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Title: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie
Author: Freud, Sigmund, 1856-1939
Language: German
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  [ Anmerkungen zur Transkription:

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  DREI ABHANDLUNGEN ZUR
  SEXUALTHEORIE

  VON
  PROF. DR. SIGM. FREUD
  IN WIEN.

  FÜNFTE, UNVERÄNDERTE AUFLAGE.

  LEIPZIG UND WIEN
  FRANZ DEUTICKE
  1922


  Übersetzungen:

  1910: Englisch von A. A. Brill.
  1911: Russisch von Wjachirew und Poljakow.
  1915: Ungarisch von S. Ferenczi.


  Verlags-Nr. 2724

  Druck von Paul Gerin, Wien.



Vorwort zur dritten Auflage.


Nachdem ich durch ein Jahrzehnt Aufnahme und Wirkung dieses Buches
beobachtet, möchte ich dessen dritte Auflage mit einigen Vorbemerkungen
versehen, die gegen Mißverständnisse und unerfüllbare Ansprüche an
dasselbe gerichtet sind. Es sei also vor allem betont, daß die
Darstellung hierin durchweg von der alltäglichen ärztlichen Erfahrung
ausgeht, welche durch die Ergebnisse der psychoanalytischen Untersuchung
vertieft und wissenschaftlich bedeutsam gemacht werden soll. Die drei
»Abhandlungen zur Sexualtheorie« können nichts anderes enthalten, als
was die Psychoanalyse anzunehmen nötigt oder zu bestätigen gestattet. Es
ist darum ausgeschlossen, daß sie sich jemals zu einer »Sexualtheorie«
erweitern ließen, und begreiflich, daß sie zu manchen wichtigen
Problemen des Sexuallebens überhaupt nicht Stellung nehmen. Man wolle
aber darum nicht glauben, daß diese übergangenen Kapitel des großen
Themas dem Autor unbekannt geblieben sind oder von ihm als nebensächlich
vernachlässigt wurden.

Die Abhängigkeit dieser Schrift von den psychoanalytischen Erfahrungen,
die zu ihrer Abfassung angeregt haben, zeigt sich aber nicht nur in der
Auswahl, sondern auch in der Anordnung des Stoffes. Überall wird ein
gewisser Instanzenzug eingehalten, werden die akzidentellen Momente
vorangestellt, die dispositionellen im Hintergrunde gelassen und wird
die ontogenetische Entwicklung vor der phylogenetischen berücksichtigt.
Das Akzidentelle spielt nämlich die Hauptrolle in der Analyse, es wird
durch sie fast restlos bewältigt; das Dispositionelle kommt erst hinter
ihm zum Vorschein als etwas, was durch das Erleben geweckt wird, dessen
Würdigung aber weit über das Arbeitsgebiet der Psychoanalyse
hinausführt.

Ein ähnliches Verhältnis beherrscht die Relation zwischen Onto- und
Phylogenese. Die Ontogenese kann als eine Wiederholung der Phylogenese
angesehen werden, soweit diese nicht durch ein rezenteres Erleben
abgeändert wird. Die phylogenetische Anlage macht sich hinter dem
ontogenetischen Vorgang bemerkbar. Im Grunde aber ist die Disposition
eben der Niederschlag eines früheren Erlebens der Art, zu welchem das
neuere Erleben des Einzelwesens als Summe der akzidentellen Momente
hinzukommt.

Neben der durchgängigen Abhängigkeit von der psychoanalytischen
Forschung muß ich die vorsätzliche Unabhängigkeit von der biologischen
Forschung als Charakter dieser meiner Arbeit hervorheben. Ich habe es
sorgfältig vermieden, wissenschaftliche Erwartungen aus der allgemeinen
Sexualbiologie oder aus der spezieller Tierarten in das Studium
einzutragen, welches uns an der Sexualfunktion des Menschen durch die
Technik der Psychoanalyse ermöglicht wird. Mein Ziel war allerdings zu
erkunden, wieviel zur Biologie des menschlichen Sexuallebens mit den
Mitteln der psychologischen Erforschung zu erraten ist; ich durfte auf
Anschlüsse und Übereinstimmungen hinweisen, die sich bei dieser
Untersuchung ergaben, aber ich brauchte mich nicht beirren zu lassen,
wenn die psychoanalytische Methode in manchen wichtigen Punkten zu
Ansichten und Ergebnissen führte, die von den bloß biologisch gestützten
erheblich abwichen.

Ich habe in dieser dritten Auflage reichliche Einschaltungen
vorgenommen, aber darauf verzichtet, dieselben wie in der vorigen
Auflage durch besondere Zeichen kenntlich zu machen. -- Die
wissenschaftliche Arbeit auf unserem Gebiete hat gegenwärtig ihre
Fortschritte verlangsamt, doch waren gewisse Ergänzungen dieser Schrift
unentbehrlich, wenn sie mit der neueren psychoanalytischen Literatur in
Fühlung bleiben sollte.

_Wien_, im Oktober 1914.



Vorwort zur vierten Auflage.


Nachdem die Fluten der Kriegszeit sich verzogen haben, darf man mit
Befriedigung feststellen, daß das Interesse für die psychoanalytische
Forschung in der großen Welt ungeschädigt geblieben ist. Doch haben
nicht alle Teile der Lehre das gleiche Schicksal erfahren. Die rein
psychologischen Aufstellungen und Ermittlungen der Psychoanalyse über
das Unbewußte, die Verdrängung, den Konflikt, der zur Krankheit führt,
den Krankheitsgewinn, die Mechanismen der Symptombildung u. a. erfreuen
sich wachsender Anerkennung und finden selbst bei prinzipiellen Gegnern
Beachtung. Das an die Biologie angrenzende Stück der Lehre, dessen
Grundlage in dieser kleinen Schrift gegeben wird, ruft noch immer
unverminderten Widerspruch hervor und hat selbst Personen, die sich eine
Zeitlang intensiv mit der Psychoanalyse beschäftigt hatten, zum Abfall
von ihr und zu neuen Auffassungen bewogen, durch welche die Rolle des
sexuellen Momentes für das normale und krankhafte Seelenleben wieder
eingeschränkt werden sollte.

Ich kann mich trotzdem nicht zur Annahme entschließen, daß dieser Teil
der psychoanalytischen Lehre sich von der zu erratenden Wirklichkeit
viel weiter entfernen könnte als der andere. Erinnerung und immer wieder
von neuem wiederholte Prüfung sagen mir, daß er aus ebenso sorgfältiger
und erwartungsloser Beobachtung hervorgegangen ist und die Erklärung
jener Dissoziation in der öffentlichen Anerkennung bereitet keine
Schwierigkeiten. Erstens können nur solche Forscher die hier
beschriebenen Anfänge des menschlichen Sexuallebens bestätigen, die
Geduld und technisches Geschick genug besitzen, um die Analyse bis in
die ersten Kindheitsjahre des Patienten vorzutragen. Es fehlt häufig
auch an der Möglichkeit hiezu, da das ärztliche Handeln eine scheinbar
raschere Erledigung des Krankheitsfalles verlangt. Andere aber als
Ärzte, welche die Psychoanalyse üben, haben überhaupt keinen Zugang zu
diesem Gebiet und keine Möglichkeit, sich ein Urteil zu bilden, das der
Beeinflussung durch ihre eigenen Abneigungen und Vorurteile entzogen
wäre. Verstünden es die Menschen, aus der direkten Beobachtung der
Kinder zu lernen, so hätten diese drei Abhandlungen überhaupt
ungeschrieben bleiben können.

Dann aber muß man sich daran erinnern, daß einiges vom Inhalt dieser
Schrift, die Betonung der Bedeutung des Sexuallebens für alle
menschlichen Leistungen und die hier versuchte Erweiterung des Begriffes
der Sexualität, von jeher die stärksten Motive für den Widerstand gegen
die Psychoanalyse abgegeben hat. In dem Bedürfnis nach volltönenden
Schlagworten ist man soweit gegangen, von dem »Pansexualismus« der
Psychoanalyse zu reden und ihr den unsinnigen Vorwurf zu machen, sie
erkläre »alles« aus der Sexualität. Man könnte sich darüber verwundern,
wenn man imstande wäre, an die verwirrende und vergeßlich machende
Wirkung affektiver Momente selbst zu vergessen. Denn der Philosoph
_Artur Schopenhauer_ hat bereits vor geraumer Zeit den Menschen
vorgehalten, in welchem Maß ihr Tun und Trachten durch sexuelle
Strebungen -- im gewohnten Sinne des Wortes -- bestimmt wird, und eine
Welt von Lesern sollte doch unfähig gewesen sein, sich eine so packende
Mahnung so völlig aus dem Sinne zu schlagen! Was aber die »Ausdehnung«
des Begriffes der Sexualität betrifft, die durch die Analyse von Kindern
und von sogenannten Perversen notwendig wird, so mögen alle, die von
ihrem höheren Standpunkt verächtlich auf die Psychoanalyse herabschauen,
sich erinnern lassen, wie nahe die erweiterte Sexualität der
Psychoanalyse mit dem _Eros_ des göttlichen Plato zusammentrifft. (S.
_Nachmansohn_, Freuds Libidotheorie verglichen mit der Eroslehre Platos,
Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse. III, 1915.)

_Wien_, im Mai 1920.



Inhaltsangabe.


                                         Seite

    I. Die sexuellen Abirrungen              1

   II. Die infantile Sexualität             38

  III. Die Umgestaltungen der Pubertät      71



I.

Die sexuellen Abirrungen(1).


  (1) Die in der ersten Abhandlung enthaltenen Angaben sind aus den
  bekannten Publikationen von v. _Krafft-Ebing_, _Moll_, _Moebius_,
  _Havelock Ellis_, v. _Schrenck-Notzing_, _Löwenfeld_, _Eulenburg_, J.
  _Bloch_, M. _Hirschfeld_ und aus den Arbeiten in dem vom letzteren
  herausgegebenen »Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen« geschöpft. Da
  an diesen Stellen auch die übrige Literatur des Themas aufgeführt ist,
  habe ich mir detaillierte Nachweise ersparen können.

  Die durch psychoanalytische Untersuchung Invertierter gewonnenen
  Einsichten ruhen auf Mitteilungen von J. _Sadger_ und auf eigener
  Erfahrung.

Die Tatsache geschlechtlicher Bedürfnisse bei Mensch und Tier drückt man
in der Biologie durch die Annahme eines »Geschlechtstriebes« aus. Man
folgt dabei der Analogie mit dem Trieb nach Nahrungsaufnahme, dem
Hunger. Eine dem Worte »Hunger« entsprechende Bezeichnung fehlt der
Volkssprache; die Wissenschaft gebraucht als solche »_Libido_«.(2)

  (2) Das einzig angemessene Wort der deutschen Sprache »Lust« ist
  leider vieldeutig und benennt ebensowohl die Empfindung des
  Bedürfnisses als die der Befriedigung.

Die populäre Meinung macht sich ganz bestimmte Vorstellungen von der
Natur und den Eigenschaften dieses Geschlechtstriebes. Er soll der
Kindheit fehlen, sich um die Zeit und im Zusammenhang mit dem
Reifungsvorgang der Pubertät einstellen, sich in den Erscheinungen
unwiderstehlicher Anziehung äußern, die das eine Geschlecht auf das
andere ausübt, und sein Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein
oder wenigstens solche Handlungen, welche auf dem Wege zu dieser liegen.

Wir haben aber allen Grund, in diesen Angaben ein sehr ungetreues Abbild
der Wirklichkeit zu erblicken; faßt man sie schärfer ins Auge, so
erweisen sie sich überreich an Irrtümern, Ungenauigkeiten und
Voreiligkeiten.

Führen wir zwei Termini ein: heißen wir die Person, von welcher die
geschlechtliche Anziehung ausgeht, das _Sexualobjekt_, die Handlung,
nach welcher der Trieb drängt, das _Sexualziel_, so weist uns die
wissenschaftlich gesichtete Erfahrung zahlreiche Abweichungen in bezug
auf beide, Sexualobjekt und Sexualziel, nach, deren Verhältnis zur
angenommenen Norm eingehende Untersuchung fordert.


1. Abweichungen in Bezug auf das Sexualobjekt.

Der populären Theorie des Geschlechtstriebes entspricht am schönsten die
poetische Fabel von der Teilung des Menschen in zwei Hälften -- Mann und
Weib --, die sich in der Liebe wieder zu vereinigen streben. Es wirkt
darum wie eine große Überraschung zu hören, daß es Männer gibt, für die
nicht das Weib, sondern der Mann, Weiber, für die nicht der Mann,
sondern das Weib das Sexualobjekt darstellt. Man heißt solche Personen
Konträrsexuale oder besser Invertierte, die Tatsache die der
_Inversion_. Die Zahl solcher Personen ist sehr erheblich, wiewohl deren
sichere Ermittelung Schwierigkeiten unterliegt(3).

  (3) Vergleiche über diese Schwierigkeiten sowie über Versuche, die
  Verhältniszahl der Invertierten zu eruieren, die Arbeit von M.
  _Hirschfeld_ im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1904.


A. Die Inversion.

Verhalten der Invertierten.

Die betreffenden Personen verhalten sich nach verschiedenen Richtungen
ganz verschieden.

a) Sie sind _absolut_ invertiert, d. h. ihr Sexualobjekt kann nur
gleichgeschlechtlich sein, während das gegensätzliche Geschlecht für sie
niemals Gegenstand der geschlechtlichen Sehnsucht ist, sondern sie kühl
läßt oder selbst sexuelle Abneigung bei ihnen hervorruft. Als Männer
sind sie dann durch Abneigung unfähig, den normalen Geschlechtsakt
auszuführen oder vermissen bei dessen Ausführung jeden Genuß.

b) Sie sind _amphigen invertiert_ (psychosexuell-hermaphroditisch),
d. h. ihr Sexualobjekt kann ebensowohl dem gleichen wie dem anderen
Geschlecht angehören; der Inversion fehlt also der Charakter der
Ausschließlichkeit.

c) Sie sind _okkasionell_ invertiert, d. h. unter gewissen äußeren
Bedingungen, von denen die Unzugänglichkeit des normalen Sexualobjektes
und die Nachahmung obenan stehen, können sie eine Person des gleichen
Geschlechtes zum Sexualobjekt nehmen und im Sexualakt mit ihr
Befriedigung empfinden.

Die Invertierten zeigen ferner ein mannigfaltiges Verhalten in ihrem
Urteil über die Besonderheit ihres Geschlechtstriebes. Die einen nehmen
die Inversion als selbstverständlich hin wie der Normale die Richtung
seiner Libido und vertreten mit Schärfe deren Gleichberechtigung mit der
normalen. Andere aber lehnen sich gegen die Tatsache ihrer Inversion auf
und empfinden dieselbe als krankhaften Zwang(4).

  (4) Ein solches Sträuben gegen den Zwang zur Inversion könnte die
  Bedingung der Beeinflußbarkeit durch Suggestivbehandlung oder
  Psychoanalyse abgeben.

Weitere Variationen betreffen die zeitlichen Verhältnisse. Die
Eigentümlichkeit der Inversion datiert bei dem Individuum entweder von
jeher, soweit seine Erinnerung zurückreicht, oder dieselbe hat sich ihm
erst zu einer bestimmten Zeit vor oder nach der Pubertät bemerkbar
gemacht(5). Der Charakter bleibt entweder durchs ganze Leben erhalten
oder tritt zeitweise zurück oder stellt eine Episode auf dem Wege zur
normalen Entwicklung dar; ja er kann sich erst spät im Leben nach Ablauf
einer langen Periode normaler Sexualtätigkeit äußern. Auch ein
periodisches Schwanken zwischen dem normalen und dem invertierten
Sexualobjekt ist beobachtet worden. Besonders interessant sind Fälle, in
denen sich die Libido im Sinne der Inversion ändert, nachdem eine
peinliche Erfahrung mit dem normalen Sexualobjekt gemacht worden ist.

  (5) Es ist von mehreren Seiten mit Recht betont worden, daß die
  autobiographischen Angaben der Invertierten über das zeitliche
  Auftreten der Inversionsneigung unzuverlässig sind, da dieselben die
  Beweise für ihr heterosexuelles Empfinden aus ihrem Gedächtnis
  verdrängt haben könnten.

  Die Psychoanalyse hat diesen Verdacht für die ihr zugänglich
  gewordenen Fälle von Inversion bestätigt und deren Anamnese durch die
  Ausfüllung der Kindheitsamnesie in entscheidender Weise verändert.

Diese verschiedenen Reihen von Variationen bestehen im allgemeinen
unabhängig nebeneinander. Von der extremsten Form kann man etwa
regelmäßig annehmen, daß die Inversion seit sehr früher Zeit bestanden
hat, und daß die Person sich mit ihrer Eigentümlichkeit einig fühlt.

Viele Autoren würden sich weigern, die hier aufgezählten Fälle zu einer
Einheit zusammenzufassen, und ziehen es vor, die Unterschiede anstatt
der Gemeinsamen dieser Gruppen zu betonen, was mit der von ihnen
beliebten Beurteilung der Inversion zusammenhängt. Allein so berechtigt
Sonderungen sein mögen, so ist doch nicht zu verkennen, daß alle
Zwischenstufen reichlich aufzufinden sind, so daß die Reihenbildung sich
gleichsam von selbst aufdrängt.

                   *       *       *       *       *

Auffassung der Inversion.

Die erste Würdigung der Inversion bestand in der Auffassung, sie sei ein
angeborenes Zeichen nervöser Degeneration, und war im Einklange mit der
Tatsache, daß die ärztlichen Beobachter zuerst bei Nervenkranken oder
Personen, die solchen Eindruck machten, auf sie gestoßen waren. In
dieser Charakteristik sind zwei Angaben enthalten, die unabhängig
voneinander beurteilt werden sollen; das Angeborensein und die
Degeneration.

                   *       *       *       *       *

Degeneration.

Die Degeneration unterliegt den Einwänden, die sich gegen die wahllose
Verwendung des Wortes überhaupt erheben. Es ist doch Sitte geworden,
jede Art von Krankheitsäußerung, die nicht gerade traumatischen oder
infektiösen Ursprunges ist, der Degeneration zuzurechnen. Die
_Magnan_sche Einteilung der Degenerierten hat es selbst ermöglicht, daß
die vorzüglichste Allgemeingestaltung der Nervenleistung die
Anwendbarkeit des Begriffes Degeneration nicht auszuschließen braucht.
Unter solchen Umständen darf man fragen, welchen Nutzen und welchen
neuen Inhalt das Urteil »Degeneration« überhaupt noch besitzt. Es
scheint zweckmäßiger, von Degeneration nicht zu sprechen:

1. wo nicht mehrere schwere Abweichungen von der Norm zusammentreffen;
2. wo nicht Leistungs- und Existenzfähigkeit im allgemeinen schwer
geschädigt erscheinen(6).

  (6) Mit welchen Vorbehalten die Diagnose auf Degeneration zu stellen
  ist und welch geringe praktische Bedeutung ihr zukommt, kann man aus
  den Ausführungen von _Moebius_ [Über Entartung. (Grenzfragen des
  Nerven- und Seelenlebens. Nr. III, 1900)] entnehmen: »Überblickt man
  nun das weite Gebiet der Entartung, auf das hier einige Schlaglichter
  geworfen worden sind, so sieht man ohneweiters ein, daß es sehr
  geringen Wert hat, Entartung überhaupt zu diagnostizieren.«

Daß die Invertierten nicht Degenerierte in diesem berechtigten Sinne
sind, geht aus mehreren Tatsachen hervor:

1. Man findet die Inversion bei Personen, die keine sonstigen schweren
Abweichungen von der Norm zeigen;

2. desgleichen bei Personen, deren Leistungsfähigkeit nicht gestört ist,
ja die sich durch besonders hohe intellektuelle Entwicklung und ethische
Kultur auszeichnen(7).

  (7) Es muß den Wortführern des »Uranismus« zugestanden werden, daß
  einige der hervorragendsten Männer, von denen wir überhaupt Kunde
  haben, Invertierte, vielleicht sogar absolut Invertierte waren.

3. Wenn man von den Patienten seiner ärztlichen Erfahrung absieht und
einen weiteren Gesichtskreis zu umfassen strebt, stößt man nach zwei
Richtungen auf Tatsachen, welche die Inversion als Degenerationszeichen
aufzufassen verbieten.

a) Man muß Wert darauf legen, daß die Inversion eine häufige
Erscheinung, fast eine mit wichtigen Funktionen betraute Institution bei
den alten Völkern auf der Höhe ihrer Kultur war; b) man findet sie
ungemein verbreitet bei vielen wilden und primitiven Völkern, während
man den Begriff der Degeneration auf die hohe Zivilisation zu
beschränken gewohnt ist (J. _Bloch_). Selbst unter den zivilisierten
Völkern Europas haben Klima und Rasse auf die Verbreitung und die
Beurteilung der Inversion den mächtigsten Einfluß(8).

  (8) In der Auffassung der Inversion sind die pathologischen
  Gesichtspunkte von anthropologischen abgelöst worden. Diese Wandlung
  bleibt das Verdienst von J. _Bloch_ (Beiträge zur Ätiologie der
  Psychopathia sexualis. 2 Teile, 1902/03), welcher Autor auch die
  Tatsache der Inversion bei den alten Kulturvölkern nachdrücklich zur
  Geltung gebracht hat.

                   *       *       *       *       *

Angeborensein.

Das Angeborensein ist, wie begreiflich, nur für die erste, extremste
Klasse der Invertierten behauptet worden, und zwar auf Grund der
Versicherung dieser Personen, daß sich bei ihnen zu keiner Zeit des
Lebens eine andere Richtung des Sexualtriebes gezeigt habe. Schon das
Vorkommen der beiden anderen Klassen, speziell der dritten, ist schwer
mit der Auffassung eines angeborenen Charakters zu vereinen. Daher die
Neigung der Vertreter dieser Ansicht, die Gruppe der absolut
Invertierten von allen anderen abzulösen, was den Verzicht auf eine
allgemeingültige Auffassung der Inversion zur Folge hat. Die Inversion
wäre demnach in einer Reihe von Fällen ein angeborener Charakter; in
anderen könnte sie auf andere Art entstanden sein.

Den Gegensatz zu dieser Auffassung bildet die andere, daß die Inversion
ein _erworbener_ Charakter des Geschlechtstriebes sei. Sie stützt sich
darauf, daß 1. bei vielen (auch absolut) Invertierten ein frühzeitig im
Leben einwirkender sexueller Eindruck nachweisbar ist, als dessen
fortdauernde Folge sich die homosexuelle Neigung darstellt, 2. daß bei
vielen anderen sich die äußeren begünstigenden und hemmenden Einflüsse
des Lebens aufzeigen lassen, die zu einer früheren oder späteren Zeit
zur Fixierung der Inversion geführt haben (ausschließlicher Verkehr mit
dem gleichen Geschlecht, Gemeinschaft im Kriege, Detention in
Gefängnissen, Gefahren des heterosexuellen Verkehrs, Zölibat,
geschlechtliche Schwäche usw.), 3. daß die Inversion durch hypnotische
Suggestion aufgehoben werden kann, was bei einem angeborenen Charakter
Wunder nehmen würde.

Vom Standpunkt dieser Anschauung kann man die Sicherheit des Vorkommens
einer angeborenen Inversion überhaupt bestreiten. Man kann einwenden
(_Havelock Ellis_), daß ein genaueres Examen der für angeborene
Inversion in Anspruch genommenen Fälle wahrscheinlich gleichfalls ein
für die Richtung der Libido bestimmendes Erlebnis der frühen Kindheit
zutage fördern würde, welches bloß im bewußten Gedächtnis der Person
nicht bewahrt worden ist, aber durch geeignete Beeinflussung zur
Erinnerung gebracht werden könnte. Die Inversion könnte man nach diesen
Autoren nur als eine häufige Variation des Geschlechtstriebes
bezeichnen, die durch eine Anzahl äußerer Lebensumstände bestimmt werden
kann.

Der scheinbar so gewonnenen Sicherheit macht aber die Gegenbemerkung ein
Ende, daß nachweisbar viele Personen die nämlichen sexuellen
Beeinflussungen (auch in früher Jugend; Verführung, mutuelle Onanie)
erfahren, ohne durch sie invertiert zu werden oder dauernd so zu
bleiben. So wird man zur Vermutung gedrängt, daß die Alternative
angeboren -- erworben entweder unvollständig ist oder die bei der
Inversion vorliegenden Verhältnisse nicht deckt.

                   *       *       *       *       *

Erklärung der Inversion.

Weder mit der Annahme, die Inversion sei angeboren, noch mit der
anderen, sie werde erworben, ist das Wesen der Inversion erklärt. Im
ersten Falle muß man sich äußern, was an ihr angeboren ist, wenn man
sich nicht der rohesten Erklärung anschließt, daß eine Person die
Verknüpfung des Sexualtriebes mit einem bestimmten Sexualobjekt
angeboren mitbringt. Im anderen Falle fragt es sich, ob die mannigfachen
akzidentellen Einflüsse hinreichen, die Erwerbung zu erklären, ohne daß
ihnen etwas an dem Individuum entgegenkommen müsse. Die Verneinung
dieses letzten Momentes ist nach unseren früheren Ausführungen
unstatthaft.

                   *       *       *       *       *

Heranziehung der Bisexualität.

Zur Erklärung der Möglichkeit einer sexuellen Inversion ist seit _Frank
Lydstone_, _Kiernan_ und _Chevalier_ eine Gedankenreihe herangezogen
worden, welche einen neuen Widerspruch gegen die populäre Meinung
enthält. Dieser gilt ein Mensch entweder als Mann oder als Weib. Die
Wissenschaft kennt aber Fälle, in denen die Geschlechtscharaktere
verwischt erscheinen und somit die Geschlechtsbestimmung erschwert wird:
zunächst auf anatomischem Gebiet. Die Genitalien dieser Personen
vereinigen männliche und weibliche Charaktere (Hermaphroditismus). In
seltenen Fällen sind nebeneinander beiderlei Geschlechtsapparate
ausgebildet (wahrer Hermaphroditismus); zu allermeist findet man
beiderseitige Verkümmerung(9).

  (9) Vergleiche die letzten ausführlichen Darstellungen des
  somatischen Hermaphroditismus: _Taruffi_, Hermaphroditismus und
  Zeugungsunfähigkeit, Deutsche Ausgabe von R. _Teuscher_, 1903, und
  die Arbeiten von _Neugebauer_ in mehreren Bänden des Jahrbuches für
  sexuelle Zwischenstufen.

Das Bedeutsame an diesen Abnormitäten ist aber, daß sie in unerwarteter
Weise das Verständnis der normalen Bildung erleichtern. Ein gewisser
Grad von anatomischem Hermaphroditismus gehört nämlich der Norm an; bei
keinem normal gebildeten männlichen oder weiblichen Individuum werden
die Spuren vom Apparat des anderen Geschlechtes vermißt, die entweder
funktionslos als rudimentäre Organe fortbestehen oder selbst zur
Übernahme anderer Funktionen umgebildet worden sind.

Die Auffassung, die sich aus diesen lange bekannten anatomischen
Tatsachen ergibt, ist die einer ursprünglich bisexuellen Veranlagung,
die sich im Laufe der Entwicklung bis zur Monosexualität mit geringen
Resten des verkümmerten Geschlechts verändert.

Es lag nahe, diese Auffassung aufs psychische Gebiet zu übertragen und
die Inversion in ihren Abarten als Ausdruck eines psychischen
Hermaphroditismus zu verstehen. Um die Frage zu entscheiden, bedurfte es
nur noch eines regelmäßigen Zusammentreffens der Inversion mit den
seelischen und somatischen Zeichen des Hermaphroditismus.

Allein diese nächste Erwartung schlägt fehl. So nahe darf man sich die
Beziehungen zwischen dem angenommenen psychischen und dem nachweisbaren
anatomischen Zwittertum nicht vorstellen. Was man bei den Invertierten
findet, ist häufig eine Herabsetzung des Geschlechtstriebes überhaupt
(_Havelock Ellis_) und leichte anatomische Verkümmerung der Organe.
Häufig, aber keineswegs regelmäßig oder auch nur überwiegend. Somit muß
man erkennen, daß Inversion und somatischer Hermaphroditismus im ganzen
unabhängig voneinander sind.

Man hat ferner großen Wert auf die sogenannten sekundären und tertiären
Geschlechtscharaktere gelegt und deren gehäuftes Vorkommen bei den
Invertierten betont (H. _Ellis_). Auch daran ist vieles zutreffend, aber
man darf nicht vergessen, daß die sekundären und tertiären
Geschlechtscharaktere überhaupt recht häufig beim anderen Geschlecht
auftreten und so Andeutungen von Zwittertum herstellen, ohne daß dabei
das Sexualobjekt sich im Sinne einer Inversion abgeändert zeigte.

Der psychische Hermaphroditismus würde an Leibhaftigkeit gewinnen, wenn
mit der Inversion des Sexualobjektes wenigstens ein Umschlag der
sonstigen seelischen Eigenschaften, Triebe und Charakterzüge in die fürs
andere Geschlecht bezeichnende Abänderung parallel liefe. Allein eine
solche Charakterinversion darf man mit einiger Regelmäßigkeit nur bei
den invertierten Frauen erwarten, bei den Männern ist die vollste
seelische Männlichkeit mit der Inversion vereinbar. Hält man an der
Aufstellung eines seelischen Hermaphroditismus fest, so muß man
hinzufügen, daß dessen Äußerungen auf verschiedenen Gebieten eine nur
geringe gegenseitige Bedingtheit erkennen lassen. Das gleiche gilt
übrigens auch für das somatische Zwittertum; nach _Halban_(10) sind auch
die einzelnen Organverkümmerungen und sekundären Geschlechtscharaktere
in ihrem Auftreten ziemlich unabhängig voneinander.

  (10) J. _Halban_, Die Entstehung der Geschlechtscharaktere. Archiv für
  Gynäkologie. Bd. 70, 1903. Siehe dort auch die Literatur des
  Gegenstandes.

Die Bisexualitätslehre ist in ihrer rohesten Form von einem Wortführer
der männlichen Invertierten ausgesprochen worden: Weibliches Gehirn im
männlichen Körper. Allein wir kennen die Charaktere eines »weiblichen
Gehirns« nicht. Der Ersatz des psychologischen Problems durch das
anatomische ist ebenso müßig wie unberechtigt. Der Erklärungsversuch v.
_Krafft-Ebings_ scheint exakter gefaßt als der _Ulrichs_', ist aber im
Wesen von ihm nicht verschieden. v. _Krafft-Ebing_ meint, daß die
bisexuelle Anlage dem Individuum ebenso männliche und weibliche
Gehirnzentren mitgibt wie somatische Geschlechtsorgane. Diese Zentren
entwickeln sich erst zur Zeit der Pubertät, zumeist unter dem Einflusse
der von ihnen in der Anlage unabhängigen Geschlechtsdrüse. Von den
männlichen und weiblichen »Zentren« gilt aber dasselbe wie vom
männlichen und weiblichen Gehirn, und nebenbei wissen wir nicht einmal,
ob wir für die Geschlechtsfunktionen abgegrenzte Gehirnstellen
(»Zentren«) wie etwa für die Sprache annehmen dürfen.

Zwei Gedanken bleiben nach diesen Erörterungen immerhin bestehen: daß
auch für die Inversion eine bisexuelle Veranlagung in Betracht kommt,
nur daß wir nicht wissen, worin diese Anlage über die anatomische
Gestaltung hinaus besteht, und daß es sich um Störungen handelt, welche
den Geschlechtstrieb in seiner Entwicklung betreffen(11).

  (11) Der erste, der zur Erklärung der Inversion die Bisexualität
  herangezogen, soll (nach einem Literaturbericht im 6. Band des
  Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen) E. _Gley_ gewesen sein, der
  einen Aufsatz (Les abérrations de l'instinct sexuel) schon im Jänner
  1884 in der Revue philosophique veröffentlichte. -- Es ist übrigens
  bemerkenswert, daß die Mehrzahl der Autoren, welche die Inversion auf
  Bisexualität zurückführen, dieses Moment nicht allein für die
  Invertierten, sondern für alle Normalgewordenen zur Geltung bringen
  und folgerichtig die Inversion als das Ergebnis einer Entwicklungsstörung
  auffassen. So bereits _Chevalier_ (Inversion sexuelle, 1893).
  v. _Krafft-Ebing_ (Zur Erklärung der konträren Sexualempfindung,
  Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie, XIII. Bd.) spricht
  davon, daß eine Fülle von Beobachtungen bestehen, »aus denen
  sich mindestens die virtuelle Fortexistenz dieses zweiten
  Zentrums (des unterlegenen Geschlechtes) ergibt.« Ein Dr. _Arduin_
  (Die Frauenfrage und die sexuellen Zwischenstufen) stellt im zweiten
  Band des Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen 1900 die Behauptung
  auf: »daß in jedem Menschen männliche und weibliche Elemente vorhanden
  sind (vgl. dieses Jahrbuch, Bd. I, 1899: »Die objektive Diagnose der
  Homosexualität« von Dr. M. _Hirschfeld_, S. 8-9 u. f.), nur -- der
  Geschlechtszugehörigkeit entsprechend -- die einen unverhältnismäßig
  stärker entwickelt als die anderen, soweit es sich um heterosexuelle
  Personen handelt . . . .« -- Für G. _Herman_ (Genesis, das Gesetz der
  Zeugung, 9. Bd., Libido und Mania, 1903) steht es fest, »daß in jedem
  Weibe männliche, in jedem Manne weibliche Keime und Eigenschaften
  enthalten sind« usw.

  1906 hat dann W. _Fließ_ (»Der Ablauf des Lebens«) einen
  Eigentumsanspruch auf die Idee der Bisexualität (im Sinne einer
  _Zweigeschlechtigkeit_) erhoben.

                   *       *       *       *       *

Sexualobjekt der Invertierten.

Die Theorie des psychischen Hermaphroditismus setzt voraus, daß das
Sexualobjekt des Invertierten das dem normalen entgegengesetzte sei. Der
invertierte Mann unterliege wie das Weib dem Zauber, der von den
männlichen Eigenschaften des Körpers und der Seele ausgeht, er fühle
sich selbst als Weib und suche den Mann.

Aber wiewohl dies für eine ganze Reihe von Invertierten zutrifft, so ist
es doch weit entfernt, einen allgemeinen Charakter der Inversion zu
verraten. Es ist kein Zweifel, daß ein großer Teil der männlichen
Invertierten den psychischen Charakter der Männlichkeit bewahrt hat,
verhältnismäßig wenig sekundäre Charaktere des anderen Geschlechtes an
sich trägt und in seinem Sexualobjekt eigentlich weibliche psychische
Züge sucht. Wäre dies anders, so bliebe es unverständlich, wozu die
männliche Prostitution, die sich den Invertierten anbietet -- heute wie
im Altertum --, in allen Äußerlichkeiten der Kleidung und Haltung die
Weiber kopiert; diese Nachahmung müßte ja sonst das Ideal der
Invertierten beleidigen. Bei den Griechen, wo die männlichsten Männer
unter den Invertierten erscheinen, ist es klar, daß nicht der männliche
Charakter des Knaben, sondern seine körperliche Annäherung an das Weib
sowie seine weiblichen seelischen Eigenschaften, Schüchternheit,
Zurückhaltung, Lern- und Hilfsbedürftigkeit die Liebe des Mannes
entzündeten. Sobald der Knabe ein Mann wurde, hörte er auf, ein
Sexualobjekt für den Mann zu sein, und wurde etwa selbst ein
Knabenliebhaber. Das Sexualobjekt ist also in diesem Falle, wie in
vielen anderen, nicht das gleiche Geschlecht, sondern die Vereinigung
beider Geschlechtscharaktere, das Kompromiß etwa zwischen einer Regung,
die nach dem Manne, und einer, die nach dem Weibe verlangt, mit der
festgehaltenen Bedingung der Männlichkeit des Körpers (der Genitalien),
sozusagen die Spiegelung der eigenen bisexuellen Natur(12).

  (12) Die Psychoanalyse hat bisher zwar keine volle Aufklärung über die
  Herkunft der Inversion gebracht, aber doch den psychischen Mechanismus
  ihrer Entstehung aufgedeckt und die in Betracht kommenden
  Fragestellungen wesentlich bereichert. Wir haben bei allen
  untersuchten Fällen festgestellt, daß die später Invertierten in den
  ersten Jahren ihrer Kindheit eine Phase von sehr intensiver, aber
  kurzlebiger Fixierung an das Weib (meist an die Mutter) durchmachen,
  nach deren Überwindung sie sich mit dem Weib identifizieren und sich
  selbst zum Sexualobjekt nehmen, d. h. vom Narzißmus ausgehend
  jugendliche und der eigenen Person ähnliche Männer aufsuchen, die sie
  so lieben wollen, wie die Mutter sie geliebt hat. Wir haben ferner
  sehr häufig gefunden, daß angeblich Invertierte gegen den Reiz des
  Weibes keineswegs unempfindlich waren, sondern die durch das Weib
  hervorgerufene Erregung fortlaufend auf ein männliches Objekt
  transponierten. Sie wiederholten so während ihres ganzen Lebens den
  Mechanismus, durch welchen ihre Inversion entstanden war. Ihr
  zwanghaftes Streben nach dem Manne erwies sich als bedingt durch ihre
  ruhelose Flucht vor dem Weibe.

  Die psychoanalytische Forschung widersetzt sich mit aller
  Entschiedenheit dem Versuche, die Homosexuellen als eine besonders
  geartete Gruppe von den anderen Menschen abzutrennen. Indem sie auch
  andere als die manifest kundgegebenen Sexualerregungen studiert,
  erfährt sie, daß alle Menschen der gleichgeschlechtlichen Objektwahl
  fähig sind und dieselbe auch im Unbewußten vollzogen haben. Ja die
  Bindungen libidinöser Gefühle an Personen des gleichen Geschlechts
  spielen als Faktoren im normalen Seelenleben keine geringere, und als
  Motoren der Erkrankung eine größere Rolle als die, welche dem
  entgegengesetzten Geschlecht gelten. Der Psychoanalyse erscheint
  vielmehr die Unabhängigkeit der Objektwahl vom Geschlecht des
  Objektes, die gleich freie Verfügung über männliche und weibliche
  Objekte, wie sie im Kindesalter, in primitiven Zuständen und
  frühhistorischen Zeiten zu beobachten ist, als das Ursprüngliche, aus
  dem sich durch Einschränkung nach der einen oder der anderen Seite der
  normale wie der Inversionstypus entwickeln. Im Sinne der Psychoanalyse
  ist also auch das ausschließliche sexuelle Interesse des Mannes für
  das Weib ein der Aufklärung bedürftiges Problem und keine
  Selbstverständlichkeit, der eine im Grunde chemische Anziehung zu
  unterlegen ist. Die Entscheidung über das endgültige Sexualverhalten
  fällt erst nach der Pubertät und ist das Ergebnis einer noch nicht
  übersehbaren Reihe von Faktoren, die teils konstitutioneller, teils
  aber akzidenteller Natur sind. Gewiß können einzelne dieser Faktoren
  so übergroß ausfallen, daß sie das Resultat in ihrem Sinne
  beeinflussen. Im allgemeinen aber wird die Vielheit der bestimmenden
  Momente durch die Mannigfaltigkeit der Ausgänge im manifesten
  Sexualverhalten der Menschen gespiegelt. Bei den Inversionstypen ist
  durchweg das Vorherrschen archaischer Konstitutionen und primitiver
  psychischer Mechanismen zu bestätigen. Die Geltung der _narzißtischen
  Objektwahl_ und _die Festhaltung_ der erotischen Bedeutung der
  _Analzone_ erscheinen als deren wesentlichste Charaktere. Man gewinnt
  aber nichts, wenn man auf Grund solcher konstitutioneller Eigenheiten
  die extremsten Inversionstypen von den anderen sondert. Was sich bei
  diesen als anscheinend zureichende Begründung findet, läßt sich
  ebenso, nur in geringerer Stärke, in der Konstitution von
  Übergangstypen und bei manifest Normalen nachweisen. Die Unterschiede
  in den Ergebnissen mögen qualitativer Natur sein: die Analyse zeigt,
  daß die Unterschiede in den Bedingungen nur quantitative sind. Unter
  den akzidentellen Beeinflussungen der Objektwahl haben wir die
  Versagung (die frühzeitige Sexualeinschüchterung) bemerkenswert
  gefunden und sind auch darauf aufmerksam geworden, daß das
  Vorhandensein beider Elternteile eine wichtige Rolle spielt. Der
  Wegfall eines starken Vaters in der Kindheit begünstigt nicht selten
  die Inversion. Man darf endlich die Forderung aufstellen, daß die
  Inversion des Sexualobjekts von der Mischung der Geschlechtscharaktere
  im Subjekt begrifflich strenge zu sondern ist. Ein gewisses Maß von
  Unabhängigkeit ist auch in dieser Relation unverkennbar.

  Eine Reihe bedeutsamer Gesichtspunkte zur Frage der Inversion hat
  _Ferenczi_ in einem Aufsatz: Zur Nosologie der männlichen
  Homosexualität (Homoerotik) (Int. Zeitschrift f. Psychoanalyse, II,
  1914) vorgebracht. _Ferenczi_ rügt mit Recht, daß man unter dem Namen
  »Homosexualität«, den er durch den besseren »Homoerotik« ersetzen
  will, eine Anzahl von sehr verschiedenen, in organischer wie in
  psychischer Hinsicht ungleichwertigen, Zuständen zusammenwirft, weil
  sie das Symptom der Inversion gemeinsam haben. Er fordert scharfe
  Unterscheidung wenigstens zwischen den beiden Typen des
  _Subjekthomoerotikers_, der sich als Weib fühlt und benimmt, und des
  _Objekthomoerotikers_, der durchaus männlich ist und nur das weibliche
  Objekt gegen ein gleichgeschlechtliches vertauscht hat. Den ersteren
  anerkannt er als richtige »sexuelle Zwischenstufe« im Sinne von
  _Magnus Hirschfeld_, den zweiten bezeichnet er -- minder glücklich --
  als Zwangsneurotiker. Das Sträuben gegen die Inversionsneigung sowie
  die Möglichkeit psychischer Beeinflussung kämen nur beim
  Objekthomoerotiker in Betracht. Auch nach Anerkennung dieser beiden
  Typen darf man hinzufügen, daß bei vielen Personen ein Maß von
  Subjekthomoerotik mit einem Anteil von Objekthomoerotik vermengt
  gefunden wird.

  In den letzten Jahren haben Arbeiten von Biologen, in erster Linie die
  von _Eugen Steinach_, ein helles Licht auf die organischen Bedingungen
  der Homoerotik sowie der Geschlechtscharaktere überhaupt geworfen.

  Durch das experimentelle Verfahren der Kastration mit nachfolgender
  Einpflanzung von Keimdrüsen des anderen Geschlechtes gelang es,
  bei verschiedenen Säugetierarten Männchen in Weibchen zu verwandeln
  und umgekehrt. Die Verwandlung betraf mehr oder minder vollständig
  die somatischen Geschlechtscharaktere und das psychosexuelle
  Verhalten (also Subjekt- und Objekterotik). Als Träger dieser
  geschlechtsbestimmenden Kraft wird nicht der Anteil der Keimdrüse
  betrachtet, welcher die Geschlechtszellen bildet, sondern das
  sogenannte interstitielle Gewebe des Organs (die »Pubertätsdrüse«).

  In einem Falle gelang die geschlechtliche Umstimmung auch bei einem
  Manne, der seine Hoden durch tuberkulöse Erkrankung eingebüßt hatte.
  Er hatte sich im Geschlechtsleben als passiver Homosexueller weiblich
  benommen und zeigte sehr deutlich ausgeprägte weibliche
  Geschlechtscharaktere sekundärer Art (Behaarung, Bartwuchs, Fettansatz
  an Mammae und Hüften). Nach der Einpflanzung eines kryptorchen
  Menschenhodens begann dieser Mann sich in männlicher Weise zu benehmen
  und seine Libido in normaler Weise aufs Weib zu richten. Gleichzeitig
  schwanden die somatischen femininen Charaktere. (A. _Lipschütz_, Die
  Pubertätsdrüse und ihre Wirkungen, Bern 1919.)

  Es wäre ungerechtfertigt zu behaupten, daß durch diese schönen
  Versuche die Lehre von der Inversion auf eine neue Basis gestellt wird
  und voreilig von ihnen geradezu einen Weg zur allgemeinen »Heilung«
  der Homosexualität zu erwarten. W. _Fliess_ hat mit Recht betont, daß
  diese experimentellen Erfahrungen die Lehre von der allgemeinen
  bisexuellen Anlage der höheren Tiere nicht entwerten. Es erscheint mir
  vielmehr wahrscheinlich, daß sich aus weiteren solchen Untersuchungen
  eine direkte Bestätigung der angenommenen Bisexualität ergeben wird.

Eindeutiger sind die Verhältnisse beim Weibe, wo die aktiv Invertierten
besonders häufig somatische und seelische Charaktere des Mannes an sich
tragen und das Weibliche von ihrem Sexualobjekt verlangen, wiewohl auch
hier sich bei näherer Kenntnisnahme größere Buntheit herausstellen
dürfte.

                   *       *       *       *       *

Sexualziel der Invertierten.

Die wichtige festzuhaltende Tatsache ist, daß das Sexualziel bei der
Inversion keineswegs einheitlich genannt werden kann. Bei Männern fällt
Verkehr per anum durchaus nicht mit Inversion zusammen; Masturbation ist
ebenso häufig das ausschließliche Ziel und Einschränkungen des
Sexualzieles -- bis zur bloßen Gefühlsergießung -- sind hier sogar
häufiger als bei der heterosexuellen Liebe. Auch bei Frauen sind die
Sexualziele der Invertierten mannigfaltig; darunter scheint die
Berührung mit der Mundschleimhaut bevorzugt.

                   *       *       *       *       *

Schlußfolgerung.

Wir sehen uns zwar außerstande, die Entstehung der Inversion aus dem
bisher vorliegenden Material befriedigend aufzuklären, können aber
merken, daß wir bei dieser Untersuchung zu einer Einsicht gelangt sind,
die uns bedeutsamer werden kann als die Lösung der obigen Aufgabe. Wir
werden aufmerksam gemacht, daß wir uns die Verknüpfung des Sexualtriebes
mit dem Sexualobjekt als eine zu innige vorgestellt haben. Die Erfahrung
an den für abnorm gehaltenen Fällen lehrt uns, daß hier zwischen
Sexualtrieb und Sexualobjekt eine Verlötung vorliegt, die wir bei der
Gleichförmigkeit der normalen Gestaltung, wo der Trieb das Objekt
mitzubringen scheint, in Gefahr sind zu übersehen. Wir werden so
angewiesen, die Verknüpfung zwischen Trieb und Objekt in unseren
Gedanken zu lockern. Der Geschlechtstrieb ist wahrscheinlich zunächst
unabhängig von seinem Objekt und verdankt wohl auch nicht den Reizen
desselben seine Entstehung.


B. Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte.

Während die Personen, deren Sexualobjekt nicht dem normalerweise dazu
geeigneten Geschlechte angehören, die Invertierten also, dem Beobachter
als eine gesammelte Anzahl von sonst vielleicht vollwertigen Individuen
entgegentreten, erscheinen die Fälle, in denen geschlechtsunreife
Personen (Kinder) zu Sexualobjekten erkoren werden, von vornherein als
vereinzelte Verirrungen. Nur ausnahmsweise sind Kinder die
ausschließlichen Sexualobjekte; zumeist gelangen sie zu dieser Rolle,
wenn ein feige und impotent gewordenes Individuum sich zu solchem
Surrogat versteht oder ein impulsiver (unaufschiebbarer) Trieb sich
zurzeit keines geeigneteren Objektes bemächtigen kann. Immerhin wirft es
ein Licht auf die Natur des Geschlechtstriebes, daß er so viel Variation
und solche Herabsetzung seines Objektes zuläßt, was der Hunger, der sein
Objekt weit energischer festhält, nur im äußersten Falle gestatten
würde. Eine ähnliche Bemerkung gilt für den besonders unter dem
Landvolke gar nicht seltenen sexuellen Verkehr mit Tieren, wobei sich
etwa die Geschlechtsanziehung über die Artschranke hinwegsetzt.

Aus ästhetischen Gründen möchte man gern diese wie andere schwere
Verirrungen des Geschlechtstriebes den Geisteskranken zuweisen, aber
dies geht nicht an. Die Erfahrung lehrt, daß man bei diesen letzteren
keine anderen Störungen des Geschlechtstriebes beobachtet als bei
Gesunden, ganzen Rassen und Ständen. So findet sich sexueller Mißbrauch
von Kindern mit unheimlicher Häufigkeit bei Lehrern und Wartepersonen,
bloß weil sich diesen die beste Gelegenheit dazu bietet. Die
Geisteskranken zeigen die betreffende Verirrung nur etwa gesteigert
oder, was besonders bedeutsam ist, zur Ausschließlichkeit erhoben und an
Stelle der normalen Sexualbefriedigung gerückt.

Dieses sehr merkwürdige Verhältnis der sexuellen Variationen zur
Stufenleiter von der Gesundheit bis zur Geistesstörung gibt zu denken.
Ich würde meinen, die zu erklärende Tatsache wäre ein Hinweis darauf,
daß die Regungen des Geschlechtslebens zu jenen gehören, die auch
normalerweise von den höheren Seelentätigkeiten am schlechtesten
beherrscht werden. Wer in sonst irgend einer Beziehung geistig abnorm
ist, in sozialer, ethischer Hinsicht, der ist es nach meiner Erfahrung
regelmäßig in seinem Sexualleben. Aber viele sind abnorm im Sexualleben,
die in allen anderen Punkten dem Durchschnitt entsprechen, die
menschliche Kulturentwicklung, deren schwacher Punkt die Sexualität
bleibt, in ihrer Person mitgemacht haben.

Als allgemeinstes Ergebnis dieser Erörterungen würden wir aber die
Einsicht herausgreifen, daß unter einer großen Anzahl von Bedingungen
und bei überraschend viel Individuen die Art und der Wert des
Sexualobjektes in den Hintergrund treten. Etwas anderes ist am
Sexualtrieb das Wesentliche und Konstante(13).

  (13) Der eingreifendste Unterschied zwischen dem Liebesleben der Alten
  Welt und dem unsrigen liegt wohl darin, daß die Antike den Akzent auf
  den Trieb selbst, wir aber auf dessen Objekt verlegen. Die Alten
  feierten den Trieb und waren bereit, auch ein minderwertiges Objekt
  durch ihn zu adeln, während wir die Triebbetätigung an sich
  geringschätzen und sie nur durch die Vorzüge des Objekts entschuldigen
  lassen.


2. Abweichungen in bezug auf das Sexualziel.

Als normales Sexualziel gilt die Vereinigung der Genitalien in dem als
Begattung bezeichneten Akte, der zur Lösung der sexuellen Spannung und
zum zeitweiligen Erlöschen des Sexualtriebes führt (Befriedigung analog
der Sättigung beim Hunger). Doch sind bereits am normalsten
Sexualvorgang jene Ansätze kenntlich, deren Ausbildung zu den Abirrungen
führt, die man als _Perversionen_ beschrieben hat. Es werden nämlich
gewisse intermediäre (auf dem Wege zur Begattung liegende) Beziehungen
zum Sexualobjekt, wie das Betasten und Beschauen desselben, als
vorläufige Sexualziele anerkannt. Diese Betätigungen sind einerseits
selbst mit Lust verbunden, anderseits steigern sie die Erregung, welche
bis zur Erreichung des endgültigen Sexualzieles andauern soll. Eine
bestimmte dieser Berührungen, die der beiderseitigen Lippenschleimhaut,
hat ferner als Kuß bei vielen Völkern (die höchstzivilisierten darunter)
einen hohen sexuellen Wert erhalten, obwohl die dabei in Betracht
kommenden Körperteile nicht dem Geschlechtsapparat angehören, sondern
den Eingang zum Verdauungskanal bilden. Hiemit sind also Momente
gegeben, welche die Perversionen an das normale Sexualleben anknüpfen
lassen und auch zur Einteilung derselben verwendbar sind. Die
Perversionen sind entweder a) anatomische _Überschreitungen_ der für die
geschlechtliche Vereinigung bestimmten Körpergebiete oder b)
_Verweilungen_ bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt, die
normalerweise auf dem Wege zum endgültigen Sexualziel rasch
durchschritten werden sollen.


a) Anatomische Überschreitungen.

Überschätzung des Sexualobjekts.

Die psychische Wertschätzung, deren das Sexualobjekt als Wunschziel des
Sexualtriebes teilhaftig wird, beschränkt sich in den seltensten Fällen
auf dessen Genitalien, sondern greift auf den ganzen Körper desselben
über und hat die Tendenz, alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen
mit einzubeziehen. Die gleiche Überschätzung strahlt auf das psychische
Gebiet aus und zeigt sich als logische Verblendung (Urteilsschwäche)
angesichts der seelischen Leistungen und Vollkommenheiten des
Sexualobjektes sowie als gläubige Gefügigkeit gegen die von letzterem
ausgehenden Urteile. Die Gläubigkeit der Liebe wird so zu einer
wichtigen, wenn nicht zur uranfänglichen Quelle der Autorität(14).

  (14) Ich kann mir nicht versagen, hiebei an die gläubige Gefügigkeit
  der Hypnotisierten gegen ihren Hypnotiseur zu erinnern, welche mich
  vermuten läßt, daß das Wesen der Hypnose in die unbewußte Fixierung
  der Libido auf die Person des Hypnotiseurs (vermittels der
  masochistischen Komponente des Sexualtriebes) zu verlegen ist.

  S. _Ferenczi_ hat diesen Charakter der Suggerierbarkeit mit dem
  »Elternkomplex« verknüpft. (Jahrbuch für psychoanalytische und
  psychopathologische Forschungen. I. 1909.)

Diese Sexualüberschätzung ist es nun, welche sich mit der Einschränkung
des Sexualzieles auf die Vereinigung der eigentlichen Genitalien so
schlecht verträgt und Vornahmen an anderen Körperteilen zu Sexualzielen
erheben hilft(15).

  (15) Es ist indes zu bemerken, daß die Sexualüberschätzung nicht bei
  allen Mechanismen der Objektwahl ausgebildet wird, und daß wir
  späterhin eine andere und direktere Erklärung für die sexuelle Rolle
  der anderen Körperteile kennen lernen werden. Das Moment des
  »Reizhungers«, das von _Hoche_ und J. _Bloch_ zur Erklärung des
  Übergreifens von sexuellem Interesse auf andere Körperteile als die
  Genitalien herangezogen wird, scheint mir diese Bedeutung nicht zu
  verdienen. Die verschiedenen Wege, auf denen die Libido wandelt,
  verhalten sich zueinander von Anfang an wie kommunizierende Röhren,
  und man muß dem Phänomen der Kollateralströmung Rechnung tragen.

Die Bedeutung des Moments der Sexualüberschätzung läßt sich am ehesten
beim Manne studieren, dessen Liebesleben allein der Erforschung
zugänglich geworden ist, während das des Weibes zum Teil infolge der
Kulturverkümmerung, zum anderen Teil durch die konventionelle
Verschwiegenheit und Unaufrichtigkeit der Frauen in ein noch
undurchdringliches Dunkel gehüllt ist(16).

  (16) Das Weib läßt in typischen Fällen eine »Sexualüberschätzung« des
  Mannes vermissen, versäumt dieselbe aber fast niemals gegen das von
  ihr geborene Kind.

                   *       *       *       *       *

Sexuelle Verwendung der Lippen-Mundschleimhaut.

Die Verwendung des Mundes als Sexualorgan gilt als Perversion, wenn die
Lippen (Zunge) der einen Person mit den Genitalien der anderen in
Berührung gebracht werden, nicht aber, wenn beider Teile
Lippenschleimhäute einander berühren. In letzterer Ausnahme liegt die
Anknüpfung ans Normale. Wer die anderen wohl seit den Urzeiten der
Menschheit gebräuchlichen Praktiken als Perversionen verabscheut, der
gibt dabei einem deutlichen _Ekelgefühl_ nach, welches ihn vor der
Annahme eines solchen Sexualzieles schützt. Die Grenze dieses Ekels ist
aber häufig rein konventionell; wer etwa mit Inbrunst die Lippen eines
schönen Mädchens küßt, wird vielleicht das Zahnbürstchen desselben nur
mit Ekel gebrauchen können, wenngleich kein Grund zur Annahme vorliegt,
daß seine eigene Mundhöhle, vor der ihm nicht ekelt, reinlicher sei als
die des Mädchens. Man wird hier auf das Moment des Ekels aufmerksam,
welches der libidinösen Überschätzung des Sexualobjekts in den Weg
tritt, seinerseits aber durch die Libido überwunden werden kann. In dem
Ekel möchte man eine der Mächte erblicken, welche die Einschränkung des
Sexualzieles zustande gebracht haben. In der Regel machen diese vor den
Genitalien selbst Halt. Es ist aber kein Zweifel, daß auch die
Genitalien des anderen Geschlechtes an und für sich Gegenstand des Ekels
sein können, und daß dies Verhalten zur Charakteristik aller
Hysterischen (zumal der weiblichen) gehört. Die Stärke des Sexualtriebes
liebt es, sich in der Überwindung dieses Ekels zu betätigen. (S. u.)

                   *       *       *       *       *

Sexuelle Verwendung der Afteröffnung.

Klarer noch als im früheren Falle erkennt man bei der Inanspruchnahme
des Afters, daß es der Ekel ist, welcher dieses Sexualziel zur
Perversion stempelt. Man lege mir aber die Bemerkung nicht als
Parteinahme aus, daß die Begründung dieses Ekels, diese Körperpartie
diene der Exkretion und komme mit dem Ekelhaften an sich -- den
Exkrementen -- in Berührung, nicht viel stichhaltiger ist als etwa die
Begründung, welche hysterische Mädchen für ihren Ekel vor dem männlichen
Genitale abgeben: es diene der Harnentleerung.

Die sexuelle Rolle der Afterschleimhaut ist keineswegs auf den Verkehr
zwischen Männern beschränkt, ihre Bevorzugung hat nichts für das
invertierte Fühlen Charakteristisches. Es scheint im Gegenteil, daß die
Pädikatio des Mannes ihre Rolle der Analogie mit dem Akt beim Weibe
verdankt, während gegenseitige Masturbation das Sexualziel ist, welches
sich beim Verkehr Invertierter am ehesten ergibt.

                   *       *       *       *       *

Bedeutung anderer Körperstellen.

Das sexuelle Übergreifen auf andere Körperstellen bietet in all seinen
Variationen nichts prinzipiell Neues, fügt nichts zur Kenntnis des
Sexualtriebes hinzu, der hierin nur seine Absicht verkündet, sich des
Sexualobjekts nach allen Richtungen zu bemächtigen. Neben der
Sexualüberschätzung meldet sich aber bei den anatomischen
Überschreitungen ein zweites, der populären Kenntnis fremdartiges
Moment. Gewisse Körperstellen, wie die Mund- und Afterschleimhaut, die
immer wieder in diesen Praktiken auftreten, erheben gleichsam den
Anspruch, selbst als Genitalien betrachtet und behandelt zu werden. Wir
werden hören, wie dieser Anspruch durch die Entwicklung des
Sexualtriebes gerechtfertigt und wie er in der Symptomatologie gewisser
Krankheitszustände erfüllt wird.

                   *       *       *       *       *

Ungeeigneter Ersatz des Sexualobjektes -- Fetischismus.

Einen ganz besonderen Eindruck ergeben jene Fälle, in denen das normale
Sexualobjekt ersetzt wird durch ein anderes, das zu ihm in Beziehung
steht, dabei aber völlig ungeeignet ist, dem normalen Sexualziel zu
dienen. Wir hätten nach den Gesichtspunkten der Einteilung wohl besser
getan, diese höchst interessante Gruppe von Abirrungen des Sexualtriebes
schon bei den Abweichungen in bezug auf das Sexualobjekt zu erwähnen,
verschoben es aber, bis wir das Moment der _Sexualüberschätzung_ kennen
gelernt hatten, von welchem diese Erscheinungen abhängen, mit denen ein
Aufgeben des Sexualzieles verbunden ist.

Der Ersatz für das Sexualobjekt ist ein im allgemeinen für sexuelle
Zwecke sehr wenig geeigneter Körperteil (Fuß, Haar) oder ein unbelebtes
Objekt, welches in nachweisbarer Relation mit der Sexualperson, am
besten mit der Sexualität derselben, steht. (Stücke der Kleidung, weiße
Wäsche.) Dieser Ersatz wird nicht mit Unrecht mit dem Fetisch
verglichen, in dem der Wilde seinen Gott verkörpert sieht.

Den Übergang zu den Fällen von Fetischismus mit Verzicht auf ein
normales oder perverses Sexualziel bilden Fälle, in denen eine
fetischistische Bedingung am Sexualobjekt erfordert wird, wenn das
Sexualziel erreicht werden soll. (Bestimmte Haarfarbe, Kleidung, selbst
Körperfehler.) Keine andere ans Pathologische streifende Variation des
Sexualtriebes hat soviel Anspruch auf unser Interesse wie diese durch
die Sonderbarkeit der durch sie veranlaßten Erscheinungen. Eine gewisse
Herabsetzung des Strebens nach dem normalen Sexualziel scheint für alle
Fälle Voraussetzung (exekutive Schwäche des Sexualapparates)(17). Die
Anknüpfung ans Normale wird durch die psychologisch notwendige
Überschätzung des Sexualobjektes vermittelt, welche unvermeidlich auf
alles mit demselben assoziativ Verbundene übergreift. Ein gewisser Grad
von solchem Fetischismus ist daher dem normalen Lieben regelmäßig eigen,
besonders in jenen Stadien der Verliebtheit, in welchen das normale
Sexualziel unerreichbar oder dessen Erfüllung aufgehoben erscheint.

  (17) Diese Schwäche entspräche der konstitutionellen Voraussetzung.
  Die Psychoanalyse hat als akzidentelle Bedingung die frühzeitige
  Sexualeinschüchterung nachgewiesen, welche vom normalen Sexualziel
  abdrängt und zum Ersatz desselben anregt.

    »Schaff' mir ein Halstuch von ihrer Brust,
    Ein Strumpfband meiner Liebeslust!«

    (Faust.)

Der pathologische Fall tritt erst ein, wenn sich das Streben nach dem
Fetisch über solche Bedingung hinaus fixiert und sich an die Stelle des
normalen Zieles setzt, ferner wenn sich der Fetisch von der bestimmten
Person loslöst, zum alleinigen Sexualobjekt wird. Es sind dies die
allgemeinen Bedingungen für das Übergehen bloßer Variationen des
Geschlechtstriebes in pathologische Verirrungen.

In der Auswahl des Fetisch zeigt sich, wie _Binet_ zuerst behauptet hat
und dann später durch zahlreiche Belege erwiesen worden ist, der
fortwirkende Einfluß eines zumeist in früher Kindheit empfangenen
sexuellen Eindruckes, was man der sprichwörtlichen Haftfähigkeit einer
ersten Liebe beim Normalen (»On revient toujours à ses premiers amours«)
an die Seite stellen darf. Eine solche Ableitung ist besonders deutlich
bei Fällen mit bloß fetischistischer Bedingtheit des Sexualobjektes. Der
Bedeutung frühzeitiger sexueller Eindrücke werden wir noch an anderer
Stelle begegnen(18).

  (18) Tiefer eindringende psychoanalytische Untersuchung hat zu einer
  berechtigten Kritik der _Binet_schen Behauptung geführt. Alle hieher
  gehörigen Beobachtungen haben ein erstes Zusammentreffen mit dem
  Fetisch zum Inhalt, in welchem sich dieser bereits im Besitz des
  sexuellen Interesses zeigt, ohne daß man aus den Begleitumständen
  verstehen könnte, wie er zu diesem Besitz gekommen ist. Auch fallen
  alle diese »frühzeitigen« Sexualeindrücke in die Zeit nach dem
  fünften, sechsten Jahr, während die Psychoanalyse daran zweifeln läßt,
  ob sich pathologische Fixierungen so spät neubilden können. Der
  wirkliche Sachverhalt ist der, daß hinter der ersten Erinnerung an das
  Auftreten des Fetisch eine untergegangene und vergessene Phase der
  Sexualentwicklung liegt, die durch den Fetisch wie durch eine
  »Deckerinnerung« vertreten wird, deren Rest und Niederschlag der
  Fetisch also darstellt. Die Wendung dieser in die ersten
  Kindheitsjahre fallenden Phase zum Fetischismus sowie die Auswahl des
  Fetisch selbst sind konstitutionell determiniert.

In anderen Fällen ist es eine dem Betroffenen meist nicht bewußte
symbolische Gedankenverbindung, welche zum Ersatz des Objektes durch den
Fetisch geführt hat. Die Wege dieser Verbindungen sind nicht immer mit
Sicherheit nachzuweisen (der Fuß ist ein uraltes sexuelles Symbol, schon
im Mythus(19), »Pelz« verdankt seine Fetischrolle wohl der Assoziation
mit der Behaarung des Mons veneris); doch scheint auch solche Symbolik
nicht immer unabhängig von sexuellen Erlebnissen der Kinderzeit(20).

  (19) Dementsprechend der Schuh oder Pantoffel Symbol des weiblichen
  Genitales.

  (20) Die Psychoanalyse hat eine der noch vorhandenen Lücken im
  Verständnis des Fetischismus ausgefüllt, indem sie auf die Bedeutung
  einer durch Verdrängung verloren gegangenen koprophilen _Riechlust_
  für die Auswahl des Fetisch hinwies. Fuß und Haar sind stark riechende
  Objekte, die nach dem Verzicht auf die unlustig gewordene
  Geruchsempfindung zu Fetischen erhoben werden. In der dem
  Fußfetischismus entsprechenden Perversion ist demgemäß nur der
  schmutzige und übelriechende Fuß das Sexualobjekt. Ein anderer Beitrag
  zur Aufklärung der fetischistischen Bevorzugung des Fußes ergibt sich
  aus den infantilen Sexualtheorien. (S. u.) Der Fuß ersetzt den schwer
  vermißten Penis des Weibes.

  In manchen Fällen von Fußfetischismus ließ sich zeigen, daß der
  ursprünglich auf das Genitale gerichtete _Schautrieb_, der seinem
  Objekt von unten her nahe kommen wollte, durch Verbot und Verdrängung
  auf dem Wege aufgehalten wurde, und darum Fuß oder Schuh als Fetisch
  festhielt. Das weibliche Genitale wurde dabei, der infantilen
  Erwartung entsprechend, als ein männliches vorgestellt.


b) Fixierungen von vorläufigen Sexualzielen.

Auftreten neuer Absichten.

Alle äußeren und inneren Bedingungen, welche das Erreichen des normalen
Sexualzieles erschweren oder in die Ferne rücken (Impotenz, Kostbarkeit
des Sexualobjektes, Gefahren des Sexualaktes), unterstützen wie
begreiflich die Neigung, bei den vorbereitenden Akten zu verweilen und
neue Sexualziele aus ihnen zu gestalten, die an die Stelle des normalen
treten können. Bei näherer Prüfung zeigt sich stets, daß die anscheinend
fremdartigsten dieser neuen Absichten doch bereits beim normalen
Sexualvorgang angedeutet sind.

                   *       *       *       *       *

Betasten und Beschauen.

Ein gewisses Maß von Tasten ist wenigstens für den Menschen zur
Erreichung des normalen Sexualzieles unerläßlich. Auch ist es allgemein
bekannt, welche Lustquelle einerseits, welcher Zufluß neuer Erregung
anderseits durch die Berührungsempfindungen von der Haut des
Sexualobjektes gewonnen wird. Somit kann das Verweilen beim Betasten,
falls der Sexualakt überhaupt nur weiter geht, kaum zu den Perversionen
gezählt werden.

Ähnlich ist es mit dem in letzter Linie vom Tasten abgeleiteten Sehen.
Der optische Eindruck bleibt der Weg, auf dem die libidinöse Erregung am
häufigsten geweckt wird, und auf dessen Gangbarkeit -- wenn diese
teleologische Betrachtungsweise zulässig ist -- die Zuchtwahl rechnet,
indem sie das Sexualobjekt sich zur Schönheit entwickeln läßt. Die mit
der Kultur fortschreitende Verhüllung des Körpers hält die sexuelle
Neugierde wach, welche danach strebt, sich das Sexualobjekt durch
Enthüllung der verborgenen Teile zu ergänzen, die aber ins Künstlerische
abgelenkt (»sublimiert«) werden kann, wenn man ihr Interesse von den
Genitalien weg auf die Körperbildung im ganzen zu lenken vermag(21). Ein
Verweilen bei diesem intermediären Sexualziel des sexuell betonten
Schauens kommt in gewissem Grade den meisten Normalen zu, ja es gibt
ihnen die Möglichkeit, einen gewissen Betrag ihrer Libido auf höhere
künstlerische Ziele zu richten. Zur Perversion wird die Schaulust im
Gegenteil, a) wenn sie sich ausschließlich auf die Genitalien
einschränkt, b) wenn sie sich mit der Überwindung des Ekels verbindet
(Voyeurs: Zuschauer bei den Exkretionsfunktionen), c) wenn sie das
normale Sexualziel, anstatt es vorzubereiten, verdrängt. Letzteres ist
in ausgeprägter Weise bei den Exhibitionisten der Fall, die, wenn ich
nach einer einzigen Analyse schließen darf, ihre Genitalien zeigen, um
als Gegenleistung die Genitalien des anderen Teiles zu Gesicht zu
bekommen(22).

  (21) Es scheint mir unzweifelhaft, daß der Begriff des »Schönen« auf
  dem Boden der Sexualerregung wurzelt und ursprünglich das sexuell
  Reizende (»Die Reize«) bedeutet. Es steht im Zusammenhange damit, daß
  wir die Genitalien selbst, deren Anblick die stärkste sexuelle
  Erregung hervorruft, eigentlich niemals »schön« finden können.

  (22) Der Analyse enthüllt diese Perversion -- sowie die meisten
  anderen -- eine unerwartete Vielfältigkeit ihrer Motive und
  Bedeutungen. Der Exhibitionszwang zum Beispiel ist auch stark abhängig
  vom Kastrationskomplex; er betont immer wieder die Integrität des
  eigenen (männlichen) Genitales und wiederholt die infantile
  Befriedigung über das Fehlen des Gliedes im weiblichen.

Bei der Perversion, deren Streben das Schauen und Beschautwerden ist,
tritt ein sehr merkwürdiger Charakter hervor, der uns bei der
nächstfolgenden Abirrung noch intensiver beschäftigen wird. Das
Sexualziel ist hiebei nämlich in zweifacher Ausbildung vorhanden, in
_aktiver_ und in _passiver_ Form.

Die Macht, welche der Schaulust entgegensteht und eventuell durch sie
aufgehoben wird, ist die _Scham_ (wie vorhin der Ekel).

                   *       *       *       *       *

Sadismus und Masochismus.

Die Neigung, dem Sexualobjekt Schmerz zuzufügen und ihr Gegenstück,
diese häufigste und bedeutsamste aller Perversionen, ist in ihren beiden
Gestaltungen, der aktiven und der passiven, von v. _Krafft-Ebing_ als
_Sadismus_ und _Masochismus_ (passiv) benannt worden. Andere Autoren
ziehen die engere Bezeichnung _Algolagnie_ vor, welche die Lust am
Schmerz, die Grausamkeit, betont, während bei den Namen, die v.
_Krafft-Ebing_ gewählt hat, die Lust an jeder Art von Demütigung und
Unterwerfung in den Vordergrund gestellt wird.

Für die aktive Algolagnie, den Sadismus, sind die Wurzeln im Normalen
leicht nachzuweisen. Die Sexualität der meisten Männer zeigt eine
Beimengung von _Aggression_, von Neigung zur Überwältigung, deren
biologische Bedeutung in der Notwendigkeit liegen dürfte, den Widerstand
des Sexualobjekts noch anders als durch die Akte der _Werbung_ zu
überwinden. Der Sadismus entspräche dann einer selbständig gewordenen,
übertriebenen, durch Verschiebung an die Hauptstelle gerückten
aggressiven Komponente des Sexualtriebes.

Der Begriff des Sadismus schwankt im Sprachgebrauch von einer bloß
aktiven, sodann gewalttätigen, Einstellung gegen das Sexualobjekt bis
zur ausschließlichen Bindung der Befriedigung an die Unterwerfung und
Mißhandlung desselben. Strenge genommen hat nur der letztere extreme
Fall Anspruch auf den Namen einer Perversion.

In ähnlicher Weise umfaßt die Bezeichnung Masochismus alle passiven
Einstellungen zum Sexualleben und Sexualobjekt, als deren äußerste die
Bindung der Befriedigung an das Erleiden von physischem oder seelischem
Schmerz von Seiten des Sexualobjektes erscheint. Der Masochismus als
Perversion scheint sich vom normalen Sexualziel weiter zu entfernen als
sein Gegenstück; es darf bezweifelt werden, ob er jemals primär auftritt
oder nicht vielmehr regelmäßig durch Umbildung aus dem Sadismus
entsteht. Häufig läßt sich erkennen, daß der Masochismus nichts anderes
ist als eine Fortsetzung des Sadismus in Wendung gegen die eigene
Person, welche dabei zunächst die Stelle des Sexualobjektes vertritt.
Die klinische Analyse extremer Fälle von masochistischer Perversion
führt auf das Zusammenwirken einer großen Reihe von Momenten, welche die
ursprüngliche passive Sexualeinstellung übertreiben und fixieren.
(Kastrationskomplex, Schuldbewußtsein.)

Der Schmerz, der hiebei überwunden wird, reiht sich dem Ekel und der
Scham an, die sich der Libido als Widerstände entgegengestellt hatten.

Sadismus und Masochismus nehmen unter den Perversionen eine besondere
Stellung ein, da der ihnen zugrunde liegende Gegensatz von Aktivität und
Passivität zu den allgemeinen Charakteren des Sexuallebens gehört.

Daß Grausamkeit und Sexualtrieb innigst zusammengehören, lehrt die
Kulturgeschichte der Menschheit über jeden Zweifel, aber in der
Aufklärung dieses Zusammenhanges ist man über die Betonung des
aggressiven Moments der Libido nicht hinausgekommen. Nach einigen
Autoren ist diese dem Sexualtrieb beigemengte Aggression eigentlich ein
Rest kannibalischer Gelüste, also eine Mitbeteiligung des
Bemächtigungsapparates, welcher der Befriedigung des anderen,
ontogenetisch älteren, großen Bedürfnisses dient(23). Es ist auch
behauptet worden, daß jeder Schmerz an und für sich die Möglichkeit
einer Lustempfindung enthalte. Wir wollen uns mit dem Eindruck begnügen,
daß die Aufklärung dieser Perversion keineswegs befriedigend gegeben
ist, und daß möglicherweise hiebei mehrere seelische Strebungen sich zu
einem Effekt vereinigen.

  (23) Vgl. hiezu die spätere Mitteilung über die prägenitalen Phasen
  der Sexualentwicklung, in welcher diese Ansicht bestätigt wird.

Die auffälligste Eigentümlichkeit dieser Perversion liegt aber darin,
daß ihre aktive und ihre passive Form regelmäßig bei der nämlichen
Person mitsammen angetroffen werden. Wer Lust daran empfindet, anderen
Schmerz in sexueller Relation zu erzeugen, der ist auch befähigt, den
Schmerz als Lust zu genießen, der ihm aus sexuellen Beziehungen
erwachsen kann. Ein Sadist ist immer auch gleichzeitig ein Masochist,
wenngleich die aktive oder die passive Seite der Perversion bei ihm
stärker ausgebildet sein und seine vorwiegend sexuelle Betätigung
darstellen kann(24).

  (24) Anstatt vieler Belege für diese Behauptung zitiere ich nur die
  eine Stelle aus _Havelock Ellis_ (Das Geschlechtsgefühl, 1903). »Alle
  bekannten Fälle von Sadismus und Masochismus, selbst die von v.
  _Krafft-Ebing_ zitierten, zeigen beständig (wie schon _Colin_, _Scott_
  und _Féré_ nachgewiesen) Spuren beider Gruppen von Erscheinungen an
  ein und demselben Individuum.«

Wir sehen so gewisse der Perversionsneigungen regelmäßig als
_Gegensatzpaare_ auftreten, was mit Hinblick auf später beizubringendes
Material eine hohe theoretische Bedeutung beanspruchen darf(25). Es ist
ferner einleuchtend, daß die Existenz des Gegensatzpaares Sadismus --
Masochismus aus der Aggressionsbeimengung nicht ohneweiters ableitbar
ist. Dagegen wäre man versucht, solche gleichzeitig vorhandene
Gegensätze mit dem in der Bisexualität vereinten Gegensatz von männlich
und weiblich in Beziehung zu setzen, dessen Bedeutung in der
Psychoanalyse auf den Gegensatz von aktiv und passiv reduziert ist.

  (25) Vgl. die spätere Erwähnung der »Ambivalenz«.


3. Allgemeines über alle Perversionen.

Variation und Krankheit.

Die Ärzte, welche die Perversionen zuerst an ausgeprägten Beispielen und
unter besonderen Bedingungen studiert haben, sind natürlich geneigt
gewesen, ihnen den Charakter eines Krankheits- oder Degenerationszeichens
zuzusprechen, ganz ähnlich wie bei der Inversion. Indes
ist es hier leichter als dort, diese Auffassung abzulehnen. Die
alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser
Überschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten
fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen
wie andere Intimitäten auch beurteilt werden. Wo die Verhältnisse es
begünstigen, kann auch der Normale eine solche Perversion eine ganze
Zeit lang an die Stelle des normalen Sexualzieles setzen oder ihr einen
Platz neben diesem einräumen. Bei keinem Gesunden dürfte irgend ein
pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen und diese
Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Unzweckmäßigkeit einer
vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun. Gerade auf dem
Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit
unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer
Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen
ziehen will.

Bei manchen dieser Perversionen ist immerhin die Qualität des neuen
Sexualzieles eine solche, daß sie nach besonderer Würdigung verlangt.
Gewisse der Perversionen entfernen sich inhaltlich so weit vom Normalen,
daß wir nicht umhin können, sie für »krankhaft« zu erklären,
insbesondere jene, in denen der Sexualtrieb in der Überwindung der
Widerstände (Scham, Ekel, Grauen, Schmerz) erstaunliche Leistungen
vollführt. (Kotlecken, Leichenmißbrauch.) Doch darf man auch in diesen
Fällen sich nicht der sicheren Erwartung hingeben, in den Tätern
regelmäßig Personen mit andersartigen schweren Abnormitäten oder
Geisteskranke zu entdecken. Man kommt auch hier nicht über die Tatsache
hinaus, daß Personen, die sich sonst normal verhalten, auf dem Gebiete
des Sexuallebens allein, unter der Herrschaft des ungezügeltsten aller
Triebe, sich als Kranke dokumentieren. Manifeste Abnormität in anderen
Lebensrelationen pflegt hingegen jedesmal einen Hintergrund von abnormem
sexuellen Verhalten zu zeigen.

In der Mehrzahl der Fälle können wir den Charakter des Krankhaften bei
der Perversion nicht im Inhalt des neuen Sexualzieles, sondern in dessen
Verhältnis zum Normalen finden. Wenn die Perversion nicht _neben_ dem
Normalen (Sexualziel und Objekt) auftritt, wo günstige Umstände dieselbe
fördern und ungünstige das Normale verhindern, sondern wenn sie das
Normale unter allen Umständen verdrängt und ersetzt hat; -- in der
_Ausschließlichkeit_ und in der _Fixierung_ also der Perversion sehen
wir zu allermeist die Berechtigung, sie als ein krankhaftes Symptom zu
beurteilen.

                   *       *       *       *       *

Die seelische Beteiligung bei den Perversionen.

Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muß man die
ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes
anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man
trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des
Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich
vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste
und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten
aneinander (»Vom Himmel durch die Welt zur Hölle«).

                   *       *       *       *       *

Zwei Ergebnisse.

Bei dem Studium der Perversionen hat sich uns die Einsicht ergeben, daß
der Sexualtrieb gegen gewisse seelische Mächte als Widerstände
anzukämpfen hat, unter denen Scham und Ekel am deutlichsten
hervorgetreten sind. Es ist die Vermutung gestattet, daß diese Mächte
daran beteiligt sind, den Trieb innerhalb der als normal geltenden
Schranken zu bannen, und wenn sie sich im Individuum früher entwickelt
haben, ehe der Sexualtrieb seine volle Stärke erlangte, so waren sie es
wohl, die ihm die Richtung seiner Entwicklung angewiesen haben(26).

  (26) Man muß diese die Sexualentwicklung eindämmenden Mächte -- Ekel,
  Scham und Moralität -- anderseits auch als historische Niederschläge
  der äußeren Hemmungen ansehen, welche der Sexualtrieb in der
  Psychogenese der Menschheit erfahren hat. Man macht die Beobachtung,
  daß sie in der Entwicklung des Einzelnen zu ihrer Zeit wie spontan auf
  die Winke der Erziehung und Beeinflussung hin auftreten.

Wir haben ferner die Bemerkung gemacht, daß einige der untersuchten
Perversionen nur durch das Zusammentreten von mehreren Motiven
verständlich werden. Wenn sie eine Analyse -- Zersetzung -- zulassen,
müssen sie zusammengesetzter Natur sein. Hieraus können wir einen Wink
entnehmen, daß vielleicht der Sexualtrieb selbst nichts Einfaches,
sondern aus Komponenten zusammengesetzt ist, die sich in den
Perversionen wieder von ihm ablösen. Die Klinik hätte uns so auf
_Verschmelzungen_ aufmerksam gemacht, die in dem gleichförmigen normalen
Verhalten ihren Ausdruck eingebüßt haben(27).

  (27) Ich bemerke vorgreifend über die Entstehung der Perversionen, daß
  man Grund hat anzunehmen, es sei vor der Fixierung derselben, ganz
  ähnlich wie beim Fetischismus, ein Ansatz normaler Sexualentwicklung
  vorhanden gewesen. Die analytische Untersuchung hat bisher in
  einzelnen Fällen zeigen können, daß auch die Perversion der Rückstand
  einer Entwicklung zum Ödipuskomplex ist, nach dessen Verdrängung die
  der Anlage nach stärkste Komponente des Sexualtriebes wieder
  hervorgetreten ist.


4. Der Sexualtrieb bei den Neurotikern.

Die Psychoanalyse.

Einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis des Sexualtriebes bei Personen, die
den Normalen mindestens nahe stehen, gewinnt man aus einer Quelle, die
nur auf einem bestimmten Wege zugänglich ist. Es gibt nur ein Mittel,
über das Geschlechtsleben der sogenannten Psychoneurotiker (Hysterie,
Zwangsneurose, fälschlich sogenannte Neurasthenie, sicherlich auch
Dementia praecox, Paranoia) gründliche und nicht irre leitende
Aufschlüsse zu erhalten, nämlich wenn man sie der psychoanalytischen
Erforschung unterwirft, deren sich das von J. _Breuer_ und mir 1893
eingesetzte, damals »kathartisch« genannte Heilverfahren bedient.

Ich muß vorausschicken, respektive aus anderen Veröffentlichungen
wiederholen, daß diese Psychoneurosen, soweit meine Erfahrungen reichen,
auf sexuellen Triebkräften beruhen. Ich meine dies nicht etwa so, daß
die Energie des Sexualtriebes einen Beitrag zu den Kräften liefert,
welche die krankhaften Erscheinungen (Symptome) unterhalten, sondern ich
will ausdrücklich behaupten, daß dieser Anteil der einzig konstante und
die wichtigste Energiequelle der Neurose ist, so daß das Sexualleben der
betreffenden Personen sich entweder ausschließlich oder vorwiegend oder
nur teilweise in diesen Symptomen äußert. Die Symptome sind, wie ich es
an anderer Stelle ausgedrückt habe, die Sexualbetätigung der Kranken.
Den Beweis für diese Behauptung hat mir eine seit fünfundzwanzig Jahren
sich mehrende Anzahl von Psychoanalysen hysterischer und anderer
Nervöser geliefert, über deren Ergebnisse im einzelnen ich an anderen
Orten ausführliche Rechenschaft gegeben habe und noch weiter geben
werde(28).

  (28) Es ist nur eine Vervollständigung und nicht eine Verringerung
  dieser Aussage, wenn ich sie dahin abändere: Die nervösen Symptome
  beruhen einerseits auf dem Anspruch der libidinösen Triebe,
  andererseits auf dem Einspruch des Ichs, der Reaktion gegen dieselben.

Die Psychoanalyse beseitigt die Symptome Hysterischer unter der
Voraussetzung, daß dieselben der Ersatz -- die Transskription gleichsam
-- für eine Reihe von affektbesetzten seelischen Vorgängen, Wünschen und
Strebungen sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (_die
Verdrängung_) der Zugang zur Erledigung durch bewußtseinsfähige
psychische Tätigkeit versagt worden ist. Diese also im Zustande des
Unbewußten zurückgehaltenen Gedankenbildungen streben nach einem ihrem
Affektwert gemäßen Ausdruck, einer _Abfuhr_, und finden eine solche bei
der Hysterie durch den Vorgang der _Konversion_ in somatischen
Phänomenen -- eben den hysterischen Symptomen. Bei der kunstgerechten,
mit Hilfe einer besonderen Technik durchgeführten Rückverwandlung der
Symptome in nun bewußt gewordene, affektbesetzte Vorstellungen ist man
also imstande, über die Natur und die Abkunft dieser früher unbewußten
psychischen Bildungen das Genaueste zu erfahren.

                   *       *       *       *       *

Ergebnisse der Psychoanalyse.

Es ist auf diese Weise in Erfahrung gebracht worden, daß die Symptome
einen Ersatz für Strebungen darstellen, die ihre Kraft der Quelle des
Sexualtriebes entnehmen. Im vollen Einklange damit steht, was wir über
den Charakter der hier zum Muster für alle Psychoneurotiker genommenen
Hysteriker vor ihrer Erkrankung und über die Anlässe zur Erkrankung
wissen. Der hysterische Charakter läßt ein Stück _Sexualverdrängung_
erkennen, welches über das normale Maß hinausgeht, eine Steigerung der
Widerstände gegen den Sexualtrieb, die uns als Scham, Ekel und Moral
bekannt geworden sind, eine wie instinktive Flucht vor der
intellektuellen Beschäftigung mit dem Sexualproblem, welche in
ausgeprägten Fällen den Erfolg hat, die volle sexuelle Unwissenheit noch
bis in die Jahre der erlangten Geschlechtsreife zu bewahren(29).

  (29) Studien über Hysterie. 1895. J. _Breuer_ sagt von seiner
  Patientin, an der er die kathartische Methode zuerst geübt hat: »Das
  sexuale Moment war erstaunlich unentwickelt.«

Dieser für die Hysterie wesentliche Charakterzug wird für die grobe
Beobachtung nicht selten durch das Vorhandensein des zweiten
konstitutionellen Faktors der Hysterie, durch die übermächtige
Ausbildung des Sexualtriebes verdeckt, allein die psychologische Analyse
weiß ihn jedesmal aufzudecken und die widerspruchsvolle Rätselhaftigkeit
der Hysterie durch die Feststellung des Gegensatzpaares von übergroßem
sexuellen Bedürfnis und zu weit getriebener Sexualablehnung zu lösen.

Der Anlaß zur Erkrankung ergibt sich für die hysterisch disponierte
Person, wenn infolge der fortschreitenden eigenen Reifung oder äußerer
Lebensverhältnisse die reale Sexualforderung ernsthaft an sie
herantritt. Zwischen dem Drängen des Triebes und dem Widerstreben der
Sexualablehnung stellt sich dann der Ausweg der Krankheit her, der den
Konflikt nicht löst, sondern ihm durch die Verwandlung der libidinösen
Strebungen in Symptome zu entgehen sucht. Es ist nur eine scheinbare
Ausnahme, wenn eine hysterische Person, ein Mann etwa, an einer banalen
Gemütsbewegung, an einem Konflikt, in dessen Mittelpunkt nicht das
sexuelle Interesse steht, erkrankt. Die Psychoanalyse kann dann
regelmäßig nachweisen, daß es die sexuelle Komponente des Konflikts ist,
welche die Erkrankung ermöglicht hat, indem sie die seelischen Vorgänge
der normalen Erledigung entzog.

                   *       *       *       *       *

Neurose und Perversion.

Ein guter Teil des Widerspruches gegen diese meine Aufstellungen erklärt
sich wohl daraus, daß man die Sexualität, von welcher ich die
psychoneurotischen Symptome ableite, mit dem normalen Sexualtrieb
zusammenfallen ließ. Allein die Psychoanalyse lehrt noch mehr. Sie
zeigt, daß die Symptome keineswegs allein auf Kosten des sogenannten
normalen Sexualtriebes entstehen (wenigstens nicht ausschließlich oder
vorwiegend), sondern den konvertierten Ausdruck von Trieben darstellen,
welche man als _perverse_ (im weitesten Sinne) bezeichnen würde, wenn
sie sich ohne Ablenkung vom Bewußtsein direkt in Phantasievorsätzen und
Taten äußern könnten. Die Symptome bilden sich also zum Teil auf Kosten
abnormer Sexualität; _die Neurose ist sozusagen das Negativ der
Perversion_(30).

  (30) Die klar bewußten Phantasien der Perversen, die unter günstigen
  Umständen in Veranstaltungen umgesetzt werden, die in feindlichem
  Sinne auf andere projizierten Wahnbefürchtungen der Paranoiker und die
  unbewußten Phantasien der Hysteriker, die man durch Psychoanalyse
  hinter ihren Symptomen aufdeckt, fallen inhaltlich bis in einzelne
  Details zusammen.

Der Sexualtrieb der Psychoneurotiker läßt alle die Abirrungen erkennen,
die wir als Variationen des normalen und als Äußerungen des krankhaften
Sexuallebens studiert haben.

a) Bei allen Neurotikern (ohne Ausnahme) finden sich im unbewußten
Seelenleben Regungen von Inversion, Fixierung von Libido auf Personen
des gleichen Geschlechts. Ohne tief eindringende Erörterung ist es nicht
möglich, die Bedeutung dieses Moments für die Gestaltung des
Krankheitsbildes entsprechend zu würdigen; ich kann nur versichern, daß
die unbewußte Inversionsneigung niemals fehlt und insbesondere zur
Aufklärung der männlichen Hysterie die größten Dienste leistet(31).

  (31) Psychoneurose vergesellschaftet sich auch sehr oft mit manifester
  Inversion, wobei die heterosexuelle Strömung der vollen Unterdrückung
  zum Opfer gefallen ist. -- Ich lasse nur einer mir zu teil gewordenen
  Anregung Recht widerfahren, wenn ich mitteile, daß erst private
  Äußerungen von W. _Fließ_ in Berlin mich auf die notwendige
  Allgemeinheit der Inversionsneigung bei den Psychoneurotikern
  aufmerksam gemacht haben, nachdem ich diese in einzelnen Fällen
  aufgedeckt hatte. -- Diese nicht genug gewürdigte Tatsache müßte alle
  Theorien der Homosexualität entscheidend beeinflussen.

b) Es sind bei den Psychoneurotikern alle Neigungen zu den anatomischen
Überschreitungen im Unbewußten und als Symptombildner nachweisbar, unter
ihnen mit besonderer Häufigkeit und Intensität diejenigen, welche für
Mund- und Afterschleimhaut die Rolle von Genitalien in Anspruch nehmen.

c) Eine ganz hervorragende Rolle unter den Symptombildnern der
Psychoneurosen spielen die zumeist in Gegensatzpaaren auftretenden
Partialtriebe, die wir als Bringer neuer Sexualziele kennen gelernt
haben, der Trieb der Schaulust und der Exhibition und der aktiv und
passiv ausgebildete Trieb zur Grausamkeit. Der Beitrag des letzteren ist
zum Verständnis der Leidensnatur der Symptome unentbehrlich und
beherrscht fast regelmäßig ein Stück des sozialen Verhaltens der
Kranken. Vermittels dieser Grausamkeitsverknüpfung der Libido geht auch
die Verwandlung von Liebe in Haß, von zärtlichen in feindselige Regungen
vor sich, die für eine große Reihe von neurotischen Fällen, ja, wie es
scheint, für die Paranoia im ganzen charakteristisch ist.

Das Interesse an diesen Ergebnissen wird noch durch einige
Besonderheiten des Tatbestandes erhöht.

α) Wo ein solcher Trieb im Unbewußten aufgefunden wird, welcher der
Paarung mit einem Gegensatze fähig ist, da läßt sich regelmäßig auch
dieser letztere als wirksam nachweisen. Jede »aktive« Perversion wird
also hier von ihrem passiven Widerpart begleitet; wer im Unbewußten
Exhibitionist ist, der ist auch gleichzeitig Voyeur, wer an den Folgen
der Verdrängung sadistischer Regungen leidet, bei dem findet sich ein
anderer Zuzug zu den Symptomen aus den Quellen masochistischer Neigung.
Die volle Übereinstimmung mit dem Verhalten der entsprechenden
»positiven« Perversionen ist gewiß sehr beachtenswert. Im
Krankheitsbilde spielt aber die eine oder die andere der gegensätzlichen
Neigungen die überwiegende Rolle.

β) In einem ausgeprägteren Falle von Psychoneurose findet man nur selten
einen einzigen dieser perversen Triebe entwickelt, meist eine größere
Anzahl derselben und in der Regel Spuren von allen; der einzelne Trieb
ist aber in seiner Intensität unabhängig von der Ausbildung der anderen.
Auch dazu ergibt uns das Studium der positiven Perversionen das genaue
Gegenstück.


Partialtriebe und erogene Zonen.

Halten wir zusammen, was wir aus der Untersuchung der positiven und der
negativen Perversionen erfahren haben, so liegt es nahe, dieselben auf
eine Reihe von »_Partialtrieben_« zurückzuführen, die aber nichts
Primäres sind, sondern eine weitere Zerlegung zulassen. Unter einem
»_Trieb_« können wir zunächst nichts anderes verstehen als die
psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden,
innersomatischen Reizquelle, zum Unterschiede vom »_Reiz_«, der durch
vereinzelte und von außen kommende Erregungen hergestellt wird. Trieb
ist so einer der Begriffe der Abgrenzung des Seelischen vom
Körperlichen. Die einfachste und nächstliegende Annahme über die Natur
der Triebe wäre, daß sie an sich keine Qualität besitzen, sondern nur
als Maße von Arbeitsanforderung für das Seelenleben in Betracht kommen.
Was die Triebe voneinander unterscheidet und mit spezifischen
Eigenschaften ausstattet, ist deren Beziehung zu ihren somatischen
_Quellen_ und ihren _Zielen_. Die Quelle des Triebes ist ein erregender
Vorgang in einem Organ und das nächste Ziel des Triebes liegt in der
Aufhebung dieses Organreizes.

Eine weitere vorläufige Annahme in der Trieblehre, welcher wir uns nicht
entziehen können, besagt, daß von den Körperorganen Erregungen von
zweierlei Art geliefert werden, die in Differenzen chemischer Natur
begründet sind. Die eine dieser Arten von Erregung bezeichnen wir als
die spezifisch sexuelle und das betreffende Organ als die »_erogene
Zone_« des von ihm ausgehenden sexuellen Partialtriebes(32).

  (32) Es ist nicht leicht, diese Annahmen, die aus dem Studium einer
  bestimmten Klasse von neurotischen Erkrankungen geschöpft sind, hier
  zu rechtfertigen. Andererseits wird es aber unmöglich, etwas
  Stichhältiges über die Triebe auszusagen, wenn man sich die Erwähnung
  dieser Voraussetzungen erspart.

Bei den Perversionsneigungen, die für Mundhöhle und Afteröffnung
sexuelle Bedeutung in Anspruch nehmen, ist die Rolle der erogenen Zone
ohneweiters ersichtlich. Dieselbe benimmt sich in jeder Hinsicht wie ein
Stück des Geschlechtsapparates. Bei der Hysterie werden diese
Körperstellen und die von ihnen ausgehenden Schleimhauttrakte in ganz
ähnlicher Weise der Sitz von neuen Sensationen und Innervationsänderungen
-- ja von Vorgängen, die man der Erektion vergleichen kann
-- wie die eigentlichen Genitalien unter den Erregungen
der normalen Geschlechtsvorgänge.

Die Bedeutung der erogenen Zonen als Nebenapparate und Surrogate der
Genitalien tritt unter den Psychoneurosen bei der Hysterie am
deutlichsten hervor, womit aber nicht behauptet werden soll, daß sie für
die anderen Erkrankungsformen geringer einzuschätzen ist. Sie ist hier
nur unkenntlicher, weil sich bei diesen (Zwangsneurose, Paranoia) die
Symptombildung in Regionen des seelischen Apparates vollzieht, die
weiter ab von den Zentralstellen für die Körperbeherrschung liegen. Bei
der Zwangsneurose ist die Bedeutung der Impulse, welche neue Sexualziele
schaffen und von erogenen Zonen unabhängig erscheinen, das Auffälligere.
Doch entspricht bei der Schau- und Exhibitionslust das Auge einer
erogenen Zone, bei der Schmerz- und Grausamkeitskomponente des
Sexualtriebes ist es die Haut, welche die gleiche Rolle übernimmt, die
Haut, die sich an besonderen Körperstellen zu Sinnesorganen
differenziert und zur Schleimhaut modifiziert hat, also die erogene Zone
κατ' ἐξοχήν(33).

  (33) Man muß hier der Aufstellung von _Moll_ gedenken, welche den
  Sexualtrieb in Kontrektations- und Detumeszenztrieb zerlegt.
  Kontrektation bedeutet ein Bedürfnis nach Hautberührung.


Erklärung des scheinbaren Überwiegens perverser Sexualität bei den
Psychoneurosen.

Durch die vorstehenden Erörterungen ist die Sexualität der
Psychoneurotiker in ein möglicherweise falsches Licht gerückt worden. Es
hat den Anschein bekommen, als näherten sich die Psychoneurotiker in
ihrem sexuellen Verhalten der Anlage nach sehr den Perversen und
entfernten sich dafür um ebensoviel von den Normalen. Nun ist sehr wohl
möglich, daß die konstitutionelle Disposition dieser Kranken außer einem
übergroßen Maß von Sexualverdrängung und einer übermächtigen Stärke des
Sexualtriebes eine ungewöhnliche Neigung zur Perversion im weitesten
Sinne mitenthält, allein die Untersuchung leichterer Fälle zeigt, daß
letztere Annahme nicht unbedingt erforderlich ist, oder daß zum
mindesten bei der Beurteilung der krankhaften Effekte die Wirkung eines
Faktors in Abzug gebracht werden muß. Bei den meisten Psychoneurotikern
tritt die Erkrankung erst nach der Pubertätszeit auf unter der
Anforderung des normalen Sexuallebens. Gegen dieses richtet sich vor
allem die Verdrängung. Oder spätere Erkrankungen stellen sich her, indem
der Libido auf normalem Wege die Befriedigung versagt wird. In beiden
Fällen verhält sich die Libido wie ein Strom, dessen Hauptbett verlegt
wird; sie füllt die kollateralen Wege aus, die bisher vielleicht leer
geblieben waren. Somit kann auch die scheinbar so große (allerdings
negative) Perversionsneigung der Psychoneurotiker eine kollateral
bedingte, muß jedenfalls eine kollateral erhöhte sein. Die Tatsache ist
eben, daß man die Sexualverdrängung als inneres Moment jenen äußeren
anreihen muß, welche wie Freiheitseinschränkung, Unzugänglichkeit des
normalen Sexualobjekts, Gefahren des normalen Sexualaktes usw.
Perversionen bei Individuen entstehen lassen, welche sonst vielleicht
normal geblieben wären.

In den einzelnen Fällen von Neurose mag es sich hierin verschieden
verhalten, das einemal die angeborene Höhe der Perversionsneigung, das
anderemal die kollaterale Hebung derselben durch die Abdrängung der
Libido vom normalen Sexualziel und Sexualobjekt das Maßgebendere sein.
Es wäre unrecht, eine Gegensätzlichkeit zu konstruieren, wo ein
Kooperationsverhältnis vorliegt. Ihre größten Leistungen wird die
Neurose jedesmal zustande bringen, wenn Konstitution und Erleben in
demselben Sinne zusammenwirken. Eine ausgesprochene Konstitution wird
etwa der Unterstützung durch die Lebenseindrücke entbehren können, eine
ausgiebige Erschütterung im Leben etwa die Neurose auch bei
durchschnittlicher Konstitution zustande bringen. Diese Gesichtspunkte
gelten übrigens in gleicher Weise für die ätiologische Bedeutung von
Angeborenem und akzidentell Erlebtem auch auf anderen Gebieten.

Bevorzugt man die Annahme, daß eine besonders ausgebildete Neigung zu
Perversionen doch zu den Eigentümlichkeiten der psychoneurotischen
Konstitution gehört, so eröffnet sich die Aussicht, je nach dem
angeborenen Vorwiegen dieser oder jener erogenen Zone, dieses oder jenes
Partialtriebes, eine Mannigfaltigkeit solcher Konstitutionen
unterscheiden zu können. Ob der perversen Veranlagung eine besondere
Beziehung zur Auswahl der Erkrankungsform zukommt, dies ist wie so
vieles auf diesem Gebiete noch nicht untersucht.


Verweis auf den Infantilismus der Sexualität.

Durch den Nachweis der perversen Regungen als Symptombildner bei den
Psychoneurosen haben wir die Anzahl der Menschen, die man den Perversen
zurechnen könnte, in ganz außerordentlicher Weise gesteigert. Nicht nur,
daß die Neurotiker selbst eine sehr zahlreiche Menschenklasse
darstellen, es ist auch in Betracht zu ziehen, daß die Neurosen von
allen ihren Ausbildungen her in lückenlosen Reihen zur Gesundheit
abklingen; hat doch _Moebius_ mit guter Berechtigung sagen können: Wir
sind alle ein wenig hysterisch. Somit werden wir durch die
außerordentliche Verbreitung der Perversionen zu der Annahme gedrängt,
daß auch die Anlage zu den Perversionen keine seltene Besonderheit,
sondern ein Stück der für normal geltenden Konstitution sein müsse.

Wir haben gehört, daß es strittig ist, ob die Perversionen auf
angeborene Bedingungen zurückgehen oder durch zufällige Erlebnisse
entstehen, wie es _Binet_ für den Fetischismus angenommen hat. Nun
bietet sich uns die Entscheidung, daß den Perversionen allerdings etwas
Angeborenes zugrunde liegt, aber etwas, _was allen Menschen angeboren_
ist, als Anlage in seiner Intensität schwanken mag und der Hervorhebung
durch Lebenseinflüsse wartet. Es handelt sich um angeborene, in der
Konstitution gegebene Wurzeln des Sexualtriebes, die sich in der einen
Reihe von Fällen zu den wirklichen Trägern der Sexualtätigkeit
entwickeln (Perverse), andere Male eine ungenügende Unterdrückung
(Verdrängung) erfahren, so daß sie auf einem Umweg als Krankheitssymptome
einen beträchtlichen Teil der sexuellen Energie an sich
ziehen können, während sie in den günstigsten Fällen zwischen
beiden Extremen durch wirksame Einschränkung und sonstige Verarbeitung
das sogenannte normale Sexualleben entstehen lassen.

Wir werden uns aber ferner sagen, daß die angenommene Konstitution,
welche die Keime zu allen Perversionen aufweist, nur beim Kinde
aufzeigbar sein wird, wenngleich bei ihm alle Triebe nur in bescheidenen
Intensitäten auftreten können. Ahnt uns so die Formel, daß die
Neurotiker den infantilen Zustand ihrer Sexualität beibehalten haben
oder auf ihn zurückversetzt worden sind, so wird sich unser Interesse
dem Sexualleben des Kindes zuwenden, und wir werden das Spiel der
Einflüsse verfolgen wollen, die den Entwicklungsprozeß der kindlichen
Sexualität bis zum Ausgang in Perversion, Neurose oder normales
Geschlechtsleben beherrschen.



II.

Die infantile Sexualität.


Es ist ein Stück der populären Meinung über den Geschlechtstrieb, daß er
der Kindheit fehle und erst in der als Pubertät bezeichneten
Lebensperiode erwache. Allein dies ist nicht nur ein einfacher, sondern
sogar ein folgenschwerer Irrtum, da er hauptsächlich unsere gegenwärtige
Unkenntnis der grundlegenden Verhältnisse des Sexuallebens verschuldet.
Ein gründliches Studium der Sexualäußerungen in der Kindheit würde uns
wahrscheinlich die wesentlichen Züge des Geschlechtstriebes aufdecken,
seine Entwicklung verraten und seine Zusammensetzung aus verschiedenen
Quellen zeigen.

                   *       *       *       *       *

Vernachlässigung der Infantilen.

Es ist bemerkenswert, daß die Autoren, welche sich mit der Erklärung der
Eigenschaften und Reaktionen des erwachsenen Individuums beschäftigen,
jener Vorzeit, welche durch die Lebensdauer der Ahnen gegeben ist, so
viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt, also der Erblichkeit so viel mehr
Einfluß zugesprochen haben, als der anderen Vorzeit, welche bereits in
die individuelle Existenz der Person fällt, der Kindheit nämlich. Man
sollte doch meinen, der Einfluß dieser Lebensperiode wäre leichter zu
verstehen und hätte ein Anrecht, vor dem der Erblichkeit berücksichtigt
zu werden(34). Man findet zwar in der Literatur gelegentliche Notizen
über frühzeitige Sexualbetätigung bei kleinen Kindern, über Erektionen,
Masturbation und selbst koitusähnliche Vornahmen, aber immer nur als
ausnahmsweise Vorgänge, als Kuriosa oder als abschreckende Beispiele
voreiliger Verderbtheit angeführt. Kein Autor hat meines Wissens die
Gesetzmäßigkeit eines Sexualtriebes in der Kindheit klar erkannt und in
den zahlreich gewordenen Schriften über die Entwicklung des Kindes wird
das Kapitel »Sexuelle Entwicklung« meist übergangen(35).

  (34) Es ist ja auch nicht möglich, den der Erblichkeit gebührenden
  Anteil richtig zu erkennen, ehe man den der Kindheit zugehörigen
  gewürdigt hat.

  (35) Die hier niedergeschriebene Behauptung erschien mir selbst
  nachträglich als so gewagt, daß ich mir vorsetzte, sie durch
  nochmalige Durchsicht der Literatur zu prüfen. Das Ergebnis dieser
  Überprüfung war, daß ich sie unverändert stehen ließ. Die
  wissenschaftliche Bearbeitung der leiblichen wie der seelischen
  Phänomene der Sexualität im Kindesalter befindet sich in den ersten
  Anfängen. Ein Autor S. _Bell_ (A preliminary study of the Emotion of
  love between the sexes. American Journal of Psychology, XIII, 1902)
  äußert: I know of no scientist, who has given a careful analysis of
  the emotion as it is seen in the adolescent. -- Somatische
  Sexualäußerungen aus der Zeit vor der Pubertät haben nur im
  Zusammenhange mit Entartungserscheinungen und als Zeichen von
  Entartung Aufmerksamkeit gewonnen. -- Ein Kapitel über das Liebesleben
  der Kinder fehlt in allen Darstellungen der Psychologie dieses Alters,
  die ich gelesen habe, so in den bekannten Werken von _Preyer_,
  _Baldwin_ (Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse,
  1898), _Pérez_ (L'enfant de 3-7 ans, 1894), _Strümpell_ (Die
  pädagogische Pathologie, 1899), Karl _Groos_ (Das Seelenleben des
  Kindes, 1904), Th. _Heller_ (Grundriß der Heilpädagogik, 1904),
  _Sully_ (Untersuchungen über die Kindheit, 1897) u. a. Den besten
  Eindruck von dem heutigen Stande auf diesem Gebiet holt man sich aus
  der Zeitschrift »Die Kinderfehler« (von 1896 an). -- Doch gewinnt man
  die Überzeugung, daß die Existenz der Liebe im Kindesalter nicht mehr
  entdeckt zu werden braucht. _Pérez_ (l. c.) tritt für sie ein; bei K.
  _Groos_ (Die Spiele der Menschen, 1899) findet sich als allgemein
  bekannt erwähnt, »daß manche Kinder schon sehr früh für sexuelle
  Regungen zugänglich sind und dem anderen Geschlecht gegenüber einen
  Drang nach Berührungen empfinden« (S. 336); der früheste Fall von
  Auftreten geschlechtlicher Liebesregungen (sex-love) in der
  Beobachtungsreihe von S. _Bell_ betraf ein Kind in der Mitte des
  dritten Jahres. -- Vergleiche hiezu noch _Havelock Ellis_, Das
  Geschlechtsgefühl (übersetzt von _Kurella_), 1903, Appendix, II.

  Das obenstehende Urteil über die Literatur der infantilen Sexualität
  braucht seit dem Erscheinen des groß angelegten Werkes von _Stanley
  Hall_ (Adolescence, its psychology and its relations to physiology,
  anthropology, sociology, sex, crime, religion and education. Two
  volumes, New York, 1908) nicht mehr aufrecht erhalten zu werden. --
  Das rezente Buch von A. _Moll_, Das Sexualleben des Kindes, Berlin
  1909, bietet keinen Anlaß zu einer solchen Modifikation. Siehe
  dagegen: _Bleuler_, Sexuelle Abnormitäten der Kinder. (Jahrbuch der
  schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, IX, 1908.)

  Ein Buch von Frau Dr. H. v. _Hug-Hellmuth_, Aus dem Seelenleben des
  Kindes, 1913, hat seither dem vernachlässigten sexuellen Faktor
  vollauf Rechnung getragen.

                   *       *       *       *       *

Infantile Amnesie.

Den Grund für diese merkwürdige Vernachlässigung suche ich zum Teil in
den konventionellen Rücksichten, denen die Autoren infolge ihrer eigenen
Erziehung Rechnung tragen, zum anderen Teil in einem psychischen
Phänomen, welches sich bis jetzt selbst der Erklärung entzogen hat. Ich
meine hiemit die eigentümliche _Amnesie_, welche den meisten Menschen
(nicht allen!) die ersten Jahre ihrer Kindheit bis zum 6. oder 8.
Lebensjahre verhüllt. Es ist uns bisher noch nicht eingefallen, uns über
die Tatsache dieser Amnesie zu verwundern; aber wir hätten guten Grund
dazu. Denn man berichtet uns, daß wir in diesen Jahren, von denen wir
später nichts im Gedächtnis behalten haben als einige unverständliche
Erinnerungsbrocken, lebhaft auf Eindrücke reagiert hätten, daß wir
Schmerz und Freude in menschlicher Weise zu äußern verstanden, Liebe,
Eifersucht und andere Leidenschaften gezeigt, die uns damals heftig
bewegten, ja daß wir Aussprüche getan, die von den Erwachsenen als gute
Beweise für Einsicht und beginnende Urteilsfähigkeit gemerkt wurden. Und
von alledem wissen wir als Erwachsene aus eigenem nichts. Warum bleibt
unser Gedächtnis so sehr hinter unseren anderen seelischen Tätigkeiten
zurück? Wir haben doch Grund zu glauben, daß es zu keiner anderen
Lebenszeit aufnahms- und reproduktionsfähiger ist als gerade in den
Jahren der Kindheit(36).

  (36) Eines der mit den frühesten Kindheitserinnerungen verknüpften
  Probleme habe ich in einem Aufsatze »Über Deckerinnerungen«
  (Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, VI, 1899) zu lösen
  versucht.

Auf der anderen Seite müssen wir annehmen oder können uns durch
psychologische Untersuchung an anderen davon überzeugen, daß die
nämlichen Eindrücke, die wir vergessen haben, nichtsdestoweniger die
tiefsten Spuren in unserem Seelenleben hinterlassen haben und bestimmend
für unsere ganze spätere Entwicklung geworden sind. Es kann sich also um
gar keinen wirklichen Untergang der Kindheitseindrücke handeln, sondern
um eine Amnesie, ähnlich jener, die wir bei den Neurotikern für spätere
Erlebnisse beobachten, und deren Wesen in einer bloßen Abhaltung von
Bewußtsein (Verdrängung) besteht. Aber welche Kräfte bringen diese
Verdrängung der Kindheitseindrücke zustande? Wer dieses Rätsel löste,
hätte wohl auch die hysterische Amnesie aufgeklärt.

Immerhin wollen wir nicht versäumen hervorzuheben, daß die Existenz der
infantilen Amnesie einen neuen Vergleichspunkt zwischen dem
Seelenzustand des Kindes und dem des Psychoneurotikers schafft. Einem
anderen sind wir schon früher begegnet, als sich uns die Formel
aufdrängte, daß die Sexualität der Psychoneurotiker den kindlichen
Standpunkt bewahrt hat oder auf ihn zurückgeführt worden ist. Wenn nicht
am Ende die infantile Amnesie selbst wieder mit den sexuellen Regungen
der Kindheit in Beziehung zu bringen ist!

Es ist übrigens mehr als ein bloßes Spiel des Witzes, die infantile
Amnesie mit der hysterischen zu verknüpfen. Die hysterische Amnesie, die
der Verdrängung dient, wird nur durch den Umstand erklärlich, daß das
Individuum bereits einen Schatz von Erinnerungsspuren besitzt, welche
der bewußten Verfügung entzogen sind, und die nun mit assoziativer
Bindung das an sich reißen, worauf vom Bewußten her die abstoßenden
Kräfte der Verdrängung wirken(37). Ohne infantile Amnesie, kann man
sagen, gäbe es keine hysterische Amnesie.

  (37) Man kann den Mechanismus der Verdrängung nicht verstehen, wenn
  man nur einen dieser beiden zusammenwirkenden Vorgänge berücksichtigt.
  Zum Vergleich möge die Art dienen, wie der Tourist auf die Spitze der
  großen Pyramide von _Gizeh_ befördert wird; er wird von der einen
  Seite gestoßen, von der anderen Seite gezogen.

Ich meine nun, daß die infantile Amnesie, die für jeden einzelnen seine
Kindheit zu einer gleichsam _prähistorischen_ Vorzeit macht und ihm die
Anfänge seines eigenen Geschlechtslebens verdeckt, die Schuld daran
trägt, wenn man der kindlichen Lebensperiode einen Wert für die
Entwicklung des Sexuallebens im allgemeinen nicht zutraut. Ein einzelner
Beobachter kann die so entstandene Lücke in unserem Wissen nicht
ausfüllen. Ich habe bereits 1896 die Bedeutung der Kinderjahre für die
Entstehung gewisser wichtiger, vom Geschlechtsleben abhängiger Phänomene
betont und seither nicht aufgehört, das infantile Moment für die
Sexualität in den Vordergrund zu rücken.


Die sexuelle Latenzperiode der Kindheit und ihre Durchbrechungen.

Die außerordentlich häufigen Befunde von angeblich regelwidrigen und
ausnahmsartigen sexuellen Regungen in der Kindheit sowie die Aufdeckung
der bis dahin unbewußten Kindheitserinnerungen der Neurotiker gestatten
etwa folgendes Bild von dem sexuellen Verhalten der Kinderzeit zu
entwerfen(38):

Es scheint gewiß, daß das Neugeborene Keime von sexuellen Regungen
mitbringt, die sich eine Zeitlang weiter entwickeln, dann aber einer
fortschreitenden Unterdrückung unterliegen, welche selbst wieder durch
regelrechte Vorstöße der Sexualentwicklung durchbrochen und durch
individuelle Eigenheiten aufgehalten werden kann. Über die
Gesetzmäßigkeit und die Periodizität dieses oszillierenden
Entwicklungsganges ist nichts Gesichertes bekannt. Es scheint aber, daß
das Sexualleben der Kinder sich zumeist um das dritte oder vierte
Lebensjahr in einer der Beobachtung zugänglichen Form zum Ausdruck
bringt(39).

  (38) Letzteres Material wird durch die berechtigte Erwartung
  verwertbar, daß die Kinderjahre der späteren Neurotiker hierin nicht
  wesentlich, nur in Hinsicht der Intensität und Deutlichkeit, von denen
  später Gesunder abweichen dürften.

  (39) Eine mögliche anatomische Analogie zu dem von mir behaupteten
  Verhalten der infantilen Sexualfunktion wäre durch den Fund von
  _Bayer_ (Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 73) gegeben, daß
  die inneren Geschlechtsorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel
  größer sind als die älterer Kinder. Indes ist die Auffassung dieser
  durch _Halban_ auch für andere Teile des Genitalapparates
  festgestellten Involution nach der Geburt nicht sichergestellt. Nach
  _Halban_ (Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, LIII, 1904)
  ist dieser Rückbildungsvorgang nach wenigen Wochen des Extrauterinlebens
  abgelaufen.

  Die Autoren, welche den interstitiellen Anteil der Keimdrüse als das
  geschlechtsbestimmende Organ betrachten, sind durch anatomische
  Untersuchungen dazu geführt worden, ihrerseits von infantiler
  Sexualität und sexueller Latenzzeit zu reden. Ich zitiere aus dem
  S. 13 erwähnten Buche von _Lipschütz_ über die Pubertätsdrüse:
  ». . . . Man wird den Tatsachen viel eher gerecht, wenn man sagt, daß
  die Ausreifung der Geschlechtsmerkmale, wie sie sich in der Pubertät
  vollzieht, nur auf einem um diese Zeit stark beschleunigten Ablauf von
  Vorgängen beruht, die schon viel früher begonnen haben -- unserer
  Auffassung nach schon im embryonalen Leben.« (S. 169.) -- »_Was man
  bisher als Pubertät schlechtweg bezeichnet hat, ist wahrscheinlich nur
  eine »zweite große Phase der Pubertät«, die um die Mitte des zweiten
  Jahrzehntes einsetzt_. . . . . Das Kindesalter, von der Geburt bis zu
  Beginn der zweiten großen Phase gerechnet, könnte man als die
  »_intermediäre Phase der Pubertät_« bezeichnen.« (S. 170.)

  Diese in einem Referat von _Ferenczi_ (Int. Zeitschr. f.
  Psychoanalyse VI, 1920) hervorgehobene Übereinstimmung anatomischer
  Befunde mit der psychologischen Beobachtung wird durch die eine Angabe
  gestört, daß der »_erste Gipfelpunkt_« der Entwicklung des
  Sexualorgans in die frühe Embryonalzeit fällt, während die kindliche
  Frühblüte des Sexuallebens in das dritte und vierte Lebensjahr zu
  verlegen ist. Die volle Gleichzeitigkeit der anatomischen Ausbildung
  mit der psychischen Entwicklung ist natürlich nicht erforderlich. Die
  betreffenden Untersuchungen sind an der Keimdrüse des Menschen gemacht
  worden. Da den Tieren eine Latenzzeit im psychologischen Sinne nicht
  zukommt, läge viel daran zu wissen, ob die anatomischen Befunde, auf
  deren Grund die Autoren zwei Gipfelpunkte der Sexualentwicklung
  annehmen, auch an anderen höheren Tieren nachweisbar sind.

                   *       *       *       *       *

Die Sexualhemmungen.

Während dieser Periode totaler oder bloß partieller Latenz werden die
seelischen Mächte aufgebaut, die später dem Sexualtrieb als Hemmnisse in
den Weg treten und gleich wie Dämme seine Richtung beengen werden (der
Ekel, das Schamgefühl, die ästhetischen und moralischen
Idealanforderungen). Man gewinnt beim Kulturkinde den Eindruck, daß der
Aufbau dieser Dämme ein Werk der Erziehung ist, und sicherlich tut die
Erziehung viel dazu. In Wirklichkeit ist diese Entwicklung eine
organisch bedingte, hereditär fixierte und kann sich gelegentlich ganz
ohne Mithilfe der Erziehung herstellen. Die Erziehung verbleibt durchaus
in dem ihr angewiesenen Machtbereich, wenn sie sich darauf einschränkt,
das organisch Vorgezeichnete nachzuziehen und es etwas sauberer und
tiefer auszuprägen.

                   *       *       *       *       *

Reaktionsbildung und Sublimierung.

Mit welchen Mitteln werden diese, für die spätere persönliche Kultur und
Normalität so bedeutsamen Konstruktionen aufgeführt? Wahrscheinlich auf
Kosten der infantilen Sexualregungen selbst, deren Zufluß also auch in
dieser Latenzperiode nicht aufgehört hat, deren Energie aber -- ganz
oder zum größten Teil -- von der sexuellen Verwendung abgeleitet und
anderen Zwecken zugeführt wird. Die Kulturhistoriker scheinen einig in
der Annahme, daß durch solche Ablenkung sexueller Triebkräfte von
sexuellen Zielen und Hinlenkung auf neue Ziele, ein Prozeß, der den
Namen _Sublimierung_ verdient, mächtige Komponenten für alle kulturellen
Leistungen gewonnen werden. Wir würden also hinzufügen, daß der nämliche
Prozeß in der Entwicklung des einzelnen Individuums spielt und seinen
Beginn in die sexuelle Latenzperiode der Kindheit verlegen(40).

  (40) Die Bezeichnung »sexuelle Latenzperiode« entlehne ich ebenfalls
  von W. _Fließ_.

Auch über den Mechanismus einer solchen Sublimierung kann man eine
Vermutung wagen. Die sexuellen Regungen dieser Kinderjahre wären
einerseits unverwendbar, da die Fortpflanzungsfunktionen aufgeschoben
sind, was den Hauptcharakter der Latenzperiode ausmacht, anderseits
wären sie an sich pervers, d. h. von erogenen Zonen ausgehend und von
Trieben getragen, welche bei der Entwicklungsrichtung des Individuums
nur Unlustempfindungen hervorrufen könnten. Sie rufen daher seelische
Gegenkräfte (Reaktionsregungen) wach, die zur wirksamen Unterdrückung
solcher Unlust die erwähnten psychischen Dämme: Ekel, Scham und Moral,
aufbauen(41).

  (41) In dem hier besprochenen Falle geht die Sublimierung sexueller
  Triebkräfte auf dem Wege der Reaktionsbildung vor sich. Im allgemeinen
  darf man aber Sublimierung und Reaktionsbildung als zwei verschiedene
  Prozesse begrifflich voneinander scheiden. Es kann auch Sublimierungen
  durch andere und einfachere Mechanismen geben.

                   *       *       *       *       *

Durchbrüche der Latenzzeit.

Ohne uns über die hypothetische Natur und die mangelhafte Klarheit
unserer Einsichten in die Vorgänge der kindlichen Latenz- oder
Aufschubsperiode zu täuschen, wollen wir zur Wirklichkeit zurückkehren,
um anzugeben, daß solche Verwendung der infantilen Sexualität ein
Erziehungsideal darstellt, von dem die Entwicklung der einzelnen meist
an irgend einer Stelle und oft in erheblichem Maße abweicht. Es bricht
zeitweise ein Stück Sexualäußerung durch, das sich der Sublimierung
entzogen hat, oder es erhält sich eine sexuelle Betätigung durch die
ganze Dauer der Latenzperiode bis zum verstärkten Hervorbrechen des
Sexualtriebes in der Pubertät. Die Erzieher benehmen sich, insofern sie
überhaupt der Kindersexualität Aufmerksamkeit schenken, genau so, als
teilten sie unsere Ansichten über die Bildung der moralischen
Abwehrmächte auf Kosten der Sexualität und als wüßten sie, daß sexuelle
Betätigung das Kind unerziehbar macht, denn sie verfolgen alle sexuellen
Äußerungen des Kindes als »Laster«, ohne viel gegen sie ausrichten zu
können. Wir aber haben allen Grund, diesen von der Erziehung
gefürchteten Phänomenen Interesse zuzuwenden, denn wir erwarten von
ihnen den Aufschluß über die ursprüngliche Gestaltung des
Geschlechtstriebes.


Die Äußerungen der infantilen Sexualität.

Aus später zu ersehenden Motiven wollen wir unter den infantilen
Sexualäußerungen das _Ludeln_ (Wonnesaugen) zum Muster nehmen, dem der
ungarische Kinderarzt _Lindner_ eine ausgezeichnete Studie gewidmet
hat(42).

  (42) Im Jahrbuch für Kinderheilkunde, N. F., XIV. 1879.

                   *       *       *       *       *

Das Lutschen.

Das _Ludeln_ und _Lutschen_, das schon beim Säugling auftritt und bis in
die Jahre der Reife fortgesetzt werden oder sich durchs ganze Leben
erhalten kann, besteht in einer rhythmisch wiederholten saugenden
Berührung mit dem Munde (den Lippen), wobei der Zweck der
Nahrungsaufnahme ausgeschlossen ist. Ein Teil der Lippe selbst, die
Zunge, eine beliebige andere erreichbare Hautstelle -- selbst die große
Zehe --, werden zum Objekt genommen, an dem das Saugen ausgeführt wird.
Ein dabei auftretender Greiftrieb äußert sich etwa durch gleichzeitiges
rhythmisches Zupfen an Ohrläppchen und kann sich eines Teiles einer
anderen Person (meist ihres Ohres) zu gleichem Zwecke bemächtigen. Das
Wonnesaugen ist mit voller Aufzehrung der Aufmerksamkeit verbunden,
führt entweder zum Einschlafen oder selbst zu einer motorischen Reaktion
in einer Art von Orgasmus(43). Nicht selten kombiniert sich mit dem
Wonnesaugen die reibende Berührung gewisser empfindlicher Körperstellen,
der Brust, der äußeren Genitalien. Auf diesem Wege gelangen viele Kinder
vom Ludeln zur Masturbation.

  (43) Hier erweist sich bereits, was fürs ganze Leben Gültigkeit hat,
  daß sexuelle Befriedigung das beste Schlafmittel ist. Die meisten
  Fälle von nervöser Schlaflosigkeit gehen auf sexuelle Unbefriedigung
  zurück. Es ist bekannt, daß gewissenlose Kinderfrauen die schreienden
  Kinder durch Streichen an den Genitalien einschläfern.

_Lindner_ selbst hat die sexuelle Natur dieses Tuns klar erkannt und
rückhaltlos betont. In der Kinderstube wird das Ludeln häufig den
anderen sexuellen »Unarten« des Kindes gleichgestellt. Von seiten
zahlreicher Kinder- und Nervenärzte ist ein sehr energischer Einspruch
gegen diese Auffassung erhoben worden, der zum Teil gewiß auf der
Verwechslung von »sexuell« und »genital« beruht. Dieser Widerspruch
wirft die schwierige und nicht abzuweisende Frage auf, an welchem
allgemeinen Charakter wir die sexuellen Äußerungen des Kindes erkennen
wollen. Ich meine, daß der Zusammenhang der Erscheinungen, in welchen
wir durch die psychoanalytische Untersuchung Einsicht gewonnen haben,
uns berechtigt, das Ludeln als eine sexuelle Äußerung in Anspruch zu
nehmen und gerade an ihm die wesentlichen Züge der infantilen
Sexualbetätigung zu studieren(44).

  (44) Ein Dr. _Galant_ hat 1919 im Neurol. Zentralbl. Nr. 20 unter dem
  Titel »Das Lutscherli« das Bekenntnis eines erwachsenen Mädchens
  veröffentlicht, welches diese kindliche Sexualbetätigung nicht
  aufgegeben hat und die Befriedigung durch das Lutschen als völlig
  analog einer sexuellen Befriedigung, insbesondere durch den Kuß des
  Geliebten, schildert.

  »Nicht alle Küsse gleichen einem Lutscherli: nein, nein, lange nicht
  alle! Man kann nicht schreiben, wie wohlig es einem durch den ganzen
  Körper beim Lutschen geht; man ist einfach weg von dieser Welt, man
  ist ganz zufrieden und wunschlos glücklich. Es ist ein wunderbares
  Gefühl; man verlangt nichts als Ruhe, Ruhe, die gar nicht unterbrochen
  werden soll. Es ist einfach unsagbar schön: man spürt keinen Schmerz,
  kein Weh und, ach, man ist entrückt in eine andere Welt.«

                   *       *       *       *       *

Autoerotismus.

Wir haben die Verpflichtung, dieses Beispiel eingehend zu würdigen.
Heben wir als den auffälligsten Charakter dieser Sexualbetätigung
hervor, daß der Trieb nicht auf andere Personen gerichtet ist; er
befriedigt sich am eigenen Körper, er ist _autoerotisch_, um es mit
einem glücklichen, von _Havelock Ellis_ eingeführten Namen zu sagen(45).

  (45) H. _Ellis_ hat den Terminus »autoerotisch« allerdings etwas
  anders bestimmt, im Sinne einer Erregung, die nicht von außen
  hervorgerufen wird, sondern im Innern selbst entspringt. Für die
  Psychoanalyse ist nicht die Genese, sondern die Beziehung zu einem
  Objekt das Wesentliche.

Es ist ferner deutlich, daß die Handlung des lutschenden Kindes durch
das Suchen nach einer -- bereits erlebten und nun erinnerten -- Lust
bestimmt wird. Durch das rhythmische Saugen an einer Haut- oder
Schleimhautstelle findet es dann im einfachsten Falle die Befriedigung.
Es ist auch leicht zu erraten, bei welchen Anlässen das Kind die ersten
Erfahrungen dieser Lust gemacht hat, die es nun zu erneuern strebt. Die
erste und lebenswichtigste Tätigkeit des Kindes, das Saugen an der
Mutterbrust (oder an ihren Surrogaten), muß es bereits mit dieser Lust
vertraut gemacht haben. Wir würden sagen, die Lippen des Kindes haben
sich benommen wie eine _erogene Zone_, und die Reizung durch den warmen
Milchstrom war wohl die Ursache der Lustempfindung. Anfangs war wohl die
Befriedigung der erogenen Zone mit der Befriedigung des
Nahrungsbedürfnisses vergesellschaftet. Die Sexualbetätigung lehnt sich
zunächst an eine der zur Lebenserhaltung dienenden Funktionen an und
macht sich erst später von ihr selbständig. Wer ein Kind gesättigt von
der Brust zurücksinken sieht, mit geröteten Wangen und seligem Lächeln
in Schlaf verfallen, der wird sich sagen müssen, daß dieses Bild auch
für den Ausdruck der sexuellen Befriedigung im späteren Leben maßgebend
bleibt. Nun wird das Bedürfnis nach Wiederholung der sexuellen
Befriedigung von dem Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme getrennt, eine
Trennung, die unvermeidlich ist, wenn die Zähne erscheinen und die
Nahrung nicht mehr ausschließlich eingesogen, sondern gekaut wird. Eines
fremden Objektes bedient sich das Kind zum Saugen nicht, sondern lieber
einer eigenen Hautstelle, weil diese ihm bequemer ist, weil es sich so
von der Außenwelt unabhängig macht, die es zu beherrschen noch nicht
vermag, und weil es sich solcher Art gleichsam eine zweite, wenngleich
minderwertige, erogene Zone schafft. Die Minderwertigkeit dieser zweiten
Stelle wird es später mit dazu veranlassen, die gleichartigen Teile, die
Lippen, einer anderen Person zu suchen. (»Schade, daß ich mich nicht
küssen kann«, möchte man ihm unterlegen.)

Nicht alle Kinder lutschen. Es ist anzunehmen, daß jene Kinder dazu
gelangen, bei denen die erogene Bedeutung der Lippenzone konstitutionell
verstärkt ist. Bleibt diese erhalten, so werden diese Kinder als
Erwachsene Kußfeinschmecker werden, zu perversen Küssen neigen oder als
Männer ein kräftiges Motiv zum Trinken und Rauchen mitbringen. Kommt
aber die Verdrängung hinzu, so werden sie Ekel vor dem Essen empfinden
und hysterisches Erbrechen produzieren. Kraft der Gemeinsamkeit der
Lippenzone wird die Verdrängung auf den Nahrungstrieb übergreifen. Viele
meiner Patientinnen mit Eßstörungen, hysterischem Globus, Schnüren im
Hals und Erbrechen waren in den Kinderjahren energische Ludlerinnen
gewesen.

Am Lutschen oder Wonnesaugen haben wir bereits die drei wesentlichen
Charaktere einer infantilen Sexualäußerung bemerken können. Dieselbe
entsteht in _Anlehnung_ an eine der lebenswichtigen Körperfunktionen,
sie kennt noch kein Sexualobjekt, ist _autoerotisch_, und ihr Sexualziel
steht unter der Herrschaft einer _erogenen Zone_. Nehmen wir vorweg, daß
diese Charaktere auch für die meisten anderen Betätigungen der
infantilen Sexualtriebe gelten.


Das Sexualziel der infantilen Sexualität.

Charaktere erogener Zonen.

Aus dem Beispiel des Ludelns ist zur Kennzeichnung einer erogenen Zone
noch mancherlei zu entnehmen. Es ist eine Haut- oder Schleimhautstelle,
an der Reizungen von gewisser Art eine Lustempfindung von bestimmter
Qualität hervorrufen. Es ist kein Zweifel, daß die lusterzeugenden Reize
an besondere Bedingungen gebunden sind; wir kennen dieselben nicht. Der
rhythmische Charakter muß unter ihnen eine Rolle spielen, die Analogie
mit dem Kitzelreiz drängt sich auf. Minder ausgemacht scheint es, ob man
den Charakter der durch den Reiz hervorgerufenen Lustempfindung als
einen »besonderen« bezeichnen darf, wo in dieser Besonderheit eben das
sexuelle Moment enthalten wäre. In Sachen der Lust und Unlust tappt die
Psychologie noch so sehr im Dunkeln, daß die vorsichtigste Annahme die
empfehlenswerteste sein wird. Wir werden später vielleicht auf Gründe
stoßen, welche die Besonderheitsqualität der Lustempfindung zu
unterstützen scheinen.

Die erogene Eigenschaft kann einzelnen Körperstellen in ausgezeichneter
Weise anhaften. Es gibt prädestinierte erogene Zonen, wie das Beispiel
des Ludelns zeigt. Dasselbe Beispiel lehrt aber auch, daß jede beliebige
andere Haut- oder Schleimhautstelle die Dienste einer erogenen Zone auf
sich nehmen kann, also eine gewisse Eignung dazu mitbringen muß. Die
Qualität des Reizes hat also mit der Erzeugung der Lustempfindung mehr
zu tun als die Beschaffenheit der Körperstelle. Das ludelnde Kind sucht
an seinem Körper herum und wählt sich irgend eine Stelle zum Wonnesaugen
aus, die ihm dann durch Gewöhnung die bevorzugte wird; wenn es zufällig
dabei auf eine der prädestinierten Stellen stößt (Brustwarze,
Genitalien), so verbleibt freilich dieser der Vorzug. Die ganz analoge
Verschiebbarkeit kehrt dann in der Symptomatologie der Hysterie wieder.
Bei dieser Neurose betrifft die Verdrängung die eigentlichen
Genitalzonen am allermeisten, und diese geben ihre Reizbarkeit an die
übrigen, sonst im reifen Leben zurückgesetzten, erogenen Zonen ab, die
sich dann ganz wie Genitalien gebärden. Aber außerdem kann ganz wie beim
Ludeln jede beliebige andere Körperstelle mit der Erregbarkeit der
Genitalien ausgestattet und zur erogenen Zone erhoben werden. Erogene
und hysterogene Zonen zeigen die nämlichen Charaktere(46).

  (46) Weitere Überlegungen und die Verwertung anderer Beobachtungen
  führen dazu, die Eigenschaft der Erogeneität allen Körperstellen und
  inneren Organen zuzusprechen. Vgl. hiezu weiter unten über den
  Narzißmus.

                   *       *       *       *       *

Infantiles Sexualziel.

Das Sexualziel des infantilen Triebes besteht darin, die Befriedigung
durch die geeignete Reizung der so oder so gewählten erogenen Zone
hervorzurufen. Diese Befriedigung muß vorher erlebt worden sein, um ein
Bedürfnis nach ihrer Wiederholung zurückzulassen, und wir dürfen darauf
vorbereitet sein, daß die Natur sichere Vorrichtungen getroffen hat, um
dieses Erleben der Befriedigung nicht dem Zufalle zu überlassen(47). Die
Veranstaltung, welche diesen Zweck für die Lippenzone erfüllt, haben wir
bereits kennen gelernt, es ist die gleichzeitige Verknüpfung dieser
Körperstelle mit der Nahrungsaufnahme. Andere ähnliche Vorrichtungen
werden uns noch als Quellen der Sexualität begegnen. Der Zustand des
Bedürfnisses nach Wiederholung der Befriedigung verrät sich durch
zweierlei: durch ein eigentümliches Spannungsgefühl, welches an sich
mehr vom Charakter der Unlust hat, und durch eine _zentral bedingte_, in
die peripherische erogene Zone projizierte Juck- oder Reizempfindung.
Man kann das Sexualziel darum auch so formulieren, es käme darauf an,
die projizierte Reizempfindung an der erogenen Zone durch denjenigen
äußeren Reiz zu ersetzen, welcher die Reizempfindung aufhebt, indem er
die Empfindung der Befriedigung hervorruft. Dieser äußere Reiz wird
zumeist in einer Manipulation bestehen, die analog dem Saugen ist.

  (47) Man kann es in biologischen Erörterungen kaum vermeiden, sich der
  teleologischen Denkweise zu bedienen, obwohl man weiß, daß man im
  einzelnen Falle gegen den Irrtum nicht gesichert ist.

Es ist nur im vollen Einklang mit unserem physiologischen Wissen, wenn
es vorkommt, daß das Bedürfnis auch peripherisch, durch eine wirkliche
Veränderung an der erogenen Zone geweckt wird. Es wirkt nur einigermaßen
befremdend, da der eine Reiz zu seiner Aufhebung nach einem zweiten, an
derselben Stelle angebrachten, zu verlangen scheint.


Die masturbatorischen Sexualäußerungen(48).

  (48) Vgl. hiezu die sehr reichhaltige, aber meist in den
  Gesichtspunkten unorientierte Literatur über Onanie, z. B. _Rohleder_,
  Die Masturbation, 1899, ferner das II. Heft der Wiener Diskussionen
  »Die Onanie«, Wiesbaden 1912.

Es kann uns nur höchst erfreulich sein zu finden, daß wir von der
Sexualbetätigung des Kindes nicht mehr viel Wichtiges zu lernen haben,
nachdem uns der Trieb von einer einzigen erogenen Zone her verständlich
geworden ist. Die deutlichsten Unterschiede beziehen sich auf die zur
Befriedigung notwendige Vornahme, die für die Lippenzone im Saugen
bestand und die je nach Lage und Beschaffenheit der anderen Zonen durch
andere Muskelaktionen ersetzt werden muß.

                   *       *       *       *       *

Betätigung der Afterzone.

Die Afterzone ist ähnlich wie die Lippenzone durch ihre Lage geeignet,
eine _Anlehnung_ der Sexualität an andere Körperfunktionen zu
vermitteln. Man muß sich die erogene Bedeutung dieser Körperstelle als
ursprünglich sehr groß vorstellen. Durch die Psychoanalyse erfährt man
dann nicht ohne Verwunderung, welche Umwandlungen mit den von hier
ausgehenden sexuellen Erregungen normalerweise vorgenommen werden, und
wie häufig der Zone noch ein beträchtliches Stück genitaler Reizbarkeit
fürs Leben verbleibt(49). Die so häufigen Darmstörungen der Kinderjahre
sorgen dafür, daß es der Zone an intensiven Erregungen nicht fehle.
Darmkatarrhe im zartesten Alter machen »nervös«, wie man sich ausdrückt;
bei späterer neurotischer Erkrankung nehmen sie einen bestimmenden
Einfluß auf den symptomatischen Ausdruck der Neurose, welcher sie die
ganze Summe von Darmstörungen zur Verfügung stellen. Mit Hinblick auf
die wenigstens in Umwandlung erhalten gebliebene erogene Bedeutung der
Darmausgangszone darf man auch die hämorrhoidalen Einflüsse nicht
verlachen, denen die ältere Medizin für die Erklärung neurotischer
Zustände soviel Gewicht beigelegt hat.

  (49) Vgl. den Aufsatz »Charakter und Analerotik« in der »Sammlung
  kleiner Schriften zur Neurosenlehre«, zweite Folge 1909. Ferner: »Über
  Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik«, Sammlung usw., vierte
  Folge 1918.

Kinder, welche die erogene Reizbarkeit der Afterzone ausnützen, verraten
sich dadurch, daß sie die Stuhlmassen zurückhalten, bis dieselben durch
ihre Anhäufung heftige Muskelkontraktionen anregen und beim Durchgang
durch den After einen starken Reiz auf die Schleimhaut ausüben können.
Dabei muß wohl neben der schmerzhaften die Wollustempfindung zustande
kommen. Es ist eines der besten Vorzeichen späterer Absonderlichkeit
oder Nervosität, wenn ein Säugling sich hartnäckig weigert, den Darm zu
entleeren, wenn er auf den Topf gesetzt wird, also wenn es dem Pfleger
beliebt, sondern diese Funktion seinem eigenen Belieben vorbehält. Es
kommt ihm natürlich nicht darauf an, sein Lager schmutzig zu machen; er
sorgt nur, daß ihm der Lustnebengewinn bei der Defäkation nicht entgehe.
Die Erzieher ahnen wiederum das Richtige, wenn sie solche Kinder, die
sich diese Verrichtungen »aufheben«, schlimm nennen.

Der Darminhalt, der als Reizkörper für eine sexuell empfindliche
Schleimhautfläche sich wie der Vorläufer eines anderen Organs benimmt,
welches erst nach der Kindheitsphase in Aktion treten soll, hat für den
Säugling noch andere wichtige Bedeutungen. Er wird offenbar wie ein
zugehöriger Körperteil behandelt, stellt das erste »Geschenk« dar, durch
dessen Entäußerung die Gefügigkeit, durch dessen Verweigerung der Trotz
des kleinen Wesens gegen seine Umgebung ausgedrückt werden kann. Vom
»Geschenk« aus gewinnt er dann später die Bedeutung des »Kindes«, das
nach einer der infantilen Sexualtheorien durch Essen erworben und durch
den Darm geboren wird.

Die Zurückhaltung der Fäkalmassen, die also anfangs eine absichtliche
ist, um sie zur gleichsam masturbatorischen Reizung der Afterzone zu
benützen, oder in der Relation zu den Pflegepersonen zu verwenden, ist
übrigens eine der Wurzeln der bei den Neuropathen so häufigen
Obstipation. Die ganze Bedeutung der Afterzone spiegelt sich dann in der
Tatsache, daß man nur wenige Neurotiker findet, die nicht ihre
besonderen skatologischen Gebräuche, Zeremonien u. dgl. hätten, die von
ihnen sorgfältig geheim gehalten werden(50).

  (50) In einer Arbeit, welche unser Verständnis für die Bedeutung der
  Analerotik außerordentlich vertieft (»Anal« und »Sexual«, Imago IV.,
  1916), hat _Lou Andreas-Salomé_ ausgeführt, daß die Geschichte des
  ersten Verbots, welches an das Kind herantritt, des Verbots aus der
  Analtätigkeit und ihren Produkten Lust zu gewinnen, für seine ganze
  Entwicklung maßgebend wird. Das kleine Wesen muß bei diesem Anlasse
  zuerst die seinen Triebregungen feindliche Umwelt ahnen, sein eigenes
  Wesen von diesem Fremden sondern lernen, und dann die erste
  »Verdrängung« an seinen Lustmöglichkeiten vollziehen. Das »Anale«
  bleibt von da an das Symbol für alles zu Verwerfende, vom Leben
  Abzuscheidende. Der später geforderten reinlichen Scheidung von Anal-
  und Genitalvorgängen widersetzen sich die nahen anatomischen und
  funktionellen Analogien und Beziehungen zwischen beiden. Der
  Genitalapparat bleibt der Kloake benachbart, »ist ihr beim Weibe sogar
  nur abgemietet«.

Echte masturbatorische Reizung der Afterzone mit Hilfe des Fingers,
durch zentral bedingtes oder peripherisch unterhaltenes Jucken
hervorgerufen, ist bei älteren Kindern keineswegs selten.

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Betätigung der Genitalzonen.

Unter den erogenen Zonen des kindlichen Körpers befindet sich eine, die
gewiß nicht die erste Rolle spielt, auch nicht die Trägerin der ältesten
sexuellen Regungen sein kann, die aber zu großen Dingen in der Zukunft
bestimmt ist. Sie ist beim männlichen wie beim weiblichen Kind in
Beziehung zur Harnentleerung gebracht (Eichel, Klitoris) und beim
ersteren in einen Schleimhautsack einbezogen, so daß es ihr an Reizungen
durch Sekrete, welche die sexuelle Erregung frühzeitig anfachen können,
nicht fehlen kann. Die sexuellen Betätigungen dieser erogenen Zone, die
den wirklichen Geschlechtsteilen angehört, sind ja der Beginn des später
»normalen« Geschlechtslebens.

Durch die anatomische Lage, die Überströmung mit Sekreten, durch die
Waschungen und Reibungen der Körperpflege und durch gewisse akzidentelle
Erregungen (wie die Wanderungen von Eingeweidewürmern bei Mädchen) wird
es unvermeidlich, daß die Lustempfindung, welche diese Körperstelle zu
ergeben fähig ist, sich dem Kinde schon im Säuglingsalter bemerkbar
mache und ein Bedürfnis nach ihrer Wiederholung erwecke. Überblickt man
die Summe der vorliegenden Einrichtungen und bedenkt, daß die Maßregeln
zur Reinhaltung kaum anders wirken können als die Verunreinigung, so
wird man sich kaum der Auffassung entziehen können, daß durch die
Säuglingsonanie, der kaum ein Individuum entgeht, das künftige Primat
dieser erogenen Zone für die Geschlechtstätigkeit festgelegt wird. Die
den Reiz beseitigende und die Befriedigung auslösende Aktion besteht in
einer reibenden Berührung mit der Hand oder in einem gewiß reflektorisch
vorgebildeten Druck durch die zusammenschließenden Oberschenkel.
Letztere Vornahme ist die beim Mädchen weitaus häufigere. Beim Knaben
weist die Bevorzugung der Hand bereits darauf hin, welchen wichtigen
Beitrag zur männlichen Sexualtätigkeit der Bemächtigungstrieb einst
leisten wird(51).

  (51) Ungewöhnliche Techniken bei der Ausführung der Onanie in späteren
  Jahren scheinen auf den Einfluß eines überwundenen Onanieverbots
  hinzuweisen.

Es wird der Klarheit nur förderlich sein, wenn ich angebe, daß man drei
Phasen der infantilen Masturbation zu unterscheiden hat. Die erste von
ihnen gehört der Säuglingszeit an, die zweite der kurzen Blütezeit der
Sexualbetätigung um das vierte Lebensjahr, erst die dritte entspricht
der oft ausschließlich gewürdigten Pubertätsonanie.

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Die zweite Phase der kindlichen Masturbation.

Die Säuglingsonanie scheint nach kurzer Zeit zu schwinden, doch kann mit
der ununterbrochenen Fortsetzung derselben bis zur Pubertät bereits die
erste große Abweichung von der für den Kulturmenschen anzustrebenden
Entwicklung gegeben sein. Irgend einmal in den Kinderjahren nach der
Säuglingszeit, gewöhnlich vor dem vierten Jahr, pflegt der Sexualtrieb
dieser Genitalzone wieder zu erwachen und dann wiederum eine Zeitlang
bis zu einer neuen Unterdrückung anzuhalten oder sich ohne Unterbrechung
fortzusetzen. Die möglichen Verhältnisse sind sehr mannigfaltig und
können nur durch genauere Zergliederung einzelner Fälle erläutert
werden. Aber alle Einzelheiten dieser _zweiten_ infantilen
Sexualbetätigung hinterlassen die tiefsten (unbewußten) Eindrucksspuren
im Gedächtnis der Person, bestimmen die Entwicklung ihres Charakters,
wenn sie gesund bleibt, und die Symptomatik ihrer Neurose, wenn sie nach
der Pubertät erkrankt(52). Im letzteren Falle findet man diese
Sexualperiode vergessen, die für sie zeugenden bewußten Erinnerungen
verschoben; -- ich habe schon erwähnt, daß ich auch die normale
infantile Amnesie mit dieser infantilen Sexualbetätigung in Zusammenhang
bringen möchte. Durch psychoanalytische Erforschung gelingt es, das
Vergessene bewußt zu machen und damit einen Zwang zu beseitigen, der vom
unbewußten psychischen Material ausgeht.

  (52) Warum das Schuldbewußtsein der Neurotiker regelmäßig, wie noch
  kürzlich _Bleuler_ anerkannt hat, an die erinnerte onanistische
  Betätigung, meist der Pubertätszeit, anknüpft, harrt noch einer
  erschöpfenden analytischen Aufklärung. Der gröbste und wichtigste
  Faktor dieser Bedingtheit dürfte wohl die Tatsache sein, daß die
  Onanie ja die Exekutive der ganzen infantilen Sexualität darstellt und
  darum befähigt ist, das dieser anhaftende Schuldgefühl zu übernehmen.

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Wiederkehr der Säuglingsmasturbation.

Die Sexualerregung der Säuglingszeit kehrt in den bezeichneten
Kinderjahren entweder als zentral bedingter Kitzelreiz wieder, der zur
onanistischen Befriedigung auffordert, oder als pollutionsartiger
Vorgang, der analog der Pollution der Reifezeit die Befriedigung ohne
Mithilfe einer Aktion erreicht. Letzterer Fall ist der bei Mädchen und
in der zweiten Hälfte der Kindheit häufigere, in seiner Bedingtheit
nicht ganz verständlich und scheint oft -- nicht regelmäßig -- eine
Periode früherer aktiver Onanie zur Voraussetzung zu haben. Die
Symptomatik dieser Sexualäußerungen ist armselig; für den noch
unentwickelten Geschlechtsapparat gibt meist der Harnapparat, gleichsam
als sein Vormund, Zeichen. Die meisten sogenannten Blasenleiden dieser
Zeit sind sexuelle Störungen; die Enuresis nocturna entspricht, wo sie
nicht einen epileptischen Anfall darstellt, einer Pollution.

Für das Wiederauftreten der sexuellen Tätigkeit sind innere Ursachen und
äußere Anlässe maßgebend, die beide in neurotischen Erkrankungsfällen
aus der Gestaltung der Symptome zu erraten und durch die
psychoanalytische Forschung mit Sicherheit aufzudecken sind. Von den
inneren Ursachen wird später die Rede sein; die zufälligen äußeren
Anlässe gewinnen um diese Zeit eine große und nachhaltige Bedeutung.
Voran steht der Einfluß der Verführung, die das Kind vorzeitig als
Sexualobjekt behandelt und es unter eindrucksvollen Umständen die
Befriedigung von den Genitalzonen kennen lehrt, welche sich onanistisch
zu erneuern es dann meist gezwungen bleibt. Solche Beeinflussung kann
von Erwachsenen oder anderen Kindern ausgehen; ich kann nicht
zugestehen, daß ich in meiner Abhandlung 1896 »Über die Ätiologie der
Hysterie« die Häufigkeit oder die Bedeutung derselben überschätzt habe,
wenngleich ich damals noch nicht wußte, daß normal gebliebene Individuen
in ihren Kinderjahren die nämlichen Erlebnisse gehabt haben können, und
darum die Verführung höher wertete als die in der sexuellen Konstitution
und Entwicklung gegebenen Faktoren(53). Es ist selbstverständlich, daß
es der Verführung nicht bedarf, um das Sexualleben des Kindes zu wecken,
daß solche Erweckung auch spontan aus inneren Ursachen vor sich gehen
kann.

  (53) _Havelock Ellis_ bringt in einem Anhang zu seiner Studie über das
  »Geschlechtsgefühl« (1903) eine Anzahl autobiographischer Berichte von
  später vorwiegend normal gebliebenen Personen über ihre ersten
  geschlechtlichen Regungen in der Kindheit und die Anlässe derselben.
  Diese Berichte leiden natürlich an dem Mangel, daß sie die durch
  infantile Amnesie verdeckte, prähistorische Vorzeit des
  Geschlechtslebens nicht enthalten, welche nur durch Psychoanalyse bei
  einem neurotisch gewordenen Individuum ergänzt werden kann. Dieselben
  sind aber trotzdem in mehr als einer Hinsicht wertvoll und
  Erkundigungen der gleichen Art haben mich zu der im Text erwähnten
  Modifikation meiner ätiologischen Annahmen bestimmt.

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Polymorph perverse Anlage.

Es ist lehrreich, daß das Kind unter dem Einfluß der Verführung
polymorph pervers werden, zu allen möglichen Überschreitungen verleitet
werden kann. Dies zeigt, daß es die Eignung dazu in seiner Anlage
mitbringt; die Ausführung findet darum geringe Widerstände, weil die
seelischen Dämme gegen sexuelle Ausschreitungen, Scham, Ekel und Moral,
je nach dem Alter des Kindes noch nicht aufgeführt oder erst in Bildung
begriffen sind. Das Kind verhält sich hierin nicht anders als etwa das
unkultivierte Durchschnittsweib, bei dem die nämliche polymorph perverse
Veranlagung erhalten bleibt. Dieses kann unter den gewöhnlichen
Bedingungen etwa sexuell normal bleiben, unter der Leitung eines
geschickten Verführers wird es an allen Perversionen Geschmack finden
und dieselben für seine Sexualbetätigung festhalten. Die nämliche
polymorphe, also infantile, Anlage beutet dann die Dirne für ihre
Berufstätigkeit aus, und bei der riesigen Anzahl der prostituierten
Frauen und solcher, denen man die Eignung zur Prostitution zusprechen
muß, obwohl sie dem Berufe entgangen sind, wird es endgültig unmöglich,
in der gleichmäßigen Anlage zu allen Perversionen nicht das allgemein
Menschliche und Ursprüngliche zu erkennen.

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Partialtriebe.

Im übrigen hilft der Einfluß der Verführung nicht dazu, die anfänglichen
Verhältnisse des Geschlechtstriebes zu enthüllen, sondern verwirrt
unsere Einsicht in dieselben, indem er dem Kinde vorzeitig das
Sexualobjekt zuführt, nach dem der infantile Sexualtrieb zunächst kein
Bedürfnis zeigt. Indes müssen wir zugestehen, daß auch das kindliche
Sexualleben, bei allem Überwiegen der Herrschaft erogener Zonen,
Komponenten zeigt, für welche andere Personen als Sexualobjekte von
Anfang an in Betracht kommen. Solcher Art sind die in gewisser
Unabhängigkeit von erogenen Zonen auftretenden Triebe der Schau- und
Zeigelust und der Grausamkeit, die in ihre innigen Beziehungen zum
Genitalleben erst später eintreten, aber schon in den Kinderjahren als
zunächst von der erogenen Sexualtätigkeit gesonderte selbständige
Strebungen bemerkbar werden. Das kleine Kind ist vor allem schamlos und
zeigt in gewissen frühen Jahren ein unzweideutiges Vergnügen an der
Entblößung seines Körpers mit besonderer Hervorhebung der
Geschlechtsteile. Das Gegenstück dieser als pervers geltenden Neigung,
die Neugierde, Genitalien anderer Personen zu sehen, wird wahrscheinlich
erst in etwas späteren Kinderjahren offenkundig, wenn das Hindernis des
Schamgefühles bereits eine gewisse Entwicklung erreicht hat. Unter dem
Einfluß der Verführung kann die Schauperversion eine große Bedeutung für
das Sexualleben des Kindes erreichen. Doch muß ich aus meinen
Erforschungen der Kinderjahre Gesunder wie neurotisch Kranker den Schluß
ziehen, daß der Schautrieb beim Kinde als spontane Sexualäußerung
aufzutreten vermag. Kleine Kinder, deren Aufmerksamkeit einmal auf die
eigenen Genitalien -- meist masturbatorisch -- gelenkt ist, pflegen den
weiteren Fortschritt ohne fremdes Dazutun zu treffen und lebhaftes
Interesse für die Genitalien ihrer Gespielen zu entwickeln. Da sich die
Gelegenheit, solche Neugierde zu befriedigen, meist nur bei der
Befriedigung der beiden exkrementellen Bedürfnisse ergibt, werden solche
Kinder zu Voyeurs, eifrigen Zuschauern bei der Harn- und Kotentleerung
anderer. Nach eingetretener Verdrängung dieser Neigungen bleibt die
Neugierde, fremde Genitalien (des eigenen oder des anderen Geschlechtes)
zu sehen, als quälender Drang bestehen, der bei manchen neurotischen
Fällen dann die stärkste Triebkraft für die Symptombildung abgibt.

In noch größerer Unabhängigkeit von der sonstigen, an erogene Zonen
gebundenen Sexualbetätigung entwickelt sich beim Kinde die
Grausamkeitskomponente des Sexualtriebes. Grausamkeit liegt dem
kindlichen Charakter überhaupt nahe, da das Hemmnis, welches den
Bemächtigungstrieb vor dem Schmerz des anderen Halt machen läßt, die
Fähigkeit zum Mitleiden, sich verhältnismäßig spät ausbildet. Die
gründliche psychologische Analyse dieses Triebes ist bekanntlich noch
nicht geglückt; wir dürfen annehmen, daß die grausame Regung vom
Bemächtigungstrieb herstammt und zu einer Zeit im Sexualleben auftritt,
da die Genitalien noch nicht ihre spätere Rolle aufgenommen haben. Sie
beherrscht dann eine Phase des Sexuallebens, die wir später als
prägenitale Organisation beschreiben werden. Kinder, die sich durch
besondere Grausamkeit gegen Tiere und Gespielen auszeichnen, erwecken
gewöhnlich mit Recht den Verdacht auf intensive und vorzeitige
Sexualbetätigung von erogenen Zonen her, und bei gleichzeitiger
Frühreife aller sexuellen Triebe scheint die erogene Sexualbetätigung
doch die primäre zu sein. Der Wegfall der Mitleidsschranke bringt die
Gefahr mit sich, daß diese in der Kindheit erfolgte Verknüpfung der
grausamen mit den erogenen Trieben sich späterhin im Leben als unlösbar
erweise.

Als eine erogene Wurzel des passiven Triebes zur Grausamkeit (des
Masochismus) ist die schmerzhafte Reizung der Gesäßhaut allen Erziehern
seit dem Selbstbekenntnis J. J. _Rousseaus_ bekannt. Sie haben hieraus
mit Recht die Forderung abgeleitet, daß die körperliche Züchtigung, die
zumeist diese Körperpartie trifft, bei all den Kindern zu unterbleiben
habe, bei denen durch die späteren Anforderungen der Kulturerziehung die
Libido auf die kollateralen Wege gedrängt werden mag(54).

  (54) Zu den obenstehenden Behauptungen über die infantile Sexualität
  war ich im Jahre 1905 wesentlich durch die Resultate psychoanalytischer
  Erforschung von Erwachsenen berechtigt. Die direkte Beobachtung
  am Kinde konnte damals nicht im vollen Ausmaß benützt werden
  und hatte nur vereinzelte Winke und wertvolle Bestätigungen
  ergeben. Seither ist es gelungen, durch die Analyse einzelner Fälle
  von nervöser Erkrankung im zarten Kindesalter einen direkten Einblick
  in die infantile Psychosexualität zu gewinnen (Jahrbuch für
  psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, Bd. I, 1909 und
  weitere). Ich kann mit Befriedigung darauf verweisen, daß die direkte
  Beobachtung die Schlüsse aus der Psychoanalyse voll bekräftigt und
  somit ein gutes Zeugnis für die Verläßlichkeit dieser letzteren
  Forschungsmethode abgegeben hat.

  Die »Analyse der Phobie eines 5jährigen Knaben« (Jahrbuch Bd. I) hat
  überdies manches Neue gelehrt, worauf man von der Psychoanalyse her
  nicht vorbereitet war, z. B. das Hinaufreichen einer sexuellen
  Symbolik, einer Darstellung des Sexuellen durch nicht sexuelle Objekte
  und Relationen bis in diese ersten Jahre der Sprachbeherrschung.
  Ferner wurde ich auf einen Mangel der obenstehenden Darstellung
  aufmerksam gemacht, welche im Interesse der Übersichtlichkeit die
  begriffliche Scheidung der beiden Phasen von _Autoerotismus_ und
  _Objektliebe_ auch als eine zeitliche Trennung beschreibt. Man erfährt
  aber aus den zitierten Analysen (sowie aus den Mitteilungen von _Bell_
  s. o.), daß Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren einer sehr deutlichen,
  von starken Affekten begleiteten _Objektwahl_ fähig sind.


Die infantile Sexualforschung.

Der Wißtrieb.

Um dieselbe Zeit, da das Sexualleben des Kindes seine erste Blüte
erreicht, vom 3. bis zum 5. Jahr, stellen sich bei ihm auch die Anfänge
jener Tätigkeit ein, die man dem Wiß- oder Forschertrieb zuschreibt. Der
Wißtrieb kann weder zu den elementaren Triebkomponenten gerechnet noch
ausschließlich der Sexualität untergeordnet werden. Sein Tun entspricht
einerseits einer sublimierten Weise der Bemächtigung, anderseits
arbeitet er mit der Energie der Schaulust. Seine Beziehungen zum
Sexualleben sind aber besonders bedeutsame, denn wir haben aus der
Psychoanalyse erfahren, daß der Wißtrieb der Kinder unvermutet früh und
in unerwartet intensiver Weise von den sexuellen Problemen angezogen, ja
vielleicht erst durch sie geweckt wird.

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Das Rätsel der Sphinx.

Kastrationskomplex und Penisneid.

Nicht theoretische, sondern praktische Interessen sind es, die das Werk
der Forschertätigkeit beim Kinde in Gang bringen. Die Bedrohung seiner
Existenzbedingungen durch die erfahrene oder vermutete Ankunft eines
neuen Kindes, die Furcht vor dem mit diesem Ereignis verbundenen Verlust
an Fürsorge und Liebe machen das Kind nachdenklich und scharfsinnig. Das
erste Problem, mit dem es sich beschäftigt, ist entsprechend dieser
Erweckungsgeschichte auch nicht die Frage des Geschlechtsunterschiedes,
sondern das Rätsel: Woher kommen die Kinder? In einer Entstellung, die
man leicht rückgängig machen kann, ist dies auch das Rätsel, welches die
thebaische Sphinx aufzugeben hat. Die Tatsache der beiden Geschlechter
nimmt das Kind vielmehr zunächst ohne Sträuben und Bedenken hin. Es ist
dem männlichen Kinde selbstverständlich, ein Genitale wie das seinige
bei allen Personen, die es kennt, vorauszusetzen, und unmöglich, den
Mangel eines solchen mit seiner Vorstellung dieser anderen zu vereinen.
Diese Überzeugung wird vom Knaben energisch festgehalten, gegen die sich
bald ergebenden Widersprüche der Beobachtung hartnäckig verteidigt und
erst nach schweren inneren Kämpfen (Kastrationskomplex) aufgegeben. Die
Ersatzbildungen dieses verloren gegangenen Penis des Weibes spielen in
der Gestaltung mannigfacher Perversionen eine große Rolle(55).

  (55) Man hat das Recht, auch von einem Kastrationskomplex bei Frauen
  zu sprechen. Männliche wie weibliche Kinder bilden die Theorie, daß
  auch das Weib ursprünglich einen Penis hatte, der durch Kastration
  verloren gegangen ist. Die endlich gewonnene Überzeugung, daß das Weib
  keinen Penis besitzt, hinterläßt beim männlichen Individuum oft eine
  dauernde Geringschätzung des anderen Geschlechtes.

Die Annahme des nämlichen (männlichen) Genitales bei allen Menschen ist
die erste der merkwürdigen und folgenschweren infantilen Sexualtheorien.
Es nützt dem Kinde wenig, wenn die biologische Wissenschaft seinem
Vorurteile recht geben und die weibliche Klitoris als einen richtigen
Penisersatz anerkennen muß. Das kleine Mädchen verfällt nicht in
ähnliche Abweisungen, wenn es das anders gestaltete Genitale des Knaben
erblickt. Es ist sofort bereit, es anzuerkennen, und es unterliegt dem
Penisneide, der in dem für die Folge wichtigen Wunsch, auch ein Bub zu
sein, gipfelt.

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Geburtstheorien.

Viele Menschen wissen deutlich zu erinnern, wie intensiv sie sich in der
Vorpubertätszeit für die Frage interessiert haben, woher die Kinder
kommen. Die anatomischen Lösungen lauteten damals ganz verschiedenartig:
sie kommen aus der Brust oder werden aus dem Leib geschnitten oder der
Nabel öffnet sich, um sie durchzulassen. An die entsprechende Forschung
der frühen Kinderjahre erinnert man sich nur selten außerhalb der
Analyse; sie ist längst der Verdrängung verfallen, aber ihre Ergebnisse
waren durchaus einheitliche. Man bekommt die Kinder, indem man etwas
Bestimmtes ißt (wie im Märchen), und sie werden durch den Darm wie ein
Stuhlabgang geboren. Diese kindlichen Theorien mahnen an Einrichtungen
im Tierreiche, speziell an die Kloake der Typen, die niedriger stehen
als die Säugetiere.

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Sadistische Auffassung des Sexualverkehrs.

Werden Kinder in so zartem Alter Zuschauer des sexuellen Verkehrs
zwischen Erwachsenen, wozu die Überzeugung der Großen, das kleine Kind
könne noch nichts Sexuelles verstehen, die Anlässe schafft, so können
sie nicht umhin, den Sexualakt als eine Art von Mißhandlung oder
Überwältigung, also im sadistischen Sinne aufzufassen. Die Psychoanalyse
läßt uns auch erfahren, daß ein solcher frühkindlicher Eindruck viel zur
Disposition für eine spätere sadistische Verschiebung des Sexualzieles
beiträgt. Des weiteren beschäftigen sich Kinder viel mit dem Problem,
worin der Geschlechtsverkehr oder, wie sie es erfassen, das
Verheiratetsein bestehen mag, und suchen die Lösung des Geheimnisses
meist in einer Gemeinschaft, die durch die Harn- oder Kotfunktion
vermittelt wird.

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Das typische Mißlingen der kindlichen Sexualforschung.

Im allgemeinen kann man von den kindlichen Sexualtheorien aussagen, daß
sie Abbilder der eigenen sexuellen Konstitution des Kindes sind und
trotz ihrer grotesken Irrtümer von mehr Verständnis für die
Sexualvorgänge zeugen, als man ihren Schöpfern zugemutet hätte. Die
Kinder nehmen auch die Schwangerschaftsveränderungen der Mutter wahr und
wissen sie richtig zu deuten; die Storchfabel wird sehr oft vor Hörern
erzählt, die ihr ein tiefes, aber meist stummes Mißtrauen
entgegenbringen. Aber da der kindlichen Sexualforschung zwei Elemente
unbekannt bleiben, die Rolle des befruchtenden Samens und die Existenz
der weiblichen Geschlechtsöffnung -- die nämlichen Punkte übrigens, in
denen die infantile Organisation noch rückständig ist --, bleibt das
Bemühen der infantilen Forscher doch regelmäßig unfruchtbar und endet in
einem Verzicht, der nicht selten eine dauernde Schädigung des Wißtriebes
zurückläßt. Die Sexualforschung dieser frühen Kinderjahre wird immer
einsam betrieben; sie bedeutet einen ersten Schritt zur selbständigen
Orientierung in der Welt und setzt eine starke Entfremdung des Kindes
von den Personen seiner Umgebung, die vorher sein volles Vertrauen
genossen hatten.


Entwicklungsphasen der sexuellen Organisation.

Wir haben bisher als Charaktere des infantilen Sexuallebens
hervorgehoben, daß es wesentlich autoerotisch ist (sein Objekt am
eigenen Leibe findet), und daß seine einzelnen Partialtriebe im ganzen
unverknüpft und unabhängig von einander dem Lusterwerb nachstreben. Den
Ausgang der Entwicklung bildet das sogenannte normale Sexualleben des
Erwachsenen, in welchem der Lusterwerb in den Dienst der
Fortpflanzungsfunktion getreten ist, und die Partialtriebe unter dem
Primat einer einzigen erogenen Zone eine feste Organisation zur
Erreichung des Sexualziels an einem fremden Sexualobjekt gebildet haben.

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Prägenitale Organisationen.

Das Studium der Hemmungen und Störungen in diesem Entwicklungsgange mit
Hilfe der Psychoanalyse gestattet uns nun Ansätze und Vorstufen einer
solchen Organisation der Partialtriebe zu erkennen, die gleichfalls eine
Art von sexuellem Regime ergeben. Diese Phasen der Sexualorganisation
werden normalerweise glatt durchlaufen, ohne sich durch mehr als
Andeutungen zu verraten. Nur in pathologischen Fällen werden sie
aktiviert und für grobe Beobachtung kenntlich.

Organisationen des Sexuallebens, in denen die Genitalzonen noch nicht in
ihre vorherrschende Rolle eingetreten sind, wollen wir _prägenitale_
heißen. Wir haben bisher zwei derselben kennen gelernt, die wie
Rückfälle auf frühtierische Zustände anmuten.

Eine erste solche prägenitale Sexualorganisation ist die _orale_ oder,
wenn wir wollen, _kannibalische_. Die Sexualtätigkeit ist hier von der
Nahrungsaufnahme noch nicht gesondert, Gegensätze innerhalb derselben
nicht differenziert. Das Objekt der einen Tätigkeit ist auch das der
anderen, das Sexualziel besteht in der _Einverleibung_ des Objektes, dem
Vorbild dessen, was späterhin als _Identifizierung_ eine so bedeutsame
psychische Rolle spielen wird. Als Rest dieser fiktiven, uns durch die
Pathologie aufgenötigten Organisationsphase kann das Lutschen angesehen
werden, in dem die Sexualtätigkeit, von der Ernährungstätigkeit
abgelöst, das fremde Objekt gegen eines am eigenen Körper aufgegeben
hat(56).

  (56) Vgl. über Reste dieser Phase bei erwachsenen Neurotikern die
  Arbeit von _Abraham_, Untersuchungen über die früheste prägenitale
  Entwicklungsstufe der Libido (Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse IV,
  1916).

Eine zweite prägenitale Phase ist die der _sadistisch-analen_
Organisation. Hier ist die Gegensätzlichkeit, welche das Sexualleben
durchzieht, bereits ausgebildet; sie kann aber noch nicht _männlich_ und
_weiblich_, sondern muß _aktiv_ und _passiv_ benannt werden. Die
Aktivität wird durch den Bemächtigungstrieb von seiten der
Körpermuskulatur hergestellt, als Organ mit passivem Sexualziel macht
sich vor allem die erogene Darmschleimhaut geltend; für beide Strebungen
sind Objekte vorhanden, die aber nicht zusammenfallen. Daneben betätigen
sich andere Partialtriebe in autoerotischer Weise. In dieser Phase sind
also die sexuelle Polarität und das fremde Objekt bereits nachweisbar.
Die Organisation und die Unterordnung unter die Fortpflanzungsfunktion
stehen noch aus.

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Ambivalenz.

Diese Form der Sexualorganisation kann sich bereits durchs Leben
erhalten und ein großes Stück der Sexualbetätigung dauernd an sich
reißen. Die Vorherrschaft des Sadismus und die Kloakenrolle der analen
Zone geben ihr ein exquisit archaisches Gepräge. Als weiterer Charakter
gehört ihr an, daß die Triebgegensatzpaare in annähernd gleicher Weise
ausgebildet sind, welches Verhalten mit dem glücklichen, von _Bleuler_
eingeführten Namen _Ambivalenz_ bezeichnet wird.

Die Annahme der prägenitalen Organisationen des Sexuallebens ruht auf
der Analyse der Neurosen und ist, unabhängig von deren Kenntnis, kaum zu
würdigen. Wir dürfen erwarten, daß die fortgesetzte analytische Bemühung
uns noch weit mehr Aufschlüsse über Aufbau und Entwicklung der normalen
Sexualfunktion vorbereitet.

Um das Bild des infantilen Sexuallebens zu vervollständigen, muß man
hinzunehmen, daß häufig oder regelmäßig bereits in den Kinderjahren eine
Objektwahl vollzogen wird, wie wir sie als charakteristisch für die
Entwicklungsphase der Pubertät hingestellt haben, in der Weise, daß
sämtliche Sexualstrebungen die Richtung auf eine einzige Person nehmen,
an der sie ihre Ziele erreichen wollen. Dies ist dann die größte
Annäherung an die definitive Gestaltung des Sexuallebens nach der
Pubertät, die in den Kinderjahren möglich ist. Der Unterschied von
letzterer liegt nur noch darin, daß die Zusammenfassung der
Partialtriebe und deren Unterordnung unter das Primat der Genitalien in
der Kindheit nicht oder nur sehr unvollkommen durchgesetzt wird. Die
Herstellung dieses Primats im Dienste der Fortpflanzung ist also die
letzte Phase, welche die Sexualorganisation durchläuft.

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Zweizeitige Objektwahl.

Man kann es als ein typisches Vorkommnis ansprechen, daß die Objektwahl
zweizeitig, in zwei Schüben erfolgt. Der erste Schub nimmt in den Jahren
zwischen 2 und 5 seinen Anfang und wird durch die Latenzzeit zum
Stillstand oder zur Rückbildung gebracht; er ist durch die infantile
Natur seiner Sexualziele ausgezeichnet. Der zweite setzt mit der
Pubertät ein und bestimmt die definitive Gestaltung des Sexuallebens.

Die Tatsache der zweizeitigen Objektwahl, die sich im wesentlichen auf
die Wirkung der Latenzzeit reduziert, wird aber höchst bedeutungsvoll
für die Störung dieses Endzustandes. Die Ergebnisse der infantilen
Objektwahl ragen in die spätere Zeit hinein; sie sind entweder als
solche erhalten geblieben oder sie erfahren zur Zeit der Pubertät selbst
eine Auffrischung. Infolge der Verdrängungsentwicklung, welche zwischen
beiden Phasen liegt, erweisen sie sich aber als unverwendbar. Ihre
Sexualziele haben eine Milderung erfahren, und sie stellen nun das dar,
was wir als die _zärtliche_ Strömung des Sexuallebens bezeichnen können.
Erst die psychoanalytische Untersuchung kann nachweisen, daß sich hinter
dieser Zärtlichkeit, Verehrung und Hochachtung die alten, jetzt
unbrauchbar gewordenen Sexualstrebungen der infantilen Partialtriebe
verbergen. Die Objektwahl der Pubertätszeit muß auf die infantilen
Objekte verzichten und als _sinnliche_ Strömung von neuem beginnen. Das
Nichtzusammentreffen der beiden Strömungen hat oft genug die Folge, daß
eines der Ideale des Sexuallebens, die Vereinigung aller Begehrungen in
einem Objekt, nicht erreicht werden kann.


Quellen der infantilen Sexualität.

In dem Bemühen, die Ursprünge des Sexualtriebes zu verfolgen, haben wir
bisher gefunden, daß die sexuelle Erregung entsteht a) als Nachbildung
einer im Anschluß an andere organische Vorgänge erlebten Befriedigung,
b) durch geeignete peripherische Reizung erogener Zonen, c) als Ausdruck
einiger uns in ihrer Herkunft noch nicht voll verständlicher »Triebe«,
wie der Schautrieb und der Trieb zur Grausamkeit. Die aus späterer Zeit
auf die Kindheit zurückgreifende psychoanalytische Forschung und die
gleichzeitige Beobachtung des Kindes wirken nun zusammen, um uns noch
andere regelmäßig fließende Quellen für die sexuelle Erregung
aufzuzeigen. Die Kindheitsbeobachtung hat den Nachteil, daß sie leicht
mißzuverstehende Objekte bearbeitet, die Psychoanalyse wird dadurch
erschwert, daß sie zu ihren Objekten wie zu ihren Schlüssen nur auf
großen Umwegen gelangen kann; in ihrem Zusammenwirken erzielen aber
beide Methoden einen genügenden Grad von Sicherheit der Erkenntnis.

Bei der Untersuchung der erogenen Zonen haben wir bereits gefunden, daß
diese Hautstellen bloß eine besondere Steigerung einer Art von
Reizbarkeit zeigen, welche in gewissem Grade der ganzen Hautoberfläche
zukommt. Wir werden also nicht erstaunt sein zu erfahren, daß gewissen
Arten allgemeiner Hautreizung sehr deutliche erogene Wirkungen
zuzuschreiben sind. Unter diesen heben wir vor allen die Temperaturreize
hervor; vielleicht wird so auch unser Verständnis für die therapeutische
Wirkung warmer Bäder vorbereitet.

                   *       *       *       *       *

Mechanische Erregungen.

Ferner müssen wir hier die Erzeugung sexueller Erregung durch
rhythmische mechanische Erschütterungen des Körpers anreihen, an denen
wir dreierlei Reizeinwirkungen zu sondern haben, die auf den
Sinnesapparat der Vestibularnerven, die auf die Haut und auf die tiefen
Teile (Muskeln, Gelenkapparate). Wegen der dabei entstehenden
Lustempfindungen -- es ist der Hervorhebung wert, daß wir hier eine
ganze Strecke weit »sexuelle Erregung« und »Befriedigung«
unterschiedslos gebrauchen dürfen, und legt uns die Pflicht auf, später
nach einer Erklärung zu suchen --; es ist also ein Beweis für die durch
gewisse mechanische Körpererschütterungen erzeugte Lust, daß Kinder
passive Bewegungsspiele, wie Schaukeln und Fliegenlassen, so sehr lieben
und unaufhörlich nach Wiederholung davon verlangen(57). Das Wiegen wird
bekanntlich zur Einschläferung unruhiger Kinder regelmäßig angewendet.
Die Erschütterungen der Wagenfahrt und später der Eisenbahnfahrt üben
eine so faszinierende Wirkung auf ältere Kinder aus, daß wenigstens alle
Knaben irgend einmal im Leben Kondukteure und Kutscher werden wollen.
Den Vorgängen auf der Eisenbahn pflegen sie ein rätselhaftes Interesse
von außerordentlicher Höhe zuzuwenden, und dieselben im Alter der
Phantasietätigkeit (kurz vor der Pubertät) zum Kern einer exquisit
sexuellen Symbolik zu machen. Der Zwang zu solcher Verknüpfung des
Eisenbahnfahrens mit der Sexualität geht offenbar von dem Lustcharakter
der Bewegungsempfindungen aus. Kommt dann die Verdrängung hinzu, die so
vieles von den kindlichen Bevorzugungen ins Gegenteil umschlagen läßt,
so werden dieselben Personen als Heranwachsende oder Erwachsene auf
Wiegen und Schaukeln mit Üblichkeit reagieren, durch eine Eisenbahnfahrt
furchtbar erschöpft werden oder zu Angstanfällen auf der Fahrt neigen
und sich durch _Eisenbahnangst_ vor der Wiederholung der peinlichen
Erfahrung schützen.

  (57) Manche Personen wissen sich zu erinnern, daß sie beim Schaukeln
  den Anprall der bewegten Luft an den Genitalien direkt als sexuelle
  Lust verspürt haben.

Hier reiht sich dann -- noch unverstanden -- die Tatsache an, daß durch
Zusammentreffen von Schreck und mechanischer Erschütterung die schwere
hysteriforme traumatische Neurose erzeugt wird. Man darf wenigstens
annehmen, daß diese Einflüsse, die in geringen Intensitäten zu Quellen
sexueller Erregung werden, in übergroßem Maße einwirkend eine tiefe
Zerrüttung des sexuellen Mechanismus hervorrufen.

                   *       *       *       *       *

Muskeltätigkeit.

Daß ausgiebige aktive Muskelbetätigung für das Kind ein Bedürfnis ist,
aus dessen Befriedigung es außerordentliche Lust schöpft, ist bekannt.
Ob diese Lust etwas mit der Sexualität zu tun hat, ob sie selbst
sexuelle Befriedigung einschließt oder Anlaß zu sexueller Erregung
werden kann, das mag kritischen Erwägungen unterliegen, die sich ja auch
wohl gegen die im Vorigen enthaltene Aufstellung richten werden, daß die
Lust durch die Empfindungen passiver Bewegung sexueller Art ist oder
sexuell erregend wirkt. Tatsache ist aber, daß eine Reihe von Personen
berichten, sie hätten die ersten Zeichen der Erregtheit an ihren
Genitalien während des Raufens oder Ringens mit ihren Gespielen erlebt,
in welcher Situation außer der allgemeinen Muskelanstrengung noch die
ausgiebige Hautberührung mit dem Gegner wirksam wird. Die Neigung zum
Muskelstreit mit einer bestimmten Person, wie in späteren Jahren zum
Wortstreit (»Was sich liebt, das neckt sich«), gehört zu den guten
Vorzeichen der auf diese Person gerichteten Objektwahl. In der Beförderung
der sexuellen Erregung durch Muskeltätigkeit wäre eine der Wurzeln des
sadistischen Triebes zu erkennen. Für viele Individuen wird die infantile
Verknüpfung zwischen Raufen und sexueller Erregung mitbestimmend für die
später bevorzugte Richtung ihres Geschlechtstriebes(58).

  (58) Die Analyse der Fälle von neurotischer Gehstörung und Raumangst
  hebt den Zweifel an der sexuellen Natur der Bewegungslust auf. Die
  moderne Kulturerziehung bedient sich bekanntlich des Sports im großen
  Umfang, um die Jugend von der Sexualbetätigung abzulenken; richtiger
  wäre es zu sagen, sie ersetzt ihr den Sexualgenuß durch die
  Bewegungslust und drängt die Sexualbetätigung auf eine ihrer
  autoerotischen Komponenten zurück.

                   *       *       *       *       *

Affektvorgänge.

Minderem Zweifel unterliegen die weiteren Quellen sexueller Erregung
beim Kinde. Es ist leicht, durch gleichzeitige Beobachtung wie durch
spätere Erforschung festzustellen, daß alle intensiveren Affektvorgänge,
selbst die schreckhaften Erregungen, auf die Sexualität übergreifen, was
übrigens einen Beitrag zum Verständnis der pathogenen Wirkung solcher
Gemütsbewegungen liefern kann. Beim Schulkinde kann die Angst geprüft zu
werden, die Spannung einer sich schwer lösenden Aufgabe, für den
Durchbruch sexueller Äußerungen wie für das Verhältnis zur Schule
bedeutsam werden, indem unter solchen Umständen häufig genug ein
Reizgefühl auftritt, welches zur Berührung der Genitalien auffordert,
oder ein pollutionsartiger Vorgang mit all seinen verwirrenden Folgen.
Das Benehmen der Kinder in der Schule, welches den Lehrern Rätsel genug
aufgibt, verdient überhaupt in Beziehung zur keimenden Sexualität
derselben gesetzt zu werden. Die sexuell erregende Wirkung mancher an
sich unlustiger Affekte, des Ängstigens, Schauderns, Grausens erhält
sich bei einer großen Anzahl Menschen auch durchs reife Leben und ist
wohl die Erklärung dafür, daß soviel Personen der Gelegenheit zu solchen
Sensationen nachjagen, wenn nur gewisse Nebenumstände (die Angehörigkeit
zu einer Scheinwelt, Lektüre, Theater) den Ernst der Unlustempfindung
dämpfen.

Ließe sich annehmen, daß auch intensiven schmerzhaften Empfindungen die
gleiche erogene Wirkung zukommt, zumal wenn der Schmerz durch eine
Nebenbedingung abgetönt oder ferner gehalten wird, so läge in diesem
Verhältnis eine der Hauptwurzeln für den masochistisch-sadistischen
Trieb, in dessen vielfältige Zusammengesetztheit wir so allmählich
Einblick gewinnen.

                   *       *       *       *       *

Intellektuelle Arbeit.

Endlich ist es unverkennbar, daß die Konzentration der Aufmerksamkeit
auf eine intellektuelle Leistung und geistige Anspannung überhaupt bei
vielen jugendlichen wie reiferen Personen eine sexuelle Miterregung zur
Folge hat, die wohl als die einzig berechtigte Grundlage für die sonst
so zweifelhafte Ableitung nervöser Störungen von geistiger
»Überarbeitung« zu gelten hat.

Überblicken wir nun nach diesen weder vollständig noch vollzählig
mitgeteilten Proben und Andeutungen die Quellen der kindlichen
Sexualerregung, so lassen sich folgende Allgemeinheiten ahnen oder
erkennen: Es scheint auf die ausgiebigste Weise dafür gesorgt, daß der
Prozeß der Sexualerregung -- dessen Wesen uns nun freilich recht
rätselhaft geworden ist -- in Gang gebracht werde. Es sorgen dafür vor
allem in mehr oder minder direkter Weise die Erregungen der sensiblen
Oberflächen -- Haut und Sinnesorgane --, am unmittelbarsten die
Reizeinwirkungen auf gewisse als erogene Zonen zu bezeichnende Stellen.
Bei diesen Quellen der Sexualerregung ist wohl die Qualität der Reize
das Maßgebende, wenngleich das Moment der Intensität (beim Schmerz)
nicht völlig gleichgültig ist. Aber überdies sind Veranstaltungen im
Organismus vorhanden, welche zur Folge haben, daß die Sexualerregung als
Nebenwirkung bei einer großen Reihe innerer Vorgänge entsteht, sobald
die Intensität dieser Vorgänge nur gewisse quantitative Grenzen
überstiegen hat. Was wir die Partialtriebe der Sexualität genannt haben,
leitet sich entweder direkt aus diesen inneren Quellen der
Sexualerregung ab oder setzt sich aus Beiträgen von solchen Quellen und
von erogenen Zonen zusammen. Es ist möglich, daß nichts Bedeutsameres im
Organismus vorfällt, was nicht seine Komponente zur Erregung des
Sexualtriebes abzugeben hätte.

Es scheint mir derzeit nicht möglich, diese allgemeinen Sätze zu
größerer Klarheit und Sicherheit zu bringen, und ich mache dafür zwei
Momente verantwortlich, erstens die Neuheit der ganzen Betrachtungsweise
und zweitens den Umstand, daß uns das Wesen der Sexualerregung völlig
unbekannt ist. Doch möchte ich auf zwei Bemerkungen nicht verzichten,
welche Ausblicke ins Weite zu eröffnen versprechen:

                   *       *       *       *       *

Verschiedene Sexualkonstitutionen.

a) Sowie wir vorhin einmal die Möglichkeit sahen, eine Mannigfaltigkeit
der angeborenen sexuellen Konstitutionen durch die verschiedenartige
Ausbildung der erogenen Zonen zu begründen, so können wir nun das
gleiche mit Einbeziehung der indirekten Quellen der Sexualerregung
versuchen. Wir dürfen annehmen, daß diese Quellen zwar bei allen
Individuen Zuflüsse liefern, aber nicht alle bei allen Personen gleich
starke, und daß in der bevorzugten Ausbildung der einzelnen Quellen zur
Sexualerregung ein weiterer Beitrag zur Differenzierung der
verschiedenen Sexualkonstitutionen gelegen sein wird(59).

  (59) Als unabweisbare Folgerung aus den obigen Ausführungen ergibt
  sich, daß jedem Individuum eine Oral-, Anal-, Harnerotik usw.
  zugesprochen werden muß, und daß die Konstatierung der diesen
  entsprechenden seelischen Komplexe kein Urteil auf Abnormität oder
  Neurose bedeutet. Die Unterschiede, die das Normale vom Abnormen
  trennen, können nur in der relativen Stärke der einzelnen Komponenten
  des Sexualtriebes und in der Verwendung liegen, die sie im Laufe der
  Entwicklung erfahren.

                   *       *       *       *       *

Wege wechselseitiger Beeinflussung.

b) Indem wir die solange festgehaltene figürliche Ausdrucksweise fallen
lassen, in der wir von »Quellen« der Sexualerregung sprachen, können wir
auf die Vermutung gelangen, daß alle die Verbindungswege, die von
anderen Funktionen her zur Sexualität führen, auch in umgekehrter
Richtung gangbar sein müssen. Ist z. B. der beiden Funktionen gemeinsame
Besitz der Lippenzone der Grund dafür, daß bei der Nahrungsaufnahme
Sexualbefriedigung entsteht, so vermittelt uns dasselbe Moment auch das
Verständnis der Störungen in der Nahrungsaufnahme, wenn die erogenen
Funktionen der gemeinsamen Zone gestört sind. Wissen wir einmal, daß
Konzentration der Aufmerksamkeit Sexualerregung hervorzurufen vermag, so
wird uns die Annahme nahegelegt, daß durch Einwirkung auf demselben
Wege, nur in umgekehrter Richtung, der Zustand der Sexualerregung die
Verfügbarkeit über die lenkbare Aufmerksamkeit beeinflußt. Ein gutes
Stück der Symptomatologie der Neurosen, die ich von Störungen der
Sexualvorgänge ableite, äußert sich in Störungen der anderen nicht
sexuellen Körperfunktionen, und diese bisher unverständliche Einwirkung
wird minder rätselhaft, wenn sie nur das Gegenstück zu den
Beeinflussungen darstellt, unter denen die Produktion der Sexualerregung
steht.

Die nämlichen Wege aber, auf denen Sexualstörungen auf die übrigen
Körperfunktionen übergreifen, müßten auch in der Gesundheit einer
anderen wichtigen Leistung dienen. Auf ihnen müßte sich die Heranziehung
der sexuellen Triebkräfte zu anderen als sexuellen Zielen, also die
Sublimierung der Sexualität vollziehen. Wir müssen mit dem Eingeständnis
schließen, daß über diese gewiß vorhandenen, wahrscheinlich nach beiden
Richtungen gangbaren Wege noch sehr wenig Sicheres bekannt ist.



III.

Die Umgestaltungen der Pubertät.


Mit dem Eintritt der Pubertät setzen die Wandlungen ein, welche das
infantile Sexualleben in seine endgültige normale Gestaltung überführen
sollen. Der Sexualtrieb war bisher vorwiegend autoerotisch, er findet
nun das Sexualobjekt. Er betätigte sich bisher von einzelnen Trieben und
erogenen Zonen aus, die unabhängig voneinander eine gewisse Lust als
einziges Sexualziel suchten. Nun wird ein neues Sexualziel gegeben, zu
dessen Erreichung alle Partialtriebe zusammenwirken, während die
erogenen Zonen sich dem Primat der Genitalzone unterordnen(60). Da das
neue Sexualziel den beiden Geschlechtern sehr verschiedene Funktionen
anweist, geht deren Sexualentwicklung nun weit auseinander. Die des
Mannes ist die konsequentere, auch unserem Verständnis leichter
zugängliche, während beim Weibe sogar eine Art Rückbildung auftritt. Die
Normalität des Geschlechtslebens wird nur durch das exakte
Zusammentreffen der beiden auf Sexualobjekt und Sexualziel gerichteten
Strömungen, der zärtlichen und der sinnlichen, gewährleistet, von denen
die erstere in sich faßt, was von der infantilen Frühblüte der
Sexualität erübrigt. Es ist wie der Durchschlag eines Tunnels von beiden
Seiten her.

  (60) Die im Text gegebene schematische Darstellung will die
  Differenzen hervorheben. Inwieweit sich die infantile Sexualität durch
  ihre Objektwahl der definitiven Sexualorganisation annähert, ist
  vorhin S. 63 ausgeführt worden.

Das neue Sexualziel besteht beim Manne in der Entladung der
Geschlechtsprodukte; es ist dem früheren, der Erreichung von Lust
keineswegs fremd, vielmehr ist der höchste Betrag von Lust an diesen
Endakt des Sexualvorganges geknüpft. Der Sexualtrieb stellt sich jetzt
in den Dienst der Fortpflanzungsfunktion; er wird sozusagen
altruistisch. Soll diese Umwandlung gelingen, so muß beim Vorgang
derselben mit den ursprünglichen Anlagen und allen Eigentümlichkeiten
des Triebes gerechnet werden.

Wie bei jeder anderen Gelegenheit, wo im Organismus neue Verknüpfungen
und Zusammensetzungen zu komplizierten Mechanismen stattfinden sollen,
ist auch hier die Gelegenheit zu krankhaften Störungen durch
Unterbleiben dieser Neuordnungen gegeben. Alle krankhaften Störungen des
Geschlechtslebens sind mit gutem Rechte als Entwicklungshemmungen zu
betrachten.


Das Primat der Genitalzonen und die Vorlust.

Von dem beschriebenen Entwicklungsgang liegen Ausgang und Endziel klar
vor unseren Augen. Die vermittelnden Übergänge sind uns noch vielfach
dunkel; wir werden an ihnen mehr als ein Rätsel bestehen lassen müssen.

Man hat das Auffälligste an den Pubertätsvorgängen zum Wesentlichen
derselben gewählt, das manifeste Wachstum der äußeren Genitalien, an
denen sich die Latenzperiode der Kindheit durch relative
Wachstumshemmung geäußert hatte. Gleichzeitig ist die Entwicklung der
inneren Genitalien so weit vorgeschritten, daß sie Geschlechtsprodukte
zu liefern, respektive zur Gestaltung eines neuen Lebewesens aufzunehmen
vermögen. Ein höchst komplizierter Apparat ist so fertig geworden, der
seiner Inanspruchnahme harrt.

Dieser Apparat soll durch Reize in Gang gebracht werden und nun läßt uns
die Beobachtung erkennen, daß Reize ihn auf dreierlei Wegen angreifen
können, von der Außenwelt her durch Erregung der uns schon bekannten
erogenen Zonen, von dem organischen Innern her auf noch zu erforschenden
Wegen und von dem Seelenleben aus, welches selbst eine Aufbewahrungsstätte
äußerer Eindrücke und eine Aufnahmsstelle innerer Erregungen
darstellt. Auf allen drei Wegen wird das nämliche hervorgerufen,
ein Zustand, der als »sexuelle Erregtheit« bezeichnet wird
und sich durch zweierlei Zeichen kundgibt, seelische und
somatische. Das seelische Anzeichen besteht in einem eigentümlichen
Spannungsgefühl von höchst drängendem Charakter; unter den
mannigfaltigen körperlichen steht an erster Stelle eine Reihe von
Veränderungen an den Genitalien, die einen unzweifelhaften Sinn haben,
den der _Bereitschaft_, der Vorbereitung zum Sexualakt. (Die Erektion
des männlichen Gliedes, das Feuchtwerden der Scheide.)

                   *       *       *       *       *

Die Sexualspannung.

An den Spannungscharakter der sexuellen Erregtheit knüpft ein Problem
an, dessen Lösung ebenso schwierig wie für die Auffassung der
Sexualvorgänge bedeutsam wäre. Trotz aller in der Psychologie darüber
herrschenden Meinungsverschiedenheiten muß ich daran festhalten, daß ein
Spannungsgefühl den Unlustcharakter an sich tragen muß. Für mich ist
entscheidend, daß ein solches Gefühl den Drang nach Veränderung der
psychischen Situation mit sich bringt, treibend wirkt, was dem Wesen der
empfundenen Lust völlig fremd ist. Rechnet man aber die Spannung der
sexuellen Erregtheit zu den Unlustgefühlen, so stößt man sich an der
Tatsache, daß dieselbe unzweifelhaft lustvoll empfunden wird. Überall
ist bei der durch die Sexualvorgänge erzeugten Spannung Lust dabei;
selbst bei den Vorbereitungsveränderungen der Genitalien ist eine Art
von Befriedigungsgefühl deutlich. Wie hängen nun diese Unlustspannung
und dieses Lustgefühl zusammen?

Alles, was mit dem Lust- und Unlustproblem zusammenhängt, rührt an eine
der wundesten Stellen der heutigen Psychologie. Wir wollen versuchen,
möglichst aus den Bedingungen des uns vorliegenden Falles zu lernen und
es vermeiden, dem Problem in seiner Gänze näher zu treten. Werfen wir
zunächst einen Blick auf die Art, wie die erogenen Zonen sich der neuen
Ordnung einfügen. Ihnen fällt eine wichtige Rolle bei der Einleitung der
sexuellen Erregung zu. Die dem Sexualobjekt entlegenste, das Auge, kommt
unter den Verhältnissen der Objektwerbung am häufigsten in die Lage,
durch jene besondere Qualität der Erregung, deren Anlaß wir am
Sexualobjekt als Schönheit bezeichnen, gereizt zu werden. Die Vorgänge
des Sexualobjektes werden darum auch »Reize« geheißen. Mit dieser
Reizung ist einerseits bereits Lust verbunden, andererseits ist eine
Steigerung der sexuellen Erregtheit oder ein Hervorrufen derselben, wo
sie noch fehlt, ihre Folge. Kommt die Erregung einer anderen erogenen
Zone, z. B. der tastenden Hand, hinzu, so ist der Effekt der gleiche,
Lustempfindung einerseits, die sich bald durch die Lust aus den
Bereitschaftsveränderungen verstärkt, weitere Steigerung der
Sexualspannung andererseits, die bald in deutlichste Unlust übergeht,
wenn ihr nicht gestattet wird, weitere Lust herbeizuführen.
Durchsichtiger ist vielleicht noch ein anderer Fall, wenn z. B. bei
einer sexuell nicht erregten Person eine erogene Zone, etwa die
Brusthaut eines Weibes, durch Berührung gereizt wird. Diese Berührung
ruft bereits ein Lustgefühl hervor, ist aber gleichzeitig wie nichts
anderes geeignet, die sexuelle Erregung zu wecken, die nach einem Mehr
von Lust verlangt. Wie es zugeht, daß die empfundene Lust das Bedürfnis
nach größerer Lust hervorruft, das ist eben das Problem.

                   *       *       *       *       *

Vorlustmechanismus.

Die Rolle aber, die dabei den erogenen Zonen zufällt, ist klar. Was für
eine galt, gilt für alle. Sie werden sämtlich dazu verwendet, durch ihre
geeignete Reizung einen gewissen Betrag von Lust zu liefern, von dem die
Steigerung der Spannung ausgeht, welche ihrerseits die nötige motorische
Energie aufzubringen hat, um den Sexualakt zu Ende zu führen. Das
vorletzte Stück desselben ist wiederum die geeignete Reizung einer
erogenen Zone, der Genitalzone selbst an der Glans Penis, durch das dazu
geeignetste Objekt, die Schleimhaut der Scheide, und unter der Lust,
welche diese Erregung gewährt, wird diesmal auf reflektorischem Wege die
motorische Energie gewonnen, welche die Herausbeförderung der
Geschlechtsstoffe besorgt. Diese letzte Lust ist ihrer Intensität nach
die höchste, in ihrem Mechanismus von der früheren verschieden. Sie wird
ganz durch Entlastung hervorgerufen, ist ganz Befriedigungslust und mit
ihr erlischt zeitweilig die Spannung der Libido.

Es scheint mir nicht unberechtigt, diesen Unterschied in dem Wesen der
Lust durch Erregung erogener Zonen und der anderen bei Entleerung der
Sexualstoffe durch eine Namengebung zu fixieren. Die erstere kann
passend als _Vorlust_ bezeichnet werden im Gegensatz zur _Endlust_ oder
Befriedigungslust der Sexualtätigkeit. Die Vorlust ist dann dasselbe,
was bereits der infantile Sexualtrieb, wenngleich in verjüngtem Maße,
ergeben konnte; die Endlust ist neu, also wahrscheinlich an Bedingungen
geknüpft, die erst mit der Pubertät eingetreten sind. Die Formel für die
neue Funktion der erogenen Zonen lautete nun: Sie werden dazu verwendet,
um mittels der von ihnen wie im infantilen Leben zu gewinnenden Vorlust
die Herbeiführung der größeren Befriedigungslust zu ermöglichen.

Ich habe vor kurzem ein anderes Beispiel, aus einem ganz verschiedenen
Gebiet des seelischen Geschehens erläutern können, in welchem
gleichfalls ein größerer Lusteffekt vermöge einer geringfügigeren
Lustempfindung, die dabei wie eine Verlockungsprämie wirkt, erzielt
wird. Dort ergab sich auch die Gelegenheit, auf das Wesen der Lust näher
einzugehen(61).

  (61) Siehe meine 1905 erschienene Studie »_Der Witz und seine
  Beziehung zum Unbewußten_«. Die durch die Witztechnik gewonnene
  »Vorlust« wird dazu verwendet, eine größere Lust durch die Aufhebung
  innerer Hemmungen frei zu machen.

                   *       *       *       *       *

Gefahren der Vorlust.

Der Zusammenhang der Vorlust aber mit dem infantilen Sexualleben wird
durch die pathogene Rolle, die ihr zufallen kann, bekräftigt. Aus dem
Mechanismus, in den die Vorlust aufgenommen ist, ergibt sich für die
Erreichung des normalen Sexualziels offenbar eine Gefahr, die dann
eintritt, wenn an irgend einer Stelle der vorbereitenden Sexualvorgänge
die Vorlust zu groß, ihr Spannungsanteil zu gering ausfallen sollte.
Dann entfällt die Triebkraft, um den Sexualvorgang weiter fortzusetzen,
der ganze Weg verkürzt sich, die betreffende vorbereitende Aktion tritt
an Stelle des normalen Sexualziels. Dieser schädliche Fall hat
erfahrungsgemäß zur Bedingung, daß die betreffende erogene Zone oder der
entsprechende Partialtrieb schon im infantilen Leben in ungewöhnlichem
Maße zur Lustgewinnung beigetragen hat. Kommen noch Momente hinzu,
welche auf die Fixierung hinwirken, so entsteht leicht fürs spätere
Leben ein Zwang, welcher sich der Einordnung dieser einen Vorlust in
einen neuen Zusammenhang widersetzt. Solcher Art ist in der Tat der
Mechanismus vieler Perversionen, die ein Verweilen bei vorbereitenden
Akten des Sexualvorganges darstellen.

Das Fehlschlagen der Funktion des Sexualmechanismus durch die Schuld der
Vorlust wird am ehesten vermieden, wenn das Primat der Genitalzonen
gleichfalls bereits im infantilen Leben vorgezeichnet ist. Dazu scheinen
die Anstalten wirklich in der zweiten Hälfte der Kinderzeit (von 8 Jahren
bis zur Pubertät) getroffen zu sein. Die Genitalzonen benehmen sich in
diesen Jahren bereits in ähnlicher Weise wie zur Zeit der Reife, sie
werden der Sitz von Erregungssensationen und Bereitschaftsveränderungen,
wenn irgendwelche Lust durch Befriedigung anderer erogener Zonen
empfunden wird, obwohl dieser Effekt noch zwecklos bleibt, d. h. nichts
dazu beiträgt, den Sexualvorgang fortzusetzen. Es entsteht also bereits
in den Kinderjahren neben der Befriedigungslust ein gewisser Betrag von
Sexualspannung, obwohl minder konstant und weniger ausgiebig, und nun
können wir verstehen, warum wir bei der Erörterung der Quellen der
Sexualität mit ebenso gutem Recht sagen konnten, der betreffende Vorgang
wirke sexuell befriedigend, wie er wirke sexuell erregend. Wir merken,
daß wir auf dem Wege zur Erkenntnis uns die Unterschiede des infantilen
und des reifen Sexuallebens zunächst übertrieben groß vorgestellt haben,
und tragen nun die Korrektur nach. Nicht nur die Abweichungen vom
normalen Sexualleben, sondern auch die normale Gestaltung desselben wird
durch die infantilen Äußerungen der Sexualität bestimmt.


Das Problem der Sexualerregung.

Es ist uns durchaus unaufgeklärt geblieben, woher die Sexualspannung
rührt, die bei der Befriedigung erogener Zonen gleichzeitig mit der Lust
entsteht, und welches das Wesen derselben ist(62). Die nächste
Vermutung, diese Spannung ergebe sich irgendwie aus der Lust selbst, ist
nicht nur an sich sehr unwahrscheinlich, sie wird auch hinfällig, da bei
der größten Lust, die an die Entleerung der Geschlechtsprodukte geknüpft
ist, keine Spannung erzeugt, sondern alle Spannung aufgehoben wird. Lust
und Sexualspannung können also nur in indirekter Weise zusammenhängen.

  (62) Es ist überaus lehrreich, daß die deutsche Sprache der im Text
  erwähnten Rolle der vorbereitenden sexuellen Erregungen, welche
  gleichzeitig einen Anteil Befriedigung und einen Beitrag zur
  Sexualspannung liefern, im Gebrauche des Wortes »Lust« Rechnung trägt.
  »Lust« ist doppelsinnig und bezeichnet ebensowohl die Empfindung der
  Sexualspannung (Ich habe Lust = ich möchte, ich verspüre den Drang)
  als auch die der Befriedigung.

                   *       *       *       *       *

Rolle der Sexualstoffe.

Außer der Tatsache, daß normalerweise allein die Entlastung von den
Sexualstoffen der Sexualerregung ein Ende macht, hat man noch andere
Anhaltspunkte, die Sexualspannung in Beziehung zu den Sexualprodukten zu
bringen. Bei enthaltsamem Leben pflegt der Geschlechtsapparat in
wechselnden, aber nicht regellosen Perioden nächtlicherweise sich unter
Lustempfindung und während der Traumhalluzination eines sexuellen Aktes
der Sexualstoffe zu entledigen, und für diesen Vorgang -- die nächtliche
Pollution -- ist die Auffassung schwer abzuweisen, daß die
Sexualspannung, die den kurzen halluzinatorischen Weg zum Ersatz des
Aktes zu finden weiß, eine Funktion der Samenanhäufung in den Reservoirs
für die Geschlechtsprodukte sei. Im gleichen Sinne sprechen die
Erfahrungen, die man über die Erschöpfbarkeit des sexuellen Mechanismus
macht. Bei entleertem Samenvorrat ist nicht nur die Ausführung des
Sexualaktes unmöglich, es versagt auch die Reizbarkeit der erogenen
Zonen, deren geeignete Erregung dann keine Lust hervorrufen kann. Wir
erfahren so nebenbei, daß ein gewisses Maß sexueller Spannung selbst für
die Erregbarkeit der erogenen Zonen erforderlich ist.

Man würde so zur Annahme gedrängt, die, wenn ich nicht irre, ziemlich
allgemein verbreitet ist, daß die Anhäufung der Sexualstoffe die
Sexualspannung schafft und unterhält, etwa indem der Druck dieser
Produkte auf die Wandung ihrer Behälter als Reiz auf ein spinales
Zentrum wirkt, dessen Zustand von höheren Zentren wahrgenommen wird und
dann für das Bewußtsein die bekannte Spannungsempfindung ergibt. Wenn
die Erregung erogener Zonen die Sexualspannung steigert, so könnte dies
nur so zugehen, daß die erogenen Zonen in vorgebildeter anatomischer
Verbindung mit diesen Zentren stehen, den Tonus der Erregung daselbst
erhöhen, bei genügender Sexualspannung den sexuellen Akt in Gang bringen
und bei ungenügender die Produktion der Geschlechtsstoffe anregen.

Die Schwäche dieser Lehre, die man z. B. in v. _Krafft-Ebings_
Darstellung der Sexualvorgänge angenommen findet, liegt darin, daß sie,
für die Geschlechtstätigkeit des reifen Mannes geschaffen, auf dreierlei
Verhältnisse wenig Rücksicht nimmt, deren Aufklärung sie gleichfalls
liefern sollte. Es sind dies die Verhältnisse beim Kinde, beim Weibe und
beim männlichen Kastraten. In allen drei Fällen ist von einer Anhäufung
von Geschlechtsprodukten im gleichen Sinne wie beim Manne nicht die
Rede, was die glatte Anwendung des Schemas erschwert; doch ist
ohneweiters zuzugeben, daß sich Auskünfte finden ließen, welche die
Unterordnung auch dieser Fälle ermöglichen würden. Auf jeden Fall bleibt
die Warnung bestehen, dem Faktor der Anhäufung der Geschlechtsprodukte
nicht Leistungen aufzubürden, deren er unfähig scheint.

                   *       *       *       *       *

Einschätzung der inneren Geschlechtsteile.

Daß die Sexualerregung in beachtenswertem Grade unabhängig von der
Produktion der Geschlechtsstoffe sein kann, scheinen die Beobachtungen
an männlichen Kastraten zu ergeben, bei denen gelegentlich die Libido
der Beeinträchtigung durch die Operation entgeht, wenngleich das
entgegengesetzte Verhalten, das ja die Operation motiviert, die Regel
ist. Überdies weiß man ja längst, daß Krankheiten, welche die Produktion
der männlichen Geschlechtszellen vernichtet haben, die Libido und Potenz
des nun sterilen Individuums ungeschädigt lassen. Es ist dann keineswegs
so verwunderlich, wie C. _Rieger_ es hinstellt, daß der Verlust der
männlichen Keimdrüsen im reiferen Alter ohne weiteren Einfluß auf das
seelische Verhalten des Individuums bleiben kann. Die im zarten Alter
vor der Pubertät vorgenommene Kastration nähert sich zwar in ihrer
Wirkung dem Ziel einer Aufhebung der Geschlechtscharaktere, allein auch
dabei könnte außer dem Verlust der Geschlechtsdrüsen an sich eine mit
deren Wegfall verknüpfte Entwicklungshemmung anderer Faktoren in
Betracht kommen.

                   *       *       *       *       *

Chemische Theorie.

Tierversuche mit Entfernung der Keimdrüsen (Hoden und Ovarien) und
entsprechend variierter Einpflanzung neuer solcher Organe bei
Wirbeltieren (s. das zitierte Werk von _Lipschütz_, S. 13) haben endlich
ein partielles Licht auf die Herkunft der Sexualerregung geworfen und
dabei die Bedeutung einer etwaigen Anhäufung der zelligen
Geschlechtsprodukte noch weiter zurückgedrängt. Es ist dem Experiment
möglich geworden (E. _Steinach_), ein Männchen in ein Weibchen und
umgekehrt ein Weibchen in ein Männchen zu verwandeln, wobei sich das
psychosexuelle Verhalten des Tieres entsprechend den somatischen
Geschlechtscharakteren und gleichzeitig mit ihnen änderte. Dieser
geschlechtsbestimmende Einfluß soll aber nicht dem Anteil der Keimdrüse
zukommen, welcher die spezifischen Geschlechtszellen (Samenfäden und Ei)
erzeugt, sondern dem interstitiellen Gewebe derselben, welches darum von
den Autoren als »Pubertätsdrüse« hervorgehoben wird. Es ist sehr wohl
möglich, daß weitere Untersuchungen ergeben, die Pubertätsdrüse sei
normalerweise zwittrig angelegt, wodurch die Lehre von der Bisexualität
der höheren Tiere anatomisch begründet würde, und es ist schon jetzt
wahrscheinlich, daß sie nicht das einzige Organ ist, welches mit der
Produktion der Sexualerregung und der Geschlechtscharaktere zu tun hat.
Jedenfalls schließt dieser neue biologische Fund an das an, was wir
schon vorher über die Rolle der Schilddrüse für die Sexualität erfahren
haben. Wir dürfen nun glauben, daß im interstitiellen Anteil der
Keimdrüsen besondere chemische Stoffe erzeugt werden, die vom Blutstrom
aufgenommen die Ladung bestimmter Anteile des Zentralnervensystems mit
sexueller Spannung zustande kommen lassen, wie wir ja solche Umsetzung
eines toxischen Reizes in einen besonderen Organreiz von anderen dem
Körper als fremd eingeführten Giftstoffen kennen. Wie die Sexualerregung
durch Reizung erogener Zonen bei vorheriger Ladung der zentralen
Apparate entsteht, und welche Verwicklungen von rein toxischen und
physiologischen Reizwirkungen sich bei diesen Sexualvorgängen ergeben,
das auch nur hypothetisch zu behandeln, kann keine zeitgemäße Aufgabe
sein. Es genüge uns als wesentlich an dieser Auffassung der
Sexualvorgänge, die Annahme besonderer, dem Sexualstoffwechsel
entstammender Stoffe festzuhalten. Denn diese anscheinend willkürliche
Aufstellung wird durch eine wenig beachtete, aber höchst beachtenswerte
Einsicht unterstützt. Die Neurosen, welche sich nur auf Störungen des
Sexuallebens zurückführen lassen, zeigen die größte klinische
Ähnlichkeit mit den Phänomenen der Intoxikation und Abstinenz, welche
sich durch die habituelle Einführung Lust erzeugender Giftstoffe
(Alkaloide) ergeben.


Die Libidotheorie.

Mit diesen Vermutungen über die chemische Grundlage der Sexualerregung
stehen in guter Übereinstimmung die Hilfsvorstellungen, die wir uns zur
Bewältigung der psychischen Äußerungen des Sexuallebens geschaffen
haben. Wir haben uns den Begriff der _Libido_ festgelegt als einer
quantitativ veränderlichen Kraft, welche Vorgänge und Umsetzungen auf
dem Gebiete der Sexualerregung messen könnte. Diese Libido sondern wir
von der Energie, die den seelischen Prozessen allgemein unterzulegen
ist, mit Beziehung auf ihren besonderen Ursprung und verleihen ihr so
auch einen qualitativen Charakter. In der Sonderung von libidinöser und
anderer psychischer Energie drücken wir die Voraussetzung aus, daß sich
die Sexualvorgänge des Organismus durch einen besonderen Chemismus von
den Ernährungsvorgängen unterscheiden. Die Analyse der Perversionen und
Psychoneurosen hat uns zur Einsicht gebracht, daß diese Sexualerregung
nicht von den sogenannten Geschlechtsteilen allein, sondern von allen
Körperorganen geliefert wird. Wir bilden uns also die Vorstellung eines
Libidoquantums, dessen psychische Vertretung wir die _Ichlibido_ heißen,
dessen Produktion, Vergrößerung oder Verminderung, Verteilung und
Verschiebung uns die Erklärungsmöglichkeiten für die beobachteten
psychosexuellen Phänomene bieten soll.

Dem analytischen Studium bequem zugänglich wird diese Ichlibido aber
nur, wenn sie die psychische Verwendung zur Besetzung von Sexualobjekten
gefunden hat, also zur _Objektlibido_ geworden ist. Wir sehen sie dann
sich auf Objekte konzentrieren, an ihnen fixieren oder aber diese
Objekte verlassen, von ihnen auf andere übergehen und von diesen
Positionen aus die Sexualbetätigung des Individuums lenken, die zur
Befriedigung, d. h. zum partiellen und zeitweisen Erlöschen der Libido
führt. Die Psychoanalyse der sogenannten Übertragungsneurosen (Hysterie
und Zwangsneurose) gestattet uns hier einen sicheren Einblick.

Von den Schicksalen der Objektlibido können wir noch erkennen, daß sie
von den Objekten abgezogen, in besonderen Spannungszuständen schwebend
erhalten und endlich ins Ich zurückgeholt wird, so daß sie wieder zur
Ichlibido geworden ist. Die Ichlibido heißen wir im Gegensatz zur
Objektlibido auch _narzißtische_ Libido. Von der Psychoanalyse aus
schauen wir wie über eine Grenze, deren Überschreitung uns nicht
gestattet ist, in das Getriebe der narzißtischen Libido hinein und
bilden uns eine Vorstellung von dem Verhältnis der beiden. Die
narzißtische oder Ichlibido erscheint uns als das große Reservoir, aus
welchem die Objektbesetzungen ausgeschickt und in welches sie wieder
einbezogen werden, die narzißtische Libidobesetzung des Ichs als der in
der ersten Kindheit realisierte Urzustand, welcher durch die späteren
Aussendungen der Libido nur verdeckt wird, im Grunde hinter denselben
erhalten geblieben ist.

Die Aufgabe einer Libidotheorie der neurotischen und psychotischen
Störungen müßte sein, alle beobachteten Phänomene und erschlossenen
Vorgänge in den Terminis der Libidoökonomie auszudrücken. Es ist leicht
zu erraten, daß den Schicksalen der Ichlibido dabei die größere
Bedeutung zufallen wird, besonders wo es sich um die Erklärung der
tieferen psychotischen Störungen handelt. Die Schwierigkeit liegt dann
darin, daß das Mittel unserer Untersuchung, die Psychoanalyse, uns
vorläufig nur über die Wandlungen an der Objektlibido sichere Auskunft
bringt, die Ichlibido aber von den anderen im Ich wirkenden Energien
nicht ohneweiters zu scheiden vermag(63). Eine Fortführung der
Libidotheorie ist deshalb vorläufig nur auf dem Wege der Spekulation
möglich. Man verzichtet aber auf allen Gewinn aus der bisherigen
psychoanalytischen Beobachtung, wenn man nach dem Vorgang von C. G.
_Jung_ den Begriff der Libido selbst verflüchtigt, indem man sie mit der
psychischen Triebkraft überhaupt zusammenfallen läßt.

  (63) S. Zur Einführung des Narzißmus, Jahrbuch der Psychoanalyse VI,
  1913. -- Der Terminus »Narzißmus« ist nicht, wie dort irrtümlich
  angegeben, von _Naecke_, sondern von H. _Ellis_ geschaffen worden.

Die Sonderung der sexuellen Triebregungen von den anderen und somit die
Einschränkung des Begriffes Libido auf diese ersteren findet eine starke
Unterstützung in der vorhin erörterten Annahme eines besonderen
Chemismus der Sexualfunktion.


Differenzierung von Mann und Weib.

Es ist bekannt, daß erst mit der Pubertät sich die scharfe Sonderung des
männlichen und weiblichen Charakters herstellt, ein Gegensatz, der dann
wie kein anderer die Lebensgestaltung der Menschen entscheidend
beeinflußt. Männliche und weibliche Anlage sind allerdings schon im
Kindesalter gut kenntlich; die Entwicklung der Sexualitätshemmungen
(Scham, Ekel, Mitleid usw.) erfolgt beim kleinen Mädchen frühzeitiger
und gegen geringeren Widerstand als beim Knaben; die Neigung zur
Sexualverdrängung erscheint überhaupt größer; wo sich Partialtriebe der
Sexualität bemerkbar machen, bevorzugen sie die passive Form. Die
autoerotische Betätigung der erogenen Zonen ist aber bei beiden
Geschlechtern die nämliche und durch diese Übereinstimmung ist die
Möglichkeit eines Geschlechtsunterschiedes, wie er sich nach der
Pubertät herstellt, für die Kindheit aufgehoben. Mit Rücksicht auf die
autoerotischen und masturbatorischen Sexualäußerungen könnte man den
Satz aufstellen, die Sexualität der kleinen Mädchen habe durchaus
männlichen Charakter. Ja, wüßte man den Begriffen »männlich und
weiblich« einen bestimmteren Inhalt zu geben, so ließe sich auch die
Behauptung vertreten, _die Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig
männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme und,
abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein_(64).

  (64) Es ist unerläßlich, sich klar zu machen, daß die Begriffe
  »männlich« und »weiblich«, deren Inhalt der gewöhnlichen Meinung so
  unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten
  gehören und nach mindestens _drei_ Richtungen zu zerlegen sind. Man
  gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von _Aktivität_ und
  _Passivität_, bald im _biologischen_ und dann auch im _soziologischen_
  Sinne. Die erste dieser drei Bedeutungen ist die wesentliche und die
  in der Psychoanalyse allein verwertbare. Ihr entspricht es, wenn die
  Libido oben im Text als männlich bezeichnet wird, denn der Trieb ist
  immer aktiv, auch wo er sich ein passives Ziel gesetzt hat. Die
  zweite, biologische, Bedeutung von männlich und weiblich ist die,
  welche die klarste Bestimmung zuläßt. Männlich und weiblich sind hier
  durch die Anwesenheit der Samen- respektive Eizelle und durch die von
  ihnen ausgehenden Funktionen charakterisiert. Die Aktivität und ihre
  Nebenäußerungen, stärkere Muskelentwicklung, Aggression, größere
  Intensität der Libido, sind in der Regel mit der biologischen
  Männlichkeit verlötet, aber nicht notwendigerweise verknüpft, denn es
  gibt Tiergattungen, bei denen diese Eigenschaften vielmehr dem
  Weibchen zugeteilt sind. Die dritte, soziologische, Bedeutung erhält
  ihren Inhalt durch die Beobachtung der wirklich existierenden
  männlichen und weiblichen Individuen. Diese ergibt für den Menschen,
  daß weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine
  Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist
  vielmehr eine Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit
  biologischen Zügen des anderen Geschlechts und eine Vereinigung von
  Aktivität und Passivität auf, sowohl insofern diese psychischen
  Charakterzüge von den biologischen abhängen als auch insoweit sie
  unabhängig von ihnen sind.

Seitdem ich mit dem Gesichtspunkte der Bisexualität bekannt geworden
bin, halte ich dieses Moment für das hier maßgebende und meine, ohne der
Bisexualität Rechnung zu tragen, wird man kaum zum Verständnis der
tatsächlich zu beobachtenden Sexualäußerungen von Mann und Weib gelangen
können.

                   *       *       *       *       *

Leitzonen bei Mann und Weib.

Von diesem abgesehen, kann ich nur noch folgendes hinzufügen: Die
leitende erogene Zone ist auch beim weiblichen Kinde an der Klitoris
gelegen, der männlichen Genitalzone an der Eichel also homolog. Alles,
was ich über Masturbation bei kleinen Mädchen in Erfahrung bringen
konnte, betraf die Klitoris und nicht die für die späteren
Geschlechtsfunktionen bedeutsamen Partien des äußeren Genitales. Ich
zweifle selbst daran, daß das weibliche Kind unter dem Einflusse der
Verführung zu etwas anderem als zur Klitorismasturbation gelangen kann,
es sei denn ganz ausnahmsweise. Die gerade bei kleinen Mädchen so
häufigen Spontanentladungen der sexuellen Erregtheit äußern sich in
Zuckungen der Klitoris, und die häufigen Erektionen derselben
ermöglichen es den Mädchen, die Sexualäußerungen des anderen
Geschlechtes richtig auch ohne Unterweisung zu beurteilen, indem sie
einfach die Empfindungen der eigenen Sexualvorgänge auf die Knaben
übertragen.

Will man das Weibwerden des kleinen Mädchens verstehen, so muß man die
weiteren Schicksale dieser Klitoriserregbarkeit verfolgen. Die Pubertät,
welche dem Knaben jenen großen Vorstoß der Libido bringt, kennzeichnet
sich für das Mädchen durch eine neuerliche Verdrängungswelle, von der
gerade die Klitorissexualität betroffen wird. Es ist ein Stück
männlichen Sexuallebens, was dabei der Verdrängung verfällt. Die bei
dieser Pubertätsverdrängung des Weibes geschaffene Verstärkung der
Sexualhemmnisse ergibt dann einen Reiz für die Libido des Mannes und
nötigt dieselbe zur Steigerung ihrer Leistungen; mit der Höhe der Libido
steigt dann auch die Sexualüberschätzung, die nur für das sich
weigernde, seine Sexualität verleugnende Weib im vollen Maße zu haben
ist. Die Klitoris behält dann die Rolle, wenn sie beim endlich
zugelassenen Sexualakt selbst erregt wird, diese Erregung an die
benachbarten weiblichen Teile weiter zu leiten, etwa wie ein Span
Kienholz dazu benützt werden kann, das härtere Brennholz in Brand zu
setzen. Es nimmt oft eine gewisse Zeit in Anspruch, bis sich diese
Übertragung vollzogen hat, während welcher dann das junge Weib
anästhetisch ist. Diese Anästhesie kann eine dauernde werden, wenn die
Klitoriszone ihre Erregbarkeit abzugeben sich weigert, was gerade durch
ausgiebige Betätigung im Kinderleben vorbereitet wird. Es ist bekannt,
daß die Anästhesie der Frauen häufig nur eine scheinbare, eine lokale
ist. Sie sind anästhetisch am Scheideneingang, aber keineswegs
unerregbar von der Klitoris oder selbst von anderen Zonen aus. Zu diesen
erogenen Anlässen der Anästhesie gesellen sich dann noch die
psychischen, gleichfalls durch Verdrängung bedingten.

Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der Klitoris auf den
Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere
Sexualbetätigung leitende Zone gewechselt, während der Mann die seinige
von der Kindheit an beibehalten hat. In diesem Wechsel der leitenden
erogenen Zone sowie in dem Verdrängungsschub der Pubertät, der gleichsam
die infantile Männlichkeit beiseite schafft, liegen die Hauptbedingungen
für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie.
Diese Bedingungen hängen also mit dem Wesen der Weiblichkeit innigst
zusammen.


Die Objektfindung.

Während durch die Pubertätsvorgänge das Primat der Genitalzonen
festgelegt wird und das Vordrängen des erigiert gewordenen Gliedes beim
Manne gebieterisch auf das neue Sexualziel hinweist, auf das Eindringen
in eine die Genitalzone erregende Körperhöhle, vollzieht sich von
psychischer Seite her die Objektfindung, für welche von der frühesten
Kindheit an vorgearbeitet worden ist. Als die anfänglichste
Sexualbefriedigung noch mit der Nahrungsaufnahme verbunden war, hatte
der Sexualtrieb ein Sexualobjekt außerhalb des eigenen Körpers in der
Mutterbrust. Er verlor es nur später, vielleicht gerade zur Zeit, als es
dem Kinde möglich wurde, die Gesamtvorstellung der Person, welcher das
ihm Befriedigung spendende Organ angehörte, zu bilden. Der
Geschlechtstrieb wird dann in der Regel autoerotisch und erst nach
Überwindung der Latenzzeit stellt sich das ursprüngliche Verhältnis
wieder her. Nicht ohne guten Grund ist das Saugen des Kindes an der
Brust der Mutter vorbildlich für jede Liebesbeziehung geworden. Die
Objektfindung ist eigentlich eine Wiederfindung(65).

  (65) Die Psychoanalyse lehrt, daß es zwei Wege der Objektfindung gibt,
  erstens die im Text besprochene, die in _Anlehnung_ an die
  frühinfantilen Vorbilder vor sich geht, und zweitens die
  _narzißtische_, die das eigene Ich sucht und im anderen wiederfindet.
  Diese letztere hat eine besonders große Bedeutung für die
  pathologischen Ausgänge, fügt sich aber nicht in den hier behandelten
  Zusammenhang.

                   *       *       *       *       *

Sexualobjekt der Säuglingszeit.

Aber von dieser ersten und wichtigsten aller sexuellen Beziehungen
bleibt auch nach der Abtrennung der Sexualtätigkeit von der
Nahrungsaufnahme ein wichtiges Stück übrig, welches die Objektwahl
vorbereiten, das verlorene Glück also wiederherstellen hilft. Die ganze
Latenzzeit über lernt das Kind andere Personen, die seiner Hilflosigkeit
abhelfen und seine Bedürfnisse befriedigen, _lieben_, durchaus nach dem
Muster und in Fortsetzung seines Säuglingsverhältnisses zur Amme. Man
wird sich vielleicht sträuben wollen, die zärtlichen Gefühle und die
Wertschätzung des Kindes für seine Pflegepersonen mit der
geschlechtlichen Liebe zu identifizieren, allein ich meine, eine
genauere psychologische Untersuchung wird diese Identität über jeden
Zweifel hinaus feststellen können. Der Verkehr des Kindes mit seiner
Pflegeperson ist für dasselbe eine unaufhörlich fließende Quelle
sexueller Erregung und Befriedigung von erogenen Zonen aus, zumal da
letztere -- in der Regel doch die Mutter -- das Kind selbst mit Gefühlen
bedenkt, die aus ihrem Sexualleben stammen, es streichelt, küßt und
wiegt und ganz deutlich zum Ersatz für ein vollgültiges Sexualobjekt
nimmt(66). Die Mutter würde wahrscheinlich erschrecken, wenn man ihr die
Aufklärung gäbe, daß sie mit all ihren Zärtlichkeiten den Sexualtrieb
ihres Kindes weckt und dessen spätere Intensität vorbereitet. Sie hält
ihr Tun für asexuelle »reine« Liebe, da sie es doch sorgsam vermeidet,
den Genitalien des Kindes mehr Erregungen zuzuführen, als bei der
Körperpflege unumgänglich ist. Aber der Geschlechtstrieb wird nicht nur
durch Erregung der Genitalzone geweckt, wie wir ja wissen; was wir
Zärtlichkeit heißen, wird unfehlbar eines Tages seine Wirkung auch auf
die Genitalzonen äußern. Verstünde die Mutter mehr von der hohen
Bedeutung der Triebe für das gesamte Seelenleben, für alle ethischen und
psychischen Leistungen, so würde sie sich übrigens auch nach der
Aufklärung alle Selbstvorwürfe ersparen. Sie erfüllt nur ihre Aufgabe,
wenn sie das Kind lieben lehrt; es soll ja ein tüchtiger Mensch mit
energischem Sexualbedürfnis werden und in seinem Leben all das
vollbringen, wozu der Trieb den Menschen drängt. Ein Zuviel von
elterlicher Zärtlichkeit wird freilich schädlich werden, indem es die
sexuelle Reifung beschleunigt, auch dadurch, daß es das Kind »verwöhnt«,
es unfähig macht, im späteren Leben auf Liebe zeitweilig zu verzichten
oder sich mit einem geringeren Maß davon zu begnügen. Es ist eines der
besten Vorzeichen späterer Nervosität, wenn das Kind sich unersättlich
in seinem Verlangen nach Zärtlichkeit der Eltern erweist, und
andererseits werden gerade neuropathische Eltern, die ja meist zur
maßlosen Zärtlichkeit neigen, durch ihre Liebkosungen die Disposition
des Kindes zur neurotischen Erkrankung am ehesten erwecken. Man ersieht
übrigens aus diesem Beispiel, daß es für neurotische Eltern direktere
Wege als den der Vererbung gibt, ihre Störung auf die Kinder zu
übertragen.

  (66) Wem diese Auffassung »frevelhaft« dünkt, der lese die fast
  gleichsinnige Behandlung des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind
  bei _Havelock Ellis_ nach. (Das Geschlechtsgefühl, S. 16.)

                   *       *       *       *       *

Infantile Angst.

Die Kinder selbst benehmen sich von frühen Jahren an, als sei ihre
Anhänglichkeit an ihre Pflegepersonen von der Natur der sexuellen Liebe.
Die Angst der Kinder ist ursprünglich nichts anderes als der Ausdruck
dafür, daß sie die geliebte Person vermissen; sie kommen darum jedem
Fremden mit Angst entgegen; sie fürchten sich in der Dunkelheit, weil
man in dieser die geliebte Person nicht sieht, und lassen sich
beruhigen, wenn sie dieselbe in der Dunkelheit bei der Hand fassen
können. Man überschätzt die Wirkung aller Kinderschrecken und gruseligen
Erzählungen der Kinderfrauen, wenn man diesen Schuld gibt, daß sie die
Ängstlichkeit der Kinder erzeugen. Kinder, die zur Ängstlichkeit neigen,
nehmen nur solche Erzählungen auf, die an anderen durchaus nicht haften
wollen; und zur Ängstlichkeit neigen nur Kinder mit übergroßem oder
vorzeitig entwickeltem oder durch Verzärtelung anspruchsvoll gewordenem
Sexualtrieb. Das Kind benimmt sich hiebei wie der Erwachsene, indem es
seine Libido in Angst verwandelt, sowie es sie nicht zur Befriedigung zu
bringen vermag, und der Erwachsene wird sich dafür, wenn er durch
unbefriedigte Libido neurotisch geworden ist, in seiner Angst wie ein
Kind benehmen, sich zu fürchten beginnen, sowie er allein, d. h. ohne
eine Person ist, deren Liebe er sicher zu sein glaubt, und diese seine
Angst durch die kindischesten Maßregeln beschwichtigen wollen(67).

  (67) Die Aufklärung über die Herkunft der kindlichen Angst verdanke
  ich einem dreijährigen Knaben, den ich einmal aus einem dunklen Zimmer
  bitten hörte: »Tante, sprich mit mir; ich fürchte mich, weil es so
  dunkel ist.« Die Tante rief ihn an: »Was hast du denn davon? Du siehst
  mich ja nicht.« »Das macht nichts,« antwortete das Kind, »wenn jemand
  spricht, wird es hell.« -- Er fürchtete sich also nicht vor der
  Dunkelheit, sondern weil er eine geliebte Person vermißte, und konnte
  versprechen sich zu beruhigen, sobald er einen Beweis von deren
  Anwesenheit empfangen hatte. -- Daß die neurotische Angst aus der
  Libido entsteht, ein Umwandlungsprodukt derselben darstellt, sich also
  etwa so zu ihr verhält, wie der Essig zum Wein, ist eines der
  bedeutsamsten Resultate der psychoanalytischen Forschung. Eine weitere
  Diskussion dieses Problems siehe in meinen »Vorlesungen zur Einführung
  in die Psychoanalyse« 1917, woselbst wohl auch nicht die endgültige
  Aufklärung erreicht worden ist.

                   *       *       *       *       *

Inzestschranke.

Wenn die Zärtlichkeit der Eltern zum Kinde es glücklich vermieden hat,
den Sexualtrieb desselben vorzeitig, d. h. ehe die körperlichen
Bedingungen der Pubertät gegeben sind, in solcher Stärke zu wecken, daß
die seelische Erregung in unverkennbarer Weise zum Genitalsystem
durchbricht, so kann sie ihre Aufgabe erfüllen, dieses Kind im Alter der
Reife bei der Wahl des Sexualobjektes zu leiten. Gewiß läge es dem Kinde
am nächsten, diejenigen Personen selbst zu Sexualobjekten zu wählen, die
es mit einer sozusagen abgedämpften Libido seit seiner Kindheit
liebt(68). Aber durch den Aufschub der sexuellen Reifung ist die Zeit
gewonnen worden, neben anderen Sexualhemmnissen die Inzestschranke
aufzurichten, jene moralischen Vorschriften in sich aufzunehmen, welche
die geliebten Personen der Kindheit als Blutsverwandte ausdrücklich von
der Objektwahl ausschließen. Die Beachtung dieser Schranke ist vor allem
eine Kulturforderung der Gesellschaft, welche sich gegen die Aufzehrung
von Interessen durch die Familie wehren muß, die sie für die Herstellung
höherer sozialer Einheiten braucht, und darum mit allen Mitteln dahin
wirkt, bei jedem einzelnen, speziell beim Jüngling, den in der Kindheit
allein maßgebenden Zusammenhang mit seiner Familie zu lockern(69).

  (68) Vgl. hiezu das auf S. 64 über die Objektwahl des Kindes Gesagte:
  die »zärtliche Strömung«.

  (69) Die Inzestschranke gehört wahrscheinlich zu den historischen
  Erwerbungen der Menschheit und dürfte wie andere Moraltabu bereits bei
  vielen Individuen durch organische Vererbung fixiert sein. (Vgl. meine
  Schrift: Totem und Tabu 1913.) Doch zeigt die psychoanalytische
  Untersuchung, wie intensiv noch der Einzelne in seinen Entwicklungszeiten
  mit der Inzestversuchung ringt, und wie häufig er sie in
  Phantasien und selbst in der Realität übertritt.

Die Objektwahl wird aber zunächst in der Vorstellung vollzogen und das
Geschlechtsleben der eben reifenden Jugend hat kaum einen anderen
Spielraum, als sich in Phantasien, d. h. in nicht zur Ausführung
bestimmten Vorstellungen zu ergehen(70). In diesen Phantasien treten bei
allen Menschen die infantilen Neigungen, nun durch den somatischen
Nachdruck verstärkt, wieder auf, und unter ihnen in gesetzmäßiger
Häufigkeit und an erster Stelle die meist bereits durch die
Geschlechtsanziehung differenzierte Sexualregung des Kindes für die
Eltern, des Sohnes für die Mutter und der Tochter für den Vater(71).
Gleichzeitig mit der Überwindung und Verwerfung dieser deutlich
inzestuösen Phantasien wird eine der bedeutsamsten, aber auch
schmerzhaftesten, psychischen Leistungen der Pubertätszeit vollzogen,
die Ablösung von der Autorität der Eltern, durch welche erst der für den
Kulturfortschritt so wichtige Gegensatz der neuen Generation zur alten
geschaffen wird. Auf jeder der Stationen des Entwicklungsganges, den die
Individuen durchmachen sollen, wird eine Anzahl derselben
zurückgehalten, und so gibt es auch Personen, welche die Autorität der
Eltern nie überwunden und ihre Zärtlichkeit von denselben nicht oder nur
sehr unvollständig zurückgezogen haben. Es sind zumeist Mädchen, die so
zur Freude der Eltern weit über die Pubertät hinaus bei der vollen
Kinderliebe verbleiben, und da wird es dann sehr lehrreich zu finden,
daß es diesen Mädchen in ihrer späteren Ehe an dem Vermögen gebricht,
ihren Männern das Gebührende zu schenken. Sie werden kühle Ehefrauen und
bleiben sexuell anästhetisch. Man lernt daraus, daß die anscheinend
nicht sexuelle Liebe zu den Eltern und die geschlechtliche Liebe aus
denselben Quellen gespeist werden, d. h. daß die erstere nur einer
infantilen Fixierung der Libido entspricht.

  (70) Die Phantasien der Pubertätszeit knüpfen an die in der Kindheit
  verlassene infantile Sexualforschung an, reichen wohl auch ein Stück
  in die Latenzzeit zurück. Sie können ganz oder zum großen Teil
  unbewußt gehalten werden, entziehen sich darum häufig einer genauen
  Datierung. Sie haben große Bedeutung für die Entstehung mannigfaltiger
  Symptome, indem sie geradezu die Vorstufen derselben abgeben, also die
  Formen herstellen, in denen die verdrängten Libidokomponenten ihre
  Befriedigung finden. Ebenso sind die Vorlagen der nächtlichen
  Phantasien, die als Träume bewußt werden. Träume sind häufig nichts
  anderes als Wiederbelebungen solcher Phantasien unter dem Einfluß und
  in Anlehnung an einen aus dem Wachleben erübrigten Tagesreiz.
  (»Tagesreste«.) -- Unter den sexuellen Phantasien der Pubertätszeit
  ragen einige hervor, welche durch allgemeinstes Vorkommen und
  weitgehende Unabhängigkeit vom Erleben des Einzelnen ausgezeichnet
  sind. So die Phantasien von der Belauschung des elterlichen
  Geschlechtsverkehrs, von der frühen Verführung durch geliebte
  Personen, von der Kastrationsdrohung, die Mutterleibsphantasien, deren
  Inhalt Verweilen und selbst Erlebnisse im Mutterleib sind, und der
  sogenannte »Familienroman«, in welchem der Heranwachsende auf den
  Unterschied seiner Einstellung zu den Eltern jetzt und in der Kindheit
  reagiert. Die nahen Beziehungen dieser Phantasien zum Mythus hat für
  das letzte Beispiel O. _Rank_ in seiner Schrift »Der Mythus von der
  Geburt des Helden« 1909 aufgezeigt.

  Man sagt mit Recht, daß der Ödipuskomplex der Kernkomplex der Neurosen
  ist, das wesentliche Stück im Inhalt der Neurose darstellt. In ihm
  gipfelt die infantile Sexualität, welche durch ihre Nachwirkungen die
  Sexualität des Erwachsenen entscheidend beeinflußt. Jedem menschlichen
  Neuankömmling ist die Aufgabe gestellt, den Ödipuskomplex zu
  bewältigen; wer es nicht zustande bringt, ist der Neurose verfallen.
  Der Fortschritt der psychoanalytischen Arbeit hat diese Bedeutung des
  Ödipuskomplexes immer schärfer gezeichnet; seine Anerkennung ist das
  Schiboleth geworden, welches die Anhänger der Psychoanalyse von ihren
  Gegnern scheidet.

  (71) Vergleiche die Ausführungen über das unvermeidliche Verhängnis in
  der Ödipusfabel (»Traumdeutung«, 4. Auflage, S. 198).

Je mehr man sich den tieferen Störungen der psychosexuellen Entwicklung
nähert, desto unverkennbarer tritt die Bedeutung der inzestuösen
Objektwahl hervor. Bei den Psychoneurotikern verbleibt infolge von
Sexualablehnung ein großes Stück oder das Ganze der psychosexuellen
Tätigkeit zur Objektfindung im Unbewußten. Für die Mädchen mit
übergroßem Zärtlichkeitsbedürfnis und eben solchem Grausen vor den
realen Anforderungen des Sexuallebens wird es zu einer unwiderstehlichen
Versuchung, sich einerseits das Ideal der asexuellen Liebe im Leben zu
verwirklichen und andererseits ihre Libido hinter einer Zärtlichkeit,
die sie ohne Selbstvorwurf äußern dürfen, zu verbergen, indem sie die
infantile, in der Pubertät aufgefrischte Neigung zu Eltern oder
Geschwistern fürs Leben festhalten. Die Psychoanalyse kann solchen
Personen mühelos nachweisen, daß sie in diese ihre Blutsverwandten im
gemeinverständlichen Sinne des Wortes _verliebt_ sind, indem sie mit
Hilfe der Symptome und anderen Krankheitsäußerungen ihre unbewußten
Gedanken aufspürt und in bewußte übersetzt. Auch wo ein vorerst Gesunder
nach einer unglücklichen Liebeserfahrung erkrankt ist, kann man als den
Mechanismus solcher Erkrankung die Rückwendung seiner Libido auf die
infantil bevorzugten Personen mit Sicherheit aufdecken.

                   *       *       *       *       *

Nachwirkung der infantilen Objektwahl.

Auch wer die inzestuöse Fixierung seiner Libido glücklich vermieden hat,
ist dem Einfluß derselben nicht völlig entzogen. Es ist ein deutlicher
Nachklang dieser Entwicklungsphase, wenn die erste ernsthafte
Verliebtheit des jungen Mannes, wie so häufig, einem reifen Weibe, die
des Mädchens einem älteren, mit Autorität ausgestatteten Manne gilt, die
ihnen das Bild der Mutter und des Vaters beleben können(72). In freierer
Anlehnung an diese Vorbilder geht wohl die Objektwahl überhaupt vor
sich. Vor allem sucht der Mann nach dem Erinnerungsbild der Mutter, wie
es ihn seit den Anfängen der Kindheit beherrscht; im vollen Einklang
steht es damit, wenn sich die noch lebende Mutter gegen diese ihre
Erneuerung sträubt und ihr mit Feindseligkeit begegnet. Bei solcher
Bedeutung der kindlichen Beziehungen zu den Eltern für die spätere Wahl
des Sexualobjektes ist es leicht zu verstehen, daß jede Störung dieser
Kindheitsbeziehungen die schwersten Folgen für das Sexualleben nach der
Reife zeitigt; auch die Eifersucht des Liebenden ermangelt nie der
infantilen Wurzel oder wenigstens der infantilen Verstärkung.
Zwistigkeiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben,
bedingen die schwerste Prädisposition für gestörte Sexualentwicklung
oder neurotische Erkrankung der Kinder.

  (72) S. meinen Aufsatz Ȇber einen besonderen Typus der Objektwahl
  beim Manne« 1910 in Sammlung klein. Schriften z. Neurosenlehre,
  IV. Folge.

Die infantile Neigung zu den Eltern ist wohl die wichtigste, aber nicht
die einzige der Spuren, die, in der Pubertät aufgefrischt, dann der
Objektwahl den Weg weisen. Andere Ansätze derselben Herkunft gestatten
dem Manne noch immer in Anlehnung an seine Kindheit mehr als eine
einzige _Sexualreihe_ zu entwickeln, ganz verschiedene Bedingungen für
die Objektwahl auszubilden(73).

  (73) Ungezählte Eigentümlichkeiten des menschlichen Liebeslebens sowie
  das Zwanghafte der Verliebtheit selbst sind überhaupt nur durch die
  Rückbeziehung auf die Kindheit und als Wirkungsreste derselben zu
  verstehen.

                   *       *       *       *       *

Verhütung der Inversion.

Eine bei der Objektwahl sich ergebende Aufgabe liegt darin, das
entgegengesetzte Geschlecht nicht zu verfehlen. Sie wird, wie bekannt,
nicht ohne einiges Tasten gelöst. Die ersten Regungen nach der Pubertät
gehen häufig genug -- ohne dauernden Schaden -- irre. _Dessoir_ hat mit
Recht darauf aufmerksam gemacht, welche Gesetzmäßigkeit sich in den
schwärmerischen Freundschaften von Jünglingen und Mädchen für
ihresgleichen verrät. Die größte Macht, welche eine dauernde Inversion
des Sexualobjektes abwehrt, ist gewiß die Anziehung, welche die
entgegengesetzten Geschlechtscharaktere für einander äußern; zur
Erklärung derselben kann im Zusammenhange dieser Erörterungen nichts
gegeben werden. Aber dieser Faktor reicht für sich allein nicht hin, die
Inversion auszuschließen; es kommen wohl allerlei unterstützende Momente
hinzu. Vor allem die Autoritätshemmung der Gesellschaft; wo die
Inversion nicht als Verbrechen betrachtet wird, da kann man die
Erfahrung machen, daß sie den sexuellen Neigungen nicht weniger
Individuen voll entspricht. Ferner darf man für den Mann annehmen, daß
die Kindererinnerung an die Zärtlichkeit der Mutter und anderer
weiblicher Personen, denen er als Kind überantwortet war, energisch
mithilft, seine Wahl auf das Weib zu lenken, während die von seiten des
Vaters erfahrene frühzeitige Sexualeinschüchterung und die
Konkurrenzeinstellung zu ihm vom gleichen Geschlechte ablenkt. Beide
Momente gelten aber auch für das Mädchen, dessen Sexualbetätigung unter
der besonderen Obhut der Mutter steht. Es ergibt sich so eine feindliche
Beziehung zum eigenen Geschlecht, welche die Objektwahl entscheidend in
dem für normal geltenden Sinn beeinflußt. Die Erziehung der Knaben durch
männliche Personen (Sklaven in der antiken Welt) scheint die
Homosexualität zu begünstigen; beim heutigen Adel wird die Häufigkeit
der Inversion wohl durch die Verwendung männlicher Dienerschaft wie
durch die geringere persönliche Fürsorge der Mütter für ihre Kinder um
etwas verständlicher. Bei manchen Hysterischen ergibt sich, daß der
frühzeitige Wegfall einer Person des Elternpaares (durch Tod,
Ehescheidung, Entfremdung), worauf dann die übrigbleibende die ganze
Liebe des Kindes an sich gezogen hatte, die Bedingung für das Geschlecht
der später zum Sexualobjekt gewählten Person festgestellt und damit auch
die dauernde Inversion ermöglicht hat.


Zusammenfassung.

Es ist an der Zeit, eine Zusammenfassung zu versuchen. Wir sind von den
Abirrungen des Geschlechtstriebes in bezug auf sein Objekt und sein Ziel
ausgegangen, haben die Fragestellung vorgefunden, ob diese aus
angeborener Anlage entspringen oder infolge der Einflüsse des Lebens
erworben werden. Die Beantwortung dieser Frage ergab sich uns aus der
Einsicht in die Verhältnisse des Geschlechtstriebes bei den
Psychoneurotikern, einer zahlreichen und den Gesunden nicht ferne
stehenden Menschengruppe, welche Einsicht wir durch psychoanalytische
Untersuchung gewonnen hatten. Wir fanden so, daß bei diesen Personen die
Neigungen zu allen Perversionen als unbewußte Mächte nachweisbar sind
und sich als Symptombildner verraten, und konnten sagen, die Neurose sei
gleichsam ein Negativ der Perversion. Angesichts der nun erkannten
großen Verbreitung der Perversionsneigungen drängte sich uns der
Gesichtspunkt auf, daß die Anlage zu den Perversionen die ursprüngliche
allgemeine Anlage des menschlichen Geschlechtstriebes sei, aus welcher
das normale Sexualverhalten infolge organischer Veränderungen und
psychischer Hemmungen im Laufe der Reifung entwickelt werde. Die
ursprüngliche Anlage hofften wir im Kindesalter aufzeigen zu können;
unter den die Richtung des Sexualtriebes einschränkenden Mächten hoben
wir Scham, Ekel, Mitleid und die sozialen Konstruktionen der Moral und
Autorität hervor. So mußten wir in jeder fixierten Abirrung vom normalen
Geschlechtsleben ein Stück Entwicklungshemmung und Infantilismus
erblicken. Die Bedeutung der Variationen der ursprünglichen Anlage
mußten wir in den Vordergrund stellen, zwischen ihnen und den Einflüssen
des Lebens aber ein Verhältnis von Kooperation und nicht von
Gegensätzlichkeit annehmen. Anderseits erschien uns, da die
ursprüngliche Anlage eine komplexe sein mußte, der Geschlechtstrieb
selbst als etwas aus vielen Faktoren Zusammengesetztes, das in den
Perversionen gleichsam in seine Komponenten zerfällt. Somit erwiesen
sich die Perversionen einerseits als Hemmungen, andererseits als
Dissoziationen der normalen Entwicklung. Beide Auffassungen vereinigten
sich in der Annahme, daß der Geschlechtstrieb des Erwachsenen durch die
Zusammenfassung vielfacher Regungen des Kinderlebens zu einer Einheit,
einer Strebung mit einem einzigen Ziel entstehe.

Wir fügten noch die Aufklärung für das Überwiegen der perversen
Neigungen bei den Psychoneurotikern bei, indem wir dieses als
kollaterale Füllung von Nebenbahnen bei Verlegung des Hauptstrombettes
durch die »Verdrängung« erkannten, und wandten uns dann der Betrachtung
des Sexuallebens im Kindesalter zu(74). Wir fanden es bedauerlich, daß
man dem Kindesalter den Sexualtrieb abgesprochen und die nicht selten zu
beobachtenden Sexualäußerungen des Kindes als regelwidrige Vorkommnisse
beschrieben hat. Es schien uns vielmehr, daß das Kind Keime von
Sexualtätigkeit mit zur Welt bringt und schon bei der Nahrungsaufnahme
sexuelle Befriedigung mitgenießt, die es sich dann in der gut gekannten
Tätigkeit des »Ludelns« immer wieder zu verschaffen sucht. Die
Sexualbetätigung des Kindes entwickle sich aber nicht im gleichen
Schritt wie seine sonstigen Funktionen, sondern trete nach einer kurzen
Blüteperiode vom 2. bis zum 5. Jahre in die sogenannte Latenzperiode
ein. In derselben würde die Produktion sexueller Erregung keineswegs
eingestellt, sondern halte an und liefere einen Vorrat von Energie, der
großenteils zu anderen als sexuellen Zwecken verwendet werde, nämlich
einerseits zur Abgabe der sexuellen Komponenten für soziale Gefühle,
andererseits (vermittels Verdrängung und Reaktionsbildung) zum Aufbau
der späteren Sexualschranken. Demnach würden die Mächte, die dazu
bestimmt sind, den Sexualtrieb in gewissen Bahnen zu erhalten, im
Kindesalter auf Kosten der großenteils perversen Sexualregungen und
unter Mithilfe der Erziehung aufgebaut. Ein anderer Teil der infantilen
Sexualregungen entgehe diesen Verwendungen und könne sich als
Sexualbetätigung äußern. Man könne dann erfahren, daß die Sexualerregung
des Kindes aus vielerlei Quellen fließe. Vor allem entstehe Befriedigung
durch die geeignete sensible Erregung sogenannter erogener Zonen als
welche wahrscheinlich jede Hautstelle und jedes Sinnesorgan,
wahrscheinlich jedes Organ, fungieren könne, während gewisse
ausgezeichnete erogene Zonen existieren, deren Erregung durch gewisse
organische Vorrichtungen von Anfang an gesichert sei. Ferner entstehe
sexuelle Erregung gleichsam als Nebenprodukt bei einer großen Reihe von
Vorgängen im Organismus, sobald dieselben nur eine gewisse Intensität
erreichen, ganz besonders bei allen stärkeren Gemütsbewegungen, seien
sie auch peinlicher Natur. Die Erregungen aus all diesen Quellen setzten
sich noch nicht zusammen, sondern verfolgten jede vereinzelt ihr Ziel,
welches bloß der Gewinn einer gewissen Lust ist. Der Geschlechtstrieb
sei also im Kindesalter _nicht zentriert_ und zunächst objektlos,
_autoerotisch_.

  (74) Dies gilt nicht nur für die in der Neurose »negativ« auftretenden
  Perversionsneigungen, sondern ebenso für die positiven, eigentlich so
  benannten Perversionen. Diese letzteren sind also nicht bloß auf die
  Fixierung der infantilen Neigungen zurückzuführen, sondern auch auf
  die Regression zu denselben infolge der Verlegung anderer Bahnen der
  Sexualströmung. Darum sind auch die positiven Perversionen der
  psychoanalytischen Therapie zugänglich.

Noch während der Kinderjahre beginne die erogene Zone der Genitalien
sich bemerkbar zu machen, entweder in der Art, daß sie wie jede andere
erogene Zone auf geeignete sensible Reizung Befriedigung ergebe, oder
indem auf nicht ganz verständliche Weise mit der Befriedigung von
anderen Quellen her gleichzeitig eine Sexualerregung erzeugt werde, die
zu der Genitalzone eine besondere Beziehung erhalte. Wir haben es
bedauern müssen, daß eine genügende Aufklärung des Verhältnisses
zwischen Sexualbefriedigung und Sexualerregung sowie zwischen der
Tätigkeit der Genitalzone und der übrigen Quellen der Sexualität nicht
zu erreichen war.

Durch das Studium der neurotischen Störungen haben wir gemerkt, daß sich
im kindlichen Sexualleben von allem Anfang an Ansätze zu einer
Organisation der sexuellen Triebkomponenten erkennen lassen. In einer
ersten sehr frühen Phase steht die _Oral_erotik im Vordergrunde; eine
zweite dieser »_prägenitalen_« Organisationen wird durch die
Vorherrschaft des _Sadismus_ und der _Anal_erotik charakterisiert, erst
in einer dritten Phase wird das Sexualleben durch den Anteil der
eigentlichen Genitalzonen mitbestimmt.

Wir haben dann als eine der überraschendsten Ermittlungen feststellen
müssen, daß diese Frühblüte des infantilen Sexuallebens (2-5 Jahre) auch
eine Objektwahl mit all den reichen, seelischen Leistungen zeitigt, so
daß die daran geknüpfte, ihr entsprechende Phase trotz der mangelnden
Zusammenfassung der einzelnen Triebkomponenten und der Unsicherheit des
Sexualzieles als bedeutsamer Vorläufer der späteren endgültigen
Sexualorganisation einzuschätzen ist.

Die Tatsache des _zweizeitigen Ansatzes_ der Sexualentwicklung beim
Menschen, also die Unterbrechung dieser Entwicklung durch die
Latenzzeit, erschien uns besonderer Beachtung würdig. Sie scheint eine
der Bedingungen für die Eignung des Menschen zur Entwicklung einer
höheren Kultur, aber auch für seine Neigung zur Neurose zu enthalten.
Bei der tierischen Verwandtschaft des Menschen ist unseres Wissens etwas
Analoges nicht nachweisbar. Die Ableitung der Herkunft dieser
menschlichen Eigenschaft müßte man in der Urgeschichte der Menschenart
suchen.

Welches Maß von sexuellen Betätigungen im Kindesalter noch als normal,
der weiteren Entwicklung nicht abträglich, bezeichnet werden darf,
konnten wir nicht sagen. Der Charakter der Sexualäußerungen erwies sich
als vorwiegend masturbatorisch. Wir stellten ferner durch Erfahrungen
fest, daß die äußeren Einflüsse der Verführung vorzeitige Durchbrüche
der Latenzzeit bis zur Aufhebung derselben hervorrufen können, und daß
sich dabei der Geschlechtstrieb des Kindes in der Tat als polymorph
pervers bewährt; ferner, daß jede solche frühzeitige Sexualtätigkeit die
Erziehbarkeit des Kindes beeinträchtigt.

Trotz der Lückenhaftigkeit unserer Einsichten in das infantile
Sexualleben mußten wir dann den Versuch machen, die durch das Auftreten
der Pubertät gesetzten Veränderungen desselben zu studieren. Wir griffen
zwei derselben als die maßgebenden heraus, die Unterordnung aller
sonstigen Ursprünge der Sexualerregung unter das Primat der Genitalzonen
und den Prozeß der Objektfindung. Beide sind im Kinderleben bereits
vorgebildet. Die erstere vollzieht sich durch den Mechanismus der
Ausnützung der Vorlust, wobei die sonst selbständigen sexuellen Akte,
die mit Lust und Erregung verbunden sind, zu vorbereitenden Akten für
das neue Sexualziel, die Entleerung der Geschlechtsprodukte werden,
dessen Erreichung unter riesiger Lust der Sexualerregung ein Ende macht.
Wir hatten dabei die Differenzierung des geschlechtlichen Wesens zu Mann
und Weib zu berücksichtigen und fanden, daß zum Weibwerden eine
neuerliche Verdrängung erforderlich ist, welche ein Stück infantiler
Männlichkeit aufhebt und das Weib für den Wechsel der leitenden
Genitalzone vorbereitet. Die Objektwahl endlich fanden wir geleitet
durch die infantilen, zur Pubertät aufgefrischten Andeutungen sexueller
Neigung des Kindes zu seinen Eltern und Pflegepersonen und durch die
mittlerweile aufgerichtete Inzestschranke von diesen Personen weg auf
ihnen ähnliche gelenkt. Fügen wir endlich noch hinzu, daß während der
Übergangszeit der Pubertät die somatischen und die psychischen
Entwicklungsvorgänge eine Weile unverknüpft nebeneinander hergehen, bis
mit dem Durchbruch einer intensiven seelischen Liebesregung zur
Innervation der Genitalien die normalerweise erforderte Einheit der
Liebesfunktion hergestellt wird.

                   *       *       *       *       *

Entwicklungsstörende Momente.

Jeder Schritt auf diesem langen Entwicklungswege kann zur
Fixierungsstelle, jede Fuge dieser verwickelten Zusammensetzung zum
Anlaß der Dissoziation des Geschlechtstriebes werden, wie wir bereits an
verschiedenen Beispielen erörtert haben. Es erübrigt uns noch, eine
Übersicht der verschiedenen, die Entwicklung störenden, inneren und
äußeren Momente zu geben und beizufügen, an welcher Stelle des
Mechanismus die von ihnen ausgehende Störung angreift. Was wir da in
einer Reihe anführen, kann freilich unter sich nicht gleichwertig sein,
und wir müssen auf Schwierigkeiten rechnen, den einzelnen Momenten die
ihnen gebührende Abschätzung zuzuteilen.

                   *       *       *       *       *

Konstitution und Heredität.

An erster Stelle ist hier die angeborene _Verschiedenheit der sexuellen
Konstitution_ zu nennen, auf die wahrscheinlich das Hauptgewicht
entfällt, die aber, wie begreiflich, nur aus ihren späteren Äußerungen
und dann nicht immer mit großer Sicherheit zu erschließen ist. Wir
stellen uns unter ihr ein Überwiegen dieser oder jener der mannigfachen
Quellen der Sexualerregung vor und glauben, daß solche Verschiedenheit
der Anlagen in dem Endergebnis jedenfalls zum Ausdruck kommen muß, auch
wenn dies sich innerhalb der Grenzen des Normalen zu halten vermag.
Gewiß sind auch solche Variationen der ursprünglichen Anlage denkbar,
welche notwendigerweise und ohne weitere Mithilfe zur Ausbildung eines
abnormen Sexuallebens führen müssen. Man kann dieselben dann
»degenerative« heißen und als Ausdruck ererbter Verschlechterung
betrachten. Ich habe in diesem Zusammenhange eine merkwürdige Tatsache
zu berichten. Bei mehr als der Hälfte meiner psychotherapeutisch
behandelten schweren Fälle von Hysterie, Zwangsneurose usw. ist mir der
Nachweis der vor der Ehe überstandenen Syphilis der Väter sicher
gelungen, sei es, daß diese an Tabes oder progressiver Paralyse gelitten
hatten, sei es, daß deren luetische Erkrankung sich anderswie
anamnestisch feststellen ließ. Ich bemerke ausdrücklich, daß die später
neurotischen Kinder keine körperlichen Zeichen von hereditärer Lues an
sich trugen, so daß eben die abnorme sexuelle Konstitution als der
letzte Ausläufer der luetischen Erbschaft zu betrachten war. So fern es
mir nun liegt, die Abkunft von syphilitischen Eltern als regelmäßige
oder unentbehrliche ätiologische Bedingung der neuropathischen
Konstitution hinzustellen, so halte ich doch das von mir beobachtete
Zusammentreffen für nicht zufällig und nicht bedeutungslos.

Die hereditären Verhältnisse der positiv Perversen sind minder gut
bekannt, weil dieselben sich der Erkundung zu entziehen wissen. Doch hat
man Grund anzunehmen, daß bei den Perversionen ähnliches wie bei den
Neurosen gilt. Nicht selten findet man nämlich Perversion und
Psychoneurose in denselben Familien auf die verschiedenen Geschlechter
so verteilt, daß die männlichen Mitglieder oder eines derselben positiv
pervers, die weiblichen aber der Verdrängungsneigung ihres Geschlechts
entsprechend negativ pervers, hysterisch sind, ein guter Beleg für die
von uns gefundenen Wesensbeziehungen zwischen den beiden Störungen.

                   *       *       *       *       *

Weitere Verarbeitung.

Man kann indes den Standpunkt nicht vertreten, als ob mit dem Ansatz der
verschiedenen Komponenten in der sexuellen Konstitution die Entscheidung
über die Gestaltung des Sexuallebens eindeutig bestimmt wäre. Die
Bedingtheit setzt sich vielmehr fort und weitere Möglichkeiten ergeben
sich je nach dem Schicksal, welches die aus den einzelnen Quellen
stammenden Sexualitätszuflüsse erfahren. Diese _weitere Verarbeitung_
ist offenbar das endgültig Entscheidende, während die der Beschreibung
nach gleiche Konstitution zu drei verschiedenen Endausgängen führen
kann. Wenn sich alle die Anlagen in ihrem, als abnorm angenommenen,
relativen Verhältnis erhalten und mit der Reifung verstärken, so kann
nur ein perverses Sexualleben das Endergebnis sein. Die Analyse solcher
abnormer konstitutioneller Anlagen ist noch nicht ordentlich in Angriff
genommen worden, doch kennen wir bereits Fälle, die in solchen Annahmen
mit Leichtigkeit ihre Erklärung finden. Die Autoren meinen z. B. von
einer ganzen Reihe von Fixationsperversionen, dieselben hätten eine
angeborene Schwäche des Sexualtriebs zur notwendigen Voraussetzung. In
dieser Form scheint mir die Aufstellung unhaltbar; sie wird aber
sinnreich, wenn eine konstitutionelle Schwäche des einen Faktors des
Sexualtriebs, der genitalen Zone, gemeint ist, welche Zone späterhin die
Zusammenfassung der einzelnen Sexualbetätigungen zum Ziel der
Fortpflanzung als Funktion übernimmt. Diese in der Pubertät geforderte
Zusammenfassung muß dann mißlingen und die stärkste der anderen
Sexualitätskomponenten wird ihre Betätigung als Perversion
durchsetzen(75).

  (75) Man sieht dabei häufig, daß in der Pubertätszeit zunächst eine
  normale Sexualströmung einsetzt, welche aber infolge ihrer inneren
  Schwäche vor den ersten äußeren Hindernissen zusammenbricht und dann
  von der Regression auf die perverse Fixierung abgelöst wird.

                   *       *       *       *       *

Verdrängung.

Ein anderer Ausgang ergibt sich, wenn im Laufe der Entwicklung einzelne
der überstark angelegten Komponenten den Prozeß der _Verdrängung_
erfahren, von dem man festhalten muß, daß er einer Aufhebung nicht
gleichkommt. Die betreffenden Erregungen werden dabei wie sonst erzeugt,
aber durch psychische Verhinderung von der Erreichung ihres Zieles
abgehalten und auf mannigfache andere Wege gedrängt, bis sie sich als
Symptome zum Ausdruck gebracht haben. Das Ergebnis kann ein annähernd
normales Sexualleben sein, -- meist ein eingeschränktes --, aber ergänzt
durch psychoneurotische Krankheit. Gerade diese Fälle sind uns durch die
psychoanalytische Erforschung Neurotischer gut bekannt geworden. Das
Sexualleben solcher Personen hat wie das der Perversen begonnen, ein
ganzes Stück ihrer Kindheit ist mit perverser Sexualtätigkeit
ausgefüllt, die sich gelegentlich weit über die Reifezeit erstreckt;
dann erfolgt aus inneren Ursachen -- meist noch vor der Pubertät, aber
hie und da sogar spät nachher -- ein Verdrängungsumschlag, und von nun
an tritt, ohne daß die alten Regungen erlöschen, Neurose an die Stelle
der Perversion. Man wird an das Sprichwort »Junge Hure, alte
Betschwester« erinnert, nur daß die Jugend hier allzu kurz ausgefallen
ist. Diese Ablösung der Perversion durch die Neurose im Leben derselben
Person muß man ebenso wie die vorhin angeführte Verteilung von
Perversion und Neurose auf verschiedene Personen derselben Familie mit
der Einsicht, daß die Neurose das Negativ der Perversion ist,
zusammenhalten.

                   *       *       *       *       *

Sublimierung.

Der dritte Ausgang bei abnormer konstitutioneller Anlage wird durch den
Prozeß der »_Sublimierung_« ermöglicht, bei welchem den überstarken
Erregungen aus einzelnen Sexualitätsquellen Abfluß und Verwendung auf
andere Gebiete eröffnet wird, so daß eine nicht unerhebliche Steigerung
der psychischen Leistungsfähigkeit aus der an sich gefährlichen
Veranlagung resultiert. Eine der Quellen der Kunstbetätigung ist hier zu
finden und, je nachdem solche Sublimierung eine vollständige oder
unvollständige ist, wird die Charakteranalyse hochbegabter, insbesondere
künstlerisch veranlagter Personen jedes Mengungsverhältnis zwischen
Leistungsfähigkeit, Perversion und Neurose ergeben. Eine Unterart der
Sublimierung ist wohl die Unterdrückung durch _Reaktionsbildung_, die,
wie wir gefunden haben, bereits in der Latenzzeit des Kindes beginnt, um
sich im günstigen Falle durchs ganze Leben fortzusetzen. Was wir den
»Charakter« eines Menschen heißen, ist zum guten Teil mit dem Material
sexueller Erregungen aufgebaut und setzt sich aus seit der Kindheit
fixierten Trieben, aus durch Sublimierung gewonnenen und aus solchen
Konstruktionen zusammen, die zur wirksamen Niederhaltung perverser, als
unverwendbar erkannter Regungen bestimmt sind(76). Somit kann die
allgemein perverse Sexualanlage der Kindheit als die Quelle einer Reihe
unserer Tugenden geschätzt werden, insofern sie durch Reaktionsbildung
zur Schaffung derselben Anstoß gibt(77).

  (76) Bei einigen Charakterzügen ist selbst ein Zusammenhang mit
  bestimmten erogenen Komponenten erkannt worden. So leiten sich Trotz,
  Sparsamkeit und Ordentlichkeit aus der Verwendung der Analerotik ab.
  Der Ehrgeiz wird durch eine starke urethralerotische Anlage bestimmt.

  (77) Ein Menschenkenner wie E. _Zola_ schildert in »La Joie de vivre«
  ein Mädchen, das in heiterer Selbstentäußerung alles, was es besitzt
  und beanspruchen könnte, sein Vermögen und seine Lebenswünsche
  geliebten Personen ohne Entlohnung zum Opfer bringt. Die Kindheit
  dieses Mädchens ist von einem unersättlichen Zärtlichkeitsbedürfnis
  beherrscht, das sie bei einer Gelegenheit von Zurücksetzung gegen eine
  andere in Grausamkeit verfallen läßt.

                   *       *       *       *       *

Akzidentell Erlebtes.

Gegenüber den Sexualentbindungen, Verdrängungsschüben und
Sublimierungen, letztere beide Vorgänge, deren innere Bedingungen uns
völlig unbekannt sind, treten alle anderen Einflüsse weit an Bedeutung
zurück. Wer Verdrängungen und Sublimierungen mit zur konstitutionellen
Anlage rechnet, als die Lebensäußerungen derselben betrachtet, der hat
allerdings das Recht zu behaupten, daß die Endgestaltung des
Sexuallebens vor allem das Ergebnis der angeborenen Konstitution ist.
Indes wird kein Einsichtiger bestreiten, daß in solchem Zusammenwirken
von Faktoren auch Raum für die modifizierenden Einflüsse des akzidentell
in der Kindheit und späterhin Erlebten bleibt. Es ist nicht leicht, die
Wirksamkeit der konstitutionellen und der akzidentellen Faktoren in
ihrem Verhältnis zueinander abzuschätzen. In der Theorie neigt man immer
zur Überschätzung der ersteren; die therapeutische Praxis hebt die
Bedeutsamkeit der letzteren hervor. Man sollte auf keinen Fall
vergessen, daß zwischen den beiden ein Verhältnis von Kooperation und
nicht von Ausschließung besteht. Das konstitutionelle Moment muß auf
Erlebnisse warten, die es zur Geltung bringen, das akzidentelle bedarf
einer Anlehnung an die Konstitution, um zur Wirkung zu kommen. Man kann
sich für die Mehrzahl der Fälle eine sogenannte »Ergänzungsreihe«
vorstellen, in welcher die fallenden Intensitäten des einen Faktors
durch die steigenden des anderen ausgeglichen werden, hat aber keinen
Grund, die Existenz extremer Fälle an den Enden der Reihe zu leugnen.

Der psychoanalytischen Forschung entspricht es noch besser, wenn man den
Erlebnissen der frühen Kindheit unter den akzidentellen Momenten eine
Vorzugsstellung einräumt. Die eine ätiologische Reihe zerlegt sich dann
in zwei, die man die _dispositionelle_ und die _definitive_ heißen kann.
In der ersteren wirken Konstitution und akzidentelle Kindheitserlebnisse
ebenso zusammen wie in der zweiten Disposition und spätere traumatische
Erlebnisse. Alle die Sexualentwicklung schädigenden Momente äußern ihre
Wirkung in der Weise, daß sie eine _Regression_, eine Rückkehr zu einer
früheren Entwicklungsphase hervorrufen.

Wir setzen hier unsere Aufgabe fort, die uns als einflußreich für die
Sexualentwicklung bekannt gewordenen Momente aufzuzählen, sei es, daß
diese wirksame Mächte oder bloß Äußerungen solcher darstellen.

                   *       *       *       *       *

Frühreife.

Ein solches Moment ist die spontane sexuelle _Frühreife_, die wenigstens
in der Ätiologie der Neurosen mit Sicherheit nachweisbar ist, wenngleich
sie so wenig wie andere Momente für sich allein zur Verursachung
hinreicht. Sie äußert sich in Durchbrechung, Verkürzung oder Aufhebung
der infantilen Latenzzeit und wird zur Ursache von Störungen, indem sie
Sexualäußerungen veranlaßt, die einerseits wegen des unfertigen
Zustandes der Sexualhemmungen, andererseits infolge des unentwickelten
Genitalsystems nur den Charakter von Perversionen an sich tragen können.
Diese Perversionsneigungen mögen sich nun als solche erhalten oder nach
eingetretenen Verdrängungen zu Triebkräften neurotischer Symptome
werden; auf alle Fälle erschwert die sexuelle Frühreife die
wünschenswerte spätere Beherrschung des Sexualtriebs durch die höheren
seelischen Instanzen und steigert den zwangartigen Charakter, den die
psychischen Vertretungen des Triebes ohnedies in Anspruch nehmen. Die
sexuelle Frühreife geht häufig vorzeitiger intellektueller Entwicklung
parallel; als solche findet sie sich in der Kindheitsgeschichte der
bedeutendsten und leistungsfähigsten Individuen; sie scheint dann nicht
ebenso pathogen zu wirken, wie wenn sie isoliert auftritt.

                   *       *       *       *       *

Zeitliche Momente.

Ebenso wie die Frühreife fordern andere Momente Berücksichtigung, die
man als »_zeitliche_« mit der Frühreife zusammenfassen kann. Es scheint
phylogenetisch festgelegt, in welcher Reihenfolge die einzelnen
Triebregungen aktiviert werden, und wie lange sie sich äußern können,
bis sie dem Einfluß einer neu auftretenden Triebregung oder einer
typischen Verdrängung unterliegen. Allein sowohl in dieser zeitlichen
Aufeinanderfolge wie in der Zeitdauer derselben scheinen Variationen
vorzukommen, die auf das Endergebnis einen bestimmenden Einfluß üben
müssen. Es kann nicht gleichgültig sein, ob eine gewisse Strömung früher
oder später auftritt als ihre Gegenströmung, denn die Wirkung einer
Verdrängung ist nicht rückgängig zu machen; eine zeitliche Abweichung in
der Zusammensetzung der Komponenten ergibt regelmäßig eine Änderung des
Resultats. Andererseits nehmen besonders intensiv auftretende
Triebregungen oft einen überraschend schnellen Ablauf, z. B. die
heterosexuelle Bindung der später manifest Homosexuellen. Die am
heftigsten einsetzenden Strebungen der Kinderjahre rechtfertigen nicht
die Befürchtung, daß sie den Charakter des Erwachsenen dauernd
beherrschen werden; man darf ebensowohl erwarten, daß sie verschwinden
werden, um ihrem Gegenteile Platz zu machen. (Gestrenge Herren regieren
nicht lange.) Worauf solche zeitliche Verwirrungen der Entwicklungsvorgänge
rückführbar sind, vermögen wir auch nicht in Andeutungen
anzugeben. Es eröffnet sich hier ein Ausblick auf eine tiefere
Phalanx von biologischen, vielleicht auch historischen Problemen,
denen wir uns noch nicht auf Kampfesweite angenähert haben.

                   *       *       *       *       *

Haftbarkeit.

Die Bedeutung aller frühzeitigen Sexualäußerungen wird durch einen
psychischen Faktor unbekannter Herkunft gesteigert, den man derzeit
freilich nur als eine psychologische Vorläufigkeit hinstellen kann. Ich
meine die erhöhte _Haftbarkeit_ oder _Fixierbarkeit_ dieser Eindrücke
des Sexuallebens, die man bei späteren Neurotikern wie bei Perversen zur
Ergänzung des Tatbestands hinzunehmen muß, da die gleichen vorzeitigen
Sexualäußerungen bei anderen Personen sich nicht so tief einprägen
können, daß sie zwangartig auf Wiederholung hinwirken und dem
Sexualtrieb für alle Lebenszeit seine Wege vorzuschreiben vermögen.
Vielleicht liegt ein Stück der Aufklärung für diese Haftbarkeit in einem
anderen psychischen Moment, welches wir in der Verursachung der Neurosen
nicht missen können, nämlich in dem Übergewicht, welches im Seelenleben
den Erinnerungsspuren im Vergleich mit den rezenten Eindrücken zufällt.
Dieses Moment ist offenbar von der intellektuellen Ausbildung abhängig
und wächst mit der Höhe der persönlichen Kultur. Im Gegensatz hiezu ist
der Wilde als das »unglückselige Kind des Augenblickes« charakterisiert
worden(78). Wegen der gegensätzlichen Beziehung zwischen Kultur und
freier Sexualitätsentwicklung, deren Folgen weit in die Gestaltung
unseres Lebens verfolgt werden können, ist es auf niedriger Kultur- oder
Gesellschaftsstufe so wenig, auf höherer so sehr fürs spätere Leben
bedeutsam, wie das sexuelle Leben des Kindes verlaufen ist.

  (78) Möglicherweise ist die Erhöhung der Haftbarkeit auch der Erfolg
  einer besonders intensiven somatischen Sexualäußerung früherer Jahre.

                   *       *       *       *       *

Fixierung.

Die Begünstigung durch die eben erwähnten psychischen Momente kommt nun
den akzidentell erlebten Anregungen der kindlichen Sexualität zugute.
Die letzteren (Verführung durch andere Kinder oder Erwachsene in erster
Linie) bringen das Material bei, welches mit Hilfe der ersteren zur
dauernden Störung fixiert werden kann. Ein guter Teil der später
beobachteten Abweichungen vom normalen Sexualleben ist so bei
Neurotikern wie bei Perversen durch die Eindrücke der angeblich
sexualfreien Kindheitsperiode von Anfang an festgelegt. In die
Verursachung teilen sich das Entgegenkommen der Konstitution, die
Frühreife, die Eigenschaft der erhöhten Haftbarkeit und die zufällige
Anregung des Sexualtriebs durch fremden Einfluß.

Der unbefriedigende Schluß aber, der sich aus diesen Untersuchungen über
die Störungen des Sexuallebens ergibt, geht dahin, daß wir von den
biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, lange
nicht genug wissen, um aus unseren vereinzelten Einsichten eine zum
Verständnis des Normalen wie des Pathologischen genügende Theorie zu
gestalten.



  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  _Bloch_, M. _Hirschfeld_ und aus den Arbeiten in den vom letzteren
  _Bloch_, M. _Hirschfeld_ und aus den Arbeiten in dem vom letzteren

  Führen wir zwei Termine an: heißen wir die Person, von welcher die
  Führen wir zwei Termini ein: heißen wir die Person, von welcher die

  der männlichen Intervierten ausgesprochen worden: Weibliches Gehirn im
  der männlichen Invertierten ausgesprochen worden: Weibliches Gehirn im

  Einpfanzung von Keimdrüsen des anderen Geschlechtes gelang es, bei
  Einpflanzung von Keimdrüsen des anderen Geschlechtes gelang es, bei

  Auftreten neuer Absichten
  Auftreten neuer Absichten.

  Strebungen, sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (_die
  Strebungen sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (_die

  psychische Tätigkeit versagt worden ist. Diese also im Zustande der
  psychische Tätigkeit versagt worden ist. Diese also im Zustande des

  Sexuallebens studiert haben;
  Sexuallebens studiert haben.

  Bei den Perversionsneigungen, die für Mundhöhle und Aftereröffnung
  Bei den Perversionsneigungen, die für Mundhöhle und Afteröffnung

  Charaktere erogener Zonen
  Charaktere erogener Zonen.

  durch den After einen starken Reiz auf die Schleimheit ausüben können.
  durch den After einen starken Reiz auf die Schleimhaut ausüben können.

  Die zweite Phase der kindlichen Masturbation
  Die zweite Phase der kindlichen Masturbation.

  Das Rätsel der Sphinx
  Das Rätsel der Sphinx.

  Um das Bild des infantilen Sexuallebens zu vervollständigen muß man
  Um das Bild des infantilen Sexuallebens zu vervollständigen, muß man

  b) durch geeignete peripherische Reizung erogener Zone, c) als Ausdruck
  b) durch geeignete peripherische Reizung erogener Zonen, c) als Ausdruck

  in welcher Situation außer der allgemeinen Muskelantsrengung noch die
  in welcher Situation außer der allgemeinen Muskelanstrengung noch die

  Richtung gangbar sein müssen. Ist wz. B. der beiden Funktionen gemeinsame
  Richtung gangbar sein müssen. Ist z. B. der beiden Funktionen gemeinsame

  dessen Erreichtung alle Partialtriebe zusammenwirken, während die
  dessen Erreichung alle Partialtriebe zusammenwirken, während die

  von der Pubertät vorgenommene Kastration nähert sich zwar in ihrer
  vor der Pubertät vorgenommene Kastration nähert sich zwar in ihrer

  Die Sonderung der sexuellen Triebregungen von dem anderen und somit die
  Die Sonderung der sexuellen Triebregungen von den anderen und somit die

  unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrendsten
  unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten

  Der Fortschritt der psychoanalitischen Arbeit hat diese Bedeutung des
  Der Fortschritt der psychoanalytischen Arbeit hat diese Bedeutung des

  ]





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