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Title: Der Waldbrand
Author: Schefer, Leopold
Language: German
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Leopold Schefer



Der Waldbrand



Der Waldbrand.



_Quebec_, am 1. März 1826.

Sehr geliebter Bruder!

Bruder! -- so nenn' ich Dich noch -- nach fünfzehn Jahren Trennung -- und
nenn' ich Dich _hier_, in tausend Meilen Entfernung. Ich dachte wohl sonst
in meiner Einsamkeit, nun müß' ich Dich erst recht Bruder nennen, mit Dir
wie mit einem Nahen, Lebendigen leben, ja als den Nächsten im Herzen Dich
tragen, und Deine Gestalt durch feurige Liebe an jedem Morgen lebendig und
rege, freundlich und wiederliebend mir aufglühen, mir frisch erhalten und
aufschaffen, wie eine Hyazinthe, die ich als Zwiebel von deinem Fenster mit
mir herüber nahm und durch mühsame Pflege zu einer immerwährenden Blume so
fortgesetzt. -- Aber, o Bruder! Wirken ist Leben! Wir leben nur denen, auf
welche wir wirken; und die auf uns wirken, die leben uns nur. Und so
umschweben uns auf der Erde viel Millionen Lebendiger zwar, doch nur wie
Todte! Es ist uns nur tröstlich, zu wissen: sie wohnen und wandeln mit uns
und genießen wie wir das heilige Leben und sehen den Mond und die Sonne;
und darum sind uns Mond und Sonne, die Tag und Nacht in ihre Gärten, ihre
Wohnungen, ja in ihre Augen leuchten, wieder so unaussprechlich lieb, hold,
freundlich und gewärtig! Gute Menschheit, geheimnißvoller Verband der
Sterblichen, erquickende Nähe der Ferne! Aber wie wir Menschen sind, lebt
uns doch der Entfernte nicht, sein Leben schließt sich uns mit der Stunde
zu, sein Herz, sein Wandel, sein Sinnen und Streben bleibt uns
verschlossen, seitdem wir ihm zum letzten Male ins Auge sahen! Seine
strebende leibhafte Gestalt ist uns nur ein farbiges flüsterndes
Schattengebild, seitdem wir im Händedruck zum letzten Mal die wohlthuende
heilige Wärme seines Daseins empfanden. So bin ich Entfernter Dir -- hin!
hinüber! Du mir zurück! ewig dahinten! Und nur _einbilden_ kann ich mir
noch, wie Du wohl lebst -- was Du am Morgen thust -- wie Du die Nacht
schlummerst -- wenn es so ist -- ich rathe es nur, doch ich weiß es nicht!
Und nur jenes nun feste, unwandelbare Gebild, das Du in jenen Tagen warst,
die über unsern Kinderspielen, über unsern Jünglingswanderungen verloschen
-- das bist Du mir noch, und bleibst Du mir fort. Wie in einem wahreren
Reiche des Traumes weck ich Dein -- Traumbild auf und rede und lebe mit ihm
-- im Traum. Denn damit der Mensch ganz dem Tag' und der Gegenwart gehöre,
deshalb verschattet ihm die Natur sein früheres Leben, wie sie dem
Neugebornen sein ganzes früheres Dasein in die innere Tiefe versenkt und
gewiß ihm da geheim bewahrt! O wie viel schlummert dort! -- und eine
gegenwärtige kleine Lust überbietet alle vorigen hohen Freuden! und ein
gegenwärtiger Schmerz verdrängt alles frühere Leid! Um den _heut_
Begrabenen weinen wir neue Thränen und denken _des_ Lieben nur noch wie im
Traum, auf dessen _begrüntem_ Hügel wir stehen, indeß wir den
Frischentrissenen bang und wie betäubt versenken sehen! Auch das ist gut,
ja es ist schön, damit jedes Gefühl sein volles Recht in uns erlange, daß
wir es Jedem zollen, sei dieß Recht nun Mit-Leid, oder Mit-Freude.

Und so bitt' ich Dich heut, zolle mir Dein -- Mit-_Leid!_ Du wirst es
_nach_-empfinden können, auch wenn Du Dir nur einbildest: das traurige
Geschick habe Den betroffen, den _eine_ Mutter mit Dir sonst oft zugleich
umarmte! Denke, es habe den Freund, den Bruder betroffen, den eben, der Dir
nun -- fehlt!

Du hast mir einmal aus Deinem Lüneburg einen verzweifelt kurzen Brief
geschrieben: auf der ersten Seite zwölf Zeilen, die andern alle leer! Wie
oft hab' ich ihn umgewendet, um nicht zu glauben, Du seist doch wirklich
nicht recht klug! Indeß hielten die zwölf Zeilen zwölf Jahre wider. Euer
europäischer Zustand ist verjährt und weltbekannt, und man darf nur Rom
oder London, Wien oder Berlin nennen, um gleich zu wissen, _wo_ und _woran_
man ist! Dagegen hast Du von mir denken können, wie jene alte nachsichtige
Mutter von ihrem Sohne, der in der Fremde gestorben sein sollte, und die
ihn entschuldigte und sagte: So schlecht ist mein Sohn ja nimmer! _Das_
wenigstens hätt' er mir gewiß geschrieben! -- Ich will jetzt auch so
schlecht nicht sein und Dir melden -- wie ich _nicht_ umgekommen bin! --
Doch wahrlich, seit der Sündfluth ist ein so großes Elend auf Erden nicht
gewesen! Ach, die Natur kann ewig neu sein im Schönen, und neu im
Schrecken! Ihr denkt: es ist Alles in ihr schon so in der Ordnung, und so
wird sie sich ableben wie ein altes Weib. Aber! -- Wo konnte so etwas
geschehen als in der jungen Welt? Denn hier ist das Land des Neuen und
Großen! des Werdenden! Nicht des Gewordenen und des Vergehenden -- wie bei
Euch!

Doch ich muß nachholen!

Als nach der, Napoleon's Zauber lösenden, Schlacht bei Aspern -- die der,
darum nie genug zu würdigende, biedre, altdeutsche Held Erzherzog Karl
gewann -- unser kleines muthathmendes Häufchen braunschweiger Husaren
gleichsam von der Pfanne gebrannt, Allarm- und Nothschüsse that -- in
nasses Pulver, -- als Deutschland noch nicht sich entzündete, noch nicht
_losging_ -- und Wir, wie ein Kirschkern zwischen zwei Fingern gedrängt,
durch Deutschland fliehen, fast fliegen mußten, die Nordsee, die Schiffe
und England zu erreichen, da kam ich verwundet dort an. Doch nicht so
unheilbar, um nicht lieber ein ruhiges militärisches Amt zu bekleiden --
und sei's in Canada, als 100 Guineen Pension mit Ingrimm zu verzehren, daß
ich mit Tausenden _umsonst_ geblutet, wie es _damals_ schien! Denn wir
hatten das Ausholen der Weltuhr für das Sausen des Schlages genommen, sie
verhört und schon gesagt: »Seine Stunde ist kommen!« Was in uns
entschlossen und entschieden war, das sollte gleich fertig da draußen in
der Welt stehen! Indeß horcht die Natur erst, ob wir's auch Alle redlich
wollen, und dann erst läßt sie den Kindern ein Weilchen den Willen. Ein
Weilchen! Wie ihr nun seht! Denn sie horcht, ob Ihr das Weitere auch nun
Alle ernstlich wollt.

Ich ging also in die bessere Welt als Milizcapitain eines Kirchspiels in
Unter-Canada. Diese Art Dörfer heißen _verlorene_, nämlich, als wenn ein
Kind des Mikromegas die Kirche, die Häuser und Hürden, durch den
unermeßlichen Wald hinwandelnd, aus seiner geöffneten Schachtel nach und
nach hier verloren hätte. Und so stehen denn die Häuser alle allein, jedes
mit seinem Garten, seinen Aeckern und Wiesen, jedes wohl 1000 Schritt von
dem andern, getrennt durch Wald, und nur verbunden durch einen Fluß oder
Weg -- wie ein armes Mädchen einige wenige Perlen recht weit auseinander
auf einen Faden Seide reiht! An mich kamen die Befehle der Regierung durch
den Milizobersten. Du kannst Dir das Schwierige der Polizei denken! So ein
Dorf ließe sich kaum durch _Luftballons_ bequem regieren! und wenn Sonne,
Mond und Kometen etwa dergleichen sind, so läßt sich Einiges von der
göttlichen Weltregierung entfernter Maßen begreifen!

Mir fehlte, außer meinem Hunde, ein freundliches Wesen, das mich empfing,
wenn ich nach Hause kam. Tausend Dinge fehlten, des Morgens, des Mittags
und, um nicht _mehr_ zu sagen: _des Abends!_ Mir fehlte die Gegenwart; mir
fehlte die Zukunft, das heißt: ein Kind, oder Kinder, kurz mir fehlte ein
_Weib!_ wenn ich jetzt hier dauern und im Alter noch hier glücklich sein
wollte.

Nun ist es gewiß die entschiedenste Thorheit, ein Weib zu begehren, das uns
ganz gleich sei an Sinn, Bildung, Kenntnissen, Richtung; denn die Erfüllung
dieses Begehrens ist durch die Natur dem Manne unmöglich gemacht und geht
auf Männer, auf Freunde. Das Weib soll alles Das sein, was der Mann nicht
ist; eine Frau soll grade alles Das nur _haben_, was der Mann _nicht_ hat;
er soll sich mit ihr, sie durch ihn ergänzen, damit _Ein Mensch_ daraus
werde! Und eine mit mir ganz disparate Frau hätt' ich gewiß bei uns unter
den Engeln in Lüneburg gefunden -- aber alle die Engel waren nicht hier!
Indessen schien es doch gut: wenn ein _inneres_ Band uns Gatten knüpfte, so
daß wir gleich die Ehe beginnen konnten in _einem_ Sinne, mit _ähnlichem_
Streben -- wenn unsere Stimmung uns durch _dieselbe Vorzeit_, die in unserm
Gemüthe wiederklang, gegeben war. Am liebsten hätt' ich also ein Weib
genommen, das, _auch_ vom Vaterlande losgerissen, hierher verschlagen war
wie ich! Aber zu ihrem Glück gab es keine solche Unglückliche hier.

Nach dieser also schien mir ein Wesen das beste, das, aus den Urvölkern
dieser Gegend entsprossen, unsern Kindern Gedeihen und guten Bestand
versprach, wenn sie wie fremde Aepfel auf dem -- gutgemachten
Quittenstrauch wuchsen, dem diese Erde seine mütterliche war!

Zu dieser Wendung hatte mich ein siebzehnjähriges Mädchen von dem
verlöschenden Stamme der _Algonkinen_ gebracht. Sie lebte in unserm Hause
und hieß _Eoo_. Ohne eine Sklavin zu sein, verrichtete sie fast
Sklavendienste. Denn jenes Urvolk der Algonkinen, kaum hin und wieder durch
einigen Maisbau an die Scholle geknüpft, lebt in den endlosen Wäldern meist
von der Jagd, und selbst eine Mutter überläßt, von den Sorgen um Nahrung
umhergetrieben, mit schmerzlicher Freude die Kinder an Fremde, um sie nicht
zu tödten! Den Vater der Eoo kannt' ich; denn ich selbst war einst
Abgeordneter an die freien Indianer gewesen, und ich hatte ihnen, wegen
Erhaltung des Friedens, wollene Decken, Zeuche, Gewehre, Messer, Spiegel,
Scheeren, Kessel, Brillen, Töpfe und Rum von Seiten der englischen
Regierung schenken müssen. Damit ziehen die armen Kinder ab, als wenn sie
uns betrogen!

Eoo's Reize, ihr liebreiches Wesen leiteten mein Selbstgespräch bei der
Eheberathung. Von einem Weibe (dacht' ich) verlang' ich vor Allem zuerst:
_Gesundheit!_ Ist die Frau gesund -- dann ist sie heiter, willig, stets
wohlgelaunt, zu allen Freuden und Leiden stark und verheißt dem neuen
Zustande _Dauer_. Ohne Gesundheit sind all' ihre anderen Gaben -- keine!

-- Und gesund ist Eoo!

_Zweitens_ sei das Weib _zuverlässig_ in jeder Art. Denn all ihr Gutes wird
zum entgegengesetzten Bösen, wenn es mit ihr nicht uns gehört. Bei den
Liebenden aber ist Sanftmuth und Duldung und Zuverlässigkeit.

-- Und _wen_ Eoo liebt, den liebt sie bis in den Tod getreu. --

_Drittens_ fühle und wisse sie, was nöthig und schicklich sei im Hause zu
aller Zeit und wolle lernen, es herzustellen (denn jede Jungfrau wird erst
als Weib ein Weib). Dann sorgt sie, daß Alle immer haben, weß sie bedürfen,
das liebe Kind in der Wiege, und selbst der Hund an der Kette!

-- Und Eoo ist die Seele und das Auge des Hauses!

_Viertens_ habe sie _kein_ eigenes Vermögen, als die drei ersten Güter.
Denn -- war mein Grund:

-- Eoo ist nur so reich als Eva im Paradies!

_Fünftens_ und Letztens erst sei sie meinetwegen auch schön! Das soll mich
nicht _hindern_, ein Mädchen zum Weibe zu nehmen. Aber diese Fünf ist schon
in der Eins -- der Gesundheit, dem Ebenmaß aller Kräfte, enthalten, und das
schönste Gesicht ist nach 365 Tagen dem Mann ein alltägliches; und
vielleicht -- Andern nicht!

-- Aber Eoo war schön. --

So erbaut' ich denn ein Haus, und sie war mein liebes sanftes Weib Eoo!

Ich war glücklich mit meinem Naturkinde, ja ich empfand eine gewisse
Verehrung vor ihr, gleich wie vor der Natur. Denn ich hatte sonst immer
gedacht: nur Bildung gebe dem Menschen, dem Weibe den Werth, sie sei Etwas!
Hier aber fehlte sie, und _dennoch_ war meine Eoo Alles, was ich nur
wünschen konnte vom Weibe! Und so sehr ich die Wirkungen ihrer Liebe
empfand, so sah ich doch deutlich, daß in ihrem Herzen noch ein
unermeßlicher Schatz, eine Kraft, ein ungenützter ungemünzter Reichthum
derselben geborgen lag, den sie und ich in unserem sicher begründeten
Zustand, unseren sanft verrinnenden Tagen gar nicht gebrauchen konnten! So
rinnt aus einem unerschöpflichen See nur ein kleiner stiller Bach durch die
grünenden Wiesen hinab und ernährt nur die Blumen da, wo er fließt, indeß
seines Sees Fülle, wie mit einem Spiegel bedeckt, in ruhiger Gnüge glänzt!

O wie that dieß Wissen mir wohl, und ich hoffte vom Schicksal und betete:
daß sie nie den verborgenen Schatz angreifen dürfe, in keiner Noth!

                   *       *       *       *       *

Der Ehesegen blieb nicht aus. Wir erhielten vom Himmel ein Mädchen, das,
nach Eoo's Mutter, _Alaska_ genannt ward. Als sie drei Jahre alt war -- --
--

Doch beurtheile mich menschlich! Wer aus Europa hierher kommt, bringt
unermeßliche Wünsche mit, aus Verdruß ja Gram und Scham über unermeßlichen
Mangel an geistigen und leiblichen Gütern unentbehrlicher Art; ihm steht
der ganze Reichthum, das schöne geschmückte Leben schon erworben und fertig
vor Augen, Alles, was hier sich entfalten wird -- _dereinst!_ wenn Gott
auch hier über seine Menschen noch fürder waltet. Und Er waltet! Der
Flüchtling aber ist schon elend, dadurch, daß er sein Vaterland dahinten
lassen mußte, wenn er es sonst auch nicht war. Er wäre nicht geflohen,
hätte er Reichthum genug besessen, um zu allem Elend -- behüte mich Gott --
zu lachen, und sich eine Art Hausfreiheit und Hausleben zu gründen. Nun
kommt er hierher -- und nun ist der erste, der heimlich ihn treibende,
leitende Wunsch: großen Besitz, großes Vermögen zu haben! Nur dadurch
glaubt' er erst hier sein Geschlecht gesichert, daß aus ihm erstehen soll.
Er will nicht der Letzte des alten Geschlechtes sein, sondern gleichsam
sein neuer Gründer, ein Saatkorn, das endlich sein wahres Klima gefunden zu
endlosem -- Wucher!

Nun lebte drei Tagereisen von uns ein Franzose, Mr. Saint-Réal, ein
_Freund_ von mir, weil ich einst bei einem Besuche sein Kind aus dem Wasser
gerettet, das nach schwimmenden Lilien sich über das Ufer gedehnt. Er besaß
ein herrliches Wohnhaus, große Gärten voll Obstbäume, reiche Gefilde rund
und um sein Haus weit umher, Wald, Feld, Seen, kurz ein Fürstenthum -- um
das Wort hier zu mißbrauchen -- der Sache nach. Sein Töchterchen aber war
später dennoch gestorben! Und in seinem Schmerz sich zu zerstreuen,
besuchte er uns!

Da lief meine kleine Tochter _Alaska_ dem freundlichen Manne entgegen. Er
hob sie empor, er drückte sie an sich, er sank auf einen Sitz mit ihr hin,
er weinte -- sahe das Kind an und weinte, das Kind war betreten, es
trocknete ihm die Thränen, es seufzte schwer und schlang seine kleinen Arme
um seinen Hals.

Eoo fühlte das tiefste Mitleid mit ihm. Sie sah mich an, als wenn ich unser
Mädchen verloren, und hob die schönen Augen zum Himmel, ihm dankend, daß
wir es glücklich besaßen!

Da ergriff der Freund jeden von uns an einer Hand und bat: »das Kind müßt'
ihr mir lassen! Mein Weib ist schon todt.«

Was konnten wir sagen? Das Wort: »mein Weib ist schon todt!« stürzte Eoo in
den bittersten Jammer -- um mich! als sei _sie_ mir gestorben; und sie trug
ihn still auf den Freund über, auf dessen gramblassem weinenden Angesicht
er stand!

Und o Himmel, Eoo gebar mir in diesen Tagen einen _Knaben_, und die ganze
mütterliche Liebe und Zärtlichkeit fiel, wie der Sonne ganze Kraft durch
eine beschränkende Wolkenlücke, _jetzt_ auf das holde Neugeborene
hernieder! Sie sah es nur immer an. Es war aller mütterlichen Sorgfalt so
ganz, so gar bedürftig, sie glaubte alle Liebe jetzt für den Säugling
allein zu brauchen; ja, wie sie ihr Leben im zweifelhaften Falle für ihn
gegeben, so war ich ihr selbst in diesen Tagen -- nicht Alles, nur der
Vater; aber sie die Mutter! und ach, die Mutter nur durch das Kind, um des
Kindes willen! Die kleine Tochter Alaska war gleichsam mündig gesprochen;
wie früher schon von der Brust, nun auch vom Schooße verdrängt; und das
kleine Ding war still betreten, ja eifersüchtig, so sorglos zurück gesetzt,
und flüchtete sich auf des Vaters Schooß, oder an die Brust des fremden
Vaters, der in ihr alle Freude wiederzufinden glaubte, oder doch den Traum
derselben wirklich genoß!

Unser neues Glück that ihm weh; er wollte nach Hause. Aber er drang nun in
_mich um das Kind!_ Ach, jetzt hätte ich sollen über die segenschwere
Frühlingsgewitterzeit der mütterlichen Liebe meiner Eoo hinwegsehen und ihm
das Mädchen nicht geben, dessen sie jetzt nicht so zu bedürfen schien wie
zuvor! Ich überraschte sie mit der Bitte. Sie erröthete zwar, sie verneinte
es, zitternd mit schnell bewegtem Haupt -- da schlug ihr Okki die Augen
auf, und begehrte seinen Morgentrank an ihrer Brust! Sie drückte ihn sanft
mit der Linken an, sie umschlang mit der Rechten die arme kleine Alaska,
die in kleinen Reisekleidern schon fertig angezogen sich an sie schmiegte,
nicht wußte, was sie that, als sie der Mutter die Hand küßte; nicht wußte,
was ihr geschah, als Eoo sie, mit wie erzürnter flacher Hand vor die Stirn
schlug, vor heiligem Mißmuth, daß sie von ihr gehen könne! und so ging denn
das holde unwissende Kind von der Mutter, ach nur auf ein Augenblickchen!
wie es meinte; von einer engbegränzten Neugierde gelockt -- nur die
_Lämmer_ des neuen Vaters zu sehen! Und Er eilte so, als raub' er sie mir,
und als schlafe die Mutter und ich wie beraubte Chinesen, denen die Räuber
durch Opiumrauch von der Decke herab Reglosigkeit und Trunkenheit in das
Zimmer geblasen, und die dann betäubt selbst ruhig und lächelnd zusehen,
wie ihnen vor Augen der beste Schatz geraubt wird! So regten wir keine
Hand. So eilt' er mit unserem Schatze davon!

Ich aber habe Dir gestanden, was mich überwältigte, nicht zu widerstehen:
Mein Kind als _reiche_ Erbin zu sehen! Sie _wohlerzogen_ zu sehen! Denn der
Freund war brav, gelehrt und edel. Er wollte durch ein in Quebec
niedergelegtes Testament Alaska zu seiner Erbin einsetzen -- und er war
schon bei Jahren, und er war kränklich! Das sah ich damals; denn ich hatte
die Augen des Bösen, oder doch des Leichtsinnigen -- ich empfand es wie im
Schlummer -- ich mocht' es nicht denken! Kurz, der Mensch, selbst der Vater
wird durch Begierden -- abscheulich, widerspricht seinem wahrsten Bestreben
selbst und hebt sein schönstes Glück auf. Du wirst die Folgen sehen -- von
Unnatur!

                   *       *       *       *       *

Die Tochter war fort! Aber wie zur Strafe starb unser kleiner Okki -- unser
Schutzgeist! denn das bedeutet der Name. Mit seinem Verlust war Eoo's Liebe
gebrochen, und die Mutter langte von dem kleinen Grabe zurück nach ihrem
gebliebenen Kinde, das ihr im Herzen nun wundersam wiederum auferstanden
war, und so bald! so begehrt! -- Und es war fort! Sie war wie kinderlos,
und sie war es durch mich. Und in der Sehnsucht nach der Tochter verlosch
der Schmerz um den kleinen Sohn, den sie nur wenige Monde gekannt und, wie
der Seidenwurm um die Knospe, nur wenige Fäden der Liebe erst um das kleine
Geschöpf gesponnen, wenige Blicke in das holde Blau seiner Augen versenkt!

Der Schlag war mir unerwartet. Auf das Leben des Sohnes hatt' ich gezählt
in meiner -- Rechnung. Mein Wort konnt' ich nicht zurücknehmen! Mein
edlerer Trost war, daß doch dort drüben ein Vater glücklich sei, glücklich
durch unser Kind! Unsere Jugend versprach uns bald einen neuen kleinen
Schutzgeist des häuslichen Glücks. Aber ich betete umsonst zu dem Himmel um
ihn. Denn Eoo hatte ein tiefer Mißmuth durchdrungen; sie wünschte sich
nicht mehr, vielleicht zu neuem Verluste, ein Kind -- und so lebten wir
denn ohne Ehesegen! Sieben langer Jahre lang! Ich vermied, mein Weib in ein
kindervolles Haus zu führen, und sie schien es _mir_ zu Liebe von selbst zu
meiden, denn das Haus mit Kindern, nur mit einem Mädchen machte ja _ihr_
Leid. So liebte sie mich! so glaubte sie sich von mir geliebt, und mit
Recht. Ich rieth meinem alten Freunde, uns nicht mit Alaska zu besuchen!
Wir reisten nicht hin. -- Eoo ließ mich nichts entgelten! höchstens seufzte
sie: »wenn unser Okki lebte!« Sie ließ sich nichts merken, ja sie bestrebte
sich selber, nichts zu empfinden, um immer mir heiter ins Auge zu sehen,
immer freundlich-begnügt zu _sein_, auch wenn sie allein war. Solche
Geschöpfe heißt man nun »Wilde« -- aber das Weib ist überall der Liebe
fähig, und Liebe bildet es überall.

Für solche Ueberwindung belohnte sie endlich der Himmel mit einem neuen
Schutzgeist. Der Knabe wurde wiederum Okki genannt, als sei er der Erste,
Wiedergeschenkte! Mit Thränen ward er begrüßt -- zur Freude wuchs er uns
auf. Er war zwei Jahre alt, als die Mutter es nicht mehr ertrug, daß Okki
nicht sein Schwesterchen sehe! Alaska nicht den lieblichen Bruder! Nun
reisten wir durch den alten jungfräulichen Wald.

Gleichwohl bestrafte Eoo mich hart! sehr hart! zu hart! -- aus Wohlwollen
und Gutmüthigkeit, muß ich denken und kann ich glauben von Ihr! Sie nahm
mir nämlich, erst kurz vor dem Eintritt in das Gehöft, das Gelöbniß mit
feuchten Augen und bebender drängender Stimme ab: Uns dem Töchterchen nicht
zu erkennen zu geben! Sie, nicht als Mutter! Ich, nicht als Vater! -- Als
Vater! Wir wollten unser Kind ja nur sehen, nur besuchen; es sollte nicht
mit uns zurück in die Heimath, ins Vaterhaus! Und würde es bleiben, wenn es
uns -- seine wahren Eltern erkannt? _gern_ bleiben, wenn allmächtige
Erinnerungen der Kindheit über das arme Mädchen wie stille, selige Sonnen
vom Himmel hereinbrachen und ihre spätern Tage alle bis zu diesem, zu
diesem ersten seligen Tage wieder an der Mutter Brust, in des Vaters Armen
-- umnachteten! und, so schön und lieb sie ihr vielleicht, ja gewiß
gewesen, nun zu beweinenswürdigen machten! -- Oder soll man, sollen Eltern
selbst ihre Kinder -- ich muß schrecklich reden -- nur als Vieh ansehen,
als Sklaven aus der Fremde, und auf ihre süßen treuen zarten kindlichen
Gefühle und Neigungen gar keine Rücksicht nehmen? -- Und wenn Ich -- wenn
Eoo, die Mutter, des _Töchterchens Liebe_ gesehen -- konnt' ich sie dann
zurücklassen? --

Ich selber konnte nur schließen, daß das liebliche Mädchen, das uns, den
Fremden entgegengeeilt und sie freundlich-sinnend betrachtete -- unser
_Kind_ sei! Ich glaubte, nur ein Kind von drei Jahren an Alter, Größe und
Wesen wiederzufinden, und sah überrascht, ja mit Bewunderung ein Mädchen
von dreizehn Jahren, fein, herzlich, schon geschmückt und schon erröthend.
Was -- wie viel süße Wechsel, wie viel holde Verwandlungen hatte ich da
verloren! Ich mußte Eoo ansehen. Sie merkte das wohl, aber sie sahe nur auf
das -- Kind. Ihr Busen hob sich, sie holte Athem lang und tief, um sich
still zu beschwichtigen. Und sie verschwieg. --

Und so mußt' ich im Hause mit ansehen, wie sich die eigene Tochter mit
ihrer Mutter wie mit einer Fremden unterhielt und sie umherführte wie
irgend ein anderes Weib; oder den kleinen Bruder auf dem Schooß wiegte,
ohne ihn mehr als -- _ein Kind_ zu lieben! Ich mußte sehen, wie sie groß
geworden war ohne uns. Denn Eoo stöberte aus einem Schranke noch
aufgehobene zerspielte Puppen auf! Sie war allein. Ich beschlich sie und
sah, wie sie unbändige Thränen über die kleinen stillen Engelsgesichter
weinte, und schlich so leise wieder fort. -- Ich merkte, wie sie gern noch
Alles heimlich an dem erwachsenen Mädchen nachthat, was sie andere Mütter
hatte sehen an ihren Kindern, alle schönen Verwandlungen durch, bis in
Alaska's Jahre, thun. Ja, als ihre Tochter einst neben Okki im Grase kniete
und die Haare ihr aufgegangen, kniete sie zu ihr hin, flocht es ihr wieder,
wand es um das gesenkte Köpfchen und küßte sie dann in den Nacken! Es ging
in dem mütterlichen und kindlichen Boden, warm anquellend, rasch
hervorgelockt von verborgener und ungekannter Liebe -- wie von einer in
Wolken verschleierten Sonne -- und schnell emportreibend, eine _neue_
Freundschaft auf, knospete, blühte bald und betäubte mich durch ihren
geheimnißvollen Glanz und Duft! Und so gab mir wider Willen mein Weib zu
bedenken: daß Liebe _bewahren_ nicht Liebe _üben_ sei! Daß Mütter die
Kinder nicht aus Nöthigung, sondern aus eigenem reinen Bedürfniß lieben und
warten und pflegen. Daß ihre Mühe und Sorge ihr Glück ist, ihr Leben! Daß,
wenn eine reiche Mutter ihr Kind von einer Fremden in abgelegener
Kinderstube erziehen läßt, sie sich selbst um das heiligste Mutterglück
beraubt, und nur um -- leer, hohl und frei zu sein, um Freuden
einzutauschen, welche die ärmste, aber _wirkliche_ Mutter nicht entbehrt
und entbehren nicht kann noch mag! Und wer _die_ Freuden verschmäht, die
ihm als Naturwesen heilig und selig gegeben sind, was kann der in der
ganzen reichen Welt noch Anderes erlangen, als -- was ihn nicht selig
macht, ja oft unselig, gewiß aber immer das Geringere, Schlechte! Ich mußte
empfinden: Wer sein Kind einem Andern dahin läßt, als Gott, oder dem
eigenen Leben desselben, der ist sein eigener Kinderräuber, ein
Liebemörder. Denn wenn auch Er aus Verblendung ungeliebt so hin zu leben
vermag, darf er dem Kinde die Liebe, das Lieben rauben? Ach, und was es
lernen, gewinnen und werden mag in fremdem Hause -- die Liebe erzieht
allein am zartesten, sichersten, frömmsten. Sie kräftigt und stärkt für die
Leiden des Lebens, sie erweckt und beseelt für alle Freuden; sie trägt und
erhält schwebend in eigener Fülle und Sonnenklarheit über allen Zuständen
und Wechseln des Menschen auf Erden; sie ist die reichste, die genügendste
Mitgift für sie! Und Wer vermag solche Liebe ins Herz des Kindes zu senken
als Vater und Mutter! Lehren können Andre, aber das Herz belehren durch
Liebe, erfüllen mit Liebe, die ein wahrer ätherischer Stoff ist,
himmlischer als Wärme und Sonnenstrahl, das kann kein Erzieher, weil Er ja
so nicht lieben kann! Er bildet Talente aus, den Verstand, das Wissen --
nicht so das Herz und die Seele! Liebe nur gießt Liebe ins Herz. Und nur
Eltern sind so reich daran, sie stündlich, unermüdlich darein
überzuströmen, darin aufzufachen, schon im kürzesten Morgen- und
Abendgebet! Ja ein Dieb als Vater, eine Ehebrecherin als Mutter haben noch
tausendfache Vorzüge _für Kinder_ an sich. Sie werden noch dringender
lehren und warnen! Denn sie sind Eltern! und was sie selber nun dulden:
Schuld und Unglück, das sollen einst ihre Kinder nicht dulden, nein, rein
und glücklich sein und bleiben. Und ahnen die Kinder der Eltern Leben, so
weinen sie nur -- und lieben doch! und was ist nöthiger im Herzen zu haben
als Liebe? Durch sie wird wahrer Gehorsam ins Herz gepflanzt, selbst
Duldung des Härtesten, sogar ohne Vorbild und lebendes Beispiel. Und was
erhält die Millionen Menschen doch alle so ruhig? Was läßt die ärmsten
Holzschläger im Walde den Reichen nicht tödten, der mit goldenen
Steigbügeln zu ihnen reitet und die Gerte über sie schwingt? Was erhält den
Essenkehrer ehrlich, und die Magd, die saure Arbeit verrichtet am
Silberschrank? den Tagelöhner, der mit seinen paar Groschen in der Hand
forteilt aus dem Pallast, seelenvergnügt, sie seinem Weibe und seinen
Kindern zu bringen -- was macht ihn zufrieden, als die _Liebe_ zu den
Seinen, die er als Kind gelernt, die _Ehrlichkeit_ gegen sie, die er nun
aller Welt angedeihen läßt und alle Welt mit denselben Augen ansieht, die
auf Weib und Kindern geweilt, _wie die Augen seiner Eltern auf ihm!_ -- Was
macht ihn zufrieden als das Kennen und Tragen eines inneren Gutes, die
Milde und ihre Gewöhnung, ihre jahrelange selige Last! Sie beugt den
Menschen vor Gott, dem Geber der Liebe, und erhebt ihn über die Menschen,
die sie ihm alle nicht rauben können.

-- Und unsere Tochter hatte ein Fremder erzogen! --

Erst am Abschiedsmorgen gab sich Eoo der Tochter, _schon ferne von ihr_, zu
erkennen. »Das war Deine Mutter! mein Kind!« rief sie zurück und hielt die
Fingerspitze aufs Herz.

Die Tochter wankte mit bebenden Knieen ihr nach; der Mutter nach! Aber die
Füße versagten ihr allen Dienst; sie war blaß wie ein Engel, und mit
ausgestreckten Armen sank sie nach vorwärts, mit Brust und mit Angesicht in
die Blumen.

Eoo's Augen leuchteten. Ihr Gesicht war finster und ernst. -- »Fort!«
sprach sie nun hastig, »nun fort!« und drängte, zu fliehen.

Aber Okki streckte die Hände nach Alaska. Zu schwach, ihn zu halten, ließ
ihn die Mutter zur Erde; er lief zu der Schwester.

Die Mutter stand. Alaska richtete sich auf und saß knieend auf ihren Fersen
und seufzte: »Du bist meine Mutter wohl nicht?« -- Okki wand seine Händchen
um ihren Hals, die Mutter flog hinzu -- der Vater zu Mutter und Kind,
drückte die Geschwister an einander, die Kinder an die Mutter, die Mutter,
von den Kindern umfaßt, an die Brust -- und wir blieben noch bis in den
Mai!

                   *       *       *       *       *

Der Frühling war schön. Die Pfirsiche blühten rosig um unser Haus, die
Apfelbäume prachtvoll, wie mit Rubinen geschmückt, im Baumgarten. Unsere
Bienen trugen bis in die Nacht. Sie hatten nicht weit zu den blühenden
Fichten, die wie eine grüne pallasthohe Wand den eingezäunten Acker
umragten. Wir wohnten in einem endlosen Naturpark, den Ein unermeßliches
hohes zusammenhängendes Walddach bedeckte. Und wenn ich am Saume des
Waldmantels stand und einen Zweig faßte, so tauchte der letzte Zweig des
letzten Baumes am Waldrand drüben ins stille Meer! So verschränkte sich
Zweig in Zweig, und ein Eichhörnchen hatte nicht den kleinsten Sprung zu
thun und konnte auf dem grünen Waldmeer hinlaufen wie eine Spinne über ein
dichtgewebtes Kleefeld. Und welches Wunder war schon nur Ein Baum! Gerad
aufgeschossen aus der fruchtbaren Erde wie eine grüne Flamme! thurmhoch,
zweigevoll, vom Wipfel bis an den Boden; und die Zweige blüthenvoll an
allen Spitzen wie von göttlichem Feuer angeglommen. Ein luftiger duftiger
Pallast für ein Vögelpaar, ja geräumig genug für eine ganze Familie. Was
für den Menschen eine Reise auf den Chimborasso ist, das war für eine
Ameise ein Ersteigen des wie an die Wolken rührenden Gipfels. Ich beneidete
manchmal das kleine Thier, das herabkam! denn so Etwas giebt es für
_Menschen_ nicht! So wohnt kein König, wie der Papagei in diesen tausend
Schattenhallen! Und daß ich größer in Gedanken war, um das zu überschauen
und klein zu finden -- das machte mich klein, und man sage mir nicht, daß
der Mensch alle Genüsse der Erde erschöpfen kann, daß die Natur nicht
andere eigene Geschlechter gebildet, denen sie nicht eigene unnachträumbare
Freude vorbehalten, ihnen andere Brunnen der Wonne geweiht, unverstanden
und unverständlich ihrem Menschen, geheimnißvoll selig neben und um ihn, im
Meer, Fluß, im Wald, in der Rose! im Wassertropfen! Ja, wenn ich das ahnte,
sah ich die Gestalten des Wolkenzugs mit Erstaunen an, ich hörte mit
stiller Bewunderung die Flamme im Holz auf dem Herde sausen und hielt die
schimmernde Taubenfeder, die sich wie furchtsam noch vor der Adlerfeder
krümmte, mit Lächeln gegen die Sonne; oder das geflügelte Samenkorn des
Zuckerahorns, und den befruchtenden Blüthenstaub, ja die elastische Nadel
der Sprusselfichte auf meinem Handteller -- und nun erschien mir der
_unermeßliche Wald_ erst ein göttlicher Zauberpallast voll geheimen seligen
Lebens, ein Wunderwerk der Fee Natur voll eigener Kraft und Herrlichkeit!
Und dieß ahnen, dieß träumen -- war _meine -- die menschliche_ Wonne.

Und dieß Feenreich wollte doch jetzt die Natur zerstören -- vielleicht
ihrem Menschen zu Nutz und Frommen! Was sollt' ich denken? Denn nur durch
Gedanken war diese Feuersündfluth zu beherrschen, zu deuten, wenn auch der
Geist nicht erliegen, erblinden sollte, wie Leib und wie Auge!

Zu Noah kamen _Engel_, die ihm den Untergang alles Lebendigen, um sich zu
retten, verkündeten. _Wer_ kam zu uns in die Wüste des Waldes? Doch nein,
die Boten des Herrn kamen auch zu uns. Ein Komet! ein Zweiter! ein Dritter!
-- Wir Menschen verstanden sie nicht! Es ward Sommer; es war Trockene,
Dürre, erstickende Hitze. Meine Pfirsiche, meine Apfelbäume hatten umsonst
geblüht! Umsonst der ganze, königreichgroße Wald. Aber zum _letzten Male_,
wie war er schön! _Wer_ wird das hier wiedersehen? -- vielleicht selber die
Sonne nicht! die ihr Auge nicht zuthun muß wie der Mensch, vielleicht wie
das Menschengeschlecht! das Auge, das sie _vor_ ihm aufgethan! Wir konnten
das Unheil uns _denken!_ denn die von Gott uns gegebene _Vernunft_ ist
gewiß und wenigstens, dem mächtigsten immer uns gegenwärtigen, mit uns
lebenden, schauenden, uns leitenden Engel ähnlich. Und so hat Jeder Einen,
den Seinen! Das Getreide war vor der Zeit -- ohne Körner gereift; die
Brunnen versiegten, die Bäche vertrockneten ganz, die Flüsse rannen nur
sparsam, das Wasser des Weihers war breit vom Rande zur Mitte gewichen. Die
Natur lechzte und schmachtete. Selbst der die Nächte, wie Regen, sonst
fallende Thau, der bis auf die Haut näßt, daß die Blätter der Bäume wie
nach dem stärksten Gewitterregen perlen und tröpfeln, daß es im Walde des
Morgens rauscht -- er erquickte die Bäume nicht mehr. Die Stämme waren
heiß, selbst des Morgens noch warm, die Zweige matt, die Nadeln bleich und
welk, das Laub verfärbt wie im Herbst, fahl und kraftlos, es fiel ohne
Herbststurm, ohne Lufthauch! Die Tannen, Fichten und Pechkiefern schwitzten
Harz wie vor Angst; der Honig floß aus den hohen natürlichen Bäuten zur
Freude der Ameisen. Das hohe Gras raschelte dürr, wenn ein Hauch es
bewegte, wie Stroh. Ein Blitz konnte den Wald entzünden! ein Sturm die
Wälder entflammen. Sollten wir ruhig sitzen in dem beschränkten Wahne:
»_Uns_ wird ja kein Unglück treffen! _Wir_, wir vor Allen, sind ja Gottes
Kinder« wie manche fromme Frau sagt -- (auch meine!) wenn ein Gewitter am
Himmel wüthet, und -- _den Nachbar todtschlägt_, der auch so gesagt, und
auch Gottes Kind war. -- Sollten wir unser Leben dem Wahne vertrauen: kein
Hauch werde vom Himmel wehen? Denn nur von dem Hauche und der Kohle eines
Indianers hing unser Leben, das Leben von Millionen Waldbewohnern, das
Dasein der Wälder ab, die zu Schatten, zu Staube wurden durch ihn. Aber der
Mensch, jeden Augenblick von des Himmels Huld abhängend, vertraut ihm auch,
wo er ihn warnte, so leicht, so sicher in seiner gewohnten Ruh bis zum
äußersten Augenblick!

Er kam.

Eh' wir noch Etwas _sahen_, verbreitete sich in der Nacht ein eigener
Wohlgeruch; nach einigen Tagen zu herb, zu bitter, zuletzt brandig. Die
Augen fühlten sich gedrückt, ja einige weinten, ohne zu wissen worüber, und
lachten! Unabsehbare Züge der Tauben flogen, den Himmel verfinsternd und
auf der Erde einen flirrenden, wie dahin rauschenden Schatten werfend, über
uns weg. Und sie kamen doch sonst erst im Herbste auf unsere reifenden
Felder zurück! »Wo ist denn ihr Taubenschlag?« fragte Okki, der sie zum
ersten Mal sah. Wilde, schwere Truthühner folgten ihnen tiefer; sie waren
so müde, daß sie in unsre Gehöfte fielen, und die Menschen sie fangen
konnten; sie duckten die rothen Köpfe an den langen schwarzen Hälsen auf
die Erde und zogen vor der sie fassenden Hand nur das weiße Augenlied über
das Auge. Jetzt war in Westen ein Rauch wie Hegerauch zu sehen, der in der
Morgensonne erschreckend glühte. Lange, lange weiße Streifen flossen davon
wie Ströme in die Thäler. Dünner, dann dichter, und dichterer Rauch überzog
das Gewölbe des Himmels; die Sonne schien roth, dann düster und matter
hindurch, bis sie ganz aus den Tagen verschwand.

Der Rauch, schwerer und schwerer, senkte sich tiefer und tiefer, bis er wie
ein Nebel über uns fiel, Alles ausfüllte wie eine Flut und jedem
nachwallte, der in ihm schritt. Alles Leben stockte; ein jeder ging müßig,
und nichts mehr wurde gethan als noch gekocht.

Und _Ich_ war der Mann, dem die Sorge für dieses verlorene Dorf anvertraut
war! Aber gerade die Erfahrensten beruhigten mich. Neue Ansiedler konnten
sich, wie alle Jahre geschieht, Plätze zu Wohnungen, Gärten und Feldern
leer brennen, und brenne die Flamme auch weiter als ihr Gebiet sei, wen
kümmere das? Zuletzt stehe der Brand an baumleeren Savannen, an Seen,
Flüssen, Felsengebirgen; oder Regen und Frost lösche ihn endlich aus. Einer
trage des Anderen Last!

Als aber nicht allein Hasen und Rehe, selbst am Tage, vor uns in der
Rauchdämmerung wie Schatten vorüber flohen, sondern Hirsche, wilde Ochsen
und Büffel; als die Bären brummten, die Wölfe heulten, als selber die
schlauen Füchse kamen: da mußte der Waldbrand uns nahe sein, denn Feuer war
nicht zu sehen. Als aber ein Elenthier sich gezeigt, aus dem _nördlich_
gelegenen Wald; als Jemand einen Caguar, oder eine Tigerkatze, aus dem
_südlichen_ wollte gesehen haben: da mußte der Waldbrand _groß_ sein! Als
aber die Menschen aus dem _westlich_ gelegenen Kirchspiel kamen, mit andern
noch ferner von ihnen Wohnenden -- als sie Menschen _begegneten_, die aus
dem nächsten _östlichen_ Kirchspiel geflohen: da schien es, als habe der
Waldbrand uns schon um_ringt_.

Wir hielten einen Rath. Die Nothglocke erscholl.

Wir versammelten uns auf dem freien Platz vor der Kirche. Die Fremden saßen
und ruhten, manche selbst ohne ihre Bürden abzulegen, oder ihre Bündel
aufzumachen. Unsre Weiber und Kinder vertheilten indeß still Speise und
Trank an die Flüchtigen. Niemand dankte; so natürlich war Geben und
Empfangen. Andere schlichen in die geöffnete Kirche, den Himmel anzuflehen,
und knieten ermüdet, sanken hin und schliefen hart und fest.

In den _brennenden_ Wald können wir nicht! sprach Einer. Aber nur ein
Adler, oder ein Mann im Luftball könnte uns führen, wo er _nicht_ brennt! O
es giebt einen Ausweg, hundert -- gewiß -- aber wir wissen sie nicht und
fehlen sie! --

Haben wir Lebensmittel genug, rieth ein Anderer, so suchen wir gerade den
_abgebrannten_ Wald auf! Die Stämme stehen, wie Ihr wißt, nach dem
Waldbrand noch; alle Millionen Schlangen, alle wilden Thiere, alles
Ungeziefer der Erde ist dort vertilgt, und nur die Baumstürze sind dort zu
fürchten, denn die Wurzeln der Bäume sind mit verkohlt. Aber wie wissen wir
den _schwarzen Wald!_

»Auf die Savannen!« rief eine Stimme. -- »Führe uns!« erscholl's aus der
Menge. »Wer an den Lorenzostrom gelangte! Das wär' ein gefüllter Wallgraben
der Natur! Das Meer ist zu weit! Und selber die Städte sind vor solcher
Feuergewalt nicht sicher. Man hat _nicht genug_ gesengt und gebrannt -- nun
thut es der Himmel!«

Neue Klagen! alte Rathlosigkeit! Menschliches Wissen und Verstand war blind
geworden, Klugheit verschwunden, wie es keine Wolken mehr gab. Und so
folgte die ängstliche Menge nur Eingebungen, ja wahren Täuschungen -- ihrem
Glauben. Ein Häuflein ließ sich von einem lichten Streifen am Himmel, vom
Winde dort aufgedeckt -- nach Norden hin ziehen. »Dort ist es feuchter!«
trösteten sie sich. Sie nahmen kaum Abschied. Niemand sah ihnen nach. --
Andre beschlossen, der Richtung der wilden Thiere nachzuziehen. -- »Aber
die begegnen sich ja!« warfen Einige ein. »Das ist albernes Vieh!« riefen
Andre. So zogen sie fort. Ja die Meisten folgten einem alten Manne -- bloß
weil er _Noah_ hieß! als führe er seine Söhne und sie und alles Vieh in die
bergende Arche! --

_Und doch lachte Niemand._ Das war wohl entsetzlich!

Nun hatt' ich bloß für mich nur zu sorgen, das heißt für die Meinen. Eoo
saß zu Hause und weinte um ihre Tochter Alaska. Aber sie befolgte eilig,
was ich rieth: Jagdkleider, wo möglich Alles von Leder, anzuziehen. Auch
Hüte sollten uns gut thun. Wie sollten wir fortkommen, hätten wir viele
Lebensmittel zu tragen? Fanden wir überall Wasser! -- So war beschlossen,
die milchende Eselin nur mit dem Nöthigsten schnell zu beladen. Alle
Dienstbarkeit hatte aufgehört; kein Mädchen, kein Diener war mehr im Hause
zu finden. »Ich gehe fort!« meldete Eine, nur in die Thür tretend. »Geh'
mit Gott,« sprachen wir. Eoo ließ die Kühe los, sie machte den Hühnern und
Tauben den Vorrathsboden auf, den Papageien das Fenster. Ja sie ordnete
Alles und stellt' es an seinen Ort, als sollten hohe himmlische Gäste das
Haus betreten! Und als sie nun Alles besorgt, was ihr Pflicht schien, trug
sie uns zur letzten Mahlzeit den großen gebratenen Truthahn auf, dessen
rother Kopf noch glänzte. Der kurzen Sicherheit froh, aßen wir still und
hätten gern das Mahl noch Jahre wo möglich verlängert! Mich hieß die
Wehmuth: den schönen menschlichen Zustand, im eigenen Hause, umgeben von
meinen Lieben, ganz mir bewußt, noch recht zu genießen und zu erschöpfen!
Aber es mußte geschieden sein. Eoo sprach mit Thränen ein inbrünstiges
Dankgebet nach Tische. Sie fiel mir um den Hals. »Gott geb' uns das
wieder!« fleht' ich; »wieder so zu sitzen wie heut -- nach überstandener
Angst!« Uns sahe ein Gott, er sahe selbst, wie der kleine Okki die Händchen
erhob und weinte, weil er Thränen in unsern Augen sah -- aber, ich hatte
gefehlt -- _mein_ Gebet erhörte er nicht.

Ach, es fehlt uns Jemand! seufzte Eoo. Nur das treibt mich fort. Wir fänden
den Tod hier so gut wie da draußen! Wir nährten hier die verlassen
zurückgebliebenen Alten! wir pflegten die Kranken -- o Gott, sie bleiben!
Sie bleiben mit sich und mit Gott allein. Doch ich -- ich muß fort!

Und so geschahe nun eilig. Die Eselin war mit Tüchern für die Nacht, einem
kleinen Bett unter Okki's Kopf, und mit Bouillon-Tafeln, wie ich sonst mit
auf Reisen nahm, und mit wenig anderem Geräthe beladen. Eoo war wie ein
Jäger gekleidet -- und schien gleichsam von sich selber Abschied zu nehmen;
denn sie sah in den Spiegel, und sah über ihre Achsel mich; ihre Augen
füllten sich -- ich sahe das wohl. Doch Fassung war nöthig. Wir sahen im
Zimmer umher -- vergessen war nichts, als Alles. Okki freute sich zu
reiten, und Eoo konnte dem kleinen eingeborenen amerikanischen Esel nicht
wehren, der Mutter zu folgen, besonders da er schon abgewöhnt war, da
beide, wo sie leben konnten, auch leicht ihr Futter fanden, und für Okki
gesorgt war. _Laufen_ konnte uns doch nicht retten!

Als wir nun schieden, trat ich noch einmal dicht an ein Fenster, hielt die
Hände neben das Gesicht wie Scheuleder vor, um nicht geblendet zu sein, und
übersahe noch flüchtig das Zimmer, den Aufenthalt von Menschen, die lange
darin so glücklich gewesen! In der Mitte stand der Tisch von gesprenkeltem
Ahorn! am Kamin der verlassene -- Sorgenstuhl! Dort Eoo's kleines
Mahagonitischchen, darauf lag der halbfertige kleine Strumpf! Am Kamin
stand Okki's braungemaltes Wiegenpferd und machte ein schweigendes finstres
Gesicht! und im Spiegel sah Jemand, mir gegenüber, herein -- der Ich war,
und der wunderliche Geist sah mich selber an und äffte mich still. O
Unerforschlichkeit des Stillebens! des Scheidens! -- Ich schied.

Aber nun selbst wohin in dem Labyrinth der Wälder? Nur nach Umständen
konnt' ich mich richten; sonst hatt' ich den Compaß. Aber wie Jene dem
Allvater _Noah_ gefolgt, so folgten wir jetzt -- Ariadne, dem Hunde, der
glaubte: wir reisen wieder zu unsrer Alaska!

                   *       *       *       *       *

Wer nun die Scenen dieses großen Naturschauspiels beschreiben könnte, der
muß es nicht gesehen haben! Denn wer es erlebt hat, der konnt' es nicht
fassen, nicht überschauen, vor Größe, vor Schrecken, vor eigenem Jammer
oder vor Mitleid; wie Jemand die Schlacht nicht, bei der er in Reih und
Glied gekämpft.

So zogen wir hin! Und als der Weg ausging; als die Laschen und Mahle an den
Stämmen sich auch verloren; als der Bach eine Wendung machte, war der Hund
unser Wegweiser auf der Fährte des Wildes, und wir Menschen nahmen sie an.
Es war ein tiefes Schweigen im Walde, und nur aus der Ferne hörten wir zu
Zeiten einen verhallenden Schall von Fliehenden, die sich anriefen, um sich
nicht zu verlieren im Nebel des Rauches.

So zogen wir bis an den Abend. Eoo breitete nun Tücher, hing Tücher über
Zweige, und unsere Hütte war fertig. Wir aßen, wir schliefen, oder glaubten
zu schlafen, wir wachten -- und glaubten zu träumen, so verworren war unser
Bewußtsein. Furcht jagte vielleicht uns schon in der Nacht auf, denn durch
den Nebel brach ein sanfter Feuerschein und Glanz, wie wenn man im Flusse
unter dem Wasser die Augen aufthut, wenn brennendes Abendroth auf ihm
liegt. Nur oben rauscht' es leis in den Wipfeln; drunten war schauernde
Stille.

Am Mittag traten wir wider Vermuthen in einen Eichen- und Buchenwald, der
_aus_gebrannt war. _Ab_gebrannt ließ sich nicht sagen; denn die Bäume
standen noch, aber die Stämme schwarz, unabsehbar, ein Anblick wie ein
Trauergefolge aus Millionen Trauernden. Aller Unterwuchs war verschwunden;
Kräuter, Gerank und Gesträuch; der Wald war _eine_ schwarzgraue Wüste. Nur
die Wurzeln oder die Rinde der Bäume glühte noch auf, wenn der Wind
daherfuhr. Dann leuchtete und knisterte es tausendfältig. Auch das Laub der
Kronen war verbrannt; manches geschwärzt, nur gebräunt, aber Alles versengt
und dahin; und nur hin und her erschien eine jüngere Eiche noch mit einigem
Grün, wie der Wind die Flammen getrieben und sie verschont, zu andrer
Verderben. Graue Eichhörnchen, Füchse und Luchse hatten auf diese
verschonten Bäume sich scheinbar gerettet, aber sie saßen still, als wir
nahten -- sie waren todt, von der Hitze darunter erstickt. Sie hatten die
Augen zu -- sie schliefen! Ja von dem äußersten Ast einer der Buchen hing,
mit der Klapper angewickelt, verkehrt mit dem Kopfe nach unten, eine
Klapperschlange herab; ihre schaukelnde Bewegung war nur vom Winde, und sie
glänzte und troff von ihrem Fett. Weiterhin fanden wir ein auf dem weißen
Gesicht liegendes Opossum, das sich _todt gestellt_, in der tödlichen
Gefahr; aber die Glut war an dem, seinem rettenden Triebe getreuen, Thier
nicht vorüber gezogen, ohn' es mit ihrem Hauche zu tödten! Eins seiner
Jungen hatte Athem schöpfen wollen, aber glühenden Tod geschöpft. Der
Anblick der treuen Mutter, des armen Opossum-Kindes ergriff Eoo. Sie stand;
sie blickte zum Himmel, der nicht zu erblicken war. Hierzu kamen die Fragen
des Kindes, dem wir von allem Auskunft geben sollten, oder das uns bat,
nach Hause zu kehren, es habe genug gesehen und sei so müde! Dann nahm ihn
die Mutter vom Thier und trug ihn, bis er einschlief, und trug den
Schlafenden; und wenn ich ihn nehmen wollte, wehrte sie still mir mit ihrer
Hand und lächelte mich an. Fühllos aber sprang der kleine Esel mit seinem
großen Kopfe tölpisch hinter uns drein. Ich gönnt' ihm sein Glück.

Auch wir schienen jetzt im Sichern. Nur der Boden war heiß, und uns war,
als zögen wir unter scheitelrechter Sonne. Die Richtung des Windes hatte
uns gestern gerettet! Ach, die Menschen wünschen sich so unbedenkend »guten
Morgen!« -- »guten Tag.« Das ist eine große, nicht verstandene Erinnerung
an die Natur, die all' unser Leben regulirt! Eine unerkannte Ahnung von dem
Wetter, was sein _könnte!_ von den Stürmen der Natur, die in ihren
uranfänglichen Tagen brausten -- die _heut_ noch herein brausen können über
die Welt! Und so sagen die Menschen unbewußt froh: wir haben heut schönes
Wetter! und freuen sich der Natur, die so ruhig, so freundlich um sie
leuchtet wie ein Stillleben! Und wer bedenkt genug, daß wir Alle vom Wetter
leben! Ein Regen bestimmt und ändert der Menschen Geschäfte; ein Sonnentag
versetzt' uns so recht ins menschliche Dasein; ein blauer Himmel macht uns
heiter; am trüben Tage stockt das Leben in uns. Eine Wolke macht reich und
arm; ein Hauch kann uns verderben! Ein anderer Wind bringt allemal anderes
Wetter. -- Uns stürmt' es zur Rettung vor uns dahin, und wir wandelten wie
auf einem gewonnenen Schlachtfeld, traurig, aber froh des eigenen Lebens!
Wir ruhten, schon im Abenddämmern, auf dem hohen Felsenufer eines
dampfenden, wahrscheinlich jetzt heißen Sees. Denn die noch wenigen Bäche
führten fast siedendes Wasser ihm zu. Um seine Ränder und Buchten hatte die
Waldung gebrannt. Die Sümpfe umher waren sehr eingetrocknet, ihr Wasser
hatte sich bis tief in den Grund erhitzt. Die Fische hatten nicht
entfliehen können, aber . . . . . Wir hörten jetzt von Ferne es brüllen,
wie dumpf eine Heerde Büffel brüllt; nur klang es ängstlicher, und
ängstlicher vom Echo wiederholt. Es näherte sich uns. Wir saßen still. Ich
hatte das Feuergewehr auf dem Knie. Indeß fürchtet' ich nicht so sehr, denn
vor eigener Angst schonte der Todfeind jetzt den Todfeind. Jetzt sahen wir
es springen wie Kälber von Kälbern, mit tölpischem Sprunge, dann ruhte,
dann brüllte, dann sprang es wieder! Und so eine Reihe entlang, wie
Gespenster, die sich kauernd und springend nahte. -- »Ochsenfrösche!«[A]
sagte mein Weib mit Lächeln erst, dann mit Thränen im Auge; »sie suchen
frisches Wasser!« -- Aber sie irrten entsetzlich! Denn durch unser lautes
Anrufen »ho! -- ho!« das sie zurückscheuchen sollte, machten sie nur einen
Bogen -- und nicht weit von uns sprang die grünliche Schar desto schneller
vom Fels in den See, und das Brüllen verstummte -- aber sie schwammen nach
und nach aufgetaucht, alle ausgestreckt, von dem heißen Wasser verbrüht,
auf der Fläche umher. So hatte ihr Trieb sie doch nicht ganz getäuscht --
sie waren nun ohne Qual und ruhig. Jetzt sahen wir erst: -- bräunliche
Biber saßen, aus ihren glühenden Bauen vertrieben, auf den Felsen umher und
schienen auf die Fläche des Sees zu starren, die von zahllosen Fischen
bedeckt war, die auf der Seite lagen und schimmerten. Große gelbliche
Wasserratten krochen darauf umher, und Wasserschlangen suchten matt und mit
halbem Leben an den erhitzten Felsen empor zu klimmen und stürzten im Falle
geringelt zurück. Ein Flug von Wasservögeln wollte sich an einer freien
Stelle in den See stürzen; aber die klugen Führer versuchten das Wasser und
schrieen kläglich über die Verwandlung ihres Elements und schwirrten weiter
hinauf im Dampfe dahin. Wir aber brachen auf, die Höhe des Berges zu
erreichen. Eoo trieb. Denn von droben war die hoch und frei gelegene
Meierei meines Freundes, gleichsam meines Kindes Stiefvater, meiner Frau
zweiter Mann, von Ferne -- eine Tagereise weit -- zu sehen, wo unsere
Tochter lebte. Lebte? --

[Fußnote A: Rana maxima, oder der Riesenfrosch.]

Wir fanden die Felsengrotte, die wir schon auf der Heimreise als Gasthaus
benutzt. Eoo bettete das Kind weich auf Laub und Tücher, wies den müden
Hund bei ihm an, zu wachen, der sich ihm zu Füßen legte; Esel, Mutter und
Sohn, mit Klingeln um den Hals und dem Rufe gehorchend, weideten indeß zum
dürftigen Abendbrot, und wir stiegen zum Felsengipfel.

Welch ein Blick in das Land umher, so weit das Auge trug! Heftiger
Unterwind herrschte; uns gegenüber am ganzen Horizont hatte er eine
Rauchwand aufgethürmt, riesengroß, schwarz wie die Nacht! Ein breiter
Strich des Himmels war offen. Aus der schweren Decke, die über unsrer
Heimath lag, fuhren Blitze wie geschleuderte Feuerschlangen empor. Denn die
Wälder darunter brannten. Und wie aus dem Becher des Vesuvs in der Nacht
nur eine schmale Flammensäule und Feuergarbe emporloht, so schlug hier eine
feurige blendende Flammengischt, breit von Süd bis West, aus dem ganzen
Lande in den Aether hinauf und stand, in der Ferne schweigend und unbewegt,
wie ein göttlicher Nordschein. Aber über den näheren Wäldern bewegte der
Sturm die wallenden Flammen wie Saten der Hölle, und sie wogten wie Wogen
des Meeres.

Unser verlorenes Dorf war dahin, und die andern mit ihm. Das Fernrohr that
keine Dienste, durch dazwischen schwebenden Dampf und Qualm vernebelt.

Aber jenseits drüben glänzten die Fenster des Hauses unseres alten Freundes
wie in der untergehenden Sonne. Deutlich brannte _dahinter_ der Wald; der
Weg von uns bis dahin schien noch frei; aber schon stachen lange, brennende
oder dampfende Zungen einzeln aus dem dunkelgrünen Walddach-Teppich! Wie
der Wind sich richtete, vereinigt' er sie -- vielleicht -- und überzog ihn
dann ganz mit Feuer und Purpur.

»Sollt' ich noch wagen, dahin zu eilen, die Tochter zu holen, zu retten?«
getraut' ich mich zu sprechen.

Kannst Du es _nicht_ thun? frug mich Eoo.

»Sehen sie nicht dort die Gefahr? wie wir unsere sahen?«

-- Wird sie uns nicht verzweifeln? -- frug Eoo.

»Wird der alte Mann von den Seinen verlassen sein, wie die unsern uns
flohen? Er war so gut! Sie waren so treu.« --

-- Alaska wird ihn nicht verlassen! so kommen sie Beide um! --

»Lebt nicht Gott da drüben und waltet und rettet, wie er hier lebt und
gerettet?«

O wohl! o gewiß! sprach sie; aber soll ich nicht retten, nicht eilen, nicht
wissen! Ach, davon spricht er die Mutter nicht frei! Ich soll mir die
Tochterliebe verdienen -- nicht schmachvoll sie tragen!

»So wollen wir umkommen? und Okki?« frug ich Eoo.

Sie sah zur Erde mit finstrem Gesicht. Der Wind riß in den Wurzeln
verbrannte, gelöste Bäume im Thale auf einmal zu zwanzig, zu hunderten um.
Sie krachten am Boden, sich wild in einander zerschlagend. Qualm stieg auf.
Es leuchtete wieder. Dann brach das Gekrach als Nachhall in den Schluchten
der Berge erst los! -- Andere Sturze! Neuer Donner, Qualm und Funkensprühen
-- und neuer Nachdonner umher bis hinaus. -- Furchtbare Schlacht der Natur
mit sich selbst. --

Eoo hörte das unerschrocken, doch düsterer als zuvor. Ein unaussprechliches
Lächeln, und in dem Lächeln ein heiliges himmlisches Lieben sprach aus ihr
in mich! Sie zog sanft ihre Augenlieder über ihre Augensterne, und so stand
das schöne sehnsüchtige Antlitz hinüber nach ihrer Tochter gewandt. Ja sie
schien mit dahin gerichtetem Ohre zu horchen: »ob sie ihr rufe?« Sie hielt
die Hand halb erhoben und abgewendet von sich, mir Schweigen anzudeuten,
als höre sie wirklich das hülflose Kind, und nicht das Flüstern der eigenen
Angst um sie.

Sie sehnte sich, zu ruhen. Als wir zur Höhle gekommen, war es, als habe sie
ihren Okki verloren gehabt und nun wiedergefunden, so freudig erschreckt
von seinem Anblick, kniete sie zu ihm und küßte ihn munter und hörte ihn
reden und drückte ihn an sich und zog mich mit in des Kindes und ihre
Umarmung. Das verstand ich nicht!

Noch im Finstern, als ich glaubte, sie schlafe schon lange, drückte sie mir
noch von Zeit zu Zeit die Hand, leis und leiser. Ich fühlt' es noch,
schlafend.

-- Am Morgen war sie verschwunden.

                   *       *       *       *       *

Ich stand erschüttert mit gefalteten Händen -- ich betete -- aber die
Lippen bebten mir nur. Okki war da -- er freute mich kaum! Ich holte kaum
Athem! Vor meiner Phantasie war ein Abgrund aufgethan. Mir war klar -- das
Mutterherz hatte Eoo nach ihrer Tochter gezogen. Ich konnte in wachem
Traume mir immer wechselnde Bilder malen. Bald sah ich Eoo verirrt! -- bald
erlag sie! -- bald weinte sie nach mir zurück! -- bald stürzte sie froh in
die Arme der Tochter, sie war bei ihr, bei ihrem Kinde, denn _das Kind in
Noth, ja in ungekannter Noth, ist das einzige Kind, das liebste Kind dem
Mutterherzen_, so viel sie glückliche außer ihm hat! Ihre strebende
hülfreiche Seele schien mir glücklich, das linderte meinen Gram. Ihre Liebe
sah keine Schrecken. Und was vermag denn also die so gefürchtete Natur mit
all' ihren drohenden Werken und Wirkungen über die innere Gewalt der Seele
des Menschen? -- Nichts! Sie erhebt ihn nur himmlisch und stärkt ihn: sie
selbst nicht zu achten! -- Die Gefahr _zog_ mein Weib zu dem Kinde; ihr
Anwachsen trieb sie -- zur _Eil!_ die Flammen erleuchteten nur -- ihr Kind
in der Ferne. Aber was Eoo gethan, das that kein Weib, das that -- eine
Mutter. Denn von dem vielgetadelten, hoch gepriesenen, und oft mit Recht
seit Sirach und Euripides mit harten Sprüchen beladenen weiblichen
Geschlecht ist nur Etwas ehrbar -- _die Mutter!_ Nichts _darüber!_ Nichts
_weiter!_ -- Aber hab' ich das übrige Geschlecht nun verurtheilt? Nein,
erkannt! hoch, himmlisch hoch gestellt! -- Jeder, der lebt, hatt' er nicht
eine Mutter? Will und soll jegliche _Jungfrau_ nicht eine Mutter werden?
Lebt die _Matrone_ von etwas Holderem als den Gedanken, wo sie in der
Lichtsäule des Lebens wandelte? Woher stammt die Liebe? in allen! wohin
führt sie alle? Und so ist alle andere Liebe nur Vorklang, Nachklang und
kindisches Wesen gegen Kinderliebe und Kindesliebe!

Und sie, die durch mich in Eoo's Herzen gestockt -- wie brach sie nun aus!
O was litt' ich! Ich war in keinem brennenden Walde mehr -- mir brannte die
thörichte Schuld im Busen.

Ich war spät erwacht -- Eoo war schon weit! doch sie war nicht allein, der
treue Hund begleitete sie. Mir fehlte kaum eine Hand voll Lebensmittel.
Okki begehrte nach der Mutter. »Sie holt Deine Schwester,« sagt' ich ihm
lächelnd, ihn herzend und küssend -- weinen durft' ich ja nicht -- und das
machte ihn lächeln und in die Hände klopfen!

Mein erster Entschluß war, ihr schnell zu folgen. Aber war sie mir nicht
durch irgend einen anderen Unglücksfall verloren? Ach, mein Herz zweifelte
nicht, nur mein kühler Verstand. Mein zweiter Entschluß war, zu warten, bis
sie wiederkehre. Aber ich _mußte_ einen dritten ergreifen, denn von der
rechten Seite herein ging der Wald jetzt in Feuer auf, und der Weg war mir
abgeschnitten. Wie breit er brannte, wie schnell das Feuer an der Erde im
Grase hinlief, an den erhitzten, Harz schwitzenden Bäumen hinauf leckte,
wie lange es verweilte, um feuchte Stellen auszutrocknen und dann doch noch
mit seiner Gewalt zu entzünden, wie weit Eoo schon eilte, war nicht zu
berechnen! Ueber ihren Weg hinaus blickend, athmet' ich tiefe Züge ein, als
wollt' ich den Wind zurückziehen und die Luft einathmen und halten, damit
sie sicher eile! Ja, wie der Mensch ist, mich beruhigte fast der Qualm --
weil er Alles verhüllte! Kein Anzeichen der kranken Natur forderte mich
auf, ich durfte Alles dem göttlichen Walten -- getrost überlassen.

Mich hatte eine Furcht befallen vor der Natur, die -- natürlich war und
schmerzlich an Wehmuth grenzte; noch mehr aber bannte mich Staunen und
Kummer, den tiefer Verdruß mir bitter machte. War mein Okki, mein einziges
Kind nicht verloren, wenn ich mich opferte? War das Leben mir irgend noch
werth, wenn ich ihn auch nun verlor, nur beschädigte! Ich saß auf dem Berge
und wiegte ihn fast den ganzen Tag auf meinen Knieen, mocht' er nun wachen,
oder schlummern an meiner Brust umarmt, seine Händchen um meinen Hals
geschlungen. Ich schien mir kein Mensch mehr -- denn um mich war nicht mehr
die gewohnte Natur und das Leben, das uns zu Menschen macht. Speise und
Trank war vergessen. So saßen wir. Mir dämmerte es nur im Sinn, ich empfand
mich nur in der Liebe zu diesem Kinde, wenn es mich Vater nannte. Wie wenig
ein Vater, ein Mensch ist, wie wenig er leisten kann -- das drückte mich
nieder. Ja, soll ich mein Herz ausschütten, so sag' ich: Der gewöhnliche
alte, uralte Gebrauch der Welt, der immer und allen in Unglück und Tod
schließende Lauf des Lebens war mir jetzt doppelt verhaßt; die _Trennung_
von unseren Lieben, die es seinem alten Gesetz nach gewiß mit sich bringt.
Die Eltern sterben, wenn die Natur dieß Gesetz nicht noch schrecklicher
umkehrt, _eher_ als ihre Kinder, also _von_ ihren Kindern; -- _alle_ Kinder
verlieren die Eltern, wenn es noch _gut_ geht! und in derselben Stunde
verliert jeder, jeder Vater zugleich sein Kind, _denn auch der Sterbende
kann noch verlieren_, nicht der Lebende allein -- er sieht sie in ihren
eigenen einsamen künftigen Tagen nicht, er überläßt sie der weiten,
gefahrvollen Welt, jedem Schicksal, zuletzt _auch_ dem Tode! Sein liebendes
Auge möchte bei allem dabei sein, sein Herz es wissen! Und so wünscht' ich
jetzt mir in diesem gefährlichen Zustand bethört die verkehrte Freude, _daß
wir Alle zusammen umkämen in einer Stunde!_ in demselben beglückenden
Augenblick!

Doch auch der Wunsch war nun vergebens. Sollt' ich hier harren, bis uns die
Lebensmittel ausgegangen? wo selbst keine Beere im Walde mehr zu finden
war? Und dennoch häuften sich in der Nacht die wilden Thiere im verödeten
Walde. Ihr Geheul verrieth noch Angst; die Mächtigen schonten der Kleinen,
Rehe liefen unverfolgt von Wölfen, der Albatros flog vor dem Adler sicher.
Aber das mußte bald anders werden und schrecklich! Auch für uns! Beim
ersten Dämmer des Tagscheines brach ich denn auf und richtete mich nach dem
Compaß, um den großen Strom, den Cataragui, bald zu erreichen.

Ein beschwerlicher Weg! eine fast hoffnungslose Flucht! Kleine Bäche von
Theer und Harz, halberstarrt, waren hier; Hügel von Asche, vom Winde
zusammen gewirbelt. Feuchte, quellige Stellen dampften noch. Nur aus
Felsenadern ein frischer Trunk. Brach ein Sonnenblick durch die wie
niederhangende Wolkendecke, und sah ich unsern Schatten an der Erde
hinziehen -- dann konnt' ich weinen. Da verschwand er wieder, aber die
Thränen blieben stehen im Auge.

Endlich gelangt' ich in frischen Wald von Weimuths- und Pechkiefern und
Sprusselfichten, voll zahlloser großer Heuschrecken und Schmetterlinge. Es
zirpte und schwirrte wunderlich und flirrte, wie Schnee flirrt. Ich hörte
das an; es war unerforschlich, geisterhaft und verschwand nicht und hörte
nicht auf! Ich zog wie im Schattenreich. Noch zwei Stunden, unheimlich --
ich möchte sagen unweltisch, wie ich nie gelebt -- und wir waren auf einer
baumleeren Savanne. Ein raschelndes Grasmeer voll blühender, aber gewelkter
Pflanzen in weiten Waldufern, und hin und her nur Gebüschgruppen, die wie
kleine Fahrzeuge darauf zu schweben schienen. Aus einer beträchtlich großen
Vertiefung sah ich Rauch aufsteigen; der Wind führte mir Laute aus Gesängen
zu. Da waren Menschen! Ich eilte. Aber erst mit Anbruch der Nacht erreicht'
ich Ermüdeter ihren Rettungsort.

Ich glaubte Flüchtlinge aus den Kirchspielen und den verlorenen Dörfern zu
finden, und, sonderbar hier, ich sah eine weiße Friedensfahne auf einem der
ersten Bäume ausgesteckt! Sie war im Glanze der Feuer sichtbar. Alles
schwieg.

Ich hielt. Mein Esel schrie lauter, als ein stürmender Nachtwächter bläst.
Mir that es leid um die Ruhe der armen müden Menschen. Während meiner
verständlichen Verweise raschelte es in der Krone des Baumes. Eine Gestalt
wie ein Bär kam am Stamme heruntergegleitet. Sie nahm von frischem die
Decke um die Schultern und reichte mir eine Hand und hieß mich herzlich
willkommen. Des Mannes Gesicht schien röthlich im Glanze der Flamme, doch
seine Züge waren europäisch. Er nannte sich mir Monsieur d'Issaly, und,
hier in der Fremde, _seinen Landsmann!_ Auch ich that so.

»Ich beobachte den Wind!« sagte der ziemlich bejahrte Mann mir erklärend.
»Denn jene Indianer haben ihre Rechnung geschlossen, und schlafen in
Frieden, das Haupt vertrauend auf die mütterliche Erde gelegt. Sehen Sie da
den letzten Rest des ganzen Volkes der Algonkinen!« --

Schauer überlief mich. --

»Wir mögen ihrer noch gegen 600 _Mann_ sein, _Weiber_ und _Kinder_ mit
eingerechnet, wie bei Xerxes Heer. Ein bejammernswürdiges Ende so vieler
herrlichen Tage, im Schooße der Natur verlebt! Aber einzeln und völkerweise
-- hinter dem Jäger steht der Bettler -- sie mußten auch so vergehen!«

-- Ich dachte nur an Eoo's Vater, an ihre Schwester! --

Und betrübter sprach er, einen gebildeten Sinn verrathend: »Auf jenen armen
Köpfen, in jenen schlafenden Herzen ruht das Wissen, Leben und Streben
eines ganzen uralten Volkes. Sehr besonders! wahrhaftig unerklärbar! So
viele Geschlechter von ihnen gelebt -- _sie_ sind nur von allen noch übrig.
Uebrig, wie abgenommene Aepfel von einem alten Apfelbaum, wie der Apfelbaum
von den frühern Tausenden _seiner Sorte_. Und von jenen Menschen allen, die
aus ihnen, wie aus den Aepfelkernen, noch kommen sollen, stehen nur _sie_
erst da! Eltern und Kinder! Niemand weiter! einsam schauerlich, dem
schrecklichsten Elemente, nur einem Hauche bloß gestellt!«

Er seufzte, sein eigenes Schicksal bedenkend.

Und ich tröstete ihn: Das ist das Heilig-Anschauernde jeder Blume, jeder
Pflanze, die so hergebracht in die Gegenwart hineinblühen, so einzig, so
wichtig, als Ahnen der Zukünftigen, als Träger der Zeit, nur sie selbst --
und so schutzlos, so schutzbedürftig und doch so kindlich unbesorgt. Und
mit Recht.

»_O diese Einsamkeit der Geschlechter!_« seufzt' er; »und jetzt dieß Volk
-- Schatten möcht' ich es nennen! Ich kann Ihnen sagen, es graust mich an.
Jean Jaques würde weinen! Aber was kommen mir Thränen ins Auge? -- die
Natur hat mir gar zu wenig Ehrfurcht vor ihren herrlichsten Werken. Sehr
besonders! Wahrhaftig unerklärbar! Geduld ist die Tugend der Wilden. Aber
Er würde doch weinen!«

Wir müssen glauben, erwiederte ich, wenn nur Zwei von ihnen übrig bleiben,
so ist, wie Sie sagen -- die Sorte gerettet! Wenn nur Einer dereinst in
späten Tagen ein vollständig gebildeter Mensch wird, so ist des Stammes
Zweck erreicht. Die Spitze des Pfeils hat getroffen! Ja, wenn nur Ein
Mensch von allen Geschlechtern wie ein einsamer Engel auf Erden dieß Ziel
erreicht und dann über Wolken verschwebt: so muß das verklärte
Menschengeschlecht sich selig preisen. Denn das Paradies zwar liegt uns
Menschen allen zurück, aber das tausendjährige Reich -- _vor_ uns, und das
Himmelreich ist inwendig in uns zu aller Zeit. -- Ich mußte vor Schmerz des
eigenen Verlustes stöhnen und setzte hinzu: Das war der Irrthum des guten
Jean Jaques.

»Unser Schicksal treibt mich, das bald zu glauben!« sprach er. Indeß --
wenn mich Etwas tröstet, so ist es die untrügliche Berechnung, daß in ganz
Amerika nicht viele Ureinwohner gelebt -- daß also nicht schon so viele
umgekommen! »Wie viel Hirsche stehen auf der Quadratmeile? das ist die
Basis zu dem Exempel, wie viel hier jemals Wilde gehaust, denn das heißt ja
nur -- Jäger.«

Diese Bemerkung hätte mich _sonst_ getröstet. Jetzt schwieg ich. Die Augen
fielen mir zu. Ich lehnte mich an den Esel; er wankte auch.

»Kann ich Ihnen dienen,« sprach er da freundlich, »mit Allem, was wir haben
-- und wir haben Alles, was wir immer haben, jetzt in Ueberfluß, so kommen
Sie zu dem Wigwam, diesmal von Schilf. Ach, das schöne Paris!«

Er blickte noch zu seinem Tuch auf, beobachtete den Himmel und sprach: »Der
Unterwind wäre gut! aber das ist immer der, dem der Athem ausgeht. Fällt
aber der Oberwind, der Neugeborene, herab, und das kann morgen geschehen,
dann weht er von dort -- dann bringt er die Flammen! Doch eine Mahlzeit war
immer erlaubt und ehrenvoll, selbst dem _Leonidas_. So wollen wir uns nicht
schämen! Mein Bärenrücken wird gar sein. --«

Ich band den Esel an den Baum; Monsieur d'Issaly half mir, ihm dürftiges
Futter hinzutragen. Dann nahm ich mein Kind, und wir traten in den
herzbeklemmenden stillen Kreis.

Wir stiegen in eine Vertiefung hinein, offenbar in den untersten Kessel
eines von Sommerhitze ausgetrockneten mäßigen Sees. Der Ort war weislich
gewählt, schützte vor Wind und Rauch und erlaubte, gefahrlos Feuer
anzuzünden. Wir mußten an dem großen hellen Nachtfeuer, das in der Mitte
brannte, vorüber. Ich stand einen Augenblick.

»Die betagten Frauen hier brauen Arznei für die Kranken, die Hustenden und
Halbblinden,« sprach d'Issaly. »Nur die Häuptlinge, die Tai's, führten, für
die Anderen sehend, lange Reihen der Männer und Weiber, die sich leicht an
einander anhielten und mit zugeschlossenen Augen hinter einander, wie
blinde Enten, folgten. Glaubt' es oder nicht, unser allergrößter Schmerz
ist in den Schläfen und Kinnbackenmuskeln vom beständigen Aufblasen der
Backen, um den Rauch zu verscheuchen. Andere sehen kaum mehr. Die Todten
haben wir heut mit Gesang bestattet. Die jungen Leute aber haben heut _alle
nur möglichen_ Hochzeiten gemacht! Da ruhen sie nun in den Hütten umher!«

Auf einmal hob sich das Feuer empor, fast mannshoch, und der Boden mit ihm,
wie ein umgestürztes Boot. Das brennende Holz und die Kohlen rollten auf
beiden Seiten herab und fielen uns fast auf die Füße; dann borst die
Erdrinde, von einer unsichtbaren Gewalt gesprengt, die alten Weiber flohen
und schrieen die Männer auf. Und ein weit geöffneter, nach Luft
schnappender Rachen eines Alligators streckte sich aus der Gruft, dann
brach er, noch Brände auf seinem Rücken, mit einem Sprunge hervor. Aber er
ruhte halb schlaftrunken und lag geblendet von auflodernden Flammen. Das
gewaltige Feuer über seinem Rücken hatte ihn aufgeweckt aus der Tiefe des
Schlammes und Mergels, worin er sich hier in der Hitze des Sommers
vergraben, und der getrocknete Mergel hatte eine feste Kruste über ihn
hingewölbt.

Ich gab mein Kind einem erstaunten Mädchen. Wir ergriffen einen brennenden
Pfahl, stießen ihn tief in den zähnestarrenden Rachen, der sich vor Schmerz
noch weiter öffnete. Herbeigeeilte Männer halfen uns stark und schnell,
selbst Knaben griffen an, und so lag der ungebetene, todesgefährliche Gast
auf dem Rücken und dampfte, schlug mit dem Eidechsenschwanz in die
glühenden Kohlen, daß sie umher flogen, und ehe er wußte, er lebe, war er
schon todt. Das Feuer ward um ihn geschürt, und die große Krokodilgestalt
schrumpfte zusammen und hob, wie um Erbarmen bittend, die
Schildkrötenpfoten gleichsam gefaltet zum Himmel! Die berauschten
Hochzeitgäste waren nüchtern vor Schreck, die berauschten Begräbnißfeirer
schlichen wieder fort; nur einige Knaben blieben, und die alten Weiber
stellten ihre Arzneien wieder in die Kohlen.

Mein Okki war, mit dem Gesichte auf der Schulter des Mädchens,
eingeschlafen. Ein Kind sein ist unschätzbar, unkaufbar. Selbst die Mutter
hatt' er vergessen. Wir gingen vor Hitze glühend. Ich bettete ihn in
d'Issaly's Hütte. Der Kleine fühlte nicht Hunger und Durst -- er schlief.
Ich aber aß, mehr um dem Sohne den Vater gesund und stark zu erhalten für
die _bevorstehenden_ Beschwerden, als aus Lust an Speise, die Schnitte von
d'Issaly's Bärenrücken, den dasselbe Mädchen geröstet. Dann streckten wir
uns hin auf die Decken, die Flasche mit Rum stand zwischen uns, und die
Pfeifenköpfe glimmten bei jedem stillen Zuge im Dunkeln auf.

Da erst fragte mich mein Wirth nach meinem Namen, woher und weß Landes ich
sei? Ich nannte ihm Deutschland, Hannover, Lüneburg -- meinen Namen:
_Hagen_. Ach, und diese Worte nun hier in der Ferne, der Wüste, in alle dem
Elend auszusprechen, kam mir so ungehörig, ja widernatürlich, so fremd und
unglücklich vor, als wenn wir sonst in der Iliade lasen vom göttlichen
Hektor, von seinem Todtenhügel, und der alte Rector wie vom Himmel dabei
herunterrief: »Troja ist heut zu Tage türkisch!« Ich theilte ihm meine
Schicksale mit, ich erzählte ihm unsere Flucht, -- meiner Eoo That und
Verlust -- vielleicht ihr Opfer! Ach, dieß Vielleicht fiel mir schwer auf
das Herz! Selbst das Mädchen, das still an der Hütte gesessen, schien zu
weinen, ja sie stand zuletzt leise auf, und ich sah ihre Gestalt hinüber in
der Dämmerung verschwinden.

Ich schlief in Thränen ein, die Wange an meines Kindes Gesicht. Ich war im
Traum am Gestade von Tauris, ich hörte den Sturm, den Donner, und der Chor
der Priesterinnen sang ihr verzagendes:

   O welche Nacht! Tod droht uns Armen!
   Welch banges Grau'n, welch Traumgesicht!
   Ihr Götter schenket uns Erbarmen,
   Erhört dieß Fleh'n, und zürnet länger nicht!

Ich mußte im Schlafe die Worte vernehmlich sogar gesungen haben, denn mir
war, als hörte ich d'Issaly einstimmen, oder als säng' er wunderlich selbst
gegenwärtig unter jenen Priesterinnen:

   Wann trocknen unsre Thränen ab?
   Drückt Leiden ewig unser Leben?
   Ach, soll allein das stille Grab
   Die lang entfloh'ne Ruh' uns wiedergeben?

                   *       *       *       *       *

Spät machte meine schwerträumende Seele Tag. D'Issaly war schon fort. Der
Nachmorgen hatte etwas Zauberhaftes, als sei die Erde unter andre Gestirne
versetzt. Fünf Sonnen standen am rauchumzogenen Himmel, roth wie ein Licht
durch Rubinglas. Meine Sinne waren durch so viel Nieerlebtes gelöst und
berauscht, daß mir fast nichts mehr wunderbar däuchten konnte. Woher es
stamme, was es bedeute und sei, fiel gewiß Niemandem ein; Alles war nur,
was es im Augenblick schien; heiß oder kalt, trüb oder hell, _das_ war, was
uns rührte! Die fünf himmlischen großen Rubinen schmolzen zuletzt und
zerflossen in unbeschreiblich herrlichem Farbenspiel; und nach einer halben
Stunde schien der Himmel ein Spiegel geworden, in dem sich die goldgelbe
Sonne besah, und die Menschen konnten dieß ihr zur Seite stehende Bild in
dem Spiegel sehen, und sie selber zugleich.

D'Issaly kam, setzte sich zu mir und sprach: »Es herrscht eine Wahrsagung
hier unter dem Volke, daß, »_wann die blinde Frau den blinden Hirsch
fängt_,« sein Leben am Ende sei!«

Das Leben des Hirsches, oder des Volkes? frug ich ihn.

»Umgeben vom Waldbrande sind wir;« antwortete er. »Der feurige Kreis ist
geschlossen; nur grüne Bauminseln zittern und glühen noch hin und her. Das
Feuer überspringt sich selbst. Wollen Sie den blinden Hirsch nun sehen? Er
steht dort mitten in dem dichten Kreis der erstaunten Indianer leicht
angebunden. Er ist matt bis auf den Tod, ein blindes Weib hat ihn am Geweih
gefaßt und halten mögen, da er mit dem Winde auf sie gekommen. Viele machen
ihr nun Vorwürfe, daß sie zugegriffen! Einige behaupten, sie sehe _noch_,
oder _werde_ wieder sehen, und bemühen sich fast verzweifelt, ihre Augen
herzustellen; Andere versuchen, den alten Hirsch wieder sehend zu machen,
damit die Alte keinen _blinden_ Hirsch gegriffen! Gläubigere behaupten: der
Hirsch sei doch blind _gewesen_, wenn er auch wieder sehe. Vor Allen
brüsten sich die Wahrsager und scheinen mehr Freude über das Eintreten des
vor Alters Vorhergesagten zu fühlen, als Angst über den dadurch
angedeuteten Untergang. So sind die Pfaffen! Die jetzt ganz natürlich
erprobte Wahrhaftigkeit _der alten Thoren_ giebt ihnen neue Würde, die doch
nun am Ende wäre! ja wirklich zu Ende geht! Ich konnte drei blinde Bären
fangen, wenn ich blind war, um so närrisch zu sein, mich zu Tode umarmen zu
lassen.«

Wir traten zu der Scene. Und der Anblick der Menge war wirklich wunderbar,
welcher der alte edle Hirsch mit schwarzberäuchertem zackigen Geweih als
ein Gesandter _vom großen Geist_ erschien. Wer es auch hätte wagen können,
ihn zu tödten, der wäre als Frevler zerrissen worden! Ein Greis gab ihm
Mais aus seiner magern Hand zu fressen und blickte dabei zu den zwei
goldenen Sonnen, und dem alten Vater standen die Thränen in den Augen. Alle
waren gerührt, auch ich wendete weich mich ab.

Gerade jetzt trug das Mädchen -- sie hieß _Ayana_ -- meinen Okki eilig nach
einer andern Hütte. Ich eilte ihr nach. Da trat ein Algonkine hervor,
schnell gab sie ihn _dem_ auf den Arm, eilte hinein und verbarg sich.

Jener aber trat mir entgegen und frug mich auf französisch: »Du bist doch
meiner Eoo Mann? Nein Du bist es eben nicht, das wissen wir schon, darum
ist der Knabe nun mein! Mein Blut rinnt in seinen Adern. Aber _Ayana_ hat
Unrecht gethan, ich wäre schon frei und offen gekommen, den Knaben Dir
abzufordern. Du bist _als ein Gast_ zu uns genaht, selber in Noth, darum
gehe Du unberührt von hinnen!«

Er wollte hinein gehen. Ich hielt ihn an Okki's Arme, der schrie. Er stand.
Es war Eoo's Vater! Seine schwarzen Augen funkelten, die Nüstern seiner
schön gebogenen Nase bewegte Zorn, seine Lippen schwellte Verachtung, und
mit seiner hohen Stirn, umwölkt von glänzendem schwarzen Haar, stand er mir
herrlich und unbegreiflich da. Und doch regte sich eine heimliche schwere
Schuld in mir, eine Schuld am Mutterherzen. -- Aber ein Wort ist den
Indianern ein Schwur, es ist Wahrheit der Gefühle -- und Okki war mir
verloren, wenn ich ihn ließ. Das Kind konnt' ich nicht fassen, wir hätten
es zerrissen; Eoo's Vater konnt' ich, ihretwillen und meines Dankes wegen,
nicht tödtlich, nicht ernstlich beschädigen wollen; das dacht' ich klar.
Aber mich befiel eine Wehmuth und eine Wuth zugleich, daß ich nicht mehr
die Folgen erwog, noch das Gelingen von dem, was ich that. Ich faßte den
Vater, ich rang mit ihm -- während daß -- ihm Ayana den Knaben wegriß.
Meine Kraft war furchtbar gespannt, und doch wollt' ich so eben dem Manne,
in Thränen ausbrechend, an die Brust fallen und vor Verehrung der Liebe zu
seiner und meiner Eoo ihn an mich drücken -- da riß mich d'Issaly rücklings
von ihm weg. Er selber half mich mit Baststricken binden und trug mich mit
anderen Männern in seine Hütte. Er selber ging von mir weg und ließ sich
nicht sehen.

Nach einer Stunde kam Ayana, setzte sich in scheuer Entfernung von mir und
schien mich mit Antheil, ja mit Neigung zu bewachen.

So lag ich und starrte hinaus auf den offenen Platz in die Savanne und zum
Himmel.

Der Oberwind war herunter gestiegen und brachte die Flamme. Vor ihr den
heißen Athem, und vor ihm den weißen Rauch. Ich sahe, die Indianer rissen
ihren Schmuck aus den Ohren, die Tai's warfen ihre rothen und blauen
Federhüte von sich und zogen die Ehrenschuhe aus. Bis auf den Gürtel
unbekleidet erschienen sie nun bemalt mit Farben und Strichen, und selbst
bei den Frauen wäre diese Bemalung ein wirkliches Kleid gewesen, das den
Körper nicht sehen ließ. Sie stimmten Gesänge an, deren langsam steigende
Töne das Herz zerrissen und, bebend in der Tiefe gehalten, das Innerste
erschütterten. Das Feuer vertrieb sie aus dem Walde, wie die Otter die
Vögel aus dem Neste. Ihr Geschlecht war ins Land der Geister gestiegen; nun
war an _ihnen_ die Reihe, ohne daß ihnen Jemand der Ihren mehr folgte. Sie
waren die letzten rothen Häute in diesem Lande. »Die Bäume machte der große
Geist -- nun zerstört' er sie wieder. Das blinde Weib hat den blinden
Hirsch gefangen, die Hirsche und wir verschwinden aus den Wäldern mit den
Wäldern, und Alles war ein Bild im See, ein Bild, bis die Nacht ihm
erspart, zu sein!«

Das, wähnt' ich, müßten sie jetzt da vor mir singen.

Aber der Trunk ging umher, und der Lärm schien Jubel in dieser höchsten
Noth. Hier erschallten Hochzeitlieder, dort Grabgesänge, als Nachklänge der
Stimmung des vorigen Tages und aller Tage! Das unendliche reiche, und bis
in die innerste Tiefe aufgeregte Gemüth _des Menschen_ schien noch für die
Wiederholung jedes Gefühls, jeder Beschäftigung des früheren Lebens -- wie
ein Schlafender die Geschäfte des vorigen Tages gedrängt und schnell
wiederholt -- eine kurze Minute in Anspruch zu nehmen, ja alle seine
Freuden und Leiden noch einmal ganz ausschütten zu wollen, zu müssen! Der
Tabak, den sie in kleinen Kugeln verschluckten, mußte sie bis zum Wahnsinn
berauschen. Dann hielten sie einen Rath. Das Calumet, die
Riesentabakspfeife, ging umher, und jeder rauchte daraus so entsetzlich, so
entsetzlich die Noth, so nöthig der Rath war! so räthlich ein großer
Entschluß!

Und sie faßten ihn wirklich im Stillen.

So nahe, so nahend hatt' ich das Feuer bisher nicht gesehen. Jetzt
knisterte _es_ nicht weit von uns am Boden dahin; es knackerte, prasselte
tausendfach, und wo Flämmchen hinflackerten, stiebten nun erst müde
Schnepfen und Kragenfasanen und anderes Geflügel auf, wie Phönixe neu aus
den Flammen belebt. Hin und her ein wilder Ochse mit dumpfem Gebrüll, oder
eine Gesellschaft wasserberaubter Kraniche. Dem Abbrennen des Grases und
des Gebüsches folgten Funken und Qualm, dem Qualme Aschenwolken, die
aufstiegen und niederfielen und wieder aufstiegen; glühende Kohlen flogen
empor, die wuchtenden Flammen dobberten und sausten, nur mit sich selbst zu
vergleichen. Ihre Richtung war von der Linken zur Rechten. Ich war fühllos.
Hier konnte Niemand retten als Einer. Alles, was ich sah, war mir nur noch
eine Erscheinung, ich selbst eine Erscheinung auf der Erde. Ich nahm eine
Hand voll Sand auf, betrachtete ihn, und der Staub war mir unbegreiflich!
woher ewig, ewig wozu? unnöthig, wenn nicht entsetzlich, daß er sei. Aber
er war mir kaum, die Körner schimmerten nur; ich sahe meinen Leib vor mir
liegen wie ganz etwas Fremdes, nicht mein, auch jetzt nicht, oder nicht
mehr. Der Lebensglanz war selbst von den Gedankenbildern meiner Frau und
meiner Kinder abgefallen, die Liebe gesunken wie eine Flamme, so schien
auch der Tod nun nicht Tod mehr! Also auch Jene vor mir dort anzusehen, so
aufgegeben in der leuchtenden Wüste der Welt -- war nur ein reines
Zuschauen, rein -- wie Eis.

Drei alte ehrwürdige Männer, wahrscheinlich Zauberer oder Wahrsager, die
gewiß vorher immer ihre Verbindung mit dem Himmel gepriesen, gelangten
jetzt auch dafür zu der Ehre, »_als Gesandte zu dem großen Geiste_« zu
wandeln. Sie dankten feierlich für dieß Zutrauen! Stricke von Bast um den
Hals tanzten sie unter zujauchzenden Liedern. Ein Häuptling nahte wieder
und sprach während alle schwiegen: »Bittet nur, daß der Hase möge weiß
sein, nicht braun wie im Sommer! Er wird das schon verstehen; und es ist
ihm so leicht wie einen schwarzen Adler aus weißem Eie zu machen!« --

»Gleich Schnee! überall gleich funkelnde Bäume mit Eiszapfen daran so lang,
als Er will!« rieth ihnen die Menge; »Er kann es auf einmal so gut, als
nach und nach! _Dieß Alles_ thun nur _die Untergötter_ -- vielleicht die
Manitto's -- die bösen; doch _Er_ ist der _Herr des Lebens_. Zeigt eure
angesengten Haare! Laßt Ihn die Flasche heißes Trinkwasser kosten! Er wird
euch glauben, wenn Er euch sieht, und uns helfen, wenn Er euch glaubt. Sagt
Ihm: Wir würden _Ihm_ helfen, wenn _Wir_ Alle droben _große Geister_ wären,
und _Er_ allein hier unten so elend wie wir, umringt von den Flammen! Das
muß Ihn erbarmen, denn Er ist der große Geist!«

Die Himmelsboten versprachen das Alles; dann tanzten sie wieder; die Lieder
erschollen, die Männer tanzten, die sie an den Stricken hielten und, auf
den Wink eines Häuptlings, die Schlingen um die Hälse der Himmelsgesandten
zuzuziehen, mit begierigen Augen harrten. --

Ich schlug die Augen nieder mit unaussprechlichem Gefühl -- ich weiß nicht
vor Was; ich drückte sie zu -- ich weiß nicht vor Wem. Meine Seele hatte
sich verloren in den Wüsten des Raumes, in den Abgründen der Zeiten. Es
flammte in mir wie ein goldener feuriger Schein! und in dem inneren Meteor
erblickte ich auch Deine Gestalt, mein Bruder, die Gestalt des Vaters, der
Mutter und alle der Lieben! Ich fühlte mich in der Heimath. Wunderlich
tauchten die früheren Erscheinungen vor mir auf und verschwanden
verdrängend und wieder verdrängt. Mir fiel ein Mann ein, ein sehr hoher
Mann -- und ich mußte sarkastisch laut auflachen! Ein herzlicher Mensch
frug ihn einst, um ihm durch eine auf die Spitze gestellte Alternative
zwischen Selbstsucht und Mitleid eine erschütternde Einsicht in sein
mitleidloses Herz zu geben, er frug ihn: »ob er lieber wolle alle Tage
seines Lebens alle guten Braten essen, alle _edlen_ Weine trinken, und so
fort befehlen, wenn dafür ein ihm ganz unbekanntes Volk sammt seiner Insel
im stillen Ocean versinken und umkommen solle?« Da der sehr hohe Mann
vorgab, das Volk nicht zu kennen, blieb er bei gutem Braten und edlem Wein
-- und ließ das Volk verderben.

_Hier_ war nun zu sehen, was _Mitleid_ sei, oder nur _Wohlwollen_, und was
Selbstsucht! Hier stand ein Volk am Rande des Abgrunds -- und wie der
unbarmherzige Mann aus meinen Augen im Geiste jetzt hier das ansah, wie
seine Stimme, gleich sonst, auch jetzt in mir sprach: »alle mein Lebtag
Braten und Wein« -- da faßt' ich mich selbst an der Gurgel. Doch ich besann
mich! Warum haben die Wilden kein Mitleid? -- Sie haben keine Phantasie,
sie fühlen nur sich, nur den Schein der Natur wie die Kinder, sie können
ihr Ich nicht in Andre versetzen -- und Menschen ohne Mitleid sind eben --
Wilde Ueberall!

Aber der _große Geist_ empfindet jedes Herz, jede Freude und jedes Leid
aller Menschen in seiner Brust wie wir, und mir schaudert zu sagen, _als_
wir. --

Nämlich: die Himmelsgesandten schwankten schon -- sie schienen nicht mehr
auf der Erde. -- Die Noth stieg am höchsten. Eben sollten sie erwürgt --
gesandt werden. --

_Da ward plötzliche Windstille!_

Nichts in der Natur hat mich je mehr erschüttert. Der Herr war im Säuseln.
Mir schauerte die Haut. Der Rauch stand, er zog empor. Das Feuer strich
wahrscheinlich an dem graslosen Bett eines ausgetrockneten Baches dahin, es
wehte nicht über; die Savanne blieb weiter unberührt -- in mildem Glanze
stand nur Eine Sonne am Himmel, die Freude war unaussprechlich. Die
halbtodten alten Gesandten wurden mit goldgelben Einseng erquickt. Die
verständliche Aufführung des Sprichwortes: »Dieses _Glas_ dem großen Geist«
war jetzt zu sehen; _ja das Calumet ward ihm zu Ehren geraucht_, und der
Dampf war das Opfer. Denn die armen Indianer, zum Erwerb des Lebens zu
ewigen Zügen verurtheilt, fast nimmer ruhend, nirgend beständig, haben
keinen andern _Gottesdienst_, zu dessen _Ausbildung_ erst beharrende Völker
gelangen.

Monsieur d'Issaly kam und umarmte mich voll Freuden. -- »Das war eine große
Lehre!« sprach er; »Gott Lob! sie hat mich klug gemacht! Auch Sie sind zum
Glücke hierher gekommen. Rings draußen war sonst ihr Grab, ihr
Heidenbegräbniß in eigener Asche!«

Ich blieb düster sitzen, ja zornig.

»Aber auf wen sind Sie böse?« fuhr er freundlich fort; »Sie zürnen? --
Ueber die Rettung? vielleicht über mich? Es wäre wohl jetzt ein Augenblick,
zu vergeben! Aber mischt' ich mich nicht darein, so sah ich, spielten Andre
voll Erbitterung Ihnen leicht übler mit als ich -- zum Schein that. Sie
haben sich noch nicht losgebunden? Doch Sie konnten mich noch nicht
kennen!«

Er löste mir die Füße, schleuderte den Bast hinweg und sprach: »Nun ist es
vergessen! Aber sie müssen dem Vater vergeben! Er erfuhr ja Alles! Er ist
der Vater! und ist ein Algonkine! Bei den Söhnen der Natur gelten nur große
Tugenden, nur wenige; aber sie und die oft so gefährlichen Lagen fordern
sie dringend fast jeden Tag! und von Jedem werden sie leicht geleistet --
wie man in Europa einem guten Freunde wohl einen Ducaten -- auf dreifaches
Pfand borgt. Wer hier ein musterhaftes Werk gethan, wird kaum erwähnt, aber
wer es unterläßt, wird verachtet. Ich sage nur so. Hier darf ein Mann sein
Weib nie verlassen; er muß die Gefahr für sie bestehen. Und wehe auch mir,
daß ich nur solche _Anhänglichkeit_ noch bewundere! Hier ist auch die
leichtsinnigste Verbindung goldenfest; denn das ganze Herz, die volle
Gewalt des Strebens schloß sie. Sie kennen dann in dieser Art nichts
Anderes mehr, nichts Besseres mehr, und was sie besitzen, daran besitzen
sie gleichsam ihre sichtbar gewordene Seele, sich selbst! ein zweites,
liebreicheres Mal. Und darin nun leben sie. O, es ist kein Traum, daß die
Unsern, »die Unsern« sind, daß es _außer ihnen keine_ mehr für uns giebt --
wenn wir es verstehen. Sind die Unsern gekränkt, krank, elend, todt -- dann
sind wir dahin! Was ist dann das Leben noch? -- Dem Wilden: Nichts! Er
schlägt sich selbst nicht so hoch an, nicht höher als seine Neigung und
Liebe, die er in seine Lieben versenkte. Kann man Welt und Leben göttlicher
achten? Aber Ihr -- ach -- _Wir_ halten nichts für einzig, nichts einzig
werth für uns! so lieben wir nichts, so bleibt uns immer und immer wieder
die immer wieder leere Welt noch übrig! O wir sind groß und erhaben über
uns selbst! -- Und so forderte jetzt der Vater den Sohn seiner Tochter dem
Manne ab, der --«

Sie irren, d'Issaly! rief ich, ihn unterbrechend und erröthete über und
über. Ich schwieg, schuldig -- zwar aber anders. Ich war mir jetzt klar
geworden: Weil ich unsere Tochter mit entfremdet, liebt' ich meinen und
meiner Eoo Sohn, Okki, nun doppelt, und doch einseitig. Eoo aber liebte die
hingegebene Tochter nur mehr, ja mit voller heftig erregter Mutterliebe,
seit sie sie wieder gesehen. Ihr Schmerz entflammte die Liebe nur mehr. So
war sie bereit, das Leben für sie mit Freuden zu wagen. Und ich liebte Eoo
gewiß, ja gewiß über Alles! -- Leider! Aber verstand ich sie auch zu
lieben, wie mir es Pflicht gegen sie war? Ach, ich mußte auch _Das_ am
höchsten halten, _was sie liebte_, mit heiligem Rechte so liebte -- dann
erst liebt' ich sie wirklich: ihre Seele, und all' ihre Neigung! Das sind
keine Räthsel, keine Spitzfindigkeiten, es ist die Gewohnheit aller
unverstimmten Menschen im Leben, und gerade der Aermsten, selber der
Wilden, wie d'Issaly sagte. So ein göttliches Geschöpf ist der einfachste
Mensch. Aber Vorliebe zu Okki -- verschuldete Vorliebe hatte mich gebannt.
Ihn opfern -- die schöne, geliebte Eoo opfern, nur wagen -- ich war es
nicht fähig! und sollt' es doch! Und wahrlich _ich dachte_ an mich nicht.
Das sahe Eoo so klar und fest durch die Worte meines Gesprächs auf dem
Berge mit ihr, wie im nebligen Moosagat das fasrige Moos! Sie erröthete:
Sie beschloß. Und doch drückte sie mir noch die Hände leise des Nachts --
ich liebte ja sie und ihr anderes Kind, und sie liebte mich noch. --

Euer Okki ist in guten Händen, tröstete mich d'Issaly, auch wenn der
Großvater beim Abzuge ihn mitnimmt. Und wollt Ihr ihn wieder -- -- es ist
nur eine Tagereise zum Strom, der Weg ist rein, ihr wißt, wie die Indianer
schlafen, ihr wißt die Hütte, morgen ist Fest, der blinde Hirsch wird
geopfert, wir essen nicht ohne zu trinken, und was! und wie lange! -- Nun
wißt Ihr genug.

Ich faßte schweigend meinen Entschluß. Mein bedenkender Freund streckte
sich hin, und halb mit mir, halb mit sich selbst, redet' er fort. »Der
Mensch sollte ein Bär sein!« sprach er über sich selbst unwillig; »nicht
der Bärenhetze wegen, sondern des Bärenpelzes! Nackt bin ich auf die Welt
gekommen, nackt muß ich wieder dahinfahren -- das Wort ist auch in Hinsicht
des Vaterlandes -- traurig. Wahrhaftig! Wer Federn wie der Kolibri hat,
oder eine zarte Haut wie die Feuerschlange, der kann nicht auswandern zum
Eismeer; sie müßte zum Prügel erstarren! und der Eisbär müßte sich auf St.
Helena zu Tode schwitzen, und in Cayenne -- Pfeffer! die glückseligen, von
der Natur _gekleideten_ Bewohner der Erde, _sie müssen ihr Vaterland
bewohnen_, und nur _ausgestopft_ kann man sie in einer andern Zone sehen,
denn sie sehen uns nicht mit ihren Glasaugen. Aber Homo -- der Mensch hat
das verwünschte Vorrecht, wie seine eigene große Modenpuppe, sich
anzuziehen in leichten Nanking, wenn er nach Sumatra ziehen will, in
Zobelpelze, wenn ihm Kamtschatka gefällt. Als Herr des Eisens baut er
Hütten, wie sie ihm überall recht sind, Sommer- und Winterpalais -- oder
näht Pelze! und das verruchte Thermometer in der Hand, stimmt er überall
seine Stube auf -- Stubenwärme! Und nun denkt der -- Fahrenheit, wo er
wohnen _kann_ als Leib, sei sein Vaterland, und wird ein laufender Jude wie
ich. O Homo! Mensch! O Feigenblatt, daß Du verloren gingst! O Vernunft, daß
Du das nicht einsiehst wie -- ich! O Verstand, du glaubst der Erfahrung wie
ich! Nur kleine Geduld! Nur die Freunde nicht im Unglück verlassen, wenn
wir auch nicht helfen können; wir haben die Genugthuung, es mit auszustehen
und ausgestanden _zu haben_. Ins Vaterland wiederzukehren, ist Niemand zu
alt. Das macht wieder jung! Und so lange nur noch das Licht der Augen, bis
sie den Mont-Ventoux gesehen! dann zieht Monsieur d'Issaly die Decke sich
lächelnd über den Kopf -- und schläft wie ein todter Urson!«[A]

Und so that der Ausgewanderte, der reuige brave Mann wirklich und
schnarchte wenige Augenblicke darauf.

Ich aber hatte keine Ruhe. Ich wartete die völlige Nacht und Stille in den
Hütten erst ab. Dann empfahl ich mich erst dem großen Geist, dessen Sterne
durch eine Lücke der Wolken mir wieder schienen, und schlich mich außerhalb
des Kreises -- nach meinem Okki. Die Hitze war mir günstig. Ayana schlief
vor dem Wigwam mit ihm. Er war im Schlafe ihrem ausgestreckten Arm
entglitten und ruhte nur mit dem Nacken darauf. Erst mußt' ich weinen, eh'
ich ihn vermochte nur anzurühren; dann mußt' ich ihm in das holde Gesicht
sehen -- das Herz pochte mir ungestüm -- er redete leis und unverständlich
im Schlafe. Ayana zog ihn an sich, aber sie ließ ihn, von Schlummer gelöst,
bald wieder los. Ich wartete das ab; eine peinliche Weile. Ich wand meine
Hand unter seine Schulter, die andere unter seine Kniekehlen -- ich hob ihn
sanft -- ich fühlte die süße Last wieder -- ich kniete schon nur auf einem
Knie, ich wollte auch dieß erheben -- da schlug Ayana die Augen auf; ich
stand wie angewurzelt; sie setzte sich auf, sie sah mich an, oder schien
mich anzusehen; ich hielt den Blick der Schlummerbefangenen aus; ich schloß
die Augenlieder, als schlaf' ich; sie sank wieder hin, sie wandte sich ab
und bettete sich auf der eigenen Brust -- nun holt' ich erst Athem, nun
schlich ich mit zitternden Füßen fort, nun war mein Kind wieder mein!

[Fußnote A: Eine Art Faulthier -- Histrix dorsata.]

Ich löste mein treues Thier, als ich erst die Schellen heimlich
abgeschnitten; das Füllen folgte mir zottelnd hinaus in die Nacht, vom
fernen rothen Feuerscheine erleuchtet; ich hatte nicht Steg noch Weg, nur
die Richtung nach dem Flusse; und als der Morgen erschien, verbarg ich
mich, weit von der leeren Savanne schon, wieder im Walde mit meinem
geliebten Kinde. --

Sein Erwachen, seine erste Rede -- o Gott, welch' Entzücken! Ich kosete mit
ihm, lange und süß, und unwiderstehlich sank ich ermüdet in stärkenden
Schlaf, glücklich in dieser Wüste, so glücklich ein Vater sein kann im
Umkreis der Erde. Mir war hier der Himmel -- denn ich sahe im Traume mein
Weib und mein anderes Kind. Sie lebten also -- in mir, und ich lebte mit
ihnen -- in mir.

                   *       *       *       *       *

Ich wußte selbst nicht, wie erschöpft ich war. D'Issaly's Wort »das war
eine große Lehre,« trug ich beständig im Sinn. Ich war schon krank, und es
machte mich kränker und spannte die Kräfte mir ab. Doch ich fühlt' es nicht
ungern, wie Jemand, der dem Erfrieren nahe ist, sich endlich behaglich
fühlt. Je näher er dem Tode kommt, je wohler, je süßer wird ihm, und Jeder
ist ihm unwillkommen, der ihn wieder in das vergessene Leben stört. Denn
Angst empfand ich nicht mehr; wie ein Wanderer nur den ersten Tag ermüdet,
den zweiten und dritten Schmerzen leidet und dann sich nach und nach
erholt, bis er unermüdlich geht wie eine Uhr. So hatt' ich mich an den
neuen Zustand gewöhnt, als habe die ganze Welt von meiner Jugend an
gebrannt und gedampft. Aber Reue und Ungewißheit drückten mich nieder. Denn
hätt' ich meine Tochter behalten, so war sie jetzt bei uns, dann war die
Mutter auch bei uns -- und wenn ich das dachte, erschien mir Eoo vor Augen
und sah mir lächelnd und froh ins Gesicht, und ich stand, als halte mich
ihr Gebild wirklich auf im Weitergehen! Darum eilt' ich, nach Quebec zu
kommen, denn dahin, wußte Eoo, hatten wir wo möglich suchen wollen zu
gelangen. Ich hatte dort Freunde, Geld, und dort war alles Verlorene wieder
zu ersetzen und anzuschaffen.

Am dritten Morgen nach meiner Flucht aus dem Sumpfe oder Swamp in der
Savanne erschrack ich, mich von den Algonkinen wieder umlagert zu sehen!
Ich fürchtete wirklich nicht ohne Grund, denn die Indianer vergeben nie.
Mir fiel es aufs Herz: in welche Lage es meiner Eoo Schwester, Ayana,
versetzt, daß ich ihr das Kind aus den Armen geraubt. Vielleicht hatte das
d'Issaly bei dem Vater ausgeglichen. Vielleicht hatte Der sie zur
bittersten Strafe mit Wasser bespritzt. Ich war gefaßt auf Gegenwehr, doch
verhielt ich mich ruhig, sorglos wie ein Abwesender. --

Der gute d'Issaly kam und trat zu mir und lächelte. Aber er sahe, wie krank
ich war, wie sehr ich an den Augen litt, und äußerte mir das. Ich wunderte
mich.

Aber noch mehr, als er Ayana zu mir brachte, die ihre wenigen Sachen unter
dem Arme hielt. »Sie wird nun bei Euch bleiben und Euch leiten!« sprach
d'Issaly, der mich eine kurze Zeit verlassen und mir an der Hand sie
herführte. »Um des Kindes willen zuerst, und dann auch Eurer selbst wegen,
denn dem Vater hat geträumt: Ihr wäret verlassen, Ihr rieft nach Ayana!«
»Er gehorcht dem Befehl; denn Träume sind hier Befehle des großen Geistes
und werden heilig erfüllt; wie überall die Einfälle bei Tag und bei Nacht,
auch wenn sie nicht so gut sind als dieser des väterlich sorgenden
_Sachem_, oder Arm des Hauptes. So zieht denn in Frieden! -- Und was mir
gefiel: der Vater nahm nicht Abschied von ihr; als bleibe sie bei ihm,
immer vor seinen Augen, da sie einen guten Weg geht, und also sein Herz mit
jedem Pulsschlag in jeden ihrer Schritte aufs neue willigt. Sie kniete nur
flüchtig noch ein Mal vor ihm nieder und berührte seine Hand mit ihrer
Stirn. Sie hat Fleischpulver, Pemmican, auf lange. Ihr findet auch
Kronsbeeren. Der Mond ist zwar todt -- daß heißt bei Euch: alt, -- die
Sonne scheint zu sterben; aber selbst ohne Nordmoos an den Bäumen und
Südwuchs der Aeste ist der Weg nicht zu fehlen. Die Bäche führen zum
Flusse, der Fluß zum Strome; der Strom nach der Stadt. So geht Ihr aus Hand
in Hand unter göttlichem Geleite. So zieht in Frieden! Vielleicht -- --«

Er sprach nicht aus, sondern sah uns nur lange nach, als er uns erst mit
Sagamite aus Mais erquickt. Auch ich sah mich um und erblickte noch lang
die im Winde von seiner Schulter wehende blaue Decke, und die langen rothen
Hosen.

Obwohl Ayana französisch verstand, schwieg sie doch. Ihr langes weißes,
erst eben angelegtes Unterkleid, mit silbernen Knöpfen am Saume besetzt,
hatte sie aufgeschlagen; ihre Schuhe von weichem Büffelleder (Mocossins)
beschützten ihren Fuß, und ihr um die Hüften geschlagenes Tuch hinderte sie
nicht. So schritt sie voran, ihr schwarzes, bis in die Kniekehlen
reichendes Haar flatterte, mit Geschmeide geziert, im Winde ihr nach. Ihr
Wuchs, _der_ einer indianischen Schönheit -- einer Sqaw -- ließ mich an Eoo
denken, wie sie war, als sie mein Weib ward. Ich folgte in Träumen und voll
der holden Erinnerung, wie ich zum Scherz mit dem glimmenden Hölzchen im
Munde mich Abends Eoo heimlich genaht, und wie sie es ausgeblasen, zum
Zeichen meiner Erhörung.

Zur Nacht erreichten wir den Utawas. Ein Kanot, mit Kork überzogen, fanden
wir noch an einer jetzt von Menschen verlassenen Cabanne, auf dem Flusse
sich wiegend. Es war so klein, daß der kleine Esel zurück bleiben mußte;
und ich vergesse die großen Augen des armen Füllens nicht, mit welchen es
seine Mutter stumm dahin fahren sah! Die Mutter schrie und sang, der Sohn
sang und schrie -- und wir Menschen fuhren dahin.

Wir lagerten uns drüben in einer andern verlassenen Cabanne, mit Allem
versehen, selbst mit den schwarz gefärbten Pflaumenkörnern zum Würfeln für
Kinder. Ich gedachte der Heimath! -- Aber am Morgen war das verlassene
Esels-Muttersöhnchen da; Ayana hatte es beim ersten Morgengrauen
herübergeholt. Die Freude war groß!

Aber was sollt' ich denken, als ich auch die rothen Hosen erblickte -- die
d'Issaly trug! Er trat ein und stellte sein Tomahawk an die Wand.

»Ich kehre aus dem Hause des Todes neu in das Haus des Lebens,« sprach er,
mich weich begrüßend. »Die Wälder sind hin, und man kann kein Wilder mehr
sein! Gewiß sind die Hundsribben-, Hasen- und Zänker-Indier nun alle auch
_Weiber_ geworden. Mit dem Wilde muß nun die Kriegesaxt auf Dauer der Sonne
begraben werden. Denn _nur um Lebensunterhalt_ ward hier Krieg geführt. Aus
der Asche der Bäume wächst nun das Friedensbäumchen auf. Aus Jägern werden
-- Nomaden. _Die Kuh und das Schaf wird nun hier herrschen_, bis der
gepflügte Acker und das gemauerte Haus die Freien zu Sclaven macht wie in
den Freistaaten, zu Sclaven ihrer Bedürfnisse, der Sicherheit und des
Besitzes. _Der_ Tausch ist schwer, und soll ich ihn machen, so tausch' ich
für dieses sehr sonderbar mit Asche gedüngte Jungferland mir wieder mein
Vaterland ein, das ich floh, um Niemandem zu gehorchen, 1790. Jetzt will
ich daran arbeiten, _nur mich zu beherrschen_ und mir als wahrer Monarch zu
befehlen. Alles, was die Indianer haben und thun, geht den ganzen Stamm an;
nur ihm gehört Alles, selbst das Lachswehr im Flusse; ihm ist Mann, Weib
und Kind lebendig, und ihm nur stirbt es. Diese Gesinnung hab' ich hier
erworben -- sie will ich als _meinen_ Reichthum hinübernehmen und
ausstreuen -- mit milden Händen! Und könnt' ich, ach könnten wir alle da
drüben, _bei_ Geschicklichkeiten und Wissen, _diesen_ Charakter behaupten,
was fehlte uns dann -- verklärte Wilde zu sein? nicht _allein_ durch die
Stärke des Leibes zu leben, nicht _allein_ durch die Kräfte des Geistes,
sondern _durch beide vereint!_ -- Das war mein Lehrbrief! schloß er, den
die Natur mir hier geschrieben, welche die Menschen hier etwas sonderbar zu
erziehen beliebt; und einen kleinen verbrannten Baum will ich als
Denkzeichen an die Schnüren -- mein Fathom of Wampum reihen! --«

Er besah sich jetzt in einem kleinen Spiegel an der Wand und ging dann mit
großen Schritten sinnend auf und ab und glühte dabei. »Ich bin ohne ein
wahrer Mensch zu sein, so ziemlich, was man sagt, alt geworden. Doch Ich
habe mich hier um das innere Leben gebracht, Ich will Mir vergeben!«

Er that, als umarme er sich und drücke sich selbst an die Brust, und ich
hörte den Laut zweier Küsse. Dann setzte er sich und rauchte wunderlich
eine Friedenspfeife mit sich selbst. Dabei sah er mich öfter an, und als
sie ausgegangen, und er den letzten Zug des Rauches dem Himmel zugeblasen,
schien er mir zur Lehre zu sagen, was er indeß gedacht.

»Nur auf derselben Stelle, sprach er, können wir leben, wenn leben heißt:
Einsicht in die Welt, ihren Lauf erlangen, antheilvoll wirken und Wirkungen
empfangen. Nicht die Stadt, nicht das Dorf sollten wir verlassen, worin wir
geboren und aufgewachsen sind. Nur darin wird uns die Landschaft, die Natur
zur _Gewohnheit:_ die_ äußeren_ Erscheinungen stören uns nicht, unser
_inneres_ Leben fortzusetzen. Denn Nichts soll uns hinderlich aufregen,
oder gar aufschrecken -- wir sollen uns im Menschlichen, ganz dahingegeben,
vergessen. Ueber ein Menschenleben recht klar werden, das stellt uns höher,
als an Millionen _vorüberziehen_, deren Herz und Schicksal uns verschlossen
ist! Und unser eigener Sinn wird nicht klar und voll, wo wir nicht fußen
und urtheilen können. In unserer Heimath allein kennen wir das Herkommen,
die Mitbewohner und ihren Sinn, ihre Werke von Jugend auf und lernen an
ihnen die Führung des großen Geistes, seine göttlichen Gerichte in dieser
Welt -- den Segen des Stillbescheidenen und Guten, den geheimen Lohn des
Ungerechten, Wollüstigen und Bösen. Wir sahen es! Wir sehen, wie Anfänge
ihren Fortgang und ihr Ende erreichen; wir sehen die Kinder um die Gräber
der Eltern spielen; Fremde in Häusern wohnen, darin wir liebe Freunde
gewesen! Dieser heilige Wandel der Welt, diese Ewigkeit im Vergänglichen,
dieses Göttliche im Menschlichen, mit dem Geiste sehen und bewundern
lernen, ist mehr werth als -- Auswandern! als fremde Meere und Länder,
fremde Berge und Bäume, fremde Gebäude und Menschen sehen; mehr werth --
als ein Leben, das uns ein nie so verstandenes, verworrenes Gewebe ist.
Darum, wer auswandert aus seiner Heimath, der bringt sich schlimmer als um
das Leben! Und geschieht ihm das Aeußerste daheim, es ist noch besser, als
in der Fremde mit Rosenöl gesalbt zu werden! Und wer, gleichsam nach seinem
Tode, einen Goldklumpen nach Hause bringt, der hat _seine Zeit_ dort
gelassen, nicht sein Herz, denn er hatte keines. Ein Sechsziger will nun
erst zwanzig Jahre alt sein; und wer Geizen oder _Wohlleben_ nur Leben
nennt, der hat nicht wohl gelebt. Darum darf man nicht als Strafe den Tod
auf das Auswandern setzen -- die Natur hat ihn selbst darauf gesetzt!«

-- Ich schwieg befremdet, als selbst hier auch in der Fremde.

-- »Euch wundert meine Weisheit?« sprach er und sah mich selbst Gerührten
und schwer Betroffenen an. »Wundert Euch nicht -- das war der Extract aus
35jähriger Thorheit! die Blüthe einer baumhohen großen _Fackeldistel_; des
meergrünen Armleuchters der Natur, mit stachligen Blättern wie Balken,
welche die Kinder ersteigen und das süße reife Mark aus dem Kelche droben,
wie aus einer goldenen Schüssel auslöffeln. Das _Herunterklettern_
geschieht dann _umsonst_; aber man hat den Geschmack noch tagelang auf der
Zunge!« --

Wir brachen nun zusammen auf und gelangten ohne Gefährde in die langen an
einander hängenden Dörfer am Cataragui. Hier wohnen noch Irokesen, die
Letzten, die Christen geworden. Franzosen haben sich hier mit den Töchtern
derselben vermählt, die in ihrem blauen Leibchen, in ihrem Strohhut uns
freundlich begrüßten.

So voll die Häuser von Flüchtlingen waren, fanden wir doch ein Plätzchen
bei alten Leuten. Ayana hatte sich an den Fuß gestoßen, sie konnte nicht
weiter; Okki war unwohl; d'Issaly hatte einen alten Freund gefunden; mich
hielt nur die Hoffnung noch aufrecht, die Hoffnung, Eoo zu finden! Ihrem
Muthe war Alles zu trauen, wenn ihre Verständigkeit nur durch das Schicksal
nicht vergeblich geworden.

Mir glühte es in allen Adern! Nichts konnte mich halten! Ich beschloß den
Weg zu vollenden, wenn auch allein und krank. Die Freunde und Okki kamen ja
nach! Sie waren bei Menschen, nicht bloß mehr bei der Natur, die in diesem
Lande _verwandelt_ -- die also geschaffen hatte, denn auch ihr Schaffen ist
nur Verwandlung. Ich küßte den Kleinen und zog nach Quebec.

                   *       *       *       *       *

Von Glangory in Obercanada, so wußt' ich aus der Sage, hatte der Wald bis
an die Wasserfälle in Untercanada gebrannt; das sah ich. Hier aber standen
die köstlichen Rhododendrons, die Cedern, die Kalmien -- ach, und die
Cypressen! Mit Herzklopfen erblickte ich die Stadt! Ich mochte kaum
hinsehen, und mein Aug' schweifte verlegen und irr' in ihrer Umgebung,
feucht auf den Felsen und Bergen, den Seen und Städten, den Inseln im
Strome umher -- bis sie wieder auf dem prächtigen Hause des Freundes ruhten
und fragten, sehnsüchtig und bang, ob meine Eoo darin sei? Ich stand mit
gefalteten Händen, und während ich erst meinen Weg wiederholte im Fluge der
Gedanken, sah ich auch drüben über dem Strome _die blauen Berge_ brennen,
Neu-Braunschweig! Ich senkte die Augen, die Alles nur dunkel sahen wie in
einem Flor. Meine Stiefeln waren abgerissen, ich war schwarz bis an den
Gürtel, ich hatte das Ansehen eines Köhlers. So ruht' ich am Wasserfall bis
zu Sonnenuntergang. Mich labte die Frische seines Hauches. Die Gewalt
seines Sturzes und die erschütterte Luft über ihm hatte in dem schweren
Walddampf wie aus dämmerndem Rauchtopas einen ungeheuern Brunnen
ausgehöhlt, weit wie der Lilienstein, und drei Mal so hoch; und darüber sah
ich die Hellung des blauen Himmels, seit lange zum ersten Male, wieder. Ein
Adler, der von seinem Nachttrunk darin aufstieg, und welchen mein Auge
hinauf bis hinaus in die Bläue verfolgte, stieg so lange, bis das Gesicht
mir vom Wasserstaube ganz feucht war! Die Dampfwände des unermeßlichen
Brunnens schimmerten golden vom Glanze der unsichtbar auswärts sinkenden
Sonne -- dann rosig -- dann purpurn -- dann violet; und als sie sich
bräunten, schlich ich in die im Dämmer ruhende Stadt.

Ich war durchnäßt, ohn' es zu wissen, bis ich an der Pforte des Hauses
stand, die sich sogleich nicht öffnete. Mit Zähnklappern trat ich ein. Mein
Freund und sein Weib erkannten mich nicht. Ich setzte mich auf den nächsten
Stuhl. Sie beleuchteten die fremde Erscheinung -- sie hatten mich auch für
umgekommen betrachtet wie unzählige Andere, oder geglaubt, ich irre mit den
Abgebrannten umher auf der unermeßlichen Brandstätte, ohne Nahrung und
Obdach. Aber ich saß hier. Jetzt freuten sie sich mit Thränen.

Ich sahe mich schweigend im Zimmer um. Ich glaubte, sie sollte zu Tische
erscheinen -- _sie!_ -- Und meine Tochter Alaska sollte mir, im Rücken
genaht, die Augen zuhalten und mich rathen lassen, wer es sei, bis sie in
Thränen ausbrach und an meinem Halse hing! --

Nichts von alle dem! Ich getraute mich nicht zu fragen. Sie schwiegen, um
mir nicht unendlichen Schmerz zu erregen. Erst als ich zu Bette ging, hielt
mich der Freund an der Hand fest und fragte, die Augen niederschlagend:
»Dein Weib kommt doch nach?« --

Ich suchte sie hier! war Alles, was ich sagen konnte. Ich hatte große
Umwege, lange Aufenthalte gemacht -- und sie war nicht hier.

Die Thränen in dieser Nacht gaben meinen vom Rauch entzündeten Augen den
Rest. Ich wußte am Morgen nicht, daß lange schon Tag geworden war.
Fieberphantasieen hatten mich eingenommen, und wer nun aus mir sprach, wer
in mir litt -- lange Tage und Nächte -- das war ich nicht mehr. Und doch!
denn -- --

»Wie durch einen Zauber ward ich wieder gesund! Ich machte eine höchst
beschwerliche Reise nach Saint-Réal's Wohnung. Sie war nicht mehr. Die
Schafe irrten hirtenlos umher, die größeren Hausthiere alle waren
umgekommen. Ich zog nach unserem verlorenen Dorfe. Ich fand noch Inseln von
Wald. An andern Orten lagen vom Feuer umschlossene wilde Thiere mit
versengten Pelzen. -- Mein Haus -- es stand! Die Papageien flogen umher.
Ich sah wieder durch die grünen Jalousieen zum Fenster hinein. -- Da sah
mich der Geist wieder aus dem Spiegel an! Da stand das Wiegenpferd mit
finsterem Gesichte! Da lag der angefangene kleine Strumpf -- ich seufzte,
ich sahe zu Boden, da lag der Teppich gebreitet, den Eoo gewirkt. -- Ich
ging weinend hinein; ich berührte mit der Hand ihren Webstuhl, den langen
ahornen Stiel ihrer Apfelpresse; ja ich trat mechanisch ihr schnurrendes
Spinnrad, bis mir vor Wehmuth der Fuß versagte. Ich stieg in den Keller --
_da saß Eoo!_ und ob es gleich sonst finster darin war, umfloß sie ein
Licht, dessen Quell ich nicht wahrnahm. Sie stand nicht auf, sie schwieg --
ich ergriff ihre Hand -- sie war kalt. Eoo war todt! -- und doch schlug sie
-- wie mir zu Liebe, die Augen noch ein Mal auf! sie lächelte wieder, sie
drückte mir lange die Hand -- dann senkte sie sanft den Kopf auf die Brust
und war todt.« --

Und ich erwachte! Denn Alles war nur ein Traum. Meine linke Hand, mit der
ich die ihre gefaßt, hing noch zum Bette hinaus, und ich war erwacht durch
ein sanftes Anfassen derselben, ein Weinen darauf, und durch ein
fröhliches, aber gedämpftes Rufen: »Der Vater erwacht! er schlägt die Augen
auf!« --

Ich that das wirklich; aber ich sahe Niemand. Aber in mein Bewußtsein
dämmerte das Wissen: _Alaska_, meine Tochter sei hier! _Sie_ sei gerettet.
So lag ich wieder still.

Am Abend las man die Zeitung, die hier überall einer _öffentlichen_ Schule
gleicht, die wie durch Zauber im ganzen Lande gehalten wird für die Schüler
der neuen Welt, das heißt für alle ihre Bewohner. Denn hier bei uns ist dem
Volke nichts vorzuenthalten. Es war ein Blatt »Freeman's Journal« aus
Philadelphia. Die Furcht vor einem durchgängigen Brande des Waldes, der von
der Hudsonsbai bis hinab an die Spitze von Florida fast ununterbrochen die
Staaten bedeckte, hatte sich so sehr der Gemüther bemächtigt, daß man in
Neu-York die Erscheinung zweier Engel glaubte, welche den Untergang der
Stadt auf den 19. Januar 1826 ihren Bewohnern verkündigt. Denn jetzt schien
Alles möglich. Unter den Geschichten, welche das Blatt alle Wochen aus der
alten Welt »mittheilt,« war eine aus Rußland. Ein Weib war im Schlitten mit
ihren 5 Kindern nach der entlegenen Kirche gefahren, und auf der
Nachhausefahrt hatten sie 5 Wölfe verfolgt. Sie war gejagt, bis Schweiß sie
und das kräftige Roß bedeckte. Endlich hatte ein Wolf sie erreicht, und um
sich zu retten, hatte sie ihm das älteste Kind hinaus geworfen -- worüber
er hergefallen. Und in der Mordlust und Stillung des Hungers war dieser
verstummt. Aber bald hatte der Zweite die Pfote hinten auf ihren Schlitten
gelegt, und um sich zu retten, hatte sie jetzt das älteste Kind ihm zur
Beute gegeben. Und so endlich dem fünften Wolfe das fünfte Kind -- von der
Brust. Und wohlbehalten war sie in einem Bauerhofe angelangt, wo die
Bewohner so eben in ihrer Scheune gedroschen. Sie hatte ihre Rettung
erzählt, und die Weise: wie? Da hatte der Sohn des Hauses gefragt: ob sie
das wirklich gethan? und auf ihre Bejahung hatte er ihr den Kopf mit dem
Flegel zerschmettert; und der Menschenkenner und Menschenfreund Alexander
hatte den Rächer der Menschheit liebreich begnadigt. -- --

Tiefes Schweigen herrschte im Zimmer. Alle erschöpften sich in
Muthmaßungen: das Weib, ja die Mutter auf irgend eine Art zu entschuldigen
-- denn das Blatt einer Lüge zu zeihen, kam Niemand an. Und sie beruhigten
sich erst, als ein fremder, neueingewanderter katholischer Priester ihnen
erklärte: die fünf Kinder seien nicht Kinder des _Mannes_ jenes Weibes
gewesen; der Pope habe ihr deswegen diese fünf Kinder in der Beichte --
ihre fünf _Sünden_ genannt -- und _diese_ fünf Sünden habe das _Weib_ den
fünf Wölfen geopfert, nicht die _Mutter_ ihre fünf _Kinder_.

Ich fühlte -- ein Hund hatte sich zu meinen Füßen auf's Bett gelegt, und
manchmal leckte er mir die Hand. -- Unsere Ariadne war da! Gott, und mein
Weib! Denn Alaska sagte jetzt zu _Eoo:_ Nicht wahr, Mutter, ich bin _dein_
Kind!

Ich vernahm nichts weiter, die Sinne vergingen mir wieder.

Und so verflossen lange Tage, lange Nächte. Ich fühlte nur einst Kühlung
auf den Augen, Thränen auf mein Gesicht geweint, und eine heiße Wange an
meine geschmiegt. Dann war das lange nicht mehr. Aber eines Morgens sah ich
meinen Okki vor mir stehen, der schwer seufzte; Ayana hielt ihn an der Hand
-- und d'Issaly saß in der Ecke des Zimmers, die Arme in einander
geschlungen, mit gesenktem Kopfe.

Sanfte Gesänge hatten mich aufgeweckt. Der Hund wartete vor mir auf. Nun
wußt' ich erst deutlich: meine Tochter, mein Weib waren da! Ich bat, sie zu
mir zu rufen, aber Ayana verneinte das, sanft weinend, mit leise bewegtem
Haupt. Dann trat sie ans Fenster. Ich wollte zu ihr geführt sein -- und
Okki sprach: »Komm' in den Garten!« Aber d'Issaly sprang auf und wehrte dem
Kinde. Nur so viel erfuhr ich jetzt: der gute alte Saint-Réal hatte nicht
Kraft zur Flucht gehabt. In einer Berghöhle war er sitzen geblieben; die
beiden Frauen hatten ihn nicht zu tragen vermocht; bis sie der Dampf der
entzündeten Steinkohlen daraus vertrieben, hatten sie treulich bei ihm
ausgehalten. Dort saß er nun, gestorben noch eh' er erstickt. Eoo war zur
rechten Zeit gekommen! Sie hatte die besten Wege gefunden. Und so erklärte
ich mir Alaska's Thränen als das Opfer für ihren Pflegevater, dessen --
Fürstenthum sie nun geerbt, aber daran nicht dachte. D'Issaly hörte von dem
Vermächtniß, es sei hier niedergelegt; und er wollte später einmal in den
Wald, in die Höhle mit Männern kehren, die des armen Alten Tod bezeugten,
die den Gestorbenen begrüben, in seinen Kleidern, selbst mit seinem
kostbaren Ringe am Finger, wie Alaska verlangte, und daß sie zugleich ihm
darin ein Denkmal, doch eine Inschrift von Erz oder Marmor setzten.

Endlich nach Tagen stand ich auf. Ich trat an das Fenster, das den tiefen
Garten übersehen ließ -- man wollte mich hinwegziehen, ich konnte nicht
widerstehen, trat mitten ins Zimmer und sahe nun wie es Asche regnete über
das Land. Stürme hatten sie in die Wolken gekräuselt, weit umher geführt,
und in dem schweren Herbstgewitter, das göttlich am alten heiligen Himmel
rollte, fiel sie als schwarzer Schnee hernieder, oder, mit den großen
Tropfen gemischt, als schwarzer Regen und deckte das Land und das
herbstliche Grün und die rauschenden Bäume.

Eoo war nicht zu sehen. Niemand sprach, mir graute zu fragen, denn ich
errieth. Der Freund erzählte mir nur, sie sei gekommen, sie habe mit
Freuden gehört: ich sei da! Aber Okki? -- hatte sie erblassend gefragt.
Ach, der war ja noch in dem letzten Dorfe gewesen -- und eh' sie gehört,
war sie tödtlich erschrocken, und meine Krankheit hatte ihr den vermeinten
Verlust bestätigt. Sie hatte tausend Angst um uns ausgestanden, seit sie
ihre Alaska bei sich gewußt -- und jetzt war ihre Natur erlegen. Mein
Anblick hatte sie tief erschüttert, sie hätte mich gern, schnell, noch
schnell genesen gesehen! bald, nur bald mir wieder das Licht der Augen
gegönnt, damit ich den Trost genösse, sie -- ach, sie noch einmal zu sehen
in dieser Welt. Nichts hatte sie gehalten; und obschon selber schwer
erkrankt, war sie hinaus auf die Hügel geschlichen und hatte mir Kräuter
gesucht, sie gepreßt und den Saft mir auf die Augen gelegt. Das war also
die Kühlung, das waren die Thränen gewesen, das die heiße Wange!

Der Freund schwieg. Ich frug nichts weiter. -- -- Sie hat den heiligen
Trost gehabt, ihren Okki wiederzusehen, setzte die Frau des Hauses nach
einiger Zeit hinzu. Auch ihre Schwester hatte sie wiedergefunden, und die
Lieben waren Alle bei ihr! Der Arzt versicherte ihr: der Vater der Kinder
werde genesen. --

-- -- »Die Gesänge« habt Ihr selber gehört, setzte d'Issaly hinzu, und wißt
sie zu deuten!

                   *       *       *       *       *

-- Es war ein prachtvoller Abend, als ich, meinen Okki an der Hand, zum
ersten Male in den Garten hinunter stieg und bis in das Rhododendrongebüsch
zu den Kalmien ging.

Hier liegt die Mutter! sprach Okki. Ich stand mit Herzklopfen, ich sah ihn
an. Und jetzt bemerkt' ich erst -- sein schönes Haar war abgeschnitten! Ich
wußte warum. Ich sah einen grünen Hügel -- ich kniete hin, ich umfaßte die
kühle Erde statt des schönen lebens- und liebewarmen Gebildes, das sie
bedeckte! ich weinte in die gebeugten Augen der Blumen statt auf die Augen
und die Stirn, die darunter nun ruhig schliefen. Die Abendsonne vergoldete
die Welt -- Wolken, Felsen, Strom und Cypressen, und in ihrem Glanze stand
auch Alaska zu Füßen des Muttergrabes und streute ihre Locken darauf als
Opfer, nach dem frommen Gebrauch ihres Volkes. Und wie ich sie stehen sah,
mußt' ich bei mir sprechen: Da steht dein Weib, deine Eoo, die Mutter!
nicht allein an Gestalt und Bildung jugendlich verklärt -- sondern
wirklich: -- _ihre_ fromme Seele, _ihre_ Liebe steht schauernd da und
schaut und liebt mich mit weinenden Augen lächelnd an, und blaß und zagend
wie ein Engel. _Die Liebe lebt!_ Sie ist nicht allein ein Geist! sondern
sie schafft auch und wirkt, und ihre schönen Wirkungen leben und wirken und
lieben uns wieder! Eoo rettete ihre Tochter. Und das Gebild, das seine
Locken ihr streut, ist nicht die Tochter -- _nicht sie allein_ -- sondern
heilig verschmolzen: _auch die Mutter!_ ein goldenes Werk mit Asbest
geschmolzen, mit Silber versetzt -- aber das Silber ist Alaska -- das Gold
ist Eoo -- das Feuer aus Asbest aber ist _die Liebe!_ --

Und nun zog ich die Tochter an meine Brust, und wie sie vor Wehmuth glühte
und doch blaß war, küßte sie mich mit Eoo's Lippen, mit ihrem Kusse! _Ihre_
Arme wanden sich um meinen Hals, und ihr Herz schlug an meinem Herzen! Und
das schöne Gebild war mein durch sie -- mir war es die Mutter -- ach, und
zugleich ihr Kind, mein Kind! O Wehmuth und Seligkeit! -- _Die Abendröthe_
nahm ich zum Angedenken an den Brand! Jede Morgenröthe wollt' ich an Eoo
gedenken! Und so wie, nach jener Sündflut durch die Wasser, der
_Regenbogen_ ein Zeichen der Huld des Himmels geworden, so sollten _die
ewigen hellen Gestirne_, die über uns Weinenden jetzt heraufgestiegen, mir
_Funken des Brandes_ bedeuten, so oft ich des Nachts zum Himmel nach meiner
Eoo aufsah -- als Zeichen des Friedens und ihrer Liebe!



Anmerkungen zur Transkription

Quelle: Leopold Schefer's ausgewählte Werke. Zweiter Theil. Veit und
Comp., Berlin, 1845, pp. 1-72.

Im Original g e s p e r r t e Textstellen werden _kursiv_ wiedergegeben.

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