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Title: Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band.
Author: Gerstäcker, Friedrich, 1816-1872
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band." ***


  Amerikanische Wald- und Strombilder


  Von

  Friedrich Gerstäcker.


  Dritte Auflage.

  Zweiter Band.


  Leipzig,
  Arnoldische Buchhandlung.
  1862.



  Inhalt des zweiten Bandes.


                                              Seite
  Ein Versuch zur Ansiedlung, oder, wie's
    dem Herrn von Sechingen im Urwald gefiel    219
  Cincinnati                                    292
  Der wunderbare Traum                          327
  Eine Pantherjagd                              369
  Wandernde Krämer                              380
  Der amerikanische Urwald                      405
  Die Bärenjagd am Bayou Meter in Arkansas      430



Ein Versuch zur Ansiedlung,

oder

wie's dem Herrn von Sechingen im Urwald gefiel.


Amerika -- Urwald -- Indianer -- Tomahawk -- Scalpiren --
Schlingpflanzen -- Panther -- »Oh, wer doch einmal im Urwald sein und
das Alles so recht in der Nähe mit ansehen könnte« -- ruft der entzückte
Leser, während vor seinem inneren Auge eine wunderliebliche =Camera
obscura= ihm all die obenerwähnten Sachen klein und zierlich, aber mit
dem vollen Zauber reicher Phantasie übergossen, vorspiegelt.

»Da muß ich hin!« hatte auch »_von Sechingen_,« ein junger unabhängiger
deutscher Edelmann gesagt, als er Coopers »Ansiedler« auf's Sopha warf,
emporsprang, die an der Wand hängende Büchse ergriff und auf einen, im
Geist heraufbeschworenen Panther schnell und sicher anlegte.

Er nahm sich kaum Zeit, das Buch auszulesen; noch in demselben Monat
ordnete er seine Geschäfte, und acht Wochen später trug ihn die wogende,
blaue See hinüber zu dem Lande seiner Hoffnungen und Träume. Dort, im
stillen Wald -- im rauschenden Schwanken der Urbäume, wollte er
sich seine Hütte bauen, den Bär und Panther jagen und mit den rothen
Eingeborenen verkehren; dort von allen Sorgen und Ärgernissen des alten
Vaterlandes entfernt, hoffte er die Ruhe zu finden, nach der er sich
gesehnt, und die Oberlippe warf er stolz und verächtlich empor, als
er jetzt an all das Complimenten- und Etikettenwesen der alten Welt
zurückdachte, was Gott sei Dank nun hinter ihm lag.

Die Reise war höchst glücklich -- nach schneller Fahrt erreichte er
New-Orleans, hielt sich aber hier kaum lange genug auf, die Stadt
flüchtig anzusehen, sondern nahm, als am nächsten Morgen ein für den
Arkansas bestimmtes Dampfboot stromauf lief, auf diesem Passage, und
erreichte neun Tage später Little Rock, die Hauptstadt des Staates.

Hier nun strömten, wie das stets bei ankommenden Booten der Fall
ist, eine Masse von Menschen an Bord, um vielleicht hie und da einen
Bekannten zu treffen oder Zeitungen und Briefe in Empfang zu nehmen, und
_von Sechingen_, dem das Treiben noch ganz neu und ungewohnt war, konnte
nicht umhin, einen kleinen freundlichen Mann zu bemerken, der, etwa
ein Achtunddreißiger, einen grauen, verschossenen Überrock mit
Messingknöpfen, ein paar dunkelfarbige Sommerbeinkleider, grobe Schuh,
ein hellblaues Halstuch und einen ziemlich mitgenommenen schwarzen
Seidenhut trug.

Der kleine Mann trat nämlich mit einer unbeschreiblichen,
wohlbehaglichen Sicherheit auf, schien dabei Jeden auf dem Boot zu
kennen, und war auch wirklich von Allen gekannt, denn des Zunickens und
Handdrückens wurde gar kein Ende und »wie gehts Charley -- noch immer
munter, Charley? -- =bless me= Charley, wie dick Ihr geworden seid!«
tönte fast von jeder Lippe. -- Es war Charles Fischer, dessen Name bei
allen dort gewesenen oder reisenden Deutschen fast unzertrennlich von
dem Namen der Stadt selbst geworden, denn schon seit langen Jahren
wohnhaft in der Stadt, die er, wie er gern erzählte, »noch als ein Dorf
gekannt,« hatte er durch Fleiß und Sparsamkeit (er war ein Tischler)
und besonders durch Glück, bei allen seinen Unternehmungen eine hübsche
Summe gespart, später ein paar kleine Häuser gebaut, dann eine Art
Wirthshaus und Schenkstand angelegt und jetzt steigerte sich mehr und
mehr sein Verdienst, da er Alles, was er brauchte, von New-Orleans oder
Cincinnati -- wo Provisionen wie Getränke sehr billig sind -- bezog, und
dieses dann in Little Rock zu einem enormen Preis wieder verkaufte. Dazu
als eine gute, harmlose Seele beliebt, und schon so lange an jenem Ort
wohnend, daß ihn Hin- und Herreisende immer wieder auf derselben Stelle,
der Erste an Bord jedes anlangenden Bootes, und eine halbe Stunde später
hinter seinem Schenktisch fanden, wurde Charles Fischer gewissermaßen
die Hausnummer, die man auf alle nach Little Rock oder auch ganz
Arkansas addressirten Briefe setzte, wenn man nicht den Ort, wohin Brief
oder Passagier bestimmt war, ganz genau angeben konnte.

Charles Fischer war also, und ist selbst jetzt noch, das Policeibüreau
für sämmtliche nach Little Rock kommende Deutsche, auf dem sie sich nach
jedem Interessanten erkundigen können, das aber dafür auch Alles, was
den Fragenden angeht, wissen will. Selbst übrigens selten oder nie,
seit er in Amerika ist, aus Little Rock herausgekommen, wechselt er auch
seine Ansichten nicht besonders, und wenn Jemand von ihm wissen will, wo
in Arkansas gutes Land liegt, so schickt er ihn seit funfzehn Jahren an
den =Fourche la fave=; wünscht man von ihm zu erfahren, wie die »Zeiten«
sind, so schimpft er und holt ein Paketchen kleiner Banknoten, die er
mit einem starken Bindfaden in einem Westenknopfloch befestigt hat, aus
der Tasche und sagt »man müsse in Little Rock das Geld anbinden, sonst
liefe es fort;« erkundigt man sich nach seiner politischen Meinung,
so ist er Demokrat mit Leib und Seele -- er ließe sich, behauptet er,
lieber todtschlagen, ehe er zu den Whigs überginge, läßt sich aber nie
auf nähere Erörterungen ein, da ihm der Unterschied zwischen Whigs und
Demokraten noch selbst in vielen Stücken sehr dunkel ist; fragt man ihn
aber, was seine Frau macht, so stößt er Einem den Zeigefinger in die
Rippen, blinzt das linke Auge zu, was verschmitzt aussehen soll, und
lacht.

Außer Little Rock existirt weiter keine Welt für ihn, er verschmäht
jede Einladung, einmal auf das Land zu seinen Freunden zu kommen, und
behauptet bei solchen Gelegenheiten stets, sich mit innigem Behagen die
Hände reibend, »es gäbe doch nur _ein_ Little Rock,« und darin hat er
vollkommen recht, denn es wäre fürchterlich, wenn auf der Welt noch
solch ein zweiter Platz existirte.

Eben hatte _Charley_, wie er von Allen freundschaftlich genannt wurde,
mehre Briefe vom Buchhalter in Empfang genommen, die zwar an ihn
adressirt, keineswegs aber für ihn bestimmt waren und wollte das Boot
wieder verlassen, als von Sechingen, der jetzt genug von ihm gesehn und
auch den Namen so oft gehört hatte, um ziemlich sicher zu sein, wer vor
ihm stehe, auf ihn zutrat, und freundlich grüßend fragte, ob er »das
Vergnügen habe, mit Herrn Carl Fischer zu sprechen?«

»Charley -- =of course= -- gewiß --« sagte der Kleine, »eben von
Deutschland gekommen, eh? haben Sie dort auch letztes Jahr so nasses
Wetter gehabt, wie wir hier? aber apropos, was ich Sie fragen wollte,
wie weit sind Sie denn bei Stuttgart mit der Eisenbahn?«

»Es thut mir leid, Ihnen darüber keine genaue Auskunft geben zu können,«
lächelte der Fremde »ich komme aber mit einer Bitte um Rath zu Ihnen,
Herr Fischer, indem ich von New-Orleans aus durch einen dort zufällig
getroffenen Freund an Sie gewiesen bin, mir die beste Gegend für Land
hier in Arkansas zu nennen. Ich beabsichtige mich anzukaufen und weiß
selbst noch nicht recht, ob ich meine Nachforschungen von hier aus
beginnen, oder mit dem Boot bis Fort Gibson hinauf gehen soll.«

»Land kaufen?« sagte Charley, wie er sich selber nannte, »Land kaufen?
keine bessere Gegend in der Welt, als am =Fourche la fave= --
_Land_ nicht _todt_ zu machen -- _Weide_, unverwüstlich -- _Wild_
unmenschlich.«

»Viel Wild? so?« frug der Fremde, und wurde aufmerksamer -- »und wo
liegt dieses paradiesische Land?«

»Etwa vierzig Meilen von hier, über die Berge fort, Sie gehen jedoch am
Besten mit dem Boot bis an die Mündung des kleinen Flusses selbst,
und dann soll es noch etwa zwanzig Meilen von da bis zu der deutschen
Ansiedlung sein, Sie können nicht fehlen, immer am Fluß hinauf.«

»Was fang ich aber indessen mit meinen Sachen an? denn wenn ich eine
Fußtour unternehmen soll, muß ich _die_ auf jeden Fall zurücklassen.«

»Können Sie zu mir hinstellen,« sagte Charley, »ich habe ein kapitales
Lokal -- unten ein großes Barzimmer mit einem Schlafkabinet.«

»Barzimmer?« frug der Fremde.

»Nun ja -- Barzimmer, ach so, Sie wissen nicht was _Bar_ ist, nun
_Schenk_zimmer, das ist ja wohl deutsch -- eine Treppe hoch habe
ich einen Tanzsaal, sollen einmal den Tanzsaal sehen, wie ich den
herausgeputzt habe -- und auch ein Schlafkabinet, und oben unter dem
Dach noch zwei Schlafkammern, wo, wenn es ordentlich eingetheilt wird,
an die vierzehn Betten stehen können.«

»Aber wo wohnen Sie denn da?« sagte erstaunt der Fremde.

»Im Sommer wohn' ich im Tanzsaal und im Winter unten, neben dem
Barzimmer.«

»Und vierzehn Betten in zwei Dachkammern?«

»Ja, und wie viel meinen Sie, daß im letzten Winter, wo ich den großen
Ball hatte, dort oben in eilf Betten Menschen gelegen haben?«

»Nun vielleicht gar zwei und zwanzig Personen?« lachte der Deutsche.

»Zwei und zwanzig?« rief Charley die Nase rümpfend, »wegen denen wären
_die_ Umstände nicht nöthig gewesen -- _sieben und dreißig_.«

»Aber wie ist das möglich?«

»Möglich? in Amerika ist Alles möglich, das werden Sie auch wohl noch
erfahren, ehe Sie sechs Monate im Lande sind.«

»Dann kann ich also Alles zu Ihnen in's Haus schaffen lassen?«

»Ja wohl -- versteht sich, wollen gleich einen Mann rufen, hey -- Sam!
oh Sam! hierher!«

Der Zuruf galt einem großen, breitschultrigen Mulatten, der neben seinem
zweirädrigen Güterkarren am Ufer stand und mit der Peitsche knallte --
»hier ist ein Gentleman, der Sachen nach meinem Hause zu schaffen hat.«

»Ay, ay, Mr. Charley,« rief der Mulatte, freundlich grinsend, während
er über die Planke an Bord lief, und in wenigen Augenblicken oben neben
ihnen stand, »soll richtig besorgt werden,« fuhr er fort, indem er den
getheerten Matrosenhut neben die Peitsche auf das Verdeck legte, »aber
_Mister_ Charley, nicht wahr, Sam bekommt dann auch einen Schluck von
dem =Peach brandy=.«

»Ist der schwarze Teufel schon wieder durstig,« rief Charley erstaunt,
»hat er nicht erst vorgestern eine halbe Flasch voll ausgetrunken?«

»Aber Mister Charley --«

»Nun schon gut, schaff nur die Sachen ordentlich und schnell hinauf --
ich komme gleich mit und da wollen wir sehen.«

Drei Koffer, zwei Hutschachteln, mehrere Gewehrfutterale, ein Reisesack
und noch verschiedene andere kleine Kistchen und Kasten wurden jetzt von
dem geschäftigen Mulatten in fast unglaublich kurzer Zeit an's Ufer,
zu dem nur wenige hundert Schritt vom Wasserrande entfernten Hause Carl
Fischers befördert, und der Fremde, nachdem er das Fuhrlohn wie einen
Trunk für den Karrenführer bezahlt hatte, und Alles besorgt sah, wandte
sich hier zu seinem freundlichen Wirth und sagte:

»Wenn es Ihnen recht ist, so möchte ich jetzt ein wenig Toilette machen,
denn in diesem Aufzug kann ich doch auf keinen Fall in den Urwald
dringen. Haben Sie Bären hier in der Nähe?«

»Bären?« frug Charley verwundert, »die Leute da oben leben von weiter
Nichts als Bärenfleisch; wie die Schweine laufen sie im Walde herum,
nach den Hirschen schießen sie gar nicht mehr.«

»Die Bären?«

»Die Jäger, =of course=!«

»Nun« rief der Fremde, »dann werde ich ja auch wohl noch heute Abend zum
Schuß kommen, will also doppelte Kugeln einladen.«

Sie waren unterdessen in die Wohnung oder vielmehr das »Barzimmer«
des kleinen Charley, wie es dieser nannte, getreten, und in dem
daranstoßenden Kämmerchen verwandelte sich der junge Mann bald, was
wenigstens das Äußere betraf, aus einem Stutzer in einen Jäger,
mit grüner Pikesche, ledernen Beinkleidern, hohen Wasserstiefeln,
umgeschnalltem Hirschfänger, gewaltiger lederner Waidtasche, und
schöner Suhler Büchsflinte, dabei wohl ausgerüstet, was Schrotbeutel,
Pulverhorn, Zündhütchenaufsetzer, Messer, kurz Alles das betraf, was er
nach deutscher, richtiger Waidmannsart »fertig gerüstet« nennen konnte.

»Nun kann's losgehen!« jubelte Charley und schlug vor Freuden in die
Hände, als er den Jäger erblickte. »Da sieht man' s doch auch, daß
es ein Jäger ist; -- hier zu Lande laufen sie mit ihren langen
Schießprügeln auf der Schulter, den Kolben nach hinten, in alten
ledernen Jacken und wollenen Fracks im Wald herum und haben dünne
hirschlederne Lappen an den Füßen, durch die man jedes Sandkorn fühlt.
Ich habe selbst einmal so ein paar Dinger angehabt, bin aber beinah lahm
geworden; weiß der Böse nur, wie sie noch 'was schießen, es muß aber
wohl so viel draußen sein, daß sie's selbst nicht ändern können.«

»Gehen _Sie_ denn nie auf die Jagd?« frug der Fremde.

»Ich? nein -- bewahre --« lachte Charley, »ich müßte mich auch gut mit
einer Flinte ausnehmen; ne, da draußen im nassen Walde herumzukriechen,
den ganzen Tag ein schweres Stück Eisen auf der Schulter zu schleppen
und dann auch noch d'raus zu schießen -- ne -- das ist meine Passion
nicht. Ich habe gern Alles in der gehörigen Ordnung, Abends mein gutes
Essen und ein warmes Bett, und am Tag -- aber sie läuten schon wieder
auf dem Boot -- daß Sie's nur nicht versäumen. Was mir aber noch
einfällt, es wäre doch eine Möglichkeit, daß Sie sich verliefen, denn
im Walde sieht ein Baum wie der andere aus, und hier neben an wohnt ein
Indianer, wenn Sie dem einen Dollar und einen Schluck Whiskey geben so
geht er mit Ihnen durch's Feuer.«

»Ein Indianer?« rief der Fremde entzückt, »o rufen Sie ihn her, ich
will ihm geben was er haben will, der muß mit mir gehen, das ist zu
romantisch.«

»Wie heißen Sie denn eigentlich?« frug Charley jetzt, dem der letzte
Ausdruck wahrscheinlich auffallen mochte.

»Mein Name ist von Sechingen,« erwiederte der Fremde.

»Ach Herr von Sechingen, ist mir sehr angenehm Ihre werthe Bekanntschaft
-- aber der Teufel soll mich holen, wenn's da nicht schon zum zweiten
Male läutet -- laufen Sie auf's Boot, ich bringe den Indianer.«

»Ja -- aber er muß sich doch erst zurecht machen.«

»Ist immer zurecht gemacht,« erwiederte Charley, »nur fort, sonst
werden Sie noch zurückgelassen. Also wohl gemerkt -- an der Mündung
des =Fourche la fave= lassen Sie sich aussetzen, und wenn Sie Alles in
Richtigkeit haben, so kommen Sie nur her, und holen sich Ihre Sachen --
apropos -- grüßen Sie mir die Deutschen oben.«

Herr von Sechingen eilte jetzt auf das Boot, es dauerte jedoch gar nicht
lange, bis Charley mit dem versprochenen Indianer nachkam und ihn auch
kaum noch abliefern konnte, denn eben schellte die Glocke zum dritten
und letzten Mal, die Taue wurden eingenommen, ein flüchtiges Lebewohl
den am Ufer Bleibenden zurückgerufen, und fort schoß der Koloß, das
»schwimmende Gasthaus« gegen den Strom an, dem fernen, fernen Westen zu.

Der Deutsche versuchte indessen mit dem Indianer ein Gespräch
anzuknüpfen, fand diesen aber zu einer langen Unterhaltung keineswegs
aufgelegt, und konnte auf seine Fragen, da dieser noch dazu sehr
gebrochen englisch sprach, nur kurze, und meistens unbefriedigende
Antworten erhalten, so daß er seine Erkundigungen endlich einstellte
und bei sich dachte, im Walde würde der rothe Sohn der Wälder auch wohl
gesprächiger werden.

Dieser rothe Sohn der Wälder sah übrigens ganz anders aus, als
sich Sechingen eigentlich die Indianer, jene stolzen, kriegerischen
Häuptlinge gedacht hatte. Ein früher einmal blau gewesenes, baumwollenes
Jagdhemd hing ihm lose um die Schultern, die Beine staken in grau
wollenen Beinkleidern, die Füße in mächtigen groben Schuhen, auf dem
Kopf saß ihm, bis tief in die Augen hinein, ein alter zusammengedrückter
Strohhut, unter dem die langen, schwarzen Haare wild und unordentlich
hervorquollen, und im Gürtel, der sein Jagdhemd zusammenhielt, stak ein
kurzes, schmales Messer, während an seiner rechten Seite eine kleine
lederne Tasche, auf seiner linken Schulter eine zusammengewickelte
wollene Decke hing und eine lange, keineswegs prachtvoll aussehende
Büchse mit Feuerschloß, die Bewaffnung und Ausrüstung dieses sonderbaren
Wesens beendete.

Dem jungen Sechingen blieb jedoch kaum Zeit, dieß Alles an seinem neuen
Reisegefährten und Begleiter zu bemerken, denn fast sämmtliche, sich
auf dem Dampfboot befindenden Amerikaner drängten sich um ihn her und
begannen mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit von der Welt seine
Waffen und ganze Ausrüstung anzustaunen und zu betrachten. Einer nahm
ihm, mit einem freundlichen »=if you please=« (wenn Sie erlauben)
die Büchse aus der Hand und knackte unzählige Male die Schlösser, ein
Anderer zog, _ohne_ zu sagen »=if you please,=« den Hirschfänger aus der
Scheide und untersuchte die Schärfe desselben, ein Dritter zupfte an dem
Patentschrotbeutel, bis er die Kapsel glücklich herausbrachte und eine
ganze Ladung Schrot auf's Deck streute, kurz es fehlte nicht viel, so
hätten sie ihn wie eine Puppe aus- und wieder angezogen.

Von Sechingen ließ sich im Anfang wirklich Alles mit vieler
Gutmüthigkeit gefallen, es schien sogar seiner Eitelkeit etwas zu
schmeicheln, von Jedem so bewundert zu werden; nach und nach ward ihm
die Sache aber doch ein wenig lästig und er nahm, ohne viele Umstände,
sein verschiedenes Eigenthum wieder an sich. Die Amerikaner frugen ihn
jedoch fast bei jedem Stück, wie er es verkaufen wolle und wunderten
sich sehr, als er ihnen sagte, daß er Nichts von alle dem veräußern
würde. Einer wünschte sogar zu wissen, wie er seine Stiefeln gegen ein
paar andere, erst wenige Wochen getragene vertauschen, d. h. ob er noch
Aufgeld haben wolle, denn daß er sie, wenn ihm der Handel gut schiene,
überhaupt vertauschen würde, verstände sich, glaubten die Leute, von
selbst.

Sechingen bekam die Gesellschaft schon recht überdrüssig, als er endlich
zu seiner Freude den Ausruf des Indianers vernahm, der, mit dem Finger
vorwärts deutend, auf einen Anwuchs niederer Baumwollenholzschößlinge
hinwies.

»Ist das die Mündung des Flusses,« rief er freudig -- »nun Gott sei Dank
-- aber werden wir auch halten?«

Die Bootsglocke beantwortete seine Frage, der Ruf des Lootsen sandte die
»Deckhands« oder Matrosen nach der, hinten am Boot befestigten Schaluppe
-- der Deutsche und Indianer sprangen hinein und fanden sich, wenige
Minuten darauf, an der Spitze einer Sandbank, welche gerade überhalb
des Flusses Mündung eine kurze Strecke in den Arkansas hineinlief.
Das leichte Fahrzeug, was sie hierher gebracht, war indeß zum Boot
zurückgekehrt -- das Zeichen wurde gegeben, puffend und schnaubend
brauste der schöne Dampfer stromauf, und die beiden Männer standen
allein auf der kleinen, sandigen Landzunge.

Sechingen blickte entzückt um sich her -- Alles -- Alles mahnte ihn
daran, daß er jetzt im Begriff sei, zum ersten Mal die Amerikanische
Wildniß, den _Urwald_ zu betreten, und von wonnigen Schauern durchbebt,
wandte er sich gegen den dunklen Wald. Zu seiner Linken, am andern Ufer
des kleinen Flusses, thürmten sich schroffe, mit Kiefern und Eichen
bedeckte Hügel empor, rechts von diesen, in der Richtung, die er
einzuschlagen gedachte, lag eine dichte grüne Baum- und Laubmasse und
hinter ihm wälzte sich der gewaltige Arkansas dem »Vater der Wasser«,
dem Mississippi zu, während der schmale Sandstreifen, auf dem sie
standen, etwa eine Meile lang bis zu dem wieder steiler werdenden Ufer
hinauflief.

Noch war der Deutsche in staunender Bewunderung des Heiligthums
versunken, das er kaum zu betreten wagte, als der Indianer, dessen
christlicher »Robert« in den bequemeren »Bob« umgetauscht worden, das
Schweigen brach und dem jungen Mann mit wenigen Worten andeutete, wie er
nicht gesonnen sei, hier die ganze Nacht auf offener Sandbank halten zu
bleiben.

»Wollen gehn --« sagte er, und drehte dabei den Kopf nach allen
vier Himmelsgegenden, um Wolken, Sonne und Luft genau und prüfend zu
betrachten -- »kaum noch eine Stunde Tag, besser an einen trockenen
Platz vor Abend -- Feuer anmachen -- groß.«

»Und welchen Weg nehmen wir jetzt?« frug Sechingen.

»Weg?« sagte der Indianer verwundert, »kein _Weg_ von hier -- lauter
Wald.«

»Ha, desto besser!« rief der Deutsche, »das ist herrlich; lauter
dichter, finsterer Wald, und dann das Nachtlager, -- o das muß köstlich
werden.«

»Will der Weiße die nächste Richtung, ganz durch den Wald gehen, oder
fünf Meilen um, über die Hügel -- weit oben läuft ein gebahnter Weg!«
sagte Bob.

»Oh unbedingt den nächsten Weg durch den Wald, wie weit ist es wohl?«

»Funfzehn Meilen -- aber viel naß,« sagte der Indianer, und zeigte mit
dem Finger gerade auf den Wald.

»Ich habe große Stiefeln an,« lachte Sechingen, »und wenn _Sie_ sich
nichts daraus machen« --

»Bob kann schwimmen,« erwiederte dieser lakonisch, schritt jetzt, ohne
ein Wort weiter zu verlieren und die dünnen Baumwollenholzbäumchen
auseinander biegend, durch diese hinweg und betrat, von dem Deutschen
gefolgt, während sie die sandige, angewaschene Landzunge hinter sich
ließen, den eigentlichen dunklen Wald.

Sechingen hatte vom ersten Augenblicke an, als er festen Grund und Boden
unter den Füßen fühlte, die Doppelbüchse von der Schulter genommen und
zum großen Ärgerniß Bob's, der fortwährend nach ihm hinschielte, beide
Hähne aufgezogen, ging auch jetzt, stets im Anschlag, vorsichtig und
aufmerksam umherspähend, hinter dem Indianer her, bis dieser endlich,
trotz dem ihm angeborenen stoischen Gleichmuth, das Gefühl nicht
länger ertragen konnte, in dem dichten Gewirre von Schlingpflanzen eine
gespannte Büchse hinter sich zu haben, und von nun an neben dem jungen
Mann blieb.

Die Sonne sank indessen mehr und mehr und verschwand eben hinter den
gewaltigen Bäumen, nur noch hie und da einen der höchsten Wipfel mit
ihrem rosigen Schein übergießend. Im Walde herrschte tiefe Stille, die
nur selten durch das Quaken eines Frosches oder das Gezirpe einer
Grille unterbrochen wurde; es war ein wunderlieblicher, entzückender
Frühlingsabend, dem schönen Wald von Arkansas so eigenthümlich; dennoch
aber schien sich der Herr von Sechingen dieses langersehnten Genusses
nicht so recht zu erfreuen, oder wenigstens keine Zeit dafür zu haben,
denn bald schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn, bald in den
Nacken, bald auf die andere Hand; oder nahm die Mütze ab, mit der er um
sich herumschlug, und endlich blieb er gar in allem Unmuth stehen und
rief aus:

»Wo kommen denn nur um Gotteswillen alle diese verwünschten Mücken her?
das ist ja zum Rasendwerden.«

»Mücken?« sagte Bob, »was das? _Mosquitos_ meint Ihr; nicht viele hier!
mehr davon weiter vorne; aber lagern jetzt -- gleich dunkel.«

Damit, ohne weiter eine Antwort seines Begleiters abzuwarten, warf er
seine Decke und Kugeltasche ab, lehnte die Büchse an einen Baum und
schlug Feuer, das er bald mit Hülfe des dürren Laubes zu einer Flamme
anfachte, die, von trockenem Holz genährt, in wenigen Minuten zur hohen
Gluth emporloderte.

»Hier also sollen wir bleiben?« sagte Sechingen etwas kleinlaut, indem
er sich an dem Orte, auf welchem sie sich befanden, umsah, »ja -- es
wäre recht hübsch hier, wenn die verdammten Mücken nur nicht wären.
Also _das_ sind Mosquitos?« -- fuhr er fort, als er eben wieder vier mit
einem Schlage auf dem Rücken seiner Hand vernichtet hatte -- »nun Gott
sei Dank, es sind doch wenigstens genug von ihnen da, um sich abzulösen,
wenn ein Theil satt oder müde werden sollte.«

»Fremder legt sich auf diese Seite vom Feuer, unter den Rauch -- keine
Mosquitos!« -- bedeutete ihn Bob. Sechingen befolgte auch schnell den
guten Rath, und fand sich hier, in dem weichen, gelben Laub, das mehrere
Zoll hoch den Boden bedeckte, bald von seinen Quälgeistern verlassen,
die durch den über ihm hinweggehenden Rauch verscheucht wurden. Bob
schien sie gar nicht zu achten.

»Lieber ein Dach machen -- kann regnen die Nacht,« sagte der Indianer
jetzt.

»Regnen?« lachte Sechingen, »wo soll denn der Regen herkommen? es ist ja
keine Wolke am Himmel?«

»Schadet Nichts,« meinte Bob -- »Regenfrosch gutes Zeichen.«

»Ach nein -- hier ist's herrlich,« betheuerte Jener, der, von seinen
Plagegeistern für den Augenblick befreit, wieder das so lang gehegte und
genährte romantisch wilde Sehnen in sich erwachen fühlte -- »hier
ist's so wundervoll, mit dem grünen Laubdach über uns, dem blauen
sternbesäeten Himmel als Decke, und dem dunkelen, rauschenden Wald
um uns her; wozu da noch ein Dach, was uns doch nur den Anblick des
prachtvollen Firmamentes entziehen würde; kommen Sie hierher, Bob, legen
Sie sich neben mich und erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben.«

»Bob ist hungrig,« war die lakonische Antwort.

»Nun ja, da es einmal erwähnt wird,« meinte der Deutsche, »so wäre
mir auch ein Bissen Warmes nicht so unerwünscht, ein Tasse Thee könnte
besonders gar Nichts schaden.«

»Viel Thee im Wald,« sagte Bob.

»Thee? grüner Thee?«

»Gewiß grüner Thee -- will der Weiße Thee haben?«

»Das wäre nicht so übel,« erwiederte Sechingen, »auf alle Fälle können
wir es versuchen.«

Bob riß hierauf einen kleinen, neben ihm wachsenden grünen Strauch aus
der Erde, wischte die Wurzel so rein als möglich mit seinem Jagdhemd
ab, schnitt sie in dünne Spähne, that sie in den Blechbecher, den er an
seiner wollenen Decke hängend trug, füllte diesen dann voll Wasser und
setzte ihn auf die Kohlen.

»Und das wird Thee?« frug Sechingen ungläubig.

»Ahem,« war Bob's Antwort, der nur mit dem Kopfe nickte.

»Es ist aber doch sonderbar,« sagte der Deutsche nach einer wohl
viertelstündigen Pause, in der er träumend zu den funkelnden Sternen
hinaufgeschaut hatte, »daß wir jetzt schon über eine Stunde durch
den dichtesten Wald gegangen sind, ohne eine Spur von Wild gesehen zu
haben.«

»Sonderbar?« entgegnete die Rothhaut, »Bob hat drei Tage hier gejagt und
keine Klaue gefunden.«

Das stimmte nun freilich nicht mit Charles Fischers Aussagen überein,
doch blieb ihm für den Augenblick keine weitere Zeit zu ferneren
Erörterungen, denn der Thee war fertig und wurde Sechingen dargereicht.

»Etwas Zucker und Milch wäre jetzt sehr an seinem Platz,« meinte dieser
-- »aber halt -- ich habe ja Rum bei mir; der mag den Dienst versehen,«
und aus einem kleinen Fläschchen, das er aus dem Jagdranzen nahm, goß er
etwa ein Spitzglas voll in den Becher, und reichte die Flasche dann an
Bob hinüber, der sie schon mit gierigen, verlangenden Blicken betrachtet
hatte und jetzt einen langen, langen Zug that. Mit augenscheinlichem
Widerwillen mußte er zuletzt absetzen, um Athem zu holen und Sechingen
schob sie wieder in den Ranzen zurück. Der Thee war indessen etwas kühl
geworden, -- aber welch entsetzliches Gebräu.

»Pfui Teufel!« rief der junge Deutsche aus, indem er den Becher
zurückschob und aufsprang. »Bob, das können Sie allein trinken, das
schmeckt ja abscheulich.«

»Indianer trinkt nur Thee, wenn krank ist.«

»Ich bin aber nicht krank,« rief Sechingen.

»Ich auch nicht,« sagte Bob und begann mit großer Ruhe die Lederriemen
aufzubinden, die seine Decke zusammenhielten.

»Daß mich auch der Böse plagen mußte, mit keiner Sylbe an Lebensmittel
zu denken,« murmelte Sechingen ärgerlich vor sich hin, -- »ich glaubte
aber sicher, noch vor Dunkelwerden irgend ein Stück Wild erlegen zu
können.«

»Bob kann warten,« brummte dieser und rollte die jetzt gelöste Decke
auf.

»Nun so erzählen Sie mir wenigstens etwas,« bat ihn der Deutsche, »ich
möchte gar so gerne einige Skizzen aus dem Leben der Indianer, von den
Lippen eines Indianers hören, und da wir doch nun einmal im Wald sind,
so lassen Sie mich auch einige Anekdoten von Ihren Jagden mit Büffeln
oder Bären, von den Kämpfen mit anderen Stämmen, dem nächtlichen
Überfall, dem Schlachtschrei und den genommenen Scalpen hören -- was
hilft mir denn der Wald und der Indianer, wenn wir schlafen wollen?«

»Weiß Nichts zu erzählen,« sagte Bob, indem er seine Decke nahe zum
Feuer ausbreitete und dieses dann wieder von Frischem aufschürte --
»habe nie einen Büffel gesehen und noch keinen Bären geschossen; -- kam
vor sechs Jahren von Georgien mit ganzem Stamm.«

»Und was haben Sie in den sechs Jahren getrieben? -- Jagd?«

»Nein -- Schuhmachen!«

»_Schuhmachen_?« frug Sechingen entsetzt -- »Schuhmachen? ein Indianer
-- in Arkansas? aber Ihr Vater war doch ein Jäger und Krieger? fiel
vielleicht in der Schlacht -- in einem nächtlichen Überfall.«

»Mein Vater starb in Georgien an den Blattern -- war ein Korbmacher.«

Bob schien jetzt zu glauben, daß er über sich und seine
Familienangelegenheiten hinlängliche Auskunft gegeben habe, denn er
rollte sich in die Decke, und war wenige Minuten später, wie sein
lautes, regelmäßiges Athmen bewies, sanft eingeschlafen. Sechingen aber
spießte, auf den linken Ellbogen gelehnt, mit seinem Genickfänger höchst
mißvergnügt die vor ihm liegenden, gelben Blätter auf.

Er hatte sich Alles so romantisch gedacht -- das Heulen der Wölfe, das
Geschrei des Panthers, die Erzählungen eines rothhäutigen Kriegers von
Jagden und Kriegszügen, und dazu das Rauschen des mächtigen Urwaldes
-- Ja! Der Urwald umgab ihn, in all seiner Pracht und Herrlichkeit,
mit seinen Riesenstämmen und wild durchwachsenen Dickichten, mit den
gigantischen Weinreben, die sich von Stamm zu Stamm schlangen, und im
unzerreißbaren Netze die gewaltigen verbanden, den einzigen Laut aber,
den er vernehmen konnte, war das Summen der Mosquitos, die, von der
kühlen Nacht nicht eingeschüchtert, nach dem warmen Blute des Fremdlings
lüstern, dessen Lager umschwirrten.

Höchst verdrießlich schob er sich endlich die Jagdtasche unter den Kopf,
und wollte ebenfalls schlafen, als er, wie von einer Natter gestochen,
wieder emporsprang, und nach der Büchse griff, denn dicht neben ihm
-- es konnte kaum zwanzig Schritte entfernt sein -- vernahm er den
sonderbarsten, wildesten Laut, den sich seine Phantasie nur je gedacht,
nur je geträumt hatte.

»Huhu, huhu -- -- huhu, huhu -- a -- h!« tönte es so klagend, so
schauerlich, daß er, sprachlos vor Jagdeifer und innerem Entsetzen, den
Arm seines schläfrigen Gefährten ergriff, und den Ruhenden mit aller
Macht schüttelte, während er dabei in der Rechten die schnell gespannte
Büchse fertig zum Schuß hielt.

»Bob, -- Bob, -- Bob!« -- flüsterte er dabei mit unterdrückter Stimme --
»ein Panther -- _Bob_!«

»Ein was?« rief dieser, und sprang schnell auf die Füße, ergriff seine
Büchse und sah den Fremden groß an. »Wo? wo Panther?«

»Pst!« winkte Sechingen -- »dort war's -- gleich in dem Busch da -- er
muß auf einen Baum geklettert sein, mir kam es hoch vor.«

»Huhu, huhu -- -- huhu, huhu -- a -- h!« riefen die schauerlichen Töne
auf's Neue, diesmal aber auf der entgegengesetzten Seite.

»Horch -- horch -- er hat uns umschlichen -- erst war er hier.«

»Das der Panther?« frug Bob.

»Nun? was soll es sonst sein? ein Wolf steigt doch nicht auf die Bäume?«

»Eule!« sagte Bob, und legte sich wieder, ohne ein Wort zu verlieren,
nieder.

»Teufel!« murmelte Sechingen ärgerlich vor sich hin, indem er den Hahn
seiner Büchse in Ruhe setzte, »das nur eine Eule, und hat eine Stimme
wie das stärkste, gewaltigste Thier.« Bob hatte aber ganz recht, es war
wirklich eine Eule, die ihr einsames Nachtlied krächzte, und unwillig
warf sich der in seinen schönsten Erwartungen Getäuschte in das gelbe
Laub zurück.

Durch die ungewohnten Anstrengungen ermattet, schlief er lang und fest,
sein Erwachen war aber ein sehr trauriges, unbehagliches, denn, als er
von kalten Schauern durchschüttelt die Augen aufschlug, strömte von
dem dunkelen, nur dann und wann durch einzelne grelle Blitze erhellten
Nachthimmel der Regen in Fluthen hernieder, und fern grollender Donner
murmelte seinen gewaltigen Segen dazu. Das Feuer war niedergebrannt und
ausgelöscht, und tiefe Nacht umgab ihn.

»Bob?« rief er -- »Bob! -- Bob!« wiederholte er stärker und ängstlicher,
als ihn auf einmal der Gedanke durchzuckte, sein rother Führer könne ihn
im Stiche gelassen haben -- »_Bob_!« -- kein Bob antwortete und »_Bob_«
schrie er jetzt in die Höhe springend aus Leibeskräften, daß er selbst
vor dem dumpfverhallenden Nothruf zurückbebte, der gar so schauerlich in
dem öden Walde wiederklang.

»Ja!« sagte der Wilde, der, nur wenige Schritte von ihm entfernt und in
seine Decke gewickelt, unter demselben Baume mit ihm stand -- »wir werden
nassen Morgen bekommen.«

»Warum antworten Sie denn gar nicht? ich glaubte Sie wären fort. --«

»Und wohin!« frug Bob, »ein Baum so gut wie der andere -- ich schlief!«

»Im Stehen?«

»Bob kann überall schlafen.«

»Was fangen wir denn jetzt um Gotteswillen an? ich bin durch und durch
naß, und muß mich erkälten -- wenn ich nur wenigstens eine Decke hätte.«

»Wenn der Weiße Bob's Decke haben will,« sagte gutmüthig der Indianer,
-- »so mag er sie nehmen, Bob kann ohne Decke naß werden.«

Sechingen schämte sich im Anfang, den armen Burschen seines fast
einzigen Schutzes zu berauben, da der dünne Kattunlappen, den jener noch
darunter trug, sicherlich als kein wärmendes Kleidungsstück angesehen
werden konnte, doch überwog bald die Sorge um die eigene Gesundheit jede
andere Bedenklichkeit, und fest in die, wenn auch etwas feuchte doch
warme Umhüllung eingeschlagen, warf er sich wieder, die Waidtasche unter
dem Kopf, an der Wurzel der alten Eiche nieder, deren Blätter ihnen,
wenigstens jetzt noch, einigen Schutz gegen die immer stärker und
stürmischer niedertobenden Schauer gewährten.

Bob kauerte sich dicht daneben, einen möglichst kleinen Raum einnehmend,
zusammen und ließ den Kopf auf die Brust hinuntersinken, wachte aber,
denn dann und wann lauschte er aufmerksam den Athemzügen des Weißen,
ob dieser schlafe oder nicht, bis er sich endlich von dessen
Bewußtlosigkeit hinlänglich überzeugt zu haben schien, und nun leise an
ihn hinkroch.

Immer tobender raste indessen der Sturm, darum aber ganz unbekümmert,
befühlte Bob mit vorsichtiger Hand und geräuschlosen Bewegungen die
Waidtasche, und nach und nach, fast unmerklich seine Finger unter des
Schlummernden Kopf bringend, gelang es ihm nach mehreren Minuten, die
Flasche der Ledertasche zu entrücken.

Wäre es Tageshelle gewesen, so hätte man des Indianers Gesicht wohl ein
triumphirendes Lächeln überfliegen sehen können, als er geräuschlos
und mit geübter Hand den Kork abzog, so aber ward nur gleich darauf der
leise, gluckende Laut gehört, wie der heiße erquickende Trank die Kehle
des Durstigen hinunterglitt, und lange, lange sogen seine Lippen an dem
engen Hals der Korbflasche. Endlich war auch der letzte Tropfen geleert,
und Bob setzte, tief Athem holend, ab, versuchte dann zwar noch einmal,
dem Boden einen vielleicht zurückgehaltenen Rest zu entziehen, die
Nachlese fiel aber wenig ergiebig aus, und er bemühte sich jetzt, die
entwendete Flasche wieder an ihren früheren Platz zurück zu schaffen.
Um jedoch keinen unnützen Verdacht zu erregen, schob er sie vorsichtiger
Weise verkehrt, mit der Öffnung nach unten, in die Tasche und ließ
den Kork daneben in das Laub fallen, dann kroch er auf seinen alten
Standpunkt zurück, und war bald ebenfalls, trotz stürmenden Unwetters
und heulender Windsbraut, sanft und ruhig eingeschlafen.

Kalt und schaurig brach der Morgen an, die Gewitter hatten sich
verzogen, aber schwere, dunkele Wolkenschichten schienen in an einander
gepreßten Massen auf den Wipfeln der Bäume zu ruhen; ein feiner, dünner
Regen stäubte nieder und einzelne Windstöße schüttelten in Schauern
die großen Tropfen auf das fest an den Boden geschmiegte gelbe Laub
hernieder.

Sechingen, obgleich schon seit längerer Zeit erwacht, fürchtete fast,
sich in den naßkalten Falten der Decke zu bewegen, und lag regungslos in
einander gekrümmt, bis es heller Tag geworden war; endlich ermannte er
sich, sprang, die Hülle von sich werfend, auf die Füße, und schaute mit
trostlosem, mattem Blick auf die ihn umgebende, keineswegs lächelnde
Natur.

»Das also ist Urwald!« seufzte er leise vor sich hin, indem er einige
der, trotz der kühlen Morgenluft auf ihn einstürmenden Mosquitos von
sich abzuwehren suchte -- »das ist Urwald? -- eine sehr schöne Gegend --
daß mich der Böse auch plagen mußte, dem Rath des Narren in Little-Rock
zu folgen; der Indianer schläft dabei in seinem dünnen, baumwollenen
Jagdhemd, als ob er im weichsten Federbett läge.«

Die Wahrheit zu gestehen, schlief Bob aber eigentlich nicht, sondern
war schon, um sich zu erwärmen, seit einer Stunde hin- und hergelaufen,
hatte sich aber, um wegen der Flasche nicht befragt zu werden, schnell
wieder unter den Baum geworfen, sobald er das Munterwerden seines
Marschgefährten bemerkte.

»Bob!« wollte dieser jetzt rufen, aber Du lieber Gott, keinen Ton
brachte er aus der Kehle, der Hals war ihm wie zugeschnürt und er konnte
sich selbst kaum vor Heiserkeit reden hören; nochmals versuchte er
»Bob!« zu sagen, aber vergebens und seine Worte wurden zu einem kaum
hörbaren Hauch. Er trat daher dicht neben den Indianer, und schüttelte
diesen, bis er auf die Füße sprang und sich nun langsam, wie eben erst
aus tiefem Schlaf erwacht, nach den Bäumen und Wolken umschaute.

»Wie weit haben wir noch bis zum nächsten Haus?« frug Sechingen jetzt
mit seiner leisen, röchelnden Stimme.

»Könnt laut reden,« sagte der Indianer, das Schloß seiner Büchse
abtrocknend und frisches Pulver auf die Pfanne streuend, »kein Wild
hier, finden aber welches; dieser Morgen guter Jagdtag.«

»Ich _kann_ nicht laut reden -- ich habe mich ja erkältet,« flüsterte
Sechingen ärgerlich.

»Erkältet!« rief verwundert die abgehärtete Rothhaut -- »erkältet? was
ist das?«

»Wie weit haben wir noch bis zum nächsten Haus?«

»Fünf Meilen!« sagte Bob.

»So lassen Sie uns wenigstens eilen, daß wir dort hinkommen, ich bin
halb todt vor Hunger und Erschöpfung -- Pest!« rief er aber zu gleicher
Zeit, mit dem Fuße stampfend, aus, als er bei diesen Worten in die
Jagdtasche gegriffen hatte, und die jetzt leere Flasche hervorzog, »auch
das noch -- ausgelaufen -- bis auf den letzten Tropfen -- die einzige,
letzte Stärkung fort.«

»Wie schade!« sagte Bob, und sah traurig die Flasche an. Doch hier half
kein weiteres Besinnen, beide Männer schulterten also ihre Gewehre, Bob
hing seine alte, nasse Decke, die er jedoch vorher so gut wie möglich
ausgerungen hatte, wieder auf den Rücken, und fort ging's auf's Neue
in den Wald hinein, oder eigentlich, besser gesagt, im Walde fort, denn
unbestreitbar waren sie darinnen.

Hier zeigte sich übrigens der Nutzen, den des Indianers Ortssinn, ein
gewisser ihm angeborener Instinkt, dem Deutschen gewährte, denn ohne
Jenen hätte er sich im Leben nicht wieder aus den Dickichten und Sümpfen
herausgefunden, die, einander so ganz ähnlich, ihn nicht begreifen
ließen, wie man in einem solchen Labyrinth eine wirklich gerade Richtung
beibehalten konnte, ohne bei jeder Wendung irre zu werden. Immer
unwegsamer wurde hier der Wald, häufiger und häufiger kreuzten sie
schmale, kleine tiefe Bäche, und standen plötzlich an einem kleinen
Flusse (oder einer _Slew_, wie es der Indianer nannte), der seine
schlammigen Fluthen dem Fourche la fave zudrängte.

»Bob!« sagte Sechingen erschrocken, als dieser ohne weiter eine Sylbe zu
äußern, hineintrat und durchwaten wollte, wobei ihm das Wasser bis unter
die Arme reichte -- »ist denn keine Fähre hier? wir sollen doch nicht
mitten durch?«

»Ist der Weiße hungrig?« frug Bob, stehen bleibend.

»Sehr!«

»Und naß?«

»Durch und durch!«

Bob erwiederte nichts weiter, sondern badete gerade durch, während ihm
die Fluth bis zu den Schultern stieg, und war in wenigen Minuten am
anderen Ufer. Wehmüthig schaute ihm Sechingen nach, überzeugte sich aber
bald, daß hier nichts Anderes zu thun übrig bliebe als zu folgen, denn
allein zurück zu bleiben, ging doch auch nicht an. Das also, was er
nicht zu durchnässen wünschte, als Brieftasche, Zündhütchen, Pulverhorn
und Uhr in die Jagdtasche steckend und diese, nebst der Flinte, über
dem Kopf haltend, trat er seine unfreiwillige Wasserfahrt an, kam
auch glücklich hinüber, schüttelte sich hier, ließ das Wasser aus den
Wasserstiefeln laufen, indem er sich auf den Rücken legte und die Beine
an einem Baum in die Höhe reckte (im Anfang freilich etwas zu hoch) und
folgte dann dem Führer, der schweigend voranschritt.

So großen Jagdeifer Sechingen aber beim Anfang ihrer Wanderung gezeigt
hatte, so abgestumpft war er jetzt gegen alles ihn Umgebende geworden
und schaute kaum vom Boden auf, um nicht fortwährend über die
unzähligen, überall umhergestreuten Äste und Stämme zu stolpern und zu
stürzen; die Flinte hing ihm, Hahn in Ruh und Sicherheit aufgesetzt,
über die Schulter, die Mütze saß ihm tief in der Stirne und der einzige
Laut, den er von sich gab, war dann und wann ein leise gemurmelter
Fluch, wenn ihm die nassen Zweige in's Gesicht schlugen, oder sich
sein Fuß, trotz aller Vorsicht und Aufmerksamkeit, in dem dichten
Schlingpflanzengewebe fing, das an vielen Stellen den Boden wie mit
einem festen Netze überzog.

Da blieb Bob plötzlich stehen und hob schnell und lautlos die Büchse
an den Backen, und wie mit einem magischen Feuer durchgoß diese einzige
Bewegung den Körper des bis jetzt in fast gänzlicher Apathie versunkenen
Deutschen; blitzschnell riß er das eigene Gewehr von der Schulter
und schaute, hochaufgerichtet, die Augen in dem alten, keineswegs
erstorbenen Jagdeifer erglühend, spähend umher, das Wild zu entdecken,
das der Indianer auf's Korn genommen. Aber erst, als er der Richtung
von Bob's Büchse folgte, von deren Pfanne das Pulver schon zweimal
abgeblitzt war, sah er einen stattlichen Hirsch, der ruhig äste und
die Nähe zweier menschlichen Wesen gar nicht zu ahnen schien. Vor Eifer
zitternd, hob Sechingen das Doppelrohr, das, noch mit guten, deutschen
Zündhütchen versehen, dem Wetter Trotz geboten, und der Schuß krachte
dröhnend durch den stillen Wald.

Hochauf sprang der Hirsch und setzte über einen, vor ihm liegenden
Baumstamm, blieb dann aber augenblicklich wieder stehen, äugte
verwundert umher, witterte zu gleicher Zeit die Feinde und sprang eben
in ein benachbartes Dickicht, als ihm Sechingens Rehposten nachsausten.
Wohl schüttelte er den schönen Kopf ein wenig, als ihm das Blei um's
Gehör pfiff, unverletzt aber warf er den Wedel in die Höhe und war mit
wenigen Sätzen verschwunden.

»Ich muß ihn getroffen haben,« rief Sechingen, der dem Anschuß in wilder
Jagdlust zusprang; Bob folgte ihm jedoch sehr ruhig und bemerkte, die
Fährten keines Blickes würdigend:

»Hirsch merkwürdig wohl, wenn er den weißen Fleck zeigt -- weiße Mann
Bockfieber!«

Gar sehr wider Willen mußte es sich Sechingen zuletzt selbst gestehen,
daß er, auf kaum funfzig Schritt, mit beiden Läufen das Wild gefehlt
habe, denn auch nicht ein einziger Tropfen Schweiß war auf dem Laube zu
sehen. In hierdurch nicht gerade verbesserter Laune setzten also Beide,
nachdem der Deutsche zuerst wieder geladen, ihren Weg weiter fort, und
erreichten, nach etwa zweistündigem Marschiren, das Haus, von dem Bob
gesprochen, und Sechingen mehr todt als lebendig, begrüßte mit freudigem
Herzklopfen das trauliche, Schutz und Wärme versprechende Dach, aus
dessen Lehmschornstein eine dünne, blaue Rauchsäule emporwirbelte.

Nachdem die beiden Männer zuerst noch eine niedere, die Wohnung
umgebende Fenz überklettert hatten, näherten sie sich dem Gebäude,
dessen Thür, nach Art all der andern fensterlosen Blockhäuser, offen
stand, um Licht und Luft zu gleicher Zeit einzulassen, und betraten den
inneren Raum, vor dessen breiten Kamin sie eine, dem Auge Sechingens
wenigstens, sehr sonderbar erscheinende Gruppe versammelt fanden.

Es waren zwei Frauen und drei Kinder, die in malerischen Stellungen
das Feuer umsaßen und umlagerten, und durch den Eintritt der Fremden in
ihren verschiedenen Beschäftigungen weiter nicht gestört wurden, als daß
die eine der Frauen, wahrscheinlich die Wirthin, mit ihrem Sessel ein
wenig zur Seite rückte und sagte:

»Nehmt einen Stuhl!«

Nun wäre das zwar an und für sich schon eine recht freundliche Einladung
gewesen, denn das Feuer flackerte mächtig und erwärmend mit rother Zunge
die schwarz geräucherte Esse empor, wenn -- nur ein Stuhl dagewesen
wäre, vergebens schaute sich aber der Deutsche nach einem derartigen
Möbel in dem kleinen Raume um, lehnte daher vor allen Dingen die
Büchsflinte in die Ecke, legte die Jagdtasche daneben, welchem Beispiel
der Indianer ohne weitere besondere Einladung folgte, und trat dann in
den für sie freigemachten Raum an die linke Kaminecke.

»Nehmt den Stuhl!« sagte die Frau zum zweiten Male, und winkte dabei mit
dem Kopf nach der gegenüber liegenden Ecke, aber kein Gegenstand,
der auch nur die entferntere Familienähnlichkeit mit einem derartigen
Hausgeräth gehabt, oder zu solchem hätte benutzt werden können, zeigte
sich dem Auge; die Ecke war, ein schmales, langes Bret was darin lehnte
ausgenommen, leer. Bob schien jedoch mit den Gelegenheiten der Wohnung
und ihren Gebräuchen schon etwas besser bekannt, oder ein gewisser
Instinkt mußte ihn leiten, denn kaum hatte er sich seiner nassen Decke
entledigt, als er eben jenes Bret vorholte, dieses dann, dicht neben
dem Kamin, zwischen zweien der die Wand bildenden Stämme hindurch, und
auswendig unter den, zu diesem Zweck in einen Pfirsichbaum geschlagenen
Pflock schob, und dem Deutschen mit der Hand zuwinkte, darauf Platz zu
nehmen, was dieser denn auch nach einigen, etwas ängstlichen Versuchen
zwar, befolgte, während Bob neben ihm stehen blieb und sich wie ein am
Spieße steckender Braten, langsam vor der Gluth im Kreise herumdrehte,
um seinem ganzen Körper einen gleichen Antheil von Wärme zukommen zu
lassen. Bald stieg von ihren nassen Kleidern der feuchte Dampf wie
eine Wolke zur Decke hinauf und drängte sich dort, durch aufgehangene
Schinken und Speckseiten, in's Freie.

Die Beschäftigung der beiden Frauen zog jetzt, als das erste frostige
Schütteln vorüber war, was Jeden erfaßt, der naß und kalt zu einem
erwärmenden Feuer tritt, Sechingens neugierige Blicke auf sich. Die
Herrin des Hauses saß nämlich auf einem kleinen Sessel, dem Feuer gerade
gegenüber, hatte zwei Karden oder Wollkämme in der Hand, mit welchen sie
die klargezupfte Baumwolle spinngerecht in lange Streifen rollte und nur
dann und wann ihre Arbeit unterbrach, um eine kleine, kurze Pfeife aus
dem Mund zu nehmen und den Kopf derselben, diese am Stiel fassend, durch
die glühende Asche zu ziehen, wonach sie die dadurch herausgehobene
kleine Kohle in die Höhe hielt, und in langen Zügen den verlöschten
Tabak wieder zu entzünden suchte. In ihrem ganzen Wesen lag aber eine
gewisse Reinlichkeit und Ordnung, die, mit dem freundlichen, offenen
Gesicht der Matrone, einen höchst wohlthuenden Eindruck auf den jungen
Deutschen machte, denn er war durch seine letzte Wanderung besonders
empfänglich für alles Das geworden, was Behaglichkeit und häuslichen
Sinn verrieth. Sie war sehr einfach, aber höchst sauber in selbstgewebte
Stoffe gekleidet, und die größte Ordnung schien auch in dem kleinen,
wenn gleich ärmlich ausgestatteten Raume zu herrschen, den sie bewohnte.

Keineswegs so günstig sprach ihn die Erscheinung der zweiten Gestalt an,
deren Haar, nach Art der irländischen Frauen, in einem breiten Scheitel
von dem rechten nach dem linken Ohr, quer über die Stirn hinüber gelegt
war, und die durch ihre, nichts weniger als reinliche Kleidung auf
eine um so auffallendere Art gegen die neben ihr sitzende Amerikanerin
abstach. Ihr Anzug bestand aus grell buntem Kattun, der seine besten
Tage schon gesehen hatte, und dessen große Pfauenaugen wehmüthig nach
einer Stange Seife hinüber zu blinzen schienen, die auf einem kleinen
Bretchen in der rechten Ecke des Zimmers ruhte. Sie kreuzte den einen
Fuß über den andern und stützte sich mit dem linken Arm auf das rechte
Knie, mit dem rechten Ellenbogen wieder auf den linken Arm, und paffte,
ohne die eben Angekommenen weiter viel zu beachten, den Rauch aus ihrer
kurzen Pfeife nach Herzenslust in den Kamin hinein.

Desto aufmerksamer wurden aber dafür die beiden feuchten Gäste von den
drei Kindern beobachtet, deren ganzes, verwildertes, unsauberes Aussehen
sie als der Irländerin (denn eine solche war der Gast) zugehörig
bezeichnet hätten, wäre nicht diese stille Vermuthung Sechingens noch
durch den unwiderlegbaren Beweis eines eben solchen Stückes Kattun,
als Madame zum Kleid verwandt, bestärkt worden, das in verschiedenen
spitzwinkeligen und dreieckigen Stücken die Kehrseite des jüngsten
Kindes zusammenhielt.

Mit weit aufgerissenen Augen und Sprech- oder Schreiwerkzeugen starrten
diese, nicht den Indianer, -- denn dergleichen hatten sie schon
genug gesehen, -- sondern den, ihrer Meinung nach, viel wunderbarer
bekleideten Deutschen an, und nur durch verschiedene Ermahnungen der
Wirthin des Hauses -- denn die eigene Mutter schien sich wenig oder gar
nicht um sie zu kümmern -- konnten sie zurückgehalten werden, sich
immer wieder auf's Neue zwischen den Fremden und das diesem so höchst
wohlthuende Feuer zu drängen.

Auf Sechingens Bitte um etwas Warmes zu essen und zu trinken, ließ die
Amerikanerin jedoch augenblicklich mit freundlichem Eifer ihre beiden
Beschäftigungen, Rauchen und Karden, im Stich und es dauerte gar nicht
lange, bis ein Paar heiße Tassen Kaffee, nebst gebratenem Speck und
schnell gebackenem Maisbrod auf dem rohen, aber blank gescheuerten
Holztisch dampften, zu dem sich auch die Zwei nicht lange nöthigen
ließen, sondern mit wahrem Heißhunger über die so lang und schmerzlich
entbehrten Lebensmittel herfielen.

Sechingens verwöhnter Gaumen möchte freilich, unter anderen
Verhältnissen, mit den vorgesetzten Gerichten schwerlich zufrieden
gewesen sein; er befand sich aber gegenwärtig nicht in der Laune, lange
zu betrachten und zu kosten, _was_ er aß, so er nur überhaupt etwas zu
verzehren hatte, und bald waren Teller und Schüssel leer und blank.

Während der Mahlzeit hatten die Frauen sich nicht weiter um die
hungrigen Gäste bekümmert, als daß die Wirthin ihnen noch zweimal die
schnell geleerten Tassen mit dem heißen, erquickenden Trank füllte; da
sie aber jetzt gesättigt vom Tische aufstanden und wieder an's Feuer
traten, fingen sie an, die mit Schnüren und Troddeln besetzte Pikesche
des Deutschen zu bewundern, der, ihnen darin gern gefällig, sich von
allen Seiten genau betrachten und die Arbeit daran untersuchen ließ.

Nun hatte aber Sechingen durch diese Aufmerksamkeit die moralische
Überzeugung gewonnen, daß die beiden Damen von dem zierlichen
Kleidungsstück ganz entzückt seien, und frug daher die Irländerin mit
freundlicher Stimme, ob sie vielleicht im Sinne habe, ihrem Ehegemahl
eine dieser ähnliche anzufertigen; die Frau rief aber verwundert:

»Meinem Manne, Sir? Gott segne Euch, für eine erwachsene Person eine
solche Jacke? nein, aber ein hübsches Röckchen für das Jüngste gäb' es.«

Sechingen biß sich auf die Lippen und sah von der Seite den Indianer an;
dieser schien jedoch in der Bemerkung nichts Auffallendes gefunden
oder sie gar nicht beachtet zu haben, sondern nahm, als Zeichen des
Aufbruchs, die Büchse wieder zur Hand, und nickte dem Deutschen zu.

»Was sind wir Ihnen für Ihre Güte schuldig?« frug also Sechingen jetzt,
da es ihm nach dieser Äußerung nicht mehr so recht wohnlich bei den
Leuten war.

»Oh ich weiß nicht« -- entgegnete die Amerikanerin, »das Wenige, was
ich Euch vorsetzen konnte, war gern gegeben und keiner Bezahlung werth.
Wohnten wir hier an der Straße, dann wär' es etwas anderes, man kann
nicht _alle_ Reisende umsonst beherbergen, wenn man selbst arm ist und
sich seine Lebensmittel schwer verdienen und erziehen muß, so aber
mag's gehen. Wir sitzen hier mitten im Wald, und in Alabama, von wo wir
herkommen, ist es auch nur an wenigen Stellen Sitte, daß man Bezahlung
von Reisenden nimmt, also geht mit Gott, Ihr seid Nichts schuldig.«

Herzlich dankte ihr Sechingen, nicht allein für die gegebene Stärkung,
sondern auch für die freundlichen Worte, und bedeutend gekräftigt und
erfrischt, obgleich immer noch sehr durch die nassen Kleider belästigt,
folgte der Deutsche seinem rothen Führer einen schmalen Pfad entlang,
der sich von hier aus am Fuße einer jetzt erreichten niederen Hügelreihe
hinwand und die Wanderer wenigstens dem niederen Sumpflande entzog,
durch das sie bis dahin ihre Bahn hatten suchen müssen. Nicht viel Worte
wurden zwischen Ihnen gewechselt, denn Sechingen spähte, da sie den
etwas offeneren Wald betraten, scharf nach Wild umher, das der Führer
jedoch wenig zu beachten schien, denn er schritt mit gesenkten und fest
auf den Pfad gerichteten Blicken voran. Übrigens blieb des Deutschen
Aufmerksamkeit höchst nutzlos verschwendet, denn kein einziger Hirsch,
nicht einmal ein Truthahn, ließ sich sehen, und höchst mißmuthig und
unzufrieden mit der ganzen amerikanischen Jagd warf er sich endlich
die Büchsflinte wieder über die Schulter und schwur, daß -- undankbarer
Mensch -- Charley Fischer ein -- Aufschneider sei.

Nicht mehr weit hatten sie von da aus zu gehen, bis sie zu der kleinen
Lichtung und Blockhütte kamen, die ihm von dem Indianer als die
»deutsche Niederlassung« bezeichnet wurde, und hier lag wieder, wo
Sechingen allerdings etwas ganz anderes erwartet hatte, ein solches
unausweichbares Blockhaus vor ihm, das keineswegs dem von einer
»_deutschen Niederlassung_« entworfenen Bilde glich; dennoch eilte er
mit freudigen und lebhafteren Schritten darauf zu, denn er sollte ja
jetzt Landsleute wiederfinden und durfte hoffen, nach der ausgestandenen
Schreckensnacht seine Glieder in etwas stärken und erfrischen zu können.

Es ist aber eine eigene Sache mit den Deutschen in Amerika; in Arkansas,
und überhaupt im fernen Westen, mag es noch angehen; selten bekommen sie
hier einen Landsmann zu sehen, und freuen sich wirklich, wenn sie Einmal
einem begegnen, der ihnen etwas Neues aus der Heimath erzählen kann.
Anders, ach weit anders und weit trauriger ist es dagegen in den
östlichen Städten, wo alle neue Einwanderer von den, sich schon
dort befindenden Landsleuten als »Preisverderber und Eindringlinge«
betrachtet werden, wo der schon etwas Amerikanisirte zu stolz ist, den
früheren Freund _deutsch_ anzureden, weil ein zufällig daneben stehender
Amerikaner sonst sogleich wissen würde, daß er ebenfalls ein »Dutchman«
wäre, und wo sich der Deutsche wirklich nur _deßhalb_ mit dem Deutschen
einläßt, um ihn, sobald sich eine Gelegenheit dazu finden sollte,
tüchtig über's Ohr zu hauen und hinterher auszulachen. Das kannte v.
Sechingen freilich noch nicht, ein ganz anderer Empfang wartete aber
auch hier seiner, und mit offenen Armen und herzlichem, treugemeintem
Gruß wurde er von dem biedern Deutschen Klingelhöffer, der in der
einsamen Wildniß seine Wohnung aufgeschlagen hatte, empfangen.

Er war gerade beschäftigt gewesen Feuerholz zum Haus zu fahren, spannte
jedoch augenblicklich aus und führte seine beiden Gäste in die kleine
Hütte, um ihnen dort nach den ausgestandenen Strapatzen jede mögliche
Bequemlichkeit gewähren zu können. Der Indianer war auch bald
entschlossen, wenigstens für diese Nacht sein Quartier hier
aufzuschlagen, und hing deshalb seine Decke ausgebreitet über die Fenz,
damit sie der Wind, der jetzt recht scharf aus Nordwest zu blasen anfing
abtrocknen könne, während Klingelhöffer, von Sechingen gefolgt, das
Haus betrat, in welchem ihnen des ersteren wackere Hausfrau, freundlich
grüßend, entgegen kam.

Vor allen Dingen mußte er nun seine nassen Kleidungsstücke ab und
trockene anlegen, und bald vergaß er bei guter, nahrhafter Kost und
neben einem erquickenden Feuer die überstandenen Mühseligkeiten und
Entbehrungen.

Jetzt bekam er aber auch Zeit, das Innere der einfachen Hütte, in
welcher die kleine Familie hauste, zu betrachten, und begriff in der
That nicht, wie Menschen, die früher schon einmal an mehr und größere
Bequemlichkeiten gewöhnt gewesen waren, hier und unter solchen
Verhältnissen existiren konnten. Das Haus bestand, nach der gewöhnlichen
Bauart des Landes, aus unbehauenen Stämmen, und die Spalten zwischen
diesen waren, um den rauhen Nordwind abzuhalten, an dieser und an der
Westseite mit lang gespaltenen Stücken Holz und Lehm ausgefüllt, dadurch
eine feste und ziemlich warme, dem Klima wenigstens angemessene Wand
bildend; die beiden anderen Wände jedoch ließen Licht und Luft ein,
soviel nur durch die oft handbreiten Ritzen und Spalten einströmen
konnten. In einer Ecke des Hauses standen zwei Betten, über denen
ein langes Bret mit -- einem seltenen Artikel in Arkansas -- Büchern
befestigt war, und an der gegenüber stehenden Wand befand sich ein
anderer Gegenstand, den der Deutsche hier im Walde am wenigsten gesucht
hätte und der auch von dem Indianer mit neugierig staunenden Augen
betrachtet wurde: nämlich ein Fortepiano. Drei oder vier rohgearbeitete
Holz- und Rohrstühle, der Tisch, dessen Platte ein früherer Kistendeckel
bildete, und mehrere Kasten mit Schlössern und Fächern, auf denen das
wenige Küchengeräth aufgestellt war, füllten den übrigen Raum, und
Sechingen, als er das Alles eine Zeitlang betrachtet hatte, wandte sich
endlich zu seinem Wirth, der eben wieder einen tüchtigen, lang gehauenen
Hickoryklotz in's Feuer trug, und fragte, noch immer etwas schüchtern:

»Ist denn dieses wirklich der einzige Raum, den Sie mit Ihrer ganzen
Familie bewohnen?«

»Nein,« sagte Klingelhöffer, »hier neben an steht noch ein kleines,
sogenanntes Rauchhaus, wo wir unser Fleisch und Fett, die Kartoffeln,
etwas zu Brod ausgesuchten Mais und andere zum Hausstand nöthige Sachen
aufbewahren.«

»Und hier in diesem einzigen Zimmer wohnen und schlafen Sie?«

»Nun, ist das nicht genug?« lachte der Farmer, »da sollten Sie einmal
hier sein, wenn Gerichtstag ist, und wir noch zwei oder drei Nachbarn
und ein paar Advokaten zu bewirthen und unterzubringen haben, dann
geht's freilich eng her.«

»Die schlafen doch nicht mit in diesem Hause?«

»Wo denn sonst? Alle mit einander.«

»Das ist ja aber ganz unmöglich!«

»Unmöglich?« lachte der Farmer, »unmöglich?« wiederholte er
kopfschüttelnd -- »das ist ein Wort, was wir hier in Arkansas nicht
kennen; _unmöglich_ ist gar Nichts auf der Welt, sobald es nur uns
selbst und unser eigenen Bedürfnisse betrifft.«

»Sie Beide, mit Ihren drei Kindern (und die beiden Mädchen da draußen
können kaum noch Kinder genannt werden), schlafen und wohnen wirklich
fortwährend in diesem Zimmer? entbehren alle Bequemlichkeiten, die man
sich sonst bei einem Wohn- und Schlafzimmer als _un_entbehrlich denkt,
und existiren so gewissermaßen im Freien, auf offener Straße?«

»Ja, ja,« lachte Klingelhöffer, »und das ist noch gar nichts, jetzt
haben wir doch Dach und Fach, werden nicht naß, wenn es draußen regnet,
und können, wenn es kalt wird, ein Feuer anmachen, ohne dabei fürchten
zu müssen, daß uns der Wind die Funken und Kohlen über das Bettzeug
wegtreibt, wie das im ersten Winter der Fall war, wo wir hierher zogen
und ich das Haus erst aufbauen mußte. Meine arme Frau war noch dazu
damals krank und mußte viel, sehr viel ausstehen. Doch was man gern
thut, wird Einem auch leicht, und wenn wir viel, ja fast Alles von dem
entbehren müssen, an das wir im alten Vaterlande gewöhnt oder durch das
wir _ver_wöhnt waren, so drückten uns auch keine von den Sorgen, die
wir dort kannten; wir arbeiten Beide, und dafür vermehrt sich auch
unser Wohlstand und ich bin jetzt schon im Stande, das nächste Jahr ein
bequemeres und geräumigeres Wohnhaus aufzuführen; bis dahin muß dies
freilich noch ausreichen.«

»Ja, daß _Sie_ das Alles mit leichtem Muth ertragen können,« rief
Sechingen »finde ich sehr begreiflich! des drückenden europäischen
Zwanges enthoben, fühlt sich der Mann, auch wohl unter schlimmeren
Verhältnissen, kräftig genug, Alles zu bestehen und zu überwinden, was
ihm hemmend in den Weg tritt. Die schwache Frau aber, zarte Kinder, in
solcher Wildniß, den rauhen Stürmen der Jahreszeit, all den Entbehrungen
eines Lebens auszusetzen, das doch nur eigentlich für einen Indianer
passend scheint, da -- da weiß ich denn doch nicht, ob ich so etwas
über's Herz bringen könnte. Wenn nun die Frau krank wird und das Heimweh
bekommt, und sich ewig und ewig fortsehnt, zurück nach den verlassenen,
glücklicheren Verhältnissen?«

»Lieber Herr von Sechingen,« entgegnete ihm freundlich Klingelhöffer,
indem er seine Hand ergriff, »wenn die Frau ihren Mann recht herzlich
lieb hat, dann wird sie sich schon nicht von ihm fortsehnen, weil
sie Bequemlichkeiten entbehren muß, an die sie früher gewöhnt war,
im Gegentheil wird sie bei ihm bleiben wollen und alles das, was er
ertragen muß, Freude wie Leid, _mit_ ihm tragen, wie es _meine_ Frau
gethan; hat sie ihn aber _nicht_ so recht von Herzen lieb, dann bleibt
sich's auch ziemlich gleich, wo er seinen Leidenskelch leert, in der
Stadt, oder im Walde. Mein liebes Weib hier ist nun einmal an mich und
meine Laune gewöhnt, Gewohnheit thut viel, sie möchte mich nicht mehr
entbehren, nicht wahr, Alte? und da harren wir denn schon hier im Walde
zusammen aus.«

Er reichte bei diesen Worten der lächelnden, jungen Frau die Hand
hinüber, und diese erwiederte den herzlichen Druck und lehnte sich
vertrauend mit ihrem Köpfchen an seine Schulter.

»Ja, das ist Alles recht gut,« meinte Sechingen kopfschüttelnd -- »Sie
Beide haben sich lieb, wie sich Eheleute haben sollten, und können durch
Sparsamkeit und Fleiß leicht ihr Auskommen, selbst in den widerwärtigen
Verhältnissen finden; _warum aber?_ ich bin fest überzeugt, daß Sie
das auch im alten Vaterlande ermöglichen würden, und viele Genüsse des
Lebens kennen Sie hier nur dem Namen nach, die dort eine natürliche
Folge Ihres ganzen Wirkens wären.«

»Noch kennen Sie unser _Land_ nicht,« erwiederte ihm der Farmer
freundlich -- »Sie sind gewissermaßen erst _eine_ Nacht in Amerika, denn
den kurzen Aufenthalt in einem der besten Hotels von New-Orleans, wie
die kurze Reise auf bequemem, selbst mit jedem Luxus ausgestatteten
Dampfboot, dürfen Sie gar nicht rechnen; lernen Sie also das Land erst
ordentlich kennen, und ist das geschehen, dann wollen wir weiter über
dieses Kapitel reden; davon aber sein Sie überzeugt, daß es gewaltige
Vortheile sein müssen, die im Stande waren, einen Deutschen zu bewegen,
seinem Vaterlande für immer zu entsagen.

Nicht alle Menschen lernen übrigens diese Vorzüge einsehen, und viele
von diesen schleppen dann entweder ein unglückliches Leben in dem
fremden, freundlosen Lande hin, oder sie kehren in die alte, aus Unmuth
oder Veränderungssucht verlassene Heimath zurück; keiner aber, der Sinn
für Freiheit und Unabhängigkeit in sich trägt, wird, wenn ihn nicht
Familienbande unaufhaltsam dorthin ziehen, weniger erbärmlicher, leicht
zu entbehrender Bequemlichkeiten und Luxusartikel wegen den freien Wald
wieder mit den Ketten des alten Vaterlandes vertauschen. Thät' er es
aber doch, schmiegte er sich bloß deshalb wieder unter das, einmal
gemiedene Joch, flög' er wieder in den goldenen Käfig zurück, weil er
sich nicht gern im Walde, in Sturm und Regen sein Futter selbst sucht,
nun dann ist das kein Verlust für Amerika, solche Leute gehören auch
nicht in den Wald, sie sind Futter für Bälle und Theater.«

»Ich weiß nicht,« meinte Sechingen kopfschüttelnd, »man braucht gerade
kein Anhänger von Üppigkeit und Wohlleben zu sein, und mag doch die
Überzeugung haben, seine Zeit nützlicher und angenehmer verbringen zu
können, als im Walde bei einem Gewitterschauer. Mir zum Beispiel ist
die Kehle wie zugeschnürt, und ich werde die Erkältung in vierzehn Tagen
nicht wieder los.«

»Glaub's wohl,« lachte Klingelhöffer, »Sie sind aber auch gleich mit
dem Kopf zuerst in das Schlimmste hineingefahren; was uns hier im Walde
passiren kann: Kälte, Hunger und Nässe auszustehen, ist ein freilich
etwas großer Abstand gegen die reich besetzte Tafel und das warme Bett
eines Dampfbootes. Doch jetzt sollen Sie, wie ich hoffe, auch einige von
den Annehmlichkeiten unseres Wald- und Farmerlebens kennen lernen, und
wenn diese Sie dann nicht ganz mit unserer rauhen Heimath aussöhnen, so
werden sie wenigstens viel dazu beitragen, Ihnen das Leben hier nicht
allein von seiner Schatten-, sondern auch von seiner Lichtseite zu
zeigen. Es giebt auch im Urwald glückliche Menschen.«

»Der Urwald verliert aber doch sehr in der Nähe,« erwiederte Sechingen,
als er durch eine Spalte der Wohnung hinaus auf die, von grauen,
nassen Regenwolken überhangenen Baummassen blickte, während der Wind,
unheimlich pfeifend, durch ihre Wipfel brauste und ihnen die großen,
klaren Tropfen aus den schwankenden Häuptern schüttelte, »ich hatte mir
in mancher Hinsicht ein anderes Bild davon entworfen.«

»Sie hatten nicht daran gedacht,« fiel ihm sein freundlicher Wirth
lachend in's Wort, »daß die gewaltigen, stattlichen Bäume auch im Sumpfe
stehen, oder gar quer über den Weg hin liegen könnten, und dann
die Passage eher versperren, als verschönern, daß nicht allein das
romantische Geheul der wilden Thiere, sondern auch das sehr prosaische
Gesumme der Mosquitos den Wald erfüllt, und daß sich eine Landschaft, wo
der Sturm auf den Flügeln der Windsbraut die Fläche durchsaust, wo tolle
Regengüsse aus den Wolken niederfluthen und trockene Wege zu Bächen und
Bäche zu Strömen werden, sehr hübsch und interessant auf der Leinwand,
keineswegs angenehm aber im wirklichen Leben, in der nüchternen
hausbackenen Wirklichkeit ausnehmen. Ja, das geht Manchem so, das giebt
sich aber, und zuletzt lernen wir selbst die Unannehmlichkeiten eines
wilden Lebens lieb gewinnen. Sehen Sie aber, wie sich der Indianer das
Fortepiano betrachtet, eine solche Maschine hat er im Leben noch nicht
gesehen, ich werde ihm etwas vorspielen.«

Damit trat der Farmer zu dem Clavier, öffnete es, und präludirte ein
wenig; gar wunderbarer Weise hatte sich auch das Instrument, einige Töne
abgerechnet, noch ziemlich gut in Stimmung erhalten, trotz der feuchten
Luft, der es fortwährend ausgesetzt war. Der Deutsche ging also nach
einigen schnell gegriffenen Akkorden zu einem leichten Walzer über, und
das Erstaunen Bob's, der vom Öffnen des Instrumentes an bis jetzt, starr
von Überraschung und Verwunderung gestanden hatte, erreichte nun seinen
höchsten Grad. Bei den immer schneller und munterer folgenden Tönen
heiterten sich aber auch seine dunklen, bis jetzt fast ausdruckslos
gewesenen Gesichtszüge auf, und ein Paar Reihen Zähne wurden sichtbar,
die an Weiße dem frischgefallenen Schnee nichts nachgaben. Endlich
schloß Klingelhöffer, und vom Stuhle aufstehend, klopfte er dem Indianer
auf die Schulter und frug: »wie das klänge?«

»=Bless my soul=,« sagte dieser, noch immer das früher nie gesehene,
wunderbare Gestell betrachtend -- »eine große Violine mit Zähnen und
Beinen wie ein Bär, die das Maul aufmachen kann -- Bob hat noch nie so
ein Ding gesehen!«

»Und wie gefällt es Dir?«

»Gut -- unmenschlich gut!« sagte Bob, indem er den Mund von einem Ohr
bis zum andern zog.

»Sehen Sie, hier haben Sie gleich eine Naturbeschreibung des
Fortepianos,« lachte der Farmer, »der Bursche wird Wunderdinge davon
erzählen, wenn er wieder nach Little Rock kommt; aber apropos, da wir
von Little Rock reden, wo haben Sie denn Ihre Sachen gelassen, etwa
dort?«

»Ja, bei Charles Fischer.«

»Nun da stehn sie ziemlich sicher, sonst ist dem Neste gerade nicht viel
zu trauen; ich habe allen Respekt vor dieser Hauptstadt von Arkansas.«

»Haben Sie von dem Staat eine eben solche Meinung, als von der Stadt?«

»Dann blieb ich hier nicht wohnen, nein, ich halte Arkansas für den
besten Staat der Union, das heißt, er ist mir der liebste, ich möchte in
keinem anderen wohnen, und hoffentlich werden Sie dasselbe sagen, wenn
Sie erst einmal im Lande umhergestreift sind und die verschiedenen
Gegenden selbst besucht haben. Wohin gedenken Sie sich von hier aus zu
wenden?«

»Aufrichtig gesagt,« erwiederte ihm Sechingen, »so hatte ich nach dem,
was ich von Herrn Fischer in Little Rock gehört, große Lust, mir
irgend ein Stück Land in dieser Gegend auszusuchen, und mich darauf
niederzulassen. Es ist dieß die Ursache, weßhalb ich nach Amerika
ausgewandert bin, ich -- ich hatte ein so gewaltiges Sehnen nach dem
-- nach dem Urwald; seit letzter Nacht hat sich das freilich bedeutend
gegeben, und ich möchte doch nun erst die hiesigen Verhältnisse ein
wenig genauer kennen lernen, ehe ich mich bleibend festsetze. Ist es
Ihnen also recht, mein bester Herr Klingelhöffer, und fall' ich Ihnen
nicht zur Last, so bleib ich ein paar Tage bei Ihnen, wir durchziehen
dann die Nachbarschaft ein wenig, und ich kann mich im Laufe dieser
Woche fester und genauer bestimmen.«

»Von Herzen gern,« sagte der wackere Farmer, ihm die Hand reichend, »Sie
sind mir so willkommen, wie die Blumen im Mai, und sehen Sie sich das
Land erst einmal an, dann gefällt es Ihnen auch. Wie wär's, wenn wir
Ihre Sachen indessen von Little Rock heraufkommen ließen? Das nächste
Dampfboot kann sie bis Bakers Landung am Arkansas bringen, und dort
holen wir sie in nächster Woche mit meinem Canoe ab.«

»Wo aber soll ich bei Ihnen schlafen?« frug Sechingen mit komischem
Ernst, indem er sich überall im Hause umsah -- »wenn Ihre Frau und
Töchter --«

»Thorheiten,« lachte Klingelhöffer -- »das fällt hier alle Tage vor, wir
machen Ihnen ein Lager auf der Erde -- ein wenig hart wird's sein, doch
daran müssen Sie sich gewöhnen; ein Jäger darf überhaupt nicht so sehr
viele Bedürfnisse haben.«

»Jagen Sie viel?«

»Nein, sehr selten, ich bin kein großer Freund mehr davon.«

»Es ist wohl viel Wild in der Gegend?«

»Ja, ziemlich viel Hirsche und Truthühner!«

»Auch Bären, nich wahr?«

»Dann und wann kommt uns einmal so ein alter Bursche zwischen die
Schweine, doch sind wir in solchem Falle schnell mit den Hunden dahinter
her, und fangen ihn entweder, oder treiben ihn doch wenigstens aus der
Nachbarschaft.«

»Dann und wann?« frug Sechingen sehr erstaunt, »aber Charles Fischer hat
mir ja gesagt, daß sie hier fast nur von Bärenfleisch lebten.«

»Dann müßten wir bald genug verhungern,« lachte der Farmer. --
»Speck und Maisbrod, das ist die Kost, selten einmal Hirsch- oder
Truthahnfleisch, denn Bären fangen an zu den Seltenheiten zu gehören --
ich habe in den sechs Jahren, die ich hier bin, erst drei geschossen.«

»So hat Fischer also wohl auch mit dem Anpreisen des Landes nicht die
Wahrheit gesagt?« meinte schon etwas kleinlaut der junge Deutsche.

»Das steht auf einem anderen Blatt!« rief der Farmer -- »davon sollen
Sie sich auch selbst überzeugen, denn wenn er nicht fürchterlich
aufgeschnitten hat, so werden Sie Ihre Erwartungen eher noch übertroffen
finden. Außerdem ist dieß eine Erfahrung, die Sie ebenfalls in Amerika
machen müssen: jeder Farmer preist _die_ Gegend, in der er selbst
lebt, am meisten, und ich sehe nicht ein, warum ich mich allein davon
ausschließen sollte, da ich noch dazu das gute Recht und vollkommene
Ursache auf meiner Seite habe. Aber wie ist's? wollen wir an Charles
nach Little Rock schreiben, daß er die Sachen heraufschicken soll? Der
Indianer könnte den Brief mitnehmen?«

Sechingen blickte unentschlossen vor sich nieder; er hatte sich das
Leben im Walde doch ganz anders gedacht -- sollte er hier -- in
einer solchen Wildniß von jedem Verkehr mit civilisirten Menschen
abgeschnitten (ein oder zwei Nachbarn höchstens ausgenommen) förmlich
versauern? -- sein Geld an todtes, mit ungeheueren Bäumen bewachsenes
Land wenden, das er vielleicht nachher nicht einmal bebauen konnte? --

»Hm« -- sagte er nach ziemlich langer Pause -- »ich weiß doch nicht --
wenn ich nun wieder zurückginge nach Little Rock, so« --

»Ja, wenn Sie darüber noch nicht mit sich im Reinen sind,« unterbrach
ihn schnell der Farmer, »dann lassen Sie's lieber beim Alten -- ich sehe
schon wie's steht -- die Sachen mögen also unten bleiben und gefällt
Ihnen unsere Gegend gut genug, ei nun, dann wird auch Rath werden, die
paar Habseligkeiten mit Allem, was ein Farmer hier sonst noch im Walde
brauchen könnte, heraufzuschaffen. Morgen sollen Sie ein Stück von
unserer Gegend kennen lernen, und daß ich Ihnen nicht das schlechteste
zeigen werde, darauf mögen Sie sich ebenfalls verlassen.«

Der Indianer, der indessen mit Speise und Trank und einem tüchtigen
Glase Whiskey hinlänglich gestärkt war, von Sechingen auch die Bezahlung
für seine Mühe empfangen hatte, rollte nun die an dem Feuer getrocknete
wollene Decke wieder zusammen, in deren Falten er vorher noch ein paar,
nicht unansehnliche Stücke Maisbrod und Speck barg, warf einen letzten,
sehnsüchtigen Blick nach der, wieder auf das Wandbret gestellten grünen
Flasche hinauf, murmelte einen kurzen Abschiedsgruß und schlug bald
darauf den schmalen, an der Fenz hin führenden Fußpfad ein, der der
Countystraße zulief. Über die Berge hin war er so im Stande, Little Rock
trockenen Fußes zu erreichen.

Sechingen sah sich bald häuslich eingerichtet, und wider alles Erwarten
wurde sein, wenn auch etwas hartes Nachtlager, so vortheilhaft, und
selbst dem verwöhnten Körper des Europäers genügend hergestellt, daß er
-- vielleicht auch noch durch die ungewohnten Anstrengungen mehr als je
ermüdet -- sanft und ruhig bis zum nächsten Morgen schlief, und sich bei
seinem Erwachen zum ersten Male gestehen mußte, es sei doch eigentlich
recht wenig, mit dem ein Mensch glücklich und zufrieden leben könne,
wenn er nur mit sich selbst im Reinen und ein freier Mann, seinem freien
Willen auch frisch und fröhlich folgen dürfe.

Ein nach amerikanischer Art zubereitetes Frühstück wurde jetzt verzehrt,
und Sechingen glaubte, daß sie gleich nach Beendigung desselben
aufbrechen wollten; Klingelhöffer hatte aber die Absicht, seinem Gast,
ehe er ihn auf das Land selbst führe, auch die Schwierigkeiten zu
zeigen, die eine Urbarmachung desselben mit sich bringe. Unter dem
Vorwande also, noch Feuerholz schlagen zu müssen, nahm er den jungen
Mann etwa hundert Schritte mit in den Wald, zeigte ihm eine, hier unter
jenen Stämmen keineswegs stark aussehende Eiche von circa drei Fuß im
Durchmesser, und bat ihn, »den kleinen Stamm,« da er das doch Alles
lernen müsse, einmal zu fällen, er wolle dann in einem Viertelstündchen
wiederkommen, um ihn abzuholen.

Von Sechingen, der sich lange danach gesehnt, einmal seine Kraft an den
Riesen des Waldes zu versuchen, griff freudig nach der schweren Axt,
und seine Schläge -- als ihm der Farmer erst gezeigt hatte, wie er das
Werkzeug am vortheilhaftesten halten müsse -- suchten sich bald ihr Echo
in den nahen Hügeln.

Klingelhöffer, der wohl gemerkt, daß dem jungen Mann die Romantik des
Waldlebens noch zu sehr im Kopfe lag, und der ihn daher gern zu der
derben, hausbackenen Wirklichkeit zurück führen wollte, schritt,
still vor sich hinlächelnd, dem eigenen Hause wieder zu. Was er aber
vorausgesehen, traf auch und zwar in sehr kurzer Zeit ein; Sechingen
hackte allerdings eine ziemliche Weile an dem gewaltigen Baum herum, das
zähe Holz wollte jedoch seinen ungleich geführten Hieben nicht weichen,
nur hie und da sprang ein, durch einen Kreuzhieb gelöstes Spänchen ab
und er mußte sich endlich -- todesmüde und die Hände voller Blasen --
gestehen, das Wort _urbarmachen_ klänge wohl ausgezeichnet und
nehme sich auch sehr schön auf dem Papiere aus, passe jedoch in der
Wirklichkeit ganz und gar nicht für ihn. So viel sah er ein, und wenn
er den ganzen Tag hier stehen geblieben wäre -- den Baum hätte er doch
nicht umgebracht.

Klingelhöffer fand ihn ziemlich verstimmt am Fuß der Eiche sitzen, und
so versunken schien er im Anblick seiner Blut unterlaufenen Hände, das
er den Kommenden gar nicht hörte, bis er dicht neben ihm stand.
Dieser aber suchte ihn nun auch über das noch nicht Glücken und
Vorwärtsschreiten der Arbeit zu trösten und meinte, »es fiele kein
Meister vom Himmel und gut Ding wolle Weile haben -- solche Arbeit fände
ein Jeder schwer, der erst in den Wald zöge, und selbst Leute, die ihr
Lebelang Nichts gethan hätten als schwere Werkzeuge geführt, müßten
sich an die Führung der Axt gewöhnen, ehe sie im Stande wären, etwas
Tüchtiges zu leisten -- er solle deshalb auch ja nicht muthlos werden,
denn Lust zur Sache sei halb gewonnen Spiel, und wenn ein Mann einmal
recht ernstlich _wolle_, so könne er es auch durchführen, trotz allen
Schwierigkeiten und Hindernissen.«

Das waren eine Menge Thatsachen und unbestreitbare Wahrheiten, die
Sechingen nicht gut wegläugnen konnte, das harte Eichenholz stand aber
auch wieder auf seiner Seite als ein _unfällbarer_ Beweis, und nur froh,
für jetzt durch eine gute Ausrede der fatalen Arbeit enthoben zu sein,
folgte er seinem freundlichen Wirth zum Haus, bestieg eines von den
Pferden und ritt nun mit ihm in den Wald hinein.

Jetzt aber hatte auch das heitere Sonnenlicht all die dunklen, trüben
Regenschatten verscheucht und seine behebenden Strahlen fielen frisch
und fröhlich durch die glänzenden, glizernden Blätter der leise
rauschenden Wipfel zur Erde nieder -- der ganze Wald duftete so
lieblich, der klare Himmel hing so rein und lächelnd über der
wunderschönen Welt, daß Sechingen schon fast die überstandenen
Mühseligkeiten vergaß und endlich auch seinem Begleiter nicht länger
verschweigen konnte, welchen so ganz verschiedenen Eindruck der Urwald
_gestern_ und _heute_ auf ihn gemacht habe.

»Das alte Lied,« lachte dieser, »bei trübem Wetter sehn wir auch die
ganze Welt mit trüben Gläsern an, und scheint dann die liebe Sonne und
zwitschern die muntern Vögel ihr Lied dazu, dann hängt der Himmel gleich
wieder voller Geigen. Wir wollen die Mittelstraße wählen -- ja -- es ist
schön hier im freien Wald, so schön, daß ich glaube, das Herz würde mir
brechen, müßt ich ihm einmal wieder ade sagen, aber -- er hat auch seine
großen Schattenseiten, von denen Sie bis dahin allerdings erst _sehr_
wenige kennen gelernt haben. Vollkommen ist jedoch Nichts auf der Welt,
und so lange die guten Eigenschaften nicht von den bösen überdeckt
werden, ei nun, so lange dürfen wir uns dann auch nicht sonderlich
beklagen. Jetzt sehen Sie sich das Land erst einmal ordentlich von allen
Seiten an, und dann können Sie sich nach bestem Urtheil frisch und frei
entschließen, was Sie zu thun beabsichtigen.« --

Mehrere Stunden lang ritten die Beiden im Wald umher und Klingelhöffer
gab sich besondere Mühe, dem neuen Ankömmling die verschiedenen
Landarten und die Vegetation, durch welche sie sich unterscheiden, zu
zeigen; dieser aber, der sich in seinem ganzen Leben noch nicht um Land
oder Ackerbau bekümmert hatte, widmete dem Gegenstand keineswegs die
Aufmerksamkeit, die er verdiente, und die jener zu finden erwartete,
sondern sah sich jetzt vielmehr fortwährend nach Wild um und kam dadurch
nicht selten in die unangenehmsten Berührungen mit vorstehenden Ästen
und niederhängenden Schlingpflanzen. Dabei übersprang sein kleines
muthiges Pferd alle Augenblicke vor ihnen liegende Stämme und Äste, oder
Wassergräben und Sumpflöcher, und brachte den Reiter mehrere Male
sogar aus allem Gleichgewicht, daß er sich kaum noch im Sattel erhalten
konnte.

Die Mittagszeit rückte so heran, noch immer aber machte Klingelhöffer
keine Anstalt heimzukehren, denn er behauptete, und auch ganz mit Recht,
sie wären nun doch einmal draußen im Wald und es sei nicht allein für
den Fremden gut, das Land und die Vegetation kennen zu lernen, sondern
er selbst wolle auch die Gelegenheit gleich benutzen, nach seinem Vieh
zu sehen, das hier in der Nähe seine Weideplätze hätte, denn apart
deswegen hierherzureiten, nähme ihm zu viel Zeit weg.

Sechingen hatte nach und nach einen merkwürdigen Hunger bekommen, und
die Glieder schmerzten ihn ebenfalls von der so ganz ungewöhnlichen
Bewegung, Klingelhöffer schien aber von dem Allen Nichts zu spüren,
ritt durch tiefe Gräben, die steilen Ufer hinab und herauf, wich keinem
Dickicht aus, gallopirte an Stellen, wo Sechingen lieber abgestiegen
wäre und das Pferd geführt hätte und zeigte sich hier in dem wilden
pfadlosen Walde so zu Hause, als ob er in seiner eigenen Stube
umherginge.

Da -- er hatte eben davon gesprochen, den Heimweg anzutreten, und der
müde Reiter athmete schon hoch auf -- schlugen nicht weit von ihnen
entfernt die Hunde an und der Farmer, sich hoch dabei im Sattel
emporrichtend, horchte den, ihm so wohl bekannten Tönen mit der
gespanntesten Aufmerksamkeit. -- Mehre Secunden lang war jetzt Alles
still -- da plötzlich ertönte der Lärm auf's Neue und der Farmer,
der jetzt wußte, daß seine Hunde irgend etwas im Walde gestellt oder
wenigstens aufgejagt hatten, fühlte im Nu den alten Jagdeifer in sich
erwachen.

»Hurrah!« rief er, und wandte sich im Sattel nach seinem Begleiter um --
»die Hunde sind fleißig, wir wollen die Pferde einmal laufen lassen,
das Bischen Bewegung wird ihnen Nichts schaden.« Und ohne weiter eine
Antwort abzuwarten, drückte er dem eigenen Thiere die Sporen in die
Seite und dieses, der Aufforderung nur zu gern Folge leistend, flog in
muthigen Sätzen der Richtung zu, aus der das Bellen und Toben der Hunde
jetzt immer deutlicher zu ihnen herüberschallte. Sechingen mußte, wollte
er hier nicht allein im fremden Wald zurückbleiben, folgen und sein
eigenes Pferd, das schon ungeduldig den Kameraden hatte davon gallopiren
sehen, fühlte kaum den leichten, fast unwillkührlichen Schenkeldruck,
als es fröhlich wiehernd hinten ausschlug und nun in tollen,
unaufhaltsamen Sätzen den Spuren des Vorangegangenen folgte.

Nun war Sechingen zwar ein geübter Reiter, und saß besonders schön und
kunstgerecht im Sattel, verstand auch die Behandlung eines zugerittenen
Pferdes aus dem Grunde, durch solch wildverwachsenen Wald aber zu
gallopiren und noch dazu mit allem möglichen Schieß- und Jagdgeräth
behangen, das war mehr als er je versucht hatte, und bald blieb er
mit dem locker befestigten Pulverhorn, bald mit dem Griff seines
Hirschfängers, bald mit dem Gewehrriemen in den Zweigen und
Schlinggewächsen hängen, und endlich wurde er gar bei einem schnellen
Seitensprung des Pferdes, das einer vor ihm liegenden Schlange
auszuweichen suchte, unter einen vorragenden Ast gerissen und -- mit
Blitzesschnelle aus dem Sattel gestreift. »Das Roß, des Reiters ledig,«
schien weiter gar keine Notiz von ihm zu nehmen, und von Sechingen
befand sich bald darauf, als auch das Bellen der noch fernen Hunde
nachgelassen hatte, mitten im Wald, ohne Weg, ohne Steg -- jeder
Richtung, jeder Himmelsgegend unkundig -- allein.

Eine volle Stunde wohl irrte er jetzt, mit immer steigender Angst und
jenem entsetzlichen beengenden Gefühl, das sich stets des Verirrten
bemächtigt, in der Wildniß umher -- seine feine Tuchpikesche war in den
scharfen Dornen zerrissen, die Pulverhornschnure abgesprengt und das
Pulverhorn verloren, den Hirschfänger hatte ebenfalls wahrscheinlich
irgend eine Ranke erfaßt und herausgerissen -- die Scheide hing ihm leer
an der Seite -- die Mütze mochte Gott weiß wo sein, Gesicht und Hände
bluteten ihm und die Rippen thaten ihm alle mit einander im Leibe weh.
Erschöpft warf er sich endlich unter einer alten Eiche nieder -- er
konnte nicht mehr vorwärts, er _mußte_ erst ausruhen.

»Und hier soll man den Urwald sehen?« rief er endlich in vollem Unmuth
aus -- »hier wo man den Kopf nicht heben darf, ohne mit dem Gesicht in
irgend einem verwünschten Dornenbusch hängen zu bleiben -- und die Bäume
-- großer Gott, es nähme ja ein Lebensalter, um nur ein halbes Dutzend
von diesen Kolossen umzuwerfen; und dann ist die Erde hier so mit
Wurzeln verwachsen, daß man kaum einen Stock hineinstoßen, geschweige
denn einen Pflug hindurchziehen könnte. Nein -- ich passe nicht
zu solchem Geschäft -- ich habe mir das viel romantischer gedacht.
Blüthenbäume -- blumige Ranken -- duftenden Wald -- zum Himmel strebende
Riesenstämme -- hol' sie alle mit einander der Teufel -- ich will Gott
danken, wenn ich erst wieder an einem gedeckten Tisch sitze, und eine
heiße Tasse Kaffee trinken kann -- und jetzt gar verirrt -- in dieser
fürchterlichen Wildniß. --«

Er sprang in aller Verzweiflung wieder auf, um nur wenigstens einen
gangbaren Pfad zu finden, der ihn zu einer menschlichen Wohnung führe;
da hörte er plötzlich, nicht weit von sich entfernt, das laute »Hallo«
Klingelhöffers. Vor lauter Freude schoß er rasch die Büchse ab, das
verhinderte ihn aber nicht auch seiner, leider schon sehr angegriffenen
Kehle, noch eine letzte, außerordentliche Anstrengung zuzumuthen, um ja
die Stelle anzudeuten, wo er sich befinde.

Klingelhöffer stand bald an seiner Seite, und wenn er auch im ersten
Augenblick nicht umhin konnte, recht herzlich über das tragikomische
Aussehen seines etwas arg mitgenommenen Gastfreundes zu lachen, so that
ihm dieser doch auch wieder, da er ja fremd und ein Neuling im Walde
war, leid, und er bot nun Alles, was in seinen Kräften stand, auf, um
ihn zu trösten und ihm Muth einzureden.

Es war ein erster, wenn auch etwas böser Anfang, wie er sagte, und
hatte wenigstens das Gute, ihn alles Nachkommende so viel leichter und
bequemer ertragen zu lassen. Von Sechingen schien übrigens gar nicht
geneigt, irgend etwas _Nachkommendes_ abzuwarten, und zum Tode matt
ließ er fast willenlos mit sich geschehen, daß ihn der Farmer auf sein
eigenes Pferd setzte. Er hatte, seiner Versicherung nach, keinen ganzen
Knochen mehr im Leibe, dafür aber Hunger wie ein Wehrwolf, Kopf- und
Zahnschmerzen und noch außerdem verloren, was an seinem Körper nicht
niet- und nagelfest gewesen.

In Klingelhöffers Wohnung endlich angelangt, stärkte er seinen
ermatteten Körper durch Speise, Trank und Ruhe. Nichts in der Welt
hätte ihn aber am nächsten Morgen vermögen können, eine zweite Tour zu
unternehmen, um erstlich die verlorenen Sachen wieder zu suchen und
dann auch, wie der Farmer lächelnd bemerkte, »das Land noch etwas besser
kennen zu lernen.« Er verschwor sich hoch und theuer, vom Lande mehr
zu wissen, als ihm lieb sei, und war, als der Morgen graute, fest
entschlossen nach Little Rock zurückzukehren. Als Ausrede meinte er
zwar, er wünsche erst die östlichen Städte und den Osten überhaupt
zu bereisen, ehe er sich ganz fest im Walde niederlasse; was aber die
Ursache dieser schnellen Sinnesänderung gewesen, ließ sich wohl leicht
genug erkennen.

Weiteres Zureden blieb auch nutzlos, und Klingelhöffer erbot sich also,
ihn wenigstens mit einem Handpferd eine Strecke auf der Countystraße
hin zu begleiten, damit er nicht die ganze Strecke, etwa 44 englische
Meilen, zu marschiren hätte. Nach Mittag, als sich sein Gast von den
erduldeten Strapatzen ein wenig erholt, brachen sie auf, und der wackere
Farmer ritt so weit mit ihm, daß er eine, am Wege liegende deutsche
Ansiedelung noch bequem vor Dunkelwerden erreichen konnte, und nahm erst
dann, den Dank des Fremden für die ihm gewordene so freundliche Aufnahme
und Gastfreundschaft leicht übergehend, herzlichen Abschied von diesem.

»Leid thut mir's nur,« sagte er, als er ihm noch vom Pferde herunter
derb und gutmüthig die Hand schüttelte, »daß Ihre Lust zur Ansiedelung
gleich beim ersten Anlauf einen solchen Stoß erhalten hat, aber --
ich gebe noch nicht Alles verloren, suchen Sie den schönen Westen doch
später einmal wieder auf. Von Deutschland gleich ohne weiteres nach
Arkansas hineinzufallen, ist allerdings ein etwas zu großer Abstand,
haben Sie sich aber erst einmal eine Zeitlang in den östlichen Städten
herumgetrieben, so wird Sie's schon wieder in die gesunde Waldluft
zurückziehen. Vergessen Sie dann nicht, daß Sie in meiner Hütte immer
herzlich willkommen sind. So leben Sie denn wohl -- grüßen Sie mir die
Deutschen in Little Rock, und halten Sie sich nicht länger dort auf als
Sie müssen -- es giebt bessere Plätze in den Vereinigten Staaten.«

Damit hatte er den Zügel des Handpferds um seinen Arm geschlungen,
winkte noch einmal einen letzten Gruß herüber, stieß dem eigenen Thiere
die Hacken in die Seite, und trabte pfeifend waldeinwärts.

Von Sechingen blieb aber noch lange sinnend auf dem Wege stehen und sein
Auge ruhte schweigend auf den grünen Waldesschatten, hinter denen sein
Gastfreund soeben verschwunden war. Kopfschüttelnd dachte er dabei an
Alles, was er in so kurzer Zeit erlebt, zurück.

»Das also,« sagte er endlich tief aufseufzend, »das ist das
stille freundliche Farmerleben -- _das_ ist die patriarchalische
Zurückgezogenheit der Wälder. Kaum zweimal vier und zwanzig Stunden bin
ich drin, und wie seh ich aus? Meine Kleider sind zerfetzt, den alten
Hut, den mir Klingelhöffer zum Nothbehelf gegeben hat, würde bei uns zu
Hause kein Lumpensammler aufheben, und ich muß noch froh sein, daß ich
ihn nur habe und nicht im bloßen Kopfe zu rennen brauche; Hirschfänger
-- Taschentuch, Pulverhorn, Zündhütchenaufsetzer -- Alles bin ich
losgeworden, im Gesicht und an den Händen sehe ich so zerkratzt aus, als
ob ich die Nacht in einer Dornenhecke geschlafen hätte. Dazu schmerzen
mich alle Knochen -- ich habe einen fürchterlichen Schnupfen, und von
dem harten Lager Hühneraugen am ganzen Leibe. Nein, guter Sechingen, so
viel merk' ich, für den Wald paßt Du nicht -- ja, der Urwald sieht sich
recht gut an -- wenn man sich nicht gerade Bäume zum Umhacken aussucht
-- es liest sich auch recht gut darüber, schläft sich aber nur höchst
mittelmäßig darin, und was das Reiten anbelangt, so soll mich Gott vor
einem zweiten Versuch bewahren. Nein, Du _mußt_ ja kein Farmer werden --
Du kannst Coopers Romane lesen, für Indianer schwärmen -- wenn Dir Dein
_Schuster_ nicht die Ideale verdirbt -- und kannst auch meinetwegen --
heißt das im Geist -- den wilden Bär und Büffel verfolgen -- so lange es
aber keine Chausseeen und Hotels hier giebt, gehe ich nach New-York oder
Philadelphia.«

»Und meine jetzige Reise?« fuhr er leise murmelnd in seinem
Selbstgespräch fort, als er sich langsam dabei wandte und auf der
Countystraße hinschritt -- »ih nun -- es war doch immer eine ganz gute
Erfahrung und -- wenn weiter Nichts -- ein _Versuch_ zur _Ansiedelung_.«



Cincinnati.


Cincinnati, »die Königin des Westens,« wie sie in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika allgemein genannt wird, liegt in der
südwestlichen Ecke Ohio's, dessen schönste und bedeutendste Stadt
sie ist. Erst seit einigen sechzig Jahren entstanden (denn noch leben
Männer, welche 1791 die erste Blockhütte dort bauen halfen), zählt sie
jetzt schon über 100,000 Einwohner und hat im Westen dieselbe Bedeutung
erlangt, deren sich New-Orleans im Süden und New-York im Osten rühmt.
Da Ohio selbst schon seit etwa 30 Jahren besonders von deutschen
Auswanderern angebaut wurde, so breitete sich auch Cincinnati immer mehr
und mehr aus, vertheilte nicht allein von dort die den Mississippi
und Ohio heraufkommenden Fremden in dem Staat, sondern ward auch zum
Mittelpunkt des Binnenhandels, der die Producte des Nordens, als Mais,
Mehl, Whiskey, eingepöckeltes Schweinefleisch, getrocknete Früchte,
Kartoffeln etc., nach dem Süden versandte und dafür die Erzeugnisse der
wärmeren Landstriche, als Zucker, Baumwolle, Tabak, Seesalz, Kaffee und
die übrigen Früchte der Tropenländer in Empfang nahm. Zur Erleichterung
dieses Zweckes stand es nicht allein durch den Ohio, einem großen,
schönen Strom, mit dem Osten, sondern auch durch den westlichen Canal
mit Buffalo und den nördlichen Seen, Erie, Michigan und Ontario in
Verbindung, und gute, nach europäischer Art angelegte Chausseen zweigten
sich durch das ganze Land. Durch die Erbauung eben dieser Wege und
Canäle, wie durch die gesunde Lage des Ortes selbst, wurde eine sehr
große Menge von Deutschen, meistens aus den ärmern Classen, veranlaßt,
die blühende Stadt aufzusuchen und sich in ihr oder wenigstens in der
Nähe derselben eine Existenz zu gründen.

Besonders strömten von Norddeutschland, Oldenburg und Hannover dem
Eldorado des Westens Schiffsladungen voll Auswanderer zu. Die natürliche
Folge aber war, daß, wo so viele zusammentrafen, die den Platz nur
in der Hoffnung aufgesucht hatten, nicht allein »Geld zu verdienen,«
sondern auch »reich zu werden,« der größte Theil derselben sich
getäuscht sehen und entweder unter nicht gerade glänzenden Verhältnissen
ausharren, oder weiter westlich einen geeigneteren Wirkungskreis suchen
mußte.

Natürlich war ein solcher Zusammenfluß von Menschen, die meistentheils
von allen Hülfsmitteln entblößt in Cincinnati eintrafen und nun, da sie
ihre Hoffnungen nicht realisirt, sich selbst obdach- und hülflos fanden,
sehr wenig dazu geeignet, den Amerikanern einen guten Begriff von
Deutschen und durch diese von Deutschland selbst zu geben, daher denn
auch wohl mancher, der mit dem schönen Glauben das fremde Land betritt,
schon durch sein Vaterland allein, wenn nicht freundlich angenommen,
doch geachtet zu werden, seinen Irrthum einsehen wird, wenn er findet,
daß der Name »Dutchman« nicht bloß bei den niedern Classen ein Spott-,
ja oft Schimpfname geworden. Das kann übrigens nur von den Städten
gelten, wo sich die rohe Hefe des Volkes concentrirte, im Lande selbst
ist der deutsche Landmann wegen seines eisernen, unermüdeten Fleißes
geschätzt und geachtet, wie denn auch die deutschen Ansiedlungen in den
nördlichen Staaten fast stets die bessern sind. Und doch muß eben der
Deutsche, selbst wenn er im alten Vaterlande den Ackerbau getrieben hat,
in Amerika wieder von vorn zu lernen anfangen, indem nicht allein Boden
und Erzeugnisse, sondern auch Ackergeräthschaften, wie die in jenem
Lande nöthigen Behandlungsarten der Felder ganz verschieden von den
unsern sind. Da die Arbeit dort aber leichter, der Humus selbst,
besonders in den westlichen Staaten so viel vorzüglicher als in den
alten, seit langen Jahren angebauten Landstrichen ist, so unterzieht
sich der Deutsche auch stets mit Lust und Liebe einer Lehrzeit, die
einen so reichhaltigen Erfolg verspricht, und sieht seinen Fleiß und
seine Ausdauer, welche letztere dem Amerikaner gänzlich fehlt, in kurzer
Zeit durch blühende Felder und üppige Vegetation belohnt.

Der Amerikaner, d. h. der nördliche Amerikaner (denn der südliche
Pflanzer in den Sklavenstaaten ist wieder ein ganz anderer Mensch), ist
auch fleißig, und arbeitet mit einer Schnelle und Gewandtheit, in der
ihm der Ausländer vergebens gleichzukommen sucht, aber nur kurze Zeit
hält er aus, das Gleichförmige ermüdet ihn, eine schlechte Ernte macht
ihn gegen sein Land mißtrauisch; er hört von fruchtbarerem, ergiebigerem
Boden, von besserer Weide, üppigerer Vegetation und augenblicklich führt
er den schnell entworfenen Plan aus. Gerade in dem Zeitpunkt, in welchem
der ruhige Deutsche anfängt, die Früchte seines Fleißes zu ernten,
verkauft der Amerikaner den Platz, der seine Heimath war, packt sein
bewegliches Eigenthum auf Karren und Wägen, treibt sein Vieh zusammen
und zieht gen Westen.

Etwas aber ist, was so vielen, ja man könnte sagen fast _allen_
Deutschen den Anfang einer zu gründenden Existenz erschwert: die
zu großen Erwartungen, mit denen sie gewöhnlich das neue Vaterland
betreten. Durch Briefe oder Reisebeschreibungen von dem schnellen, fast
fabelhaften Glückswechsel Einzelner in Kenntniß gesetzt, malt sich ihre
Phantasie die dortigen Verhältnisse mit den buntesten, heitersten Farben
aus; das Wenige, was von Noth und Sorgen, von getäuschten Erwartungen
und vernichteten Hoffnungen zu ihnen herüberdringt, verliert durch die
große Entfernung die scharfen, schroffen Conturen, wird gemildert oder
tritt vielleicht ganz in den Schatten zurück; kein Wunder denn, daß
Viele, nach kurzem Aufenthalt in Amerika, von dem sie oft nur eine der
östlichen Städte gesehen haben, das erste heimwärts segelnde Schiff
benutzen, in ihr altes Vaterland zurückkehren, und nun nicht sich
selbst, sondern das Land anklagen, das so war, wie es einmal ist und
nicht wie sie es sich dachten.

Von den Tausenden aber, die dort zurückbleiben, und hierzu nur zu
oft durch den Mangel an Mitteln, die zweite Seefahrt zu bestreiten,
gezwungen werden, sind doch auch, zur Ehre der Deutschen, recht Viele,
die mit männlichem Muthe das ertragen, was ihnen ihr Schicksal oder sie
vielmehr sich selbst aufgebürdet. Der englischen Sprache nicht mächtig
oder wenigstens nicht vertraut genug damit, um ihre Geistesfähigkeiten
geltend zu machen, sehen sie sich gezwungen zu Handarbeiten ihre
Zuflucht zu nehmen, und daher kommt es, daß man oft an Canälen,
Chausseen und Eisenbahnen, in Kohlengruben und auf Dampfbooten,
Doctoren und Geistliche, Offiziere und Kaufleute mit Hacken, Spaten
oder Schürstange, mit Schiebkarren und Handtrage beschäftigt findet, ihr
»tägliches Brod« zu verdienen.

In Pennsylvanien hatten sich z. B. in frühern Jahren in einer der
dortigen einträglichen Kohlengruben viele wissenschaftlich gebildete
Männer zusammengefunden und duldeten, um die gewöhnliche Classe der
Handarbeiter von ihrer Gesellschaft und Unterhaltung fern zu halten,
keinen zwischen sich, _der nicht lateinisch sprach_ oder wenigstens
einige zu diesem Zweck an ihn gerichtete Fragen befriedigend beantworten
konnte. Jene Grube hieß in damaliger Zeit »die lateinische Kohlengrube!«

Sehr natürlich findet sich am leichtesten jene Classe in die neuen
Verhältnisse, die schon im alten Vaterlande durch harte Arbeit ihr Brod
verdienen mußte, und nun in den Vereinigten Staaten einen etwas höhern
Lohn so wie bessere Nahrung erhält und doch freier und selbstständiger
dasteht. Diese Leute sammeln sich durch Fleiß und Sparsamkeit einige
hundert Dollars, kaufen nachher entweder ein Stückchen Land oder
gerathen in eine der größern Städte und beginnen hier ihre Carriere als
»Schenkwirth und Gastgeber;« daher die ungeheuere Menge dieser Trink-
und Wirths-, oder sogenannten Boarding-Häuser, von denen man, besonders
in Cincinnati, fast in jeder Straße einige findet, und die, ohne dem
Reisenden oder Fremden die geringste Bequemlichkeit zu bieten, ihm
eigentlich nur des Nachts in einem harten Bett ein Obdach gewähren und
ihn dreimal des Tages zu bestimmten Stunden abfüttern.

Da diese Leute nun hauptsächlich auf deutsche Einwanderer angewiesen
sind, die, der englischen Sprache nicht mächtig, durch das deutsche
Wirthshausschild angezogen bei ihnen einkehren, so verlieren sie auch
gar bald das Mitgefühl, das sie vielleicht noch für ihre Landsleute
gehegt hatten; sie fragen nicht darnach, was der Neuangekommene treibt,
was er anzufangen gedenkt, sie wollen nur wissen, ob er noch
genug Eigenthum besitzt, für die nächste Woche das »Boarding-Geld«
pränumerando bezahlen zu können oder an dessen Statt wenigstens einen
Koffer in Versatz zu geben vermag.

Überhaupt irrt man sich in Deutschland gewaltig, wenn man glaubt, der
Deutsche freue sich, im Ausland einen Landsmann zu finden. Im
Anfang, ja; noch nicht an die fremdtönenden Laute gewöhnt, klingt die
Muttersprache dem Ohre wie Musik; das verliert sich aber, man lernt
durch einen langen Aufenthalt unter den Fremden mit deren Augen sehen,
mit deren Gefühlen empfinden und legt nur zu oft mit den vaterländischen
Sitten auch das Gefühl für die ab, die diesen noch anhängen.

Nirgends zeigt sich aber diese Entfremdung unter Landsleuten stärker,
als gerade in Cincinnati, wo der Parteigeist oft in die bittersten
Feindseligkeiten ausartet; und doch sollten sich gerade hier die
Deutschen durch Einigkeit und festes Zusammenhalten enger an einander
anschließen, da ihnen in jener Stadt die arbeitende Classe der
Amerikaner besonders gram ist, und in ihrer Art und Weise auch wohl
nicht so ganz Unrecht hat, denn die das Land überströmenden Deutschen,
von denen in jedem Jahre Tausende nach Cincinnati kamen, um dort Arbeit
und Beschäftigung zu finden, waren zuletzt genöthigt jedes Anerbieten,
das sich ihnen darbot, zu ergreifen, um nur Obdach und Nahrung zu
erhalten, und arbeiteten um einen Lohn, der ihnen zwar, noch mit den
deutschen Preisen im Gedächtniß, hoch schien, in der That aber die
bisher gegebenen »=wages=« oft auf ein Drittel herabsetzte. Statt also
nun in der fremden, sie umgebenden Welt unter Leuten, von denen sie
nicht geliebt werden, brüderlich bei einander zu stehen, spalten sie
sich nicht allein in politischer, sondern auch in religiöser Hinsicht in
vier Hauptparteien, die selbst wieder unter sich ihre eigenen Zwiste und
Streitigkeiten haben.

Vor allen Dingen trennen sie sich in Katholiken und Protestanten,
und Nord- und Süd-, oder den dortigen Ausdrücken gemäß, »Hoch- und
Plattdeutsche,« die dann wieder als Whigs und Demokraten einander
feindlich gegenüberstehen, wobei die Protestanten noch ihre besondere
Malice als Lutheraner und Reformierte und Methodisten auf einander
haben, und sich aus diesen allen als letzter Kern ein Häufchen
Rationalisten aussondert. Als Organe dieser verschiedenen Parteien dient
den Katholiken der »Wahrheitsfreund,« ein ächt ultramontanes Blatt, den
Methodisten dagegen der »Christliche Apologete,« der mit schwärmerischem
Eifer seine Blitze gegen die Anhänger des Papstes, aber auch zu gleicher
Zeit gegen die Protestanten schleudert, aus deren Mitte im Jahre 1840
»der Lichtfreund,« dem Rationalismus Bahn brechend entstand, und nun
die Zornausbrüche des Wahrheitsfreundes sowohl als des christlichen
Apologeten auf sich concentrirte. Selten oder nie religiöse Gegenstände
berührend, vertheidigte indessen das »Volksblatt« die Sache der
Demokraten und warb mit regem Eifer für den demokratischen Präsidenten,
bis nahe vor der Wahl die deutschen Whigs, von den amerikanischen dabei
unterstützt, den »deutschen Amerikaner« herausgaben und augenblicklich
als die erbittertsten Feinde des Volksblattes auftraten. Zu jener Zeit
hatte also Cincinnati fünf sich einander feindlich gegenüberstehende
deutsche Zeitungen, doch ging der »deutsche Amerikaner« nach der Wahl,
die bekanntlich zu Gunsten des Whigpräsidenten, General William
Harrison ausfiel, wieder ein. Später wurde auch der »Lichtfreund«
wegen Übersiedlung des Redacteurs, Herrn Eduard Mühls, nach Hermann in
Missouri verlegt, dafür entstand aber, als Opposition des Volksblattes
»der deutsche Republikaner.«

Feinden sich aber in Cincinnati die Deutschen gar oft an und schimpfen
und schmähen sie einander, so existiren doch wenigstens nicht jene
Blutsauger unter ihnen, denen der eben von Deutschland Kommende in den
Seestädten nur zu oft in die Hände fällt. Ich selbst habe während eines
sehr kurzen Aufenthalts in New-York mehrere Deutsche kennen gelernt,
welche davon lebten, sich freundschaftlich an die in der fremden
Stadt unbekannten Landsleute anzuschließen, bis sie entweder den
letztmöglichen Cent aus ihnen herausgepreßt, oder von den wiederholt
Getäuschten durchschaut und gemieden worden waren. In Cincinnati gehen
sie offener und ehrlicher zu Werke, entweder mit der Feder oder -- geht
das nicht -- mit dem Munde, denn der Deutsche hat gewöhnlich noch vom
alten Vaterlande her eine Aversion gegen das »Zuschlagen.«

Der später angelegte Theil Cincinnati's, welchen der westliche Canal
von der eigentlichen Stadt und dem Ohiofluß trennt, ist größtenteils
von Deutschen bewohnt und wird auch von den Amerikanern »Little Germany«
genannt. Fast über jeder Thür hängen Schilde deutscher Wirthshäuser,
Schuster, Schneider und anderer Handwerker, die, wenn sie auch wirklich
dann und wann englisch geschrieben sind, den deutschen Meister doch
stets verrathen. Besonders können sich die vaterländischen Schuster mit
ihrem gemalten Stiefel in der Mitte und einem rothen Schuh an der einen,
einem schwarzen Schuh an der andern Seite nimmermehr verläugnen, eben so
wenig die Leute selbst mit ihren langen, blauen, schmalkragigen Röcken
und den weißleinenen Taschen, mit dem hochausgeschweiften Hut und dem
rothgeblümten Halstuch.

Das Elend aber, welches leider so oft unter jenen armen Familien
herrscht, die eben eingewandert, von allen Hülfsmitteln entblößt,
in kleinen, nackten, Kämmerchen mit großen Familien zusammengepreßt,
hungern und frieren, und vergebens nach Arbeit und dem verheißenen hohen
Lohn jammern, ist fürchterlich. Glücklich noch die, denen ein Freund
oder Verwandter im Anfang das Nothwendigste reichte, da nur zu oft schon
gerade _jene_ Stadt und Staat verlassen mußten, um irgendwo anders ein
Unterkommen zu suchen, die solch lockende, einladende Briefe, häufig nur
um zu prahlen, in die Heimath schrieben; der arme Einwanderer, welcher
fest auf die versprochene Hülfe baute, sieht sich nachher in dem fremden
Lande schutz- und freundlos, und ist nicht vermögend, sich selbst, viel
weniger seine zahlreiche Familie vor Mangel und Elend zu bewahren.

Schwere und drückende Noth herrscht dann oft unter den armen Leuten, und
dieß mag wohl auch die Ursache sein, daß die wohlhabenderen Landsleute
endlich abgestumpft gegen ein mit jedem Jahre wiederkehrendes Elend
werden, dem sie doch nun einmal nicht abhelfen können. Durch diese
übergroße Anzahl von arbeitsfähigen Männern verringert sich natürlich
auch mehr und mehr der Lohn, den die dortigen Ansiedler in früheren
Zeiten gezwungen waren zu geben, weil sie nicht Leute genug bekommen
konnten. Im Jahre 1840 bezahlten die Farmer fünf bis sechs Dollar den
Monat für einen kräftigen Mann, was, wenn man die dortigen Verhältnisse
bedenkt, entsetzlich wenig ist; und dennoch boten sich ihnen viele, sehr
viele an, welche nur um die Kost zu erhalten bei ihnen arbeiten wollten.
Mit dem Kaufmannsstande ist es dasselbe, und am allerschlimmsten
befinden sich Gelehrte, die, vielleicht mit tüchtigen Kenntnissen
ausgestattet, geglaubt haben, dort verstanden oder anerkannt zu werden.
Die armen Leute finden sich, besonders in Cincinnati, arg getäuscht.

Für die heimatliche Literatur sterben die Deutschen in Amerika ab. Die
gebildeteren Klassen lernen das Englische, und vernachlässigen schon
aus dem Grunde die Muttersprache, da sie zu selten Gelegenheit bekommen,
deutsche Schriften zu erhalten; die arbeitenden Classen aber lesen
einzig und allein Zeitungen, und nichts ist leichter, als eine solche
Zeitung zu redigiren. Der Redacteur muß nur dann und wann einen
Aufsatz schreiben, in welchem er aus Leibeskräften gegen die politische
Opposition zu Felde zieht; dabei dürfen natürlich die Wörter »deutscher
Freiheitssinn,« »deutsche Treue und Biederkeit« u. s. w. nicht fehlen.
Um das Blatt nachher zu füllen, erscheint im Anfang irgend ein Gedicht,
sei es von Goethe oder Schiller oder eignes Fabrikat, -- selbst
eingesandte werden mit Dank angenommen, -- dann eine kleine Novelle oder
Erzählung aus einer alten, vorsündfluthlichen Didascalia, hierauf einige
aus englischen, oder, ist es möglich, auch deutschen Blättern entnommene
Notizen, dann die Marktpreise und Ankündigungen, und die Nummer ist
versehen. Honorar ist nie zu fürchten.

Nun ist das Blatt freilich gedruckt, muß aber auch noch an die
verschiedenen Subscribenten herumgetragen werden; zu diesem Zwecke
schließt der Redacteur einen Contract mit irgend einem Mann ab, dem er
wenigstens die einzucassirenden Wochengelder anvertrauen kann, und der
von jeder Zeitung, die er austrägt, etwas Bestimmtes per Woche erhält,
dessen Vortheil es also neben dem Austragen auch ist, noch so viel neue
Abonnenten als möglich zu seinen alten zu bekommen, indem sich durch
eine Vermehrung des Absatzes auch sein Gehalt oder Einkommen vermehrt,
wobei er für die täglichen Blätter an jedem Sonnabend, für die
wöchentlichen jeden Monat das Geld eincassirt, weil überhaupt in Amerika
nichtansässige Leute selten lange an einem Platze bleiben, und ein
Verfolgen der Schuldner, da keine Controle weder über Fremde noch
Reisende geführt wird, unmöglich ist.

Cincinnati selbst liegt am nördlichen Ufer des Ohio, der von Pittsburg
aus, wo dieser durch den Zusammenfluß des Alleghany und Monongahela
seinen Namen erhält, sich östlich nach einem Lauf von circa 1000
englischen Meilen in den Mississippi ergießt. Es ist ein stattlicher
Strom, dessen malerische Ufer ihm den Namen des »amerikanischen Rheines«
gewonnen haben; bei Cincinnati mag er etwa eine englische Meile breit
sein und trägt im Winter und Frühjahr die größten Dampfboote, wird
jedoch im Sommer und Herbst, nicht mehr durch die Bergströme der
Alleghany-Gebirge genährt, an mehreren Stellen sehr seicht und die
Schifffahrt hört dann für die größern Boote auf. Durch diesen »schönen
Strom« aber (der indianische Name der Senecas ist Oh-ey-o oder der
schöne Strom) erhielt Cincinnati seine Bedeutung und wuchs schnell zu
einer der größten Städte der Union an; zwar versuchten Speculanten
am gegenüberliegenden Ufer in Kentucky am Ausfluß des Licking,
Oppositionsstädte zu erbauen, und New-Port wie Covington entstanden:
Cincinnati aber überflügelte sie schnell und wurde die »Königin des
Westens.«

Die eigentliche Stadt, -- denn sie zählt außer dem Städtchen Mohawk
noch mehrere Anbaue, -- liegt am Fuß einer Hügelreihe, die das Thal
des kleinen Miami einschließt, und hat mehrere Eisengießereien; dabei
versorgt sie fast die ganzen Vereinigten Staaten mit geschnittenen
eisernen Nägeln, die überall statt der geschmiedeten gebräuchlich sind.
In und um Cincinnati befinden sich auch die bedeutendsten Brauereien und
Whiskeybrennereien Amerika's, besonders aber Schlachthäuser, wie sie
auf keinem zweiten Platz in der Welt existiren; denn von hier aus
werden nicht allein die Vereinigten, sondern auch die südlich gelegenen
Staaten, Texas und Mexico, mit eingepökeltem Schweinefleisch versehen,
das sogar bis nach Südamerika verschifft wird.

Nichts schildert den Charakter eines Menschen deutlicher als kleine
Anekdoten und Angewohnheiten aus seinem Leben; eben so ist es mit einer
Stadt, die man wohl am leichtesten durch kleinere Züge ihres innern
Treibens und Verkehrs kennen lernt und von denen ich versuchen will, dem
Leser einige, wie sie mir noch frisch im Gedächtniß sind, mitzutheilen.


Der Markt.

Durch ganz Nordamerika haben die Marktplätze ein ziemlich ähnliches
Aussehen; ein sogenanntes »Markthaus« bildet den Mittelpunkt und besteht
aus einem auf einer doppelten Säulenreihe ruhenden Dach, unter dessen
Schutz die Fleischhauer oder Metzger den innern Raum einnehmen; um
diesen reihen sich die ein höheres Standgeld bezahlenden Gärtner an der
Außenseite, aber ebenfalls noch unter dem Schutz des Vorbaues an. In
Cincinnati sind drei solcher Marktplätze: der obere oder Flymarket,
der mittlere und der untere Markt; Montag und Donnerstag wird auf dem
ersten, Dienstag und Freitag auf dem zweiten und Mittwoch und Sonnabend
auf dem dritten Markt gehalten. Dort prädominiren die Deutschen
besonders, denn sie bilden nicht allein die Mehrzahl der Fleischer,
sondern haben auch mit wenigen Ausnahmen den alleinigen Verkauf der
Gartenfrüchte, und zwar schon aus dem Grunde, weil der Amerikaner in
dieser Hinsicht nun einmal ein Vorurtheil zu Gunsten der Deutschen hat,
die, wie er glaubt, Alle geborene Gärtner sind. Will ein Amerikaner im
Frühjahr seinen Garten herstellen lassen, so ruft er den ersten besten
Deutschen dazu und überträgt ihm die Arbeit, er fragt aber nie: »weißt
du mit einem Garten umzugehen?« sondern denkt, das verstehe sich von
selbst. Dabei haben unsere Landsleute das Monopol des Sauerkrautes, mit
dem es ihnen wie den Creolen mit ihrem Lieblingsgericht Gumbo geht: es
ist zum Spottnamen und zur Bezeichnung der Nation geworden, und nicht
selten hört man unter den niedern Classen der Amerikaner, wenn jemand
eine gemischte Versammlung bezeichnen will, den Ausdruck: »Es waren
Amerikaner, Gumbos und Sauerkrauts dort.«

Da übrigens die meisten der zu Markte Kommenden ihre Producte von
meilenweit entfernten Farmen herbeischaffen, so lassen sie dieselben
auf ihren kleinen einspännigen, mit Leinwand überzogenen Fuhrwerken,
und fahren diese auf beiden Seiten des Marktplatzes so auf, daß die
Einkäufer an der Außenseite umhergehend den im Hintertheil des Wagens
ausgelegten Inhalt sehen und prüfen können. Oft stehen Hunderte
derselben in langer, die Straßen weit hinausreichender Reihe beisammen
und geben dem Ganzen ein eigenthümliches Ansehen; was aber dem Europäer
besonders auffällt, sind die Einkäufer selbst. Wie ich zum erstenmal auf
einen amerikanischen Markt kam, traute ich meinen Augen kaum, als ich
nicht allein anständige, sondern sogar elegant gekleidete Männer, oft
in schwarzem Frack, mit Ringen an den Fingern, goldenen Uhrketten und
blendend feiner Wäsche großmächtige Körbe am Arm tragend zu Markte gehen
oder gar reiten sah; es war etwas unsern deutschen Sitten und Gebräuchen
so ganz entgegengesetztes, daß ich nur mit vieler Mühe das Lachen
verbeißen konnte. Nichts macht sich dann komischer, als wenn es anfängt
zu regnen und der »Gentleman« den schon zur Vorsorge mitgenommenen
Regenschirm aufspannt, dem kleinen Poney die Hacken in die Seiten setzt
und mit kurzen Steigbügeln, daß die Knie fast den Sattelknopf berühren,
zu Hause galoppirt.

Die Fleischer schmücken besonders bei feierlichen Gelegenheiten, als
am 4. July, dem Tage der Unabhängigkeitserklärung, an Washingtons
Geburtstag, an verschiedenen Dank- oder Bußtagen etc., ihre Stände und
das ausgeschlachtete Vieh auf das zierlichste, wobei sie etwas darin
suchen, alle möglichen Fleischarten zum Verkauf auszustellen; daher
findet man nicht selten bei einem Einzelnen neben den gewöhnlichen
Thierarten ganze Bären, Hirsche, Waschbären, Opossums und Eichhörnchen,
die durch Blumenguirlanden auf das freundschaftlichste mit einander
verbunden sind.

Den Gemüseverkauf besorgen, wie schon gesagt, fast ausschließlich die
Deutschen, denen auch die besten und einträglichsten Farmen in der Nähe
von Cincinnati gehören und von welchen sogar schon Einige Weinberge
angelegt und einen erträglich guten Wein gekeltert haben. Die Amerikaner
schaffen hingegen mehr Käse, Eier, Butter und Geflügel zu Markt,
während die farbige Bevölkerung von Cincinnati meistens gedörrtes Obst,
Pfirsiche und Äpfel feil hält. Im Ganzen ist Cincinnati die billigste
Stadt des Westens, und ein einzelner Mann kann mit 400 Dollars (1 Dollar
1 Thlr. 10 Ngr.) das Jahr anständig leben.


Boardinghäuser.

Das Wort »=boarding-house=« ist fast das erste, welches der Einwanderer
in Amerika lernt -- er muß ein Obdach und Nahrung haben, und dieß alles
findet er für einen verhältnißmäßig billigen Preis in solchen Kost-
oder Boardinghäusern. Ich rede hier nicht von den besser eingerichteten
Wirthschaften und Hotels, die dem Reisenden alle möglichen
Bequemlichkeiten bieten, und von denen, in Cincinnati besonders, eine
große Anzahl existirt, sondern von den Häusern, in welchen der Fremde,
dessen finanzielle Umstände ihm nicht erlauben sechs, acht, ja zwölf
Dollar die Woche für Kostgeld zu bezahlen, einkehrt, und wo er, wie der
deutsch-amerikanische Ausdruck ist, »boardet!«

Diese Anstalten werden fast ausschließlich von Deutschen gehalten, sind
sich im Ganzen ziemlich ähnlich, und wir wollen dem Leser eines dieser
»Kaffeehäuser,« wie sie sich fast alle nennen, näher vorführen. Es ist
ein schmales, zweistöckiges, grün angestrichenes Brettergebäude,
das, selbst etwas windschief, zwischen zwei große Backsteinhäuser
hineingepreßt, scheinbar von diesen aufrecht gehalten wird. Ein breites
Glasfenster zeigt drei über einander angebrachte Reihen von Flaschen
mit Liqueur oder wenigstens einer liqueurfarbigen Flüssigkeit gefüllt,
zwischen denen, um den sonst etwas zu leeren Raum auszufüllen, einzelne
Citronen liegen, während in der unteren Reihe mehrere Glasgefäße mit
Candiszucker und anderen Näschereien prangen. Über der mit einer rothen
Gardine verhangenen Thür steht auf einem grünlackirten Schild mit
grellrothen Buchstaben, daß die Augen kaum das Verschwimmen der Farben
ertragen können, »=Battle of Bunkershill Coffee house=,« und darunter
»Deutsches Kosthaus von N. N.«

Doch wir wollen hineingehen und das Innere des Heiligthums betrachten.
Es ist ein kleines, wahrscheinlich früher zum Vorsaal bestimmt gewesenes
Zimmer, das jetzt aber zur Schenkstube benutzt wird und zugleich das
Entrée des Hauses bildet. Rechts sind bis zur Decke hinauf Regale
angebracht, die mit Flaschen, Caraffen, Gläsern, Apfelsinen und
Zuckerwerk ausgeschmückt, die eine Wand verdecken, während Thür und
Fenster die zweite einnimmt, und riesenhafte Zettel, Ankündigungen von
Seiltänzern und Kunstreitern, mit Abbildungen der merkwürdigen Sachen,
welche diese auszuführen gedenken, die andern beiden überziehen.
Besonders hervorstechend zeigt sich noch, gerade am mittelsten Regale
befestigt, ein kleines Schild, auf dem mit größtmöglichen Buchstaben
die Worte »=No Credit!=« »Kein Credit!« zu lesen sind, und mit dem eine
zweite unter Glas und Rahmen gebrachte Tafel correspondirt, durch
welche dem Eintretenden in zierlichen Versen kund gethan wird, daß der
Eigenthümer seine Weine und Liqueure, seine Flaschen und Gläser, ferner
Hausrente und Taxen _bezahlen_ müsse, und deßwegen unendlich bedaure,
seinen geehrten Gästen unter keiner Bedingung borgen zu können. Eine Art
Ladentisch trennt den Ausschenker oder »Barkeeper« von den Gästen, zu
deren Bequemlichkeit nur eine kurze, grünlackirte Gartenbank an der
gegenüberstehenden Wand angebracht ist, die aber für den Augenblick
leider nicht benutzt werden kann, da ein Irländer, der ein wenig zu
schwer geladen, langgestreckt darauf liegt.

»Wer tractirt?« ruft jetzt der Barkeeper, welcher sich schon fast eine
Viertelstunde lang die Anwesenden ungeduldig betrachtete. »Wer tractirt?
Boy's -- ihr steht ja so trocken da, wie die Pulverfässer -- wollen wir
drum würfeln?«

Er hat bei den letzten Worten einen kleinen Lederbecher unter dem
Ladentisch vorgeholt und schüttelt denselben ein wenig; der Klang wirkt
wie bezaubernd, alle treten hinzu, und die drei niedrigsten Würfe
müssen den Trunk à Person mit einem Picayune (6¼ Cent. oder 2 gGr.)
bezahlen. Obgleich der Barkeeper selbst mitspielt, so ist es doch eher
zu erwarten, daß der niedrigste Wurf leicht einen der Gäste, von denen
sechse gegenwärtig sind, als ihn treffen wird, und schon auf solche Art
und Weise verdienen die Wirthe manchen Dollar. Jetzt öffnet sich aber
die Thür, und ein anständig gekleideter Mann tritt herein und erkundigt
sich bei dem Ausschenker, ob er hier eine oder mehrere Wochen »boarden«
könne.

Dieser beschaut ihn zuerst sehr aufmerksam vom Kopf bis zum Fuß, und
fragt ihn dann vor allen Dingen, »ob er Gepäck bei sich habe?«

»Nichts als dieses!« antwortete der Fremde und zeigt auf ein kleines, in
ein rothseidenes Schnupftuch eingeschlagenes Päckchen.

»Hm,« sagt der Ausschenker, »dann müssen Sie pränumerando bezahlen, ich
kann Ihnen nicht helfen!«

»Und wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich das nicht werde,« entgegnete
pikirt der Fremde.

»=Oh well!=« sagt der Ausschenker, keineswegs dadurch außer Fassung
gebracht, »dann ist alles in Richtigkeit.«

»Und der Preis?« fragt der Fremde.

»Drei Dollar die Woche!«

Der Mann bezahlt und bittet den Barkeeper nun, ihm sein Zimmer zu
zeigen; dieser steigt mit ihm eine kleine, schmale Treppe hinauf, öffnet
die sich fast an der obersten Stufe befindende Thür, und weist den
Ebengekommenen hinein.

Es ist ein ziemlich großer Raum, der die ganze Breite des Hauses
einnimmt, mit drei Fenstern und einem gewaltigen Kamin an der Seite,
das Ganze hat aber ein unfreundlich kaltes Aussehen, denn in dem Kamin
liegen Stiefeln, Stöcke, Hutschachteln, Pfeifen etc. etc., und beweisen
zur Genüge, wie wenig von dieser Seite auf ein gutes, erquickendes Feuer
zu hoffen sei. Des Fremden, den Raum schnell durchfliegende Augen zählen
fünfzehn zweischläfrige Betten, die eines neben dem andern an den
Wänden hin und in der Mitte stehen, und eine ziemlich zahlreiche
Schlafgenossenschaft versprechen. Nur ein Tisch und etwa acht oder
neun Stühle dienen dem Worte »Mobilien« zur Entschuldigung, und die
umherhängenden verschiedenartigen Kleidungsstücke sind nicht gerade
geeignet, dem Ganzen ein freundlicheres Aussehen zu geben.

»Und hier soll ich schlafen?« fragt mit gerade nicht freudiger
Überraschung der Fremde.

»Ja!« ist die Antwort -- »in diesem Bette hier, mit einem Amerikaner --
es ist ein ganz ordentlicher Mann!«

»Und kann ich kein Bett für mich allein bekommen?«

»Unmöglich, wir haben jetzt kaum Platz für unsere Gäste -- alle
Boardinghäuser sind überfüllt.«

Noch steht der Fremde unschlüssig am Eingang, er weiß aber, daß wenn er
auch zu einem andern Hause gehen wollte, sich die Verhältnisse ziemlich
gleich bleiben, wirft sein Päckchen auf das ihm angewiesene Bett und --
ist eingezogen.

»Haben Sie denn wohl einen ruhigen Platz, wo ich einen Brief schreiben
könnte?« fragt er jetzt nochmals den Barkeeper, der eben im Begriff ist
die steile Treppe wieder hinunter zu klettern.

»Unten im Zimmer, wo die Übrigen sind!« sagt dieser, »das ist der
einzige Platz im ganzen Haus.« In jenes Zimmer führt er jetzt seinen
Gast und zeigt ihm in der einen Ecke einen Tisch, an welchem eben ein
freundlicher Oldenburger emsig beschäftigt ist, zu dem morgenden Sonntag
seine Stiefeln zu wichsen.

»Du mußt damit hinausgehen!« fährt er diesen an, »das gehört sich nicht
in der Stube! wir sind nicht mehr auf dem Schiffe!« Schweigend räumt der
also Abgefertigte seinen Platz ein und der Fremde sieht sich vergebens
nach irgend einem Gegenstand um, mit welchem er den staubigen Tisch
abwischen könne!

»Warten Sie, ich will Ihnen etwas bringen,« sagt der Barkeeper und geht
in das Schenkzimmer zurück; unterdessen hat jener aber vollkommen Zeit
den Raum zu betrachten, in welchem er sich jetzt befindet.

Es ist ein geräumiges Zimmer mit einem großen, gußeisernen Gestell in
der Mitte, das ein Mittelding zwischen Ofen und Kamin zu sein scheint,
denn es hat wohl die Gestalt des erstern, entspricht aber ganz dem Zweck
des letztern, da es die Hitze nicht erst durch Röhren, sondern gleich
durch die vorn im Rost sichtbaren Kohlen verbreitet. Um dieses haben
sich in allen möglichen Stellungen und Lagen die verschiedenen Gäste
des »Kaffeehauses zur Schlacht am Bunkers Hill« versammelt, und befinden
sich alle in einer sehr heitern Stimmung, lachen und erzählen und machen
einen Lärm, daß die Gläser auf dem zweiten Tische zittern. Einige, die
im Anfang gekommen sein mochten, hatten noch Stühle gefunden, die später
Eintreffenden schon mit zwei grünlackirten Holzbänken, denen ähnlich,
die in der Schenkstube standen, vorlieb nehmen müssen, und die letzten
konnten einzig und allein stehend an der Gesellschaft und zu gleicher
Zeit am Ofen Theil nehmen. Unser Gast war gezwungen, sich auf irgend
eine Art einen Stuhl zu verschaffen, und mit den Sitten solcher Häuser
schon ziemlich vertraut, blieb er einige Minuten am Feuer, bis einer
der Sitzenden aufstand, welchem er dann ohne weitere Umstände den kaum
verlassenen Stuhl entführte und an seinen Tisch trug. Diesen mußte
er übrigens, da der Barkeeper nicht wiederkehrte, mit seinem eigenen
Taschentuche abstäuben.

Jetzt klingelt es plötzlich im nächsten Zimmer, und der lang ersehnte
Ruf »=supper, supper!=« (Abendessen) übertönt und erstickt bald den
frühern Lärm; alles strömt in das Speisezimmer und der Barkeeper trägt
den Davondrängenden die zurückgelassenen Stühle nach, da an der Table
d'hote noch einige fehlen. Eine lange Tafel steht dort gedeckt,
an welcher etwa 30 Personen Raum und die mit mehrern Fleischarten,
Kartoffeln, Eiern, Butter und Käse besetzt ist. Jeder Gast findet neben
seinem Teller eine eingeschenkte Tasse Thee, die er, wenn geleert, bloß
empor zu heben braucht, um sie augenblicklich wieder von einem jungen
Mädchen, das die Aufwartung besorgt, gefüllt zu bekommen; doch sieht es
der Wirth nicht gern, wenn das öfter als zweimal geschieht.

Das Essen ist gut und schmackhaft zubereitet, und nach der Mahlzeit,
von der jeder, sobald er fertig ist, aufsteht, ohne sich weiter mit Wort
oder Blick um seinen Nebenmann zu bekümmern, versammeln sich die Gäste
wieder um den kaum verlassenen Ofen, an welchem jene jetzt die besten
Plätze einnehmen, die am schnellsten essen konnten.

Die Gesellschaft ist übrigens keineswegs uninteressant, denn nicht
allein verschiedene Nationen, sondern auch verschiedene Stände treffen
sich hier, und die gebildetere Classe der Deutschen, als Advocaten,
Ärzte, Theologen, Kaufleute etc., die größtentheils wenigstens für den
Augenblick noch gezwungen waren, eine ihren frühern Beschäftigungen
gerade nicht entsprechende Arbeit zu übernehmen, um ehrlich und
ordentlich in der neuen Welt durchzukommen, findet sich bald zusammen
und verplaudert die langen Abende.

Die Zeit des Schlafengehens naht aber jetzt, und hie und da schleichen
einzelne mit abgebrannten Lichtendchen in der Hand die Treppe hinauf,
denen die übrigen ebenfalls bald folgen und ermüdet das harte Lager
suchen, welches nur aus einer Seegras-Matratze und zwei oder drei
wollenenen Decken besteht. Die Lichter verlöschen nach und nach, und
sobald sich die einzelnen Paare und Bettgenossenschaften verständigt
haben, ob sie »doppelt-Adler« oder »löffel-artig« liegen wollen,
herrscht für wenige Minuten tiefes Schweigen, das aber bald einem von
allen Seiten hertönenden Schnarchen weicht, bei dem sich der daran nicht
Gewöhnte oft stundenlang unruhig auf seinem Lager umherwälzt.

Es existiren übrigens auch mehrere amerikanische Boarding-Houses in
Cincinnati, wo der Gast für 5 Dollars per Woche eine reinlichere und
freundlichere Umgebung hat, das Unangenehme des Zusammenschlafens mit
Mehrern findet sich in den meisten.


Money-Brokers.

Die Geldwechsler spielen in allen Städten Amerika's eine bedeutende
Rolle, denn wo solch' unzählige Banken und Tausende von verschiedenen
Banknoten und Münzsorten circuliren, ist es unbedingt nöthig, Leute
zu haben, welche nicht allein die ächten von den nachgemachten
unterscheiden können, sondern auch den Reisenden mit den für ihn
brauchbarsten Münzsorten oder Tresorscheinen versehen.

Hunderte von Banken streuen jährlich ihre Noten unter die Bevölkerung
der Vereinigten Staaten aus; viele bestehen fort und lösen später das
ausgegebene Papiergeld wieder mit Silber ein, die meisten aber machen
bankerott oder thun wenigstens was gleichbedeutend ist: sie nehmen nicht
einmal mehr ihr eigenes Geld für den vollen Werth an, so daß es 20, 30,
ja bei dem Mississippi-, Arkansas-, Atchafalaya- und Texas-Geld schon
bis zu 70 und 80 Procent gefallen ist. Am schlimmsten stehen sich bei
diesem fortwährenden Schwanken des Geldcurses die armen Leute, die
Arbeiter und Tagelöhner, welche am Ende des Monats ihre paar Thaler in
irgend einem Papiergeld ausbezahlt bekommen, das, wie ihnen der Broker
sagt, »gut« ist -- und wofür sie auch ihre Bedürfnisse an Kleidern und
Schuhwerk kaufen können; morgen aber vielleicht schon heißt es -- »die
und die Bank hat ihre Zahlungen eingestellt.« Niemand nimmt die Noten
mehr zu dem vollen Werth, und der Mann, welcher sich schwer und hart für
die wenigen Dollars geplagt hat, verliert noch 15 bis 20 Procent daran,
während die Bank von ihren eigenen Noten, so viel sie bekommen kann,
schnell zu dem gefallenen Preis aufkauft und nach ein paar Monaten,
nach deren Verlauf sie sich wieder für zahlungsfähig erklärt, Tausende
verdient hat.

Ein fürchterlicher Mißbrauch wird mit diesem Papierwesen getrieben,
und daneben existirt fast keine Bank, von der nicht Verfälschungen
circuliren, zu deren Entdeckung wöchentlich Broschüren ausgegeben
werden, welche die Namen der sogenannten »=counterfeits=« und den
Werth der verfälschten Noten angeben. Auch hier ist es wieder der Arme,
welcher durch diese den meisten Schaden leidet, da er die ächten selten
von den unächten zu unterscheiden vermag.

Das wenige Silber und Gold hat übrigens durch die ganze Union denselben
Werth und dasselbe Gepräge, wenn auch hie und da andere Namen, nur
ist Cincinnati die westlichste Stadt, in welcher Kupfergeld circulirt
(Cente, hundert auf einen Dollar); schon in Louisville, 150 Meilen
westlich, kennt man als kleinste Münzsorte nur Picayunes oder =half
dimes= (6¼ und 5 Centstücke), die von dort an einen andern Werth
haben, und mit denen gegen die aus den östlichen Staaten ein bedeutender
Handel getrieben wird, indem die =half dimes= dort, selbst noch
theilweise in Cincinnati, nur 5 Cent gelten, und weiter den Ohio
hinunter und am ganzen Mississippi für 6¼ angenommen werden.

Die Broker haben ihre kleinen, zierlich ausgeputzten Locale gewöhnlich
an Straßenecken, um recht in die Augen zu fallen, und suchen etwas
darin, durch in den Fenstern ausgelegte Packete Banknoten und kleine
Haufen von Goldstücken die Augen der Vorübergehenden auf sich zu ziehen.


Auctionen.

In einem Lande, wo so viel und so großartig speculirt wird, wie in
Amerika, ist es eine sehr natürliche Folge, daß sich auch Tausende in
ihren Erwartungen und Hoffnungen betrogen finden, deren Eigenthum und
Waare dann den Weg in die zahlreichen, durch die ganze Stadt zerstreuten
Auctionslocale findet, und hier auf eine oft unglaubliche Art unter dem
Werth verschleudert wird.

Eine kleine hellrothe Fahne, über der Thür aufgesteckt, zeigt am Tage
den Ort an, wo Abends mit dem Glockenschlag sieben der Ausverkauf
beginnen wird, und Kauflustige oder Neugierige treiben sich, einander
ablösend, fortwährend vor und in diesen Localen herum, um die am Abend
vorkommenden Waaren zu betrachten und zu prüfen; mit einbrechender
Dämmerung jedoch, wo die blutrothe Flagge übersehen werden könnte,
stellt sich irgend ein Mann oder Knabe, sehr häufig ein besonders hierzu
gemietheter Neger, mit einer Handglocke vor das Auctionslocal, und
läutet pausenlos auf eine ohrenzerreißende Art, um die Bevölkerung
von Cincinnati darauf aufmerksam zu machen, daß die Versteigerung bald
beginnen werde. Es sind wohl zwölf bis funfzehn verschiedene Auctionen
an jedem Abend, und hier kaufen besonders die umherziehenden Krämer
ihre Waaren ein, mit denen sie später die Farmer im Innern des Landes
beglücken.

Der Auctionator steht auf einer von dem Platz, welchen die Käufer
einnehmen, getrennten hohen Bühne, die es ihm möglich macht, alle
zu sehen, wie von allen gesehen zu werden, und die zu versteigernden
Gegenstände werden ihm durch einen zweiten von innen hinausgereicht. Von
dem Mittelpunkt dieser Bühne aus läuft ein schmaler, langer Tisch
bis fast zur Thür hin, um auf diesem vorkommende Ausschnittwaaren
aufzurollen und den Kauflustigen besehen zu lassen. Die Waaren selbst
sind übrigens sehr gemischter Art -- Tuche und Steingut, Bijouterien
und Glaswaaren, Kattune und Bücher, eiserne Geräthschaften und Porzellan,
Schuhe und Hüte, Weine, Liqueure, eingemachte Früchte und Austern, alles
wird wild durcheinander feil geboten, wobei sich der Auctionator durch
eine fast fabelhafte Zungenfertigkeit auszeichnet, mit welcher er das
ausbietende und aufmunternde =going, going, going, going=, ruft, daß das
Ohr dem Klange kaum zu folgen vermag, bis ein entscheidendes »=gone!=«
den Bietenden entweder erschreckt oder erfreut.

Allerdings hat man öfters die Gelegenheit auf diesen Auctionen Waaren
zu einem Spottpreis einzukaufen, im Ganzen ist es aber doch sehr
gefährlich, denn entweder wird der mit den Gebräuchen nicht Bekannte
angeführt, oder kauft, durch den anscheinend billigen Preis bestochen,
eine Masse von Sachen, die er mit gutem Gelde bezahlen muß und nachher
nicht gebrauchen kann.


Kleiderladen

sind in Amerika, wo alles so zauberhaft schnell geht und die Menschen
sich fast stets unterwegs befinden, unentbehrlich -- wie hätte der
Amerikaner Zeit, sich einen Rock anmessen und nachher machen zu lassen.
Oft Hunderte von Meilen verreisend, nimmt er gewöhnlich als einziges
Gepäck ein kleines Felleisen mit, in welchem er ein Hemd und mehrere
reine Vorhemdchen und Kragen führt, das ist das einzige, was er
waschen läßt, alles übrige wird, sobald getragen oder zerrissen,
neu angeschafft. Kleiderläden, in denen man jedes zum Anzug Nöthige
antrifft, findet man daher auch in jeder Stadt und besonders gleich an
den Dampfboot-Landungen in großer Anzahl, die fast alle, sei es nun im
Norden oder Süden, New-York oder New-Orleans, St. Louis, Cincinnati,
Buffalo oder Charlestown, von deutschen Juden gehalten werden. Wie
die Yankees den fast alleinigen Uhrenhandel an sich gerissen haben, so
verhält es sich mit den Israeliten und Kleiderläden, in keiner Stadt
aber mehr als in Cincinnati, das gewissermaßen den Mittelpunkt bildet,
von welchem sie sich in die ganzen westlichen Staaten zerstreuen, um
als wandernde Krämer mit Tragekasten oder Lastpferd ihre Waaren
feilzubieten, oder auch in der Stadt selbst bleiben und am Werft wie in
den Hauptstraßen vor ihren Läden förmlich auf die Vorbeigehenden lauern.
Gnade Gott dem armen Teufel, der mit etwas schäbigen Kleidern und einem
sehnsüchtigen Blick auf die zur Schau ausgehängten Anzüge vorüber
geht, er ist unrettbar verloren; der Verkäufer, ein auf das Eleganteste
angezogener Jüngling, der nie deutsch spricht, außer da, wo er sieht,
daß der, mit dem er es zu thun hat, auch kein Wort englisch versteht,
stürzt auf ihn zu, faßt ihn um die Taille, und zieht ihn unter den
zärtlichsten Vorwürfen, daß »so ein hübscher Mensch solch abgerissenes
Zeug trage,« in den Laden; hat dieser dann noch hinlänglich baares Geld,
und sei es nur genug, um ein Taschentuch zu kaufen, bei sich, so kommt
er selten ohne irgend einen aufgedrungenen Artikel fort.

Freilich laufen diese Ladenjünglinge auch manchmal der unrechten
Person in den Weg und ernten Grobheiten oder gar Ohrfeigen für ihre
Zudringlichkeit; was thut's aber, sie leiden ja für die heilige Sache,
und der nächste Vorüberwandernde entgeht darum seinem Schicksal doch
nicht.

Durch die in den Zuchthäusern gefertigten Schuhe und Kleidungsstücke,
wie durch den geringen, wahrhaft grausamen Preis, welchen arme
Nähmädchen für eine Tagesarbeit bekommen, sind Kleidungsstücke, was
nicht Seide oder Tuch ist, erstaunlich billig geworden, so daß man jetzt
selbst in New-Orleans ein baumwollenes Hemd mit leinenem Vorhemd und
Kragen für Einen Dollar kauft, ebenso recht gut aussehende Schuhe
und Beinkleider, Jacken und Westen für Einen Dollar das Stück. Wie
nachlässig übrigens diese Sachen gefertigt sind, kann man sich denken;
es soll aber alles schnell gehen, die Dauer und Solidität der Arbeit
kommt nicht in Betracht. So z. B. kündigte eine Wäscherin (Mulattin) vor
mehreren Jahren in Cincinnati, in Mainstreet, durch ihr Aushängeschild
an, daß sie jedes ihr anvertraute Kleidungsstück »in _einer_ Stunde
wasche und trockne;« auf welche Art der Stoff dabei behandelt wurde,
läßt sich denken.



Der wunderbare Traum.


Im Staat Pensylvanien, dicht am nordwestlichen Fuß der Alleghanies,
liegt oder lag vielmehr das kleine Städtchen Seneka, das damals, als man
es gründete, von Ansiedlern fast überschwemmt ward; denn jeder Einzelne
hoffte goldene Berge in dem neu entdeckten Eldorado zu finden und
Seneka bald als den Brennpunkt des Staates zu sehen, nach dem sich aller
Verkehr, wie die Blumen zur Sonne, hinwenden müsse.

Jetzt sind freilich diese schönen Träume größtentheils in ihr
ursprüngliches Element _Luft_ zurückverschwommen, und ein allein
und einsam stehendes Farmhaus kündet die Wohnung des »_Letzten der
Senekaner_,« der hier, allen früheren Plänen und Hoffnungen von
gepflasterten Straßen und Gaßbeleuchtung entsagend, gar ehrsam Ackerbau
und Viehzucht treibt.

Noch vor zwölf Jahren aber, und in derselben Zeit, von der ich hier
erzählen will, befand sich Alles in seiner Blüthe; mehre Wirthshäuser
waren angelegt, ein Gerichtshaus und ein Gefängniß standen fertig
aufgerichtet und wurden auch schon benutzt, denn es fehlte nur noch das
Dach zu beiden, mehre kleine Stores oder Läden waren etablirt, in denen
der fleißige Städter Whiskey beim Quart und Kaffee, Zucker und Kattun,
wie Schuh und Stiefel, Ackergeräth, Kochgeschirr etc. etc. etc.,
kaufen konnte, und zwei Schul- und Kirchengebäude, das eine den
Presbyterianern, das andere den Baptisten gehörig, standen zum frommen
Dienst bereit und wurden von der gottesfürchtigen Gemeinde gar häufig
benutzt.

Wie es nun aber stets bei so neuerrichteten und gegründeten Städtchen
geht, so sammelte sich auch dort ein buntes Gemisch von allerlei oft
recht wunderlichen Leuten, und wo viel gute und ordentliche Menschen
sind, da bleibt es fast nie aus, daß sich auch ein parr rauhe, wilde
und nichtsnutzige Gesellen mit einschwärzen, die dann so lange mit der
übrigen Bevölkerung auf einem Fuß stehen und mit ihr gleiche Achtung
und gleiche Rechte genießen, bis sie entweder selbst sehen, daß die Zeit
naht, wo sich jeder brave Mann von ihnen fern hält und sie ihr
Wesen nicht länger treiben können, oder die Gemeinde auch fest und
entschlossen auftritt und sie ausstößt.

Ein solcher Bursche, zu allem Schlechten fähig und zu nichts Gutem zu
gebrauchen, war ein junger Kentuckier, Hills, der sich eine Zeitlang
auf dem Monongahelafluß als Flatbootmann herumgetrieben hatte, und nun
einmal versuchen wollte, ob er's nicht schneller und bequemer »in der
Stadt« zu etwas bringen könne.

Er lebte oder »boardete« wie man dort sagt, im Hause eines Irländers,
eines braven fleißigen Mannes, der mit seiner jungen Frau erst kürzlich
aus dem alten Vaterlande herüber gekommen, und von einem der sogenannten
Landhaye in New-York auch gleich beredet worden war, sich hier in
Seneka, der künftigen Königin aller westlichen Städte anzukaufen und
niederzulassen. Hills aber, der an nichts Heiliges, weder im Himmel noch
auf Erden glaubte, fand Gefallen an der jungen Irländerin und suchte
sich ihr, wenn ihr fleißiger Mann sein kleines Grundstück bearbeitete,
zu nähern und sie sich geneigt zu machen. Diese aber wies ihn ernst und
strenge zurück und drohte endlich, als Alles das nichts half, ihren
Mann von dem nichtswürdigen Betragen seines Hausgenossen in Kenntniß zu
setzen.

Eine Zeit lang schüchterte das den Kentuckier ein, denn der Irländer
war ein kräftiger Gesell und verstand sicherlich, was seine Hausrechte
betraf, keinen Spaß; eines Abends aber, als er der jungen Frau im Walde
begegnete, die gerade eine kranke, nicht sehr entfernt wohnende Freundin
besucht hatte, und nun zu Hause zurückkehren wollte, schloß er sich ihr
an und wurde nach wenigen miteinander gewechselten Worten so frech und
zudringlich, daß sie ihm mit lauter Stimme drohte, um Hülfe zu rufen,
wenn er sich nicht gleich entferne, als plötzlich mit zorngerötheten
Wangen und finster zusammengezogenen Braunen ihr Mann aus den
benachbarten Büschen sprang und im nächsten Augenblick neben dem
erbleichenden Kentuckier stand.

Was an jenem Abend weiter vorgefallen hat nie ein Mensch erfahren,
am nächsten Morgen aber fand man, durch Blut in der Straße aufmerksam
gemacht, den Kentuckier mit zerschmettertem Schädel im Gebüsch liegen.
Er schien schon mehrere Stunden todt, und jede Hülfe kam zu spät. Noch
an demselben Abend wurde er begraben.

Wüthend durchtobten aber indessen die Freunde des Ermordeten die kleine
Ansiedlung und forschten nach dem Mörder; ja selbst der stillere Theil
der Bevölkerung, die Baptisten und Presbyterianer, waren entrüstet, daß
in ihrer ruhigen und frommen Gemeinde so etwas vorgefallen war. Durch
einen kleinen Knaben ward endlich der Verdacht auf den Irländer gelenkt,
denn dieser hatte ihn noch spät Abends mit seiner Frau zu Hause kommen
gesehen, und zwar gerade aus jenem Weg, neben welchem die Leiche lag
und der kleine Bursche behauptete dabei steif und fest, der Irländer sei
blutig im Gesicht gewesen.

Man forschte jetzt genauer nach, durchsuchte das Haus und fand --
sorgfältig hinter einer großen Kiste versteckt, eine baumwollene Jacke,
an welcher noch frische Blutflecken nicht zu verkennen waren. Zwar
behauptete Mac Ferson (der Name des Iren), einen Hirsch erst an dem
Nachmittag erlegt und den Kentuckier wohl gesehen, aber keinen Streit
mit ihm gehabt zu haben; in seinem ganzen Wesen ließ sich aber dabei
eine gewisse Verlegenheit nicht verkennen, und weder seine Betheuerungen
»er sei unschuldig,« noch die Bitten seiner Frau halfen ihm etwas; er
wurde gebunden und in das Gefängniß -- ebenfalls ein aus starken Stämmen
errichtetes Blockhaus -- abgeführt.

Dort blieb er den Tag seinen einsamen Betrachtungen überlassen, und
wurde am nächsten Morgen, da gerade Gerichtstag im Städtchen war, vor
seine Richter, vor die Geschworenen gestellt. Hier aber schien leider
Zeugniß auf Zeugniß _gegen_ den armen Teufel auftauchen zu wollen, denn
außer dem blutigen Kleidungsstück hatte man noch ganz nahe bei seiner
Wohnung einen ebenfalls mit Blut befleckten schweren Knittel gefunden,
und mehrere Einwohner sagten dabei aus, Mac Ferson habe sich mehre Male
gegen sie geäußert, er glaube, seine Frau gefalle dem Kentuckier, und er
wolle sich nur erst Beweise verschaffen, ehe er ihn fühlen lasse, was
es heiße, den Rechten eines Irländers zu nahe zu treten. Mac Ferson
leugnete dies auch nicht, blieb aber bei seiner Behauptung, an dem
Nachmittag keinen Streit mit dem Kentuckier gehabt, ja kein einziges
Wort mit ihm gewechselt zu haben und betheuerte nur in einem fort seine
Unschuld.

Der Staatsanwalt versuchte jetzt ihn durch Kreuzfragen zu verwirren, Mac
Ferson war aber nicht der Mann, der sich, wenn wirklich schuldig, durch
einen Advokaten außer Fassung bringen ließ -- er blieb dabei, das an der
Jacke gefundene Blut sei von einem Hirsch, und man sah sich gezwungen,
ihn aufzufordern, die Männer zu der Stelle hinzuführen, wo er den Hirsch
geschossen habe. Der Ire war auch gern bereit dazu, aber erst seit
kurzer Zeit in Amerika, behauptete er mit dem Wandern im Walde nicht
recht vertraut zu sein, indem er nie genau wisse, nach welcher Richtung
er sich wenden solle, sobald er einmal mitten zwischen den Bäumen sei,
den Ort also auch nicht wiederfinden könne, wo er das Wild erlegt und
aufgebrochen hätte. Er bat daher die Richter nur, in dieser Gegend herum
mehrere Männer zu postiren, die dann bald aus dem Flug der Aasgeier
erkennen könnten, nach welcher Richtung zu die im Walde zurückgelassene
Beute läge.

Er war dabei so ernst und ruhig, blieb sich in allen seinen Antworten so
gleich, und widersprach sich nicht ein einziges Mal, so daß die Männer,
die sein Urtheil sprechen sollten, wirklich anfingen, trotz allen
vorliegenden und fast unumstoßbaren Beweisen, an seine so fest
betheuerte Unschuld zu glauben und den Bitten des Gefangenen
willfahrten. Vergebens aber blieb ihr Suchen; alle Bussards und Adler
schienen die Gegend verlassen zu haben, und erst am dritten Tag, als
man auch noch ein kleines Scalpiermesser bei ihm gefunden hatte, was der
Ermordete an demselben Abend, wo er erschlagen worden, in dem nächsten
kleinen Laden aus der Scheide gezogen, um Brod damit abzuschneiden,
glaubte man hinlängliche Beweise (=circumstantial proofs=) zu besitzen,
ihn auch ohne sein Eingeständniß zum _Tode durch den Strang_ zu
verurtheilen.

Er lauschte dem Spruch ruhig und ohne eine Miene zu verziehen, nur nahm
sein Gesicht eine fast noch bleichere, leichenähnlichere Farbe an und er
sagte dann, sich mit leiser aber doch deutlich klingender Stimme an die
Geschworenen wendend, »daß er sie nicht tadeln könne, sie haben ihre
Schuldigkeit gethan, Alles scheine gegen ihn zu sprechen und die
Menschen müßten ihn wohl für schuldig halten, Gott aber wisse, wie
er schuldlos sei, und wenn es mit seinen weisen Rathschlüssen
übereinstimme, so werde er ihn auch wohl noch zu retten und seine
Unschuld dazuthun wissen.«

So rückte der letzte Abend heran, und seine Frau, der man den Zutrit
zu ihm natürlich gestattete, blieb mehrere Stunden in der engen Zelle,
hielt sich aber sehr gefaßt und ruhig und sprach ihm sogar Muth ein --
Gott werde ihn schon nicht in dem fremden Lande verlassen -- er solle
nur auf ihn bauen. Mac Ferson verlangte dann nach dem Priester; es war
aber in der ganzen Ansiedelung kein katholischer Geistlicher, und der
Ire bat dann, ihm einen Prediger der Baptisten zu senden, da er sich
nach dem Trost der Religion sehne, wenn dieser auch aus einem nicht
katholischen Munde käme.

Das freute die Baptisten ungemein und machte ihm ihre Herzen sehr
geneigt. Der Prediger der kleinen Schaar, ein kleiner hagerer Mann, mit
einem etwas abgetragenen blauwollenen Frack, sehr eingefallenen Wangen
und etwas stieren gläsernen Augen, auf der scharfgebogenen Nase eine
gewaltige Brille, säumte denn auch nicht lange, und versicherte ihm
nach kurzer Unterredung, daß er, sei er nun des angeklagten Verbrechens
schuldig oder nicht, in wenigen Stunden am Throne des Höchsten
Verzeihung für seine Sünden und Gnade in den Augen des Allerbarmers
finden würde.

Mac Ferson betete wohl bis zwölf Uhr in dieser Nacht mit dem frommen
Manne, beichtete ihm alle seine Sünden, gestand auch, wie er schon,
seit er das freie Land Amerika betreten, gewünscht habe dem katholischen
Glauben zu entsagen und sich den Baptisten anzuschließen, deren einfache
Formen ihm stets am meisten zugesagt, und bewies sich so zerknirscht, so
weich und religiös, daß der Prediger diesen Augenblick nicht ungenützt
vorüber lassen zu dürfen glaubte, und dem Verurtheilten noch einmal
dringend an's Herz legte, das letztverübte Verbrechen zu gestehen, damit
er vor Gott Nichts habe, was noch einen schwarzen Schatten auf seine
Seele werfen könne. Hier blieb der Unglückliche aber verstockt und
behauptete nur, der liebe Gott wollte ihn durch diesen unverschuldeten
Tod für all' seine früheren Sünden und Laster strafen, an dem
vergossenen Blute sei er jedoch unschuldig und der Kentuckier müsse von
einem Anderen erschlagen sein.

»Ich habe einen Verdacht,« sagte er dann wie überlegend nach kurzer
Pause, »aber er ist zu weit hergeholt, zu unwahrscheinlich, als daß
ich es gewagt hätte, ihn vor den Geschworenen zu äußern; es würde meine
Sache vielleicht noch verschlimmert haben.«

»Aber _mir_ könnt Ihr ihn entdecken, armer Mann,« sagte der Prediger --
»meinem Herzen könnt Ihr ihn vertrauen; wer weiß, ob nicht vielleicht
dadurch noch Rettung für Euch möglich ist.«

»Ach nein, ehrwürdiger Herr,« erwiederte der Ire -- »der Verdacht ist
zu wild, zu oberflächlich, doch _Ihr_ sollt ihn hören. Erst vorgestern
äußerte der Kentuckier -- wie auch allenfalls meine Frau bezeugen
könnte, denn wir saßen zusammen am Tisch -- daß er glaube einen Menschen
hier in der Gegend gesehen zu haben, der seinen Wohnort umschliche, und
dessen Anwesenheit er eigentlich fürchten solle, da er ihn früher einmal
tödtlich beleidigt habe. Damals achteten wir nicht sonderlich auf die
Worte, jetzt aber, da der Unglückliche erschlagen ist, kann ich kaum
umhin zu glauben, daß jener Fremde die That verübt hat.«

»Aber weshalb erwähntet Ihr diesen so wichtigen Umstand nicht bei Euerem
ersten Verhör?« rief der Prediger aus. »Man hätte in der benachbarten
Gegend nachforschen und den Mörder, wenn es wirklich jener Fremde war,
vielleicht auffinden können.«

»Ich wußte nicht gewiß, ob Jener der Thäter sei,« sagte der Ire mit
frommen zum Himmel gerichteten Blicken, »und wollte keinen Unschuldigen
in's Verderben bringen.«

So lange blieben die beiden Männer nun noch im Gespräch und Gebet
zusammen, bis der Diener des Herrn fast wirklich von der Unschuld des
armen Irländers überzeugt war; das einmal gesprochene Urtheil ließ sich
aber einer solchen oberflächlichen Vermuthung nach nicht abändern, und
die Stunde rückte heran, in welcher der zum Tode Verdammte die Strafe
für ein Verbrechen erleiden sollte, das er, wie jetzt ein großer Theil
der Bewohner von Seneka zu glauben anfing, gar nicht begangen. Der
Baptist hatte nämlich seiner ganzen Gemeinde am nächsten Morgen das
in der Nacht erhaltene Geständniß des armen Iren mitgetheilt, wobei
er nicht zu erwähnen vergaß, mit welch frommem Herzen er sich ihrer
Religion zugeneigt und dem Papstthum entsagt habe, und wer weiß, ob
nicht schon aus diesem Grunde eine Art Gnadenakt zu seinen Gunsten
ausgeübt wäre, hätten sich die Presbyterianer dabei nicht in's Mittel
geschlagen, die schon das mit neidischen Augen betrachtet hatten, daß
der Katholik die Religion der Baptisten der ihren vorgezogen.

Der Baptistenprediger suchte etwa zwei Stunden vor der Execution den
Verurtheilten wieder auf und frug ihn, ob er vielleicht noch wünsche,
seine Frau vor seinem Tode zum letzten Mal zu sehen; Mac Ferson
verneinte das aber, indem er sagte, er habe schon Abschied von ihr
genommen, und wolle sich das Sterben nicht durch eine zweite solche
Scene erschweren. Sein ganzes Benehmen war aber an diesem Morgen so
sonderbar, so eigenthümlich, daß es nicht umhin konnte, dem frommen
Manne aufzufallen, der dann natürlich gar eifrig in ihn drang, ihm das
zu entdecken, was seine Seele noch belaste, damit er rein und sündenfrei
vor den Thron des Höchsten treten könne. Der Baptist glaubte nicht
anders, als Mac Ferson fange an, durch die Nähe seiner letzten Stunde
geängstigt, sein bisheriges verstocktes Leugnen zu bereuen, und wolle
nun bekennen, daß er das Verbrechen doch begangen habe.

Mac Fersons ganzes Benehmen schien ihn auch darin zu bestärken, denn
erst war er unruhig, ging mit etwas verstörten Blicken in dem engen
Raume auf und ab, und beantwortete fast alle an ihn gerichteten Fragen
zerstreut und wie mit ganz andern Dingen beschäftigt. Der Mann Gottes
bat ihn zwar mehrere Male, seine Blicke nun der Ewigkeit zuzuwenden, an
deren Pforten er in wenigen Minuten stehen würde; der Ire schien jedoch
das Alles nicht zu beachten, preßte aber oft die Hände gegen die Stirn,
als ob ihn ein wilder Traum schrecke oder irgend ein, vor seiner Seele
ansteigendes Bild ängstige, bis endlich die Stunde schlug, die zu seiner
Hinrichtung bestimmt war, und erst als er den nahenden Sheriff hörte, da
warf er sich auf die Kniee nieder, betete mit leiser flüsternder Stimme
ein kurzes Gebet, und gestand nun dem Prediger, er habe einen Traum
gehabt, von dem er nicht wisse, ob er ihm von Gott, oder von dem
Erzfeind, dem Teufel, gesandt sei.

Der Prediger drang jetzt in ihn, ihm den Traum mitzutheilen, der
Gefangene wies aber auf den eben eintretenden Sheriff, der mit zwei
Constablen in der Thür erschien, und flüsterte leise:

»Es ist zu spät!«

»Nein Mann -- nein -- es ist _nicht_ zu spät,« rief der fromme
Geistliche entsetzt, »das wolle Gott verhüten, daß Ihr in Euerem letzten
Augenblick daran verhindert werden solltet mir mitzutheilen, was Euere
Seele peinigt -- nein -- der Sheriff ist ein braver Christ und wird
sicherlich nicht solche Verantwortung vor Gott auf sich nehmen wollen.«

Dieser versicherte auch dem Geistlichen augenblicklich, daß er gern
bereit sei, noch eine Viertelstunde zu warten, die Zuschauer wären
aber versammelt, und länger dürfe er den Ausspruch des Gesetzes nicht
verzögern. Er zog sich dann nebst seinen Begleitern zurück und mehre
Sekunden sah ihm Mac Ferson sinnend und ernst nach; dann aber wandte er
sich an den frommen Mann und sagte mit fester, ruhiger Stimme:

»Ich sehe, ich darf nicht länger zögern; der Augenblick, der mich mit
meinem Gott vereinen soll, ist gekommen. Vorher, ehrwürdiger Herr,
erfahren Sie aber noch einen Traum, den ich in letzter Nacht geträumt
und der mir in diesem Moment fast mehr als Traum scheint -- ich habe den
Mörder des Kentuckiers gesehen!«

»Großer Gott -- wär' es möglich!« rief der Prediger, überrascht von
seinem Stuhle aufspringend, »hätte Euch Gott in seiner unendlichen Güte
den wahren Mörder gezeigt und wäret Ihr wirklich unschuldig? Wer war
es?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Keiner aus dieser Stadt?«

»Nein!«

»Und Ihr habt ihn früher nie gesehen?«

»Nie!«

»Aber was, um des Heilandes willen, soll Euch das nützen? wer wird Euch
glauben? wie wollt Ihr den Mann zur Stelle schaffen?«

»Ich kenne seinen Aufenthalt« --

»Ihr? aber woher?«

»Ich sah ihn im Traum -- doch hört mich und sagt mir nachher, was ich
thun, ob ich schweigen oder dem Volk den Traum bekannt machen soll.
Mir war, als ob ich langsam, mit meiner Axt auf der Schulter, durch
den Wald, und zwar auf demselben Fahrweg, auf dem der Mord geschehen,
hinschlenderte, als ich plötzlich um eine Ecke bog, die hier durch
dichtes Gestrüpp und einige umgestürzte Fichten gebildet wurde. Was ich
dort wollte, weiß ich nicht mehr, denn ich bin nie so weit mit der Axt
in dem Walde gewesen, aber mir war wunderbar leicht zu Muthe und ich
hätte von der Erde auffliegen und über die Baumwipfel dahinstreichen
mögen. Es kommt Einem ja manchmal im Traum ein ähnliches Gefühl. Da, wie
gesagt, bog ich um jenes Dickicht herum und sah ein Schauspiel vor mir,
das mir das Blut in den Adern zu Eis erstarren machte. Mitten im
Fahrweg lag die große, kräftige Gestalt des Kentuckiers, und über
sie hingebeugt, eben wieder zu erneutem Schlage ausholend, stand ein
schlanker, schmächtig gebauter Mann, mit rabenschwarzem Haar, einer
breiten Binde um das linke Auge, die sein halbes Gesicht verdeckte, und
einem gelben, breiträndigen Strohhut auf dem Kopfe. Er trug ebenfalls
einen hellen Rock, und wenn ich nicht irre, blaue Beinkleider und
Schuhe.«

»Sie erstaunen vielleicht, daß ich das Alles so deutlich und genau
behalten konnte, aber als ich den Mörder gewahr wurde, stand er, wie aus
Stein gehauen, mit der gehobenen Waffe über seinem Opfer, und mehrere
Minuten lang verharrten wir Beide so, starr und regungslos, wie die uns
umgebenden Riesenstämme des Waldes.«

»Da fand _ich_ zuerst Leben und Bewegung wieder und stieß einen lauten,
durchdringenden Hülferuf aus, denn jetzt durchzuckte mich wie mit
Blitzesschnelle der Gedanke: _dort_ steht der wirkliche Mörder und
_Dich_ wird man dafür bestrafen, wenn _Du_ ihn nicht ergreifst und
festhältst. In demselben Augenblick aber begann auch der finstere Fremde
sich zu regen; der schwere, keulenartige Stock fiel noch einmal mit
dumpfem Schall auf den schon zerschmetterten Schädel des unglücklichen
jungen Mannes nieder, und eilenden Laufes entfloh dann der feige Mörder
in das Dickicht. Mir aber ward es in diesem Augenblicke klar. »_Er oder
Du!_« rief ich mir zu, und mit einer Schnelle, die ich damals selber
nicht begreifen konnte, folgte ich dem Flüchtling in das wildeste
Dickicht der Niederung.«

»Wohl erinnere ich mich, wie ich dabei über meine eigene Kenntniß der
Waldpfade erstaunte, ich, der ich sonst kaum zwanzig Schritte weit den
gebahnten Weg zu verlassen wagen durfte, aus Furcht, mich zu verirren.
So folgte ich dem Mörder, dessen leichte Gestalt immer in gleicher
Entfernung vor mir blieb, den ich aber nicht zu erreichen vermochte, bis
es mir endlich vorkam, als ob ich ihm, zwar langsam, aber doch sicher,
näher und näher rücke.«

»Eine Stunde waren wir auf diese Art, wie mir träumte, gerannt, als wir
eine Gegend erreichten, die mir bekannt schien, und ich sah bald, daß
wir in einem weiten Bogen Seneka umlaufen hatten. Wir befanden uns nicht
weit von der großen Straße nach Pittsburg, gerade da, wo die beiden
tiefen Höhlen in den Berg hineingehen, und der Verfolgte mußte wohl in
einer derselben Schutz suchen wollen, denn ich war ihm jetzt dicht auf
den Fersen und hatte schon die Axt erhoben, um ihn vielleicht zu treffen
und nieder zu werfen -- -- als Sie, ehrwürdiger Herr, an die Thüre
klopften. Ich fuhr erschreckt empor und -- erwachte. Der Traum war
verschwunden und anstatt frei im Walde, auf der Spur des wirklichen
Thäters, fand ich mich wieder gebunden und eingekerkert, wie ein zur
Schlachtbank bereit gehaltenes Opferthier.«

Mac Ferson warf sich stöhnend auf sein Lager zurück und der Prediger
stand tief erschüttert neben dem Unglücklichen, den er nicht einmal zu
trösten vermochte. Da mahnte ihn das wiederholte Klopfen des Sheriffs an
die ihres Opfers harrende Gerechtigkeit und er schritt schnell zur Thür,
diese zu öffnen. Rasch hatte er aber auch seinen Entschluß gefaßt, und
dem eintretenden Beamten den Gefangenen überlassend, rief er diesem nur
mit wenigen Worten zu, noch nicht zu verzagen, der alte Gott lebe noch,
und eilte dann flüchtigen Schrittes dem Executionsplatz zu, wo schon die
ungeduldig harrende Menge an zu murren, ja an zu toben fing, daß man die
versprochene Hinrichtung so lange -- verschiebe. -- Dieselben Männer,
die noch nicht einmal recht von der Schuld des Verurtheilten überzeugt
waren, murrten, daß sie eine Viertelstunde länger seinen _Tod_ erwarten
sollten.

Da kam schnellen Schrittes der Prediger herbei -- er bestieg das
Schaffot, mit kurzgefaßten aber klaren und zum Herzen dringenden Worten
rief er von dem todmahnenden Gerüst seine Überzeugung herab, daß der
Angeschuldigte das Verbrechen _nicht_ begangen, Gott selbst aber ihm
durch einen wunderbaren Traum den Mann gezeigt, ja offenbaret habe, der
schuldig und zum Tode reif sei.

Mit wenigen Worten erzählte er nun den ganzen Traum Mac Fersons, und
wenn auch zwei gerade anwesende presbyterianische Geistliche sehr
mitleidig darüber mit den Köpfen schüttelten, so war doch das Volk
selbst nur zu gern bereit, einer so geheimnißvollen Enthüllung eines
Verbrechens Glauben zu schenken und mit Jubelruf wurde der jetzt
herbeigeführte Gefangene empfangen. Zwar hielten die Constabel die Masse
zurück und ließen sich den ihnen Überlieferten nicht entreißen, aber dem
ganzen Andrang der Menge konnten sie nicht widerstehen. Alles tobte und
schrie:

»Nach den Höhlen! -- nach dem Schlupfwinkel des Mörders! Gott selber
hat seinen Versteck dem rächenden Arme des Gerichts verrathen! nach den
Höhlen -- fort nach den Höhlen!«

Und den Gefangenen in der Mitte, von dem Baptistenprediger angeführt,
wogte die Menge dem etwa drei Meilen entfernten Gebirgszweig zu, an
dessen Fuß sich jene, in der Ansiedlung genugsam bekannten Höhlen
befanden, in die, wie der Traum gesagt, der Verbrecher geflohen war. Die
breitausgehauene Countystraße führte auch in kaum fünfhundert Schritten
daran vorüber und auf dieser hin wälzte sich der Zug in unaufhaltsamer
Eile. Dort aber angelangt, wo die Männer die befahrene Straße
verlassen und die pfadlose Wildniß betreten mußten, hielt sie ein alter
Backwoodsman, ein Freund des erschlagenen Kentuckiers, auf und erklärte,
daß sie, wenn sie auf solche Art noch weiter vorrückten, den Flüchtling
im Leben nicht einholen würden, der ja schon eine halbe Stunde vor ihrer
Ankunft den Lärm hören mußte, den sie machten, und dann natürlich nicht
warten werde, bis sie herankämen und ihn einfingen. Er schlage daher
vor, daß man sechs oder acht Jäger voranschicke, die sich anschleichen
und das Terrain vorher recognosciren sollten; bemerkten diese dann vor
den Höhlen und in der Nachbarschaft derselben nichts Verdächtiges, dann
war es ja noch Zeit, die ganze Masse herbeizurufen.

»Haben wir nachher den Raum umzingelt,« fuhr der rauhe Backwoodsman
in seiner Rede fort, »so kann uns nichts Lebendes, was in den Höhlen
steckt, entgehen, denn die mitgebrachten Fackeln werden Licht genug
geben; und finden wir ein solches Subject, wie unser Gefangener hier im
Traum gesehen haben will, nun gut, so mag der seine Stelle einnehmen,
denn wenn er ein gutes Gewissen hätte, triebe er sich nicht in den
Schluchten und Felsecken herum. Finden wir aber _Nichts_, wie es mir
fast am wahrscheinlichsten vorkommt, so schlag' ich vor, daß wir dann
mit dem Wunder sehenden Mosje keine weiteren Umstände machen, sondern
ihn an die erste beste Eiche aufhängen, denn umsonst soll er uns doch,
beim Teufel, nicht in den April geschickt haben.«

Dieser Plan schien allgemein anzusprechen, schnell und geräuschlos
wurden die Männer ausgewählt, die den Grund und Boden vorher
recognosciren sollten, und der Sprecher, zum Führer ernannt, ordnete
systematisch, wie bei einer Treibjagd, den Plan zum Vordringen.

Nach einigen, mit dem Gefangenen gewechselten Worten, hielt aber der
Baptist die eben aufbrechenden Männer noch zurück, und schärfte ihnen
besonders ein, den, den sie da treffen würden, lebendig einzufangen,
da sie sich ja sonst gar nicht von der Unschuld des Verurtheilten
überzeugen könnten; das sahen denn die einfachen Hinterwäldler auch
recht gut ein und versprachen, ihr Blei zurückzuhalten, so lange es
ginge. »Will er aber =in spite= auskratzen,« rief Einer, indem er seine
Büchse schulterte, »nun dann will ich von Grashüpfern zu Tode getreten
werden, wenn ich ihm nicht eins mit meiner langen Betsy auf den Pelz
brenne; fort kommt er nicht, wenn er Knochen genug zeigt, um darnach
zielen zu können.«

Im nächsten Augenblick waren die Männer im Walde verschwunden und Mac
Ferson warf sich auf die Kniee nieder, preßte das Angesicht gegen die
Wurzel einer alten hochstämmigen Eiche und betete inbrünstig. Sein
Antlitz hatte eine wirklich unheimliche Leichenfarbe angenommen und
seine blutunterlaufenen Augen starrten, ehe er sich zum Gebet niederbog,
wild von einem der Zurückbleibenden zum andern.

Doch wir wollen indessen den Kundschaftern folgen, die, ihre Büchsen
vorher untersuchend und die Messer in den Scheiden lockernd, langsam
vorrückten, um sich nicht vor der Zeit zu verrathen. Leslie, der Führer
der Schaar, gab endlich, an einer kleinen Waldblöße angelangt, das
Zeichen zum Halten, um seine Leute zu vertheilen, und versammelte diese
nun leise um sich, während er, erst nach allen Seiten einen scheuen
Blick hinüber werfend, flüsternd sagte:

»Hört, Ihr Burschen, mir wird's ganz unheimlich und schauerlich zu
Muthe. -- Hol' mich Dieser und Jener, 's ist doch curios, einem Menschen
nachzujagen, den ein anderer im Traum gesehen hat -- es wird Einem ganz
grauslich dabei.«

»Der Prediger hat aber doch auch gesagt, daß wir gehen sollten,«
bemerkte ein Anderer.

»O der Prediger mag zu -- Grase gehn!« rief Leslie, »deshalb thu'
ich's beim Teufel nicht -- ich will nur sehen, ob so ein Schuft noch
da herumkriecht, der heimtückischer Weise einen Mann wie Hills zu
erschlagen gewagt. -- Oder ich will mich wenigstens selber überzeugen,
daß _Keiner_ da ist,« fuhr er, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, fort,
»denn -- Tod und gelbes Fieber -- verdammt will ich sein, wenn ich ein
Wort von dem ganzen Unsinn glaube.«

Der alte ehrliche Backwoodsman suchte durch halbunterdrücktes Fluchen
das unheimliche Gefühl zu ertödten, das sich ihm unwillkürlich aufdrang;
er selbst aber zweifelte keinen Augenblick, daß hier irgend ein böser
Geist, vielleicht gar der Teufel, sein Spiel treibe, und begriff nur
nicht recht, was die Prediger dabei zu thun hätten.

So beschränkt aber auch seine Ideen in geistiger Hinsicht sein mochten,
so ganz war er am Platz, wo es galt, einen Feind zu beschleichen oder
irgend einen vermutheten Lagerplatz, wie es hier der Fall war, zu
umzingeln. Schnell und umsichtig traf er seine Maßregeln. Er kannte auch
das Terrain genau und wußte, nach welcher Richtung hin ein Mensch, der
sich hier wirklich verborgen halten wolle, entfliehen könne, sobald er
Gefahr ahne, und nur Einen deshalb auf einem Umwege dem steilen Bergkamm
zusendend, in dessen Fuß die Höhlen hineinliefen, postirte er die
Übrigen in einen weiten Halbkreis und gab, durch täuschend nachgemachten
Eulenruf, das Zeichen zum gemeinschaftlichen Vorrücken.

Er selbst aber glitt, von einem jungen Hinterwäldler allein gefolgt, auf
einem schmalen Fußpfade, der gerade zu den Höhlen hinführte, weiter,
und eine kleine Anhöhe übersteigend, sah er plötzlich Rauch von dorther
durch die hohen Kiefernwipfel emporwirbeln.

Ein zweiter Eulenruf fesselte Jeden an die Stelle, auf der er sich
befand, und Leslie kroch nun auf beiden Knieen und auf den linken
Ellbogen gestützt, während er die treue Büchse mit der Rechten fest auf
der rechten Schulter hielt, jenem Orte zu, von woher der Rauch zu kommen
schien.

Der Wald bestand hier größtenteils aus Nadelholz, mit sehr wenig
Unterholz vermischt, der Boden war deshalb auch fast einzig und
allein mit Fichtennadeln bedeckt, und geräuschlos -- hier und da die
niedergebrochenen, trockenen kleinen Äste und Zweige vermeidend, um sich
nicht durch das Knacken derselben zu verrathen -- schlich der geübte
Jäger dem Eingang der ersten Höhle näher und immer näher. Gerade auf dem
Kamm der ziemlich flachen Anhöhe lag jedoch eine umgestürzte Fichte, mit
der Wurzel der verdächtigen Stelle zu, und sich vorsichtig um den Wipfel
herumbiegend, glitt er am Stamme hin und befand sich nun hinter dem
Erdwall, der in den durch den Sturz der Riesin mit ausgerissenen Wurzeln
hängen geblieben war. Hier aber kauerte er mehrere Sekunden lang laut-
und regungslos nieder -- das Herz schlug ihm schwer und ängstlich in der
Brust, und er getraute sich kaum den Kopf zu heben, um über das niedere
Bollwerk hinwegzuschauen. Dort sollte er ja das Wesen sehen, das er, er
wußte selbst nicht weshalb, zu den Überirdischen rechnete, weil seine
Existenz einem Sterblichen durch ihm unbegreifliche Mittel verrathen
war, und lange konnte er sich nicht entschließen, das mit eigenen Augen
zu erblicken, was zu glauben sein Verstand sich sträubte. Endlich faßte
er ein Herz, hob leise den Kopf empor und -- hätte vor Überraschung fast
laut aufgeschrieen, denn in kaum zweihundert Schritten Entfernung --
das Gesicht ihm zugewandt -- saß -- Zug um Zug -- die von dem Gefangenen
beschriebene Gestalt.

Ein schmächtiger, bleicher junger Mann, mit rabenschwarzem Haar, einer
breiten Binde um das linke Auge, die das halbe Gesicht verdeckte, und
mit einem gelben, breitrandigen Strohhut auf den dunkeln Locken --
dazu der helle Rock und die blauen Beinkleider -- es war der im Traum
gesehene Mörder, bis auf das Kleinste, Unbedeutendste der Beschreibung
herab. Selbst seine Stellung verrieth die That, die er begangen, denn
ängstlich, halb vorgebeugt saß er, wie zum Sprunge bereit, neben dem
Feuer, und schien die Gegend, in welcher sich Leslie gerade befand, mit
seinem Blick zu überfliegen, als ob er von dorther Jemanden erwarte oder
zu sehen fürchte.

»Weshalb, um aller guten Geister Willen, lagert das Menschenkind
hier?« frug sich Leslie unwillkürlich -- »und ist es überhaupt ein
Menschenkind?« fuhr er dann leise schaudernd fort. »Doch Alles eins --
Mensch oder Teufel -- Du bist der, welcher meinen Freund erschlagen hat,
und fort kommst Du nicht mehr.«

Mit dem Adlerblick des Jägers überflog er die ganze Gegend und sah bald,
daß der Flüchtling, nach dem wie er seine eigenen Leute postirt hatte,
ihnen nicht mehr entgehen konnte. Auf der einen Seite starrte steil
und kahl der nackte Felsenkamm empor, in dessen Fuß sich die
Höhlen befanden; zur Linken tobte der kleine, durch die Bergwasser
angeschwellte Strom; und hätte er diesen auch durchschwimmen wollen,
so erwarteten ihn doch drüben die wackeren Männer von Seneka, die bei
solchen Gelegenheiten gerade nicht mit sich spaßen ließen. Alle andern
Schluchten und Anhöhen waren ebenfalls von den Jägern und Backwoodsmen
besetzt, und Leslie, darüber beruhigt, schlich nun eben so leise zurück
als er gekommen, ließ den jungen Mann, der ihn begleitet hatte, die
Übrigen von seinem Plane in Kenntniß setzen, und auf sein gegebenes
Zeichen brachen von allen Seiten zugleich die in dunkles Hirschleder
gekleideten Gestalten aus dem Dickicht hervor und sprangen, flüchtigen
Panthern gleich, mit vorgehaltenen Büchsen auf den Fremden ein. Dieser
aber, durch das Plötzliche des Überfalls betäubt, stieß einen gellenden
Angstschrei aus und warf sich dann, ohne weiter einen Versuch zur Flucht
oder zum Widerstand zu machen, mit dem Antlitz auf die Erde nieder. Er
schien jeder Hoffnung auf Rettung entsagt zu haben und die Männer,
die ihn zuerst erfaßten und vom Boden emporrissen, fühlten, wie seine
Glieder zitterten und seine ganze Gestalt erbebte.

»Hund!« schrie der kräftige Leslie aber jetzt, und hob die eiserne Faust
zum Schlage auf -- »Hund -- feiger -- nichtswürdiger Hund, der Du bist
-- Du also hast es gewagt, die Hand an den kräftigsten Burschen zu
legen, den je Kentucky's Boden getragen? Du -- Gedanke von einem Manne,
den man erst _träumen_ muß, um seiner habhaft zu werden.«

Der Fremde hob die Arme flehend empor und wimmerte »Gnade!« Leslie
aber schien wenig geneigt, ihm diese angedeihen zu lassen; denn seine
hammerartige Faust sollte eben auf seinen Schädel niederfallen, und
wer weiß, ob der Sheriff dann nicht bei der ganzen Verhandlung unnütz
gewesen wäre; der eine Constabel aber lenkte den Schlag des Erzürnten
zur Seite, daß er machtlos an der Schulter des Knieenden niederglitt,
und rief:

»Schämt Euch, Leslie -- wollt uns Leute vom Gericht um das Unsrige
bringen -- der ist dem Strick verfallen -- so gönnt ihm den auch.«

Ehe aber noch Leslie ein Wort darauf zu erwidern vermochte, drängte
sich die übrige Masse der Männer und Frauen herbei, die es nicht
länger ausgehalten hatten, das Resultat in Ungewißheit zu erwarten.
Den Gefangenen führten sie in ihrer Mitte und schon von weitem riefen
einzelne Stimmen:

»Ist er es? ist es der Mörder, den Mac Ferson im Traum gesehen?« Kaum
aber hörten sie das antwortende »_Ja_« -- das »kommt schnell -- wir
haben ihn -- er fleht um Gnade!« da stieg ein wildes Jubelgeschrei in
die Luft und Alles drängte jetzt in wilder Eile vor, den zu sehen,
der durch Gott selbst den Gerichten überliefert worden. Den bisherigen
Gefangenen beachtete Keiner mehr; nur ein Knabe von zehn oder eilf
Jahren, auch ein Irländer, der mit Mac Ferson auf einem Schiff
herübergekommen war, hatte sich bis jetzt dicht zu ihm gehalten, und als
er nun, von Allen zurückgelassen, allein stehen blieb, da ihm seine
auf den Rücken zusammengebundenen Hände nicht verstatteten, so schnell
fortzukommen, glitt er schnell hinter ihn, schnitt ihm mit einem
haarscharfen Messer die Bande durch, drückte ihm in der nächsten Secunde
den Griff des Stahls in die Hand und folgte dann in flüchtigen Sätzen
den Übrigen. Mac Ferson aber, ohne die mindeste Neugierde zu bezeigen,
wie der Mann im wirklichen Leben aussähe, den er schon einmal im Traum
erblickt, warf sich, als er kaum seine Hände frei und zugleich bewaffnet
fühlte, hinter einem umgestürzten Baumstamm, der ihn den Blicken der
Übrigen entzog, lief gebückt, aber so schnell er konnte, hinter diesem
hin, kroch über den Kamm der Anhöhe hinweg, bis er diese zwischen sich
und seinen bisherigen Feinden wußte, rannte dann, so schnell ihn seine
Füße trugen, den Abhang hinunter in das angrenzende Dickicht, sah sich
hier einen Augenblick etwas ängstlich um, schien aber bald das, was
er suchte, gefunden zu haben -- ein Pferd, das hier gesattelt und
aufgezäumt, wie des Reiters harrend, stand, schwang sich auf dessen
Rücken und sprengte, ihm die Hacken in die Seiten bohrend, in vollem
Carriere gen Süden.

Wie eine zürnende Fluth ergoß sich jetzt die wogende Menschenmasse der
Stelle zu, wo der so wunderbar Entdeckte noch immer wie in gräßlichster
Angst und Verzweiflung auf den Knieen lag. Man riß ihn vom Boden auf
und aus den wildverworrenen Fragen, die fast von jeder Lippe an ihn
gerichtet wurden, schien er nicht eine einzige verstehen zu können oder
zu wollen, denn er warf zuerst einen scheuen Blick im Kreis umher, und
barg dann auf's Neue das Antlitz in den Händen.

Der Sheriff drängte die ihm zunächst Stehenden ein wenig zurück, bat
sie ihm Raum zu machen, um den Gefangenen zu examiniren, und das Volk,
willig gehorchend, beobachtete tiefes Schweigen.

»Hast Du den Kentuckier erschlagen?« war jetzt des Sheriffs erste Frage,
der es nach all dem Vergangenen für ganz unmöglich hielt, daß der, den
sie hier so mitten im Walde gefunden, vielleicht gar Nichts von der
Sache wisse. »Hast Du den Kentuckier erschlagen? Gestehe es, und
vielleicht kann Dir noch Gnade werden!«

»Gnade?« unterbrach ihn Leslie entrüstet, ehe der Gefangene auch nur
eine Sylbe zu erwidern vermochte -- »Gnade? den möcht' ich sehen, der
Hills Mörder begnadigen wollte. Tod und --«

»Ruhe!« tönte es von allen Seiten. »Stört den Sheriff nicht und laßt ihn
thun, was seines Amtes ist -- Ruhe!«

Eine augenblickliche Todtenstille folgte dem früheren Lärmen, und der
Sheriff berührte auf's Neue die Schulter des Unglücklichen und sagte mit
ernster und doch milder Stimme:

»Hast Du den Kentuckier erschlagen, so gestehe es -- nur durch ein
offenes Geständniß kannst Du noch auf Gnade oder Mitleiden hoffen. Bist
Du der Mörder?«

»Gnade -- Gnade!« schrie der Knieende und umklammerte die Knie des
Sheriffs -- »Gnade -- ich will Alles gestehen.«

»Ein Wunder -- ein Wunder!« riefen die Baptisten im jubelnden Chor, und
der Prediger stimmte mit voller, lauttönender Stimme ein Loblied
des Herrn an, in das sämmtliche Mitglieder seiner Gemeinde jauchzend
einfielen.

»Wo ist Mac Ferson?« sagte jetzt der Sheriff -- -- »bringt ihn her, daß
wir sehen, ob dies derselbe ist, der ihm im Traum erschienen.«

Die Constabel sahen sich etwas verblüfft einander an, denn Keiner von
ihnen hatte mehr an Mac Ferson gedacht. Der war ja unschuldig, der in
Erfüllung gegangene Traum bewies das so sonnenklar wie nur möglich.
Schnell durcheilten sie jedoch die Menge, den Verlangten aufzufinden
und ihn, eigentlich im Triumph, zu dem hinzuführen, für dessen Schuld
er beinah hätte büßen müssen; aber vergebens schauten sie sich zu
ihrem Erstaunen nach dem bisherigen Gefangenen um, der war und blieb
verschwunden und sie sahen sich endlich genöthigt, dem Sheriff Anzeige
davon zu machen, der dann augenblicklich nach allen Richtungen hin
Botschafter ausschickte, den vermuthlichen Flüchtling zurückzubringen,
ihm aber zu sagen, daß er ohne Furcht folgen möge -- er sei frei; der,
den ihm Gott im Traum gezeigt, habe die Schuld schon gestanden.

»Alle Wetter!« rief da der ehrliche Leslie aus, »jetzt läuft der fort,
weil er dem Frieden doch nicht so recht traut, und ist ein ehrlicher
Mann und ich habe ihm Unrecht gethan. Nein, Sheriff, der soll nicht
lange in der Welt umherirren und sich fürchten, einem ordentlichen Kerl
in's Auge zu schauen -- den müssen wir wieder finden, und mein bestes
Pferd soll er haben, wenn er's annehmen will, nur deshalb, weil ich ihn
für einen Schurken und Mörder gehalten. Gebt Ihr aber indessen wohl auf
den zitternden Hallunken acht -- gnade Gott dem, der ihn entspringen
läßt. Nun fort, Ihr Leute, laßt uns Mac Ferson wiederfinden -- er kann
noch nicht weit sein, und drüben an der Straße stehen ja alle unsere
Pferde.«

Der ehrliche Backwoodsman suchte jetzt, von seinen Freunden gefolgt, den
ganzen Bezirk ab, und bald entdeckten auch ihre scharfen geübten Augen
die Fährten des Entflohenen; Andere waren indessen nach den Pferden
abgesandt, und Leslie schwang sich bald auf seinen feurigen Rappen und
sprengte mit verhängten Zügeln dem nach, dem er so entsetzliches Unrecht
gethan zu haben glaubte. Die Übrigen folgten zwar noch ebenfalls eine
Strecke, gaben aber die Jagd bald auf, da sie einsahen, daß sie mit dem
besser berittenen Leslie nicht Schritt halten konnten.

Indessen hatte sich um den auf so wunderbare Art gefangenen jungen Mann
eine ganz eigene Gruppe gebildet; noch immer barg dieser nämlich sein
Gesicht in den Händen und die Frauen, die gar zu gern gewußt hätten, was
er denn eigentlich für Augen habe und wie er überhaupt aussähe, drängten
immer näher und näher herzu und hielten den Sheriff und den zitternden
Mörder fast allein umzingelt, während die kräftigen Gestalten der
zurückgebliebenen Hinterwäldler den äußeren Kreis um diesen Zirkel
bildeten. Der Sheriff aber winkte jetzt dem einen Constabel, den
Verbrecher aufzuheben, um ihn in die Stadt und seinem richterlichen
Verhör zuzuführen; erst nach langem Sträuben gehorchte der Unglückliche
aber seinen Wächtern, und mehre Male mußte ihm der Baptistenprediger
zureden, sich zu ermannen, seine Sünden zu bereuen und Gott wenigstens
mit seinem entsetzlichen Verbrechen auszusöhnen.

»Wo ist Mac Ferson?« flüsterte dieser endlich mit leiser, kaum hörbarer
Stimme.

»Hol' mich der Henker -- ob er den Namen nicht kennt,« sagte der
Constabel -- »der ist fort, sie werden ihn aber wohl wieder holen!«

»Fort?« rief der Gefangene mit lauter freudiger Stimme und richtete sich
schnell und plötzlich hoch auf -- »fort? ist er wirklich fort?«

»Jesus von Nazareth!« schrie die Frau des Presbyterianischen
Geistlichen, die dicht neben dem jungen Manne stand, und sich bis jetzt
vergeblich bemüht hatte, sein Gesicht zu sehen, während ihr dieser jetzt
starr in's Antlitz sah -- »Jesus von Nazareth, das ist ja Missis Mac
Ferson.« --

»Missis Ferson?« rief Alles erstaunt durcheinander; »die Frau des Iren?
seine eigene Frau? und das der Mörder?«

Judith Mac Ferson aber, denn es war in der That die Frau des jetzt
glücklich Befreiten, sank wieder thränenden Auges auf ihre Kniee nieder
und sandte zu dem Allerbarmer ein heißes Dankgebet empor, daß ihr die
Rettung ihres Mannes so glücklich gelungen sei.

Der Sheriff sammelte sich zuerst wieder, denn die Übrigen standen
wirklich alle so stumm und starr vor Überraschung, als ob sie der Schlag
getroffen habe; mit blitzenden Augen trat er der schönen jungen Frau,
die jetzt die entstellende Binde und den Strohhut von der dunklen
Lockenfülle abwarf, entgegen und rief mit finsterem Blick und drohender
Stimme:

»Unglückliche, Du hast einem Verbrecher zur Flucht verholfen und mußt
nun selbst dafür seine Strafe leiden -- Du kanntest die Gesetze des
Landes nicht und bist in Dein eigenes Verderben gegangen. Ich verhafte
Dich hiermit im Namen der Gesetze -- Mrs. Mac Ferson,« fuhr er dann mit
ernster, tiefer Stimme fort, indem er seine Hand nach ihrer Schulter
ausstreckte -- »Mrs. Mac Ferson -- Sie sind meine Gefangene!«

Judith Mac Ferson hatte aber, wenn auch erst kurze Zeit in Amerika,
die Charaktere der Frauen kennen gelernt, unter denen sie lebte und auf
deren Schutz vertrauend sie das gefährliche Spiel gewagt. Mit schnellem
Druck des Constabels Arm zurückschiebend, trat sie zwischen die erstaunt
zu ihr aufblickenden Frauen und rief:

»Weg von mir, Sir -- weg von mir! Ihr habt keinen Theil an mir. Habe ich
ein Verbrechen begangen? Es war mein Mann -- der Vater meines Kindes,
den ich befreite; ist eine hier unter den Frauen von Pensylvanien, die
nicht unter gleichen Verhältnissen ein Gleiches gethan hätte? Ist Eine
hier von Müttern oder Weibern, die nicht willig ihr Leben daran setzen
würde, den Geliebten zu befreien? _Keine_ -- ich weiß es, und kein
Gericht des Landes wird mich deshalb strafen können. Werden aber die
Frauen von Pensylvanien zugeben, daß ich einem Gericht ausgeliefert
werde?«

»Nein -- nimmermehr -- den wollen wir sehen, der ihr etwas zu Leide zu
thun sollte,« rief es von allen Seiten, und um das junge, heldenmüthige
Weib schaarten sich besonders die Presbyterianischen Frauen, voller
Freude, daß den Baptisten ein solcher Sieg mißlungen sei.

»Ladies -- auf Ihre Verantwortung,« rief der Sheriff -- »Sie müssen
mir für die Dame haften, übrigens wird ihre Gefangennehmung wohl nicht
nöthig sein, denn Leslie ist mit seinem Rappen auf Mac Fersons Fährten,
und wir kennen Alle miteinander Leslie genug, um nicht zu wissen, daß
der nimmer zurückkehrt, ehe er den Flüchtigen eingeholt hat. Einen
besseren Renner giebt's in ganz Pensylvanien nicht, als sein Rappe.«

Judith erbleichte, die Frauen aber ließen ihr gar keine Zeit sich zu
besinnen, nahmen sie in ihre Mitte und führten sie im Triumphe fort. So
eifrig sie früher die Hinrichtung Mac Fersons gewünscht hatten, so
sehr interessirten sie sich jetzt für seine Flucht, und selbst die
Baptistinnen konnten die Frau nicht tadeln, die ihren Mann befreit habe.

Um so mehr eiferte der Baptisten_prediger_, der jetzt mit mehren
Anderen, mit denen er Mac Fersons Spuren aufgesucht, zurückkehrte,
dagegen. Er sah in dieser lügenhaften Eingebung eines rettenden Traumes,
zu dem sich die beiden Eheleute verabredet hatten, eine Blasphemie
des Göttlichen und forderte ernst und bestimmt die Auslieferung beider
Gotteslästerer. Der eine war aber, Niemand wußte wo, und die Andere
wurde, nun sich der Baptist so fest dagegen erklärte, von den
Presbyterianerinnen nur um so mehr vertheidigt und in Schutz
genommen. Bald erreichte man die Stadt wieder, und hier erboten sich
augenblicklich drei junge Leute, Mrs. Ferson mit ihrem Kinde, das
indessen bei einer Landsmännin geblieben war, hinzubegleiten, wohin
sie gebracht zu sein wünsche. Das nahm Judith mit herzlichem Danke an,
verschwieg aber natürlich den verabredeten Ort, wo sie ihren Mann wieder
zu treffen hoffte, denn der kleine Irländer, der Mac Fersons Bande
durchschnitten, hatte ihr ebenfalls zugeflüstert, wie dieser auf
schnellem Roß seine Flucht bewerkstelligt, und sie verlangte nur an den
Ohiofluß gebracht zu werden, von wo aus sie ihre Bahn selbst verfolgen
wolle. Das geschah denn auch noch an demselben Nachmittage, und während
der Sheriff mit den zwei Constabeln und dem Baptistenprediger berieth,
was in diesem Falle zu thun sei, und ob man erst die Rückkunft Leslie's
mit dem Entflohenen abwarten solle, sprengte Judith Mac Ferson, auf
einem schlanken Zelter, das Kind im Arm, die Begleiter an ihrer Seite,
die Fahrstraße hinunter, die dem schönen Ohioflusse zuführte.

Doch jetzt wollen wir Mac Ferson folgen, der, sobald er das Pferd
erreicht und sich hinaufgeschwungen hatte, mit kaum unterdrücktem
Jubelschrei einen kleinen Holzpfad entlang flog, welcher ihn endlich
zu der Hauptstraße führen mußte. Er ritt ein wackeres Thier, und hatte
gegründete Ursache zu glauben, daß der von seinem treuen Weibe so
glücklich erdachte Plan gelingen müßte. Einige Meilen vom Ohio noch
entfernt, wollte er nämlich absteigen, das Pferd laufen lassen, um
etwaige Verfolger irre zu führen, und dann seinen eigenen Weg bis zu
einer Stelle am Ohiofluß fortsetzen, wo er früher schon einmal zwei
Nächte mit seiner kleinen Familie gelagert hatte. Dort sollte er Judith
erwarten, und dann konnten sie von da aus leicht eine neue Heimath im
fernen Westen aufsuchen, wohin ihre Verfolger schwerlich vordringen
würden, selbst wenn sie den Aufenthaltsort erfahren sollten.

Fröhlich gallopirte daher Mac Ferson, von diesen Gedanken erfüllt,
die Straße entlang, und mochte etwa sechs oder sieben englische Meilen
zurückgelegt haben, als sein Pferd, das über einen im Wege liegenden,
umgestürzten Baumstamm wegsetzen wollte, in einer trockenen aber noch
zähen Schlingpflanze hängen blieb, stürzte, den Reiter weit ab gegen
einen Baum schleuderte und dann, unfähig sich wieder zu erheben, liegen
blieb.

Wie lange diese Bewußtlosigkeit Mac Fersons gedauert haben konnte, wußte
er selber nicht, als er aber nach ziemlich langer Zeit wieder zu sich
kam, fühlte er, wie ihm Jemand die Schläfe mit kaltem Wasser wusch und
erkannte, als er die Augen aufschlug, _den_ Mann, der, wie er wußte,
sein grimmigster Feind war.

Mit einem leisen Schmerzensruf sank er wieder zurück, Leslie aber,
der wohl ahnen mochte, was den Armen erschreckt habe, bog sich zu ihm
nieder, faßte seine Hand und sagte:

»Fürchtet Nichts, Mac Ferson -- wir haben Euch Alle Unrecht gethan; der,
den Euch Gott im Traum gezeigt, hat das Verbrechen gestanden; Ihr
könnt frei zurückkehren, ich selbst bin Euch aber nachgeritten, um Euch
abzubitten, daß _ich_, vor allen Anderen, Euch so feindlich gesinnt war;
aber seht, Hills war mein Freund, und wenn auch sonst ein etwas roher
Gesell und vielleicht in manchen Stücken tadelnswerth genug, so mußt'
ich mich doch seiner im Tode annehmen, da er ja sonst fast Niemanden in
Seneka hatte, der seinen Mord rächen konnte. Kommt -- steht auf -- gebt
mir Euere Hand und laßt uns Freunde sein. Ihr habt Euch doch keinen
Schaden gethan?«

Mac Ferson wußte kaum, ob er seinen eigenen Ohren trauen sollte. War
dies vielleicht ein Traum, der ihn befangen hielt, oder hatte er den
früheren wirklich geträumt? Die durch den Sturz angegriffenen Sinne
vermochten nicht gleich klar und deutlich seine jetzige Lage zu fassen,
und er schloß wieder auf mehrere Sekunden die Augen, um sich erst ganz
zu sammeln. Mac Ferson war übrigens nicht der Mann, einen sich ihm
bietenden Vortheil leicht hintanzusetzen. Leslie wußte augenscheinlich
noch nicht, daß der vermeintliche, von ihm im Traum gesehene Verbrecher
sein eigenes Weib, und das ganze ein abgekarteter Plan gewesen war;
dieser mußte ihn daher auch für unschuldig halten, und er beschloß nun,
seine Maßregeln darnach zu ergreifen.

Er öffnete die Augen, richtete sich mit des Amerikaners Hülfe, indem
er sich schwächer stellte, als er wirklich war, vom Boden auf, und
ließ sich nun mit kurzen Worten erzählen, wie sie den von ihm so genau
bezeichneten Fremden gefunden hätten. Ehe er sich aber noch selbst über
seine eigene Flucht entschuldigen konnte, trat Leslie, der darauf weiter
gar nicht einging, zu Mac Fersons Pferd und fand, daß dieses das linke
Vorderbein gebrochen hatte. Jetzt war guter Rath theuer. Der Irländer
erklärte, er könne keine hundert Schritte weit gehen, alle seine Glieder
seien ihm wie zerschlagen, und ein Haus war ebenfalls nicht in der
Nachbarschaft, wo man vielleicht ein Pferd hätte borgen können; hier
blieb also keine andere Wahl, Leslie bot dem Irländer sein Pferd zum
Reiten an, versicherte ihm dabei nochmals, er könne unbesorgt mit ihm
zurückkehren, er würde von Allen auf das Freundlichste empfangen werden,
und half ihm dann selbst in den Sattel. Ob er aber dem Erschöpften doch
noch nicht so recht trauen mochte, oder ob ihm der scheue Blick mißfiel,
mit dem sich dieser nach der Straße umsah, als ihm Leslie den Sattel
und Zaum seines eigenen Thieres hinaufreichte, kurz, der Amerikaner nahm
eine lange Leine, die er in der Tasche trug, hervor, befestigte sie in
einer Schlinge um den Hals des Pferdes und trieb dieses nun langsam den
Weg zurück, den er eben gekommen war.

Mac Ferson wußte aber, daß seine List jetzt entdeckt sein mußte --
jeden Augenblick konnte ihnen ein neuer Bote begegnen, der den wahren
Sachbestand verkündete und ihm dann _jede_ Aussicht auf Rettung
abschnitt; sein Entschluß war also auch deshalb schnell und ohne
weiteres Zögern gefaßt, und eben, als sie auf die oben beschriebene Art
vielleicht eine Meile zurückgelegt hatten und an eine Stelle kamen, wo
der Pfad so schmal wurde, daß Leslie nicht mehr nebenher gehen konnte,
sondern voraus mußte, wobei er jedoch das Seil nicht losließ, zog Mac
Ferson schnell aber vorsichtig das von dem Knaben erhaltene Messer aus
dem Gürtel -- trennte mit raschem Schnitt die hänfene Schnur, die ihn
bis jetzt noch immer zum Gefangenen gemacht, riß in demselben Augenblick
den Rappen auf den Hinterfüßen herum, und ehe sich der bestürzte
Amerikaner nur besinnen konnte, ob er seine Büchse gebrauchen sollte
oder nicht, war der auf's Neue Befreite schon im dichten Gebüsch seinen
Blicken entschwunden.

Acht Tage später erhielt Leslie, der vergebens den Räuber seines
Eigenthums zu Fuß verfolgt hatte und die Fährte gegen Abend, da ein
ziemlich starker Regen fiel, nicht mehr erkennen konnte, sein Pferd
durch einen, etwa zwanzig Meilen von Seneka wohnenden Farmer zurück, der
ihm auch zugleich einen kleinen Brief von Mac Ferson einhändigte, worin
ihm dieser für die geleistete Hülfe herzlich dankte, sich aber nochmals
entschuldigte, daß er zu einem frommen Betruge seine Zuflucht habe
nehmen müssen.

»Da er jedoch,« so schloß er seine Zeilen, »bei weitem lieber in dem
kühlen Schatten der stolzen Eichen des Westens lagere, als -- mit
zugeschnürter Kehle an einem Chestnutast in Pensylvanien hänge -- so sei
ihm das wohl nicht so sehr zu verdenken gewesen.« Über den Mord sagte er
weiter Nichts. Sein wirklicher Aufenthaltsort wurde nie näher bekannt,
doch hieß es allgemein und vielleicht nicht unrichtig -- Mac Ferson ist
nach _Texas_.



Eine Pantherjagd.


Heulend und bellend liefen und sprangen drei kräftige, schlankgebaute
Hunde vom Geschlecht der Bracken, die Nasen im eifrigen Suchen dicht am
Boden haltend, durch den dicht verwachsenen Wald, oft die Spur in
den dürren Blättern verlassend und auf umgestürzten Bäumen und alten,
halbverfaulten Stämmen schnoppernd, auf denen sie hinliefen und von da
wieder kläffend ihre Verfolgung erneuerten; ein sicheres Zeichen, daß
ihre Jagd einem wilden Thier, sei es nun Bär oder Panther, und nicht
dem schnellfüßigen Hirsch galt, der sie wohl, wenn er ihre Bahn
durchschnitt, auf kurze Zeit von ihrer Fährte ablocken, nie aber ganz
der einmal aufgenommenen Spur untreu machen konnte.

Jetzt hatten sie einen Platz erreicht, auf dem ihr Feind offenbar eine
Zeitlang verweilt, und seine Fährten gekreuzt haben mußte, denn heulend
standen sie oft einen Augenblick still und durchsuchten dann, mit
wildem Winseln hin und herspringend, desto eifriger den, von dicht
herabhängenden Schlingpflanzen fast wie mit einer lebendigen Mauer
umgebenen Raum, immer wieder zum Mittelpunkt zurückkehrend, um ihr
Heulen und Wehklagen dort wie früher zu beginnen.

Plötzlich theilten sich die Büsche, und ein junger Mann auf einem
kleinen, schwarzen, indianischen Pony setzte, mit seinem breiten
Jagdmesser, das er bloß in der Hand trug, ein paar Schlingpflanzen in
kräftigem Zuge durchhauend, die ihn vom Pferde zu reißen drohten, gerade
zwischen die Hunde hinein, die bei seinem plötzlichen Erscheinen ihn
für einen Augenblick freundlich wedelnd umgaben, und dann wieder, mit
erneutem, durch die Nähe ihres Herrn belebten Eifer in ihrem Suchen
fortfuhren.

»So recht, meine braven Thiere,« rief der junge Jäger, indem er sein
Pferd anhielt, das Messer in die Scheide zurücksteckte und die
lange Büchse, die er auf der linken Schulter trug, vor sich auf den
Sattelknopf legte, »so recht, -- sucht, sucht -- ihr seid einmal auf der
Fährte, und ich denke doch, daß wir dießmal den Ferkeldieb erwischen,
der mir schon so oft entgangen ist!«

»Huhpih!« rief er, sich hoch im Sattel aufrichtend und seinen Jagdruf
ausstoßend, als er sah, daß der älteste der Hunde plötzlich die wieder
gefundene Fährte aufnahm und von den andern gefolgt, augenblicklich im
Dickicht verschwand.

»Huhpih!« und die Büchse zurück auf die Schulter werfend, ergriff er
jetzt mit der rechten den Zügel, rannte dem hochaufbäumenden Pony die
Hacken in die Seite, und flog in wilden Sprüngen seinen dahineilenden
Hunden nach.

Im Wege liegende Stämme, dicht verwachsenes Gebüsch, Sumpflöcher und
schlammige Canäle, Nichts konnte ihrem Eifer Schranken setzen, vorwärts
ging's, und schnaubend und schäumend folgte der Rappe mit seinem in
freudiger Lust hochaufjauchzenden Herrn.

Da hielten die Hunde aufs Neue; dießmal hemmte aber nicht Ungewißheit
über die Richtung des Weges, den der verfolgte Feind eingeschlagen haben
konnte, die Wüthenden, nein, bellend und heulend sprangen sie an einer
starken Eiche in die Höhe, und bissen vor Grimm in die Wurzeln und die
rauhe Rinde des mächtigen Baumes, daß er ihrem Feinde Schutz verlieh,
und ihn seinen Verfolgern vorenthielt.

Jetzt erschien auch der Jäger auf dem Wahlplatz, und sprang, ohne nur
das Anhalten seines feurigen Thieres abzuwarten, mit einem Satz aus dem
Sattel, das seiner Last enthobene Thier sich selbst überlassend; mit
spähendem Blick aber untersuchte er den dichtbelaubten Baum, an dem die
Hunde jetzt wieder jauchzend emporsprangen, und erkannte bald, zwischen
ein paar Ästen eingeschmiegt, die Gestalt eines lebendigen Wesens, das
dort sich, fest an einen der Äste angedrückt, versteckt und unbemerkt
glauben mochte.

Zwar war es im Schatten des dichten Laubes ziemlich dunkel, und ein
weniger geübtes Auge als das unseres jungen Waldbewohners möchte wohl
lange über den Namen und die Art des Thieres, das sich so angelegentlich
den Blicken der Untenstehenden zu entziehen suchte, in Ungewißheit
geblieben sein; _Wistons_ scharfer Blick erkannte aber bald in der
zusammengepreßten Gestalt das Junge eines Panthers, das der lange
Schweif, den es nicht ganz verbergen konnte, leicht verrieth.

Schon hob er die Büchse, um das sich sicher Glaubende aus seiner Höhe
herabzuholen, und athem- und lautlos schauten die Hunde ängstlich
und erwartend bald nach dem Lauf der Büchse, aus dem sie mit jedem
Augenblick den Feuerstrahl herausblitzen zu sehen hofften, bald nach dem
Gipfel der Eiche, in deren Laub sie ihren Feind wußten.

Doch vergebens war dießmal ihr leises, flehendes Winseln, mit dem sie
den Schuß ihres Herrn zu beeilen glaubten; dieser schien sich plötzlich
anders besonnen zu haben, setzte die Büchse ab, und begann auf's
Neue den Baum, fast mit noch größerer Aufmerksamkeit als vorher, zu
untersuchen.

Nach langem, bedächtigen Ausblicken schien er sich endlich von dem, was
er wissen wollte, überzeugt zu haben, stellte seine Büchse gegen einen
umgestürzten Stamm, der nicht weit vom Baume lag, schnallte seinen
Gürtel ab, in welchem Messer und Tomahawk staken, zog sein Jagdhemd
aus und kehrte dann mit dem Gürtel, den er in der Hand hielt, zur Eiche
zurück, welche die Hunde, die zwar aufmerksam allen Bewegungen ihres
Herrn gefolgt waren, dennoch nicht aus den Augen ließen.

»Ich versuchs,« murmelte er endlich vor sich hin, »ich versuch's und
fang ihn lebendig; bringe ich den jungen Panther nach Little Rock, so
bekomme ich dort mit Leichtigkeit meine 10-15 Dollars für ihn, schieß
ich ihn dagegen, so ist das Fell keinen Bit werth. Die Alte muß überdieß
geflohen sein, denn ich kann sie nirgends im Baume sehen, und für
10 Dollars läßt man sich schon einmal von solch einem jungen Teufel
kratzen; also Pantherchen, paß auf, ich komme!«

Mit diesen Worten ging er zu seinem Pferde, das ruhig graste, schlang
einen Strick, der um dessen Hals gewunden war, von demselben ab,
schnallte seinen eigenen Gürtel wieder um, in den er das Messer steckte,
den Tomahawk aber zurückließ, und begann den starken Baum, den er nicht
umklammern konnte, zu ersteigen, indem er das Seil, dreifach genommen,
um den Stamm warf, die beiden Enden desselben, und zwar so kurz, als er
sie fassen konnte, ergriff, und dann mit deren Hülfe, indem er bald mit
dem rechten, bald wieder mit dem linken Arme sich bedächtig am Baume in
die Höhe zog, denselben erstieg.

Die Hunde verstanden augenblicklich, was er beabsichtige und umsprangen
winselnd und jauchzend die Wurzeln der Eiche.

Langsam zwar, aber sicher klomm er an dem geraden, schlanken Stamm, wohl
40 Fuß empor, ehe er an die ersten Äste kam und dort einen Augenblick
Athem schöpfen und sich ausruhen konnte; hier fühlte er auch nach seinem
Messer, ob das noch fest stak, blickte zum jungen Panther, der noch
bewegungslos an demselben Ast wie früher angeschmiegt lag, empor,
schlang sich jetzt das Seil, dessen er nun, da er die Äste zum Anhalten
hatte, nicht mehr bedurfte, um die Schultern, und stieg, gewandt die
Zweige als Sprossen seiner natürlichen Leiter benutzend, schnell und
leicht zu dem jungen Panther hinauf, der zwar, ohne sich zu regen,
liegen blieb, aber dennoch die glühenden Blicke fest auf den nahenden
Feind geheftet hielt.

Aber noch andere und wildere Blicke beobachteten und bewachten das
Fortschreiten des Jägers, der von solch grimmiger, gefährlicher Nähe
keine Ahnung hatte, und zwar Niemand anders als die Mutter des Jungen,
die auf einem dicht danebenstehenden verdorrten Baume, dessen Zweige in
die des andern hineinragten, auf einen Ast niedergeduckt, zum Sprunge
fertig da lag und mit dem Schwanze leise wedelnd nur die noch weitere
Annäherung des Jägers zu erwarten schien, um mit gewaltigem Satze sich
auf den Kühnen, der ihre Brut greifen wollte, zu werfen, und ihn mit
Zahn und Tatze zu vernichten.

Sorglos schwang sich _Wiston_ von Ast zu Ast, und war schon dicht unter
dem Jungen, das sich jetzt leise erhob und nach Art der Katzen den
Rücken biegend auf dem Aste stand und nach dem Jäger herunterschaute,
die Gefahr, welche dessen Nähe mit sich brachte, noch nicht so recht
begreifend; da hielt der Jäger, wand das Seil von seinen Schultern,
machte schnell eine Schlinge daraus, um sie über den Kopf des Jungen zu
werfen, und schaute, sich auf zwei anderen Ästen feststellend, eben
zu diesem empor, um den rechten Zeitpunct abzuwarten, als er, gerade
gegenüber, kaum zehn Schritte von sich entfernt, in die glühenden
Augen der Pantherin blickte, die sich eben zum entscheidenden Sprunge
niederbog.

Von Kindheit auf im Walde erzogen und mit den Gefahren, die den
einsamen Jäger so oft bedrohen, bekannt und vertraut, behielt er in
dem fürchterlichen Augenblick Besinnung genug, schnell und ehe der ihm
gegenüber liegende Feind seine Absicht errathen konnte, den Stamm der
Eiche, auf dem er stand, zwischen sich und die Bestie zu bringen, was
ihm durch eine rasche Bewegung gelang; es war aber die höchste Zeit
gewesen, denn in demselben Momente schnellte auch die dunkle Gestalt des
Panthers auf den Platz, den er eben verlassen hatte, herüber, und seine
glühenden Augen schauten in die des unerschrockenen Jägers, der den
linken Arm um einen Zweig gewunden, in der Rechten das blanke Messer,
mit jedem Athemzuge erwartete, das gereizte Thier auf sich herabspringen
zu sehen.

Die Pantherin jedoch, durch das Auge, das Jener fest auf sie geheftet
hielt, eingeschüchtert, begnügte sich damit ihr Junges beschützt
zu wissen, und jede Bewegung ihres Feindes auf das Aufmerksamste zu
beobachten, während sie, kaum sechs Fuß von ihm entfernt, mit dem
Schweife wedelnd da lag.

Zuerst glaubte sich _Wiston_ verloren, denn wenn auch sein Messer eine
gute und starke Waffe selbst gegen den grimmigsten Feind sein konnte, so
war doch schon der Platz allein, wo er stand, und wo ihn der geringste
Fehltritt zerschmettert in die Tiefe gesandt haben würde, nicht zu einem
Kampf mit solchem Feinde geeignet; kaum fand er daher, daß sein Gegner
sich damit begnügte, ihn zu bewachen, als er schnell, aber vorsichtig
und ohne irgend eine rasche Bewegung zu machen, die das Ungethüm hätte
reizen können, das Messer in die Scheide schob und langsam seinen
Rückzug antrat.

Der Panther, als er sah, daß Jener sich mehr und mehr von ihm entfernte,
folgte ihm langsam, und mehreremal zuckte _Wiston's_ Hand nach dem
Stahl, wenn sich die schlanke Gestalt der Katze zum Sprung niederbog,
immer aber konnte sich diese nicht zu einem offenen Angriff, Aug' in
Aug, entschließen.

So erreichte er den untersten Ast wieder, schlang das Seil um den Stamm,
erfaßte beide Ende desselben, und glitt bedächtig, aber doch so schnell
als möglich hinab. Die Hunde hatten aber indessen ihren Feind in den
Ästen bemerkt, wie er ihrem Herrn folgte, und in toller Wuth, fast zur
Verzweiflung getrieben, daß sie ihn nicht erreichen konnten, sprangen
sie empor und bellten und heulten auf eine herzbrechende Art.

Endlich gewann _Wiston_ wieder den festen sicheren Boden; seine Kleider
waren zerrissen, das Blut tropfte von seinen Armen, denn die rauhe Rinde
des Stammes hatte sie zerschnitten, seine Kräfte waren erschöpft und
seine Kniee zitterten; aber nicht einen Augenblick vergönnte er sich
zum Ausruhen, sondern sprang zu dem Ort, wo seine Büchse lehnte, ergriff
diese und hob sie, um den Panther aus seiner sicher geträumten Höhe
herabzuholen; aber vergebens bemühte er sich das schwere Rohr auch
nur eine Secunde lang still und unbeweglich zu halten, seine Glieder
zitterten, und er war genöthigt sich niederzuwerfen, um auszuruhen. Aber
kein Auge wandte er von der, jetzt dicht an den Stamm angeschmiegten
Gestalt der Bestie, neben der das Junge, keine Gefahr weiter fürchtend,
mit emporgehobenem Schweife, auf einem etwas vortretenden Aste stand,
und sich behaglich an der Mutter strich.

_Wiston_ erholte sich bald, faßte noch einmal seine Büchse, zielte lange
und sicher, und donnernd schallte das Echo von fernen Hügeln herüber.

Die Bestie, vom tödtlichen Blei durchbohrt, zuckte zusammen, sprang
empor und kletterte in wilder Eile von Zweig zu Zweig in den Gipfel
des Baumes; die dünnen Äste schwankten unter ihr; jetzt hatte sie
den höchsten Punct erreicht -- höher hinauf wollte sie; das schwache
Laubwerk gab nach -- sie stürzte, faßte noch mit den gewaltigen Tatzen
im Herunterfallen nach den Blättern und Ranken und schmetterte, von den
Hunden heulend erwartet, verendet zu den Füßen _Wiston's_ nieder.

Zwar stand diesem jetzt kein weiteres Hinderniß entgegen, das Junge
lebendig zu fangen, das ängstlich bis zu den niedrigsten Ästen des
Baumes der Mutter gefolgt war, doch hatte er das erste Mal seine Kräfte
zu sehr angestrengt, und vermochte nicht auf's Neue den beschwerlichen
Weg anzutreten; er lud daher seine Büchse wieder und brachte es mit
sicherem Schusse in den Bereich der Hunde, die mit grimmiger Wuth über
dasselbe herfielen.

In wenigen Minuten waren die Felle abgestreift und auf den Pony
geworfen, und von den Hunden gefolgt, trabte der kühne Jäger neuer Beute
und neuen Gefahren entgegen.



Wandernde Krämer.


In den Vereinigten Staaten, wo die Farmer und Pflanzer nicht, wie in
Europa, in Dörfern und Marktflecken zusammen, sondern vereinzelt auf
ihrem eigenen Lande und von diesem umgeben wohnen, ist natürlich der
Handel und Verkehr zwischen den verschiedenen, isolirt liegenden und
oft meilenweit von einander getrennten Besitzungen, wenn auch nicht
gehindert, doch sehr erschwert, und feststehende Kaufläden könnten nur
denen zum Nutzen und zur Bequemlichkeit gereichen, deren Ansiedelung
sich gerade in ihrer Nähe befänden.

Da nun aber der Farmer nicht gern sein Land verläßt, an das ihn
dringende Arbeiten fesseln, um irgend einen kleinen unbedeutenden
Gegenstand, den er vielleicht auch entbehren kann, einzukaufen, und
sich lieber einmal eine Zeitlang ohne solche Gegenstände behilft, die er
sich, wenn er sie eben bei der Hand hätte, wirklich anschaffen würde, so
fanden es die Handelsleute bald für nöthig, anstatt auf seinen Besuch zu
warten, ihn selbst aufzusuchen, und durchzogen nun entweder in eigener
Person mit ihren Waarenpäcken das Land oder schickten ihre Leute aus,
während sie dem Laden zu Hause vorstanden.

Vorzüglich fanden die Deutschen an dieser Beschäftigung Geschmack,
besonders unter diesen die Israeliten, (denn von all den wandernden
_deutschen_ Krämern in ganz Amerika sind kaum ein Hundertstel
Christen) und von New-York und New-Orleans, später von Cincinnati aus
durchstreiften sie mit unermüdlicher Ausdauer jeden Winkel der Union.

Der Handel ist das Lebensprincip der Israeliten, davon liefert Amerika
den unläugbaren Beweis; dort wird ihnen keine Schranke gesteckt, in der
sie sich bewegen müssen; dort sind sie durch Vorurtheile oder Gesetze an
keine Beschäftigung, an kein Gewerbe gebunden, sie stehen mit der ganzen
übrigen Bevölkerung auf Einer Stufe; was sie aber auch im Vaterlande
getrieben haben mögen, welches Handwerk, welche Kunst, es bleibt sich
gleich, in Amerika, wo sie wählen dürfen, greifen sie nach dem Handel
und werden mit sehr wenigen Ausnahmen Kaufleute, oder geht das nicht,
Krämer und Hausirer, wie man sie dort nennt, »Pedlars.« Zwar ist ein
kleiner Theil dieser Pedlar, wie schon gesagt, Christen; doch dieser
sind so wenige und sie verlieren sich so sehr unter der Masse, daß sie
kaum einer Erwähnung verdienen, und nur die wirklichen Yankees (die
Bewohner der nordöstlichen Staaten der Union) concurriren bedeutend mit
ihnen, und nehmen auch wirklich in diesem Geschäftszweig, selbst den
Juden gegenüber, den ersten Rang ein. Wir aber haben es hier erst
vor allen Dingen mit den Deutschen zu thun. -- In einem der Seehäfen
angekommen besteht die Baarschaft der wandernden Krämer, wenigstens die
der ärmern Classe, gewöhnlich noch aus wenigen Dollars, mit denen sie
denn auch nicht säumen, ohne weiteren Zeitverlust ein »Geschäft zu
beginnen.« Ein schmaler Korb (zum Umhängen) wird vor allen Dingen
angeschafft, dahinein ein kleiner Vorrath von etwas Band und Zwirn,
einige Kämme und Zahnbürsten, Hosenträger und Zahnstocher, wunderbar
schimmernde Hemdknöpfchen und Näh- und Stecknadeln und andere derartige
Sachen gekauft, und der Weg zu ihrem Glück ist gebahnt.

Noch versteht der angehende Kaufmann keine Sylbe von der Sprache des
Landes, das er jetzt zu seiner Heimath gemacht hat, =yes= und =no= und
noch ein paar kleine Hülfswörter, wie =very cheap= (sehr billig)
und =very good= (sehr gut) ausgenommen, mit einer liebenswürdigen
Dreistigkeit aber sucht er vorzüglich die amerikanischen Häuser auf
(denn die Deutschen selbst sind schlechte Kunden), und knüpft hier
mit der Hülfe von solch barbarischen Wörtern und lebensgefährlichen
Gesticulationen ein Gespräch an, daß die Leute, wenn sie nicht den ohne
alles weitere Eintretenden beim ersten Anlauf aus der Thüre werfen, sehr
häufig geneigt sind eine Kleinigkeit zu kaufen, die sie natürlich im
Leben nicht benutzen können, blos um das Mienen- und Gebärdenspiel wie
die außerordentliche Unterhaltung des »jungen Amerikaners« eine kurze
Zeit zu genießen.

Das dauert aber nur wenige Monate; in fast unglaublich kurzer Zeit
lernt der Pedlar die Landessprache wenigstens so weit, daß er sich
verständlich ausdrücken kann, und nun beginnt das eigentliche Leben
desselben.

Wie der Schmetterling aus der Puppe, so kriecht er mit seinem mächtigen
Packen und einem tüchtigen Wanderstab versehen aus den Straßen der engen
Stadt hervor und flattert, wenn man überhaupt mit einem Waarenballen von
einigen 60 Pfund auf den Schultern flattern kann, hinaus ins Weite, den
fernwohnenden Farmern das an Herrlichkeiten zuzutragen, was er entweder
auf Auctionen mit baarem Gelde eingekauft, oder von bekannten Kaufleuten
auf Credit erhalten hat.

In dem Staat, in welchem er Handel treibt, muß er freilich eine
bestimmte Taxe, sogenannte Licence entrichten, weiter ist er aber auch
in nichts gebunden, und kann an Waaren ausbieten, was ihm nur immer
und wo es ihm beliebt; deshalb haben sie sich auch über die ganzen
östlichen, südlichen und mittlern Staaten ausgebreitet, und nur die ganz
westlich liegenden größtentheils den Amerikanern überlassen, da dort die
Gegend noch zu unbebaut ist und ihnen der Anblick von wilden Thieren,
die, wenn auch einzeln, doch dann und wann umherstreifen, keineswegs zu
behagen scheint.

Natürlich wählt sich der Pedlar stets _den_ Strich Landes, auf welchem
die meisten Ansiedlungen liegen und der noch am wenigsten von seinen
Collegen heimgesucht ist; dort geht er dann von Farm zu Farm und fragt,
ob die Inwohnenden etwas von Waaren nöthig haben. Gewöhnlich lautet
die Antwort »nein.« Da aber der Mann selten zu Hause ist und die Frauen
stets gerne sehen möchten, was der Krämer denn eigentlich in dem großen,
schweren Packen für Kostbarkeiten verborgen trägt, so erhält dieser
leicht die Erlaubniß seinen Ballen zu öffnen und seine Waaren
auszubreiten. Erhält er die übrigens auch nicht, so bleibt sich das im
Grunde gleich, denn öffnen thut er ihn doch, und seine Sachen zeigt
er auch vor, ehe er geht, Stück für Stück, ob er nun freundliche oder
mürrische Zuschauer um sich sieht.

Das Ausbreiten der Waaren in einsamer, den Städten fernliegender Hütte,
hat aber seinen doppelten Nutzen; erstlich sehen die Bewohner derselben
so viele Sachen, welche sie gut gebrauchen können, ja deren sie wohl gar
nothwendig bedürfen, vor sich und werden dadurch an manche Kleinigkeit
erinnert, die sie sonst vergessen hätten; und dann gewinnt auch
die Waare selbst, in der unscheinbaren niedern Hütte, auf dem rohen
Holztisch, in der ganzen hausbackenen Umgebung zur Schau gestellt, ein
ganz anderes Ansehen. Wie verführerisch glänzen die schildpattähnlich
gemalten Hornkämme von dem schlauen Krämer gegen den dunkeln Scheitel
des neben ihm stehenden erröthenden Mägdeleins gehalten; wie feenhaft
zauberisch glitzern die mächtig großen Vorstecknadeln und Ohrgehänge
auf den sauber gebürsteten, schwarzen sammtmanchesternen Kissen und die
goldenen Ringe mit den Brillanten und Rubinen auf der schwarzen Rolle
aufgereiht wie Bretzeln am Fenster eines Bäckerladens; welche kaum
geahnte Pracht eröffnet sich nicht in den jetzt aufgeschlagenen Stücken
Kattun, dessen wunderliche Muster, mit den blitzähnlichen Zickzacks und
unzähligen Monden und Sternen selbst der ältern Farmersfrau ein
lautes »Ach« der Bewunderung entlocken; und dann erst gar die seidenen
Halstücher und Bänder, die Perlmutterknöpfe und Haarnadeln mit den
kleinen farbigen Glaskugeln oben drauf, die Haarschleifen und Armbänder,
die Ketten und feuerstrahlenden Ohrringe, das alles muß in einem solchen
Blockhaus, mitten im Walde gesehen werden, um ganz den, wenigstens für
den Verkäufer wünschenswerthen und günstigen Eindruck hervorzubringen.

Der Pedlar läßt seine Waaren gewöhnlich nur für baar Geld aus den
Händen; kennt er aber seine Leute oder sieht er an der ganzen Umgebung,
daß er gerade nicht viel zu fürchten hat, so creditirt er wenigstens
einen Theil derselben, was ihm zu gleicher Zeit Entschuldigung für einen
zweiten Besuch gewährt. Ein anderes ist es mit den »Jewelry pedlars«
oder denen, die nur goldene Schmuckwaaren, einige Taschenuhren und
_silberne_ Löffel führen. Diese geben _nie_ Credit, weil sie aus sehr
vernünftigen Gründen nie ein und denselben Ort zweimal besuchen: sie
trauen dem Frieden nicht recht und sind selten geneigt, dem Mann wieder
unter die Augen zu treten, dem sie früher von ihren Waaren verkauft
haben.

Der größte Betrug wird in dieser Hinsicht mit den Argentan-Löffeln
getrieben, die in den Städten unter dem Namen =german silver=
oder deutsches Silber bekannt sind und wo, besonders in Ohio, den
leichtgläubigen Farmern unter dem Vorwande, daß _deutsches_ Silber nur
eine andere Art, aber sonst eben so gut sei, das Dutzend Eßlöffel zu
18 und 20 Dollars verkauft wurde. Hätten die Gesetze in diesen Fällen
wirklich einschreiten wollen, so würden sie nichts haben ausrichten
können, denn die Waare war unter dem rechten Namen, »deutsches Silber,«
wenn auch zu einem übermäßigen Preise, verkauft, die Landleute selbst
aber, welche mit der Zeit, obgleich erst durch Schaden, klug wurden,
schwuren nachher freilich dem Pedlar, sobald er sich wieder blicken
lassen würde, furchtbare Strafe zu. Dieser jedoch trieb dann schon
in einem anderen Staat, entweder weiter westlich oder südlich, -- wer
konnte sagen wohin er gezogen, -- sein Wesen, und nur wenige Jahre
bedurfte es, so hatte sich der arme Packträger ein Pferd oder gar einen
kleinen Wagen angeschafft, auf dem er jetzt seine Waaren, in bedeutend
größerer und besserer Auswahl, durch das Land fuhr.

Louisiana besonders wimmelt von diesen Leuten und es kommt dort vor,
daß mehrere derselben zusammenlegen und sich ein Pferd gemeinschaftlich
kaufen, um ihre Waarenballen fortzuschaffen; das arme Thier ist aber
dann wahrlich zu bedauern, denn erstens muß es die sicherlich übermäßige
Last, und gewöhnlich auch noch abwechselnd einen der hoffnungsvollen
Jünger Mercurs schleppen, und nicht selten geschieht es dann, daß solch
ein gequältes Geschöpf zusammenbricht und nicht weiter kann.

In Louisiana besteht der Hauptnutzen des Pedlars in dem Verkehr mit den
Negern und besonders den Negerinnen, welche, da sie die Plantagen nicht
verlassen dürfen, für alles das, was sie gebrauchen, einzig und allein
auf diese wandernden Krämer angewiesen sind. Den jungen Mulattinnen und
Mestizen fehlt es dabei nicht an Geld, besonders wenn sie schön
sind, und sie wissen den Minnesold natürlich auf keine andere Art zu
verwenden, als daß sie Putz und Kleider dafür einkaufen, die ihnen
von den geschäftigen Deutschen in reicher Auswahl zugeführt werden.
Grellrothe Tücher, Glasperlen, auffallend bunte Kattune und alle Arten
von Schmuck finden hier einen ausgezeichneten Markt, und der Nutzen an
diesen Gegenständen, die spottbillig auf den Auctionen in New-Orleans
eingekauft werden, ist bedeutend. Am meisten verdienen diese Leute aber
mit dem verbotenen Handel, wie das fast stets der Fall ist.

Den Negern dürfen sie nämlich keinen Whiskey verkaufen, wie überhaupt
kein Kaufmann in den Sklavenstaaten; und die Strafen, welche für
Übertretung dieses Gesetzes bestimmt sind, werden sehr streng
beobachtet; der Krämer weiß aber der Gefahr entdeckt zu werden, sehr gut
zu entgehen; Verrath ist von den Negern selbst nicht zu befürchten und
eine mittlere, doppelte Wand im Wagen birgt den geheimen Schatz, aus dem
sie heimlich die Flaschen der durstigen Sklaven füllen.

Viel bedeutendere Geschäfte machen übrigens in diesem Artikel die großen
Flat- und Kielboote, welche für den heimlich ausgeschenkten Whiskey,
wenn sie einmal eine kurze Zeit am Ufer anlegen, Landesproducte
annehmen, als Hühner, Ferkel, Truthühner, Mais und was die Sklaven
sonst selber ziehen oder in der Geschwindigkeit stehlen können, welche
Gegenstände der wandernde Krämer freilich nicht im Handel annehmen kann,
da er keinen Ort hat, an dem es möglich wäre, diese Sachen zu verbergen,
auch bliebe ihm, im Fall es entdeckt würde, kein Weg zur Flucht
offen, während die Bootsleute weiter nichts zu thun haben, als ihr Tau
loszubinden, wo sie in wenigen Stunden mit dem Strome hinabtreibend
unter der Masse ähnlicher Fahrzeuge verschwinden und vielleicht zehn
Meilen weit unten denselben Handel auf's neue beginnen.

Wunderbar ist es übrigens in der That, wie diese Pedlars, besonders in
einigen Staaten noch, ihren Lebensunterhalt verdienen können, denn
z. B. Louisiana, Ohio, Pennsylvanien und selbst Kentucky sind mit ihnen
ordentlich überschwemmt; die Amerikaner kennen sie aber schon, wissen,
daß es wirklich positive Unmöglichkeit ist, einen derselben loszuwerden,
ohne ihm eine Kleinigkeit abzukaufen und fügen sich dann auch meistens
mit vieler Ruhe in das doch einmal unvermeidliche Schicksal.

Hat sich der Pedlar nun endlich nach langen, mühsam und auf der
Landstraße durchlebten Jahren etwas erspart, so giebt er das wandernde
Leben auf und wird »Storekeeper,« d. h. er miethet sich irgendwo an der
Dampfboot-Landung eines kleinen Städtchens oder einer Stadt, und ist das
nicht möglich, im Innern des Ortes selbst einen Laden, und beginnt ein
Geschäft mit fertigen Kleidungsstücken, inclusive Hüten, Mützen, Schuhen
und Stiefeln, Messern, Pistolen, goldenen Ringen und Vorstecknadeln.
Die sämmtlichen Kleiderläden der Vereinigten Staaten (es bestehen deren
Tausende) gehören auf diese Art, mit nur sehr wenig Ausnahmen, deutschen
Israeliten, von denen viele in kurzen Jahren ein recht anständiges
Vermögen zusammengescharrt haben, und sämmtliche Städte eben dieser
Staaten, die an einem Fluß oder sonstigen Wassercours liegen, sind
auf diese Art im wahren Sinne des Wortes mit wehenden und flatternden
Kleidungsstücken garnirt, zwischen denen unter jeder Thür ein mit vieler
Aufmerksamkeit frisirter, sehr elegant gekleideter, und die rothen
Finger mit Ringen, die scheinende Weste mit Ketten und Vorstecknadeln
überladener junger Mann steht und die Vorübergehenden fortwährend
mit lauter Stimme einladet, sein »wohlassortirtes Lager« etc. etc.
in Augenschein zu nehmen; ja oft _sogar_ mit wahrer Todesverachtung
besonders ärmlich Gekleidete gewaltsam in das Heiligthum seines
Verkaufslocals hineinzerrt, wo er im düstern Schatten einer Unzahl
flatternder Beinkleider das unglückliche Opfer förmlich zu irgend einem
Handel zwingt.

Diese Kaufleute übrigens, die einst wandernde Krämer gewesen, geben
ihren ärmern, noch umherstreifenden Collegen selten oder nie Credit; sie
mögen wohl wissen, wie sie es selbst in früheren Zeiten getrieben,
und wie oft ein solcher nomadischer Händler, wenn er eine Zeitlang
Kleinigkeiten im Vertrauen auf seine Redlichkeit erhalten und verkauft,
auch stets richtig bezahlt hat, mit dem ersten größeren Waarenballen
spurlos verschwindet, und erst wieder in einem andern Staat, wo möglich
5 bis 600 Meilen von dem ersten entfernt, auftaucht. Ihn durch die
Gesetze zu verfolgen, ist kaum möglich, der angeführte Kaufmann erfährt
vielleicht auch den neuen Aufenthaltsort seines Schuldners erst nach
geraumer Zeit, wenn die Schuld selbst schon lange verjährt ist.

Ich war übrigens selbst einst Zeuge, wie mehrere Kleiderhändler in
New-Orleans eine wenn auch komische Art Lynchgesetz in Anwendung
brachten, um einen Pedlar zu bestrafen, der fünfe von ihnen, die sich
später alle zufällig in New-Orleans zusammengefunden und festgesetzt
hatten, in verschiedenen Städten der vereinigten Staaten um eine nicht
unbeträchtliche Summe in Waaren betrogen. Die Schuld war verjährt und
in einer Versammlung vor die er berufen, wurde ihm als Strafe von jeder
Hand (es hatten sich etwa 18 eingefunden, und ich war eigentlich nur ein
zufälliger Zeuge) zwanzig Stockschläge zuerkannt, denen er sich auch im
Gefühle seiner Schuld, geduldig unterwarf. Als aber der vierte, an dem
er vorzüglich gesündigt, seinen größern Verlust auch durch stärkere
Schläge, als sie der Delinquent wohl erwartet, wieder einzubringen
gedachte, lehnte sich dieser höchst unvorhergesehenermaßen gegen die
Gewalt auf, und faßte den Strafenden mit so schlauem Griff, daß dieser
erschreckt aufschrie, den Stock fallen ließ und froh war, dem kräftigen
Schuldner wieder entrissen zu werden. Das schreckte die andern ab,
und der Pedlar ward in Gnaden, aber mit entsetzlichen Schimpfworten
entlassen.

Zwei Arten von Waaren giebt es übrigens, mit denen sich die Deutschen
nie oder wenigstens sehr selten befassen: es ist dies der Verkauf von
Wand- oder Standuhren und Medicinen. Zum ersten Geschäft sind sie nicht
gewandt, zum zweiten nicht unverschämt genug. Diesen Handel haben also
die Amerikaner fast allein an sich gerissen, vorzüglich die Yankees,
d. h. die Bewohner der nordöstlichen Staaten, als Maine, New-Hampshire,
Connecticut, Vermont, Massachusetts und Rhode-Island, deren »Clock
pedlar« oder Uhrenkrämer in der ganzen Welt berühmt sind.

Sam Slick hat einen tiefen Blick in ihre Verhältnisse thun lassen und
ich will sie, da sie doch einmal in diese Rubrik gehören, nur kurz
erwähnen.

Mit einem kleinen Wägelchen, vor das ein ziemlich gut aussehendes, sonst
aber gewöhnlich höchst nichtsnutziges Pferd gespannt ist, zieht der
Uhrenhändler oder Clockpedlar in die weite Welt, und zwar am liebsten
in die westlichen und süd-westlichen Staaten hinein; sein Zweck und Ziel
ist Uhren zu verkaufen und er verkauft sie auch, mag er nun willige oder
zähe Käufer finden. Leute, die früher nie auch nur an die Möglichkeit
gedacht haben, je eine Summe, die für sie ein Capital ist, an die
Anschaffung eines so leicht entbehrlichen Gegenstandes zu wenden, finden
sich plötzlich als Eigenthümer eines solchen Werkes, von dem es ihnen
fast wie Zauberei und schwarze Kunst erscheint, wie sie eigentlich und
so ganz gegen ihren positiv ausgesprochenen Willen zum Besitz
desselben gelangt sind. Da steht es aber jetzt, oben auf einem
groben, unbehobelten Bret zwischen dort aufgehangenen Hirsch-
und Waschbärenfällen so ruhig und gemüthlich mit seinem stillen,
selbstzufriedenen Ticktack, als sei es etwa 1500 Meilen von dort ganz
besonders zu dem Zweck angefertigt worden, in möglichst kurzer Zeit
hierher geschafft zu werden, und durch die Augen einer holdselig
lächelnden Dame in wunderbar schimmerndem, feuerfarbenem Kleid, die, auf
der Klappe der Uhr befindlich, in der einen Hand eine außergewöhnlich
große Rose, in der andern einen chinesischen Fächer hält, dem wirklich
verblüfften Farmer seine volle Zufriedenheit mit dessen trefflicher Wahl
zu erkennen zu geben.

Der Yankee, eine stets sehr lange und sehr sorgfältig bis hoch hinauf
an die Schläfe rasirte Gestalt mit glatt gestrichenen Haaren und
grauen, lebhaften Augen, etwas vorstehenden Backenknochen und etwas
schiefgezogenen Gesichtszügen, wovon jedoch größtentheils ein in der
linken Backe ruhendes entsetzliches Stück Kautaback die Schuld trägt,
versichert indessen den Farmer schon zum drittenmal, daß er ihn erst
binnen Jahresfrist und vielleicht selbst dann noch nicht wiedersehen
solle, läßt sich jedoch »um Lebens oder Sterbens willen« einen kleinen
Wechsel nach Sicht schreiben, setzt sich am nächsten Morgen in sein
kleines, grün lackirtes Wägelchen, nickt noch einmal einen freundlichen
Gruß herüber und verschwindet in den Biegungen der durch den dichten
Wald führenden Straße. Er hält Wort -- er selbst kommt weder in
Jahresfrist noch jemals wieder in dieselbe Gegend, aber nach zwei
Monaten erscheint sein »Partner« oder Compagnon, präsentirt den Wechsel
und dringt auf die Bezahlung. Von jähriger Frist weiß er nichts,
sein College »hat ihm nichts davon gesagt,« der Wechsel lautet auf
augenblickliche Bezahlung und muß, wenn er unter 50 Dollar ist, dem
Vorzeiger bezahlt werden. Der arme Backwoodsman weiß das und schafft
seufzend Rath, der Pedlar aber, oder Einkassirer vielmehr, zieht
heimlich lachend von dannen.

Die Hinterwäldler sind sonst so schlau und gewandt, im Geschäft sowohl
wie im wirklichen Leben; in den Händen eines Yankees aber ist es
ordentlich, als ob sie ihre bisherige That- und Denkkraft verlieren;
sie erkennen seine geistige Überlegenheit an und geben sich rettungslos
verloren. Kehrt der Händler in seine eigene Heimath zurück, so hat
er auch stets ein ausgezeichnet gutes Pferd vor dem Wagen, denn das
vortheilhafte Vertauschen desselben gehörte mit zu seinem Geschäft.

Nur ein Beispiel weiß ich, wo ein Yankee und noch dazu einer der
pfiffigsten, von einem Backwoodsman mit seinen eigenen Waffen geschlagen
wurde und sehr betrübt abziehen mußte. Es war in Arkansas, und Jackson,
ein Ansiedler, der erst kürzlich von Tenessee herübergekommen, sein
letztes baares Geld für 40 Acker Land, zwei Milchkühe und ein Pferd,
da ihm das alte krank geworden und gestürzt war, ausgegeben hatte, saß
Abends in der ärmlichen Blockhütte beim frugalen Nachtmahl von Speck,
Maisbrod und Milch, als das kleine Fuhrwerk eines solchen Clockpedlars
vor seiner Thür hielt.

Freundlich lud er den Krämer ein, bei ihm die Nacht und mit seinem
Mahl vorlieb zu nehmen, und dieser ließ sich auch nicht lange bitten,
besorgte sein Pferd selbst, trug, wobei ihm Jackson half, die Uhren
unter Dach und Fach und begann hier nun auf den Verkauf einer derselben
hinzuarbeiten; Jackson war aber »=an old hand=,« wie sie in Amerika
sagen, und durchschaute nicht allein seinen Plan, sondern hatte ihn
schon von dem ersten Anblick an vorausgesehen, sagte daher dem Pedlar
ganz freundlich, er sei zu arm eine Uhr zu kaufen, denn wenn er sie
wirklich kaufen wolle, könne er sie nicht bezahlen. Dies war übrigens
eine zu alltägliche Ausflucht, als daß sich der Yankee dadurch hätte
sollen abschrecken lassen; im Gegentheil gab ihm das ruhige Betragen
des Mannes die besten Hoffnungen zu einem guten Geschäft, und nicht eher
ruhte er, bis sämmtliche Uhren in Reih und Glied vor dem still vor sich
hin lächelnden Backwoodsman aufmarschirt standen, und jetzt handelte
es sich nach des Krämers Meinung nicht mehr darum, ob er eines der
herrlichen Kunstwerke, sondern nur _welches_ er kaufen solle. Vergebens
erwähnte der Arkansaner, daß er arm sei und keine Uhr kaufen könne, der
Pedlar ließ nicht locker, und jener richtete sich endlich entschlossen
auf und sagte:

»Gut -- ich nehme eine -- Ihr bekommt aber kein Geld.«

»Im ersten Jahr nicht,« lächelte der Krämer, »habt die Uhr nur einmal
ein Jahr, Ihr laßt sie nicht wieder fort.«

»So will ich diese wählen -- was ist der Preis?«

»Achtundvierzig Dollar.« (Er wußte recht gut, daß er bei einer Klage auf
mehr als 50 Dollar Jahre lang hinausgehalten werden konnte.)

Jacksons Frau sah ängstlich zu ihm empor, er winkte ihr aber
lächelnd zu, ruhig zu sein, und ließ es, behaglich auf ein Bärenfell
ausgestreckt, geschehen, daß der Fremde die aufgedrungene Uhr über dem
Kamin auf einem durch hölzerne Pflöcke gehaltenen Bret befestigte und
aufzog.

»Ihr bekommt aber kein Geld dafür,« sagte er dem Yankee.

»Ich weiß es wohl,« erwiederte dieser, »aber doch Euern Wechsel, Ihr
wißt wohl, das ist so Sitte.«

»Gut, dagegen habe ich nichts, den sollt Ihr haben,« sagte der Farmer,
und unterschrieb das schnell ausgestellte Papier.

Der Pedlar zog am nächsten Morgen weiter, aber ehe sein Collecteur
mit dem fälligen, natürlich nach Sicht ausgefüllten Wechsel erscheinen
konnte, hatte Jackson die Uhr auf sein Pferd genommen, nach der nächsten
Stadt gebracht und dort verkauft.

Der Compagnon des Yankees kam endlich nach drei Monaten, und erstaunte
zwar, keine Uhr in der Hütte des Farmers zu finden, äußerte jedoch
hierüber nichts, sondern präsentirte nur seinen Wechsel. Der Farmer
bedeutete ihn aber sehr kaltblütig, daß er dem Uhrenhändler aufrichtig
gesagt habe, er bekäme nie sein Geld und das wäre in der That wahr, denn
er sei nicht allein nicht gesonnen, sondern auch nicht im Stande, die 48
Dollars jetzt oder jemals zu bezahlen; er hätte die Uhr nehmen müssen,
um den Krämer nur loszuwerden, und der Collecteur möge ihn jetzt, wenn
er sonst glaubte, etwas dabei verdienen zu können, verklagen.

Als dieser endlich wirklich sah, der Farmer sei fest entschlossen, sein
Wort zu halten, so ging er zum nächsten Friedensrichter und klagte; der
gute Mann war jedoch zum erstenmal in Arkansas -- er hatte gut klagen,
das Erlangen seiner Schuld stand aber auf einem anderen Blatt, denn der
Farmer war -- nicht zahlungsfähig.

Vergebens warf der Yankee ein, daß er eine Menge Hausgeräth, eine
Büchse, ein Pferd und zwei Kühe habe, es half ihm nichts; in Arkansas
kann einem Farmer weder die Büchse noch Handwerkszeug, weder zwei Kühe
noch zwei Pferde, noch alles nöthige Hausgeräth als Pfand weggenommen
werden, denn es giebt ein gewisses Eigenthum, welches er besitzen muß,
ehe das Gesetz ein Recht auf das übrige erhält, und da er das, was ihm
der Staat als unantastbar zugestand, noch nicht einmal alles besaß,
denn er hatte nur _ein_ Pferd und kaum die Hälfte des ihm verstatteten
Hausgeräthes, so war natürlich an eine gewaltsame Bezahlung gar nicht zu
denken. Als dies dem Yankee endlich in all seiner entsetzlichen Wahrheit
einleuchtete, versuchte er die Uhr zurückzuerhalten, aber auch das war
zu spät, und seit jener Zeit ist Jackson nie wieder eine Uhr zum Verkauf
angeboten worden.

Ein anderer Handelszweig und keineswegs der unbedeutendste, mit dem die
Yankees fast gänzlich Monopol treiben, ist der Medicin-Handel. Ein alter
Yankee, der seine Söhne in die Welt schickt, damit sie Erfahrungen --
die wichtigste Schule im menschlichen Leben -- sammeln, und einmal
von den Zwiebelbeeten erlöst werden, an die sie bis zu ihrem
einundzwanzigsten Jahr gefesselt gewesen, stellt ihnen die Wahl frei,
ob sie Clockpedlar oder -- _Doctor_ werden wollen, und wählen sie
das letztere, so bedarf es noch nicht einmal so vieler Warnungen und
Ermahnungen, als bei dem ersten Geschäft, um den jungen Mediciner mit
der Wirkung seiner Heilkräfte, die er in einem kleinen Felleisen bei
sich führt, bekannt zu machen.

Die Mittel, deren er sich bedient, sind sehr einfach. Calomel ist die
Hauptcur, und macht, nebst irgend einer großnamigen Patentmedicin, den
Mittelpunkt, um den sich alles übrige dreht; sonst gebraucht er noch
etwas Opium (aufgelöst), Ricinusöl, Glaubersalz, etwas Ipecacuanha,
Chinarinde und Brechweinstein, und er hat alles, was er zu einer
ausgebreiteten Praxis bedarf.

Schon fünf Meilen von seinem Heimathsort, wo er dem ersten fremden
Menschen begegnet, erhält er den Namen »Doctor,« und die können von
Glück sagen, die noch mit Salz oder andern unschädlichen Medicinen
abgefertigt werden, denn wo der junge Doctor Geld wittert, da müssen die
Leute von seiner Patent-Medicin kaufen, und Gnade ihnen Gott, wenn sie
das rothe, zusammengeknetete Zeug verschlucken. Sind sie vollkommen
gesund, so kommen sie vielleicht mit einer heilbaren Kolik oder einigen
gelinden Krämpfen und einem schwachen Anfall von Apoplexie davon; sind
sie aber ohnedies kränklich, dann ist ihnen selten mehr zu helfen,
und sie vermehren die Zahl der Schlachtopfer, die jährlich dem so
scheußlichen Götzen »Quacksalberei« geopfert werden.

Manchmal betreiben auch diese wandernden Krämer oder »Doctoren,« wie sie
sich am liebsten genannt hören, ihr Geschäft humoristisch, im Fall sie
entweder zu gewissenhaft sind, den Farmern ihre Latwergen aufzudringen
oder darin eine leichtere und schnellere Art sehen, Geld zu verdienen;
so durchzogen z. B. im Jahre 1843 zwei Yankees die nördlichen oder
nordwestlichen Staaten mit solchem Glück, daß sie in wenigen Monaten
eine bedeutende Summe Geldes erübrigt hatten. Ihr Plan, oder vielmehr
ihre List, war die folgende gewesen.

Der Eine von ihnen, ohne Waaren oder Gepäck, mit nur einer gewöhnlichen
amerikanischen Satteltasche von seinem kleinen, feurigen Pferde
getragen, war der erste auf der unter ihnen ausgemachten Marschroute,
und hielt bei jedem Haus, das auf seinem Wege lag, an, stieg ab,
schüttelte den Bewohnern desselben sehr freundlich und lang die Hand,
ging an den Wassereimer und trank aus dem langstieligen Flaschenkürbis,
der neben demselben an einem Haken aufgehangen war, unterhielt sich dann
noch eine Weile mit den Leuten, sprach über dies und jenes, schüttelte
ihnen noch einmal zum Abschied die Hand, kehrte wieder um und entdeckte
nun irgend einem der Männer, den er bei Seite nahm und um Verschweigen
des ihm Anvertrauten bat, daß er -- an einer sehr bösartigen
Hautkrankheit leide und frug ihn, ob er nicht irgend eine dieser
abhelfenden Salbe habe. Er hielt dabei die Hand des Farmers fest in der
seinen und sah ihm bittend in's Auge, bis dieser plötzlich den Sinn
der Worte begriff und schnell zurücktrat. Gewöhnlich wurde er hierauf
schnell und mit einigen kurzen, nicht besonders freundlichen Worten
abgefertigt; das that aber nichts, er hatte seinen Zweck erreicht,
schwang sich in den Sattel und trabte, wehmüthig zurückgrüßend, langsam
der nächsten Ansiedlung zu, um hier seine List zu wiederholen.

Die Farmerfamilie blieb aber in größter Aufregung zurück -- was mußten
hiervon die Folgen sein? Der Mann mit der ekelhaften Krankheit hatte
allen und höchst warm und freundschaftlich die Hand gedrückt, hatte
aus demselben Trinkgeschirr mit ihnen getrunken und es war jetzt fast
unvermeidlich, daß sie angesteckt werden mußten. Da nähert sich auf
hohem, starkknochigem Roß ein Fremder, hält und steigt ab; die Familie
ist noch so bestürzt, daß sie kaum seiner achtet, er nimmt aber ohne
weiteres das kleine Felleisen, welches er hinter sich am Sattel trägt,
geht in's Haus und fragt, ob niemand etwas von seinen Medicinen bedürfe.

Medicin? das war ein Wink des Himmels -- der Mann kam wie von Gott
gesandt, und welch ein Glück, daß er auch eine solche gerade für diese
Art Hautkrankheiten nützliche Salbe bei sich führte. Es ist seiner
Aussage nach das letzte, und wenn auch etwas viel für die _eine_
Familie, so kann man ja doch nicht wissen, ob die Krankheit nicht
wirklich zum Ausbruch kommt und wie sie sich zeigen wird, gut oder
bösartig. Auch ist der Preis gerade für diesen Artikel sehr hoch, aber
was schadet das, beugt man denn nicht damit dem Unangenehmsten vor? Der
schlaue Krämer hat aber in der That seinen Mantelsack _nur_ mit dieser
Arznei gefüllt, welcher blos oben darauf zum Schein noch einige andere
beigefügt sind; er streicht daher fröhlich das Geld ein und folgt
schnell dem Compagnon, der indessen auf seiner Schrecken verbreitenden
Bahn weiter gegangen ist und neue Opfer gesammelt hat. Da sie ihren Weg
natürlich immer weiter und stets durch fremde Gegenden fortsetzten, so
war auch eine Entdeckung gar nicht zu befürchten, und nie haben wohl
zwei Yankees in so kurzer Zeit solche brillante Geschäfte gemacht, als
diese beiden wandernden Medicinkrämer.

Zu dieser Menschenclasse gehören auch noch eigentlich streng genommen
die unzähligen Kiel- und Flatboote, welche mit den größeren Strömen
hinabtreiben; nur eine gewisse Art derselben legt aber an den einzelnen
Farmen und Plantagen an, die Mehrzahl schwimmt dem großen Markt des
Südens, dem gewaltigen New-Orleans zu. Diese Krämerboote zeichnen
sich vor den ersteren Kameraden durch eine kleine Stange und einen
flatternden Wimpel aus; sie landen an jeder größeren Ansiedlung und
führen theils Producte des Nordens, theils Ausschnitt- oder Blechwaaren,
ja manchmal sogar Schaubuden und Theater mit sich. Ist an dem einen Ort
ihr Geschäft beendet, so lösen sie das Tau und treiben weiter hinunter
zum nächsten Platz, wobei sie, wie schon oben erwähnt, besonders in den
südlichen Staaten vorzüglich gute Geschäfte machen, indem sie heimlich
an die Negersklaven Whiskey ausschenken und dafür von diesen Feldfrüchte
und selbstgezogenes oder gestohlenes Vieh eintauschen.



Der amerikanische Urwald.


Der deutsche Jäger, der Abends seine Jagdgeräthschaften für den nächsten
Tag in der freundlich-gemüthlichen Stube zurechtlegt, Pulverhorn wie
Korbflasche füllt und nun mit Tagesgrauen nichts weiter zu thun hat,
als den Hund zu füttern und für sich selbst ein Paar Butterbröde zu
schneiden, wenn nicht auch das die Frau schon besorgte; der dann sein
Schießzeug umhängt und mit dem klugen Ponto durch offene Felder sucht,
oder durch lichte Waldung pürscht, Nachts aber wieder ruhig in seinem
warmen, weichen Bette liegt: der weiß freilich nicht, wie es einem armen
Streifschützen zu Muthe ist, der, weit von jeder menschlichen Wohnung
entfernt, in Regen und Sturm, vielleicht in Schnee und Eis draußen im
Walde campirt, und hungert und friert.

Das Leben in den amerikanischen Urwäldern hat aber stets einen
geheimnißvollen Reiz für den Europäer gehabt; schon der Name klingt
romantisch, man denkt dabei an die gewaltigen, riesigen Bäume, an das
schaurige Rauschen der mächtigen Wipfel, an die Schlingpflanzen und
an den wilden Wein, der in schweren, dunklen Trauben von den Ästen
herniederhängt, an das Wild, das leisen, bedächtigen Schrittes
hindurchzieht, an den finstern Bären, den stattlichen Hirsch, die
zahlreichen Völker wilder Truthühner, vielleicht gar an einen in den
Zweigen lauernden Panther; ja das ist Alles sehr schön und gut --
existirt auch wirklich, nur ist es schlimm, daß die Sache, so recht in
der Nähe, aus der Mitte heraus, betrachtet, sehr, sehr viel an Reiz und
romantischem Zauber verliert. -- Es ist damit gerade so, wie mit einer
weidenden Heerde.

Welch einen lieblichen Anblick gewährt es, wenn man, auf einem Hügel
gelagert, in der Ferne, auf grüner blumiger Wiese eine Heerde weiden
sieht, wo die einzelnen buntscheckigen Kühe nach dem duftigen Futter
umhersuchen, wo der Hirt, dessen Hund ihn spielend umspringt, an seinem
Hirtenstabe lehnt; wenn man das melodische Läuten der Glocken, das
weiche Blöken des Viehes selbst, das freundliche Klaffen des Hundes hört
-- ein unendlicher Zauber liegt über dem anmuthigen Bilde; -- steigt
man aber von dem Hügel herunter und kommt in die Nähe, so wird aus der
blumigen Wiese ein mit ganz anderen Gegenständen als Blumen bedecktes
Brachfeld, die Glocken klingen nicht rein, die eine besonders, die einen
Sprung hat, und die man in der Ferne nicht hören konnte, vernichtet
den ganzen günstigen Eindruck. Der Hund läuft Einem schon von weitem
entgegen und weist knurrend die Zähne -- und kommt man nun gar noch
näher -- riecht erst die Heerde -- und den Hirten -- ja dann ist's mit
dem idyllischen Wesen vorbei -- der Zauber schwindet und wir haben eine
Heerde Rindvieh, mit Jürges Gottlieb, der daneben steht und an einem
außergewöhnlich schmutzigen Strumpfe strickt.

Nun ist es freilich nicht ganz so arg mit dem Urwald; das einzelne
Schöne, aus dem er besteht, bleibt immer, ja gewinnt sogar noch in der
Nähe an Großartigkeit, wenn man es nämlich blos anzusehen brauchte; muß
sich aber der Jäger durch die Schlingpflanzen mit Messer und Tomahawk
Bahn brechen, dann findet er zu seinem Schrecken, daß jene malerischen
Geflechte voll Dornen und giftiger Blätter sind, die, wenn ihr Saft die
Haut berührt, Blasen ziehen und das Fleisch entzünden; der mit Blumen
und Kräutern bedeckte Boden giebt nach, und zäher Schlamm umschließt
Fuß und Knöchel, umgestürzte Riesenstämme versperren den Weg und sie
zu umgehen, ist unmöglich, denn in ihrem Sturz haben sie alles
Danebenstehende mit niedergerissen und undurchsichtige Brombeerhecken
sind aus den Wurzellöchern aufgewachsen; -- Schaaren von Mosquitos
stürmen auf den Geplagten ein, zahllose Holzböcke peinigen ihn auf eine
fast unerträgliche Art, und ist er im flachen Lande -- (denn nur dort
findet er den Urwald noch in seiner ganzen Majestät, da in den Hügeln
das dürre, trockene Laub zu oft angezündet wird, was die jungen Bäume
tödtet und die älteren im Wachsthum hindert), so darf er den Blick kaum
zu den herrlichen Stämmen aufheben, weil er fortwährend fürchten muß,
auf eine der zahlreichen Schlangen zu treten, die überall dort, wo die
Sonne durch's dichte Laubdach bricht, zusammengerollt liegen und dem
Unvorsichtigen leicht gefährlich werden können.

Im Winter fallen nun allerdings eine Menge dieser Übelstände weg,
die giftigen Schlingpflanzen sind unschädlich, die Insekten fort, die
Schlangen liegen in Erdlöchern und hohlen Bäumen; -- das ist etwas;
-- damit aber der deutsche Jäger einen Begriff davon bekommt, wie ein
amerikanischer Urwald im Winter beschaffen ist, so will ich hier ein
Paar Tage, freilich nicht die angenehmsten, aus meinem Jagdleben, aus
den Niederungen von Arkansas, beschreiben.

       *       *       *       *       *

Im Januar 1840 hatte ich den Theil dieses Staates wieder aufgesucht,
der östlich vom Mississippi und westlich vom Whiteriver, zwischen diesen
beiden Strömen einen wohl hundert englische Meilen breiten und viele
hundert langen Landstrich einschließt und von zahlreichen anderen, aber
kleineren Flüssen durchschnitten wird. Wild gab es in den mächtigen
Wäldern genug, das entsetzlich ungesunde Klima aber hatte mich im Sommer
aus den Sümpfen getrieben, wo ich das kalte Fieber nicht los wurde,
jetzt jedoch, bei Frost und Schnee, war das nicht mehr, wenigstens nicht
anhaltend, zu befürchten, und ich beschloß, wo möglich eine Büffeljagd
auf meine eigne Hand anzustellen, denn dort ist der einzige Platz in den
vereinigten Staaten, wo sich noch Büffel aufhalten.

Nun waren die Aussichten zur Jagd freilich nicht die lockendsten, denn
ich bekam die letzten Tage des Januar gar Nichts zu schießen und mußte
halb verhungert, als ich endlich nach einer glücklichen Schneenacht
einen Hirsch erlegte, den mich von meiner Beute trennenden, schmalen
Fluß durchschwimmen um diese zu erreichen, wo ich dann ein paar Tage
krank oder wenigstens unwohl im Schnee liegen blieb; das ist aber immer
noch nicht das Schlimmste aus jener Zeit, ich hatte wenigstens ein gutes
Feuer, eine wollene Decke und Hirschwildpret -- was will ein Jäger mehr?

Am 2. Februar endlich brach ich auf, warf meine Decke zusammengerollt,
über den Rücken, und schritt südlich in den mächtigen Wald hinein,
oder besser gesagt, darin fort, denn ich war schon recht eigentlich
im strengsten Sinne des Worts darin. Bald kreuzte ich mehrere
Hirschfährten; das war aber das Wild nicht, dem ich zu begegnen
wünschte, und ich verfolgte meinen Weg.

Der Wald war in dieser Gegend wahrhaft großartig, die gewaltigen
Riesenstämme, größtentheils sechzig bis achtzig Fuß vom Boden gerade
emporsteigend, ehe sie auszweigten, boten mit den schneebedeckten
Wipfeln einen wundervollen Anblick. Es hatte zu schneien aufgehört, und
eine heilige Stille herrschte rings umher, die nur dann und wann durch
das Herunterbrechen irgend eines zu schwer mit Schnee beladenen Astes,
oder das heisere Krächzen eines Raben unterbrochen wurde. Es ließ sich
auch sehr gut marschiren; lange schmale Streifen hohen Landes liefen
zwischen den zahlreichen Bächen und dem überschwemmten Boden der
Niederung hin, und auf diesem standen die meisten Schlingpflanzen und
Dornen; da es aber jetzt stark gefroren und geschneit hatte, so hielt
ich mich fortwährend auf dem Eis und wanderte so leicht und ungehindert
wie auf einer geebneten Landstraße darauf fort, denn der Schnee hinderte
mich wenig, da ich damals noch meine alten, deutschen Wasserstiefeln
trug. Mehre Male kreuzte ich auch die Spur von Wölfen, sah mich jedoch
nicht einmal darnach um, denn ich würde keinen Wolf geschossen haben,
selbst wenn er mich darum gebeten hätte, weil ich Pulver und Blei mehr
zusammen halten mußte. In einer Gegend, wo man seine Ammunition nicht
wieder ersetzen kann, geht man gewiß haushälterisch damit um; ich
verließ mich daher auch auf meine Stücken Hirschwildpret und zog an ein
paar Völker Truthühner ruhig vorüber, wobei diese ebenfalls sehr wenig
Notiz von mir zu nehmen schienen.

Nach einigen Stunden vorsichtigen Pürschens jedoch, wobei ich immer noch
nicht die stille Hoffnung aufgab, einem alten Bären zu begegnen,
der seine Winterwohnung einmal verlassen haben konnte, obgleich dazu
eigentlich wenig Hoffnung war, erreichte ich plötzlich einen Platz,
wo in der vorigen Nacht etwa zwanzig Büffel gelagert haben mußten.
Die Betten waren vom Schnee entblößt, die Zweige der Büsche ringsumher
abgenagt und die Fährten sahen noch so frisch aus, als ob sie eben erst
der weißen Schneedecke eingepreßt worden wären.

Das war Alles, was ich wollte -- Büffel -- und welche Fährten fand ich?
ein alter Bull besonders mußte ein unmenschlich starker Bursche sein.
Natürlich hoffte ich die Heerde, die, meiner Ansicht nach, nicht weit
konnte gewandert sein, in kurzer Zeit beim Äsen zu erwischen, und
schnell, aber so geräuschlos als möglich, folgte ich den breit
ausgetretenen Fährten eine Strecke am Fluß hinunter, und dann wieder,
westlich von diesem ab, als ob sie nach ihrem gewöhnlichen Sammelplatz,
den »=Cash=-« Sümpfen, hinüber gewollt hätten; auf einmal aber änderte
sich ihre ganze Richtung und sie waren wieder nordwestlich hinaufgerannt
und zwar diesmal, wie es schien, in wilder Eile.

Erst konnte ich mir dieses schnelle Wenden nicht erklären, fand aber
bald die Auflösung in einer Masse Wolfsfährten, die wahrscheinlich die
Heerde, in der Hoffnung, ein Junges zu fangen, angefallen und zerstreut
hatten, obgleich sich der Büffel sonst nicht besonders vor dem Wolf
fürchtet. Jetzt ging auch für mich ein viel beschwerlicherer Marsch an,
denn da sich die schweren Thiere vereinzelt hatten, mußte ich mir
selbst meinen Weg hinter ihnen her bahnen. Unglücklicher Weise war
ein Schilfdickicht von ihnen durchbrochen worden und die Folge daher
erschrecklich beschwerlich gemacht, denn nichts ist dem Bärenjäger
hinderlicher, als eben diese Schilf- oder Rohrbrüche, in die sich
besonders der Bär augenblicklich flüchtet und nur zu oft dadurch
gerettet wird; denn wer einen solchen Bruch nie gesehen hat, kann sich
unmöglich einen richtigen Begriff davon machen. Das Schilf selbst ist
hart wie Holz, wird bis anderthalb und zwei Zoll im Durchmesser stark,
und oft dreißig und vierzig Fuß hoch, steht auch in dem fruchtbaren
und sumpfigen Thalland so dicht, daß man sich kaum dazwischen
hindurchdrängen kann; ein Fortschreiten in diesen Dickichten wird aber
nur zu häufig durch die Unmasse dorniger Schlingpflanzen, die mit einem
festen Gewebe ganze Strecken eng verbinden, fast unmöglich gemacht, wenn
der Jäger sich nicht, in der Rechten das schwere, breite Jagdmesser,
Bahn haut; kommt er aber zu einem in diesem Gewirre umgestürzten Baum
(und die umgestürzten Bäume liegen nicht etwa selten darin), so ist an
ein Weiterdringen in gerader Richtung gar nicht zu denken; junge Bäume,
Schlingpflanzen, Rohr und Dornen bilden dann eine Masse, durch die man
sich nicht einmal Bahn hauen kann, und man muß den Platz umgehen.

Wie langsam aber in einem solchen Schilfbruch ein Vorrücken möglich
ist, habe ich einst im Mississippi-Thal erfahren, wo ich drei Stunden zu
einer Strecke von etwa 500 Schritt brauchte. Hier ging es jedoch etwas
besser, die Büffel hatten mir, wenigstens ein wenig, Bahn gebrochen, und
mit dem Messer nachhelfend folgte ich erträglich rasch. Der Tag war
aber auch jetzt sehr weit vorgerückt und die hereinbrechende Dämmerung
überraschte mich keineswegs angenehm. Das Schilf wollte gar kein Ende
nehmen; wenn ich daher auch, beim hellen Schein des Schnees, der Spur
in der Nacht hätte folgen wollen, so wäre dies schon wegen des dicken
Rohres nicht möglich gewesen, das, nach allen Richtungen hinaus stehend,
die ganze Aufmerksamkeit des Hindurchdringenden am hellen Tage in
Anspruch nahm, indem man sich bei jedem Schritt die Augen aus dem
Kopfe stoßen konnte; daher zündete ich ein Feuer an, was mit Hülfe des
Tomahawks und etwas trockenen Schwammes sehr bald gelang, reinigte einen
Platz vom Schnee und hatte mich bald behaglich genug eingerichtet.

Ich lag gerade auf einer kleinen Erhöhung, mitten im Schilf, so daß ich
gegen den kalten Nordwind ziemlich geschützt war; der Platz hatte aber
das Unangenehme, auch nicht die mindeste Aussicht zu gewähren, nicht
zwei Schritte weit konnte ich sehen und fühlte mich durch die Nähe des
Dickichts, von dem ich förmlich umschlossen lag, beengt; die Sache ließ
sich jedoch nicht ändern, eine offene Stelle auszuhauen, dazu fühlte ich
mich zu ermüdet, Wirthshäuser waren auch nicht in der Nähe, also machte
ich gute Miene zum bösen Spiel und bekümmerte mich mehr um mein Feuer
als um das Dickicht.

Weil ich doch noch nicht recht schläfrig war, holte ich, nachdem ich
mein frugales Abendbrod verzehrt hatte, den Compaß vor, und denselben
gerade in eine der Büffelfährten an meiner Seite stellend, vertrieb ich
mir damit die Zeit, zu rathen, auf welchem ganz genauen Strich nun die
Heimath läge, und dabei zu überlegen, wie mich hier, von diesem Punkt
aus, das Abweichen eines 32stel Zolles zur Rechten oder Linken, entweder
in die Wüste Sahara oder nach Sibirien hinaufbringen könnte. Diesem
Gedanken gesellten sich andere zu -- was sie jetzt wohl zu Hause
machten, ob sie auch an mich hierher dächten und noch viele, viele Dinge
-- so daß ich endlich vom vielen Denken müde wurde und einnicken wollte.
-- Da krachte ein kleiner Zweig -- dicht neben mir; -- zwar war der Laut
gedämpft -- der Zweig mußte unter dem Schnee gelegen haben, ich hatte es
aber deutlich gehört und hob schnell den Kopf, um wenigstens den kleinen
Raum, in dem ich lag, übersehen zu können; auch war ich in der Richtung
noch ungewiß, instinktartig hatte ich aber das Messer aus der Scheide
gezogen.

Eine Weile blieb Alles ruhig und ich konnte das Schlagen meines Herzens
hören -- da krachte es wieder, ganz nahe; -- was es auch immer sein
mochte, es konnte sich keine zwölf Fuß von mir befinden; deutlich
vernahm ich auch jetzt die leisen Schritte im Schnee, wie das Thier trap
-- trap -- trap -- trap -- mich langsam umschlich. O wie ich mir damals
einen Hund wünschte.

Eine Zeit lang schien es still zu stehen, dann hörte ich es wieder in
der anderen Richtung, deutlicher noch als vorher. All' meine Sinne waren
aber jetzt auf das Peinlichste gespannt, denn jeden Augenblick erwartete
ich irgend eine Bestie, ob Panther oder Wolf konnte ich nicht wissen,
aus dem Dunkel hervorblinzen und mich anschnüffeln zu sehen. In
dieser angenehmen Hoffnung hatte ich nun freilich den Hahn der Büchse
aufgezogen, aber auch diesmal starb das Geräusch hinweg und das frühere,
lautlose Schweigen herrschte.

Aus allem Vorhergegangenen mußte ich nun nach wohl Stunden langem Harren
vermuthen, daß mich mein Nachtbesuch verlassen habe, doch war ich zu
aufgeregt, um gleich einschlafen zu können und blieb noch lange wachend
liegen, indem ich einen vor mir stehenden alten Baum betrachtete,
der ein gar eigenthümliches Aussehen hatte. Es war ein ungeheuerer
Sassafrasstamm, der, von einem dichten Gewebe von Schlingpflanzen
umgeben, seiner Äste und Zweige beraubt, wie eine riesenmäßige
Säule gegen den dunkeln Nachthimmel emporstarrte. Eine hohe, breite
Schneekappe krönte den Gipfel. Im Sommer, wenn die Schlingpflanzen ihre
grünen Blätter bekommen, sehen diese Baumleichen herrlich aus, denn
dann ist von der alten, vertrockneten Rinde auch nicht die Spur mehr
zu erkennen, und nur die grüne, lebendige Säule steht wie ein Denkmal
vergangener Zeiten da, wo noch der Indianer die Wildniß durchzog, die
jetzt nur sein Grab umschließt. -- Ich schlief bald darauf ein und der
Morgenruf der Eulen weckte mich erst wieder.

Vor allen Dingen untersuchte ich aber jetzt, wer mein nächtlicher Besuch
gewesen war, und fand auch dicht am Lager, einmal sogar bis auf drei
Schritte, die Spuren eines ziemlich starken Wolfes, was mich um so mehr
befremdete, da der Wolf sonst sehr menschenscheu ist und einem Lager
selten gern naht; -- später übrigens habe ich oft Beweise vom Gegentheil
erhalten, denn einmal, zwei Jahre darauf, holte mir eine solche
Bestie das Jagdmesser fort, das dicht neben mir lag und zerkaute den
schweißigen Griff; ich hatte erst an demselben Nachmittag einen Hirsch
damit aufgebrochen.

Mit neuen Kräften verfolgte ich nun die jetzt wieder vereinigten
Fährten, die an manchen Stellen, wo kein besonderes Futter sie aus der
Bahn lockte, eine förmliche Straße bildeten; aber wie ich auch spähte,
immer noch konnte ich nicht das ersehnte Wild selbst entdecken,
hundertmal wohl ließ mich ein niederbrechender Ast, oder ein
aufgescheuchter Hirsch ihre Nähe hoffen, stets sah ich mich aber
getäuscht. Meine einzige Hoffnung blieb jetzt, als die Sonne wieder
blutigroth am Horizont verschwand, die Nacht; der Wald war offener als
am vorigen Abend, ich gedachte daher meinen Weg fortzusetzen, da die
Büffel auf keinen Fall nach einbrechender Dämmerung weiter wandern
würden. Das wäre auch recht gut gegangen, denn hell genug leuchtete der
Schnee, um die Fährten zu verfolgen, wieder aber stellte sich mir ein
solch unglückseliges Schilfdickicht in den Weg, dazu umwölkte sich der
Himmel und ich wurde auf's Neue gezwungen »beizulegen.«

Mein Nachtlager war ausgezeichnet, denn durch einen umgestürzten Stamm
gegen den kalten Luftzug geschützt, bei einem herrlichen Feuer, an dem
ein ansehnliches Stück Hirschwildpret schmorte, hätte ich mich sehr wohl
fühlen können, aber -- aber -- die aufsteigenden Wolken machten mich
besorgt, dazu wurde es merklich wärmer, und mir bangte vor Thauwetter.
Ich war viele Meilen in den Sumpf eingedrungen und die ganze Zeit fast
nur auf Eis marschirt, durfte daher wenig trockenen Boden hoffen, wenn
diese Schneemasse jetzt flüssig werden sollte. Doch was konnte ich thun?
ich mußte es abwarten, hüllte mich also in meine Decke und schlief bald
ein. Die Sonne mochte aber schon lange aufgegangen sein, als ich endlich
erwachte und zu meinem Entsetzen das, was für mich das Schrecklichste
war, bestätigt fand -- es regnete und die Luft war mild und warm wie im
Mai -- o wie ich mich jetzt nach einem tüchtigen Nord-Ostwind sehnte.

Mit welchen Gefühlen ich übrigens meine nasse Decke zusammenrollte und
mich marschfertig machte, läßt sich denken; dabei kamen mir bedeutend
starke Gedanken an Umkehren und Büffel Büffel sein lassen; die Fährten
sahen aber gar zu lockend aus, noch blieb mir die Hoffnung, sie einholen
zu können, ja sogar die Wahrscheinlichkeit war vorhanden, daß sie bei
solchem Wetter nicht weiter ziehen, sondern ruhig äsen würden; fest
entschlossen also, da es jetzt doch auf eine Meile mehr oder weniger
nicht ankam, folgte ich auf's Neue den Fährten und trotzte dem Himmel,
der mir eine Wolke voll Wassers nach der andern auf den Pelz goß. Die
Büffel schienen auch ganz in der Nähe zu sein; in den Fährten stand das
schlammige Wasser, das ihre Tritte aufgerührt hatten, Losung sogar,
die ich fand, war noch warm -- ich mußte sie finden; -- da kam es mir
plötzlich vor, als ob der liebe Gott alle Zapfen aus den Schleußen dort
oben herausgezogen habe -- es regnete nicht mehr, es wasserfallte und
der Erdboden glich einer ungeheuern Eislimonade, nur fehlten Zucker und
Citronen.

Es ist jedoch ein eigenes Ding um das Menschenherz; vor kleinen
Beschwerden und Gefahren bebt es zurück, stürmt aber alles wild und toll
darauf ein, kommt ein Schlag nach dem andern; dann wird es verstockt
und störrisch, wie ein wilder Stier, macht die Augen zu und stürmt
blindlings gegen Jedes an, was sich ihm in den Weg stellt.

Etwas besser macht ich's doch, die Bäume umging ich, aber so erbittert
hatte mich dieser, für mich wahrhaft fürchterliche Witterungswechsel
gemacht, daß ich das Äußerste zu wagen beschloß. Der ganze Wald stand
unter Wasser, d. h. unter geschmolzenem Schnee, und ich mußte jetzt
schon auf das höhere, mit Dornen und Schlingpflanzen bewachsene Land, da
sich erstlich die Büffel hierher gewandt hatten und dann auch das Gehen
auf dem Eis fast zur Unmöglichkeit wurde, indem es unter dem Schnee
geschmolzen, wenigstens weich geworden war und beim zweiten oder dritten
Schritte stets einbrach. Noch konnte ich die Fährten erkennen und
folgte, oft bis an den Gürtel im Wasser, dem Wild -- ich war gegen Alles
gleichgültig geworden und hatte nur den einen Gedanken noch -- Büffel --
ich wollte Büffel sehen -- ich wollte einen schießen und wäre dann mit
dem größtmöglichen Vergnügen gestorben, um nur nicht wieder den ganzen
Weg, den ich gekommen war, zurück machen zu müssen.

Da wurde der Wald plötzlich licht und nach wenigen hundert Schritten
dehnte sich eine weite, öde Fläche vor mir aus -- es war ein See --
wenigstens jetzt, er konnte aber nicht gefroren gewesen sein, denn es
lag nur eine dünne Decke geschmolzenen Schnees auf der Oberfläche, und
hier -- hier waren die Büffel hindurch. Deutlich konnte ich die langen,
dunkeln Streifen, die sich quer durch zum anderen Ufer zogen, erkennen;
vergebens aber spähte ich nach den Thieren selbst -- eine räthselhafte
Wanderlust trieb sie vorwärts und ich unglückseliges Menschenkind hatte
gerade diesen Zeitpunkt wählen müssen, um Jagd auf sie zu machen; doch
das Überlegen brachte mich nicht weiter; auf einem etwas trockenen Fleck
band ich alle meine Habseligkeiten in die Decke zusammen, nahm diese auf
die Schulter und -- folgte den Fährten.

Noch jetzt, wenn ich an diese Jagd zurückdenke, kann ich nicht anders
glauben, als daß ich damals einen gelinden Anfall von Wahnsinn haben
mußte, denn wenn ich die Büffel wirklich überholte, so konnte
ich höchstens ein paar Pfund Fleisch und vielleicht ein Horn, als
Siegestrophäe, mitnehmen; ich fühlte aber jetzt nur den einen Trieb in
mir, hatte nur das eine Ziel im Auge und fand mich sehr bald bis unter
die Arme im Schneewasser, mitten im See. Als mir das Wasser über die
Brust stieg, verging mir der Athem, doch war der Boden glücklicherweise
fest, nicht schlammig, wie ich im Anfang gefürchtet hatte, und ich
erreichte das andere Ufer, -- oder, besser gesagt, das höhere Land, denn
von Ufer war keine Rede, -- ohne unterwegs erstarrt zu sein. Hier fand
ich das Wasser doch wenigstens nur knietief und athmete etwas freier.
Zu meiner großen Verwunderung schien es aber Abend zu werden, und kaum
konnte es, wie ich wenigstens glaubte, Mittagszeit sein. Sollten wir
eine Sonnenfinsterniß haben? dacht' ich einmal -- das war möglich, aber
immer dunkler wurde es, immer stiller im Wald -- in der Ferne ließ sich
ein einzelner Wolf hören -- es war kein Zweifel mehr, die Nacht brach
schon wieder herein, und noch ist es mir unbegreiflich, wie mir die Zeit
an jenem Tage verschwunden sein konnte.

Der Regen, der am Nachmittag etwas nachgelassen hatte, fing wieder von
frischem an zu gießen, und als ich mich, mit gerade keinen freundlichen
Gefühlen, nach einem Platz zum Lager umsah, regnete es, wie man sagt,
Bindfaden; trotzdem gab ich die Fährten nicht auf -- an Feuermachen war
jedoch gar nicht zu denken; auf dem trockensten Platz, den ich finden
konnte, stand das Wasser anderthalb bis zwei Zoll, und Jedermann wird
eingestehen müssen, daß das immer noch _feucht_ war; ich kauerte mich
daher unter einem halbumgestürzten, schräg liegenden Baumstamm, der
wenigstens die fürchterlichsten Regengüsse von mir abhielt, nieder,
obgleich ich auch schon bessere Dächer, als er war, gesehen habe, und
versuchte zu schlafen. -- Zu schlafen? ja, wenn ich das einen Versuch
nennen will, daß ich einige Male die Augen zumachte; an wirkliches
Schlafen war aber natürlich unter solchen Verhältnissen nicht zu denken;
zwar trug ich noch ein Stück gebratenes Hirschwildpret bei mir, fühlte
aber nicht den mindesten Appetit, es zu verzehren, und erwartete sehnend
und vor Frost schüttelnd den anbrechenden Morgen.

Mitternacht mochte es sein, als ich, seit der Dämmerung, die ersten
Wölfe wieder hörte -- sie schienen ganz in der Nähe zu sein und heulten
jämmerlich; die armen Bestien mochten wohl auch nasse Füße haben; so
gleichgültig war ich aber gegen ihre Nachbarschaft, so abgestumpft gegen
jede, nur erdenkliche Gefahr geworden, daß ich es nicht einmal der Mühe
werth hielt, das Messer aus der Scheide zu ziehen, sondern ruhig sitzen
blieb und abwartete, was sie thun würden, denn schon der Gedanke, mich
zu bewegen, war mir gräßlich. Es mochten sechs oder sieben Wölfe sein --
so viel verschiedene Solosänger konnte ich wenigstens unterscheiden und
ich erinnere mich sogar noch recht deutlich, daß ich einmal _gelacht_
habe, als ein junger Wolf, mit einer besonders dünnen Stimme, so gar
klägliche Töne ausstieß. Immer näher kamen sie, aber, und da es nicht
anders möglich sein konnte, als daß sie mich wittern mußten, denn der
Wolf wittert, wie bekannt, ungemein scharf, so begreife ich eigentlich
jetzt noch nicht, was sie, wenn es nicht ihre grenzenlose Feigheit war,
abhielt, über mich herzufallen, da ich ihre dunklen Gestalten deutlich
erkennen konnte, wie sie im Wasser hin und her wateten.

Weil mir ihre Nähe aber doch jetzt fast etwas zu freundschaftlich wurde,
beschloß ich, der Sache auf einmal ein Ende zu machen, nahm die Büchse
an den Backen, zielte auf den größten Körper und drückte ab. -- Ja ich
hatte gut drücken -- es war Alles naß geworden; da blieb mir denn weiter
nichts übrig, ich lehnte die Büchse neben mich, und schloß die Augen;
die ganze Sache um mich her kam mir so ekelhaft und fatal vor, daß ich
sie gar nicht mehr sehen mochte.

Endlich brach der so heiß ersehnte Morgen an -- aber wie -- grau und
feucht; der Regen hatte freilich nachgelassen, doch schien das Wetter
noch viel wärmer geworden zu sein -- der Schnee war jetzt vollkommen
geschmolzen und der ganze Wald eine flüssige Masse, in der jede Fußspur
zusammenlief -- Büffelfährten existirten nur noch in der Erinnerung. Da
stand ich nun, mit meiner Büffeljagd -- Gott weiß, wie viele Meilen von
irgend einer menschlichen Wohnung entfernt, in einem Wald, in dem sich
ein Frosch hätte erkälten müssen, mit einem Stückchen kalten, gebratenen
Hirschfleisch und einer Büchse, die nicht losgehen wollte; ich verzehrte
jedoch vor allen Dingen das erstere, wobei ich Pulver statt Salz
gebrauchen mußte, und stand dann auf, um meine Marschroute für diesen
Tag zu beschließen.

Wie ich damals das Alles ausgehalten habe, ist mir jetzt noch ein
Räthsel; naß zum Ausringen, die ganze Nacht im Schneewasser, gekrümmt
unter einem Baumstamm gesessen, von Wölfen umheult, fühlte ich mich
jetzt so wohl und kräftig, als ob ich in einem warmen Bette geschlafen
hätte, nur waren mir die Kniegelenke etwas steif.

Wenn ich aber auch, zu meiner Zeit, ein so eifriger Jäger gewesen
bin, als sich selten findet, so hatte meine Jagdlust durch die letzten
Begebenheiten dennoch einen bedeutenden Stoß erhalten, ich sehnte mich
nach Menschen -- nach Brod, nach Bergen -- denn ohne Berge konnte ich
mir gar keine Erlösung aus dieser Wasserwüste denken: schnell faßte ich
daher meinen Entschluß. -- Ich hatte mein Möglichstes gethan, hatte
bis auf den letzten Augenblick ausgeharrt, und brauchte mir nichts
vorzuwerfen; den Büffeln sagte ich also, mit einem halb traurigen,
halb ärgerlichen Blick nach Südwesten Lebewohl, und schlug die gerade
Richtung nach Nordost ein, um an den S. Francis-Fluß, an die breite
Fahrstraße, zu kommen und von dort den Mississippi zu erreichen, auf dem
ich in den Ohio und auf diesem nach Cincinnati zurückkehren wollte.

Meiner Lust nach dem Urwald war für eine Zeit lang genügt, und ich
kann mit gutem Gewissen fragen, _wer_ hätte den Wald, unter solchen
Umständen, nicht satt bekommen? Das »Sattbekommen« allein half mir aber
noch nicht heraus und der vor mir liegende Weg erfüllte mich mit Grausen
und Schauder. -- Tagelang mußte ich noch in dem kalten Wasser fortwaten
und eine einzige Nacht Frost konnte meinen Untergang herbeiführen, denn
wenn sich jetzt auf dem Wasser eine dünne, scharfe Eisrinde sammelte, so
wär' ich verloren gewesen; glücklicher Weise blieb es aber warm und ich
trat meinen Marsch, wenn auch nicht mit Singen und Jubeln, aber doch
mit dem festen Entschluß an, Alles, auch das Schlimmste, ohne Murren, zu
ertragen.

Unmöglich wäre es jedoch, den Weg zu beschreiben, den ich zu
durchwandern hatte. Nur wenige Streifen trockenen Landes fand ich, und
hielt auf dem ersten, um meine Büchse wieder in Stand zu setzen. Dann
aber durch Sumpf und Moor, durch Fluß und seegleiche Wasserstrecken
meine Bahn verfolgend, oft bis unter die Arme im Eiswasser (einige
Male mußte ich sogar schwimmen) erreichte ich gegen Abend einen hohen
indianischen Grabhügel und erquickte mich in dieser Nacht wieder bei
einem lodernden Feuer und einem am Spieß steckenden Truthahn, den
ich, wenige hundert Schritt von meinem Lager, von einem Baum herunter
geschossen hatte.

Am nächsten Tage blieb mein Marsch nun zwar derselbe -- dieselbe öde
Wasserwüste, derselbe kalte, nasse Wald, mit seinen ungeheueren Bäumen;
doch interessirte mich an diesen jetzt nur noch das Moos, nach dem ich
meine Richtung beibehielt, denn in dem flachen Lande, an den geraden
Stämmen, ist das Moos an der Nordseite (ein klein wenig mehr westlich
als östlich) am stärksten, und man kann ziemlich sicher darnach gehen;
ich wenigstens habe meinen Weg stets sehr gut mit der Beobachtung
desselben gefunden. Wer beschreibt aber meine freudige Überraschung, als
ich gegen Mittag Spuren eines menschlichen Wesens fand und bald darauf
einen Schuß hörte; ich brauche wohl nicht erst zu sagen, wie ich eilte,
um mich diesem anzuschließen; nach nicht gar langem Marsch holte ich den
Jäger auch ein, wie er eben einen erlegten Hirsch aufgehangen hatte; er
war aber ebenfalls nicht wenig erstaunt, _mich_ und zwar an solchem
Ort und in solchem Aufzuge zu sehen. Wäre er nur ein Bischen mit
europäischer Civilisation bekannt gewesen, so würde er mich unbezweifelt
für einen Weinreisenden gehalten haben, so konnte ich ihm nur
versichern, daß ich ein »Pech-Reisender« sei und mich in den Sümpfen
hier zu meinem Vergnügen aufhalte; mein Aussehen mußte das auch
bestätigen.

Ich hatte jedoch nun den schlimmsten Weg überstanden und erreichte
einige Tage darauf die Ansiedelungen; es bedurfte aber langer Monate,
ehe ich diese Jagd vergessen, wenigstens verschmerzen konnte; doch
durfte ich mich gar nicht beklagen; ich lernte dadurch nur _eine_ der
_vielen_ Schattenseiten kennen, die eine jede Sache haben muß, um nicht
durch Einförmigkeit allen Reiz zu verlieren; fand aber auch zu gleicher
Zeit, daß der _Urwald_ trotz all dem Zauber, der schon allein in dem
Worte liegt, recht sehr prosaisch, ja sogar recht sehr langweilig sein
konnte. Sind daher die deutschen Jagden auch weniger gefahrvoll, also
auch weniger interessant, als die amerikanischen, so ist der Jäger hier
doch auch nicht solchen erschrecklichen Lagen ausgesetzt, als es nur zu
oft dort der Fall ist, und wo einmal eine Sache Zwang wird, wo der im
Walde Lebende schießen _muß_, wenn er nicht verhungern will, hört sie
auf Vergnügen zu sein.

Drum, -- haben wir auch hier in Deutschland keine Bären- und
Pantherjagden, so sind die Hasentreiben doch äußerst gemüthlich; und
liefern fette Bärrippen und Honig ein sehr leckeres Mahl, so schmeckt
ein gespickter Rehziemer auch nicht so übel.



Die Bärenjagd am Bayou Meter in Arkansas.


Eine reine, klare Julisonne sandte ihre glühenden Strahlen auf die
Sümpfe herab, welche die Bayou Meter am nördlichen Ufer des Arkansas
umgeben. Selbst die Frösche schwiegen, wie erdrückt von der schweren
Atmosphäre, und nur dann und wann unterbrach ein einzelner Ruf
derselben, oder das Zwitschern eines kleinen Waldvogels, die Stille, die
grabesähnlich auf der Wildniß lagerte.

Da schallte aus weiter Ferne das Geheul einer Meute Hunde herüber,
schwieg wieder einen Augenblick, und erklang dann lauter und näher als
vorher. Jetzt konnte man schon die verschiedenen, tieferen und höheren
Töne einzelner Braken erkennen, und reißend schnell näherte sich die
Jagd der noch vor wenigen Augenblicken geräuschlosen Einsamkeit. -- Ein
Hirsch, der, um den Fliegen und Mosquito's zu entgehen, dicht versteckt
in einem kleinen Schilfdickicht gelegen hatte, sprang auf, streckte und
dehnte sich, horchte einige Sekunden lang dem näher und näher kommenden
Getos der Meute, und sprang dann mit langsamen aber weit gestreckten
graziösen Sätzen in's Gebüsch, einen stilleren, ungestörten Platz zu
seiner Ruhe zu wählen.

Jetzt schallte das Gebell klar und deutlich, wie nur wenige Schritte
entfernt aus den, mit dornigen Schlingpflanzen dicht durchflochtenen
und durchwachsenen Büschen; dürre Äste krachten, das trockene Laub
raschelte, das ganze Gewirr von Schlinggewächsen kam in Bewegung,
und heraus stürzte mit offenem, dampfenden Rachen, aus dem die rothe,
lechzende Zunge hing, mit zurückgelegten Ohren, mit gesträubtem Haar,
ein gewaltiger Bär, und versuchte über die kleine offene Fläche hinweg
das gegenüber liegende Dickicht zu erreichen. Ihm auf den Fersen aber
folgten fünf mächtige Hunde, und kaum hatte er die Hälfte der kleinen
Waldprairie durchrannt, als der schnellste und kräftigste von ihnen,
ein schwarz und grau gestreifter Bursche mit rothen, glühenden Augen und
fürchterlichem Gebiß, an seiner Seite war und ihn faßte.

Mit Blitzesschnelle wandte sich der Bär und versuchte seinen Verfolger
mit der Tatze zu erreichen und zu vernichten. Das kluge Thier aber, mit
dieser Jagd vertraut und die Gefahr kennend die in der, mit furchtbarer
Kraft geführten Tatze seines Feindes lag, entging durch einen gewandten
Seitensprung dem wohlgeführten Schlage. Ehe aber der Bär, der sich
augenblicklich wieder zur Flucht wandte, das Zurückprallen seines
Feindes benutzen konnte, das schützende Waldesdunkel zu erreichen, in
welchem wild über einander gestürzte Bäume der verfolgten Bestie den
größten Vorsprung gegeben haben würden, überholten die vier anderen
Rüden jetzt den Verfolgten und umzingelten im Nu das zur äußersten Wuth
gereizte Thier. Vergebens war's, daß sich dieses zur Wehr stellte, und
mit einer Gewandtheit, die Niemand dem anscheinend plumpen Geschöpfe
zugetraut haben würde, nach allen Seiten hin gegen die angreifenden
Hunde Front machte und sie zurückschlug; vergebens, daß schon drei der
kühnsten und unvorsichtigsten ihre Kampflust mit dem Tode gebüßt, und
erschlagen oder schwer verwundet am Boden zuckten; andere, die der Jagd
nicht so schnell hatten folgen können, nahmen die Plätze der Getödteten
ein, und griffen mit immer erneuerter Wuth den vom langen Lauf
erschöpften Bären an.

Durch einige wohlgeführte und todbringende Schläge jedoch, die
wieder zweien der Meute das Leben kosteten, verschaffte er sich einen
Augenblick Luft und stand schnaufend, mit glühendroth unterlaufenen
Augen, die weißen Zähne bis über das Zahnfleisch hinauf entblößt, einen
frischen Angriff erwartend, da, während die Hunde bellend und heulend
ihn umsprangen. Oft aber, indem sie schon einen raschen Anlauf
versuchten, wurden sie nur durch eine schnelle zuckende Bewegung, ein
Drehen des Kopfes, ein Blinzeln des Auges ihres gefürchteten Feindes
zurückgescheucht, daß sie winselnd zur Seite sprangen, gleich darauf so
viel eifriger ihre Angriffe zu wiederholen.

Da erscholl nahe und laut der Jagdruf ihres Herrn, des jungen Lobston.
-- Sie horchten; noch einmal ertönte der ermunternde Zuruf des jungen
Mannes, der seinem Vater, mit dem er die Jagd begonnen, voraus geeilt
war. Sobald er die Hunde hörte, trieb er sie zu neuen Anstrengungen, den
Feind aufzuhalten, bis er selbst mit Kugel und Messer den Gefährlichen
abfangen und das Land von ihm befreien könne. Schweren Schaden hatte der
Gefräßige nämlich den Heerden der Nachbarschaft zugefügt, und mancher
Hund war schon in seiner Verfolgung geopfert worden, wobei er sich bis
jetzt jedesmal durch seine ungemeine Schnelle und fürchterliche Kraft
den Feinden entzogen und gewisse, sichere Dickichte erreicht hatte, in
die ihm weder Hund noch Pferd folgen konnte und wollte.

Dießmal schien aber sein Schicksal besiegelt zu sein, denn mit Tigerwuth
und alle Gefahr verachtend, warfen sich jetzt die Hunde, von der Stimme
ihres Herrn gestachelt, auf den gemeinsamen Feind. Umsonst wüthete er
gegen sie mit Zahn und Tatze, umsonst erfaßte er den Lieblingshund des
jungen Lobston, gerade als dieser auf dem Kampfplatz erschien, in seine
tödtliche Umarmung, daß das gequälte Thier laut aufheulte und seinem
Herrn, den es schon dreimal aus Todesnoth gerettet hatte, wie Hilfe
rufend, entgegen schrie. Fang und Klaue verachtend, bedeckte die jetzt
zu rasender Wuth gereizte Meute den Bär, daß er mit ihnen, kämpfend und
um sich hauend, zu Boden stürzte.

Der junge Lobston war nahe bei dem rollenden, wogenden Knäuel, den die
wüthenden Thiere bildeten, vom Pferde gesprungen, und hatte mehrere
Augenblicke vergebens gesucht, dem Bären eine Kugel beizubringen. Kaum
hie und da konnte er auf Augenblicke ein Stück von dessen Fell sehen,
so hielten ihn die Hunde bedeckt, und die Büchse hinwerfend, das Messer
herausreißend, stürzte er sich gegen den Niedergeworfenen.

In demselben Augenblicke sprang dieser, wie durch Zauberei von den
Hunden befreit, die nach allen Himmelsrichtungen geschleudert von ihm
weg flogen, empor, und das erste, was sich seinen vernichtenden Blicken
zeigte, war sein grimmigster Feind, der mit geschwungenem Messer auf ihn
zustürzen wollte.

Der Anblick des mit Schaum und Blut fast überzogenen Thieres war
fürchterlich, und mit solcher schrecklichen Mordgier im Blick sprang es
auf den erschrockenen Jäger zu, daß dieser, der noch nie einen gereizten
Bären in seiner ganzen Furchtbarkeit geschaut hatte, sich entsetzt
wandte und zu fliehen versuchte.

Nur einen Angstschrei konnte er ausstoßen, als ihn die Bestie erreichte
und niederschlug; in demselben Augenblicke aber hatten sich auch die
Hunde wieder gesammelt, kamen ihrem jungen Herrn zu Hilfe, zwangen den
Bären, ihn loszulassen und folgten dem sich langsam Zurückziehenden in
den dichteren Wald.

Da krachten wieder die Büsche und dürren Äste desselben Dickichts, aus
welchem vor wenigen Minuten der junge Lobston herauskam, und dessen
Vater, ein alter, weißhaariger Greis, sprengte auf den Wahlplatz.

Sein Jagdhemd hing in Fetzen an ihm herunter, sein Gesicht war blutig
und zerrissen, und lang flatterten ihm die weißen Locken beim scharfen
Ritt um die Stirn. Auf der Hetze hatte er seine Mütze verloren, als
er im rasenden Sprung, bei dem Roß und Reiter in den unzerreißbaren
Schlingpflanzen hängen geblieben, über eine umgestürzte Eiche
hinweggesetzt, gestürzt und gegen einen Baum geschleudert war. Eben
wollte er, seinem Pferde die Hacken in die Seite setzend, über den
blutigen Fleck hinübersprengen, der Jagd zu folgen, als er seinen Sohn
ohnmächtig, das Gesicht der Erde zugekehrt, am Boden liegen sah, und
mit krampfhaftem Zucken das Pferd zurückriß, daß es hochaufbäumend sich
beinah mit dem wilden Reiter überschlagen hätte.

»William!« rief er mit vor Angst erstickter Stimme, »William -- um
Gotteswillen antworte, bist Du verwundet?« und alles Andere vergessend,
sprang er vom Pferd, das schnaubend und keuchend stehen blieb, und
versuchte den Sohn aufzurichten.

Dieser holte nur schwach Athem und schlug mit Mühe die Augen auf, den
Vater zu bewillkommnen. Sein Gesicht war todtenbleich und, wie seine
vorn ganz aufgerissenen Kleider, mit Blut überzogen.

Der alte Mann kniete neben ihm und legte den Kopf des Kindes auf sein
Knie, während der Verwundete zu lächeln versuchte. Da schlugen, nicht
sehr weit entfernt, die Hunde wieder wie rasend an, und heulten und
jauchzten, daß der alte Jäger unwillkürlich seinen Kopf hob und den
bekannten Tönen lauschte.

»Sie haben ihn auf einem Baume,« murmelte William leise.

»Ich weiß wohl, ich weiß wohl,« sagte der Alte, »aber laß ihn da sitzen
und laß die Hunde darunter verhungern; ich kann Dich nicht verlassen.«

»Geh -- geh,« bat der Sohn -- »o laß ihn dießmal nicht entkommen.«

»Aber, William, Du liegst schwer verwundet hier, ich weiß nicht einmal
wie schwer und ich sollte Dich jetzt verlassen? nicht um alle Bären in
Arkansas -- laß mich lieber sehen, wo Dich die Bestie getroffen hat,«
und mit vorsichtiger Hand versuchte er die Kleider zu entfernen, um die
Wunde zu entdecken; aber ein Schmerzensschrei des Kindes hinderte ihn,
und besorgt zog er die helfende Hand zurück.

»Es thut wohl recht weh?« fragte er ängstlich.

»Vater -- schieß den Bär,« bat der Sohn, »ich sterbe hier vor Ungeduld
-- höre nur, wie uns die Hunde rufen -- der alte Wolf ruft mich!«

»Aber soll ich Dich hier allein lassen?« fragte der Alte, noch
unschlüssig.

»Du bist in zehn Minuten wieder zurück, und wenn ich den Knall der
Büchse und den Sturz des Bären höre, werde ich wieder gesund!«

Die Hunde heulten jetzt wirklich auf eine herzzerreißende Art, und der
alte Jäger, von den Bitten des Sohnes und seinem eignen Wunsche, ein
schwerverwundetes Kind zu rächen, gedrängt, winkte dem ihm freudig
Zulächelnden noch ein kurzes Lebewohl, sprang auf sein Pferd und seinen
Jagdruf ausstoßend, der von der Meute jubelnd beantwortet wurde, war er
in wenigen Sekunden im Waldesdunkel verschwunden.

Bald darauf ließ das Bellen der Hunde nach, ein Augenblick ängstlichen
Stillschweigens, der früheren Todtenstille ähnlich, herrschte, und der
Verwundete hob sich mit unendlicher Mühe etwas auf seinem Ellbogen in
die Höhe, um sein Gesicht nach der Seite hin zu kehren, von welcher
her er den Schuß zu hören erwartete. Da krachte der scharfe Knall der
Büchse; die Hunde stießen einen Schrei aus, und gleich darauf schallte
der dumpfe Fall des schweren Thieres, das von seiner erklommenen Höhe
herabstürzte, zu dem jungen Mann herüber. Hochauf athmete der, und sank
zufrieden lächelnd auf die Wurzel des Baumes zurück, unter dem er lag.

Wenige Minuten darauf aber sprengte auch schon in vollem Carriere sein
Vater wieder zurück, warf sich vom Pferde und kniete an der Seite des
todtmatten jungen Mannes nieder, der bleich, mit geschlossenen Augen,
aber leise athmend da lag.

»William,« sagte er, leise seinen Arm berührend, »William -- schläfst
Du?«

»Nein, Vater,« hauchte der Kranke, die Augen aufschlagend und ihn
freundlich anblickend -- »hast Du den Bär?«

»Hier ist seine Tatze,« sagte der Alte, indem er dem Sohne die blutige,
abgeschnittene Tatze des Ungethüms hinhielt -- »der ist nicht mehr
schädlich.«

»Nun sterb' ich gern,« hauchte der Jüngling, und erfaßte seines Vaters
Hand.

»Sterben, William? Thorheit -- komm, sei ein Mann; steh' auf, komm, ich
helfe Dir,« und mit Todesangst im Blick, versuchte er den Verwundeten zu
unterstützen.

»Vater, Du thust mir weh!« seufzte dieser.

»Um Gotteswillen, wo fehlt es Dir denn?« fragte der alte Mann, jetzt
wirklich zum ersten Mal die Möglichkeit vor Augen sehend, daß sein Sohn
zum Tode verwundet sein könne.

»Hier,« sagte dieser, indem er auf seine rechte Brust zeigte -- »hier --
es ist Alles aufgerissen, im Rücken sticht es auch recht -- und -- die
Mosquito's sind so bös.«

»William,« fragte der Vater in seiner Herzensangst, »kannst Du reiten?«

Der Sohn schüttelte traurig den Kopf.

In Todesangst rang der Vater die Hände und stöhnte endlich mit leiser,
drängender Stimme:

»Aber hier kannst Du nicht liegen bleiben, William; die Insekten
brächten Dich um, kein Mensch könnte Dich pflegen und Du müßtest
verschmachten, wenn die Sonne morgen wieder so heiß wie heute brennt.
Wir sind aber kaum vier Meilen von unserem Haus, Du weißt, der Bär
wandte sich ganz wieder dem Flusse zu und es kann kaum 200 Schritt bis
zur Bayou sein. Ich will Dich aufnehmen und tragen; ich thue es gewiß
vorsichtig!«

»Ach, ich bin zu schwer für Dich, Vater!« seufzte der junge Mann.

»Nein, nein, William, ich habe Dich zu tausendmal getragen. Damals warst
Du freilich noch kleiner und ich war stärker, Du bist aber jetzt krank
und ich will Dich schon vorsichtig fortbringen.«

Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, beugte er sich nieder, hob leise
und sanft den Verwundeten auf, nahm ihn in seine Arme und wanderte mit
starken Schritten heimwärts, fortwährend in das bleiche Antlitz
seines Sohnes schauend, das bei jedem Fehltritt, bei der geringsten
Erschütterung schmerzhaft zusammenzuckte und dessen Farbe mit jedem
Augenblicke fahler und bleicher wurde. Zwei Meilen mochte der alte
Lobston den Sohn wie ein krankes Kind also getragen haben, als dieser
flehend bat ihn nieder zu legen und ruhen zu lassen, er könne es nicht
mehr aushalten. Der Vater willfahrte der Bitte und legte ihn in's
Gras, und brachte ihm in seinem Blechbecher, den er am Gürtel trug, zu
trinken; dann aber trieb er auch um so mehr, das schützende Obdach
des Hauses zu erreichen, aus der Nachbarschaft dort weibliche Pflege
herbeizuholen.

Sanft nahm er den Verwundeten wieder auf und trug ihn mit unendlicher
Mühe durch die Unzahl hochaufwachsender Cypressenwurzeln, die den Weg
überall unterbrachen. Ängstlich vermied er dabei auch die kleinste
Erschütterung, während keiner von ihnen weiter ein Wort sprach, bis der
Vater endlich das, ihm peinlich werdende Schweigen brach und, sich zum
Sohne niederbeugend, lispelte:

»Nur noch eine Viertelstunde, mein William, nur noch eine Viertelstunde,
dann lege ich Dich sanft auf Dein Bett und rufe Nachbar Spellens Anna.
Die soll Dich pflegen und dann wird Dir bald wieder besser werden. Zu
Hause nehmen wir auch die blutigen Kleider ab und -- aber William,«
unterbrach er sich ängstlich, indem er still stand.

Der Sohn schlug noch einmal die Augen zu ihm auf, öffnete den Mund, als
wenn er reden wollte, streckte sich und athmete tief auf, während ein
tiefer Schmerz ihm durch das Antlitz zuckte.

»William!« rief der Greis entsetzt, »William! so antworte doch -- thue
ich Dir weh? --«

Der Sohn antwortete nicht mehr -- er war todt.

Der Vater legte den Körper in's Gras, rieb ihm die Schläfe, nahm seinen
Kopf auf den Schooß, erfaßte seine Hände; es war nutzlos, sein Kind war
todt.

Da übermannte ihn einen Augenblick sein Gefühl; er warf sich auf den
Leichnam und schluchzte laut; dann aber, sich gewaltsam sammelnd, stand
er ruhig auf, nahm die Leiche wieder in seine Arme, und trug sie, so
sorgfältig als er das verwundete Kind gehalten hatte, dem jetzt nur noch
wenige hundert Schritte entfernten Hause zu. Dort angekommen, legte er
die Leiche auf das Bett, rückte einen Sessel daneben und des Kindes Hand
in die seinige nehmend, legte er seinen Finger auf dessen Pulsader, um
den leisesten Schlag derselben zu vernehmen, das unbedeutendste Zucken
seiner Augenlider zu bemerken. Es war die letzte Hoffnung des Vaters,
dem starren unerbittlichen Tode gegenüber.

Ruhig und geduldig, ja vielleicht ohne sie zu bemerken, hielt der Greis
die Stiche von ganzen Schaaren Mosquito's aus, die ihn umschwärmten,
beobachtete sogar mit fieberhafter Spannung die einzelnen der kleinen
Blutsauger, wenn sie sich auf das Gesicht der Leiche niederließen, zu
entdecken, ob noch nicht aller Lebenssaft aus den Adern des einzigen
Kindes gewichen sei. Die Mosquito's aber senkten ihren Stachel in die
Haut und tauchten umsonst mit der langen Spitze desselben nach der
warmen Nahrung, zogen ihn wieder heraus, versuchten an einer anderen
Stelle und verließen dann, summend und unmuthig, den blutlosen Leichnam.

So kam die Nacht; der alte Mann stand auf und zündete ein Licht, von
Hirschtalg und Bienenwachs gegossen, an, das er auf den Tisch stellte
und denselben nahe zum Bett rückte. Dann setzte er sich selbst wieder
auf seine alte Stelle, und die Hand des Kindes in der seinigen,
erwartete er das erste Tageslicht. Als nun endlich der Morgen dämmerte,
die Sonne hinter den Baumwipfeln emportauchte, da stand er auf,
ging hinaus, nahm eine Hacke und fing an das Grab seines Erst- und
Einzig-Geborenen zu bereiten.

Als die Grube tief genug war, wickelte er die Leiche in die wollene
Jagddecke, küßte noch einmal Lippe und Stirn des Kindes, senkte ihn
sanft hinab, legte dachartig lange Schindeln über ihn hinweg, daß ihn
die Erdschollen nicht berühren konnten und füllte das Grab aus.

Das beendet, rollte er mit unsäglicher Mühe einen abgehauenen, zu
Fenzstangen bestimmten Eichenstamm auf das Grab, schlug die Rinde
oben ab, und grub mit seinem schweren Jagdmesser, das er meiselartig
gebrauchte, den Namen seines Sohnes in rohen Buchstaben auf den Stamm.

An demselben Tag noch fing er die beiden Pferde wieder auf, die er an
dem gestrigen Unglücksabend im Walde verlassen hatte, bepackte sie mit
dem Nöthigsten, was er bei einer neuen Ansiedelung zunächst zu brauchen
glaubte, und zog über den Arkansas hinüber nach den Masserne-Gebirgen,
dort ungestört den Tod seines geliebten Kindes beweinen zu können.

Das Haus stand verlassen und öde, der Stamm aber, der auf dem Grab des
Jägers lag, war jeden Sonntag Morgen mit frischen, bunten Waldblumen
geschmückt. Ein junges Mädchen kniete dann wohl eine Stunde lang, die
Stirne auf die rauhe Rinde gepreßt, still daneben und netzte mit ihren
Thränen die rauhe Decke des jungen Backwoodsman.


Druck von _Alexander Wiede_ in Leipzig.



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Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Großgeschriebene
Umlaute waren im Original als Ae, Oe und Ue abgedruckt und wurden durch
Ä, Ö und Ü ersetzt. Offensichtliche Wortfehler wurden korrigiert, bei
Zweifeln der Originaltext beibehalten. Eine Liste der vorgenommenen
Änderungen befindet sich hier am Buchende, Änderungen in der Zeichensetzung
sind dort nicht aufgeführt.

Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersetzt:
  Sperrung:   _gesperrter Text_
  Antiquaschrift: =Antiquatext=



Änderungen

  Seitenangabe
  originaler Text
  geänderter Text

  im Inhaltsverzeichnis
  Herrn von Sechingen im Urwald gefiel      1
  Herrn von Sechingen im Urwald gefiel    219

  Seite 261
  undankbarer Mensch -- Charleh Fischer ein -- Aufschneider sei.
  undankbarer Mensch -- Charley Fischer ein -- Aufschneider sei.

  Seite 274
  Sie sind mir so wilkommen, wie die Blumen im Mai
  Sie sind mir so willkommen, wie die Blumen im Mai

  Seite 281
  scheint dann die liebe Sonne und zwischern die muntern Vögel
  scheint dann die liebe Sonne und zwitschern die muntern Vögel

  Seite 284
  mit allem möglichen Schies- und Jagdgeräth behangen
  mit allem möglichen Schieß- und Jagdgeräth behangen

  Seite 293
  den Ohio, einen großen, schönen Strom
  den Ohio, einem großen, schönen Strom

  Seite 315
  sich die Verhältnisse ziemlich gleich leiben,
  sich die Verhältnisse ziemlich gleich bleiben,

  Seite 317
  bis einer der Sitzenden aufstand, welchen er dann
  bis einer der Sitzenden aufstand, welchem er dann

  Seite 335
  an's Herz legte, das letzverübte Verbrechen zu gestehen,
  an's Herz legte, das letztverübte Verbrechen zu gestehen,

  Seite 336
  das er glaube einen Menschen hier in der Gegend gesehen zu haben
  daß er glaube einen Menschen hier in der Gegend gesehen zu haben

  Seite 366
  Der Irländer erkläre, er könne keine hundert Schritte
  Der Irländer erklärte, er könne keine hundert Schritte

  Seite 368
  mit zugeschnürter Kehle an einem Chesnutast in Pensylvanien
  mit zugeschnürter Kehle an einem Chestnutast in Pensylvanien

  Seite 388
  In Louisiana besteht der Haupnutzen des Pedlars
  In Louisiana besteht der Hauptnutzen des Pedlars

  Seite 403
  Aus ist der Preis gerade für diesen Artikel
  Auch ist der Preis gerade für diesen Artikel

  Seite 404
  Diese Krämerboote zeichnen sich vor den ernsteren Kameraden
  Diese Krämerboote zeichnen sich vor den ersteren Kameraden
]





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band." ***

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