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Title: Die Traumdeutung
Author: Freud, Sigmund, 1856-1939
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Traumdeutung" ***


  [ Anmerkungen zur Transkription:

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  DIE TRAUMDEUTUNG

  VON
  PROF. DR. SIGM. FREUD.


  »FLECTERE SI NEQUEO SUPEROS, ACHERONTA MOVEBO«


  VIERTE, VERMEHRTE AUFLAGE

  MIT BEITRÄGEN VON
  Dr. OTTO RANK.


  LEIPZIG und WIEN.
  FRANZ DEUTICKE
  1914.


  VERLAGS-NR. 2176.



Vorbemerkung.


Indem ich hier die Darstellung der Traumdeutung versuche, glaube ich
den Umkreis neuropathologischer Interessen nicht überschritten zu
haben. Denn der Traum erweist sich bei der psychologischen Prüfung
als das erste Glied in der Reihe abnormer psychischer Gebilde, von
deren weiteren Gliedern die hysterische Phobie, die Zwangs- und die
Wahnvorstellung den Arzt aus praktischen Gründen beschäftigen müssen.
Auf eine ähnliche praktische Bedeutung kann der Traum -- wie sich zeigen
wird -- Anspruch nicht erheben; um so größer ist aber sein theoretischer
Wert als Paradigma, und wer sich die Entstehung der Traumbilder nicht zu
erklären weiß, wird sich auch um das Verständnis der Phobien, Zwangs-
und Wahnideen, eventuell um deren therapeutische Beeinflussung,
vergeblich bemühen.

Derselbe Zusammenhang aber, dem unser Thema seine Wichtigkeit verdankt,
ist auch für die Mängel der vorliegenden Arbeit verantwortlich zu
machen. Die Bruchflächen, welche man in dieser Darstellung so reichlich
finden wird, entsprechen ebensovielen Kontaktstellen, an denen das
Problem der Traumbildung in umfassendere Probleme der Psychopathologie
eingreift, die hier nicht behandelt werden konnten, und denen, wenn Zeit
und Kraft ausreichen und weiteres Material sich einstellt, spätere
Bearbeitungen gewidmet werden sollen.

Eigentümlichkeiten des Materials, an dem ich die Traumdeutung erläutere,
haben mir auch diese Veröffentlichung schwer gemacht. Es wird sich aus
der Arbeit selbst ergeben, warum alle in der Literatur erzählten oder
von Unbekannten zu sammelnden Träume für meine Zwecke unbrauchbar sein
mußten; ich hatte nur die Wahl zwischen den eigenen Träumen und denen
meiner in psychoanalytischer Behandlung stehenden Patienten. Die
Verwendung des letzteren Materials wurde mir durch den Umstand verwehrt,
daß hier die Traumvorgänge einer unerwünschten Komplikation durch die
Einmengung neurotischer Charaktere unterlagen. Mit der Mitteilung meiner
eigenen Träume aber erwies sich als untrennbar verbunden, daß ich von
den Intimitäten meines psychischen Lebens fremden Einblicken mehr
eröffnete als mir lieb sein konnte und als sonst einem Autor, der nicht
Poet, sondern Naturforscher ist, zur Aufgabe fällt. Das war peinlich,
aber unvermeidlich; ich habe mich also darein gefügt, um nicht auf die
Beweisführung für meine psychologischen Ergebnisse überhaupt verzichten
zu müssen. Natürlich habe ich doch der Versuchung nicht widerstehen
können, durch Auslassungen und Ersetzungen manchen Indiskretionen die
Spitze abzubrechen; so oft dies geschah, gereichte es dem Werte der von
mir verwendeten Beispiele zum entschiedensten Nachteile. Ich kann nur
die Erwartung aussprechen, daß die Leser dieser Arbeit sich in meine
schwierige Lage versetzen werden, um Nachsicht mit mir zu üben, und
ferner daß alle Personen, die sich in den mitgeteilten Träumen irgendwie
betroffen finden, wenigstens dem Traumleben Gedankenfreiheit nicht
werden versagen wollen.



Vorwort zur zweiten Auflage.


Daß von diesem schwer lesbaren Buche noch vor Vollendung des ersten
Jahrzehntes eine zweite Auflage notwendig geworden ist, verdanke ich
nicht dem Interesse der Fachkreise, an die ich mich in den vorstehenden
Sätzen gewendet hatte. Meine Kollegen von der Psychiatrie scheinen
sich keine Mühe gegeben zu haben, über das anfängliche Befremden
hinauszukommen, welches meine neuartige Auffassung des Traumes erwecken
konnte, und die Philosophen von Beruf, die nun einmal gewöhnt sind, die
Probleme des Traumlebens als Anhang zu den Bewußtseinszuständen mit
einigen -- meist den nämlichen -- Sätzen abzuhandeln, haben offenbar
nicht bemerkt, daß man gerade an diesem Ende allerlei hervorziehen
könne, was zu einer gründlichen Umgestaltung unserer psychologischen
Lehren führen muß. Das Verhalten der wissenschaftlichen Buchkritik
konnte nur zur Erwartung berechtigen, daß Totgeschwiegenwerden das
Schicksal dieses meines Werkes sein müsse; auch die kleine Schar von
wackeren Anhängern, die meiner Führung in der ärztlichen Handhabung der
Psychoanalyse folgen und nach meinem Beispiel Träume deuten, um diese
Deutungen in der Behandlung von Neurotikern zu verwerten, hätte die
erste Auflage des Buches nicht erschöpft. So fühle ich mich denn jenem
weiteren Kreise von Gebildeten und Wißbegierigen verpflichtet, deren
Teilnahme mir die Aufforderung verschafft hat, die schwierige und für so
vieles grundlegende Arbeit nach neun Jahren von neuem vorzunehmen.

Ich freue mich, sagen zu können, daß ich wenig zu verändern fand. Ich
habe hie und da neues Material eingeschaltet, aus meiner vermehrten
Erfahrung einzelne Einsichten hinzugefügt, an einigen wenigen Punkten
Umarbeitungen versucht; alles Wesentliche über den Traum und seine
Deutung sowie über die daraus ableitbaren psychologischen Lehrsätze ist
aber ungeändert geblieben; es hat, wenigstens subjektiv, die Probe der
Zeit bestanden. Wer meine anderen Arbeiten (über Ätiologie und
Mechanismus der Psychoneurosen) kennt, weiß, daß ich niemals Unfertiges
für fertig ausgegeben und mich stets bemüht habe, meine Aussagen nach
meinen fortschreitenden Einsichten abzuändern; auf dem Gebiete des
Traumlebens durfte ich bei meinen ersten Mitteilungen stehen bleiben. In
den langen Jahren meiner Arbeit an den Neurosenproblemen bin ich
wiederholt ins Schwanken geraten und an manchem irre geworden; dann war
es immer wieder die »Traumdeutung«, an der ich meine Sicherheit
wiederfand. Meine zahlreichen wissenschaftlichen Gegner zeigen also
einen sicheren Instinkt, wenn sie mir gerade auf das Gebiet der
Traumforschung nicht folgen wollen.

Auch das Material dieses Buches, diese zum größten Teil durch die
Ereignisse entwerteten oder überholten eigenen Träume, an denen ich die
Regeln der Traumdeutung erläutert hatte, erwies bei der Revision ein
Beharrungsvermögen, das sich eingreifenden Änderungen widersetzte. Für
mich hat dieses Buch nämlich noch eine andere subjektive Bedeutung, die
ich erst nach seiner Beendigung verstehen konnte. Es erwies sich mir als
ein Stück meiner Selbstanalyse, als meine Reaktion auf den Tod meines
Vaters, also auf das bedeutsamste Ereignis, den einschneidendsten
Verlust im Leben eines Mannes. Nachdem ich dies erkannt hatte, fühlte
ich mich unfähig, die Spuren dieser Einwirkung zu verwischen. Für den
Leser mag es aber gleichgültig sein, an welchem Material er Träume
würdigen und deuten lernt.

Wo ich eine unabweisbare Bemerkung nicht in den alten Zusammenhang
einfügen konnte, habe ich ihre Herkunft von der zweiten Bearbeitung
durch eckige Klammern angedeutet(1).

_Berchtesgaden_, im Sommer 1908.

  (1) Diese wurden bei den folgenden Auflagen wieder fallen gelassen.



Vorwort zur dritten Auflage.


Während zwischen der ersten und der zweiten Auflage dieses Buches ein
Zeitraum von neun Jahren verstrichen ist, hat sich das Bedürfnis nach
einer dritten bereits nach wenig mehr als einem Jahre bemerkbar gemacht.
Ich darf mich dieser Wandlung freuen; wenn ich aber vorhin die
Vernachlässigung meines Werkes von Seite der Leser nicht als Beweis für
dessen Unwert gelten lassen wollte, kann ich das nunmehr zu Tage
getretene Interesse auch nicht als Beweis für seine Trefflichkeit
verwerten.

Der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis hat auch die
»Traumdeutung« nicht unberührt gelassen. Als ich sie 1899 niederschrieb,
bestand die »Sexualtheorie« noch nicht, war die Analyse der
komplizierteren Formen von Psychoneurosen noch in ihren Anfängen. Die
Deutung der Träume sollte ein Hilfsmittel werden, um die psychologische
Analyse der Neurosen zu ermöglichen; seither hat das vertiefte
Verständnis der Neurosen auf die Auffassung des Traumes zurückgewirkt.
Die Lehre von der Traumdeutung selbst hat sich nach einer Richtung
weiterentwickelt, auf welche in der ersten Auflage dieses Buches nicht
genug Akzent gefallen war. Durch eigene Erfahrung wie durch die Arbeiten
von W. _Stekel_ und anderen habe ich seither den Umfang und die
Bedeutung der Symbolik im Traume (oder vielmehr im unbewußten Denken)
richtiger würdigen gelernt. So hat sich im Laufe dieser Jahre vieles
angesammelt, was Berücksichtigung verlangte. Ich habe versucht, diesen
Neuerungen durch zahlreiche Einschaltungen in den Text und Anfügung von
Fußnoten Rechnung zu tragen. Wenn diese Zusätze nun gelegentlich den
Rahmen der Darstellung zu sprengen drohen, oder wenn es doch nicht an
allen Stellen gelungen ist, den früheren Text auf das Niveau unserer
heutigen Einsichten zu heben, so bitte ich für diese Mängel des Buches
um Nachsicht, da sie nur Folgen und Anzeichen der nunmehr beschleunigten
Entwicklung unseres Wissens sind. Ich getraue mich auch vorherzusagen,
nach welchen anderen Richtungen spätere Auflagen der Traumdeutung --
falls sich ein Bedürfnis nach solchen ergeben würde -- von der
vorliegenden abweichen werden. Dieselben müßten einerseits einen engeren
Anschluß an den reichen Stoff der Dichtung, des Mythus, des
Sprachgebrauchs und des Folklore suchen, anderseits die Beziehungen des
Traumes zur Neurose und zur Geistesstörung noch eingehender, als es hier
möglich war, behandeln.

Herr _Otto Rank_ hat mir bei der Auswahl der Zusätze wertvolle Dienste
geleistet und die Revision der Druckbogen allein besorgt. Ich bin ihm
und vielen anderen für ihre Beiträge und Berichtigungen zu Dank
verpflichtet.

_Wien_, im Frühjahr 1911.



Vorwort zur vierten Auflage.


Im Vorjahre (1913) hat Dr. A. A. _Brill_ in New York eine englische
Übersetzung dieses Buches zu Stande gebracht. [The interpretation of
dreams. G. Allen & Cy., London.]

Herr Dr. Otto _Rank_ hat diesmal nicht nur die Korrekturen besorgt,
sondern auch den Text um zwei selbständige Beiträge bereichert. (Anhang
zu Kap. VI.)

_Wien_, im Juni 1914.



Inhaltsverzeichnis.


                                                                     Seite

     I. Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme (bis 1900)     1

        a) Beziehung des Traumes zum Wachleben                           5

        b) Das Traummaterial. -- Das Gedächtnis im Traume                8

        c) Traumreize und Traumquellen                                  16

        d) Warum man den Traum nach dem Erwachen vergißt?               32

        e) Die psychologischen Besonderheiten des Traumes               36

        f) Die ethischen Gefühle im Traume                              49

        g) Traumtheorien und Funktion des Traumes                       56

        h) Beziehungen zwischen Traum und Geisteskrankheiten            66

    II. Die Methode der Traumdeutung. Die Analyse eines Traummusters    73

   III. Der Traum ist eine Wunscherfüllung                              94

    IV. Die Traumentstellung                                           103

     V. Das Traummaterial und die Traumquellen                         124

        a) Das Rezente und das Indifferente im Traume                  125

        b) Das Infantile als Traumquelle                               142

        c) Die somatischen Traumquellen                                165

        d) Typische Träume                                             181

           α) Der Verlegenheitstraum der Nacktheit                     182

           β) Die Träume vom Tod teurer Personen                       186

           γ) Der Prüfungstraum                                        204

    VI. Die Traumarbeit                                                207

        a) Die Verdichtungsarbeit                                      208

        b) Die Verschiebungsarbeit                                     227

        c) Die Darstellungsmittel des Traumes                          230

        d) Die Rücksicht auf Darstellbarkeit                           252

        e) Die Darstellung durch Symbole. -- Weitere typische Träume   260

        f) Beispiele von Darstellungen. Rechnen und Reden im Traume    292

        g) Absurde Träume. Die intellektuellen Leistungen im Traume    304

        h) Die Affekte im Traume                                       329

        i) Die sekundäre Bearbeitung                                   349

      Anhang 1. Traum und Dichtung (O. _Rank_)                         365

      Anhang 2. Traum und Mythus (O. _Rank_)                           389

   VII. Zur Psychologie der Traumvorgänge                              403

        a) Das Vergessen der Träume                                    405

        b) Die Regression                                              420

        c) Zur Wunscherfüllung                                         432

        d) Das Wecken durch den Traum. Die Funktion des Traumes. Der
           Angsttraum                                                  446

        e) Der Primär- und der Sekundärvorgang. Die Verdrängung        456

        f) Das Unbewußte und das Bewußtsein. Die Realität              472

  VIII. Literaturverzeichnis:

     A. Bis zum Erscheinen dieses Buches (1900)                        482

     B. Seit dem Erscheinen dieses Buches (bis Ende 1913)              488



I.

Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme(2).

  (2) Bis zur ersten Veröffentlichung dieses Buches 1900.


Auf den folgenden Blättern werde ich den Nachweis erbringen, daß es eine
psychologische Technik gibt, welche gestattet, Träume zu deuten, und daß
bei Anwendung dieses Verfahrens jeder Traum sich als ein sinnvolles
psychisches Gebilde herausstellt, welches an angebbarer Stelle in das
seelische Treiben des Wachens einzureihen ist. Ich werde ferner
versuchen, die Vorgänge klarzulegen, von denen die Fremdartigkeit und
Unkenntlichkeit des Traumes herrührt, und aus ihnen einen Rückschluß auf
die Natur der psychischen Kräfte ziehen, aus deren Zusammen- oder
Gegeneinanderwirken der Traum hervorgeht. So weit gelangt, wird meine
Darstellung abbrechen, denn sie wird den Punkt erreicht haben, wo das
Problem des Träumens in umfassendere Probleme einmündet, deren Lösung an
anderem Material in Angriff genommen werden muß.

Eine Übersicht über die Leistungen früherer Autoren sowie über den
gegenwärtigen Stand der Traumprobleme in der Wissenschaft stelle ich
voran, weil ich im Verlaufe der Abhandlung nicht häufig Anlaß haben
werde, darauf zurückzukommen. Das wissenschaftliche Verständnis des
Traumes ist nämlich trotz mehrtausendjähriger Bemühung sehr wenig weit
gediehen. Dies wird von den Autoren so allgemein zugegeben, daß es
überflüssig scheint, einzelne Stimmen anzuführen. In den Schriften,
deren Verzeichnis ich zum Schlusse meiner Arbeit anfüge, finden sich
viele anregende Bemerkungen und reichlich interessantes Material zu
unserem Thema, aber nichts oder wenig, was das Wesen des Traumes träfe
oder eines seiner Rätsel endgültig löste. Noch weniger ist natürlich in
das Wissen der gebildeten Laien übergegangen.

Welche Auffassung der Traum in den Urzeiten der Menschheit bei den
primitiven Völkern gefunden und welchen Einfluß er auf die Bildung ihrer
Anschauungen von der Welt und von der Seele genommen haben mag, das ist
ein Thema von so hohem Interesse, daß ich es nur ungern von der
Bearbeitung in diesem Zusammenhange ausschließe. Ich verweise auf die
bekannten Werke von Sir J. _Lubbock_, H. _Spencer_, E. B. _Tylor_ u. a.
und füge nur hinzu, daß uns die Tragweite dieser Probleme und
Spekulationen erst begreiflich werden kann, nachdem wir die uns
vorschwebende Aufgabe der »Traumdeutung« erledigt haben.

Ein Nachklang der urzeitlichen Auffassung des Traumes liegt offenbar der
Traumschätzung bei den Völkern des klassischen Altertums zu grunde(3).
Es war bei ihnen Voraussetzung, daß die Träume mit der Welt
übermenschlicher Wesen, an die sie glaubten, in Beziehung stünden und
Offenbarungen von Seite der Götter und Dämonen brächten. Ferner drängte
sich ihnen auf, daß die Träume eine für den Träumer bedeutsame Absicht
hätten, in der Regel, ihm die Zukunft zu verkünden. Die außerordentliche
Verschiedenheit in dem Inhalt und dem Eindruck der Träume machte es
allerdings schwierig, eine einheitliche Auffassung derselben
durchzuführen und nötigte zu mannigfachen Unterscheidungen und
Gruppenbildungen der Träume, je nach ihrem Wert und ihrer
Zuverlässigkeit. Bei den einzelnen Philosophen des Altertums war die
Beurteilung des Traumes natürlich nicht unabhängig von der Stellung, die
sie der _Mantik_ überhaupt einzuräumen bereit waren.

  (3) Das Folgende nach _Büchsenschütz_' #sorgfältiger Darstellung#.

In den beiden den Traum behandelnden Schriften des _Aristoteles_ ist der
Traum bereits Objekt der Psychologie geworden. Wir hören, der Traum sei
nicht gottgesandt, nicht göttlicher Natur, wohl aber dämonischer, da ja
die Natur dämonisch, nicht göttlich ist, d. h. der Traum entstammt
keiner übernatürlichen Offenbarung, sondern folgt aus den Gesetzen des
allerdings mit der Gottheit verwandten menschlichen Geistes. Der Traum
wird definiert als die Seelentätigkeit des Schlafenden, insofern er
schläft.

_Aristoteles_ kennt einige der Charaktere des Traumlebens, z. B. daß der
Traum kleine, während des Schlafes eintretende Reize ins Große umdeutet
(»man glaubt, durch ein Feuer zu gehen und heiß zu werden, wenn nur eine
ganz unbedeutende Erwärmung dieses oder jenes Gliedes stattfindet«), und
zieht aus diesem Verhalten den Schluß, daß die Träume sehr wohl die
ersten bei Tag nicht bemerkten Anzeichen einer beginnenden Veränderung
im Körper dem Arzte verraten können(4).

  (4) Über die Beziehungen des Traumes zu den Krankheiten handelt der
  griechische Arzt _Hippokrates_ in einem Kapitel seines berühmten
  Werkes.

Die Alten vor _Aristoteles_ hatten den Traum wie erwähnt nicht für ein
Erzeugnis der träumenden Seele gehalten, sondern für eine Eingebung von
göttlicher Seite, und die beiden gegensätzlichen Strömungen, die wir in
der Schätzung des Traumlebens als jederzeit vorhanden auffinden werden,
machten sich bereits bei ihnen geltend. Man unterschied wahrhafte und
wertvolle Träume, dem Schläfer gesandt, um ihn zu warnen oder ihm die
Zukunft zu verkünden, von eitlen, trügerischen und nichtigen, deren
Absicht es war, ihn in die Irre zu führen oder ins Verderben zu stürzen.

 Die Traumlehre der Alten. -- Artemidorus.

_Gruppe_ (Griechische Mythologie und Religionsgeschichte, p. 390) gibt
eine solche Einteilung der Träume nach _Makrobius_ und _Artemidoros_
wieder: »Man teilte die Träume in zwei Klassen. Die eine sollte nur
durch die Gegenwart (oder Vergangenheit) beeinflußt, für die Zukunft
aber bedeutungslos sein; sie umfaßte die ἐνύπνια, insomnia, die
unmittelbar die gegebene Vorstellung oder ihr Gegenteil wiedergeben,
z. B. den Hunger oder dessen Stillung, und die φαντάσματα, welche die
gegebene Vorstellung phantastisch erweitern, wie z. B. der Alpdruck,
Ephialtes. Die andere Klasse dagegen galt als bestimmend für die
Zukunft; zu ihr gehören: 1. die direkte Weissagung, die man im Traume
empfängt (χρηματισμός, oraculum), 2. das Voraussagen eines
bevorstehenden Ereignisses (ὅραμα, visio), 3. der symbolische, der
Auslegung bedürftige Traum (ὄνειρος, somnium). Diese Theorie hat sich
viele Jahrhunderte hindurch erhalten.«

Mit dieser wechselnden Einschätzung der Träume stand die Aufgabe einer
»Traumdeutung« im Zusammenhange. Da man von den Träumen im allgemeinen
wichtige Aufschlüsse erwartete, aber nicht alle Träume unmittelbar
verstand und nicht wissen konnte, ob nicht ein bestimmter
unverständlicher Traum doch Bedeutsames ankündigte, war der Anstoß zu
einer Bemühung gegeben, welche den unverständlichen Inhalt des Traumes
durch einen einsichtlichen und dabei bedeutungsvollen ersetzen konnte.
Als die größte Autorität in der Traumdeutung galt im späteren Altertum
_Artemidoros_ aus _Daldis_, dessen ausführliches Werk uns für die
verloren gegangenen Schriften des nämlichen Inhaltes entschädigen
muß(5).

  (5) Die weiteren Schicksale der Traumdeutung im Mittelalter siehe bei
  _Diepgen_ und in den Spezialuntersuchungen von M. _Förster_,
  _Gotthard_ u. a. Über die Traumdeutung bei den Juden handeln _Almoli_,
  _Amram_, _Löwinger_ sowie neuestens, mit Berücksichtigung des
  psychoanalytischen Standpunktes, _Lauer_. Kenntnis der arabischen
  Traumdeutung vermitteln _Drexl_, F. _Schwarz_ und der Missionär
  _Tfinkdji_, der japanischen _Miura_ und _Iwaya_, der chinesischen
  _Secker_, der indischen _Negelein_.

Die vorwissenschaftliche Traumauffassung der Alten stand sicherlich im
vollsten Einklange mit ihrer gesamten Weltanschauung, welche als
Realität in die Außenwelt zu projizieren pflegte, was nur innerhalb des
Seelenlebens Realität hatte. Sie trug überdies dem Haupteindruck
Rechnung, welchen das Wachleben durch die am Morgen übrigbleibende
Erinnerung von dem Traume empfängt, denn in dieser Erinnerung stellt
sich der Traum als etwas Fremdes, das gleichsam aus einer anderen Welt
herrührt, dem übrigen psychischen Inhalt entgegen. Es wäre übrigens
irrig zu meinen, daß die Lehre von der übernatürlichen Herkunft der
Träume in unseren Tagen der Anhänger entbehrt; von allen pietistischen
und mystischen Schriftstellern abgesehen -- die ja recht daran tun, die
Reste des ehemals ausgedehnten Gebietes des Übernatürlichen besetzt zu
halten, solange sie nicht durch naturwissenschaftliche Erklärung erobert
sind --, trifft man doch auch auf scharfsinnige und allem
Abenteuerlichen abgeneigte Männer, die ihren religiösen Glauben an die
Existenz und an das Eingreifen übermenschlicher Geisteskräfte gerade auf
die Unerklärbarkeit der Traumerscheinungen zu stützen versuchen
(_Haffner_). Die Wertschätzung des Traumlebens von Seite mancher
Philosophenschulen, z. B. der _Schellingianer_, ist ein deutlicher
Nachklang der im Altertum unbestrittenen Göttlichkeit des Traumes, und
auch über die divinatorische, die Zukunft verkündende Kraft des Traumes
ist die Erörterung nicht abgeschlossen, weil die psychologischen
Erklärungsversuche zur Bewältigung des angesammelten Materials nicht
ausreichen, so unzweideutig auch die Sympathien eines jeden, der sich
der wissenschaftlichen Denkungsart ergeben hat, zur Abweisung einer
solchen Behauptung hinneigen mögen.

Eine Geschichte unserer wissenschaftlichen Erkenntnis der Traumprobleme
zu schreiben, ist darum so schwer, weil in dieser Erkenntnis, so
wertvoll sie an einzelnen Stellen geworden sein mag, ein Fortschritt
längs gewisser Richtungen nicht zu bemerken ist. Es ist nicht zur
Bildung eines Unterbaues von gesicherten Resultaten gekommen, auf dem
dann ein nächstfolgender Forscher weitergebaut hätte, sondern jeder neue
Autor faßt die nämlichen Probleme von neuem und wie vom Ursprung her
wieder an. Wollte ich mich an die Zeitfolge der Autoren halten und von
jedem einzelnen im Auszug berichten, welche Ansichten über die
Traumprobleme er geäußert, so müßte ich darauf verzichten, ein
übersichtliches Gesamtbild vom gegenwärtigen Stande der Traumerkenntnis
zu entwerfen; ich habe es darum vorgezogen, die Darstellung an die
Themata anstatt an die Autoren anzuknüpfen und werde bei jedem der
Traumprobleme anführen, was an Material zur Lösung desselben in der
Literatur niedergelegt ist.

Da es mir aber nicht gelungen ist, die gesamte, so sehr verstreute und
auf anderes übergreifende Literatur des Gegenstandes zu bewältigen, so
muß ich meine Leser bitten, sich zu bescheiden, wenn nur keine
grundlegende Tatsache und kein bedeutsamer Gesichtspunkt in meiner
Darstellung verloren gegangen ist.

Bis vor kurzem haben die meisten Autoren sich veranlaßt gesehen, Schlaf
und Traum in dem nämlichen Zusammenhange abzuhandeln, in der Regel auch
die Würdigung analoger Zustände, welche in die Psychopathologie reichen,
und traumähnlicher Vorkommnisse (wie der Halluzinationen, Visionen usw.)
anzuschließen. Dagegen zeigt sich in den jüngsten Arbeiten das
Bestreben, das Thema eingeschränkt zu halten und etwa eine einzelne
Frage aus dem Gebiete des Traumlebens zum Gegenstand zu nehmen. In
dieser Veränderung möchte ich einen Ausdruck der Überzeugung sehen, daß
in so dunklen Dingen Aufklärung und Übereinstimmung nur durch eine Reihe
von Detailuntersuchungen zu erzielen sein dürften. Nichts anderes als
eine solche Detailuntersuchung, und zwar speziell psychologischer Natur,
kann ich hier bieten. Ich hatte wenig Anlaß, mich mit dem Problem des
Schlafes zu befassen, denn dies ist ein wesentlich physiologisches
Problem, wenngleich in der Charakteristik des Schlafzustandes die
Veränderung der Funktionsbedingungen für den seelischen Apparat
mitenthalten sein muß. Es bleibt also auch die Literatur des Schlafes
hier außer Betracht.

 Beziehung zum Wachleben.

Das wissenschaftliche Interesse an den Traumphänomenen an sich führt zu
den folgenden, zum Teil ineinanderfließenden Fragestellungen:


a) _Beziehung des Traumes zum Wachleben_.

Das naive Urteil des Erwachten nimmt an, daß der Traum -- wenn er schon
nicht aus einer anderen Welt stammt -- doch den Schläfer in eine andere
Welt entrückt hatte. Der alte Physiologe _Burdach_, dem wir eine
sorgfältige und feinsinnige Beschreibung der Traumphänomene verdanken,
hat dieser Überzeugung in einem vielbemerkten Satze Ausdruck gegeben
(p. 474): ». . . nie wiederholt sich das Leben des Tages mit seinen
Anstrengungen und Genüssen, seinen Freuden und Schmerzen, vielmehr geht
der Traum darauf aus, uns davon zu befreien. Selbst wenn unsere ganze
Seele von einem Gegenstand erfüllt war, wenn tiefer Schmerz unser
Inneres zerrissen oder eine Aufgabe unsere ganze Geisteskraft in
Anspruch genommen hatte, gibt uns der Traum entweder etwas ganz
Fremdartiges oder er nimmt aus der Wirklichkeit nur einzelne Elemente zu
seinen Kombinationen oder er geht nur in die Tonart unserer Stimmung ein
und symbolisiert die Wirklichkeit.« -- J. H. _Fichte_ (I, 541) spricht
im selben Sinne direkt von _Ergänzungsträumen_ und nennt diese eine von
den geheimen Wohltaten selbstheilender Natur des Geistes. In ähnlichem
Sinne äußert sich noch L. _Strümpell_ in der mit Recht von allen Seiten
hochgehaltenen Studie über die Natur und Entstehung der Träume (p. 16):
»Wer träumt, ist der Welt des wachen Bewußtseins abgekehrt« . . .
(p. 17): »Im Traume geht das Gedächtnis für den geordneten Inhalt des
wachen Bewußtseins und dessen normales Verhalten so gut wie ganz
verloren« . . . (p. 19): »Die fast erinnerungslose Abgeschiedenheit der
Seele im Traume von dem regelmäßigen Inhalt und Verlaufe des wachen
Lebens« . . . .

Die überwiegende Mehrheit der Autoren hat aber für die Beziehung des
Traumes zum Wachleben die entgegengesetzte Auffassung vertreten. So
_Haffner_ (p. 19): »Zunächst setzt der Traum das Wachleben fort. Unsere
Träume schließen sich stets an die kurz zuvor im Bewußtsein gewesenen
Vorstellungen an. Eine genaue Beobachtung wird beinahe immer einen Faden
finden, in welchem der Traum an die Erlebnisse des vorhergehenden Tages
anknüpfte.« _Weygandt_ (p. 6) widerspricht direkt der oben zitierten
Behauptung _Burdachs_, »denn es läßt sich oft, anscheinend in der
überwiegenden Mehrzahl der Träume beobachten, daß dieselben uns gerade
ins gewöhnliche Leben zurückführen, statt uns davon zu befreien.«
_Maury_ (p. 56) sagt in seiner knappen Formel: »Nous rêvons de ce que
nous avons vu, dit, desiré ou fait«; _Jessen_ in seiner 1855
erschienenen Psychologie (p. 530) etwas ausführlicher: »Mehr oder
weniger wird der Inhalt der Träume stets bestimmt durch die individuelle
Persönlichkeit, durch das Lebensalter, Geschlecht, Stand, Bildungsstufe,
gewohnte Lebensweise und durch die Ereignisse und Erfahrungen des ganzen
bisherigen Lebens.«

Am unzweideutigsten nimmt zu dieser Frage der Philosoph I. G. E. _Maaß_
(Über die Leidenschaften, 1805) Stellung: »Die Erfahrung bestätigt
unsere Behauptung, daß wir am häufigsten von den Dingen träumen, auf
welche unsere wärmsten Leidenschaften gerichtet sind. Hieraus sieht man,
daß unsere Leidenschaften auf die Erzeugung unserer Träume Einfluß haben
müssen. Der Ehrgeizige träumt von den (vielleicht nur in seiner
Einbildung) errungenen oder noch zu erringenden Lorbeeren, indes der
Verliebte sich in seinen Träumen mit dem Gegenstand seiner süßen
Hoffnungen beschäftigt, . . . Alle sinnlichen Begierden und
Verabscheuungen, die im Herzen schlummern, können, wenn sie durch irgend
einen Grund angeregt werden, bewirken, daß aus den mit ihnen
vergesellschafteten Vorstellungen ein Traum entsteht oder daß sich diese
Vorstellungen in einen bereits vorhandenen Traum einmischen.«
(Mitgeteilt von _Winterstein_ im Zbl. f. Ps.-A. . . . .)

Nicht anders dachten die Alten über die Abhängigkeit des Trauminhaltes
vom Leben. Ich zitiere nach _Radestock_ (p. 139): Als Xerxes vor seinem
Zuge gegen Griechenland von diesem seinem Entschluß durch guten Rat
abgelenkt, durch Träume aber immer wieder dazu angefeuert wurde, sagte
schon der alte rationelle Traumdeuter der Perser, _Artabanos_, treffend
zu ihm, daß die Traumbilder meist das enthielten, was der Mensch schon
im Wachen denke.

Im Lehrgedichte des _Lucretius_, De rerum natura, findet sich (IV,
v. 959) die Stelle:

    »Et quo quisque fere studio devinctus adhaeret,
    aut quibus in rebus multum sumus ante morati
    atque in ea ratione fuit contenta magis mens,
    in somnis eadem plerumque videmur obire;
    causidici causas agere et componere leges,
    induperatores pugnare ac proelia obire,« etc. etc.

_Cicero_ (De Divinatione II) sagt ganz ähnlich, wie so viel später
_Maury_: »Maximeque reliquiae earum rerum moventur in animis et
agitantur, de quibus vigilantes aut cogitavimus aut egimus.«

Der Widerspruch dieser beiden Ansichten über die Beziehung von
Traumleben und Wachleben scheint in der Tat unauflösbar. Es ist darum am
Platz, der Darstellung von F. W. _Hildebrandt_ (1875) zu gedenken,
welcher meint, die Eigentümlichkeiten des Traumes ließen sich überhaupt
nicht anders beschreiben als durch eine »Reihe von Gegensätzen, welche
scheinbar bis zu Widersprüchen sich zuspitzen« (p. 8). »Den ersten
dieser Gegensätze bilden einerseits die _strenge Abgeschiedenheit oder
Abgeschlossenheit_ des Traumes von dem wirklichen und wahren Leben und
anderseits das stete _Hinübergreifen_ des einen in das andere, die stete
Abhängigkeit des einen von dem anderen. -- Der Traum ist etwas von der
wachend erlebten Wirklichkeit durchaus Gesondertes, man möchte sagen,
ein in sich selbst hermetisch abgeschlossenes Dasein, von dem wirklichen
Leben getrennt durch eine unübersteigliche Kluft. Er macht uns von der
Wirklichkeit los, löscht die normale Erinnerung an dieselbe in uns aus
und stellt uns in eine andere Welt und in eine ganz andere
Lebensgeschichte, die im Grunde nichts mit der wirklichen zu schaffen
hat . . . .« _Hildebrandt_ führt dann aus, wie mit dem Einschlafen unser
ganzes Sein mit seinen Existenzformen »wie hinter einer unsichtbaren
Falltür« verschwindet. Man macht dann etwa im Traume eine Seereise nach
St. Helena, um dem dort gefangenen Napoleon etwas Vorzügliches in
Moselweinen anzubieten. Man wird von dem Exkaiser aufs liebenswürdigste
empfangen und bedauert fast, die interessante Illusion durch das
Erwachen gestört zu sehen. Nun aber vergleicht man die Traumsituation
mit der Wirklichkeit. Man war nie Weinhändler und hat's auch nie werden
wollen. Man hat nie eine Seereise gemacht und würde St. Helena am
wenigsten zum Ziele einer solchen nehmen. Gegen Napoleon hegt man
durchaus keine sympathische Gesinnung, sondern einen grimmigen
patriotischen Haß. Und zu alledem war der Träumer überhaupt noch nicht
unter den Lebenden, als Napoleon auf der Insel starb; eine persönliche
Beziehung zu ihm zu knüpfen lag außerhalb des Bereiches der Möglichkeit.
So erscheint das Traumerlebnis als etwas eingeschobenes Fremdes zwischen
zwei vollkommen zueinander passenden und einander fortsetzenden
Lebensabschnitten.

»Und dennoch,« setzt _Hildebrandt_ fort, »ebenso wahr und richtig ist
das scheinbare _Gegenteil_. Ich meine, mit dieser Abgeschlossenheit und
Abgeschiedenheit geht doch die innigste Beziehung und Verbindung Hand in
Hand. Wir dürfen geradezu sagen: Was der Traum auch irgend biete, er
nimmt das Material dazu aus der Wirklichkeit und aus dem Geistesleben,
welches an dieser Wirklichkeit sich abwickelt . . . Wie wunderlich er's
damit treibe, er kann doch eigentlich niemals von der realen Welt los
und seine sublimsten wie possenhaften Gebilde müssen immer ihren
Grundstoff entlehnen von dem, was entweder in der Sinnwelt uns vor Augen
getreten ist oder in unserem wachen Gedankengange irgendwie bereits
Platz gefunden hat, mit anderen Worten, von dem, was wir äußerlich oder
innerlich bereits erlebt haben.«


b) _Das Traummaterial_. -- _Das Gedächtnis im Traume_.

Daß alles Material, was den Trauminhalt zusammensetzt, auf irgend eine
Weise vom Erlebten abstammt, also im Traume reproduziert, _erinnert_
wird, dies wenigstens darf uns als unbestrittene Erkenntnis gelten. Doch
wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß ein solcher Zusammenhang des
Trauminhaltes mit dem Wachleben sich mühelos als augenfälliges Ergebnis
der angestellten Vergleichung ergeben müsse. Derselbe muß vielmehr
aufmerksam gesucht werden und weiß sich in einer ganzen Reihe von Fällen
für lange Zeit zu verbergen. Der Grund hiefür liegt in einer Anzahl von
Eigentümlichkeiten, welche die Erinnerungsfähigkeit im Traume zeigt, und
die, obwohl allgemein bemerkt, sich doch bisher jeder Erklärung entzogen
haben. Es wird der Mühe lohnen, diese Charaktere eingehend zu würdigen.

Es kommt zunächst vor, daß im Trauminhalt ein Material auftritt, welches
man dann im Wachen nicht als zu seinem Wissen und Erleben gehörig
anerkennt. Man erinnert wohl, daß man das Betreffende geträumt, aber
erinnert nicht, daß und wann man es erlebt hat. Man bleibt dann im
unklaren darüber, aus welcher Quelle der Traum geschöpft hat, und ist
wohl versucht, an eine selbständig produzierende Tätigkeit des Traumes
zu glauben, bis oft nach langer Zeit ein neues Erlebnis die verloren
gegebene Erinnerung an das frühere Erlebnis wiederbringt und damit die
Traumquelle aufdeckt. Man muß dann zugestehen, daß man im Traume etwas
gewußt und erinnert hatte, was der Erinnerungsfähigkeit im Wachen
entzogen war(6).

  (6) _Vaschide_ behauptet auch, es sei oft bemerkt worden, daß man im
  Traum fremde Sprachen geläufiger und reiner spreche als im Wachen.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Art erzählt _Delboeuf_ aus
seiner eigenen Traumerfahrung. Er sah im Traume den Hof seines Hauses
mit Schnee bedeckt und fand zwei kleine Eidechsen halb erstarrt und
unter dem Schnee begraben, die er als Tierfreund aufnahm, erwärmte und
in die für sie bestimmte kleine Höhle im Gemäuer zurückbrachte. Außerdem
steckte er ihnen einige Blätter von einem kleinen Farnkraut zu, das auf
der Mauer wuchs und das sie, wie er wußte, sehr liebten. Im Traume
kannte er den Namen der Pflanze: Asplenium ruta muralis. -- Der Traum
ging dann weiter, kehrte nach einer Einschaltung zu den Eidechsen zurück
und zeigte _Delboeuf_ zu seinem Erstaunen zwei neue Tierchen, die sich
über die Reste der Farne hergemacht hatten. Dann wandte er den Blick
aufs freie Feld, sah eine fünfte, eine sechste Eidechse den Weg zu dem
Loche in der Mauer nehmen und endlich war die ganze Straße bedeckt von
einer Prozession von Eidechsen, die alle in derselben Richtung
wanderten.

_Delboeufs_ Wissen umfaßte im Wachen nur wenige lateinische
Pflanzennamen und schloß die Kenntnis eines Asplenium nicht ein. Zu
seinem großen Erstaunen mußte er sich überzeugen, daß ein Farn dieses
Namens wirklich existiert. Asplenium ruta muraria war seine richtige
Bezeichnung, die der Traum ein wenig entstellt hatte. An ein zufälliges
Zusammentreffen konnte man wohl nicht denken; es blieb aber für
_Delboeuf_ rätselhaft, woher er im Traume die Kenntnis des Namens
Asplenium genommen hatte.

 Das Traumgedächtnis. -- Hypermnesie des Traumes.

Der Traum war im Jahre 1862 vorgefallen; sechzehn Jahre später erblickt
der Philosoph bei einem seiner Freunde, den er besucht, ein kleines
Album mit getrockneten Blumen, wie sie als Erinnerungsgaben in manchen
Gegenden der Schweiz an die Fremden verkauft werden. Eine Erinnerung
steigt in ihm auf, er öffnet das Herbarium, findet in demselben das
Asplenium seines Traumes und erkennt seine eigene Handschrift in dem
beigefügten lateinischen Namen. Nun ließ sich der Zusammenhang
herstellen. Eine Schwester dieses Freundes hatte im Jahre 1860 -- zwei
Jahre vor dem Eidechsentraume -- auf der Hochzeitsreise _Delboeuf_
besucht. Sie hatte damals dieses für ihren Bruder bestimmte Album bei
sich und _Delboeuf_ unterzog sich der Mühe, unter dem Diktat eines
Botanikers zu jedem der getrockneten Pflänzchen den lateinischen Namen
hinzuzuschreiben.

Die Gunst des Zufalls, welche dieses Beispiel so sehr mitteilenswert
macht, gestattete _Delboeuf_, noch ein anderes Stück aus dem Inhalt
dieses Traumes auf seine vergessene Quelle zurückzuführen. Eines Tages
im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Band einer illustrierten Zeitschrift in
die Hände, in welcher er den ganzen Eidechsenzug abgebildet sah, wie er
ihn 1862 geträumt hatte. Der Band trug die Jahreszahl 1861 und
_Delboeuf_ wußte sich zu erinnern, daß er von dem Erscheinen der
Zeitschrift an zu ihren Abonnenten gehört hatte.

Daß der Traum über Erinnerungen verfügt, welche dem Wachen unzugänglich
sind, ist eine so merkwürdige und theoretisch bedeutsame Tatsache, daß
ich durch Mitteilung noch anderer »hypermnestischer« Träume die
Aufmerksamkeit für sie verstärken möchte. _Maury_ erzählt, daß ihm eine
Zeitlang das Wort _Mussidan_ bei Tag in den Sinn zu kommen pflegte. Er
wußte, daß es der Name einer französischen Stadt sei, aber weiter
nichts. Eines Nachts träumte ihm von einer Unterhaltung mit einer
gewissen Person, die ihm sagte, sie käme aus _Mussidan_, und auf seine
Frage, wo die Stadt liege, zur Antwort gab: _Mussidan_ sei eine
Kreisstadt im _Département de la Dordogne_. Erwacht, schenkte _Maury_
der im Traume erhaltenen Auskunft keinen Glauben; das geographische
Lexikon belehrte ihn aber, daß sie vollkommen richtig sei. In diesem
Falle ist das Mehrwissen des Traumes bestätigt, die vergessene Quelle
dieses Wissens aber nicht aufgespürt worden.

_Jessen_ erzählt (p. 55) ein ganz ähnliches Traumvorkommnis aus älteren
Zeiten: »Dahin gehört unter anderem der Traum des älteren _Scaliger_
(_Hennings_ l. c., p. 300), welcher ein Gedicht zum Lobe der berühmten
Männer in Verona schrieb und dem ein Mann, welcher sich _Brugnolus_
nannte, im Traume erschien und sich beklagte, daß er vergessen sei.
Obgleich _Scaliger_ sich nicht erinnerte, je etwas von ihm gehört zu
haben, so machte er doch Verse auf ihn, und sein Sohn erfuhr nachher in
Verona, daß ehemals ein solcher _Brugnolus_ als Kritiker daselbst
berühmt gewesen sei.«

Einen hypermnestischen Traum, welcher sich durch die besondere
Eigentümlichkeit auszeichnet, daß sich in einem darauffolgenden Traum
die Agnoszierung der zuerst nicht erkannten Erinnerung vollzieht,
erzählt der _Marquis d'Hervey de St. Denis_ (nach _Vaschide_, p. 232):
»Ich träumte einmal von einer jungen Frau mit goldblondem Haar, die ich
mit meiner Schwester plaudern sah, während sie ihr eine Stickereiarbeit
zeigte. Im Traum kam sie mir sehr bekannt vor, ich meinte sogar, sie zu
wiederholten Malen gesehen zu haben. Nach dem Erwachen habe ich dieses
Gesicht noch lebhaft vor mir, kann es aber absolut nicht erkennen. Ich
schlafe nun wieder ein; das Traumbild wiederholt sich. In diesem neuen
Traum spreche ich nun die blonde Dame an und frage sie, ob ich nicht
schon das Vergnügen gehabt, sie irgendwo zu treffen. Gewiß, antwortet
die Dame, erinnern Sie sich nur an das Seebad von Pornic. Sofort wache
ich wieder auf und weiß mich nun mit aller Sicherheit an die
Einzelheiten zu besinnen, mit denen dieses anmutige Traumgesicht
verknüpft war.«

Derselbe Autor (bei _Vaschide_, p. 233) berichtet:

Ein ihm bekannter Musiker hörte einmal im Traum eine Melodie, die ihm
völlig neu erschien. Erst mehrere Jahre später fand er dieselbe in einer
alten Sammlung von Musikstücken aufgezeichnet, die vorher in der Hand
gehabt zu haben er sich noch immer nicht erinnert.

An einer mir leider nicht zugänglichen Stelle (Proceedings of the
Society for psychical research) soll _Myers_ eine ganze Sammlung solcher
hypermnestischer Träume veröffentlicht haben. Ich meine, jeder, der sich
mit Träumen beschäftigt, wird es als ein sehr gewöhnliches Phänomen
anerkennen müssen, daß der Traum Zeugnis für Kenntnisse und Erinnerungen
ablegt, welche der Wachende nicht zu besitzen vermeint. In den
psycho-analytischen Arbeiten mit Nervösen, von denen ich später
berichten werde, komme ich jede Woche mehrmals in die Lage, den
Patienten aus ihren Träumen zu beweisen, daß sie Zitate, obszöne Worte
u. dgl. eigentlich sehr gut kennen, und daß sie sich ihrer im Traume
bedienen, obwohl sie sie im wachen Leben vergessen haben. Einen
harmlosen Fall von Traumhypermnesie will ich hier noch mitteilen, weil
sich bei ihm die Quelle, aus welcher die nur dem Traume zugängliche
Kenntnis stammte, sehr leicht auffinden ließ.

Ein Patient träumte in einem längeren Zusammenhange, daß er sich in
einem Kaffeehause eine »Kontuszówka« geben lasse, fragte aber nach der
Erzählung, was das wohl sei; er habe den Namen nie gehört. Ich konnte
antworten, Kontuszówka sei ein polnischer Schnaps, den er im Traume
nicht erfunden haben könne, da mir der Name von Plakaten her schon lange
bekannt sei. Der Mann wollte mir zuerst keinen Glauben schenken. Einige
Tage später, nachdem er seinen Traum im Kaffeehause hatte zur
Wirklichkeit werden lassen, bemerkte er den Namen auf einem Plakat und
zwar an einer Straßenecke, welche er seit Monaten wenigstens zweimal im
Tage hatte passieren müssen.

Ich habe selbst an eigenen Träumen erfahren, wie sehr man mit der
Aufdeckung der Herkunft einzelner Traumelemente vom Zufalle abhängig
bleibt. So verfolgte mich durch Jahre vor der Abfassung dieses Buches
das Bild eines sehr einfach gestalteten Kirchturmes, den gesehen zu
haben ich mich nicht erinnern konnte. Ich erkannte ihn dann plötzlich,
und zwar mit voller Sicherheit, auf einer kleinen Station zwischen
Salzburg und Reichenhall. Es war in der zweiten Hälfte der
Neunzigerjahre, und ich hatte die Strecke im Jahre 1886 zum erstenmal
befahren. In späteren Jahren, als ich mich bereits intensiv mit dem
Studium der Träume beschäftigte, wurde das häufig wiederkehrende
Traumbild einer gewissen merkwürdigen Lokalität mir geradezu lästig. Ich
sah in bestimmter örtlicher Beziehung zu meiner Person, zu meiner
Linken, einen dunklen Raum, aus dem mehrere groteske Sandsteinfiguren
hervorleuchteten. Ein Schimmer von Erinnerung, dem ich nicht recht
glauben wollte, sagte mir, es sei ein Eingang in einen Bierkeller; es
gelang mir aber weder aufzuklären, was dieses Traumbild bedeuten wolle,
noch woher es stamme. Im Jahre 1907 kam ich zufällig nach Padua, das ich
zu meinem Bedauern seit 1895 nicht wieder hatte besuchen können. Mein
erster Besuch in der schönen Universitätsstadt war unbefriedigend
geblieben; ich hatte die Fresken _Giottos_ in der _Madonna dell' Arena_
nicht besichtigen können und machte mitten auf der dahin führenden
Straße kehrt, als man mir mitteilte, das Kirchlein sei an diesem Tage
gesperrt. Bei meinem zweiten Besuche, zwölf Jahre später, gedachte ich
mich zu entschädigen und suchte vor allem den Weg zur Madonna dell'
Arena auf. An der zu ihr führenden Straße, linkerhand von meiner
Wegrichtung, wahrscheinlich an der Stelle, wo ich 1895 umgekehrt war,
entdeckte ich die Lokalität, die ich so oft im Traume gesehen hatte, mit
den in ihr enthaltenen Sandsteinfiguren. Es war in der Tat der Eingang
in einen Restaurationsgarten.

                   *       *       *       *       *

Eine der Quellen, aus welcher der Traum Material zur Reproduktion
bezieht, zum Teil solches, das in der Denktätigkeit des Wachens nicht
erinnert und nicht verwendet wird, ist das _Kindheitsleben_. Ich werde
nur einige der Autoren anführen, die dies bemerkt und betont haben:

_Hildebrandt_ (p. 23): »Ausdrücklich ist schon zugegeben worden, daß der
Traum bisweilen mit wunderbarer Reproduktionskraft uns ganz abgelegene
und selbst vergessene Vorgänge aus fernster Zeit treu vor die Seele
zurückführt.«

_Strümpell_ (p. 40): »Die Sache steigert sich noch mehr, wenn man
bemerkt, wie der Traum mitunter gleichsam aus den tiefsten und
massenhaftesten Verschüttungen, welche die spätere Zeit auf die
frühesten Jugenderlebnisse gelagert hat, die Bilder einzelner
Lokalitäten, Dinge, Personen ganz unversehrt und mit ursprünglicher
Frische wieder hervorzieht. Dies beschränkt sich nicht bloß auf solche
Eindrücke, die bei ihrer Entstehung ein lebhaftes Bewußtsein gewonnen
oder sich mit starken psychischen Werten verbunden haben, und nun später
im Traume als eigentliche Erinnerungen wiederkehren, an denen das
erwachte Bewußtsein sich erfreut. Die Tiefe des Traumgedächtnisses
umfaßt vielmehr auch solche Bilder von Personen, Dingen, Lokalitäten und
Erlebnissen der frühesten Zeit, die entweder nur ein geringes Bewußtsein
oder keinen psychischen Wert besaßen oder längst das eine wie das andere
verloren hatten und deshalb auch sowohl im Traume wie nach dem Erwachen
als gänzlich fremd und unbekannt erscheinen, bis ihr früher Ursprung
entdeckt wird.«

_Volkelt_ (p. 119): »Besonders bemerkenswert ist es, wie gern Kindheits-
und Jugenderinnerungen in den Traum eingehen. Woran wir längst nicht
mehr denken, was längst für uns alle Wichtigkeit verloren: der Traum
mahnt uns daran unermüdlich.«

Die Herrschaft des Traumes über das Kindheitsmaterial, welches
bekanntlich zum größten Teil in die Lücken der bewußten
Erinnerungsfähigkeit fällt, gibt Anlaß zur Entstehung von interessanten
hypermnestischen Träumen, von denen ich wiederum einige Beispiele
mitteilen will.

_Maury_ erzählt (p. 92), daß er von seiner Vaterstadt _Meaux_ als Kind
häufig nach dem nahe gelegenen _Trilport_ gekommen war, wo sein Vater
den Bau einer Brücke leitete. In einer Nacht versetzt ihn der Traum nach
_Trilport_ und läßt ihn wieder in den Straßen der Stadt spielen. Ein
Mann nähert sich ihm, der eine Art Uniform trägt. _Maury_ fragt ihn nach
seinem Namen; er stellt sich vor, er heiße C. . . und sei
Brückenwächter. Nach dem Erwachen fragt der an der Wirklichkeit der
Erinnerung noch zweifelnde _Maury_ eine alte Dienerin, die seit der
Kindheit bei ihm ist, ob sie sich an einen Mann dieses Namens erinnern
kann. Gewiß, lautet die Antwort, er war der Wächter der Brücke, die Ihr
Vater damals gebaut hat.

Ein ebenso schön bestätigtes Beispiel von der Sicherheit der im Traume
auftretenden Kindheitserinnerung berichtet _Maury_ von einem Herrn
F. . ., der als Kind in _Montbrison_ aufgewachsen war. Dieser Mann
beschloß, 25 Jahre nach seinem Weggang, die Heimat und alte, seither
nicht gesehene Freunde der Familie wieder zu besuchen. In der Nacht vor
seiner Abreise träumt er, daß er am Ziele ist und in der Nähe von
_Montbrison_ einen ihm vom Ansehen unbekannten Herrn begegnet, der ihm
sagt, er sei der Herr T., ein Freund seines Vaters. Der Träumer wußte,
daß er einen Herrn dieses Namens als Kind gekannt hatte, erinnerte sich
aber im Wachen nicht mehr an sein Aussehen. Einige Tage später nun
wirklich in _Montbrison_ angelangt, findet er die für unbekannt
gehaltene Lokalität des Traumes wieder und begegnet einem Herrn, den er
sofort als den T. des Traumes erkennt. Die wirkliche Person war nur
stärker gealtert, als sie das Traumbild gezeigt hatte.

 Infantiles und rezentes Material.

Ich kann hier einen eigenen Traum erzählen, in dem der zu erinnernde
Eindruck durch eine Beziehung ersetzt ist. Ich sah in einem Traume eine
Person, von der ich im Traume wußte, es sei der Arzt meines heimatlichen
Ortes. Ihr Gesicht war nicht deutlich, sie vermengte sich aber mit der
Vorstellung eines meiner Gymnasiallehrer, den ich noch heute
gelegentlich treffe. Welche Beziehung die beiden Personen verknüpfe,
konnte ich dann im Wachen nicht ausfindig machen. Als ich aber meine
Mutter nach dem Arzte dieser meiner ersten Kinderjahre fragte, erfuhr
ich, daß er einäugig gewesen war, und einäugig ist auch der
Gymnasiallehrer, dessen Person die des Arztes im Traume gedeckt hatte.
Es waren 38 Jahre her, daß ich den Arzt nicht mehr gesehen, und ich habe
meines Wissens im wachen Leben niemals an seine Person gedacht, obwohl
eine Narbe am Kinn mich an seine Hilfeleistung hätte erinnern können.

Es klingt, als sollte ein Gegengewicht gegen die übergroße Rolle der
Kindheitseindrücke im Traumleben geschaffen werden, wenn mehrere Autoren
behaupten, in den meisten Träumen ließen sich Elemente aus den
allerjüngsten Tagen nachweisen. _Robert_ (p. 46) äußert sogar: »Im
allgemeinen beschäftigt sich der normale Traum nur mit den Eindrücken
der letztvergangenen Tage.« Wir werden allerdings erfahren, daß die von
_Robert_ aufgebaute Theorie des Traumes eine solche Zurückdrängung der
ältesten und Vorschiebung der jüngsten Eindrücke gebieterisch fordert.
Die Tatsache aber, der _Robert_ Ausdruck gibt, besteht, wie ich nach
eigenen Untersuchungen versichern kann, zu Recht. Ein amerikanischer
Autor _Nelson_ meint, am häufigsten finden sich im Traume Eindrücke vom
Tage vor dem Traumtage oder vom dritten Tage vorher verwertet, als ob
die Eindrücke des dem Traume unmittelbar vorhergehenden Tages nicht
abgeschwächt -- nicht abgelegen -- genug wären.

Es ist mehreren Autoren, die den intimen Zusammenhang des Trauminhaltes
mit dem Wachleben nicht bezweifeln mochten, aufgefallen, daß Eindrücke,
welche das wache Denken intensiv beschäftigen, erst dann im Traume
auftreten, wenn sie von der Tagesgedankenarbeit einigermaßen zur Seite
gedrängt worden sind. So träumt man in der Regel von einem lieben Toten
nicht die erste Zeit, solange die Trauer den Überlebenden ganz ausfüllt
(_Delage_). Indes hat eine der letzten Beobachterinnen, Miß _Hallam_,
auch Beispiele vom gegenteiligen Verhalten gesammelt und vertritt für
diesen Punkt das Recht der psychologischen Individualität.

Die dritte, merkwürdigste und unverständlichste Eigentümlichkeit des
Gedächtnisses im Traume zeigt sich in der Auswahl des reproduzierten
Materials, indem nicht wie im Wachen nur das Bedeutsamste, sondern im
Gegenteil auch das Gleichgültigste, Unscheinbarste der Erinnerung wert
gehalten wird. Ich lasse hierüber jene Autoren zum Worte kommen, welche
ihrer Verwunderung den kräftigsten Ausdruck gegeben haben.

_Hildebrandt_ (p. 11): »Denn das ist das Merkwürdige, daß der Traum
seine Elemente in der Regel nicht aus den großen und tiefgreifenden
Ereignissen, nicht aus den mächtigen und treibenden Interessen des
vergangenen Tages, sondern aus den nebensächlichen Zugaben, sozusagen
aus den wertlosen Brocken der jüngst verlebten oder weiter rückwärts
liegenden Vergangenheit nimmt. Der erschütternde Todesfall in unserer
Familie, unter dessen Eindrücken wir spät einschlafen, bleibt
ausgelöscht aus unserem Gedächtnisse, bis ihn der erste wache Augenblick
mit betrübender Gewalt in dasselbe zurückkehren läßt. Dagegen die Warze
auf der Stirn eines Fremden, der uns begegnete, und an den wir keinen
Augenblick mehr dachten, nachdem wir an ihm vorübergegangen waren, die
spielt eine Rolle in unserem Traume« . . .

_Strümpell_ (p. 39): ». . solche Fälle, wo die Zerlegung eines Traumes
Bestandteile desselben auffindet, die zwar aus den Erlebnissen des
vorigen oder vorletzten Tages stammen, aber doch so unbedeutend und
wertlos für das wache Bewußtsein waren, daß sie kurz nach dem Erleben
der Vergessenheit anheimfielen. Dergleichen Erlebnisse sind etwa
zufällig gehörte Äußerungen oder oberflächlich bemerkte Handlungen eines
anderen, rasch vorübergegangene Wahrnehmungen von Dingen oder Personen,
einzelne kleine Stücke aus einer Lektüre u. dgl.«

_Havelock Ellis_ (1899, p. 727): »The profound emotions of waking life,
the questions and problems on which we spread our chief voluntary mental
energy, are not those which usually present themselves at once to
dreamconsciousness. It is so far as the immediate past is concerned,
mostly the trifling, the incidental, the ›forgotten‹ impressions of
daily life which reappear in our dreams. The psychic activities that are
awake most intensely are those that sleep most profoundly.«

_Binz_ (p. 45) nimmt gerade die in Rede stehenden Eigentümlichkeiten des
Gedächtnisses im Traume zum Anlaß, seine Unbefriedigung mit den von ihm
selbst unterstützten Erklärungen des Traumes auszusprechen: »Und der
natürliche Traum stellt uns ähnliche Fragen. Warum träumen wir nicht
immer die Gedächtniseindrücke der letztverlebten Tage, sondern tauchen
oft ein ohne irgend erkennbares Motiv in weit hinter uns liegende, fast
erloschene Vergangenheit? Warum empfängt im Traume das Bewußtsein so oft
den Eindruck _gleichgültiger_ Erinnerungsbilder, während die
Gehirnzellen da, wo sie die reizbarsten Aufzeichnungen des Erlebten in
sich tragen, meist stumm und starr liegen, es sei denn, daß eine akute
Auffrischung während des Wachens sie kurz vorher erregt hatte?«

 Erinnerung an nebensächliche Eindrücke.

Man sieht leicht ein, wie die sonderbare Vorliebe des Traumgedächtnisses
für das Gleichgültige und darum Unbeachtete an den Tageserlebnissen
zumeist dazu führen mußte, die Abhängigkeit des Traumes vom Tagesleben
überhaupt zu verkennen und dann wenigstens den Nachweis derselben in
jedem einzelnen Falle zu erschweren. So war es möglich, daß Miß _Whiton
Calkins_ bei der statistischen Bearbeitung ihrer (und ihres Gefährten)
Träume doch 11% der Anzahl übrig behielt, in denen eine Beziehung zum
Tagesleben nicht ersichtlich war. Sicherlich hat _Hildebrandt_ mit der
Behauptung recht, daß sich alle Traumbilder uns genetisch erklären
würden, wenn wir jedesmal Zeit und Sammlung genug darauf verwendeten,
ihrer Herkunft nachzuspüren. Er nennt dies freilich »ein äußerst
mühseliges und undankbares Geschäft. Denn es liefe ja meistens darauf
hinaus, allerlei psychisch ganz wertlose Dinge in den abgelegensten
Winkeln der Gedächtniskammer aufzustöbern, allerlei völlig indifferente
Momente längst vergangener Zeit aus der Verschüttung, die ihnen
vielleicht schon die nächste Stunde brachte, wieder zu Tage zu fördern«.
Ich muß aber doch bedauern, daß der scharfsinnige Autor sich von der
Verfolgung des so unscheinbar beginnenden Weges abhalten ließ; er hätte
ihn unmittelbar zum Zentrum der Traumerklärung geleitet.

Das Verhalten des Traumgedächtnisses ist sicherlich höchst bedeutsam für
jede Theorie des Gedächtnisses überhaupt. Es lehrt, daß »nichts, was wir
geistig einmal besessen, ganz und gar verloren gehen kann« (_Scholz_,
p. 34). Oder, wie _Delboeuf_ es ausdrückt, »que toute impression même la
plus insignifiante, laisse une trace inaltérable, indéfiniment
susceptible de reparaître au jour«, ein Schluß, zu welchem so viele
andere pathologische Erscheinungen des Seelenlebens gleichfalls drängen.
Man halte sich nun diese außerordentliche Leistungsfähigkeit des
Gedächtnisses im Traume vor Augen, um den Widerspruch lebhaft zu
empfinden, den gewisse später zu erwähnende Traumtheorien aufstellen
müssen, wenn sie die Absurdität und Inkohärenz der Träume durch ein
partielles Vergessen des uns am Tage Bekannten erklären wollen.

Man könnte etwa auf den Einfall geraten, das Phänomen des Träumens
überhaupt auf das des Erinnerns zu reduzieren, im Traume die Äußerung
einer auch nachts nicht rastenden Reproduktionstätigkeit sehen, die sich
Selbstzweck ist. Mitteilungen wie die von _Pilcz_ würden hiezu stimmen,
denen zufolge feste Beziehungen zwischen der Zeit des Träumens und dem
Inhalt der Träume nachweisbar sind in der Weise, daß im tiefen Schlafe
Eindrücke aus den ältesten Zeiten, gegen Morgen aber rezente Eindrücke
vom Traume reproduziert werden. Es wird aber eine solche Auffassung von
vornherein unwahrscheinlich durch die Art, wie der Traum mit dem zu
erinnernden Material verfährt. _Strümpell_ macht mit Recht darauf
aufmerksam, daß Wiederholungen von Erlebnissen im Traume nicht
vorkommen. Der Traum macht wohl einen Ansatz dazu, aber das folgende
Glied bleibt aus; es tritt verändert auf oder an seiner Stelle erscheint
ein ganz fremdes. Der Traum bringt nur Bruchstücke von Reproduktionen.
Dies ist sicherlich so weit die Regel, daß es eine theoretische
Verwertung gestattet. Indes kommen Ausnahmen vor, in denen ein Traum ein
Erlebnis ebenso vollständig wiederholt, wie unsere Erinnerung im Wachen
es vermag. _Delboeuf_ erzählt von einem seiner Universitätskollegen, daß
er im Traume eine gefährliche Wagenfahrt, bei welcher er einem Unfalle
nur wie durch ein Wunder entging, mit all ihren Einzelheiten wieder
durchgemacht habe. Miß _Calkins_ erwähnt zweier Träume, welche die
genaue Reproduktion eines Erlebnisses vom Vortage zum Inhalt hatten und
ich selbst werde späterhin Anlaß nehmen, ein mir bekanntgewordenes
Beispiel von unveränderter Traumwiederkehr eines Kindererlebnisses
mitzuteilen(7).

  (7) Aus späterer Erfahrung füge ich hinzu, daß gar nicht so selten
  harmlose und unwichtige Beschäftigungen des Tages vom Traume
  wiederholt werden, etwa: Koffer packen, in der Küche Speisen
  zubereiten u. dgl. Bei solchen Träumen betont der Träumer selbst aber
  nicht den Charakter der Erinnerung, sondern den der »Wirklichkeit«.
  »Ich habe das alles am Tage wirklich getan.«


c) _Traumreize und Traumquellen_.

Was man unter Traumreizen oder Traumquellen verstehen soll, das kann
durch eine Berufung auf die Volksrede »Träume kommen vom Magen«
verdeutlicht werden. Hinter der Aufstellung dieser Begriffe verbirgt
sich eine Theorie, die den Traum als Folge einer Störung des Schlafes
erfaßt. Man hätte nicht geträumt, wenn nicht irgend etwas Störendes im
Schlafe sich geregt hätte, und der Traum ist die Reaktion auf diese
Störung.

Die Erörterungen über die erregenden Ursachen der Träume nehmen in den
Darstellungen der Autoren den breitesten Raum ein. Daß das Problem sich
erst ergeben konnte, seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen
Forschung geworden war, ist selbstverständlich. Die Alten, denen der
Traum als göttliche Sendung galt, brauchten nach einer Reizquelle für
ihn nicht zu suchen; aus dem Willen der göttlichen oder dämonischen
Macht erfloß der Traum, aus deren Wissen oder Absicht sein Inhalt. Für
die Wissenschaft erhob sich alsbald die Frage, ob der Anreiz zum Träumen
stets der nämliche sei oder ein vielfacher sein könne, und damit die
Erwägung, ob die ursächliche Erklärung des Traumes der Psychologie oder
vielmehr der Physiologie anheimfalle. Die meisten Autoren scheinen
anzunehmen, daß die Ursachen der Schlafstörung, also die Quellen des
Träumens, mannigfaltiger Art sein können und daß Leibreize ebenso wie
seelische Erregungen zur Rolle von Traumerregern gelangen. In der
Bevorzugung der einen oder der anderen unter den Traumquellen, in der
Herstellung einer Rangordnung unter ihnen je nach ihrer Bedeutsamkeit
für die Entstehung des Traumes gehen die Ansichten weit auseinander.

 Traumreize und Traumquellen.

Wo die Aufzählung der Traumquellen vollständig ist, da ergeben sich
schließlich vier Arten derselben, die auch zur Einteilung der Träume
verwendet worden sind.

1. _Äußere (objektive) Sinneserregung_.

2. _Innere (subjektive) Sinneserregung_.

3. _Innerer (organischer) Leibreiz_.

4. _Rein psychische Reizquellen_.

ad 1. _Die äußeren Sinnesreize_. Der jüngere _Strümpell_, der Sohn des
Philosophen, dessen Werk über den Traum uns bereits mehrmals als
Wegweiser in die Traumprobleme diente, hat bekanntlich die Beobachtung
eines Kranken mitgeteilt, der mit allgemeiner Anästhesie der
Körperdecken und Lähmung mehrerer der höheren Sinnesorgane behaftet war.
Wenn man bei diesem Manne die wenigen noch offenen Sinnespforten von der
Außenwelt abschloß, verfiel er in Schlaf. Wenn wir einschlafen wollen,
pflegen wir alle eine Situation anzustreben, die jener im
_Strümpell_schen Experiment ähnlich ist. Wir verschließen die
wichtigsten Sinnespforten, die Augen, und suchen von den anderen Sinnen
jeden Reiz oder jede Veränderung der auf sie wirkenden Reize abzuhalten.
Wir schlafen dann ein, obwohl uns unser Vorhaben nie völlig gelingt. Wir
können weder die Reize vollständig von den Sinnesorganen fernhalten,
noch die Erregbarkeit unserer Sinnesorgane völlig aufheben. Daß wir
durch stärkere Reize jederzeit zu erwecken sind, darf uns beweisen, »daß
die Seele auch im Schlafe in fortdauernder Verbindung mit der
außerleiblichen Welt« geblieben ist. Die Sinnesreize, die uns während
des Schlafes zukommen, können sehr wohl zu Traumquellen werden.

Von solchen Reizen gibt es nun eine große Reihe, von den unvermeidlichen
an, die der Schlafzustand mit sich bringt oder nur gelegentlich zulassen
muß, bis zum zufälligen Weckreize, welcher geeignet oder dazu bestimmt
ist, dem Schlafe ein Ende zu machen. Es kann stärkeres Licht in die
Augen dringen, ein Geräusch sich vernehmbar machen, ein riechender Stoff
die Nasenschleimhaut erregen. Wir können im Schlafe durch ungewollte
Bewegungen einzelne Körperteile entblößen und so der Abkühlungsempfindung
aussetzen oder durch Lageveränderung uns selbst Druck- und
Berührungsempfindungen erzeugen. Es kann uns eine Fliege
stechen oder ein kleiner nächtlicher Unfall kann mehrere Sinne zugleich
bestürmen. Die Aufmerksamkeit der Beobachter hat eine ganze Reihe von
Träumen gesammelt, in welchen der beim Erwachen konstatierte Reiz und
ein Stück des Trauminhaltes so weit übereinstimmten, daß der Reiz als
Traumquelle erkannt werden konnte.

Eine Sammlung solcher auf objektive -- mehr oder minder akzidentelle --
Sinnesreizung zurückgehender Träume führe ich hier nach _Jessen_
(p. 527) an: Jedes undeutlich wahrgenommene Geräusch erweckt
entsprechende Traumbilder, das Rollen des Donners versetzt uns mitten in
eine Schlacht, das Krähen eines Hahnes kann sich in das Angstgeschrei
eines Menschen verwandeln, das Knarren einer Tür Träume von räuberischen
Einbrüchen hervorrufen. Wenn wir des Nachts unsere Bettdecke verlieren,
so träumen wir vielleicht, daß wir nackt umhergehen oder daß wir ins
Wasser gefallen sind. Wenn wir schräg im Bette liegen und die Füße über
den Rand desselben herauskommen, so träumt uns vielleicht, daß wir am
Rande eines schrecklichen Abgrundes stehen oder daß wir von einer
steilen Höhe hinabstürzen. Kommt unser Kopf zufällig unter das
Kopfkissen, so hängt ein großer Felsen über uns und steht im Begriff,
uns unter seiner Last zu begraben. Anhäufungen des Samens erzeugen
wollüstige Träume, örtliche Schmerzen die Idee erlittener Mißhandlungen,
feindlicher Angriffe oder geschehender Körperverletzungen . . .

»_Meier_ (Versuch einer Erklärung des Nachtwandelns. Halle 1758, p. 33)
träumte einmal, daß er von einigen Personen überfallen würde, welche ihn
der Länge nach auf den Rücken auf die Erde hinlegten und ihm zwischen
die große und die nächste Zehe einen Pfahl in die Erde schlugen. Indem
er sich dies im Traume vorstellte, erwachte er und fühlte, daß ihm ein
Strohhalm zwischen den Zehen stecke. Demselben soll nach _Hennings_
(1784, p. 258) ein anderes Mal, als er sein Hemd am Halse etwas fest
zusammengesteckt hatte, geträumt haben, daß er gehängt würde.
_Hoffbauer_ träumte in seiner Jugend, von einer hohen Mauer
hinabzufallen und bemerkte beim Erwachen, daß die Bettstelle
auseinandergegangen und daß er wirklich gefallen war . . . . . _Gregory_
berichtet, er habe einmal beim Zubettegehen eine Flasche mit heißem
Wasser an die Füße gelegt und darauf im Traum eine Reise auf die Spitze
des Ätna gemacht, wo er die Hitze des Erdbodens fast unerträglich
gefunden. Ein anderer träumte nach einem auf den Kopf gelegten
Blasenpflaster, daß er von einem Haufen von Indianern skalpiert werde;
ein dritter, der in einem feuchten Hemde schlief, glaubte durch einen
Strom gezogen zu werden. Ein im Schlafe eintretender Anfall von Podagra
ließ einen Kranken glauben, er sei in den Händen der Inquisition und
erdulde die Qualen der Folter (_Macnish_).«

Das auf die Ähnlichkeit zwischen Reiz und Trauminhalt gegründete
Argument läßt eine Verstärkung zu, wenn es gelingt, bei einem
Schlafenden durch planmäßige Anbringung von Sinnesreizen dem Reize
entsprechende Träume zu erzeugen. Solche Versuche hat nach _Macnish_
schon _Giron de Buzareingues_ angestellt. »Er ließ seine Knie unbedeckt
und träumte, daß er in der Nacht auf einem Postwagen reise. Er bemerkt
dabei, daß Reisende wohl wissen würden, wie in einer Kutsche die Knie
des Nachts kalt würden. Ein anderes Mal ließ er den Kopf hinten
unbedeckt und träumte, daß er einer religiösen Zeremonie in freier Luft
beiwohne. Es war nämlich in dem Lande, in welchem er lebte, Sitte, den
Kopf stets bedeckt zu tragen, ausgenommen bei solchen Veranlassungen wie
die eben genannte.«

 Äußere Sinnesreize als Traumquellen. -- Experimentelle Träume.

_Maury_ teilt neue Beobachtungen von an ihm selbst erzeugten Träumen
mit. (Eine Reihe anderer Versuche brachte keinen Erfolg.)

1. Er wird an Lippen und Nasenspitze mit einer Feder gekitzelt. --
Träumt von einer schrecklichen Tortur; eine Pechlarve wird ihm aufs
Gesicht gelegt, dann weggerissen, so daß die Haut mitgeht.

2. Man wetzt eine Schere an einer Pinzette. -- Er hört Glocken läuten,
dann Sturmläuten und ist in die Junitage des Jahres 1848 versetzt.

3. Man läßt ihn Kölnerwasser riechen. -- Er ist in Kairo im Laden von
Johann Maria Farina. Daran schließen sich tolle Abenteuer, die er nicht
reproduzieren kann.

4. Man kneipt ihn leicht in den Nacken. -- Er träumt, daß man ihm ein
Blasenpflaster auflegt und denkt an einen Arzt, der ihn als Kind
behandelt hat.

5. Man nähert ein heißes Eisen seinem Gesicht. -- Er träumt von den
»Chauffeurs«(8), die sich ins Haus eingeschlichen haben und die Bewohner
zwingen, ihr Geld herauszugeben, indem sie ihnen die Füße ins
Kohlenbecken stecken. Dann tritt die Herzogin von _Abrantés_ auf, deren
Sekretär er im Traume ist.

  (8) »Chauffeurs« hießen Banden von Räubern in der Vendée, die sich
  dieser Tortur bedienten.

8. Man gießt ihm einen Tropfen Wasser auf die Stirn. -- Er ist in
Italien, schwitzt heftig und trinkt den weißen Wein von _Orvieto_.

9. Man läßt wiederholt durch ein rotes Papier das Licht einer Kerze auf
ihn fallen. -- Er träumt vom Wetter, von Hitze und befindet sich wieder
in einem Seesturm, den er einmal auf dem Kanal _La Manche_ mitgemacht.

Andere Versuche, Träume experimentell zu erzeugen, rühren von
d'_Hervey_, _Weygandt_ u. a. her.

Von mehreren Seiten ist die »auffällige Fertigkeit des Traumes bemerkt
worden, plötzliche Eindrücke aus der Sinneswelt dergestalt in seine
Gebilde zu verweben, daß sie in diesen eine allmählich schon
vorbereitete und eingeleitete Katastrophe bilden« (_Hildebrandt_). »In
jüngeren Jahren,« erzählt dieser Autor, »bediente ich mich zu Zeiten, um
regelmäßig in bestimmter Morgenstunde aufzustehen, des bekannten, meist
an Uhrwerken angebrachten Weckers. Wohl zu hundert Malen ist mir's
begegnet, daß der Ton dieses Instrumentes in einen vermeintlich sehr
langen und zusammenhängenden Traum dergestalt hineinpaßte, als ob dieser
ganze Traum eben nur auf ihn angelegt sei und in ihm seine eigentliche
logisch unentbehrliche Pointe, sein natürlich gewiesenes Endziel fände.«

Ich werde drei dieser Weckerträume noch in anderer Absicht zitieren.

_Volkelt_ (p. 68) erzählt: Einem Komponisten träumte einmal, er halte
Schule und wolle eben seinen Schülern etwas klar machen. Schon ist er
damit fertig und wendet sich an einen der Knaben mit der Frage: »Hast du
mich verstanden?« Dieser schreit wie ein Besessener: »_O ja!_«
Ungehalten hierüber verweist er ihm das Schreien. Doch schon schreit die
ganze Klasse: »_Orja!_« Hierauf: »_Eurjo!_« Und endlich: »_Feuerjo!_«
Und nun erwacht er von wirklichem Feuerjogeschrei auf der Straße.

_Garnier_ (_Traité_ des facultés de l'âme, 1865) bei _Radestock_
berichtet, daß Napoleon I. durch die Explosion der Höllenmaschine aus
einem Traume geweckt wurde, den er im Wagen schlafend hatte und der ihn
den Übergang über den _Tagliamento_ und die Kanonade der Österreicher
wieder erleben ließ, bis er mit dem Ausruf aufschreckte: »Wir sind
unterminiert.«

Zur Berühmtheit gelangt ist ein Traum, den _Maury_ erlebt hat (p. 161).
Er war leidend und lag in seinem Zimmer zu Bett; seine Mutter saß neben
ihm. Er träumte nun von der Schreckensherrschaft zur Zeit der
Revolution, machte greuliche Mordszenen mit und wurde dann endlich
selbst vor den Gerichtshof zitiert. Dort sah er _Robespierre_, _Marat_,
_Fouquier-Tinville_ und alle die traurigen Helden jener gräßlichen
Epoche, stand ihnen Rede, wurde nach allerlei Zwischenfällen, die sich
in seiner Erinnerung nicht fixierten, verurteilt und dann von einer
unübersehbaren Menge begleitet auf den Richtplatz geführt. Er steigt
aufs Schafott, der Scharfrichter bindet ihn aufs Brett; es kippt um; das
Messer der Guillotine fällt herab; er fühlt, wie sein Haupt vom Rumpfe
getrennt wird, wacht in der entsetzlichsten Angst auf -- und findet, daß
der Bettaufsatz herabgefallen war und seine Halswirbel, wirklich ähnlich
wie das Messer einer Guillotine, getroffen hatte.

An diesen Traum knüpft sich eine interessante von _Le Lorrain_ und
_Egger_ in der »Revue philosophique« eingeleitete Diskussion, ob und wie
es dem Träumer möglich werde, in dem kurzen Zeitraum, der zwischen der
Wahrnehmung des Weckreizes und dem Erwachen verstreicht, eine
anscheinend so überaus reiche Fülle von Trauminhalt zusammenzudrängen.

 Träume auf den Weckreiz.

Beispiele dieser Art lassen die objektiven Sinnesreizungen während des
Schlafes als die am besten sichergestellte unter den Traumquellen
erscheinen. Sie ist es auch, die in der Kenntnis des Laien einzig und
allein eine Rolle spielt. Fragt man einen Gebildeten, der sonst der
Traumliteratur fremd geblieben ist, wie die Träume zu stande kommen, so
wird er zweifellos mit der Berufung auf einen ihm bekannt gewordenen
Fall antworten, in dem ein Traum durch einen nach dem Erwachen erkannten
objektiven Sinnesreiz aufgeklärt wurde. Die wissenschaftliche
Betrachtung kann dabei nicht halt machen; sie schöpft den Anlaß zu
weiteren Fragen aus der Beobachtung, daß der während des Schlafes auf
die Sinne einwirkende Reiz im Traume ja nicht in seiner wirklichen
Gestalt auftritt, sondern durch irgend eine andere Vorstellung vertreten
wird, die in irgend welcher Beziehung zu ihm steht. Die Beziehung aber,
die den Traumreiz und den Traumerfolg verbindet, ist nach den Worten
_Maurys_ »une affinité quelconque, mais qui n'est pas unique et
exclusive«. (p. 72.) Man höre z. B. drei der Weckerträume
_Hildebrandts_; man wird sich dann die Frage vorzulegen haben, warum
derselbe Reiz so verschiedene und warum er gerade diese Traumerfolge
hervorrief:

(p. 37.) »Also ich gehe an einem Frühlingsmorgen spazieren und schlendre
durch die grünenden Felder weiter bis zu einem benachbarten Dorfe, dort
sehe ich die Bewohner in Feierkleidern, das Gesangbuch unter dem Arme,
zahlreich der Kirche zuwandern. Richtig! es ist ja Sonntag und der
Frühgottesdienst wird bald beginnen. Ich beschließe, an diesem
teilzunehmen, zuvor aber, weil ich etwas echauffiert bin, auf dem die
Kirche umgebenden Friedhofe mich abzukühlen. Während ich hier
verschiedene Grabschriften lese, höre ich den Glöckner den Turm
hinansteigen und sehe nun in der Höhe des letzteren die kleine
Dorfglocke, die das Zeichen zum Beginn der Andacht geben wird. Noch eine
ganze Weile hängt sie bewegungslos da, dann fängt sie an zu schwingen --
und plötzlich ertönen ihre Schläge hell und durchdringend -- so hell und
durchdringend, daß sie meinem Schlafe ein Ende machen. Die Glockentöne
aber kommen von dem Wecker.«

»Eine zweite Kombination. Es ist heller Wintertag; die Straßen sind hoch
mit Schnee bedeckt. Ich habe meine Teilnahme an einer Schlittenfahrt
zugesagt, muß aber lange warten, bis die Meldung erfolgt, der Schlitten
stehe vor der Tür. Jetzt erfolgen die Vorbereitungen zum Einsteigen --
der Pelz wird angelegt, der Fußsack hervorgeholt -- und endlich sitze
ich auf meinem Platze. Aber noch verzögert sich die Abfahrt, bis die
Zügel den harrenden Rossen das fühlbare Zeichen geben. Nun ziehen diese
an; die kräftig geschüttelten Schellen beginnen ihre wohlbekannte
Janitscharenmusik mit einer Mächtigkeit, die augenblicklich das
Spinngewebe des Traumes zerreißt. Wieder ist's nichts anderes als der
schrille Ton der Weckerglocke.«

»Noch das dritte Beispiel! Ich sehe ein Küchenmädchen mit einigen
Dutzend aufgetürmter Teller den Korridor entlang zum Speisezimmer
schreiten. Die Porzellansäule in ihren Armen scheint mir in Gefahr, das
Gleichgewicht zu verlieren. ›Nimm dich in acht,‹ warne ich, ›die ganze
Ladung wird zur Erde fallen.‹ Natürlich bleibt der obligate Widerspruch
nicht aus: man sei dergleichen schon gewohnt usw., währenddessen ich
noch immer mit Blicken der Besorgnis die Wandelnde begleite. Richtig, an
der Türschwelle erfolgt ein Straucheln -- das zerbrechliche Geschirr
fällt und rasselt und prasselt in hundert Scherben auf dem Fußboden
umher. Aber -- das endlos sich fortsetzende Getön ist doch, wie ich bald
merke, kein eigentliches Rasseln, sondern ein richtiges Klingeln; -- und
mit diesem Klingeln hat, wie nunmehr der Erwachende erkennt, nur der
Wecker seine Schuldigkeit getan.«

Die Frage, warum die Seele im Traume die Natur des objektiven
Sinnesreizes verkenne, ist von _Strümpell_ -- und fast ebenso von
_Wundt_ -- dahin beantwortet worden, daß sie sich gegen solche im Schlaf
angreifende Reize unter den Bedingungen der Illusionsbildung befindet.
Ein Sinneseindruck wird von uns _erkannt_, _richtig gedeutet_, d. h.
unter die Erinnerungsgruppe eingereiht, in die er nach allen
vorausgegangenen Erfahrungen gehört, wenn der Eindruck stark, deutlich,
dauerhaft genug ist und wenn uns die für diese Überlegung erforderliche
Zeit zu Gebote steht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so verkennen
wir das Objekt, von dem der Eindruck herrührt; wir bilden auf Grund
desselben eine Illusion. »Wenn jemand auf freiem Felde spazieren geht
und einen entfernten Gegenstand undeutlich wahrnimmt, kann es kommen,
daß er denselben zuerst für ein Pferd hält.« Bei näherem Zusehen kann
die Deutung einer ruhenden Kuh sich aufdrängen und endlich kann sich die
Vorstellung mit Bestimmtheit in die einer Gruppe von sitzenden Menschen
auflösen. Ähnlich unbestimmter Natur sind nun die Eindrücke, welche die
Seele im Schlafe durch äußere Reize empfängt; sie bildet auf Grund
derselben Illusionen, indem durch den Eindruck eine größere oder
kleinere Anzahl von Erinnerungsbildern wachgerufen wird, durch welche
der Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Aus welchem der vielen in
Betracht kommenden Erinnerungskreise die zugehörigen Bilder geweckt
werden und welche der möglichen Assoziationsbeziehungen dabei in Kraft
treten, dies bleibt auch nach _Strümpell_ unbestimmbar und gleichsam der
Willkür des Seelenlebens überlassen.

 Illusionstheorie der objektiven Sinnesreize. -- Innere Sinnesreize.

Wir stehen hier vor einer Wahl. Wir können zugeben, daß die
Gesetzmäßigkeit in der Traumbildung wirklich nicht weiter zu verfolgen
ist, und somit verzichten zu fragen, ob die Deutung der durch den
Sinneseindruck hervorgerufenen Illusion nicht noch anderen Bedingungen
unterliegt. Oder wir können auf die Vermutung geraten, daß die im
Schlafe eingreifende objektive Sinnesreizung als Traumquelle nur eine
bescheidene Rolle spielt und daß andere Momente die Auswahl der
wachzurufenden Erinnerungsbilder determinieren. In der Tat, wenn man die
experimentell erzeugten Träume _Maurys_ prüft, die ich in dieser Absicht
so ausführlich mitgeteilt habe, so ist man versucht zu sagen, der
angestellte Versuch deckt eigentlich nur eines der Traumelemente nach
seiner Herkunft und der übrige Trauminhalt erscheint vielmehr zu
selbständig, zu sehr im einzelnen bestimmt, als daß er durch die eine
Anforderung, er müsse sich mit dem experimentell eingeführten Element
vertragen, aufgeklärt werden könnte. Ja man beginnt selbst an der
Illusionstheorie und an der Macht des objektiven Eindruckes, den Traum
zu gestalten, zu zweifeln, wenn man erfährt, daß dieser Eindruck
gelegentlich die allersonderbarste und entlegenste Deutung im Traume
erfährt. So erzählt z. B. M. _Simon_ einen Traum, in dem er riesenhafte
Personen bei Tische sitzen sah und deutlich das furchtbare Geklapper
hörte, das ihre aufeinanderschlagenden Kiefer beim Kauen erzeugten. Als
er erwachte, hörte er den Hufschlag eines vor seinem Fenster
vorbeigaloppierenden Pferdes. Wenn hier der Lärm der Pferdehufe gerade
Vorstellungen wie aus dem Erinnerungskreis von _Gullivers_ Reisen,
Aufenthalt bei den Riesen von _Brobdingnag_, wachgerufen hat, sollte die
Auswahl dieses für den Reiz so ungewöhnlichen Erinnerungskreises nicht
außerdem durch andere Motive erleichtert gewesen sein?(9)

  (9) Riesenhafte Personen im Traum lassen annehmen, daß es sich um
  eine Szene aus der Kindheit des Träumers handelt.

ad 2. _Innere (subjektive) Sinneserregung_.

Allen Einwendungen zum Trotz wird man zugeben müssen, daß die Rolle
objektiver Sinneserregungen während des Schlafes als Traumerreger
unbestritten feststeht, und wenn diese Reize ihrer Natur und Häufigkeit
nach vielleicht unzureichend erscheinen, um alle Traumbilder zu
erklären, so wird man darauf hingewiesen, nach anderen, aber ihnen
analog wirkenden Traumquellen zu suchen. Ich weiß nun nicht, wo zuerst
der Gedanke aufgetaucht ist, neben den äußeren Sinnesreizen die inneren
(subjektiven) Erregungen in den Sinnesorganen in Anspruch zu nehmen; es
ist aber Tatsache, daß dies in allen neueren Darstellungen der
Traumätiologie mehr oder minder nachdrücklich geschieht. »Eine
wesentliche Rolle spielen ferner, wie ich glaube,« sagt _Wundt_
(p. 363), »bei den Traumillusionen jene subjektiven Gesichts- und
Gehörsempfindungen, die uns aus dem wachen Zustand als Lichtchaos des
dunklen Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen usw., bekannt
sind, unter ihnen namentlich die subjektiven Netzhauterregungen. So
erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes, ähnliche oder ganz
übereinstimmende Objekte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern. Zahllose
Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dgl. sehen wir
vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunklen Gesichtsfeldes
phantastische Gestalt angenommen und die zahlreichen Lichtpunkte, aus
denen derselbe besteht, werden von dem Traume in ebenso vielen
Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des Lichtchaos als
bewegte Gegenstände angeschaut werden. -- Hierin wurzelt wohl auch die
große Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Tiergestalten, deren
Formenreichtum sich der besonderen Form der subjektiven Lichtbilder
leicht anschmiegt.«

Die subjektiven Sinneserregungen haben als Quelle der Traumbilder
offenbar den Vorzug, daß sie nicht wie die objektiven vom äußeren
Zufalle abhängig sind. Sie stehen sozusagen der Erklärung zu Gebote, so
oft diese ihrer bedarf. Sie stehen aber hinter den objektiven
Sinnesreizen darin zurück, daß sie jener Bestätigung ihrer Rolle als
Traumerreger, welche Beobachtung und Experiment bei den letzteren
ergeben, nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Den Haupterweis für
die traumerregende Macht subjektiver Sinneserregungen erbringen die
sogenannten hypnagogischen Halluzinationen, die von _Joh. Müller_ als
»phantastische Gesichtserscheinungen« beschrieben worden sind. Es sind
dies oft sehr lebhafte, wechselvolle Bilder, die sich in der Periode des
Einschlafens bei vielen Menschen ganz regelmäßig einzustellen pflegen
und auch nach dem Öffnen der Augen eine Weile bestehen bleiben können.
_Maury_, der ihnen im hohen Grade unterworfen war, hat ihnen eine
eingehende Würdigung zugewendet und ihren Zusammenhang, ja vielmehr ihre
Identität mit den Traumbildern (wie übrigens schon _Joh. Müller_)
behauptet. Für ihre Entstehung, sagt _Maury_, ist eine gewisse seelische
Passivität, ein Nachlaß der Aufmerksamkeitsspannung erforderlich
(p. 59 u. f.). Es genügt aber, daß man auf eine Sekunde in solche
Lethargie verfalle, um bei sonstiger Disposition eine hypnagogische
Halluzination zu sehen, nach der man vielleicht wieder aufwacht, bis daß
sich das mehrmals wiederholende Spiel mit dem Einschlafen endigt.
Erwacht man dann nach nicht zu langer Zeit, so gelingt es nach _Maury_
häufig, im Traume dieselben Bilder nachzuweisen, die einem als
hypnagogische Halluzinationen vor dem Einschlafen vorgeschwebt haben
(p. 134). So erging es _Maury_ einmal mit einer Reihe von grotesken
Gestalten mit verzerrten Mienen und sonderbaren Frisuren, die ihn mit
unglaublicher Aufdringlichkeit in der Periode des Einschlafens
belästigten und von denen er nach dem Erwachen sich erinnerte, geträumt
zu haben. Ein andermal, als er gerade an Hungergefühl litt, weil er sich
schmale Diät auferlegt hatte, sah er hypnagogisch eine Schüssel und eine
mit einer Gabel bewaffnete Hand, die sich etwas von der Speise in der
Schüssel holte. Im Traume befand er sich an einer reichgedeckten Tafel
und hörte das Geräusch, das die Speisenden mit ihren Gabeln machten. Ein
andermal, als er mit gereizten und schmerzenden Augen einschlief, hatte
er die hypnagogische Halluzination von mikroskopisch kleinen Zeichen,
die er mit großer Anstrengung einzeln entziffern mußte; nach einer
Stunde aus dem Schlafe geweckt, erinnerte er sich an einen Traum, in dem
ein aufgeschlagenes Buch, mit sehr kleinen Lettern gedruckt, vorkam,
welches er mühselig hatte durchlesen müssen.

 Hypnagogische Halluzinationen. -- Innerer, organischer Leibreiz.

Ganz ähnlich wie diese Bilder können auch Gehörshalluzinationen von
Worten, Namen usw. hypnagogisch auftreten und dann im Traum sich
wiederholen, als Ouverture gleichsam, welche die Leitmotive der mit ihr
beginnenden Oper ankündigt.

Auf den nämlichen Wegen wie _Joh. Müller_ und _Maury_ wandelt ein
neuerer Beobachter der hypnagogischen Halluzinationen, G. _Trumbull
Ladd_. Er brachte es durch Übung dahin, daß er sich 2 bis 5 Minuten nach
dem allmählichen Einschlafen jäh aus dem Schlafe reißen konnte, ohne die
Augen zu öffnen, und hatte dann die Gelegenheit, die eben
entschwindenden Netzhautempfindungen mit den in der Erinnerung
überlebenden Traumbildern zu vergleichen. Er versichert, daß sich
jedesmal eine innige Beziehung zwischen beiden erkennen ließ in der
Weise, daß die leuchtenden Punkte und Linien des Eigenlichtes der
Netzhaut gleichsam die Umrißzeichnung, das Schema für die psychisch
wahrgenommenen Traumgestalten brachten. Einem Traume z. B., in welchem
er deutlich gedruckte Zeilen vor sich sah, die er las und studierte,
entsprach eine Anordnung der leuchtenden Punkte in der Netzhaut in
parallelen Linien. Um es mit seinen Worten zu sagen: Die klar bedruckte
Seite, die er im Traume gelesen, löste sich in ein Objekt auf, das
seiner wachen Wahrnehmung erschien wie ein Stück eines reellen
bedruckten Blattes, das man aus allzu großer Entfernung, um etwas
deutlich auszunehmen, durch ein Löchelchen in einem Stücke Papier
ansieht. _Ladd_ meint, ohne übrigens den zentralen Anteil des Phänomens
zu unterschätzen, daß kaum ein visueller Traum in uns abläuft, der sich
nicht an das Material der inneren Erregungszustände der Netzhaut
anlehnte. Besonders gilt dies für die Träume kurz nach dem Einschlafen
im dunklen Zimmer, während für die Träume am Morgen nahe dem Erwachen
das objektive, im erhellten Zimmer ins Auge dringende Licht die
Reizquelle abgebe. Der wechselvolle, unendlich abänderungsfähige
Charakter der Eigenlichterregung entspricht genau der unruhigen
Bilderflucht, die unsere Träume uns vorführen. Wenn man den
Beobachtungen von _Ladd_ Bedeutung beimißt, wird man die Ergiebigkeit
dieser subjektiven Reizquelle für den Traum nicht gering anschlagen
können, denn Gesichtsbilder machen bekanntlich den Hauptbestandteil
unserer Träume aus. Der Beitrag von anderen Sinnesgebieten bis auf den
des Gehörs ist geringfügiger und inkonstant.

ad 3. _Innerer, organischer Leibreiz_. Wenn wir auf dem Wege sind, die
Traumquellen nicht außerhalb, sondern innerhalb des Organismus zu
suchen, so müssen wir uns daran erinnern, daß fast alle unsere inneren
Organe, die im Zustand der Gesundheit uns kaum Kunde von ihrem Bestand
geben, in Zuständen von Reizung -- die wir so heißen -- oder in
Krankheiten eine Quelle von meist peinlichen Empfindungen für uns
werden, welche den Erregern der von außen anlangenden Schmerz- und
Empfindungsreize gleichgestellt werden muß. Es sind sehr alte
Erfahrungen, welche z. B. _Strümpell_ zu der Aussage veranlassen
(p. 107): »Die Seele gelangt im Schlafe zu einem viel tieferen und
breiteren Empfindungsbewußtsein von ihrer Leiblichkeit als im Wachen und
ist genötigt, gewisse Reizeindrücke zu empfangen und auf sich wirken zu
lassen, die aus Teilen und Veränderungen ihres Körpers herstammen, von
denen sie im Wachen nichts wußte.« Schon _Aristoteles_ erklärt es für
sehr wohl möglich, daß man im Traume auf beginnende Krankheitszustände
aufmerksam gemacht würde, von denen man im Wachen noch nichts merkt
(kraft der Vergrößerung, die der Traum den Eindrücken angedeihen läßt,
siehe p. 2) und ärztliche Autoren, deren Anschauung es sicherlich fern
lag, an eine prophetische Gabe des Traumes zu glauben, haben wenigstens
für die Krankheitsankündigung diese Bedeutung des Traumes gelten lassen.
(Vgl. M. _Simon_, p. 31, und viele ältere Autoren)(10).

  (10) Außer dieser diagnostischen Verwertung der Träume (z. B. bei
  _Hippokrates_) muß man ihrer therapeutischen Bedeutung im Altertum
  gedenken.

  Bei den Griechen gab es Traumorakel, welche gewöhnlich Genesung
  suchende Kranke aufzusuchen pflegten. Der Kranke ging in den Tempel
  des Apollo oder des Äskulap, dort wurde er verschiedenen Zeremonien
  unterworfen, gebadet, gerieben, geräuchert, und so in Exaltation
  versetzt, legte man ihn im Tempel auf das Fell eines geopferten
  Widders. Er schlief ein und träumte von Heilmitteln, die ihm in
  natürlicher Gestalt oder in Symbolen und Bildern gezeigt wurden,
  welche dann die Priester deuteten.

  Weiteres über die Heilträume der Griechen bei _Lehmann_ I, 74,
  _Bouché-Leclercq_, _Hermann_, Gottesd. Altert. d. Gr. § 41,
  Privataltert., § 38, 16, _Böttiger_ in Sprengels Beitr. z. Gesch. d.
  Med. II, p. 163 ff., W. _Lloyd_, Magnetism and Mesmerism in antiquity,
  London, 1877, _Döllinger_, Heidentum und Judentum, p. 139.

Es scheint an beglaubigten Beispielen für solche diagnostische
Leistungen des Traumes auch aus neuerer Zeit nicht zu fehlen. So z. B.
berichtet _Tissié_ nach _Artigues_ (Essai sur la valeur séméiologique
des rêves) die Geschichte einer 43 jährigen Frau, die durch einige Jahre
in scheinbar voller Gesundheit von Angstträumen heimgesucht wurde und
bei der die ärztliche Untersuchung dann eine beginnende Herzaffektion
aufwies, welcher sie alsbald erlag.

Ausgebildete Störungen der inneren Organe wirken offenbar bei einer
ganzen Reihe von Personen als Traumerreger. Allgemein wird auf die
Häufigkeit der Angstträume bei Herz- und Lungenkranken hingewiesen, ja
diese Beziehung des Traumlebens wird von vielen Autoren so sehr in den
Vordergrund gedrängt, daß ich mich hier mit der bloßen Verweisung auf
die Literatur (_Radestock_, _Spitta_, _Maury_, M. _Simon_, _Tissié_)
begnügen kann. _Tissié_ meint sogar, daß die erkrankten Organe dem
Trauminhalt das charakteristische Gepräge aufdrücken. Die Träume der
Herzkranken sind gewöhnlich sehr kurz und enden mit schreckhaftem
Erwachen; fast immer spielt im Inhalt derselben die Situation des Todes
unter gräßlichen Umständen eine Rolle. Die Lungenkranken träumen von
Ersticken, Gedränge, Flucht und sind in auffälliger Zahl dem bekannten
Alptraume unterworfen, den übrigens _Börner_ durch Lagerung aufs
Gesicht, durch Verdeckung der Respirationsöffnungen experimentell hat
hervorrufen können. Bei Digestionsstörung enthält der Traum
Vorstellungen aus dem Kreise des Genießens und des Ekels. Der Einfluß
sexueller Erregung endlich auf den Inhalt der Träume ist für die
Erfahrung eines jeden einzelnen greifbar genug und leiht der ganzen
Lehre von der Traumerregung durch Organreiz ihre stärkste Stütze.

 Die Theorie der Organreize und Organempfindungen.

Es ist auch, wenn man die Literatur des Traumes durcharbeitet, ganz
unverkennbar, daß einzelne der Autoren (_Maury_, _Weygandt_) durch den
Einfluß ihrer eigenen Krankheitszustände auf den Inhalt ihrer Träume zur
Beschäftigung mit den Traumproblemen geführt worden sind.

Der Zuwachs an Traumquellen aus diesen unzweifelhaft festgestellten
Tatsachen ist übrigens nicht so bedeutsam, als man meinen möchte. Der
Traum ist ja ein Phänomen, das sich bei Gesunden -- vielleicht bei
allen, vielleicht allnächtlich -- einstellt, und das Organerkrankung
offenbar nicht zu seinen unentbehrlichen Bedingungen zählt. Es handelt
sich für uns aber nicht darum, woher besondere Träume rühren, sondern
was für die gewöhnlichen Träume normaler Menschen die Reizquelle sein
mag.

Indes bedarf es jetzt nur eines Schrittes weiter, um auf eine
Traumquelle zu stoßen, die reichlicher fließt als jede frühere und
eigentlich für keinen Fall zu versiegen verspricht. Wenn es
sichergestellt ist, daß das Körperinnere im kranken Zustand zur Quelle
der Traumreize wird, und wenn wir zugeben, daß die Seele im
Schlafzustand, von der Außenwelt abgelenkt, dem Innern des Leibes
größere Aufmerksamkeit zuwenden kann, so liegt es nahe, anzunehmen, daß
die Organe nicht erst zu erkranken brauchen, um Erregungen, die
irgendwie zu Traumbildern werden, an die schlafende Seele gelangen zu
lassen. Was wir im Wachen dumpf als Gemeingefühl nur seiner Qualität
nach wahrnehmen und wozu nach der Meinung der Ärzte alle Organsysteme
ihre Beiträge leisten, das würde nachts, zur kräftigen Einwirkung
gelangt und mit seinen einzelnen Komponenten tätig, die mächtigste und
gleichzeitig die gewöhnlichste Quelle für die Erweckung der
Traumvorstellungen ergeben. Es erübrigte dann noch die Untersuchung,
nach welchen Regeln sich die Organreize in Traumvorstellungen umsetzen.

Wir haben hier jene Theorie der Traumentstehung berührt, welche die
bevorzugte bei allen ärztlichen Autoren geworden ist. Das Dunkel, in
welches der Kern unseres Wesens, das »moi splanchnique«, wie _Tissié_ es
nennt, für unsere Kenntnis gehüllt ist und das Dunkel der
Traumentstehung entsprechen einander zu gut, um nicht in Beziehung
zueinander gebracht zu werden. Der Ideengang, welcher die vegetative
Organempfindung zum Traumbildner macht, hat überdies für den Arzt den
anderen Anreiz, daß er Traum und Geistesstörung, die soviel
Übereinstimmung in ihren Erscheinungen zeigen, auch ätiologisch
vereinigen läßt, denn Alterationen des Gemeingefühles und Reize, die von
den inneren Organen ausgehen, werden auch einer weitreichenden Bedeutung
für die Entstehung der Psychosen bezichtigt. Es ist darum nicht zu
verwundern, wenn die Leibreiztheorie sich auf mehr als einen Urheber,
der sie selbständig angegeben, zurückführen läßt.

Für eine Reihe von Autoren wurde der Gedankengang maßgebend, den der
Philosoph _Schopenhauer_ im Jahre 1851 entwickelt hat. Das Weltbild
entsteht in uns dadurch, daß unser Intellekt die ihn von außen
treffenden Eindrücke in die Formen der Zeit, des Raumes und der
Kausalität umgießt. Die Reize aus dem Innern des Organismus, vom
sympathischen Nervensystem her, äußern bei Tag höchstens einen
unbewußten Einfluß auf unsere Stimmung. Bei Nacht aber, wenn die
übertäubende Wirkung der Tageseindrücke aufgehört hat, vermögen jene aus
dem Innern heraufdringenden Eindrücke sich Aufmerksamkeit zu verschaffen
-- ähnlich wie wir bei Nacht die Quelle rieseln hören, die der Lärm des
Tages unvernehmbar machte. Wie anders aber soll der Intellekt auf diese
Reize reagieren, als indem er seine ihm eigentümliche Funktion
vollzieht? Er wird also die Reize zu raum- und zeiterfüllenden
Gestalten, die sich am Leitfaden der Kausalität bewegen, umformen und so
entsteht der Traum. In die nähere Beziehung zwischen Leibreizen und
Traumbildern versuchten dann _Scherner_ und nach ihm _Volkelt_
einzudringen, deren Würdigung wir uns auf den Abschnitt über die
Traumtheorien aufsparen.

In einer besonders konsequent durchgeführten Untersuchung hat der
Psychiater _Krauss_ die Entstehung des Traumes wie der Delirien und
Wahnideen von dem nämlichen Element, der _organisch bedingten
Empfindung_, abgeleitet. Es lasse sich kaum eine Stelle des Organismus
denken, welche nicht der Ausgangspunkt eines Traumes oder Wahnbildes
werden könne. Die organisch bedingte Empfindung »läßt sich aber in zwei
Reihen trennen: 1. in die der Totalstimmungen (Gemeingefühle), 2. in die
spezifischen, den Hauptsystemen des vegetativen Organismus immanenten
Sensationen, wovon wir fünf Gruppen unterschieden haben, a) die
Muskelempfindungen, b) die pneumatischen, c) die gastrischen, d) die
sexuellen und e) die peripherischen« (p. 33 des zweiten Artikels).

Den Hergang der Traumbilderentstehung auf Grund der Leibreize nimmt
_Krauss_ folgendermaßen an: Die geweckte Empfindung ruft nach irgend
einem Assoziationsgesetz eine ihr verwandte Vorstellung wach und
verbindet sich mit ihr zu einem organischen Gebilde, gegen welches sich
aber das Bewußtsein anders verhält als normal. Denn dies schenkt der
Empfindung selbst keine Aufmerksamkeit, sondern wendet sie ganz den
begleitenden Vorstellungen zu, was zugleich der Grund ist, warum dieser
Sachverhalt solange verkannt werden konnte (p. 11 u. f.). _Krauss_
findet für den Vorgang auch den besonderen Ausdruck der
_Transsubstantiation_ der Empfindungen in Traumbilder (p. 24).

 Organischer Leibreiz und typische Träume.

Der Einfluß der organischen Leibreize auf die Traumbildung wird heute
nahezu allgemein angenommen, die Frage nach dem Gesetze der Beziehung
zwischen beiden sehr verschiedenartig, oftmals mit dunklen Auskünften,
beantwortet. Es ergibt sich nun auf dem Boden der Leibreiztheorie die
besondere Aufgabe der Traumdeutung, den Inhalt eines Traumes auf die ihn
verursachenden organischen Reize zurückzuführen, und wenn man nicht die
von _Scherner_ aufgefundenen Deutungsregeln anerkennt, steht man oft vor
der mißlichen Tatsache, daß die organische Reizquelle sich eben durch
nichts anderes als durch den Inhalt des Traumes verrät.

Ziemlich übereinstimmend hat sich aber die Deutung verschiedener
Traumformen gestaltet, die man als »typische« bezeichnet hat, weil sie
bei so vielen Personen mit ganz ähnlichem Inhalt wiederkehren. Es sind
dies die bekannten Träume vom Herabfallen von einer Höhe, vom
Zahnausfallen, vom Fliegen und von der Verlegenheit, daß man nackt oder
schlecht bekleidet ist. Letzterer Traum soll einfach von der im Schlafe
gemachten Wahrnehmung herrühren, daß man die Bettdecke abgeworfen hat
und nun entblößt daliegt. Der Traum vom Zahnausfallen wird auf
»Zahnreiz« zurückgeführt, womit aber nicht ein krankhafter
Erregungszustand der Zähne gemeint zu sein braucht. Der Traum zu fliegen
ist nach _Strümpell_, der hierin _Scherner_ folgt, das von der Seele
gebrauchte adäquate Bild, womit sie das von den auf- und
niedersteigenden Lungenflügeln ausgehende Reizquantum deutet, wenn
gleichzeitig das Hautgefühl des Thorax schon bis zur Bewußtlosigkeit
herabgesunken ist. Durch den letzteren Umstand wird die an die
Vorstellungsform des Schwebens gebundene Empfindung vermittelt. Das
Herabfallen aus der Höhe soll darin seinen Anlaß haben, daß bei
eingetretener Bewußtlosigkeit des Hautdruckgefühles entweder ein Arm vom
Körper herabsinkt oder ein eingezogenes Knie plötzlich gestreckt wird,
wodurch das Gefühl des Hautdruckes wieder bewußt wird, der Übergang zum
Bewußtwerden aber als Traum vom Niederfallen sich psychisch verkörpert
(_Strümpell_, p. 118). Die Schwäche dieser plausibeln Erklärungsversuche
liegt offenbar darin, daß sie ohne weiteren Anhalt die oder jene Gruppe
von Organempfindungen aus der seelischen Wahrnehmung verschwinden oder
sich ihr aufdrängen lassen, bis die für die Erklärung günstige
Konstellation hergestellt ist. Ich werde übrigens später Gelegenheit
haben, auf die typischen Träume und ihre Entstehung zurückzukommen.

M. _Simon_ hat versucht, aus der Vergleichung einer Reihe von ähnlichen
Träumen einige Regeln für den Einfluß der Organreize auf die Bestimmung
ihrer Traumerfolge abzuleiten. Er sagt (p. 34): Wenn im Schlafe irgend
ein Organapparat, der normaler Weise am Ausdruck eines Affektes
beteiligt ist, durch irgend einen anderen Anlaß sich in dem
Erregungszustand befindet, in den er sonst bei jenem Affekt versetzt
wird, so wird der dabei entstehende Traum Vorstellungen enthalten, die
dem Affekt angepaßt sind.

Eine andere Regel lautet (p. 35): Wenn ein Organapparat sich im Schlafe
in Tätigkeit, Erregung oder Störung befindet, so wird der Traum
Vorstellungen bringen, welche sich auf die Ausübung der organischen
Funktion beziehen, die jener Apparat versieht.

_Mourly Vold_ (1896) hat es unternommen, den von der Leibreiztheorie
supponierten Einfluß auf die Traumerzeugung für ein einzelnes Gebiet
experimentell zu erweisen. Er hat Versuche gemacht, die Stellungen der
Glieder des Schlafenden zu verändern und die Traumerfolge mit seinen
Abänderungen verglichen. Er teilt folgende Sätze als Ergebnis mit:

1. Die Stellung eines Gliedes im Traume entspricht ungefähr der in der
Wirklichkeit, d. h. man träumt von einem statischen Zustand des Gliedes,
welcher dem realen entspricht.

2. Wenn man von der Bewegung eines Gliedes träumt, so ist diese immer
so, daß eine der bei ihrer Vollziehung vorkommenden Stellungen der
wirklichen entspricht.

3. Man kann die Stellung des eigenen Gliedes im Traume auch einer
fremden Person zuschieben.

4. Man kann auch träumen, daß die betreffende Bewegung gehindert ist.

5. Das Glied in der betreffenden Stellung kann im Traume als Tier oder
Ungeheuer erscheinen, wobei eine gewisse Analogie beider hergestellt
wird.

6. Die Stellung eines Gliedes kann im Traume Gedanken anregen, die zu
diesem Gliede irgend eine Beziehung haben. So z. B. träumt man bei
Beschäftigung mit den Fingern von Zahlen.

Ich würde aus solchen Ergebnissen schließen, daß auch die
Leibreiztheorie die scheinbare Freiheit in der Bestimmung der zu
erweckenden Traumbilder nicht gänzlich auszulöschen vermag(11).

  (11) Näheres über die seither in zwei Bänden veröffentlichten
  Traumprotokolle dieses Forschers siehe unten.

 Die psychischen Traumquellen.

ad 4. _Psychische Reizquellen_. Als wir die Beziehungen des Traumes zum
Wachleben und die Herkunft des Traummaterials behandelten, erfuhren wir,
es sei die Ansicht der ältesten wie der neuesten Traumforscher, daß die
Menschen von dem träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen
interessiert. Dieses aus dem Wachleben in den Schlaf sich fortsetzende
Interesse wäre nicht nur ein psychisches Band, das den Traum ans Leben
knüpft, sondern ergibt uns auch eine nicht zu unterschätzende
Traumquelle, die neben dem im Schlafe interessant Gewordenen -- den
während des Schlafes einwirkenden Reizen -- ausreichen sollte, die
Herkunft aller Traumbilder aufzuklären. Wir haben aber auch den
Widerspruch gegen obige Behauptung gehört, nämlich daß der Traum den
Schläfer von den Interessen des Tages abzieht und daß wir -- meistens --
von den Dingen, die uns bei Tag am mächtigsten ergriffen haben, erst
dann träumen, wenn sie für das Wachleben den Reiz der Aktualität
verloren haben. So erhalten wir in der Analyse des Traumlebens bei jedem
Schritt den Eindruck, daß es unstatthaft ist, allgemeine Regeln
aufzustellen, ohne durch ein »oft«, »in der Regel«, »meistens«
Einschränkungen vorzusehen und auf die Gültigkeit der Ausnahmen
vorzubereiten.

Wenn das Wachinteresse nebst den inneren und äußeren Schlafreizen zur
Deckung der Traumätiologie ausreichte, so müßten wir im stande sein, von
der Herkunft aller Elemente eines Traumes befriedigende Rechenschaft zu
geben; das Rätsel der Traumquellen wäre gelöst und es bliebe noch die
Aufgabe, den Anteil der psychischen und der somatischen Traumreize in
den einzelnen Träumen abzugrenzen. In Wirklichkeit ist diese
vollständige Auflösung eines Traumes noch in keinem Falle gelungen und
jedem, der dies versucht hat, sind -- meist sehr reichlich --
Traumbestandteile übrig geblieben, über deren Herkunft er keine Aussage
machen konnte. Das Tagesinteresse als psychische Traumquelle trägt
offenbar nicht so weit, als man nach den zuversichtlichen Behauptungen,
daß jeder im Traume sein Geschäft weiter betreibe, erwarten sollte.

Andere psychische Traumquellen sind nicht bekannt. Es lassen also alle
in der Literatur vertretenen Traumerklärungen -- mit Ausnahme etwa der
später zu erwähnenden von _Scherner_ -- eine große Lücke offen, wo es
sich um die Ableitung des für den Traum am meisten charakteristischen
Materials an Vorstellungsbildern handelt. In dieser Verlegenheit hat die
Mehrzahl der Autoren die Neigung entwickelt, den psychischen Anteil an
der Traumerregung, dem so schwer beizukommen ist, möglichst zu
verkleinern. Sie unterscheiden zwar als Haupteinteilung den _Nervenreiz_
und den _Assoziationstraum_, welch letzterer ausschließlich in der
Reproduktion seine Quelle findet (_Wundt_, p. 365), aber sie können den
Zweifel nicht loswerden, »ob sie sich ohne anstoßgebenden Leibreiz
einstellen« (_Volkelt_, p. 127). Auch die Charakteristik des reinen
Assoziationstraumes versagt: »In den eigentlichen Assoziationsträumen
kann von einem solchen festen Kerne nicht mehr die Rede sein. Hier
dringt die lose Gruppierung auch in den Mittelpunkt des Traumes ein. Das
ohnedies von Vernunft und Verstand freigelassene Vorstellungsleben ist
hier auch von jenen gewichtvolleren Leib- und Seelenerregungen nicht
mehr zusammengehalten und so seinem eigenen bunten Schieben und Treiben,
seinem eigenen lockeren Durcheinandertaumeln überlassen« (_Volkelt_,
p. 118). Eine Verkleinerung des psychischen Anteiles an der
Traumerregung versucht dann _Wundt_, indem er ausführt, daß man die
»Phantasmen des Traumes wohl mit Unrecht als reine Halluzinationen
ansehe. Wahrscheinlich sind die meisten Traumvorstellungen in
Wirklichkeit Illusionen, indem sie von den leisen Sinneseindrücken
ausgehen, die niemals im Schlafe erlöschen« (p. 359 u. f.). _Weygandt_
hat sich diese Ansicht angeeignet und sie verallgemeinert. Er behauptet
für alle Traumvorstellungen, daß ihre nächste Ursache Sinnesreize sind,
daran erst schließen sich reproduktive Assoziationen (p. 17). Noch
weiter in der Verdrängung der psychischen Reizquellen geht _Tissié_
(p. 183): Les rêves d'origine absolument psychique n'existent pas, und
anderswo (p. 6): les pensées de nos rêves nous viennent du
dehors . . . .

Diejenigen Autoren, welche wie der einflußreiche Philosoph _Wundt_ eine
Mittelstellung einnehmen, versäumen nicht anzumerken, daß in den meisten
Träumen somatische Reize und die unbekannten oder als Tagesinteresse
erkannten psychischen Anreger des Traumes zusammenwirken.

Wir werden später erfahren, daß das Rätsel der Traumbildung durch die
Aufdeckung einer unvermuteten psychischen Reizquelle gelöst werden kann.
Vorläufig wollen wir uns über die Überschätzung der nicht aus dem
Seelenleben stammenden Reize zur Traumbildung nicht verwundern. Nicht
nur daß diese allein leicht aufzufinden und selbst durchs Experiment zu
bestätigen sind; es entspricht auch die somatische Auffassung der
Traumentstehung durchweg der heute in der Psychiatrie herrschenden
Denkrichtung. Die Herrschaft des Gehirns über den Organismus wird zwar
nachdrücklichst betont, aber alles, was eine Unabhängigkeit des
Seelenlebens von nachweisbaren organischen Veränderungen oder eine
Spontaneität in dessen Äußerungen erweisen könnte, schreckt den
Psychiater heute so, als ob dessen Anerkennung die Zeiten der
Naturphilosophie und des metaphysischen Seelenwesens wiederbringen
müßte. Das Mißtrauen des Psychiaters hat die Psyche gleichsam unter
Kuratel gesetzt und fordert nun, daß keine ihrer Regungen ein ihr
eigenes Vermögen verrate. Doch zeigt dies Benehmen von nichts anderem
als von einem geringen Zutrauen in die Haltbarkeit der Kausalverkettung,
die sich zwischen Leiblichem und Seelischem erstreckt. Selbst wo das
Psychische sich bei der Erforschung als der primäre Anlaß eines
Phänomens erkennen läßt, wird ein tieferes Eindringen die Fortsetzung
des Weges bis zur organischen Begründung des Seelischen einmal zu finden
wissen. Wo aber das Psychische für unsere derzeitige Erkenntnis die
Endstation bedeuten müßte, da braucht es darum nicht geleugnet zu
werden.


d) _Warum man den Traum nach dem Erwachen vergißt_?

Daß der Traum am Morgen »zerrinnt« ist sprichwörtlich. Freilich ist er
der Erinnerung fähig. Denn wir kennen den Traum ja nur aus der
Erinnerung an ihn nach dem Erwachen; aber wir glauben sehr oft, daß wir
ihn nur unvollständig erinnern, während in der Nacht mehr von ihm da
war; wir können beobachten, wie eine des Morgens noch lebhafte
Traumerinnerung im Laufe des Tages bis auf kleine Brocken
dahinschwindet; wir wissen oft, daß wir geträumt haben, aber nicht,
_was_ wir geträumt haben, und wir sind an die Erfahrung, daß der Traum
dem Vergessen unterworfen ist, so gewöhnt, daß wir die Möglichkeit nicht
als absurd verwerfen, daß auch der bei Nacht geträumt haben könnte, der
am Morgen weder vom Inhalt noch von der Tatsache des Träumens etwas
weiß. Anderseits kommt es vor, daß Träume eine außerordentliche
Haltbarkeit im Gedächtnisse zeigen. Ich habe bei meinen Patienten Träume
analysiert, die sich ihnen vor 25 und mehr Jahren ereignet hatten, und
kann mich an einen eigenen Traum erinnern, der durch mindestens 37 Jahre
vom heutigen Tage getrennt ist und doch an seiner Gedächtnisfrische
nichts eingebüßt hat. Dies alles ist sehr merkwürdig und zunächst nicht
verständlich.

 Das Vergessen der Träume.

Über das Vergessen der Träume handelt am ausführlichsten _Strümpell_.
Dies Vergessen ist offenbar ein komplexes Phänomen, denn _Strümpell_
führt es nicht auf einen einzigen, sondern auf eine ganze Reihe von
Gründen zurück.

Zunächst sind für das Vergessen der Träume alle jene Gründe wirksam, die
im Wachleben das Vergessen herbeiführen. Wir pflegen als Wachende eine
Unzahl von Empfindungen und Wahrnehmungen alsbald zu vergessen, weil sie
zu schwach waren, weil die an sie geknüpfte Seelenregung einen zu
geringen Grad hatte. Dasselbe ist rücksichtlich vieler Traumbilder der
Fall; sie werden vergessen, weil sie zu schwach waren, während stärkere
Bilder aus ihrer Nähe erinnert werden. Übrigens ist das Moment der
Intensität für sich allein sicher nicht entscheidend für die Erhaltung
der Traumbilder; _Strümpell_ gesteht wie auch andere Autoren (_Calkins_)
zu, daß man häufig Traumbilder rasch vergißt, von denen man weiß, daß
sie sehr lebhaft waren, während unter den im Gedächtnis erhaltenen sich
sehr viele schattenhafte, sinnesschwache Bilder befinden. Ferner pflegt
man im Wachen leicht zu vergessen, was sich nur einmal ereignet hat, und
besser zu merken, was man wiederholt wahrnehmen konnte. Die meisten
Traumbilder sind aber einmalige Erlebnisse(12); diese Eigentümlichkeit
wird gleichmäßig zum Vergessen aller Träume beitragen. Weit bedeutsamer
ist dann ein dritter Grund des Vergessens. Damit Empfindungen,
Vorstellungen, Gedanken usw. eine gewisse Erinnerungsgröße erlangen, ist
es notwendig, daß sie nicht vereinzelt bleiben, sondern Verbindungen und
Vergesellschaftungen passender Art eingehen. Löst man einen kleinen Vers
in seine Worte auf und schüttelt diese durcheinander, so wird es sehr
schwer, ihn zu merken. »Wohlgeordnet und in sachgemäßer Folge hilft ein
Wort dem anderen und das Ganze steht sinnvoll in der Erinnerung leicht
und lange fest. Widersinniges behalten wir im allgemeinen ebenso schwer
und ebenso selten wie das Verworrene und Ordnungslose.« Nun fehlt den
Träumen in den meisten Fällen Verständigkeit und Ordnung. Die
Traumkompositionen entbehren an sich der Möglichkeit ihres eigenen
Gedächtnisses und werden vergessen, weil sie meistens schon in den
nächsten Zeitmomenten auseinanderfallen. -- Zu diesen Ausführungen
stimmt allerdings nicht ganz, was _Radestock_ (p. 168) bemerkt haben
will, daß wir gerade die sonderbarsten Träume am besten behalten.

  (12) Periodisch wiederkehrende Träume sind wiederholt bemerkt worden;
  vgl. die Sammlung von _Chabaneix_.

Noch wirkungsvoller für das Vergessen des Traumes erscheinen _Strümpell_
andere Momente, die sich aus dem Verhältnis von Traum und Wachleben
ableiten. Die Vergeßlichkeit der Träume für das wache Bewußtsein ist
augenscheinlich nur das Gegenstück zu der früher erwähnten Tatsache, daß
der Traum (fast) nie geordnete Erinnerungen aus dem Wachleben, sondern
nur Einzelheiten aus demselben übernimmt, die er aus ihren gewohnten
psychischen Verbindungen reißt, in denen sie im Wachen erinnert werden.
Die Traumkomposition hat somit keinen Platz in der Gesellschaft der
psychischen Reihen, mit denen die Seele erfüllt ist. Es fehlen ihr alle
Erinnerungshilfen. »Auf diese Weise hebt sich das Traumgebilde gleichsam
von dem Boden unseres Seelenlebens ab und schwebt im psychischen Raume
wie eine Wolke am Himmel, die der neu belebte Atem rasch verweht«
(p. 87). Nach derselben Richtung wirkt der Umstand, daß mit dem Erwachen
sofort die herandrängende Sinneswelt die Aufmerksamkeit mit Beschlag
belegt, so daß vor dieser Macht die wenigsten Traumbilder standhalten
können. Diese weichen vor den Eindrücken des jungen Tages wie der Glanz
der Gestirne vor dem Lichte der Sonne.

An letzter Stelle ist als förderlich für das Vergessen der Träume der
Tatsache zu gedenken, daß die meisten Menschen ihren Träumen überhaupt
wenig Interesse entgegenbringen. Wer sich z. B. als Forscher eine
Zeitlang für den Traum interessiert, träumt währenddes auch mehr als
sonst, das heißt wohl: er erinnert seine Träume leichter und häufiger.

Zwei andere Gründe des Vergessens der Träume, die _Bonatelli_ bei
_Benini_ zu den _Strümpell_schen hinzugefügt, sind wohl bereits in
diesen enthalten, nämlich 1. daß die Veränderung des Gemeingefühles
zwischen Schlafen und Wachen der wechselseitigen Reproduktion ungünstig
ist und 2. daß die andere Anordnung des Vorstellungsmaterials im Traume
diesen sozusagen unübersetzbar fürs Wachbewußtsein macht.

 Psychologische Charaktere des Traumes.

Nach all diesen Gründen fürs Vergessen wird es, wie _Strümpell_ selbst
hervorhebt, erst recht merkwürdig, daß soviel von den Träumen doch in
der Erinnerung behalten wird. Die fortgesetzten Bemühungen der Autoren,
das Erinnern der Träume in Regeln zu fassen, kommen einem Eingeständnis
gleich, daß auch hier etwas rätselhaft und ungelöst geblieben ist. Mit
Recht sind einzelne Eigentümlichkeiten der Erinnerung an den Traum
neuerdings besonders bemerkt worden, z. B. daß man einen Traum, den man
am Morgen für vergessen hält, im Laufe des Tages aus Anlaß einer
Wahrnehmung erinnern kann, die zufällig an den -- doch vergessenen --
Inhalt des Traumes anrührt (_Radestock_, _Tissié_). Die gesamte
Erinnerung an den Traum unterliegt aber einer Einwendung, die geeignet
ist, ihren Wert in kritischen Augen recht ausgiebig herabzusetzen. Man
kann zweifeln, ob unsere Erinnerung, die soviel vom Traume wegläßt, das,
was sie erhalten hat, nicht verfälscht.

Solche Zweifel an der Exaktheit der Reproduktion des Traumes spricht
auch _Strümpell_ aus: »Dann geschieht es eben leicht, daß das wache
Bewußtsein unwillkürlich manches in die Erinnerung des Traumes einfügt:
man bildet sich ein, Allerlei geträumt zu haben, was der gewesene Traum
nicht enthielt.«

Besonders entschieden äußert sich _Jessen_ (p. 547):

»Außerdem ist aber bei der Untersuchung und Deutung zusammenhängender
und folgerichtiger Träume der, wie es scheint, bisher wenig beachtete
Umstand sehr in Betracht zu ziehen, daß es dabei fast immer mit der
Wahrheit hapert, weil wir, wenn wir einen gehabten Traum in unser
Gedächtnis zurückrufen, ohne es zu bemerken oder zu wollen, die Lücken
der Traumbilder ausfüllen und ergänzen. Selten und vielleicht niemals
ist ein zusammenhängender Traum so zusammenhängend gewesen, wie er uns
in der Erinnerung erscheint. Auch dem wahrheitsliebendsten Menschen ist
es kaum möglich, einen gehabten merkwürdigen Traum ohne allen Zusatz und
ohne alle Ausschmückung zu erzählen: das Bestreben des menschlichen
Geistes, alles im Zusammenhange zu erblicken, ist so groß, daß er bei
der Erinnerung eines einigermaßen unzusammenhängenden Traumes die Mängel
des Zusammenhanges unwillkürlich ergänzt.«

Fast wie eine Übersetzung dieser Worte _Jessens_ klingen die doch gewiß
selbständig konzipierten Bemerkungen von V. _Egger_ (1895):
». . . . . l'observation des rêves a ses difficultés spéciales et le
seul moyen d'éviter toute erreur en pareille matière est de confier au
papier sans le moindre retard ce que l'on vient d'éprouver et de
remarquer; sinon, l'oubli vient vite ou total ou partiel; l'oubli total
est sans gravité; mais l'oubli partiel est perfide; car si l'on se met
ensuite à raconter ce que l'on n'a pas oublié, on est exposé à compléter
par imagination les fragments incohérents et disjoints fournis par la
mémoire . . . .; on devient artiste à son insu, et le récit
périodiquement répété s'impose à la créance de son auteur, qui, de bonne
foi, le présente comme un fait authentique, dûment établi selon les
bonnes méthodes . . .«

Ganz ähnlich _Spitta_ (p. 338), der anzunehmen scheint, daß wir
überhaupt erst bei dem Versuche, den Traum zu reproduzieren, die Ordnung
in die lose miteinander assoziierten Traumelemente einführen -- »aus dem
_Nebeneinander_ ein _Hintereinander_, _Auseinander_ machen, also den
Prozeß der logischen Verbindung, der im Traume fehlt, hinzufügen«.

Da wir nun eine andere als eine objektive Kontrolle für die Treue
unserer Erinnerung nicht besitzen, diese aber beim Traume, der unser
eigenes Erlebnis ist und für den wir nur die Erinnerung als Quelle
kennen, nicht möglich ist, welcher Wert bleibt da unserer Erinnerung an
den Traum noch übrig?


e) _Die psychologischen Besonderheiten des Traumes_.

Wir gehen in der wissenschaftlichen Betrachtung des Traumes von der
Annahme aus, daß der Traum ein Ergebnis unserer eigenen Seelentätigkeit
ist; doch erscheint uns der fertige Traum als etwas Fremdes, zu dessen
Urheberschaft zu bekennen es uns so wenig drängt, daß wir ebenso gern
sagen: »Mir hat geträumt« wie: »Ich habe geträumt.« Woher rührt diese
»Seelenfremdheit« des Traumes? Nach unseren Erörterungen über die
Traumquellen sollten wir meinen, sie sei nicht durch das Material
bedingt, das in den Trauminhalt gelangt; dies ist ja zum größten Teil
dem Traumleben wie dem Wachleben gemeinsam. Man kann sich fragen, ob es
nicht Abänderungen der psychischen Vorgänge im Traume sind, welche
diesen Eindruck hervorrufen, und kann so eine psychologische
Charakteristik des Traumes versuchen.

Niemand hat die Wesensverschiedenheit von Traum- und Wachleben stärker
betont und zu weitergehenden Schlüssen verwendet als _G. Th. Fechner_ in
einigen Bemerkungen seiner Elemente der Psychophysik (p. 520, II. T.).
Er meint, »weder die einfache Herabdrückung des bewußten Seelenlebens
unter die Hauptschwelle«, noch die Abziehung der Aufmerksamkeit von den
Einflüssen der Außenwelt genüge, um die Eigentümlichkeiten des
Traumlebens dem wachen Leben gegenüber aufzuklären. Er vermutet
vielmehr, daß auch der _Schauplatz der Träume ein anderer ist als der
des wachen Vorstellungslebens_. »Sollte der Schauplatz der
psychophysischen Tätigkeit während des Schlafens und des Wachens
derselbe sein, so könnte der Traum meines Erachtens bloß eine auf einem
niederen Grade der Intensität sich haltende Fortsetzung des wachen
Vorstellungslebens sein und müßte übrigens dessen Stoff und dessen Form
teilen. Aber es verhält sich ganz anders.«

Was _Fechner_ mit einer solchen Umsiedelung der Seelentätigkeit meint,
ist wohl nicht klar geworden; auch hat kein anderer, soviel ich weiß,
den Weg weiter verfolgt, dessen Spur er in jener Bemerkung aufgezeigt.
Eine anatomische Deutung im Sinne der physiologischen Gehirnlokalisation
oder selbst mit Bezug auf die histologische Schichtung der Hirnrinde
wird man wohl auszuschließen haben. Vielleicht aber erweist sich der
Gedanke einmal als sinnreich und fruchtbar, wenn man ihn auf einen
seelischen Apparat bezieht, der aus mehreren hintereinander
eingeschalteten Instanzen aufgebaut ist.

Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder die andere der
greifbareren psychologischen Besonderheiten des Traumlebens
hervorzuheben und etwa zum Ausgangspunkte weiterreichender
Erklärungsversuche zu machen.

 Warum wir an die Realität der Traumbilder glauben?

Es ist mit Recht bemerkt worden, daß eine der Haupteigentümlichkeiten
des Traumlebens schon im Zustand des Einschlafens auftritt und als den
Schlaf einleitendes Phänomen zu bezeichnen ist. Das Charakteristische
des wachen Zustandes ist nach _Schleiermacher_ (p. 351), daß die
Denktätigkeit in _Begriffen_ und nicht in _Bildern_ vor sich geht. Nun
denkt der Traum hauptsächlich in Bildern, und man kann beobachten, daß
mit der Annäherung an den Schlaf in demselben Maße, in dem die gewollten
Tätigkeiten sich erschwert zeigen, _ungewollte Vorstellungen_
hervortreten, die alle in die Klasse der Bilder gehören. Die Unfähigkeit
zu solcher Vorstellungsarbeit, die wir als absichtlich gewollte
empfinden, und das mit dieser _Zerstreuung_ regelmäßig verknüpfte
Hervortreten von Bildern, dies sind zwei Charaktere, die dem Traume
verbleiben und die wir bei der psychologischen Analyse desselben als
wesentliche Charaktere des Traumlebens anerkennen müssen. Von den
Bildern -- den hypnagogischen Halluzinationen -- haben wir erfahren, daß
sie selbst dem Inhalt nach mit den Traumbildern identisch sind(13).

  (13) H. _Silberer_ hat an schönen Beispielen gezeigt, wie sich
  selbst abstrakte Gedanken im Zustande der Schläfrigkeit in
  anschaulich-plastische Bilder umsetzen, die das nämliche ausdrücken
  wollen. (Jahrbuch von _Bleuler-Freud_, Band I, 1909.)

Der Traum denkt also vorwiegend in visuellen Bildern, aber doch nicht
ausschließlich. Er arbeitet auch mit Gehörsbildern und in geringerem
Ausmaße mit den Eindrücken der anderen Sinne. Vieles wird auch im Traume
einfach gedacht oder vorgestellt (wahrscheinlich also durch
Wortvorstellungsreste vertreten), ganz wie sonst im Wachen.
Charakteristisch für den Traum sind aber doch nur jene Inhaltselemente,
welche sich wie Bilder verhalten, d. h. den Wahrnehmungen ähnlicher sind
als den Erinnerungsvorstellungen. Mit Hinwegsetzung über alle die dem
Psychiater wohlbekannten Diskussionen über das Wesen der Halluzination
können wir mit allen sachkundigen Autoren aussagen, daß der Traum
_halluziniert_, daß er Gedanken durch Halluzinationen ersetzt. In dieser
Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen visuellen und akustischen
Vorstellungen; es ist bemerkt worden, daß die Erinnerung an eine
Tonfolge, mit der man einschläft, sich beim Versinken in den Schlaf in
die Halluzination derselben Melodie verwandelt, um beim Zusichkommen,
das mit dem Einnicken mehrmals abwechseln kann, wieder der leiseren und
qualitativ anders gearteten Erinnerungsvorstellung Platz zu machen.

Die Verwandlung der Vorstellung in Halluzination ist nicht die einzige
Abweichung des Traumes von einem etwa ihm entsprechenden Wachgedanken.
Aus diesen Bildern gestaltet der Traum eine Situation, er stellt etwas
als gegenwärtig dar, er _dramatisiert_ eine Idee, wie _Spitta_ (p. 145)
es ausdrückt. Die Charakteristik dieser Seite des Traumlebens wird aber
erst vollständig, wenn man hinzunimmt, daß man beim Träumen -- in der
Regel; die Ausnahmen fordern eine besondere Aufklärung -- nicht zu
denken, sondern zu erleben vermeint, die Halluzination also mit vollem
Glauben aufnimmt. Die Kritik, man habe nichts erlebt, sondern nur in
eigentümlicher Form gedacht -- geträumt, regt sich erst beim Erwachen.
Dieser Charakter scheidet den echten Schlaftraum von der Tagträumerei,
die niemals mit der Realität verwechselt wird.

_Burdach_ hat die bisher betrachteten Charaktere des Traumlebens in
folgenden Sätzen zusammengefaßt (p. 476): »Zu den wesentlichen Merkmalen
des Traumes gehört: a) daß die subjektive Tätigkeit unserer Seele als
objektiv erscheint, indem das Wahrnehmungsvermögen die Produkte der
Phantasie so auffaßt, als ob es sinnliche Rührungen wären; . . . b) der
Schlaf ist eine Aufhebung der Eigenmächtigkeit. Daher gehört eine
gewisse Passivität zum Einschlafen . . . Die Schlummerbilder werden
durch den Nachlaß der Eigenmächtigkeit bedingt.«

Es handelt sich nun um den Versuch, die Gläubigkeit der Seele gegen die
Traumhalluzinationen, die erst nach Einstellung einer gewissen
eigenmächtigen Tätigkeit auftreten können, zu erklären. _Strümpell_
führt aus, daß die Seele sich dabei korrekt und ihrem Mechanismus gemäß
benimmt. Die Traumelemente sind keineswegs bloße Vorstellungen, sondern
_wahrhafte und wirkliche Erlebnisse der Seele_, wie sie im Wachen durch
Vermittlung der Sinne auftreten (p. 34). Während die Seele wachend in
Wortbildern und in der Sprache vorstellt und denkt, stellt sie vor und
denkt im Traume in wirklichen Empfindungsbildern (p. 35). Überdies kommt
im Traume ein Raumbewußtsein hinzu, indem wie im Wachen Empfindungen und
Bilder in einen äußeren Raum versetzt werden (p. 36). Man muß also
zugestehen, daß sich die Seele im Traume ihren Bildern und Wahrnehmungen
gegenüber in derselben Lage befindet wie im Wachen (p. 43). Wenn sie
dabei dennoch irre geht, so rührt dies daher, daß ihr im Schlafzustand
das Kriterium fehlt, welches allein zwischen von außen und von innen
gegebenen Sinneswahrnehmungen unterscheiden kann. Sie kann ihre Bilder
nicht den Proben unterziehen, welche allein deren objektive Realität
erweisen. Sie vernachlässigt _außerdem_ den Unterschied zwischen
_willkürlich_ vertauschbaren Bildern und anderen, wo diese Willkür
wegfällt. Sie irrt, weil sie das Gesetz der Kausalität nicht auf den
Inhalt ihres Traumes anwenden kann (p. 58). Kurz, ihre Abkehrung von der
Außenwelt enthält auch den Grund für ihren Glauben an die subjektive
Traumwelt.

 Ablösung der Vorstellungen von ihren psychischen Werten.

Zum selben Schlusse gelangt nach teilweise abweichenden psychologischen
Entwicklungen _Delboeuf_. Wir schenken den Traumbildern den
Realitätsglauben, weil wir im Schlafe keine anderen Eindrücke zum
Vergleiche haben, weil wir von der Außenwelt abgelöst sind. Aber nicht
etwa darum glauben wir an die Wahrheit unserer Halluzinationen, weil uns
im Schlafe die Möglichkeit entzogen ist, Proben anzustellen. Der Traum
kann uns alle diese Prüfungen vorspiegeln, uns etwa zeigen, daß wir die
gesehene Rose berühren und wir träumen dabei doch. Es gibt nach
_Delboeuf_ kein stichhaltiges Kriterium dafür, ob etwas ein Traum ist
oder wache Wirklichkeit, außer -- und dies nur in praktischer
Allgemeinheit -- der Tatsache des Erwachens. Ich erkläre alles für
Täuschung, was zwischen Einschlafen und Erwachen erlebt worden ist, wenn
ich durch das Erwachen merke, daß ich ausgekleidet in meinem Bette liege
(p. 84). Während des Schlafes habe ich die Traumbilder für wahr gehalten
infolge der nicht einzuschläfernden _Denkgewohnheit_, eine Außenwelt
anzunehmen, zu der ich mein Ich in Gegensatz bringe(14).

  (14) Einen ähnlichen Versuch wie _Delboeuf_, die Traumtätigkeit zu
  erklären durch die Abänderung, welche eine abnorm eingeführte
  Bedingung an der sonst korrekten Funktion des intakten seelischen
  Apparates zur Folge haben muß, hat _Haffner_ unternommen, diese
  Bedingung aber in etwas anderen Worten beschrieben. Das erste
  Kennzeichen des Traumes ist nach ihm die Ort- und Zeitlosigkeit, d. i.
  die Emanzipation der Vorstellung von der dem Individuum zukommenden
  Stelle in der örtlichen und zeitlichen Ordnung. Mit diesem verbindet
  sich der zweite Grundcharakter des Traumes, die Verwechslung der
  Halluzinationen, Imaginationen und Phantasiekombinationen mit äußeren
  Wahrnehmungen. »Da die Gesamtheit der höheren Seelenkräfte,
  insbesondere Begriffsbildung, Urteil und Schlußfolgerung einerseits
  und die freie Selbstbestimmung anderseits an die sinnlichen
  Phantasiebilder sich anschließen und diese jederzeit zur Unterlage
  haben, so nehmen auch diese Tätigkeiten an der Regellosigkeit der
  Traumvorstellungen teil. Sie nehmen teil, sagen wir, denn an und für
  sich ist unsere Urteilskraft wie unsere Willenskraft im Schlafe in
  keiner Weise alteriert. Wir sind der Tätigkeit nach ebenso
  scharfsinnig und ebenso frei wie im wachen Zustande. Der Mensch kann
  auch im Traume nicht gegen die Denkgesetze an sich verstoßen, d. h.
  nicht das ihm als entgegengesetzt sich Darstellende identisch setzen
  usw. Er kann auch im Traume nur das begehren, was er als ein Gutes
  sich vorstellt (sub ratione boni). Aber in dieser Anwendung der
  Gesetze des Denkens und Wollens wird der menschliche Geist im Traume
  irregeführt durch die Verwechslung einer Vorstellung mit einer
  anderen. So kommt es, daß wir im Traume die größten Widersprüche
  setzen und begehen, während wir anderseits die scharfsinnigsten
  Urteilsbildungen und die konsequentesten Schlußfolgerungen vollziehen,
  die tugendhaftesten und heiligsten Entschließungen fassen können.
  _Mangel an Orientierung_ ist das ganze Geheimnis des Fluges, mit
  welchem unsere Phantasie im Traume sich bewegt, und _Mangel an
  kritischer Reflexion_ sowie an Verständigung mit anderen ist die
  Hauptquelle der maßlosen Extravaganzen unserer Urteile wie unserer
  Hoffnungen und Wünsche im Traume« (p. 18).

Wird so die Abwendung von der Außenwelt zu dem bestimmenden Moment für
die Ausprägung der auffälligsten Charaktere des Traumlebens erhoben, so
verlohnt es sich, einige feinsinnige Bemerkungen des alten _Burdach_
anzuführen, welche auf die Beziehung der schlafenden Seele zur Außenwelt
Licht werfen und dazu angetan sind, vor einer Überschätzung der
vorstehenden Ableitungen zurückzuhalten. »Der Schlaf erfolgt nur unter
der Bedingung,« sagt _Burdach_, »daß die Seele nicht von Sinnesreizen
angeregt wird, . . . aber es ist nicht sowohl der Mangel an Sinnesreizen
die Bedingung des Schlafes, als vielmehr der Mangel an Interesse
dafür(15); mancher sinnliche Eindruck ist selbst notwendig, insofern er
zur Beruhigung der Seele dient, wie denn der Müller nur dann schläft,
wenn er das Klappern seiner Mühle hört, und der, welcher aus Vorsicht
ein Nachtlicht zu brennen für nötig hält, im Dunkeln nicht einschlafen
kann« (p. 457).

  (15) Man vergleiche hiezu das »Désintérêt«, in dem _Claparède_ (1905)
  den Mechanismus des Einschlafens findet.

»Die Seele isoliert sich im Schlafe gegen die Außenwelt und zieht sich
von der Peripherie . . . zurück . . . . Indes ist der Zusammenhang nicht
ganz unterbrochen: wenn man nicht im Schlafe selbst, sondern erst nach
dem Erwachen hörte und fühlte, so könnte man überhaupt nicht geweckt
werden. Noch mehr wird die Fortdauer der Sensation dadurch bewiesen, daß
man nicht immer durch die bloß sinnliche Stärke eines Eindruckes,
sondern durch die psychische Beziehung desselben geweckt wird; ein
gleichgültiges Wort weckt den Schlafenden nicht, ruft man ihn aber beim
Namen, so erwacht er, . . . die Seele unterscheidet also im Schlafe
zwischen den Sensationen . . . Daher kann man denn auch durch den Mangel
eines Sinnesreizes, wenn dieser sich auf eine für die Vorstellung
wichtige Sache bezieht, geweckt werden; so erwacht man vom Auslöschen
eines Nachtlichtes und der Müller vom Stillstand seiner Mühle, also vom
Aufhören der Sinnestätigkeit, und dies setzt voraus, daß diese
perzipiert worden ist, aber als gleichgültig oder vielmehr befriedigend
die Seele nicht aufgestört hat« (p. 460 u. ff.).

Wenn wir selbst von diesen nicht gering zu schätzenden Einwendungen
absehen wollen, so müssen wir doch zugestehen, daß die bisher
gewürdigten und aus der Abkehrung von der Außenwelt abgeleiteten
Eigenschaften des Traumlebens die Fremdartigkeit desselben nicht voll zu
decken vermögen. Denn im anderen Falle müßte es möglich sein, die
Halluzinationen des Traumes in Vorstellungen, die Situationen des
Traumes in Gedanken zurückzuverwandeln und damit die Aufgabe der
Traumdeutung zu lösen. Nun verfahren wir nicht anders, wenn wir nach dem
Erwachen den Traum aus der Erinnerung reproduzieren, und ob uns diese
Rückübersetzung ganz oder nur teilweise gelingt, der Traum behält seine
Rätselhaftigkeit unverringert bei.

Die Autoren nehmen auch alle unbedenklich an, daß im Traume noch andere
und tiefergreifende Veränderungen mit dem Vorstellungsmaterial des
Wachens vorgefallen sind. Eine derselben sucht _Strümpell_ in folgender
Erörterung herauszugreifen (p. 17): »Die Seele verliert mit dem Aufhören
der sinnlich tätigen Anschauung und des normalen Lebensbewußtseins auch
den Grund, in welchem ihre Gefühle, Begehrungen, Interessen und
Handlungen wurzeln. Auch diejenigen geistigen Zustände, Gefühle,
Interessen, Wertschätzungen, welche im Wachen den Erinnerungsbildern
anhaften, unterliegen . . . einem verdunkelnden Drucke, infolgedessen
sich ihre Verbindung mit den Bildern auflöst, die Wahrnehmungsbilder von
Dingen, Personen, Lokalitäten, Begebenheiten und Handlungen des wachen
Lebens werden einzeln sehr zahlreich reproduziert, aber keines derselben
bringt seinen _psychischen_ Wert mit. Dieser ist von ihnen abgelöst und
sie schwanken deshalb in der Seele nach eigenen Mitteln umher . . . .«

 Die Absurdität des Traumes.

Diese Entblößung der Bilder von ihrem psychischen Werte, die selbst
wiederum auf die Abwendung von der Außenwelt zurückgeführt wird, soll
nach _Strümpell_ einen Hauptanteil an dem Eindruck der Fremdartigkeit
haben, mit dem sich der Traum in unserer Erinnerung dem Leben
gegenüberstellt.

Wir haben gehört, daß schon das Einschlafen den Verzicht auf eine der
seelischen Tätigkeiten, nämlich auf die willkürliche Leitung des
Vorstellungsablaufes, mit sich bringt. Es wird uns so die ohnedies
naheliegende Vermutung aufgedrängt, daß der Schlafzustand sich auch über
die seelischen Verrichtungen erstrecken möge. Die eine oder andere
dieser Verrichtungen wird etwa ganz aufgehoben; ob die übrigbleibenden
ungestört weiter arbeiten, ob sie unter solchen Umständen normale Arbeit
leisten können, kommt jetzt in Frage. Der Gesichtspunkt taucht auf, daß
man die Eigentümlichkeiten des Traumes erklären könne durch die
psychische Minderleistung im Schlafzustand, und nun kommt der Eindruck,
den der Traum unserem wachen Urteil macht, einer solchen Auffassung
entgegen. Der Traum ist unzusammenhängend, vereinigt ohne Anstoß die
ärgsten Widersprüche, läßt Unmöglichkeiten zu, läßt unser bei Tag
einflußreiches Wissen bei Seite, zeigt uns ethisch und moralisch
stumpfsinnig. Wer sich im Wachen so benehmen würde, wie es der Traum in
seinen Situationen vorführt, den würden wir für wahnsinnig halten; wer
im Wachen so spräche oder solche Dinge mitteilen wollte, wie sie im
Trauminhalt vorkommen, der würde uns den Eindruck eines Verworrenen und
eines Schwachsinnigen machen. Somit glauben wir nur dem Tatbestand Worte
zu leihen, wenn wir die psychische Tätigkeit im Traum nur sehr gering
anschlagen und insbesondere die höheren intellektuellen Leistungen als
im Traume aufgehoben oder wenigstens schwer geschädigt erklären.

Mit ungewöhnlicher Einmütigkeit -- von den Ausnahmen wird an anderer
Stelle die Rede sein -- haben die Autoren solche Urteile über den Traum
gefällt, die auch unmittelbar zu einer bestimmten Theorie oder Erklärung
des Traumlebens hinleiten. Es ist an der Zeit, daß ich mein eben
ausgesprochenes Resumé durch eine Sammlung von Aussprüchen verschiedener
Autoren -- Philosophen und Ärzte -- über die psychologischen Charaktere
des Traumes ersetze:

Nach _Lemoine_ ist die _Inkohärenz_ der Traumbilder der einzig
wesentliche Charakter des Traumes.

_Maury_ pflichtet dem bei; er sagt (p. 163): »il n'y a pas de rêves
absolument raisonnables et qui ne contiennent quelque incohérence,
quelque anachronisme, quelque absurdité.«

Nach _Hegel_ bei _Spitta_ fehlt dem Traume aller objektive verständige
Zusammenhang.

_Dugas_ sagt: »Le rêve, c'est l'anarchie psychique, affective et
mentale, c'est le jeu des fonctions livrées à elles-mêmes et s'exerçant
sans contrôle et sans but; dans le rêve l'esprit est un automate
spirituel.«

»Die Auflockerung, Lösung und Durcheinandermischung des im Wachen durch
die logische Gewalt des zentralen Ich zusammengehaltenen
Vorstellungslebens« räumt selbst _Volkelt_ ein (p. 14), nach dessen
Lehre die psychische Tätigkeit während des Schlafes keineswegs zwecklos
erscheint.

Die _Absurdität_ der im Traume vorkommenden Vorstellungsverbindungen
kann man kaum schärfer verurteilen, als es schon _Cicero_ (De divin. II)
tat: Nihil tam praepostere, tam incondite, tam monstruose cogitari
potest, quod non possimus somniare.

_Fechner_ sagt (p. 522): »Es ist, als ob die psychologische Tätigkeit
aus dem Gehirn eines Vernünftigen in das eines Narren übersiedelte.«

_Radestock_ (p. 145): »In der Tat scheint es unmöglich, in diesem tollen
Treiben feste Gesetze zu erkennen. Der strengen Polizei des
vernünftigen, den wachen Vorstellungslauf leitenden Willens und der
Aufmerksamkeit sich entziehend, wirbelt der Traum in tollem Spiele alles
kaleidoskopartig durcheinander.«

_Hildebrandt_ (p. 45): »Welche wunderlichen Sprünge erlaubt sich der
Träumende z. B. bei seinen Verstandesschlüssen! Mit welcher
Unbefangenheit sieht er die bekanntesten Erfahrungssätze geradezu auf
den Kopf gestellt! Welche lächerlichen Widersprüche kann er in den
Ordnungen der Natur und der Gesellschaft vertragen, bevor ihm, wie man
sagt, die Sache zu bunt wird, und die Überspannung des Unsinnes das
Erwachen herbeiführt! Wir multiplizieren gelegentlich ganz harmlos: Drei
mal drei macht zwanzig; es wundert uns gar nicht, daß ein Hund uns einen
Vers hersagt, daß ein Toter auf eigenen Füßen nach seinem Grabe geht,
daß ein Felsstück auf dem Wasser schwimmt; wir gehen alles Ernstes in
höherem Auftrage nach dem Herzogtum Bernburg oder dem Fürstentum
Liechtenstein, um die Kriegsmarine des Landes zu beobachten oder lassen
uns von Karl dem Zwölften kurz vor der Schlacht bei Pultawa als
Freiwillige anwerben.«

_Binz_ (p. 33) mit dem Hinweise auf die aus diesen Eindrücken sich
ergebende Traumtheorie: »Unter zehn Träumen sind mindestens neun
absurden Inhaltes. Wir koppeln in ihnen Personen und Dinge zusammen,
welche nicht die geringsten Beziehungen zueinander haben. Schon im
nächsten Augenblick, wie in einem Kaleidoskop, ist die Gruppierung eine
andere geworden, womöglich noch unsinniger und toller, als sie es schon
vorher war; und so geht das wechselnde Spiel des unvollkommen
schlafenden Gehirns weiter, bis wir erwachen, mit der Hand nach der
Stirn greifen und uns fragen, ob wir in der Tat noch die Fähigkeit des
vernünftigen Vorstellens und Denkens besitzen.«

 Die oberflächlichen Assoziationen im Traume.

_Maury_ (p. 50) findet für das Verhältnis der Traumbilder zu den
Gedanken des Wachens einen für den Arzt sehr eindrucksvollen Vergleich:
»La production de ces images que chez l'homme éveillé fait le plus
souvent naître la volonté, correspond, pour l'intelligence, à ce que
sont pour la motilité certains mouvements que nous offrent la chorée et
les affections paralytiques« . . . . Im übrigen ist ihm der Traum »toute
une série de dégradations de la faculté pensante et raisonnante«
(p. 27).

Es ist kaum nötig, die Äußerungen der Autoren anzuführen, welche den
Satz von _Maury_ für die einzelnen höheren Seelenleistungen wiederholen.

Nach _Strümpell_ treten im Traume -- selbstverständlich auch dort, wo
der Unsinn nicht augenfällig ist -- sämtliche logische, auf
Verhältnissen und Beziehungen beruhende Operationen der Seele zurück
(p. 26). Nach _Spitta_ (p. 148) scheinen im Traume die Vorstellungen dem
Kausalitätsgesetz völlig entzogen zu sein. _Radestock_ und andere
betonen die dem Traume eigene Schwäche des Urteiles und des Schlusses.
Nach _Jodl_ (p. 123) gibt es im Traume keine Kritik, keine Korrektur
einer Wahrnehmungsreihe durch den Inhalt des Gesamtbewußtseins. Derselbe
Autor äußert: »Alle Arten der Bewußtseinstätigkeit kommen im Traume vor,
aber unvollständig, gehemmt, gegeneinander isoliert.« Die Widersprüche,
in welche sich der Traum gegen unser waches Wissen setzt, erklärt
_Stricker_ (mit vielen anderen) daraus, daß Tatsachen im Traume
vergessen oder logische Beziehungen zwischen Vorstellungen verloren
gegangen sind (p. 98) usw. usw.

Von den Autoren, die im allgemeinen so ungünstig über die psychischen
Leistungen im Traume urteilen, wird indes zugegeben, daß ein gewisser
Rest von seelischer Tätigkeit dem Traume verbleibt. _Wundt_, dessen
Lehren für so viel andere Bearbeiter der Traumprobleme maßgebend
geworden sind, gesteht dies ausdrücklich zu. Man könnte nach der Art und
Beschaffenheit des im Traume sich äußernden Restes von normaler
Seelentätigkeit fragen. Es wird nun ziemlich allgemein zugegeben, daß
die Reproduktionsfähigkeit, das Gedächtnis im Traume am wenigsten
gelitten zu haben scheint, ja eine gewisse Überlegenheit gegen die
gleiche Funktion des Wachens (vgl. oben p. 8 ff.) aufweisen kann, obwohl
ein Teil der Absurditäten des Traumes durch die Vergeßlichkeit eben
dieses Traumlebens erklärt werden soll. Nach _Spitta_ ist es das
_Gemütsleben_ der Seele, was vom Schlafe nicht befallen wird und dann
den Traum dirigiert. Als »Gemüt« bezeichnet er »die konstante
Zusammenfassung der Gefühle als des innersten subjektiven Wesens des
Menschen« (p. 84).

_Scholz_ (p. 37) erblickt eine der im Traume sich äußernden
Seelentätigkeiten in der »_allegorisierenden Umdeutung_«, welcher das
Traummaterial unterzogen wird. _Siebeck_ konstatiert auch im Traume die
»_ergänzende Deutungstätigkeit_« der Seele (p. 11), welche von ihr gegen
alles Wahrnehmen und Anschauen geübt wird. Eine besondere Schwierigkeit
hat es für den Traum mit der Beurteilung der angeblich höchsten
psychischen Funktion, der des Bewußtseins. Da wir vom Traume nur durchs
Bewußtsein etwas wissen, kann an dessen Erhaltung kein Zweifel sein;
doch meint _Spitta_, es sei im Traume nur das Bewußtsein erhalten, nicht
auch das _Selbst_bewußtsein. _Delboeuf_ gesteht ein, daß er diese
Unterscheidung nicht zu begreifen vermag.

Die Assoziationsgesetze, nach denen sich die Vorstellungen verknüpfen,
gelten auch für die Traumbilder, ja ihre Herkunft kommt im Traume reiner
und stärker zum Ausdruck. _Strümpell_ (p. 70): »Der Traum verläuft
entweder ausschließlich, wie es scheint, nach den Gesetzen nackter
Vorstellungen oder organischer Reize mit solchen Vorstellungen, das
heißt, ohne daß Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und
sittliches Urteil etwas dabei vermögen.« Die Autoren, deren Ansichten
ich hier reproduziere, stellen sich die Bildung der Träume etwa
folgender Art vor: Die Summe der im Schlafe einwirkenden Sensationsreize
aus den verschiedenen an anderer Stelle angeführten Quellen wecken in
der Seele zunächst eine Anzahl von Vorstellungen, die sich als
Halluzinationen (nach _Wundt_ richtiger Illusionen wegen ihrer Abkunft
von den äußeren und inneren Reizen) darstellen. Diese verknüpfen sich
untereinander nach den bekannten Assoziationsgesetzen und rufen
ihrerseits nach denselben Regeln eine neue Reihe von Vorstellungen
(Bildern) wach. Das ganze Material wird dann vom noch tätigen Reste der
ordnenden und denkenden Seelenvermögen, so gut es eben gehen will,
verarbeitet (vgl. etwa _Wundt_ und _Weygandt_). Es ist bloß noch nicht
gelungen, die Motive einzusehen, welche darüber entscheiden, daß die
Erweckung der nicht von außen stammenden Bilder nach diesem oder nach
jenem Assoziationsgesetz vor sich gehe.

Es ist aber wiederholt bemerkt worden, daß die Assoziationen, welche die
Traumvorstellungen untereinander verbinden, von ganz besonderer Art und
verschieden von den im wachen Denken tätigen sind. So sagt _Volkelt_
(p. 15): »Im Traume jagen und haschen sich die Vorstellungen nach
zufälligen Ähnlichkeiten und kaum wahrnehmbaren Zusammenhängen. Alle
Träume sind von solchen nachlässigen, zwanglosen Assoziationen
durchzogen.« _Maury_ legt auf diesen Charakter der Vorstellungsbindung,
der ihm gestattet, das Traumleben in engere Analogie mit gewissen
Geistesstörungen zu bringen, den größten Wert. Er anerkennt zwei
Hauptcharaktere des »délire«: 1. une action spontanée et comme
automatique de l'esprit; 2. une association vicieuse et irregulière des
idées (p. 126). Von _Maury_ selbst rühren zwei ausgezeichnete
Traumbeispiele her, in denen der bloße Gleichklang der Worte die
Verknüpfung der Traumvorstellungen vermittelt. Er träumte einmal, daß er
eine Pilgerfahrt (_pélerinage_) nach Jerusalem oder Mekka unternehme,
dann befand er sich nach vielen Abenteuern beim Chemiker _Pelletier_,
dieser gab ihm nach einem Gespräche eine Schaufel (_pelle_) von Zink und
diese wurde in einem darauffolgenden Traumstück sein großes
Schlachtschwert (p. 137). Ein andermal ging er im Traume auf der
Landstraße und las auf den Meilensteinen die _Kilo_meter ab, darauf
befand er sich bei einem Gewürzkrämer, der eine große Wage hatte, und
ein Mann legte _Kilo_gewichte auf die Wagschale, um _Maury_ abzuwägen;
dann sagte ihm der Gewürzkrämer: »Sie sind nicht in Paris, sondern auf
der Insel _Gilolo_.« Es folgten darauf mehrere Bilder, in welchen er die
Blume _Lobelia_ sah, dann den General _Lopez_, von dessen Tod er kurz
vorher gelesen hatte; endlich erwachte er, eine Partie _Lotto_
spielend(16).

  (16) An späterer Stelle wird uns der Sinn solcher Träume, die von
  Worten mit gleichen Anfangsbuchstaben und ähnlichem Anlaute erfüllt
  sind, zugänglich werden.

 Psychologische Wertschätzung des Traumlebens.

Wir sind aber wohl gefaßt darauf, daß diese Geringschätzung der
psychischen Leistungen des Traumes nicht ohne Widerspruch von anderer
Seite geblieben ist. Zwar scheint der Widerspruch hier schwierig. Es
will auch nicht viel bedeuten, wenn einer der Herabsetzer des
Traumlebens versichert (_Spitta_, p. 118), daß dieselben psychologischen
Gesetze, die im Wachen herrschen, auch den Traum regieren, oder wenn ein
anderer (_Dugas_) ausspricht: Le rêve n'est pas déraison ni même
irraison pure, solange beide sich nicht die Mühe nehmen, diese Schätzung
mit der von ihnen beschriebenen psychischen Anarchie und Auflösung aller
Funktionen im Traume in Einklang zu bringen. Aber anderen scheint die
Möglichkeit gedämmert zu haben, daß der Wahnsinn des Traumes vielleicht
doch nicht ohne Methode sei, vielleicht nur Verstellung wie der des
Dänenprinzen, auf dessen Wahnsinn sich das hier zitierte einsichtsvolle
Urteil bezieht. Diese Autoren müssen es vermieden haben, nach dem
Anschein zu urteilen, oder der Anschein, den der Traum ihnen bot, war
ein anderer.

So würdigt _Havelock Ellis_ (1899) den Traum, ohne bei seiner
scheinbaren Absurdität verweilen zu wollen, als »an archaïc world of
vast emotions and imperfect thoughts«, deren Studium uns primitive
Entwicklungsstufen des psychischen Lebens kennen lehren könnte. J.
_Sully_ (p. 362) vertritt dieselbe Auffassung des Traumes in einer noch
weiter ausgreifenden und tiefer eindringenden Weise. Seine Aussprüche
verdienen um so mehr Beachtung, wenn wir hinzunehmen, daß er wie
vielleicht kein anderer Psychologe von der verhüllten Sinnigkeit des
Traumes überzeugt war. »Now our dreams are a means of conserving these
successive personalities. _When asleep we go back to the old ways of
looking at things and of feeling about them, to impulses and activities
which long ago dominated us._« Ein Denker wie _Delboeuf_ behauptet --
freilich ohne den Beweis gegen das widersprechende Material zu führen
und darum eigentlich mit Unrecht: »Dans le sommeil, hormis la
perception, toutes les facultés de l'esprit, intelligence, imagination,
mémoire, volonté, moralité, restent intactes dans leur essence;
seulement, elles s'appliquent à des objets imaginaires et mobiles. Le
songeur est un acteur qui joue à volonté les fous et les sages, les
bourreaux et les victimes, les nains et les géants, les démons et les
anges« (p. 222). Am energischesten scheint die Herabsetzung der
psychischen Leistung im Traume der _Marquis d'Hervey_ bestritten zu
haben, gegen den _Maury_ lebhaft polemisiert und dessen Schrift ich mir
trotz aller Bemühung nicht verschaffen konnte. _Maury_ sagt über ihn
(p. 19): »M. le _Marquis d'Hervey_ prête à l'intelligence, durant le
sommeil, toute sa liberté d'action et d'attention et il ne semble faire
consister le sommeil que dans l'occlusion des sens, dans leur fermeture
au Monde extérieur; en sorte que l'homme qui dort ne se distingue guère,
selon sa manière de voir, de l'homme qui laisse vaguer sa pensée en se
bouchant les sens; toute la différence qui sépare alors la pensée
ordinaire de celle du dormeur c'est que, chez celui, l'idée prend une
forme visible, objective et ressemble, à s'y méprendre, à la sensation
déterminée par les objets extérieurs; le souvenir revêt l'apparence du
fait présent.«

_Maury_ fügt aber hinzu: »qu'il y a une différence de plus et capitale à
savoir que les facultés intellectuelles de l'homme endormi n'offrent pas
l'équilibre qu'elles gardent chez l'homme éveillé.«

Bei _Vaschide_, der uns eine bessere Kenntnis des Buches von d'_Hervey_
vermittelt, finden wir, daß sich dieser Autor in folgender Art über die
scheinbare Inkohärenz der Träume äußert. »L'image du rêve est la copie
de l'idée. Le principal est l'idée; la vision n'est qu'accessoire. Ceci
établi, il faut savoir suivre la marche des idées, il faut savoir
analyser le tissu des rêves; l'incohérence devient alors compréhensible,
les conceptions les plus fantasques deviennent des faits simples et
parfectement logiques«. (p. 146.) Und (p. 147): »Les rêves les plus
bizarres trouvent même une explication des plus logiques quand on sait
les analyser.«

J. _Stärcke_ hat darauf aufmerksam gemacht, daß eine ähnliche Auflösung
der Trauminkohärenz von einem alten Autor, _Wolf Davidson_, der mir
unbekannt war, 1799 verteidigt worden ist (p. 136): »Die sonderbaren
Sprünge unserer Vorstellungen im Traume haben alle ihren Grund in dem
Gesetze der Assoziation, nur daß diese Verbindung manchmal sehr dunkel
in der Seele vorgeht, so daß wir oft einen Sprung der Vorstellung zu
beobachten glauben, wo doch keiner ist.«

 Psychologische Wertung des Traumes.

Die Skala der Würdigung des Traumes als psychisches Produkt hat in der
Literatur einen großen Umfang; sie reicht von der tiefsten
Geringschätzung, deren Ausdruck wir kennen gelernt haben, durch die
Ahnung eines noch nicht enthüllten Wertes bis zur Überschätzung, die den
Traum weit über die Leistungen des Wachlebens stellt. _Hildebrandt_,
der, wie wir wissen, in drei Antinomien die psychologische
Charakteristik des Traumlebens entwirft, faßt im dritten dieser
Gegensätze die Endpunkte dieser Reihe zusammen (p. 19): »Es ist der
zwischen _einer Steigerung_, einer nicht selten bis zur _Virtuosität_
sich erhebenden _Potenzierung_ und anderseits einer entschiedenen, oft
bis unter das Niveau des Menschlichen führenden _Herabminderung_ und
_Schwächung_ des Seelenlebens.«

»Was das erstere betrifft, wer könnte nicht aus eigener Erfahrung
bestätigen, daß in dem Schaffen und Weben des Traumgenius bisweilen eine
Tiefe und Innigkeit des Gemütes, eine Zartheit der Empfindung, eine
Klarheit der Anschauung, eine Feinheit der Beobachtung, eine
Schlagfertigkeit des Witzes zu Tage tritt, wie wir solches alles als
konstantes Eigentum während des wachen Lebens zu besitzen
bescheidentlich in Abrede stellen würden? Der Traum hat eine wunderbare
Poesie, eine treffliche Allegorie, einen unvergleichlichen Humor, eine
köstliche Ironie. Er schauet die Welt in einem eigentümlichen
idealisierenden Lichte und potenziert den Effekt ihrer Erscheinungen oft
im sinnigsten Verständnisse des ihnen zum Grunde liegenden Wesens. Er
stellt uns das irdisch Schöne in wahrhaft himmlischem Glanze, das
Erhabene in höchster Majestät, das erfahrungsgemäß Furchtbare in der
grauenvollsten Gestalt, das Lächerliche mit unbeschreiblich drastischer
Komik vor Augen; und bisweilen sind wir nach dem Erwachen irgend eines
dieser Eindrücke noch so voll, daß es uns vorkommen will, dergleichen
habe die wirkliche Welt uns noch nie und niemals geboten.«

Man darf sich fragen, ist es wirklich das nämliche Objekt, dem jene
geringschätzigen Bemerkungen und diese begeisterte Anpreisung gilt?
Haben die einen die blödsinnigen Träume, die anderen die tiefsinnigen
und feinsinnigen übersehen? Und wenn beiderlei vorkommt, Träume, die
solche und die jene Beurteilung verdienen, scheint es da nicht müßig,
nach einer psychologischen Charakteristik des Traumes zu suchen, genügt
es nicht zu sagen, im Traume sei alles möglich, von der tiefsten
Herabsetzung des Seelenlebens bis zu einer im Wachen ungewohnten
Steigerung desselben? So bequem diese Lösung wäre, sie hat dies eine
gegen sich, daß den Bestrebungen aller Traumforscher die Voraussetzung
zu grunde zu liegen scheint, es gäbe eine solche in ihren wesentlichen
Zügen allgemeingültige Charakteristik des Traumes, welche über jene
Widersprüche hinweghelfen müßte.

Es ist unstreitig, daß die psychischen Leistungen des Traumes
bereitwilligere und wärmere Anerkennung gefunden haben in jener jetzt
hinter uns liegenden intellektuellen Periode, da die Philosophie und
nicht die exakten Naturwissenschaften die Geister beherrschte.
Aussprüche wie die von _Schubert_, daß der Traum eine Befreiung des
Geistes von der Gewalt der äußeren Natur sei, eine Loslösung der Seele
von den Fesseln der Sinnlichkeit, und ähnliche Urteile von dem jüngeren
_Fichte_(17) u. a., welche sämtlich den Traum als einen Aufschwung des
Seelenlebens zu einer höheren Stufe darstellen, erscheinen uns heute
kaum begreiflich; sie werden in der Gegenwart auch nur bei Mystikern und
Frömmlern wiederholt(18). Mit dem Eindringen naturwissenschaftlicher
Denkweise ist eine Reaktion in der Würdigung des Traumes einhergegangen.
Gerade die ärztlichen Autoren sind am ehesten geneigt, die psychische
Tätigkeit im Traume für geringfügig und wertlos anzuschlagen, während
Philosophen und nicht zünftige Beobachter -- Amateurpsychologen --,
deren Beiträge gerade auf diesem Gebiete nicht zu vernachlässigen sind,
im besseren Einvernehmen mit den Ahnungen des Volkes, meist an dem
psychischen Werte der Träume festgehalten haben. Wer zur Geringschätzung
der psychischen Leistung im Traume neigt, der bevorzugt
begreiflicherweise in der Traumätiologie die somatischen Reizquellen;
für den, welcher der träumenden Seele den größeren Teil ihrer
Fähigkeiten im Wachen belassen hat, entfällt natürlich jedes Motiv, ihr
nicht auch selbständige Anregungen zum Träumen zuzugestehen.

  (17) Vgl. _Haffner_ und _Spitta_.

  (18) Der geistreiche Mystiker Du _Prel_, einer der wenigen Autoren,
  denen ich die Vernachlässigung in früheren Auflagen dieses Buches
  abbitten möchte, äußert, nicht das Wachen, sondern der Traum sei die
  Pforte zur Metaphysik, soweit sie den Menschen betrifft (Philosophie
  der Mystik, p. 59).

Unter den Überleistungen, welche man auch bei nüchterner Vergleichung
versucht sein kann, dem Traumleben zuzuschreiben, ist die des
Gedächtnisses die auffälligste; wir haben die sie beweisenden, gar nicht
seltenen Erfahrungen ausführlich behandelt. Ein anderer, von alten
Autoren häufig gepriesener Vorzug des Traumlebens, daß es sich souverän
über Zeit- und Ortsentfernungen hinwegzusetzen vermöge, ist mit
Leichtigkeit als eine Illusion zu erkennen. Dieser Vorzug ist, wie
_Hildebrandt_ bemerkt, eben ein illusorischer Vorzug; das Träumen setzt
sich über Zeit und Raum nicht anders hinweg als das wache Denken, und
eben weil es nur eine Form des Denkens ist. Der Traum sollte sich in
Bezug auf die Zeitlichkeit noch eines anderen Vorzuges erfreuen, noch in
anderem Sinne vom Ablauf der Zeit unabhängig sein. Träume wie der oben
p. 20 mitgeteilte _Maurys_ von seiner Hinrichtung durch die Guillotine
scheinen zu beweisen, daß der Traum in eine sehr kurze Spanne Zeit weit
mehr Wahrnehmungsinhalt zu drängen vermag, als unsere psychische
Tätigkeit im Wachen Denkinhalt bewältigen kann. Diese Folgerung ist
indes mit mannigfaltigen Argumenten bestritten worden; seit den
Aufsätzen von _Le Lorrain_ und _Egger_ »über die scheinbare Dauer der
Träume« hat sich hierüber eine interessante Diskussion angesponnen,
welche in dieser heiklen und tiefreichenden Frage wahrscheinlich noch
nicht die letzte Aufklärung erreicht hat(19).

  (19) Weitere Literatur und kritische Erörterung dieser Probleme in der
  Pariser Dissertation der _Tobowolska_ (1900).

Daß der Traum die intellektuellen Arbeiten des Tages aufzunehmen und zu
einem bei Tag nicht erreichten Abschluß zu bringen vermag, daß er
Zweifel und Probleme lösen, bei Dichtern und Komponisten die Quelle
neuer Eingebungen werden kann, scheint nach vielfachen Berichten und
nach der von _Chabaneix_ angestellten Sammlung unbestreitbar zu sein.
Aber wenn auch nicht die Tatsache, so unterliegt doch deren Auffassung
vielen, ans Prinzipielle streifenden Zweifeln(20).

  (20) Vgl. die Kritik bei H. _Ellis_, World of Dreams, p. 268.

Endlich bildet die behauptete divinatorische Kraft des Traumes ein
Streitobjekt, an welchem schwer überwindliche Bedenken mit hartnäckig
wiederholten Versicherungen zusammentreffen. Man vermeidet es -- und
wohl mit Recht --, alles Tatsächliche an diesem Thema abzuleugnen, weil
für eine Reihe von Fällen die Möglichkeit einer natürlichen
psychologischen Erklärung vielleicht nahe bevorsteht.


f) _Die ethischen Gefühle im Traume_.

Aus Motiven, welche erst nach Kenntnisnahme meiner eigenen
Untersuchungen über den Traum verständlich werden können, habe ich von
dem Thema der Psychologie des Traumes das Teilproblem abgesondert, ob
und inwieweit die moralischen Dispositionen und Empfindungen des Wachens
sich ins Traumleben erstrecken. Der nämliche Widerspruch in der
Darstellung der Autoren, den wir für alle anderen seelischen Leistungen
mit Befremden bemerken mußten, macht uns auch hier betroffen. Die einen
versichern mit ebensolcher Entschiedenheit, daß der Traum von den
sittlichen Anforderungen nichts weiß, wie die anderen, daß die
moralische Natur des Menschen auch fürs Traumleben erhalten bleibt.

Die Berufung auf die allnächtliche Traumerfahrung scheint die
Richtigkeit der ersteren Behauptung über jeden Zweifel zu erheben.
_Jessen_ sagt (p. 553): »Auch besser und tugendhafter wird man nicht im
Schlafe, vielmehr scheint das Gewissen in den Träumen zu schweigen,
indem man kein Mitleid empfindet und die schwersten Verbrechen,
Diebstahl, Mord und Totschlag mit völliger Gleichgültigkeit und ohne
nachfolgende Reue verüben kann.«

_Radestock_ (p. 146): »Es ist zu berücksichtigen, daß die Assoziationen
im Traume ablaufen und die Vorstellungen sich verbinden, ohne daß
Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urteil
etwas dabei vermögen; das Urteil ist höchst schwach und es herrscht
_ethische Gleichgültigkeit vor_.«

_Volkelt_ (p. 23): »Besonders zügellos aber geht es, wie jeder weiß, im
Traume in geschlechtlicher Beziehung zu. Wie der Träumende selbst aufs
Äußerste schamlos und jedes sittlichen Gefühles und Urteiles verlustig
ist, so sieht er auch alle anderen und selbst die verehrtesten Personen
mitten in Handlungen, die er im Wachen auch nur in Gedanken mit ihnen
zusammenzubringen sich scheuen würde.«

Den schärfsten Gegensatz hiezu bilden Äußerungen wie die von
_Schopenhauer_, daß jeder im Traume in vollster Gemäßheit seines
Charakters handle und rede. R. Ph. _Fischer_(21) behauptet, daß die
subjektiven Gefühle und Bestrebungen oder Affekte und Leidenschaften in
der Willkür des Traumlebens sich offenbaren, daß die moralischen
Eigentümlichkeiten der Personen in ihren Träumen sich spiegeln.

  (21) Grundzüge des Systems der Anthropologie. Erlangen 1850. (Nach
  _Spitta_.)

_Haffner_ (p. 25): »Seltene Ausnahmen abgerechnet, . . . . . wird ein
tugendhafter Mensch auch im Traume tugendhaft sein; er wird den
Versuchungen widerstehen, dem Haß, dem Neid, dem Zorn und allen Lastern
sich verschließen; der Mann der Sünde aber wird auch in seinen Träumen
in der Regel die Bilder finden, die er im Wachen vor sich hatte.«

_Scholz_ (p. 36): »Im Traume ist Wahrheit, trotz aller Maskierung in
Hoheit oder Erniedrigung erkennen wir unser eigenes Selbst wieder
. . . . . Der ehrliche Mann kann auch im Traume kein entehrendes
Verbrechen begehen, oder wenn es doch der Fall ist, so entsetzt er sich
darüber, als über etwas seiner Natur Fremdes. Der römische Kaiser, der
einen seiner Untertanen hinrichten ließ, weil diesem geträumt hatte, er
habe dem Kaiser den Kopf abschlagen lassen, hatte darum so unrecht
nicht, wenn er dies damit rechtfertigte, daß, wer so träume, auch
ähnliche Gedanken im Wachen haben müsse. Von etwas, das in unserem
Innern keinen Raum haben kann, sagen wir deshalb auch bezeichnender
Weise: »Es fällt mir auch im Traume nicht ein.««

Im Gegensatz hiezu meint _Plato_, diejenigen seien die besten, denen
das, was andere wachend tun, nur im Traum einfalle.

_Pfaff_ sagt geradezu in Abänderung eines bekannten Sprichwortes:
»Erzähle mir eine Zeitlang deine Träume und ich will dir sagen, wie es
um dein Inneres steht.«

 Unsittliche Träume.

Die kleine Schrift von _Hildebrandt_, der ich bereits so zahlreiche
Zitate entnommen habe, der formvollendetste und gedankenreichste Beitrag
zur Erforschung der Traumprobleme, den ich in der Literatur gefunden,
rückt gerade das Problem der Sittlichkeit im Traume in den Mittelpunkt
ihres Interesses. Auch für _Hildebrandt_ steht es als Regel fest: Je
reiner das Leben, desto reiner der Traum; je unreiner jenes, desto
unreiner dieser.

Die sittliche Natur des Menschen bleibt auch im Traume bestehen: »Aber
während kein noch so handgreiflicher Rechnungsfehler, keine noch so
romantische Umkehr der Wissenschaft, kein noch so scherzhafter
Anachronismus uns verletzt oder uns auch nur verdächtig wird, so geht
uns doch der Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und
Unrecht, zwischen Tugend und Laster nie verloren. Wie vieles auch von
dem, was am Tage mit uns geht, in den Schlummerstunden weichen mag, --
_Kants_ kategorischer Imperativ hat sich als untrennbarer Begleiter so
an unsere Fersen geheftet, daß wir ihn auch schlafend nicht los werden
. . . . . Erklären aber läßt sich (diese Tatsache) eben nur daraus, daß
das Fundamentale der Menschennatur, das sittliche Wesen, zu fest gefügt
ist, um an der Wirkung der kaleidoskopischen Durchschüttelung
teilzunehmen, welcher Phantasie, Verstand, Gedächtnis und sonstige
Fakultäten gleichen Ranges im Traume unterliegen« (p. 45 u. ff.).

In der weiteren Diskussion des Gegenstandes sind nun merkwürdige
Verschiebungen und Inkonsequenzen bei beiden Gruppen von Autoren
hervorgetreten. Streng genommen wäre für alle diejenigen, welche meinen,
im Traume zerfalle die sittliche Persönlichkeit des Menschen, das
Interesse an den unmoralischen Träumen mit dieser Erklärung zu Ende. Sie
könnten den Versuch, den Träumer für seine Träume verantwortlich zu
machen, aus der Schlechtigkeit seiner Träume auf eine böse Regung in
seiner Natur zu schließen, mit derselben Ruhe ablehnen wie den
anscheinend gleichwertigen Versuch, aus der Absurdität seiner Träume die
Wertlosigkeit seiner intellektuellen Leistungen im Wachen zu erweisen.
Die anderen, für die sich »der kategorische Imperativ« auch in den Traum
erstreckt, hätten die Verantwortlichkeit für unmoralische Träume ohne
Einschränkung anzunehmen; es wäre ihnen nur zu wünschen, daß eigene
Träume von solch verwerflicher Art sie nicht an der sonst festgehaltenen
Wertschätzung der eigenen Sittlichkeit irre machen müßten.

Nun scheint es aber, daß niemand von sich selbst so recht sicher weiß,
inwieweit er gut oder böse ist und daß niemand die Erinnerung an eigene
unmoralische Träume verleugnen kann. Denn über jenen Gegensatz in der
Beurteilung der Traummoralität hinweg zeigen sich bei den Autoren beider
Gruppen Bemühungen, die Herkunft der unsittlichen Träume aufzuklären,
und es entwickelt sich ein neuer Gegensatz, je nachdem deren Ursprung in
den Funktionen des psychischen Lebens oder in somatisch bedingten
Beeinträchtigungen desselben gesucht wird. Die zwingende Gewalt der
Tatsächlichkeit läßt dann Vertreter der Verantwortlichkeit wie der
Unverantwortlichkeit des Traumlebens in der Anerkennung einer besonderen
psychischen Quelle für die Unmoralität der Träume zusammentreffen.

Alle die, welche die Sittlichkeit im Traume fortbestehen lassen, hüten
sich doch davor, die volle Verantwortlichkeit für ihre Träume zu
übernehmen. _Haffner_ sagt (p. 24): »Wir sind für Träume nicht
verantwortlich, weil unserem Denken und Wollen die Basis entrückt ist,
auf welcher unser Leben allein Wahrheit und Wirklichkeit hat . . . Es
kann eben darum kein Traumwollen und Traumhandeln Tugend oder Sünde
sein.« Doch ist der Mensch für den sündhaften Traum verantwortlich,
sofern er ihn indirekt verursacht. Es erwächst für ihn die Pflicht, wie
im Wachen, so ganz besonders vor dem Schlafengehen seine Seele sittlich
zu reinigen.

Viel tiefer reicht die Analyse dieses Gemenges von Ablehnung und von
Anerkennung der Verantwortlichkeit für den sittlichen Inhalt der Träume
bei _Hildebrandt_. Nachdem er ausgeführt, daß die dramatische
Darstellungsweise des Traumes, die Zusammendrängung der kompliziertesten
Überlegungsvorgänge in das kleinste Zeiträumchen und die auch von ihm
zugestandene Entwertung und Vermengung der Vorstellungselemente im
Traume gegen den unsittlichen Anschein der Träume in Abzug gebracht
werden muß, gesteht er, daß es doch den ernstesten Bedenken unterliege,
alle Verantwortung für Traumsünden und -schulden schlechthin zu leugnen.

(p. 49): »Wenn wir irgend eine ungerechte Anklage, namentlich eine
solche, die sich auf unsere Absichten und Gesinnungen bezieht, recht
entschieden zurückweisen wollen, so gebrauchen wir wohl die Redensart:
Das sei uns nicht im Traume eingefallen. Damit sprechen wir allerdings
einerseits aus, daß wir das Traumgebiet für das fernste und letzte
halten, auf welchem wir für unsere Gedanken einzustehen hätten, weil
dort diese Gedanken mit unserem wirklichen Wesen nur so lose und locker
zusammenhängen, daß sie kaum noch als die unsrigen betrachtet werden
dürfen; aber indem wir eben auch auf diesem Gebiete das Vorhandensein
solcher Gedanken ausdrücklich zu leugnen uns veranlaßt fühlen, so geben
wir doch indirekt damit zugleich zu, daß unsere Rechtfertigung nicht
vollkommen sein würde, wenn sie nicht bis dort hinüber reichte. Und ich
glaube, wir reden hier, wenn auch unbewußt, die Sprache der Wahrheit.«

(p. 52): »Es läßt sich nämlich keine Traumtat denken, deren erstes Motiv
nicht irgendwie als Wunsch, Gelüste, Regung vorher durch die Seele des
Wachenden gezogen wäre.« Von dieser ersten Regung müsse man sagen: Der
Traum erfand es nicht, -- er bildete es nur nach und spann's nur aus, er
bearbeitete nur ein Quentlein historischen Stoffes, das er bei uns
vorgefunden hatte, in dramatischer Form; er setzte das Wort des Apostels
in Szene: Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger. Und während
man das ganze breit ausgeführte Gebilde des lasterhaften Traumes nach
dem Erwachen, seiner sittlichen Stärke bewußt, belächeln kann, so will
jener ursprüngliche Bildungsstoff sich doch keine lächerliche Seite
abgewinnen lassen. Man fühlt sich für die Verirrungen des Träumenden
verantwortlich, nicht für die ganze Summe, aber doch für einen gewissen
Prozentsatz. »Kurz verstehen wir in diesem schwer anzufechtenden Sinne
das Wort Christi: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, -- dann können
wir auch kaum der Überzeugung uns erwehren, daß jede im Traume begangene
Sünde ein dunkles Minimum wenigstens von Schuld mit sich führe.«

 Kontrastierende Vorstellungen.

In den Keimen und Andeutungen böser Regungen, die als Versuchungsgedanken
tagsüber durch unsere Seelen ziehen, findet also _Hildebrandt_
die Quelle für die Unmoralität der Träume, und er steht
nicht an, diese unmoralischen Elemente bei der sittlichen Wertschätzung
der Persönlichkeit einzurechnen. Es sind dieselben Gedanken und die
nämliche Schätzung derselben, welche, wie wir wissen, die Frommen und
Heiligen zu allen Zeiten klagen ließ, sie seien arge Sünder(22).

  (22) Es ist nicht ohne Interesse zu erfahren, wie sich die heilige
  Inquisition zu unserem Problem gestellt. Im Tractatus de Officio
  sanctissimae Inquisitionis des _Thomas Careña_, Lyoner Ausgabe, 1659,
  ist folgende Stelle: »Spricht jemand im Traum Ketzereien aus, so
  sollen die Inquisitoren daraus Anlaß nehmen, seine Lebensführung zu
  untersuchen, denn im Schlafe pflegt das wiederzukommen, was unter Tags
  jemand beschäftigt hat.« (Dr. _Ehniger_, S. Urban, Schweiz.)

An dem allgemeinen Vorkommen dieser _kontrastierenden_ Vorstellungen --
bei den meisten Menschen und auch auf anderem als ethischem Gebiete --
besteht wohl kein Zweifel. Die Beurteilung derselben ist gelegentlich
eine minder ernsthafte gewesen. Bei _Spitta_ findet sich folgende hieher
gehörige Äußerung von A. _Zeller_ (Artikel »Irre« in der allgemeinen
Enzyklopädie der Wissenschaften von _Ersch_ und _Gruber_) zitiert
(p. 144): »So glücklich ist selten ein Geist organisiert, daß er zu
allen Zeiten volle Macht besäße und nicht immer wieder nicht allein
unwesentliche, sondern auch völlig fratzenhafte und widersinnige
Vorstellungen den stetigen, klaren Gang seiner Gedanken unterbrächen, ja
die größten Denker haben sich über dieses traumartige, neckende und
peinliche Gesindel von Vorstellungen zu beklagen gehabt, da es ihre
tiefsten Betrachtungen und ihre heiligste und ernsthafteste
Gedankenarbeit stört.«

Ein helleres Licht fällt auf die psychologische Stellung dieser
Kontrastgedanken aus einer weiteren Bemerkung von _Hildebrandt_, daß der
Traum uns wohl bisweilen in Tiefen und Falten unseres Wesens blicken
lasse, die uns im Zustand des Wachens meist verschlossen bleiben
(p. 55). Dieselbe Erkenntnis verrät _Kant_ an einer Stelle der
Anthropologie, wenn er meint, der Traum sei wohl dazu da, um uns die
verborgenen Anlagen zu entdecken und uns zu offenbaren, nicht was wir
sind, sondern was wir hätten werden können, wenn wir eine andere
Erziehung gehabt hätten; _Radestock_ (p. 84) mit den Worten, daß der
Traum uns oft nur offenbart, was wir uns nicht gestehen wollen, und daß
wir ihn darum mit Unrecht einen Lügner und Betrüger schelten. J. E.
_Erdmann_ äußert: »Mir hat nie ein Traum offenbart, was von einem
Menschen zu halten sei, allein was ich von ihm halte und wie ich
hinsichtlich seiner gesinnt bin, das habe ich bereits einige Male aus
einem Traume gelernt zu meiner eigenen großen Überraschung.« Und ähnlich
meint J. H. _Fichte_: »Der Charakter unserer Träume bleibt ein weit
treuerer Spiegel unserer Gesamtstimmung, als was wir davon durch die
Selbstbeobachtung des Wachens erfahren.« Wir werden aufmerksam gemacht,
daß das Auftauchen dieser unserem sittlichen Bewußtsein fremden Antriebe
nur analog ist zu der uns bereits bekannten Verfügung des Traumes über
anderes Vorstellungsmaterial, welches dem Wachen fehlt oder darin eine
geringfügige Rolle spielt, durch Bemerkungen wie die von _Benini_:
»Certe nostre inclinazioni che si credevano soffocate e spente da un
pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; cose e persone
a cui non pensiamo mai, ci vengono dinanzi« (p. 149) und von _Volkelt_:
»Auch Vorstellungen, die in das wache Bewußtsein fast unbeachtet
eingegangen sind und von ihm vielleicht nie wieder der Vergessenheit
entzogen würden, pflegen sehr häufig dem Traum ihre Anwesenheit in der
Seele kundzutun« (p. 105). Endlich ist es hier am Platze uns zu
erinnern, daß nach _Schleiermacher_ schon das Einschlafen vom
Hervortreten _ungewollter_ Vorstellungen (Bilder) begleitet war.

Als »_ungewollte Vorstellungen_« dürfen wir nun dies ganze
Vorstellungsmaterial zusammenfassen, dessen Vorkommen in den
unmoralischen wie in den absurden Träumen unser Befremden erregt. Ein
wichtiger Unterschied liegt nur darin, daß die ungewollten Vorstellungen
auf sittlichem Gebiete den Gegensatz zu unserem sonstigen Empfinden
erkennen lassen, während die anderen uns bloß fremdartig erscheinen. Es
ist bisher kein Schritt geschehen, der uns ermöglichte, diese
Verschiedenheit durch tiefer gehende Erkenntnis aufzuheben.

 Das Unterdrückte.

Welche Bedeutung hat nun das Hervortreten ungewollter Vorstellungen im
Traume, welche Schlüsse für die Psychologie der wachenden und der
träumenden Seele lassen sich aus diesem nächtlichen Auftauchen
kontrastierender ethischer Regungen ableiten? Hier ist eine neue
Meinungsverschiedenheit und eine abermals verschiedene Gruppierung der
Autoren zu verzeichnen. Den Gedankengang von _Hildebrandt_ und anderen
Vertretern seiner Grundansicht kann man wohl nicht anderswohin
fortsetzen, als daß den unmoralischen Regungen auch im Wachen eine
gewisse Macht innewohne, die zwar gehemmt ist, bis zur Tat vorzudringen,
und daß im Schlafe etwas wegfalle, was, gleichfalls wie eine Hemmung
wirksam, uns gehindert habe, die Existenz dieser Regung zu bemerken. Der
Traum zeigte so das wirkliche, wenn auch nicht das ganze Wesen des
Menschen, und gehörte zu den Mitteln, das verborgene Seeleninnere für
unsere Kenntnis zugänglich zu machen. Nur von solchen Voraussetzungen
her kann _Hildebrandt_ dem Traume die Rolle eines _Warners_ zuweisen,
der uns auf verborgene sittliche Schäden unserer Seele aufmerksam macht,
wie er nach dem Zugeständnis der Ärzte auch bisher unbemerkte
körperliche Leiden dem Bewußtsein verkünden kann. Und auch _Spitta_ kann
von keiner anderen Auffassung geleitet sein, wenn er auf die
Erregungsquellen hinweist, die zur Zeit der Pubertät z. B. der Psyche
zufließen, und den Träumer tröstet, er habe alles getan, was in seinen
Kräften steht, wenn er im Wachen einen streng tugendhaften Lebenswandel
geführt und sich bemüht hat, die sündigen Gedanken, so oft sie kommen,
zu unterdrücken, sie nicht reifen und zur Tat werden zu lassen. Nach
dieser Auffassung könnten wir die »_ungewollten_« Vorstellungen als die
während des Tages »_unterdrückten_« bezeichnen und müßten in ihrem
Auftauchen ein echtes psychisches Phänomen erblicken.

Nach anderen Autoren hätten wir kein Recht zu letzterer Folgerung. Für
_Jessen_ stellen die ungewollten Vorstellungen im Traume wie im Wachen
und in Fieber- und anderen Delirien »den Charakter einer zur Ruhe
gelegten Willenstätigkeit und eines _gewissermaßen mechanischen_
Prozesses von Bildern und Vorstellungen durch innere Bewegungen dar«
(p. 360). Ein unmoralischer Traum beweise weiter nichts für das
Seelenleben des Träumers, als daß dieser von dem betreffenden
Vorstellungsinhalt irgendwie einmal Kenntnis gewonnen habe, gewiß nicht
eine ihm eigene Seelenregung. Bei einem anderen Autor, _Maury_, könnte
man in Zweifel geraten, ob nicht auch er dem Traumzustand die Fähigkeit
zuschreibt, die seelische Tätigkeit nach ihren Komponenten zu zerlegen,
anstatt sie planlos zu zerstören. Er sagt von den Träumen, in denen man
sich über die Schranken der Moralität hinaussetzt: »Ce sont nos
penchants qui parlent et qui nous font agir, sans que la conscience nous
retienne, bien que parfois elle nous avertisse. J'ai mes défauts et mes
penchants vicieux; à l'état de veille, je tâche de lutter contre eux, et
il m'arrive assez souvent de n'y pas succomber. Mais dans mes songes j'y
succombe toujours ou pour mieux dire j'agis par leur impulsion, sans
crainte et sans remords . . . . Évidemment les visions qui se déroulent
devant ma pensée et qui constituent le rêve, me sont suggérées par les
incitations que je ressens et que ma volonté absente ne cherche pas à
refouler« (p. 113).

Wenn man an die Fähigkeit des Traumes glaubte, eine wirklich vorhandene,
aber unterdrückte oder versteckte unmoralische Disposition des Träumers
zu enthüllen, so könnte man dieser Meinung schärferen Ausdruck nicht
geben als mit den Worten _Maurys_ (p. 115): »En rêve l'homme se révèle
donc tout entier à soi-même dans sa nudité et sa misère natives. Dès
qu'il suspend l'exercice de sa volonté, il devient le jouet de toutes
les passions contre lesquelles, à l'état de veille la conscience, le
sentiment d'honneur, la crainte nous défendent.« An anderer Stelle
findet er das treffende Wort (p. 462): »Dans le rêve, c'est surtout
l'homme instinctif que se révèle . . . . L'homme revient pour ainsi dire
à l'état de nature quand il rêve; mais moins les idées acquises ont
pénétré dans son esprit, plus _les penchants en désaccord_ avec elles
conservent encore sur lui d'influence dans le rêve.« Er führt dann als
Beispiel an, daß seine Träume ihn nicht selten als Opfer gerade jenes
Aberglaubens zeigen, den er in seinen Schriften am heftigsten bekämpft
hat.

Der Wert all dieser scharfsinnigen Bemerkungen für eine psychologische
Erkenntnis des Traumlebens wird aber bei _Maury_ dadurch beeinträchtigt,
daß er in den von ihm so richtig beobachteten Phänomenen nichts als
Beweise für den »Automatisme psychologique« sehen will, der nach ihm das
Traumleben beherrscht. Diesen Automatismus faßt er als vollen Gegensatz
zur psychischen Tätigkeit.

Eine Stelle in den Studien über das Bewußtsein von _Stricker_ lautet:
»Der Traum besteht nicht einzig und allein aus Täuschungen; wenn man
sich im Traume z. B. vor Räubern fürchtet, so sind die Räuber zwar
imaginär, die Furcht aber ist real. So wird man aufmerksam darauf
gemacht, daß die Affektentwicklung im Traume die Beurteilung nicht
zuläßt, welche man dem übrigen Trauminhalt schenkt und das Problem wird
vor uns aufgerollt, was an den psychischen Vorgängen im Traume real sein
mag, das heißt einen Anspruch auf Einreihung unter die psychischen
Vorgänge des Wachens beanspruchen darf?«


g) _Traumtheorien und Funktion des Traumes_.

Eine Aussage über den Traum, welche möglichst viele der beobachteten
Charaktere desselben von einem Gesichtspunkte aus zu erklären versucht
und gleichzeitig die Stellung des Traumes zu einem umfassenderen
Erscheinungsgebiet bestimmt, wird man eine Traumtheorie heißen dürfen.
Die einzelnen Traumtheorien werden sich darin unterscheiden, daß sie den
oder jenen Charakter des Traumes zum wesentlichen erheben, Erklärungen
und Beziehungen an ihn anknüpfen lassen. Eine Funktion, d. i. ein Nutzen
oder eine sonstige Leistung des Traumes, wird nicht notwendig aus der
Theorie ableitbar sein müssen, aber unsere auf die Teleologie
gewohnheitsgemäß gerichtete Erwartung wird doch jenen Theorien
entgegenkommen, die mit der Einsicht in eine Funktion des Traumes
verbunden sind.

Wir haben bereits mehrere Auffassungen des Traumes kennen gelernt, die
den Namen von Traumtheorien in diesem Sinne mehr oder weniger
verdienten. Der Glaube der Alten, daß der Traum eine Sendung der Götter
sei, um die Handlungen der Menschen zu lenken, war eine vollständige
Theorie des Traumes, die über alles am Traum Wissenswerte Auskunft
erteilte. Seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen Forschung
geworden ist, kennen wir eine größere Anzahl von Traumtheorien, aber
darunter auch manche recht unvollständige.

Wenn man auf Vollzähligkeit verzichtet, kann man etwa folgende lockere
Gruppierung der Traumtheorien versuchen, je nach der zu grunde gelegten
Annahme über Maß und Art der psychischen Tätigkeit im Traume:

1. Solche Theorien, welche die volle psychische Tätigkeit des Wachens
sich in dem Traume fortsetzen lassen, wie die von _Delboeuf_. Hier
schläft die Seele nicht, ihr Apparat bleibt intakt, aber unter die vom
Wachen abweichenden Bedingungen des Schlafzustandes gebracht, muß sie
bei normalem Funktionieren andere Ergebnisse liefern als im Wachen. Bei
diesen Theorien fragt es sich, ob sie im stande sind, die Unterschiede
des Traumes von dem Nachdenken sämtlich aus den Bedingungen des
Schlafzustandes abzuleiten. Überdies fehlt ihnen ein möglicher Zugang zu
einer Funktion des Traumes; man sieht nicht ein, wozu man träumt, warum
der komplizierte Mechanismus des seelischen Apparates weiter spielt,
auch wenn er in Verhältnisse versetzt wird, für die er nicht berechnet
scheint. Traumlos schlafen, oder wenn störende Reize kommen, aufwachen,
bleiben die einzig zweckmäßigen Reaktionen anstatt der dritten, der des
Träumens.

2. Solche Theorien, welche im Gegenteil für den Traum eine Herabsetzung
der psychischen Tätigkeit, eine Auflockerung der Zusammenhänge, eine
Verarmung an anspruchsfähigem Material annehmen. Diesen Theorien zufolge
müßte eine ganz andere psychologische Charakteristik des Schlafes
gegeben werden als etwa nach _Delboeuf_. Der Schlaf erstreckt sich weit
über die Seele, er besteht nicht bloß in einer Absperrung der Seele von
der Außenwelt, er dringt vielmehr in ihren Mechanismus ein und macht ihn
zeitweilig unbrauchbar. Wenn ich einen Vergleich mit psychiatrischem
Material heranziehen darf, so möchte ich sagen, die ersteren Theorien
konstruieren den Traum wie eine Paranoia, die zweiterwähnten machen ihn
zum Vorbilde des Schwachsinnes oder einer Amentia.

Die Theorie, daß im Traumleben nur ein Bruchteil der durch den Schlaf
lahmgelegten Seelentätigkeit zum Ausdruck komme, ist die bei ärztlichen
Schriftstellern und in der wissenschaftlichen Welt überhaupt weit
bevorzugte. Soweit ein allgemeineres Interesse für Traumerklärung
vorauszusetzen ist, darf man sie wohl als die _herrschende_ Theorie des
Traumes bezeichnen. Es ist hervorzuheben, mit welcher Leichtigkeit
gerade diese Theorie die ärgste Klippe jeder Traumerklärung, nämlich das
Scheitern an einem der durch den Traum verkörperten Gegensätze,
vermeidet. Da ihr der Traum das Ergebnis eines partiellen Wachens ist
(»ein allmähliches, partielles und zugleich sehr anomalisches Wachen«
sagt _Herbarts_ Psychologie über den Traum), so kann sie durch eine
Reihe von Zuständen von immer weitergehender Erweckung bis zur vollen
Wachheit die ganze Reihe von der Minderleistung des Traumes, die sich
durch Absurdität verrät, bis zur voll konzentrierten Denkleistung
decken.

Wem die physiologische Darstellungsweise unentbehrlich geworden ist oder
wissenschaftlicher dünkt, der wird diese Theorie des Traumes in der
Schilderung von _Binz_ ausgedrückt finden (p. 43):

»Dieser Zustand (von Erstarrung) aber geht in den frühen Morgenstunden
nur allmählich seinem Ende entgegen. Immer geringer werden die in dem
Gehirneiweiß aufgehäuften Ermüdungsstoffe und immer mehr von ihnen wird
zerlegt oder von dem rastlos treibenden Blutstrom fortgespült. Da und
dort leuchten schon einzelne Zellenhaufen wach geworden hervor, während
ringsumher noch alles in Erstarrung ruht. Es tritt nun die _isolierte
Arbeit der Einzelgruppen_ vor unser umnebeltes Bewußtsein und zu ihr
fehlt die Kontrolle anderer, der Assoziation vorstehender Gehirnteile.
Darum fügen die geschaffenen Bilder, welche meist den materiellen
Eindrücken naheliegender Vergangenheit entsprechen, sich wild und
regellos aneinander. Immer größer wird die Zahl der freiwerdenden
Gehirnzellen, immer geringer die Unvernunft des Traumes.«

Man wird die Auffassung des Träumens als eines unvollständigen,
partiellen Wachens oder Spuren von ihrem Einflusse sicherlich bei allen
modernen Physiologen und Philosophen finden. Am ausführlichsten ist sie
bei _Maury_ dargestellt. Dort hat es oft den Anschein, als stellte sich
der Autor das Wachsein oder Eingeschlafensein nach anatomischen Regionen
verschiebbar vor, wobei ihm allerdings eine anatomische Provinz und eine
bestimmte psychische Funktion aneinander gebunden erscheinen. Ich möchte
hier aber nur andeuten, daß, wenn die Theorie des partiellen Wachens
sich bestätigte, über den feineren Ausbau derselben sehr viel zu
verhandeln wäre.

Eine Funktion des Traumes kann sich bei dieser Auffassung des
Traumlebens natürlich nicht herausstellen. Vielmehr wird das Urteil über
die Stellung und Bedeutung des Traumes konsequenterweise durch die
Äußerung von _Binz_ gegeben (p. 357): »Alle Tatsachen, wie wir sehen,
drängen dahin, den Traum als einen _körperlichen_, in allen Fällen
unnützen, in vielen Fällen geradezu krankhaften Vorgang zu
kennzeichnen . . .«

Der Ausdruck »körperlich« mit Beziehung auf den Traum, der seine
Hervorhebung dem Autor selbst verdankt, weist wohl nach mehr als einer
Richtung. Er bezieht sich zunächst auf die Traumätiologie, die ja _Binz_
besonders nahe lag, wenn er die experimentelle Erzeugung von Träumen
durch Darreichung von Giften studierte. Es liegt nämlich im
Zusammenhange dieser Art von Traumtheorien, die Anregung zum Träumen
womöglich ausschließlich von somatischer Seite ausgehen zu lassen. In
extremster Form dargestellt, lautete es so: Nachdem wir durch Entfernung
der Reize uns in Schlaf versetzt haben, wäre zum Träumen kein Bedürfnis
und kein Anlaß bis zum Morgen, wo das allmähliche Erwachen durch die neu
anlangenden Reize sich in dem Phänomen des Träumens spiegeln könnte. Nun
gelingt es aber nicht, den Schlaf reizlos zu halten; es kommen, ähnlich
wie Mephisto von den Lebenskeimen klagt, von überall her Reize an den
Schlafenden heran, von außen, von innen, von all den Körpergebieten
sogar, um die man sich als Wachender nie gekümmert hat. So wird der
Schlaf gestört, die Seele bald an dem, bald an jenem Zipfelchen
wachgerüttelt und funktioniert dann ein Weilchen mit dem geweckten Teil,
froh wieder einzuschlafen. Der Traum ist die Reaktion auf die durch den
Reiz verursachte Schlafstörung, übrigens eine rein überflüssige
Reaktion.

 Theorie des partiellen Schlafes der Seele.

Den Traum, der doch immerhin eine Leistung des Seelenorgans bleibt, als
einen körperlichen Vorgang zu bezeichnen, hat aber auch noch einen
anderen Sinn. Es ist die _Würde_ eines psychischen Vorganges, die damit
dem Traume abgesprochen werden soll. Das in seiner Anwendung auf den
Traum bereits sehr alte Gleichnis von den »zehn Fingern eines der Musik
ganz unkundigen Menschen, die über die Tasten des Instrumentes
hinlaufen«, veranschaulicht vielleicht am besten, welche Würdigung die
Traumleistung bei den Vertretern der exakten Wissenschaft zumeist
gefunden hat. Der Traum wird in dieser Auffassung etwas ganz und gar
Undeutbares; denn wie sollten die zehn Finger des unmusikalischen
Spielers ein Stück Musik produzieren können?

Es hat der Theorie des partiellen Wachens schon frühzeitig nicht an
Einwänden gefehlt. _Burdach_ meint 1830: »Wenn man sagt, der Traum sei
ein partielles Wachen, so wird damit erstlich weder das Wachen, noch das
Schlafen erklärt, zweitens nichts anderes gesagt, als daß einige Kräfte
der Seele im Traume tätig sind, während andere ruhen. Aber solche
Ungleichheit findet während des ganzen Lebens statt . . .« (p. 483).

An die herrschende Traumtheorie, welche im Traume einen »körperlichen«
Vorgang sieht, lehnt sich eine sehr interessante Auffassung des Traumes
an, die erst 1866 von _Robert_ ausgesprochen wurde und die bestechend
wirkt, weil sie für das Träumen eine Funktion, einen nützlichen Erfolg
anzugeben weiß. _Robert_ nimmt zur Grundlage seiner Theorie zwei
Tatsachen der Beobachtung, bei denen wir bereits in der Würdigung des
Traummaterials verweilt haben (vgl. p. 14), nämlich daß man so häufig
von den nebensächlichsten Eindrücken des Tages träumt und daß man so
selten die großen Interessen des Tages mit hinübernimmt. _Robert_
behauptet als ausschließlich richtig: »Es werden nie Dinge, die man voll
ausgedacht hat, zu Traumerregern, immer nur solche, die einem unfertig
im Sinne liegen oder den Geist flüchtig streifen« (p. 10). -- »Darum
kann man meistens den Traum sich nicht erklären, weil die Ursachen
desselben eben _die nicht zum genügenden Erkennen des Träumenden
gekommenen Sinneseindrücke des verflossenen Tages_ sind.« Die Bedingung,
daß ein Eindruck in den Traum gelange, ist also, entweder daß dieser
Eindruck in seiner Verarbeitung gestört wurde oder daß er als allzu
unbedeutend auf solche Verarbeitung keinen Anspruch hatte.

Der Traum stellt sich _Robert_ nun dar »als ein körperlicher
Ausscheidungsprozeß, der in seiner geistigen Reaktionserscheinung zum
Erkennen gelangt«. _Träume sind Ausscheidungen von im Keime erstickten
Gedanken._ »Ein Mensch, dem man die Fähigkeit nehmen würde, zu träumen,
müßte in gegebener Zeit geistesgestört werden, weil sich in seinem Hirn
eine Unmasse unfertiger, unausgedachter Gedanken und seichter Eindrücke
ansammeln würde, unter deren Wucht dasjenige ersticken müßte, was dem
Gedächtnisse als fertiges Ganzes einzuverleiben wäre.« Der Traum leistet
dem überbürdeten Gehirn die Dienste eines Sicherheitsventils. Die
_Träume haben heilende, entlastende Kraft_ (p. 32).

Es wäre mißverständlich, an _Robert_ die Frage zu richten, wie denn
durch das Vorstellen im Traume eine Entlastung der Seele herbeigeführt
werden kann. Der Autor schließt offenbar aus jenen beiden
Eigentümlichkeiten des Traummaterials, daß während des Schlafes eine
solche Ausstoßung von wertlosen Eindrücken _irgendwie_ als somatischer
Vorgang vollzogen werde, und das Träumen ist kein besonderer psychischer
Prozeß, sondern nur die Kunde, die wir von jener Aussonderung erhalten.
Übrigens ist eine Ausscheidung nicht das einzige, was nachts in der
Seele vorgeht. _Robert_ fügt selbst hinzu, daß überdies die Anregungen
des Tages ausgearbeitet werden, und »was sich von dem unverdaut im
Geiste liegenden Gedankenstoff nicht ausscheiden läßt, wird durch der
_Phantasie entlehnte Gedankenfäden zu einem abgerundeten Ganzen
verbunden_ und so dem Gedächtnisse als unschädliches Phantasiegemälde
eingereiht« (p. 23).

 Theorien von Robert und Delage.

In den schroffsten Gegensatz zur herrschenden Theorie tritt die
_Roberts_ aber in der Beurteilung der Traumquellen. Während dort
überhaupt nicht geträumt würde, wenn nicht die äußeren und inneren
Sensationsreize die Seele immer wieder weckten, liegt der Antrieb zum
Träumen nach der Theorie _Roberts_ in der Seele selbst, in ihrer
Überladung, die nach Entlastung verlangt, und _Robert_ urteilt
vollkommen konsequent, daß die im körperlichen Befinden liegenden
traumbedingenden Ursachen einen untergeordneten Rang einnehmen und einen
Geist, in dem kein dem wachen Bewußtsein entnommener Stoff zur
Traumbildung wäre, keinesfalls zum Träumen veranlassen könnten.
Zuzugeben sei bloß, daß die im Traume aus den Tiefen der Seele heraus
sich entwickelnden Phantasiebilder durch die Nervenreize beeinflußt
werden können (p. 48). So ist der Traum nach _Robert_ doch nicht so ganz
abhängig vom Somatischen, er ist zwar kein psychischer Vorgang, hat
keine Stelle unter den psychischen Vorgängen des Wachens, er ist ein
allnächtlicher somatischer Vorgang am Apparat der Seelentätigkeit und
hat eine Funktion zu erfüllen, diesen Apparat vor Überspannung zu
behüten oder wenn man das Gleichnis wechseln darf: die Seele
auszumisten.

Auf die nämlichen Charaktere des Traumes, die in der Auswahl des
Traummaterials deutlich werden, stützt ein anderer Autor, _Yves Delage_,
seine eigene Theorie, und es ist lehrreich zu beobachten, wie durch eine
leise Wendung in der Auffassung derselben Dinge ein Endergebnis von ganz
anderer Tragweite gewonnen wird.

_Delage_ hatte an sich selbst, nachdem er eine ihm teure Person durch
den Tod verloren, die Erfahrung gemacht, daß man von dem _nicht_ träumt,
was einen tagsüber ausgiebig beschäftigt hat, oder erst dann, wenn es
anderen Interessen tagsüber zu weichen beginnt. Seine Nachforschungen
bei anderen Personen bestätigten ihm die Allgemeinheit dieses
Sachverhaltes. Eine schöne Bemerkung dieser Art, wenn sie sich als
allgemein richtig herausstellte, macht _Delage_ über das Träumen junger
Eheleute: »S'ils ont été fortement épris, presque jamais ils n'ont rêvé
l'un de l'autre avant le mariage ou pendant la lune de miel; et s'ils
ont rêvé d'amour c'est pour être infidèles avec quelque personne
indifférente ou odieuse.« Wovon träumt man nun aber? _Delage_ erkennt
das in unseren Träumen vorkommende Material als bestehend aus
Bruchstücken und Resten von Eindrücken der letzten Tage und früherer
Zeiten. Alles was in unseren Träumen auftritt, was wir zuerst geneigt
sein mögen, als Schöpfung des Traumlebens anzusehen, erweist sich bei
genauerer Prüfung als unerkannte Reproduktion, als »souvenir
inconscient«. Aber dieses Vorstellungsmaterial zeigt einen gemeinsamen
Charakter, es rührt von Eindrücken her, die unsere Sinne wahrscheinlich
stärker betroffen haben als unseren Geist oder von denen die
Aufmerksamkeit sehr bald nach ihrem Auftauchen wieder abgelenkt wurde.
Je weniger bewußt und dabei je stärker ein Eindruck gewesen ist, desto
mehr Aussicht hat er, im nächsten Traume eine Rolle zu spielen.

Es sind im wesentlichen dieselben zwei Kategorien von Eindrücken, die
nebensächlichen und die unerledigten, wie sie _Robert_ hervorhebt, aber
_Delage_ wendet den Zusammenhang anders, indem er meint, diese Eindrücke
werden nicht, weil sie gleichgültig sind, traumfähig, sondern weil sie
unerledigt sind. Auch die nebensächlichen Eindrücke sind gewissermaßen
nicht voll erledigt worden, auch sie sind ihrer Natur nach als neue
Eindrücke »autant de ressorts tendus«, die sich während des Schlafes
entspannen werden. Noch mehr Anrecht auf eine Rolle im Traume als der
schwache und fast unbeachtete Eindruck wird ein starker Eindruck haben,
der zufällig in seiner Verarbeitung aufgehalten wurde oder mit Absicht
zurückgedrängt worden ist. Die tagsüber durch Hemmung und Unterdrückung
aufgespeicherte psychische Energie wird nachts die Triebfeder des
Traumes. Im Traume kommt das psychisch _Unterdrückte_ zum Vorschein(23).

  (23) Ganz ähnlich äußert sich der Dichter _Anatole France_ (Lys
  rouge): Ce que nous voyons la nuit, ce sont les restes malheureux de
  ce que nous avons négligé dans la veille. Le rêve est souvent la
  revanche des choses qu'on méprise ou le reproche des êtres abandonnés.

Leider bricht der Gedankengang von _Delage_ an dieser Stelle ab; er kann
einer selbständigen psychischen Tätigkeit im Traume nur die geringste
Rolle einräumen und so schließt er sich mit seiner Traumtheorie
unvermittelt wieder an die herrschende Lehre vom partiellen Schlafen des
Gehirns an: »En somme le rêve est le produit de la pensée errante, sans
but et sans direction, se fixant successivement sur les souvenirs, qui
ont gardé assez d'intensité pour se placer sur sa route et l'arrêter au
passage, établissant entre eux un lien tantôt faible et indécis, tantôt
plus fort et plus serré selon que l'activité actuelle du cerveau est
plus ou moins abolie par le sommeil.«

3. Zu einer dritten Gruppe kann man jene Theorien des Traumes
vereinigen, welche der träumenden Seele die Fähigkeit und Neigung zu
besonderen psychischen Leistungen zuschreiben, die sie im Wachen
entweder gar nicht oder nur in unvollkommener Weise ausführen kann. Aus
der Betätigung dieser Fähigkeiten ergibt sich zumeist eine nützliche
Funktion des Traumes. Die Wertschätzungen, welche der Traum bei älteren
psychologischen Autoren gefunden hat, gehören meist in diese Reihe. Ich
will mich aber damit begnügen, an deren Statt die Äußerung von _Burdach_
anzuführen, derzufolge der Traum »die Naturtätigkeit der Seele ist,
welche nicht durch die Macht der Individualität beschränkt, nicht durch
Selbstbewußtsein gestört, nicht durch Selbstbestimmung gerichtet wird,
sondern die in freiem Spiele sich ergehende Lebendigkeit der sensiblen
Zentralpunkte ist« (p. 486).

Dieses Schwelgen im freien Gebrauche der eigenen Kräfte stellen sich
_Burdach_ u. a. offenbar als einen Zustand vor, in welchem die Seele
sich erfrischt und neue Kräfte für die Tagesarbeit sammelt, also etwa
nach Art eines Ferienurlaubes. _Burdach_ zitiert und akzeptiert darum
auch die liebenswürdigen Worte, in denen der Dichter _Novalis_ das
Walten des Traumes preist: »Der Traum ist eine Schutzwehr gegen die
Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der
gebundenen Phantasie, wo sie alle Bilder des Lebens durcheinander wirft
und die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein
fröhliches Kinderspiel unterbricht; ohne die Träume würden wir gewiß
früher alt, und so kann man den Traum, wenn auch nicht als unmittelbar
von oben gegeben, doch als eine köstliche Aufgabe, als einen
freundlichen Begleiter auf der Wallfahrt zum Grabe betrachten.«

Die erfrischende und heilende Tätigkeit des Traumes schildert noch
eindringlicher _Purkinje_ (p. 456): »Besonders würden die produktiven
Träume diese Funktionen vermitteln. Es sind leichte Spiele der
Imagination, die mit den Tagesbegebenheiten keinen Zusammenhang haben.
Die Seele will die Spannungen des wachen Lebens nicht fortsetzen,
sondern sie auflösen, sich von ihnen erholen. Sie erzeugt zuvörderst
denen des Wachens entgegengesetzte Zustände. Sie heilt Traurigkeit durch
Freude, Sorgen durch Hoffnungen und heitere zerstreuende Bilder, Haß
durch Liebe und Freundlichkeit, Furcht durch Mut und Zuversicht; den
Zweifel beschwichtigt sie durch Überzeugung und festen Glauben,
vergebliche Erwartung durch Erfüllung. Viele wunde Stellen des Gemütes,
die der Tag immerwährend offen erhalten würde, heilt der Schlaf, indem
er sie zudeckt und vor neuer Aufregung bewahrt. Darauf beruht zum Teil
die schmerzenheilende Wirkung der Zeit.« Wir empfinden es alle, daß der
Schlaf eine Wohltat für das Seelenleben ist, und die dunkle Ahnung des
Volksbewußtseins läßt sich offenbar das Vorurteil nicht rauben, daß der
Traum einer der Wege ist, auf denen der Schlaf seine Wohltaten spendet.

 Die Theorie Scherners.

Der originellste und weitgehendste Versuch, den Traum aus einer
besonderen Tätigkeit der Seele, die sich erst im Schlafzustand frei
entfalten kann, zu erklären, ist der von _Scherner_ 1861 unternommene.
Das Buch _Scherners_, in einem schwülen und schwülstigen Stil
geschrieben, von einer nahezu trunkenen Begeisterung für den Gegenstand
getragen, die abstoßend wirken muß, wenn sie nicht mit sich fortzureißen
vermag, setzt einer Analyse solche Schwierigkeiten entgegen, daß wir
bereitwillig nach der klareren und kürzeren Darstellung greifen, in
welcher der Philosoph _Volkelt_ die Lehren _Scherners_ uns vorführt. »Es
blitzt und leuchtet wohl aus den mystischen Zusammenballungen, aus all
dem Pracht- und Glanzgewoge ein ahnungsvoller Schein von Sinn heraus,
allein hell werden hiedurch des Philosophen Pfade nicht.« Solche
Beurteilung findet die Darstellung _Scherners_ selbst bei seinem
Anhänger.

_Scherner_ gehört nicht zu den Autoren, welche der Seele gestatten, ihre
Fähigkeiten unverringert ins Traumleben mitzunehmen. Er führt selbst
aus, wie im Traume die Zentralität, die Spontanenergie des Ich entnervt
wird, wie infolge dieser Dezentralisation Erkennen, Fühlen, Wollen und
Vorstellen verändert werden und wie den Überbleibseln dieser
Seelenkräfte kein wahrer Geistcharakter, sondern nur noch die Natur
eines Mechanismus zukommt. Aber dafür schwingt sich im Traume die als
_Phantasie_ zu benennende Tätigkeit der Seele, frei von aller
Verstandesherrschaft und damit der strengen Maße ledig, zur
unbeschränkten Herrschaft auf. Sie nimmt zwar die letzten Bausteine aus
dem Gedächtnis des Wachens, aber führt aus ihnen Gebäude auf, die von
den Gebilden des Wachens himmelweit verschieden sind, sie zeigt sich im
Traume nicht nur reproduktiv, sondern auch _produktiv_. Ihre
Eigentümlichkeiten verleihen dem Traumleben seine besonderen Charaktere.
Sie zeigt eine Vorliebe für das _Ungemessene_, _Übertriebene_,
_Ungeheuerliche_. Zugleich aber gewinnt sie durch die Befreiung von den
hinderlichen Denkkategorien eine größere Schmiegsamkeit, Behendigkeit,
Wendungslust; sie ist aufs feinste empfindsam für die zarten
Stimmungsreize des Gemütes, für die wühlerischen Affekte, sie bildet
sofort das innere Leben in die äußere plastische Anschaulichkeit hinein.
Der Traumphantasie _fehlt die Begriffssprache_; was sie sagen will, muß
sie anschaulich hinmalen, und da der Begriff hier nicht schwächend
einwirkt, malt sie es in Fülle, Kraft und Größe der Anschauungsform hin.
Ihre Sprache wird hiedurch, so deutlich sie ist, weitläufig,
schwerfällig, unbeholfen. Besonders erschwert wird die Deutlichkeit
ihrer Sprache dadurch, daß sie die Abneigung hat, ein Objekt durch sein
eigentliches Bild auszudrücken und lieber ein _fremdes Bild_ wählt,
insofern dieses nur dasjenige Moment des Objektes, an dessen Darstellung
ihr liegt, durch sich auszudrücken im stande ist. Das ist die
_symbolisierende Tätigkeit_ der Phantasie . . . Sehr wichtig ist ferner,
daß die Traumphantasie die Gegenstände nicht erschöpfend, sondern nur in
ihrem Umriß und diesen in freiester Weise nachbildet. Ihre Malereien
erscheinen daher wie genial hingehaucht. Die Traumphantasie bleibt aber
nicht bei der bloßen Hinstellung des Gegenstandes stehen, sondern sie
ist innerlich genötigt, das Traum-Ich mehr oder weniger mit ihm zu
verwickeln und so eine Handlung zu erzeugen. Der Gesichtsreiztraum z. B.
malt Goldstücke auf die Straße; der Träumer sammelt sie, freut sich,
trägt sie davon.

Das Material, an welchem die Traumphantasie ihre künstlerische Tätigkeit
vollzieht, ist nach _Scherner_ vorwiegend das der bei Tag so dunklen
organischen Leibreize (vgl. p. 25), so daß in der Annahme der
Traumquellen und Traumerreger die allzu phantastische Theorie
_Scherners_ und die vielleicht übernüchterne Lehre _Wundts_ und anderer
Physiologen, die sich sonst wie Antipoden zueinander verhalten, sich
hier völlig decken. Aber während nach der physiologischen Theorie die
seelische Reaktion auf die inneren Leibreize mit der Erweckung von
irgend zu ihnen passenden Vorstellungen erschöpft ist, die dann einige
andere Vorstellungen auf dem Wege der Assoziation sich zur Hilfe rufen,
und mit diesem Stadium die Verfolgung der psychischen Vorgänge des
Traumes beendigt scheint, geben die Leibreize nach _Scherner_ der Seele
nur ein Material, das sie ihren phantastischen Absichten dienstbar
machen kann. Die Traumbildung fängt für _Scherner_ dort erst an, wo sie
für den Blick der anderen versiegt.

Zweckmäßig wird man freilich nicht finden können, was die Traumphantasie
mit den Leibreizen vornimmt. Sie treibt ein neckendes Spiel mit ihnen,
stellt sich die Organquelle, aus der die Reize im betreffenden Traume
stammen, in irgend einer plastischen Symbolik vor. Ja _Scherner_ meint,
worin _Volkelt_ und andere ihm nicht folgen, daß die Traumphantasie eine
bestimmte Lieblingsdarstellung für den ganzen Organismus habe; diese
wäre das _Haus_. Sie scheint sich aber zum Glück für ihre Darstellungen
nicht an diesen Stoff zu binden; sie kann auch umgekehrt ganze Reihen
von Häusern benutzen, um ein einzelnes Organ zu bezeichnen, z. B. sehr
lange Häuserstraßen für den Eingeweidereiz. Andere Male stellen einzelne
Teile des Hauses wirklich einzelne Körperteile dar, so z. B. im
Kopfschmerztraum die Decke eines Zimmers (welche der Träumer mit
ekelhaften krötenartigen Spinnen bedeckt sieht) den Kopf.

 Die Traumphantasie.

Von der Haussymbolik ganz abgesehen, werden beliebige andere Gegenstände
zur Darstellung der den Traumreiz ausschickenden Körperteile verwendet.
»So findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem
luftartigen Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben,
die Harnblase in runden beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten
Gegenständen. Der männliche Geschlechtsreiztraum läßt den Träumer den
oberen Teil einer Klarinette, daneben den gleichen Teil einer
Tabakspfeife, daneben wieder einen Pelz auf der Straße finden.
Klarinette und Tabakspfeife stellen die annähernde Form des männlichen
Gliedes, der Pelz das Schamhaar dar. Im weiblichen Geschlechtstraume
kann sich die Schrittenge der zusammenschließenden Schenkel durch einen
schmalen, von Häusern umschlossenen Hof, die weibliche Scheide durch
einen mitten durch den Hofraum führenden, schlüpfrig weichen, sehr
schmalen Fußpfad symbolisieren, den die Träumerin wandeln muß, um etwa
einen Brief zu einem Herrn zu tragen« (_Volkelt_ p. 39). Besonders
wichtig ist es, daß am Schlusse eines solchen Leibreiztraumes die
Traumphantasie sich sozusagen demaskiert, indem sie das erregende Organ
oder dessen Funktion unverhüllt hinstellt. So schließt der
»Zahnreiztraum« gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus
dem Munde nimmt.

Die Traumphantasie kann ihre Aufmerksamkeit aber nicht bloß der Form des
erregenden Organs zuwenden, sie kann ebensowohl die in ihm enthaltene
Substanz zum Objekt der Symbolisierung nehmen. So führt z. B. der
Eingeweidereiztraum durch kotige Straßen, der Harnreiztraum an
schäumendes Wasser. Oder der Reiz als solcher, die Art seiner
Erregtheit, das Objekt, das er begehrt, werden symbolisch dargestellt
oder das Traum-Ich tritt in konkrete Verbindung mit den Symbolisierungen
des eigenen Zustandes, z. B. wenn wir bei Schmerzreizen uns mit
beißenden Hunden oder tobenden Stieren verzweifelt balgen oder die
Träumerin sich im Geschlechtstraume von einem nackten Manne verfolgt
sieht. Von all dem möglichen Reichtum in der Ausführung abgesehen,
bleibt eine symbolisierende Phantasietätigkeit als die Zentralkraft
eines jeden Traumes bestehen. In den Charakter dieser Phantasie näher
einzudringen, der so erkannten psychischen Tätigkeit ihre Stellung in
einem System philosophischer Gedanken anzuweisen, versuchte dann
_Volkelt_ in seinem schön und warm geschriebenen Buche, das aber allzu
schwer verständlich für jeden bleibt, der nicht durch frühe Schulung für
das ahnungsvolle Erfassen philosophischer Begriffsschemen vorbereitet
ist.

Eine nützliche Funktion ist mit der Betätigung der symbolisierenden
Phantasie _Scherners_ in den Träumen nicht verbunden. Die Seele spielt
träumend mit den ihr dargebotenen Reizen. Man könnte auf die Vermutung
kommen, daß sie unartig spielt. Man könnte aber auch an uns die Frage
richten, ob unsere eingehende Beschäftigung mit _Scherners_ Theorie des
Traumes zu irgend etwas Nützlichem führen kann, deren Willkürlichkeit
und Losgebundenheit von den Regeln aller Forschung doch allzu
augenfällig scheint. Da wäre es denn am Platze, gegen eine Verwerfung
der Lehre _Scherners_ vor aller Prüfung als allzu hochmütig ein Veto
einzulegen. Diese Lehre baut sich auf dem Eindruck auf, den jemand von
seinen Träumen empfing, der ihnen große Aufmerksamkeit schenkte, und der
persönlich sehr wohl veranlagt scheint, dunklen seelischen Dingen
nachzuspüren. Sie handelt ferner von einem Gegenstand, der den Menschen
durch Jahrtausende rätselhaft, wohl aber zugleich inhalts- und
beziehungsreich erschienen ist, und zu dessen Erhellung die gestrenge
Wissenschaft, wie sie selbst bekennt, nicht viel anderes beigetragen
hat, als daß sie im vollen Gegensatz zur populären Empfindung dem Objekt
Inhalt und Bedeutsamkeit abzusprechen versuchte. Endlich wollen wir uns
ehrlich sagen, daß es den Anschein hat, wir könnten bei den Versuchen,
den Traum aufzuklären, der Phantastik nicht leicht entgehen. Es gibt
auch Ganglienzellen-Phantastik; die p. 58 zitierte Stelle eines
nüchternen und exakten Forschers wie _Binz_, welche schildert, wie die
Aurora des Erwachens über die eingeschlafenen Zellhaufen der Hirnrinde
hinzieht, steht an Phantastik und an -- Unwahrscheinlichkeit hinter den
_Scherner_schen Deutungsversuchen nicht zurück. Ich hoffe, zeigen zu
können, daß hinter den letzteren etwas Reelles steckt, das allerdings
nur verschwommen erkannt worden ist und nicht den Charakter der
Allgemeinheit besitzt, auf den eine Theorie des Traumes Anspruch erheben
kann. Vorläufig kann uns die _Scherner_sche Theorie des Traumes in ihrem
Gegensatz zur medizinischen etwa vor Augen führen, zwischen welchen
Extremen die Erklärung des Traumlebens heute noch unsicher schwankt.


h) _Beziehungen zwischen Traum und Geisteskrankheiten_.

Wer von den Beziehungen des Traumes zu den Geistesstörungen spricht,
kann dreierlei meinen: 1. ätiologische und klinische Beziehungen, etwa
wenn ein Traum einen psychotischen Zustand vertritt, einleitet oder nach
ihm erübrigt. 2. Veränderungen, die das Traumleben im Falle der
Geisteskrankheiten erleidet. 3. Innere Beziehungen zwischen Traum und
Psychosen, Analogien, die auf Wesensverwandtschaft hindeuten. Diese
mannigfachen Beziehungen zwischen den beiden Reihen von Phänomenen sind
in früheren Zeiten der Medizin -- und in der Gegenwart von neuem wieder
-- ein Lieblingsthema ärztlicher Autoren gewesen, wie die bei _Spitta_,
_Radestock_, _Maury_ und _Tissié_ gesammelte Literatur des Gegenstandes
lehrt. Jüngst hat _Sante de Sanctis_ diesem Zusammenhange seine
Aufmerksamkeit zugewendet(24). Dem Interesse unserer Darstellung wird es
genügen, den bedeutsamen Gegenstand bloß zu streifen.

  (24) Spätere Autoren, die solche Beziehungen behandeln, sind: _Féré_,
  _Ideler_, _Lasègne_, _Pichon_, _Régis_, _Vespa_, _Giessler_,
  _Kazodowsky_, _Pachantoni_ u. a.

Zu den klinischen und ätiologischen Beziehungen zwischen Traum und
Psychosen will ich folgende Beobachtungen als Paradigmata mitteilen.
_Hohnbaum_ berichtet (bei _Krauss_), daß der erste Ausbruch des
Wahnsinns sich öfters von einem ängstlichen schreckhaften Traume
herschrieb und daß die vorherrschende Idee mit diesem Traume in
Verbindung stand. _Sante de Sanctis_ bringt ähnliche Beobachtungen von
Paranoischen und erklärt den Traum in einzelnen derselben für die »vraie
cause déterminante de la folie«. Die Psychose kann mit dem wirksamen,
die wahnhafte Erklärung enthaltenden Traum mit einem Schlage ins Leben
treten oder sich durch weitere Träume, die noch gegen Zweifel
anzukämpfen haben, langsam entwickeln. In einem Falle von _de Sanctis_
schlossen sich an den ergreifenden Traum leichte hysterische Anfälle,
dann in weiterer Folge ein ängstlich-melancholischer Zustand. _Féré_
(bei _Tissié_) berichtet von einem Traume, der eine hysterische Lähmung
zur Folge hatte. Hier wird uns der Traum als Ätiologie der
Geistesstörung vorgeführt, obwohl wir dem Tatbestand ebenso Rechnung
tragen, wenn wir aussagen, die geistige Störung habe ihre erste Äußerung
am Traumleben gezeigt, sei im Traume zuerst durchgebrochen. In anderen
Beispielen enthält das Traumleben die krankhaften Symptome oder die
Psychose bleibt aufs Traumleben eingeschränkt. So macht _Thomayer_ auf
_Angstträume_ aufmerksam, die als Äquivalente von epileptischen Anfällen
aufgefaßt werden müssen. _Allison_ hat nächtliche Geisteskrankheit
(nocturnal insanity) beschrieben (nach _Radestock_), bei der die
Individuen tagsüber anscheinend vollkommen gesund sind, während bei
Nacht regelmäßig Halluzinationen, Tobsuchtsanfälle u. dgl. auftreten.
Ähnliche Beobachtungen bei _de Sanctis_ (paranoisches Traumäquivalent
bei einem Alkoholiker, Stimmen, die die Ehefrau der Untreue
beschuldigen); bei _Tissié_. _Tissié_ bringt aus neuerer Zeit eine
reiche Anzahl von Beobachtungen, in denen Handlungen pathologischen
Charakters (aus Wahnvoraussetzungen, Zwangimpulse) sich aus Träumen
ableiten. _Guislain_ beschreibt einen Fall, in dem der Schlaf durch ein
intermittierendes Irresein ersetzt war.

Es ist wohl kein Zweifel, daß eines Tages neben der Psychologie des
Traumes eine Psychopathologie des Traumes die Ärzte beschäftigen wird.

Besonders deutlich wird es häufig in Fällen von Genesung nach
Geisteskrankheit, daß bei gesunder Funktion am Tage das Traumleben noch
der Psychose angehören kann. _Gregory_ soll auf dieses Vorkommen zuerst
aufmerksam gemacht haben (nach _Krauss_). _Macario_ (bei _Tissié_)
erzählt von einem Maniacus, der eine Woche nach seiner völligen
Herstellung in Träumen die Ideenflucht und die leidenschaftlichen
Antriebe seiner Krankheit wieder erlebte.

Über die Veränderungen, welche das Traumleben bei dauernd Psychotischen
erfährt, sind bis jetzt nur sehr wenige Untersuchungen angestellt
worden. Dagegen hat die innere Verwandtschaft zwischen Traum und
Geistesstörung, die sich in so weitgehender Übereinstimmung der
Erscheinungen beider äußert, frühzeitig Beachtung gefunden. Nach _Maury_
hat zuerst _Cabanis_ in seinen »Rapports du physique et du moral« auf
sie hingewiesen, nach ihm _Lélut_, J. _Moreau_ und ganz besonders der
Philosoph _Maine de Biran_. Sicherlich ist die Vergleichung noch älter.
_Radestock_ leitet das Kapitel, in dem er sie behandelt, mit einer
Sammlung von Aussprüchen ein, welche Traum und Wahnsinn in Analogie
bringen. _Kant_ sagt an einer Stelle: »Der Verrückte ist ein Träumer im
Wachen.« _Krauss_: »Der Wahnsinn ist ein Traum innerhalb des
Sinnenwachseins.« _Schopenhauer_ nennt den Traum einen kurzen Wahnsinn
und den Wahnsinn einen langen Traum. _Hagen_ bezeichnet das Delirium als
Traumleben, welches nicht durch Schlaf, sondern durch Krankheiten
herbeigeführt ist. _Wundt_ äußert in der »Physiologischen Psychologie«:
»In der Tat können wir im Traume fast alle Erscheinungen, die uns in den
Irrenhäusern begegnen, selber durchleben.«

Die einzelnen Übereinstimmungen, auf Grund deren eine solche
Gleichstellung sich dem Urteil empfiehlt, zählt _Spitta_ (übrigens sehr
ähnlich wie _Maury_) in folgender Reihe auf: »1. Aufhebung oder doch
Retardation des Selbstbewußtseins, infolgedessen Unkenntnis über den
Zustand als solchen, also Unmöglichkeit des Erstaunens, Mangel des
moralischen Bewußtseins. 2. Modifizierte Perzeption der Sinnesorgane,
und zwar im Traume verminderte, im Wahnsinn im allgemeinen sehr
gesteigerte. 3. Verbindung der Vorstellungen untereinander lediglich
nach den Gesetzen der Assoziation und Reproduktion, also automatische
Reihenbildung, daher Unproportionalität der Verhältnisse zwischen den
Vorstellungen (Übertreibungen, Phantasmen) und aus alle dem resultierend
4. Veränderung beziehungsweise Umkehrung der Persönlichkeit und zuweilen
der Eigentümlichkeiten des Charakters (Perversitäten).«

_Radestock_ fügt noch einige Züge hinzu, Analogien im Material: »Im
Gebiete des Gesichts- und Gehörsinnes und des Gemeingefühles findet man
die meisten Halluzinationen und Illusionen. Die wenigsten Elemente
liefern wie beim Traume der Geruchs- und Geschmacksinn. -- Dem
Fieberkranken steigen in den Delirien wie dem Träumenden Erinnerungen
aus langer Vergangenheit auf; was der Wachende und Gesunde vergessen zu
haben schien, dessen erinnert sich der Schlafende und Kranke.« -- Die
Analogie von Traum und Psychose erhält erst dadurch ihren vollen Wert,
daß sie sich wie eine Familienähnlichkeit in die feinere Mimik und bis
auf einzelne Auffälligkeiten des Gesichtsausdruckes erstreckt.

 Traum und Psychose. -- Die Wunscherfüllung.

»Dem von körperlichen und geistigen Leiden Gequälten gewährt der Traum,
was die Wirklichkeit versagte: Wohlsein und Glück; so heben sich auch
bei dem Geisteskranken die lichten Bilder von Glück, Größe, Erhabenheit
und Reichtum. Der vermeintliche Besitz von Gütern und die imaginäre
Erfüllung von Wünschen, deren Verweigerung oder Vernichtung eben einen
psychischen Grund des Irreseins abgaben, machen häufig den Hauptinhalt
des Deliriums aus. Die Frau, die ein teures Kind verloren, deliriert in
Mutterfreuden, wer Vermögensverluste erlitten, hält sich für
außerordentlich reich, das betrogene Mädchen sieht sich zärtlich
geliebt.«

(Diese Stelle _Radestocks_ ist die Abkürzung einer feinsinnigen
Ausführung von _Griesinger_ [p. 111], die mit aller Klarheit die
_Wunscherfüllung_ als einen dem Traume und der Psychose gemeinsamen
Charakter des Vorstellens enthüllt. Meine eigenen Untersuchungen haben
mich gelehrt, daß hier der Schlüssel zu einer psychologischen Theorie
des Traumes und der Psychosen zu finden ist.)

»Barocke Gedankenverbindungen und Schwäche des Urteiles sind es, welche
den Traum und den Wahnsinn hauptsächlich charakterisieren.« Die
_Überschätzung_ der eigenen geistigen Leistungen, die dem nüchternen
Urteil als unsinnig erscheinen, findet sich hier wie dort; dem rapiden
_Vorstellungsverlauf_ des Traumes entspricht die _Ideenflucht_ der
Psychose. Bei beiden fehlt jedes _Zeitmaß_. Die _Spaltung der
Persönlichkeit_ im Traume, welche z. B. das eigene Wissen auf zwei
Personen verteilt, von denen die fremde das eigene Ich im Traume
korrigiert, ist völlig gleichwertig der bekannten Persönlichkeitsteilung
bei halluzinatorischer Paranoia; auch der Träumer hört die eigenen
Gedanken von fremden Stimmen vorgebracht. Selbst für die konstanten
Wahnideen findet sich eine Analogie in den stereotyp wiederkehrenden
pathologischen Träumen (rêve obsédant). -- Nach der Genesung von einem
Delirium sagen die Kranken nicht selten, daß ihnen die ganze Zeit ihrer
Krankheit wie ein oft nicht unbehaglicher Traum erscheint, ja sie teilen
uns mit, daß sie gelegentlich noch während der Krankheit geahnt haben,
sie seien nur in einem Traume befangen, ganz wie es oft im Schlaftraume
vorkommt.

Nach alledem ist es nicht zu verwundern, wenn _Radestock_ seine wie
vieler anderer Meinung in den Worten zusammenfaßt, daß »der Wahnsinn,
eine anormale krankhafte Erscheinung, als eine Steigerung des periodisch
wiederkehrenden normalen Traumzustandes zu betrachten ist« (p. 228).

Noch inniger vielleicht, als es durch diese Analogie der sich äußernden
Phänomene möglich ist, hat _Krauss_ die Verwandtschaft von Traum und
Wahnsinn in der Ätiologie (vielmehr: in den Erregungsquellen) begründen
wollen. Das beiden gemeinschaftliche Grundelement ist nach ihm, wie wir
gehört haben, die _organisch bedingte Empfindung_, die Leibreizsensation,
das durch Beiträge von allen Organen her zustande gekommene
Gemeingefühl (vgl. _Peisse_ bei _Maury_ [p. 52]).

Die nicht zu bestreitende, bis in charakteristische Einzelheiten
reichende Übereinstimmung von Traum und Geistesstörung gehört zu den
stärksten Stützen der medizinischen Theorie des Traumlebens, nach
welcher sich der Traum als ein unnützer und störender Vorgang und als
Ausdruck einer herabgesetzten Seelentätigkeit darstellt. Man wird indes
nicht erwarten können, die endgültige Aufklärung über den Traum von den
Seelenstörungen her zu empfangen, wo es allgemein bekannt ist, in welch
unbefriedigendem Zustand unsere Einsicht in den Hergang der letzteren
sich befindet. Wohl aber ist es wahrscheinlich, daß eine veränderte
Auffassung des Traumes unsere Meinungen über den inneren Mechanismus der
Geistesstörungen mitbeeinflussen muß, und so dürfen wir sagen, daß wir
auch an der Aufklärung der Psychosen arbeiten, wenn wir uns bemühen, das
Geheimnis des Traumes aufzuhellen.

                   *       *       *       *       *

Es bedarf einer Rechtfertigung, daß ich die Literatur der Traumprobleme
nicht auch über den Zeitabschnitt vom ersten Erscheinen bis zur zweiten
Auflage dieses Buches fortgeführt habe. Dieselbe mag dem Leser wenig
befriedigend erscheinen; ich bin nichtsdestoweniger durch sie bestimmt
worden. Die Motive, die mich überhaupt zu einer Darstellung der
Behandlung des Traumes in der Literatur veranlaßt hatten, waren mit der
vorstehenden Einleitung erschöpft, eine Fortsetzung dieser Arbeit hätte
mich außerordentliche Bemühung gekostet und -- sehr wenig Nutzen oder
Belehrung gebracht. Denn der in Rede stehende Zeitraum von neun Jahren
hat weder an tatsächlichem Material noch an Gesichtspunkten für die
Auffassung des Traumes Neues oder Wertvolles gebracht. Meine Arbeit ist
in den meisten seither veröffentlichten Publikationen unerwähnt und
unberücksichtigt geblieben; am wenigsten Beachtung hat sie natürlich bei
den sogenannten »Traumforschern« gefunden, die von der dem
wissenschaftlichen Menschen eigenen Abneigung, etwas Neues zu erlernen,
hiemit ein glänzendes Beispiel gegeben haben. »Les savants ne sont pas
curieux,« meint der Spötter _Anatole France_. Wenn es in der
Wissenschaft ein Recht zur Revanche gibt, so wäre ich wohl berechtigt,
auch meinerseits die Literatur seit dem Erscheinen dieses Buches zu
vernachlässigen. Die wenigen Berichterstattungen, die sich in
wissenschaftlichen Journalen gezeigt haben, sind so voll von Unverstand
und Mißverständnissen, daß ich den Kritikern mit nichts anderem als mit
der Aufforderung, dieses Buch noch einmal zu lesen, antworten könnte.
Vielleicht dürfte die Aufforderung auch lauten: es überhaupt zu lesen.

 Die Literatur seit 1900.

In den Arbeiten jener Ärzte, welche sich zur Anwendung des
psychoanalytischen Heilverfahrens entschlossen haben und anderer sind
reichlich Träume veröffentlicht und nach meinen Anweisungen gedeutet
worden. Soweit diese Arbeiten über die Bestätigung meiner Aufstellungen
hinausgehen, habe ich deren Ergebnisse in den Zusammenhang meiner
Darstellung eingetragen. Ein zweites Literaturverzeichnis am Ende stellt
die wichtigsten Veröffentlichungen seit dem ersten Erscheinen dieses
Buches zusammen. Das reichhaltige Buch von _Sante de Sanctis_ über die
Träume, dem bald nach seinem Erscheinen eine Übersetzung ins Deutsche zu
teil geworden ist, hat sich mit meiner »Traumdeutung« zeitlich gekreuzt,
so daß ich von ihm ebensowenig Notiz nehmen konnte wie der italienische
Autor von mir. Ich mußte dann leider urteilen, daß seine fleißige Arbeit
überaus arm an Ideen sei, so arm, daß man aus ihr nicht einmal die
Möglichkeit der bei mir behandelten Probleme ahnen könnte.

Ich habe nur zweier Erscheinungen zu gedenken, die nahe an meine
Behandlung der Traumprobleme streifen. Ein jüngerer Philosoph, H.
_Swoboda_, der es unternommen hat, die Entdeckung der biologischen
Periodizität (in Reihen von 23 und 28 Tagen), die von _Wilh. Fliess_
herrührt, auf das psychische Geschehen auszudehnen, hat in einer
phantasievollen Schrift(25) mit diesem Schlüssel unter anderm auch das
Rätsel der Träume lösen wollen. Die Bedeutung der Träume wäre dabei zu
kurz gekommen; das Inhaltsmaterial derselben würde sich durch das
Zusammentreffen all jener Erinnerungen erklären, die in jener Nacht
gerade eine der biologischen Perioden zum ersten- oder n-tenmal
vollenden. Eine persönliche Mitteilung des Autors ließ mich zuerst
annehmen, daß er selbst diese Lehre nicht mehr ernsthaft vertreten
wolle. Es scheint, daß ich mich in diesem Schluß geirrt habe; ich werde
an anderer Stelle einige Beobachtungen zu der Aufstellung _Swobodas_
mitteilen, die mir aber ein überzeugendes Ergebnis nicht gebracht haben.
Bei weitem erfreulicher war mir der Zufall, an unerwarteter Stelle eine
Auffassung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der meinigen
völlig deckt. Die Zeitverhältnisse schließen die Möglichkeit aus, daß
jene Äußerung durch die Lektüre meines Buches beeinflußt worden sei; ich
muß also in ihr die einzige in der Literatur nachweisbare
Übereinstimmung eines unabhängigen Denkers mit dem Wesen meiner
Traumlehre begrüßen. Das Buch, in dem sich die von mir ins Auge gefaßte
Stelle über das Träumen findet, ist 1900 in zweiter Auflage unter dem
Titel »Phantasien eines Realisten« von _Lynkeus_ veröffentlicht
worden(26).

  (25) H. _Swoboda_, Die Perioden des menschlichen Organismus, 1904.

  (26) Siehe später p. 229, Anmerkung.


Zusatz (1914).

Die vorstehende Rechtfertigung ist im Jahre 1909 niedergeschrieben
worden. Seither hat sich die Sachlage allerdings geändert; mein Beitrag
zur »Traumdeutung« wird in der Literatur nicht mehr übersehen. Allein
die neue Situation macht mir die Fortsetzung des vorstehenden Berichtes
erst recht unmöglich. Die »Traumdeutung« hat eine ganze Reihe neuer
Behauptungen und Probleme gebracht, die nun von den Autoren in
verschiedenster Weise erörtert worden sind. Ich kann diese Arbeiten doch
nicht darstellen, ehe ich meine eigenen Ansichten entwickelt habe, auf
welche die Autoren sich beziehen. Was mir an dieser neuesten Literatur
wertvoll erschien, habe ich darum im Zusammenhange meiner nun folgenden
Ausführungen gewürdigt.



II.

Die Methode der Traumdeutung. Die Analyse eines Traummusters.


Die Überschrift, die ich meiner Abhandlung gegeben habe, läßt erkennen,
an welche Tradition in der Auffassung der Träume ich anknüpfen möchte.
Ich habe mir vorgesetzt, zu zeigen, daß Träume einer Deutung fähig sind,
und Beiträge zur Klärung der eben behandelten Traumprobleme werden sich
mir nur als etwaiger Nebengewinn bei der Erledigung meiner eigentlichen
Aufgabe ergeben können. Mit der Voraussetzung, daß Träume deutbar sind,
trete ich sofort in Widerspruch zu der herrschenden Traumlehre, ja zu
allen Traumtheorien mit Ausnahme der _Scherner_schen, denn »einen Traum
deuten« heißt, seinen »Sinn« angeben, ihn durch etwas ersetzen, was sich
als vollwichtiges, gleichwertiges Glied in die Verkettung unserer
seelischen Aktionen einfügt. Wie wir erfahren haben, lassen aber die
wissenschaftlichen Theorien des Traumes für ein Problem der Traumdeutung
keinen Raum, denn der Traum ist für sie überhaupt kein seelischer Akt,
sondern ein somatischer Vorgang, der sich durch Zeichen am seelischen
Apparat kundgibt. Anders hat sich zu allen Zeiten die Laienmeinung
benommen. Sie bedient sich ihres guten Rechtes, inkonsequent zu
verfahren, und obwohl sie zugesteht, der Traum sei unverständlich und
absurd, kann sie sich doch nicht entschließen, dem Traume jede Bedeutung
abzusprechen. Von einer dunklen Ahnung geleitet, scheint sie doch
anzunehmen, der Traum habe einen Sinn, wiewohl einen verborgenen, er sei
zum Ersatze eines anderen Denkvorganges bestimmt, und es handle sich nur
darum, diesen Ersatz in richtiger Weise aufzudecken, um zur verborgenen
Bedeutung des Traumes zu gelangen.

 Die symbolische und die Chiffriermethode. -- Artemidorus.

Die Laienwelt hat sich darum von jeher bemüht, den Traum zu »deuten« und
dabei zwei im Wesen verschiedene Methoden versucht. Das erste dieser
Verfahren faßt den Trauminhalt als Ganzes ins Auge und sucht denselben
durch einen anderen, verständlichen und in gewissen Hinsichten analogen
Inhalt zu ersetzen. Dies ist die _symbolische_ Traumdeutung; sie
scheitert natürlich von vornherein an jenen Träumen, welche nicht bloß
unverständlich, sondern auch verworren erscheinen. Ein Beispiel für ihr
Verfahren gibt etwa die Auslegung, welche der biblische Josef dem Traume
des Pharao angedeihen ließ. Sieben fette Kühe, nach denen sieben magere
kommen, welche die ersteren aufzehren, das ist ein symbolischer Ersatz
für die Vorhersagung von sieben Hungerjahren im Lande Ägypten, welche
allen Überfluß aufzehren, den sieben fruchtbare Jahre geschaffen haben.
Die meisten der artefiziellen Träume, welche von Dichtern geschaffen
wurden, sind für solche symbolische Deutung bestimmt, denn sie geben den
vom Dichter gefaßten Gedanken in einer Verkleidung wieder, die zu den
aus der Erfahrung bekannten Charakteren unseres Träumens passend
gefunden wird(27). Die Meinung, der Traum beschäftige sich vorwiegend
mit der Zukunft, deren Gestaltung er im voraus ahne -- ein Rest der
einst den Träumen zuerkannten prophetischen Bedeutung --, wird dann zum
Motiv, den durch symbolische Deutung gefundenen Sinn des Traumes durch
ein »es wird« ins Futurum zu versetzen.

  (27) In einer Novelle »_Gradiva_« des Dichters W. _Jensen_ entdeckte
  ich zufällig mehrere artifizielle Träume, die vollkommen korrekt
  gebildet waren und sich deuten ließen, als wären sie nicht erfunden,
  sondern von realen Personen geträumt worden. Der Dichter bestätigte
  auf Anfrage von meiner Seite, daß ihm meine Traumlehre fremd geblieben
  war. Ich habe diese Übereinstimmung zwischen meiner Forschung und dem
  Schaffen des Dichters als Beweis für die Richtigkeit meiner
  Traumanalyse verwertet. (»Der Wahn und die Träume« in W. _Jensens_
  »Gradiva«, erstes Heft der von mir herausgegebenen »Schriften zur
  angewandten Seelenkunde«, 1906.)

Wie man den Weg zu einer solchen symbolischen Deutung findet, dazu läßt
sich eine Unterweisung natürlich nicht geben. Das Gelingen bleibt Sache
des witzigen Einfalles, der unvermittelten Intuition, und darum konnte
die Traumdeutung mittels Symbolik sich zu einer Kunstübung erheben, die
an eine besondere Begabung gebunden schien(28). Von solchem Anspruch
hält sich die andere der populären Methoden der Traumdeutung völlig
fern. Man könnte sie als die »Chiffriermethode« bezeichnen, da sie den
Traum wie eine Art von Geheimschrift behandelt, in der jedes Zeichen
nach einem feststehenden Schlüssel in ein anderes Zeichen von bekannter
Bedeutung übersetzt wird. Ich habe z. B. von einem Briefe geträumt, aber
auch von einem Leichenbegängnis u. dgl.; ich sehe nun in einem
»Traumbuche« nach und finde, daß »Brief« mit »Verdruß«,
»Leichenbegängnis« mit »Verlobung« zu übersetzen ist. Es bleibt mir dann
überlassen, aus den Schlagworten, die ich entziffert habe, einen
Zusammenhang herzustellen, den ich wiederum als zukünftig hinnehme. Eine
interessante Abänderung dieses Chiffrierverfahrens, durch welche dessen
Charakter als rein mechanische Übertragung einigermaßen korrigiert wird,
zeigt sich in der Schrift über Traumdeutung des _Artemidoros_ aus
Daldis(29). Hier wird nicht nur auf den Trauminhalt, sondern auch auf
die Person und die Lebensumstände des Träumers Rücksicht genommen, so
daß das nämliche Traumelement für den Reichen, den Verheirateten, den
Redner andere Bedeutung hat als für den Armen, den Ledigen und etwa den
Kaufmann. Das Wesentliche an diesem Verfahren ist nun, daß die
Deutungsarbeit nicht auf das Ganze des Traumes gerichtet wird, sondern
auf jedes Stück des Trauminhaltes für sich, als ob der Traum ein
Konglomerat wäre, in dem jeder Brocken Gestein eine besondere Bestimmung
verlangt. Es sind sicherlich die unzusammenhängenden und verworrenen
Träume, von denen der Antrieb zur Schöpfung der Chiffriermethode
ausgegangen ist(30).

  (28) _Aristoteles_ hat sich dahin geäußert, der beste Traumdeuter sei
  der, welcher Ähnlichkeiten am besten auffasse; denn die Traumbilder
  seien, wie die Bilder im Wasser, durch die Bewegung verzerrt, und der
  treffe am besten, der in dem verzerrten Bild das Wahre zu erkennen
  vermöge (_Büchsenschütz_, p. 65).

  (29) _Artemidoros_ aus _Daldis_, wahrscheinlich, zu Anfang des
  2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung geboren, hat uns die
  vollständigste und sorgfältigste Bearbeitung der Traumdeutung in der
  griechisch-römischen Welt überliefert. Er legte, wie _Th. Gomperz_
  hervorhebt, Wert darauf, die Deutung der Träume auf Beobachtung und
  Erfahrung zu gründen und sonderte seine Kunst strenge von anderen,
  trügerischen Künsten. Das Prinzip seiner Deutungskunst ist nach der
  Darstellung von _Gomperz_ identisch mit dem der Magie, das Prinzip der
  Assoziation. Ein Traumding bedeutet das, woran es erinnert.
  Wohlverstanden, woran es den Traumdeuter erinnert! Eine nicht zu
  beherrschende Quelle der Willkür und Unsicherheit ergibt sich dann aus
  dem Umstand, daß das Traumelement den Deuter an verschiedene Dinge und
  jeden an etwas anderes erinnern kann. Die Technik, die ich im
  folgenden auseinandersetze, weicht von der antiken in dem einen
  wesentlichen Punkte ab, daß sie dem Träumer selbst die Deutungsarbeit
  auferlegt. Sie will nicht berücksichtigen, was dem Traumdeuter,
  sondern was dem Träumer zu dem betreffenden Element des Traumes
  einfällt. -- Nach neueren Berichten des Missionärs Tfinkdji (Anthropos
  1913) nehmen aber auch die modernen Traumdeuter des Orients die
  Mitwirkung des Träumers ausgiebig in Anspruch. Der Gewährsmann erzählt
  von den Traumdeutern bei den mesopotamischen Arabern: »Pour
  interpréter exactement un songe, les oniromanciens les plus habiles
  s'informent de ceux qui les consultent de toutes les circonstances
  qu'il regardent nécessaires pour la bonne explication . . . . . . En
  un mot, nos oniromanciens ne laissent aucune circonstance leur
  échapper et ne donnent l'interprétation désirée avant d'avoir
  parfaitement saisi et reçu toutes les interrogations desirables.«
  Unter diesen Fragen befinden sich regelmäßig solche um genaue Angaben
  über die nächsten Familienangehörigen (Eltern, Frau, Kinder) sowie die
  typische Formel: habuistine in hac nocte copulam conjugalem ante vel
  post somnium? -- »L'idée dominante dans l'interprétation des songes
  consiste à expliquer le rêve par son opposé.«

  (30) Dr. _Alf. Robitsek_ macht mich darauf aufmerksam, daß die
  orientalischen Traumbücher, von denen die unserigen klägliche
  Abklatsche sind, die Deutung der Traumelemente meist nach dem
  Gleichklang und der Ähnlichkeit der Worte vornehmen. Da diese
  Verwandtschaften bei der Übersetzung in unsere Sprache verloren gehen
  müssen, würde daher die Unbegreiflichkeit der Ersetzungen in unseren
  populären »Traumbüchern« stammen. -- Über diese außerordentliche
  Bedeutung des Wortspieles und der Wortspielerei in den alten
  orientalischen Kulturen mag man sich aus den Schriften _Hugo
  Wincklers_ unterrichten. Das schönste Beispiel einer Traumdeutung,
  welches uns aus dem Altertum überliefert ist, beruht auf einer
  Wortspielerei. _Artemidoros_ erzählt (p. 255): »Es scheint mir aber
  auch _Aristandros_ dem _Alexandros_ von Makedonien eine gar glückliche
  Auslegung gegeben zu haben, als dieser _Tyros_ eingeschlossen hielt
  und belagerte und wegen des großen Zeitverlustes, unwillig und
  betrübt, das Gefühl hatte, er sehe einen _Satyros_ auf seinem Schilde
  tanzen; zufällig befand sich _Aristandros_ in der Nähe von Tyros und
  im Geleite des Königs, der die Syrier bekriegte. Indem er nun das Wort
  Satyros in σὰ und Τύρος zerlegte, bewirkte er, daß der König die
  Belagerung nachdrücklicher in Angriff nahm, so daß er Herr der Stadt
  wurdet.« (Σὰ-Τύρος = dein ist Tyros.) -- Übrigens hängt der Traum so
  innig am sprachlichen Ausdruck, daß _Ferenczi_ mit Recht bemerken
  kann, jede Sprache habe ihre eigene Traumsprache. Ein Traum ist in der
  Regel unübersetzbar in andere Sprachen und ein Buch wie das
  vorliegende, meinte ich, darum auch. Nichtsdestoweniger ist es Dr.
  A. A. _Brill_ in New York gelungen, eine englische Übersetzung der
  »Traumdeutung« zu schaffen. (London 1913, George Allen & Co. Ltd.)

Für die wissenschaftliche Behandlung des Themas kann die Unbrauchbarkeit
beider populärer Deutungsverfahren des Traumes keinen Moment lang
zweifelhaft sein. Die symbolische Methode ist in ihrer Anwendung
beschränkt und keiner allgemeinen Darlegung fähig. Bei der
Chiffriermethode käme alles darauf an, daß der »Schlüssel«, das
Traumbuch, verläßlich wäre, und dafür fehlen alle Garantien. Man wäre
versucht, den Philosophen und Psychiatern Recht zu geben und mit ihnen
das Problem der Traumdeutung als eine imaginäre Aufgabe zu
streichen(31).

  (31) Nach Abschluß meines Manuskriptes ist mir eine Schrift von
  _Stumpf_ zugegangen, die in der Absicht zu erweisen, der Traum sei
  sinnvoll und deutbar, mit meiner Arbeit zusammentrifft. Die Deutung
  geschieht aber mittels einer allegorisierenden Symbolik ohne Gewähr
  für Allgemeingültigkeit des Verfahrens.

Allein ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich habe einsehen müssen,
daß hier wiederum einer jener nicht seltenen Fälle vorliegt, in denen
ein uralter, hartnäckig festgehaltener Volksglaube der Wahrheit der
Dinge näher gekommen zu sein scheint als das Urteil der heute geltenden
Wissenschaft. Ich muß behaupten, daß der Traum wirklich eine Bedeutung
hat und daß ein wissenschaftliches Verfahren der Traumdeutung möglich
ist. Zur Kenntnis dieses Verfahrens bin ich auf folgende Weise gelangt:

 Psychische Vorbereitung zur Traumdeutung.

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit der Auflösung gewisser
psychopathologischer Gebilde, der hysterischen Phobien, der
Zwangsvorstellungen u. a. in therapeutischer Absicht; seitdem ich
nämlich aus einer bedeutsamen Mitteilung von _Josef Breuer_ weiß, daß
für diese als Krankheitssymptome empfundenen Bildungen Auflösung und
Lösung in eines zusammenfallen(32). Hat man eine solche pathologische
Vorstellung auf die Elemente zurückführen können, aus denen sie im
Seelenleben des Kranken hervorgegangen ist, so ist diese auch zerfallen,
der Kranke von ihr befreit. Bei der Ohnmacht unserer sonstigen
therapeutischen Bestrebungen und angesichts der Rätselhaftigkeit dieser
Zustände erschien es mir verlockend, auf dem von _Breuer_
eingeschlagenen Wege trotz aller Schwierigkeiten bis zur vollen
Aufklärung vorzudringen. Wie sich die Technik des Verfahrens schließlich
gestaltet hat und welches die Ergebnisse der Bemühung gewesen sind,
darüber werde ich an anderen Orten ausführlich Bericht zu erstatten
haben. Im Verlaufe dieser psychoanalytischen Studien geriet ich auf die
Traumdeutung. Die Patienten, die ich verpflichtet hatte, mir alle
Einfälle und Gedanken mitzuteilen, die sich ihnen zu einem bestimmten
Thema aufdrängten, erzählten mir ihre Träume und lehrten mich so, daß
ein Traum in die psychische Verkettung eingeschoben sein kann, die von
einer pathologischen Idee her nach rückwärts in der Erinnerung zu
verfolgen ist. Es lag nun nahe, den Traum selbst wie ein Symptom zu
behandeln und die für letztere ausgearbeitete Methode der Deutung auf
ihn anzuwenden.

  (32) _Breuer_ und _Freud_, Studien über Hysterie, Wien 1895, 2. Aufl.,
  1909.

Dazu bedarf es nun einer gewissen psychischen Vorbereitung des Kranken.
Man strebt zweierlei bei ihm an, eine Steigerung seiner Aufmerksamkeit
für seine psychischen Wahrnehmungen und eine Ausschaltung der Kritik,
mit der er die ihm auftauchenden Gedanken sonst zu sichten pflegt. Zum
Zwecke seiner Selbstbeobachtung mit gesammelter Aufmerksamkeit ist es
vorteilhaft, daß er eine ruhige Lage einnimmt und die Augen schließt;
den Verzicht auf die Kritik der wahrgenommenen Gedankenbildungen muß man
ihm ausdrücklich auferlegen. Man sagt ihm also, der Erfolg der
Psychoanalyse hänge davon ab, daß er alles beachtet und mitteilt, was
ihm durch den Sinn geht, und nicht etwa sich verleiten läßt, den einen
Einfall zu unterdrücken, weil er ihm unwichtig oder nicht zum Thema
gehörig, den anderen, weil er ihm unsinnig erscheint. Er müsse sich
völlig unparteiisch gegen seine Einfälle verhalten; denn gerade an
dieser Kritik läge es, wenn es ihm sonst nicht gelänge, die gesuchte
Auflösung des Traumes, der Zwangsidee u. dgl. zu finden.

Bei den psychoanalytischen Arbeiten habe ich gemerkt, daß die psychische
Verfassung des Mannes, welcher nachdenkt, eine ganz andere ist als die
desjenigen, welcher seine psychischen Vorgänge beobachtet. Beim
Nachdenken tritt eine psychische Aktion mehr ins Spiel als bei der
aufmerksamsten Selbstbeobachtung, wie es auch die gespannte Miene und
die in Falten gezogene Stirn des Nachdenklichen im Gegensatz zur
mimischen Ruhe des Selbstbeobachters erweist. In beiden Fällen muß eine
Sammlung der Aufmerksamkeit vorhanden sein, aber der Nachdenkende übt
außerdem eine Kritik aus, infolge deren er einen Teil der ihm
aufsteigenden Einfälle verwirft, nachdem er sie wahrgenommen hat, andere
kurz abbricht, so daß er den Gedankenwegen nicht folgt, welche sie
eröffnen würden, und gegen noch andere Gedanken weiß er sich so zu
benehmen, daß sie überhaupt nicht bewußt, also vor ihrer Wahrnehmung
unterdrückt werden. Der Selbstbeobachter hingegen hat nur die Mühe, die
Kritik zu unterdrücken; gelingt ihm dies, so kommt ihm eine Unzahl von
Einfällen zum Bewußtsein, die sonst unfaßbar geblieben wären. Mit Hilfe
dieses für die Selbstwahrnehmung neu gewonnenen Materials läßt sich die
Deutung der pathologischen Ideen sowie der Traumgebilde vollziehen. Wie
man sieht, handelt es sich darum, einen psychischen Zustand
herzustellen, der mit dem vor dem Einschlafen (und sicherlich auch mit
dem hypnotischen) eine gewisse Analogie in der Verteilung der
psychischen Energie (der beweglichen Aufmerksamkeit) gemein hat. Beim
Einschlafen treten die »ungewollten Vorstellungen« hervor durch den
Nachlaß einer gewissen willkürlichen (und gewiß auch kritischen) Aktion,
die wir auf den Ablauf unserer Vorstellungen einwirken lassen; als den
Grund dieses Nachlasses pflegen wir »Ermüdung« anzugeben; die
auftauchenden ungewollten Vorstellungen verwandeln sich in visuelle und
akustische Bilder. (Vergleiche die Bemerkungen von _Schleiermacher_
u. a., p. 34.) Bei dem Zustand, den man zur Analyse der Träume und
pathologischen Ideen benutzt, verzichtet man absichtlich und willkürlich
auf jene Aktivität und verwendet die ersparte psychische Energie (oder
ein Stück derselben) zur aufmerksamen Verfolgung der jetzt auftauchenden
ungewollten Gedanken, die ihren Charakter als Vorstellungen (dies der
Unterschied gegen den Zustand beim Einschlafen) beibehalten. _Man macht
so die »ungewollten« Vorstellungen zu »gewollten«._

 Schwierigkeiten des Materials.

Die hier geforderte Einstellung auf anscheinend »freisteigende« Einfälle
mit Verzicht auf die sonst gegen diese geübte Kritik scheint manchen
Personen nicht leicht zu werden. Die »ungewollten Gedanken« pflegen den
heftigsten Widerstand, der sie am Auftauchen hindern will, zu
entfesseln. Wenn wir aber unserem großen Dichterphilosophen _Fr.
Schiller_ Glauben schenken, muß eine ganz ähnliche Einstellung auch die
Bedingung der dichterischen Produktion enthalten. An einer Stelle seines
Briefwechsels mit _Körner_, deren Aufspürung _Otto Rank_ zu danken ist,
antwortet _Schiller_ auf die Klage seines Freundes über seine mangelnde
Produktivität: »Der Grund deiner Klagen liegt, wie mir scheint, in dem
Zwange, den dein Verstand deiner Imagination auflegt. Ich muß hier einen
Gedanken hinwerfen und ihn durch ein Gleichnis versinnlichen. Es scheint
nicht gut und dem Schöpfungswerke der Seele nachteilig zu sein, wenn der
Verstand die zuströmenden Ideen, gleichsam an den Toren schon, zu scharf
mustert. Eine Idee kann, isoliert betrachtet, sehr unbeträchtlich und
sehr abenteuerlich sein, aber vielleicht wird sie durch eine, die nach
ihr kommt, wichtig, vielleicht kann sie in einer gewissen Verbindung mit
anderen, die vielleicht ebenso abgeschmackt scheinen, ein sehr
zweckmäßiges Glied abgeben: -- Alles das kann der Verstand nicht
beurteilen, wenn er sie nicht so lange festhält, bis er sie in
Verbindung mit diesen anderen angeschaut hat. Bei einem schöpferischen
Kopfe hingegen, däucht mir, hat der Verstand seine Wache von den Toren
zurückgezogen, die Ideen stürzen pêle-mêle herein, und alsdann erst
übersieht und mustert er den großen Haufen. -- Ihr Herren Kritiker, und
wie Ihr Euch sonst nennt, schämt oder fürchtet Euch vor dem
augenblicklichen vorübergehenden Wahnwitze, der sich bei allen eigenen
Schöpfern findet und dessen längere oder kürzere Dauer den denkenden
Künstler von dem Träumer unterscheidet. Daher Eure Klagen über
Unfruchtbarkeit, weil Ihr zu früh verwerft und zu strenge sondert.«
(Brief vom 1. Dezember 1788.)

Und doch ist ein »solches Zurückziehen der Wache von den Toren des
Verstandes«, wie _Schiller_ es nennt, ein derartiges sich in den Zustand
der kritiklosen Selbstbeobachtung Versetzen keineswegs schwer.

Die meisten meiner Patienten bringen es nach der ersten Unterweisung zu
stande; ich selbst kann es sehr vollkommen, wenn ich mich dabei durch
Niederschreiben meiner Einfälle unterstütze. Der Betrag von psychischer
Energie, um den man so die kritische Tätigkeit herabsetzt und mit
welchem man die Intensität der Selbstbeobachtung erhöhen kann, schwankt
erheblich je nach dem Thema, welches von der Aufmerksamkeit fixiert
werden soll.

Der erste Schritt bei der Anwendung dieses Verfahrens lehrt nun, daß man
nicht den Traum als Ganzes, sondern nur die einzelnen Teilstücke seines
Inhaltes zum Objekt der Aufmerksamkeit machen darf. Frage ich den noch
nicht eingeübten Patienten: Was fällt Ihnen zu diesem Traume ein? so
weiß er in der Regel nichts in seinem geistigen Blickfelde zu erfassen.
Ich muß ihm den Traum zerstückt vorlegen, dann liefert er mir zu jedem
Stücke eine Reihe von Einfällen, die man als die »Hintergedanken« dieser
Traumpartie bezeichnen kann. In dieser ersten wichtigen Bedingung weicht
also die von mir geübte Methode der Traumdeutung bereits von der
populären, historisch und sagenhaft berühmten Methode der Deutung durch
Symbolik ab und nähert sich der zweiten, der »Chiffriermethode«. Sie ist
wie diese eine Deutung en detail, nicht en masse; wie diese faßt sie den
Traum von vornherein als etwas Zusammengesetztes, als ein Konglomerat
von psychischen Bildungen auf.

Im Verlaufe meiner Psychoanalysen bei Neurotikern habe ich wohl bereits
viele tausend Träume zur Deutung gebracht, aber dieses Material möchte
ich hier nicht zur Einführung in die Technik und Lehre der Traumdeutung
verwenden. Ganz abgesehen davon, daß ich mich dem Einwand aussetzen
würde, es seien ja die Träume von Neuropathen, die einen Rückschluß auf
die Träume gesunder Menschen nicht gestatten, nötigt mich ein anderer
Grund zu deren Verwerfung. Das Thema, auf welches diese Träume zielen,
ist natürlich immer die Krankheitsgeschichte, welche der Neurose zu
grunde liegt. Hiedurch würde für jeden Traum ein überlanger Vorbericht
und ein Eindringen in das Wesen und die ätiologischen Bedingungen der
Psychoneurosen erforderlich, Dinge, die an und für sich neu und im
höchsten Grade befremdlich sind und so die Aufmerksamkeit vom
Traumproblem ablenken würden. Meine Absicht geht vielmehr dahin, in der
Traumauflösung eine Vorarbeit für die Erschließung der schwierigeren
Probleme der Neurosenpsychologie zu schaffen. Verzichte ich aber auf die
Träume der Neurotiker, mein Hauptmaterial, so darf ich gegen den Rest
nicht allzu wählerisch verfahren. Es bleiben nur noch jene Träume, die
mir gelegentlich von gesunden Personen meiner Bekanntschaft erzählt
worden sind oder die ich als Beispiele in der Literatur über das
Traumleben verzeichnet finde. Leider geht mir bei all diesen Träumen die
Analyse ab, ohne welche ich den Sinn des Traumes nicht finden kann. Mein
Verfahren ist ja nicht so bequem wie das der populären Chiffriermethode,
welche den gegebenen Trauminhalt nach einem fixierten Schlüssel
übersetzt; ich bin vielmehr gefaßt darauf, daß derselbe Trauminhalt bei
verschiedenen Personen und in verschiedenem Zusammenhang auch einen
anderen Sinn verbergen mag. Somit bin ich auf meine eigenen Träume
angewiesen als auf ein reichliches und bequemes Material, das von einer
ungefähr normalen Person herrührt und sich auf mannigfache Anlässe des
täglichen Lebens bezieht. Man wird mir sicherlich Zweifel in die
Verläßlichkeit solcher »Selbstanalysen« entgegensetzen. Die Willkür sei
dabei keineswegs ausgeschlossen. Nach meinem Urteile liegen die
Verhältnisse bei der Selbstbeobachtung eher günstiger als bei der
Beobachtung anderer; jedenfalls darf man versuchen, wie weit man in der
Traumdeutung mit der Selbstanalyse reicht. Andere Schwierigkeiten habe
ich in meinem eigenen Innern zu überwinden. Man hat eine begreifliche
Scheu, soviel Intimes aus seinem Seelenleben preiszugeben, weiß sich
dabei auch nicht gesichert vor der Mißdeutung der Fremden. Aber darüber
muß man sich hinaussetzen können. »Tout psychologiste« schreibt
_Delboeuf_, »est obligé de faire l'aveu même de ses faiblesses s'il
croit par là jeter du jour sur quelque problème obscure.« Und auch beim
Leser, darf ich annehmen, wird das anfängliche Interesse an den
Indiskretionen, die ich begehen muß, sehr bald der ausschließlichen
Vertiefung in die hiedurch beleuchteten psychologischen Probleme Platz
machen.

 Der Traum von Irmas Injektion.

Ich werde also einen meiner eigenen Träume hervorsuchen und an ihm meine
Deutungsweise erläutern. Jeder solche Traum macht einen Vorbericht
nötig. Nun muß ich aber den Leser bitten, für eine ganze Weile meine
Interessen zu den seinigen zu machen und sich mit mir in die kleinsten
Einzelheiten meines Lebens zu versenken, denn solche Übertragung fordert
gebieterisch das Interesse für die versteckte Bedeutung der Träume.

_Vorbericht_: Im Sommer 1895 hatte ich eine junge Dame psychoanalytisch
behandelt, die mir und den Meinigen freundschaftlich sehr nahe stand.
Man versteht es, daß solche Vermengung der Beziehungen zur Quelle
mannigfacher Erregungen für den Arzt werden kann, zumal für den
Psychotherapeuten. Das persönliche Interesse des Arztes ist größer,
seine Autorität geringer. Ein Mißerfolg droht die alte Freundschaft mit
den Angehörigen der Kranken zu lockern. Die Kur endete mit einem
teilweisen Erfolg, die Patientin verlor ihre hysterische Angst, aber
nicht alle ihre somatischen Symptome. Ich war damals noch nicht recht
sicher in den Kriterien, welche die endgültige Erledigung einer
hysterischen Krankengeschichte bezeichnen, und mutete der Patientin eine
Lösung zu, die ihr nicht annehmbar erschien. In solcher Uneinigkeit
brachen wir der Sommerzeit wegen die Behandlung ab. -- Eines Tages
besuchte mich ein jüngerer Kollege, einer meiner nächsten Freunde, der
die Patientin -- Irma -- und ihre Familie in ihrem Landaufenthalt
besucht hatte. Ich fragte ihn, wie er sie gefunden habe, und bekam die
Antwort: Es geht ihr besser, aber nicht ganz gut. Ich weiß, daß mich
diese Worte meines Freundes Otto oder der Ton, in dem sie gesprochen
waren, ärgerten. Ich glaubte einen Vorwurf herauszuhören, etwa daß ich
der Patientin zu viel versprochen hätte, und führte -- ob mit Recht oder
Unrecht -- die vermeintliche Parteinahme Ottos gegen mich auf den
Einfluß von Angehörigen der Kranken zurück, die, wie ich annahm, meine
Behandlung nie gern gesehen hatten. Übrigens wurde mir meine peinliche
Empfindung nicht klar, ich gab ihr auch keinen Ausdruck. Am selben Abend
schrieb ich noch die Krankengeschichte Irmas nieder, um sie, wie zu
meiner Rechtfertigung, dem Dr. M., einem gemeinsamen Freunde, der damals
tonangebenden Persönlichkeit in unserem Kreise, zu übergeben. In der auf
diesen Abend folgenden Nacht (wohl eher am Morgen) hatte ich den
nachstehenden Traum, der unmittelbar nach dem Erwachen fixiert wurde.

                   *       *       *       *       *

    Traum vom 23./24. Juli 1895(33).

  (33) Es ist dies der erste Traum, den ich einer eingehenden Deutung
  unterzog.

Eine große Halle -- viele Gäste, die wir empfangen. -- Unter ihnen
_Irma_, die ich sofort bei Seite nehme, um gleichsam ihren Brief zu
beantworten, ihr Vorwürfe zu machen, daß sie die »Lösung« noch nicht
akzeptiert. Ich sage ihr: Wenn du noch Schmerzen hast, so ist es
wirklich nur deine Schuld. -- Sie antwortet: Wenn du wüßtest, was ich
für Schmerzen jetzt habe im Halse, Magen und Leib, es schnürt mich
zusammen. -- Ich erschrecke und sehe sie an. Sie sieht bleich und
gedunsen aus; ich denke, am Ende übersehe ich da doch etwas Organisches.
Ich nehme sie zum Fenster und schaue ihr in den Hals. Dabei zeigt sie
etwas Sträuben, wie die Frauen, die ein künstliches Gebiß tragen. Ich
denke mir, sie hat es doch nicht nötig. -- Der Mund geht dann auch gut
auf und ich finde rechts einen großen weißen Fleck und anderwärts sehe
ich an merkwürdigen krausen Gebilden, die offenbar den Nasenmuscheln
nachgebildet sind, ausgedehnte weißgraue Schorfe. -- Ich rufe schnell
Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt und bestätigt . . . . Dr.
M. sieht ganz anders aus als sonst; er ist sehr bleich, hinkt, ist am
Kinn bartlos . . . . Mein Freund _Otto_ steht jetzt auch neben ihr und
Freund _Leopold_ perkutiert sie über dem Leibchen und sagt: Sie hat eine
Dämpfung links unten, weist auch auf eine infiltrierte Hautpartie an der
linken Schulter hin (was ich trotz des Kleides wie er spüre) . . . . M.
sagt: Kein Zweifel, es ist eine Infektion, aber es macht nichts; es wird
noch Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden . . . . Wir
wissen auch unmittelbar, woher die Infektion rührt. Freund _Otto_ hat
ihr unlängst, als sie sich unwohl fühlte, eine Injektion gegeben mit
einem Propylpräparat, Propylen . . . . Propionsäure . . . .
_Trimethylamin_ (dessen Formel ich fett gedruckt vor mir sehe) . . . .
Man macht solche Injektionen nicht so leichtfertig . . . .
Wahrscheinlich war auch die Spritze nicht rein.

                   *       *       *       *       *

Dieser Traum hat vor vielen anderen eines voraus. Es ist sofort klar, an
welche Ereignisse des letzten Tages er anknüpft und welches Thema er
behandelt. Der Vorbericht gibt hierüber Auskunft. Die Nachricht, die ich
von Otto über Irmas Befinden erhalten, die Krankengeschichte, an der ich
bis tief in die Nacht geschrieben, haben meine Seelentätigkeit auch
während des Schlafes beschäftigt. Trotzdem dürfte niemand, der den
Vorbericht und den Inhalt des Traumes zur Kenntnis genommen hat, ahnen
können, was der Traum bedeutet. Ich selbst weiß es auch nicht. Ich
wundere mich über die Krankheitssymptome, welche Irma im Traum mir
klagt, da es nicht dieselben sind, wegen welcher ich sie behandelt habe.
Ich lächle über die unsinnige Idee einer Injektion mit Propionsäure und
über den Trost, den Dr. M. ausspricht. Der Traum erscheint mir gegen
sein Ende hin dunkler und gedrängter, als er zu Beginn ist. Um die
Bedeutung von alledem zu erfahren, muß ich mich zu einer eingehenden
Analyse entschließen.

 Analyse des Traumes von Irmas Injektion.

_Analyse_:

_Die Halle -- viele Gäste, die wir empfangen._ Wir wohnten in diesem
Sommer auf der Bellevue, einem einzelstehenden Hause auf einem der
Hügel, die sich an den Kahlenberg anschließen. Dies Haus war ehemals zu
einem Vergnügungslokal bestimmt, hat hievon die ungewöhnlich hohen,
hallenförmigen Räume. Der Traum ist auch auf der Bellevue vorgefallen,
und zwar wenige Tage vor dem Geburtsfeste meiner Frau. Am Tage hatte
meine Frau die Erwartung ausgesprochen, zu ihrem Geburtstage würden
mehrere Freunde, und darunter auch Irma, als Gäste zu uns kommen. Mein
Traum antizipiert also diese Situation: Es ist der Geburtstag meiner
Frau und viele Leute, darunter Irma, werden von uns als Gäste in der
großen Halle der Bellevue empfangen.

_Ich mache Irma Vorwürfe, daß sie die Lösung nicht akzeptiert hat; ich
sage: Wenn du noch Schmerzen hast, ist es deine eigene Schuld._ Das
hätte ich ihr auch im Wachen sagen können oder habe es ihr gesagt. Ich
hatte damals die (später als unrichtig erkannte) Meinung, daß meine
Aufgabe sich darin erschöpfe, den Kranken den verborgenen Sinn ihrer
Symptome mitzuteilen; ob sie diese Lösung dann annehmen oder nicht,
wovon der Erfolg abhängt, dafür sei ich nicht mehr verantwortlich. Ich
bin diesem jetzt glücklich überwundenen Irrtum dankbar dafür, daß er mir
die Existenz zu einer Zeit erleichtert, da ich in all meiner
unvermeidlichen Ignoranz Heilerfolge produzieren sollte. -- Ich merke
aber an dem Satze, den ich im Traume zu Irma spreche, daß ich vor allem
nicht Schuld sein will an den Schmerzen, die sie noch hat. Wenn es Irmas
eigene Schuld ist, dann kann es nicht meine sein. Sollte in dieser
Richtung die Absicht des Traumes zu suchen sein?

_Irmas Klagen; Schmerzen im Halse, Leibe und Magen, es schnürt sie
zusammen._ Schmerzen im Magen gehörten zum Symptomkomplex meiner
Patientin, sie waren aber nicht sehr vordringlich; sie klagte eher über
Empfindungen von Übelkeit und Ekel. Schmerzen im Halse, im Leibe,
Schnüren in der Kehle spielten bei ihr kaum eine Rolle. Ich wundere
mich, warum ich mich zu dieser Auswahl der Symptome im Traume
entschlossen habe, kann es auch für den Moment nicht finden.

_Sie sieht bleich und gedunsen aus._

Meine Patientin war immer rosig. Ich vermute, daß sich hier eine andere
Person ihr unterschiebt.

_Ich erschrecke im Gedanken, daß ich doch eine organische Affektion
übersehen habe._

Wie man mir gern glauben wird, eine nie erlöschende Angst beim
Spezialisten, der fast ausschließlich Neurotiker sieht und der so viele
Erscheinungen auf Hysterie zu schieben gewohnt ist, welche andere Ärzte
als organisch behandeln. Anderseits beschleicht mich -- ich weiß nicht
woher -- ein leiser Zweifel, ob mein Erschrecken ganz ehrlich ist. Wenn
die Schmerzen Irmas organisch begründet sind, so bin ich wiederum zu
deren Heilung nicht verpflichtet. Meine Kur beseitigt ja nur hysterische
Schmerzen. Es kommt mir also eigentlich vor, als sollte ich einen Irrtum
in der Diagnose wünschen; dann wäre der Vorwurf des Mißerfolges auch
beseitigt.

_Ich nehme sie zum Fenster, um ihr in den Hals zu sehen. Sie sträubt
sich ein wenig wie die Frauen, die falsche Zähne tragen. Ich denke mir,
sie hat es ja doch nicht nötig._

Bei Irma hatte ich niemals Anlaß, die Mundhöhle zu inspizieren. Der
Vorgang im Traume erinnert mich an die vor einiger Zeit vorgenommene
Untersuchung einer Gouvernante, die zunächst den Eindruck von
jugendlicher Schönheit gemacht hatte, beim Öffnen des Mundes aber
gewisse Anstalten traf, um ihr Gebiß zu verbergen. An diesen Fall
knüpfen sich andere Erinnerungen an ärztliche Untersuchungen und an
kleine Geheimnisse, die dabei, keinem von beiden zur Lust, enthüllt
werden. -- Sie hat es doch nicht nötig, ist wohl zunächst ein Kompliment
für Irma; ich vermute aber noch eine andere Bedeutung. Man fühlt es bei
aufmerksamer Analyse, ob man die zu erwartenden Hintergedanken erschöpft
hat oder nicht. Die Art, wie Irma beim Fenster steht, erinnert mich
plötzlich an ein anderes Erlebnis. Irma besitzt eine intime Freundin,
die ich sehr hoch schätze. Als ich eines Abends bei ihr einen Besuch
machte, fand ich sie in der im Traume reproduzierten Situation beim
Fenster und ihr Arzt, derselbe Dr. M., erklärte, daß sie einen
diphtheritischen Belag habe. Die Person des Dr. M. und der Belag kehren
ja im Fortgang des Traumes wieder. Jetzt fällt mir ein, daß ich in den
letzten Monaten allen Grund bekommen habe, von dieser anderen Dame
anzunehmen, sie sei gleichfalls hysterisch. Ja, Irma selbst hat es mir
verraten. Was weiß ich aber von ihren Zuständen? Gerade das eine, daß
sie am hysterischen Würgen leidet wie meine Irma im Traume. Ich habe
also im Traume meine Patientin durch ihre Freundin ersetzt. Jetzt
erinnere ich mich, ich habe oft mit der Vermutung gespielt, diese Dame
könnte mich gleichfalls in Anspruch nehmen, sie von ihren Symptomen zu
befreien. Ich hielt es aber dann selbst für unwahrscheinlich, denn sie
ist von sehr zurückhaltender Natur. Sie _sträubt_ sich, wie es der Traum
zeigt. Eine andere Erklärung wäre, _daß sie es nicht nötig hat_; sie hat
sich wirklich bisher stark genug gezeigt, ihre Zustände ohne fremde
Hilfe zu beherrschen. Nun sind nur noch einige Züge übrig, die ich weder
bei Irma noch bei ihrer Freundin unterbringen kann: bleich, gedunsen,
falsche Zähne. Die falschen Zähne führten mich auf jene Gouvernante; ich
fühle mich nun geneigt, mich mit schlechten Zähnen zu begnügen. Dann
fällt mir eine andere Person ein, auf welche jene Züge anspielen können.
Sie ist gleichfalls nicht meine Patientin und ich möchte sie nicht zur
Patientin haben, da ich gemerkt habe, daß sie sich vor mir geniert und
ich sie für keine gefügige Kranke halte. Sie ist für gewöhnlich bleich
und als sie einmal eine besonders gute Zeit hatte, war sie gedunsen(34).
Ich habe also meine Patientin Irma mit zwei anderen Personen verglichen,
die sich gleichfalls der Behandlung sträuben würden. Was kann es für
Sinn haben, daß ich sie im Traume mit ihrer Freundin vertauscht habe?
Etwa, daß ich sie vertauschen möchte; die andere erweckt entweder bei
mir stärkere Sympathien oder ich habe eine höhere Meinung von ihrer
Intelligenz. Ich halte nämlich Irma für unklug, weil sie meine Lösung
nicht akzeptiert. Die andere wäre klüger, würde also eher nachgeben.
_Der Mund geht dann auch gut auf_; sie würde mehr erzählen als Irma(35).

  (34) Auf diese dritte Person läßt sich auch die noch unaufgeklärte
  Klage über Schmerzen im Leibe zurückführen. Es handelt sich natürlich
  um meine eigene Frau; die Leibschmerzen erinnern mich an einen der
  Anlässe, bei denen ihre Scheu mir deutlich wurde. Ich muß mir
  eingestehen, daß ich Irma und meine Frau in diesem Traume nicht sehr
  liebenswürdig behandle, aber zu meiner Entschuldigung sei bemerkt, daß
  ich beide am Ideal der braven, gefügigen Patientin messe.

  (35) Ich ahne, daß die Deutung dieses Stückes nicht weit genug geführt
  ist, um allem verborgenen Sinne zu folgen. Wollte ich die Vergleichung
  der drei Frauen fortsetzen, so käme ich weit ab. -- Jeder Traum hat
  mindestens eine Stelle, an welcher er unergründlich ist, gleichsam
  einen Nabel, durch den er mit dem Unerkannten zusammenhängt.

_Was ich im Halse sehe: einen weißen Fleck und verschorfte
Nasenmuscheln._

Der weiße Fleck erinnert an Diphtheritis und somit an Irmas Freundin,
außerdem aber an die schwere Erkrankung meiner ältesten Tochter vor
nahezu zwei Jahren und an all den Schreck jener bösen Zeit. Die Schorfe
an den Nasenmuscheln mahnen an eine Sorge um meine eigene Gesundheit.
Ich gebrauchte damals häufig Kokain, um lästige Nasenschwellungen zu
unterdrücken, und hatte vor wenigen Tagen gehört, daß eine Patientin,
die es mir gleich tat, sich eine ausgedehnte Nekrose der
Nasenschleimhaut zugezogen hatte. Die Empfehlung des Kokains, die 1885
von mir ausging, hat mir auch schwerwiegende Vorwürfe eingetragen. Ein
teurer, 1895 schon verstorbener Freund hatte durch den Mißbrauch dieses
Mittels seinen Untergang beschleunigt.

_Ich rufe schnell Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt._

Das entspräche einfach der Stellung, die M. unter uns einnahm. Aber das
»schnell« ist auffällig genug, um eine besondere Erklärung zu fordern.
Es erinnert mich an ein trauriges ärztliches Erlebnis. Ich hatte einmal
durch die fortgesetzte Ordination eines Mittels, welches damals noch als
harmlos galt (Sulfonal), eine schwere Intoxikation bei einer Kranken
hervorgerufen und wandte mich dann eiligst an den erfahrenen älteren
Kollegen um Beistand. Daß ich diesen Fall wirklich im Auge habe, wird
durch einen Nebenumstand erhärtet. Die Kranke, welche der Intoxikation
erlag, führte denselben Namen wie meine älteste Tochter. Ich hatte bis
jetzt niemals daran gedacht; jetzt kommt es mir beinahe wie eine
Schicksalsvergeltung vor. Als sollte sich die Ersetzung der Personen in
anderem Sinne hier fortsetzen; diese Mathilde für jene Mathilde; Aug' um
Aug', Zahn um Zahn. Es ist, als ob ich alle Gelegenheiten hervorsuchte,
aus denen ich mir den Vorwurf mangelnder ärztlicher Gewissenhaftigkeit
machen kann.

_Dr. M. ist bleich, ohne Bart am Kinn und hinkt._

Davon ist soviel richtig, daß sein schlechtes Aussehen häufig die Sorge
seiner Freunde erweckt. Die beiden anderen Charaktere müssen einer
anderen Person angehören. Es fällt mir mein im Ausland lebender älterer
Bruder ein, der das Kinn rasiert trägt und dem, wenn ich mich recht
erinnere, der M. des Traumes im ganzen ähnlich sah. Über ihn kam vor
einigen Tagen die Nachricht, daß er wegen einer arthritischen Erkrankung
in der Hüfte hinke. Es muß einen Grund haben, daß ich die beiden
Personen im Traume zu einer einzigen verschmelze. Ich erinnere mich
wirklich, daß ich gegen beide aus ähnlichen Gründen mißgestimmt war.
Beide hatten einen gewissen Vorschlag, den ich ihnen in der letzten Zeit
gemacht hatte, zurückgewiesen.

_Freund Otto steht jetzt bei der Kranken und Freund Leopold untersucht
sie und weist eine Dämpfung links unten nach._

Freund Leopold ist gleichfalls Arzt, ein Verwandter von Otto. Das
Schicksal hat die beiden, da sie dieselbe Spezialität ausüben, zu
Konkurrenten gemacht, die man beständig miteinander vergleicht. Sie
haben mir beide Jahre hindurch assistiert, als ich noch eine öffentliche
Ordination für nervenkranke Kinder leitete. Szenen wie die im Traume
reproduzierte haben sich dort oftmals zugetragen. Während ich mit Otto
über die Diagnose eines Falles debattierte, hatte Leopold das Kind
neuerdings untersucht und einen unerwarteten Beitrag zur Entscheidung
beigebracht. Es bestand eben zwischen ihnen eine ähnliche
Charakterverschiedenheit wie zwischen dem Inspektor _Bräsig_ und seinem
Freunde _Karl_. Der eine tat sich durch »Fixigkeit« hervor, der andere
war langsam, bedächtig, aber gründlich. Wenn ich im Traume Otto und den
vorsichtigen Leopold einander gegenüberstelle, so geschieht es offenbar,
um Leopold herauszustreichen. Es ist ein ähnliches Vergleichen wie oben
zwischen der unfolgsamen Patientin Irma und ihrer für klüger gehaltenen
Freundin. Ich merke jetzt auch eines der Geleise, auf denen sich die
Gedankenverbindung im Traume fortschiebt: vom kranken Kinde zum
Kinderkrankeninstitut. -- Die Dämpfung links unten macht mir den
Eindruck, als entspräche sie allen Details eines einzelnen Falles, in
dem mich Leopold durch seine Gründlichkeit frappiert hat. Es schwebt mir
außerdem etwas vor wie eine metastatische Affektion, aber es könnte auch
eine Beziehung zu der Patientin sein, die ich an Stelle von Irma haben
möchte. Diese Dame imitiert nämlich, soweit ich es übersehen kann, eine
Tuberkulose.

_Eine infiltrierte Hautpartie an der linken Schulter._

Ich weiß sofort, das ist mein eigener Schulterrheumatismus, den ich
regelmäßig verspüre, wenn ich bis tief in die Nacht wach geblieben bin.
Der Wortlaut im Traume klingt auch so zweideutig: was ich . . . . wie er
_spüre_. Am eigenen Körper spüre, ist gemeint. Übrigens fällt mir auf,
wie ungewöhnlich die Bezeichnung »infiltrierte Hautpartie« klingt. An
die »Infiltration links hinten oben« sind wir gewöhnt; die bezöge sich
auf die Lunge und somit wieder auf Tuberkulose.

_Trotz des Kleides._ Das ist allerdings nur eine Einschaltung. Die
Kinder im Krankeninstitut untersuchten wir natürlich entkleidet; es ist
irgend ein Gegensatz zur Art, wie man erwachsene weibliche Patienten
untersuchen muß. Von einem hervorragenden Kliniker pflegte man zu
erzählen, daß er seine Patienten nur durch die Kleider physikalisch
untersucht habe. Das Weitere ist mir dunkel, ich habe, offen gesagt,
keine Neigung, mich hier tiefer einzulassen.

_Dr. M. sagt: Es ist eine Infektion, aber es macht nichts. Es wird noch
Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden._

Das erscheint mir zuerst lächerlich, muß aber doch, wie alles andere,
sorgfältig zerlegt werden. Näher betrachtet, zeigt es doch eine Art von
Sinn. Was ich an der Patientin gefunden habe, war eine lokale
Diphtheritis. Aus der Zeit der Erkrankung meiner Tochter erinnere ich
mich an die Diskussion über Diphtheritis und Diphtherie. Letztere ist
die Allgemeininfektion, die von der lokalen Diphtheritis ausgeht. Eine
solche Allgemeininfektion weist Leopold durch die Dämpfung nach, welche
also an metastatische Herde denken läßt. Ich glaube zwar, daß gerade bei
Diphtherie derartige Metastasen nicht vorkommen. Sie erinnern mich eher
an Pyämie.

_Es macht nichts_, ist ein Trost. Ich meine, er fügt sich folgendermaßen
ein: Das letzte Stück des Traumes hat den Inhalt gebracht, daß die
Schmerzen der Patientin von einer schweren organischen Affektion
herrühren. Es ahnt mir, daß ich auch damit nur die Schuld von mir
abwälzen will. Für den Fortbestand diphtheritischer Leiden kann die
psychische Kur nicht verantwortlich gemacht werden. Nun geniert es mich
doch, daß ich Irma ein so schweres Leiden andichte, einzig und allein,
um mich zu entlasten. Es sieht so grausam aus. Ich brauche also eine
Versicherung des guten Ausganges und es scheint mir nicht übel gewählt,
daß ich den Trost gerade der Person des Dr. M. in den Mund lege. Ich
erhebe mich aber hier über den Traum, was der Aufklärung bedarf.

Warum ist dieser Trost aber so unsinnig?

_Dysenterie_: Irgend eine fernliegende theoretische Vorstellung, daß
Krankheitsstoffe durch den Darm entfernt werden können. Will ich mich
damit über den Reichtum des Dr. M. an weit hergeholten Erklärungen,
sonderbaren pathologischen Verknüpfungen lustig machen? Zu Dysenterie
fällt mir noch etwas anderes ein. Vor einigen Monaten hatte ich einen
jungen Mann mit merkwürdigen Stuhlbeschwerden übernommen, den andere
Kollegen als einen Fall von »Anämie mit Unterernährung« behandelt
hatten. Ich erkannte, daß es sich um eine Hysterie handle, wollte meine
Psychotherapie nicht an ihm versuchen und schickte ihn auf eine
Seereise. Nun bekam ich vor einigen Tagen einen verzweifelten Brief von
ihm aus Ägypten, daß er dort einen neuen Anfall durchgemacht, den der
Arzt für Dysenterie erklärt habe. Ich vermute zwar, die Diagnose ist nur
ein Irrtum des unwissenden Kollegen, der sich von der Hysterie äffen
läßt; aber ich konnte mir doch die Vorwürfe nicht ersparen, daß ich den
Kranken in die Lage versetzt, sich zu seiner hysterischen Darmaffektion
etwa noch eine organische zu holen. Dysenterie klingt ferner an
Diphtherie an, welcher Name ††† im Traume nicht genannt wird.

Ja, es muß so sein, daß ich mich mit der tröstlichen Prognose: Es wird
noch Dysenterie hinzukommen usw. über Dr. M. lustig mache, denn ich
entsinne mich, daß er mir einmal vor Jahren etwas ganz Ähnliches von
einem anderen Kollegen lachend erzählt hat. Er war zur Konsultation mit
diesem Kollegen bei einem schwer Kranken berufen worden und fühlte sich
veranlaßt, dem anderen, der sehr hoffnungsfreudig schien, vorzuhalten,
daß er beim Patienten Eiweiß im Harne finde. Der Kollege ließ sich aber
nicht irre machen, sondern antwortete beruhigt: _Das macht nichts_, Herr
Kollege, _der_ Eiweiß wird sich schon ausscheiden! -- Es ist mir also
nicht mehr zweifelhaft, daß in diesem Stück des Traumes ein Hohn auf die
der Hysterie unwissenden Kollegen enthalten ist. Wie zur Bestätigung
fährt mir jetzt durch den Sinn: Weiß denn Dr. M., daß die Erscheinungen
bei seiner Patientin, der Freundin Irmas, welche eine Tuberkulose
befürchten lassen, auch auf Hysterie beruhen? Hat er diese Hysterie
erkannt oder ist er ihr »aufgesessen«?

Welches Motiv kann ich aber haben, diesen Freund so schlecht zu
behandeln? Das ist sehr einfach: Dr. M. ist mit meiner »Lösung« bei Irma
so wenig einverstanden wie Irma selbst. Ich habe also in diesem Traume
bereits an zwei Personen Rache genommen, an Irma mit den Worten: Wenn du
noch Schmerzen hast, ist es deine eigene Schuld, und an Dr. M. mit dem
Wortlaute der ihm in den Mund gelegten unsinnigen Tröstung.

_Wir wissen unmittelbar, woher die Infektion rührt._ Dies unmittelbare
Wissen im Traume ist sehr merkwürdig. Eben vorhin wußten wir es noch
nicht, da die Infektion erst durch Leopold nachgewiesen wurde.

_Freund Otto hat ihr, als sie sich unwohl fühlte, eine Injektion
gegeben._ Otto hatte wirklich erzählt, daß er in der kurzen Zeit seiner
Anwesenheit bei Irmas Familie ins benachbarte Hotel geholt wurde, um
dort jemandem, der sich plötzlich unwohl fühlte, eine Injektion zu
machen. Die Injektionen erinnern mich wieder an den unglücklichen
Freund, der sich mit Kokain vergiftet hat. Ich habe ihm das Mittel nur
zur internen Anwendung während der Morphiumentziehung geraten; er machte
sich aber unverzüglich Kokaininjektionen.

_Mit einem Propylpräparat . . . . Propylen . . . . Propionsäure._ Wie
komme ich nur dazu? Am selben Abend, nach welchem ich an der
Krankengeschichte geschrieben und darauf geträumt hatte, öffnete meine
Frau eine Flasche Likör, auf welcher »Ananas«(36) zu lesen stand und die
ein Geschenk unseres Freundes Otto war. Er hat nämlich die Gewohnheit,
bei allen möglichen Anlässen zu schenken; hoffentlich wird er einmal
durch eine Frau davon kuriert(37). Diesem Likör entströmte ein solcher
Fuselgeruch, daß ich mich weigerte, davon zu kosten. Meine Frau meinte:
Diese Flasche schenken wir den Dienstleuten und ich, noch vorsichtiger,
untersagte es mit der menschenfreundlichen Bemerkung, sie sollen sich
auch nicht vergiften. Der Fuselgeruch (Amyl . . .) hat nun offenbar bei
mir die Erinnerung an die ganze Reihe: Propyl, Methyl usw. geweckt, die
für den Traum die Propylenpräparate lieferte. Ich habe dabei allerdings
eine Substitution vorgenommen, Propyl geträumt, nachdem ich Amyl
gerochen, aber derartige Substitutionen sind vielleicht gerade in der
organischen Chemie gestattet.

  (36) »Ananas« enthält übrigens einen deutlichen Anklang an den
  Familiennamen meiner Patientin Irma.

  (37) Hierin erwies sich dieser Traum nicht als prophetisch. In anderem
  Sinne behielt er Recht, denn die »ungelösten« Magenbeschwerden meiner
  Patientin, an denen ich nicht Schuld haben wollte, waren die Vorläufer
  eines ernsthaften Gallensteinleidens.

_Trimethylamin._ Von diesem Körper sehe ich im Traume die chemische
Formel, was jedenfalls eine große Anstrengung meines Gedächtnisses
bezeugt, und zwar ist die Formel fett gedruckt, als wollte man aus dem
Kontext etwas als ganz besonders wichtig herausheben. Worauf führt mich
nun Trimethylamin, auf das ich in solcher Weise aufmerksam gemacht
werde? Auf ein Gespräch mit einem anderen Freunde, der seit Jahren um
all meine keimenden Arbeiten weiß, wie ich um die seinigen. Er hatte mir
damals gewisse Ideen zu einer Sexualchemie mitgeteilt und unter anderm
erwähnt, eines der Produkte des Sexualstoffwechsels glaube er im
Trimethylamin zu erkennen. Dieser Körper führt mich also auf die
Sexualität, auf jenes Moment, dem ich für die Entstehung der nervösen
Affektionen, welche ich heilen will, die größte Bedeutung beilege. Meine
Patientin Irma ist eine jugendliche Witwe; wenn es mir darum zu tun ist,
den Mißerfolg der Kur bei ihr zu entschuldigen, werde ich mich wohl am
besten auf diese Tatsache berufen, an welcher ihre Freunde gern ändern
möchten. Wie merkwürdig übrigens ein solcher Traum gefügt ist! Die
andere, welche ich an Irmas Statt im Traume als Patientin habe, ist auch
eine junge Witwe.

Ich ahne, warum die Formel Trimethylamin im Traume sich so breit gemacht
hat. Es kommt soviel Wichtiges in diesem einen Worte zusammen:
Trimethylamin ist nicht nur eine Anspielung auf das übermächtige Moment
der Sexualität, sondern auch auf eine Person, an deren Zustimmung ich
mich mit Befriedigung erinnere, wenn ich mich mit meinen Ansichten
verlassen fühle. Sollte dieser Freund, der in meinem Leben eine so große
Rolle spielt, in dem Gedankenzusammenhang des Traumes weiter nicht
vorkommen? Doch; er ist ein besonderer Kenner der Wirkungen, welche von
Affektionen der Nase und ihren Nebenhöhlen ausgehen, und hat der
Wissenschaft einige höchst merkwürdige Beziehungen der Nasenmuscheln zu
den weiblichen Sexualorganen eröffnet. (Die drei krausen Gebilde im
Halse bei Irma.) Ich habe Irma von ihm untersuchen lassen, ob ihre
Magenschmerzen etwa nasalen Ursprunges sind. Er leidet aber selbst an
Naseneiterungen, die mir Sorge bereiten, und darauf spielt wohl die
_Pyämie_ an, die mir bei den Metastasen des Traumes vorschwebt.

_Man macht solche Injektionen nicht so leichtfertig._ Hier wird der
Vorwurf der Leichtfertigkeit unmittelbar gegen Freund Otto geschleudert.
Ich glaube, etwas Ähnliches habe ich mir am Nachmittag gedacht, als er
durch Wort und Blick seine Parteinahme gegen mich zu bezeugen schien. Es
war etwa: Wie leicht er sich beeinflussen läßt; wie leicht er mit seinem
Urteile fertig wird. -- Außerdem deutet mir der obenstehende Satz
wiederum auf den verstorbenen Freund, der sich so rasch zu
Kokaininjektionen entschloß. Ich hatte Injektionen mit dem Mittel, wie
gesagt, gar nicht beabsichtigt. Bei dem Vorwurfe, den ich gegen Otto
erhebe, leichtfertig mit jenen chemischen Stoffen umzugehen, merke ich,
daß ich wieder die Geschichte jener unglücklichen Mathilde berühre, aus
der derselbe Vorwurf gegen mich hervorgeht. Ich sammle hier offenbar
Beispiele für meine Gewissenhaftigkeit, aber auch fürs Gegenteil.

_Wahrscheinlich war auch die Spritze nicht rein._ Noch ein Vorwurf gegen
Otto, der aber anderswoher stammt. Gestern traf ich zufällig den Sohn
einer 82 jährigen Dame, der ich täglich zwei Morphiuminjektionen geben
muß. Sie ist gegenwärtig auf dem Lande und ich hörte über sie, daß sie
an einer Venenentzündung leide. Ich dachte sofort daran, es handle sich
um ein _Infiltrat_ durch Verunreinigung der Spritze. Es ist mein Stolz,
daß ich ihr in zwei Jahren nicht ein einziges Infiltrat gemacht habe; es
ist freilich meine beständige Sorge, ob die Spritze auch rein ist. Ich
bin eben gewissenhaft. Von der Venenentzündung komme ich wieder auf
meine Frau, die in einer Schwangerschaft an Venenstauungen gelitten, und
nun tauchen in meiner Erinnerung drei ähnliche Situationen, mit meiner
Frau, mit Irma und der verstorbenen Mathilde auf, deren Identität mir
offenbar das Recht gegeben hat, die drei Personen im Traume füreinander
einzusetzen.

                   *       *       *       *       *

 Bedeutung des Traumes von Irmas Injektion.

Ich habe nun die Traumdeutung vollendet(38). Während dieser Arbeit hatte
ich Mühe, mich all der Einfälle zu erwehren, zu denen der Vergleich
zwischen dem Trauminhalt und den dahinter versteckten Traumgedanken die
Anregung geben mußte. Auch ist mir unterdes der »Sinn« des Traumes
aufgegangen. Ich habe eine Absicht gemerkt, welche durch den Traum
verwirklicht wird, und die das Motiv des Träumens gewesen sein muß. Der
Traum erfüllt einige Wünsche, welche durch die Ereignisse des letzten
Abends (die Nachricht Ottos, die Niederschrift der Krankengeschichte) in
mir rege gemacht worden sind. Das Ergebnis des Traumes ist nämlich, daß
ich nicht schuld bin an dem noch vorhandenen Leiden Irmas, und daß Otto
daran schuld ist. Nun hat mich Otto durch seine Bemerkung über Irmas
unvollkommene Heilung geärgert; der Traum rächt mich an ihm, indem er
den Vorwurf gegen ihn selbst zurückwendet. Von der Verantwortung für
Irmas Befinden spricht der Traum mich frei, indem er dasselbe auf andere
Momente (gleich eine ganze Reihe von Begründungen) zurückführt. Der
Traum stellt einen gewissen Sachverhalt so dar, wie ich ihn wünschen
möchte; _sein Inhalt ist also eine Wunscherfüllung, sein Motiv ein
Wunsch_.

  (38) Wenn ich auch, wie begreiflich, nicht alles mitgeteilt habe, was
  mir zur Deutungsarbeit eingefallen ist.

Soviel springt in die Augen. Aber auch von den Details des Traumes wird
mir manches unter dem Gesichtspunkte der Wunscherfüllung verständlich.
Ich räche mich nicht nur an Otto für seine voreilige Parteinahme gegen
mich, indem ich ihm eine voreilige ärztliche Handlung zuschiebe (die
Injektion), sondern ich nehme auch Rache an ihm für den schlechten
Likör, der nach Fusel duftet, und ich finde im Traume einen Ausdruck,
der beide Vorwürfe vereint: die Injektion mit einem Propylenpräparat.
Ich bin noch nicht befriedigt, sondern setze meine Rache fort, indem ich
ihm seinen verläßlicheren Konkurrenten gegenüberstelle. Ich scheine
damit zu sagen: Der ist mir lieber als du. Otto ist aber nicht der
einzige, der die Schwere meines Zornes zu fühlen hat. Ich räche mich
auch an der unfolgsamen Patientin, indem ich sie mit einer klügeren,
gefügigeren vertausche. Ich lasse auch dem Dr. M. seinen Widerspruch
nicht ruhig hingehen, sondern drücke ihm in einer deutlichen Anspielung
meine Meinung aus, daß er der Sache als ein Unwissender gegenübersteht
(»es wird Dysenterie hinzutreten usw.«). Ja, mir scheint, ich appelliere
von ihm weg an einen anderen, Besserwissenden (meinen Freund, der mir
vom Trimethylamin erzählt hat), wie ich von Irma an ihre Freundin, von
Otto an Leopold mich gewendet habe. Schafft mir diese Personen weg,
ersetzt sie mir durch drei andere meiner Wahl, dann bin ich der Vorwürfe
ledig, die ich nicht verdient haben will! Die Grundlosigkeit dieser
Vorwürfe selbst wird mir im Traume auf die weitläufigste Art erwiesen.
Irmas Schmerzen fallen nicht mir zur Last, denn sie ist selber schuld an
ihnen, indem sie meine Lösung anzunehmen verweigert. Irmas Schmerzen
gehen mich nichts an, denn sie sind organischer Natur, durch eine
psychische Kur gar nicht heilbar. Irmas Leiden erklären sich
befriedigend durch ihre Witwenschaft (Trimethylamin!), woran ich ja
nichts ändern kann. Irmas Leiden ist durch eine unvorsichtige Injektion
von Seite Ottos hervorgerufen worden mit einem dazu nicht geeigneten
Stoff, wie ich sie nie gemacht hätte. Irmas Leiden rührt von einer
Injektion mit unreiner Spritze her wie die Venenentzündung meiner alten
Dame, während ich bei meinen Injektionen niemals etwas anstelle. Ich
merke zwar, diese Erklärungen für Irmas Leiden, die darin
zusammentreffen, mich zu entlasten, stimmen untereinander nicht
zusammen, ja sie schließen einander aus. Das ganze Plaidoyer -- nichts
anderes ist dieser Traum -- erinnert lebhaft an die Verteidigung des
Mannes, der von seinem Nachbar angeklagt war, ihm einen Kessel in
schadhaftem Zustand zurückgegeben zu haben. Erstens habe er ihn
unversehrt zurückgebracht, zweitens war der Kessel schon durchlöchert,
wie er ihn entlehnte, drittens hatte er nie einen Kessel vom Nachbar
entlehnt. Aber um so besser; wenn nur eine dieser drei Verteidigungsarten
stichhaltig erkannt wird, muß der Mann freigesprochen werden.

Es spielen in den Traum noch andere Themata hinein, deren Beziehung zu
meiner Entlastung von Irmas Krankheit nicht so durchsichtig ist: Die
Krankheit meiner Tochter und die einer gleichnamigen Patientin, die
Kokainschädlichkeit, die Affektion meines in Ägypten reisenden
Patienten, die Sorge um die Gesundheit meiner Frau, meines Bruders, des
Dr. M., meine eigenen Körperbeschwerden, die Sorge um den abwesenden
Freund, der an Naseneiterungen leidet. Doch wenn ich all das ins Auge
fasse, fügt es sich zu einem einzigen Gedankenkreis zusammen, etwa mit
der Etikette: Sorge um die Gesundheit, eigene und fremde, ärztliche
Gewissenhaftigkeit. Ich erinnere mich an eine unklare peinliche
Empfindung, als mir Otto die Nachricht von Irmas Befinden brachte. Aus
dem im Traume mitspielenden Gedankenkreis möchte ich nachträglich den
Ausdruck für diese flüchtige Empfindung einsetzen. Es ist, als ob er mir
gesagt hätte: Du nimmst deine ärztlichen Pflichten nicht ernsthaft
genug, bist nicht gewissenhaft, hältst nicht, was du versprichst.
Daraufhin hätte sich mir jener Gedankenkreis zur Verfügung gestellt,
damit ich den Nachweis erbringen könne, in wie hohem Grade ich
gewissenhaft bin, wie sehr mir die Gesundheit meiner Angehörigen,
Freunde und Patienten am Herzen liegt. Bemerkenswerterweise sind unter
diesem Gedankenmaterial auch peinliche Erinnerungen, die eher für die
meinem Freunde Otto zugeschriebene Beschuldigung als für meine
Entschuldigung sprechen. Das Material ist gleichsam unparteiisch, aber
der Zusammenhang dieses breiteren Stoffes, auf dem der Traum ruht, mit
dem engeren Thema des Traumes, aus dem der Wunsch hervorgegangen ist, an
Irmas Krankheit unschuldig zu sein, ist doch unverkennbar.

 Der Traum als Wunscherfüllung.

Ich will nicht behaupten, daß ich den Sinn dieses Traumes vollständig
aufgedeckt habe, daß seine Deutung eine lückenlose ist.

Ich könnte noch lange bei ihm verweilen, weitere Aufklärungen aus ihm
entnehmen und neue Rätsel erörtern, die er aufwerfen heißt. Ich kenne
selbst die Stellen, von denen aus weitere Gedankenzusammenhänge zu
verfolgen sind; aber Rücksichten, wie sie bei jedem eigenen Traume in
Betracht kommen, halten mich von der Deutungsarbeit ab. Wer mit dem
Tadel für solche Reserve rasch bei der Hand ist, der möge nur selbst
versuchen, aufrichtiger zu sein als ich. Ich begnüge mich für den Moment
mit der einen neu gewonnenen Erkenntnis: Wenn man die hier angezeigte
Methode der Traumdeutung befolgt, findet man, daß der Traum wirklich
einen Sinn hat und keineswegs der Ausdruck einer zerbröckelten
Hirntätigkeit ist, wie die Autoren wollen. _Nach vollendeter
Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen._



III.

Der Traum ist eine Wunscherfüllung.


Wenn man einen engen Hohlweg passiert hat und plötzlich auf einer Anhöhe
angelangt ist, von welcher aus die Wege sich teilen und die reichste
Aussicht nach verschiedenen Richtungen sich öffnet, darf man einen
Moment lang verweilen und überlegen, wohin man zunächst sich wenden
soll. Ähnlich ergeht es uns, nachdem wir diese erste Traumdeutung
überwunden haben. Wir stehen in der Klarheit einer plötzlichen
Erkenntnis. Der Traum ist nicht vergleichbar dem unregelmäßigen Ertönen
eines musikalischen Instrumentes, das anstatt von der Hand des Spielers
von dem Stoß einer äußeren Gewalt getroffen wird, er ist nicht sinnlos,
nicht absurd, setzt nicht voraus, daß ein Teil unseres Vorstellungsschatzes
schläft, während ein anderer zu erwachen beginnt. Er ist
ein vollgültiges psychisches Phänomen, und zwar eine Wunscherfüllung;
er ist einzureihen in den Zusammenhang der uns verständlichen
seelischen Aktionen des Wachens; eine hoch komplizierte
intellektuelle Tätigkeit hat ihn aufgebaut. Aber eine Fülle von Fragen
bestürmt uns im gleichen Moment, da wir uns dieser Erkenntnis freuen
wollen. Wenn der Traum laut Angabe der Traumdeutung einen erfüllten
Wunsch darstellt, woher rührt die auffällige und befremdende Form, in
welcher diese Wunscherfüllung ausgedrückt ist? Welche Veränderung ist
mit den Traumgedanken vorgegangen, bis sich aus ihnen der manifeste
Traum, wie wir ihn beim Erwachen erinnern, gestaltete? Auf welchem Wege
ist diese Veränderung vor sich gegangen? Woher stammt das Material, das
zum Traume verarbeitet worden ist? Woher rühren manche der
Eigentümlichkeiten, die wir an den Traumgedanken bemerken konnten, wie
z. B., daß sie einander widersprechen dürfen? (Die Analogie mit dem
Kessel, p. 92.) Kann der Traum uns etwas Neues über unsere inneren
psychischen Vorgänge lehren, kann sein Inhalt Meinungen korrigieren, an
die wir tagsüber geglaubt haben? Ich schlage vor, alle diese Fragen
einstweilen beiseite zu lassen und einen einzigen Weg weiter zu
verfolgen. Wir haben erfahren, daß der Traum einen Wunsch als erfüllt
darstellt. Unser nächstes Interesse soll es sein, zu erkunden, ob dies
ein allgemeiner Charakter des Traumes ist oder nur der zufällige Inhalt
jenes Traumes (»von Irmas Injektion«), mit dem unsere Analyse begonnen
hat, denn selbst wenn wir uns darauf gefaßt machen, daß jeder Traum
einen Sinn und psychischen Wert hat, müssen wir noch die Möglichkeit
offen lassen, daß dieser Sinn nicht in jedem Traume der nämliche sei.
Unser erster Traum war eine Wunscherfüllung; ein anderer stellt sich
vielleicht als eine erfüllte Befürchtung heraus; ein dritter mag eine
Reflexion zum Inhalt haben, ein vierter einfach eine Erinnerung
reproduzieren. Gibt es also noch andere Wunschträume oder gibt es
vielleicht nichts anderes als Wunschträume?

 Bequemlichkeitsträume.

Es ist leicht zu zeigen, daß die Träume häufig den Charakter der
Wunscherfüllung unverhüllt erkennen lassen, so daß man sich wundern mag,
warum die Sprache der Träume nicht schon längst ein Verständnis gefunden
hat. Da ist z. B. ein Traum, den ich mir beliebig oft, gleichsam
experimentell, erzeugen kann. Wenn ich am Abend Sardellen, Oliven oder
sonst stark gesalzene Speisen nehme, bekomme ich in der Nacht Durst, der
mich weckt. Dem Erwachen geht aber ein Traum voraus, der jedesmal den
gleichen Inhalt hat, nämlich daß ich trinke. Ich schlürfe Wasser in
vollen Zügen, es schmeckt mir so köstlich, wie nur ein kühler Trunk
schmecken kann, wenn man verschmachtet ist, und dann erwache ich und muß
wirklich trinken. Der Anlaß dieses einfachen Traumes ist der Durst, den
ich ja beim Erwachen verspüre. Aus dieser Empfindung geht der Wunsch
hervor zu trinken, und diesen Wunsch zeigt mir der Traum erfüllt. Er
dient dabei einer Funktion, die ich bald errate. Ich bin ein guter
Schläfer, nicht gewöhnt, durch ein Bedürfnis geweckt zu werden. Wenn es
mir gelingt, meinen Durst durch den Traum, daß ich trinke, zu
beschwichtigen, so brauche ich nicht aufzuwachen, um ihn zu befriedigen.
Es ist also ein _Bequemlichkeitstraum_. Das Träumen setzt sich an Stelle
des Handelns wie auch sonst im Leben. Leider ist das Bedürfnis nach
Wasser, um den Durst zu löschen, nicht mit einem Traume zu befriedigen
wie mein Rachedurst gegen Freund Otto und Dr. M., aber der gute Wille
ist der gleiche. Derselbe Traum hat sich unlängst einigermaßen
modifiziert. Da bekam ich schon vor dem Einschlafen Durst und trank das
Wasserglas leer, das auf dem Kästchen neben meinem Bette stand. Einige
Stunden später kam in der Nacht ein neuer Durstanfall, der seine
Unbequemlichkeiten im Gefolge hatte. Um mir Wasser zu verschaffen, hätte
ich aufstehen und mir das Glas holen müssen, welches auf dem
Nachtkästchen meiner Frau stand. Ich träumte also zweckentsprechend, daß
meine Frau mir aus einem Gefäße zu trinken gibt; dies Gefäß war ein
etruskischer Aschenkrug, den ich mir von einer italienischen Reise
heimgebracht und seither verschenkt hatte. Das Wasser in ihm schmeckte
aber so salzig (von der Asche offenbar), daß ich erwachen mußte. Man
merkt, wie bequem der Traum es einzurichten versteht; da Wunscherfüllung
seine einzige Absicht ist, darf er vollkommen egoistisch sein. Liebe zur
Bequemlichkeit ist mit Rücksicht auf andere wirklich nicht vereinbar.
Die Einmengung des Aschenkruges ist wahrscheinlich wieder eine
Wunscherfüllung; es tut mir leid, daß ich dies Gefäß nicht mehr besitze,
wie übrigens auch das Wasserglas auf Seiten meiner Frau mir nicht
zugänglich ist. Der Aschenkrug paßt sich auch der nun stärker gewordenen
Sensation des salzigen Geschmackes an, von der ich weiß, daß sie mich
zum Erwachen zwingen wird(39).

  (39) Das Tatsächliche der Durstträume war auch _Weygandt_ bekannt, der
  p. 11 darüber äußert: »Gerade die Durstempfindung wird am präzisesten
  von allen aufgefaßt: sie erzeugt stets eine Vorstellung des
  Durstlöschens. -- Die Art, wie sich der Traum das Durstlöschen
  vorstellt, ist mannigfaltig und wird nach einer naheliegenden
  Erinnerung spezialisiert. Eine allgemeine Erscheinung ist auch hier,
  daß sich sofort nach der Vorstellung des Durstlöschens eine
  Enttäuschung über die geringe Wirkung der vermeintlichen Erfrischungen
  einstellt.« Er übersieht aber das Allgemeingültige in der Reaktion des
  Traumes auf den Reiz. -- Wenn andere Personen, die in der Nacht vom
  Durste befallen werden, erwachen, ohne vorher zu träumen, so bedeutet
  dies keinen Einwand gegen mein Experiment, sondern charakterisiert
  diese anderen als schlechtere Schläfer. -- Vgl. dazu _Jesaias_, 29, 8:
  »Denn gleich wie einem Hungrigen träumet, daß er esse, wenn er aber
  aufwacht, so ist seine Seele noch leer; und wie einem Durstigen
  träumet, daß er trinke, wenn er aber aufwacht, ist er matt und
  durstig« . . .

Solche Bequemlichkeitsträume waren bei mir in juvenilen Jahren sehr
häufig. Von jeher gewöhnt, bis tief in die Nacht zu arbeiten, war mir
das zeitige Erwachen immer eine Schwierigkeit. Ich pflegte dann zu
träumen, daß ich außer Bett bin und beim Waschtische stehe. Nach einer
Weile konnte ich mich der Einsicht nicht verschließen, daß ich noch
nicht aufgestanden bin, hatte aber doch dazwischen eine Weile
geschlafen. Denselben Trägheitstraum in besonders witziger Form kenne
ich von einem jungen Kollegen, der meine Schlafneigung zu teilen
scheint. Die Zimmerfrau, bei der er in der Nähe des Spitals wohnte,
hatte den strengen Auftrag, ihn jeden Morgen rechtzeitig zu wecken, aber
auch ihre liebe Not, wenn sie den Auftrag ausführen wollte. Eines
Morgens war der Schlaf besonders süß. Die Frau rief ins Zimmer: Herr
Pepi, stehen's auf, Sie müssen ins Spital. Daraufhin träumte der
Schläfer ein Zimmer im Spital, ein Bett, in dem er lag, und eine
Kopftafel, auf der zu lesen stand: Pepi H. . . ., cand. med., 22 Jahre.
Er sagte sich träumend: Wenn ich also schon im Spital bin, brauche ich
nicht erst hineinzugehen, wendete sich um und schlief weiter. Er hatte
sich dabei das Motiv seines Träumens unverhohlen eingestanden.

 Wunschträume.

Ein anderer Traum, dessen Reiz gleichfalls während des Schlafes selbst
einwirkt: Eine meiner Patientinnen, die sich einer ungünstig verlaufenen
Kieferoperation hatte unterziehen müssen, sollte nach dem Wunsche der
Ärzte Tag und Nacht einen Kühlapparat auf der kranken Wange tragen. Sie
pflegte ihn aber wegzuschleudern, sobald sie eingeschlafen war. Eines
Tages bat man mich, ihr darüber Vorwürfe zu machen; sie hatte den
Apparat wiederum auf den Boden geworfen. Die Kranke verantwortete sich:
»Diesmal kann ich wirklich nichts dafür; es war die Folge eines Traumes,
den ich bei Nacht gehabt. Ich war im Traume in einer Loge in der Oper
und interessierte mich lebhaft für die Vorstellung. Im Sanatorium aber
lag der Herr Karl _Meyer_ und jammerte fürchterlich vor Kopfschmerzen.
Ich habe mir gesagt, da ich die Schmerzen nicht habe, brauche ich auch
den Apparat nicht; darum habe ich ihn weggeworfen.« Dieser Traum der
armen Dulderin klingt wie die Darstellung einer Redensart, die sich
einem in unangenehmen Lagen über die Lippen drängt: Ich wüßte mir
wirklich ein besseres Vergnügen. Der Traum zeigt dieses bessere
Vergnügen. Herr Karl _Meyer_, dem die Träumerin ihre Schmerzen zuschob,
war der indifferenteste junge Mann ihrer Bekanntschaft, an den sie sich
erinnern konnte.

Nicht schwieriger ist es, die Wunscherfüllung in einigen anderen Träumen
aufzudecken, die ich von Gesunden gesammelt habe. Ein Freund, der meine
Traumtheorie kennt und sie seiner Frau mitgeteilt hat, sagt mir eines
Tages: »Ich soll dir von meiner Frau erzählen, daß sie gestern geträumt
hat, sie hätte die Periode bekommen. Du wirst wissen, was das bedeutet.«
Freilich weiß ich's; wenn die junge Frau geträumt hat, daß sie die
Periode hat, so ist die Periode ausgeblieben. Ich kann mir's denken, daß
sie gern noch einige Zeit ihre Freiheit genossen hätte, ehe die
Beschwerden der Mütterlichkeit beginnen. Es war eine geschickte Art, die
Anzeige von ihrer ersten Gravidität zu machen. Ein anderer Freund
schreibt, seine Frau habe unlängst geträumt, daß sie an ihrer
Hemdenbrust Milchflecken bemerke. Dies ist auch eine Graviditätsanzeige,
aber nicht mehr vom ersten Mal; die junge Mutter wünscht sich, für das
zweite Kind mehr Nahrung zu haben als seinerzeit fürs erste.

Eine junge Frau, die Wochen hindurch bei der Pflege ihres infektiös
erkrankten Kindes vom Verkehre abgeschnitten war, träumt nach
glücklicher Beendigung der Krankheit von einer Gesellschaft, in der sich
A. _Daudet_, _Bourget_, M. _Prévost_ u. a. befinden, die sämtlich sehr
liebenswürdig gegen sie sind und sie vortrefflich amüsieren. Die
betreffenden Autoren tragen auch im Traume die Züge, welche ihnen ihre
Bilder geben; M. _Prévost_, von dem sie ein Bild nicht kennt, sieht dem
-- Desinfektionsmanne gleich, der am Tage vorher die Krankenzimmer
gereinigt und sie als erster Besucher nach langer Zeit betreten hatte.
Man meint, den Traum lückenlos übersetzen zu können: Jetzt wäre es
einmal Zeit für etwas Amüsanteres als diese ewigen Krankenpflegen.

Vielleicht wird diese Auslese genügen, um zu erweisen, daß man sehr
häufig und unter den mannigfaltigsten Bedingungen Träume findet, die
sich nur als Wunscherfüllungen verstehen lassen, und die ihren Inhalt
unverhüllt zur Schau tragen. Es sind dies zumeist kurze und einfache
Träume, die von den verworrenen und überreichen Traumkompositionen,
welche wesentlich die Aufmerksamkeit der Autoren auf sich gezogen haben,
wohltuend abstechen. Es verlohnt sich aber, bei diesen einfachen Träumen
noch zu verweilen. Die allereinfachsten Formen von Träumen darf man wohl
bei Kindern erwarten, deren psychische Leistungen sicherlich minder
kompliziert sind als die Erwachsener. Die Kinderpsychologie ist nach
meiner Meinung dazu berufen, für die Psychologie der Erwachsenen
ähnliche Dienste zu leisten wie die Untersuchung des Baues oder der
Entwicklung niederer Tiere für die Erforschung der Struktur der höchsten
Tierklassen. Es sind bis jetzt wenig zielbewußte Schritte geschehen, die
Psychologie der Kinder zu solchem Zwecke auszunutzen.

Die Träume der kleinen Kinder sind häufig simple Wunscherfüllungen und
dann im Gegensatze zu den Träumen Erwachsener gar nicht interessant. Sie
geben keine Rätsel zu lösen, sind aber natürlich unschätzbar für den
Beweis, daß der Traum seinem innersten Wesen nach eine Wunscherfüllung
bedeutet. Bei meinem Material von eigenen Kindern konnte ich einige
Beispiele von solchen Träumen sammeln.

 Unverhüllte Wunschträume.

Einem Ausfluge nach dem schönen Hallstatt (im Sommer 1896) von Aussee
aus verdanke ich zwei Träume, den einen von meiner damals 8½ jährigen
Tochter, den anderen von einem 5¼ jährigen Knaben. Als Vorbericht muß
ich angeben, daß wir in diesem Sommer auf einem Hügel bei Aussee
wohnten, von wo aus wir bei schönem Wetter eine herrliche
Dachsteinaussicht genossen. Mit dem Fernrohre war die Simony-Hütte gut
zu erkennen. Die Kleinen bemühten sich wiederholt, sie durchs Fernrohr
zu sehen; ich weiß nicht, mit welchem Erfolge. Vor der Partie hatte ich
den Kindern erzählt, Hallstatt läge am Fuße des Dachsteins. Sie freuten
sich sehr auf den Tag. Von Hallstatt aus gingen wir ins Escherntal, das
mit seinen wechselnden Ansichten die Kinder sehr entzückte. Nur eines,
der 5 jährige Knabe, wurde allmählich mißgestimmt. So oft ein neuer Berg
in Sicht kam, fragte er: Ist das der Dachstein? worauf ich antworten
mußte: Nein, nur ein Vorberg. Nachdem sich diese Frage einigemal
wiederholt hatte, verstummte er ganz; den Stufenweg zum Wasserfall
wollte er überhaupt nicht mitmachen. Ich hielt ihn für ermüdet. Am
nächsten Morgen kam er aber ganz selig auf mich zu und erzählte: Heute
nacht habe ich geträumt, daß wir auf der Simony-Hütte gewesen sind. Ich
verstand ihn nun; er hatte erwartet, als ich vom Dachstein sprach, daß
er auf dem Ausfluge nach Hallstatt den Berg besteigen und die Hütte zu
Gesicht bekommen werde, von der beim Fernrohre so viel die Rede war. Als
er dann merkte, daß man ihm zumute, sich mit Vorbergen und einem
Wasserfall abspeisen zu lassen, fühlte er sich getäuscht und wurde
verstimmt. Der Traum entschädigte ihn dafür. Ich versuchte Details des
Traumes zu erfahren; sie waren ärmlich. »Man geht sechs Stunden lang auf
Stufen hinauf,« wie er's gehört hatte.

Auch bei dem 8½ jährigen Mädchen waren auf diesem Ausfluge Wünsche rege
geworden, die der Traum befriedigen mußte. Wir hatten den 12 jährigen
Knaben unserer Nachbarn nach Hallstatt mitgenommen, einen vollendeten
Ritter, der, wie mir schien, sich bereits aller Sympathien des kleinen
Frauenzimmers erfreute. Sie erzählte nun am nächsten Morgen folgenden
Traum: Denk' dir, ich hab' geträumt, daß der Emil einer von uns ist,
Papa und Mama zu euch sagt und im großen Zimmer mit uns schläft wie
unsere Buben. Dann kommt die Mama ins Zimmer und wirft eine Handvoll
großer Schokoladestangen in blauem und grünem Papiere unter unsere
Betten. Die Brüder, die sich also nicht kraft erblicher Übertragung auf
Traumdeutung verstehen, erklärten ganz wie unsere Autoren: Dieser Traum
ist ein Unsinn. Das Mädchen trat wenigstens für einen Teil des Traumes
ein, und es ist wertvoll für die Theorie der Neurosen zu erfahren, für
welchen: Daß der Emil ganz bei uns ist, das ist ein Unsinn, aber das mit
den Schokoladestangen nicht. Mir war gerade das letztere dunkel. Die
Mama lieferte mir hiefür die Erklärung. Auf dem Wege vom Bahnhofe nach
Hause hatten die Kinder vor dem Automaten haltgemacht und sich gerade
solche Schokoladestangen in metallisch glänzendem Papiere gewünscht, die
der Automat nach ihrer Erfahrung zu verkaufen hatte. Die Mama hatte mit
Recht gemeint, jener Tag habe genug Wunscherfüllungen gebracht und
diesen Wunsch für den Traum übrig gelassen. Mir war die kleine Szene
entgangen. Den von meiner Tochter proskribierten Teil des Traumes
verstand ich ohne weiteres. Ich hatte selbst gehört, wie der artige Gast
auf dem Wege die Kinder aufgefordert hatte zu warten, bis der Papa oder
die Mama nachkommen. Aus dieser zeitweiligen Zugehörigkeit machte der
Traum der Kleinen eine dauernde Adoption. Andere Formen des
Beisammenseins als die im Traume erwähnten, die von den Brüdern
hergenommen sind, kannte ihre Zärtlichkeit noch nicht. Warum die
Schokoladestangen unter die Betten geworfen wurden, ließ sich ohne
Ausfragen des Kindes natürlich nicht aufklären.

Einen ganz ähnlichen Traum wie den meines Knaben habe ich von
befreundeter Seite erfahren. Er betraf ein 8 jähriges Mädchen. Der Vater
hatte mit mehreren Kindern einen Spaziergang nach Dornbach in der
Absicht unternommen, die Rohrerhütte zu besuchen, kehrte aber um, weil
es zu spät geworden war, und versprach den Kindern, sie ein anderes Mal
zu entschädigen. Auf dem Rückwege kamen sie an einer Tafel vorbei,
welche den Weg zum Hameau anzeigt. Die Kinder verlangten nun auch aufs
Hameau geführt zu werden, mußten sich aber aus demselben Grund wiederum
auf einen anderen Tag vertrösten lassen. Am nächsten Morgen kam das
8 jährige Mädchen dem Papa befriedigt entgegen: Papa, heut hab' ich
geträumt, du warst mit uns bei der Rohrerhütte und auf dem Hameau. Ihre
Ungeduld hatte also die Erfüllung des vom Papa geleisteten Versprechens
im Traume antizipiert.

Ebenso aufrichtig ist ein anderer Traum, den die landschaftliche
Schönheit Aussees bei meinem damals 3¼ jährigen Töchterchen erregt hat.
Die Kleine war zum erstenmal über den See gefahren, und die Zeit der
Seefahrt war ihr zu rasch vergangen. An der Landungsstelle wollte sie
das Boot nicht verlassen und weinte bitterlich. Am nächsten Morgen
erzählte sie: Heute nacht bin ich auf dem See gefahren. Hoffen wir, daß
die Dauer dieser Traumfahrt sie besser befriedigt hat.

Mein ältester, damals 8 jähriger Knabe träumt bereits die Realisierung
seiner Phantasien. Er ist mit dem Achilleus in einem Wagen gefahren und
der Diomedes war Wagenlenker. Er hat sich natürlich tags vorher für die
Sagen Griechenlands begeistert, die der älteren Schwester geschenkt
worden sind.

Wenn man mir zugibt, daß das Sprechen aus dem Schlafe der Kinder
gleichfalls dem Kreise des Träumens angehört, so kann ich im folgenden
einen der jüngsten Träume meiner Sammlung mitteilen. Mein jüngstes
Mädchen, damals 19 Monate alt, hatte eines Morgens erbrochen und war
darum den Tag über nüchtern erhalten worden. In der Nacht, die diesem
Hungertag folgte, hörte man sie erregt aus dem Schlafe rufen: _Anna
F.eud_, _Er(d)beer_, _Hochbeer_, _Eier(s)peis_, _Papp_. Ihren Namen
gebrauchte sie damals, um die Besitzergreifung auszudrücken; der
Speiszettel umfaßte wohl alles, was ihr als begehrenswerte Mahlzeit
erscheinen mußte; daß die Erdbeeren darin in zwei Varietäten vorkamen,
war eine Demonstration gegen die häusliche Sanitätspolizei und hatte
seinen Grund in dem von ihr wohl bemerkten Nebenumstand, daß die
Kinderfrau ihre Indisposition auf allzu reichlichen Erdbeergenuß
geschoben hatte; für dies ihr unbequeme Gutachten nahm sie also im
Traume ihre Revanche(40).

  (40) Dieselbe Leistung wie bei der jüngsten Enkelin vollbringt dann
  der Traum kurz nachher bei der Großmutter, deren Alter das des Kindes
  ungefähr zu 70 Jahren ergänzt. Nachdem sie einen Tag lang durch die
  Unruhe ihrer Wanderniere zum Hungern gezwungen war, träumt sie dann,
  offenbar mit Versetzung in die glückliche Zeit des blühenden
  Mädchentums, daß sie für beide Hauptmahlzeiten »ausgebeten«, zu Gast
  geladen ist, und jedesmal die köstlichsten Bissen vorgesetzt bekommt.

 Wunschträume kleiner Kinder.

Wenn wir die Kindheit glücklich preisen, weil sie die sexuelle Begierde
noch nicht kennt, so wollen wir nicht verkennen, eine wie reiche Quelle
der Enttäuschung, Entsagung und damit der Traumanregung der andere der
großen Lebenstriebe für sie werden kann(41). Hier ein zweites Beispiel
dafür. Mein 22monatiger Neffe hat zu meinem Geburtstage die Aufgabe
bekommen, mir zu gratulieren und als Geschenk ein Körbchen mit Kirschen
zu überreichen, die um diese Zeit des Jahres noch zu den Primeurs
zählen. Es scheint ihm hart anzukommen, denn er wiederholt unaufhörlich:
Kirschen sind d(r)in, und ist nicht zu bewegen, das Körbchen aus den
Händen zu geben. Aber er weiß sich zu entschädigen. Er pflegte bisher
jeden Morgen seiner Mutter zu erzählen, daß er vom »weißen Soldat«
geträumt, einem Gardeoffizier im Mantel, den er einst auf der Straße
bewunderte. Am Tag nach dem Geburtstagsopfer erwacht er freudig mit der
Mitteilung, die nur einem Traume entstammen kann: _He(r)man alle
Kirschen aufgessen!_(42)

  (41) Eingehendere Beschäftigung mit dem Seelenleben der Kinder belehrt
  uns freilich, daß sexuelle Triebkräfte in infantiler Gestaltung in der
  psychischen Tätigkeit des Kindes eine genügend große, nur zu lange
  übersehene Rolle spielen, und läßt uns an dem Glücke der Kindheit, wie
  die Erwachsenen es späterhin konstruieren, einigermaßen zweifeln.
  (Vgl. des Verfassers »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« 1905 und
  2. Aufl. 1910.)

  (42) Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich bei kleinen Kindern
  bald kompliziertere und minder durchsichtige Träume einzustellen
  pflegen, und daß anderseits Träume von so einfachem infantilen
  Charakter unter Umständen auch bei Erwachsenen häufig vorkommen. Wie
  reich an ungeahntem Inhalt Träume von Kindern im Alter von vier bis
  fünf Jahren bereits sein können, zeigen die Beispiele in meiner
  »Analyse der Phobie eines 5 jährigen Knaben« (Jahrbuch von
  _Bleuler-Freud_ I., 1909) und in _Jungs_ »Über Konflikte der
  kindlichen Seele« (ebenda II. Bd., 1910). Analytisch gedeutete
  Kinderträume siehe noch bei _v. Hug-Hellmuth_, _Putnam_, _Raalte_,
  _Spielrein_, _Tausk_; andere bei _Banchieri_, _Busemann_, _Doglia_ und
  besonders bei _Wigam_, der die Wunscherfüllungstendenz derselben
  betont. Anderseits scheinen sich bei Erwachsenen Träume vom infantilen
  Typus besonders häufig wieder einzustellen, wenn sie unter
  ungewöhnliche Lebensbedingungen versetzt werden. So berichtet _Otto
  Nordenskjöld_ in seinem Buche »_Antarctic_« 1904 über die mit ihm
  überwinterte Mannschaft (Bd. I, p. 336): »Sehr bezeichnend für die
  Richtung unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie
  lebhafter und zahlreicher waren als gerade jetzt. Selbst diejenigen
  unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten jetzt
  des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser
  Phantasiewelt miteinander austauschten, lange Geschichten zu erzählen.
  Alle handelten sie von jener äußeren Welt, die uns jetzt so fern lag,
  waren aber oft unseren jetzigen Verhältnissen angepaßt. Ein besonders
  charakteristischer Traum bestand darin, daß sich einer der Kameraden
  auf die Schulbank zurückversetzt glaubte, wo ihm die Aufgabe zu teil
  wurde, ganz kleinen Miniaturseehunden, die eigens für Unterrichtszwecke
  angefertigt waren, die Haut abzuziehen. Essen und Trinken
  waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am
  häufigsten drehten. Einer von uns, der nächtlicher Weise darin
  _exzellierte_, auf große Mittagsgesellschaften zu gehen, war
  seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, ›daß er ein Diner
  von drei Gängen eingenommen habe‹; ein anderer träumte von Tabak, von
  ganzen Bergen Tabak; wieder andere von dem Schiff, das mit vollen
  Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer Traum
  verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt
  eine lange Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten
  lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert und erst nach großer Mühe sei
  es ihm gelungen, sie wieder zu erlangen. Natürlich beschäftigte man
  sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an
  Phantasie in fast allen Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen
  hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von großem psychologischen
  Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird
  aber leicht verstehen können, wie ersehnt der Schlaf war, da er uns
  alles bieten konnte, was ein jeder von uns am glühendsten begehrte.«
  Nach _Du Prel_ (p. 231) zitiere ich noch: »_Mungo Park_, auf einer
  Reise in Afrika dem Verschmachten nahe, träumte ohne Aufhören von
  wasserreichen Tälern und Auen seiner Heimat. So sah sich auch der von
  Hunger gequälte _Trenck_ in der Sternschanze zu Magdeburg von üppigen
  Mahlzeiten umgeben, und _George Back_, Teilnehmer der ersten
  Expedition _Franklins_, als er infolge furchtbarer Entbehrungen dem
  Hungertode nahe war, träumte stets und gleichmäßig von reichen
  Mahlzeiten.«

Wovon die Tiere träumen, weiß ich nicht. Ein Sprichwort, dessen
Erwähnung ich einem meiner Hörer danke, behauptet es zu wissen, denn es
stellt die Frage auf: _Wovon träumt die Gans?_ und beantwortet sie: Vom
_Kukuruz_ (Mais)(43). Die ganze Theorie, daß der Traum eine
Wunscherfüllung sei, ist in diesen zwei Sätzen enthalten(44).

  (43) Ein ungarisches, von _Ferenczi_ angezogenes Sprichwort behauptet
  vollständiger, daß »das Schwein von Eicheln, die Gans von Mais
  träumt«. Ein jüdisches Sprichwort lautet: »Wovon träumt das Huhn? --
  Von Hirse.« (Sammlung jüd. Sprichw. u. Redensarten, herausg. v.
  _Bernstein_, 2. Aufl., S. 1160, Nr. 7.)

  (44) Es liegt mir fern zu behaupten, daß noch niemals ein Autor vor
  mir daran gedacht habe, einen Traum von einem Wunsch abzuleiten. (Vgl.
  die ersten Sätze des nächsten Abschnittes.) Wer auf solche Andeutungen
  Wert legt, könnte schon aus dem Altertum den unter dem ersten
  _Ptolemäus_ lebenden Arzt _Herophilos_ anführen, der nach
  _Büchsenschütz_ (p. 33) drei Arten von Träumen unterschied:
  gottgesandte, natürliche, welche entstehen, indem die Seele sich ein
  Bild dessen schafft, was ihr zuträglich ist und was eintreten wird,
  und gemischte, die von selbst durch Annäherung von Bildern entstehen,
  wenn wir das sehen, was wir wünschen. Aus der Beispielsammlung von
  _Scherner_ weiß J. _Stärcke einen_ Traum hervorzuheben, der vom
  Autor selbst als Wunscherfüllung bezeichnet wird (p. 239). _Scherner_
  sagt: »Den wachen Wunsch der Träumerin erfüllte die Phantasie sofort
  einfach darum, weil er im Gemüte derselben lebhaft bestand.« Dieser
  Traum steht unter den »Stimmungsträumen«; in seiner Nähe befinden sich
  Träume für »männliches und weibliches Liebessehnen« und für
  »verdrießliche Stimmung«. Es ist, wie man sieht, keine Rede davon, daß
  _Scherner_ dem Wünschen für den Traum eine andere Bedeutung zuschrieb
  als irgend einem sonstigen Seelenzustand des Wachens, geschweige denn,
  daß er den Wunsch mit dem Wesen des Traumes in Zusammenhang gebracht
  hätte.

Wir bemerken jetzt, daß wir zu unserer Lehre von dem verborgenen Sinn
des Traumes auch auf dem kürzesten Wege gelangt wären, wenn wir nur den
Sprachgebrauch befragt hätten. Die Spruchweisheit redet zwar manchmal
verächtlich genug vom Traume -- man meint, sie wolle der Wissenschaft
recht geben, wenn sie urteilt: _Träume sind Schäume_ --, aber für den
Sprachgebrauch ist der Traum doch vorwiegend der holde Wunscherfüller.
»Das hätt' ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt,« ruft
entzückt, wer in der Wirklichkeit seine Erwartungen übertroffen findet.



IV.

Die Traumentstellung.


Wenn ich nun die Behauptung aufstelle, daß Wunscherfüllung der Sinn
eines _jeden_ Traumes sei, also daß es keine anderen als Wunschträume
geben kann, so bin ich des entschiedensten Widerspruches im vorhinein
sicher. Man wird mir entgegenhalten: »Daß es Träume gibt, welche als
Wunscherfüllungen zu verstehen sind, ist nicht neu, sondern längst von
den Autoren bemerkt worden.« (Vgl. _Radestock_ [p. 137 bis 138],
_Volkelt_ [p. 110 bis 111], _Purkinje_ [p. 456], _Tissié_ [p. 70], M.
_Simon_ [p. 42 über die Hungerträume des eingekerkerten Barons _Trenck_]
und die Stelle bei _Griesinger_ [p. 111].)(45) Daß es aber nichts
anderes als Wunscherfüllungsträume geben soll, das ist wieder eine
ungerechtfertigte Verallgemeinerung, die sich aber zum Glück leicht
zurückweisen läßt. Es kommen doch reichlich genug Träume vor, welche den
peinlichsten Inhalt erkennen lassen, aber keine Spur irgend einer
Wunscherfüllung. Der pessimistische Philosoph _Ed. v. Hartmann_ steht
wohl der Wunscherfüllungstheorie am fernsten. Er äußert in seiner
Philosophie des Unbewußten, II. Teil (Stereotypausgabe, p. 344):

  (45) Schon der Neuplatoniker _Plotin_ sagte: »Wenn die Begierde sich
  regt, dann kommt die Phantasie und präsentiert uns gleichsam das
  Objekt derselben« (_Du Prel_, p. 276).

»Was den Traum betrifft, so treten mit ihm alle Plackereien des wachen
Lebens auch in den Schlafzustand hinüber, nur das einzige nicht, was den
Gebildeten einigermaßen mit dem Leben aussöhnen kann: wissenschaftlicher
und Kunst-Genuß . . . .« Aber auch minder unzufriedene Beobachter haben
hervorgehoben, daß im Traume Schmerz und Unlust häufiger sei als Lust,
so _Scholz_ (p. 33), _Volkelt_ (p. 80) u. a. Ja die Damen _Sarah Weed_
und _Florence Hallam_ haben aus der Bearbeitung ihrer Träume einen
ziffermäßigen Ausdruck für das Überwiegen der Unlust in den Träumen
entnommen. Sie bezeichnen 58% der Träume als peinlich und nur 28.6% als
positiv angenehm. Außer diesen Träumen, welche die mannigfaltigen
peinlichen Gefühle des Lebens in den Schlaf fortsetzen, gibt es auch
Angstträume, in denen uns diese entsetzlichste aller Unlustempfindungen
schüttelt, bis wir erwachen, und von solchen Angstträumen werden gerade
die Kinder so leicht heimgesucht (vgl. _Debacker_, Über den Pavor
nocturnus), bei denen wir die Wunschträume unverhüllt gefunden haben.

Wirklich scheinen gerade die Angstträume eine Verallgemeinerung des
Satzes, den wir aus den Beispielen des vorigen Abschnittes gewonnen
haben, der Traum sei eine Wunscherfüllung, unmöglich zu machen, ja
diesen Satz als Absurdität zu brandmarken.

Dennoch ist es nicht sehr schwer, sich diesen anscheinend zwingenden
Einwänden zu entziehen. Man wolle bloß beachten, daß unsere Lehre nicht
auf der Würdigung des manifesten Trauminhaltes beruht, sondern sich auf
den Gedankeninhalt bezieht, welcher durch die Deutungsarbeit hinter dem
Traume erkannt wird. Stellen wir _manifesten_ und _latenten Trauminhalt_
einander gegenüber. Es ist richtig, daß es Träume gibt, deren manifester
Inhalt von der peinlichsten Art ist. Aber hat jemand versucht, diese
Träume zu deuten, den latenten Gedankeninhalt derselben aufzudecken?
Wenn aber nicht, dann treffen uns die beiden Einwände nicht mehr; es
bleibt immerhin möglich, daß auch peinliche und Angst-Träume sich nach
der Deutung als Wunscherfüllungen enthüllen(46).

  (46) Es ist ganz unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit sich Leser
  und Kritiker dieser Erwägung verschließen und die grundlegende
  Unterscheidung von manifestem und latentem Trauminhalt unbeachtet
  lassen. -- Keine der in der Literatur niedergelegten Äußerungen kommt
  aber dieser meiner Aufstellung so sehr entgegen wie eine Stelle in J.
  _Sullys_ Aufsatz: »Dreams as a revelation«, deren Verdienst dadurch
  nicht geschmälert werden soll, daß ich sie erst hier anführe: »It
  would seem then, after all, that dreams are not the utter nonsense
  they have been said to be by such authorities as Chaucer, Shakespeare
  and Milton. The chaotic aggregations of our nightfancy have a
  significance and communicate new knowledge. _Like some letter in
  cipher, the dream-inscription when scrutinised closely loses its first
  look of balderdash and takes on the aspect of a serious, intelligible
  message. Or, to vary the figure slightly, we may say that, like some
  palimpsest, the dream discloses beneath its worthless surface-characters
  traces of an old and precious communication_« (p. 364).

Bei wissenschaftlicher Arbeit ist es oft von Vorteil, wenn die Lösung
des einen Problems Schwierigkeiten bereitet, ein zweites hinzuzunehmen,
etwa wie man zwei Nüsse leichter miteinander als einzeln aufknackt. So
stehen wir nicht nur vor der Frage: Wie können peinliche und
Angst-Träume Wunscherfüllungen sein, sondern wir können auch aus unseren
bisherigen Erörterungen über den Traum eine zweite Frage aufwerfen:
Warum zeigen die Träume indifferenten Inhalts, welche sich als
Wunscherfüllungen ergeben, diesen ihren Sinn nicht unverhüllt? Man nehme
den weitläufig behandelten Traum von Irmas Injektion, er ist keineswegs
peinlicher Natur, er ist durch die Deutung als eklatante Wunscherfüllung
zu erkennen. Wozu bedarf es aber überhaupt einer Deutung? Warum sagt der
Traum nicht direkt, was er bedeutet? Tatsächlich macht auch der Traum
von Irmas Injektion zunächst nicht den Eindruck, daß er einen Wunsch des
Träumers als erfüllt darstellt. Der Leser wird diesen Eindruck nicht
bekommen haben, aber auch ich selbst wußte es nicht, ehe ich die Analyse
angestellt hatte. Heißen wir dieses der Erklärung bedürftige Verhalten
des Traumes: die _Tatsache der Traumentstellung_, so erhebt sich also
die zweite Frage: Wovon rührt diese Traumentstellung her?

 Der Onkeltraum.

Wenn man hierüber seine ersten Einfälle befrägt, könnte man auf
verschiedene mögliche Lösungen geraten, z. B. daß während des Schlafes
ein Unvermögen bestehe, den Traumgedanken einen entsprechenden Ausdruck
zu schaffen. Allein die Analyse gewisser Träume nötigt uns, für die
Traumentstellung eine andere Erklärung zuzulassen. Ich will dies an
einem zweiten Traume von mir selbst zeigen, welcher wiederum vielfache
Indiskretionen erfordert, aber für dies persönliche Opfer durch eine
gründliche Aufhellung des Problems entschädigt.

_Vorbericht_: Im Frühjahr 1897 erfuhr ich, daß zwei Professoren unserer
Universität mich für die Ernennung zum Prof. extraord. vorgeschlagen
hatten. Diese Nachricht kam mir überraschend und erfreute mich lebhaft
als Ausdruck einer durch persönliche Beziehungen nicht aufzuklärenden
Anerkennung von Seite zweier hervorragender Männer. Ich sagte mir aber
sofort, daß ich an dieses Ereignis keine Erwartungen knüpfen dürfe. Das
Ministerium hatte in den letzten Jahren Vorschläge solcher Art
unberücksichtigt gelassen, und mehrere Kollegen, die mir an Jahren
voraus waren und an Verdiensten mindestens gleich kamen, warteten
seitdem vergebens auf ihre Ernennung. Ich hatte keinen Grund,
anzunehmen, daß es mir besser ergehen würde. Ich beschloß also bei mir,
mich zu trösten. Ich bin, soviel ich weiß, nicht ehrgeizig, übe meine
ärztliche Tätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolge aus, auch ohne daß
mich ein Titel empfiehlt. Es handelte sich übrigens gar nicht darum, ob
ich die Trauben für süß oder sauer erklärte, da sie unzweifelhaft zu
hoch für mich hingen.

Eines Abends besuchte mich ein befreundeter Kollege, einer von
denjenigen, deren Schicksal ich mir zur Warnung hatte dienen lassen.
Seit längerer Zeit ein Kandidat für die Beförderung zum Professor, die
den Arzt in unserer Gesellschaft zum Halbgott für seine Kranken erhebt,
und minder resigniert als ich, pflegte er von Zeit zu Zeit seine
Vorstellung in den Bureaus des hohen Ministeriums zu machen, um seine
Angelegenheit zu fördern. Von einem solchen Besuche kam er zu mir. Er
erzählte, daß er diesmal den hohen Herrn in die Enge getrieben und ihn
gerade heraus befragt habe, ob an dem Aufschub seiner Ernennung wirklich
-- konfessionelle Rücksichten die Schuld trügen. Die Antwort hatte
gelautet, daß allerdings -- bei der gegenwärtigen Strömung -- Se.
Exzellenz vorläufig nicht in der Lage sei usw. »Nun weiß ich wenigstens,
woran ich bin,« schloß mein Freund seine Erzählung, die mir nichts Neues
brachte, mich aber in meiner Resignation bestärken mußte. Dieselben
konfessionellen Rücksichten sind nämlich auch auf meinen Fall anwendbar.

Am Morgen nach diesem Besuche hatte ich folgenden Traum, der auch durch
seine Form bemerkenswert war. Er bestand aus zwei Gedanken und zwei
Bildern, so daß ein Gedanke und ein Bild einander ablösten. Ich setze
aber nur die erste Hälfte des Traumes hieher, da die andere mit der
Absicht nichts zu tun hat, welcher die Mitteilung des Traumes dienen
soll.

I. _Freund R. ist mein Onkel. -- Ich empfinde große Zärtlichkeit für
ihn._

II. _Ich sehe sein Gesicht etwas verändert vor mir. Es ist wie in die
Länge gezogen, ein gelber Bart, der es umrahmt, ist besonders deutlich
hervorgehoben._

Dann folgen die beiden anderen Stücke, wieder ein Gedanke und ein Bild,
die ich übergehe.

 Die Deutung des Onkeltraumes.

Die Deutung dieses Traumes vollzog sich folgendermaßen:

Als mir der Traum im Laufe des Vormittags einfiel, lachte ich auf und
sagte: Der Traum ist ein Unsinn. Er ließ sich aber nicht abtun und ging
mir den ganzen Tag nach, bis ich mir endlich am Abend Vorwürfe machte:
»Wenn einer deiner Patienten zur Traumdeutung nichts zu sagen wüßte als:
Das ist ein Unsinn, so würdest du es ihm verweisen und vermuten, daß
sich hinter dem Traume eine unangenehme Geschichte versteckt, welche zur
Kenntnis zu nehmen er sich ersparen will. Verfahre mit dir selbst
ebenso; deine Meinung, der Traum sei ein Unsinn, bedeutet nur einen
inneren Widerstand gegen die Traumdeutung. Laß dich nicht abhalten.« Ich
machte mich also an die Deutung.

»R. ist mein Onkel.« Was kann das heißen? Ich habe doch nur einen Onkel
gehabt, den Onkel Josef(47). Mit dem war's allerdings eine traurige
Geschichte. Er hatte sich einmal, es sind mehr als 30 Jahre her, in
gewinnsüchtiger Absicht zu einer Handlung verleiten lassen, welche das
Gesetz schwer bestraft, und wurde dann auch von der Strafe betroffen.
Mein Vater, der damals aus Kummer in wenigen Tagen grau wurde, pflegte
immer zu sagen, Onkel Josef sei nie ein schlechter Mensch gewesen, wohl
aber ein Schwachkopf; so drückte er sich aus. Wenn also Freund R. mein
Onkel Josef ist, so will ich damit sagen: R. ist ein Schwachkopf. Kaum
glaublich und sehr unangenehm! Aber da ist ja jenes Gesicht, das ich im
Traume sehe, mit den länglichen Zügen und dem gelben Barte. Mein Onkel
hatte wirklich so ein Gesicht, länglich von einem schönen blonden Barte
umrahmt. Mein Freund R. war intensiv schwarz, aber wenn die
Schwarzhaarigen zu ergrauen anfangen, so büßen sie für die Pracht ihrer
Jugendjahre. Ihr schwarzer Bart macht Haar für Haar eine unerfreuliche
Farbenwanderung durch; er wird zuerst rotbraun, dann gelbbraun, dann
erst definitiv grau. In diesem Stadium befindet sich jetzt der Bart
meines Freundes R.; übrigens auch schon der meinige, wie ich mit
Mißvergnügen bemerke. Das Gesicht, das ich im Traume sehe, ist
gleichzeitig das meines Freundes R. und das meines Onkels. Es ist wie
eine Mischphotographie von _Galton_, der, um Familienähnlichkeiten zu
eruieren, mehrere Gesichter auf die nämliche Platte photographieren
ließ. Es ist also kein Zweifel möglich, ich meine wirklich, daß mein
Freund R. ein Schwachkopf ist -- wie mein Onkel Josef.

  (47) Es ist merkwürdig, wie sich hier meine Erinnerung -- im Wachen --
  für die Zwecke der Analyse einschränkt. Ich habe fünf von meinen
  Onkeln gekannt, einen von ihnen geliebt und geehrt. In dem Augenblicke
  aber, da ich den Widerstand gegen die Traumdeutung überwunden habe,
  sage ich mir: Ich habe doch nur einen Onkel gehabt, den, der eben im
  Traume gemeint ist.

Ich ahne noch gar nicht, zu welchem Zwecke ich diese Beziehung
hergestellt, gegen die ich mich unausgesetzt sträuben muß. Sie ist doch
nicht sehr tiefgehend, denn der Onkel war ein Verbrecher, mein Freund R.
ist unbescholten. Etwa bis auf die Bestrafung dafür, daß er mit dem Rade
einen Lehrbuben niedergeworfen. Sollte ich diese Untat meinen? Das hieße
die Vergleichung ins Lächerliche ziehen. Da fällt mir aber ein anderes
Gespräch ein, das ich vor einigen Tagen mit einem anderen Kollegen N.,
und zwar über das gleiche Thema hatte. Ich traf N. auf der Straße; er
ist auch zum Professor vorgeschlagen, wußte von meiner Ehrung und
gratulierte mir dazu. Ich lehnte entschieden ab. »Gerade Sie sollten
sich den Scherz nicht machen, da Sie den Wert des Vorschlages an sich
selbst erfahren haben.« Er darauf, wahrscheinlich nicht ernsthaft: »Das
kann man nicht wissen. Gegen mich liegt ja etwas Besonderes vor. Wissen
Sie nicht, daß eine Person einmal eine gerichtliche Anzeige gegen mich
erstattet hat? Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß die
Untersuchung eingestellt wurde; es war ein gemeiner Erpressungsversuch;
ich hatte noch alle Mühe, die Anzeigerin selbst vor Bestrafung zu
retten. Aber vielleicht macht man im Ministerium diese Angelegenheit
gegen mich geltend, um mich nicht zu ernennen. Sie aber, Sie sind
unbescholten.« Da habe ich ja den Verbrecher, gleichzeitig aber auch die
Deutung und Tendenz meines Traumes. Mein Onkel Josef stellt mir da beide
nicht zu Professoren ernannte Kollegen dar, den einen als Schwachkopf,
den anderen als Verbrecher. Ich weiß jetzt auch, wozu ich diese
Darstellung brauche. Wenn für den Aufschub der Ernennung meiner Freunde
R. und N. »konfessionelle« Rücksichten maßgebend sind, so ist auch meine
Ernennung in Frage gestellt; wenn ich aber die Zurückweisung der beiden
auf andere Gründe schieben kann, die mich nicht treffen, so bleibt mir
die Hoffnung ungestört. So verfährt mein Traum, er macht den einen, R.,
zum Schwachkopf, den anderen, N., zum Verbrecher; ich bin aber weder das
eine noch das andere; unsere Gemeinsamkeit ist aufgehoben, ich darf mich
auf meine Ernennung zum Professor freuen, und bin der peinlichen
Anwendung entgangen, die ich aus R.s Nachricht, was ihm der hohe Beamte
bekannt, für meine eigene Person hätte machen müssen.

Ich muß mich mit der Deutung dieses Traumes noch weiter beschäftigen. Er
ist für mein Gefühl noch nicht befriedigend erledigt, ich bin noch immer
nicht über die Leichtigkeit beruhigt, mit der ich zwei geachtete
Kollegen degradiere, um mir den Weg zur Professur frei zu halten. Meine
Unzufriedenheit mit meinem Vorgehen hat sich bereits ermäßigt, seitdem
ich den Wert der Aussagen im Traume zu würdigen weiß. Ich würde gegen
jedermann bestreiten, daß ich R. wirklich für einen Schwachkopf halte,
und daß ich an N.s Darstellung jener Erpressungsaffäre nicht glaube. Ich
glaube ja auch nicht, daß Irma durch eine Injektion Ottos mit einem
Propylenpräparat gefährlich krank geworden ist; es ist hier wie dort nur
mein _Wunsch, daß es sich so verhalten möge_, den mein Traum ausdrückt.
Die Behauptung, in welcher sich mein Wunsch realisiert, klingt im
zweiten Traume minder absurd als im ersten; sie ist hier in geschickter
Benutzung tatsächlicher Anhaltspunkte geformt, etwa wie eine gut
gemachte Verleumdung, an der »etwas daran ist«, denn Freund R. hatte
seinerzeit das Votum eines Fachprofessors gegen sich, und Freund N. hat
mir das Material für die Anschwärzung arglos selbst geliefert. Dennoch,
ich wiederhole es, scheint mir der Traum weiterer Aufklärung bedürftig.

Ich entsinne mich jetzt, daß der Traum noch ein Stück enthielt, auf
welches die Deutung bisher keine Rücksicht genommen hat. Nachdem mir
eingefallen, R. ist mein Onkel, empfinde ich im Traume warme
Zärtlichkeit für ihn. Wohin gehört diese Empfindung? Für meinen Onkel
Josef habe ich zärtliche Gefühle natürlich niemals gehabt. Freund R. ist
mir seit Jahren lieb und teuer; aber käme ich zu ihm und drückte ihm
meine Zuneigung in Worten aus, die annähernd dem Grad meiner
Zärtlichkeit im Traume entsprechen, so wäre er ohne Zweifel erstaunt.
Meine Zärtlichkeit gegen ihn erscheint mir unwahr und übertrieben,
ähnlich wie mein Urteil über seine geistigen Qualitäten, das ich durch
die Verschmelzung seiner Persönlichkeit mit der des Onkels ausdrücke;
aber in entgegengesetztem Sinne übertrieben. Nun dämmert mir aber ein
neuer Sachverhalt. Die Zärtlichkeit des Traumes gehört nicht zum
latenten Inhalt, zu den Gedanken hinter dem Traume; sie steht im
Gegensatze zu diesem Inhalt; sie ist geeignet, mir die Kenntnis der
Traumdeutung zu verdecken. Wahrscheinlich ist gerade dies ihre
Bestimmung. Ich erinnere mich, mit welchem Widerstand ich an die
Traumdeutung ging, wie lange ich sie aufschieben wollte und den Traum
für baren Unsinn erklärte. Von meinen psychoanalytischen Behandlungen
her weiß ich, wie ein solches Verwerfungsurteil zu deuten ist. Es hat
keinen Erkenntniswert, sondern bloß den einer Affektäußerung. Wenn meine
kleine Tochter einen Apfel nicht mag, den man ihr angeboten hat, so
behauptet sie, der Apfel schmeckt bitter, ohne ihn auch nur gekostet zu
haben. Wenn meine Patienten sich so benehmen wie die Kleine, so weiß
ich, daß es sich bei ihnen um eine Vorstellung handelt, welche sie
_verdrängen_ wollen. Dasselbe gilt für meinen Traum. Ich mag ihn nicht
deuten, weil die Deutung etwas enthält, wogegen ich mich sträube. Nach
vollzogener Traumdeutung erfahre ich, wogegen ich mich gesträubt hatte;
es war die Behauptung, daß R. ein Schwachkopf ist. Die Zärtlichkeit, die
ich gegen R. empfinde, kann ich nicht auf die latenten Traumgedanken,
wohl aber auf dies mein Sträuben zurückführen. Wenn mein Traum im
Vergleiche zu seinem latenten Inhalt in diesem Punkte entstellt, und
zwar ins Gegensätzliche entstellt ist, so dient die im Traume manifeste
Zärtlichkeit dieser Entstellung oder, mit anderen Worten, die
_Entstellung_ erweist sich hier als absichtlich, als ein Mittel der
_Verstellung_. Meine Traumgedanken enthalten eine Schmähung für R.;
damit ich diese nicht merke, gelangt in den Traum das Gegenteil, ein
zärtliches Empfinden für ihn.

 Die psychische Zensur.

Es könnte dies eine allgemein gültige Erkenntnis sein. Wie die Beispiele
in Abschnitt III gezeigt haben, gibt es ja Träume, welche unverhüllte
Wunscherfüllungen sind. Wo die Wunscherfüllung unkenntlich, verkleidet
ist, da müßte eine Tendenz zur Abwehr gegen diesen Wunsch vorhanden
sein, und infolge dieser Abwehr könnte der Wunsch sich nicht anders als
entstellt zum Ausdruck bringen. Ich will zu diesem Vorkommnis aus dem
psychischen Binnenleben das Seitenstück aus dem sozialen Leben suchen.
Wo findet man im sozialen Leben eine ähnliche Entstellung eines
psychischen Aktes? Nur dort, wo es sich um zwei Personen handelt, von
denen die eine eine gewisse Macht besitzt, die zweite wegen dieser Macht
eine Rücksicht zu nehmen hat. Diese zweite Person entstellt dann ihre
psychischen Akte oder, wie wir auch sagen können, sie _verstellt_ sich.
Die Höflichkeit, die ich alle Tage übe, ist zum guten Teile eine solche
Verstellung; wenn ich meine Träume für den Leser deute, bin ich zu
solchen Entstellungen genötigt. Über den Zwang zu solcher Entstellung
klagt auch der Dichter:

»Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen.«

In ähnlicher Lage befindet sich der politische Schriftsteller, der den
Machthabern unangenehme Wahrheiten zu sagen hat. Wenn er sie unverhohlen
sagt, wird der Machthaber seine Äußerung unterdrücken, nachträglich,
wenn es sich um mündliche Äußerung handelt, präventiv, wenn sie auf dem
Wege des Druckes kundgegeben werden soll. Der Schriftsteller hat die
_Zensur_ zu fürchten, er ermäßigt und entstellt darum den Ausdruck
seiner Meinung. Je nach der Stärke und Empfindlichkeit dieser Zensur
sieht er sich genötigt, entweder bloß gewisse Formen des Angriffes
einzuhalten oder in Anspielungen anstatt in direkten Bezeichnungen zu
reden oder er muß seine anstößige Mitteilung hinter einer harmlos
erscheinenden Verkleidung verbergen, er darf z. B. von Vorfällen
zwischen zwei Mandarinen im Reiche der Mitte erzählen, während er die
Beamten des Vaterlandes im Auge hat. Je strenger die Zensur waltet,
desto weitgehender wird die Verkleidung, desto witziger oft die Mittel,
welche den Leser doch auf die Spur der eigentlichen Bedeutung leiten.

Die bis ins einzelne durchzuführende Übereinstimmung zwischen den
Phänomenen der Zensur und denen der Traumentstellung gibt uns die
Berechtigung, ähnliche Bedingungen für beide vorauszusetzen. Wir würden
also als die Urheber der Traumgestaltung zwei psychische Mächte
(Strömungen, Systeme) im Einzelmenschen annehmen, von denen die eine den
durch den Traum zum Ausdruck gebrachten Wunsch bildet, während die
andere eine Zensur an diesem Traumwunsche übt und durch diese Zensur
eine Entstellung seiner Äußerung erzwingt. Es fragt sich nur, worin die
Machtbefugnis dieser zweiten Instanz besteht, kraft deren sie ihre
Zensur ausüben darf. Wenn wir uns erinnern, daß die latenten
Traumgedanken vor der Analyse nicht bewußt sind, der von ihnen
ausgehende manifeste Trauminhalt aber als bewußt erinnert wird, so liegt
die Annahme nicht fern, das Vorrecht der zweiten Instanz sei eben die
Zulassung zum Bewußtsein. Aus dem ersten System könne nichts zum
Bewußtsein gelangen, was nicht vorher die zweite Instanz passiert habe,
und die zweite Instanz lasse nichts passieren, ohne ihre Rechte
auszuüben und die ihr genehmen Abänderungen am Bewußtseinswerber
durchzusetzen. Wir verraten dabei eine ganz bestimmte Auffassung vom
»Wesen« des Bewußtseins; das Bewußtwerden ist für uns ein besonderer
psychischer Akt, verschieden und unabhängig von dem Vorgang des Gedacht-
oder Vorgestelltwerdens, und das Bewußtsein erscheint uns als ein
Sinnesorgan, welches einen anderwärts gegebenen Inhalt wahrnimmt. Es
läßt sich zeigen, daß die Psychopathologie dieser Grundannahmen
schlechterdings nicht entraten kann. Eine eingehendere Würdigung
derselben dürfen wir uns für eine spätere Stelle vorbehalten.

Wenn ich die Vorstellung der beiden psychischen Instanzen und ihrer
Beziehungen zum Bewußtsein festhalte, ergibt sich für die auffällige
Zärtlichkeit, die ich im Traume für meinen Freund R. empfinde, der in
der Traumdeutung so herabgesetzt wird, eine völlig kongruente Analogie
aus dem politischen Leben der Menschen. Ich versetze mich in ein
Staatsleben, in welchem ein auf seine Macht eifersüchtiger Herrscher und
eine rege öffentliche Meinung miteinander ringen. Das Volk empöre sich
gegen einen ihm mißliebigen Beamten und verlange dessen Entlassung; um
nicht zu zeigen, daß er dem Volkswillen Rechnung tragen muß, wird der
Selbstherrscher dem Beamten gerade dann eine hohe Auszeichnung
verleihen, zu der sonst kein Anlaß vorläge. So zeichnet meine zweite,
den Zugang zum Bewußtsein beherrschende Instanz Freund R. durch einen
Erguß von übergroßer Zärtlichkeit aus, weil die Wunschbestrebungen des
ersten Systems ihn in einem besonderen Interesse, dem sie gerade
nachhängen, als einen Schwachkopf beschimpfen möchten(48).

  (48) Solche heuchlerische Träume sind weder bei mir noch bei anderen
  seltene Vorkommnisse. Während ich mit der Bearbeitung eines gewissen
  wissenschaftlichen Problems beschäftigt bin, sucht mich mehrere Nächte
  kurz nacheinander ein leicht verwirrender Traum heim, der die
  Versöhnung mit einem längst bei Seite geschobenen Freunde zum Inhalt
  hat. Beim vierten oder fünften Male gelingt es mir endlich, den Sinn
  dieser Träume zu erfassen. Er liegt in der Aufmunterung, doch den
  letzten Rest von Rücksicht für die betreffende Person aufzugeben, sich
  von ihr völlig frei zu machen, und hatte sich in so heuchlerischer
  Weise ins Gegenteil verkleidet. Von einer Person habe ich einen
  »heuchlerischen Ödipustraum« mitgeteilt, in dem sich die feindseligen
  Regungen und Todeswünsche der Traumgedanken durch manifeste
  Zärtlichkeit ersetzen. (»Typisches Beispiel eines verkappten
  Ödipustraumes.«) Eine andere Art von heuchlerischen Träumen wird an
  anderer Stelle (siehe unten p. 338 u. ff.) erwähnt werden.

 Träume von einem versagten Wunsch.

Vielleicht werden wir hier von der Ahnung erfaßt, daß die Traumdeutung
im stande sei, uns Aufschlüsse über den Bau unseres seelischen Apparates
zu geben, welche wir von der Philosophie bisher vergebens erwartet
haben. Wir folgen aber nicht dieser Spur, sondern kehren, nachdem wir
die Traumentstellung aufgeklärt haben, zu unserem Ausgangsproblem
zurück. Es wurde gefragt, wie denn die Träume mit peinlichem Inhalt als
Wunscherfüllungen aufgelöst werden können. Wir sehen nun, dies ist
möglich, wenn eine Traumentstellung stattgefunden hat, wenn der
peinliche Inhalt nur zur Verkleidung eines erwünschten dient. Mit
Rücksicht auf unsere Annahmen über die zwei psychischen Instanzen können
wir jetzt auch sagen: die peinlichen Träume enthalten tatsächlich etwas,
was der zweiten Instanz peinlich ist, was aber gleichzeitig einen Wunsch
der ersten Instanz erfüllt. Sie sind insofern Wunschträume, als ja jeder
Traum von der ersten Instanz ausgeht, die zweite sich nur abwehrend,
nicht schöpferisch, gegen den Traum verhält. Beschränken wir uns auf
eine Würdigung dessen, was die zweite Instanz zum Traume beiträgt, so
können wir den Traum niemals verstehen. Es bleiben dann alle Rätsel
bestehen, welche von den Autoren am Traum bemerkt worden sind.

Daß der Traum wirklich einen geheimen Sinn hat, der eine Wunscherfüllung
ergibt, muß wiederum für jeden Fall durch die Analyse erwiesen werden.
Ich greife darum einige Träume peinlichen Inhaltes heraus und versuche
deren Analyse. Es sind zum Teil Träume von Hysterikern, die einen langen
Vorbericht und stellenweise ein Eindringen in die psychischen Vorgänge
bei der Hysterie erfordern. Ich kann dieser Erschwerung der Darstellung
aber nicht aus dem Wege gehen.

Wenn ich einen Psychoneurotiker in analytische Behandlung nehme, werden
seine Träume regelmäßig, wie bereits erwähnt, zum Thema unserer
Besprechungen. Ich muß ihm dabei alle die psychologischen Aufklärungen
geben, mit deren Hilfe ich selbst zum Verständnis seiner Symptome
gelangt bin, und erfahre dabei eine unerbittliche Kritik, wie ich sie
von den Fachgenossen wohl nicht schärfer zu erwarten habe. Ganz
regelmäßig erhebt sich der Widerspruch meiner Patienten gegen den Satz,
daß die Träume sämtlich Wunscherfüllungen seien. Hier einige Beispiele
von dem Material an Träumen, welche mir als Gegenbeweise vorgehalten
werden.

»Sie sagen immer, der Traum ist ein erfüllter Wunsch,« beginnt eine
witzige Patientin. »Nun will ich Ihnen einen Traum erzählen, dessen
Inhalt ganz im Gegenteil dahin geht, daß mir ein Wunsch _nicht_ erfüllt
wird. Wie vereinen Sie das mit Ihrer Theorie? Der Traum lautet wie
folgt:

Ich will ein Souper geben, habe aber nichts vorrätig als etwas
geräucherten Lachs. Ich denke daran, einkaufen zu gehen, erinnere mich
aber, daß es Sonntag nachmittag ist, wo alle Läden gesperrt sind. Ich
will nun einigen Lieferanten telephonieren, aber das Telephon ist
gestört. So muß ich auf den Wunsch, ein Souper zu geben, verzichten.«

Ich antworte natürlich, daß über den Sinn dieses Traumes nur die Analyse
entscheiden kann, wenngleich ich zugebe, daß er für den ersten Anblick
vernünftig und zusammenhängend erscheint und dem Gegenteil einer
Wunscherfüllung ähnlich sieht. »Aus welchem Material ist aber dieser
Traum hervorgegangen? Sie wissen, daß die Anregung zu einem Traume
jedesmal in den Erlebnissen des letzten Tages liegt.«

_Analyse_: Der Mann der Patientin, ein biederer und tüchtiger
Großfleischhauer, hat ihr Tags vorher erklärt, er werde zu dick und
wolle darum eine Entfettungskur beginnen. Er werde früh aufstehen,
Bewegung machen, strenge Diät halten und vor allem keine Einladungen zu
Soupers mehr annehmen. -- Von dem Manne erzählt sie lachend weiter, er
habe am Stammtisch die Bekanntschaft eines Malers gemacht, der ihn
durchaus abkonterfeien wolle, weil er einen so ausdrucksvollen Kopf noch
nicht gefunden habe. Ihr Mann habe aber in seiner derben Manier
erwidert, er bedanke sich schön und er sei ganz überzeugt, ein Stück vom
Hintern eines schönen jungen Mädchens sei dem Maler lieber als sein
ganzes Gesicht(49). Sie sei jetzt sehr verliebt in ihren Mann und necke
sich mit ihm herum. Sie hat ihn auch gebeten, ihr keinen Kaviar zu
schenken. -- Was soll das heißen?

  (49) Dem Maler sitzen.

      _Goethe_: Und wenn er keinen Hintern hat,
      Wie kann der Edle sitzen?

Sie wünscht es sich nämlich schon lange, jeden Vormittag eine
Kaviarsemmel essen zu können, gönnt sich aber die Ausgabe nicht.
Natürlich bekäme sie den Kaviar sofort von ihrem Manne, wenn sie ihn
darum bitten würde. Aber sie hat ihn im Gegenteil gebeten, ihr keinen
Kaviar zu schenken, damit sie ihn länger damit necken kann.

(Diese Begründung scheint mir fadenscheinig. Hinter solchen
unbefriedigenden Auskünften pflegen sich uneingestandene Motive zu
verbergen. Man denke an die Hypnotisierten _Bernheims_, die einen
posthypnotischen Auftrag ausführen, und nach ihren Motiven befragt,
nicht etwa antworten: Ich weiß nicht, warum ich das getan habe, sondern
eine offenbar unzureichende Begründung erfinden müssen. So ähnlich wird
es wohl mit dem Kaviar meiner Patientin sein. Ich merke, sie ist
genötigt, sich im Leben einen unerfüllten Wunsch zu schaffen. Ihr Traum
zeigt ihr auch die Wunschverweigerung als eingetroffen. Wozu braucht sie
aber einen unerfüllten Wunsch?)

Die bisherigen Einfälle haben zur Deutung des Traumes nicht ausgereicht.
Ich dringe nach weiteren. Nach einer kurzen Pause, wie sie eben der
Überwindung des Widerstandes entspricht, berichtet sie ferner, daß sie
gestern einen Besuch bei einer Freundin gemacht, auf die sie eigentlich
eifersüchtig ist, weil ihr Mann diese Frau immer so lobt. Zum Glück ist
diese Freundin sehr dürr und mager und ihr Mann ist ein Liebhaber voller
Körperformen. Wovon sprach nun diese magere Freundin? Natürlich von
ihrem Wunsche, etwas stärker zu werden. Sie fragte sie auch: »Wann laden
Sie uns wieder einmal ein? Man ißt immer so gut bei Ihnen.«

Nun ist der Sinn des Traumes klar. Ich kann der Patientin sagen: »Es ist
gerade so, als ob Sie sich bei der Aufforderung gedacht hätten: Dich
werde ich natürlich einladen, damit du dich bei mir anessen, dick werden
und meinem Manne noch besser gefallen kannst. Lieber geb' ich kein
Souper mehr. Der Traum sagt Ihnen dann, daß Sie kein Souper geben
können, erfüllt also Ihren Wunsch, zur Abrundung der Körperformen Ihrer
Freundin nichts beizutragen. Daß man von den Dingen, die man in
Gesellschaften vorgesetzt bekommt, dick wird, lehrt Sie ja der Vorsatz
Ihres Mannes, im Interesse seiner Entfettung Soupereinladungen nicht
mehr anzunehmen.« Es fehlt jetzt nur noch irgend ein Zusammentreffen,
welches die Lösung bestätigt. Es ist auch der geräucherte Lachs im
Trauminhalt noch nicht abgeleitet. »Wie kommen Sie zu dem im Traume
erwähnten Lachs?« »Geräucherter Lachs ist die Lieblingsspeise dieser
Freundin,« antwortet sie. Zufällig kenne ich die Dame auch und kann
bestätigen, daß sie sich den Lachs ebensowenig vergönnt wie meine
Patientin den Kaviar.

Derselbe Traum läßt auch noch eine andere und feinere Deutung zu, die
durch einen Nebenumstand selbst notwendig gemacht wird. Die beiden
Deutungen widersprechen einander nicht, sondern überdecken einander und
ergeben ein schönes Beispiel für die gewöhnliche Doppelsinnigkeit der
Träume wie aller anderen psychopathologischen Bildungen. Wir haben
gehört, daß die Patientin gleichzeitig mit ihrem Traume von der
Wunschverweigerung bemüht war, sich einen versagten Wunsch im Realen zu
verschaffen (die Kaviarsemmel). Auch die Freundin hatte einen Wunsch
geäußert, nämlich dicker zu werden, und es würde uns nicht wundern, wenn
unsere Dame geträumt hätte, der Freundin gehe ein Wunsch nicht in
Erfüllung. Es ist nämlich ihr eigener Wunsch, daß der Freundin ein
Wunsch -- nämlich der nach Körperzunahme -- nicht in Erfüllung gehe.
Anstatt dessen träumt sie aber, daß ihr selbst ein Wunsch nicht erfüllt
wird. Der Traum erhält eine neue Deutung, wenn sie im Traume nicht sich,
sondern die Freundin meint, wenn sie sich an Stelle der Freundin gesetzt
oder, wie wir sagen können, sich mit ihr _identifiziert_ hat.

 Die hysterische Identifizierung.

Ich meine, dies hat sie wirklich getan, und als Anzeichen dieser
Identifizierung hat sie sich den versagten Wunsch im Realen geschaffen.
Was hat aber die hysterische Identifizierung für Sinn? Das aufzuklären
bedarf einer eingehenden Darstellung. Die Identifizierung ist ein für
den Mechanismus der hysterischen Symptome höchst wichtiges Moment; auf
diesem Wege bringen es die Kranken zu stande, die Erlebnisse einer
großen Reihe von Personen, nicht nur die eigenen, in ihren Symptomen
auszudrücken, gleichsam für einen ganzen Menschenhaufen zu leiden und
alle Rollen eines Schauspieles allein mit ihren persönlichen Mitteln
darzustellen. Man wird mir einwenden, das sei die bekannte hysterische
Imitation, die Fähigkeit Hysterischer, alle Symptome, die ihnen bei
anderen Eindruck machen, nachzuahmen, gleichsam ein zur Reproduktion
gesteigertes Mitleiden. Damit ist aber nur der Weg bezeichnet, auf dem
der psychische Vorgang bei der hysterischen Imitation abläuft; etwas
anderes ist der Weg und der seelische Akt, der diesen Weg geht.
Letzterer ist um ein Geringes komplizierter, als man sich die Imitation
der Hysterischen vorzustellen liebt; er entspricht einem unbewußten
Schlußprozeß, wie ein Beispiel klarstellen wird. Der Arzt, welcher eine
Kranke mit einer bestimmten Art von Zuckungen unter anderen Kranken auf
demselben Zimmer im Krankenhause hat, zeigt sich nicht erstaunt, wenn er
eines Morgens erfährt, daß dieser besondere hysterische Anfall
Nachahmung gefunden hat. Er sagt sich einfach: Die anderen haben ihn
gesehen und nachgemacht; das ist psychische Infektion. Ja, aber die
psychische Infektion geht etwa auf folgende Weise zu. Die Kranken wissen
in der Regel mehr voneinander als der Arzt über jede von ihnen, und sie
kümmern sich umeinander, wenn die ärztliche Visite vorüber ist. Die eine
bekomme heute ihren Anfall; es wird alsbald den anderen bekannt, daß ein
Brief vom Hause, Auffrischung des Liebeskummers und dergleichen davon
die Ursache ist. Ihr Mitgefühl wird rege, es vollzieht sich in ihnen
folgender, nicht zum Bewußtsein gelangender Schluß: Wenn man von solcher
Ursache solche Anfälle haben kann, so kann ich auch solche Anfälle
bekommen, denn ich habe dieselben Anlässe. Wäre dies ein des Bewußtseins
fähiger Schluß, so würde er vielleicht in die _Angst_ ausmünden, den
gleichen Anfall zu bekommen; er vollzieht sich aber auf einem anderen
psychischen Terrain, endet daher in der Realisierung des gefürchteten
Symptoms. Die Identifizierung ist also nicht simple Imitation, sondern
_Aneignung_ auf Grund des gleichen ätiologischen Anspruches; sie drückt
ein »gleichwie« aus und bezieht sich auf ein im Unbewußten verbleibendes
Gemeinsames.

Die Identifizierung wird in der Hysterie am häufigsten benutzt zum
Ausdruck einer sexuellen Gemeinsamkeit. Die Hysterica identifiziert sich
in ihren Symptomen am ehesten -- wenn auch nicht ausschließlich -- mit
solchen Personen, mit denen sie im sexuellen Verkehre gestanden hat,
oder welche mit den nämlichen Personen wie sie selbst sexuell verkehren.
Die Sprache trägt einer solchen Auffassung gleichfalls Rechnung. Zwei
Liebende sind »Eines«. In der hysterischen Phantasie wie im Traume
genügt es für die Identifizierung, daß man an sexuelle Beziehungen
denkt, ohne daß sie darum als real gelten müssen. Die Patientin folgt
also bloß den Regeln der hysterischen Denkvorgänge, wenn sie ihrer
Eifersucht gegen die Freundin (die sie als unberechtigt übrigens selbst
erkennt) Ausdruck gibt, indem sie sich im Traume an ihre Stelle setzt
und durch die Schaffung eines Symptoms (des versagten Wunsches) mit ihr
identifiziert. Man möchte den Vorgang noch sprachlich in folgender Weise
erläutern: Sie setzt sich an die Stelle der Freundin im Traum, weil
diese sich bei ihrem Manne an ihre Stelle setzt, weil sie deren Platz in
der Wertschätzung ihres Mannes einnehmen möchte(50).

  (50) Ich bedauere selbst die Einschaltung solcher Stücke aus der
  Psychopathologie der Hysterie, welche, infolge ihrer fragmentarischen
  Darstellung und aus allem Zusammenhang gerissen, doch nicht sehr
  aufklärend wirken können. Wenn sie auf die innigen Beziehungen des
  Themas vom Traume zu den Psychoneurosen hinzuweisen vermögen, so haben
  sie die Absicht erfüllt, in der ich sie aufgenommen habe.

In einfacherer Weise und doch auch nach dem Schema, daß die
Nichterfüllung des einen Wunsches die Erfüllung eines anderen bedeutet,
löste sich der Widerspruch gegen meine Traumlehre bei einer anderen
Patientin, der witzigsten unter all meinen Träumerinnen. Ich hatte ihr
an einem Tage auseinandergesetzt, daß der Traum eine Wunscherfüllung
sei; am nächsten Tag brachte sie mir einen Traum, daß sie mit ihrer
Schwiegermutter nach dem gemeinsamen Landaufenthalt fahre. Nun wußte
ich, daß sie sich heftig gesträubt hatte, den Sommer in der Nähe der
Schwiegermutter zu verbringen, wußte auch, daß sie der von ihr
gefürchteten Gemeinschaft in den letzten Tagen durch die Miete eines vom
Sitze der Schwiegermutter weit entfernten Landaufenthaltes glücklich
ausgewichen war. Jetzt machte der Traum diese erwünschte Lösung
rückgängig; war das nicht der schärfste Gegensatz zu meiner Lehre von
der Wunscherfüllung durch den Traum? Gewiß, man brauchte nur die
Konsequenz aus diesem Traum zu ziehen, um eine Deutung zu haben. Nach
diesem Traume hatte ich unrecht; _es war also ihr Wunsch, daß ich
unrecht haben sollte, und diesen zeigte ihr der Traum erfüllt_. Der
Wunsch, daß ich unrecht haben sollte, der sich an dem Thema der
Landwohnung erfüllte, bezog sich aber in Wirklichkeit auf einen anderen
und ernsteren Gegenstand. Ich hatte um die nämliche Zeit aus dem
Material, welches ihre Analyse ergab, geschlossen, daß in einer gewissen
Periode ihres Lebens etwas für ihre Erkrankung Bedeutsames vorgefallen
sein müsse. Sie hatte es in Abrede gestellt, weil es sich nicht in ihrer
Erinnerung vorfand. Wir kamen bald darauf, daß ich recht hatte. Ihr
Wunsch, daß ich unrecht haben möge, verwandelt in den Traum, daß sie mit
ihrer Schwiegermutter aufs Land fahre, entsprach also dem berechtigten
Wunsche, daß jene damals erst vermuteten Dinge sich nie ereignet haben
möchten.

Ohne Analyse, nur vermittels einer Vermutung, gestattete ich mir, ein
kleines Vorkommnis bei einem Freunde zu deuten, der durch die acht
Gymnasialklassen mein Kollege gewesen war. Er hörte einmal in einem
kleinen Kreise einen Vortrag von mir über die Neuigkeit, daß ein Traum
eine Wunscherfüllung sei, ging nach Hause, träumte, _daß er alle seine
Prozesse verloren habe_ -- er war Advokat -- und beklagte sich bei mir
darüber. Ich half mir mit der Ausflucht: Man kann nicht alle Prozesse
gewinnen, dachte aber bei mir: Wenn ich durch acht Jahre als Primus in
der ersten Bank gesessen, während er irgendwo in der Mitte der Klasse
den Platz gewechselt, sollte ihm aus diesen Knabenjahren der Wunsch fern
geblieben sein, daß ich mich auch einmal gründlich blamieren möge?

Ein anderer Traum von mehr düsterem Charakter wurde mir gleichfalls von
einer Patientin als Einspruch gegen die Theorie des Wunschtraumes
vorgetragen. Die Patientin, ein junges Mädchen, begann: »Sie erinnern
sich, daß meine Schwester jetzt nur einen Buben hat, den Karl; den
älteren, Otto, hat sie verloren, als ich noch in ihrem Hause war. Otto
war mein Liebling, ich habe ihn eigentlich erzogen. Den Kleinen habe ich
auch gern, aber natürlich lange nicht so sehr wie den Verstorbenen. Nun
träume ich diese Nacht, _daß ich den Karl tot vor mir liegen sehe. Er
liegt in seinem kleinen Sarge, die Hände gefaltet, Kerzen rings herum,
kurz ganz so wie damals der kleine Otto, dessen Tod mich so erschüttert
hat._ Nun sagen Sie mir, was soll das heißen? Sie kennen mich ja; bin
ich eine so schlechte Person, daß ich meiner Schwester den Verlust des
einzigen Kindes wünschen sollte, das sie noch besitzt? Oder heißt der
Traum, daß ich lieber den Karl tot wünschte als den Otto, den ich um so
viel lieber gehabt habe?«

 Auflösung peinlicher Träume.

Ich versicherte ihr, daß diese letzte Deutung ausgeschlossen sei. Nach
kurzem Besinnen konnte ich ihr die richtige Deutung des Traumes sagen,
die ich dann von ihr bestätigen ließ. Es gelang mir dies, weil mir die
ganze Vorgeschichte der Träumerin bekannt war.

Frühzeitig verwaist, war das Mädchen im Hause ihrer um vieles älteren
Schwester aufgezogen worden und begegnete unter den Freunden und
Besuchern des Hauses auch dem Manne, der einen bleibenden Eindruck auf
ihr Herz machte. Es schien eine Weile, als ob diese kaum ausgesprochenen
Beziehungen mit einer Heirat enden sollten, aber dieser glückliche
Ausgang wurde durch die Schwester vereitelt, deren Motive nie eine
völlige Aufklärung gefunden haben. Nach dem Bruche mied der von unserer
Patientin geliebte Mann das Haus; sie selbst machte sich einige Zeit
nach dem Tode des kleinen Otto, an den sie ihre Zärtlichkeit unterdessen
gewendet hatte, selbständig. Es gelang ihr aber nicht, sich von der
Abhängigkeit frei zu machen, in welche sie durch ihre Neigung zu dem
Freunde ihrer Schwester geraten war. Ihr Stolz gebot ihr, ihm
auszuweichen; es war ihr aber unmöglich, ihre Liebe auf andere Bewerber
zu übertragen, die sich in der Folge einstellten. Wenn der geliebte
Mann, der dem Literatenstand angehörte, irgendwo einen Vortrag
angekündigt hatte, war sie unfehlbar unter den Zuhörern zu finden, und
auch sonst ergriff sie jede Gelegenheit, ihn an drittem Orte aus der
Ferne zu sehen. Ich erinnerte mich, daß sie mir Tags vorher erzählt
hatte, der Professor ginge in ein bestimmtes Konzert, und sie wolle auch
dorthin gehen, um sich wieder einmal seines Anblickes zu erfreuen. Das
war am Tag vor dem Traume: an dem Tage, an dem sie mir den Traum
erzählte, sollte das Konzert stattfinden. Ich konnte mir so die richtige
Deutung leicht konstruieren und fragte sie, ob ihr irgend ein Ereignis
einfalle, das nach dem Tode des kleinen Otto eingetreten sei. Sie
antwortete sofort: Gewiß, damals ist der Professor nach langem
Ausbleiben wiedergekommen, und ich habe ihn an dem Sarge des kleinen
Otto wieder einmal gesehen. Es war genau so, wie ich es erwartet hatte.
Ich deutete also den Traum in folgender Art: »Wenn jetzt der andere
Knabe stürbe, würde sich dasselbe wiederholen. Sie würden den Tag bei
Ihrer Schwester zubringen, der Professor käme sicherlich hinauf, um zu
kondolieren, und unter den nämlichen Verhältnissen wie damals würden Sie
ihn wiedersehen. Der Traum bedeutet nichts als diesen Ihren Wunsch nach
Wiedersehen, gegen den Sie innerlich ankämpfen. Ich weiß, daß Sie das
Billett für das heutige Konzert in der Tasche tragen. Ihr Traum ist ein
Ungeduldstraum, er hat das Wiedersehen, das heute stattfinden soll, um
einige Stunden verfrüht.«

Zur Verdeckung ihres Wunsches hatte sie offenbar eine Situation gewählt,
in welcher solche Wünsche unterdrückt zu werden pflegen, eine Situation,
in der man von Trauer so sehr erfüllt ist, daß man an Liebe nicht denkt.
Und doch ist es sehr gut möglich, daß auch in der realen Situation,
welche der Traum getreulich kopierte, am Sarge des ersten, von ihr
stärker geliebten Knaben sie die zärtliche Empfindung für den lange
vermißten Besucher nicht hatte unterdrücken können.

Eine andere Aufklärung fand ein ähnlicher Traum einer anderen Patientin,
die sich in früheren Jahren durch raschen Witz und heitere Laune
hervorgetan hatte und diese Eigenschaften jetzt wenigstens noch in ihren
Einfällen während der Behandlung bewies. Dieser Dame kam es im
Zusammenhange eines längeren Traumes vor, daß sie ihre einzige,
15 jährige Tochter in einer Schachtel tot daliegen sah. Sie hatte nicht
übel Lust, aus dieser Traumerscheinung einen Einwand gegen die
Wunscherfüllungstheorie zu machen, ahnte aber selbst, daß das Detail der
Schachtel den Weg zu einer anderen Auffassung des Traumes anzeigen
müsse(51). Bei der Analyse fiel ihr ein, daß in der Gesellschaft abends
vorher die Rede auf das englische Wort »box« gekommen war und auf die
mannigfaltigen Übersetzungen desselben im Deutschen, als: Schachtel,
Loge, Kasten, Ohrfeige usw. Aus anderen Bestandstücken desselben Traumes
ließ sich nun ergänzen, daß sie die Verwandtschaft des englischen »box«
mit dem deutschen »Büchse« erraten habe und dann von der Erinnerung
heimgesucht worden sei, daß »Büchse« auch als vulgäre Bezeichnung des
weiblichen Genitales gebraucht werde. Mit einiger Nachsicht für ihre
Kenntnisse in der topographischen Anatomie konnte man also annehmen, daß
das Kind in der »Schachtel« eine Frucht im Mutterleibe bedeute. Soweit
aufgeklärt, leugnete sie nun nicht, daß das Traumbild wirklich einem
Wunsche von ihr entspreche. Wie so viele junge Frauen war sie keineswegs
glücklich, als sie in die Gravidität geriet, und gestand sich mehr als
einmal den Wunsch ein, daß ihr das Kind im Mutterleibe absterben möge;
ja in einem Wutanfalle nach einer heftigen Szene mit ihrem Manne schlug
sie mit den Fäusten auf ihren Leib los, um das Kind darin zu treffen.
Das tote Kind war also wirklich eine Wunscherfüllung, aber die eines
seit 15 Jahren beseitigten Wunsches, und es ist nicht zu verwundern,
wenn man die Wunscherfüllung nach so verspätetem Eintreffen nicht mehr
erkennt. Unterdessen hat sich eben zu viel geändert.

  (51) Ähnlich wie im Traume vom vereitelten Souper der geräucherte
  Lachs.

Die Gruppe, zu welcher die beiden letzten Träume gehören, die den Tod
lieber Angehöriger zum Inhalt haben, soll bei den typischen Träumen
nochmals Berücksichtigung finden. Ich werde dort an neuen Beispielen
zeigen können, daß trotz des unerwünschten Inhaltes alle diese Träume
als Wunscherfüllungen gedeutet werden müssen. Keinem Patienten, sondern
einem intelligenten Rechtsgelehrten meiner Bekanntschaft verdanke ich
folgenden Traum, der mir wiederum in der Absicht erzählt wurde, mich von
voreiliger Verallgemeinerung in der Lehre vom Wunschtraume
zurückzuhalten. »_Ich träume_,« berichtet mein Gewährsmann, »_daß ich,
eine Dame am Arm, vor mein Haus komme. Dort wartet ein geschlossener
Wagen, ein Herr tritt auf mich zu, legitimiert sich als Polizeiagent und
fordert mich auf, ihm zu folgen. Ich bitte nur noch um die Zeit, meine
Angelegenheiten zu ordnen._ -- Glauben Sie, daß es vielleicht ein Wunsch
von mir ist, verhaftet zu werden?« -- Gewiß nicht, muß ich zugeben.
Wissen Sie vielleicht, unter welcher Beschuldigung Sie verhaftet wurden?
-- »Ja, ich glaube wegen Kindesmordes.« -- Kindesmord? Sie wissen doch,
daß dieses Verbrechen nur eine Mutter an ihrem Neugeborenen begehen
kann? -- »Das ist richtig.«(52) -- Und unter welchen Umständen haben Sie
geträumt; was ist am Abend vorher vorgegangen? -- »Das möchte ich Ihnen
nicht gern erzählen, es ist eine heikle Angelegenheit.« -- Ich brauche
es aber, sonst müssen wir auf die Deutung des Traumes verzichten. --
»Also hören Sie. Ich habe die Nacht nicht zu Hause, sondern bei einer
Dame zugebracht, die mir sehr viel bedeutet. Als wir am Morgen
erwachten, ging neuerdings etwas zwischen uns vor. Dann schlief ich
wiederum ein und träumte, was Sie wissen.« -- Es ist eine verheiratete
Frau? -- »Ja.« -- Und Sie wollen kein Kind mit ihr erzeugen? -- »Nein,
nein, das könnte uns verraten.« -- Sie üben also nicht normalen Koitus?
-- »Ich gebrauche die Vorsicht, mich vor der Ejakulation
zurückzuziehen.« -- Darf ich annehmen, Sie hätten das Kunststück in
dieser Nacht mehreremal ausgeführt, und seien nach der Wiederholung am
Morgen ein wenig unsicher gewesen, ob es Ihnen gelungen ist? -- »Das
könnte wohl sein.« -- Dann ist Ihr Traum eine Wunscherfüllung. Sie
erhalten durch ihn die Beruhigung, daß Sie kein Kind erzeugt haben, oder
was nahezu das gleiche ist, Sie hätten ein Kind umgebracht. Die
Mittelglieder kann ich Ihnen leicht nachweisen. Erinnern Sie sich, vor
einigen Tagen sprachen wir über die Ehenot und über die Inkonsequenz,
daß es gestattet ist, den Koitus so zu halten, daß keine Befruchtung zu
stande kommt, während jeder Eingriff, wenn einmal Ei und Same sich
getroffen und einen Fötus gebildet haben, als Verbrechen bestraft wird.
Im Anschluß daran gedachten wir auch der mittelalterlichen Streitfrage,
in welchem Zeitpunkte eigentlich die Seele in den Fötus hineinfahre,
weil der Begriff des Mordes erst von da an zulässig wird. Sie kennen
gewiß auch das schaurige Gedicht von _Lenau_, welches Kindermord und
Kinderverhütung gleichstellt. -- »An _Lenau_ habe ich merkwürdigerweise
heute vormittag wie zufällig gedacht.« -- Auch ein Nachklang Ihres
Traumes. Und nun will ich Ihnen noch eine kleine Nebenwunscherfüllung in
Ihrem Traume nachweisen. Sie kommen mit der Dame am Arm vor Ihr Haus.
Sie _führen_ Sie also _heim_, anstatt daß Sie in Wirklichkeit die Nacht
in deren Hause zubringen. Daß die Wunscherfüllung, die den Kern des
Traumes bildet, sich in so unangenehmer Form verbirgt, hat vielleicht
mehr als einen Grund. Aus meinem Aufsatze über die Ätiologie der
Angstneurose könnten Sie erfahren, daß ich den Coitus interruptus als
eines der ursächlichen Momente für die Entstehung der neurotischen Angst
in Anspruch nehme. Es würde dazu stimmen, wenn Ihnen nach mehrmaligem
Koitus dieser Art eine unbehagliche Stimmung verbliebe, die nun als
Element in die Zusammensetzung Ihres Traumes eingeht. Dieser Verstimmung
bedienen Sie sich auch, um sich die Wunscherfüllung zu verhüllen.
Übrigens ist auch die Erwähnung des Kindesmordes nicht erklärt. Wie
kommen Sie zu diesem spezifisch weiblichen Verbrechen? -- »Ich will
Ihnen gestehen, daß ich vor Jahren einmal in eine solche Angelegenheit
verflochten war. Ich war schuld daran, daß ein Mädchen sich durch eine
Fruchtabtreibung vor den Folgen eines Verhältnisses mit mir zu schützen
versuchte. Ich hatte mit der Ausführung des Vorsatzes gar nichts zu tun,
war aber lange Zeit in begreiflicher Angst, daß die Sache entdeckt
würde.« -- Ich verstehe, diese Erinnerung ergab einen zweiten Grund,
warum Ihnen die Vermutung, Sie hätten Ihr Kunststück schlecht gemacht,
peinlich sein mußte.

  (52) Es ereignet sich häufig, daß ein Traum unvollständig erzählt wird
  und daß erst während der Analyse die Erinnerung an diese ausgelassenen
  Stücke des Traumes auftaucht. Diese nachträglich eingefügten Stücke
  ergeben regelmäßig den Schlüssel zur Traumdeutung. Vergleiche weiter
  unten über das Vergessen der Träume.

Ein junger Arzt, welcher in meinem Kolleg diesen Traum erzählen hörte,
muß sich von ihm betroffen gefühlt haben, denn er beeilte sich ihn
nachzuträumen, dessen Gedankenform auf ein anderes Thema anzuwenden. Er
hatte Tags vorher sein Einkommenbekenntnis übergeben, welches vollkommen
aufrichtig gehalten war, da er nur wenig zu bekennen hatte. Er träumte
nun, ein Bekannter komme aus der Sitzung der Steuerkommission zu ihm und
teile ihm mit, daß alle anderen Steuerbekenntnisse unbeanständet
geblieben seien, das seinige aber habe allgemeines Mißtrauen erweckt und
werde ihm eine empfindliche Steuerstrafe eintragen. Der Traum ist eine
lässig verhüllte Wunscherfüllung, für einen Arzt von großem Einkommen zu
gelten. Er erinnert übrigens an die bekannte Geschichte von jenem jungen
Mädchen, welchem abgeraten wird, ihrem Freier zuzusagen, weil er ein
jähzorniger Mensch sei und sie in der Ehe sicherlich mit Schlägen
traktieren werde. Die Antwort des Mädchens lautet dann: Schlüg' er mich
erst! Ihr Wunsch, verheiratet zu sein, ist so lebhaft, daß sie die in
Aussicht gestellte Unannehmlichkeit, die mit dieser Ehe verbunden sein
soll, mit in den Kauf nimmt und selbst zum Wunsche erhebt.

Fasse ich die sehr häufig vorkommenden Träume solcher Art, die meiner
Lehre direkt zu widersprechen scheinen, indem sie das Versagen eines
Wunsches oder das Eintreffen von etwas offenbar Ungewünschtem zum Inhalt
haben, als »_Gegenwunschträume_« zusammen, so sehe ich, daß sie sich
allgemein auf zwei Prinzipien zurückführen lassen, von denen das eine
noch nicht erwähnt worden ist, obwohl es im Leben wie im Träumen der
Menschen eine große Rolle spielt. Die eine Triebkraft dieser Träume ist
der Wunsch, daß ich unrecht haben soll. Diese Träume ereignen sich
regelmäßig im Laufe meiner Behandlungen, wenn sich der Patient im
Widerstand gegen mich befindet, und ich kann mit großer Sicherheit
darauf rechnen, einen solchen Traum hervorzurufen, nachdem ich dem
Kranken die Lehre, der Traum sei eine Wunscherfüllung, zuerst
vorgetragen habe(53). Ja, ich darf erwarten, daß es manchem meiner Leser
ebenso ergehen wird; er wird sich bereitwillig im Traume einen Wunsch
versagen, um sich nur den Wunsch, daß ich unrecht haben möge, zu
erfüllen. Der letzte Kurtraum dieser Art, den ich mitteilen will, zeigt
wiederum das nämliche. Ein junges Mädchen, welches sich die Fortsetzung
meiner Behandlung mühsam erkämpft hat gegen den Willen ihrer Angehörigen
und der zu Rate gezogenen Autoritäten, träumt: _Zu Hause verbiete man
ihr, weiter zu mir zu kommen. Sie beruft sich dann bei mir auf ein ihr
gegebenes Versprechen, sie im Notfalle auch umsonst zu behandeln, und
ich sage ihr: In Geldsachen kann ich keine Rücksicht üben._

  (53) Ähnliche »Gegenwunschträume« wurden mir in den letzten Jahren
  wiederholt von meinen Hörern berichtet als deren Reaktion auf ihr
  erstes Zusammentreffen mit der »Wunschtheorie des Traumes«.

Es ist wirklich nicht leicht, hier die Wunscherfüllung nachzuweisen,
aber in all solchen Fällen findet sich außer dem einen Rätsel noch ein
anderes, dessen Lösung auch das erste lösen hilft. Woher stammen die
Worte, die sie mir in den Mund legt? Ich habe ihr natürlich nie etwas
Ähnliches gesagt, aber einer ihrer Brüder und gerade jener, der den
größten Einfluß auf sie hat, war so liebenswürdig, über mich diesen
Ausspruch zu tun. Der Traum will also erreichen, daß der Bruder recht
behalte, und diesem Bruder Recht verschaffen will sie nicht nur im
Traume; es ist der Inhalt ihres Lebens und das Motiv ihres Krankseins.
Ein Traum, welcher der Theorie von der Wunscherfüllung auf den ersten
Blick besondere Schwierigkeiten bereitet, ist von einem Arzt (_Aug.
Stärcke_) geträumt und gedeutet worden:

»_Ich habe und sehe an meinem linken Zeigefinger einen syphilitischen
Primäraffekt an der letzten Phalange._«

Man wird sich vielleicht von der Analyse dieses Traumes durch die
Erwägung abhalten lassen, daß er ja bis auf seinen unerwünschten Inhalt
klar und kohärent erscheint. Allein wenn man die Mühe einer Analyse
nicht scheut, erfährt man, daß »Primäraffekt« gleichzusetzen ist einer
»prima affectio« (erste Liebe), und daß das widerliche Geschwür nach den
Worten _Stärckes_ »sich als Vertreter von mit großem Affekt belegten
Wunscherfüllungen« erweist.

Das andere Motiv der Gegenwunschträume liegt so nahe, daß man leicht in
Gefahr kommt, es zu übersehen, wie mir selbst durch längere Zeit
geschehen ist. In der Sexualkonstitution so vieler Menschen gibt es eine
masochistische Komponente, die durch die Verkehrung ins Gegenteil der
aggressiven, sadistischen entstanden ist. Man heißt solche Menschen
»ideelle« Masochisten, wenn sie die Lust nicht in dem ihnen zugefügten
körperlichen Schmerz, sondern in der Demütigung und seelischen Peinigung
suchen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Personen Gegenwunsch-
und Unlustträume haben können, die für sie doch nichts anderes als
Wunscherfüllungen sind, Befriedigung ihrer masochistischen Neigungen.
Ich setze einen solchen Traum hieher: Ein junger Mann, der in früheren
Jahren seinen älteren Bruder, dem er homosexuell zugetan war, sehr
gequält hat, träumt nun nach gründlicher Charakterwandlung einen aus
drei Stücken bestehenden Traum. I. _Wie ihn sein älterer Bruder
»sekiert«._ II. _Wie zwei Erwachsene in homosexueller Absicht
miteinander schön tun._ III. _Der Bruder hat das Unternehmen verkauft,
dessen Leitung er sich für seine Zukunft vorbehalten hat._ Aus letzterem
Traume erwacht er mit den peinlichsten Gefühlen, und doch ist es ein
masochistischer Wunschtraum, dessen Übersetzung lauten könnte: es
geschähe mir ganz recht, wenn der Bruder mir jenen Verkauf antäte zur
Strafe für alle Quälereien, die er von mir ausgestanden hat.

 Der Traum eine verkleidete Erfüllung eines verdrängten Wunsches.

Ich hoffe, die vorstehenden Erwägungen und Beispiele werden genügen, um
es -- bis auf weiteren Einspruch -- glaubwürdig erscheinen zu lassen,
daß auch die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen
aufzulösen sind. Es wird auch niemand eine Äußerung des Zufalles darin
erblicken, daß man bei der Deutung dieser Träume jedesmal auf Themata
gerät, von denen man nicht gern spricht oder an die man nicht gern
denkt. Das peinliche Gefühl, welches solche Träume erwecken, ist wohl
einfach identisch mit dem Widerwillen, der uns von der Behandlung oder
Erwägung solcher Themata -- meist mit Erfolg -- abhalten möchte, und
welcher von jedem von uns überwunden werden muß, wenn wir uns genötigt
sehen, es doch in Angriff zu nehmen. Dieses im Traume also
wiederkehrende Unlustgefühl schließt aber das Bestehen eines Wunsches
nicht aus; es gibt bei jedem Menschen Wünsche, die er anderen nicht
mitteilen möchte, und Wünsche, die er sich selbst nicht eingestehen
will. Anderseits finden wir uns berechtigt, den Unlustcharakter all
dieser Träume mit der Tatsache der Traumentstellung in Zusammenhang zu
bringen und zu schließen, diese Träume seien gerade darum so entstellt
und die Wunscherfüllung in ihnen bis zur Unkenntlichkeit verkleidet,
weil ein Widerwillen, eine Verdrängungsabsicht gegen das Thema des
Traumes oder gegen den aus ihm geschöpften Wunsch besteht. Die
Traumentstellung erweist sich also tatsächlich als ein Akt der Zensur.
Allem, was die Analyse der Unlustträume zu Tage gefördert hat, tragen
wir aber Rechnung, wenn wir unsere Formel, die das Wesen des Traumes
ausdrücken soll, in folgender Art verändern: _Der Traum ist die
(verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten)
Wunsches(54)._

  (54) Ein großer unter den lebenden Dichtern, der, wie mir gesagt
  wurde, von Psychoanalyse und Traumdeutung nichts wissen will, findet
  doch aus Eigenem eine fast identische Formel für das Wesen des
  Traumes: »Unbefugtes Auftauchen unterdrückter Sehnsuchtswünsche unter
  falschem Antlitz und Namen.« C. _Spitteler_, Meine frühesten
  Erlebnisse (Süddeutsche Monatshefte, Oktober 1913).

  Vorgreifend führe ich hier die von _Otto Rank_ herrührende Erweiterung
  und Modifikation der obigen Grundformel an: »Der Traum stellt
  regelmäßig auf der Grundlage und mit Hilfe verdrängten infantil-sexuellen
  Materials aktuelle, in der Regel auch erotische Wünsche
  in verhüllter und symbolisch eingekleideter Form als erfüllt
  dar.« (»Ein Traum, der sich selbst deutet.«)

Nun erübrigen noch die Angstträume als besondere Unterart der Träume mit
peinlichem Inhalt, deren Auffassung als Wunschträume bei dem
Unaufgeklärten die geringste Bereitwilligkeit begegnen wird. Doch kann
ich die Angstträume hier ganz kurz abtun; es ist nicht eine neue Seite
des Traumproblems, die sich uns in ihnen zeigen würde, sondern es
handelt sich bei ihnen um das Verständnis der neurotischen Angst
überhaupt. Die Angst, die wir im Traume empfinden, ist nur scheinbar
durch den Inhalt des Traumes erklärt. Wenn wir den Trauminhalt der
Deutung unterziehen, merken wir, daß die Traumangst durch den Inhalt des
Traumes nicht besser gerechtfertigt wird als etwa die Angst einer Phobie
durch die Vorstellung, an welcher die Phobie hängt. Es ist z. B. zwar
richtig, daß man aus dem Fenster stürzen kann und darum Ursache hat,
sich beim Fenster einer gewissen Vorsicht zu befleißen, aber es ist
nicht zu verstehen, warum bei der entsprechenden Phobie die Angst so
groß ist und den Kranken weit über ihre Anlässe hinaus verfolgt.
Dieselbe Aufklärung erweist sich dann als gültig für die Phobie wie für
den Angsttraum. Die Angst ist beidemal an die sie begleitende
Vorstellung nur _angelötet_ und stammt aus anderer Quelle.

Wegen dieses intimen Zusammenhanges der Traumangst mit der Neurosenangst
muß ich hier bei der Erörterung der ersteren auf die letztere verweisen.
In einem kleinen Aufsatze über die »Angstneurose« (Neurolog.
Zentralblatt, 1895) habe ich seinerzeit behauptet, daß die neurotische
Angst aus dem Sexualleben stammt und einer von ihrer Bestimmung
abgelenkten, nicht zur Verwendung gelangten Libido entspricht. Diese
Formel hat sich seither immer mehr als stichhaltig erwiesen. Aus ihr
läßt sich nun der Satz ableiten, daß die Angstträume Träume sexuellen
Inhaltes sind, deren zugehörige Libido eine Verwandlung in Angst
erfahren hat. Es wird sich späterhin die Gelegenheit ergeben, diese
Behauptung durch die Analyse einiger Träume bei Neurotikern zu
unterstützen. Auch werde ich bei weiteren Versuchen, mich einer Theorie
des Traumes zu nähern, nochmals auf die Bedingung der Angstträume und
deren Verträglichkeit mit der Wunscherfüllungstheorie zu sprechen
kommen.



V.

Das Traummaterial und die Traumquellen.


Als wir aus der Analyse des Traumes von Irmas Injektion ersehen hatten,
daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, nahm uns zunächst das Interesse
gefangen, ob wir hiemit einen allgemeinen Charakter des Traumes
aufgedeckt haben, und wir brachten vorläufig jede andere
wissenschaftliche Neugierde zum Schweigen, die sich in uns während jener
Deutungsarbeit geregt haben mochte. Nachdem wir jetzt auf dem einen Wege
zum Ziele gelangt sind, dürfen wir zurückkehren und einen neuen
Ausgangspunkt für unsere Streifungen durch die Probleme des Traumes
wählen, sollten wir darüber auch das noch keineswegs voll erledigte
Thema der Wunscherfüllung für eine Weile aus den Augen verlieren.

Seitdem wir durch Anwendung unseres Verfahrens der Traumdeutung einen
_latenten_ Trauminhalt aufdecken können, der an Bedeutsamkeit den
_manifesten_ Trauminhalt weit hinter sich läßt, muß es uns drängen, die
einzelnen Traumprobleme von neuem aufzunehmen, um zu versuchen, ob sich
für uns nicht Rätsel und Widersprüche befriedigend lösen, die, solange
man nur den manifesten Trauminhalt kannte, unangreifbar erschienen sind.

Die Angaben der Autoren über den Zusammenhang des Traumes mit dem
Wachleben sowie über die Herkunft des Traummaterials sind im
einleitenden Abschnitt ausführlich mitgeteilt worden. Wir erinnern uns
auch jener drei Eigentümlichkeiten des Traumgedächtnisses, die so
vielfach bemerkt, aber nicht erklärt worden sind:

1. Daß der Traum die Eindrücke der letzten Tage deutlich bevorzugt
(_Robert_, _Strümpell_, _Hildebrandt_, auch _Weed-Hallam_);

2. daß er eine Auswahl nach anderen Prinzipien als unser Wachgedächtnis
trifft, indem er nicht das Wesentliche und Wichtige, sondern das
Nebensächliche und Unbeachtete erinnert.

3. daß er die Verfügung über unsere frühesten Kindheitseindrücke besitzt
und selbst Einzelheiten aus dieser Lebenszeit hervorholt, die uns
wiederum als trivial erscheinen und im Wachen für längst vergessen
gehalten worden sind(55).

  (55) Es ist klar, daß die Auffassung _Roberts_, der Traum sei dazu
  bestimmt, unser Gedächtnis von den wertlosen Eindrücken des Tages zu
  entlasten, nicht mehr zu halten ist, wenn im Traume einigermaßen
  häufig gleichgültige Erinnerungsbilder aus unserer Kindheit auftreten.
  Man müßte den Schluß ziehen, daß der Traum die ihm zufallende Aufgabe
  sehr ungenügend zu erfüllen pflegt.

Diese Besonderheiten in der Auswahl des Traummaterials sind von den
Autoren natürlich am manifesten Trauminhalt beobachtet worden.


a) _Das Rezente und das Indifferente im Traume_.

Wenn ich jetzt in Betreff der Herkunft der im Trauminhalt auftretenden
Elemente meine eigene Erfahrung zu Rate ziehe, so muß ich zunächst die
Behauptung aufstellen, daß in jedem Traume eine Anknüpfung an die
Erlebnisse des _letztabgelaufenen Tages_ aufzufinden ist. Welchen Traum
immer ich vornehme, einen eigenen oder fremden, jedesmal bestätigt sich
mir diese Erfahrung. In Kenntnis dieser Tatsache kann ich etwa die
Traumdeutung damit beginnen, daß ich zuerst nach dem Erlebnisse des
Tages forsche, welches den Traum angeregt hat; für viele Fälle ist dies
sogar der nächste Weg. An den beiden Träumen, die ich im vorigen
Abschnitt einer genauen Analyse unterzogen habe (von Irmas Injektion,
von meinem Onkel mit dem gelben Barte), ist die Beziehung zum Tage so
augenfällig, daß sie keiner weiteren Beleuchtung bedarf. Um aber zu
zeigen, wie regelmäßig sich diese Beziehung erweisen läßt, will ich ein
Stück meiner eigenen Traumchronik daraufhin untersuchen. Ich teile die
Träume nur soweit mit, als es zur Aufdeckung der gesuchten Traumquelle
bedarf.

1. Ich mache einen Besuch in einem Hause, wo ich nur mit Schwierigkeiten
vorgelassen werde usw., lasse eine Frau unterdessen auf mich _warten_.

_Quelle_: Gespräch mit einer Verwandten am Abend, daß eine Anschaffung,
die sie verlangt, _warten_ müsse, bis usw.

2. Ich habe eine _Monographie_ über eine gewisse (unklar) Pflanzenart
geschrieben.

_Quelle_: Am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung eine
_Monographie_ gesehen über die Gattung Zyklamen.

3. Ich sehe zwei Frauen auf der Straße, _Mutter und Tochter_, von denen
die letztere meine Patientin war.

_Quelle_: Eine in Behandlung stehende Patientin hat mir abends
mitgeteilt, welche Schwierigkeiten ihre _Mutter_ einer Fortsetzung der
Behandlung entgegenstellt.

4. In der Buchhandlung von S. und R. nehme ich ein Abonnement auf eine
periodische Publikation, die jährlich 20 fl. kostet.

_Quelle_: Meine Frau hat mich am Tage daran erinnert, daß ich ihr 20 fl.
vom Wochengelde noch schuldig bin.

5. Ich erhalte eine _Zuschrift_ vom sozialdemokratischen Komitee, in der
ich als Mitglied behandelt werde.

_Quelle_: _Zuschriften_ erhalten gleichzeitig vom liberalen Wahlkomitee
und vom Präsidium des humanitären Vereines, dessen Mitglied ich wirklich
bin.

6. Ein Mann auf einem _steilen Felsen mitten im Meere_ in _Böcklin_scher
Manier.

_Quelle_: _Dreyfus_ auf der _Teufelsinsel_, gleichzeitig Nachrichten von
meinen Verwandten in _England_ usw.

 Die Frage der Periodizität in Träumen.

Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Traumanknüpfung unfehlbar an die
Ereignisse des letzten Tages erfolgt, oder ob sie sich auf Eindrücke
eines längeren Zeitraumes der jüngsten Vergangenheit erstrecken kann.
Dieser Gegenstand kann prinzipielle Bedeutsamkeit wahrscheinlich nicht
beanspruchen, doch möchte ich mich für das ausschließliche Vorrecht des
letzten Tages vor dem Traume (des Traumtages) entscheiden. So oft ich zu
finden vermeinte, daß ein Eindruck vor zwei oder drei Tagen die Quelle
des Traumes gewesen sei, konnte ich mich doch bei genauerer
Nachforschung überzeugen, daß jener Eindruck am Vortage wieder erinnert
worden war, daß also eine nachweisbare Reproduktion am Vortage sich
zwischen dem Ereignistage und der Traumzeit eingeschoben hatte, und
konnte außerdem den rezenten Anlaß nachweisen, von dem die Erinnerung an
den älteren Eindruck ausgegangen sein konnte. Hingegen konnte ich mich
nicht davon überzeugen, daß zwischen dem erregenden Tageseindruck und
dessen Wiederkehr im Traume ein regelmäßiges Intervall von biologischer
Bedeutsamkeit (als erstes dieser Art nennt H. _Swoboda_ 18 Stunden)
eingeschoben ist(56). Auch H. _Ellis_, der dieser Frage Aufmerksamkeit
geschenkt hat, gibt an, daß er eine solche Periodizität der Reproduktion
in seinen Träumen »trotz des Achtens darauf« nicht finden konnte. Er
erzählt einen Traum, in welchem er sich in Spanien befand und nach einem
Ort: _Daraus_, _Varaus_ oder _Zaraus_ fahren wollte. Erwacht, konnte er
sich an einen solchen Ortsnamen nicht erinnern und legte den Traum bei
Seite. Einige Monate später fand er tatsächlich den Namen _Zaraus_ als
den einer Station zwischen _San Sebastian_ und _Bilboa_, welche er 250
Tage vor dem Traume mit dem Zuge passiert hatte (p. 227).

  (56) H. _Swoboda_ hat, wie im ersten Abschnitt p. 71 mitgeteilt, die
  von W. _Fließ_ gefundenen biologischen Intervalle von 23 und 28 Tagen
  im weiten Ausmaße auf das seelische Geschehen übertragen und
  insbesondere behauptet, daß diese Zeiten für das Auftauchen der
  Traumelemente in den Träumen entscheidend sind. Die Traumdeutung würde
  nicht wesentlich abgeändert, wenn sich solches nachweisen ließe, aber
  für die Herkunft des Traummaterials ergäbe sich eine neue Quelle. Ich
  habe nun neuerdings einige Untersuchungen an eigenen Träumen
  angestellt, um die Anwendbarkeit der »Periodenlehre« auf das
  Traummaterial zu prüfen und habe hiezu besonders auffällige Elemente
  des Trauminhaltes gewählt, deren Auftreten im Leben sich zeitlich mit
  Sicherheit bestimmen ließ.

  I. Traum vom 1./2. Oktober 1910.

  (Bruchstück) . . . Irgendwo in Italien. Drei Töchter zeigen mir kleine
  Kostbarkeiten, wie in einem Antiquarladen, setzen sich mir dabei auf
  den Schoß. Bei einem der Stücke sage ich: Das haben Sie ja von mir.
  Ich sehe dabei deutlich eine kleine Profilmaske mit den scharf
  geschnittenen Zügen _Savonarolas_.

  Wann habe ich zuletzt das Bild _Savonarolas_ gesehen? Ich war nach dem
  Ausweis meines Reisetagebuches am 4. und 5. September in Florenz; dort
  dachte ich daran, meinem Reisebegleiter das Medaillon mit den Zügen
  des fanatischen Mönchs im Pflaster der Piazza Signoria an der Stelle,
  wo er den Tod durch Verbrennung fand, zu zeigen, und ich meine, am 5.
  vormittags machte ich ihn auf dasselbe aufmerksam. Von diesem Eindruck
  bis zur Wiederkehr im Traume sind allerdings 27 + 1 Tage verflossen,
  eine »weibliche Periode« nach _Fließ_. Zum Unglück für die Beweiskraft
  dieses Beispieles muß ich aber erwähnen, daß _an dem Traumtage selbst_
  der tüchtige, aber düster blickende Kollege bei mir war (das erste Mal
  seit meiner Rückkunft), für den ich vor Jahren schon den Scherznamen
  »Rabbi Savonarola« aufgebracht habe. Er stellte mir einen
  Unfallkranken vor, der in dem Pontebbazug verunglückt war, in dem ich
  selbst acht Tage vorher gereist war, und leitete so meine Gedanken zur
  letzten Italienreise zurück. Das Erscheinen des auffälligen Elementes
  »_Savonarola_« im Trauminhalt ist durch diesen Besuch des Kollegen am
  Traumtage aufgeklärt, das 28 tägige Intervall wird seiner Bedeutung
  für dessen Herleitung verlustig.

  II. Traum vom 10./11. Oktober.

  Ich arbeite wieder einmal Chemie im Universitätslaboratorium. Hofrat
  L. lädt mich ein, an einen anderen Ort zu kommen und geht auf dem
  Korridor voran, eine Lampe oder sonst ein Instrument wie scharfsinnig
  (?) (scharfsichtig?) in der erhobenen Hand vor sich hintragend, in
  eigentümlicher Haltung mit vorgestrecktem Kopf. Wir kommen dann über
  einen freien Platz . . . (Rest vergessen).

  Das Auffälligste in diesem Trauminhalt ist die Art, wie Hofrat L. die
  Lampe (oder Lupe) vor sich hinträgt, das Auge spähend in die Weite
  gerichtet. L. habe ich viele Jahre lang nicht mehr gesehen, aber ich
  weiß jetzt schon, er ist nur eine Ersatzperson für einen anderen,
  größeren, für den _Archimedes_ nahe bei der Arethusaquelle in
  _Syrakus_, der genau so wie er im Traume dasteht und so den
  Brennspiegel handhabt, nach dem Belagerungsheer der Römer spähend.
  Wann habe ich dieses Denkmal zuerst (und zuletzt) gesehen? Nach meinen
  Aufzeichnungen war es am 17. September abends und von diesem Datum bis
  zum Traume sind tatsächlich 13 + 10 = 23 Tage verstrichen, eine
  »männliche Periode« nach _Fließ_.

  Leider hebt das Eingehen auf die Deutung des Traumes auch hier ein
  Stück von der Unerläßlichkeit dieses Zusammenhanges auf. Der
  Traumanlaß war die am Traumtag erhaltene Nachricht, daß die Klinik, in
  deren Hörsaal ich als Gast meine Vorlesungen abhalte, demnächst
  anderswohin verlegt werden solle. Ich nahm an, daß die neue Lokalität
  sehr unbequem gelegen sei, sagte mir, es werde dann sein, als ob ich
  überhaupt keinen Hörsaal zur Verfügung habe und von da an müßten meine
  Gedanken bis in den Beginn meiner Dozentenzeit zurückgegangen sein,
  als ich wirklich keinen Hörsaal hatte und mit meinen Bemühungen, mir
  einen zu verschaffen, auf geringes Entgegenkommen bei den
  hochvermögenden Herren Hofräten und Professoren stieß. Ich ging damals
  zu L., der gerade die Würde eines Dekans bekleidete und den ich für
  einen Gönner hielt, um ihm meine Not zu klagen. Er versprach mir
  Abhilfe, ließ aber dann nichts weiter von sich hören. Im Traum ist er
  der Archimedes, der mir gibt, ποῦ στῶ und mich selbst in die andere
  Lokalität geleitet. Daß den Traumgedanken weder Rachsucht noch
  Größenbewußtsein fremd sind, wird der Deutungskundige leicht erraten.
  Ich muß aber urteilen, daß ohne diesen Traumanlaß der Archimedes kaum
  in den Traum dieser Nacht gelangt wäre; es bleibt mir unsicher, ob der
  starke und noch rezente Eindruck der Statue in Siracusa sich nicht
  auch bei einem anderen Zeitintervall geltend gemacht hätte.

  III. Traum vom 2./3. Oktober 1910.

  (Bruchstück) . . . Etwas von Prof. _Oser_, der selbst das Menu für
  mich gemacht hat, was sehr beruhigend wirkt (anderes vergessen).

  Der Traum ist die Reaktion auf eine Verdauungsstörung dieses Tages,
  die mich erwägen ließ, ob ich mich nicht wegen Bestimmung einer Diät
  an einen Kollegen wenden solle. Daß ich im Traum den im Sommer
  verstorbenen _Oser_ dazu bestimme, knüpft an den sehr kurz vorher (1.
  Oktober) erfolgten Tod eines anderen von mir hochgeschätzten
  Universitätslehrers an. Wann ist aber _Oser_ gestorben und wann habe
  ich seinen Tod erfahren? Nach dem Ausweis des Zeitungsblattes am 22.
  August; da ich damals in Holland weilte, wohin ich die Wiener Zeitung
  regelmäßig nachsenden ließ, muß ich die Todesnachricht am 24. oder 25.
  August gelesen haben. Dieses Intervall entspricht aber keiner Periode
  mehr, es umfaßt 7 + 30 + 2 = 39 Tage oder vielleicht 40 Tage. Ich kann
  mich nicht besinnen, in der Zwischenzeit von _Oser_ gesprochen oder an
  ihn gedacht zu haben.

  Solche für die Periodenlehre nicht mehr ohne weitere Bearbeitung
  brauchbare Intervalle ergeben sich nun aus meinen Träumen ungleich
  häufiger als die regulären. Konstant finde ich nur die im Text
  behauptete Beziehung zu einem Eindrucke des Traumtages selbst.

Ich meine also, es gibt für jeden Traum einen Traumerreger aus jenen
Erlebnissen, über die »man noch keine Nacht geschlafen hat«.

Die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit (mit Ausschluß des Tages vor
der Traumnacht) zeigen also keine andersartige Beziehung zum Trauminhalt
als andere Eindrücke aus beliebig ferner liegenden Zeiten. Der Traum
kann sein Material aus jeder Zeit des Lebens wählen, wofern nur von den
Erlebnissen des Traumtages (den »rezenten« Eindrücken) zu diesen
früheren ein Gedankenfaden reicht.

 Der Traum von der botanischen Monographie.

Woher aber die Bevorzugung der rezenten Eindrücke? Wir werden zu
Vermutungen über diesen Punkt gelangen, wenn wir einen der erwähnten
Träume einer genaueren Analyse unterziehen. Ich wähle den Traum von der
Monographie.

_Trauminhalt_: _Ich habe eine Monographie über eine gewisse Pflanze
geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine
eingeschlagene farbige Tafel um. Jedem Exemplar ist ein getrocknetes
Spezimen der Pflanze beigebunden, ähnlich wie aus einem Herbarium._

_Analyse_: Ich habe am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung ein
neues Buch gesehen, welches sich betitelt: Die Gattung Zyklamen,
offenbar eine Monographie über diese Pflanze.

Zyklamen ist die _Lieblingsblume_ meiner Frau. Ich mache mir Vorwürfe,
daß ich so selten daran denke, _ihr Blumen mitzubringen_, wie sie sich's
wünscht. -- Bei dem Thema: _Blumen mitbringen_ erinnere ich mich einer
Geschichte, welche ich unlängst im Freundeskreise erzählt und als Beweis
für meine Behauptung verwendet habe, daß Vergessen sehr häufig die
Ausführung einer Absicht des Unbewußten sei und immerhin einen Schluß
auf die geheime Gesinnung des Vergessenden gestatte. Eine junge Frau,
welche daran gewöhnt war, zu ihrem Geburtstage einen Strauß von ihrem
Manne vorzufinden, vermißt dieses Zeichen der Zärtlichkeit an einem
solchen Festtag und bricht darüber in Tränen aus. Der Mann kommt hinzu,
weiß sich ihr Weinen nicht zu erklären, bis sie ihm sagt: Heute ist mein
Geburtstag. Da schlägt er sich vor die Stirn, ruft aus: Entschuldige,
hab' ich doch ganz daran vergessen, und will fort, ihr _Blumen_ zu
holen. Sie läßt sich aber nicht trösten, denn sie sieht in der
Vergeßlichkeit ihres Mannes einen Beweis dafür, daß sie in seinen
Gedanken nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie einstens. -- Diese Frau L.
ist meiner Frau vor zwei Tagen begegnet, hat ihr mitgeteilt, daß sie
sich wohl fühlt, und sich nach mir erkundigt. Sie stand in früheren
Jahren in meiner Behandlung.

Ein neuer Ansatz: Ich habe wirklich einmal etwas Ähnliches geschrieben
wie eine _Monographie_ über eine Pflanze, nämlich einen Aufsatz über die
_Kokapflanze_, welcher die Aufmerksamkeit von K. _Koller_ auf die
anästhesierende Eigenschaft des Kokains gelenkt hat. Ich hatte diese
Verwendung des Alkaloids in meiner Publikation selbst angedeutet, war
aber nicht gründlich genug, die Sache weiter zu verfolgen. Dazu fällt
mir ein, daß ich am Vormittag des Tages nach dem Traume (zu dessen
Deutung ich erst abends Zeit fand) des Kokains in einer Art von
Tagesphantasie gedacht habe. Wenn ich je Glaukom bekommen sollte, würde
ich nach Berlin reisen und mich dort bei meinem Berliner Freunde von
einem Arzte, den er mir empfiehlt, inkognito operieren lassen. Der
Operateur, der nicht wüßte, an wem er arbeitet, würde wieder einmal
rühmen, wie leicht sich diese Operationen seit der Einführung des
Kokains gestaltet haben; ich würde durch keine Miene verraten, daß ich
an dieser Entdeckung selbst einen Anteil habe. An diese Phantasie
schlossen sich Gedanken an, wie unbequem es doch für den Arzt sei,
ärztliche Leistungen von Seite der Kollegen für seine Person in Anspruch
zu nehmen. Den Berliner Augenarzt, der mich nicht kennt, würde ich wie
ein anderer entlohnen können. Nachdem dieser Tagtraum mir in den Sinn
gekommen, merke ich erst, daß sich die Erinnerung an ein bestimmtes
Erlebnis hinter ihm verbirgt. Kurz nach der Entdeckung _Kollers_ war
nämlich mein Vater an Glaukom erkrankt; er wurde von meinem Freunde, dem
Augenarzte Dr. _Königstein_, operiert, Dr. _Koller_ besorgte die
Kokainanästhesie und machte dann die Bemerkung, daß bei diesem Falle
sich alle die drei Personen vereinigt fänden, die an der Einführung des
Kokains Anteil gehabt haben.

Meine Gedanken gehen nun weiter, wann ich zuletzt an diese Geschichte
des Kokains erinnert worden bin. Es war dies vor einigen Tagen, als ich
die Festschrift in die Hand bekam, mit deren Erscheinen dankbare Schüler
das Jubiläum ihres Lehrers und Laboratoriumsvorstandes gefeiert hatten.
Unter den Ruhmestiteln des Laboratoriums fand ich auch angeführt, daß
dort die Entdeckung der anästhesierenden Eigenschaft des Kokains durch
K. _Koller_ vorgefallen sei. Ich bemerke nun plötzlich, daß mein Traum
mit einem Erlebnis des Abends vorher zusammenhängt. Ich hatte gerade
Doktor _Königstein_ nach Hause begleitet, mit dem ich in ein Gespräch
über eine Angelegenheit geraten war, die mich jedesmal, wenn sie berührt
wird, lebhaft erregt. Als ich mich in dem Hausflure mit ihm aufhielt,
kam Professor _Gärtner_ mit seiner jungen Frau hinzu. Ich konnte mich
nicht enthalten, die beiden darüber zu beglückwünschen, wie _blühend_
sie aussehen. Nun ist Professor _Gärtner_ einer der Verfasser der
Festschrift, von der ich eben sprach, und konnte mich wohl an diese
erinnern. Auch die Frau L., deren Geburtstagsenttäuschung ich unlängst
erzählte, war im Gespräche mit Dr. _Königstein_, in anderem
Zusammenhange allerdings, erwähnt worden.

Ich will versuchen, auch die anderen Bestimmungen des Trauminhaltes zu
deuten. Ein _getrocknetes Spezimen_ der Pflanze liegt der Monographie
bei, als ob es ein _Herbarium_ wäre. Ans Herbarium knüpft sich eine
Gymnasialerinnerung. Unser Gymnasialdirektor rief einmal die Schüler der
höheren Klassen zusammen, um ihnen das Herbarium der Anstalt zur
Durchsicht und zur Reinigung zu übergeben. Es hatten sich kleine
_Würmer_ eingefunden -- _Bücherwurm_. Zu meiner Hilfeleistung scheint er
nicht Zutrauen gezeigt zu haben, denn er überließ mir nur wenige
Blätter. Ich weiß noch heute, daß Kruziferen darauf waren. Ich hatte
niemals ein besonders intimes Verhältnis zur Botanik. Bei meiner
botanischen Vorprüfung bekam ich wiederum eine Kruzifere zur Bestimmung
und -- erkannte sie nicht. Es wäre mir schlecht ergangen, wenn nicht
meine theoretischen Kenntnisse mir herausgeholfen hätten. -- Von den
Kruziferen gerate ich auf die Kompositen. Eigentlich ist auch die
Artischocke eine Komposite, und zwar die, welche ich _meine
Lieblingsblume_ heißen könnte. Edler als ich, pflegt meine Frau mir
diese Lieblingsblume häufig vom Markte heimzubringen.

Ich sehe die Monographie _vor mir liegen_, die ich geschrieben habe.
Auch dies ist nicht ohne Bezug. Mein visueller Freund schrieb mir
gestern aus Berlin: »Mit deinem Traumbuche beschäftige ich mich sehr
viel. _Ich sehe es fertig vor mir liegen und blättere darin._« Wie habe
ich ihn um diese Sehergabe beneidet! Wenn ich es doch auch schon fertig
vor mir liegen sehen könnte!

_Die zusammengelegte farbige Tafel_: Als ich Student der Medizin war,
litt ich viel unter dem Impuls, nur aus _Monographien_ lernen zu wollen.
Ich hielt mir damals, trotz meiner beschränkten Mittel, mehrere
medizinische Archive, deren _farbige Tafeln_ mein Entzücken waren. Ich
war stolz auf diese Neigung zur Gründlichkeit. Als ich dann selbst zu
publizieren begann, mußte ich auch die Tafeln für meine Abhandlungen
zeichnen und ich weiß, daß eine derselben so kümmerlich ausfiel, daß
mich ein wohlwollender Kollege ihretwegen verhöhnte. Dazu kommt noch,
ich weiß nicht recht wie, eine sehr frühe Jugenderinnerung. Mein Vater
machte sich einmal den Scherz, mir und meiner ältesten Schwester ein
Buch mit _farbigen Tafeln_ (Beschreibung einer Reise in Persien) zur
Vernichtung zu überlassen. Es war erziehlich kaum zu rechtfertigen. Ich
war damals fünf Jahre, die Schwester unter drei Jahren alt, und das
Bild, wie wir Kinder überselig dieses Buch zerpflückten (_wie eine
Artischocke_, Blatt für Blatt, muß ich sagen), ist nahezu das einzige,
was mir aus dieser Lebenszeit in plastischer Erinnerung geblieben ist.
Als ich dann Student wurde, entwickelte sich bei mir eine ausgesprochene
Vorliebe, Bücher zu sammeln und zu besitzen (analog der Neigung, aus
Monographien zu studieren, eine _Liebhaberei_, wie sie in den
Traumgedanken betreffs Zyklamen und Artischocke bereits vorkommt). Ich
wurde ein _Bücherwurm_ (vgl. _Herbarium_). Ich habe diese erste
Leidenschaft meines Lebens, seitdem ich über mich nachdenke, immer auf
diesen Kindereindruck zurückgeführt oder vielmehr, ich habe erkannt, daß
diese Kinderszene eine »Deckerinnerung« für meine spätere Bibliophilie
ist(57). Natürlich habe ich auch frühzeitig erfahren, daß man durch
Leidenschaften leicht in Leiden gerät. Als ich 17 Jahre alt war, hatte
ich ein ansehnliches Konto beim Buchhändler und keine Mittel, es zu
begleichen, und mein Vater ließ es kaum als Entschuldigung gelten, daß
sich meine Neigungen auf nichts Böseres geworfen hatten. Die Erwähnung
dieses späteren Jugenderlebnisses bringt mich aber sofort zu dem
Gespräche mit meinem Freunde Dr. _Königstein_ zurück. Denn um dieselben
Vorwürfe wie damals, daß ich meinen _Liebhabereien_ zuviel nachgebe,
handelte es sich auch im Gespräche am Abend des Traumtages.

  (57) Vergleiche meinen Aufsatz »Über Deckerinnerungen« in der
  Monatschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1899.

Aus Gründen, die nicht hieher gehören, will ich die Deutung dieses
Traumes nicht verfolgen, sondern bloß den Weg angeben, welcher zu ihr
führt. Während der Deutungsarbeit bin ich an das Gespräch mit Dr.
_Königstein_ erinnert worden, und zwar von mehr als einer Stelle aus.
Wenn ich mir vorhalte, welche Dinge in diesem Gespräche berührt worden
sind, so wird der Sinn des Traumes mir verständlich. Alle angefangenen
Gedankengänge, von den Liebhabereien meiner Frau und meinen eigenen, vom
Kokain, von den Schwierigkeiten ärztlicher Behandlung unter Kollegen,
von meiner Vorliebe für monographische Studien und meiner
Vernachlässigung gewisser Fächer wie der Botanik, dies alles erhält dann
seine Fortsetzung und mündet in irgend einen der Fäden der
vielverzweigten Unterredung ein. Der Traum bekömmt wieder den Charakter
einer Rechtfertigung, eines Plaidoyers für mein Recht, wie der erst
analysierte Traum von Irmas Injektion; ja er setzt das dort begonnene
Thema fort und erörtert es an einem neuen Material, welches im Intervall
zwischen beiden Träumen hinzugekommen ist. Selbst die scheinbar
indifferente Ausdrucksform des Traumes bekömmt einen Akzent. Es heißt
jetzt: Ich bin doch der Mann, der die wertvolle und erfolgreiche
Abhandlung (über das Kokain) geschrieben hat, ähnlich wie ich damals zu
meiner Rechtfertigung vorbrachte: Ich bin doch ein tüchtiger und
fleißiger Student; in beiden Fällen also: Ich darf mir das erlauben. Ich
kann aber auf die Ausführung der Traumdeutung hier verzichten, weil mich
zur Mitteilung des Traumes nur die Absicht bewogen hat, an einem
Beispiele die Beziehung des Trauminhaltes zu dem erregenden Erlebnis des
Vortages zu untersuchen. So lange ich von diesem Traume nur den
manifesten Inhalt kenne, wird mir nur eine Beziehung des Traumes zu
einem Tageseindruck augenfällig; nachdem ich die Analyse gemacht habe,
ergibt sich eine zweite Quelle des Traumes in einem anderen Erlebnis
desselben Tages. Der erste der Eindrücke, auf welche sich der Traum
bezieht, ist ein gleichgültiger, ein Nebenumstand. Ich sehe im
Schaufenster ein Buch, dessen Titel mich flüchtig berührt, dessen Inhalt
mich kaum interessieren dürfte. Das zweite Erlebnis hatte einen hohen
psychischen Wert; ich habe mit meinem Freunde, dem Augenarzt, wohl eine
Stunde lang eifrig gesprochen, ihm Andeutungen gemacht, die uns beiden
nahegehen mußten, und Erinnerungen in mir wachgerufen, bei denen die
mannigfaltigsten Erregungen meines Innern mir bemerklich wurden.
Überdies wurde dieses Gespräch unvollendet abgebrochen, weil Bekannte
hinzukamen. Wie stehen nun die beiden Eindrücke des Tages zueinander und
zu dem in der Nacht erfolgenden Traum?

Im Trauminhalt finde ich nur eine Anspielung auf den gleichgültigen
Eindruck und kann so bestätigen, daß der Traum mit Vorliebe
Nebensächliches aus dem Leben in seinen Inhalt aufnimmt. In der
Traumdeutung hingegen führt alles auf das wichtige, mit Recht erregende
Erlebnis hin. Wenn ich den Sinn des Traumes, wie es einzig richtig ist,
nach dem latenten, durch die Analyse zu Tage geförderten Inhalt
beurteile, so bin ich unversehens zu einer neuen und wichtigen
Erkenntnis gelangt. Ich sehe das Rätsel zerfallen, daß der Traum sich
nur mit den wertlosen Brocken des Tageslebens beschäftigt; ich muß auch
der Behauptung widersprechen, daß das Seelenleben des Wachens sich in
den Traum nicht fortsetzt, und der Traum dafür psychische Tätigkeit an
läppisches Material verschwendet. Das Gegenteil ist wahr; was uns bei
Tage in Anspruch genommen hat, beherrscht auch die Traumgedanken, und
wir geben uns die Mühe zu träumen nur bei solchen Materien, welche uns
bei Tage Anlaß zum Denken geboten hätten.

 Die Rolle des indifferenten rezenten Eindruckes.

Die naheliegendste Erklärung dafür, daß ich doch vom gleichgültigen
Tageseindruck träume, während der mit Recht aufregende mich zum Traume
veranlaßt hat, ist wohl die, daß hier wieder ein Phänomen der
Traumentstellung vorliegt, welche wir oben auf eine als Zensur waltende
psychische Macht zurückgeführt haben. Die Erinnerung an die Monographie
über die Gattung Zyklamen erfährt eine Verwendung, als ob sie eine
_Anspielung_ auf das Gespräch mit dem Freunde wäre, ganz ähnlich wie im
Traume von dem verhinderten Souper die Erwähnung der Freundin durch die
Anspielung »geräucherter Lachs« vertreten wird. Es fragt sich nur, durch
welche Mittelglieder kann der Eindruck der Monographie zu dem Gespräche
mit dem Augenarzt in das Verhältnis der Anspielung treten, da eine
solche Beziehung zunächst nicht ersichtlich ist. In dem Beispiele vom
verhinderten Souper ist die Beziehung von vornherein gegeben;
»geräucherter Lachs« als die Lieblingsspeise der Freundin gehört ohne
weiteres zu dem Vorstellungskreise, den die Person der Freundin bei der
Träumenden anzuregen vermag. In unserem neuen Beispiel handelt es sich
um zwei gesonderte Eindrücke, die zunächst nichts gemeinsam haben, als
daß sie am nämlichen Tage erfolgen. Die Monographie fällt mir am
Vormittage auf, das Gespräch führe ich dann am Abend. Die Antwort,
welche die Analyse an die Hand gibt, lautet: Solche erst nicht
vorhandene Beziehungen zwischen den beiden Eindrücken werden
nachträglich vom Vorstellungsinhalt des einen zum Vorstellungsinhalt des
anderen angesponnen. Ich habe die betreffenden Mittelglieder bereits bei
der Niederschrift der Analyse hervorgehoben. An die Vorstellung der
Monographie über Zyklamen würde ich ohne Beeinflussung von anderswoher
wohl nur die Idee knüpfen, daß diese die Lieblingsblume meiner Frau ist,
etwa noch die Erinnerung an den vermißten Blumenstrauß der Frau L. Ich
glaube nicht, daß diese Hintergedanken genügt hätten, einen Traum
hervorzurufen.

    »There needs no ghost, my lord, come from the grave
    To tell us this«

heißt es im _Hamlet_. Aber siehe da, in der Analyse werde ich daran
erinnert, daß der Mann, der unser Gespräch störte, _Gärtner_ hieß, daß
ich seine Frau _blühend_ fand; ja ich besinne mich eben jetzt
nachträglich, daß eine meiner Patientinnen, die den schönen Namen
_Flora_ trägt, eine Weile im Mittelpunkte unseres Gespräches stand. Es
muß so zugegangen sein, daß ich über diese Mittelglieder aus dem
botanischen Vorstellungskreis die Verknüpfung der beiden
Tageserlebnisse, des gleichgültigen und des aufregenden, vollzog. Dann
stellten sich weitere Beziehungen ein, die des Kokains, welche mit Fug
und Recht zwischen der Person des Dr. _Königstein_ und einer botanischen
Monographie, die ich geschrieben habe, vermitteln kann, und befestigten
diese Verschmelzung der beiden Vorstellungskreise zu einem, so daß nun
ein Stück aus dem ersten Erlebnis als Anspielung auf das zweite
verwendet werden konnte.

Ich bin darauf gefaßt, daß man diese Aufklärung als eine willkürliche
oder als eine gekünstelte anfechten wird. Was wäre geschehen, wenn
Professor _Gärtner_ mit seiner blühenden Frau nicht hinzugetreten wäre,
wenn die besprochene Patientin nicht _Flora_, sondern _Anna_ hieße? Und
doch ist die Antwort leicht. Wenn sich nicht diese Gedankenbeziehungen
ergeben hätten, so wären wahrscheinlich andere ausgewählt worden. Es ist
so leicht, derartige Beziehungen herzustellen, wie ja die Scherz- und
Rätselfragen, mit denen wir uns den Tag erheitern, zu beweisen vermögen.
Der Machtbereich des Witzes ist ein uneingeschränkter. Um einen Schritt
weiter zu gehen: wenn sich zwischen den beiden Eindrücken des Tages
keine genug ausgiebigen Mittelbeziehungen hätten herstellen lassen, so
wäre der Traum eben anders ausgefallen; ein anderer gleichgültiger
Eindruck des Tages, wie sie in Scharen an uns herantreten und von uns
vergessen werden, hätte für den Traum die Stelle der »Monographie«
übernommen, wäre in Verbindung mit dem Inhalt des Gespräches gelangt und
hätte dieses im Trauminhalt vertreten. Da kein anderer als der von der
Monographie dieses Schicksal hatte, so wird er wohl der für die
Verknüpfung passendste gewesen sein. Man braucht sich nie wie Hänschen
Schlau bei _Lessing_ darüber zu wundern, »daß nur die Reichen in der
Welt das meiste Geld besitzen«.

Der psychologische Vorgang, durch welchen nach unserer Darstellung das
gleichgültige Erlebnis zur Stellvertretung für das psychisch Wertvolle
gelangt, muß uns noch bedenklich und befremdend erscheinen. In einem
späteren Abschnitt werden wir uns vor der Aufgabe sehen, die
Eigentümlichkeiten dieser scheinbar inkorrekten Operation unserem
Verständnis näherzubringen. Hier haben wir es nur mit dem Erfolge des
Vorganges zu tun, zu dessen Annahme wir durch ungezählte und regelmäßig
wiederkehrende Erfahrungen bei der Traumanalyse gedrängt werden. Der
Vorgang ist aber so, als ob eine _Verschiebung_ -- sagen wir: des
psychischen Akzentes -- auf dem Wege jener Mittelglieder zu stande käme,
bis anfangs schwach mit Intensität geladene Vorstellungen durch
Übernahme der Ladung von den anfänglich intensiver besetzten zu einer
Stärke gelangen, welche sie befähigt, den Zugang zum Bewußtsein zu
erzwingen. Solche Verschiebungen wundern uns keineswegs, wo es sich um
die Anbringung von Affektgrößen oder überhaupt um motorische Aktionen
handelt. Daß die einsam gebliebene Jungfrau ihre Zärtlichkeit auf Tiere
überträgt, der Junggeselle leidenschaftlicher Sammler wird, daß der
Soldat einen Streifen farbigen Zeuges, die Fahne, mit seinem Herzblute
verteidigt, daß im Liebesverhältnis ein um Sekunden verlängerter
Händedruck Seligkeit erzeugt, oder im _Othello_ ein verlorenes
Schnupftuch einen Wutausbruch, das sind sämtlich Beispiele von
psychischen Verschiebungen, die uns unanfechtbar erscheinen. Daß aber
auf demselben Wege und nach denselben Grundsätzen eine Entscheidung
darüber gefällt wird, was in unser Bewußtsein gelangt und was ihm
vorenthalten bleibt, also was wir denken, das macht uns den Eindruck des
Krankhaften, und wir heißen es Denkfehler, wo es im Wachleben vorkommt.
Verraten wir hier als das Ergebnis später anzustellender Betrachtungen,
daß der psychische Vorgang, den wir in der Traumverschiebung erkannt
haben, sich zwar nicht als ein krankhaft gestörter, wohl aber als ein
vom normalen verschiedener, als ein Vorgang von mehr _primärer_ Natur
herausstellen wird.

 Die Traumentstellung.

Wir deuten somit die Tatsache, daß der Trauminhalt Reste von
nebensächlichen Erlebnissen aufnimmt, als eine Äußerung der
_Traumentstellung_ (durch Verschiebung) und erinnern daran, daß wir in
der Traumentstellung eine Folge der zwischen zwei psychischen Instanzen
bestehenden Durchgangszensur erkannt haben. Wir erwarten dabei, daß die
Traumanalyse uns regelmäßig die wirkliche, psychisch bedeutsame
Traumquelle aus dem Tagesleben aufdecken wird, deren Erinnerung ihren
Akzent auf die gleichgültige Erinnerung verschoben hat. Durch diese
Auffassung haben wir uns in vollen Gegensatz zu der Theorie von _Robert_
gebracht, die für uns unverwendbar geworden ist. Die Tatsache, welche
_Robert_ erklären wollte, besteht eben nicht; ihre Annahme beruht auf
einem Mißverständnis, auf der Unterlassung, für den scheinbaren
Trauminhalt den wirklichen Sinn des Traumes einzusetzen. Man kann noch
weiterhin gegen die Lehre von _Robert_ einwenden: Wenn der Traum
wirklich die Aufgabe hätte, unser Gedächtnis durch besondere psychische
Arbeit von den »Schlacken« der Tageserinnerung zu befreien, so müßte
unser Schlafen gequälter sein und auf angestrengtere Arbeit verwendet
werden, als wir es von unserem wachen Geistesleben behaupten können.
Denn die Anzahl der indifferenten Eindrücke des Tages, vor denen wir
unser Gedächtnis zu schützen hätten, ist offenbar unermeßlich groß; die
Nacht würde nicht hinreichen, die Summe zu bewältigen. Es ist sehr viel
wahrscheinlicher, daß das Vergessen der gleichgültigen Eindrücke ohne
aktives Eingreifen unserer seelischen Mächte vor sich geht.

Dennoch verspüren wir eine Warnung, von dem _Robert_schen Gedanken ohne
weitere Berücksichtigung Abschied zu nehmen. Wir haben die Tatsache
unerklärt gelassen, daß einer der indifferenten Eindrücke des Tages --
und zwar des letzten Tages -- regelmäßig einen Beitrag zum Trauminhalt
liefert. Die Beziehungen zwischen diesem Eindruck und der eigentlichen
Traumquelle im Unbewußten bestehen nicht immer von vornherein; wie wir
gesehen haben, werden sie erst nachträglich, gleichsam zum Dienste der
beabsichtigten Verschiebung, während der Traumarbeit hergestellt. Es muß
also eine Nötigung vorhanden sein, Verbindungen gerade nach der Richtung
des rezenten, obwohl gleichgültigen Eindruckes anzubahnen; dieser muß
eine besondere Eignung durch irgend eine Qualität dazu bieten. Sonst
wäre es ja ebenso leicht durchführbar, daß die Traumgedanken ihren
Akzent auf einen unwesentlichen Bestandteil ihres eigenen
Vorstellungskreises verschieben.

Folgende Erfahrungen können uns hier auf den Weg zur Aufklärung leiten.
Wenn uns ein Tag zwei oder mehr Erlebnisse gebracht hat, welche Träume
anzuregen würdig sind, so vereinigt der Traum die Erwähnung beider zu
einem einzigen Ganzen; er gehorcht einem _Zwang, eine Einheit aus ihnen
zu gestalten_; z. B.: Ich stieg eines Nachmittags im Sommer in ein
Eisenbahncoupé ein, in welchem ich zwei Bekannte traf, die einander aber
fremd waren. Der eine war ein einflußreicher Kollege, der andere ein
Angehöriger einer vornehmen Familie, in welcher ich ärztlich beschäftigt
war. Ich machte die beiden Herren miteinander bekannt; ihr Verkehr ging
aber während der langen Fahrt über mich, so daß ich bald mit dem einen,
bald mit dem anderen einen Gesprächstoff zu behandeln hatte. Den
Kollegen bat ich, einem gemeinsamen Bekannten, der eben seine ärztliche
Praxis begonnen hatte, seine Empfehlung zuzuwenden. Der Kollege
erwiderte, er sei von der Tüchtigkeit des jungen Mannes überzeugt, aber
sein unscheinbares Wesen werde ihm den Eingang in vornehme Häuser nicht
leicht werden lassen. Ich erwiderte: Gerade darum bedarf er der
Empfehlung. Bei dem anderen Mitreisenden erkundigte ich mich bald darauf
nach dem Befinden seiner Tante -- der Mutter einer meiner
Patientinnen --, welche damals schwer krank danieder lag. In der Nacht
nach dieser Reise träumte ich, mein junger Freund, für den ich die
Protektion erbeten hatte, befinde sich in einem eleganten Salon und
halte vor einer ausgewählten Gesellschaft, in die ich alle mir bekannten
vornehmen und reichen Leute versetzt hatte, mit weltmännischen Gesten
eine Trauerrede auf die (für den Traum bereits verstorbene) alte Dame,
welche die Tante des zweiten Reisegenossen war. (Ich gestehe offen, daß
ich mit dieser Dame nicht in guten Beziehungen gestanden hatte.) Mein
Traum hatte also wiederum Verknüpfungen zwischen beiden Eindrücken des
Tages aufgefunden und mittels derselben eine einheitliche Situation
komponiert.

 »Rapprochement forcé« der Traumreize.

Auf Grund vieler ähnlicher Erfahrungen muß ich den Satz aufstellen daß
für die Traumarbeit eine Art von Nötigung besteht, alle vorhandenen
Traumreizquellen zu einer Einheit im Traume zusammenzusetzen(58). Wir
werden diesen Zwang zur Zusammensetzung in einem späteren Abschnitt
(über die Traumarbeit) als ein Stück der _Verdichtung_, eines anderen
psychischen Primärvorganges, kennen lernen.

  (58) Die Neigung der Traumarbeit, gleichzeitig als interessant
  Vorhandenes in einer Behandlung zu verschmelzen, ist bereits von
  mehreren Autoren bemerkt worden, z. B. von _Delage_ (p. 41),
  _Delboeuf_: rapprochement forcé (p. 236); andere hübsche Beispiele bei
  H. _Ellis_ (p. 35 u. ff.) u. a.

Ich will jetzt die Frage in Erörterung ziehen, ob die traumerregende
Quelle, auf welche die Analyse hinführt, jedesmal ein rezentes (und
bedeutsames) Ereignis sein muß, oder ob ein inneres Erlebnis, also die
Erinnerung an ein psychisch wertvolles Ereignis, ein Gedankengang die
Rolle des Traumerregers übernehmen kann. Die Antwort, die sich aus
zahlreichen Analysen auf das bestimmteste ergibt, lautet im letzteren
Sinne. Der Traumerreger kann ein innerer Vorgang sein, der gleichsam
durch die Denkarbeit am Tage rezent geworden ist. Es wird jetzt wohl der
richtige Moment sein, die verschiedenen Bedingungen, welche die
Traumquellen erkennen lassen, in einem Schema zusammenzustellen.

Die Traumquelle kann sein:

a) Ein rezentes und psychisch bedeutsames Erlebnis, welches im Traume
direkt vertreten ist(59).

  (59) Traum von Irmas Injektion; Traum vom Freunde, der mein Onkel ist.

b) Mehrere rezente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den _Traum_ zu
einer Einheit vereinigt werden(60).

  (60) Traum von der Trauerrede des jungen Arztes.

c) Ein oder mehrere rezente und bedeutsame Erlebnisse, die im
Trauminhalt durch die Erwähnung eines gleichzeitigen, aber indifferenten
Erlebnisses vertreten werden(61).

  (61) Traum von der botanischen Monographie.

d) Ein inneres bedeutsames Erlebnis (Erinnerung, Gedankengang), welches
dann im Traume _regelmäßig_ durch die Erwähnung eines rezenten, aber
indifferenten Eindruckes vertreten wird(62).

  (62) Solcher Art sind die meisten Träume meiner Patienten während der
  Analyse.

Wie man sieht, wird für die Traumdeutung durchwegs die Bedingung
festgehalten, daß ein Bestandteil des Trauminhaltes einen rezenten
Eindruck des Vortages wiederholt. Dieser zur Vertretung im Traume
bestimmte Anteil kann entweder dem Vorstellungskreis des eigentlichen
Traumerregers selbst angehören, und zwar entweder als wesentlicher oder
als unwichtiger Bestandteil desselben -- oder er rührt aus dem Bereiche
eines indifferenten Eindruckes her, der durch mehr oder minder
reichliche Verknüpfung mit dem Kreise des Traumerregers in Beziehung
gebracht worden ist. Die scheinbare Mehrheit der Bedingungen kommt hier
nur durch die _Alternative_ zu stande, _daß eine Verschiebung
unterblieben oder vorgefallen_ ist, und wir merken hier, daß diese
Alternative uns dieselbe Leichtigkeit bietet, die Kontraste des Traumes
zu erklären, wie der medizinischen Theorie des Traumes die Reihe vom
partiellen bis zum vollen Wachen der Gehirnzellen (vgl. p. 57 f.).

Man bemerkt an dieser Reihe ferner, daß das psychisch wertvolle, aber
nicht rezente Element (der Gedankengang, die Erinnerung) für die Zwecke
der Traumbildung durch ein rezentes, aber psychisch indifferentes
Element ersetzt werden kann, wenn dabei nur die beiden Bedingungen
eingehalten werden, daß 1. der Trauminhalt eine Anknüpfung an das rezent
Erlebte erhält; 2. der Traumerreger ein psychisch wertvoller Vorgang
bleibt. In einem einzigen Falle (a) werden beide Bedingungen durch
denselben Eindruck erfüllt. Zieht man noch in Erwägung, daß dieselben
indifferenten Eindrücke, welche für den Traum verwertet werden, solange
sie rezent sind, diese Eignung einbüßen, sobald sie einen Tag (oder
höchstens mehrere) älter geworden sind, so muß man sich zur Annahme
entschließen, daß die Frische eines Eindruckes ihm an sich einen
gewissen psychischen Wert für die Traumbildung verleiht, welcher der
Wertigkeit affektbetonter Erinnerungen oder Gedankengänge irgendwie
gleichkommt. Wir werden erst bei späteren psychologischen Überlegungen
erraten können, worin dieser Wert _rezenter_ Eindrücke für die
Traumbildung begründet sein kann(63).

  (63) Vgl. im Abschnitt VII über die »Übertragung«.

Nebenbei wird hier unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß zur
Nachtzeit und von unserem Bewußtsein unbemerkt wichtige Veränderungen
mit unserem Erinnerungs- und Vorstellungsmaterial vor sich gehen können.
Die Forderung, eine Nacht über eine Angelegenheit zu schlafen, ehe man
sich endgültig über sie entscheidet, ist offenbar vollberechtigt. Wir
merken aber, daß wir an diesem Punkte aus der Psychologie des Träumens
in die des Schlafes übergegriffen haben, ein Schritt, zu welchem sich
der Anlaß noch öfter ergeben wird.

Es gibt nun einen Einwand, welcher die letzten Schlußfolgerungen
umzustoßen droht. Wenn indifferente Eindrücke nur solange sie rezent
sind in den Trauminhalt gelangen können, wie kommt es, daß wir im
Trauminhalt auch Elemente aus früheren Lebensperioden vorfinden, die zur
Zeit, da sie rezent waren -- nach _Strümpells_ Worten keinen psychischen
Wert besaßen, also längst vergessen sein sollten, Elemente also, die
weder frisch noch psychisch bedeutsam sind?

Dieser Einwand ist voll zu erledigen, wenn man sich auf die Ergebnisse
der Psychoanalyse bei Neurotikern stützt. Die Lösung lautet nämlich, daß
die Verschiebung, welche das psychisch wichtige Material durch
indifferentes ersetzt (für das Träumen wie für das Denken), hier bereits
in jenen frühen Lebensperioden stattgefunden hat und seither im
Gedächtnis fixiert worden ist. Jene ursprünglich indifferenten Elemente
sind eben nicht mehr indifferent, seitdem sie durch Verschiebung die
Wertigkeit vom psychisch bedeutsamen Material übernommen haben. Was
wirklich indifferent geblieben ist, kann auch nicht mehr im Traume
reproduziert werden.

 Es gibt keine »harmlosen« Träume.

Aus den vorstehenden Erörterungen wird man mit Recht schließen, daß ich
die Behauptung aufstelle, es gebe keine indifferenten Traumerreger, also
auch keine harmlosen Träume. Dies ist in aller Strenge und
Ausschließlichkeit meine Meinung, abgesehen von den Träumen der Kinder
und etwa den kurzen Traumreaktionen auf nächtliche Sensationen. Was man
sonst träumt, ist entweder manifest als psychisch bedeutsam zu erkennen,
oder es ist entstellt und dann erst nach vollzogener Traumdeutung zu
beurteilen, worauf es sich wiederum als bedeutsam zu erkennen gibt. Der
Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab; um Geringes lassen wir uns im
Schlafe nicht stören(64). Die scheinbar harmlosen Träume erweisen sich
als arg, wenn man sich um ihre Deutung bemüht; wenn man mir die
Redensart gestattet, sie haben es »faustdick hinter den Ohren«. Da dies
wiederum ein Punkt ist, bei dem ich Widerspruch erwarten darf, und da
ich gern die Gelegenheit ergreife, die Traumentstellung bei ihrer Arbeit
zu zeigen, will ich eine Reihe von »_harmlosen_« Träumen aus meiner
Sammlung hier der Analyse unterziehen.

  (64) H. _Ellis_, der liebenswürdigste Kritiker der »Traumdeutung«,
  schreibt (p. 169): »Da ist der Punkt, von dem an viele von uns nicht
  mehr im stande sein werden, F. weiter zu folgen.« Allein H. _Ellis_
  hat keine Analysen von Träumen angestellt und will nicht glauben, wie
  unberechtigt das Urteilen nach dem manifesten Trauminhalt ist.

 Beispiele von »harmlosen« Träumen.

I. Eine kluge und feine junge Dame, die aber auch im Leben zu den
Reservierten, zu den »stillen Wassern« gehört, erzählt: _Ich habe
geträumt, daß ich auf den Markt zu spät komme und beim Fleischhauer
sowie bei der Gemüsefrau nichts bekomme._ Gewiß ein harmloser Traum,
aber so sieht ein Traum nicht aus; ich lasse ihn mir detailliert
erzählen. Dann lautet der Bericht folgendermaßen: _Sie geht auf den
Markt mit ihrer Köchin, die den Korb trägt. Der Fleischhauer sagt ihr,
nachdem sie etwas verlangt hat: Das ist nicht mehr zu haben, und will
ihr etwas anderes geben mit der Bemerkung: Das ist auch gut. Sie lehnt
ab und geht zur Gemüsefrau. Die will ihr ein eigentümliches Gemüse
verkaufen, was in Bündeln zusammengebunden ist, aber schwarz von Farbe.
Sie sagt: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht._

Die Tagesanknüpfung des Traumes ist einfach genug. Sie war wirklich zu
spät auf den Markt gegangen und hatte nichts mehr bekommen. _Die
Fleischbank war schon geschlossen_, drängt sich einem als Beschreibung
des Erlebnisses auf. Doch halt, ist das nicht eine recht gemeine
Redensart, die -- oder vielmehr deren Gegenteil -- auf eine
Nachlässigkeit in der Kleidung eines Mannes geht? Die Träumerin hat
diese Worte übrigens nicht gebraucht, ist vielleicht ihnen ausgewichen;
suchen wir nach der Deutung der im Traume enthaltenen Einzelheiten.

Wo etwas im Traume den Charakter einer Rede hat, also gesagt oder gehört
wird, nicht bloß gedacht -- was sich meist sicher unterscheiden läßt --,
da stammt es von Reden des wachen Lebens her, die freilich als
Rohmaterial behandelt, zerstückelt, leise verändert, vor allem aber aus
dem Zusammenhange gerissen worden sind(65). Man kann bei der
Deutungsarbeit von solchen Reden ausgehen. Woher stammt also die Rede
des Fleischhauers: _Das ist nicht mehr zu haben_? Von mir selbst; ich
hatte ihr einige Tage vorher erklärt, »daß die ältesten Kindererlebnisse
_nicht mehr_ als solche _zu haben sind_, sondern durch ›Übertragungen‹
und Träume in der Analyse ersetzt werden«. Ich bin also der
Fleischhauer, und sie lehnt diese Übertragungen alter Denk- und
Empfindungsweisen auf die Gegenwart ab. -- Woher rührt ihre Trauerrede:
_Das kenne ich nicht_, das nehme ich nicht? Diese ist für die Analyse zu
zerteilen. »_Das kenne ich nicht_« hat sie selbst Tags vorher zu ihrer
Köchin gesagt, mit der sie einen Streit hatte, damals aber hinzugefügt:
_Benehmen Sie sich anständig._ Hier wird eine Verschiebung greifbar; von
den beiden Sätzen, die sie gegen ihre Köchin gebraucht, hat sie den
bedeutungslosen in den Traum genommen; der unterdrückte aber: »Benehmen
Sie sich anständig!« stimmt allein zum übrigen Trauminhalt. So könnte
man jemandem zurufen, der unanständige Zumutungen wagt und vergißt, »die
Fleischbank zuzuschließen«. Daß wir der Deutung wirklich auf die Spur
gekommen sind, beweist dann der Zusammenklang mit den Anspielungen, die
in der Begebenheit mit der Gemüsefrau niedergelegt sind. Ein Gemüse, das
in Bündeln zusammengebunden verkauft wird (länglich ist, wie sie
nachträglich hinzufügt), und dabei schwarz, was kann das anderes sein
als die Traumvereinigung von Spargel und schwarzem Rettig? Spargel
brauche ich keinem und keiner Wissenden zu deuten, aber auch das andere
Gemüse -- als Zuruf: _Schwarzer, rett' dich!_ -- scheint mir auf das
nämliche sexuelle Thema hinzuweisen, das wir gleich anfangs errieten,
als wir für die Traumerzählung einsetzen wollten: die Fleischbank war
geschlossen. Es kommt nicht darauf an, den Sinn dieses Traumes
vollständig zu erkennen; so viel steht fest, daß er sinnreich ist und
keineswegs harmlos(66).

  (65) Vergleiche über die Reden im Traume im Abschnitte über die
  Traumarbeit. Ein einziger der Autoren scheint die Herkunft der
  Traumreden erkannt zu haben, _Delboeuf_ (p. 226), indem er sie mit
  »clichés« vergleicht.

  (66) Für Wißbegierige bemerke ich, daß hinter dem Traume sich eine
  Phantasie verbirgt von unanständigem, sexuell provozierendem Benehmen
  meinerseits und von Abwehr von Seite der Dame. Wem diese Deutung
  unerhört erscheinen sollte, den mahne ich an die zahlreichen Fälle, wo
  Ärzte solche Anklagen von hysterischen Frauen erfahren haben, bei
  denen die nämliche Phantasie nicht entstellt und als Traum
  aufgetreten, sondern unverhüllt bewußt und wahnhaft geworden ist. --
  Mit diesem Traume trat die Patientin in die psychoanalytische
  Behandlung ein. Ich lernte erst später verstehen, daß sie mit ihm das
  initiale Trauma wiederholte, von dem ihre Neurose ausging, und habe
  seither das gleiche Verhalten bei anderen Personen gefunden, die in
  ihrer Kindheit sexuellen Attentaten ausgesetzt waren und nun gleichsam
  deren Wiederholung im Traume herbeiwünschen.

II. Ein anderer harmloser Traum derselben Patientin, in gewisser
Hinsicht ein Gegenstück zum vorigen: _Ihr Mann fragt: Soll man das
Klavier nicht stimmen lassen? Sie: Es lohnt nicht, es muß ohnedies neu
beledert werden._ Wiederum die Wiederholung eines realen Ereignisses vom
Vortag. Ihr Mann hat so gefragt und sie so ähnlich geantwortet. Aber was
bedeutet es, daß sie es träumt? Sie erzählt zwar vom Klavier, es sei ein
_ekelhafter_ Kasten, der einen _schlechten_ Ton gibt, ein Ding, das ihr
Mann schon vor der Ehe besessen hat(67) usw., aber den Schlüssel zur
Lösung ergibt doch erst die Rede: _Es lohnt nicht._ Diese stammt von
einem gestern gemachten Besuche bei ihrer Freundin. Dort wurde sie
aufgefordert, ihre Jacke abzulegen, und weigerte sich mit den Worten:
_es lohnt nicht_, ich muß gleich gehen. Bei dieser Erzählung muß mir
einfallen, daß sie gestern während der Analysenarbeit plötzlich an ihre
Jacke griff, an der sich ein Knopf geöffnet hatte. Es ist also, als
wollte sie sagen: Bitte, sehen Sie nicht hin, _es lohnt nicht_. So
ergänzt sich der _Kasten_ zum _Brustkasten_, und die Deutung des Traumes
führt direkt in die Zeit ihrer körperlichen Entwicklung, da sie anfing,
mit ihren Körperformen unzufrieden zu sein. Es führt auch wohl in
frühere Zeiten, wenn wir auf das »_Ekelhaft_« und den »_schlechten Ton_«
Rücksicht nehmen und uns daran erinnern, wie häufig die kleinen
Hemisphären des weiblichen Körpers -- als Gegensatz und als Ersatz --
für die großen eintreten, -- in der Anspielung und im Traume.

  (67) Eine Ersetzung durch das Gegenteil, wie uns nach der Deutung klar
  werden wird.

III. Ich unterbreche diese Reihe, indem ich einen kurzen harmlosen Traum
eines jungen Mannes einschiebe. Er hat geträumt, _daß er wieder seinen
Winterrock anzieht, was schrecklich ist_. Anlaß dieses Traumes ist
angeblich die plötzlich wieder eingetretene Kälte. Ein feineres Urteil
wird indes bemerken, daß die beiden kurzen Stücke des Traumes nicht gut
zueinander passen, denn in der Kälte den schweren oder dicken Rock
tragen, was könnte daran »schrecklich« sein. Zum Schaden für die
Harmlosigkeit dieses Traumes bringt auch der erste Einfall bei der
Analyse die Erinnerung, daß eine Dame ihm gestern vertraulich gestanden,
daß ihr letztes Kind einem geplatzten Kondom seine Existenz verdankt. Er
rekonstruiert nun seine Gedanken bei diesem Anlasse: Ein dünner Kondom
ist gefährlich, ein dicker schlecht. Der Kondom ist der »Überzieher« mit
Recht, man zieht ihn ja über; so heißt man auch einen leichten Rock. Ein
Ereignis wie das von der Dame berichtete wäre für den unverheirateten
Mann allerdings »schrecklich«. -- Nun wieder zurück zu unserer harmlosen
Träumerin.

IV. _Sie steckt eine Kerze in den Leuchter; die Kerze ist aber
gebrochen, so daß sie nicht gut steht. Die Mädchen in der Schule sagen,
sie sei ungeschickt; das Fräulein aber, es sei nicht ihre Schuld._

Ein realer Anlaß auch hier; sie hat gestern wirklich eine Kerze in den
Leuchter gesteckt; die war aber nicht gebrochen. Hier ist eine
durchsichtige Symbolik verwendet worden. Die Kerze ist ein Gegenstand,
der die weiblichen Genitalien reizt; wenn sie gebrochen ist, so daß sie
nicht gut steht, so bedeutet dies die Impotenz des Mannes (»_es sei
nicht ihre Schuld_«). Ob nur die sorgfältig erzogene und allem Häßlichen
fremd gebliebene junge Frau diese Verwendung der Kerze kennt? Zufällig
kann sie noch angeben, durch welches Erlebnis sie zu dieser Erkenntnis
gekommen ist. Bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein fährt ein Boot an ihnen
vorüber, in dem Studenten sitzen, welche mit großem Behagen ein Lied
singen oder brüllen: »Wenn die Königin von Schweden bei geschlossenen
Fensterläden mit Apollokerzen . . . .«

Das letzte Wort hört oder versteht sie nicht. Ihr Mann muß ihr die
verlangte Aufklärung geben. Diese Verse sind dann im Trauminhalt ersetzt
durch eine harmlose Erinnerung an einen Auftrag, den sie einmal im
Pensionat _ungeschickt_ ausführte, und zwar vermöge des Gemeinsamen:
_geschlossene Fensterläden_. Die Verbindung des Themas von der Onanie
mit der Impotenz ist klar genug. »Apollo« im latenten Trauminhalt
verknüpft diesen Traum mit einem früheren, in dem von der jungfräulichen
Pallas die Rede war. Alles wahrlich nicht harmlos.

V. Damit man sich die Schlüsse aus den Träumen auf die wirklichen
Lebensverhältnisse der Träumer nicht zu leicht vorstelle, füge ich noch
einen Traum an, der gleichfalls harmlos scheint und von derselben Person
herrührt. _Ich habe etwas geträumt_, erzählt sie, _was ich bei Tag
wirklich getan habe, nämlich einen kleinen Koffer so voll mit Büchern
gefüllt, daß ich Mühe hatte, ihn zu schließen, und ich habe es so
geträumt, wie es wirklich vorgefallen ist._ Hier legt die Erzählerin
selbst das Hauptgewicht auf die Übereinstimmung von Traum und
Wirklichkeit. Alle solche Urteile über den Traum, Bemerkungen zum
Traume, gehören nun, obwohl sie sich einen Platz im wachen Denken
geschaffen haben, doch regelmäßig in den latenten Trauminhalt, wie uns
noch spätere Beispiele bestätigen werden. Es wird uns also gesagt, das,
was der Traum erzählt, ist am Tage vorher wirklich vorgefallen(68). Es
wäre nun zu weitläufig, mitzuteilen, auf welchem Wege man zum Einfalle
kommt, bei der Deutung das Englische zur Hilfe zu nehmen. Genug, es
handelt sich wieder um eine kleine _box_ (vgl. p. 118 den Traum vom
toten Kind in der Schachtel), die so angefüllt worden ist, daß nichts
mehr hineinging. Wenigstens nichts Arges diesmal.

  (68) Vgl. p. 16, Note.

In all diesen »harmlosen« Träumen schlägt das sexuelle Moment als Motiv
der Zensur so sehr auffällig vor. Doch ist dies ein Thema von
prinzipieller Bedeutung, welches wir zur Seite stellen müssen.


b) _Das Infantile als Traumquelle_.

Als dritte unter den Eigentümlichkeiten des Trauminhaltes haben wir mit
allen Autoren (bis auf _Robert_) angeführt, daß im Traume Eindrücke aus
den frühesten Lebensaltern erscheinen können, über welche das Gedächtnis
im Wachen nicht zu verfügen scheint. Wie selten oder wie häufig sich
dies ereignet, ist begreiflicherweise schwer zu beurteilen, weil die
betreffenden Elemente des Traumes nach dem Erwachen nicht in ihrer
Herkunft erkannt werden. Der Nachweis, daß es sich hier um Eindrücke der
Kindheit handelt, muß also auf objektivem Wege erbracht werden, wozu
sich die Bedingungen nur in seltenen Fällen zusammenfinden können. Als
besonders beweiskräftig wird von A. _Maury_ die Geschichte eines Mannes
erzählt, welcher eines Tages sich entschloß, nach zwanzigjähriger
Abwesenheit seinen Heimatsort aufzusuchen. In der Nacht vor der Abreise
träumte er, er sei in einer ihm ganz unbekannten Ortschaft und begegne
daselbst auf der Straße einem unbekannten Herrn, mit dem er sich
unterhalte. In seine Heimat zurückgekehrt, konnte er sich nun
überzeugen, daß diese unbekannte Ortschaft in nächster Nähe seiner
Heimatstadt wirklich existiere, und auch der unbekannte Mann des Traumes
stellte sich als ein dort lebender Freund seines verstorbenen Vaters
heraus. Wohl ein zwingender Beweis dafür, daß er beide, Mann wie
Ortschaft, in seiner Kindheit gesehen hatte. Der Traum ist übrigens als
Ungeduldstraum zu deuten wie der des Mädchens, welches das Billett für
den Konzertabend in der Tasche trägt (p. 117), des Kindes, welchem der
Vater den Ausflug nach dem Hameau versprochen hat, u. dgl. Die Motive,
welche dem Träumer gerade diesen Eindruck aus seiner Kindheit
reproduzieren, sind natürlich ohne Analyse nicht aufzudecken.

Einer meiner Kolleghörer, welcher sich rühmte, daß seine Träume nur sehr
selten der Traumentstellung unterliegen, teilte mir mit, daß er vor
einiger Zeit im Traume gesehen, _sein ehemaliger Hofmeister befinde sich
im Bette der Bonne_, die bis zu seinem elften Jahre im Hause gewesen
war. Die Örtlichkeit für diese Szene fiel ihm noch im Traume ein.
Lebhaft interessiert teilte er den Traum seinem älteren Bruder mit, der
ihm lachend die Wirklichkeit des Geträumten bestätigte. Er erinnere sich
sehr gut daran, denn er sei damals sechs Jahre alt gewesen. Das
Liebespaar pflegte ihn, den älteren Knaben, durch Bier betrunken zu
machen, wenn die Umstände einem nächtlichen Verkehre günstig waren. Das
kleinere, damals dreijährige Kind -- unser Träumer --, das im Zimmer der
Bonne schlief, wurde nicht als Störung betrachtet.

Noch in einem anderen Falle läßt es sich mit Sicherheit ohne Beihilfe
der Traumdeutung feststellen, daß der Traum Elemente aus der Kindheit
enthält, wenn nämlich der Traum ein sogenannter _perennierender_ ist,
der, in der Kindheit zuerst geträumt, später immer wieder von Zeit zu
Zeit während des Schlafes des Erwachsenen auftritt. Zu den bekannten
Beispielen dieser Art kann ich einige aus meiner Erfahrung hinzufügen,
wenngleich ich an mir selbst einen solchen perennierenden Traum nicht
kennen gelernt habe. Ein Arzt in den Dreißigern erzählte mir, daß in
seinem Traumleben von den ersten Zeiten seiner Kindheit an bis zum
heutigen Tage häufig ein gelber Löwe erscheint, über den er die
genaueste Auskunft zu geben vermag. Dieser ihm aus Träumen bekannte Löwe
fand sich nämlich eines Tages in natura als ein lange verschollener
Gegenstand aus Porzellan vor, und der junge Mann hörte damals von seiner
Mutter, daß dieses Objekt das begehrteste Spielzeug seiner frühen
Kinderzeit gewesen war, woran er sich selbst nicht mehr erinnern konnte.

Wendet man sich nun von dem manifesten Trauminhalt zu den Traumgedanken,
welche erst die Analyse aufdeckt, so kann man mit Erstaunen die
Mitwirkung der Kindheitserlebnisse auch bei solchen Träumen
konstatieren, deren Inhalt keine derartige Vermutung erweckt hätte. Dem
geehrten Kollegen vom »gelben Löwen« verdanke ich ein besonders
liebenswürdiges und lehrreiches Beispiel eines solchen Traumes. Nach der
Lektüre von _Nansens_ Reisebericht über seine Polarexpedition träumte
er, in einer Eiswüste galvanisiere er den kühnen Forscher wegen einer
Ischias, über welche dieser klage! Zur Analyse dieses Traumes fiel ihm
eine Geschichte aus seiner Kindheit ein, ohne welche der Traum
allerdings unverständlich bleibt. Als er ein drei- oder vierjähriges
Kind war, hörte er eines Tages neugierig zu, wie die Erwachsenen von
Entdeckungsreisen sprachen, und fragte dann den Papa, ob das eine
schwere Krankheit sei. Er hatte offenbar _Reisen_ mit »_Reißen_«
verwechselt, und der Spott seiner Geschwister sorgte dafür, daß ihm das
beschämende Erlebnis nicht in Vergessenheit geriet.

Ein ganz ähnlicher Fall ist es, wenn ich in der Analyse des Traumes von
der Monographie über die Gattung Zyklamen auf eine erhalten gebliebene
Jugenderinnerung stoße, daß der Vater dem fünfjährigen Knaben ein mit
farbigen Tafeln ausgestattetes Buch zur Zerstörung überläßt. Man wird
etwa den Zweifel aufwerfen, ob diese Erinnerung wirklich an der
Gestaltung des Trauminhaltes Anteil genommen hat, ob nicht vielmehr die
Arbeit der Analyse eine Beziehung erst nachträglich herstellt. Aber die
Reichhaltigkeit und Verschlungenheit der Assoziationsverknüpfungen bürgt
für die erstere Auffassung: Zyklamen -- Lieblingsblume --
Lieblingsspeise -- Artischocke; zerpflücken wie eine Artischocke, Blatt
für Blatt (eine Wendung, die einem anläßlich der Teilung des
chinesischen Reiches damals täglich ans Ohr schlug); -- Herbarium --
Bücherwurm, dessen Lieblingsspeise Bücher sind. Außerdem kann ich
versichern, daß der letzte Sinn des Traumes, den ich hier nicht
ausgeführt habe, zum Inhalt der Kinderszene in intimster Beziehung
steht.

Bei einer anderen Reihe von Träumen wird man durch die Analyse belehrt,
daß der Wunsch selbst, der den Traum erregt hat, als dessen Erfüllung
der Traum sich darstellt, aus dem Kinderleben stammt, so daß man zu
seiner Überraschung _im Traume das Kind mit seinen Impulsen weiterlebend
findet_.

 Das infantile Moment im Onkeltraum.

Ich setze an dieser Stelle die Deutung des Traumes fort, aus dem wir
bereits einmal neue Belehrung geschöpft haben, ich meine den Traum:
Freund R. ist mein Onkel (p. 106). Wir haben dessen Deutung so weit
gefördert, daß uns das Wunschmotiv, zum Professor ernannt zu werden,
greifend entgegentrat, und wir erklärten uns die Zärtlichkeit des
Traumes für Freund R. als eine Oppositions- und Trotzschöpfung gegen die
Schmähung der beiden Kollegen, die in den Traumgedanken enthalten war.
Der Traum war mein eigener; ich darf darum dessen Analyse mit der
Mitteilung fortsetzen, daß mein Gefühl durch die erreichte Lösung noch
nicht befriedigt war. Ich wußte, daß mein Urteil über die in den
Traumgedanken mißhandelten Kollegen im Wachen ganz anders gelautet
hätte; die Macht des Wunsches, ihr Schicksal in Betreff ihrer Ernennung
nicht zu teilen, erschien mir zu gering, um den Gegensatz zwischen
wacher und Traum-Schätzung voll aufzuklären. Wenn mein Bedürfnis, mit
einem anderen Titel angeredet zu werden, so stark sein sollte, so
beweist dies einen krankhaften Ehrgeiz, den ich nicht an mir kenne, den
ich fern von mir glaube. Ich weiß nicht, wie andere, die mich zu kennen
glauben, in diesem Punkte über mich urteilen würden; vielleicht habe ich
auch wirklich Ehrgeiz besessen; aber wenn, so hat er sich längst auf
andere Objekte als auf Titel und Rang eines Professor extraordinarius
geworfen.

Woher dann also der Ehrgeiz, der mir den Traum eingegeben hat? Da fällt
mir ein, was ich so oft in der Kindheit erzählen gehört habe, daß bei
meiner Geburt eine alte Bäuerin der über den Erstgeborenen glücklichen
Mutter prophezeit, daß sie der Welt einen großen Mann geschenkt habe.
Solche Prophezeiungen müssen sehr häufig vorfallen; es gibt so viel
erwartungsvolle Mütter und so viel alte Bäuerinnen oder andere alte
Weiber, deren Macht auf Erden vergangen ist, und die sich darum der
Zukunft zugewendet haben. Es wird auch nicht der Schade der Prophetin
gewesen sein. Sollte meine Größensehnsucht aus dieser Quelle stammen?
Aber da besinne ich mich eben eines anderen Eindruckes aus späteren
Jugendjahren, der sich zur Erklärung noch besser eignen würde: Es war
eines Abends in einem der Wirtshäuser im Prater, wohin die Eltern den
elf- oder zwölfjährigen Knaben mitzunehmen pflegten, daß uns ein Mann
auffiel, der von Tisch zu Tisch ging und für ein kleines Honorar Verse
über ein ihm aufgegebenes Thema improvisierte. Ich wurde abgeschickt,
den Dichter an unseren Tisch zu bestellen, und er erwies sich dem Boten
dankbar. Ehe er nach seiner Aufgabe fragte, ließ er einige Reime über
mich fallen und erklärte es in seiner Inspiration für wahrscheinlich,
daß ich noch einmal »Minister« werde. An den Eindruck dieser zweiten
Prophezeiung kann ich mich noch sehr wohl erinnern. Es war die Zeit des
Bürgerministeriums, der Vater hatte kurz vorher die Bilder der
bürgerlichen Doktoren _Herbst_, _Giskra_, _Unger_, _Berger_ u. a. nach
Hause gebracht, und wir hatten diesen Herren zur Ehre illuminiert. Es
waren sogar Juden unter ihnen; jeder fleißige Judenknabe trug also das
Ministerportefeuille in seiner Schultasche. Es muß mit den Eindrücken
jener Zeit sogar zusammenhängen, daß ich bis kurz vor der Inskription an
der Universität willens war, Jura zu studieren, und erst im letzten
Moment umsattelte. Dem Mediziner ist ja die Ministerlaufbahn überhaupt
verschlossen. Und nun mein Traum! Ich merke es erst jetzt, daß er mich
aus der trüben Gegenwart in die hoffnungsfrohe Zeit des
Bürgerministeriums zurückversetzt und meinen Wunsch von _damals_ nach
seinen Kräften erfüllt. Indem ich die beiden gelehrten und achtenswerten
Kollegen, weil sie Juden sind, so schlecht behandle, den einen, als ob
er ein Schwachkopf, den anderen, als ob er ein Verbrecher wäre, indem
ich so verfahre, benehme ich mich, als ob ich der Minister wäre, habe
ich mich an die Stelle des Ministers gesetzt. Welch gründliche Rache an
Sr. Exzellenz! Er verweigert es, mich zum Professor extraordinarius zu
ernennen, und ich setze mich dafür im Traume an seine Stelle.

 Sehnsuchtsträume von _Rom_.

In einem anderen Falle konnte ich merken, daß der Wunsch, welcher den
Traum erregt, obzwar ein gegenwärtiger, doch eine mächtige Verstärkung
aus tiefreichenden Kindererinnerungen bezieht. Es handelt sich hier um
eine Reihe von Träumen, denen die Sehnsucht, nach _Rom_ zu kommen, zu
grunde liegt. Ich werde diese Sehnsucht wohl noch lange Zeit durch
Träume befriedigen müssen, denn um die Zeit des Jahres, welche mir für
eine Reise zur Verfügung steht, ist der Aufenthalt in _Rom_ aus
Rücksichten der Gesundheit zu meiden(69). So träume ich denn einmal, daß
ich vom Coupéfenster aus _Tiber_ und Engelsbrücke sehe; dann setzt sich
der Zug in Bewegung, und es fällt mir ein, daß ich die Stadt ja gar
nicht betreten habe. Die Aussicht, die ich im Traume sah, war einem
bekannten Stiche nachgebildet, den ich Tags zuvor im Salon eines
Patienten flüchtig bemerkt hatte. Ein andermal führt mich jemand auf
einen Hügel und zeigt mir _Rom_, vom Nebel halb verschleiert und noch so
fern, daß ich mich über die Deutlichkeit der Aussicht wundere. Der
Inhalt dieses Traumes ist reicher, als ich hier ausführen möchte. Das
Motiv, »das Gelobte Land von fern sehen«, ist darin leicht zu erkennen.
Die Stadt, die ich so zuerst im Nebel gesehen habe, ist _Lübeck_; der
Hügel findet sein Vorbild in -- _Gleichenberg_. In einem dritten Traume
bin ich endlich in _Rom_, wie mir der Traum sagt. Ich sehe aber zu
meiner Enttäuschung eine keineswegs städtische Szenerie, _einen kleinen
Fluß mit dunklem Wasser, auf der einen Seite desselben schwarze Felsen,
auf der anderen Wiesen mit großen weißen Blumen. Ich bemerke einen Herrn
Zucker_ (den ich oberflächlich kenne) _und beschließe, ihn um den Weg in
die Stadt zu fragen._ Es ist offenbar, daß ich mich vergebens bemühe,
eine Stadt im Traume zu sehen, die ich im Wachen nicht gesehen habe.
Wenn ich das Landschaftsbild des Traumes in seine Elemente zersetze, so
deuten die weißen Blumen auf das mir bekannte _Ravenna_, das wenigstens
eine Zeitlang als Italiens Hauptstadt _Rom_ den Vorrang abgenommen
hatte. In den Sümpfen um _Ravenna_ haben wir die schönsten Seerosen
mitten im schwarzen Wasser gefunden; der Traum läßt sie auf Wiesen
wachsen wie die Narzissen in unserem _Aussee_, weil es damals so
mühselig war, sie aus dem Wasser zu holen. Der dunkle Fels, so nahe am
Wasser, erinnert lebhaft an das Tal der _Tepl_ bei _Karlsbad_.
»Karlsbad« setzt mich nun in den Stand, mir den sonderbaren Zug zu
erklären, daß ich Herrn Zucker um den Weg frage. Es sind hier in dem
Material, aus dem der Traum gesponnen ist, zwei jener lustigen jüdischen
Anekdoten zu erkennen, die so viel tiefsinnige, oft bittere
Lebensweisheit verbergen, und die wir in Gesprächen und Briefen so gern
zitieren. Die eine ist die Geschichte von der »Konstitution«, des
Inhaltes, wie ein armer Jude ohne Fahrbillett den Einlaß in den Eilzug
nach Karlsbad erschleicht, dann ertappt, bei jeder Revision vom Zuge
gewiesen und immer härter behandelt wird, und der dann einem Bekannten,
welcher ihn auf einer seiner Leidensstationen antrifft, auf die Frage,
wohin er reise, zur Antwort gibt: »Wenn's meine _Konstitution_ aushält
-- nach _Karlsbad_.« Nahe dabei ruht im Gedächtnis eine andere
Geschichte von einem des Französischen unkundigen Juden, dem
eingeschärft wird, in _Paris_ nach dem Wege zur Rue Richelieu zu fragen.
Auch _Paris_ war lange Jahre hindurch ein Ziel meiner Sehnsucht, und die
Seligkeit, in welcher ich zuerst den Fuß auf das Pflaster von _Paris_
setzte, nahm ich als Gewähr, daß ich auch die Erfüllung anderer Wünsche
erreichen werde. Das Um-den-Weg-Fragen ist ferner eine direkte
Anspielung an _Rom_, denn nach _Rom_ führen bekanntlich alle Wege.
Übrigens deutet der Name _Zucker_ wiederum auf _Karlsbad_, wohin wir
doch alle mit der _konstitutionellen_ Krankheit Diabetes Behafteten
schicken. Der Anlaß dieses Traumes war der Vorschlag meines Berliner
Freundes, uns zu Ostern in Prag zu treffen. Aus den Dingen, die ich mit
ihm zu besprechen hatte, würde sich eine weitere Beziehung zu _Zucker_
und Diabetes ergeben.

  (69) Ich habe seither längst erfahren, daß auch zur Erfüllung solcher
  lange für unerreichbar gehaltener Wünsche nur etwas Mut erfordert
  wird.

Ein vierter Traum, kurz nach dem letzterwähnten, bringt mich wieder nach
_Rom_. Ich sehe eine Straßenecke vor mir und wundere mich darüber, daß
dort so viele deutsche Plakate angeschlagen sind. Tags vorher hatte ich
meinem Freunde in prophetischer Voraussicht geschrieben, _Prag_ dürfte
für deutsche Spaziergänger kein bequemer Aufenthaltsort sein. Der Traum
drückte also gleichzeitig den Wunsch aus, ihn in _Rom_ zu treffen
anstatt in einer böhmischen Stadt, und das wahrscheinlich aus der
Studentenzeit stammende Interesse daran, daß in Prag der deutschen
Sprache mehr Duldung gewährt sein möge. Die tschechische Sprache muß ich
übrigens in meinen drei ersten Kinderjahren verstanden haben, da ich in
einem kleinen Orte Mährens mit slawischer Bevölkerung geboren bin. Ein
tschechischer Kindervers, den ich in meinem 17. Jahre gehört, hat sich
meinem Gedächtnis mühelos so eingeprägt, daß ich ihn noch heute hersagen
kann, obwohl ich keine Ahnung von seiner Bedeutung habe. Es fehlt also
auch diesen Träumen nicht an mannigfaltigen Beziehungen zu den
Eindrücken meiner ersten Lebensjahre.

Auf meiner letzten Italienreise, die mich unter anderm am
_Trasimenersee_ vorüberführte, fand ich endlich, nachdem ich den Tiber
gesehen und schmerzlich bewegt 80 Kilometer weit von _Rom_ umgekehrt
war, die Verstärkung auf, welche meine Sehnsucht nach der ewigen Stadt
aus Jugendeindrücken bezieht. Ich erwog gerade den Plan, nächstes Jahr
an _Rom_ vorbei nach _Neapel_ zu reisen, als mir ein Satz einfiel, den
ich bei einem unserer klassischen Schriftsteller gelesen haben muß: Es
ist fraglich, wer eifriger in seiner Stube auf und ab lief, nachdem er
den Plan gefaßt, nach _Rom_ zu gehen, der Konrektor _Winckelmann_ oder
der Feldherr _Hannibal_. Ich war ja auf den Spuren _Hannibals_
gewandelt; es war mir so wenig wie ihm beschieden, _Rom_ zu sehen, und
auch er war nach _Kampanien_ gezogen, nachdem alle Welt ihn in _Rom_
erwartet hatte. _Hannibal_, mit dem ich diese Ähnlichkeit erreicht
hatte, war aber der Lieblingsheld meiner Gymnasialjahre gewesen; wie so
viele in jenem Alter, hatte ich meine Sympathien während der Punischen
Kriege nicht den Römern, sondern dem Karthager zugewendet. Als dann im
Obergymnasium das erste Verständnis für die Konsequenzen der Abstammung
aus landesfremder Rasse erwuchs, und die antisemitischen Regungen unter
den Kameraden mahnten Stellung zu nehmen, da hob sich die Gestalt des
semitischen Feldherrn noch höher in meinen Augen. _Hannibal_ und _Rom_
symbolisierten dem Jüngling den Gegensatz zwischen der Zähigkeit des
Judentums und der Organisation der katholischen Kirche. Die Bedeutung,
welche die antisemitische Bewegung seither für unser Gemütsleben
gewonnen hat, verhalf dann den Gedanken und Empfindungen jener frühen
Zeit zur Fixierung. So ist der Wunsch, nach _Rom_ zu kommen, für das
Traumleben zum Deckmantel und Symbol für mehrere andere heißersehnte
Wünsche geworden, an deren Verwirklichung man mit der Ausdauer und
Ausschließlichkeit des Puniers arbeiten möchte, und deren Erfüllung
zeitweilig vom Schicksal ebensowenig begünstigt scheint wie der
Lebenswunsch _Hannibals_, in _Rom_ einzuziehen.

 Das infantile Moment zu den Romträumen.

Und nun stoße ich erst auf das Jugenderlebnis, das in all diesen
Empfindungen und Träumen noch heute seine Macht äußert. Ich mochte zehn
oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine
Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die
Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu
zeigen, in wie viel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein
junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsorte am Samstag in der
Straße spazieren gegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze
auf dem Kopfe. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlage die
Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! »Und was
hast du getan?« Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze
aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft
von dem großen starken Manne, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich
stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere
gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Szene, in welcher
_Hannibals_ Vater _Hamilkar_(70) _Barkas_, seinen Knaben vor dem
Hausaltar schwören läßt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte
_Hannibal_ einen Platz in meinen Phantasien.

  (70) In der ersten Auflage stand hier der Name: Hasdrubal, ein
  befremdender Irrtum, dessen Aufklärung ich in meiner »Psychopathologie
  des Alltagslebens« (1901, 1904, 4. Aufl. 1912) gegeben habe.

Ich meine, daß ich die Schwärmerei für den karthagischen General noch
ein Stück weiter in meine Kindheit zurück verfolgen kann, so daß es sich
auch hier nur um die Übertragung einer bereits gebildeten Affektrelation
auf einen neuen Träger handeln dürfte. Eines der ersten Bücher, das dem
lesefähigen Kinde in die Hände fiel, war _Thiers_' Konsulat und
Kaiserreich; ich erinnere mich, daß ich meinen Holzsoldaten kleine
Zettel mit den Namen der kaiserlichen Marschälle auf den flachen Rücken
geklebt, und daß damals schon _Masséna_ (als Jude: _Menasse_) mein
erklärter Liebling war. (Diese Bevorzugung wird wohl auch durch den
Zufall des gleichen Geburtsdatums, genau hundert Jahre später,
aufzuklären sein.) _Napoleon_ selbst schließt sich durch den Übergang
über die Alpen an _Hannibal_ an. Und vielleicht ließe sich die
Entwicklung dieses Kriegerideals noch weiter zurück in die Kindheit
verfolgen bis auf Wünsche, die der bald freundschaftliche, bald
kriegerische Verkehr während der ersten drei Jahre mit einem um ein Jahr
älteren Knaben bei dem schwächeren der beiden Gespielen hervorrufen
mußte.

Je tiefer man sich in die Analyse der Träume einläßt, desto häufiger
wird man auf die Spur von Kindheitserlebnissen geführt, welche im
latenten Trauminhalt eine Rolle als Traumquellen spielen.

Wir haben gehört (p. 16), daß der Traum sehr selten Erinnerungen so
reproduziert, daß sie unverkürzt und unverändert den alleinigen
manifesten Trauminhalt bilden. Immerhin sind einige Beispiele für dieses
Vorkommen sichergestellt, zu denen ich einige neue hinzufügen kann, die
sich wiederum auf Infantilszenen beziehen. Bei einem meiner Patienten
brachte einmal ein Traum eine kaum entstellte Wiedergabe eines sexuellen
Vorfalles, die sofort als getreue Erinnerung erkannt wurde. Die
Erinnerung daran war im Wachen zwar nie völlig verloren gewesen, aber
doch stark verdunkelt worden, und ihre Neubelebung war ein Erfolg der
vorausgegangenen analytischen Arbeit. Der Träumer hatte mit zwölf Jahren
einen bettlägerigen Kollegen besucht, der sich wahrscheinlich nur
zufällig bei einer Bewegung im Bette entblößte. Beim Anblick seiner
Genitalien von einer Art Zwang ergriffen, entblößte er sich selbst und
faßte das Glied des anderen, der ihn aber unwillig und verwundert ansah,
worauf er verlegen wurde und abließ. Diese Szene wiederholte ein Traum
23 Jahre später auch mit allen Einzelheiten der in ihr vorkommenden
Empfindungen, veränderte sie aber dahin, daß der Träumer anstatt der
aktiven die passive Rolle übernahm, während die Person des Schulkollegen
durch eine der Gegenwart angehörige ersetzt wurde.

In der Regel freilich ist die Infantilszene im manifesten Trauminhalt
nur durch eine Anspielung vertreten und muß durch Deutung aus dem Traume
entwickelt werden. Die Mitteilung solcher Beispiele kann nicht sehr
beweiskräftig ausfallen, weil ja für diese Kindererlebnisse meistens
jede andere Gewähr fehlt; sie werden, wenn sie in ein frühes Alter
fallen, von der Erinnerung nicht mehr anerkannt. Das Recht, überhaupt
aus Träumen auf solche Kindererlebnisse zu schließen, ergibt sich bei
der psychoanalytischen Arbeit aus einer ganzen Reihe von Momenten, die
in ihrem Zusammenwirken verläßlich genug erscheinen. Zum Zwecke der
Traumdeutung aus ihrem Zusammenhange gerissen, werden solche
Zurückführungen von Träumen auf Kindererlebnisse vielleicht wenig
Eindruck machen, besonders da ich nicht einmal alles Material mitteile,
auf welches sich die Deutung stützt. Indes will ich mich von der
Mitteilung darum nicht abhalten lassen.

I. Bei einer meiner Patientinnen haben alle Träume den Charakter des
»_Gehetzten_«; sie hetzt sich, um zurecht zu kommen, den Eisenbahnzug
nicht zu versäumen u. dgl. In einem Traume soll sie ihre Freundin
besuchen; die Mutter hat ihr gesagt, sie soll fahren, nicht gehen; _sie
läuft aber und fällt dabei in einem fort_. -- Das bei der Analyse
auftauchende Material gestattet, die Erinnerung an Kinderhetzereien zu
erkennen (man weiß, was der Wiener »_eine Hetz_« nennt), und gibt
speziell für den einen Traum die Zurückführung auf den bei Kindern
beliebten Scherz, den Satz: »_Die Kuh rannte bis sie fiel_« so rasch
auszusprechen, als ob er ein einziges Wort wäre, was wiederum ein
»Hetzen« ist. Alle diese harmlosen Hetzereien unter kleinen Freundinnen
werden erinnert, weil sie andere, minder harmlose, ersetzen.

II. Von einer anderen folgender Traum: _Sie ist in einem großen Zimmer,
in dem allerlei Maschinen stehen, etwa so, wie sie sich eine
orthopädische Anstalt vorstellt. Sie hört, daß ich keine Zeit habe, und
daß sie die Behandlung gleichzeitig mit fünf anderen machen muß. Sie
sträubt sich aber und will sich in das für sie bestimmte Bett -- oder
was es ist -- nicht legen. Sie steht in einem Winkel und wartet, daß ich
sage, es ist nicht wahr. Die anderen lachen sie unterdes aus, es sei
Faxerei von ihr._ -- Daneben, _als ob sie viele kleine Quadrate machen
würde_.

 Aufdeckung von Kindheitserlebnissen bei der Traumdeutung.

Der erste Teil dieses Trauminhaltes ist eine Anknüpfung an die Kur und
Übertragung auf mich. Der zweite enthält die Anspielung an die
Kinderszene; mit der Erwähnung des Bettes sind die beiden Stücke
aneinander gelötet. Die orthopädische Anstalt geht auf eine meiner Reden
zurück, in der ich die Behandlung ihrer Dauer wie ihrem Wesen nach mit
einer _orthopädischen_ verglichen hatte. Ich mußte ihr zu Anfang der
Behandlung mitteilen, _daß ich vorläufig wenig Zeit für sie habe_, ihr
aber später eine ganze Stunde täglich widmen würde. Dies machte die alte
Empfindlichkeit in ihr rege, die ein Hauptcharakterzug der zur Hysterie
bestimmten Kinder ist. Sie sind unersättlich für Liebe. Meine Patientin
war die jüngste von sechs Geschwistern (daher: _mit fünf anderen_) und
als solche der Liebling des Vaters, scheint aber gefunden zu haben, daß
der geliebte Vater ihr noch zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit widme. --
Daß sie wartet, bis ich sage, es ist nicht wahr, hat folgende Ableitung:
Ein kleiner Schneiderjunge hatte ihr ein Kleid gebracht, und sie ihm
dafür das Geld mitgegeben. Dann fragte sie ihren Mann, ob sie das Geld
nochmals bezahlen müsse, wenn er es verliere. Der Mann, um sie zu
_necken_, versicherte: ja (die _Neckerei_ im Trauminhalt), und sie
fragte immer wieder von neuem _und wartete darauf, daß er endlich sage,
es ist nicht wahr_. Nun läßt sich für den latenten Trauminhalt der
Gedanke konstruieren, ob sie mir wohl das Doppelte bezahlen müsse, wenn
ich ihr die doppelte Zeit widme, ein Gedanke, der geizig oder
_schmutzig_ ist. (Die Unreinlichkeit der Kinderzeit wird sehr häufig vom
Traume durch Geldgeiz ersetzt; das Wort »schmutzig« bildet dabei die
Brücke.) Wenn all das vom Warten, bis ich sage usw., das Wort
»schmutzig« im Traume umschreiben soll, so stimmt das _Im-Winkel-Stehen_
und das _Sich-nicht-ins-Bett-Legen_ dazu als Bestandteil einer
Kinderszene, in der sie das Bett schmutzig gemacht hätte, zur Strafe _in
den Winkel gestellt_ wird unter der Androhung, daß sie der Papa nicht
mehr liebhaben werde, die Geschwister sie auslachen usw. Die kleinen
Quadrate zielen auf ihre kleine Nichte, die ihr die Rechenkunst gezeigt,
wie man in neun Quadrate, glaube ich, Zahlen so einschreibt, daß sie,
nach allen Richtungen addiert, 15 ergeben.

III. Der Traum eines Mannes: _Er sieht zwei Knaben, die sich balgen, und
zwar Faßbinderknaben, wie er aus den herumliegenden Gerätschaften
schließt; einer der Knaben hat den anderen niedergeworfen, der liegende
Knabe hat Ohrringe mit blauen Steinen. Er eilt dem Missetäter mit
erhobenem Stocke nach, um ihn zu züchtigen. Dieser flüchtet zu einer
Frau, die bei einem Bretterzaun steht, als ob sie seine Mutter wäre. Es
ist eine Taglöhnersfrau, die dem Träumer den Rücken zuwendet. Endlich
kehrt sie sich um und schaut ihn mit einem gräßlichen Blicke an, so daß
er erschreckt davonläuft. An ihren Augen sieht man vom unteren Lid das
rote Fleisch vorstehen._

Der Traum hat triviale Begebenheiten des Vortages reichlich verwertet.
Er hat gestern wirklich zwei Knaben auf der Straße gesehen, von denen
einer den anderen hinwarf. Als er hinzueilte, um zu schlichten,
ergriffen sie beide die Flucht. -- Faßbinderknaben: wird erst durch
einen nachfolgenden Traum erklärt, in dessen Analyse er die Redensart
gebraucht: _Dem Faß den Boden ausschlagen_. -- Ohrringe mit blauen
Steinen tragen nach seiner Beobachtung meist die _Prostituierten_. So
fügt sich ein bekannter Klapphornvers von _zwei Knaben_ an: Der andere
Knabe, der hieß Marie (d. h.: war ein Mädchen). -- Die stehende Frau:
Nach der Szene mit den beiden Knaben ging er am Donauufer spazieren und
benutzte die Einsamkeit dort, um _gegen einen Bretterzaun_ zu urinieren.
Auf dem weiteren Wege lächelte ihn eine anständig gekleidete ältere Dame
sehr freundlich an und wollte ihm ihre Adreßkarte überreichen.

Da die Frau im Traume so steht wie er beim Urinieren, so handelt es sich
um ein urinierendes Weib, und dazu gehört dann der gräßliche
»_Anblick_«, das Vorstehen des roten Fleisches, was sich nur auf die
beim Kauern klaffenden Genitalien beziehen kann, die, in der Kinderzeit
gesehen, in der späteren Erinnerung als »_wildes Fleisch_«, als »Wunde«
wieder auftreten. Der Traum vereinigt zwei Anlässe, bei denen der kleine
Knabe die Genitalien kleiner Mädchen sehen konnte, beim _Hinwerfen_ und
bei deren _Urinieren_, und wie aus dem anderen Zusammenhang hervorgeht,
bewahrt er die Erinnerung an eine Züchtigung oder Drohung des Vaters
wegen der von dem Buben bei diesen Anlässen bewiesenen sexuellen
Neugierde.

IV. Eine ganze Summe von Kindererinnerungen, zu einer Phantasie
notdürftig vereinigt, findet sich hinter folgendem Traume einer jüngeren
Dame.

_Sie geht in Hetze aus, Kommissionen zu machen. Auf dem Graben sinkt sie
dann, wie zusammengebrochen, in die Knie. Viele Leute sammeln sich um
sie, besonders die Fiakerkutscher; aber niemand hilft ihr auf. Sie macht
viele vergebliche Versuche; endlich muß es gelungen sein, denn man setzt
sie in einen Fiaker, der sie nach Hause bringen soll; durchs Fenster
wirft man ihr einen großen schwer gefüllten Korb nach (ähnlich einem
Einkaufskorbe)._

Es ist dieselbe, die in ihren Träumen immer gehetzt wird, wie sie als
Kind gehetzt hat. Die erste Situation des Traumes ist offenbar von dem
Anblicke eines gestürzten Pferdes hergenommen, wie auch das
»Zusammenbrechen« auf Wettrennen deutet. Sie war in jungen Jahren
_Reiterin_, in noch jüngeren wahrscheinlich auch _Pferd_. Zu dem
Hinstürzen gehört die erste Kindheitserinnerung an den 17 jährigen Sohn
des Portiers, der, auf der Straße von epileptischen Krämpfen befallen,
im Wagen nach Hause gebracht wurde. Davon hat sie natürlich nur gehört,
aber die Vorstellung von epileptischen Krämpfen, vom »_Hinfallenden_«
hat große Macht über ihre Phantasie gewonnen und später ihre eigenen
hysterischen Anfälle in ihrer Form beeinflußt. -- Wenn eine
Frauensperson vom Fallen träumt, so hat das wohl regelmäßig einen
sexuellen Sinn, sie wird eine »_Gefallene_«; für unseren Traum wird
diese Deutung am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie fällt auf dem
_Graben_, jenem Platze von Wien, der als Korso der Prostitution bekannt
ist. Der _Einkaufskorb_ gibt mehr als eine Deutung; als Korb erinnert er
an die vielen _Körbe_, die sie zuerst ihren Freiern ausgeteilt, und
später, wie sie meint, sich auch selbst geholt hat. Dazu gehört dann
auch, daß ihr niemand _aufhelfen will_, was sie selbst als
Verschmähtwerden auslegt. Ferner erinnert der _Einkaufskorb_ an
Phantasien, die der Analyse bereits bekannt geworden sind, in denen sie
tief unter ihrem Stande geheiratet hat und nun selbst zu Markte
einkaufen geht. Endlich aber könnte der Einkaufskorb als Zeichen einer
_dienenden Person_ gedeutet werden. Dazu kommen nun weitere
Kindheitserinnerungen, an eine _Köchin_, die weggeschickt wurde, weil
sie stahl; die ist auch so _in die Knie gesunken_ und hat gefleht. Sie
war damals zwölf Jahre alt. Dann an ein Stubenmädchen, das weggeschickt
wurde, weil es sich mit dem _Kutscher_ des Hauses abgab, der sie
übrigens später heiratete. Diese Erinnerung ergibt uns also eine Quelle
für die _Kutscher_ im Traume (die sich im Gegensatz zur Wirklichkeit der
Gefallenen nicht annehmen). Es bleibt aber noch das Nachwerfen des
Korbes, und zwar _durchs Fenster_, zu erklären. Das mahnt sie an das
Expedieren des Gepäcks auf der Eisenbahn, an das »_Fensterln_« auf dem
Lande, an kleine Eindrücke von dem Landaufenthalte, wie ein Herr einer
Dame _blaue Pflaumen_ durchs Fenster in ihr Zimmer wirft, wie ihre
kleine Schwester sich gefürchtet, weil ein vorübergehender Trottel
durchs Fenster ins Zimmer sah. Und nun taucht dahinter eine dunkle
Erinnerung aus dem zehnten Lebensjahre auf von einer Bonne, die auf dem
Lande Liebesszenen mit einem Diener des Hauses aufführte, von denen das
Kind doch etwas gemerkt haben konnte, und die mitsamt ihrem Liebhaber
»_expediert_«, »_hinausgeworfen_« wurde (im Traume der Gegensatz:
»_hineingeworfen_«), eine Geschichte, der wir uns auch von mehreren
anderen Wegen her genähert hatten. Das Gepäck, der Koffer einer
dienenden Person, wird aber in Wien geringschätzig als die »_sieben
Zwetschken_« bezeichnet. »Pack' deine sieben Zwetschken zusammen und
geh'.«

 Kinderszenen im latenten Trauminhalt.

An solchen Träumen von Patienten, deren Analyse zu dunkel oder gar nicht
mehr erinnerten Kindereindrücken, oft aus den ersten drei Lebensjahren,
führt, hat meine Sammlung natürlich überreichen Vorrat. Es ist aber
mißlich, Schlüsse aus ihnen zu ziehen, die für den Traum im allgemeinen
gelten sollen; es handelt sich ja regelmäßig um neurotische, speziell
hysterische Personen, und die Rolle, welche den Kinderszenen in diesen
Träumen zufällt, könnte durch die Natur der Neurose und nicht durch das
Wesen des Traumes bedingt sein. Indes begegnet es mir bei der Deutung
meiner eigenen Träume, die ich doch nicht wegen grober Leidenssymptome
unternehme, ebenso oft, daß ich im latenten Trauminhalt unvermutet auf
eine Infantilszene stoße, und daß mir eine ganze Serie von Träumen mit
einemmal in die von einem Kindererlebnis ausgehenden Bahnen einmündet.
Beispiele hiefür habe ich schon erbracht und werde ich noch bei
verschiedenen Anlässen weiter erbringen. Vielleicht kann ich den ganzen
Abschnitt nicht besser beschließen als durch Mitteilung einiger eigenen
Träume, in denen rezente Anlässe und langvergessene Kindererlebnisse
mitsammen als Traumquellen auftreten.

Nachdem ich gereist bin, müde und hungrig das Bett aufgesucht habe,
melden sich im Schlafe die großen Bedürfnisse des Lebens und ich träume:
_Ich gehe in eine Küche, um mir Mehlspeise geben zu lassen. Dort stehen
drei Frauen, von denen eine die Wirtin ist und etwas in der Hand dreht,
als ob sie Knödel machen würde. Sie antwortet, daß ich warten soll, bis
sie fertig ist (nicht deutlich als Rede). Ich werde ungeduldig und gehe
beleidigt weg. Ich ziehe einen Überrock an; der erste, den ich versuche,
ist mir aber zu lang. Ich ziehe ihn wieder aus, etwas überrascht, daß er
Pelzbesatz hat. Ein zweiter, den ich anziehe, hat einen langen Streifen
mit türkischer Zeichnung eingesetzt. Ein Fremder mit langem Gesichte und
kurzem Spitzbarte kommt hinzu und hindert mich am Anziehen, indem er ihn
für den seinen erklärt. Ich zeige ihm nun, daß er über und über türkisch
gestickt ist. Er fragt: Was gehen Sie die türkischen (Zeichnungen,
Streifen . . . .) an? Wir sind aber dann ganz freundlich miteinander._

In der Analyse dieses Traumes fällt mir ganz unerwartet der erste Roman
ein, den ich, vielleicht 13 jährig, gelesen, d. h. mit dem Ende des
ersten Bandes begonnen hatte. Den Namen des Romans und seines Autors
habe ich nie gewußt, aber der Schluß ist mir nun in lebhafter
Erinnerung. Der Held verfällt in Wahnsinn und ruft beständig die drei
Frauennamen, die ihm im Leben das größte Glück und das Unheil bedeutet
haben. _Pélagie_ ist einer dieser Namen. Noch weiß ich nicht, was ich
mit diesem Einfall in der Analyse beginnen werde. Da tauchen zu den drei
Frauen die drei Parzen auf, die das Geschick des Menschen spinnen, und
ich weiß, daß eine der drei Frauen, die Wirtin im Traume, die Mutter
ist, die das Leben gibt, mitunter auch, wie bei mir, dem Lebenden die
erste Nahrung. An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger. Ein
junger Mann, erzählt die Anekdote, der ein großer Verehrer der
Frauenschönheit wurde, äußerte einmal, als die Rede auf die schöne Amme
kam, die ihn als Säugling genährt: es tue ihm leid, die gute Gelegenheit
damals nicht besser ausgenutzt zu haben. Ich pflege mich der Anekdote
zur Erläuterung für das Moment der _Nachträglichkeit_ in dem Mechanismus
der Psychoneurosen zu bedienen. -- Die eine der Parzen also reibt die
Handflächen aneinander, als ob sie _Knödel_ machen würde. Eine
sonderbare Beschäftigung für eine Parze, welche dringend der Aufklärung
bedarf! Diese kommt nun aus einer anderen und früheren Kindererinnerung.
Als ich sechs Jahre alt war und den ersten Unterricht bei meiner Mutter
genoß, sollte ich glauben, daß wir aus Erde gemacht sind und darum zur
Erde zurückkehren müssen. Es behagte mir aber nicht und ich zweifelte
die Lehre an. Da rieb die Mutter die Handflächen aneinander -- ganz
ähnlich wie beim Knödelmachen, nur daß sich kein Teig zwischen ihnen
befindet -- und zeigte mir die schwärzlichen _Epidermis_schuppen, die
sich dabei abreiben, als eine Probe der Erde, aus der wir gemacht sind,
vor. Mein Erstaunen über diese Demonstration ad oculos war grenzenlos,
und ich ergab mich in das, was ich später in den Worten ausgedrückt
hören sollte: Du bist der Natur einen Tod schuldig(71). So sind es also
wirklich Parzen, zu denen ich in die Küche gehe, wie so oft in den
Kinderjahren, wenn ich hungrig war, und die Mutter beim Herd mich mahnte
zu warten, bis das Mittagessen fertig sei. Und nun die Knödel!
Wenigstens einer meiner Universitätslehrer, aber gerade der, dem ich
meine _histologischen_ Kenntnisse (_Epidermis_) verdanke, könnte sich
bei dem Namen _Knödel_ an eine Person erinnern, die er belangen mußte,
weil sie ein _Plagiat_ an seinen Schriften begangen hatte. Ein Plagiat
begehen, sich aneignen, was man bekommen kann, auch wenn es einem
anderen gehört, leitet offenbar zum zweiten Teil des Traumes, in dem ich
wie der _Überrockdieb_ behandelt werde, der eine Zeitlang in den
Hörsälen sein Wesen trieb. Ich habe den Ausdruck Plagiat
niedergeschrieben, absichtslos, weil er sich mir darbot, und nun merke
ich, daß er dem latenten Trauminhalt angehören muß, weil er als Brücke
zwischen den verschiedenen Stücken des manifesten Trauminhaltes dienen
kann. Die Assoziationskette -- _Pélagie_ -- _Plagiat_ --
_Plagiostomen_(72) (_Haifische_) -- _Fischblase_ verbindet den alten
Roman mit der Affäre _Knödl_ und mit den Überziehern, die ja offenbar
ein Gerät der sexuellen Technik bedeuten. (Vgl. _Maurys_ Traum vom
_Kilo_ -- _Lotto_, p. 45.) Eine höchst gezwungene und unsinnige
Verbindung zwar, aber doch keine, die ich im Wachen herstellen könnte,
wenn sie nicht schon durch die Traumarbeit hergestellt wäre. Ja, als ob
dem Drange, Verbindungen zu erzwingen, gar nichts heilig wäre, dient nun
der teure Name _Brücke_ (Wortbrücke s. o.) dazu, mich an dasselbe
Institut zu erinnern, in dem ich meine glücklichsten Stunden als Schüler
verbracht, sonst ganz bedürfnislos (»So wird's Euch an der Weisheit
_Brüsten_ mit jedem Tage mehr _gelüsten_«), im vollsten Gegensatz zu den
Begierden, die mich, während ich träume, _plagen_. Und endlich taucht
die Erinnerung an einen anderen teuren Lehrer auf, dessen Name wiederum
an etwas Eßbares anklingt (_Fleischl_, wie _Knödl_) und an eine traurige
Szene, in der _Epidermisschuppen_ eine Rolle spielen (die Mutter --
Wirtin) und Geistesstörung (der Roman) und ein Mittel aus der
lateinischen _Küche_, das den Hunger benimmt, das Kokain.

  (71) Beide zu diesen Kinderszenen gehörigen Affekte, das Erstaunen und
  die Ergebung ins Unvermeidliche, fanden sich in einem Traume kurz
  vorher, der mir zuerst die Erinnerung an dieses Kindererlebnis
  wiederbrachte.

  (72) Die _Plagiostomen_ ergänze ich nicht willkürlich; sie mahnen mich
  an eine ärgerliche Gelegenheit von Blamage vor demselben Lehrer.

So könnte ich den verschlungenen Gedankenwegen weiterfolgen und das in
der Analyse fehlende Stück des Traumes voll aufklären, aber ich muß es
unterlassen, weil die persönlichen Opfer, die es erfordern würde, zu
groß sind. Ich greife nur einen der Fäden auf, der direkt zu einem der
dem Gewirre zu grunde liegenden Traumgedanken führen kann. Der Fremde
mit langem Gesichte und Spitzbarte, der mich am Anziehen hindern will,
trägt die Züge eines Kaufmannes in Spalato, bei dem meine Frau reichlich
_türkische_ Stoffe eingekauft hat. Er hieß _Popović_, ein verdächtiger
Name, der auch dem Humoristen _Stettenheim_ zu einer andeutungsvollen
Bemerkung Anlaß gegeben hat. (»Er nannte mir seinen Namen und drückte
mir errötend die Hand.«) Übrigens derselbe Mißbrauch mit Namen wie oben
mit _Pélagie_, _Knödl_, _Brücke_, _Fleischl_. Daß solche Namenspielerei
Kinderunart ist, darf man ohne Widerspruch behaupten; wenn ich mich in
ihr ergehe, ist es aber ein Akt der Vergeltung, denn mein eigener Name
ist unzähligemale solchen schwachsinnigen Witzeleien zum Opfer gefallen.
_Goethe_ bemerkte einmal, wie empfindlich man für seinen Namen ist, mit
dem man sich verwachsen fühlt wie mit seiner _Haut_, als _Herder_ auf
seinen Namen dichtete:

    »Der du von _Göttern_ abstammst, von Goten oder vom Kote« --
    »So seid ihr _Götterbilder_ auch zu _Staub_.«

Ich merke, daß die Abschweifung über den Mißbrauch von Namen nur diese
Klage vorbereiten sollte. Aber brechen wir hier ab. -- Der Einkauf in
Spalato mahnt mich an einen anderen Einkauf in Cattaro, bei dem ich
allzu zurückhaltend war und die Gelegenheit zu schönen Erwerbungen
versäumte. (Die Gelegenheit bei der Amme versäumt, s. o.) Einer der
Traumgedanken, die dem Träumer der Hunger eingibt, lautet nämlich: _Man
soll sich nichts entgehen lassen, nehmen, was man haben kann, auch wenn
ein kleines Unrecht dabei mitläuft; man soll keine Gelegenheit
versäumen, das Leben ist so kurz, der Tod unvermeidlich._ Weil es auch
sexuell gemeint ist und weil die Begierde vor dem Unrecht nicht
haltmachen will, hat dieses »carpe diem« die Zensur zu fürchten und muß
sich hinter einem Traume verbergen. Dazu kommen nun alle Gegengedanken
zu Wort, die Erinnerung an die Zeit, da die _geistige Nahrung_ dem
Träumer allein genügte, alle Abhaltungen und selbst die Drohungen mit
den ekelhaften sexuellen Strafen.

 Ein revolutionärer Traum.

II. Ein zweiter Traum erfordert einen längeren Vorbericht:

Ich bin auf den Westbahnhof gefahren, um meine Ferienreise nach Aussee
anzutreten, gehe aber schon zum früher abgehenden Ischler Zuge auf den
Perron. Dort sehe ich nun den Grafen _Thun_ dastehen, der wiederum zum
Kaiser nach Ischl fährt. Er war trotz des Regens im offenen Wagen
angekommen, direkt durch die Eingangstür für Lokalzüge hinausgetreten
und hatte den Türhüter, der ihn nicht kannte und ihm das Billett
abnehmen wollte, mit einer kurzen Handbewegung ohne Erklärung von sich
gewiesen. Ich soll dann, nachdem er im Ischler Zuge abgefahren ist, den
Perron wieder verlassen und in den heißen Wartesaal zurückgehen, setze
es aber mühselig durch, daß ich bleiben darf. Ich vertreibe mir die
Zeit, aufzupassen, wer da kommen wird, um sich auf dem Protektionswege
ein Coupé anweisen zu lassen; nehme mir vor, dann Lärm zu schlagen,
d. h. gleiches Recht zu verlangen. Unterdessen singe ich mir etwas vor,
was ich dann als die Arie aus Figaros Hochzeit erkenne:

    »Will der Herr Graf ein Tänzelein wagen,
                            Tänzelein wagen,
    Soll er's nur sagen,
    Ich spiel' ihm eins auf.«

(Ein anderer hätte den Gesang vielleicht nicht erkannt.)

Ich war den ganzen Abend in übermütiger, streitlustiger Stimmung
gewesen, hatte Kellner und Kutscher gefrozzelt, hoffentlich ohne ihnen
wehe zu tun; nun gehen mir allerlei freche und revolutionäre Gedanken
durch den Kopf, wie sie zu den Worten Figaros passen und zur Erinnerung
an die Komödie von _Beaumarchais_, die ich in der Comédie française
aufführen gesehen. Das Wort von den großen Herren, die sich die Mühe
gegeben haben, geboren zu werden; das Herrenrecht, das der Graf Almaviva
bei Susanne zur Geltung bringen will; die Scherze, die unsere bösen
oppositionellen Tagschreiber mit dem Namen des Grafen _Thun_ anstellen,
indem sie ihn Graf Nichtsthun nennen. Ich beneide ihn wirklich nicht; er
hat jetzt einen schweren Gang zum Kaiser, und _ich_ bin der eigentliche
Graf _Nichtsthun_; ich gehe auf Ferien. Allerlei lustige Ferienvorsätze
dazu. Es kommt nun ein Herr, der mir als Regierungsvertreter bei den
medizinischen Prüfungen bekannt ist, und der sich durch seine Leistungen
in dieser Rolle den schmeichelhaften Beinamen des »Regierungsbeischläfers«
zugezogen hat. Er verlangt unter Berufung auf seine amtliche
Eigenschaft ein Halbcoupé erster Klasse und ich höre den
Beamten zu einem anderen sagen: Wo geben wir den Herrn mit der halben
Ersten hin? Eine nette Bevorzugung; ich zahle meine erste Klasse ganz.
Ich bekomme dann auch ein Coupé für mich, aber nicht in einem
durchgehenden Wagen, so daß mir die Nacht über kein Abort zur Verfügung
steht. Meine Klage beim Beamten hat keinen Erfolg; ich räche mich, indem
ich ihm den Vorschlag mache, in diesem Coupé wenigstens ein Loch im
Boden anbringen zu lassen für etwaige Bedürfnisse der Reisenden. Ich
erwache auch wirklich um ¾3 Uhr morgens mit Harndrang aus nachstehendem
Traume.

Menschenmenge, Studentenversammlung. -- _Ein Graf (Thun oder Taaffe)
redet. Aufgefordert, etwas über die Deutschen zu sagen, erklärt er mit
höhnischer Gebärde für ihre Lieblingsblume den Huflattich und steckt
dann etwas wie ein zerfetztes Blatt, eigentlich ein zusammengeknülltes
Blattgerippe ins Knopfloch. Ich fahre auf, fahre also auf(73), wundere
mich aber doch über diese meine Gesinnung._ Dann undeutlicher: _Als ob
es die Aula wäre, die Zugänge besetzt, und man müßte fliehen. Ich bahne
mir den Weg durch eine Reihe von schön eingerichteten Zimmern, offenbar
Regierungszimmern mit Möbeln in einer Farbe zwischen braun und violett,
und komme endlich in einen Gang, in dem eine Haushälterin, ein älteres
dickes Frauenzimmer, sitzt. Ich vermeide es, mit ihr zu sprechen; sie
hält mich aber offenbar für berechtigt, hier zu passieren, denn sie
fragt, ob sie mit der Lampe mitgehen soll. Ich deute oder sage ihr, sie
soll auf der Treppe stehen bleiben, und komme mir dabei sehr schlau vor,
daß ich die Kontrolle am Ende vermeide. So bin ich drunten und finde
einen schmalen, steil aufsteigenden Weg, den ich gehe._

  (73) Diese Wiederholung hat sich, scheinbar aus Zerstreutheit, in den
  Text des Traumes eingeschlichen und wird von mir belassen, da die
  Analyse zeigt, daß sie ihre Bedeutung hat.

Wieder undeutlich . . . . _Als ob jetzt die zweite Aufgabe käme, aus der
Stadt wegzukommen, wie früher aus dem Hause. Ich fahre in einem
Einspänner und gebe ihm Auftrag, zu einem Bahnhofe zu fahren. »Auf der
Bahnstrecke selbst kann ich nicht mit Ihnen fahren,« sage ich, nachdem
er einen Einwand gemacht hat, als ob ich ihn übermüdet hätte. Dabei ist
es, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit
der Bahn fährt. Die Bahnhöfe sind besetzt; ich überlege, ob ich nach
Krems oder Znaim soll, denke aber, dort wird der Hof sein, und
entscheide mich für Graz oder so etwas. Nun sitze ich im Waggon, der
ähnlich einem Stadtbahnwagen ist, und habe im Knopfloch ein eigentümlich
geflochtenes, langes Ding, daran violettbraune Veilchen aus starrem
Stoffe, was den Leuten sehr auffällt._ Hier bricht die Szene ab.

_Ich bin wieder vor dem Bahnhofe, aber zu zweit mit einem älteren Herrn,
erfinde einen Plan, um unerkannt zu bleiben, sehe diesen Plan aber auch
schon ausgeführt. Denken und Erleben ist hier gleichsam eins. Er stellt
sich blind, wenigstens auf einem Auge, und ich halte ihm ein männliches
Uringlas vor (das wir in der Stadt kaufen mußten oder gekauft haben).
Ich bin also sein Krankenpfleger und muß ihm das Glas geben, weil er
blind ist. Wenn der Kondukteur uns so sieht, muß er uns als unauffällig
entkommen lassen. Dabei ist die Stellung des Betreffenden und sein
urinierendes Glied plastisch gesehen._ Darauf das Erwachen mit
Harndrang.

Der ganze _Traum_ macht etwa den Eindruck einer Phantasie, die den
Träumer in das Revolutionsjahr 1848 versetzt, dessen Andenken ja durch
das Jubiläum des Jahres 1898 erneuert war, wie überdies durch einen
kleinen Ausflug in die _Wachau_, bei dem ich Emmersdorf kennen gelernt
hatte, welchen Ort ich fälschlich für den Ruhesitz des Studentenführers
_Fischhof_ hielt, auf den einige Züge des manifesten Trauminhaltes
weisen mögen. Die Gedankenverbindung führt mich dann nach England, in
das Haus meines Bruders, der seiner Frau scherzhaft vorzuhalten pflegte
»_Fifty_ years ago« nach dem Titel eines Gedichtes von Lord _Tennyson_,
worauf die Kinder zu rektifizieren gewöhnt waren: _Fifteen_ years ago.
Diese Phantasie, die sich an die Gedanken anschließt, welche der Anblick
des Grafen _Thun_ hervorgerufen hatte, ist aber nur wie die Fassade
italienischer Kirchen ohne organischen Zusammenhang dem Gebäude dahinter
vorgesetzt; anders als diese Fassaden ist sie übrigens lückenhaft,
verworren, und Bestandteile aus dem Innern drängen sich an vielen
Stellen durch. Die erste Situation des Traumes ist aus mehreren Szenen
zusammengebraut, in die ich sie zerlegen kann. Die hochmütige Stellung
des Grafen im Traume ist kopiert nach einer Gymnasialszene aus meinem
_15. Jahre_. Wir hatten gegen einen mißliebigen und ignoranten Lehrer
eine Verschwörung angezettelt, deren Seele ein Kollege war, der sich
seitdem _Heinrich VIII._ von _England_ zum Vorbilde genommen zu haben
scheint. Die Führung des Hauptschlages fiel mir zu, und eine Diskussion
über die Bedeutung der Donau für Österreich (_Wachau!_) war der Anlaß,
bei dem es zur offenen Empörung kam. Ein Mitverschworener war der
einzige aristokratische Kollege, den wir hatten, wegen seiner
auffälligen Längenentwicklung die »_Giraffe_« genannt, und der stand,
vom Schultyrannen, dem Professor der _deutschen_ Sprache, zur Rede
gestellt, so da wie der Graf im Traume. Das Erklären der Lieblingsblume
und Ins-Knopfloch-Stecken von etwas, was wieder eine Blume sein muß (was
an die Orchideen erinnert, die ich einer Freundin am selben Tage
gebracht hatte, und außerdem an eine Rose von _Jericho_), mahnt
auffällig an die Szene aus den Königsdramen _Shakespeares_, die den
Bürgerkrieg der _roten_ und der _weißen_ Rose eröffnet; die Erwähnung
Heinrichs VIII. hat den Weg zu dieser Reminiszenz gebahnt. Dann ist es
nicht weit von den Rosen zu den roten und weißen Nelken. (Dazwischen
schieben sich in der Analyse zwei Verslein ein, eins _deutsch_, das
andere _spanisch_: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. --
_Isabelita_, no llores que se marchitan las flores. Das Spanische vom
_Figaro_ her.) Die weißen Nelken sind bei uns in Wien das Abzeichen der
_Antisemiten_, die roten das der _Sozialdemokraten_ geworden. Dahinter
eine Erinnerung an eine antisemitische Herausforderung während einer
Eisenbahnfahrt im schönen Sachsenland (_Angelsachsen_). Die dritte
Szene, welche Bestandteile für die Bildung der ersten Traumsituation
abgegeben hat, fällt in meine erste Studentenzeit. In einem _deutschen_
Studentenvereine gab es eine Diskussion über das Verhältnis der
Philosophie zu den Naturwissenschaften. Ich grüner Junge, der
materialistischen Lehre voll, drängte mich vor, um einen höchst
einseitigen Standpunkt zu vertreten. Da erhob sich ein überlegener
älterer Kollege, der seitdem seine Fähigkeit erwiesen hat, Menschen zu
lenken und Massen zu organisieren, der übrigens auch einen Namen aus dem
Tierreiche trägt, und machte uns tüchtig herunter; auch er habe in
seiner Jugend die Schweine gehütet und sei dann reuig ins Vaterhaus
zurückgekehrt. Ich _fuhr auf_ (wie im Traume), wurde _saugrob_ und
antwortete, seitdem ich wüßte, daß er die _Schweine_ gehütet, _wunderte
ich mich nicht_ mehr über den Ton seiner Reden. (Im Traume _wundere_ ich
mich über meine deutschnationale Gesinnung.) Großer Aufruhr; ich wurde
von vielen Seiten aufgefordert, meine Worte zurückzunehmen, blieb aber
standhaft. Der Beleidigte war zu verständig, um das Ansinnen einer
_Herausforderung_, das man an ihn richtete, anzunehmen, und ließ die
Sache auf sich beruhen.

Die übrigen Elemente der Traumszene stammen aus tieferen Schichten. Was
soll es bedeuten, daß der Graf den »Huflattich« proklamiert? Hier muß
ich meine Assoziationsreihe befragen. _Huflattich_ -- _lattice_ --
_Salat_ -- _Salathund_ (der Hund, der anderen nicht gönnt, was er doch
selber nicht frißt). Hier sieht man durch auf einen Vorrat an
Schimpfwörtern: _Gir-affe_, _Schwein_, _Sau_, _Hund_; ich wüßte auch auf
dem Umwege über einen Namen zu einem _Esel_ zu gelangen und damit wieder
zu einem Hohn auf einen akademischen Lehrer. Außerdem übersetze ich mir
-- ich weiß nicht, ob mit Recht -- _Huflattich_ mit »_pisse-en-lit_«;
die Kenntnis kommt mir aus dem _Germinal Zolas_, in dem die Kinder
aufgefordert werden, solchen Salat mitzubringen. Der Hund -- _chien_ --
enthält in seinem Namen einen Anklang an die größere Funktion (_chier_,
wie _pisser_ für die kleinere). Nun werden wir bald das Unanständige in
allen drei Aggregatzuständen beisammen haben; denn im selben _Germinal_,
der mit der künftigen Revolution genug zu tun hat, ist ein ganz
eigentümlicher Wettkampf beschrieben, der sich auf die Produktion
gasförmiger Exkretionen, _Flatus_ genannt, bezieht(74). Und nun muß ich
bemerken, wie der Weg zu diesen Flatus seit langem angelegt ist, von den
_Blumen_ aus über das _spanische_ Verslein, die _Isabelita_, zu
_Isabella_ und _Ferdinand_, über _Heinrich VIII._, die englische
Geschichte zum Kampfe der Armada gegen _England_, nach dessen
siegreicher Beendigung die Engländer eine Medaille prägten mit der
Inschrift: _Afflavit_ et dissipati sunt, da der Sturmwind die spanische
Flotte zerstreut hatte. Diesen Spruch gedachte ich aber zur halb
scherzhaft gemeinten Überschrift des Kapitels »Therapie« zu nehmen, wenn
ich je dazu gelangen sollte, ausführliche Kunde von meiner Auffassung
und Behandlung der Hysterie zu geben.

  (74) Nicht im _Germinal_, sondern in _La Terre_. Ein Irrtum, der mir
  erst nach der Analyse bemerklich wird. -- Ich mache übrigens auf die
  identischen Buchstaben in #Huflattich# und #Flatus# aufmerksam.

Von der zweiten Szene des Traumes kann ich eine so ausführliche
Auflösung nicht geben, und zwar aus Rücksichten der Zensur. Ich setze
mich hier nämlich an die Stelle eines hohen Herrn jener Revolutionszeit,
der auch ein Abenteuer mit einem _Adler_ gehabt, an incontinentia alvi
gelitten haben soll u. dgl., und ich glaube, _ich wäre nicht berechtigt,
hier_ die Zensur _zu passieren_, obwohl ein _Hofrat_ (_Aula_,
consiliarius _aulicus_) mir den größeren Teil jener Geschichten erzählt
hat. Die Reihe von Zimmern im Traume verdankt ihre Anregung dem
Salonwagen Sr. Exzellenz, in den ich einen Moment hineinblicken konnte;
sie bedeutet aber, wie so häufig im Traume, _Frauenzimmer_ (ärarische
Frauenzimmer). Mit der Person der Haushälterin statte ich einer
geistreichen älteren Dame schlechten Dank für die Bewirtung und die
vielen guten Geschichten ab, die mir in ihrem Hause geboten worden sind.
-- Der Zug mit der Lampe geht auf _Grillparzer_ zurück, der ein
reizendes Erlebnis ähnlichen Inhaltes notiert und dann in _Hero_ und
_Leander_ (des _Meeres_ und der Liebe _Wellen_ -- die _Armada_ und der
_Sturm_) verwendet hat(75).

  (75) An diesem Teil des Traumes hat H. _Silberer_ in einer
  inhaltsreichen Arbeit (Phantasie und Mythos, 1910) zu zeigen versucht,
  daß die Traumarbeit nicht nur die latenten Traumgedanken, sondern auch
  die psychischen Vorgänge bei der Traumbildung wiederzugeben vermöge.
  (»Das funktionale Phänomen«.) Ich meine aber, er übersieht dabei, daß
  die »psychischen Vorgänge bei der Traumbildung« für mich ein
  Gedanken_material_ sind wie alles andere. In diesem übermütigen Traum
  bin ich offenbar stolz darauf, diese Vorgänge entdeckt zu haben.

 Infantile Wurzeln des revolutionären Traumes.

Auch die detaillierte Analyse der beiden übrigen Traumstücke muß ich
zurückhalten; ich werde nur jene Elemente herausgreifen, die zu den
beiden Kinderszenen führen, um deren Willen ich den Traum überhaupt
aufgenommen habe. Man wird mit Recht vermuten, daß es sexuelles Material
ist, welches mich zu dieser Unterdrückung nötigt; man braucht sich aber
mit dieser Aufklärung nicht zufrieden zu geben. Man macht doch sich
selbst aus vielem kein Geheimnis, was man vor anderen als Geheimnis
behandeln muß, und hier handelt es sich nicht um die Gründe, die mich
nötigen, die Lösung zu verbergen, sondern um die Motive der inneren
Zensur, welche den eigentlichen Inhalt des Traumes vor mir selbst
verstecken. Ich muß also darum sagen, daß die Analyse diese drei
Traumstücke als impertinente Prahlereien, als Ausfluß eines
lächerlichen, in meinem wachen Leben längst unterdrückten Größenwahnes
erkennen läßt, der sich mit einzelnen Ausläufern bis in den manifesten
Trauminhalt wagt (_ich komme mir schlau vor_), allerdings die übermütige
Stimmung des Abends vor dem Träumen trefflich verstehen läßt. Prahlerei
zwar auf allen Gebieten; so geht die Erwähnung von _Graz_ auf die
Redensart: _Was kostet Graz?_ in der man sich gefällt, wenn man sich
überreich mit _Geld_ versehen glaubt. Wer an Meister _Rabelais_'
unübertroffene Schilderung von dem Leben und Taten des _Gargantua_ und
seines Sohnes _Pantagruel_ denken will, wird auch den angedeuteten
Inhalt des ersten Traumstückes unter die Prahlereien einreihen können.
Zu den zwei versprochenen Kinderszenen gehört aber folgendes: Ich hatte
für diese Reise einen _neuen_ Koffer gekauft, dessen Farbe, ein
_Braunviolett_, im Traume mehrmals auftritt (_violettbraune_ Veilchen
aus starrem Stoffe neben einem Dinge, das man »Mädchenfänger« heißt --
die Möbel in den Regierungszimmern). Daß man mit etwas _Neuem_ den
_Leuten auffällt_, ist ein bekannter Kinderglaube. Nun ist mir folgende
Szene aus meinem Kinderleben erzählt worden, deren Erinnerung ersetzt
ist durch die Erinnerung an die Erzählung. Ich soll -- im Alter von zwei
Jahren -- noch gelegentlich das _Bett naß_ gemacht haben, und als ich
dafür Vorwürfe zu hören bekam, den Vater durch das Versprechen
_getröstet_ haben, daß ich ihm in N. (der nächsten größeren Stadt) ein
_neues_ schönes, _rotes_ Bett kaufen werde. (Daher im Traume die
Einschaltung, daß wir das _Glas in der Stadt gekauft haben_ oder _kaufen
mußten_; was man versprochen hat, _muß_ man halten.) (Man beachte
übrigens die Zusammenstellung des männlichen Glases und des weiblichen
Koffers, box.) Der ganze Größenwahn des Kindes ist in diesem Versprechen
enthalten. Die Bedeutung der Harnschwierigkeiten des Kindes für den
Traum ist uns bereits bei einer früheren Traumdeutung (vgl. den Traum
p. 151) aufgefallen. Aus den Psychoanalysen an Neurotischen haben wir
auch den intimen Zusammenhang des Bettnässens mit dem Charakterzug des
Ehrgeizes erkannt.

Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich sieben
oder acht Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte
mich abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Diskretion hinweg,
Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu
verrichten, und der Vater ließ in seiner Strafrede darüber die Bemerkung
fallen: aus dem Buben wird nichts werden. Es muß eine furchtbare
Kränkung für meinen Ehrgeiz gewesen sein, denn Anspielungen an diese
Szene kehren immer in meinen Träumen wieder und sind regelmäßig mit
Aufzählung meiner Leistungen und Erfolge verknüpft, als wollte ich
sagen: Siehst du, ich bin doch etwas geworden. Diese Kinderszene gibt
nun den Stoff für das letzte Bild des Traumes, in dem natürlich zur
Rache die Rollen vertauscht sind. Der ältere Mann, offenbar der Vater,
da die Blindheit auf einem Auge sein einseitiges Glaukom bedeutet(76),
uriniert jetzt vor mir wie ich damals vor ihm. Mit dem Glaukom mahne ich
ihn an das Kokain, das ihm bei der Operation zu gute kam, als hätte ich
damit mein Versprechen erfüllt. Außerdem mache ich mich über ihn lustig;
weil er blind ist, muß ich ihm das _Glas_ vorhalten und schwelge in
Anspielungen auf meine Erkenntnisse in der Lehre von der Hysterie, auf
die ich stolz bin(77).

  (76) Andere Deutung: Er ist einäugig wie _Odhin_, der Göttervater. --
  _Odhins Trost._ -- Der _Trost_ aus der Kinderszene, daß ich ihm ein
  neues Bett kaufen werde.

  (77) Dazu einiges Deutungsmaterial: Das Vorhalten des Glases erinnert
  an die Geschichte vom Bauern, der beim Optiker Glas nach Glas
  versucht, aber nicht lesen kann. -- (Bauern_fänger_ -- Mädchen_fänger_
  im vorigen Traumstück.) -- Die Behandlung des schwachsinnig gewordenen
  Vaters bei den Bauern in _Zolas_ La Terre. -- Die traurige Genugtuung,
  daß der Vater in seinen letzten Lebenstagen wie ein Kind das Bett
  beschmutzt hat; daher bin ich im Traume sein Krankenpfleger. --
  »Denken und Erleben sind hier gleichsam eins« erinnert an ein stark
  revolutionäres Buchdrama von _Oskar Panizza_, in dem Gottvater als
  paralytischer Greis schmählich genug behandelt wird; dort heißt es:
  Wille und Tat sind bei ihm eins, und er muß von seinem Erzengel, einer
  Art Ganymed, abgehalten werden zu schimpfen und zu fluchen, weil diese
  Verwünschungen sich sofort erfüllen würden. -- Das _Plänemachen_ ist
  ein aus späterer Zeit der Kritik stammender Vorwurf gegen den Vater,
  wie überhaupt der ganze rebellische, majestätsbeleidigende und die
  hohe Obrigkeit verhöhnende Inhalt des Traumes auf Auflehnung gegen den
  Vater zurückgeht. Der Fürst heißt Landesvater, und der Vater ist die
  älteste, erste, für das Kind einzige Autorität, aus dessen
  Machtvollkommenheit im Laufe der menschlichen Kulturgeschichte die
  anderen sozialen Obrigkeiten hervorgegangen sind (insofern nicht das
  »Mutterrecht« zur Einschränkung dieses Satzes nötigt.) -- Die Fassung
  im Traume »Denken und Erleben sind Eins«, zielt auf die Erklärung der
  hysterischen Symptome, zu der auch das _männliche Glas_ eine Beziehung
  hat. Einem Wiener brauchte ich das _Prinzip des »Gschnas«_ nicht
  auseinanderzusetzen; es besteht darin, Gegenstände von seltenem und
  wertvollem Ansehen aus trivialem, am liebsten komischem und wertlosem
  Material herzustellen, z. B. Rüstungen aus Kochtöpfen, Strohwischen
  und Salzstangeln, wie es unsere Künstler an ihren lustigen Abenden
  lieben. Ich hatte nun gemerkt, daß die Hysterischen es ebenso machen;
  neben dem, was ihnen wirklich zugestoßen ist, gestalten sie sich
  unbewußt gräßliche oder ausschweifende Phantasiebegebenheiten, die sie
  aus dem harmlosesten und banalsten Material des Erlebens aufbauen. An
  diesen Phantasien hängen erst die Symptome, nicht an den Erinnerungen
  der wirklichen Begebenheiten, seien diese nun ernsthaft oder
  gleichfalls harmlos. Diese Aufklärung hatte mir über viele
  Schwierigkeiten hinweggeholfen und machte mir viel Freude. Ich konnte
  sie mit dem Traumelement des »_männlichen Glases_« andeuten, weil mir
  von dem letzten »Gschnasabend« erzählt worden war, es sei dort ein
  Giftbecher der Lukretia Borgia ausgestellt gewesen, dessen Kern und
  Hauptbestandteil ein _Uringlas_ für Männer, wie es in den Spitälern
  gebräuchlich ist, gebildet hätte.

Wenn die beiden Urinierszenen aus der Kindheit bei mir ohnedies mit dem
Thema der Größensucht eng verbunden sind, so kam ihrer Erweckung auf der
Reise nach Aussee noch der zufällige Umstand zu gute, daß mein Coupé
kein Klosett besaß, und ich vorbereitet sein mußte, während der Fahrt in
Verlegenheit zu kommen, was dann am Morgen auch eintraf. Ich erwachte
dann mit den Empfindungen des körperlichen Bedürfnisses. Ich meine, man
könnte geneigt sein, diesen Empfindungen die Rolle des eigentlichen
Traumerregers zuzuweisen, würde aber einer anderen Auffassung den Vorzug
geben, nämlich daß die Traumgedanken erst den Harndrang hervorgerufen
haben. Es ist bei mir ganz ungewöhnlich, daß ich durch irgend ein
Bedürfnis im Schlafe gestört werde, am wenigsten um die Zeit dieses
Erwachens, ¾3 Uhr morgens. Einem weiteren Einwand begegne ich durch die
Bemerkung, daß ich auf anderen Reisen unter bequemeren Verhältnissen
fast niemals den Harndrang nach frühzeitigem Erwachen verspürt habe.
Übrigens kann ich diesen Punkt auch ohne Schaden unentschieden lassen.

Seitdem ich ferner durch Erfahrungen bei der Traumanalyse aufmerksam
gemacht worden bin, daß auch von Träumen, deren Deutung zunächst
vollständig erscheint, weil Traumquellen und Wunscherreger leicht
nachweisbar sind, -- daß auch von solchen Träumen wichtige Gedankenfäden
ausgehen, die bis in die früheste Kindheit hineinreichen, habe ich mich
fragen müssen, ob nicht auch in diesem Zuge eine wesentliche Bedingung
des Träumens gegeben ist. Wenn ich diesen Gedanken verallgemeinern
dürfte, so käme jedem Traum in seinem manifesten Inhalt eine Anknüpfung
an das rezent Erlebte zu, in seinem latenten Inhalt aber eine Anknüpfung
an das älteste Erlebte, von dem ich bei der Analyse der Hysterie
wirklich zeigen kann, daß es in gutem Sinne bis auf die Gegenwart rezent
geblieben ist. Diese Vermutung erscheint aber noch recht schwer
erweislich; ich werde auf die wahrscheinliche Rolle frühester
Kindheitserlebnisse für die Traumbildung noch in anderem Zusammenhang
(Abschnitt VII) zurückkommen müssen.

Von den drei eingangs betrachteten Besonderheiten des Traumgedächtnisses
hat sich uns die eine -- die Bevorzugung des Nebensächlichen im
Trauminhalt -- durch ihre Zurückführung auf die _Traumentstellung_
befriedigend gelöst. Die beiden anderen, die Auszeichnung des Rezenten
wie des Infantilen haben wir bestätigen, aber nicht aus den Motiven des
Träumens ableiten können. Wir wollen diese beiden Charaktere, deren
Erklärung oder Verwertung uns erübrigt, im Gedächtnis behalten; sie
werden anderswo ihre Einreihung finden müssen, entweder in der
Psychologie des Schlafzustandes oder bei jenen Erwägungen über den
Aufbau des seelischen Apparates, die wir später anstellen werden, wenn
wir gemerkt haben, daß man durch die Traumdeutung wie durch eine
Fensterlücke in das Innere desselben einen Blick werfen kann.

Ein anderes Ergebnis der letzten Traumanalysen will ich aber gleich hier
hervorheben. Der Traum erscheint häufig _mehrdeutig_; es können nicht
nur, wie Beispiele zeigen, mehrere Wunscherfüllungen nebeneinander in
ihm vereinigt sein; es kann auch ein Sinn, eine Wunscherfüllung die
andere decken, bis man zu unterst auf die Erfüllung eines Wunsches aus
der ersten Kindheit stößt; und auch hier wieder die Erwägung, ob in
diesem Satze das »häufig« nicht richtiger durch »regelmäßig« zu ersetzen
ist(78).

  (78) Die Übereinanderschichtung der Bedeutungen des Traumes ist eines
  der heikelsten, aber auch inhaltsreichsten Probleme der Traumdeutung.
  Wer an diese Möglichkeit vergißt, wird leicht irregehen und zur
  Aufstellung unhaltbarer Behauptungen über das Wesen des Traumes
  verleitet werden. Doch sind über dieses Thema noch viel zu wenige
  Untersuchungen angestellt worden. Bisher hat nur die ziemlich
  regelmäßige Symbolschichtung im Harnreiztraume eine gründliche
  Würdigung durch O. _Rank_ erfahren (s. u. p. 291).


c) _Die somatischen Traumquellen_.

Wenn man den Versuch macht, einen gebildeten Laien für die Probleme des
Träumens zu interessieren, und in dieser Absicht die Frage an ihn
richtet, aus welchen Quellen wohl nach seiner Meinung die Träume
herrühren, so merkt man zumeist, daß der Gefragte im gesicherten Besitze
eines Teiles der Lösung zu sein vermeint. Er gedenkt sofort des
Einflusses, den gestörte oder beschwerte Verdauung (»Träume kommen aus
dem Magen«), zufällige Körperlage und kleine Erlebnisse während des
Schlafens auf die Traumbildung äußern, und scheint nicht zu ahnen, daß
nach Berücksichtigung all dieser Momente etwas der Erklärung Bedürftiges
noch erübrigt.

 Die somatischen Traumquellen nach den Autoren.

Welche Rolle für die Traumbildung die wissenschaftliche Literatur den
somatischen Reizquellen zugesteht, haben wir im einleitenden Abschnitt
(p. 16 u. ff.) ausführlich auseinandergesetzt, so daß wir uns hier nur
an die Ergebnisse dieser Untersuchung zu erinnern brauchen. Wir haben
gehört, daß dreierlei somatische Reizquellen unterschieden werden, die
von äußeren Objekten ausgehenden objektiven Sinnesreize, die nur
subjektiv begründeten inneren Erregungszustände der Sinnesorgane und die
aus dem Körperinnern stammenden Leibreize, und wir haben die Neigung der
Autoren bemerkt, neben diesen somatischen Reizquellen etwaige psychische
Quellen des Traumes in den Hintergrund zu drängen oder ganz
auszuschalten (p. 31). Bei der Prüfung der Ansprüche, welche zu gunsten
dieser Klassen von somatischen Reizquellen erhoben werden, haben wir
erfahren, daß die Bedeutung der objektiven Sinnesorganerregungen --
teils zufällige Reize während des Schlafes, teils solche, die sich auch
vom schlafenden Seelenleben nicht fern halten lassen -- durch zahlreiche
Beobachtungen sichergestellt wird und durch das Experiment eine
Bestätigung erfährt (p. 19), daß die Rolle der subjektiven
Sinneserregungen durch die Wiederkehr der hypnagogischen Sinnesbilder in
den Träumen (p. 24) dargetan erscheint, und daß die im weitesten Umfang
angenommene Zurückführung unserer Traumbilder und Traumvorstellungen auf
inneren Leibreiz zwar nicht in ihrer ganzen Breite beweisbar ist, aber
sich an die allbekannte Beeinflussung anlehnen kann, welche der
Erregungszustand der Digestions-, Harn- und Sexualorgane auf den Inhalt
unserer Träume ausübt.

»_Nervenreiz_« und »_Leibreiz_« wären also die somatischen Quellen des
Traumes, d. h. nach mehreren Autoren die einzigen Quellen des Traumes
überhaupt.

Wir haben aber auch bereits einer Reihe von Zweifeln Gehör geschenkt,
welche nicht sowohl die Richtigkeit als vielmehr die Zulänglichkeit der
somatischen Reiztheorie anzugreifen schienen.

So sicher sich alle Vertreter dieser Lehre bezüglich deren tatsächlichen
Grundlagen fühlen mußten -- zumal soweit die akzidentellen und äußeren
Nervenreize in Betracht kommen, die im Trauminhalt wiederzufinden
keinerlei Mühe erfordert --, so blieb doch keiner der Einsicht fern, daß
der reiche Vorstellungsinhalt der Träume eine Ableitung aus den äußeren
Nervenreizen allein wohl nicht zulasse. _Miß Mary Whiton Calkins_ hat
ihre eigenen Träume und die einer zweiten Person durch sechs Wochen
hindurch von diesem Gesichtspunkte aus geprüft und nur 13.2% respektive
6.7% gefunden, in denen das Element äußerer Sinneswahrnehmung
nachweisbar war; nur zwei Fälle der Sammlung ließen sich auf organische
Empfindungen zurückführen. Die Statistik bestätigt uns hier, was uns
bereits eine flüchtige Überschau unserer eigenen Erfahrungen hatte
vermuten lassen.

Man beschied sich vielfach, den »Nervenreiztraum« als eine gut
erforschte Unterart des Traumes vor anderen Traumformen hervorzuheben.
_Spitta_ trennte die Träume in _Nervenreiz-_ und _Assoziationstraum_. Es
war aber klar, daß die Lösung unbefriedigend blieb, solange es nicht
gelang, das Band zwischen den somatischen Traumquellen und dem
Vorstellungsinhalt des Traumes nachzuweisen.

Neben den ersten Einwand, der Unzulänglichkeit in der Häufigkeit der
äußeren Reizquellen, stellt sich so als zweiter die Unzulänglichkeit in
der Aufklärung des Traumes, die durch die Einführung dieser Art von
Traumquellen zu erreichen ist. Die Vertreter der Lehre sind uns zwei
solcher Aufklärungen schuldig, erstens warum der äußere Reiz im Traume
nicht in seiner wirklichen Natur erkannt, sondern regelmäßig verkannt
wird (vgl. die Weckerträume, p. 21), und zweitens warum das Resultat der
Reaktion der wahrnehmenden Seele auf diesen verkannten Reiz so
unbestimmbar wechselvoll ausfallen kann. Als Antwort auf diese Frage
haben wir von _Strümpell_ gehört, daß die Seele infolge ihrer Abwendung
von der Außenwelt während des Schlafens nicht im stande ist, die
richtige Deutung des objektiven Sinnesreizes zu geben, sondern genötigt
wird, auf Grund der nach vielen Richtungen unbestimmten Anregung
Illusionen zu bilden, in seinen Worten ausgedrückt (p. 108):

»Sobald durch einen äußeren oder inneren Nervenreiz während des Schlafes
in der Seele eine Empfindung oder ein Empfindungskomplex, ein Gefühl,
überhaupt ein psychischer Vorgang entsteht und von der Seele perzipiert
wird, so ruft dieser Vorgang aus dem der Seele vom Wachen her
verbliebenen Erfahrungskreise Empfindungsbilder, also frühere
Wahrnehmungen, entweder nackt oder mit zugehörigen psychischen Werten
hervor. Er sammelt gleichsam um sich eine größere oder kleinere Anzahl
solcher Bilder, durch welche der vom Nervenreiz herrührende Eindruck
seinen psychischen Wert bekommt. Man sagt gewöhnlich auch hier, wie es
der Sprachgebrauch für das wache Verhalten tut, daß die Seele im Schlafe
die Nervenreizeindrücke _deute_. Das Resultat dieser Deutung ist der
sogenannte _Nervenreiztraum_, d. h. ein Traum, dessen Bestandteile
dadurch bedingt sind, daß ein Nervenreiz nach den Gesetzen der
Reproduktion seine psychische Wirkung im Seelenleben vollzieht.«

In allem Wesentlichen mit dieser Lehre identisch ist die Äußerung von
_Wundt_, die Vorstellungen des Traumes gehen jedenfalls zum größten Teil
von Sinnesreizen aus, namentlich auch von solchen des allgemeinen
Sinnes, und sind daher zumeist phantastische Illusionen, wahrscheinlich
nur zum kleineren Teil reine, zu Halluzinationen gesteigerte
Erinnerungsvorstellungen. Für das Verhältnis des Trauminhaltes zu den
Traumreizen, welches sich nach dieser Theorie ergibt, findet _Strümpell_
das treffliche Gleichnis (p. 84), es sei, wie »wenn die zehn Finger
eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instruments
hinlaufen«. Der Traum erschiene so nicht als ein seelisches Phänomen,
aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines
physiologischen Reizes, der sich in psychischer Symptomatologie äußert,
weil der vom Reize betroffene Apparat keiner anderen Äußerung fähig ist.
Auf eine ähnliche Voraussetzung ist z. B. die Erklärung der
Zwangsvorstellungen aufgebaut, die _Meynert_ durch das berühmte
Gleichnis vom Zifferblatt, auf dem einzelne Zahlen stärker gewölbt
vorspringen, zu geben versuchte.

So beliebt diese Lehre von den somatischen Traumreizen geworden ist und
so bestechend sie erscheinen mag, so ist es doch leicht, den schwachen
Punkt in ihr aufzuweisen. Jeder somatische Traumreiz, welcher im Schlafe
den seelischen Apparat zur Deutung durch Illusionsbildung auffordert,
kann ungezählt viele solcher Deutungsversuche anregen, also in ungemein
verschiedenen Vorstellungen seine Vertretung im Trauminhalt
erreichen(79). Die Lehre von _Strümpell_ und _Wundt_ ist aber unfähig,
irgend ein Motiv anzugeben, welches die Beziehung zwischen dem äußeren
Reiz und der zu seiner Deutung gewählten Traumvorstellung regelt, also
die »sonderbare Auswahl« zu erklären, welche die Reize »oft genug bei
ihrer reproduktiven Wirksamkeit treffen«. (_Lipps_, Grundtatsachen des
Seelenlebens, p. 170.) Andere Einwendungen richten sich gegen die
Grundvoraussetzung der ganzen Illusionslehre, daß die Seele im Schlafe
nicht in der Lage sei, die wirkliche Natur der objektiven Sinnesreize zu
erkennen. Der alte Physiologe _Burdach_ beweist uns, daß die Seele auch
im Schlafe sehr wohl fähig ist, die an sie gelangenden Sinneseindrücke
richtig zu deuten und der richtigen Deutung gemäß zu reagieren, indem er
ausführt, daß man gewisse, dem Individuum wichtig erscheinende
Sinneseindrücke von der Vernachlässigung während des Schlafes ausnehmen
kann (Amme und Kind), und daß man durch den eigenen Namen weit sicherer
geweckt wird als durch einen gleichgültigen Gehörseindruck, was ja
voraussetzt, daß die Seele auch im Schlafe zwischen den Sensationen
unterscheidet (Abschnitt I, p. 39/40). _Burdach_ folgert aus diesen
Beobachtungen, daß während des Schlafzustandes nicht eine Unfähigkeit,
die Sinnesreize zu deuten, sondern ein _Mangel an Interesse für sie_
anzunehmen ist. Die nämlichen Argumente, die _Burdach_ 1830 verwendet,
kehren dann zur Bekämpfung der somatischen Reiztheorie unverändert bei
_Lipps_ im Jahre 1883 wieder. Die Seele erscheint uns demnach wie der
Schläfer in der Anekdote, der auf die Frage »Schläfst du« antwortet
»Nein«, nach der zweiten Anrede, »dann leih' mir zehn Gulden« aber sich
hinter der Ausrede verschanzt: »Ich schlafe«.

  (79) Ich möchte jedermann raten, die in zwei Bänden gesammelten,
  ausführlichen und genauen Protokolle experimentell erzeugter Träume
  von _Mourly Vold_ durchzulesen, um sich zu überzeugen, wie wenig
  Aufklärung der Inhalt des einzelnen Traumes in den angegebenen
  Versuchsbedingungen findet, und wie gering überhaupt der Nutzen
  solcher Experimente für das Verständnis der Traumprobleme ist.

Die Unzulänglichkeit der Lehre von den somatischen Traumreizen läßt sich
auch auf andere Weise dartun. Die Beobachtung zeigt, daß ich durch
äußere Reize nicht zum Träumen genötigt werde, wenngleich diese Reize im
Trauminhalt erscheinen, sobald und für den Fall, daß ich träume. Gegen
einen Haut- oder Druckreiz etwa, der mich im Schlafe befällt, stehen mir
verschiedene Reaktionen zu Gebote. Ich kann ihn überhören und dann beim
Erwachen finden, daß z. B. ein Bein unbedeckt oder ein Arm gedrückt war;
die Pathologie zeigt mir ja die zahlreichsten Beispiele, daß
verschiedenartige und kräftig erregende Empfindungs- und Bewegungsreize
während des Schlafes wirkungslos bleiben. Ich kann die Sensation während
des Schlafes verspüren, gleichsam durch den Schlaf hindurch, wie es in
der Regel mit schmerzhaften Reizen geschieht, aber ohne den Schmerz in
einen Traum zu verweben; und ich kann drittens auf den Reiz erwachen, um
ihn zu beseitigen. Erst eine vierte mögliche Reaktion ist, daß ich durch
den Nervenreiz zum Traum veranlaßt werde; die anderen Möglichkeiten
werden aber mindestens ebenso häufig vollzogen wie die der Traumbildung.
Dies könnte nicht geschehen, wenn nicht das _Motiv des Träumens
außerhalb der somatischen Reizquellen läge_.

 Die _Scherner_sche Leibreiztheorie.

In gerechter Würdigung jener oben aufgedeckten Lücke in der Erklärung
des Traumes durch somatische Reize haben nun andere Autoren --
_Scherner_, dem der Philosoph _Volkelt_ sich anschloß -- die
Seelentätigkeiten, welche aus den somatischen Reizen die bunten
Traumbilder entstehen lassen, näher zu bestimmen gesucht, also doch
wieder das Wesen des Träumens ins Seelische und in eine psychische
Aktivität verlegt. _Scherner_ gab nicht nur eine poetisch
nachempfundene, glühend belebte Schilderung der psychischen
Eigentümlichkeiten, die sich bei der Traumbildung entfalten; er glaubte
auch das Prinzip erraten zu haben, nach dem die Seele mit den ihr
dargebotenen Reizen verfährt. In freier Betätigung der ihrer
Tagesfesseln entledigten Phantasie strebt nach _Scherner_ die
Traumarbeit dahin, die Natur des Organs, von dem der Reiz ausgeht, und
die Art dieses Reizes _symbolisch_ darzustellen. Es ergibt sich so eine
Art von Traumbuch als Anleitung zur Deutung der Träume, mittels dessen
aus Traumbildern auf Körpergefühle, Organzustände und Reizzustände
geschlossen werden darf. »So drückt das Bild der Katze die ärgerliche
Mißstimmung des Gemütes aus, das Bild des hellen und glatten Gebäcks die
Leibesnacktheit. Der menschliche Leib als Ganzes wird von der
Traumphantasie als Haus vorgestellt, das einzelne Körperorgan durch
einen Teil des Hauses. In den ›Zahnreizträumen‹ entspricht dem Mundorgan
ein hochgewölbter Hausflur und dem Hinabfall des Schlundes zur
Speiseröhre eine Treppe, im ›Kopfschmerztraum‹ wird zur Bezeichnung der
Höhenstellung des Kopfes die Decke eines Zimmers gewählt, welche mit
ekelhaften, krötenartigen Spinnen bedeckt ist« (p. 39). »Diese Symbole
werden vom Traume in mehrfacher Auswahl für das nämliche Organ
verwendet; so findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit
seinem Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die
Harnblase in runden, beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten
Gegenständen. Besonders wichtig ist es, daß am Schlusse des Traumes
öfter das erregende Organ oder dessen Funktion unverhüllt hingestellt
wird, und zwar zumeist an dem eigenen Leibe des Träumers. So endet der
›Zahnreiztraum‹ gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus
dem Munde zieht« (p. 35). Man kann nicht sagen, daß diese Theorie der
Traumdeutung viel Gunst bei den Autoren gefunden hat. Sie erschien vor
allem extravagant; man hat selbst gezögert, das Stück Berechtigung
herauszufinden, das sie nach meinem Urteil beanspruchen darf. Sie führt,
wie man sieht, zur Wiederbelebung der Traumdeutung mittels _Symbolik_,
deren sich die Alten bedienten, nur daß das Gebiet, aus welchem die
Deutung geholt werden soll, auf den Umfang der menschlichen Leiblichkeit
beschränkt wird. Der Mangel einer wissenschaftlich faßbaren Technik bei
der Deutung muß die Anwendbarkeit der _Scherner_schen Lehre schwer
beeinträchtigen. Willkür in der Traumdeutung scheint keineswegs
ausgeschlossen, zumal da auch hier ein Reiz sich in mehrfachen
Vertretungen im Trauminhalt äußern kann; so hat bereits _Scherners_
Anhänger _Volkelt_ die Darstellung des Körpers als Haus nicht bestätigen
können. Es muß auch Anstoß erregen, daß hier wiederum der Seele die
Traumarbeit als nutz- und ziellose Betätigung auferlegt ist, da sich
doch nach der in Rede stehenden Lehre die Seele damit begnügt, über den
sie beschäftigenden Reiz zu phantasieren, ohne daß etwas wie eine
Erledigung des Reizes in der Ferne winkte.

Von einem Einwand aber wird die _Scherner_sche Lehre der Symbolisierung
von Leibreizen durch den Traum schwer getroffen. Diese Leibreize sind
jederzeit vorhanden, die Seele ist für sie nach allgemeiner Annahme
während des Schlafens zugänglicher als im Wachen. Man versteht dann
nicht, warum die Seele nicht kontinuierlich die Nacht hindurch träumt,
und zwar jede Nacht von allen Organen. Will man sich diesem Einwand
durch die Bedingung entziehen, es müßten vom Auge, Ohre, von den Zähnen,
Därmen usw. besondere Erregungen ausgehen, um die Traumtätigkeit zu
wecken, so steht man vor der Schwierigkeit, diese Reizsteigerungen als
objektiv zu erweisen, was nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich
ist. Wenn der Traum vom Fliegen eine Symbolisierung des Auf- und
Niedersteigens der Lungenflügel bei der Atmung bedeutet, so müßte
entweder dieser Traum, wie schon _Strümpell_ bemerkt, weit häufiger
geträumt werden oder eine gesteigerte Atmungstätigkeit während dieses
Traumes nachweisbar sein. Es ist noch ein dritter Fall möglich, der
wahrscheinlichste von allen, daß nämlich zeitweise besondere Motive
wirksam sind, um den gleichmäßig vorhandenen viszeralen Sensationen
Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber dieser Fall führt bereits über die
_Scherner_sche Theorie hinaus.

Der Wert der Erörterungen von _Scherner_ und _Volkelt_ liegt darin, daß
sie auf eine Reihe von Charakteren des Trauminhaltes aufmerksam machen,
welche der Erklärung bedürftig sind und neue Erkenntnisse zu verdecken
scheinen. Es ist ganz richtig, daß in den Träumen Symbolisierungen von
Körperorganen und Funktionen enthalten sind, daß Wasser im Traume häufig
auf Harnreiz deutet, daß das männliche Genitale durch einen aufrecht
stehenden Stab oder eine Säule dargestellt werden kann usw. In Träumen,
welche ein sehr bewegtes Gesichtsfeld und leuchtende Farben zeigen, im
Gegensatz zu der Mattigkeit anderer Träume, kann man die Deutung als
»Gesichtsreiztraum« kaum abweisen, ebensowenig den Beitrag der
Illusionsbildung in Träumen bestreiten, welche Lärm und Stimmengewirr
enthalten. Ein Traum, wie der von _Scherner_, daß zwei Reihen schöner
blonder Knaben auf einer Brücke einander gegenüberstehen, sich
gegenseitig angreifen, dann wieder ihre alte Stellung einnehmen, bis
endlich der Träumer sich auf eine Brücke setzt und einen langen Zahn aus
seinem Kiefer zieht; oder ein ähnlicher von _Volkelt_, in dem zwei
Reihen von Schubladen eine Rolle spielen, und der wiederum mit dem
Ausziehen eines Zahnes endigt: dergleichen bei beiden Autoren in großer
Fülle mitgeteilte Traumbildungen lassen es nicht zu, daß man die
_Scherner_sche Theorie als müßige Erfindung bei Seite wirft, ohne nach
ihrem guten Kerne zu forschen. Es stellt sich dann die Aufgabe, für die
vermeintliche Symbolisierung des angeblichen Zahnreizes eine
andersartige Aufklärung zu erbringen.

 Die somatischen Reize als rezentes Material behandelt.

Ich habe es die ganze Zeit über, welche uns die Lehre von den
somatischen Traumquellen beschäftigte, unterlassen, jenes Argument
geltend zu machen, welches sich aus unseren Traumanalysen ableitet. Wenn
wir durch ein Verfahren, das andere Autoren auf ihr Material an Träumen
nicht angewendet haben, erweisen konnten, daß der Traum einen ihm
eigenen Wert als psychische Aktion besitzt, daß ein Wunsch das Motiv
seiner Bildung wird, und daß die Erlebnisse des Vortages das nächste
Material für seinen Inhalt abgeben, so ist jede andere Traumlehre,
welche ein so wichtiges Untersuchungsverfahren vernachlässigt und
dementsprechend den Traum als eine nutzlose und rätselhafte psychische
Reaktion auf somatische Reize erscheinen läßt, auch ohne besondere
Kritik gerichtet. Es müßte denn, was sehr unwahrscheinlich ist, zwei
ganz verschiedene Arten von Träumen geben, von denen die eine nur uns,
die andere nur den früheren Beurteilern des Traumes untergekommen ist.
Es erübrigt nur noch, den Tatsachen, auf welche sich die gebräuchliche
Lehre von den somatischen Traumreizen stützt, eine Unterbringung
innerhalb unserer Traumlehre zu verschaffen.

Den ersten Schritt hiezu haben wir bereits getan, als wir den Satz
aufstellten, daß die Traumarbeit unter dem Zwange stehe, alle
gleichzeitig vorhandenen Traumanregungen zu einer Einheit zu verarbeiten
(p. 136). Wir sahen, daß, wenn zwei oder mehr eindrucksfähige Erlebnisse
vom Vortage übrig geblieben sind, die aus ihnen sich ergebenden Wünsche
in einem Traume vereinigt werden, desgleichen, daß zum Traummaterial der
psychisch wertvolle Eindruck und die indifferenten Erlebnisse des
Vortages zusammentreten, vorausgesetzt, daß sich kommunizierende
Vorstellungen zwischen beiden herstellen lassen. Der Traum erscheint
somit als Reaktion auf alles, was in der schlafenden Psyche gleichzeitig
als aktuell vorhanden ist. Soweit wir also das Traummaterial bisher
analysiert haben, erkannten wir es als eine Sammlung von psychischen
Resten, Erinnerungsspuren, denen wir (wegen der Bevorzugung des rezenten
und des infantilen Materials) einen psychologisch derzeit unbestimmbaren
Charakter von Aktualität zusprechen mußten. Es schafft uns nun nicht
viel Verlegenheit, vorherzusagen, was geschehen wird, wenn zu diesen
Erinnerungsaktualitäten neues Material an Sensationen während des
Schlafzustandes hinzutritt. Diese Erregungen erlangen wiederum eine
Wichtigkeit für den Traum dadurch, daß sie aktuell sind; sie werden mit
den anderen psychischen Aktualitäten vereinigt, um das Material für die
Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es
anders zu sagen, in eine Wunscherfüllung verarbeitet, deren andere
Bestandteile die uns bekannten psychischen Tagesreste sind. Diese
Vereinigung _muß_ nicht vollzogen werden; wir haben ja gehört, daß gegen
körperliche Reize während des Schlafes mehr als eine Art des Verhaltens
möglich ist. Wo sie vollzogen wird, da ist es eben gelungen, ein
Vorstellungsmaterial für den Trauminhalt zu finden, welches für
beiderlei Traumquellen, die somatischen wie die psychischen, eine
Vertretung darstellt.

Das Wesen des Traumes wird nicht verändert, wenn zu den psychischen
Traumquellen somatisches Material hinzutritt; er bleibt eine
Wunscherfüllung, gleichgültig wie deren Ausdruck durch das aktuelle
Material bestimmt wird.

Ich will hier gern Raum lassen für eine Reihe von Eigentümlichkeiten,
welche die Bedeutung äußerer Reize für den Traum veränderlich gestalten
können. Ich stelle mir vor, daß ein Zusammenwirken individueller,
physiologischer und zufälliger, in den jeweiligen Umständen gegebener
Momente darüber entscheidet, wie man sich in den einzelnen Fällen von
intensiverer objektiver Reizung während des Schlafes benehmen wird; die
habituelle und akzidentelle Schlaftiefe im Zusammenhalt mit der
Intensität des Reizes wird es das eine Mal ermöglichen, den Reiz so zu
unterdrücken, daß er im Schlafe nicht stört, ein anderes Mal dazu
nötigen, aufzuwachen, oder den Versuch unterstützen, den Reiz durch
Verwebung in einen Traum zu überwinden. Der Mannigfaltigkeit dieser
Konstellationen entsprechend werden äußere objektive Reize bei dem einen
häufiger oder seltener im Traume zum Ausdruck kommen als bei dem
anderen. Bei mir, der ich ein ausgezeichneter Schläfer bin und
hartnäckig daran festhalte, mich durch keinen Anlaß im Schlafe stören zu
lassen, ist die Einmengung äußerer Erregungsursachen in die Träume sehr
selten, während psychische Motive mich doch offenbar sehr leicht zum
Träumen bringen. Ich habe eigentlich nur einen einzigen Traum
aufgezeichnet, in dem eine objektive, schmerzhafte Reizquelle zu
erkennen ist, und gerade in diesem Traume wird es sehr lehrreich werden,
nachzusehen, welchen Traumerfolg der äußere Reiz gehabt hat.

 Der Traum vom Reiten.

_Ich reite auf einem grauen Pferde, zuerst zaghaft und ungeschickt, als
ob ich nur angelehnt wäre. Da begegne ich einem Kollegen P., der im
Lodenanzug hoch zu Roß sitzt und mich an etwas mahnt_ (wahrscheinlich,
_daß ich schlecht sitze_). _Nun finde ich mich auf dem höchst
intelligenten Roß immer mehr zurecht, sitze bequem und merke, daß ich
oben ganz heimisch bin. Als Sattel habe ich eine Art Polster, das den
Raum zwischen Hals und Croup des Pferdes vollkommen ausfüllt. Ich reite
so knapp zwischen zwei Lastwagen hindurch. Nachdem ich die Straße eine
Strecke weit geritten bin, kehre ich um und will absteigen, zunächst vor
einer kleinen offenen Kapelle, die in der Straßenfront liegt. Dann
steige ich wirklich vor einer ihr nahestehenden ab; das Hotel ist in
derselben Straße; ich könnte das Pferd allein hingehen lassen, ziehe
aber vor, es bis dahin zu führen. Es ist, als ob ich mich schämen würde,
dort als Reiter anzukommen. Vor dem Hotel steht ein Hotelbursche, der
mir einen Zettel zeigt, der von mir gefunden wurde, und mich darum
verspottet. Auf dem Zettel steht, zweimal unterstrichen: Nichts essen
und dann ein zweiter Vorsatz_ (undeutlich) _wie: nichts arbeiten; dazu
eine dumpfe Idee, daß ich in einer fremden Stadt bin, in der ich nichts
arbeite._

Dem Traume wird man zunächst nicht anmerken, daß er unter dem Einflusse,
unter dem Zwange vielmehr, eines Schmerzreizes entstanden ist. Ich hatte
aber Tags vorher an Furunkeln gelitten, die mir jede Bewegung zur Qual
machten, und zuletzt war ein Furunkel an der Wurzel des Skrotum zur
Apfelgröße herangewachsen, hatte mir bei jedem Schritte die
unerträglichsten Schmerzen bereitet, und fieberhafte Müdigkeit,
Eßunlust, die trotzdem festgehaltene schwere Arbeit des Tages hatten
sich mit den Schmerzen vereint, um meine Stimmung zu stören. Ich war
nicht recht fähig, meinen ärztlichen Aufgaben nachzukommen, aber bei der
Art und bei dem Sitze des Übels ließ sich an eine andere Verrichtung
denken, für die ich sicherlich so untauglich gewesen wäre wie für keine
andere, und diese ist das _Reiten_. Gerade in diese Tätigkeit versetzt
mich nun der Traum; es ist die energischeste Negation des Leidens, die
der Vorstellung zugänglich ist. Ich kann überhaupt nicht reiten, träume
auch sonst nicht davon, bin überhaupt nur einmal auf einem Pferde
gesessen und damals ohne Sattel, und es behagte mir nicht. Aber in
diesem Traume reite ich, als ob ich keinen Furunkel am Damm hätte,
_nein, gerade weil ich keinen haben will_. Mein Sattel ist der
Beschreibung gemäß der Breiumschlag, der mir das Einschlafen ermöglicht
hat. Wahrscheinlich habe ich durch die ersten Stunden des Schlafes -- so
verwahrt -- nichts von meinem Leiden verspürt. Dann meldeten sich die
schmerzhaften Empfindungen und wollten mich aufwecken, da kam der Traum
und sagte beschwichtigend: »Schlaf doch weiter, du wirst doch nicht
aufwachen! Du hast ja gar keinen Furunkel, denn du reitest ja auf einem
Pferde, und mit einem Furunkel an der Stelle kann man doch nicht
reiten!« Und es gelang ihm so; der Schmerz wurde übertäubt und ich
schlief weiter.

Der Traum hat sich aber nicht damit begnügt, mir durch die hartnäckige
Festhaltung einer mit dem Leiden unverträglichen Vorstellung, den
Furunkel »abzusuggerieren«, wobei er sich benommen wie der
halluzinatorische Wahnsinn der Mutter, die ihr Kind verloren hat(80),
oder des Kaufmannes, den Verluste um sein Vermögen gebracht haben;
sondern die Einzelheiten der abgeleugneten Sensation und des zu ihrer
Verdrängung gebrauchten Bildes dienen ihm auch als Material, um das, was
sonst in der Seele aktuell vorhanden ist, an die Situation des Traumes
anzuknüpfen und zur Darstellung zu bringen. Ich reite ein _graues_
Pferd, die Farbe des Pferdes entspricht genau dem _pfeffer- und
salzfarbigen_ Dreß, in dem ich dem Kollegen P. zuletzt auf dem Lande
begegnet bin. _Scharf gewürzte_ Nahrung ist mir als die Ursache der
Furunkulose vorgehalten worden, immerhin als Ätiologie dem _Zucker_
vorzuziehen, an den man bei Furunkulose denken kann. Freund P. liebt es,
sich mir gegenüber aufs _hohe Roß_ zu setzen, seitdem er mich bei einer
Patientin abgelöst, mit der ich große _Kunststücke_ ausgeführt hatte
(ich sitze im Traume auf dem Pferde zuerst wie ein _Kunstreiter_
tangential), die mich aber wirklich, wie das Roß in der Anekdote den
Sonntagsreiter, geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur
symbolischen Bedeutung einer Patientin (es ist im Traume _höchst
intelligent_). »_Ich fühle mich ganz heimisch oben_« geht auf die
Stellung, die ich in dem Hause innehatte, ehe ich durch P. ersetzt
wurde. »_Ich habe gemeint, Sie sitzen oben fest im Sattel_«, hat mir mit
Beziehung auf dasselbe Haus einer meiner wenigen Gönner unter den großen
Ärzten dieser Stadt vor kurzem gesagt. Es war auch ein _Kunststück_, mit
solchen Schmerzen acht bis zehn Stunden täglich Psychotherapie zu
treiben, aber ich weiß, daß ich ohne volles körperliches Wohlbefinden
meine besonders schwierige Arbeit nicht lange fortsetzen kann, und der
Traum ist voll düsterer Anspielungen auf die Situation, die sich dann
ergeben muß (der Zettel, wie ihn die Neurastheniker haben und dem Arzte
vorzeigen): -- _Nicht arbeiten und nicht essen._ Bei weiterer Deutung
sehe ich, daß es der Traumarbeit gelungen ist, von der Wunschsituation
des Reitens den Weg zu finden zu sehr frühen Kinderstreitszenen, die
sich zwischen mir und einem jetzt in England lebenden, übrigens um ein
Jahr älteren Neffen abgespielt haben mußten. Außerdem hat er Elemente
aus meinen Reisen in Italien aufgenommen; die Straße im Traume ist aus
Eindrücken von Verona und von Siena zusammengesetzt. Noch tiefer gehende
Deutung führt zu sexuellen Traumgedanken, und ich erinnere mich, was bei
einer Patientin, die nie in Italien war, die Traumanspielungen an das
schöne Land bedeuten sollten (gen Italien -- Genitalien), nicht ohne
Anknüpfung gleichzeitig an das Haus, in dem ich vor Freund P. Arzt war,
und an die Stelle, an welcher mein Furunkel sitzt.

  (80) Vergleiche die Stelle bei _Griesinger_ und die Bemerkung in
  meinem zweiten Aufsatz über die _Abwehr-Psychoneurosen_,
  Neurologisches Zentralblatt 1896.

 Der Wunsch, den Schlaf fortzusetzen.

In einem anderen Traume gelang es mir auf ähnliche Weise, eine _diesmal_
von einer Sinnesreizung drohende Schlafstörung abzuwehren, aber es war
nur ein Zufall, der mich in den Stand setzte, den Zusammenhang des
Traumes mit dem zufälligen Traumreiz zu entdecken, und solcher Art den
Traum zu verstehen. Eines Morgens erwachte ich, es war im Hochsommer in
einem tirolischen Höhenort, mit dem Wissen, geträumt zu haben: _Der
Papst ist gestorben._ Die Deutung dieses kurzen, nicht visuellen Traumes
gelang mir nicht. Ich erinnerte mich nur der einen Anlehnung für den
Traum, daß in der Zeitung kurze Zeit vorher ein leichtes Unwohlsein Sr.
Heiligkeit gemeldet worden war. Aber im Laufe des Vormittags fragt meine
Frau: »Hast du heute morgens das fürchterliche Glockenläuten gehört?«
Ich wußte nichts davon, daß ich es gehört hatte, aber ich verstand jetzt
meinen Traum. Er war die Reaktion meines Schlafbedürfnisses auf den Lärm
gewesen, durch den die frommen Tiroler mich wecken wollten. Ich rächte
mich an ihnen durch die Folgerung, die den Inhalt des Traumes bildet,
und schlief nun ganz ohne Interesse für das Geläute weiter.

Unter den in den vorstehenden Abschnitten erwähnten Träumen fänden sich
bereits mehrere, die als Beispiele für die Verarbeitung sogenannter
Nervenreize dienen können. Der Traum vom Trinken in vollen Zügen ist ein
solcher; in ihm ist der somatische Reiz anscheinend die einzige
Traumquelle, der aus der Sensation entspringende Wunsch -- der Durst --
das einzige Traummotiv. Ähnlich ist es in anderen einfachen Träumen,
wenn der somatische Reiz für sich allein einen Wunsch zu bilden vermag.
Der Traum der Kranken, die nachts den Kühlapparat von der Wange abwirft,
zeigt eine ungewöhnliche Art, auf Schmerzensreize mit einer
Wunscherfüllung zu reagieren; es scheint, daß es der Kranken
vorübergehend gelungen war, sich analgisch zu machen, wobei sie ihre
Schmerzen einem Fremden zuschob.

Mein Traum von den drei Parzen ist ein offenbarer Hungertraum, aber er
weiß das Nahrungsbedürfnis bis auf die Sehnsucht des Kindes nach der
Mutterbrust zurückzuschieben, und die harmlose Begierde zur Decke für
eine ernstere, die sich nicht so unverhüllt äußern darf, zu benutzen. Im
Traume vom Grafen _Thun_ konnten wir sehen, auf welchen Wegen ein
akzidentell gegebenes körperliches Bedürfnis mit den stärksten, aber
auch stärkst unterdrückten Regungen des Seelenlebens in Verbindung
gebracht wird. Und wenn, wie in dem von _Garnier_ berichteten Falle, der
erste Konsul das Geräusch der explodierenden Höllenmaschine in einen
Schlachtentraum verwebt, ehe er davon erwacht, so offenbart sich darin
ganz besonders klar das Bestreben, in dessen Dienst die Seelentätigkeit
sich überhaupt um die Sensationen während des Schlafens kümmert. Ein
junger Advokat, der voll von seinem ersten großen Konkurs des
Nachmittags einschläft, benimmt sich ganz ähnlich wie der große
Napoleon. Er träumt von einem gewissen G. Reich in _Hussiatyn_, den er
aus dem Konkurs kennt, aber _Hussiatyn_ drängt sich weiter gebieterisch
auf; er muß erwachen und hört seine Frau, die an einem Bronchialkatarrh
leidet, heftig -- husten.

Halten wir diesen Traum des ersten Napoleon, der übrigens ein
ausgezeichneter Schläfer war, und jenen anderen des langschläfrigen
Studenten zusammen, der von seiner Zimmerfrau geweckt, er müsse ins
Spital, sich in ein Spitalsbett träumt und dann mit der Motivierung
weiterschläft: Wenn ich schon im Spital bin, brauche ich ja nicht
aufzustehen, um hinzugehen. Der letztere ist ein offenbarer
Bequemlichkeitstraum, der Schläfer gesteht sich das Motiv seines
Träumens unverhohlen ein, deckt aber damit eines der Geheimnisse des
Träumens überhaupt auf. In gewissem Sinne sind alle Träume --
_Bequemlichkeitsträume_; sie dienen der Absicht, den Schlaf
fortzusetzen, anstatt zu erwachen. _Der Traum ist der Wächter des
Schlafes, nicht sein Störer._ Gegen die psychisch erweckenden Momente
werden wir diese Auffassung an anderer Stelle rechtfertigen; ihre
Anwendbarkeit auf die Rolle der objektiven äußeren Reize können wir hier
bereits begründen. Die Seele kümmert sich entweder überhaupt nicht um
die Anlässe zu Sensationen während des Schlafes, wenn sie dies gegen die
Intensität und die von ihr wohlverstandene Bedeutung dieser Reize
vermag; oder sie verwendet den Traum dazu, diese Reize in Abrede zu
stellen oder zu entwerten, oder drittens, wenn sie dieselben anerkennen
muß, so sucht sie jene Deutung derselben auf, welche die aktuelle
Sensation als einen Teilbestand einer gewünschten und mit dem Schlafen
verträglichen Situation hinstellt. Die aktuelle Sensation wird in einen
Traum verflochten, _um ihr die Realität zu rauben_. Napoleon darf weiter
schlafen; es ist ja nur eine Traumerinnerung an den Kanonendonner von
Arcole, was ihn stören will(81).

  (81) Der Inhalt dieses Traumes wird in den zwei Quellen, aus denen ich
  ihn kenne, nicht übereinstimmend erzählt.

_Der Wunsch zu schlafen, auf den sich das bewußte Ich eingestellt hat
und der nebst der Traumzensur(82) dessen Beitrag zum Träumen darstellt,
muß so als Motiv der Traumbildung jedesmal eingerechnet werden, und
jeder gelungene Traum ist eine Erfüllung desselben._ Wie dieser
allgemeine, regelmäßig vorhandene und sich gleichbleibende Schlafwunsch
sich zu den anderen Wünschen stellt, von denen bald der, bald jener
durch den Trauminhalt erfüllt werden, dies wird Gegenstand einer anderen
Auseinandersetzung sein. In dem Schlafwunsch haben wir aber jenes Moment
aufgedeckt, welches die Lücke in der _Strümpell-Wundt_schen Theorie
auszufüllen, die Schiefheit und Launenhaftigkeit in der Deutung des
äußeren Reizes aufzuklären vermag. Die richtige Deutung, deren die
schlafende Seele sehr wohl fähig ist, nähme ein tätiges Interesse in
Anspruch, stellte die Anforderung, dem Schlafe ein Ende zu machen; es
werden darum von den überhaupt möglichen Deutungen nur solche
zugelassen, die mit der absolutistisch geübten Zensur des Schlafwunsches
vereinbar sind. Etwa: Die Nachtigall ist's und nicht die Lerche. Denn
wenn's die Lerche ist, so hat die Liebesnacht ihr Ende gefunden. Unter
den nun zulässigen Deutungen des Reizes wird dann jene ausgewählt,
welche die beste Verknüpfung mit den in der Seele lauernden
Wunschanregungen erwerben kann. So ist alles eindeutig bestimmt und
nichts der Willkür überlassen. Die Mißdeutung ist nicht Illusion,
sondern -- wenn man so will -- Ausrede. Hier ist aber wiederum, wie bei
dem Ersatz durch Verschiebung zu Diensten der Traumzensur, ein Akt der
Beugung des normalen psychischen Vorganges zuzugeben.

  (82) (und der später zu erwähnenden »sekundären Bearbeitung«).

 Verwertung peinlicher Sensationen zur Erfüllung verdrängter Wünsche.

Wenn die äußeren Nerven- und inneren Leibreize intensiv genug sind, um
sich psychische Beachtung zu erzwingen, so stellen sie -- falls
überhaupt Träumen und nicht Erwachen ihr Erfolg ist -- einen festen
Punkt für die Traumbildung dar, einen Kern im Traummaterial, zu dem eine
entsprechende Wunscherfüllung in ähnlicher Weise gesucht wird, wie
(siehe oben) die vermittelnden Vorstellungen zwischen zwei psychischen
Traumreizen. Es ist insofern für eine Anzahl von Träumen richtig, daß in
ihnen das somatische Element den Trauminhalt kommandiert. In diesem
extremen Falle wird selbst behufs der Traumbildung ein gerade nicht
aktueller Wunsch geweckt. Der Traum kann aber nicht anders, als einen
Wunsch in einer Situation als erfüllt darstellen; er ist gleichsam vor
die Aufgabe gestellt, zu suchen, welcher Wunsch durch die nun aktuelle
Sensation als erfüllt dargestellt werden kann. Ist dies aktuelle
Material von schmerzlichem oder peinlichem Charakter, so ist es doch
darum zur Traumbildung nicht unbrauchbar. Das Seelenleben verfügt auch
über Wünsche, deren Erfüllung Unlust hervorruft, was ein Widerspruch
scheint, aber durch die Berufung auf das Vorhandensein zweier
psychischer Instanzen und die zwischen ihnen bestehende Zensur
erklärlich wird.

Es gibt, wie wir gehört haben, im Seelenleben _verdrängte_ Wünsche, die
dem ersten System angehören, gegen deren Erfüllung das zweite System
sich sträubt. Es gibt, ist nicht etwa historisch gemeint, daß es solche
Wünsche gegeben hat und diese dann vernichtet worden sind; sondern die
Lehre von der Verdrängung, deren man in der Psychoneurotik bedarf,
behauptet, daß solche verdrängte Wünsche noch existieren, gleichzeitig
aber eine Hemmung, die auf ihnen lastet. Die Sprache trifft das
Richtige, wenn sie von »_Unterdrücken_« solcher Impulse redet. Die
psychische Veranstaltung, damit solche unterdrückte Wünsche zur
Realisierung durchdringen, bleibt erhalten und gebrauchsfähig. Ereignet
es sich aber, daß ein solcher unterdrückter Wunsch doch vollzogen wird,
so äußert sich die überwundene Hemmung des zweiten (bewußtseinsfähigen)
Systems als Unlust. Um nun diese Erörterung zu schließen: wenn
Sensationen mit Unlustcharakter im Schlafe aus somatischen Quellen
vorhanden sind, so wird diese Konstellation von der Traumarbeit benutzt,
um die Erfüllung eines sonst unterdrückten Wunsches -- mit mehr oder
weniger Beibehalt der Zensur -- darzustellen.

Dieser Sachverhalt ermöglicht eine Reihe von Angstträumen, während eine
andere Reihe dieser der Wunschtheorie ungünstigen Traumbildungen einen
anderen Mechanismus erkennen läßt. Die Angst in den Träumen kann nämlich
eine psychoneurotische sein, aus psychosexuellen Erregungen stammen,
wobei die Angst verdrängter Libido entspricht. Dann hat diese Angst wie
der ganze Angsttraum die Bedeutung eines neurotischen Symptoms, und wir
stehen an der Grenze, wo die wunscherfüllende Tendenz des Traumes
scheitert. In anderen Angstträumen aber ist die Angstempfindung
somatisch gegeben (etwa wie bei Lungen- und Herzkranken bei zufälliger
Atembehinderung), und dann wird sie dazu benutzt, solchen energisch
unterdrückten Wünschen zur Erfüllung als Traum zu verhelfen, deren
Träumen aus psychischen Motiven die gleiche Angstentbindung zur Folge
gehabt hätte. Es ist nicht schwer, die beiden scheinbar gesonderten
Fälle zu vereinigen. Von zwei psychischen Bildungen, einer Affektneigung
und einem Vorstellungsinhalt, die innig zusammengehören, hebt die eine,
die aktuell gegeben ist, auch im Traume die andere; bald die somatisch
gegebene Angst den unterdrückten Vorstellungsinhalt, bald der aus der
Verdrängung befreite, mit sexueller Erregung einhergehende
Vorstellungsinhalt die Angstentbindung. Von dem einen Falle kann man
sagen, daß ein somatisch gegebener Affekt psychisch gedeutet wird; im
anderen Falle ist alles psychisch gegeben, aber der unterdrückt gewesene
Inhalt ersetzt sich leicht durch eine zur Angst passende somatische
Deutung. Die Schwierigkeiten, die sich hier für das Verständnis ergeben,
haben mit dem Traume nur wenig zu tun; sie rühren daher, daß wir mit
diesen Erörterungen die Probleme der Angstentwicklung und der
Verdrängung streifen.

Zu den kommandierenden Traumreizen aus der inneren Leiblichkeit gehört
unzweifelhaft die körperliche Gesamtstimmung. Nicht daß sie den
Trauminhalt liefern könnte, aber sie nötigt den Traumgedanken eine
Auswahl aus dem Material auf, welches zur Darstellung im Trauminhalt
dienen soll, indem sie den einen Teil dieses Materials, als zu ihrem
Wesen passend, nahe legt, den anderen fern hält. Überdies ist ja wohl
diese Allgemeinstimmung vom Tage her mit den für den Traum bedeutsamen
psychischen Resten verknüpft. Dabei kann diese Stimmung selbst im Traume
erhalten bleiben, oder überwunden werden, so daß sie, wenn unlustvoll,
ins Gegenteil umschlägt.

Wenn die somatischen Reizquellen während des Schlafes -- die
Schlafsensationen also -- nicht von ungewöhnlicher Intensität sind, so
spielen sie nach meiner Schätzung für die Traumbildung eine ähnliche
Rolle wie die als rezent verbliebenen, aber indifferenten Eindrücke des
Tages. Ich meine nämlich, sie werden zur Traumbildung herangezogen, wenn
sie sich zur Vereinigung mit dem Vorstellungsinhalt der psychischen
Traumquelle eignen, im anderen Falle aber nicht. Sie werden wie ein
wohlfeiles, allezeit bereitliegendes Material behandelt, welches zur
Verwendung kommt, so oft man dessen bedarf, anstatt daß ein kostbares
Material die Art seiner Verwendung selbst mit vorschreibt. Der Fall ist
etwa ähnlich, wie wenn der Kunstgönner dem Künstler einen seltenen
Stein, einen Onyx, bringt, aus ihm ein Kunstwerk zu gestalten. Die Größe
des Steines, seine Farbe und Fleckung helfen mit entscheiden, welcher
Kopf oder welche Szene in ihm dargestellt werden soll, während bei
gleichmäßigem und reichlichem Material von Marmor oder Sandstein der
Künstler allein der Idee nachfolgt, die sich in seinem Sinne gestaltet.
Auf diese Weise allein scheint mir die Tatsache verständlich, daß jener
Trauminhalt, der von den nicht ins Ungewohnte gesteigerten Reizen aus
unserer Leiblichkeit geliefert wird, doch nicht in allen Träumen und
nicht in jeder Nacht im Traume erscheint(83).

  (83) _Rank_ hat in einer Reihe von Arbeiten gezeigt, daß gewisse,
  durch Organreiz hervorgerufene Weckträume (die Harnreiz- und
  Pollutionsträume) besonders geeignet sind, den Kampf zwischen dem
  Schlafbedürfnis und den Anforderungen des organischen Bedürfnisses
  sowie den Einfluß des letzteren auf den Trauminhalt zu demonstrieren.

 Ein Traum vom Gehemmtsein.

Vielleicht wird ein Beispiel, das uns wieder zur Traumdeutung
zurückführt, meine Meinung am besten erläutern. Eines Tages mühte ich
mich ab zu verstehen, was die Empfindung von Gehemmtsein, nicht von der
Stelle können, nicht fertig werden u. dgl., die so häufig geträumt wird
und die der Angst so nahe verwandt ist, wohl bedeuten mag. In der Nacht
darauf hatte ich folgenden Traum: _Ich gehe in sehr unvollständiger
Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres
Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei Stufen, freue mich, daß
ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, daß ein
Dienstmädchen die Treppen herab und also mir entgegenkommt. Ich schäme
mich, will mich eilen, und nun tritt jenes Gehemmtsein auf, ich klebe an
den Stufen und komme nicht von der Stelle._

_Analyse_: Die Situation des Traumes ist der täglichen Wirklichkeit
entnommen. Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch
die Treppe außen verbunden sind. Im Hochparterre befindet sich meine
ärztliche Wohnung und mein Arbeitszimmer, einen Stock höher die
Wohnräume. Wenn ich in später Stunde unten meine Arbeit vollendet habe,
gehe ich über die Treppe ins Schlafzimmer. An dem Abend vor dem Traume
hatte ich diesen kurzen Weg wirklich in etwas derangierter Toilette
gemacht, d. h. ich hatte Kragen, Krawatte und Manschetten abgelegt; im
Traume war daraus ein höherer, aber, wie gewöhnlich, unbestimmter Grad
von Kleiderlosigkeit geworden. Das Überspringen von Stufen ist meine
gewöhnliche Art, die Treppe zu gehen, übrigens eine bereits im Traume
anerkannte Wunscherfüllung, denn mit der Leichtigkeit dieser Leistung
hatte ich mich ob des Zustandes meiner Herzarbeit getröstet. Ferner ist
diese Art, die Treppe zu gehen, ein wirksamer Gegensatz zu der Hemmung
in der zweiten Hälfte des Traumes. Sie zeigt mir -- was des Beweises
nicht bedurfte --, daß der Traum keine Schwierigkeit hat, sich
motorische Aktionen in aller Vollkommenheit ausgeführt vorzustellen; man
denke an das Fliegen im Traume!

Die Treppe, über die ich gehe, ist aber nicht die meines Hauses; ich
erkenne sie zunächst nicht, erst die mir entgegenkommende Person klärt
mich über die gemeinte Örtlichkeit auf. Diese Person ist das
Dienstmädchen der alten Dame, die ich täglich zweimal besuche, um ihr
Injektionen zu machen; die Treppe ist auch ganz ähnlich jener, die ich
zweimal im Tage dort zu ersteigen habe.

Wie gelangt nun diese Treppe und diese Frauensperson in meinen Traum?
Das Schämen, weil man nicht voll angekleidet ist, hat unzweifelhaft
sexuellen Charakter; das Dienstmädchen, von dem ich träume, ist älter
als ich, mürrisch und keineswegs anreizend. Zu diesen Fragen fällt mir
nun nichts anderes ein als das folgende: Wenn ich in diesem Hause den
Morgenbesuch mache, werde ich gewöhnlich auf der Treppe von Räuspern
befallen; das Produkt der Expektoration gerät auf die Stiege. In diesen
beiden Stockwerken befindet sich nämlich kein Spucknapf, und ich
vertrete den Standpunkt, daß die Reinhaltung der Treppe nicht auf meine
Kosten erfolgen darf, sondern durch die Anbringung eines Spucknapfes
ermöglicht werden soll. Die Hausmeisterin, eine gleichfalls ältliche und
mürrische Person, aber von reinlichen Instinkten, wie ich ihr
zuzugestehen bereit bin, nimmt in dieser Angelegenheit einen anderen
Standpunkt ein. Sie lauert mir auf, ob ich mir wieder die besagte
Freiheit erlauben werde, und wenn sie das konstatiert hat, höre ich sie
vernehmlich brummen. Auch versagt sie mir dann für Tage die gewohnte
Hochachtung, wenn wir uns begegnen. Am Vortag des Traumes bekam nun die
Partei der Hausmeisterin eine Verstärkung durch das Dienstmädchen. Ich
hatte eilig wie immer meinen Besuch bei der Kranken abgemacht, als die
Dienerin mich im Vorzimmer stellte und die Bemerkung von sich gab: »Herr
Doktor hätten sich heute schon die Stiefel abputzen können, ehe Sie ins
Zimmer kommen. Der rote Teppich ist wiederum ganz schmutzig von Ihren
Füßen.« Dies ist der ganze Anspruch, den Treppe und Dienstmädchen
geltend machen können, um in meinem Traume zu erscheinen.

Zwischen meinem Über-die-Treppe-Fliegen und dem Auf-der-Treppe-Spucken
besteht ein inniger Zusammenhang. Rachenkatarrh wie Herzbeschwerden
sollen beide die Strafen für das Laster des Rauchens darstellen, wegen
dessen ich natürlich auch bei meiner Hausfrau nicht den Ruf der größten
Nettigkeit genieße, in dem einen Hause so wenig wie in dem anderen, die
der Traum zu einem Gebilde verschmilzt.

Die weitere Deutung des Traumes muß ich verschieben, bis ich berichten
kann, woher der typische Traum von der unvollständigen Bekleidung rührt.
Ich bemerke nur als vorläufiges Ergebnis des mitgeteilten Traumes, daß
die Traumsensation der gehemmten Bewegung überall dort hervorgerufen
wird, wo ein gewisser Zusammenhang ihrer bedarf. Ein besonderer Zustand
meiner Motilität im Schlafe kann nicht die Ursache dieses Trauminhaltes
sein, denn einen Moment vorher sah ich mich ja wie zur Sicherung dieser
Erkenntnis leichtfüßig über die Stufen eilen.


d) _Typische Träume_.

Wir sind im allgemeinen nicht im stande, den Traum eines anderen zu
deuten, wenn derselbe uns nicht die hinter dem Trauminhalt stehenden
unbewußten Gedanken ausliefern will, und dadurch wird die praktische
Verwertbarkeit unserer Methode der Traumdeutung schwer beeinträchtigt.
Nun gibt es aber, so recht im Gegensatz zu der sonstigen Freiheit des
einzelnen, sich seine Traumwelt in individueller Besonderheit
auszustatten und dadurch dem Verständnis der anderen unzugänglich zu
machen, eine gewisse Anzahl von Träumen, die fast jedermann in derselben
Weise geträumt hat, von denen wir anzunehmen gewohnt sind, daß sie auch
bei jedermann dieselbe Bedeutung haben. Ein besonderes Interesse wendet
sich diesen typischen Träumen auch darum zu, weil sie vermutlich bei
allen Menschen aus den gleichen Quellen stammen, also besonders gut
geeignet scheinen, uns über die Quellen der Träume Aufschluß zu geben.

Wir werden also mit ganz besonderen Erwartungen darangehen, unsere
Technik der Traumdeutung an diesen typischen Träumen zu versuchen und
uns nur sehr ungern eingestehen, daß unsere Kunst sich gerade an diesem
Material nicht recht bewährt. Bei der Deutung der typischen Träume
versagen in der Regel die Einfälle des Träumers, die uns sonst zum
Verständnis des Traumes geleitet haben, oder sie werden unklar und
unzureichend, so daß wir unsere Aufgabe mit ihrer Hilfe nicht lösen
können.

Woher dies rührt, und wie wir diesem Mangel unserer Technik abhelfen,
wird sich an einer späteren Stelle unserer Arbeit ergeben. Dann wird dem
Leser auch verständlich werden, warum ich hier nur einige aus der Gruppe
der typischen Träume behandeln kann und die Erörterung der anderen auf
jenen späteren Zusammenhang verschiebe.


α) Der Verlegenheitstraum der Nacktheit.

Der Traum, daß man nackt oder schlecht bekleidet in Gegenwart Fremder
sei, kommt auch mit der Zutat vor, man habe sich dessen gar nicht
geschämt u. dgl. Unser Interesse gebührt aber dem Nacktheitstraume nur
dann, wenn man in ihm Scham und Verlegenheit empfindet, entfliehen oder
sich verbergen will und dabei der eigentümlichen Hemmung unterliegt, daß
man nicht von der Stelle kann und sich unvermögend fühlt, die peinliche
Situation zu verändern. Nur in dieser Verbindung ist der Traum typisch;
der Kern seines Inhaltes mag sonst in allerlei andere Verknüpfungen
einbezogen werden oder mit individuellen Zutaten versetzt sein. Es
handelt sich im wesentlichen um die peinliche Empfindung von der Natur
der Scham, daß man seine Nacktheit, meist durch Lokomotion, verbergen
möchte und es nicht zu stande bringt. Ich glaube, die allermeisten
meiner Leser werden sich in dieser Situation im Traume bereits befunden
haben.

Für gewöhnlich ist die Art und Weise der Entkleidung wenig deutlich. Man
hört etwa erzählen, ich war im Hemde, aber dies ist selten ein klares
Bild; meist ist die Unbekleidung so unbestimmt, daß sie durch eine
Alternative in der Erzählung wiedergegeben wird: »Ich war im Hemde oder
im Unterrocke.« In der Regel ist der Defekt der Toilette nicht so arg,
daß die dazugehörige Scham gerechtfertigt schiene. Für den, der den Rock
des Kaisers getragen hat, ersetzt sich die Nacktheit häufig durch eine
vorschriftswidrige Adjustierung. Ich bin ohne Säbel auf der Straße und
sehe Offiziere näher kommen, oder ohne Halsbinde, oder trage eine
karrierte Zivilhose u. dgl.

Die Leute, vor denen man sich schämt, sind fast immer Fremde mit
unbestimmt gelassenen Gesichtern. Niemals ereignet es sich im typischen
Traume, daß man wegen der Kleidung, die einem selbst solche Verlegenheit
bereitet, beanstandet oder auch nur bemerkt wird. Die Leute machen ganz
im Gegenteil gleichgültige, oder wie ich es in einem besonders klaren
Traume wahrnehmen konnte, feierlich steife Mienen. Das gibt zu denken.

Die Schamverlegenheit des Träumers und die Gleichgültigkeit der Leute
ergeben mitsammen einen Widerspruch, wie er im Traume häufig vorkommt.
Zu der Empfindung des Träumenden würde doch nur passen, daß die Fremden
ihn erstaunt ansehen und verlachen, oder sich über ihn entrüsten. Ich
meine aber, dieser anstößige Zug ist durch die Wunscherfüllung beseitigt
worden, während der andere, durch irgend welche Macht gehalten, stehen
blieb, und so stimmen die beiden Stücke dann schlecht zueinander. Wir
besitzen ein interessantes Zeugnis dafür, daß der Traum in seiner durch
Wunscherfüllung partiell entstellten Form das richtige Verständnis nicht
gefunden hat. Er ist nämlich die Grundlage eines Märchens geworden,
welches uns allen in der _Andersen_schen Fassung(84) bekannt ist, und in
der jüngsten Zeit durch L. _Fulda_ im »Talisman« poetischer Verwertung
zugeführt worden ist. Im _Andersen_schen Märchen wird von zwei Betrügern
erzählt, die für den Kaiser ein kostbares Gewand weben, das aber nur den
Guten und Treuen sichtbar sein soll. Der Kaiser geht mit diesem
unsichtbaren Gewand bekleidet aus, und durch die prüfsteinartige Kraft
des Gewebes erschreckt, tun alle Leute, als ob sie die Nacktheit des
Kaisers nicht merkten.

  (84) »Des Kaisers neue Kleider.«

Letzteres ist aber die Situation unseres Traumes. Es gehört wohl nicht
viel Kühnheit dazu, anzunehmen, daß der unverständliche Trauminhalt eine
Anregung gegeben hat, um eine Einkleidung zu erfinden, in welcher die
vor der Erinnerung stehende Situation sinnreich wird. Dieselbe ist dabei
ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und fremden Zwecken dienstbar
gemacht worden. Aber wir werden hören, daß solches Mißverständnis des
Trauminhaltes durch die bewußte Denktätigkeit eines zweiten psychischen
Systems häufig vorkommt und als ein Faktor für die endgültige
Traumgestaltung anzuerkennen ist, ferner daß bei der Bildung von
Zwangsvorstellungen und Phobien ähnliche Mißverständnisse -- gleichfalls
innerhalb der nämlichen psychischen Persönlichkeit -- eine Hauptrolle
spielen. Es läßt sich auch für unseren Traum angeben, woher das Material
für die Umdeutung genommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kaiser
der Träumer selbst, und die moralisierende Tendenz verrät eine dunkle
Kenntnis davon, daß es sich im latenten Trauminhalte um unerlaubte, der
Verdrängung geopferte Wünsche handelt. Der Zusammenhang, in welchem
solche Träume während meiner Analysen bei Neurotikern auftreten, läßt
nämlich keinen Zweifel darüber, daß dem Traume eine Erinnerung aus der
frühesten Kindheit zu grunde liegt. Nur in unserer Kindheit gab es die
Zeit, daß wir in mangelhafter Bekleidung von unseren Angehörigen wie von
fremden Pflegepersonen, Dienstmädchen, Besuchern gesehen wurden, und wir
haben uns damals unserer Nacktheit nicht geschämt(85). An vielen Kindern
kann man noch in späteren Jahren beobachten, daß ihre Entkleidung wie
berauschend auf sie wirkt, anstatt sie zur Scham zu leiten. Sie lachen,
springen herum, schlagen sich auf den Leib, die Mutter oder wer dabei
ist, verweist es ihnen, sagt: Pfui, das ist eine Schande, das darf man
nicht. Die Kinder zeigen häufig Exhibitionsgelüste; man kann kaum durch
ein Dorf in unseren Gegenden gehen, ohne daß man einem zwei- bis
dreijährigen Kleinen begegnete, welches vor dem Wanderer, vielleicht ihm
zu Ehren, sein Hemdchen hochhebt. Einer meiner Patienten hat in seiner
bewußten Erinnerung eine Szene aus seinem achten Lebensjahre bewahrt,
wie er nach der Entkleidung vor dem Schlafengehen im Hemde zu seiner
kleinen Schwester im nächsten Zimmer hinaustanzen will, und wie die
dienende Person es ihm verwehrt. In der Jugendgeschichte von Neurotikern
spielt die Entblößung vor Kindern des anderen Geschlechtes eine große
Rolle; in der Paranoia ist der Wahn, beim An- und Auskleiden beobachtet
zu werden, auf diese Erlebnisse zurückzuführen; unter den pervers
Gebliebenen ist eine Klasse, bei denen der infantile Impuls zum Zwang
erhoben worden ist, die der _Exhibitionisten_.

  (85) Das Kind tritt auch im Märchen auf, denn dort ruft plötzlich ein
  kleines Kind: »Aber er hat ja gar nichts an.«

 Der Nacktheitstraum als Exhibitionstraum aufzuklären.

Diese der Scham entbehrende Kindheit erscheint unserer Rückschau später
als ein Paradies, und das Paradies selbst ist nichts anderes als die
Massenphantasie von der Kindheit des einzelnen. Darum sind auch im
Paradies die Menschen nackt und schämen sich nicht voreinander, bis ein
Moment kommt, in dem die Scham und die Angst erwachen, die Vertreibung
erfolgt, das Geschlechtsleben und die Kulturarbeit beginnt. In dieses
Paradies kann uns nun der Traum allnächtlich zurückführen; wir haben
bereits der Vermutung Ausdruck gegeben, daß die Eindrücke aus der
ersten Kindheit (der prähistorischen Periode bis etwa zum vollendeten
vierten Jahre) an und für sich, vielleicht ohne daß es auf ihren
Inhalt weiter ankäme, nach Reproduktion verlangen, daß deren
Wiederholung eine Wunscherfüllung ist. Die Nacktheitsträume sind also
_Exhibitionsträume_(86).

  (86) Eine Anzahl interessanter Nacktheitsträume bei Frauen, die sich
  ohne Schwierigkeiten auf die infantile Exhibitionslust zurückführen
  ließen, aber in manchen Zügen von dem oben behandelten »typischen«
  Nacktheitstraum abweichen, hat _Ferenczi_ mitgeteilt.

Den Kern des Exhibitionstraumes bildet die eigene Gestalt, die nicht als
die eines Kindes, sondern wie in der Gegenwart gesehen wird, und die
mangelhafte Bekleidung, welche durch die Überlagerung so vieler späterer
Negligéerinnerungen oder der Zensur zuliebe undeutlich ausfällt; dazu
kommen nun die Personen, vor denen man sich schämt. Ich kenne kein
Beispiel, daß die tatsächlichen Zuschauer bei jenen infantilen
Exhibitionen im Traume wieder auftreten. Der Traum ist eben fast niemals
eine einfache Erinnerung. Merkwürdigerweise werden jene Personen, denen
unser sexuelles Interesse in der Kindheit galt, in allen Reproduktionen
des Traumes, der Hysterie und der Zwangsneurose ausgelassen; erst die
Paranoia setzt die Zuschauer wieder ein und schließt, obwohl sie
unsichtbar geblieben sind, mit fanatischer Überzeugung auf ihre
Gegenwart. Was der Traum für sie einsetzt, »viele fremde Leute«, die
sich nicht um das gebotene Schauspiel kümmern, ist geradezu der
_Wunschgegensatz_ zu jener einzelnen, wohlvertrauten Person, der man die
Entblößung bot. »Viele fremde Leute« finden sich in Träumen übrigens
auch häufig in beliebigem anderen Zusammenhang; sie bedeuten immer als
Wunschgegensatz »Geheimnis«(87). Man merkt, wie auch die Restitution des
alten Sachverhaltes, die in der Paranoia vor sich geht, diesem
Gegensatze Rechnung trägt. Man ist nicht mehr allein, man wird ganz
gewiß beobachtet, aber die Beobachter sind »viele, fremde, merkwürdig
unbestimmt gelassene Leute«.

  (87) Dasselbe bedeutet, aus begreiflichen Gründen, im Traume die
  Anwesenheit der »ganzen Familie«.

Außerdem kommt im Exhibitionstraume die Verdrängung zur Sprache. Die
peinliche Empfindung des Traumes ist ja die Reaktion des zweiten
psychischen Systems dagegen, daß der von ihr verworfene Inhalt der
Exhibitionsszene dennoch zur Vorstellung gelangt ist. Um sie zu
ersparen, hätte die Szene nicht wieder belebt werden dürfen.

Von der Empfindung des Gehemmtseins werden wir später nochmals handeln.
Sie dient im Traume vortrefflich dazu, den _Willenskonflikt_, das
_Nein_, darzustellen. Nach der unbewußten Absicht soll die Exhibition
fortgesetzt, nach der Forderung der Zensur unterbrochen werden.

Die Beziehungen unserer typischen Träume zu den Märchen und anderen
Dichtungsstoffen sind gewiß weder vereinzelte noch zufällige.
Gelegentlich hat ein scharfes Dichterauge den Umwandlungsprozeß, dessen
Werkzeug sonst der Dichter ist, analytisch erkannt und ihn in
umgekehrter Richtung verfolgt, also die Dichtung auf den Traum
zurückgeführt. Ein Freund macht mich auf folgende Stelle aus G.
_Kellers_ »Grünem Heinrich« aufmerksam: »Ich wünsche Ihnen nicht, lieber
Lee, daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des
Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren
Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie
wissen, wie das zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest. Wenn Sie
einst getrennt von Ihrer Heimat und allem, was Ihnen lieb ist, in der
Fremde umherschweifen und Sie haben viel gesehen und viel erfahren,
haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen, so wird es
Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, daß Sie sich Ihrer Heimat nähern;
Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben, holde, feine
und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich,
daß Sie zerfetzt, nackt und staubbedeckt umhergehen. Eine namenlose
Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und
erwachen im Schweiße gebadet. Dies ist, solange es Menschen gibt, der
Traum des kummervollen, umhergeworfenen Mannes, und so hat _Homer_ jene
Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen.«

Das tiefste und ewige Wesen der Menschen, auf dessen Erweckung der
Dichter in der Regel bei seinen Hörern baut, das sind jene Regungen des
Seelenlebens, die in der später prähistorisch gewordenen Kinderzeit
wurzeln. Hinter den bewußtseinsfähigen und einwandfreien Wünschen des
Heimatlosen brechen im Traume die unterdrückten und unerlaubt gewordenen
Kinderwünsche hervor, und darum schlägt der Traum, den die Sage von der
Nausikaa objektiviert, regelmäßig in einen Angsttraum um.

Mein eigener, auf p. 179 erwähnter Traum von dem Eilen über die Treppe,
das sich bald nachher in ein An-den-Stufen-Kleben verwandelt, ist
gleichfalls ein Exhibitionstraum, da er die wesentlichen Bestandstücke
eines solchen aufweist. Er müßte sich also auf Kindererlebnisse
zurückführen lassen, und die Kenntnis derselben müßte einen Aufschluß
darüber geben, inwiefern das Benehmen des Dienstmädchens gegen mich, ihr
Vorwurf, daß ich den Teppich schmutzig gemacht habe, ihr zur Stellung
verhilft, die sie im Traume einnimmt. Ich kann die gewünschten
Aufklärungen nun wirklich beibringen. In einer Psychoanalyse lernt man
die zeitliche Annäherung auf sachlichen Zusammenhang umdeuten; zwei
Gedanken, die, anscheinend zusammenhangslos, unmittelbar
aufeinanderfolgen, gehören zu einer Einheit, die zu erraten ist, ebenso
wie ein a und ein b, die ich nebeneinander hinschreibe, als eine Silbe:
_ab_, ausgesprochen werden sollen. Ähnlich mit der Aufeinanderbeziehung
der Träume. Der erwähnte Traum von der Treppe ist aus einer Traumreihe
herausgegriffen, deren andere Glieder mir der Deutung nach bekannt sind.
Der von ihnen eingeschlossene Traum muß in denselben Zusammenhang
gehören. Nun liegt jenen anderen einschließenden Träumen die Erinnerung
an eine Kinderfrau zu grunde, die mich von irgend einem Termin der
Säuglingszeit bis zum Alter von 2½ Jahren betreut hat, von der mir auch
eine dunkle Erinnerung im Bewußtsein geblieben ist. Nach den Auskünften,
die ich unlängst von meiner Mutter eingeholt habe, war sie alt und
häßlich, aber sehr klug und tüchtig; nach den Schlüssen, die ich aus
meinen Träumen ziehen darf, hat sie mir nicht immer die liebevollste
Behandlung angedeihen und mich harte Worte hören lassen, wenn ich der
Erziehung zur Reinlichkeit kein genügendes Verständnis entgegenbrachte.
Indem also das Dienstmädchen dieses Erziehungswerk fortzusetzen sich
bemüht, erwirbt sie den Anspruch, von mir als Inkarnation der
prähistorischen Alten im Traume behandelt zu werden. Es ist wohl
anzunehmen, daß das Kind dieser Erzieherin, trotz ihrer schlechten
Behandlung, seine Liebe geschenkt hat(88).

  (88) Eine Überdeutung dieses Traumes: Auf der Treppe spucken, das
  führte, da »Spucken« eine Tätigkeit der Geister ist, bei loser
  Übersetzung zum »esprit d'escalier«. Treppenwitz heißt soviel als
  Mangel an Schlagfertigkeit. Den habe ich mir wirklich vorzuwerfen. Ob
  aber die Kinderfrau es an »_Schlagfertigkeit_« hat fehlen lassen?


β) Die Träume vom Tod teurer Personen.

Eine andere Reihe von Träumen, die typisch genannt werden dürfen, sind
die mit dem Inhalte, daß ein teurer Verwandter, Eltern oder Geschwister,
Kinder usw. gestorben ist. Man muß sofort von diesen Träumen zwei
Klassen unterscheiden, die einen, bei welchen man im Traume von Trauer
unberührt bleibt, so daß man sich nach dem Erwachen über seine
Gefühllosigkeit wundert, die anderen, bei denen man tiefen Schmerz über
den Todesfall empfindet, ja ihn selbst in heißen Tränen während des
Schlafes äußert.

Die Träume der ersten Gruppe dürfen wir bei Seite lassen; sie haben
keinen Anspruch, als typisch zu gelten. Wenn man sie analysiert, findet
man, daß sie etwas anderes bedeuten als sie enthalten, daß sie dazu
bestimmt sind, irgend einen anderen Wunsch zu verdecken. So der Traum
der Tante, die den einzigen Sohn ihrer Schwester aufgebahrt vor sich
sieht (p. 116). Das bedeutet nicht, daß sie dem kleinen Neffen den Tod
wünscht, sondern verbirgt nur, wie wir erfahren haben, den Wunsch, eine
gewisse geliebte Person nach langer Entbehrung wieder zu sehen,
dieselbe, die sie früher einmal nach ähnlich langer Pause bei der Leiche
eines anderen Neffen wiedergesehen hat. Dieser Wunsch, welcher der
eigentliche Inhalt des Traumes ist, gibt keinen Anlaß zur Trauer, und
darum wird auch im Traume keine Trauer verspürt. Man merkt es hier, daß
die im Traume enthaltene Empfindung nicht zum manifesten Trauminhalt
gehört, sondern zum latenten, daß der Affektinhalt des Traumes von der
Entstellung frei geblieben ist, welche den Vorstellungsinhalt betroffen
hat.

Anders die Träume, in denen der Tod einer geliebten verwandten Person
vorgestellt und dabei schmerzlicher Affekt verspürt wird. Diese
bedeuten, was ihr Inhalt besagt, den Wunsch, daß die betreffende Person
sterben möge, und da ich hier erwarten darf, daß sich die Gefühle aller
Leser und aller Personen, die Ähnliches geträumt haben, gegen meine
Auslegung sträuben werden, muß ich den Beweis auf der breitesten Basis
anstreben.

Wir haben bereits einen Traum erläutert, aus dem wir lernen konnten, daß
die Wünsche, welche sich in Träumen als erfüllt darstellen, nicht immer
aktuelle Wünsche sind. Es können auch verflossene, abgetane, überlagerte
und verdrängte Wünsche sein, denen wir nur wegen ihres Wiederauftauchens
im Traume doch eine Art von Fortexistenz zusprechen müssen. Sie sind
nicht tot wie die Verstorbenen nach unserem Begriffe, sondern wie die
Schatten der Odyssee, die, sobald sie Blut getrunken haben, zu einem
gewissen Leben erwachen. In jenem Traume vom toten Kinde in der
Schachtel (p. 118) handelte es sich um einen Wunsch, der vor 15 Jahren
aktuell war und von damals her unumwunden eingestanden wurde. Es ist
vielleicht für die Theorie des Traumes nicht gleichgültig, wenn ich
hinzufüge, daß selbst diesem Wunsche eine Erinnerung aus der frühesten
Kindheit zu grunde liegt. Die Träumerin hat als kleines Kind -- wann,
ist nicht sicher festzustellen -- gehört, daß ihre Mutter in der
Schwangerschaft, deren Frucht sie wurde, in eine schwere Verstimmung
verfallen war und dem Kinde in ihrem Leibe sehnlichst den Tod gewünscht
hatte. Selbst erwachsen und gravid geworden, folgte sie nur dem
Beispiele der Mutter.

Wenn jemand unter Schmerzensäußerungen davon träumt, sein Vater oder
seine Mutter, Bruder oder Schwester seien gestorben, so werde ich diesen
Traum niemals als Beweis dafür verwenden, daß er ihnen _jetzt_ den Tod
wünscht. Die Theorie des Traumes fordert nicht so viel; sie begnügt sich
zu schließen, daß er ihnen -- irgend einmal in der Kindheit -- den Tod
gewünscht habe. Ich fürchte aber, diese Einschränkung wird noch wenig
zur Beruhigung der Beschwerdeführer beitragen; diese dürften ebenso
energisch die Möglichkeit bestreiten, daß sie je so gedacht haben, wie
sie sich sicher fühlen, nicht in der Gegenwart solche Wünsche zu hegen.
Ich muß darum ein Stück vom untergegangenen Kinderseelenleben nach den
Zeugnissen, die noch die Gegenwart aufweist, wieder herstellen(89).

  (89) Vgl. hiezu: Analyse der Phobie eines 5 jährigen Knaben im
  Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen,
  Bd. I, 1909, und »Über infantile Sexualtheorien« in Sammlung kl.
  Schriften z. Neurosenlehre, zweite Folge.

 Die Feindseligkeit des Kindes gegen Geschwister.

Fassen wir zunächst das Verhältnis der Kinder zu ihren Geschwistern ins
Auge. Ich weiß nicht, warum wir voraussetzen, es müsse ein liebevolles
sein, da doch die Beispiele von Geschwisterfeindschaft unter Erwachsenen
in der Erfahrung eines jeden sich drängen, und wir so oft feststellen
können, diese Entzweiung rühre noch aus der Kindheit her, oder habe von
jeher bestanden. Aber auch sehr viele Erwachsene, die heute an ihren
Geschwistern zärtlich hängen und ihnen beistehen, haben in ihrer
Kindheit in kaum unterbrochener Feindschaft mit ihnen gelebt. Das ältere
Kind hat das jüngere mißhandelt, angeschwärzt, es seiner Spielsachen
beraubt; das jüngere hat sich in ohnmächtiger Wut gegen das ältere
verzehrt, es beneidet und gefürchtet, oder seine ersten Regungen von
Freiheitsdrang und Rechtsbewußtsein haben sich gegen den Unterdrücker
gewendet. Die Eltern sagen, die Kinder vertragen sich nicht, und wissen
den Grund hiefür nicht zu finden. Es ist nicht schwer zu sehen, daß der
Charakter auch des braven Kindes ein anderer ist, als wir ihn bei einem
Erwachsenen zu finden wünschen. Das Kind ist absolut egoistisch, es
empfindet seine Bedürfnisse intensiv und strebt rücksichtslos nach ihrer
Befriedigung, insbesondere gegen seine Mitbewerber, andere Kinder, und
in erster Linie gegen seine Geschwister. Wir heißen das Kind aber darum
nicht »schlecht«, wir heißen es »schlimm«; es ist unverantwortlich für
seine bösen Taten vor unserem Urteil wie vor dem Strafgesetz. Und das
mit Recht; denn wir dürfen erwarten, daß noch innerhalb von
Lebenszeiten, die wir der Kindheit zurechnen, in dem kleinen Egoisten
die altruistischen Regungen und die Moral erwachen werden, daß, mit
_Meynert_ zu reden, ein sekundäres Ich das primäre überlagern und hemmen
wird. Wohl entsteht die Moralität nicht gleichzeitig auf der ganzen
Linie, auch ist die Dauer der morallosen Kindheitsperiode bei den
einzelnen Individuen verschieden lang. Wo die Entwicklung dieser
Moralität ausbleibt, sprechen wir gern von »Degeneration«; es handelt
sich offenbar um eine Entwicklungshemmung. Wo der primäre Charakter
durch die spätere Entwicklung bereits überlagert ist, kann er durch die
Erkrankung an Hysterie wenigstens partiell wieder freigelegt werden. Die
Übereinstimmung des sogenannten hysterischen Charakters mit dem eines
schlimmen Kindes ist geradezu auffällig. Die Zwangsneurose hingegen
entspricht dem Durchbruch einer Übermoralität, die als verstärkende
Belastung dem sich immer wieder regenden primären Charakter auferlegt
war.

Viele Personen also, die heute ihre Geschwister lieben und sich durch
ihr Hinsterben beraubt fühlen würden, tragen von früher her böse Wünsche
gegen dieselben in ihrem Unbewußten, welche sich in Träumen zu
realisieren vermögen. Es ist aber ganz besonders interessant, kleine
Kinder bis zu drei Jahren oder wenig darüber in ihrem Verhalten gegen
jüngere Geschwister zu beobachten. Das Kind war bisher das einzige, nun
wird ihm angekündigt, daß der Storch ein neues Kind gebracht hat. Das
Kind mustert den Ankömmling und äußert dann entschieden: »Der Storch
soll es wieder mitnehmen.«(90)

  (90) Der 3½ jährige Hans, dessen Phobie Gegenstand der Analyse in der
  vorhin erwähnten Veröffentlichung ist, ruft im Fieber kurz nach der
  Geburt einer Schwester: Ich will aber kein Schwesterchen haben. In
  seiner Neurose, 1½ Jahre später, gesteht er den Wunsch, daß die Mutter
  das Kleine beim Baden in die Wanne fallen lassen möge, damit es
  sterbe, unumwunden ein. Dabei ist Hans ein gutartiges zärtliches Kind,
  welches bald auch diese Schwester liebgewinnt und sie besonders gern
  protegiert.

Ich bekenne mich in allem Ernst zur Meinung, daß das Kind abzuschätzen
weiß, welche Benachteiligung es von dem Fremdling zu erwarten hat. Von
einer mir nahestehenden Dame, die sich heute mit ihrer um vier Jahre
jüngeren Schwester sehr gut verträgt, weiß ich, daß sie die Nachricht
von deren Ankunft mit dem Vorbehalt beantwortet hat: »_Aber_ meine rote
Kappe werde ich ihr doch nicht geben.« Sollte das Kind erst später zu
dieser Erkenntnis kommen, so wird seine Feindseligkeit in diesem
Zeitpunkte erwachen. Ich kenne einen Fall, daß ein nicht dreijähriges
Mädchen den Säugling in der Wiege zu erwürgen versuchte, von dessen
weiterer Anwesenheit ihr nichts Gutes ahnte. Der Eifersucht sind Kinder
um diese Lebenszeit in aller Stärke und Deutlichkeit fähig. Oder das
kleine Geschwisterchen ist wirklich bald wieder verschwunden, das Kind
hat wieder alle Zärtlichkeit im Hause auf sich vereinigt, nun kommt ein
neues vom Storche geschickt; ist es da nicht korrekt, daß unser Liebling
den Wunsch in sich erschaffen sollte, der neue Konkurrent möge dasselbe
Schicksal haben wie der frühere, damit es ihm wieder so gut gehe wie
vorhin und in der Zwischenzeit?(91) Natürlich ist dieses Verhalten des
Kindes gegen die Nachgeborenen in normalen Verhältnissen eine einfache
Funktion des Altersunterschiedes. Bei einem gewissen Intervall werden
sich in dem älteren Mädchen bereits die mütterlichen Instinkte gegen das
hilflose Neugeborene regen.

  (91) Solche in der Kindheit erlebte Sterbefälle mögen in der Familie
  bald vergessen worden sein, die psychoanalytische Erforschung zeigt
  doch, daß sie für die spätere Neurose sehr bedeutungsvoll geworden
  sind.

Empfindungen von Feindseligkeit gegen die Geschwister müssen im
Kindesalter noch weit häufiger sein, als sie der stumpfen Beobachtung
Erwachsener auffallen(92).

  (92) Beobachtungen, die sich auf das ursprünglich feindselige
  Verhalten von Kindern gegen Geschwister und einen Elternteil beziehen,
  sind seither in großer Anzahl gemacht und in der psychoanalytischen
  Literatur niedergelegt worden. Besonders echt und naiv hat der Dichter
  _Spitteler_ diese typische kindliche Einstellung aus seiner frühesten
  Kindheit geschildert: Ȇbrigens war noch ein zweiter Adolf da. Ein
  kleines Geschöpf, von dem man behauptete, er wäre mein Bruder, von dem
  ich aber nicht begriff, wozu er nützlich sei; noch weniger, weswegen
  man solch ein Wesen aus ihm mache wie von mir selber. Ich genügte für
  mein Bedürfnis, was brauchte ich einen Bruder? Und nicht bloß unnütz
  war er, sondern mitunter sogar hinderlich. Wenn ich die Großmutter
  belästigte, wollte er sie ebenfalls belästigen, wenn ich im
  Kinderwagen gefahren wurde, saß er gegenüber und nahm mir die Hälfte
  Platz weg, so daß wir uns mit den Füßen stoßen mußten.«

Bei meinen eigenen Kindern, die einander rasch folgten, habe ich die
Gelegenheit zu solchen Beobachtungen versäumt; ich hole sie jetzt bei
meinem kleinen Neffen nach, dessen Alleinherrschaft nach 15 Monaten
durch das Auftreten einer Mitbewerberin gestört wurde. Ich höre zwar,
daß der junge Mann sich sehr ritterlich gegen das Schwesterchen benimmt,
ihr die Hand küßt und sie streichelt; ich überzeuge mich aber, daß er
schon vor seinem vollendeten zweiten Jahre seine Sprachfähigkeit dazu
benutzt, um Kritik an der ihm doch nur überflüssig erscheinenden Person
zu üben. So oft die Rede auf sie kommt, mengt er sich ins Gespräch und
ruft unwillig: Zu k(l)ein, zu k(l)ein. In den letzten Monaten, seitdem
das Kind sich durch vortreffliche Entwicklung dieser Geringschätzung
entzogen hat, weiß er seine Mahnung, daß sie soviel Aufmerksamkeit nicht
verdient, anders zu begründen. Er erinnert bei allen geeigneten Anlässen
daran: Sie hat keine Zähne(93). Von dem ältesten Mädchen einer anderen
Schwester haben wir alle die Erinnerung bewahrt, wie das damals
sechsjährige Kind sich eine halbe Stunde lang von allen Tanten
bestätigen ließ: »Nicht wahr, das kann die Lucie noch nicht verstehen?«
Lucie war die um 2½ Jahre jüngere Konkurrentin.

  (93) In die nämlichen Worte kleidet der 3½ jährige Hans seine
  vernichtende Kritik seiner Schwester (l. c.). Er nimmt an, daß sie
  wegen des Mangels der Zähne nicht sprechen kann.

Den gesteigerter Feindseligkeit entsprechenden Traum vom Tode der
Geschwister habe ich z. B. bei keiner meiner Patientinnen vermißt. Ich
fand nur eine Ausnahme, die sich leicht in eine Bestätigung der Regel
umdeuten ließ. Als ich einst einer Dame während einer Sitzung diesen
Sachverhalt erklärte, der mir bei dem Symptom an der Tagesordnung in
Betracht zu kommen schien, antwortete sie mir zu meinem Erstaunen, sie
habe solche Träume nie gehabt. Ein anderer Traum fiel ihr aber ein, der
angeblich damit nichts zu schaffen hatte, ein Traum, den sie mit vier
Jahren, zuerst als damals Jüngste, und dann wiederholt geträumt hatte.
»_Eine Menge Kinder, alle ihre Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen
tummelten sich auf einer Wiese. Plötzlich bekamen sie Flügel, flogen auf
und waren weg._« Von der Bedeutung des Traumes hatte sie keine Ahnung;
es wird uns nicht schwer fallen, einen Traum vom Tode aller Geschwister
in seiner ursprünglichen, durch die Zensur wenig beeinflußten Form darin
zu erkennen. Ich getraue mich folgende Analyse unterzuschieben. Bei dem
Tode eines aus der Kinderschar -- die Kinder zweier Brüder wurden in
diesem Falle in geschwisterlicher Gemeinschaft aufgezogen -- wird unsere
noch nicht vierjährige Träumerin eine weise, erwachsene Person gefragt
haben: Was wird denn aus den Kindern, wenn sie tot sind? Die Antwort
wird gelautet haben: Dann bekommen sie Flügel und werden Engerl. Im
Traume nach dieser Aufklärung haben nun die Geschwister alle Flügel wie
die Engel und -- was die Hauptsache ist -- sie fliegen weg. Unsere
kleine Engelmacherin bleibt allein, man denke, das einzige nach einer
solchen Schar! Daß sich die Kinder auf einer Wiese tummeln, von der sie
wegfliegen, deutet kaum mißverständlich auf Schmetterlinge hin, als ob
dieselbe Gedankenverbindung das Kind geleitet hätte, welche die Alten
bewog, die Psyche mit Schmetterlingsflügeln zu bilden.

 Die Vorstellung des Kindes vom »Totsein«.

Vielleicht wirft nun jemand ein, die feindseligen Impulse der Kinder
gegen ihre Geschwister seien wohl zuzugeben, aber wie käme das
Kindergemüt zu der Höhe von Schlechtigkeit, dem Mitbewerber oder
stärkeren Spielgenossen gleich den Tod zu wünschen, als ob alle Vergehen
nur durch die Todesstrafe zu sühnen seien? Wer so spricht, erwägt nicht,
daß die Vorstellung des Kindes vom »Totsein« mit der unserigen das Wort
und dann nur noch _wenig_ anderes gemein hat. Das Kind weiß nichts von
den Greueln der Verwesung, vom Frieren im kalten Grabe, vom Schrecken
des endlosen Nichts, das der Erwachsene, wie alle Mythen vom Jenseits
zeugen, in seiner Vorstellung so schlecht verträgt. Die Furcht vor dem
Tode ist ihm fremd, darum spielt es mit dem gräßlichen Worte und droht
einem anderen Kinde: »Wenn du das noch einmal tust, wirst du sterben,
wie der Franz gestorben ist,« wobei es die arme Mutter schaudernd
überläuft, die vielleicht nicht daran vergessen kann, daß die größere
Hälfte der erdgeborenen Menschen ihr Leben nicht über die Jahre der
Kindheit bringt. Noch mit acht Jahren kann das Kind, von einem Gange
durch das Naturhistorische Museum heimgekehrt, seiner Mutter sagen:
»Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse ich dich
ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit ich dich immer,
immer sehen kann!« So wenig gleicht die kindliche Vorstellung vom
Gestorbensein der unserigen(94).

  (94) Von einem hochbegabten 10 jährigen Knaben hörte ich nach dem
  plötzlichen Tode seines Vaters zu meinem Erstaunen folgende Äußerung:
  Daß der Vater gestorben ist, verstehe ich, aber warum er nicht zum
  Nachtmahl nach Hause kommt, kann ich mir nicht erklären. -- Weiteres
  Material zu diesem Thema findet sich in der Rubrik »Kinderseele« von
  »_Imago_«, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die
  Geisteswissenschaften, Bd. I und II, 1912 und 1913.

Gestorben sein heißt für das Kind, welchem ja überdies die Szenen des
Leidens vor dem Tode zu sehen erspart wird, so viel als »fort sein«, die
Überlebenden nicht mehr stören. Es unterscheidet nicht, auf welche Art
diese Abwesenheit zu stande kommt, ob durch Verreisen, Entfremdung oder
Tod. Wenn in den prähistorischen Jahren eines Kindes seine Kinderfrau
weggeschickt worden und einige Zeit darauf seine Mutter gestorben ist,
so liegen für seine Erinnerung, wie man sie in der Analyse aufdeckt,
beide Ereignisse in einer Reihe übereinander. Daß das Kind die
Abwesenden nicht sehr intensiv vermißt, hat manche Mutter zu ihrem
Schmerze erfahren, wenn sie nach mehrwöchiger Sommerreise in ihr Haus
zurückkehrte und auf ihre Erkundigung hören mußte: Die Kinder haben
nicht ein einziges Mal nach der Mama gefragt. Wenn sie aber wirklich in
jenes »unentdeckte Land« verreist ist, »von des Bezirk kein Wanderer
wiederkehrt«, so scheinen die Kinder sie zunächst vergessen zu haben und
erst _nachträglich_ beginnen sie, sich an die Tote zu erinnern.

Wenn das Kind also Motive hat, die Abwesenheit eines anderen Kindes zu
wünschen, so mangelt ihm jede Abhaltung, diesen Wunsch in die Form zu
kleiden, es möge tot sein, und die psychische Reaktion auf den
Todeswunschtraum beweist, daß trotz aller Verschiedenheit im Inhalt der
Wunsch beim Kinde doch irgendwie das nämliche ist wie der gleichlautende
Wunsch des Erwachsenen.

Wenn nun der Todeswunsch des Kindes gegen seine Geschwister erklärt wird
durch den Egoismus des Kindes, der sie die Geschwister als Mitbewerber
auffassen läßt, wie soll sich der Todeswunsch gegen die Eltern erklären,
die für das Kind die Spender von Liebe und Erfüller seiner Bedürfnisse
sind, deren Erhaltung es gerade aus egoistischen Motiven wünschen
sollte?

Zur Lösung dieser Schwierigkeit leitet uns die Erfahrung, daß die Träume
vom Tode der Eltern überwiegend häufig den Teil des Elternpaares
betreffen, der das Geschlecht des Träumers teilt, daß also der Mann
zumeist vom Tode des Vaters, das Weib vom Tode der Mutter träumt. Ich
kann das nicht als regelmäßig hinstellen, aber das Überwiegen in dem
angedeuteten Sinne ist so deutlich, daß es eine Erklärung durch ein
Moment von allgemeiner Bedeutung fordert. Es verhält sich -- grob
ausgesprochen -- so, als ob eine sexuelle Vorliebe sich frühzeitig
geltend machen würde, als ob der Knabe im Vater, das Mädchen in der
Mutter den Mitbewerber in der Liebe erblickte, durch dessen Beseitigung
ihm nur Vorteil erwachsen kann.

 Das Verhältnis des Kindes zu den Eltern.

Ehe man diese Vorstellung als ungeheuerlich verwirft, möge man auch hier
die realen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ins Auge fassen. Man
hat zu sondern, was die Kulturforderung der Pietät von diesem Verhältnis
verlangt, und was die tägliche Beobachtung als tatsächlich ergibt. In
der Beziehung zwischen Eltern und Kindern liegen mehr als nur ein Anlaß
zur Feindseligkeit verborgen; die Bedingungen für das Zustandekommen von
Wünschen, welche vor der Zensur nicht bestehen, sind im reichsten
Ausmaße gegeben. Verweilen wir zunächst bei der Relation zwischen Vater
und Sohn. Ich meine, die Heiligkeit, die wir den Vorschriften des
Dekalogs zuerkannt haben, stumpft unseren Sinn für die Wahrnehmung der
Wirklichkeit ab. Wir getrauen uns vielleicht kaum zu merken, daß der
größere Teil der Menschheit sich über die Befolgung des vierten Gebotes
hinaussetzt. In den tiefsten wie in den höchsten Schichten der
menschlichen Gesellschaft pflegt die Pietät gegen die Eltern vor anderen
Interessen zurückzutreten. Die dunklen Nachrichten, die in Mythologie
und Sage aus der Urzeit der menschlichen Gesellschaft auf uns gekommen
sind, geben von der Machtfülle des Vaters und von der Rücksichtslosigkeit,
mit der sie gebraucht wurde, eine unerfreuliche Vorstellung.
Kronos verschlingt seine Kinder, etwa wie der Eber den Wurf
des Mutterschweines, und Zeus entmannt den Vater(95) und setzt sich als
Herrscher an seine Stelle. Je unumschränkter der Vater in der alten
Familie herrschte, desto mehr muß der Sohn als berufener Nachfolger in
die Lage des Feindes gerückt, desto größer muß seine Ungeduld geworden
sein, durch den Tod des Vaters selbst zur Herrschaft zu gelangen. Noch
in unserer bürgerlichen Familie pflegt der Vater durch die Verweigerung
der Selbstbestimmung und der dazu nötigen Mittel an den Sohn dem
natürlichen Keime der Feindschaft, der in dem Verhältnisse liegt, zur
Entwicklung zu verhelfen. Der Arzt kommt oft genug in die Lage zu
bemerken, daß der Schmerz über den Verlust des Vaters beim Sohne die
Befriedigung über die endlich erlangte Freiheit nicht unterdrücken kann.
Den Rest der in unserer heutigen Gesellschaft arg antiquierten potestas
patris familias pflegt jeder Vater krampfhaft festzuhalten und jeder
Dichter ist der Wirkung sicher, der wie _Ibsen_ den uralten Kampf
zwischen Vater und Sohn in den Vordergrund seiner Fabeln rückt. Die
Anlässe zu Konflikten zwischen Tochter und Mutter ergeben sich, wenn die
Tochter heranwächst und in der Mutter die Wächterin findet, während sie
nach sexueller Freiheit begehrt, die Mutter aber durch das Aufblühen der
Tochter gemahnt wird, daß für sie die Zeit gekommen ist, sexuellen
Ansprüchen zu entsagen.

  (95) Wenigstens in einigen mythologischen Darstellungen. Nach anderen
  wird die Entmannung nur von Kronos an seinem Vater Uranos vollzogen.

  Über die mythologische Bedeutung dieses Motivs vergl. _Otto Rank_: Der
  Mythus von der Geburt des Helden, fünftes Heft der »Schriften zur
  angew. Seelenkunde, 1909« und »Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage«,
  1912, Kap. IX, 2.

Alle diese Verhältnisse liegen offenkundig da vor jedermanns Augen. Sie
fördern uns aber nicht bei der Absicht, die Träume vom Tode der Eltern
zu erklären, welche sich bei Personen finden, denen die Pietät gegen die
Eltern längst etwas Unantastbares geworden ist. Auch sind wir durch die
vorhergehenden Erörterungen darauf vorbereitet, daß sich der Todeswunsch
gegen die Eltern aus der frühesten Kindheit ableiten wird.

 Die sexuellen Regungen der Kinder gegen die Eltern.

Mit einer alle Zweifel ausschließenden Sicherheit bestätigt sich diese
Vermutung für die Psychoneurotiker bei den mit ihnen vorgenommenen
Analysen. Man lernt hiebei, daß sehr frühzeitig die sexuellen Wünsche
des Kindes erwachen -- soweit sie im keimenden Zustand diesen Namen
verdienen --, und daß die erste Neigung des Mädchens dem Vater, die
ersten infantilen Begierden des Knaben der Mutter gelten. Der Vater wird
somit für den Knaben, die Mutter für das Mädchen zum störenden
Mitbewerber, und wie wenig für das Kind dazu gehört, damit diese
Empfindung zum Todeswunsch führe, haben wir bereits für den Fall der
Geschwister ausgeführt. Die sexuelle Auswahl macht sich in der Regel
bereits bei den Eltern geltend; ein natürlicher Zug sorgt dafür, daß der
Mann die kleinen Töchter verzärtelt, die Frau den Söhnen die Stange
hält, während beide, wo der Zauber des Geschlechtes ihr Urteil nicht
verstört, mit Strenge für die Erziehung der Kleinen wirken. Das Kind
bemerkt die Bevorzugung sehr wohl und lehnt sich gegen den Teil des
Elternpaares auf, der sich ihr widersetzt. Liebe bei dem Erwachsenen zu
finden, ist ihm nicht nur die Befriedigung eines besonderen
Bedürfnisses, sondern bedeutet auch, daß in allen anderen Stücken seinem
Willen nachgegeben wird. So folgt es dem eigenen sexuellen Triebe und
erneuert gleichzeitig die von den Eltern ausgehende Anregung, wenn es
seine Wahl zwischen den Eltern im gleichen Sinne wie diese trifft.

Von den Zeichen dieser infantilen Neigungen seitens der Kinder pflegt
man die meisten zu übersehen; einige kann man auch nach den ersten
Kinderjahren bemerken. Ein achtjähriges Mädchen meiner Bekanntschaft
benutzt die Gelegenheit, wenn die Mutter vom Tische abberufen wird, um
sich als ihre Nachfolgerin zu proklamieren. »Jetzt will ich die Mama
sein: Karl, willst du noch Gemüse? Nimm doch, ich bitte dich« usw. Ein
besonders begabtes und lebhaftes Mädchen von nicht vier Jahren, an der
dies Stück Kinderpsychologie besonders durchsichtig ist, äußert direkt:
»Jetzt kann das Muatterl einmal fortgehen, dann muß das Vaterl mich
heiraten, und ich will seine Frau sein.« Im Kinderleben schließt dieser
Wunsch durchaus nicht aus, daß das Kind auch seine Mutter zärtlich
liebe. Wenn der kleine Knabe neben der Mutter schlafen darf, sobald der
Vater verreist ist, und nach dessen Rückkehr ins Kinderzimmer zurück muß
zu einer Person, die ihm weit weniger gefällt, so mag sich leicht der
Wunsch bei ihm gestalten, daß der Vater immer abwesend sein möge, damit
er seinen Platz bei der lieben, schönen Mama behalten kann, und ein
Mittel zur Erreichung dieses Wunsches ist es offenbar, wenn der Vater
tot ist, denn das eine hat ihn seine Erfahrung gelehrt: »Tote« Leute,
wie der Großpapa z. B., sind immer abwesend, kommen nie wieder.

Wenn sich solche Beobachtungen an kleinen Kindern der vorgeschlagenen
Deutung zwanglos fügen, so ergeben sie allerdings nicht die volle
Überzeugung, welche die Psychoanalysen erwachsener Neurotiker dem Arzte
aufdrängen. Die Mitteilung der betreffenden Träume erfolgt hier mit
solchen Einleitungen, daß ihre Deutung als Wunschträume unausweichlich
wird. Ich finde eines Tages eine Dame betrübt und verweint. Sie sagt:
»Ich will meine Verwandten nicht mehr sehen, es muß ihnen ja vor mir
grausen.« Dann erzählt sie fast ohne Übergang, daß sie sich an einen
Traum erinnert, dessen Bedeutung sie natürlich nicht kennt. Sie hat ihn
mit vier Jahren geträumt, er lautet folgendermaßen: _Ein Luchs oder
Fuchs geht auf dem Dache spazieren, dann fällt etwas herunter oder sie
fällt herunter, und dann trägt man die Mutter tot aus dem Hause_, wobei
sie schmerzlich weint. Ich habe ihr kaum mitgeteilt, daß dieser Traum
den Wunsch aus ihrer Kindheit bedeuten muß, die Mutter tot zu sehen, und
daß sie dieses Traumes wegen meinen muß, die Verwandten grausen sich vor
ihr, so liefert sie bereits etwas Material, den Traum aufzuklären.
»Luchsaug« ist ein Schimpfwort, mit dem sie einmal als ganz kleines Kind
von einem Gassenjungen belegt wurde; ihrer Mutter ist, als das Kind drei
Jahre alt war, ein Ziegelstein vom Dache auf den Kopf gefallen, so daß
sie heftig geblutet hat.

Ich hatte einmal Gelegenheit, ein junges Mädchen, das verschiedene
psychische Zustände durchmachte, eingehend zu studieren. In einer
tobsüchtigen Verworrenheit, mit der die Krankheit begann, zeigte die
Kranke eine ganz besondere Abneigung gegen ihre Mutter, schlug und
beschimpfte sie, sobald sie sich dem Bette näherte, während sie gegen
eine um vieles ältere Schwester zu derselben Zeit liebevoll und gefügig
blieb: Dann folgte ein klarer, aber etwas apathischer Zustand mit sehr
gestörtem Schlafe; in dieser Phase begann ich die Behandlung und
analysierte ihre Träume. Eine Unzahl derselben handelte mehr oder minder
verhüllt vom Tode der Mutter; bald wohnte sie dem Leichenbegängnis einer
alten Frau bei, bald sah sie sich und ihre Schwester in Trauerkleidern
bei Tische sitzen; es blieb über den Sinn dieser Träume kein Zweifel.
Bei noch weiter fortschreitender Besserung traten hysterische Phobien
auf; die quälendste darunter war, daß der Mutter etwas geschehen sei.
Von wo sie immer sich befand, mußte sie dann nach Hause eilen, um sich
zu überzeugen, daß die Mutter noch lebe. Der Fall war nun,
zusammengehalten mit meinen sonstigen Erfahrungen, sehr lehrreich; er
zeigte in gleichsam mehrsprachiger Übersetzung verschiedene
Reaktionsweisen des psychischen Apparates auf dieselbe erregende
Vorstellung. In der Verworrenheit, die ich als _Überwältigung_ der
zweiten psychischen Instanz durch die sonst unterdrückte erste auffasse,
wurde die unbewußte Feindseligkeit gegen die Mutter motorisch mächtig;
als dann die erste Beruhigung eintrat, der Aufruhr unterdrückt, die
Herrschaft der Zensur wieder hergestellt war, blieb dieser
Feindseligkeit nur mehr das Gebiet des Träumens offen, um den Wunsch
nach ihrem Tode zu verwirklichen; als das Normale sich noch weiter
gestärkt hatte, schuf es als hysterische Gegensatzreaktion und
Abwehrerscheinung die übermäßige Sorge um die Mutter. In diesem
Zusammenhange ist es nicht mehr unerklärlich, warum die hysterischen
Mädchen so oft überzärtlich an ihren Müttern hängen.

Ein andermal hatte ich Gelegenheit, tiefe Einblicke in das unbewußte
Seelenleben eines jungen Mannes zu tun, der durch Zwangsneurose fast
existenzunfähig, nicht auf die Straße gehen konnte, weil ihn die Sorge
quälte, er bringe alle Leute, die an ihm vorbeigingen, um. Er verbrachte
seine Tage damit, die Beweisstücke für sein Alibi in Ordnung zu halten,
falls die Anklage wegen eines der in der Stadt vorgefallenen Morde gegen
ihn erhoben werden sollte. Überflüssig zu bemerken, daß er ein ebenso
moralischer wie fein gebildeter Mensch war. Die -- übrigens zur Heilung
führende -- Analyse deckte als die Begründung dieser peinlichen
Zwangsvorstellung Mordimpulse gegen seinen etwas überstrengen Vater auf,
die sich, als er sieben Jahre alt war, zu seinem Erstaunen bewußt
geäußert hatten, aber natürlich aus weit früheren Kindesjahren stammten.
Nach der qualvollen Krankheit und dem Tode des Vaters trat im 31.
Lebensjahre der Zwangsvorwurf auf, der sich in Form jener Phobie auf
Fremde übertrug. Wer im stande war, seinen eigenen Vater von einem
Berggipfel in den Abgrund stoßen zu wollen, dem ist allerdings
zuzutrauen, daß er auch das Leben Fernerstehender nicht schone; der tut
darum recht daran, sich in seine Zimmer einzuschließen.

Nach meinen bereits zahlreichen Erfahrungen spielen die Eltern im
Kinderseelenleben aller späteren Psychoneurotiker die Hauptrolle, und
Verliebtheit gegen den einen, Haß gegen den anderen Teil des
Elternpaares gehören zum eisernen Bestand des in jener Zeit gebildeten
und für die Symptomatik der späteren Neurose so bedeutsamen Materials an
psychischen Regungen. Ich glaube aber nicht, daß die Psychoneurotiker
sich hierin von anderen normal verbleibenden Menschenkindern scharf
sondern, indem sie absolut Neues und ihnen Eigentümliches zu schaffen
vermögen. Es ist bei weitem wahrscheinlicher und wird durch
gelegentliche Beobachtungen an normalen Kindern unterstützt, daß sie
auch mit diesen verliebten und feindseligen Wünschen gegen ihre Eltern
uns nur durch die Vergrößerung kenntlich machen, was minder deutlich und
weniger intensiv in der Seele der meisten Kinder vorgeht. Das Altertum
hat uns zur Unterstützung dieser Erkenntnis einen Sagenstoff
überliefert, dessen durchgreifende und allgemeingültige Wirksamkeit nur
durch eine ähnliche Allgemeingültigkeit der besprochenen Voraussetzung
aus der Kinderpsychologie verständlich wird.

 Die Ödipusmythe und ihre infantile Wurzel.

Ich meine die Sage vom König _Ödipus_ und das gleichnamige Drama des
_Sophokles_. _Ödipus_, der Sohn des _Laïos_, Königs von Theben, und der
_Jokaste_ wird als Säugling ausgesetzt, weil ein Orakel dem Vater
verkündet hatte, der noch ungeborene Sohn werde sein Mörder sein. Er
wird gerettet und wächst als Königssohn an einem fremden Hofe auf, bis
er, seiner Herkunft unsicher, selbst das Orakel befragt und von ihm den
Rat erhält, die Heimat zu meiden, weil er der Mörder seines Vaters und
der Ehegemahl seiner Mutter werden müßte. Auf dem Wege von seiner
vermeintlichen Heimat weg trifft er mit König _Laïos_ zusammen und
erschlägt ihn in rasch entbranntem Streite. Dann kommt er vor _Theben_,
wo er die Rätsel der den Weg sperrenden Sphinx löst und zum Dank dafür
von den Thebanern zum König gewählt und mit _Jokastes_ Hand beschenkt
wird. Er regiert lange Zeit in Frieden und Würde und zeugt mit der ihm
unbekannten Mutter zwei Söhne und zwei Töchter, bis eine Pest ausbricht,
welche eine neuerliche Befragung des Orakels von Seite der _Thebaner_
veranlaßt. Hier setzt die Tragödie des _Sophokles_ ein. Die Boten
bringen den Bescheid, daß die Pest aufhören werde, wenn der Mörder des
Laïos aus dem Lande getrieben sei. Wo aber weilt der?

          »Wo findet sich
    die schwererkennbar dunkle Spur der alten Schuld?«

    (Übersetzung von Donner, v. 109.)

Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der
schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung -- der
Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar --, daß _Ödipus_ selbst der
Mörder des _Laïos_, aber auch der Sohn des Ermordeten und der _Jokaste_
ist. Durch seine unwissentlich verübten Greuel erschüttert, blendet sich
_Ödipus_ und verläßt die Heimat. Der Orakelspruch ist erfüllt.

König _Ödipus_ ist eine sogenannte Schicksalstragödie; ihre tragische
Wirkung soll auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der
Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen
beruhen; Ergebung in den Willen der Gottheit, Einsicht in die eigene
Ohnmacht soll der tief ergriffene Zuschauer aus dem Trauerspiele lernen.
Folgerichtig haben moderne Dichter es versucht, eine ähnliche tragische
Wirkung zu erzielen, indem sie den nämlichen Gegensatz mit einer
selbsterfundenen Fabel verwoben. Allein die Zuschauer haben ungerührt
zugesehen, wie trotz alles Sträubens schuldloser Menschen ein Fluch oder
Orakelspruch sich an ihnen vollzog; die späteren Schicksalstragödien
sind ohne Wirkung geblieben.

Wenn der König _Ödipus_ den modernen Menschen nicht minder zu
erschüttern weiß als den zeitgenössischen Griechen, so kann die Lösung
wohl nur darin liegen, daß die Wirkung der griechischen Tragödie nicht
auf dem Gegensatz zwischen Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in
der Besonderheit des Stoffes zu suchen ist, an welchem dieser Gegensatz
erwiesen wird. Es muß eine Stimme in unserem Innern geben, welche die
zwingende Gewalt des Schicksals im _Ödipus_ anzuerkennen bereit ist,
während wir Verfügungen wie in der »Ahnfrau« oder in anderen
Schicksalstragödien als willkürliche zurückzuweisen vermögen. Und ein
solches Moment ist in der Tat in der Geschichte des Königs _Ödipus_
enthalten. Sein Schicksal ergreift uns nur darum, weil es auch das
unserige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt
denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht
war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten
Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume
überzeugen uns davon. König _Ödipus_, der seinen Vater _Laïos_
erschlagen und seine Mutter _Jokaste_ geheiratet hat, ist nur die
Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns
seitdem, insofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen,
unsere sexuellen Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere
Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen. Vor der Person, an welcher
sich jener urzeitliche Kindheitswunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück
mit dem ganzen Betrage der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem
Innern seither erlitten haben. Während der Dichter in jener Untersuchung
die Schuld des _Ödipus_ ans Licht bringt, nötigt er uns zur Erkenntnis
unseres eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch
immer vorhanden sind. Die Gegenüberstellung, mit der uns der Chor
verläßt,

    . . . »sehet, das ist _Ödipus_,
    der entwirrt die hohen Rätsel und der erste war an Macht,
    dessen Glück die Bürger alle priesen und beneideten;
    Seht, in welches Mißgeschickes grause Wogen er versank!«

diese Mahnung trifft uns selbst und unseren Stolz, die wir seit den
Kindesjahren so weise und so mächtig geworden sind in unserer Schätzung.
Wie _Ödipus_ leben wir in Unwissenheit der die Moral beleidigenden
Wünsche, welche die Natur uns aufgenötigt hat, und nach deren Enthüllung
möchten wir wohl alle den Blick abwenden von den Szenen unserer
Kindheit(96).

  (96) Keine der Ermittlungen der psychoanalytischen Forschung hat so
  erbitterten Widerspruch, ein so grimmiges Sträuben und -- so
  ergötzliche Verrenkungen der Kritik hervorgerufen wie dieser Hinweis
  auf die kindlichen, im Unbewußten erhalten gebliebenen Inzestneigungen.
  Die letzte Zeit hat selbst einen Versuch gebracht, den Inzest,
  allen Erfahrungen trotzend, nur als »symbolisch« gelten zu
  lassen.

Daß die Sage von _Ödipus_ einem uralten Traumstoffe entsprossen ist,
welcher jene peinliche Störung des Verhältnisses zu den Eltern durch die
ersten Regungen der Sexualität zum Inhalt hat, dafür findet sich im
Texte der _Sophokle_ischen Tragödie selbst ein nicht mißzuverstehender
Hinweis. _Jokaste_ tröstet den noch nicht aufgeklärten, aber durch die
Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten _Ödipus_ durch die
Erwähnung eines Traumes, den ja so viele Menschen träumen, ohne daß er,
meint sie, etwas bedeute:

    »_Denn viele Menschen sahen auch in Träumen schon_
     _Sich zugesellt der Mutter_: Doch wer alles dies
    Für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht.«

Der Traum, mit der Mutter sexuell zu verkehren, wird ebenso wie damals
auch heute vielen Menschen zu teil, die ihn empört und verwundert
erzählen. Er ist, wie begreiflich, der Schlüssel der Tragödie und das
Ergänzungsstück zum Traume vom Tode des Vaters. Die _Ödipusfabel_ ist
die Reaktion der Phantasie auf diese beiden typischen Träume, und wie
die Träume vom Erwachsenen mit Ablehnungsgefühlen erlebt werden, so muß
die Sage Schreck und Selbstbestrafung in ihren Inhalt mit aufnehmen.
Ihre weitere Gestaltung rührt wiederum von einer mißverständlichen
sekundären Bearbeitung des Stoffes her, welche ihn einer
theologisierenden Absicht dienstbar zu machen sucht. (Vgl. den
Traumstoff von der Exhibition p. 183 f.) Der Versuch, die göttliche
Allmacht mit der menschlichen Verantwortlichkeit zu vereinigen, muß
natürlich an diesem Material wie an jedem anderen mißlingen.

 Die Deutung von _Shakespeare's_ »Hamlet«.

Auf demselben Boden wie »König Ödipus« wurzelt eine andere der großen
tragischen Dichterschöpfungen, der _Hamlet Shakespeares_. Aber in der
veränderten Behandlung des nämlichen Stoffes offenbart sich der ganze
Unterschied im Seelenleben der beiden weit auseinanderliegenden
Kulturperioden, das säkulare Fortschreiten der Verdrängung im
Gemütsleben der Menschheit. Im Ödipus wird die zu grunde liegende
Wunschphantasie des Kindes wie im Traume ans Licht gezogen und
realisiert; im _Hamlet_ bleibt sie verdrängt, und wir erfahren von ihrer
Existenz -- dem Sachverhalt bei einer Neurose ähnlich -- nur durch die
von ihr ausgehenden Hemmungswirkungen. Mit der überwältigenden Wirkung
des moderneren Dramas hat es sich eigentümlicherweise als vereinbar
gezeigt, daß man über den Charakter des Helden in voller Unklarheit
verbleiben könne. Das Stück ist auf die Zögerung Hamlets gebaut, die ihm
zugeteilte Aufgabe der Rache zu erfüllen; welches die Gründe oder Motive
dieser Zögerung sind, gesteht der Text nicht ein; die vielfältigsten
Deutungsversuche haben es nicht anzugeben vermocht. Nach der heute noch
herrschenden, durch _Goethe_ begründeten Auffassung stellt _Hamlet_ den
Typus des Menschen dar, dessen frische Tatkraft durch die überwuchernde
Entwicklung der Gedankentätigkeit gelähmt wird (»Von des Gedankens
Blässe angekränkelt«). Nach anderen hat der Dichter einen krankhaften,
unentschlossenen, in das Bereich der Neurasthenie fallenden Charakter zu
schildern versucht. Allein die Fabel des Stückes lehrt, daß Hamlet uns
keineswegs als eine Person erscheinen soll, die des Handelns überhaupt
unfähig ist. Wir sehen ihn zweimal handelnd auftreten, das einemal in
rasch auffahrender Leidenschaft, wie er den Lauscher hinter der Tapete
niederstößt, ein anderesmal planmäßig, ja selbst arglistig, indem er mit
der vollen Unbedenklichkeit des Renaissance-Prinzen die zwei Höflinge in
den ihm selbst zugedachten Tod schickt. Was hemmt ihn also bei der
Erfüllung der Aufgabe, die der Geist seines Vaters ihm gestellt hat?
Hier bietet sich wieder die Auskunft, daß es die besondere Natur dieser
Aufgabe ist. _Hamlet_ kann alles, nur nicht die Rache an dem Manne
vollziehen, der seinen Vater beseitigt und bei seiner Mutter dessen
Stelle eingenommen hat, an dem Manne, der ihm die Realisierung seiner
verdrängten Kinderwünsche zeigt. Der Abscheu, der ihn zur Rache drängen
sollte, ersetzt sich so bei ihm durch Selbstvorwürfe, durch
Gewissensskrupel, die ihm vorhalten, daß er, wörtlich verstanden, selbst
nicht besser sei als der von ihm zu strafende Sünder. Ich habe dabei ins
Bewußte übersetzt, was in der Seele des Helden unbewußt bleiben muß;
wenn jemand _Hamlet_ einen Hysteriker nennen will, kann ich es nur als
Folgerung aus meiner Deutung anerkennen. Die Sexualabneigung stimmt sehr
wohl dazu, die _Hamlet_ dann im Gespräche mit _Ophelia_ äußert, die
nämliche Sexualabneigung, die von der Seele des Dichters in den nächsten
Jahren immer mehr Besitz nehmen sollte, bis zu ihren Gipfeläußerungen im
_Timon von Athen_. Es kann natürlich nur das eigene Seelenleben des
Dichters gewesen sein, das uns im _Hamlet_ entgegentritt; ich entnehme
dem Werke von _Georg Brandes_ über _Shakespeare_ (1896) die Notiz, daß
das Drama unmittelbar nach dem Tode von _Shakespeares_ Vater (1601),
also in der frischen Trauer um ihn, in der Wiederbelebung, dürfen wir
annehmen, der auf den Vater bezüglichen Kindheitsempfindungen gedichtet
worden ist. Bekannt ist auch, daß _Shakespeares_ früh verstorbener Sohn
den Namen _Hamnet_ (identisch mit _Hamlet_) trug. Wie _Hamlet_ das
Verhältnis des Sohnes zu den Eltern behandelt, so ruht der in der Zeit
nahestehende _Macbeth_ auf dem Thema der Kinderlosigkeit. Wie übrigens
jedes neurotische Symptom, wie selbst der Traum, der Überdeutung fähig
ist, ja dieselbe zu seinem vollen Verständnis fordert, so wird auch jede
echte dichterische Schöpfung aus mehr als aus einem Motiv und einer
Anregung in der Seele des Dichters hervorgegangen sein und mehr als eine
Deutung zulassen. Ich habe hier nur die Deutung der tiefsten Schicht von
Regungen in der Seele des schaffenden Dichters versucht.

Ich kann die typischen Träume vom Tode teurer Verwandten nicht
verlassen, ohne daß ich deren Bedeutung für die Theorie des Traumes
überhaupt noch mit einigen Worten beleuchte. Diese Träume zeigen uns den
recht ungewöhnlichen Fall verwirklicht, daß der durch den verdrängten
Wunsch gebildete Traumgedanke jeder Zensur entgeht und unverändert in
den Traum übertritt. Es müssen besondere Verhältnisse sein, die solches
Schicksal ermöglichen. Ich finde die Begünstigung für diese Träume in
folgenden zwei Momenten: Erstens gibt es keinen Wunsch, von dem wir uns
ferner glauben; wir meinen, das zu wünschen könnte »uns auch im Traume
nicht einfallen«, und darum ist die Traumzensur gegen dieses
Ungeheuerliche nicht gerüstet, ähnlich etwa wie die Gesetzgebung
_Solons_ keine Strafe für den Vatermord aufzustellen wußte. Zweitens
aber kommt dem verdrängten und nicht geahnten Wunsche gerade hier
besonders häufig ein Tagesrest entgegen in Gestalt einer _Sorge_ um das
Leben der teuren Person. Diese Sorge kann sich nicht anders in den Traum
eintragen, als indem sie sich des gleichlautenden Wunsches bedient; der
Wunsch aber kann sich mit der am Tage rege gewordenen Sorge maskieren.
Wenn man meint, daß dies alles einfacher zugeht, daß man eben bei Nacht
und im Traume nur fortsetzt, was man bei Tag angesponnen hat, so läßt
man die Träume vom Tode teurer Personen eben außer allem Zusammenhang
mit der Traumerklärung und hält ein sehr wohl reduzierbares Rätsel
überflüssigerweise fest.

 Verhältnis der Ödipusträume zur Angstentwicklung.

Lehrreich ist es auch, die Beziehung dieser Träume zu den Angstträumen
zu verfolgen. In den Träumen vom Tode teurer Personen hat der verdrängte
Wunsch einen Weg gefunden, auf dem er sich der Zensur -- und der durch
sie bedingten Entstellung -- entziehen kann. Die nie fehlende
Begleiterscheinung ist dann, daß schmerzliche Empfindungen im Traume
verspürt werden. Ebenso kommt der Angsttraum nur zu stande, wenn die
Zensur ganz oder teilweise überwältigt wird, und anderseits erleichtert
es die Überwältigung der Zensur, wenn Angst als aktuelle Sensation aus
somatischen Quellen bereits gegeben ist. Es wird so handgreiflich, in
welcher Tendenz die Zensur ihres Amtes waltet, die Traumentstellung
ausübt; es geschieht, _um die Entwicklung von Angst oder anderen Formen
peinlichen Affektes zu verhüten_.

                   *       *       *       *       *

 Der Egoismus der Träume.

Ich habe im vorstehenden von dem Egoismus der Kinderseele gesprochen und
knüpfe nun daran mit der Absicht, hier einen Zusammenhang ahnen zu
lassen, daß die Träume auch diesen Charakter bewahrt haben. Sie sind
sämtlich absolut egoistisch, in allen tritt das liebe Ich auf, wenn auch
verkleidet. Die Wünsche, die in ihnen erfüllt werden, sind regelmäßig
Wünsche dieses Ichs; es ist nur ein täuschender Anschein, wenn je das
Interesse für einen anderen einen Traum hervorgerufen haben sollte. Ich
will einige Beispiele, welche dieser Behauptung widersprechen, der
Analyse unterziehen.

I. Ein noch nicht vierjähriger Knabe erzählt: _Er hat eine große
garnierte Schüssel gesehen, worauf ein großes Stück Fleisch gebraten
war, und das Stück war auf einmal ganz -- nicht zerschnitten --
aufgegessen. Die Person, die es gegessen hat, hat er nicht gesehen_(97).

  (97) Auch das Große, Überreiche, Übermäßige und Übertriebene der
  Träume könnte ein Kindheitscharakter sein. Das Kind kennt keinen
  sehnlicheren Wunsch als groß zu werden, von allem so viel zu bekommen
  wie die Großen; es ist schwer zu befriedigen, kennt kein Genug,
  verlangt unersättlich nach Wiederholung dessen, was ihm gefallen oder
  geschmeckt hat. _Maß halten_, sich bescheiden, resignieren lernt es
  erst durch die Kultur der Erziehung. Bekanntlich neigt auch der
  Neurotiker zur Maßlosigkeit und Unmäßigkeit.

Wer mag der fremde Mensch sein, von dessen üppiger Fleischmahlzeit unser
Kleiner träumt? Die Erlebnisse des Traumtages müssen uns darüber
aufklären. Der Knabe bekommt seit einigen Tagen nach ärztlicher
Vorschrift Milchdiät; am Abend des Traumtages war er aber unartig, und
da wurde ihm zur Strafe die Abendmahlzeit entzogen. Er hatte schon
früher einmal eine solche Hungerkur durchgemacht und sich sehr tapfer
dabei benommen. Er wußte, daß er nichts bekommen werde, getraute sich
aber auch nicht, mit einem Worte anzudeuten, daß er Hunger habe. Die
Erziehung fängt an, bei ihm zu wirken; sie äußert sich bereits im
Traume, der einen Anfang von Traumentstellung zeigt. Es ist kein
Zweifel, daß er selbst die Person ist, deren Wünsche auf eine so reiche
Mahlzeit, und zwar eine Bratenmahlzeit, zielen. Da er aber weiß, daß
diese ihm verboten ist, wagt er es nicht, wie die hungrigen Kinder es im
Traume tun (vgl. den Erdbeertraum meiner kleinen Anna, p. 100), sich
selbst zur Mahlzeit hinzusetzen. Die Person bleibt anonym.

II. Ich träume einmal, daß ich in der Auslage einer Buchhandlung ein
neues Heft jener Sammlung im Liebhabereinband sehe, die ich sonst zu
kaufen pflege (Künstlermonographien, Monographien zur Weltgeschichte,
berühmte Kunststätten usw.). _Die neue Sammlung nennt sich: Berühmte
Redner (oder Reden) und das Heft I derselben trägt den Namen Dr.
Lecher._

In der Analyse wird es mir unwahrscheinlich, daß mich der Ruhm Dr.
_Lechers_, des Dauerredners der deutschen Obstruktion im Parlament,
während meiner Träume beschäftige. Der Sachverhalt ist der, daß ich vor
einigen Tagen neue Patienten zur psychischen Kur aufgenommen habe, und
nun zehn bis elf Stunden täglich zu sprechen genötigt bin. Ich bin also
selbst so ein Dauerredner.

III. Ich träume ein andermal, daß ein mir bekannter Lehrer an unserer
Universität sagt: _Mein Sohn, der Myop._ Dann folgt ein Dialog, aus
kurzen Reden und Gegenreden bestehend. Es folgt aber dann ein drittes
Traumstück, in dem ich und meine Söhne vorkommen, und für den latenten
Trauminhalt sind Vater und Sohn, Professor M., nur Strohmänner, die mich
und meinen Ältesten decken. Ich werde diesen Traum wegen einer anderen
Eigentümlichkeit noch weiter unten behandeln.

IV. Ein Beispiel von wirklich niedrigen egoistischen Gefühlen, die sich
hinter zärtlicher Sorge verbergen, gibt folgender Traum:

_Mein Freund Otto schaut schlecht aus, ist braun im Gesichte und hat
vortretende Augen._

Otto ist mein Hausarzt, in dessen Schuld ich hoffnungslos verbleibe,
weil er seit Jahren die Gesundheit meiner Kinder überwacht, sie
erfolgreich behandelt, wenn sie erkranken, und sie überdies zu allen
Gelegenheiten, die einen Vorwand abgeben können, beschenkt. Er war am
Traumtage zu Besuch, und da bemerkte meine Frau, daß er müde und
abgespannt aussehe. Nachts kommt mein Traum und leiht ihm einige der
Zeichen der _Basedow_schen Krankheit. Wer sich in der Traumdeutung von
meinen Regeln freimacht, der wird diesen Traum so verstehen, daß ich um
die Gesundheit meines Freundes besorgt bin, und daß diese Besorgnis sich
im Traume realisiert. Es wäre ein Widerspruch nicht nur gegen die
Behauptung, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, sondern auch gegen
die andere, daß er nur egoistischen Regungen zugänglich ist. Aber wer so
deutet, möge mir erklären, warum ich bei Otto die _Basedow_sche
Krankheit befürchte, zu welcher Diagnose sein Aussehen auch nicht den
leisesten Anlaß gibt? Meine Analyse liefert hingegen folgendes Material
aus einer Begebenheit, die sich vor sechs Jahren zugetragen hat. Wir
fuhren, eine kleine Gesellschaft, in der sich auch Professor R. befand,
in tiefer Dunkelheit durch den Wald von N., einige Stunden weit von
unserem Sommeraufenthalt entfernt. Der nicht ganz nüchterne Kutscher
warf uns mit dem Wagen einen Abhang hinunter, und es war noch glücklich,
daß wir alle heil davon kamen. Wir waren aber genötigt, im nächsten
Wirtshause zu übernachten, wo die Kunde von unserem Unfall große
Sympathie für uns erweckte. Ein Herr, der die unverkennbaren Zeichen des
Morbus _Basedowii_ an sich trug, -- übrigens nur Bräunung der
Gesichtshaut und vortretende Augen, ganz wie im Traume, kein Struma --
stellte sich ganz zu unserer Verfügung und fragte, was er für uns tun
könne. Professor R. in seiner bestimmten Art antwortete: Nichts anderes,
als daß Sie mir ein Nachthemd leihen. Darauf der Edle: Das tut mir leid,
das kann ich nicht, und ging von dannen.

Zur Fortsetzung der Analyse fällt mir ein, daß _Basedow_ nicht nur der
Name eines Arztes ist, sondern auch der eines berühmten Pädagogen. (Im
Wachen fühle ich mich jetzt dieses Wissens nicht recht sicher.) Freund
Otto ist aber diejenige Person, die ich gebeten habe, für den Fall, daß
mir etwas zustößt, die körperliche Erziehung meiner Kinder, speziell in
der Pubertätszeit (daher das Nachthemd), zu überwachen. Indem ich nun
Freund Otto im Traume mit den Krankheitssymptomen jenes edlen Helfers
sehe, will ich offenbar sagen: Wenn mir etwas zustößt, wird von ihm
ebensowenig etwas für die Kinder zu haben sein, wie damals von Herrn
Baron L. trotz seiner liebenswürdigen Anerbietungen. Der egoistische
Einschlag dieses Traumes dürfte nun wohl aufgedeckt sein(98).

  (98) Als Prof. _Jones_ in einem wissenschaftlichen Vortrag vor einer
  amerikanischen Gesellschaft vom Egoismus der Träume sprach, erhob eine
  gelehrte Dame gegen diese unwissenschaftliche Verallgemeinerung den
  Einwand, der Autor könne doch nur über die Träume von Österreichern
  urteilen und dürfe über die Träume von Amerikanern nichts aussagen.
  Sie sei für ihre Person sicher, daß alle ihre Träume streng
  altruistisch seien.

Wo steckt aber hier die Wunscherfüllung? Nicht in der Rache an Freund
Otto, dessen Schicksal es nun einmal ist, in meinen Träumen schlecht
behandelt zu werden, sondern in folgender Beziehung. Indem ich Otto als
Baron L. im Traume darstelle, habe ich gleichzeitig meine eigene Person
mit einer anderen identifiziert, nämlich mit der des Professors R., denn
ich fordere ja etwas von Otto, wie in jener Begebenheit R. vom Baron L.
gefordert hat. Und daran liegt es. Professor R. hat ähnlich wie ich
seinen Weg außerhalb der Schule selbständig verfolgt und ist erst in
späten Jahren zu dem längst verdienten Titel gelangt. Ich will also
wieder einmal Professor werden! Ja selbst das »in späten Jahren« ist
eine Wunscherfüllung, denn es besagt, daß ich lange genug lebe, um meine
Knaben selbst durch die Pubertät zu geleiten.


γ) Der Prüfungstraum.

Jeder, der mit der Maturitätsprüfung seine Gymnasialstudien
abgeschlossen hat, klagt über die Hartnäckigkeit, mit welcher der
Angsttraum, daß er durchfallen werde, die Klasse wiederholen müsse
u. dgl. ihn verfolgt. Für den Besitzer eines akademischen Grades ersetzt
sich dieser typische Traum durch einen anderen, der ihm vorhält, daß er
die rigorosen Prüfungen abzulegen habe, und gegen den er vergeblich noch
im Schlafe einwendet, daß er ja schon seit Jahren praktiziere,
Privatdozent sei oder Kanzleileiter. Es sind die unauslöschlichen
Erinnerungen an die Strafen, die wir in der Kindheit für verübte Untaten
erlitten haben, die sich so an den beiden Knotenpunkten unserer Studien,
an dem »dies irae, dies illa« der strengen Prüfungen in unserem Inneren
wieder geregt haben. Auch die »Prüfungsangst« der Neurotiker findet in
dieser Kinderangst ihre Verstärkung. Nachdem wir aufgehört haben Schüler
zu sein, sind es nicht mehr wie zuerst die Eltern und Erzieher oder
später die Lehrer, die unsere Bestrafung besorgen; die unerbittliche
Kausalverkettung des Lebens hat unsere weitere Erziehung übernommen, und
nun träumen wir von der Matura oder von dem Rigorosum, -- und wer hat
damals nicht selbst als Gerechter gezagt? -- so oft wir erwarten, daß
der Erfolg uns bestrafen werde, weil wir etwas nicht recht gemacht,
nicht ordentlich zu stande gebracht haben, so oft wir den Druck einer
Verantwortung fühlen.

Eine weitere Aufklärung der Prüfungsträume danke ich einer Bemerkung von
Seite eines kundigen Kollegen, der einmal in einer wissenschaftlichen
Unterhaltung hervorhob, daß seines Wissens der Maturatraum nur bei
Personen vorkomme, die diese Prüfung bestanden haben, niemals bei
solchen, die an ihr gescheitert sind. Der ängstliche Prüfungstraum, der,
wie sich immer mehr bestätigt, dann auftritt, wenn man vom nächsten Tage
eine verantwortliche Leistung und die Möglichkeit einer Blamage
erwartet, würde also eine Gelegenheit aus der Vergangenheit
herausgesucht haben, bei welcher sich die große Angst als unberechtigt
erwies und durch den Ausgang widerlegt wurde. Es wäre dies ein sehr
auffälliges Beispiel von Mißverständnis des Trauminhaltes durch die
wache Instanz. Die als Empörung gegen den Traum aufgefaßte Einrede: Aber
ich bin ja schon Doktor u. dgl., wäre in Wirklichkeit der Trost, den der
Traum spendet, und der also lauten würde: Fürchte dich doch nicht vor
morgen; denke daran, welche Angst du vor der Maturitätsprüfung gehabt
hast, und es ist dir doch nichts geschehen. Heute bist du ja schon
Doktor usw. Die Angst aber, die wir dem Traume anrechnen, stammte aus
den Tagesresten.

Die Proben auf diese Erklärung, die ich bei mir und anderen anstellen
konnte, wenngleich sie nicht zahlreich genug waren, haben gut gestimmt.
Ich bin z. B. als Rigorosant in gerichtlicher Medizin durchgefallen;
niemals hat dieser Gegenstand mir im Traume zu schaffen gemacht, während
ich häufig genug in Botanik, Zoologie oder Chemie geprüft wurde, in
welchen Fächern ich mit gut begründeter Angst zur Prüfung gegangen, der
Strafe aber durch Gunst des Schicksals oder des Prüfers entgangen bin.
Im Gymnasialprüfungstraume werde ich regelmäßig aus Geschichte geprüft,
wo ich damals glänzend bestanden habe, aber allerdings nur, weil mein
liebenswürdiger Professor -- der einäugige Helfer eines anderen Traumes,
vgl. p. 13, -- nicht übersehen hatte, daß auf dem Prüfungszettel, den
ich ihm zurückgab, die mittlere von drei Fragen mit dem Fingernagel
durchgestrichen war, zur Mahnung, daß er auf dieser Frage nicht bestehen
solle. Einer meiner Patienten, der von der Matura zurückgetreten war und
sie später nachgetragen hatte, dann aber bei der Offiziersprüfung
durchgefallen und nicht Offizier geworden ist, berichtet mir, daß er oft
genug von der ersteren, aber nie von der letzteren Prüfung träumt.

Die Prüfungsträume setzen der Deutung bereits jene Schwierigkeit
entgegen, die ich vorhin als charakteristisch für die meisten der
typischen Träume angegeben habe. Das Material an Assoziationen, welches
uns der Träumer zur Verfügung stellt, reicht für die Deutung nur selten
aus. Man muß sich das bessere Verständnis solcher Träume aus einer
größeren Reihe von Beispielen zusammentragen. Vor kurzem gewann ich den
sicheren Eindruck, daß die Einrede: Du bist ja schon Doktor u. dgl.
nicht nur den Trost verdeckt, sondern auch einen Vorwurf andeutet.
Derselbe hätte gelautet: Du bist jetzt schon so alt, schon so weit im
Leben, und machst noch immer solche Dummheiten, Kindereien. Dies Gemenge
von Selbstkritik und Trost würde dem latenten Inhalt der Prüfungsträume
entsprechen. Es ist dann nicht weiter auffällig, wenn die Vorwürfe wegen
der »Dummheiten« und »Kindereien« sich in den zuletzt analysierten
Beispielen auf die Wiederholung beanständeter sexueller Akte bezogen.



VI.

Die Traumarbeit.


Alle anderen bisherigen Versuche, die Traumprobleme zu erledigen,
knüpften direkt an den in der Erinnerung gegebenen manifesten
Trauminhalt an und bemühten sich, aus diesem die Traumdeutung zu
gewinnen, oder, wenn sie auf eine Deutung verzichteten, ihr Urteil über
den Traum durch den Hinweis auf den Trauminhalt zu begründen. Nur wir
allein stehen einem anderen Sachverhalt gegenüber; für uns schiebt sich
zwischen den Trauminhalt und die Resultate unserer Betrachtung ein neues
psychisches Material ein: der durch unser Verfahren gewonnene _latente_
Trauminhalt oder die Traumgedanken. Aus diesem letzteren, nicht aus dem
manifesten Trauminhalt entwickelten wir die Lösung des Traumes. An uns
tritt darum auch als neu eine Aufgabe heran, die es vordem nicht gegeben
hat, die Aufgabe, die Beziehungen des manifesten Trauminhaltes zu den
latenten Traumgedanken zu untersuchen und nachzuspüren, durch welche
Vorgänge aus den letzteren der erstere geworden ist.

Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie zwei Darstellungen
desselben Inhaltes in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt,
der Trauminhalt erscheint uns als eine Übertragung der Traumgedanken in
eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fügungsgesetze wir durch
die Vergleichung von Original und Übersetzung kennen lernen sollen. Die
Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie
erfahren haben. Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift
gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu
übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese
Zeichen nach ihrem Bilderwerte anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen
wollte. Ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf
dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann
eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist u. dgl. Ich könnte
nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren
Bestandteile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das
Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist
die Person größer als das Haus, und wenn das Ganze eine Landschaft
darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die
ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurteilung des Rebus
ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das ganze und die
Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich
bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, welches
nach irgend welcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte,
die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den
schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches
Bilderrätsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der
Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische
Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und
wertlos.


a) _Die Verdichtungsarbeit_.

Das erste, was dem Untersucher bei der Vergleichung von Trauminhalt und
Traumgedanken klar wird, ist, daß hier eine großartige _Verdichtungsarbeit_
geleistet wurde. Der Traum ist knapp, armselig, lakonisch
im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken.
Der Traum füllt niedergeschrieben eine halbe Seite; die
Analyse, in der die Traumgedanken enthalten sind, bedarf das sechs-,
acht-, zwölffache an Schriftraum. Die Relation ist für verschiedene
Träume wechselnd; sie ändert, soweit ich es kontrollieren konnte,
niemals ihren Sinn. In der Regel unterschätzt man das Maß der
statthabenden Kompression, indem man die ans Licht gebrachten
Traumgedanken für das vollständige Material hält, während weitere
Deutungsarbeit neue, hinter dem Traume versteckte Gedanken enthüllen
kann. Wir haben bereits anführen müssen, daß man eigentlich niemals
sicher ist, einen Traum vollständig gedeutet zu haben; selbst wenn die
Auflösung befriedigend und lückenlos erscheint, bleibt es doch immer
möglich, daß sich noch ein anderer Sinn durch denselben Traum kundgibt.
Die _Verdichtungsquote_ ist also -- streng genommen -- unbestimmbar. Man
könnte gegen die Behauptung, daß aus dem Mißverhältnis zwischen
Trauminhalt und Traumgedanken der Schluß zu ziehen sei, es finde eine
ausgiebige Verdichtung des psychischen Materials bei der Traumbildung
statt, einen Einwand geltend machen, der für den ersten Eindruck recht
bestechend scheint. Wir haben ja so oft die Empfindung, daß wir sehr
viel die ganze Nacht hindurch geträumt und dann das meiste wieder
vergessen haben. Der Traum, den wir beim Erwachen erinnern, wäre dann
bloß ein Rest der gesamten Traumarbeit, welche wohl den Traumgedanken an
Umfang gleichkäme, wenn wir sie eben vollständig erinnern könnten. Daran
ist ein Stück sicherlich richtig; man kann sich nicht mit der
Beobachtung täuschen, daß ein Traum am getreuesten reproduziert wird,
wenn man ihn bald nach dem Erwachen zu erinnern versucht, und daß seine
Erinnerung gegen den Abend hin immer mehr und mehr lückenhaft wird. Zum
anderen Teil aber läßt sich erkennen, daß die Empfindung, man habe sehr
viel mehr geträumt als man reproduzieren kann, sehr häufig auf einer
Illusion beruht, deren Entstehung späterhin erläutert werden soll. Die
Annahme einer Verdichtung in der Traumarbeit wird überdies von der
Möglichkeit des Traumvergessens nicht berührt, denn sie wird durch die
Vorstellungsmassen erwiesen, die zu den einzelnen erhalten gebliebenen
Stücken des Traumes gehören. Ist tatsächlich ein großes Stück des
Traumes für die Erinnerung verloren gegangen, so bleibt uns hiedurch
etwa der Zugang zu einer neuen Reihe von Traumgedanken versperrt. Es ist
eine durch nichts zu rechtfertigende Erwartung, daß die untergegangenen
Traumstücke sich gleichfalls nur auf jene Gedanken bezogen hätten, die
wir bereits aus der Analyse der erhalten gebliebenen kennen(99).

  (99) Hinweise auf die Verdichtung im Traume finden sich bei
  zahlreichen Autoren. _Du Prel_ äußert an einer Stelle (p. 85), es sei
  absolut sicher, daß ein Verdichtungsprozeß der Vorstellungsreihe
  stattgefunden habe.

Angesichts der überreichen Menge von Einfällen, welche die Analyse zu
jedem einzelnen Element des Trauminhaltes beibringt, wird sich bei jedem
Leser der prinzipielle Zweifel regen, ob man denn all das, was einem bei
der Analyse nachträglich einfällt, zu den Traumgedanken rechnen darf,
d. h. annehmen darf, all diese Gedanken seien schon während des
Schlafzustandes tätig gewesen und hätten an der Traumbildung mitgewirkt?
Ob nicht vielmehr während des Analysierens neue Gedankenverbindungen
entstehen, die an der Traumbildung unbeteiligt waren? Ich kann diesem
Zweifel nur bedingt beitreten. Daß einzelne Gedankenverbindungen erst
während der Analyse entstehen, ist allerdings richtig; aber man kann
sich jedesmal überzeugen, daß solche neue Verbindungen sich nur zwischen
Gedanken herstellen, die schon in den Traumgedanken in anderer Weise
verbunden sind; die neuen Verbindungen sind gleichsam Nebenschließungen,
Kurzschlüsse, ermöglicht durch den Bestand anderer und tiefer liegender
Verbindungswege. Für die Überzahl der bei der Analyse aufgedeckten
Gedankenmassen muß man zugestehen, daß sie schon bei der Traumbildung
tätig gewesen sind, denn wenn man sich durch eine Kette solcher
Gedanken, die außer Zusammenhang mit der Traumbildung scheinen,
durchgearbeitet hat, stößt man dann plötzlich auf einen Gedanken, der,
im Trauminhalt vertreten, für die Traumdeutung unentbehrlich ist und
doch nicht anders als durch jene Gedankenkette zugänglich war. Man
vergleiche hiezu etwa den Traum von der botanischen Monographie, der als
das Ergebnis einer erstaunlichen Verdichtungsleistung erscheint,
wenngleich ich seine Analyse nicht vollständig mitgeteilt habe.

Wie soll man sich aber dann den psychischen Zustand während des
Schlafens, der dem Träumen vorangeht, vorstellen? Bestehen alle die
Traumgedanken nebeneinander, oder werden sie nacheinander durchlaufen
oder werden mehrere gleichzeitige Gedankengänge von verschiedenen
Zentren aus gebildet, die dann zusammentreffen? Ich meine, es liegt noch
keine Nötigung vor, sich von dem psychischen Zustand bei der
Traumbildung eine plastische Vorstellung zu schaffen. Vergessen wir nur
nicht, daß es sich um unbewußtes Denken handelt, und daß der Vorgang
leicht ein anderer sein kann als der, welchen wir beim absichtlichen,
von Bewußtsein begleiteten Nachdenken in uns wahrnehmen.

Die Tatsache aber, daß die Traumbildung auf einer Verdichtung beruht,
steht unerschütterlich fest. Wie kommt diese Verdichtung nun zu stande?

Wenn man erwägt, daß von den aufgefundenen Traumgedanken nur die
wenigsten durch eines ihrer Vorstellungselemente im Traume vertreten
sind, so sollte man schließen, die Verdichtung geschehe auf dem Wege der
_Auslassung_, indem der Traum nicht eine getreuliche Übersetzung oder
eine Projektion Punkt für Punkt der Traumgedanken, sondern eine höchst
unvollständige und lückenhafte Wiedergabe derselben sei. Diese Einsicht
ist, wie wir bald finden werden, eine sehr mangelhafte. Doch fußen wir
zunächst auf ihr und fragen uns weiter: Wenn nur wenige Elemente aus den
Traumgedanken in den Trauminhalt gelangen, welche Bedingungen bestimmen
die Auswahl derselben?

Um hierüber Aufschluß zu bekommen, wendet man nun seine Aufmerksamkeit
den Elementen des Trauminhaltes zu, welche die gesuchten Bedingungen ja
erfüllt haben müssen. Ein Traum, zu dessen Bildung eine besonders starke
Verdichtung beigetragen, wird für diese Untersuchung das günstigste
Material sein. Ich wähle den auf p. 128 mitgeteilten Traum von der
botanischen Monographie.

_Trauminhalt_: _Ich habe eine Monographie über eine (unbestimmt
gelassene) Pflanzenart geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere
eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Dem Exemplar ist ein
getrocknetes Spezimen der Pflanze beigebunden._

Das augenfälligste Element dieses Traumes ist die _botanische
Monographie_. Diese stammt aus den Eindrücken des Traumtages; in einem
Schaufenster einer Buchhandlung hatte ich tatsächlich eine _Monographie
über die Gattung »Zyklamen«_ gesehen. Die Erwähnung dieser Gattung fehlt
im Trauminhalt, in dem nur die Monographie und ihre Beziehung zur Botanik
übrig geblieben sind. Die »botanische Monographie« erweist sofort ihre
Beziehung zu der _Arbeit über Kokain_, die ich einmal geschrieben habe;
vom Kokain aus geht die Gedankenverbindung einerseits zur Festschrift
und zu gewissen Vorgängen in einem Universitätslaboratorium,
anderseits zu meinem Freunde, dem Augenarzte Dr. _Königstein_,
der an der Verwertung des Kokains seinen Anteil gehabt hat.
An die Person des Dr. K. knüpft sich weiter die Erinnerung an das
unterbrochene Gespräch, das ich abends zuvor mit ihm geführt, und die
vielfältigen Gedanken über die Entlohnung ärztlicher Leistungen unter
Kollegen. Dieses Gespräch ist nun der eigentliche aktuelle Traumerreger;
die Monographie über Zyklamen ist gleichfalls eine Aktualität, aber
indifferenter Natur; wie ich sehe, erweist sich die »botanische
Monographie« des Traumes als ein _mittleres Gemeinsames_ zwischen beiden
Erlebnissen des Tages, von dem indifferenten Eindruck unverändert
übernommen, mit dem psychisch bedeutsamen Erlebnis durch ausgiebigste
Assoziationsverbindungen verknüpft.

 Überdeterminierung der Traumelemente.

Aber nicht nur die zusammengesetzte Vorstellung »_botanische
Monographie_«, sondern auch jedes ihrer Elemente »_botanisch_« und
»_Monographie_« gesondert geht durch mehrfache Verbindungen tiefer und
tiefer in das Gewirre der Traumgedanken ein. Zu »_botanisch_« gehören
die Erinnerungen an die Person des Professors _Gärtner_, an seine
_blühende_ Frau, an meine Patientin, die _Flora_ heißt, und an die Dame,
von der ich die Geschichte mit den vergessenen _Blumen_ erzählt habe.
_Gärtner_ führt neuerdings auf das Laboratorium und auf das Gespräch mit
_Königstein_; in dasselbe Gespräch gehört die Erwähnung der beiden
Patientinnen. Von der Frau mit den Blumen zweigt ein Gedankenweg zu den
_Lieblingsblumen_ meiner Frau ab, dessen anderer Ausgang im Titel der
bei Tag flüchtig gesehenen Monographie liegt. Außerdem erinnert
»_botanisch_« an eine Gymnasialepisode und an ein Examen der
Universitätszeit, und ein neues in jenem Gespräche angeschlagenes Thema,
das meiner Liebhabereien, knüpft sich durch Vermittlung meiner
scherzhaft sogenannten _Lieblingsblume_, der Artischocke an die von den
vergessenen Blumen ausgehende Gedankenkette an; hinter »Artischocke«
steckt die Erinnerung an Italien einerseits und an eine Kinderszene
anderseits, in der ich meine seither intim gewordenen Beziehungen zu
Büchern eröffnet habe. »_Botanisch_« ist also ein wahrer Knotenpunkt, in
welchem für den Traum zahlreiche Gedankengänge zusammentreffen, die, wie
ich versichern kann, in jenem Gespräche mit Fug und Recht in
Zusammenhang gebracht worden sind. Man befindet sich hier mitten in
einer Gedankenfabrik, in der wie im Weber-Meisterstück

    »Ein Tritt tausend Fäden regt,
    Die Schifflein herüber, hinüber schießen,
    Die Fäden ungesehen fließen,
    Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.«

»_Monographie_« im Traume rührt wiederum an zwei Themata, an die
Einseitigkeit meiner Studien und an die Kostspieligkeit meiner
Liebhabereien.

Aus dieser ersten Untersuchung holt man sich den Eindruck, daß die
Elemente »botanisch« und »Monographie« darum in den Trauminhalt Aufnahme
gefunden haben, weil sie mit den meisten Traumgedanken die ausgiebigsten
Berührungen aufweisen können, also _Knotenpunkte_ darstellen, in denen
sehr viele der Traumgedanken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die
Traumdeutung _vieldeutig_ sind. Man kann die dieser Erklärung zu grunde
liegende Tatsache auch anders aussprechen und dann sagen: Jedes der
Elemente des Trauminhaltes erweist sich als _überdeterminiert_, als
mehrfach in den Traumgedanken vertreten.

Wir erfahren mehr, wenn wir die übrigen Bestandteile des Traumes auf ihr
Vorkommen in den Traumgedanken prüfen. Die _farbige Tafel_, die ich
aufschlage, geht (vgl. die Analyse p. 131) auf ein neues Thema, die
Kritik der Kollegen an meinen Arbeiten, und auf ein bereits im Traume
vertretenes, meine Liebhabereien, außerdem auf die Kindererinnerung, in
der ich ein Buch mit farbigen Tafeln zerpflücke; das getrocknete
Exemplar der Pflanze rührt an das Gymnasialerlebnis vom Herbarium und
hebt diese Erinnerung besonders hervor. Ich sehe also, welcher Art die
Beziehung zwischen Trauminhalt und Traumgedanken ist: Nicht nur die
Elemente des Traumes sind durch die Traumgedanken _mehrfach_
determiniert, sondern die einzelnen Traumgedanken sind auch im Traume
durch mehrere Elemente vertreten. Von einem Element des Traumes führt
der Assoziationsweg zu mehreren Traumgedanken; von einem Traumgedanken
zu mehreren Traumelementen. Die Traumbildung erfolgt also nicht so, daß
der einzelne Traumgedanke oder eine Gruppe von solchen eine Abkürzung
für den Trauminhalt liefert, und dann der nächste Traumgedanke eine
nächste Abkürzung als Vertretung, etwa wie aus einer Bevölkerung
Volksvertreter gewählt werden, sondern die ganze Masse der Traumgedanken
unterliegt einer gewissen Bearbeitung, nach welcher die meist- und
bestunterstützten Elemente sich für den Eintritt in den Trauminhalt
herausheben, etwa der Wahl durch Listenskrutinium analog. Welchen Traum
immer ich einer ähnlichen Zergliederung unterziehe, ich finde stets die
nämlichen Grundsätze bestätigt, daß die Traumelemente aus der ganzen
Masse der Traumgedanken gebildet werden, und daß jedes von ihnen in
bezug auf die Traumgedanken mehrfach determiniert erscheint.

Es ist gewiß nicht überflüssig, diese Relation von Trauminhalt und
Traumgedanken an einem neuen Beispiel zu erweisen, welches sich durch
besonders kunstvolle Verschlingung der wechselseitigen Beziehungen
auszeichnet. Der Traum rührt von einem Patienten her, den ich wegen
Claustrophobie (Angst in geschlossenen Räumen) behandelte. Es wird sich
bald ergeben, weshalb ich mich veranlaßt finde, diese ausnehmend
geistreiche Traumleistung in folgender Weise zu überschreiben:

    II. »_Ein schöner Traum_.«

_Er fährt mit großer Gesellschaft in die X-Straße, in der sich ein
bescheidenes Einkehrwirtshaus befindet_ (was nicht richtig ist). _In den
Räumen desselben wird Theater gespielt; er ist bald Publikum, bald
Schauspieler. Am Ende heißt es, man müsse sich umziehen, um wieder in
die Stadt zu kommen. Ein Teil des Personals wird in die Parterreräume
verwiesen, ein anderer in die des ersten Stockes. Dann entsteht ein
Streit. Die oben ärgern sich, daß die unten noch nicht fertig sind, so
daß sie nicht herunter können. Sein Bruder ist oben, er unten und er
ärgert sich über den Bruder, daß man so gedrängt wird._ (Diese Partie
unklar.) _Es war übrigens schon beim Ankommen bestimmt und eingeteilt,
wer oben und wer unten sein soll. Dann geht er allein über die Anhöhe,
welche die X-Straße gegen die Stadt hin macht, und geht so schwer, so
mühselig, daß er nicht von der Stelle kommt. Ein älterer Herr gesellt
sich zu ihm und schimpft über den König von Italien. Am Ende der Anhöhe
geht er dann viel leichter._

Die Beschwerden beim Steigen waren so deutlich, daß er nach dem Erwachen
eine Weile zweifelte, ob es Traum oder Wirklichkeit war.

Dem manifesten Inhalt nach wird man diesen Traum kaum loben können. Die
Deutung will ich regelwidrig mit jenem Stücke beginnen, welches vom
Träumer als das deutlichste bezeichnet wurde.

 Die Analyse des »schönen« Traumes.

Die geträumte und wahrscheinlich im Traume verspürte Beschwerde, das
mühselige Steigen unter Dyspnoe, ist eines der Symptome, die der Patient
vor Jahren wirklich gezeigt hatte, und wurde damals im Vereine mit
anderen Erscheinungen auf eine (wahrscheinlich hysterisch vorgetäuschte)
Tuberkulose bezogen. Wir kennen bereits diese dem Traume eigentümliche
Sensation der Gehhemmung aus den Exhibitionsträumen und finden hier
wieder, daß sie als ein allezeit bereit liegendes Material zu Zwecken
irgend welcher anderen Darstellung verwendet wird. Das Stück des
Trauminhaltes, welches beschreibt, wie das Steigen anfänglich schwer
war, und am Ende der Anhöhe leicht wurde, erinnerte mich bei der
Erzählung des Traumes an die bekannte meisterhafte Introduktion der
»Sappho« von A. _Daudet_. Dort trägt ein junger Mann die Geliebte die
Treppen hinauf, anfänglich wie federleicht; aber je weiter er steigt,
desto schwerer lastet sie auf seinen Armen, und diese Szene ist
vorbildlich für den Verlauf des Verhältnisses, durch dessen Schilderung
_Daudet_ die Jugend mahnen will, eine ernstere Neigung nicht an Mädchen
von niedriger Herkunft und zweifelhafter Vergangenheit zu
verschwenden(100). Obwohl ich wußte, daß mein Patient vor kurzem ein
Liebesverhältnis mit einer Dame vom Theater unterhalten und gelöst
hatte, erwartete ich doch nicht, meinen Deutungseinfall berechtigt zu
finden. Auch war es ja in der »Sappho« _umgekehrt_ wie im Traume; in
letzterem war das Steigen anfänglich schwer und späterhin leicht; im
Roman diente es der Symbolik nur, wenn das, was zuerst leicht genommen
wurde, sich am Ende als eine schwere Last erwies. Zu meinem Erstaunen
bemerkte der Patient, die Deutung stimme sehr wohl zum Inhalt des
Stückes, das er am Abend vorher im Theater gesehen. Das Stück hieß:
»Rund um Wien« und behandelte den Lebenslauf eines Mädchens, das zuerst
anständig, dann zur Demimonde übergeht, Verhältnisse mit hochstehenden
Personen anknüpft, dadurch »_in die Höhe kommt_«, endlich aber immer
mehr »_herunter kommt_«. Das Stück hatte ihn auch an ein anderes, vor
Jahren gespieltes, erinnert, welches den Titel trug: »_Von Stufe zu
Stufe_«, und auf dessen Ankündigung eine aus mehreren Stufen bestehende
_Stiege_ zu sehen war.

  (100) Man denke zur Würdigung dieser Darstellung des Dichters an die
  p. 262 mitgeteilte Bedeutung der Stiegenträume.

Nun die weitere Deutung. In der X-Straße hatte die Schauspielerin
gewohnt, mit welcher er das letzte, beziehungsreiche Verhältnis
unterhalten. Ein Wirtshaus gibt es in dieser Straße nicht. Allein, als
er der Dame zuliebe einen Teil des Sommers in Wien verbrachte, war er in
einem kleinen Hotel in der Nähe _abgestiegen_. Beim Verlassen des Hotels
sagte er dem Kutscher: »Ich bin froh, daß ich wenigstens kein Ungeziefer
bekommen habe« (übrigens auch eine seiner Phobien). Der Kutscher darauf:
»Wie kann man aber da absteigen! Das ist ja gar kein Hotel, eigentlich
nur ein _Einkehrwirtshaus_.«

An das Einkehrwirtshaus knüpft sich ihm sofort die Erinnerung eines
Zitats:

    »Bei einem Wirte wundermild,
    Da war ich jüngst zu Gaste.«

Der Wirt im _Uhland_schen Gedichte ist aber ein _Apfelbaum_.

Nun setzt ein zweites Zitat die Gedankenkette fort:

    _Faust_ (mit der Jungen tanzend).

    Einst hatt' ich einen _schönen Traum_;
    Da sah ich einen _Apfelbaum_,
    Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
    Sie reizten mich, ich _stieg hinan_.

    _Die Schöne_.

    Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
    Und schon vom Paradiese her.
    Von Freuden fühl' ich mich bewegt,
    Daß auch mein Garten solche trägt.

Es ist nicht der leiseste Zweifel möglich, was unter dem Apfelbaume und
dem Äpfelchen gemeint ist. Ein schöner Busen stand auch obenan unter den
Reizen, durch welche die Schauspielerin meinen Träumer gefesselt hatte.

Wir hatten nach dem Zusammenhang der Analyse allen Grund anzunehmen, daß
der Traum auf einen Eindruck aus der Kindheit zurückgehe. Wenn dies
richtig war, so mußte er sich auf die Amme des jetzt bald
fünfzigjährigen Mannes beziehen. Für das Kind ist der Busen der Amme
tatsächlich das Einkehrwirtshaus. Die Amme sowohl als die »_Sappho_«
_Daudets_ erscheinen als Anspielung auf die vor kurzem verlassene
Geliebte.

Im Trauminhalt erscheint auch der (ältere) Bruder des Patienten, und
zwar ist dieser _oben_, er selbst _unten_. Dies ist wieder eine
_Umkehrung_ des wirklichen Verhältnisses, denn der Bruder hat, wie mir
bekannt ist, seine soziale Position verloren, mein Patient sie erhalten.
Der Träumer vermied bei der Reproduktion des Trauminhaltes zu sagen: Der
Bruder sei oben, er selbst »parterre« gewesen. Es wäre eine zu deutliche
Äußerung geworden, denn man sagt bei uns von einer Person, sie ist
»_parterre_«, wenn sie Vermögen und Stellung eingebüßt hat, also in
ähnlicher Übertragung, wie man »_heruntergekommen_« gebraucht. Es muß
nun einen Sinn haben, daß an dieser Stelle im Traume etwas umgekehrt
dargestellt ist. Die Umkehrung muß auch für eine andere Beziehung
zwischen Traumgedanken und Trauminhalt gelten. Es liegt der Hinweis
darauf vor, wie diese Umkehrung vorzunehmen ist. Offenbar am Ende des
Traumes, wo es sich mit dem Steigen wiederum _umgekehrt_ verhält wie in
der »_Sappho_«. Dann ergibt sich leicht, welche Umkehrung gemeint ist:
In der »_Sappho_« trägt der Mann das zu ihm in sexuellen Beziehungen
stehende Weib; in den Traumgedanken handelt es sich also _umgekehrt_ um
ein Weib, das den Mann trägt, und da dieser Fall sich nur in der
Kindheit ereignen kann, bezieht er sich wieder auf die Amme, die schwer
an dem Säugling trägt. Der Schluß des Traumes trifft es also, die
»_Sappho_« und die Amme in der nämlichen Andeutung darzustellen.

Wie der Name »_Sappho_« vom Dichter nicht ohne Beziehung auf eine
lesbische Gewohnheit gewählt ist, so deuten die Stücke des Traumes, in
denen Personen _oben_ und _unten_ beschäftigt sind, auf Phantasien
sexuellen Inhaltes, die den Träumer beschäftigen und als unterdrückte
Gelüste nicht außer Zusammenhang mit seiner Neurose stehen. Daß es
Phantasien und nicht Erinnerungen der tatsächlichen Vorgänge sind, die
so im Traume dargestellt werden, zeigt die Traumdeutung selbst nicht an;
dieselbe liefert uns nur einen Gedankeninhalt und überläßt es uns,
dessen Realitätswert festzustellen. Wirkliche und phantasierte
Begebenheiten erscheinen hier -- und nicht nur hier, auch bei der
Schöpfung wichtigerer psychischer Gebilde als der Träume -- zunächst als
gleichwertig. Große Gesellschaft bedeutet, wie wir bereits wissen,
Geheimnis. Der Bruder ist nichts anderes, als der in die Kindheitsszene
durch »Zurückphantasieren« eingetragene Vertreter aller späteren
Nebenbuhler beim Weibe. Die Episode von dem Herrn, der auf den König von
Italien schimpft, bezieht sich durch Vermittlung eines rezenten und an
sich gleichgültigen Erlebnisses wiederum auf das Eindrängen von Personen
niederen Standes in höhere Gesellschaft. Es ist, als ob der Warnung,
welche _Daudet_ dem Jüngling erteilt, eine ähnliche, für das säugende
Kind gültige, an die Seite gestellt werden sollte(101).

  (101) Die phantastische Natur der auf die Amme des Träumers
  bezüglichen Situation wird durch den objektiv erhobenen Umstand
  erwiesen, daß die Amme in diesem Falle die Mutter war. Ich erinnere
  übrigens an das auf p. 155 erwähnte Bedauern des jungen Mannes der
  Anekdote, die Situation bei seiner Amme nicht besser ausgenutzt zu
  haben, welches wohl die Quelle dieses Traumes ist.

Um ein drittes Beispiel für das Studium der Verdichtung bei der
Traumbildung bereit zu haben, teile ich die partielle Analyse eines
anderen Traumes mit, den ich einer älteren, in psychoanalytischer
Behandlung stehenden Dame verdanke. Den schweren Angstzuständen
entsprechend, an denen die Kranke litt, enthielten ihre Träume
überreichlich sexuelles Gedankenmaterial, dessen Kenntnisnahme sie
anfangs ebenso sehr überraschte wie erschreckte. Da ich die Traumdeutung
nicht bis ans Ende führen kann, scheint das Traummaterial in mehrere
Gruppen ohne sichtbaren Zusammenhang zu zerfallen.

 Der Käfertraum.

III. _Trauminhalt_: _Sie besinnt sich, daß sie zwei Maikäfer in einer
Schachtel hat, denen sie die Freiheit geben muß, weil sie sonst
ersticken. Sie öffnet die Schachtel, die Käfer sind ganz matt; einer
fliegt zum geöffneten Fenster heraus, der andere aber wird vom
Fensterflügel zerquetscht, während sie das Fenster schließt, wie irgend
jemand von ihr verlangt (Äußerungen des Ekels)._

_Analyse_: Ihr Mann ist verreist, die vierzehnjährige Tochter schläft im
Bette neben ihr. Die Kleine macht sie am Abend aufmerksam, daß eine
Motte in ihr Wasserglas gefallen ist; sie versäumt es aber, sie
herauszuholen, und bedauert das arme Tierchen am Morgen. In ihrer
Abendlektüre war erzählt, wie Buben eine Katze in siedendes Wasser
werfen, und die Zuckungen des Tieres geschildert. Dies sind die beiden
an sich gleichgültigen Traumanlässe. Das Thema von der _Grausamkeit
gegen Tiere_ beschäftigt sie weiter. Ihre Tochter war vor Jahren, als
sie in einer gewissen Gegend zum Sommer wohnten, sehr grausam gegen das
Getier. Sie legte sich eine Schmetterlingsammlung an und verlangte von
ihr _Arsenik_ zur Tötung der Schmetterlinge. Einmal kam es vor, daß ein
Nachtfalter mit der Nadel durch den Leib noch lange im Zimmer herumflog;
ein andermal fanden sich einige Raupen, die zur Verpuppung aufbewahrt
wurden, verhungert. Dasselbe Kind pflegte in noch zarterem Alter
_Käfern_ und Schmetterlingen die Flügel auszureißen; heute würde sie vor
all diesen grausamen Handlungen zurückschrecken; sie ist sehr gutmütig
geworden.

Dieser Widerspruch beschäftigt sie. Er erinnert an einen anderen
Widerspruch, den zwischen _Aussehen_ und Gesinnung, wie er in _Adam
Bede_ von der _Eliot_ dargestellt ist. Ein schönes, aber eitles und ganz
dummes Mädchen, daneben ein häßliches, aber edles. Der _Aristokrat_, der
das Gänschen verführt; der Arbeiter, der adelig fühlt und sich ebenso
benimmt. Man kann das den Leuten nicht _ansehen_. Wer würde _ihr_
ansehen, daß sie von sinnlichen Wünschen geplagt wird?

In demselben Jahre, als die Kleine ihre Schmetterlingsammlung anlegte,
litt die Gegend arg unter der _Maikäferplage_. Die Kinder wüteten gegen
die Käfer, _zerquetschten_ sie grausam. Sie hat damals einen Menschen
gesehen, der den Maikäfern die Flügel ausriß und die Leiber dann
verspeiste. Sie selbst ist im _Mai_ geboren, hat auch im Mai geheiratet.
Drei Tage nach der Hochzeit schrieb sie den Eltern einen Brief nach
Hause, wie glücklich sie sei. Sie war es aber keineswegs.

Am Abend vor dem Traume hatte sie in alten Briefen gekramt und
verschiedene ernste und komische Briefe den Ihrigen vorgelesen, so einen
höchst lächerlichen Brief eines Klavierlehrers, der ihr als Mädchen den
Hof gemacht hatte, auch den eines _aristokratischen_ Verehrers(102).

  (102) Dies ist der eigentliche Traumerreger.

Sie macht sich Vorwürfe, daß eine ihrer Töchter ein schlechtes Buch von
_Maupassant_ in die Hand bekommen(103). _Der Arsenik_, den ihre Kleine
verlangt, erinnert sie an die _Arsenikpillen_, die dem Duc de Mora im
_Nabab_ die Jugendkraft wiedergeben.

  (103) Zu ergänzen: Solche Lektüre sei _Gift_ für ein junges Mädchen.
  Sie selbst hat in ihrer Jugend viel aus verbotenen Büchern geschöpft.

Zu »Freiheit geben« fällt ihr die Stelle aus der Zauberflöte ein:

    »Zur Liebe kann ich dich nicht zwingen,
    Doch geb' ich dir die _Freiheit_ nicht.«

Zu den »Maikäfern« noch die Rede des _Käthchens_(104):

    »Verliebt ja bist du wie ein _Käfer_ mir.«

  (104) Ein weiterer Gedankengang führt zur _Penthesileia_ desselben
  Dichters: _Grausamkeit_ gegen den Geliebten.

Dazwischen Tannhäuser: »Weil du von _böser_ Lust beseelt --«

Sie lebt in Angst und Sorge um den abwesenden Mann. Die Furcht, daß ihm
auf der Reise etwas _zustoße_, äußert sich in zahlreichen Phantasien des
Tages. Kurz vorher hatte sie in ihren unbewußten Gedanken während der
Analyse eine Klage über seine »Greisenhaftigkeit« gefunden. Der
Wunschgedanke, welchen dieser Traum verhüllt, läßt sich vielleicht am
besten erraten, wenn ich erzähle, daß sie mehrere Tage vor dem Traume
plötzlich mitten in ihren Beschäftigungen durch den gegen ihren Mann
gerichteten Imperativ erschreckt wurde: _Häng' dich auf._ Es ergab sich,
daß sie einige Stunden vorher irgendwo gelesen hatte, beim Erhängen
stelle sich eine kräftige Erektion ein. Es war der Wunsch nach dieser
Erektion, der in dieser schreckenerregenden Verkleidung aus der
Verdrängung wiederkehrte. »Häng' dich auf,« besagte soviel als
»Verschaff dir eine Erektion um jeden Preis.« Die Arsenikpillen des Dr.
_Jenkins_ im _Nabab_ gehören hieher; es war der Patientin aber auch
bekannt, daß man das stärkste Aphrodisiakum, _Kanthariden_, durch
_Zerquetschen von Käfern_ bereitet (sogenannte spanische Fliegen). Auf
diesen Sinn zielt der Hauptbestandteil des Trauminhaltes.

Das _Fenster_öffnen und -schließen ist eine der ständigen Differenzen
mit ihrem Manne. Sie selbst schläft aerophil, ihr Mann aerophob. Die
_Mattigkeit_ ist das Hauptsymptom, über das sie in diesen Tagen zu
klagen gehabt hat.

In allen drei hier mitgeteilten Träumen habe ich durch die Schrift
hervorgehoben, wo eines der Traumelemente in den Traumgedanken
wiederkehrt, um die mehrfache Beziehung der ersteren augenfällig zu
machen. Da aber für keinen dieser Träume die Analyse bis ans Ende
geführt ist, verlohnt es sich wohl, auf einen Traum mit ausführlicher
mitgeteilter Analyse einzugehen, um die Überdeterminierung des
Trauminhaltes an ihm zu erweisen. Ich wähle hiefür den Traum von Irmas
Injektion. Wir werden an diesem Beispiel mühelos erkennen, daß die
Verdichtungsarbeit bei der Traumbildung sich mehr als nur eines Mittels
bedient.

Die Hauptperson des Trauminhaltes ist die Patientin Irma, die mit den
ihr im Leben zukommenden Zügen gesehen wurde und also zunächst sich
selbst darstellt. Die Stellung aber, in welcher ich sie beim Fenster
untersuche, ist von einer Erinnerung an eine andere Person hergenommen,
von jener Dame, mit der ich meine Patientin vertauschen möchte, wie die
Traumgedanken zeigen. Insofern Irma einen diphtheritischen Belag
erkennen läßt, bei dem die Sorge um meine älteste Tochter erinnert wird,
gelangt sie zur Darstellung dieses meines Kindes, hinter welchem, durch
die Namensgleichheit mit ihr verknüpft, sich die Person einer durch
Intoxikation verlorenen Patientin verbirgt. Im weiteren Verlaufe des
Traumes wandelt sich die Bedeutung von Irmas Persönlichkeit (ohne daß
ihr im Traume gesehenes Bild sich änderte); sie wird zu einem der
Kinder, die wir in der öffentlichen Ordination des Kinderkrankeninstitutes
untersuchen, wobei meine Freunde die Verschiedenheit ihrer geistigen
Anlagen erweisen. Der Übergang wurde offenbar durch die Vorstellung
meiner kindlichen Tochter vermittelt. Durch das Sträuben beim Mundöffnen
wird dieselbe Irma zur Anspielung auf eine andere, einmal von mir
untersuchte Dame, ferner in demselben Zusammenhang auf meine eigene
Frau. In den krankhaften Veränderungen, die ich in ihrem Halse entdecke,
habe ich überdies Anspielungen auf eine ganze Reihe von noch anderen
Personen zusammengetragen.

 Sammelpersonen und Mischpersonen.

All diese Personen, auf die ich bei der Verfolgung von »Irma« gerate,
treten im Traume nicht leibhaftig auf; sie verbergen sich hinter der
Traumperson »Irma«, welche so zu einem Sammelbild mit allerdings
widerspruchsvollen Zügen ausgestaltet wird. Irma wird zur Vertreterin
dieser anderen, bei der Verdichtungsarbeit hingeopferten Personen, indem
ich an ihr all das vorgehen lasse, was mich Zug für Zug an diese
Personen erinnert.

Ich kann mir eine _Sammelperson_ auch auf andere Weise für die
Traumverdichtung herstellen, indem ich aktuelle Züge zweier oder
mehrerer Personen zu einem Traumbilde vereinige. Solcher Art ist der Dr.
M. meines Traumes entstanden, er trägt den Namen des Dr. M., spricht und
handelt wie er; seine leibliche Charakteristik und sein Leiden sind die
einer anderen Person, meines ältesten Bruders; ein einziger Zug, das
blasse Aussehen, ist doppelt determiniert, indem er in der Realität
beiden Personen gemeinsam ist. Eine ähnliche Mischperson ist der Dr. R.
meines Onkeltraumes. Hier aber ist das Traumbild noch auf andere Weise
bereitet. Ich habe nicht Züge, die dem einen eigen sind, mit Zügen des
anderen vereinigt und dafür das Erinnerungsbild jedes einen um gewisse
Züge verkürzt, sondern ich habe das Verfahren eingeschlagen, nach
welchem _Galton_ seine Familienporträts erzeugt, nämlich beide Bilder
aufeinander projiziert, wobei die gemeinsamen Züge verstärkt
hervortreten, die nicht zusammenstimmenden einander auslöschen und im
Bilde undeutlich werden. Im Onkeltraume hebt sich so als verstärkter Zug
aus der zwei Personen gehörigen und darum verschwommenen Physiognomie
der _blonde Bart_ hervor, der überdies eine Anspielung auf meinen Vater
und auf mich enthält, vermittelt durch die Beziehung zum Ergrauen.

Die Herstellung von Sammel- und Mischpersonen ist eines der
Hauptarbeitsmittel der Traumverdichtung. Es wird sich bald der Anlaß
ergeben, sie in einem anderen Zusammenhange zu behandeln.

Der Einfall »Dysenterie« im Injektionstraume ist gleichfalls mehrfach
determiniert, einerseits durch den paraphrasischen Gleichklang mit
Diphtherie, anderseits durch die Beziehung auf den von mir in den Orient
geschickten Patienten, dessen Hysterie verkannt wird.

Als ein interessanter Fall von Verdichtung erweist sich auch die
Erwähnung von »_Propylen_« im Traume. In den Traumgedanken war nicht
»_Propylen_«, sondern »_Amylen_« enthalten. Man könnte meinen, daß hier
eine einfache Verschiebung bei der Traumbildung Platz gegriffen hat. So
ist es auch, allein diese Verschiebung dient den Zwecken der
Verdichtung, wie folgender Nachtrag zur Traumanalyse zeigt. Wenn meine
Aufmerksamkeit bei dem Worte »_Propylen_« noch einen Moment haltmacht,
so fällt mir der Gleichklang mit dem Worte »_Propyläen_« ein. Die
_Propyläen_ befinden sich aber nicht nur in Athen, sondern auch in
München. In dieser Stadt habe ich ein Jahr vor dem Traume meinen damals
schwerkranken Freund aufgesucht, dessen Erwähnung durch das bald auf
_Propylen_ folgende _Trimethylamin_ des Traumes unverkennbar wird.

Ich gehe über den auffälligen Umstand hinweg, daß hier und anderswo bei
der Traumanalyse Assoziationen von der verschiedensten Wertigkeit, wie
gleichwertig, zur Gedankenverbindung benutzt werden, und gebe der
Versuchung nach, mir den Vorgang bei der Ersetzung von _Amylen_ in den
Traumgedanken durch _Propylen_ in dem Trauminhalt gleichsam plastisch
vorzustellen.

Hier befinde sich die Vorstellungsgruppe meines Freundes Otto, der mich
nicht versteht, mir unrecht gibt und mir nach Amylen duftenden Likör
schenkt; dort durch Gegensatz verbunden die meines Freundes Wilhelm, der
mich versteht, mir recht geben würde, und dem ich so viel wertvolle
Mitteilungen, auch über die Chemie der Sexualvorgänge, verdanke.

Was aus der Gruppe Otto meine Aufmerksamkeit besonders erregen soll, ist
durch die rezenten, den Traum erregenden Anlässe bestimmt; das _Amylen_
gehört zu diesen ausgezeichneten, für den Trauminhalt prädestinierten
Elementen. Die reiche Vorstellungsgruppe »Wilhelm« wird geradezu durch
den Gegensatz zu Otto belebt und die Elemente in ihr hervorgehoben,
welche an die bereits erregten in Otto anklingen. In diesem ganzen
Traume rekurriere ich ja von einer Person, die mein Mißfallen erregt,
auf eine andere, die ich ihr nach Wunsch entgegenstellen kann, rufe ich
Zug für Zug den Freund gegen den Widersacher auf. So erweckt das Amylen
bei Otto auch in der anderen Gruppe Erinnerungen aus dem Kreise der
Chemie; das Trimethylamin, von mehreren Seiten her unterstützt, gelangt
in den Trauminhalt. Auch »_Amylen_« könnte unverwandelt in den
Trauminhalt kommen, es unterliegt aber der Einwirkung der Gruppe
»Wilhelm«, indem aus dem ganzen Erinnerungsumfang, den dieser Name
deckt, ein Element hervorgesucht wird, welches eine doppelte
Determinierung für Amylen ergeben kann. In der Nähe von _Amylen_ liegt
für die Assoziation »_Propylen_«; aus dem Kreise »Wilhelm« kommt ihm
München mit den _Propyläen_ entgegen. In _Propylen-Propyläen_ treffen
beide Vorstellungskreise zusammen. Wie durch einen Kompromiß gelangt
dieses mittlere Element dann in den Trauminhalt. Es ist hier ein
_mittleres Gemeinsames_ geschaffen worden, welches mehrfache
Determinierung zuläßt. Wir greifen so mit Händen, daß die mehrfache
Determinierung das Durchdringen in den Trauminhalt erleichtern muß. Zum
Zwecke dieser Mittelbildung ist unbedenklich eine Verschiebung der
Aufmerksamkeit von dem eigentlich Gemeinten zu einem in der Assoziation
nahe Liegenden vorgenommen worden.

Das Studium des Injektionstraumes gestattet uns bereits einige Übersicht
über die Verdichtungsvorgänge bei der Traumbildung zu gewinnen. Wir
konnten die Auswahl der mehrfach in den Traumgedanken vorkommenden
Elemente, die Bildung neuer Einheiten (Sammelpersonen, Mischgebilde) und
die Herstellung von mittleren Gemeinsamen als Einzelheiten der
Verdichtungsarbeit erkennen. Wozu die Verdichtung dient und wodurch sie
gefordert wird, werden wir uns erst fragen, wenn wir die psychischen
Vorgänge bei der Traumbildung im Zusammenhange erfassen wollen. Begnügen
wir uns jetzt mit der Feststellung der Traum_verdichtung_ als einer
bemerkenswerten Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt.

 Wort- und Namenverdichtungen.

Am greifbarsten wird die Verdichtungsarbeit des Traumes, wenn sie Worte
und Namen zu ihren Objekten gewählt hat. Worte werden vom Traume
überhaupt häufig wie Dinge behandelt und erfahren dann dieselben
Zusammensetzungen, Verschiebungen, Ersetzungen und also auch
Verdichtungen wie die Dingvorstellungen. Komische und seltsame
Wortschöpfungen sind das Ergebnis solcher Träume. Als mir einmal ein
Kollege einen von ihm verfaßten Aufsatz überschickte, in welchem eine
physiologische Entdeckung der Neuzeit nach meinem Urteil überschätzt und
vor allem in überschwenglichen Ausdrücken abgehandelt war, da träumte
ich die nächste Nacht einen Satz, der sich offenbar auf diese Abhandlung
bezog: »_Das ist ein wahrhaft #norekdaler# Stil._« Die Auflösung des
Wortgebildes bereitete mir anfänglich Schwierigkeiten; es war nicht
zweifelhaft, daß es den Superlativen »kolossal, pyramidal« parodistisch
nachgeschaffen war; aber woher es stammte, war nicht leicht zu sagen.
Endlich zerfiel mir das Ungetüm in die beiden Namen _Nora_ und _Ekdal_
aus zwei bekannten Schauspielen von _Ibsen_. Von demselben Autor, dessen
letztes Opus ich im Traume also kritisierte, hatte ich vorher einen
Zeitungsaufsatz über _Ibsen_ gelesen.

II. Eine meiner Patientinnen teilt mir einen kurzen Traum mit, der in
eine unsinnige Wortkombination ausläuft. Sie befindet sich mit ihrem
Manne bei einer Bauernfestlichkeit und sagt dann: _Das wird in einen
allgemeinen »#Maistollmütz#«_ ausgehen. Dabei im Traume der dunkle
Gedanke, das sei eine Mehlspeise aus Mais, eine Art Polenta. Die Analyse
zerlegt das Wort in _Mais_ -- _toll_ -- _mannstoll_ -- _Olmütz_, welche
Stücke sich sämtlich als Reste einer Konversation bei Tisch mit ihren
Verwandten erkennen lassen. Hinter _Mais_ verbargen sich außer der
Anspielung auf die eben eröffnete Jubiläumsausstellung die Worte:
_Meißen_ (eine _Meißner_ Porzellanfigur, die einen Vogel darstellt),
_Miß_ (die Engländerin ihrer Verwandten war nach _Olmütz_ gereist),
_mies_ = ekel, übel im scherzhaft gebrauchten jüdischen Jargon, und eine
lange Kette von Gedanken und Anknüpfungen ging von jeder der Silben des
Wortklumpens ab.

III. Ein junger Mann, bei dem ein Bekannter spät abends angeläutet hat,
um eine Besuchskarte abzugeben, träumt in der darauffolgenden Nacht:
_Ein Geschäftsmann wartet spät abends, um den Zimmertelegraphen zu
richten. Nachdem er weggegangen ist, läutet es noch immer nicht
kontinuierlich, sondern nur in einzelnen Schlägen. Der Diener holt den
Mann wieder, und der sagt: Es ist doch merkwürdig, daß auch Leute, die
sonst #tutelrein# sind, solche Angelegenheiten nicht zu behandeln
verstehen._

Der indifferente Traumanlaß deckt, wie man sieht, nur eines der Elemente
des Traumes. Zur Bedeutung ist er überhaupt nur gekommen, indem er sich
an ein früheres Erlebnis des Träumers angereiht hat, das, an sich auch
gleichgültig, von seiner Phantasie mit stellvertretender Bedeutung
ausgestattet wurde. Als Knabe, der mit seinem Vater wohnte, schüttete er
einmal schlaftrunken ein Glas Wasser auf den Boden, so daß das Kabel des
Zimmertelegraphen durchtränkt wurde, und das _kontinuierliche Läuten_
den Vater im Schlafe störte. Da das kontinuierliche Läuten dem Naßwerden
entspricht, so werden dann »_einzelne Schläge_« zur Darstellung des
_Tropfenfallens_ verwendet. Das Wort »_tutelrein_« zerlegt sich aber
nach drei Richtungen und zielt damit auf drei der in den Traumgedanken
vertretenen Materien: »_Tutel_« = _Kuratel_ bedeutet Vormundschaft;
_Tutel_ (vielleicht »_Tuttel_«) ist eine vulgäre Bezeichnung der
weiblichen Brust, und der Bestandteil »_rein_« übernimmt die ersten
Silben des Zimmertelegraphen, um »_Zimmerrein_« zu bilden, was mit dem
Naßmachen des Fußbodens viel zu tun hat und überdies an einen der in der
Familie des Träumers vertretenen Namen anklingt(105).

  (105) Die nämliche Zerlegung und Zusammensetzung der Silben -- eine
  wahre Silbenchemie -- dient uns im Wachen zu mannigfachen Scherzen.
  »Wie gewinnt man auf die billigste Art Silber? Man begibt sich in eine
  Allee, in der Silberpappeln stehen, gebietet Schweigen, dann hört das
  ›Pappeln‹ (Schwätzen) auf, und das Silber wird frei.« Der erste Leser
  und Kritiker dieses Buches hat mir den Einwand gemacht, den die
  späteren wahrscheinlich wiederholen werden, »daß der Träumer oft zu
  witzig erscheine«. Das ist richtig, solange es nur auf den Träumer
  bezogen wird, involviert einen Vorwurf nur dann, wenn es auf den
  Traumdeuter übergreifen soll. In der wachen Wirklichkeit kann ich
  wenig Anspruch auf das Prädikat »witzig« erheben; wenn meine Träume
  witzig erscheinen, so liegt es nicht an meiner Person, sondern an den
  eigentümlichen psychologischen Bedingungen, unter denen der Traum
  gearbeitet wird, und hängt mit der Theorie des Witzigen und Komischen
  intim zusammen. Der Traum wird witzig, weil ihm der gerade und nächste
  Weg zum Ausdruck seiner Gedanken gesperrt wird; er wird es
  notgedrungen. Die Leser können sich überzeugen, daß die Träume meiner
  Patienten den Eindruck des Witzigen (Witzelnden) im selben und im
  höheren Grade machen wie die meinen. Immerhin gab mir dieser Vorwurf
  Anlaß, die Technik des Witzes mit der Traumarbeit zu vergleichen, was
  in dem 1905 veröffentlichten Buche »Der Witz und seine Beziehung zum
  Unbewußten« geschehen ist (2. Aufl. 1912).

 Wortneubildungen.

IV. In einem längeren wüsten Traume von mir, der eine Schiffsreise zum
scheinbaren Mittelpunkte hat, kommt es vor, daß die nächste Station
#Hearsing# heißt, die nächst weitere aber _Fließ_. Letzteres ist der
Name meines Freundes in B., der oft das Ziel meiner Reise gewesen ist.
_Hearsing_ aber ist kombiniert aus den Ortsnamen unserer Wiener
Lokalstrecke, die so häufig auf _ing_ ausgehen: _Hietzing_, _Liesing_,
_Mödling_ (Medelitz, »meae deliciae« der alte Name, also »_meine
Freud'_«) und dem englischen _Hearsay_ = Hörensagen, was auf Verleumdung
deutet und die Beziehung zu dem indifferenten Traumerreger des Tages
herstellt, einem Gedichte in den »Fliegenden Blättern« von einem
verleumderischen Zwerge, »Sagter Hatergesagt«. Durch Beziehung der
Endsilbe »_ing_« zum Namen _Fließ_ gewinnt man »_Vlissingen_«, wirklich
die Station der Seereise, die mein Bruder berührt, wenn er von England
zu uns auf Besuch kommt. Der englische Name von _Vlissingen_ lautet aber
_Flushing_, was in englischer Sprache Erröten bedeutet und an die
Patienten mit »Errötensangst« mahnt, die ich behandle, auch an eine
rezente Publikation _Bechterews_ über diese Neurose, die mir Anlaß zu
ärgerlichen Empfindungen gegeben hat.

V. Ein anderes Mal habe ich einen Traum, der aus zwei gesonderten
Stücken besteht. Das erste ist das lebhaft erinnerte Wort
»#Autodidasker#«, das andere deckt sich getreu mit einer vor Tagen
produzierten, kurzen und harmlosen Phantasie des Inhaltes, daß ich dem
Professor N., wenn ich ihn nächstens sehe, sagen muß: »Der Patient, über
dessen Zustand ich Sie zuletzt konsultiert habe, leidet wirklich nur an
einer Neurose, ganz wie Sie vermutet haben.« Das neugebildete
»_Autodidasker_« hat nun nicht nur der Anforderung zu genügen, daß es
komprimierten Sinn enthält oder vertritt, es soll auch dieser Sinn in
gutem Zusammenhange mit meinem aus dem Wachen wiederholten Vorsatze
stehen, dem Professor N. jene Genugtuung zu geben.

Nun zerlegt sich _Autodidasker_ leicht in _Autor_, _Autodidakt_ und
_Lasker_, an den sich der Name _Lassalle_ schließt. Die ersten dieser
Worte führen zu der -- dieses Mal bedeutsamen -- Veranlassung des
Traumes. Ich hatte meiner Frau mehrere Bände eines bekannten Autors
mitgebracht, mit dem mein Bruder befreundet ist, und der, wie ich
erfahren habe, aus demselben Orte stammt wie ich (J. J. _David_). Eines
Abends sprach sie mit mir über den tiefen Eindruck, den ihr die
ergreifend traurige Geschichte eines verkommenen Talentes in einer der
_David_schen Novellen gemacht hatte, und unsere Unterhaltung wendete
sich darauf den Spuren von Begabung zu, die wir an unseren eigenen
Kindern wahrnehmen. Unter der Herrschaft des eben Gelesenen äußerte sie
eine Besorgnis, die sich auf die Kinder bezog, und ich tröstete sie mit
der Bemerkung, daß gerade solche Gefahren durch die Erziehung abgewendet
werden können. In der Nacht ging mein Gedankengang weiter, nahm die
Besorgnisse meiner Frau auf und verwob allerlei anderes damit. Eine
Äußerung, die der Dichter gegen meinen Bruder in bezug auf das Heiraten
getan hatte, zeigte meinen Gedanken einen Nebenweg, der zur Darstellung
im Traume führen konnte. Dieser Weg leitete nach Breslau, wohin eine uns
sehr befreundete Dame geheiratet hatte. Für die Besorgnis, am Weibe zu
grunde zu gehen, die den Kern meiner Traumgedanken bildete, fand ich in
Breslau die Exempel _Lasker_ und _Lassalle_ auf, die mir gleichzeitig
die beiden Arten dieser Beeinflussung zum Unheil darzustellen
gestatteten(106). Das »Cherchez la femme«, in dem sich diese Gedanken
zusammenfassen lassen, bringt mich in anderem Sinne auf meinen noch
unverheirateten Bruder, der _Alexander_ heißt. Nun merke ich, daß
_Alex_, wie wir den Namen abkürzen, fast wie eine Umstellung von
_Lasker_ klingt, und daß dieses Moment mitgewirkt haben muß, meinen
Gedanken die Umwegrichtung über Breslau mitzuteilen.

  (106) _Lasker_ starb an progressiver Paralyse, also an den Folgen der
  beim Weibe erworbenen Infektion (Lues); _Lassalle_, wie bekannt, im
  Duell wegen einer Dame.

Die Spielerei mit Namen und Silben, die ich hier treibe, enthält aber
noch einen weiteren Sinn. Sie vertritt den Wunsch eines glücklichen
Familienlebens für meinen Bruder, und zwar auf folgendem Wege. In dem
Künstlerroman _L'oeuvre_, der meinen Traumgedanken inhaltlich nahe
liegen mußte, hat der Dichter bekanntlich sich selbst und sein eigenes
Familienglück episodisch mitgeschildert und tritt darin unter dem Namen
_Sandoz_ auf. Wahrscheinlich hat er bei der Namensverwandlung folgenden
Weg eingeschlagen. _Zola_ gibt umgekehrt (wie die Kinder so gern zu tun
pflegen) _Aloz_. Das war ihm wohl noch zu unverhüllt; darum ersetzte
sich ihm die Silbe _Al_, die auch den Namen _Ale_xander einleitet, durch
die dritte Silbe desselben Namens _sand_, und so kam _Sandoz_ zu stande.
So ähnlich entstand also auch mein _Autodidasker_.

Meine Phantasie, daß ich Professor N. erzähle, der von uns beiden
gesehene Kranke leide nur an einer Neurose, ist auf folgende Weise in
den Traum gekommen. Kurz vor Schluß meines Arbeitsjahres bekam ich einen
Patienten, bei dem mich meine Diagnostik im Stiche ließ. Es war ein
schweres organisches Leiden, vielleicht eine Rückenmarksveränderung,
anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Eine Neurose zu diagnostizieren wäre
verlockend gewesen und hätte allen Schwierigkeiten ein Ende bereitet,
wenn nicht die sexuelle Anamnese, ohne die ich keine Neurose anerkennen
will, vom Kranken so energisch in Abrede gestellt worden wäre. In meiner
Verlegenheit rief ich den Arzt zur Hilfe, den ich menschlich am meisten
verehre (wie andere auch), und vor dessen Autorität ich mich am ehesten
beuge. Er hörte meine Zweifel an, hieß sie berechtigt und meinte dann:
»Beobachten Sie den Mann weiter, es wird eine Neurose sein.« Da ich
weiß, daß er meine Ansichten über die Ätiologie der Neurosen nicht
teilt, hielt ich meinen Widerspruch zurück, verbarg aber nicht meinen
Unglauben. Einige Tage später machte ich dem Kranken die Mitteilung, daß
ich mit ihm nichts anzufangen wisse, und riet ihm, sich an einen anderen
zu wenden. Da begann er zu meiner höchsten Überraschung, mich um
Verzeihung zu bitten, daß er mich belogen habe; er habe sich so sehr
geschämt, und nun enthüllte er mir gerade das Stück sexueller Ätiologie,
das ich erwartet hatte, und dessen ich zur Annahme einer Neurose
bedurfte. Mir war es eine Erleichterung, aber auch gleichzeitig eine
Beschämung; ich mußte mir zugestehen, daß mein Konsiliarius, durch die
Berücksichtigung der Anamnese unbeirrt, richtiger gesehen hatte. Ich
nahm mir vor, es ihm zu sagen, wenn ich ihn wiedersehe, ihm zu sagen,
daß er recht gehabt habe und ich unrecht.

Gerade dies tue ich nun im Traume. Aber was für Wunscherfüllung soll es
denn sein, wenn ich bekenne, daß ich unrecht habe? Gerade das ist mein
Wunsch; ich möchte unrecht haben mit meinen Befürchtungen, respektive
ich möchte, daß meine Frau, deren Befürchtungen ich in den Traumgedanken
mir angeeignet habe, unrecht behält. Das Thema, auf welches sich das
Recht- oder Unrechtbehalten im Traume bezieht, ist von dem für die
Traumgedanken wirklich Interessanten nicht weitab gelegen. Dieselbe
Alternative der organischen oder der funktionellen Schädigung durch das
Weib, eigentlich durch das Sexualleben: Tabesparalyse oder Neurose, an
welch letztere sich die Art des Unterganges von _Lassalle_ lockerer
anreiht.

Professor N. spielt in diesem festgefügten (und bei sorgfältiger Deutung
ganz durchsichtigen) Traume nicht nur wegen dieser Analogie und wegen
meines Wunsches, unrecht zu behalten, eine Rolle -- auch nicht wegen
seiner nebenher gehenden Beziehungen zu Breslau und zur Familie unserer
dorthin verheirateten Freundin --, sondern auch wegen folgender kleinen
Begebenheit, die sich an unsere Konsultation anschloß. Nachdem er mit
jener Vermutung die ärztliche Aufgabe erledigt hatte, wandte sich sein
Interesse persönlichen Dingen zu. »Wieviel Kinder haben Sie jetzt?« --
»Sechs.« -- Eine Gebärde von Respekt und Bedenklichkeit. -- »Mädel,
Buben?« -- »Drei und drei, das ist mein Stolz und mein Reichtum.« --
»Nun, geben Sie acht, mit den Mädeln geht es ja gut, aber die Buben
machen einem später Schwierigkeiten in der Erziehung.« -- Ich wendete
ein, daß sie bis jetzt recht zahm geblieben sind; offenbar behagte mir
diese zweite Diagnose über die Zukunft meiner Buben ebensowenig wie die
früher gefällte, daß mein Patient nur eine Neurose habe. Diese beiden
Eindrücke sind also durch Kontiguität, durch das Erleben in einem Zuge
verbunden, und wenn ich die Geschichte von der Neurose in den Traum
nehme, ersetze ich durch sie die Rede über die Erziehung, die noch mehr
Zusammenhang mit den Traumgedanken aufweist, da sie so nahe an die
später geäußerten Besorgnisse meiner Frau rührt. So findet selbst meine
Angst, daß N. mit den Bemerkungen über die Erziehungsschwierigkeiten bei
den Buben recht behalten möge, Eingang in den Trauminhalt, indem sie
sich hinter der Darstellung meines Wunsches, daß ich mit solchen
Befürchtungen unrecht haben möge, verbirgt. Dieselbe Phantasie dient
unverändert der Darstellung beider gegensätzlichen Glieder der
Alternative.

VI. _Marcinowski_: »Heute früh erlebte ich zwischen Traum und Wachen
eine sehr hübsche Wortverdichtung. Im Ablauf einer Fülle von kaum
erinnerbaren Traumbruchstücken stutzte ich gewissermaßen über ein Wort,
das ich halb wie geschrieben, halb wie gedruckt vor mir sehe. Es lautet:
›#erzefilisch#‹ und gehört zu einem Satz, der außerhalb jedes
Zusammenhanges völlig isoliert in mein bewußtes Erinnern hinüberglitt;
er lautete: ›Das wirkt erzefilisch auf die Geschlechtsempfindung.‹ Ich
wußte sofort, daß es eigentlich ›erzieherisch‹ heißen solle, schwankte
auch einige Male hin und her, ob es nicht richtiger ›erzifilisch‹ hieße.
Dabei fiel mir das Wort Syphilis ein, und ich zerbrach mir, noch im
Halbschlaf zu analysieren beginnend, den Kopf, wie das wohl in meinen
Traum hineinkäme, da ich weder persönlich noch von Berufs wegen irgend
welche Berührungspunkte mit dieser Krankheit habe. Dann fiel mir ein
›erzehlerisch‹, das e erklärend, und zu gleicher Zeit erklärend, daß ich
gestern abend von unserer ›Erzieherin‹ veranlaßt wurde, über das Problem
der Prostitution zu sprechen, und ich hatte ihr dabei tatsächlich, um
›erzieherisch‹ auf ihr nicht ganz normal entwickeltes Empfindungsleben
einzuwirken, das Buch von Hesse ›Über die Prostitution‹ gegeben, nachdem
ich ihr mancherlei über das Problem erzählt hatte. Und nun wurde mir auf
einmal klar, daß das Wort ›Syphilis‹ nicht im wörtlichen Sinne zu nehmen
sei, sondern für Gift stand, in Beziehung natürlich zum
Geschlechtsleben. Der Satz lautet also in der Übersetzung ganz logisch:
›Durch meine _Erzählung_ habe ich auf meine _Erzieherin erzieherisch_
auf deren Empfindungsleben einwirken wollen, aber habe die Befürchtung,
daß es zu gleicher Zeit _vergiftend_ wirken könne.‹ _Erzefilisch_ =
erzäh-- (erzieh--) (_erzifilisch_).«

Die Wortverbildungen des Traumes ähneln sehr den bei der Paranoia
bekannten, die aber auch bei Hysterie und Zwangsvorstellungen nicht
vermißt werden. Die Sprachkünste der Kinder, die zu gewissen Zeiten die
Worte tatsächlich wie Objekte behandeln, auch neue Sprachen und
artefizielle Wortfügungen erfinden, sind für den Traum wie für die
Psychoneurosen hier die gemeinsame Quelle.

Wo in einem Traume Reden vorkommen, die ausdrücklich als solche von
Gedanken unterschieden werden, da gilt als ausnahmslose Regel, daß
Traumrede von erinnerter Rede im Traummaterial abstammt. Der Wortlaut
der Rede ist entweder unversehrt erhalten oder leise im Ausdruck
verschoben; häufig ist die Traumrede aus verschiedenen Redeerinnerungen
zusammengestückelt; der Wortlaut dabei das sich gleich gebliebene, der
Sinn womöglich mehr- oder andersdeutig verändert. Die Traumrede dient
nicht selten als bloße Anspielung auf ein Ereignis, bei dem die
erinnerte Rede vorfiel(107).

  (107) Bei einem an Zwangsvorstellungen leidenden jungen Manne, mit
  übrigens intakten und hochentwickelten intellektuellen Funktionen,
  fand ich unlängst die einzige Ausnahme von dieser Regel. Die Reden,
  die in seinen Träumen vorkamen, stammen nicht von gehörten oder selbst
  gehaltenen Reden ab, sondern entsprachen dem unentstellten Wortlaute
  seiner Zwangsgedanken, die ihm im Wachen nur abgeändert zum Bewußtsein
  kamen.


b) _Die Verschiebungsarbeit_.

Eine andere, wahrscheinlich nicht minder bedeutsame Relation mußte uns
bereits auffallen, während wir die Beispiele für die Traumverdichtung
sammelten. Wir konnten bemerken, daß die Elemente, welche im Trauminhalt
sich als die wesentlichen Bestandteile hervordrängen, in den
Traumgedanken keineswegs die gleiche Rolle spielen. Als Korrelat dazu
kann man auch die Umkehrung dieses Satzes aussprechen. Was in den
Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt ist, braucht im Traume gar
nicht vertreten zu sein. Der Traum ist gleichsam _anders zentriert_,
sein Inhalt um andere Elemente als Mittelpunkt geordnet als die
Traumgedanken. So z. B. ist im Traume von der botanischen Monographie
Mittelpunkt des Trauminhaltes offenbar das Element »botanisch«; in den
Traumgedanken handelt es sich um die Komplikationen und Konflikte, die
sich aus verpflichtenden Leistungen zwischen Kollegen ergeben, in
weiterer Folge um den Vorwurf, daß ich meinen Liebhabereien allzu große
Opfer zu bringen pflege, und das Element »botanisch« findet in diesem
Kerne der Traumgedanken überhaupt keine Stelle, wenn es nicht durch eine
Gegensätzlichkeit locker damit verbunden ist, denn Botanik hatte niemals
einen Platz unter meinen Lieblingsstudien. In dem Sapphotraume meines
Patienten ist das _Auf-_ und _Niedersteigen_, _Oben-_ und _Unten_sein
zum Mittelpunkte gemacht; der Traum handelt aber von den Gefahren
sexueller Beziehungen zu _niedrig_ stehenden Personen, so daß nur eines
der Elemente der Traumgedanken, dies aber in ungebührlicher
Verbreiterung, in den Trauminhalt eingegangen scheint. Ähnlich ist im
Traume von den Maikäfern, welcher die Beziehungen der Sexualität zur
Grausamkeit zum Thema hat, zwar das Moment der Grausamkeit im
Trauminhalt wieder erschienen, aber in andersartiger Verknüpfung und
ohne Erwähnung des Sexuellen, also aus dem Zusammenhang gerissen und
dadurch zu etwas Fremdem umgestaltet. In dem Onkeltraume wiederum
scheint der blonde Bart, der dessen Mittelpunkt bildet, außer aller
Sinnbeziehung zu den Größenwünschen, die wir als den Kern der
Traumgedanken erkannt haben. Solche Träume machen dann mit gutem Rechte
einen »_verschobenen_« Eindruck. Im vollen Gegensatz zu diesen
Beispielen zeigt dann der Traum von Irmas Injektion, daß bei der
Traumbildung die einzelnen Elemente auch wohl den Platz behaupten
können, den sie in den Traumgedanken einnehmen. Die Kenntnisnahme dieser
neuen, in ihrem Sinne durchaus inkonstanten Relation zwischen
Traumgedanken und Trauminhalt ist zunächst geeignet, unsere Verwunderung
zu erregen. Wenn wir bei einem psychischen Vorgang des Normallebens
finden, daß eine Vorstellung aus mehreren anderen herausgegriffen wurde
und für das Bewußtsein besondere Lebhaftigkeit erlangt hat, so pflegen
wir diesen Erfolg als Beweis dafür anzusehen, daß der siegenden
Vorstellung eine besonders hohe psychische Wertigkeit (ein gewisser Grad
von Interesse) zukommt. Wir machen nun die Erfahrung, daß diese
Wertigkeit der einzelnen Elemente in den Traumgedanken für die
Traumbildung nicht erhalten bleibt oder nicht in Betracht kommt. Es ist
ja kein Zweifel darüber, welches die höchstwertigen Elemente der
Traumgedanken sind; unser Urteil sagt es uns unmittelbar. Bei der
Traumbildung können diese wesentlichen, mit intensivem Interesse
betonten Elemente nun so behandelt werden, als ob sie minderwertig
wären, und an ihre Stelle treten im Traume andere Elemente, die in den
Traumgedanken sicherlich minderwertig waren. Es macht zunächst den
Eindruck, als käme die psychische Intensität(108) der einzelnen
Vorstellungen für die Traumauswahl überhaupt nicht in Betracht, sondern
bloß die mehr oder minder vielseitige Determinierung derselben. Nicht
was in den Traumgedanken wichtig ist, kommt in den Traum, sondern was in
ihnen mehrfach enthalten, könnte man meinen; das Verständnis der
Traumbildung wird aber durch diese Annahme nicht sehr gefördert, denn
von vornherein wird man nicht glauben können, daß die beiden Momente der
mehrfachen Determinierung und der eigenen Wertigkeit bei der
Traumauswahl anders als gleichsinnig wirken können. Jene Vorstellungen,
welche in den Traumgedanken die wichtigsten sind, werden wohl auch die
am häufigsten in ihnen wiederkehrenden sein, da von ihnen wie von
Mittelpunkten die einzelnen Traumgedanken ausstrahlen. Und doch kann der
Traum diese intensiv betonten und vielseitig unterstützten Elemente
ablehnen und andere Elemente, denen nur die letztere Eigenschaft
zukommt, in seinen Inhalt aufnehmen.

  (108) Psychische Intensität, Wertigkeit, Interessebetonung einer
  Vorstellung ist natürlich von sinnlicher Intensität, Intensität des
  Vorgestellten, gesondert zu halten.

 Die Überdeterminierung.

Zur Lösung dieser Schwierigkeit wird man einen anderen Eindruck
verwenden, den man bei der Untersuchung der Überdeterminierung des
Trauminhaltes empfangen hat. Vielleicht hat schon mancher Leser dieser
Untersuchung bei sich geurteilt, die Überdeterminierung der
Traumelemente sei kein bedeutsamer Fund, weil sie ein selbstverständlicher
ist. Man geht ja bei der Analyse von den Traumelementen aus und
verzeichnet alle Einfälle, die sich an dieselben knüpfen; kein Wunder
dann, daß in dem so gewonnenen Gedankenmaterial eben diese Elemente sich
besonders häufig wiederfinden. Ich könnte diesen Einwand nicht gelten
lassen, werde aber selbst etwas ihm ähnlich Klingendes zur Sprache
bringen: Unter den Gedanken, welche die Analyse zu Tage fördert, finden
sich viele, die dem Kern des Traumes fernerstehen, und die sich wie
künstliche Einschaltungen zu einem gewissen Zweck ausnehmen. Der Zweck
derselben ergibt sich leicht; gerade sie stellen eine Verbindung, oft
eine gezwungene und gesuchte Verbindung, zwischen Trauminhalt und
Traumgedanken her, und wenn diese Elemente aus der Analyse ausgemerzt
würden, entfiele für die Bestandteile des Trauminhaltes oftmals nicht
nur die Überdeterminierung, sondern überhaupt eine genügende
Determinierung durch die Traumgedanken. Wir werden so zum Schlusse
geleitet, daß die mehrfache Determinierung, die für die Traumauswahl
entscheidet, wohl nicht immer ein primäres Moment der Traumbildung,
sondern oft ein sekundäres Ergebnis einer uns noch unbekannten
psychischen Macht ist. Sie muß aber bei alledem für das Eintreten der
einzelnen Elemente in den Traum von Bedeutung sein, denn wir können
beobachten, daß sie mit einem gewissen Aufwand hergestellt wird, wo sie
sich aus dem Traummaterial nicht ohne Nachhilfe ergibt.

Es liegt nun der Einfall nahe, daß bei der Traumarbeit eine psychische
Macht sich äußert, die einerseits die psychisch hochwertigen Elemente
ihrer Intensität entkleidet und anderseits _auf dem Wege der
Überdeterminierung_ aus minderwertigen neue Wertigkeiten schafft, die
dann in den Trauminhalt gelangen. Wenn das so zugeht, so hat bei der
Traumbildung eine _Übertragung und Verschiebung der psychischen
Intensitäten_ der einzelnen Elemente stattgefunden, als deren Folge die
Textverschiedenheit von Trauminhalt und Traumgedanken erscheint. Der
Vorgang, den wir so supponieren, ist geradezu das wesentliche Stück der
Traumarbeit; er verdient den Namen der _Traumverschiebung_.
_Traumverschiebung_ und _Traumverdichtung_ sind die beiden Werkmeister,
deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben
dürfen.

Ich denke, wir haben es auch leicht, die psychische Macht, die sich in
den Tatsachen der Traumverschiebung äußert, zu erkennen. Der Erfolg
dieser Verschiebung ist, daß der Trauminhalt dem Kerne der Traumgedanken
nicht mehr gleich sieht, daß der Traum nur eine Entstellung des
Traumwunsches im Unbewußten wiedergibt. Die Traumentstellung aber ist
uns bereits bekannt; wir haben sie auf die Zensur zurückgeführt, welche
die eine psychische Instanz im Gedankenleben gegen eine andere ausübt.
Die Traumverschiebung ist eines der Hauptmittel zur Erzielung dieser
Entstellung. Is fecit, cui profuit. Wir dürfen annehmen, daß die
Traumverschiebung durch den Einfluß jener Zensur, der endopsychischen
Abwehr, zu stande kommt(109).

  (109) Da ich die Zurückführung der Traumentstellung auf die Zensur als
  den Kern meiner Traumauffassung bezeichnen darf, schalte ich hier das
  letzte Stück jener Erzählung »Träumen wie Wachen« aus den »_Phantasien
  eines Realisten_« von _Lynkeus_ (Wien, 2. Auflage, 1900) ein, in dem
  ich diesen Hauptcharakter meiner Lehre wiederfinde:

  »Von einem Manne, der die merkwürdige Eigenschaft hat, niemals Unsinn
  zu träumen.« -- -- -- --

  »Deine herrliche Eigenschaft, zu träumen wie zu wachen, beruht auf
  deinen Tugenden, auf deiner Güte, deiner Gerechtigkeit, deiner
  Wahrheitsliebe; es ist die moralische Klarheit deiner Natur, die mir
  alles an dir verständlich macht.«

  »Wenn ich es aber recht bedenke,« erwiderte der andere, »so glaube ich
  beinahe, alle Menschen seien so wie ich beschaffen, und gar niemand
  träume jemals Unsinn! Ein Traum, an den man sich so deutlich erinnert,
  daß man ihn nacherzählen kann, der also kein Fiebertraum ist, hat
  _immer_ Sinn und es kann auch gar nicht anders sein! Denn was
  miteinander in Widerspruch steht, könnte sich ja nicht zu einem Ganzen
  gruppieren. Daß Zeit und Raum oft durcheinander gerüttelt werden,
  benimmt dem wahren Inhalt des Traumes gar nichts, denn sie sind beide
  gewiß ohne Bedeutung für seinen wesentlichen Inhalt gewesen. Wir
  machen es ja oft im Wachen auch so; denke an das Märchen, an so viele
  kühne und sinnvolle Phantasiegebilde, zu denen nur ein Unverständiger
  sagen würde: ›Das ist widersinnig! Denn das ist nicht möglich‹!«

  »Wenn man nur die Träume immer richtig zu deuten wüßte, so wie du das
  eben mit dem meinen getan hast!« sagte der Freund.

  »Das ist gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger
  Aufmerksamkeit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. -- Warum es
  meistens nicht gelingt? Es scheint bei Euch etwas Verstecktes in den
  Träumen zu liegen, etwas Unkeusches eigener und höherer Art, eine
  gewisse Heimlichkeit in Eurem Wesen, die schwer auszudenken ist; und
  darum scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu
  sein. Es ist aber im tiefsten Grunde durchaus nicht so; ja, es kann
  gar nicht so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder
  träumt.«

In welcher Weise die Momente der Verschiebung, Verdichtung und
Überdeterminierung bei der Traumbildung ineinander spielen, welches der
übergeordnete und welches der nebensächliche Faktor wird, das würden wir
späteren Untersuchungen vorbehalten. Vorläufig können wir als eine
zweite Bedingung, der die in den Traum gelangenden Elemente genügen
müssen, angeben, _daß sie der Zensur des Widerstandes entzogen seien_.
Die Traumverschiebung aber wollen wir von nun an als unzweifelhafte
Tatsache bei der Traumdeutung in Rechnung ziehen.


c) _Die Darstellungsmittel des Traumes_.

Außer den beiden Momenten der Traum_verdichtung_ und Traum_verschiebung_,
die wir bei der Verwandlung des latenten Gedankenmaterials in den
manifesten Trauminhalt als wirksam aufgefunden haben, werden wir bei der
Fortführung dieser Untersuchung noch zwei weiteren Bedingungen begegnen,
die unzweifelhaften Einfluß auf die Auswahl des in den Traum gelangenden
Materials üben. Vorher möchte ich, selbst auf die Gefahr hin, daß wir
auf unserem Wege halt zu machen scheinen, einen ersten Blick auf die
Vorgänge bei der Ausführung der Traumdeutung werfen. Ich verhehle mir
nicht, daß es am ehesten gelingen würde, dieselben klarzustellen und
ihre Zuverlässigkeit gegen Einwendungen zu sichern, wenn ich einen
einzelnen Traum zum Muster nähme, seine Deutung entwickle, wie ich es im
Abschnitt II bei dem Traume von Irmas Injektion gezeigt habe, dann aber
die Traumgedanken, die ich aufgedeckt habe, zusammenstelle, und nun die
Bildung des Traumes aus ihnen rekonstruiere, also die Analyse der Träume
durch eine Synthese derselben ergänze. Diese Arbeit habe ich an mehreren
Beispielen zu meiner eigenen Belehrung vollzogen; ich kann sie aber hier
nicht aufnehmen, weil mannigfache und von jedem billig Denkenden
gutzuheißende Rücksichten auf das psychische Material zu dieser
Demonstration mich daran verhindern. Bei der Analyse der Träume störten
diese Rücksichten weniger, denn die Analyse durfte unvollständig sein
und behielt ihren Wert, wenn sie auch nur ein Stück weit in das Gewebe
des Traumes hineinführte. Von der Synthese wüßte ich es nicht anders,
als daß sie, um zu überzeugen, vollständig sein muß. Eine vollständige
Synthese könnte ich nur von Träumen solcher Personen geben, die dem
lesenden Publikum unbekannt sind. Da aber nur Patienten, Neurotiker, mir
dazu die Mittel bieten, so muß dies Stück Darstellung des Traumes einen
Aufschub erfahren, bis ich -- an anderer Stelle -- die psychologische
Aufklärung der Neurosen so weit führen kann, daß der Anschluß an unser
Thema herzustellen ist(110).

  (110) Ich habe die vollständige Analyse und Synthese zweier Träume
  seither in dem »Bruchstück einer Hysterieanalyse«, 1905, gegeben. Als
  die vollständigste Deutung eines längeren Traumes muß die Analyse von
  O. _Rank_ »Ein Traum, der sich selbst deutet« anerkannt werden.

Aus meinen Versuchen, Träume aus den Traumgedanken synthetisch
herzustellen, weiß ich, daß das bei der Deutung sich ergebende Material
von verschiedenartigem Werte ist. Den einen Teil desselben bilden die
wesentlichen Traumgedanken, die also den Traum voll ersetzen und allein
zu dessen Ersatz hinreichen würden, wenn es für den Traum keine Zensur
gäbe. Den anderen Teil kann man unter dem Namen »_Kollateralen_«
zusammenfassen; in ihrer Gesamtheit stellen sie die Wege dar, auf denen
der wirkliche Wunsch, der sich aus den Traumgedanken erhebt, in den
Traumwunsch übergeführt wird. Von diesen »Kollateralen« besteht ein
erster Anteil aus Anknüpfungen an die eigentlichen Traumgedanken,
welche, schematisch genommen, Verschiebungen vom Wesentlichen aufs
Nebensächliche entsprechen. Ein zweiter Anteil umfaßt die Gedanken,
welche diese durch Verschiebung bedeutsam gewordenen, nebensächlichen
Materialien unter sich verbinden und von ihnen bis zum Trauminhalt
reichen. Ein dritter Anteil endlich enthält die Einfälle und
Gedankenverbindungen, durch die man bei der Deutungsarbeit vom
Trauminhalt zu den mittleren Kollateralen gerät, und die _nicht
notwendig sämtlich_ auch bei der Traumbildung beteiligt gewesen sein
müssen.

Uns interessieren an dieser Stelle ausschließlich die wesentlichen
Traumgedanken. Diese enthüllen sich zumeist als ein Komplex von Gedanken
und Erinnerungen vom allerverwickeltsten Aufbau mit allen Eigenschaften
der uns aus dem Wachen bekannten Gedankengänge. Nicht selten sind es
Gedankenzüge, die von mehr als einem Zentrum ausgehen, aber der
Berührungspunkte nicht entbehren; fast regelmäßig steht neben einem
Gedankengang sein kontradiktorisches Widerspiel, durch Kontrastassoziation
mit ihm verbunden.

Die einzelnen Stücke dieses komplizierten Gebildes stehen natürlich in
den mannigfaltigsten logischen Relationen zueinander. Sie bilden Vorder-
und Hintergrund, Abschweifungen und Erläuterungen, Bedingungen,
Beweisgänge und Einsprüche. Wenn dann die ganze Masse dieser
Traumgedanken der Pressung der Traumarbeit unterliegt, wobei die Stücke
gedreht, zerbröckelt und zusammengeschoben werden, etwa wie treibendes
Eis, so entsteht die Frage, was aus den logischen Banden wird, welche
bishin das Gefüge gebildet hatten. Welche Darstellung erfahren im Traume
das »Wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder -- oder« und alle anderen
Konjunktionen, ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen können?

Man muß zunächst darauf antworten, der Traum hat für diese logischen
Relationen unter den Traumgedanken keine Mittel der Darstellung zur
Verfügung. Zumeist läßt er all diese Konjunktionen unberücksichtigt und
übernimmt nur den sachlichen Inhalt der Traumgedanken zur Bearbeitung.
Der Traumdeutung bleibt es überlassen, den Zusammenhang wieder
herzustellen, den die Traumarbeit vernichtet hat.

Es muß am psychischen Material liegen, in dem der Traum gearbeitet ist,
wenn ihm diese Ausdrucksfähigkeit abgeht. In einer ähnlichen
Beschränkung befinden sich ja die darstellenden Künste, Malerei und
Plastik, im Vergleich zur Poesie, die sich der Rede bedienen kann, und
auch hier liegt der Grund des Unvermögens in dem Material, durch dessen
Bearbeitung die beiden Künste etwas zum Ausdruck zu bringen streben. Ehe
die Malerei zur Kenntnis der für sie gültigen Gesetze des Ausdruckes
gekommen war, bemühte sie sich noch, diesen Nachteil auszugleichen. Aus
dem Munde der gemalten Personen ließ man auf alten Bildern Zettelchen
heraushängen, welche als Schrift die Rede brachten, die im Bilde
darzustellen der Maler verzweifelte.

 Die Darstellung der logischen Relationen.

Vielleicht wird sich hier ein Einwand erheben, der für den Traum den
Verzicht auf die Darstellung logischer Relationen bestreitet. Es gibt ja
Träume, in welchen die kompliziertesten Geistesoperationen vor sich
gehen, begründet und widersprochen, gewitzelt und verglichen wird wie im
wachen Denken. Allein auch hier trügt der Schein; wenn man auf die
Deutung solcher Träume eingeht, erfährt man, daß dies alles
_Traummaterial ist, nicht Darstellung intellektueller Arbeit im Traume_.
Der _Inhalt_ der Traumgedanken ist durch das scheinbare Denken des
Traumes wiedergegeben, nicht die _Beziehungen der Traumgedanken
zueinander_, in deren Feststellung das Denken besteht. Ich werde hiefür
Beispiele erbringen. Am leichtesten ist es aber zu konstatieren, daß
alle Reden, die in Träumen vorkommen und die ausdrücklich als solche
bezeichnet werden, unveränderte oder nur wenig modifizierte
Nachbildungen von Reden sind, die sich ebenso in den Erinnerungen des
Traummaterials vorfinden. Die Rede ist oft nur eine Anspielung auf ein
in den Traumgedanken enthaltenes Ereignis; der Sinn des Traumes ein ganz
anderer.

Allerdings werde ich nicht bestreiten, daß auch kritische Denkarbeit,
die nicht einfach Material aus den Traumgedanken wiederholt, ihren
Anteil an der Traumbildung nimmt. Den Einfluß dieses Faktors werde ich
zu Ende dieser Erörterung beleuchten müssen. Es wird sich dann ergeben,
daß diese Denkarbeit nicht durch die Traumgedanken, sondern durch den in
gewissem Sinne bereits fertigen Traum hervorgerufen wird.

Es bleibt also vorläufig dabei, daß die logischen Relationen zwischen
den Traumgedanken im Traume eine besondere Darstellung nicht finden. Wo
sich z. B. Widerspruch im Traume findet, da ist es entweder Widerspruch
gegen den Traum oder Widerspruch aus dem Inhalt eines der Traumgedanken;
einem Widerspruch _zwischen_ den Traumgedanken entspricht der
Widerspruch im Traume nur in höchst indirekt vermittelter Weise.

Wie es aber endlich der Malerei gelungen ist, wenigstens die Redeabsicht
der dargestellten Personen, Zärtlichkeit, Drohung, Verwarnung u. dgl.
anders zum Ausdruck zu bringen als durch den flatternden Zettel, so hat
sich auch für den Traum die Möglichkeit ergeben, einzelnen der logischen
Relationen zwischen seinen Traumgedanken durch eine zugehörige
Modifikation der eigentümlichen Traumdarstellung Rücksicht zuzuwenden.
Man kann die Erfahrung machen, daß die verschiedenen Träume in dieser
Berücksichtigung verschieden weit gehen; während sich der eine Traum
über das logische Gefüge seines Materials völlig hinaussetzt, sucht ein
anderer dasselbe möglichst vollständig anzudeuten. Der Traum entfernt
sich hierin mehr oder weniger weit von dem ihm zur Bearbeitung
vorliegenden Text. Ähnlich wechselnd benimmt sich der Traum übrigens
auch gegen das zeitliche Gefüge der Traumgedanken, wenn ein solches im
Unbewußten hergestellt ist (wie z. B. im Traume von Irmas Injektion).

Durch welche Mittel vermag aber die Traumarbeit die schwer darstellbaren
Relationen im Traummaterial anzudeuten? Ich werde versuchen, sie einzeln
aufzuzählen.

Zunächst wird der Traum dem unleugbar vorhandenen Zusammenhang zwischen
allen Stücken der Traumgedanken dadurch im ganzen gerecht, daß er dieses
Material in einer Zusammenfassung als Situation oder Vorgang vereinigt.
Er gibt _logischen Zusammenhang_ wieder als _Gleichzeitigkeit_; er
verfährt darin ähnlich wie der Maler, der alle Philosophen oder Dichter
zum Bilde einer Schule von _Athen_ oder des _Parnaß_ zusammenstellt, die
niemals in einer Halle oder auf einem Berggipfel beisammen gewesen sind,
wohl aber für die denkende Betrachtung eine Gemeinschaft bilden.

Diese Darstellungsweise setzt der Traum ins einzelne fort. So oft er
zwei Elemente nahe beieinander zeigt, bürgt er für einen besonders
innigen Zusammenhang zwischen ihren Entsprechenden in den Traumgedanken.
Es ist wie in unserem Schriftsystem: ab bedeutet, daß die beiden
Buchstaben in einer Silbe ausgesprochen werden sollen, a und b nach
einer freien Lücke läßt a als den letzten Buchstaben des einen Wortes
und b als den ersten eines anderen Wortes erkennen. Demzufolge bilden
sich die Traumkombinationen nicht aus beliebigen, völlig disparaten
Bestandteilen des Traummaterials, sondern aus solchen, die auch in den
Traumgedanken in innigerem Zusammenhang stehen.

 Darstellung der Kausalbeziehung und der Alternative.

Die _Kausalbeziehungen_ darzustellen, hat der Traum zwei Verfahren, die
im Wesen auf dasselbe hinauslaufen. Die häufigere Darstellungsweise,
wenn die Traumgedanken etwa lauten: Weil dies so und so war, mußte dies
und jenes geschehen, besteht darin, den Nebensatz als Vortraum zu
bringen und dann den Hauptsatz als Haupttraum anzufügen. Wenn ich recht
gedeutet habe, kann die Zeitfolge auch die umgekehrte sein. Stets
entspricht dem Hauptsatz der breiter ausgeführte Teil des Traumes.

Ein schönes Beispiel von solcher Darstellung der Kausalität hat mir
einmal eine Patientin geliefert, deren Traum ich späterhin vollständig
mitteilen werde (p. 258 f.). Er bestand aus einem kurzen Vorspiel und
einem sehr weitläufigen Traumstück, das in hohem Grade zentriert war und
etwa überschrieben werden konnte: Durch die Blume. Der Vortraum lautete
so: _Sie geht in die Küche zu den beiden Mägden und tadelt sie, daß sie
nicht fertig werden »mit dem Bissel Essen«. Dabei sieht sie sehr viel
grobes Küchengeschirr zum Abtropfen umgestürzt in der Küche stehen, und
zwar in Haufen aufeinander gestellt. Die beiden Mägde gehen Wasser holen
und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ans Haus oder in den
Hof reicht._

Dann folgt der Haupttraum, der sich so einleitet: _Sie steigt von hoch
herab, über eigentümlich gebildete Geländer, und freut sich, daß ihr
Kleid dabei nirgends hängen bleibt_ usw. Der Vortraum bezieht sich nun
auf das elterliche Haus der Dame. Die Worte in der Küche hat sie wohl
oft so von ihrer Mutter gehört. Die Haufen von rohem Geschirr stammen
aus der einfachen Geschirrhandlung, die sich in demselben Hause befand.
Der zweite Teil des Traumes enthält eine Anspielung auf den Vater, der
sich viel mit Dienstmädchen zu schaffen machte und dann bei einer
Überschwemmung -- das Haus stand nahe am Ufer des Flusses -- sich eine
tödliche Erkrankung holte. Der Gedanke, der sich hinter diesem Vortraume
verbirgt, heißt also: Weil ich aus diesem Hause, aus so kleinlichen und
unerquicklichen Verhältnissen stamme. Der Haupttraum nimmt denselben
Gedanken wieder auf und bringt ihn in durch Wunscherfüllung verwandelter
Form: Ich bin von hoher Abkunft. Eigentlich also: Weil ich von so
niedriger Abkunft bin, war mein Lebenslauf so und so.

Soviel ich sehe, bedeutet eine Teilung des Traumes in zwei ungleiche
Stücke nicht jedesmal eine kausale Beziehung zwischen den Gedanken der
beiden Stücke. Oft scheint es, als ob in den beiden Träumen dasselbe
Material von verschiedenen Gesichtspunkten aus dargestellt würde;
sicherlich gilt dies für die in eine Pollution auslaufende Traumreihe
einer Nacht, in welcher das somatische Bedürfnis sich einen
fortschreitend deutlicheren Ausdruck erzwingt. Oder die beiden Träume
sind aus gesonderten Zentren im Traummaterial hervorgegangen und
überschneiden einander im Inhalt, so daß in dem einen Traum Zentrum ist,
was im anderen als Andeutung mitwirkt und umgekehrt. In einer gewissen
Anzahl von Träumen bedeutet aber die Spaltung in kürzeren Vor- und
längeren Nachtraum tatsächlich kausale Beziehung zwischen beiden
Stücken. Die andere Darstellungsweise des Kausalverhältnisses findet
Anwendung bei minder umfangreichem Material und besteht darin, daß ein
Bild im Traume, sei es einer Person oder einer Sache, sich in ein
anderes verwandelt. Nur wo wir diese Verwandlung im Traume vor sich
gehen sehen, wird der kausale Zusammenhang ernstlich behauptet; nicht wo
wir bloß merken, es sei an Stelle des einen jetzt das andere gekommen.
Ich sagte, die beiden Verfahren, Kausalbeziehung darzustellen, liefen
auf dasselbe hinaus; in beiden Fällen wird die _Verursachung_
dargestellt durch ein _Nacheinander_, einmal durch das Aufeinanderfolgen
der Träume, das andere Mal durch die unmittelbare Verwandlung eines
Bildes in ein anderes. In den allermeisten Fällen freilich wird die
Kausalrelation überhaupt nicht dargestellt, sondern fällt unter das auch
im Traumvorgang unvermeidliche Nacheinander der Elemente.

Die Alternative »Entweder -- Oder« kann der Traum überhaupt nicht
ausdrücken; er pflegt die Glieder derselben wie gleichberechtigt in
einen Zusammenhang aufzunehmen. Ein klassisches Beispiel hiefür enthält
der Traum von Irmas Injektion. In dessen latenten Gedanken heißt es
offenbar: Ich bin unschuldig an dem Fortbestand von Irmas Schmerzen; die
Schuld liegt _entweder_ an ihrem Sträuben gegen die Annahme der Lösung
_oder_ daran, daß sie unter ungünstigen sexuellen Bedingungen lebt, die
ich nicht ändern kann, _oder_ ihre Schmerzen sind überhaupt nicht
hysterischer, sondern organischer Natur. Der Traum vollzieht aber alle
diese einander fast ausschließenden Möglichkeiten und nimmt keinen
Anstoß, aus dem Traumwunsch eine vierte solche Lösung hinzuzufügen. Das
Entweder -- Oder habe ich dann nach der Traumdeutung in den Zusammenhang
der Traumgedanken eingesetzt.

Wo aber der Erzähler bei der Reproduktion des Traumes ein Entweder --
Oder gebrauchen möchte: Es war entweder ein Garten oder ein Wohnzimmer
usw., da kommt in den Traumgedanken nicht etwa eine Alternative, sondern
ein »und«, eine einfache Anreihung, vor. Mit Entweder -- Oder
beschreiben wir zumeist einen noch auflösbaren Charakter von
Verschwommenheit an einem Traumelement. Die Deutungsregel für diesen
Fall lautet: Die einzelnen Glieder der scheinbaren Alternative sind
einander gleich zu setzen und durch »und« zu verbinden. Ich träume
z. B., nachdem ich längere Zeit vergeblich auf die Adresse meines in
Italien weilenden Freundes gewartet habe, daß ich ein Telegramm erhalte,
welches mir diese Adresse mitteilt. Ich sehe sie in blauem Druck auf den
Papierstreifen des Telegrammes; das erste Wort ist verschwommen,

        etwa _via_,
        oder _Villa_, das zweite deutlich: _Sezerno_.
    oder sogar (_Casa_).

Das zweite Wort, das an italienische Namen anklingt, und mich an unsere
etymologischen Besprechungen erinnert, drückt auch meinen Ärger aus, daß
er seinen Aufenthalt solange vor mir _geheim_ gehalten; jedes der
Glieder aber des Ternavorschlages zum ersten Worte läßt sich bei der
Analyse als selbständiger und gleichberechtigter Ausgangspunkt der
Gedankenverkettung erkennen.

In der Nacht vor dem Begräbnis meines Vaters träume ich von einer
bedruckten Tafel, einem Plakat oder Anschlagezettel -- etwa wie die das
Rauchverbot verkündenden Zetteln in den Wartesälen der Eisenbahnen, --
auf dem zu lesen ist, entweder:

    _Man bittet, die Augen zuzudrücken_.

    oder

    _Man bittet, ein Auge zuzudrücken_,

was ich in folgender Form darzustellen gewohnt bin:

    _Man bittet, die/ein Auge(n) zuzudrücken_.

Jede der beiden Fassungen hat ihren besonderen Sinn und führt in der
Traumdeutung auf besondere Wege. Ich hatte das Zeremoniell möglichst
einfach gewählt, weil ich wußte, wie der Verstorbene über solche
Veranstaltungen gedacht hatte. Andere Familienmitglieder waren aber mit
solch puritanischer Einfachheit nicht einverstanden; sie meinten, man
werde sich vor den Trauergästen schämen müssen. Daher bittet der eine
Wortlaut des Traumes, »ein Auge zuzudrücken«, d. h. Nachsicht zu üben.
Die Bedeutung der Verschwommenheit, die wir mit einem Entweder -- Oder
beschrieben, ist hier besonders leicht zu erfassen. Es ist der
Traumarbeit nicht gelungen, einen einheitlichen, aber dann zweideutigen
Wortlaut für die Traumgedanken herzustellen. So sondern sich die beiden
Hauptgedankenzüge schon im Trauminhalt voneinander.

In einigen Fällen drückt die Zweiteilung des Traumes in zwei gleich
große Stücke die schwer darstellbare Alternative aus.

 Gegensatz und Widerspruch.

Höchst auffällig ist das Verhalten des Traumes gegen die Kategorie von
_Gegensatz_ und _Widerspruch_. Dieser wird schlechtweg vernachlässigt,
das »Nein« scheint für den Traum nicht zu existieren. Gegensätze werden
mit besonderer Vorliebe zu einer Einheit zusammengezogen oder in einem
dargestellt. Der Traum nimmt sich ja auch die Freiheit, ein beliebiges
Element durch seinen Wunschgegensatz darzustellen, so daß man zunächst
von keinem eines Gegenteils fähigen Elemente weiß, ob es in den
Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist(111). In dem einen der
letzterwähnten Träume, dessen Vordersatz wir bereits gedeutet haben
(»weil ich von solcher Abkunft bin«), steigt die Träumerin über ein
Geländer herab und hält dabei einen blühenden Zweig in den Händen. Da
ihr zu diesem Bilde einfällt, wie der Engel einen Lilienstengel auf den
Bildern von Mariä Verkündigung (sie heißt selbst Maria) in der Hand
trägt, und wie die weißgekleideten Mädchen bei der Fronleichnamsprozession
gehen, während die Straßen mit grünen Zweigen geschmückt sind, so ist
der blühende Zweig im Traume ganz gewiß eine Anspielung auf sexuelle
Unschuld. Der Zweig ist aber dicht mit roten Blüten besetzt, von denen
jede einzelne einer Kamelie gleicht. Am Ende ihres Weges, heißt es im
Traume weiter, sind die Blüten schon ziemlich abgefallen; dann folgen
unverkennbare Anspielungen auf die Periode. Somit ist der nämliche
Zweig, der getragen wird wie eine Lilie und wie von einem unschuldigen
Mädchen, gleichzeitig eine Anspielung auf die Kameliendame, die, wie
bekannt, stets eine weiße Kamelie trug, zur Zeit der Periode aber eine
rote. Der nämliche Blütenzweig (»des Mädchens Blüten« in den Liedern von
der Müllerin bei _Goethe_) stellt die sexuelle Unschuld dar und auch ihr
Gegenteil. Der nämliche Traum auch, welcher die Freude ausdrückt, daß es
ihr gelungen, unbefleckt durchs Leben zu gehen, läßt an einigen Stellen
(wie an der vom Abfallen der Blüten) den gegensätzlichen Gedankengang
durchschimmern, daß sie sich verschiedene Sünden gegen die sexuelle
Reinheit habe zu Schulden kommen lassen (in der Kindheit nämlich). Wir
könnten bei der Analyse des Traumes deutlich die beiden Gedankengänge
unterscheiden, von denen der tröstliche oberflächlich, der vorwurfsvolle
tiefer gelagert scheint, die einander schnurstracks zuwiderlaufen, und
deren gleiche aber gegenteilige Elemente durch die nämlichen
Traumelemente Darstellung gefunden haben.

  (111) Aus einer Arbeit von K. _Abel_, Der Gegensinn der Urworte, 1884
  (siehe mein Referat im Jahrbuch f. Ps.-A. II, 1910) erfuhr ich die
  überraschende, auch von anderen Sprachforschern bestätigte Tatsache,
  daß die ältesten Sprachen sich in diesem Punkte ganz ähnlich benehmen
  wie der Traum. Sie haben anfänglich nur ein Wort für die beiden
  Gegensätze an den Enden einer Qualitäten- oder Tätigkeitsreihe
  (starkschwach, altjung, fernnah, binden-trennen) und bilden gesonderte
  Bezeichnungen für die beiden Gegensätze erst sekundär durch leichte
  Modifikationen des gemeinsamen Urwortes. _Abel_ weist diese
  Verhältnisse im großen Ausmaße im Altägyptischen nach, zeigt aber
  deutliche Reste derselben Entwicklung auch in den semitischen und
  indogermanischen Sprachen auf.

Einer einzigen unter den logischen Relationen kommt der Mechanismus der
Traumbildung im höchsten Ausmaße zu gute. Es ist dies die Relation der
Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Berührung, das »_Gleichwie_«, die im
Traume wie keine andere mit mannigfachen Mitteln dargestellt werden
kann(112). Die im Traummaterial vorhandenen Deckungen oder Fälle von
»Gleichwie« sind ja die ersten Stützpunkte der Traumbildung, und ein
nicht unbeträchtliches Stück der Traumarbeit besteht darin, neue solche
Deckungen zu schaffen, wenn die vorhandenen der Widerstandszensur wegen
nicht in den Traum gelangen können. Das Verdichtungsbestreben der
Traumarbeit kommt der Darstellung der Ähnlichkeitsrelation zu Hilfe.

  (112) Vgl. die Bemerkung des _Aristoteles_ über die Eignung zum
  Traumdeuter (p. 74, Anmkg. 28).

_Ähnlichkeit_, _Übereinstimmung_, _Gemeinsamkeit_ wird vom Traume ganz
allgemein dargestellt durch Zusammenziehung zu einer _Einheit_, welche
entweder im Traummaterial bereits vorgefunden oder neu gebildet wird.
Den ersten Fall kann man als _Identifizierung_, den zweiten als
_Mischbildung_ benennen. Die Identifizierung kommt zur Anwendung, wo es
sich um Personen handelt; die Mischbildung, wo Dinge das Material der
Vereinigung sind, doch werden Mischbildungen auch von Personen
hergestellt. Örtlichkeiten werden oft wie Personen behandelt.

Die Identifizierung besteht darin, daß nur eine der durch ein
Gemeinsames verknüpften Personen im Trauminhalt zur Darstellung gelangt,
während die zweite oder die anderen Personen für den Traum unterdrückt
scheinen. Diese eine deckende Person geht aber im Traume in alle die
Beziehungen und Situationen ein, welche sich von ihr oder von den
gedeckten Personen ableiten. Bei der Mischbildung, die sich auf Personen
erstreckt, sind bereits im Traumbild Züge, die den Personen
eigentümlich, aber nicht gemeinsam sind, vorhanden, so daß durch die
Vereinigung dieser Züge eine neue Einheit, eine Mischperson, bestimmt
erscheint. Die Mischung selbst kann auf verschiedenen Wegen zu stande
gebracht werden. Entweder die Traumperson hat von der einen ihrer
Beziehungspersonen den Namen -- wir wissen dann in einer Art, die dem
Wissen im Wachen ganz analog ist, daß diese oder jene Person gemeint
ist --, während die visuellen Züge der anderen Person angehören; oder
das Traumbild selbst ist aus visuellen Zügen, die sich in Wirklichkeit
auf beide verteilen, zusammengesetzt. Anstatt durch visuelle Züge kann
der Anteil der zweiten Person auch vertreten werden durch die Gebärden,
die man ihr zuschreibt, die Worte, die man sie sprechen läßt, oder die
Situation, in welche man sie versetzt. Bei der letzteren Art der
Kennzeichnung beginnt der scharfe Unterschied zwischen Identifizierung
und Mischpersonbildung sich zu verflüchtigen. Es kann aber auch
vorkommen, daß die Bildung einer solchen Mischperson mißlingt. Dann wird
die Szene des Traumes der einen Person zugeschrieben und die andere --
in der Regel wichtigere -- tritt als sonst unbeteiligte Anwesende
daneben hin. Der Träumer erzählt etwa: Meine Mutter war auch dabei
(_Stekel_). Ein solches Element des Trauminhaltes ist dann einem
Determinativum in der Hieroglyphenschrift zu vergleichen, welches nicht
zur Aussprache, sondern zur Erläuterung eines anderen Zeichens bestimmt
ist.

 Ähnlichkeit, Übereinstimmung.

Das Gemeinsame, welches die Vereinigung der beiden Personen
rechtfertigt, d. h. veranlaßt, kann im Traume dargestellt sein oder
fehlen. In der Regel dient die Identifizierung oder Mischpersonbildung
eben dazu, die Darstellung dieses Gemeinsamen zu ersparen. Anstatt zu
wiederholen: A ist mir feindlich gesinnt, B aber auch, bilde ich im
Traume eine Mischperson aus A und B, oder stelle mir A vor in einer
andersartigen Aktion, welche sonst B charakterisiert. Die so gewonnene
Traumperson tritt mir im Traume in irgend welcher neuen Verknüpfung
entgegen, und aus dem Umstand, daß sie sowohl A als auch B bedeutet,
schöpfe ich dann die Berechtigung, in die betreffende Stelle der
Traumdeutung einzusetzen, was den beiden gemeinsam ist, nämlich das
feindselige Verhältnis zu mir. Auf solche Weise erziele ich oft eine
ganz außerordentliche Verdichtung für den Trauminhalt; ich kann mir die
direkte Darstellung sehr komplizierter Verhältnisse, die mit einer
Person zusammenhängen, ersparen, wenn ich zu dieser Person eine andere
gefunden habe, die auf einen Teil dieser Beziehungen den gleichen
Anspruch hat. Es ist leicht zu verstehen, inwiefern diese Darstellung
durch Identifizierung auch dazu dienen kann, die Widerstandszensur zu
umgehen, welche die Traumarbeit unter so harte Bedingungen setzt. Der
Anstoß für die Zensur mag gerade in jenen Vorstellungen liegen, welche
im Material mit der einen Person verknüpft sind; ich finde nun eine
zweite Person, welche gleichfalls Beziehungen zu dem beanstandeten
Material hat, aber nur zu einem Teile desselben. Die Berührung in jenem
nicht zensurfreien Punkte gibt mir jetzt das Recht, eine Mischperson zu
bilden, die nach beiden Seiten hin durch indifferente Züge
charakterisiert ist. Diese Misch- und Identifizierungsperson ist nun als
zensurfrei zur Aufnahme in den Trauminhalt geeignet, und ich habe durch
Anwendung der Traumverdichtung den Anforderungen der Traumzensur genügt.

Wo im Traume auch ein Gemeinsames der beiden Personen dargestellt ist,
da ist dies gewöhnlich ein Wink, nach einem anderen verhüllten
Gemeinsamen zu suchen, dessen Darstellung durch die Zensur unmöglich
gemacht wird. Es hat hier gewissermaßen zu gunsten der Darstellbarkeit
eine Verschiebung in betreff des Gemeinsamen stattgefunden. Daraus, daß
mir die Mischperson mit einem indifferenten Gemeinsamen im Traume
gezeigt wird, soll ich ein anderes keineswegs indifferentes Gemeinsame
in den Traumgedanken erschließen.

Die Identifizierung oder Mischpersonbildung dient demnach im Traume
verschiedenen Zwecken, erstens der Darstellung eines beiden Personen
Gemeinsamen, zweitens der Darstellung einer _verschobenen_
Gemeinsamkeit, drittens aber noch, um eine bloß _gewünschte_
Gemeinsamkeit zum Ausdrucke zu bringen. Da das Herbeiwünschen einer
Gemeinsamkeit zwischen zwei Personen häufig mit einem _Vertauschen_
derselben zusammenfällt, so ist auch diese Relation im Traume durch
Identifizierung ausgedrückt. Ich wünsche im Traume von Irmas Injektion
diese Patientin mit einer anderen zu vertauschen, wünsche also, daß die
andere meine Patientin sein möge, wie es die eine ist; der Traum trägt
diesem Wunsche Rechnung, indem er mir eine Person zeigt, die Irma heißt,
die aber in einer Position untersucht wird, wie ich sie nur bei der
anderen zu sehen Gelegenheit hatte. Im Onkeltraume ist diese
Vertauschung zum Mittelpunkte des Traumes gemacht; ich identifiziere
mich mit dem Minister, indem ich meine Kollegen nicht besser als er
behandle und beurteile.

Es ist eine Erfahrung, von der ich keine Ausnahme gefunden habe, daß
jeder Traum die eigene Person behandelt. Träume sind absolut egoistisch.
Wo im Trauminhalt nicht mein Ich, sondern nur eine fremde Person
vorkommt, da darf ich ruhig annehmen, daß mein Ich durch Identifizierung
hinter jener Person versteckt ist. Ich darf mein Ich ergänzen. Andere
Male, wo mein Ich im Traume erscheint, lehrt mich die Situation, in der
es sich befindet, daß hinter dem Ich eine andere Person durch
Identifizierung sich verbirgt. Der Traum soll mich dann mahnen, in der
Traumdeutung etwas, was dieser Person anhängt, das verhüllte Gemeinsame,
auf mich zu übertragen. Es gibt auch Träume, in denen mein Ich nebst
anderen Personen vorkommt, die sich durch Lösung der Identifizierung
wiederum als mein Ich enthüllen. Ich soll dann mit meinem Ich vermittels
dieser Identifizierungen gewisse Vorstellungen vereinigen, gegen deren
Aufnahme sich die Zensur erhoben hat. Ich kann also mein Ich in einem
Traume mehrfach darstellen, das einemal direkt, das anderemal vermittels
der Identifizierung mit fremden Personen. Mit mehreren solchen
Identifizierungen läßt sich ein ungemein reiches Gedankenmaterial
verdichten(113).

  (113) Wenn ich im Zweifel bin, hinter welcher der im Traume
  auftretenden Personen ich mein Ich zu suchen habe, so halte ich mich
  an folgende Regel: Die Person, die im Traume einem Affekt unterliegt,
  den ich als Schlafender verspüre, die verbirgt mein Ich.

Durchsichtiger noch als bei Personen gestaltet sich die Auflösung der
Identifizierungen bei mit Eigennamen bezeichneten Örtlichkeiten, da hier
die Störung durch das im Traume übermächtige Ich entfällt. In einem
meiner Romträume (p. 147) heißt der Ort, an dem ich mich befinde, _Rom_;
ich erstaune aber über die Menge von deutschen Plakaten an einer
Straßenecke. Letzteres ist eine Wunscherfüllung, zu der mir sofort
_Prag_ einfällt; der Wunsch selbst mag aus einer heute überwundenen
deutschnationalen Periode der Jugendzeit stammen. Um die Zeit, da ich
träumte, war in _Prag_ ein Zusammentreffen mit einem Freunde in Aussicht
genommen; die Identifizierung von Rom und Prag erklärt sich also durch
eine gewünschte Gemeinsamkeit; ich möchte meinen Freund lieber in _Rom_
treffen als in _Prag_, für diese Zusammenkunft _Prag_ und _Rom_
vertauschen.

 Mannigfache Verwertung der Mischbildungen.

Die Möglichkeit, Mischbildungen zu schaffen, steht obenan unter den
Zügen, welche den Träumen so oft ein phantastisches Gepräge verleihen,
indem durch sie Elemente in den Trauminhalt eingeführt werden, welche
niemals Gegenstand der Wahrnehmung sein konnten. Der psychische Vorgang
bei der Mischbildung im Traume ist offenbar der nämliche, wie wenn wir
im Wachen einen Zentauren oder Drachen uns vorstellen oder nachbilden.
Der Unterschied liegt nur darin, daß bei der phantastischen Schöpfung im
Wachen der beabsichtigte Eindruck des Neugebildes selbst das Maßgebende
ist, während die Mischbildung des Traumes durch ein Moment, welches
außerhalb ihrer Gestaltung liegt, das Gemeinsame in den Traumgedanken,
determiniert wird. Die Mischbildung des Traumes kann in sehr
mannigfaltiger Weise ausgeführt werden. In der kunstlosesten Ausführung
werden nur die Eigenschaften des einen Dinges dargestellt, und diese
Darstellung ist von einem Wissen begleitet, daß sie auch für ein anderes
Objekt gelte. Eine sorgfältigere Technik vereinigt Züge des einen wie
des anderen Objektes zu einem neuen Bilde und bedient sich dabei
geschickt der etwa in der Realität gegebenen Ähnlichkeiten zwischen
beiden Objekten. Das Neugebildete kann gänzlich absurd ausfallen oder
selbst als phantastisch gelungen erscheinen, je nachdem Material und
Witz bei der Zusammensetzung es ermöglichen. Sind die Objekte, welche zu
einer Einheit verdichtet werden sollen, gar zu disparat, so begnügt sich
die Traumarbeit oft damit, ein Mischgebilde mit einem deutlicheren Kerne
zu schaffen, an den sich undeutlichere Bestimmungen anfügen. Die
Vereinigung zu einem Bilde ist hier gleichsam nicht gelungen; die beiden
Darstellungen überdecken einander und erzeugen etwas wie einen
Wettstreit der visuellen Bilder. Wenn man sich die Bildung eines
Begriffes aus individuellen Wahrnehmungsbildern vorführen wollte, könnte
man zu ähnlichen Darstellungen in einer Zeichnung gelangen.

Es wimmelt natürlich in den Träumen von solchen Mischgebilden; einige
Beispiele habe ich in den bisher analysierten Träumen bereits
mitgeteilt; ich werde nun weitere hinzufügen. In dem Traume auf
Seite 237, welcher den Lebenslauf der Patientin »durch die Blume« oder
»verblümt« beschreibt, trägt das Traum-Ich einen blühenden Zweig in der
Hand, der, wie wir erfahren haben, gleichzeitig Unschuld und sexuelle
Sündigkeit bedeutet. Der Zweig erinnert durch die Art, wie die Blüten
stehen, außerdem an _Kirsch_blüten; die Blüten selbst, einzeln genommen,
sind _Kamelien_, wobei dazu das Ganze noch den Eindruck eines
_exotischen_ Gewächses macht. Das Gemeinsame an den Elementen dieses
Mischgebildes ergibt sich aus den Traumgedanken. Der blühende Zweig ist
aus Anspielungen an Geschenke zusammengesetzt, durch welche sie bewogen
wurde oder werden sollte, sich gefällig zu erweisen. So in der Kindheit
die Kirschen, in späteren Jahren ein Kamelienstock; das Exotische ist
eine Anspielung auf einen vielgereisten Naturforscher, welcher mit einer
Blumenzeichnung um ihre Gunst werben wollte. Eine andere Patientin
schafft sich im Traume ein Mittelding aus _Badekabinen_ im Seebade,
ländlichen _Abort_häuschen und den _Bodenkammern_ unserer städtischen
Wohnhäuser. Den beiden ersten Elementen ist die Beziehung auf
menschliche Nacktheit und Entblößung gemeinsam; es läßt sich aus der
Zusammensetzung mit dem dritten Element schließen, daß (in ihrer
Kindheit) auch die Bodenkammer der Schauplatz von Entblößung war. Ein
Träumer schafft sich eine Mischlokalität aus zwei Örtlichkeiten, in
denen »Kur« gemacht wird, aus meinem Ordinationszimmer und dem
öffentlichen Lokal, in dem er zuerst seine Frau kennen gelernt hat. Ein
Mädchen träumt, nachdem der ältere Bruder versprochen hat, sie mit
Kaviar zu regalieren, von diesem Bruder, daß dessen Beine von den
_schwarzen Kaviarperlen übersät_ sind. Die Elemente »_Ansteckung_« im
moralischen Sinne und die Erinnerung an einen _Ausschlag_ der Kindheit,
der die Beine mit roten anstatt mit _schwarzen_ Pünktchen übersät
erscheinen ließ, haben sich hier mit den _Kaviarperlen_ zu einem neuen
Begriff vereinigt, dessen, »_was sie von ihrem Bruder bekommen hat_«.
Teile des menschlichen Körpers werden in diesem Traume behandelt wie
Objekte, wie auch in sonstigen Träumen. In einem von _Ferenczi_
mitgeteilten Traume kam ein Mischgebilde vor, das aus der Person eines
_Arztes_ und aus einem _Pferde_ zusammengesetzt war und überdies ein
_Nachthemd_ anhatte. Das Gemeinsame dieser drei Bestandteile ergab sich
aus der Analyse, nachdem das Nachthemd als Anspielung auf den Vater der
Träumerin in einer Kindheitsszene erkannt war. Es handelte sich in allen
drei Fällen um Objekte ihrer geschlechtlichen Neugierde. Sie war als
Kind von ihrer Kindsfrau öfters in das militärische Gestüt mitgenommen
worden, wo sie Gelegenheit hatte, ihre -- damals noch ungehemmte --
Neugierde ausgiebig zu befriedigen.

 Umgekehrt, im Gegenteil.

Ich habe vorhin behauptet, daß der Traum kein Mittel hat, die Relation
des Widerspruches, Gegensatzes, das »Nein« auszudrücken. Ich gehe daran,
dieser Behauptung zum erstenmal zu widersprechen. Ein Teil der Fälle,
die sich als »Gegensatz« zusammenfassen lassen, findet seine Darstellung
einfach durch Identifizierung, wie wir gesehen haben, wenn nämlich mit
der Gegenüberstellung ein Vertauschen, an die Stelle setzen, verbunden
werden kann. Davon haben wir wiederholt Beispiele erwähnt. Ein anderer
Teil der Gegensätze in den Traumgedanken, der etwa unter die Kategorie
»_Umgekehrt, im Gegenteil_« fällt, gelangt zu seiner Darstellung im
Traume auf folgende merkwürdige, beinahe witzig zu nennende Weise. Das
»Umgekehrt« gelangt nicht für sich in den Trauminhalt, sondern äußert
seine Anwesenheit im Material dadurch, daß ein aus sonstigen Gründen
nahe liegendes Stück des schon gebildeten Trauminhaltes -- gleichsam
nachträglich -- _umgekehrt_ wird. Der Vorgang ist leichter zu
illustrieren als zu beschreiben. Im schönen Traume von »_Auf und
Nieder_« (p. 213) ist die Traumdarstellung des Steigens umgekehrt wie
das Vorbild in den Traumgedanken, nämlich die Introduktionsszene der
»Sappho« _Daudets_; es geht im Traume anfangs schwer, später leicht,
während in der Szene das Steigen anfangs leicht, später immer schwerer
wird. Auch das »Oben« und »Unten« in bezug auf den Bruder ist verkehrt
im Traume dargestellt. Dies deutet auf eine Relation von Umkehrung oder
Gegensatz, die zwischen zwei Stücken des Materials in den Traumgedanken
besteht, und die wir darin gefunden haben, daß in der Kindheitsphantasie
des Träumers er von seiner Amme getragen wird, umgekehrt wie im Roman
der Held die Geliebte trägt. Auch mein Traum von _Goethes_ Angriff gegen
Herrn M. (p. 313) enthält ein solches »Umgekehrt«, das erst redressiert
werden muß, ehe man auf die Deutung des Traumes gelangen kann. Im Traume
hat _Goethe_ einen jungen Mann, Herrn M., angegriffen; in der Realität,
wie sie die Traumgedanken enthalten, ist ein bedeutender Mann, mein
Freund, von einem unbekannten jungen Autor angegriffen worden. Im Traume
rechne ich vom Sterbedatum _Goethes_ an; in der Wirklichkeit ging die
Rechnung vom Geburtsjahre des Paralytikers aus. Der Gedanke, der in dem
Traummaterial maßgebend ist, ergibt sich als der Widerspruch dagegen,
daß _Goethe_ behandelt werden soll, als sei er ein Verrückter.
Umgekehrt, sagt der Traum, wenn du das Buch nicht verstehst, bist du der
Schwachsinnige, nicht der Autor. In all diesen Träumen von Umkehrung
scheint mir überdies eine Beziehung auf die verächtliche Wendung (»einem
die _Kehrseite_ zeigen«) enthalten zu sein (die Umkehrung in bezug auf
den Bruder im »Sappho«-Traum). Es ist ferner bemerkenswert, wie häufig
die Umkehrung gerade in Träumen benötigt wird, die von verdrängten
homosexuellen Regungen eingegeben werden.

Die Umkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, ist übrigens eines der
beliebtesten, der vielseitigsten Verwendung fähigen Darstellungsmittel
der Traumarbeit. Sie dient zunächst dazu, der Wunscherfüllung gegen ein
bestimmtes Element der Traumgedanken Geltung zu verschaffen. Wäre es
doch umgekehrt gewesen! ist oftmals der beste Ausdruck für die Relation
des Ich gegen ein peinliches Stück Erinnerung. Ganz besonders wertvoll
wird die Umkehrung aber im Dienste der Zensur, indem sie ein Maß von
Entstellung des Darzustellenden zu stande bringt, welches das
Verständnis des Traumes zunächst geradezu lähmt. Man darf darum, wenn
ein Traum seinen Sinn hartnäckig verweigert, jedesmal den Versuch der
Umkehrung mit bestimmten Stücken seines manifesten Inhaltes wagen,
worauf nicht selten alles sofort klar wird.

Neben der inhaltlichen Umkehrung ist die zeitliche nicht zu übersehen.
Eine häufige Technik der Traumentstellung besteht darin, den Ausgang der
Begebenheit oder den Schluß des Gedankenganges zu Eingang des Traumes
darzustellen und am Ende desselben die Voraussetzungen des Schlusses
oder die Ursachen des Geschehens nachzutragen. Wer nicht an dieses
technische Mittel der Traumentstellung gedacht hat, steht dann der
Aufgabe der Traumdeutung ratlos gegenüber(114).

  (114) Derselben Technik der zeitlichen Umkehrung bedient sich manchmal
  der hysterische Anfall, um seinen Sinn dem Zuschauer zu verbergen. Ein
  hysterisches Mädchen hat z. B. in einem Anfalle einen kleinen Roman
  darzustellen, den sie sich im Anschluß an eine Begegnung in der
  Stadtbahn im Unbewußten phantasiert hat. Wie der Betreffende, durch
  die Schönheit ihres Fußes angezogen, sie, während sie liest,
  anspricht, wie sie dann mit ihm geht und eine stürmische Liebesszene
  erlebt. Ihr Anfall setzt mit der Darstellung dieser Liebesszene durch
  die Körperzuckungen ein (dabei Lippenbewegungen fürs Küssen,
  Verschränkung der Arme für die Umarmung), darauf eilt sie ins andere
  Zimmer, setzt sich auf einen Stuhl, hebt das Kleid, um den Fuß zu
  zeigen, tut, als ob sie in einem Buche lesen würde, und spricht mich
  an (gibt mir Antwort). Vgl. hiezu die Bemerkung des _Artemidorus_:
  »Bei der Auslegung von Traumgesichten muß man sie einmal vom Anfang
  gegen das Ende, das andere Mal vom Ende gegen den Anfang hin ins Auge
  fassen. . . .«

Ja in manchen Fällen erhält man den Sinn des Traumes erst, wenn man an
dem Trauminhalt eine mehrfache Umkehrung, nach verschiedenen Relationen,
vorgenommen hat. So z. B. verbirgt sich im Traume eines jungen
Zwangsneurotikers die Erinnerung an den infantilen Todeswunsch gegen den
gefürchteten Vater hinter folgendem Wortlaut: _Sein Vater schimpft mit
ihm, weil er so spät nach Hause kommt._ Allein der Zusammenhang der
psychoanalytischen Kur und die Einfälle des Träumers beweisen, daß es
zunächst lauten muß: _Er ist böse auf den Vater_ und sodann, daß ihm der
Vater auf alle Fälle _zu früh_ (d. h. zu bald) nach Hause kam. Er hätte
es vorgezogen, daß der Vater überhaupt nicht nach Hause gekommen wäre,
was mit dem Todeswunsch gegen den Vater identisch ist (v. S. 192). Der
Träumer hatte sich nämlich als kleiner Knabe während einer längeren
Abwesenheit des Vaters eine sexuelle Aggression gegen eine andere Person
zu Schulden kommen lassen und war mit der Drohung gestraft worden: Na
wart', bis der Vater zurückkommt!

                   *       *       *       *       *

 Die Qualitäten der Lebhaftigkeit und der Deutlichkeit.

Will man die Beziehungen zwischen Trauminhalt und Traumgedanken weiter
verfolgen, so nimmt man jetzt am besten den Traum selbst zum
Ausgangspunkte und stellt sich die Frage, was gewisse formale Charaktere
der Traumdarstellung in bezug auf die Traumgedanken bedeuten. Zu diesen
formalen Charakteren, die uns im Traume auffallen müssen, gehören vor
allem die Unterschiede in der sinnlichen Intensität der einzelnen
Traumgebilde und in der Deutlichkeit einzelner Traumpartien oder ganzer
Träume untereinander verglichen. Die Unterschiede in der Intensität der
einzelnen Traumgebilde umfassen eine ganze Skala von einer Schärfe der
Ausprägung, die man -- wiewohl ohne Gewähr -- geneigt ist, über die der
Realität zu stellen, bis zu einer ärgerlichen Verschwommenheit, die man
als charakteristisch für den Traum erklärt, weil sie eigentlich mit
keinem der Grade der Undeutlichkeit, die wir gelegentlich an den
Objekten der Realität wahrnehmen, vollkommen zu vergleichen ist.
Gewöhnlich bezeichnen wir überdies den Eindruck, den wir von einem
undeutlichen Traumobjekt empfangen, als »flüchtig«, während wir von den
deutlicheren Traumbildern meinen, daß sie auch durch längere Zeit der
Wahrnehmung standgehalten haben. Es fragt sich nun, durch welche
Bedingungen im Traummaterial diese Unterschiede in der Lebhaftigkeit der
einzelnen Stücke des Trauminhaltes hervorgerufen werden.

Man hat hier zunächst gewissen Erwartungen entgegenzutreten, die sich
wie unvermeidlich einstellen. Da zu dem Material des Traumes auch
wirkliche Sensationen während des Schlafes gehören können, wird man
wahrscheinlich voraussetzen, daß diese oder die von ihnen abgeleiteten
Traumelemente im Trauminhalt durch besondere Intensität hervorstechen,
oder umgekehrt, daß, was im Traume ganz besonders lebhaft ausfällt, auf
solche reale Schlafsensationen zurückführbar sein wird. Meine Erfahrung
hat dies aber niemals bestätigt. Es ist nicht richtig, daß die Elemente
des Traumes, welche Abkömmlinge von realen Eindrücken während des
Schlafes (Nervenreizen) sind, sich vor den anderen, die aus Erinnerungen
stammen, durch Lebhaftigkeit auszeichnen. Das Moment der Realität geht
für die Intensitätsbestimmung der Traumbilder verloren.

Ferner könnte man an der Erwartung festhalten, daß die sinnliche
Intensität (Lebhaftigkeit) der einzelnen Traumbilder eine Beziehung habe
zur psychischen Intensität der ihnen entsprechenden Elemente in den
Traumgedanken. In den letzteren fällt Intensität mit psychischer
Wertigkeit zusammen; die intensivsten Elemente sind keine anderen als
die bedeutsamsten, welche den Mittelpunkt der Traumgedanken bilden. Nun
wissen wir zwar, daß gerade diese Elemente der Zensur wegen meist keine
Aufnahme in den Trauminhalt finden. Aber es könnte doch sein, daß ihre
sie vertretenden nächsten Abkömmlinge im Traume einen höheren
Intensitätsgrad aufbringen, ohne daß sie darum das Zentrum der
Traumdarstellung bilden müßten. Auch diese Erwartung wird indes durch
die vergleichende Betrachtung von Traum und Traummaterial zerstört. Die
Intensität der Elemente hier hat mit der Intensität der Elemente dort
nichts zu schaffen; es findet zwischen Traummaterial und Traum
tatsächlich eine völlige »_Umwertung aller psychischen Werte_« statt.
Gerade in einem flüchtig hingehauchten, durch kräftigere Bilder
verdeckten Element des Traumes kann man oft einzig und allein einen
direkten Abkömmling dessen entdecken, was in den Traumgedanken übermäßig
dominierte.

Die Intensität der Elemente des Traumes zeigt sich anders determiniert
und zwar durch zwei voneinander unabhängige Momente. Zunächst ist es
leicht zu sehen, daß jene Elemente besonders intensiv dargestellt sind,
durch welche die Wunscherfüllung sich ausdrückt. Dann aber lehrt die
Analyse, daß von den lebhaftesten Elementen des Traumes auch die meisten
Gedankengänge ausgehen, daß die lebhaftesten gleichzeitig die
bestdeterminierten sind. Es ist keine Änderung des Sinnes, wenn wir den
letzten empirisch gewonnenen Satz in nachstehender Form aussprechen: Die
größte Intensität zeigen jene Elemente des Traumes, für deren Bildung
die ausgiebigste _Verdichtungsarbeit_ in Anspruch genommen wurde. Wir
dürfen dann erwarten, daß diese Bedingung und die andere der
Wunscherfüllung auch in einer einzigen Formel ausgedrückt werden können.

 Inhaltliche Darstellung durch die Form des Traumes.

Das Problem, das ich jetzt behandelt habe, die Ursachen der größeren
oder geringeren Intensität oder Deutlichkeit der einzelnen
Traumelemente, möchte ich vor Verwechslung mit einem anderen Problem
schützen, welches sich auf die verschiedene Deutlichkeit ganzer Träume
oder Traumabschnitte bezieht. Dort ist der Gegensatz von Deutlichkeit:
Verschwommenheit, hier Verworrenheit. Es ist allerdings unverkennbar,
daß in beiden Skalen die steigenden und fallenden Qualitäten einander im
Vorkommen begleiten. Eine Partie des Traumes, die uns klar erscheint,
enthält zumeist intensive Elemente; ein unklarer Traum ist im Gegenteil
aus wenig intensiven Elementen zusammengesetzt. Doch ist das Problem,
welches die Skala vom anscheinend Klaren bis zum Undeutlich-Verworrenen
bietet, weit komplizierter als das der Lebhaftigkeitsschwankungen der
Traumelemente; ja ersteres entzieht sich aus später anzuführenden
Gründen hier noch der Erörterung. In einzelnen Fällen merkt man nicht
ohne Überraschung, daß der Eindruck von Klarheit oder Undeutlichkeit,
den man von einem Traume empfängt, überhaupt nichts für das Traumgefüge
bedeutet, sondern aus dem Traummaterial als ein Bestandteil desselben
herrührt. So erinnere ich mich an einen Traum, der mir nach dem Erwachen
so besonders gut gefügt, lückenlos und klar erschien, daß ich noch in
der Schlaftrunkenheit mir vorsetzte, eine neue Kategorie von Träumen
zuzulassen, die nicht dem Mechanismus der Verdichtung und Verschiebung
unterlegen waren, sondern als »Phantasien während des Schlafens«
bezeichnet werden durften. Nähere Prüfung ergab, daß dieser rare Traum
dieselben Risse und Sprünge in seinem Gefüge zeigte wie jeder andere;
ich ließ darum die Kategorie der Traumphantasien auch wieder fallen. Der
reduzierte Inhalt des Traumes war aber, daß ich meinem Freunde eine
schwierige und lange gesuchte Theorie der Bisexualität vortrug, und die
wunscherfüllende Kraft des Traumes hatte es zu verantworten, daß uns
diese Theorie (die übrigens im Traume nicht mitgeteilt wurde) klar und
lückenlos erschien. Was ich also für ein Urteil über den fertigen Traum
gehalten hatte, war ein Stück, und zwar das wesentliche Stück des
Trauminhaltes. Die Traumarbeit griff hier gleichsam in das erste wache
Denken über und übermittelte mir als _Urteil_ über den Traum jenes Stück
des Traummaterials, dessen genaue Darstellung im Traume ihr nicht
gelungen war. Ein vollkommenes Gegenstück hiezu erlebte ich einmal bei
einer Patientin, die einen in die Analyse gehörigen Traum zuerst
überhaupt nicht erzählen wollte, »weil er so undeutlich und verworren
sei«, und endlich unter wiederholten Protesten gegen die Sicherheit
ihrer Darstellung angab, es seien im Traume mehrere Personen
vorgekommen, sie, ihr Mann und ihr Vater, und als ob sie nicht gewußt
hätte, ob ihr Mann ihr Vater sei oder wer eigentlich ihr Vater sei, oder
so ähnlich. Die Zusammenstellung dieses Traumes mit ihren Einfällen in
der Sitzung ergab als unzweifelhaft, daß es sich um die ziemlich
alltägliche Geschichte eines Dienstmädchens handle, welches bekennen
mußte, daß sie ein Kind erwarte, und nun Zweifel zu hören bekomme, »wer
eigentlich der Vater (des Kindes) sei«(115). Die Unklarheit, die der
Traum zeigte, war also auch hier ein Stück aus dem traumerregenden
Material. Ein Stück dieses Inhaltes war in der _Form_ des Traumes
dargestellt worden. _Die Form des Traumes oder des Träumens wird in ganz
überraschender Häufigkeit zur Darstellung des verdeckten Inhaltes
verwendet._

  (115) Begleitende hysterische Symptome: Ausbleiben der Periode und
  große Verstimmung, das Hauptleiden dieser Kranken.

Glossen über den Traum, anscheinend harmlose Bemerkungen zu demselben
dienen oft dazu, ein Stück des Geträumten in der raffiniertesten Weise
zu verhüllen, während sie es doch eigentlich verraten. So z. B. wenn ein
Träumer äußert: Hier ist der Traum _verwischt_, und die Analyse eine
infantile Reminiszenz an das Belauschen einer Person ergibt, die sich
nach der Defäkation reinigt. Oder in einem anderen Falle, der
ausführliche Mitteilung verdient. Ein junger Mann hat einen sehr
deutlichen Traum, der ihn an bewußt gebliebene Phantasien seiner
Knabenjahre mahnt: Er befinde sich abends in einem Sommerhotel, irrt
sich in der Zimmernummer und kommt in einen Raum, in dem sich eine
ältere Dame und ihre zwei Töchter entkleiden, um zu Bette zu gehen. Er
setzt fort: _Dann sind einige Lücken im Traum, da fehlt etwas_, und am
Ende war ein Mann im Zimmer, der mich hinauswerfen wollte, mit dem ich
ringen mußte. Er bemüht sich vergebens, den Inhalt und die Absicht jener
knabenhaften Phantasie zu erinnern, auf die der Traum offenbar anspielt.
Aber man wird endlich aufmerksam, daß der gesuchte Inhalt durch die
Äußerung über die undeutliche Stelle des Traumes bereits gegeben ist.
Die »Lücken« sind die Genitalöffnungen der zu Bette gehenden Frauen; »da
fehlt etwas« beschreibt den Hauptcharakter des weiblichen Genitales. Er
brannte in jenen jungen Jahren vor Wißbegierde, ein weibliches Genitale
zu sehen und war noch geneigt, an der infantilen Sexualtheorie, die dem
Weibe ein männliches Glied zuschreibt, festzuhalten.

In ganz ähnliche Form kleidete sich eine analoge Reminiszenz eines
anderen Träumers ein. Er träumt: _Ich gehe mit Frl. K. in das
Volksgartenrestaurant_ . . . dann kommt eine dunkle Stelle, eine
Unterbrechung . . . _dann befinde ich mich in einem Bordellsalon, in dem
ich zwei oder drei Frauen sehe, eine in Hemd und Höschen_.

_Analyse_: Frl. K. ist die Tochter seines früheren Chefs, wie er selbst
zugibt, ein Schwesterersatz. Er hatte nur selten Gelegenheit, mit ihr zu
sprechen, aber einmal fiel eine Unterhaltung zwischen ihnen vor, in der
»man sich gleichsam in seiner Geschlechtlichkeit erkannte, als ob man
sagen würde: Ich bin ein Mann und du ein Weib«. Im angegebenen
Restaurant war er nur einmal in Begleitung der Schwester seines
Schwagers, eines Mädchens, das ihm vollkommen gleichgültig war. Ein
andermal begleitete er eine Gesellschaft von drei Damen bis zum Eingang
in dieses Restaurant. Die Damen waren seine Schwester, seine Schwägerin
und die bereits erwähnte Schwester seines Schwagers, alle drei ihm
höchst gleichgültig, aber alle drei der Schwesterreihe angehörig. Ein
Bordell hat er nur selten besucht, vielleicht zwei- oder dreimal in
seinem Leben.

Die Deutung stützte sich auf die »_dunkle Stelle_«, »_Unterbrechung_« im
Traume und behauptete, daß er in knabenhafter Wißbegierde einigemale,
allerdings nur selten, das Genitale seiner um einige Jahre jüngeren
Schwester inspiziert habe. Einige Tage später stellte sich die bewußte
Erinnerung an die vom Traume angedeutete Untat ein.

Alle Träume derselben Nacht gehören ihrem Inhalt nach zu dem nämlichen
Ganzen; ihre Sonderung in mehrere Stücke, deren Gruppierung und Anzahl,
all das ist sinnreich und darf als ein Stück Mitteilung aus den latenten
Traumgedanken aufgefaßt werden. Bei der Deutung von Träumen, die aus
mehreren Hauptstücken bestehen, oder überhaupt solchen, die derselben
Nacht angehören, darf man auch an die Möglichkeit nicht vergessen, daß
diese verschiedenen und aufeinanderfolgenden Träume dasselbe bedeuten,
die nämlichen Regungen in verschiedenem Material zum Ausdruck bringen.
Der zeitlich vorangehende dieser homologen Träume ist dann häufig der
entstelltere schüchterne, der nachfolgende ist dreister und deutlicher.

Schon der biblische Traum des Pharao von den Ähren und von den Kühen,
den Josef deutete, war von dieser Art. Er findet sich bei Josephus
(Jüdische Altertümer, Buch II, Kap. 5 und 6) ausführlicher als in der
Bibel berichtet. Nachdem der König den ersten Traum erzählt hat, sagt
er: »Nach diesem ersten Traumgesicht wachte ich beunruhigt auf und
dachte nach, was dasselbe wohl bedeuten möge, schlief jedoch hierüber
allmählich wieder ein und hatte nun einen noch viel seltsameren Traum,
der mich noch mehr in Furcht und Verwirrung gesetzt hat.« Nach Anhören
der Traumerzählung sagt Josef: »Dein Traum, o König, ist dem Anschein
nach wohl ein zweifacher, allein beide Gesichte haben nur eine
Bedeutung.«

 Fortschreitende Deutlichkeit aufeinanderfolgender Traumbilder.

_Jung_, der in seinem »Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes« erzählt,
wie der versteckt erotische Traum eines Schulmädchens von ihren
Freundinnen ohne Deutung verstanden und in Abänderungen weitergeführt
wurde, bemerkt zu einer dieser Traumerzählungen, »daß der Schlußgedanke
einer langen Reihe von Traumbildern genau das enthält, was schon im
ersten Bild der Serie darzustellen versucht worden war. Die Zensur
schiebt den Komplex so lange wie möglich weg durch immer wieder erneute
symbolische Verdeckungen, Verschiebungen, Wendungen ins Harmlose usw.«
(l. c. p. 87). _Scherner_ hat diese Eigentümlichkeit der
Traumdarstellung gut gekannt und beschreibt sie im Anschluß an seine
Lehre von den Organreizen als ein besonderes Gesetz (p. 166). »Endlich
aber beobachtet die Phantasie in allen von bestimmten Nervenreizen
ausgehenden symbolischen Traumbildungen das gemeingültige Gesetz, daß
sie bei Beginn des Traumes nur in den fernsten und freiesten Andeutungen
des Reizobjektes malt, am Schlusse aber, wo der malerische Erguß sich
erschöpft hatte, den Reiz selbst respektive sein betreffendes Organ oder
dessen Funktion in Nacktheit hinstellt, womit der Traum seinen
organischen Anlaß selbst bezeichnend, das Ende erreicht -- -- --.«

Eine schöne Bestätigung dieses _Scherner_schen Gesetzes hat _Otto Rank_
in seiner Arbeit: »Ein Traum, der sich selbst deutet« geliefert. Der von
ihm dort mitgeteilte Traum eines Mädchens setzte sich aus zwei auch
zeitlich gesonderten Träumen einer Nacht zusammen, von denen der zweite
mit einer Pollution abschloß. Dieser Pollutionstraum gestattete eine bis
ins einzelne durchgeführte Deutung unter weitgehendem Verzicht auf die
Beiträge der Träumerin und die Fülle der Beziehungen zwischen den beiden
Trauminhalten ermöglichte es zu erkennen, daß der erste Traum in
schüchterner Darstellung dasselbe zum Ausdruck bringe wie der zweite, so
daß dieser, der Pollutionstraum, zur vollen Aufklärung des ersteren
verholfen hatte. _Rank_ erörtert von diesem Beispiele aus mit gutem
Recht die Bedeutung der Pollutionsträume für die Theorie des Träumens
überhaupt.

In solche Lage, Klarheit oder Verworrenheit des Traumes auf Sicherheit
oder Zweifel im Traummaterial umdeuten zu können, kommt man aber nach
meiner Erfahrung nicht in allen Fällen. Ich werde späterhin den bisher
nicht erwähnten Faktor bei der Traumbildung aufzudecken haben, von
dessen Einwirkung diese Qualitätenskala des Traumes wesentlich abhängt.

In manchen Träumen, die ein Stück weit eine gewisse Situation und
Szenerie festhalten, kommen Unterbrechungen vor, die mit folgenden
Worten beschrieben werden: »Es ist dann aber, als wäre es gleichzeitig
ein anderer Ort, und dort ereignete sich dies und jenes.« Was in solcher
Weise die Haupthandlung des Traumes unterbricht, die nach einer Weile
wieder fortgesetzt werden kann, das stellt sich im Traummaterial als ein
Nebensatz, als ein eingeschobener Gedanke heraus. Die Kondition in den
Traumgedanken wird im Traume durch Gleichzeitigkeit dargestellt (wenn --
wann).

Was bedeutet die so häufig im Traume erscheinende Sensation der
gehemmten Bewegung, die so nahe an Angst streift? Man will gehen und
kommt nicht von der Stelle, will etwas verrichten und stößt fortwährend
auf Hindernisse. Der Eisenbahnzug will sich in Bewegung setzen und man
kann ihn nicht erreichen; man hebt die Hand, um eine Beleidigung zu
rächen, und sie versagt usw. Wir sind dieser Sensation im Traume schon
bei den Exhibitionsträumen begegnet, haben ihre Deutung aber noch nicht
ernstlich versucht. Es ist bequem aber unzureichend, zu antworten, im
Schlafe bestehe motorische Lähmung, die sich durch die erwähnte
Sensation bemerkbar macht. Wir dürfen fragen: Warum träumt man dann
nicht beständig von solchen gehemmten Bewegungen? und wir dürfen
erwarten, daß diese im Schlafe jederzeit hervorzurufende Sensation
irgend welchen Zwecken der Darstellung diene und nur durch das im
Traummaterial gegebene Bedürfnis nach dieser Darstellung erweckt werde.

Das Nichtzustandebringen tritt im Traume nicht immer als Sensation,
sondern auch einfach als Stück des Trauminhaltes auf. Ich halte einen
solchen Fall für besonders geeignet, uns über die Bedeutung dieses
Traumrequisites aufzuklären. Ich werde verkürzt einen Traum mitteilen,
in dem ich der Unredlichkeit beschuldigt erscheine. _Die Örtlichkeit ist
ein Gemenge aus einer Privatheilanstalt und mehreren anderen Lokalen.
Ein Diener erscheint, um mich zu einer Untersuchung zu rufen. Im Traume
weiß ich, daß etwas vermißt wird, und daß die Untersuchung wegen des
Verdachtes erfolgt, daß ich mir das Verlorene angeeignet. Die Analyse
zeigt, daß Untersuchung zweideutig zu nehmen ist und ärztliche
Untersuchung mit einschließt. Im Bewußtsein meiner Unschuld und meiner
Konsiliarfunktion in diesem Hause gehe ich ruhig mit dem Diener. An
einer Tür empfängt uns ein anderer Diener und sagt, auf mich deutend:
Den haben Sie mir mitgebracht, der ist ja ein anständiger Mensch. Ich
gehe dann ohne Diener in einen großen Saal, in dem Maschinen stehen, der
mich an ein Inferno mit seinen höllischen Strafaufgaben erinnert. An
einem Apparat sehe ich einen Kollegen eingespannt, der allen Grund
hätte, sich um mich zu bekümmern; er beachtet mich aber nicht. Es heißt
dann, daß ich jetzt gehen kann. Da finde ich meinen Hut nicht und kann
doch nicht gehen._

Es ist offenbar die Wunscherfüllung des Traumes, daß ich als ehrlicher
Mann anerkannt werde und gehen darf; in den Traumgedanken muß also
allerlei Material vorhanden sein, welches den Widerspruch dagegen
enthält. Daß ich gehen darf, ist das Zeichen meiner Absolution; wenn
also der Traum am Ende ein Ereignis bringt, das mich im Gehen aufhält,
so liegt es wohl nahe, zu schließen, daß durch diesen Zug das
unterdrückte Material des Widerspruches sich zur Geltung bringt. Daß ich
den Hut nicht finde, bedeutet also: Du bist doch kein ehrlicher Mensch.
Das Nichtzustandebringen des Traumes ist ein _Ausdruck des
Widerspruches_, ein »_Nein_«, wonach also die frühere Behauptung zu
korrigieren ist, daß der Traum das Nein nicht auszudrücken vermag(116).

  (116) Eine Beziehung zu einem Kindheitserlebnis ergibt sich in der
  vollständigen Analyse durch folgende Vermittlung: -- Der Mohr hat
  seine Schuldigkeit getan, der Mohr _kann gehen_. Und dann die
  Scherzfrage: Wie alt ist der Mohr, wenn er seine Schuldigkeit getan
  hat? Ein Jahr, dann kann er gehen. (Ich soll so viel wirres schwarzes
  Haar mit zur Welt gebracht haben, daß mich die junge Mutter für einen
  kleinen Mohren erklärte.) -- Daß ich den Hut nicht finde, ist ein
  mehrsinnig verwertetes Tageserlebnis. Unser im Aufbewahren geniales
  Stubenmädchen hatte ihn versteckt. -- Auch die Ablehnung trauriger
  Todesgedanken verbirgt sich hinter diesem Traumende: Ich habe meine
  Schuldigkeit noch lange nicht getan; ich darf noch nicht gehen. --
  Geburt und Tod wie in dem kurz vorher erfolgten Traume von _Goethe_
  und dem Paralytiker (Seite 313).

 Die Traumhemmung.

In anderen Träumen, welche das Nichtzustandekommen der Bewegung nicht
bloß als Situation, sondern als Sensation enthalten, ist derselbe
Widerspruch durch die Sensation der Bewegungshemmung kräftiger
ausgedrückt als ein Wille, dem ein Gegenwille sich widersetzt. Die
Sensation der Bewegungshemmung stellt also einen _Willenskonflikt_ dar.
Wir werden später hören, daß gerade die motorische Lähmung im Schlafe zu
den fundamentalen Bedingungen des psychischen Vorganges während des
Träumens gehört. Der auf die motorischen Bahnen übertragene Impuls ist
nun nichts anderes als der Wille, und daß wir sicher sind, im Schlafe
diesen Impuls als gehemmt zu empfinden, macht den ganzen Vorgang so
überaus geeignet zur Darstellung des _Wollens_ und des »_Nein_«, das
sich ihm entgegensetzt. Nach meiner Erklärung der Angst begreift es sich
auch leicht, daß die Sensation der Willenshemmung der Angst so nahe
steht und sich im Traume so oft mit ihr verbindet. Die Angst ist ein
libidinöser Impuls, der vom Unbewußten ausgeht und vom Vorbewußten
gehemmt wird. Wo also im Traume die Sensation der Hemmung mit Angst
verbunden ist, da muß es sich um ein Wollen handeln, das einmal fähig
war, Libido zu entwickeln, um eine sexuelle Regung.

Was die häufig während eines Traumes auftauchende Urteilsäußerung: »Das
ist ja nur ein Traum« bedeute und welcher psychischen Macht sie
zuzuschreiben sei, werde ich an anderer Stelle (s. u. p. 350) erörtern.
Ich nehme hier vorweg, daß sie zur Entwertung des Geträumten dienen
soll. Das in der Nähe liegende, interessante Problem, was dadurch
ausgedrückt wird, wenn ein gewisser Inhalt im Traum selbst als
»geträumt« bezeichnet wird, das Rätsel des »Traumes im Traume« hat W.
_Stekel_ durch die Analyse einiger überzeugender Beispiele in ähnlichem
Sinne gelöst. Das »Geträumte« des Traumes soll wiederum entwertet,
seiner Realität beraubt werden; was nach dem Erwachen aus dem »Traum im
Traume« weiter geträumt wird, das will der Traumwunsch an die Stelle der
ausgelöschten Realität setzen. Man darf also annehmen, daß das
»_Geträumte_« die Darstellung der Realität, die wirkliche Erinnerung,
der fortsetzende Traum im Gegenteil die Darstellung des bloß vom Träumer
Gewünschten enthält. Der Einschluß eines gewissen Inhaltes in einen
»Traum im Traume« ist also gleichzusetzen dem Wunsche, daß das so als
Traum Bezeichnete nicht hätte geschehen sollen. Die Traumarbeit
verwendet das Träumen selbst als eine Form der Ablehnung.


d) _Die Rücksicht auf Darstellbarkeit_.

Wir haben es bisher mit der Untersuchung zu tun gehabt, wie der Traum
die Relationen zwischen den Traumgedanken darstellt, griffen dabei aber
mehrfach auf das weitere Thema zurück, welche Veränderung das
Traummaterial überhaupt für die Zwecke der Traumbildung erfährt. Wir
wissen nun, daß das Traummaterial, seiner Relationen zum guten Teile
entblößt, einer Kompression unterliegt, während gleichzeitig
Intensitätsverschiebungen zwischen seinen Elementen eine psychische
Umwertung dieses Materials erzwingen. Die Verschiebungen, die wir
berücksichtigt haben, erwiesen sich als Ersetzungen einer bestimmten
Vorstellung durch eine andere ihr in der Assoziation irgendwie
nahestehende und sie wurden der Verdichtung dienstbar gemacht, indem auf
solche Weise anstatt zweier Elemente ein mittleres Gemeinsames zwischen
ihnen zur Aufnahme in den Traum gelangte. Von einer anderen Art der
Verschiebung haben wir noch keine Erwähnung getan. Aus den Analysen
erfährt man aber, daß eine solche besteht und daß sie sich in einer
_Vertauschung des sprachlichen Ausdruckes_ für den betreffenden Gedanken
kundgibt. Es handelt sich beidemale um Verschiebung längs einer
Assoziationskette, aber der gleiche Vorgang findet in verschiedenen
psychischen Sphären statt, und das Ergebnis dieser Verschiebung ist das
einemal, daß ein Element durch ein anderes substituiert wird, während im
anderen Falle ein Element seine Wortfassung gegen eine andere
vertauscht.

Diese zweite Art der bei der Traumbildung vorkommenden Verschiebungen
hat nicht nur großes theoretisches Interesse, sondern ist auch besonders
gut geeignet, den Anschein phantastischer Absurdität, mit dem der Traum
sich verkleidet, aufzuklären. Die Verschiebung erfolgt in der Regel nach
der Richtung, daß ein farbloser und abstrakter Ausdruck des
Traumgedankens gegen einen bildlichen und konkreten eingetauscht wird.
Der Vorteil und somit die Absicht dieses Ersatzes liegt auf der Hand.
Das Bildliche ist für den Traum _darstellungsfähig_, läßt sich in eine
Situation einfügen, wo der abstrakte Ausdruck der Traumdarstellung
ähnliche Schwierigkeiten bereiten würde, wie etwa ein politischer
Leitartikel einer Zeitung der Illustration. Aber nicht nur die
Darstellbarkeit, auch die Interessen der Verdichtung und der Zensur
können bei diesem Tausche gewinnen. Ist erst der abstrakt ausgedrückte,
unbrauchbare Traumgedanke in eine bildliche Sprache umgeformt, so
ergeben sich zwischen diesem neuen Ausdruck und dem übrigen
Traummaterial leichter als vorher die Berührungen und Identitäten,
welcher die Traumarbeit bedarf, und die sie schafft, wo sie nicht
vorhanden sind, denn die konkreten Termini sind in jeder Sprache ihrer
Entwicklung zufolge anknüpfungsreicher als die begrifflichen. Man kann
sich vorstellen, daß ein gutes Stück der Zwischenarbeit bei der
Traumbildung, welche die gesonderten Traumgedanken auf möglichst knappen
und einheitlichen Ausdruck im Traume zu reduzieren sucht, auf solche
Weise, durch passende sprachliche Umformung der einzelnen Gedanken vor
sich geht. Der eine Gedanke, dessen Ausdruck etwa aus anderen Gründen
feststeht, wird dabei verteilend und auswählend auf die
Ausdrucksmöglichkeiten des anderen einwirken und dies vielleicht von
vornherein, ähnlich wie bei der Arbeit des Dichters. Wenn ein Gedicht in
Reimen entstehen soll, so ist die zweite Reimzeile an zwei Bedingungen
gebunden; sie muß den ihr zukommenden Sinn ausdrücken und ihr Ausdruck
muß den Gleichklang mit der ersten Reimzeile finden. Die besten Gedichte
sind wohl die, wo man die Absicht, den Reim zu finden, nicht merkt,
sondern wo beide Gedanken von vornherein durch gegenseitige Induzierung
den sprachlichen Ausdruck gewählt haben, der mit leichter
Nachbearbeitung den Gleichklang entstehen läßt.

In einigen Fällen dient die Ausdrucksvertauschung der Traumverdichtung
noch auf kürzerem Wege, indem sie eine Wortfügung finden läßt, welche
als zweideutig mehr als einem der Traumgedanken Ausdruck gestattet. Das
ganze Gebiet des Wortwitzes wird so der Traumarbeit dienstbar gemacht.
Man darf sich über die Rolle, welche dem Worte bei der Traumbildung
zufällt, nicht wundern. Das Wort, als der Knotenpunkt mehrfacher
Vorstellungen, ist sozusagen eine prädestinierte Vieldeutigkeit und die
Neurosen (Zwangsvorstellungen, Phobien) benutzen die Vorteile, die das
Wort so zur Verdichtung und Verkleidung bietet, nicht minder ungescheut
wie der Traum(117). Daß die Traumverstellung bei der Verschiebung des
Ausdruckes mitprofitiert, ist leicht zu zeigen. Es ist ja irreführend,
wenn ein zweideutiges Wort anstatt zweier eindeutiger gesetzt wird; und
der Ersatz der alltäglich nüchternen Ausdrucksweise durch eine bildliche
hält unser Verständnis auf, besonders da der Traum niemals aussagt, ob
die von ihm gebrachten Elemente wörtlich oder im übertragenen Sinne zu
deuten sind, direkt oder durch Vermittlung eingeschobener Redensarten
auf das Traummaterial bezogen werden sollen. Es ist im allgemeinen bei
der Deutung eines jeden Traumelementes zweifelhaft, ob es:

  a) im positiven oder negativen Sinne genommen werden soll
     (Gegensatzrelation);

  b) historisch zu deuten ist (als Reminiszenz);

  c) symbolisch oder ob

  d) seine Verwertung vom Wortlaute ausgehen soll.

  (117) Vgl. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, 1905, 2. Aufl.
  1912 -- und die »Wortbrücken« in den Lösungen neurotischer Symptome.

Trotz dieser Vieldeutigkeit darf man sagen, daß die Darstellung der
Traumarbeit, die _ja nicht beabsichtigt, verstanden_ zu werden, dem
Übersetzer keine größeren Schwierigkeiten zumutet als etwa die alten
Hieroglyphenschreiber ihren Lesern.

Beispiele von Darstellungen im Traume, die nur durch Zweideutigkeit des
Ausdruckes zusammengehalten werden, habe ich bereits mehrere angeführt
(»Der Mund geht gut auf« im Injektionstraume; »Ich kann noch nicht
gehen« im letzten Traume, p. 250 usw.). Ich werde nun einen Traum
mitteilen, in dessen Analyse die Verbildlichung des abstrakten Gedankens
eine größere Rolle spielt. Der Unterschied solcher Traumdeutung von der
Deutung mittels Symbolik wie im Altertum läßt sich noch immer scharf
bestimmen; bei der symbolischen Traumdeutung wird der Schlüssel der
Symbolisierung vom Traumdeuter gewählt; in unseren Fällen von
sprachlicher Verkleidung sind diese Schlüssel allgemein bekannt und
durch feststehende Sprachübung gegeben. Verfügt man über den richtigen
Einfall zur rechten Gelegenheit, so kann man Träume dieser Art auch
unabhängig von den Angaben des Träumers ganz oder stückweise auflösen.

Eine mir befreundete Dame träumt: _Sie befindet sich in der Oper. Es ist
eine Wagnervorstellung, die bis ¾8 Uhr morgens gedauert hat. Im Parkett
und Parterre stehen Tische, an denen gespeist und getrunken wird. Ihr
eben von der Hochzeitsreise heimgekehrter Vetter sitzt an einem solchen
Tische mit seiner jungen Frau; neben ihnen ein Aristokrat. Von diesem
heißt es, die junge Frau habe sich ihn von der Hochzeitsreise
mitgebracht, ganz offen, etwa wie man einen Hut von der Hochzeitsreise
mitbringt. Inmitten des Parketts befindet sich ein hoher Turm, der oben
eine Plattform trägt, die mit einem eisernen Gitter umgeben ist. Dort
hoch oben ist der Dirigent mit den Zügen Hans Richters; er läuft
beständig hinter seinem Gitter herum, schwitzt furchtbar und leitet von
diesem Posten aus das unten um die Basis des Turmes angeordnete
Orchester. Sie selbst sitzt mit einer_ (mir bekannten) _Freundin in
einer Loge. Ihre jüngere Schwester will ihr aus dem Parkett ein großes
Stück Kohle hinaufreichen mit der Motivierung, sie habe doch nicht
gewußt, daß es so lange dauern werde, und müsse jetzt wohl erbärmlich
frieren. (Etwa als ob die Logen während der langen Vorstellung geheizt
werden müßten.)_

 Die Verschiebung des sprachlichen Ausdruckes.

Der Traum ist wohl unsinnig genug, obwohl sonst gut auf eine Situation
gebracht. Der Turm mitten im Parkett, von dem aus der Dirigent das
Orchester leitet; vor allem aber die Kohle, die ihr die Schwester
hinaufreicht! Ich habe von diesem Traume absichtlich keine Analyse
verlangt; mit etwas Kenntnis von den persönlichen Beziehungen der
Träumerin gelang es mir, Stücke von ihm selbständig zu deuten. Ich
wußte, daß sie viel Sympathie für einen Musiker gehabt hatte, dessen
Laufbahn vorzeitig durch Geisteskrankheit unterbrochen worden war. Ich
entschloß mich also den Turm im Parkett _wörtlich_ zu nehmen. Dann kam
heraus, daß der Mann, den sie an _Hans Richters_ Stelle zu sehen
gewünscht hätte, die übrigen Mitglieder des Orchesters _turmhoch_
überragt. Dieser Turm ist als ein _Mischgebilde durch Apposition_ zu
bezeichnen; mit seinem Unterbau stellt er die Größe des Mannes dar, mit
dem Gitter oben, hinter dem er wie ein Gefangener oder wie ein Tier im
Käfig (Anspielung auf den Namen des Unglücklichen) herumläuft, das
spätere Schicksal desselben. »Narrenturm« wäre etwa das Wort, in dem die
beiden Gedanken hätten zusammentreffen können.

Nachdem so die Darstellungsweise des Traumes aufgedeckt war, konnte man
versuchen, die zweite scheinbare Absurdität, die mit den Kohlen, die ihr
von der Schwester gereicht werden, mit demselben Schlüssel aufzulösen.
»Kohle« mußte »heimliche Liebe« bedeuten.

    »_Kein Feuer_, keine _Kohle_
    Kann brennen so heiß,
    Als wie _heimliche Liebe_,
    Von der niemand was weiß.«

Sie selbst und ihre Freundin waren _sitzen geblieben_; die jüngere
Schwester, die noch Aussicht hat zu heiraten, reicht ihr die Kohle
hinauf, »weil sie doch nicht gewußt habe, _daß es so lange dauern
wird_«. Was so lange dauern wird, ist im Traume nicht gesagt; in einer
Erzählung würden wir ergänzen: die Vorstellung; im Traume dürfen wir den
Satz für sich ins Auge fassen, ihn für zweideutig erklären und
hinzufügen, »bis sie heiratet«. Die Deutung »heimliche Liebe« wird dann
unterstützt durch die Erwähnung des Vetters, der mit seiner Frau im
Parkett sitzt, und durch die dieser letzteren angedichtete _offene
Liebschaft_. Die Gegensätze zwischen heimlicher und offener Liebe,
zwischen ihrem Feuer und der Kälte der jungen Frau beherrschen den
Traum. Hier wie dort übrigens ein »_Hochstehender_« als Mittelwort
zwischen dem Aristokraten und dem zu großen Hoffnungen berechtigenden
Musiker.

Mit den vorstehenden Erörterungen haben wir endlich ein drittes Moment
aufgedeckt, dessen Anteil bei der Verwandlung der Traumgedanken in den
Trauminhalt nicht gering anzuschlagen ist: _Die Rücksicht auf die
Darstellbarkeit in dem eigentümlichen psychischen Material, dessen sich
der Traum bedient_, also zumeist in visuellen Bildern. Unter den
verschiedenen Nebenanknüpfungen an die wesentlichen Traumgedanken wird
diejenige bevorzugt werden, welche eine visuelle Darstellung erlaubt,
und die Traumarbeit scheut nicht die Mühe, den spröden Gedanken etwa
zuerst in eine andere sprachliche Form umzugießen, sei diese auch die
ungewöhnlichere, wenn sie nur die Darstellung ermöglicht und so der
psychologischen Bedrängnis des eingeklemmten Denkens ein Ende macht.
Diese Umleerung des Gedankeninhaltes in eine andere Form kann sich aber
gleichzeitig in den Dienst der Verdichtungsarbeit stellen und
Beziehungen zu einem anderen Gedanken schaffen, die sonst nicht
vorhanden wären. Dieser andere Gedanke mag etwa selbst zum Zwecke des
Entgegenkommens vorher seinen ursprünglichen Ausdruck verändert haben.

 Die Traumsymbolik.

_Herbert Silberer_ hat einen guten Weg gezeigt, wie man die bei der
Traumbildung vor sich gehende Umsetzung der Gedanken in Bilder direkt
beobachten und somit dies eine Moment der Traumarbeit isoliert studieren
kann. Wenn er sich im Zustande der Ermüdung und Schlaftrunkenheit eine
Denkanstrengung auferlegte, so ereignete es sich ihm häufig, daß ihm der
Gedanke entschlüpfte und dafür ein Bild auftrat, in dem er nun den
Ersatz des Gedankens erkennen konnte. _Silberer_ nennt diesen Ersatz
nicht ganz zweckmäßig einen »autosymbolischen«. Ich gebe hier einige
Beispiele aus der Arbeit von _Silberer_ wieder, auf welche ich wegen
gewisser Eigenschaften der beobachteten Phänomene noch an anderer Stelle
zurückkommen werde(118).

  (118) Siehe unten p. 361 ff.

»Beispiel Nr. 1. Ich denke daran, daß ich vorhabe, in einem Aufsatz eine
holprige Stelle auszubessern.

Symbol: Ich sehe mich, ein Stück Holz glatt hobeln.

Beispiel Nr. 5. Ich suche mir den Zweck gewisser metaphysischer Studien,
die ich eben zu betreiben vorhabe, zu vergegenwärtigen. Dieser Zweck
besteht darin, so denke ich mir, daß man sich auf der Suche nach den
Daseinsgründen zu immer höheren Bewußtseinsformen oder Daseinsschichten
durcharbeitet.

Symbol: Ich fahre mit einem langen Messer unter eine Torte, wie um ein
Stück davon zu nehmen.

Deutung: Meine Bewegung mit dem Messer bedeutet das ›Durcharbeiten‹, von
dem die Rede ist . . . . . Die Erklärung des Symbolgrundes ist die
folgende: Es fällt mir bei Tisch hie und da das Zerschneiden und
Vorlegen einer Torte zu, ein Geschäft, welches ich mit einem langen
biegsamen Messer verrichte, was einige Sorgfalt erheischt. Insbesondere
ist das reinliche Herausheben der geschnittenen Tortenteile mit gewissen
Schwierigkeiten verbunden; das Messer muß behutsam _unter_ die
betreffenden Stücke _geschoben_ werden (das langsame ›Durcharbeiten‹, um
zu den Gründen zu gelangen). Es liegt aber noch mehr Symbolik in dem
Bild. Die Torte des Symbols war nämlich eine Dobos-Torte, also eine
Torte, bei welcher das schneidende Messer durch verschiedene _Schichten_
zu dringen hat (die Schichten des Bewußtseins und Denkens).

Beispiel Nr. 9. Ich verliere in einem Gedankengang den Faden. Ich gebe
mir Mühe, ihn wieder zu finden, muß aber erkennen, daß mir der
Anknüpfungspunkt vollends entfallen ist.

Symbol: Ein Stück Schriftsatz, dessen letzte Zeilen herausgefallen
sind.«

Angesichts der Rolle, welche Witzworte, Zitate, Lieder und Sprichwörter
im Gedankenleben der Gebildeten spielen, wäre es vollkommen der
Erwartung gemäß, wenn Verkleidungen solcher Art überaus häufig für
Darstellung der Traumgedanken verwendet werden sollten. Was bedeuten
z. B. im Traume Wagen, von denen jeder mit anderem Gemüse angefüllt ist?
Es ist der Wunschgegensatz von »Kraut und Rüben«, also »Durcheinander«
und bedeutet demnach »Unordnung«. Ich habe mich gewundert, daß mir
dieser Traum nur ein einziges Mal berichtet worden ist. Nur für wenige
Materien hat sich eine allgemein gültige Traumsymbolik herausgebildet,
auf Grund allgemein bekannter Anspielungen und Wortersetzungen. Den
größten Teil dieser Symbolik hat übrigens der Traum mit den
Psychoneurosen, den Sagen und Volksgebräuchen gemeinsam.

Ja, wenn man genauer zusieht, muß man erkennen, daß die Traumarbeit mit
dieser Art von Ersetzung überhaupt nichts Originelles leistet. Zur
Erreichung ihrer Zwecke, in diesem Falle der zensurfreien
Darstellbarkeit, wandelt sie eben nur die Wege, die sie im unbewußten
Denken bereits gebahnt vorfindet, bevorzugt sie jene Umwandlungen des
verdrängten Materials, die als Witz und Anspielung auch bewußt werden
dürfen, und von denen alle Phantasien der Neurotiker erfüllt sind. Hier
eröffnet sich dann plötzlich ein Verständnis für die Traumdeutungen
_Scherners_, deren richtigen Kern ich an anderer Stelle verteidigt habe.
Die Phantasiebeschäftigung mit dem eigenen Körper ist keineswegs dem
Traume allein eigentümlich oder für ihn charakteristisch. Meine Analysen
haben mir gezeigt, daß sie im unbewußten Denken der Neurotiker ein
regelmäßiges Vorkommnis ist und auf die sexuelle Neugierde zurückgeht,
deren Gegenstand die Genitalien des anderen, aber doch auch des eigenen
Geschlechtes für den heranwachsenden Jüngling oder für die Jungfrau
werden. Wie aber _Scherner_ und _Volkelt_ ganz zutreffend hervorheben,
ist das Haus nicht der einzige Vorstellungskreis, der zur Symbolisierung
der Leiblichkeit verwendet wird -- im Traume so wenig wie im unbewußten
Phantasieren der Neurose. Ich kenne Patienten, die allerdings die
architektonische Symbolik des Körpers und der Genitalien (reicht doch
das sexuelle Interesse weit über das Gebiet der äußeren Genitalien
hinaus) beibehalten haben, denen Pfeiler und Säulen Beine bedeuten (wie
im Hohen Lied), die jedes Tor an eine der Körperöffnungen (»Loch«), die
jede Wasserleitung an den Harnapparat denken läßt usw. Aber ebenso gern
wird der Vorstellungskreis des Pflanzenlebens oder der Küche zum
Versteck sexueller Bilder gewählt(119); im ersteren Falle hat der
Sprachgebrauch, der Niederschlag von Phantasievergleichungen ältester
Zeiten, reichlich vorgearbeitet (der »Weinberg« des Herrn, der »Samen«,
der »Garten« des Mädchens im Hohen Lied). In scheinbar harmlosen
Anspielungen an die Verrichtungen der Küche lassen sich die häßlichsten
wie die intimsten Einzelheiten des Sexuallebens denken und träumen, und
die Symptomatik der Hysterie wird geradezu undeutbar, wenn man vergißt,
daß sich sexuelle Symbolik hinter dem Alltäglichen und Unauffälligen als
seinem besten Versteck verbergen kann. Es hat seinen guten sexuellen
Sinn, wenn neurotische Kinder kein Blut und kein rohes Fleisch sehen
wollen, bei Eiern und Nudeln erbrechen, wenn die dem Menschen natürliche
Furcht vor der Schlange beim Neurotiker eine ungeheuerliche Steigerung
erfährt, und überall wo die Neurose sich solcher Verhüllung bedient,
wandelt sie die Wege, die einst in alten Kulturperioden die ganze
Menschheit begangen hat, und von deren Existenz unter leichter
Verschüttung heute noch Sprachgebrauch, Aberglaube und Sitte Zeugnis
ablegen.

  (119) Reichliches Belegmaterial hiezu in den drei Ergänzungsbänden von
  _Ed. Fuchs_' »Illustr. Sittengeschichte« (Privatdrucke bei A. Langen,
  München).

 Die Symbolik des Sexuellen.

Ich füge hier den angekündigten Blumentraum einer Patientin ein, in dem
ich alles, was sexuell zu deuten ist, unterstreiche. Der schöne Traum
wollte der Träumerin nach der Deutung gar nicht mehr gefallen.

a) Vortraum: _Sie geht in die Küche zu den beiden Mädchen und tadelt
sie, daß sie nicht fertig werden »mit dem Bissel Essen« und sieht dabei
so viel umgestürztes Geschirr zum Abtropfen stehen, grobes Geschirr in
Haufen zusammengestellt._ Späterer Zusatz: _Die beiden Mädchen gehen
Wasser holen und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ins
Haus oder in den Hof reicht(120)._

  (120) Zur Deutung dieses als »kausal« zu nehmenden Vortraumes siehe
  p. 234.

b) Haupttraum(121): _Sie steigt von hoch herab(122) über eigentümliche
Geländer oder Zäune, die zu großen Karos vereinigt sind und aus
Flechtwerk von kleinen Quadraten bestehen(123). Es ist eigentlich nicht
zum Steigen eingerichtet; sie hat immer Sorge, daß sie Platz für den Fuß
findet, und freut sich, daß ihr Kleid dabei nirgends hängen bleibt, daß
sie im Gehen so anständig bleibt(124). Dabei trägt sie einen #großen
Ast# in der Hand(125), eigentlich wie einen Baum, der dick mit #roten
Blüten# besetzt ist, verzweigt und ausgebreitet(126). Dabei ist die Idee
Kirsch#blüten#, sie sehen aber auch aus wie gefüllte #Kamelien#, die
freilich nicht auf Bäumen wachsen. Während des Herabgehens hat sie
zuerst #einen#, dann plötzlich #zwei#, später wieder #einen#(127). Wie
sie unten anlangt, sind die unteren #Blüten# schon ziemlich
#abgefallen#. Sie sieht dann, unten angelangt, einen Hausknecht, der
einen eben solchen Baum, sie möchte sagen -- kämmt, d. h. mit einem
Holze #dicke Haarbüschel#, die wie Moos von ihm herabhängen, rauft.
Andere Arbeiter haben solche #Äste# aus einem #Garten# abgehauen und auf
#die Straße# geworfen, wo sie #herumliegen#, so daß #viele Leute sich
davon nehmen#. Sie fragt aber, ob das recht ist, ob man sich auch #einen
nehmen kann#(128). Im Garten steht ein junger #Mann#_ (von ihr bekannter
Persönlichkeit, ein Fremder), _auf den sie zugeht, um ihn zu fragen, wie
man solche #Äste in ihren eigenen Garten# umsetzen könne(129). Er
umfängt sie, worauf sie sich sträubt und ihn fragt, was ihm einfällt, ob
man sie denn so umfangen darf. Er sagt, das ist kein Unrecht, das ist
erlaubt(130). Er erklärt sich dann bereit, mit ihr in den #anderen
Garten# zu gehen, um ihr das Einsetzen zu zeigen, und sagt ihr etwas,
was sie nicht recht versteht: Es fehlen mir ohnedies drei #Meter#_ --
(später sagt sie: _Quadratmeter_) _oder drei Klafter Grund. Es ist, als
ob er für seine Bereitwilligkeit etwas von ihr verlangen würde, als ob
er die Absicht hätte, sich in #ihrem Garten zu entschädigen#, oder als
wollte er irgend ein Gesetz #betrügen#, einen Vorteil davon haben, ohne
daß sie einen Schaden hat. Ob er ihr dann wirklich etwas zeigt, weiß sie
nicht(131)._

  (121) Ihr Lebenslauf.

  (122) Hohe Abkunft, Wunschgegensatz zum Vortraume.

  (123) Mischgebilde, das zwei Lokalitäten vereinigt, den sogenannten
  Boden des Vaterhauses, auf dem sie mit dem Bruder spielte, dem
  Gegenstand ihrer späteren Phantasien, und den Hof eines schlimmen
  Onkels, der sie zu necken pflegte.

  (124) Wunschgegensatz zu einer realen Erinnerung vom Hofe des Onkels,
  daß sie sich im Schlafe zu entblößen pflegte.

  (125) Wie der Engel in der Verkündigung Mariä einen Lilienstengel.

  (126) Die Erklärung dieses Mischgebildes siehe p. 237: Unschuld,
  Periode, Kameliendame.

  (127) Auf die Mehrheit der ihrer Phantasie dienenden Personen.

  (128) Ob man sich auch einen herunterreißen darf, i. e. masturbieren.

  (129) Der Ast hat längst die _Vertretung_ des männlichen Genitales
  übernommen, enthält übrigens eine sehr deutliche Anspielung auf den
  Familiennamen.

  (130) Bezieht sich wie das Nächstfolgende auf eheliche Vorsichten.

  (131) Ein analoger »biographischer« Traum ist der unter den Beispielen
  zur Traumsymbolik p. 268 als dritter mitgeteilte; ferner der von
  _Rank_ ausführlich mitgeteilte »Traum, der sich selbst deutet«; einen
  anderen, der »verkehrt« gelesen werden muß, siehe bei _Stekel_ p. 486.

Ich habe natürlich gerade an solchem Material Überfluß, aber dessen
Mitteilung würde zu tief in die Erörterung neurotischer Verhältnisse
führen. Alles leitete zum gleichen Schluß, daß man keine besondere
symbolisierende Tätigkeit der Seele bei der Traumarbeit anzunehmen
braucht, sondern daß der Traum sich solcher Symbolisierungen, welche im
unbewußten Denken bereits fertig enthalten sind, bedient, weil sie wegen
ihrer Darstellbarkeit, zumeist auch wegen ihrer Zensurfreiheit, den
Anforderungen der Traumbildung besser genügen.


e) _Die Darstellung durch Symbole im Traume_. _Weitere typische Träume_.

Wenn man sich mit der ausgiebigen Verwendung der Symbolik für die
Darstellung sexuellen Materials im Traume vertraut gemacht hat, muß man
sich die Frage vorlegen, ob nicht viele dieser Symbole wie die »Sigel«
der Stenographie mit ein für allemal festgelegter Bedeutung auftreten,
und sieht sich vor der Versuchung, ein neues Traumbuch nach der
Chiffriermethode zu entwerfen. Dazu ist zu bemerken: Diese Symbolik
gehört nicht dem Traume zu eigen an, sondern dem unbewußten Vorstellen,
speziell des Volkes, und ist im Folklore, in den Mythen, Sagen,
Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines
Volkes vollständiger als im Traume aufzufinden. Wir müßten also die
Aufgabe der Traumdeutung weit überschreiten, wenn wir der Bedeutung des
Symbols gerecht werden und die zahlreichen, großenteils noch ungelösten
Probleme erörtern wollten, welche sich an den Begriff des Symbols
knüpfen(132). Wir wollen uns also darauf beschränken, zu sagen, daß die
Darstellung durch ein Symbol zu den indirekten Darstellungen gehört, daß
wir aber durch allerlei Anzeichen gewarnt werden, die Symboldarstellung
unterschiedslos mit den anderen Arten indirekter Darstellung
zusammenzuwerfen, ohne noch diese unterscheidenden Merkmale in
begrifflicher Klarheit erfassen zu können. In einer Reihe von Fällen ist
das Gemeinsame zwischen dem Symbol und dem Eigentlichen, für welches es
eintritt, offenkundig; in anderen ist es versteckt; die Wahl des Symbols
erscheint dann rätselhaft. Gerade diese Fälle müssen auf den letzten
Sinn der Symbolbeziehung Licht werfen können; sie weisen darauf hin, daß
dieselbe genetischer Natur ist. Was heute symbolisch verbunden ist, war
wahrscheinlich in Urzeiten durch begriffliche und sprachliche Identität
vereint. Die Symbolbeziehung scheint ein Rest und Merkzeichen einstiger
Identität. Dabei kann man beobachten, daß die Symbolgemeinschaft in
einer Anzahl von Fällen über die Sprachgemeinschaft hinausreicht(133).
Eine Anzahl von Symbolen ist so alt wie die Sprachbildung überhaupt,
andere werden aber in der Gegenwart fortlaufend neugebildet (z. B. das
Luftschiff, der Zeppelin).

  (132) Vgl. die Arbeiten von _Bleuler_ und seinen Züricher Schülern
  _Maeder_, _Abraham_ u. a. über Symbolik, und die nicht ärztlichen
  Autoren, auf welche sie sich beziehen (_Kleinpaul_ u. a.). Das
  Zutreffendste, was über diesen Gegenstand geäußert worden ist, findet
  sich in der Schrift von O. _Rank_ und H. _Sachs_, Die Bedeutung der
  Psychoanalyse für die Geisteswissenschaften, 1913, Kap. I.

  (133) So tritt z. B. das auf dem Wasser fahrende Schiff in den
  Harnträumen ungarischer Träumer auf, obwohl dieser Sprache die
  Bezeichnung »schiffen« für »urinieren« fremd ist (_Ferenczi_; vgl.
  auch p. 271). In den Träumen von Franzosen und anderen Romanen dient
  das Zimmer zur symbolischen Darstellung der Frau, obwohl diese Völker
  nichts dem deutschen »Frauenzimmer« Analoges kennen.

 Allgemeine Bedeutung der Symbolik.

Der Traum bedient nun sich dieser Symbolik zur verkleideten Darstellung
seiner latenten Gedanken. Unter den so verwendeten Symbolen sind nun
allerdings viele, die regelmäßig oder fast regelmäßig das nämliche
bedeuten wollen. Nur möge man der eigentümlichen Plastizität des
psychischen Materials eingedenk bleiben. Ein Symbol kann oft genug im
Trauminhalt nicht symbolisch, sondern in seinem eigentlichen Sinne zu
deuten sein; andere Male kann ein Träumer sich aus speziellem
Erinnerungsmaterial das Recht schaffen, alles mögliche als Sexualsymbol
zu verwenden, was nicht allgemein so verwendet wird. Wo ihm zur
Darstellung eines Inhaltes mehrere Symbole zur Auswahl bereit stehen,
wird er sich für jenes Symbol entscheiden, das überdies noch
Sachbeziehungen zu seinem sonstigen Gedankenmaterial aufweist, also eine
individuelle Motivierung neben der typisch gültigen gestattet.

Wenn die neueren Forschungen über den Traum seit _Scherner_ die
Anerkennung der Traumsymbolik unabweisbar gemacht haben -- selbst H.
_Ellis_ bekennt sich dazu, es sei ein Zweifel nicht möglich, daß unsere
Träume von Symbolik erfüllt seien --, so ist doch zuzugeben, daß die
Aufgabe einer Traumdeutung durch die Existenz der Symbole im Traume
nicht nur erleichtert, sondern auch erschwert wird. Die Technik der
Deutung nach den freien Einfällen des Träumers läßt uns für die
symbolischen Elemente des Trauminhaltes meist im Stich; eine Rückkehr
zur Willkür des Traumdeuters, wie sie im Altertum geübt wurde und in den
verwilderten Deutungen von _Stekel_ wieder aufzuleben scheint, ist aus
Motiven wissenschaftlicher Kritik ausgeschlossen. Somit nötigen uns die
im Trauminhalt vorhandenen symbolisch aufzufassenden Elemente zu einer
kombinierten Technik, welche sich einerseits auf die Assoziationen des
Träumers stützt, anderseits das Fehlende aus dem Symbolverständnis des
Deuters einsetzt. Kritische Vorsicht in der Auflösung der Symbole und
sorgfältiges Studium derselben an besonders durchsichtigen
Traumbeispielen müssen zusammentreffen, um den Vorwurf der
Willkürlichkeit in der Traumdeutung zu entkräften. Die Unsicherheiten,
die unserer Tätigkeit als Deuter des Traumes noch anhaften, rühren zum
Teil von unserer unvollkommenen Erkenntnis her, die durch weitere
Vertiefung fortschreitend gehoben werden kann, zum anderen Teil hängen
sie gerade von gewissen Eigenschaften der Traumsymbole ab. Dieselben
sind oft viel- und mehrdeutig, so daß, wie in der chinesischen Schrift,
erst der Zusammenhang die jedesmal richtige Auffassung ermöglicht. Mit
dieser Vieldeutigkeit der Symbole verbindet sich dann die Eignung des
Traumes, Überdeutungen, zuzulassen in einem Inhalt verschiedene, oft
ihrer Natur nach sehr abweichende Gedankenbildungen und Wunschregungen
darzustellen.

 Beispiele typischer Symbole.

Nach diesen Einschränkungen und Verwahrungen führe ich an: Der Kaiser
und die Kaiserin (König und Königin) stellen wirklich zumeist die Eltern
des Träumers dar, Prinz oder Prinzessin ist er selbst. -- Alle in die
Länge reichenden Objekte, Stöcke, Baumstämme, Schirme (des der Erektion
vergleichbaren Aufspannens wegen!), alle länglichen und scharfen Waffen:
Messer, Dolche, Piken, wollen das männliche Glied vertreten. Ein
häufiges, nicht recht verständliches Symbol desselben ist die Nagelfeile
(des Reibens und Schabens wegen?). -- Dosen, Schachteln, Kästen,
Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib. -- Zimmer im Traume sind
zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen Eingänge und
Ausgänge macht an dieser Auslegung gerade nicht irre. Das Interesse, ob
das Zimmer »offen« oder »verschlossen« ist, wird in diesem Zusammenhange
leicht verständlich. (Vgl. den Traum Doras im »Bruchstück einer
Hysterieanalyse«.) Welcher Schlüssel das Zimmer aufsperrt, braucht dann
nicht ausdrücklich gesagt zu werden; die Symbolik von Schloß und
Schlüssel hat _Uhland_ im Lied vom »Grafen Eberstein« zur anmutigsten
Zote gedient. -- Der Traum, durch eine Flucht von Zimmern zu gehen, ist
ein Bordell- oder Haremstraum. Er wird aber, wie H. _Sachs_ an schönen
Beispielen gezeigt hat, zur Darstellung der Ehe (Gegensatz) verwendet.
-- Stiegen, Leitern, Treppen respektive das Steigen auf ihnen und zwar
sowohl aufwärts als abwärts, sind symbolische Darstellungen des
Geschlechtsaktes(134). -- Glatte Wände, über die man klettert, Fassaden
von Häusern, an denen man sich -- häufig unter starker Angst --
herabläßt, entsprechen aufrechten menschlichen Körpern, wiederholen im
Traum wahrscheinlich die Erinnerung an das Emporklettern des kleinen
Kindes an Eltern und Pflegepersonen. Die »glatten« Mauern sind Männer;
an den »Vorsprüngen« der Häuser hält man sich nicht selten in der
Traumangst fest. -- Tische, gedeckte Tische und Bretter sind gleichfalls
Frauen, wohl des Gegensatzes wegen, der hier die Körperwölbungen
aufhebt. »Holz« scheint überhaupt nach seinen sprachlichen Beziehungen
ein Vertreter des weiblichen Stoffes (Materie) zu sein. Der Name der
Insel _Madeira_ bedeutet im Portugiesischen: Holz. Da »Tisch und Bett«
die Ehe ausmachen, wird im Traume häufig der erstere für das letztere
gesetzt, und soweit es angeht, der sexuelle Vorstellungskomplex auf den
Eßkomplex transponiert. -- Von Kleidungsstücken ist der Hut einer Frau
sehr häufig mit Sicherheit als Genitale, und zwar des Mannes, zu deuten.
Ebenso der Mantel, wobei es dahingestellt bleibt, welcher Anteil an
dieser Symbolverwendung dem Wortanklang zukommt. In Träumen der Männer
findet man häufig die Krawatte als Symbol des Penis, wohl nicht nur
darum, weil sie lange herabhängt und für den Mann charakteristisch ist,
sondern auch, weil man sie nach seinem Wohlgefallen auswählen kann, eine
Freiheit, die beim Eigentlichen dieses Symbols von der Natur verwehrt
ist(135). Personen, die dies Symbol im Traume verwenden, treiben im
Leben oft großen Luxus mit Krawatten und besitzen förmliche Sammlungen
von ihnen. -- Alle komplizierten Maschinerien und Apparate der Träume
sind mit großer Wahrscheinlichkeit Genitalien, in deren Beschreibung
sich die Traumsymbolik so unermüdlich wie die Witzarbeit erweist. --
Ebenso sind viele Landschaften der Träume, besonders solche mit Brücken
oder mit bewaldeten Bergen, unschwer als Genitalbeschreibungen zu
erkennen. _Marcinowski_ hat eine Reihe von Beispielen gesammelt, in
denen die Träumer ihre Träume durch Zeichnungen erläuterten, welche die
darin vorkommenden Landschaften und Räumlichkeiten darstellen sollten.
Diese Zeichnungen machen den Unterschied von manifester und latenter
Bedeutung im Traume sehr anschaulich. Während sie arglos betrachtet
Pläne, Landkarten u. dgl. zu bringen scheinen, enthüllen sie sich einer
eindringlicheren Untersuchung als Darstellungen des menschlichen
Körpers, der Genitalien usw. und ermöglichen erst nach dieser Auffassung
das Verständnis des Traumes. (Vgl. hiezu _Pfisters_ Arbeiten über
Kryptographie und Vexierbilder.) Auch darf man bei unverständlichen
Wortneubildungen an Zusammensetzung aus Bestandteilen mit sexueller
Bedeutung denken. -- Auch Kinder bedeuten im Traume oft nichts anderes
als Genitalien, wie ja Männer und Frauen gewöhnt sind, ihr Genitale
liebkosend als ihr »Kleines« zu bezeichnen. Mit einem kleinen Kinde
spielen, den Kleinen schlagen usw. sind häufig Traumdarstellungen der
Onanie. -- Als ein ganz rezentes Traumsymbol des männlichen Genitales
ist das Luftschiff zu erwähnen, welches sowohl durch seine Beziehung zum
Fliegen wie gelegentlich durch seine Form solche Verwendung
rechtfertigt. -- Eine Reihe anderer, zum Teil noch nicht genügend
verifizierter Symbole hat _Stekel_ angegeben und durch Beispiele belegt.
Die Schriften von _Stekel_, besonders sein Buch: »Die Sprache des
Traumes« enthalten die reichste Sammlung von Symbolauflösungen, die zum
Teil scharfsinnig erraten sind und sich bei der Nachprüfung als richtig
erwiesen haben, z. B. in dem Abschnitt über die Symbolik des Todes. Die
mangelhafte Kritik des Verfassers und seine Neigung zu Verallgemeinerungen
um jeden Preis machen aber andere seiner Deutungen zweifelhaft
oder unverwendbar, so daß bei dem Gebrauch dieser Arbeiten
Vorsicht dringend anzuraten ist. Ich beschränke mich darum auf die
Hervorhebung weniger Beispiele.

  (134) Ich wiederhole hierüber, was ich an anderer Stelle (Die
  zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie, Zentralbl. f.
  Psychoanalyse I, Nr. 1/2, 1910) geäußert habe: »Vor einiger Zeit wurde
  es mir bekannt, daß ein uns ferner stehender Psychologe sich an einen
  von uns mit der Bemerkung gewendet, wir überschätzten doch gewiß die
  geheime sexuelle Bedeutung der Träume. Sein häufigster Traum sei, eine
  Stiege hinauf zu steigen, und da sei doch gewiß nichts Sexuelles
  dahinter. Durch diesen Einwand aufmerksam gemacht, haben wir dem
  Vorkommen von Stiegen, Treppen, Leitern im Traum Aufmerksamkeit
  geschenkt und konnten bald feststellen, daß die Stiege (und was ihr
  analog ist) ein sicheres Koitussymbol darstellt. Die Grundlage der
  Vergleichung ist nicht schwer aufzufinden; in rhythmischen Absätzen,
  unter zunehmender Atemnot kommt man auf eine Höhe und kann dann in ein
  paar raschen Sprüngen wieder unten sein. So findet sich der Rhythmus
  des Koitus im Stiegensteigen wieder. Vergessen wir nicht, den
  Sprachgebrauch heranzuziehen. Er zeigt uns, daß das »Steigen« ohne
  weiteres als Ersatzbezeichnung der sexuellen Aktion gebraucht wird.
  Man pflegt zu sagen, der Mann ist ein »Steiger«, »nachsteigen«. Im
  Französischen heißt die Stufe der Treppe la marche; »un vieux
  marcheur« deckt sich ganz mit unserem »ein alter Steiger«.«

  (135) Vgl. im Zbl. für Ps.-A. II, 675 die Zeichnung einer 19 jährigen
  Manischen: ein Mann mit einer Schlange als _Krawatte_, die sich einem
  Mädchen entgegenwendet. Dazu die Geschichte »Der Schamhaftige«
  (Anthrop. VI, 334): In eine Badestube trat eine Dame ein und dort
  befand sich ein Herr, der kaum das Hemd anzulegen vermochte; er war
  sehr beschämt, deckte sich aber sofort den Hals mit dem Vorderteil des
  Hemdes zu und sagte: »Bitte um Verzeihung, bin ohne _Krawatte_.«

_Rechts_ und _Links_ sollen nach _Stekel_ im Traum ethisch aufzufassen
sein. »Der rechte Weg bedeutet immer den Weg des Rechtes, der linke den
des Verbrechens. So kann der linke Homosexualität, Inzest, Perversion,
der rechte die Ehe, Verkehr mit einer Dirne usw. darstellen. Immer
gewertet von dem individuell moralischen Standpunkt des Träumers« (l. c.
p. 466). Die _Verwandten_ überhaupt spielen im Traume meistens die Rolle
von Genitalien (p. 473). Hier kann ich in dieser Bedeutung nur den Sohn,
die Tochter, die jüngere Schwester bestätigen, soweit also das
Anwendungsgebiet des »Kleinen« reicht. Das _Nichteinholen_ eines Wagens
löst _Stekel_ als das Bedauern über eine nicht einzuholende
Altersdifferenz (p. 479). Das _Gepäck_, mit dem man reist, sei die
Sündenlast, von der man gedrückt wird (ibid.). Gerade das Reisegepäck
erweist sich aber häufig als unverkennbares Symbol der eigenen
Genitalien. Auch den häufig in Träumen vorkommenden Zahlen hat _Stekel_
fixierte Symbolbedeutungen zugewiesen, doch erscheinen diese Auflösungen
weder genügend sichergestellt, noch allgemein gültig, wenngleich die
Deutung im einzelnen Falle meist als wahrscheinlich anerkannt werden
darf. Die Dreizahl ist übrigens ein mehrseitig sichergestelltes Symbol
des männlichen Genitales. Eine der Verallgemeinerungen, welche _Stekel_
aufstellt, bezieht sich auf die doppelsinnige Bedeutung der
Genitalsymbole. »Wo gäbe es ein Symbol, das -- wenn es die Phantasie nur
einigermaßen erlaubt -- nicht männlich und weiblich zugleich gebraucht
werden könnte!« Der eingeschobene Satz nimmt allerdings viel von der
Sicherheit dieser Behauptung zurück, denn die Phantasie erlaubt es eben
nicht immer. Ich halte es aber doch für nicht überflüssig,
auszusprechen, daß nach meinen Erfahrungen der allgemeine Satz _Stekels_
vor der Anerkennung einer größeren Mannigfaltigkeit zurückzutreten hat.
Außer Symbolen, die ebenso häufig für das männliche wie für das
weibliche Genitale stehen, gibt es solche, die vorwiegend oder fast
ausschließlich eines der Geschlechter bezeichnen, und noch andere, von
denen nur die männliche oder nur die weibliche Bedeutung bekannt ist.
Lange, feste Gegenstände und Waffen als Symbole des weiblichen Genitales
zu gebrauchen oder hohle (Kasten, Schachteln, Dosen usw.) als Symbole
des männlichen, gestattet eben die Phantasie nicht.

Es ist richtig, daß die Neigung des Traumes und der unbewußten
Phantasien, die Sexualsymbole bisexuell zu verwenden, einen archaischen
Zug verrät, da in der Kindheit die Verschiedenheit der Genitalien
unbekannt ist und beiden Geschlechtern das nämliche Genitale
zugesprochen wird.

Diese in hohem Grade unvollständigen Andeutungen mögen genügen, um
andere zu sorgfältigerer Sammelarbeit anzuregen(136).

  (136) Bei aller Verschiedenheit der _Scherner_schen Auffassung von der
  Traumsymbolik und der hier entwickelten, muß ich doch hervorheben, daß
  _Scherner_ als der eigentliche Entdecker der Symbolik im Traume
  anerkannt werden sollte, und daß die Erfahrungen der Psychoanalyse
  sein für phantastisch gehaltenes vor rund 50 Jahren veröffentlichtes
  Buch nachträglich zu Ehren gebracht haben.

 Beispiele sexueller Symbolik. -- Der Hut.

Ich werde nun einige Beispiele von der Verwendung solcher Symbole in
Träumen anfügen, welche zeigen sollen, wie unmöglich es wird, zur
Deutung des Traumes zu gelangen, wenn man sich der Traumsymbolik
verschließt, wie unabweisbar sich aber eine solche auch in vielen Fällen
aufdrängt.

    1. _Der Hut als Symbol des Mannes_ (_des männlichen Genitales_)(137).

    (Teilstück aus dem Traum einer jungen, infolge von Versuchungsangst
    agoraphobischen Frau.)

  (137) Aus »Nachträge zur Traumdeutung«. Zentralblatt für
  Psychoanalyse I, Nr. 5/6, 1911.

»Ich gehe im Sommer auf der Straße spazieren, trage einen Strohhut von
eigentümlicher Form, dessen Mittelstück nach oben aufgebogen ist, dessen
Seitenteile nach abwärts hängen (Beschreibung hier stockend), und zwar
so, daß der eine tiefer steht als der andere. Ich bin heiter und in
sicherer Stimmung, und wie ich an einem Trupp junger Offiziere
vorbeigehe, denke ich mir: Ihr könnt mir alle nichts anhaben.«

Da sie zu dem Hut im Traume keinen Einfall produzieren kann, sage ich
ihr: Der Hut ist wohl ein männliches Genitale mit seinem
emporgerichteten Mittelstück und den beiden herabhängenden Seitenteilen.
Daß der Hut ein Mann sein soll, ist vielleicht sonderbar, aber man sagt
ja auch: »Unter die Haube kommen!« Absichtlich enthalte ich mich der
Deutung jenes Details über das ungleiche Herabhängen der beiden
Seitenteile, obwohl gerade solche Einzelheiten in ihrer Determinierung
der Deutung den Weg weisen müssen. Ich setze fort: Wenn sie also einen
Mann mit so prächtigem Genitale hat, braucht sie sich vor den Offizieren
nicht zu fürchten, d. h. nichts von ihnen zu wünschen, da sie sonst
wesentlich durch ihre Versuchungsphantasien vom Gehen ohne Schutz und
Begleitung abgehalten wird. Diese letztere Aufklärung ihrer Angst hätte
ich ihr schon zu wiederholten Malen, auf anderes Material gestützt,
geben können.

Es ist nun sehr beachtenswert, wie sich die Träumerin nach dieser
Deutung benimmt. Sie zieht die Beschreibung des Hutes zurück und will
nicht gesagt haben, daß die beiden Seitenteile nach abwärts hingen. Ich
bin des Gehörten zu sicher, um mich beirren zu lassen, und beharre
dabei. Sie schweigt eine Weile und findet dann den Mut zu fragen, was es
bedeute, daß bei ihrem Manne ein Hode tiefer stehe als der andere, und
ob es bei allen Männern so sei. Damit war dies sonderbare Detail des
Hutes aufgeklärt und die ganze Deutung von ihr akzeptiert.

Das Hutsymbol war mir längst bekannt, als mir die Patientin diesen Traum
mitteilte. Aus anderen, aber minder durchsichtigen Fällen glaubte ich zu
entnehmen, daß der Hut auch für ein weibliches Genitale stehen
kann(138).

  (138) Vgl. ein solches Beispiel in der Mitteilung von _Kirchgraber_
  (Zentralbl. f. Ps.-A. III, 1912, p. 95). Von _Stekel_ (Jahrbuch,
  Bd. I, p. 475) wird ein Traum mitgeteilt, in welchem der Hut mit
  schiefstehender Feder in der Mitte den (impotenten) Mann symbolisiert.

 Das »Kleine« als Sexualsymbol.

    2. _Das Kleine ist das Genitale_ -- _das Überfahrenwerden ist ein
    Symbol des Geschlechtsverkehres_.

    (Ein anderer Traum derselben agoraphobischen Patientin.)

»Ihre Mutter schickt ihre kleine Tochter weg, damit sie allein gehen
muß. Sie fährt dann mit der Mutter in der Eisenbahn und sieht ihre
Kleine direkt auf den Schienenweg zugehen, so daß sie überfahren werden
muß. Man hört die Knochen krachen (dabei ein unbehagliches Gefühl, aber
kein eigentliches Entsetzen). Dann sieht sie sich aus dem Waggonfenster
um, ob man nicht hinten die Teile sieht. Dann macht sie ihrer Mutter
Vorwürfe, daß sie die Kleine allein hat gehen lassen.« _Analyse_. Die
vollständige Deutung des Traumes ist hier nicht leicht zu geben. Er
stammt aus einem Zyklus von Träumen und kann nur im Zusammenhange mit
diesen anderen voll verstanden werden. Es ist eben nicht leicht, das für
den Erweis der Symbolik benötigte Material genügend isoliert zu
bekommen. -- Die Kranke findet zuerst, daß die Eisenbahnfahrt historisch
zu deuten ist, als Anspielung auf eine Fahrt von einer Nervenheilanstalt
weg, in deren Leiter sie natürlich verliebt war. Die Mutter holte sie
von dort ab, der Arzt erschien auf dem Bahnhof und überreichte ihr einen
Strauß Blumen zum Abschied; es war ihr unangenehm, daß die Mutter Zeugin
dieser Huldigung sein mußte. Hier erscheint also die Mutter als Störerin
ihrer Liebesbestrebungen, welche Rolle der strengen Frau während ihrer
Mädchenjahre wirklich zugefallen war. -- Der nächste Einfall bezieht
sich auf den Satz: sie sieht sich um, ob man nicht die Teile von hinten
sieht. In der Traumfassade müßte man natürlich an die Teile des
überfahrenen und zermalmten Töchterchens denken. Der Einfall weist
aber nach ganz anderer Richtung. Sie erinnert, daß sie einmal den
Vater im Badezimmer nackt von rückwärts gesehen, kommt auf die
Geschlechtsunterschiede zu sprechen und hebt hervor, daß man beim Manne
die Genitalien noch von rückwärts sehen könne, beim Weibe aber nicht. In
diesem Zusammenhange deutet sie nun selbst, daß das Kleine das Genitale
sei, ihre Kleine (sie hat eine vierjährige Tochter) ihr eigenes
Genitale. Sie macht der Mutter den Vorwurf, daß sie verlangt hätte, sie
solle so leben, als ob sie kein Genitale hätte, und findet diesen
Vorwurf in dem einleitenden Satz des Traumes wieder: Die Mutter schickte
ihre Kleine weg, damit sie allein gehen mußte. In ihrer Phantasie
bedeutet das Alleingehen auf der Straße keinen Mann, keine sexuelle
Beziehung haben (coire = zusammengehen), und das mag sie nicht. Nach
allen ihren Angaben hat sie wirklich als Mädchen unter der Eifersucht
der Mutter infolge ihrer Bevorzugung durch den Vater gelitten.

Die tiefere Deutung dieses Traumes ergibt sich aus einem anderen Traum
derselben Nacht, in dem sie sich mit ihrem Bruder identifiziert. Sie war
wirklich ein bubenhaftes Mädel, mußte oft hören, daß an ihr ein Bub
verloren gegangen sei. Zu dieser Identifizierung mit dem Bruder wird es
dann besonders klar, daß das »Kleine« das Genitale bedeutet. Die Mutter
droht ihm (ihr) mit der Kastration, die nichts anderes als Bestrafung
für das Spielen mit dem Gliede sein kann, und somit zeigt die
Identifizierung, daß sie selbst als Kind onaniert hat, was ihre
Erinnerung bisher nur vom Bruder bewahrt hatte. Eine Kenntnis des
männlichen Genitales, die ihr später verloren ging, muß sie nach den
Angaben dieses zweiten Traumes damals früh erworben haben. Ferner deutet
der zweite Traum auf die infantile Sexualtheorie hin, daß die Mädel
durch Kastration aus Buben hervorgehen. Nachdem ich ihr diese
Kindermeinung vorgetragen, findet sie sofort eine Bestätigung hiefür in
der Kenntnis der Anekdote, daß der Bub das Mädel fragt: Abgeschnitten?
worauf das Mädel antwortet: Nein, immer so g'west.

Das Wegschicken der Kleinen, des Genitales im ersten Traum, bezieht sich
also auch auf die Kastrationsdrohung. Endlich grollt sie der Mutter, daß
sie sie nicht als Knaben geboren hat.

Daß das »Überfahrenwerden« sexuellen Verkehr symbolisiert, würde aus
diesem Traume nicht evident, wenn man es nicht aus zahlreichen anderen
Quellen sicher wüßte.

    3. _Darstellung des Genitales durch Gebäude, Stiegen, Schachte_.

    (Traum eines durch seinen Vaterkomplex gehemmten jungen Mannes.)

»Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiß der Prater
ist, denn man sieht die _Rotunde_, vor dieser einen kleineren _Vorbau_,
an dem ein _Fesselballon_ angebracht ist, der aber ziemlich _schlaff_
scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich
darüber, erklärt es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine
große Platte von Blech ausgebreitet liegt. Sein Vater will sich ein
großes Stück davon _abreißen_, sieht sich aber vorher um, ob es nicht
jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braucht es doch nur dem Aufseher
zu sagen, dann kann er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof
führt eine _Treppe_ in einen _Schacht_ herunter, dessen Wände weich
ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil. Am Ende dieses Schachtes
ist eine längere Plattform und dann beginnt ein neuer _Schacht_ . . .«

_Analyse_. Dieser Träumer gehörte einem therapeutisch nicht günstigen
Typus von Kranken an, die bis zu einem gewissen Punkt der Analyse
überhaupt keine Widerstände machen und sich von da an fast unzugänglich
erweisen. Diesen Traum deutete er fast selbständig. Die Rotunde, sagte
er, ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis, über dessen
Schlaffheit ich zu klagen habe. Man darf also eingehender übersetzen,
die Rotunde sei das -- vom Kind regelmäßig zum Genitale gerechnete --
Gesäß, der kleinere Vorbau der Hodensack. Im Traum fragt ihn der Vater,
was das alles ist, d. h. nach Zweck und Verrichtung der Genitalien. Es
liegt nahe, diesen Sachverhalt umzukehren, so daß er der fragende Teil
wird. Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie
stattgefunden hat, muß man den Traumgedanken als Wunsch auffassen oder
ihn etwa konditionell nehmen: »Wenn ich den Vater um sexuelle Aufklärung
gebeten hätte.« Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an
anderer Stelle finden.

 Symbolische Bauten. -- Landschaften.

Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie
symbolisch zu fassen, sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters.
Aus Gründen der Diskretion habe ich das »Blech« für das andere Material,
mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des
Traumes zu ändern. Der Träumer ist in das Geschäft des Vaters
eingetreten und hat an den eher unkorrekten Praktiken, auf denen der
Gewinn zum guten Teil beruht, gewaltigen Anstoß genommen. Daher dürfte
die Fortsetzung des obigen Traumgedankens lauten: (»Wenn ich ihn gefragt
hätte), würde er mich betrogen haben, wie er seine Kunden betrügt.« Für
das _Abreißen_, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredlichkeit
dient, gibt der Träumer selbst die zweite Erklärung, es bedeute die
Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt (siehe oben p. 259),
sondern stimmt auch sehr gut dazu, daß das Geheimnis der Onanie durch
das Gegenteil ausgedrückt ist (man darf es ja offen tun). Es entspricht
dann allen Erwartungen, daß die onanistische Tätigkeit wieder dem Vater
zugeschoben wird, wie die Befragung in der ersten Traumszene. Den
Schacht deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der
Wände als Vagina. Daß das Herabsteigen wie sonst das Aufsteigen den
Koitusverkehr in der Vagina beschreiben will, setze ich aus anderer
Kenntnis ein (vgl. meine Bemerkung im Zentralblatt f. Psychoanalyse, I,
1, 1910; siehe oben p. 262 Note).

Die Einzelheiten, daß auf den ersten Schacht eine längere Plattform
folgt und dann ein neuer Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat
eine Zeitlang koitiert, dann den Verkehr infolge von Hemmungen
aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu
können. Der Traum wird aber gegen Ende undeutlicher und dem Kundigen muß
es plausibel erscheinen, daß sich schon in der zweiten Traumszene der
Einfluß eines anderen Themas geltend mache, auf welches das Geschäft des
Vaters, sein betrügerisches Vorgehen, die erste als Schacht dargestellte
Vagina deuten, so daß man eine Beziehung auf die Mutter annehmen könnte.

    4. _Das männliche Genitale durch Personen, das weibliche durch eine
    Landschaft symbolisiert_.

    (Traum einer Frau aus dem Volke, deren Mann Wachmann ist, mitgeteilt
    von B. _Dattner_.)

. . . Dann sei jemand in die Wohnung eingebrochen und sie habe angstvoll
nach einem Wachmanne gerufen. Dieser aber sei mit zwei »Pülchern«
einträchtig in eine Kirche(139) gegangen, zu der mehrere Stufen(140)
emporführten; hinter der Kirche sei ein Berg(141) gewesen und oben ein
dichter Wald(142). Der Wachmann sei mit einem Helm, Ringkragen und
Mantel(143) versehen gewesen. Er habe einen braunen Vollbart gehabt. Die
beiden Vaganten, die friedlich mit dem Wachmann gegangen seien, hätten
sackartig aufgebundene Schürzen um die Lenden gehabt(144). Vor der
Kirche habe zum Berg ein Weg geführt. Dieser sei beiderseits mit Gras
und Gestrüpp verwachsen gewesen, das immer dichter wurde und auf der
Höhe des Berges ein ordentlicher Wald geworden sei.

  (139) Oder Kapelle = Vagina.

  (140) Symbol des Koitus.

  (141) Mons veneris.

  (142) Crines pubis.

  (143) Dämonen in Mänteln und Kapuzen sind nach der Aufklärung eines
  Fachmannes phallischer Natur.

  (144) Die beiden Hälften des Hodensackes.

    5. _Zur Harnsymbolik_.

Die hier reproduzierten Zeichnungen stammen aus einer Reihe von Bildern,
die _Ferenczi_ in einem ungarischen Witzblatt (»Fidibusz«) aufgefunden
und in ihrer Brauchbarkeit zur Illustration der Traumtheorie erkannt
hat. O. _Rank_ hat das nebenstehende als »_Traum der französischen
Bonne_« überschriebene Blatt bereits in seiner Arbeit über die
Symbolschichtung im Wecktraum usw. (p. 99) verwertet.

Erst das letzte Bild, welches das Erwachen der Bonne infolge des
Geschreis des Kindes enthält, zeigt uns, daß die früheren sieben die
Phasen eines Traumes darstellen. Das erste Bild anerkennt den Reiz, der
zum Erwachen führen sollte. Der Knabe hat ein Bedürfnis geäußert und
verlangt die entsprechende Hilfeleistung. Der Traum vertauscht aber die
Situation im Schlafzimmer mit der eines Spazierganges. Im zweiten Bild
hat sie den Knaben bereits an eine Straßenecke gestellt, er uriniert und
-- sie darf weiterschlafen. Der Weckreiz hält aber an, ja er verstärkt
sich; der Knabe, der sich nicht beachtet findet, brüllt immer kräftiger.
Je dringender er das Erwachen und die Hilfeleistung seiner Bonne
fordert, desto mehr steigert deren Traum seine Versicherung, daß alles
in Ordnung sei und daß sie nicht zu erwachen brauche. Er übersetzt dabei
den Weckreiz in die Dimensionen des Symbols. Der Wasserstrom, welchen
der urinierende Knabe liefert, wird immer mächtiger. Im vierten Bild
trägt er bereits einen Kahn, dann eine Gondel, ein Segelschiff, endlich
ein großes Dampfschiff! Der Kampf zwischen dem eigensinnigen
Schlafbedürfnis und dem unermüdlichen Weckreiz ist hier in
geistreichster Weise von einem mutwilligen Künstler verbildlicht.

[Illustration]

    6. _Ein Stiegentraum_.

    (Mitgeteilt und gedeutet von _Otto Rank_.)

Demselben Kollegen, von dem der (unten p. 281 f. Anmkg.) angeführte
Zahnreiztraum herrührt, verdanke ich den folgenden ähnlich
durchsichtigen Pollutionstraum:

»Ich jage im Stiegenhaus die Treppe hinunter einem kleinen Mädchen, das
mir irgend etwas getan hat, nach, um es zu bestrafen. Unten am Ende der
Stiege hält mir jemand (eine erwachsene weibliche Person?) das Kind auf;
ich fasse es, weiß aber nicht, ob ich es geschlagen habe, denn plötzlich
befand ich mich mitten auf der _Stiege_, wo ich das Kind (gleichsam wie
in der Luft) koitierte. Eigentlich war es kein Koitus, sondern ich rieb
nur mein Genitale an ihrem äußeren Genitale, wobei ich dieses sowie
ihren seitwärts zurückgelegten Kopf überaus deutlich sah. Während des
Sexualaktes sah ich links ober mir (auch wie in der Luft) zwei kleine
Gemälde hängen, Landschaften, die ein Haus im Grünen darstellten. Auf
dem einen kleineren stand unten an Stelle der Namenssignatur des Malers
mein eigener Vorname, als wäre es für mich zum Geburtstagsgeschenk
bestimmt. Dann hing noch ein Zettel vor beiden Bildern, worauf stand,
daß billigere Bilder auch zur Verfügung stehen; (ich sehe mich dann
höchst undeutlich so wie oben auf dem Treppenabsatz im Bette liegen und)
erwache durch die Empfindung der Nässe, welche von der erfolgten
Pollution herrührt.«

_Deutung_: Der Träumer war am Abend des Traumtages im Laden eines
Buchhändlers gewesen, wo er während der Wartezeit einige der
ausgestellten Bilder besichtigt hatte, die ähnliche Motive wie die
Traumbilder darstellten. Bei einem kleinen Bildchen, das ihm besonders
gefallen hatte, trat er näher und sah nach dem Namen des Malers, der ihm
jedoch völlig unbekannt war.

Am selben Abend hatte er später in Gesellschaft von einem böhmischen
Dienstmädchen erzählen gehört, die sich gerühmt hatte, ihr
außereheliches Kind sei »auf der Stiege gemacht worden«. Der Träumer
hatte sich nach dem Detail dieses nicht alltäglichen Vorkommnisses
erkundigt und erfahren, daß das Dienstmädchen mit ihrem Verehrer nach
Hause in die Wohnung ihrer Eltern gegangen war, wo zu geschlechtlichem
Verkehr keine Gelegenheit gewesen wäre, und daß der erregte Mann den
Koitus auf der Stiege vollzogen hatte. Der Träumer hatte dazu in
scherzhafter Anspielung auf den boshaften Ausdruck für Weinfälscherei
geäußert: das Kind sei wirklich »auf der Kellerstiege gewachsen«.

Dies die Tagesanknüpfungen, die ziemlich aufdringlich im Trauminhalt
vertreten sind und vom Träumer ohne weiteres reproduziert werden. Ebenso
leicht produziert er aber ein altes Stück infantiler Erinnerung, das
ebenfalls im Traume Verwendung gefunden hat. Das Stiegenhaus ist das
jenes Hauses, in welchem er den größten Teil seiner Kinderjahre
verbracht und wo er insbesondere die erste bewußte Bekanntschaft mit den
Sexualproblemen gemacht hatte. In diesem Stiegenhaus hatte er häufig
gespielt und war dabei unter anderem auch rittlings längs des Geländers
hinuntergerutscht, wobei er sexuelle Erregung verspürt hatte. Im Traume
eilt er nun ebenfalls ungemein rasch über die Stiege hinunter, so rasch,
daß er nach eigener deutlicher Angabe die einzelnen Stufen gar nicht
berührt, sondern, wie man zu sagen pflegt, »hinunter_fliegt_« oder
rutscht. Mit Bezug auf das infantile Erlebnis scheint dieser Beginn des
Traumes den Moment der sexuellen Erregung darzustellen. -- In diesem
Stiegenhaus und der dazugehörigen Wohnung hatte der Träumer aber auch
mit den Nachbarskindern häufig sexuelle Raufspiele getrieben, wobei er
sich in ähnlicher Weise befriedigt hatte, wie es im Traume geschieht.

 Stiegenträume.

Weiß man aus _Freuds_ sexualsymbolischen Forschungen (siehe Zentralblatt
f. Ps.-A., H. 1, p. 2 f.), daß die Stiege und das Stiegensteigen im
Traume fast regelmäßig den Koitus symbolisieren, so wird der Traum
völlig durchsichtig. Seine Triebkraft ist, wie ja auch sein Effekt, die
Pollution, zeigt, rein libidinöser Natur. Im Schlafzustand erwacht die
sexuelle Erregung (im Traume dargestellt durch das Hinuntereilen --
rutschen -- über die Stiege), deren sadistischer Einschlag auf Grund der
Raufspiele in der Verfolgung und Überwältigung des Kindes angedeutet
ist. Die libidinöse Erregung steigert sich und drängt zur sexuellen
Aktion (dargestellt im Traume durch das Fassen des Kindes und seine
Beförderung in die Mitte der Stiege). Bis daher wäre der Traum rein
sexualsymbolisch und für den wenig geübten Traumdeuter völlig
undurchsichtig. Aber der überstarken libidinösen Erregung genügt diese
symbolische Befriedigung nicht, welche die Ruhe des Schlafes
gewährleistet hätte. Die Erregung führt zum Orgasmus und damit wird die
ganze Stiegensymbolik als Vertretung des Koitus entlarvt. -- Wenn
_Freud_ als einen der Gründe für die sexuelle Verwertung des
Stiegensymbols den rhythmischen Charakter beider Aktionen hervorhebt, so
scheint dieser Traum besonders deutlich dafür zu sprechen, da nach
ausdrücklicher Angabe des Träumers die Rhythmik seines Sexualaktes, das
Auf- und Niederreiben, das im ganzen Traum am deutlichsten ausgeprägte
Element gewesen war.

Noch eine Bemerkung über die beiden Bilder, die, abgesehen von ihrer
realen Bedeutung auch in symbolischem Sinne als »Weibsbilder« gelten,
was schon daraus hervorgeht, daß es sich um ein großes und ein kleines
Bild handelt, ebenso wie im Trauminhalt ein großes (erwachsenes) und ein
kleines Mädchen vorkommen. Daß auch billigere Bilder zur Verfügung
stehen, führt zum Prostituiertenkomplex, wie anderseits der Vorname des
Träumers auf dem kleinen Bilde und der Gedanke, es sei ihm zum
Geburtstag bestimmt, auf den Elternkomplex hinweisen (auf der Stiege
geboren = im Koitus erzeugt).

Die undeutliche Schlußszene, wo der Träumer sich selbst oben auf dem
Treppenabsatze im Bette liegen sieht und Nässe verspürt, scheint über die
infantile Onanie hinaus noch weiter in die Kindheit zurückzuweisen, und
vermutlich ähnlich lustvolle Szenen von _Bettnässen_ zum Vorbild zu haben.

    7. _Ein modifizierter Stiegentraum_.

Ich mache einem meiner Patienten, einem schwerkranken Abstinenten,
dessen Phantasie an seine Mutter fixiert ist, und der wiederholt vom
Treppensteigen in Begleitung der Mutter geträumt hat, die Bemerkung, daß
mäßige Masturbation ihm wahrscheinlich weniger schädlich wäre als seine
erzwungene Enthaltsamkeit. Diese Beeinflussung provoziert folgenden
Traum:

»Sein Klavierlehrer mache ihm Vorwürfe, daß er sein Klavierspiel
vernachlässigt, die Etüden von _Moscheles_ sowie den _Gradus ad
Parnassum_ von _Clementi_ nicht übt.«

Er bemerkt hiezu, der Gradus sei ja auch eine Stiege und die Klaviatur
selbst sei eine Stiege, weil sie eine Skala enthalte.

Man darf sagen, es gibt keinen Vorstellungskreis, der sich der
Darstellung sexueller Tatsachen und Wünsche verweigern würde.

Es sei hier ein Traum eingeschaltet, dessen hübsche Symbolik eine
Deutung mit geringer Nachhilfe der Träumerin gestattete.

    8. »_Zur Frage der Symbolik in den Träumen Gesunder_«(145).

  (145) _Alfred Robitsek_ im Zentralblatt f. Ps.-A. II, 1911, p. 340.

»Ein von den Gegnern der Psychoanalyse häufig -- zuletzt auch von
_Havelock Ellis_(146) -- vorgebrachter Einwand lautet, daß die
Traumsymbolik vielleicht ein Produkt der neurotischen Psyche sei, aber
keineswegs für die normale Gültigkeit habe. Während nun die
psychoanalytische Forschung zwischen normalem und neurotischem
Seelenleben überhaupt keine prinzipiellen, sondern nur quantitative
Unterschiede kennt, zeigt die Analyse der Träume, in denen ja bei
Gesunden und Kranken in gleicher Weise die verdrängten Komplexe wirksam
sind, die volle Identität der Mechanismen, wie der Symbolik. Ja die
unbefangenen Träume Gesunder enthalten oft eine viel einfachere,
durchsichtigere und mehr charakteristische Symbolik als die neurotischer
Personen, in denen sie infolge der stärker wirkenden Zensur und der
hieraus resultierenden weitergehenden Traumentstellung häufig gequält,
dunkel und schwer zu deuten ist. Der in folgendem mitgeteilte Traum
diene zur Illustrierung dieser Tatsache. Er stammt von einem nicht
neurotischen Mädchen von eher prüdem und zurückhaltendem Wesen; im Laufe
des Gespräches erfahre ich, daß sie verlobt ist, daß sich aber der
Heirat Hindernisse entgegenstellen, die sie zu verzögern geeignet sind.
Sie erzählt mir spontan folgenden Traum:

»_I arrange the centre of a table with flowers for a birthday._« (Ich
richte die Mitte eines Tisches mit Blumen für einen Geburtstag her.) Auf
Fragen gibt sie an, sie sei im Traume wie in ihrem Heim gewesen (das sie
zurzeit nicht besitzt) und habe ein _Glücksgefühl_ empfunden.

  (146) »The World of Dreams«, London 1911, p. 168.

»Die ›populäre‹ Symbolik ermöglicht mir, den Traum für mich zu
übersetzen. Er ist der Ausdruck ihrer bräutlichen Wünsche: der Tisch mit
dem Blumenmittelstück ist symbolisch für sie selbst und das Genitale;
sie stellt ihre Zukunftswünsche erfüllt dar, indem sie sich bereits mit
dem Gedanken an die Geburt eines Kindes beschäftigt; die Hochzeit liegt
also längst hinter ihr.

»Ich mache sie darauf aufmerksam, daß ›the _centre_ of a table‹ ein
ungewöhnlicher Ausdruck sei, was sie zugibt, kann hier aber natürlich
nicht direkt weiter fragen. Ich vermied es sorgfältig, ihr die Bedeutung
der Symbole zu suggerieren und fragte sie nur, was ihr zu den einzelnen
Teilen des Traumes in den Sinn komme. Ihre Zurückhaltung wich im
Verlaufe der Analyse einem deutlichen Interesse an der Deutung und einer
Offenheit, die der Ernst des Gespräches ermöglichte. -- Auf meine Frage,
was für Blumen es gewesen seien, antwortete sie zunächst: ›_expensive
flowers; one has to pay for them_‹ (teuere Blumen, für die man zahlen
muß), dann, es seien ›_lilies of the valley, violets and pinks or
carnations_‹ gewesen (Maiglöckchen, wörtlich Lilien vom Tale, Veilchen
und Nelken). Ich nahm an, daß das Wort _Lilie_ in diesem Traume in
seiner populären Bedeutung als Keuschheitssymbol erscheine; sie
bestätigte diese Annahme, indem ihr zu ›_Lilie_‹ ›_purity_‹ (Reinheit)
einfiel. ›_Valley_‹ das Tal, ist ein häufiges weibliches Traumsymbol; so
wird das zufällige Zusammentreffen der beiden Symbole in dem englischen
Namen für Maiglöckchen zur Traumsymbolik, zur Betonung ihrer kostbaren
Jungfräulichkeit -- expensive flowers, one has to pay for them --
verwendet und zum Ausdruck der Erwartung, daß der Mann ihren Wert zu
würdigen wissen werde. Die Bemerkung ›expensive flowers etc.‹ hat, wie
sich zeigen wird, bei jedem der drei Blumensymbole eine andere
Bedeutung.

»Den geheimen Sinn der scheinbar recht asexuellen ›_violets_‹ suchte ich
mir -- recht kühn, wie ich meinte -- mit einer unbewußten Beziehung zum
französischen ›_viol_‹ zu erklären. Zu meiner Überraschung assoziierte
die Träumerin ›_violate_‹, das englische Wort für vergewaltigen. Die
zufällige große Wortähnlichkeit von _violet_ und _violate_ -- in der
englischen Aussprache unterscheiden sie sich nur durch eine
Akzentverschiedenheit der letzten Silbe -- wird vom Traume benutzt, um
›durch die Blume‹ den Gedanken an die Gewaltsamkeit der Defloration
(auch dieses Wort benutzt die Blumensymbolik), vielleicht auch einen
masochistischen Zug des Mädchens zum Ausdruck zu bringen. Ein schönes
Beispiel für die Wortbrücken, über welche die Wege zum Unbewußten
führen. Das ›one has to pay for them‹ bedeutet hier das Leiden, mit dem
sie das Weib- und Mutterwerden bezahlen muß.

»Bei ›_pinks_‹, die sie dann ›_carnations_‹ nennt, fällt mir die
Beziehung dieses Wortes zum ›Fleischlichen‹ auf. Ihr Einfall dazu
lautete aber ›_colour_‹ (Farbe). Sie fügte hinzu, daß carnations die
Blumen seien, welche ihr von ihrem Verlobten _häufig und in großen
Mengen_ geschenkt werden. Zu Ende des Gespräches gesteht sie plötzlich
spontan, sie habe mir nicht die Wahrheit gesagt, es sei ihr nicht
›_colour_‹, sondern ›_incarnation_‹ (Fleischwerdung) eingefallen,
welches Wort ich erwartet hatte; übrigens ist auch ›colour‹ als Einfall
nicht entlegen, sondern durch die Bedeutung von _carnation_ --
_Fleischfarbe_, also durch den Komplex determiniert. Diese
Unaufrichtigkeit zeigt, daß der Widerstand an dieser Stelle am größten
war, entsprechend dem Umstand, daß die Symbolik hier am durchsichtigsten
ist, der Kampf zwischen Libido und Verdrängung bei diesem phallischen
Thema am stärksten war. Die Bemerkung, daß diese Blumen häufige
Geschenke des Verlobten seien, ist neben der Doppelbedeutung von
carnation ein weiterer Hinweis auf ihren phallischen Sinn im Traume. Der
Tagesanlaß des Blumengeschenkes wird benutzt, um den Gedanken von
sexuellem Geschenk und Gegengeschenk auszudrücken: sie schenkt ihre
Jungfräulichkeit und erwartet dafür ein reiches Liebesleben. Auch hier
dürfte das ›expensive flowers, one has to pay for them‹ eine -- wohl
wirklich finanzielle -- Bedeutung haben. -- Die Blumensymbolik des
Traumes enthält also das jungfräulich-weibliche, das männliche Symbol
und die Beziehung auf die gewaltsame Defloration. Es sei darauf
hingewiesen, daß diese sexuelle Blumensymbolik, die ja auch sonst sehr
verbreitet ist, die menschlichen Sexualorgane durch die Blüten, die
Sexualorgane der Pflanzen symbolisiert; das Blumenschenken unter
Liebenden hat vielleicht überhaupt diese unbewußte Bedeutung.

»Der Geburtstag, den sie im Traume vorbereitet, bedeutet wohl die Geburt
eines Kindes. Sie identifiziert sich mit dem Bräutigam, stellt ihn dar,
wie er sie für eine Geburt herrichtet, also koitiert. Der latente
Gedanke könnte lauten: Wenn ich er wäre, würde ich nicht warten, sondern
die Braut deflorieren, ohne sie zu fragen, Gewalt brauchen; darauf
deutet ja auch das _violate_. So kommt auch die sadistische
Libidokomponente zum Ausdruck. --

»In einer tieferen Schichte des Traumes dürfte das ›I arrange etc.‹ eine
autoerotische, also infantile Bedeutung haben.

»Sie hat auch eine nur im Traume mögliche Erkenntnis ihrer körperlichen
Dürftigkeit: sie sieht sich flach wie einen Tisch; um so mehr wird die
Kostbarkeit des ›_centre_‹ (sie nennt es ein andermal ›_a centre piece
of flowers_‹), ihre Jungfräulichkeit hervorgehoben. Auch das Horizontale
des Tisches dürfte ein Element zum Symbol beitragen. -- Beachtenswert
ist die Konzentration des Traumes; nichts ist überflüssig, jedes Wort
ist ein Symbol.

»Sie bringt später einen Nachtrag zum Traume: ›_I decorate the flowers
with green crinkled paper._‹ (Ich verziere die Blumen mit grünem,
gekräuseltem Papier.) Sie fügt hinzu, es sei ›fancy paper‹
(Phantasiepapier), mit dem man die gewöhnlichen Blumentöpfe verkleide.
Sie sagt weiter: ›_to hide untidy things, whatever was to be seen, which
was not pretty to the eye; there is a gap, a little space in the
flowers._‹ Also: ›um unsaubere Dinge zu verbergen, die nicht hübsch
anzusehen sind; ein Spalt, ein kleiner Zwischenraum in den Blumen.‹
›_The paper looks like velvet or moss_‹ (›das Papier sieht wie Samt oder
Moos aus‹). Zu ›_decorate_‹ assoziiert sie ›_decorum_‹, wie ich es
erwartet hatte. Die grüne Farbe sei vorherrschend; sie assoziiert dazu
›_hope_‹ (Hoffnung), wieder eine Beziehung zur Gravidität. -- In diesem
Teile des Traumes herrscht nicht die Identifizierung mit dem Manne,
sondern es kommen Gedanken von Scham und Offenheit zur Geltung. Sie
macht sich schön für ihn, gesteht sich körperliche Fehler ein, deren sie
sich schämt und die sie zu korrigieren sucht. Die Einfälle Samt, Moos
sind ein deutlicher Hinweis, daß es sich um die crines pubis handelt.

»Der Traum ist ein Ausdruck von Gedanken, die das wache Denken des
Mädchens kaum kennt; Gedanken, die sich mit der Sinnenliebe und ihren
Organen beschäftigen; sie wird ›für einen Geburtstag zugerichtet‹, d. h.
koitiert; die Furcht vor der Defloration, vielleicht auch das
lustbetonte Leiden kommen zum Ausdruck; sie gesteht sich ihre
körperlichen Mängel ein, überkompensiert diese durch Überschätzung des
Wertes ihrer Jungfräulichkeit. Ihre Scham entschuldigt die sich zeigende
Sinnlichkeit damit, daß diese ja das Kind zum Ziel hat. Auch materielle
Erwägungen, die der Liebenden fremd sind, finden ihren Ausdruck. Der
Affekt des einfachen Traumes -- das Glücksgefühl -- zeigt an, daß hier
starke Gefühlskomplexe ihre Befriedigung gefunden haben.«

Ich schließe mit dem

    9. _Traum eines Chemikers_,

eines jungen Mannes, der sich bemühte, seine onanistischen Gewohnheiten
gegen den Verkehr mit dem Weibe aufzugeben.

_Vorbericht_. Am Tage vor dem Traume hat er einem Studenten Aufschluß
über die _Grignard_sche Reaktion gegeben, bei welcher Magnesium unter
katalytischer Jodeinwirkung in absolut reinem Äther aufzulösen ist. Zwei
Tage vorher gab es bei der nämlichen Reaktion eine Explosion, bei der
sich ein Arbeiter die Hand verbrannte.

Traum: I. Er soll Phenylmagnesiumbromid machen, sieht die Apparatur
besonders deutlich, hat aber sich selbst fürs Magnesium substituiert. Er
ist nun in eigentümlich schwankender Verfassung, sagt sich immer: Es ist
das Richtige, es geht, meine Füße lösen sich schon auf, meine Knie
werden weich. Dann greift er hin, fühlt an seine Füße, nimmt inzwischen
(er weiß nicht wie) seine Beine aus dem Kolben heraus, sagt sich wieder:
Das kann nicht sein. -- Ja doch, es ist richtig gemacht. Dabei erwacht
er partiell, wiederholt sich den Traum, weil er ihn mir erzählen will.
Er fürchtet sich direkt vor der Auflösung des Traumes, ist während
dieses Halbschlafes sehr erregt und wiederholt sich beständig: Phenyl,
Phenyl.

II. Er ist mit seiner ganzen Familie in ***ing; soll um ½12 Uhr beim
Rendezvous am Schottentor mit jener gewissen Dame sein, wacht aber erst
um ½12 Uhr auf. Er sagt sich: Es ist jetzt zu spät; bis du hinkommst,
ist es ½1 Uhr. Im nächsten Moment sieht er die ganze Familie um den
Tisch versammelt, besonders deutlich die Mutter und das Stubenmädchen
mit dem Suppentopf. Er sagt sich dann: Nun, wenn wir schon essen, kann
ich ja nicht mehr fort.

_Analyse_: Er ist sicher, daß schon der erste Traum eine Beziehung zur
Dame seines Rendezvous hat (der Traum ist in der Nacht vor der
erwarteten Zusammenkunft geträumt). Der Student, dem er die Auskunft
gab, ist ein besonders ekelhafter Kerl; er sagte ihm: Das ist nicht das
Richtige, weil das Magnesium noch ganz unberührt war, und jener
antwortete, als ob ihm gar nichts daran läge: Das ist halt nicht das
Richtige. Dieser Student muß er selbst sein; -- er ist so gleichgültig
gegen seine _Analyse_, wie jener für seine _Synthese_ --; das Er im
Traume, das die Operation vollzieht, aber ich. Wie ekelhaft muß er mir
mit seiner Gleichgültigkeit gegen den Erfolg erscheinen!

Anderseits ist er dasjenige, womit die Analyse (Synthese) gemacht wird.
Es handelt sich um das Gelingen der Kur. Die Beine im Traume erinnern an
einen Eindruck von gestern abends. Er traf in der Tanzstunde mit einer
Dame zusammen, die er erobern will; er drückte sie so fest an sich, daß
sie einmal aufschrie. Als er mit dem Druck gegen ihre Beine aufhörte,
fühlte er ihren kräftigen Gegendruck auf seinen Unterschenkeln bis
oberhalb der Knie, an den im Traume erwähnten Stellen. In dieser
Situation ist also das Weib das Magnesium in der Retorte, mit dem es
endlich geht. Er ist feminin gegen mich, wie er viril gegen das Weib
ist. Geht es mit der Dame, so geht es auch mit der Kur. Das sich
Befühlen und die Wahrnehmungen an seinen Knien deuten auf die Onanie und
entsprechen seiner Müdigkeit vom Tage vorher. -- Das Rendezvous war
wirklich für ½12 Uhr verabredet. Sein Wunsch, es zu verschlafen und bei
den häuslichen Sexualobjekten (d. h. bei der Onanie) zu bleiben,
entspricht seinem Widerstande.

Zur Wiederholung des Namens Phenyl berichtet er: Alle diese Radikale auf
yl haben ihm immer sehr gefallen, sie sind sehr bequem zu gebrauchen:
Benzyl, Azetyl usw. Das erklärt nun nichts, aber als ich ihm das
Radikal: _Schlemihl_ vorschlage, lacht er sehr und erzählt, daß er
während des Sommers ein Buch von _Prévost_ gelesen und in diesem war im
Kapitel: Les exclus de l'amour allerdings von den »_Schlemiliés_« die
Rede, bei deren Schilderung er sich sagte: Das ist mein Fall. --
Schlemihlerei wäre es auch gewesen, wenn er das Rendezvous versäumt
hätte.

Es scheint, daß die sexuelle Traumsymbolik bereits eine direkte
experimentelle Bestätigung gefunden hat. Phil. Dr. K. _Schrötter_ hat
1912 über Anregung von H. _Swoboda_ bei tief hypnotisierten Personen
Träume durch einen suggestiven Auftrag erzeugt, der einen großen Teil
des Trauminhaltes festlegte. Wenn die Suggestion den Auftrag brachte,
vom normalen oder abnormen Sexualverkehr zu träumen, so führte der Traum
diese Aufträge aus, indem er an Stelle des sexuellen Materials die aus
der psychoanalytischen Traumdeutung bekannten Symbole einsetzte. So
z. B. erschien nach der Suggestion, vom homosexuellen Verkehr mit einer
Freundin zu träumen, im Traume diese Freundin mit einer schäbigen
_Reisetasche_ in der Hand, worauf ein Zettel klebte, bedruckt mit den
Worten: »Nur für Damen.« Der Träumerin war angeblich von Symbolik im
Traume und Traumdeutung niemals etwas bekanntgegeben worden. Leider wird
die Einschätzung dieser bedeutsamen Untersuchung durch die unglückliche
Tatsache gestört, daß Dr. _Schrötter_ bald nachher durch Selbstmord
endete. Von seinen Traumexperimenten berichtet bloß eine vorläufige
Mitteilung im »Zentralblatt für Psychoanalyse«.

                   *       *       *       *       *

Erst nachdem wir die Symbolik im Traume gewürdigt haben, können wir in
der p. 205 abgebrochenen Behandlung der _typischen Träume_ fortfahren.
Ich halte es für gerechtfertigt, diese Träume im Groben in zwei Klassen
einzuteilen, in solche, die wirklich jedesmal den gleichen Sinn haben,
und zweitens in solche, die trotz des gleichen oder ähnlichen Inhaltes
doch die verschiedenartigsten Deutungen erfahren müssen. Von den
typischen Träumen der ersten Art habe ich den Prüfungstraum bereits
eingehender behandelt.

Wegen des ähnlichen Affekteindruckes verdienen die Träume vom
Nichterreichen eines Eisenbahnzuges den Prüfungsträumen angereiht zu
werden. Ihre Aufklärung rechtfertigt dann diese Annäherung. Es sind
Trostträume gegen eine andere im Schlaf empfundene Angstregung, die
Angst zu sterben. »Abreisen« ist eines der häufigsten und am besten zu
begründenden Todessymbole. Der Traum sagt dann tröstend: Sei ruhig, du
wirst nicht sterben (abreisen), wie der Prüfungstraum beschwichtigte:
Fürchte nichts; es wird dir auch diesmal nichts geschehen. Die
Schwierigkeit im Verständnis beider Arten von Träumen rührt daher, daß
die Angstempfindung gerade an den Ausdruck des Trostes geknüpft ist.

 Zahnreizträume.

Der Sinn der »_Zahnreizträume_«, die ich bei meinen Patienten oft genug
zu analysieren hatte, ist mir lange Zeit entgangen, weil sich zu meiner
Überraschung der Deutung derselben regelmäßig allzu große Widerstände
entgegenstellten.

Endlich ließ die übergroße Evidenz keinen Zweifel daran, daß bei Männern
nichts anderes als das Onaniegelüste der Pubertätszeit die Triebkraft
dieser Träume abgebe. Ich will zwei solcher Träume analysieren, von
denen einer gleichzeitig ein »Flugtraum« ist. Beide rühren von derselben
Person her, einem jungen Manne mit starker, aber im Leben gehemmter
Homosexualität:

_Er befindet sich bei einer »Fidelio«-Vorstellung im Parkett der Oper,
neben L., einer ihm sympathischen Persönlichkeit, deren Freundschaft er
gern erwerben möchte. Plötzlich fliegt er schräg hinweg über das Parkett
bis ans Ende, greift sich dann in den Mund und zieht sich zwei Zähne
aus._

Den Flug beschreibt er selbst, als ob er in die Luft »geworfen« würde.
Da es sich um eine Vorstellung des »Fidelio« handelt, liegt das
Dichterwort nahe:

    »Wer ein holdes Weib errungen« --

Aber das Erringen auch des holdesten Weibes gehört nicht zu den Wünschen
des Träumers. Zu diesen stimmen zwei andere Verse besser:

    »Wem der _große Wurf_ gelungen,
    Eines Freundes Freund zu sein . . .«

Der Traum enthält nun diesen »großen Wurf«, der aber nicht allein
Wunscherfüllung ist. Es verbirgt sich hinter ihm auch die peinliche
Überlegung, daß er mit seinen Werbungen um Freundschaft schon so oft
Unglück gehabt hat, »hinausgeworfen« wurde, und die Furcht, dieses
Schicksal könnte sich bei dem jungen Manne, neben dem er die
»Fidelio«-Vorstellung genießt, wiederholen. Und nun schließt sich daran
das für den feinsinnigen Träumer beschämende Geständnis an, daß er einst
nach einer Abweisung von Seite eines Freundes aus Sehnsucht zweimal
hintereinander in sinnlicher Erregung onaniert hat.

Der andere Traum: _Zwei ihm bekannte Universitätsprofessoren behandeln
ihn an meiner Statt. Der eine tut irgend etwas an seinem Gliede; er hat
Angst vor einer Operation. Der andere stößt mit einer eisernen Stange
gegen seinen Mund, so daß er ein oder zwei Zähne verliert. Er ist mit
vier seidenen Tüchern gebunden._

Der sexuelle Sinn dieses Traumes ist wohl nicht zweifelhaft. Die
seidenen Tücher entsprechen einer Identifizierung mit einem ihm
bekannten Homosexuellen. Der Träumer, der niemals einen Koitus
ausgeführt, auch nie in der Wirklichkeit geschlechtlichen Verkehr mit
Männern gesucht hat, stellt sich den sexuellen Verkehr nach dem Vorbilde
der ihm einst vertrauten Pubertätsonanie vor.

 Über die Symbolik des Zahnreizes.

Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen
Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und
ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden(147).
Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der »Zahnreiz« zu dieser
Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von
unten nach oben aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht,
und vermöge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und
Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an
anderen einwandfreien Körperteilen realisiert werden können. Ein Fall
von solcher Verlegung ist es auch, wenn in der Symbolik des unbewußten
Denkens die Genitalien durch das Angesicht ersetzt werden. Der
Sprachgebrauch tut dabei mit, indem er »Hinterbacken« als Homologe der
Wangen anerkennt, »Schamlippen« neben den Lippen nennt, welche die
Mundspalte einrahmen. Die Nase wird in zahlreichen Anspielungen dem
Penis gleichgestellt, die Behaarung hier und dort vervollständigt die
Ähnlichkeit. Nur ein Gebilde steht außer jeder Möglichkeit von
Vergleichung, die Zähne, und gerade dies Zusammentreffen von
Übereinstimmung und Abweichung macht die Zähne für die Zwecke der
Darstellung unter dem Drucke der Sexualverdrängung geeignet.

  (147) Das Ausreißen eines Zahnes durch einen anderen ist zumeist als
  Kastration zu deuten (ähnlich wie das Haareschneiden durch den
  Friseur; _Stekel_). Es ist zu unterscheiden zwischen Zahnreizträumen
  und Zahnarztträumen überhaupt, wie solche z. B. _Coriat_ (Zentralbl.
  f. Ps.-A. III, 440) mitgeteilt hat.

Ich will nicht behaupten, daß nun die Deutung des Zahnreiztraumes als
Onanietraum, an deren Berechtigung ich nicht zweifeln kann, voll
durchsichtig geworden ist(148). Ich gebe so viel, als ich zur Erklärung
weiß, und muß einen Rest unaufgelöst lassen. Aber ich muß auch auf einen
anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In
unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den
masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen
herunterreißen(149). Ich weiß nicht zu sagen, woher diese Redeweisen
stammen, welche Verbildlichung ihnen zu Grunde liegt, aber zur ersteren
von den beiden würde sich der »Zahn« sehr gut fügen(150).

  (148) Nach einer Mitteilung von C. G. _Jung_ haben die Zahnreizträume
  bei Frauen die Bedeutung von Geburtsträumen.

  (149) Vgl. hiezu den »biographischen« Traum auf p. 289.

  (150) Da die Träume vom Zahnziehen oder Zahnausfall im Volksglauben
  auf den Tod eines Angehörigen gedeutet werden, die Psychoanalyse ihnen
  aber solche Bedeutung höchstens im oben angedeuteten parodistischen
  Sinn zugestehen kann, schalte ich hier einen von _Otto Rank_ zur
  Verfügung gestellten »Zahnreiztraum« ein:

  »Zum Thema der Zahnreizträume ist mir von einem Kollegen, der sich
  seit einiger Zeit für die Probleme der Traumdeutung lebhafter zu
  interessieren beginnt, der folgende Bericht zugekommen:

  ›_Mir träumte kürzlich, ich sei beim Zahnarzt, der mir einen
  rückwärtigen Zahn des Unterkiefers ausbohrt. Er arbeitet so lange
  herum, bis der Zahn unbrauchbar geworden ist. Dann faßt er ihn mit der
  Zange und zieht ihn mit einer spielenden Leichtigkeit heraus, die mich
  in Verwunderung setzt. Er sagt, ich solle mir nichts daraus machen,
  denn das sei gar nicht der eigentlich behandelte Zahn und legt ihn auf
  den Tisch, wo der Zahn (wie mir nun scheint, ein oberer Schneidezahn)
  in mehrere Schichten zerfällt. Ich erhebe mich vom Operationsstuhl,
  trete neugierig näher und stelle interessiert eine medizinische Frage.
  Der Arzt erklärt mir, während er die einzelnen Teilstücke des
  auffallend weißen Zahnes sondert und mit einem Instrument zermalmt
  (pulverisiert), daß das mit der Pubertät zusammenhängt und daß die
  Zähne nur vor der Pubertät so leicht herausgehen; bei Frauen sei das
  hiefür entscheidende Moment die Geburt eines Kindes. -- Ich merke dann
  (wie ich glaube im Halbschlaf), daß dieser Traum von einer Pollution
  begleitet war, die ich aber nicht mit Sicherheit an eine bestimmte
  Stelle des Traumes einzureihen weiß; am ehesten scheint sie mir noch
  beim Herausziehen des Zahnes eingetreten zu sein._

  _Ich träume dann weiter einen mir nicht mehr erinnerlichen Vorgang,
  der damit abschloß, daß ich Hut und Rock in der Hoffnung, man werde
  mir die Kleidungsstücke nachbringen, irgendwo (möglicherweise in der
  Garderobe des Zahnarztes) zurücklassend und bloß mit dem Überrock
  bekleidet mich beeilte, einen abgehenden Zug noch zu erreichen. Es
  gelang mir auch im letzten Moment, auf den rückwärtigen Waggon
  aufzuspringen, wo bereits jemand stand. Ich konnte jedoch nicht mehr
  in das Innere des Wagens gelangen, sondern mußte in einer unbequemen
  Stellung, aus der ich mich mit schließlichem Erfolg zu befreien
  versuchte, die Reise mitmachen. Wir fahren durch ein großes Tunnel,
  wobei in der Gegenrichtung zwei Züge wie durch unseren Zug
  hindurchfahren, als ob dieser das Tunnel wäre. Ich schaue wie von
  außen durch ein Waggonfenster hinein._

  Als Material zu einer Deutung dieses Traumes ergeben sich folgende
  Erlebnisse und Gedanken des Vortages:

  I. Ich stehe tatsächlich seit kurzem in zahnärztlicher Behandlung und
  habe zur Zeit des Traumes kontinuierlich Schmerzen in dem Zahn des
  Unterkiefers, der im Traume ausgebohrt wird und an dem der Arzt auch
  in Wirklichkeit schon länger herumarbeitet, als mir lieb ist. Am
  Vormittag des Traumtages war ich neuerlich wegen der Schmerzen beim
  Arzt gewesen, der mir nahegelegt hatte, einen anderen als den
  behandelten Zahn im selben Kiefer ziehen zu lassen, von dem
  wahrscheinlich der Schmerz herrühren dürfte. Es handelte sich um einen
  eben durchbrechenden ›Weisheitszahn‹. Ich hatte bei der Gelegenheit
  auch eine darauf bezügliche Frage an sein ärztliches Gewissen
  gestellt.

  II. Am Nachmittag desselben Tages war ich genötigt, einer Dame
  gegenüber meine üble Laune mit den Zahnschmerzen entschuldigen zu
  müssen, worauf sie mir erzählte, sie habe Furcht, sich eine Wurzel
  ziehen zu lassen, deren Krone fast gänzlich abgebröckelt sei. Sie
  meinte, das Ziehen wäre bei den Augenzähnen besonders schmerzhaft und
  gefährlich, obwohl ihr anderseits eine Bekannte gesagt habe, daß es
  bei den Zähnen des Oberkiefers (um einen solchen handelte es sich bei
  ihr) leichter gehe. Diese Bekannte habe ihr auch erzählt, ihr sei
  einmal in der Narkose ein falscher Zahn gezogen worden, eine
  Mitteilung, welche ihre Scheu vor der notwendigen Operation nur
  vermehrt habe. Sie fragte mich dann, ob unter Augenzähnen Backen- oder
  Eckzähne zu verstehen seien und was über diese bekannt sei. Ich machte
  sie einerseits auf den abergläubischen Einschlag in all diesen
  Meinungen aufmerksam, ohne jedoch die Betonung des richtigen Kernes
  mancher volkstümlicher Anschauungen zu versäumen. Sie weiß darauf von
  einem ihrer Erfahrung nach sehr alten und allgemein bekannten
  Volksglauben zu berichten, der behauptet: _Wenn eine Schwangere
  Zahnschmerzen hat, so bekommt sie einen Buben._

  III. Dieses Sprichwort interessierte mich mit Rücksicht auf die von
  _Freud_ in seiner Traumdeutung (2. Aufl., p. 193 f.) mitgeteilte
  typische Bedeutung der Zahnreizträume als Onanieersatz, da ja auch in
  dem Volksspruch der Zahn und das männliche Genitale (Bub) in eine
  gewisse Beziehung gebracht werden. Ich las also am Abend desselben
  Tages die betreffende Stelle in der Traumdeutung nach und fand dort
  unter anderem die im folgenden wiedergegebenen Ausführungen, deren
  Einfluß auf meinen Traum ebenso leicht zu erkennen ist wie die
  Einwirkung der beiden vorgenannten Erlebnisse. _Freud_ schreibt von
  den Zahnreizträumen, ›daß bei Männern nichts anderes als das
  Onaniegelüste der _Pubertätszeit_ die Triebkraft dieser Träume
  abgebe‹. (p. 193.) Ferner: ›Ich meine, daß auch die häufigen
  Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer
  dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche
  Aufklärung verständlich werden. Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso
  der Zahnreiz zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die
  so häufige _Verlegung von unten nach oben_ (im vorliegenden Traume
  auch vom Unterkiefer in den Oberkiefer) aufmerksam, die im Dienste der
  Sexualverdrängung steht und vermöge welcher in der Hysterie allerlei
  Sensationen und Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen
  sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperstellen realisiert
  werden können‹ (p. 194). ›Aber ich muß auch auf einen anderen im
  sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren
  Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen
  Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen‹ (p. 195).
  Dieser Ausdruck war mir schon in früher Jugend als Bezeichnung für die
  Onanie geläufig und von hier aus wird der geübte Traumdeuter unschwer
  den Zugang zum Kindheitsmaterial, das diesem Traume zu grunde liegen
  mag, finden. Ich erwähne nur noch, daß die Leichtigkeit, mit der im
  Traume der Zahn, der sich nach dem Ziehen in einen oberen Schneidezahn
  verwandelt, herausgeht, mich an einen Vorfall meiner Kinderzeit
  erinnert, wo ich mir einen wackligen _oberen Vorderzahn_ leicht und
  schmerzlos _selbst ausriß_. Dieses Ereignis, das mir heute noch in
  allen seinen Einzelheiten deutlich erinnerlich ist, fällt in dieselbe
  frühe Zeit, in die bei mir die ersten bewußten Onanieversuche
  zurückgehen (Deckerinnerung).

  Der Hinweis _Freuds_ auf eine Mitteilung von C. G. _Jung_, wonach die
  Zahnreizträume _bei Frauen die Bedeutung von Geburtsträumen_ haben
  (Traumdeutung S. 194 Anmkg.) sowie der Volksglaube von der Bedeutung
  des Zahnschmerzes bei Schwangeren haben die Gegenüberstellung der
  weiblichen Bedeutung gegenüber der männlichen (Pubertät) im Traume
  veranlaßt. Dazu erinnere ich mich eines früheren Traumes, wo mir bald,
  nachdem ich aus der Behandlung eines Zahnarztes entlassen worden war,
  träumte, daß mir die eben eingesetzten Goldkronen herausfielen,
  worüber ich mich wegen des bedeutenden Kostenaufwandes, den ich damals
  noch nicht ganz verschmerzt hatte, im Traume sehr ärgerte. Dieser
  Traum wird mir jetzt im Hinblick auf ein gewisses Erlebnis als
  Anpreisung der materiellen Vorzüge der Masturbation gegenüber der in
  jeder Form ökonomisch nachteiligeren Objektliebe verständlich
  (Goldkronen) und ich glaube, daß die Mitteilung jener Dame über die
  Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren diese Gedankengänge in mir
  wieder wachrief.‹

  So weit die ohne weiteres einleuchtende und wie ich glaube auch
  einwandfreie Deutung des Kollegen, der ich nichts hinzuzufügen habe,
  als etwa den Hinweis auf den wahrscheinlichen Sinn des zweiten
  Traumteiles, der über die Wortbrücken: Zahn-(ziehen-Zug;
  reißen-reisen) den allem Anschein nach unter Schwierigkeiten
  vollzogenen Übergang des Träumers von der Masturbation zum
  Geschlechtsverkehr (Tunnel, durch den die Züge in verschiedenen
  Richtungen hinein- und herausfahren) sowie die Gefahren desselben
  (Schwangerschaft; Überzieher) darstellt.

  Dagegen scheint mir der Fall theoretisch nach zwei Richtungen
  interessant. Erstens ist es beweisend für den von _Freud_ aufgedeckten
  Zusammenhang, daß die Ejakulation im Traume beim Akt des Zahnziehens
  erfolgt. Sind wir doch genötigt, die Pollution, in welcher Form immer
  sie auftreten mag, als eine masturbatorische Befriedigung anzusehen,
  welche ohne Zuhilfenahme mechanischer Reizungen zustande kommt. Dazu
  kommt, daß in diesem Falle die pollutionistische Befriedigung nicht
  wie sonst an einem, wenn auch nur imaginierten Objekte erfolgt,
  sondern objektlos, wenn man so sagen darf, rein autoerotisch ist und
  höchstens einen leisen homosexuellen Einschlag (Zahnarzt) erkennen
  läßt.

  Der zweite Punkt, der mir der Hervorhebung wert erscheint, ist
  folgender: Es liegt der Einwand nahe, daß die _Freud_sche Auffassung
  hier ganz überflüssigerweise geltend gemacht zu werden suche, da doch
  die Erlebnisse des Vortages allein vollkommen hinreichen, uns den
  Inhalt des Traumes verständlich zu machen. Der Besuch beim Zahnarzt,
  das Gespräch mit der Dame und die Lektüre der Traumdeutung erklärten
  hinreichend, daß der auch nachts durch Zahnschmerzen beunruhigte
  Schläfer diesen Traum produziere; wenn man durchaus wolle sogar zur
  Beseitigung des schlafstörenden Schmerzes (mittels der Vorstellung von
  der Entfernung des schmerzenden Zahnes bei gleichzeitiger Übertönung
  der gefürchteten Schmerzempfindung durch Libido). Nun wird man aber
  selbst bei den weitestgehenden Zugeständnissen in dieser Richtung die
  Behauptung nicht ernsthaft vertreten wollen, daß die Lektüre der
  _Freud_schen Aufklärungen den Zusammenhang von Zahnziehen und
  Masturbationsakt in dem Träumer hergestellt oder auch nur wirksam
  gemacht haben könnte, wenn er nicht, wie der Träumer selbst
  eingestanden hat (›sich einen ausreißen‹) längst vorgebildet gewesen
  wäre. Was vielmehr diesen Zusammenhang neben dem Gespräch mit der Dame
  belebt haben mag, ergibt die spätere Mitteilung des Träumers, daß er
  bei der Lektüre der Traumdeutung aus begreiflichen Gründen an diese
  typische Bedeutung der Zahnreizträume nicht recht glauben mochte und
  den Wunsch hegte, zu wissen, ob dies für alle derartigen Träume
  zutreffe. Der Traum bestätigt ihm nun das wenigstens für seine eigene
  Person und zeigt ihm so, warum er daran zweifeln mußte. Der Traum ist
  also auch in dieser Hinsicht die Erfüllung eines Wunsches: nämlich
  sich von der Tragweite und der Haltbarkeit dieser _Freud_schen
  Auffassung zu überzeugen.«

Zur zweiten Gruppe von typischen Träumen gehören die, in denen man
fliegt oder schwebt, fällt, schwimmt u. dgl. Was bedeuten diese Träume?
Das ist allgemein nicht zu sagen. Sie bedeuten, wie wir hören werden, in
jedem Falle etwas anderes, nur das Material an Sensationen, das sie
enthalten, stammt allemal aus derselben Quelle.

Aus den Auskünften, die man durch die Psychoanalysen erhält, muß man
schließen, daß auch diese Träume Eindrücke der Kinderzeit wiederholen,
nämlich sich auf die Bewegungsspiele beziehen, die für das Kind eine so
außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind
fliegen lassen, indem er die Arme ausstreckend durchs Zimmer mit ihm
eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien
schaukelte und das Bein plötzlich streckte, oder es hoch hob und
plötzlich tat, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die
Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung,
besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; dann schaffen
sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traume, lassen aber im Traume
die Hände weg, die sie gehalten haben, so daß sie nun frei schweben und
fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für
Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie dann gymnastische Kunststücke
im Zirkus sehen, wird die Erinnerung von neuem aufgefrischt. Bei manchen
Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproduktionen
solcher Kunststücke, die sie mit großer Geschicklichkeit ausführen.
Nicht selten sind bei diesen an sich harmlosen Bewegungsspielen auch
sexuelle Empfindungen wachgerufen worden(151). Um es mit einem bei uns
gebräuchlichen, all diese Veranstaltungen deckenden Worte zu sagen: es
ist das »Hetzen« in der Kindheit, welches die Träume vom Fliegen,
Fallen, Schwindeln u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in
Angst verkehrt sind. Wie aber jede Mutter weiß, ist auch das Hetzen der
Kinder in der Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen.

  (151) Ein junger, von Nervosität freier Kollege teilt mir hiezu mit:
  »Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ich früher beim Schaukeln und
  zwar in dem Moment, wo die Abwärtsbewegung die größte Wucht hat, ein
  eigentümliches Gefühl in den Genitalien bekam, das ich, obwohl es mir
  eigentlich nicht angenehm war, doch als Lustgefühl bezeichnen muß.« --
  Von Patienten habe ich oftmals gehört, daß die ersten Erektionen mit
  Lustgefühl, die sie erinnern, in der Knabenzeit beim Klettern
  aufgetreten sind. -- Aus den Psychoanalysen ergibt sich mit aller
  Sicherheit, daß häufig die ersten sexuellen Regungen in den Rauf- und
  Ringspielen der Kinderjahre wurzeln.

Ich habe also guten Grund, die Erklärung abzulehnen, daß der Zustand
unserer Hautgefühle während des Schlafes, die Sensationen von der
Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen
hervorrufen. Ich sehe, daß diese Sensationen selbst aus der Erinnerung
reproduziert sind, auf welche der Traum sich bezieht, daß sie also
Trauminhalt sind und nicht Traumquellen.

 Fliegeträume.

Dieses gleichartige und aus der nämlichen Quelle stammende Material von
Bewegungsempfindungen wird nun zur Darstellung der allermannigfaltigsten
Traumgedanken verwendet. Die meist lustbetonten Träume vom Fliegen oder
Schweben erfordern die verschiedensten Deutungen, ganz spezielle bei
einigen Personen, Deutungen von selbst typischer Natur bei anderen. Eine
meiner Patientinnen pflegte sehr häufig zu träumen, daß sie über die
Straße in einer gewissen Höhe schwebe, ohne den Boden zu berühren. Sie
war sehr klein gewachsen und scheute jede Beschmutzung, die der Verkehr
mit Menschen mit sich bringt. Ihr Schwebetraum erfüllte ihr beide
Wünsche, indem er ihre Füße vom Erdboden abhob und ihr Haupt in höhere
Regionen ragen ließ. Bei anderen Träumerinnen hatte der Fliegetraum die
Bedeutung der Sehnsucht: Wenn ich ein Vöglein wär'; andere wurden so
nächtlicherweise zu Engeln in der Entbehrung, bei Tage so genannt zu
werden. Die nahe Verbindung des Fliegens mit der Vorstellung des Vogels
macht es verständlich, daß der Fliegetraum bei Männern meist eine
grobsinnliche Bedeutung hat. Wir werden uns auch nicht verwundern, zu
hören, daß dieser oder jener Träumer jedesmal sehr stolz auf sein
Fliegenkönnen ist.

Dr. Paul _Federn_ (Wien) hat die bestechende Vermutung ausgesprochen,
daß ein guter Teil der Fliegeträume Erektionsträume sind, da das
merkwürdige und die menschliche Phantasie unausgesetzt beschäftigende
Phänomen der Erektion als Aufhebung der Schwerkraft imponieren muß.
(Vgl. hiezu die geflügelten Phallen der Antike.)

Es ist bemerkenswert, daß der nüchterne und eigentlich jeder Deutung
abgeneigte Traumexperimentator _Mourly Vold_ gleichfalls die erotische
Deutung der Fliege- (Schwebe-) Träume vertritt (Bd. II, p. 791). Er
nennt die Erotik das »wichtigste Motiv zum Schwebetraum«, beruft sich
auf das starke Vibrationsgefühl im Körper, welches diese Träume
begleitet, und auf die häufige Verbindung solcher Träume mit Erektionen
oder Pollutionen.

Die Träume vom _Fallen_ tragen häufiger den Angstcharakter. Ihre Deutung
unterliegt bei Frauen keiner Schwierigkeit, da sie fast regelmäßig die
symbolische Verwendung des Fallens akzeptieren, welches die
Nachgiebigkeit gegen eine erotische Versuchung umschreibt. Die
infantilen Quellen des Falltraumes haben wir noch nicht erschöpft; fast
alle Kinder sind gelegentlich gefallen und wurden dann aufgehoben und
geliebkost; wenn sie nachts aus dem Bettchen gefallen waren, von ihrer
Pflegeperson in ihr Bett genommen.

Personen, die häufig vom _Schwimmen_ träumen, mit großem Behagen die
Wellen teilen usw. sind gewöhnlich Bettnässer gewesen und wiederholen
nun im Traume eine Lust, auf die sie seit langer Zeit zu verzichten
gelernt haben. Zu welcher Darstellung sich die Träume vom Schwimmen
leicht bieten, werden wir bald an dem einen oder dem anderen Beispiele
erfahren.

Die Deutung der Träume vom _Feuer_ gibt einem Verbot der Kinderstube
recht, welches die Kinder nicht »zündeln« heißt, damit sie nicht
nächtlicher Weile das Bett nässen sollen. Es liegt nämlich auch ihnen
die Reminiszenz an die Enuresis nocturna der Kinderjahre zu Grunde. In
dem »Bruchstück einer Hysterieanalyse« 1905(152) habe ich die
vollständige Analyse und Synthese eines solchen Feuertraumes im
Zusammenhange mit der Krankengeschichte der Träumerin gegeben und
gezeigt, zur Darstellung welcher Regungen reiferer Jahre sich dieses
infantile Material verwenden läßt.

  (152) Sammlung kl. Schriften z. Neurosenlehre. Zweite Folge, 1909.

Man könnte noch eine ganze Anzahl von »typischen« Träumen anführen, wenn
man darunter die Tatsache der häufigen Wiederkehr des gleichen
manifesten Trauminhaltes bei verschiedenen Träumern versteht, so z. B.:
Die Träume vom Gehen durch enge Gassen, vom Gehen durch eine ganze
Flucht von Zimmern, die Träume vom nächtlichen Räuber, dem auch die
Vorsichtsmaßregeln der Nervösen vor dem Schlafengehen gelten, die von
Verfolgung durch wilde Tiere (Stiere, Pferde) oder von Bedrohung mit
Messern, Dolchen, Lanzen, die beide letztere für den manifesten
Trauminhalt von Angstleidenden charakteristisch sind u. dgl. Eine
Untersuchung, die sich speziell mit diesem Material beschäftigen würde,
wäre sehr dankenswert. Ich habe an ihrer Statt zwei Bemerkungen zu
bieten, die sich aber nicht ausschließlich auf typische Träume beziehen.

 Vorwiegen sexueller Wünsche in den latenten Traumgedanken.

I. Je mehr man sich mit der Lösung von Träumen beschäftigt, desto
bereitwilliger muß man anerkennen, daß die Mehrzahl der Träume
Erwachsener sexuelles Material behandelt und erotische Wünsche zum
Ausdruck bringt. Nur wer wirklich Träume analysiert, d. h. vom
manifesten Inhalt derselben zu den latenten Traumgedanken vordringt,
kann sich ein Urteil hierüber bilden, nie wer sich damit begnügt, den
manifesten Inhalt zu registrieren (wie z. B. _Näcke_ in seinen Arbeiten
über sexuelle Träume). Stellen wir gleich fest, daß diese Tatsache uns
nichts Überraschendes bringt, sondern in voller Übereinstimmung mit
unseren Grundsätzen der Traumerklärung steht. Kein anderer Trieb hat
seit der Kindheit so viel Unterdrückung erfahren müssen wie der
Sexualtrieb in seinen zahlreichen Komponenten(153), von keinem anderen
erübrigen so viele und so starke unbewußte Wünsche, die nun im
Schlafzustande traumerzeugend wirken. Man darf bei der Traumdeutung
diese Bedeutung sexueller Komplexe niemals vergessen, darf sie natürlich
auch nicht zur Ausschließlichkeit übertreiben.

  (153) Vgl. des Verf. »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, 1905,
  2. Aufl. 1910.

An vielen Träumen wird man bei sorgfältiger Deutung feststellen können,
daß sie selbst bisexuell zu verstehen sind, indem sie eine unabweisbare
Überdeutung ergeben, in welcher sie homosexuelle, d. h. der normalen
Geschlechtsbetätigung der träumenden Person entgegengesetzte Regungen
realisieren. Daß aber alle Träume bisexuell zu deuten seien, wie W.
_Stekel_(154) und _Alf. Adler_(155) behaupten, scheint mir eine ebenso
unbeweisbare wie unwahrscheinliche Verallgemeinerung, welche ich nicht
vertreten möchte. Ich wüßte vor allem den Augenschein nicht
wegzuschaffen, daß es zahlreiche Träume gibt, welche andere als -- im
weitesten Sinne -- erotische Bedürfnisse befriedigen, die Hunger- und
Durstträume, Bequemlichkeitsträume usw. Auch die ähnlichen
Aufstellungen, »daß hinter jedem Traum die Todesklausel zu finden sei«
(_Stekel_), daß jeder Traum ein »Fortschreiten von der weiblichen zur
männlichen Linie« erkennen lasse (_Adler_), scheinen mir das Maß des in
der Traumdeutung Zulässigen weit zu überschreiten.

  (154) Die Sprache des Traumes, 1911.

  (155) Der psychische Hermaphroditismus im Leben und in der Neurose,
  Fortschritte der Medizin 1910, Nr. 16 und spätere Arbeiten im
  Zentralblatt für Psychoanalyse I, 1910/11.

Daß die auffällig harmlosen Träume durchweg grobe erotische Wünsche
verkörpern, haben wir bereits an anderer Stelle behauptet und könnten
wir durch zahlreiche neue Beispiele erhärten. Aber auch viele
indifferent scheinende Träume, denen man nach keiner Richtung etwas
Besonderes anmerken würde, führen sich nach der Analyse auf
unzweifelhaft sexuelle Wunschregungen oft unerwarteter Art zurück. Wer
würde z. B. bei nachfolgendem Traume einen sexuellen Wunsch vor der
Deutungsarbeit vermuten? Der Träumer erzählt: _Zwischen zwei stattlichen
Palästen steht etwas zurücktretend ein kleines Häuschen, dessen Tore
geschlossen sind. Meine Frau führt mich das Stück der Straße bis zu dem
Häuschen hin, drückt die Tür ein und dann schlüpfe ich rasch und leicht
in das Innere eines schräg aufsteigenden Hofes._

Wer einige Übung im Übersetzen von Träumen hat, wird allerdings sofort
daran gemahnt werden, daß das Eindringen in enge Räume, das Öffnen
verschlossener Türen zur gebräuchlichsten sexuellen Symbolik gehört, und
wird mit Leichtigkeit in diesem Traume eine Darstellung eines
Koitusversuches von rückwärts (zwischen den beiden stattlichen
Hinterbacken des weiblichen Körpers) finden. Der enge, schräg
aufsteigende Gang ist natürlich die Scheide; die der Frau des Träumers
zugeschobene Hilfeleistung nötigt zur Deutung, daß in Wirklichkeit nur
die Rücksicht auf die Ehefrau die Abhaltung von einem solchen Versuche
besorgt, und eine Erkundigung ergibt, daß am Traumtag ein junges Mädchen
in den Haushalt des Träumers eingetreten ist, welches sein Wohlgefallen
erregt und ihm den Eindruck gemacht hat, als würde es sich gegen eine
derartige Annäherung nicht zu sehr sträuben. Das kleine Haus zwischen
den zwei Palästen ist von einer Reminiszenz an den Hradschin in Prag
hergenommen und weist somit auf das nämliche aus dieser Stadt stammende
Mädchen hin.

Wenn ich gegen Patienten die Häufigkeit des Ödipustraumes, mit der
eigenen Mutter geschlechtlich zu verkehren, betone, so bekomme ich zur
Antwort: Ich kann mich an einen solchen Traum nicht erinnern. Gleich
darauf steigt aber die Erinnerung an einen anderen unkenntlichen und
indifferenten Traum auf, der sich bei dem Betreffenden häufig wiederholt
hat, und die Analyse zeigt, daß dies ein Traum des gleichen Inhaltes,
nämlich wiederum ein Ödipustraum ist. Ich kann versichern, daß die
verkappten Träume vom Sexualverkehre mit der Mutter um ein Vielfaches
häufiger sind als die aufrichtigen(156).

  (156) Ein typisches Beispiel eines solchen verkappten Ödipustraumes
  habe ich in Nr. 1 des Zentralblattes für Psychoanalyse veröffentlicht;
  ein anderes mit ausführlicher Deutung O. _Rank_ ebendort in Nr. 4.
  Über andere verkappte Ödipusträume, in denen die Symbolik des Auges
  hervortritt, siehe _Rank_ (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse I,
  1913). Daselbst auch Arbeiten über »Augenträume« und Augensymbolik von
  _Eder_, _Ferenczi_, _Reitler_. Die Blendung in der Ödipussage wie
  anderwärts als Stellvertretung der Kastration. Den Alten war übrigens
  auch die symbolische Deutung der unverhüllten Ödipusträume nicht
  fremd. (Vgl. O. _Rank_, Jahrb. II, p. 534): »So ist von Julius Cäsar
  ein Traum vom geschlechtlichen Verkehr mit der Mutter überliefert, den
  die Traumdeuter als günstiges Vorzeichen für die Besitzergreifung der
  Erde (_Mutter-Erde_) auslegten. Ebenso bekannt ist das den Tarquiniern
  gegebene Orakel, demjenigen von ihnen werde die Herrschaft Roms
  zufallen, der zuerst die _Mutter küsse_ (osculum matri tulerit), was
  Brutus als Hinweis auf die _Mutter-Erde_ auffaßte (terram osculo
  contigit, scilicet quod ea communia mater omnium mortalium esset.
  Livius I, LXI). Vgl. hiezu den Traum des _Hippias_ bei Herodot VI,
  107: »Die Barbaren aber führte Hippias nach Marathon, nachdem er in
  der vergangenen Nacht folgendes Traumgesicht gehabt: Es deuchte dem
  Hippias, er schliefe bei seiner eigenen Mutter. Aus diesem Traume
  schloß er nun, er würde heimkommen nach Athen und seine Herrschaft
  wieder erhalten und im Vaterlande sterben in seinen alten Tagen.«
  Diese Mythen und Deutungen weisen auf eine richtige psychologische
  Erkenntnis hin. Ich habe gefunden, daß die Personen, die sich von der
  Mutter bevorzugt oder ausgezeichnet wissen, im Leben jene besondere
  Zuversicht zu sich selbst, jenen unerschütterlichen Optimismus
  bekunden, die nicht selten als heldenhaft erscheinen und den
  wirklichen Erfolg erzwingen.«

Es gibt Träume von Landschaften oder Örtlichkeiten, bei denen im Traume
noch die Sicherheit betont wird: Da war ich schon einmal. Dieses »Déjà
vu« hat aber im Traum eine besondere Bedeutung. Diese Örtlichkeit ist
dann immer das Genitale der Mutter; in der Tat kann man von keiner
anderen mit solcher Sicherheit behaupten, daß man »dort schon einmal
war«. Ein einziges Mal brachte mich ein Zwangsneurotiker durch die
Mitteilung eines Traumes in Verlegenheit, in dem es hieß, er besuche
eine Wohnung, in der er schon _zweimal_ gewesen sei. Gerade dieser
Patient hatte mir aber längere Zeit vorher als Begebenheit aus seinem
sechsten Lebensjahre erzählt, er habe damals einmal das Bett der Mutter
geteilt und die Gelegenheit dazu mißbraucht, den Finger ins Genitale der
Schlafenden einzuführen.

 Geburtsträume.

Einer großen Anzahl von Träumen, die häufig angsterfüllt sind, oft das
Passieren von engen Räumen oder den Aufenthalt im Wasser zum Inhalt
haben, liegen Phantasien über das Intrauterinleben, das Verweilen im
Mutterleibe und den Geburtsakt zu Grunde. Im folgenden gebe ich den
Traum eines jungen Mannes wieder, der in der Phantasie schon die
intrauterine Gelegenheit zur Belauschung eines Koitus zwischen den
Eltern benutzt.

_Er befindet sich in einem tiefen Schacht, in dem ein Fenster ist wie im
Semmeringtunnel. Durch dieses sieht er zuerst leere Landschaft und dann
komponiert er ein Bild hinein, welches dann auch sofort da ist und die
Leere ausfüllt. Das Bild stellt einen Acker dar, der vom Instrument tief
aufgewühlt wird, und die schöne Luft, die Idee der gründlichen Arbeit,
die dabei ist, die blauschwarzen Schollen machen einen schönen Eindruck.
Dann kommt er weiter, sieht eine Pädagogik aufgeschlagen . . . . und
wundert sich, daß den sexuellen Gefühlen (des Kindes) darin soviel
Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß._

Ein schöner Wassertraum einer Patientin, der zu einer besonderen
Verwendung in der Kur gelangte, ist folgender:

_In ihrem Sommeraufenthalt am **See stürzt sie sich ins dunkle Wasser
dort, wo sich der blasse Mond im Wasser spiegelt._

Träume dieser Art sind Geburtsträume; zu ihrer Deutung gelangt man, wenn
man die im manifesten Traume mitgeteilte Tatsache umkehrt, also anstatt:
sich ins Wasser stürzen, -- aus dem Wasser herauskommen, d. h.: geboren
werden(157). Die Lokalität, aus der man geboren wird, erkennt man, wenn
man an den mutwilligen Sinn von »la lune« im Französischen denkt. Der
blasse Mond ist dann der weiße Popo, aus dem das Kind hergekommen zu
sein bald errät. Was soll es nun heißen, daß die Patientin sich wünscht,
in ihrem Sommeraufenthalt »geboren zu werden«? Ich befrage die
Träumerin, die ohne zu zögern antwortet: Bin ich nicht durch die Kur wie
_neugeboren_? So wird dieser Traum zur Einladung, die Behandlung an
jenem Sommerorte fortzusetzen, d. h. sie dort zu besuchen; er enthält
vielleicht auch eine ganz schüchterne Andeutung des Wunsches, selbst
Mutter zu werden(158).

  (157) Über die mythologische Bedeutung der Wassergeburt siehe _Rank_:
  Der Mythus von der Geburt des Helden, 1909.

  (158) Die Bedeutung der Phantasien und unbewußten Gedanken über das
  Leben im Mutterleibe habe ich erst spät würdigen gelernt. Sie
  enthalten sowohl die Aufklärung für die sonderbare Angst so vieler
  Menschen, lebendig begraben zu werden, als auch die tiefste unbewußte
  Begründung des Glaubens an ein Fortleben nach dem Tode, welches nur
  die Projektion in die Zukunft dieses unheimlichen Lebens vor der
  Geburt darstellt. _Der Geburtsakt ist übrigens das erste Angsterlebnis
  und somit die Quelle und Vorbild des Angstaffektes._

Einen anderen Geburtstraum entnehme ich samt seiner Deutung einer Arbeit
von E. _Jones_: »_Sie stand am Meeresufer und beaufsichtigte einen
kleinen Knaben, welcher der ihrige zu sein schien, während er ins Wasser
watete. Dies tat er so weit, bis das Wasser ihn bedeckte, so daß sie nur
noch seinen Kopf sehen konnte, wie er sich an der Oberfläche auf und
nieder bewegte. Die Szene verwandelte sich dann in die gefüllte Halle
eines Hotels. Ihr Gatte verließ sie, und sie ›trat in ein Gespräch mit‹
einem Fremden._«

Die zweite Hälfte des Traumes enthüllte sich ohne weiteres bei der
Analyse als Darstellung einer Flucht von ihrem Gatten und Anknüpfung
intimer Beziehungen zu einer dritten Person. Der erste Teil des Traumes
war eine offenkundige Geburtsphantasie. In den Träumen wie in der
Mythologie wird die Entbindung eines Kindes _aus_ dem Fruchtwasser
gewöhnlich mittels der Umkehrung als Eintritt des Kindes _ins_ Wasser
dargestellt; neben vielen anderen bieten die Geburt des Adonis, Osiris,
Moses und Bacchus gut bekannte Beispiele hiefür. Das Auf- und
Niedertauchen des Kopfes im Wasser erinnert die Patientin sogleich an
die Empfindung der Kindesbewegungen, welche sie während ihrer einzigen
Schwangerschaft kennen gelernt hatte. Der Gedanke an den ins Wasser
steigenden Knaben erweckt eine Träumerei, in welcher sie sich selbst
sah, wie sie ihn aus dem Wasser herauszog, ihn in die Kinderstube
führte, ihn wusch und kleidete und schließlich in ihr Haus führte.

Die zweite Hälfte des Traumes stellt also Gedanken dar, welche das
Fortlaufen betreffen, das zu der ersten Hälfte der verborgenen
Traumgedanken in Beziehung steht; die erste Hälfte des Traumes
entspricht dem latenten Inhalt der zweiten Hälfte, der Geburtsphantasie.
Außer der früher erwähnten Umkehrung greifen weitere Umkehrungen in
jeder Hälfte des Traumes Platz. In der ersten Hälfte geht das Kind _in
das Wasser_ und dann baumelt sein Kopf; in den zu Grunde liegenden
Traumgedanken tauchen erst die Kindesbewegungen auf und dann _verläßt_
das Kind das Wasser (eine doppelte Umkehrung). In der zweiten Hälfte
verläßt ihr Gatte sie; in den Traumgedanken verläßt sie ihren Gatten.
(Übersetzt von O. _Rank_.)

 Geburts-Rettungsträume.

Einen weiteren Geburtstraum erzählt _Abraham_ von einer jungen, ihrer
ersten Entbindung entgegensehenden Frau. Von einer Stelle des Fußbodens
im Zimmer führt ein unterirdischer Kanal direkt ins Wasser (Geburtsweg
-- Fruchtwasser). Sie hebt eine Klappe im Fußboden auf und sogleich
erscheint ein in einen bräunlichen Pelz gekleidetes Geschöpf, das
beinahe einem Seehund gleicht. Dieses Wesen entpuppt sich als der
jüngere Bruder der Träumerin, zu dem sie von jeher in einem mütterlichen
Verhältnis gestanden hatte.

_Rank_ hat an einer Reihe von Träumen gezeigt, daß die Geburtsträume
sich derselben Symbolik bedienen wie die Harnreizträume. Der erotische
Reiz wird in ihnen als Harnreiz dargestellt; die Schichtung der
Bedeutung in diesen Träumen entspricht einem Bedeutungswandel des
Symbols seit der Kindheit.

Den _Geburtsträumen_ schließen sich die Träume von »_Rettungen_« an.
Retten, besonders aus dem Wasser retten, ist gleichbedeutend mit
gebären, wenn es von einer Frau geträumt wird, modifiziert aber diesen
Sinn, wenn der Träumer ein Mann ist. (Siehe einen solchen Traum bei
_Pfister_: Ein Fall von psychoanalytischer Seelsorge und Seelenheilung.
Evangelische Freiheit, 1909.) -- Über das Symbol des »Rettens« vgl.
meinen Vortrag: Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie.
Zentralblatt für Psychoanalyse, Nr. 1, 1910, sowie: Beiträge zur
Psychologie des Liebeslebens, I. Über einen besonderen Typus der
Objektwahl beim Manne, Jahrbuch f. Ps.-A., Bd. II, 1910(159).

  (159) Ferner _Rank_: Belege zur Rettungsphantasie (Zentralblatt f.
  Ps.-A. I, 1910, p. 331), _Reik_: Zur Rettungssymbolik (ebenda, p. 499)
  u. a. m.

Die Räuber, nächtlichen Einbrecher und Gespenster, vor denen man sich
vor dem Zubettgehen fürchtet, und die auch gelegentlich den Schlafenden
heimsuchen, entstammen einer und derselben infantilen Reminiszenz. Es
sind die nächtlichen Besucher, die das Kind aus dem Schlafe geweckt
haben, um es auf den Topf zu setzen, damit es das Bett nicht nässe, oder
die die Decke gehoben haben, um sorgsam nachzuschauen, wie es während
des Schlafens die Hände hält. Aus den Analysen einiger dieser
Angstträume habe ich noch die Person des nächtlichen Besuchers zur
Agnoszierung bringen können. Der Räuber war jedesmal der Vater, die
Gespenster werden wohl eher weiblichen Personen im weißen Nachtgewande
entsprechen.


f) _Beispiele von Darstellungen_. -- _Rechnen und Reden im Traume_.

Ehe ich nun das vierte der die Traumbildung beherrschenden Momente an
die ihm gebührende Stelle setze, will ich aus meiner Traumsammlung
einige Beispiele heranziehen, welche teils das Zusammenwirken der drei
uns bekannten Momente erläutern, teils Beweise für frei hingestellte
Behauptungen nachtragen oder unabweisbare Folgerungen aus ihnen
ausführen können. Es ist mir ja in der vorstehenden Darstellung der
Traumarbeit recht schwer geworden, meine Ergebnisse an Beispielen zu
erweisen. Die Beispiele für die einzelnen Sätze sind nur im
Zusammenhange einer Traumdeutung beweiskräftig; aus dem Zusammenhange
gerissen, büßen sie ihre Schönheit ein, und eine auch nur wenig
vertiefte Traumdeutung wird bald so umfangreich, daß sie den Faden der
Erörterung, zu deren Illustrierung sie dienen soll, verlieren läßt.
Dieses technische Motiv mag entschuldigen, wenn ich nun allerlei
aneinanderreihe, was nur durch die Beziehung auf den Text des
vorstehenden Abschnittes zusammengehalten wird.

Zunächst einige Beispiele von besonders eigentümlichen oder von
ungewöhnlichen Darstellungsweisen im Traume. Im Traume einer Dame heißt
es: _Ein Stubenmädchen steht auf der Leiter wie zum Fensterputzen und
hat einen Schimpanse und eine Gorillakatze_ (später korrigiert:
_Angorakatze_) _bei sich. Sie wirft die Tiere auf die Träumerin; der
Schimpanse schmiegt sich an die letztere an, und das ist sehr ekelhaft._
Dieser Traum hat seinen Zweck durch ein höchst einfaches Mittel
erreicht, indem er nämlich eine Redensart wörtlich nahm und nach ihrem
Wortlaute darstellte. »Affe« wie Tiernamen überhaupt sind Schimpfwörter,
und die Traumsituation besagt nichts anderes als »_mit Schimpfworten um
sich werfen_«. Diese selbe Sammlung wird alsbald weitere Beispiele für
die Anwendung dieses einfachen Kunstgriffes bei der Traumarbeit bringen.

Ganz ähnlich verfährt ein anderer Traum: _Eine Frau mit einem Kinde, das
einen auffällig mißbildeten Schädel hat; von diesem Kinde hat sie
gehört, daß es durch die Lage im Mutterleibe so geworden. Man könnte den
Schädel, sagt der Arzt, durch Kompression in eine bessere Form bringen,
allein das würde dem Gehirn schaden. Sie denkt, da es ein Bub ist,
schadet es ihm weniger._ -- Dieser Traum enthält die plastische
Darstellung des abstrakten Begriffes: »_Kindereindrücke_«, den die
Träumerin in den Erklärungen zur Kur gehört hat.

Einen etwas anderen Weg schlägt die Traumarbeit im folgenden Beispiel
ein. Der Traum enthält die Erinnerung an einen Ausflug zum Hilmteich bei
Graz: _Es ist ein schreckliches Wetter draußen; ein armseliges Hotel,
von den Wänden tropft das Wasser, die Betten sind feucht._ (Letzteres
Stück des Inhaltes ist minder direkt im Traume, als ich es bringe.) Der
Traum bedeutet »_überflüssig_«. Das Abstraktum, das sich in den
Traumgedanken fand, ist zunächst etwas gewaltsam äquivok gemacht worden,
etwa durch »überfließend« ersetzt oder durch »flüssig und überflüssig«,
und dann durch eine Häufung gleichartiger Eindrücke zur Darstellung
gebracht. Wasser draußen, Wasser innen an den Wänden, Wasser als
Feuchtigkeit in den Betten, alles flüssig und »_über_«flüssig. -- Daß zu
Zwecken der Darstellung im Traume die Orthographie weit hinter dem
Wortklang zurücktritt, wird uns nicht gerade wundernehmen, wenn sich
z. B. der Reim ähnliche Freiheiten gestatten darf. In einem weitläufigen
von _Rank_ mitgeteilten und sehr eingehend analysierten Traum eines
jungen Mädchens wird erzählt, daß sie zwischen Feldern spazieren geht,
wo sie schöne Gerste- und Korn_ähren_ abschneidet. Ein Jugendfreund
kommt ihr entgegen, und sie will es vermeiden, ihn anzutreffen. Die
Analyse zeigt, daß es sich um einen _Kuß in Ehren_ handelt (Jahrb. II,
p. 491). Die Ähren, die nicht abgerissen, sondern abgeschnitten werden
sollen, dienen in diesem Traum als solche und in ihrer Verdichtung mit
_Ehre_, _Ehrungen_ zur Darstellung einer ganzen Reihe von anderen
Gedanken.

Dafür hat die Sprache in anderen Fällen dem Traume die Darstellung
seiner Gedanken sehr leicht gemacht, da sie über eine ganze Reihe von
Worten verfügt, die ursprünglich bildlich und konkret gemeint waren und
gegenwärtig im abgeblaßten, abstrakten Sinne gebraucht werden. Der Traum
braucht diesen Worten nur ihre frühere volle Bedeutung wiederzugeben
oder in den Bedeutungswandel des Wortes ein Stück weit herabzusteigen.
Z. B. es träumt jemand, daß sein Bruder in einem _Kasten_ steckt; bei
der Deutungsarbeit ersetzt sich der Kasten durch einen »_Schrank_« und
der Traumgedanke lautet nun, daß dieser Bruder sich »_einschränken_«
solle, an seiner Statt nämlich. Ein anderer Träumer steigt auf einen
Berg, von dem aus er eine ganz außerordentlich weite _Aussicht_ hat. Er
identifiziert sich dabei mit einem Bruder, der eine »_Rundschau_«
herausgibt, welche sich mit den Beziehungen zum fernsten Osten
beschäftigt.

In einem Traum des »_Grünen Heinrich_« wälzt sich ein übermütiges Pferd
im schönsten Hafer, von dem jedes Korn aber »ein süßer Mandelkern, eine
Rosine und ein neuer Pfennig« ist, »zusammen in rote Seide gewickelt und
mit einem Endchen Schweinsborste eingebunden«. Der Dichter (oder der
Träumer) gibt uns sofort die Deutung dieser Traumdarstellung, denn das
Pferd fühlt sich angenehm gekitzelt, so daß es ruft: _Der Hafer sticht
mich._

Besonders ausgiebigen Gebrauch vom Redensart- und Wortwitztraum macht
(nach _Henzen_) die altnordische Sagaliteratur, in der sich kaum ein
Traumbeispiel ohne Doppelsinn oder Wortspiel findet.

Es wäre eine besondere Arbeit, solche Darstellungsweisen zu sammeln und
nach den ihnen zu Grunde liegenden Prinzipien zu ordnen. Manche dieser
Darstellungen sind fast witzig zu nennen. Man hat den Eindruck, daß man
sie niemals selbst erraten hätte, wenn der Träumer sie nicht mitzuteilen
wüßte:

1. Ein Mann träumt, man frage ihn nach einem Namen, an den er sich aber
nicht besinnen könne. Er erklärt selbst, das wolle heißen: _Es fällt mir
nicht im Traume ein._

2. Eine Patientin erzählt einen Traum, in welchem alle handelnden
Personen besonders groß waren. Das will heißen, setzt sie hinzu, daß es
sich um eine Begebenheit aus meiner frühen Kindheit handeln muß, denn
damals sind mir natürlich alle Erwachsenen so ungeheuer groß erschienen.
Ihre eigene Person trat in diesem Trauminhalt nicht auf.

Die Verlegung in die Kindheit wird in anderen Träumen auch anders
ausgedrückt, indem Zeit in Raum übersetzt wird. Man sieht die
betreffenden Personen und Szenen wie weit entfernt am Ende eines langen
Weges oder so, als ob man sie mit einem verkehrt gerichteten Opernglas
betrachten würde.

3. Ein im Wachleben zu abstrakter und unbestimmter Ausdrucksweise
geneigter Mann, sonst mit gutem Witz begabt, träumt in gewissem
Zusammenhange, daß er auf einen Bahnhof gehe, wie eben ein Zug ankomme.
Dann werde aber der _Perron an den stehenden Zug angenähert_, also eine
absurde Umkehrung des wirklichen Vorganges. Dieses Detail ist auch
nichts anderes als ein Index, der daran mahnt, daß etwas anderes im
Trauminhalt umgekehrt werden solle. Die Analyse desselben Traumes führt
zu Erinnerungen an Bilderbücher, in denen Männer dargestellt waren, die
auf dem Kopfe standen und auf den Händen gingen.

4. Derselbe Träumer berichtet ein anderes Mal von einem kurzen Traum,
der fast an die Technik eines Rebus erinnert. Sein Onkel gibt ihm im
Automobil einen Kuß. Er fügt unmittelbar die Deutung hinzu, die ich nie
gefunden hätte, das heiße: _Autoerotismus_. Ein Scherz im Wachen hätte
ebenso lauten können.

5. Der Träumer zieht eine Frau hinter dem Bett hervor. Das heißt: Er
gibt ihr den _Vorzug_.

6. Der Träumer sitzt als Offizier an einer Tafel dem Kaiser gegenüber:
Er bringt sich in _Gegensatz_ zum Vater.

7. Der Träumer behandelt eine andere Person wegen eines
_Knochenbruches_. Die Analyse erweist diesen Bruch als Darstellung eines
_Ehebruches_ u. dgl.

8. Die Tageszeiten vertreten im Trauminhalt sehr häufig Lebenszeiten der
Kindheit. So bedeutet z. B. um ¼6 Uhr früh bei einem Träumer das Alter
von 5 Jahren 3 Monaten, den bedeutungsvollen Zeitpunkt der Geburt eines
jüngeren Bruders.

9. Eine andere Darstellung von _Lebenszeiten_ im Traume: Eine Frau geht
mit zwei kleinen Mädchen, die 1¼ Jahre auseinander sind. -- Die
Träumerin findet keine Familie ihrer Bekanntschaft, für die das zuträfe.
Sie deutet selbst, daß beide Kinder ihre eigene Person darstellen, und
daß der Traum sie mahnt, die beiden traumatischen Ereignisse ihrer
Kindheit seien um soviel voneinander entfernt. (3½ und 4¾ J.)

10. (H. _Sachs_.) »Aus der ›Traumdeutung‹ wissen wir, daß die
Traumarbeit verschiedene Wege kennt, um ein Wort oder eine Redewendung
sinnlich-anschaulich darzustellen. Sie kann sich z. B. den Umstand, daß
der darzustellende Ausdruck zweideutig ist, zunutze machen und, den
Doppelsinn als ›Weiche‹ benutzend, statt der ersten, in den
Traumgedanken vorkommenden Bedeutung, die zweite in den manifesten
Trauminhalt aufnehmen.

Dies ist bei dem kleinen, im folgenden mitgeteilten Traume geschehen und
zwar unter geschickter Benutzung der dazu tauglichen rezenten
Tageseindrücke als Darstellungsmaterial.

Ich hatte am Traumtage an einer Erkältung gelitten und deshalb am Abend
beschlossen, das Bett, wenn irgend möglich, während der Nacht nicht zu
verlassen. Der Traum ließ mich scheinbar nur meine Tagesarbeit
fortsetzen; ich hatte mich damit beschäftigt, Zeitungsausschnitte in ein
Buch zu kleben, wobei ich bestrebt war, jedem Ausschnitt den passenden
Platz anzuweisen. Der Traum lautete:

›_Ich bemühe mich, einen Ausschnitt in das Buch zu kleben; er geht aber
nicht auf die Seite, was mir großen Schmerz verursacht._‹

Ich erwachte und mußte konstatieren, daß der Schmerz des Traumes als
realer Leibschmerz andauere, der mich denn auch zwang, meinem Vorsatz
untreu zu werden. Der Traum hatte mir als ›Hüter des Schlafes‹ die
Erfüllung meines Wunsches, im Bette zu bleiben, durch die Darstellung
der Worte ›er geht aber nicht auf die Seite‹ vorgetäuscht.«

Der Traumarbeit gelingt oft auch die Darstellung von sehr sprödem
Material, wie es etwa Eigennamen sind, durch gezwungene Verwertung sehr
entlegener Beziehungen. In einem meiner Träume _hat mir der alte Brücke
eine Aufgabe gestellt. Ich fertige ein Präparat an und klaube etwas
heraus, was wie zerknülltes Silberpapier aussieht._ (Von diesem Traume
noch später mehr.) Der nicht leicht auffindbare Einfall dazu ergibt:
»Staniol«, und nun weiß ich, daß ich den Autornamen _Stannius_ meine,
den eine von mir in früheren Jahren mit Ehrfurcht betrachtete Abhandlung
über das Nervensystem der Fische trägt. Die erste wissenschaftliche
Aufgabe, die mir mein Lehrer gestellt, bezog sich wirklich auf das
Nervensystem eines Fisches, des Ammocoetes. Letzterer Name war im
Bilderrätsel offenbar gar nicht zu gebrauchen.

Ich will mir nicht versagen, hier noch einen Traum mit sonderbarem
Inhalt einzuschalten, der auch noch als Kindertraum bemerkenswert ist
und sich durch die Analyse sehr leicht aufklärt. Eine Dame erzählt: Ich
kann mich erinnern, daß ich als Kind wiederholt geträumt habe, _der
liebe Gott habe einen zugespitzten Papierhut auf dem Kopfe_. Einen
solchen Hut pflegte man mir nämlich sehr oft bei Tische aufzusetzen,
damit ich nicht auf die Teller der anderen Kinder hinschauen könne,
wieviel sie von dem betreffenden Gericht bekommen haben. Da ich gehört
habe, Gott sei allwissend, so bedeutet der Traum, ich wisse alles auch
trotz des aufgesetzten Hutes.

 Zahlen und Rechnungen im Traum.

Worin die Traumarbeit besteht und wie sie mit ihrem Material, den
Traumgedanken, umspringt, läßt sich in lehrreicher Weise an den _Zahlen
und Rechnungen_ zeigen, die in Träumen vorkommen. Geträumte Zahlen
gelten überdies dem Aberglauben als besonders verheißungsvoll. Ich werde
also einige Beispiele solcher Art aus meiner Sammlung heraussuchen.

I. Aus dem Traume einer Dame, kurz vor Beendigung ihrer Kur:

_Sie will irgend etwas bezahlen; ihre Tochter nimmt ihr #3 fl. 65 kr.#
aus der Geldtasche; sie sagt aber: Was tust du? Es kostet ja nur
#21 kr.#_ Dieses Stückchen Traum war mir durch die Verhältnisse der
Träumerin ohne weitere Aufklärung ihrerseits verständlich. Die Dame war
eine Fremde, die ihre Tochter in einem Wiener Erziehungsinstitut
untergebracht hatte und meine Behandlung fortsetzen konnte, solange ihre
Tochter in Wien blieb. In drei Wochen war deren Schuljahr zu Ende und
damit endete auch die Kur. Am Tage vor dem Traume hatte ihr die
Institutsvorsteherin nahegelegt, ob sie sich nicht entschließen könnte,
das Kind noch ein weiteres Jahr bei ihr zu lassen. Sie hatte dann
offenbar bei sich diese Anregung dahin fortgesetzt, daß sie in diesem
Falle auch die Behandlung um ein Jahr verlängern könnte. Darauf bezieht
sich nun der Traum, denn ein Jahr ist gleich #365# Tagen, die drei
Wochen bis zum Abschluß des Schuljahres und der Kur lassen sich ersetzen
durch #21# Tage (wenngleich nicht ebenso viele Behandlungsstunden). Die
Zahlen, die in den Traumgedanken bei Zeiten standen, werden im Traume
Geldwerten beigesetzt, nicht ohne daß damit ein tieferer Sinn zum
Ausdruck käme, denn »_Time is money_«, Zeit hat Geldwert. #365# Kreuzer
sind dann allerdings #3 Gulden 65 Kreuzer#. Die Kleinheit der im Traume
erscheinenden Summen ist offenkundige Wunscherfüllung; der Wunsch hat
die Kosten der Behandlung wie des Lehrjahres im Institut verkleinert.

II. Zu komplizierteren Beziehungen führen die Zahlen in einem anderen
Traume. Eine junge, aber schon seit einer Reihe von Jahren verheiratete
Dame erfährt, daß eine ihr fast gleichalterige Bekannte, Elise L., sich
eben verlobt hat. Daraufhin träumt sie: _Sie sitzt mit ihrem Manne im
Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt
ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber
nur schlechte Sitze bekommen, #3# für #1 fl. 50 kr.#, und die konnten
sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen._

Woher rühren die #1 fl. 50 kr.#? Aus einem eigentlich indifferenten
Anlaß des Vortages. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Manne #150 fl.# zum
Geschenk bekommen und sich beeilt, sie los zu werden, indem sie sich
einen Schmuck dafür kaufte. Wir wollen anmerken, daß 150 fl. #100# mal
mehr ist als 1 fl. 50 kr. Woher die #3#, die bei den Theatersitzen
steht? Dafür ergibt sich nur die eine Anknüpfung, daß die Braut um
ebensoviel Monate -- _drei_ -- jünger ist als sie. Zur Auflösung des
Traumes führt dann die Erkundigung, was der Zug im Traume, daß eine
Seite des Parketts leer bleibt, bedeuten kann. Derselbe ist eine
unveränderte Anspielung auf eine kleine Begebenheit, die ihrem Mann
guten Grund zur Neckerei gegeben hat. Sie hatte sich vorgenommen, zu
einer der angekündigten Theatervorstellungen der Woche zu gehen, und war
so vorsorglich, mehrere Tage vorher Karten zu nehmen, für die sie
Vorkaufsgebühr zu zahlen hatte. Als sie dann ins Theater kamen, fanden
sie, daß die eine Seite des Hauses fast leer war; sie hätte es nicht
nötig gehabt, _sich so sehr zu beeilen_.

Ich werde jetzt den Traum durch die Traumgedanken ersetzen: »Ein
_Unsinn_ war es doch, so früh zu heiraten, ich hätte es nicht _nötig
gehabt, mich so zu beeilen_; an dem Beispiele der Elise L. sehe ich, daß
ich noch immer einen Mann bekommen hätte. Und zwar einen _hundertmal_
besseren (Mann, Schatz), wenn ich _nur gewartet_ hätte (Gegensatz zu dem
_Beeilen_ der Schwägerin). _Drei_ solche Männer hätte ich für das Geld
(die Mitgift) kaufen können!« Wir werden darauf aufmerksam, daß in
diesem Traume die Zahlen in weit höherem Grade Bedeutung und
Zusammenhang verändert haben als im vorher behandelten. Die Umwandlungs-
und Entstellungsarbeit des Traumes ist hier ausgiebiger gewesen, was wir
so deuten, daß diese Traumgedanken bis zu ihrer Darstellung ein
besonders hohes Maß von innerpsychischem Widerstand zu überwinden
hatten. Wir wollen auch nicht übersehen, daß in diesem Traume ein
absurdes Element enthalten ist, nämlich daß _zwei_ Personen _drei_ Sitze
nehmen sollen. Wir greifen in die Deutung der Absurdität im Traume über,
wenn wir anführen, daß dieses absurde Detail des Trauminhaltes den
meistbetonten der Traumgedanken darstellen soll: Ein _Unsinn_ war es, so
früh zu heiraten. Die in einer ganz nebensächlichen Beziehung der beiden
verglichenen Personen enthaltene 3 (3 Monate Unterschied im Alter) ist
dann geschickt zur Produktion des für den Traum erforderlichen Unsinns
verwendet worden. Die Verkleinerung der realen 150 fl. auf 1 fl. 50 kr.
entspricht der _Geringschätzung des Mannes_ (oder Schatzes) in den
unterdrückten Gedanken der Träumerin.

III. Ein anderes Beispiel führt uns die Rechenkunst des Traumes vor, die
ihm soviel Mißachtung eingetragen hat. Ein Mann träumt: _Er sitzt bei
B. ._ (einer Familie seiner früheren Bekanntschaft) _und sagt: Es war
ein Unsinn, daß Sie mir die Mali nicht gegeben haben. Darauf fragt er
das Mädchen: Wie alt sind Sie denn? Antwort: Ich bin #1882# geboren. --
Ah, dann sind Sie #28# Jahre alt._

Da der Traum im Jahre 1898 vorfällt, so ist das offenbar schlecht
gerechnet, und die Rechenschwäche des Träumers darf der des Paralytikers
an die Seite gestellt werden, wenn sie sich etwa nicht anders aufklären
läßt. Mein Patient gehörte zu jenen Personen, deren Gedanken kein
Frauenzimmer, das sie sehen, in Ruhe lassen können. Seine Nachfolgerin
in meinem Ordinationszimmer war einige Monate hindurch regelmäßig eine
junge Dame, der er begegnete, nach der er sich häufig erkundigte, und
mit der er durchaus höflich sein wollte. Diese war es, deren Alter er
auf _#28# Jahre_ schätzte. Soviel zur Aufklärung des Resultates der
scheinbaren Rechnung. #1882# war aber das Jahr, in dem er geheiratet
hatte. Er hatte es nicht unterlassen können, auch mit den beiden anderen
weiblichen Personen, die er bei mir traf, Gespräche anzuknüpfen, den
beiden keineswegs jugendlichen Mädchen, die ihm abwechselnd die Tür zu
öffnen pflegten, und als er die Mädchen wenig zutraulich fand, sich die
Erklärung gegeben, sie hielten ihn wohl für einen älteren »_gesetzten_«
Herrn.

 Rechnen und Reden im Traum.

IV. Einen anderen Zahlentraum, der durch durchsichtige Determinierung
oder vielmehr Überdeterminierung ausgezeichnet ist, verdanke ich mitsamt
seiner Deutung Herrn B. _Dattner_:

»Mein Hausherr, Sicherheitswachmann in Magistratsdiensten, träumt, er
stünde auf der Straße Posten, was eine Wunscherfüllung ist. Da kommt ein
Inspektor auf ihn zu, der auf dem Ringkragen die Nummer #22# und #62#
oder #26# trägt. Jedenfalls aber seien mehrere Zweier draufgewesen.
Schon die Zerteilung der Zahl 2262 bei der Wiedergabe des Traumes läßt
darauf schließen, daß die Bestandteile eine gesonderte Bedeutung haben.
Sie hätten gestern im Amt über die Dauer ihrer Dienstzeit gesprochen,
fällt ihm ein. Ursache gab ein Inspektor, der mit #62# Jahren in Pension
gegangen sei. Der Träumer hat erst #22# Dienstjahre und braucht noch #2#
Jahre #2# Monate, um eine 90%ige Pension zu erreichen. Der Traum
spiegelt ihm nun zuerst die Erfüllung eines langgehegten Wunsches, den
Inspektorsrang, vor. Der Vorgesetzte mit der #2262# auf dem Kragen ist
er selbst, er versieht seinen Dienst auf der Straße, auch ein
Lieblingswunsch, hat seine #2# Jahre und #2# Monate abgedient und kann
nun wie der #62# jährige Inspektor mit voller Pension aus dem Amte
scheiden(160).«

  (160) Analysen von anderen Zahlenträumen siehe bei _Jung_,
  _Marcinowski_ u. a. Dieselben setzen oft sehr komplizierte
  Zahlenoperationen voraus, die aber vom Träumer mit verblüffender
  Sicherheit vollzogen werden. Vgl. auch _Jones_, »Über unbewußte
  Zahlenbehandlung« (Zentralbl. f. PS.-A. II, 1912, S. 241 f.).

Wenn wir diese und ähnliche (später folgende) Beispiele zusammenhalten,
dürfen wir sagen: Die Traumarbeit rechnet überhaupt nicht, weder richtig
noch falsch; sie fügt nur Zahlen, die in den Traumgedanken vorkommen und
als Anspielungen auf ein nicht darstellbares Material dienen können, in
der Form einer Rechnung zusammen. Sie behandelt dabei die Zahlen in
genau der nämlichen Weise als Material zum Ausdruck ihrer Absichten wie
alle anderen Vorstellungen, wie auch die Namen und die als
Wortvorstellungen kenntlichen Reden.

Denn die Traumarbeit kann auch keine Rede neu schaffen. Soviel von Rede
und Gegenrede in den Träumen vorkommen mag, die an sich sinnig oder
unvernünftig sein können, die Analyse zeigt uns jedesmal, daß der Traum
dabei nur Bruchstücke von wirklich geführten oder gehörten Reden den
Traumgedanken entnommen hat und höchst willkürlich mit ihnen verfahren
ist. Er hat sie nicht nur aus ihrem Zusammenhange gerissen und
zerstückt, das eine Stück aufgenommen, das andere verworfen, sondern
auch oft neu zusammengefügt, so daß die zusammenhängend scheinende
Traumrede bei der Analyse in drei oder vier Brocken zerfällt. Bei dieser
Neuverwendung hat er oft den Sinn, den die Worte in den Traumgedanken
hatten, bei Seite gelassen, und dem Wortlaute einen völlig neuen Sinn
abgewonnen(161). Bei näherem Zusehen unterscheidet man an der Traumrede
deutlichere, kompakte Bestandteile von anderen, die als Bindemittel
dienen und wahrscheinlich ergänzt worden sind, wie wir ausgelassene
Buchstaben und Silben beim Lesen ergänzen. Die Traumrede hat so den
Aufbau eines Brecciengesteins, in dem größere Brocken verschiedenen
Materials durch eine erhärtete Zwischenmasse zusammengehalten werden.

  (161) In der gleichen Weise wie der Traum verfährt auch die Neurose.
  Ich kenne eine Patientin, die daran leidet, daß sie Lieder oder Stücke
  von solchen unwillkürlich und widerwillig hört (halluziniert), ohne
  deren Bedeutung für ihr Seelenleben verstehen zu können. Sie ist
  übrigens gewiß nicht paranoisch. Die Analyse zeigt dann, daß sie den
  Text dieser Lieder mittels gewisser Lizenzen mißbräuchlich verwendet
  hat. »Leise, leise, fromme Weise.« Das bedeutet für ihr Unbewußtes:
  Fromme _Waise_, und diese ist sie selbst. »O du selige, o du
  fröhliche« ist der Anfang eines Weihnachtsliedes; indem sie es nicht
  bis zu »Weihnachtszeit« fortsetzt, macht sie daraus ein Brautlied
  u. dgl. -- Derselbe Entstellungsmechanismus kann sich übrigens auch
  ohne Halluzination im bloßen Einfall durchsetzen. Warum wird einer
  meiner Patienten von der Erinnerung an ein Gedicht heimgesucht, das er
  in jungen Jahren lernen mußte:

      »Nächtlich am Busento lispeln . . . ?«

  Weil sich seine Phantasie mit einem Stück dieses Zitats:

      »_Nächtlich am Busen_« begnügt.

  Es ist bekannt, daß der parodistische Witz auf dieses Stückchen
  Technik nicht verzichtet hat. Die »Fliegenden Blätter« brachten einst
  unter ihren Illustrationen zu deutschen »Klassikern« auch ein Bild zum
  Schillerschen »Siegesfest«, zu dem das Zitat vorzeitig abgeschlossen
  war.

      »Und des frisch erkämpften Weibes
      Freut sich der Atrid und strickt.«

  (Fortsetzung:

      Um den Reiz des schönen Leibes
      Seine Arme hochbeglückt.)

In voller Strenge richtig ist diese Beschreibung allerdings nur für jene
Reden im Traume, die etwas vom sinnlichen Charakter der Rede haben und
als »Reden« beschrieben werden. Die anderen, die nicht gleichsam als
gehört oder als gesagt empfunden werden (keine akustische oder
motorische Mitbetonung im Traume haben), sind einfach Gedanken, wie sie
in unserer wachen Denktätigkeit vorkommen und unverändert in viele
Träume übergehen. Für das indifferent gehaltene Redematerial des Traumes
scheint auch die Lektüre eine reich fließende und schwer zu verfolgende
Quelle abzugeben. Alles aber, was im Traume als Rede irgendwie auffällig
hervortritt, unterwirft sich der Zurückführung auf reale, selbst
gehaltene oder gehörte Rede.

Beispiele für die Ableitung solcher Traumreden haben wir bereits bei der
Analyse von Träumen gefunden, die zu anderen Zwecken mitgeteilt worden
sind. So in dem »harmlosen Markttraum« auf p. 139, in dem die Rede: _Das
ist nicht mehr zu haben_, dazu dient, mich mit dem Fleischhauer zu
identifizieren, während ein Stück der anderen Rede: _Das kenne ich
nicht, das nehme ich nicht_, geradezu die Aufgabe erfüllt, den Traum
harmlos zu machen. Die Träumerin hatte nämlich am Vortage irgend welche
Zumutung ihrer Köchin mit den Worten zurückgewiesen: Das kenne ich
nicht, _benehmen Sie sich anständig_, und nun von dieser Rede das
indifferent klingende erste Stück in den Traum genommen, um mit ihm auf
das spätere Stück anzuspielen, das in die Phantasie, welche dem Traume
zu Grunde lag, sehr wohl gepaßt, aber auch dieselbe verraten hätte.

Ein ähnliches Beispiel an Stelle vieler, die ja alle das nämliche
ergaben:

_Ein großer Hof, in dem Leichen verbrannt werden._ Er sagt: _Da geh' ich
weg, das kann ich nicht sehen._ (Keine deutliche Rede.) _Dann trifft er
zwei Fleischhauerbuben und fragt: »Na, hat's geschmeckt?« Der eine
antwortet: Na, nöt gut war's. Als ob es Menschenfleisch gewesen wäre._

Der harmlose Anlaß dieses Traumes ist folgender: Er macht nach dem
Nachtmahl mit seiner Frau einen Besuch bei den braven, aber keineswegs
_appetitlichen_ Nachbarsleuten. Die gastfreundliche alte Dame befindet
sich eben bei ihrem Abendessen und _nötigt_ ihn (man gebraucht dafür
scherzhaft unter Männern ein zusammengesetztes, sexuell bedeutsames
Wort) davon zu kosten. Er lehnt ab, er habe keinen Appetit mehr. »_Aber
gehen's weg_, das werden Sie noch vertragen« oder so ähnlich. Er muß
also kosten und rühmt dann das Gebotene vor ihr. »_Das ist aber gut._«
Mit seiner Frau wieder allein, schimpft er dann sowohl über die
Aufdringlichkeit der Nachbarin, als auch über die Qualität der
gekosteten Speise. »Das kann ich nicht sehen,« das auch im Traume nicht
als eigentliche Rede auftritt, ist ein Gedanke, der sich auf die
körperlichen Reize der einladenden Dame bezieht, und zu übersetzen wäre,
daß er diese zu schauen nicht begehrt.

 Der Traum »Non vixit«.

Lehrreicher wird sich die Analyse eines anderen Traumes gestalten, den
ich wegen der sehr deutlichen Rede, die seinen Mittelpunkt bildet, schon
an dieser Stelle mitteile, aber erst bei der Würdigung der Affekte im
Traume aufklären werde. Ich träume sehr klar: _Ich bin nachts ins
Brücke_sche _Laboratorium gegangen und öffne auf ein leises Klopfen an
der Tür dem_ (verstorbenen) _Professor Fleischl, der mit mehreren
Fremden eintritt und sich nach einigen Worten an seinen Tisch setzt._
Dann folgt ein zweiter Traum: _Mein Freund Fl. ist im Juli unauffällig
nach Wien gekommen; ich begegne ihm auf der Straße im Gespräche mit
meinem_ (verstorbenen) _Freunde P. und gehe mit ihnen irgendwohin, wo
sie einander wie an einem kleinen Tische gegenübersitzen, ich an der
schmalen Seite des Tischchens vorn. Fl. erzählt von seiner Schwester und
sagt: In dreiviertel Stunden war sie tot, und dann etwas wie: Das ist
die Schwelle. Da P. ihn nicht versteht, wendet sich Fl. an mich und
fragt mich, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe.
Darauf ich, von merkwürdigen Affekten ergriffen, Fl. mitteilen will, daß
P. (ja gar nichts wissen kann, weil er) gar nicht am Leben ist. Ich sage
aber, den Irrtum selbst bemerkend: #Non vixit.# Ich sehe dann P.
durchdringend an, unter meinem Blicke wird er bleich, verschwommen,
seine Augen werden krankhaft blau -- und endlich löst er sich auf. Ich
bin ungemein erfreut darüber, verstehe jetzt, daß auch Ernst Fleischl
nur eine Erscheinung, ein Revenant war, und finde es ganz wohl möglich,
daß eine solche Person nur so lange besteht, als man es mag, und daß sie
durch den Wunsch des anderen beseitigt werden kann._

Dieser schöne Traum vereinigt so viele der am Trauminhalt rätselhaften
Charaktere, -- die Kritik während des Traumes selbst, daß ich meinen
Irrtum, Non vixit zu sagen anstatt Non vivit, selbst bemerke; den
unbefangenen Verkehr mit Verstorbenen, die der Traum selbst für
verstorben erklärt; die Absurdität der Schlußfolgerung und die hohe
Befriedigung, die dieselbe mir bereitet, -- daß ich »für mein Leben
gern« die volle Lösung dieser Rätsel mitteilen möchte. Ich bin aber in
Wirklichkeit unfähig, das zu tun -- was ich nämlich im Traume tue -- die
Rücksicht auf so teure Personen meinem Ehrgeiz aufzuopfern. Bei jeder
Verhüllung wäre aber der mir wohlbekannte Sinn des Traumes zu Schanden
geworden. So begnüge ich mich denn, zuerst hier, und dann an späterer
Stelle einige Elemente des Traumes zur Deutung herauszugreifen.

Das Zentrum des Traumes bildet eine Szene, in der ich P. durch einen
Blick vernichte. Seine Augen werden dabei so merkwürdig und unheimlich
blau, und dann löst er sich auf. Diese Szene ist die unverkennbare
Nachbildung einer wirklich erlebten. Ich war Demonstrator am
physiologischen Institut, hatte den Dienst in den Frühstunden, und
_Brücke_ hatte erfahren, daß ich einigemal zu spät ins Schülerlaboratorium
gekommen war. Da kam er einmal pünktlich zur Eröffnung und
wartete mich ab. Was er mir sagte, war karg und bestimmt;
es kam aber gar nicht auf die Worte an. Das Überwältigende waren die
fürchterlichen blauen Augen, mit denen er mich ansah, und vor denen ich
verging -- wie P. im Traume, der zu meiner Erleichterung die Rollen
verwechselt hat. Wer sich an die bis ins hohe Greisenalter wunderschönen
Augen des großen Meisters erinnern kann und ihn je im Zorne gesehen hat,
wird sich in die Affekte des jugendlichen Sünders von damals leicht
versetzen können.

Es wollte mir aber lange nicht gelingen, das »_Non vixit_« abzuleiten,
mit dem ich im Traume jene Justiz übe, bis ich mich besann, daß diese
zwei Worte nicht als gehörte oder gerufene, sondern als _gesehene_ so
hohe Deutlichkeit im Traume besessen hatten. Dann wußte ich sofort,
woher sie stammten. Auf dem Postament des Kaiser Josef-Denkmals in der
Wiener Hofburg sind die schönen Worte zu lesen:

    Saluti patriae _vixit_
    _non_ diu sed totus.

Aus dieser Inschrift hatte ich herausgeklaubt, was zu der einen
feindseligen Gedankenreihe in meinen Traumgedanken paßte, und was heißen
sollte: Der Kerl hat ja gar nichts dreinzureden, er lebt ja gar nicht.
Und nun mußte ich mich erinnern, daß der Traum wenige Tage nach der
Enthüllung des _Fleischl_-Denkmals in den Arkaden der Universität
geträumt worden war, wobei ich das Denkmal _Brückes_ wiedergesehen hatte
und (im Unbewußten) mit Bedauern erwogen haben muß, wie mein
hochbegabter, und ganz der Wissenschaft ergebener Freund P. durch einen
allzufrühen Tod seinen begründeten Anspruch auf ein Denkmal in diesen
Räumen verloren. So setzte ich ihm dies Denkmal im Traume; mein Freund
P. hieß mit dem Vornamen Josef(162).

  (162) Als Beitrag zur Überdeterminierung: Meine Entschuldigung für
  mein Zuspätkommen lag darin, daß ich nach langer Nachtarbeit am Morgen
  den weiten Weg von der _Kaiser Josef_-Straße in die Währingerstraße zu
  machen hatte.

Nach den Regeln der Traumdeutung wäre ich nun noch immer nicht
berechtigt, das _non vivit_, das ich brauche, durch _non vixit_, das mir
die Erinnerung an das Josefs-Monument zur Verfügung stellt, zu ersetzen.
Ein anderes Element der Traumgedanken muß dies durch seinen Beitrag
ermöglicht haben. Es heißt mich nun etwas darauf achten, daß in der
Traumszene eine feindselige und eine zärtliche Gedankenströmung gegen
meinen Freund P. zusammentreffen, die erstere oberflächlich, die
letztere verdeckt, und in den nämlichen Worten: _Non vixit_ ihre
Darstellung erreichen. Weil er sich um die Wissenschaft verdient gemacht
hat, errichte ich ihm ein Denkmal; aber weil er sich eines bösen
Wunsches schuldig gemacht hat (der am Ende des Traumes ausgedrückt ist),
darum vernichte ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem
Klange gebildet, bei dem mich ein Vorbild beeinflußt haben muß. Wo
findet sich nur eine ähnliche Antithese, ein solches Nebeneinanderstellen
zweier entgegengesetzter Reaktionen gegen dieselbe Person,
die beide den Anspruch erheben, voll berechtigt zu sein, und
doch einander nicht stören wollen? An einer einzigen Stelle, die sich
aber dem Leser tief einprägt; in der Rechtfertigungsrede des _Brutus_ in
_Shakespeares Julius Cäsar_: »Weil Cäsar mich liebte, wein' ich um
ihn; weil er glücklich war, freue ich mich; weil er tapfer war, ehr' ich
ihn, aber weil er herrschsüchtig war, erschlug ich ihn.« Ist das nicht
der nämliche Satzbau und Gedankengegensatz wie in dem Traumgedanken, den
ich aufgedeckt habe? Ich spiele also den Brutus im Traume. Wenn ich nur
von dieser überraschenden Kollateralverbindung noch eine andere
bestätigende Spur im Trauminhalt auffinden könnte! Ich denke, dies
könnte folgendes sein: Mein Freund Fl. kommt im _Juli_ nach Wien. Diese
Einzelheit findet gar keine Stütze in der Wirklichkeit. Mein Freund ist
im Monat _Juli_ meines Wissens niemals in Wien gewesen. Aber der Monat
_Juli_ ist nach _Julius Cäsar_ benannt und könnte darum sehr wohl die
von mir gesuchte Anspielung auf den Zwischengedanken, daß ich den Brutus
spiele, vertreten(163).

  (163) Dazu noch _Cäsar_-_Kaiser_.

Merkwürdigerweise habe ich nun wirklich einmal den Brutus gespielt. Ich
habe die Szene Brutus und Cäsar aus Schillers Gedichten vor einem
Auditorium von Kindern aufgeführt und zwar als 14 jähriger Knabe im
Vereine mit meinem um ein Jahr älteren Neffen, der damals aus England zu
uns gekommen war, -- auch so ein _Revenant_ -- denn es war der Gespiele
meiner ersten Kinderjahre, der mit ihm wieder auftauchte. Bis zu meinem
vollendeten dritten Jahre waren wir unzertrennlich gewesen, hatten
einander geliebt und miteinander gerauft, und diese Kinderbeziehung hat,
wie ich schon einmal angedeutet, überall meine späteren Gefühle im
Verkehre mit Altersgenossen entschieden. Mein Neffe John hat seither
sehr viele Inkarnationen gefunden, die bald diese, bald jene Seite
seines in meiner unbewußten Erinnerung unauslöschlich fixierten Wesens
wiederbelebten. Er muß mich zeitweilig sehr schlecht behandelt haben,
und ich muß Mut bewiesen haben gegen meinen Tyrannen, denn es ist mir in
späteren Jahren oft eine kurze Rechtfertigungsrede wiedererzählt worden,
mit der ich mich verteidigte, als mich der Vater -- sein Großvater --
zur Rede stellte: Warum schlägst du den John? Sie lautete in der Sprache
des noch nicht Zweijährigen: _Ich habe ihn ge(sch)lagt, weil er mich
ge(sch)lagt hat._ Diese Kinderszene muß es sein, die _non vivit_ zum
_non vixit_ ablenkt, denn in der Sprache späterer Kinderjahre heißt ja
das _Schlagen_ -- _Wichsen_; die Traumarbeit verschmäht es nicht, sich
solcher Zusammenhänge zu bedienen. Die in der Realität so wenig
begründete Feindseligkeit gegen meinen Freund P., der mir vielfach
überlegen war und darum auch eine Neuausgabe des Kindergespielen abgeben
konnte, geht sicherlich auf die komplizierte infantile Beziehung zu John
zurück.

Ich werde also auf diesen Traum noch zurückkommen.


g) _Absurde Träume_. _Die intellektuellen Leistungen im Traume_.

Bei unseren bisherigen Traumdeutungen sind wir so oft auf das Element
der _Absurdität_ im Trauminhalt gestoßen, daß wir die Untersuchung nicht
länger aufschieben wollen, woher dasselbe rührt, und was es etwa
bedeutet. Wir erinnern uns ja, daß die Absurdität der Träume den Gegnern
der Traumschätzung ein Hauptargument bot, um im Traume nichts anderes
als ein sinnloses Produkt einer reduzierten und zerbröckelten
Geistestätigkeit zu sehen.

Ich beginne mit einigen Beispielen, in denen die Absurdität des
Trauminhaltes nur ein Anschein ist, der bei besserer Vertiefung in den
Sinn des Traumes sofort verschwindet. Es sind einige Träume, die -- wie
man zuerst meint, zufällig -- vom toten Vater handeln.

 Absurde Träume vom toten Vater.

I. Der Traum des Patienten, der seinen Vater vor sechs Jahren verloren:

_Dem Vater ist ein großes Unglück widerfahren. Er ist mit dem Nachtzuge
gefahren, da ist eine Entgleisung erfolgt, die Sitze sind
zusammengekommen, und ihm ist der Kopf quer zusammengedrückt worden. Er
sieht ihn dann auf dem Bette liegen, mit einer Wunde über dem
Augenbrauenrand links, die vertikal verläuft. Er wundert sich darüber,
daß der Vater verunglückt ist_ (_da er doch schon tot ist_, wie er bei
der Erzählung ergänzt). _Die Augen sind so klar._

Nach der herrschenden Beurteilung der Träume hätte man sich diesen
Trauminhalt so aufzuklären: Der Träumer hat zuerst, während er sich den
Unfall seines Vaters vorstellt, vergessen, daß dieser schon seit Jahren
im Grabe ruht; im weiteren Verlaufe des Träumens wacht diese Erinnerung
auf und bewirkt, daß er sich über den eigenen Traum noch selbst träumend
verwundert. Die Analyse lehrt aber, daß es vor allem überflüssig ist,
nach solchen Erklärungen zu greifen. Der Träumer hatte bei einem
Künstler eine _Büste_ des Vaters bestellt, die er zwei Tage vor dem
Traume in Augenschein genommen hat. Diese ist es, die ihm _verunglückt_
vorkommt. Der Bildhauer hat den Vater nie gesehen, er arbeitet nach ihm
vorgelegten Photographien. Am Tage vor dem Traume selbst hat der
pietätvolle Sohn einen alten Diener der Familie ins Atelier geschickt,
ob auch der dasselbe Urteil über den marmornen Kopf fällen wird, nämlich
daß _er zu schmal in der Querrichtung_ von Schläfe zu Schläfe
ausgefallen ist. Nun folgt das Erinnerungsmaterial, das zum Aufbau
dieses Traumes beigetragen hat. Der Vater hatte die Gewohnheit, wenn
geschäftliche Sorgen oder Schwierigkeiten in der Familie ihn quälten,
sich beide Hände gegen die Schläfen zu drücken, als ob er seinen Kopf,
der ihm zu weit würde, zusammenpressen wollte. -- Als Kind von vier
Jahren war unser Träumer zugegen, wie das Losgehen einer zufällig
geladenen Pistole dem Vater die Augen schwärzte (_die Augen sind so
klar_). -- An der Stelle, wo der Traum die Verletzung des Vaters zeigt,
trug der Lebende, wenn er nachdenklich oder traurig war, eine tiefe
Längsfurche zur Schau. Daß diese Furche im Traume durch eine Wunde
ersetzt ist, deutet auf die zweite Veranlassung des Traumes hin. Der
Träumer hatte sein kleines Töchterchen photographiert; die Platte war
ihm aus der Hand gefallen und zeigte, als er sie aufhob, einen Sprung,
der wie eine senkrechte Furche über die Stirn der Kleinen lief und bis
zum Augenbrauenbogen reichte. Da konnte er sich abergläubischer Ahnungen
nicht erwehren, denn einen Tag vor dem Tode der Mutter war ihm die
photographische Platte mit deren Abbild gesprungen.

Die Absurdität dieses Traumes ist also bloß der Erfolg einer
Nachlässigkeit des sprachlichen Ausdruckes, der die Büste und die
Photographie von der Person nicht unterscheiden will. Wir sind alle
gewöhnt so zu reden: Findest du den Vater nicht getroffen? Freilich wäre
der Anschein der Absurdität in diesem Traume leicht zu vermeiden
gewesen. Wenn man schon nach einer einzigen Erfahrung urteilen dürfte,
so möchte man sagen, dieser Anschein von Absurdität ist ein zugelassener
oder gewollter.

II. Ein zweites, ganz ähnliches Beispiel aus meinen eigenen Träumen (ich
habe meinen Vater im Jahre 1896 verloren):

_Der Vater hat nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren
gespielt, sie politisch geeinigt_, wozu ich ein kleines undeutliches
Bild sehe: _eine Menschenmenge wie im Reichstage; eine Person, die auf
einem oder auf zwei Stühlen steht, andere um ihn herum. Ich erinnere
mich daran, daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich gesehen hat,
und freue mich, daß diese Verheißung doch wahr geworden ist._

Das ist doch absurd genug. Es ist zur Zeit geträumt, da die Ungarn durch
parlamentarische _Obstruktion_ in den gesetzlosen Zustand gerieten und
jene Krise durchmachten, aus der _Koloman Szell_ sie befreite. Der
geringfügige Umstand, daß die im Traume gesehene Szene aus so kleinen
Bildern besteht, ist nicht ohne Bedeutung für die Aufklärung dieses
Elements. Die gewöhnliche visuelle Traumdarstellung unserer Gedanken
ergibt Bilder, die uns etwa den Eindruck der Lebensgröße machen; mein
Traumbild ist aber die Reproduktion eines in den Text einer
illustrierten Geschichte Österreichs eingeschobenen Holzschnittes, der
Maria Theresia auf dem Reichstage von Preßburg darstellt; die berühmte
Szene des »Moriamur pro rege nostro«(164). Wie dort Maria Theresia, so
steht im Traume der Vater von der Menge umringt; er steht aber auf einem
oder zwei Stühlen, also als _Stuhlrichter_. (Er hat sie _geeinigt_: --
hier vermittelt die Redensart: Wir werden keinen _Richter_ brauchen.)
Daß er auf dem Totenbette _Garibaldi_ so ähnlich sah, haben wir
Umstehenden wirklich alle bemerkt. Er hatte _postmortale_
Temperatursteigerung, seine Wangen glühten rot und röter . . .
unwillkürlich setzen wir fort: Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine
lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.

  (164) Ich weiß nicht mehr, bei welchem Autor ich einen Traum erwähnt
  gefunden habe, in dem es von ungewöhnlich kleinen Gestalten wimmelte,
  und als dessen Quelle sich einer der Stiche _Jacques Callots_
  herausstellte, die der Träumer bei Tag betrachtet hatte. Diese Stiche
  enthalten allerdings eine Unzahl sehr kleiner Figuren; eine Reihe
  derselben behandelt die Greuel des Dreißigjährigen Krieges.

 Einzelne Absurditäten im Traum.

Diese Erhebung unserer Gedanken bereitet uns darauf vor, daß wir gerade
mit dem »Gemeinen« zu tun bekommen sollen. Das »_postmortale_« der
Temperaturerhöhung entspricht den Worten »_nach seinem Tode_« im
Trauminhalt. Das Quälendste seiner Leiden war die völlige Darmlähmung
(_Obstruktion_) der letzten Wochen gewesen. An diese knüpfen allerlei
unehrerbietige Gedanken an. Einer meiner Altersgenossen, der seinen
Vater noch als Gymnasiast verlor, bei welchem Anlaß ich ihm dann tief
erschüttert meine Freundschaft antrug, erzählte mir einmal höhnend von
dem Schmerze einer Verwandten, deren Vater auf der Straße gestorben und
nach Hause gebracht worden war, wo sich dann bei der Entkleidung der
Leiche fand, daß im Moment des Todes oder _postmortal_ eine
_Stuhlentleerung_ stattgefunden hatte. Die Tochter war so tief
unglücklich darüber, daß ihr dieses häßliche Detail die Erinnerung an
den Vater stören mußte. Hier sind wir nun zu dem Wunsche vorgedrungen,
der sich in diesem Traume verkörpert. _Nach seinem Tode rein und groß
vor seinen Kindern dastehen_, wer möchte das nicht wünschen? Wohin ist
die Absurdität dieses Traumes geraten? Ihr Anschein ist nur dadurch zu
stande gekommen, daß eine völlig zulässige Redensart, bei welcher wir
gewöhnt sind, über die Absurdität hinwegzusehen, die zwischen ihren
Bestandteilen vorhanden sein mag, im Traume getreulich dargestellt wird.
Auch hier können wir den Eindruck nicht abweisen, daß der Anschein der
Absurdität ein gewollter, absichtlich hervorgerufener ist(165).

  (165) Die Häufigkeit, mit welcher im Traume tote Personen wie lebend
  auftreten, handeln und mit uns verkehren, hat eine ungebührliche
  Verwunderung hervorgerufen und sonderbare Erklärungen erzeugt, aus
  denen unser Unverständnis für den Traum sehr auffällig erhellt. Und
  doch ist die Aufklärung dieser Träume eine sehr naheliegende. Wie oft
  kommen wir in die Lage uns zu denken: _Wenn_ der Vater noch leben
  würde, was würde er dazu sagen? Dieses _Wenn_ kann der Traum nicht
  anders darstellen als durch die Gegenwart in einer bestimmten
  Situation. So träumt z. B. ein junger Mann, dem sein Großvater ein
  großes Erbe hinterlassen hat, bei einer Gelegenheit von Vorwurf wegen
  einer bedeutenden Geldausgabe, der Großvater sei wieder am Leben und
  fordere Rechenschaft von ihm. Was wir für die Auflehnung gegen den
  Traum halten, der Einspruch aus unserem besseren Wissen, daß der Mann
  doch schon gestorben sei, ist in Wirklichkeit der Trostgedanke, daß
  der Verstorbene das nicht zu erleben brauchte, oder die Befriedigung
  darüber, daß er nichts mehr dreinzureden hat.

  Eine andere Art von Absurdität, die sich in Träumen von toten
  Angehörigen findet, drückt nicht Spott und Hohn aus, sondern dient der
  äußersten Ablehnung, der Darstellung eines verdrängten Gedankens, den
  man gerne als das Allerundenkbarste hinstellen möchte. Träume dieser
  Art erscheinen nur auflösbar, wenn man sich erinnert, daß der Traum
  zwischen Gewünschtem und Realem keinen Unterschied macht. So träumt
  z. B. ein Mann, der seinen Vater in dessen Krankheit gepflegt und
  unter dessen Tod schwer gelitten hatte, eine Zeit nachher folgenden
  unsinnigen Traum: _Der Vater war wieder am Leben und sprach mit ihm
  wie sonst, aber_ (das Merkwürdige war), _er war doch gestorben und
  wußte es nur nicht._ Man versteht diesen Traum, wenn man nach »er war
  doch gestorben« einsetzt: _infolge des Wunsches des Träumers_ und zu
  »er wußte es nicht« ergänzt: _daß der Träumer diesen Wunsch hatte_.
  Der Sohn hatte während der Krankenpflege wiederholt den Vater tot
  gewünscht, d. h. den eigentlich erbarmungsvollen Gedanken gehabt, der
  Tod möge doch endlich dieser Qual ein Ende machen. In der Trauer nach
  dem Tode wurde selbst dieser Wunsch des Mitleidens zum unbewußten
  Vorwurf, als ob er durch ihn wirklich beigetragen hätte, das Leben des
  Kranken zu verkürzen. Durch Erweckung der frühinfantilsten Regungen
  gegen den Vater wurde es möglich, diesen Vorwurf als Traum
  auszudrücken, aber gerade wegen der weltenweiten Gegensätzlichkeit
  zwischen dem Traumerreger und dem Tagesgedanken mußte dieser Traum so
  absurd ausfallen. (Vgl. hiezu: Formulierungen über die zwei Prinzipien
  des seelischen Geschehens. Jahrbuch f. Ps.-A., III, 1911.)

III. In dem Beispiel, das ich jetzt anführe, kann ich die Traumarbeit
dabei ertappen, wie sie eine Absurdität, zu der im Material gar kein
Anlaß ist, absichtlich fabriziert. Es stammt aus dem Traume, den mir die
Begegnung mit dem Grafen _Thun_ vor meiner Ferialreise eingegeben hat.
_Ich fahre in einem Einspänner und gebe Auftrag, zu einem Bahnhofe zu
fahren. »Auf der Bahnstrecke selbst kann ich natürlich nicht mit Ihnen
fahren«, sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht, als ob ich ihn
übermüdet hätte; dabei ist es so, als wäre ich schon eine Strecke mit
ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt._ Zu dieser verworrenen
und unsinnigen Geschichte gibt die Analyse folgende Aufklärungen: Ich
hatte am Tage einen Einspänner genommen, der mich nach Dornbach in eine
entlegene Straße führen sollte. Er kannte aber den Weg nicht und fuhr
nach Art dieser guten Leute immer weiter, bis ich es merkte und ihm den
Weg zeigte, wobei ich ihm einige spöttische Bemerkungen nicht ersparte.
Von diesem Kutscher spinnt sich eine Gedankenverbindung zu den
Aristokraten an, mit der ich später noch zusammentreffen werde.
Vorläufig nur die Andeutung, daß uns bürgerlichem Plebs die Aristokratie
dadurch auffällig wird, daß sie sich mit Vorliebe an die Stelle des
Kutschers setzt. Graf _Thun_ lenkt ja auch den Staatswagen von
_Österreich_. Der nächste Satz im Traume bezieht sich aber auf meinen
Bruder, den ich also mit dem Einspännerkutscher identifiziere. Ich hatte
ihm heuer die gemeinsame Italienfahrt abgesagt (»Auf die Bahnstrecke
selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren«), und diese Absage war eine Art
Bestrafung für seine sonstige Klage, daß ich ihn auf diesen Reisen zu
_übermüden_ pflege (was unverändert in den Traum gelangt), indem ich ihm
zu rasche Ortsveränderung, zu viel des Schönen an einem Tage, zumute.
Mein Bruder hatte mich an diesem Abend zum Bahnhofe begleitet, war aber
kurz vorher bei der Stadtbahnstation Westbahnhof ausgesprungen, um mit
der Stadtbahn nach Purkersdorf zu fahren. Ich hatte ihm bemerkt, er
könne noch eine Weile länger bei mir bleiben, indem er nicht mit der
Stadtbahn, sondern mit der Westbahn nach Purkersdorf fahre. Davon ist in
den Traum gekommen, daß ich mit dem _Wagen_ eine Strecke gefahren bin,
_die man sonst mit der Bahn fährt_. In Wirklichkeit war es umgekehrt
(und »_Umgekehrt ist auch gefahren_«); ich hatte meinem Bruder gesagt:
Die Strecke, die du mit der Stadtbahn fährst, kannst du auch in meiner
Gesellschaft in der Westbahn fahren. Die ganze Traumverwirrung richte
ich dadurch an, daß ich anstatt »Stadtbahn« -- »Wagen« in den Traum
einsetze, was allerdings zur Zusammenziehung des Kutschers mit dem
Bruder gute Dienste leistet. Dann bekomme ich im Traume etwas Unsinniges
heraus, was bei der Erklärung kaum entwirrbar scheint, und beinahe einen
Widerspruch mit einer früheren Rede von mir (»Auf die Bahnstrecke selbst
kann ich mit Ihnen nicht fahren«) herstellt. Da ich aber Stadtbahn und
Einspännerwagen überhaupt nicht zu verwechseln brauche, muß ich diese
ganze rätselhafte Geschichte im Traume absichtlich so gestaltet haben.

 Die Absurdität ist eine absichtlich hergestellte.

In welcher Absicht aber? Wir sollen nun erfahren, was die Absurdität im
Traume bedeutet, und aus welchen Motiven sie zugelassen oder geschaffen
wird. Die Lösung des Geheimnisses im vorliegenden Falle ist folgende:
Ich brauche im Traume eine Absurdität und etwas Unverständliches in
Verbindung mit dem »Fahren«, weil ich in den Traumgedanken ein gewisses
Urteil habe, das nach Darstellung verlangt. An einem Abend bei jener
gastfreundlichen und geistreichen Dame, die in einer anderen Szene des
nämlichen Traumes als »Haushälterin« auftritt, hatte ich zwei Rätsel
gehört, die ich nicht auflösen konnte. Da sie der übrigen Gesellschaft
bekannt waren, machte ich mit meinen erfolglosen Bemühungen, die Lösung
zu finden, eine etwas lächerliche Figur. Es waren zwei Äquivoke mit
»Nachkommen« und »Vorfahren«. Sie lauteten, glaube ich, so:

    Der Herr befiehlt's,
    Der _Kutscher_ tut's.
    Ein jeder hat's,
    Im Grabe ruht's.

    (_Vorfahren_.)

Verwirrend wirkte es, daß das zweite Rätsel zur einen Hälfte identisch
mit dem ersten war:

    Der Herr befiehlt's,
    Der _Kutscher_ tut's.
    Nicht jeder hat's,
    In der Wiege ruht's.

    (_Nachkommen_.)

Als ich nun den Grafen _Thun_ so großmächtig _vorfahren_ sah, in die
»_Figaro_«-Stimmung geriet, die das Verdienst der hohen Herren darin
findet, daß sie sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden
(_Nachkommen_ zu sein), wurden diese beiden Rätsel zu Zwischengedanken
für die Traumarbeit. Da man Aristokraten leicht mit Kutschern
verwechseln kann, und man dem Kutscher früher einmal in unseren Landen
»Herr Schwager« zu sagen pflegte, konnte die Verdichtungsarbeit meinen
Bruder in dieselbe Darstellung einbeziehen. Der Traumgedanke aber, der
dahinter gewirkt hat, lautet: _Es ist ein Unsinn, auf seine Vorfahren
stolz zu sein. Lieber bin ich selber ein Vorfahr, ein Ahnherr._ Wegen
dieses Urteils: Es ist ein Unsinn, also der Unsinn im Traume. Jetzt löst
sich wohl auch das letzte Rätsel dieser dunklen Traumstelle, daß ich mit
dem Kutscher schon _vorher gefahren_, mit ihm schon _vorgefahren_.

Der Traum wird also dann absurd gemacht, wenn in den Traumgedanken als
eines der Elemente des Inhaltes das Urteil vorkommt: _Das ist ein
Unsinn_, wenn überhaupt Kritik und Spott einen der unbewußten
Gedankenzüge des Träumers motivieren. Das Absurde wird somit eines der
Mittel, durch welches die Traumarbeit den Widerspruch darstellt, wie die
Umkehrung einer Materialbeziehung zwischen Traumgedanken und
Trauminhalt, wie die Verwertung der motorischen Hemmungsempfindung. Das
Absurde des Traumes ist aber nicht mit einem einfachen »Nein« zu
übersetzen, sondern soll die Disposition der Traumgedanken wiedergeben,
gleichzeitig mit dem Widerspruch zu höhnen oder zu lachen. Nur in dieser
Absicht liefert die Traumarbeit etwas Lächerliches. Sie verwandelt hier
wiederum _ein Stück des latenten Inhaltes in eine manifeste Form_(166).

  (166) Die Traumarbeit parodiert also den ihr als lächerlich
  bezeichneten Gedanken, indem sie etwas Lächerliches in Beziehung mit
  ihm erschafft. So ähnlich verfährt _Heine_, wenn er die schlechten
  Verse des Bayerkönigs verspotten will. Er tut es in noch schlechteren:

      Herr Ludwig ist ein großer Poet,
      Und singt er, so stürzt Apollo
      Vor ihm auf die Knie und bittet und fleht,
      »Halt ein, ich werde sonst toll oh!«

Eigentlich sind wir einem überzeugenden Beispiel von solcher Bedeutung
eines absurden Traumes schon begegnet. Jener ohne Analyse gedeutete
Traum von der _Wagner_vorstellung, die bis morgens ¾8 Uhr dauert, bei
der das Orchester von einem Turme aus dirigiert wird usw. (siehe
p. 254), will offenbar besagen: Das ist eine _verdrehte_ Welt und eine
_verrückte_ Gesellschaft. Wer's verdient, den trifft es nicht, und wer
sich nichts daraus macht, der hat's, womit sie ihr Schicksal im
Vergleiche zu dem ihrer Cousine meint. -- Daß sich uns als Beispiele für
die Absurdität der Träume zunächst solche vom toten Vater dargeboten
haben, ist auch keineswegs ein Zufall. Hier finden sich die Bedingungen
für die Schöpfung absurder Träume in typischer Weise zusammen. Die
Autorität, die dem Vater eigen ist, hat frühzeitig die Kritik des Kindes
hervorgerufen; die strengen Anforderungen, die er gestellt, haben das
Kind veranlaßt, zu seiner Erleichterung auf jede Schwäche des Vaters
scharf zu achten; aber die Pietät, mit der die Person des Vaters
besonders nach seinem Tode für unser Denken umgeben ist, verschärft die
Zensur, welche die Äußerungen dieser Kritik vom Bewußtwerden abdrängt.

IV. Ein neuer absurder Traum vom toten Vater:

_Ich erhalte eine Zuschrift vom Gemeinderat meiner Geburtsstadt
betreffend die Zahlungskosten für eine Unterbringung im Spital im Jahre
#1851#, die wegen eines Anfalles bei mir notwendig war. Ich mache mich
darüber lustig, denn erstens war ich #1851# noch nicht am Leben,
zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon tot. Ich
gehe zu ihm ins Nebenzimmer, wo er auf dem Bette liegt, und erzähle es
ihm. Zu meiner Überraschung erinnert er sich, daß er damals #1851#
einmal betrunken war und eingesperrt oder verwahrt werden mußte. Es war,
als er für das Haus T. . . gearbeitet. Du hast also auch getrunken,
frage ich. Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne, daß ich ja #1856#
geboren bin, was mir als unmittelbar folgend vorkommt._

 Die Absurdität drückt Spott und Hohn aus.

Die Aufdringlichkeit, mit welcher dieser Traum seine Absurditäten zur
Schau trägt, werden wir nach den letzten Erörterungen nur als Zeichen
einer besonders erbitterten und leidenschaftlichen Polemik in den
Traumgedanken übersetzen. Mit um so größerer Verwunderung konstatieren
wir aber, daß in diesem Traume die Polemik offen betrieben und der Vater
als diejenige Person bezeichnet ist, die zum Ziele des Gespöttes gemacht
wird. Solche Offenheit scheint unseren Voraussetzungen über die Zensur
bei der Traumarbeit zu widersprechen. Zur Aufklärung dient aber, daß
hier der Vater nur eine vorgeschobene Person ist, während der Streit mit
einer anderen geführt wird, die im Traume durch eine einzige Anspielung
zum Vorschein kommt. Während sonst der Traum von Auflehnung gegen andere
Personen handelt, hinter denen sich der Vater verbirgt, ist es hier
umgekehrt; der Vater wird ein Strohmann zur Deckung anderer, und der
Traum darf darum so unverhüllt sich mit seiner sonst geheiligten Person
beschäftigen, weil dabei ein sicheres Wissen mitspielt, daß er nicht in
Wirklichkeit gemeint ist. Man erfährt diesen Sachverhalt aus der
Veranlassung des Traumes. Er erfolgte nämlich, nachdem ich gehört hatte,
ein älterer Kollege, dessen Urteil für unantastbar gilt, äußere sich
abfällig und verwundert darüber, daß einer meiner Patienten die
psychoanalytische Arbeit bei mir jetzt schon _ins fünfte Jahr_
fortsetze. Die einleitenden Sätze des Traumes deuten in durchsichtiger
Verhüllung darauf hin, daß dieser Kollege eine Zeitlang die Pflichten
übernommen, die der Vater nicht mehr erfüllen konnte (_Zahlungskosten_,
_Unterbringung im Spital_); und als unsere freundschaftlichen
Beziehungen sich zu lösen begannen, geriet ich in denselben
Empfindungskonflikt, der im Falle einer Mißhelligkeit zwischen Vater und
Sohn durch die Rolle und die früheren Leistungen des Vaters erzwungen
wird. Die Traumgedanken wehren sich nun erbittert gegen den Vorwurf, daß
ich _nicht schneller vorwärts komme_, der von der Behandlung dieses
Patienten her sich dann auch auf anderes erstreckt. Kennt er denn
jemanden, der das schneller machen kann? Weiß er nicht, daß Zustände
dieser Art sonst überhaupt unheilbar sind und lebenslang dauern? Was
sind _vier bis fünf Jahre_ gegen die Dauer eines ganzen Lebens, zumal,
wenn dem Kranken die Existenz während der Behandlung so sehr erleichtert
worden ist?

Das Gepräge der Absurdität wird in diesem Traume zum guten Teil dadurch
erzeugt, daß Sätze aus verschiedenen Gebieten der Traumgedanken ohne
vermittelnden Übergang aneinander gereiht werden. So verläßt der Satz:
_Ich gehe zu ihm ins Nebenzimmer_ usw. das Thema, aus dem die vorigen
Sätze geholt sind, und reproduziert getreulich die Umstände, unter denen
ich dem Vater meine eigenmächtige Verlobung mitgeteilt habe. Er will
mich also an die vornehme Uneigennützigkeit mahnen, die der alte Mann
damals bewies, und diese in Gegensatz zu dem Benehmen eines anderen,
einer neuen Person bringen. Ich merke hier, daß der Traum darum den
Vater verspotten darf, weil er in den Traumgedanken in voller
Anerkennung anderen als Muster vorgehalten wird. Es liegt im Wesen jeder
Zensur, daß man von den unerlaubten Dingen das, was unwahr ist, eher
sagen darf als die Wahrheit. Der nächste Satz, daß er sich erinnert,
_einmal betrunken und darum eingesperrt_ gewesen zu sein, enthält nichts
mehr, was sich in der Realität auf den Vater bezieht. Die von ihm
gedeckte Person ist hier niemand geringerer als der große -- _Meynert_,
dessen Spuren ich mit so hoher Verehrung gefolgt bin, und dessen
Benehmen gegen mich nach einer kurzen Periode der Bevorzugung in
unverhüllte Feindseligkeit umschlug. Der Traum erinnert mich an seine
eigene Mitteilung, er habe in jungen Jahren einmal der Gewohnheit
gefrönt, sich mit _Chloroform zu berauschen_, und habe darum die
_Anstalt aufsuchen_ müssen, und an ein zweites Erlebnis mit ihm kurz vor
seinem Ende. Ich hatte einen erbitterten literarischen Streit mit ihm
geführt in Sachen der männlichen Hysterie, die er leugnete, und als ich
ihn als Totkranken besuchte und nach seinem Befinden fragte, verweilte
er bei der Beschreibung seiner Zustände und schloß mit den Worten: »Sie
wissen, ich war immer einer der schönsten Fälle von männlicher
Hysterie.« So hatte er zu meiner Genugtuung _und zu meinem Erstaunen_
zugegeben, wogegen er sich so lange hartnäckig gesträubt. Daß ich aber
in dieser Szene des Traumes _Meynert_ durch meinen Vater verdecken kann,
hat seinen Grund nicht in einer zwischen beiden Personen aufgefundenen
Analogie, sondern ist die knappe, aber völlig zureichende Darstellung
eines Konditionalsatzes in den Traumgedanken, der ausführlich lautet:
Ja, wenn ich zweite Generation, der Sohn eines Professors oder Hofrates,
wäre, dann wäre ich freilich _rascher vorwärts gekommen_. Im Traume
mache ich nun meinen Vater zum Hofrat und Professor. Die gröbste und
störendste Absurdität des Traumes liegt in der Behandlung der Jahreszahl
#1851#, die mir von #1856# gar nicht verschieden vorkommt, _als würde
die Differenz von fünf Jahren gar nichts bedeuten_. Gerade dies soll
aber aus den Traumgedanken zum Ausdruck gebracht werden. _Vier bis fünf
Jahre_, das ist der Zeitraum, während dessen ich die Unterstützung des
eingangs erwähnten Kollegen genoß, aber auch die Zeit, während welcher
ich meine Braut auf die Heirat warten ließ, und durch ein zufälliges,
von den Traumgedanken gern ausgenutztes Zusammentreffen auch die Zeit,
während welcher ich jetzt meinen vertrautesten Patienten auf die völlige
Heilung warten lasse. »_Was sind fünf Jahre?_« fragen die Traumgedanken.
»_Das ist für mich keine Zeit, das kommt nicht in Betracht._ Ich habe
Zeit genug vor mir, und wie jenes endlich geworden ist, was Ihr auch
nicht glauben wolltet, so werde ich auch dies zu stande bringen.«
Außerdem aber ist die Zahl #51#, vom Jahrhundert abgelöst, noch anders
und zwar im gegensätzlichen Sinne determiniert; sie kommt darum auch
mehrmals im Traume vor. 51 ist das Alter, in dem der Mann besonders
gefährdet erscheint, in dem ich Kollegen plötzlich habe sterben sehen,
darunter einen, der nach langem Harren einige Tage vorher zum Professor
ernannt worden war.

 Der absurde _Goethe_-Traum.

V. Ein anderer absurder Traum, der mit Zahlen spielt.

_Einer meiner Bekannten, Herr M., ist von keinem Geringeren als von
Goethe in einem Aufsatze angegriffen worden, wie wir alle meinen, mit
ungerechtfertigt großer Heftigkeit. Herr M. ist durch diesen Angriff
natürlich vernichtet. Er beklagt sich darüber bitter bei einer
Tischgesellschaft; seine Verehrung für Goethe hat aber unter dieser
persönlichen Erfahrung nicht gelitten. Ich suche mir die zeitlichen
Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären.
Goethe ist 1832 gestorben; da sein Angriff auf M. natürlich früher
erfolgt sein muß, so war Herr M. damals ein ganz junger Mann. Es kommt
mir plausibel vor, daß er 18 Jahre alt war. Ich weiß aber nicht sicher,
welches Jahr wir gegenwärtig schreiben, und so versinkt die ganze
Berechnung im Dunkel. Der Angriff ist übrigens in dem bekannten Aufsatze
von Goethe »Natur« enthalten._

Wir werden bald die Mittel in der Hand haben, den Blödsinn dieses
Traumes zu rechtfertigen. Herr M., den ich aus einer _Tischgesellschaft_
kenne, hatte mich unlängst aufgefordert, seinen Bruder zu untersuchen,
bei dem sich Zeichen von _paralytischer Geistesstörung_ bemerkbar
machten. Die Vermutung war richtig; es ereignete sich bei diesem Besuche
das Peinliche, daß der Kranke ohne jeden Anlaß im Gespräche den Bruder
durch Anspielung auf dessen _Jugendstreiche_ bloßstellte. Den Kranken
hatte ich nach seinem Geburtsjahre gefragt und ihn wiederholt zu kleinen
Berechnungen veranlaßt, um seine Gedächtnisschwächung klarzulegen;
Proben, die er übrigens noch recht gut bestand. Ich merke schon, daß ich
mich im Traume benehme wie ein Paralytiker. (_Ich weiß nicht sicher,
welches Jahr wir schreiben._) Anderes Material des Traumes stammt aus
einer anderen rezenten Quelle. Ein mir befreundeter Redakteur einer
medizinischen Zeitschrift hatte eine höchst ungnädige, eine
»_vernichtende_« Kritik über das letzte Buch meines Freundes Fl. in
Berlin in sein Blatt aufgenommen, die ein recht _jugendlicher_ und wenig
urteilsfähiger Referent verfaßt hatte. Ich glaubte ein Recht zur
Einmengung zu haben und stellte den Redakteur zur Rede, der die Aufnahme
der Kritik lebhaft bedauerte, aber eine Remedur nicht versprechen
wollte. Daraufhin brach ich meine Beziehungen zur Zeitschrift ab und hob
in meinem Absagebriefe die Erwartung hervor, _daß unsere persönlichen
Beziehungen unter diesem Vorfalle nicht leiden würden_. Die dritte
Quelle dieses Traumes ist die damals frische Erzählung einer Patientin
von der psychischen Erkrankung ihres Bruders, der mit dem Ausrufe
»_Natur, Natur_« in Tobsucht verfallen war. Die Ärzte hatten gemeint,
der Ausruf stamme aus der Lektüre jenes schönen _Aufsatzes von Goethe_
und deute auf die Überarbeitung des Erkrankten bei seinen
naturphilosophischen Studien. Ich zog es vor, an den sexuellen Sinn zu
denken, in dem auch die Mindergebildeten bei uns von der »Natur« reden,
und daß der Unglückliche sich später an den Genitalien verstümmelte,
schien mir wenigstens nicht unrecht zu geben. _18 Jahre_ war das Alter
dieses Kranken, als jener Tobsuchtsanfall sich einstellte.

Wenn ich noch hinzufüge, daß das so hart kritisierte Buch meines
Freundes (»Man fragt sich, ist der Autor verrückt oder ist man es
selbst«, hatte ein anderer Kritiker geäußert) sich mit den _zeitlichen
Verhältnissen_ des Lebens beschäftigt und auch _Goethes_ Lebensdauer auf
ein Vielfaches einer für die Biologie bedeutsamen Zahl zurückführt, so
ist es leicht einzusehen, daß ich mich im Traume an die Stelle meines
Freundes setze. (_Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse . . . ein
wenig aufzuklären._) Ich benehme mich aber wie ein Paralytiker und der
Traum schwelgt in Absurdität. Das heißt also, die Traumgedanken sagen
ironisch: »_Natürlich_, er ist der Narr, der Verrückte, und Ihr seid die
genialen Leute, die es besser verstehen. Vielleicht aber doch
umgekehrt?« Und diese _Umkehrung_ ist nun ausgiebig im Trauminhalt
vertreten, indem _Goethe_ den jungen Mann angegriffen hat, was absurd
ist, während leicht ein ganz junger Mensch noch heute den unsterblichen
_Goethe_ angreifen könnte, und indem ich vom _Sterbejahre Goethes_ an
rechne, während ich den Paralytiker von seinem _Geburtsjahre_ an rechnen
ließ.

Ich habe aber auch versprochen zu zeigen, daß kein Traum von anderen als
egoistischen Regungen eingegeben wird. Somit muß ich es rechtfertigen,
daß ich in diesem Traume die Sache meines Freundes zu der meinigen mache
und mich an seine Stelle setze. Meine kritische Überzeugung im Wachen
reicht hiefür nicht aus. Nun spielt aber die Geschichte des 18 jährigen
Kranken und die verschiedenartige Deutung seines Ausrufes »_Natur_« auf
den Gegensatz an, in den ich mich mit meiner Behauptung einer sexuellen
Ätiologie für die Psychoneurosen zu den meisten Ärzten gebracht habe.
Ich kann mir sagen: So wie deinem Freunde, so wird es auch dir mit der
Kritik ergehen, ist dir zum Teil auch bereits so ergangen, und nun darf
ich das »Er« in den Traumgedanken durch ein »Wir« ersetzen. »Ja, Ihr
habt recht, wir zwei sind die Narren.« Daß »mea res agitur«, daran mahnt
mich energisch die Erwähnung des kleinen, unvergleichlich schönen
Aufsatzes von _Goethe_, denn der Vortrag dieses Aufsatzes in einer
populären Vorlesung war es, der mich schwankenden Abiturienten zum
Studium der Naturwissenschaft drängte.

 »Geseres und Ungeseres«.

VI. Ich bin es schuldig geblieben, noch von einem anderen Traume, in dem
mein Ich nicht vorkommt, zu zeigen, daß er egoistisch ist. Ich erwähnte
auf p. 202 einen kurzen Traum, daß Professor M. sagt: »_Mein Sohn, der
Myop . . ._« und gab an, das sei nur ein Vortraum zu einem anderen, in
dem ich eine Rolle spiele. Hier ist der fehlende Haupttraum, der uns
eine absurde und unverständliche Wortbildung zur Aufklärung bietet:

_Wegen irgend welcher Vorgänge in der Stadt Rom ist es notwendig, die
Kinder zu flüchten, was auch geschieht. Die Szene ist dann vor einem
Tore, Doppeltor nach antiker Art (die Porta romana in Siena, wie ich
noch im Traume weiß). Ich sitze auf dem Rande eines Brunnens und bin
sehr betrübt, weine fast. Eine weibliche Person -- Wärterin, Nonne --
bringt die zwei Knaben heraus und übergibt sie dem Vater, der nicht ich
bin. Der ältere der beiden ist deutlich mein Ältester, das Gesicht des
anderen sehe ich nicht; die Frau, die den Knaben bringt, verlangt zum
Abschied einen Kuß von ihm. Sie zeichnet sich durch eine rote Nase aus.
Der Knabe verweigert ihr den Kuß, sagt aber, ihr zum Abschied die Hand
reichend: #Auf Geseres# und zu uns beiden (oder zu einem von uns): #Auf
Ungeseres#. Ich habe die Idee, daß letzteres einen Vorzug bedeutet._

Dieser Traum baut sich auf einem Knäuel von Gedanken auf, die durch ein
im Theater gesehenes Schauspiel »_Das neue Ghetto_« angeregt wurden. Die
Judenfrage, die Sorge um die Zukunft der Kinder, denen man ein Vaterland
nicht geben kann, die Sorge, sie so zu erziehen, daß sie freizügig
werden können, sind in den zugehörigen Traumgedanken leicht zu erkennen.

»_An den Wässern Babels saßen wir und weinten._« -- Siena ist wie Rom
durch seine schönen Brunnen berühmt; für Rom muß ich im Traume (vgl.
p. 146) mir irgend einen Ersatz aus bekannten Örtlichkeiten suchen. Nahe
der Porta romana von Siena sahen wir ein großes, hell erleuchtetes Haus.
Wir erfuhren, daß es das Manicomio, die Irrenanstalt sei. Kurz vor dem
Traume hatte ich gehört, daß ein Glaubensgenosse seine mühselig
erworbene Anstellung an einer staatlichen Irrenanstalt hatte aufgeben
müssen.

Unser Interesse erweckt die Rede: _Auf Geseres_, wo man nach der im
Traume festgehaltenen Situation erwarten müßte: Auf Wiedersehen, und ihr
ganz sinnloser Gegensatz: _Auf Ungeseres_.

_Geseres_ ist nach den Auskünften, die ich mir bei Schriftgelehrten
geholt habe, ein echt hebräisches Wort, abgeleitet von einem Verbum
»goiser« und läßt sich am besten durch »anbefohlene Leiden, Verhängnis«,
wiedergeben. Nach der Verwendung des Wortes im Jargon sollte man meinen,
es bedeute »Klagen und Jammern«. _Ungeseres_ ist meine eigenste
Wortbildung und zieht meine Aufmerksamkeit zuerst auf sich, macht mich
aber zunächst ratlos. Die kleine Bemerkung zu Ende des Traumes, daß
Ungeseres einen Vorzug gegen Geseres bedeute, öffnet den Einfällen und
damit dem Verständnis die Pforten. Ein solches Verhältnis findet ja beim
Kaviar statt; der _ungesalzene_ wird höher geschätzt als der
_gesalzene_. Kaviar fürs Volk, »noble Passionen«: darin liegt eine
scherzhafte Anspielung an eine der Personen meines Haushaltes verborgen,
von der ich hoffe, daß sie, jünger als ich, die Zukunft meiner Kinder in
acht nehmen wird. Dazu stimmt es dann, daß eine andere Person meines
Haushaltes, unsere brave Kinderfrau, in der Wärterin (oder Nonne) vom
Traume wohl kenntlich gezeigt wird. Zwischen dem Paar _gesalzen-ungesalzen_
und _Geseres-Ungeseres_ fehlt es aber noch an einem vermittelnden
Übergang. Dieser findet sich in »_gesäuert_ und _ungesäuert_«;
bei ihrem _flucht_artigen Auszug aus _Ägypten_ hatten die
Kinder Israels nicht die Zeit, ihren Brotteig gären zu lassen, und essen
zur Erinnerung daran noch heute ungesäuertes Brot zur Osterzeit. Hier
kann ich auch den plötzlichen Einfall unterbringen, der mir während
dieses Stückes der Analyse gekommen ist. Ich erinnerte mich, wie wir in
den letzten _Oster_tagen in den Straßen der uns fremden Stadt Breslau
herumspazierten, mein Freund aus Berlin und ich. Ein kleines Mädchen
fragte mich um den Weg in eine gewisse Straße; ich mußte mich
entschuldigen, daß ich ihn nicht wisse, und äußerte dann zu meinem
Freunde: Hoffentlich beweist die Kleine später im Leben mehr Scharfblick
bei der Auswahl der Personen, von denen sie sich leiten läßt. Kurz
darauf fiel mir ein Schild in die Augen: _Dr. Herodes_, Sprechstunde
. . . Ich meinte: Hoffentlich ist der Kollege nicht gerade _Kinderarzt_.
Mein Freund hatte mir unterdessen seine Ansichten über die biologische
Bedeutung der _bilateralen Symmetrie_ entwickelt und einen Satz mit der
Einleitung begonnen: »Wenn wir das eine Auge mitten auf der Stirn trügen
wie der _Kyklop_ . . .« Das führt nun zur Rede des Professors im
Vortraume: _Mein Sohn, der Myop_. Und nun bin ich zur Hauptquelle für
das _Geseres_ geführt worden. Vor vielen Jahren, als dieser Sohn des
Professors M., der heute ein selbständiger Denker ist, noch auf der
_Schulbank_ saß, erkrankte er an einer Augenaffektion, die der Arzt für
besorgniserweckend erklärte. Er meinte, solange sie _einseitig_ bleibe,
habe sie nichts zu bedeuten, sollte sie aber auch auf das _andere Auge_
übergreifen, so wäre es ernsthaft. Das Leiden heilte auf dem einen Auge
schadlos ab; kurz darauf stellten sich aber die Zeichen für die
Erkrankung des zweiten wirklich ein. Die entsetzte Mutter ließ sofort
den Arzt in die Einsamkeit ihres Landaufenthaltes kommen. Der schlug
sich aber jetzt _auf die andere Seite_. »_Was machen Sie für Geseres?_«
herrschte er die Mutter an. »Ist es auf der _einen Seite_ gut geworden,
so wird es auch auf der _anderen_ gut werden.« Und so ward es auch.

Und nun die Beziehungen zu mir und den meinigen. Die _Schulbank_, auf
der der Sohn des Professors M. seine erste Weisheit erlernt, ist durch
Schenkung der Mutter in das Eigentum meines Ältesten übergegangen, dem
ich im Traume die Abschiedsworte in den Mund lege. Der eine der Wünsche,
die sich an diese Übertragung knüpfen lassen, ist nun leicht zu erraten.
Diese Schulbank soll aber auch durch ihre Konstruktion das Kind davor
schützen, _kurzsichtig_ und _einseitig_ zu werden. Daher im Traume
_Myop_ (dahinter _Kyklop_) und die Erörterungen über _Bilateralität_.
Die Sorge um die Einseitigkeit ist eine mehrdeutige; es kann neben der
körperlichen Einseitigkeit die der intellektuellen Entwicklung gemeint
sein. Ja, scheint es nicht, daß die Traumszene in ihrer Tollheit gerade
dieser Sorge widerspricht? Nachdem das Kind nach _der einen Seite hin_
sein Abschiedswort gesprochen, ruft es nach _der anderen hin_ das
Gegenteil davon, wie um das Gleichgewicht herzustellen. _Es handelt
gleichsam in Beachtung der bilateralen Symmetrie!_

So ist der Traum oft am tiefsinnigsten, wo er am tollsten erscheint. Zu
allen Zeiten pflegten die, welche etwas zu sagen hatten und es nicht
gefahrlos sagen konnten, gern die Narrenkappe aufzusetzen. Der Hörer,
für den die untersagte Rede bestimmt war, duldete sie eher, wenn er
dabei lachen und sich mit dem Urteil schmeicheln konnte, daß das
Unliebsame offenbar etwas Närrisches sei. Ganz so wie in Wirklichkeit
der Traum, verfährt im Schauspiel der Prinz, der sich zum Narren
verstellen muß, und darum kann man auch vom Traume aussagen, was _Hamlet_,
wobei er die eigentlichen Bedingungen durch witzig-unverständliche
ersetzt, von sich behauptet: »Ich bin nur toll bei Nord-Nord-West;
weht der Wind aus Süden, so kann ich einen Reiher von einem
Falken unterscheiden(167).«

  (167) Dieser Traum gibt auch ein gutes Beispiel für den allgemein
  gültigen Satz, daß die Träume derselben Nacht, wenngleich in der
  Erinnerung gesondert, auf dem Boden des nämlichen Gedankenmaterials
  erwachsen sind. Die Traumsituation, daß ich meine Kinder aus der Stadt
  Rom flüchte, ist übrigens durch die Rückbeziehung auf einen analogen,
  in meine Kindheit fallenden Vorgang entstellt. Der Sinn ist, daß ich
  Verwandte beneide, denen sich bereits vor vielen Jahren ein Anlaß
  geboten hat, ihre Kinder auf einen anderen Boden zu versetzen.

 Keine Urteilsleistung im Traume.

Ich habe also das Problem der Absurdität des Traumes dahin aufgelöst,
daß die Traumgedanken niemals absurd sind -- wenigstens nicht von den
Träumen geistesgesunder Menschen -- und daß die Traumarbeit absurde
Träume und Träume mit einzelnen absurden Elementen produziert, wenn ihr
in den Traumgedanken Kritik, Spott und Hohn zur Darstellung in ihrer
Ausdrucksform vorliegt. Es liegt mir nun daran zu zeigen, daß die
Traumarbeit überhaupt durch das Zusammenwirken der drei erwähnten
Momente -- und eines vierten noch zu erwähnenden -- erschöpft ist, daß
sie sonst nichts leistet als eine Übersetzung der Traumgedanken unter
Beachtung der vier ihr vorgeschriebenen Bedingungen, und daß die Frage,
ob die Seele im Traume mit all ihren geistigen Fähigkeiten arbeitet oder
nur mit einem Teile derselben, schief gestellt ist und an den
tatsächlichen Verhältnissen abgleitet. Da es aber reichlich Träume gibt,
in deren Inhalt geurteilt, kritisiert und anerkannt wird, in denen
Verwunderung über ein einzelnes Element des Traumes auftritt,
Erklärungsversuche gemacht und Argumentationen angestellt werden, muß
ich die Einwendungen, die aus solchen Vorkommnissen sich ableiten, an
ausgewählten Beispielen erledigen.

Meine Erwiderung lautet: _Alles, was sich als scheinbare Betätigung der
Urteilsfunktion in den Träumen vorfindet, ist nicht etwa als
Denkleistung der Traumarbeit aufzufassen, sondern gehört dem Material
der Traumgedanken an und ist von dorther als fertiges Gebilde in den
manifesten Trauminhalt gelangt._ Ich kann meinen Satz zunächst noch
überbieten. Auch von den Urteilen, die man _nach dem Erwachen_ über den
erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduktion dieses
Traumes in uns hervorruft, gehört ein guter Teil dem latenten
Trauminhalt an und ist in die Deutung des Traumes einzufügen.

I. Ein auffälliges Beispiel hiefür habe ich bereits angeführt. Eine
Patientin will ihren Traum nicht erzählen, weil er _zu unklar_ ist. Sie
hat eine Person im Traume gesehen, und weiß nicht, _ob es der Mann oder
der Vater war_. Dann folgt ein zweites Traumstück, in dem ein
»Misttrügerl« vorkommt, an das folgende Erinnerung sich anschließt. Als
junge Hausfrau äußerte sie einmal scherzhaft vor einem jungen
Verwandten, der im Hause verkehrte, daß ihre nächste Sorge die
Anschaffung eines neuen Misttrügerls sein müsse. Sie bekam am nächsten
Morgen ein solches zugeschickt, das aber mit Maiglöckchen gefüllt war.
Dieses Stück Traum dient der Darstellung der Redensart »Nicht auf meinem
eigenen Mist gewachsen«. Wenn man die Analyse vervollständigt, erfährt
man, daß es sich in den Traumgedanken um die Nachwirkung einer in der
Jugend gehörten Geschichte handelt, daß ein Mädchen ein Kind bekommen,
von dem es _unklar war, wer eigentlich der Vater sei_. Die
Traumdarstellung greift also hier ins Wachdenken über und läßt eines der
Elemente der Traumgedanken durch ein im Wachen gefälltes Urteil über den
ganzen Traum vertreten sein.

II. Ein ähnlicher Fall: Einer meiner Patienten hat einen Traum, der ihm
interessant vorkommt, denn er sagt sich unmittelbar nach dem Erwachen:
_Das muß ich dem Doktor erzählen._ Der Traum wird analysiert und ergibt
die deutlichsten Anspielungen auf ein Verhältnis, das er während der
Behandlung begonnen, und von dem er sich vorgenommen hatte, _mir nichts
zu erzählen_(168).

  (168) Die noch im Traume enthaltene Mahnung oder der Vorsatz: Das muß
  ich dem Doktor erzählen, bei Träumen während der psychoanalytischen
  Behandlung entspricht regelmäßig einem großen Widerstand gegen die
  Beichte des Traumes und wird nicht selten vom Vergessen des Traumes
  gefolgt.

 Übergreifen der Traumarbeit ins Wachen.

III. Ein drittes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:

_Ich gehe mit P. durch eine Gegend, in der Häuser und Gärten vorkommen,
ins Spital. Dabei die Idee, daß ich diese Gegend schon mehrmals im
Traume gesehen habe. Ich kenne mich nicht sehr gut aus; er zeigt mir
einen Weg, der durch eine Ecke in eine Restauration führt (Saal, nicht
Garten); dort frage ich nach Frau Doni und höre, sie wohnt im
Hintergrunde in einer kleinen Kammer mit drei Kindern. Ich gehe hin und
treffe schon vorher eine undeutliche Person mit meinen zwei kleinen
Mädchen, die ich dann mit mir nehme, nachdem ich eine Weile mit ihnen
gestanden bin. Eine Art Vorwurf gegen meine Frau, daß sie sie dort
gelassen hat._

Beim Erwachen fühle ich dann große _Befriedigung_, die ich damit
motiviere, daß ich jetzt aus der Analyse erfahren werde, was es
bedeutet: _Ich habe schon davon geträumt_(169). Die Analyse lehrt mich
aber nichts darüber; sie zeigt mir nur, daß die Befriedigung zum
latenten Trauminhalt und nicht zu einem Urteile über den Traum gehört.
Es ist die _Befriedigung darüber, daß ich in meiner Ehe Kinder bekommen
habe_. P. ist eine Person, mit der ich ein Stück weit im Leben den
gleichen Weg gegangen bin, die mich dann sozial und materiell weit
überholt hat, die aber in ihrer Ehe kinderlos geblieben ist. Die beiden
Anlässe des Traumes können den Beweis durch eine vollständige Analyse
ersetzen. Tags zuvor las ich in der Zeitung die Todesanzeige einer Frau
_Dona A. .y_ (woraus ich _Doni_ mache), die im _Kindbett_ gestorben; ich
hörte von meiner Frau, daß die Verstorbene von derselben Hebamme
gepflegt worden sei wie sie selbst bei unseren beiden Jüngsten. Der Name
_Dona_ war mir aufgefallen, denn ich hatte ihn kurz vorher in einem
englischen Roman zum erstenmal gefunden. Der andere Anlaß des Traumes
ergibt sich aus dem Datum desselben; es war die Nacht vor dem
Geburtstage meines ältesten, wie es scheint, dichterisch begabten
Knaben.

  (169) Ein Thema, über welches sich eine weitläufige Diskussion in den
  letzten Jahrgängen der Revue philosophique angesponnen hat (Paramnesie
  im Traume).

IV. Dieselbe Befriedigung verbleibt mir nach dem Erwachen aus dem
absurden Traume, daß der Vater nach seinem Tode eine politische Rolle
bei den Magyaren gespielt, und motiviert sich durch die Fortdauer der
Empfindung, die den letzten Satz des Traumes begleitete: _Ich erinnere
mich daran, daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich gesehen, und
~freue mich darüber~, daß es doch wahr geworden ist . . . (Dazu eine
vergessene Fortsetzung.)_ Aus der Analyse kann ich nun einsetzen, was in
diese Traumlücke gehört. Es ist die Erwähnung meines zweiten Knaben, dem
ich den Vornamen einer großen historischen Persönlichkeit gegeben habe,
die mich in den Knabenjahren, besonders seit meinem Aufenthalt in
England, mächtig angezogen. Ich hatte das Jahr der Erwartung über den
Vorsatz, gerade diesen Namen zu verwenden, wenn es ein Sohn würde, und
begrüßte mit ihm _hoch befriedigt_ schon den eben Geborenen. Es ist
leicht zu merken, wie die unterdrückte Größensucht des Vaters sich in
seinen Gedanken auf die Kinder überträgt; ja man wird gern glauben, daß
dies einer der Wege ist, auf denen die im Leben notwendig gewordene
Unterdrückung derselben vor sich geht. Sein Anrecht, in den Zusammenhang
dieses Traumes aufgenommen zu werden, erwarb der Kleine dadurch, daß ihm
damals der nämliche -- beim Kinde und beim Sterbenden leicht
verzeihliche -- Unfall widerfahren war, die Wäsche zu beschmutzen.
Vergleiche hiezu die Anspielung »_Stuhlrichter_« und den Wunsch des
Traumes: Vor seinen Kindern _groß_ und _rein_ dazustehen.

V. Wenn ich nun Urteilsäußerungen, die im Traume selbst verbleiben, sich
nicht ins Wachen fortsetzen oder sich dahin verlegen, heraussuchen soll,
so werde ich's als große Erleichterung empfinden, daß ich mich hiefür
solcher Träume bedienen darf, die bereits in anderer Absicht mitgeteilt
worden sind. Der Traum von _Goethe_, der _Herrn M._ angegriffen hat,
scheint eine ganze Anzahl von Urteilsakten zu enthalten. _Ich suche mir
die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein
wenig aufzuklären._ Sieht das nicht einer kritischen Regung gegen den
Unsinn gleich, daß _Goethe_ einen jungen Mann meiner Bekanntschaft
literarisch angegriffen haben soll? »_Es kommt mir plausibel vor_, daß
er 18 Jahre alt war.« Das klingt doch ganz wie das Ergebnis einer
allerdings schwachsinnigen Berechnung; und »_Ich weiß nicht sicher,
welches Jahr wir schreiben_« wäre ein Beispiel von Unsicherheit oder
Zweifel im Traume.

 Die scheinbaren Urteilsäußerungen des Traumes.

Nun weiß ich aber aus der Analyse dieses Traumes, daß diese scheinbar
erst im Traume vollzogenen Urteilsakte in ihrem Wortlaute eine andere
Auffassung zulassen, durch welche sie für die Traumdeutung unentbehrlich
werden und gleichzeitig jede Absurdität vermieden wird. Mit dem Satze:
»_Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse ein wenig aufzuklären_«,
setze ich mich an die Stelle meines Freundes, der wirklich die
zeitlichen Verhältnisse des Lebens aufzuklären sucht. Der Satz verliert
hiemit die Bedeutung eines Urteiles, welches sich gegen den Unsinn der
vorhergehenden Sätze sträubt. Die Einschaltung, »_die mir
unwahrscheinlich vorkommt_«, gehört zusammen mit dem späteren »_Es kommt
mir plausibel vor_«. Ungefähr mit den gleichen Worten habe ich der Dame,
die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: »_Es
kommt mir unwahrscheinlich vor_, daß der Ausruf »Natur, Natur«, etwas
mit _Goethe_ zu tun hatte; _es ist mir viel plausibler_, daß er die
Ihnen bekannte sexuelle Bedeutung gehabt hat.« Es ist hier allerdings
ein Urteil gefällt worden, aber nicht im Traume, sondern in der
Realität, bei einer Veranlassung, die von den Traumgedanken erinnert und
verwertet wird. Der Trauminhalt eignet sich dieses Urteil an wie irgend
ein anderes Bruchstück der Traumgedanken.

Die Zahl #18#, mit der das Urteil im Traume unsinnigerweise in
Verbindung gesetzt ist, bewahrt noch die Spur des Zusammenhanges, aus
dem das reale Urteil gerissen wurde. Endlich daß »_ich nicht sicher bin,
welches Jahr wir schreiben_«, soll nichts anderes als meine
Identifizierung mit dem Paralytiker durchsetzen, in dessen Examen sich
dieser eine Anhaltspunkt wirklich ergeben hatte.

Bei der Auflösung der scheinbaren Urteilsakte des Traumes kann man sich
an die eingangs gegebene Regel für die Ausführung der Deutungsarbeit
mahnen lassen, daß man den im Traume hergestellten Zusammenhang der
Traumbestandteile als einen unwesentlichen Schein beiseite lassen und
jedes Traumelement für sich der Zurückführung unterziehen möge. Der
Traum ist ein Konglomerat, das für die Zwecke der Untersuchung wieder
zerbröckelt werden soll. Man wird aber anderseits aufmerksam gemacht,
daß sich in den Träumen eine psychische Kraft äußert, welche diesen
scheinbaren Zusammenhang herstellt, also das durch die Traumarbeit
gewonnene Material einer _sekundären Bearbeitung_ unterzieht. Wir haben
hier Äußerungen jener Macht vor uns, die wir als das vierte der bei der
Traumbildung beteiligten Momente später würdigen werden.

VI. Ich suche nach anderen Beispielen von Urteilsarbeit in den bereits
mitgeteilten Träumen. In dem absurden Traume von der Zuschrift des
Gemeinderates frage ich: _Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne,
daß ich ja 1856 geboren bin, was mir unmittelbar folgend vorkommt._ Das
kleidet sich ganz in die Form einer _Schlußfolge_. Der Vater hat bald
nach dem Anfall im Jahre 1851 geheiratet; ich bin ja der Älteste, 1856
geboren; also das stimmt. Wir wissen, daß dieser Schluß durch die
Wunscherfüllung verfälscht ist, daß der in den Traumgedanken herrschende
Satz lautet: _vier oder fünf Jahre, das ist kein Zeitraum, das ist nicht
zu rechnen_. Aber jedes Stück dieser Schlußfolge ist nach Inhalt wie
nach Form aus den Traumgedanken anders zu determinieren: Es ist der
Patient, über dessen Geduld der Kollege sich beschwert, der unmittelbar
nach Beendigung der Kur zu heiraten gedenkt. Die Art, wie ich mit dem
Vater im Traume verkehre, erinnert an ein _Verhör_ oder ein _Examen_,
und damit an einen Universitätslehrer, der in der Inskriptionsstunde ein
vollständiges Nationale aufzunehmen pflegte. Geboren, wann? 1856. --
Patre? Darauf sagte man den Vornamen des Vaters mit lateinischer Endung,
und wir Studenten nahmen an, der Hofrat ziehe aus dem Vornamen des
Vaters _Schlüsse_, die ihm der Vorname des Inskribierten nicht jedesmal
gestattet hätte. Somit wäre das _Schlußziehen_ des Traumes nur die
Wiederholung des _Schlußziehens_, das als ein Stück Material in den
Traumgedanken auftritt. Wir erfahren hieraus etwas Neues. Wenn im
Trauminhalt ein Schluß vorkommt, so kommt er ja sicherlich aus den
Traumgedanken; in diesen mag er aber enthalten sein als ein Stück des
erinnerten Materials oder er kann als logisches Band eine Reihe von
Traumgedanken miteinander verknüpfen. In jedem Falle stellt der Schluß
im Traume einen Schluß aus den Traumgedanken dar(170).

  (170) Diese Ergebnisse korrigieren in einigen Punkten meine früheren
  Angaben über die Darstellung der logischen Relationen (p. 233).
  Letztere beschreiben das allgemeine Verhalten der Traumarbeit,
  berücksichtigen aber nicht die feinsten und sorgfältigsten Leistungen
  derselben.

Die Analyse dieses Traumes wäre hier fortzusetzen. An das Verhör des
Professors reiht sich die Erinnerung an den (zu meiner Zeit lateinisch
abgefaßten) Index der Universitätsstudenten. Ferner an meinen
Studiengang. Die _fünf Jahre_, die für das medizinische Studium
vorgesehen sind, waren wiederum zu wenig für mich. Ich arbeitete
unbekümmert in weitere Jahre hinein, und im Kreise meiner Bekannten
hielt man mich für verbummelt, zweifelte man, daß ich »_fertig_« werden
würde. Da entschloß ich mich _schnell_, meine Prüfungen zu machen, und
wurde doch fertig; _trotz des Aufschubs_. Eine neue Verstärkung der
Traumgedanken, die ich meinen Kritikern trotzig entgegenhalte. »Und wenn
Ihr es auch nicht glauben wollt, weil ich mir Zeit lasse; ich werde doch
fertig, ich komme doch zum _Schluß_. Es ist schon oft so gegangen.«

Derselbe Traum enthält in seinem Anfangsstück einige Sätze, denen man
den Charakter einer Argumentation nicht gut absprechen kann. Und diese
Argumentation ist nicht einmal absurd, sie könnte ebensowohl dem wachen
Denken angehören. _Ich mache mich im Traume über die Zuschrift des
Gemeinderates lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht auf der Welt,
zweitens ist mein Vater, auf den sie sich beziehen kann, schon tot._
Beides ist nicht nur an sich richtig, sondern deckt sich auch völlig mit
den wirklichen Argumenten, die ich im Falle einer derartigen Zuschrift
in Anwendung bringen würde. Wir wissen aus der früheren Analyse
(p. 310 f.), daß dieser Traum auf dem Boden von tief erbitterten und
hohngetränkten Traumgedanken erwachsen ist; wenn wir außerdem noch die
Motive zur Zensur als recht starke annehmen dürfen, so werden wir
verstehen, daß die Traumarbeit eine _tadellose Widerlegung einer
unsinnigen Zumutung_ nach dem in den Traumgedanken enthaltenen Vorbild
zu schaffen allen Anlaß hat. Die Analyse zeigt uns aber, daß der
Traumarbeit hier doch keine freie Nachschöpfung auferlegt worden ist,
sondern daß Material aus den Traumgedanken dazu verwendet werden mußte.
Es ist, als kämen in einer algebraischen Gleichung außer den Zahlen ein
+ und -, ein Potenz- und ein Wurzelzeichen vor, und jemand, der diese
Gleichung abschreibt, ohne sie zu verstehen, nähme die Operationszeichen
wie die Zahlen in seine Abschrift hinüber, würfe aber dann beiderlei
durcheinander. Die beiden Argumente lassen sich auf folgendes Material
zurückführen. Es ist mir peinlich, zu denken, daß manche der
Voraussetzungen, die ich meiner psychologischen Auflösung der
Psychoneurosen zu grunde lege, wenn sie erst bekannt geworden sind,
Unglauben und Gelächter hervorrufen werden. So muß ich behaupten, daß
bereits Eindrücke aus dem zweiten Lebensjahre, mitunter auch schon aus
dem ersten, eine bleibende Spur im Gemütsleben der später Kranken
zurücklassen und -- obwohl von der Erinnerung vielfach verzerrt und
übertrieben -- die erste und unterste Begründung für ein hysterisches
Symptom abgeben können. Patienten, denen ich dies an passender Stelle
auseinandersetze, pflegen die neugewonnene Aufklärung zu parodieren,
indem sie sich bereit erklären, nach Erinnerungen aus der Zeit zu
suchen, _da sie noch nicht am Leben waren_. Eine ähnliche Aufnahme
dürfte nach meiner Erwartung die Aufdeckung der ungeahnten Rolle finden,
welche bei weiblichen Kranken _der Vater_ in den frühesten sexuellen
Regungen spielt. (Vgl. die Auseinandersetzung p. 193 f.) Und doch ist
nach meiner gut begründeten Überzeugung beides wahr. Ich denke zur
Bekräftigung an einzelne Beispiele, bei denen der Tod des Vaters in ein
sehr früheres Alter des Kindes fiel, und spätere sonst unerklärbare
Vorfälle bewiesen, daß das Kind doch Erinnerungen an die ihm so früh
entschwundene Person unbewußt bewahrt hatte. Ich weiß, daß meine beiden
Behauptungen auf _Schlüssen_ beruhen, deren Gültigkeit man anfechten
wird. Es ist also eine Leistung der Wunscherfüllung, wenn gerade das
Material _dieser Schlüsse_, deren Beanständung ich fürchte, von der
Traumarbeit zur Herstellung _einwandfreier Schlüsse_ verwendet wird.

 Verwunderung im Traume.

VII. In einem Traume, den ich bisher nur gestreift habe, wird eingangs
die Verwunderung über das auftauchende Thema deutlich ausgesprochen.

_Der alte Brücke muß mir irgend eine Aufgabe gestellt haben: ~sonderbar
genug~ bezieht sie sich auf Präparation meines eigenen Untergestells,
Becken und Beine, das ich vor mir sehe wie im Seziersaal, doch ohne den
Mangel am Körper zu spüren, auch ohne Spur von Grauen. Louise N. steht
dabei und macht die Arbeit bei mir. Das Becken ist ausgeweidet, man
sieht bald die obere, bald die untere Ansicht desselben, was sich
vermengt. Dicke, fleischrote Knollen (bei denen ich noch im Traume an
Hämorrhoiden denke) sind zu sehen. Auch mußte etwas sorgfältig
ausgeklaubt werden, was darüber lag und zerknülltem Silberpapier
glich(171). Dann war ich wieder im Besitze meiner Beine und machte einen
Weg durch die Stadt, nahm aber (aus Müdigkeit) einen Wagen. Der Wagen
fuhr zu meinem Erstaunen in ein Haustor hinein, das sich öffnete und ihn
durch einen Gang passieren ließ, der am Ende abgeknickt, schließlich
weiter ins Freie führte(172). Schließlich wanderte ich mit einem alpinen
Führer, der meine Sachen trug, durch wechselnde Landschaften. Auf einer
Strecke trug er mich mit Rücksicht auf meine müden Beine. Der Boden war
sumpfig; wir gingen am Rande hin; Leute saßen am Boden, ein Mädchen
unter ihnen, wie Indianer oder Zigeuner. Vorher hatte ich auf dem
schlüpfrigen Boden mich selbst weiter bewegt unter steter Verwunderung,
daß ich es nach der Präparation so gut kann. Endlich kamen wir zu einem
kleinen Holzhaus, das in ein offenes Fenster ausging. Dort setzte mich
der Führer ab und legte zwei bereitstehende Holzbretter auf das
Fensterbrett, um so den Abgrund zu überbrücken, der vom Fenster aus zu
überschreiten war. Ich bekam jetzt wirklich Angst für meine Beine.
Anstatt des erwarteten Überganges sah ich aber zwei erwachsene Männer
auf Holzbänken liegen, die an den Wänden der Hütte waren, und wie zwei
Kinder schlafend neben ihnen. Als ob nicht die Bretter, sondern die
Kinder den Übergang ermöglichen sollten. Ich erwache mit
Gedankenschreck._

  (171) Stanniol, Anspielung auf _Stannius_, Nervensystem der Fische,
  vgl. p. 295.

  (172) Die Örtlichkeit im Flure meines Wohnhauses, wo die Kinderwagen
  der Parteien stehen; sonst aber mehrfach überbestimmt.

 Analyse der Traumverwunderung.

Wer sich nur einmal einen ordentlichen Eindruck von der Ausgiebigkeit
der Traumverdichtung geholt hat, der wird sich leicht vorstellen können,
welche Anzahl von Blättern die ausführliche Analyse dieses Traumes
einnehmen muß. Zum Glück für den Zusammenhang entlehne ich dem Traume
aber bloß das eine Beispiel für die Verwunderung im Traume, die sich in
der Einschaltung »_sonderbar genug_« kundgibt. Ich gehe auf den Anlaß
des Traumes ein. Es ist ein Besuch jener Dame Louise N., die auch im
Traume der Arbeit assistiert. »Leih' mir etwas zum Lesen.« Ich biete ihr
»_She_« von _Rider Haggard_ an. Ein »_sonderbares_ Buch, aber voll von
verstecktem Sinne«, will ich ihr auseinandersetzen; »das ewig Weibliche,
die Unsterblichkeit unserer Affekte -- --«. Da unterbricht sie mich: Das
kenne ich schon. Hast du nichts Eigenes? -- »Nein, meine eigenen
unsterblichen Werke sind noch nicht geschrieben.« -- Also wann
erscheinen denn deine sogenannten letzten Aufklärungen, die, wie du
versprichst, auch für uns lesbar sein werden? fragt sie etwas anzüglich.
Ich merke jetzt, daß mich ein anderer durch ihren Mund mahnen läßt, und
verstumme. Ich denke an die Überwindung, die es mich kostet, auch nur
die Arbeit über den Traum, in der ich so viel vom eigenen intimen Wesen
preisgeben muß, in die Öffentlichkeit zu schicken. »Das Beste, was du
wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen.« Die Präparation
_am eigenen Leib_, die mir im Traume aufgetragen wird, ist also die mit
der Mitteilung der Träume verbundene _Selbstanalyse_. Der alte _Brücke_
kommt mit Recht hiezu; schon in diesen ersten Jahren wissenschaftlicher
Arbeit traf es sich, daß ich einen Fund liegen ließ, bis sein
energischer Auftrag mich zur Veröffentlichung zwang. Die weiteren
Gedanken aber, die sich an die Unterredung mit Louise N. anspinnen,
greifen zu tief, um bewußt zu werden; sie erfahren eine Ablenkung über
das Material, das in mir nebstbei durch die Erwähnung der »She« von
_Rider Haggard_ geweckt worden ist. Auf dieses Buch und auf ein zweites
desselben Autors, »Heart of the world«, geht das Urteil »_sonderbar
genug_«, und zahlreiche Elemente des Traumes sind den beiden
phantastischen Romanen entnommen. Der sumpfige Boden, über den man
getragen wird, der Abgrund, der mittels der mitgebrachten Bretter zu
überschreiten ist, stammen aus der »She«; die Indianer, das Mädchen, das
Holzhaus aus »Heart of the world«. In beiden Romanen ist eine Frau die
Führerin, in beiden handelt es sich um gefährliche Wanderungen, in
»_She_« um einen abenteuerlichen Weg ins Unentdeckte, kaum je Betretene.
Die müden Beine sind nach einer Notiz, die ich bei dem Traume finde,
reale Sensation jener Tage gewesen. Wahrscheinlich entsprach ihnen eine
müde Stimmung und die zweifelnde Frage: Wie weit werden mich meine Beine
noch tragen? In der »She« endet das Abenteuer damit, daß die Führerin,
anstatt sich und den anderen die Unsterblichkeit zu holen, im
geheimnisvollen Zentralfeuer den Tod findet. Eine solche Angst hat sich
unverkennbar in den Traumgedanken geregt. Das »_Holzhaus_« ist
sicherlich auch der _Sarg_, also das Grab. Aber in der Darstellung
dieses unerwünschtesten aller Gedanken durch eine Wunscherfüllung hat
die Traumarbeit ihr Meisterstück geleistet. Ich war nämlich schon einmal
in einem Grabe, aber es war ein ausgeräumtes Etruskergrab bei _Orvieto_,
eine schmale Kammer mit zwei Steinbänken an den Wänden, auf denen die
Skelette von zwei Erwachsenen gelagert waren. Genau so sieht das Innere
des Holzhauses im Traume aus, nur ist Stein durch Holz ersetzt. Der
Traum scheint zu sagen: »Wenn du schon im Grabe weilen sollst, so sei es
das Etruskergrab«, und mit dieser Unterschiebung verwandelt er die
traurigste Erwartung in eine recht erwünschte. Leider kann er, wie wir
hören werden, nur die den Affekt begleitende Vorstellung in ihr
Gegenteil verkehren, nicht immer auch den Affekt selbst. So wache ich
denn mit »Gedankenschreck« auf, nachdem sich noch die Idee Darstellung
erzwungen, daß vielleicht die Kinder erreichen werden, was dem Vater
versagt geblieben, eine neuerliche Anspielung an den sonderbaren Roman,
in dem die Identität einer Person durch eine Generationsreihe von 2000
Jahren festgehalten wird.

VIII. In dem Zusammenhang eines anderen Traumes findet sich gleichfalls
ein Ausdruck der Verwunderung über das im Traume Erlebte, aber verknüpft
mit einem so auffälligen, weit hergeholten und beinahe geistreichen
Erklärungsversuche, daß ich bloß seinetwegen den ganzen Traum der
Analyse unterwerfen müßte, auch wenn der Traum nicht noch zwei andere
Anziehungspunkte für unser Interesse besäße. Ich reise in der Nacht vom
18. auf den 19. Juli auf der Südbahnstrecke und höre im Schlafe:
_»Hollthurn, 10 Minuten« ausrufen. Ich denke sofort an Holothurien --
ein naturhistorisches Museum --, daß hier ein Ort ist, wo sich tapfere
Männer erfolglos gegen die Übermacht ihres Landesherrn gewehrt haben. --
Ja, die Gegenreformation in Österreich! -- Als ob es ein Ort in
Steiermark oder Tirol wäre. Nun sehe ich undeutlich ein kleines Museum,
in dem die Reste oder Erwerbungen dieser Männer aufbewahrt werden. Ich
möchte aussteigen, verzögere es aber. Es stehen Weiber mit Obst auf dem
Perron, sie kauern auf dem Boden und halten die Körbe so einladend hin.
-- Ich habe gezögert aus Zweifel, ob wir noch Zeit haben, und jetzt
stehen wir noch immer. -- Ich bin plötzlich in einem anderen Coupé, in
dem Leder und Sitze so schmal sind, daß man mit dem Rücken direkt an die
Lehne stößt(173). Ich wundere mich darüber, #aber ich kann ja im
schlafenden Zustand umgestiegen sein#. Mehrere Leute, darunter ein
englisches Geschwisterpaar; eine Reihe Bücher deutlich auf einem Gestell
an der Wand. Ich sehe »Wealth of nations«, »Matter and Motion«_ (von
_Maxwell_), _dick und in braune Leinwand gebunden. Der Mann fragt die
Schwester nach einem Buche von Schiller, ob sie das vergessen hat. Es
sind die Bücher bald wie die meinen, bald die der beiden. Ich möchte
mich da bestätigend oder unterstützend ins Gespräch mengen -- -- --._
Ich wache, am ganzen Körper schwitzend, auf, weil alle Fenster
geschlossen sind. Der Zug hält in _Marburg_.

  (173) Diese Beschreibung ist für mich selbst nicht verständlich, aber
  ich folge dem Grundsatze, den Traum in jenen Worten wiederzugeben, die
  mir beim Niederschreiben einfallen. Die Wortfassung ist selbst ein
  Stück der Traumdarstellung.

 Ein Erklärungsversuch im Traume.

Während der Niederschrift fällt mir ein Traumstück ein, das die
Erinnerung übergehen wollte. _Ich sage dem Geschwisterpaare auf ein
gewisses Werk: It is from . . ., korrigiere mich aber: It is by . . .
Der Mann bemerkt zur Schwester: Er hat es ja richtig gesagt._

Der Traum beginnt mit dem Namen der Station, der mich wohl unvollkommen
geweckt haben muß. Ich ersetze diesen Namen, der _Marburg_ lautete,
durch _Hollthurn_. Daß ich Marburg beim ersten oder vielleicht bei einem
späteren Ausrufen gehört habe, beweist die Erwähnung _Schillers_ im
Traume, der ja in _Marburg_, wenngleich nicht im steirischen, geboren
ist(174). Nun reiste ich diesmal, obwohl erster Klasse, unter sehr
unangenehmen Verhältnissen. Der Zug war überfüllt, in dem Coupé hatte
ich einen Herrn und eine Dame angetroffen, die sehr vornehm schienen und
nicht die Lebensart besaßen oder es nicht der Mühe wert hielten, ihr
Mißvergnügen über den Eindringling irgendwie zu verbergen. Mein
höflicher Gruß wurde nicht erwidert; obwohl Mann und Frau nebeneinander
saßen (gegen die Fahrtrichtung), beeilte sich die Frau doch, den Platz
ihr gegenüber am Fenster vor meinen Augen mit einem Schirme zu belegen;
die Tür wurde sofort geschlossen, demonstrative Reden über das Öffnen
der Fenster gewechselt. Wahrscheinlich sah man mir den Lufthunger bald
an. Es war eine heiße Nacht und die Luft im allseitig abgeschlossenen
Coupé bald zum Ersticken. Nach meinen Reiseerfahrungen kennzeichnet ein
so rücksichtslos übergreifendes Benehmen Leute, die ihre Karte nicht
oder nur halb bezahlt haben. Als der Kondukteur kam und ich mein teuer
erkauftes Billett vorzeigte, tönte es aus dem Munde der Dame unnahbar
und wie drohend: Mein Mann hat Legitimation. Sie war eine stattliche
Erscheinung mit mißvergnügten Zügen, im Alter nicht weit von der Zeit
des Verfalls weiblicher Schönheit; der Mann kam überhaupt nicht zu
Worte, er saß regungslos da. Ich versuchte zu schlafen. Im Traume nehme
ich fürchterliche Rache an meinen unliebenswürdigen Reisegefährten; man
würde nicht ahnen, welche Beschimpfungen und Demütigungen sich hinter
den abgerissenen Brocken der ersten Traumhälfte verbergen. Nachdem dies
Bedürfnis befriedigt war, machte sich der zweite Wunsch geltend, das
Coupé zu wechseln. Der Traum wechselt so oft die Szene, und ohne daß der
mindeste Anstoß an der Veränderung genommen wird, daß es nicht im
geringsten auffällig gewesen wäre, wenn ich mir alsbald meine
Reisegesellschaft durch eine angenehmere aus meiner Erinnerung ersetzt
hätte. Hier aber tritt der Fall ein, daß irgend etwas den Wechsel der
Szene beanständete und es für notwendig hielt, ihn zu erklären. Wie kam
ich plötzlich in ein anderes Coupé? Ich konnte mich doch nicht erinnern,
umgestiegen zu sein. Da gab es nur eine Erklärung: _ich mußte im
schlafenden Zustand den Wagen verlassen haben_, ein seltenes Vorkommnis,
wofür aber doch die Erfahrung des Neuropathologen Beispiele liefert. Wir
wissen von Personen, die Eisenbahnfahrten in einem Dämmerzustand
unternehmen, ohne durch irgend ein Anzeichen ihren abnormen Zustand zu
verraten, bis sie an irgend einer Station der Reise voll zu sich kommen
und dann die Lücke in ihrer Erinnerung bestaunen. Für einen solchen Fall
von »_Automatisme ambulatoire_« erkläre ich also noch im Traume den
meinigen.

  (174) Schiller ist nicht in einem _Marburg_, sondern in _Marbach_
  geboren, wie jeder deutsche Gymnasiast weiß, und wie auch ich wußte.
  Es ist dies wieder einer jener Irrtümer (vgl. p. 149), die sich als
  Ersatz für eine absichtliche Verfälschung an anderer Stelle
  einschleichen, und deren Aufklärung ich in der »Psychopathologie des
  Alltagslebens« versucht habe.

Die Analyse gestattet eine andere Auflösung zu geben. Der
Erklärungsversuch, der mich so frappiert, wenn ich ihn der Traumarbeit
zuschreiben müßte, ist nicht originell, sondern aus der Neurose eines
meiner Patienten kopiert. Ich erzählte bereits an anderer Stelle von
einem hochgebildeten und im Leben weichherzigen Manne, der kurz nach dem
Tode seiner Eltern begann, sich mörderischer Neigungen anzuklagen, und
nun unter den Vorsichtsmaßregeln litt, die er zur Sicherung gegen
dieselben treffen mußte. Es war ein Fall von schweren Zwangsvorstellungen
bei voll erhaltener Einsicht. Zuerst wurde ihm das Passieren
der Straße durch den Zwang verleidet, sich von allen Begegnenden
Rechenschaft abzulegen, wohin sie verschwunden seien; entzog
sich einer plötzlich seinem verfolgenden Blicke, so blieb ihm die
peinliche Empfindung und die Möglichkeit in Gedanken, er könnte ihn
beseitigt haben. Es war unter anderem eine Kainsphantasie dahinter, denn
»alle Menschen sind Brüder«. Wegen der Unmöglichkeit, diese Aufgabe zu
erledigen, gab er das Spazierengehen auf und verbrachte sein Leben
eingekerkert zwischen seinen vier Wänden. In sein Zimmer gelangten aber
durch die Zeitung beständig Nachrichten von Mordtaten, die draußen
geschehen waren, und sein Gewissen wollte ihm in der Form des Zweifels
nahe legen, daß er der gesuchte Mörder sei. Die Gewißheit, daß er ja
seit Wochen seine Wohnung nicht verlassen habe, schützte ihn eine Weile
gegen diese Anklagen, bis ihm eines Tages die Möglichkeit durch den Sinn
fuhr, daß er _sein Haus im bewußtlosen Zustand verlassen_ und so den
Mord begangen haben könne, ohne etwas davon zu wissen. Von da an schloß
er die Haustür ab, übergab den Schlüssel der alten Haushälterin und
verbot ihr eindringlich, denselben auch nicht auf sein Verlangen in
seine Hände gelangen zu lassen.

Daher stammt also der Erklärungsversuch, daß ich im bewußtlosen Zustand
umgestiegen bin --, er ist aus dem Material der Traumgedanken fertig in
den Traum eingetragen worden und soll im Traume offenbar dazu dienen,
mich mit der Person jenes Patienten zu identifizieren. Die Erinnerung an
ihn wurde in mir durch naheliegende Assoziation geweckt. Mit diesem
Manne hatte ich einige Wochen vorher die letzte Nachtreise gemacht. Er
war geheilt, begleitete mich in die Provinz zu seinen Verwandten, die
mich beriefen; wir hatten ein Coupé für uns, ließen alle Fenster die
Nacht hindurch offen und hatten uns, so lange ich wach blieb,
vortrefflich unterhalten. Ich wußte, daß feindselige Impulse gegen
seinen Vater aus seiner Kindheit in sexuellem Zusammenhange die Wurzel
seiner Erkrankung gewesen waren. Indem ich mich also mit ihm
identifizierte, wollte ich mir etwas Analoges eingestehen. Die zweite
Szene des Traumes löst sich auch wirklich in eine übermütige Phantasie
auf, daß meine beiden ältlichen Reisegefährten sich darum so abweisend
gegen mich benehmen, weil ich sie durch mein Kommen an dem
beabsichtigten nächtlichen Austausch von Zärtlichkeiten gehindert habe.
Diese Phantasie aber geht auf eine frühe Kinderszene zurück, in der das
Kind, wahrscheinlich von sexueller Neugierde getrieben, in das
Schlafzimmer der Eltern eindringt und durch das Machtwort des Vaters
daraus vertrieben wird.

Ich halte es für überflüssig, weitere Beispiele zu häufen. Sie würden
alle nur bestätigen, was wir aus den bereits angeführten entnommen
haben, daß ein Urteilsakt im Traume nur die Wiederholung eines Vorbildes
aus den Traumgedanken ist. Zumeist eine übel angebrachte, in unpassendem
Zusammenhange eingefügte Wiederholung, gelegentlich aber, wie in unseren
letzten Beispielen, eine so geschickt verwendete, daß man zunächst den
Eindruck einer selbständigen Denktätigkeit im Traume empfangen kann. Von
hier aus könnten wir unser Interesse jener psychischen Tätigkeit
zuwenden, die zwar nicht regelmäßig bei der Traumbildung mitzuwirken
scheint, die aber, wo sie es tut, bemüht ist, die nach ihrer Herkunft
disparaten Traumelemente widerspruchsfrei und sinnvoll zu verschmelzen.
Wir empfinden es aber vorher noch als dringlich, uns mit den
Affektäußerungen zu beschäftigen, die im Traume auftreten, und dieselben
mit den Affekten zu vergleichen, welche die Analyse in den Traumgedanken
aufdeckt.


h) _Die Affekte im Traume_.

Eine scharfsinnige Bemerkung von _Stricker_ hat uns aufmerksam gemacht,
daß die Affektäußerungen des Traumes nicht die geringschätzige Art der
Erledigung gestatten, mit der wir erwacht den Trauminhalt abzuschütteln
pflegen. »Wenn ich mich im Traume vor Räubern fürchte, so sind die
Räuber zwar imaginär, aber die Furcht ist real«, und ebenso geht es,
wenn ich mich im Traume freue. Nach dem Zeugnisse unserer Empfindung ist
der im Traume erlebte Affekt keineswegs minderwertig gegen den im Wachen
erlebten von gleicher Intensität, und energischer als mit seinem
Vorstellungsinhalte, erhebt der Traum mit seinem Affektinhalt den
Anspruch, unter die wirklichen Erlebnisse unserer Seele aufgenommen zu
werden. Wir bringen diese Einreihung nun im Wachen nicht zu stande, weil
wir einen Affekt nicht anders psychisch zu würdigen verstehen als in der
Verknüpfung mit einem Vorstellungsinhalt. Passen Affekt und Vorstellung
der Art und der Intensität nach nicht zueinander, so wird unser waches
Urteil irre.

An den Träumen hat immer Verwunderung erregt, daß Vorstellungsinhalte
nicht die Affektwirkung mit sich bringen, die wir als notwendig im
wachen Denken erwarten würden. _Strümpell_ äußerte, im Traume seien die
Vorstellungen von ihren psychischen Werten entblößt. Es fehlt im Traume
aber auch nicht am gegenteiligen Vorkommen, daß intensive Affektäußerung
bei einem Inhalt auftritt, der zur Entbindung von Affekt keinen Anlaß zu
bieten scheint. Ich bin im Traume in einer gräßlichen, gefahrvollen,
ekelhaften Situation, verspüre aber dabei nichts von Furcht oder
Abscheu; hingegen entsetze ich mich andere Male über harmlose, und freue
mich über kindische Dinge.

Dieses Rätsel des Traumes verschwindet uns so plötzlich und so
vollständig wie vielleicht kein anderes der Traumrätsel, wenn wir vom
manifesten Trauminhalt zum latenten übergehen. Wir werden mit seiner
Erklärung nichts zu schaffen haben, denn es besteht nicht mehr. Die
Analyse lehrt uns, _daß die Vorstellungsinhalte Verschiebungen und
Ersetzungen erfahren haben, während die Affekte unverrückt geblieben
sind_. Kein Wunder, daß der durch die Traumentstellung veränderte
Vorstellungsinhalt zum erhalten gebliebenen Affekt dann nicht mehr paßt;
aber auch keine Verwunderung mehr, wenn die Analyse den richtigen Inhalt
an seine frühere Stelle eingesetzt hat.

An einem psychischen Komplex, welcher die Beeinflussung der
Widerstandszensur erfahren hat, sind die Affekte der resistente Anteil,
der uns allein den Fingerzeig zur richtigen Ergänzung geben kann.
Deutlicher noch als beim Traume enthüllt sich dies Verhältnis bei den
Psychoneurosen. Der Affekt hat hier immer Recht, wenigstens seiner
Qualität nach; seine Intensität ist ja durch Verschiebungen der
neurotischen Aufmerksamkeit zu steigern. Wenn der Hysteriker sich
wundert, daß er sich vor einer Kleinigkeit so sehr fürchten muß, oder
der Mann mit Zwangsvorstellungen, daß ihm aus einer Nichtigkeit ein so
peinlicher Vorwurf erwächst, so gehen beide irre, indem sie den
Vorstellungsinhalt -- die Kleinigkeit oder die Nichtigkeit -- für das
Wesentliche nehmen, und sie wehren sich erfolglos, indem sie diesen
Vorstellungsinhalt zum Ausgangspunkte ihrer Denkarbeit machen. Die
Psychoanalyse zeigt ihnen dann den richtigen Weg, indem sie im Gegenteil
den Affekt als berechtigt anerkennt, und die zu ihm gehörige, durch eine
Ersetzung verdrängte Vorstellung aufsucht. Voraussetzung ist dabei, daß
Affektentbindung und Vorstellungsinhalt nicht diejenige unauflösbare
organische Einheit bilden, als welche wir sie zu behandeln gewöhnt sind,
sondern daß beide Stücke aneinander gelötet sein können, so daß sie
durch Analyse voneinander lösbar sind. Die Traumdeutung zeigt, daß dies
in der Tat der Fall ist.

 Erklärung des Ausbleibens erwarteter Affekte.

Ich bringe zuerst ein Beispiel, in dem die Analyse das scheinbare
Ausbleiben des Affekts bei einem Vorstellungsinhalt aufklärt, der
Affektentbindung erzwingen sollte.

I. _Sie sieht in einer Wüste drei Löwen, von denen einer lacht, fürchtet
sich aber nicht vor ihnen. Dann muß sie doch vor ihnen geflüchtet sein,
denn sie will auf einen Baum klettern, findet aber ihre Cousine, die
französische Lehrerin ist, schon oben usw._

Dazu bringt die Analyse folgendes Material: Der indifferente Anlaß zum
Traume ist ein Satz ihrer englischen Aufgabe geworden: Die Mähne ist der
Schmuck des _Löwen_. Ihr Vater trug einen solchen Bart, der wie eine
_Mähne_ das Gesicht umrahmte. Ihre englische Sprachlehrerin heißt Miß
_Lyons_ (Lions = Löwen). Ein Bekannter hat ihr die Balladen von _Loewe_
zugeschickt. Das sind also die drei Löwen; warum sollte sie sich vor
ihnen fürchten? -- Sie hat eine Erzählung gelesen, in welcher ein Neger,
der die anderen zum Aufstand aufgehetzt, mit Bluthunden gejagt wird und
zu seiner Rettung auf einen Baum klettert. Dann folgen in übermütigster
Stimmung Erinnerungsbrocken wie die: Die Anweisung, wie man Löwen fängt,
aus den »Fliegenden Blättern«: Man nehme eine Wüste und siebe sie durch,
dann bleiben die Löwen übrig. Ferner die höchst lustige, aber nicht sehr
anständige Anekdote von einem Beamten, der gefragt wird, warum er sich
denn nicht um die Gunst seines Chefs ausgiebiger bemühe, und der zur
Antwort gibt, er habe sich wohl bemüht da hineinzukriechen, aber sein
Vordermann _war schon oben_. Das ganze Material wird verständlich, wenn
man erfährt, daß die Dame am Traumtage den Besuch des Vorgesetzten ihres
Mannes empfangen hatte. Er war sehr höflich mit ihr, küßte ihr die Hand,
und _sie fürchtete sich gar nicht vor ihm_, obwohl er ein sehr »_großes
Tier_« ist und in der Hauptstadt ihres Landes die Rolle eines »_Löwen
der Gesellschaft_« spielt. Dieser Löwe ist also vergleichbar dem Löwen
im Sommernachtstraume, der sich als Schnock, der Schreiner demaskiert,
und so sind alle Traumlöwen, vor denen man sich nicht fürchtet.

II. Als zweites Beispiel ziehe ich den Traum jenes Mädchens heran, das
den kleinen Sohn ihrer Schwester als Leiche im Sarg liegen sah, dabei
aber, wie ich jetzt hinzufüge, keinen Schmerz und keine Trauer
verspürte. Wir wissen aus der Analyse, warum nicht. Der Traum verhüllte
nur ihren Wunsch, den geliebten Mann wiederzusehen; der Affekt mußte auf
den Wunsch abgestimmt sein und nicht auf dessen Verhüllung. Es war also
zur Trauer gar kein Anlaß.

In einer Anzahl von Träumen bleibt der Affekt wenigstens noch in
Verbindung mit jenem Vorstellungsinhalt, welcher den zu ihm passenden
ersetzt hat. In anderen geht die Auflockerung des Komplexes weiter. Der
Affekt erscheint völlig gelöst von seiner zugehörigen Vorstellung, und
findet sich irgendwo anders im Traume untergebracht, wo er in die neue
Anordnung der Traumelemente hineinpaßt. Es ist dann ähnlich, wie wir's
bei den Urteilsakten des Traumes erfahren haben. Findet sich in den
Traumgedanken ein bedeutsamer Schluß, so enthält auch der Traum einen
solchen; aber der Schluß im Traume kann auf ein ganz anderes Material
verschoben sein. Nicht selten erfolgt diese Verschiebung nach dem
Prinzip der Gegensätzlichkeit.

 Der Traum vom »Frühstücksschiff«.

Die letztere Möglichkeit erläutere ich an folgendem Traumbeispiele, das
ich der erschöpfendsten Analyse unterzogen habe.

III. _Ein Schloß am Meere, später liegt es nicht direkt am Meere,
sondern an einem schmalen Kanal, der ins Meer führt. Ein Herr P. ist der
Gouverneur. Ich stehe mit ihm in einem großen dreifenstrigen Salon, vor
dem sich Mauervorsprünge wie Festungszinnen erheben. Ich bin etwa als
freiwilliger Marineoffizier der Besatzung zugeteilt. Wir befürchten das
Eintreffen von feindlichen Kriegsschiffen, da wir uns im Kriegszustand
befinden. Herr P. hat die Absicht, wegzugehen; er erteilt mir
Instruktionen, was in dem befürchteten Falle zu geschehen hat. Seine
kranke Frau befindet sich mit den Kindern im gefährdeten Schlosse. Wenn
das Bombardement beginnt, soll der große Saal geräumt werden. Er atmet
schwer und will sich entfernen; ich halte ihn zurück und frage, auf
welche Weise ich ihm nötigenfalls Nachricht zukommen lassen soll. Darauf
sagt er noch etwas, sinkt aber gleich darauf tot um. Ich habe ihn wohl
mit den Fragen überflüssigerweise angestrengt. Nach seinem Tode, der mir
weiter keinen Eindruck macht, Gedanken, ob die Witwe im Schlosse bleiben
wird, ob ich dem Oberkommando den Tod anzeigen und als der nächste im
Befehl die Leitung des Schlosses übernehmen soll. Ich stehe nun am
Fenster und mustere die vorbeifahrenden Schiffe; es sind Kauffahrer, die
auf dem dunklen Wasser rapid vorbeisausen, einige mit mehreren Kaminen,
andere mit bauschiger Decke_ (die ganz ähnlich ist wie die
Bahnhofsbauten im [nicht erzählten] Vortraume). _Dann steht mein Bruder
neben mir und wir schauen beide aus dem Fenster auf den Kanal. Bei einem
Schiffe erschrecken wir und rufen: Da kommt das Kriegsschiff. Es zeigt
sich aber, daß nur dieselben Schiffe zurückkehren, die ich schon kenne.
Nun kommt ein kleines Schiff, komisch abgeschnitten, so daß es mitten in
seiner Breite endigt; auf Deck sieht man eigentümliche becher- oder
dosenartige Dinge. Wir rufen wie aus einem Munde: Das ist das
Frühstücksschiff._

Die rasche Bewegung der Schiffe, das tiefdunkle Blau des Wassers, der
braune Bauch der Kamine, das alles ergibt zusammen einen hochgespannten,
düsteren Eindruck.

Die Örtlichkeiten in diesem Traume sind aus mehreren Reisen an die
_Adria_ zusammengetragen (Miramare, Duino, Venedig, Aquileja). Eine
kurze, aber genußreiche Osterfahrt nach _Aquileja_ mit meinem Bruder,
wenige Wochen vor dem Traume, war mir noch in frischer Erinnerung. Auch
der _Seekrieg_ zwischen Amerika und Spanien und an ihn geknüpfte
Besorgnisse um das Schicksal meiner in Amerika lebenden Verwandten
spielen mit hinein. An zwei Stellen dieses Traumes treten
Affektwirkungen hervor. An der einen Stelle bleibt ein zu erwartender
Affekt aus, es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß mir der Tod des
Gouverneurs keinen Eindruck macht; an einer anderen Stelle, wie ich das
Kriegsschiff zu sehen glaube, _erschrecke_ ich und verspüre im Schlafe
alle Sensationen des Schreckens. Die Unterbringung der Affekte ist in
diesem gut gebauten Traume so erfolgt, daß jeder auffällige Widerspruch
vermieden ist. Es ist ja kein Grund, daß ich beim Tode des Gouverneurs
erschrecken sollte, und es ist wohl angebracht, daß ich als Kommandant
des Schlosses bei dem Anblicke des Kriegsschiffes erschrecke. Nun weist
aber die Analyse nach, daß Herr P. nur ein Ersatzmann für mein eigenes
Ich ist (im Traume bin ich sein Ersatzmann). Ich bin der Gouverneur, der
plötzlich stirbt. Die Traumgedanken handeln von der Zukunft der Meinigen
nach meinem vorzeitigen Tode. Kein anderer peinlicher Gedanke findet
sich in den Traumgedanken. Der Schreck, der im Traume an den Anblick des
Kriegsschiffes gelötet ist, muß von dort losgemacht und hieher gesetzt
werden. Umgekehrt zeigt die Analyse, daß die Region der Traumgedanken,
aus der das Kriegsschiff genommen ist, mit den heitersten Reminiszenzen
erfüllt ist. Es war ein Jahr vorher in Venedig, wir standen an einem
zauberhaft schönem Tage an den Fenstern unseres Zimmers auf der Riva
Schiavoni und schauten auf die blaue Lagune, in der heute mehr Bewegung
zu finden war als sonst. Es wurden englische Schiffe erwartet, die
feierlich empfangen werden sollten, und plötzlich rief meine Frau heiter
wie ein Kind: _Da kommt das englische Kriegsschiff!_ Im Traume
erschrecke ich bei den nämlichen Worten; wir sehen wieder, daß Rede im
Traume von Rede im Leben abstammt. Daß auch das Element »_englisch_« in
dieser Rede für die Traumarbeit nicht verloren gegangen ist, werde ich
alsbald zeigen. Ich verkehre also hier zwischen Traumgedanken und
Trauminhalt Fröhlichkeit in Schreck, und brauche nur anzudeuten, daß ich
mit dieser Verwandlung selbst ein Stück des latenten Trauminhaltes zum
Ausdruck bringe. Das Beispiel beweist aber, daß es der Traumarbeit
freisteht, den Affektanlaß aus seinen Verbindungen in den Traumgedanken
zu lösen und beliebig wo anders im Trauminhalt einzufügen.

Ich ergreife die nebstbei sich bietende Gelegenheit, das
»_Frühstücksschiff_«, dessen Erscheinen im Traume eine rationell
festgehaltene Situation so unsinnig abschließt, einer näheren Analyse zu
unterziehen. Wenn ich das Traumobjekt besser ins Auge fasse, so fällt
mir nachträglich auf, daß es schwarz war und durch sein Abschneiden in
seiner größten Breite an diesem Ende eine weitgehende Ähnlichkeit mit
einem Gegenstand erzielte, der uns in den Museen etruskischer Städte
interessant geworden war. Es war dies eine rechteckige Tasse aus
schwarzem Ton, mit zwei Henkeln, auf der Dinge wie Kaffee- oder
Teetassen standen, nicht ganz unähnlich einem unserer modernen Service
für den _Frühstücks_tisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die
Toilette einer etruskischen Dame mit den Schminke- und Puderbüchsen
darauf; und wir sagten uns im Scherze, es wäre nicht übel, so ein Ding
der Hausfrau mitzubringen. Das Traumobjekt bedeutet also -- _schwarze
Toilette_, Trauer und spielt direkt auf einen Todesfall an. Mit dem
anderen Ende mahnt das Traumobjekt an den »Nachen« vom Stamme νέκυς, wie
mein sprachgelehrter Freund mir mitgeteilt, auf den in Vorzeiten die
Leiche gelegt und dem Meere zur Bestattung überlassen wurde. Hieran
reiht sich, warum im Traume die Schiffe zurückkehren.

»Still, auf gerettetem Boote, treibt in den Hafen der Greis.«

Es ist die Rückfahrt nach dem Schiff_bruche_, das Frühstücksschiff ist
ja wie in seiner Breite abgebrochen. Woher aber der Name
»Frühstücks«schiff? Hier kommt nun das »Englische« zur Verwendung, das
wir bei den Kriegsschiffen erübrigt haben. Frühstück = _breakfast_,
_Fastenbrecher_. Das _Brechen_ gehört wieder zum Schiff_bruche_, das
_Fasten_ schließt sich der schwarzen Toilette an.

An diesem Frühstücksschiffe ist aber nur der Name vom Traume
neugebildet. Das Ding hat existiert und mahnt mich an eine der
heitersten Stunden der letzten Reise. Der Verpflegung in Aquileja
mißtrauend, hatten wir uns von Görz Eßwaren mitgenommen, eine Flasche
des vorzüglichen Istrianer Weines in Aquileja eingekauft, und während
der kleine Postdampfer durch den Kanal delle Mee langsam in die öde
Lagunenstrecke nach _Grado_ fuhr, nahmen wir, die einzigen Passagiere,
in heiterster Laune auf Deck das Frühstück ein, das uns schmeckte wie
selten eines zuvor. Das war also das »_Frühstücksschiff_«, und gerade
hinter dieser Reminiszenz frohesten Lebensgenusses verbirgt der Traum
die betrübendsten Gedanken an eine unbekannte und unheimliche Zukunft.

 Die Unterdrückung der Affekte als Erfolg der Traumarbeit.

Die Ablösung der Affekte von den Vorstellungsmassen, die ihre Entbindung
hervorgerufen haben, ist das Auffälligste, was ihnen bei der
Traumbildung widerfährt, aber weder die einzige noch die wesentlichste
Veränderung, die sie auf dem Wege von den Traumgedanken zum manifesten
Traume erleiden. Vergleicht man die Affekte in den Traumgedanken mit
denen im Traume, so wird eines sofort klar: Wo sich im Traume ein Affekt
findet, da findet er sich auch in den Traumgedanken, aber nicht
umgekehrt. Der Traum ist im allgemeinen affektärmer als das psychische
Material, aus dessen Bearbeitung er hervorgegangen ist. Wenn ich die
Traumgedanken rekonstruiert habe, so übersehe ich, wie in ihnen
regelmäßig die intensivsten Seelenregungen nach Geltung ringen, zumeist
im Kampfe mit anderen, die ihnen scharf zuwiderlaufen. Blicke ich dann
auf den Traum zurück, so finde ich ihn nicht selten farblos, ohne jeden
intensiveren Gefühlston. Es ist durch die Traumarbeit nicht bloß der
Inhalt, sondern auch oft der Gefühlston meines Denkens auf das Niveau
des Indifferenten gebracht. Ich könnte sagen, durch die Traumarbeit wird
eine _Unterdrückung der Affekte_ zu stande gebracht. Man nehme z. B. den
Traum von der botanischen Monographie. Ihm entspricht im Denken ein
leidenschaftlich bewegtes Plaidoyer für meine Freiheit, so zu handeln,
wie ich handle, mein Leben so einzurichten, wie es mir einzig und allein
richtig scheint. Der daraus hervorgegangene Traum klingt gleichgültig:
Ich habe eine Monographie geschrieben, sie liegt vor mir, ist mit
farbigen Tafeln versehen, getrocknete Pflanzen sind jedem Exemplar
beigelegt. Es ist wie die Ruhe eines Leichenfeldes; man verspürt nichts
mehr vom Toben der Schlacht.

Es kann auch anders ausfallen, in den Traum selbst können lebhafte
Affektäußerungen eingehen; aber wir wollen zunächst bei der
unbestreitbaren Tatsache verweilen, daß so viele Träume indifferent
erscheinen, während man sich in die Traumgedanken nie ohne tiefe
Ergriffenheit versetzen kann.

Die volle theoretische Aufklärung dieser Affektunterdrückung während der
Traumarbeit ist hier nicht zu geben; sie würde das sorgfältigste
Eindringen in die Theorie der Affekte und in den Mechanismus der
Verdrängung voraussetzen. Ich will nur zwei Gedanken hier eine Erwähnung
gönnen. Die Affektentbindung bin ich -- aus anderen Gründen -- genötigt,
mir als einen zentrifugalen, gegen das Körperinnere gerichteten Vorgang
vorzustellen, analog den motorischen und sekretorischen
Innervationsvorgängen. Wie nun im Schlafzustand die Aussendung
motorischer Impulse gegen die Außenwelt aufgehoben erscheint, so könnte
auch die zentrifugale Erweckung von Affekten durch das unbewußte Denken
während des Schlafes erschwert sein. Die Affektregungen, die während des
Ablaufes der Traumgedanken zu stande kommen, wären also an und für sich
schwache Regungen, und darum die in den Traum gelangenden auch nicht
stärker. Nach diesem Gedankengange wäre die »Unterdrückung der Affekte«
überhaupt kein Erfolg der Traumarbeit, sondern eine Folge des
Schlafzustandes. Es mag so sein, aber es kann unmöglich alles sein. Wir
müssen auch daran denken, daß jeder zusammengesetztere Traum sich auch
als das Kompromißergebnis eines Widerstreites psychischer Mächte
enthüllt hat. Einerseits haben die wunschbildenden Gedanken gegen den
Widerspruch einer zensurierenden Instanz anzukämpfen, anderseits haben
wir oft gesehen, daß im unbewußten Denken selbst ein jeder Gedankenzug
mit seinem kontradiktorischen Gegenteil zusammengespannt war. Da alle
diese Gedankenzüge affektfähig sind, so werden wir im ganzen und großen
kaum irre gehen, wenn wir die Affektunterdrückung auffassen als Folge
der Hemmung, welche die Gegensätze gegeneinander, und die Zensur gegen
die von ihr unterdrückten Strebungen übt. _Die Affekthemmung wäre dann
der zweite Erfolg der Traumzensur, wie die Traumentstellung deren erster
war._

Ich will ein Traumbeispiel einfügen, in dem der indifferente
Empfindungston des Trauminhaltes durch die Gegensätzlichkeit in den
Traumgedanken aufgeklärt werden kann. Ich habe folgenden kurzen Traum zu
erzählen, den jeder Leser mit Ekel zur Kenntnis nehmen wird:

IV. _Eine Anhöhe, auf dieser etwas wie ein Abort im Freien, eine sehr
lange Bank, an deren Ende ein großes Abortloch. Die ganze hintere Kante
dicht besetzt mit Häufchen Kot von allen Größen und Stufen der Frische.
Hinter der Bank ein Gebüsch. Ich uriniere auf die Bank; ein langer
Harnstrahl spült alles rein, die Kotpatzen lösen sich leicht ab und
fallen in die Öffnung. Als ob am Ende noch etwas übrig bliebe._

Warum empfand ich bei diesem Traume keinen Ekel?

Weil, wie die Analyse zeigt, an dem Zustandekommen dieses Traumes die
angenehmsten und befriedigendsten Gedanken mitgewirkt hatten. Mir fällt
in der Analyse sofort der _Augiasstall_ ein, den Herkules reinigt.
Dieser Herkules bin ich. Die Anhöhe und das Gebüsch gehören nach Aussee,
wo jetzt meine Kinder weilen. Ich habe die Kindheitsätiologie der
Neurosen aufgedeckt und dadurch meine eigenen Kinder vor Erkrankung
bewahrt. Die Bank ist (bis auf das Abortloch natürlich) die getreue
Nachahmung eines Möbels, das mir eine anhängliche Patientin zum Geschenk
gemacht hat. Sie mahnt mich daran, wie meine Patienten mich ehren. Ja
selbst das Museum menschlicher Exkremente ist einer herzerfreuenden
Deutung fähig. So sehr ich mich dort davor ekle, im Traume ist es eine
Reminiszenz an das schöne Land Italien, in dessen kleinen Städten
bekanntlich die W. C. nicht anders ausgestattet sind. Der Harnstrahl,
der alles rein abspült, ist eine unverkennbare Größenanspielung. So
löscht _Gulliver_ bei den Liliputanern den großen Brand; er zieht sich
dadurch allerdings das Mißfallen der allerkleinsten Königin zu. Aber
auch _Gargantua_, der Übermensch bei Meister _Rabelais_, nimmt so seine
Rache an den Parisern, indem er auf Notre-Dame reitend, seinen
Harnstrahl auf die Stadt richtet. In den _Garnier_schen Illustrationen
zum _Rabelais_ habe ich gerade gestern vor dem Schlafengehen geblättert.
Und merkwürdig wieder ein Beweis, daß ich der Übermensch bin! Die
Plattform von Notre-Dame war mein Lieblingsaufenthalt in Paris; jeden
freien Nachmittag pflegte ich auf den Türmen der Kirche zwischen den
Ungetümen und Teufelsfratzen dort herumzuklettern. Daß aller Kot vor dem
Strahle so rasch verschwindet, das ist das Motto: _Afflavit et dissipati
sunt_, mit dem ich einmal den Abschnitt über Therapie der Hysterie
überschreiben werde.

Und nun die wirksame Veranlassung des Traumes: Es war ein heißer
Nachmittag im Sommer gewesen, ich hatte in den Abendstunden meine
Vorlesung über den Zusammenhang der Hysterie mit den Perversionen
gehalten und alles, was ich zu sagen wußte, mißfiel mir so gründlich,
kam mir alles Wertes entkleidet vor. Ich war müde, ohne Spur von
Vergnügen an meiner schweren Arbeit, sehnte mich weg von diesem Wühlen
im menschlichen Schmutze, nach meinen Kindern und dann nach den
Schönheiten Italiens. In dieser Stimmung ging ich vom Hörsaal in ein
Café, um dort in freier Luft einen bescheidenen Imbiß zu nehmen, denn
die Eßlust hatte mich verlassen. Aber einer meiner Hörer ging mit mir;
er bat um die Erlaubnis dabei zu sitzen, während ich meinen Kaffee trank
und an meinem Kipfel würgte, und begann mir Schmeicheleien zu sagen. Wie
viel er bei mir gelernt, und daß er jetzt alles mit anderen Augen
ansehe, daß ich den _Augiasstall_ der Irrtümer und Vorurteile der
Neurosenlehre gereinigt, kurz daß ich ein sehr großer Mann sei. Meine
Stimmung paßte schlecht zu seinem Lobgesange; ich kämpfte mit dem Ekel,
ging früher heim, um mich los zu machen, blätterte noch vor dem
Schlafengehen im _Rabelais_ und las eine Novelle von C. F. _Meyer_ »Die
Leiden eines Knaben«.

 Unterdrückung und Aufhebung der Affekte.

Aus diesem Material war der Traum hervorgegangen, die Novelle von
_Meyer_ brachte die Erinnerung an Kindheitsszenen hinzu (vgl. den Traum
vom Grafen _Thun_, letztes Bild). Die Tagesstimmung von Ekel und
Überdruß setzte sich im Traume insofern durch, als sie fast sämtliches
Material für den Trauminhalt beistellen durfte. Aber in der Nacht wurde
die ihr gegensätzliche Stimmung von kräftiger und selbst übermäßiger
Selbstbetonung rege und hob die erstere auf. Der Trauminhalt mußte sich
so gestalten, daß er in demselben Material dem Kleinheitswahn wie der
Selbstüberschätzung den Ausdruck ermöglichte. Bei dieser
Kompromißbildung resultierte ein zweideutiger Trauminhalt, aber auch
durch gegenseitige Hemmung der Gegensätze ein indifferenter
Empfindungston.

Nach der Theorie der Wunscherfüllung wäre dieser Traum nicht ermöglicht
worden, wenn nicht der gegensätzliche, zwar unterdrückte, aber mit Lust
betonte Gedankenzug des Größenwahns zu dem des Ekels hinzugetreten wäre.
Denn Peinliches soll im Traume nicht dargestellt werden; das Peinliche
aus unseren Tagesgedanken kann nur dann den Eintritt in den Traum
erringen, wenn es seine Einkleidung gleichzeitig einer Wunscherfüllung
leiht.

Die Traumarbeit kann mit den Affekten der Traumgedanken noch etwas
anderes vornehmen, als sie zuzulassen oder zum Nullpunkte
herabzudrücken. Sie kann dieselben _in ihr Gegenteil verkehren_. Wir
haben bereits die Deutungsregel kennen gelernt, daß jedes Element des
Traumes für die Deutung auch sein Gegenteil darstellen kann, ebensowohl
wie sich selbst. Man weiß nie im vorhinein, ob das eine oder das andere
zu setzen ist; erst der Zusammenhang entscheidet hierüber. Eine Ahnung
dieses Sachverhaltes hat sich offenbar dem Volksbewußtsein aufgedrängt;
die Traumbücher verfahren bei der Deutung der Träume sehr häufig nach
dem Prinzip des Kontrastes. Solche Verwandlung ins Gegenteil wird durch
die innige assoziative Verkettung ermöglicht, die in unserem Denken die
Vorstellung eines Dinges an die seines Gegensatzes fesselt. Wie jede
andere Verschiebung dient sie den Zwecken der Zensur, ist aber auch
häufig das Werk der Wunscherfüllung, denn die Wunscherfüllung besteht ja
in nichts anderem als in der Ersetzung eines unliebsamen Dinges durch
sein Gegenteil. Ebenso wie die Dingvorstellungen können also auch die
Affekte der Traumgedanken im Traume ins Gegenteil verkehrt erscheinen,
und es ist wahrscheinlich, daß diese Affektverkehrung zumeist von der
Traumzensur bewerkstelligt wird. _Affektunterdrückung_ wie
_Affektverkehrung_ dienen ja auch im sozialen Leben, das uns die
geläufige Analogie zur Traumzensur gezeigt hat, vor allem der
_Verstellung_. Wenn ich mündlich mit der Person verkehre, vor der ich
mir Rücksicht auferlegen muß, während ich ihr feindseliges sagen möchte,
so ist es beinahe wichtiger, daß ich die Äußerungen meines Affekts vor
ihr verberge, als daß ich die Wortfassung meiner Gedanken mildere.
Spreche ich zu ihr in nicht unhöflichen Worten, begleite aber diese mit
einem Blicke oder einer Gebärde des Hasses und der Verachtung, so ist
die Wirkung, die ich bei dieser Person erziele, nicht viel anders, als
wenn ich ihr meine Verachtung ohne Schonung ins Gesicht geworfen hätte.
Die Zensur heißt mich also vor allem meine Affekte unterdrücken, und
wenn ich ein Meister in der Verstellung bin, werde ich den
entgegengesetzten Affekt heucheln, lächeln, wo ich zürnen, und mich
zärtlich stellen, wo ich vernichten möchte.

Wir kennen bereits ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Affektverkehrung
im Traume im Dienste der Traumzensur. Im Traume »von des Onkels Bart«
empfinde ich große Zärtlichkeit für meinen Freund R., während und weil
die Traumgedanken ihn einen Schwachkopf schelten. Aus diesem Beispiele
von Verkehrung der Affekte haben wir uns den ersten Hinweis auf die
Existenz einer Traumzensur geholt. Es ist auch hier nicht nötig
anzunehmen, daß die Traumarbeit einen derartigen Gegenaffekt ganz von
neuem schafft; sie findet ihn gewöhnlich im Material der Traumgedanken
bereitliegend und erhöht ihn bloß mit der psychischen Kraft der
Abwehrmotive, bis er für die Traumbildung überwiegen kann. Im
letzterwähnten Onkeltraume stammt der zärtliche Gegenaffekt
wahrscheinlich aus infantiler Quelle (wie die Fortsetzung des Traumes
nahe legt), denn das Verhältnis Onkel und Neffe ist durch die besondere
Natur meiner frühesten Kindererlebnisse (vgl. die Analyse p. 303 f.) bei
mir die Quelle aller Freundschaften und alles Hasses geworden.

 Heuchlerische Träume.

Es gibt eine Klasse von Träumen, die auf die Bezeichnung als
»heuchlerische« einen besonderen Anspruch haben und die Theorie der
Wunscherfüllung auf eine harte Probe stellen. Ich wurde auf sie
aufmerksam, als Frau Dr. M. _Hilferding_ in der »Wiener
psychoanalytischen Vereinigung« den im nachstehenden abgedruckten
Traumbericht _Roseggers_ zur Diskussion brachte.

_Rosegger_ in »Waldheimat« II. Band erzählt in der Geschichte »Fremd
gemacht« (p. 303): »Ich erfreue mich sonst eines gesunden Schlummers,
aber ich habe die Ruhe von so mancher Nacht eingebüßt, ich habe neben
meinem bescheidenen Studenten- und Literatendasein den Schatten eines
veritabeln Schneiderlebens durch die langen Jahre geschleppt, wie ein
Gespenst, ohne seiner los werden zu können.«

»Es ist nicht wahr, daß ich mich tagsüber in Gedanken so häufig und
lebhaft mit meiner Vergangenheit beschäftigt hätte. Ein der Haut eines
Philisters entsprungener Welt- und Himmelsstürmer hat anderes zu tun.
Aber auch an seine nächtlichen Träume wird der flotte Bursche kaum
gedacht haben; erst später, als ich gewohnt worden war, über alles
nachzudenken oder auch, als sich der Philister in mir wieder ein wenig
zu regen begann, fiel es mir auf, wieso ich denn -- wenn ich überhaupt
träumte -- allemal der Schneidergesell' war und daß ich solchergestalt
schon so lange Zeit bei meinem Lehrmeister unentgeltlich in der
Werkstatt arbeitete. Ich war mir, wenn ich so neben ihm saß und nähte,
und bügelte, sehr wohl bewußt, daß ich eigentlich nicht mehr dorthin
gehöre, daß ich mich als Städter mit anderen Dingen zu befassen habe;
doch hatte ich stets Ferien, war stets auf der Sommerfrische und so saß
ich zur Aushilfe beim Lehrmeister. Es war mir oft gar unbehaglich, ich
bedauerte den Verlust der Zeit, in welcher ich mich besser und
nützlicher zu beschäftigen gewußt hätte. Vom Lehrmeister mußte ich mir
mitunter, wenn etwas nicht ganz nach Maß und Schnitt ausfallen wollte,
eine Rüge gefallen lassen; von einem Wochenlohn jedoch war gar niemals
die Rede. Oft, wenn ich mit gekrümmtem Rücken in der dunkeln Werkstatt
so dasaß, nahm ich mir vor, die Arbeit zu kündigen und mich fremd zu
machen. Einmal tat ich's sogar, jedoch der Meister nahm keine Notiz
davon, und nächstens saß ich doch wieder bei ihm und nähte.«

»Wie mich nach solch langweiligen Stunden das Erwachen beglückte! Und da
nahm ich mir vor, wenn dieser zudringliche Traum sich wieder einmal
einstellen sollte, ihn mit Energie von mir zu werfen und laut
auszurufen: es ist nur Gaukelspiel, ich liege im Bette und will schlafen
. . . Und in der nächsten Nacht saß ich doch wieder in der
Schneiderwerkstatt.«

»So ging es Jahre in unheimlicher Regelmäßigkeit fort. Da war es einmal,
als wir, der Meister und ich, beim Alpelhofer arbeiteten, bei jenem
Bauern, wo ich in die Lehre eingetreten war, daß sich mein Meister ganz
besonders unzufrieden mit meinen Arbeiten zeigte. »Möcht' nur wissen, wo
du deine Gedanken hast!« sagte er und sah mich etwas finster an. Ich
dachte, das Vernünftigste wäre, wenn ich jetzt aufstünde, dem Meister
bedeutete, daß ich nur aus Gefälligkeit bei ihm sei, und wenn ich dann
davon ging. Aber ich tat es nicht. Ich ließ es mir gefallen, als der
Meister einen Lehrling aufnahm und mir befahl, demselben auf der Bank
Platz zu machen. Ich rückte in den Winkel und nähte. An demselben Tag
wurde auch noch ein Geselle aufgenommen, bigott, es war der Böhm, der
vor neunzehn Jahren bei uns gearbeitet hatte und damals auf dem Wege vom
Wirtshause in den Bach gefallen war. Als er sich setzen wollte, war kein
Platz da. Ich blickte den Meister fragend an, und dieser sagte zu mir:
›Du hast ja doch keinen Schick zur Schneiderei, _du kannst gehen, du
bist fremd gemacht_.‹ -- So übermächtig war hierüber mein Schreck, daß
ich erwachte.«

»Das Morgengrauen schimmerte zu den klaren Fenstern herein in mein
trautes Heim. Gegenstände der Kunst umgaben mich; im stilvollen
Bücherschrank harrte meiner der ewige Homer, der gigantische Dante, der
unvergleichliche Shakespeare, der glorreiche Goethe -- die Herrlichen,
die Unsterblichen alle. Vom Nebenzimmer her klangen die hellen Stimmchen
der erwachenden und mit ihrer Mutter schäkernden Kinder. Mir war zu
Mute, als hätte ich dieses idyllisch süße, dieses friedensmilde und
poesiereiche, helldurchgeistigte Leben, in welchem ich das beschauliche
menschliche Glück so oft und tief empfand, von neuem wiedergefunden. Und
doch wurmte es mich, daß ich mit der Kündigung meinem Meister nicht
zuvorgekommen, sondern von ihm abgedankt worden war.«

»Und wie merkwürdig ist mir das: Mit jener Nacht, da mich der Meister
»fremd gemacht« hatte, genieße ich Ruhe, träume nicht mehr von meiner in
ferner Vergangenheit liegenden Schneiderzeit, die in ihrer
Anspruchslosigkeit ja so heiter war und die doch einen so langen
Schatten in meine späteren Lebensjahre hereingeworfen hat.«

In dieser Traumreihe des Dichters, der in seinen jungen Jahren
Schneidergeselle gewesen war, fällt es schwer, das Walten der
Wunscherfüllung zu erkennen. Alles Erfreuliche liegt im Tagesleben,
während der Traum den gespenstigen Schatten einer endlich überwundenen
unerfreulichen Existenz fortzuschleppen scheint. Eigene Träume von
ähnlicher Art haben mich in den Stand gesetzt, einige Aufklärung über
solche Träume zu geben. Ich habe als junger Doktor lange Zeit im
chemischen Institut gearbeitet, ohne es in den dort erforderten Künsten
zu etwas bringen zu können, und denke darum im Wachen niemals gern an
diese unfruchtbare und eigentlich beschämende Episode meines Lernens.
Dagegen ist es bei mir ein wiederkehrender Traum geworden, daß ich im
Laboratorium arbeite, Analysen mache, verschiedenes erlebe usw.; diese
Träume sind ähnlich unbehaglich wie die Prüfungsträume und niemals sehr
deutlich. Bei der Deutung eines dieser Träume wurde ich endlich auf das
Wort »_Analyse_« aufmerksam, das mir den Schlüssel zum Verständnis bot.
Ich bin ja seither »Analytiker« geworden, mache Analysen, die sehr
gelobt werden, allerdings _Psycho-Analysen_. Ich verstand nun, wenn ich
auf diese Art von Analysen im Tagesleben stolz geworden bin, mich vor
mir selbst rühmen möchte, wie weit ich es gebracht habe, hält mir
nächtlicher Weile der Traum jene anderen mißglückten Analysen vor, auf
die stolz zu sein ich keinen Grund hatte; es sind Strafträume des
Emporkömmlings, wie die des Schneidergesellen, der ein gefeierter
Dichter geworden war. Wie wird es aber dem Traume möglich, sich in dem
Konflikt zwischen Parvenüstolz und Selbstkritik in den Dienst der
letzteren zu stellen und eine vernünftige Warnung anstatt einer
unerlaubten Wunscherfüllung zum Inhalt zu nehmen? Ich erwähnte schon,
daß die Beantwortung dieser Frage Schwierigkeiten macht. Wir können
erschließen, daß zunächst eine übermütige Ehrgeizphantasie die Grundlage
des Traumes bildete, an ihrer statt ist aber ihre Dämpfung und
Beschämung in den Trauminhalt gelangt. Man darf daran erinnern, daß es
masochistische Tendenzen im Seelenleben gibt, denen man eine solche
Umkehrung zuschreiben könnte. Genaueres Eingehen auf einzelne dieser
Träume läßt aber noch anderes erkennen. In dem undeutlichen Beiwerk
eines meiner Laboratoriumsträume hatte ich gerade jenes Alter, welches
mich in das düsterste und erfolgloseste Jahr meiner ärztlichen Laufbahn
versetzt; ich hatte noch keine Stellung und wußte nicht, wie ich mein
Leben erhalten sollte, aber dabei fand sich plötzlich, daß ich die Wahl
zwischen mehreren Frauen hatte, die ich heiraten sollte! Ich war also
wieder jung und vor allem, sie war wieder jung, die Frau, die alle diese
schweren Jahre mit mir geteilt hatte. Somit war einer der unablässig
nagenden Wünsche des alternden Mannes als der unbewußte Traumerreger
verraten. Der in anderen psychischen Schichten tobende Kampf zwischen
der Eitelkeit und der Selbstkritik hatte zwar den Trauminhalt bestimmt,
aber der tiefer wurzelnde Jugendwunsch hatte ihn allein als Traum
möglich gemacht. Man sagt sich auch manchmal im Wachen: Es ist ja sehr
gut heute, und es war einmal eine harte Zeit; aber es war doch schön
damals; du warst ja noch so jung.

Bei der Beurteilung von Träumen, die ein Dichter mitteilt, darf man oft
genug annehmen, daß er solche als störend empfundene und für
unwesentlich erachtete Einzelheiten des Trauminhaltes von der Mitteilung
ausgeschlossen hat. Seine Träume geben uns dann Rätsel auf, die bei
exakter Wiedergabe des Trauminhaltes bald zu lösen wären.

O. _Rank_ machte mich auch aufmerksam, daß im _Grimm_schen Märchen vom
tapferen Schneiderlein oder »Sieben auf einen Streich« ein ganz
ähnlicher Traum eines Emporkömmlings erzählt wird. Der Schneider, der
Heros und Schwiegersohn des Königs geworden ist, träumt eines Nachts bei
der Prinzessin, seiner Gemahlin, von seinem Handwerk; diese, mißtrauisch
geworden, bestellt nun Bewaffnete für die nächste Nacht, die das aus dem
Traum Gesprochene anhören und sich der Person des Träumers versichern
sollen. Aber das Schneiderlein ist gewarnt und weiß jetzt den Traum zu
korrigieren.

Die Komplikation der Aufhebungs-, Subtraktions- und Verkehrungsvorgänge,
durch welche endlich aus den Affekten der Traumgedanken die des Traumes
werden, läßt sich an geeigneten Synthesen vollständig analysierter
Träume gut überblicken. Ich will hier noch einige Beispiele von
Affektregung im Traume behandeln, die etwa einige der besprochenen Fälle
als realisiert erweisen.

V. In dem Traume von der sonderbaren Aufgabe, die mir der alte _Brücke_
stellt, mein eigenes Becken zu präparieren, _vermisse ich im Traume
selbst das dazu gehörige Grauen_. Dies ist nun Wunscherfüllung in mehr
als einem Sinne. Die Präparation bedeutet die Selbstanalyse, die ich
gleichsam durch die Veröffentlichung des Traumbuches vollziehe, die mir
in Wirklichkeit so peinlich war, daß ich den Druck des bereitliegenden
Manuskriptes um mehr als ein Jahr aufgeschoben habe. Es regt sich nun
der Wunsch, daß ich mich über diese abhaltende Empfindung hinaussetzen
möge, darum verspüre ich im Traume kein »_Grauen_«. Das »_Grauen_« im
anderen Sinne möchte ich auch gern vermissen; es graut bei mir schon
ordentlich, und dies _Grau_ der Haare mahnt mich gleichfalls, nicht
länger zurückzuhalten. Wir wissen ja, daß am Schlusse des Traumes der
Gedanke zur Darstellung durchdringt, ich würde es den Kindern überlassen
müssen, in der schwierigen Wanderung ans Ziel zu kommen.

 Gegenseitige Förderung der Affekte.

In den zwei Träumen, die den Ausdruck der Befriedigung in die nächsten
Augenblicke nach dem Erwachen verlegen, ist diese Befriedigung das
einemal motiviert durch die Erwartung, ich werde jetzt erfahren, was es
heißt, »ich habe schon davon geträumt«, und bezieht sich eigentlich auf
die Geburt der ersten Kinder, das anderemal durch die Überzeugung, es
werde jetzt eintreffen, »was sich durch ein Vorzeichen angekündigt hat«,
und diese Befriedigung ist die nämliche, die seinerzeit den zweiten Sohn
begrüßt hat. Es sind hier im Traume die Affekte verblieben, die in den
Traumgedanken herrschen, aber es geht wohl in keinem Traume so ganz
einfach zu. Vertieft man sich ein wenig in beide Analysen, so erfährt
man, daß diese der Zensur nicht unterliegende Befriedigung einen Zuzug
aus einer Quelle erhält, welche die Zensur zu fürchten hat, und deren
Affekt sicherlich Widerspruch erregen würde, wenn er sich nicht durch
den gleichartigen, gern zugelassenen Befriedigungsaffekt aus der
erlaubten Quelle decken, sich gleichsam hinter ihm einschleichen würde.
Ich kann dies leider nicht an dem Traumbeispiel selbst erweisen, aber
ein Beispiel aus anderer Sphäre wird meine Meinung verständlich machen.
Ich setze folgenden Fall: Es gäbe in meiner Nähe eine Person, die ich
hasse, so daß in mir eine lebhafte Regung zu stande kommt, mich zu
freuen, wenn ihr etwas widerfährt. Dieser Regung gibt aber das
Moralische in meinem Wesen nicht nach; ich wage es nicht, den
Unglückswunsch zu äußern, und nachdem ihr unverschuldet etwas zugestoßen
ist, unterdrücke ich meine Befriedigung darüber und nötige mich zu
Äußerungen und Gedanken des Bedauerns. Jeder Mann wird sich in solcher
Lage schon befunden haben. Nun ereigne es sich aber, daß die gehaßte
Person sich durch eine Überschreitung eine wohlverdiente
Unannehmlichkeit zuziehe; dann darf ich meiner Befriedigung darüber
freien Lauf lassen, daß sie von der gerechten Strafe getroffen worden
ist, und äußere mich darin übereinstimmend mit vielen anderen, die
unparteiisch sind. Ich kann aber die Beobachtung machen, daß meine
Befriedigung intensiver ausfällt als die der anderen; sie hat einen
Zuzug aus der Quelle meines Hasses erhalten, der bis dahin von der
inneren Zensur verhindert war, Affekt zu liefern, unter den geänderten
Verhältnissen aber nicht mehr gehindert wird. Dieser Fall trifft in der
Gesellschaft allgemein zu, wo antipathische Personen oder Angehörige
einer ungern gesehenen Minorität eine Schuld auf sich laden. Ihre
Bestrafung entspricht dann gewöhnlich nicht ihrem Verschulden, sondern
dem Verschulden vermehrt um das bisher effektlose Übelwollen, das sich
gegen sie richtet. Die Strafenden begehen dabei zweifellos eine
Ungerechtigkeit; sie werden aber an der Wahrnehmung derselben gehindert
durch die Befriedigung, welche ihnen die Aufhebung einer lange
festgehaltenen Unterdrückung in ihrem Innern bereitet. In solchen Fällen
ist der Affekt seiner Qualität nach zwar berechtigt, aber nicht sein
Ausmaß; und die in dem einen Punkte beruhigte Selbstkritik
vernachlässigt nur zu leicht die Prüfung des zweiten Punktes. Wenn
einmal die Türe geöffnet ist, so drängen sich leicht mehr Leute durch,
als man ursprünglich einzulassen beabsichtigte.

Der auffällige Zug des neurotischen Charakters, daß affektfähige Anlässe
bei ihm eine Wirkung erzielen, die qualitativ berechtigt, quantitativ
über das Maß hinausgeht, erklärt sich auf diese Weise, soweit er
überhaupt eine psychologische Erklärung zuläßt. Der Überschuß rührt aber
aus unbewußt gebliebenen, bis dahin unterdrückten Affektquellen her, die
mit dem realen Anlaß eine assoziative Verbindung herstellen können, und
für deren Affektentbindung die einspruchsfreie und zugelassene
Affektquelle die erwünschte Bahnung eröffnet. Wir werden so aufmerksam
gemacht, daß wir zwischen der unterdrückten und der unterdrückenden
seelischen Instanz nicht ausschließlich die Beziehungen gegenseitiger
Hemmung ins Auge fassen dürfen. Ebensoviel Beachtung verdienen die
Fälle, in denen die beiden Instanzen durch Zusammenwirken, durch
gegenseitige Verstärkung einen pathologischen Effekt zu stande bringen.
Diese andeutenden Bemerkungen über psychische Mechanik wolle man nun zum
Verständnis der Affektäußerungen des Traumes verwenden. Eine
Befriedigung, die sich im Traume kundgibt, und die natürlich alsbald an
ihrer Stelle in den Traumgedanken aufzufinden ist, ist durch diesen
Nachweis allein nicht immer vollständig aufgeklärt. In der Regel wird
man für sie eine zweite Quelle in den Traumgedanken aufzusuchen haben,
auf welche der Druck der Zensur lastet, und die unter dem Drucke nicht
Befriedigung, sondern den gegenteiligen Affekt ergeben hätte, die aber
durch die Anwesenheit der ersten Traumquelle in den Stand gesetzt wird,
ihren Befriedigungsaffekt der Verdrängung zu entziehen und als
Verstärkung zu der Befriedigung aus anderer Quelle stoßen zu lassen. So
erscheinen die Affekte im Traume als zusammengefaßt aus mehreren
Zuflüssen und als überdeterminiert in bezug auf das Material der
Traumgedanken; _Affektquellen, die den nämlichen Affekt liefern können,
treten bei der Traumarbeit zur Bildung desselben zusammen_(175).

  (175) Analog habe ich die außerordentlich starke Lustwirkung der
  tendenziösen Witze erklärt.

Ein wenig Einblick in diese verwickelten Verhältnisse erhält man durch
die Analyse des schönen Traumes, in dem »_Non vixit_« den Mittelpunkt
bildet (vgl. p. 301). In diesem Traume sind die Affektäußerungen von
verschiedener Qualität an zwei Stellen des manifesten Inhaltes
zusammengedrängt. Feindselige und peinliche Regungen (im Traume selbst
heißt es »von merkwürdigen Affekten ergriffen«) überlagern einander
dort, wo ich den gegnerischen Freund mit den beiden Worten vernichte. Am
Ende des Traumes bin ich ungemein erfreut und urteile dann anerkennend
über eine im Wachen als absurd erkannte Möglichkeit, daß es nämlich
Revenants gibt, die man durch den bloßen Wunsch beseitigen kann.

 Die Affekte im Traume »Non vixit«.

Ich habe die Veranlassung dieses Traumes noch nicht mitgeteilt. Sie ist
eine wesentliche und führt tief in das Verständnis des Traumes hinein.
Ich hatte von meinem Freunde in Berlin (den ich mit Fl. bezeichnet habe)
die Nachricht bekommen, daß er sich einer Operation unterziehen werde,
und daß in Wien lebende Verwandte mir die weiteren Auskünfte über sein
Befinden geben würden. Diese ersten Nachrichten nach der Operation
lauteten nicht erfreulich und machten mir Sorge. Ich wäre am liebsten
selbst zu ihm gereist, aber ich war gerade zu jener Zeit mit einem
schmerzhaften Leiden behaftet, das mir jede Bewegung zur Qual machte.
Aus den Traumgedanken erfahre ich nun, daß ich für das Leben des teuren
Freundes fürchtete. Seine einzige Schwester, die ich nicht gekannt, war,
wie ich wußte, in jungen Jahren nach kürzester Krankheit gestorben. (Im
Traume: _Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: in ¾ Stunden war sie
tot._) Ich muß mir eingebildet haben, daß seine eigene Natur nicht viel
resistenter sei, und mir vorgestellt, daß ich auf weit schlimmere
Nachrichten nun endlich doch reise -- und zu _spät_ komme, worüber ich
mir ewige Vorwürfe machen könnte(176). Dieser Vorwurf wegen des
Zuspätkommens ist zum Mittelpunkte des Traumes geworden, hat sich aber
in einer Szene dargestellt, in der der verehrte Meister meiner
Studentenjahre _Brücke_ mir mit einem fürchterlichen Blicke seiner
blauen Augen den Vorwurf macht. Was diese Ablenkung der Szene zu stande
gebracht, wird sich bald ergeben; die Szene selbst kann der Traum nicht
so reproduzieren, wie ich sie erlebt habe. Er läßt zwar dem anderen die
blauen Augen, aber er gibt mir die vernichtende Rolle, eine Umkehrung,
die offenbar das Werk der Wunscherfüllung ist. Die Sorge um das Leben
des Freundes, der Vorwurf, daß ich nicht zu ihm hinreise, meine
Beschämung (_er ist unauffällig_ [zu mir] nach Wien gekommen), mein
Bedürfnis, mich durch meine Krankheit für entschuldigt zu halten, das
alles setzt den Gefühlssturm zusammen, der im Schlafe deutlich verspürt,
in jener Region der Traumgedanken tobt.

  (176) Diese Phantasie aus den unbewußten Traumgedanken ist es, die
  gebieterisch _non vivit_ anstatt _non vixit_ verlangt. »Du bist zu
  spät gekommen, er lebt nicht mehr.« Daß auch die manifeste Situation
  des Traumes auf »non vivit« zielt, ist p. 303 angegeben worden.

An der Traumveranlassung war aber noch etwas anderes, was auf mich eine
ganz entgegengesetzte Wirkung hatte. Bei den ungünstigen Nachrichten aus
den ersten Tagen der Operation erhielt ich auch die Mahnung, von der
ganzen Angelegenheit niemandem zu sprechen, die mich beleidigte, weil
sie ein überflüssiges Mißtrauen in meine Verschwiegenheit zur
Voraussetzung hatte. Ich wußte zwar, daß dieser Auftrag nicht von meinem
Freunde ausging, sondern einer Ungeschicklichkeit oder Überängstlichkeit
des vermittelnden Boten entsprach, aber ich wurde von dem versteckten
Vorwurfe sehr peinlich berührt, weil er -- nicht ganz unberechtigt war.
Andere Vorwürfe als solche, an denen »etwas daran ist«, haften
bekanntlich nicht, haben keine aufregende Kraft. Zwar nicht in der Sache
meines Freundes, aber früher einmal in viel jüngeren Jahren hatte ich
zwischen zwei Freunden, die beide auch mich zu meiner Ehrung so nennen
wollten, überflüssigerweise etwas ausgeplaudert, was der eine über den
anderen gesagt hatte. Auch die Vorwürfe, die ich damals zu hören bekam,
habe ich nicht vergessen. Der eine der beiden Freunde, zwischen denen
ich damals den Unfriedensstifter machte, war Professor _Fleischl_; der
andere kann durch den Vornamen _Josef_, den auch mein im Traume
auftretender Freund und Gegner P. führte, ersetzt werden.

Von dem Vorwurfe, daß ich nichts für mich zu behalten vermöge, zeugen im
Traume die Elemente _unauffällig_ und die Frage _Fls._, _wie viel von
seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe_. Die Einmengung dieser
Erinnerung ist es aber, welche den Vorwurf des Zuspätkommens aus der
Gegenwart in die Zeit, da ich im _Brücke_schen Laboratorium lebte,
verlegt, und indem ich die zweite Person in der Vernichtungsszene des
Traumes durch einen _Josef_ ersetze, lasse ich diese Szene nicht nur den
einen Vorwurf darstellen, daß ich zu spät komme, sondern auch den von
der Verdrängung stärker betroffenen, daß ich kein Geheimnis bewahre. Die
Verdichtungs- und Verschiebungsarbeit des Traumes sowie deren Motive
werden hier augenfällig.

Der in der Gegenwart geringfügige Ärger über die Mahnung, nichts zu
verraten, holt sich aber Verstärkungen aus in der Tiefe fließenden
Quellen und schwillt so zu einem Strome feindseliger Regungen gegen in
Wirklichkeit geliebte Personen an. Die Quelle, welche die Verstärkung
liefert, fließt im Infantilen. Ich habe schon erzählt, daß meine warmen
Freundschaften wie meine Feindschaften mit Gleichalterigen auf meinen
Kinderverkehr mit einem um ein Jahr älteren Neffen zurückgehen, in dem
er der Überlegene war, ich mich frühzeitig zur Wehre setzen lernte, wir
unzertrennlich miteinander lebten und einander liebten, dazwischen, wie
Mitteilungen älterer Personen bezeugen, uns rauften und -- _verklagten_.
Alle meine Freunde sind in gewissem Sinne Inkarnationen dieser ersten
Gestalt, die »früh sich einst dem trüben Blick gezeigt«, _Revenants_.
Mein Neffe selbst kam in den Jünglingsjahren wieder, und damals führten
wir Cäsar und Brutus miteinander auf. Ein intimer Freund und ein
gehaßter Feind waren mir immer notwendige Erfordernisse meines
Gefühlslebens; ich wußte beide mir immer von neuem zu verschaffen, und
nicht selten stellte sich das Kindheitsideal so weit her, daß Freund und
Feind in dieselbe Person zusammenfielen, natürlich nicht mehr
gleichzeitig oder in mehrfach wiederholter Abwechslung, wie es in den
ersten Kinderjahren der Fall gewesen sein mag.

Auf welche Weise bei so bestehenden Zusammenhängen ein rezenter Anlaß
zum Affekt bis auf den infantilen zurückgreifen kann, um sich durch ihn
für die Affektwirkung zu ersetzen, das möchte ich hier nicht verfolgen.
Es gehört der Psychologie des unbewußten Denkens an und fände seine
Stelle in einer psychologischen Aufklärung der Neurosen. Nehmen wir für
unsere Zwecke der Traumdeutung an, daß sich eine Kindererinnerung
einstellt oder eine solche phantastisch gebildet wird etwa folgenden
Inhalts: Die beiden Kinder geraten in Streit miteinander um ein Objekt,
-- welches, lassen wir dahingestellt, obwohl die Erinnerung oder
Erinnerungstäuschung ein ganz bestimmtes im Auge hat; -- ein jeder
behauptet, er sei _früher gekommen_, habe also das Vorrecht darauf; es
kommt zur Schlägerei, Macht geht vor Recht; nach den Andeutungen des
Traumes könnte ich gewußt haben, daß ich im Unrecht bin (_den Irrtum
selbst bemerkend_); ich bleibe aber diesmal der Stärkere, behaupte das
Schlachtfeld, der Unterlegene eilt zum Vater, respektive Großvater,
verklagt mich, und ich verteidige mich mit den mir durch die Erzählung
des Vaters bekannten Worten: _Ich habe ihn gelagt, weil er mich gelagt
hat_; so ist diese Erinnerung oder wahrscheinlicher Phantasie, die sich
mir während der Analyse des Traumes -- ohne weitere Gewähr, ich weiß
selbst nicht wie -- aufdrängt, ein Mittelstück der Traumgedanken, das
die in den Traumgedanken waltenden Affektregungen wie eine Brunnenschale
die zugeleiteten Gewässer sammelt. Von hier aus fließen die
Traumgedanken in folgenden Wegen: Es geschieht dir ganz recht, daß du
mir den Platz hast räumen müssen; warum hast du mich vom Platze
verdrängen wollen? Ich brauche dich nicht, ich werde mir schon einen
anderen verschaffen, mit dem ich spiele u. s. w. Dann eröffnen sich die
Wege, auf denen diese Gedanken wieder in die Traumdarstellung einmünden.
Ein solches »ôte-toi que je m'y mette« mußte ich seinerzeit meinem
verstorbenen Freunde Josef zum Vorwurfe machen. Er war in meine
Fußstapfen als Aspirant im _Brücke_schen Laboratorium getreten, aber
dort war das Avancement langwierig. Keiner der beiden Assistenten rückte
von der Stelle, die Jugend wurde ungeduldig. Mein Freund, der seine
Lebenszeit begrenzt wußte, und den kein intimes Verhältnis an seinen
Vordermann band, gab seiner Ungeduld gelegentlich lauten Ausdruck. Da
dieser Vordermann ein schwer Kranker war, konnte der Wunsch, ihn
beseitigt zu wissen, außer dem Sinne: durch eine Beförderung auch eine
anstößige Nebendeutung zulassen. Natürlich war bei mir einige Jahre
vorher der nämliche Wunsch, eine frei gewordene Stelle einzunehmen, noch
viel lebhafter gewesen; wo immer es in der Welt Rangordnung und
Beförderung gibt, ist ja der Weg für der Unterdrückung bedürftige
Wünsche eröffnet. _Shakespeares Prinz Hal_ kann sich nicht einmal am
Bett des kranken Vaters der Versuchung entziehen, einmal zu probieren,
wie ihm die Krone steht. Aber der Traum straft, wie begreiflich, diesen
rücksichtslosen Wunsch nicht an mir, sondern an ihm(177).

  (177) Es wird aufgefallen sein, daß der Name _Josef_ eine so große
  Rolle in meinen Träumen spielt (siehe den Onkeltraum). Hinter den
  Personen, die so heißen, kann ich mein Ich im Traume besonders leicht
  verbergen, denn _Josef_ hieß auch der aus der Bibel bekannte
  _Traumdeuter_.

»Weil er herrschsüchtig war, darum erschlug ich ihn.« Weil er nicht
erwarten konnte, daß ihm der andere den Platz räume, darum ist er selbst
hinweggeräumt worden. Diese Gedanken hege ich unmittelbar, nachdem ich
in der Universität der Enthüllung des dem anderen gesetzten Denkmals
beigewohnt habe. Ein Teil meiner im Traume verspürten Befriedigung
deutet sich also: Gerechte Strafe; es ist dir recht geschehen.

Bei dem Leichenbegängnis dieses Freundes machte ein junger Mann die
unpassend scheinende Bemerkung: Der Redner habe so gesprochen, als ob
jetzt die Welt ohne den einen Menschen nicht mehr bestehen könne. Es
regte sich in ihm die Auflehnung des wahrhaften Menschen, dem man den
Schmerz durch Übertreibung stört. Aber an diese Rede knüpfen sich die
Traumgedanken an: Es ist wirklich niemand unersetzlich; wie viele habe
ich schon zu Grabe geleitet; ich aber lebe noch, ich habe sie alle
überlebt, ich behaupte den Platz. Ein solcher Gedanke im Moment, da ich
fürchte, meinen Freund nicht mehr unter den Lebenden anzutreffen, wenn
ich zu ihm reise, läßt nur die weitere Entwicklung zu, daß ich mich
freue, wieder jemanden zu überleben, daß nicht _ich_ gestorben bin,
sondern _er_, daß ich den Platz behaupte, wie damals in der
phantasierten Kinderszene. Diese aus dem Infantilen kommende
Befriedigung darüber, daß ich den Platz behaupte, deckt den Hauptanteil
des in den Traum aufgenommenen Affekts. Ich freue mich darüber, daß ich
überlebe, ich äußere das mit dem naiven Egoismus der Anekdote zwischen
Ehegatten: »Wenn eines von uns stirbt, übersiedle ich nach Paris.« Es
ist für meine Erwartung so selbstverständlich, daß nicht ich der eine
bin.

Man kann sich's nicht verbergen, daß schwere Selbstüberwindung dazu
gehört, seine Träume zu deuten und mitzuteilen. Man muß sich als den
einzigen Bösewicht enthüllen unter all den Edlen, mit denen man das
Leben teilt. Ich finde es also ganz begreiflich, daß die _Revenants_ nur
so lange bestehen, als man sie mag, und daß sie durch den Wunsch
beseitigt werden können. Das ist also das, wofür mein Freund Josef
gestraft worden ist. Die Revenants sind aber die aufeinanderfolgenden
Inkarnationen meines Kindheitsfreundes, ich bin also auch befriedigt
darüber, daß ich mir diese Person immer wieder ersetzt habe, und auch
für den, den ich jetzt zu verlieren im Begriffe bin, wird sich der
Ersatz schon finden. Es ist niemand unersetzlich.

Wo bleibt hier aber die Traumzensur? Warum erhebt sie nicht den
energischesten Widerspruch gegen diesen Gedankengang der rohesten
Selbstsucht und verwandelt die an ihm haftende Befriedigung nicht in
schwere Unlust? Ich meine, weil andere einwurfsfreie Gedankenzüge über
die nämlichen Personen gleichfalls in Befriedigung ausgehen und mit
ihrem Affekt jenen aus der verbotenen infantilen Quelle decken. In einer
anderen Schicht von Gedanken habe ich mir bei jener feierlichen
Denkmalsenthüllung gesagt: Ich habe so viele teure Freunde verloren, die
einen durch Tod, die anderen durch Auflösung der Freundschaft; es ist
doch schön, daß sie sich mir ersetzt haben, daß ich den einen gewonnen
habe, der mir mehr bedeutet, als die anderen konnten, und den ich jetzt
in dem Alter, wo man nicht mehr leicht neue Freundschaften schließt, für
immer festhalten werde. Die Befriedigung, daß ich diesen Ersatz für die
verlorenen Freunde gefunden habe, darf ich ungestört in den Traum
hinübernehmen, aber hinter ihr schleicht sich die feindselige
Befriedigung aus infantiler Quelle mit ein. Die infantile Zärtlichkeit
hilft sicherlich die heute berechtigte verstärken; aber auch der
infantile Haß hat sich seinen Weg in die Darstellung gebahnt.

Im Traume ist aber außerdem ein deutlicher Hinweis auf einen anderen
Gedankengang enthalten, der in Befriedigung auslaufen darf. Mein Freund
hat kurz vorher nach langem Warten ein Töchterchen bekommen. Ich weiß,
wie sehr er seine früh verlorene Schwester betrauert hat, und schreibe
ihm, auf dieses Kind würde er die Liebe übertragen, die er zur Schwester
empfunden; dieses kleine Mädchen würde ihn den unersetzlichen Verlust
endlich vergessen machen.

So knüpft auch diese Reihe wieder an den Zwischengedanken des latenten
Trauminhaltes an, von dem die Wege nach entgegengesetzten Richtungen
auseinandergehen: Es ist niemand unersetzlich. Sieh, nur _Revenants_;
alles was man verloren hat, kommt wieder. Und nun werden die
assoziativen Bande zwischen den widerspruchsvollen Bestandteilen der
Traumgedanken enger angezogen durch den zufälligen Umstand, daß die
kleine Tochter meines Freundes denselben Namen trägt wie meine eigene
kleine Jugendgespielin, die mit mir gleichalterige Schwester meines
ältesten Freundes und Gegners. Ich habe den Namen »Pauline« mit
_Befriedigung_ gehört, und um auf dieses Zusammentreffen anzuspielen,
habe ich im Traume einen Josef durch einen anderen Josef ersetzt und
fand es unmöglich, den gleichen Anlaut in den Namen Fleischl und Fl. zu
unterdrücken. Von hier aus läuft dann ein Gedankenfaden zur Namengebung
bei meinen eigenen Kindern. Ich hielt darauf, daß ihre Namen nicht nach
der Mode des Tages gewählt, sondern durch das Andenken an teure Personen
bestimmt sein sollten. Ihre Namen machen die Kinder zu »_Revenants_«.
Und schließlich, ist Kinder haben nicht für uns alle der einzige Zugang
zur _Unsterblichkeit_?

Über die Affekte des Traumes werde ich nur noch wenige Bemerkungen von
einem anderen Gesichtspunkte aus anfügen. In der Seele des Schlafenden
kann eine Affektneigung -- was wir Stimmung heißen -- als dominierendes
Element enthalten sein und dann den Traum mitbestimmen. Diese Stimmung
kann aus den Erlebnissen und Gedankengängen des Tages hervorgehen, sie
kann somatische Quellen haben; in beiden Fällen wird sie von ihr
entsprechenden Gedankengängen begleitet sein. Daß dieser
Vorstellungsinhalt der Traumgedanken das einemal primär die
Affektneigung bedingt, das andere Mal sekundär durch die somatisch zu
erklärende Gefühlsdisposition geweckt wird, bleibt für die Traumbildung
gleichgültig. Dieselbe steht allemal unter der Einschränkung, daß sie
nur darstellen kann, was Wunscherfüllung ist, und daß sie nur dem
Wunsche ihre psychische Triebkraft entlehnen kann. Die aktuell
vorhandene Stimmung wird dieselbe Behandlung erfahren wie die aktuell
während des Schlafes auftauchende Sensation (vgl. p. 176), die entweder
vernachlässigt oder im Sinne einer Wunscherfüllung umgedeutet wird.
Peinliche Stimmungen während des Schlafes werden zu Triebkräften des
Traumes, indem sie energische Wünsche wecken, die der Traum erfüllen
soll. Das Material, an dem sie haften, wird so lange umgearbeitet, bis
es zum Ausdruck der Wunscherfüllung verwendbar ist. Je intensiver und je
dominierender das Element der peinlichen Stimmung in den Traumgedanken
ist, desto sicherer werden die stärkst unterdrückten Wunschregungen die
Gelegenheit, zur Darstellung zu kommen, benutzen, da sie durch die
aktuelle Existenz der Unlust, die sie sonst aus Eigenem erzeugen müßten,
den schwereren Teil der Arbeit für ihr Durchdringen zur Darstellung
bereits erledigt finden; mit diesen Erörterungen streifen wir wieder das
Problem der Angstträume, die sich als der Grenzfall für die
Traumleistung herausstellen werden.


i) _Die sekundäre Bearbeitung_.

Wir wollen endlich an die Hervorhebung des vierten der bei der
Traumbildung beteiligten Momente gehen.

Setzt man die Untersuchung des Trauminhaltes in der vorhin eingeleiteten
Weise fort, indem man auffällige Vorkommnisse im Trauminhalt auf ihre
Herkunft aus den Traumgedanken prüft, so stößt man auch auf Elemente,
für deren Aufklärung es einer völlig neuen Annahme bedarf. Ich erinnere
an die Fälle, wo man sich im Traume wundert, ärgert, sträubt und zwar
gegen ein Stück des Trauminhaltes selbst. Die meisten dieser Regungen
von Kritik im Traume sind nicht gegen den Trauminhalt gerichtet, sondern
erweisen sich als übernommene und passend verwendete Teile des
Traummaterials, wie ich an geeigneten Beispielen dargelegt habe. Einiges
der Art fügt sich aber einer solchen Ableitung nicht; man kann das
Korrelat dazu im Traummaterial nicht auffinden. Was bedeutet z. B. die
im Traume nicht gar seltene Kritik: Das ist ja nur ein Traum? Dies ist
eine wirkliche Kritik des Traumes, wie ich sie im Wachen üben könnte.
Gar nicht selten ist sie auch nur die Vorläuferin des Erwachens; noch
häufiger geht ihr selbst ein peinliches Gefühl vorher, das sich nach der
Konstatierung des Traumzustandes beruhigt. Der Gedanke: »Das ist ja nur
ein Traum« während des Traumes beabsichtigt aber dasselbe, was er auf
offener Bühne im Munde der schönen Helena von _Offenbach_ besagen soll;
er will die Bedeutung des eben Erlebten herabdrücken und die Duldung des
Weiteren ermöglichen. Er dient zur Einschläferung einer gewissen
Instanz, die in dem gegebenen Moment alle Veranlassung hätte, sich zu
regen und die Fortsetzung des Traumes -- oder der Szene -- zu verbieten.
Es ist aber bequemer weiter zu schlafen und den Traum zu dulden, »weil's
doch nur ein Traum ist«. Ich stelle mir vor, daß die verächtliche
Kritik: Es ist ja nur ein Traum, dann im Traume auftritt, wenn die
niemals ganz schlafende Zensur sich durch den bereits zugelassenen Traum
überrumpelt fühlt. Es ist zu spät ihn zu unterdrücken, somit begegnet
sie mit jener Bemerkung der Angst oder der peinlichen Empfindung, welche
sich auf den Traum hin erhebt. Es ist eine Äußerung des esprit
d'escalier von Seite der psychischen Zensur.

 Anteil der sekundären Bearbeitung an der Traumschöpfung.

An diesem Beispiel haben wir aber einen einwandfreien Beweis dafür, daß
nicht alles, was der Traum enthält, aus den Traumgedanken stammt,
sondern daß eine psychische Funktion, die von unserem wachen Denken
nicht zu trennen ist, Beiträge zum Trauminhalt liefern kann. Es fragt
sich nun, kommt dies nur ganz ausnahmsweise vor oder kommt der sonst nur
als Zensur tätigen psychischen Instanz ein regelmäßiger Anteil an der
Traumbildung zu?

Man muß sich ohne Schwanken für das Zweite entscheiden. Es ist
unzweifelhaft, daß die zensurierende Instanz, deren Einfluß wir bisher
nur in Einschränkungen und Auslassungen im Trauminhalt erkannten, auch
Einschaltungen und Vermehrungen desselben verschuldet. Diese
Einschaltungen sind oft leicht kenntlich; sie werden zaghaft berichtet,
mit einem »als ob« eingeleitet, haben an und für sich keine besonders
hohe Lebhaftigkeit und sind stets an Stellen angebracht, wo sie zur
Verknüpfung zweier Stücke des Trauminhaltes, zur Anbahnung eines
Zusammenhanges zwischen zwei Traumpartien dienen können. Sie zeigen eine
geringere Haltbarkeit im Gedächtnis als die echten Abkömmlinge des
Traummaterials; unterliegt der Traum dem Vergessen, so fallen sie zuerst
aus, und ich hege eine starke Vermutung, daß unsere häufige Klage, wir
hätten soviel geträumt, das meiste davon vergessen und nur Bruchstücke
behalten, auf dem alsbaldigen Ausfall gerade dieser Kittgedanken beruht.
Bei vollständiger Analyse verraten sich diese Einschaltungen manchmal
dadurch, daß sich zu ihnen kein Material in den Traumgedanken findet.
Doch muß ich bei sorgfältiger Prüfung diesen Fall als den selteneren
bezeichnen; zumeist lassen sich die Schaltgedanken immerhin auf Material
in den Traumgedanken zurückführen, welches aber weder durch seine eigene
Wertigkeit noch durch Überdeterminierung Anspruch auf Aufnahme in den
Traum erheben könnte. Die psychische Funktion bei der Traumbildung, die
wir jetzt betrachten, erhebt sich, wie es scheint, nur im äußersten
Falle zu Neuschöpfungen; so lange es noch möglich ist, verwertet sie,
was sie Taugliches im Traummaterial auswählen kann.

Was dieses Stück der Traumarbeit auszeichnet und verrät, ist seine
Tendenz. Diese Funktion verfährt ähnlich, wie es der Dichter boshaft vom
Philosophen behauptet; mit ihren Fetzen und Flicken stopft sie die
Lücken im Aufbau des Traumes. Die Folge ihrer Bemühung ist, daß der
Traum den Anschein der Absurdität und Zusammenhanglosigkeit verliert und
sich dem Vorbilde eines verständlichen Erlebnisses annähert. Aber die
Bemühung ist nicht jedesmal vom vollen Erfolge gekrönt. Es kommen so
Träume zu stande, die für die oberflächliche Betrachtung tadellos
logisch und korrekt erscheinen mögen; sie gehen von einer möglichen
Situation aus, führen dieselbe durch widerspruchsfreie Veränderungen
fort und bringen es, wiewohl dies am seltensten, zu einem nicht
befremdenden Abschluß. Diese Träume haben die tiefgehendste Bearbeitung
durch die dem wachen Denken ähnliche psychische Funktion erfahren; sie
scheinen einen Sinn zu haben, aber dieser Sinn ist von der wirklichen
Bedeutung des Traumes auch am weitesten entfernt. Analysiert man sie, so
überzeugt man sich, daß hier die sekundäre Bearbeitung des Traumes am
freiesten mit dem Material umgesprungen ist, am wenigsten von dessen
Relationen beibehalten hat. Es sind das Träume, die sozusagen schon
einmal gedeutet worden sind, ehe wir sie im Wachen der Deutung
unterziehen. In anderen Träumen ist diese tendenziöse Bearbeitung nur
ein Stück weit gelungen; so weit scheint Zusammenhang zu herrschen, dann
wird der Traum unsinnig oder verworren, vielleicht um sich noch ein
zweites Mal in seinem Verlaufe zum Anschein des Verständigen zu erheben.
In anderen Träumen hat die Bearbeitung überhaupt versagt; wir stehen wie
hilflos einem sinnlosen Haufen von Inhaltsbrocken gegenüber.

 Die Phantasien oder Tagträume.

Ich möchte dieser vierten, den Traum gestaltenden Macht, die uns ja bald
als eine bekannte erscheinen wird -- sie ist in Wirklichkeit die einzige
uns auch sonst vertraute unter den vier Traumbildnern; -- ich möchte
diesem vierten Moment also die Fähigkeit, schöpferisch neue Beiträge zum
Traume zu liefern, nicht peremptorisch absprechen. Sicherlich aber
äußert sich auch ihr Einfluß, wie der der anderen, vorwiegend in der
Bevorzugung und Auswahl von bereits gebildetem psychischen Material in
den Traumgedanken. Es gibt nun einen Fall, in dem ihr die Arbeit, an den
Traum gleichsam eine Fassade anzubauen, zum größeren Teil dadurch
erspart bleibt, daß im Material der Traumgedanken ein solches Gebilde,
seiner Verwendung harrend, bereits fertig vorgefunden wird. Das Element
der Traumgedanken, das ich im Auge habe, pflege ich als »_Phantasie_« zu
bezeichnen; ich gehe vielleicht Mißverständnissen aus dem Wege, wenn ich
sofort als das Analoge aus dem Wachleben den _Tagtraum_ namhaft
mache(178). Die Rolle dieses Elements in unserem Seelenleben ist von den
Psychiatern noch nicht erschöpfend erkannt und aufgedeckt worden; M.
_Benedikt_ hat mit dessen Würdigung einen, wie mir scheint,
vielversprechenden Anfang gemacht. Dem unbeirrten Scharfblicke der
Dichter ist die Bedeutung des Tagtraumes nicht entgangen; allgemein
bekannt ist die Schilderung, die A. _Daudet_ im _Nabab_ von den
Tagträumen einer der Nebenfiguren des Romans entwirft. Das Studium der
Psychoneurosen führt zur überraschenden Erkenntnis, daß diese Phantasien
oder Tagträume die nächsten Vorstufen der hysterischen Symptome --
wenigstens einer ganzen Reihe von ihnen -- sind; nicht an den
Erinnerungen selbst, sondern an den auf Grund der Erinnerungen
aufgebauten Phantasien hängen erst die hysterischen Symptome. Das
häufige Vorkommen bewußter Tagesphantasien bringt diese Bildungen
unserer Kenntnis nahe; wie es aber solche bewußte Phantasien gibt, so
kommen überreichlich unbewußte vor, die wegen ihres Inhaltes und ihrer
Abkunft vom verdrängten Material unbewußt bleiben müssen. Eine
eingehendere Vertiefung in die Charaktere dieser Tagesphantasien lehrt
uns, mit wie gutem Rechte diesen Bildungen derselbe Name zugefallen ist,
den unsere nächtlichen Denkproduktionen tragen, der Name: _Träume_. Sie
haben einen wesentlichen Teil ihrer Eigenschaften mit den Nachtträumen
gemein; ihre Untersuchung hätte uns eigentlich den nächsten und besten
Zugang zum Verständnis der Nachtträume eröffnen können.

  (178) rêve, petit roman -- day-dream, story.

Wie die Träume sind sie Wunscherfüllungen; wie die Träume basieren sie
zum guten Teil auf den Eindrücken infantiler Erlebnisse; wie die Träume
erfreuen sie sich eines gewissen Nachlasses der Zensur für ihre
Schöpfungen. Wenn man ihrem Aufbaue nachspürt, so wird man inne, wie das
Wunschmotiv, das sich in ihrer Produktion betätigt, das Material, aus
dem sie gebaut sind, durcheinander geworfen, umgeordnet und zu einem
neuen Ganzen zusammengefügt hat. Sie stehen zu den Kindheitserinnerungen,
auf die sie zurückgehen, etwa in demselben Verhältnis wie
manche Barockpaläste Roms zu den antiken Ruinen, deren Quadern
und Säulen das Material für den Bau in moderneren Formen
hergegeben haben.

In der »sekundären Bearbeitung«, die wir unserem vierten traumbildenden
Moment gegen den Trauminhalt zugeschrieben haben, finden wir dieselbe
Tätigkeit wieder, die sich bei der Schöpfung der Tagträume ungehemmt von
anderen Einflüssen äußern darf. Wir könnten ohne weiteres sagen, dies
unser viertes Moment sucht aus dem ihm dargebotenen Material _etwas wie
einen Tagtraum_ zu gestalten. Wo aber ein solcher Tagtraum bereits im
Zusammenhang der Traumgedanken gebildet ist, da wird dieser Faktor der
Traumarbeit sich seiner mit Vorliebe bemächtigen und dahin wirken, daß
er in den Trauminhalt gelange. Es gibt solche Träume, die nur in der
Wiederholung einer Tagesphantasie, einer vielleicht unbewußt
gebliebenen, bestehen, so z. B. der Traum des Knaben, daß er mit den
Helden des Trojanischen Krieges im Streitwagen fährt. In meinem Traume
»_Autodidasker_« ist wenigstens das zweite Traumstück die getreue
Wiederholung einer an sich harmlosen Tagesphantasie über meinen Verkehr
mit dem Professor N. Es rührt aus der Komplikation der Bedingungen her,
denen der Traum bei seinem Entstehen zu genügen hat, daß häufiger die
vorgefundene Phantasie nur ein Stück des Traumes bildet, oder daß nur
ein Stück von ihr zum Trauminhalt hindurchdringt. Im ganzen wird dann
die Phantasie behandelt wie jeder andere Bestandteil des latenten
Materials; sie ist aber oft im Traume noch als Ganzes kenntlich. In
meinen Träumen kommen oft Partien vor, die sich durch einen von den
übrigen verschiedenen Eindruck hervorheben. Sie erscheinen mir wie
fließend, besser zusammenhängend und dabei flüchtiger als andere Stücke
desselben Traumes; ich weiß, dies sind unbewußte Phantasien, die im
Zusammenhange in den Traum gelangen, aber ich habe es nie erreicht, eine
solche Phantasie zu fixieren. Im übrigen werden diese Phantasien wie
alle anderen Bestandteile der Traumgedanken zusammengeschoben,
verdichtet, die eine durch die andere überlagert u. dgl.; es gibt aber
Übergänge von dem Falle, wo sie fast unverändert den Trauminhalt oder
wenigstens die Traumfassade bilden dürfen, bis zu dem entgegengesetzten
Falle, wo sie nur durch eines ihrer Elemente oder eine entfernte
Anspielung an ein solches im Trauminhalt vertreten sind. Es bleibt
offenbar auch für das Schicksal der Phantasien in den Traumgedanken
maßgebend, welche Vorteile sie gegen die Ansprüche der Zensur und des
Verdichtungszwanges zu bieten vermögen.

 Phantasien im Traume. -- _Maurys_ Guillotinentraum.

Bei meiner Auswahl von Beispielen für die Traumdeutung bin ich Träumen,
in denen unbewußte Phantasien eine erheblichere Rolle spielen, möglichst
ausgewichen, weil die Einführung dieses psychischen Elements weitläufige
Erörterungen aus der Psychologie des unbewußten Denkens erfordert hätte.
Gänzlich umgehen kann ich jedoch die »Phantasie« auch in diesem
Zusammenhange nicht, da sie häufig voll in den Traum gelangt und noch
häufiger deutlich durch ihn durchschimmert. Ich will etwa noch einen
Traum anführen, der aus zwei verschiedenen, gegensätzlichen und einander
an einzelnen Stellen deckenden Phantasien zusammengesetzt erscheint, von
denen die eine die oberflächliche ist, die andere gleichsam zur Deutung
der ersten wird(179).

  (179) Ein gutes Beispiel eines solchen, durch Übereinanderlagerung
  mehrerer Phantasien entstandenen Traumes habe ich im »Bruchstück einer
  Hysterieanalyse« 1905 analysiert. Übrigens habe ich die Bedeutung
  solcher Phantasien für die Traumbildung unterschätzt, solange ich
  vorwiegend meine eigenen Träume bearbeitete, denen seltener Tagträume,
  meist Diskussionen und Gedankenkonflikte zu grunde liegen. Bei anderen
  Personen ist die _volle Analogie des nächtlichen Traumes mit dem
  Tagtraume_ oft viel leichter zu erweisen. Es gelingt häufig bei
  Hysterischen eine Attacke durch einen Traum zu ersetzen; man kann sich
  dann leicht überzeugen, daß für beide psychische Bildungen die
  Tagtraumphantasie die nächste Vorstufe ist.

Der Traum lautet -- es ist der einzige, über den ich keine sorgfältigen
Aufzeichnungen besitze -- ungefähr so: Der Träumer -- ein
unverheirateter junger Mann -- sitzt in seinem, richtig gesehenen
Stammwirtshause; da erscheinen mehrere Personen, ihn abzuholen, darunter
eine, die ihn verhaften will. Er sagt zu seinen Tischgenossen: Ich zahle
später, ich komme wieder zurück. Aber die rufen hohnlächelnd: Das kennen
wir schon, das sagt ein jeder. Ein Gast ruft ihm noch nach: Da geht
wieder einer dahin. Er wird dann in ein enges Lokal geführt, wo er eine
Frauensperson mit einem Kinde auf dem Arme findet. Einer seiner
Begleiter sagt: Das ist der Herr Müller. Ein Kommissär oder sonst eine
Amtsperson blättert in einem Packe von Zetteln oder Schriften und
wiederholt dabei: Müller, Müller, Müller. Endlich stellt er an ihn eine
Frage, die er mit Ja beantwortet. Er sieht sich dann nach der
Frauensperson um und merkt, daß sie einen großen Bart bekommen hat.

Die beiden Bestandteile sind hier leicht zu sondern. Das Oberflächliche
ist eine _Verhaftungsphantasie_, sie scheint uns von der Traumarbeit neu
gebildet. Dahinter aber wird als das Material, das von der Traumarbeit
eine leichte Umformung erfahren hat, die _Phantasie der Verheiratung_
sichtbar, und die Züge, die beiden gemeinsam sein können, treten wieder
wie bei einer _Galton_schen Mischphotographie besonders deutlich hervor.
Das Versprechen des bisherigen Junggesellen, seinen Platz am Stammtische
wieder aufzusuchen, der Unglaube der durch viele Erfahrungen gewitzigten
Kneipgenossen, der Nachruf: Da geht (heiratet) wieder einer dahin, das
sind auch für die andere Deutung leicht verständliche Züge. Ebenso das
Jawort, das man der Amtsperson gibt. Das Blättern in einem Stoß von
Papieren, wobei man denselben Namen wiederholt, entspricht einem
untergeordneten, aber gut kenntlichen Zug aus den Hochzeitsfeierlichkeiten,
dem Vorlesen der stoßweise angelangten Glückwunschtelegramme,
die ja alle auf denselben Namen lauten. In dem persönlichen
Auftreten der Braut in diesem Traume hat sogar die Heiratsphantasie
den Sieg über die sie deckende Verhaftungsphantasie davongetragen.
Daß diese Braut am Ende einen Bart zur Schau trägt, konnte
ich durch eine Erkundigung -- zu einer Analyse kam es nicht --
aufklären. Der Träumer war Tags vorher mit einem Freunde, der ebenso
ehefeindlich ist wie er, über die Straße gegangen und hatte diesen
Freund auf eine brünette Schönheit aufmerksam gemacht, die ihnen
entgegen kam. Der Freund aber hatte bemerkt: Ja, wenn diese Frauen nur
nicht mit den Jahren Bärte bekämen wie ihre Väter.

Natürlich fehlt es auch in diesem Traume nicht an Elementen, bei denen
die Traumentstellung tiefer gehende Arbeit verrichtet hat. So mag die
Rede: »Ich werde später zahlen« auf das zu befürchtende Benehmen des
Schwiegervaters in Betreff der Mitgift zielen. Offenbar halten den
Träumer allerlei Bedenken ab, sich mit Wohlgefallen der Heiratsphantasie
hinzugeben. Eines dieser Bedenken, daß man mit der Heirat seine Freiheit
verliert, hat sich in der Umwandlung zu einer Verhaftungsszene
verkörpert.

Wenn wir nochmals darauf zurückkommen wollen, daß die Traumarbeit sich
gern einer fertig vorgefundenen Phantasie bedient, anstatt eine solche
aus dem Material der Traumgedanken erst zusammenzusetzen, so lösen wir
mit dieser Einsicht vielleicht eines der interessanten Rätsel des
Traumes. Ich habe auf p. 20 den Traum von _Maury_ erzählt, der, von
einem Brettchen im Genick getroffen, mit einem langen Traume, einem
kompletten Roman aus den Zeiten der großen Revolution, erwacht. Da der
Traum für zusammenhängend ausgegeben wird und ganz auf die Erklärung des
Weckreizes angelegt ist, von dessen Eintreffen der Schläfer nichts ahnen
konnte, so scheint nur die eine Annahme übrig zu bleiben, daß der ganze
reiche Traum in dem kurzen Zeitraume zwischen dem Auffallen des Brettes
auf _Maurys_ Halswirbel und seinem durch diesen Schlag erzwungenen
Erwachen komponiert worden und stattgefunden haben muß. Wir würden uns
nicht getrauen, der Denkarbeit im Wachen eine solche Raschheit
zuzuschreiben, und gelangten so dazu, der Traumarbeit eine
bemerkenswerte Beschleunigung des Ablaufes als Vorrecht zuzugestehen.

Gegen diese rasch populär gewordene Folgerung haben neuere Autoren (_Le
Lorrain_, _Egger_ u. a.) lebhaften Einspruch erhoben. Sie zweifeln teils
die Exaktheit des Traumberichtes von Seite _Maurys_ an, teils versuchen
sie darzutun, daß die Raschheit unserer wachen Denkleistungen nicht
hinter dem zurückbleibt, was man der Traumleistung ungeschmälert lassen
kann. Die Diskussion rollt prinzipielle Fragen auf, deren Erledigung mir
nicht nahe bevorzustehen scheint. Ich muß aber bekennen, daß die
Argumentation, z. B. _Eggers_, gerade gegen den Guillotinentraum
_Maurys_ mir keinen überzeugenden Eindruck gemacht hat. Ich würde
folgende Erklärung dieses Traumes vorschlagen: Wäre es denn so sehr
unwahrscheinlich, daß der Traum _Maurys_ eine Phantasie darstellt, die
in seinem Gedächtnis seit Jahren fertig aufbewahrt war und in dem Moment
geweckt -- ich möchte sagen: _angespielt_ -- wurde, da er den Weckreiz
erkannte? Es entfällt dann zunächst die ganze Schwierigkeit, eine so
lange Geschichte mit all ihren Einzelheiten in dem überaus kurzen
Zeitraume, der hier dem Träumer zur Verfügung steht, zu komponieren; sie
ist bereits komponiert. Hätte das Holz _Maurys_ Nacken im Wachen
getroffen, so wäre etwa Raum für den Gedanken gewesen: Das ist ja gerade
so, als ob man guillotiniert würde. Da er aber im Schlafe von dem Brette
getroffen wird, so benutzt die Traumarbeit den anlangenden Reiz rasch
zur Herstellung einer Wunscherfüllung, _als ob_ sie denken würde (dies
ist durchaus figürlich zu nehmen): »Jetzt ist eine gute Gelegenheit, die
Wunschphantasie wahr zu machen, die ich mir zu der und der Zeit bei der
Lektüre gebildet habe.« Daß der geträumte Roman gerade ein solcher ist,
wie ihn der Jüngling unter mächtig erregenden Eindrücken zu bilden
pflegt, scheint mir nicht bestreitbar. Wer hätte sich nicht gefesselt
gefühlt -- und zumal als Franzose und Kulturhistoriker -- durch die
Schilderungen aus der Zeit des Schreckens, in der der Adel, Männer und
Frauen, die Blüte der Nation, zeigte, wie man mit heiterer Seele sterben
kann, die Frische ihres Witzes und die Feinheit ihrer Lebensformen bis
zur verhängnisvollen Abberufung festhielt? Wie verlockend, sich da
mitten hinein zu phantasieren als einer der jungen Männer, die sich mit
einem Handkuß von der Dame verabschieden, um unerschrocken das Gerüst zu
besteigen! Oder wenn der Ehrgeiz das Hauptmotiv des Phantasierens
gewesen ist, sich in eine jener gewaltigen Individualitäten zu
versetzen, die nur durch die Macht ihrer Gedanken und ihrer flammenden
Beredsamkeit die Stadt beherrschen, in der damals das Herz der
Menschheit krampfhaft schlägt, die Tausende von Menschen aus Überzeugung
in den Tod schicken und die Umwandlung Europas anbahnen, dabei selbst
ihrer Häupter nicht sicher sind, und sie eines Tages unter das Messer
der Guillotine legen, etwa in die Rolle eines der Girondisten oder des
Heros _Danton_? Daß die Phantasie _Maurys_ eine solche ehrgeizige
gewesen ist, darauf scheint der in der Erinnerung erhaltene Zug
hinzuweisen »von einer unübersehbaren Menschenmenge begleitet.«

Diese ganze seit langem fertige Phantasie braucht aber während des
Schlafes auch nicht durchgemacht zu werden; es genügt, wenn sie
sozusagen »angetupft« wird. Ich meine das folgendermaßen: Wenn ein paar
Takte angeschlagen werden und jemand wie im »_Don Juan_« dazu sagt: Das
ist aus »_Figaros_ Hochzeit« von _Mozart_, so wogt es in mir mit einem
Male von Erinnerungen, aus denen sich im nächsten Moment nichts
Einzelnes zum Bewußtsein erheben kann. Das Schlagwort dient als
Einbruchsstation, von der aus ein Ganzes gleichzeitig in Erregung
versetzt wird. Nicht anders brauchte es im unbewußten Denken zu sein.
Durch den Weckreiz wird die psychische Station erregt, die den Zugang
zur ganzen Guillotinenphantasie eröffnet. Diese wird aber nicht noch im
Schlafe durchlaufen, sondern erst in der Erinnerung des Erwachten.
Erwacht, erinnert man jetzt in ihren Einzelheiten die Phantasie, an die
als Ganzes im Traume gerührt wurde. Man hat dabei kein Mittel zur
Versicherung, daß man wirklich etwas Geträumtes erinnert.

 Beispiele von Phantasien im Traum.

Man kann dieselbe Erklärung, daß es sich um fertige Phantasien handelt,
die durch den Weckreiz als Ganzes in Erregung gebracht werden, noch für
andere auf den Weckreiz eingestellte Träume verwenden, z. B. für den
Schlachtentraum _Napoleons_ vor der Explosion der Höllenmaschine. Unter
den Träumen, welche _Justine Tobowolska_ in ihrer Dissertation über die
scheinbare Zeitdauer im Traume gesammelt hat, erscheint mir jener der
beweisendste, den _Macario_ (1857) von einem Bühnendichter, Casimir
Bonjour, berichtet(180). Dieser Mann wollte eines abends der ersten
Aufführung eines seiner Stücke beiwohnen, war aber so ermüdet, daß er
auf seinem Sitz hinter den Kulissen gerade in dem Moment einnickte, als
sich der Vorhang hob. In seinem Schlaf machte er nun alle fünf Akte
seines Stückes durch und beobachtete alle die verschiedenartigen Zeichen
von Ergriffenheit, welche die Zuhörer bei den einzelnen Szenen äußerten.
Nach der Beendigung der Vorstellung hörte er dann ganz selig, wie sein
Name unter den lebhaftesten Beifallsbezeigungen verkündet wurde.
Plötzlich wachte er auf. Er wollte weder seinen Augen noch seinen Ohren
trauen, die Vorstellung war nicht über die ersten Verse der ersten Szene
hinausgekommen; er konnte nicht länger als zwei Minuten geschlafen
haben. Es ist wohl nicht zu gewagt, für diesen Traum zu behaupten, daß
das Durcharbeiten der fünf Akte des Bühnenstückes und das Achten auf das
Verhalten des Publikums bei den einzelnen Stellen keiner Neuproduktion
während des Schlafes zu entstammen braucht, sondern eine bereits
vollzogene Phantasiearbeit in dem angegebenen Sinne wiederholen kann.
Die _Tobowolska_ hebt mit anderen Autoren als gemeinsame Charaktere der
Träume mit beschleunigtem Vorstellungsablauf hervor, daß sie besonders
kohärent erscheinen, gar nicht wie andere Träume, und daß die Erinnerung
an sie weit eher eine summarische als eine detaillierte ist. Dies wären
aber gerade die Kennzeichen, welche solchen fertigen, durch die
Traumarbeit angerührten Phantasien zukommen müßten, ein Schluß, welchen
die Autoren allerdings nicht ziehen. Ich will nicht behaupten, daß alle
Weckträume diese Erklärung zulassen oder daß das Problem des
beschleunigten Vorstellungsablaufes im Traume auf diese Weise überhaupt
wegzuräumen ist.

  (180) _Tobowolska_, p. 53.

 Die sekundäre Bearbeitung.

Es ist unvermeidlich, daß man sich hier um das Verhältnis dieser
sekundären Bearbeitung des Trauminhaltes zu den übrigen Faktoren der
Traumarbeit bekümmere. Geht es etwa so vor sich, daß die traumbildenden
Faktoren, das Verdichtungsbestreben, der Zwang der Zensur auszuweichen
und die Rücksicht auf Darstellbarkeit in den psychischen Mitteln des
Traumes vorerst aus dem Material einen vorläufigen Trauminhalt bilden,
und daß dieser dann nachträglich umgeformt wird, bis er den Ansprüchen
einer zweiten Instanz möglichst genügt? Das ist kaum wahrscheinlich. Man
muß eher annehmen, daß die Anforderungen dieser Instanz von allem
Anfange an eine der Bedingungen abgeben, denen der Traum genügen soll,
und daß diese Bedingung ebenso wie die der Verdichtung, der
Widerstandszensur und der Darstellbarkeit gleichzeitig auf das große
Material der Traumgedanken induzierend und auswählend einwirken. Unter
den vier Bedingungen der Traumbildung ist aber die letzterkannte
jedenfalls die, deren Anforderungen für den Traum am wenigsten zwingend
erscheinen. Die Identifizierung dieser psychischen Funktion, welche die
sogenannte sekundäre Bearbeitung des Trauminhaltes vornimmt, mit der
Arbeit unseres wachen Denkens ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit
aus folgender Erwägung: Unser waches (vorbewußtes) Denken benimmt sich
gegen ein beliebiges Wahrnehmungsmaterial ganz ebenso wie die in Frage
stehende Funktion gegen den Trauminhalt. Es ist ihm natürlich, in einem
solchen Material Ordnung zu schaffen, Relationen herzustellen, es unter
die Erwartung eines intelligibeln Zusammenhanges zu bringen. Wir gehen
darin eher zu weit; die Kunststücke der Taschenspieler äffen uns, indem
sie sich auf diese unsere intellektuelle Gewohnheit stützen. In dem
Bestreben, die gebotenen Sinneseindrücke verständlich zusammenzusetzen,
begehen wir oft die seltsamsten Irrtümer oder fälschen selbst die
Wahrheit des uns vorliegenden Materials. Die hieher gehörigen Beweise
sind zu sehr allgemein bekannt, um breiter Anführung zu bedürfen. Wir
lesen über sinnstörende Druckfehler hinweg, indem wir das Richtige
illusionieren. Ein Redakteur eines vielgelesenen französischen Journals
soll die Wette gewagt haben, er werde in jeden Satz eines langen
Artikels durch den Druck einschalten lassen, »von vorn« oder »von
hinten«, ohne daß einer der Leser es bemerken würde. Er gewann die
Wette. Ein komisches Beispiel von falschem Zusammenhange ist mir vor
Jahren bei der Zeitungslektüre aufgefallen. Nach jener Sitzung der
französischen Kammer, in welcher _Dupuy_ durch das beherzte Wort: La
séance continue den Schreck über das Platzen der von einem Anarchisten
in den Saal geworfenen Bombe aufhob, wurden die Besucher der Galerie als
Zeugen über ihre Eindrücke von dem Attentat vernommen. Unter ihnen
befanden sich zwei Leute aus der Provinz, deren einer erzählte,
unmittelbar nach Schluß einer Rede habe er wohl eine Detonation
vernommen, aber gemeint, es sei im Parlament Sitte, jedesmal, wenn ein
Redner geendigt, einen Schuß abzufeuern. Der andere, der wahrscheinlich
schon mehrere Redner angehört hatte, war in dasselbe Urteil verfallen,
jedoch mit der Abänderung, daß solches Schießen eine Anerkennung, sei,
die nur nach besonders gelungenen Reden erfolge.

Es ist also wohl keine andere psychische Instanz als unser normales
Denken, welche an den Trauminhalt mit dem Anspruch herantritt, er müsse
verständlich sein, ihn einer ersten Deutung unterzieht und dadurch das
volle Mißverständnis desselben herbeiführt. Für unsere Deutung bleibt es
Vorschrift, den scheinbaren Zusammenhang im Traume, als seiner Herkunft
nach verdächtig, in allen Fällen unbeachtet zu lassen und vom Klaren wie
vom Verworrenen den gleichen Weg des Rückganges zum Traummaterial
einzuschlagen.

Wir merken aber dabei, wovon die oben, p. 245, erwähnte Qualitätenskala
der Träume von der Verworrenheit bis zur Klarheit wesentlich abhängt.
Klar erscheinen uns jene Traumpartien, an denen die sekundäre
Bearbeitung etwas ausrichten konnte, verworren jene anderen, wo die
Kraft dieser Leistung versagt hat. Da die verworrenen Traumpartien so
häufig auch die minder lebhaft ausgeprägten sind, so dürfen wir den
Schluß ziehen, daß die sekundäre Traumarbeit auch für einen Beitrag zur
plastischen Intensität der einzelnen Traumgebilde verantwortlich zu
machen ist.

Soll ich für die definitive Gestaltung des Traumes, wie sie sich unter
der Wirkung des normalen Denkens ergibt, irgendwo ein Vergleichsobjekt
suchen, so bietet sich mir kein anderes als jene rätselhaften
Inschriften, mit denen die »Fliegenden Blätter« solange ihre Leser
unterhalten haben. Für einen gewissen Satz, des Kontrastes halber dem
Dialekt angehörig und von möglichst skurriler Bedeutung, soll die
Erwartung erweckt werden, daß er eine lateinische Inschrift enthalte. Zu
diesem Zwecke werden die Buchstabenelemente der Worte aus ihrer
Zusammenfügung zu Silben gerissen und neu angeordnet. Hie und da kommt
ein echt lateinisches Wort zu stande, an anderen Stellen glauben wir
Abkürzungen solcher Worte vor uns zu haben, und an noch anderen Stellen
der Inschrift lassen wir uns mit dem Anscheine von verwitterten Partien
oder von Lücken der Inschrift über die Sinnlosigkeit der vereinzelt
stehenden Buchstaben hinwegtäuschen. Wenn wir dem Scherze nicht
aufsitzen wollen, müssen wir uns über alle Requisite einer Inschrift
hinwegsetzen, die Buchstaben ins Auge fassen und sie unbekümmert um die
gebotene Anordnung zu Worten unserer Muttersprache zusammensetzen.

Die sekundäre Bearbeitung ist jenes Moment der Traumarbeit, welches von
den meisten Autoren bemerkt und in seiner Bedeutung gewürdigt worden
ist. In heiterer Verbildlichung schildert H. _Ellis_ dessen Leistung
(Einleitung, p. 10):

»Wir können uns die Sache tatsächlich so denken, daß das
Schlafbewußtsein zu sich sagt: Hier kommt unser Meister, das
Wachbewußtsein, der ungeheuer viel Wert auf Vernunft, Logik u. dgl.
legt. Schnell! Faß die Dinge an, bringe sie in Ordnung, jede Anordnung
genügt -- ehe er eintritt, um vom Schauplatze Besitz zu ergreifen.«

Die Identität dieser Arbeitsweise mit der des wachen Denkens wird
besonders klar von _Delacroix_ (p. 526) behauptet:

»Cette fonction d'interprétation n'est pas particulière au rêve; c'est
le même travail de coordination logique que nous faisons sur nos
sensations pendent la veille.«

J. _Sully_ vertritt dieselbe Auffassung. Ebenso _Tobowolska_:

»Sur ces successions incohérentes d'hallucinations, l'esprit s'efforce
de faire le même travail de coordination logique qu'il fait pendant la
veille sur les sensations. Il relie entre elles par un lien imaginaire
toutes ces images décousues et bouche les écarts trop grands qui se
trouvaient entre elles« (p. 93).

Einige Autoren lassen diese ordnende und deutende Tätigkeit noch während
des Träumens beginnen und im Wachen fortgesetzt werden. So _Paulhan_
(p. 547):

»Cependant j'ai souvent pensé qu'il pouvait y avoir une certaine
déformation, ou plutôt reformation du rêve dans le souvenir . . . . La
tendence systématisante de l'imagination pourrait fort bien achever
après le réveil ce qu'elle a ébauché pendant le sommeil. De la sorte, la
rapidité réelle de la pensée serait augmentée en apparence par les
perfectionnements dus à l'imagination éveillée.«

_Leroy_ et _Tobowolska_ (p. 592):

»dans le rêve, au contraire, l'interprétation et la coordination se font
non seulement à l'aide des données du rêve, mais encore à l'aide de
celles de la veille . . . . .«

Es konnte dann nicht ausbleiben, daß dieses einzig erkannte Moment der
Traumbildung in seiner Bedeutung überschätzt wurde, so daß man ihm die
ganze Leistung, den Traum geschaffen zu haben, zuschob. Diese Schöpfung
sollte sich im Moment des Erwachens vollziehen, wie es _Goblot_ und noch
weitergehend _Foucault_ annehmen, die dem Wachdenken die Fähigkeit
zuschreiben, aus den im Schlaf auftauchenden Gedanken den Traum zu
bilden.

_Leroy_ et _Tobowolska_ sagen über diese Auffassung: »On a cru pouvoir
placer le rêve au moment du réveil et ils ont attribué à la pensée de la
veille la fonction de construire le rêve avec les images présentes dans
la pensée du sommeil.«

 Das »funktionale Phänomen«.

An die Würdigung der sekundären Bearbeitung schließe ich die eines neuen
Beitrages zur Traumarbeit, den feinsinnige Beobachtungen von H.
_Silberer_ aufgezeigt haben. _Silberer_ hat, wie an anderer Stelle
erwähnt(181), die Umsetzung von Gedanken in Bilder gleichsam in
flagranti erhascht, indem er sich in Zuständen von Müdigkeit und
Schlaftrunkenheit zu geistiger Tätigkeit nötigte. Dann entschwand ihm
der bearbeitete Gedanke und an seiner Statt stellte sich eine Vision
ein, welche sich als der Ersatz des meist abstrakten Gedankens erwies.
(Siehe die Beispiele p. 256.) Bei diesen Versuchen ereignete es sich
nun, daß das auftauchende, einem Traumelement gleichzustellende Bild
etwas anderes darstellte als den der Bearbeitung harrenden Gedanken,
nämlich die Ermüdung selbst, die Schwierigkeit oder Unlust zu dieser
Arbeit, also den subjektiven Zustand und die Funktionsweise der sich
mühenden Person, anstatt des Gegenstandes ihrer Bemühung. _Silberer_
nannte diesen bei ihm recht häufig eintretenden Fall das »_funktionale_
Phänomen« zum Unterschiede von dem zu erwartenden »_materialen_«.

  (181) Siehe p. 256.

»Z. B.: Ich liege eines Nachmittags äußerst schläfrig auf meinem Sofa,
zwinge mich aber, über ein philosophisches Problem nachzudenken. Ich
suche nämlich die Ansichten Kants und Schopenhauers über die Zeit zu
vergleichen. Es gelingt mir infolge meiner Schlaftrunkenheit nicht, die
Gedankengänge beider nebeneinander festzuhalten, was zum Vergleich nötig
wäre. Nach mehreren vergeblichen Versuchen präge ich mir noch einmal die
Kantische Ableitung mit aller Willenskraft ein, um sie dann auf die
Schopenhauersche Problemstellung anzuwenden. Hierauf lenke ich meine
Aufmerksamkeit der letzteren zu; als ich jetzt auf Kant zurückgreifen
will, zeigt es sich, daß er mir wieder entschwunden ist, vergebens
bemühe ich mich, ihn von neuem hervorzuholen. Diese vergebliche
Bemühung, die in meinem Kopf irgendwo verlegten Kant-Akten sogleich
wiederzufinden, stellt sich mir nun bei geschlossenen Augen plötzlich
wie im Traumbild als anschaulich-plastisches Symbol dar: Ich verlange
eine Auskunft von einem mürrischen Sekretär, der, über einen
Schreibtisch gebeugt, sich durch mein Drängen nicht stören läßt. Sich
halb aufrichtend, blickt er mich unwillig und abweisend an« (p. 314).

Andere Beispiele, die sich auf das Schwanken zwischen Schlaf und Wachen
beziehen:

»Beispiel Nr. 2. -- Bedingungen: Morgens beim Erwachen. In einer
gewissen Schlaftiefe (Dämmerzustand) über einen vorherigen Traum
nachdenkend, ihn gewissermaßen nach- und austräumend, fühle ich mich dem
Wachbewußtsein näher kommend, ich will jedoch in dem Dämmerzustand noch
verbleiben.

Szene: Ich schreite mit einem Fuß über einen Bach, ziehe ihn aber
alsbald wieder zurück, trachte herüben zu bleiben« (p. 625).

»Beispiel Nr. 6. -- Bedingungen wie im Beispiele Nr. 4. (Er will noch
ein wenig liegen bleiben, ohne zu verschlafen.) Ich will mich noch ein
wenig dem Schlafe hingeben.

Szene: Ich verabschiede mich von jemand und vereinbare mit ihm (oder
ihr), ihn (sie) bald wieder zu treffen.«

Das »funktionale« Phänomen, die »Darstellung des Zuständlichen anstatt
des Gegenständlichen« beobachtete _Silberer_ wesentlich unter den zwei
Verhältnissen des Einschlafens und des Aufwachens. Es ist leicht zu
verstehen, daß nur der letztere Fall für die Traumdeutung in Betracht
kommt. _Silberer_ hat an guten Beispielen gezeigt, daß die Endstücke des
manifesten Inhaltes vieler Träume, an die das Erwachen unmittelbar
anschließt, nichts anderes darstellen als den Vorsatz oder den Vorgang
des Erwachens selbst. Dieser Absicht dient: das Überschreiten einer
Schwelle (»Schwellensymbolik«), das Verlassen eines Raumes, um einen
anderen zu betreten, das Abreisen, Heimkommen, die Trennung von einem
Begleiter, das Eintauchen in Wasser und anderes.

Es ist keineswegs undenkbar oder unwahrscheinlich, daß diese
»Schwellensymbolik« auch für manche Elemente mitten im Zusammenhange
eines Traumes aufklärend würde, z. B. an Stellen, wo es sich um
Schwankungen der Schlaftiefe und Neigung, den Traum abzubrechen,
handelte. Doch sind gesicherte Beispiele für dieses Vorkommen noch nicht
erbracht. Häufiger scheint der Fall der Überdeterminierung vorzuliegen,
daß eine Traumstelle, welche ihren materialen Inhalt aus dem Gefüge der
Traumgedanken bezieht, _überdies_ zur Darstellung von etwas
Zuständlichem an der seelischen Tätigkeit verwendet wurde.

Das sehr interessante funktionale Phänomen _Silberers_ hat ohne
Verschulden seines Entdeckers viel Mißbrauch herbeigeführt, indem die
alte Neigung zur abstrakt-symbolischen Deutung der Träume eine Anlehnung
an dasselbe gefunden hat. Die Bevorzugung der »funktionalen Kategorie«
geht bei manchen so weit, daß sie vom funktionalen Phänomen sprechen, wo
immer intellektuelle Tätigkeiten oder Gefühlsvorgänge im Inhalt der
Traumgedanken vorkommen, obwohl dieses Material nicht mehr und nicht
weniger Anrecht hat, als Tagesrest in den Traum einzugehen, als alles
andere.

Wir wollen anerkennen, daß die _Silberer_schen Phänomene einen zweiten
Beitrag zur Traumbildung von Seite des Wachdenkens darstellen, welcher
allerdings minder konstant und bedeutsam ist als der erste, unter dem
Namen »sekundäre Bearbeitung« eingeführte. Es hatte sich gezeigt, daß
ein Stück der bei Tage tätigen Aufmerksamkeit auch während des
Schlafzustandes dem Traume zugewendet bleibt, ihn kontrolliert,
kritisiert und sich die Macht vorbehält, ihn zu unterbrechen. Es hat uns
nahe gelegen, in dieser wachgebliebenen seelischen Instanz den Zensor zu
erkennen, dem ein so starker eindämmender Einfluß auf die Gestaltung des
Traumes zufällt. Was die Beobachtungen von _Silberer_ dazugeben, ist die
Tatsache, daß unter Umständen eine Art von Selbstbeobachtung dabei
mittätig ist und ihren Beitrag zum Trauminhalt liefert. Über die
wahrscheinlichen Beziehungen dieser selbstbeobachtenden Instanz, die
besonders bei philosophischen Köpfen vordringlich werden mag, zur
endopsychischen Wahrnehmung, zum Beachtungswahn, zum Gewissen und zum
Traumzensor geziemt es sich, an anderer Stelle zu handeln(182).

  (182) Zur Einführung des Narzissmus. Jahrbuch der Psychoanalyse, VI,
  1914.

 Das unbewußte Denken und die Traumarbeit.

Ich gehe nun daran, diese ausgedehnten Erörterungen über die Traumarbeit
zu resümieren. Wir fanden die Fragestellung vor, ob die Seele alle ihre
Fähigkeiten in ungehemmter Entfaltung an die Traumbildung verwende oder
nur einen in seiner Leistung gehemmten Bruchteil derselben. Unsere
Untersuchungen leiten uns dazu, solche Fragestellung überhaupt als den
Verhältnissen inadäquat zu verwerfen. Sollen wir aber bei der Antwort
auf demselben Boden bleiben, auf den uns die Frage drängt, so müssen wir
beide einander scheinbar durch Gegensatz ausschließenden Auffassungen
bejahen. Die seelische Arbeit bei der Traumbildung zerlegt sich in zwei
Leistungen: die Herstellung der Traumgedanken und die Umwandlung
derselben zum Trauminhalt. Die Traumgedanken sind völlig korrekt und mit
allem psychischen Aufwand, dessen wir fähig sind, gebildet; sie gehören
unserem nicht bewußt gewordenen Denken an, aus dem durch eine gewisse
Umsetzung auch die bewußten Gedanken hervorgehen. So viel an ihnen auch
wissenswert und rätselhaft sein möge, diese Rätsel haben doch keine
besondere Beziehung zum Traume und verdienen nicht, unter den
Traumproblemen behandelt zu werden. Hingegen ist jenes andere Stück
Arbeit, welches die unbewußten Gedanken in den Trauminhalt verwandelt,
dem Traumleben eigentümlich und für dasselbe charakteristisch. Diese
eigentliche Traumarbeit entfernt sich nun von dem Vorbilde des wachen
Denkens viel weiter, als selbst die entschiedensten Verkleinerer der
psychischen Leistung bei der Traumbildung gemeint haben. Sie ist nicht
etwa nachlässiger, inkorrekter, vergeßlicher, unvollständiger als das
wache Denken; sie ist etwas davon qualitativ völlig Verschiedenes und
darum zunächst nicht mit ihm vergleichbar. Sie denkt, rechnet, urteilt
überhaupt nicht, sondern sie beschränkt sich darauf, umzuformen. Sie
läßt sich erschöpfend beschreiben, wenn man die Bedingungen ins Auge
faßt, denen ihr Erzeugnis zu genügen hat. Dieses Produkt, der Traum,
soll vor allem der _Zensur_ entzogen werden und zu diesem Zwecke bedient
sich die Traumarbeit der _Verschiebung der psychischen Intensitäten_ bis
zur Umwertung aller psychischen Werte; es sollen Gedanken ausschließlich
oder vorwiegend in dem Material visueller und akustischer
Erinnerungsspuren wiedergegeben werden, und aus dieser Anforderung
erwächst für die Traumarbeit die _Rücksicht auf Darstellbarkeit_, der
sie durch neue Verschiebungen entspricht. Es sollen (wahrscheinlich)
größere Intensitäten hergestellt werden, als in den Traumgedanken
nächtlich zur Verfügung stehen, und diesem Zwecke dient die ausgiebige
_Verdichtung_, die mit den Bestandteilen der Traumgedanken vorgenommen
wird. Auf die logischen Relationen des Gedankenmaterials entfällt wenig
Rücksicht; sie finden schließlich in _formalen_ Eigentümlichkeiten der
Träume eine versteckte Darstellung. Die Affekte der Traumgedanken
unterliegen geringeren Veränderungen als deren Vorstellungsinhalt. Sie
werden in der Regel unterdrückt; wo sie erhalten bleiben, von den
Vorstellungen abgelöst und nach ihrer Gleichartigkeit zusammengesetzt.
Nur ein Stück der Traumarbeit, die in ihrem Ausmaße inkonstante
Überarbeitung durch das zum Teil geweckte Wachdenken, fügt sich etwa der
Auffassung, welche die Autoren für die gesamte Tätigkeit der
Traumbildung geltend machen wollten.


Anhang(183)

  (183) Von Dr. _Otto Rank_.


1. Traum und Dichtung.

    »Was, von Menschen nicht gewußt
    Oder nicht bedacht,
    Durch das Labyrinth der Brust
    Wandelt in der Nacht.«

    _Goethe_.

Den Menschen ist seit jeher aufgefallen, daß ihre nächtlichen
Traumgebilde mancherlei Ähnlichkeit mit den Schöpfungen der Poesie
verraten, und Dichter wie Denker haben mit Vorliebe diesen in Form,
Inhalt und Wirkung zu Tage tretenden Beziehungen nachgespürt. Die bei
diesem Bemühen aufgetauchten Ahnungen und Einsichten sind, wenn sie sich
auch nicht zur Erkenntnis verdichtet haben, doch für das Wesen der
beiden miteinander verglichenen Phänomene so bezeichnend, daß sich auch
für die wissenschaftliche Betrachtung eine Orientierung über diese
Meinungen verlohnt. Den Traumforscher wird dabei vor allem
interessieren, welche Schätzung und welches Verständnis die intuitiven
Seelenkenner dem Traumrätsel entgegenbrachten, in welcher Art die
Dichter ihre Kenntnis des Traumlebens in den Werken zu verwerten wußten,
und endlich welche tieferen Zusammenhänge zwischen den sonderbaren
Fähigkeiten der »schlafenden« und der »inspirierten« Seele sich etwa
erkennen lassen.

 Dichteraussprüche über Bedeutung und Wesen des Traumes.

Vor allem wird der Psychoanalytiker mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen,
daß die intuitive Erfassung genialer Menschen dem Traum immer eine
_Bedeutung_ beigemessen hat, die wohl in Widerspruch zu dem Urteil der
offiziellen Wissenschaft und der intellektuellen Mehrheit tritt, sich
aber dafür auf ein jahrtausende altes, endlich durch die Psychologie
sanktioniertes Vorurteil des Volkes berufen darf. Die Überzeugung, daß
im Traumleben der Schlüssel zur Erkenntnis der menschlichen Seele, also
des Menschen überhaupt, gegeben sei, findet sich wiederholt mit dem
größten Nachdruck ausgesprochen. So heißt es in _Hebbels_ »Tagebüchern«
(6. August 1838): »Die menschliche Seele ist doch ein wunderbares Wesen
und der Zentralpunkt aller ihrer Geheimnisse ist der Traum.« Und der
Dichter _Jean Paul_, der seinen Träumen besondere Aufmerksamkeit und ein
sorgfältiges Studium widmete, sagt: »Wahrlich, mancher Kopf würde uns
mehr mit seinen Träumen als mit seinem Denken belehren, mancher Dichter
mehr mit seinen wirklichen Träumen als mit seinen gedichteten ergötzen,
so wie der seichteste Kopf, sobald er in eine Irrenanstalt gebracht ist,
eine Prophetenschule für den Weltweisen sein kann.« Und an einer anderen
Stelle bemerkt er ergänzend: »Besonders könnte ich mich wundern, warum
man den Traum nicht gebraucht, um daran den _unwillkürlichen
Vorstellungsprozeß der Kinder_, der Tiere, _der Wahnsinnigen_ zu
studieren, sogar _der Dichter_, der Tonkünstler und der Weiber.«

Eine ähnliche Schätzung hat _Ferdinand Kürnberger_ für den Traum:
»Wahrlich, wären die Menschen sinniger, die feinen Winke der Natur zu
beobachten und zu deuten, dieses Traumleben müßte sie aufmerksam machen.
Sie müßten finden, daß von dem großen Rätsel, nach dessen Lösung sie
dürsten, die Natur uns hier schon die erste Silbe eingeflüstert hat.«

Der geistreiche Philosoph _Lichtenberg_, dem wir feine Beobachtungen und
Bemerkungen über dieses Thema verdanken, schreibt einmal: »Ich empfehle
Träume nochmals. Wir leben und empfinden so gut im Traum als im Wachen,
und das eine macht so gut als der andere einen Teil unserer Existenz
aus. Es gehört unter die Vorzüge des Menschen, daß er träumt und es
weiß. Man hat schwerlich noch den rechten Gebrauch davon gemacht. Der
Traum ist ein Leben, das mit dem unserigen zusammengesetzt das wird, was
wir menschliches Leben nennen. Die Träume verlieren sich in unser Wachen
allmählich herein, und man kann nicht sagen, wo das eine anfängt und das
andere aufhört.«

Und _Nietzsche_, den wir als direkten Vorläufer der Psychoanalyse auch
auf diesem Gebiete anerkennen müssen, kennt ähnliche _Beziehungen des
Traumes zum Wachleben_(184): »Was wir im Traume erleben, vorausgesetzt,
daß wir es oftmals erleben, gehört zuletzt so gut zum Gesamthaushalt
unserer Seele wie irgend etwas wirklich Erlebtes: wir sind vermöge
desselben reicher und ärmer, haben ein Bedürfnis mehr oder weniger und
werden schließlich am hellen lichten Tage und selbst in den heitersten
Augenblicken unseres wachen Geistes ein wenig von den Gewöhnungen
unserer Träume gegängelt.«

  (184) Vgl. dazu die Ausführungen oben p. 5 ff.

Daß er auch hier nicht vor den Konsequenzen seiner Auffassung
zurückschreckte, zeigt folgende Stelle aus der »Morgenröte«: »In allem
wollt ihr verantwortlich sein! Nur nicht für eure Träume! Welche elende
Schwächlichkeit, welcher Mangel an folgerichtigem Mute! Nichts ist mehr
euer Eigen als eure Träume! Nichts mehr euer Werk! Stoff, Form, Dauer,
Schauspieler, Zuschauer -- in diesen Komödien seid ihr alles ihr selber!
Und hier gerade scheut und schämt ihr euch vor euch, und schon _Ödipus_,
der weise _Ödipus_, wußte sich Trost aus dem Gedanken zu schöpfen, daß
wir nichts für das können, was wir träumen(185). Ich schließe daraus:
_daß die große Mehrzahl der Menschen sich abscheulicher Träume bewußt
sein muß_. Wäre es anders: wie sehr würde man seine nächtliche Dichterei
für den Hochmut des Menschen ausgebeutet haben!«

  (185) Es ist bezeichnend für _Nietzsches_ Einstellung zum
  Ödipuskomplex, daß er hier einen doppelten Irrtum begeht: nicht
  Ödipus, sondern seine Mutter sucht Trost in der Bedeutungslosigkeit
  der Träume, aber Ödipus läßt sich dadurch nicht trösten.

Ähnlich wertet auch _Tolstoi_ den Traum: »Wenn ich wache, kann ich mich
wohl über mich selbst täuschen, der Traum dagegen gibt mir den rechten
Maßstab für die Stufe sittlicher Vollkommenheit, die ich erreicht habe.«
(Nachl. Bd. III.)

Und _Lichtenberg_ urteilt: »Wenn Leute ihre Träume aufrichtig erzählen
wollten, da ließe sich der Charakter eher daraus erraten als aus dem
Gesicht.«

Im gleichen Sinne hat sich jüngst noch _Gerhart Hauptmann_ geäußert:
»Alle verschiedenen Arten und Grade der Träume erforscht zu haben, würde
bedeuten, in einem weit tieferen Sinne, als irgend einem heutigen Kenner
der menschlichen Seele zu sein.« (Immanuel Quint.)

Ganz psychoanalytisch im Detail der Anweisung klingt endlich eine
Eintragung aus _Hebbels_ »Tagebüchern«: »Wenn sich ein Mensch
entschließen könnte, _alle seine Träume, ohne Unterschied, ohne
Rücksicht, mit Treue und Umständlichkeit und unter Hinzufügung eines
Kommentars, der dasjenige umfaßte, was er etwa selbst nach Erinnerungen
aus seinem Leben und seiner Lektüre an seinen Träumen erklären könnte,
niederzuschreiben_, so würde er der Menschheit ein großes Geschenk
machen. Doch so wie die Menschheit jetzt ist, wird das wohl keiner tun;
im stillen und zur eigenen Beherzigung es zu versuchen, wäre auch schon
etwas wert.«

Aber nicht nur die Bedeutung des Traumlebens für die Menschenkenntnis
wird von den Dichtern anerkannt, sondern sie wissen auch über das _Wesen
des Traumes_ im einzelnen viel Interessantes auszusagen, was sich oft
auffällig mit den Ergebnissen der psychoanalytischen Forschung deckt.
Der von den Traumdeutern und Traumbüchern seit jeher angewandte
Kunstgriff, die Traumauslegung dem Beruf des Träumers anzupassen, findet
sich in der Dichtung wiederholt angedeutet, mit dem Hinweis, daß sich
überhaupt die Gedanken des Tages ins Traumleben fortsetzen(186). Die
Auffassung, daß jeder Mensch seinen Interessen und Neigungen
entsprechend träume, wird häufig in einer dem _Wunscherfüllungsprinzip_
angenäherten Form ausgesprochen. So heißt es bei _Chaucer_ (The
Parlement of Foules, 99 ff.):

    »The wery hunter, sleping in his bed,
    To wode ayein his minde goth anoon;
    The juge dremeth how his plees ben sped;
    The carter dremeth, how his cartes goon;
    The riche of gold; the knight fight with his foon,
    The seke met he drinketh of the tonne;
    The lover met he hath his lady wonne.«

  (186) Besonders verwendet die an Träumen reiche mittelhochdeutsche
  Epik diese Eigentümlichkeit des Traumes, die auch der römische Dichter
  _Claudius_ kennt:

      »Omnia quae sensu volvuntur rota diurno
      Petore sopito reddit amica quies.«

  (_Riese_, Anthol. lat. II, 1, II, p. 105.)

Ähnlich hat _Shakespeare_ in der berühmten Stelle von »Romeo and Juliet«
das Wirken der »Queen Mab« geschildert:

    »And in this state she gallops night by night
    Through lovers' brains and then they dream on love;
    O'er courtiers' knees, that dream on court'sies straight,
    O'er lawyers' fingers, who straight dream on fees,
    O'er ladies' lips, who straight on kisses dream
    . . . . . . . . . . . . . .
    Sometimes she gallops o'er a courtier's nose,
    And then dreams he of smelling out a suit;
    And sometimes comes she with a tithe-pig's tail
    Tickling a parson's nose as a' lies asleep,
    Then dreams he of another benefice« (Act I, Sc. 4).

Und als Beispiel aus der deutschen Dichtung sei _Johann Peter Uz_ mit
einem Vers zitiert(187):

    »Ein jeder gleichet seinen Träumen:
    Im Traume zecht Anakreon;
    Ein Dichter jauchzt bei seinen Reimen
    Und flattert um den Helikon.
    Für euch, Monaden, flicht mit Schlüssen
    Ein Liebling der Ontologie;
    Und allen Mädchen träumt von Küssen:
    Denn was ist wichtiger für sie?«

  (187) Mitteilung von _Winterstein_ im »Zbl. f. Ps.-A.« II, 192.

 Die infantilen Traumquellen in der Dichtung.

Daß man sich in naiveren Zeitaltern auch vor der dichterischen
Darstellung grob sexueller Traumbefriedigungen nicht scheute, mag das
folgende griechische Liebesgedicht (Ausg. v. O. Kiefer) zeigen:

    _Wohlfeil kuriert_.

    Die Sthenelais, die Stadtentzündende, Feuerbezahlte,
    Welche die Wünschenden all überschütten mit Gold,
    Hat ganz nackt ein Traum in der Nacht mir zur Seite gezaubert;
    Bis zum lieblichen Licht hat sie mir alles gewährt.
    Nicht mehr werd' ich nun knie'n vor der Grausamen; werde für mich nicht
    Forthin weinen; der Schlaf hat es mir alles gewährt.

Als Gegenstück sei der griechische Schwank von dem weisen Richter
genannt, »der einer Kurtisane das Spiegelbild ihres Lohnes empfahl, als
sie von ihrem Liebhaber die Bezahlung forderte, weil er sie im Traume
genossen hatte« (_v. d. Leyen_, p. 98). Möglicherweise gehört in diesen
Zusammenhang auch die Fabel von dem schönen Jüngling _Endymion_, den
seine Geliebte Selene, so oft er von der Jagd ermüdet entschlummert war,
liebend in zärtlicher Umarmung besuchte, und dem sein Vater Zeus auf
seine Bitten ewigen Schlaf und Jugend gewährte. Diese reizende Phantasie
hat _Wieland_ im »Musarion« als erotischen Wunschtraum gefaßt:

    -- -- -- -- -- -- und wenn Endymion,
    (Dem Luna, daß sie ihn bequemer küssen möge,
    So schöne Träume gab) durch eine Million
    Von Sonnenaltern stets in süßen Träumen läge
    Und träumt', er schmaus' am Göttertisch
    Mit Jupitern und buhle mit Göttinnen
    -- -- -- -- -- -- --
    Sprich, wer gestände unerrötend ein,
    Er wünsche sich Endymion zu sein?

Nicht nur die wunschgerechte Fortsetzung des Wachdenkens im
Schlafzustand ist den Dichtern bekannt, sondern auch die zweite
bedeutsamere _Traumquelle des infantilen Lebens_. So sagt _Dryden_ (The
Cock and the Fox) vom Traum:

    »Sometimes forgotten things long cast behind
    Rush forward in the brain and come to mind.
    The nurse's legends are for truth received,
    And the man dreams but what the boy believed.«

Am schönsten hat _Lenau_ diese Rückkehr des Träumers ins Jugendland als
tröstende und wunscherfüllende Traummacht gepriesen:

    »Trägt aber uns der Schlaf mit weicher Hand
    Ins Zauberboot, das heimlich stößt vom Strand,
    Und lenkt das Boot im weiten Ozean
    Der Traum herum, ein trunkner Steuermann,
    So sind wir nicht allein, denn bald gesellen
    Die Launen uns der unbeherrschten Wellen
    Mit Menschen mancherlei, vielleicht mit solchen,
    Die feindlich unser Innres tief verletzt,
    Bei deren Anblick sich das Herz entsetzt,
    Getroffen von des Hasses kalten Dolchen;
    _An denen gerne wir vorüberdenken_,
    Um tiefer nicht den Dolch ins Herz zu senken. --
    Dann wieder bringen uns die Wellenfluchten,
    _Wohin wir wachend nimmermehr gelangen_,
    _In der Vergangenheit geheimsten Buchten_,
    Wo uns der Jugend Hoffnungen empfangen.
    Was aber hilft's? Wir wachen auf -- -- entschwunden
    Ist all das Glück, es schmerzen alte Wunden.
    Schlaflose Nacht, du bist allein die Zeit
    Der ungestörten Einsamkeit.«

E. T. A. _Hoffmann_, der dem Traum und ähnlichen Zuständen größte
Beachtung schenkte, schreibt im »Kater Murr« (I, 1): »Ewig
unerforschlich bleibt uns das erste Erwachen zum klaren Bewußtsein! --
Wäre es möglich, daß dies mit einem Ruck geschehen könnte, ich glaube,
der Schreck darüber müßte uns töten. Wer hat nicht schon die Angst der
ersten Momente im Erwachen aus tiefem Traum, bewußtlosem Schlaf,
empfunden, wenn er sich selbst fühlend, sich auf sich selbst besinnen
mußte! -- Doch, um mich nicht weit zu verlieren, ich meine, jeder starke
psychische Eindruck in jener Entwicklungszeit läßt wohl ein Samenkorn
zurück, das eben mit dem Emporsprossen des geistigen Vermögens
fortgedeiht, und so lebt aller Schmerz, alle Lust jener Stunden der
Morgendämmerung in uns fort und es sind wirklich die süßen,
wehmutsvollen Stimmen der Lieben, die wir, als sie uns aus dem Schlafe
weckten, nur im Traum zu hören glaubten, und die noch in uns
forthallten.«

Und _Jean Paul_ sucht diese Traumregel, die _Hebbel_ in die Formel faßt:
»Alle Träume sind vielleicht nur Erinnerungen«, zu begründen: »Die
weiter rückwärts liegende Vergangenheit, in welche sich so viel
nachherige eingesponnen, besucht und reizt uns Träumer mehr als die
Leere des vorherigen Tages.« -- »Der Traum setzt uns nach _Herders_
schöner Bemerkung immer in Jugendstunden zurück; -- ganz natürlich, weil
die Enge der Jugend die tiefsten Fußtritte in dem Felsen der Erinnerung
ließ, und weil eine ferne Vergangenheit schon öfter und tiefer in den
Geist eingegraben wird als eine ferne Zukunft.«

Das diesem Infantilstreben zu Grunde liegende Problem der Regression hat
_Hebbel_ wenigstens geahnt: »Diejenigen Träume, welche etwas ganz Neues,
wohl gar Phantastisches bringen, sind in meinen Augen bei weitem nicht
so bedeutend als diejenigen, welche die ganze Gegenwart bis auf die
leiseste Regung der Erinnerung töten und den Menschen in das Gefängnis
eines längst vergangenen Zustandes zurückschleppen. Denn bei jenen ist
doch nur dasselbe Vermögen wirksam, worauf die Kunst und alles, was mehr
oder weniger annähernd zu ihr heranführt, beruht und was man Phantasie
zu nennen pflegt; bei diesen aber eine ganz eigentümliche, rätselhafte
Kraft, die den Menschen im eigentlichsten Verstande sich selbst stiehlt
und die ausgemeißelte Statue wieder in den Marmorblock einschließt.«
(Tgb. 6. August 1838.)

Und _Nietzsche_ (Menschl. II, 27 ff.) hat es deutlich erkannt: »Im
Schlafe und im Traume machen wir das ganze Pensum früheren Menschtums
durch . . . . Der Traum bringt uns in ferne Zustände der menschlichen
Kultur wieder zurück und gibt ein Mittel an die Hand, sie besser zu
verstehen.«

 Die Traumfunktion in dichterischer Auffassung.

Erfreulich ist auch, zu sehen, wie die Dichter gewisse hartnäckige
Vorurteile, die jeder tieferen Traumerkenntnis im Wege standen, durch
ihre kühne antithetische Auffassung zu tiefen Einsichten ummünzen. So
hat _Hebbel_ die scheinbare Unverständlichkeit der Traumbilder daraus
erklärt, daß wir die Sprache des Traumes nicht verstünden, und auf seine
Zusammensetzung aus einzelnen, den Buchstaben vergleichbaren Elementen,
hingewiesen. (»Tagebuch« 1842): »Wahnsinnige, verrückte Träume, die uns
selbst im Traume doch vernünftig vorkommen: die Seele setzt mit einem
Alphabet, das sie noch nicht versteht, unsinnige Figuren zusammen, wie
ein Kind mit den 24 Buchstaben; es ist aber gar nicht gesagt, daß dies
Alphabet an und für sich unsinnig ist.«

Die Auffassung des _Traumes als Schlafhüter_, die gerade beim Erwachen
infolge eines Reizes dem subjektiven Empfinden so sehr zu widersprechen
scheint, hat bereits _Jean Paul_ vertreten: »Sobald der Geist sogar zu
stärkeren Angriffen von außen nur eine Traumgeschichte zu erfinden weiß,
die jene motiviert und einwebt: _so verlängert gerade der Traum den
Schlaf_.«

Auch der uralte, wohl am tiefsten eingewurzelte Aberglaube von der
divinatorischen Kraft des Traumes ist durch _Hebbel_ im wahren Sinne des
Wortes umgewertet worden: »Die Alten wollten aus dem Traum weissagen,
was dem Menschen geschehen würde. Das war verkehrt! Weit eher läßt sich
aus dem Traum weissagen, was er tun wird.« Und in anderer Form:

    »_Der Traum als Prophet_.

    Was dir begegnen wird, wie sollte der Traum es dir sagen?
    Was du tun wirst, das zeigt er schon eher dir an.«

 Angst- und Wunschträume in der Dichtung.

Nach diesen Proben wird es uns nicht wundern zu erfahren, daß die
Ausnahmemenschen, deren geistiges Leben in einem hohen Grade der
Selbstbeobachtung und Selbstdarstellung dient, im Verständnis des
Traumes zu den tiefsten Einsichten gelangten. Ist die Konstatierung der
Tagesanknüpfung und der Kindheitsreste nur eine -- wenn auch
scharfsichtige -- Deskription des _manifesten_ Trauminhaltes, so weisen
einzelne feine Bemerkungen auf das Wirken _latenter Traumfaktoren_ und
die ihnen entsprechende Dynamik des Trieblebens hin. Wenn _Goethe_
einmal (12. März 1828) zu Eckermann sagt: »Ich habe in meinem Leben
Zeiten gehabt, wo ich mit Tränen einschlief; aber in meinen Träumen
kamen nun die lieblichsten Gestalten, mich zu trösten und zu beglücken,
und ich stand am anderen Morgen wieder frisch und froh auf den Füßen«,
so kommt darin neben dem Wunschcharakter besonders der von der
Traumarbeit bewirkte _Stimmungswechsel durch Affektverkehrung_ zur
Geltung.

Ganz Ähnliches berichtet _Gottfried Keller_ in seinem Traumbuch
(Baechtold I, 307): »Auffallend ist es mir, daß ich hauptsächlich, ja
fast ausschließlich in traurigen Zeiten . . . . heitere und einfach
liebliche Träume habe.«

Mit voller Deutlichkeit ist die _wunscherfüllende Tendenz des Traumes_
ausgedrückt in _Lenaus_ »Savonarola«, wo der Dulder, nachdem er die
Qualen der Folter erlitten hat, von Paradieseswonnen träumt. Den
gleichen Traumcharakter kennt E. T. A. _Hoffmann_, der noch die
infantile Herkunft der tröstenden Traumbilder betont: »Wenn ich als ein
Armer, Elender, ermüdet, zerschlagen von der mühseligen Arbeit nachts
auf dem harten Lager ruhte, dann kam der Traum und goß, mir in lindem
Säuseln die heiße Stirn fächelnd, alle Seligkeit irgend eines
glücklichen Moments, in dem mir die ewige Macht die Wonne des Himmels
ahnen ließ und dessen Bewußtsein tief in meiner Seele ruht, in mein
Inneres« (»Doge und Dogaresse«).

Die hier ausgesprochene Überzeugung von einer dem manifesten Inhalt oft
entgegengesetzten Traumregung scheut auch nicht vor der äußersten
Konsequenz der Anwendung auf den _Angsttraum_ zurück, der mit
_unterdrückten erotischen Regungen_ in Beziehung gebracht wird. So sagt
der nach einem genußreichen Leben asketisch gewordene _Zacharias
Werner_:

    »Selbst in der sieben Hügel Schoß
    War das Gelüst mein Taggenoß,
    Mein Nachtgesell das Grauen!«

In sehr hübscher symbolischer Einkleidung ist der Angsttraum eines
Mädchens in einem Gedicht aus »Des Knaben Wunderhorn« dargestellt(188):

    Wenn ich den ganzen Tag
    Geführt hab' meine Klag',
    So gibt's mir noch zu schaffen.
    Bei Nacht, wann ich soll schlafen
    Ein Traum mit großen Schrecken
    Tut mich gar oft aufwecken.

    Im Schlaf seh ich den Schein
    Des Allerliebsten mein,
    Mit einem starken Bogen,
    Darauf viel Pfeil' gezogen,
    Damit will er mich heben
    Aus diesem schweren Leben.

    Zu solchem Schreckgesicht
    Kann ich stillschweigen nicht,
    Ich schrei mit lauter Stimmen:
    »O Knabe laß dein Grimmen,
    Nicht wollst, weil ich tu' schlafen,
    Jetzt brauchen deine Waffen!«

  (188) Mitteilung von _Winterstein_ im »Zbl. f. Ps.-A.« II, 616.

Das dem Angsttraum zugeordnete Alpdrücken hat _Shakespeare_ an der
bereits erwähnten Stelle direkt auf den Sexualakt bezogen:

    This is the hag, when maids lie on their backs,
    That presses them, and learns them first to bear,
    Making them women of good carriage.

    (Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
    Die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
    Als Weiber einst die Männer zu ertragen.)

    (_Schlegel-Tieck_.)

Ein moderner Lyriker endlich, J. R. _Becher_, hat direkt die
psychoanalytische Auffassung des Angsttraumes in Verse gebracht
(Gedichte, Berlin 1912):

    »Die Wünsche, die ich tags gedacht,
    Sehnsüchte, die ich tags nicht stillen konnte,
    werden die Ängste meiner Nacht.
    Sie glühen Wahn,
    den ich nicht fliehen kann,
    daß ich in Feuer rings und Flammen steh',
    in der Geliebten meine Mutter seh',
    meinen Vater wie einen Fraß der Hunde . . .«

Die in der Angsttheorie angedeutete dynamische Auffassung, wonach das
_Unbefriedigte_, _Unterdrückte im Seelenleben_ sich im Traum
durchzusetzen sucht, hat ebenso häufig poetischen wie erkenntnismäßigen
Ausdruck gefunden. In _Schillers_ »Wallenstein« ist die stolze Gräfin
Terzky überzeugt, daß des Feldherrn Unternehmen glücken müsse und
erstickt alle trüben Ahnungen im Entstehen: »Aber,« klagt sie, »wenn ich
wachend sie bekämpft, sie fallen mein banges Herz in düstern Träumen
an.« Ähnlich heißt es in _Grillparzers_ bekannten Versen:

    »Was die Brust im Wachen enget,
    aber treu verschließt der Mund,
    hat der Schlaf das Band gesprenget,
    tut es sich in Träumen kund«,

die der Dichter an anderer Stelle im Sinne der Wunschtheorie ergänzt:

    ». . . . Die Träume,
    Sie erschaffen nicht die Wünsche,
    Die vorhand'nen wecken sie;
    Und was jetzt verscheucht der Morgen,
    Lag als Keim in dir verborgen.«

Gleiches findet sich wieder in Dichtungen moderner, der Psychoanalyse
näherstehenden Autoren wie _Arthur Schnitzler_:

    »Doch Träume sind Begierden ohne Mut,
    sind freche Wünsche, die das Licht des Tags
    zurückgejagt in die Winkel unsrer Seele,
    daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen.«

    (»Der Schleier der Beatrice«)

oder _Viktor Hardung_:

                . . . . . . . . . Im Traum,
    Den wir doch zeugen aus geheimer Lust,
    Begehren, Angst, Verlangen ungestanden,
    Aus Süchten, unbekannt dem hellen Tag,
    Und unser eigen doch, wo wir sie leugnen.

    (»Godiva«(189).)

  (189) Mitteilung im »Zbl. f. Ps.-A.«

Ähnliche Gedanken haben _Jean Paul_ und _Hebbel_ geäußert; dieser im
»Silvesternachtstraum«, wo es ganz allgemein heißt: »[Der Schlaf]
verhilft auch den unterdrückten Elementen in der Menschennatur, ja der
Natur überhaupt, zu ihrem Rechte . . . . . und wenn er sich an das
Gesetz, das uns im wachen Zustand beherrscht, nicht kehrt, wenn er unser
gewöhnliches Maß und Gewicht zerbricht und alle unsere Anschauungs- und
Aneignungsformen durcheinander wirft, so geschieht das nur, weil er
selbst der Ausdruck eines viel höheren Gesetzes ist.« -- Jener an einer
Stelle, die speziell die asozialen, vom Kulturmenschen mit Mühe
unterdrückten Regungen betrifft: ». . . . . das weite Geisterreich der
Triebe und Neigungen steigt in der zwölften Stunde des Träumens herauf
und spielt dicht verkörpert vor uns. Fürchterlich tief leuchtet der
Traum in den uns gebauten Epikurs- und Augiasstall hinein, und wir sehen
in der Nacht alle die wilden Grabtiere oder Abendwölfe ledig
herumstreifen, die am Tage die Vernunft in Ketten hielt.«

Die weitestgehende intuitive Vorwegnahme der psychoanalytischen
Traumlehre aber müssen wir einem »Erleben und Erdichten« überschriebenen
Abschnitt aus _Nietzsches_ »Morgenröte« zugestehen, wo der Traum als
Mittel der halluzinatorischen Triebbefriedigung erkannt ist: »Vielleicht
würde diese Grausamkeit des Zufalles (bei der Triebbefriedigung) noch
greller in die Augen fallen, wenn alle Triebe es so gründlich nehmen
wollten wie der _Hunger_: der sich nicht mit _geträumter Speise_
zufrieden gibt; aber die meisten Triebe, namentlich die sogenannten
moralischen, tun gerade dies, -- wenn meine Vermutung erlaubt ist, _daß
unsere Träume eben den Wert und Sinn haben, bis zu einem gewissen Grade
jenes zufällige Ausbleiben der ›Nahrung‹ während des Tages zu
kompensieren_ . . . . . . Diese Erdichtungen (des Traumes), welche
unseren Trieben . . . . . Spielraum und Entladung geben, -- und jeder
wird seine schlagenderen Beispiele zur Hand haben, -- sind
Interpretationen unserer Nervenreize während des Schlafens, _sehr
freie_, sehr willkürliche Interpretationen. . . . . . Daß dieser Text,
der im allgemeinen doch für eine Nacht wie für die andere sehr ähnlich
bleibt, so verschieden kommentiert wird, daß die dichtende Vernunft
heute und gestern so verschiedene _Ursachen_ für dieselben Nervenreize
_sich vorstellt_: das hat darin seinen Grund, daß der Souffleur dieser
Vernunft heute ein anderer war, als er gestern war, -- ein anderer
_Trieb_ wollte sich befriedigen, betätigen, üben, erquicken, entladen,
-- gerade er war in seiner hohen Flut, und gestern war ein anderer
darin(190).«

  (190) Diese Auffassung zeigt die wesentlichste Übereinstimmung mit der
  der typischen Träume.

 Träume in Dichtungen.

Alle diese Einsichten in das Wesen des Traumes, die sich uns zu einer
der psychoanalytischen Auffassung nahestehenden Traumtheorie
zusammenschlossen, sind eigentlich nur gelegentliche Abfallsprodukte der
intuitiven Seelenkenntnis, die der Dichter in seinen Schöpfungen
künstlerisch darstellt. Er ist zu diesem Wissen weder auf empirischem
noch auf spekulativem Wege gekommen, und es zeigt nur von der Echtheit
und Unmittelbarkeit seiner Erfahrung, wenn in den poetischen Werken
selbst die Träume eine praktische Verwendung finden, die ihrer
geschilderten Schätzung und Würdigung durchaus entspricht.

Vor allem fällt die Häufigkeit auf, mit der seit jeher die Volks- wie
die Kunstdichtung den Traum im Dienste der Schilderung komplizierter
Seelenzustände verwertet hat. Die Werke der schönen Literatur -- Epen,
Romane, Dramen und Gedichte --, in denen Träume bedeutsam in die
Handlung und das Seelenleben der Figuren eingreifen, sind unzählbar. Von
den homerischen Gedichten bis zum Nibelungenlied und den Kunstepen
_Miltons_, _Klopstocks_, _Wielands_, _Hebbels_, _Lenaus_ u. a., vom
Roman gar nicht zu sprechen, der in manchen Richtungen, wie
beispielsweise der weit in unsere moderne Literatur hineinreichenden
romantischen, Traumerscheinungen zum unentbehrlichsten Requisit zählte.
Ist doch bekannt, mit welcher Vorliebe Dichter wie _Tieck_, E. T. A.
_Hoffmann_, _Jean Paul_ ihre Personen träumen und diese Träume
entscheidend auf den Gang der Handlung einwirken lassen. Selbst im Drama
finden sich, wenn auch bei weitem seltener und bedeutungsloser, Träume
verwertet, während anderseits die Einkleidung der ganzen Handlung in
einen Traum sich gerade der Form des Schauspieles am ehesten anpaßt, wie
die bekannten Stücke von _Calderon_, _Shakespeare_ (Widerspenstige),
_Holberg_ (Jeppe paa Bierget), _Grillparzer_, _Hauptmann_ (Schluck und
Jau), in noch höherem Maße aber die modernen, von der wissenschaftlichen
Traumforschung nicht ganz unabhängigen Traumdichtungen von _Strindberg_
(Traumspiel), _Paul Apel_ (»Hans Sonnenstößers Höllenfahrt«), _Franz
Molnar_ (»Das Märchen vom Wolf«) u. a. zeigen. Gelegentlich wird
übrigens die Traumeinkleidung auch in den epischen Dichtungsformen mit
Erfolg verwendet, wie beispielsweise in _Dickens_' »Christmas Carol«
oder in dem einzigartigen Werk des Zeichners _Alfred Kubin_ (»Die andere
Seite«), dessen psychoanalytische Bedeutung Dr. _Hanns Sachs_ (Wien)
dargelegt hat (»Imago«, I, 1912, p. 197). Endlich sind noch in der
Lyrik, die in ihrem innersten Wesen dem Traum sehr nahe steht, derartige
Einkleidungen immer sehr beliebt gewesen. Insbesondere Minne- und
Meistergesang haben in Traumbildern geradezu geschwelgt und den Traum
direkt als Wunscherfüller gepriesen. Am schönsten ist dies in manchen
Liedern _Walters von der Vogelweide_, auf die bereits _Riklin_
hingewiesen hat. Die zahlreichen Traumgedichte des alten _Hans Sachs_
würden eine eigene Bearbeitung erfordern; zur Charakterisierung sei nur
die ergötzliche Darstellung angeführt, wie der Traum einem Krämer eine
Dorfkirchweih mit glänzendem Erlös vorspiegelt in dem Moment, wo ihm
spitzbübische Affen alles zerstört und besudelt hatten(191). Die Lyrik
der Romantik und der ihr nahestehenden Richtungen ist hier noch
besonders zu nennen: _Heine_, _Chamisso_, _Mörike_, _Uhland_, die
_Droste_, _Keller_, _Hebbel_, _Byron_ (The dream) und andere mehr haben
Traumgedichte geschaffen; C. G. _Meyers_ »Lethe«, _Hebbels_
»Geburtsnachttraum«, _Spittelers_ Balladen »Der Vater«, »Das Begräbnis«,
»Das Gastmahl« und Ähnliches in des »Knaben Wunderhorn« gehören zum
Eindruckvollsten, was die Lyrik zu bieten hat.

  (191) Über andere Traumgedichte Hans Sachsens vergleiche man die
  Literatur bei _Hampe_; zahlreiche Beispiele von Träumen in der
  epischen Literatur bei _Nagele_; für die Lyrik besonders _Klaiber_;
  eine interessante Zusammenstellung von »Träumen in Dichtungen«
  »Kunstwart« XX, 4.

 Verwendung der Symbolik in gedichteten Träumen.

Besonders reizvoll wird es für den Psychoanalytiker, sich davon zu
überzeugen, wie die als Dichtung oder in der Dichtung dargestellten
Träume nach den empirisch ermittelten Gesetzen gebaut sind und sich der
psychologischen Betrachtung wie wirklich erlebte Träume darbieten. Ja,
manche Regeln sind als Nebenprodukt philologischer Forschung unmittelbar
aus dem Studium der _gedichteten_ Träume erschlossen worden. So zeigt
_Mentz_ an den französischen Volksepen, »wie _Träume, welche von einer
Person in derselben Nacht geträumt werden, immer zusammengehören und ein
Ganzes, Einheitliches darstellen_« (p. 45). Oder _Jaehde_ findet in den
englisch-schottischen Volksballaden, in denen Träume aus zwei zeitlich
aufeinanderfolgenden Bildern bestehen, daß »_das erste nur symbolisch
und unklar andeutet, was das zweite klar und unverhüllt erkennen läßt_«.
Dies bezieht sich, wie wir wissen(192), insbesondere auf die Symbolik,
die ja dem Dichter als poetisches Ausdrucksmittel geläufig ist. So hat
_Ovid_ im 3. Buche der »Amores« als 5. Elegie in ausführlicher Weise
einen Traum geschildert, in dem die Hitze als Liebesglut, die Kuh als
Geliebte, der Stier als der liebesbegierige Träumer gedeutet wird(193).
Eine andere, uns gleichfalls aus dem Traumstudium geläufige
Sexualsymbolik verwendet _Byron_ im VI. Gesange des »Don Juan«, wo der
Held als Frau verkleidet das Lager der Dudu teilt, die aus einem
symbolisch dargestellten Sexualtraum, der sich an den Sündenfallmythus
anlehnt, mit Angst erwacht(194). Daß gelegentlich einem Dichter die
eigentliche Bedeutung gewisser typischer Symbole ganz klar werden
konnte, beweist die Schilderung der eleusinischen Mysterien in der
XII. römischen Elegie _Goethes_(195), wo es heißt:

    »Wunderlich irrte darauf der Eingeführte durch Kreise
    Seltner Gestalten; im _Traum_ schien er zu wallen; denn hier
    _Wanden sich Schlangen_ am Boden umher, _verschlossenes Kästchen_,
    _Reich mit Ähren umkränzt_, trugen hier Mädchen vorbei:
    . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
    Erst nach mancherlei Proben und Prüfungen ward ihm enthüllet,
    Was der geheiligte Kreis seltsam in Bildern verbarg.
    Und was war _das Geheimnis_, als _daß Demeter, die große_,
    _Sich gefällig einmal auch einem Helden bequemt_,
    Als sie dem Saoon einst, dem rüstigen König der Kreter,
    Ihres unsterblichen Leibs _holdes Verborgne_ gegönnt,
    Da war Kreta beglückt! _Das Hochzeitsbette der Göttin_
    _Schwoll von Ähren und reich drückte der Acker die Saat_.«

  (192) Vgl. oben p. 249.

  (193) Näheres in der Mitteilung _Abrahams_ im »Zentralblatt für
  Psychoanalyse« II, p. 160.

  (194) Den Text hat _Rosenstein_ ebenda p. 161 mitgeteilt.

  (195) Vgl. die Mitteilung von _Winterstein_, ebenda p. 291 f.

Wie ein moderner Autor den typischen Geburtstraum in vollkommen
korrekten Symbolen darzustellen weiß, möge schließlich ein Beispiel aus
allerneuester Zeit illustrieren:

In _Moritz Heimanns_ Tragödie »Der Feind und der Bruder«(196) erzählt
eine junge Frau ihren Traum, der von einer älteren, die bereits Mutter
war, als Schwangerschafts- resp. Geburtstraum gedeutet wird; wir dürfen
dies als intuitive Bestätigung der typischen psychoanalytisch eruierten
Symbolik von Wasser (Geburtswasser) und Kästchen -- hier Glocke --
(Mutterleib) ansehen:

    _Pallas_.

    Vergangne Nacht sah ich im Meer mich schwimmen;
    und vor mir schwamm auf der _lichtblinden_ Bahn
    ein schimmerndes Gebilde, eine _Glocke_
    von _rosenfarbnem Blut_, ätherisch leuchtend,
    daß sie zu klingen schien, -- da regte sich,
    an einem Fels empört, das glatte Wasser,
    und jäh zerschlug der Sturz der Nereïde
    dort vor mir die Gestaltung, daß _sie riß_
    und ich davon in meinem _Weiberleib_ --
    sieh: hier -- den heißen Stich des Schmerzes so empfing --

    _Maddalena_.

    Erwachtest du?

    _Pallas_.

                         Noch nicht. Es hob mich nur
    aus tiefem Traum zu minder tiefem Traum,
    und wieder schwamm ich, und vor mir, fast schon
    am Horizont, doch immer sichtbar, schwebten
    _zwei Glocken_, eine wie die andre, zart
    und feurig doch, und zogen her vor mir
    bis in den uferlosen luft'gen Gischt
    von Licht, darin ich dann erwachte, müd
    und mit dem wunderlichen Schmerz, der jetzt
    beim Steigen wieder mich erinnerte
    an meinen Traum und an -- ich weiß nicht was.

    _Maddalena_.

    Wo saß der süße Schmerz?

    (Sie legt eine Hand auf Pallas Brust.)

                               _Und fühlst du etwa_
    _auch schon die zarten Brüstchen leise tickend_
    _sich dir entfremden, einem andern zu?_
    Zwei wird zu eins; und daß die Rechnung stimme,
    wird danach eins zu zwei, du junge Frau.

  (196) Berlin, S. Fischer, 1911.

 Die Analyse gedichteter Träume.

Detaillierte Untersuchungen über die in poetischer Darstellung
verwendeten Träume sind leider erst vereinzelt unternommen worden, doch
haben sie bereits wertvolle Einblicke in die dichterische Seelenkenntnis
und das Wesen der künstlerischen Schöpfung gewährt. Es ist erfreulich,
daß die erste derartige auf psychoanalytischer Grundlage ruhende Studie
von einem Literarhistoriker herrührt, der die Bedeutung der analytischen
Traumpsychologie frühzeitig erkannte und erfolgreich für sein Fachgebiet
zu verwerten suchte. Es stand ihm allerdings das denkbar günstigste
Material zu Gebote: »die Träume in _Gottfried Kellers_ ›Grünem
Heinrich‹.« Aus der kleinen Schrift von _Ottokar Fischer_, die im
einzelnen eine Reihe von Bestätigungen der psychoanalytischen Traumlehre
liefert, sei nur eine Stelle zur Probe angeführt:

»Dem Träumenden gibt sich, ihm selber unbewußt und unerwartet, ein gutes
Stück seiner Ideenwelt und nicht zuletzt der eigentliche Inhalt seiner
verborgenen, selbst uneingestandenen Wünsche kund. Im Traum erst
bemächtigt sich Heinrichs grenzenloses Heimweh, da er im Wachen nicht
Zeit gefunden hat, sich den Gefühlen hinzugeben. Im Traum erst tritt
alles das in den Vordergrund, was bei Tage übertönt und nicht beachtet
wurde, und was sich in seiner wahren Gestalt darstellen mußte als
Vorwurf, Schmerz oder Sehnsucht. Ja, Sehnsuchtsträume sind so gut wie
alle im »Grünen Heinrich« geschilderten Träume.«

»Der Roman ist aufgebaut auf dem Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Im
Mittelpunkte von Heinrichs Träumen befindet sich der Gedanke an die
Mutter, Sehnsucht nach ihr, Sorge um sie und doch Scham, sich zu
dergleichen Gefühlsduseleien zu bekennen. Wieder trifft die allgemeine
Bemerkung zu, in den Träumen stellen sich Ideen ein, die im Wachen
unwirsch bei Seite geschoben wurden. Heinrich macht sich in der Tat
eines argen Vergehens schuldig, indem er an die Mutter nicht schreibt,
ja er will an sie kaum denken und ist sich selber seiner wahren Gefühle
ihr gegenüber gar nicht bewußt. Erst der Schlaf klärt ihn über das
eigene Empfinden auf« (p. 17 ff.).

Beschränkt sich diese Untersuchung auf den Nachweis, daß die allgemeinen
Traumgesetze auch in den erdichteten oder dichterisch verwerteten
Träumen wirksam und aufzuzeigen sind, so bemüht sich eine andere,
gleichfalls von keinem Arzt unternommene Arbeit, an einem einzelnen
Beispiel die analytische Deutungstechnik im Detail anzuwenden. Mit ihrem
ganzen Rüstzeug versehen, hat Dr. _Alfred Robitsek_ an der »Analyse von
Egmonts Traum« gezeigt, daß der vom Dichter seinem Helden beigelegte
Traum sich der Analyse gegenüber nach jeder Richtung hin wie ein
wirklich geträumter erweist. Durch Zerlegung in seine Elemente und die
Heranziehung der zugehörigen Partien der Dichtung gelang es, »die
Anknüpfungen an Wachgedanken und ›Tagesreste‹ nachzuweisen, seine
Symbolik zu deuten, hinter dem manifesten den latenten Inhalt zu zeigen,
den Charakter der Wunscherfüllung im allgemeinen und einzelnen zu
finden«. Der Autor konnte sich dabei wie bei seinen Schlußfolgerungen
auf eine paradigmatische Untersuchung stützen: auf die bereits (p. 74
Anmkg.) erwähnte Analyse des Wahns und der Träume in W. _Jensens_
»Gradiva«, welche gestattet hatte, die vom Dichter zur Schilderung des
Seelenzustandes seines Helden eingeflochtenen Traumbilder in die ihnen
zu grunde liegenden Gedanken zu übersetzen und in den Zusammenhang des
seelischen Geschehens einzufügen. Die daraus gefolgerte intuitive
Einsicht des Dichters in die Mechanismen der Traumbildung nötigt zu dem
Schluß, daß er bei seiner Produktion aus derselben Quelle schöpft, die
der Analytiker mit seiner mühseligen Technik erschließen muß, nämlich
aus dem Unbewußten(197).

  (197) In der mir leider unzugänglich gebliebenen Novelle »_Faira_«
  soll _Jensen_ über die Entstehung der Träume gesprochen haben.
  (»Sonnenwende«, Berlin 1882).

 Verwandtschaft von Traum und Dichtung.

Wir stehen hier wieder vor dem interessanten Problem, von dem wir
ausgegangen waren, der Verwandtschaft des poetischen Schaffens mit der
Traumproduktion. Frühzeitig schon müssen die Menschen hier einen
Zusammenhang beobachtet haben, welchen die Alten in ihrer naiven Weise
so auffaßten, daß irgendwie bevorzugten Sterblichen von einem Gott die
Dichtergabe im Traume verliehen worden sei: Von den großen Epikern
_Homer_ und _Hesiod_ glaubten sie dies und erzählten es auch von ihrem
ursprünglichsten Dramatiker _Aischylos_. Auch in aufgeklärteren
Zeitaltern konnte man sich ähnlichen Eindrücken nicht ganz entziehen,
besonders da die Dichter selbst an solche Quellen ihrer Inspiration
glaubten, wie wir es beispielsweise von _Pindar_ u. a. wissen(198). Daß
wir in dem Glauben vom Ursprung der Dichtkunst aus dem Traum »ein altes
indogermanisches Motiv« (_Henzen_) vor uns haben, zeigt sich in dem
zähen Festhalten an der in verschiedener dichterischer Einkleidung immer
wieder auftauchenden Idee. Als Beispiel sei auf _Hans Sachsens_
»Dichterweihe« verwiesen und in der daran anknüpfenden »Zueignung« von
_Goethe_ hat man einen letzten Ausläufer dieses Themas erkannt. Es ist
auch kein Zufall, wenn _Richard Wagner_ gerade seinem _Hans Sachs_ die
bekannten Verse in den Mund legt:

    »Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk,
      daß er sein Träumen deut' und merk'.
    Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
      wird ihm im Traume aufgetan:
    All' Dichtkunst und Poeterei
      ist nichts als Wahrtraumdeuterei.
    Was gilt's, es gab der Traum euch ein,
      wie heut' ihr sollet Sieger sein?«

    (Meistersinger, III. Akt.)

  (198) Man vgl. auch die Erzählung _Bedas_ von dem Dichter Caedmon
  (Beda historia eccl. ed. Holder lib. IV, cap. 24).

Ähnliches hat _Hebbel_ ausgesprochen in dem epigrammatischen Gedicht
»_Traum und Poesie_«, wo es heißt:

    »Träume und Dichtergebilde sind eng miteinander verschwistert,
    Beide lösen sich ab oder ergänzen sich still . . .«

und in einzelnen Tagebuchnotizen:

»Mein Gedanke, daß Traum und Poesie identisch sind, bestätigt sich mehr
und mehr.«

»Der Zustand dichterischer Begeisterung (wie tief empfind' ich's in
diesem Augenblick) ist ein Traumzustand, so müssen andere Menschen sich
ihn denken. _Es bereitet sich in des Dichters Seele vor, was er selbst
nicht weiß._«

Derartige Beobachtungen und Bekenntnisse sind bei den Dichtern nicht
vereinzelt. Wir wissen unter anderem von _Goethe_, daß er viele seiner
Gedichte »instinktmäßig und traumartig niederzuschreiben sich getrieben
fühlte« und _Paul Heyse_ sagt in seinen Jugenderinnerungen, persönliche
Erfahrungen verallgemeinernd: »Nun vollzieht sich freilich der letzte
Teil aller künstlerischen Erfindungen in einer geheimnisvollen
unbewußten Erregung, die mit dem eigentlichen Traumzustand nahe verwandt
ist.«

Häufig sind es auch ganz spezielle Erlebnisse, welche zur Konstatierung
dieser Beziehungen geführt haben. Dichtern, die ihren Träumen besondere
Aufmerksamkeit schenkten, wie _Hebbel_ oder _Gottfried Keller_, ist eine
gewisse Abhängigkeit der poetischen Produktion von ihrem Traumleben
aufgefallen. Am 6. November 1843 schreibt jener in Paris: »Als ich noch
dichterische Werke ausführte, träumte ich dichterisch, nun nicht mehr.«
Nachdem er eine Reihe seltsamer Träume angeführt hat, fährt er in einem
Gedichte fort:

    »Damals aber konnt' ich noch keine Tragödien dichten,
    Seit ich dieses vermag, bleiben die Träume mir aus.
    Wären die Träume vielleicht nur unvollkommene Gedichte?
    Ist ein gutes Gedicht ein vollkommener Traum?«

Bei _Keller_ ist ganz deutlich zu sehen, wie er eine rein subjektive,
dem Tagebuch (15. Januar 1848) anvertraute Beobachtung dem ihm am
nächsten stehenden Helden, dem »Grünen Heinrich« zuschreibt: »Wenn ich
am Tage nichts arbeite, so schafft die Phantasie im Schlafe auf eigene
Faust, aber das neckische, liebe Gespenst nimmt seine Schöpfungen mit
sich hinweg und verwischt sorgfältig alle Spuren seines spukhaften
Wirkens.« (Tagebuch bei Baechtold I, 308.)

»Seit ich nämlich die Phantasie und ihr ungewöhntes Gestaltungsvermögen
nicht mehr am Tage beschäftigte, regten sich ihre Werkleute während des
Schlafes mit selbständigem Gebaren und schufen mit anscheinender
Vernunft und Folgerichtigkeit ein Traumgetümmel.« (D. Gr. H. 4, 102.)

Andere Male tritt an Stelle dieses vikariierenden Verhältnisses von
Traum und Dichtung ein förderndes oder gar eine Identität. Hieher
gehören die zahlreichen Fälle, in denen einzelne im Traum aufgetauchte
Verse und Reime oder ganze Gedichte sich als poetisch wertvoll erwiesen
haben sollen, wie in dem bekannten Beispiel von _Coleridges_ »Kubla
Khan«, dessen Sicherheit H. _Ellis_ jedoch neuerdings bezweifelt hat
(Welt d. Tr., p. 269). Andere Dichter haben wieder Geträumtes zum
dichterischen Schaffen verwertet oder in poetische Form gebracht. So
sind _Uhlands_ Gedichte »Die Harfe« und »Die Klage« nach Träumen
gedichtet, _Hebbels_ »Traum« (»ein wirklicher«) und manches andere Lied
von _Mörike_, _Keller_ u. a. Auch Erzähler wie _Stevenson_, _Ebers_,
_Lynkeus_ (Jos. Popper) haben zugegeben, daß sie einzelne Stoffe oder
Züge ihren Träumen verdanken. Ja selbst höhere künstlerische Leistungen,
als im Wachleben möglich sein sollen, werden dem Traum zugeschrieben;
das berühmteste Beispiel dieser Art, _Tartinis_ Teufelssonate, wird
allerdings auch bezweifelt (_Ellis_ l. c. p. 269), und derartige
poetische Darstellungen, wie E. T. A. _Hoffmanns_ »Musiker Kreisler«,
kommen als Beweis kaum in Betracht.

 Bedeutung des Traumstudiums für die Probleme der Ästhetik.

Es ist begreiflich, daß diese nahe, oft für Wesensgleichheit gehaltene
Verwandtschaft von Traum und Kunst dazu anregte, auf Grund mancher
Einsichten in das eine Phänomen die Rätsel des anderen zu erschließen.
Besonders den Romantikern unter den Dichtern und Philosophen mußte dies
sehr nahe liegen. Bereits 1796 hat _Tieck_ (in seiner Vorrede zu
_Shakespeares_ »Sturm«) ein förmliches Programm einer solchen Ästhetik
entworfen, aus dem folgende Stelle angeführt sei: »Shakespeare, der so
oft in seinen Stücken verrät, wie vertraut er mit den leisesten Regungen
der menschlichen Seele sei, beobachtete sich wahrscheinlich in seinen
Träumen, und wandte die hier gemachten Erfahrungen auf seine Gedichte
an. Der Psychologe und der Dichter können ganz ohne Zweifel ihre
Erfahrungen sehr erweitern, wenn sie dem Gange der Träume nachforschen.«

_Schopenhauer_, der in Anlehnung an die Weltbetrachtung der Inder einem
extremen »Traumidealismus« huldigte, hat ähnliche Anschauungen auch in
bezug auf die Kunst vertreten. An einer Stelle des Nachlasses, wo er
»über die Dichtkunst« handelt (Reclam Bd. 4, p. 391 u. ff.), heißt es:
»Daher sage ich, die Größe des _Dante_ besteht darin, daß, während
andere Dichter die Wahrheit der wirklichen Welt haben, so hat er die
_Wahrheit des Traumes_: er läßt uns unerhörte Dinge gerade so sehen, wie
wir dergleichen im Traume sehen, und sie täuschen uns eben so. Es ist,
als ob er jeden Gesang die Nacht über geträumt und am Morgen
aufgeschrieben hätte. So sehr hat alles die Wahrheit des Traumes . . . .
Überhaupt, um sich von dem Wirken des Genius im echten Dichter, von der
Unabhängigkeit dieses Wirkens von aller Reflexion einen Begriff zu
machen, betrachte man sein eigenes poetisches Wirken im Traum.«
». . . wie weit übersteigen solche Schilderungen alles, was wir mit
Absicht und aus Reflexion vermöchten: wenn Sie einmal aus einem recht
lebhaften und ausführlichen dramatischen Traume erwachen, so gehen Sie
ihn durch und bewundern Ihr eignes poetisches Genie. Daher man sagen
kann: ein großer Dichter, z. B. _Shakespeare_, ist ein Mensch, der
wachend tun kann, was wir alle im Traum.«

Ähnlich heißt es bei _Jean Paul_: »Die Phantasie kann im Traume am
schönsten ihren hängenden Garten aufspannen und überblümen, und sie
nimmt darein besonders die aus den liegenden so oft vertriebenen Weiber
auf. _Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst_(199) und zeigt, daß der
Dichter mit dem körperlichen Gehirn mehr arbeitet als ein anderer
Mensch. . . . . Der echte Dichter ist ebenso im Schreiben nur der
Zuhörer, nicht der Sprachlehrer seiner Charaktere . . . . er schaut sie
wie im Traume lebendig an und dann hört er sie.«

  (199) _Kant_ nennt in der »Anthropologie« den Traum eine
  unwillkürliche Dichtkunst.

Und _Nietzsche_ preist in seinem Jugendwerk: »Die Geburt der Tragödie
aus dem Geiste der Musik« den Traum als eine der Quellen der Kunst: »Wie
nun der Philosoph zur Wirklichkeit des Daseins, so verhält sich der
künstlerisch erregbare Mensch zur Welt des Traumes; er sieht genau und
gerne zu: denn aus diesen Bildern deutet er sich das Leben, an diesen
Vorgängen übt er sich für das Leben. Nicht nur etwa die angenehmen und
freundlichen Bilder sind es, die er mit jener Allverständigkeit an sich
erfährt: auch das Ernste, Trübe, Traurige, Finstere, die plötzlichen
Hemmungen, die Neckereien des Zufalles, die bänglichen Erwartungen, kurz
die ganze ›göttliche Komödie‹ des Lebens, mit dem Inferno zieht an ihm
vorbei, nicht nur wie ein Schattenspiel, denn er lebt und leidet mit in
diesen Szenen -- und doch auch nicht ohne jene flüchtige Empfindung des
Scheines; und vielleicht erinnert sich mancher, gleich mir, in den
Gefährlichkeiten und Schrecken des Traumes sich mitunter ermutigend und
mit Erfolg zugerufen zu haben: ›Es ist ein Traum! Ich will ihn weiter
träumen!‹(200) Wie man mir auch von Personen erzählt hat, die die
Kausalität eines und desselben Traumes über drei und mehr
aufeinanderfolgende Nächte hin fortzusetzen im stande waren: Tatsachen,
welche deutlich Zeugnis dafür abgeben, daß unser innerstes Wesen, der
gemeinsame Untergrund von uns allen, mit tiefer Lust und freudiger
Notwendigkeit den Traum an sich erfährt.«

  (200) Vgl. _Hebbels_ Verse:

      »Den bängsten Traum begleitet
      Ein heimliches Gefühl,
      Daß alles nichts bedeutet
      Und wär' es noch so schwül.«

Die Ähnlichkeiten zwischen Traum und Dichtung wurden dann besonders von
idealistischen Ästhetikern wie _Vischer_ und _Volkelt_ studiert. So sagt
_Vischer_, »daß alle die Gestalten, die die großen Dichter geschaffen,
von einem Traumhauch umwittert sind«. »Was nicht Traumcharakter hat, ist
nicht schön, nicht vollendet, nicht poetisch, nicht wahrhaft
künstlerisch.«

Neuerdings hat _Artur Bonus_ die Bedeutung des Traumes für das
Verständnis der künstlerischen Technik betont und den Traum als das
denkbar günstigste Mittel bezeichnet, um sich über das eigentliche Wesen
des künstlerischen Schaffens zu verständigen. Den am weitesten gehenden
Versuch, die Psychologie der Traumvorgänge zur Erklärung der
ästhetischen Grundphänomene zu verwerten, hat _Artur Drews_ in einer
1901 erschienenen Abhandlung: »Das ästhetische Verhalten und der Traum«
unternommen. Er geht von dem auch psychoanalytisch(201) am ehesten
zugänglichen Problem der widerspruchsvollen Doppelstellung des
Genießenden aus und führt dessen _gleichzeitige_ Einstellung zum
Kunstwerk als Wirklichkeit und als Schein auf die das Traumleben
charakterisierende reale Spaltung unseres Bewußtseins in ein Ober- und
Unterbewußtsein zurück. »Das Kunstwerk vermag nur dadurch jene
suggestive Wirkung auszuüben, daß es mit Umgehung des Oberbewußtseins
sich gleichsam direkt an das Unterbewußtsein wendet.« Das Oberbewußtsein
aber kennzeichnet diesen anschaulichen, konkreten und sinnlichen Inhalt
des Unterbewußtseins als Schein. So wird das ästhetische Verhalten »nur
möglich, weil der Glaube an den Schein und die Durchschauung des Scheins
in zwei getrennten Bewußtseinssphären existieren, die sich zur höheren
Einheit des ästhetischen Bewußtseins aufheben«. »Im Unterbewußtsein
selbst ist das Ideale vom Realen nicht verschieden.« »Diese ganze
symbolisierende Tätigkeit, die heute immer allgemeiner als der Kern des
ästhetischen Verhaltens anerkannt wird, ist nur die Tätigkeit des
Traumbewußtseins, welche darin beruht, Symbole zu schaffen, seine
eigenen subjektiven Zustände in ein objektives Gewand zu kleiden und in
Bilder, Gestalten und Vorgänge umzuwandeln.« »Bei dieser Übereinstimmung
zwischen dem Inhalt des Traumbewußtseins und dem ästhetischen Schein
können wir in der Tat nicht zweifeln, daß das ästhetische Verhalten auf
der Entfesselung des Traumbewußtseins beruht.« -- »Das Traumbewußtsein
zeigt eine Herabminderung der Intelligenz ins Kindliche, Unentwickelte,
Rudimentäre, Naive« und ähnlich läßt sich nach _Drews_ »das
ästhetische Verhalten mit seiner instinktiven Symbolisierungs- und
Personifikationstendenz geradezu als ein zeitweiliger atavistischer
Rückschlag in die Kindheitsanschauungen der Menschheit betrachten, wo
jeder Gegenstand lebendig erscheint«. Diesen letzten Gesichtspunkt hatte
bereits _Du Prel_ in seinen auf dem Traumstudium basierenden
Untersuchungen »Zur Psychologie der Lyrik« verwendet, die er als eine
Art »paläontologischer Weltanschauung« zu verstehen sucht. Erwähnenswert
ist, daß er den uns aus der Traumarbeit bekannt gewordenen
»Verdichtungsprozeß von Vorstellungsreihen« bei jeder Art künstlerischer
Produktion findet und zum Wesen der Intuition überhaupt rechnet(202). Er
fußt dabei auf der Anschauung, »daß das Denken auf einem unbewußten
Verfahren beruht und hier das Schlußresultat desselben fertig ins
Bewußtsein tritt. Dies ist besonders der Fall bei der echten
künstlerischen Produktion und überhaupt bei jeder genialen Leistung, im
kleinen aber immer dann, wenn zu Tage kommt, was man im Deutschen einen
Einfall, im Französischen un aperçu nennt«.

  (201) Vgl. dazu _Rank_ und _Sachs_: Die Bedeutung der Psychoanalyse
  für die Geisteswissenschaften, Kap. V.

  (202) Auf Grund eines Ausspruches von _Mozart_ über die Art seiner
  Produktion sieht _Du Prel_ »das Geheimnis musikalischer Konzeption in
  der Verdichtung von Gehörsvorstellungen« (Phil. d. Mystik, p. 89).
  Neuerdings hat _Hans Thoma_ versucht, auch das Schaffen des Malers aus
  einem dem Traumzustand verwandten »inneren« Schauen zu verstehen:
  ». . . Es tritt hier das ein, was man beim künstlerischen Schaffen als
  das Unbewußte bezeichnet, das der Grund ist des großen Zaubers, den
  die Unerklärlichkeit der hohen Kunstwerke ausübt. Auch der Schaffende
  hat keine Erklärung, weil etwas mit ihm geschehen, das von einem
  geheimnisvollen Wirken der Natur aus sein Schaffen geleitet hat, daß
  er doch bei aller verstandesmäßigen Findigkeit in bezug auf sein
  Material und Handwerk wie in einem Traumzustand schaffen konnte.«

 Tagtraum und Dichtung.

So beachtenswert diese Ergebnisse einer auf dem Studium des Traumes
fußenden Psychologie des Kunstwerkes auch sind, und so nahe sie durch
Berücksichtigung des Unbewußten an die psychoanalytische Auffassung
heranrücken, so bleiben sie doch immer recht allgemein und entbehren
überzeugender Detailnachweise. Erst mit Hilfe des analytischen
Verständnisses der Traumarbeit und der Erkenntnis des Unbewußten ist es
möglich geworden, mit der Parallelisierung von Traum und Dichtung, die
bisher eigentlich immer nur ein, wenn auch zutreffendes, Gleichnis
geblieben war, Ernst zu machen. Unsere vertiefte Einsicht in die
Mechanismen sowie in den Sinn und Gehalt der Traumbildungen gestattet
auch ein besseres Erfassen des nahestehenden künstlerischen
Schöpfungsprozesses. Dabei leisten die sogenannten Phantasien oder
Tagträume als ein Zwischenreich zwischen der Welt des Traumes und der
Poesie wertvolle Dienste. Diese Produkte des Wachzustandes, welche die
Sprache selbst mit unseren nächtlichen Erzeugnissen in engste Beziehung
bringt, zeigen manches deutlich, was im Traume oft nur entstellten
Ausdruck finden kann. Sie verraten uns einzelne Charaktere der
Phantasietätigkeit, die der Traum erst mühseligem Studium preisgibt und
die auf die Mitmenschen berechnete Dichtung kaum mehr erkennen läßt.
Dazu gehören vor allem die egozentrische Einstellung des
Phantasierenden, ferner der Wunscherfüllungscharakter seiner Schöpfungen
und ihre erotische Färbung. Diese Tagträume, die manche Dichter selbst
als Vorstufen ihres poetischen Schaffens erkannt haben, entsprechen
unentstellten Träumen wie die Dichtungen etwa nach verschiedener
Richtung idealisierten entsprächen. Sie erleichtern uns den Rückschluß
von der Psychologie des Träumers auf die Psychologie des Künstlers und
lassen deutlich erkennen, daß die unbewußten Triebkräfte wie der
psychische Inhalt in beiden Fällen derselbe ist und nur die als
»sekundäre Bearbeitung« gekennzeichnete Formgebung sich in wesentlichen
Punkten unterscheidet. Im Grunde aber schafft auch der Dichter sich in
seinem Werke eine mannigfach entstellte und symbolisch eingekleidete
Erfüllung seiner geheimsten Wünsche, auch er ermöglicht den in der
Kinderzeit verdrängten, aber im Unbewußten mächtig fortwirkenden
Triebregungen zeitweise Befriedigung und Abfuhr (Katharsis).

 Typische Traummotive in der Dichtung.

Dies läßt sich aber aus den Träumen, als einem ähnlichen Vorgang, nicht
bloß erschließen, sondern gewisse Traumbilder gestatten, diese allgemein
menschlichen Triebregungen aufzuzeigen und ihre Wandlungen bis zum
Kunstwerk im einzelnen zu verfolgen. Es sind dies die sogenannten
»typischen Träume«, die uns bereits über einzelne psychische
Traumquellen entscheidende Aufschlüsse gegeben haben.

So hat der (p. 182 ff.) ausführlich erörterte Nacktheitstraum Anlaß
gegeben, sich mit ähnlichen Gestaltungen der dichterischen Phantasie zu
beschäftigen und in ihnen die gleichen von der psychischen Zensur
gehemmten Triebregungen wirksam zu zeigen(203). Die im Text bereits
erörterte Erzählung _Andersens_ wie die Nausikaa-Episode aus der
_Odyssee_ konnten als gesetzmäßige Typen einer großen Gruppe von
Phantasieschöpfungen eingeordnet werden, die sich als verschieden
weitgehende und mannigfach eingekleidete Verdrängungsprodukte der
infantilen Zeigelust erwiesen, welche in den Exhibitionsträumen so
charakteristischen Ausdruck findet. Als solche typische Gestaltungen
verdrängter exhibitionistischer Regungen ergaben sich die auch mythisch
nachweisbaren dichterischen Motive der Kleiderpracht (Monna Vanna), der
Fesselung (Odyssee), der körperlichen Entstellung (Armer Heinrich), der
Unsichtbarkeit (Lady Godiva), die in entsprechenden Traumsituationen
(Kleidungsdefekt, Hemmung usw.) ihr Vorbild und in gewissen neurotischen
Symptomen (Urticaria) oder Phantasien sowie einzelnen Perversionen
(Kleiderfetischismus usw.) gut verstandene Gegenstücke finden. Alle
diese Gestaltungen des Nacktheitsmotivs beziehen ihre Triebkraft
vorwiegend aus der namentlich den Eltern geltenden Sexualneugierde des
Kindes, wobei die Regungen, welche eine Befriedigung der verbotenen
Gelüste anstreben, in gleicher Weise Ausdruck finden wie die hemmenden,
verdrängenden Strebungen des kulturell eingestellten Ich. Während aber
die Sage die entsprechende Traumsituation veräußerlicht, gleichsam
materialisiert, scheint die Dichtung eine Verinnerlichung, eine
Verfeinerung derselben anzustreben.

  (203) Vgl _Rank_: Die Nacktheit in Sage und Dichtung. »Imago« II,
  1913.

Die Heranziehung der typischen Träume zum Verständnis anderer
weitverbreiteter Dichtungsstoffe steht zum guten Teil noch aus, weil
einerseits das Traumleben in dieser Hinsicht analytisch noch nicht
genügend erforscht ist, anderseits das vielfach überarbeitete Material
der Dichtung nicht immer -- wenn auch manchmal -- Rückschlüsse
gestattet. Jedenfalls scheint es auffällig und der Hervorhebung wert,
daß die wenigen bis jetzt unternommenen und zu erwartenden Versuche die
erotischen Quellen der poetischen Schöpfung ins hellste Licht rücken.

Dies ist insbesondere bei der bedeutsamsten dieser Gruppen der Fall, die
wir als Repräsentanten des sogenannten Ödipus-Komplexes kennen gelernt
haben. _Sophokles_' Tragödie vom König Ödipus, deren psychologisches
Verständnis uns die Traumdeutung ermöglicht hat, stellt nur einen
besonders deutlichen Ausdruck jener Neigungen dar, die sich beim Kinde
im Verhältnis zu den Eltern regen, sobald es im Vater den störenden
Konkurrenten um die Liebe und Zärtlichkeit der Mutter erblickt. Eine auf
das Prinzip der Sekularverdrängung im Seelenleben der Menschheit
gestützte Untersuchung der dichterischen Phantasiebildung vermag zu
zeigen, daß mehr oder minder verhüllte, entstellte oder abgeschwächte
Darstellungen desselben Urkonfliktes sich durch die Weltliteratur ziehen
und die Dichter immer wieder aufs neue zur Bearbeitung locken. O. _Rank_
hat an einem großen Material die Bedeutung der Inzestphantasie für das
dichterische Schaffen, aber auch für das Seelenleben des Künstlers und
das psychologische Verständnis seiner Werke aufgezeigt und dabei die
Ubiquität des Inzestmotivs bei den bedeutendsten Dichtern der
Weltliteratur festgestellt. Im einzelnen ist noch mancherlei zu
verfolgen und aufzuklären, insbesondere die Zusammenhänge mit dem
persönlichen Lebensschicksal des Dichters, wie auch die Probleme der
künstlerischen Formgebung und technischen Gestaltung in jedem
Einzelfalle einer speziellen Erörterung bedürfen. Dem Thema des
»_Hamlet_« hat _Ernest Jones_ eine ausführliche Untersuchung gewidmet.
Auf eine reiche Kenntnis der einschlägigen Literatur gestützt, versuchte
er dem Problem von den verschiedensten Seiten näherzukommen, um
schließlich seine Lösung, übereinstimmend mit der bei den typischen
Träumen gegebenen Deutung (p. 193 f.), in der Inzestphantasie zu
finden(204). _Jones_ hat seine Untersuchung aber nicht auf die
Hauptpersonen des Dramas beschränkt, sondern gezeigt, wie auch die
anderen Gestalten im Zusammenhang dieser Auffassung ihren guten
psychologischen Sinn erhalten, wie sie sich als dramatische Abspaltungen
und Verdoppelungen der seelischen Einheit erweisen, die wir im Ich des
Dichters zu suchen haben. Der bereitliegende Einwand, daß es sich hier,
ähnlich wie beim Ödipus, nur um die dramatische Gestaltung eines
altüberlieferten mythischen Stoffes handelt, dessen Inhalt dem Dichter
gegeben sei, bietet der Psychoanalyse willkommenen Anlaß, darauf
hinzuweisen, daß auch die Schöpfungen der Volksphantasie den gleichen
Gesetzen unterliegen wie die individuellen Leistungen eines einzelnen
und daß ja der Dichter je nach der Vorherrschaft seiner Komplexe nicht
nur die Wahl unter den vorliegenden Stoffen hat, sondern auch noch die
Nötigung empfindet, das Thema in seinem Sinne um- und auszugestalten.
Wie die Ödipus-_Sage_ selbst, auf der so viele dichterische
Bearbeitungen fußen, als universeller Ausdruck jener primitiven
Urregungen aus der Kindheit des Menschengeschlechtes anzusehen ist, so
läßt sich auch der Hamlet-Stoff in seinen mythologischen Überlieferungen
als eine etwas entstellte Reaktion auf die gleichen seelischen Kämpfe
verstehen, die den Dichter dann dazu drängen, sich dieses
bereitstehenden Gefäßes zur Ablagerung seiner analogen psychischen
Konflikte zu bedienen.

  (204) Das kürzlich erschienene Buch von _Erich Wulffen_: »Shakespeares
  Hamlet ein Sexualproblem« (Berlin 1913) kommt als mißverständliche
  Verflachung der psychoanalytischen Auffassung hier nicht in Betracht.


2. Traum und Mythus.

    »Der Traum bringt uns in ferne Zustände der menschlichen Kultur
    wieder zurück und gibt ein Mittel an die Hand, sie besser zu
    verstehen.«

    _Nietzsche_.

Die Bedeutung des Traumes für die Mythen- und Märchenbildung ist von den
Forschern seit langem erkannt und anerkannt. Namhafte Mythologen wie
_Laistner_, _Mannhardt_, _Roscher_ und neuestens wieder _Wundt_ haben
die Bedeutung des Traumlebens, namentlich des Angsttraumes, für das
Verständnis einzelner Mythen- oder wenigstens Motivgruppen eingehend
gewürdigt. Insbesondere der Alptraum, mit seinen zahlreichen Beziehungen
zu mythologischen Motiven, bot hiezu am ehesten Anlaß und einzelne
Elemente desselben, wie die Bewegungshemmung, der Namensanruf (Schrei),
die Fragepein u. a. scheinen tatsächlich ihren Niederschlag in den
entsprechenden mythischen Erzählungen gefunden zu haben. Anderseits hat
die Einseitigkeit dieser Betrachtungsweise und ihre Beschränkung auf ein
einzelnes Traumphänomen spätere Autoren angeregt, dem Einfluß des
Traumlebens auf die Volksschöpfungen weiter nachzuspüren. Friedrich von
der _Leyen_, der bald nach Erscheinen der »Traumdeutung« die Wichtigkeit
der psychoanalytischen Ergebnisse für die Märchenforschung betonte, hat
in seiner späteren ausführlichen Publikation wohl auch andere Typen von
Träumen herangezogen, sich aber leider auf die Hervorhebung der im
manifesten Inhalt zu Tage liegenden Analogien beschränkt.

So interessant diese Parallelisierungen auch sind, vermögen sie doch
nicht der Bedeutung des Traumlebens für die Mythenbildung gerecht zu
werden. Die Annahme einer Verwendung einzelner auffälliger
Traumerlebnisse im Zusammenhang märchenhafter Erzählungen kann unmöglich
das Problem erschöpfen. Auch hier hat die psychoanalytische Forschung
allmählich über die Deskription hinaus zu den gemeinsamen unbewußten
Triebkräften der Traum- und Mythenproduktion geführt.

An einer Reihe von Beispielen hat _Riklin_ gezeigt, daß »Wunscherfüllung
und Symbolik im Märchen« sich den analytisch erkannten Traumgesetzen
fügen; _Jones_ vermochte die mythologische Alptraumtheorie dadurch zu
stützen, aber auch zu vertiefen und zu bereichern, daß er den _latenten_
Inhalt dieser sonderbaren nächtlichen Erlebnisse zur Aufklärung gewisser
Formen des mittelalterlichen Aberglaubens verwertete (Hexen- und
Teufelsglauben, Wehrwolf, Vampyr usw.); _Abraham_ unternahm eine
gelungene Deutung der Prometheus-Sage, indem er nachwies, daß die Regeln
der analytischen Traumlehre auf die Gebilde der Völkerphantasie
erfolgreich anwendbar seien; und _Rank_ konnte den Wert der
psychoanalytischen Mythendeutung an der vielumstrittenen Symbolik
erproben, die sich gerade hier einwandfrei bewährte. Es zeigte sich, daß
im »Mythus von der Geburt des Helden« die Aussetzung des Neugeborenen im
Kästchen und Wasser ein symbolischer und tendenziös entstellter Ausdruck
des Geburtsvorganges war wie in den bereits besprochenen Geburtsträumen.
So lag es nahe, viele scheinbar individuelle Traumsymbole
völkerpsychologisch zu fundieren, wie anderseits die aus dem Traume
bekannten Bedeutungen zur Aufklärung mythischer Überlieferungen zu
verwenden. Zugleich wurde aber auf diesem Wege ein vertieftes
Verständnis mancher kulturgeschichtlicher Tatsachen angebahnt, denn
häufig erwies sich das Symbol als Niederschlag einer ursprünglich real
genommenen Identität.

 Mythische Bedeutung und kulturgeschichtl. Grundlage der Symbolik.

Diese mannigfachen Beziehungen der Symbolik zu Traum, Mythus und
Kulturgeschichte seien an einem Beispiel, das für mehrere stehe,
erläutert. Wenn wir heute das _Feuer_ in einem Traume als Symbol der
Liebe verwendet finden, so lehrt das Studium der Kulturgeschichte, daß
diesem fast zur Allegorie herabgesunkenen Bilde ursprünglich eine reale,
für die Entwicklung der Menschheit ungeheure Bedeutung zukam. Das
Feuererzeugen hat tatsächlich einmal den Sexualakt selbst vertreten,
d. h. es war mit den gleichen libidinösen Energien und den zugehörigen
Vorstellungen besetzt wie dieser. Ein geradezu klassisches Beispiel
dafür bietet die Feuererzeugung in Indien, die dort unter dem Bilde der
Begattung vorgestellt wird. Im Rigveda (III 29, 1) heißt es:

»Dies ist das Quirlholz; das Zeugende (das männliche Reibholz) ist
zubereitet! Bring die Stammesherrin (das weibliche Reibholz) herbei; den
Agni wollen wir quirln nach alter Art. In den beiden Reibhölzern ruht
der Wesenkenner (Agni) gleich der Leibesfrucht, die schön hineingesetzt
ist in die schwangeren Frauen . . . In sie, die die Beine ausgespreizt
hat, fährt als ein Kundiger ein (das männliche Holz).«(205) Wenn der
Inder Feuer entzündet, dann spricht er ein heiliges Gebet, welches auf
eine Mythe Bezug nimmt. Er ergreift ein Stück Holz mit den Worten: »Du
bist des Feuers Geburtsort«, legt darauf zwei Grashalme. »Ihr seid die
beiden Hoden«, darauf ergreift er das unten liegende Holz: »Du bist
Urvaci«. Darauf salbt er das Holz mit Butter und sagt dabei: »Du bist
Kraft«, stellt es dann auf das liegende Holz und sagt dazu: »Du bist
Pururavas« usw. Er faßt also das liegende Holz mit seiner kleinen
Höhlung als die Repräsentation der empfangenden Göttin und das stehende
Holz als das Geschlechtsglied des begattenden Gottes auf. Über die
Verbreitung dieser Vorstellung sagt der bekannte Ethnologe _Leo
Frobenius_(206): »Das Feuerquirlen, wie es bei den meisten Völkern zu
finden ist, repräsentiert also bei den alten Indern den Geschlechtsakt.
Es sei mir erlaubt, gleich darauf hinzuweisen, daß die alten Inder mit
dieser Auffassung nicht allein dastehen. Die Südafrikaner haben nämlich
dieselbe Anschauung. Das liegende Holz heißt bei ihnen ›weibliche
Scham‹, das stehende ›das Männliche‹. _Schinz_ hat dies seinerzeit für
einige Stämme erklärt und seitdem ist die weite Verbreitung dieser
Anschauung in Südafrika und zwar besonders bei den im Osten wohnenden
Stämmen aufgefunden worden.«

  (205) Nach L. v. _Schröders_ Übers. in »Mysterium und Mimus im
  Rigveda«, p. 260.

  (206) »Das Zeitalter des Sonnengottes«. Berlin 1904, p. 338 f.

Noch deutliche Hinweise auf die sexualsymbolische Bedeutung des
Feuerzündens finden wir im Feuerraubmythus des Prometheus, dessen
sexualsymbolische Grundlage der Mythologe _Kuhn_ (1859) erkannt hat. Wie
die Prometheus-Sage bringen auch andere Überlieferungen die Zeugung mit
dem himmlischen Feuer, dem _Blitz_, in Zusammenhang. So äußert O.
_Gruppe_(207) über die Sage von Semele, aus deren brennendem Leib
Dionysos geboren wird, sie sei »wahrscheinlich einer der in Griechenland
sehr spärlichen Reste des alten Legendentypus, der sich auf die
Entflammung des Opferfeuers bezog«, und ihr Name habe »vielleicht
ursprünglich die ›Tafel‹ oder den ›Tisch‹, das untere Reibholz (vgl.
_Hesych._ σεμέλη τράπεζα) bezeichnet . . . . In dem weichen Holz des
letzteren entzündet sich der Funke, bei dessen Geburt die ›Mutter‹
verbrennt«. -- Noch in der mythisch ausgeschmückten Geburtsgeschichte
des Großen Alexander heißt es, daß seine Mutter Olympias in der Nacht
vor der Hochzeit _träumte_, es umtose sie ein mächtiges Gewitter und
_der Blitz fahre flammend in ihren Schoß_, daraus dann ein wildes Feuer
hervorbreche und in weit und weiter zehrenden Flammen verschwinde(208).
(_Droysen_: Gesch. Alex. d. Gr., p. 69.) Hieher gehört ferner die
berühmte Fabel vom Zauberer Virgil, der sich an einer spröden Schönen
dadurch rächt, daß er alle Feuer der Stadt verlöschen und die Bürger ihr
neues Feuer nur am Genitale der nackt zur Schau gestellten Frau
entzünden läßt; diesem _Gebot_ der Feuerzündung stehen andere
Überlieferungen im Sinne der Prometheus-Sage als _Verbot_ derselben
gegenüber, wie das Märchen von Amor und Psyche, das der neugierigen
Gattin verbietet, den nächtlichen Liebhaber durch Lichtanzünden zu
verscheuchen, oder die Erzählung von Periander, den seine Mutter unter
der gleichen Bedingung allnächtlich als unerkannte Geliebte besuchte.

  (207) Griech. Mythol. u. Relig. Gesch. Bd. II (München 1906),
  S. 1415 ff.

  (208) Ähnlich träumt die mit Paris schwangere Hekuba, sie bringe ein
  brennendes Scheit zur Welt, das die ganze Stadt in Brand setze. (Vgl.
  dazu die Legende vom Brand des Tempels von Ephesus in der Geburtsnacht
  Alexanders.)

Entsprechend dem unteren Reibholz gilt dann jede Feuerstätte, Altar,
Herd, Ofen, Lampe usw., als weibliches Symbol. So diente beispielsweise
bei der Satansmesse als Altar das Genitale eines entblößt daliegenden
Weibes. Dem griechischen Periander wird nach _Herodot_ (V, 92) von
seiner verstorbenen Gattin Melissa eine Weissagung zu teil mit der
Bekräftigung, er habe »das Brot in einen kalten Ofen geschoben«, was ihm
ein sicheres Wahrzeichen war, »da er den Leichnam der Melissa
beschlafen«.

Hieher gehören neben den zahlreichen auf das Feuer bezüglichen
Hochzeitsbräuchen auch die im Folk-lore weitverbreiteten
Schwankerzählungen vom Lebenslicht, welche die gleiche Symbolik in Form
einer Traumeinkleidung offen verwerten. Einem Manne träumt, daß ihm der
heilige Petrus im Himmel sein und seines Weibes Lebenslicht zeige. Da in
dem seinen nur noch wenig Öl vorhanden ist, versucht er mit dem Finger
aus seines Weibes Hängelampe Öl in seine einzutröpfeln. So tat er es
mehrmals und sobald der heilige Petrus nahte, _fuhr er zusammen_,
_erschrak_ und erwachte davon; da merkte er, daß er den Finger in den
Geschlechtsteil seines Weibes gesteckt und leckend in seinen Mund den
Finger abgeträufelt habe. (Anthropophyteia, Bd. VII, p. 255 f.) Gleiche
Kenntnis und Verwertung dieser Sexualsymbolik verrät die Anekdote, nach
der der Pfarrer einem Mädchen ihr Genitale als »das Licht des Lebens«
bezeichnet. »Ach, jetzt versteh' ich,« sagt sie, »warum mein Schatz heut
morgen sein' Docht neingesteckt hat.« (Anthrop. VII, p. 310 und eine
Variante ebenda, p. 323.) Umgekehrt sagt in den »Contes drolatiques«
_Balzac's_ die Geliebte des Königs, um den zudringlichen Pfaffen
zurückzuweisen: »Das Ding, das der König liebt, bedarf noch nicht der
letzten Ölung.«

Aber die sexuelle Bedeutung greift allmählich auf alles über, was mit
dem ursprünglichen Symbol in Beziehung tritt. Die Esse, durch die auch
der Storch das Kind fallen läßt, wird zum weiblichen, der
Schornsteinfeger zum phallischen Symbol(209), wie man noch an seiner
jetzigen Glücksbedeutung erkennt; denn die meisten unserer Glückssymbole
waren ursprünglich Fruchtbarkeitssymbole, wie das Hufeisen (Roßtrappe),
das Kleeblatt, die Alraune u. a. m. Selbst unsere heutige Sprache hat
noch vieles von der Feuersymbolik bewahrt: wir sprechen vom
»Lebenslicht«, vom »Erglühen« in Liebe, vom »Feuerfangen« im Sinne von
Verlieben und bezeichnen die Geliebte als »Flamme«.

  (209) Der Bergenser _Schornsteinfeger_ singt:

      Morgen, ganz zuerst ich kehre
      Der Priorin die Röhre. (Anthrop. VI.)

 Der Elternkomplex in Mythen und Märchen.

In ähnlicher Weise lassen sich auch andere Symbole durch verschiedene
Schichten ihrer Verwendung und ihres Verständnisses hindurchverfolgen(210):

Ein für das Verständnis der Träume wie der Mythen und Märchen besonders
bedeutsames Symbol ist die Darstellung der Eltern als kaiserliche oder
sonst hochstehende Personen. Die den ehrgeizigen Phantasien des
Individuums dienenden Tagträume von einem »Familienroman« haben das
Verständnis der gleichlautenden Massenphantasien ganzer Völker
ermöglicht und uns gelehrt, in den dem Helden feindlich
gegenübergestellten Machtpersonen Personifikationen des Vaters, in den
ihm von diesen vorenthaltenen Frauen Imagines der Mutter zu erkennen.
Der König und die Königin, von denen fast jedes Märchen zu erzählen
weiß, verleugnen ihren elterlichen Charakter selten und auch der
Heldenmythus bedient sich des gleichen Darstellungsmittels, um die den
Eltern geltenden ambivalenten Regungen vorwurfslos ausleben zu können.

  (210) Vgl. _Rank_ und _Sachs_: Die Bedeutung der Psychoanalyse für die
  Geisteswissenschaften, S. 15 f. über die Symbolik des Ackerns. Dazu
  das schöne Buch von _Dieterich_ »Mutter Erde« (2. Aufl. 1913).

Als Beispiel sei hier ein ungeheuer verbreitetes Märchen angeführt, in
dem ein die ganze Geschichte begründender Traum vielleicht auf die
Beziehung dieser Erzählung zu einem typischen Traumstoff hinweist. Das
Märchen, dessen Parallelen _Th. Benfey_ (Kl. Schr. III) über die ganze
Erde verfolgt hat, beginnt damit, daß _der Sohn träumt, er werde
vornehmer werden als sein Vater, nämlich Kaiser_. Er wird nun hochmütig
und widersetzlich, so daß der Vater, dem er den Grund (nämlich seinen
Traum) nicht verraten will, ihn prügelt und aus dem Hause jagt. Er kommt
nun an den Hof des Kaisers, dem er gleichfalls sein Geheimnis (den
Traum) nicht verraten will, wofür er eingesperrt und zum Hungertode
verurteilt wird. Es gelingt ihm aber, ein Loch in die Mauer seines
Kerkers zu machen und so allnächtlich mit der Königstochter in
Verbindung zu treten, die sich in ihn verliebt und ihn speist. Durch
Erraten schwieriger Rätsel oder durch Lösen schwerer Aufgaben
(Speerwerfen usw.) vermag er schließlich die Hand der Königstochter
wirklich zu gewinnen, ihren Vater zu beseitigen (töten) und sein Erbe
anzutreten. Dieser kurze Auszug, der nur die häufigste Variante der
weitverzweigten Fabel wiedergibt, zeigt doch zur Genüge, daß es sich um
den bekannten Familienroman des Ehrgeizigen handelt, der seinen Vater
(in der Phantasie) zum Kaiser erhöht und ihn dann beseitigt, um seine
Stelle einzunehmen. Mit dieser Stelle ist, wie die psychoanalytische
Untersuchung der individuellen und mythischen Phantasiebildung ergeben
hat, im tiefsten Grunde der Besitz der Mutter gemeint(211), die hier
durch eine Schwesterfigur (die Tochter des Königs) ersetzt ist. Ihre
mütterliche Bedeutung ist aber noch voll erhalten in ihrer Rolle als
Ernährerin, die aus dem zum Familienroman gehörigen Aussetzungsmythus
stammt. Das vornehme Milieu ist nichts als eine den Größenideen dienende
Entstellung der eigenen Familie und die Spaltung der Personen, die in
manchen Fassungen noch weiter geht, dient der vorwurfsfreien
Befriedigung aller den Eltern geltenden Leidenschaften.

  (211) In einer ausführlichen Analyse dieser Märchengruppe ließe sich
  leicht zeigen, daß die Proben körperlicher Kraft, die der Held ablegt
  (Speerwerfen, ungeheure Mengen essen und trinken, schneller als der
  Vogel laufen) die eigene Potenz gegenüber der väterlichen
  herausstreichen sollen.

Daß tatsächlich der in der Sprache des Unbewußten (Kaiser) dargestellte
Konflikt mit dem Vater um den Besitz der Mutter dieser Märchengruppe zu
Grunde liegt, zeigt eine von _Benfey_ (p. 188) angeführte griechische
Version, welche die Geschichte dem Äsop zuschreibt. Dieser hatte seinen
Adoptivsohn Ainos mit dem Tode bedroht, da er eine von des Königs (=
Vaters) Kebsweibern verführt hatte. Um sich zu retten und beim König in
Gunst zu setzen, fälscht Ainos einen angeblich von Äsop verfaßten
hochverräterischen Brief, auf Grund dessen Äsop in den Kerker geworfen
und von Lykurg zum Tode verurteilt wird. Sein Freund, der Henker, rettet
ihn aber und ernährt ihn heimlich in einem der Gräber. Als aber der
König später Äsops Fähigkeit, schwere Aufgaben durch List zu lösen,
gegen den Ägypterkönig ins Treffen führen will, bereut er die rasche
Verurteilung. Äsop wird zur Stelle geschafft, hilft seinem Herrn gegen
den Ägypterkönig und wird wieder in seine frühere Stellung eingesetzt,
die inzwischen sein Sohn eingenommen hatte. Dieser erhängt sich. Hier
ist der Konflikt zwischen Vater und Sohn, den das Märchen auf Grund des
Familienromans in das königliche Milieu verlegt, wieder auf den
bürgerlichen Boden der eigenen Familie zurückversetzt und direkt
ausgesprochen, daß der Sohn eine von des Königs Kebsweibern (nicht seine
Tochter) erobert.

Den gleichen Vaterkonflikt innerhalb des königlichen Milieus zeigt noch
das stofflich nahestehende Drama _Calderons_: »Das Leben ein Traum«. Da
träumt die Mutter vor der Geburt des Sohnes, dieser werde einst seinen
Fuß auf den Nacken des Vaters setzen. Als sie bei der Geburt stirbt,
wird der Sohn in einen einsamen Turm (Gefängnis) gebracht, wo er niemand
sieht als Clotald, der ihm Speise und Trank bringt (Ernährung). Später
bereut der König doch diese strenge Maßregel und will einen Versuch
machen, der entscheiden soll, ob sich sein Sohn zum Thronerben eigne. Er
bekommt einen Schlaftrunk und wird so ins Schloß gebracht, wo ihm -- als
er erwacht ist -- als Erben von Polens Krone gehuldigt wird. Aber er
macht sich durch sein rohes, wütendes Benehmen unmöglich und wird --
wieder im Schlaf -- in seinen Turm zurückgebracht. Dort erwacht er aus
einem Traum, indem er murmelt: Clotald soll sterben und mein Vater vor
mir knien. Clotald stellt ihm sein ganzes Erlebnis als einen Traum dar,
worauf er in sich geht, seine wilden Sitten ablegt und vom Volk zum
König ausgerufen wird. Sein Vater kniet schließlich wirklich vor ihm,
aber der Sohn zeigt sich milde und nachsichtig gegen ihn. So zeigen die
Träume, welche diese Erzählungen einleiten, scheinbar eine ferne
unerwartete Zukunft prophetisch an, während sie in Wirklichkeit nur
symbolische Ausdrücke (Kaiser) jener Regungen des Ödipus-Komplexes sind,
die auch im realen Leben zu Erfolg, Macht, Ansehen und Besitzergreifung
eines hochstehenden Sexualobjektes führen können. Der Traum aber lehrt
uns, daß alle diese Regungen und Phantasien eigentlich den Eltern gelten
(Vater).

 Kulturhistorische Entwicklung des Elternverhältnisses.

Auch hier zeigt die Kulturhistorie die ursprünglich reale Bedeutung der
später nur noch im Symbol fortlebenden Beziehung darin, daß der Vater in
primitiven Verhältnissen seiner »Familie« gegenüber wirklich mit den
höchsten Machtvollkommenheiten ausgestattet war und über Leib und Leben
der »Untertanen« verfügen konnte. Über den Ursprung des Königtums aus
dem Patriarchat in der Familie äußert der Sprachforscher _Max Müller_:
»Als die Familie im Staate aufzugehen begann, da wurde der König
inmitten seines Volkes das, was der Gemahl und Vater im Hause gewesen
war: der Herr, der starke Schützer(212). Unter den mannigfachen
Bezeichnungen für König und Königin im Sanskrit ist eine einfach: Vater
und Mutter. Ganaka im Sanskrit bedeutet Vater von _GAN_ zeugen; es kommt
auch als Name eines wohlbekannten Königs im Veda vor. Dies ist das
altdeutsche chuning, englisch king. Mutter im Sanskrit ist gani oder
ganî, das griechische γυνή, gotisch quinô, slawisch zena, englisch
queen. Königin also bedeutet ursprünglich Mutter oder Herrin und wir
sehen wiederum, wie die Sprache des Familienlebens allmählich zur
politischen Sprache des ältesten arischen Staates erwuchs, wie die
Brüderschaft der Familie die φρατρία des Staates wurde.« -- Auch heute
noch ist diese Auffassung des königlichen Herrschers und der göttlichen
und geistlichen Oberhoheit als Vater im Sprachgebrauch lebendig.
Kleinere Staaten, in denen die Beziehungen des Fürsten zu seinen
Untertanen noch engere sind, nennen ihren Herrscher »Landesvater«;
selbst für die Völker des mächtigen Russenreiches ist ihr Kaiser das
»Väterchen«, wie seinerzeit für das gewaltige Hunnenvolk ihr Attila
(Diminutiv von got. atta = Vater). Das herrschende Oberhaupt der
katholischen Kirche wird als Vertreter Gott-Vaters auf Erden von den
Gläubigen »heiliger Vater« genannt und führt im Lateinischen den Namen
»Papa« (Papst), mit dem auch unsere Kinder noch den Vater bezeichnen.

  (212) Vater ist von einer Wurzel _PA_ abgeleitet, welche nicht zeugen,
  sondern beschützen, unterhalten, ernähren bedeutet. Der Vater als
  Erzeuger hieß im Sanskrit ganitar (genitor). _Max Müller_: Essays,
  II. Bd., Leipzig 1869, deutsche Ausg., S. 20.

 Brüdermärchen und Weltelternmythe.

Aber auch eine weitere kulturgeschichtliche Entwicklungsphase des
Vaterverhältnisses hat in einer ungeheuer verbreiteten und weitläufigen
Märchengruppe Niederschlag gefunden. Wie sich im individuellen
Seelenleben die dem Vater geltenden, stark verpönten Eifersuchtsregungen
bald gegen den Bruder als Konkurrenten um die Liebe der Mutter wenden,
so zeigen die sogenannten _Brüdermärchen_, als deren bekanntesten Typus
wir das _Grimm_sche Märchen (Nr. 60) nennen(213), die Ersetzung des
Vaters durch den Bruder mit aller Deutlichkeit. Die vergleichende
Märchenforschung in Verbindung mit der psychoanalytischen
Betrachtungsweise ermöglicht es, von den stark entstellten Fassungen, in
denen der Bruder als Rächer des Bruders auftritt, eine geschlossene
Kette von Verbindungsgliedern zu weniger entstellten Versionen
aufzudecken, in denen der Bruder den Bruder beseitigt, um dessen Weib zu
erringen. Dabei ergibt sich, daß der ältere Bruder am jüngeren
Vaterstelle vertritt und die sexuelle Natur der Rivalität kann über
jeden Zweifel sichergestellt werden durch eine Gruppe von
Überlieferungen(214), welche die Kastration des Konkurrenten (andere
Male nur symbolisch angedeutet) unverhüllt schildern.

  (213) Die Brüdermärchen sind so weit verbreitet und für die
  Mythenforschung so bedeutsam, daß _Georg Hüsing_ sie für den Urtypus
  aller Mythenbildung erklärt hat. -- _Hartland_ hat in einem
  dreibändigen Werk (The legend of Perseus) die Parallelen des
  Brüdermärchens zusammengestellt.

  (214) Die ägyptischen Sagen von Osiris und Bata. Vgl. Näheres bei
  _Rank_ und _Sachs_ l. c. Cap. II.

Die detaillierte Analyse dieser und ähnlicher Überlieferungen läßt
erkennen, daß nicht alle Mythen ihre eigentliche Bedeutung so unverhüllt
verraten wie die naive Ödipus-Fabel, sondern die ihnen zu Grunde
liegenden anstößigen Wunschregungen erscheinen in ähnlichen
Entstellungen und symbolischen Verkleidungen wie die Mehrzahl unserer
Träume. Wir finden in der Mythenbildung die uns aus dem Traumstudium
bekannten Mechanismen der Verdichtung, der Affektverschiebung, der
Personifizierung psychischer Regungen und ihrer Spaltung oder
Vervielfachung, endlich auch die Schichtenbildung wieder und können, was
noch wichtiger ist, die Tendenzen aufzeigen, durch welche diese
Mechanismen in Funktion gesetzt werden. Macht man auf Grund dieser
Kenntnis alle Entstellungen rückgängig, so stößt man am Ende auf jene
_psychische Realität_ unbewußter Phantasien, die in den Träumen der
heutigen Kulturmenschen so fortleben wie sie einst in objektiver
Realität geherrscht haben.

Die auf dem Verständnis des Traumlebens fußende psychoanalytische
Mythenforschung geht also über den bloßen Berührungspunkt einer
gemeinsamen Symbolik weit hinaus. Sie setzt an Stelle der flächenhaften
Vergleichung von Traum und Mythus eine genetische Betrachtungsweise,
welche gestattet, die Mythen als die entstellten Überreste von
Wunschphantasien ganzer Nationen, sozusagen als die Säkularträume der
jungen Menschheit aufzufassen. Wie der Traum in individueller Hinsicht,
so repräsentiert der Mythus im phylogenetischen Sinne ein Stück des
untergegangenen Kinderseelenlebens und es ist eine der glänzendsten
Bestätigungen der psychoanalytischen Betrachtungsweise, daß sie die aus
der Individualpsychologie geschöpfte Erfahrung des unbewußten
Seelenlebens in den mythischen Überlieferungen der Vorzeit
vollinhaltlich wiederfindet. Insbesondere der tragende Konflikt des
kindlichen Seelenlebens, das ambivalente Verhältnis zu den Eltern und
zur Familie mit all seinen vielseitigen Beziehungen (sexuelle
Wißbegierde usw.), hat sich als Hauptmotiv der Mythenbildung und als
wesentlicher Inhalt der mythischen Überlieferungen erwiesen. Ja, einer
der Hauptvertreter der astralen Mythendeutung, _Eduard Stucken_, geht so
weit anzunehmen, alle Mythen wären im letzten Grunde Schöpfungsmythen.
Diese Auffassung würde sich psychoanalytisch reduzieren auf die
infantile, die Geburtsvorgänge betreffende Sexualneugierde und ihre aufs
Universum projezierten Versuche, zur Erkenntnis zu gelangen.
Insbesondere die sogenannten Weltelternmythen, welche die gewaltsame
Trennung der Ureltern durch den Sohn zum Inhalt haben, scheinen
sämtliche Urmotive des infantilen Ödipus-Komplexes im weiteren Sinne
widerzuspiegeln(215).

  (215) Vgl. _Rank_: Das Inzestmotiv, 1912, IX, 1 und _Lorenz_ in
  »Imago« II, 1913, p. 22 ff.

Wie weit das Traumleben die Mythenbildung beeinflußt haben mag und in
welcher Weise die alten Mythenerzähler ihr Verständnis des Traumes zu
verwerten wußten, zeigt die Tatsache, daß zahlreiche in Mythen, Märchen
und alter Überlieferung vorkommenden Träume oft detailliert in einer
Weise ausgelegt werden, die eine verblüffende Kenntnis der Symbolik und
der wesentlichen Traumgesetze vorauszusetzen scheint.

Vom Standpunkt der Psychoanalyse kann es gewiß nicht als Zufall
betrachtet werden, daß die meisten dieser Träume von der Sexualsymbolik
ausgiebig Gebrauch machen. So wird in der Kyros-Sage der Mutter des
Helden während ihrer Schwangerschaft ein Traum zugeschrieben, worin
soviel Wasser von ihr geht, daß es, einem großen Strome gleich, ganz
Asien überschwemmt. Wenn im weiteren Verlauf der Erzählung die
Traumdeuter dieses Gesicht auf die bevorstehende Geburt eines Kindes
(und seine künftige Größe) beziehen, so scheinen sie damit die Einsicht
in die psychoanalytisch festgestellte Symbolschichtung zu verraten, nach
der solche ihrem manifesten Inhalt nach vesikale Träume bei Frauen oft
die symbolisch nahestehende Geburtsbedeutung haben können. Übrigens
fügen sich auch die Sintflutsagen der Geburtsbedeutung des
Wassersymbols, indem sich immer an sie eine Regeneration des
Menschengeschlechtes anschließt(216).

  (216) Wie unsere Kinder diese Bedeutung aus eigenem wieder beleben,
  mag der Traum eines etwa vierjährigen Mäderls zeigen, den C. G. _Jung_
  (Jahrb. f. Ps.-A. II, 1910) mitgeteilt hat: »Ich habe heute nacht die
  Arche Noah geträumt und da waren viele Tierchen darin und da war unten
  ein Deckel daran, der ging auf und die Tierchen fielen alle heraus.«

Ein anderes durch den Hinweis auf die Wunscherfüllung beachtenswertes
Beispiel entnehmen wir der »Aithiopika« des _Heliodorus_ (c. 18).

Thyamis, der Hauptmann, hat am Tage die Chariklea, nebst ihrem Geliebten
und anderer Beute geraubt und kämpft mit der Versuchung, das junge
Mädchen mit Gewalt zu der Seinigen zu machen. »Nachdem er den größten
Teil der Nacht geruht hatte, wurde er von umherschweifenden Träumen
beunruhigt, plötzlich im Schlafe gestört, und verlegen über ihre
Deutung, hing er wachend seinen Gedanken nach. Denn um die Zeit, wo die
Hähne krähen(217) . . . . . . kam ihm durch göttliche Schickung
folgendes Traumgesicht: Indem er zu Memphis, seiner Vaterstadt, den
Tempel der Isis besuchte, kam es ihm vor, als ob dieser ganz _von
Fackelschein erleuchtet_ würde. Altäre und Herde waren von
mannigfaltigen Tieren angefüllt und mit _Blut benetzt, die Vorhallen und
Gänge aber voll_ Menschen, die mit Händeklatschen und gemischtem Getös
alles erfüllten. Nach seinem Eintritt in das Heiligtum selbst sei ihm
die Göttin entgegengekommen, habe ihm die Chariklea eingehändigt und
gesagt: ›Diese Jungfrau, Thyamis, übergebe ich dir. Habend wirst du sie
nicht haben, sondern wirst ungerecht sein und die Fremde töten; aber sie
wird nicht getötet werden.‹ Dieses Gesicht setzte ihn in große
Verlegenheit. Er wendete es nach allen Seiten, und suchte den Sinn
aufzufinden, und da ihm dieses nicht gelingen wollte, _paßte er die
Lösung seinen Wünschen an_. Die Worte: ›Habend wirst du sie nicht haben‹
deutete er: ›zur Gattin, und nicht mehr als Jungfrau‹. Den Ausdruck: ›Du
wirst sie töten‹ bezog er auf die _jungfräuliche Verletzung_, an der
Chariklea nicht sterben würde. Auf diese Art erklärte er den Traum,
indem sein Verlangen den Ausleger machte.« (Übers. v. Fr. Jacobs,
Stuttgart 1837.)(218)

  (217) Träume gegen Morgen gesehen, galten für wahr.

  (218) Wenngleich der Inhalt des gegebenen Traumes hier in dieser Weise
  aufgefaßt wird, so ist doch nicht zu übersehen, daß er, offenbar aus
  einem anderen Zusammenhang stammend (ein altes Orakel scheint zu
  Grunde zu liegen), ursprünglich auch eine andere Bedeutung gehabt
  haben dürfte.

 Träume und ihre Deutung im Mythus.

Wie es sich hier um eine symbolische Darstellung der Defloration
handelt, die in sadistischer Auffassung als Tötung erscheint, wobei auch
das Blut nicht fehlt, so zeigt ein in seinen Vorbedingungen ähnlicher
Traum aus ganz anderer Überlieferung den gleichen Wunsch in einer
ebenfalls typisch symbolischen Einkleidung. _Saxo Grammaticus_ (ed.
Hölder p. 319) erzählt folgende Geschichte. Thyri bittet ihren Gatten
Gormo in der Hochzeitsnacht inständig, sich während dreier Nächte des
Beischlafes zu enthalten; sie werde sich ihm nicht zu eigen geben, bevor
er im Schlafe ein Zeichen erhalten hätte, daß ihre Ehe fruchtbar sein
werde. Unter diesen sonderbaren Bedingungen träumt ihm folgendes: »Zwei
Vögel, der eine größer als der andere, fliegen auf den Geschlechtsteil
seiner Frau herab (prolapsos) und mit schwingenden Körpern erheben sie
sich im Fluge wieder in die Lüfte. Nach einer Weile kehren sie wieder
und setzen sich in seine Hände. Ein zweites und drittes Mal fliegen sie,
durch kurze Rast gestärkt (recreatos), davon, bis endlich der kleinere
von ihnen seines Genossen ledig mit blutigem Gefieder (pennis cruore
oblitis) zu ihm zurückkehrt. Durch dieses Gesicht erschreckt, gibt er,
schlafend wie er war, seinem Entsetzen Ausdruck und erfüllt das ganze
Haus mit lautem Geschrei. Thyri aber zeigt sich über den Traum sehr
erfreut und meint, sie wäre niemals seine Gattin geworden, wenn sie
nicht aus diesen Traumbildern die sichere Gewähr ihres Glückes geschöpft
hätte.« Diesen in allen seinen Details charakteristischen
Deflorationstraum deutet die Frau mit leichter Verschiebung ihrer
eigenen Wunschregungen als minder anstößiges Zeichen für Kindersegen.
Der Vogel erscheint hier deutlich als phallisches Symbol, sogar mit
besonderer Darstellung der verschiedenen Zustände (groß und klein), die
schwingende Bewegung wie überhaupt die Rhythmik des ganzen Traumes
weisen auf den intendierten Koitus und charakteristische Details (ein
zweites und drittes Mal, durch kurze Rast gestärkt) auf die gewünschte
Wiederholung; daß endlich der kleine allein mit blutigen Federn
zurückbleibt, läßt wohl in seiner Bedeutung keinen Zweifel zu. Die Angst
am Schluß des Traumes erklärt sich einwandfrei als Ausdruck der durch
die Traumsymbolik nicht voll befriedigten Libido, deren Abfuhr gehemmt
ist(219). Dieser Mechanismus entspricht vollauf dem aus wiederholter
Erfahrung bekannten analogen Fall, wo an Stelle der intendierten, aber
gehemmten Libidobefriedigung (Pollution) Angst auftritt. Ich kann es mir
an dieser Stelle nicht versagen, einen unter ganz ähnlichen Umständen
geträumten und in seiner Symbolik überraschend analogen Traum einer
jungen Frau mitzuteilen(220).

  (219) Vgl. die Angst im Traum vom Lebenslicht, oben S. 392.

  (220) Vgl. _Rank_: Aktuelle Sexualregungen als Traumanlässe.

Ein junger Ehemann will in sexueller Erregung den Geschlechtsakt mit
seiner Frau ausführen, muß es aber mit Rücksicht auf die unerwartet
eingetretene Menstruation der Frau unterlassen. Nachdem er den flüchtig
aufsteigenden Gedanken, sich auf irgend eine andere Weise zu
befriedigen, von sich gewiesen und die Frau auf eine leise Anspielung
eines Fellatiowunsches sich ablehnend gezeigt hatte, schlafen beide ein.
Jeder von ihnen hat nun einen auf dieses Erlebnis bezüglichen Traum und
diese beiden in einer Nacht vorgefallenen Träume gehören inhaltlich so
gut zusammen, _als wären sie von derselben Person geträumt_. Ihre
Kenntnis verdanke ich nicht etwa einer besonderen Offenherzigkeit der
Eheleute, sondern ihrer Unkenntnis der Traumsymbolik, und die zum
besseren Verständnis vorerwähnten sexuellen Vorfälle wurden erst später
ermittelt, um die vermutete Deutung zu verifizieren.

Der Traum, den die, vermutlich gleichfalls erregte, aber von einer
Fellatio abgestoßene Frau in derselben Nacht hatte, lautet nach ihrer
Niederschrift, die der Mann auf mein Ersuchen besorgen ließ,
folgendermaßen:

»Mein Mann hat aus einer Dachrinne junge _Spatzen_, die noch _ganz naß_
waren, _mit der Hand herausgeworfen_ und ich habe ihm _gesagt, er soll
das nicht tun_. Mit einem von ihnen, _der schon größer war_, habe ich
mich _gespielt_; er ist mir _auf die Hand geflogen_ und hat mich mit
einem _großen Stachel_, der wie ein _Schwanz_ oder wie ein _Schnabel_
war, _in den Finger gestochen_, so daß ich geschrien habe: Au, nicht!
Das tut ja weh! -- Dann hat mein Mann einen von den jungen _Spatzen_
genommen und gesagt, _man kann sie auch essen_. Ich habe mich aber davor
_geekelt_ und _erbrochen_.« Die Deutlichkeit dieser Traumsprache(221),
die durch einen Kommentar nur leiden könnte, gewinnt noch ein besonderes
Interesse durch die Übereinstimmung in manchen Details mit dem Traum des
Mannes, von denen das Erbrechen auf ein gemeinsames peinliches Erlebnis,
das in den Fingerstechen aber darauf hindeutet, daß doch gegenseitige
oder autoerotische Manipulationen an den Genitalien vorgenommen worden
sein dürften.

  (221) In einem anderen Traume stellt dieselbe Frau in Anlehnung an die
  ihr bekannten geflügelten Phalloi der Antike das ganze männliche
  Genitale (inklusive Hoden) in der Vogelsprache dar: »Es haben mich
  Löwen und Tiger, auch wilde _Schweine_ verfolgt, die mich fressen oder
  mit mir verkehren wollten. Ich flüchtete, um mich zu retten; dann
  waren auch ein Paar von den Bestien schon _eingesperrt_. Dann kam ich
  über einen Bergesabhang auf einen Hof, wo ich Vögel herumfliegen sah.
  Doch hatte ich schon einen schönen _kleinen weißen Vogel_ im Käfig
  _eingesperrt_. Ich habe ihn herausgenommen, jedem gezeigt und gesagt,
  das ist mein eigener Vogel, den ich schon lange eingesperrt habe. Von
  den herumfliegenden Vögeln sind dann _zwei_ vom Dach _heruntergefallen_;
  ich habe sie aufgefangen, aber sie waren schon _ganz hin_;
  da habe ich sie gedrückt und _sie sind wieder lebendig geworden_.
  _Sie waren zusammengewachsen_ und es sind mir an ihnen _eigentlich
  nur_ die schön gefärbten _Flügel_ aufgefallen.« Die letzten
  Details (zusammengewachsen und nur die Flügel im Gegensatz zu
  dem anderen ganzen Vogel) weisen, wenn noch ein Zweifel bleiben
  könnte, unzweideutig auf das sexuelle Vorbild dieses Symbols hin.

 Die Traumentstellung in der mythischen Überlieferung.

Die Übereinstimmungen sind so augenfällig und erstrecken sich so weit
auf die Vorbedingungen und ins Detail, daß ihre besondere Hervorhebung
und Erörterung sich erübrigt. Dagegen läßt sich ein bemerkenswerter
Unterschied nicht übergehen: nämlich daß dieser dem ersten ganz analoge
Traum von der Frau stammt, während ihn bei _Saxo_ der Mann träumt. Aber
dieser Widerspruch verliert seine scheinbare Bedeutung, wenn wir uns aus
dem eben mitgeteilten Beispiel daran erinnern, daß unter den gegebenen
Umständen offenbar beide beteiligten Personen der Situation
entsprechende Traumbilder haben und daß es für eine das weibliche
Schamgefühl schonende Fassung(222) sehr nahe lag, einen -- quasi
gemeinsamen -- Traum dem Manne zuzuschreiben. Für die Einwirkung einer
solchen Milderungstendenz würde auch der Umstand sprechen, daß spätere
von _Saxo_ zweifellos beeinflußte Fassungen den Traum wieder der Frau
zuschreiben, ihn aber dafür von der anstößigen Einkleidung befreien. Der
Untersuchung von _Benezé_ entnehmen wir, daß ein ähnlicher Traum sich in
dem mittelhochdeutschen Spielmannsepos »Salman und Morolf« findet, dem
man es kaum mehr anmerkt, daß er nach dem Vorbild bei _Saxo_ gestaltet
ist. Salmans treulose Frau sucht ihren Gatten durch Erzählung eines, wie
sie glaubt, nachkommenverheißenden Traumes zu versöhnen und wieder zu
gewinnen. Sie erzählt ihm, ihr habe geträumt, daß sie in seiner süßen
Umarmung schlafe, als zwei Falken ihr auf die Hand flogen. Von größerem
Interesse ist es, daß auch Kriemhilds Traum (im Anfang des
Nibelungenliedes) in diesen Zusammenhang gehört: Ihr träumt von einem
starken, schönen, wilden Falken, den sie sich gezogen (und den ihr zwei
Adler geraubt hatten). Dieser noch weiter entstellte und rationalisierte
Traum kommt merkwürdigerweise in seiner Deutung dem ursprünglichen Sinn
insofern näher, als diese die Fruchtbarkeitsbedeutung ganz außer acht
läßt und den Vogel direkt mit dem zu erwartenden Mann identifiziert. Die
Bedingung zur Traumentstellung ist hier durch die Sexualablehnung des
Mädchens gegeben, die bewußterweise von Männerliebe nichts wissen will.
Ähnlich wird in der Volsungasage (c. 25) Gudruns Traum, in dem sie einen
schönen Habicht mit goldigen Federn auf ihrer Hand sah, auf einen
Königssohn gedeutet, der um sie werben, den sie bekommen und sehr lieben
werde. »Eine vielfache Anwendung finden die Vögel ferner« nach _Mentz_
in den französischen Volksepen, »um bei Frauen die Geburt von Kindern
anzuzeigen. Immer sehen die Träumenden dann, wie aus dem _Munde_ oder
dem _Magen_ Vögel herausflattern.« In der mittelhochdeutschen Epik
erscheint der Falke endlich sehr häufig als glück- und rettungbringender
Vogel, ein letzter Nachklang seiner symbolisch Geschlechtsgenuß und
Kindersegen schaffenden Funktion.

  (222) Vgl. Thyris' Wunsch nach Fruchtbarkeit, der ihr Sexualverlangen
  ersetzt. Es sei hier nicht unerwähnt, daß die wirkliche
  Fruchtbarkeitsbedeutung in einer zweiten Version derselben Sage einen
  ganz anderen, in mehrfacher Hinsicht interessanten Ausdruck findet.
  Dort ist Thyri noch unvermählt und stellt ihrem Zukünftigen folgende
  Bedingung: er möge ein Haus bauen, wo vorher noch keines gestanden,
  dort die drei Nächte schlafen und darauf achten, was ihm träume. Er
  hat dann drei Träume von je drei Ochsen, wodurch Thyri über den
  Ausfall der nächsten drei Jahre unterrichtet, zur Vorsorge mit
  Getreidevorräten veranlaßt wird. _Henzen_, der hier mit Recht an die
  biblischen Träume des Pharao von den sieben fetten und sieben mageren
  Kühen erinnert, betont das »Zugrundeliegen alter indogermanischer
  Anschauung, welche die Zeugungskraft der Natur unter dem Bilde des
  Stieres und die Fruchtbarkeit der Erde unter dem der Kuh sich
  vorzustellen liebte« (vgl. Sanskrit gans = Kuh und Erde). So könnte
  auch dem Pharaotraum ein Wunsch nach menschlicher Fruchtbarkeit, eine
  Potenzphantasie zu grunde liegen. Die besonders geforderte Bedingung
  der Neuheit des Hauses und des Bauplatzes, die andere Male zu einem
  wahren Zeremoniell ausgestaltet erscheint (Unberührtheit des Lagers,
  des Bettzeugs, der Wäsche), könnte hier die Unberührtheit des Mädchens
  ersetzen. Noch heute herrscht übrigens der Glaube, daß der erste in
  einem neuen Milieu geträumte Traum in Erfüllung geht.

Schließlich ist noch eine merkwürdige Beziehung des Traumes zur
Mythenforschung zu erwähnen, die nur auf dem Boden der Psychoanalyse
erwachsen konnte. Es gibt Träume, die sich zur Darstellung aktueller
psychischer Situationen gewisser aus der Kindheit bekannter
Märchenstoffe bedienen. Die Analyse deckt in diesen Fällen zugleich mit
dem Grund für die individuelle Verwendung des Motivs oft auch dessen
allgemeine Bedeutung auf, die sich mythologisch fruchtbar erweist. Die
neurotischen Patienten, die ja viel deutlicher als der Normale die
primitive Einstellung bewahrt haben, geben oft in dieser Weise den Weg
an, den die Schöpfer der Massenphantasien bei ihren Produktionen
gegangen sind. So berichtet _Freud_ von einem jungen Manne, der aus
seinem fünften Lebensjahr einen Angsttraum von sieben Wölfen erzählte.
Die Analyse ergab, daß der Traum an das Märchen vom Wolf und den sieben
jungen Geißlein anknüpft, und die Angst vor dem Vater zum Inhalt hat wie
der dem Märchen selbst zu Grunde liegende Mythus von Kronos, der von
seinem jüngsten Sohn Zeus entmannt wird.

Auch hier bewährt sich die psychoanalytische Grundanschauung, daß die
gleichen unbewußten Triebkräfte an der Produktion der normalen,
pathologischen und sozial hochwertigen seelischen Leistungen des
einzelnen wie des Volkes entscheidend mitwirken und daß darum die
Erkenntnis des einen zum Verständnis des anderen soweit beizutragen
vermag, als das Allgemein-Menschliche im Seelenleben reicht.



VII.

Zur Psychologie der Traumvorgänge.


Unter den Träumen, die ich durch Mitteilung von Seite anderer erfahren
habe, befindet sich einer, der jetzt einen ganz besonderen Anspruch auf
unsere Beachtung erhebt. Er ist mir von einer Patientin erzählt worden,
die ihn selbst in einer Vorlesung über den Traum kennen gelernt hat;
seine eigentliche Quelle ist mir unbekannt geblieben. Jener Dame aber
hat er durch seinen Inhalt Eindruck gemacht, denn sie hat es nicht
versäumt, ihn »nachzuträumen«, d. h. Elemente des Traumes in einem
eigenen Traume zu wiederholen, um durch diese Übertragung eine
Übereinstimmung in einem bestimmten Punkte auszudrücken.

Die Vorbedingungen dieses vorbildlichen Traumes sind folgende: Ein Vater
hat Tage und Nächte lang am Krankenbette seines Kindes gewacht. Nachdem
das Kind gestorben, begibt er sich in einem Nebenzimmer zur Ruhe, läßt
aber die Tür geöffnet, um aus seinem Schlafraume in jenen zu blicken,
worin die Leiche des Kindes aufgebahrt liegt, von großen Kerzen
umstellt. Ein alter Mann ist zur Wache bestellt worden und sitzt neben
der Leiche, Gebete murmelnd. Nach einigen Stunden Schlafes träumt der
Vater, _daß das Kind an seinem Bette steht, ihn am Arme faßt und ihm
vorwurfsvoll zuraunt: Vater, siehst du denn nicht, daß ich verbrenne?_
Er erwacht, merkt einen hellen Lichtschein, der aus dem Leichenzimmer
kommt, eilt hin, findet den greisen Wächter eingeschlummert, die Hüllen
und einen Arm der teuren Leiche verbrannt durch eine Kerze, die brennend
auf sie gefallen war.

Die Erklärung dieses rührenden Traumes ist einfach genug und wurde auch
von dem Vortragenden, wie meine Patientin erzählt, richtig gegeben. Der
helle Lichtschein drang durch die offen stehende Tür ins Auge des
Schlafenden und regte denselben Schluß bei ihm an, den er als Wachender
gezogen hätte, es sei durch Umfallen einer Kerze ein Brand in der Nähe
der Leiche entstanden. Vielleicht hatte selbst der Vater die Besorgnis
mit in den Schlaf hinübergenommen, daß der greise Wächter seiner Aufgabe
nicht gewachsen sein dürfte.

Auch wir fänden an dieser Deutung nichts zu verändern, es sei denn, daß
wir die Forderung hinzufügten, der Inhalt des Traumes müsse
überdeterminiert, und die Rede des Kindes aus Reden zusammengesetzt
sein, die es im Leben wirklich geführt, und die an dem Vater wichtige
Ereignisse anknüpfen. Etwa die Klage: Ich verbrenne, an das Fieber, in
dem das Kind gestorben, und die Worte: Vater, siehst du denn nicht? an
eine andere uns unbekannte, aber affektreiche Gelegenheit.

Nachdem wir aber den Traum als einen sinnvollen, in den Zusammenhang des
psychischen Geschehens einfügbaren Vorgang erkannt haben, werden wir uns
verwundern dürfen, daß unter solchen Verhältnissen überhaupt ein Traum
zu stande kam, wo das rascheste Erwachen geboten war. Wir werden dann
aufmerksam, daß auch dieser Traum einer Wunscherfüllung nicht entbehrt.
Im Traume benimmt sich das tote Kind wie ein lebendes, es mahnt selbst
den Vater, kommt an sein Bett und zieht ihn am Arme, wie es
wahrscheinlich in jener Erinnerung tat, aus welcher der Traum das erste
Stück der Rede des Kindes geholt hat. Dieser Wunscherfüllung zuliebe hat
der Vater nun seinen Schlaf um einen Moment verlängert. Der Traum
erhielt das Vorrecht vor der Überlegung im Wachen, weil er das Kind noch
einmal lebend zeigen konnte. Wäre der Vater zuerst erwacht und hätte
dann den Schluß gezogen, der ihn ins Leichenzimmer führte, so hätte er
gleichsam das Leben des Kindes um diesen einen Moment verkürzt.

Es kann kein Zweifel darüber sein, durch welche Eigentümlichkeit dieser
kleine Traum unser Interesse fesselt. Wir haben uns bisher vorwiegend
darum gekümmert, worin der geheime Sinn der Träume besteht, auf welchem
Wege derselbe gefunden wird und welcher Mittel sich die Traumarbeit
bedient hat, ihn zu verbergen. Die Aufgaben der Traumdeutung standen bis
jetzt im Mittelpunkte unseres Blickfeldes. Und nun stoßen wir auf diesen
Traum, welcher der Deutung keine Aufgabe stellt, dessen Sinn unverhüllt
gegeben ist, und werden aufmerksam, daß dieser Traum noch immer die
wesentlichen Charaktere bewahrt, durch die ein Traum auffällig von
unserem wachen Denken abweicht und unser Bedürfnis nach Erklärung rege
macht. Nach der Beseitigung alles dessen, was die Deutungsarbeit angeht,
können wir erst merken, wie unvollständig unsere Psychologie des Traumes
geblieben ist.

Ehe wir aber mit unseren Gedanken diesen neuen Weg einschlagen, wollen
wir haltmachen und zurückschauen, ob wir auf unserer Wanderung bis
hieher nichts Wichtiges unbeachtet gelassen haben. Denn wir müssen uns
klar darüber werden, daß die bequeme und behagliche Strecke unseres
Weges hinter uns liegt. Bisher haben alle Wege, die wir gegangen sind,
wenn ich nicht sehr irre, ins Lichte, zur Aufklärung und zum vollen
Verständnis geführt; von dem Moment an, da wir in die seelischen
Vorgänge beim Träumen tiefer eindringen wollen, werden alle Pfade ins
Dunkel münden. Wir können es unmöglich dahin bringen, den Traum als
psychischen Vorgang _aufzuklären_, denn erklären heißt auf Bekanntes
zurückführen, und es gibt derzeit keine psychologische Kenntnis, der wir
unterordnen könnten, was sich aus der psychologischen Prüfung der Träume
als Erklärungsgrund erschließen läßt. Wir werden im Gegenteil genötigt
sein, eine Reihe von neuen Annahmen aufzustellen, die den Bau des
seelischen Apparates und das Spiel der in ihm tätigen Kräfte mit
Vermutungen streifen, und die wir bedacht sein müssen, nicht zu weit
über die erste logische Angliederung auszuspinnen, weil sonst ihr Wert
sich ins Unbestimmbare verläuft. Selbst wenn wir keinen Fehler im
Schließen begehen und alle logisch sich ergebenden Möglichkeiten in
Rechnung ziehen, droht uns die wahrscheinliche Unvollständigkeit im
Ansatz der Elemente mit dem völligen Fehlschlagen der Rechnung. Einen
Aufschluß über die Konstruktion und Arbeitsweise des Seeleninstrumentes
wird man durch die sorgfältigste Untersuchung des Traumes oder einer
anderen _vereinzelten_ Leistung nicht gewinnen oder wenigstens nicht
begründen können, sondern wird zu diesem Zwecke zusammentragen müssen,
was sich bei dem vergleichenden Studium einer ganzen Reihe von
psychischen Leistungen als konstant erforderlich herausstellt. So werden
die psychologischen Annahmen, die wir aus der Analyse der Traumvorgänge
schöpfen, gleichsam an einer Haltestelle warten müssen, bis sie den
Anschluß an die Ergebnisse anderer Untersuchungen gefunden haben, die
von einem anderen Angriffspunkte her zum Kerne des nämlichen Problems
vordringen wollen.


a) _Das Vergessen der Träume_.

Ich meine also, wir wenden uns vorher zu einem Thema, aus dem sich ein
bisher unbeachteter Einwand ableitet, der doch geeignet scheinen könnte,
unseren Bemühungen um die Traumdeutung den Boden zu entziehen. Es ist
uns von mehr als einer Seite vorgehalten worden, daß wir den Traum, den
wir deuten wollen, eigentlich gar nicht kennen, richtiger, daß wir keine
Gewähr dafür haben, ihn so zu kennen, wie er wirklich vorgefallen ist
(vgl. p. 34). Was wir vom Traume erinnern, und woran wir unsere
Deutungskünste üben, das ist erstens verstümmelt durch die Untreue
unseres Gedächtnisses, welches in ganz besonders hohem Grade zur
Bewahrung des Traumes unfähig scheint, und hat vielleicht gerade die
bedeutsamsten Stücke seines Inhaltes eingebüßt. Wir finden uns ja so
oft, wenn wir unseren Träumen Aufmerksamkeit schenken wollen, zur Klage
veranlaßt, daß wir viel mehr geträumt haben und leider davon nichts mehr
wissen als dies eine Bruchstück, dessen Erinnerung selbst uns
eigentümlich unsicher vorkommt. Zweitens aber spricht alles dafür, daß
unsere Erinnerung den Traum nicht nur lückenhaft, sondern auch ungetreu
und verfälscht wiedergibt. So wie man einerseits daran zweifeln kann, ob
das Geträumte wirklich so unzusammenhängend und verschwommen war, wie
wir's im Gedächtnisse haben, so läßt sich anderseits in Zweifel ziehen,
ob ein Traum so zusammenhängend gewesen ist, wie wir ihn erzählen, ob
wir bei dem Versuche der Reproduktion nicht vorhandene oder durch
Vergessen geschaffene Lücken mit willkürlich gewähltem neuen Material
ausfüllen, den Traum ausschmücken, abrunden, zurichten, so daß jedes
Urteil unmöglich wird, was der wirkliche Inhalt unseres Traumes war. Ja
bei mehreren Autoren (_Spitta_, _Foucault_, _Tannery_) haben wir die
Mutmaßung gefunden, daß alles, was Ordnung und Zusammenhang ist,
überhaupt erst bei dem Versuche, sich den Traum zurückzurufen, in ihn
hineingetragen wird. So sind wir in Gefahr, daß man uns den Gegenstand
selbst aus der Hand winde, dessen Wert zu bestimmen wir unternommen
haben.

Wir haben bei unseren Traumdeutungen bisher diese Warnungen überhört. Ja
wir haben im Gegenteil in den kleinsten, unscheinbarsten und
unsichersten Inhaltsbestandteilen des Traumes die Aufforderung zur
Deutung nicht minder vernehmlich gefunden, als in dessen deutlich und
sicher erhaltenen. Im Traume von Irmas Injektion hieß es: Ich rufe
_schnell_ den Doktor M. herbei, und wir nahmen an, auch dieser kleine
Zusatz wäre nicht in den Traum gelangt, wenn er nicht eine besondere
Ableitung zuließe. So kamen wir zur Geschichte jener unglücklichen
Patientin, an deren Bett ich »schnell« den älteren Kollegen berief. In
dem scheinbar absurden Traume, der den Unterschied von 51 und 56 als
quantité négligeable behandelt, war die Zahl 51 _mehrmals_ erwähnt.
Anstatt dies selbstverständlich oder gleichgültig zu finden, haben wir
daraus auf einen zweiten Gedankengang in dem latenten Trauminhalt
geschlossen, der zur Zahl 51 hinführt, und die Spur, die wir weiter
verfolgten, führte uns zu Befürchtungen, welche 51 Jahre als
Lebensgrenze hinstellen, im schärfsten Gegensatz zu einem dominierenden
Gedankenzug, der prahlerisch mit den Lebensjahren um sich wirft. In dem
Traume »_Non vixit_« fand ich als unscheinbares Einschiebsel, das ich
anfangs übersah, die Stelle: »_Da P. ihn nicht versteht, fragt mich Fl.
etc._« Als dann die Deutung stockte, griff ich auf diese Worte zurück
und fand von ihnen aus den Weg zu der Kinderphantasie, die in den
Traumgedanken als intermediärer Knotenpunkt auftritt. Es geschah dies
mittels der Zeilen des Dichters:

    Selten habt Ihr mich _verstanden_,
    Selten auch verstand ich Euch,
    Nur wenn wir im _Kot_ uns fanden,
    So verstanden wir uns gleich!

 Der Zweifel an der Treue der Traumerinnerung.

Jede Analyse könnte mit Beispielen belegen, wie gerade die
geringfügigsten Züge des Traumes zur Deutung unentbehrlich sind, und wie
die Erledigung der Aufgabe verzögert wird, indem sich die Aufmerksamkeit
solchen erst spät zuwendet. Die gleiche Würdigung haben wir bei der
Traumdeutung jeder Nuance des sprachlichen Ausdruckes geschenkt, in
welchem der Traum uns vorlag; ja, wenn uns ein unsinniger oder
unzureichender Wortlaut vorgelegt wurde, als ob es der Anstrengung nicht
gelungen wäre, den Traum in die richtige Fassung zu übersetzen, haben
wir auch diese Mängel des Ausdruckes respektiert. Kurz, was nach der
Meinung der Autoren eine willkürliche, in der Verlegenheit eilig
zusammengebraute Improvisation sein soll, das haben wir behandelt wie
einen heiligen Text. Dieser Widerspruch bedarf der Aufklärung.

Sie lautet zu unseren Gunsten, ohne darum den Autoren Unrecht zu geben.
Vom Standpunkte unserer neu gewonnenen Einsichten über die Entstehung
des Traumes vereinigen sich die Widersprüche ohne Rest. Es ist richtig,
daß wir den Traum beim Versuche der Reproduktion entstellen; wir finden
darin wieder, was wir als die sekundäre und oft mißverständliche
Bearbeitung des Traumes durch die Instanz des normalen Denkens
bezeichnet haben. Aber diese Entstellung ist selbst nichts anderes als
ein Stück der Bearbeitung, welcher die Traumgedanken gesetzmäßig infolge
der Traumzensur unterliegen. Die Autoren haben hier das manifest
arbeitende Stück der Traumentstellung geahnt oder bemerkt; uns
verschlägt es wenig, da wir wissen, daß eine weit ausgiebigere
Entstellungsarbeit, minder leicht faßbar, den Traum bereits von den
verborgenen Traumgedanken an zum Objekt erkoren hat. Die Autoren irren
nur darin, daß sie die Modifikation des Traumes bei seinem Erinnern und
In-Worte-Fassen für willkürlich, also für nicht weiter auflösbar und
demnach für geeignet halten, uns in der Erkenntnis des Traumes
irrezuleiten. Sie unterschätzen die Determinierung im Psychischen. Es
gibt da nichts Willkürliches. Es läßt sich ganz allgemein zeigen, daß
ein zweiter Gedankenzug sofort die Bestimmung des Elementes übernimmt,
welches vom ersten unbestimmt gelassen wurde. Ich will mir z. B. ganz
willkürlich eine Zahl einfallen lassen; es ist nicht möglich; die Zahl,
die mir einfällt, ist durch Gedanken in mir, die meinem momentanen
Vorsatz fernstehen mögen, eindeutig und notwendig bestimmt(223).
Ebensowenig willkürlich sind die Veränderungen, die der Traum bei der
Redaktion des Wachens erfährt. Sie bleiben in assoziativer Verknüpfung
mit dem Inhalt, an dessen Stelle sie sich setzen, und dienen dazu, uns
den Weg zu diesem Inhalt zu zeigen, der selbst wieder der Ersatz eines
anderen sein mag.

  (223) Vgl. Psychopathologie des Alltagslebens. 1. Aufl., 1901 u. 1904,
  4. Aufl., 1912.

Ich pflege bei den Traumanalysen mit Patienten folgende Probe auf diese
Behauptung nie ohne Erfolg anzustellen. Wenn mir der Bericht eines
Traumes zuerst schwer verständlich erscheint, so bitte ich den Erzähler,
ihn zu wiederholen. Das geschieht dann selten mit den nämlichen Worten.
Die Stellen aber, an denen er den Ausdruck verändert hat, die sind mir
als die schwachen Stellen der Traumverkleidung kenntlich gemacht worden,
die dienen mir wie _Hagen_ das gestickte Zeichen an _Siegfrieds_ Gewand.
Dort kann die Traumdeutung ansetzen. Der Erzähler ist durch meine
Aufforderung gewarnt worden, daß ich besondere Mühe zur Lösung des
Traumes anzuwenden gedenke; er schützt also rasch, unter dem Drange des
Widerstandes, die schwachen Stellen der Traumverkleidung, indem er einen
verräterischen Ausdruck durch einen ferner abliegenden ersetzt. Er macht
mich so auf den von ihm fallengelassenen Ausdruck aufmerksam. Aus der
Mühe, mit der die Traumlösung verteidigt wird, darf ich auch auf die
Sorgfalt schließen, die dem Traume sein Gewand gewoben hat.

 Bedeutung der Traumnachträge.

Minder recht haben die Autoren, wenn sie dem Zweifel, mit dem unser
Urteil der Traumerzählung begegnet, so sehr viel Raum machen. Dieser
Zweifel entbehrt nämlich einer intellektuellen Gewähr; unser Gedächtnis
kennt überhaupt keine Garantien, und doch unterliegen wir viel öfter,
als objektiv gerechtfertigt ist, dem Zwange, seinen Angaben Glauben zu
schenken. Der Zweifel an der richtigen Wiedergabe des Traumes oder
einzelner Traumdaten ist wieder nur ein Abkömmling der Traumzensur, des
Widerstandes gegen das Durchdringen der Traumgedanken zum Bewußtsein.
Dieser Widerstand hat sich mit den von ihm durchgesetzten Verschiebungen
und Ersetzungen nicht immer erschöpft, er heftet sich dann noch an das
Durchgelassene als Zweifel. Wir verkennen diesen Zweifel um so leichter,
als er die Vorsicht gebraucht, niemals intensive Elemente des Traumes
anzugreifen, sondern bloß schwache und undeutliche. Wir wissen aber
jetzt bereits, daß zwischen Traumgedanken und Traum eine völlige
Umwertung aller psychischen Werte stattgefunden hat; die Entstellung war
nur möglich durch Wertentziehung, sie äußert sich regelmäßig darin und
begnügt sich gelegentlich damit. Wenn zu einem undeutlichen Element des
Trauminhaltes noch der Zweifel hinzutritt, so können wir dem Fingerzeig
folgend in diesem einen direkteren Abkömmling eines der verfemten
Traumgedanken erkennen. Es ist damit wie nach einer großen Umwälzung in
einer der Republiken des Altertums oder der Renaissance. Die früher
herrschenden edlen und mächtigen Familien sind nun verbannt, alle hohen
Stellungen mit Emporkömmlingen besetzt; in der Stadt geduldet sind nur
noch ganz verarmte und machtlose Mitglieder oder entfernte Anhänger der
Gestürzten. Aber auch diese genießen nicht die vollen Bürgerrechte, sie
werden mißtrauisch überwacht. An der Stelle des Mißtrauens im Beispiel
steht in unserem Falle der Zweifel. Ich verlange darum bei der Analyse
eines Traumes, daß man sich von der ganzen Skala der Sicherheitsschätzung
frei mache, die leiseste Möglichkeit, daß etwas der oder
jener Art im Traume vorgekommen sei, behandle wie die volle
Gewißheit. Solange jemand bei der Verfolgung eines Traumelementes sich
nicht zum Verzicht auf diese Rücksicht entschlossen, solange stockt hier
die Analyse. Die Geringschätzung für das betreffende Element hat bei dem
Analysierten die psychische Wirkung, daß ihm von den ungewollten
Vorstellungen hinter demselben nichts einfallen will. Solche Wirkung ist
eigentlich nicht selbstverständlich; es wäre nicht widersinnig, wenn
jemand sagte: Ob dies oder jenes im Traume enthalten war, weiß ich nicht
sicher; es fällt mir aber dazu folgendes ein. Niemals sagt er so und
gerade diese die Analyse störende Wirkung des Zweifels läßt ihn als
einen Abkömmling und als ein Werkzeug des psychischen Widerstandes
entlarven. Die Psychoanalyse ist mit Recht mißtrauisch. Eine ihrer
Regeln lautet: _Was immer die Fortsetzung der Arbeit stört, ist ein
Widerstand._

Auch das Vergessen der Träume bleibt solange unergründlich, als man
nicht die Macht der psychischen Zensur zu seiner Erklärung
mitheranzieht. Die Empfindung, daß man in einer Nacht sehr viel geträumt
und davon nur wenig behalten hat, mag in einer Reihe von Fällen einen
anderen Sinn haben, etwa den, daß die Traumarbeit die Nacht hindurch
spürbar vor sich gegangen ist und nur den einen kurzen Traum
hinterlassen hat. Sonst ist an der Tatsache, daß man den Traum nach dem
Erwachen fortschreitend vergißt, ein Zweifel nicht möglich. Man vergißt
ihn oft trotz peinlicher Bemühungen, ihn zu merken. Ich meine aber, so
wie man in der Regel den Umfang dieses Vergessens überschätzt, so
überschätzt man auch die mit der Lückenhaftigkeit des Traumes verbundene
Einbuße an seiner Kenntnis. Alles, was das Vergessen am Trauminhalt
gekostet hat, kann man oft durch die Analyse wieder hereinbringen;
wenigstens in einer ganzen Anzahl von Fällen kann man von einem
einzelnen stehengebliebenen Brocken aus zwar nicht den Traum -- aber an
dem liegt ja auch nichts -- doch die Traumgedanken alle auffinden. Es
verlangt einen größeren Aufwand an Aufmerksamkeit und Selbstüberwindung
bei der Analyse; das ist alles, zeigt aber doch an, daß das Vergessen
des Traumes eine feindselige Absicht nicht verfehlt hat.

Einen überzeugenden Beweis für die tendenziöse, dem Widerstand dienende
Natur des Traumvergessens(224) gewinnt man bei den Analysen aus der
Würdigung einer Vorstufe des Vergessens. Es kommt gar nicht selten vor,
daß mitten in der Deutungsarbeit plötzlich ein ausgelassenes Stück des
Traumes auftaucht, das als bisher vergessen bezeichnet wird. Dieser der
Vergessenheit entrissene Traumteil ist nun jedesmal der wichtigste; er
liegt auf dem kürzesten Wege zur Traumlösung und war darum dem
Widerstand am meisten ausgesetzt. Unter den Traumbeispielen, die ich in
den Zusammenhang dieser Abhandlung eingestreut habe, trifft es sich
einmal, daß ich so ein Stück Trauminhalt nachträglich einzuschalten
habe. Es ist dies ein Reisetraum, der Rache nimmt an einer
unliebenswürdigen Reisegefährtin, den ich wegen seines zum Teil grob
unflätigen Inhaltes fast ungedeutet gelassen habe. Das ausgelassene
Stück lautet: _Ich sage auf ein Buch von Schiller: It is from . . .
korrigiere mich aber, den Irrtum selbst bemerkend: It is by . . . Der
Mann bemerkt hierauf zu seiner Schwester: »Er hat es ja richtig
gesagt(225).«_

  (224) Vgl. über die Absicht beim Vergessen überhaupt meine kleine
  Abhandlung über den »psychischen Mechanismus der Vergeßlichkeit« in
  der Monatschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1898. Dieselbe ist
  später in die »Psychopathologie des Alltagslebens« aufgenommen worden.

  (225) Solche Korrekturen im Gebrauche fremder Sprachen sind in Träumen
  nicht selten, werden aber häufiger fremden Personen zugeschoben.
  _Maury_ (p. 143) träumte einmal zur Zeit, da er Englisch lernte, daß
  er einer anderen Person die Mitteilung, er habe sie gestern besucht,
  mit den Worten machte: I called _for_ you yesterday. Der andere
  erwiderte richtig: Es heißt: I called _on_ you yesterday.

Die Selbstkorrektur im Traume, die manchen Autoren so wunderbar
erschienen ist, verdient wohl nicht uns zu beschäftigen. Ich werde
lieber für den Sprachirrtum im Traume das Vorbild aus meiner Erinnerung
aufzeigen. Ich war 19 jährig zum erstenmal in England und einen Tag lang
am Strande der Irish Sea. Ich schwelgte natürlich im Fange der von der
Flut zurückgelassenen Seetiere und beschäftigte mich gerade mit einem
Seestern (der Traum beginnt mit: _Hollthurn-Holothurien_), als ein
reizendes kleines Mädchen zu mir trat und mich fragte: Is it a starfish?
Is it alive? Ich antwortete: Yes _he_ is alive, schämte mich aber dann
der Inkorrektheit und wiederholte den Satz richtig. An Stelle des
Sprachfehlers, den ich damals begangen habe, setzt nun der Traum einen
anderen, in den der Deutsche ebenso leicht verfällt. »Das Buch ist von
Schiller«, soll man nicht mit from, . . . sondern mit by . . .
übersetzen. Daß die Traumarbeit diesen Ersatz vollzieht, weil _from_
durch den Gleichklang mit dem deutschen Eigenschaftswort _fromm_ eine
großartige Verdichtung ermöglicht, das nimmt uns nach allem, was wir von
den Absichten der Traumarbeit und von ihrer Rücksichtslosigkeit in der
Wahl der Mittel gehört haben, nicht mehr wunder. Was will aber die
harmlose Erinnerung vom Meeresstrand im Zusammenhang des Traumes
besagen? Sie erläutert an einem möglichst unschuldigen Beispiel, daß ich
das _Geschlechtswort_ am unrechten Platze gebrauche, also das
_Geschlechtliche_ (_he_) dort anbringe, wo es nicht hingehört. Dies ist
allerdings einer der Schlüssel zur Lösung des Traumes. Wer dann noch die
Ableitung des Buchtitels »_#Ma#tter and #Mo#tion_« angehört hat
(_#Mo#lière_ im #Ma#lade Imaginaire: La _#ma#tière_ est-elle laudable?
-- a _#mo#tion_ of the bowels), der wird sich das Fehlende leicht
ergänzen können.

 Verspätete Deutung von Träumen.

Ich kann übrigens den Beweis, daß das Vergessen des Traumes zum großen
Teil Widerstandsleistung ist, durch eine Demonstratio ad oculos
erledigen. Ein Patient erzählt, er habe geträumt, aber den Traum spurlos
vergessen; dann gilt er eben als nicht vorgefallen. Wir setzen die
Arbeit fort, ich stoße auf einen Widerstand, mache dem Kranken etwas
klar, helfe ihm durch Zureden und Drängen, sich mit irgend einem
unangenehmen Gedanken zu versöhnen, und kaum ist das gelungen, so ruft
er aus: Jetzt weiß ich auch wieder, was ich geträumt habe. Derselbe
Widerstand, der ihn an diesem Tage in der Arbeit gestört hatte, hat ihn
auch den Traum vergessen lassen. Durch die Überwindung dieses
Widerstandes habe ich den Traum zur Erinnerung gefördert.

Ebenso kann sich der Patient, bei einer gewissen Stelle der Arbeit
angelangt, an einen Traum erinnern, der vor drei, vier oder mehr Tagen
vorgefallen ist und bis dahin in der Vergessenheit geruht hat(226).

  (226) E. _Jones_ beschreibt den analogen, häufig vorkommenden Fall,
  daß während der Analyse eines Traumes ein zweiter derselben Nacht
  erinnert wird, der bis dahin vergessen war, ja nicht einmal vermutet
  wurde.

Die psychoanalytische Erfahrung hat uns noch einen anderen Beweis dafür
geschenkt, daß das Vergessen der Träume weit mehr vom Widerstand als von
der Fremdheit zwischen dem Wach- und dem Schlafzustand, wie die Autoren
meinen, abhängt. Es ereignet sich mir wie anderen Analytikern und den in
solcher Behandlung stehenden Patienten nicht selten, daß wir durch einen
Traum aus dem Schlafe geweckt, wie wir sagen möchten, unmittelbar darauf
im vollen Besitze unserer Denktätigkeit den Traum zu deuten beginnen.
Ich habe in solchen Fällen oftmals nicht geruht, bis ich das volle
Verständnis des Traumes gewonnen hatte, und doch konnte es geschehen,
daß ich nach dem Erwachen die Deutungsarbeit ebenso vollständig
vergessen hatte wie den Trauminhalt, obwohl ich wußte, daß ich geträumt
und daß ich den Traum gedeutet hatte. Viel häufiger hatte der Traum das
Ergebnis der Deutungsarbeit mit in die Vergessenheit gerissen, als es
der geistigen Tätigkeit gelungen war, den Traum für die Erinnerung zu
halten. Zwischen dieser Deutungsarbeit und dem Wachdenken besteht aber
nicht jene psychische Kluft, durch welche die Autoren das Traumvergessen
ausschließend erklären wollen. -- Wenn _Morton Prince_ gegen meine
Erklärung des Traumvergessens einwendet, es sei nur ein Spezialfall der
Amnesia für abgespaltene seelische Zustände (dissociated states), und
die Unmöglichkeit, meine Erklärung für diese spezielle Amnesie auf
andere Typen von Amnesie zu übertragen, mache sie auch für ihre nächste
Absicht wertlos, so erinnert er den Leser daran, daß er in all seinen
Beschreibungen solcher dissoziierter Zustände niemals den Versuch
gemacht hat, die dynamische Erklärung für diese Phänomene zu finden. Er
hätte sonst entdecken müssen, daß die Verdrängung (resp. der durch sie
geschaffene Widerstand) ebensowohl die Ursache dieser Abspaltungen wie
der Amnesie für ihren psychischen Inhalt ist.

Daß die Träume ebensowenig vergessen werden wie andere seelische Akte,
und daß sie auch in bezug auf ihr Haften im Gedächtnis den anderen
seelischen Leistungen ungeschmälert gleichzustellen sind, zeigt mir eine
Erfahrung, die ich bei der Abfassung dieses Manuskriptes machen konnte.
Ich hatte in meinen Notizen reichlich eigene Träume aufbewahrt, die ich
damals aus irgend einem Grunde nur sehr unvollständig oder auch
überhaupt nicht der Deutung unterziehen konnte. Bei einigen derselben
habe ich nun, ein bis zwei Jahre später, den Versuch, sie zu deuten,
unternommen, in der Absicht, mir Material zur Illustration meiner
Behauptungen zu schaffen. Dieser Versuch gelang mir ausnahmslos; ja ich
möchte behaupten, die Deutung ging solange Zeit später leichter vor sich
als damals, solange die Träume frische Erlebnisse waren, wofür ich als
mögliche Erklärung angeben möchte, daß ich seither über manche
Widerstände in meinem Innern weggekommen bin, die mich damals störten.
Ich habe bei solchen nachträglichen Deutungen die damaligen Ergebnisse
an Traumgedanken mit den heutigen, meist viel reichhaltigeren verglichen
und das damalige unter dem heutigen unverändert wiedergefunden. Ich trat
meinem Erstaunen hierüber rechtzeitig in den Weg, indem ich mich besann,
daß ich ja bei meinen Patienten längst in Übung habe, Träume aus
früheren Jahren, die sie mir gelegentlich erzählen, deuten zu lassen,
als ob es Träume aus der letzten Nacht wären, nach demselben Verfahren
und mit demselben Erfolge. Bei der Besprechung der Angstträume werde ich
zwei Beispiele von solch verspäteter Traumdeutung mitteilen. Als ich
diesen Versuch zum erstenmal anstellte, leitete mich die berechtigte
Erwartung, daß der Traum sich auch hierin nur verhalten werde wie ein
neurotisches Symptom. Wenn ich nämlich einen Psychoneurotiker, eine
Hysterie etwa, mittels Psychoanalyse behandle, so muß ich für die
ersten, längst überwundenen Symptome seines Leidens ebenso Aufklärung
schaffen wie für die noch heute bestehenden, die ihn zu mir geführt
haben, und finde erstere Aufgabe nur leichter zu lösen als die heute
dringende. Schon in den 1895 publizierten »Studien über Hysterie« konnte
ich die Aufklärung eines ersten hysterischen Angstanfalles mitteilen,
den die mehr als 40 jährige Frau in ihrem 15. Lebensjahre gehabt hatte.

 Zur Technik der Traumdeutung.

In loserer Anreihung will ich hier noch einiges vorbringen, was ich über
die Deutung der Träume zu bemerken habe, und was vielleicht den Leser
orientieren wird, der mich durch Nacharbeit an seinen eigenen Träumen
kontrollieren will.

Es wird niemand erwarten dürfen, daß ihm die Deutung seiner Träume
mühelos in den Schoß falle. Schon zur Wahrnehmung endoptischer Phänomene
und anderer für gewöhnlich der Aufmerksamkeit entzogener Sensationen
bedarf es der Übung, obwohl kein psychisches Motiv sich gegen diese
Gruppe von Wahrnehmungen sträubt. Es ist erheblich schwieriger, der
»ungewollten Vorstellungen« habhaft zu werden. Wer dies verlangt, wird
sich mit den Erwartungen erfüllen müssen, die in dieser Abhandlung rege
gemacht werden, und wird in Befolgung der hier gegebenen Regeln jede
Kritik, jede Voreingenommenheit, jede affektive oder intellektuelle
Parteinahme während der Arbeit bei sich niederzuhalten bestrebt sein. Er
wird der Vorschrift eingedenk bleiben, die _Claude Bernard_ für den
Experimentator im physiologischen Laboratorium aufgestellt hat:
Travailler comme une bête, d. h. so ausdauernd, aber auch so unbekümmert
um das Ergebnis. Wer diese Ratschläge befolgt, der wird die Aufgabe
allerdings nicht mehr schwierig finden. Die Deutung eines Traumes
vollzieht sich auch nicht immer in einem Zuge; nicht selten fühlt man
seine Leistungsfähigkeit erschöpft, wenn man einer Verkettung von
Einfällen gefolgt ist, der Traum sagt einem nichts mehr an diesem Tage;
man tut dann gut, abzubrechen und an einem nächsten zur Arbeit
zurückzukehren. Dann lenkt ein anderes Stück des Trauminhaltes die
Aufmerksamkeit auf sich, und man findet den Zugang zu einer neuen
Schicht von Traumgedanken. Man kann das die »fraktionierte« Traumdeutung
heißen.

Am schwierigsten ist der Anfänger in der Traumdeutung zur Anerkennung
der Tatsache zu bewegen, daß seine Aufgabe nicht voll erledigt ist, wenn
er eine vollständige Deutung des Traumes in Händen hat, die sinnreich,
zusammenhängend ist und über alle Elemente des Trauminhaltes Auskunft
gibt. Es kann außerdem eine andere, eine Überdeutung desselben Traumes
möglich sein, die ihm entgangen ist. Es ist wirklich nicht leicht, sich
von dem Reichtum an unbewußten, nach Ausdruck ringenden Gedankengängen
in unserem Denken eine Vorstellung zu machen und an die Geschicklichkeit
der Traumarbeit zu glauben, durch mehrdeutige Ausdrucksweise jedesmal
gleichsam sieben Fliegen mit einem Schlage zu treffen, wie der
Schneidergeselle im Märchen. Der Leser wird immer geneigt sein, dem
Autor vorzuwerfen, daß er seinen Witz überflüssig vergeude; wer sich
selbst Erfahrung erworben hat, wird sich eines Besseren belehrt finden.

Die Frage, ob jeder Traum zur Deutung gebracht werden kann, ist mit Nein
zu beantworten. Man darf nicht vergessen, daß man bei der Deutungsarbeit
die psychischen Mächte gegen sich hat, welche die Entstellung des
Traumes verschulden. Es wird so eine Frage des Kräfteverhältnisses, ob
man mit seinem intellektuellen Interesse, seiner Fähigkeit zur
Selbstüberwindung, seinen psychologischen Kenntnissen und seiner Übung
in der Traumdeutung den inneren Widerständen den Herren zeigen kann. Ein
Stück weit ist das immer möglich, so weit wenigstens, um die Überzeugung
zu gewinnen, daß der Traum eine sinnreiche Bildung ist, und meist auch,
um eine Ahnung dieses Sinnes zu gewinnen. Recht häufig gestattet ein
nächstfolgender Traum, die für den ersten angenommene Deutung zu
versichern und weiter zu führen. Eine ganze Reihe von Träumen, die sich
durch Wochen oder Monate zieht, ruht oft auf gemeinsamem Boden, und ist
dann im Zusammenhange der Deutung zu unterwerfen. Von aufeinanderfolgenden
Träumen kann man oft merken, wie der eine zum Mittelpunkte
nimmt, was in dem nächsten nur in der Peripherie angedeutet
wird, und umgekehrt, so daß die beiden einander auch zur Deutung
ergänzen. Daß die verschiedenen Träume derselben Nacht ganz regelmäßig
von der Deutungsarbeit wie ein Ganzes zu behandeln sind, habe ich
bereits durch Beispiele erwiesen.

In den bestgedeuteten Träumen muß man oft eine Stelle im Dunkeln lassen,
weil man bei der Deutung merkt, daß dort ein Knäuel von Traumgedanken
anhebt, der sich nicht entwirren will, aber auch zum Trauminhalt keine
weiteren Beiträge geliefert hat. Dies ist dann der Nabel des Traumes,
die Stelle, an der er dem Unerkannten aufsitzt. Die Traumgedanken, auf
die man bei der Deutung gerät, müssen ja ganz allgemein ohne Abschluß
bleiben und nach allen Seiten hin in die netzartige Verstrickung unserer
Gedankenwelt auslaufen. Aus einer dichteren Stelle dieses Geflechtes
erhebt sich dann der Traumwunsch wie der Pilz aus seinem Myzelium.

Wir kehren zu den Tatsachen des Traumvergessens zurück. Wir haben es
nämlich versäumt, einen wichtigen Schluß aus ihnen zu ziehen. Wenn das
Wachleben die unverkennbare Absicht zeigt, den Traum, der bei Nacht
gebildet worden ist, zu vergessen, entweder als Ganzes unmittelbar nach
dem Erwachen oder stückweise im Laufe des Tages, und wenn wir als den
Hauptbeteiligten bei diesem Vergessen den seelischen Widerstand gegen
den Traum erkennen, der doch schon in der Nacht das seinige gegen den
Traum getan hat, so liegt die Frage nahe, was eigentlich gegen diesen
Widerstand die Traumbildung überhaupt ermöglicht hat. Nehmen wir den
grellsten Fall, in dem das Wachleben den Traum wieder beseitigt, als ob
er gar nicht vorgefallen wäre. Wenn wir dabei das Spiel der psychischen
Kräfte in Betracht ziehen, so müssen wir aussagen, der Traum wäre
überhaupt nicht zu stande gekommen, wenn der Widerstand bei Nacht
gewaltet hätte wie bei Tage. Unser Schluß ist, daß dieser während der
Nachtzeit einen Teil seiner Macht eingebüßt hatte; wir wissen, er war
nicht aufgehoben, denn wir haben seinen Anteil an der Traumbildung in
der Traumentstellung nachgewiesen. Aber die Möglichkeit drängt sich uns
auf, daß er des Nachts verringert war, daß durch diese Abnahme des
Widerstandes die Traumbildung möglich wurde, und wir verstehen so
leicht, daß er, mit dem Erwachen in seine volle Kraft eingesetzt, sofort
wieder beseitigt, was er, solange er schwach war, zulassen mußte. Die
beschreibende Psychologie lehrt uns ja, daß die Hauptbedingung der
Traumbildung der Schlafzustand der Seele ist; wir könnten nun die
_Erklärung hinzufügen: der Schlafzustand ermöglicht die Traumbildung,
indem er die endopsychische Zensur herabsetzt_.

 Einwände gegen die Technik der Traumdeutung.

Wir sind gewiß in Versuchung, diesen Schluß als den einzig möglichen aus
den Tatsachen des Traumvergessens anzusehen, und weitere Folgerungen
über die Energieverhältnisse des Schlafens und des Wachens aus ihm zu
entwickeln. Wir wollen aber vorläufig hierin innehalten. Wenn wir uns in
die Psychologie des Traumes ein Stück weiter vertieft haben, werden wir
erfahren, daß man sich die Ermöglichung der Traumbildung auch noch
anders vorstellen kann. Der Widerstand gegen das Bewußtwerden der
Traumgedanken kann vielleicht auch umgangen werden, ohne daß er an sich
eine Herabsetzung erfahren hätte. Es ist auch plausibel, daß beide der
Traumbildung günstigen Momente, die Herabsetzung sowie die Umgehung des
Widerstandes, durch den Schlafzustand gleichzeitig ermöglicht werden.
Wir brechen hier ab, um nach einer Weile hier fortzusetzen.

Es gibt eine andere Reihe von Einwendungen gegen unser Verfahren bei der
Traumdeutung, um die wir uns jetzt bekümmern müssen. Wir gehen ja hier
so vor, daß wir alle sonst das Nachdenken beherrschenden
Zielvorstellungen fallen lassen, unsere Aufmerksamkeit auf ein einzelnes
Traumelement richten und dann notieren, was uns an ungewollten Gedanken
zu demselben einfällt. Dann greifen wir einen nächsten Bestandteil des
Trauminhaltes auf, wiederholen an ihm dieselbe Arbeit und lassen uns,
unbekümmert um die Richtung, nach der die Gedanken treiben, von ihnen
weiter führen, wobei wir -- wie man zu sagen pflegt -- vom Hundertsten
ins Tausendste geraten. Dabei hegen wir die zuversichtliche Erwartung,
am Ende ganz ohne unser Dazutun auf die Traumgedanken zu geraten, aus
denen der Traum entstanden ist. Dagegen wird die Kritik nun etwa
folgendes einzuwenden haben: Daß man von einem einzelnen Element des
Traumes irgendwohin gelangt, ist nichts Wunderbares. An jede Vorstellung
läßt sich assoziativ etwas knüpfen; es ist nur merkwürdig, daß man bei
diesem ziellosen und willkürlichen Gedankenablauf gerade zu den
Traumgedanken geraten soll. Wahrscheinlich ist das eine Selbsttäuschung;
man folgt der Assoziationskette von dem einen Element aus, bis man sie
aus irgend einem Grunde abreißen merkt; wenn man dann ein zweites
Element aufnimmt, so ist es nur natürlich, daß die ursprüngliche
Unbeschränktheit der Assoziation jetzt eine Einengung erfährt. Man hat
die frühere Gedankenkette noch in Erinnerung und wird darum bei der
Analyse der zweiten Traumvorstellung leichter auf einzelne Einfälle
stoßen, die auch mit den Einfällen aus der ersten Kette irgend etwas
gemein haben. Dann bildet man sich ein, einen Gedanken gefunden zu
haben, der einen Knotenpunkt zwischen zwei Traumelementen darstellt. Da
man sich sonst jede Freiheit der Gedankenverbindung gestattet und
eigentlich nur die Übergänge von einer Vorstellung zur anderen
ausschließt, die beim normalen Denken in Kraft treten, so wird es
schließlich nicht schwer, aus einer Reihe von »Zwischengedanken« etwas
zusammenzubrauen, was man die Traumgedanken benennt, und ohne jede
Gewähr, da diese sonst nicht bekannt sind, für den psychischen Ersatz
des Traumes ausgibt. Es ist aber alles Willkür und witzig erscheinende
Ausnutzung des Zufalles dabei, und jeder, der sich dieser unnützen Mühe
unterzieht, kann zu einem beliebigen Traume auf diesem Wege eine ihm
beliebige Deutung herausgrübeln.

Wenn uns solche Einwände wirklich vorgerückt werden, so können wir uns
zur Abwehr auf den Eindruck unserer Traumdeutungen berufen, auf die
überraschenden Verbindungen mit anderen Traumelementen, die sich während
der Verfolgung der einzelnen Vorstellungen ergeben und auf die
Unwahrscheinlichkeit, daß etwas, was den Traum so erschöpfend deckt und
aufklärt wie eine unserer Traumdeutungen, anders gewonnen werden könne,
als indem man vorher hergestellten psychischen Verbindungen nachfährt.
Wir könnten auch zu unserer Rechtfertigung heranziehen, daß das
Verfahren bei der Traumdeutung identisch ist mit dem bei der Auflösung
der hysterischen Symptome, wo die Richtigkeit des Verfahrens durch das
Auftauchen und Schwinden der Symptome zu ihrer Stelle gewährleistet
wird, wo also die Auslegung des Textes an den eingeschalteten
Illustrationen einen Anhalt findet. Wir haben aber keinen Grund, dem
Problem, wieso man durch Verfolgung einer sich willkürlich und ziellos
weiter spinnenden Gedankenkette zu einem präexistenten Ziele gelangen
könne, aus dem Wege zu gehen, da wir dieses Problem zwar nicht zu lösen,
aber voll zu beseitigen vermögen.

 Determination der freien Assoziationen.

Es ist nämlich nachweisbar unrichtig, daß wir uns einem ziellosen
Vorstellungsablauf hingeben, wenn wir, wie bei der Traumdeutungsarbeit,
unser Nachdenken fallen und die ungewollten Vorstellungen auftauchen
lassen. Es läßt sich zeigen, daß wir immer nur auf die uns bekannten
Zielvorstellungen verzichten können, und daß mit dem Aufhören dieser
sofort unbekannte -- wie wir ungenau sagen: unbewußte --
Zielvorstellungen zur Macht kommen, die jetzt den Ablauf der ungewollten
Vorstellungen determiniert halten. Ein Denken ohne Zielvorstellungen
läßt sich durch unsere eigene Beeinflussung unseres Seelenlebens
überhaupt nicht herstellen; es ist mir aber auch unbekannt, in welchen
Zuständen psychischer Zerrüttung es sich sonst herstellt(227). Die
Psychiater haben hier viel zu früh auf die Festigkeit des psychischen
Gefüges verzichtet. Ich weiß, daß ein ungeregelter, der
Zielvorstellungen entbehrender Gedankenablauf im Rahmen der Hysterie und
der Paranoia ebensowenig vorkommt wie bei der Bildung oder bei der
Auflösung der Träume. Er tritt vielleicht bei den endogenen psychischen
Affektionen überhaupt nicht ein; selbst die Delirien der Verworrenen
sind nach einer geistreichen Vermutung von _Leuret_ sinnvoll und werden
nur durch Auslassungen für uns unverständlich. Ich habe die nämliche
Überzeugung gewonnen, wo mir Gelegenheit zur Beobachtung geboten war.
Die Delirien sind das Werk einer Zensur, die sich keine Mühe mehr gibt,
ihr Walten zu verbergen, die anstatt ihre Mitwirkung zu einer nicht mehr
anstößigen Umarbeitung zu leihen, rücksichtslos ausstreicht, wogegen sie
Einspruch erhebt, wodurch dann das Übriggelassene zusammenhanglos wird.
Diese Zensur verfährt ganz analog der russischen Zeitungszensur an der
Grenze, welche ausländische Journale nur von schwarzen Strichen
durchsetzt in die Hände der zu behütenden Leser gelangen läßt.

  (227) Ich bin erst später darauf aufmerksam gemacht worden, daß _Ed.
  von Hartmann_ in diesem psychologisch bedeutsamen Punkte die nämliche
  Anschauung vertritt: »Gelegentlich der Erörterung der Rolle des
  Unbewußten im künstlerischen Schaffen (Philos. d. Unbew. Bd. I.,
  Abschn. B, Kap. V) hat Eduard von Hartmann das Gesetz der von
  unbewußten Zielvorstellungen geleiteten Ideenassoziation mit klaren
  Worten ausgesprochen, ohne sich jedoch der Tragweite dieses Gesetzes
  bewußt zu sein. Ihm ist es darum zu tun, zu erweisen, daß ›jede
  Kombination sinnlicher Vorstellungen, wenn sie nicht rein dem Zufall
  anheimgestellt wird, sondern zu einem bestimmten Ziele führen soll,
  der Hilfe des Unbewußten bedarf‹ und daß das bewußte Interesse an
  einer bestimmten Gedankenverbindung ein Antrieb für das Unbewußte ist,
  unter den unzähligen möglichen Verstellungen die zweckentsprechende
  herauszufinden. ›Es ist das Unbewußte, welches den Zwecken des
  Interesses gemäß wählt: und das gilt für die _Ideenassoziation beim
  abstrakten Denken, als sinnlichem Vorstellen oder künstlerischem
  Kombinieren‹ und beim witzigen Einfall_. Daher ist eine Einschränkung
  der Ideenassoziation auf die hervorrufende und die hervorgerufene
  Vorstellung im Sinne der reinen Assoziationspsychologie nicht aufrecht
  zu erhalten. Eine solche Einschränkung wäre ›nur dann tatsächlich
  gerechtfertigt, wenn Zustände im menschlichen Leben vorkommen, in
  denen der Mensch nicht nur von jedem bewußten Zweck, sondern auch von
  der Herrschaft oder Mitwirkung jedes unbewußten Interesses, jeder
  Stimmung frei ist. Dies ist aber ein kaum jemals vorkommender Zustand,
  denn auch, _wenn man seine Gedankenfolge anscheinend völlig dem Zufall
  anheimgibt, oder wenn man sich ganz den unwillkürlichen Träumen der
  Phantasie überläßt, so walten doch immer zu der einen Stunde andere
  Hauptinteressen, maßgebende Gefühle und Stimmungen im Gemüt als zu der
  anderen, und diese werden allemal einen Einfluß auf die
  Ideenassoziation üben_.‹ (Philos. d. Unbew., 11. Aufl., I., 246.) Bei
  halb unbewußten Träumen kommen immer nur solche Vorstellungen, die dem
  augenblicklichen (unbewußten) Hauptinteresse entsprechen (a. a. O.).
  Die Hervorhebung des Einflusses der Gefühle und Stimmungen auf die
  freie Gedankenfolge läßt nun das methodische Verfahren der
  Psychoanalyse auch vom Standpunkte der Hartmannschen Psychologie als
  durchaus gerechtfertigt erscheinen.« (N. E. _Pohorilles_ in Internat.
  Zschr. f. ärztl. Ps.-A. I, 1913, S. 605 f.) -- _Du Prel_ schließt aus
  der Tatsache, daß ein Name, auf den wir uns vergeblich besinnen, uns
  oft plötzlich wie unvermittelt einfällt, es gebe ein unbewußtes und
  dennoch zielgerichtetes Denken, dessen Resultat alsdann ins Bewußtsein
  tritt (Philos. d. Mystik p. 107).

Das freie Spiel der Vorstellungen nach beliebiger Assoziationsverkettung
kommt vielleicht bei destruktiven organischen Gehirnprozessen zum
Vorschein; was bei den Psychoneurosen für solches gehalten wird, läßt
sich allemal durch Einwirkung der Zensur auf eine Gedankenreihe
aufklären, welche von verborgen gebliebenen Zielvorstellungen in den
Vordergrund geschoben wird(228). Als ein untrügliches Zeichen der von
Zielvorstellungen freien Assoziation hat man es betrachtet, wenn die
auftauchenden Vorstellungen (oder Bilder) untereinander durch die Bande
der sogenannten oberflächlichen Assoziationen verknüpft erscheinen, also
durch Assonanz, Wortzweideutigkeit, zeitliches Zusammentreffen ohne
innere Sinnbeziehung, durch alle die Assoziationen, die wir im Witz und
beim Wortspiel zu verwerten uns gestatten. Dieses Kennzeichen trifft für
die Gedankenverbindungen, die uns von den Elementen des Trauminhaltes zu
den Kollateralen und von diesen zu den eigentlichen Traumgedanken
führen, zu; wir haben bei vielen Traumanalysen Beispiele davon gefunden,
die unser Befremden wecken mußten. Keine Anknüpfung war da zu locker,
kein Witz zu verwerflich, als daß er nicht die Brücke von einem Gedanken
zum anderen hätte bilden dürfen. Aber das richtige Verständnis solcher
Nachsichtigkeit liegt nicht fern. _Jedesmal, wenn ein psychisches
Element mit einem anderen durch eine anstößige und oberflächliche
Assoziation verbunden ist, existiert auch eine korrekte und
tiefergehende Verknüpfung zwischen den beiden, welche dem Widerstand der
Zensur unterliegt._

  (228) Vgl. hiezu die glänzende Bestätigung dieser Behauptung, die
  C. G. _Jung_ durch Analysen bei Dementia praecox erbracht hat. (»Zur
  Psychologie der Dementia praecox«, 1907.)

Druck der Zensur, nicht Aufhebung der Zielvorstellungen ist die richtige
Begründung für das Vorherrschen der oberflächlichen Assoziationen. Die
oberflächlichen Assoziationen ersetzen in der Darstellung die tiefen,
wenn die Zensur diese normalen Verbindungswege ungangbar macht. Es ist,
wie wenn ein allgemeines Verkehrshindernis, z. B. eine Überschwemmung,
im Gebirge die großen und breiten Straßen unwegsam werden läßt; der
Verkehr wird dann auf unbequemen und steilen Fußpfaden aufrecht
erhalten, die sonst nur der Jäger begangen hat.

Man kann hier zwei Fälle voneinander trennen, die im wesentlichen eins
sind. Entweder die Zensur richtet sich nur gegen den Zusammenhang zweier
Gedanken, die voneinander losgelöst, dem Einspruch entgehen. Dann treten
die beiden Gedanken nacheinander ins Bewußtsein; ihr Zusammenhang bleibt
verborgen; aber dafür fällt uns eine oberflächliche Verknüpfung zwischen
beiden ein, an die wir sonst nicht gedacht hätten, und die in der Regel
an einer anderen Ecke des Vorstellungskomplexes ansetzt, als von welcher
die unterdrückte, aber wesentliche Verbindung ausgeht. Oder aber, beide
Gedanken unterliegen an sich wegen ihres Inhaltes der Zensur; dann
erscheinen beide nicht in der richtigen, sondern in modifizierter,
ersetzter Form, und die beiden Ersatzgedanken sind so gewählt, daß sie
durch eine oberflächliche Assoziation die wesentliche Verbindung
wiedergeben, in der die von ihnen ersetzten stehen. _Unter dem Drucke
der Zensur hat hier in beiden Fällen eine Verschiebung stattgefunden von
einer normalen, ernsthaften Assoziation auf eine oberflächliche, absurd
erscheinende._

Weil wir von diesen Verschiebungen wissen, vertrauen wir uns bei der
Traumdeutung auch den oberflächlichen Assoziationen ganz ohne Bedenken
an(229).

  (229) Dieselben Erwägungen gelten natürlich auch für den Fall, daß die
  oberflächlichen Assoziationen im Trauminhalt bloßgelegt werden, wie
  z. B. in den beiden von _Maury_ mitgeteilten Träumen (p. 45:
  pélerinage -- Pelletier -- pelle; Kilometer -- Kilogramm -- Gilolo --
  Lobelia -- Lopez -- Lotto). Aus der Arbeit mit Neurotikern weiß ich,
  welche Reminiszenz sich so darzustellen liebt. Es ist das Nachschlagen
  im Konversationslexikon (Lexikon überhaupt), aus dem ja die meisten in
  der Zeit der Pubertätsneugierde ihr Bedürfnis nach Aufklärung der
  sexuellen Rätsel gestillt haben.

 Rechtfertigung der Deutungstechnik.

Von den beiden Sätzen, daß mit dem Aufgeben der bewußten
Zielvorstellungen die Herrschaft über den Vorstellungsablauf an
verborgene Zielvorstellungen übergeht und daß oberflächliche
Assoziationen nur ein Verschiebungsersatz sind für unterdrückte,
tiefergehende, macht die Psychoanalyse bei Neurosen den ausgiebigsten
Gebrauch; ja, sie erhebt die beiden Sätze zu Grundpfeilern ihrer
Technik. Wenn ich einem Patienten auftrage, alles Nachdenken fahren zu
lassen und mir zu berichten, was immer ihm dann in den Sinn kommt, so
halte ich die Voraussetzung fest, daß er die Zielvorstellungen der
Behandlung nicht fahren lassen kann, und halte mich für berechtigt, zu
folgern, daß das scheinbar Harmloseste und Willkürlichste, das er mir
berichtet, im Zusammenhange mit seinem Krankheitszustand steht. Eine
andere Zielvorstellung, von der dem Patienten nichts ahnt, ist die
meiner Person. Die volle Würdigung sowie der eingehende Nachweis der
beiden Aufklärungen gehört demnach in die Darstellung der
psychoanalytischen Technik als therapeutischen Methode. Wir haben hier
einen der Anschlüsse erreicht, bei denen wir das Thema der Traumdeutung
vorsätzlich fallen lassen(230).

  (230) Die hier vorgetragenen, damals sehr unwahrscheinlich klingenden
  Sätze haben später durch die »diagnostischen Assoziationsstudien«
  _Jungs_ und seiner Schüler eine experimentelle Rechtfertigung und
  Verwertung erfahren.

Eines nur ist richtig und bleibt von den Einwendungen bestehen, nämlich
daß wir nicht alle Einfälle der Deutungsarbeit auch in die nächtliche
Traumarbeit zu versetzen brauchen. Wir machen ja beim Deuten im Wachen
einen Weg, der von den Traumelementen zu den Traumgedanken rückläuft.
Die Traumarbeit hat den umgekehrten Weg genommen, und es ist gar nicht
wahrscheinlich, daß diese Wege in umgekehrter Richtung gangbar sind. Es
erweist sich vielmehr, daß wir bei Tag über neue Gedankenverbindungen
Schachte führen, welche die Zwischengedanken und die Traumgedanken bald
an dieser, bald an jener Stelle treffen. Wir können sehen, wie sich das
frische Gedankenmaterial des Tages in die Deutungsreihen einschiebt, und
wahrscheinlich nötigt auch die Widerstandssteigerung, die seit der
Nachtzeit eingetreten ist, zu neuen und ferneren Umwegen. Die Zahl oder
Art der Kollateralen aber, die wir so bei Tage anspinnen, ist
psychologisch völlig bedeutungslos, wenn sie uns nur den Weg zu den
gesuchten Traumgedanken führen.


b) _Die Regression_.

Nun aber, da wir uns gegen die Einwendungen verwahrt oder wenigstens
angezeigt haben, wo unsere Waffen zur Abwehr ruhen, dürfen wir es nicht
länger verschieben, in die psychologischen Untersuchungen einzutreten,
für die wir uns längst gerüstet haben. Wir stellen die Hauptergebnisse
unserer bisherigen Untersuchung zusammen. Der Traum ist ein
vollwichtiger psychischer Akt; seine Triebkraft ist allemal ein zu
erfüllender Wunsch; seine Unkenntlichkeit als Wunsch und seine vielen
Sonderbarkeiten und Absurditäten rühren von dem Einfluß der psychischen
Zensur her, den er bei der Bildung erfahren hat; außer der Nötigung,
sich dieser Zensur zu entziehen, haben bei seiner Bildung mitgewirkt
eine Nötigung zur Verdichtung des psychischen Materials, eine Rücksicht
auf Darstellbarkeit in Sinnesbildern und -- wenn auch nicht regelmäßig
-- eine Rücksicht auf ein rationelles und intelligibles Äußeres des
Traumgebildes. Von jedem dieser Sätze führt der Weg weiter zu
psychologischen Postulaten und Mutmaßungen; die gegenseitige Beziehung
des Wunschmotivs und der vier Bedingungen sowie dieser untereinander ist
zu untersuchen; der Traum ist in den Zusammenhang des Seelenlebens
einzureihen.

Wir haben einen Traum an die Spitze dieses Abschnittes gestellt, um uns
an die Rätsel zu mahnen, deren Lösung noch aussteht. Die Deutung dieses
Traumes vom brennenden Kinde bereitete uns keine Schwierigkeiten,
wenngleich sie nicht in unserem Sinne vollständig gegeben war. Wir
fragten uns, warum hier überhaupt geträumt wurde, anstatt zu erwachen,
und erkannten als das eine Motiv des Träumens den Wunsch, das Kind als
lebend vorzustellen. Daß noch ein anderer Wunsch dabei eine Rolle
spielt, werden wir nach späteren Erörterungen einsehen können. Zunächst
also ist es die Wunscherfüllung, der zuliebe der Denkvorgang des
Schlafens in einen Traum verwandelt wurde.

Macht man diese rückgängig, so bleibt nur noch ein Charakter übrig,
welcher die beiden Arten des psychischen Geschehens voneinander
scheidet. Der Traumgedanke hätte gelautet: Ich sehe einen Schein aus dem
Zimmer, in dem die Leiche liegt. Vielleicht ist eine Kerze umgefallen
und das Kind brennt! Der Traum gibt das Resultat dieser Überlegung
unverändert wieder, aber dargestellt in einer Situation, die gegenwärtig
und mit den Sinnen wie ein Erlebnis des Wachens zu erfassen ist. Das ist
aber der allgemeinste und auffälligste psychologische Charakter des
Träumens; ein Gedanke, in der Regel der gewünschte, wird im Traume
objektiviert, als Szene dargestellt oder, wie wir meinen, erlebt.

Wie soll man nun diese charakteristische Eigentümlichkeit der
Traumarbeit erklären oder -- bescheidener ausgedrückt -- in den
Zusammenhang der psychischen Vorgänge einfügen?

Bei näherem Zusehen merkt man wohl, daß in der Erscheinungsform des
Traumes zwei voneinander fast unabhängige Charaktere ausgeprägt sind.
Der eine ist die Darstellung als gegenwärtige Situation mit Weglassung
des »vielleicht«; der andere die Umsetzung des Gedankens in visuelle
Bilder und in Rede.

Die Umwandlung, welche die Traumgedanken dadurch erfahren, daß die in
ihnen ausgedrückte Erwartung ins Präsens gesetzt wird, scheint
vielleicht gerade an diesem Traume nicht sehr auffällig. Es hängt dies
mit der besonderen, eigentlich nebensächlichen Rolle der Wunscherfüllung
in diesem Traume zusammen. Nehmen wir einen anderen Traum vor, in dem
sich der Traumwunsch nicht von der Fortsetzung der Wachgedanken in den
Schlaf absondert, z. B. den von Irmas Injektion. Hier ist der zur
Darstellung gelangende Traumgedanke ein Optativ: Wenn doch der Otto an
der Krankheit Irmas schuld sein möchte! Der Traum verdrängt den Optativ
und ersetzt ihn durch ein simples Präsens. Ja, Otto ist schuld an der
Krankheit Irmas. Das ist also die erste der Verwandlungen, die auch der
entstellungsfreie Traum mit den Traumgedanken vornimmt. Bei dieser
ersten Eigentümlichkeit des Traumes werden wir uns aber nicht lange
aufhalten. Wir erledigen sie durch den Hinweis auf die bewußte
Phantasie, auf den Tagtraum, der mit seinem Vorstellungsinhalt ebenso
verfährt. Wenn _Daudets Mr. Joyeuse_ beschäftigungslos durch die
Straßen von Paris irrt, während seine Töchter glauben müssen, er habe
eine Anstellung und sitze in seinem Bureau, so träumt er von den
Vorfällen, die ihm zur Protektion und zu einer Anstellung verhelfen
sollen, gleichfalls im Präsens. Der Traum gebraucht also das Präsens in
derselben Weise und mit demselben Rechte wie der Tagtraum. Das Präsens
ist die Zeitform, in welcher der Wunsch als erfüllt dargestellt wird.

Dem Traume allein zum Unterschiede vom Tagtraume eigentümlich ist aber
der zweite Charakter, daß der Vorstellungsinhalt nicht gedacht, sondern
in sinnliche Bilder verwandelt wird, denen man dann Glauben schenkt, und
die man zu erleben meint. Fügen wir gleich hinzu, daß nicht alle Träume
die Umwandlung von Vorstellung in Sinnesbild zeigen; es gibt Träume, die
nur aus Gedanken bestehen; denen man die Wesenheit der Träume darum doch
nicht bestreiten wird. Mein Traum: »_Autodidasker_ -- die Tagesphantasie
mit Professor N.« ist ein solcher, in den sich kaum mehr sinnliche
Elemente einmengen, als wenn ich seinen Inhalt bei Tag gedacht hätte.
Auch gibt es in jedem längeren Traume Elemente, welche die Umwandlung
ins Sinnliche nicht mitgemacht haben, die einfach gedacht oder gewußt
werden, wie wir's vom Wachen her gewöhnt sind. Ferner wollen wir gleich
hier daran denken, daß solche Verwandlung von Vorstellungen in
Sinnesbilder nicht dem Traume allein zukommt, sondern ebenso der
Halluzination, den Visionen, die etwa selbständig in der Gesundheit
auftreten oder als Symptome der Psychoneurosen. Kurz, die Beziehung, die
wir hier untersuchen, ist nach keiner Richtung eine ausschließliche; es
bleibt aber bestehen, daß dieser Charakter des Traumes, wo er vorkommt,
uns als der bemerkenswerteste erscheint, so daß wir ihn nicht aus dem
Traumleben weggenommen denken könnten. Sein Verständnis erfordert aber
weitausgreifende Erörterungen.

 _Fechners_ Idee einer psychischen Lokalität.

Unter allen Bemerkungen zur Theorie des Träumens, welche man bei den
Autoren finden kann, möchte ich eine als anknüpfenswert hervorheben. Der
große G. Th. _Fechner_ spricht in seiner Psychophysik (II. Teil, p. 520)
im Zusammenhange einiger Erörterungen, die er dem Traume widmet, die
Vermutung aus, daß _der Schauplatz der Träume ein anderer sei als der
des wachen Vorstellungslebens_. Keine andere Annahme gestatte es, die
besonderen Eigentümlichkeiten des Traumlebens zu begreifen.

Die Idee, die uns so zur Verfügung gestellt wird, ist die einer
_psychischen Lokalität_. Wir wollen ganz beiseite lassen, daß der
seelische Apparat, um den es sich hier handelt, uns auch als
anatomisches Präparat bekannt ist, und wollen der Versuchung sorgfältig
aus dem Wege gehen, die psychische Lokalität etwa anatomisch zu
bestimmen. Wir bleiben auf psychologischem Boden und gedenken nur der
Aufforderung zu folgen, daß wir uns das Instrument, welches den
Seelenleistungen dient, vorstellen wie etwa ein zusammengesetztes
Mikroskop, einen photographischen Apparat u. dgl. Die psychische
Lokalität entspricht dann einem Orte, innerhalb eines solchen Apparates,
an dem eine der Vorstufen des Bildes zu stande kommt. Beim Mikroskop und
Fernrohr sind dies bekanntlich zum Teil ideelle Örtlichkeiten, Gegenden,
in denen kein greifbarer Bestandteil des Apparates gelegen ist. Für die
Unvollkommenheiten dieser und aller ähnlichen Bilder Entschuldigung zu
erbitten, halte ich für überflüssig. Diese Gleichnisse sollen uns nur
bei einem Versuch unterstützen, der es unternimmt, uns die Komplikation
der psychischen Leistung verständlich zu machen, indem wir diese
Leistung zerlegen und die Einzelleistung den einzelnen Bestandteilen des
Apparates zuweisen. Der Versuch, die Zusammensetzung des seelischen
Instrumentes aus solcher Zerlegung zu erraten, ist meines Wissens noch
nicht gewagt worden. Er scheint mir harmlos. Ich meine, wir dürfen
unseren Vermutungen freien Lauf lassen, wenn wir dabei nur unser kühles
Urteil bewahren, das Gerüste nicht für den Bau halten. Da wir nichts
anderes benötigen als Hilfsvorstellungen zur ersten Annäherung an etwas
Unbekanntes, so werden wir die rohesten und greifbarsten Annahmen
zunächst allen anderen vorziehen.

Wir stellen uns also den seelischen Apparat vor als ein
zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir _Instanzen_ oder
der Anschaulichkeit zuliebe _Systeme_ heißen wollen. Dann bilden wir die
Erwartung, daß diese Systeme vielleicht eine konstante räumliche
Orientierung gegeneinander haben, etwa wie die verschiedenen
Linsensysteme des Fernrohres hintereinander stehen. Streng genommen
brauchen wir die Annahme einer wirklich räumlichen Anordnung der
psychischen Systeme nicht zu machen. Es genügt uns, wenn eine feste
Reihenfolge dadurch hergestellt wird, daß bei gewissen psychischen
Vorgängen die Systeme in einer bestimmten zeitlichen Folge von der
Erregung durchlaufen werden. Diese Folge mag bei anderen Vorgängen eine
Abänderung erfahren; eine solche Möglichkeit wollen wir uns offen
lassen. Von den Bestandteilen des Apparates wollen wir von nun an der
Kürze halber als »Ψ-Systeme« sprechen.

Das erste, was uns auffällt, ist nun, daß dieser aus Ψ-Systemen
zusammengesetzte Apparat eine Richtung hat. All unsere psychische
Tätigkeit geht von (inneren oder äußeren) Reizen aus und endigt in
Innervationen. Somit schreiben wir dem Apparat ein sensibles und ein
motorisches Ende zu; an dem sensiblen Ende befindet sich ein System,
welches die Wahrnehmungen empfängt, am motorischen Ende ein anderes,
welches die Schleusen der Motilität eröffnet. Der psychische Vorgang
verläuft im allgemeinen vom Wahrnehmungsende zum Motilitätsende. Das
allgemeinste Schema des psychischen Apparates hätte also folgendes
Ansehen:

[Illustration: Fig. 1.]

Das ist aber nur die Erfüllung der uns längst vertrauten Forderung, der
psychische Apparat müsse gebaut sein wie ein Reflexapparat. Der
Reflexvorgang bleibt das Vorbild auch aller psychischen Leistung.

 Ein Schema des seelischen Apparates.

Wir haben nun Grund, am sensiblen Ende eine erste Differenzierung
eintreten zu lassen. Von den Wahrnehmungen, die an uns herankommen,
verbleibt in unserem psychischen Apparat eine Spur, die wir
»_Erinnerungsspur_« heißen können. Die Funktion, die sich auf diese
Erinnerungsspur bezieht, heißen wir ja Gedächtnis. Wenn wir Ernst mit
dem Vorsatze machen, die psychischen Vorgänge an Systeme zu knüpfen, so
kann die Erinnerungsspur nur bestehen in bleibenden Veränderungen an den
Elementen der Systeme. Nun bringt es, wie schon von anderer Seite
ausgeführt, offenbar Schwierigkeiten mit sich, wenn ein und dasselbe
System an seinen Elementen Veränderungen getreu bewahren und doch neuen
Anlässen zur Veränderung immer frisch und aufnahmsfähig entgegentreten
soll. Nach dem Prinzip, das unseren Versuch leitet, werden wir also
diese beiden Leistungen auf verschiedene Systeme verteilen. Wir nehmen
an, daß ein vorderstes System des Apparates die Wahrnehmungsreize
aufnimmt, aber nichts von ihnen bewahrt, also kein Gedächtnis hat, und
daß hinter diesem ein zweites System liegt, welches die momentane
Erregung des ersten in Dauerspuren umsetzt. Dann wäre dies das Bild
unseres psychischen Apparates (Fig. 2):

[Illustration: Fig. 2.]

Es ist bekannt, daß wir von den Wahrnehmungen, die auf System ~W~
einwirken, noch etwas anderes als bleibend bewahren als den Inhalt
derselben. Unsere Wahrnehmungen erweisen sich auch als im Gedächtnisse
miteinander verknüpft und zwar vor allem nach ihrem einstigen
Zusammentreffen in der Gleichzeitigkeit. Wir heißen das die Tatsache der
_Assoziation_. Es ist nun klar, wenn das ~W~-System überhaupt kein
Gedächtnis hat, daß es auch die Spuren für die Assoziation nicht
aufbewahren kann; die einzelnen ~W~-Elemente wären in ihrer Funktion
unerträglich behindert, wenn sich gegen eine neue Wahrnehmung ein Rest
früherer Verknüpfung geltend machen würde. Wir müssen also als die
Grundlage der Assoziation vielmehr die Erinnerungssysteme annehmen. Die
Tatsache der Assoziation besteht dann darin, daß infolge von
Widerstandsverringerungen und Bahnungen von einem der ~Er~-Elemente die
Erregung sich eher nach einem zweiten als nach einem dritten
~Er~-Element fortpflanzt.

Bei näherem Eingehen ergibt sich die Notwendigkeit, nicht eines, sondern
mehrere solcher ~Er~-Systeme anzunehmen, in denen dieselbe, durch die
~W~-Elemente fortgepflanzte Erregung eine verschiedenartige Fixierung
erfährt. Das erste dieser ~Er~-Systeme wird jedenfalls die Fixierung der
Assoziation durch Gleichzeitigkeit enthalten, in den weiter entfernt
liegenden wird dasselbe Erregungsmaterial nach anderen Arten des
Zusammentreffens angeordnet sein, so daß etwa Beziehungen der
Ähnlichkeit, u. a. durch diese späteren Systeme dargestellt würden. Es
wäre natürlich müßig, die psychische Bedeutung eines solchen Systems in
Worten angeben zu wollen. Die Charakteristik desselben läge in der
Innigkeit seiner Beziehungen zu Elementen des Erinnerungsrohmaterials,
das heißt, wenn wir auf eine tiefergreifende Theorie hinweisen wollen,
in den Abstufungen des Leitungswiderstandes nach diesen Elementen hin.

Eine Bemerkung allgemeiner Natur, die vielleicht auf Bedeutsames
hinweist, wäre hier einzuschalten. Das ~W~-System, welches keine
Fähigkeiten hat, Veränderungen zu bewahren, also kein Gedächtnis, ergibt
für unser Bewußtsein die ganze Mannigfaltigkeit der sinnlichen
Qualitäten. Umgekehrt sind unsere Erinnerungen, die am tiefsten uns
eingeprägten nicht ausgenommen, an sich unbewußt. Sie können bewußt
gemacht werden; es ist aber kein Zweifel, daß sie im unbewußten Zustand
alle ihre Wirkungen entfalten. Was wir unseren Charakter nennen, beruht
ja auf den Erinnerungsspuren unserer Eindrücke, und zwar sind gerade die
Eindrücke, die am stärksten auf uns gewirkt hatten, die unserer ersten
Jugend, solche, die fast nie bewußt werden. Werden aber Erinnerungen
wieder bewußt, so zeigen sie keine sinnliche Qualität oder eine sehr
geringfügige im Vergleiche zu den Wahrnehmungen. Ließe sich nun
bestätigen, daß _Gedächtnis und Qualität für das Bewußtsein an den
Ψ-Systemen einander ausschließen_, so eröffnete sich in die Bedingungen
der Neuronerregung ein vielversprechender Einblick.

Was wir bisher über die Zusammensetzung des psychischen Apparates am
sensiblen Ende angenommen haben, erfolgte ohne Rücksicht auf den Traum
und die aus ihm ableitbaren psychologischen Aufklärungen. Für die
Erkenntnis eines anderen Stückes des Apparates wird uns aber der Traum
zur Beweisquelle. Wir haben gesehen, daß es uns unmöglich wurde, die
Traumbildung zu erklären, wenn wir nicht die Annahmen zweier psychischen
Instanzen wagen wollten, von denen die eine die Tätigkeit der anderen
einer Kritik unterzieht, als deren Folge sich die Ausschließung vom
Bewußtwerden ergibt.

Die kritisierende Instanz, haben wir geschlossen, unterhält nähere
Beziehungen zum Bewußtsein als die kritisierte. Sie steht zwischen
dieser und dem Bewußtsein wie ein Schirm. Wir haben ferner Anhaltspunkte
gefunden, die kritisierende Instanz mit dem zu identifizieren, was unser
waches Leben lenkt und über unser willkürliches, bewußtes Handeln
entscheidet. Ersetzen wir nun diese Instanzen im Sinne unserer Annahmen
durch Systeme, so wird durch die letzterwähnte Erkenntnis das
kritisierende System ans motorische Ende gerückt. Wir tragen nun die
beiden Systeme in unser Schema ein und drücken in den ihnen verliehenen
Namen ihre Beziehung zum Bewußtsein aus.

[Illustration: Fig. 3.]

Das letzte der Systeme am motorischen Ende heißen wir das _Vorbewußte_,
um anzudeuten, daß die Erregungsvorgänge in demselben ohne weitere
Aufhaltung zum Bewußtsein gelangen können, falls noch gewisse
Bedingungen erfüllt sind, z. B. die Erreichung einer gewissen
Intensität, eine gewisse Verteilung jener Funktion, die man
Aufmerksamkeit zu nennen hat, und dergleichen. Es ist gleichzeitig das
System, welches die Schlüssel zur willkürlichen Motilität inne hat. Das
System dahinter heißen wir das _Unbewußte_, weil es keinen Zugang zum
Bewußtsein hat, _außer durch das Vorbewußte_, bei welchem Durchgang sein
Erregungsvorgang sich Abänderungen gefallen lassen muß.

In welches dieser Systeme verlegen wir nun den Anstoß zur Traumbildung?
Der Vereinfachung zuliebe in das System ~Ubw~. Wir werden zwar in
späteren Erörterungen hören, daß dies nicht ganz richtig ist, daß die
Traumbildung genötigt ist, an Traumgedanken anzuknüpfen, die dem System
des Vorbewußten angehören. Wir werden aber auch an anderer Stelle, wenn
wir vom Traumwunsche handeln, erfahren, daß die Triebkraft für den Traum
vom ~Ubw~ beigestellt wird, und wegen dieses letzteren Momentes wollen
wir das unbewußte System als den Ausgangspunkt der Traumbildung
annehmen. Diese Traumerregung wird nun wie alle anderen
Gedankenbildungen das Bestreben äußern, sich ins ~Vbw~ fortzusetzen und
von diesem aus den Zugang zum Bewußtsein zu gewinnen.

Die Erfahrung lehrt uns, daß den Traumgedanken tagsüber dieser Weg, der
durchs Vorbewußte zum Bewußtsein führt, durch die Widerstandszensur
verlegt ist. In der Nacht schaffen sie sich den Zugang zum Bewußtsein;
aber es erhebt sich die Frage, auf welchem Wege und dank welcher
Veränderung. Würde dies den Traumgedanken dadurch ermöglicht, daß nachts
der Widerstand absinkt, der an der Grenze zwischen Unbewußten und
Vorbewußten wacht, so bekämen wir Träume in dem Material unserer
Vorstellungen, die nicht den halluzinatorischen Charakter zeigten, der
uns jetzt interessiert.

Das Absinken der Zensur zwischen den beiden Systemen ~Ubw~ und ~Vbw~
kann uns also nur solche Traumbildungen erklären wie _Autodidasker_,
aber nicht Träume wie den vom _brennenden Kinde_, den wir uns als
Problem an den Eingang dieser Untersuchungen gestellt haben.

 Die Richtung des Erregungsablaufes.

Was im halluzinatorischen Traume vor sich geht, können wir nicht anders
beschreiben, als indem wir sagen: Die Erregung nimmt einen
_rückläufigen_ Weg. Anstatt gegen das motorische Ende des Apparates
pflanzt sie sich gegen das sensible fort und langt schließlich beim
System der Wahrnehmungen an. Heißen wir die Richtung, nach welcher sich
der psychische Vorgang aus dem Unbewußten im Wachen fortsetzt, die
_progrediente_, so dürfen wir vom Traume aussagen, er habe
_regredienten_ Charakter(231).

  (231) Die erste Andeutung des Moments der Regression findet sich
  bereits bei _Albertus Magnus_. Die Imaginatio, heißt es bei ihm, baut
  aus den aufbewahrten Bildern der sinnenfälligen Objekte den Traum auf.
  Der Prozeß vollzieht sich umgekehrt wie im Wachen (nach _Diepgen_,
  p. 14). -- _Hobbes_ sagt (im Leviathan, 1651): »In sum, our dreams are
  the reverse of our waking imaginations, the motion, when we are awake,
  beginning at one end, and when we dream at another.« (Nach H. _Ellis_,
  p. 112.)

Diese Regression ist dann sicherlich eine der wichtigsten
psychologischen Eigentümlichkeiten des Traumvorganges; aber wir dürfen
nicht vergessen, daß sie den Träumen nicht allein zukommt. Auch das
absichtliche Erinnern und andere Teilvorgänge unseres normalen Denkens
entsprechen einem Rückschreiten im psychischen Apparat von irgend
welchem komplexen Vorstellungsakt auf das Rohmaterial der
Erinnerungsspuren, die ihm zu Grunde liegen. Während des Wachens aber
reicht dieses Zurückgreifen niemals über die Erinnerungsbilder hinaus;
es vermag die halluzinatorische Belebung der Wahrnehmungsbilder nicht zu
erzeugen. Warum ist dies im Traume anders? Als wir von der
Verdichtungsarbeit des Traumes sprachen, konnten wir der Annahme nicht
ausweichen, daß durch die Traumarbeit die an den Vorstellungen haftenden
Intensitäten von einer zur anderen voll übertragen werden.
Wahrscheinlich ist es diese Abänderung des sonstigen psychischen
Vorganges, welche es ermöglicht, das System der ~W~ bis zur vollen
sinnlichen Lebhaftigkeit in umgekehrter Richtung, von den Gedanken her,
zu besetzen.

Ich hoffe, wir sind weit davon entfernt, uns über die Tragweite dieser
Erörterungen zu täuschen. Wir haben nichts anderes getan, als für ein
nicht zu erklärendes Phänomen einen Namen gegeben. Wir heißen es
Regression, wenn sich im Traume die Vorstellung in das sinnliche Bild
rückverwandelt, aus dem sie irgend einmal hervorgegangen ist. Auch
dieser Schritt verlangt aber Rechtfertigung. Wozu die Namengebung, wenn
sie uns nichts Neues lehrt? Nun ich meine, der Name »Regression« dient
uns insofern, als er die uns bekannte Tatsache an das Schema des mit
einer Richtung versehenen seelischen Apparates knüpft. An dieser Stelle
verlohnt es sich aber zum erstenmal, ein solches Schema aufgestellt zu
haben.

Denn eine andere Eigentümlichkeit der Traumbildung wird uns ohne neue
Überlegung allein mit Hilfe des Schemas einsichtlich werden. Wenn wir
den Traumvorgang als eine Regression innerhalb des von uns angenommenen
seelischen Apparates ansehen, so erklärt sich uns ohne weiteres die
empirisch festgestellte Tatsache, daß alle Denkrelationen der
Traumgedanken bei der Traumarbeit verloren gehen oder nur mühseligen
Ausdruck finden. Diese Denkrelationen sind nach unserem Schema nicht in
den ersten ~Er~-Systemen, sondern in weiter nach vorn liegenden
enthalten und müssen bei der Regression bis auf die Wahrnehmungsbilder
ihren Ausdruck einbüßen. _Das Gefüge der Traumgedanken wird bei der
Regression in sein Rohmaterial aufgelöst._

 Hysterische Regression, Visionen.

Durch welche Veränderung wird aber die bei Tag unmögliche Regression
ermöglicht? Hier wollen wir es bei Vermutungen bewenden lassen. Es muß
sich wohl um Veränderungen in den Energiebesetzungen der einzelnen
Systeme handeln, durch welche sie wegsamer oder unwegsamer für den
Ablauf der Erregung werden; aber in jedem derartigen Apparat könnte der
nämliche Effekt für den Weg der Erregung durch mehr als eine Art von
solchen Abänderungen zu stande gebracht werden. Man denkt natürlich
sofort an den Schlafzustand und an Besetzungsänderungen, die er am
sensiblen Ende des Apparates hervorruft. Bei Tag gibt es eine
kontinuierlich laufende Strömung von dem Ψ-System der ~W~ her zur
Motilität; diese hat bei Nacht ein Ende und könnte einer Rückströmung
der Erregung kein Hindernis mehr bereiten. Es wäre dies die
»Abschließung von der Außenwelt«, welche in der Theorie einiger Autoren
die psychologischen Charaktere des Traumes aufklären soll (vgl. p. 38).
Indes wird man bei der Erklärung der Regression des Traumes Rücksicht
auf jene anderen Regressionen nehmen müssen, die in krankhaften
Wachzuständen zustande kommen. Bei diesen Formen läßt natürlich die eben
gegebene Auskunft im Stiche. Es kommt zur Regression trotz der
ununterbrochenen sensiblen Strömung in progredienter Richtung.

Für die Halluzinationen der Hysterie, der Paranoia, die Visionen
geistesnormaler Personen kann ich die Aufklärung geben, daß sie
tatsächlich Regressionen entsprechen, d. h. in Bilder verwandelte
Gedanken sind, und daß nur solche Gedanken diese Verwandlung erfahren,
welche mit unterdrückten oder unbewußt gebliebenen Erinnerungen im
intimen Zusammenhange stehen. Z. B. einer meiner jüngsten Hysteriker,
ein zwölfjähriger Knabe, wird am Einschlafen gehindert durch »_grüne
Gesichter mit roten Augen_«, vor denen er sich entsetzt. Quelle dieser
Erscheinung ist die unterdrückte, aber einstens bewußte Erinnerung an
einen Knaben, den er vor vier Jahren oftmals sah, und der ihm ein
abschreckendes Bild vieler Kinderunarten bot, darunter auch jener der
Onanie, aus der er sich selbst jetzt einen nachträglichen Vorwurf macht.
Die Mama hatte damals bemerkt, daß der ungezogene Junge eine _grünliche_
Gesichtsfarbe habe und _rote (d. h. rot geränderte) Augen_. Daher das
Schreckgespenst, das übrigens nur dazu bestimmt ist, ihn an eine andere
Vorhersage der Mama zu erinnern, daß solche Jungen blödsinnig werden, in
der Schule nichts erlernen können und früh sterben. Unser kleiner
Patient läßt den einen Teil der Prophezeiung eintreffen; er kommt im
Gymnasium nicht weiter und fürchtet sich, wie das Verhör seiner
ungewollten Einfälle zeigt, entsetzlich vor dem zweiten Teile. Die
Behandlung hat allerdings nach kurzer Zeit den Erfolg, daß er schläft,
seine Ängstlichkeit verliert und sein Schuljahr mit einem Vorzugszeugnis
abschließt.

Hier kann ich die Auflösung einer Vision anreihen, die mir eine
40 jährige Hysterika aus ihren gesunden Tagen erzählt hat. Eines Morgens
schlägt sie die Augen auf und sieht ihren Bruder im Zimmer, der sich
doch, wie sie weiß, in der Irrenanstalt befindet. Ihr kleiner Sohn
schläft im Bette neben ihr. Damit das Kind nicht _erschrickt und in
Krämpfe verfällt_, wenn es den _Onkel_ sieht, zieht sie die _Bettdecke_
über dasselbe, und dann verschwindet die Erscheinung. Die Vision ist die
Umarbeitung einer Kindererinnerung der Dame, die zwar bewußt war, aber
mit allem unbewußten Material in ihrem Innern in intimster Beziehung
stand. Ihre Kinderfrau hatte ihr erzählt, daß die sehr früh verstorbene
Mutter (Pat. war zur Zeit des Todesfalles erst 1½ Jahre alt) an
epileptischen oder hysterischen _Krämpfen_ gelitten hatte, und zwar seit
einem Schreck, den ihr der Bruder (der _Onkel_ meiner Patientin) dadurch
verursachte, daß er ihr als Gespenst mit einer _Bettdecke_ über dem
Kopfe erschien. Die Vision enthält dieselben Elemente wie die
Erinnerung: Die Erscheinung des Bruders, die Bettdecke, den Schreck und
seine Wirkung. Diese Elemente sind aber zu neuem Zusammenhange
angeordnet und auf andere Personen übertragen. Das offenkundige Motiv
der Vision, der durch sie ersetzte Gedanke, ist die Besorgnis, daß ihr
kleiner Sohn, der seinem Onkel physisch so ähnlich war, das Schicksal
desselben teilen könnte.

Beide hier angeführte Beispiele sind nicht frei von aller Beziehung zum
Schlafzustand und darum vielleicht zu dem Beweise ungeeignet, für den
ich sie brauche. Ich verweise also auf meine Analyse einer
halluzinierenden Paranoika(232) und auf die Ergebnisse meiner noch nicht
veröffentlichten Studien über die Psychologie der Psychoneurosen, um zu
bekräftigen, daß man in diesen Fällen von regredienter Gedankenverwandlung
den Einfluß einer unterdrückten oder unbewußt gebliebenen Erinnerung,
meist einer infantilen, nicht übersehen darf. Diese Erinnerung zieht
gleichsam den mit ihr in Verbindung stehenden, an seinem Ausdruck durch
die Zensur verhinderten Gedanken in die Regression als in jene Form der
Darstellung, in der sie selbst psychisch vorhanden ist. Ich darf hier
als ein Ergebnis der Studien über Hysterie anführen, daß die infantilen
Szenen (seien sie nun Erinnerungen oder Phantasien), wenn es gelingt,
sie bewußt zu machen, halluzinatorisch gesehen werden und erst nach der
Mitteilung diesen Charakter abstreifen. Es ist auch bekannt, daß selbst
bei Personen, die sonst im Erinnern nicht visuell sind, die frühesten
Kindererinnerungen den Charakter der sinnlichen Lebhaftigkeit bis in
späte Jahre bewahren.

  (232) »Weitere Bemerkungen über die Abwehrneuropsychosen.«
  Neurologisches Zentralblatt 1896, Nr. 10. (Sammlung kl. Schriften z.
  Neurosenlehre, p. 112.)

Wenn man sich nun erinnert, welche Rolle in den Traumgedanken den
infantilen Erlebnissen oder den auf sie gegründeten Phantasien zufällt,
wie häufig Stücke derselben im Trauminhalt wieder auftauchen, wie die
Traumwünsche selbst häufig aus ihnen abgeleitet sind, so wird man auch
für den Traum die Wahrscheinlichkeit nicht abweisen, daß die Verwandlung
von Gedanken in visuelle Bilder mit die Folge der _Anziehung_ sein möge,
welche die nach Neubelebung strebende visuell dargestellte Erinnerung
auf den nach Ausdruck ringenden, vom Bewußtsein abgeschnittenen Gedanken
ausübt. Nach dieser Auffassung ließe sich der Traum auch beschreiben
_als der durch Übertragung auf Rezentes veränderte Ersatz der infantilen
Szene_. Die Infantilszene kann ihre Erneuerung nicht durchsetzen; sie
muß sich mit der Wiederkehr als Traum begnügen.

 Die Regression erklärt durch die Anziehung der Infantilszenen.

Der Hinweis auf die gewissermaßen vorbildliche Bedeutung der
Infantilszenen (oder ihrer phantastischen Wiederholungen) für den
Trauminhalt macht eine der Annahmen _Scherners_ und seiner Anhänger über
die inneren Reizquellen überflüssig. _Scherner_ nimmt einen Zustand von
»Gesichtsreiz«, von innerer Erregung im Sehorgan an, wenn die Träume
eine besondere Lebhaftigkeit ihrer visuellen Elemente oder einen
besonderen Reichtum an solchen erkennen lassen. Wir brauchen uns gegen
diese Annahme nicht zu sträuben, dürfen uns etwa damit begnügen, einen
solchen Erregungszustand bloß für das psychische Wahrnehmungssystem des
Sehorgans zu statuieren, werden aber geltend machen, daß dieser
Erregungszustand ein durch die Erinnerung hergestellter, die
Auffrischung der seinerzeit aktuellen Seherregung ist. Ich habe aus
eigener Erfahrung kein gutes Beispiel für solchen Einfluß einer
infantilen Erinnerung zur Hand; meine Träume sind überhaupt weniger
reich an sinnlichen Elementen, als ich die anderer schätzen muß; aber in
dem schönsten und lebhaftesten Traume dieser letzten Jahre wird es mir
leicht, die halluzinatorische Deutlichkeit des Trauminhaltes auf
sinnliche Qualitäten rezenter und kürzlich erfolgter Eindrücke
zurückzuführen. Ich habe auf p. 332 einen Traum erwähnt, in dem die
tiefblaue Farbe des Wassers, die braune Farbe des Rauches aus den
Kaminen der Schiffe und das düstere Braun und Rot der Bauwerke, die ich
sah, mir einen tiefen Eindruck hinterließen. Wenn irgend einer, so mußte
dieser Traum auf Gesichtsreiz gedeutet werden. Und was hatte mein
Sehorgan in diesen Reizzustand versetzt? Ein rezenter Eindruck, der sich
mit einer Reihe früherer zusammentat. Die Farben, die ich sah, waren
zunächst die des Ankersteinbaukastens, mit dem die Kinder am Tage vor
meinem Traume ein großartiges Bauwerk aufgeführt hatten, um es meiner
Bewunderung zu zeigen. Da fanden sich das nämliche düstere Rot an den
großen, das Blau und Braun an den kleinen Steinen. Dazu gesellten sich
die Farbeneindrücke der letzten italienischen Reisen, das schöne Blau
des Isonzo und der Lagune und das Braun des Karstes. Die Farbenschönheit
des Traumes war nur eine Wiederholung der in der Erinnerung gesehenen.

Fassen wir zusammen, was wir über die Eigentümlichkeit des Traumes,
seinen Vorstellungsinhalt in sinnliche Bilder umzugießen, erfahren
haben. Wir haben diesen Charakter der Traumarbeit nicht etwa erklärt,
auf bekannte Gesetze der Psychologie zurückgeführt, sondern haben ihn
als auf unbekannte Verhältnisse hindeutend herausgegriffen und durch den
Namen des »_regredienten_« Charakters ausgezeichnet. Wir haben gemeint,
diese Regression sei wohl überall, wo sie vorkommt, eine Wirkung des
Widerstandes, der sich dem Vordringen des Gedankens zum Bewußtsein auf
dem normalen Wege entgegensetzt, sowie der gleichzeitigen Anziehung,
welche als sinnesstark vorhandene Erinnerungen auf ihn ausüben(233).
Beim Traume käme vielleicht zur Erleichterung der Regression hiezu das
Aufhören der progredienten Tagesströmung von den Sinnesorganen, welches
Hilfsmoment bei den anderen Formen von Regression durch Verstärkung der
anderen Regressionsmotive wettgemacht werden muß. Wir wollen auch nicht
vergessen, uns zu merken, daß bei diesen pathologischen Fällen von
Regression wie im Traume der Vorgang der Energieübertragung ein anderer
sein dürfte als bei den Regressionen des normalen seelischen Lebens, da
durch ihn eine volle halluzinatorische Besetzung der Wahrnehmungssysteme
ermöglicht wird. Was wir bei der Analyse der Traumarbeit als die
»Rücksicht auf Darstellbarkeit« beschrieben haben, dürfte auf die
_auswählende Anziehung_ der von den Traumgedanken berührten, visuell
erinnerten Szenen zu beziehen sein.

  (233) In einer Darstellung der Lehre von der Verdrängung wäre
  auszuführen, daß ein Gedanke durch das Zusammenwirken zweier ihn
  beeinflussenden Momente in die Verdrängung gerät. Er wird von der
  einen Seite (der Zensur des ~Bw.~) weggestoßen, von der anderen (dem
  ~Ubw.~) angezogen, also ähnlich wie man auf die Spitze der großen
  Pyramide gelangt.

Über die Regression wollen wir noch bemerken, daß sie in der Theorie der
neurotischen Symptombildung eine nicht minder wichtige Rolle wie in der
des Traumes spielt. Wir unterscheiden dann eine dreifache Art der
Regression: a) eine _topische_ im Sinne des hier entwickelten Schemas
der Ψ-Systeme, b) eine _zeitliche_, insofern es sich um ein Rückgreifen
auf ältere psychische Bildungen handelt, und c) eine _formale_, wenn
primitive Ausdrucks- und Darstellungsweisen die gewohnten ersetzen. Alle
drei Arten von Regression sind aber im Grunde eines und treffen in den
meisten Fällen zusammen, denn das zeitlich ältere ist zugleich das
formal primitive und in der psychischen Topik dem Wahrnehmungsende
nähere.

Leicht möglich, daß dieses erste Stück unserer psychologischen
Verwertung des Traumes uns selbst nicht sonderlich befriedigt. Wir
wollen uns damit trösten, daß wir ja genötigt sind, ins Dunkle hinaus zu
bauen. Sind wir nicht völlig in die Irre geraten, so müssen wir von
einem anderen Angriffspunkte her in ungefähr die nämliche Region
geraten, in welcher wir uns dann vielleicht besser zurechtfinden werden.


c) _Zur Wunscherfüllung_.

Der vorangestellte Traum vom brennenden Kinde gibt uns einen
willkommenen Anlaß, Schwierigkeiten, auf welche die Lehre von der
Wunscherfüllung stößt, zu würdigen. Wir haben es gewiß alle mit
Befremden aufgenommen, daß der Traum nichts anderes als eine
Wunscherfüllung sein soll, und nicht etwa allein wegen des
Widerspruches, der vom Angsttraume ausgeht. Nachdem uns die ersten
Aufklärungen durch die Analyse belehrt hatten, hinter dem Traume
verberge sich Sinn und psychischer Wert, so wäre unsere Erwartung
keineswegs auf eine so eindeutige Bestimmung dieses Sinnes gefaßt
gewesen. Nach der korrekten, aber kärglichen Definition des
_Aristoteles_ ist der Traum das in den Schlafzustand -- insofern man
schläft -- fortgesetzte Denken. Wenn nun unser Denken bei Tage so
verschiedenartige psychische Akte schafft, Urteile, Schlußfolgerungen,
Widerlegungen, Erwartungen, Vorsätze u. dgl., wodurch soll es bei Nacht
genötigt sein, sich allein auf die Erzeugung von Wünschen
einzuschränken? Gibt es nicht vielmehr reichlich Träume, die einen
andersartigen psychischen Akt in Traumgestalt verwandelt bringen, z. B.
eine Besorgnis, und ist gerade der vorangestellte, ganz besonders
durchsichtige Traum des Vaters ein solcher? Er zieht auf den Lichtschein
hin, der ihm auch schlafend ins Auge fällt, den besorgten Schluß, daß
eine Kerze umgefallen sei und die Leiche in Brand gesteckt haben könne;
diesen Schluß verwandelt er in einen Traum, indem er ihn in eine
sinnfällige Situation und in das Präsens einkleidet. Welche Rolle spielt
dabei die Wunscherfüllung, und ist denn die Übermacht des vom Wachen her
sich fortsetzenden oder durch den neuen Sinneseindruck angeregten
Gedankens dabei irgend zu verkennen?

Das ist alles richtig und nötigt uns, auf die Rolle der Wunscherfüllung
im Traume und auf die Bedeutung der in den Schlaf sich fortsetzenden
Wachgedanken näher einzugehen.

Gerade die Wunscherfüllung hat uns bereits zu einer Scheidung der Träume
in zwei Gruppen veranlaßt. Wir haben Träume gefunden, die sich offen als
Wunscherfüllungen gaben; andere, deren Wunscherfüllung unkenntlich, oft
mit allen Mitteln versteckt war. In den letzteren erkannten wir die
Leistungen der Traumzensur. Die unentstellten Wunschträume fanden wir
hauptsächlich bei Kindern; _kurze_, offenherzige Wunschträume _schienen_
-- ich lege Nachdruck auf diesen Vorbehalt -- auch bei Erwachsenen
vorzukommen.

 Die Herkunft des Traumwunsches.

Wir können nun fragen, woher jedesmal der Wunsch stammt, der sich im
Traume verwirklicht. Aber auf welchen Gegensatz oder auf welche
Mannigfaltigkeit beziehen wir dieses »Woher«? Ich meine, auf den
Gegensatz zwischen dem bewußt gewordenen Tagesleben und einer unbewußt
gebliebenen psychischen Tätigkeit, die sich erst zur Nachtzeit bemerkbar
machen kann. Ich finde dann eine dreifache Möglichkeit für die Herkunft
eines Wunsches. Er kann 1. bei Tage erregt worden sein und infolge
äußerer Verhältnisse keine Befriedigung gefunden haben; es erübrigt dann
für die Nacht ein anerkannter und unerledigter Wunsch; 2. er kann bei
Tage aufgetaucht sein, aber Verwerfung gefunden haben; es erübrigt uns
dann ein unerledigter, aber unterdrückter Wunsch oder 3. er kann außer
Beziehung mit dem Tagesleben sein und zu jenen Wünschen gehören, die
erst nachts aus dem Unterdrückten in uns rege werden. Wenn wir unser
Schema des psychischen Apparates vornehmen, so lokalisieren wir einen
Wunsch der ersten Art in das System ~Vbw~; vom Wunsche der zweiten Art
nehmen wir an, daß er aus dem System ~Vbw~ in das ~Ubw~ zurückgedrängt
worden ist, und wenn überhaupt, nur dort sich erhalten hat; und von der
Wunschregung der dritten Art glauben wir, daß sie überhaupt unfähig ist,
das System des ~Ubw~ zu überschreiten. Haben nun Wünsche aus diesen
verschiedenen Quellen den gleichen Wert für den Traum, die gleiche
Macht, einen Traum anzuregen?

Eine Überschau über die Träume, die uns für die Beantwortung dieser
Frage zu Gebote stehen, mahnt uns zunächst, als vierte Quelle des
Traumwunsches hinzuzufügen die aktuellen bei Nacht sich erhebenden
Wunschregungen (z. B. auf den Durstreiz, das sexuelle Bedürfnis). Sodann
wird uns wahrscheinlich, daß die Herkunft des Traumwunsches an seiner
Fähigkeit, einen Traum anzuregen, nichts ändert. Ich erinnere an den
Traum der Kleinen, welcher die bei Tage unterbrochene Seefahrt
fortsetzt, und an die nebenstehenden Kinderträume; sie werden durch
einen unerfüllten, aber nicht unterdrückten Wunsch vom Tage erklärt.
Beispiele dafür, daß ein bei Tage unterdrückter Wunsch sich im Traume
Luft macht, sind überaus reichlich nachzuweisen; ein einfachstes solcher
Art könnte ich hier nachtragen. Eine etwas spottlustige Dame, deren
jüngere Freundin sich verlobt hat, beantwortet tagsüber die Anfragen der
Bekannten, ob sie den Bräutigam kenne, und was sie von ihm halte, mit
uneingeschränkten Lobsprüchen, bei denen sie ihrem Urteil Schweigen
auferlegt, denn sie hätte gern die Wahrheit gesagt: Er _ist ein
Dutzendmensch_. Nachts träumt sie, daß dieselbe Frage an sie gerichtet
wird, und antwortet mit der Formel: _Bei Nachbestellungen genügt die
Angabe der Nummer._ Endlich daß in allen Träumen, die der Entstellung
unterlegen sind, der Wunsch aus dem Unbewußten stammt und bei Tage nicht
vernehmbar werden konnte, haben wir als das Ergebnis zahlreicher
Analysen erfahren. So scheinen zunächst alle Wünsche für die
Traumbildung von gleichem Werte und gleicher Macht.

Ich kann hier nicht beweisen, daß es sich doch eigentlich anders
verhält, aber ich neige sehr zur Annahme einer strengeren Bedingtheit
des Traumwunsches. Die Kinderträume lassen ja keinen Zweifel darüber,
daß ein bei Tage unerledigter Wunsch der Traumerreger sein kann. Aber es
ist nicht zu vergessen, das ist dann der Wunsch eines Kindes, eine
Wunschregung von der dem Infantilen eigenen Stärke. Es ist mir durchaus
zweifelhaft, ob ein am Tage nicht erfüllter Wunsch bei einem Erwachsenen
genügt, um einen Traum zu schaffen. Es scheint mir vielmehr, daß wir mit
der fortschreitenden Beherrschung unseres Trieblebens durch die denkende
Tätigkeit auf die Bildung oder Erhaltung so intensiver Wünsche, wie das
Kind sie kennt, als unnütz immer mehr verzichten. Es mögen sich dabei ja
individuelle Verschiedenheiten geltend machen, der eine den infantilen
Typus der seelischen Vorgänge länger bewahren als ein anderer, wie ja
solche Unterschiede auch für die Abschwächung des ursprünglich deutlich
visuellen Vorstellens bestehen. Aber im allgemeinen glaube ich, wird
beim Erwachsenen der unerfüllt vom Tage übrig gebliebene Wunsch nicht
genügen, einen Traum zu schaffen. Ich gebe gern zu, daß die aus dem
Bewußten stammende Wunschregung einen Beitrag zur Anregung des Traumes
liefern wird, aber wahrscheinlich auch nicht mehr. Der Traum entstünde
nicht, wenn der vorbewußte Wunsch sich nicht eine Verstärkung von
anderswoher zu holen wüßte.

Aus dem Unbewußten nämlich. _Ich stelle mir vor, daß der bewußte Wunsch
nur dann zum Traumerreger wird, wenn es ihm gelingt, einen
gleichwirkenden unbewußten zu wecken, durch den er sich verstärkt._
Diese unbewußten Wünsche betrachte ich, nach den Andeutungen aus der
Psychoanalyse der Neurosen, als immer rege, jederzeit bereit, sich
Ausdruck zu verschaffen, wenn sich ihnen Gelegenheit bietet, sich mit
einer Regung aus dem Bewußten zu alliieren, ihre große Intensität auf
deren geringere zu übertragen(234). Es muß dann zum Anschein kommen, als
hätte allein der bewußte Wunsch sich im Traume realisiert; allein eine
kleine Auffälligkeit in der Gestaltung dieses Traumes wird uns ein
Fingerzeig werden, dem mächtigen Helfer aus dem Unbewußten auf die Spur
zu kommen. Diese immer regen, sozusagen unsterblichen Wünsche unseres
Unbewußten, welche an die Titanen der Sage erinnern, auf denen seit
Urzeiten die schweren Gebirgsmassen lasten, welche einst von den
siegreichen Göttern auf sie gewälzt wurden, und die unter den Zuckungen
ihrer Glieder noch jetzt von Zeit zu Zeit erbeben; -- diese in der
Verdrängung befindlichen Wünsche, sage ich, sind aber selbst infantiler
Herkunft, wie wir durch die psychologische Erforschung der Neurosen
erfahren. Ich möchte also den früher ausgesprochenen Satz, die Herkunft
des Traumwunsches sei gleichgültig, beseitigen und durch einen anderen
ersetzen, der lautet: _Der Wunsch, welcher sich im Traume darstellt, muß
ein infantiler sein._ Er stammt dann beim Erwachsenen aus dem ~Ubw~;
beim Kinde, wo es die Sonderung und Zensur zwischen ~Vbw~ und ~Ubw~ noch
nicht gibt, oder wo sie sich erst allmählich herstellt, ist es ein
unerfüllter, unverdrängter Wunsch des Wachlebens. Ich weiß, diese
Anschauung ist nicht allgemein zu erweisen; aber ich behaupte, sie ist
häufig zu erweisen, auch wo man es nicht vermutet hätte, und ist nicht
allgemein zu widerlegen.

  (234) Sie teilen diesen Charakter der Unzerstörbarkeit mit allen
  anderen wirklich unbewußten, d. h. dem System ~Ubw~ allein angehörigen
  seelischen Akten. Diese sind ein für allemal gebahnte Wege, die nie
  veröden und den Erregungsvorgang immer wieder zur Abfuhr leiten, so
  oft die unbewußte Erregung sie wiederbesetzt. Um mich eines
  Gleichnisses zu bedienen: es gibt für sie keine andere Art der
  Vernichtung als für die Schatten der odysseischen Unterwelt, die zum
  neuen Leben erwachen, sobald sie Blut getrunken haben. Die vom
  vorbewußten System abhängigen Vorgänge sind in ganz anderem Sinne
  zerstörbar. Auf diesem Unterschiede ruht die Psychotherapie der
  Neurosen.

 Die Tagesreste.

Die aus dem bewußten Wachleben erübrigten Wunschregungen lasse ich also
für die Traumbildung in den Hintergrund treten. Ich will ihnen keine
andere Rolle zugestehen, als etwa dem Material an aktuellen Sensationen
während des Schlafes für den Trauminhalt (vgl. p. 171 u. ff.). Ich
bleibe auf der Linie, die mir dieser Gedankengang vorschreibt, wenn ich
jetzt die anderen psychischen Anregungen in Betracht ziehe, die vom
Tagesleben übrig bleiben und die nicht Wünsche sind. Es kann uns
gelingen, den Energiebesetzungen unseres wachen Denkens ein vorläufiges
Ende zu machen, wenn wir beschließen, den Schlaf aufzusuchen. Wer das
gut kann, der ist ein guter Schläfer; der erste Napoleon soll ein Muster
dieser Gattung gewesen sein. Aber es gelingt uns nicht immer und nicht
immer vollständig. Unerledigte Probleme, quälende Sorgen, eine Übermacht
von Eindrücken setzen die Denktätigkeit auch während des Schlafes fort
und unterhalten seelische Vorgänge in dem System, das wir als das
Vorbewußte bezeichnet haben. Wenn uns um eine Einteilung dieser in den
Schlaf sich fortsetzenden Denkregungen zu tun ist, so können wir
folgende Gruppen derselben aufstellen: 1. Das während des Tages durch
zufällige Abhaltung nicht zu Ende Gebrachte, 2. das durch Erlahmen
unserer Denkkraft Unerledigte, das Ungelöste, 3. das bei Tage
Zurückgewiesene und Unterdrückte. Dazu gesellt sich als eine mächtige 4.
Gruppe, was durch die Arbeit des Vorbewußten tagsüber in unserem ~Ubw~
rege gemacht worden ist, und endlich können wir als 5. Gruppe anfügen:
die indifferenten und darum unerledigt gebliebenen Eindrücke des Tages.

Die psychischen Intensitäten, welche durch diese Reste des Tageslebens
in den Schlafzustand eingeführt werden, zumal aus der Gruppe des
Ungelösten, braucht man nicht zu unterschätzen. Sicherlich ringen diese
Erregungen auch zur Nachtzeit nach Ausdruck, und ebenso sicher dürfen
wir annehmen, daß der Schlafzustand die gewohnte Fortführung des
Erregungsvorganges im Vorbewußten und deren Abschluß durch das
Bewußtwerden unmöglich macht. Insofern wir unserer Denkvorgänge auf dem
normalen Wege bewußt werden können, auch zur Nachtzeit, insofern
schlafen wir eben nicht. Was für Veränderung der Schlafzustand im System
~Vbw~ hervorruft, weiß ich nicht anzugeben; aber es ist unzweifelhaft,
daß die psychologische Charakteristik des Schlafes wesentlich in den
Besetzungsveränderungen gerade dieses Systems zu suchen ist, das auch
den Zugang zu der im Schlafe gelähmten Motilität beherrscht. Im
Gegensatze dazu wüßte ich von keinem Anlaß aus der Psychologie des
Traumes, der uns annehmen hieße, daß der Schlaf anders als sekundär in
den Verhältnissen des Systems ~Ubw~ etwas verändere. Der nächtlichen
Erregung im ~Vbw~ bleibt also kein anderer Weg als der, den die
Wunscherregungen aus dem ~Ubw~ nehmen; sie muß die Verstärkung aus dem
~Ubw~ suchen und die Umwege der unbewußten Erregungen mitmachen. Wie
stellen sich aber die vorbewußten Tagesreste zum Traume? Es ist kein
Zweifel, daß sie reichlich in den Traum eindringen, daß sie den
Trauminhalt benutzen, um sich auch zur Nachtzeit dem Bewußtsein
aufzudrängen; ja sie dominieren gelegentlich den Trauminhalt, nötigen
ihn, die Tagesarbeit fortzusetzen; es ist auch sicher, daß die
Tagesreste jeden anderen Charakter ebensowohl haben können wie den der
Wünsche; aber es ist dabei höchst lehrreich und für die Lehre von der
Wunscherfüllung geradezu entscheidend zu sehen, welcher Bedingung sie
sich fügen müssen, um in den Traum Aufnahme zu finden.

Greifen wir eines der früheren Traumbeispiele heraus, z. B. den Traum,
der mir Freund Otto mit den Zeichen der _Basedowschen_ Krankheit
erscheinen läßt (p. 203). Ich hatte am Tage eine Besorgnis gebildet, zu
der mir das Aussehen Ottos Anlaß gab, und die Sorge ging mir nahe, wie
alles, was diese Person betrifft. Sie folgte mir auch, darf ich
annehmen, in den Schlaf. Wahrscheinlich wollte ich ergründen, was ihm
fehlen könnte. Zur Nachtzeit fand diese Sorge Ausdruck in dem Traume,
den ich mitgeteilt habe, dessen Inhalt erstens unsinnig war und zweitens
keiner Wunscherfüllung entsprach. Ich begann aber nachzuforschen, woher
der unangemessene Ausdruck der bei Tag verspürten Besorgnis rühre, und
durch die Analyse fand ich einen Zusammenhang, indem ich ihn mit einem
Baron L., mich selbst aber mit Professor R. identifizierte. Warum ich
gerade diesen Ersatz des Tagesgedankens hatte wählen müssen, dafür gab
es nur eine Erklärung. Zu der Identifizierung mit Professor R. mußte ich
im ~Ubw~ immer bereit sein, da durch sie einer der unsterblichen
Kinderwünsche, der Wunsch der Größensucht, sich erfüllte. Häßliche, der
Verwerfung bei Tage sichere Gedanken gegen meinen Freund hatten die
Gelegenheit benutzt, sich zur Darstellung miteinzuschleichen, aber auch
die Sorge des Tages war zu einer Art von Ausdruck durch einen Ersatz im
Trauminhalt gekommen. Der Tagesgedanke, der an sich kein Wunsch, sondern
im Gegenteil eine Besorgnis war, mußte sich auf irgend einem Wege die
Anknüpfung an einen infantilen, nun unbewußten und unterdrückten Wunsch
verschaffen, der ihn dann, wenn auch gehörig zugerichtet, für das
Bewußtsein »entstehen« ließ. Je dominierender diese Sorge war, desto
gewaltsamer durfte die herzustellende Verbindung sein; zwischen dem
Inhalt des Wunsches und dem der Besorgnis brauchte ein Zusammenhang gar
nicht zu bestehen und bestand auch keiner in unserem Beispiele.

 Der unbewußte Wunsch als Triebkraft des Traumes.

Ich kann es nun scharf bezeichnen, was der unbewußte Wunsch für den
Traum bedeutet. Ich will zugeben, daß es eine ganze Klasse von Träumen
gibt, zu denen die _Anregung_ vorwiegend oder selbst ausschließlich aus
den Resten des Tageslebens stammt, und ich meine, selbst mein Wunsch,
endlich einmal Professor extraordinarius zu werden, hätte mich diese
Nacht in Ruhe schlafen lassen können, wäre nicht die Sorge um die
Gesundheit meines Freundes vom Tage her noch rührig gewesen. Aber diese
Sorge hätte noch keinen Traum gemacht, die _Triebkraft_, die der Traum
bedurfte, mußte von einem Wunsche beigesteuert werden; es war Sache der
Besorgnis, sich einen solchen Wunsch als Triebkraft des Traumes zu
verschaffen. Um es in einem Gleichnisse zu sagen: Es ist sehr wohl
möglich, daß ein Tagesgedanke die Rolle des _Unternehmers_ für den Traum
spielt; aber der Unternehmer, der, wie man sagt, die Idee hat und den
Drang, sie in Tat umzusetzen, kann doch ohne Kapital nichts machen; er
braucht einen _Kapitalisten_, der den Aufwand bestreitet, und dieser
Kapitalist, der den psychischen Aufwand für den Traum beistellt, ist
allemal und unweigerlich, was immer auch der Tagesgedanke sein mag, _ein
Wunsch aus dem Unbewußten_.

Andere Male ist der Kapitalist selbst der Unternehmer; das ist für den
Traum sogar der gewöhnlichere Fall. Es ist durch die Tagesarbeit ein
unbewußter Wunsch angeregt worden, und der schafft nun den Traum. Auch
für alle anderen Möglichkeiten des hier als Beispiel verwendeten
wirtschaftlichen Verhältnisses bleiben die Traumvorgänge parallel; der
Unternehmer kann selbst eine Kleinigkeit an Kapital mitbringen; es
können mehrere Unternehmer sich an denselben Kapitalisten wenden; es
können mehrere Kapitalisten gemeinsam das für die Unternehmer
Erforderliche zusammensteuern. So gibt es auch Träume, die von mehr als
einem Traumwunsche getragen werden, und dergleichen Variationen mehr,
die leicht zu übersehen sind und uns kein Interesse mehr bieten. Was an
dieser Erörterung über den Traumwunsch noch unvollständig ist, werden
wir erst später ergänzen können.

Das Tertium comparationis der hier gebrauchten Gleichnisse, die in
zugemessener Menge zur freien Verfügung gestellte Quantität, läßt noch
feinere Verwendung zur Beleuchtung der Traumstruktur zu. In den meisten
Träumen läßt sich ein mit besonderer sinnlicher Intensität
ausgestattetes Zentrum erkennen, wie auf p. 227 f. ausgeführt. Das ist
in der Regel die direkte Darstellung der Wunscherfüllung, denn wenn wir
die Verschiebungen der Traumarbeit rückgängig machen, finden wir die
psychische Intensität der Elemente in den Traumgedanken durch die
sinnliche Intensität der Elemente im Trauminhalt ersetzt. Die Elemente
in der Nähe der Wunscherfüllung haben mit deren Sinn oft nichts zu tun,
sondern erweisen sich als Abkömmlinge peinlicher, dem Wunsche
zuwiderlaufender Gedanken. Durch den oft künstlich hergestellten
Zusammenhang mit dem zentralen Element haben sie aber so viel Intensität
abbekommen, daß sie zur Darstellung fähig geworden sind. So diffundiert
die darstellende Kraft der Wunscherfüllung über eine gewisse Sphäre von
Zusammenhang, innerhalb deren alle Elemente, auch die an sich
mittellosen, zur Darstellung gehoben werden. Bei Träumen mit mehreren
treibenden Wünschen gelingt es leicht, die Sphären der einzelnen
Wunscherfüllungen voneinander abzugrenzen, oft auch die Lücken im Traume
als Grenzzonen zu verstehen.

 Die Übertragung an die Tagesreste.

Wenn wir auch die Bedeutung der Tagesreste für den Traum durch die
vorstehenden Bemerkungen eingeschränkt haben, so verlohnt es doch der
Mühe, ihnen noch einige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie müssen doch ein
notwendiges Ingrediens der Traumbildung sein, wenn uns die Erfahrung mit
der Tatsache überraschen kann, daß jeder Traum eine Anknüpfung an einen
rezenten Tageseindruck, oft der gleichgültigsten Art, mit in seinem
Inhalt erkennen läßt. Die Notwendigkeit für diesen Zusatz zur
Traummischung vermochten wir noch nicht einzusehen (p. 138). Sie ergibt
sich auch nur, wenn man an der Rolle des unbewußten Wunsches festhält
und dann die Neurosenpsychologie um Auskunft befragt. Aus dieser erfährt
man, daß die unbewußte Vorstellung als solche überhaupt unfähig ist, ins
Vorbewußte einzutreten, und daß sie dort nur eine Wirkung zu äußern
vermag, indem sie sich mit einer harmlosen, dem Vorbewußten bereits
angehörigen Vorstellung in Verbindung setzt, auf sie ihre Intensität
überträgt und sich durch sie decken läßt. Es ist dies die Tatsache der
_Übertragung_, welche für so viele auffällige Vorfälle im Seelenleben
der Neurotiker die Aufklärung enthält. Die Übertragung kann die
Vorstellung aus dem Vorbewußten, welche somit zu einer unverdient großen
Intensität gelangt, unverändert lassen oder ihr selbst eine Modifikation
durch den Inhalt der übertragenden Vorstellung aufdrängen. Man verzeihe
mir die Neigung zu Gleichnissen aus dem täglichen Leben, aber ich bin
versucht zu sagen, die Verhältnisse liegen für die verdrängte
Vorstellung ähnlich wie in unserem Vaterland für den amerikanischen
Zahnarzt, der seine Praxis nicht ausüben darf, wenn er sich nicht eines
rite promovierten Doktors der Medizin als Aushängeschild und Deckung vor
dem Gesetze bedient. Und ebenso wie es nicht gerade die beschäftigtesten
Ärzte sind, die solche Allianzen mit dem Zahntechniker eingehen, so
werden auch im Psychischen nicht jene vorbewußten oder bewußten
Vorstellungen zur Deckung einer verdrängten erkoren, die selbst genügend
von der im Vorbewußten tätigen Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Das Unbewußte umspinnt mit seinen Verbindungen vorzugsweise jene
Eindrücke und Vorstellungen des Vorbewußten, die entweder als
indifferent außer Beachtung geblieben sind oder denen diese Beachtung
durch Verwerfung alsbald wieder entzogen wurde. Es ist ein bekannter
Satz aus der Assoziationslehre, durch alle Erfahrung bestätigt, daß
Vorstellungen, die eine sehr innige Verbindung nach der einen Seite
angeknüpft haben, sich wie ablehnend gegen ganze Gruppen von neuen
Verbindungen verhalten; ich habe einmal den Versuch gemacht, eine
Theorie der hysterischen Lähmungen auf diesen Satz zu begründen.

Wenn wir annehmen, daß das nämliche Bedürfnis zur Übertragung von den
verdrängten Vorstellungen aus, das uns die Analyse der Neurosen kennen
lehrt, sich auch im Traume geltend macht, so erklären sich auch mit
einem Schlage zwei der Rätsel des Traumes: daß jede Traumanalyse eine
Verwebung eines rezenten Eindruckes nachweist und daß dies rezente
Element oft von der gleichgültigsten Art ist. Wir fügen hinzu, was wir
bereits an anderer Stelle gelernt haben, daß diese rezenten und
indifferenten Elemente als Ersatz der allerältesten aus den
Traumgedanken darum so häufig in den Trauminhalt gelangen, weil sie
gleichzeitig von der Widerstandszensur am wenigsten zu befürchten haben.
Während aber die Zensurfreiheit uns nur die Bevorzugung der trivialen
Elemente aufklärt, läßt die Konstanz der rezenten Elemente auf die
Nötigung zur Übertragung durchblicken. Dem Anspruche des Verdrängten auf
noch assoziationsfreies Material genügen beide Gruppen von Eindrücken,
die indifferenten, weil sie zu ausgiebigen Verbindungen keinen Anlaß
geboten haben, die rezenten, weil dazu noch die Zeit gefehlt hat.

Wir sehen so, daß die Tagesreste, denen wir die indifferenten Eindrücke
jetzt zurechnen dürfen, nicht nur vom ~Ubw~ etwas entlehnen, wenn sie an
der Traumbildung Anteil gewinnen, nämlich die Triebkraft, über die der
verdrängte Wunsch verfügt, sondern daß sie auch dem Unbewußten etwas
Unentbehrliches bieten, die notwendige Anheftung zur Übertragung.
Wollten wir hier in die seelischen Vorgänge tiefer eindringen, so müßten
wir das Spiel der Erregungen zwischen Vorbewußtem und Unbewußtem
schärfer beleuchten, wozu wohl das Studium der Psychoneurosen drängt,
aber gerade der Traum keinen Anhalt bietet.

Nur noch eine Bemerkung über die Tagesreste. Es ist kein Zweifel, daß
sie die eigentlichen Störer des Schlafes sind, und nicht der Traum, der
sich vielmehr bemüht, den Schlaf zu hüten. Hierauf werden wir noch
später zurückkommen.

Wir haben bisher den Traumwunsch verfolgt, ihn aus dem Gebiete des ~Ubw~
abgeleitet und sein Verhältnis zu den Tagesresten zergliedert, die
ihrerseits Wünsche sein können oder psychische Regungen irgend welcher
anderen Art oder einfach rezente Eindrücke. Wir haben so Raum geschaffen
für die Ansprüche, die man zu gunsten der traumbildenden Bedeutung der
wachen Denkarbeit in all ihrer Mannigfaltigkeit erheben kann. Es wäre
nicht einmal unmöglich, daß wir auf Grund unserer Gedankenreihe selbst
jene extremen Fälle aufklären, in denen der Traum als Fortsetzer der
Tagesarbeit eine ungelöste Aufgabe des Wachens zum glücklichen Ende
bringt. Es mangelt uns nur an einem Beispiel solcher Art, um durch
dessen Analyse die infantile oder verdrängte Wunschquelle aufzudecken,
deren Heranziehung die Bemühung der vorbewußten Tätigkeit so erfolgreich
verstärkt hat. Wir sind aber um keinen Schritt der Lösung des Rätsels
nähergekommen, warum das Unbewußte im Schlafe nichts anderes bieten kann
als die Triebkraft zu einer Wunscherfüllung? Die Beantwortung dieser
Frage muß ein Licht auf die psychische Natur des Wünschens werfen; sie
soll an der Hand des Schemas vom psychischen Apparat gegeben werden.

 Das Wünschen als primäre Tätigkeit des Unbewußten.

Wir zweifeln nicht daran, daß auch dieser Apparat seine heutige
Vollkommenheit erst über den Weg einer langen Entwicklung erreicht hat.
Versuchen wir's, ihn in eine frühere Stufe seiner Leistungsfähigkeit
zurückzuversetzen. Anderswie zu begründende Annahmen sagen uns, daß der
Apparat zunächst dem Bestreben folgte, sich möglichst reizlos zu
erhalten, und darum in seinem ersten Aufbau das Schema des
Reflexapparates annahm, das ihm gestattete, eine von außen an ihn
anlangende sensible Erregung alsbald auf motorischem Wege abzuführen.
Aber die Not des Lebens stört diese einfache Funktion; ihr verdankt der
Apparat auch den Anstoß zur weiteren Ausbildung. In der Form der großen
Körperbedürfnisse tritt die Not des Lebens zuerst an ihn heran. Die
durch das innere Bedürfnis gesetzte Erregung wird sich einen Abfluß in
die Motilität suchen, die man als »Innere Veränderung« oder als
»Ausdruck der Gemütsbewegung« bezeichnen kann. Das hungrige Kind wird
hilflos schreien oder zappeln. Die Situation bleibt aber unverändert,
denn die vom inneren Bedürfnis ausgehende Erregung entspricht nicht
einer momentan stoßenden, sondern einer kontinuierlich wirkenden Kraft.
Eine Wendung kann erst eintreten, wenn auf irgend einem Wege, beim Kinde
durch fremde Hilfeleistung, die Erfahrung des _Befriedigungserlebnisses_
gemacht wird, das den inneren Reiz aufhebt. Ein wesentlicher Bestandteil
dieses Erlebnisses ist das Erscheinen einer gewissen Wahrnehmung (der
Speise im Beispiel), deren Erinnerungsbild von jetzt an mit der
Gedächtnisspur der Bedürfniserregung assoziiert bleibt. Sobald dies
Bedürfnis ein nächstes Mal auftritt, wird sich, dank der hergestellten
Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Erinnerungsbild
jener Wahrnehmung wieder besetzen und die Wahrnehmung selbst wieder
hervorrufen, also eigentlich die Situation der ersten Befriedigung
wieder herstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch
heißen; das Wiedererscheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung,
und die volle Besetzung der Wahrnehmung von der Bedürfniserregung her
der kürzeste Weg zur Wunscherfüllung. Es hindert uns nichts, einen
primitiven Zustand des psychischen Apparates anzunehmen, in dem dieser
Weg wirklich so begangen wird, das Wünschen also in ein Halluzinieren
ausläuft. Diese erste psychische Tätigkeit zielt also auf eine
_Wahrnehmungsidentität_, nämlich auf die Wiederholung jener Wahrnehmung,
welche mit der Befriedigung des Bedürfnisses verknüpft ist.

Eine bittere Lebenserfahrung muß diese primitive Denktätigkeit zu einer
zweckmäßigeren, sekundären, modifiziert haben. Die Herstellung der
Wahrnehmungsidentität auf dem kurzen regredienten Wege im Innern des
Apparates hat an anderer Stelle nicht die Folge, welche mit der
Besetzung derselben Wahrnehmung von außen her verbunden ist. Die
Befriedigung tritt nicht ein, das Bedürfnis dauert fort. Um die innere
Besetzung der äußeren gleichwertig zu machen, müßte dieselbe fortwährend
aufrecht erhalten werden, wie es in den halluzinatorischen Psychosen und
in den Hungerphantasien auch wirklich geschieht, die ihre psychische
Leistung in der _Festhaltung_ des gewünschten Objektes erschöpfen. Um
eine zweckmäßigere Verwendung der psychischen Kraft zu erreichen, wird
es notwendig, die volle Regression aufzuhalten, so daß sie nicht über
das Erinnerungsbild hinausgeht und von diesem aus andere Wege suchen
kann, die schließlich zur Herstellung der gewünschten Identität von der
Außenwelt her führen. Diese Hemmung sowie die darauffolgende Ablenkung
der Erregung wird zur Aufgabe eines zweiten Systems, welches die
willkürliche Motilität beherrscht, d. h. an dessen Leistung sich erst
die Verwendung der Motilität zu vorher erinnerten Zwecken anschließt.
All die komplizierte Denktätigkeit aber, welche sich vom Erinnerungsbild
bis zur Herstellung der Wahrnehmungsidentität durch die Außenwelt
fortspinnt, stellt doch nur einen durch die Erfahrung notwendig
gewordenen _Umweg zur Wunscherfüllung_ dar(235). Das Denken ist doch
nichts anderes als der Ersatz des halluzinatorischen Wunsches, und wenn
der Traum eine Wunscherfüllung ist, so wird das eben selbstverständlich,
da nichts anderes als ein Wunsch unseren seelischen Apparat zur Arbeit
anzutreiben vermag. Der Traum, der seine Wünsche auf kurzem regredienten
Wege erfüllt, hat uns hiemit nur eine Probe der _primären_, als
unzweckmäßig verlassenen Arbeitsweise des psychischen Apparates
aufbewahrt. In das Nachtleben scheint verbannt, was einst im Wachen
herrschte, als das psychische Leben noch jung und untüchtig war, etwa
wie wir in der Kinderstube die abgelegten primitiven Waffen der
erwachsenen Menschheit, Pfeil und Bogen, wiederfinden. _Das Träumen ist
ein Stück des überwundenen Kinderseelenlebens._ In den Psychosen werden
diese sonst im Wachen unterdrückten Arbeitsweisen des psychischen
Apparates sich wiederum Geltung erzwingen und dann ihre Unfähigkeit zur
Befriedigung unserer Bedürfnisse gegen die Außenwelt an den Tag
legen(236).

  (235) Von der Wunscherfüllung des Traumes rühmt _Le Lorrain_ mit
  Recht: »Sans fatigue sérieuse, sans être obligé de recourir à cette
  lutte opiniâtre et longue qui use et corrode les jouissances
  poursuivies.«

  (236) Ich habe diesen Gedankengang an anderer Stelle (Formulierungen
  über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, Sammlung kl.
  Schriften z. Neurosenlehre, dritte Folge, 1913) weiter ausgeführt und
  als die beiden Prinzipien das Lust- und das Realitätsprinzip
  hingestellt.

Die unbewußten Wunschregungen streben offenbar auch bei Tage sich
geltend zu machen, und die Tatsache der Übertragung sowie die Psychosen
belehren uns, daß sie auf dem Wege durch das System des Vorbewußten zum
Bewußtsein und zur Beherrschung der Motilität durchdringen möchten. In
der Zensur zwischen ~Ubw~ und ~Vbw~, deren Annahme uns der Traum
geradezu aufnötigt, haben wir also den Wächter unserer geistigen
Gesundheit zu erkennen und zu ehren. Ist es nun nicht eine
Unvorsichtigkeit dieses Wächters, daß er zur Nachtzeit seine Tätigkeit
verringert, die unterdrückten Regungen des ~Ubw~ zum Ausdrucke kommen
läßt, die halluzinatorische Regression wieder ermöglicht? Ich denke
nicht, denn wenn sich der kritische Wächter zur Ruhe begibt -- wir haben
die Beweise dafür, daß er doch nicht tief schlummert --, so schließt er
auch das Tor zur Motilität. Welche Regungen aus dem sonst gehemmten
~Ubw~ sich auch auf dem Schauplatze tummeln mögen, man kann sie gewähren
lassen, sie bleiben harmlos, weil sie nicht im stande sind, den
motorischen Apparat in Bewegung zu setzen, welcher allein die Außenwelt
verändernd beeinflussen kann. Der Schlafzustand garantiert die
Sicherheit der zu bewachenden Festung. Minder harmlos gestaltet es sich,
wenn die Kräfteverschiebung nicht durch den nächtlichen Nachlaß im
Kräfteaufwand der kritischen Zensur, sondern durch pathologische
Schwächung derselben oder durch pathologische Verstärkung der unbewußten
Erregungen hergestellt wird, solange das Vorbewußte besetzt und die Tore
zur Motilität offen sind. Dann wird der Wächter überwältigt, die
unbewußten Erregungen unterwerfen sich das ~Vbw~, beherrschen von ihm
aus unser Reden und Handeln oder erzwingen sich die halluzinatorische
Regression und lenken den nicht für sie bestimmten Apparat vermöge der
Anziehung, welche die Wahrnehmungen auf die Verteilung unserer
psychischen Energie ausüben. Diesen Zustand heißen wir Psychose.

 Die Wunschtheorie der psychoneurotischen Symptome.

Wir befinden uns da auf dem besten Wege, an dem psychologischen Gerüste
weiterzubauen, das wir mit der Einfügung der beiden Systeme ~Ubw~ und
~Vbw~ verlassen haben. Wir haben aber noch Motive genug, bei der
Würdigung des Wunsches als einziger psychischer Triebkraft für den Traum
zu verweilen. Wir haben die Aufklärung entgegengenommen, daß der Traum
darum jedesmal eine Wunscherfüllung ist, weil er eine Leistung des
Systems ~Ubw~ ist, welches kein anderes Ziel seiner Arbeit als
Wunscherfüllung kennt und über keine anderen Kräfte als die der
Wunschregungen verfügt. Wenn wir nun auch nur einen Moment länger an dem
Rechte festhalten wollen, von der Traumdeutung aus so weitgreifende
psychologische Spekulationen aufzuführen, so obliegt uns die
Verpflichtung zu zeigen, daß wir durch sie den Traum in einen
Zusammenhang einreihen, welcher auch andere psychische Bildungen
umfassen kann. Wenn ein System des ~Ubw~ -- oder etwas ihm für unsere
Erörterungen Analoges -- existiert, so kann der Traum nicht dessen
einzige Äußerung sein; jeder Traum mag eine Wunscherfüllung sein, aber
es muß noch andere Formen abnormer Wunscherfüllungen geben als die
Träume. Und wirklich gipfelt die Theorie aller psychoneurotischen
Symptome in dem einen Satze, _daß auch sie als Wunscherfüllungen des
Unbewußten aufgefaßt werden müssen_(237). Der Traum wird durch unsere
Aufklärung nur das erste Glied einer für den Psychiater höchst
bedeutungsvollen Reihe, deren Verständnis die Lösung des rein
psychologischen Anteiles der psychiatrischen Aufgabe bedeutet(238). Von
anderen Gliedern dieser Reihe von Wunscherfüllungen, z. B. von den
hysterischen Symptomen, kenne ich aber einen wesentlichen Charakter, den
ich am Traume noch vermisse. Ich weiß nämlich aus den im Laufe dieser
Abhandlung oftmals angedeuteten Untersuchungen, daß zur Bildung eines
hysterischen Symptoms beide Strömungen unseres Seelenlebens
zusammentreffen müssen. Das Symptom ist nicht bloß der Ausdruck eines
realisierten unbewußten Wunsches, es muß noch ein Wunsch aus dem
Vorbewußten dazukommen, der sich durch das nämliche Symptom erfüllt, so
daß das Symptom _mindestens_ zweifach determiniert wird, je einmal von
einem der im Konflikt befindlichen Systeme her. Einer weiteren
Überdeterminierung sind -- ähnlich wie beim Traume -- keine Schranken
gesetzt. Die Determinierung, die nicht dem ~Ubw~ entstammt, ist, soviel
ich sehe, regelmäßig ein Gedankenzug der Reaktion gegen den unbewußten
Wunsch, z. B. eine Selbstbestrafung. Ich kann also ganz allgemein sagen,
_ein hysterisches Symptom entsteht nur dort, wo zwei gegensätzliche
Wunscherfüllungen, jede aus der Quelle eines anderen psychischen
Systems, in einem Ausdruck zusammentreffen können_. (Vgl. hiezu meine
letzten Formulierungen der Entstehung hysterischer Symptome in dem
Aufsatz »Hysterische Phantasien und ihre Beziehung zur Bisexualität« in
der zweiten Folge der Sammlung kl. Sch. z. Neurosenlehre 1909.)
Beispiele würden hier wenig fruchten, da nur die vollständige Enthüllung
der vorliegenden Komplikation Überzeugung erwecken kann. Ich lasse es
darum bei der Behauptung und bringe ein Beispiel bloß seiner
Anschaulichkeit, nicht seiner Beweiskraft wegen. Das hysterische
Erbrechen also bei einer Patientin erwies sich einerseits als die
Erfüllung einer unbewußten Phantasie aus den Pubertätsjahren, nämlich
des Wunsches, fortwährend gravid zu sein, ungezählt viele Kinder zu
haben, wozu später die Erweiterung trat: von möglichst vielen Männern.
Gegen diesen unbändigen Wunsch hatte sich eine mächtige Abwehrregung
erhoben. Da die Patientin aber durch das Erbrechen ihre Körperfülle und
ihre Schönheit verlieren konnte, so daß kein Mann mehr an ihr Gefallen
fand, so war das Symptom auch dem strafenden Gedankengang recht und
durfte, von beiden Seiten zugelassen, zur Realität werden. Es ist
dieselbe Manier auf eine Wunscherfüllung einzugehen, welche der
Partherkönigin gegen den Triumvir Crassus beliebte. Sie meinte, er habe
den Feldzug aus Goldgier unternommen; so ließ sie der Leiche
geschmolzenes Gold in den Rachen gießen. »Hier hast du, was du dir
gewünscht hast.« Vom Traume wissen wir bis jetzt nur, daß er eine
Wunscherfüllung des Unbewußten ausdrückt; es scheint, daß das
herrschende, vorbewußte System diese gewähren läßt, nachdem sie ihr
gewisse Entstellungen aufgenötigt hat. Man ist auch wirklich nicht im
stande, allgemein einen dem Traumwunsche gegensätzlichen Gedankenzug
nachzuweisen, der sich wie sein Widerpart im Traume verwirklicht. Nur
hie und da sind uns in den Traumanalysen Anzeichen von Reaktionsschöpfungen
begegnet, z. B. die Zärtlichkeit für Freund R. im Onkeltraume
(p. 106). Wir können aber die hier vermißte Zutat aus dem
Vorbewußten an anderer Stelle auffinden. Der Traum darf einen Wunsch aus
dem ~Ubw~ nach allerlei Entstellungen zum Ausdruck bringen, während sich
das herrschende System auf den _Wunsch zu schlafen_ zurückgezogen hat,
und diesen Wunsch durch Herstellung der ihm möglichen Besetzungsänderungen
innerhalb des psychischen Apparates realisiert, endlich
ihn die ganze Dauer des Schlafes über festhält(239).

  (237) Korrekter gesagt: Ein Anteil des Symptoms entspricht der
  unbewußten Wunscherfüllung, ein anderer der Reaktionsbildung gegen
  dieselbe.

  (238) _Hughlings Jackson_ hatte geäußert: Findet das Wesen des Traums,
  und ihr werdet alles, was man über das Irresein wissen kann, gefunden
  haben. (Find out all about dreams and you will have found out all
  about insanity.)

  (239) Diesen Gedanken entlehne ich der Schlaftheorie von _Liébault_,
  des Erweckers der hypnotischen Forschung in unseren Tagen. (Du sommeil
  provoqué etc., Paris 1889.)

 Der Wunsch zu schlafen.

Dieser festgehaltene Wunsch des Vorbewußten zu schlafen, wirkt nun ganz
allgemein erleichternd auf die Traumbildung. Denken wir an den Traum des
Vaters, den der Lichtschein aus dem Totenzimmer zur Folgerung anregt,
die Leiche könne in Brand geraten sein. Wir haben als die eine der
psychischen Kräfte, die den Ausschlag dafür geben, daß der Vater im
Traume diesen Schluß zieht, anstatt sich durch den Lichtschein wecken zu
lassen, den Wunsch aufgewiesen, der das Leben des im Traume
vorgestellten Kindes um den einen Moment verlängert. Andere aus dem
Verdrängten stammende Wünsche entgehen uns wahrscheinlich, weil wir die
Analyse dieses Traumes nicht machen können. Aber als zweite Triebkraft
dieses Traumes dürfen wir das Schlafbedürfnis des Vaters hinzunehmen;
sowie durch den Traum das Leben des Kindes, so wird auch der Schlaf des
Vaters um einen Moment verlängert. Den Traum gewähren lassen, heißt
diese Motivierung, sonst muß ich erwachen. Wie bei diesem Traume, so
leiht auch bei allen anderen der Schlafwunsch dem unbewußten Wunsche
seine Unterstützung. Wir haben auf p. 96 von Träumen berichtet, die sich
offenkundig als Bequemlichkeitsträume geben. Eigentlich haben alle
Träume Anspruch auf diese Bezeichnung. Bei den Weckträumen, die den
äußeren Sinnesreiz so verarbeiten, daß er mit der Fortsetzung des
Schlafens verträglich wird, ihn in einen Traum verweben, um ihm die
Ansprüche zu entreißen, die er als Mahnung an die Außenwelt erheben
könnte, ist die Wirksamkeit des Wunsches, weiter zu schlafen, am
leichtesten zu erkennen. Derselbe muß aber ebenso seinen Anteil an der
Gestaltung aller anderen Träume haben, die nur von innen her als Wecker
am Schlafzustand rütteln können. Was das ~Vbw~ in manchen Fällen dem
Bewußtsein mitteilt, wenn der Traum es zu arg treibt: Aber lass' doch
und schlaf' weiter, es ist ja nur ein Traum; das beschreibt, auch ohne
daß es laut wird, ganz allgemein das Verhalten unserer herrschenden
Seelentätigkeit gegen das Träumen. Ich muß die Folgerung ziehen, _daß
wir den ganzen Schlafzustand über ebenso sicher wissen, daß wir träumen,
wie wir es wissen, daß wir schlafen_. Es ist durchaus notwendig, den
Einwand dagegen gering zu schätzen, daß unser Bewußtsein auf das eine
Wissen nie gelenkt wird, auf das andere nur bei bestimmtem Anlaß, wenn
sich die Zensur wie überrumpelt fühlt. Dagegen gibt es Personen, bei
denen die nächtliche Festhaltung des Wissens, daß sie schlafen und
träumen, ganz offenkundig wird, und denen also eine bewußte Fähigkeit,
das Traumleben zu lenken, eigen scheint. Ein solcher Träumer ist z. B.
mit der Wendung, die ein Traum nimmt, unzufrieden, er bricht ihn, ohne
aufzuwachen, ab und beginnt ihn von neuem, um ihn anders fortzusetzen,
ganz wie ein populärer Schriftsteller auf Verlangen seinem Schauspiel
einen glücklicheren Ausgang gibt. Oder er denkt sich ein anderes Mal im
Schlafe, wenn ihn der Traum in eine sexuell erregende Situation versetzt
hat: »Das will ich nicht weiter träumen, um mich in einer Pollution zu
erschöpfen, sondern hebe es mir lieber für eine reale Situation auf.«

Der Marquis d'_Hervey_ (Vaschide p. 139) behauptete, eine solche Macht
über seine Träume gewonnen zu haben, daß er ihren Ablauf nach Belieben
beschleunigen und ihnen eine ihm beliebige Richtung geben konnte. Es
scheint, daß bei ihm der Wunsch zu schlafen einem anderen vorbewußten
Wunsch Raum gegönnt hatte, dem, seine Träume zu beobachten und sich an
ihnen zu ergötzen. Mit einem solchen Wunschvorsatz ist der Schlaf
ebensowohl verträglich wie mit einem Vorbehalt als Bedingung des
Erwachens (Ammenschlaf). Es ist auch bekannt, daß das Interesse am Traum
bei allen Menschen die Anzahl der nach dem Erwachen erinnerten Träume
erheblich steigert(240).

  (240) Über andere Beobachtungen von Lenkung der Träume sagt
  _Ferenczi_: »Der Traum bearbeitet den das Seelenleben gerade
  beschäftigenden Gedanken von allen Seiten her, läßt das eine Traumbild
  bei drohender Gefahr des Mißlingens der Wunscherfüllung fallen,
  versucht es mit einer neuen Art der Lösung, bis es ihm endlich
  gelingt, eine die beiden Instanzen des Seelenlebens kompromissuell
  befriedigende Wunscherfüllung zu schaffen.«


 Zusammenfassung der Traumbildung.

d) _Das Wecken durch den Traum_. _Die Funktion des Traumes_. _Der
Angsttraum_.

Seitdem wir wissen, daß das Vorbewußte über die Nacht auf den Wunsch zu
schlafen eingestellt ist, können wir den Traumvorgang mit Verständnis
weiter verfolgen. Wir fassen aber zunächst unsere bisherige Kenntnis
desselben zusammen. Es seien also von der Wacharbeit Tagesreste übrig
geblieben, denen sich die Energiebesetzung nicht völlig entziehen ließ.
Oder es sei durch die Wacharbeit tagsüber einer der unbewußten Wünsche
rege geworden oder es treffe beides zusammen; wir haben die hier
mögliche Mannigfaltigkeit bereits erörtert. Schon im Laufe des Tages
oder erst mit Herstellung des Schlafzustandes hat der unbewußte Wunsch
sich den Weg zu den Tagesresten gebahnt, seine Übertragung auf sie
bewerkstelligt. Es entsteht nun ein auf das rezente Material
übertragener Wunsch oder der unterdrückte rezente Wunsch hat sich durch
Verstärkung aus dem Unbewußten neu belebt. Er möchte nun auf dem
normalen Wege der Gedankenvorgänge durch das ~Vbw~, dem er mit einem
Bestandteil ja angehört, zum Bewußtsein vordringen. Aber er stößt auf
die Zensur, die noch besteht, und deren Einfluß er jetzt unterliegt.
Hier nimmt er die Entstellung an, die schon durch die Übertragung auf
das Rezente angebahnt war. Bis jetzt ist er nun auf dem Wege, etwas
Ähnliches zu werden wie eine Zwangsvorstellung, eine Wahnidee u. dgl.,
nämlich ein durch Übertragung verstärkter, durch Zensur im Ausdruck
entstellter Gedanke. Nun aber gestattet der Schlafzustand des
Vorbewußten nicht das weitere Vordringen; wahrscheinlich hat sich das
System durch Herabsetzung seiner Erregungen gegen das Eindringen
geschützt. Der Traumvorgang schlägt also den Weg der Regression ein, der
gerade durch die Eigentümlichkeit des Schlafzustandes eröffnet ist, und
folgt dabei der Anziehung, welche Erinnerungsgruppen auf ihn ausüben,
die zum Teil selbst nur als visuelle Besetzungen, nicht als Übersetzung
in die Zeichen der späteren Systeme vorhanden sind. Auf dem Wege zur
Regression erwirbt er die Darstellbarkeit. Von der Kompression werden
wir später handeln. Er hat jetzt das zweite Stück seines mehrmals
geknickten Verlaufes zurückgelegt. Das erste Stück spann sich
progredient von den unbewußten Szenen oder Phantasien zum Vorbewußten;
das zweite Stück strebt von der Zensurgrenze an wieder zu den
Wahrnehmungen hin. Wenn der Traumvorgang aber Wahrnehmungsinhalt
geworden ist, so hat er das ihm durch Zensur und Schlafzustand im ~Vbw~
gesetzte Hindernis gleichsam umgangen. Es gelingt ihm, Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen und vom Bewußtsein bemerkt zu werden. Das Bewußtsein
nämlich, das uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer
Qualitäten bedeutet, ist im Wachen von zwei Stellen her erregbar. Von
der Peripherie des ganzen Apparates, dem Wahrnehmungssystem, in erster
Linie; außerdem von den Lust- und Unlusterregungen, die sich als einzige
psychische Qualität bei den Energieumsetzungen im Innern des Apparates
ergeben. Alle Vorgänge in den Ψ-Systemen sonst, auch die im ~Vbw~,
entbehren jeder psychischen Qualität und sind darum kein Objekt des
Bewußtseins, insofern sie ihm nicht Lust oder Unlust zur Wahrnehmung
liefern. Wir werden uns zur Annahme entschließen müssen, daß _diese
Lust- und Unlustentbindungen automatisch den Ablauf der
Besetzungsvorgänge regulieren_. Es hat sich aber später die
Notwendigkeit herausgestellt, zur Ermöglichung feinerer Leistungen den
Vorstellungsablauf unabhängiger von den Unlustzeichen zu gestalten. Zu
diesem Zwecke bedurfte das ~Vbw~-System eigener Qualitäten, die das
Bewußtsein anziehen könnten, und erhielt sie höchstwahrscheinlich durch
die Verknüpfung der vorbewußten Vorgänge mit dem nicht qualitätslosen
Erinnerungssystem der Sprachzeichen. Durch die Qualitäten dieses Systems
wird jetzt das Bewußtsein, das vorher nur Sinnesorgan für die
Wahrnehmungen war, auch zum Sinnesorgan für einen Teil unserer
Denkvorgänge. Es gibt jetzt gleichsam zwei Sinnesoberflächen, die eine
dem Wahrnehmen, die andere den vorbewußten Denkvorgängen zugewendet.

Ich muß annehmen, daß die dem ~Vbw~ zugewendete Sinnesfläche des
Bewußtseins durch den Schlafzustand weit unerregbarer gemacht wird, als
die gegen die ~W~-Systeme gerichtete. Das Aufgeben des Interesses für
die nächtlichen Denkvorgänge ist ja auch zweckmäßig. Es soll im Denken
nichts vorfallen; das ~Vbw~ verlangt zu schlafen. Ist der Traum aber
einmal Wahrnehmung geworden, so vermag er durch die jetzt gewonnenen
Qualitäten das Bewußtsein zu erregen. Diese Sinneserregung leistet das,
worin überhaupt ihre Funktion besteht; sie dirigiert einen Teil der im
~Vbw~ verfügbaren Besetzungsenergie als Aufmerksamkeit auf das
Erregende. So muß man also zugeben, daß der Traum jedesmal _weckt_,
einen Teil der ruhenden Kraft des ~Vbw~ in Tätigkeit versetzt. Er
erfährt nun von dieser jene Beeinflussung, die wir als sekundäre
Bearbeitung mit Rücksicht auf Zusammenhang und Verständlichkeit
bezeichnet haben. Das will besagen, der Traum wird von ihr behandelt wie
jeder andere Wahrnehmungsinhalt; er wird denselben Erwartungsvorstellungen
unterzogen, soweit sein Material sie eben zuläßt. Soweit bei diesem
dritten Stück des Traumvorganges eine Ablaufrichtung in Betracht kommt,
ist es wieder die progrediente.

Zur Verhütung von Mißverständnissen wird ein Wort über die zeitlichen
Eigenschaften dieser Traumvorgänge wohl angebracht sein. Ein sehr
anziehender Gedankengang _Goblots_, der offenbar durch das Rätsel des
_Maury_schen Guillotinentraumes angeregt ist, sucht darzutun, daß der
Traum keine andere Zeit in Anspruch nimmt als die der Übergangsperiode
zwischen Schlafen und Erwachen. Das Erwachen braucht Zeit; in dieser
Zeit fällt der Traum vor. Man meint, das letzte Bild des Traumes war so
stark, daß es zum Erwachen nötigte. In Wirklichkeit war es nur darum so
stark, weil wir bei ihm dem Erwachen schon so nahe waren. »Un rêve c'est
un réveil qui commence.«

 Die psychischen Wege des Traumvorganges.

Es ist schon von _Dugas_ hervorgehoben worden, daß _Goblot_ viel
Tatsächliches beseitigen muß, um seine These allgemein zu halten. Es
gibt auch Träume, aus denen man nicht erwacht, z. B. manche, in denen
man träumt, daß man träumt. Nach unserer Kenntnis der Traumarbeit können
wir unmöglich zugeben, daß sie sich nur über die Periode des Erwachens
erstrecke. Es muß uns im Gegenteil wahrscheinlich werden, daß das erste
Stück der Traumarbeit bereits am Tage, noch unter der Herrschaft des
Vorbewußten, beginnt. Das zweite Stück derselben, die Veränderung durch
die Zensur, die Anziehung durch die unbewußten Szenen, das Durchdringen
zur Wahrnehmung, das geht wohl die ganze Nacht hindurch fort, und
insofern dürften wir immer recht haben, wenn wir eine Empfindung
angeben, wir hätten die ganze Nacht geträumt, auch wenn wir nicht zu
sagen wissen, was. Ich glaube aber nicht, daß es notwendig ist
anzunehmen, die Traumvorgänge hielten bis zum Bewußtwerden wirklich die
zeitliche Folge ein, die wir beschrieben haben; es sei zuerst der
übertragene Traumwunsch vorhanden, dann gehe die Entstellung durch die
Zensur vor sich, darauf folge die Richtungsänderung zur Regression usw.
Wir haben eine solche Sukzession bei der Beschreibung herstellen müssen;
in Wirklichkeit handelt es sich wohl vielmehr um gleichzeitiges Erproben
dieser und jener Wege, um ein Hin- und Herwogen der Erregung, bis
endlich durch deren zweckmäßigste Verteilung gerade die eine Gruppierung
die bleibende wird. Ich möchte selbst nach gewissen persönlichen
Erfahrungen glauben, daß die Traumarbeit oft mehr als einen Tag und eine
Nacht braucht, um ihr Ergebnis zu liefern, wobei dann die
außerordentliche Kunst im Aufbau des Traumes alles Wunderbare verliert.
Selbst die Rücksicht auf die Verständlichkeit als Wahrnehmungsereignis
kann meiner Meinung nach zur Wirkung kommen, ehe der Traum das
Bewußtsein an sich zieht. Von da an erfährt der Vorgang allerdings eine
Beschleunigung, da der Traum ja jetzt dieselbe Behandlung erfährt wie
etwas anderes Wahrgenommenes. Es ist wie mit einem Feuerwerk, das
stundenlang hergerichtet und dann in einem Moment entzündet wird.

Durch die Traumarbeit gewinnt der Traumvorgang nun entweder die
genügende Intensität, um das Bewußtsein auf sich zu ziehen und das
Vorbewußte zu wecken, ganz unabhängig von der Zeit und Tiefe des
Schlafes; oder seine Intensität ist dazu nicht genügend, und er muß
bereit bleiben, bis ihm unmittelbar vor dem Erwachen die beweglicher
gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume scheinen mit
vergleichsweise geringen psychischen Intensitäten zu arbeiten, denn sie
warten das Erwachen ab. Es erklärt sich so aber auch, daß wir in der
Regel etwas Geträumtes wahrnehmen, wenn man uns plötzlich aus tiefem
Schlafe reißt. Der erste Blick dabei wie beim spontanen Erwachen trifft
den von der Traumarbeit geschaffenen Wahrnehmungsinhalt, der nächste
dann den von außen gegebenen.

Das größere theoretische Interesse wendet sich aber den Träumen zu, die
mitten im Schlafe zu wecken vermögen. Man darf der sonst überall
nachweisbaren Zweckmäßigkeit gedenken und sich fragen, warum dem Traume,
also dem unbewußten Wunsche, die Macht gelassen wird, den Schlaf, also
die Erfüllung des vorbewußten Wunsches, zu stören. Es muß das wohl an
Energierelationen liegen, in welche uns die Einsicht fehlt. Besäßen wir
diese, so würden wir wahrscheinlich finden, daß das Gewährenlassen des
Traumes und der Aufwand einer gewissen detachierten Aufmerksamkeit für
ihn eine Ersparnis an Energie darstellt gegen den Fall, daß das
Unbewußte nachts ebenso in Schranken gehalten werden sollte wie
tagsüber. Wie die Erfahrung zeigt, bleibt das Träumen, selbst wenn es
mehrmals in einer Nacht den Schlaf unterbricht, mit dem Schlafen
vereinbar. Man erwacht für einen Moment und schläft sofort wieder ein.
Es ist, wie wenn man schlafend eine Fliege wegscheucht; man erwacht ad
hoc. Wenn man wieder einschläft, hat man die Störung beseitigt. Die
Erfüllung des Schlafwunsches ist, wie bekannte Beispiele vom
Ammenschlafe u. dgl. zeigen, ganz gut mit der Unterhaltung eines
gewissen Aufwandes von Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung
vereinbar.

Hier verlangt aber ein Einwand gehört zu werden, der auf einer besseren
Kenntnis der unbewußten Vorgänge fußt. Wir haben selbst die unbewußten
Wünsche als immer rege bezeichnet. Trotzdem seien sie bei Tag nicht
stark genug, sich vernehmbar zu machen. Wenn aber der Schlafzustand
besteht und der unbewußte Wunsch die Kraft gezeigt hat, einen Traum zu
bilden und mit ihm das Vorbewußte zu wecken, warum versiegt diese Kraft,
nachdem der Traum zur Kenntnis genommen worden ist? Sollte der Traum
sich nicht vielmehr fortwährend erneuern, gerade wie die störende Fliege
es liebt, immer wieder nach ihrer Vertreibung wiederzukehren? Mit
welchem Rechte haben wir behauptet, daß der Traum die Schlafstörung
beseitigt?

Es ist ganz richtig, daß die unbewußten Wünsche immer rege bleiben. Sie
stellen Wege dar, die immer gangbar sind, so oft ein Erregungsquantum
sich ihrer bedient. Es ist sogar eine hervorragende Besonderheit
unbewußter Vorgänge, daß sie unzerstörbar bleiben. Im Unbewußten ist
nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen. Man
bekommt hievon den stärksten Eindruck beim Studium der Neurosen,
speziell der Hysterie. Der unbewußte Gedankenweg, der zur Entladung im
Anfall führt, ist sofort wieder gangbar, wenn sich genug Erregung
angesammelt hat. Die Kränkung, die vor dreißig Jahren vorgefallen ist,
wirkt, nachdem sie sich den Zugang zu den unbewußten Affektquellen
verschafft hat, alle die dreißig Jahre wie eine frische. So oft ihre
Erinnerung angerührt wird, lebt sie wieder auf und zeigt sich mit
Erregung besetzt, die sich in einem Anfall motorische Abfuhr verschafft.
Gerade hier hat die Psychotherapie einzugreifen. Ihre Aufgabe ist es,
für die unbewußten Vorgänge eine Erledigung und ein Vergessen zu
schaffen. Was wir nämlich geneigt sind, für selbstverständlich zu halten
und für einen primären Einfluß der Zeit auf die seelischen
Erinnerungsreste erklären, das Abblassen der Erinnerungen und die
Affektschwäche der nicht mehr rezenten Eindrücke, das sind in
Wirklichkeit sekundäre Veränderungen, die durch mühevolle Arbeit zu
stande kommen. Es ist das Vorbewußte, welches diese Arbeit leistet, und
die Psychotherapie kann keinen anderen Weg einschlagen, als das ~Ubw~
der Herrschaft des ~Vbw~ zu unterwerfen.

 Das Wecken durch den Traum.

Für den einzelnen unbewußten Erregungsvorgang gibt es also zwei
Ausgänge. Entweder er bleibt sich selbst überlassen, dann bricht er
endlich irgendwo durch und schafft seiner Erregung für dies eine Mal
einen Abfluß in die Motilität, oder er unterliegt der Beeinflussung des
Vorbewußten, und seine Erregung wird durch dasselbe _gebunden_, anstatt
_abgeführt_. _Letzteres aber geschieht beim Traumvorgang._ Die
Besetzung, die dem zur Wahrnehmung gewordenen Traum von Seite des ~Vbw~
entgegenkommt, weil sie durch die Bewußtseinserregung hingelenkt worden
ist, bindet die unbewußte Erregung des Traumes und macht sie als Störung
unschädlich. Wenn der Träumer für einen Augenblick erwacht, so hat er
wirklich die Fliege weggescheucht, die den Schlaf zu stören drohte. Es
kann uns jetzt ahnen, daß es wirklich zweckmäßiger und wohlfeiler war,
den unbewußten Wunsch gewähren zu lassen, ihm den Weg zur Regression
freizugeben, damit er einen Traum bilde, und dann dessen Traum durch
einen kleinen Aufwand von vorbewußter Arbeit zu binden und zu erledigen,
als das Unbewußte auch die ganze Zeit des Schlafens über im Zaume zu
halten. Es stand ja zu erwarten, daß der Traum, auch wenn er
ursprünglich kein zweckmäßiger Vorgang war, im Kräftespiel des
seelischen Lebens sich einer Funktion bemächtigt haben würde. Wir sehen,
welches diese Funktion ist. Er hat die Aufgabe übernommen, die frei
gelassene Erregung des ~Ubw~ wieder unter die Herrschaft des Vorbewußten
zu bringen; er führt dabei die Erregung des ~Ubw~ ab, dient ihm als
Ventil und sichert gleichzeitig gegen einen geringen Aufwand an
Wachtätigkeit den Schlaf des Vorbewußten. So stellt er sich als ein
Kompromiß, ganz wie die anderen psychischen Bildungen seiner Reihe,
gleichzeitig in den Dienst der beiden Systeme, indem er beider Wünsche,
insoweit sie miteinander verträglich sind, erfüllt. Ein Blick auf die
p. 59 f. mitgeteilte _Robert_sche »Ausscheidungstheorie« wird zeigen,
daß wir diesem Autor in der Hauptsache, in der Bestimmung der Funktion
des Traumes, recht geben müssen, während wir in den Voraussetzungen und
in der Würdigung des Traumvorganges von ihm abweichen(241).

  (241) Ist dies die einzige Funktion, die wir dem Traume zugestehen
  können? Ich kenne keine andere. A. _Maeder_ hat zwar den Versuch
  gemacht, andere, »sekundäre«, Funktionen für den Traum in Anspruch zu
  nehmen. Er ging von der richtigen Beobachtung aus, daß manche Träume
  Lösungsversuche von Konflikten enthalten, die späterhin wirklich
  durchgeführt werden, sich also wie Vorübungen zu Wachtätigkeiten
  verhalten. Er brachte darum das Träumen in Parallele zu dem Spielen
  der Tiere und der Kinder, welches als vorübende Betätigung
  mitgebrachter Instinkte und als Vorbereitung für späteres ernsthaftes
  Tun aufzufassen ist, und stellte eine »fonction ludique« des Träumens
  auf. Kurze Zeit vor _Maeder_ war die »vorausdenkende« Funktion des
  Traumes auch von _Alf. Adler_ betont worden. (In einer von mir 1905
  veröffentlichten Analyse wurde ein als Vorsatz aufzufassender Traum
  jede Nacht bis zu seiner Ausführung wiederholt.)

  Allein eine leichte Überlegung muß uns lehren, daß diese »sekundäre«
  Funktion des Traumes im Rahmen einer Traumdeutung keine Anerkennung
  verdient. Das Vorausdenken, Fassen von Vorsätzen, Entwerfen von
  Lösungsversuchen, die dann eventuell im Wachleben verwirklicht werden
  können, dies und viel anderes sind Leistungen der unbewußten und
  vorbewußten Tätigkeit des Geistes, welche sich als »Tagesrest« in den
  Schlafzustand fortsetzen und dann mit einem unbewußten Wunsch (siehe
  p. 433 f.) zur Traumbildung zusammentreten kann. Die vorausdenkende
  Funktion des Traumes ist also vielmehr eine Funktion des vorbewußten
  Wachdenkens, deren Ergebnis uns durch die Analyse der Träume oder auch
  anderer Phänomene verraten werden kann. Nachdem man solange den Traum
  mit seinem manifesten Inhalt zusammenfallen ließ, muß man sich jetzt
  auch davor hüten, den Traum mit den latenten Traumgedanken zu
  verwechseln.

Die Einschränkung, _insofern beide Wünsche miteinander verträglich
sind_, enthält einen Hinweis auf die möglichen Fälle, in denen die
Funktion des Traumes zum Scheitern gelangt. Der Traumvorgang wird
zunächst als Wunscherfüllung des Unbewußten zugelassen; wenn diese
versuchte Wunscherfüllung am Vorbewußten so intensiv rüttelt, daß dies
seine Ruhe nicht mehr bewahren kann, so hat der Traum das Kompromiß
gebrochen, das andere Stück seiner Aufgabe nicht mehr erfüllt. Er wird
dann sofort abgebrochen und durch das volle Erwachen ersetzt. Es ist
eigentlich auch hier nicht die Schuld des Traumes, wenn er, sonst der
Hüter des Schlafes, als Störer desselben auftreten muß, und braucht uns
gegen seine Zweckmäßigkeit nicht einzunehmen. Es ist dies nicht der
einzige Fall im Organismus, daß eine sonst zweckmäßige Einrichtung
unzweckmäßig und störend wird, sobald in den Bedingungen ihres
Entstehens etwas geändert ist, und dann dient die Störung wenigstens dem
neuen Zwecke, die Veränderung anzuzeigen und die Regulierungsmittel des
Organismus wider sie wachzurufen. Ich habe natürlich den Fall des
Angsttraumes im Auge, und um nicht dem Anscheine recht zu geben, daß ich
diesem Zeugen gegen die Theorie der Wunscherfüllung ausweiche, wo immer
ich auf ihn stoße, will ich der Erklärung des Angsttraumes wenigstens
mit Andeutungen nähertreten.

Daß ein psychischer Vorgang, der Angst entwickelt, darum doch eine
Wunscherfüllung sein kann, enthält für uns längst keinen Widerspruch
mehr. Wir wissen uns das Vorkommnis so zu erklären, daß der Wunsch dem
einen System, dem ~Ubw~, angehört, während das System des ~Vbw~ diesen
Wunsch verworfen und unterdrückt hat. Die Unterwerfung des ~Ubw~ durch
das ~Vbw~ ist auch bei völliger psychischer Gesundheit keine
durchgreifende; das Maß dieser Unterdrückung ergibt den Grad unserer
psychischen Normalität. Neurotische Symptome zeigen uns an, daß sich die
beiden Systeme im Konflikt miteinander befinden; sie sind die
Kompromißergebnisse dieses Konfliktes, die ihm ein vorläufiges Ende
setzen. Sie gestatten einerseits dem ~Ubw~ einen Ausweg für den Abfluß
seiner Erregung, dienen ihm als Ausfallstor und geben doch anderseits
dem ~Vbw~ die Möglichkeit, das ~Ubw~ einigermaßen zu beherrschen.
Lehrreich ist es z. B., die Bedeutung einer hysterischen Phobie oder der
Platzangst in Betracht zu ziehen. Ein Neurotiker sei unfähig, allein
über die Straße zu gehen, was wir mit Recht als »Symptom« anführen. Man
hebe nun dieses Symptom auf, indem man ihn zu dieser Handlung nötigt,
für die er sich unfähig glaubt. Es erfolgt dann ein Angstanfall, wie
auch oft ein Angstanfall auf der Straße die Veranlassung für die
Herstellung der Platzangst geworden ist. Wir erfahren so, daß das
Symptom konstituiert worden ist, um den Ausbruch der Angst zu verhüten;
die Phobie ist der Angst wie eine Grenzfestung vorgelegt.

 Die Traumfunktion. Ihr Scheitern im Angsttraum.

Unsere Erörterung läßt sich nicht weiterführen, wenn wir nicht auf die
Rolle der Affekte bei diesen Vorgängen eingehen, was aber hier nur
unvollkommen möglich ist. Stellen wir also den Satz auf, daß die
Unterdrückung des ~Ubw~ vor allem darum notwendig wird, weil der sich
selbst überlassene Vorstellungsablauf im ~Ubw~ einen Affekt entwickeln
würde, der ursprünglich den Charakter der Lust hatte, aber seit dem
Vorgang der _Verdrängung_ den Charakter der Unlust trägt. Die
Unterdrückung hat den Zweck, aber auch den Erfolg, diese
Unlustentwicklung zu verhüten. Die Unterdrückung erstreckt sich auf den
Vorstellungsinhalt des ~Ubw~, weil vom Vorstellungsinhalt her die
Entbindung der Unlust erfolgen könnte. Eine ganz bestimmte Annahme über
die Natur der Affektentwicklung ist hier zu Grunde gelegt. Dieselbe wird
als eine motorische oder sekretorische Leistung angesehen, zu welcher
der Innervationsschlüssel in den Vorstellungen des ~Ubw~ gelegen ist.
Durch die Beherrschung von Seite des ~Vbw~ werden diese Vorstellungen
gleichsam gedrosselt, an der Aussendung der Affekt entwickelnden Impulse
gehemmt. Die Gefahr, wenn die Besetzung von Seite des ~Vbw~ aufhört,
besteht also darin, daß die unbewußten Erregungen solchen Affekt
entbinden, der -- infolge der früher stattgehabten Verdrängung -- nur
als Unlust, als Angst verspürt werden kann.

Diese Gefahr wird durch das Gewährenlassen des Traumvorganges
entfesselt. Die Bedingungen für deren Realisierung liegen darin, daß
Verdrängungen stattgefunden haben, und daß die unterdrückten
Wunschregungen stark genug werden können. Sie stehen also ganz außerhalb
des psychologischen Rahmens der Traumbildung. Wäre es nicht, daß unser
Thema durch dies eine Moment, die Befreiung des ~Ubw~ während des
Schlafes, mit dem Thema der Angstentwicklung zusammenhinge, so könnte
ich auf die Besprechung des Angsttraumes verzichten und mir alle ihm
anhängenden Dunkelheiten hier ersparen.

Die Lehre vom Angsttraume gehört, wie ich schon wiederholt ausgesprochen
habe, in die Neurosenpsychologie. Ich möchte sagen: die Angst im Traume
ist ein Angstproblem, kein Traumproblem. Wir haben weiter nichts mit ihr
zu schaffen, nachdem wir einmal ihre Berührungsstelle mit dem Thema des
Traumvorganges aufgezeigt haben. Ich kann nur noch eines tun. Da ich
behauptet habe, daß die neurotische Angst aus sexuellen Quellen stammt,
kann ich Angstträume der Analyse unterziehen, um das sexuelle Material
in deren Traumgedanken nachzuweisen.

Aus guten Gründen verzichte ich hier auf alle die Beispiele, die mir
neurotische Patienten in reicher Fülle bieten, und bevorzuge Angstträume
von jugendlichen Personen.

 Analysen von Angstträumen. -- Der Pavor nocturnus.

Ich selbst habe seit Jahrzehnten keinen eigentlichen Angsttraum mehr
gehabt. Aus meinem siebten oder achten Jahre erinnere ich mich an einen
solchen, den ich etwa 30 Jahre später der Deutung unterworfen habe. Er
war sehr lebhaft und zeigte mir _die geliebte Mutter mit eigentümlich
ruhigem, schlafendem Gesichtsausdruck, die von zwei (oder drei) Personen
mit Vogelschnäbeln ins Zimmer getragen und aufs Bett gelegt wird_. Ich
erwachte weinend und schreiend und störte den Schlaf der Eltern. Die --
eigentümlich drapierten -- überlangen Gestalten mit Vogelschnäbeln hatte
ich den Illustrationen der _Philippson_schen Bibel entnommen; ich
glaube, es waren Götter mit Sperberköpfen von einem ägyptischen
Grabrelief. Sonst aber liefert mir die Analyse die Erinnerung an einen
ungezogenen Hausmeistersjungen, der mit uns Kindern auf der Wiese vor
dem Hause zu spielen pflegte; und ich möchte sagen, der hieß _Philipp_.
Es ist mir dann, als hätte ich von dem Knaben zuerst das vulgäre Wort
gehört, welches den sexuellen Verkehr bezeichnet und von den Gebildeten
nur durch ein lateinisches, durch »koitieren« ersetzt wird, das aber
durch die Auswahl der Sperberköpfe deutlich genug gekennzeichnet ist.
Ich muß die sexuelle Bedeutung des Wortes aus der Miene des
welterfahrenen Lehrmeisters erraten haben. Der Gesichtsausdruck der
Mutter im Traume war vom Angesicht des Großvaters kopiert, den ich
einige Tage vor seinem Tode im Koma schnarchend gesehen hatte. Die
Deutung der sekundären Bearbeitung im Traume muß also gelautet haben,
daß die Mutter _stirbt_, auch das _Grab_relief stimmt dazu. In dieser
Angst erwachte ich und ließ nicht ab, bis ich die Eltern geweckt hatte.
Ich erinnere mich, daß ich mich plötzlich beruhigte, als ich die Mutter
zu Gesicht bekam, als ob ich die Beruhigung bedurft hätte: sie ist also
nicht gestorben. Diese sekundäre Deutung des Traumes ist aber schon
unter dem Einflusse der entwickelten Angst geschehen. Nicht daß ich
ängstlich war, weil ich geträumt hatte, daß die Mutter stirbt; sondern
ich deutete den Traum in der vorbewußten Bearbeitung so, weil ich schon
unter der Herrschaft der Angst stand. Die Angst aber läßt sich mittels
der Verdrängung zurückführen auf ein dunkles, offenkundig sexuelles
Gelüste, das in dem visuellen Inhalt des Traumes seinen guten Ausdruck
gefunden hatte.

Ein 27 jähriger Mann, der seit einem Jahre schwer leidend ist, hat
zwischen 11 und 13 Jahren wiederholt unter schwerer Angst geträumt, _daß
ein Mann mit einer Hacke ihm nachsetzt; er möchte laufen, ist aber wie
gelähmt und kommt nicht von der Stelle_. Das ist wohl ein gutes Muster
eines sehr gemeinen und sexuell unverdächtigen Angsttraumes. Bei der
Analyse gerät der Träumer zuerst auf eine der Zeit nach spätere
Erzählung seines Onkels, daß er auf der Straße nächtlich von einem
verdächtigen Individuum angefallen wurde, und schließt selbst aus diesem
Einfall, daß er zur Zeit des Traumes von einem ähnlichen Erlebnis gehört
haben kann. Zur Hacke erinnert er, daß er sich in jener Lebenszeit
einmal beim Holzverkleinern mit der _Hacke_ an der Hand verletzt hatte.
Er gerät dann unvermittelt auf sein Verhältnis zu seinem jüngeren
Bruder, den er zu mißhandeln und hinzuwerfen pflegte, erinnert sich
speziell eines Males, wo er ihn mit dem Stiefel an den Kopf traf, so daß
er blutete und die Mutter dann äußerte: Ich habe Angst, er wird ihn noch
einmal umbringen. Während er so beim Thema der _Gewalttat_ festgehalten
scheint, taucht ihm plötzlich eine Erinnerung aus dem neunten
Lebensjahre auf. Die Eltern waren spät nach Hause gekommen, gingen,
während er sich schlafend stellte, zu Bette, und er hörte dann ein
Keuchen und andere Geräusche, die ihm unheimlich vorkamen, konnte auch
die Lage der beiden im Bette erraten. Seine weiteren Gedanken zeigen,
daß er zwischen dieser Beziehung der Eltern und seinem Verhältnis zu
seinem jüngeren Bruder eine Analogie hergestellt hatte. Er subsumierte,
was bei den Eltern vorfiel, unter den Begriff: _Gewalttat und Rauferei_,
und gelangte so, wie bei Kindern sehr häufig, zur sadistischen
Auffassung des Koitusaktes. Ein Beweis für diese Auffassung war ihm, daß
er oft _Blut im Bette der Mutter_ bemerkt hatte.

Daß der sexuelle Verkehr Erwachsener den Kindern, die ihn bemerken,
unheimlich vorkommt und Angst in ihnen erweckt, ist, möchte ich sagen,
Ergebnis der täglichen Erfahrung. Ich habe für diese Angst die Erklärung
gegeben, daß es sich um eine sexuelle Erregung handelt, die von ihrem
Verständnis nicht bewältigt wird, auch wohl darum auf Ablehnung stößt,
weil die Eltern in sie verflochten sind, und die sich darum in Angst
verwandelt. In einer noch früheren Lebensperiode stößt die sexuelle
Regung für den gegengeschlechtlichen Teil des Elternpaares noch nicht
auf Verdrängung und äußert sich frei, wie wir gehört haben (p. 194).

Auf die bei Kindern so häufigen nächtlichen Angstanfälle mit
Halluzinationen (den Pavor nocturnus) würde ich dieselbe Erklärung
unbedenklich anwenden. Es kann sich auch da nur um unverstandene und
abgelehnte sexuelle Regungen handeln, bei deren Aufzeichnung sich auch
wahrscheinlich eine zeitliche Periodizität herausstellen würde, da eine
Steigerung der sexuellen Libido ebensowohl durch zufällige erregende
Eindrücke, als auch durch die spontanen, schubweise eintreffenden
Entwicklungsvorgänge erzeugt werden kann.

Mir fehlt es an dem erforderlichen Beobachtungsmaterial, um diese
Erklärung durchzuführen. Den Kinderärzten scheint es dagegen an dem
Gesichtspunkte zu fehlen, der allein das Verständnis der ganzen Reihe
von Phänomenen, sowohl nach der somatischen als auch nach der
psychischen Seite gestattet. Als ein komisches Beispiel, wie nahe man,
durch die Scheuklappen der medizinischen Mythologie geblendet, am
Verständnis solcher Fälle vorbeigehen kann, möchte ich einen Fall
anführen, den ich in der These über den Pavor nocturnus von _Debacker_
1881 (p. 66) gefunden habe.

Ein 13 jähriger Knabe von schwacher Gesundheit begann ängstlich und
verträumt zu werden, sein Schlaf wurde unruhig und fast jede Woche
einmal durch einen schweren Anfall von Angst mit Halluzinationen
unterbrochen. Die Erinnerung an diese Träume war immer sehr deutlich. Er
konnte also erzählen, daß der _Teufel_ ihn angeschrien habe: Jetzt haben
wir dich, jetzt haben wir dich, und dann roch es nach Pech und Schwefel
und das Feuer verbrannte seine Haut. Aus diesem Traume schreckte er dann
auf, konnte zuerst nicht schreien, bis die Stimme frei wurde und man ihn
deutlich sagen hörte: »Nein, nein, nicht mich, ich hab' ja nichts
getan«, oder auch: »Bitte, nicht, ich werd' es nie mehr tun.« Einigemal
sagte er auch: »Albert hat das nicht getan.« Er vermied es später sich
auszukleiden, »weil das Feuer ihn nur angreife, wenn er ausgekleidet
sei«. Mitten aus diesen Teufelsträumen, die seine Gesundheit in Gefahr
brachten, wurde er aufs Land geschickt, erholte sich dort im Verlaufe
von 1½ Jahren und gestand dann einmal, 15 Jahre alt: »Je n'osais pas
l'avouer, mais j'éprouvais continuellement des picotements et des
surexcitations aux _parties_(242); à la fin, cela m'énervait tant que
plusieurs fois, j'ai pensé me jeter par la fenêtre au dortoir.«

  (242) Von mir hervorgehoben; übrigens nicht mißverständlich.

Es ist wahrlich nicht schwer zu erraten, 1. daß der Knabe in früheren
Jahren masturbiert, es wahrscheinlich geleugnet hatte und mit schweren
Strafen für seine Unart bedroht worden war. (Sein Geständnis: Je ne le
ferai plus; sein Leugnen: Albert n'a jamais fait ça); 2. daß unter dem
Andrang der Pubertät die Versuchung zu masturbieren in dem Kitzel an den
Genitalien wieder erwachte; daß aber jetzt 3. ein Verdrängungskampf in
ihm losbrach, der die Libido unterdrückte und sie in Angst verwandelte,
welche Angst nachträglich die damals angedrohten Strafen aufnahm.

Hören wir dagegen die Folgerungen unseres Autors (p. 69). »Es geht aus
dieser Beobachtung hervor, daß 1. der Einfluß der Pubertät bei einem
Knaben von geschwächter Gesundheit einen Zustand von großer Schwäche
herbeiführen und daß es dabei zu einer _sehr erheblichen
Gehirnanämie_(243) kommen kann.

  (243) Meine Hervorhebung.

2. Diese Gehirnanämie erzeugt eine Charakterveränderung, dämonomanische
Halluzinationen und sehr heftige nächtliche, vielleicht auch tägliche
Angstzustände.

3. Die Dämonomanie und die Selbstvorwürfe des Knaben gehen auf die
Einflüsse der religiösen Erziehung zurück, die als Kind auf ihn gewirkt
hatten.

4. Alle Erscheinungen sind infolge eines längeren Landaufenthaltes durch
körperliche Übung und Wiederkehr der Kräfte nach abgelaufener Pubertät
verschwunden.

5. Vielleicht darf man der Heredität und der alten Syphilis des Vaters
einen prädisponierenden Einfluß auf die Entstehung des Gehirnzustandes
beim Kinde zuschreiben.«

Das Schlußwort: »Nous avons fait entrer cette observation dans le cadre
des délires apyrétiques d'inanition, car c'est à l'ischémie cérébrale
que nous rattachons cet état particulier.«


 Versöhnung der Widersprüche in der Traumlehre.

e) _Der Primär- und der Sekundärvorgang_. _Die Verdrängung_.

Indem ich den Versuch wagte, tiefer in die Psychologie der Traumvorgänge
einzudringen, habe ich eine schwierige Aufgabe unternommen, welcher auch
meine Darstellungskunst kaum gewachsen ist. Die Gleichzeitigkeit eines
so komplizierten Zusammenhanges durch ein Nacheinander in der
Beschreibung wiederzugeben und dabei bei jeder Aufstellung
voraussetzungslos zu erscheinen, will meinen Kräften zu schwer werden.
Es rächt sich nun an mir, daß ich bei der Darstellung der
Traumpsychologie nicht der historischen Entwicklung meiner Einsichten
folgen kann. Mir waren die Gesichtspunkte für die Auffassung des Traumes
durch vorhergegangene Arbeiten über die Psychologie der Neurosen
gegeben, auf die ich mich hier nicht beziehen soll und doch immer wieder
beziehen muß, während ich in umgekehrter Richtung vorgehen und vom
Traume aus den Anschluß an die Psychologie der Neurosen erreichen
möchte. Ich kenne alle Beschwerden, die sich hieraus für den Leser
ergeben; aber ich weiß kein Mittel, sie zu vermeiden.

Unbefriedigt von dieser Sachlage verweile ich gern bei einem anderen
Gesichtspunkte, der mir den Wert meiner Bemühung zu heben scheint. Ich
fand ein Thema vor, das von den schärfsten Widersprüchen in den
Meinungen der Autoren beherrscht war, wie die Einführung des ersten
Abschnittes gezeigt hat. Nach unserer Bearbeitung der Traumprobleme ist
für die meisten dieser Widersprüche Raum geschaffen worden. Nur zweien
der geäußerten Ansichten, daß der Traum ein sinnloser und ein
somatischer Vorgang sei, mußten wir selbst entschieden widersprechen;
sonst aber haben wir allen einander widersprechenden Meinungen an irgend
einer Stelle des verwickelten Zusammenhanges recht geben und nachweisen
können, daß sie etwas Richtiges herausgefunden hatten. Daß der Traum die
Anregungen und Interessen des Wachlebens fortsetzt, hat sich durch die
Aufdeckung der verborgenen Traumgedanken ganz allgemein bestätigt. Diese
beschäftigen sich nur mit dem, was uns wichtig scheint und uns mächtig
interessiert. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab. Aber auch
das Gegenteil haben wir gelten lassen, daß der Traum die gleichgültigen
Abfälle des Tages aufklaubt und sich eines großen Tagesinteresses nicht
eher bemächtigen kann, als bis es sich der Wacharbeit einigermaßen
entzogen hat. Wir fanden dies gültig für den Trauminhalt, der den
Traumgedanken einen durch Entstellung veränderten Ausdruck gibt. Der
Traumvorgang, sagten wir, bemächtigt sich aus Gründen der
Assoziationsmechanik leichter des frischen oder des gleichgültigen
Vorstellungsmaterials, welches von der wachen Denktätigkeit noch nicht
mit Beschlag belegt ist, und aus Gründen der Zensur überträgt er die
psychische Intensität von dem Bedeutsamen, aber auch Anstößigen, auf das
Indifferente. Die Hypermnesie des Traumes und die Verfügung über das
Kindheitsmaterial sind zu Grundpfeilern unserer Lehre geworden; in
unserer Traumtheorie haben wir dem aus dem Infantilen stammenden Wunsch
die Rolle des unentbehrlichen Motors für die Traumbildung zugeschrieben.
An der experimentell nachgewiesenen Bedeutung der äußeren Sinnesreize
während des Schlafes zu zweifeln, konnte uns natürlich nicht einfallen,
aber wir haben dieses Material in dasselbe Verhältnis zum Traumwunsch
gesetzt wie die von der Tagarbeit erübrigten Gedankenreste. Daß der
Traum den objektiven Sinnesreiz nach Art einer Illusion deutet,
brauchten wir nicht zu bestreiten; aber wir haben das von den Autoren
unbestimmt gelassene Motiv für diese Deutung hinzugefügt. Die Deutung
erfolgt so, daß das wahrgenommene Objekt für die Schlafstörung
unschädlich und für die Wunscherfüllung verwendbar wird. Den subjektiven
Erregungszustand der Sinnesorgane während des Schlafes, der durch
_Trumbull Ladd_ nachgewiesen scheint, lassen wir zwar nicht als
besondere Traumquelle gelten, aber wir wissen ihn durch regrediente
Belebung der hinter dem Traume wirkenden Erinnerungen zu erklären. Auch
den inneren organischen Sensationen, die gern zum Angelpunkte der
Traumerklärung genommen werden, ist in unserer Auffassung eine,
wenngleich bescheidenere Rolle verblieben. Sie stellen uns -- die
Sensationen des Fallens, Schwebens, Gehemmtseins -- ein allezeit
bereites Material dar, dessen sich die Traumarbeit zum Ausdruck der
Traumgedanken, so oft es not tut, bedient.

Daß der Traumvorgang ein rapider, momentaner ist, erscheint uns richtig
für die Wahrnehmung des vorgebildeten Trauminhaltes durch das
Bewußtsein; für die vorhergehenden Stücke des Traumvorganges haben wir
einen langsamen, wogenden Ablauf wahrscheinlich gefunden. Zum Rätsel des
überreichen, in den kürzesten Moment zusammengedrängten Trauminhaltes
konnten wir den Beitrag liefern, daß es sich dabei um das Aufgreifen
bereits fertiger Gebilde des psychischen Lebens handle. Daß der Traum
von der Erinnerung entstellt und verstümmelt wird, fanden wir richtig,
aber nicht hinderlich, da dies nur das letzte manifeste Stück einer von
Anfang der Traumbildung an wirksamen Entstellungsarbeit ist. In dem
erbitterten und einer Versöhnung scheinbar unfähigen Streite, ob das
Seelenleben nachts schlafe oder über all seine Leistungsfähigkeit wie
bei Tage verfüge, haben wir beiden Teilen recht und doch keinem ganz
recht geben können. In den Traumgedanken fanden wir die Beweise einer
höchst komplizierten, mit fast allen Mitteln des seelischen Apparates
arbeitenden, intellektuellen Leistung; doch ist es nicht abzuweisen, daß
diese Traumgedanken bei Tage entstanden sind, und es ist unentbehrlich
anzunehmen, daß es einen Schlafzustand des Seelenlebens gibt. So kam
selbst die Lehre vom partiellen Schlafe zur Geltung; aber nicht in dem
Zerfall der seelischen Zusammenhänge haben wir die Charakteristik des
Schlafzustandes gefunden, sondern in der Einstellung des den Tag
beherrschenden psychischen Systems auf den Wunsch zu schlafen. Die
Ablenkung von der Außenwelt bewahrte auch für unsere Auffassung ihre
Bedeutung; sie hilft, wenn auch nicht als einziges Moment, die
Regression der Traumdarstellung ermöglichen. Der Verzicht auf die
willkürliche Lenkung des Vorstellungsablaufes ist unbestreitbar; aber
das psychische Leben wird darum nicht ziellos, denn wir haben gehört,
daß nach dem Aufgeben der gewollten Zielvorstellungen ungewollte zur
Herrschaft gelangen. Die lockere Assoziationsverknüpfung im Traume haben
wir nicht nur anerkannt, sondern ihrer Herkunft einen weit größeren
Umfang zugewiesen, als geahnt werden konnte; wir haben aber gefunden,
daß sie nur der erzwungene Ersatz für eine andere, korrekte und
sinnvolle ist. Gewiß nannten auch wir den Traum absurd; aber Beispiele
konnten uns lehren, wie klug der Traum ist, wenn er sich absurd stellt.
Von den Funktionen, die dem Traume zuerkannt worden sind, trennt uns
kein Widerspruch. Daß der Traum die Seele wie ein Ventil entlaste, und
daß nach _Roberts_ Ausdruck allerlei Schädliches durch das Vorstellen im
Traume unschädlich gemacht wird, trifft nicht nur genau mit unserer
Lehre von der zweifachen Wunscherfüllung durch den Traum zusammen,
sondern wird für uns sogar nach seinem Wortlaute verständlicher als bei
_Robert_. Das freie Sichergehen der Seele im Spiele ihrer Fähigkeiten
findet sich bei uns wieder in dem Gewährenlassen des Traumes durch die
vorbewußte Tätigkeit. Die »Rückkehr auf den embryonalen Standpunkt des
Seelenlebens im Traume« und die Bemerkung von _Havelock Ellis_, »an
archaic world of vast emotions and imperfect thoughts« erscheinen uns
als glückliche Vorwegnahmen unserer Ausführungen, die _primitive_, bei
Tage unterdrückte Arbeitsweisen an der Traumbildung beteiligt sein
lassen; die Behauptung von _Sully_, »der Traum bringe unsere früheren
sukzessive entwickelten Persönlichkeiten wieder, unsere alte Art, die
Dinge anzusehen, Impulse und Reaktionsweisen, die uns vor langen Zeiten
beherrscht haben«, konnten wir im vollen Umfange zu der unsrigen machen;
wie bei _Delage_ wird bei uns das »_Unterdrückte_« zur Triebfeder des
Traumes.

Die Rolle, welche _Scherner_ der Traumphantasie zuschreibt, und die
Deutungen _Scherners_ selbst haben wir in vollem Umfange anerkannt, aber
ihnen gleichsam eine andere Lokalität im Problem anweisen müssen. Nicht
der Traum bildet die Phantasie, sondern an der Bildung der Traumgedanken
hat die unbewußte Phantasietätigkeit den größten Anteil. Wir bleiben
_Scherner_ für den Hinweis auf die Quelle der Traumgedanken
verpflichtet; aber fast alles, was er der Traumarbeit zuschreibt, ist
der Tätigkeit des bei Tage regsamen Unbewußten zuzurechnen, welche die
Anregungen für die Träume nicht minder ergibt als die für die
neurotischen Symptome. Die Traumarbeit mußten wir von dieser Tätigkeit
als etwas gänzlich Verschiedenes und weit mehr Gebundenes absondern.
Endlich haben wir die Beziehung des Traumes zu den Seelenstörungen
keineswegs aufgegeben, sondern sie auf neuem Boden fester begründet.

Durch das Neue in unserer Traumlehre wie durch eine höhere Einheit
zusammengehalten, finden wir also die verschiedenartigsten und
widersprechendsten Ergebnisse der Autoren unserem Gebäude eingefügt,
manche derselben anders gewendet, nur wenige gänzlich verworfen. Aber
auch unser Aufbau ist noch unfertig. Von den vielen Unklarheiten
abgesehen, die wir durch unser Vordringen in das Dunkel der Psychologie
auf uns gezogen haben, scheint auch noch ein neuer Widerspruch uns zu
bedrücken. Wir haben einerseits die Traumgedanken durch völlig normale
geistige Arbeit entstehen lassen, anderseits aber eine Reihe von ganz
abnormen Denkvorgängen unter den Traumgedanken und von ihnen aus zum
Trauminhalt aufgefunden, welche wir dann bei der Traumdeutung
wiederholen. Alles, was wir die »Traumarbeit« geheißen haben, scheint
sich von den uns als korrekt bekannten psychischen Vorgängen so weit zu
entfernen, daß die härtesten Urteile der Autoren über die niedrige
psychische Leistung des Träumens uns wohl angebracht dünken müssen.

 Der Widerspruch zwischen den beiden Stücken der »Traumarbeit«.

Hier schaffen wir vielleicht nur durch noch weiteres Vordringen
Aufklärung und Abhilfe. Ich will eine der Konstellationen herausgreifen,
die zur Traumbildung führen:

Wir haben erfahren, daß der Traum eine Anzahl von Gedanken ersetzt, die
aus unserem Tagesleben stammen und vollkommen logisch gefügt sind. Wir
können darum nicht bezweifeln, daß diese Gedanken unserem normalen
Geistesleben entstammen. Alle Eigenschaften, welche wir an unseren
Gedankengängen hochschätzen, durch welche sie sich als komplizierte
Leistungen hoher Ordnung kennzeichnen, finden wir an den Traumgedanken
wieder. Es besteht aber keine Nötigung, anzunehmen, daß diese
Gedankenarbeit während des Schlafes vollzogen wurde, was unsere bisher
festgehaltene Vorstellung vom psychischen Schlafzustand arg beirren
würde. Diese Gedanken können vielmehr sehr wohl vom Tage stammen, sich,
von ihrem Anstoß an, unserem Bewußtsein unbemerkt, fortgesetzt haben und
fanden sich dann mit dem Einschlafen als fertig vor. Wenn wir aus dieser
Sachlage etwas entnehmen sollen, so ist es höchstens der Beweis, daß die
_kompliziertesten Denkleistungen ohne Mittun des Bewußtseins möglich
sind_, was wir ohnedies aus jeder Psychoanalyse eines Hysterischen oder
einer Person mit Zwangsvorstellungen erfahren mußten. Diese
Traumgedanken sind an sich sicherlich nicht bewußtseinsunfähig; wenn sie
uns tagsüber nicht bewußt worden sind, so mag dies verschiedene Gründe
haben. Das Bewußtwerden hängt mit der Zuwendung einer bestimmten
psychischen Funktion, der Aufmerksamkeit, zusammen, die, wie es scheint,
nur in bestimmter Quantität aufgewendet wird, welche von dem
betreffenden Gedankengang durch andere Ziele abgelenkt sein mochte. Eine
andere Art, wie solche Gedankengänge dem Bewußtsein vorenthalten werden
können, ist folgende: Von unserem bewußten Nachdenken her wissen wir,
daß wir bei Anwendung der Aufmerksamkeit einen bestimmten Weg verfolgen.
Kommen wir auf diesem Wege an eine Vorstellung, welche der Kritik nicht
stand hält, so brechen wir ab; wir lassen die Aufmerksamkeitsbesetzung
fallen. Es scheint nun, daß der begonnene und verlassene Gedankengang
sich dann fortspinnen kann, ohne daß sich ihm die Aufmerksamkeit wieder
zuwendet, wenn er nicht an einer Stelle eine besonders hohe Intensität
erreicht, welche die Aufmerksamkeit erzwingt. Eine anfängliche, etwa mit
Bewußtsein erfolgte Verwerfung durch das Urteil, als unrichtig oder als
unbrauchbar für den aktuellen Zweck des Denkaktes, kann also die Ursache
sein, daß ein Denkvorgang sich vom Bewußtsein unbemerkt bis zum
Einschlafen fortsetzt.

Resumieren wir, daß wir einen solchen Gedankengang einen _vorbewußten_
heißen, ihn für völlig korrekt halten, und daß er ebensowohl ein bloß
vernachlässigter, wie ein abgebrochener, unterdrückter sein kann. Sagen
wir auch frei heraus, in welcher Weise wir uns den Vorstellungsablauf
veranschaulichen. Wir glauben, daß von einer Zielvorstellung aus eine
gewisse Erregungsgröße, die wir »Besetzungsenergie« heißen, längs der
durch diese Zielvorstellung ausgewählten Assoziationswege verschoben
wird. Ein »vernachlässigter« Gedankengang hat eine solche Besetzung
nicht erhalten; von einem »unterdrückten« oder »verworfenen« ist sie
wieder zurückgezogen worden; beide sind ihren eigenen Erregungen
überlassen. Der zielbesetzte Gedankengang wird unter gewissen
Bedingungen fähig, die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf sich zu
ziehen, und erhält dann durch dessen Vermittlung eine »_Überbesetzung_«.
Unsere Annahmen über die Natur und Leistung des Bewußtseins werden wir
ein wenig später klarlegen müssen.

Ein so im Vorbewußten angeregter Gedankengang kann spontan erlöschen
oder sich erhalten. Den ersteren Ausgang stellen wir uns so vor, daß
seine Energie nach allen von ihm ausgehenden Assoziationsrichtungen
diffundiert, die ganze Gedankenkette in einen erregten Zustand versetzt,
der für eine Weile anhält, dann aber abklingt, indem die
_abfuhrbedürftige Erregung_ sich in _ruhende Besetzung_ umwandelt(244).
Tritt dieser erste Ausgang ein, so hat der Vorgang weiter keine
Bedeutung für die Traumbildung. Es lauern aber in unserem Vorbewußten
andere Zielvorstellungen, die aus den Quellen unserer unbewußten und
immer regen Wünsche stammen. Diese können sich der Erregung in dem sich
selbst überlassenen Gedankenkreise bemächtigen, stellen die Verbindung
zwischen ihm und dem unbewußten Wunsche her, _übertragen_ ihm die dem
unbewußten Wunsch eigene Energie, und von jetzt an ist der
vernachlässigte oder unterdrückte Gedankengang im stande, sich zu
erhalten, obwohl er durch diese Verstärkung keinen Anspruch auf den
Zugang zum Bewußtsein erhält. Wir können sagen, der bisher vorbewußte
Gedankengang ist _ins Unbewußte gezogen_ worden.

  (244) Vgl. hiezu die bedeutsamen Darlegungen von J. _Breuer_ in
  unseren »Studien über Hysterie« 1895 und 2. Aufl. 1909.

Andere Konstellationen zur Traumbildung wären, daß der vorbewußte
Gedankengang von vornherein in Verbindung mit dem unbewußten Wunsche
stand, und darum auf Abweisung von Seite der herrschenden Zielbesetzung
stieß, oder daß ein unbewußter Wunsch aus anderen (etwa somatischen)
Gründen rege geworden ist und ohne Entgegenkommen eine Übertragung auf
die vom ~Vbw~ nicht besetzten psychischen Reste sucht. Alle drei Fälle
treffen endlich in einem Ergebnis zusammen, daß ein Gedankenzug im
Vorbewußten zu stande kommt, der von der vorbewußten Besetzung
verlassen, vom unbewußten Wunsche her Besetzung gefunden hat.

 Die abnormen Vorgänge bei der Traumarbeit.

Von da an erleidet der Gedankenzug eine Reihe von Umwandlungen, die wir
nicht mehr als normale psychische Vorgänge anerkennen, und die ein uns
befremdendes Resultat, eine psychopathologische Bildung, ergeben. Wir
wollen dieselben herausheben und zusammenstellen:

1. Die Intensitäten der einzelnen Vorstellungen werden nach ihrem ganzen
Betrage abflußfähig und übergehen von einer Vorstellung auf die andere,
so daß einzelne mit großer Intensität versehene Vorstellungen gebildet
werden. Indem sich dieser Vorgang mehrmals wiederholt, kann die
Intensität eines ganzen Gedankenzuges schließlich in einem einzigen
Vorstellungselement gesammelt sein. Dies ist die Tatsache der
_Kompression_ oder _Verdichtung_, die wir während der Traumarbeit kennen
gelernt haben. Sie trägt die Hauptschuld an dem befremdenden Eindruck
des Traumes, denn etwas ihr Analoges ist uns aus dem normalen und dem
Bewußtsein zugänglichen Seelenleben ganz unbekannt. Wir haben auch hier
Vorstellungen, die als Knotenpunkte oder als Endergebnisse ganzer
Gedankenketten eine große psychische Bedeutung besitzen, aber diese
Wertigkeit äußert sich in keinem für die innere Wahrnehmung
_sinnfälligen_ Charakter; das in ihr Vorgestellte wird darum in keiner
Weise intensiver. Im Verdichtungsvorgang setzt sich aller psychische
Zusammenhang in die _Intensität_ des Vorstellungsinhaltes um. Es ist der
nämliche Fall, wie wenn ich in einem Buche ein Wort, dem ich einen
überragenden Wert für die Auffassung des Textes beilege, gesperrt oder
fett drucken lasse. In der Rede würde ich dasselbe Wort laut und langsam
sprechen und nachdrücklich betonen. Das erstere Gleichnis führt
unmittelbar zu einem der Traumarbeit entlehnten Beispiele
(_Trimethylamin_ im Traume von Irmas Injektion). Die Kunsthistoriker
machen uns darauf aufmerksam, daß die ältesten historischen Skulpturen
ein ähnliches Prinzip befolgen, indem sie die Ranggröße der
dargestellten Personen durch die Bildgröße zum Ausdruck bringen. Der
König wird zwei- oder dreimal so groß gebildet als sein Gefolge oder der
überwundene Feind. Ein Bildwerk aus der Römerzeit wird sich zu demselben
Zwecke feinerer Mittel bedienen. Es wird die Figur des Imperators in die
Mitte stellen, ihn hoch aufgerichtet zeigen, besondere Sorgfalt auf die
Durchbildung seiner Gestalt verwenden, die Feinde zu seinen Füßen legen,
ihn aber nicht mehr als Riesen unter Zwergen erscheinen lassen. Indes
ist die Verbeugung des Untergebenen vor seinem Vorgesetzten in unserer
Mitte noch heute ein Nachklang jenes alten Darstellungsprinzips.

Die Richtung, nach welcher die Verdichtungen des Traumes fortschreiten,
ist einerseits durch die korrekten vorbewußten Relationen der
Traumgedanken, anderseits durch die Anziehung der visuellen Erinnerungen
im Unbewußten vorgeschrieben. Der Erfolg der Verdichtungsarbeit erzielt
jene Intensitäten, die zum Durchbruche gegen die Wahrnehmungssysteme
erfordert werden.

2. Es werden wiederum durch freie Übertragbarkeit der Intensitäten und
im Dienste der Verdichtung _Mittelvorstellungen_ gebildet, Kompromisse
gleichsam (vgl. die zahlreichen Beispiele). Gleichfalls etwas Unerhörtes
im normalen Vorstellungsablauf, bei dem es vor allem auf die Auswahl und
Festhaltung des »richtigen« Vorstellungselementes ankommt. Dagegen
ereignen sich Misch- wie Kompromißbildungen außerordentlich häufig, wenn
wir für die vorbewußten Gedanken den sprachlichen Ausdruck suchen, und
werden als Arten des »Versprechens« angeführt.

3. Die Vorstellungen, die einander ihre Intensitäten übertragen, stehen
in den _lockersten Beziehungen_ zueinander und sind durch solche Arten
von Assoziationen verknüpft, welche von unserem Denken verschmäht und
nur dem witzigen Effekt zur Ausnutzung überlassen werden. Insbesondere
gelten Gleichklangs- und Wortlautassoziationen als den anderen
gleichwertig.

4. Einander widersprechende Gedanken streben nicht danach, einander
aufzuheben, sondern bestehen nebeneinander, setzen sich oft, _als ob
kein Widerspruch_ bestünde, zu Verdichtungsprodukten zusammen oder
bilden Kompromisse, die wir unserem Denken nie verzeihen würden, in
unserem Handeln aber oft gutheißen.

Dies wären einige der auffälligsten abnormen Vorgänge, denen im Laufe
der Traumarbeit die vorher rationell gebildeten Traumgedanken unterzogen
werden. Man erkennt als den Hauptcharakter derselben, daß aller Wert
darauf gelegt wird, die besetzende Energie beweglich und _abfuhrfähig_
zu machen; der Inhalt und die eigene Bedeutung der psychischen Elemente,
an denen diese Besetzungen haften, wird zur Nebensache. Man könnte noch
meinen, die Verdichtung und Kompromißbildung geschehe nur im Dienste der
Regression, wenn es sich darum handelt, Gedanken in Bilder zu
verwandeln. Allein die Analyse -- und noch deutlicher -- die Synthese
solcher Träume, die der Regression auf Bilder entbehren, z. B. des
Traumes »Autodidasker -- Gespräch mit Hofrat N.«, ergeben die nämlichen
Verschiebungs- und Verdichtungsvorgänge wie die anderen.

So können wir uns also der Einsicht nicht verschließen, daß an der
Traumbildung zweierlei wesensverschiedene psychische Vorgänge beteiligt
sind; der eine schafft vollkommen korrekte, dem normalen Denken
gleichwertige Traumgedanken; der andere verfährt mit denselben auf eine
höchst befremdende, inkorrekte Weise. Den letzteren haben wir schon im
Abschnitt VI als die eigentliche Traumarbeit abgesondert. Was haben wir
nun zur Ableitung dieses letzteren psychischen Vorganges vorzubringen?

 Die nämlichen abnormen Vorgänge bei den Neurosen.

Wir könnten hier eine Antwort nicht geben, wenn wir nicht ein Stück weit
in die Psychologie der Neurosen, speziell der Hysterie, eingedrungen
wären. Aus dieser aber erfahren wir, daß die nämlichen inkorrekten
psychischen Vorgänge -- und noch andere nicht aufgezählte -- die
Herstellung der hysterischen Symptome beherrschen. Auch bei der Hysterie
finden wir zunächst eine Reihe von völlig korrekten, unseren bewußten
ganz gleichwertigen Gedanken, von deren Existenz in dieser Form wir aber
nichts erfahren können, die wir erst nachträglich rekonstruieren. Wenn
sie irgendwo zu unserer Wahrnehmung durchgedrungen sind, so ersehen wir
aus der Analyse des gebildeten Symptoms, daß diese normalen Gedanken
eine abnorme Behandlung erlitten haben und _mittels Verdichtung,
Kompromißbildung, über oberflächliche Assoziationen, unter Deckung der
Widersprüche, eventuell auf dem Wege der Regression in das Symptom
übergeführt worden sind_. Bei der vollen Identität zwischen den
Eigentümlichkeiten der Traumarbeit und der psychischen Tätigkeit, welche
in die psychoneurotischen Symptome ausläuft, werden wir uns für
berechtigt halten, die Schlüsse, zu denen uns die Hysterie nötigt, auf
den Traum zu übertragen.

Aus der Lehre von der Hysterie entnehmen wir den Satz, _daß solche
abnorme psychische Bearbeitung eines normalen Gedankenzuges nur dann
vorkommt, wenn dieser zur Übertragung eines unbewußten Wunsches geworden
ist, der aus dem Infantilen stammt und sich in der Verdrängung
befindet_. Diesem Satze zuliebe haben wir die Theorie des Traumes auf
die Annahme gebaut, daß der treibende Traumwunsch allemal aus dem
Unbewußten stammt, was, wie wir selbst zugestanden, sich nicht allgemein
nachweisen, wenn auch nicht zurückweisen läßt. Um aber sagen zu können,
was die »_Verdrängung_« ist, mit deren Namen wir schon so oft gespielt
haben, müssen wir ein Stück an unserem psychologischen Gerüste
weiterbauen.

Wir hatten uns in die Fiktion eines primitiven psychischen Apparates
vertieft, dessen Arbeit durch das Bestreben geregelt wird, Anhäufung von
Erregung zu vermeiden und sich möglichst erregungslos zu erhalten. Er
war darum nach dem Schema eines Reflexapparates gebaut; die Motilität,
zunächst der Weg zur inneren Veränderung des Körpers, war die ihm zu
Gebote stehende Abfuhrbahn. Wir erörterten dann die psychischen Folgen
eines Befriedigungserlebnisses und hätten dabei schon die zweite Annahme
einfügen können, daß Anhäufung der Erregung -- nach gewissen uns nicht
bekümmernden Modalitäten -- als Unlust empfunden wird und den Apparat in
Tätigkeit versetzt, um das Befriedigungserlebnis, bei dem die
Verringerung der Erregung als Lust verspürt wird, wieder herbeizuführen.
Eine solche, von der Unlust ausgehende, auf die Lust zielende Strömung
im Apparat heißen wir einen Wunsch; wir haben gesagt, nichts anderes als
ein Wunsch sei im stande, den Apparat in Bewegung zu bringen, und der
Ablauf der Erregung in ihm werde automatisch durch die Wahrnehmungen von
Lust und Unlust geregelt. Das erste Wünschen dürfte ein
halluzinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung gewesen sein.
Diese Halluzination erwies sich aber, wenn sie nicht bis zur Erschöpfung
festgehalten werden sollte, als untüchtig, das Aufhören des
Bedürfnisses, also die mit der Befriedigung verbundene Lust,
herbeizuführen.

Es wurde so eine zweite Tätigkeit -- in unserer Ausdrucksweise die
Tätigkeit eines zweiten Systems -- notwendig, welche nicht gestattete,
daß die Erinnerungsbesetzung zur Wahrnehmung vordringe und von dort aus
die psychischen Kräfte binde, sondern die vom Bedürfnisreiz ausgehende
Erregung auf einen Umweg leite, der endlich über die willkürliche
Motilität die Außenwelt so verändert, daß die reale Wahrnehmung des
Befriedigungsobjektes eintreten kann. So weit haben wir das Schema des
psychischen Apparates bereits verfolgt; die beiden Systeme sind der Keim
zu dem, was wir als ~Ubw~ und ~Vbw~ in den voll ausgebildeten Apparat
einsetzen.

Um die Außenwelt zweckmäßig durch die Motilität verändern zu können,
bedarf es der Anhäufung einer großen Summe von Erfahrungen in den
Erinnerungssystemen und einer mannigfachen Fixierung der Beziehungen,
die durch verschiedene Zielvorstellungen in diesem Erinnerungsmaterial
hervorgerufen werden. Wir gehen nun in unseren Annahmen weiter. Die
vielfach tastende, Besetzungen aussendende und wieder einziehende
Tätigkeit des zweiten Systems bedarf einerseits der freien Verfügung
über alles Erinnerungsmaterial; anderseits wäre es überflüssiger
Aufwand, wenn sie große Besetzungsquantitäten auf die einzelnen Denkwege
schickte, die dann unzweckmäßig abströmen und die für die Veränderung
der Außenwelt notwendige Quantität verringern würden. Der Zweckmäßigkeit
zuliebe postuliere ich also, daß es dem zweiten System gelingt, die
Energiebesetzung zum größeren Anteil in Ruhe zu erhalten und nur einen
kleineren Teil zur Verschiebung zu verwenden. Die Mechanik dieser
Vorgänge ist mir ganz unbekannt; wer mit diesen Vorstellungen Ernst
machen wollte, müßte die physikalischen Analogien heraussuchen und sich
einen Weg zur Veranschaulichung des Bewegungsvorganges bei der
Neuronerregung bahnen. Ich halte nur an der Vorstellung fest, daß die
Tätigkeit des ersten Ψ-Systems _auf freies Abströmen der
Erregungsquantitäten_ gerichtet ist, und daß das zweite System durch die
von ihm ausgehenden Besetzungen eine _Hemmung_ dieses Abströmens, eine
_Verwandlung in ruhende Besetzung, wohl unter Niveauerhöhung_,
herbeiführt. Ich nehme also an, daß der Ablauf der Erregung unter der
Herrschaft des zweiten Systems an ganz andere mechanische Verhältnisse
geknüpft wird als unter der Herrschaft des ersten. Hat das zweite System
seine probende Denkarbeit beendigt, so hebt es auch die Hemmung und
Stauung der Erregungen auf und läßt dieselben zur Motilität abfließen.

Es ergibt sich nun eine interessante Gedankenfolge, wenn man die
Beziehungen dieser Abflußhemmung durch das zweite System zur Regulierung
durch das Unlustprinzip ins Auge faßt. Suchen wir uns das Gegenstück zum
primären Befriedigungserlebnis auf, das _äußere Schreckerlebnis_. Es
wirke ein Wahrnehmungsreiz auf den primitiven Apparat ein, der die
Quelle einer Schmerzerregung ist. Es werden dann solange ungeordnete
motorische Äußerungen erfolgen, bis eine derselben den Apparat der
Wahrnehmung und gleichzeitig dem Schmerze entzieht, und diese wird bei
Wiederauftreten der Wahrnehmung sofort wiederholt werden (etwa als
Fluchtbewegung), bis die Wahrnehmung wieder verschwunden ist. Es wird
aber hier keine Neigung übrig bleiben, die Wahrnehmung der Schmerzquelle
halluzinatorisch oder anderswie wieder zu besetzen. Vielmehr wird im
primären Apparat die Neigung bestehen, dies peinliche Erinnerungsbild
sofort, wenn es irgendwie geweckt wird, wieder zu verlassen, weil ja das
Überfließen seiner Erregung auf die Wahrnehmung Unlust hervorrufen würde
(genauer: hervorzurufen beginnt). Die Abwendung von der Erinnerung, die
nur eine Wiederholung der einstigen Flucht vor der Wahrnehmung ist, wird
auch dadurch erleichtert, daß die Erinnerung nicht wie die Wahrnehmung
genug Qualität besitzt, um das Bewußtsein zu erregen und hiedurch neue
Besetzung an sich zu ziehen. Diese mühelos und regelmäßig erfolgende
Abwendung des psychischen Vorganges von der Erinnerung des einst
Peinlichen gibt uns das Vorbild und das erste Beispiel der _psychischen
Verdrängung_. Es ist allgemein bekannt, wie viel von dieser Abwendung
vom Peinlichen, von der Taktik des Vogels Strauß, noch im normalen
Seelenleben des Erwachsenen nachweisbar geblieben ist.

 Primär- und Sekundärvorgang.

Zufolge des Unlustprinzipes ist das erste Ψ-System also überhaupt
unfähig, etwas Unangenehmes in den Denkzusammenhang zu ziehen. Das
System kann nichts anderes als wünschen. Bliebe es so, so wäre die
Denkarbeit des zweiten Systems gehindert, welches die Verfügung über
alle in der Erfahrung niedergelegten Erinnerungen braucht. Es eröffnen
sich nun zwei Wege; entweder macht sich die Arbeit des zweiten Systems
vom Unlustprinzip völlig frei, setzt ihren Weg fort, ohne sich um die
Erinnerungsunlust zu kümmern; oder sie versteht es, die Unlusterinnerung
in solcher Weise zu besetzen, daß die Unlustentbindung dabei vermieden
wird. Wir können die erste Möglichkeit zurückweisen, denn das
Unlustprinzip zeigt sich auch als Regulator für den Erregungsablauf des
zweiten Systems; somit werden wir auf die zweite gewiesen, daß dies
System eine Erinnerung so besetzt, daß der Abfluß von ihr gehemmt wird,
also auch der einer motorischen Innervation vergleichbare Abfluß zur
Entwicklung der Unlust. Zur Hypothese, daß die Besetzung durch das
zweite System gleichzeitig eine Hemmung für den Abfluß der Erregung
darstellt, werden wir also von zwei Ausgangspunkten her geleitet, von
der Rücksicht auf das Unlustprinzip und von dem Prinzip des kleinsten
Innervationsaufwandes. Halten wir aber daran fest -- es ist der
Schlüssel zur Verdrängungslehre --, _daß das zweite System nur dann eine
Vorstellung besetzen kann, wenn es im stande ist, die von ihr ausgehende
Unlustentwicklung zu hemmen_. Was sich etwa dieser Hemmung entzöge,
bliebe auch für das zweite System unzugänglich, würde dem Unlustprinzip
zufolge alsbald verlassen werden. Die Hemmung der Unlust braucht indes
keine vollständige zu sein; ein Beginn derselben muß zugelassen werden,
da es dem zweiten System die Natur der Erinnerung und etwa deren
mangelnde Eignung für den vom Denken gesuchten Zweck anzeigt.

Den psychischen Vorgang, welchen das erste System allein zuläßt, werde
ich jetzt _Primärvorgang_ nennen; den, der sich unter der Hemmung des
zweiten ergibt, _Sekundärvorgang_. Ich kann noch an einem anderen Punkte
zeigen, zu welchem Zwecke das zweite System den Primärvorgang
korrigieren muß. Der Primärvorgang strebt nach Abfuhr der Erregung, um
mit der so gesammelten Erregungsgröße eine _Wahrnehmungsidentität_
herzustellen; der Sekundärvorgang hat diese Absicht verlassen und an
ihrer Statt die andere aufgenommen, eine _Denkidentität_ zu erzielen.
Das ganze Denken ist nur ein Umweg von der als Zielvorstellung
genommenen Befriedigungserinnerung bis zur identischen Besetzung
derselben Erinnerung, die auf dem Wege über die motorischen Erfahrungen
wieder erreicht werden soll. Das Denken muß sich für die Verbindungswege
zwischen den Vorstellungen interessieren, ohne sich durch die
Intensitäten derselben beirren zu lassen. Es ist aber klar, daß die
Verdichtungen von Vorstellungen, Mittel- und Kompromißbildungen in der
Erreichung dieses Identitätszieles hinderlich sind; indem sie die eine
Vorstellung für die andere setzen, lenken sie vom Wege ab, der von der
ersteren weitergeführt hatte. Solche Vorgänge werden also im sekundären
Denken sorgfältig vermieden. Es ist auch nicht schwer zu übersehen, daß
das Unlustprinzip dem Denkvorgang, welchem es sonst die wichtigsten
Anhaltspunkte bietet, auch Schwierigkeiten in der Verfolgung der
Denkidentität in den Weg legt. Die Tendenz des Denkens muß also dahin
gehen, sich von der ausschließlichen Regulierung durch das Unlustprinzip
immer mehr zu befreien und die Affektentwicklung durch die Denkarbeit
auf ein Mindestes, das noch als Signal verwertbar ist, einzuschränken.
Durch eine neuerliche Überbesetzung, die das Bewußtsein vermittelt, soll
diese Verfeinerung der Leistung erzielt werden. Wir wissen aber, daß
diese selbst im normalsten Seelenleben selten vollständig gelingt, und
daß unser Denken der Fälschung durch die Einmengung des Unlustprinzips
immer zugänglich bleibt.

Aber nicht dies ist die Lücke in der Funktionstüchtigkeit unseres
seelischen Apparates, durch welche es möglich wird, daß Gedanken, die
sich als Ergebnisse der sekundären Denkarbeit darstellen, dem primären
psychischen Vorgang verfallen, mit welcher Formel wir jetzt die zum
Traume und zu den hysterischen Symptomen führende Arbeit beschreiben
können. Der Fall von Unzulänglichkeit ergibt sich durch das
Zusammentreffen zweier Momente aus unserer Entwicklungsgeschichte, von
denen das eine ganz dem seelischen Apparat anheimfällt und einen
maßgebenden Einfluß auf das Verhältnis der beiden Systeme ausgeübt hat,
das andere aber im wechselnden Betrage zur Geltung kommt und Triebkräfte
organischer Herkunft ins Seelenleben einführt. Beide stammen aus dem
Kinderleben und sind ein Niederschlag der Veränderung, die unser
seelischer und somatischer Organismus seit den infantilen Zeiten
erfahren hat.

Wenn ich den einen psychischen Vorgang im Seelenapparat den _primären_
benannt habe, so tat ich dies nicht allein mit Rücksicht auf die
Rangordnung und Leistungsfähigkeit, sondern durfte auch die zeitlichen
Verhältnisse bei der Namengebung mitsprechen lassen. Ein psychischer
Apparat, der nur den Primärvorgang besäße, existiert zwar unseres
Wissens nicht und ist insofern eine theoretische Fiktion; aber so viel
ist tatsächlich, daß die Primärvorgänge in ihm von Anfang an gegeben
sind, während die sekundären erst allmählich im Laufe des Lebens sich
ausbilden, die primären hemmen und überlagern und ihre volle Herrschaft
über sie vielleicht erst mit der Lebenshöhe erreichen. Infolge dieses
verspäteten Eintreffens der sekundären Vorgänge bleibt der Kern unseres
Wesens, aus unbewußten Wunschregungen bestehend, unfaßbar und unhemmbar
für das Vorbewußte, dessen Rolle ein für allemal darauf beschränkt wird,
den aus dem Unbewußten stammenden Wunschregungen die zweckmäßigsten Wege
anzuweisen. Diese unbewußten Wünsche stellen für alle späteren
seelischen Bestrebungen einen Zwang dar, dem sie sich zu fügen haben,
den etwa abzuleiten und auf höherstehende Ziele zu lenken sie sich
bemühen dürfen. Ein großes Gebiet des Erinnerungsmaterials bleibt auch
infolge dieser Verspätung der vorbewußten Besetzung unzugänglich.

 Die Verdrängung.

Unter diesen aus dem Infantilen stammenden, unzerstörbaren und
unhemmbaren Wunschregungen befinden sich nun auch solche, deren
Erfüllung in das Verhältnis des Widerspruches zu den Zielvorstellungen
des sekundären Denkens getreten sind. Die Erfüllung dieser Wünsche würde
nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustaffekt hervorrufen, _und
eben diese Affektverwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als
»Verdrängung« bezeichnen und worin wir die infantile Vorstufe der
Verurteilung (der Verwerfung durch das Urteilen) erkennen_. Auf welchem
Wege, durch welche Triebkräfte eine solche Verwandlung vor sich gehen
kann, darin besteht das Problem der Verdrängung, das wir hier nur zu
streifen brauchen. Es genügt uns festzuhalten, daß eine solche
Affektverwandlung im Laufe der Entwicklung vorkommt (man denke nur an
das Auftreten des anfänglich fehlenden Ekels im Kinderleben), und daß
sie an die Tätigkeit des sekundären Systems geknüpft ist. Die
Erinnerungen, von denen aus der unbewußte Wunsch die Affektentbindung
hervorruft, waren dem ~Vbw~ niemals zugänglich; darum ist deren
Affektentbindung auch nicht zu hemmen. Eben wegen dieser
Affektentwicklung sind diese Vorstellungen jetzt auch nicht von den
vorbewußten Gedanken her zugänglich, auf die sie ihre Wunschkraft
übertragen haben. Vielmehr tritt das Unlustprinzip in Kraft und
veranlaßt, daß das ~Vbw~ sich von diesen Übertragungsgedanken abwendet.
Dieselben werden sich selbst überlassen, »verdrängt«, und somit wird das
Vorhandensein eines infantilen, dem ~Vbw~ von Anfang an entzogenen
Erinnerungsschatzes zur Vorbedingung der Verdrängung.

Im günstigsten Falle nimmt die Unlustentwicklung ein Ende, sowie den
Übertragungsgedanken im ~Vbw~ die Besetzung entzogen ist, und dieser
Erfolg kennzeichnet das Eingreifen des Unlustprinzips als zweckmäßig.
Anders aber, wenn der verdrängte unbewußte Wunsch eine organische
Verstärkung erfährt, die er seinen Übertragungsgedanken leihen, wodurch
er sie in den Stand setzen kann, mit ihrer Erregung den Versuch zum
Durchdringen zu machen, auch wenn sie von der Besetzung des ~Vbw~
verlassen worden sind. Es kommt dann zum Abwehrkampfe, indem das ~Vbw~
den Gegensatz gegen die verdrängten Gedanken verstärkt, und in weiterer
Folge zum Durchdringen der Übertragungsgedanken, welche Träger des
unbewußten Wunsches sind, in irgend einer Form von Kompromiß durch
Symptombildung. Von dem Moment aber, da die verdrängten Gedanken von der
unbewußten Wunscherregung kräftig besetzt, von der vorbewußten Besetzung
dagegen verlassen sind, unterliegen sie dem primären psychischen
Vorgang, zielen sie nur auf motorische Abfuhr oder, wenn der Weg frei
ist, auf halluzinatorische Belebung der gewünschten Wahrnehmungsidentität.
Wir haben früher empirisch gefunden, daß die beschriebenen
inkorrekten Vorgänge sich nur mit Gedanken abspielen, die
in der Verdrängung stehen. Wir erfassen jetzt ein weiteres Stück des
Zusammenhanges. Diese inkorrekten Vorgänge sind die im psychischen
Apparat _primären_; _sie treten überall dort ein, wo Vorstellungen von
der vorbewußten Besetzung verlassen, sich selbst überlassen werden und
sich mit der ungehemmten, nach Abfluß strebenden Energie vom Unbewußten
her erfüllen können_. Einige andere Beobachtungen kommen hinzu, die
Auffassung zu stützen, daß diese inkorrekt genannten Vorgänge nicht
wirklich Fälschungen der normalen Denkfehler sind, sondern die von einer
Hemmung befreiten Arbeitsweisen des psychischen Apparates. So sehen wir,
daß die Überleitung der vorbewußten Erregung auf die Motilität nach
denselben Vorgängen geschieht, und daß die Verknüpfung der unbewußten
Vorstellungen mit Worten leicht die nämlichen, der Unaufmerksamkeit
zugeschriebenen Verschiebungen und Vermengungen zeigt. Endlich möchte
sich ein Beweis für den Arbeitszuwachs, der bei der Hemmung dieser
primären Verlaufsweisen notwendig wird, aus der Tatsache ergeben, daß
wir einen _komischen_ Effekt, einen durch _Lachen_ abzuführenden
Überschuß erzielen, _wenn wir diese Verlaufsweisen des Denkens zum
Bewußtsein vordringen lassen_.

 Die abnormen Vorgänge sind die primitiven.

Die Theorie der Psychoneurosen behauptet mit ausschließender Sicherheit,
daß es nur sexuelle Wunschregungen aus dem Infantilen sein können,
welche in den Entwicklungsperioden der Kindheit die Verdrängung
(Affektverwandlung) erfahren haben, in späteren Entwicklungsperioden
dann einer Erneuerung fähig sind, sei es infolge der sexuellen
Konstitution, die sich ja aus der ursprünglichen Bisexualität
herausbildet, sei es infolge ungünstiger Einflüsse des sexuellen Lebens,
und die somit die Triebkräfte für alle psychoneurotische Symptombildung
abgeben. Nur durch die Einführung dieser sexuellen Kräfte sind die in
der Theorie der Verdrängung noch aufweisbaren Lücken zu schließen. Ich
will es dahingestellt sein lassen, ob die Forderung des Sexuellen und
Infantilen auch für die Theorie des Traumes erhoben werden darf; ich
lasse diese hier unvollendet, weil ich schon durch die Annahme, der
Traumwunsch stamme jedesmal aus dem Unbewußten, einen Schritt weit über
das Beweisbare hinausgegangen bin(245). Ich will auch nicht weiter
untersuchen, worin der Unterschied im Spiele der psychischen Kräfte bei
der Traumbildung und bei der Bildung der hysterischen Symptome gelegen
ist; es fehlt uns ja hiezu die genauere Kenntnis des einen der in
Vergleich zu bringenden Glieder. Aber auf einen anderen Punkt lege ich
Wert und schicke das Bekenntnis voraus, daß ich nur dieses Punktes wegen
all die Erörterungen über die beiden psychischen Systeme, ihre
Arbeitsweisen und die Verdrängung hier aufgenommen habe. Es kommt jetzt
nämlich nicht darauf an, ob ich die in Rede stehenden psychologischen
Verhältnisse annähernd richtig oder, wie bei so schwierigen Dingen
leicht möglich, schief und lückenhaft aufgefaßt habe. Wie immer die
Deutung der psychischen Zensur, der korrekten und der abnormen
Bearbeitung des Trauminhaltes sich verändern mag, es bleibt gültig, daß
solche Vorgänge bei der Traumbildung wirksam sind, und daß sie im
Wesentlichen die größte Analogie mit den bei der hysterischen
Symptombildung erkannten Vorgängen zeigen. Nun ist der Traum kein
pathologisches Phänomen; er hat keine Störung des psychischen
Gleichgewichtes zur Voraussetzung; er hinterläßt keine Schwächung der
Leistungsfähigkeit. Der Einwand, daß meine Träume und die meiner
neurotischen Patienten nicht auf die Träume gesunder Menschen schließen
lassen, dürfte wohl ohne Würdigung abzuweisen sein. Wenn wir also aus
den Phänomenen auf deren Triebkräfte schließen, so erkennen wir, daß der
psychische Mechanismus, dessen sich die Neurose bedient, nicht erst
durch eine das Seelenleben ergreifende krankhafte Störung geschaffen
wird, sondern in dem normalen Aufbau des seelischen Apparates bereit
liegt. Die beiden psychischen Systeme, die Übergangszensur zwischen
ihnen, die Hemmung und Überlagerung der einen Tätigkeit durch die
andere, die Beziehungen beider zum Bewußtsein -- oder was eine
richtigere Deutung der tatsächlichen Verhältnisse an deren Statt ergeben
mag; -- das alles gehört zum normalen Aufbau unseres Seeleninstrumentes,
und der Traum zeigt uns einen der Wege, die zur Kenntnis der Struktur
desselben führen. Wenn wir uns mit einem Minimum von völlig gesichertem
Erkenntniszuwachs begnügen wollen, so werden wir sagen, der Traum
beweist uns, _daß das Unterdrückte auch beim normalen Menschen
fortbesteht und psychischer Leistungen fähig bleibt_. Der Traum ist
selbst eine der Äußerungen dieses Unterdrückten; nach der Theorie ist er
es in allen Fällen, nach der greifbaren Erfahrung wenigstens in einer
großen Anzahl, welche die auffälligen Charaktere des Traumlebens gerade
am deutlichsten zur Schau trägt. Das seelisch Unterdrückte, welches im
Wachleben durch die _gegensätzliche Erledigung der Widersprüche_ am
Ausdruck gehindert und von der inneren Wahrnehmung abgeschnitten wurde,
findet im Nachtleben und unter der Herrschaft der Kompromißbildungen
Mittel und Wege, sich dem Bewußtsein aufzudrängen.

  (245) Es sind hier wie an anderen Stellen Lücken in der Bearbeitung
  des Themas, die ich absichtlich belassen habe, weil deren Ausfüllung
  einerseits einen zu großen Aufwand, anderseits die Anlehnung an ein
  dem Traume fremdes Material erfordern würde. So habe ich es z. B.
  vermieden anzugeben, ob ich mit dem Worte »unterdrückt« einen anderen
  Sinn verbinde als mit dem Worte »verdrängt«. Es dürfte nur klar
  geworden sein, daß letzteres die Zugehörigkeit zum Unbewußten stärker
  als das erstere betont. Ich bin auf das naheliegende Problem nicht
  eingegangen, warum die Traumgedanken die Entstellung durch die Zensur
  auch für den Fall erfahren, daß sie auf die progrediente Fortsetzung
  zum Bewußtsein verzichten und sich für den Weg der Regression
  entscheiden, u. dgl. Unterlassungen mehr. Es kam mir vor allem darauf
  an, einen Eindruck von den Problemen zu erwecken, zu denen die weitere
  Zergliederung der Traumarbeit führt, und die anderen Themata
  anzudeuten, mit denen dieses auf dem Wege zusammentrifft. Die
  Entscheidung, an welcher Stelle die Verfolgung abgebrochen werden
  soll, ist mir dann nicht immer leicht geworden. -- Daß ich die Rolle
  des sexuellen Vorstellungslebens für den Traum nicht erschöpfend
  behandelt und die Deutung von Träumen mit offenkundig sexuellem Inhalt
  vermieden habe, beruht auf einer besonderen Motivierung, die sich
  vielleicht mit der Erwartung der Leser nicht deckt. Es liegt gerade
  meinen Anschauungen und den Lehrmeinungen, die ich in der
  Neuropathologie vertrete, völlig fern, das Sexualleben als ein
  Pudendum anzusehen, das weder den Arzt noch den wissenschaftlichen
  Forscher zu bekümmern hat. Auch fand ich die sittliche Entrüstung
  lächerlich, durch welche der Übersetzer von _Artemidoros_' »Symbolik
  der Träume« sich anscheinend hatte bewegen lassen, das dort enthaltene
  Kapitel über sexuelle Träume der Kenntnis der Leser zu unterschlagen,
  bis ich von diesem erfuhr, daß er einer Weisung des Verlegers hatte
  folgen müssen. (Seither ist dieses Kapitel übrigens im IX. Bande der
  »Anthropophyteia« deutsch erschienen.) Für mich war allein die
  Einsicht maßgebend, daß ich mich bei der Erklärung sexueller Träume
  tief in die noch ungeklärten Probleme der Perversion und der
  Bisexualität verstricken müßte, und so sparte ich mir dies Material
  für einen anderen Zusammenhang.

    _Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo_.

_Die Traumdeutung aber ist die Via regia zur Kenntnis des Unbewußten im
Seelenleben._

Indem wir der Analyse des Traumes folgen, bekommen wir ein Stück weit
Einsicht in die Zusammensetzung dieses allerwunderbarsten und
allergeheimnisvollsten Instrumentes, freilich nur ein kleines Stück
weit, aber es ist damit der Anfang gemacht, um von anderen --
pathologisch zu heißenden -- Bildungen her weiter in die Zerlegung
desselben vorzudringen. Denn die Krankheit -- wenigstens die mit Recht
funktionell genannte -- hat nicht die Zertrümmerung dieses Apparates,
die Herstellung neuer Spaltungen in seinem Innern zur Voraussetzung; sie
ist _dynamisch_ aufzuklären durch Stärkung und Schwächung der
Komponenten des Kräftespiels, von dem so viele Wirkungen während der
normalen Funktion verdeckt sind. An anderer Stelle könnte noch gezeigt
werden, wie die Zusammensetzung des Apparates aus den beiden Instanzen
eine Verfeinerung auch der normalen Leistung gestattet, die einer
einzigen unmöglich wäre(246).

  (246) Der Traum ist nicht das einzige Phänomen, welches die
  Psychopathologie auf die Psychologie zu begründen gestattet. In einer
  kleinen, damals nicht abgeschlossenen Reihe von Aufsätzen in der
  Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (über den psychischen
  Mechanismus der Vergeßlichkeit 1898 -- über Deckerinnerungen 1899)
  suche ich eine Anzahl von alltäglichen psychischen Erscheinungen als
  Stützen der nämlichen Erkenntnis zu deuten. Diese und weitere Aufsätze
  über Vergessen, Versprechen, Vergreifen usw. sind seither als
  »Psychopathologie des Alltagslebens« gesammelt erschienen (1904,
  4. Aufl. 1912).


f) _Das Unbewußte und das Bewußtsein_. -- _Die Realität_.

Wenn wir genauer zusehen, ist es nicht der Bestand von zwei Systemen
nahe dem motorischen Ende des Apparates, sondern von _zweierlei
Vorgängen_ oder _Ablaufsarten der Erregung_, deren Annahme uns durch die
psychologischen Erörterungen der vorstehenden Abschnitte nahe gelegt
wurde. Es gälte uns gleich; denn unsere Hilfsvorstellungen fallen zu
lassen, müssen wir immer bereit sein, wenn wir uns in der Lage glauben,
sie durch etwas anderes zu ersetzen, was der unbekannten Wirklichkeit
besser angenähert ist. Versuchen wir es jetzt, einige Anschauungen
richtigzustellen, die sich mißverständlich bilden konnten, solange wir
die beiden Systeme im nächsten und rohesten Sinne als zwei Lokalitäten
innerhalb des seelischen Apparates im Auge hatten, Anschauungen, die
ihren Niederschlag in den Ausdrücken »verdrängen« und »durchdringen«
zurückgelassen haben. Wenn wir also sagen, ein unbewußter Gedanke strebe
nach Übersetzung ins Vorbewußte, um dann zum Bewußtsein durchzudringen,
so meinen wir nicht, daß ein zweiter an neuer Stelle gelegener Gedanke
gebildet werden soll, eine Überschrift gleichsam, neben welcher das
Original fortbesteht; und auch vom Durchdringen zum Bewußtsein wollen
wir jede Idee einer Ortsveränderung sorgfältig ablösen. Wenn wir sagen,
ein vorbewußter Gedanke wird verdrängt und dann vom Unbewußten
aufgenommen, so könnten uns diese dem Vorstellungskreise des Kampfes um
ein Terrain entlehnten Bilder zur Annahme verlocken, daß wirklich in der
einen psychischen Lokalität eine Anordnung aufgelöst und durch eine neue
in der anderen Lokalität ersetzt wird. Für diese Gleichnisse setzen wir
ein, was dem realen Sachverhalt besser zu entsprechen scheint, daß eine
Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt oder von ihr
zurückgezogen wird, so daß das psychische Gebilde unter die Herrschaft
einer Instanz gerät oder ihr entzogen ist. Wir ersetzen hier wiederum
eine topische Vorstellungsweise durch eine dynamische; nicht das
psychische Gebilde erscheint uns als das Bewegliche, sondern dessen
Innervation.

Dennoch halte ich es für zweckmäßig und berechtigt, die anschauliche
Vorstellung der beiden Systeme weiter zu pflegen. Wir weichen jedem
Mißbrauche dieser Darstellungsweise aus, wenn wir uns erinnern, daß
Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt
nicht in organischen Elementen des Nervensystems lokalisiert werden
dürfen, sondern sozusagen _zwischen ihnen_, wo Widerstände und Bahnungen
das ihnen entsprechende Korrelat bilden. Alles, was Gegenstand unserer
inneren Wahrnehmung werden kann, ist _virtuell_, wie das durch den Gang
der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohre. Die Systeme aber, die
selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psychischen Wahrnehmung
zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen, gleich den Linsen des
Fernrohres, die das Bild entwerfen. In der Fortsetzung dieses
Gleichnisses entspräche die Zensur zwischen zwei Systemen der
Strahlenbrechung beim Übergange in ein neues Medium.

 Die Überschätzung des Bewußtseins.

Wir haben bisher Psychologie auf eigene Faust getrieben; es ist Zeit,
sich nach den Lehrmeinungen umzusehen, welche die heutige Psychologie
beherrschen, und deren Verhältnis zu unseren Aufstellungen zu prüfen.
Die Frage des Unbewußten in der Psychologie ist nach dem kräftigen Worte
von _Lipps_(247) weniger eine psychologische Frage, als die Frage der
Psychologie. Solange die Psychologie diese Frage durch die Worterklärung
erledigte, das »Psychische« sei eben das »Bewußte« und »unbewußte
psychische Vorgänge« ein greifbarer Widersinn, blieb eine psychologische
Verwertung der Beobachtungen, welche ein Arzt an abnormen
Seelenzuständen gewinnen konnte, ausgeschlossen. Erst dann treffen der
Arzt und der Philosoph zusammen, wenn beide anerkennen, unbewußte
psychische Vorgänge seien »der zweckmäßige und wohlberechtigte Ausdruck
für eine feststehende Tatsache«. Der Arzt kann nicht anders, als die
Versicherung, »das Bewußtsein sei der unentbehrliche Charakter des
Psychischen«, mit Achselzucken zurückweisen, und etwa, wenn sein Respekt
vor den Äußerungen der Philosophen noch stark genug ist, annehmen, sie
behandelten nicht dasselbe Objekt und trieben nicht die gleiche
Wissenschaft. Denn auch nur eine einzige verständnisvolle Beobachtung
des Seelenlebens eines Neurotikers, eine einzige Traumanalyse, muß ihm
die unerschütterliche Überzeugung aufdrängen, daß die kompliziertesten
und korrektesten Denkvorgänge, denen man doch den Namen psychischer
Vorgänge nicht versagen wird, vorfallen können, ohne das Bewußtsein der
Person zu erregen(248). Gewiß erhält der Arzt von diesen unbewußten
Vorgängen nicht eher Kunde, als bis sie eine Mitteilung oder Beobachtung
zulassende Wirkung auf das Bewußtsein ausgeübt haben. Aber dieser
Bewußtseinseffekt kann einen von dem unbewußten Vorgang ganz
abweichenden psychischen Charakter zeigen, so daß die innere Wahrnehmung
unmöglich den einen als den Ersatz des anderen erkennen kann. Der Arzt
muß sich das Recht wahren, durch einen _Schlußprozeß_ vom
Bewußtseinseffekt zum unbewußten psychischen Vorgang vorzudringen; er
erfährt auf diesem Wege, daß der Bewußtseinseffekt nur eine entfernte
psychische Wirkung des unbewußten Vorganges ist, und daß letzterer nicht
als solcher bewußt geworden ist, auch daß er bestanden und gewirkt hat,
ohne sich noch dem Bewußtsein irgendwie zu verraten.

  (247) »Der Begriff des Unbewußten in der Psychologie«. -- Vortrag auf
  dem dritten internationalen Kongreß für Psychologie zu München 1897.

  (248) Ich freue mich, auf einen Autor hinweisen zu können, der aus dem
  Studium des Traumes den nämlichen Schluß über das Verhältnis der
  bewußten zur unbewußten Tätigkeit gezogen hat.

  _Du Prel_ sagt: »Die Frage, was die Seele ist, erheischt offenbar eine
  Voruntersuchung darüber, ob Bewußtsein und Seele identisch seien.
  Gerade diese Vorfrage nun wird vom Traume verneint, welcher zeigt, daß
  der Begriff der Seele über den des Bewußtseins hinausragt, wie etwa
  die Anziehungskraft eines Gestirnes über seine Leuchtsphäre« (Philos.
  d. Mystik, p. 47).

  »Es ist eine Wahrheit, die man nicht nachdrücklich genug hervorheben
  kann, daß Bewußtsein und Seele nicht Begriffe von gleicher Ausdehnung
  sind« (p. 306).

Die Rückkehr von der Überschätzung der Bewußtseinseigenschaft wird zur
unerläßlichen Vorbedingung für jede richtige Einsicht in den Hergang des
Psychischen. Das Unbewußte muß nach dem Ausdrucke von _Lipps_ als
allgemeine Basis des psychischen Lebens angenommen werden. Das Unbewußte
ist der größere Kreis, der den kleineren des Bewußten in sich
einschließt; alles Bewußte hat eine unbewußte Vorstufe, während das
Unbewußte auf dieser Stufe stehen bleiben und doch den vollen Wert einer
psychischen Leistung beanspruchen kann. Das Unbewußte ist das eigentlich
reale Psychische, _uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das
Reale der Außenwelt, und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso
unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer
Sinnesorgane_.

Wenn der alte Gegensatz von Bewußtleben und Traumleben durch die
Einsetzung des unbewußten Psychischen in die ihm gebührende Stellung
entwertet ist, so werden eine Reihe von Traumproblemen abgestreift,
welche frühere Autoren noch eingehend beschäftigt haben. So manche
Leistungen, über deren Vollziehung im Traume man sich wundern konnte,
sind nun nicht mehr dem Traume anzurechnen, sondern dem auch bei Tage
arbeitenden unbewußten Denken. Wenn der Traum mit einer symbolisierenden
Darstellung des Körpers, nach _Scherner_, zu spielen scheint, so wissen
wir, dies ist die Leistung gewisser unbewußter Phantasien, die
wahrscheinlich sexuellen Regungen nachgeben, und die nicht nur im
Traume, sondern auch in den hysterischen Phobien und anderen Symptomen
zum Ausdruck kommen. Wenn der Traum Arbeiten des Tages fortführt und
erledigt und selbst wertvolle Einfälle ans Licht fördert, so haben wir
hievon nur die Traumverkleidung abzuziehen als Leistung der Traumarbeit
und als Marke der Hilfeleistung dunkler Mächte der Seelentiefen (vgl.
den Teufel in _Tartinis_ Sonatentraum). Die intellektuelle Leistung
selbst fällt denselben Seelenkräften zu, die tagsüber alle solche
vollbringen. Wir neigen wahrscheinlich in viel zu hohem Maße zur
Überschätzung des bewußten Charakters auch der intellektuellen und
künstlerischen Produktion. Aus den Mitteilungen einiger
höchstproduktiven Menschen, wie _Goethe_ und _Helmholtz_, erfahren wir
doch eher, daß das Wesentliche und Neue ihrer Schöpfungen ihnen
einfallsartig gegeben wurde und fast fertig zu ihrer Wahrnehmung kam.
Die Mithilfe der bewußten Tätigkeit in anderen Fällen hat nichts
Befremdendes, wo eine Anstrengung aller Geisteskräfte vorlag. Aber es
ist das viel mißbrauchte Vorrecht der bewußten Tätigkeit, daß sie uns
alle anderen verdecken darf, wo immer sie mittut.

Es verlohnt sich kaum der Mühe, die historische Bedeutung der Träume als
ein besonderes Thema aufzustellen. Wo ein Häuptling etwa durch einen
Traum zu einem kühnen Unternehmen bestimmt wurde, dessen Erfolg
verändernd in die Geschichte eingegriffen hat, da ergibt sich ein neues
Problem nur so lange, als man den Traum wie eine fremde Macht anderen
vertrauteren Seelenkräften gegenüberstellt, nicht mehr, wenn man den
Traum als eine Form des Ausdruckes für Regungen betrachtet, auf denen
bei Tage ein Widerstand lastete, und die sich bei Nacht Verstärkung aus
tiefliegenden Erregungsquellen holen konnten(249). Die Achtung aber, mit
der dem Traume bei den alten Völkern begegnet wurde, ist eine auf
richtige psychologische Ahnung gegründete Huldigung vor dem
Ungebändigten und Unzerstörbaren in der Menschenseele, dem
_Dämonischen_, welches den Traumwunsch hergibt, und das wir in unserem
Unbewußten wiederfinden.

  (249) Vgl. hiezu den oben p. 76 Anm. mitgeteilten Traum (Σα-τυρος)
  Alexanders d. Gr. bei der Belagerung von Tyrus.

Ich sage nicht ohne Absicht, _in unserem Unbewußten_, denn was wir so
heißen, deckt sich nicht mit dem Unbewußten der Philosophen, auch nicht
mit dem Unbewußten bei _Lipps_. Dort soll es bloß den Gegensatz zu dem
Bewußten bezeichnen; daß es außer den bewußten Vorgängen auch unbewußte
psychische gibt, ist die heiß bestrittene und energisch verteidigte
Erkenntnis. Bei _Lipps_ hören wir von dem weiter reichenden Satze, daß
alles Psychische als unbewußt vorhanden ist, einiges davon dann auch als
bewußt. Aber nicht zum Erweis für _diesen_ Satz haben wir die Phänomene
des Traumes und der hysterischen Symptombildung herangezogen; die
Beobachtung des normalen Tageslebens reicht allein hin, ihn über jeden
Zweifel festzustellen. Das Neue, was uns die Analyse der
psychopathologischen Bildungen und schon ihres ersten Gliedes, der
Träume, gelehrt, besteht darin, daß das Unbewußte -- also das Psychische
-- als Funktion zweier gesonderter Systeme vorkommt und schon im
normalen Seelenleben so vorkommt. Es gibt also _zweierlei Unbewußtes_,
was wir von den Psychologen noch nicht gesondert finden. Beides ist
Unbewußtes im Sinne der Psychologie; aber in unserem ist das eine, das
wir ~Ubw~ heißen, auch _bewußtseinsunfähig_, während das andere ~Vbw~
von uns darum genannt wird, weil dessen Erregungen, zwar auch nach
Einhaltung gewisser Regeln, vielleicht erst unter Überstehung einer
neuen Zensur, aber doch ohne Rücksicht auf das ~Ubw~-System zum
Bewußtsein gelangen können. Die Tatsache, daß die Erregungen, um zum
Bewußtsein zu kommen, eine unabänderliche Reihenfolge, einen
Instanzenzug durchzumachen haben, der uns durch ihre Zensurveränderung
verraten wurde, diente uns zur Aufstellung eines Gleichnisses aus der
Räumlichkeit. Wir beschrieben die Beziehungen der beiden Systeme
zueinander und zum Bewußtsein, indem wir sagten, das System ~Vbw~ stehe
wie ein Schirm zwischen dem System ~Ubw~ und dem Bewußtsein. Das System
~Vbw~ sperre nicht nur den Zugang zum Bewußtsein, es beherrsche auch den
Zugang zur willkürlichen Motilität und verfüge über die Aussendung einer
mobilen Besetzungsenergie, von der uns ein Anteil als Aufmerksamkeit
vertraut ist(250).

  (250) Vgl. hiezu meine »Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in
  der Psychoanalyse« (englisch in Proceedings of the Society for
  Psychical Research, vol. XXVI), in denen die deskriptive, dynamische
  und systematische Bedeutung des vieldeutigen Wortes »unbewußt«
  voneinander geschieden werden.

Auch von der Unterscheidung _Ober-_ und _Unterbewußtsein_, die in der
neueren Literatur der Psychoneurosen so beliebt geworden ist, müssen wir
uns fernhalten, da gerade sie die Gleichstellung des Psychischen und des
Bewußten zu betonen scheint.

 Die Funktion des Bewußtseins.

Welche Rolle verbleibt in unserer Darstellung dem einst allmächtigen,
alles andere verdeckenden Bewußtsein? Keine andere, als _die eines
Sinnesorganes zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten_. Nach dem
Grundgedanken unseres schematischen Versuches können wir die
Bewußtseinswahrnehmung nur als die eigene Leistung eines besonderen
Systems auffassen, für welches sich die Abkürzungsbezeichnung ~Bw~
empfiehlt. Das System denken wir uns in seinen mechanischen Charakteren
ähnlich wie die Wahrnehmungssysteme ~W~, also erregbar durch Qualitäten,
und unfähig, die Spur von Veränderungen zu bewahren, also ohne
Gedächtnis. Der psychische Apparat, der mit dem Sinnesorgan der
~W~-Systeme der Außenwelt zugekehrt ist, ist selbst Außenwelt für das
Sinnesorgan des ~Bw~, dessen teleologische Rechtfertigung in diesem
Verhältnisse ruht. Das Prinzip des Instanzenzuges, welches den Bau des
Apparates zu beherrschen scheint, tritt uns hier nochmals entgegen. Das
Material an Erregungen fließt dem ~Bw~-Sinnesorgan von zwei Seiten her
zu, von dem ~W~-System her, dessen durch Qualitäten bedingte Erregung
wahrscheinlich eine neue Verarbeitung durchmacht, bis sie zur bewußten
Empfindung wird, und aus dem Innern des Apparates selbst, dessen
quantitative Vorgänge als Qualitätenreihe der Lust und Unlust empfunden
werden, wenn sie bei gewissen Veränderungen angelangt sind.

Die Philosophen, welche inne wurden, daß korrekte und hoch
zusammengesetzte Gedankenbildungen auch ohne Dazutun des Bewußtseins
möglich sind, haben es dann als Schwierigkeit erfunden, dem Bewußtsein
eine Verrichtung zuzuschreiben; es erschien ihnen als überflüssige
Spiegelung des vollendeten psychischen Vorganges. Die Analogie unseres
~Bw~-Systems mit den Wahrnehmungssystemen entreißt uns dieser
Verlegenheit. Wir sehen, daß die Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane
die Folge hat, eine Aufmerksamkeitsbesetzung auf die Wege zu leiten,
nach denen die ankommende Sinneserregung sich verbreitet; die
qualitative Erregung des ~W~-Systems dient der mobilen Quantität im
psychischen Apparat als Regulator ihres Ablaufes. Dieselbe Verrichtung
können wir für das überlagernde Sinnesorgan des ~Bw~-Systems in Anspruch
nehmen. Indem es neue Qualitäten wahrnimmt, leistet es einen neuen
Beitrag zur Lenkung und zweckmäßigen Verteilung der mobilen
Besetzungsquantitäten. Mittels der Lust- und Unlustwahrnehmung
beeinflußt es den Verlauf der Besetzungen innerhalb des sonst unbewußt
und durch Quantitätsverschiebungen arbeitenden psychischen Apparates. Es
ist wahrscheinlich, daß das Unlustprinzip die Verschiebungen der
Besetzung zunächst automatisch regelt; aber es ist sehr wohl möglich,
daß das Bewußtsein dieser Qualitäten eine zweite und feinere Regulierung
hinzutut, die sich sogar der ersteren widersetzen kann und die
Leistungsfähigkeit des Apparates vervollkommnet, indem sie ihn gegen
seine ursprüngliche Anlage in den Stand setzt, auch was mit
Unlustentbindung verknüpft ist, der Besetzung und Bearbeitung zu
unterziehen. Aus der Neurosenpsychologie erfährt man, daß diesen
Regulierungen durch die Qualitätserregung der Sinnesorgane eine große
Rolle bei der Funktionstätigkeit des Apparates zugedacht ist. Die
automatische Herrschaft des primären Unlustprinzips und die damit
verbundene Einschränkung der Leistungsfähigkeit wird durch die sensiblen
Regulierungen, die selbst wieder Automatismen sind, gebrochen. Man
erfährt, daß die Verdrängung, die, ursprünglich zweckmäßig, doch in
schädlichen Verzicht auf Hemmung und seelische Beherrschung ausläuft,
sich soviel leichter an Erinnerungen als an Wahrnehmungen vollzieht,
weil bei ersteren der Besetzungszuwachs durch die Erregung der
psychischen Sinnesorgane ausbleiben muß. Wenn ein abzuwehrender Gedanke
einerseits nicht bewußt wird, weil er der Verdrängung unterlegen ist, so
kann er andere Male nur darum verdrängt werden, weil er aus anderen
Gründen der Bewußtseinswahrnehmung entzogen wurde. Es sind das Winke,
deren sich die Therapie bedient, um vollzogene Verdrängungen rückgängig
zu machen.

Der Wert der Überbesetzung, welche durch den regulierenden Einfluß des
~Bw~-Sinnesorgans auf die mobile Quantität hergestellt wird, ist im
teleologischen Zusammenhang durch nichts besser dargetan als durch die
Schöpfung einer neuen Qualitätenreihe und somit einer neuen Regulierung,
welche vielleicht zu den Vorrechten des Menschen vor den Tieren gehört.
Die Denkvorgänge sind nämlich an sich qualitätslos bis auf die sie
begleitenden Lust- und Unlusterregungen, die ja als mögliche Störung des
Denkens in Schranken gehalten werden sollen. Um ihnen eine Qualität zu
verleihen, werden sie beim Menschen mit den Worterinnerungen assoziiert,
deren Qualitätsreste genügen, um die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf
sie zu ziehen und von ihm aus dem Denken eine neue mobile Besetzung
zuzuwenden.

 Zensur und Bewußtsein.

Die ganze Mannigfaltigkeit der Bewußtseinsprobleme läßt sich erst bei
der Zergliederung der hysterischen Denkvorgänge übersehen. Man empfängt
dann den Eindruck, daß auch der Übergang vom Vorbewußten zur
Bewußtseinsbesetzung mit einer Zensur verknüpft ist, ähnlich der Zensur
zwischen ~Ubw~ und ~Vbw~. Auch diese Zensur setzt erst bei einer
gewissen quantitativen Grenze ein, so daß ihr wenig intensive
Gedankenbildungen entgehen. Alle möglichen Fälle der Abhaltung von dem
Bewußtsein sowie des Durchdringens zu demselben unter Einschränkungen,
finden sich im Rahmen der psychoneurotischen Phänomene vereinigt;
sämtlich weisen sie auf den innigen und zweiseitigen Zusammenhang
zwischen Zensur und Bewußtsein hin. Mit der Mitteilung zweier derartiger
Vorkommnisse will ich diese psychologischen Erörterungen beschließen.

Ein Konsilium im Vorjahre führt mich zu einem intelligent und unbefangen
blickenden Mädchen. Ihr Aufzug ist befremdend; wo doch sonst die
Kleidung des Weibes bis in die letzte Falte beseelt ist, trägt sie einen
Strumpf herabhängend und zwei Knöpfe der Bluse offen. Sie klagt über
Schmerzen in einem Beine und entblößt unaufgefordert eine Wade. Ihre
Hauptklage aber lautet wörtlich: _Sie hat ein Gefühl im Leibe, als ob
etwas darin stecken würde, was sich hin und her bewegt und sie durch und
durch erschüttert. Manchmal wird ihr dabei der ganze Leib wie ~steif~._
Mein mitanwesender Kollege sieht mich dabei an; er findet die Klage
nicht mißverständlich. Merkwürdig erscheint uns beiden, daß die Mutter
der Kranken sich dabei nichts denkt; sie muß sich ja wiederholt in der
Situation befunden haben, welche ihr Kind beschreibt. Das Mädchen selbst
hat keine Ahnung von dem Belang ihrer Rede, sonst würde sie dieselbe
nicht im Munde führen. Hier ist es gelungen, die Zensur so abzublenden,
daß eine sonst im Vorbewußten verbleibende Phantasie wie harmlos in der
Maske einer Klage zum Bewußtsein zugelassen wird.

Ein anderes Beispiel. Ich beginne eine psychoanalytische Behandlung mit
einem 14 jährigen Knaben, der an Tic convulsif, hysterischem Erbrechen,
Kopfschmerz u. dgl. leidet, indem ich ihm versichere, er werde nach dem
Augenschluß Bilder sehen oder Einfälle bekommen, die er mir mitteilen
soll. Er antwortet in Bildern. Der letzte Eindruck, ehe er zu mir
gekommen ist, lebt in seiner Erinnerung visuell auf. Er hatte mit seinem
Onkel ein Brettspiel gespielt und sieht jetzt das Brett vor sich. Er
erörtert verschiedene Stellungen, die günstig sind oder ungünstig, Züge,
die man nicht machen darf. Dann sieht er auf dem Brette einen Dolch
liegen, einen Gegenstand, den sein Vater besitzt, den aber seine
Phantasie auf das Brett verlegt. Dann liegt eine Sichel auf dem Brette,
dann kommt eine Sense hinzu, und jetzt tritt das Bild eines alten Bauern
auf, der das Gras vor dem entfernten heimatlichen Hause mit der Sense
mäht. Nach wenigen Tagen habe ich das Verständnis für diese
Aneinanderreihung von Bildern gewonnen. Unerfreuliche Familienverhältnisse
haben den Knaben in Aufregung gebracht. Ein harter, jähzorniger
Vater, der mit der Mutter im Unfrieden lebte, dessen Erziehungsmittel
Drohungen waren; die Scheidung des Vaters von der weichen
und zärtlichen Mutter; die Wiederverheiratung des Vaters, der
eines Tages eine junge Frau als die neue Mama nach Hause brachte. In den
ersten Tagen nachher brach die Krankheit des 14 jährigen Knaben aus. Es
ist die unterdrückte Wut gegen den Vater, die jene Bilder zu
verständlichen Anspielungen zusammengesetzt hat. Eine Reminiszenz aus
der Mythologie hat das Material gegeben. Die Sichel ist die, mit der
Zeus den Vater entmannte, die Sense und das Bild des Bauern schildern
den Kronos, den gewalttätigen Alten, der seine Kinder frißt, und an dem
Zeus so unkindlich Rache nimmt. Die Heirat des Vaters war eine
Gelegenheit, ihm die Vorwürfe und Drohungen zurückzugeben, die das Kind
früher einmal von ihm gehört hatte, weil es mit den Genitalien _spielte_
(das Brettspiel; die verbotenen Züge; der Dolch, mit dem man umbringen
kann). Hier sind es langverdrängte Erinnerungen und deren unbewußt
gebliebene Abkömmlinge, die auf dem ihnen eröffneten Umwege sich als
_scheinbar sinnlose_ Bilder ins Bewußtsein schleichen.

So würde ich also den theoretischen Wert der Beschäftigung mit dem
Traume in den Beiträgen zur psychologischen Erkenntnis und in der
Vorbereitung für das Verständnis der Psychoneurosen suchen. Wer vermag
zu ahnen, zu welcher Bedeutung sich eine gründliche Bekanntschaft mit
dem Bau und den Leistungen des Seelenapparates noch erheben kann, wenn
schon der heutige Stand unseres Wissens eine glückliche therapeutische
Beeinflussung der an sich heilbaren Formen von Psychoneurosen gestattet?
Und der praktische Wert dieser Beschäftigung, höre ich fragen, für die
Seelenkenntnis, die Aufdeckung der verborgenen Charaktereigenschaften
der einzelnen? Haben denn die unbewußten Regungen, die der Traum
offenbart, nicht den Wert von realen Mächten im Seelenleben? Ist die
ethische Bedeutung der unterdrückten Wünsche gering anzuschlagen, die,
wie sie Träume schaffen, eines Tages anderes schaffen können?

Ich fühle mich nicht berechtigt, auf diese Frage zu antworten. Meine
Gedanken haben diese Seite des Traumproblems nicht weiter verfolgt. Ich
meine nur, jedenfalls hatte der römische Kaiser Unrecht, welcher einen
Untertanen hinrichten ließ, weil dieser geträumt hatte, daß er den
Imperator ermorde. Er hätte sich zuerst darum bekümmern sollen, was
dieser Traum bedeutete; sehr wahrscheinlich war es nicht dasselbe, was
er zur Schau trug. Und selbst wenn ein Traum, der anders lautete, diese
majestätsverbrecherische Bedeutung hätte, wäre es noch am Platze, des
Wortes von _Plato_ zu gedenken, daß der Tugendhafte sich begnügt, von
dem zu träumen, was der Böse im Leben tut. Ich meine also, am besten
gibt man die Träume frei. Ob den unbewußten Wünschen _Realität_
zuzuerkennen ist und in welchem Sinne, kann ich kurzerhand nicht sagen.
Allen Übergangs- und Zwischengedanken ist sie natürlich abzusprechen.
Hat man die unbewußten Wünsche, auf ihren letzten und wahrsten Ausdruck
gebracht, vor sich, so muß man wohl sagen, daß die _psychische Realität_
eine besondere Existenzform ist, welche mit der _faktischen_ Realität
nicht verwechselt werden soll. Es erscheint dann ungerechtfertigt, wenn
die Menschen sich sträuben, die Verantwortung für die Immoralität ihrer
Träume zu übernehmen. Durch die Würdigung der Funktionsweise des
seelischen Apparates und die Einsicht in die Beziehung zwischen Bewußtem
und Unbewußtem wird das ethisch Anstößige unseres Traum- und
Phantasielebens meist zum Verschwinden gebracht.

»Was der Traum uns an Beziehungen zur Gegenwart (Realität) kundgetan
hat, wollen wir dann auch im Bewußtsein aufsuchen und dürfen uns nicht
wundern, wenn wir das Ungeheuer, das wir unter dem Vergrößerungsglas der
Analyse gesehen haben, dann als Infusionstierchen wiederfinden.« (H.
_Sachs_.)

Für das praktische Bedürfnis der Charakterbeurteilung des Menschen
genügt zumeist die Tat und die bewußt sich äußernde Gesinnung. Die Tat
vor allem verdient in die erste Reihe gestellt zu werden, denn viele zum
Bewußtsein durchgedrungene Impulse werden noch durch reale Mächte des
Seelenlebens vor ihrem Einmünden in die Tat aufgehoben; ja, sie begegnen
oft darum keinem psychischen Hindernis auf ihrem Wege, weil das
Unbewußte ihrer anderweitigen Verhinderung sicher ist. Es bleibt auf
alle Fälle lehrreich, den viel durchwühlten Boden kennen zu lernen, auf
dem unsere Tugenden sich stolz erheben. Die nach allen Richtungen hin
dynamisch bewegte Komplikation eines menschlichen Charakters fügt sich
höchst selten der Erledigung durch eine einfache Alternative, wie unsere
überjährte Morallehre es möchte.

Und der Wert des Traumes für die Kenntnis der Zukunft?

Daran ist natürlich nicht zu denken. So freudig man auch als
bescheidener und vorurteilsloser Forscher das Bestreben begrüßen mag,
auch die verpönten »_okkulten_« Phänomene in den Kreis der
wissenschaftlichen Untersuchung zu ziehen, man wird doch an der
Erwartung festhalten, daß diese Studien uns zwei Dinge nicht aufdrängen
werden: den Glauben an die Fortexistenz der Gestorbenen und den an die
Erkenntnis der nicht mehr berechenbaren Zukunft. Man möchte dafür
einsetzen: Für die Kenntnis der Vergangenheit. Denn aus der
Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinne. Zwar entbehrt auch der
alte Glaube, daß der Traum uns die Zukunft zeige, nicht völlig des
Gehaltes an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsch als erfüllt
vorstellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom
Träumer für gegenwärtig genommene Zukunft ist durch den unzerstörbaren
Wunsch zum Ebenbilde jener Vergangenheit gestaltet.



VIII. Literaturverzeichnis.


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#Nachtrag# (z. 1. Aufl.).

Erst während der Korrektur der letzten Bogen im September 1899 erhielt
ich Kenntnis von einer kleinen Schrift »Induktive Untersuchungen über
die Fundamentalgesetze der psychischen Phänomene« von Dr. Ch. _Ruths_,
1898, welche eine größere Arbeit über die Analyse der Träume ankündigt.
Nach den vom Autor gegebenen Andeutungen darf ich erwarten, daß seine
Resultate in manchen Punkten mit den meinigen zusammentreffen.

(Ich habe von dem Erscheinen der so angekündigten Arbeit nichts
vernommen.)


B. _Nach Erscheinen des Buches_ (bis Ende 1913):

(Die mit * bezeichneten Arbeiten nehmen Bezug auf des Verfassers
»Traumdeutung«.)

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*-- Über hysterische Traumzustände. Jahrbuch f. psychoanalyt. und
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*-- Sollen wir die Pat. ihre Träume aufschreiben lassen? Intern.
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*#Adler Alfred.# Zwei Träume einer Prostituierten. Zeitschrift f.
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*-- Ein erlogener Traum. Zentralbl. f. Psychoanalyse, I. Jahrg. 1910,
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*-- Traum und Traumdeutung. Ebenda, III, 1912/13, p. 174.

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    K. u. K. Hofbuchdruckerei Jos. Feichtingers Erben, Linz. 14.3225



  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  zu schreiben ist darum so schwer, weil in dieser Erkenntnis, so
  zu schreiben, ist darum so schwer, weil in dieser Erkenntnis, so

  (Mitgeteilt von _Winterstein_ im Zbl. f. Ps. A. . . . .)
  (Mitgeteilt von _Winterstein_ im Zbl. f. Ps.-A. . . . .)

  im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Bund einer illustrierten Zeitschrift in
  im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Band einer illustrierten Zeitschrift in

  Kreisstadt im _Departement de la Dordogne_. Erwacht, schenkte _Maury_
  Kreisstadt im _Département de la Dordogne_. Erwacht, schenkte _Maury_

  mit betrübender Gewalt in dieselbe zurückkehren läßt. Dagegen die Warze
  mit betrübender Gewalt in dasselbe zurückkehren läßt. Dagegen die Warze

  Von solchen Reizen gibt es nun eine große Reihe von den unvermeidlichen
  Von solchen Reizen gibt es nun eine große Reihe, von den unvermeidlichen

  _Volkelt_ (p. 68) erzählt: »Einem Komponisten träumte einmal, er halte
  _Volkelt_ (p. 68) erzählt: Einem Komponisten träumte einmal, er halte

  (Vgl. M. _Simon_, p. 31, und viele ältere Autoren(10).
  (Vgl. M. _Simon_, p. 31, und viele ältere Autoren)(10).

  _Bouché-Leclerqu_, _Hermann_, Gottesd. Altert. d. Gr. § 41,
  _Bouché-Leclercq_, _Hermann_, Gottesd. Altert. d. Gr. § 41,

  London, 1877, _Döllinger_, Heidentum und Judentum p. 139.
  London, 1877, _Döllinger_, Heidentum und Judentum, p. 139.

  Schlafzustand von der Außenwelt abgelenkt, dem Innern des Leibes
  Schlafzustand, von der Außenwelt abgelenkt, dem Innern des Leibes

  Menschen von dem Träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen
  Menschen von dem träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen

  daran erst schließen sich reproduktive Assoziationen« (p. 17). Noch
  daran erst schließen sich reproduktive Assoziationen (p. 17). Noch

  _Benini_ zu dem _Strümpell_schen hinzugefügt, sind wohl bereits in
  _Benini_ zu den _Strümpell_schen hinzugefügt, sind wohl bereits in

  papier sans le moindre retard ce que l'on vieut d'éprouver et de
  papier sans le moindre retard ce que l'on vient d'éprouver et de

  remarquer; sinon, l'oubli vieut vite ou total ou partiel; l'oubli total
  remarquer; sinon, l'oubli vient vite ou total ou partiel; l'oubli total

  par imagination les fragments incohérents et disjoints fourni par la
  par imagination les fragments incohérents et disjoints fournis par la

  periodiquement répété s'impose à la créance de son auteur, qui, de bonne
  périodiquement répété s'impose à la créance de son auteur, qui, de bonne

  Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder die anderen der
  Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder die andere der

  kann (p. 457).
  kann« (p. 457).

  _Maury_ pflichtet dem bei; er sagt (p. 163): »il n'y a pas des rêves
  _Maury_ pflichtet dem bei; er sagt (p. 163): »il n'y a pas de rêves

  Dänenprinzen, auf dessen Wahrsinn sich das hier zitierte einsichtsvolle
  Dänenprinzen, auf dessen Wahnsinn sich das hier zitierte einsichtsvolle

  successive personnalities. _When asleep we go back to the old ways of
  successive personalities. _When asleep we go back to the old ways of

  ordinaire du celle du dormeur c'est que, chez celui, l'idée prend une
  ordinaire de celle du dormeur c'est que, chez celui, l'idée prend une

  l'équilibre qu'elles gardent chez l'homme l'éveillé.«
  l'équilibre qu'elles gardent chez l'homme éveillé.«

  bizarres trouvent même une explication des plus logiques quond on sait
  bizarres trouvent même une explication des plus logiques quand on sait

  habe die wirkliche Welt uns ncoh nie und niemals geboten.«
  habe die wirkliche Welt uns noch nie und niemals geboten.«

  Weise: »Es fällt mir auch im Traume nicht ein.«
  Weise: »Es fällt mir auch im Traume nicht ein.««

  pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; coso e persone
  pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; cose e persone

  retienne, bien que parfoit elle nous avertisse. J'ai mes défauts et mes
  retienne, bien que parfois elle nous avertisse. J'ai mes défauts et mes

  _Ideler_, _Lasègne_, _Pichon_, _Régis_, _Vespa_; _Giessler_,
  _Ideler_, _Lasègne_, _Pichon_, _Régis_, _Vespa_, _Giessler_,

  Auffasung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der meinigen
  Auffassung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der meinigen

  einfällt. -- Nach neueren Berichten des Missionärs Tfinkdjt (Anthropos
  einfällt. -- Nach neueren Berichten des Missionärs Tfinkdji (Anthropos

  interprêter exactement un songe, les oniromanciens les plus habiles
  interpréter exactement un songe, les oniromanciens les plus habiles

  s'informent de ceux qui les consultent des toutes les circonstances
  s'informent de ceux qui les consultent de toutes les circonstances

  échapper et ne donnent l'interprétation desirée avant d'avoir
  échapper et ne donnent l'interprétation désirée avant d'avoir

  typische Formel: habistine in hac nocte copulam conjugalem ante vel
  typische Formel: habuistine in hac nocte copulam conjugalem ante vel

  teilweisen Erfolg, die Patientin vorlor ihre hysterische Angst, aber
  teilweisen Erfolg, die Patientin verlor ihre hysterische Angst, aber

  den Apparat nicht; darum habe ich ihn weggeworfen. Dieser Traum der
  den Apparat nicht; darum habe ich ihn weggeworfen.« Dieser Traum der

  (Vgl. des Verfassers »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 1905 und
  (Vgl. des Verfassers »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« 1905 und

  den Autoren bemerkt worden. (Vgl. _Radestock_ [p. 137 bis 138],
  den Autoren bemerkt worden.« (Vgl. _Radestock_ [p. 137 bis 138],

  look of balderdash and takes on the aspect of aserious, intelligible
  look of balderdash and takes on the aspect of a serious, intelligible

  message. Or, to vary the figure slightly, we mag said that, like some
  message. Or, to vary the figure slightly, we may say that, like some

  viel lieber gehabt habe.«
  viel lieber gehabt habe?«

  vorgetragen habe(53). Ja, ich darf erwarten, daß es manchen meiner Leser
  vorgetragen habe(53). Ja, ich darf erwarten, daß es manchem meiner Leser

  Stärcke_) geträumt und gedeutet werden:
  Stärcke_) geträumt und gedeutet worden:

  übernommen, wäre in Verbindung mit den Inhalt des Gespräches gelangt und
  übernommen, wäre in Verbindung mit dem Inhalt des Gespräches gelangt und

  b) Mehere rezente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den _Traum_ zu
  b) Mehrere rezente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den _Traum_ zu

  Inhaltes, wie ein armer Jude ohne Fahrbilett den Einlaß in den Eilzug
  Inhaltes, wie ein armer Jude ohne Fahrbillett den Einlaß in den Eilzug

  wie _pisser_ für die kleineren). Nun werden wir bald das Unanständige in
  wie _pisser_ für die kleinere). Nun werden wir bald das Unanständige in

  ihn an das Kokain, daß ihm bei der Operation zu gute kam, als hätte ich
  ihn an das Kokain, das ihm bei der Operation zu gute kam, als hätte ich

  Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, am es
  Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es

  Sonntagsreiter geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur
  Sonntagsreiter, geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur

  daß die Vorstellung des Kindes vom »Todsein« mit der unserigen das Wort
  daß die Vorstellung des Kindes vom »Totsein« mit der unserigen das Wort

  erwies und durch den Ausgang wiederlegt wurde. Es wäre dies ein sehr
  erwies und durch den Ausgang widerlegt wurde. Es wäre dies ein sehr

  welche _Daudet_ dem Jüngling erteilt, eine ähnliche für das säugende
  welche _Daudet_ dem Jüngling erteilt, eine ähnliche, für das säugende

  gleichwertig zur Gedankenverbindung benutzt werden, und gebe der
  gleichwertig, zur Gedankenverbindung benutzt werden, und gebe der

  Künstlerromen _L'oeuvre_, der meinen Traumgedanken inhaltlich nahe
  Künstlerroman _L'oeuvre_, der meinen Traumgedanken inhaltlich nahe

  Patienten, ist das _Auf-_ und _Niedersteigen_, _Oben-_ und _Unten_sein
  Patienten ist das _Auf-_ und _Niedersteigen_, _Oben-_ und _Unten_sein

  muß den Gleichklang mit der Reimzeile finden. Die besten Gedichte
  muß den Gleichklang mit der ersten Reimzeile finden. Die besten Gedichte

  sehr häufig mit Sicherheit als Genitale und zwar des Mannes, zu deuten.
  sehr häufig mit Sicherheit als Genitale, und zwar des Mannes, zu deuten.

  marcheur« deckt sich ganz mit unserem »ein alter Steiger«.
  marcheur« deckt sich ganz mit unserem »ein alter Steiger«.«

  1. _Der Hut als Symbol des Mannes_ (_des männlichen Genitales_(137).
  1. _Der Hut als Symbol des Mannes_ (_des männlichen Genitales_)(137).

  (Zentralbl. f. Ps. A. III, 1912, p. 95). Von _Stekel_ (Jahrbuch,
  (Zentralbl. f. Ps.-A. III, 1912, p. 95). Von _Stekel_ (Jahrbuch,

  f. Ps. A., H. 1, p. 2 f.), daß die Stiege und das Stiegensteigen im
  f. Ps.-A., H. 1, p. 2 f.), daß die Stiege und das Stiegensteigen im

  stehen, führt zum Protistuiertenkomplex, wie anderseits der Vorname des
  stehen, führt zum Prostituiertenkomplex, wie anderseits der Vorname des

  ähnlich lustvolle Szenen von _Bettnässen_ zum Vorbild zu haben.«
  ähnlich lustvolle Szenen von _Bettnässen_ zum Vorbild zu haben.

  »_I arrange the centre of a table with flowers for a birth day._« (Ich
  »_I arrange the centre of a table with flowers for a birthday._« (Ich

  ›_colour_‹, sondern ›_inkarnation_‹ (Fleischwerdung) eingefallen,
  ›_colour_‹, sondern ›_incarnation_‹ (Fleischwerdung) eingefallen,

  Sinn zugestehen kann, schalte ich hier einen, von _Otto Rank_ zur
  Sinn zugestehen kann, schalte ich hier einen von _Otto Rank_ zur

  Erlebnisse und Gedanken des Vortrages:
  Erlebnisse und Gedanken des Vortages:

  Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren, diese Gedankengänge in mir
  Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren diese Gedankengänge in mir

  wieder wachrief.«
  wieder wachrief.‹

  die Erlebnisse des Vortrages allein vollkommen hinreichen, uns den
  die Erlebnisse des Vortages allein vollkommen hinreichen, uns den

  107 »Die Barbaren aber führte Hippias nach Marathon, nachdem er in
  107: »Die Barbaren aber führte Hippias nach Marathon, nachdem er in

  wirklichen Erfolg erzwingen.
  wirklichen Erfolg erzwingen.«

  Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß.«_
  Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß._

  verläßt ihr Gatte sie; in den Traumgedanken verläßt sie ihren Gatten.«
  verläßt ihr Gatte sie; in den Traumgedanken verläßt sie ihren Gatten.

  mit zwei kleinen Mädchen, die 1½ Jahre auseinander sind. -- Die
  mit zwei kleinen Mädchen, die 1¼ Jahre auseinander sind. -- Die

  mehr als 1 fl. 50 kr. Woher die #3#, die bei den Theatersitzen
  mehr ist als 1 fl. 50 kr. Woher die #3#, die bei den Theatersitzen

  darum vernichtete ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem
  darum vernichte ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem

  (168) Die noch im Traume enthaltende Mahnung oder der Vorsatz: Das muß
  (168) Die noch im Traume enthaltene Mahnung oder der Vorsatz: Das muß

  Empfindung, die den letzten Satz des Traumes begleitete: _»Ich erinnere
  Empfindung, die den letzten Satz des Traumes begleitete: _Ich erinnere

  die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: _Es
  die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: »_Es

  Der Traum vom »Frühstückschiff«.
  Der Traum vom »Frühstücksschiff«.

  für den _Frühstück_tisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die
  für den _Frühstücks_tisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die

  bist fremd gemacht.« -- So übermächtig war hierüber mein Schreck, daß
  bist fremd gemacht_.‹ -- So übermächtig war hierüber mein Schreck, daß

  behalten, auf dem als baldigen Ausfall gerade dieser Kittgedanken beruht.
  behalten, auf dem alsbaldigen Ausfall gerade dieser Kittgedanken beruht.

  später, ich komme wieder zurück. Aber die riefen hohnlächelnd: Das kennen
  später, ich komme wieder zurück. Aber die rufen hohnlächelnd: Das kennen

  jedenfalls die, deren Anforderungen für den Traum am wenigstens zwingend
  jedenfalls die, deren Anforderungen für den Traum am wenigsten zwingend

  solchen Material Ordnung su schaffen, Relationen herzustellen, es unter
  solchen Material Ordnung zu schaffen, Relationen herzustellen, es unter

  placer le rêve au moment du réveil et ils ont attribué a la pensée de la
  placer le rêve au moment du réveil et ils ont attribué à la pensée de la

  And the man dreams but what they boy believed.«
  And the man dreams but what the boy believed.«

  näherstehenden Autoren wie _Artur Schnitzler_:
  näherstehenden Autoren wie _Arthur Schnitzler_:

  Material zu Gebote: »die Träume in _Gottfried_ Kellers ›Grünem
  Material zu Gebote: »die Träume in _Gottfried Kellers_ ›Grünem

  _Balzac's_, die Geliebte des Königs, um den zudringlichen Pfaffen
  _Balzac's_ die Geliebte des Königs, um den zudringlichen Pfaffen

  wiederzuspiegeln(215).
  widerzuspiegeln(215).

  soviel Wasser von ihr geht, daß es einem großen Strome gleich, ganz
  soviel Wasser von ihr geht, daß es, einem großen Strome gleich, ganz

  weisen auf den intendierten Koitus und charakterische Details (ein
  weisen auf den intendierten Koitus und charakteristische Details (ein

  _geekelt_ und _erbrochen_. Die Deutlichkeit dieser Traumsprache(221),
  _geekelt_ und _erbrochen_.« Die Deutlichkeit dieser Traumsprache(221),

  (_#Mo#lière_ im #Ma#lade Imaginare: La _#ma#tière_ est-elle laudable?
  (_#Mo#lière_ im #Ma#lade Imaginaire: La _#ma#tière_ est-elle laudable?

  in diesem Traume zusammen. Nehmen wir einen anderen Traum vor, indem
  in diesem Traume zusammen. Nehmen wir einen anderen Traum vor, in dem

  ausgestattetes Zentrum erkennen, wie uuf p. 227 f. ausgeführt. Das ist
  ausgestattetes Zentrum erkennen, wie auf p. 227 f. ausgeführt. Das ist

  nämlich, daß uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer
  nämlich, das uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer

  wird jetzt das Bewußtsein, daß vorher nur Sinnesorgan für die
  wird jetzt das Bewußtsein, das vorher nur Sinnesorgan für die

  gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume erscheinen mit
  gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume scheinen mit

  einen Abfluß in die Motilität oder er unterliegt der Beeinflussung des
  einen Abfluß in die Motilität, oder er unterliegt der Beeinflussung des

  plusiers fois, j'ai pensé me jeter par la fenêtre au dortoir.«
  plusieurs fois, j'ai pensé me jeter par la fenêtre au dortoir.«

  beim Kinde zuschreiben.
  beim Kinde zuschreiben.«

  archaic world of vast emontions and imperfect thoughts« erscheinen uns
  archaic world of vast emotions and imperfect thoughts« erscheinen uns

  _Flectere si nequo Superos, Acheronta movebo_.
  _Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo_.

  Psychical Research, vol XXVI), in denen die deskriptive, dynamische
  Psychical Research, vol. XXVI), in denen die deskriptive, dynamische

  #Artigues.# Essai sur la valeur séméiologique du rêve. These de Paris
  #Artigues.# Essai sur la valeur séméiologique du rêve. Thèse de Paris

  #Bacci Domenico.# Sui sogni e sul sonnombulismo, pensieri fisiologico
  #Bacci Domenico.# Sui sogni e sul sonnambulismo, pensieri fisiologico

  metafisici. Vezenia 1857.
  metafisici. Venezia 1857.

  Träume. Nurnberg 1715.
  Träume. Nürnberg 1715.

  #Bradley J. H.# On the feilure of movement in dream. Mind, July 1894.
  #Bradley J. H.# On the failure of movement in dream. Mind, July 1894.

  #D. L.# A propos de l'appréciation du temps dans le rêve Rev. philos.
  #D. L.# A propos de l'appréciation du temps dans le rêve. Rev. philos.

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  #Escande de Messières.# Les rêves chez les hystériques Th. méd.
  #Escande de Messières.# Les rêves chez les hystériques. Th. méd.

  #Faure.# Étude sur les rêves morbides. Rêves persistants Arch. génér.
  #Faure.# Étude sur les rêves morbides. Rêves persistants. Arch. génér.

  de méd. 1876 vol. I, p. 558.
  de méd. 1876, vol. I, p. 558.

  #Fenizia.# L'azione suggestiva della causa esterne nei sogni. Arch. per
  #Fenizia.# L'azione suggestiva delle cause esterne nei sogni. Arch. per

  -- Les rêves d'acces chez les épileptiques. La Med. mod. 8. Dez. 1897.
  -- Les rêves d'accès chez les épileptiques. La Med. mod. 8. Dez. 1897.

  #Fischer Joh.# Ad artis veterum oniocriticae historiam symbola. Diss.
  #Fischer Joh.# Ad artis veterum onirocriticae historiam symbola. Diss.

  -- Aus den Tiefen des Traumlebens Halle 1890.
  -- Aus den Tiefen des Traumlebens. Halle 1890.

  Die physiologischen Beziehungen der Traumvorgänge. Halle 1896.
  -- Die physiologischen Beziehungen der Traumvorgänge. Halle 1896.

  3 Aufl. 1871.
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  #Henzen Wilh.# Über die Träume in der altnord. Sagaliteratur Diss.
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  1899, Nr. 657, 1. Beil
  1899, Nr. 657, 1. Beil.

  #Hitschmann F.# Über d. Traumleben d Blinden. Zeitschr. f.
  #Hitschmann F.# Über d. Traumleben d. Blinden. Zeitschr. f.

  #Kingsford A. B.# Dreams and dream-stories ed. by Maitland. 2. éd.
  #Kingsford A. B.# Dreams and dream-stories ed. by Maitland. 2. ed.

  série, t VI, p. 513-536, 1884.)
  série, t. VI, p. 513-536, 1884.)

  #Macario.# Du sommeil, des rêves et du somnambulisme dans l'etat de
  #Macario.# Du sommeil, des rêves et du somnambulisme dans l'état de

  #Maury A.# Analogies des phénomènes du rêve et de l'aliènation mentale.
  #Maury A.# Analogies des phénomènes du rêve et de l'aliénation mentale.

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  #Monroe W. S.# A study of taste-dreams. Am. J. of Psychol. Jan. 1899.

  #Moreau J.# De l'identidé de l'état de rêve et de folie. Annales méd.
  #Moreau J.# De l'identité de l'état de rêve et de folie. Annales méd.

  #Motet.# Cauchemar. Dict. de méd. et de chir pratiques.
  #Motet.# Cauchemar. Dict. de méd. et de chir. pratiques.

  1894, 20
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  visions et les songes par Dufremey. Avignon 1752
  visions et les songes par Dufremey. Avignon 1752.

  #Régis.# Les rêves Bordeaux. La Gironde (Variétés) du mai 31, 1890.
  #Régis.# Les rêves. Bordeaux. La Gironde (Variétés) du mai 31, 1890.

  #Richardson B. W.# The physiology of dreams The Asclep. London 1892,
  #Richardson B. W.# The physiology of dreams. The Asclep. London 1892,

  #Rousset.# Contribution à l'etude du cauchemar. Thèse de Paris 1876.
  #Rousset.# Contribution à l'étude du cauchemar. Thèse de Paris 1876.

  #Schleich K. L.# Traum und Schlaf. Die Zukunft, 1899, 29. Bd, 14-27,
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  #Science# of dreams The Lyceum. Dublin, oct. 1890, p. 28.
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  Nr 279.
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  #Stevenson R. L.# A Chapter on Dreams (in »Across. the Plain«.) 1892.
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  vol 62. Paris. (Deutsch: Die Illusionen, eine psychol. Unters. Leipzig
  vol. 62. Paris. (Deutsch: Die Illusionen, eine psychol. Unters. Leipzig

  #Tissié Ph.# Les rêves; rêves pathogenes et thérapeutiques; rêves
  #Tissié Ph.# Les rêves; rêves pathogènes et thérapeutiques; rêves

  des sciences 17. Juillet 1899.
  des sciences. 17. Juillet 1899.

  #X.# Ce qu'on peut rêver en cinq. secondes. Rev. sc. 3e série, I. XII,
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  #Aliotta A.# Il pensiero e la personalità nei sogni. Ricerche die Psicol.
  #Aliotta A.# Il pensiero e la personalità nei sogni. Ricerche di Psicol.

  #Arno.# Traumvisionen. Lorch 1909
  #Arno.# Traumvisionen. Lorch 1909.

  *#Bleuler E.# Die Psychanalyse Freuds. Jahrb. f. psychoanalyt. u.
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  *-- Hysterical dreamy states. New York Med. Journ., May. 25, 1912.
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  *#Bruce A. H.# The marvels of dream analysis. Mc. Clure's Magaz. Nov.
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  #Chinard Gilbert.# L'amerique et le rêve exotique dans la litt. franç.
  #Chinard Gilbert.# L'Amérique et le rêve exotique dans la litt. franç.

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  Chicago, 13. May 1911, p 1373.
  Chicago, 13. May 1911, p. 1373.

  *#Eder M. D.# _Freuds_ Theory of Dreams Transactions of the
  *#Eder M. D.# _Freud_'s Theory of Dreams. Transactions of the

  #Frank.# Kritik d Träumens und d. Träumerei über d. Wachen. Das Wort,
  #Frank.# Kritik d. Träumens und d. Träumerei über d. Wachen. Das Wort,

  1911. (_Englisch_ »On Dreams« author. trans by M. D. _Eder_, with an
  1911. (_Englisch_ »On Dreams« author. trans. by M. D. _Eder_, with an

  Broschüre von Karl Abel, 1884 Jahrbuch für psychoanalyt. und
  Broschüre von Karl Abel, 1884. Jahrbuch für psychoanalyt. und

  *#Frink H. W.# Dreams and their analysis in reference to Psychotherapie.
  *#Frink H. W.# Dreams and their analysis in reference to psychotherapy.

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  Med. Record, May 27, 1911.

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  *-- Beiträge zur Sexualsymbolik des Traumes. Ebenda, p. 561.

  1902, p. 631 636.
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  in Motiv. American Journ. of Psychology, Jan. 1910, p. 72-113. (In
  in Motive. American Journ. of Psychology, Jan. 1910, p. 72-113. (In

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  *-- Freud's Theory of Dreams. American Journal of Psychology, April

  #Lobedank.# Über das Wesen d. Tr. Prag 1902
  #Lobedank.# Über das Wesen d. Tr. Prag 1902.

  Mitteilungen zur jüd. Volkskunde, 10. Jahrg, H. 1 u. 2.
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  #Maillet Edm.# Les rêves et l'inspiration mathematiques. Extr. du
  #Maillet Edm.# Les rêves et l'inspiration mathématique. Extr. du

  #Meunier P.# Des rêves stéréotypés. Journ de Psychol. norm. et pathol.
  #Meunier P.# Des rêves stéréotypés. Journ. de Psychol. norm. et pathol.

  -- A propos de l'onirotherapie. Arch. de Neurol. März 1910.
  -- A propos de l'onirothérapie. Arch. de Neurol. März 1910.

  -- Valeur séméiologique du rêve. Journ. de psychol. Norm et pathol. 7,
  -- Valeur séméiologique du rêve. Journ. de psychol. norm. et pathol. 7,

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  #Monroe W. S.# Mental elements of Dreams. Journ. of Philos., Psychol.

  of Psychol VI, 3/4, Febr. 1914.
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  1903, p 89-95.
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  *-- Eine noch nicht beschriebene Form des Odipus-Traumes. Intern.
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  #Scherbel.# Traum und Vhtg. Arztl. Ratgeber, 4. J. 1903, p. 199.
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  the motiv of selfpreservation. Americ. J. of Insanity, 1913.
  the motive of self-preservation. Americ. J. of Insanity, 1913.

  *#Stegmann Marg.# Darstellung epipleptischer Anfälle im Traume. Intern.
  *#Stegmann Marg.# Darstellung epileptischer Anfälle im Traume. Intern.

  Ztschr. f. ärztl Ps.-A. I, 1913.
  Ztschr. f. ärztl. Ps.-A. I, 1913.

  *-- Darstellung der Neurose im Traum. Ebenda, p. 26
  *-- Darstellung der Neurose im Traum. Ebenda, p. 26.

  #Stoop E. de.# Oneirokritikon biblion etc Rev. de philol. (nouv.
  #Stoop E. de.# Oneirokritikon biblion etc. Rev. de philol. (nouv.

  #Tobowolska Justine.# Etude sur les illusions de temps dans les rêves du
  #Tobowolska Justine.# Étude sur les illusions de temps dans les rêves du

  #Trömner E.# Entstehung u. Bedeutung d. Träume Journ. f. Psychol. u
  #Trömner E.# Entstehung u. Bedeutung d. Träume. Journ. f. Psychol. u.

  Untersuchungen Herausgegeben von O. Klemm. Erster Band Leipzig 1910.
  Untersuchungen. Herausgegeben von O. Klemm. Erster Band. Leipzig 1910.

  #Wahrtraum ein.# Mitt. d. wiss V. f. Okk. in Wien, II. 1900, p. 26.
  #Wahrtraum ein.# Mitt. d. wiss. V. f. Okk. in Wien, II. 1900, p. 26.

  Ann. d. sci psy. 16, 1906, 437.
  Ann. d. sci. psy. 16, 1906, 437.

  Neurol., 35 année, Nr. 1, Juillet 1913, p 1-23.
  Neurol., 35 année, Nr. 1, Juillet 1913, p. 1-23.

  *#Wertheimer H. G.# Dreaming and Dreams. N. J. Med Journ, vol. 97,
  *#Wertheimer H. G.# Dreaming and Dreams. N. J. Med. Journ., vol. 97,

  20. Bd, 1902, p. 456-486.
  20. Bd., 1902, p. 456-486.

  Wissen, 1904, p. 307-310
  Wissen, 1904, p. 307-310.

  *#Wolffensperger W. P.# Übersicht über die Freudsche Traumdeutung Med.
  *#Wolffensperger W. P.# Übersicht über die Freudsche Traumdeutung. Med.

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