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Title: Die Reise zum Mars
Author: Dominik, Hans
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Reise zum Mars" ***


Die Reise zum Mars.


Erzählung von Hans Dominik.


I.

Es war im Jahre 2108. Die Menschheit hatte während der letzten zweihundert
Jahre auf allen Gebieten gewaltige Fortschritte gemacht. Dank einer
bewunderungswürdigen Nahrungsmittelindustrie lebten zehn Milliarden einer
durchgehends hochkultivierten Menschenrasse auf dem Erdball, welcher im
Jahre 1908 kaum fünfzehnhundert Millionen ernähren konnte. Die
Wissenschaften standen in hoher Blüte.

Die Ergebnisse einer verbesserten und erweiterten Spektralanalyse ließen
mit untrüglicher Sicherheit erkennen, daß der Nachbarplanet der Erde, der
Mars, Wasser, Luft und eine grüne Vegetation besaß. Man mußte mit vollem
Recht annehmen, daß dort menschliches Leben gedeihen könne, daß der Mars,
falls er selbst nicht bewohnt sei, eine Dependence, eine Kolonie der
irdischen Menschheit werden könne. Das alles stand fest, aber auch diese
Kenntnis blieb fruchtlose Theorie. Bot sich doch keine Möglichkeit, dem
Bannkreis der Erde zu entrinnen, den Weg zu jenem Planeten zu finden.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hatte ein australischer
Milliardär, wohl durch eine phantastische Schrift Jules Vernes angeregt,
den Versuch unternommen, aus einem Riesengeschütz ein gewaltiges Geschoß
zum Mars zu senden. Der Versuch war schmählich mißlungen. Noch bevor das
Geschoß die Atmosphäre der Erde selber passiert hatte, war es durch die
unendliche Reibung zerschmolzen und zu Dampf zerspritzt. Es hatte sich
gezeigt, daß bei solchen Geschwindigkeiten die Luft wie ein starrer Störper
wirkt. Ähnlich geht es ja bei sehr viel geringeren Geschwindigkeiten
bereits mit dem Wasser. Wasser aus der Pistole geschossen wirkt fast
schlimmer als Eisen und Blei. Bei der Riesengeschwindigkeit, welche das
australische Geschoß beim Verlassen des Rohrmundes hatte, wirkte die Luft
ebenso wie das Wasser, welches aus der Pistole kommt. Das Geschoß war, wie
gesagt, beinahe im Augenblick verpufft. Der Versuch, ein Projektil auf den
Mars zu feuern, mußte als gänzlich undurchführbar fallen gelassen werden.

Auf gewaltige Strahlungen mit elektrischen Wellen, die man in den Weltraum
gesandt hatte, war nie eine Antwort gekommen. Man durfte daher annehmen,
daß der Mars selbst unbewohnt sei oder doch zum wenigsten nicht von
hochzivilisierten Menschen bewohnt, bei denen man elektrische
Wellentelegraphen selbstverständlich voraussetzen mußte. Der berühmte
Pariser Marspreis, der im Jahre 1894 für die erste zuverlässige
Kommunikation zwischen Erde und Mars gestiftet wurde, war daher noch
unbehoben. Sein Wert von hunderttausend Mark hatte zweihundertzwanzig Jahre
auf Zins und Zinseszins gestanden, und man weiß ja, wie sich solche Summen
im Laufe der Jahre vermehren. Ein Kapital zu etwa sieben Prozent auf Zins
und Zinseszins angelegt verdoppelt sich in zehn Jahren, dies Kapital hatte
demnach Gelegenheit gehabt, sich zweiundzwanzigmal zu verdoppeln. So war
jener Marspreis auf die fabelhafte Höhe von nahezu zweihundertzehn
Milliarden Franken angewachsen und drohte ins Ungemessene zu steigen, wenn
nicht in absehbarer Zeit die Kommunikation zwischen beiden Planeten
irgendwie hergestellt werden konnte. Hervorragende Volkswirtschaftler
rechneten bereits heraus, daß in weiteren hundert Jahren annähernd das
gesamte Nationalvermögen der Menschheit im Dienste des Marspreises stehen
würde und schrieben lange Abhandlungen über das Für und Wider einer solchen
Entwicklung. So standen die Dinge im Jahre 2108.


II.

Es war an einem Januartage des Jahres 2109. Im Verwaltungsgebäude des
Marspreises zu Paris saß der erste Direktor des Kuratoriums in seinem
Arbeitszimmer. Die Arbeiten dieses Kuratoriums hatten im Laufe der
vergangenen zweihundert Jahre auch manche Wandlung erfahren. Während der
ersten hundert Jahre seines Bestehens war der Preis häufig von Leuten
beansprucht worden, die allerlei mehr oder weniger unbrauchbare Projekte
zur Erschließung des Marses vorbrachten. Gemäß den Statuten durfte der
Preis jedoch nur verteilt werden, wenn die Verbindung wirklich hergestellt
war, und so waren alle diese Projektenmacher abgeblitzt. Damals hatte das
Kuratorium hauptsächlich solche Ablehnungsbriefe zu schreiben, während das
Geld des Preises selbst in sicheren Staatspapieren angelegt war. In den
folgenden hundert Jahren hatte sich das Bild geändert. Projektenmacher
kamen kaum noch, weil sie ein für allemal wußten, daß ihre Bestrebungen
aussichtslos waren. Dafür aber war das Kuratorium immer kaufmännischer
geworden, denn ein Vermögen, welches in die Milliarden geht, kann man nicht
mehr einfach in mündelsicheren Papieren festlegen, sondern muß es durch
Handelsherren in größtem Stile verwalten lassen.

So saß denn auch jetzt Monsieur Charles Durand, der Vorsitzende des
Kuratoriums, in seinem Bureau und überdachte soeben eine
Hundertmillionenbeteiligung der Marsstiftung an einer chemischen
Eiweißfabrik in Tiflis, als der Diener ihm einen Besucher meldete. Alfred
Müller, Doctor rerum phys. et. chem., las Monsieur Durand auf der Karte und
hatte nicht übel Lust, den Besucher abzuweisen. Mißmutig wollte er die
Visitenkarte des Fremden auf den Tisch werfen. Dieser Versuch gelang ihm
indessen nicht. Freilich flog die Karte bis auf die Tischplatte. Dort blieb
sie jedoch nicht liegen, sondern stieg langsam im Raum empor. Einen
Augenblick stand Monsieur Durand verdutzt da. Dann erhaschte er die Karte
mit schnellem Griff und drückte sie abermals auf die Tischplatte nieder.
Sowie er jedoch die Hand wieder zurückzog, begann die Karte von neuem zu
steigen. Erst als er einen Briefbeschwerer darüber stellte, behielt sie
ihren Platz auf der Schreibtischplatte.

Höchst verwundert, betrachtete Monsieur Durand dieses eigenartige
Kartenblatt und sagte dann kurz entschlossen zum Diener: »Ich lasse Herrn
Doktor Müller bitten.« Nach wenigen Sekunden stand ein junger Gelehrter,
der Typus des blonden blauäugigen Deutschen vor ihm und begann nach wenigen
einleitenden Worten die folgenden Erklärungen und Ausführungen
vorzubringen:

»Es ist mir bekannt, Monsieur Durand, daß der Marspreis statutenmäßig nicht
für vorbereitende Arbeiten, sondern nur für die endgültige Herstellung
einer Verbindung zwischen Erde und Mars verliehen werden darf. Mit Recht
hat Ihr Kuratorium Jahrhunderte hindurch das große Heer der Projektenmacher
abgewiesen und ich würde nicht zu Ihnen gekommen sein, wenn ich Ihnen nicht
etwas Besonderes zu bieten hätte. Sie werden nun vielleicht bereits das
eigentümliche Verhalten meiner Visitenkarte bemerkt haben. Während alle
anderen Dinge in diesem Zimmer unter dem Einflusse der Schwerkraft stehen
und dementsprechend ihren Platz auf der Erdoberfläche unveränderlich
beibehalten, ist diese Karte der Schwerkraft zum allergrößten Teile
entzogen. Sie steht lediglich unter dem Einfluß der allgemeinen
Massenträgheit. Infolgedessen wird sie zu irgend einem Zeitpunkt sich
selbst überlassen, nicht mehr den üblichen Kreis mitmachen, den jeder Punkt
der Erdoberfläche beschreibt, sondern sich tangential von der Erdoberfläche
entfernen. Wir werden sie praktisch in die Höhe steigen sehen.«

»Das habe ich bemerkt,« unterbrach ihn Monsieur Durand.

»Ich will Sie, sehr verehrter Herr Durand, nun nicht weiter mit den
bekannten wissenschaftlichen Tatsachen langweilen,« fuhr Doktor Müller
fort. »Ich möchte nur daran anknüpfen. Wir alle stehen wohl heute auf dem
Standpunkt, daß die Schwerkraft ein rein mechanisches Druckphänomen ist und
durch das fortwährende Bombardement des Lichtäthers zustande kommt, dessen
Atome die Poren der Materie durchsetzen, wie Wasser die Poren eines
Schwammes. Obwohl wir diese Tatsache für wahrscheinlich, ja für
wahrscheinlich bis zur Sicherheit halten, ist irgend ein experimenteller
Nachweis, der zur Bekräftigung dieser Theorie hätte dienen können, bis
jetzt noch nicht gelungen.

Ich selbst bin nun im Verfolg langwieriger Forschung dazu gekommen, die
Moleküle eines Körpers derart zu schichten, daß die Stöße des Lichtäthers
zum allergrößten Teile glatt hindurchgehen und die Erscheinung der
Schwerkraft infolgedessen nicht mehr oder doch nur in so geringem Maße
zustande kommt, daß sie durch die Zentrifugalkraft bequem überwunden werden
kann. Ich will das Geheimnis meiner Erfindung vorläufig noch nicht bekannt
geben, überzeugende Experimente, die ich Ihnen vorführen kann, sprechen
überdies deutlicher als alle Theorien. Ich habe hier einen goldenen Ring am
Finger. Äußerlich mag Ihnen vielleicht ein gewisser opalisierender Glanz
des Goldes auffallen. Dieser Ring nun ist polarisiert abarisch gemacht, das
heißt er ist in einer bestimmten Richtung für die Schwerkraftstrahlen
unfaßbar. Ich nehme den Ring jetzt vom Finger und stelle ihn hochkantig auf
den Tisch. Sie sehen, er bleibt ruhig liegen. Die Schwerkraftstrahlen
drücken ihn auf die Tischkante. Jetzt lege ich den Ring flach auf den Tisch
und sofort beginnt er zu steigen. Im Gegensatz zu dieser polarisierten
Abarie war meine Visitenkarte überhaupt und in jeder Richtung für die
Schwerkraftstrahlen durchdringlich und daher in jedem Falle geneigt,
emporzusteigen. Um es nun kurz zu machen. Ich kann eine große Anzahl
irdischer Stoffe der Schwerkraft entziehen und damit bin ich ohne weiteres
in der Lage, ein Fahrzeug zu bauen, mit dem sich der Mars erreichen läßt.
Wenn ich in einem Augenblick mit einem derartigen abarischen Raumschiff die
Erdoberfläche verlasse, in welchem die Tangente in diesem Punkte genau auf
den Mars gerichtet ist, so muß ich diesem geradeswegs in die Arme laufen.«

Monsieur Durand hatte schweigend zugehört.

»Theoretisch haben Sie zweifelsohne recht,« begann er jetzt, »aber
überlegen wir uns einmal, wie lange die Reise dauern wird. Gesetzt den
Fall, Sie nehmen den Augenblick großer Marsnähe zum Zeitpunkt der Abreise,
so müssen Sie immerhin sieben Millionen Meilen durchfahren. Gesetzt weiter
den Fall, Sie reisen vom Äquator ab, woselbst die Tangentialgeschwindigkeit
der Erde etwa vier geographische Meilen in der Sekunde beträgt, so brauchen
Sie immerhin noch rund eine Million achthunderttausend Sekunden oder
zwanzig Tage und zwanzig Stunden. Das würde zeitlich nicht zu lange sein.
Nicht länger, als noch vor zweihundert Jahren die Dampfschiffahrt über den
Stillen Ozean dauerte. Aber weitere Einwände sind zu machen. Zunächst
finden Sie keinen Punkt der Erdoberfläche, dessen Tangentialbewegung für
die Zeit der Marsnähe genau auf den Mars gerichtet wäre. Dazu sind die
Ebenen beider Planetenbahnen und die Achsen beider Planeten zu sehr
gegeneinander geneigt. Die Punkte, welche für solche Abreise allenfalls in
Betracht kommen würden, haben die drei- bis vierfache Entfernung der
Marsnähe zur Voraussetzung. Ferner aber: wie wollen Sie mit Ihrem
abarischen Fahrzeug, das nun in der Sekunde dreißig Kilometer zurücklegt,
auf dem Mars landen, ohne zu Grunde zu gehen. Entweder Sie verfehlen die
Marsscheibe und treiben dann verloren in die Unendlichkeit hinein, wenn Sie
nicht vorher nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit in der Region der
Planetoiden von irgend einem Boliden, oder irgendwelchem im Weltraum
treibenden Felsgetrümmer zerschmettert werden. Diese Aussicht ist wenig
erbaulich. Aber auch die zweite ist nicht schön. Treffen Sie wirklich die
Marsscheibe, so muß Ihr Fahrzeug durch den Aufprall gleichfalls
zerschmettert werden und Ihre Expedition findet ein ruhmloses Ende.«

»Ihre Auslassungen sind durchaus gerechtfertigt,« warf jetzt Doktor Müller
ein, »aber Sie wissen noch nicht alles. Darf ich Sie noch einmal um meine
abarische Karte bitten. Ich habe hier in diesem Fläschchen eine ganz
besondere Flüssigkeit, welche die Atomlagerung stark beeinflußt. Ich
bestreiche die Karte damit, und Sie sehen, daß sie jetzt liegen bleibt. Sie
steht wieder unter dem Einflusse der Schwerkraft. Ihre Atome haben sich so
weit verlagert, daß die Schwerkraftstrahlen nicht mehr glatt hindurchgehen,
aber auch nur ebenso weit. Sobald ich diese zweite Flüssigkeit, welche ich
hier in einer anderen Flasche bei mir führe, darüber streiche, klappen die
Äthergänge gewissermaßen wieder auf. Die Karte steigt wieder in die Höhe.
Um es also kurz zu sagen: ich werde auch mein Marsschiff nach Belieben der
Schwerkraft unterwerfen oder es ihrem Einflusse entziehen können. Damit
aber bieten sich mir ungeahnte Möglichkeiten. Ich brauche keineswegs in
einem Bummeltempo von dreißig Kilometern in der Sekunde zum Mars zu fahren.
Eine Grenze ist mir ja hier nicht gesetzt. Fahren doch einzelne
Sternschnuppen mit dreihundert und mehr Kilometern in der Sekunde durch den
Raum. Ich kann einen Augenblick zur Abfahrt wählen, in dem unser Mond mir
bequem im Wege liegt, und diesen kann ich dann als die große Stellweiche
für die Einfahrt in das Geleise zum Mars betrachten. Von der Erde nehme ich
zunächst die Richtung in die Nähe des Mondes. Sobald ich in den Bereich
seiner Anziehungskraft gelangt bin, kann ich mein Fahrzeug wieder schwer
machen und mit quadratisch gesteigerter Geschwindigkeit in seine Nähe
stürzen. Sobald mein Fahrzeug dabei eine Geschwindigkeit von etwa
zweihundert Kilometern und die genaue Richtung auf den Mars erlangt hat,
werde ich die Schwerkraft wieder abstellen und in sausender Fahrt dem Mars
zueilen. In wenigen Stunden kann ich ihn erreicht haben, dicht an ihm
vorbeigehen und im Augenblicke des Vorbeiganges die Schwerkraft wieder
anstellen. Sie wird jetzt bremsend auf meine Geschwindigkeit wirken, wobei
mir die beiden Marsmonde noch besonders gute Dienste leisten werden. In dem
Augenblick, da die Anziehungskraft des Mars überwiegt und ich langsam auf
ihn zurückfalle, kann ich dann die Schwerkraft ganz abstellen und nun nach
dem Gesetz der Trägheit allein sanft auf seiner Oberfläche landen.«

»Nicht schlecht gedacht,« unterbrach ihn Monsieur Durand, »aber nun einmal
geschäftlich gesprochen. Aus welchen Mitteln wollen Sie die Kosten der
Expedition bestreiten? Das Marskuratorium darf statutenmäßig den Preis nur
für die gelungene Kommunikation auszahlen und ganz im Vertrauen gesagt: das
Marskuratorium hat gar kein Interesse daran, daß der Preis überhaupt jemals
zur Auszahlung gelangt. Augenblicklich sind wir unabhängige Herren eines
Riesenvermögens, beinahe die Herren der Welt. Gewinnt morgen irgend jemand
den Preis, so sind wir entweder seine Untergebenen oder wir müssen an
anderer Stelle von vorne anfangen. Ich denke, Sie verstehen.«

»Ich verstehe,« erwiderte Doktor Müller, »und eben deswegen bin ich zu
Ihnen gekommen. Sie werden ohne weiteres einsehen, daß ich auf Grund meiner
Errungenschaften das Unternehmen einer Marsexpedition mit anderen
Kapitalisten bewerkstelligen könnte. Natürlich würden diese ihre
Bedingungen machen. Ich würde den Preis gewinnen, aber jene würden den
allergrößten Teil davon beanspruchen. Sie wären ihn jedenfalls los. Also
denke ich, wir einigen uns.«

»Und in welchem Sinne?« fragte Monsieur Durand.

»Sie stellen mir alle Mittel zur Durchführung der Expedition zur Verfügung.
Dafür machen wir einen besonderen Vertrag, demzufolge ich verpflichtet bin,
von dem rechtmäßig gewonnenen Preise fünfundsiebzig Prozent an die
juristische Person des Kuratoriums geschenkweise abzuführen.«

»Gemacht!« rief Monsieur Durand und ließ den Syndikus des Kuratoriums
kommen, um sofort alle darauf bezüglichen Verträge festzulegen.


III.

In den nächsten Monaten herrschte in einem der großen Fabrikwerke des
Marskuratoriums lebhafte Tätigkeit. Maschinen schnurrten, elektrische
Ströme flossen und in einem Geheimlaboratorium saß Doktor Müller, braute,
hantierte und mischte wie ein Apotheker von Profession.

Das Material, welches aus den Werkstätten hervorging, ein besonders zäher
und fester Spezialstahl, unterschied sich äußerlich nur durch einen
leichten Opalschimmer von dem gewöhnlichen Stahl. Aber er war in seiner
Struktur verschieden von ihm. Bereits einmal abarisch gewesen, konnte er
jeden Augenblick durch einfaches Besprengen mit der entsprechenden
Flüssigkeit wiederum den Schwerestrahlen entzogen werden. Aus diesem
Material nun wurde das Raumschiff gefügt. In der Hauptsache ein
kugelförmiger Körper, der im Innern alle Bequemlichkeiten für die Reisenden
enthielt. Selbstverständlich waren die erforderlichen Apparate für
Lufterneuerung, Beheizung, Beleuchtung und so weiter reichlich vorhanden.
Die Arbeiten gingen flott vonstatten und in wenigen Monaten war das
Raumschiff vollendet.

Um diese Zeit trat Monsieur Durand mit neuen Plänen hervor. Einmal wollte
er Doktor Müller nicht allein fahren lassen, sondern die Reise mitmachen.
Wenn man sich erinnert, wie behaglich ihrerzeit die drei Freunde Jules
Vernes, die Amerikaner Barbicane und Nicholl, sowie der Franzose Michel
Ardan zum Monde reisten, so wird man eine derartige Vermehrung der
Reisegesellschaft gewiß nur mit Freude begrüßen können. Aber Monsieur
Durand ging noch weiter. Er hatte sich immer mehr und mit liebevollster
Aufmerksamkeit in die Müllerschen Pläne versenkt und war jetzt in der Lage,
einen wertvollen Verbesserungsvorschlag zu machen. Es war ihm die Idee
eines Richtrohres gekommen. Ließ man das Fahrzeug frei abschweben, so mußte
es ja durchaus tangential fliegen. Ließ man es dagegen aus einem Rohr
auslaufen, so konnte man seine Richtung innerhalb ziemlich weiter Grenzen
beeinflussen. Man konnte ihm sofort eine Richtung geben, welche es direkt
ans Ziel führen mußte. Auch Doktor Müller mußte das Zutreffende dieses
Vorschlages einsehen und so wurde denn jene Vorrichtung erbaut, welche
unser farbiges Titelbild besser als alle Worte erklären können zur
Darstellung bringt. Wir sehen auf ihm das gewaltige teleskopartige Rohr,
aus welchem das Fahrzeug vor wenigen Sekunden ausgefahren ist.

Doch greifen wir den Ereignissen nicht vor. Der Bau von Richtrohr und
Weltraumschiff wurde sachgemäß durchgeführt. Dann wurde das Richtrohr im
Kongostaate am Kongoflusse selbst, gerade an der Stelle, an welcher dieser
den Äquator schneidet, aufgestellt und dorthin auch das Raumschiff
gebracht, über alle diese Vorarbeiten waren nahezu zwei Jahre verstrichen
und im Herbst des Jahres 2110 war alles zur Abfahrt bereit und der Mars in
günstiger Nähe. Der Tag der Abfahrt war herangekommen und bereits am hellen
Vormittage war die Richtung des Rohres nach den Berechnungen der Astronomen
erfolgt und die Abfahrtszeit auf die Minute und Sekunde festgelegt. Das
Raumschiff selbst lag in dem riesigen Gleitrohr und war bereits völlig
abarisch gemacht. Ein gewichtiger Verschlußriegel war vor dem Schiff quer
durch das Rohr gezogen und eine geschäftige Mannschaft bereitete alles zum
eigentlichen Stapellauf des Raumschiffes vor. Ein gewaltiger
elektromagnetischer Apparat stand neben dem Rohre, genügend stark und
geeignet, den Sperriegel im gegebenen Zeitpunkt blitzschnell herauszuziehen
und dadurch dem Schiff freie Bahn zu bieten. Die elektrische Leitung führte
zu einem eleganten Druckknopf. Hier sollte der Präsident des Kongostaates
als der Landesherr der Abfahrtstation in der gegebenen Sekunde den Strom
wirken lassen, das Schiff vom Stapel lassen.

Um die Mittagstunde erschienen die beiden Marsreisenden, Monsieur Durand
und Doktor Müller, um in ihrem Raumschiff Platz zu nehmen. Es braucht nicht
erst besonders erwähnt zu werden, daß das Innere dieses Schiffes alle die
Einrichtungen und Bequemlichkeiten bot, auf welche Weltraumreisende nun
einmal berechtigten Anspruch haben. Selbstverständlich sorgten Sauerstoff-
und Ätznatronapparate, die sich ja bereits im zwanzigsten Jahrhundert auf
einer großen Höhe der Ausbildung befanden, für dauernde vorzügliche Luft.
Ebenso waren Schutzvorrichtungen gegen die Kälte des Weltraumes und
Einrichtungen für die Beleuchtung getroffen. Proviant und Luftvorrat waren
für ein halbes Jahr an Bord. Während dieser Zeit mußten die Reisenden
irgendwo festen Fuß gefaßt haben oder wieder zurück sein. Jetzt saßen sie
in ihrem Raumschiff und harrten des nahen Zeitpunktes der Abreise.


IV.

Um ein Uhr fünfzehn Minuten erschien der Präsident des Kongostaates mit
seinen Begleitern und ließ sich im Fahrstuhl auf die Plattform eines
turmartigen Gerüstes befördern. Während er mit seiner Umgebung, zu welcher
auch der Direktor der Sternwarte vom Kilimandscharo gehörte, im Gespräch
blieb, rückte der Zeiger an der Uhr allmählich weiter. Um ein Uhr zwanzig
Minuten legte der Astronom sein Chronometer auf den Tisch neben den
elektrischen Druckknopf. Um ein Uhr fünfundzwanzig Minuten blieben Minuten-
und Sekundenzeiger auf der Uhr des deutschen Astronomen stillstehen und
setzten sich erst nach etwa zehn Sekunden wieder in Bewegung.

»Soeben habe ich mit Hilfe der drahtlosen Telegraphie die Sternwartenzeit
vom Kilimandscharo bekommen,« bemerkte der Astronom. »Das Chronometer ist
jetzt maßgebend für die Abfahrt des Raumschiffes.« Um ein Uhr dreißig
Minuten begann der Präsident den Sekundenzeiger dieses Chronometers zu
beobachten. Als der Zeiger die zwanzigste Sekunde passierte, drückte er auf
den Knopf. In demselben Augenblick vernahm man einen schrillen Klang. Ein
gewaltiger Riegel flog zur Seite und schimmernd und opalisierend drang das
Raumschiff einem riesigen Geschosse gleich aus dem Rohr. Etwa mit der
Schnelligkeit einer Rakete stieg es schräg in die Höhe, um nach wenigen
Sekunden der Reichweite des unbewaffneten Auges zu entschwinden.

Wiederum war ein Sendbote zum Mars entlassen, trieb ein Gebilde von
Menschenhand in den Weltraum. Die Frage, ob es glücklicher sein würde als
seine Vorgänger, beschäftigte alle Herzen und lag auf allen Lippen.
Vorläufig indessen konnte man nichts anderes tun, als abwarten und man
verkürzte sich die Zeit wirksam, indem man sich zu einem feierlichen
Bankett begab, welches das Marskuratorium zu Ehren der Abgereisten
veranstaltete. Man trank auf das Wohl der Herren Durand und Doktor Müller,
ebenso wie auf das des Mars und seiner hypothetischen Bewohner. Während man
noch beim Nachtisch saß und über die Vorzüge des Kapweines und der Reben
vom Rhein praktische Untersuchungen anstellte, lief eine Depesche der
Deutschen Sternwarte vom Kilimandscharo ein, der zufolge man das Raumschiff
an der Mondscheibe vorüberziehen und hinter derselben verschwinden gesehen
habe. Neue Toaste wurden darob ausgebracht und erst in später Abendstunde
trennte man sich vom gemeinschaftlichen Mahle.


V.

Unsere Reisenden hatten sich, wie bereits erzählt, in dem Raumschiff
häuslich eingerichtet und den Augenblick der Abfahrt ohne nennenswerte
Erschütterung überstanden.

»Da sehen Sie, wie vorteilhaft sich mein System von demjenigen der alten
Mondartilleristen unterscheidet,« begann Doktor Müller die Unterhaltung,
als sich das Raumschiff unter leichtem Rucken und Schüttern in Bewegung
setzte. »In früheren Zeiten gab es den furchtbaren Stoß einer gewaltigen
plötzlichen Pulverexplosion unter derartigen interplanetarischen
Geschossen. Nach meinem System setzt auch die Beschleunigung allmählich,
wenn auch schnell steigend ein und praktisch spüren wir kaum etwas von der
ganzen Abreise.«

»Ich bin überzeugt, daß Ihr System einen bedeutenden Fortschritt darstellt
und uns hoffentlich zum erwünschten Ziele bringen wird,« erwiderte Monsieur
Durand und dann taten die beiden Reisenden das Gleiche, wie die
Zurückgebliebenen auf der Erde, nämlich sie begannen lebhaft und mit
liebevoller Hingabe an das Gebotene zu frühstücken. Das hinderte sie
freilich nicht, gelegentlich Blicke durch die an zahlreichen Stellen des
Raumschiffes angebrachten Fensterscheiben auf die entschwindende Erde und
den herannahenden Mond zu richten. Noch waren keine zwei Stunden vergangen,
als die Erde bereits in Form eines gewaltigen leuchtenden Mondes am
schwarzen Himmel hing, während der Mond selbst sie an scheinbarer Größe
bereits erheblich übertraf und an die rechte Seite des Raumschiffes trat.

»Wir hätten uns doch schwer machen sollen und aus der Anziehungskraft des
Mondes beschleunigte Reisegeschwindigkeit holen,« meinte jetzt Doktor
Müller.

»Gewiß! und dabei die Richtung nach dem Mars endgültig verfehlen,«
unterbrach ihn Monsieur Durand. »Dann könnten wir bis in die Unendlichkeit
im Weltraum umhertreiben und mit unserer Marsfahrt sähe es übel aus. Wir
wollen vielmehr auf dieser ersten Reise lieber zu vorsichtig als zu kühn
sein und solche Extrafahrten auf künftige Zeiten versparen.« Mit diesen
Worten schloß Monsieur Durand die Debatte über dieses Thema, und die
Reisenden verbrachten die folgenden Tage und Stunden teils im Gespräch,
teils in der Beobachtung des gestirnten Himmels, soweit sie nicht der Ruhe
und der Einnahme der regelmäßigen Mahlzeiten gewidmet waren. Nach der Uhr
konstatierten sie, wann ein Tag verflossen war. Eine andere Möglichkeit gab
es nicht, da sie ja hier in ständigem Sonnenlichte reisten. Die Sonne
durchflutete ihr Raumschiff und erleuchtete und erwärmte es mit ihren
Strahlen. Auf der der Sonne abgewandten Seite indessen bemerkten sie den
pechschwarzen gestirnten Himmel, und von Tag zu Tag wuchs an Größe und
Leuchtkraft ein einzelner Stern, das Ziel ihrer Reise, der Mars. Bereits
nach zehn Tagen stand er als blutroter Stern von Faustgröße am Himmel. Nach
fünfzehn Tagen erinnerte er bereits an den Mond, und nach zwanzig Tagen sah
man seine gewölbte Kugel mit allen ihren Einzelheiten im Weltraume
schwimmen.

»Jetzt wird die Sache kritisch,« begann nun Doktor Müller. »Unsere
Astronomen mußten zwar mit dem großen Abfahrtsrohr nach Möglichkeit auf den
Mars zielen, aber sie durften ihn unter keinen Umständen bis zum Treffen
genau aufs Korn nehmen. Sollten Sie so genau gezielt haben, daß unser
Raumschiff mitten auf die Marskugel trifft, so sind wir rettungslos
verloren. Ich habe kein Mittel, um das Raumschiff alsdann in eine andere
Richtung zu lenken. Während ich das Raumschiff wiederum schwer machen und
dadurch recht eigentlich an das Ziel heranholen kann, wenn es etwa zu weit
danebenging, habe ich keinerlei Möglichkeit, es von diesem Ziel zu
entfernen. Haben wir also glatten Kurs auf die Marskugel, so müssen wir mit
wenigstens dreißig Kilometer in der Sekunde auf seine Oberfläche stürzen
und unser Untergang wäre damit sicher. Kommen wir dagegen schräg neben der
Marskugel vorbei, so können wir uns im Augenblick des Vorbeifluges die
Schwere wiedergeben und dadurch in eine Kreisbahn um den Mars herum
einlenken. Weiter können wir die Geschwindigkeit unseres Raumschiffes
während dieser Rundfahrt durch das Luftmeer so weit abbremsen, daß wir
schließlich ohne jeden harten Stoß auf der Marsoberfläche landen. Nun, in
wenigen Stunden werden wir ja wissen, ob wir zersplittern müssen oder ob
wir von unseren Astronomen richtig bedient worden sind.«

»Sie sehen entschieden zu trübe,« begann jetzt Monsieur Durand. »Wenn uns
unsere Astronomen wirklich genau gegen das Zentrum der Marskugel
losgelassen haben, so haben wir immer noch Gelegenheit, uns vom einen oder
anderen der Marsmonde von diesem gefährlichen Kurse abziehen zu lassen.
Beobachten wir also beizeiten und benutzen wir nötigenfalls die Marsmonde
als Notweichen.«

Unter solchen Reden verging Stunde um Stunde, und die Marsscheibe begann
einen immer größeren Teil des Himmelsraumes vor den Reisenden einzunehmen.
Angestrengt beobachteten diese ihre Fahrtrichtung und behielten fortwährend
den Marsrand im Auge.

»Hurra, wir kommen glücklich vorbei,« rief endlich Doktor Müller nach
mehrstündiger Beobachtung. »Wir brauchen vorläufig gar nichts zu tun.
Unsere Astronomen haben erstaunlich gut gerechnet und gerichtet.«

In der Tat wurde der Lauf des Raumschiffes immer schräger zur
Marsoberfläche, und man konnte deutlich wahrnehmen, wie sich die Wölbung
der Kugel unter dem Raumschiffe in drehender Bewegung zu befinden schien.

»Ein gutes Zeichen!« bemerkte Monsieur Durand. »Wenn wir gerade auf den
Mars träfen, müßte er ohne solche scheinbare Drehung auf uns zukommen.
Jetzt bemerken wir solche Drehung, wie sich die Felder vor unseren Augen
drehen, wenn wir in der elektrischen Bahn mit fünfhundert Kilometern in der
Stunde an ihnen vorbeifahren.« In der Tat hatten die Reisenden immer noch
nicht das Gefühl des Falles. Die gewaltige Marsfläche schien unter ihnen
vorbeizuziehen, während ihr Auge auf wolkige Gebilde, grünlichen Schimmer
und bläuliche, an Wasserspiegel erinnernde Blitze fiel.

»Er sieht nicht viel anders aus als unsere gute Erde, als wir sie
verließen,« bemerkte Doktor Müller. »Aber jetzt ist es Zeit, daß wir uns
etwas schwer machen, um im Bereich der Marsanziehung zu bleiben und den
großen Pufferstoß in seiner Atmosphäre zu unternehmen.« Mit diesen Worten
warf er einen Augenblick einen Hebel herum, und aus tausend feinen Röhrchen
rieselte die schwermachende Flüssigkeit auf die Platten des Raumschiffes
herab. Einen Augenblick nur war der Hebel geöffnet gewesen, aber man merkte
deutlich die Wirkung. Die Marsfläche, welche sich bereits wieder ein wenig
entfernt hatte, schien näher zu kommen, und die gerade Fahrt des Schiffes
ging in eine kreisförmige über.

Stunde um Stunde verrann, und immer näher kam die schnell vorbeiziehende
Oberfläche des Planeten ihren Blicken. Als sie jetzt wieder, in die
Beobachtung des Planeten versunken, am Fenster standen, zog Doktor Müller
plötzlich die Hand von der Wand des Schiffes zurück.

»Wir befinden uns bereits in der Marsatmosphäre,« rief er gleichzeitig.
»Die Reibung ist so stark, daß sich die Wände bei einer Geschwindigkeit von
rund vier Meilen in der Sekunde, die wir gegen diese Atmosphäre haben,
merklich erhitzen. Wir dürfen nicht zu schnell fallen, nicht zu schnell in
dichtere Luftschichten kommen, sonst schmilzt unser ganzes Raumschiff.
Unsere Geschwindigkeit muß langsam vermindert werden.« Mit diesen Worten
setzte er ein anderes Röhrensystem in Tätigkeit, durch welches ein
beträchtlicher Teil des Raumschiffes wieder abarisch gemacht wurde, und
gleichzeitig stellte er die Heizung des Schiffes ab, denn die Temperatur im
Innern hatte bereits eine ungemütliche Höhe erreicht. Nur noch ganz langsam
kam das Schiff der Marsoberfläche näher, aber während es Meile um Meile
voranschoß, verlor es Kilometer um Kilometer seiner großen
Eigengeschwindigkeit durch die Reibung in der Marsatmosphäre. Immer
langsamer flog die Oberfläche unter ihm dahin, immer näher kam es ihr. »Wir
müssen vorsichtig sein,« meinte Doktor Müller. »Mit einer Geschwindigkeit
von höchstens noch ein bis zwei Metern in der Sekunde und mit einem
Niederfall von höchstens einem Millimeter in der Sekunde dürfen wir
irgendwo auf der Marsoberfläche landen, wenn wir unser Raumschiff nicht
ernstlich gefährden wollen.«

So begannen nun die Landungsmanöver. Nach Stunden war aus dem
Weltraumschiff ein veritabler Luftballon geworden. Nur ein wenig schwerer
als die ihn tragende Luft, senkte er sich ganz allmählich und mit leichtem
Schwanken auf einen baumfreien Gebirgskamm hernieder, während seine
Vorwärtsbewegung beinahe gänzlich aufgehört hatte. Zum Schluß noch ein
leichtes Scharren und Schürfen. Dann hatte das erste Weltraumschiff der
Erde auf dem Mars Anker geworfen.


VI.

»Arrivé!« sagte Monsieur Durand, als das Kratzen und Scharren aufgehört
hatte.

»In der Tat angekommen!« meinte Doktor Müller. »Auf diesem hohen
Gebirgskamm liegen wir ganz gut. Die Waldungen beginnen erst fünfhundert
Meter tiefer, und selbst wenn der Mars bewohnt wäre, brauchten wir seine
Bewohner hier nicht zu fürchten. Bevor wir aber versuchen, unser Raumschiff
zu öffnen, schlage ich vor, daß wir erst einmal Außentemperatur und
Luftdruck messen. Dann wollen wir eine Probe der Außenluft untersuchen und,
wenn das alles stimmt, dann wollen wir aussteigen.«

Alsbald brachten die Reisenden ein Barometer und ein Thermometer aus dem
Raumschiff ins Freie. Das Thermometer zeigte zehn Grad Celsius, das
Barometer nur einen Druck von fünfhundert Millimetern.

»Die Temperatur geht, die Luft wird uns ein wenig dünn vorkommen, und ich
fürchte, wir werden Sauerstoffapparate nötig haben,« meinte Doktor Müller,
während er die Zusammensetzung der Luft untersuchte. Aber schon nach
wenigen Minuten richtete er sich befriedigt auf. »Die Luft hat vierzig
Prozent Sauerstoff und sechzig Prozent Stickstoff, da geht es auch ohne
Apparat, und nur mit dem verringerten Druck müssen wir vorsichtig sein. Wir
dürfen nicht plötzlich hinaustreten, sondern müssen die Luftschleuse
benutzen.« Darnach traten die beiden Reisenden durch eine Tür in die Kammer
der Luftschleuse und schlossen die Tür wieder luftdicht hinter sich.

»Nun also!« sprach Doktor Müller und drehte einen Hahn in der Außenwand
auf. Man vernahm ein Zischen. Die Luft in der Schleusenkammer, welche noch
unter dem Druck der irdischen Atmosphäre stand, strömte in die leichtere
Marsatmosphäre ab.

Da stieß Monsieur Durand einen lauten Schrei aus, während ihm einige
Blutstropfen aus der Nase flossen. Der verminderte Luftdruck war die
Ursache eines leichten Nasenblutens für ihn gewesen. »Es ging wohl etwas zu
schnell,« meinte Doktor Müller, »aber nun ist es wohl vorüber, und wir
können die äußere Schleusentür öffnen.« Ein Druck und die Tür schlug auf.
Die beiden Reisenden standen zum ersten Male, seitdem sie irdischen Boden
verlassen hatten, wiederum außerhalb ihres Raumschiffes, standen auf
marsischem Boden. Sie schritten über steiniges Gebirgsland, wie es auch
unsere Alpen zeigen, und sie sahen grüne Kräuter und Bäume, sahen die ihnen
wohlbekannten Formen der Glockenblumen, der Lippenblütler und der
Doldenblüten. Sie sahen Pilze, Moose und Farne, sahen die allbekannten
Gestalten von Würmern, Käfern und Schmetterlingen, während ihre Lungen die
Lebensluft des Mars einatmeten.

»Man könnte es für einen Nachmittag im Berner Oberland halten,« meinte
Doktor Müller.

»Ich mag gar nicht mehr in das Raumschiff hinein,« sagte Monsieur Durand.

»Aber wir müssen,« erwiderte Doktor Müller. »Wir müssen erst einen
ausgedehnten Kriegsrat halten, bevor wir etwas Weiteres unternehmen können,
also vorläufig noch einmal zurück in das Raumschiff.«


VII.

Als unsere beiden Reisenden wieder in ihrem Fahrzeuge Platz genommen
hatten, setzte sich Doktor Müller in Positur und begann also: »Wir haben
einen großartigen Erfolg zu verzeichnen gehabt, einen Erfolg, wie kein
Irdischer vor uns. Unser Planetenschiff liegt fest verankert auf dem
jungfräulichen Boden des Mars. Wir haben auf unserer ersten Reise
zweifelsohne konstatiert, daß die physikalischen Verhältnisse des Mars hier
eine Ansiedlung der Menschheit ganz sicherlich zulassen. Wir haben auch
niedere Lebensformen, wie Würmer und Insekten, gefunden. Wirbeltiere haben
wir einstweilen noch nicht zu Gesicht bekommen und über die etwaige
menschenähnliche Bevölkerung des Mars wissen wir noch gar nichts. Mag sein,
daß vernünftige menschenähnliche Wesen nahe bei uns in den Tälern dieses
Gebirges leben, mag auch nicht sein. In keinem Falle können sie die Höhe
unserer Entwicklung erreicht haben, denn sonst wäre es an ihnen gewesen,
unserer Erde zuerst einen Besuch abzustatten. Selbstverständlich können wir
nicht wissen, wie weit ihre Entwicklung fortgeschritten ist. Vielleicht
stehen sie bereits auf der Höhe, die wir im Jahre 1896 kurz vor der
Erfindung der elektrischen Wellentelegraphie erreicht hatten, vielleicht
auch leben sie noch im Zustande der Griechen zur Zeit des trojanischen
Krieges oder gar der uralten Höhlenmenschen des Neandertales. Vielleicht
auch hat das Leben von Primaten, von hochorganisierten Wirbeltieren, auf
diesem Planeten noch gar nicht begonnen und wir sind die ersten
vernunftbegabten Geschöpfe auf einem neuen Stern. Sei dem nun aber, wie ihm
wolle. In jedem Falle könnten wir das nur erspähen, wenn wir mit unserem
Raumschiff eine Umfahrt um den Mars in sehr mäßiger Höhe vollführten. Wenn
wir in etwa zweihundert Meter Höhe seine Oberfläche bestrichen, würde uns
alles dieses klar werden. Dazu aber müßten wir das Fahrzeug wiederholt
abarisch und dann wieder schwer machen. Unser Flüssigkeitsvorrat ist aber
außergewöhnlich knapp geworden. Wir können nur noch eben unsere Erde wieder
erreichen, während jeder Versuch, hier eine Kreuzfahrt zu vollführen, uns
dieser letzteren Möglichkeit beraubt. Mein entschiedener Vorschlag geht
daher dahin: wir errichten hier einen zuverlässigen Merkstein, daß wir im
Namen der Erde auf dem Mars gelandet sind, und kehren dann sofort zur Erde
zurück, um von dort aus mit neuen und reicheren Mitteln eine zweite
Expedition zu unternehmen.«

»Wenn dem so ist, haben Sie unbedingt recht,« erwiderte Monsieur Durand.
»Dann müssen wir zurück, aber vorher wollen wir ein Denkmal unserer
Anwesenheit errichten. Ich denke, wir machen es folgendermaßen: zunächst
wollen wir die genaue geographische Breite und Länge unserer Landungsstelle
ermitteln und auf unseren Marskarten eintragen. Das ist so wie so nötig, da
unsere Astronomen mir eine genaue Tabelle mitgegeben haben, aus welcher ich
für jeden Ort der Marsoberfläche die besten Abfahrtszeiten zur Erde
entnehmen kann.«

Nach diesen Worten verließen die beiden Reisenden wiederum das Raumschiff,
und Doktor Müller begann mit dem Sextanten zu arbeiten. Es folgte eine
kurze Rechnung. Dann markierte er einen Punkt der vor ihm liegenden
Marskarte und trug die genauen Längen- und Breitengrade in das auf der
Karte bereits befindliche Gradnetz ein. Weiter begann er in einer
umfangreichen Tabelle zu blättern und bemerkte nach einem Blick auf die
Uhr: »Wir haben noch sechs Stunden achtzehn Minuten und zehn Sekunden Zeit.
Wenn wir dann mit voller Abarie abfahren, erreichen wir die Erdscheibe in
guter glatter Fahrt. Jetzt wollen wir an den Merkstein gehen. Zunächst eine
kleine Steinpyramide vor dieser glatten Felswand und auf diese Pyramide die
Flaggen unserer beiden Länder. Weiter aber irgend eine allgemein
verständliche Zeichnung auf diese glatte Felswand.« Nach diesen Worten
begannen die beiden Feldsteine zusammenzuschleppen, und im Laufe einer
Stunde war eine zwei Meter hohe Pyramide errichtet, von deren Spitze lustig
die Fahnen Deutschlands und Frankreichs im Winde flatterten. Danach ging
Doktor Müller in das Raumschiff zurück, um in Kürze mit verschiedenen
Ölfarbentöpfen und Pinseln wiederzukehren.

»Ich denke,« begann er, »zunächst einmal malen wir unser Sonnensystem mit
seinen Planeten und Planetoiden an diese Felswand. Wenn wir dann den
Erdplaneten mit den Fahnen Deutschlands und Frankreichs schmücken und eine
schöne knallrote Routenlinie von der Erde zum Mars und wieder zurück
ausmalen, werden auch weniger intelligente Martier begreifen, daß hier
jemand von der Erde zu Besuch gewesen ist.« Seinen Worten ließ der Doktor
alsbald die Tat folgen.

»Nun könnten wir noch etwas Mathematisches dalassen,« meinte jetzt Monsieur
Durand. »Mein Landsmann Laplace hat bereits vor dreihundert Jahren
vorgeschlagen, in den Steppen Sibiriens in ungeheuren Abmessungen aus
starken Lampen die Figur des pythagoräischen Lehrsatzes zusammmenzusetzen.
Jedes vernunftbegabte Wesen, so meinte er, muß den Sinn dieser Zeichnung
verstehen.«

»Das können wir ja sofort machen,« stimmte Doktor Müller bei, und unter
seinen kunstfertigen Fingern entstand alsbald ein anschauliches Bild des
Pythagoras.

»Geben wir ihnen noch etwas zu,« fuhr er dann fort und malte weiter den
Satz von den gleichen Scheitelwinkeln, die drei Kegelschnitte, den Satz des
Apollonius und einige andere Dinge, welche auch unseren Lesern aus dem
Mathematikunterricht her sattsam bekannt sein dürften.

»Nun wird es aber Zeit zum Einsteigen,« mahnte schließlich Monsieur Durand.
»Wir haben nur noch eine halbe Stunde Zeit. Außerdem haben wir auf dem Mars
unsere Fahnen zurückgelassen. Da wollen wir der alten Mutter Erde von
unserem Ausflug wenigstens einen Strauß frischer martischer Gebirgsblumen
mitbringen.« Dementsprechend wurde gehandelt, und nach zehn Minuten
betraten die Reisenden, reiche Girlanden und Sträuße in den Händen, ihr
Raumschiff, um alles zur Reise fertig zu machen. Rastlos schritt der Zeiger
der Uhr vorwärts, und schon nahte die Sekunde der Abfahrt. In diesem
Augenblick brach ein Lebewesen, etwa einem riesigen Urwaldbären
vergleichbar, durch das Dickicht und trollte auf das Raumschiff zu.

»Es ist gut, daß uns das Tier nicht überraschte, als wir waffen- und
wehrlos mit unserer Malerei beschäftigt waren,« meinte Monsieur Durand.

»Hoffentlich leckt uns dieser unangenehme Zeitgenosse nicht die frische
Farbe ab,« sagte Doktor Müller und ließ im selben Augenblick, da die
Abfahrtssekunde gekommen war, den abarischen Hebel spielen. Dicht vor der
Nase des staunenden Meister Petz stieg das Raumschiff in die Höhe und nahm
seinen Kurs mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei geographischen Meilen
in der Sekunde auf die Erde. Sorgfältig untersuchte Doktor Müller seine
Vorräte. Man konnte es versuchen, die Geschwindigkeit unter Benutzung der
Anziehungskraft der Marsmonde zu steigern. Dementsprechend verfuhr er und
erzielte wiederum die alte Reisegeschwindigkeit von vier Sekundenmeilen.

Es folgten die ruhigen Zeiten der Heimfahrt, bis endlich die Erde wieder in
ihre Rechte trat. Bereits bedeckte ihre strahlende Scheibe den größten Teil
des Horizontes, und jetzt begann sich auch die irdische Atmosphäre durch
die Reibung bemerklich zu machen. Wiederum setzten die Landungsmanöver mit
wechselnder Abarie und Schwere ein, welche wir bereits von der ersten
Landung auf dem Mars kennen. Immer langsamer wurde der Flug des Schiffes,
immer mehr schwebte es wie ein Luftballon und schließlich ging es mit kaum
fühlbarem Ruck in der nächsten Nähe von Berlin vor Anker. Bereits nach
wenigen Sekunden öffneten die Reisenden die Luken und betraten mit
Entzücken und in vollem Wohlbefinden wieder den Boden ihres Heimatplaneten,
den sie verlassen hatten, um ein unerhörtes Abenteuer zu bestehen.


VIII.

Die Ankunft des Raumschiffes war nicht unbemerkt geblieben. Bereits seit
Tagen hatten die Astronomen es mit ihren Fernrohren verfolgt, und als es
jetzt nach längerem Luftflug landete, stand eine zahllose Menge bereit, die
kühnen Reisenden zu empfangen. Mit tausendstimmigem Hurra begrüßte man die
Landung des Schiffes, begrüßte man ferner das Erscheinen der Reisenden
selbst. Ein reich geschmückter Staatskraftwagen brachte die beiden zunächst
nach der deutschen Hauptstadt. Dort erstatteten sie den ersten vorläufigen
Bericht über ihre Fahrt, welcher noch am selben Abend durch Millionen von
Extrablättern verbreitet wurde. Dann fuhren sie nach Paris, um dort alle
Angelegenheiten bezüglich des Marspreises zu regeln. Doktor Müller gelangte
in den Besitz einer Summe von fünfzig Milliarden Mark, in jedem Falle
genug, um bei einiger Sparsamkeit auszukommen. Das Restkapital der Stiftung
verblieb dem Kuratorium, und es wurde nicht übel angelegt. Diese Art der
Anlage, welche vorzüglich dem tatkräftigen Eingreifen des Monsieur Durand
zu verdanken ist, läßt sogar den ganzen, an sich nicht ganz einwandfreien
Handel betreffend der Rückzedierung von fünfundsiebzig Prozent in einem
milderen Lichte erscheinen. Unter der tatkräftigen Führung des ersten
Direktors, Monsieur Durand, und des zweiten Direktors, Doktor Müller, ging
das Marskuratorium alsbald an die Schaffung regelrechter Marsverbindungen
nach Art der großen Ozeandampfergesellschaften, welche im neunzehnten
Jahrhundert den Verkehr über den Atlantic vermittelten. Wer die
Verkehrsgeschichte aus der ersten Hälfte des zweiundzwanzigsten
Jahrhunderts mit einigem Eifer verfolgt, wird immer und immer wieder auf
die Namen Durand und Müller stoßen, sei es nun als die Leiter der großen
internationalen Erde-Marslinie, sei es auch als die Namen der beiden ersten
großen Marsschnellschiffe, welche die Überfahrtszeit zuerst auf einen
Zeitraum von weniger als einer Woche herabdrückten. Doch das sind meistens
Dinge, die man besser in den technischen Geschichtswerken jener Zeit selbst
verfolgt.



Anmerkung zur Transkription


Quelle: Das Neue Universum, Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart,
Berlin, Leipzig, 1908, pp. 1-17.





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