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Title: Bilder aus den Südvogesen
Author: Edschmid, Kasimir, 1890-1966
Language: German
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BILDER AUS DEN SÜDVOGESEN


1.

Wie dieser Seee, des weißen und schwarzen, Patoisnamen: biantch mâ, nor mâ!
dunkel und vokalisch heraufkommen aus der fernen Tiefe eines romanischen
Dialekts, so liegen sie da, klüftig und zerrissen in der entflammten Orgel
des Sturms. In den Kesseln flattert und rast das Geschiebe des Nebels, das
Wasser zischt auf und dampft und die aufgesteilten Wände der Felsen bis in
das Gesträhne des Fichtenmeers hinauf steigt das riesige Gejohl des Winds.
Plötzlich mit überanstrengtem Gebrüll reißt der Sturm die eine Seite, frei
von Nebeln, nackt auf und die Flanke des gegenüberliegenden Ufers steht
steil mit ausgemeißelten und nordisch kühnen, angestrafften Linien da im
leis rauchenden Wasser. Dann wirren Nebel darüber, Wolkenballen sausen
brodelnd hinein und in maßlosem Aufruhr tobt die weiche Masse des Dunstes
im Griff des Winds.

Über den Kamm saust der Sturm, pflückt die Worte vom Mund, rast, zischt und
heult wie eine Sirene. Nimmt Nebelmassen, knetet sie zusammen, wirft sie in
die Luft auf wie Fontänenstrahlen, knattert in einem endlosen Zug sie über
den Kamm und klatscht sie gleich Fahnen gegen den Rand der aufsteigenden
Kieferwälder, die knirschen und rauchen. Wolken fliegen wie Ballen über die
Haide und schnüren die Ferne zu. Tau perlt im Gestrüpp und als zwei Hunde
mit erschütterndem Gekläff hinter einem Hasen jagend Kreise über die Haide
ziehen, bricht die Sonne das erste tiefblaue Loch in die Revolte.

Und nun strömt der Rauch aus den Schluchten, überall steigen aus den
Altaren der Forste weiße Dampfschwaden in die ausgebreitete Wärme und Täler
tauchen heraus, die schroff sind mit den Kanten der Felsen, den Kanzeln aus
Granit und rotbrauner Haide. Doch alles ist noch ohne Jahreszeit, ist so
später Herbst wie es aufkommender Sommer sein könnte, ist anonyme
Jahreszeit, Zeitlosigkeit im Sturm, sind Felsen, die sich beruhigen im
Ansturm der Winde, Forste, die in der Sonne liegen und denen Herbst kein
Blatt verfärbt und Frühling nichts bedeutet, sondern nur dieses: Sturm!

Und überall strahlend in den aufgewölbten Mittag brechen die Teiche auf und
die Weiher, die tiefeingebettet in den Höhlen liegen, auf denen, leicht
bewegt, die Sonne nun verzittert wie ein engmaschiges, tiefrotes Netz, oder
die glasig geschliffen hochstarren gleich Jade und gedunkeltem Malachit.

Gegen die Dämmerung rast der Sturm noch einmal über den Kamm und bricht mit
Nebeln ein in die Wälder des Wurzelstein, in dem die Hexen nisten. Aber der
Abend wird klar und verläuft bräunlich und wie Zinnober über dem See von
Retournemer. Dort steht ein Forsthaus. Vor einem halbdutzend Jahren waren
wir hier, Siebenzehnjährige, und die Douaniers waren hinter uns. Aber wir
vertrauten uns dem Chemin des Dames und es war ein guter Weg mit seinen
Serpentinen und in einer Dachluke des Forsthauses, zwischen Gebälk und im
Mond, spielten wir Karten die Nacht . . .

Spät abends in einem ziellosen Geblitz von Sternen brachen kreisende
Lichter aus dem Berg und Kegel roten Lichts stachen in die Landschaft. Die
Feuer brannten eine halbe Stunde und erregten den Wald und dann fuhr mit
Fahnen und Geschrei ein Autobus an dem aufglühenden See vorüber.


2.

Nicht daß es ein Bad ist, Gérardmer, auch nicht daß es schön ist und
köstlich und an einem See voll Zartheit liegt, will all dies bedeuten: Daß
es Französisch ist, gibt ihm die Lässigkeit und die Linie und läßt alles
begreifen und bleibt die Mitte und das Verstehenkönnen auch der Wege, die
zu ihm führen und derer, die weiterziehn. So die lange Reihe der Seee, die
von Retournemer herüber bis an es heran reichen, deren Ufer weiß sind von
Reif und in deren zarten Oberflächen die Röte schwimmt vom Dach eines
geziegelten Hauses und die pastellhafte Kurve des gesänftigten Höhenzugs
mit dem aufflammenden Gelb der Birken. Und den bleichen Mond und die
Kaskaden und den Saut des Cuves und den dunklen Farrn bei den Fichten, wie
den milden Aufstieg zu den Höhen mit Kühen und den Matten nach den Gipfeln,
auf denen überall mit breitausgeholten Formen helle Landhäuser liegen wie
große Aeroplane, die in das Köstliche dieser Ebene jede Minute abzustoßen
scheinen. Und gleicherweise versteht sich, noch weit von der Stadt, diese
Szene am Brunnen, wo ein Schulhaus liegt im Gewirr zersplitterter Häuser:
Jene Parade des Lehrers über die Sauberkeit kindlicher Nägel und die Lust
der Bestätigten, der Eifer am Wasser jener, die zu leicht befunden wurden
und dann jener Einzug von hundert Holzpantoffeln über die Treppe im Sang
und Takt der Marseillaise.

Selbst auch da liegt noch deutlich dieser Duft und führt dieses nahe: Wo
das dünne Gesträhn der Fontaine Paxion schon in ein königliches Meer von
Matten weist, wo das Tal der Moselotte durch ein glänzendes lichtes Land
mit hellen Wegen, vorbei am Gesang der Webereien, wie befreit und erhoben
zieht und die zerstreuten Chalets mit zinkbeschlagenen Fronten wie große
starke Vögel mit blitzenden und weißen Brüsten an den Bergrücken hocken und
auch das Düstere des Lac des Corbeaux ein versöhnlicher Himmel, leicht
gemischt aus Messing, Silbergrün und grauglänzendem Lila, lächelnd
übersteigt.

Weil es noch früh ist am Tage und spät im Jahr, sieht man nicht viele
Menschen in diesem Bade Gérardmer. Nur das noch dampfende Weiß
straßenlanger Leinen, die gerade gewebt wurden, bleicht auf allen Wiesen um
die Stadt. Aber die Promenaden laufen vornehm um den See, zärtlich wehmütig
fallen Blätter über die Wege, die bereift sind. Eine klare Oktobersonne mit
festlichem Orange rinnt über die verschlossenen Läden der grollen und
ländlichen Hotels und über den Park mit den Villen und Chalets. Die weißen
Brote und Trauben leuchten aus den Läden, das Land ist voll Licht, in dem
schwanke Nebel erzittern. Zwischen den Bäumen erkennt man nur leicht
verschwommen einen Zug Infanteristen, deren Hosen rot brennen und die im
Stechschritt den Platz umqueren. Vor der Mole liegen viele Ruderboote und
ein farbig aufgetakeltes Segelschiff wiegt sich gelassen auf den blitzenden
Wellen. Und indem aus dem Rauch des Sees plötzlich und sich lösend eine
Motorjacht stampfend herausbricht, tun die Uhren der Stadt, eine vornehm
und mit feiner Ruhe hinter der anderen zurücktretend, einen Stundenschlag.


3.

Hier hat sich ein Komplex Historie hingelagert. Dies kleine Tal war die
Kulturstätte des Oberelsaß. Unglaublich den Höhenzug dominierend, reckt
Murbach seinen Torso auf. Chor und Querschiff nur sind erhalten. Und doch
ist dieser Rest zusammengeballte romanische Stärke von ungeheuerer Kraft.
Seitlich der Vierung laufen die hohen Türme, von einem Sattel verbunden, in
die Höhe und geben der breiten Brust ein unsagbar Beschwingtes. Die Türme
sind schon gesäult und diese französischen Einflüsse, die durchbrochenen
Fenster, motivisch wiederkehrende Schachbrettfriese und die viele
Ornamentik, die die Breite mildert und doch der Fläche das Ausgespannte
nicht raubt, bewirken Eleganz in dem Athletischen der Struktur und geben
der Wucht und Würde Aufstieg, Grazie und etwas Fliegendes. Im Ganzen:
Gewalt -- wie ein maßloses, edles Tier, ein wenig verächtlich
herabschauend, steht die Kirche in dem viel zu kleinen, verlassenen Tal.
Niederdrückend und hoch spannen sich innen in Chor und Querschiff die Bogen
zu einem Gewölbe, das voll ist von Sonne, Erschauern und dem Sang einer
Biene.

Hier wurde Pirmin, von Reichenau her verschlagen, angesiedelt -- im achten
Jahrhundert -- das Kloster wuchs, ward Fürstabtei, reichsunmittelbar,
gefürchtet, berühmt. Sie dehnten ihre Herrschaft weit aus, kolonisierten,
expansierten sich, gründeten Kirchen, Filialen, besaßen über hundert Dörfer
und Städte, wurden die Zentrale der Geistigkeit. Zeitweis hatten sie sogar
Luzern. An den Gründungen der Umgebung läßt sich im Maß der Baustile ihre
Geschichte verfolgen. Zuerst Lautenbach, dem sie eine romanische Kirche
bauten, auch stiernackig, vollflankig und auch wieder gemildert und
versöhnt durch anmutige Säulenbogen. Drinnen im Chor sind noch
hellblitzende alte Fenster, das Gestühl ist mit expressionistischen,
lüstern verrenkten Tierbildagraffen geziert, eine wundervoll geschnitzte
Barockkanzel hängt im Schiff. Die alten Säulen sind barock verstuckt und
das Ganze ist noch nicht jener verhängnisvollen »stilechten« Renovierung
verfallen, die mancherorts im Elsaß so sehr beliebt ist. Denn auch der
Sandstein hat eine von den Jahrhunderten gezeitigte Seele und diese liegt
als Stimmungsgehalt mehr und vielmals tiefer gesenkt in den Umarbeitungen
der Barockzeit als in der hellgestrichenen, korrekt ursprünglich
hergerichteten Formalität, die dem Auge nicht wohl tut, dem Gefühl aber
lästig ist.

Dann gründeten die Murbacher St. Leodegar in Gebweiler, zu zwei
Fassadentürmen einen starken Vierungsturm, mit allen Zeichen des Übergangs
ins Gotische.

Und als viel später die Abtei aufgehoben und in ein weltliches Ritterstift
gewandelt ward, zogen die Murbacher nach Gebweiler und bauten die
klassizistische jüngere St. Leodegar, ganz im Typ der schweren Zentrale,
aber im Signum einer ganz anderen Zeit. Der Altar trägt die Bundeslade, ein
Sarkophag öffnet sich, aus dem (volles Rokoko) Wolken steigen, die Engel
höher tragen bis ganz oben zu dem weiten, von gelbem Licht durchstrahlten
Auge Gottes.

Und da neben diesen beiden das kleine Gebweiler noch eine große Kirche der
Dominikaner hat, erschrak es ob dieses allzureichen Segens und verwandelte
ihr Schiff zur Markthalle und den Chor zum Konzertsaal. Den Knaben der
Stadt aber hing es viele Schilde auf, die ihnen unter großen Pönitenzen
verboten, mit Steinen nach diesem Gebäude zu werfen.

Am alten Rathaus hängt neben dem Zeichen der Stadt, einer rot- und blauen
Zipfelmütze, das Wappen: Der springende Hund von Murbach wie ein Protest
gegen dies fabrikenstampfende Tal.


4.

Langsam gleitet die Sonne aus dem Tal in einem Streif, der die Höhen
hinaufeilt, die Luft bekommt etwas Stehengebliebenes voll von tiefer Farbe
und plastischer Ruhe. Keine Vögel singen mehr und wie der Abend die Dörfer
zudeckt, geht selbst kein Wind. Wenige Leute, die die Straße queren, machen
schlurfendes Geräusch. Nur die schweren Kirchen widerstehen mit ihrem
wuchtigen Kontur der Dämmerung. Dann brechen die Lichter aus den Fenstern,
hart hämmern die Glocken über die Dächer und die kleinen Städte, fern
Industrie, Eisenbahn und Kultur, sind tot. Mit stillen, aus Jahrzehnten
heraufgewachsenen Gesten, beginnt dann das Leben in den Häusern, die voll
Heimlichkeit sind und Gebälk.

Madame tritt in die Tür, hebt den geschwungenen Hafen anmutig und lächelnd
bis schräg vor das Gesicht und meldet das Essen. Sie trägt die dampfende
Suppe über die Diele hinüber in das andere Zimmer mit den großblumigen,
seltsam abgedämpften und verbrauchten Tapeten und den dreieckten verblaßten
Rideaux. Vom Ofen geht Wärme langsam durch das Zimmer, das Ofenrohr mit den
spiralischen Windungen knistert, in der Ecke unter dem großen ovalen
Spiegel steht ein Klavier, auf dem alte Notenbücher liegen, die merkwürdige
Stiche haben und in denen Stücke stehen von Rameau. Das Weiß der Decke,
Silber, die großen blutroten Räder Schinken, glitzgelber Wein in schlanken
Karaffen atmen Schönheit und Feierlichkeit. Die Gläserkanten funkeln, der
trübe Spiegel beschlägt sich mit Wärme, auf dem Ofen beginnt ein Spielzeug
zu gehen und im Gestühl und dem Parterre hebt ein Knacken an. Die Scheiben
der Fenster sind angelaufen, Madame bringt neuen Wein.

Über dem Tal liegt der Sternhimmel und wenige Laternen verbreiten ein
seltsames Spiel von Schatten und geheimnisvollem Licht. Von den Kreuzungen
fallen rotgelbe Streifen in das schräge und auf- oder absteigende Gekrümm
einer Straße, und wie sie im Weiterscheinen nur noch hellere Vertiefungen
des Dunkels sind, lösen sich alle Dinge zu neuen abenteuerlichen Formen in
ihnen auf. Diese gespenstischen Toreinfahrten wirken mit riesigen
Dimensionen, Treppen, die im Schatten liegen, reißen sich maßlos plötzlich
in die Höhe. Große Fronten von Ökonomien mit mittelalterlichem Gedunkel und
kopfgroßen Fenstern voll gelben Lichts ganz oben, türmen sich seitlings
auf, wo die andere Breite der Straße tief und düster in Gärten und Höfe
fällt. Hinter dem vorspringenden Dach eines Stalles verschwindet die
schnelle Silhouette eines Liebespaares, kreuzweis die Arme verschnürt.

Später, nach dem elften Stundenschlag läuft der Mond über die Stadt. All
diese kleinen Vogesenstädte haben eine place du tilleul oder wie sie immer
heißt, von alten starken, selbstbewußten Häusern quer umringt, mit einem
alten Baum, einem Brunnen, der immer rauschend in lange Tröge fällt, an
denen das Eisenwerk schön ist und die Form alt. Drüber kriecht der Mond, in
großen Linien ziehen über die Dächer die straffen Gurten der Höhenzüge, die
blau und silbern sind. Scheu weichen die Laternen zurück. Aus der Schmiede
klopft noch als einziger Laut in der Nacht ein Hammer und blinkt Rotlicht.
Dann spielt der Mond die ganze Nacht mit Geschnitz, Gebälk, Giebeln und
Gestühl.

Ein paar Rufe, kurzes Geklirr, das ist die Sensation, die der Morgen
aufjagt. Es dauert lang bis die Sonne ins Tal kommt, aber sie macht früh
hell und die Schornsteine verströmen weiß und tonlos hellen Rauch in die
Rosastriche am Himmel. Die Glocken hämmern die Viertelstunden herunter und
die Stille wächst. Kaffee qualmt in dem Zimmer, voll von schwerem Holzwerk
und kleinen Fenstern. Zwei Männer treten ein, langsam grüßen sie, Worte
fallen von ihrem Mund, als wäre es Mühe, sie trinken einen Likör, stehn
schwerfällig, indem ihre Blusen sich blähen, auf, grüßen und gehen. Dann
schlägt es acht.

Und nun beginnt die einzige Seltsamkeit. Denn das ist die Zeit der Schule,
und da diese schweren und schönen Kinder nur in der letzten
zusammengerafften Minute diesen Gang tun und am Ende, oben, des Städtchens
eines laufend beginnt und unterwegs alles aus aufgerissenen Toren sich
anschließt, unbewegt, springend und stumm, so braust das harte Melos der
Holzschuhe durch die eingeschlafene Stille als wie ein vielstimmiger
Choral.


5.

Dies ist die Gegend starkgeschichteter Berge und des Herbstes.

Viele Marienfäden verspinnen sich in die Matten, und diese laufen die
Abhänge hinunter und wechseln hinüber in die steile Schönheit steinerner
Wege. Dies sind ganz die Vogesen: braunrote Flächen ausgespannt in die
Sonne und Abhänge voll von Geröll und dem wunderbaren Spielwerk der Linien,
beherrschter Kraft, Sehne, Muskel und schwerer Herbigkeit. Überall stehen
Heidelbeeren, blau und solche, die noch rot sind wie Johannistrauben.
Anemonen und graue Skabiosen stehen in der Waldung. Hasenlattig und
Tausendguldenkraut, schwedischer Klee, Moschusmalve und Bitterich betupfen
das Gebirg. Brombeeren strecken sich an sonnigen Plätzen, und ihre Früchte
erreichen ungeahnte Süße, und Tollkirschen mischen sich in sie mit ihren
tiefschwarzen Fruchtknospen, glänzender als japanischer Lack. Zerzaust mit
Ziegenbärten von Moos wagt sich Buchenwerk noch ein Stück höher. Dann aber
ist alles Matte und Gestein, das sich breit in die Sonne legt und herrlich
stark ist und einsamer als je, weil die Fermen schon seit Michael
geschlossen sind und der Gesang der Kuhglocken in die Täler glitt.

Nur wenige erlauchte Gipfel geben in einer überschwenglichen
Ausgestreutheit das Bunte, Viele und die Augen Verführende in geballten und
durch die Distanz heroischen Zusammenhängen. Ein Konzert von Schlünden und
Aufstiegen umkreist den Horizont. Die Last der Gipfel spreitet sich
ausgebuchtet oder in konvexer Wölbung in die Kessel. Abhänge sausen zur
Ebene. Steinige, zerhackte Klippen hemmen den Fall der Kämme und reißen sie
plötzlich hinab. Und aus der strengen Herrlichkeit des Steingerölls und der
Echo, den waldlos nackten, muskulösen Bergrücken, den Kesseln und dem
unendlichen Gekreuz gestraffter, sich schneidender und überschlagender
Linien baut sich der Wahnsinn und die Wucht eines Panoramas von
niederschlagender Gewalt.

Dann aber ist alles voll Herbst.

Braunroten Schaum schlagen die Wellen der Wälder nach den Gipfeln, denen
die dunklen Fichten sich entgegenstemmen und wie zerstäubter Ocker ist der
Abend über ihnen. Hügel und Berge, Täler und Furchen hinan ist alles
aufgeflammt und fällt glühend zurück in die Rinnen und Weiher, in denen
Forellen auffunkeln und färben sie voll mit reifem Karmoisin und Inkarnat.
Wie Bäche rinnen die kleinen Dörfer in die großen Täler, an denen die
Rebenterrassen aufsteigen, und wie eine entrollte Fahne breitet sich der
Herbst, gesammelt aus tausend kleinen Wimpeln, aus durch das Sankt
Gregoriental, das trieft von dem blendenden Weiß des Käses, der Butter und
des Brotes, und prescht mit Brausen über die hohen Kathedralen hinein wie
ein Meer in das silbrige Gefäß des Ried.

_Kasimir Edschmid._



Anmerkung zur Transkription


Quelle: Die weißen Blätter, Verlag der weißen Bücher, Leipzig, 1914,
pp. 468-475.





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