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Title: Wir fanden einen Pfad - Neue Gedichte
Author: Morgenstern, Christian, 1871-1914
Language: German
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zur Verfügung gestellt.  Das Projekt ist unter der Internet-Adresse


Wir fanden einen Pfad

Neue Gedichte

Christian Morgenstern



  alphabetisch nach Titeln sortiert:

  "Brüder!"
  An den andern
  An eine Freundin
  (an einige)
  (an manche)
  (an viele)
  Bedenke, Freund ...
  Da nimm
  Das bloße Wollen ...
  Das ist der Ast in deinem Holz
  Der Engel ...
  Der Kranke
  Die Fußwaschung
  Die Sonne will sich sieben Male spiegeln
  Die zur Wahrheit wandern
  Du Weisheit meines höhern Ich
  Du hast die Hand schon am Portal ...
  Einen Freund über seinen Liebeskummer zu trösten
  Erblinden mag ich ...
  Evolution
  Faß es, was sich dir enthüllt!
  Geschöpf nicht mehr ...
  Gib mir den Anblick deines Seins
  Hymne
  Ich bin aus Gott wie alles Sein geboren
  Ich habe den MENSCHEN gesehn ...
  Ich hebe Dir mein Herz empor
  Ich will aus allem nehmen ...
  Im Baum, du liebes Vöglein dort
  Leis auf zarten Füßen naht es
  Licht ist Liebe
  Lucifer
  Mit-erwacht
  Mond am Mittag
  Nach der Lektüre des Helsingforsers Cyclus 1912
  Nun wohne DU darin
  O Nacht ...
  O gib mir Freuden
  O ihr kleinmütig Volk
  O wie gerne lern ich Milde
  Sieh nicht, was andre tun
  Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau
  Von zwei Rosen ...
  Was klagst du an ...
  Wasserfall bei Nacht
  Wer vom Ziel nicht weiß ...
  Wie macht' ich mich von DEINEM Zauber los
  Wir fanden einen Pfad
  Überwinde!



  "Brüder!"

  Lied für ein neues Gesangbuch studierender Jugend
  "Brüder!"--Hört das Wort!
  Soll's ein Wort nur bleiben?
  Soll's nicht Früchte treiben
  fort und fort?

  Oft erscholl der Schwur!
  Ward auch oft gehalten--
  doch in engem, alten
  Sinne nur.

  O sein neuer Sinn!
  Lernt ihn doch erkennen!
  Laßt doch heiß ihn brennen
  durch euch hin!

  Allen Bruder sein!
  Allen helfen, dienen!
  Ist, seit ER erschienen,
  Ziel allein!

  Auch dem Bösewicht,
  der uns widerstrebet!
  Er auch ward gewebet
  einst aus Licht.

  "Liebt das Böse--gut!"
  lehren tiefe Seelen.
  Lernt am Hasse stählen--
  Liebesmut!

  "Brüder!"--Hört das Wort!
  Daß es Wahrheit werde--
  und dereinst die Erde
  Gottes Ort!



  An den andern

  Ich hatte mich im Hochgebirg verstiegen.
  Die Felsenwelt um mich, sie war wohl schön;
  doch konnt ich keinen Ausgang mir ersiegen,
  noch einen Aufgang nach den lichten Höhn;

  Da traf ich Dich, in ärgster Not: den Andern!
  Mit Dir vereint, gewann ich frischen Mut.
  Von neuem hob ich an, mit Dir, zu wandern,
  und siehe da: Das Schicksal war uns gut.

  Wir fanden einen Pfad, der klar und einsam
  empor sich zog, bis, wo ein Tempel stand.
  Der Steig war steil, doch wagten wir's gemeinsam ...
  Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand.

  Mag sein, wir stehn an unsres Lebens Ende
  noch unterm Ziel,--genug, der Weg ist klar!
  Daß wir uns trafen, war die große Wende,
  Aus zwei Verirrten ward ein wissend Paar.



  An eine Freundin

  Laß den Helden in deiner Seele nicht sterben!
  Welkst du hin wie die Blume, der Baum im Herbst,--
  höre nimmer doch auf, um den Kranz zu werben!

  Alle andern Kränze bleiben zurücke,
  schwinden hin wie die Glieder, die sie bedecken ...
  Dieser bleibt dir allein auf der großen Brücke--

  hält dir droben die Geisterstirn noch umschlossen:
  und dereinst, wenn du wieder hinabgestiegen,
  wirst du gehn, wie von heiligem Schein umflossen.



  (an einige)

  Ihr kennt den Trost, der enttrübt,
  die fern den Schranken:--
  Werden draußen Taten geübt,
  entsenden sie--Gedanken.



  (an manche)

  Ihr kennt es, das harte Leid,
  heißt es entsagen,
  mitzuwirken im Sturm der Zeit
  zu neuem Gottestagen.



  (an viele)

  Ihr kennt sie, die Leidenschaft,
  die uns verbindet:
  Helfen, helfen, mit einer Kraft,
  die alles überwindet.



  Bedenke, Freund, ...

  Bedenke, Freund, was wir zusammen sprachen.
  War's wert, daß wir den Bann des Schweigens brachen,
  um solche Nichtigkeiten auszutauschen?

  So schwätzen wohl zwei Vögel miteinander,
  derweil in unablässigem Gewander
  des Stromes strenge Wogen meerwärts rauschen.

  Erwacht in dir nicht ein Gefühl der Leere,
  erwägst du, wie so auftut Jahre, Jahre
  nichts als Geschwätz aus dir sich und dem andern,

  indessen nach der Gottheit Schoß und Meere
  der Geistesweisheit sternenspiegelklare
  Gewässer ruhlos und gewaltig wandern?



  Da nimm

  Da nimm.  Das laß ich dir zurück, oWelt ...
  Es stammt von dir.  Es sei von neuem dein.
  Da, wo ich jetzo will hinaus, hinein,
  bin ich nicht mehr auf dich gestellt.
  Da gilt der blasse Geist allein,
  den ich mir formte über dir
  ach, nur wie einen blassen Opferrauch,--
  da gilt nur noch der ach, so schwache Hauch,
  der von dem CHRISTUS lebt in mir.



  Das bloße Wollen ...

  Das bloße Wollen einer großen Güte
  ist ganz gewiß ein hohes Menschentrachten.
  Doch es erhebt sich erst zur vollen B1üte,

  wenn Gnaden eines seherisch Erwachten
  den Kosmos nachtentleitetem Gemüte
  als Geisterkunstwerk zum Bewußtsein brachten.

  Dann wächst aus Riesenschöpfungsüberblicken,
  aus Aufschau zu verborgnen Bildnersphären,
  aus Selbstmiteinbezug in deren Stufen--

  ein Mitgefühl mit dieser Welt Geschicken,
  das mehr als dunkle Herzenstriebe nähren,
  das höchste Götter mit ans Werk berufen.



  Das ist der Ast in deinem Holz

  Das ist der Ast in deinem Holz,
  an dem der Hobel hängt und hängt:
  dein Stolz,
  der immer wieder dich
  in seine steifen Stiefel zwängt.

  Du möchtest auf den F1ügelschuhn
  tiefinnerlichster Freiheit fliehn,
  doch ihn
  verdrießt so bitterlich
  kein ander unabhängig Tun.

  Er hält dich fest: da stehst du starr:
  dürrknisternd-widerspenstig Holz:
  ein Stolz-
  verstotzter Stock, ein sich
  selbst widriger Hanswurst und Narr.



  Der Engel ...

  "Wo bist du hin?  Noch eben warst du da--
  Was wandtest du dich wieder abwärts, wehe,
  nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,
  und warst mir jüngst doch noch so innig nah.

  "Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
  aus der die Schauer der Verwesung hauchen,
  ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,
  das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?

  "Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
  in eure fürchterlichen Daseinsstufen ...
  Doch ich bin's nicht.  Nur wie verworrnes Rufen
  erschreckt das Wort mich Eurer Zeitlichkeit.

  "Laß mich mein Haupt verhüllen, bis du neu
  mir wiederkehrst, so rein, wie ich dich liebe,
  von nichts erfüllt als süßem Geistestriebe
  und deinem Urbild wieder strahlend treu."



  Der Kranke

  Oft zu sterben wünscht ich mir ...
  Und wie dankbar bin ich doch,
  daß ich leb und leide noch
  im gesetzten Nun und Hier.

  Bleibt mir doch damit noch Zeit,
  abzubauen manch Gebrest,
  komm ich nimmer auch zum Rest,
  werd ich besser doch bereit.

  Wenn ich jetzt nichtwirken kann,
  helf ich also doch dem Mir,
  das dereinst nach Nun und Hier
  wirken wird im Dort und Dann.'



  Die Fußwaschung

  Ich danke dir, du stummer Stein,
  und neige mich zu dir hernieder:
  Ich schulde dir mein Pflanzensein.

  Ich danke euch, ihr Grund und Flor,
  und bücke mich zu euch hernieder:
  Ihr halft zum Tiere mir empor.

  Ich danke euch, Stein, Kraut und Tier,
  und beuge mich zu euch hernieder:
  Ihr halft mir alle drei zu Mir.

  Wir danken dir, du Menschenkind,
  und lassen fromm uns vor dir nieder:
  weil dadurch, daß du bist, wir sind.

  Es dankt aus aller Gottheit Ein-
  und aller Gottheit Vielfalt wieder.
  In Dank verschlingt sich alles Sein.



  Die Sonne will sich sieben Male spiegeln

  Die Sonne will sich sieben Male spiegeln,
  in allen unsern sieben Leibesgliedern:
  daß sie ihr siebenmal ihr Bild erwidern.

  Die Sonne will uns siebenmal entsiegeln.



  Die zur Wahrheit wandern

  Die zur Wahrheit wandern,
  wandern allein,
  keiner kann dem andern
  Wegbruder sein.

  Eine Spanne gehn wir,
  scheint es, im Chor ...
  bis zuletzt sich, sehn wir,
  jeder verlor.

  Selbst der Liebste ringet
  irgendwo fern;
  doch wer's ganz vollbringet,
  siegt sich zum Stern,

  schafft, sein selbst Durchchrister,
  Neugottesgrund--
  und ihn grüßt Geschwister
  Ewiger Bund.



  Du Weisheit meines höhern Ich

  Du Weisheit meines höhern Ich,
  die über mir den Fittich spreitet
  und mich vom Anfang her geleitet,
  wie es am besten war für mich,--

  Wenn Unmut oft mich anfocht: nun--
  Es war der Unmut eines Knaben!
  Des Mannes reife Blicke haben
  die Kraft, voll Dank auf Dir zu ruhn.



  Du hast die Hand schon am Portal

  Du hast die Hand schon am Portal
  und tastest nach der Klinke Hand
  (denn noch erhellt sie dir kein Strahl).

  Du wirst erst wach, wenn sie sie fand,
  sei's dieses, sei's das nächste Mal;--
  dann wirst du weiß stehn wie die Wand,

  davor du lange dumpf geirrt;
  und wie ein Leichnam hinfällt, wird
  dein Leib hinfallen in den Sand.



  Einen Freund über seinen Liebeskummer zu trösten

  Einen Freund über seinen Liebeskummer zu trösten
  Wir müssen immer wieder uns begegnen
  und immer wieder durch einander leiden,
  bis eines Tages wir das alles segnen.

  An diesem Tage wird das Leiden weichen,
  das Leiden wenigstens, das Blindheit zeugte,
  das uns wie blinden Wald im Sturme beugte.

  Dann werden wir in neues Ziel und Leben
  wie Flüsse in ein Meer zusammenfließen,
  und kein Getrenntsein wird uns mehr verdrießen.

  Dann endlich wird das, ...  suchet nicht das Ihre'
  Wahrheit geworden sein in unsern Seelen.
  Und wie an Kraft wird's uns an Glück nicht fehlen.



  Erblinden mag ich

  Erblinden mag ich, sprach ich kühn,--
  mir bleibt nichts Neues mehr zu schauen!  ...
  Da wandelt sich der Erde Grün
  zum odemraubend kühlen Grauen.

  Ein Schleier fällt auf die so recht
  geliebten Wesen und Gelände,
  und zu der--Geister Lichtgeschlecht
  erhebt--ein Blinder seine Hände ...



  Evolution

  Kaum daß sich, was sich einst von Dir getrennt,
  in seiner Sonderwesensart erkannt,
  begehrt zurück es in sein Element.

  Es fühlt sich selbst und doch zugleich verbannt
  und sehnt sich heim in seines Ursprungs Schoß ...
  Doch vor ihm steht noch ehern unverwandt

  Äonengroß sein menschheitliches Los!



  Faß es, was sich dir enthüllt!

  Faß es, was sich dir enthüllt!
  Ahne dich hinan zur Sonne!
  Ahne, welche Schöpfer-Wonne
  jedes Wesen dort erfüllt!

  Klimm empor dann dieser Geister
  Stufen bis zur höchsten Schar!
  Und dann endlich nimm Ihn wahr:
  Aller dieser Geister Meister!

  Und dann komm mit Ihm herab!
  Unter Menschen und Dämonen
  komm mit Ihm, den Leib bewohnen,
  den ein Mensch Ihm fromm ergab.

  Faßt ein Herz des Opfers Größe!
  Mißt ein Geist dies Opfer ganz!--
  Wie ein Gott des Himmels Glanz
  tauscht um Menschennot und--blöße!



  Geschöpf nicht mehr ...

  Geschöpf nicht mehr, Gebieter der Gedanken,
  des Willens Herr, nicht mehr in Willens Frone,
  der flutenden Empfindung Maß und Meister,

  zu tief um an Verneinung zu erkranken,
  zu frei, als daß Verstocktheit in ihm wohne:
  So bindet sich ein Mensch ans Reich der Geister:

  So findet er den Pfad zum Thron der Throne.



  Gib mir den Anblick deines Seins

  Gib mir den Anblick deines Seins, o Welt ...
  Den Sinnenschein laß langsam mich durchdringen ...

  So wie ein Haus sich nach und nach erhellt,
  bis es des Tages Strahlen ganz durchschwingen--
  und so wie wenn dies Haus dem Himmmelsglanz
  noch Dach und Wand zum Opfer könnte bringen--
  daß es zuletzt, von goldner Fülle ganz
  durchströmt, als wie ein Geisterbauwerk stände,
  gleich einer geistdurchleuchteten Monstranz:

  So möchte auch die Starrheit meiner Wände
  sich lösen, daß dein volles Sein in mein,
  mein volles Sein in dein Sein Einlaß fände--
  und so sich rein vereinte Sein mit Sein.



  Hymne

  Wie in lauter Helligkeit
  fließen wir nach allen Seiten ...
  Erdenbreiten, Erdenzeiten
  schwinden ewigkeitenweit ...

  Wie ein Atmen ganz im Licht
  ist es, wie ein schimmernd Schweben
  Himmels-Licht--in Deinem Leben
  lebten je wir, je wir--nicht?

  Konnten fern von Dir verziehen,
  flohen Dich, verbannt, verdammt
  Doch in Deine Harmonien
  kehren heim, die Dir entstammt.



  Ich bin aus Gott wie alles Sein geboren

  Ich bin aus Gott wie alles Sein geboren,
  ich geh im Gott mit allem Mein zu sterben,
  ich kehre heim, o Gott, als Dein zu leben.

  Erst wurde ich aus Deinem Ich gegeben,
  dann galt es dies Gegebne zu erwerben,
  Dir als ein Du es Brust an Brust zu heben.

  Da wollte Stolz es mittendrin verderben,
  und es ward Dir, und Du warst ihm verloren ...
  Bis daß Du übermächtig mich beschworen!

  Da ward ich Dir zum andernmal geboren:
  denn ich verstand zum erstenmal zu sterben,
  denn ich empfand zum erstenmal zu leben.



  Ich habe den MENSCHEN gesehn

  Ich habe den MENSCHEN gesehn in seiner tiefsten Gestalt,
  ich kenne die Welt bis auf den Grundgehalt.

  Ich weiß, daß Liebe, Liebe ihr tiefster Sinn,
  und daß ich da, um immer mehr zu lieben, bin.

  Ich breite die Arme aus, wie ER getan,
  ich möchte die ganze Welt, wie ER, umfahrn.



  Ich hebe Dir mein Herz empor

  Ich hebe Dir mein Herz empor
  als rechte Gralesschale,
  das all sein Blut im Durst verlor
  nach Deinem reinen Mahle,
  o CHRIST!

  O füll es neu bis an den Rand
  mit Deines Blutes Rosenbrand,
  daß: DEN fortan ich trage
  durch Erdennächt' und--tage,
  DU bist!



  Ich will aus allem nehmen

  Ich will aus allem nehmen, was mich nährt,
  was übereinstimmt mit mir längst Vertrautem;
  so wird mir manches stille Glück gewährt.

  In Eurer Weisheit fand ich manch geheime
  Bestätigung zu von mir selbst Geschautem
  und brachte sie zu meiner Art in Reime.

  Es gibt so vieles Schöne, Gute, Wahre;
  wie bin ich dankbar, daß ich Mensch sein darf
  und immer Neues solcher Art erfahre!'

  Erfahre denn noch dies dazu: entfernt
  bist du vom Ernst noch.  Dein Gewissen warf
  dir noch nicht vor, daß Weisheit sich nur--lernt.

  Mit solchem Blumenpflücken, Kränzchenwinden--
  was ist getan?  sieh dir ins Angesicht
  und prüfe, ach, solch allzu lau Empfinden.

  Du fühlst der Weisheit Weg noch nicht als--Pflicht.
  Und so: ob von G1ühwürmchen oder Sternen
  dir Licht zufließt--dir ist's das gleiche Licht.

  Dir sind die echten Tiefen, wahren Fernen
  noch stumm; sie, deren Siegel einzig bricht:
  ein tiefdemütig lebenlanges--Lernen.



  Im Baum, du liebes Vöglein dort

  Im Baum, du liebes Vöglein dort,
  was ist dein Lied, dein Lied im Grund?
  Dein kleines Lied ist Gotteswort,
  dein kleiner Kehlkopf Gottes Mund.

  'Ich singe' singt noch nicht aus dir,
  es tönt die ewige Schöpfermacht
  noch ungetrübt in reiner Pracht
  in dir, du kleine süße Zier.



  Leis auf zarten Füßen naht es

  Leis auf zarten Füßen naht es,
  vor dem Schlafen wie ein Fächeln:
  Horch, o Seele, meines Rates,
  laß dir Glück und Tröstung lächeln--:

  Die in Liebe dir verbunden,
  werden immer um dich bleiben,
  werden klein und große Runden
  treugesellt mit dir beschreiben.

  Und sie werden an dir bauen,
  unverwandt, wie du an ihnen,--
  und, erwacht zu Einem Schauen,
  werdet ihr wetteifernd dienen!



  Licht ist Liebe

  Licht ist Liebe ...Sonnen-Weben
  Liebes-Strahlung einer Welt
  schöpferischer Wesenheiten--

  die durch unerhörte Zeiten
  uns an ihrem Herzen hält,
  und die uns zuletzt gegeben

  ihren höchsten Geist in eines
  Menschen Hülle während dreier
  Jahre: da Er kam in Seines

  Vaters Erbteil--nun der Erde
  innerlichstes Himmelsfeuer:
  daß auch sie einst Sonne werde.



  Lucifer

  "Ich will mein Licht vor eurem Licht verschließen,
  ich will euch nicht, ihr sollt mich nicht genießen,
  bevor ich nicht ein Eigenlicht geworden.

  "So bring ich wohl das Böse zur Erscheinung,
  als Geist der Sonderheit und der Verneinung,
  doch neue Welt erschafft mein Geisterorden.

  "Aus Widerspruch zum unbeirrten Wesen,
  aus Irr-tum soll ein Götterstamm genesen,
  der sich aus sich--und nicht aus euch--entscheidet.

  "Der nicht von Anbeginn in Wahrheit wandelt,
  der sich die Wahrheit leidend erst erhandelt,
  der sich die Wahrheit handelnd erst erleidet."



  Mit-erwacht

  Dein Wunsch war immer--fliegen!
  Nun naht dir die Erfüllung.

  Du wirst den Raum besiegen,
  nach jener Weltenthüllung,
  die uns zu Freien machte
  vom Schlaf der blinden Runden.

  Nun hast du, Mit-Erwachte,
  dein Schwingenkleid gefunden!



  Mond am Mittag

  Der weiße blaue Raum
  im Mittagsonnenschein,
  getrübt von keinem Flaum ...
  Der weiße Mond allein

  geistert in hoher Ferne
  der Stern des Eloah,
  der sich vom Sonnensterne
  verbannte, um von da

  des Logos Licht zu strahlen,
  bis daß er selber kam
  und in den dunklen Talen
  auf ewig Wohnung nahm ...

  Der weite blaue Raum
  im Mittagsonnenschein,
  getrübt von keinem Flaum ...
  Der weiße Mond allein

  geistert in hoher Ferne ...



  Nach der Lektüre des Helsingforsers Cyclus 1912

  Zur Schönheit führt Dein Werk:
  denn Schönheit strömt
  zuletzt durch alle Offenbarung ein,
  die es uns gibt.  Aus Menschen-Schmerzlichkeiten
  hinauf zu immer höhern Harmonien
  entbindest Du das schwindelnde Gefühl,
  bis es vereint
  mit dem Zusammenklang
  unübersehbarer Verkünder GOTTES
  und SEINER nie gefassten Herrlichkeit
  mitschwingt im Liebeslicht
  der Seligkeit ...
  Aus Schönheit kommt,
  zur Schönheit führt
  Dein Werk.



  Nun wohne DU darin

  Nun wohne DU darin,
  in diesem leeren Hause,
  aus dem der Welt Gebrause
  herausfloh und dahin.

  Was ist nun noch mein Sinn,--
  als daß auf eine Pause
  ich einzig DEINE Klause,
  mein Grund und Ursprung bin!



  O Nacht ...

  O Nacht, du Sternenbronnen,
  ich bade Leib und Geist
  in deinen tausend Sonnen--

  O Nacht, die mich umfleußt
  mit Offenbarungswonnen,
  ergib mir, was du weißt!

  O Nacht, du tiefer Bronnen ...



  O gib mir Freuden

  O gib mir Freuden, nicht mit dem verstrickt,
  was ich als niedres Ich in mir empfinde,
  gib solche Freuden mir zum Angebinde
  wie Geist sie Geist, der Seele Seele schickt.

  O nicht mehr dieser schalen Freuden Pein,
  die doch erkauft nur sind von fremden--Leiden!
  Schenk Herzen mir, die sich für DICH entscheiden,
  so wird auch meines wahrhaft fröhlich sein.



  O ihr kleinmütig Volk

  O ihr kleinmütig Volk, die ihr vom Heute
  nicht loskommt, die ihr meint: so ist es, war es
  und wird es sein, so lange Menschen leben--.

  O würdet ihr doch andrer Hoffnung Beute
  und lerntet wieder schauen Offenbares
  und Hirn und Herz zu höchstem Ziel erheben!



  O wie gerne lern ich Milde

  O wie gerne lern ich Milde,
  liebes Herz, von deinem Munde,
  folge dir in stillem Bunde
  in geläuterte Gefilde!

  Und wir schaun zurück zusammen
  auf die Welt, samt ihrem Schelten,
  und anstatt sie zu verdammen,
  lassen wir sie gehn und gelten.



  Sieh nicht

  I

  Sieh nicht, was andre tun,
  der andern sind so viel,
  du kommst nur in ein Spiel,
  das nimmermehr wird ruhn.

  Geh einfach Gottes Pfad,
  laß nichts sonst Führer sein,
  so gehst du recht und grad,
  und gingst du ganz allein.


  II

  Verlange nichts von irgendwem,
  laß jedermann sein Wesen,
  du bist von irgendwelcher Fehm
  zum Richter nicht erlesen.

  Tu still dein Werk und gib der Welt
  allein von deinem Frieden,
  und hab dein Sach auf nichts gestellt
  und niemanden hienieden.



  Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau

  Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau, mein Licht!
  Stör' ihren zarten, zarten Schlummer nicht.

  Wie ist sie ferne jetzt.  Und doch so nah.
  Ein Flüstern--und sie wäre wieder da.

  Sei still, mein Herz, sei stiller noch, mein Mund,
  mit Engeln redet wohl ihr Geist zur Stund.



  Von zwei Rosen ...

  Von zwei Rosen
  duftet eine
  anders, als die
  andre Rose.

  Von zwei Engeln
  mag so einer
  anders, als der
  andre schön sein.

  So in unzähl-
  baren zarten
  Andersheiten
  mag der Himmel,

  mag des Vaters
  Göttersöhne-
  reich seraphisch
  abgestuft sein ...



  Was klagst du an

  Was klagst du an
  die böse Welt
  um das und dies?
  bist du ein Mann,
  der niemals Spelt
  ins Feuer blies?

  Hat Haß und Harm
  und Wahn und Sucht
  dich nie verführt,
  daß blind dein Arm
  der Flammen Flucht
  noch mehr geschürt?

  Was dünkst du dich
  des unteilhaft,
  was Weltbrand nährt!
  Zuerst zerbrich
  die Leidenschaft,
  die dich noch schwärt.

  In dich hinein
  nimm allen Zwist,
  der Welt sorg nit;
  je wie du rein
  von Schlacke bist,
  wird sie es mit.



  Wasserfall bei Nacht

  I

  Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe.
  Lautlos schlummern Menschen, Tiere.
  Nur des Gipfels Gletschertruhe
  schüttet talwärts ihre
  Wasser.

  Geisterstille, Geisterfülle,
  öffnet Eure Himmelsschranke!
  Bleibe schlafend, liebe Hülle,
  schwebt, Empfindung und Gedanke,
  aufwärts!

  Aufwärts in die Geisterhallen
  taste dich, mein höher Wesen!
  Laß des Lebens Schleier fallen,
  Koste, seingenesen,
  Freiheit!


  II

  Unablässig Sinken
  weißer Wogenwucht,
  laß mich, deine Bucht,
  dein Geheimnis trinken.

  Engel wölken leise
  aus der Wasser Schoß,
  lösen groß sich los
  nach Dämonenweise.

  Strahlen bis zum bleichen
  Mond der Häupter Firn ...
  Und auf Schläfer-Stirn
  malen sie das Zeichen ...

  Taufen gern Erhörten
  mit der Weisheit Tau.
  Und von ferner Schau
  dämmert dem Enttörten.



  Wer vom Ziel nicht weiß

  Wer vom Ziel nicht weiß,
  kann den Weg nicht haben,
  wird im selben Kreis
  all sein Leben traben;
  kommt am Ende hin,
  wo er hergerückt,
  hat der Menge Sinn
  nur noch mehr zerstückt.

  Wer vom Ziel nichts kennt,
  kann's doch heut erfahren;
  wenn es ihn nur brennt
  nach dem Göttlich-Wahren;
  wenn in Eitelkeit
  er nicht ganz versunken
  und vom Wein der Zeit
  nicht bis oben trunken.

  Denn zu fragen ist
  nach den stillen Dingen,
  und zu wagen ist,
  will man Licht erringen:
  wer nicht suchen kann,
  wie nur je ein Freier,
  bleibt im Trugesbann
  siebenfacher Schleier.



  Wie macht' ich mich von DEINEM Zauber los

  Wie macht' ich mich von DEINEM Zauber los
  und tauchte wieder nieder in die Tiefe
  und stiege wieder in des Dunkels Schoß,
  wenn nicht auch dort DEIN selbes Wesen riefe,
  an dessen Geisterlicht ich hier mein Sein,
  als wie der Schmetterling am Licht, erlabe,
  doch ohne daß mir die vollkommne Gabe
  zum Untergang wird und zur Todespein.

  Wie könnte ich von solcher Stätte scheiden,
  wo jeder letzte Glückestraum erfüllt,
  verharrte nicht ein ungeheures Leiden,
  sogar von diesem Himmel nur--verhüllt.
  Und da mir dessen Stachel ist geblieben,
  wie könnt' ich nun, als brennend von DIR gehn,
  um DICH in jener Welt noch mehr zu lieben,
  in der sie DICH, als Sonne, noch nicht sehn.

  Von Liebe so von DIR hinabgezwungen
  vom Himmel auf die Erde, weiß ich doch:
  nur immer wieder von DIR selbst durchdrungen,
  ertrag' ich freudig solcher Sendung Joch.
  DU mußtest DICH als Quell mir offenbaren,
  der unaufhörlich rnir Erneuung bringt.
  Nun kann ich auch gleich DIR zur Hölle fahren,
  da mich DEIN Himmel ewiglich verjüngt.



  Wir fanden einen Pfad

  So wie ein Mensch, am trüben Tag, der Sonne vergisst,--
  sie aber strahlt und leuchtet unaufhörlich,--
  so mag man Dein an trübem Tag vergessen,
  um wiederum und immer wiederum
  erschüttert, ja geblendet zu empfinden,
  wie unerschöpflich fort und fort und fort
  Dein Sonnengeist uns dunklen Wandrern strahlt.



  Überwinde!

  Überwinde!  Jede Stunde,
  die du siegreich überwindest,
  sei getrost, daß du im Pfunde
  deines neuen Lebens findest.

  Jede Schmach und jede Schande,
  jeder Schmerz und jedes Leiden
  wird bei richtigem Verstande
  deinen Aufstieg mehr entscheiden.

  Ohne Erbschuld wirst du funkeln,
  abermals vor Enkeln rege,
  ungezähltem Volk im Dunkeln
  weist ein Sieger Sonnenwege.


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Christian Morgenstern.





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