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Title: Gauss - Ein Umriss seines Lebens und Wirkens
Author: Winnecke, Friedrich August Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Gauss - Ein Umriss seines Lebens und Wirkens" ***


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  | Anmerkungen zur Transkription                                    |
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  | Kursiver Text ist als _kursiv_ markiert, gesperrter Text als     |
  | =gesperrt=.                                                      |
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  | Der Name Gauß ist auch als GAUSS in Grossbuchstaben geschrieben. |
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  | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn sie mehrfach verwendet   |
  | wurden, oder beide Schreibweisen gebräuchlich waren:             |
  |                                                                  |
  | hannoversche -- hannöversche                                     |
  | Euklid -- euclidischen                                           |
  |                                                                  |
  | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:                  |
  |                                                                  |
  | S.  5 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.                  |
  | S.  6 "Gedächtniße" in "Gedächtnisse" geändert.                  |
  | S.  6 "Zahlenverhältnißen" in "Zahlenverhältnissen" geändert.    |
  | S. 14 "vergrössert" in "vergrößert" geändert.                    |
  | S. 17 "Maasse" in "Maaße" geändert.                              |
  | S. 19 "Anschluße" in "Anschlusse" geändert.                      |
  | S. 19 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.                  |
  | S. 26 "Beßel" in "Bessel" geändert.                              |
  | S. 29 "elektromagnetichen" in "elektromagnetischen" geändert.    |
  | S. 29 "Göttigen" in "Göttingen" geändert.                        |
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[Illustration]



                                =GAUSS=.

                              =EIN UMRISS=
                                 SEINES
                           LEBENS UND WIRKENS

                                  VON

                        F. A. T. =WINNECKE=.

                              FESTSCHRIFT
                                  ZU
                   GAUSS' HUNDERTJÄHRIGEM GEBURTSTAGE

                                  AM

                            30. APRIL 1877,

                            =HERAUSGEGEBEN=
                               DURCH DEN

                       VEREIN FÜR NATURWISSENSCHAFT
                                  ZU
                              BRAUNSCHWEIG.

                       MIT EINEM BILDNISSE GAUSS'.

                              BRAUNSCHWEIG,
            DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN,
                                =1877=.



  Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer
    Sprache, sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.



Am 30. April 1777 erblickte zu Braunschweig in einem unscheinbaren Hause
auf dem Wendengraben CARL FRIEDRICH GAUSS das Licht der Welt. Eine
Gedenktafel an jenem Hause erinnert seit zwei Jahrzehnten den
Vorübergehenden daran. Wenige jedoch werden wissen, mit wie makellosem
Lichte der Stern leuchtete, welcher an jenem Tage am geistigen
Firmamente der Menschheit aufging, wie viele in tiefer Nacht verborgene
Schätze des Geistes durch seinen hellen Schein uns offenbar wurden, ja
wie wir alle -- nicht bloß die Männer der Wissenschaft -- noch täglich
den Einfluß seiner belebenden Strahlen empfinden.

Die äußeren Verhältnisse, unter denen =Gauß= aufwuchs, waren keineswegs
günstig für die Entwickelung der hohen Begabung, welche der Knabe schon
in sehr zartem Lebensalter zeigte. Der Vater, =Gerhard Diederich Gauß=,
geb. 1744, war ein Handwerker, der vielerlei Geschäfte betrieb, und
zuletzt, bis an seinen 1808 erfolgten Tod, sich mit Gärtnerei
beschäftigte. Aus seiner ersten Ehe besaß er einen 1768 geborenen Sohn
=Georg= (gestorben zu Braunschweig am 7. August 1854), als er sich im
Jahre 1776 mit =Dorothea Benze= (geb. 1742) verheirathete. =Carl
Friedrich Gauß= war das einzige Kind dieser Ehe. =Dorothea Benze=
stammte aus dem fünf Meilen von Braunschweig gelegenen Dorfe Velpke,
woselbst ihr Vater, =Christoph=, Steinhauer war. Sie erreichte das hohe
Alter von 97 Jahren und verbrachte die letzten 22 Jahre ihres Lebens
unter treuer Pflege auf der Göttinger Sternwarte bei ihrem großen Sohne,
dem Stolze ihres Alters, der in inniger Liebe an ihr hing. Zwischen
Vater und Sohn scheint kein engeres Verhältniß bestanden zu haben; der
Vater, ein vollkommen achtungswerther Mann, war in seiner Häuslichkeit
herrisch, oft rauh und unfein. Hieraus ist jedoch niemals das leiseste
Mißverhältniß entstanden, da der Sohn, in Folge seiner hervorragenden
Begabung, schon früh vom Vater ganz unabhängig wurde.

Sehr interessant sind einzelne Züge aus der Kindheit von =Gauß=, wie er
sie treu im Gedächtnisse behalten hatte und in späteren Lebensjahren im
engsten Freundeskreise gelegentlich mittheilte, in lebendiger
gemüthlicher Erzählungsweise, worin bei etwaiger Wiederholung nie die
geringste Abweichung vorkam. =Sartorius von Waltershausen= hat bald nach
dem Ableben des großen Mannes manches dahin Gehörige gesammelt und in
dankenswerther Weise =Gauß= zum Gedächtniß veröffentlicht.

Möge es gestattet sein, ihm Einiges nach zu erzählen. =Gauß= erlernte
das Lesen ohne Unterricht, indem er den Einen und den Andern der
Hausbewohner um die Bedeutung der Buchstaben bat; er zeigte einen so
bewunderungswürdigen Sinn für die Auffassung von Zahlenverhältnissen und
eine so unglaubliche Leichtigkeit und Sicherheit im Kopfrechnen, daß er
dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit seiner Eltern erregte. Er selbst
pflegte oft scherzweise zu sagen, er habe früher rechnen als sprechen
können. Bei Gelegenheit einer Wochenabrechnung, die sein Vater mit den
Gesellen und Tagelöhnern abhielt, bemerkte der unbeachtet zuhörende,
kaum dreijährige Knabe, daß sein Vater sich verrechnet hatte und im
Begriffe stand, falsche Summen auszuzahlen, und rief: »Vater, die
Rechnung ist falsch, es macht soviel.« Zum Erstaunen aller Anwesenden
zeigte es sich bei sorgsamer Neuberechnung, daß die von dem Kinde
angegebene Summe die richtige war.

Erst 1784, als =Gauß= schon sein siebentes Lebensjahr zurückgelegt
hatte, wurde er zum Unterricht in die Catharinen-Volksschule geschickt.
Hier wurde er zwei Jahre lang durch =Büttner= im Lesen und Schreiben
unterrichtet, ohne sich merklich vor seinen Mitschülern auszuzeichnen.
Nach Verlauf von zwei Jahren kam er in die Rechenclasse und hier zog
=Gauß= sehr bald die Aufmerksamkeit von =Büttner= auf sich. Es war
nämlich eingeführt, daß der Schüler, welcher zuerst sein Rechenexempel
beendigt hatte, die Tafel in die Mitte eines großen Tisches legte; über
diese legte der Zweite seine Tafel u. s. w. Der kleine =Gauß= war kaum
in die Rechenclasse eingetreten, als =Büttner= eine Aufgabe dictirte,
welche in die Sprache der Algebra übersetzt nichts Anderes war, als die
Summation einer arithmetischen Reihe, für deren Ausführung die
Arithmetik eine sehr einfache, rasch zum Ziel führende Weise lehrt.
=Büttner= hatte die Aufgabe kaum ausgesprochen, als =Gauß= die Tafel mit
den im Braunschweiger Platt gesprochenen Worten auf den Tisch wirft:
»Ligget se'« (da liegt sie). Während die anderen Schüler emsig weiter
rechnen, geht =Büttner= auf und ab, die Karwatsche in der Hand, und
wirft von Zeit zu Zeit einen mitleidigen Blick auf den kleinen =Gauß=,
der so rasch seine Aufgabe beendigt hatte. Dieser saß dagegen ruhig,
schon eben so sehr von dem festen unerschütterlichen Bewußtsein
durchdrungen, welches ihn bis zum Ende seiner Tage bei jeder vollendeten
Arbeit erfüllte, daß seine Aufgabe richtig gelöst sei und daß das
Resultat kein anderes sein könne. Am Ende der Stunde wurden darauf die
Rechentafeln umgekehrt; die von =Gauß= mit einer einzigen Zahl lag oben;
sie gab die richtige Lösung, während viele der übrigen falsch waren und
alsbald mit der Karwatsche rectificirt wurden. =Büttner= verschrieb
hierauf eigens aus Hamburg ein neues Rechenbuch, um damit den jungen
aufstrebenden Geist nach Kräften zu unterstützen.

=Büttner's= Gehülfe war in jenen Jahren ein junger =Bartels=, ebenfalls
Braunschweiger von Geburt. Dieser, damals 18 Jahre alt, betrieb eifrig
mathematische Studien und zog den kleinen =Gauß= zu sich heran; er
schaffte die nothwendigen Bücher herbei und machte =Gauß=, nach
Bewältigung der elementaren Dinge, schon damals mit der Lehre von den
unendlichen Reihen bekannt und führte ihn in das Gebiet der Analysis
ein. Diese gemeinschaftlichen mathematischen Studien wurden für Beider
Lebensrichtung bestimmend.

=Bartels= ging, nachdem er von 1788 an auf dem Collegium Carolinum
studirt hatte, als Lehrer der Mathematik nach Reichenau in Graubünden;
später kam er als Professor der Mathematik an die Universität in Kasan
und wurde schließlich nach Dorpat berufen, woselbst er im Jahre 1836
verstarb. Seine Tochter verheirathete sich mit dem berühmten Astronomen
=Struve=.

Auch =Gauß= verließ im Jahre 1788 die Volksschule, um das Gymnasium zu
besuchen, womit sein Vater wenig einverstanden war. Da er schon vorher
mit Hülfe seiner älteren Freunde sich in den Anfängen der classischen
Sprachen ausgebildet hatte, so wurde er, seiner vorgerückten Kenntnisse
halber, gleich in die zweite Classe aufgenommen. Mit unglaublicher
Schnelligkeit bemächtigte er sich hier der alten Sprachen und wurde zwei
Jahre später nach Prima versetzt.

Inzwischen waren, hauptsächlich durch =Bartels=, hochstehende Personen
in Braunschweig, unter denen namentlich der Geheime-Etatsrath
=von Zimmermann= genannt zu werden verdient, auf die ungewöhnliche
Befähigung des jungen =Gauß= aufmerksam geworden; sie veranlaßten, daß
derselbe im Jahre 1791 dem Herzoge =Carl Wilhelm Ferdinand=
vorgestellt wurde. Der hohe Fürst gewährte, in Folge dieser
Vorstellung, die Mittel zur weitern Ausbildung des vielversprechenden
Jünglings.

Vom Herzoge unterstützt bezog =Gauß= im Jahre 1792 das Collegium
Carolinum. Dort erlernte er die neueren Sprachen und vertiefte seine
Kenntnisse der alten. Es beschäftigten ihn auch in jener Zeit
tiefgehende eigene mathematische Studien; denn schon wenige Jahre später
war er im Besitze von mathematischen Wahrheiten, die, falls schon damals
veröffentlicht, den jungen, noch nicht zwanzigjährigen Mann sofort den
ersten Männern der Wissenschaft zur Seite gestellt haben würden.

Als =Gauß= im Herbst 1795 das Collegium Carolinum verließ, um die
Universität Göttingen zu beziehen, war er sich jedoch noch keineswegs
klar darüber geworden, ob er der Philologie oder der Mathematik sein
Leben widmen solle. Mit Interesse besuchte er die philologischen
Vorträge bei =Heyne=, während ihn die mathematischen Vorlesungen des
damals so berühmten =Kästner= wenig anzogen. =Kästner= hatte, äußerte
=Gauß= in seinen späteren Jahren, einen ganz eminenten Mutterwitz, aber,
sonderbar genug, er hatte ihn bei allen Gegenständen =außerhalb= der
Mathematik; er hatte ihn sogar, wenn er über Mathematik (im Allgemeinen)
sprach, aber er wurde oft ganz davon verlassen =innerhalb= der
Mathematik. Es ließen sich davon die lächerlichsten Beispiele anführen.

Während also scheinbar sich =Gauß= in Göttingen den classischen Studien
zuwandte, war er in Wirklichkeit mit den tiefsten mathematischen Studien
beschäftigt, wie daraus hervorgeht, daß er am 30. März 1796 (nach seiner
handschriftlichen Notiz) entdeckte, daß ein 17-Eck in einem Kreise
geometrisch construirbar sei. Seit =Euklid's= Zeiten kannte man die
geometrische Theilbarkeit des Kreises in drei und fünf Theile und die
daraus ohne Weiteres abzuleitenden Constructionen des 6-Ecks, 10-Ecks
u. s. w. Aber obgleich gerade mit diesem Theile der Mathematik sich ein
jeder Geometer beschäftigt, so war es gewissermaaßen ein Dogma geworden,
daß außer den erwähnten Constructionen keine anderen geometrisch
ausgeführt werden könnten. Was seit zwei Jahrtausenden dem Blicke der
größten Mathematiker entgangen war, der Scharfsinn des jungen, noch
nicht 19jährigen =Gauß= fand es heraus. Diese Entdeckung, welche er
selbst in seinem spätern Leben sehr hoch stellte, bestimmte ihn, sich
fortan gänzlich dem Studium der Mathematik zu widmen; sie ist jedoch nur
ein specieller Fall der wenige Jahre später von ihm in seinem ersten
größern Werke, den unsterblichen »Disquisitiones arithmeticae«,
gegebenen Theorie der Kreistheilung.

Daß bei der Erfüllung des Gemüthes mit so tiefsinnigen Forschungen
=Gauß= dem gewöhnlichen studentischen Treiben fern blieb, ist
selbstverständlich; er scheint in jener Zeit nur einen sehr beschränkten
Verkehr mit wenigen Freunden gehabt zu haben, unter denen zwei, ein
junger J. J. A. =Ide=, ebenfalls ein Braunschweiger, und W. =Bolyai= aus
Maros Vásárhely in Siebenbürgen, ebenfalls als Mathematiker bekannt
geworden sind. Ide (geb. 1775) wurde im Jahre 1803 als Professor der
Mathematik an die Universität in Moskau berufen, woselbst er jedoch
schon 1806 verstarb. =Bolyai= war ebenfalls etwas älter als =Gauß=, der
von ihm geäußert haben soll, =Bolyai= sei der Einzige gewesen, der in
seine metaphysischen Ansichten über Mathematik einzugehen verstanden
habe.

=Gauß= beschäftigte sich schon seit seinem 16. Jahre mit mathematischen
Untersuchungen tiefsinnigster Art, welche an die Erfolglosigkeit aller
Bemühungen anknüpften, einen Beweis zu finden für das eilfte Euclidische
Axiom: »zwei Gerade, welche von einer dritten so geschnitten werden, daß
die beiden inneren an einerlei Seite liegenden Winkel zusammen kleiner
als zwei Rechte sind, schneiden sich hinreichend verlängert an eben
dieser Seite«, worauf sich die gewöhnliche »euclidische« Geometrie
aufbaut, welche man bis in dieses Jahrhundert hinein für die einzig
mögliche Form der Raumwissenschaft gehalten hat. Indem =Gauß= die
Voraussetzung weiter verfolgte, daß das euclidische Axiom =nicht= wahr
sei, erhielt er in consequenter Verfolgung dieser Voraussetzung eine
ebenfalls in sich ganz widerspruchsfreie Geometrie, welche er die »nicht
euclidische« nannte, deren Ergebnisse jedoch nur scheinbar als paradox
erscheinen, weil wir frühzeitig gewöhnt werden, die Euclidische
Geometrie für =streng wahr= zu halten. Leider sind jedoch nur
Andeutungen über die hierauf bezüglichen Untersuchungen erhalten.
Vielleicht finden wir Bruchstücke der Speculationen, wie sie =Bolyai=
und =Gauß= in dieser Richtung während ihrer Universitätszeit verfolgten,
in des Erstern Schriften, welche die Grundlagen zur Wissenschaft von der
absoluten Raumlehre (im Gegensatz zur euclidischen) enthalten, und die
erst in neuerer Zeit die verdiente Beachtung gefunden haben.

Eine andere wichtige Entdeckung datirt ebenfalls wahrscheinlich schon
vor seinem Studienaufenthalte in Göttingen. In einer seiner Schriften
giebt =Gauß= an, daß er seit dem Jahre 1795 an im Besitz der Methode der
kleinsten Quadrate gewesen sei, ein Princip zur consequenten Ableitung
der wahrscheinlichsten Resultate einer Beobachtungsreihe, dessen
Anwendung auf die Beobachtungswissenschaften von der allerhöchsten
Bedeutung geworden ist. In einem Briefe an den Astronomen =Schumacher=
sagt =Gauß=, daß er diese Methode seit dem Jahre 1794 vielfach gebraucht
habe. Jedenfalls war er schon sehr früh in dem Besitze der unschätzbaren
Rechnungsweise, Größen, die zufällige Fehler involviren, auf eine
willkürfreie, consequente Art zu combiniren.

Auch der Beginn der arithmetischen Untersuchungen, welche den Inhalt
seines unsterblichen Werkes »Disquisitiones arithmeticae« bilden und
durch dessen Veröffentlichung im Jahre 1801 er mit einem Schlage den
Rang neben den größten Mathematikern aller Zeiten einnahm, fällt schon
=vor= den Anfang seiner Studien in Göttingen, wie aus handschriftlichen
Notizen über die Zeit der Entdeckung einzelner Sätze hervorgeht, die
=Gauß= seinem Handexemplare dieses Buches hinzugefügt hat. Diese Notizen
lehren, daß die Entdeckung der geometrischen Construction des 17-Eck,
deren Zeitpunkt oben erwähnt wurde, offenbar Veranlassung geworden ist,
die liegen gebliebenen zahlentheoretischen Untersuchungen wieder
aufzunehmen. Diese Untersuchungen scheinen =Gauß= in Göttingen
hauptsächlich beschäftigt zu haben; denn als er im Jahre 1798, nach
absolvirtem Triennium, nach Braunschweig zurückkehrte, legte er sogleich
Hand an die Herausgabe derselben, der sich aber zunächst noch allerlei
Schwierigkeiten entgegen stellten, welche später jedoch alle vom Herzog
=Carl Wilhelm Ferdinand=, dem die Nachwelt für seine hochherzige
Förderung des großen Mannes stets dankbar verpflichtet sein wird, aus
dem Wege geräumt wurden.

Bald nach der Rückkehr in seine Vaterstadt traf =Gauß= die nöthigen
Schritte, um behufs Herausgabe seines genannten Werkes die Bibliothek in
Helmstedt, damals noch Universitätsstadt, benutzen zu können, und
siedelte im darauf folgenden Jahre für eine Weile ganz dorthin über.
J. F. =Pfaff=, ein namhafter Gelehrter, war damals Professor der
Mathematik in Helmstedt, und in seinem Hause bezog =Gauß= ein Zimmer,
arbeitete aber so angestrengt und ununterbrochen, daß er meistens nur
gegen Abend seinen Hausgenossen zu sehen bekam. Auf gemeinsamen
Spaziergängen in die Umgegend tauschten sie dann ihre Gedanken über
mathematische Gegenstände aus. Weit entfernt, als wäre ihr
gegenseitiges Verhältniß das von Lehrer und Schüler gewesen, wie man
es wohl dargestellt findet, hat =Gauß= später selbst geäußert, er
glaube bei diesen Unterhaltungen mehr gegeben als empfangen zu haben.

Im Jahre 1799 wurde =Gauß= auf seine Inauguraldissertation:
»_Demonstratio nova theorematis omnem functionem algebraicam rationalem
integram unius variabilis in factores reales primi vel secundi gradus
resolvi posse_« in absentia von der philosophischen Facultät zu
Helmstedt zum Doctor promovirt. Dieser erste =strenge= Beweis (alle bis
dahin von den Geometern gegebenen waren ungenügend) des wichtigsten
Lehrsatzes in der Theorie der algebraischen Gleichungen wurde von =Gauß=
schon im October 1797 =entdeckt=. Wie sehr dieser Fundamentalsatz =Gauß=
am Herzen gelegen, ersieht man daraus, daß er später zu drei
verschiedenen Malen auf diesen Gegenstand zurückgekommen ist, indem er
in den Jahren 1815 und 1816 zwei neue Beweise dafür, jeden aus ganz
verschiedenen Principien, ableitete und bei Gelegenheit der Feier seiner
50jährigen Doctorwürde seinen ersten Beweis vom Jahre 1799 in
veränderter Gestalt und mit erheblichen Zusätzen versehen zum
Gegenstande einer Denkschrift machte.

In demselben Jahre finden wir =Gauß= auch schon in Correspondenz mit dem
in jener Zeit weit berühmten Freiherrn v. =Zach=, dem Director der
Seeberger Sternwarte. Die ersten Mittheilungen an denselben sind leider
von =Zach= in den damals von ihm herausgegebenen geographischen
Ephemeriden nicht mitgetheilt; sie betrafen eine Anwendung der Methode
der kleinsten Quadrate auf einen in jener Zeitschrift abgedruckten
Auszug aus =Ulugh Begh's= Zeitgleichungstafel, die zu manchen ganz
curiosen Resultaten geführt hatte. Aus einer spätern, 1799 abgedruckten
Mittheilung geht hervor, daß =Gauß= seine Principien für Ableitung des
wahrscheinlichsten Resultats aus Beobachtungen, zur Bestimmung der Figur
der Erde aus der damals von den Franzosen unternommenen Gradmessung
angewandt hatte.

Im folgenden Jahre theilte er =Zach= für dessen neugegründetes Journal:
»Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde«
einen interessanten Aufsatz über die Berechnung des Osterfestes mit,
worin die cyklische Festrechnung auf rein analytische Vorschriften
zurückgeführt wird, die auf den einfachsten Rechnungsoperationen
beruhen, so daß man, unabhängig von allen Hülfstafeln, die oft nicht
zur Hand sind, und ohne Kenntniß der Bedeutung der sonst dabei
gebräuchlichen Kunstwörter, wie »goldene Zahl, Epacte, Ostergrenze,
Sonnenzirkel und Sonntagsbuchstabe«, sofort das Datum findet, auf
welches Ostern fällt. Da dieser Aufsatz sich zunächst nur auf die
Festrechnung im Julianischen und Gregorianischen Kalender bezog, so
vervollständigte =Gauß= zwei Jahre später seine Vorschriften, indem er
die Regeln auch für den jüdischen Kalender mittheilte.

Im Jahre 1801 erschienen die »Disquisitiones arithmeticae« mit einer
Widmung an den Herzog =Carl Wilhelm Ferdinand=, in welcher =Gauß=
dankbar darlegt, wie nur die große Güte und Huld des weisen und
tiefblickenden Fürsten ihm die Möglichkeit gewährt habe, sich ganz der
Mathematik zu weihen.

Es ist schon früher gebührend hervorgehoben, welche staunenswerthe
Leistung dieses erste größere Werk von =Gauß= war, und wie es allein
genügen würde, seinen Nachruhm für alle Zeiten zu sichern. Die Tiefe der
mathematischen Entdeckungen von =Gauß= fand ihre richtige Würdigung nur
in einem kleinen Kreise von Denkern, der sich jedoch, Dank sei es dem
von ihm gegebenen Anstoße, von Jahr zu Jahr vergrößert hat. Dem größern
Publicum sollte er bald durch andere und nicht minder bemerkenswerthe
Leistungen bekannt werden.

Am 1. Januar 1801 entdeckte =Piazzi= in Palermo einen Stern achter
Größe, der seinen Ort unter den Gestirnen beträchtlich veränderte und
von ihm für einen neuen Kometen gehalten wurde. =Piazzi= gab von
seiner Entdeckung erst spät und unvollständig Kunde, und der damalige
langsame Postenlauf, noch dazu gestört durch die kriegerischen Zeiten,
bewirkte, daß die Nachricht von der Entdeckung erst in die Hände der
übrigen Astronomen kam, als schon die Gegend am Himmel, in welcher
sich der bewegliche Stern aufhielt, so nahe zur Sonne gerückt war, daß
ein Aufsuchen desselben unmöglich wurde. Glücklicherweise war jedoch
=Piazzi= im Besitz eines der vortrefflichsten Meßinstrumente der
damaligen Zeit und hatte das Gestirn damit so lange verfolgt, bis
Mitte Februar etwa, als es sich im Meridian beobachten ließ,
unbegreiflicherweise aber versäumt, dasselbe außer dem Meridiane
aufzusuchen, was noch mehrere Monate lang möglich gewesen wäre. Als
die =Piazzi='schen Beobachtungen bekannt wurden, zeigte es sich bald,
daß eine Parabel in keiner Weise ihnen genügte, sondern daß das
Gestirn in einer Bahn sich bewegt hatte, deren Gestalt von der
Kreisform nicht sehr abweichend war. Die von verschiedenen Astronomen
ausgeführte Berechnung einer Kreisbahn zeigte, daß von =Piazzi= ein
Planet entdeckt sei, der seine Bahn zwischen Mars und Jupiter
durchläuft. Aber eine Kreisbahn ließ in den =Piazzi='schen
Beobachtungen sehr merkliche Fehler übrig, so daß man hieraus sofort
den Schluß hätte ziehen müssen, es sei erforderlich, aus den
vorhandenen Beobachtungen die elliptische Bahn des Planeten zu
berechnen. Man begnügte sich aber, die =Piazzi='schen Beobachtungen
als ungenau anzusehen, und schickte sich an, den Planeten bei seinem
Wiedererscheinen am Morgenhimmel mittelst einer auf die Kreiselemente
gegründeten Vorausberechnung aufzusuchen.

Wie sich später herausstellte, gaben diese Elemente den Ort des Planeten
am Himmel so fehlerhaft an, daß wenigstens der Wiederentdecker
desselben, =Olbers=, versichert, er würde den Planeten schwerlich
gefunden haben, da er seine Nachforschungen bei alleiniger
Zugrundelegung der Kreiselemente keinenfalls so weit ausgedehnt hätte,
um die Gegend mit einzuschließen, in welcher sich der Planet wirklich
aufhielt. Hierbei muß man wohl im Auge behalten, wie schwierig das
Herausfinden eines so kleinen Planeten aus der großen Menge anderer
Sterne, von denen er sich durch sein Aussehen nicht im geringsten
unterscheidet, für die damalige Zeit war, die noch nicht die genauen
Himmelskarten der Neuzeit besaß.

Auch =Gauß= hatte Kunde von dem merkwürdigen Wandelsterne erhalten.

Er war im Besitz von erheblichen Zusätzen zu den damals bekannten
Theorien der Bewegung der Himmelskörper um die Sonne nach den
=Kepler='schen Gesetzen und wandte seine Theoreme auf die Erforschung
der wahren Bahn des =Piazzi='schen Gestirnes an. Mit der uns schon
bekannten Arbeitskraft berechnete er verschiedene Bahnen für den neuen
Planeten und ruhte nicht eher, bis er eine Ellipse gefunden hatte,
welche die Beobachtungen von =Piazzi=, die sich im Gegensatz mit der
gewöhnlichen Annahme als vorzüglich genau erwiesen, so gut wie möglich
darstellte.

Diese Ellipse gab zur Zeit, als =Olbers= das =Piazzi='sche Gestirn
wieder auffand, den Ort desselben am Himmel eilf Grad verschieden von
den Kreiselementen.

Es würde zu weit führen, wenn hier näher auseinandergesetzt würde,
welche Anerkennung von Seiten der Fachmänner =Gauß= in Folge dieser
vorzüglichen Leistungen zu Theil wurde. Sowie er vor Jahresfrist durch
Herausgabe der »_Disquisitiones arithmeticae_« einen Platz unter den
größten Mathematikern sich erobert hatte, so stellte er jetzt sich
ebenbürtig neben die bedeutendsten Astronomen aller Zeiten; denn nicht
allein das numerische Rechnen oder die theoretischen Entwicklungen,
welche er diesen Rechnungen zu Grunde legte, sondern vorzüglich die
eminente Urtheilskraft, in wie weit aus den =Piazzi='schen Beobachtungen
zuverlässige Resultate gezogen werden könnten, erregt das Staunen jedes
Sachkenners. Fast um dieselbe Zeit, als die Ceres wieder entdeckt wurde,
erklärte noch der hochverdiente französische Astronom =Lalande=, »daß er
an keinen Planeten glaube«! --

Der klar hervortretende feine praktisch-astronomische Tact muß um so
mehr unsere volle Bewunderung erregen, als sich keine Andeutung findet,
daß =Gauß= vor dem Jahre 1802 sich beobachtend mit der Astronomie
beschäftigt hat, deren praktische Seite ihm gleichfalls so Vieles
verdankt. Als die Ceres wieder gefunden war und bald darauf die Pallas
von =Olbers= entdeckt wurde, deren Bahn er wie früher die der Ceres
allmälig immer schärfer und schärfer berechnete, finden wir nicht, daß
=Gauß= Ortsbestimmungen derselben gemacht hätte. Ceres und Pallas hat er
im Sommer 1802 mit 300facher Vergrößerung betrachtet, ohne irgend einen
Unterschied ihres Aussehens von Fixsternen bemerken zu können. Diese
Beobachtung ist wahrscheinlich in Bremen mit den Instrumenten des
vortrefflichen =Olbers= gemacht, bei dem =Gauß= im Juni 1802 von
Braunschweig aus zum Besuch war und dessen Beispiel ihm zeigte, mit wie
kleinen Hülfsmitteln das Talent Großes leistet. So finden wir denn auch
bald darauf =Gauß= in der praktischen Astronomie thätig. Am 8. November
1802 beobachtete er den Vorübergang des Mercur vor der Sonne mit einem
zweifüßigen Achromaten von =Baumann=. Nach der Entdeckung der Juno im
Jahre 1804 betheiligte er sich eifrig an den Ortsbestimmungen des
Planeten, wozu er anfangs einen schlechten und besonders schlecht
montirten Achromaten benutzte, bald aber ein sehr gutes Spiegelteleskop
von =Short= anwenden konnte.

In Folge des gewaltigen Respectes vor dem genialen Dr. =Gauß= in
Braunschweig überließen die Astronomen ihm die Bestimmung und Ausfeilung
der Bahnen der kleinen Planeten so gut wie völlig, und die folgenden
Jahre erfüllen in großem Maaße die Berechnungen der Elemente und deren
Vergleichung mit den Beobachtungen für die vier in den ersten Jahren
dieses Jahrhunderts entdeckten Planeten; die Ableitung ihrer Störungen,
die eingehendste Durcharbeitung aller sich auf die Bahnbestimmung von
Himmelskörpern beziehenden Methoden, sowie die Umformung seiner
ursprünglichen Ideen, in das bewunderungswürdige Kunstwerk, welches
später als »Theoria motus corporum coelestium« veröffentlicht ist.
Daneben erfaßte er enthusiastisch die praktische Sternkunde, behindert
allerdings durch den Mangel geeigneter Instrumente.

Schon 1802 machte die russische Regierung den Versuch, =Gauß= als
Astronom und Director der Sternwarte an die Akademie in St. Petersburg
zu ziehen. Hierdurch wurde der umsichtige =Olbers= veranlaßt, das
Göttinger Universitätscuratorium darauf aufmerksam zu machen, wie
wichtig es für den Ruhm der Georgia Augusta sein würde, einen Mann zu
besitzen, den schon damals ganz Europa bewunderte. =Gauß= habe für eine
mathematische Lehrstelle eine entschiedene Abneigung: sein
Lieblingswunsch sei, Astronom bei irgend einer Sternwarte zu werden, um
seine ganze Zeit zwischen Beobachtungen und seinen tiefsinnigen
Untersuchungen zur Erweiterung der Wissenschaft theilen zu können. Da
die hannoversche Regierung im Anfange des Jahrhunderts beabsichtigte,
für die Universität Göttingen eine neue Sternwarte zu errichten, so
hätte man erwarten sollen, daß in Folge dieser dringenden Empfehlung
eines so allgemein hochgeschätzten und völlig unparteiischen Mannes wie
=Olbers= die Berufung von =Gauß= nach Göttingen erfolgt sei. Aber,
obgleich die Verhandlungen mit Petersburg sich zerschlugen, so wurde
doch =Gauß= zunächst nicht nach Göttingen berufen, sondern im Jahre 1805
=Harding= und erst im Jahre 1807 =Gauß=. Die Gründe hierfür sind bislang
nicht durchsichtig; denn daß die nahen Beziehungen von =Gauß= zum Herzog
von Braunschweig =allein= eine Berufung verhindert hätten, die dem
wohlwollenden Fürsten, als im Interesse von seinem Schützlinge liegend,
nur lieb sein konnte, ist wohl kaum anzunehmen, wie man daraus gefolgert
hat, daß der Ruf nach Göttingen erfolgte, als der Herzog gestorben war.

Inzwischen hatte =Gauß= sich am 9. October 1805 mit Johanne =Osthof= aus
Braunschweig vermählt, mit welcher er vier Jahre in glücklichster Ehe
verlebte und durch sie mit drei Kindern beschenkt wurde, deren erstes,
ein Sohn, noch in Braunschweig geboren wurde, das zweite, eine Tochter
(später die Gattin des berühmten =Ewald=), schon in Göttingen bald nach
seiner Uebersiedelung.

=Gauß= trat seine Professur an der Georgia Augusta, der er auf die Dauer
eines halben Jahrhunderts als weitleuchtende Zierde angehören sollte --
trotz vieler späterer Versuche, ihn für andere und glänzendere
Lebensstellungen in Berlin, Wien, Paris und Petersburg zu gewinnen --,
in einer Zeit an, wo die Hand des fremden Eroberers schwer auf
Deutschland lastete. Bevor er noch den geringsten Gehalt als Director
der Sternwarte bezogen hatte, wurde von dem Frankenkaiser eine ungeheure
Contribution ausgeschrieben, von welcher =Gauß= einen Betrag von 2000
Francs zu entrichten hatte. Obgleich dieser die drückende Abgabe kaum
erschwingen konnte, so schickte er doch seinem Freunde =Olbers=, der ihm
die Summe übersandte mit einem bedauernden Briefe, daß Gelehrte solchen
schmäligen Brandschatzungen unterworfen seien, dieselbe sofort zurück.
Ebenso wenig nahm er die Vermittelung von =Laplace= an, der ihm
anzeigte, die Contribution sei in Paris schon eingezahlt. Die hier
hervortretende edle Uneigennützigkeit der Gesinnung sollte jedoch sofort
ihren Lohn finden. Von Frankfurt wurden ihm anonym 1000 Gulden als
Geschenk zugeschickt, und erst eine spätere Zeit hat offenbart, daß der
Fürst Primas der edle Geber war.

Der begonnene Bau der neuen Sternwarte ruhte selbstverständlich in so
schwerer Zeit und =Gauß= sah sich auf die Benutzung der veralteten
Instrumente aus dem ehemaligen Festungsthurme, wo die Sternwarte zu
=Tobias Mayer's= Zeiten eingerichtet war, beschränkt. Seine erste
Göttinger Schrift behandelt in genialer Weise ein Problem mit einem
fehlerhaften Höhenmesser, die Fehler desselben, die Polhöhe des
Beobachtungsortes und die Zeit zu bestimmen, offenbar in engem
Anschlusse an die damaligen instrumentalen Verhältnisse der Sternwarte.

Im Jahre 1809 erschien die von den Astronomen so sehnlich erwartete
Theoria motus, worin =Gauß=, unter Zugrundelegung der =Kepler='schen
Gesetze, seine Methoden lehrte, ohne Voraussetzung über die
Beschaffenheit der Bahn, unbekannte Bahnen aus nahe liegenden
Beobachtungen zu bestimmen. Erst 40 Jahre später sind diese Methoden
Gemeingut geworden, als die sich häufenden Entdeckungen von kleinen
Planeten die Astronomen =zwangen=, sich ihrer zu bemächtigen. Bis dahin
waren es nur Wenige, die tiefer eindrangen in den köstlichen Schatz
geometrischer Wahrheiten, die darin enthalten sind. Für dieses auf alle
Zeiten fundamentale Werk erhielt =Gauß= im Jahre 1810 den
=Lalande='schen Preis des Pariser Instituts, sowie eine Denkmünze von
der Royal Society in London und andere Auszeichnungen.

Die westphälische Regierung, welche sich nachgerade hinlänglich
consolidirt zu haben glaubte, setzte im Jahre 1810 eine Summe von 200000
Franken zur Vollendung des Baues der Sternwarte aus, wodurch =Gauß= in
der trüben Zeit nach dem Verluste seiner Frau Zerstreuung zu Theil
wurde, da er als Astronom die vom Klosterbaumeister =Müller= entworfenen
Pläne durchzuarbeiten hatte. Die Vereinsamung von =Gauß= sollte jedoch
nicht lange währen; am 4. August 1810 verheirathete er sich mit der
zweiten Tochter des Hofrath =Waldeck=, einer genauen Freundin seiner
verstorbenen Frau, von der er überzeugt war, daß sie ihm und seinen
Kindern die verewigte Gattin und Mutter vollkommen ersetzen würde, und
so erstand die zerstörte Häuslichkeit wieder in glücklicher Gestaltung.

In diese Zeit fallen die großartigsten Erfolge seiner directen
Lehrthätigkeit. Schon im Jahre 1808 war =Schumacher=, in gereifteren
Jahren nach schon vollendeten juristischen Studien, nach Göttingen
gekommen, um dort sich in der Mathematik und Astronomie auszubilden;
1810 kamen =Gerling=, =Nicolai=, =Möbius=, =Encke=, welche alle als
namhafte Gelehrte in verdientem Ansehen stehen. Die Lehrthätigkeit war
jedoch, wie schon aus dem oben angeführten Bruchstücke eines Briefes von
=Olbers= hervorgeht, von jeher eine Last für =Gauß=; er widmete sich ihr
in den ersten Jahrzehnten seines Göttinger Aufenthaltes in der Form, wie
sie an deutschen Universitäten gebräuchlich ist, mehr, als später;
allerdings immer ungern und mit der oft wiederholten Klage, daß ihm
dadurch sehr viel Zeit geraubt würde, da die Vorbereitungen ihm so
lästig und äußerst zeitraubend seien. Wenn man bedenkt, was Männer wie
=Encke=, =Gerling=, =Möbius=, =Nicolai= und Andere aus =Gauß='schen
Vorlesungen mit ins Leben hinübergenommen haben (denn man ist versucht,
ihre Hauptleistungen, dem Keime nach, auf Göttinger Anregungen
zurückzuführen), so begreift sich das wohl. In seinen späteren Jahren
war =Gauß= nur schwer dazu zu bewegen, ein Colleg zu lesen; jedoch war
er, unter Beobachtung aller Formen, stets dem strebenden Studirenden
zugänglich. Der Schreiber dieser Zeilen gedenkt nicht selten mit
dankbarer Erinnerung mancher halben Stunde aus den Jahren 1853 und 1854,
die der große Mann in anregender und wesentlich fördernder Belehrung dem
Anfänger widmete, welchem er gestattet hatte, mit Fragen bei dem
Selbststudium der Theoria motus ihn zu behelligen, ein Thema, auf das
glücklicherweise diese Erlaubniß nicht beschränkt blieb. --

=Gauß= hatte nunmehr die stille sorgenfreie Muße gefunden, nach welcher
er sich so lange gesehnt. Als etwas wahrhaft Beneidenswerthes hat er im
hohen Alter, nach des großen Astronomen =Bessel='s Tode, mit dem ihn
eine mehr als vierzigjährige Freundschaft verband, hervorgehoben, daß
dieser in seinen jungen Jahren Gelegenheit gefunden habe, großartige
Verhältnisse der wirklichen Welt genau kennen zu lernen und dadurch die
innere Ueberzeugung mit sich getragen, durch diese Kenntnisse sich jeden
Augenblick eine solche Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft
schaffen zu können, in der er sich selbst erhielte. Er selbst habe, bis
zu einem vorgerückten Alter, nichts in sich selbst besessen, was, wie
die Welt sei, einen sichern Schutz auch nur gegen den Hungertod hätte
geben können, als das Schulmeistern, was ihm stets zuwider gewesen sei.

Die jährlichen Bearbeitungen der Vorausberechnung der kleinen Planeten
und die Verbesserung ihrer Bahnen übertrug =Gauß= von jetzt ab stets dem
einen oder dem andern seiner talentvolleren Schüler. Er selbst
beschäftigte sich in dieser Richtung hauptsächlich damit, für die
Berechnung der Störungen dieser Himmelskörper Methoden aufzustellen,
sowie für die Ermittelung der wahrscheinlichsten Elemente ihrer Bahnen,
worüber er im Jahre 1811 und 1818 der Societät der Wissenschaften in
Göttingen classische Denkschriften vorlegte.

Um dieselbe Zeit beschäftigte sich =Gauß= mit dioptrischen Studien,
nicht allein theoretisch, sondern mit directer Beziehung zur Praxis, wie
er denn, in ihm eigenthümlicher Form, an =Repsold= im Jahre 1810 die
Krümmungsradien für ein Fernrohrobjectiv von 8 Fuß Brennweite und 5 Zoll
Oeffnung mittheilte. Diese Studien nahm er im Jahre 1817 wieder auf und
zeigte damals die theoretische Möglichkeit eines wesentlichen
Fortschrittes in der Construction der Fernröhre, die aber unbeachtet
blieb, bis =Steinheil= nach fast einem halben Jahrhundert die Formeln
von =Gauß= praktisch anwandte und ganz vorzügliche Resultate erzielte.
Im Jahre 1843 legte er der Göttinger Societät seine »dioptrischen
Studien« vor, wodurch er einem Felde, das durch die Arbeiten von Männern
wie =Cotes=, =Euler=, =Lagrange= und =Möbius= fast erschöpft erscheinen
konnte, eine neue Ernte abgewann.

Im Jahre 1814 wurde die neue Sternwarte bis auf den innern Ausbau
fertig; jedoch wurden die dazu gehörigen Wohngebäude für die Astronomen
erst im Jahre 1815 begonnen. Von den Instrumenten der alten Sternwarte
erhielt der durch =Tobias Mayer's= Arbeiten so berühmt gewordene
Mauerquadrant einen Platz auf dem neuen Observatorium, sowie auch das
10-füßige =Herschel='sche Teleskop noch auf lange Jahre hinaus für
Beobachtungen außer dem Meridiane benutzt wurde. Die übrigen, von
Lilienthal nach Göttingen gekommenen Instrumente wurden kaum benutzt,
höchstens, um Besuchern den gestirnten Himmel damit zu zeigen. An Stelle
des einen von zwei im ursprünglichen Plane projectirten
Passageninstrumenten wurde, auf Betreiben von =Schumacher= ein
Meridiankreis von =Repsold= angekauft, der jedoch erst im Jahre 1818
geliefert wurde; denn =Repsold= wollte ihn, bevor er in =solche= Hände
kam, mit einer neuen Theilung versehen.

Im Frühjahr 1816 begab sich =Gauß= im Auftrage der Regierung nach
München, wo damals die großen Künstler =Reichenbach= und =Fraunhofer=
erfolgreich mit den englischen Mechanikern und Optikern zu rivalisiren
begonnen hatten, um dort mit ihnen die Construction zweier großer
Meridianinstrumente zu vereinbaren, sowie verschiedene kleinere
Instrumente zu bestellen. Bei dieser Gelegenheit besuchte =Gauß= mit
=Reichenbach= zusammen die schönen Gegenden des Salzkammergutes. Schon
im Sommer 1814 hatte übrigens die Göttinger Sternwarte eine herrliche
Acquisition in einem =Reichenbach-Fraunhofer='schen Heliometer gemacht,
zu dem freilich das Stativ erst später nachkam, ein Instrument, welches
60 Jahre später, am 8. December 1874, zur Beobachtung des Vorüberganges
der Venus vor der Sonnenscheibe auf der Aucklandinsel gedient hat. Im
Herbste 1816 konnte endlich die Directorwohnung der Sternwarte bezogen
werden und im Frühjahre 1817 traf eins der bestellten kleineren
Instrumente aus München ein, mit dem =Gauß= sofort, obgleich der Ausbau
der Sternwarte noch keineswegs vollendet war, die Beobachtungen begann.
Bei der Bestellung dieses Instrumentes hatte =Gauß= wahrscheinlich schon
die Fortsetzung der von =Schumacher= geplanten dänischen Gradmessung von
Skagen bis Lauenburg durch das Hannöversche im Auge gehabt.

Als =Schumacher= im Jahre 1817 seine Messungen, aufs Großartigste
unterstützt vom Könige von Dänemark, begonnen hatte, benutzte =Gauß=
die Durchreise des Ministers =von Arnswald= im August 1817 durch
Göttingen, um demselben die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung dieser
Arbeiten durch das Hannöver'sche darzulegen und reichte dann im Herbste
desselben Jahres eine ausführliche Denkschrift ein, in welcher er
schriftlich seine mündlichen Auseinandersetzungen wiederholte. Es
erfolgte aber darauf lange kein Bescheid, »da die Kunst des
Sollicitirens diejenige sei, wozu er -- freilich zu seinem großen
Nachtheil -- am wenigsten Talent habe noch passe«. Nachdem =Schumacher=
-- dem obige Kunst geläufiger war -- sich ins Mittel gelegt, so wurde
zunächst von der Regierung =Gauß= der Auftrag ertheilt, im Herbst 1818
die zur Verbindung der hannöverschen Triangulirung mit der dänischen
nothwendigen Winkelmessungen in Lüneburg vorzunehmen. Das war der
Anfang der langwierigen Triangulirungsgeschäfte, mit denen =Gauß= bis
über das Jahr 1848 hinaus viel, ja viel zu viel zu thun hatte. Mag man
auch den Gewinn der Verlängerung des dänischen Bogens um zwei
Meridiangrade nach Süden sehr hoch stellen, so war das eine Arbeit, die
auch Kräfte secundären Ranges sehr gut hätten ausführen können. Man muß
nur in dem Briefwechsel zwischen =Gauß= und =Schumacher= lesen, wie
sehr Ersterer viele Jahre Sommer für Sommer durch Winkelmessungen
absorbirt war, um es lebhaft zu beklagen, daß ein solcher Geist durch
derartige Arbeiten, die von Vielen zu machen waren, gestört wurde, sich
in Muße mit Dingen zu beschäftigen, die nur =Er= uns lehren konnte.
Dazu kommt noch, daß =Gauß= fast alle die erforderlichen ungeheuern
Rechnungen selbst gemacht hat, vielleicht in ein Viertel oder ein
Zehntel der Zeit, die andere gebraucht hätten. Aber =seine= Zeit war
auch kostbarer als die Zeit von vier oder zehn Rechnern, die
schließlich genau dasselbe Resultat erlangt haben würden. Allerdings
hat auch die Wissenschaft, in Anlaß dieser Gradmessungsarbeiten, =Viel=
gewonnen. Dahin gehören die feinsinnigen Untersuchungen über die
allgemeine Abbildung einer gegebenen Fläche, auf einer andern so, daß
die Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich wird.
Es sind ferner auf die Gradmessungsarbeiten zurückzuführen die
Disquisitiones circa superficies curvas (1827) und die beiden
Abhandlungen über höhere Geodäsie (1843 und 1846).

Ein großer Uebelstand bei den Gradmessungsarbeiten war es bislang
gewesen, daß man die Endpunkte der großen Dreiecke, in denen man die
Winkel zu messen hatte, mit den gewöhnlich angewandten Mitteln entweder
gar nicht oder nicht mit genügender Sicherheit hatte sehen können.
Man hatte daher zu dem Auskunftsmittel gegriffen, hell brennende mit
Reverberen versehene Lampen auf den Dreieckspunkten aufzustellen und
die Messungen bei Nacht auszuführen. Abgesehen von der großen
Unbequemlichkeit und Mühseligkeit wurde dadurch die Arbeit des Geodäten
zu einer gefahrvollen, da nicht selten die Signale auf hohen einsam
gelegenen Bergen errichtet sind, die dem Beobachter keinerlei Schutz
darbieten. Um so willkommener war eine Erfindung von =Gauß=, welche es
ermöglichte, alle, selbst die größten Dreiecke bei Tage zu messen: das
Heliotrop. Diese in ihrer Einfachheit so sinnreiche Erfindung gestattet
das Sonnenlicht, welches ein kleiner über dem Dreieckspunkte
aufgestellter Spiegel zurückwirft, genau auf den andern Dreieckspunkt
zu senden, so daß der dort befindliche Beobachter in der gewünschten
Richtung scheinbar einen künstlichen, hellglänzenden Stern erblickt, der
sich scharf mit dem Winkelinstrumente einstellen läßt. Von dieser seiner
Lieblingserfindung hat =Gauß= öfter sehr bestimmt hervorgehoben, daß er
zu derselben nicht durch einen reinen Zufall, sondern durch reifes
Nachdenken gelangt sei. Es sei wahr, daß er auf dem Michaelis-Thurm in
Lüneburg eine Fensterscheibe eines Hamburger Thurmes habe blitzen sehen,
ein Zufall, welcher die praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens noch
bekräftigt habe, aber schon längst vorher sei die ganze Erfindung im
Geiste fertig gewesen.

=Gauß= hielt es für möglich, mit Hülfe von Heliotropen eine
telegraphische Correspondenz zwischen Mond und Erde zu errichten und
hatte in Bezug auf diese Frage sogar die Größe der erforderlichen
Spiegel berechnet, woraus sich ergab, daß eine solche Correspondenz
eventuel ohne große Kosten sich würde einrichten lassen. Das wäre eine
Entdeckung, pflegte er zu sagen, noch größer als die von Amerika, wenn
wir uns mit unseren Mondnachbarn in Verbindung setzen könnten -- hielt
es jedoch nicht eben für wahrscheinlich, daß der Mond eine mit höherer
Intelligenz ausgestattete Bevölkerung besitze. Sonst hielt er geistiges
Leben auf der Sonne und auf den Planeten für sehr wahrscheinlich, wobei
er hervorzuheben pflegte, wie die an der Oberfläche der verschiedenen
Himmelskörper wirkende und in ihrer Wirkung zu berechnende Schwerkraft
für diese Frage vom größten Einfluß sei, woraus er z. B. folgerte, daß
auf der Sonne nur sehr =kleine= Wesen, verglichen mit uns, existiren
können, bei einer dort mehr als 28fach größeren Schwerkraft, als auf der
Erde.

Um die Zeit, als die Gradmessungsarbeiten ernstlich an =Gauß=
herantraten, trafen im Jahre 1819 die Schönen Meridianinstrumente von
München ein, deren Aufstellung auf der Sternwarte und deren eingehender
Untersuchung sich =Gauß= zunächst widmete. Obgleich dieselben auch,
wenigstens in den ersten Jahren, zu =häufigen= Beobachtungen gedient
haben, so ist doch wenig von ihren Leistungen in der astronomischen Welt
bekannt geworden. Es scheint auch, als wenn es =Gauß= nicht für
angemessen hielt, mit den damals staunenswerthen Leistungen von =Bessel=
in Concurrenz zu treten; auch dürfte vielleicht die schon oben aus einem
Briefe von =Olbers= angezogene Aeußerung, daß =Gauß= die praktische
Astronomie enthusiastisch liebte, in sofern doch zu modificiren sein,
als =Gauß= nicht der unwiderstehliche Drang inne wohnte, sich mit den
Gestirnen zu beschäftigen, wie man ihn bei dem wahren beobachtenden
Astronomen findet. Es soll damit nicht der leiseste Tadel gegen den Mann
ausgesprochen werden, dessen praktische Leistungen im Gebiete der
Astronomie ebenfalls weit hervorragen über die Leistungen des
Durchschnittsastronomen der Praxis, sondern es soll nur die Thatsache
constatirt werden, daß das Göttinger Institut als =Sternwarte= nicht das
geleistet hat, was man von einem mit so prachtvollen Instrumenten
ausgestatteten Institute erwarten mußte. Ein helles Licht auf die hier
obwaltenden Verhältnisse wirft eine Aeußerung von =Gauß= über die
Erklärung eines optischen Phänomens, das auftritt, wenn man die in einem
Quecksilberhorizonte reflectirten Bilder von Sternen beobachtet. »Die
Auffindung dieser Erklärung stellte er höher, als einen ganzen Jahrgang
von Beobachtungen, deren Nutzen er jedoch keineswegs verkenne.« In der
That kann man bedauern, daß durch die praktische Thätigkeit von =Gauß=,
gar häufig die Muße gestört ist, deren er nach seinen wiederholten
Aeußerungen für seine schöpferische Thätigkeit auf speculativem Gebiete
stets in vollem Maaße bedurfte.

Wie sehr man in den damaligen Regierungskreisen vor 40 Jahren verkannte,
=was= man an =Gauß= in Göttingen besaß, geht daraus hervor, daß ihn das
Ministerium des Innern mit Aufträgen von abschreckender Weitläufigkeit
behelligte, die sich auf die Revision des gesammten Aichungswesens des
Königreiches bezogen. Es ist zu bedauern, daß =Gauß= diese Aufträge
nicht einfach als seiner unwürdig ablehnte; seine der Welt unschätzbare
Zeit ist in Folge dessen zum Theil durch Arbeiten absorbirt, deren
Bedeutung schon jetzt, selbst für das praktische Leben, ganz geschwunden
sind, wenngleich die Geistesfunken, welche von ihm im Contact mit den
früher bei solchen Gelegenheiten befolgten Methoden sprühten, noch lange
dieses Gebiet mit ihrem Lichte erhellen werden.

Es ist nicht Zweck dieser kurzen Schrift, alle die großen Gedanken zu
verfolgen, welche =Gauß= während seiner fast 50jährigen Thätigkeit in
vielen der Societät der Wissenschaften überreichten Denkschriften
niedergelegt hat, oder auch nur die Titel dieser Denkschriften
aufzuzählen; noch weniger kann dem verborgenen Aufblitzen seines Genius
nachgegangen werden, wozu unter andern der Briefwechsel, den er mit
=Schumacher= geführt, so vielen Anlaß darbietet. Es sei nur gestattet,
noch ein großes Arbeitsfeld zu erwähnen, auf welchem das Eingreifen von
=Gauß= von fundamentaler Bedeutung geworden ist.

Schon im Sommer 1831 hatte =Gauß= angefangen sich in ein ihm bis dahin
ganz fremdes wissenschaftliches Gebiet, die Krystalllehre,
hineinzuarbeiten. Es machte ihm Mühe, sich in der Sache zu orientiren,
da die Bücher, welche er dabei zum Führer genommen, dieselbe mehr
verwirrten als aufhellten. =Gauß= ersann eine neue Methode zur
Krystallbezeichnung, im Wesentlichen dieselbe, welche später von
=Miller= in Cambridge bekannt gemacht ist und construirte eine
Vorrichtung, mit deren Hülfe am 12zölligen =Reichenbach='schen
Theodoliten die Winkel der Krystalle so genau, wie möglich, gemessen
werden konnten. Von allen diesen Untersuchungen: Beobachtungen,
Rechnungen und Zeichnungen, ist nie das Geringste zur öffentlichen
Kenntniß gelangt; denn schon im Herbste desselben Jahres trat bei
=Gauß=, in Folge der Berufung des damals noch jugendlichen, später
so berühmten Physikers =Weber= an die Göttinger Universität, die
Bearbeitung rein physikalischer Fragen in den Vordergrund.
Es entwickelte sich bald zwischen dem mehr als 50jährigen
hochberühmten Mathematiker und dem noch nicht dreißigjährigen Physiker
eine innige, nie getrübte Freundschaft, der die Wissenschaft
denkwürdige Arbeiten verdankt.

»Der Stahl schlägt an den Stein,« so bezeichnete =Gauß= später ihr
persönliches Zusammenwirken in der Mitte der dreißiger Jahre, das zum
unendlichen Schaden für die Menschheit im Jahre 1837 zerrissen wurde,
weil der König von Hannover Männer von Ueberzeugungstreue, die auch
wagten dieselbe zu äußern, nicht als Professoren in Göttingen dulden
wollte. =Weber= war einer von den Göttinger =Sieben=, die in Folge des
Verfassungsbruchs des Königs und ihres dagegen erlassenen Protestes aus
Hannover verbannt wurden. Mit ihm verließen =Albrecht=, =Dahlmann=,
=Ewald=, =Gervinus= und die beiden =Grimm= die Georgia Augusta.

Das Gebiet der Elektricität und des Magnetismus wurde zunächst nach
allen Richtungen durchforscht. =Gauß= gab in Folge hiervon die erste
richtige Theorie des Erdmagnetismus, wodurch er in den Stand gesetzt
wurde, durch =eine mathematische Formel= das gesammte vorhandene
Beobachtungsmaterial darzustellen, also die Declination und Inclination
der Magnetnadel, sowie die Intensität an jedem Punkte der Erde
anzugeben. Die Wichtigkeit, durch Beobachtungen zu jeder Zeit diese
Constanten zu bestimmen, führte =Gauß= auf die Erfindung von ganz neuen
Beobachtungsmethoden und Instrumenten, mit denen man diese Größen und
ihre Aenderungen in kurzer Zeit mit einer nie geahnten Schärfe bestimmen
konnte. Die galvanischen Versuche führten endlich zur Entdeckung des
elektromagnetischen Telegraphen, der zum ersten Male in großen
Dimensionen im Winter 1833 bis 1834 in Göttingen praktisch ausgeführt
wurde, indem von der Sternwarte zum Johannisthurme und von da zum
physikalischen Cabinette eine Drahtleitung von mehreren Tausend Metern
Länge gezogen wurde. Diese Drahtleitung diente zu den interessantesten
Versuchen; so wurden sehr bald Worte und ganze Sätze hin und her
telegraphirt und auch die später so wichtig gewordene Anwendung für
telegraphische Längenbestimmungen wurde implicite gemacht, da die
Pendeluhr des physikalischen Cabinets durch galvanische Signale von der
Sternwarte aus gestellt wurde, es also nur einer unabhängigen
Zeitbestimmung dort bedurft hätte, um die astronomische Längendifferenz
zu ermitteln.

In einem Briefe an =Schumacher= bedauert =Gauß= die engen Verhältnisse,
in denen er lebt, da sich an seine theoretischen Eroberungen im Gebiete
des Elektromagnetismus, auf die er mehr Werth legte, als auf die im
Gebiete des reinen Magnetismus, glänzende praktische Anwendungen knüpfen
ließen. »Könnte man,« so schreibt er 1835, »Tausende von Thalern
verwenden, so glaube ich, daß z. B. die elektromagnetische Telegraphie
zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe gebracht werden könnte,
vor der die Phantasie fast erschrickt. Der Kaiser von Rußland könnte
seine Befehle ohne Zwischenstation in derselben Minute von Petersburg
nach Odessa, ja vielleicht nach Kiachta geben, wenn nur der Kupferdraht
von gehöriger (im Voraus =scharf= zu bestimmender) Stärke =gesichert=
hingeführt und an beiden Endpunkten mächtige Apparate und gut eingeübte
Personen wären. Ich halte es nicht für unmöglich, eine Maschinerie
anzugeben, wodurch eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde,
wie ein Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine Walze
gesetzt ist. Aber bis eine solche Maschinerie allmälig zur
Vollkommenheit gebracht würde, müßten natürlich erst viele kostspielige
Versuche gemacht werden, die freilich z. B. für das Königreich Hannover
keinen Zweck haben. Um eine solche Kette in einem Schlage bis zu den
Antipoden zu haben, wäre für 100 Millionen Thaler Kupferdraht vollkommen
zureichend, für eine halb so große Distanz nur ein Viertel so viel, und
so im Verhältnisse des Quadrats der Strecke.«

Von großem Interesse ist es auch, zu ersehen, daß diejenigen Methoden,
welche =Gauß= schon damals bei seinen Göttinger Versuchen anwandte,
dieselben sind, auf die man jetzt bei der transatlantischen Telegraphie
wieder zurückzukommen scheint.

Die Zeit, in welcher =Gauß= begann, sich physikalischen Problemen mit
großer Energie zuzuwenden, fällt zusammen mit einer Zeit schweren
häuslichen Leides. Seine Frau hatte schon lange an einem Magenübel
gekränkelt. Nachdem eine Katastrophe, in Folge welcher man glaubte
Hoffnung schöpfen zu können, und die in der That eine wesentliche
Besserung in dem Zustande der Leidenden herbeiführte, so daß sie sich
besser befand, als seit Jahren, eingetreten war, zeigte sich leider bald
wieder das alte Uebel, nur in noch traurigerer Gestalt, und im September
1831 starb nach unbeschreiblichen Leiden die arme Dulderin. =Gauß= wurde
durch diesen Verlust aufs Tiefste erschüttert und sehnte sich, ebenfalls
von einem Schauplatze abtreten zu können, wo die Freuden flüchtig und
nichtig, die Leiden, Fehlschlagungen und schmerzlichen Täuschungen die
Grundfarbe sind. Viele Monate später litt er noch an fortwährender
Schlaflosigkeit bei Nacht und Abspannung am Tage, und konnte nicht
absehen, wann er sich wieder zu frischem Lebensmuthe würde aufrichten
können. Wir greifen wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß hier
ebenfalls ein Motiv sich zeigt, daß =Gauß= veranlaßte, neue, ihm bis
dahin fremde und in sich hoch interessante Gebiete mit Anstrengung aller
Geisteskraft zu betreten.

Die philologischen Neigungen, welche =Gauß= in seiner Jugend sogar der
Mathematik abwendig zu machen drohten, traten in dem letzten Jahrzehnte
seines Lebens wieder mit größerer Lebendigkeit hervor. Versuchsweise
hatte er sich ums Jahr 1840 mit Sanskrit beschäftigt, das ihn aber wenig
befriedigte; später erlernte er, um seinen Geist frisch und für neue
Eindrücke empfänglicher zu erhalten, die russische Sprache, bekanntlich
für denjenigen, der nur germanische und romanische Sprachen kennt, eine
sehr schwierige Aufgabe. Ohne fremde Hülfe brachte er es darin binnen
wenigen Jahren zu einer sehr großen Fertigkeit, so daß er von da an mit
Vorliebe sich mit der russischen Literatur beschäftigte, während ihm
früher vorzugsweise von ausländischer Literatur die Lectüre von
=Walter Scott's= Werken angezogen hatte. Unter unseren deutschen
Dichtern stellte er =Richter= ohne Frage in die erste Reihe; dagegen
befriedigte ihn =Göthe's= Schreib- und Denkweise weniger: »er sei ihm
an Gedanken zu arm« und seine lyrische Poesie, deren Werth und
vollendete Form er nicht verkannte, schlug er nicht sehr hoch an.
Noch weniger sagte ihm =Schiller= zu, dessen philosophische Ansichten
ihm mitunter vollständig zuwider waren. So nannte er »Die Resignation«
ein gotteslästerliches, durchaus moralisch verderbtes Gedicht und
hatte in seiner Ausgabe mit Fracturschrift und Ausrufungszeichen das
Wort »Mephistopheles« an den Rand geschrieben.

Alle philosophischen Ideen hielt =Gauß= nur für subjectiv und trennte
sie, da sie strenger Begründung entbehrten, durchaus von der
eigentlichen Wissenschaft.

Anerkennend hebt =Sartorius von Waltershausen= die religiöse Duldsamkeit
von =Gauß= hervor, die er auf jeden aus der Tiefe des menschlichen
Herzens entsprungenen Glauben übertrug, die aber durchaus nicht mit
religiösem Indifferentismus zu verwechseln war. Im Gegentheil nahm er an
der religiösen Entwickelung des menschlichen Geschlechts, vornehmlich
aber an der unsers Jahrhunderts, den allerinnigsten Antheil. In
Rücksicht auf die mannigfaltigen Glaubensverschiedenheiten, die häufig
nicht mit seiner Anschauungsweise übereinstimmen konnten, hob er immer
hervor, daß man nicht berechtigt sei, den Glauben anderer, in dem sie
Trost in irdischen Leiden und eine sichere Zuflucht in den Tagen des
Unglücks erblickten, in irgend einer Weise zu stören. Das Streben nach
Wahrheit und das Gefühl für Gerechtigkeit bildeten die Grundlage von
=Gauß'= religiöser Betrachtungsweise. Das geistige Leben im ganzen
Weltall erfaßte er als ein großes, von ewiger Wahrheit durchdrungenes
Rechtsverhältniß, und aus dieser Quelle schöpfte er vornehmlich die
Zuversicht, das unerschütterliche Vertrauen, daß mit dem Tode unsere
Laufbahn nicht geschlossen ist.

Die unerschütterliche Idee von einer persönlichen Fortdauer nach dem
Tode, der feste Glaube an einen letzten Ordner der Dinge, an einen
ewigen, gerechten, allweisen, allmächtigen Gott, bildete das Fundament
seines religiösen Lebens. »Es giebt,« äußerte er eines Tages, »in dieser
Welt einen Genuß des Verstandes, der in der Wissenschaft sich
befriedigt, und einen Genuß des Herzens, der hauptsächlich darin
besteht, daß die Menschen einander die Mühsale, die Beschwerden des
Lebens gegenseitig erleichtern. Ist das aber die Aufgabe des höchsten
Wesens, auf gesonderten Kugeln Geschöpfe zu erschaffen und sie, um ihnen
solchen Genuß zu bereiten, 80 oder 90 Jahre existiren zu lassen? -- so
wäre das ein erbärmlicher Plan. Ob die Seele 80 Jahre lebt oder
80 Millionen Jahre, wenn sie ein Mal untergehen soll, so ist dieser
Zeitraum doch nur eine Galgenfrist. Endlich würde es vorbei sein
müssen. Man wird daher zu der Ansicht gedrängt, für die ohne eine
strenge wissenschaftliche Begründung so vieles Andere spricht, daß
neben dieser materiellen Welt noch eine zweite rein geistige
Weltordnung existirt, mit eben so viel Mannigfaltigkeiten, als die in
der wir leben -- ihrer sollen wir theilhaftig werden.« --

Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verlebte =Gauß= in stiller, ruhiger
Beschaulichkeit; seit mehr als zwanzig Jahren hatte er keine Nacht
außerhalb Göttingens zugebracht. Vormittags erschien er regelmäßig im
literarischen Museum, woselbst er eine große Anzahl von Zeitungen
durchsah, in denen ihn, außer den politischen Nachrichten, auch noch
insbesondere die Börsennachrichten ansprachen, welche er aufmerksam im
Interesse seiner statistischen Speculationen verfolgte. Ein Glück ist
es, daß Niemand die eminente finanzielle Begabung zeitig genug ahnte,
die =Gauß= besaß, und von der er z. B. einen so hervorragenden Beweis
bei der Reorganisation der Professorenwittwencasse in Göttingen gegeben
hat! Es würden dadurch noch größere Beeinträchtigungen seiner Muße
entstanden sein, als die, welche wir oben beklagten. Die meisten
ehemaligen Studirenden der Georgia Augusta aus dem zweiten Viertel
dieses Jahrhunderts werden sich lebhaft das edle Antlitz des großen
Mannes ins Gedächtniß zurückrufen können; denn auf den meisten von ihnen
wird sein leuchtendes blaues Auge fragend geruht haben, wenn sie
zufällig ein Blatt lasen, nach dem =Gauß= Verlangen trug, und das sich
dann Jeder beeilte dem großen Manne darzureichen.

Auszeichnungen aller Art wurden =Gauß= vielfach zu Theil -- zeichnete
doch Jeder schließlich nur sich selbst aus, wenn er einen solchen Mann
ehrte -- und vorzüglich in großer Zahl am 16. Juli 1849, als der
ehrwürdige Greis sein 50jähriges Doctorjubiläum feierte. An diesem Tage
erhielt er auch das Ehrenbürgerrecht der Städte Braunschweig und
Göttingen.

Schon im Jahre 1846 findet sich in einem Briefe an seinen Freund
=Schumacher= das Verlangen ausgesprochen, seinen Abschied zu nehmen, um
die letzten Jahre seines Lebens in freiester Selbstbestimmung, fern von
der Last aller Berufsgeschäfte, verleben zu können. Nach seinem Jubiläum
schien er überhaupt die Absicht zu haben, zu ruhen, und klagte, daß
seine Arbeitszeit im Vergleich mit früheren Jahren merklich kürzer
werde. Seine innigsten Freunde waren allmälig aus dem Leben geschieden:
=Olbers= 1840, =Bessel= 1846. Im Jahre 1851 starb =Schumacher=, und
=Gauß= vereinsamte mehr und mehr. In den beiden folgenden Wintern litt
er viel an Schlaflosigkeit und andere Beschwerden des Alters traten auf,
so daß er endlich, trotz seines geringen Vertrauens in die medicinischen
Wissenschaften, sich im Januar 1854 veranlaßt sah, ärztlichen Rath zu
suchen. Leider zeigte es sich, daß das Uebel, an welchem =Gauß= litt,
ein Herzfehler war und daß man auf eine Wiederherstellung kaum hoffen
durfte. Die Anwendung zweckmäßiger Mittel besserte das Befinden, so daß
der Sommer leidlich verlief. Im December 1854 zeigten sich jedoch sehr
bedenkliche Symptome; nach mehrfachem Hin- und Herschwanken der
Krankheit entschlief =Gauß= am 23. Februar 1855. Am Morgen des
26. Februar begleitete ein langer Zug von Leidtragenden den großen
Todten von der Rotunde der Sternwarte zu seiner letzten Ruhestätte.

Das Bildniß des gewaltigen Mannes ist am schönsten der Nachwelt erhalten
durch die Denkmünzen, welche der König von Hannover im Jahre 1856 auf
ihn prägen ließ mit der Widmung:

                    =Mathematicorum Principi.=

Hiernach ist das diesen Zeilen vorangestellte Bild entworfen.





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