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Title: Die Zelle
Author: Kahn, Fritz
Language: German
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  | Die Inkonsistenzen im Originalwerk sind nicht geändert worden,     |
  | außer einigen offensichtlichen Interpunktionsfehlern.              |
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  Dr. Fritz Kahn

  Die Zelle

  Kosmos. Gesellschaft der Naturfreunde

  =^M^ 1.50=

  Franckh’sche Verlagshandlung·Stuttgart



  Die Zelle



     Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Stuttgart

     Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der
     Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das
     Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres
     Volkes zu verbreiten. — Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch
     Verbreitung guter naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im

     =Kosmos,= Handweiser für Naturfreunde

     Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen. Preis halbjährl. M 4.80.

     Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im
     guten Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen
     Inhalts. Vorläufig sind für das Vereinsjahr 1920 festgelegt
     (Änderungen und Reihenfolge vorbehalten):

     =Dr. Fischer-Defoy, Gesundheitliche Gefahren im Hause.=

     =R. H. Francé, Biotechnik.=

     =Hanns Günther, Wellentelegraphie.=

     =Dr. Kurt Floericke, Schnecken und Muscheln.=

     Jedes Bändchen reich illustriert.

     Geh. M 1.50.

     Gebd. M 2.50

     Diese Veröffentlichungen sind durch ~alle Buchhandlungen~ zu
     beziehen; daselbst werden Beitrittserklärungen (Jahresbeitrag nur M
     9.60) zum =Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde= entgegengenommen.
     Auch die früher erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich.
     (Satzung, Bestellkarte, Verzeichnis der erschienenen Werke sowie
     Preise usw. siehe am Schluß.) Der Kosmos kann auch =halbjährlich=
     zum Preise von M 4.80 mit Buchbeilagen bezogen werden.


     Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung,
     Stuttgart.



  Die Zelle

  Von

  Dr. Fritz Kahn

  Mit zahlreichen Abbildungen im Text
  und 8 Tafeln nach Zeichnungen von

  ~Georg Helbig~


  [Illustration]

  Stuttgart

  Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde

  Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung

  1919



     Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.


     Gesetzliche Formel für den Rechtsschutz in den Vereinigten Staaten
     von Amerika:

     ^Copyright by^

     ^Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart^

     1919


     STUTTGARTER SETZMASCHINEN DRUCKEREI

     HOLZINGER & Co., STUTTGART



[Illustration]

[Illustration: Abb. 1. Mikroskop von Hooke, mit dem dieser Forscher die
ersten Zellen beobachtete.]

An einem sommerhellen Nachmittag des Jahres 1667 saß der englische
Gelehrte Robert ~Hooke~ vor seinem selbstverfertigten Mikroskop und
betrachtete durch dieses neu erfundene Instrument allerlei Gegenstände,
die er um sich ausgebreitet hatte: kleine Steine, Kiesel und
Sandkörnchen, Moose und Flechten, Fliegen, Spinnen und Käfer, und was er
unter den Lupen des Wunderapparates ins Riesenhafte vergrößert sah, das
malte er getreulich ab, um die Bilder für ein großes Werk zu sammeln,
die „Micrographia”, die später zu London erschienen ist. Nachdem er
etliche Pflänzchen, darunter ein Moosfäserchen und eine zierliche
Flechte, beschaut und fein säuberlich gezeichnet hatte, nahm er ein
Stück Flaschenkork, schnitt ein dünnes, fast durchsichtiges Scheibchen
davon ab und legte es unter die Spitze der langen Lupenröhre in den
Lichtpunkt, den die große gläserne Kugel aus den Strahlen der
Mittagssonne auf seinen Beobachtungstisch zusammentrug (Abb. 1). Da sah
er, daß der Kork sich aus kleinen Fächern zusammensetzte, die wie
Bienenwaben nebeneinanderlagen und die er darum Kämmerchen oder ~Zellen~
benannte (Abb. 2).

Der spielerisch forschende Mann des 17. Jahrhunderts ahnte nicht, daß er
mit diesem Wort Zelle einen Namen schuf, der die Jahrhunderte nach ihm
mit seinem Klang durchhallen sollte, Losungswort für die Wissenschaft,
Offenbarung für den Schüler — — Orakel für den Weisen. So wenig wie
Kolumbus erkannte Hooke die Größe seiner Entdeckung. Doch nicht weniger
war es, was er entdeckte. Es war eine Amerikafahrt des Geistes, und der
durchsonnte Mittag, an dem Hooke im Mikroskop das erste Zellsystem
erblickte, ist jenes Morgens würdig, da Kolumbus aus dämmernden
Meeresnebeln Westindiens Inseln tauchen sah, und jener Nacht
verschwistert, in der Galilei in seinem Fernrohr die Welt des Jupiters
entdeckte. Ein Morgen, ein Mittag und ein Abend........

[Illustration: Abb. 2. Erste Darstellung von Zellen, Korkzellen aus
Hookes „Micrographia” 1667.]

Von allen drei Entdeckungen blieb die der Zelle, die nächste und
greifbarste, am längsten ungewürdigt. Es liegt in der Natur des
Menschen, das Nahe zu übersehen und das Ferne zu überschätzen. In einem
rührend edlen Mischgefühl von Schmerz und Demut ruft Kepler, der
Zeitgenosse Hookes und Jünger Galileis, in seinem Kummer über die
Verständnislosigkeit der Mitwelt gegenüber seinen großen Entdeckungen in
der Planetenwelt: „Darf es mir schwer ankommen, daß die Menschen von
meiner Entdeckung nichts wissen wollen? Wenn der allmächtige Gott 6000
Jahre auf einen Menschen gewartet hat, der sieht, was er geschaffen, so
kann wohl ich 200 Jahre warten auf den, der versteht, was ich gesehen.”
Nicht Kepler hätte diese Klage anzustimmen brauchen, wohl aber Hooke.
Denn genau 200 Jahre, indes die Keplerschen Entdeckungen längst
Gemeingut der gebildeten Welt geworden waren und in Kants
„Naturgeschichte des Himmels” ihren idealen Abschluß gefunden hatten,
mußte Hooke „warten auf den, der verstand, was er gesehen”. Ein
deutsches Forscherpaar war es um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Nachdem
im Jahre 1838 der Botaniker Matthias ~Schleiden~ die Zelle als den
lebenden Baustein der Pflanze beschrieben hatte, bewies, von ihm
angeregt, ein Jahr später der Anatom Theodor ~Schwann~ in seiner
Abhandlung „Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in
der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen”, daß sich alle
Lebewesen ohne Unterschied von der niedersten Pflanze bis zum höchsten
Tierkörper aus einzelnen Zellen zusammensetzen, daß jede dieser Zellen
ihr eigenes Leben führt und daß diese Zellen als die Lebenseinheiten auf
Erden zu betrachten seien. Diese Schrift ist eine der bedeutendsten
Erscheinungen des 19. Jahrhunderts. Sie verdient neben Goethes Faust,
Humboldts Kosmos, Robert Mayers Mechanik der Wärme, Schopenhauers Welt
als Wille und Darwins Ursprung der Arten genannt zu werden. Durch sie
war die Zelle, die Robert Hooke vor 200 Jahren zuerst gesehen hatte,
wahrhaft entdeckt und als Baustein des Lebens erkannt. Mit ihr bricht
für die Lebensforschung das Kopernikanische Zeitalter unserer Tage an.

Die Zelle ist der Baustein des Lebens. Wenn wir ins Tümpelwasser greifen
und ein Tröpfchen davon unter dem Mikroskop betrachten, so sehen wir es
erfüllt von kleinsten Lebewesen, die wie Mücken in der Sonne
umhertanzen, den Aufgußtierchen oder Infusorien. Jedes Tierchen ist eine
Zelle. Wir sehen kleine Algen in ihm schwimmen, gepanzert und schimmernd
wie Schiffe, erfüllt von grünen Körnern, der köstlichen Sonnenfracht des
Lebens, dem Chlorophyll; jede dieser Kieselalgen ist eine Zelle. Daneben
sehen wir Kugeln liegen und Keulen, Rechtecke treiben und Fäden, grün
und braun und rot, und jedes ist ein Pflänzchen für sich und jedes eine
Zelle. Größere Fäden ziehen durch das Feld, Perlschnurketten aus
einzelnen Kugeln, grüne Gehänge aus zierlichen Plättchen, Rosetten aus
Dutzenden von Fächern, Bälle aus tausend Mosaiksteinchen, große
Zellgemeinschaften, Kolonien und Organismen, die das bloße Auge schon
erkennt, und jedes Kügelchen und jedes Fach aus ihnen ist ein lebendes
Teilchen, ist eine Zelle. Als Schwämme wuchern diese Kolonien über den
Boden des Meeres, als Algen treiben sie dahin im Tang der Hochsee, als
Korallen steigen sie auf vom Grunde und bilden Bäume und Riffe, Inseln
und ganze Gebirge, die zum Himmel steigen, bis sie Gletscher tragen und
in ewigem Eise funkeln wie die Dolomiten, die solch aufgetauchte
Korallenbänke versiegter Meere sind, Zelle auf Zelle, gehäusebauend,
Stein auf Stein, eine Pyramidenstadt des Lebens, von ~dessen Reichtum~
nur der tote Stein als schweigendes Denkmal übrig blieb. Der Polyp, der
sich auf diesen Korallen festsetzt, der Wurm, der sich durch ihre Äste
schlängelt, die Qualle, die über sie hintreibt, sind Röhren und Glocken,
zusammengesetzt aus einzelnen Zellen. Der Fisch ist ein Riesenschiff aus
Zellen, der Grashalm ein Eiffelturm von Zellen, der Schmetterling ein
Zellenaeroplan, der, mit feinsten Apparaten ausgestattet, durch die
Lüfte segelt, die Schwalbe ein Luftschiff, der Elefant ein gewaltiger
romanischer Dom, dessen Gigantenbau aus Milliarden Zellensteinen
zusammengesetzt ist.

Solch ein Riesengebäude aus Zellen ist auch der Mensch. Wenn man auf die
Haut seines Handrückens schaut, so sieht man auf eine Decke von Zellen,
wie man aus einem Luftschiff auf das Straßenpflaster einer Stadt
hinabsieht. So wenig der Luftschiffer die einzelnen Steine erkennt, weil
die Entfernung im Verhältnis zur Größe der Steine zu groß ist,
ebensowenig kann man aus der Höhe des Angesichts die winzigen
Einzelzellen wahrnehmen. Um sie zu erkennen, muß sie das Auge aus
nächster Nähe betrachten. Ein Apparat, kleinste Gegenstände aus
allernächster Nähe zu betrachten, ist das Mikroskop. Mit seinen Linsen,
unseren Augenlinsen entsprechend, kann man sich den Dingen bis auf
Bruchteile eines Millimeters nähern, ohne daß der Blick sich trübt, und
sieht sie dann 100- und 1000mal größer als aus der Meterferne des
unbewaffneten Auges. Mit einem solchen Apparat aus nächster Nähe
betrachtet, gewinnt der Körper ein wunderliches Aussehen (Abb. 3, Tafel
^I^).

Wir schauen auf die Haut und sehen, daß sie aus Zellen zusammengesetzt
ist, genau wie das Straßenpflaster unserer Städte aus einzelnen Steinen,
100 Zellen in jedem der kleinen Drei- und Vierecke der zierlichen
Zeichnung. Die Haare, die aus ihr hervorstehen, sind Türme, aus Zellen
aufgerichtet wie die Schornsteine aus Steinen, und in die Haut gemauert
wie diese ins Erdreich. Der Nagel vorn auf dem Finger ist eine
Schutzplatte, aus Tausenden von Zellen zusammengesetzt wie der Boden
einer Fliesenhalle aus Schieferplatten. Bauen wir die Haartürme ab und
reißen das Straßenpflaster der Haut auf, so sehen wir darunter das Fett,
mit dem Mikroskop beschaut, ein Lager von Millionen glänzender Kugeln,
wie die ausgebreiteten Perlenhaufen in den Wunderhöhlen aus 1001 Nacht,
und jede Perle ist ein Fettkügelchen, eine Fettzelle. Wir räumen sie
hinweg, und unter dem Perlenlager leuchtet uns das Scharlach des
Fleisches entgegen. Faser reiht sich an Faser. Wir zupfen sie
auseinander, bis wir sie in feinste Fäserchen, zarter als Spinnenwebe,
zerzaust haben, und erkennen jedes Fäserchen als eine langgestreckte
Zelle. Unter dem leuchtenden Rot des Fleisches schimmert das Marmorweiß
des Beines. Wir brechen den steinernen Knochen auf und erkennen ihn als
ein Mauerwerk aus unzähligen Kalksteinen, und jeder Stein ist das
verkalkte Gehäuse einer in ihm lebenden Zelle. Dann schälen wir das
feuchte Mark aus ihm und untersuchen es unter dem Mikroskop. Zellen
liegen am Grund seiner Flüssigkeit, rund und grau und gelb und zahllos
wie die Steine im Bett eines Flusses.

Nun lassen wir das Blut aus den Adern fließen und finden in ihm Myriaden
von Kügelchen, die in ihm dahinschwimmen wie Erbsen in einem Bach, die
roten Blutkörperchen, jedes eine Zelle. Die Adern selbst erweisen sich
als Röhren, die wie unsere Gartenschläuche aus Gummifasern gewoben sind,
und diese Fasern sind Zellen. Der Darmkanal ist ein gewaltiges
unterirdisches Stadtrohr, dessen Wände wie die unserer städtischen
Kanäle aus einzelnen Backsteinen, den Darmzellen, zusammengemauert sind.
Die Leber enthüllt sich unter den Lupen als eine Zellpyramide,
durchbohrt von Gängen und aus Zellquadern gebaut wie die steinernen
Pyramiden der Pharaonen. Das Auge ist eine ^Camera obscura^, deren Wände
tapeziert und prachtvoll gemustert sind, und jedes Muster ist
zusammengestellt aus einem Mosaik von Zellen. Das Ohr ist ein Klavier
mit Saiten, Tasten und Klöppeln, und jede Saite, jede Taste, jeder
Klöppel ist eine Zelle. So nehmen wir den ganzen Menschen auseinander,
und schließlich bleibt nichts übrig als das Gehirn, dieses feine Gewebe
aus Nervenfasern und Nervenknoten, und wir verzupfen es vorsichtig.
Jedes Knötchen ist eine Zelle, und jedes Fädchen eine Zellenfaser, und
wir knüpfen das Gewebe auf und legen die Hirnzellen zu den übrigen, und
siehe da, nun ist unter unseren Händen nichts mehr übrig vom ganzen
Menschen, drüben aber liegt ein großer Haufen von Millionen kleiner
Bausteine und Fäden, und jeder von ihnen ist eine Zelle. Der Mensch ist,
wie jedes Lebewesen, ein Zellengebäude.

Kein Forschungsergebnis hat das Wesen der Geschöpfe so enthüllt und
vereinfacht wie die Entdeckung der Zelle. Wie hilflos steht man vor dem
verworrenen Gebäude des Tier- und Pflanzenkörpers, wenn man ihn ohne
Kenntnis seines Zellenbaues mit Menschenaugen als eine Maschinerie von
Knochen, Muskeln, Adern, Nerven und Gedärmen betrachtet, ein Labyrinth,
in dem keines Forschers Fuß den Weg der Wahrheit finden konnte, und wie
wunderbar entwirkt sich diese Wirrnis unter den Linsen des Mikroskops
als eine Zusammenstellung aus einzelnen gleichen Lebenseinheiten,
einzelnen Zellen. Wie verschieden mußten doch unseren Vorfahren die
Geschöpfe erscheinen, die sie nur als ein Ganzes betrachten konnten, der
Wurm, die Rose, der Fisch, die Schwalbe, der Mensch, und wie gleich
erscheinen sie uns, die wir sie alle aus den gleichen Zellen, nur in
verschiedener Bauart, wie die Gebäude einer Stadt, zusammengesetzt
finden, nicht verschiedener im Wesen als die Kathedrale vom Bahnhof, das
Theater vom Wohnhaus, die Brücke vom Stadttor, — — Gebäude ~einer~
Technik und ~einer~ Gemeinschaft, die Wohnstätten des Lebens in der
hochgebauten Stadt der Schöpfung.

Um die Zelle als Naturerscheinung zu verstehen, muß man weit
zurückgreifen in die Vergangenheit der Erdgeschichte, bis in jene
unerforschlichen Urzeiten, in denen sich aus dem Chaos der niederen
Elemente das erste Leben schüchtern regte. Nie wird eines Sterblichen
Auge, auch mit kühnstem Geistesblicke nicht, die Wirklichkeit jener
Geburtsstunde unseres Daseins klar vor Augen sehen. Nur träumen kann sie
sich die Phantasie des Forschers.

Im Anfang war die Erde wüst und leer. Wahrscheinlich befand sie sich
zuerst in einem feuergasigen Zustande, wie heute die Sonne, und kühlte
sich allmählich ab. Hierdurch sammelten sich, ihrer Schwere folgend, die
gasigen Elemente immer dichter um den Mittelpunkt des Planeten, zuerst
die schwersten, die wahrscheinlich heute einen festen Kern
zusammengepreßten Gases bilden, um sie die leichteren, die sich der
Reihe nach aus dem Gaszustand in den dampfförmigen, aus diesem in den
flüssigen und aus dem flüssigen in den festen niederschlugen. So mag das
Eisen in der Urzeit in glühenden Nebeln sich gesenkt und dann Meere
flüssigen Erzes gebildet haben; Inseln leichterer Metalle schwammen in
ihm, bis sie im Magma der schweren Flut haften blieben. Eisberge von
Silizium mögen in Kristallgebirgen gegen den Himmel geragt haben; Kalium
und Natrium lohten in Vulkanen durch die Nacht; glühende Wolken
grünlichten Phosphors schwebten phantastisch über die Horizonte der
Dämmerung. Schließlich senkten auch diese leichteren Elemente sich als
Nebel und Reif über die erstarrten Meere und metallenen Seen. Kalium und
Natrium, Magnesium und Kalzium, Phosphor und Schwefel, Silizium und
Aluminium schichteten sich über die erkalteten Riffe von Erz und decken
sie heute als Granit und Gneis, Basalt und Schiefer, Porphyr, Sand und
Ackererde. Über ihnen schweben noch jetzt als Gase die letzten leichten
Elemente, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Auch sie
sind im Begriff, sich niederzuschlagen und so den millionenjährigen
Prozeß der Erderstarrung zu vollenden. Schon ist ein beträchtlicher Teil
ihrer Masse von den niedergegangenen Metallen gebunden und im Boden zu
Stein geworden; Wasserstoff und Sauerstoff haben sich vereint zu Wasser,
das durch die verschiedenen gasigen, flüssigen und festen Zustände
dahinschwingt als Wasserdampf und Wolke, Regen, Schnee und Eis und uns
so in Wandel und Verwandlung das imposante Schauspiel des Niederschlags
der Elemente vorführt, ein tägliches ^memento mori^ des Planetenlebens.

Das Schauspiel nähert sich seinem tragischen Ende. Aber gerade der 4.
Akt ist der Höhepunkt der Handlung. Je tiefere Temperaturen nämlich die
Elemente bei diesem Abkühlungsprozeß erreicht haben, um so zahlreichere
und innigere Verbindungen gehen sie untereinander ein, und gerade die
gemäßigte Temperatur der Gegenwart ist die goldene Zeit der
Verschwisterung und Entbindung, des Wandels und der Verwandlung der
Stoffe und Kräfte. Während in den glühenden Gasen die Atome einzeln hin
und her schwingen, verketten sie sich bei Abkühlung in Dämpfen und
Flüssigkeiten zu Atomverbänden, den Molekülen, und die Moleküle
verbinden sich bei weiterem Temperaturabfall zu chemischen Verbindungen.
Und gerade jene vier Elemente, die heute, im Begriff sich
niederzuschlagen, die Oberfläche des Planeten als Ackerkrume, Wasser und
Luft bedecken, der Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff
besitzen in höchstem Maß Fähigkeit und Neigung, Verbindungen unter sich
und mit anderen Elementen einzugehen. Der Kohlenstoff vor allem hat
durch seine einzigartige Fähigkeit, nicht nur einzelne chemische Körper
zu bilden, sondern diese wiederum zu verketten und so im lebendigen
Einmaleins ganze Reihen von immer höheren chemischen Verbindungen
zusammenzustellen, eine derartige Fülle neuartiger und beweglicher
Stoffe hervorgebracht, daß man die heutige irdische Welt geradezu als
eine Kohlenstoffwelt bezeichnet hat. In dieser sind drei große Reihen
von chemischen Körpern für die Entstehung des Lebens bedeutsam
geworden. Aus dem Grubengas Methan bildeten sich durch Verkettung der
Moleküle auf der einen Seite die Alkohole (Spiritus, Glyzerin), auf
der anderen die Säuren (Fettsäuren); durch die Verkettung des
Glyzerins mit den Fettsäuren entstanden die ~Fette~. Durch Anschluß
von Phosphorverbindungen an diese traten die hochbedeutsamen
~Phosphorfette~, wie das Lezithin, auf. Aus den Fettsäuren bildeten sich
durch Aufnahme von Ammoniak die Ammoniak- oder kurzweg Aminosäuren und
durch Verkettung dieser als zweite Gruppe die ~Eiweißkörper~. Als dritte
Gruppe gingen aus der Kohlensäure die Zucker- und Stärkestoffe, die
~Kohlenhydrate~, hervor, zuerst die niederen, Zucker, dann die höheren,
wie der Traubenzucker, und aus diesen durch Verkettung als höchste
Kohlenhydrate, die Dextrine, Stärken und Zellulosen.

Heute bilden sich diese höheren Kohlenstoffverbindungen, die Fette,
Eiweißkörper und Kohlenhydrate, unseres Wissens nicht mehr frei in der
toten Natur, sondern nur noch im Leib der lebenden Geschöpfe: die
Bedingungen auf Erden haben sich völlig verändert. Aber wir müssen mit
Bestimmtheit annehmen, daß sich einst unter ganz anderen Umständen der
Wärme- und Stoffverhältnisse diese hohen Verbindungen im Lauf
unvorstellbarer Zeiträume und unausdenklicher Geschehnisse stufenweise
aus niederen Verbindungen gebildet haben. Wir müssen diese Entwicklung,
deren Einzelheiten wir uns heute nicht mehr auszumalen vermögen, auf
Grund aller Erfahrungen und Vernunftschlüsse ebenso notwendig als ein
historisches Geschehnis voraussetzen wie die mechanische Entstehung des
Sonnensystems oder der Wasserfälle, Gewitter und Vulkane.

Nachdem sich so aus den Gasen die Dämpfe, aus den Dämpfen die
Flüssigkeiten und aus diesen die festen Körper und damit aus den
Elementen die Verbindungen, aus den niederen Verbindungen die höheren
und aus den Kohlenstoffverbindungen als höchste, die Fette, Eiweißstoffe
und Kohlenhydrate gebildet hatten, was war nun natürlicher, als daß die
Weltentwicklung auf diesem Weg der Sammlung folgerichtig weiterschritt?
Daß nun auch diese höchsten chemischen Stoffe, die Fette und die
Phosphorfette, die Eiweißkörper, die Zucker und Stärkestoffe, sich
wieder zusammensetzten und eine noch größere, noch höhere, feinere und
fähigere Organisation von Molekülen aufbauten? Diese Organisation der
höchsten Kohlenstoffverbindungen, der Eiweißkörper, Fette und
Kohlenhydrate mit dem salzhaltigen Meerwasser und einer Reihe niederer
Verbindungen ergab ein ganz neues Gebilde mit Eigenschaften und
Fähigkeiten, wie sie bisher in der Natur kein anderer Stoff vereinigt
hatte; es entstand das ~Plasma~, ein Stoffgebilde, das lebte. Das
~Leben~ auf Erden war geboren.

Das Plasma ist keine chemische Verbindung wie Schwefelsäure, Fett oder
Eiweiß, es ist auch kein Gemisch von Stoffen, sondern ein ~System~
höchster chemischer Verbindungen mit einer Reihe von niederen Körpern.
Das Wort Stoff, schon viel zu grob für das feingegliederte Molekülsystem
eines Phosphorfettes oder höheren Eiweißkörpers, ist für das Plasma so
unangebracht, als wollte man das Sonnensystem einen Stoff benennen. Das
Plasma ist ein System, eine Organisation. Da es ein Gebilde ist, das
gleich dem Sonnensystem durch Verkettung bewegter Teile entstanden ist
und sich genau wie dieses in dauernder innerer Bewegung befindet, so
kann man es als einen Mechanismus bezeichnen. Das Plasma ist ein dauernd
bewegter chemischer Mechanismus. Die Gesamtheit seiner Bewegungen
bezeichnen wir als Leben.

Atome und Moleküle sind zu klein, als daß wir ihre Organisation erkennen
könnten. Die Organisation der Moleküle zu Plasma dagegen ist so groß,
daß wir sie unter dem Mikroskop wahrnehmen können. ~Diese äußerlich
sichtbare Gestalt der Organisation Plasma ist die Zelle.~ Die Zelle ist
eine Plasmamaschinerie, deren Lauf das Leben ist. So wenig man andere
Maschinerien, etwa Taschenuhren oder Lokomotiven, pfundweise oder nach
Metern berechnet, so wenig kann man Plasma in beliebigen Mengen, wie
etwa Schwefelsäure oder Eiweiß, finden, sondern, wo Plasma auftaucht,
sehen wir es, wie alle Maschinerien, in fest umgrenzten einzelnen
Gebilden. Diese Gebilde sind die Zellen. Nur Plasma kann leben; und da
alles Plasma nur als Zelle auftritt, so ist alles Leben an einzelne
kleine, abgegrenzte Zellen gebunden. Alles Leben ist Zellleben. Alle
größeren lebenden Gebilde müssen sich aus einzelnen kleinen, für sich
lebenden Zellen zusammensetzen.

Die einfachste und niederste Form der Zellen sehen wir in der heutigen
Welt als Urtiere oder Amöben leben. In jeder Straßengosse, jedem
Tümpelgrund, in der feuchten Gartenerde, im trüb gewordenen Wasser der
Blumenvase findet man mühelos diese Amöben. Sie sind so groß, daß man
sie mit unbewaffnetem Auge in günstiger Belichtung eben als kleinste
Pünktchen wahrnehmen kann. Unter gewissen Umständen fließen manche Arten
von Amöben zusammen und bilden dann greifbare Massen einfachsten
Plasmas, die für Untersuchungszwecke ein dankbares Material darstellen.
So entwickeln sich auf der braunen Lohe, die beim Gerben des Leders
abfällt, namentlich zur Frühlingszeit gewisse Amöbenarten, die
zusammenfließen und dann in buttergelben Massen als Lohblüte sich
dahinwälzen. Diese Lohblüte kann man in einem Glase zwischen faulenden
Blättern wochenlang am Leben erhalten und beobachten. Der bekannte
Botaniker Reinke stellte an dieser Lohblüte seine Untersuchungen über
die chemische Natur des Plasmas an, und es gelang ihm, aus dem
eingetrockneten Plasma dieses einfachsten Lebewesens der Welt folgende
Verbindungen herauszulesen:

  Wasser
  Kochsalz
  Kohlensaurer Kalk
  Kohlensaures Ammonium
  Phosphorsaures Kalium
  Phosphorsaures Kalzium
  Phosphorsaures Eisen
  Phosphorsaure Ammoniakmagnesia
  Glyzerin
  Freie Kohlenstoffsäuren
  Kalzium gebund. an niedere Kohlenstoffsäuren
  Kalzium gebund. an höhere Kohlenstoffsäuren
  Lezithin
  Xanthin
  Cholesterin
  Harze
  Farbstoffe
  Traubenzucker
  Aminosäuren
  Verkettete Aminosäuren
  Muskeleiweiß
  Dottereiweiß
  Kerneiweiß
  Unbestimmbare Substanzen 5%.

Welch eine Fülle kompliziertester Stoffe! Welch eine Welt chemischer
Verbindungen im Leib des einfachsten aller Lebewesen! Wer nur einmal
diese Reihe der Plasmastoffe an seinem Auge vorüberziehen ließ, wird für
alle Zeit befreit sein von dem Irrtum, daß das Plasma eine chemische
Verbindung sei, er wird es nie mehr, wie es fast allgemein geschieht,
mit Eiweiß verwechseln und der eingewurzelten Irrlehre huldigen, Eiweiß
könne leben. Es gibt kein „lebendes Eiweiß”! Mit demselben Recht könnte
man behaupten, das Eisen könne laufen, weil man aus Eisen Maschinen
baut. Eiweiß ist einer der Rohstoffe für das Plasma, wie das Eisen der
unserer Maschinen ist. Eiweiß verhält sich zu Plasma wie ein Stahlblock
zu einer Schnellzugslokomotive.

Trotz ihrer imposanten Zahl sind die aufgeführten Stoffe nur die
kümmerlichen Bruchstücke der zerstörten Maschinerie. Ihre wahren
Verbindungen im Innern des Plasmas, ihre gegenseitigen Verknüpfungen und
Beziehungen zum Ablauf des Lebens sind uns fast völlig unbekannt. Durch
die chemische Untersuchung ist das Wesen des Plasmas überhaupt nicht zu
ergründen, denn nicht in seinen Stoffen, sondern in seinem Gefüge liegen
Macht und Geheimnis des Plasmas verborgen. Das Plasma ist eine
Organisation, eine Maschinerie, und indem man bei der chemischen
Zerstückelung das Gefüge des Plasmas zerstört, vernichtet man auch das
Geheimnis seines Wesens. Das lebende unversehrte und das vom Chemiker
gewaltsam abgetötete Plasma sind so verschieden, wie ein sprühendes und
glühendes Feuerwerk und die Pulverasche und Papierfetzen, die nach
seinem Abbrennen übrig bleiben, wie ein bunt bewegtes Theaterstück und
die Kulissen und Kostüme, die nach der Vorstellung auf der Bühne
herumliegen. Wer aus Tiegeln und Retorten das Geheimnis des Lebens
ergründen will, gleicht einem Wilden, der das Rätsel der daherfauchenden
Lokomotive zu lösen sucht und sie einschmilzt, um aus den Schlacken die
Mechanik ihres Laufes zu lesen. Gäbe es die Geisterwelt der Dichter, so
müßte dem Forscher, der im Kolben dieses Plasma zerkocht, um das
Lebensrätsel zu lösen, wie weiland Faust der Lebensgeist erscheinen und
sich von neuem das unsterbliche Zwiegespräch entspinnen:

       Geist: In Lebensfluten, in Tatensturm,
              Wall’ ich auf und ab,
              Webe hin und her!
              Geburt und Grab,
              Ein ewig Meer,
              Ein wechselnd Weben,
              Ein glühend Leben,
              So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit
              Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

    Forscher: Der du die weite Welt umschweifst,
              Geschäft’ger Geist, wie nah’ fühl’ ich mich dir!

       Geist: Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
              Nicht mir! (Verschwindet.)

Nicht mit rauher Barbarenhand dürfen wir einbrechen in die heilige
Maschinerie des Lebens. In achtungsvoller Ferne müssen wir vor dem
Plasma stehen bleiben und es wie eine Feinmechanik betrachten, die man
unter einer Glasglocke laufen sieht.

Dem unbewaffneten Auge bietet das Plasma keine Besonderheiten. Es gibt
kein zweites Ding auf Erden, das mit solchem Recht auf Stolz so
bescheiden auftritt wie das Plasma. Eine gelblichgraue, zuweilen
feinkörnige Schleimmasse ohne bestimmten Charakter der Form und Farbe —
mehr sieht das grobe Menschenauge nicht vom edelsten Gefüge der Welt.
Durch seinen überwiegenden Gehalt an schwerflüssigen Eiweißstoffen,
Fetten, Zucker- und Stärkelösungen ist das Plasma halbflüssig,
festflüssig; es ist weder fest noch flüssig, es ist beides. Es ist
gerade so fest, daß es seine jeweilige Form behalten, und ebenso
flüssig, daß es sie jeweils verändern kann. Es ist „plastisch”; und
dieser Eigenschaft, alle Formen anzunehmen, zu bewahren oder zu
verändern, verdankt es seinen Namen Plasma, Bildungsstoff, oder
Protoplasma, Urbildungsstoff.

       *       *       *       *       *

Untersuchen wir in der Hoffnung, näheres über seinen Bau zu erfahren,
Plasma unter dem Mikroskop, so wird unsere Enttäuschung in keiner Weise
gemindert. Auch hier sehen wir selbst bei tausendfacher Vergrößerung
kaum mehr als eine trübe, bald mit Körnchen, bald mit Fäserchen oder
Bläschen durchsetzte Gallerte. Unendlich viel ist über den feineren Bau
des Plasmas geforscht worden. Generationen von Gelehrten haben,
bewaffnet mit allen Mitteln der modernen Optik und Beleuchtungstechnik,
in Rieseninstituten ihr Leben über Mikroskopen feinster Konstruktion
zugebracht, haben wahre Leuchtturmscheine in die Tiefe dieses grauen
Meeres gerichtet und sich die Augen trüb gesehen, haben es, als dies
nichts fruchtete, mit den feinsten Farben der Welt nach allen Methoden
gefärbt, mit den schärfsten Messern bis zu Scheiben von 1/100 Millimeter
Feinheit geschnitten, es mit allen Säuren, Laugen und Lösungen zersetzt,
im Ultramikroskop bei 5000facher Vergrößerung beobachtet, mit den besten
photographischen Apparaten photographiert und die Photographien
vergrößert, mit Stereoskopen betrachtet und kinematographisch verfolgt —
und haben sein Geheimnis nicht an den Tag gezogen.

    „Geheimnisvoll am lichten Tag
    Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
    Und was sie deinem Blick nicht offenbaren mag,
    Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.”

Niemand weiß Genaues über den Bau des Plasmas. Da aber jeder sich von
ihm ein Bild zu machen sucht und dieses je nach seiner Augenschärfe,
seinen zufälligen Erfahrungen, seiner Phantasie und seinen allgemeinen
wissenschaftlichen Anschauungen verschieden ausfällt, so vertritt fast
jeder Forscher eine eigene Plasmatheorie.

Nach der ältesten Ansicht, die in den 80er Jahren von ~Altmann~
vorgetragen wurde, soll das Plasma aus einer schleimigen Grundsubstanz
bestehen, in der als die eigentlich lebenden Teile winzige Körnchen
eingebettet liegen, die wie Bakterien in ihrer nährenden Grundmasse
leben und sich vermehren (Körner- oder Granulatheorie) (Abb. 4^a^, Tafel
^II^).

Fast zur selben Zeit trat der bahnbrechende Plasmaforscher ~Flemming~
mit der Fadentheorie auf den Plan, in der er an Stelle der Körnchen
Fäden als die eigentlichen Grundteile des Plasmas annahm (Abb. 4^b^,
Tafel ^II^).

An die Fadentheorie knüpfte der berühmte Forscher ~Pflüger~ an, der sich
das Plasma als ein Gewebe von kettenartig aneinandergereihten Molekülen
vorstellte, zwischen denen Flüssigkeiten kreisen. Ähnlich dachte es sich
der Botaniker ~Naegeli~ als ein Mosaik von kristallartig angeordneten
Molekülgruppen. Der französische Forscher ~Künstler~ wollte sogar bei
stärkster Vergrößerung diese Ketten und Mosaiken gesehen haben und
beschrieb das Plasma als ein Wundergewebe der herrlichsten Ornamente,
als einen Teppich des Lebens, dessen lebendige Bilder bald aus der Tiefe
steigen, bald in die Tiefe versinken, ineinanderfließen und sich
verstricken, wieder entwirken und so wie die Farbenbuntheit eines
Kaleidoskops an dem gebannten Auge des Bewunderers vorüberziehen (Abb.
4^c^, Tafel ^II^).

Künstler wurde in seinen Schilderungen noch übertrumpft von seinem
Landsmann ~Fayod~. Künstler sah hinab in eine still fließende Pracht,
Fayod schaute in die Tiefe eines Leben gebärenden Chaos. Er sah im
Plasma Wirbel und Spiralen, Bänder und Fäden, Schrauben und Kreise, die
sich wie Würmer, wie Schlangen durcheinanderwanden, und je tiefer er
hinabsah, um so mehr Ringe und Spiralen tauchten aus der Tiefe hervor,
und jedes einzelne Band war geflochten aus gesponnenen Fäden, und jeder
Faden war wieder gewunden aus einzelnen Schnüren, und im Halbdunkel der
Lichtgrenze lösten sich diese Schnüre auf in Punkte, Pünktchen an der
Grenze des Unsichtbaren, wie die Sonnenwelten der Milchstraße im grauen
Dämmerkreis des weltalldurchdringenden Fernrohrs. Wie die Arabesken an
den Wänden der Zauberschlösser aus 1001 Nacht muten diese Bilder aus den
Tiefen des Lebens an. Sind sie Wahrheit oder Märchen? Wundergebilde aus
dem Formenschatz der Natur oder Ausgeburten romanischer
Forscherphantasie? (Abb. 4^d^, Tafel ^II^).

Über all diese Augen- und Hirngespinste hat in den neunziger Jahren die
auf eingehende Untersuchungen fußende Waben- oder Schaumtheorie
~Bütschlis~ den Sieg davongetragen. Nach Bütschlis Ansicht ist das
Plasma ein mikroskopischer Schaum, der sich, wie der Bierschaum aus Luft
und Bier, aus zwei verschiedenen Gruppen von Stoffen zusammensetzt: aus
den schwerflüssigen Eiweiß-, Stärke- und Fettverbindungen, die die Wände
der Schaumkammern bilden (entsprechend dem Bier), und den
leichtflüssigen Säure-, Zucker-, Salz- und Seifenlösungen, die diese
Schaumkammern ausfüllen (entsprechend der Luft). Bütschli erzeugte mit
Olivenöl und Seifenwasser mikroskopisch feine Schäume, die mit dem
Plasma vieler Zellen eine solche Ähnlichkeit besitzen, daß man sie nicht
voneinander unterscheiden kann (Abb. 5).

Das Plasma ein Schaum! Der große, stolze Mensch — ein Schaumgebilde!

Die Schaumtheorie Bütschlis ist nicht nur theoretisch und durch den
Augenschein gut begründet, sondern vermag auch, wie keine andere, die
zahlreichen, so wechselnden Erscheinungen im Anblick des Plasmas zu
erklären. Entsprechend der Unzahl der chemischen Verbindungen des
Plasmas sind die Tröpfchen und Waben mit verschiedenen Stoffen erfüllt,
gibt es im Plasma Säure-, Alkohol-, Fett-, Phosphorfett-, Aminosäure-,
Eiweiß-, Zucker-, Stärke-, Salz- und Seifentröpfchen und -waben, die
durch die wechselnde Zahl und Zusammenstellung die unendliche Artenfülle
des Plasmas in den einzelnen Pflanzen und Tieren, Geweben und Organen
hervorrufen und das jeweilige Auftreten von feinen oder gröberen
Punkten, von Linien, Schollen, Mosaiken, Fäden und die oft entzückend
harmonischen Felderungen im Innern des Plasmas bewirken (Abb. 4^e^,
Tafel ^II^).

[Illustration: Abb. 5. Ölseifenschaum und Plasma (nach Bütschli).]

Dieser chemische Reichtum kommt aber erst durch die physikalischen
Eigenschaften des Schaums zu lebendiger Entfaltung. Als chemisches
Gemenge wäre er ein Hexensabbat von Chemikalien. Durch die physikalische
Anordnung zu Schaum wird die Fülle zum planvoll wirkenden Getriebe.
Jedes Kügelchen und jede Kammer im Innern des Plasmas bildet eine kleine
Werkstatt des Lebens, die, von der Außenwelt abgeschlossen, in sich und
für sich lebt und wirkt. Wie Planeten mit ihren Wolken, Meeren und
Bewohnern ungestört umeinanderkreisen und alle gemeinsam das bewegte
Sonnensystem bilden, so schweben die Fett-, Eiweiß-, Zucker-, Stärke-,
Salz- und Seifenkügelchen im Plasma als die Planetenwelt des Lebens
ungehindert im Verein. Wo sie sich berühren, schließen sie sich durch
ihre Kammerwände streng voneinander ab. Zwischen ihnen fließen die
Lösungen der niederen Stoffe, und jede Kammer und jedes Tröpfchen nimmt
aus ihnen diejenigen Stoffe in sich auf, die seinem Inhalt chemisch
verwandt sind. Die eine Wabenwand ist für Salzlösungen durchlässig und
häuft die Salze in sich an. Eine andere läßt Zuckermoleküle ein und
setzt aus ihnen Stärke zusammen. Eine dritte baut aus Aminosäuren
Eiweiß, eine vierte aus Fettsäuren und Natrium Seife. So führt jedes
Kämmerchen im Schaumpalast des Lebens unbekümmert um den Wechsel und
Wandel umher ein durch seinen Bau vorgeschriebenes, zwar beschränktes,
aber harmonisch abgestimmtes Dasein, jedes ein schaffendes Glied in der
lebendigen Kette des Lebens. Nur wer sich so im Rahmen der Wabentheorie
das Innenleben des Plasmas in einer einzigen Zelle als das Zusammen- und
Nebenspiel von vieltausend chemisch-physikalischen Vorgängen in einem
Miniaturwabwerk von vielleicht 20 000 Kügelchen und Kämmerchen zur
Vorstellung zu bringen sucht, jede Zelle vor sich sieht als eine
chemische Fabrik mit tausend abgeschlossenen geschäftigen Laboratorien,
nur der naht sich dem Problem des Lebens mit jenem Bewußtsein seiner
Tiefe und Verschränktheit, das diese in des Wortes wahrstem Sinne
wundervollste Naturerscheinung von jedem verlangt, der nicht vergeblich
an den Pforten seines Geheimnisses klopfen will.

Die äußere Form, in der das Plasma auftritt, ist die Zelle. Die
einfachste Zelle der heutigen Lebewelt ist die Amöbe, nichts anderes als
ein mikroskopisch kleines Tröpfchen grau gekörnten Plasmas. Sie besitzt
noch keine feste Gestalt, sondern wälzt sich unter dauernder Veränderung
ihrer Form wie ein hinfließender Teig über den feuchten Grund.
Hinwälzende Bewegung, Empfindung, Nahrungsaufnahme, Wachstum und
Fortpflanzung durch Teilung ihrer Masse sind die auffallendsten
Äußerungen ihres primitiven Lebens (Abb. 6, Tafel ^II^).

Als eine Art Amöbe müssen wir uns auch das Urtier der Vorzeit, die
Stammform aller späteren Zellen und Geschöpfe, denken. Aus ihr
entwickelten sich die höheren Formen durch das Prinzip der
Arbeitsteilung. Wälzt sich der Plasmatropfen hin, so bewegen sich die
Außenteile der Kugel stärker als die der Mitte, so wie der Umfang eines
bewegten Rades sich rascher dreht als seine Achse. Trifft das Urtier ein
Reiz der Außenwelt, etwa der Anstoß eines Steines oder die Kälte einer
Strömung, so empfinden wieder die Außenteile die Wirkung stärker als die
der Mitte. Demgemäß mußten nach dem bekannten Lebensgesetz, daß durch
Gebrauch die Organe erstarken, wie die Muskeln des Turners, durch
Nichtgebrauch dagegen verkümmern, wie die Zehen des Kulturmenschen, von
Urbeginn an sich im Plasma der Zelle Bewegungs- und Empfindungsfähigkeit
in den Randteilen stärker entwickeln als in den Innenbezirken. In diese
ruhende Mitte dagegen wandern die aufgenommenen Nahrungsstoffe und
werden hier durch chemische Säfte verdaut, so daß die Mitte der Zelle
zum chemischen Zentrum wird, während die bewegten und empfindenden
Außenteile nur wenig zur Entfaltung ihrer Verdauungskräfte gelangen und
diese folglich in ihnen allmählich verkümmern. Ebenso sammeln sich alle
übrigen der Bewegung hinderlichen Bestandteile aus den Außenbezirken der
Zelle in ihrer Mitte an, so vor allem die kostbaren Stoffe der
Vererbung, und bilden hier eine Anhäufung, einen Kern.

Durch diese verschiedene Ausbildung der einzelnen Bezirke und die
Ansammlung gewisser Stoffe an bestimmten Stellen gliedert sich die
Amöbenzelle, organisiert sich der Zellenleib. An manchen niederen
Zellarten kann man diesen Vorgang der Organisation, der sich in der
Vorzeit im Lauf von vielen Jahrmillionen allmählich vollzogen haben
wird, unmittelbar beobachten. Die meisten Bakterien besitzen, wie die
Uramöbe, ein durch die ganze Zelle gleichförmig gestaltetes Plasma. Bei
manchen von ihnen sieht man nun, wie sich in Zeiten höchster
Lebensentfaltung, namentlich zur Zeit der Fortpflanzung, die bis dahin
durch das ganze Plasma gleichmäßig verstreuten Körnermassen in der
Zellmitte sammeln und hier eine dunkle Anhäufung, einen Zellkern, bilden
(Abb. 7). Diese Kernbildung bleibt bei allen höheren Zellen eine
ständige Einrichtung und wird als fester Besitz von Zelle zu Zelle
vererbt. Jede höhere Zelle besitzt in der Mitte ihres Plasmas einen
Kern, der durch die Anhäufung bestimmter Plasmateile entstanden ist.

[Illustration: Abb. 7. Kernbildung bei Bakterien (nach Schaudinn).]

In vielen Zellen kann man diesen Kern ohne jede Vorbereitung sehen.
Betrachtet man eine Spur Speichel unter dem Mikroskop, so erblickt man
in ihm große vier- und fünfeckige Plasmaplatten, abgestoßene Deckzellen
der Zunge, die in der Mitte einen Kern tragen. Tropft man zu dem
Speichel etwas Essig, so gerinnt das Eiweiß des Plasmas und wird hart
und dicht wie das Eiweiß des gekochten Eies, und zwar gerinnt es um so
leichter und stärker, je feiner das Eiweiß ist, und da nun der Kern der
Zelle aus den edelsten Eiweißarten besteht, ist er gegen Säuren
empfindlicher als die übrigen Zellbezirke, schrumpft stärker, wird
dadurch dichter und dunkler und tritt nun als schattiger Punkt kräftig
hervor. Noch sinnenfälliger wirkt die Färbung. Man kaufe sich für wenige
Pfennige in der Apotheke ein Fläschchen mikroskopischer Färbemittel,
Alaunkarmin oder Hämatoxylin, nehme eine Zwiebel und schäle von einer
der inneren Lagen ein feines Häutchen ab. Betrachtet man es zuerst ohne
Zubereitung bei 50-100facher Vergrößerung, so erkennt man, daß die
Zwiebelhaut aus schönen, rechteckigen Zellen wie eine Hausmauer aus
Ziegelsteinen zusammengesetzt ist. Kerne erblickt man in den Zellen
nicht. Tropft man auf das Häutchen eine Spur Essig, so erscheinen die
Zellkerne als Punkte. Nimmt man nun ein neues Häutchen, tropft eine
Farbe darauf, läßt sie einige Minuten wirken und spült sie dann mit
Wasser ab, so erblickt man die Zellkerne je nach der Art und Dauer der
Färbung als rosenrote bis scharlachfarbene Punkte in den Zellen.

Mit Hilfe derartiger mikroskopischer Färbemethoden, die zu einer
vielseitigen, zum Teil höchst geistreichen Technik ausgebaut sind, hat
man in der tierischen Zelle neben dem Kern als niemals fehlenden
Bestandteil noch einen anderen winzig kleinen, aber wichtigen Körper
gefunden, den man den Zentralkörper genannt hat. Plasma, Kern und
Zentralkörper sind die drei Hauptteile der tierischen Zelle.

Um sich von der Größe und Lage dieser drei Zellteile ein Bild zu
machen, gehe man in die Küche und nehme ein Ei. Wer sah noch nie ein
Ei? Schaut es euch an! Ihr lächelt? Niemals saht ihr es so: das Ei
ist eine Zelle. Das Hühnerei ist eine Riesenzelle. Nicht in dem streng
wissenschaftlichen Sinn einer Plasmaorganisation, wohl aber eine echte
Einzelzelle, bepackt mit Kisten und Kasten für die Fahrt ins Leben, eine
Eizelle, ausgestattet mit dem ganzen Kinderstaat für das noch ungeborene
junge Hühnchen. Diese Riesenzelle Ei bietet nun — rein anschaulich,
nicht dem innern Wesen nach — genau das Bild der Zellorganisation. Das
Hühnerei besteht aus der Schale, dem Eiweiß, der Dotterkugel und dem
Keimfleck, der neben der Dotterkugel im Eiweiß schwimmt. Das Eiweiß
entspricht dem Plasma, die Dotterkugel dem Kern, der Keimfleck dem
Zentralkörper der Zelle. Genau wie das Hühnerei sähe eine Zelle aus,
wenn wir sie eine Milliarde mal vergrößert auf den Tisch legten. Zellen
sind keine leeren „Zellen”, etwa Hohlkammern wie ein Bienenwaben,
sondern Körper mit Ausdehnung, Masse und Gewicht wie das Ei. Man schlage
das Ei auf und lasse seinen Inhalt auf einen Teller fließen. So flösse
das Plasma der Zelle hin, gelb und schleimig, so triebe in ihm der etwas
festere und dunkelfarbigere Kern, so hinge an diesem der kleine
Zentralkörper.

Die Schale des Eies werfen wir fort. Sie ist als Schutzschale von
nebensächlichem Wert. Nur wo sie ihrer dringend bedarf, wie hier als
Hühnerei, bildet die tierische Zelle eine Schale. Die Zellen, die im
Innern des tierischen Körpers geschützt sind, bauen sich keine festen
Wände. Die Pflanzenzellen hingegen, die schutzlos Wetter und Feinden
preisgegeben sind, umpanzern sich. Der Besitz einer festen Zellwand ist
das Unterscheidungsmerkmal der Pflanzenzelle von der Tierzelle. Die
Pflanzenzelle ist eine Zigarrenkiste, mit Plasma gefüllt, das durch die
Poren des Holzes mit der Außenwelt in Austausch steht; die Tierzelle
dagegen ist ein Stück Butter, eine wandlos weiche, plastische Masse. Man
nehme zwei Eier. Das eine lasse man roh in seiner Schale, das andere
kocht man halbhart und schält es ab. Das rohe flüssige Ei in harter
Schale ist die Pflanzenzelle, das gekochte abgeschälte, im Innern noch
weiche, außen erhärtete Ei ist die Zelle des Tieres, die Zelle des
menschlichen Körpers (Abb. 8 und 9, Tafel ^III^).

Jedes Modell hat seinen Vorzug. Die Tierzelle ist ein Baustein aus
plastischem Ton. Frei von beengender Wand, ist sie jeden Wachstums,
jeder Wandlung, jeder Bewegung fähig, gestaltet sie sich, in ihrer
Urform wie die Amöbe eine Kugel, durch allseitigen Druck zum Vieleck,
das Vieleck streckt sich und wird zur Säule, die Säule flacht sich ab
und wird zur Platte, diese krümmt sich und wird zur Röhre, die Röhre
zieht sich in die Länge und wird zum Faden. So bildet sie Baustein und
Bodenbelag, Säule, Balken, Seil und Röhre im Zellenpalaste Mensch. Wenn
je mit einem alles und mit allem eines und dieses eine so groß und
vielgestaltig geschaffen wurde, wie nur ein Palast des Lebens
aufgerichtet werden kann, so ist dieses alles der Mensch und dieses eine
sein Universalbaustein, die wandungslose tierische Zelle.

Die kistenartige Pflanzenzelle ist solchen Wandlungen nicht so leicht
zugänglich, dafür ist sie kräftig und widerstandsfähig, und da ihre
Zellwand nicht starr ist, sondern aus Zellulose (Zellwandstoff), Kork
und Gummi besteht, so ist sie als elastisches Röhrenstück die ideale
Grundeinheit für die federnden Riesentürme und die geometrischen
Gigantengebäude der Flora. Zu welchen Leistungen sie die Pflanze
befähigt, entgeht zwar dem oberflächlichen Alltagsauge, muß aber jedes
denkende Gemüt mit tiefster Bewunderung erfüllen. Ein Roggenhalm hat
einen Durchmesser von 3 und eine Höhe von 1500 ^mm^, ist also 500mal
höher als die Breite seines Fundaments. Dementsprechend mußte der Kölner
Dom mit seinem heutigen Unterbau statt 160 ^m^ ihrer 5000 ^m^ Höhe
besitzen. Und dieser Riesenturm des Roggenhalms läuft nicht spitz aus,
sondern trägt an seinem oberen Ende einen Aufbau, der das Gewicht des
Turmes um das 30fache übertrifft, und steht nun nicht steif wie ein
Kirchturm, sondern schwingt mit seinem Turmaufsatz, seinen Erkern und
Glocken lustig im Winde umher und richtet sich, wird er herabgebogen,
mit seiner Last wieder auf! Man stelle sich unter einen schöngewachsenen
Baum und betrachte ihn mit dem Blick des Baumeisters. Man umspanne
seinen schmalen Stamm und lasse dann das Auge hinaufwandern und
verfolge, wie sich die Pappel schmal und steil haushoch über den Boden
erhebt und wie die Kastanie sich in tausend Flächen, Spitzen, Kanten
über einen ganzen Hof verästelt und vom Stamm bis zu den höchsten
Zweigen sich im Winde wiegt, und man wird durch diese andachtsvolle
Naturbetrachtung vom Wesen, Wert und Wirken der wandbekleideten
elastischen Pflanzenzelle einen tieferen Eindruck erhalten als durch
alle Berechnungen des Verstandes und lobende Worte aus Menschenmund.

Die Pflanze reckt und streckt sich, um Oberfläche zu gewinnen,
Stickstoff aus dem Boden, Kohlensäure aus der Luft, Wasser aus den
Wolken und Ätherwellen aus dem Lichte aufzufangen, sie ist ein einziger
großer Aufnahmeapparat und Speicher für die Stoffe und Energien der ewig
bewegten Umwelt der Elemente. Der Mensch hingegen ist ein nach innen
gekehrter Baum. Wie die Pflanze nach außen, faltet und spaltet er sich
nach innen und erstrebt bei kleinster Außenfläche die denkbar größte
Innenausbreitung. Was jene aus der Umwelt einheimst, nimmt er in
gedrängtester Form als Nahrungsstoff zu sich und breitet es dann vom
Magen aus in den Röhren und Falten, Buchten, Fächern und Kammern seines
Leibes über tausend innere Flächen wieder aus. Die Pflanze ist lauter
Oberfläche und sammelt ein, der Mensch lauter Innenfläche und nutzt aus.
Was sie mit ausgebreiteten Blätterarmen aus Licht und Tiefe, Wind und
Wolken an sich raffte, das füllt als Lebenskohle die Innenkammern seines
Leibes und durchglüht ihn mit der Glut der Gefühle und der Hitze der
Leidenschaften. Die Pflanze ist das hundert Schaufeln tragende und zum
Himmel ragende Mühlrad, das vom Strom der Welt getrieben wird, um Kraft
zu fangen; der Mensch ist der tausendfach im Innern gekammerte
Akkumulator, in dem sich diese Kräfte speichern und geheimnisvoll
gewandelt wieder erscheinen als Muskelschlag und Kraft des Willens,
Blitz des Gedankens und Wärme der Empfindung.

Die Innenfläche eines Menschen kann — so unglaubhaft es zuerst auch
klingt — mit der Außenfläche einer Pflanze durchaus wetteifern. Ein
Würfel, dessen Kante 1 ^m^ lang ist, besitzt mit seinen sechs Seiten
eine Oberfläche von 6 ^qm^. Halbiert man die Kante und schneidet so den
Würfel in den drei Raumrichtungen durch, so erhält man aus dem einen
Würfel deren acht mit je 1/2 m Kantenmaß. Diese acht Würfel besitzen
zusammen eine Oberfläche von 12 ^qm^. Halbiert man nun wieder die Kante
dieser Würfel, so erhält man 8mal 8 Würfel von je 1/4 ^m^ Seitenlänge
mit der insgesamt 16fachen Oberfläche von 24 ^qm^. Zerlegt man durch
immer erneute Teilung schließlich die Kante des Würfels nach der
Einteilung unseres Zentimetermaßes in 1000 ^mm^ und so den einen
Kubikmeter in Kubikmillimeter, so erhält man aus dem einen großen Würfel
eine Milliarde Millimeterwürfel. Solange diese noch zusammenstehen,
besitzen sie als der eine große Kubikmeter-Würfel 6 ^qm^ Oberfläche.
Läßt man sie nun aber auseinanderfallen, so stehen sie mit einer
Gesamtoberfläche von 6000 ^qm^ mit der Außenwelt in Flächenberührung.
Der Mensch ist solch ein aus kleinsten Würfeln, den Zellen,
zusammengesetzter Block. Er besitzt jedoch nach außen nicht 6, sondern
nur 2 ^qm^ Oberfläche. Dafür ist er aber im Innern nicht in eine
Milliarde, sondern in viele Billionen kleinster Zellenwürfel geteilt.
Diese etwa 30 Billionen Zellenwürfel besitzen zusammen eine Oberfläche
von über 5000 ^qm^. Mit 5000 ^qm^ Oberfläche stehen die 30 Billionen
Zellen des Menschenleibes mit den sie umspülenden Säften und dadurch mit
der Außenwelt in Berührung. Würde man einen Menschen wie einen
Kuchenteig auswalzen, bis seine gesamte Zellenoberfläche frei zutage
läge, so würde dieser Zellenteig einen Marktplatz von über 70 ^m^
Seitenlänge überziehen können. Würde man diese Zellenoberfläche aus
einem Menschen wie einen Teppich herausrollen können, so würde dieser
über eine halbe Stunde Weges 3 ^km^ weit hinreichen. Man denke sich
einen Menschen auf die Berliner Siegessäule vor dem Reichstag gestellt
und auf einem drehbaren Sockel stehend wie die Marmorstatuen in den
Museen. Den Zellen dieses Menschen wird die Oberflächenhaut abgezogen
und zwar so, daß sie in Form eines Zentimeterbandes wie das Garn von
einer Spule abgerollt wird. Ein Flieger kommt geflogen, befestigt den
Anfang des Bandes an seinem Aeroplan und fliegt davon, das Zellenband
nach sich ziehend, den Menschen von der Scheitelhöhe abwärts wie eine
Garnspule abwickelnd. Wie weit muß der Aeroplan wohl fliegen, bis die
letzte Zelle des Mannes ihrer Haut beraubt ist? Vom Königsplatz in
Berlin nach Süden über die Stadtgrenze hinaus, über alle Vororte und
über die Mark Brandenburg bis nach Sachsen, über Dresden und die
Sächsische Schweiz das Elbtal aufwärts bis nach Böhmen hinein, über Prag
hinweg und käme gut bis nach Wien und könnte hier das Zellenband an der
Spitze des Stephanturmes befestigen. Ein ausgespannter Mensch — ein
Zentimeterband von Berlin bis Wien! Zehn Stunden lang kann man mit einem
Schnellzug an dem Zentimeterband der Zellen seines Leibes entlangfahren!

Bedenkt man nun noch, daß durch die Schaumstruktur des Plasmas die
lebende Fläche auch innerhalb jeder Zelle durch jedes Tröpfchen,
Bläschen und Kämmerchen abermals um das Tausendfache vergrößert ist, so
erreicht die wahre Ausdehnung der Lebensfläche eines Menschen ein
unausdenkliches, geradezu phantastisches Maß.

Der Sinn dieser Flächenausbreitung liegt in dem hohen Wert freier
Oberflächen für den Ablauf der Lebensprozesse. Fast alle Lebensvorgänge,
die Aufnahme, Wanderung, und Ausscheidung der Atemgase und
Nahrungsstoffe, der Ausgleich der verschiedenen Lösungen zwischen den
einzelnen Organen und Zellen, die Wirkung und Wanderung der chemisch
wirksamen Teilchen der Lösungen, der Salzionen, und viele andere
Vorgänge des Stoffwechsels vollziehen sich von Fläche zu Fläche und um
so rascher, je mehr Oberfläche zur Verfügung steht. Durch die Teilung
der Körpermasse in Billionen Zellwürfel und die Ausbreitung des Plasmas
in jeder Zelle über ungezählte Schaumwände werden Kraft und
Geschwindigkeit der Lebensvorgänge auf jenes Höchstmaß gesteigert, durch
das sich allein die Erscheinungen des Lebens, wenn auch nicht erklären,
so doch wenigstens als überhaupt möglich begreifen lassen.

Die Zahl der menschlichen Zellen beträgt rund 30 Billionen, wovon allein
22 Billionen auf die in der Blutflüssigkeit schwimmenden Blutzellen
entfallen. Eine unvorstellbare, an kosmische Maße gemahnende Zahl. 30
Billionen! Würde aus einem Menschen wie aus einem Automaten in jeder
Sekunde eine Zelle fallen, so dürfte es gewiß geraume Zeit währen, ehe
der Zellautomat Mensch leer geworden. Ein paar Jahre? Oder ein
Menschenleben lang? Oder gar noch länger? Eine Billion Sekunden dauern
fast 30 000 Jahre, und seit der Geburt Christi ist noch nicht der 15.
Teil dieser Sekundenzahl verflossen. Folglich fielen 30 × 30 000 =
900 000 Jahre lang Sekunde für Sekunde Zelle um Zelle aus einem
Menschenkörper, ehe der Inhalt seines Leibes entleert wäre. Hätte dieser
Vorgang bei einem jener vorgeschichtlichen Menschen begonnen, die noch
vor der letzten Eiszeit in Europa in den Höhlen der Dordogne um ihre
Feuer saßen, während draußen das Mammut in den Sümpfen brüllte, und
sollte dieser Mensch nicht eher sterben, als bis die letzte Zelle seinem
Körper entfallen wäre, so lebte er noch heute. Er hätte die Eiszeiten
kommen und gehen sehen, Renntiere und Bisons über die grünenden
Niederungen Frankreichs springen, die Wanderungen der Urvölker und die
Anfänge des Ackerbaues erlebt; er hätte Hannibal durchziehen und Cäsar
an der Spitze seiner Legionen kommen sehen, an sein Ohr wäre der
Schlachtruf der Araber gedrungen, an seinem Auge wären die Troubadoure
und die Ritter der Kreuzzüge vorbeigezogen. Der Sonnenkönig fährt mit
Mme. Pompadour an ihm im Schlitten vorüber, er hört die Freiheitsreden
Camille Desmoulins’ und sieht das schöne Lockenhaupt der Marie
Antoinette hinrollen in den Staub, Napoleon kommt als General, als
Kaiser und kehrt geschlagen aus Rußland zurück, die junge Kaiserin
Eugenie lustwandelt an ihm vorbei, die deutschen Truppen ziehen 1870
ein, und 1914 hört er den Donner der Kanonen von Soissons und Reims, —
und der Eiszeitmensch ist noch immer nicht gestorben, ja kaum ein
einziges Glied seines Körpers ist abgefallen, trotzdem Sekunde für
Sekunde, 1, 2, 3, 4, ununterbrochen seit jener Eiszeitnacht die Zellen
aus seinem Körper fallen, er lebt noch immer und wird noch weiter leben,
wenn man die Völker Europas nicht einmal mehr mit Namen nennt, noch
100mal länger als von Karl dem Großen bis heute, und in jeder Sekunde
werden wie bisher weiter Tag und Nacht mit der Geschwindigkeit des
rastlosen Uhrzeigers die Zellen aus ihm fallen, und noch immer ist die
letzte Zelle dieses einen einzigen Menschenkörpers nicht erschienen...
„der Mensch ist ein Mikrokosmos, ein kleines Universum, das aus einer
Unzahl sich selbst fortpflanzender Organismen zusammengesetzt ist, die
unbegreiflich klein sind und so zahlreich wie die Sterne am Himmel”
(Darwin).

Im Durchschnitt besitzt jede Zelle eine Kantenlänge von 0,02 ^mm^, so
daß also auf diesem 1 ^cm^ langen Strich ―― 500 und auf diesem ^qcm^ ⬜
250 000 Zellen nebeneinander liegen könnten und in einem Kasten von
dieser Seitengröße über 100 Millionen Zellen verpackt werden könnten. In
einem Stück Würfelzucker fänden 250 Millionen Zellen genugsam Raum, um
ungestört nebeneinander zu leben.

Die Abweichungen von diesem Mittelwert erreichen im menschlichen Körper
ungefähr das Zehnfache nach beiden Seiten. Die kleinsten Zellen sind die
Blutplättchen, winzige, in ihrem Wesen noch wenig erforschte
Bestandteile des Blutes, die 0,0002 ^mm^ im Durchmesser besitzen, die
größte Körperzelle ist die Eizelle mit 0,3 ^mm^ Durchmesser, so daß sie
dem unbewaffneten Auge eben als ein graues Pünktchen sichtbar ist. Ihre
Größe verdankt sie genau wie das Hühnerei der gewaltigen Anhäufung von
Nährmaterial in ihrem Innern für das keimende Kind.

Trotz ihrer Winzigkeit ist jede höhere Zelle und in erster Linie die
menschliche ein feinorganisiertes Lebewesen. Die Zelle ist nicht, wie
man allerorten flachsinnig hört und liest, „ein Plasmaklümpchen mit
einem Kern in der Mitte”; ebenso gut könnte man Paris aus der Höhe eines
Aeroplans als einen Steinhaufen mit einer Wasserrinne in der Mitte
bezeichnen. Die Zelle ist, wie sie der Anatom ~Brücke~ schon vor vielen
Jahren trefflich benannt hat: ein Elementarorganismus.

Plasma, Kern und Zentralkörper sind seine Hauptbestandteile. Wie es in
einem echten Organismus nicht anders zu erwarten ist, liegen diese in
genau bestimmter Lage zueinander. Zellmittelpunkt, Kernmittelpunkt und
Zentralkörper liegen in einer Achse. Nur bei dieser Lage herrscht in der
Zelle Gleichgewicht (Abb. 10, Tafel ^III^).

Den weitaus meisten Raum nimmt das ~Plasma~ ein. Dieses zeigt nicht nur
im Dämmer seines Grau jene fabelhaften Feinheiten, die Fayod und
Künstler in ihm entdeckt haben wollen, nicht nur die Schaumstruktur
Bütschlis, die Fäden Flemmings und die Körner Altmanns, sondern ist
infolge der seit Jahrhunderttausenden durchgeführten Arbeitsteilung in
fast jeder Zellgattung in besonderer Weise durchgebildet, in den
Drüsenzellen wie lagerndes Korn gehäuft, in den Empfindungszellen in
Telegraphennetzen ausgespannt, in den Muskelzellen zu Zugseilen
ausgezogen, in den Fettzellen zu Ölballons gerundet, in den Nierenzellen
zu feinen Kanälen gegossen und in den Hornzellen zu ehernen Platten
ausgewalzt und führt uns so jenen unbeschreiblichen und noch längst
nicht völlig erforschten Reichtum der Plasmagestaltung vor das entzückte
Auge, dessen Studium einen so breiten Raum in der Menschenkunde
einnimmt.

In seiner Grundform zeigt das Plasma zumeist Wabenbau. Das Wabwerk wird
gewöhnlich von einem Fadennetz durchzogen, das an den Wänden der Zelle
weiterverzweigt seinen Anfang nimmt und sich in der Zellmitte in der
Nähe des Kerns um den Zentralkörper verdichtet. In den Knotenpunkten des
Wabwerks und Fadennetzes liegen im Plasma verstreut jene winzigen
Körnchen, die nach Altmanns Theorie die eigentlichen Träger des Lebens
sein sollen und nach seiner Ansicht in der Nährmasse des Plasmas wie
Bakterien in ihrer Gelatine ein selbständiges Leben in freier Bewegung,
Empfindung, Ernährung und Fortpflanzung führen. Am deutlichsten sieht
man diese Körnchen an geeigneten Pflanzenzellen. Die Pflanzenzelle ist
eine Zigarrenkiste, Plasma ihr Inhalt. In der Jugend ist diese
Zigarrenkiste klein und von Plasma völlig erfüllt. Später wächst sie
allseitig und wird geräumiger, aber ihr Inhalt mehrt sich nicht
entsprechend. Folglich kann das Plasma nicht mehr die ganze Kiste
füllen, sondern zeigt zuerst Löcher wie ein Schweizerkäse und reißt
später bei weiterem Wachstum der Kiste völlig auseinander, um
schließlich nur noch wie Honig in einem ausgeleerten Honigglas als
dünner Belag den Wänden anzuhaften und in einzelnen Fäden die leere
Zellhöhle zu durchziehen.

In diesem Wandbelag der Pflanzenzellen sieht man große, rundliche Körner
liegen, die bekannten ~Chlorophyllkörner~, die nur den Pflanzenzellen
zukommen, ihnen ihre grüne Farbe verleihen und unter dem Einfluß des
Sonnenlichts aus Kohlensäure und Wasser die Stärke bauen. Sie liegen an
den Wänden der Zellen, um hier das einfallende Sonnenlicht aufzufangen,
mit dessen Kraft sie ihr chemisches Lebenswerk vollführen. Das
Chlorophyllkorn ist ein chemischer Sonnenmotor.

Im Innern der Zelle dagegen gewahrt man längs der feinen Plasmastränge
die kleineren eigentlichen Plasmakörner, die an den zarten Silberfäden
wie Segelschiffe auf schimmernden Flüssen lautlos dahingleiten, ohne
Stillstand, solange ein Strahl Sonne das Leben dieses kleinen Alls
erhält, — ein so unwirklich zartes, duftdurchhauchtes Bild, daß man wie
durch ein Wunderglas ein Feenreich zu schauen meint, in dem wir zwischen
Mondenglanz und Silbergespinsten einen Elfenzauber belauschen (s.
Umschlagzeichnung, Abbildung einer Kürbiszelle). Ein Bild derart mag
Faust in Nostradamus’ Wunderbuch gefesselt haben, als er entzückt die
Worte rief:

    „Wie alles sich zum Ganzen webt,
    Eins in dem andern wirkt und lebt,
    Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
    Und sich die goldenen Eimer reichen!”

Über die Bedeutung der Körner herrscht noch große Unklarheit. Während
man früher, ganz gefangen von der wunderbaren Gesamterscheinung der
Zelle, ihnen geringe Beachtung schenkte, widmet man ihnen neuerdings
größere Aufmerksamkeit und betrachtet sie, wenn auch nicht wie Altmann
in seiner erwähnten Körnertheorie als die Elemente des Lebens, so doch
als die Träger und Zentralpunkte der einzelnen Zellfähigkeiten und
unterscheidet demgemäß mehrere Arten.

In allen Zellen verbreitet sind die ~Atemkörner~. Diese sollen einen
Stoff in sich hegen, der ähnlich wie der eisenhaltige Blutfarbstoff der
Blutzellen große Anziehungskraft auf den Sauerstoff der Atemluft ausübt,
diesen aus der Zellumgebung begierig an sich reißt, das
Sauerstoffmolekül spaltet und die einzelnen Sauerstoffatome den
verschiedenen Bezirken der Zelle zuführt. Die Atemkörner spielen demnach
für die Zelle dieselbe Rolle wie die Blutzellen für den
Gesamtorganismus, sie sind die Atemgasbinder und -verbreiter.

Ebenso allgemein wie die Atemkörner findet man die ~Speicherkörner~,
die, wie jene die Atemgase, die aufgenommenen Nährstoffe der Zelle
chemisch an sich binden, aufspeichern und zu gegebener Zeit wieder
abspalten. Je nach ihrer Sondertätigkeit bezeichnet man sie als
Fettkörner, wenn sie Fett speichern, als Muskelkörner, wenn sie in den
Muskeln die Stärke als den Betriebsstoff der Muskelzellmotoren sammeln,
als Nervenkörner in den Nervenzellen und als Dotterkörner in den
Eizellen. In größter Zahl angehäuft finden sie sich in den
Ausscheidungs- oder Drüsenzellen, wo sie als ~Drüsenkörner~ in engster
Beziehung zu den Ausscheidungstätigkeiten der Zelle stehen. Zu Beginn
der Drüsentätigkeit sieht man die Drüsenkörner anschwellen und dunkler
werden, auf der Höhe der chemischen Fabrikation des Drüsensaftes sind
sie so gequollen und saftgefüllt, daß einzelne von ihnen als kleine
Bläschen erkennbar sind; nach der Ausscheidung schrumpfen sie und
verschwinden zum größten Teil unter die Grenze der Sichtbarkeit (Abb.
11, Tafel ^IV^).

Die Körner, die man in so auffallender Zahl in den Nierenzellen sieht,
sollen die Gifte des Blutes an sich reißen und in Harnverbindungen
überführen, die Talgkörner in den Talgzellen das Talgfett herstellen,
die Hornkörner in den Hornzellen das Horn der Haut bereiten, die
Leimkörner den Leim, die Knorpelkörner Knorpelstoff zusammensetzen.

Besonders auffallend wegen ihrer leichten Färbbarkeit und daher früh
erkannt und benannt sind die ~Nervenkörner~ in den Zellen des
Rückenmarks und Hirns, die ganz offensichtlich die für die Maschinerie
der Nervenzellen notwendigen Betriebsstoffe in sich sammeln. Denn in
Ruhe und nach Schlaf, wenn die Tätigkeit der Nervenzellen eine geringe
ist, sieht man sie sich mehren und schließlich die Zelle dicht und dick
erfüllen. Unterwirft man nun das Versuchstier schwerer Arbeit oder
starken seelischen Erregungen, so verblassen die Körnchen und schwinden
schließlich ganz. Aus der Anzahl der Körner in den Nervenzellen kann man
ohne Kenntnis des Vorlebens auf die Vergangenheit und den Nervenzustand
ihrer Träger schließen. Die Nervenzellen eines gesunden Kindes oder
kräftigen Mannes sind reich an Körnern; die des Erschöpften und
Gealterten sind körnerleer, er hat, sagt ahnungsvoll treffend der
Volksmund, seine Nervenkraft verbraucht (Abb. 12, Tafel ^IV^). Der
Mensch, der hinausstürmt ins Leben, hoffnungsvoll, tatenfreudig,
kraftgeschwellt, und der dann als Greis zurückkehrt in den Hafen seiner
Träume, abgehetzt, des Jagens müde und zufrieden, sich selbst noch zu
besitzen, er hat auf seiner Fahrt nicht nur Hoffnungen verloren und
Heimat und Jahre, sondern auch den Inhalt seiner Nervenzellen:

    Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
    Waren Kisten und Kasten schwer,
    Als ich wiederkam, als ich wiederkam,
    War alles leer.

Eine andere, eigenartige und noch durchaus nicht aufgeklärte Rolle
spielen in den Zellen die ~Pigmentkörner~, die Träger jenes braunen
Farbstoffs Pigment, dem der Körper seine dunklen Farben verdankt, den
gelblichen Ton der Haut, das Negerschwarz, Indianerrot, Mongolengelb,
ferner das Braun der Haare und das Dunkel der Augen. Die Pigmentkörner
sind Schutzorgane der Zelle gegen die Einwirkungen des Lichtes, sie sind
die Fensterläden an dem lebenerfüllten Glashaus der Zelle. Von höchster
Wichtigkeit sind sie daher für die Sehzellen des Augenhintergrundes,
die das Sonnenlicht unmittelbar und noch verstärkt durch die
Brennglaswirkung der Augenlinse auffangen, weshalb man die Pigmentkörner
in ihnen in sonst ungekannter Zahl und Geschäftigkeit am Werke sieht. In
dichten Massen liegen sie an den Wänden der Stäbchen- und Zapfenzellen
des Augenhintergrundes. Befindet sich das Auge in Schatten oder mildem
Licht, so wandern die Pigmentkörner an den Grund der Zelle, um es
ungehindert eintreten zu lassen: der Fensterladen der kleinen
Lichtkammer ist aufgezogen. Läßt man nun grelles Sonnenlicht in das Auge
fallen, so rollen die Körner längs der Zellwand herab wie die Leisten
eines heruntergelassenen Fensterladens: das Zellfenster ist verhangen
und das Glashaus geschützt gegen die sengende Glut. Sonnenschirme und
Jalousien sind keine Erfindungen der Kultur, sie sind kein Luxus unserer
Schönen, ihren zarten Teint zu schonen, und kein „Komfort” für die
Terrasse des Hotels, damit die Gäste unbelastigt ihren Mokka schlürfen,
— schon der Glaspalast im Mikrokosmos hat vor seinen Fenstern auf der
Sonnenseite seine Jalousien, und vor den Plasmascheiben, durch die das
Licht der Welt ins Zellenhaus des Menschen scheint, rollen die gelben
Läden sinnvoll auf und nieder... (Abb. 13, Tafel ^IV^).

In gleicher, wenn auch nicht so augenfälliger Weise schützen sich die
Zellen der übrigen Körperoberfläche gegen die Wirkungen des Lichtes und
der Wärme, weshalb das dunkle Pigment in so reichlichem Maße bei den die
Tropen bewohnenden Völkern als das Negerschwarz der Haut vorhanden ist.

Neben der Lichtschutzwirkung müssen die Pigmentkörner andere uns noch
unbekannte Funktionen erfüllen. Irgendwelche geheime Beziehungen
herrschen zwischen ihnen und der allgemeinen Lebenstüchtigkeit des
Plasmas. Geschöpfe, deren Plasma verhältnismäßig reich an Pigmentkörnern
ist, sind lebenskräftiger als ihre pigmentarmen Genossen. Pigmentmangel
ist ein Zeichen der Lebensschwäche. Manchen Wesen fehlt das Pigment
überhaupt, auch in Haaren und Augen. Sie sind daher nicht nur
hellhäutig, sondern auch weißhaarig und infolge des aus dem
Augenhintergrunde durchschimmernden Blutes rotäugig. Diese Albinos,
Weißlinge oder Kakerlaken, diese weißen Raben stehen ihren dunklen
Brüdern an Gesundheit, Widerstandskraft und Fortpflanzungsfähigkeit —
bemerkenswerterweise oft auch an Charakterbildung — wesentlich nach. So
ist die Tuberkulose unter den blonden und hellhäutigen Menschen
verbreiteter als unter den dunkelfarbigen der gleichen Rasse. Ein
auffallendes Beispiel bieten die Schweine Virginiens. Die hellen unter
ihnen gehen nach dem Genuß der giftigen Wurzel Lachnanthes zugrunde,
während die schwarzen Schweine sie ohne Schaden genießen. Die inneren
Beziehungen zwischen Pigmentreichtum und Gesundheit sind noch unbekannt.

Neben den Atem-, Speicher- und Pigmentkörnern besitzen alle Zellen als
eine weitere Art die ~Reizkörner~, Körnchen, die im Gegensatz zu der
allgemeinen Empfindungsfähigkeit des Plasmas eine erhöhte Reizbarkeit
und vor allem die Fähigkeit besitzen, Reize aufzuhalten, zu sammeln,
dadurch zu erhöhen und sie dann umzuschalten. Die Reizkörner sind die
Sammler und Umschalter, die Akkumulatoren und Transformatoren der Zelle.
Als solche liegen sie vornehmlich an jenen Punkten, wo Reizsammlung,
-verstärkung und -umschaltung erforderlich sind, z. B. bei Wimperzellen
an den Wurzeln der Flimmerhaare, die sich unter ihrem Einfluß rhythmisch
bewegen. Zerstört man diese Reizkörner, so kann die Zelle ihren
Wimperhaaren keine gesammelten und geordneten Reize mehr zusenden, und
sie stellen ihre harmonischen Bewegungen ein, um nur noch ungeordnet
durcheinander zu schlagen.

In den Wimperzellen mancher Tiere findet man nicht nur einzelne
Reizkörner, sondern ein ganzes kunstvoll ausgebildetes
Reizleitungssystem von größeren und kleineren Körnern, die durch
Leitungsfäden miteinander verbunden sind (Abb. 14, Tafel ^V^). Solch
eine Zelle mutet an wie ein elektrischer Apparat. Ob sie sich vielleicht
dereinst als ein solcher enthüllt?

Als ein Reizkorn erster Ordnung ist der ~Zentralkörper~ der Zelle
aufzufassen. Er ist zwar größer als die übrigen Plasmakörner, aber noch
immer unvorstellbar klein. Denkt man sich nach dem Vorschlag Reinkes
eine Zelle eine Billion mal vergrößert, so wäre sie eine Kiste von 1/2
^m^ Kantenlänge. In dieser Kiste läge der Kern so groß wie eine
Kokosnuß, neben ihm der Zentralkörper wie eine Erbse. In Wahrheit fänden
also eine Billion Zentralkörper in einer Erbse Raum, so viele, daß man
20 000 Jahre zählen müßte, um den Inhalt der einen Erbse aufzuzählen.
Dennoch besitzt der Zentralkörper, wie durch eingehende Forschungen
festgestellt wurde, einen mathematisch abgezirkelten, man möchte sagen
astronomischen Bau (Abb. 15, Tafel ^V^).

Er liegt fast immer dicht neben dem Kern der Zelle und steht zu ihm in
so nahen Beziehungen, daß manche Forscher ihn als einen außerhalb des
Kerns liegenden Kernteil auffassen.

Im Zentralkörper lauft das gesamte Faden- und Wabennetz des Zellplasmas
zusammen. Wie eine Spinne in ihrem Netz liegt er im Knotenpunkt aller
Fäden und beherrscht sie als das zentrale Reizkorn. Da die im
Zentralkörper zusammenlaufenden Fäden sich in seiner Nähe aufs engste
nähern müssen und wahrscheinlich auch gegenseitig abplatten, kann man
sie in seiner Umgebung kaum mehr wahrnehmen, so daß der Zentralkörper
von einem hellen faden- und wabenfreien Hof umgeben scheint wie die
Sonne, deren Strahlen man in ihrer Umgebung der Fülle wegen nicht
erkennen kann. Der Zentralkörper ist als Sammelpunkt und Schaltstelle
der Bewegungsreize der Motor der Zellmaschine, in die Ausdrucksweise der
Wissenschaft übersetzt, das motorische Zentrum der Zelle. Daher findet
man ihn in den Zellen immer an jenen Punkten, an denen die lebhafteste
Bewegung stattfindet. Bei Zellen mit peitschendem Schwanz sitzt er an
der Ansatzstelle der Geißel, bei Wimperzellen an der Wurzel der bewegten
Haare, bei den Drüsenzellen inmitten der ausfließenden Massen und
bewirkt hier die feinen Zuckungen des Plasmas, durch die der Drüsenstoff
ausgeschieden wird. Am prächtigsten jedoch tritt er bei dem gewaltigsten
Bewegungsprozeß im Leben der Zelle hervor, bei ihrer Teilung.

Die höheren Pflanzenzellen, in denen die Bewegung gegenüber den
chemischen Vorgängen völlig in den Hintergrund getreten ist, haben
keinen Zentralkörper mehr entwickelt. Das Fehlen des Zentralkörpers ist
neben dem Besitz einer festen Wand das zweite Unterscheidungsmerkmal der
Pflanzenzelle von der Tierzelle.

In engster Beziehung zum Zentralkörper steht der ihm benachbarte ~Kern~.
Im Gegensatz zu den übrigen meist unfärbbaren und grau in grau
verschwimmenden Teilen der Zelle besitzen die Kernsubstanzen große
Verwandtschaft zu gewissen Farben, dem Karmin, dem aus dem Holz eines
tropischen Baumes gewonnenen Hämatoxylin (= Holzrot) sowie den bei der
Anilinfabrikation gewonnenen Anilinfarben Eosin (= Morgenröterosa),
Safranin (= Safranrot), Gentianaviolett (= Enzianpurpur) und dem
Bismarckbraun. Legt man Zellen nach bestimmten Vorschriften einige
Minuten in diese Farben, so enthüllt der Kern in leuchtender Pracht die
Feinheiten seines edel gegliederten Baues.

Seine eigentliche Grundmasse bleibt ungefärbt. Es taucht ein Netz von
Fäden auf, das den Kern wie ein Spinnengewebe durchzieht und in dessen
Knotenpunkten dunkelgefärbte Körner liegen. Dieses Netz besteht aus den
feinsten Eiweißverbindungen, die unsere irdische Welt hervorgebracht
hat, phosphorhaltigen Eiweißkörpern, die man wegen ihres einzigen
Vorkommens in den Zellkernen als Kerneiweißkörper (Nukleoproteide)
bezeichnet. Das aus ihnen zusammengesetzte Gefüge nennt man wegen seiner
starken Färbbarkeit mit den angeführten Farben die Farbmasse des Kerns
oder das Chromatin. Das Chromatin ist die wichtigste Substanz der Zelle.
Es ist gewiß kein Stoff in chemischem Sinne, nicht einmal in der hohen
Auffassung, die wir von den höchsten Eiweißverbindungen mit ihren
tausendatomigen Molekülen haben, sondern eine äußerst feine und höchst
verwickelte Maschinerie einer uns unvorstellbaren festflüssigen
Konstruktion, die mit dem Bauplan unserer starren Maschinen nichts
gemein hat. Neben dem Phosphor enthält der Zellkern immer noch Spuren
von Eisen, vermöge deren der Kern genau wie die eisenhaltigen roten
Blutzellen und Atemkörner begierig Sauerstoff aufnimmt. Die Anordnung
des Chromatins ist sehr wechselnd und schwankt von regelloser Anhäufung
einzelner Körner bis zu den kunstvollst geschlungenen Bändern (Abb. 16,
Tafel ^V^).

Bei starker Vergrößerung tauchen noch weitere Feinheiten im Kerninnern
auf. Die Fäden des Chromatinnetzes lösen sich in einzelne tonnenförmige
Teile auf und beweisen so ihre Zusammensetzung aus einzelnen Bausteinen.
An der Grenze des Kerns entdeckt man eine feine Haut, die wie eine
Ballonhülle aus feinen, spiralig gewundenen Fäden gewoben ist, den Kern
fest umspannt und durch die starke Füllung des Kerns mit Kernsaft prall
gebläht ist. In diesem Kernsaft schwimmen die Kernteile wie das Kind im
Fruchtwasser des Mutterleibes gegen Druck und Stoß wunderbar bewahrt.

Legt man eine solche mit Karmin rot gefärbte Zelle in eine säurehaltige
Farbe wie das Eosin, so treten neben den bisher erschienenen Kernteilen
infolge ihrer Verwandtschaft zu sauren Farben noch weitere Einzelheiten
in zarten Rosatönen hervor. Im Innern des Kerns taucht ein zweiter
kleinerer Kern auf, der Kernkörper (s. Abb. 10, Tafel ^III^). In diesem
entdeckt man bei sehr starker Vergrößerung abermals ein kleines
Körperchen, das Kernkörperchen. Nimmt das Wunder nie ein Ende?
Schließlich entdeckt man noch bei feinem Zuschauen zwischen den Fäden
des Chromatinnetzes als ein Untergewebe ein ganz zartes,
schwachgefärbtes Netz, das Kernfadennetz (Abb. 10, Taf. ^III^), aus
dessen Grund sich das stark gefärbte Chromatinnetz wie eine
Goldstickerei auf einem rosa Tüllgewebe heraushebt. So ist der Teppich
des Lebens gewirkt aus Schönheit und Geheimnis, ein Schleier, hinter
dessen Rätselornamenten in ewig strahlender Jugend die Göttin des Lebens
lächelt. Wird je ein Jüngling zu Sais kommen, der ihn hebt und in ihr
unverwelklich Antlitz schaut? Und wenn, wird er dann nicht hinter ihrem
Mona-Lisa-Lächeln ein neues, tieferes Geheimnis seines menschlichen
Aberwitzes spotten sehen?

Durch seinen feingegliederten Bau erweist sich der Kern schon äußerlich
als der Sammelpunkt der edelsten Teile des Plasmas, als das Hauptorgan
in dem Elementarorganismus Zelle. Halbiert man eine kernhaltige Amöbe,
so daß nur die eine Hälfte den Kern behält, so lebt dieser Teil fort und
ergänzt sich bald wieder durch Wachstum zu einer vollständigen Zelle.
Die kernlose Hälfte dagegen zeigt ein merkwürdiges Verhalten. Sie bewegt
sich noch und empfindet noch, sie frißt auch, denn dies sind ja die
Tätigkeiten der Außenteile der Zelle. Aber sie vermag die aufgenommene
Nahrung nicht zu verdauen, kann sich folglich nicht mehr nähren, nicht
wachsen und nicht fortpflanzen, sie verhungert und stirbt nach einigen
Tagen, ein Opfer jener Arbeitsteilung, die die Fähigkeiten der Bewegung,
Empfindung und Nahrungsaufnahme an die Grenze, die Fähigkeiten des
Stoffwechsels und der Fortpflanzung in die Zellmitte, den Kern,
verlegte. Außerdem zeigt die kernberaubte Hälfte noch „nervöse”
Störungen. Verwundet man sie, so kann sie nicht mehr die übliche
Wundhaut ausscheiden, ebenso wie kernberaubte Pflanzenzellen ihre
Zellwand und Kieselzellen ihre zerbrochene Schale nicht mehr ergänzen
können ohne Kern. Die kernhaltige Amöbe haftet an ihrer Unterfläche, die
kernberaubte vermag dies nicht mehr und gleitet ab. Diese offenbare
Beziehung des Kerns zu den Ausscheidungen der Zelle tritt in voller
Deutlichkeit bei den Drüsenzellen in Erscheinung. In vielen Drüsenzellen
niederer Tiere ergießt der Kern während der Absonderung seine Farbmasse
in das Zellplasma, um ihm gewisse Drüsenstoffe zuzuführen. In den
menschlichen Zellen schwillt er vor der Ausscheidung bis auf das
Fünffache an, um danach erschöpft zusammenzuschrumpfen. Der Kern ist im
Gegensatz zum Zentralkörper, dem motorischen Zentrum, das chemische
Zentrum der Zelle. Da weitaus die meisten chemischen Umsetzungen im
Plasma unter Sauerstoffbindung einhergehen — aus diesem Grunde müssen
wir ja beständig Luft, Sauerstoff schöpfen —, besitzt der Kern eine hohe
Aufnahmefähigkeit für Sauerstoff. Diese kann man an lebenden Zellen
unmittelbar nachweisen. Führt man einer Zelle einen Stoff zu, der durch
seine Verbindung mit dem Sauerstoff seine Farbe verändert,
beispielsweise wie das schwarze Eisen durch Sauerstoffaufnahme rostrot
wird, so tritt diese Verfärbung am ehesten und stärksten in der Umgebung
des Zellkerns auf. Hat man den Zentralkörper wegen seiner
Reizempfindlichkeit das zentrale Reizkorn genannt, so kann man den Kern
wegen seiner Sauerstoffbegier als das zentrale Atemkorn bezeichnen. Der
Kern ist die Lunge der Zelle. Organe, die infolge ihrer angestrengten
Tätigkeit viel Sauerstoff verbrauchen wie die Leber, die Niere, das
Gehirn, sind reich an großen kräftigen Kernen. Größe und
Dunkelfarbigkeit sind die Zeichen der Kernkraft und Zellgesundheit,
Schrumpfen und Blassen des Kerns die Merkmale der Zellerschöpfung und
-erkrankung, und Kernlosigkeit das sichtbare Zeichen des Zelltodes.
Schabt man sich von der Zunge Zellen ab, so reißt man lebende Zellen
herunter, in denen man deutlich Kerne sieht. Reibt man sich dagegen von
der Haut Zellen ab, so findet man unter dem Mikroskop verhornte kernlose
Zellplatten, die Leichen jener längst gestorbenen Deckzellen, von denen
unsere Körperhaut wie mit einer Schicht von Schutzschilden umpanzert
ist.

In seiner höchsten Wesenheit offenbart sich der Zellkern in seiner
letzten und bedeutendsten Eigenschaft als Fortpflanzungs- und
Vererbungsorgan der Zelle bei der Teilung. Jede Zelle pflanzt sich fort
durch Teilung. Eine andere Art von Zellentstehung als Zelle aus Zelle
gibt es nicht, kann es nicht geben, sowenig Menschen anders als aus
Menschen geboren werden können. ^Omnis cellula e cellula^ ist einer der
klassischen Grundsätze der Lebenslehre.

Die einfachste Form der Zellteilung sehen wir bei der niederen Zellform,
der Amöbe. Die Plasmamassen fließen nach rechts und links auseinander,
der Kern, sofern er schon ausgebildet ist, zieht sich in die Länge,
zerfällt in zwei Hälften, das Plasma ebenfalls, und aus einer Zelle
werden deren zwei (s. Abb. 6, Tafel ^II^).

Diese Teilungsart ist roh und nur möglich auf einer Stufe, auf der das
Plasma noch nicht eine so feine Organisation angenommen hat wie in den
höheren Tier- und Pflanzenzellen. Man kann sich vorstellen, daß eine
Tonschüssel erweicht und sich nach Art einer Amöbe in zwei Schüsseln
teilt, bei einer Taschenuhr ist eine solche Halbierung undenkbar. Um
trotzdem eine genaue Teilung bis in die kleinsten Einheiten zu
ermöglichen, hat sich die Fortpflanzung der Zelle im Lauf der
Entwicklung zu einem Naturspiel herausgebildet, von dem man ohne
Übertreibung sagen kann, daß es in der ganzen uns bekannten Welt nicht
seinesgleichen hat. Vergebens wird man das All nach Raum und Zeit
durchschweifen, um eine Naturerscheinung zu entdecken, die in ähnlicher
Art Schönheit und Geheimnis, Gesetzmäßigkeit und bewegte Dramatik
vereinigt. Der Astronom sucht ihresgleichen vergebens in den fernsten
Sonnenzügen seiner Himmel, der Physiker findet sie nicht im Reich seiner
strengen Gesetze, der Geologe gräbt nach ihr vergebens in Granit und
Gneis und der Erforscher der Atmosphäre nimmt ihrer nicht wahr zwischen
Kumulus und Zirrus. Mit ihren pompösesten Bühneneffekten, mit
Wellenrauschen und Alpenglühen, Gewitter, Regenbogen und Vulkanen kann
die leblose Natur ein Schauspiel ihrer Art nicht inszenieren. Die
Teilung der Zelle ist das Mysterienspiel des Lebens, das nun vor unseren
Augen anhebt. Das Meer glättet sich, und die Wellen kauern in den Ecken,
der Mond steht still wie einst zu Gideon, der Regenbogen sinkt in sich
zusammen, die Vögel kommen zwitschernd und sammeln sich im Rankenwerk
der Säulen, und die Jahreszeiten treten in die Logen, — die Sterne am
Deckengewölbe erlöschen, der Wolkenvorhang hebt sich, und unter Blitz
und Donner beginnt auf der Bühne des Welttheaters vor dem Parterre der
atemlos lauschenden Natur das Weihespiel des Lebens: die Teilung der
Zelle (Abb. 17, Tafel ^VI^).

Groß, klar und gläsern steht sie da. In der Mitte der Kern, neben ihm
der Zentralkörper, beide in der Gleichgewichtsachse, die durch den
Mittelpunkt der Zelle geht. Mit einer Störung dieser Ruhelage beginnt
das Schauspiel. Der Zentralkörper, der Motor der Zelle, läuft an. Er
rückt aus der Gleichgewichtsachse heraus und bringt damit eine Kette von
Veränderungen in Bewegung. Er selbst schwillt, breitet seine
Streifenkrone aus und durchstrahlt sonnenhaft das Plasma, dessen Fäden
und Waben sich um den strahlenden Punkt im Kreise ordnen. Unter
zunehmender Strahlenstärke teilt sich der Zentralkörper in zwei Hälften,
die, jede von ihrer Krone umgeben, aus der Äquatorgegend der Zelle den
beiden Polen des kleinen Alls entgegeneilen. Währenddes begann auch der
Kern zu quellen, sein Rand wird verwaschen, die Körner in ihm sammeln
sich. Sind sie, wie in vielen Zellen, zweigförmig in ihm ausgebreitet,
so wandern die Seitenäste der Blitzfigur in die Hauptäste, wodurch diese
dunkler und dicker erscheinen, die Hauptäste verkürzen sich, trennen
sich dadurch völlig voneinander und bilden nun einzelne haarnadelförmig
sich biegende Schleifen. War das Chromatin dagegen in verstreuten
Körnchen ausgebreitet, so reihen sich diese aneinander und bilden ein
Band, das sich wie ein Knäuel durch den engen Raum des Kernes windet.
Das Band verkürzt sich und zerfällt ebenfalls in einzelne sich
haarnadelförmig biegende Stücke, die Chromatinschleifen. Das
Kernkörperchen, der Kernkörper, das Fadennetz und alle übrigen
Nebenteile des Kerns verschwinden in der allgemeinen Wirrnis. Wohin,
wozu? hat noch kein sterblich Aug’ gesehen.

Dieweil sind die Zentralkörper so weit auseinandergerückt, daß sie sich
nun an den beiden Zellenden wie Nord- und Südpol gegenüberstehen. Aber
sie haben den Zusammenhang nicht verloren. Zwischen ihnen laufen wie die
Längsgrade zwischen den Polen des Erdglobus die Plasmafäden in Form
einer Spindel durch die Zelle. In der Mitte dieser Spindel, wo sie sich
im Äquator am weitesten ausbaucht, liegt oder vielmehr lag der Kern.
Denn alles ist an ihm verschwunden, nur die stark hervortretenden
haarnadelförmigen Chromatinschleifen sind geblieben und ordnen sich nun
wie unter dem Geheiß eines Künstlers zu einer harmonischen Figur. Sie
treten alle in die Äquatorebene der Zelle und bilden hier einen Stern,
indem sie sich im Kreise stellen, mit ihren Winkeln gegen den
Mittelpunkt, mit ihren freien Enden gegen die Oberfläche der Zelle
weisend. Man lege sechs Haarnadeln auf den Tisch kreisförmig um einen
Punkt, so daß ihre Kurven alle gegen diesen Punkt gerichtet sind, und
man erhält das genaue Abbild dieses Teilungssterns. Jeder Apfel, jede
Apfelsine und Zitrone sind Kolossalmodelle der sich teilenden Zelle.
Schneidet man eine dieser Früchte zwischen ihren Nadelpunkten durch, so
trifft man die Obstkerne im Äquator sternförmig um den Mittelpunkt
geordnet und im Fachwerk der Frucht liegend wie die Schleifen des
Teilungssterns in den Spindelfasern der sich teilenden Zelle.

Aber das Wunder steht nicht still. Alle bisherigen Wandlungen sind nur
die Vorbereitungen für die jetzt beginnende Teilung. Die Schleifen des
Teilungssternes spalten sich der Länge nach, so daß aus je einer dicken
Haarnadel zwei dünne werden und so sich ihre Zahl verdoppelt.

Mit dieser Spaltung der Schleifen beginnt die Teilung und ist sie
vollendet. War alles Vorangegangene nur Vorspiel, so ist alles Folgende
nur Nachspiel dieser Spaltung. Sie ist der große Höhe- und Wendepunkt,
dem alles zustrebt in diesem Drama, und der das Geschick entscheidet;
sie ist der große Augenblick der Offenbarung in diesem Mysterienspiel,
in dem, umstrahlt vom Doppelglanz der Sonnen, die Krone des Lebens
erscheint und sich teilt zur Verjüngung und zwiefachen Neugeburt des
Daseins auf Erden.

Die beiden Hälften der längsgespaltenen Schleifen trennen sich. Während
sie bisher alle in einer Ebene, der Mittelebene der Zelle, nebeneinander
lagen, biegen sie sich nun wie Drähte in der Hitze des Feuers, die eine
Hälfte jeder Schleife dem einen, die andere Hälfte dem andern Pol der
Zelle zu und wandern, von den Zentralkörpern angezogen, längs der
Spindelfasern den strahlenden Zentralkörpern zu, wie Kometen mit ihren
spitzen Winkeln den Sonnen ihres Plasmaalls entgegenfliegend. Auf dieser
Polfahrt nähern sie sich, werden wieder länger, senden wieder Äste aus,
schlängeln und verwirren sich wieder und bilden bei ihrer Ankunft am
Zentralkörper genau ein Netz wie vordem. Um sie verdichtet sich die
Kernmasse zum Kern, Kernkörper und Kernhaut erscheinen wieder, das
rosafarbene Unternetz schimmert aus der Tiefe hervor. Während dieser
Trennungsfahrt der Schleifenhälften schnürt sich hinter ihnen das Plasma
ein und ab, aus der einen Zelle sind zwei geworden, die Teilung ist
vollendet.

Der Sinn dieses vielverschränkten Schauspiels liegt offen zutage. Im
„Kernpunkt” aller Szenen steht die Längsspaltung der Schleifen, die sich
aus der Farbmasse des Kerns, dem Chromatin, gebildet haben. Die
Farbmasse Chromatin ist die wichtigste Substanz der Zelle. Sie ist durch
die Sammlung aller edlen Stoffe des Plasmas in der geschützten Zellmitte
entstanden, sie ist die Trägerin der höchsten Zelleigenschaften und
Zellfähigkeiten, der Atmung und Verdauung, der Umwandlung der
aufgenommenen Nahrungsstoffe in Plasma, des Wachstums und der
Fortpflanzung. Das Chromatin ist die Erbmasse des Zellorganismus. Dieses
Chromatin genau zu halbieren und so die Eigenschaften und Fähigkeiten
der Mutterzelle auf die beiden Tochterzellen gleichmäßig zu vererben,
ist der Zweck des ganzen Teilungsmechanismus. Der verwickelte Ablauf der
Zellteilung ist nichts anderes als ein Akt der Gerechtigkeit. Der Titel
des Schauspiels, das sich zugetragen, heißt „Die gerechte Erbschaft”.
Mit jener Umständlichkeit, die allen gerechten Teilungen einer reichen
und vielgestaltigen Erbschaft anhaften muß, werden die Chromatinkörner
gesammelt, aneinandergereiht, so daß ein langes Band aus ihnen entsteht,
wird dieses Band zu einem Knäuel geschlungen, gleichsam gemischt, und
dann in einzelne gleich lange Bandstücke geschnitten; diese sondern sich
voneinander, indem sie sich umbiegen und Schleifen bilden, die sich in
einem geordneten Kreis ausbreiten. Und nun, es könnte sich ja doch ein
Fehler eingeschlichen haben, werden die einzelnen Bänder nochmals
zerschnitten, aber diesesmal nicht wie das erste quer in zwei halb so
lange Stücke, sondern der Länge nach in zwei halb so breite Streifen, so
daß nun jede Tochterzelle nicht die Hälfte der Schleifen, sondern von
jeder Schleife die Hälfte erhält, — kann eine Erbschaft gerechter unter
zwei Kinder verteilt werden als das Chromatin der Mutter auf die beiden
Töchter bei der Teilung der Zelle?

Strenge Erbschaftsgesetze beherrschen die Teilung. Jede Tier- und
Pflanzenart bildet in ihren Zellen eine bestimmte Zahl von Schleifen. Es
bilden:

  Pferdespulwurm   4     Libelle        24
  Heuschrecke     12     Forelle        24
  Zwiebel         16     Frosch         24
  Weizen          16     Maus           24
  Schnecke        16     Mensch         24
  Eidechse        16     Regenwurm      32
  Meerschweinchen 16     Haifisch       36
  Ameise          20     Krebs Artemia 168

Sieht man eine Eizelle mit vier Schleifen, so kann man schwören, daß aus
ihr ein Spulwurm wird und kein Regenwurm, und beobachten wir eine
Zellteilung im Menschen, so kann man, sei es eine Hirn-, Haut- oder
Nierenzelle, mit Bestimmtheit voraussagen, daß 24 Schleifen und nicht 36
erscheinen werden. Warum die Zahl der Schleifen bei den einzelnen
Geschöpfen verschieden ist, ob und welchen Zusammenhang die
Schleifenzahl mit der betreffenden Tierart besitzt, in welcher Weise die
Eigenschaften auf die Schleifen verteilt sind, wie die Verknüpfung von
Eigenschaften mit dem Stoff der Schleifen zu denken ist, was die Bildung
der Schleifen, ihre Anordnung, ihre Quer- und Längsteilung veranlaßt,
wie und warum sich dieser Mechanismus der Schleifenteilung in den Zellen
im Lauf der Erdgeschichte entwickelt hat, diese und alle anderen Fragen,
die sich sofort dem denkenden Betrachter aufdrängen, harren noch der
Antwort. Die Teilung der Zelle — ein Mysterienspiel.

Die Dauer einer Zellteilung beträgt im Menschen ungefähr eine halbe
Stunde und kann demgemäß bei reger Fortführung nach dem berühmten Muster
der Weizenkörner auf dem Schachbrett zu ungeheuren Zahlen führen. Man
lege abends eine Bohne in laues Wasser. Bis zum Morgen haben sich viele
tausend Zellteilungen in ihr vollzogen. Die Teilung eines Bazillus währt
20 Minuten. Eine Milliarde von ihnen findet in dem millionstel Teil
eines Litergefäßes Platz. Gäbe man den Nachkommen eines Bazillus Raum
und Nahrung zu ungehemmter Fortpflanzung, so flösse in zwei Tagen das
Gefäß über, und in fünf Tagen füllten die Bazillen den Atlantischen
Ozean. Die Eier aus den Nachkommen eines sich ungehemmt entwickelnden
Störweibchens füllten in vier Jahren die Erdkugel mit Kaviar. Solch
schrankenloser Fortpflanzung wird durch den Mangel an Raum und Nährstoff
und durch die brutale Vernichtung der weitaus meisten aller Keime eine
natürliche Grenze gesetzt. Millionen sind berufen, einer wird
auserwählt.

Die Zellteilung ist die Ursache des Wachstums. Wenn der abgeschnittene
Nagel in Tagen wieder nachwächst, so geschieht es, weil sich die Zellen
an seinem Boden in jeder Minute zu Hunderten teilen. Wächst das
geschorene Barthaar in wenigen Stunden merklich nach, so haben an seinem
Grunde in dieser Zeit zahllose Zellteilungen stattgefunden, wodurch es
aus der Tiefe herausgedrängt wird. Wächst das Kind zum Mann oder zur
Frau heran, so wird es hoch und breit durch die dauernde Teilung und
Vermehrung der Zellen in allen Bezirken seines Leibes. Außerdem dienen
die Zellteilungen dem Ersatz der abgebrauchten und ständig sterbenden
Zellen in allen Organen. Die Zellen des Körpers leben zum allergrößten
Teil nicht von der Geburt bis zum Tode des Menschen, sondern besitzen
meist eine kurze Lebensdauer, sterben und werden durch ihre Nachkommen
ersetzt — wie die Menschen im Leben der Völker. Hirn-, Muskel- und
Knochenzellen teilen sich nur in der Jugend, solange der Mensch wächst,
und leben dann das ganze Leben hindurch unverändert. Die übrigen Zellen
dagegen leben nur wenige Jahre, ja nur Monate oder gar Wochen. Zwei
Drittel aller Körperzellen, über 22 Billionen, sind Blutzellen, jene
winzig kleinen Kügelchen, die im Blut des Menschen schwimmen, ihm seine
rote Farbe verleihen und vermöge ihres eisenhaltigen Farbstoffes das
Sauerstoffgas der Luft aus der Lunge in den Körper führen. Jede dieser
Blutzellen lebt nur 20 Tage. Um in 20 Tagen 22 Billionen Blutzellen zu
ersetzen, müssen also täglich eine Billion Blutzellen geboren werden und
hierfür 500 Milliarden Zellteilungen stattfinden. Das sind in jeder
Sekunde fünf Millionen. Da jede Zellteilung eine halbe Stunde währt, so
sind allein für den Blutzellenersatz im Knochenmark beständig 10
Milliarden Zellteilungen im Gange. Für ein Menschenleben von 70 Jahren
ergibt das die phantastische, selbst für astronomische Angaben
ungeheuerliche Zahl von 10 000 Billionen Zellteilungen in einem einzigen
Menschenleib allein für den Ersatz des Blutes. Hierzu kommen noch die
ununterbrochenen Teilungen in allen übrigen Geweben. Zum Nachwuchs der
ausfallenden Haare vollziehen sich täglich annähernd eine Million
Zellteilungen in der Kopfhaut. Ein Vielfaches hiervon schuppt die übrige
Haut ab, von der täglich unberechenbare Mengen Zellen abfallen, die man
beispielsweise im Waschwasser nachweisen kann und für deren Ersatz
dauernd Milliarden von Teilungen vor sich gehen. Die Geschlechtsdrüse
des Mannes erzeugt jahrzehntelang täglich bis zu 100 Millionen
Fortpflanzungszellen, — der Schöpfung ist kein Ende im Mikrokosmos des
Lebens.

In diesem ewigen Sterben und Neugeborenwerden der Zellen liegt das
Geheimnis unsrer steten Jugend. Das Alte, Abgenutzte stirbt in uns, und
neues, frisches Leben wird von Tag zu Tag geboren. Die Todesstunde einer
Milliarde verbrauchter Zellen ist die Geburtsstunde von zwei Milliarden
neuer. Mit hunderttausend alten, lebensmüden Zellen legen wir uns
schlafen und wachen des Morgens „neugeboren” mit zehnmalhunderttausend
jungen auf. Wir sterben täglich, um täglich neugeboren zu werden, und
leben so durch Tod und Auferstehung wie der Phönix in ewiger
Verjüngung, ein durch die Jahre wandelndes Stirb und Werde!

Man überdenke rasch noch einmal das Schauspiel der Zellteilung. Der
Zentralkörper erscheint, teilt sich und wird zum Doppelgestirn, das
auseinander strebt und sonnenhaft das Plasma-All durchstrahlt. Die
Sonnen ziehen geheimnisvolle Sphären durch die Welt der Eiweißmoleküle
und ordnen sie zwischen zwei Polen. Der Zellkern schmilzt, sein
Chromatin verdunkelt sich, ballt sich zusammen, bildet ein Band, das
sich in Bänder teilt, diese krümmen sich zu Schleifen und ordnen sich
unter dem Bann der geheimen Macht, die das Ganze durchwebt, im Äquator
der kleinen Plasmawelt zu einem prächtigen Stern. Stern und Schleifen
spalten sich, streben in sanften Bögen wie Kometen aufwärts und abwärts
den beiden Polen zu, und hinter ihnen, indes sie sich wieder zum Kern
verflechten, furcht sich wie das Wasser hinter dem Kiel des fahrenden
Schiffes das Plasma der Zelle und schnürt sich durch, — dieses
entzückende Schauspiel, das mit dem bunten Wechsel seiner Szenen, der
sinnvollen Verteilung der Rollen, dem bewegten und doch innerlich so
folgerichtigen Ablauf seiner Handlung, der Schürzung und Lösung des
Knotens und seinem befreienden Ende ein echtes Schauspiel ist, spielt
sich auf einer Bühne ab, die kleiner ist als ein Staubkorn im
Sonnenlicht, deren 100 Millionen in einem Stückchen Zucker Unterkommen
fänden, spielt sich stündlich, in jeder Minute und jeder Sekunde, ohne
daß wir es wollen oder wissen, ohne daß wir es fühlen oder sehen, in
unserem Innern ab, ist unser Wachsen, ist unser Sein. Man zähle mit der
Uhr die Sekunden 1, 2, 3, 4, 60 die Minute, über 3000 die Stunde, fast
100 000 den Tag, mit jeder Zahl, die man spricht, begleitet man über
fünf Millionen Bühnenspiele dieser Teilung in dem Riesenzelltheater
seines Leibes.

Und nun wende man seine Blicke auf zum Himmel und sehe über sich die
Unzahl der Sterne glühen, jeder eine Sonne, umgeben von Planeten und
Monden, zahllos wie der Sand am Meer, dicht gedrängt wie der Staub in
Wolken und doch in Wahrheit geschieden durch Räume, die selbst das Licht
nur in Jahrtausenden durcheilt, ohne Anfang diesseits, ohne Ende
jenseits, ohne Grund unter uns, ohne Grenze über uns. Uns selber aber
finden wir auf einer grünen Kugel lebend, die im freien Raume schwebt
und um eine dieser Sonnen kreist, nach Menschenmaß so weit von ihr
entfernt, daß kein Gedanke diese Strecke durchmißt, nach den wahren
Maßen dieser Welt jedoch ihr so nahe und so winzig, daß sie mit ihr wie
zu eins verschmilzt und nicht einmal, vom nächsten Stern gesehen, als
Punkt im schärfsten Glas gefunden werden könnte; auf diesem in des
Wortes wahrsten Sinne so genannten Sonnenstäubchen finden wir uns, auf
ihm selber wieder so klein, als wären wir gar nicht da, so nichtig und
so flüchtig für sie wie für unsere Sinne die Bazillen, die auf der
Schale eines irgendwo in einem Keller faulenden Apfels einige Stunden
umherzucken, so wahrhaft nichts, daß, wenn uns heut ein Eishauch aus dem
Weltraum dahinwehte, diesem Kügelchen Erde ebensowenig fehlte, wie dem
Apfel, wenn die Bazillen in den Ritzen seiner Haut erfrören, — Mikroben
auf einem im Sonnenlicht kurze Zeit hinwehenden Kugelstäubchen! Und nun
schauen wir, überwältigt von der Größe des Weltalls, niedergebeugt von
der Kleinheit unseres Ichs, beschämt in unser Bazilleninneres und
entdecken nun hier nicht Leere und nicht Stille, nicht Ungestalt und
nicht Wirrnis, sondern sehen wieder wie droben außer und über uns so nun
in und unter uns einen Himmel, in dessen Räumen sich der Blick verliert,
sehen wieder Myriaden kosmisch geordneter Zellsysteme, wieder zahllos
wie der Sand am Meer, dicht gedrängt wie der Staub in Wolken, und jedes
dieser Pünktchen ist wieder wie droben jeder Lichtpunkt ein kleines All
für sich, in dem Welten aus dem Unsichtbaren tauchen und in Sphären
kreisen, Sonnen strahlen und sich teilen, Pole ihre magnetischen Felder
ziehen und Kometen ihre Bahnen wandeln, Bahnen, die an Schönheit und
Gesetz die Milchstraßen des Himmels und die Kometenläufe des Firmamentes
überbieten, — und dieses Universum, das sind wir! Der Mensch, ein
Bazillus im Weltall, ein Weltall in einem Bazillus! Zu klein, sich in
den Makrokosmos der Welten aufzuschwingen, zu groß, sich in den
Mikrokosmos seines Wesens zu versenken, denn es ist nicht seine Macht,
die Sonnen in die Räume streut und Zellen in ein Pünktchen drängt,
tastet er vergebens mit seinen Zwergenfingern an den Planeten, sie zu
umklammern, greift er vergeblich mit seinen Riesenhänden nach den
Zellenwelten, sie zu fassen, als staubgeborener Sohn der Erde zum
Menschlichen und Mittelmaß verdammt, kann er, zwischen Sternen und
Zellen wandelnd, nur das Geheimnis ihres Daseins verehren, doch zu
begreifen, ist ihm versagt....

Neben der geradezu an Ehrfurcht grenzenden Achtung vor den
Erscheinungen des Zellebens hat die Gesetzmäßigkeit der Vorgänge die
Forscher ermutigt, nicht in stummer Bewunderung vor ihnen zu verharren,
sondern diesen Gesetzen nachzuspüren, die Bedingungen ihres Ablaufs zu
ergründen, im praktischen Versuch zu verwirklichen und so die Mechanik
des Zellebens nachzuahmen. Trotz ihrer geringen Zahl und
Anspruchslosigkeit sind diese Versuche ebenso interessant wie
vielverheißend ausgefallen.

Als erster Versuch berühmt geworden ist die „künstliche Zelle” von
Traube. Leim und Gerbsäure verbinden sich zum festen gerbsauren Leim.
Träufelt man in eine Gerbstoff(Tannin-)lösung, wie man sie in jeder
Drogerie erhält, einen Tropfen Leim, so bildet sich auf der Oberfläche
des Leimtropfens eine feste Haut gerbsauren Leims, während das Innere
des Tropfens flüssig bleibt. Zwischen dem flüssigen Leim innerhalb und
der Gerbstofflösung außerhalb der Tropfenhaut beginnt nun auf dem Weg
der Osmose ein Stoffaustausch. Der Leim nimmt durch die Hülle hindurch
Wasser auf, quillt, sprengt die Haut und tritt aus. Sobald er aber
hierbei mit der Gerbstofflösung in Berührung kommt, verwandelt er sich
in festen gerbsauren Leim und schlägt sich als Haut über den Riß nieder.
Nun beginnt das Spiel von neuem, bis der ganze Leim ausgetreten ist.
Durch das beständige Austreten und Niederschlagen des Leimes wird die
Kugel immer dicker und bietet so das anziehende Spiel des Wachstums.

Unvergleichlich weiter führten die Versuche, die der französische Arzt
Stephan Leduc angestellt hat. Auch diese stützen sich fast
ausschließlich auf den Austausch von Stoffen zwischen Lösungen
verschiedener Stärke (Diffusion und Osmose). Er träufelt Tropfen einer
5-10%igen Ferrozyankalilösung auf Glasplatten, die mit einer halbfesten
Gelatine überzogen waren, und erhielt Figuren, die mit Kolonien von
Zellen auffallende Ähnlichkeit besitzen. Die entstehenden zellförmigen
Gebilde zeigen sogar in ihrer Mitte kernartige Verdichtungen wie echte
Zellen.

Doch damit nicht genug. Leduc verrieb etwas Tusche in Salzwasser und
ließ davon einen Tropfen auf eine Glasplatte fallen. Zu beiden Seiten
des Tropfens legte er je einen Tropfen einer stärkeren Salzlösung. Wenn
sich die drei Tropfen berühren, so beginnen die beiden äußeren infolge
der größeren Stärke ihrer Lösung die Tusche aus dem mittleren in sich
hineinzuziehen, und zwar — wie merkwürdig! — zu genauen Hälften durch
eben jenen komplizierten Halbierungsmechanismus, durch den die Farbmasse
des Kerns bei der Zellteilung halbiert und auseinandergezogen wird. Es
bildet sich eine Strahlungsfigur, die Tuschekörner sammeln sich zu einem
Knäuel, bilden einzelne Stränge, die sich haarnadelförmig biegen und so
den Chromatinschleifen täuschend ähneln, diese bilden eine sternförmige
Figur, sollen sich sogar längs teilen wie die Kernschleifen und wandern
dann zu den beiden Polen der Spindelfigur auseinander (Abb. 18, Tafel
^V^).

Diese Leducsche Figur ist nur eine Einzelheit aus einer ganzen Welt
überraschendster Ähnlichkeiten, die in den letzten Jahren zwischen rein
mechanischen Vorgängen und Lebensprozessen aufgefunden wurden. Neben
Leducs osmotischen Versuchen, die in wunderbarer Naturtreue die Bildung
von Zellen, Kieselschalen, Kalkgehäusen, das Wachstum von Bazillen,
Algen, Pilzen und Farnen vorführen, ist es vor allem die nach 30jähriger
Kolumbusfahrt durchs Meer des Mikrokosmos von Otto Lehmann entdeckte
neue Welt der flüssigen Kristalle, die als das aufgefundene
Zwischenreich zwischen der toten und lebendigen Natur die Gemüter der
Gelehrten heute mit nicht geringerem Staunen füllt als seinerzeit die
märchenhaften Tier- und Pflanzenwunder Amerikas die Geister Europas
bewegte. Die flüssigen Kristalle sind im Gegensatz zu den bekannten
starren flüssig und beweglich. Sie fließen dahin wie kriechende Amöben
oder schlängeln sich wie Bakterien wurmförmig und korkzieherartig, sie
fressen, wachsen, vereinigen und vermehren sich wie niedere Lebewesen.
Abgebrochene Teile ergänzen sie durch Wachstum (Abb. 19 u. 20).

[Illustration: Abb. 19. Flüssige Kristalle (nach O. Lehmann) bewegen
sich wie Lebewesen.]

Osmotische Figuren und flüssige Kristalle sind nicht leicht
darzustellen. Dagegen kann sich jeder Amöbenbewegungen eines toten
Stoffes vorführen, wenn er einen Tropfen ranzigen Öles auf Wasser fallen
läßt, das etwas Kalilauge enthält. Durch die Bildung löslicher Seife am
Rande verliert der Tropfen seine Kugelgestalt und kriecht infolge der
gestörten Oberflächenspannung über die Wasserfläche dahin wie eine
Amöbe. Noch interessanter ist der Schellack fressende Chloroformtropfen.
Bringt man ein mit Schellack überzogenes Glasstäbchen in die Nähe eines
Chloroformtropfens, so saugt dieser den Stab in sich hinein, wie eine
Amöbe oder menschliche Wanderzelle Algen- und Bazillenstäbchen frißt,
befreit durch Lösung des Schellacks das Stäbchen von seinem „nahrhaften”
Überzug und stößt den abgefressenen Glasstab wie die Amöbe eine leere
Algenschale aus (Abb. 21). Auch auf die Ähnlichkeit der Strahlungsfigur
im Plasma mit magnetischen Kraftfeldern ist oftmals hingewiesen worden.

[Illustration: Abb. 20. Teilung ^a^ eines Bakteriums, ^b^ eines
flüssigen Kristalles (nach Verworn und Lehmann).]

Kein ernster Naturforscher wird glauben, durch solche Versuche die
Lebensrätsel und Zellgeheimnisse unmittelbar lösen zu können, aber sie
führen uns immer weiter auf dem Wege, die Lebensvorgänge als Mechanismen
zu begreifen, sie enthüllen uns, daß selbst so verwickelt und scheinbar
„vernünftig” laufende Prozesse wie die Zellteilung rein
chemisch-physikalischer Natur sein können, und kräftigen uns so in der
Auffassung, daß das Leben keine übernatürliche, von besonderen
Lebenskräften beherrschte Erscheinung ist, sondern nur die höchste Form
all jener mechanischen Vorgänge, die wir unter ehernen Gesetzen im
ganzen Weltall in gleicher Weise als das eine große, unergründliche
Weltgeschehen laufen sehen und — leben.

[Illustration: Abb. 21. Der schellackfressende Chloroformtropfen (nach
Rhumbler).]

Außer der Teilung kennen wir bis heute fast nichts aus dem inneren Leben
der Zelle. Wie in einer Fabrikstadt, deren Schlote wir von einem Berge
aus im Nebel nur angedeutet ragen sehen, ohne erkennen zu können, was
dort in Dampf und Rauch gewonnen wird, vollzieht sich grau in grau vor
uns das Wirken in der geheimen Werkstatt des Lebens. Man sieht nichts,
und es geschieht alles. Wir stehen wie bei einem Zauberkünstler da vor
lauter Tatsachen und begreifen kein Geschehnis. Und wie lockt die
Begierde, das Geschehen zu begreifen, da das Geschehene doch so
wunderbar! Man stelle sich doch vor: eine Zelle, so klein, daß in diesem
Pünktchen auf dem i ihrer zwanzig Platz hätten, setzt sich aus 20 000
Plasmawaben zusammen. Diese bestehen aus Wasser, Salzen, Alkoholen,
Glyzerin, Fetten, Phosphorfetten, Zuckern, Stärke, Leim, Aminosäuren,
einfachen und zusammengesetzten, festen und flüssigen Eiweißkörpern, aus
aromatischen Stoffen, Farbstoffen, Pigmenten und noch hundert anderen
chemischen Verbindungen. Diese sind in dem Pünktchen kunstvoll
organisiert, jede genau an ihrem Platz und nicht einen Deut daneben. In
der Mitte dieses Pünktchens liegt der Kern, zusammengesetzt aus
Kernhaut, Kernsaft, Kernkörperchen, Kernnetz und den planvoll geordneten
Körnchen der Farbsubstanz. Neben dem Kern liegt der Zentralkörper, der
weit hinein ins Plasma strahlt, in dem wir wieder Fäden und Netze,
Körner, Kanäle, Wände, Waben und Kammern in ungezählten Zahlen finden.
All dies in dem einen kleinen Pünktchen, das kleiner ist als der
zwanzigste Teil dieses i-Punkts. Und dieses Wundergebilde lebt! Es
bewegt sich infolge einer Reihe eigenartiger chemischer Umwandlungen an
einer Oberfläche. Es atmet, indem es Sauerstoff aus der Luft aufnimmt,
in seinen Atemkörnern sammelt, das Sauerstoffmolekül in seine beiden
Atome spaltet und in die Verbindungen seines Plasmas leitet. Es nährt
sich: es nimmt Wasser und Salze, Zucker und Säuren, Alkohole und Fette
und Eiweißkörper auf. Es besitzt eigene Stoffe für die Spaltung des
Zuckermoleküls, eigene für die verschiedenen Eiweißkörper. Mit Hilfe
dieser Stoffe zerlegt es Eiweiß in Aminosäureketten und diese Ketten
wieder in die einzelnen Glieder, die Aminosäuren; Stärke in Dextrin,
Dextrin in Malzzucker, Malzzucker in Traubenzucker und diesen in
Kohlensäure und Wasser. Die Fette spaltet es in Glyzerin und Säuren, und
diese zerlegt es weiter. Aus den gewonnenen Bruchstücken dieser
Verbindungen vermag es wieder mit Hilfe ganz bestimmter Chemikalien
Hunderte von verschiedenen Stoffen aufzubauen. Aus Aminosäuren baut das
Pünktchen wieder Aminosäureketten und aus diesen wieder Eiweißmoleküle
aller Art, die es mit allen möglichen Nebenstoffen verkuppelt, wie es
deren gerade für seine Eigenzwecke bedarf. Aus Säuren und Glyzerin setzt
es besondere ganz eigenartige Zellfette zusammen; an diese bindet es
Phosphorsäure und andere Körper und baut so die verschiedenen Arten der
Lezithine und andere Phosphorfette. Aus den niederen Zuckern stellt es
die höheren zusammen, aus diesen Dextrin und Stärke. Alles dieses tut es
nebeneinander und zu einer Zeit, ohne daß sich diese Vorgänge
gegenseitig stören, und tut es ununterbrochen, um die Masse seines stets
sich zersetzenden Plasmas zu erhalten und zu wachsen. Einen Teil der
geschaffenen Verbindungen sammelt es an bestimmten Stellen als
Vorratsstoff, um sie zu geeigneter Zeit zu verbrennen oder zu besonderen
Leistungen zu verwerten, die die bisher genannten allgemeinen und allen
Zellen zukommenden Lebenstätigkeiten noch weit übertreffen.

Das Leberzellenpünktchen beispielsweise, das so klein ist, daß man es
als Sonnenstäubchen in der Mittagssonne nicht sähe (s. Abb. 11, Tafel
^IV^), verrichtet außer diesen aufgezählten allgemeinen
Lebenstätigkeiten noch mindestens zwanzig höchst verwickelte besondere
Leberarbeiten, für deren jede der Mensch mit seinen heutigen Mitteln
ein ganzes Laboratorium mit Assistenten, Kolben und Kochern, Filtrier-
und Destillierapparaten und einen ganzen Schrank voll Chemikalien nötig
hätte. Er brauchte Streichholz und Fließpapier, Atomtabellen und ein
dickes Handbuch der Chemie, Geduld und Geist und tagelangen Fleiß, um
auch nur eine von den zwanzig Leistungen nachzuahmen, die die Leberzelle
in dem Viertelstündchen verrichtet, da wir im Mittagsschläfchen ruhen
und in unserem satten Schlummer uns alles andere träumen lassen als die
Wunder, die in unserem Innern vor sich gehen...

Durch die Leber fließen nach der Mahlzeit mit dem Blut aus dem Darm die
Säfte der verdauten Speisen. Aus diesem durchfließenden Blut nimmt die
Leberzelle die chemischen Verbindungen der eingeführten Nahrung auf. Sie
reißt den Zucker an sich und setzt die Zuckermoleküle zusammen zu Stärke
und bricht sie später wieder auseinander zu Zucker; sie nimmt die
Aminosäuren der abgebauten Eiweißmoleküle auf und vereinigt sie mit
Ammoniak zu Harnstoff und Harnsäure; diese verkuppelt sie mit den
Metallen des Körpers, dem Kalium und Natrium, zu den Harnsalzen. Den
Blutfarbstoff der täglich sterbenden Billion Blutzellen fängt sie aus
dem Blute auf und verwandelt ihn in den grünlichen Gallenfarbstoff. Aus
uns noch unbekannten Grundverbindungen baut sie die Gallensäure auf;
diese verkuppelt sie mit Aminosäuren. Die Giftstoffe, die bei der
Eiweißverdauung im Darm frei werden, wie die Karbolsäure, speichert sie
in sich auf und macht sie durch Verkuppelung mit Schwefelsäure
unschädlich. Karbol- und Schwefelsäure! Mit solchen Giften operiert die
Leberzelle Tag für Tag und verbrennt sich nicht und vergiftet sich
nicht! Und viele andere Gifte hält sie fest, die der Mensch in seiner
Unnatur in seinen Körper hineingießt und hineinbläst, so das Koffein des
Kaffees und das Nikotin des Tabaks, das Morphium, das Opium und das
Veronal, und verwandelt sie durch Abbau und Verkuppelung in harmlose
Stoffe. Aus dem großen Reichtum der ihr zufließenden Chemikalien braut
sie die Galle, ein Elixier von über dreißig verschiedenen Tinkturen und
Essenzen, gegen das alle Benediktiner und Karthäuser Stümperware sind.
Und bei alledem hat sie noch Zeit, ihr eigenes Leben zu führen, sie
nährt sich, atmet, wächst, empfindet und, höchste aller
Unbegreiflichkeiten, dieses Wunder stirbt nicht: eines Tages wandert in
dem Mikropünktchen das tausendmal kleinere Ultrapünktchen, der
Zentralkörper, spaltet sich und durchstrahlt das Plasma, der Kern
schwillt, das Chromatin in ihm windet sich wie eine erwachende Schlange,
bildet Rand, Knäuel, Schleifen, den Teilungsstern, spaltet sich und
wandert zu den Polen, und all dies, davon ein Menschenmund nicht
aufhören kann zu erzählen, vollzieht sich ohne Lärm und Laufen, ohne Rad
und Rauch, ja ohne daß wir mit den stärksten Mikroskopen überhaupt
sehen, daß etwas vorgeht, und dies alles in dem einen winzigen
Pünktchen, davon zwanzig auf dem i-Punkt Platz finden, ohne sich zu
drängen!

Und wie in der Leberzelle ist’s in allen anderen der 30 Billionen
Zellenpünktchen unseres Leibes. Was die Leberzelle vermag, das kann in
ihrer Art die Nierenzelle, die aus Blut den Harn bereitet, das schafft
die Darmzelle, die die Nahrungsstoffe aufnimmt oder die Magenzelle, die
Salzsäure und Pepsin fabriziert, die Herzzelle, die täglich 100 000 Male
zusammenzuckt, die Hirnzelle, die Gefühle empfindet und Gedanken erdenkt
und, größtes aller Wunder, in diesem Augenblick über ihr eigenes und das
Zauberleben ihrer Geschwister in Schwingung und Bewunderung gerät. 30
Billionen solcher lebender und webender Zellenpünktchen sind
ununterbrochen in deinem Leibe geschäftig, sie hüpfen und halten,
fließen und kriechen, bauen und brauen, sehen und hören, fühlen, denken,
wollen und wissen, und all ihr Leben zusammen, das ist dein Leben, das
bist du!

Wir und die Zellen, aus denen wir bestehen, sind eins. Ich bin sie, und
sie sind ich. Ist das Haar, das ausfällt, nicht ich? Ist der Nagelreif,
der sich am Scherenrande abrollt und nun am Boden liegt und fortgefegt
wird mit dem Kehricht, nicht ein Stück von mir? Bin ich etwas anderes
als meine Hand, als mein Hirn? Und sind sie etwas anderes als ihre
Zellen? Nehmt sie auseinander, Stück für Stück und Faser für Faser, daß
ihr auch nicht das kleinste Stäubchen übergeht, sie sind nichts als ihre
Zellen. Mensch ist ein Sammelname für eine Summe zusammenlebender
Zellen. Ihr Wohlsein ist unsere Gesundheit, ihre Krankheit unser Leiden,
ihr Sterben unser Tod. Wie es in Wirklichkeit kein Leben eines Volkes
gibt, sondern nur das Leben seiner Bürger, so gibt es im Grunde kein
Leben eines Menschen, sondern nur das Leben seiner Zellen. Wenn Staaten
Kriege führen, so sind es Menschen, die gegeneinander kämpfen, und nicht
Länder; wenn der Mensch Bewegungen ausführt, Säfte erzeugt, Schmerzen
empfindet, Gedanken denkt, so sind es Zellen, die sich bewegen, fühlen,
Säfte brauen, und nicht der Mensch. Der Mensch als solcher kann gar
nichts. Heiß dein Herz stille stehen! Befiehl deinem Darm, sich nicht zu
schlängeln! Halt den Umlauf deines Blutes ein! Erröte! Erröte nicht! O,
was gäbst du manchmal darum, wenn du nicht erröten ~müßtest~! Werde
einmal nicht müde, wenn deine Zellen schlafen wollen! Schlafe einmal,
wenn deine Hirnzellen munter sind und du dich nächtens qualvoll auf dem
Lager wälzst, vor Ohnmachtswut dem Weinen nahe! Stottere nicht,
Stammler! Steh auf, Gelähmter! Unmusikalischer, singe diese Melodie mir
nach! Erhebe dich auf den Flügeln des beschwingten Geistes,
Phlegmatiker! Ihr könnt nicht? Ach, nicht ihr seid es ja, die leben und
leiden, kraftvoll oder schwach sind, es sind eure Zellen, und den Zellen
könnt ihr nicht befehlen. „^L’état c’est moi^!” rief einst der König von
Frankreich, „Der Staat, das bin ich!”, und stolz wiederholt es heute ein
jeder von uns, da wir in Staaten leben, darinnen jedes Bürgers Stimme
gilt. Aber „^l’état c’est moi^!” hallt es nach in unserem Innern und
klingt das Echo durch die Reihen der 30 Billionen Zellenbürger unseres
Körpers, und jede Zelle wiederholt es stolz: „Der Mensch, das bin ich!”

Menschenleben ist Zellenleben. Wenn wir atmen müssen, so sind es Zellen,
die Luft begehren, und wenn wir Hunger haben, so hungert nicht uns,
sondern eine Gruppe von Zellen in der Magenwand verlangt nach Nahrung,
weil sie angefüllt ist mit Verdauungssaft. Nicht du bist es, der diese
Worte sieht, und nicht deine Augen sind es, sondern einzig und allein
ganz bestimmte Zellen des Augenhintergrundes, die die Fähigkeit erworben
haben, die Billionenzahl der Ätherzellen zu registrieren, und nicht du
bist es, der diese Wortbilder auffaßt und in Vorstellungen ummünzt,
sondern nur eine ganz bestimmte Gruppe von Zellen der grauen
Großhirnrinde besitzt die Fähigkeit, die Ätherwellen-Morsezeichen, die
der Sehnerv ihnen übermittelt, in Begriffe umzusetzen. Jeder Mensch kann
nur begreifen, denken und handeln, wozu die Zellen seines Hirnes ihn
befähigen. Raubt einem Menschen jenes Säulchen feiner Zellen, das in
seinen Ohren schwingt, und ihr machtet ihn, der eben noch entzückt den
Symphonien der Musik gelauscht, nun taub für alle Schönheit
atmosphärischer Rhythmen. Blättert die Tapete zarter Zellen seiner
Netzhaut ab, die so dünn ist wie eine Spinnenwebe, und ihr blendet den
lichtbegeisterten Genius zum ewig Blinden, der sich durch die
Finsternisse seiner Nächte wie ein Schatten hintastet. Was ist der
Mensch, der sich so groß und herrlich dünkt, so frei und niemand
untertan? Daß er sich mit dem Purpur des Königs umkleidet, mit dem
Hermelin des Kaisers umbrämt? Nicht einmal er selbst. Ein Zellensklave.
Er mag über ein Reich gebieten, in dem die Sonne nicht untergeht, er
kann nicht hundert Zellen seines Herzens befehlen; wenn sie erlahmen,
muß er sterben. Den Aufstand von Nationen mag er unterdrücken, gegen ein
Häuflein rebellischer Zellen in seinem Innern wird seine Königsmacht
zuschanden. Heute künden ihrer tausend seines Hirnes ihm den Dienst, und
dem Helden von gestern zittern die Knie; morgen fallen ihrer tausend ab,
und das Wort erstirbt ihm auf der Zunge, und er vergißt den Namen seines
Weibes; übermorgen werden abermals ihm tausend untreu, und er vergißt
sich selbst, dahin sind Seele, Geist, Charakter und Gemüt, — ein
lebender Leichnam, weniger als ein Hund, wälzt sich in seinem Unrat, und
die gefeierte Persönlichkeit von gestern ist heut ein irrer Leib, ein
Haufen Knochen und Gedärm ohne Halt und Herrschaft, der wunsch- und
willenlos verkommt, wenn sich der Wärter seiner nicht erbarmt. ... O
Mensch, o Mensch, du Alles und du Nichts! Den Dingen gegenüber so groß
und so mächtig, und dir selber so gar nichts und so nichtig, du Knechter
der anderen und Knecht deiner selbst, du Herrscher der Welt und Sklave
deines Ichs! Wasserfälle heißt du deine Räder treiben, Blitze deine
Nacht erhellen und auf Flügeln schwingst du dich, der Urgesetze
spottend, über Wolken, und doch:

    „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
    Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
    Du bleibst doch immer, was du bist”,

— eine Kolonie punkthaft kleiner Tierchen, die nicht du sind und denen
du nicht zu befehlen hast, sondern die dir befehlen und dich heißen, das
zu tun und das zu sein, was sie sind. Sterne wiegst du in den Nächten,
malst Madonnen, lockst aus Saiten Symphonien, den Adler stürzt du aus
den Lüften und die Zeder neigt vor dir die Wipfel, — und in dir selber
bist du eingekerkert in die Zelle eines Pünktchens, das zu klein ist,
daß dein Aug es sähe, und zu fein, als daß dein Fuß es träte, und doch
dein so wenig achtend, daß es nicht den flehendsten Wunsch dir ablauscht
und nicht die bescheidenste Bitte dir erfüllt. Wie es lebt, so mußt du
sein, und wenn es stirbt, so mußt du sterben, ob auch Locken deine
Stirn noch schmücken und du noch mit offenem Munde nach den Wonnen
dieses Lebens langst, denn das Pünktchen, dieses fremde, eigenlebende,
dir nicht dienende und dein nicht achtende Pünktchen, die Zelle, das
bist du! Du großer, kleiner Mensch! Du armer Reicher! Soll ich vor dir
niederknien und dich preisen, daß du so groß bist, oder mein Haupt
verhüllen und dich beweinen, daß du so elend, du wunderlicher Sohn des
Chaos? Du wandelnder Widerspruch! Zellenherr und Zellenknecht!

Die Amöbe ist eine Einzelzelle. Sie ist ein Einsiedler, der allein
gestellt seine Tage verbringt und alle Notwendigkeiten des Lebens selbst
verrichtet. Weitaus die meisten Wesen der Welt sind Einzeller. In einem
Wiesentümpel leben ihrer mehr und vielleicht ebenso verschiedene wie die
ganze Nordsee an Vielzellen beherbergt. Trotz ihrer einzelligen Natur
haben sie sich hoch über ihre Stammesmutter, die Amöbe, entwickelt und
ihre eine Zelle in so wunderbarer und den großen Geschöpfen ähnlicher
Weise ausgebildet, daß man sie früher nicht für Zellen, sondern für
verkleinerte Tiere mit Augen, Gedärmen, Knochen und Gehirn gehalten hat.
Sie haben sich Schutzdecken gebaut, Panzer von oft bezaubernder
Schönheit, Füßchen, Wimpern, Fühler, Schwänze, Stacheln ausgestreckt,
Hohlräume, Furchen, Kanäle, Säume, Muskelfasern, Stiele, Rippen,
Augenflecke gebildet, so daß Fülle und Buntheit der Formen und des
Lebens das Reich der Einzeller zu einem geradezu phantastischen Paradies
gestalten, in das man durch jeden Tropfen Wassers aus Teich, Tümpel,
Fluß, Aquarium, Blumenglas und Heuaufguß hineinschauen kann und zu
dessen Studium ein ganzes Menschenleben nicht hinreicht. Die Bakterien,
die jedes Winkelchen der Erdoberfläche in unaussprechlichen Scharen
bevölkern, die Kieselalgen, die weite Strecken Landes überdecken, die
Pilze der Hefe, die Aufgußtierchen (Infusorien), die herrlichen
Strahlentiere (Radiolarien), die Haeckel aus der Tiefsee fischte, und
die Kreidetiere, die den Jura aufbauen, sind Einzeller.

Neben dieser Einzelausbildung tritt schon frühzeitig eine andere Art der
Vervollkommnung und Schutzwehr auf, die Zellvereinigung, so wie im
Menschenreich neben den Einsiedlern und Raubrittern die Zünfte sich
entwickelten. Als ein Urtrieb offenbart sich schon auf niederster Stufe
die Sehnsucht nach Verkettung, Familienbildung, Gesellschaftsleben.
Amöben einfachster Art fließen zusammen und bilden Amöbenverbände; die
Lohblüte auf der Gerberlohe, an der Reinke seine Plasmauntersuchung
vornahm, ist ein solcher Verband von Amöben (Abb. 22^a^, Tafel ^VII^).

Sobald die Zellen eine feste Gestalt angenommen haben, können sie nicht
mehr einfach zusammenfließen wie die tropfenhaften Amöben. Sie können
sich nur aneinanderlegen, zusammen hausen und Kolonien bilden wie
nebeneinander wohnende Menschen. Das reizende Glockentierchen
(Vorticella) wohnt in solchen Kolonien, wie sie Ehrenberg, der
Altmeister der Infusorienforschung, in nebenstehendem Bilde gezeichnet
hat (Abb. 22^b^).

[Illustration: Abb. 22^b^. 1. Stufe der Zellengemeinschaft: Offene
Kolonie durch gemeinsamen Wohnsitz (Glockentierchen).]

Jedes dieser Glöckchen ist eine Zelle, die aus einer Plasmaglocke mit
Wimpersaum und einem Stiel besteht, der sich wie eine Spiralfeder
zusammenrollen kann. Am äußersten Rande der Kolonie sitzt ein einzelnes
Tier. Wie eine Tulpe schwebt das Glöckchen auf dem Stiele, die Wimpern
seines Saumes schlagen rhythmisch im Kreis und erzeugen einen Strudel,
in den kleine Tierchen hineingewirbelt werden, um für immer in dem zwar
schönen, aber gefräßigen Kelch zu verschwinden. Da kommt ein hungriger
Feind, ein Kesseltier, herangerudert. Wie ein Raubtier stürzt es sich
auf das einsame Glöckchen, und ehe wir recht erkennen, was geschieht,
hat der Unhold wie ein Knabe eine Distel die Glocke von ihrem Stiel
gerissen und verschlungen. Dicht daneben schlägt die zwanzigzellige
Kolonie als ein wahrer Baum des Lebens mit tausend Wimpern. Das
Kesseltier stürzt beutelustig auch auf seine Glocken, aber da packt es
der Strom des strudelnden Baumes, und nur mit Mühe entrinnt es der
Charybdis. So bewährt sich die Macht der Einigkeit. Der Strudel der
zwanzig Glockentiere ist zwanzigmal stärker in der Herbeischaffung der
Nahrung, zwanzigmal stärkere Tiere werden von jeder einzelnen Glocke
gefangen, und naht ein Feind, so wehren zwanzigfache Kräfte seinen
Angriff ab.

[Illustration: Abb. 22^c^: 3. Stufe der Zellgemeinschaft. Geschlossene
Kolonie durch auflösbare Kugelgemeinschaft von Wimpernzellen
(Norwegische Flimmerkugel).]

Stiellose Zellen vereinigen sich zumeist durch einfaches Aneinanderlegen
und Gruppieren um einen Mittelpunkt, wodurch sie Zellkugeln bilden.
Haeckel fand in den nordischen Gewässern eine Zellenkolonie aus 32
Einzelzellen, die eine Kugel bilden und sich mit Flimmern im Meere
tummeln. Nach einer gewissen Zeit zerfällt die Kugel, und die
Einzelzellen werden wieder frei (Abb. 22^c^).

In dieser Freiheit der Einzelzelle liegt das Wesen der Kolonie im
Gegensatz zum Organismus. Jede Koloniezelle ist ein freies Individuum,
das sein eigenes Leben führt, aus dem Zellverband austreten und wieder
ein Einzeltier werden kann. Aber das dauernde Zusammenleben führt bald
zu Folgen, die für die Einzelzelle wie für den Zellverband von der
tiefgehendsten Bedeutung werden. Eine kugelige Zellenkolonie steht der
Außenwelt genau so gegenüber wie die kugelige Einzelzelle. Wie in
dieser müssen sich auch hier die Fähigkeiten der Bewegung und Empfindung
in den Außenbezirken, die der Verdauung und Fortpflanzung im Innern der
Kugel entwickeln. Die Außenzellen, in dauernder Bewegung begriffen und
unter ständigem Einfluß der Reize der Umwelt, werden Spezialisten der
Bewegung und Empfindung; in die abgeschlossenen Innenzellen wandern die
Nahrungsstoffe und werden hier verdaut, wandern die wichtigen Erbmassen
und werden hier in besonderen Zellen, den Keimzellen, aufgespeichert.
Durch diese einseitige Ausbildung verlieren die äußeren Zellen die
Fähigkeit der Verdauung und Vermehrung, verlernen die inneren die
Bewegung und Reizaufnahme, jene können ohne diese, diese können ohne
jene nicht mehr sein, sie müssen von nun an untrennbar verbunden
miteinander leben und miteinander sterben, — die Kolonie ist zum
Organismus geworden.

In unseren Teichen lebt eine Zellkugel, Volvox oder Kugeltier genannt.
Die Botaniker nennen den Volvox eine Pflanze, die Zoologen ein Tier, in
Wahrheit steht er am Scheideweg der großen Lebensstraße, die aus der
gemeinsamen Urheimat der Einzeller in die beiden Schwesterreiche der
Pflanzen und Tiere führt. Dieser Volvox ist keine Kolonie mehr. In der
norwegischen Flimmerkugel sind alle Zellen gleich und alle im Besitze
aller Lebensfähigkeiten. Die Zellen des Volvox dagegen haben sich durch
Arbeitsteilung in zwei Klassen geschieden, die Körperzellen und die
Keimzellen, die auf je eine Kugelhälfte verteilt sind. Die Kugelhälfte
mit den Körperzellen ist bei der Bewegung nach vorn gerichtet; ihre
Zellen ertasten den Pfad und suchen die Nahrung. Die Keimzellen der
Gegenhälfte kümmern sich nicht um die Außenwelt, ihre Bestimmung sind
innere Aufgaben, sie dienen einzig der Fortpflanzung, und aus ihrem
Bezirk wachsen die Tochterkugeln, die sich später von der Mutterkugel
lösen. Durch diese Arbeitsteilung haben die Körperzellen die Fähigkeit
verloren sich fortzupflanzen, haben die Keimzellen verlernt, Nahrung zu
suchen, sind sie untrennbar aufeinander angewiesen, ist die Volvoxkugel
ein unteilbares Ganze geworden. Der Volvox ist der erste Zellverband mit
Arbeitsteilung, der erste Organismus (Abb. 22^d^, Taf. ^VII^).

Die älteste und wichtigste Arbeitsteilung im Organismus ist die
Scheidung in Körper- und in Keimzellen. Bei höherer Entwicklung treten
in beiden Gruppen weitere Arbeitsteilungen ein. Die Keimzellen sondern
sich in männliche und weibliche. Die Körperzellen scheiden sich zuerst
in Bewegungs- und Ernährungszellen; alsdann die Bewegungszellen wieder
in solche, die den Weg ertasten, dadurch das Gefühl ausbilden und
Sinneszellen werden, und in solche, die sich ausschließlich der
Fortbewegung widmen und zu Muskelzellen umwandeln. An der
Körperoberfläche bildet sich ein Teil der Zellen zu Schutzzellen,
Panzer- und Deckzellen, aus, oder zu Kampfzellen, die Stacheln
ausstrecken und Gifte ausscheiden. Unter den Sinneszellen werden die
einen Spezialisten für die Aufnahme von Lichtreizen (Sehzellen), die
anderen von Schallwellen (Hörzellen). Die Ernährungszellen teilen sich
in solche, die die Nahrung aufnehmen, indem sie diese mit Wimpern in den
Körper hineinstrudeln (Wimper- oder Flimmerzellen), und solche, die im
Innern des Körpers die hineingestrudelte Nahrung durch Säfte chemisch
zerlegen und verdauen (Drüsenzellen). Weitere Arbeitsteilungen unter
ihnen führen zur Ausbildung von Lungenzellen für die Aufnahme der
Atemgase, von Blutzellen für den Umlauf der Gase, von Nierenzellen für
die Ausscheidung der Verdauungsschlacken, von Fettzellen für die
Speicherung der Nährstoffe, Nervenzellen für die Leitung der Reize usw.,
so daß der Körper eine immer feinere Organisation erfährt, bis wir
schließlich in den höchsten Geschöpfen Zellenstaaten mit hundert
verschiedenen Zellspezialisten vor uns sehen, die, wie im Menschenstaat
die verschiedenen Berufe, für einander arbeitend und auf einander
angewiesen, harmonisch und festgefügt zusammenleben. Der Zellenstaat des
menschlichen Körpers ist ein Staatswesen von einer Größe und
Durchbildung der Organisation, daß selbst der genialste Staatsmann aus
seinem Studium die fruchtbarsten Anregungen zu schöpfen vermöchte. Seine
Übereinstimmung mit dem modernen Staatswesen ist so durchgreifend, daß
sie sich weit über das Maß eines äußeren Vergleichs erhebt und im Lichte
einer einheitlichen Naturauffassung den Menschenstaat als die natürliche
Höherordnung des Zellenstaates erscheinen läßt.

Der menschliche Zellenstaat vereinigt 30 Billionen Bürger, also rund
500 000 mal soviel wie das Deutsche Reich. Seine Verfassung ist im
Gegensatz zur Monarchie des Bienenstaats die einer Republik, in der die
Bürger in Kasten eingeteilt sind, unter denen die gebildetsten,
entsprechend ihren höheren Fähigkeiten, nach genau festgelegten
Machtbefugnissen die Vorherrschaft führen. Man kann sagen, der
Zellenstaat ist eine Republik unter der Vorherrschaft einer erblichen
Geistesaristokratie. Diese Geistesaristokraten sind die Hirnzellen.
Anarchie und Tyrannei sind in der Zellenrepublik unbekannt,
Regierungsschwäche und Bürgerstreitigkeiten selten. Die persönliche
Freiheit des einzelnen Bürgers ist sehr gering. Die Wirtschaftsform ist
ein strenger Kommunismus mit genau vorgeschriebenen Arbeitspflichten
und ebenso genau abgemessenem Arbeitslohn. Freie Arbeitswahl,
Eigenwirtschaft, Privatbetriebe, eigennützige Gesellschaftsbildung,
Anhäufung von Vermögen zuungunsten der Nachbarn und der Allgemeinheit,
Selbstversorgung, Freizügigkeit, Luxus und freiwillige oder
unfreiwillige Arbeitslosigkeit sowie Rentenwirtschaft und Zinsunwesen
sind im Zellenstaat nicht gäbe.

Jede Kaste hat ihren vorgeschriebenen, angeborenen, wie bei den
japanischen Meistern vom Vater auf den Sohn ererbten und dadurch zu
höchster Blüte getriebenen Beruf, arbeitet für den Staat und wird dafür
vom Staat mit allen Mitteln versorgt. Die Hauptkasten sind: die
Bewegungszellen, die zu Muskelheeren vereinigt sind; die Drüsenzellen,
die in den chemischen Staatsbetrieben der großen Körperdrüsen arbeiten,
in den Speicheldrüsen des Mundes Speichel, in den Salzsäurefabriken des
Magens Pepsin und Salzsäure, in den Zuckerraffinerien der Leber Zucker
und Stärke, in den Molkereien der Brüste Milch, in den Gerbereien der
Haut Leder, in den Hornfabriken der Haare Schildpatt und in den Ölmühlen
der Gelenke Achsenschmiere bereiten. Der weitaus größte Teil der Zellen
dient dem allgemeinen Verkehr, der den Fabriken die Betriebsstoffe
zuleitet, die fertigen Erzeugnisse im Lande verbreitet, die
Nahrungsmittel umherträgt und die Abfallstoffe ausführt. Diese
Verkehrszellen sind die Blutkörper, die Goldmünzen des Reiches, die im
Knochenmark geprägt werden und in dem Innern der panzerfesten Gebeine
sicherer liegen als in den Wasserkellern und Stahlkammern unserer
Banken. Der Zellenstaat hat seine Börsen, Banken, Münzen und
Wechselkassen. Die Reichsmünze ist das Knochenmark. Hier wird das Gold
des Blutes geprägt. In jeder Sekunde verlassen fünf Millionen Münzen die
Prägeanstalt und laufen in den fließenden Geldstrom des Zellenstaates,
das Blut. Die Reichsbank ist die Leber, die den Geldstrom dauernd
kontrolliert, das abgenützte Geld einzieht, einschmilzt und das
Rohmaterial zu neuer Prägung an das Mark zurückführt. Die Bankfilialen
sind die kleinen Lymphdrüsen, die über das ganze Reich verteilt und an
jeder Straßenecke und Wegkreuzung aufzufinden sind. Sie dienen zugleich
als Zollstationen, in denen das vorbeifließende Blut auf
staatsfeindliche Gifte und Fremdware untersucht wird. Eine Hauptfiliale
ist die Milz, die daher bei allen Vergiftungskrankheiten mit den
Lymphdrüsen anzuschwellen pflegt. Der im Umlauf befindliche Geldbestand
des Reiches wird mit Beharrlichkeit auf 22 Billionen Einzelmünzen
gehalten. Die Überschüsse, die der Staatshaushalt erzielt, werden nicht,
wie unzweckmäßigerweise in unseren Menschenstaaten, in der
unverwendbaren Form von Gold, sondern als brauchbarer Rohstoff in
Gestalt von Fett durch eine besondere Zellkaste aufgespeichert und
verwaltet. In den weitverbreiteten Fettspeichern der Unterhaut, in allen
Lücken zwischen den Organen und längs der großen Aderstraßen werden die
Fettvorräte gesammelt und bilden für die Zeit der Not und Kriege
unerschöpfliche Lager von Munition und Proviant. Die regierende Kaste
des Zellenstaates, die Nervenzellen, führen hoch oben in der palastartig
ausgebauten Schädelkapsel, wahrhaft an der Spitze des Staates, als
Gehirn ihr zwar sorgenfreies, aber verantwortungsvolles und
inhaltschweres Leben. Milliarden von Zellbeamten sind hier als erste
Diener ihres Staates tätig. Die einen arbeiten in den Handelsministerien
des Nackenmarks, das die Kanäle und Schleusen der Blutbahn reguliert und
durch Weiten der Adern das Blut je nach Bedarf der Nahrungseinfuhr in
die Därme, bei Muskelarbeit in die Muskeln, bei Gedankentätigkeit ins
Hirn und bei Kälte in die äußere Haut hinleitet, um so den frierenden
Grenzbewohnern Wärme zu senden. Andere arbeiten in den Ministerien des
Verkehrs, das den Lauf der Muskel leitet, die Finger führt, die Zunge
zur Sprache und die Augen zum Lesen bewegt. Im Kultusministerium der
grauen Großhirnrinde sitzen die Denkzellen, die Gedanken ersinnen,
Erinnerungen in die Registratur des Gedächtnisses schreiben, Zahlen in
ihren Rechnungsbüchern zusammenstellen, Eindrücke in die Wachsplatten
des Gemütes prägen und die Begriffe in das Fachwerk der Logik reihen.
Tausende sitzen an den Morseapparaten der Sehhügel und befördern nach
dem Rhythmus der Ätherwellen, die in dieser Sekunde von den Buchstaben
dieser Worte in dein Auge fallen, das Morsealphabet der Lichtsignale in
die Ministerien der Erinnerungen und Wortbildungen, der Ideenverbindung
und Gefühlsverkettung. Tausende sitzen an den Telephonen der Ohrleitung
und verbinden die einzelnen Regierungsabteilungen mit den Anrufen der
Außenstaaten, die durch die Luft drahtlos wie Funksprüche
herüberklingen. Durch ein einzigartiges Telegraphennetz mit
hunderttausend Haupt- und Nebenleitungen, Schaltungen und Umformern
stehen die Regierungsabteilungen untereinander und mit allen Organen des
Reiches in Verbindung und führen Tag und Nacht die diplomatischen
Geschäfte des Zellenstaates. Ein Wille der Regierung, und das
Staatspumpwerk des Herzens verdoppelt seine Schlagzahl, ein Befehl der
obersten Zellbehörde, und der Magen entleert durch Brechen seinen
Inhalt, der als staatsverderblich befunden wurde. Eine Beleidigung der
Regierung, und flammende Röte des Angesichts kündet den Zorn des
beleidigten Volkes, eine Bestürzung der Schwäche in dem Kabinett der
obersten Leitung, und das Staatsgebäude erzittert in seinen Festen durch
Mark und Bein.

Der Größe und inneren Organisation des Staatswesens sind seine
technischen Einrichtungen würdig. Seine Hautgrenze ist mit Milliarden
Panzerplatten aus Horn, den Hautzellen, befestigt. Ein dichter Wald von
Haaren deckt sie. Unzählige selbsttätige Signalapparate melden als
Tastkörper fremde Berührung, als Wärmeapparate das Nahen von Hitze, als
Fühlhaare den kalten Luftzug, als Schmerzpunkte erlittenen Schaden.
Gewaltige Sinnesorgane spähen als Festungen hinaus in Feindesland: die
beiden Riesenleuchttürme der Augen, die die Ätherwellen des Weltalls
auffangen und weiter reichen als alle Leuchttürme der Nordsee; die
beiden gewaltigen Schallapparate der Ohren, die die Wetterstationen für
die Wellenstürme der Atmosphäre sind, und der Gasalarmapparat der Nase,
der giftige Dämpfe signalisiert.

Die Einfuhr überwacht der Mund, der große Einfahrtshafen des
Zellenreiches, in dem die wachsamste und unbestechlichste Zollbehörde,
die nur ein Staat sich wünschen kann, mit tausend Geschmacksapparaten
auf Zunge und Gaumen alle einlaufenden Waren überprüft, mit Wollust alle
labenden Speisen passieren läßt, mit Abscheu allen widerwärtigen Unrat
zurückweist. Das diamantenscharfe Fallgatter der Zähne überwölbt als
Festungstor die Einfahrt, fällt auf alle übermäßig große Frachten
nieder, teilt sie in Postpakete und übergibt sie Wangen und Zunge, die
sie zu Bissen formen, mit Speichel schlüpfrig machen und dann in der
idealen Torpedoform genau wie unsere Rohrpostbüchsen in den großen
Verkehrskanal der Speiseröhre hinuntertreiben. Die eingeführten Waren
werden in der großen Zentralmarkthalle des Magens aufgespeichert, mit
Salzsäure desinfiziert, geschichtet und gestapelt und wandern dann
wieder in kleinen Paketen in den Canale grande des Körpers, den Darm.
Hier werden sie durch Säfte, die aus tausend chemischen Fabriken in
Röhren zuströmen, verflüssigt und zersetzt und wandern durch
Aufsaugröhren nun nochmals einer großen Quarantänestation zu, um hier
abermals geprüft zu werden, ehe sie in diesem idealen Land der
Volkshygiene frei verhandelt werden dürfen. Diese große
Quarantänestation des Zellenstaates ist die Leber. Erst aus dieser
wandern sie zollfrei in das Leitungsnetz der Adern und damit in das
eigentliche Innere des Landes. Dieses Adernetz ist das gewaltigste
Leitungssystem, das je einen Staat versorgt hat. Was sind die
Wasserleitungen von Rom und Babylon gegen das Adernetz des
Zellenstaates? Eine gewaltige Zentralpumpe treibt Tag und Nacht durch
Kolbenstöße das Blut über einen hochgewölbten Wasserbogen durch
elastische Gummiröhren, die sich in immer feinerer Verzweigung über alle
Provinzen des Reiches ausbreiten und schließlich in feinsten Leitungen
an allen Zellhäusern vorüberführen. Diese Kanäle haben keine Schleusen
und keine Wehre, diese Leitungen keine Hähne und Hebel, sie sind die
ideale schrauben- und gewindelose, elastische, sich selbst regulierende,
nach Bedarf verengernde und erweiternde Wasserleitung, die der
Zukunftstraum aller Techniker ist. Diese Leitung führt nicht nur das
Wasser, sie leitet Nahrung, Gas und Wärme, führt das Arbeitsmaterial für
die Fabriken, sie führt den Unrat und die Abwässer, sie vermittelt allen
Frachtverkehr und Warenumsatz, allen Straßenhandel und Personenverkehr,
sie ist die erträumte Universalstraße des Zukunftsstaates, Wasserleitung
und Gaskanal, Abflußrohr und Straßengosse, Warmwasserleitung und
Dampfheizung, Bürgersteig, ^Trottoir roulant^ und Fahrdamm,
Schiffahrtsweg und Schienenstrang, Fahrstuhl und Rohrpost zugleich. Aus
dieser einen Röhre schöpft der Zellenbürger sein Wasser und sein Salz,
sein Brot und sein Eiweiß, sein Fett und seinen Zucker, seinen
Sauerstoff, seine Wärme und alle Rohmaterialien, die er für seinen
Spezialberuf benötigt. In sie wirft er alles hinein, dessen er sich
entledigen will, seinen Kot, seinen Kehricht, seine Abwässer und
Speisereste, das ausgehauchte Atemgas und die Waren, die er in seiner
Werkstatt verfertigt. Der Zellbürger braucht nicht auszugehen, um
einzukaufen, sich nicht zu sorgen, daß er ernährt wird, er braucht keine
Frau zu nehmen, die ihm sein Mittag kocht, und keine Magd, die ihm
seinen teuren Braten verbrennt; er braucht nicht zu heizen, keine Luft
zu schöpfen im Stadtpark und auf seinen Nachbarn nicht neidisch zu sein.
Er erhält durch die große Staatsleitung alles, was er zum Leben braucht,
und alle Bürger erhalten das gleiche. O du Schlaraffenland des Lebens!
An dessen Häusern der Quell der Nahrung immerwährend vorüberfließt,
dessen Bürger nur zu schöpfen brauchen, um zu genießen, in dem die Not
nicht bekannt und der Neid nicht zu Hause, in dem alles jedem und jedem
alles gehört.

Die Abfallstoffe auszuscheiden, durchläuft das Blut die beiden großen
Wasserwerke der Nieren, in denen es in vielgewundenen Filtern entgiftet
und geklärt wird, und fließt dann von neuem um. Die ausfiltrierten
giftigen Abwässer laufen durch lange Röhren in das große Sammelbecken
der Blase und werden von hier in abgemessenen Mengen ausgeschieden. An
diese große Zentralleitung des Blutes ist neben der Maschinenhalle des
Herzens als Riesenventilator die Lunge angeschlossen, in der in 1800
Millionen einzelnen Luftkammern die 22 Billionen Sauerstoffballons der
roten Blutkörper ihrer Kohlensäure entladen und frisch mit Sauerstoff
gefüllt werden, in jeder Sekunde eine Billion, rasch und geräuschlos, um
dann von neuem in behendem Lauf davon und in der unvorstellbaren Kürze
einer halben Minute durch die ganzen Aderstraßen des Reiches
hindurchzueilen.

So lebt der Zellenstaat in gigantischer Größe, Schönheit und
Vollkommenheit ein ideales Leben des tätigen Friedens und der
bürgerlichen Eintracht. Aber auch im Reich der Zellen gibt es Feinde und
Gefahr, Kämpfe und Kriege, gegen die der Großstaat durch ein stets
wehrbereites Heer sich wappnet. Die Kriegskaste des Zellenstaates sind
die Wanderzellen (Leukozyten), die in der Milz, den Lymphdrüsen und den
weitverbreiteten Lymphgeweben geboren werden. Aus diesen wandern sie,
als einzige von allen Zellen frei beweglich, frühe aus und führen in
allen Gängen, Gassen und Plätzen des Zellenlandes ein abenteuerreiches
Amöbenleben. In den Tagen des Friedens sind die Wanderamöben die Polizei
des Zellenstaates. Wie der Polizist in den Straßen unserer Städte auf
und nieder geht und überschaut, ob alles Leben sich im Sinn der
Staatsgesetze vollzieht, so wandern die Zellpolizisten Tag und Nacht in
den Aderstraßen, den Lymphwegen, auf den Plätzen zwischen den großen
Organen, in den Hohlwegen der Gelenke und in den Schächten der Drüsen
wach- und regsam umher. Nicht als Müßiggänger; vielseitig sind ihre
Aufgaben und Arbeiten. Sie sind Straßenreiniger: wo sie einen Abfall
sehen, der nicht in die Gosse lief, packen sie ihn und tragen ihn fort.
Ist ein Fremdkörper eingedrungen in den Zellenstaat, liegt ein
Splitterchen unter der Haut, ein Krümchen in der Gurgel, ein Fäserchen
zwischen den Zähnen, ein Sandkörnchen in einer Falte des Darms, so
laufen sie von allen Seiten herbei, spritzen Laugen und Säuren über ihn,
daß er sich löse, oder nagen an ihm und fressen ihn auf, oder brechen
ihn, wenn dies nichts fruchtet, unter Hilfe ganz besonders
athletenhafter Riesenzellen Stück für Stück ab und tragen die Bröckchen
davon, oder sie bahnen schließlich, wenn auch dies nicht möglich, wie
Schneeschaufler im Winter eine Gasse durch das Gewebe, indem sie dieses
zerstören, und „eitern” ihn so heraus. Sitzt er aber zu fest oder tief,
so mauern sie ihn mit Kalk und Mörtel als „Narbe” in das Gewebe ein. In
den Zeiten starker Einfuhr unterstützen sie den Verkehr als Lastträger
beim Transport der Waren aus dem Darm in die Gewebe. Zu Millionen eilen
sie nach der Mahlzeit aus allen Provinzen des Reiches an das Ufer des
Darmkanals, nehmen das Fett der Nahrung in feinsten Tröpfchen in sich
auf, wandern damit in die Adern und Lymphgänge, stürzen sich in den
fließenden Strom und schwimmen fettbeladen in die Gewebe, wo sie ihre
Fracht wieder abgeben. Endlich sind sie noch die Totengräber des
Zellenstaates. Wo eine Zelle stirbt, eilen sie hin. Menschliche
Sentimentalitäten sind dem Zellenstaate fremd. Die Leichen werden nicht
mit Pomp und Reden begraben und nicht verbrannt, sondern als wertvolles
Wirtschaftsmaterial wie die Tierkadaver in unseren Abdeckereien
verwertet. Die Totengräber fressen die Leichen, und so kommt diesem
Idealstaat der praktischen Wirtschaftsführung das Material der toten
Zelle, das er der lebenden vorher gespendet, wieder zugute als Kraft und
Stoff für neue Zellen, neues Leben.

In den Tagen der Gefahr dienen die Wanderzellen ihrem Vaterland als ein
erprobtes Kampfheer von gewaltiger Schlagkraft.

Durch eine Schnittwunde der Haut wurde die Grenze des Reiches
durchbrochen. Feinde des Staates, Bakterien, sind durch die Bresche in
den Festungsgürtel eingedrungen. Sie morden die Zellen der Grenzwacht,
besetzen die Ufer der Adern und mästen sich an dem rot fließenden Gold
des Blutes und den warmen Nahrungssäften der vielverzweigten
Lymphkanäle. Die Signalstationen der Haut senden Schmerzdepeschen an das
Ministerium der Empfindung. Die Wunde brennt und pocht wie das Tickwerk
eines läutenden Alarmapparates. Das Ministerium verkündet die
Mobilmachung, und eine in des Wortes wahrstem Sinne fieberhafte
Tätigkeit bemächtigt sich des ganzen Staates. In allen Werkstätten
beginnt die Herstellung des Kriegsmaterials. Alle Essen werden geschürt,
in allen chemischen Drüsenfabriken werden Abwehrstoffe hergestellt, das
Herz schlägt schneller, die Lunge atmet hastig, um die Sauerstoffzufuhr
zu erhöhen, durch die gesteigerten Verbrennungen in allen Arsenalen und
Hochöfen, durch die vermehrte Reibung des rascher strömenden Blutes
steigt die Innenwärme über das gewöhnliche Maß, das flammende Signal des
Krieges im Zellenstaat leuchtet empor: das Fieber. Dem Übermaß der Wärme
zu steuern und die gewaltig anschwellenden Massen giftiger Schlacken aus
allen Betrieben zu entfernen, pumpen die Drüsen der Haut wahre Ströme
schlackenbeladenen Schweißes aus dem Organismus. Aller Außenhandel wird
gesperrt. Die Einfuhr liegt lahm: es fehlt der Appetit. Die Ausfuhr ist
unterbrochen: der Darm ist träge. Das Gehirn erhält nur wenig Blut: der
Kranke ist schläfrig und matt, das geistige Leben muß ruhen. ^Inter arma
silent artes.^

Während so in allen Werken mit Hochdruck die Waffen geschmiedet werden,
gehen Mobilisation und Aufmarsch der Armeen vonstatten. In allen
Landesteilen werden die Zellsoldaten ausgehoben. Die Riesenkaserne Milz
schwillt an, ruft Seitenstechen des Fiebernden hervor. In den
Rekrutendepots des Knochenmarks werden die neuen Soldaten ausgehoben,
das Mark wird zellenreich und füllt die Knochen, daß der Kranke eine
bleierne Schwere in allen Gliedern verspürt. Die Zellbesatzungen der
Lymphdrüsen in der Umgebung des angegriffenen Platzes verstärken sich:
die Drüsen schwellen an und schmerzen. Um die Heere der Wanderzellen aus
dem Innern des Landes an den Kriegsschauplatz zu befördern, öffnen sich
die Blutkanäle und Lymphstraßen, die zum Kampfplatz führen: das
verletzte Glied wird blutvoll, rot und heiß: es entzündet sich.

Am Kampfplatz angekommen, wandern die Zellsoldaten durch die feinen
Lücken der Adern aus dem Blute heraus und eilen dem Feinde entgegen. Von
ihren Legionen erfüllt, schwillt das Gewebe. Und nun entspinnt sich
unter dem Bilde der Entzündung ein Kampf, der an Strategie der
allgemeinen Führung wie an spannungsreichen Einzelheiten den
Völkerschlachten der Menschenkriege nicht nachsteht.

Mit allen Mitteln und Waffen vollzieht sich der Kampf Masse gegen Masse
und Mann gegen Mann. Infanteristen greifen die Feinde an. Die einen
gehen gegen ihre Gegner los, überfließen sie wie Amöben die Algen und
fressen sie. Andere opfern heldenhaft ihr Leben dem Wohl des
Vaterlandes, indem sie sich mit den Leibern ihrer Feinde füllen und dann
von ihnen und ihren Giften vernichtet mit ihnen sterben. Wieder andere
erzeugen Gifte in sich und spritzen sie aus über ihre Gegner, die ihm zu
Haufen erliegen wie die Menschen den Dämpfen giftiger Gase (Abb. 23,
Tafel ^VIII^).

Währenddes sind die Pioniere in den rückwärtigen Linien beschäftigt
Stellungen zu bauen, Dämme, Barrikaden aufzuschichten, daß der Feind
nicht durchbreche, wenn er die Übermacht gewinnen sollte im Kampf,
Anmarschstraßen zu bahnen für die aufmarschierenden Armeen und eine
freie Bahn zu schaffen, durch die man den geschlagenen Feind aus dem
Reiche vertreiben könne. Wie im Menschenkriege fallen auch hier die vom
Unglück betroffenen Bewohner des Kriegsgebietes den rauhen
Notwendigkeiten der Strategie zum Opfer. Ihre Häuser werden zerstört,
sie selbst getötet oder vertrieben. Unbarmherzig für sie, aber wohltätig
für die Gesamtheit ebnen die Pioniere unermüdlich das Gelände, indem sie
es durch ätzende Verdauungssäfte zerstören, bis die ganze Wundgegend
flüssig wird, und eines Tages bricht die Gasse nach außen durch, und der
große strategische Zweck ist erreicht: als Eiter werden die Leichen der
erlegenen Zellsoldaten und mit ihnen Myriaden lebender und toter
Bazillen, werden alle zersetzenden Säfte und Leichengifte, wird das
ganze Schlachtfeld mit seinen Trümmern und Fetzen ausgestoßen — eine
Erlösung für den von den Giften und Fiebern, den Schmerzen und Schrecken
des Zellenkampfes gepeinigten Kranken. Wie ein Land nach einer großen
Vertreibungsschlacht des eingefallenen Feindes atmet er auf.

Aber noch ist der Krieg nicht entschieden; nur eine Schlacht ist
gewonnen. Noch wochenlang kann sich der Kampf auf der Walstatt der
eiternden Wunde hinziehen. Wie im Völkerleben gibt es ungestüm geführte,
kurze Schlachtenkriege mit rasch erweichenden Wunden, brennendem Fieber,
rasenden Schmerzen und baldiger Erlösung; gibt es langsam und
schleichend sich hinziehende Dauerkriege ohne stürmische Kämpfe, die mit
den Mitteln der Blockade durch Unterbindung der Nahrungseinfuhr und
Handelsausfuhr, durch Appetitlosigkeit und Darmverhaltung, durch
langsamen Knochenfraß an den Markfinanzen des Reiches, durch Verbrauch
der Fettbestände des Reichshaushaltes, durch Auszehrung und schließlich
durch Erschöpfung der Nervenregierung unter dem Einfluß der
schleichenden Gifte bis zur Entscheidung ausgefochten werden. Siegen die
Heere und Kräfte des Zellenstaates, so endet der Kampf mit der
Vertreibung der Bakterien. Das verwüstete Schlachtfeld wird von den
Pionieren durch Aufbau von Narbengewebe wiederhergestellt. Siegen aber
die eingedrungenen Bakterien, so geht entweder dem Zellenstaat die vom
Feind besetzte Provinz verloren: das Glied stirbt ab; oder die Heere der
Gegner brechen siegreich in die verteidigten Dämme der Blutbahn ein und
überschwemmen das Reich wie einst die Hunnenheere Europa, und der
Zellenstaat findet unter der Fremdherrschaft der Bakterien durch
Blutvergiftung einen vorzeitigen Tod.

So lebt der Zellenstaat der 30 Billionen unseres Leibes. Wie im
Menschenstaat gibt es in ihm Volk und Regierung, Kasten und Berufe,
Rechte und Pflichten, Handel und Industrie, Wirtschafts- und
Geistesleben, Wehrmacht, Krieg und Frieden, Sieg und Niederlage. Wie im
Menschenstaat werden in ihm täglich Tausende geboren, sterben in ihm
täglich Tausende von Bürgern. Jeder einzelne lebt in ihm sein kleines
Einzelschicksal, ein schaffendes Glied in der Kette der Gesamtheit, der
Staat als Ganzes aber geht unbekümmert und erbarmungslos über ihn seinen
großen historischen Gang, der wie die Geschichte jeder Nation dieser
Erde nach allem Werden, Sein und Siegen zuletzt einmündet in das
unabwendbare allgemeine Endschicksal des Todes. Und die große Geschichte
dieses 30-Billionen-Staates von Zellen ist unser Leben.


     _Ordentliche Veröffentlichungen des Kosmos (12 Hefte und 4
     Buchbeilagen jährlich M 9.60, in Österreich-Ungarn nach Kurs) 1919,
     Band ^IV^._

     Für Österreich-Ungarn für Herausg. u. Red. verantwortlich Th. Reiß,
     Wien ^III^.



[Illustration: Tafel 1.

Abb. 3. =Die Auflösung des menschlichen Körpers unter dem Mikroskop in
Zellen=, demonstriert an einem Stück Rückenmark. ^a)^ in natürlicher
Größe, ^b)^ bei 10facher, ^c)^ 100facher, ^d)^ 1000facher, ^e)^
2000facher Vergrößerung. Rechts unten sind die natürlichen Maße der
abgebildeten Teile wiedergegeben. ^d^ und ^e^ sind 2 verschiedene
Nervenzellen und mit freiem Auge fast unsichtbar.]


[Illustration: Tafel 2.

Abb. 4.

Abb. 6.

Abb. 4. =Der Bau des Plasmas= nach: ^a)^ Altmanns Körnertheorie; ^b)^
Flemmings Fadentheorie; ^c)^ Künstlers Mosaiktheorie; ^d)^ Fayods
Spiraltheorie; ^e)^ Bütschlis Schaumtheorie.

Abb. 6. =Amöbe= in: ^a)^ Ruhe; ^b)^ Bewegung; ^c)^ Ernährung; ^d)^
Fortpflanzung.]


[Illustration: Tafel 3.

Abb. 8.

Abb. 9.

Abb. 10.

Abb. 8. =Pflanzenzelle.= Abb. 9. =Tierzelle.= Abb. 10. =Durchschnitt
durch eine menschliche Zelle.=]


[Illustration: Tafel 4.

Abb. 11.

Abb. 12.

Abb. 13.

Abb. 11. =Drüsenzelle.= ^a)^ in Ruhe; ^b)^ zu Beginn ^c)^ auf der Höhe
der Drüsentätigkeit.

Abb. 12. =Nervenzelle.= ^a)^ des Morgens in ausgeruhtem, ^b)^ des Abends
in erschöpftem, ^c)^ in erstorbenem Zustand.

Abb. 13. =Pigmentkörner in der Netzhaut des Auges.= ^a)^ im Dunkeln (die
Pigmentkörner liegen am Grund der Zelle); ^b)^ im Licht (die
Pigmentkörner sind zum Schutz der Sehzellen hinaufgewandert.)]


[Illustration: Tafel 5.

Abb. 16.

Abb. 14.

Abb. 15.

Abb. 18.

Abb. 14. =Wimperzelle mit Reizkörnersystem= (unt. Ben. einer Abb. aus
Schneider, vergl. Histologie.)

Abb. 15. =Schema des Zentralkörpers= in sehr starker Vergrößerung.

Abb. 16. =Der feinere Bau des Zellkerns= bei mehr als 1000facher
Vergrößerung (4 Abb. aus Heidenhain, Plasma und Zelle.)

Abb. 18. =Künstliche Zellteilungsfigur= nach Leduc.]


[Illustration: Tafel 6.

Abb. 17. =Die Teilung der Zelle.=]


[Illustration: Tafel 7.

Abb. 22^a^.

Abb. 22^d^.

Abb. 22. =Die 4 Stufen der Zellgemeinschaft.= ^a)^ Zeitweiliger Verband
von Amöben durch Zusammenfließen; ^b)^ Offene Kolonie durch gemeinsamen
Wohnsitz (Glockentierchen) siehe Textabbildung S. 56; ^c)^ Geschlossene
Kolonie durch auflösbare Kugelgemeinschaft von Wimperzellen (Norwegische
Flimmerkugel) siehe Textabbildung S. 57; ^d)^ Organismusbildung durch
untrennbare Verwachsung und Arbeitsteilung von Wimperzellen (Volvox).]


[Illustration: Tafel 8.

Abb. 23. =Kampf im Zellenstaat= zwischen eindringenden Bakterien und
verteidigenden Wanderzellen.]



Inhaltsverzeichnis.


  Albino 32
  Altmann 17
  Aminosäuren 12
  Ammoniak 12
  Amöben 13, 20 ff., 37, 55

  Brücke 28
  Bütschli 18

  Chlorophyllkörner 29
  Chromatin 35, 38 ff.
  Chromatinschleifen 39 ff.

  Dextrine 12
  Drüsenkörner 30

  Ehrenberg 56
  Einzeller 55
  Eiweiß 12, 14

  Fadentheorie 17
  Fayod 17
  Fette 12
  Flemming 17
  Flüssige Kristalle 47

  Glockentierchen 56
  Granula 29
  Granulatheorie 17

  Haeckel 57
  Hooke 5

  Kern s. Zellkern
  Kohlenhydrate 12
  Kohlenstoff 11
  Körnertheorie 17
  Künstler 17
  Kürbiszelle 29

  Leberzelle 50 ff.
  Leduc 40
  Lehmann 47
  Leukozyt 64 ff.
  Lohblüte 14, 56

  Micrographia 5
  Mosaiktheorie 17

  Naegeli 17
  Nervenkörner 31
  Norwegische Flimmerkugel 57

  Ölseifenschaum 18, 19

  Pflanzenzelle 23, 24
  Pflüger 17
  Phosphorfette 12
  Pigmentkörner 31
  Plasma
    Aggregatzustand 16
    Chemische Zusammensetzung 13, 14, 18
    Körner im Plasma 29 ff.
    Struktur 15, 18, 28
    Theorien 17, 18

  Reizkörner 33
  Rhumbler 49

  Schaumtheorie 18, 19
  Schleiden 7
  Schwamm 7
  Speicherkörner 30
  Stärke 12

  Tierzelle 23
  Traube 46

  Volvox 58, 59
  Vorticella 56

  Wabentheorie 18, 19
  Wanderzellen 64 ff.

  Zelle
    Chem. Leistung 50 ff.
      „   Zusammensetzung 14
    Definition 13, 28
    Entdeckung 5
    Entstehung 10
    Färbung 21
    Größe 27
    Körner 29
    Künstl. Zellen 46 ff.
    Oberfläche 25 ff.
    Organisation 22
    Schaumstruktur 26
    Wand 22
    Zahl der Zellen 26
    Zusammensetzung des Körpers a. Zellen 8
  Zellenstaat 51 ff.
  Zellkern
    Aufgaben 36
    Entstehung 20, 21
    Färbung 34
    Kernkörper 35
    Kernkörperchen 36
    Struktur 35
  Zellkolonien 56
  Zellteilung 51 ff.
  Zellulose 12, 23
  Zentralkörper 22, 33 ff., 39 ff.
  Zwiebelzelle 21



     Nach dem Urteil maßgebender Kreise wird mit den Werken von =Prof.
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     mikroskopischen Schnitt-Präparaten im Handel zu haben war. Zur
     Einführung in die Geheimnisse von

     =Bau und Leben der Zelle=

     sind sie für =Lehrer= und =Studierende=, wie für =jeden
     Naturfreund= ein unentbehrlicher Führer geworden, der es ganz
     besonders auch dem =Laien-Mikroskopiker= ermöglicht, sich ohne
     besondere Fachkenntnisse durch =Vergleich von Präparat, Zeichnung
     und beschreibendem Text= den schwierigen Stoff anzueignen. =Das
     Studium des verborgensten Naturgeschehens nach den Sigmund-Werken
     ist für jeden Naturfreund eine reiche Quelle des erlesensten
     Genusses.=


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     _=Physiolog. Histologie des Menschen- u. Säugetierkörpers= und
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     =Naturwissenschaftliche Bildung ist die Forderung des Tages!=

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     Zum Beitritt in den „Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde”, laden
     wir

     =alle Naturfreunde=

     jedes Standes sowie alle _Schulen, Volksbüchereien, Vereine usw._
     ein. — Außer dem geringen

     =_Halbjahresbeitrag von nur M 4.80_=

     (beim Bezug durch die Post Porto besonders)

     erwachsen dem Mitgliede =keinerlei= Verpflichtungen; dagegen werden
     ihm folgende _großen Vorteile_ geboten:

     Die Mitglieder erhalten laut § 5 der Satzung als Gegenleistung für
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     =I. Die Monatsschrift Kosmos, Handweiser für Naturfreunde.=
     Reich bebildert. Preis für Nichtmitglieder M 5.—.

     =II. Die ordentlichen Veröffentlichungen.= _4 Buchbeilagen._

     Nichtmitglieder zahlen den Einzelpreis von M 1.50 für jeden Band
     geheftet.

     =Dr. Fischer-Defoy, Gesundheitliche Gefahren im Hause.=

     =R. H. Francé, Biotechnik.=

     =Hanns Günther, Wellentelegraphie.=

     =Dr. Kurt Floericke, Schnecken und Muscheln.=

     =III. Vergünstigungen beim Bezuge von hervorragenden
     naturwissenschaftlichen Werken= (siehe nächste Seite).

     =Jedermann kann jederzeit Mitglied werden.=

     =Bereits Erschienenes wird nachgeliefert.=


     =Die ordentlichen Veröffentlichungen=

     früherer Jahre erhalten Mitglieder, solange vorrätig, zu
     ~Ausnahmepreisen~:

     =1. Gruppe 1904-1909.= (~Handweiser vergriffen.~) Jeder Jahrgang
     geheftet M 5.20, gebunden M 8.40. Alle 6 Jahrgänge auf einmal
     bezogen geheftet M 28.50, geb. M 46.—.

     =1904= =Bölsche, W., Abstammung des Menschen. — Meyer, Dr. M. W.,
     Weltuntergang. — Zell, Ist das Tier unvernünftig?= (Doppelband.) =—
     Meyer, Dr. M. Wilh., Weltschöpfung.=

     =1905= =Bölsche, W., Stammbaum der Tiere. — Francé, Sinnesleben der
     Pflanzen. Zell, Dr. Th., Tierfabeln. — Teichmann, Dr. E., Leben und
     Tod. — Meyer, Dr. M. W., Sonne und Sterne.=

     =1906= =Francé, Liebesleben der Pflanzen. — Meyer, Dr. M. Wilh.,
     Rätsel der Erdpole. — Zell, Dr. Th., Streifzüge durch die Tierwelt.
     — Bölsche, W., Im Steinkohlenwald. — Ament, Dr. W., Die Seele des
     Kindes.=

     =1907= =Francé, Streifzüge im Wassertropfen. — Zell, Dr. Th.,
     Straußenpolitik. — Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. —
     Teichmann, Fortpflanzung u. Zeugung. — Floericke, Dr. K., Die Vögel
     des deutschen Waldes.=

     =1908= =Meyer, Dr. M. W., Erdbeben u. Vulkane. — Teichmann, Dr. E.,
     Die Vererbung. — Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. — Dekker,
     Naturgeschichte des Kindes. — Floericke, Dr. K. Säugetiere des
     deutsch. Waldes.=

     =1909= =Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. — Meyer, Dr. M.
     Wilh., Der Mond. — Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. — Floericke,
     Kriechtiere und Lurche Deutschlands. — Bölsche, W., Der Mensch in
     der Tertiärzeit.=


     =2. Gruppe 1910-1914.= Handweiser und Buchbeilage geheftet je M
     7.20. Alles gebunden je M. 12.80. Alle 5 Jahrgänge auf einmal
     bezogen geheftet M 32.50, geb. M 58.50.

     =1910= =Koelsch, Pflanzen zwischen Dorf und Trist. — Dekker, Fühlen
     und Hören. — Meyer, Dr. M. W., Welt der Planeten. — Floericke,
     Säugetiere fremder Länder. — Weule, Kultur der Kulturlosen.=

     =1911= =Koelsch, Durch Heide und Moor. — Dekker, Sehen, Riechen und
     Schmecken. — Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. — Floericke,
     Vögel fremder Länder. — Weule, Kulturelemente der Menschheit.=

     =1912= =Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? — Dannemann, Wie
     unser Weltbild entstand. — Floericke, Fremde Kriechtiere und
     Lurche. — Weule, Die Urgesellschaft u. ihre Lebensfürsorge. —
     Koelsch, Würger i. Pflanzenreich.=

     =1913= =Bölsche, Festländer und Meere. — Floericke, Einheimische
     Fische. — Koelsch, Der blühende See. — Zart, Bausteine des
     Weltalls. — Dekker, Vom sieghaften Zellenstaat.=

     =1914= =Bölsche, Wilh., Tierwanderungen in der Urwelt. — Floericke,
     Dr. Kurt, Meeresfische. — Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. —
     Kahn, Dr. Fritz, Die Milchstraße. — Nagel, Dr. Osk., Romantik der
     Chemie.=


     =3. Gruppe 1915-1918.= Handweiser und Buchbeilagen geheftet je M
     7.20. Alles gebunden je M 12.80. Alle 4 Jahrgänge auf einmal
     bezogen geheftet M 26.50, gebunden M 48.—.

     =1915= =Bölsche, Wilh., Der Mensch der Zukunft. — Floericke, Dr.
     K., Gepanzerte Ritter. — Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock zum
     Alphabet. — Müller, A. L., Gedächtnis u. seine Pflege. — Besser,
     H., Raubwild u. Dickhäuter.=

     =1916= =Bölsche, Stammbaum der Insekten. — Dekker, Dr., Heilen und
     Helfen. — Floericke, Dr., Bulgarien. — Weule, Krieg in den Tiefen
     der Menschheit= (Doppelband)=.=

     =1917= =Besser, Natur- und Jagdstudien in Deutsch-Ostafrika. —
     Floericke, Dr., Plagegeister. — Hasterlik, Dr., Speise und Trank. —
     Bölsche, Schutz- und Trutzbündnisse in der Natur.=

     =1918= =Floericke, Forscherfahrt in Feindesland. — Fischer-Defoy,
     Schlafen und Träumen. — Kurtz, Zwischen Keller und Dach. — Dr.
     Hasterlik, Von Reiz- und Rauschmitteln.=

     Alle Jahrgänge auf einmal bezogen (lt. obiger Aufstellung) liefern
     wir an Mitglieder zum ermäßigten Preis von nur M 79.50 alles
     geheftet (Preis für Nichtmitglieder M 150.—), alles gebunden für M
     136.50 (für Nichtmitglieder M 250.90).


     [Illustration: Der Mäusebussard, ein geschützter Raubvogel.]

  _Bücherzettel._

  An die Buchhandlung

  von ............................................

                ..................................
                ----------------------------------

                ..................................

     =Beitrittserklärung.=

     Senden Sie diese Karte an Ihre Sortimentsbuchhandlung. =Nur wenn
     dieser Bezugsweg auf Schwierigkeiten stößt=, belieben Sie sich
     unmittelbar an die Geschäftsstelle des Kosmos, Stuttgart,
     Pfizerstr. 5, zu wenden.

     Der Unterzeichnete tritt dem Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde,
     Stuttgart, bei, ersucht um seine Mitgliedskarte und erhält jeweils
     nach Erscheinen kostenlos:

     =Jahrgang 1919, Kriegsausgabe:=

     Halbjahresbeitrag M 4,80, dazu durch den Buchhandel 10 Pf.
     Bestellgeld, etwaige Postgebühr besonders, zahlbar am Anfang des
     Halbjahres. Es wird dafür jährlich geliefert:

     =^I.^ Kosmos-Handweiser für Naturfreunde=

     Erscheint 12mal im Jahr

     =^II.^ 4 ordentliche Veröffentlichungen 1919=

     Bölsche, Eiszeiten u. Klimawechsel. — Dr. Floericke, Spinnen und
     Spinnenleben. — Dr. Fr. Kahn, Die Zelle. — Th. Zell, Neue
     Tierbeobachtungen.

     _Aenderungen und Reihenfolge vorbehalten._

  Ort, Name und genaue Adresse: ..........................

  ........................................................

     [Illustration: =Kopftrophäe der Dayak.=]

     =Wenn gebunden gewünscht, hier anzustreichen=

     Ich wünsche die Ordentlichen Veröffentlichungen 1919 gebunden
     (Ausgabe B) zu erhalten gegen einen Aufschlag von 80 Pfennig für
     den Band.





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