Angst, daß der schwarze Schatten
der hinter mir schleicht, mich nun gleich erfassen wird. Ja! schaue mich
an, -- doch! nein nein, du könntest mich anblicken wie Leonhart
Etlinger, ich könnte glauben, du seist er selbst und da müßtest du mit
mir hinab in die Tiefe, aus der ich oft seine hohle Geisterstimme
vernehme. -- Doch wie, du lächelst? -- deine Wangen, deine Lippen färben
sich? Trifft dich nicht die Waffe des Todes? -- Nein, nicht noch einmal
will ich mit dir ringen, aber --

Kreisler, der während dieses Selbstgesprächs unbewußt auf einem Knie
gelegen, beide Ellbogen auf das andere gestützt, und die Hände unter das
Kinn gestemmt hatte, fuhr hastig auf, und würde gewiß Seltsames, Wildes
begonnen haben; doch in demselben Augenblick schwiegen die Mönche und
die Knaben auf dem Chor intonierten mit sanfter Begleitung der Orgel das
_Salve Regina._ Der Sarg wurde verschlossen und die Mönche schritten
feierlich von dannen. -- Da ließen die finstern Geister ab von dem armen
Johannes, und ganz aufgelöst in Wehmut und Schmerz folgte er mit
gebeugtem Haupt den Mönchen. Eben wollte er hinausschreiten zur Türe,
als sich in einem finstern Winkel eine Gestalt erhob und hastig auf ihn
losschritt.

Die Mönche standen still, und der volle Schein ihrer Lichter fiel auf
einen großen stämmigen Burschen, der etwa achtzehn bis zwanzig Jahre alt
sein mochte. Sein Antlitz nichts weniger als häßlich zu nennen, trug den
Ausdruck des wildesten Trotzes; die schwarzen Haare hingen ihm struppig
um den Kopf, das zerrissene Wams von buntgestreifter Leinwand bedeckte
kaum seine Blöße, und eben solche Schifferhosen gingen nur bis an die
bloßen Waden, so daß der herkulische Bau seines Körpers völlig sichtbar.

Du Verdammter, wer hieß dich meinen Bruder ermorden? So schrie der
Bursche wild auf, daß es in der Kirche widerhallte, sprang wie ein Tiger
auf Kreisler los und packte ihn mit einem mörderischen Handgriff bei der
Kehle.

Doch ehe Kreisler, ganz entsetzt über den unerwarteten Angriff, an
Gegenwehr denken konnte, stand schon Pater Cyprianus bei ihm und sprach
mit starker, gebietender Stimme: Giuseppo, verruchter sündhafter Mensch!
was machst Du hier? Wo hast du die Altmutter gelassen? -- Packe Dich
augenblicklich fort! -- Hochehrwürdiger Herr Abt, laßt die
Klosterknechte herbeirufen, sie sollen den mörderischen Buben zum
Kloster hinauswerfen.

Der Bursche hatte, sowie Cyprianus vor im stand, sogleich von Kreisler
abgelassen. Nun nun, rief er mürrisch, macht nur nicht gleich ein solch
tolles Wesen davon, wenn man sein Recht behaupten will, Herr Heiliger!
-- Ich gehe ja schon von selbst, Ihr dürft keine Klosterknechte auf mich
loshetzen. -- Damit sprang der Bursche schnell davon durch eine Pforte,
die man zu verschließen vergessen und durch die er wahrscheinlich sich
in die Kirche geschlichen hatte. Die Klosterknechte kamen, man fand aber
keinen Anlaß den Verwegenen in tiefer Nacht weiter zu verfolgen.

Es lag in Kreislers Natur, daß gerade die Spannung des
Außerordentlichen, des Geheimnisvollen wohltätig auf sein Gemüt wirkte
sobald er den Sturm des Augenblicks, der ihn zu vernichten drohte,
siegreich bekämpft.

So geschah es, daß dem Abt die Ruhe wunderbar und befremdlich vorkommen
mußte, mit der Kreisler andern Tages vor ihm stand und von dem
erschütternden Eindruck sprach, den unter solchen seltsamen Umständen
der Anblick des Leichnams dessen auf ihn gemacht, der ihn ermorden
wollen, und den er in gerechter Notwehr erschlagen.

Weder die Kirche noch das weltliche Gesetz kann Euch, lieber Johannes,
sprach der Abt, irgendeine strafbare Schuld an dem Tode jenes sündhaften
Menschen beimessen. Doch werdet Ihr aber lange nicht die Vorwürfe einer
innern Stimme verwinden können, die Euch sagt, es sei besser gewesen
selbst zu fallen, als den Gegner zu töten, und dies beweiset, daß der
ewigen Macht das Opfer des eignen Lebens wohlgefälliger ist, als seine
Erhaltung, kann dies nur durch eine rasche blutige Tat geschehen. -- Doch
laßt uns zur Zeit davon abbrechen, da ich anderes näher Liegendes mit
Euch zu reden. --

Welcher sterbliche Mensch ermißt, wie der kommende Augenblick die
Gestaltung der Dinge ändern kann. -- Nicht lange ist es her, als ich
fest überzeugt war, daß dem Heil Eurer Seele nichts zuträglicher sein
könne, als der Welt zu entsagen und in unsern Orden zu treten. -- Ich bin
jetzt anderer Meinung und würde Euch raten, so lieb und wert Ihr mir
auch geworden, die Abtei recht bald zu verlassen. -- Werdet nicht irre an
mir, lieber Johannes! Fragt mich nicht, warum ich meiner Gesinnung
entgegen dem Willen eines andern, der alles umzustoßen droht, was ich
mit Mühe geschaffen, mich unterwerfe. -- Tief müßtet Ihr in die
Geheimnisse der Kirche eingeweiht sein, um mich zu verstehen, wollt' ich
auch mit Euch über die Motive meiner Handlungsweise reden. -- Doch
freier kann ich wohl mit Euch sprechen als mit jedem andern. Vernehmt
also, daß in kurzer Zeit der Aufenthalt in der Abtei Euch nicht mehr die
wohltätige Ruhe gewähren, wie bisher, ja daß Euer innerstes Streben
einen tödlichen Stoß erhalten und das Kloster Euch ein öder trostloser
Kerker dünken wird. Die ganze Klosterordnung ändert sich, die mit
frommer Sitte vereinbarte Freiheit hört auf und der finstere Geist
fanatischer Möncherei herrscht bald mit unerbittlicher Strenge in diesen
Mauern. -- O mein Johannes, Eure herrlichen Gesänge werden nicht mehr
unsern Geist erheben zur höchsten Andacht, der Chor wird abgeschafft und
bald hört man nichts als die eintönigen Responsorien von den ältesten
Brüdern mühsam gelallt mit heiserer unreiner Stimme. --

Und alles dieses geschieht auf Anlaß des fremden Mönchs Cyprianus?
fragte Kreisler.

Es ist dem so, lieber Johannes, erwiderte der Abt beinahe wehmütig,
indem er die Augen niederschlug, und daß es nicht anders sein kann,
daran bin ich nicht schuld. -- Doch alles, setzte der Abt nach kurzem
Stillschweigen mit erhöhter feierlicher Stimme hinzu, wodurch der feste
Bau, der Glanz der Kirche befördert werden kann, muß geschehen und kein
Opfer ist zu groß! --

Wer ist denn der hohe mächtige Heilige, sprach Kreisler unmutig, der
über Euch gebietet, der im Stande war, durch das bloße Wort mir jenen
mörderischen Burschen vom Leibe zu schaffen? --

Ihr seid, lieber Johannes, erwiderte der Abt, in ein Geheimnis
verflochten ohne es zur Zeit ganz zu kennen. Doch bald erfahrt Ihr mehr,
vielleicht mehr als ich selbst davon weiß, und zwar durch den Meister
Abraham. -- Cyprianus, den wir noch jetzt unsern Bruder nennen, ist
einer der Erkornen. Er wurde gewürdigt, mit den ewigen Mächten des
Himmels in unmittelbare Berührung zu treten, und wir müssen schon jetzt
in ihm den Heiligen verehren. -- Was jenen verwogenen Burschen betrifft,
der sich während der Exequien in die Kirche geschlichen hatte und Euch
mörderisch anpackte, so ist er ein verlaufener halb wahnsinniger
Zigeunerbube, den unser Vogt schon einigemal hat derb auspeitschen
lassen, weil er den Leuten im Dorfe die fetten Hühner aus den Ställen
gestohlen. Um den zu vertreiben, bedurfte es eben nicht eines besondern
Mirakels. -- Indem der Abt die letzten Worte sprach, zuckte ein leises
ironisches Lächeln in den Mundwinkeln, und verschwand ebenso schnell.

Kreislern erfüllte der tiefste bitterste Unmut; er sah ein, daß der Abt
bei allen Vorzügen seines Geistes, seines Verstandes, lügnerische
Gaukelei trieb, und daß alle Gründe, die er damals anführte, um ihn zum
Eintritt ins Kloster zu bewegen, ebenso nur einer versteckten Absicht
zum Vorwand dienen sollten, als diejenigen, die er nun für das Gegenteil
aufstellte. -- Kreisler beschloß, die Abtei zu verlassen, und sich aller
bedrohlichen Geheimnisse, die ihn bei längerem Bleiben noch verstricken
konnten in ein Gewebe, dem nicht mehr zu entrinnen, völlig zu
entschlagen. Als er aber nun gedachte, wie er ja gleich zurückkehren
könne nach Sieghartshof zum Meister Abraham, wie er =sie= ja wiedersehen,
wieder hören könne, sie, seinen einzigen Gedanken, da fühlte er in der
Brust jene süße Beklemmung, in der sich die glühendste Liebessehnsucht
kundtut. --

Ganz vertieft wandelte Kreisler den Hauptgang des Parks hinab, als ihn
der Pater Hilarius ereilte, und sogleich begann: Ihr wart beim Abt,
Kreisler, er sagt Euch alles! -- Nun hatte ich recht? -- Wir sind alle
verloren! -- Dieser geistliche Komödiant -- es ist heraus, das Wort, wir
sind unter uns! -- Als er -- Ihr wißt, wen ich meine -- in der Kutte
nach Rom kam, ließ ihn die päpstliche Heiligkeit sogleich zur Audienz.
Er fiel nieder auf die Knie und küßte den Pantoffel. Ohne einen Wink,
aufzustehen, ließ ihn aber die päpstliche Heiligkeit eine ganze Stunde
lang liegen. »Das sei deine erste kirchliche Strafe«, fuhr die
Heiligkeit ihn an, als er sich endlich erheben durfte, und hielt nun
eine lange Predigt über die sündlichen Irrtümer, in die Cyprianus
verfallen. -- Nachher erhielt er langen Unterricht in gewissen geheimen
Gemächern und zog dann aus! -- Es hat lange keinen Heiligen gegeben!
-- Das Mirakel -- nun Ihr habt das Bild gesehen, Kreisler -- das Mirakel,
sage ich, hat erst in Rom seine wahre Gestalt erhalten. -- Ich bin
nichts als ein ehrlicher Benediktiner Mönch, ein tüchtiger _praefectus
chori,_ wie Ihr mir einräumen werdet, und trinke der allein selig
machenden Kirche zu Ehren gern ein Gläschen Nierensteiner oder
Bocksbeutel, aber! -- Mein Trost ist, daß er nicht lange hier bleiben
wird. -- Herumziehen muß er. _Monachus in claustro non valet ova duo: sed
quando est extra bene valet triginta._ -- Er wird denn auch wohl Wunder
tun. -- Seht, Kreisler, seht, da kommt er den Gang herauf. -- Er hat uns
erblickt und weiß wie er sich gebärden muß. --

Kreisler erblickte den Mönch Cyprianus, der langsam feierlichen
Schrittes, den stieren Blick zum Himmel gerichtet, die Hände gefaltet
wie in einer frommen Extase begriffen, den Laubgang herauf kam.

Hilarius entfernte sich schnell, Kreisler blieb aber verloren in den
Anblick des Mönchs, der in seinem Antlitz, in seinem Wesen etwas
Seltsames, Fremdartiges trug, das ihn unter allen übrigen Menschen
auszuzeichnen schien. Ein großes ungewöhnliches Verhängnis läßt lesbare
Spuren zurück, und so mocht' es auch sein, daß ein wunderbares Geschick
des Mönchs äußere Erscheinung gestaltet hatte, wie sie sich nun eben
zeigte.

Der Mönch wollte vorüberschreiten, ohne in seiner Verzückung Kreislern
zu bemerken, der fühlte sich aber aufgelegt, dem strengen Abgesandten
des Oberhaupts der Kirche, dem feindlichen Verfolger der herrlichsten
Kunst in den Weg zu treten.

Er tat es mit den Worten: Erlaubt, ehrwürdiger Herr, daß ich Euch meinen
Dank abstatte. Ihr befreitet mich durch Euer kräftiges Wort zur rechten
Zeit aus den Händen des groben Lümmels von Zigeunerbuben; er hätte mich
erwürgt, wie ein gestohlnes Huhn! --

Der Mönch schien aus einem Traume zu erwachen, er fuhr mit der Hand über
die Stirne und blickte Kreislern lange starr an, als müsse er sich auf
ihn besinnen. Dann verzog sich aber sein Antlitz zum furchtbaren
durchbohrenden Ernst, und Flammen des Zorns in den Augen, rief er mit
starker Stimme: Verwegener frevelhafter Mensch, Ihr hättet verdient, daß
ich Euch hinfahren ließ in Euern Sünden! Seid Ihr nicht der, der den
heiligen Kultus der Kirche, die vornehmste Stütze der Religion
profaniert durch weltlichen Klingklang? Seid Ihr es nicht, der hier
durch eitle Kunststücke die frömmsten Gemüter betörte, daß sie sich
abwandten von dem Heiligen und weltlicher Lust frönten in üppigen
Liedern? Kreisler fühlte sich durch diese wahnsinnigen Vorwürfe ebenso
verletzt, als erhoben durch den albernen Hochmut des fanatischen Mönchs,
der mit solchen leichten Waffen zu bekämpfen.

Ist es sündhaft, sprach Kreisler sehr ruhig und dem Mönch fest ins Auge
blickend, die ewige Macht zu preisen in der Sprache, die sie uns selbst
gab, damit das Himmelsgeschenk die Begeisterung der brünstigsten
Andacht, ja die Erkenntnis des Jenseits in unserer Brust erwecke, ist es
sündhaft sich auf den Seraphsfittichen des Gesanges hinwegzuschwingen
über alles Irdische, und in frommer Sehnsucht und Liebe hinaufzustreben
nach dem Höchsten, so habt Ihr recht, ehrwürdiger Herr, so bin ich ein
arger Sünder. Erlaubt aber, daß ich der entgegengesetzten Meinung bin,
und fest glaube, daß dem Kultus der Kirche die wahrhafte Glorie der
heiligsten Begeisterung fehlen würde, wenn der Gesang schweigen sollte.

So flehet zur heiligen Jungfrau, erwiderte der Mönch streng und kalt,
daß sie die Decke von Euern Augen nehmen und Euch den verdammlichen
Irrtum erkennen lassen möge.

Ein Komponist wurde von jemanden gefragt, sprach Kreisler sanft
lächelnd, wie er es denn anfange, daß seine geistlichen Kompositionen
durchaus andächtige Begeisterung atmeten. Wenn es, erwiderte darauf der
fromme kindliche Meister, mit dem Komponieren nicht so recht fort will,
so bete ich im Zimmer auf und ab gehend einige Ave und dann kommen mir
die Ideen wieder. Derselbe Meister sagte von einem andern großen
geistlichen Werk: Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition
vorgerückt war, merkte ich, daß sie geraten wäre; ich war auch nie so
fromm als während der Zeit, da ich daran arbeitete; täglich fiel ich auf
meine Knie nieder, und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen
Ausführung dieses Werkes verleihen möge. -- Mich will bedünken,
ehrwürdiger Herr, als wenn weder dieser Meister noch der alte Palästrina
sich um Sündhaftes bemüht, und daß nur ein in aszetischer Verstocktheit
erkaltetes Herz nicht zu der höchsten Frömmigkeit des Gesanges entflammt
werden kann.

Menschlein, wer bist Du denn, fuhr der Mönch zornig auf, daß ich mit
Dir, der Du Dich hinwerfen müßtest in den Staub, rechten soll? -- Fort
aus der Abtei, damit Du nicht länger das Heilige verstörst! --

Tief empört über des Mönchs gebieterischen Ton, rief Kreisler heftig:
Und wer bist Du denn, wahnsinniger Mönch, daß Du Dich erheben willst
über alles was menschlich? -- Bist Du frei geboren von der Sünde? -- Hast
Du nie über Gedanken der Hölle gebrütet? Bist Du nie ausgewichen auf dem
schlüpfrigen Pfad, den Du wandeltest? Und wenn die heilige Jungfrau Dich
wirklich gnadenvoll dem Tode entriß, den Du vielleicht irgendeiner
grauenvollen Tat verdanktest, so geschah es, daß Du in Demut Deine Sünde
erkennen und sie büßen, nicht aber mit freveliger Prahlerei Dich der
Gnade des Himmels, ja der heiligen Krone rühmen solltest, die Du niemals
erwerben wirst.

Der Mönch stierte Kreislern an mit Tod und Verderben sprühenden Blicken,
indem er unverständliche Worte lallte.

Und stolzer Mönch, fuhr Kreisler fort mit steigendem Affekt, als Du noch
diesen Rock trugst -- --

Damit hielt Kreisler das Bild, das er vom Meister Abraham erhalten, dem
Mönch vor Augen; doch sowie dieser es erblickte, schlug er sich wie in
wilder Verzweiflung mit beiden Fäusten vor die Stirn, und stieß einen
herzzermalmenden Schmerzenslaut aus, als träfe ihn ein Todesstreich.

Fort mit =Dir= aus der Abtei, Du verbrecherischer Mönch! -- rief nun
Kreisler. -- Hoho mein Heiliger, wenn Du vielleicht auf den Hühnerdieb
stößest, mit dem Du in Gemeinschaft, so sage ihm, Du könntest und
wolltest ein andermal mich nicht wieder schützen, doch solle er sich in
acht nehmen, und von meiner Kehle wegbleiben, sonst würde ich ihn
spießen wie eine Lerche oder wie seinen Bruder, denn aufs Spießen
-- Kreisler entsetzte sich in diesem Augenblick vor sich selber; der
Mönch stand vor ihm starr, regungslos, noch immer beide Fäuste vor die
Stirn gedrückt, keines Wortes, keines Lautes mächtig, es war Kreislern,
als rausche es im nahen Gebüsch, als werde gleich der wilde Giuseppo auf
ihn losstürzen. Er rannte von dannen, die Mönche sangen eben im Chor die
Abendhora, und Kreisler begab sich in die Kirche, weil er hoffte, dort
sein tief aufgeregtes, tief verletztes Gemüt zu beruhigen.

Die Hora war geendet, die Mönche verließen den Chor, die Lichter
verlöschten. Kreislers Sinn hatte sich zu den alten frommen Meistern
gewendet, deren er in dem Streit mit dem Mönch Cyprianus gedacht.
-- Musik -- fromme Musik war aufgegangen in ihm, Julia hatte gesungen und
nicht mehr brauste der Sturm in seinem Innern. Er wollte fort durch eine
Seitenkapelle, deren Türe in den langen Gang ging, welcher zu einer
Treppe und hinauf in sein Zimmer führte.

Als Kreisler in die Kapelle trat, erhob sich ein Mönch mühsam vom Boden,
auf dem er ausgestreckt vor dem wundertätigen Marienbilde gelegen hatte,
das dort aufgestellt war. In dem Schein der ewigen Lampe erkannte
Kreisler den Mönch Cyprianus, aber matt und elend schien er eben aus
einer Ohnmacht zu sich selbst gekommen. Kreisler leistete ihm hülfreiche
Hand, da sprach der Mönch mit leiser wimmernder Stimme: »Ich erkenne
Euch -- Ihr seid Kreisler! Habt Barmherzigkeit, verlaßt mich nicht,
helft mir zu jenen Stufen, ich will mich dort niederlassen, aber setzt
Euch zu mir, dicht zu mir, denn nur die Gebenedeite darf uns hören.
-- Übt Mitleiden, Gnade, fuhr nun der Mönch fort, als beide auf den
Stufen des Altars saßen, vertraut mir, ob Ihr nicht das verhängnisvolle
Bildnis von dem alten Severino erhieltet, ob Ihr um alles, um das ganze
furchtbare Geheimnis wisset?

Frei und offen versicherte Kreisler, daß er das Bildnis vom Meister
Abraham Liscov erhalten und erzählte ohne Scheu alles, was sich in
Sieghartshof begeben, und wie er nur aus mancherlei Kombinationen auf
irgendeine Greueltat schließe, deren lebhafte Erinnerung sowie die
Furcht des Verrats das Bildnis wecke. Der Mönch, der bei einigen
Momenten in Kreislers Erzählung tief erschüttert geschienen, schwieg
jetzt einige Augenblicke. Dann begann er ermutigt mit festerer Stimme:
Ihr wißt zu viel, Kreisler, um nicht alles erfahren zu müssen. Vernehmt,
Kreisler, jener Prinz Hektor, der Euch auf den Tod verfolgte, es ist
mein jüngerer Bruder. Wir sind Söhne eines fürstlichen Vaters, dessen
Thron ich geerbt haben würde, hätte ihn nicht der Sturm der Zeit
umgeworfen. Wir nahmen, da eben der Krieg ausgebrochen, beide Dienste,
und der Dienst war es, der zuerst mich und dann auch meinen Bruder nach
Neapel brachte. -- Ich hatte mich damals aller bösen Lust der Welt
hingegeben, und vorzüglich die wilde Leidenschaft zu den Weibern riß
mich ganz und gar hin. Eine Tänzerin, ebenso schön als verrucht, war
meine Geliebte, und überdem lief ich den liederlichen Dirnen nach, wo
ich sie fand.

So geschah es, daß ich eines Tages, als es schon zu dunkeln begann,
auf dem Molo ein paar Geschöpfe dieser Art verfolgte. Beinahe hatte ich
sie erreicht, als dicht neben mir eine Stimme gellend rief: Was das
Prinzchen doch für ein allerliebster Taugenichts ist! -- Da läuft er
gemeinen Dirnen nach und könnte in den Armen der schönsten Prinzessin
liegen! -- Mein Blick fiel auf ein altes abgelumptes Zigeunerweib, die
ich vor wenigen Tagen in der Straße Toledo von den Sbirren wegführen
gesehen, weil sie einen Wasserverkäufer, so kräftig er schien, im Zank
mit ihrer Krücke zu Boden geschlagen. -- Was willst du von mir alte Hexe?
So rief ich das Weib an, die mich aber in dem Augenblick mit einem Strom
der abscheulichsten niedrigsten Schimpfreden überschüttete, so daß das
müßige Volk bald sich um uns versammelte und über meine Verlegenheit
ausbrach in ein tolles Gelächter. -- Ich wollte fort, da hielt mich aber
das Weib beim Kleide fest, ohne vom Boden aufzustehen, und sprach,
plötzlich mit den Schimpfreden einhaltend leise, indem sich ihr
abscheuliches Antlitz zum grinsenden Lächeln verzog: Ei, mein süßes
Prinzlein, willst du denn nicht bei mir bleiben? Willst du nichts hören
von dem schönsten Engelskinde, das in dich vernarrt ist? -- Damit erhob
sich das Weib mühsam, indem sie sich an meinen Armen festklammerte, und
zischelte mir von einem jungen Mädchen in die Ohren, das schön und
anmutig wie der Tag und noch unschuldig sei. -- Ich hielt das Weib für
eine gemeine Kupplerin und wollte mich, da gerade mein Sinn nicht dahin
stand, ein neues Abenteuer anzuknüpfen, mit ein paar Dukaten von ihr
losmachen. Sie nahm aber das Geld nicht, und rief, als ich mich
entfernte, mir laut lachend nach: Geht nur, geht, mein feiner Herr, Ihr
werdet mich bald aufsuchen mit großem Kummer und Weh im Herzen! -- Einige
Zeit war vergangen, ich hatte nicht mehr an das Zigeunerweib gedacht,
als eines Tages auf dem Spaziergange Villa Reale genannt, eine Dame vor
mir herging, die mir in ihrem Wesen so wunderbar anmutig schien, wie ich
noch keine gesehen. Ich eilte ihr voraus, und als ich ihr Antlitz
erblickte, war es mir, als öffne sich der leuchtende Himmel aller
Schönheit. -- So dachte ich nämlich damals als ein sündiger Mensch, und
daß ich den frevelhaften Gedanken wiederhole, mag Euch statt aller
Beschreibung des Liebreizes mit dem die ewige Macht die holde Angela
geschmückt hatte um so mehr dienen, als es mir jetzt nicht geziemen und
auch wohl nicht gelingen würde viel zu reden über irdische Schönheit.
Zur Seite der Dame ging oder hinkte vielmehr an einem Stabe eine sehr
alte, ehrbar gekleidete Frau, die nur durch ihre ganz ungewöhnliche
Größe und seltsame Unbehülflichkeit auffiel. Trotz des völlig
veränderten Anzuges, trotz der tiefen Haube, die einen Teil des
Antlitzes verhüllte, erkannte ich in der alten Frau doch augenblicklich
das Zigeunerweib vom Molo. Das fratzenhafte Lächeln der Alten, ihr
leises Kopfnicken bewies mir, daß ich mich nicht irre. -- Ich konnte den
Blick nicht abwenden von dem anmutigen Wunder; die Holde schlug die
Augen nieder; der Fächer entfiel ihrer Hand. Schnell hob ich ihn auf;
indem sie ihn nahm berührte ich ihre Finger; sie zitterten, da loderte
das Feuer meiner verdammlichen Leidenschaft in mir auf, und ich ahnte
nicht, daß die erste Minute der schrecklichen Prüfung gekommen, die mir
der Himmel auferlegt. Ganz betäubt, ganz im Sinn verwirrt stand ich da
und bemerkte kaum, daß die Dame mit ihrer alten Begleiterin in eine
Kutsche stieg, die am Ende der Allee gehalten hatte. Erst als der Wagen
fortrollte, kam ich zur Besinnung, und stürzte nach wie ein Rasender.
Ich kam noch zu rechter Zeit, um zu sehen, daß der Wagen vor einem Hause
in der engen kurzen Straße hielt, die nach dem großen Platz Largo delle
Piane führt. Beide, die Dame und ihre Begleiterin stiegen aus, und da
der Wagen sogleich fortfuhr als sie in das Haus getreten, konnte ich mit
Recht vermuten, daß dort ihre Wohnung. Auf dem Platz Largo delle Piane
wohnte mein Bankier, Signore Alessandro Sperzi, und selbst weiß ich
nicht, wie ich auf den Einfall geriet, diesen Mann jetzt gerade
heimzusuchen. Er glaubte, ich käme Geschäfte halber, und begann sehr
weitläuftig über mein Verhältnis zu reden. Mein ganzer Kopf war aber
erfüllt von der Dame, ich dachte, ich hörte nichts anders und so kam es,
daß ich dem Signor Sperzi statt aller Antwort das anmutige Abenteuer des
Augenblicks erzählte. Signor Sperzi wußte mir mehr von meiner Schönen zu
sagen, als ich hatte ahnen können. Er war es, der jedes halbe Jahr von
einem Handelshause in Augsburg eine ansehnliche Rimesse für eben jene
Dame erhielt. Sie wurde Angela Benzoni genannt, die Alte aber mit dem
Namen Frau Magdala Sigrun bezeichnet. Signor Sperzi mußte dagegen dem
Augsburger Handelshause über das ganze Leben des Mädchens die genaueste
Nachricht geben, so daß er, da es ihm auch früher obgelegen, ihre ganze
Erziehung sowie jetzt ihren Haushalt zu leiten, in gewisser Art als ihr
Vormund anzusehen. Der Bankier hielt das Mädchen für die Frucht eines
verbotenen Verhältnisses unter Personen des vornehmsten Standes. -- Ich
bezeigte dem Signor Sperzi meine Verwunderung darüber, daß man ein
solches Kleinod einem so zweideutigen Weibe anvertraue, als die Alte
sei, die sich in schmutzigen zerlumpten Zigeunerkleidern auf den Straßen
herumtreibe und vielleicht gar die Kupplerin spielen wollte. Der Bankier
versicherte dagegen, daß es keine treuere sorgsamere Pflegerin gebe, als
die Alte, die mit dem Mädchen hergekommen, als es erst zwei Jahre alt
gewesen. Daß die Alte sich zuweilen als Zigeunerin vermumme, sei eine
wunderliche Grille, die man ihr wohl in diesem Lande der Maskenfreiheit
nachsehen könne. -- Ich darf, ich muß kurz sein. Die Alte suchte mich
bald auf in ihrem Zigeunerhabit und führte mich selbst zu Angela, die
mir in holder jungfräulicher Scham hocherrötend ihre Liebe gestand. Noch
immer hatte ich in meinem verirrten Wesen geglaubt, die Alte sei eine
ruchlose Nährerin der Sünde, aber bald wurde ich des Gegenteils
überführt. Angela war keusch und rein wie Schnee, und da wo ich sündhaft
zu schwelgen gedachte, lernte ich an eine Tugend glauben, die ich
freilich jetzt für ein höllisches Blendwerk des Teufels erkennen muß. In
eben dem Grade als meine Leidenschaft höher und höher stieg, neigte ich
mich auch mehr und mehr der Alten hin, die mir unaufhörlich in die Ohren
raunte, daß ich mich mit Angela vermählen solle. Müßte dies auch zur
Zeit heimlich geschehen so komme doch wohl der Tag, an dem ich
öffentlich der Gemahlin das fürstliche Diadem auf die Stirn drücken
werde. -- Angelas Geburt sei der meinigen gleich.

-- Wir wurden in einer Kapelle der Kirche San Filippo getraut. -- Ich
glaubte den Himmel gefunden zu haben, ich entzog mich allen
Verbindungen, ich gab den Dienst auf, man sah mich nicht mehr in jenen
Kreisen, in denen ich sonst frevelnd allen Lüsten gefrönt. -- Eben diese
veränderte Lebensweise verriet mich. Jene Tänzerin, von der ich mich
losgesagt, forschte aus, wohin ich mich jeden Abend begab, und ahnend,
daß daraus sich vielleicht der Keim ihrer Rache entwickeln könne,
entdeckte sie meinem Bruder das Geheimnis meiner Liebe. -- Mein Bruder
schlich mir nach, überraschte mich in Angela's Armen. -- Mit einer
scherzhaften Wendung entschuldigte Hektor seine Zudringlichkeit und
machte mir Vorwürfe daß ich gar zu selbstsüchtig, ihm nicht einmal das
Vertrauen eines aufrichtigen Freundes geschenkt; doch ich merkte nur zu
deutlich, wie betroffen er war über Angela's hohe Schönheit. Der Funke
war gefallen, die Flamme der wütendsten Leidenschaft angefacht in seinem
Innern. -- Er kam oft, wiewohl nur in den Stunden, wenn er mich zu
finden wußte. -- Ich glaubte zu bemerken, daß Hektors wahnsinnige Liebe
erwidert wurde, und alle Furien der Eifersucht zerfleischten meine
Brust. -- Da war ich dem Graus der Hölle verfallen! -- Einst, als ich
eintrat in Angelas Gemach, glaubte ich Hektors Stimme im Nebenzimmer zu
vernehmen. -- Den Tod im Herzen blieb ich eingewurzelt stehen. Doch
plötzlich stürzte Hektor aus dem Nebengemach hinein mit glutrotem
Antlitz und wildrollenden Augen wie ein Rasender. Verdammter, du sollst
mir fernerhin nicht in den Weg treten! so rief er schäumend vor Wut und
stieß mir den Dolch, den er schnell hervorgezogen, in die Brust bis an
das Heft. -- Der herbeigerufene Chirurgus fand, daß der Stoß durch das
Herz gegangen. -- Die Hochgebenedeite hat mich gewürdigt, mir das Leben
wieder zu schenken durch ein Mirakel. --

Die letzten Worte sprach der Mönch mit leiser zitternder Stimme, und
schien dann in trübes Sinnen verloren.

Und was wurde aus Angela? fragte Kreisler.

Als der Mörder die Früchte seiner Greueltat genießen wollte, erwiderte
der Mönch mit hohler, geisterartiger Stimme, da erfaßte die Geliebte der
Todeskrampf und sie verschied in seinen Armen. -- Gift. --

Dies Wort gesprochen, fiel der Mönch nieder aufs Gesicht und röchelte
wie ein Sterbender. -- Kreisler setzte durch die Glocke, die er anzog,
das Kloster in Bewegung. Man eilte herbei und schaffte den ohnmächtigen
Cyprianus in den Krankensaal.

Kreisler fand am andern Morgen den Abt in ganz besonders heitrer Laune.
-- Ha ha, mein Johannes, rief er ihm entgegen, Ihr wollt an kein Mirakel
der neuesten Zeit glauben, und Ihr habt gestern in der Kirche selbst das
wunderbarste Mirakel bewirkt, das es nur geben mag. -- Sagt, was habt
Ihr mit unserm stolzen Heiligen gemacht, der daliegt wie ein reuiger
zerknirschter Sünder und uns alle in kindischer Todesangst höchlich um
Verzeihung gebeten hat, daß er sich über uns erheben wollen! -- Habt Ihr
ihn, der von Euch nun Beichte verlangte, vielleicht selbst beichten
lassen? --

Kreisler fand gar keine Ursache, auch nur das mindeste von dem zu
verschweigen, was sich mit ihm und dem Mönch Cyprianus begeben. Er
erzählte daher umständlich alles, von der freimütigen Strafpredigt an,
die er dem einbildischen Mönch gehalten, als er die heilige Tonkunst
herabgewürdigt, bis auf den schrecklichen Zustand, in den er verfallen,
als er das Wort: Gift! ausgesprochen. Dann erklärte Kreisler, daß er
eigentlich doch noch immer nicht wisse, warum das Bild, habe sich auch
Prinz Hektor davor entsetzt, gleiche Wirkung auf den Mönch Cyprianus
hervorgebracht. Ebenso sei er darüber noch ganz im Dunkeln geblieben,
auf welche Weise Meister Abraham in jene grauenvolle Begebenheiten
verflochten.

In der Tat, mein lieber Sohn Johannes, sprach der Abt anmutig lächelnd,
wir stehen jetzt ganz anders gegenüber, als noch vor wenigen Stunden.
Ein standhaftes Gemüt, ein fester Sinn, vorzüglich aber wohl ein tiefes
richtiges Gefühl, das wie eine wunderbar wahrsagende Erkenntnis in
unserer Brust verborgen, richtet vereint mehr aus, als der schärfste
Verstand, der geübteste alles scheidende Blick. Du hast es bewiesen,
mein Johannes, indem Du die Waffe, die man Dir in die Hand gab, ohne
Dich ganz über ihre Wirkung zu belehren, so geschickt in dem richtigen
Moment zu gebrauchen wußtest, daß Du auf der Stelle den Feind zu Boden
schlugst, den vielleicht der durchdachteste Plan nicht so leicht aus dem
Felde getrieben haben würde. Ohne es zu wissen, hast Du mir, dem
Kloster, vielleicht auch der Kirche überhaupt, einen Dienst erwiesen,
dessen ersprießliche Folgen nicht zu übersehen sind. Ich will, ich darf
jetzt gegen Dich ganz aufrichtig sein, ich wende mich ab von denen, die
mir Falsches vorspiegeln wollten zu Deinem Nachteil, Du kannst auf mich
rechnen, Johannes! -- Daß der schönste Wunsch, der in Deiner Brust ruht,
erfüllt werde, dafür laß mich sorgen! Deine Cäcilia, Du weißt, welches
holde Wesen ich meine -- doch still jetzt davon! -- Das was Du noch von
jener entsetzlichen Begebenheit in Neapel zu wissen verlangst, ist mit
wenigen Worten gesagt. -- Fürs erste hat es unserm würdigen Bruder
Cyprianus beliebt, in seiner Erzählung einen kleinen Umstand zu
übergehen. -- Angela starb an dem Gift, das er ihr beigebracht in dem
höllischen Wahnsinn der Eifersucht. -- Meister Abraham befand sich
damals in Neapel unter dem Namen Severino. Er glaubte Spuren seiner
verlornen Chiara zu finden, und fand sie wirklich, da ihm jene alte
Zigeunerin in den Weg kam, Magdala Sigrun geheißen, die Du schon kennst.
An den Meister wandte sich die Alte, als das Schrecklichste geschehen,
und ihm vertraute sie, ehe sie Neapel verließ jenes Bildnis, dessen
Geheimnisse Du noch nicht kennst. Drücke den stählernen Knopf an dem
Rande, dann springt Antonio's Bildnis, das nur an einer Kapsel zum
Deckel dient auf, und Du erblickst nicht allein Angela's Bildnis,
sondern Dir fallen auch noch ein paar Blättchen in die Hände, die von
der äußersten Wichtigkeit sind, da sie Dir den Beweis des doppelten
Mordes liefern. -- Du siehst nun, warum Dein Talisman so kraftvoll
wirkt. -- Meister Abraham soll noch mit dem Bruderpaar in mancherlei
Berührung gekommen sein, doch davon wird er Dir selbst noch besser
erzählen können als ich. -- Laß uns jetzt hören, Johannes, wie es mit
dem kranken Bruder Cyprianus steht. --

Und das Mirakel? So fragte Kreisler, indem er den Blick auf die Stelle
der Wand über dem kleinen Altar warf, wo er selbst mit dem Abt das Bild,
dessen sich der geneigte Leser wohl noch erinnert, befestigt hatte.
Nicht wenig verwunderte er sich aber, als er statt dieses Bildes wieder
Leonardo da Vinci's heilige Familie erblickte, die ihren alten Platz
eingenommen. -- Und das Mirakel? -- fragte Kreisler zum zweiten Mal. Ihr
meint das schöne Bild, erwiderte der Abt mit seltsamem Blick, welches
sonst hier aufgehängt war? -- Ich habe es unterdessen in dem Krankensaal
aufstellen lassen. Vielleicht stärkt der Anblick unsern armen Bruder
Cyprianus, vielleicht hilft ihm die Hochgebenedeite zum zweiten Mal. --

Kreisler fand auf seinem Zimmer ein Schreiben des Meisters Abraham, des
Inhalts:

    Mein Johannes!

Auf! auf! -- verlaßt die Abtei, eilt her so schnell Ihr könnt! -- Der
Teufel hat hier zu seiner Lust eine ganz besondere Hetzjagd angestellt!
-- Mündlich mehr, das Schreiben wird mir blutsauer, denn es steckt mir
alles im Halse und droht mich zu ersticken. Von mir, von dem
Hoffnungsstern, der mir aufgegangen, nicht ein Wort! Nur so viel in
aller Eil. -- Die Rätin Benzon findet Ihr nicht mehr, wohl aber die
Reichsgräfin von Eschenau. Das Diplom aus Wien ist angekommen und die
künftige Heirat Julias mit dem würdigen Prinzen Ignaz so gut wie
erklärt. Fürst Irenäus beschäftigt sich mit der Idee des neuen Throns,
auf dem er sitzen wird als regierender Herr. Die Benzon, oder vielmehr
die Gräfin von Eschenau hat ihm das versprochen. Prinz Hektor hat
indessen Versteckens gespielt, bis er nun wirklich fort mußte zur Armee.
-- Bald kehrt er wieder und dann soll eine Doppelhochzeit gefeiert
werden. -- Es wird lustig sein. Die Trompeter spülen sich schon die
Gurgeln aus, die Fiedler schmieren die Bogen, die Lichtzieher in
Sieghartsweiler gießen die Fackeln -- aber? -- Nächstens ist der
Namenstag der Fürstin, da unternehm ich Großes aber Ihr müßt hier sein.
Kommt nur lieber gleich auf der Stelle, wenn Ihr dies gelesen habt!
Lauft was Ihr könnt! Bald seh' ich Euch. -- Apropos! Nehmt Euch vor den
Pfaffen in acht, aber den Abt lieb' ich sehr. -- Adieu!

So kurz und so inhaltsreich war dies Brieflein des alten Meisters,
daß --



Nachschrift des Herausgebers.


Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt, dem geneigten
Leser eine sehr betrübte Nachricht mitzuteilen. -- Den klugen,
wohlunterrichteten philosophischen, dichterischen Kater Murr hat der
bittre Tod dahingerafft mitten in seiner schönen Laufbahn. Er schied in
der Nacht vom neunundzwanzigsten bis zum dreißigsten November nach
kurzen aber schweren Leiden mit der Ruhe und Fassung eines Weisen dahin.
-- So gibt es wieder einen Beweis, daß es mit den frühreifen Genies
immer nicht recht fort will; entweder sie steigen in einem Antiklimax
hinab zur charakter- und geistlosen Gleichgültigkeit und verlieren sich
in der Masse, oder sie bringen es in Jahren nicht hoch. -- Armer Murr!
der Tod deines Freundes Muzius war der Vorbote deines eignen, und soll't
ich dir den Trauersermon halten, er würde mir ganz anders aus dem Herzen
kommen als dem teilnahmelosen Hinzmann; denn ich habe dich lieb gehabt
und lieber als manchen -- Nun! -- schlafe wohl -- Friede deiner Asche!
--

Schlimm ist es, daß der Verblichene seine Lebens-Ansichten nicht geendet
hat, die also Fragment bleiben müssen. Dagegen haben sich in den
nachgelassenen Papieren des verewigten Katers noch so manche Reflexionen
und Bemerkungen gefunden, die er in der Zeit aufgeschrieben zu haben
scheint, als er sich bei dem Kapellmeister Kreisler befand. Ferner war
aber auch noch ein guter Teil des von dem Kater zerrissenen Buches
vorhanden, welches Kreislers Biographie enthält.

Der Herausgeber findet es daher der Sache nicht unangemessen, wenn er in
einem dritten Bande, der zur Ostermesse erscheinen soll, dies von
Kreislers Biographie noch Vorgefundene den geneigten Lesern mitteilt und
nur hin und wieder an schicklichen Stellen das einschiebt, was von jenen
Bemerkungen und Reflexionen des Katers der weitern Mitteilung wert
erscheint.



         *       *       *       *       *



Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
steht.

  Du faselst, sprach Kreisler, Meister Abraham! du weißt, daß ich Katzen
  Du faselst, sprach Kreisler, Meister Abraham! Du weißt, daß ich Katzen

  Landstädchens Sieghartsweiler abgestiegen ist, hat sogleich von dem
  Landstädtchens Sieghartsweiler abgestiegen ist, hat sogleich von dem

  meine rechte Pfote zuzureißen und zu aptieren, als mir plötzlich in
  meine rechte Pfote zuzureißen und zu adaptieren, als mir plötzlich in

  Halse, der uns mit seinen Satansstkünen alle ins Verderben stürzt. Der
  Halse, der uns mit seinen Satanskünsten alle ins Verderben stürzt. Der

  dem Naschen? -- Ja, mein Herr, ich habe genascht, ier die trefflichsten
  dem Naschen? -- Ja, mein Herr, ich habe genascht, hier die trefflichsten

  -- O Gott, könnt' ich nur was weniges hexen, könnt ich nur _subito_
  -- O Gott, könnt' ich nur was weniges hexen, könnt' ich nur _subito_

  Augenblick, da ich, gepeischt von meinem Dämon, fortrennen wollte, mich
  Augenblick, da ich, gepeitscht von meinem Dämon, fortrennen wollte, mich

  ungemein wohl tun werde, lief er voller Enthusiamus von dannen.
  ungemein wohl tun werde, lief er voller Enthusiasmus von dannen.

  Rücksicht auf Ihre Individualität, die ja niemanden anders als eben den
  Rücksicht auf ihre Individualität, die ja niemanden anders als eben den

  genug begab es sich aber, daß Herr Liskov ganz genau so aussah, wie der
  genug begab es sich aber, daß Herr Liscov ganz genau so aussah, wie der

  sehen. Liskovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen Stärke und
  sehen. Liscovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen Stärke und

  »Ich seh es wohl ein, (so begann ich die Unterredung) daß du, geliebter
  »Ich seh' es wohl ein, (so begann ich die Unterredung) daß du, geliebter

  sprechen, zu antworten, daß Gespräch fortzuführen, daß man zuweilen
  sprechen, zu antworten, das Gespräch fortzuführen, daß man zuweilen

  leidenschaftliche Rezitativ der Klytämnestra aus Gluck's Iphigenia in
  leidenschaftliche Rezitativ der Klytämnestra aus Glucks Iphigenia in

  pragmatischer Authentizität, mag ich garnicht denken, sondern Sie, mein
  pragmatischer Authentizität, mag ich gar nicht denken, sondern Sie, mein

  O, sprach Lothario mit unterdrückter Wut, ich seh es kommen, daß
  O, sprach Lothario mit unterdrückter Wut, ich seh' es kommen, daß

  Halt, sprach der Ernste, mein Liebster, ereifern sie sich nicht.
  Halt, sprach der Ernste, mein Liebster, ereifern Sie sich nicht.

  Aufenthalt weit und breit, als unser Sieghartshof! sprach Hedwiga
  Aufenthalt weit und breit, als unser Sieghartshof?« sprach Hedwiga

  die am späten Abend sich blos mit Champagner, als einem dienlichen Gas,
  die am späten Abend sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas,

  salue Monsieur de Krösel_ sprach der Fürst, als er Kreisler erblickte.
  salue Monsieur de Krösel«_ sprach der Fürst, als er Kreisler erblickte.

  fahren pflegte, hielt, der Jäger öffnete den Schlag und fragte obs
  fahren pflegte, hielt, der Jäger öffnete den Schlag und fragte ob's

  zusammengezogenen Augenbraunen mich anstarrte, war furchtbar, alle
  zusammengezogenen Augenbrauen mich anstarrte, war furchtbar, alle

  mich durch, und erkannte Severino, den man eben aufhub und ins nächste
  mich durch, und erkannte Severino, den man eben aufhob und ins nächste

  nur rücksichts unseres psychischen Organism bemerken, daß sich auch
  nur rücksichts unseres psychischen Organismus bemerken, daß sich auch

  Ich wollte sie voll Inbrunst umpfoten, da sprangen aber mit teuflichem
  Ich wollte sie voll Inbrunst umpfoten, da sprangen aber mit teuflischem

  überall hervor! Und dabei zerschnitt der herbe Liebesschmerz Mein nur zu
  überall hervor! Und dabei zerschnitt der herbe Liebesschmerz mein nur zu

  schlich ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr --
  schlich ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr --«

  des Sieges Preis. -- Armer! mit verhüllten Augen Floh die scheue Katz
  des Sieges Preis. -- Armer! mit verhüllten Augen floh die scheue Katz

  erwiderte die Kleine süß lispelnd in holder Verschämheit, und setzte
  erwiderte die Kleine süß lispelnd in holder Verschämtheit, und setzte

  Prinzessin umarmte sie auf's Neue und rief: »Meine liebe, liebe Julia,
  Prinzessin umarmte sie auf's Neue und rief: »Meine liebe, liebe Julia«,

  erschrocken entgegen. Ach Mutter«, sprach Julie ganz trostlos, ach
  erschrocken entgegen. »Ach Mutter«, sprach Julie ganz trostlos, »ach

  wenns dir gefällig! -- Das war mir recht. -- Wir stimmten nun gleich
  wenn's dir gefällig! -- Das war mir recht. -- Wir stimmten nun gleich

  so kann das geschehen. -- Ich kannte den jungen, schwarz gekleideten
  so kann das geschehen.« -- Ich kannte den jungen, schwarz gekleideten

  die süße Gattin, treu und hold sonst, sie konnte, hölli'schen Trugs voll,
  die süße Gattin, treu und hold sonst, sie konnte, höllischen Trugs voll,

  Seele, diese Ruhe scheint mir bedrohlicher, als der wütendste Sturm, Es
  Seele, diese Ruhe scheint mir bedrohlicher, als der wütendste Sturm. Es

  bestialischer Verräter, auf meinen Nebenbuhler grimmig los. Der aber,
  bestialischer Verräter«, auf meinen Nebenbuhler grimmig los. Der aber,

  Nun faßte der Prinz Julia's Arm, und beide schritten dem Fischerhäuschen
  Nun faßte der Prinz Julias Arm, und beide schritten dem Fischerhäuschen

  singen!« »Mit tausend Freuden, rief Julia und hing sich an Kreisler's
  singen!« »Mit tausend Freuden, rief Julia und hing sich an Kreislers

  »da Sie mir, Gnädigster! auch nicht ein Wörtlein des Lobes zuwenden
  »Da Sie mir, Gnädigster! auch nicht ein Wörtlein des Lobes zuwenden

  mit erhobenen Armen und gefaltenen Händen. Ihr vorher trauriges,
  mit erhobenen Armen und gefalteten Händen. Ihr vorher trauriges,

  sprachen aber der gnädige Herr ganz zornig: Esel warum sagt er das
  sprachen aber der gnädige Herr ganz zornig: Esel, warum sagt er das

  geheimnisvolles Gesicht.
  geheimnisvolles Gesicht.«

  »Ein schöner Abend sprach die Rätin, ohne sich umzuwenden. Gewiß,
  »Ein schöner Abend«, sprach die Rätin, ohne sich umzuwenden. Gewiß,

  sonst den Meister anredete, aufgebend, mein lieber Meister es mir nicht
  sonst den Meister anredete, aufgebend, mein lieber Meister, es mir nicht

  das alles sagen sollen, was ich nun erfahren habe auf andere Weise und
  das alles sagen sollen, was ich nun erfahren habe auf andere Weise, und

  begibt, entschuldigen. Erfahren Sie es Meister: ich habe Sie belauscht,
  begibt, entschuldigen. Erfahren Sie es, Meister: ich habe Sie belauscht,

  Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames
  Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames,

  hinter Geheimnisse zu kommen, die sie zwar ahnen mochte aber nicht der
  hinter Geheimnisse zu kommen, die sie zwar ahnen mochte, aber nicht der

  O rief der Meister, o meine Gnädige, es war der rege Geist der
  O! rief der Meister, o meine Gnädige, es war der rege Geist der

  zu hören, hier wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien, ehe
  zu hören, hier, wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien, ehe

  was hat er euch Böses getan, daß Ihr im keine Freistatt, kein Plätzchen
  was hat er euch Böses getan, daß Ihr ihm keine Freistatt, kein Plätzchen

  die Verzweiflung war, die -- ein Vulkan, -- alle flammende Gluten aus
  die Verzweiflung war, die -- ein Vulkan, -- alle flammenden Gluten aus

  Der Meister trat in's Zimmer. Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen,
  Der Meister trat ins Zimmer. Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen,

  Ich kehrte in's Zimmer zu meinem Meister zurück und legte mich unter den
  Ich kehrte ins Zimmer zu meinem Meister zurück und legte mich unter den

  erwiderte er, indem er die Türe öffnete, Recht gerne Murr. Aus dem
  erwiderte er, indem er die Türe öffnete, Recht gerne, Murr. Aus dem

  -- Endlich nachdem ich bis Mitternacht gewartet, stellte sich Freund
  -- Endlich, nachdem ich bis Mitternacht gewartet, stellte sich Freund

  »Mein herzlieber Meister!
  »Mein herzlieber Meister!«

  lachend und kichernd: Ja ja -- Prinzessin Schwester, ganz tot, gerade
  lachend und kichernd: Ja, ja -- Prinzessin Schwester, ganz tot, gerade

  durch das Herz geschossen. -- »Ja sprach die Prinzessin weiter, indem
  durch das Herz geschossen. -- »Ja, sprach die Prinzessin weiter, indem

  erkräftigt, ich fühl es. --
  erkräftigt, ich fühl' es. --

  die Ausforderung erhielt, die auf den Kratz lautete. Ich dachte daran
  die Ausforderung erhielt, die auf den Kratz lautete. Ich dachte daran,

  und Rache getrieben, ich ihn angriff und wünschte wenigstens die
  und Rache getrieben, ich ihn angriff, und wünschte wenigstens die

  unter gewissen Umständen sehr geneigt ist zu prügeln und geprügelt zu
  unter gewissen Umständen sehr geneigt ist, zu prügeln und geprügelt zu

  Redner bei und ich ließ daher dem Bunten durch Muzius sagen: ich nehme
  Redner bei, und ich ließ daher dem Bunten durch Muzius sagen: ich nehme

  wendend, da Sie mein Bester, durch die bedeutende Wunde an der Pfote
  wendend, da Sie, mein Bester, durch die bedeutende Wunde an der Pfote

  Die Wunden hatten mir einen starken Blutverlust verursacht und mir
  Die Wunden hatten mir einen starken Blutverlust verursacht, und mir

  nur ruhig und wenn es Zeit ist, daß du die Wunde an der Pfote heil
  nur ruhig, und wenn es Zeit ist, daß du die Wunde an der Pfote heil

  jede blau oder braunäugigte Hofrats Tochter, und alle Süßigkeit des
  jede blau- oder braunäugigte Hofrats Tochter, und alle Süßigkeit des

  aus purer Schonung gegen den Meister Araham, daß der mysteriösen Chiara
  aus purer Schonung gegen den Meister Abraham, daß der mysteriösen Chiara

  Sagt selbst, hocherwürdiger Herr! könnt Ihr Euch eine heilige
  Sagt selbst, hochehrwürdiger Herr! könnt Ihr Euch eine heilige

  langen Rock hineinvexieren? -- Tuts nicht, Kreisler! -- Mir ist wohl in
  langen Rock hineinvexieren? -- Tut's nicht, Kreisler! -- Mir ist wohl in

  Ich flieh und Muzius sei gerächt.
  Ich flieh' und Muzius sei gerächt.

  Denk deiner Weisheit, deiner Taten,
  Denk' deiner Weisheit, deiner Taten,

  Denk Kater ganz wie du zu sein.
  Denk' Kater ganz wie du zu sein.

  mit mehreren Witzwörtern und Impromptu's, die ich in müßigen Stunden
  mit mehreren Witzwörtern und Impromptus, die ich in müßigen Stunden

  rügte: erwiderte: Ist es möglich, daß das Laster Einheit haben kann?
  rügte, erwiderte: Ist es möglich, daß das Laster Einheit haben kann?

  bis oben heraufgebracht, meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel.
  bis oben hinaufgebracht, meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel.

  unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener
  unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener.

  Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jede
  Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jeder

  Abraham Liscow erhalten und erzählte ohne Scheu alles, was sich in
  Abraham Liscov erhalten und erzählte ohne Scheu alles, was sich in

  Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt dem geneigten
  Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt, dem geneigten





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