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Title: Die Schlacht bei Sempach Author: Walser, Robert, 1878-1956 Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Schlacht bei Sempach" *** Die Schlacht bei Sempach Erzählung von Robert Walser (1878-1956) Berlin. Verlag der Zukunft. 1908. Eines Tages, mitten im heißen Sommer, zog sich auf der staubbedeckten Landstraße ein Heereszug in die Luzerner Gegend langsam dahin. Die helle, eigentlich mehr als helle Sonne blendete auf die tanzenden Rüstungen herab, auf Rüstungen, die Menschenkörper bedeckten, auf tanzende Rosse, auf Helme und Stücke Gesichter, auf Pferdeköpfe und Schweife, auf Zierathen und Büsche und Steigbügel, die groß waren wie Schneeschuhe. Rechts und links von dem glänzenden Heereszug breiteten sich Wiesen mit Tausenden von Obstbäumen aus, bis an Hügel heran, die aus der blauduftenden, halb verschwommenen Ferne wie leise und behutsam gemalte Dekorationen winkten und wirkten. Es war eine vormittäglich drückende Hitze, eine Wiesenhitze, eine Gras-, Heu- und Staubhitze, denn Staub wurde aufgeworfen, wie dicke Wolken, die manchmal Stücke und Theile vom Heer einhüllen wollten. Schleppend, stampfend und nachlässig ging die schwere Kavalkade vorwärts; sie glich oft einer schillernden, langen Schlange, oft einer Eidechse ungeheuren Umfanges, oft einem großen Stück Tuch, reich von Figuren und farbigen Formen durchwoben und feierlich nachgezogen, wie Damen, meinetwegen ältliche und herrische, gewöhnt sind, Schleppen nachzuziehen. In der ganzen Art und Weise dieses Heergewoges, im Stampfen und Klirren, in diesem schnöden, schönen Gerassel lag ein einziges "Meinetwegen" enthalten, etwas Freches, sehr Zuversichtliches, etwas Umwerfendes, träg bei Seite Schiebendes. Alle diese Ritter unterhielten sich, so gut es durch die stählernen Mäuler gehen wollte, in fröhlichem Wortgefecht mit einander; Lachen ertönte und dieser Laut paßte vorzüglich zu dem hellen Ton, den die Waffen und Ketten und goldenen Gehänge verursachten. Die Morgensonne schien manches Blech und feinere Metall noch zu liebkosen, die Pfeifentöne flogen zu der Sonne herauf; ab und zu reichte einer der vielen zu Fuß daherstelzenden Diener seinem reitenden Herrn einen delikaten Bissen, an eine silberne Gabel gesteckt, zum schwankenden Sattel hinauf. Wein wurde flüchtig getrunken, Geflügel verzehrt und nicht Eßbares ausgespuckt, mit einer leichten, sorglosen Gemüthlichkeit, denn es ging ja in keinen ernsthaften, ritterlichen Krieg, es ging zu Abstrafung, Nothzucht, zu blutigen, höhnischen, schauspielerischen Dingen, so dachte Jeder; und Jeder erblickte schon die Masse von abgeschlagenen Köpfen, die die Wiese blutig färben sollten. Unter den Kriegsherren befand sich mancher wundervolle junge adelige Mensch in herrlicher Bekleidung, zu Pferd sitzend wie ein vom blauen, ungewissen Himmel niedergeflogener männlicher Engel. Mancher hatte den Helm, um es sich bequem gemacht zu haben und einem Trotzbuben zum Tragen herabgereicht und zeigte so der freien Luft ein sonderbar von Unschuld und Uebermuth schöngezeichnetes Gesicht. Man erzählte die neusten Witze und besprach die jüngsten Geschichten von galanten Frauen. Wer ernst blieb, wurde zum Besten gehalten; eine nachdenkliche Miene schien man heute unanständig und unritterlich zu finden. Die Haare der Jünglinge, die ihren Helm abgenommen hatten, glänzten und dufteten von Salben und Oel und wohlriechendem Wasser, das sie sich aufgeschüttet hatten, als habe es gegolten, zu einer koketten Dame zu reiten, um ihr reizende Lieder vorzusingen. Die Hände, von denen die eisernen Handschuhe abgestreift worden, sahen nicht kriegerisch, vielmehr gepflegt und verhätschelt aus, schmal und weiß wie Hände von jungen Mädchen. Einer allein in dem tollen Zug war ernst. Schon sein Aeußeres, eine tiefschwarze, von zartem Gold durchbrochene Rüstung, zeigte an, wie der Mensch, den sie deckte, dachte. Es war der edle Herzog Leopold von Oesterreich. Dieser Mann sprach kein Wort; er schien ganz in sorgenvolle Gedanken versunken. Sein Gesicht sah aus wie das eines Menschen, der von einer frechen Fliege um das Auge herum belästigt wird. Diese Fliege wird wohl seine böse Ahnung gewesen sein, denn um seinen Mund spielte ein fortwährendes verächtlich-trauriges Lächeln; das Haupt hielt er gesenkt. Die ganze Erde, so heiter sie auch aussah, schien ihm zornig zu rollen und zu donnern. Oder war es nur der trampelnde Donner der Pferdehufe, da man jetzt eine hölzerne Reußbrücke passirte? Immerhin: etwas Unheil Verkündendes wob schauerlich um des Herzogs Gestalt. * * * In der Nähe des Städtchens Sempach machte das Heer halt; es war jetzt so um zwei Uhr nachmittags. Vielleicht war es auch drei Uhr; es war den Rittern so gleichgültig, wie viel Uhr es sein mochte; ihretwegen hätte es zwanzig Uhr sein dürfen: sie würden es auch in der Ordnung gefunden haben. Man langweilte sich schon schrecklich und fand jede leise Spur von kriegerischer Maßregel lächerlich. Es war ein stumpfsinninger Moment, es glich einem Scheinmanöver, wie man jetzt aus den Sätteln sprang, um Stellung zu nehmen. Das Lachen wollte nicht mehr tönen, man hatte schon so viel gelacht, eine Ermattung, ein Gähnen stellte sich ein. Selbst die Rosse schienen zu begreifen, daß man jetzt nur noch gähnen könne. Das dienende Fußvolk machte sich hinter die Reste der Speisen und Weine, soff und fraß, was es noch zu fressen und zu saufen gab. Wie lächerlich dieser ganze Feldzug Allen erschien! Dieses Lumpenstädtchen, das noch trotzte: wie dumm Das war! Da ertönte plötzlich in die furchtbare Hitze und Langeweile hinein der Ruf eines Hornes. Eine eigenthümliche Erkündigung, die ein paar aufmerksamere Ohren horchen ließ: Was kann da nun sein? Horch: schon wieder. Da tönte es schon wieder, wirklich, und man hätte allgemein glauben sollen, diesmal ertöne es in weniger weiter Entfernung. "Alle guten Dinge sind drei", lispelte ein geckiger Witzbold; "töne doch noch einmal, Horn!" Eine Weile verging. Man war etwas nachdenklich geworden; und nun, mit einem Mal, fürchterlich, als hätte das Ding Flügel bekommen und reite auf feurigen Ungeheuern daher, flammend und schreiend, setzte es noch einmal an, ein langer Schrei: Wir kommen! Es war in der That, als bekomme da plötzlich eine Unterwelt Luft, durch die harte Erde durchzubrechen. Der Ton glich einem sich öffnenden dunklen Abgrund und es wollte scheinen, als ob jetzt die Sonne aus einem finsteren Himmel herableuchte, noch glühender, noch greller, aber wie aus einer Hölle, nicht wie aus einem Himmel herab. Man lachte auch jetzt noch; es gibt ja Momente, wo der Mensch glaubt, lächeln zu sollen, während er sich vom Entsetzen angepackt fühlt. Die Stimmung eines Heereszuges von vielen Menschen ist schließlich ja nicht viel anders als die Stimmung eines einzelnen, einsamen Menschen. Die ganze Landschaft in ihrer brütend weißlichen Hitze schien jetzt nur noch immer Tut zu machen, sie war zum Hörnerton geworden; und nun warf sich denn auch alsobald zu dem Ton-Raum, wie aus einer Oeffnung, der Haufe von Menschen heraus, denen der Ruf vorangegangen war. Jetzt hatte die Landschaft keine Kontur mehr; Himmel und sommerliche Erde verschwammen in ein Festes; aus der Jahreszeit, die verschwand, war ein Fleck, ein Fechtboden, ein kriegerischer Spielraum, ein Schlachtfeld geworden. In einer Schlacht geht die Natur immer unter, der Würfel herrscht nur noch, das Gewebe der Waffen, der Haufe Volkes und der andere Haufe Volkes. Der vorwärtseilende, allem Anschein nach hitzige Volkshaufe kam näher heran. Und der ritterliche Haufe war fest, er schien auf einmal ineinander gewachsen zu sein. Kerle von Eisen hielten ihre Lanzen vor, daß man auf der Lanzenbrücke hätte per Break spazirenfahren können, so dicht waren die Ritter eingeklemmt und so stumpfsinnig stach Lanze an Lanze nach vorn, unbeweglich, unverrückbar, gerade Etwas, sollte man gemeint haben, für so eine drängende, stürmende Menschenbrust, die sich daran festspießen könnte. Hier eine stupide Wand von Spitzen, dort Menschen, mit Hemden zur Hälfte bedeckt. Hier Kriegskunst, von der bornirtesten Sorte, dort Menschen von ohnmächtigem Zorn ergriffen. Da stürmte nun immer Einer und dann der Andere, verwegen, um nur dieser ekelhaften Unlust ein Ende zu machen, in eine der Lanzenspitzen, toll, verrückt, vom Zorn und von der Wuth hingeworfen. Natürlich auf die Erde, ohne nur den behelmten und befiederten Lümmel aus Eisen noch mit der Handwaffe getroffen zu haben, erbärmlich aus der Brust blutend, sich überschlagend, das Gesicht in den staubigen Rossedreck, den hier die adeligen Rosse hinterlassen hatten. So gings all diesen beinahe unbekleideten Menschen, während die Lanzen, schon von dem Blut geröthet, höhnisch zu lächeln schienen. * * * Nein: Das war nichts; man sah sich auf der Seite der Menschen genöthigt, einen Trick anzuwenden. Der Kunst gegenübergestellt, wurde Kunst nöthig oder irgendein hoher Gedanke; und dieser höhere Gedanke, in Gestalt eines Mannes von hoher Figur, trat auch allsogleich vor, merkwürdig, wie von einer überirdischen Macht vorgeschoben, und sprach zu seinen Landsleuten: "Sorget Ihr für mein Weib und für meine Kinder, ich will Euch eine Gasse bohren"; und warf sich blitzschnell, um nur ja nicht an seiner Lust, sich zu opfern, zu erlahmen, in vier, fünf Lanzen, riß auch noch mehrere, so viele, wie er sterbend packen konnte, nach unten, zu seiner Brust, als könne er gar nicht genug eiserne Spitzen umarmen und an sich drücken, um nur ja so recht aus dem Vollen untergehen zu können, und lag am Boden und war Brücke geworden für Menschen, die auf seinen Leib traten, auf den hohen Gedanken, der eben getreten sein wollte. Nichts wird je wieder einem solchen Schmettern gleichen, wie nun die leichten, von der Wuth gestoßenen und gehobenen Berges- und Thalmenschen hineinschmetterten, in die tolpatschige verruchte Wand hinein, und sie zerrissen und zerklopften, Tigern ähnlich, die eine wehrlose Heerde von Kühen zerreißen. Die Ritter waren jetzt fast ganz wehrlos geworden, da sie sich, in ihre Enge gekeilt, kaum nach eine Seite bewegen konnten. Was auf Pferden saß, wurde wie Papier hinuntergeworfen, daß es krachte, wie mit Luft gefüllte Tüten krachen, wenn man sie zwischen zwei Händen zusammenschägt. Die Waffen der Hirten erwiesen sich jetzt als furchtbar und ihre leichte Bekleidung als gerade recht; um so lästiger waren die Rüstungen für die Ritter. Köpfe wurden von Hieben gestreift, scheinbar nur gestreift und erwiesen sich schon als eingeschlagen. Es wurde immer geschlagen, Pferde wurden umgeworfen, die Wuth und die Kraft nahmen immer zu, der Herzog wurde getötet; es wäre ein Wunder gewesen, wenn er nicht getötet worden wäre. Diejenigen, die schlugen, schrien dazu, als gehöre es sich so, als wäre das Töten eine noch zu geringfügige Vernichtung, etwas nur Halbes. Hitze, Dampf, Blutgeruch, Dreck und Staub und das Geschrei und Gebrüll vermischten sich zu einem wilden, höllischen Getümmel. Sterbende empfanden kaum noch ihr Sterben, so rapid starben sie. Sie erstickten vielfach in ihren prahlerischen Eisenrüstungen, diese adeligen Dreschflegel. Was galt nun noch eine Stellungnahme? Jeder würde gern darauf gepfiffen haben, wenn er überhaupt noch hätte pfeifen können. An die hundert schönen Edelleute ertranken, nein: ersoffen im nahegelegenen Sempachersee; sie ersoffen, denn sie wurden wie Katzen und Hunde ins Wasser gestürzt, sie überpurzelten und überschlugen sich in ihren eleganten Schnabelschuhen, daß es eine wahre Schande war. Der herrlichste Eisenpanzer konnte nur noch Vernichtung versprechen und die Verwirklichung dieser Ahnung war eine fürchterlich korrekte. Was war es nun, daß man daheim, irgendwo im Aargau oder in Schwaben, Schloß, Land und Leute besaß, eine schöne Frau, Knechte, Mägde, Obstland, Feld und Wald und Abgaben und die feinsten Privilegien? Das machte das Sterben in diesen Pfützen, zwischen dem straffgezogenen Knie eines tollen Hirten und einem Stück Boden, nur noch bitterer und elender. Natürlich zerstampften die Prachtrosse in wilder Flucht ihre eigenen Gebieter; viele Herren auch blieben, indem sie jählings absteigen wollten, in den Steigbügeln mit ihren dummen Modeschuhen hängen, so daß sie mit den blutenden Hinterköpfen die Wiesen küßten, während die erschreckten Augen, bevor sie erloschen, den Himmel über sich wie eine ergrimmte Flamme brennen sahen. Freilich brachen auch Hirten zusammen, aber auf einen Nacktbrüstigen und Nacktarmigen kamen immer zehn Stahlbedeckte und Eingemummelte. Die Schlacht bei Sempach lehrt eigentlich, wie furchtbar dumm es ist, sich einzumummeln. Hätten sie sich bewegen können, diese Hampelmänner: gut, sie würden sich eben bewegt haben; einige thaten es, da sie endlich sich vom Allerunerträglichsten, was sie über dem Leib hatten, befreit hatten. "Ich kämpfe mit Sklaven, o Schande!" rief ein schöner Junge mit gelblich vom Haupt niederquellenden Locken und sank, von einem grausamen Hieb ins liebe Gesicht getroffen, zu Boden, wo er, zu Tode verwundet, ins Gras biß mit dem halb zerschmetterten Munde. Ein paar Hirten, die ihre Mordwaffen aus den Händen verloren hatten, fielen wie Ringer auf dem Ringplatz die Gegner von unten herauf mit Nacken und Kopf an oder warfen sich, den Streichen ausweichend, auf den Hals der Ritter und würgten, bis abgewürgt war. * * * Inzwischen war Abend geworden, in den Bäumen und Büschen glühte das erlöschende Licht, während die Sonne zwischen den dunklen Vorbergen wie ein toter, schöner, trauriger Mann untersank. Die grimmige Schlacht hatte ein Ende. Die schneeweißen, blassen Alpen hingen im Hintergrund der Welt ihre schönen, kalten Stirnen hinunter. Man sammelte jetzt die Toten, man ging zu diesem Zweck still umher, hob auf, was an gefallenen Menschen am Boden lag, und trug es in den Massengrab, das Andere gegraben hatten. Fahnen und Rüstungen wurden zusammengethan, bis es ein stattlicher Haufe wurde. Geld und Kostbarkeiten, Alles gab man an einen bestimmten Ort ab. Die meisten dieser einfachen, starken Männer waren still und gut geworden; sie betrachteten den erbeuteten Schmuck nicht ohne wehmuthvolle Verachtung, gingen auf den Wiesen umher, sahen den Erschlagenen in die Gesichter und wuschen Blut ab, wo es sie reizte, zu sehen, wie etwa noch die besuldelten Gesichtszüge aussehen mochten. Zwei Jünglinge fand man zu Füßen eines Buschwerkes mit Gesichtern, so jung und hell, mit im Tode noch lächelnden Lippen, umarmt am Boden. Dem einen war die Brust eingeschlagen, dem anderen der Leib durchgehauen worden. Bis in die späte Nacht hatten sie zu thun; mit Fackeln wurde dann gesucht. Den Arnold von Winkelried fanden sie und erschauerten beim Anblick dieser Leiche. Als die Männer ihn begruben, sangen sie mit dunkeln Stimmen eins ihrer schlichten Lieder; mehr Gepränge gab es da nicht. Priester waren nicht da; was hätte man mit Priestern thun sollen? Beten und dem Herrgott danken für den erfochtenen Sieg: Das durfte ruhig ohne kirchliches Gefackel geschehen. Dann zogen sie heim. Und nach ein paar Tagen waren sie wieder in ihre hohen Thäler zerstreut, arbeiteten, dienten, wirthschafteten, sahen nach den Geschäften, versahen das Nöthige und sprachen noch manchmal ein Wort von der erlebten Schlacht; nicht viel. Sie sind nicht gefeiert worden (ja, vielleicht ein Bischen, in Luzern beim Einzug): gleichviel, die Tage gingen darüber weg, denn barsch und rauh werden die Tage mit ihren mannigfachen Sorgen schon damals, anno 1386, gewesen sein. Eine große That tilgt die mühselige Folge der Tage nicht aus. Das Leben steht an einem Schlachtentag noch lange nicht still; die Geschichte nur macht eine kleine Pause, bis auch sie, vom herrischen Leben gedrängt, vorwärtseilen muß. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Die Schlacht bei Sempach" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.