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Title: Zarastro - Westliche Tage
Author: Kolb, Annette
Language: German
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                               ZARASTRO


                            Westliche Tage
                                 von
                             Annette Kolb



                                1921
                     S. Fischer / Verlag / Berlin



                           1.--5. Auflage.
       Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.
             Copyright 1920 by S. Fischer Verlag, Berlin.



Zarastro


Dieses Buch, das auf Grund täglicher Aufzeichnungen entstand, enthält
Enttäuschungen als sein Wesen. Es ist ein Tagebuch der Enttäuschungen, ich
verhehle es nicht. Gerade sie sind das einzig wertvolle daran. Denn an
allen Erlebnissen während dieser Jahre, an allen Szenen, allen Ereignissen,
allen Episoden hat sich die Beobachtung ergeben, daß im wachsenden Umfang
die besten Hoffnungen, die reinsten Zugehörigkeiten ihre dramatische
Zerstörung nach sich zogen. Zu sehen, wie sie immer sehr buchstäblich
zuschanden kommen mußten, versetzte mich erst in eine dumpfe,
herabgestimmte Unruhe, und nur allmählich entdeckte ich, daß sich in allem
die kleine wie die große Höllenmaschine menschlicher Niedrigkeit gleichsam
eingebaut hielt, überall, auf dieselbe Weise und mit derselben Wirkung jede
edle, jede vernünftige Absicht, jede Harmonie im Keim vernichtete. Diese
Gefolgschaft, dies enge Schritthalten der Bösen -- jeder Zufälligkeit bar
-- zeigt sich vom Anekdotischen bis zur Entladung so konform, daß es die
Schicksale des einzelnen zur genauesten Replik der Weltschicksale prägt.



Erster Teil.


Am 1. Februar 1917 kam ich gegen Abend definitiv nach Bern. Im Zug -- am
Fenster -- schlief ich zwischen Zürich und Baden auf einige Sekunden ein.
Dabei rückten sich Bilder aus meiner Wohnung, aber um ein Drittel
vergrößert -- die sich also selbst vergrößert hatten --, selbst an einer
Wand zurecht. --

Trotz dieser so unvermittelt aufblitzenden Vision wurde die Mutlosigkeit,
gegen die ich anzukämpfen hatte, immer drückender, und geradezu trostlos
gestaltete sich meine Einfahrt in die Bahnhofhalle. Es goß so recht von
innen heraus, wie nur der Berner Himmel zu gießen versteht. So begibt man
sich wohl ins Gefängnis, wie ich in das Haus, um dessen anheimelnder alten
Stiege willen ich im zweiten Stock zwei kleine Zimmer mit einem Alkoven
gemietet hatte. Übrigens waren sie noch nicht frei, und indessen wurde mir
ein großes niedriges angewiesen, das sofort meine Abneigung erregte: bis
auf einen gewaltigen Tisch von wahrhaft tröstlichem Umfang. Er stand mitten
in der Stube, ganz auf sich beruhend:

Sieh mein geräumiges Rund, und wie gefällig es ist! Sahst du ein weiteres
je?

Bürde nur füglich mir auf, was immer du willst. Ich schaffe noch Platz dir.
Na also!

So redete er, halb in Hexametern, halb wie eine alte Kindsfrau zu mir, war
immer optimistisch und richtete mich auf.

Das Münster aber, das so gut anhebt und so schlecht verläuft, beschattet
und beherrscht den Platz, und die Aussicht hart vor meinen Fenstern ist
durch ihn versperrt. Auch mein Herz schlägt hinter Riegeln. Ich bin nicht
mit den Illusionen hergekommen wie das erstemal.

                   *       *       *       *       *

4. FEBRUAR. Kalte regnerische Tage, unfroh wie die Stunde meiner Ankunft,
welche Telramunds, als sei dies unvermeidlich, zuerst erfuhren. Die Lauben
sind, wie es scheint, ihr Jagdrevier, denn kaum trete ich vors Haus, so
schießen sie mir schon wie auf Rollschuhen der Neugierde entgegen, jedesmal
mit einer Einladung zum Tee. Ich bin entschlossen, ihr nicht zu folgen,
denn sie ist natürlich nur verhörsweise gedacht. Fortunio rät von einer so
schroffen Haltung ab. Wir diskutieren hin und her, und ich lasse mich
leider überreden.

6. FEBRUAR. Tee bei Telramunds. Ich trage meinen teuren Pelz, denn es ist
kalt, dazu aber ausgebesserte Schuhe, weil es regnet. Der Empfang ist
übrigens von so glänzend imitierter Herzlichkeit, daß er mich fürs erste
ganz beschämt. Wie unverkennbar ist doch im Grunde Telramunds Zuneigung für
mich! Er erörtert meinen Roman in den höchsten Tönen, und wie freut sich
Ortrud, mich zu sehen! Wie ungerechtfertigt ist der Name, den ich ihnen
gebe! Wie funkeln Teekanne, Dose und réchaud! Wir sitzen ein wenig
merkwürdig zusammen, es ist wahr! unsere sechs Knie eng aneinander gerückt:
die meinen in der Mitte, wie die eines Delinquenten, von den beiden andern
flankiert. Doch ist das nur zufällig vielleicht.

Wenn aber drei Leute sich äußerlich in so enger Gemeinschaft befinden, und
zwei von ihnen werfen sich Blicke zu, so wird es der Dritte bemerken, auch
ohne es zu wollen und ohne hinzusehen. Ortrud guckte wertschätzend von
meinem Mantel herab auf mein Schuhwerk. Der Pelz einerseits und die
Reparatur anderseits gaben zu denken. Wie aber konnten sich die beiden so
vergessen, daß sie plötzlich anfingen, wie mit Fliegenklappen nach mir
auszuholen und sich hochbefriedigt ansahen, wenn sie glaubten, mich ertappt
zu haben?

Zwar lag es auf der Hand, daß ein so leicht zu überführendes Geschöpf
unmöglich zugleich jene raffinierte Person sein konnte, für welche ich
wußte, daß sie mich hielten. Aber wie resolut Leute von schlechten
Instinkten jegliche hemmende Logik von sich weisen, wußte ich auch. Von
neuem auf der Hut, beantwortete ich jede Frage mit einem Kunstbogen; als
jedoch der Name Elisabeth Rotten fiel, hielt ich krampfhaft an diesem Thema
fest. Telramund konnte ihren politischen Scharfsinn nicht genug loben
(später stritt er ihn ihr öffentlich ab). So erzählte ich denn von ihrer
schwer angegriffenen Gesundheit und ihrem Wunsch nach einer Erholungsreise.
Diese aber sei nur durch List und Tücke zu erreichen. Es müßte also, meinte
ich, mehr mitteilsam wie raffiniert, unter Vorspiegelung eines Vortrags,
welchen sie dann natürlich nicht halten würde, ein Paß für sie erschlichen
werden.

Die Idee wurde stillschweigend zur Kenntnis genommen. Blicke flogen . . .
und es war unverkennbar, daß etwas nicht stimmte.

Bin ich nach Bern gekommen, dachte ich auf dem Rückweg, um mit Leuten zu
verkehren, die ich zu Hause nie ertragen hätte?

Das Wetter hatte sich auf einige Stunden aufgehellt, und über der Brücke
von Kirchenfeld flammten plötzlich die Alpen auf. Blaß und verheißungsvoll
leuchtete die losgelöste Jungfrau über das Gewölk, das sich in schwarzen
Massen zu Tale schob. Wie ganz und gar nicht existierend, dachte ich da,
ist doch letzten Endes das Gemeine! Nur unser träges und verwischtes Sehen
leiht ihm den Schein von Wesenheit, und Leuten wie Telramunds das Gesicht.
Und zwei verschwisterte Seelen hatten da einen Bund geschlossen, wie die
Hölle ihn liebt. Dabei war Telramund Berliner und Ortrud, wie zum
Schulexempel, eine Französin aus der Provinz. Ach! Welch ein Schabernack
wird doch über alle Grenzen hin mit unseren Gesetzen getrieben! Keine Feder
wiegen sie auf gegen die Schleuderwaffen, über welche schlaue Unvernunft
gebietet. Wohl haben wir gelernt, Weingärten und Äcker zu bestellen,
veredelt hängen uns die Früchte von den Bäumen hernieder, und wie
umsichtig, wie bewundernswert ist der Mensch angesichts seiner Felder! Nur
vor sich selbst ist er stehengeblieben. Da jätet er nicht. Da steht überall
goldener Weizen, von wild um sich greifendem, allgewaltigem Unkraut
erstickt. Gegen die Natur, die Elemente, die Erde, ja die Luft selber
schritten wir ein, nur vor uns selbst sinken uns die Arme, und wir lassen
geschehen. Dies ist die bisherige Logik der Welt, der Nationen. Nicht
einmal bis zu unseren Verbrecherstatistiken besannen wir uns -- wie hätten
wir da bis zu den Tabellen unserer verkleideten und ganz undrastischen
Übeltätern gedacht? --

                   *       *       *       *       *

Allseitige Verstimmung. Mein Wunsch, Fräulein Rottens Wunsch zu erfüllen,
hat schwärzesten Verdacht erregt. Ich kannte die in Bern geschaffene
Atmosphäre noch zu wenig, um zu verstehen. Warum in aller Welt, beschwert
sich Fortunio bei mir, mischte ich mich da hinein! Welches Interesse hatte
ich an dieser Reise?

Und diese Idee eines Vortrags! (Sogar er, es war unverkennbar, hat Argwohn
geschöpft!)

Nur ein Vorwand natürlich! ich sagte es ja Telramund.

Fortunio zuckte die Achseln: er hat es Ihnen natürlich nicht geglaubt.

Die beiden werden uns noch sprengen!, brach ich aus, alle unsere
Anstrengungen hintertreiben und uns alle zu Grabe tragen.

Mit Martin im Walde hatte ich ja meine Not. Die Verdächtigungen auf ihn
regneten ohne Unterlaß. Schon während jenes Diners, welches Aramis bei
meiner ersten Berner Ankunft gab, hatte ihn Telramund als einen Agenten mit
doppeltem Schubfach bezeichnet, und Ortrud pfiff förmlich vor Hohn wie eine
Maus. Daß ich widersprach, fiel nur auf mich zurück. Für einen ehemaligen
Kruppdirektor also machte ich Reklame! Sprach dies nicht Bände? Daß er
tatsächlich seine Stellung seinen Überzeugungen geopfert hatte, war ein
Beweis mehr für seine Verschlagenheit. Den Bruder kannte er. »Den Bruder
kenne ich!« war sein Refrain.

                   *       *       *       *       *

9. FEBRUAR. Ich miete einen Flügel: ohne Schmelz, ohne Tiefe, es ist wahr,
und doch edel, weil immerhin ein Flügel. Gott sei Dank! Flügel sind jetzt
sehr schwer zu kriegen! Ich bin einen ganzen halben Tag glücklich. Welches
Glück! -- es ist ein Glück, das ich der Protektion eines jungen Berner
Pianisten verdanke. Wir hatten ein Zusammentreffen verabredet, um in die
Fabrik zu fahren. In den Lauben kam Ortrud auf mich zu und äußerte den
Wunsch, mich zu besuchen, und da ich ungeheuer eilig tat, begleitete sie
mich, um zu sehen, ob es wirklich der junge Pianist war, der mich erwartet.
Da er es wirklich war, denke ich mir, sie beruhigt sich jetzt.

10. FEBRUAR. Telramund erzählt mit vielsagender Miene, daß ich einen Flügel
gemietet habe. Kein Zweifel mehr: ich bin eine Spionin.

11. FEBRUAR. Aramis gibt mir zu wissen, daß er sich wundere, weil ich ihm
noch kein Lebenszeichen gebe. Ich unterließ es nur, denn er ist mir
sympathisch, weil mir versichert wurde, daß er mir nicht mehr traue.

Es sei kein Grund, sagt mir Fortunio, ihn zu schneiden. Seufzend (da er mir
ja mißtraut!) rufe ich ihn ans Telephon, und vor seiner Sprache, ach! wird
mein zerrissenes Herz sofort wie eine Geige, in welche diese Sprache (auch
die meine, ach!) hineingreift wie ein Bogen.

13. FEBRUAR. Gestern abend war ich bei Fortunio, und Martin im Walde fand
sich zum ersten Male bei ihm ein. Vor dem Kriege hätte ich sie nicht
einander zugeführt: Fortunio so musisch und sternengebannt, aber auch
stemschnuppenhaft, Martin im Walde so schwerblütig, so problematisch und so
vorbedacht! Heute aber muß alles zusammenstehen, was aufrecht blieb. Wie
errichten wir sonst jene Dämme gegen die blinde Gewalt, den Schutzmauern
vergleichbar, die sich so wacker gegen die Bergwände stemmen, um zur Zeit
der Schmelze die Lawinen aufzuhalten? Auch unserem Planeten stand der
Frühling nahe bevor, als die Lawine sich entlud, die allen Schutt nach oben
warf und eine grünende Welt und alle Glocken der Vernunft mit ihren toten
Blöcken und ihrem schmutzigen Geröll brüllend und dröhnend überzog. Jene
Mauern, Lawinenschutz genannt, sind natürlich nur roh aufeinander
geschichtete, jedoch wetterfeste Steine, die nichts anderes zum Ausdruck
bringen, als die Not des Augenblicks, dem sie entstanden sind. So scheint
mir heute, wo es den Kampf des menschlichen gegen das unmenschliche gilt,
das wichtige nicht, glattes einzufügen, nicht einmal der inneren
Gemeinsamkeit den Ausschlag zu lassen, sondern die Widerstandskraft und das
Gewicht der Dinge zu bedenken.

Doch ach! Der als Schachfigur so schwer festzulegende Fortunio war heute
auf meine Opportunismen nicht gestimmt, sondern wie zum Trotz in einer ganz
herausfordernden, ganz interpellierenden, ganz konträren, um ihre eigene
Wirkung ganz unbekümmerten Laune. Zu machen war da gar nichts. Im stillen
nur nahm ich mir vor, auf dem Heimweg Fortunios Wesensart, welche Martin im
Walde nicht geläufig war, so beweglich wie möglich zu schildern. Aber nicht
einmal diese nachträgliche Intervention sollte mir gelingen. Denn als ich
auf der Stiege in die Taschen meines Mantels griff, war mein Hausschlüssel
nicht darin, die Nacht aber viel zu weit vorgeschritten, um meine Pension
durch Glockenreißen zu alarmieren. Die übermüdete Fortunia, über die Rampe
gebeugt, rief mich wieder zurück. Neben dem großen Empfangsraum lag ein
schmales Zimmer. Ich bezog es ohne viel Worte und warf mich mit meinen
Kleidern auf den breiten Diwan, der dort stand, ganz erledigt für den Rest
der Nacht. Immer verschärfter schwebte mir die Bilanz des mißratenen Abends
vor und regte mich auf. Wie ungut ließ sich doch alles an!

Eine tiefe Stille lag jetzt über dem ganzen Hause, den Wänden, den Fenstern
und der Luft, als ob sie ein Signal erwarteten. Denn nebenan war plötzlich
ein anderes Leben erwacht, eine andere Unruhe, als die des Tages, ein
Rücken, Geknister, ein Gewisper, Disput und Ungeduld. -- -- Zwar ist dem
Herzen kein Organ verliehen, das unsichtbare zu sehen, aber so mancher
kennt gewiß jenes aussetzen seines Schlages, bevor es tiefer zu horchen
beginnt . . . Es fiel mir ein, daß die ganze Häuserreihe dieser alten Gasse
für mehr oder minder spukhaft galt; doch ein so wenig grauenhafter,
höchstens malitiöser, nicht einmal boshafter Spuk war mir noch nicht
begegnet. Neugierde trieb mich endlich hin zur Türe, hinter der er sich
begab. Aber jenseits derselben hatte augenblicklich -- als sei nie Lärm
gewesen -- Totenstille eingesetzt, und die Klinke, von Tücke besessen,
widerstand allem drücken, drehen und schieben. Mit schmerzenden Händen ließ
ich sie los und kehrte auf meinen Diwan zurück. Alsbald war Geknister und
Getusche, rücken und huschen, Unruhe, Aufregung, heiseres Eifern und
Streiterei im verstärkten Grade wieder da. Offenbar wollte die Gesellschaft
von mir nichts wissen und boykottierte mich. Wie aber kam es, daß ich
plötzlich wie unter freiem Himmel lag und den Arm aufstützte, als schirmten
mich die Zweige eines Baumes, und als horchte ich statt zur Seite hin, tief
unter die Erde hinab? Was immer mir jetzt in den Sinn kam, bot sich wie
eine Zwiesprache dar. Dem Nixenbegriff lag wohl eine tiefe Erkenntnis
zugrunde. Wie diesseits des Menschengeschlechtes, so sind aber auch
jenseits desselben Geschöpfe Gottes denkbar, die an der entgegengesetzten
Peripherie des Lebens beschattet stehen und hinausgerückt; und winzige,
kaum bemerkbare Dinge könnten es sein, die ihnen ein leises Grauen vor
ihrem eigenen Wesen entgegenhauchen: ihr unakkurater Sinn für
Wirklichkeiten, ihr vorwegnehmen des Zieles über Hindernisse hinweg, ist
wie ein gestörter Sehwinkel oder wie ein verkürzter Fuß, den solche
Menschen durchs Leben ziehen, und sie erschauern, verzagen und vereinsamen
bis ins Mark, wenn sie daran erinnert werden. Über die fernest abliegenden
Dinge dachte ich hin und her. Aber warum in aller Welt überkam mich ein
Heimweh nach dieser verschlossenen Tür, und um was für Dinge war mir denn
leid? Du lieber Gott, wollte ich denn von allem haben!

Der ganze tumultarische Betrieb setzte übrigens mit einer spurlosen
Plötzlichkeit aus, als hätte er nie geherrscht. Nur eins war deutlich:
durch die Türe verzog er sich nicht. Es kam etwas anderes: aus dem unteren,
nachts unbewohnten Stockwerk drangen sanfte Trommelwirbel, oh, so deutlich
zu mir, und dann ertönten gedämpft, aber klangvoll, tamponierte Posaunen.
Und dann kam das huschen und fegen eines Kleides, das schleifen einer
Schleppe, ja! im Takt dieser erstickten Musik. Ich horchte mit allen
Fasern. So fein, so spöttisch, so leicht! oh! in der Tat geistreich war der
Rhythmus dieses pas-de-deux, waren die Füße, die Grazie, die
Unkörperlichkeit dieses balancierenden Körpers im Klang der wonnig
umhüllten Posaunchen. Tod und Leben in lächelnder Umarmung -- Leben noch im
Tode? Liebe selbst bei ihm? -- Was verfing sich da eine Uhr, mit vier
groben Schlägen in den Zauber hineinzufahren? Nichts rührte sich mehr. Im
Augenblicke alles längst verflogen und verweht -- welchem Sterne, welcher
Nacht entgegen?

Nunmehr versank die Dunkelheit in ihrer eigenen Stille, und der Schlaf
atmete mir jetzt -- als käme er von außen -- seltsam genug! -- mit weiten
Flügeln entgegen. Ich fühlte noch den Wunsch, mich ihm ganz zu überlassen,
aber daß er mich dahintrug, schon nicht mehr. Gespannten, wachen Sinnes
stand ich in der Mitte eines Saales -- nicht wissend, daß ich schlief. Die
Wände lagen im Zwielicht, und ein paar Leute saßen dort als Zuschauer
herum. Ich fragte mich, was es zu sehen gab und merkte dann erst, daß ich
es war, welche nun tanzte. Die Rhythmen nämlich, nach welchen ich mich
drehte, »geschahen«, ohne zu verlauten, als stünden hier die Gesetze am
Anfang aller Musik, noch ehe, oder ohne daß sie sich vertonten. Dabei
geboten sie mit so wunderbarer und zwingender Macht, daß es unmöglich war,
ihnen nicht zu folgen, und unwiderstehlich kreiste ich dahin. Mit einem
Male hörte ich Fortunios Stimme von der Wand herüber auf französisch sagen:
»Comme elle danse bien«! aber sehen konnte man ihn nicht, denn der Saal war
nur in der Mitte hell. »Pourquoi dites-vous que je danse bien«? rief ich
tanzend zurück. Und tanzte dahin, denn es gab nichts anderes mehr. Nur den
Tanz. Ganz allein nur ihn; ohne innehalten, ohne Unterlaß, den Tanz allein
in diesem Raume, der aufgehört hatte, ein Saal zu sein, denn seine Wände
traten ins Endlose zurück. Nur allmählich merkte ich, daß sich jemand zu
mir gesellt hatte und mich hielt und mit mir tanzte. Es kümmerte mich
nicht. Die Erfüllung war zu tief, meine Augendeckel zu schwer, sie
aufzuschlagen die Mühe zu groß! In den Rhythmen lag alle Wonne. Und sie
gebaren ohne Übergang eine neue Phase, denn halb abwesend, halb aufmerksam
sah ich nun doch meinem Tänzer groß ins Gesicht: matt von Farbe, mit
schwarzem, glattanliegendem Haar war er mir gänzlich unbekannt und zugleich
vollkommen vertraut; der sehr edle Umriß von Kopf und Schultern so
geschlossen, daß er fast ausschloß, was er nicht selber war, fast negierte,
was er nicht kannte. Was dünkte mir daran so fremd und so verwandt
zugleich? Die Melodie einer Rasse, der ich entstammte, und doch nicht mehr
die meine? von ihr hinausgerückt? verabschiedet von ihr? wiederum der
Boykott? Gleichviel! wir tanzten. Eines Schrittes! Diese Zeitmaße kannten
keine Zeit. So mögen Sterne kreisen. Aber auch was ich dachte, war nicht
mehr aus seiner Bahn zu drängen: aus reinstem Lateinertum setzten sich die
Elemente dieses Tänzers zusammen. Nicht das Gesicht eines bestimmten
Menschen sah mich da an. Nicht dieses oder jenes -- was dann? Das Sinnbild
einer Rasse war zu mir hingetreten und tanzte mit mir. Jetzt wußte ich's!
-- Aber die Entdeckung sprengte die Fesseln des Traumes: Ich lag auf dem
Diwan gerade ausgestreckt, vor mir das Fenster, in dessen Scheiben sich von
der Straße herauf der Reflex einer Laterne fing. Aber gleich darauf stand
ich auf den Füßen. Noch nie so hoch aufgerichtet gewiß! Die Türklinke
drehte sich lautlos und glatt, wie geölt. Aber die Kälte der Frühluft nach
der Hitze der Nacht hatte vielleicht die Wandlung besorgt. Ich schlich
durch den Gang, die Stiege hinab und ließ mich zum Tore hinaus. Ins Freie!
Hinter den Scheiben leuchtete hie und da schon ein Licht aus den Lauben
hervor. Im Hause, in dem ich wohnte, war eine Bäckerei. Unbemerkt kam ich
in mein Zimmer. Es tagte noch nicht. Nach oben unkenntlich stand das
Münster vor meinen Fenstern aufgerichtet, viel schöner und gewaltiger so,
als mit dem übel verlaufenden Turm. Wie schien aber dies alles eine
Wirklichkeit zweiten Ranges, sozusagen, wenn ich sie mit jener verglich,
die mich in dieser Nacht umgab. Ich wußte zur Stunde mit der letzten
Sicherheit, daß mein Traum sich erfüllen würde. Die beiden Rassen, die
heute zu vereinigen solches Elend, solche Zerrissenheit bedeutet, werden
eines Tages, allen Höllenhunden zum Trotz, das Glück der Welt durch ihren
Bund begründen. Ach! Danach darf man nicht fragen, ob man selbst längst ein
Schatten sein wird, wenn diese Dinge sich ereignen. Nur Mut, mein Herz!
rief ich mir an diesem Morgen öfters zu, denn mit seinem fahlen Licht
wuchsen die üblichen Ernüchterungen an.

Gegen Mittag kaufte ich Blumen und wählte Kuchen mit Bedacht, denn um vier
erwartete ich Monsieur Aramis zum Tee. Nicht ohne Bangigkeit. Seinen ersten
günstigen Eindruck hatte ihm ja Telramund gründlich auszureden verstanden.
Als er in meine niedere Stube trat und mir die Hand entgegenstreckte und
mich ansah, wurde es mir wieder fühlbar. Das Echo der Worte: »Sie lügt! sie
lügt!«, die er von jener Seite unausgesetzt vernahm, war zu eindringlich,
um mir zu entgehen.

Daß die unteren Zimmer nun endlich frei werden und mein Flügel sogar schon
unten steht, interessiert ihn gar nicht; wen ich in Deutschland gesehen
habe, um so mehr. Die Grenze hatte ich gerade am Vorabend des Tages
überschritten, an welchem der verschärfte Unterseebootkrieg verkündet
wurde; als diese Nachricht alle Anschlagmauern verfinsterte, wäre ich am
liebsten umgekehrt, denn jetzt lag doch alles in Scherben.

»Une bêtise capitale,« sagte er, »et qui fait bien notre affaire.« Nichts
mehr von Klavier! Ich möchte mich gar nicht mehr mit Politik befassen, sage
ich, und lese: »Sie lügt! sie lügt!« in seinen Augen. Er blieb lange,
sprach jedoch nur wenig und hörte zu. Ich dagegen redete die ganze Zeit,
hemmungslos und aufs Geratewohl. Es überzeugte ihn auch dieses keineswegs.
Sie lügt! sie lügt! blieb das Echo, das zwischen dem Vertrauen, welches er
instinktiv zu mir gefaßt hatte, und den Dingen hallte, die er über mich
hört. Kaum ist er gegangen, so erscheint Fortunio auf dem Plan, gespannt zu
hören, wie der Besuch verlief. Ich komme ihm jedoch zuvor: Wenn Aramis mir
mißtraut, so mißtraue ich seiner Menschenkenntnis. Es ist zu leicht, mich
zu durchschauen, als daß es erlaubt sein dürfte, mich zu verkennen. Ich bin
so eindeutig wie ein Pferd. Seine Gangart ist unmißverständlich genug!

»Sie sind aber kein Pferd,« sagte Fortunio, »und gerade Ihre Eindeutigkeit
ist mit Ihrer sonstigen Art nicht so ohne weiteres in Einklang zu bringen.«

Daß er dabei eine so bedenkliche Miene beibehielt, riß an meinen ohnedies
zerzupften Nerven. Er erinnerte mich allzusehr an einen Schreibtisch, der,
mit großen und kleinen, inneren und äußeren, ja sogar mit geheimen
Schubfächern ausgestattet, für mich aber nur eine einzige Lade offen hielt.
Ich fühlte mich plötzlich tödlich gekränkt. Und womit hält er heute zurück?
Auch er, auch er! sage ich mir.

»Ihr Roman kursiert jetzt in Bern«, geruhte er mitzuteilen.

»Um so besser. Zeit wär's, daß hier das rechte Licht über mich aufgeht.«

»Leider nein«, sagte Fortunio. »Das Buch schadet Ihnen.«

»Schadet mir!?«

»Ich hätte es auch nicht gedacht. Aber die große Zielbewußtheit, welche Sie
Ihrer Heldin einverleiben . . .«

»Aber gerade die Natur dieser Zielbewußtheit . . .« unterbrach ich ihn.

»Gewiß, man sollte glauben . . .«

»Hören Sie, das ist nicht möglich!« Und in höchster Ungeduld riß ich an
allen Schubladen zugleich.

»Ich selbst«, machte nun Fortunio mich vertraut, »habe die Leute auf das
Buch hingewiesen. Ich glaubte, Ihnen nicht besser dienen zu können.«

»Es ist nicht möglich, daß Aramis sich verdreht dazu stellt«, rief ich
wieder. »Es kann nicht sein!«

Fortunio zuckte die Achseln.

»Aber sogar Telramund, dieser Gräuel, lobte es über den Klee.«

Er schwieg. Es entstand eine Pause.

»Das ist furchtbar«, sagte ich. »Es geht also um ein Duell zwischen mir und
diesen Leuten.«

»Sie sind so ungeduldig! Die Dinge wollen ihre Zeit. Letzten Endes ist es
immer die gute Gesinnung, welche triumphiert.«

»Oh! letzten Endes«, wehrte ich ab. »Daß meine Grabrede besser ausfallen
wird, glaube ich ohne weiteres. Mais d'ici là . . .«

Fortunio wollte mich überreden, mit ihm auszugehen, doch ich blieb zurück.
Was ich ihm dabei nicht verriet, war meine Absicht, im Laufe des Abends
nach Martin im Walde zu sehen; denn mir lag das gestrige Zusammensein, dem
Fortunio keinen Gedanken mehr schenkte, schwer im Gedächtnis.

Fürs erste war meine Niedergeschlagenheit zu groß, um nicht allein mit ihr
zu bleiben.

Die Tatsache, daß in Ermangelung anderen Beweismaterials nun gar mein Roman
als Belastung herhalten sollte, war insofern der comble, als sich ja dann,
auf diesem kürzesten Wege, so ziemlich alles auf den Kopf stellen ließ.
Gegen solche Waffen war jedenfalls nicht aufzukommen. Sie waren zu alt
erprobt. Ich hatte zuviel erfahren. Ich wußte zu viel.

Oh Fortunio! es ist dir nicht bekannt, warum ich lebe. Wie ein nach Süden
schauendes Ufer fängst du die Sonne auf; wie eine nach Norden aufgerichtete
Mauer stehe ich zu ihr.

»Von allen Menschen weg«, dachte ich da, »und zur Sonne hin!« Angebetete
Sonne! Ohne dich zu sein! Beseelt, doch unbeseligt steht mein Haus. Wo du
undeutlich werden und verflimmern läßt, wo du begünstigest, ja, wo du
lügst, hast du doch immer recht, und nichts bestünde vor deiner Glorie.

Es hatte längst durch alle Stockwerke gegongt, doch ich blieb wie ein
Wetterwinkel am Fenster haften, jenen Bergkuppen vergleichbar am Rande des
Tals, die alle Wolken an sich ziehen; so schien auch ich alle Düsterkeiten
heranzulocken. Und es gab dann nur zwei Möglichkeiten, um dagegen
aufzukommen: entweder die Arbeit, die auch wirklich die Atmosphäre läutert,
oder der Umgang mit Menschen: ein Notbehelf nur, welcher zwar, wie der im
Unwetter aufgespannte Schirm die ärgsten Güsse von uns abhält, an der
Witterung aber nicht das geringste ändert.

Augenblicklich war mir jedoch der Mut so gänzlich ausgepustet, daß ich mich
plötzlich im Sturmschritt zu Martin im Walde aufmachte, sehr in Sorge
sogar, ihn zu verfehlen. Ja, die Sorge steigerte sich zur Angst, so
windschief stand es um mich. Aber die Herrschaften ließen, Gott sei's
gelobt und gedankt, bitten, und ich jagte die Treppe zu ihnen hinauf. Die
Stimmung, welche dort betreffs der gestrigen Fete herrschte, war natürlich
schlecht. Mit sehr unerwarteter Schauspielkunst gab Martin im Walde alle
Figuranten des Abends in einer Person zum besten, wobei er die ihm
zugewiesene Rolle gar grimmig unterstrich. Ich lachte fürs erste aus vollem
Halse, wenn auch mit recht halbem Herzen, brachte dann alle meine Glätt-
und Bügelkünste zur Anwendung, zog meine Döschen, Fläschchen und
Beruhigungstropfen hervor, mußte mir aber dabei sagen, daß hier wieder
einmal ein wünschenswerter Zusammenschluß vorbeigeglückt war.

14. FEBRUAR. Ich kann erst morgen die unteren Zimmer beziehen: ein hübscher
alter Sekretär, ein altmodisches Sofa und ein schönes Tischchen kommen mit
mir. Auch die Kiste mit meinen Sachen ist eingetroffen. Als ich nachmittags
die Lauben hinunterging und an die Zimmer dachte, wie sie mit ein paar
indischen Schals, der schier vergessenen blauen Seidendecke und ein paar
Bildern am besten auszustaffieren wären, lächelten plötzlich von rechts
Telramund, von links Ortrud auf mich ein: »Wohin des Wegs?«

»Nach Hause«, war meine erschrockene Antwort.

»Wie sich das trifft! Wir sind gerade auf dem Weg zu Ihnen.«

»Das ist ja reizend«, rief ich entsetzt. »Leider bin ich mitten im Umzug
und darf Sie nicht heraufbemühen.«

»Das macht uns gar nichts! Wenn wir Sie nicht stören.«

»Im Gegenteil. Kommen Sie nur.«

War es nicht besser, die kamen noch in meine alte Stube, als daß sie mit
ihren malocchios meine neuen Räume behexten? »Nur herauf, Ihr beiden! es
ist das letztemal.« Und die Treppe voransteigend, führte ich sie zu mir.

Dort stand der altväterische Tisch, der mich beschützte und nicht mit mir
ziehen würde.

Wir nahmen Platz.

»Aramis war gestern bei Ihnen«, sagte Telramund. »Er hat es uns erzählt.«

»Warum auch?« dachte ich.

»Er wird immer launischer«, bemerkte Ortrud.

»Launisch?«

»Haben Sie das noch nicht herausgefunden?« fragte Telramund und heckelte
ihn eine Weile durch. »Im Grunde«, klang es fast drohend von diesen
Berliner Lippen, »ist er ein ganz germanophiler Bursche.«

Ich goß Tee ein und erwiderte nichts. Aber mir wurde bang und bänger über
das Gespräch.

Daß die beiden es wagten, vor mir, die selbst obenan und mit so fetten
Lettern auf ihrer Proskriptionsliste stand, derart rückhaltlos Leute
auszurichten, mit welchen sie scheinbar die besten Beziehungen
unterhielten, war das nicht ein Beweis für die Rückversicherungen, deren
sie sich versehen hatten? Und wie weit mochten diese gehen?

Und woher wußte -- von allen Deckungen abgesehen -- dies im wiedererzählen
so blitzschnelle Paar, daß sich unsere usancen voneinander unterschieden?

War es die starke Gegenwärtigkeit des wuchtigen Tisches, um den wir saßen,
und der wohl einst am Waldesrand Jahrhunderte hindurch als mächtiger Baum
-- wissend und weise -- in rauschender Verschwiegenheit sein Gezweige
ausbreitete -- oder welch überspringender Funke war es nur, der mir da mit
der unbewiesenen und doch stahlharten Sicherheit intuitiver Erkenntnis die
Tatsache enthüllte, daß die Niederträchtigen, aus ihrer, mit
Selbsterhaltungstrieb gepaarten Verdorbenheit heraus, die Menschen, welche
guten Willens sind, ungleich deutlicher erkennen, als diese sich unter sich
durchschauen. Fortunio, von Martin im Walde nicht zu reden, kannte mich
nicht entfernt so gut wie diese zwei: welche Waffen ich gegen sie anwenden
und welche nicht, ihnen war es nicht zweifelhaft, und für sie war ich wie
durchsichtiges Glas. Indem sie mich haßten, wußten sie sogar, daß ich nicht
ihrer Person, sondern ihrer Schlechtigkeit den Haß vergalt, und wenn meine
hiesigen neuen Freunde vielleicht in ihrem Urteil über mich noch
schwankten, diese meine erbittertsten Feinde werteten mich nach Verdienst.
Dies war der Grund, warum sie mich verfolgten. Wer in der Tat stand
einander im Wege, wenn nicht wir? Soweit ich zurückdenken konnte, und lange
ehe er ausbrach, dieser elende Krieg, und dann wieder vom Tage seines
Bestehens an, war ich für einen Frieden um jeden Preis. Mich interessierte,
noch freute kein einziger Sieg. Nur dem Frieden gönnte ich den Sieg über
eine so schmähliche Niederlage wie diesen Krieg.

Für dieses Paar jedoch waren Versöhnung und Verständigung zwei Dinge, deren
Möglichkeit sie mit allen Mitteln zu hintertreiben entschlossen waren.
Dafür lebte es. Wehe dem Franzosen, der kein Jusqu'auboutiste war. Er hatte
allen Grund, vor diesem deutschen Telramund zu zittern, und wenn nur der
letzte Deutsche verblich, durfte für diese französische Ortrud der
vorletzte Franzose unbesehen verbluten. Denn die Saite, auf welche sie
beide gestimmt waren, ihr Element war der Haß. In welcher Tropenluft aber
lebten wir heute, daß die Gemüter sich mit solcher Fieberhitze entfalten
oder zersetzen durften? Nie hat Gelegenheit ärgere Diebe gemacht. Hier war
Telramund -- vor dem Kriege ein ränkespinnendes, sonst aber vielleicht ganz
traitables Männchen -- zum professionellen Verleumder und Verräter
entartet, und Ortrud, einstens eine gehässige Klatschbase und weiter
nichts, nunmehr zur angriffswütigen Ratte, zur erbarmungslosen
Menschenfresserin von Hokusai.

Mit solchen Wesen aber paktierte, tergiversierte, lavierte man.

Und zu denken (dachte ich), daß doch sonst so viele Schutz- und
Trutzverbände bestehen. Der Adel, die Juden, die Ärzte, Arbeiter, Bäcker,
Schneider und Hoteliers, alle bilden sie ihre geschlossenen Gilden und
Vereine. Und nur ausgerechnet die Menschen, die guten Willens sind, sie
allein, die überall verstreuten und ausgelieferten, setzten sich noch nicht
zur Wehr, berieten und versammelten sich noch nicht. Ihr Klub ist der
einzige, der noch nicht zustande kam, ihre Statuten, ihre Geschlossenheit,
ihre Einigung, welche doch gleichbedeutend wäre mit ihrer Vorherrschaft,
über alle Grenzen hin. Denn nichts scheut ja das Geschmeiße so sehr wie
seinen Namen und ihren Boykott.

Nicht äußerste Vorsicht (die nützte gar nichts!), sondern schroffste
Ablehnung war Telramund gegenüber am Platze. Aus jedem Wort, das ich sagte
oder zu erwidern unterließ, wurden jetzt handfeste Stricke wider mich
gedreht. Solche Leute zu kennen, sie zu sehen, _dies_ war der kapitale
Fehler.

Ortrud kam immer wieder auf meinen Flügel zu sprechen, und als sie sich zum
Gehen anschickte, bezeigte sie eine Neugierde, ihn zu besichtigen, als
handelte es sich um einen neuentdeckten Raffael. Der Gedanke aber, daß die
beiden als die ersten meine unteren Zimmer betreten sollten, bevor ich sie
noch bezog, versetzte mich in eine so abergläubische Verwirrung, daß ich
die Treppe hinablief, um sie daran zu hindern. Allein die Türen standen
offen, und ehe ich sie schließen konnte, hatten Telramunds meine Schwelle
überschritten und waren meine ersten Besucher gewesen.

Abends bei A. H. Pax. Ich ärgere mich über Bemerkungen, die dort fallen:
Brücke von Kirchenfeld; die müsse ich doch kennen. Was ist das nun wieder?

18. FEBRUAR. Meine »Wohnung« ist ursprünglich ein großes Zimmer mit Alkoven
gewesen und nun durch eine eingebaute Wand so unwirsch in zwei geschnitten,
daß sich das Auge an den falschen Massen immerwährend stößt. Aber die
Farben bringen einen gewissen Trost, eine Suleikaportiere, indisch mit
scharlachrotem Rand, führt in ein drittes vorgebliches Gemach, und der
Flügel macht sich ausgezeichnet.

                   *       *       *       *       *

Besuch der Miß Annie A. Wir hatten uns seit dem Kriege nicht mehr gesehen.
Sie ist mütterlicherseits deutsch wie ich französisch, väterlicherseits
englisch wie ich deutsch. Nur ist sie nebenbei auch ein Engel von Güte, und
das bin ich nicht. Doch ach! andere werden schon mit mir bemerkt haben, daß
gerade solche Engel von Güte es so oft nicht über sich bringen, die
Vortrefflichkeit derjenigen anzuzweifeln, deren Instanz sie zunächst
unterstehen, ja die es für eine Perfidie halten würden, ihren eigenen
Zeitungen und eigenen Machthabern nicht zu glauben. Wer kennt sie nicht,
diese Engel von Güte, mit ihren »they say«, ihren »man sagt«, ihren »on
dit« und ihren »si dice«. Unbesehen ist für sie der Teufel überall nur
drüben.

»Mein Deutschtum ist tot in mir«, sagte sie. »Auch Sie sollten sich
entscheiden.«

Dasselbe Ansinnen, nur umgekehrt natürlich, war mir in Deutschland zu oft
gemacht worden, und ich war in solchen Dingen sehr abgebrüht. »Was brauchen
mich die Franzosen,« seufzte ich, »die ganze Welt steht ja auf ihrer
Seite.«

Da sie mich traurig sah, schaute sie mich betrübt mit ihren guten und
veilchenblauen Augen an. »I thank God on my knees«, brach sie dann aus,
»that I am English.«

Auch die Variationen _dieser_ Formel waren mir vertraut. Und ich konnte
nicht umhin, ihr von den Halbengländerinnen zu erzählen, die in Deutschland
unter die Patriotinnen gegangen waren, von Marie von B . . ., die mich wie
keine andere deutsche Frau in den deutschen Blättern verriß, und von jener
jungen englischen Gouvernante in München, die ich in Tränen fand, weil
ihre, an einen norddeutschen Offizier verheiratete Schwester soeben,
anläßlich eines Luftangriffes auf London, von den Zeppelinen als von »our
glorious zeps« geschrieben hatte. Aber kaum hatte ich meine Pfeile
abgeschossen, so war mir's schon leid. Unser Wiedersehen fand also nur
statt, um uns unsere Trennung nur um so fühlbarer zu machen.

»Nichts ist mehr, wie es war!« rufe ich aus, indem ich sie in meine Arme
schließe. Denn sie ist ein Engel.

                   *       *       *       *       *

Bevor Annie A. . . mich gestern verließ, zog sie ein Fünffrankenstück
hervor, das sie mir im Auftrage der Fürstin Patschouli, einer gemeinsamen
rumänischen Bekannten, einhändigte, welche vorgab, es mir zu schulden.
Dieser so kurzerhand beim Schopf gefaßte Annäherungsversuch war zum
mindesten originell. Ich machte ein sauberes Päckchen aus dem Geldstück,
bedankte mich für die schöne Gabe und bat um die Erlaubnis, ihr ein
ebensolches Gegengeschenk machen zu dürfen. Daraufhin schlug sie per
Telephon die Brücke zu mir und lobte einen schwarzen Kaffee, den sie selber
braue. »Bonjour, je vous attends!« und damit hing sie das Hörrohr aus.

Ich wußte in der Tat nicht, was erfrischender war, ihr Kaffee oder sie
selbst in ihrer herzstärkenden und vorgefaßten Oberflächlichkeit. Die
Fürstin, deren Röcke unten zusammengebunden schienen, ging mit kurzen und
kleinen, aber heftigen Schritten, war braun wie ein Maikäfer, die
auffallendste Erscheinung von ganz Bern, brüsk, witzig und ohne Stachel. Da
sie eine Villa in Tegernsee und Freunde in München hatte, war sie im Grunde
germanophil, jedenfalls bayernfreundlich, und stand außerdem stark unter
dem Eindruck der deutschen Siege. »Je suis l'amie des bons jours«, erklärte
sie.

                   *       *       *       *       *

25. FEBRUAR. Zwar scheint die Sonne hin und wieder, und die Zauberwand der
Berge stellt sich dann strahlend auf, doch das Licht bleibt spröde. Nie
träumt dieser kalte Himmel dahin, nie ermatten die Reflexe; stets rufen
sie: gedenk! und nie: vergiß! und ewige Gegenwart ist die Fanfare. Oder
liegt es an mir? --

»Mein gutestes Fräulein,« sagte mir einmal ein dickgebliebener Berliner
Aufsichtsrat, »wer sagt Ihnen, daß nicht am Ende mit dem Frieden so bunte
Zeiten kommen, daß wir uns nach den Kriegszeiten zurücksehnen werden --,
bis auf die Schlachten natürlich«, hing er mit einer Handbewegung an, als
wären sie ein Detail.

                   *       *       *       *       *

ENDE FEBRUAR. Die Tage haben soviel widerwärtiges gebracht, daß mir das
Schreiben verging. Man sollte hier mit seiner Aufenthaltsbewilligung
zugleich ein Vorhängeschloß wie Papageno erhalten; statt dessen wird einem
ein Nessushemd übergeworfen. Schreckliche Stöße mit Fortunio, schwere
Havarie mit Martin im Walde. Telramund, dessen Hochöfen alle in Betrieb
stehen, erstattete ihm einen formellen Besuch und brachte ihm zugleich mit
dem Ausdruck seiner Hochachtung sein Bedauern vor, durch mich und meine
Darstellungen ein so falsches Bild von seinem Charakter gewonnen zu haben.
Halb lachend wird es mir erzählt. Ich mache ihm Vorwürfe, daß er den Mann
vorläßt. »Ihnen danke ich ja die angenehme Bekanntschaft.« Das war im
Herbst, sage ich, wo man noch glauben durfte, es stecke vielleicht doch
etwas Gutes in ihm, an das man sich halten könne. Heute dürfen Sie keinen
Umgang mehr mit ihm pflegen.

Einem Glücksfall, der allen Glanz eines Hintertreppenklatsches trägt, danke
ich es im übrigen, daß von dieser Seite wenigstens Fortunio nicht mehr irre
an mir werden kann: er saß mit einem Freunde, als Telramund sich zu ihm
gesellte und Äußerungen wiederholte, die er von mir vernommen haben wollte.
»Und nun sehen Sie,« schloß er, »wie sie lügt«, zahlte sein Schöppchen und
ging. Aber in der Eile, mir zu schaden, übersah er, daß Fortunios Freund
zufällig Zeuge gewesen war, wie ich jene Worte nicht nur nicht gesagt,
sondern heftig dagegen protestiert hatte, als sie vor mir fielen. Dies also
wäre, gottlob, besorgt.

                   *       *       *       *       *

Es ist gewiß nur recht und billig, daß auch die Überlebenden heute auf der
Verlustliste stehen. Wie man dem Kranken, der nicht teilnehmen kann an dem
Treiben der Gesunden, gerne darauf hinweist, wenn es draußen stürmt und die
Fußgänger gegen Frost und Wind ankämpfen, während er in der geschützten
Stube liegt, so möchte man heute denen, welche fallen, nachrufen: Ihr habt
nichts verloren!

Ich schreibe der Königin im Auftrage ihrer Mutter, die seit Monaten ohne
Nachricht von ihr ist. Die Idee des Königtums ist gewiß nur deshalb in
Diskredit geraten, weil ein verrohter, subalterner Mensch oder auch ein,
Idiot höchst widersinnigerweise zum Herrscher avancieren konnte. Wegen
meiner Ansichten werde ich hier viel ausgelacht. Aber wie würden sie erst
lachen, wenn sie wüßten, wie gern ich selbst regieren möchte. Da würde man
doch was Richtiges erleben! Kein mittelmäßiger Künstler käme bei mir hoch,
welche Unsummen aber flössen den andern zu; kein Lämpchen ließe ich mir je
als ein Lumen aufschwätzen, also auch kein Talent, das sich zum Genie
aufblasen möchte. Herr Pfitzner bewürbe sich also vergebens um eine
Dirigentenstelle an meinem Theater, und gar Herr Weingartner, welcher die
Wiener Philharmonie herunterbrachte, wage es nicht, vor mich zu treten. Ich
verarge es heute noch der Pariser Kritik, welche ihn seinerzeit »un jeune
dieu« genannt hat. Denn nie hatten die Götter das Geringste mit ihm zu tun.

Ach, und was für schöne Häuser ich erbauen, was für Gärten ich anlegen
ließe! was für prachtvolle Katzen würden meine Marmorbrunnen entlang
schweifen!

Doch genug über meine Herrscherzeit.

Über Weingartner, dessen Überschätzung ich der Pariser Presse verdenke,
fällt mir die Äußerung ein, die kürzlich ein Pariser, den ich nicht nennen
werde, einem Deutschen gegenüber, dessen Namen ich gleichfalls
unterschlage, gefällt hat: »il y a une chose, monsieur, que nous ne vous
pardonnerons jamais, c'est de nous avoir forcés d'aimer les Belges.«

                   *       *       *       *       *

Den Abend bei A. H. Pax verbracht. Bei ihm kann man sagen, was einem gerade
einfällt, ohne Gefahr zu laufen, daß es entstellt in alle Winde
hinauswirbelt. Dieser Vorkämpfer des Friedensgedankens, der mit so
feierlichem Ernst seine Stimme zu erheben weiß, ist bei strengster
Sachlichkeit der gemütlichste Mann der Welt, in dessen Atmosphäre man sein
bißchen Humor und sein verlorenes Lachen auf Augenblicke rettet. Gestern
sprach er zwar tief entmutigt über die vollkommene Unmöglichkeit, gegen den
so geschickt angerichteten, so eifersüchtig gehegten und drinnen und
draußen immer neu genährten Wirrwarr in den Köpfen der allermeisten
Deutschen auch nur das geringste auszurichten. Plötzlich tauchte ein
Nachmittag in München aus dem Sommer 1916, ein schattiger Garten, ein
gedeckter Tisch, zwei Damen, die davor saßen, vor mir auf, und wie eine
phonographische Platte spielte sich in hemmungslosem Bayrisch ein
halbvergessenes Gespräch so getreulich in mir ab, daß ich mit einem Male
alle Rollen in einer Person herunterspielte.

Wir brachen alle in ein schier trostloses Gelächter aus. Waren nicht ganze
Generationen mit allen brauchbaren Argumenten des Scheins in ein Wirrsal
gelockt, dessen Dunkel den Tag derer ausmachte, die es unterhielten, so daß
sie jede anbrechende Helle augenblicklich verscheuchten?

Und mußten nicht fast alle Gehirne vermodern, ohne zu erfahren, was denn
eigentlich los ist? Mit so teuflischem Geschick sind alle Ausgänge der
Lügenburg zementiert, in welcher sie sich narren ließen. Unschuldig
Betörte. War es nicht überall so?

Unter den Tagebüchern, welche an den deutschen Gefallenen vorgefunden
wurden, erzählte neulich Abigail von der agence, seien manche sehr schöne
zum Vorschein gekommen. »Warum veröffentlicht Ihr diese nicht auch?« rief
ich. »Nous n'avons« sagte er, »qu'à nous occuper des atrocités.«

                   *       *       *       *       *

Dafür, daß ich so viele Dinge nicht verstehe, werde ich mit den paar
Gedanken, die mir im Kopfe sitzen, viele Jahre nach meinem Tode
wahrscheinlich recht behalten, so zum Beispiel mit meiner Skepsis betreffs
der Demokratie. Aber natürlich ist es für andere ärgerlich, das, was immer
sie mich lehren, und was immer ich lerne, gerade nur eben jene paar
Überzeugungen weiter ausbaut und nur ihnen zugute kommt. Jede Erkenntnis
geht nun einmal bei mir auf Kosten einer ganz exemplarischen Unbegabtheit.

Es müßte einer blind sein natürlich, um an den Sozialismus und seine
Unerläßlichkeit nicht zu glauben. Aber in Wirklichkeit ist heute keiner
sozialistischer geworden, als er es von je gewesen ist. Es scheint nur so.
Machen wir uns nichts vor. Wir haben uns den Sozialismus eingebrockt. Dank
unserer Verkehrtheit nur ist er die einzig richtige Parole. Er ist kein
Ziel, sondern ein Weg. Keine andere Brücke ist stark genug, uns aus unserer
baufälligen Welt zu den neuen Ufern hinzutragen, wo die neuen Autokratien
auf ganz neuer Basis sich erheben werden. Nur durch den Sozialismus, dieser
fausse sortie aus einer Welt der Standesunterschiede, kommen wir zu einer
neuen Welt der Standesunterschiede, der Herrenkaste und der Knechteschar.

Für diesen Glauben will ich mich gerne köpfen lassen, denn geköpft, sagen
die andern, werde ich ja doch, entweder von rechts oder von links.

Mittlerweile bin ich viel zuviel unter Menschen. Es geschieht aus Trägheit
und einer Art von Furcht. Denn bin ich nicht zufriedener allein und so viel
weniger allein, wenn ich allein bin? Füllt sich dann nicht die Luft mit
Geistern guter und hilfreicher Art? Und bin ich dann nicht umgeben?

28. FEBRUAR. Forsell als Don Juan: der Tod als Objekt der Kunst. Forsell
ruft ihn und mißt sich mit ihm. Gewiß ist der Tod nur was wir aus ihm
machen: der größte Individualist fürwahr! Welche Feigheit jagt mich so oft
von mir selber fort zu den Menschen hin, oder hält mich ab, mich ihnen zu
entziehen? Ist es das grauschleichende Verzagen vor jener eisigen
Verlassenheit, in die wir eingehen werden? Hinter dem ganzen
Geselligkeitstrieb der Menschen steckt ja viel mehr Todesangst, als man
glaubt. Die einen fürchten sich vor dem Sterben, die andern vor dem
Gestorbensein; auf dieses, nicht auf jenes gilt es, sich zu bereiten.

3. MÄRZ. Ich fahre nach Lausanne und gehe dann nach Ouchy hinab, eine
Bekannte aus München zu besuchen. Beißend kalter Wind. Wir besprechen die
letzte Affäre. »Das Schreckliche ist, daß immer alles aufkommt bei uns«,
äußerte sie. So ein Pech! Im übrigen sagte mein guter Vater immer: »In der
Politik gibt es keine Moral«; à qui la faute, wenn die Deutschen dies für
ein unabänderliches Weltgesetz halten, so feststehend wie Tag und Nacht und
die vier Jahreszeiten? gewiß an ihrer Gedankenlosigkeit, aber gewiß noch
mehr an den Vorbildern, welche sie haben. In der Politik gibt es keine
Moral. Sie sagen es wie: Ehre Vater und Mutter, oder: Du sollst nicht
stehlen. Ihre Fantasie liegt ja nicht auf diesem Gebiet.

8. MÄRZ. Besuch des sozialistischen Reichstagsabgeordneten W. H. Er ist
gegen den Unterseebootkrieg. Ich glaube, daß er unter dem Krieg leidet.
Aber was mich an diesen Sozialisten so furchtbar erbittert, ist die
Preisgabe des deutschen Volkes, auf das sie sich berufen, indem sie
vorgeben, diese oder jene Konzession an die Gegner »ihm nicht zumuten zu
können«. Vor August 1914 gab es kein friedfertigeres auf der Welt: wie die
Posaune des letzten Gerichtes erscholl ihm der Schlachtenruf; es stand auf,
und von da ab glaubte es alles. Wäre es unglücklicher und beunruhigter
gewesen, man hätte es weniger leichtgläubig gesehen. Aber weil es sich
belügen ließ, sollte es nicht auch noch verleumdet werden. Im Januar 1917
lauerte ich im Hause einer Bekannten dem damaligen Staatssekretär
Zimmermann auf. Er trat ein mit der forschen Bonhomie eines
Kegelklubpräsidenten, der mir jede Schüchternheit benahm, und als ich mit
meiner Rede über die elsässische Frage zu Ende war, nickte er ganz kulant
und bemerkte; »Wir müssen nur bedenken, was wir dem deutschen Volk zumuten
können.« »In vier Tagen haben wir es hineingelogen, vielleicht lügen wir es
in acht Tagen wieder heraus«, sagte ich. Er schien kein bißchen choquiert.
In der Politik gibt es ja keine Moral.

10. MÄRZ. Heute kam Herr v. Sch. mit der erstaunlichen und fatalen
Eröffnung zu mir, daß sein Chef mich zu sehen wünsche. Herr v. Sch., den
ich von London her kenne, hatte sich große Mühe um meinen Paß gegeben, und
im ersten Schrecken fiel mir keine Ausflucht ein. Ich wagte nicht, es
Fortunio mitzuteilen, der sicher dagegen gewesen wäre, sondern spielte
wieder einmal mit dem Feuer und bat Aramis zu mir. Sollte ich wirklich über
die Brücke von Kirchenfeld, so wollte ich keine Anspielungen darauf,
sondern wünschte um so mehr, daß man es wisse, als man es ja doch wissen
würde.

Aramis kam sofort zu mir. Wir verabreden ein paar sehr direkte Sätze, die
ich während meines bevorstehenden Besuchs möglichst pointiert anzubringen
hätte, und daß ich nachher zu ihm kommen würde, ihm die Wirkung jener Worte
mitzuteilen.

11. MÄRZ. Sonntag. Das Wetter ist schön und warm. Die Sonne lacht bis in
das Auto hinein, in dem ich neben Herrn v. Sch. Platz genommen habe.
Schafwölkchen treiben so zuversichtlich am Himmel, und er hängt so hoch,
daß ich nicht sogleich die leise Hoffnung unterdrücke, der Besuch würde am
Ende doch nicht ganz resultatlos sein. Aber nichts von Sonne an Herrn von
Rittersporn, vielmehr der Widerschein des sterbenden Tags. Ich hatte vor
mir einen jener persönlich uranständigen, autoritätsgläubigen Deutschen
strengster Observanz, die vor lauter Gewissenhaftigkeit und Loyalität und
Treue und Ehrenhaftigkeit zur Vertretung der unehrenhaftesten Methoden
unverbrüchlich auf dem Posten ausharren, ein Mann, der privatim gewiß nie
eine Lüge sagte und nur offiziell und in Gottes Namen log. Mit seltsamer
Distanzierung, als sei ich die Angehörige eines fremden Staates, fing er
das ganze Weißbuch mit einer so deprimierenden Weitschweifigkeit an
aufzusagen, daß wirklich nur das fehlte, was es selber wegließ. Er war
bleich, müde, sichtlich schwer unter dem Kriege leidend. Endlich wurde er
fertig mit seinem récital, und ich hatte das Wort in diesem großen,
vielfenstrigen, hellen und doch so unfrohen Salon, in dem keine rechte
Zuversicht aufkommen wollte. Zwar schien auch ihm die französische Frage
vor allen andern am Herzen zu liegen, aber das Feuer, mit dem ich sprach,
dünkte mir selber deplaciert. Hier ist ein Stuhl, schloß ich, faßte ihn mit
beiden Händen und sprang auf, hier ist ein Tisch: nur eins ist heute
wichtig auf der Welt: die Formel zu finden, welche es den Franzosen
ermöglicht, in diesem Stuhle Platz zu nehmen! »Ich bin vollkommen Ihrer
Ansicht«, sagte er. Und zum ersten Male schwante mir, wie wenig er
vermochte. Auf Aramis übergehend, hob ich jetzt seine Beziehungen, sein
Geschick, seinen guten Willen hervor, sowie die Chancen, die er als
Vermittler bot. Hier jedoch fiel ein Schatten. Ich fand keinen Anklang. Es
war die alte Kamarilla, ich merkte es wohl, vielleicht auf indirekte
Umtriebe Telramunds zurückzuführen, aber auch Widerstände,
Unsachlichkeiten. Ich hatte Carry mit Aramis zusammengeführt, ohne
Parteinahme, weil es sich von selbst ergab, und man mißgönnte ihm den
Vorsprung. Auch Carry war voll Ehrgeiz, aber er besaß Schwung, eine
künstlerische Ader, Sinn für Kameradschaft, Ritterlichkeit. Man wußte, wie
man mit ihm dran war. Auf seine Fehler wie auf seine Tugenden fiel das
Mittagslicht. Il ne ment pas, hieß es auf gegnerischer Seite von ihm. Dies
besagte so viel in Tagen wie den unsern! In der europäischen Literatur
ungemein bewandert und von regstem Geiste, besaß er zudem eine glückliche
und wohltuende Art mit Menschen umzugehen und hatte etwas Jünglinghaftes
bewahrt. Selbst ein Mischling, war er rassenmäßig den andern lange nicht so
fremd wie seine zünftigeren Kollegen.

Es war nahe an zwei Uhr. Vergebens mahnte man zu Tisch. Daß die Unterredung
sich so in die Länge zog, unterstrich ihre Nutzlosigkeit nur noch mehr. Auf
dem Heimweg, in dem schneidend kalten Alpensonnenlicht wurde es mir mit
jedem Schritt bewußter. Die Aare floß so leuchtend blau wie vor zwei
Stunden, als ich über die Brücke fuhr. Mutlosigkeit aber drückte mich in
diesem Augenblick zur Greisin nieder. Wie eine Hundertjährige lehnte ich
über das Geländer und sah zu den Kindern hinab, die wie besessen schrien.
Dann raffte ich mich auf und rannte die kalten Schatten der Keßlergasse
entlang zu mir hinauf. Plötzlich fühlte ich, wie verausgabt ich war, warf
mich auf den Diwan und schlief ein. Aber um vier Uhr erwartete mich Aramis,
und dies weckte mich beizeiten. Ich strich jetzt die Lauben auf der
Sonnenseite hinauf. Oh wie deutlich ist mir der Schein, in dem sie lagen!
Wie ein tobender Schmerz, der auf Sekunden aussetzt, riß er mich auf einen
langen Augenblick in seinen Bann, tauchte mich schonungslos unter in sein
Gold, ließ mich bewußtlos werden wie die uralten Häuserreihen, die es
durchdrang: unempfindlich werden vor Empfindung.

Bei Aramis herrschte an diesem Vorfrühlingstage schon sommerliche Kühle.
Eine leise Spannung lag in seinen Zügen, und die Wärme, mit der er mich
begrüßte, kontrastierte doch recht seltsam mit dem Empfang, der mir vor ein
paar Stunden zuteil geworden war. Was ich ihm aber zu sagen hatte, war so
verdammt unwesentlich, derart neben hinaus, daß ich erschrak, indem ich es
formulierte. Es ließ keine Spur von Bereitwilligkeit, ihn ernst zu nehmen,
verraten. Und da es vollkommen zwecklos gewesen wäre, ihm etwas vorzulügen,
durchschaute er natürlich die ganze rettungslose Sturigkeit, in die man ihm
gegenüber sich versteifte.

17. MÄRZ. Abends bei Dätwyler im kleinen Zimmer mit Carry und Fortunio.
Dieser entfaltet mir gegenüber eine aggressive, ja feindselige Haltung
größten Stiles, die keinen Zweifel läßt, daß er von den Vorkommnissen der
letzten Tage gehört hat. Heftige, immer heftigere Szenen auf dem Heimweg.
Ich bebe vor Zorn und sehe ihn so haßerfüllt an, daß er erschrickt. Eine
schlaflose Nacht krönt die Explosion.

Wie ungerecht war Fortunio! Wie falsch wurde ich hier gesehen! Im Juni
wollte ich nach München fahren und dachte heute schon an das Schlößchen im
bayrischen Vorgebirge wie an eine selige Insel. Waltete dann Telramund noch
hier -- soviel stand fest --, so kam ich nicht zurück.

Und ich suchte Trost, indem ich an das Schlößchen dachte, angelehnt an den
ernsten Berg: an die lange hölzerne Laube mit dem hölzernen Gartensaal; wie
von Adalbert Stifter für eine seiner Verlobungsszenen erdichtet. Und die
Freundin selbst, die immer Werdende mit der weiten Note der Leidenschaft,
wer, kam ihr gleich? Ging, blickte, lächelte, lebte sie ihren Tag von Jahr
zu Jahr nicht Göttinnen ähnlicher? Wer kannte sie? Wie schön und insgeheim
war unsere Freundschaft verkapselt! Wie verlor die innere Einsamkeit so
manche Schärfe zwischen uns! Weil ich den Spiegel ihres Wesens
unausgesprochen mit mir führte und sie es wußte, war ich, die immer
Zusammenbrechende, ihr Halt. Wer vergalt mir dies hier? -- Eine Fratze sah
man statt meiner.

18. MÄRZ. Sonntag. Fortunio in dunkelblau und Strohhut holt mich ab, um
nach Worb zu fahren. Es hat sich auf die Feindschaft von gestern wie ein
neuer Friede zwischen uns aufgetan. Wieder liegt das Land in jenem
schonungslosen Licht des Berner Oberlands, das, ich weiß nicht warum, in
die Seele schneidet. Aber das Wetter war so warm und strahlend, daß man
immer wieder innehielt, vor einer ersten Blume, ein paar Schafen, einem
Hause. Wir sprechen heute in aller Ruhe über die Dinge, über die wir
gestern stritten. Ich sagte ihm, daß ich manchmal mit der Sicherheit einer
Mondsüchtigen Dachrinnen entlanglaufen müsse; wenn sie dann herunterfällt,
ist es ganz und gar ihre Sache. -- »Ich fürchte weniger, daß Sie vom Dach
als zwischen zwei Stühle fallen.« -- »Aber das ist ja gerade mein Platz!
Jeder von uns ist heute stärker sich selbst, handelt unweigerlicher seiner
Natur nach als jemals zuvor, und ich habe es halt immer mit dem Vermitteln
gehabt.« -- Er schüttelte den Kopf: »Es sieht nichts dabei heraus.« Und
weil auch ich davon überzeugt bin, beteuerte ich, sind es nur mehr
Gelegenheiten, die sich mir aufdrängen, welche ich ergreife. Niemand hätte
ungerner die Brücke passiert.

»Ich hätte es nicht getan«, sagte Fortunio.

»Es gibt Leute, die nicht dazu da sind, nein zu sagen. Zugegeben,« sagte
ich, »daß es die Belangloseren sind.«

Wir kehrten in ein dunkles, altes Gasthaus ein, und es gab wundervolles
Brot, wundervolle Butter und ebensolche Marmelade. Wahrscheinlich war es
heute auch in Deutschland schön, und die Menschen suchten das Freie dort
wie hier. Es sei denn, daß sie es vorzogen, sich nicht hungrig zu laufen,
da es ja in keiner Herberge etwas Richtiges für sie gab. Besonders die
Kinder . . . so ist einem heute alles vergällt.

21. MÄRZ. Der Brief einer Deutsch-Amerikanerin, die sich auf der Rückreise
nach New York in Zürich aufhielt, setzte mich in großes Erstaunen.
Kinderlos, von Haus aus eine biedere Württembergerin mit steinschweren
Augen, war sie, in Ermangelung jeglichen Ventils für ihre natürliche
Schwermut, dem Okkultismus verfallen und ein Schreibmedium geworden. Sonst
ohne andere Interessen -- selbst während des Krieges -- als ihren Mann,
ihren Haushalt und allenfalls ihre letzte Häkelarbeit, paßte dieser vom
Zaun gebrochene Brief -- wir kannten uns kaum -- in keiner Weise zu ihrem
Phlegma. Wie kam sie zu meiner Adresse? -- Sie schrieb mir, daß sie mich
warnen müsse.


Zürich.

22. MÄRZ. Der Brief der schwäbischen Amerikanerin ließ mir keine Ruhe, und
ich fuhr hierher. Am Berner Bahnhof kaufte ich Zeitungen für unterwegs. Sie
waren alle von Berichten über Verwüstungen der deutschen Truppen auf ihrem
Rückzug aus Nordfrankreich erfüllt: eine künstlich gestartete Agitation,
dachte ich erst, um dem, in den letzten Wochen abflauenden Haß neue Nahrung
zu geben und Öl in das abnehmende Feuer zu gießen. Denn leise, leise war
von der Möglichkeit zu vermitteln die Rede gewesen. Da koppelten sich denn
die Interessenten des Krieges zu neuen Präventivminen zusammen. Glich ihnen
dieses nicht auf ein Haar? Aber zu meinem Entsetzen fand ich da jene
Verwüstungen, und zwar mit unleugbarer Genugtuung als »militärische
Notwendigkeit« in den deutschen Blättern bestätigt. So war jenem so
aufgerissenen und gemarterten Boden eine neue Schmach zugefügt, und ein
genarrtes Volk gehorchte als sein eigener Henker den Befehlen, die ein Hut
voll toll gewordener Idioten, »Oberste Heeresleitung« genannt, ihm
erteilte. Diese »militärischen Notwendigkeiten«! Oh, wieviel deutsche
Landsmänner würden ihretwillen kläglich verderben! -- Ein Sturm brach in
mir los, um so heftiger nur, als er in Ohnmacht sich entfesselte und seinem
Rasen nichts im Wege stand, als die Wurzeln meines Seins, an welchen er riß
und, wilden Regentropfen gleich, kalte Tränen aus meinen Augen schlug.
Stäupen hätte ich sie lassen mögen, diese Herren Befehlshaber, keine Strafe
wäre mir jämmerlich genug erschienen für diese menschenunwürdigen Köpfe,
deren Nasen kurz ausliefen wie die Schnauzen der Hunde, oh! ebenso unfähig
wie Hunde den geistigen Gang der Dinge zu spüren! Und die erbärmlichen
Blasen dieser infantilen Gehirne, durch ein Wunder des Teufels für
wirkliche Felsengebirge gehalten, beherrschten und verrammelten heute als
»militärische Notwendigkeiten« alle Straßen der Welt! Nein! das war kein
Leben! Es war nicht zu ertragen! Es war mir fremd das Geschlecht, das
solche Dinge befahl und sich nicht scheute, sie auszuführen. Und ich war
betroffen! und ich war mitgefangen. Mitgehangen war ich, ohne mitzugehen!
-- Der Zug lief in die Halle ein; die Passagiere verließen ihn. Hatte der
Wahnsinn der Welt mir den Verstand geraubt? -- Ich konnte mich nicht
besinnen, weshalb ich da auf dem Zürcher Bahnhof stand. Er war von
beißendem Nebel erfüllt, und mit hochgestülpten Kragen eilten alle dem
Ausgang zu, während ich, den Mantel am Arme, im dünnen Kleide dastand, in
unerträglicher Hitze und stürmisch bereit, aus dieser Welt, wie sie sich
drehte, davonzulaufen. Ein Dienstmann fragte, wohin ich wollte, und ich
sagte, daß ich es nicht wisse. Uralte Instinkte der Rachsucht und der
Wildheit tobten in mir wie einst die Peitschen des Xerxes gegen das Meer!
Ha! was wollten sie noch in der Weltgeschichte, diese verspäteten
Hanswurste in dem lächerlichen Aufzug ihrer frisierten Helmbusche, ihrer
aus gelbem Blech gedrehten Achselrollen, den zurückgeschlagenen roten
Eselsohren ihrer Mäntel, ihren albernen Säbeln, gut für ein Possenstück,
gut für ein Schaukelpferd, ein Ulk, bevor wir uns erniedrigten, davor zu
zittern.

Wie es zusammenhing, daß ein fliegender Zeitungsstand die Erinnerung
zurückrief, welche mir doch gerade die Zeitungen geraubt hatten, mögen
andere erklären, ich telephonierte an Frau Eleonore Grell: sie war zu
Hause. Aber auch ihr Gatte, Onkel Sam aus Mannheim, der flinke
Geschäftsmann mit dem schnurrigen Schnurr- und Vollbart, befand sich at
home. Er hatte sich das okkulte Getaste seiner Frau energisch verbeten und
glaubte es infolgedessen längst unterdrückt. So trafen wir uns denn bei
Huguenin, aber sie beteuerte mir, nichts anderes sagen zu können, als was
sie mir auf ein inneres Drängen hin geschrieben hatte. Ich ließ ihr aber
keine Ruhe und folgte ihr auf gut Glück in ihr Hotel. Und richtig war ihr
Mann inzwischen ins Freie spaziert.

Wir setzten uns ans Fenster, welches die Limmat überhing. Der See, die
Wolken und das ferne Bergland leuchteten im Abendschein grüßend und
verträumt in dies hochgelegene Zimmer.

                   *       *       *       *       *

Hier schalte ich für den Leser eine Warnung ein: die Unwirklichkeit spielt
in diesem Buch so stark in die gröbste Wirklichkeit hinein, daß ich gerade
die besten, an die ich mich doch wenden möchte, abzustoßen befürchte. Aber
ich muß mich streng an die Begebenheiten und ihre Reihenfolge halten, und
wenn ich nicht ebenso chronologisch das große Spiel der Schatten mit
hereinbeziehe, ist dieses Buch nicht wahr.

Sobald wird ja der Okkultismus seine besondere Peinlichkeit gewiß nicht
los. Denn für Namenloses ziehen da Benennungen mit großem Schwalle herauf,
und geistiger Brechreiz ist die unweigerliche Folge. Wer sich heute auf den
Weg zum Nichts aufmacht, ist jenen Steinklopfern vergleichbar, die auf ein
fragliches Echo hin die Felsenwand behämmern, und mitten im treibenden
Geröll Schutt ablagern, wo kein Liebhaber des Schönen seinen Fuß noch
setzt. Und doch wird für ihn vielleicht die Straße hier gelegt, die nach
dem dornenumwachsenen Reiche schaut, vor welchem Ferne, Wachstum und
Allmählichkeit entstürzt. Denn ob dein Sarg noch auf den Schultern derer
lastet, die ihn hinaustragen, oder ob deine Grabesinschrift seit Jahr und
Tag verwitterte, ist gleich.

                   *       *       *       *       *

Ich kehre zurück in das hochgelegene Hotelzimmer, wo wir auf einem roten
Repssofa beim Fenster saßen, das die Limmat und den See und Ferne und
Gebirge übersah. Von Heerscharen erfüllte sich die Luft. -- Auf den Ruf
welches Jagdhorns -- uns Tauben nur unhörbar -- eilten sie her? -- Wie
durchsickertes Gestein so schwoll die Stube an. War der Ansturm der
Schatten das Neue, was es unter der Sonne gibt? -- Aber schon war ich des
einfachsten Denkens nicht mehr fähig: alle Poren des Gesichtes sanft
gebläht, ergoß sich unaussprechliche Verlorenheit, ein hinträumen,
unbeweglich wie ein Leben lang. Das Herz erstickte von all dem Sang und
Braus. Kein Mißton trübte den unendlichen Chor. Ein Chor sage ich. Kein
Ungebetener darin. _Hier war die Sichtung:_ volles Orchester, nicht wie in
unserer Mitte unreines dazwischenfahren, grelles übertönen eines unbefugten
Soprans. _Ausgekämpft!_

Ganz versunken in den Vielen oder in mich, selbst? -- (ich unterschied es
nicht) -- faßte ihr wissen und ihr begreifen das, ganze Herz. Des Mediums
hatte ich vergessen. Mir zu Liebe, es ist wahr, doch auf sein Geheiß nur
waren sie hergewallt, so _dicht_! so feierlich gedrängt! »Sieh dich vor, du
kannst nicht wissen, du bleibst allein, oh!« . . . stammelte die Feder.

Wozu war ich denn hergereist, wenn nicht sie zu vernehmen? Und nun dünkte
mich dies so fremd und kindisch, ein Bilderbuchbegriff. Gab es denn im
Scheine dieser wogenden Luft etwas wie eine Zukunft? Führte man sie nicht
mit sich wie ein Geweih? Wuchs sie nicht an mit uns? War sie denn nicht der
eigene Hauch, der eigene emporstrebende oder schwankende, flackernde oder
in nichts zerrinnende Schatten? Stand sie nicht als der Wald, der aus
seinen Tiefen unsern eigenen Ruf zurückhallt? -- so die Völker, so der
einzelne. Was immer ihnen glückliches oder grausames begegnet, jeden Zufall
riefen, beriefen sie herauf. Wir nennen's Zukunft! --

Frau Eleonore Grell hielt mir ein Blatt entgegen, das mit den Schriftzügen
eines zehnjährigen Mädchens überzogen war. Es besagte immer dasselbe: Im Nu
war alle Weisheit abgeworfen und die Furcht, die mich hierher getrieben
hatte, wieder da.

Verwirre sie nicht, schrieb jetzt Eleonore, und als sie diese Worte gelesen
hatte, legte sie augenblicklich die Feder weg. Nichts hätte sie vermocht,
sie wieder aufzunehmen. Die Sitzung war zu Ende.

23. MÄRZ. Ich fahre nach Bern zurück. Fortunio kommt mir entgegen, und ich
frage ihn, was von den Berichten über die Verwüstungen zu halten sei. »Die
deutschen Communiqués geben sie ja selber zu,« seufzte er, »sie brüsten
sich sogar.« Wir überschritten den Platz zum Kasino. Das Gebirge strahlte
im vollen Ornat. Wir setzten uns ins Freie und starrten, Verbündete der
Verzweiflung, ohne zu reden, vor uns hin.

                   *       *       *       *       *

Fortunio fragte, warum ich in Zürich gewesen sei, und ich verweigerte die
Auskunft.

24. MÄRZ. Auch meine vier Wände sind mir verleidet. Die Sonne scheint
grell, verletzend, und nachts faßt mich der Schlaf nur wie eine Kranke, um
mich zu erschrecken. Ein Gesicht wendet mir so gemarterte Augen zu, daß ich
erschüttert frage: »Hast du Arme denn nicht ausgelitten?« und fahre
stöhnend auf, weil es nur der Reflex von einem Kummer war, den diese Augen
spiegelten. Nur ein überschwängliches Mitgefühl.

25. MÄRZ. Gestern abend bei Fortunio war Abigail von der Agence, der
hartnäckig am Thema der Verwüstungen festhielt. Auf dem Heimweg wurde er
immer dringlicher. Logisch, folgerichtig wäre es, zu den Ereignissen
Stellung zu nehmen; unvereinbar mit meiner bisherigen Haltung, wenn ich
schwiege. »In der Tat!« rufe ich in einem Tone, der bitterer ist als Galle.
»Sie reden, als wüßte ich nicht, daß Ihr die Dinge glaubt, die Telramund
Euch von mir sagt.«

Doch Abigail nahm alsbald seinen Vorteil wahr: »Sie haben es ja in der
Hand, Ihre Freiheit des Handelns zu dokumentieren!« Je mehr er mich in die
Enge trieb, desto schwerer wurde mir zumute, hatte er mir doch meine
eigenen Gedanken verraten.

»Es wird nicht gut.« Und ich erzählte ihm meine Züricher Reise.

Er war mächtig interessiert. Ich ließ ihn trotz der späten Stunde zu mir
herauf und zeigte ihm das Blatt Eleonorens. Es enthielt nichts, was ihm
behagte. »Die Hand eines Kindes«, sagte er wegwerfend. Ich bereute schon,
es ihm gezeigt zu haben, und wünschte ihn die Treppe hinab, riß die Fenster
auf, als er gegangen war, und warf sie ruhlos, verlassen, gepeinigt wieder
zu.

25. MÄRZ. Wie in aller Welt haftete Pech meinen zehn Fingern an? Aber ich
täuschte mich ja! Es war ein Irrtum . . . ah, es war ein Traum, so lebhaft
aber, daß ich mit beiden Händen in die Höhe fuhr.

Nachmittags bei der Fürstin, in der Hoffnung, ihre nüchterne Atmosphäre
würde mir Ernüchterung bringen.

»Et la Calicie«, sagte sie. »Ah! ils se valent bien tous, allez!«

Mir wurde nicht besser, und ich ging.

Über der Kornhausbrücke hing sehr niedrig eine Mondsichel, so wunderbar
ausgeprägt, so sprechend, so beseelt, so festlich!

27. MÄRZ. Nicht nur in meinem, nein, ich darf es sagen: mehr noch im Namen
der vielen in Deutschland (oder der wenigen, gleichviel!), welche sich
nicht äußern konnten, wollte ich gegen die neueste Kraftprobe der Herren
Militärs protestieren, und es dabei genau so halten wie die oberste
Heeresleitung, nur umgekehrt: das heißt mit eben derselben Arroganz über
militärische Notwendigkeiten hinwegsehen, wie sie über menschliche und
moralische. Meine Wohnung aber, meine Sachen, meine zurückgelassenen
Briefe, ein gewisses Schlößchen im bayrischen Vorgebirge, das selbst mitten
im Kriege so zauberhafte Kreise zog, dies alles sah ich vielleicht nicht
wieder. Und, die Trennung von meinen Freunden, meine Geborgenheit? Hier war
ich so fremd! Warum aber verhielt sich dies alles bleich, ohne Licht,
unvorhanden, ohne Resonanz, da mir doch wohl bewußt war, daß es wieder in
ganzer Kraft ausziehen würde? Wie jene rein umrissene und sehnsuchtsvolle
Mondsichel, die gestern über der Brücke so tief am Himmel hing und ihn
beherrschte. Was weiß er noch von ihr, sobald die Sonne brennt? So waren
alle Beweggründe, die mich zurückhielten, von einer stärkeren Forderung
entkräftet und verdrängt.

29. MÄRZ. Kaum war an diesem 29. März mein Protest an das Journal de Genève
abgeschickt, als mir eines jener erprobten Warnsignale übler Vorbedeutung,
die wie mit Hellebarden mein so ganz auf innere Stimmen angewiesenes Sein
umstellt halten, auf einem Rad, als hätte es höchste Eile, entgegensauste.

30. MÄRZ. Schon verschieben sich sachte wie auf einer Wandelbühne die
Kulissen: Verstummtes, Unterdrücktes belebt sich aufs neue, findet wieder
Farbe und Gestalt.

31. MÄRZ. Eine Antwort. Schon! -- »Die vielen Zuschriften, der Raummangel
. . . meinen Brief jedoch gedächte man zu bringen.« Es steht nichts von
einem Termin. Aber ins Ungewisse ertrage ich diesen Zwiespalt nicht. Morgen
fahre ich nach Genf zu Romain Rolland.

1. APRIL. Sonntag. Unter strömendem Regen bin ich nach Champel gefahren.
Rolland wußte schon, warum ich kam. Er war zufällig auf der Redaktion
gewesen, als mein Brief dort eintraf, hatte ihn gelesen und war unbedingt
für dessen Veröffentlichung.

Ich sprach dann beim Journal de Genève vor und erwirkte, daß der Protest am
übernächsten Tage erscheinen würde. Somit war die Sache erledigt, und ich
ging.

Das Wetter hatte plötzlich umgeschlagen. Es wehte eine schneidende Luft,
aber See und Himmel strahlten in frühlinghafter Bläue. In mir derselbe jähe
Szeneriewechsel.

Ein erstickend schwerer Vorhang riß magisch in die Höhe. Nicht der Salève,
der sich hier an allen Straßenecken türmte, sondern die bayrischen Berge in
ihrem seelenvollen Dunst und ihre Waldungen verstellten mir den Weg, und
die betrübten und bestürzten Mienen meiner zurückgelassenen Freunde. Es war
die Trennung von ihnen, das Exil. Drüben im Vorgebirge das Schlößchen, das
wie eine selige Insel auf dem dunkeln Meer dieser Zeiten träumte, die
schöne und musenhafte Freundin, die mich dort erwartete, die dort
verbrachten Herbst- und Sommerwochen.

Tausend Erinnerungen setzten sich wie Trauerglocken in Bewegung. Oh teuer
erkaufte Ruh!

4. APRIL. Bern. Abigail besucht mich; sehr gespannt. Ich sage ihm, wie
Rolland, den er immer anschwärzt, sich verhielt.

5. APRIL. Der Protest ist heute erschienen. Ich kaufe das Blatt, ohne den
Mut zu finden, es zu entfalten.

                   *       *       *       *       *

Ich übergehe die nächsten Tage. Diese Aufzeichnungen sind ja nicht verfaßt,
um Gemütsbewegungen zu schildern. Ganz andere Zwecke verfolgt dieses Buch.
Auch ist die Zeit nicht mehr, und man wird härter. Nur im Hinblick einer
Einsicht, einer Erkenntnis, wo Erfahrungen mit immer verstärkter
Deutlichkeit den Charakter des Lebens kennzeichnen und Kommentare stellen
zum Schicksal überhaupt, dürfen wir dabei verweilen. Kein größerer Wahn als
der, zu glauben, man kenne das Leben, um es ausgekostet, sich mit allen
seinen Genüssen, Schrecknissen und Abenteuern vertraut gemacht, viele
Männer oder Frauen gekannt oder geliebt zu haben. Es starb so mancher
ahnungslos dahin, welcher die ganze Welt bereiste. Auch nicht wer Gefahren
überstand, nein, sondern wer die Gefährlichkeit des Daseins, dessen
Gefährdetheit durchschaute, die wie ein giftiger Trank sich unablässig
bereitet und immer die Hefe zurückläßt, um sich neu zu mischen, nur wessen
Auge geschärft wurde für die Schatten, die im Tageslicht aufpassen, nur der
weiß über diese Welt Bescheid, und in ihm lebt das Bewußtsein -- bitter wie
die Aloe --, daß er umsonst gelebt hat, wenn die Schule, durch die er ging,
anderen nicht zur Lehre dienen wird.

Das erste war übrigens, daß mich die Fürstin ans Telephon rief: »C'est
désastreux! quelle folie!« sagte sie unverblümt; und als ich sie besuchte:
»Je dis ce que je pense, mais est-ce que j'écris, moi? -- Pas si bête!«
empfing sie mich und kochte mir mit heftigen Bewegungen Kaffee.

Dann aber kam Besuch: eine offiziöse Engländerin, deren Mann mit atrocités
allemandes einen schwunghaften Handel trieb, und ein russischer Diplomat
von professioneller Verlogenheit, die mir Komplimente machten und mich
einluden. Wie schwül mir da wurde! Nein, so war es nicht gemeint, und ich
gehörte nicht hierher! Nicht hierher und nicht dorthin. Bevor die Fürstin
mich mit einer ihrer Brüskerien zurückhalten konnte, war ich ausgerissen
und die Treppe hinabgeeilt.

Fortunio, der mir auf der Straße begegnete, nahm dieses typische
Palaceerlebnis von der komischen Seite und lachte. Wir saßen zusammen, als
Telramund im biederen Pelzrock, an seiner Rechten die Menschenfresserin von
Hokusai, mit jener so charakteristischen Verleumderwärme, die unbedingt
etwas anderes scheinen möchte, auf uns zueilte. Seine Hand weit
entgegenstreckend, brachte er mir rückhaltlose Schmeicheleien zu
herzhaftestem Ausdruck. Fortunio, welcher fühlte, wie bitter sie mir
mundeten, lenkte das Gespräch auf andere Dinge.

13. APRIL. Den Abend mit Fortunio und Abigail verbracht. Wir sprachen von
Träumen. Abigails sehr spekulatives Gehirn kann sich in so feinen Windungen
verlieren, daß es sich beizeiten von seiner höchst stofflichen Person
vollkommen losgelöst darstellt. Plötzlich, mitten in einem Satz, den er
sagte, lebte ein geradezu abscheulicher Traum der vergangenen Nacht in mir
auf, und schon begriff ich nicht mehr, daß ich mich jetzt erst auf ihn
besann, unterbrach aber sofort das Gespräch, um ihn zu erzählen. --
»Achtung!« rief ich, »so etwas Widerliches habt Ihr noch nicht gehört:

Ein Mann, von dessen schwarzem, fettem, unbeschreiblich schmutzigem Haare
dichte graue Schuppen auf seinen Anzug regneten, war dicht an meine Seite
getreten. Dabei zog er mit einem Kamm durch diese Strähne von nie
dagewesener Schmierigkeit, so daß der graue Regen immer dichter fiel. Ich
rückte unwillkürlich von ihm weg, da fuhr er weitausholend mit diesem
treibenden Kamm in mein eigenes Haar, ich fühlte ihn noch darin stecken und
erwachte vor Ekel.«

Fortunio schwieg. Auch der zu Kommentaren schnell bereite Abigail äußerte
sich mit keinem Ton.

»Es steht mir natürlich etwas höchst Widerwärtiges bevor!« nahm ich selber
auf. Auch diese Bemerkung weckte kein Echo. -- Man ging auf konkrete Dinge
über. Es wurde spät. Fortunio erwähnte das neue Blatt, welches Telramund
schon in den nächsten Tagen zu starten gedachte und wie jemand, der sich
ungern etwas zu sagen entschließt: »Er, beabsichtigt übrigens, eine
Übersetzung Ihres Protestes in seiner ersten Nummer abzudrucken.«

»Was fällt ihm ein!« rief ich. »Das kann er nicht.«

»Er kann es schon«, sagte Fortunio.

»Die Friedenswarte bringt sie.«

»Er will ihr zuvorkommen.«

»Ungefragt? Ohne sie nur zu zeigen?« fuhr ich im lichterlohen Zorne auf.
»Sie sind Zeuge, daß er mir nichts von einer solchen Absicht verriet, als
er vorgestern zu uns stieß. Ich figuriere nicht in diesem Blatt.«

»Fassen Sie sich doch!« sagte Fortunio.

»Nein, ich fasse mich nicht. Oh Fortunio!« rief ich, »oh mein Traum!«

»Schreiben Sie ihm halt.«

Ich ließ sofort das Nötige herbeischaffen und schrieb zitternd vor
Aufregung, was er mir diktierte. Dann brachen wir auf. Der gänzlich
verstummte Abigail blieb an unserer Seite. »Die Gefahr ist natürlich,«
bemerkte Fortunio, »daß der Brief zu spät eintrifft.«

Dies sagte genug. Er wußte mehr. Meine Empörung, meine Wut steigerte sich
mit jeder Sekunde. Je ungezügelter ich mich über den Charakter des
bevorstehenden Blattes ausließ, desto reservierter wurde Fortunio. Je mehr
ich sah, daß er sich ärgerte, desto mehr ärgerte ich mich über seinen
Ärger. Der meine richtete sich besonders gegen Abigail, dessen Schweigen
mir mißfiel. Nicht das Ungestüm, mit welchem ich auf den mir zugedachten
Schlag reagierte, sondern die ausgemachte Tücke desselben schien mir das
wesentliche, was unbedingt eine Parteinahme für mich verlangte. Auf eine
solche ließ jedoch nichts in der, all die letzten Tage so überschwänglich
gewesenen Haltung Abigails schließen.

Oben in meinen sorgfältig geschmückten, aber von Telramund behexten Räumen,
in welchen ich noch nicht eine einzige frohe Stunde verlebt hatte, noch
fernerhin erfahren würde, brach ich in helle Flammen der Verzweiflung aus.
Dies also war das Resultat! Zu diesem Ende also hatte ich die Worte, zu
welchen ich glaubte, mich entschließen zu müssen, so bang gewogen, so
behorcht. War ich dafür bis an die äußerste Kante einer abschüssigen Stelle
vorgetreten, so weit, als mein Fuß noch Boden unter sich fassen konnte, um
hinterrücks diesen Stoß zu erhalten? Denn was für eine Übersetzung und zu
welchem Zwecke sie fabriziert wurde, wußte ich genau. Am Arme Telramunds,
dieses Verräters, sollte ich an die Öffentlichkeit. Ich hatte mich, es ist
wahr, vom Anfang des Krieges an zur Opposition geschlagen. Aber sie galt
seinen Anstiftern und deren verworfener Gefolgschaft. Das Volk selbst tat
mir unabänderlich leid. In meiner, von kalten Wirbelwinden der Abneigung
durchsackten und durchkreuzten, aber dabei tiefen Liebe zu Deutschland, lag
das Band zwischen Fortunio und mir. Oft sprachen wir davon. Und dünkten uns
allein. Gerade unsere gallische Seite setzte uns ja auf Grund unserer
Abgerücktheit in Besitz des Spiegels, den die unvermischt Deutschen nicht
führen. Ihr Nationalismus ist ja Import, ihr Fremdenhaß unecht, imitiert,
immer bereit, wie Mörtel von ihnen abzufallen. Im übrigen ist die Gefahr
derjenigen Deutschen, welche Selbstkritik üben, viel eher, daß sie
erstarren. Wenn es kein französisches Wort für »Gemüt« gibt, so gibt es
noch weniger ein deutsches Wort für »affectueux«. Die Deutschen -- und das
ist es, was einem oft an ihnen erbarmt -- sind nicht imstande, sich im
geringsten zu hegen. Weil jede Nation seine so typischen Unholde hat, war
Telramund, allen deutschen Germanophoben voran, gerade in dieser
Germanophobie ein so typischer Boche. Jedenfalls durfte der Mann von Glück
reden, daß sein und seiner Gesponsin Leben an diesem Abend nicht in meine
Hand gegeben war. Statt dessen war es _ihr_ Trick natürlich, welcher aufs
beste gelingen mußte, und weit entfernt, daß die beiden verdienterweise und
auf meine Order hin vor Sonnenaufgang baumelten, haftete meinem
Frühstückstablett am Morgen dieses 14. April die erste Nummer der
Telramundschen Zeitung an. Sie umfaßte vier Seiten. Alle Beiträge waren
anonym. Nur mein fettgedruckter, im Reporterdeutsch übertragener Protest
trug meinen Namen. Ich übergehe den Zorn, mit dem ich diese wüste
Revolverprosa las, welche hier als meine eigene stand; wie vortrefflich war
dabei ihre Wirkung auf mich selber berechnet! Denn die Feindschaft von
Leuten wie Telramund ist wie mit tausend Augen auf uns gerichtet, mit
tausend Fühlern in uns verbissen. Sie kennen ja die Ablenkung ins Reich der
Ideen nicht! Sie spinnen keine eigenen Gedanken! Ich Törin hatte, wie über
einen Witz, lustig darüber aufgelacht, daß Telramund meinen Protest als
eine »Manoeuvre allemande« bezeichnet hatte, ohne zu erwägen, daß er
natürlich auf Mittel und Wege sinnen würde, dies zu bekräftigen. So galt es
denn, mich gewaltsam über die Linie zu ziehen, die ich mir selbst gesteckt
hatte. Dies ergab sich ohne weiteres durch den gehässigen Ton der
Übersetzung. Das andere würde ich schon selber besorgen; denn daß ich
reagieren, ja mich hinreißen lassen und ihm in die Hände arbeiten würde,
wußte niemand so gut wie dieser ausgezeichnete Kenner meiner Person. Ja, es
kam noch besser für ihn, als er wohl dachte.

Fortunio, den ich sofort benachrichtigte, ließ mir sagen, er könne mich
erst gegen zwölf Uhr sehen. Dies war mir viel zu spät. Gleich, in einer
Viertelstunde, bevor noch irgend jemand auf die Gasse trat, mußte meines
Erachtens etwas geschehen. Wahn! überall Wahn! In der Redaktion des Bundes
bestand ich darauf, daß meine Verwahrung sofort in der nächsten Nummer
stehen müsse. Es wurde mir versprochen. Immer noch war es Morgen. Rückte
denn heute die Zeit nicht vor? Alle Hauptstraßen meidend, kam ich im
Sturmtempo zu Fortunio, ihm das fait accompli mitzuteilen.

Wenn es wahr ist, daß kein Sperling versehentlich vom Dache fällt, nun dann
steht gewiß auch ein jeder unserer Tage unter einer bestimmten
Konstellation, und mein Unstern feierte gerade seinen Mittag. Fortunia, die
auf der Treppe stand, empfing mich mit einem unglücklich gewählten Wort.
Schließlich war es ihr Haus, ich konnte sie nicht niederstoßen. An ihr
vorbei, geradeswegs in Fortunios Arbeitszimmer, der die Mitteilung von
meiner zu erscheinenden Notiz mit einer Kälte aufnahm, die mich unsagbar
erbitterte. Hier bin ich fehl am Ort, dachte ich, und nahm eilends
Abschied. Auf der Straße war es kalt. Ich sah mich um: sie war leer. »Ich
bin verraten«, sagte ich laut. Ich hatte nur ein paar Schritte bis zum
Haus, in dem ich wohnte. Die Hand vor den Augen haltend, als sei mir etwas
hineingeflogen, eilte ich die Treppe hinauf und schloß mich ein.

15. APRIL. Telramund (immer anonym natürlich) veröffentlicht eine hämische
Erwiderung auf die meinige. Meinen französischen Text und seine Übertragung
würde die nächste Nummer seiner Zeitung zusammen abdrucken. Der Leser möge
sich dann selbst ein Urteil über mich bilden. Ich sofort wie eine
Windsbraut, auf Flügeln des Zorns, in die Redaktion mit einer
»Schlußerklärung«. Auch diese wollte ich sofort eingerückt sehen.

Daraufhin vertiefte sich das Waldesschweigen um mich her. Fortunio war ohne
ein Wort nach Lugano abgereist. Ich begriff es nicht. In meiner Unkenntnis
alles dessen, was mit Partei- oder Presseinteressen zusammenhing, wollte
mir ein Überblick der besonderen Situation nicht gelingen. Ein paar Dinge
sah und erkannte ich mit unbeeinflußbarer Sicherheit, gleichsam durch ein
Brennglas, mußte aber jede Einsicht mit einer Unzulänglichkeit überzahlen,
jedes Überbieten mit einem Versagen. Wer mich für dumm erklärte, dem hatte
ich von jeher meinen Segen gegeben. Es will keine Geographie in meinen
Kopf; vergebens starre ich auf einen Globus; ein Morseapparat bleibt mir
ein unergründliches Geheimnis; in scheuer Bewunderung starre ich während
einer Panne auf die Mechanikerkünste des Chauffeurs, und so teilnahmslos
ist gewiß kein Mensch, daß er, ohne mir beizustehen, zusehen könnte, wie
ich meine Koffer packe. Durch Vorzüge, wie durch Mängel isoliert, muß ich
mich selber auf mich nehmen wie ein Kreuz. Es kann geschehen, daß ich vom
Blatt begleite auf eine Weise, die jeden Musiker empfinden läßt, welche
Entbehrung es für mich ist, ohne Musik zu leben, und mir selbst wird zumute
gewesen sein wie einem plötzlich freigelassenen Pferd, das über eine Ebene
voll Sonnenlicht und Schatten fliegt. Nichts kommt seinem Rausche gleich.
Von solchen Augenblicken wahren Lebens erwache ich zum Tode des Alltags wie
ein Gefangener aus seinem Freiheitstraum. Gerade nach solchen seelischen
Abenteuern aber wird es am leichtesten vorkommen, daß ich mit einer
aufgeregten Hilflosigkeit, viel eher eines Dorftrottels, als meiner würdig,
nach meinen vergessenen oder verirrten Habseligkeiten suche, und keiner der
Musiker von vorhin würde mich wiedererkennen.

                   *       *       *       *       *

21. APRIL. Besuch Abigails. Oh nichts von Komplimenten mehr! Nichts mehr
von »femme exquise«. Wir prasselten uns Vorwürfe, groß wie Taubeneier, ins
Gesicht. Meine Schlußerklärung sei eine Abschwächung gewesen. Ob dies der
Moment wäre, zu sagen, daß es Boches in jedem Lande gäbe.

Es sei die Wahrheit.

In der Tat hätte ich die richtige Gelegenheit ergriffen, dies zu äußern.

»Ihr habt ja meinen Protest als eine manoeuvre allemande angesehen.«

»Cest donc une vengeance«, sagte er, indem er sich zum Gehen anschickte.
Ich eilte zur Tür, und, vor ihr aufgepflanzt, gedachte ich das letzte Wort
zu haben, als mir plötzlich ein Licht aufging, auch Fortunios wortlose
Abreise mir erklärte. »Sie haben das Wort >Abschwächung< gebraucht«, sagte
ich, »und werden dieses Zimmer nicht verlassen, bevor Sie mir selbst,
geholfen haben, einen Nachsatz aufzusetzen, der jede Möglichkeit einer
solchen Auffassung ausschließt. Alles andere ist mir im Augenblick egal.«

Mein Entschluß einer neuen Bekräftigung konnte ihm nur erwünscht sein. Es
setzte ihn in den Stand, zum zweiten Male Heu einzufahren, nachdem das
erste verregnet war. Zum dritten Male schlug ich nun den Weg in die
Redaktion des »Bundes« ein. Nicht mit Unrecht wurde ich aber dort darauf
hingewiesen, daß sich eine Schlußerklärung mit keinen neuen Erklärungen
vertrüge. Ich führte mit aller Vehemenz dagegen aus, sie sei für mich
Ehrensache, und setzte endlich ihre Veröffentlichung durch. Natürlich mußte
sie wieder auf der Stelle her.

Daß hiermit ein Loch an Stelle eines Fleckens trat, war mir zwar klar. Und
nach der deutschen Seite hin verschlechterte sich natürlich meine
Situation, war eine Herausforderung mehr. Doch auch die formvollendetste
Blamage durfte ich in diesem Augenblick riskieren, nur nicht, daß behauptet
werden durfte, ich liefe vor meinem eigenen Mute davon. Ich war froh, daß
jetzt um mich her eine solche Leere bestand, und niemand in Sicht, der mir
einen Rat erteilen konnte. Denn der Fall lag allzu klar. Hier war es nicht
le ridicule qui tuait.

23. APRIL. An der Schnelligkeit jedoch, mit welcher jetzt meine Stimmung
umschlug, merkte ich den Stoß, den mein Gleichgewicht erfahren hatte: meine
Gemütsverfassung war eins mit dem herrschenden Wetter: Regen, Finsternis,
zerrissenes Gewölke, Himmelsblau, Sonne und wieder Sturm und Schnee. Kurz
entschlossen löste ich eine Karte, um einer Aufforderung A. H. Paxens nach
Lugano zu folgen.

Abigail, der sich nachmittags bei mir meldete, war sichtlich erfreut über
die inzwischen schon erschienene Notiz. Aber ich hatte jetzt reichlich
genug von der leidigen Geschichte, deren dickes Ende ja noch bevorstand,
denn bis jetzt hatte noch kein deutsches Blatt auf meinen Vorstoß reagiert.

23. APRIL. In Luzern unterbreche ich meine Fahrt und steige im Hotel Tivoli
ab, bei Glasenfrosts.

Warum aber fallen nachts Felsenblöcke über mich hin? Warum sehe ich einen
Baum an einem unsichtbaren und doch so verzehrenden Feuer verbrennen, daß
er im Nu nur ein Gerippe ist von einem Baum? Ohne Flamme und ohne, daß ein
Blitz ihn traf, nur ein gespaltener Stamm?

Warum stürzt von zwei Leuchtern der eine mit herabgebrannter, erloschener
und tränender Kerze zu Boden? Eine trübe Bildersprache, die ich in diesem
Jahre noch nicht entziffern sollte.

Um Mittag fahre ich weiter. Jenseits des Gotthard gerät der Himmel ins
Lachen. Er findet offenbar die Welt noch schön. Tröstlich prangende
Blütenhänge und endlich, tief unten, das hingezauberte Blau des Sees, einem
verliebten Abendhimmel hingegeben. Und die Bäume stehen hier wie sanfte,
begütigende Bräute.

Der Weg nach Paradiso ist holperig genug, auf den Bergen oben leuchten
feurige Spieldosen auf. Die Natur ist ein Zwischenakt mit
Verwandlungsmusik, und die Nachtluft wird von Amoretten hingetragen. Oh
Plansee im bayrischen Gebirg! Du See auf dem Plan, so hoch oben im Wind!
Warum schwebst du, Verwunschener, mir vor? Vor mir liegt lächelnde
Erfüllung. Du aber bist unbegrenzte Sehnsucht und Verweigerung.

Ein nachgesandter Brief von ihr, die von jenen Bergen spricht, hatte mich
in Luzern ereilt. »Bald kommt der Sommer, schreibt sie, rücken wir ihm vor.
Der Flügel wird schon in der Halle aufgestellt, die Schwalben fliegen gewiß
schon ein und aus.«

Die Droschke rollt jetzt auf glatter Fähre den See entlang.

25. APRIL. Fortunio, welcher von meiner Ankunft bei Paxens erfahren hatte,
kommt, verfehlt mich, telephoniert und bittet mich zum Tee.

Ha! denke ich, diesen Tee soll er sich merken bis in sein achtzigstes Jahr.
Mit vielem Bedacht staffiere ich mich zu diesem Wiedersehen heraus, um die
Meinung, die ich mir von seinen Ritterdiensten gemacht habe, möglichst
wirkungsvoll zu unterstreichen.

Wie dem auch sei, ich trug an diesem Tage ein, wenn auch nicht neues, so
doch neu beschlagenes Kleid mit halblangen, weit auslaufenden Ärmeln. Weiße
Besätze, federleicht und schwarz besäumt, schlossen sie am Ellbogen in zwei
Reihen ab. Zwischen ihnen lag wieder eine Spanne Stoffes, den sie ein wenig
heruntergezogen, denn so dünn ihr Gewebe war, durch ihre Fülle beschwerten
sie ihn doch. Beim Gehen glockten sie ganz leise ab und zu und hingen dann
still, bevor sie sich von neuem bewegten. Es war in der Tat ein sehr
rhythmisches und geglücktes Ärmelpaar. Vor allen Dingen aber -- andere
mögen dies gewiß auch schon beobachtet haben -- können wir von einer
»geistigen Schminke« angeflogen werden, chimärisch wie jene, welche die
Kosmetiker bereiten -- denn auch sie, wenn sie von uns fällt, läßt uns
fahler, aufgeriebener als zuvor. -- Indes gewährte ich den ausgestandenen
Nöten der vergangenen Tage ihr beredtes Schattenspiel, ja ein
selbstbewußter Schleier chiffrierte noch ein übriges dazu. Also gepanzert,
höchst intangibel und durchaus bestechend ging ich, die ihm zugedachte
Szene wohl im Kopf, gewandten Schrittes, als hätte ich soeben meine besten
Erfolge hinter mir, auf ihn zu.

Es gehört jedoch irgendwie mit zum Leben, daß im geringfügigen, wie im
großen die Dinge anders verlaufen, als man sie erwartete.

Zwar in der Tat eilte da Fortunio wie mit neubeschwingter Freundschaft mir
entgegen.

Seine Sympathie, erklärte er dabei, hätte nun wirklich die Feuerprobe
bestanden.

»Wie meinen?«

Da nicht einmal die desaströse Erklärerei im »Bunde« vermocht hätte, daran
zu rütteln. »Sie kennen die letzte nicht«, erwiderte ich mit der
erkünstelten und flackernden Würde einer Überrumpelten.

»Was!?« schrie er entsetzt und fuhr mit den Armen in die Luft. »Noch
eine?!« Unglücklicherweise mußte ich lachen, und da mir dies seit drei
Wochen nicht mehr vorgekommen war, hielt ich nicht sogleich inne, sondern
geriet ins lachen, wie einer ins laufen gerät, und ehe Fortunios Arme sich
wieder gesenkt hatten, war er angesteckt. Es gab kein Aufhalten mehr.
Lachraketen stiegen jetzt in die verblaute Luft, in einer vor Wonne
irrsinnigen Natur. Wäre ich zehnmal bedrückter noch gewesen, ich hätte
gelacht.

Bald fingen denn auch die Berge wieder an, ihre funkelnden Spieldosen
aufzuziehen. Nicht einmal nachts wollte diese Landschaft zum Ernste
gelangen; des Krieges selber schien sie zu spotten. Wer hatte denn recht,
wenn nicht die Bäume hier am Strand des Sees, die ihre Düfte einander
zuhauchten und vertauschten, und wenn sie welkten, wieder erblühten, und
wenn sie verdorrten, andere dafür erwuchsen. Es war mir ein Schlag ins
Wasser geglückt. Und was dann?

Ich zog Fortunio mit in den Kursaal, sah den Dämchen zu, wie sie tanzten,
gewann sechs Franken und verlor deren zwölf.

                   *       *       *       *       *

Und nunmehr ging ein Tag blitzender als wie der andere auf, und wie in
einer leuchtenden Schale der Vergessenheit zerfloß der See. Vergiß! Vergiß!

Es hinderte nicht, daß ich Fortunio bei Gelegenheit das alte Leitmotiv
vernehmen ließ, solange Telramunds im Hintergrunde säßen, sei jede Aktion,
jeder Versuch, dem Haß entgegenzuwirken, im vornherein eine gescheiterte
Sache. Er ist für das »abwirtschaftenlassen« solcher Elemente, und ich
nicht. Denn bis sie abgewirtschaftet haben, ist ja zuviel verdorben,
aufgehalten, zugrunde gerichtet. Fortunio, in vielen Dingen weit
beschlagener als ich, sieht nicht, wo ich erfahrener bin als er. Gewiß sind
ihm die Götter hold. Taucht er unter, so fischt er gleich etwas Schönes,
hält's gegen das Licht, freut sich des Prismas und läßt sich von den Wellen
schaukeln.

Die paar Meinungen dagegen, die mir unverrückbar im Kopfe horsten, muß ich
zu Markte tragen, und habe keine Ruhe. Muße bleibt Müßiggang für mich,
solange ich sie nicht formulierte. Und die Aufgabe ist doch so schwer, daß
ich vor jedem Anlauf von neuem zögere. Bis mein Tagewerk gelingt, sofern es
mir gelingt, wird der Abend für mich herangebrochen und meine Gastrolle in
dieser zweifelhaften Welt ausgespielt sein. Sollten meine Bücher mich
überleben und ich selber wiederkommen, so lese ich sie vielleicht, und
vielleicht wird mir dabei etwas sonderbar zumute. Ein Dirigent möchte ich
dann werden. Regieren möchte ich!

Die erste Katze möchte ich sein, die keine Vögel mordet. Ich bin in diese
beiden Tiere vernarrt und wünschte, sie schlössen Frieden.

Um auf Fortunio zurückzukommen: darüber sei man sich vollkommen einig,
sagte er, wie Telramunds Verfahren mir gegenüber zu qualifizieren sei.

Warum ergriff denn keiner meine Partei?

Er zuckte die Achseln, wie jemand, der es aufgibt, etwas zu erklären.
Gerade dieses Achselzucken aber gab mir endlich voll und ganz zu verstehen,
mit welch unsäglich trübem Wasser in Politicis gekocht wurde; so zwar, als
müßte es so sein. Diese Notwendigkeit war es gerade, die ich mich
anzuerkennen weigerte.

Ich kann gar nicht aussprechen, wie grausam mich der Plan von einem
»Zusammenschluß der Geistigen« anlächert . . . Wie sollte ein
Zusammenschluß der Geistigen zustande kommen, da noch ganz und gar kein
Zusammenschluß gegen die Ungeistigen besteht? Ach, kennt ihr Geistigen die
Welt noch immer nicht? Was redet ihr groß von eurem Zusammenschluß? Sprecht
von Aufgebot, von einem Kampfesruf gegen den Zusammenschluß jener, denen
alle Waffen zu Gebote stehen, welche die Gemeinheit führt, dem einzigen
Zusammenschluß, der sich bisher verwirklichte, denn dort gebietet der
Verworfene über den Verworfeneren, und der Verworfenste ist es, der das
Zepter schwingt.

Sprecht von Ausschluß, sprecht von Sorge. Davon sprecht, daß es keine gute
Sache geben kann, solange schlechte Elemente sich zu ihr bekennen dürfen,
um sie zu untergraben, ist doch an ihrer eigenen nichts mehr zu verderben.
Zum Zerstören aber sind sie da.

Gelänge es mir, auf diese noch immer nicht genügend beachtete
Beschaffenheit der Dinge die Aufmerksamkeit zu lenken, ich hätte nicht
umsonst gelebt. Ich weiß ja, wie sehr mein Scharfblick auf Kosten von
Kurzsichtigkeiten geht. Welche Pein ist das! Ich stürme nicht voran, ohne
über das Nächstliegende zu stolpern. Von ausgemachter Selbstherrlichkeit,
wo ich meiner Sache sicher bin, unheilbar blöde, unheimlich schlau, so
harmlos, daß man kichert, so gerissen, daß man mir mißtraut . . .

27. APRIL. Ein Berliner Kriegsgewinnler, den Paxens von Wien her kennen,
meldete sich bei ihnen zu Besuch. Der erste, dem ich mit Bewußtsein
begegne. Nie habe man bei Hiller so gut gegessen, nie bei Borchard soviel
Champagner getrunken. Die Welt habe jetzt die deutsche Faust
kennenzulernen. Was Ludendorff befahl, sei _unbesehen_ das Richtige, und
keine Kritik gestattet; (das galt mir!) Gott, wie gemütlich man hier
beisammen säße, während die Völker einander schlachteten. (Dies sagte er,
wie man am warmen Kamin vom Schneesturm spricht, der draußen wütet.) Allen
könne es nicht gut gehen, bemerkte er auch. »Schweigen Sie«, rief Frau A.
H. Pax. Er guckte etwas verdutzt. »Das ist ja schrecklich mit unserer
Valuta«, lenkte er dann ein. »Und mit der geistigen erst!« fuhr A. H. Pax
dazwischen.


Kunstwerk der Zukunft.

28. APRIL. Heute früh bin ich in einer Messe gewesen. Aber welche Messe! In
einem sehr alten, dem See gegenüberliegenden und köstlichen Bau: Traumhafte
Fresken, das übrige mit roten, langverjährten, rosagewordenen Damasten
ausgeschlagen. So gut wie leer. Die Schellen, die der Ministrant in
Bewegung setzt, erklingen abgetönt und sind gewiß aus Silber,
Weihrauchwolken steigen vom Altar. Dunkel -- nein nicht dunkel, von einer
lichten Penombra wie eine bedeckte Vollmondnacht, ohne Orgel und Gesang,
und dennoch brausend, unendlich groß, ja wie zum Firmament -- (wie wurde
mir?) weitete sich das stille und verlassene Haus und schwamm im All.

Endlich wieder eine schöne Kirche. Die in Bern hatte ich aufgeben müssen,
denn so war die Messe wirklich nicht gemeint. Als ich aber jetzt durch die
schwerbehangene Türe ins Freie trat, auf den noch leeren Platz und den
besonnten Strand, wo die Platanen ihre eben erschlossenen Kronen so
bräutlich dem Licht entgegenhielten, da schien dies alles, diese Natur mit
den dekorativ vor und wieder zurücktretenden Wänden ihrer Berge und das
gekräuselte, wie in sich selbst verliebt hinziehende Gewässer, selbst der
Himmel, der darüber hing, schien nicht so weit wie der eben verlassene,
leicht zu umspannende Bau mit den damastenen Wänden von verblaßtem Rot.

2. MAI. Die Pforte, die ins Weglose führt, wurde bisher nur im Vorübergehen
angekreidet. Ziemt es sich doch nicht, es zu beschreiten. --

Diejenigen aber, welche solange über die Schiffbarmachung der Luft
gegrübelt haben, sind nicht dieselben, welche sich auf Äroplane schwingen,
sondern viele Jahrhunderte werfen ihre wilde Brandung zwischen sie. Und
doch, und doch . . .

Wie in der nunmehr erkrankten Luft die Menschheit eine infizierte oder
jedenfalls, auch ohne es zu merken, eine affizierte ist, wie vielleicht ein
Pesthauch so allmählich unseren Planeten umschichtet, daß wir es nicht
gewahrten, ebenso glaube ich, daß bei vielen unter uns der innere Sinn dem
lautlos tumultarischen drängen und wogen (wo gäbe es Worte?) der so zahllos
und so jäh entströmten Leben zugewandter ist, als sie es wissen. Da sind
Akzente, da sind Lockrufe, die noch nicht ergingen . . . Da treiben wehe
Schwingungen der Wonne von unaussprechlicher Pein, da greifen Klänge ans
Herz, zerspringen und ermatten wieder, ohne zu ertönen, und da sind uns
Zaubertränke hingehalten, als hätten wir geistige Lippen, sie zu genießen
. . .

Es war nicht mehr Nacht, aber der Tag dämmerte noch nicht. Ich schlief
nicht mehr und war noch nicht wach. Eine Gestalt, höchst eindrücklich in
ihrer Schattenhaftigkeit, erfüllte die Atmosphäre bis an den Rand, als
müsse diese wie ein zu voller Becher überfließen, das Zimmer sprengen oder
sich entflammen. Und schon war das Unnennbare ungegenwärtig, und es wäre
lächerlich unzureichend, wenn ich sagte, es hätte sich entfernt, so ganz
außer jeder Beziehung stand es zu Zeit und Raum.

Was aber war inzwischen nochmals vor mir aufgeschimmert? Locken? -- von
einer Gelocktheit, die es nicht gab, von einer goldenen Blondheit, die
nicht vorkommt, ein Licht, das ich nicht kannte, schärfer, und dabei nicht
so grell wie das des Tages. Geisterhaft? Aber es war ja von einer
schärferen, wärmeren, pulsierenderen Lebendigkeit gewesen, als wir sie
kennen. Wir sind nicht lebendig genug, dachte ich bestürzt, und schlug die
Augen auf. Draußen hatte sich ein Wind erhoben. Die Fenster sahen auf den
Garten; der Himmel ganz blaß, aber im vollen Staat. Kleine Wolken als
Vorreiter ausgesandt. Die Bahn war frei, die Vögel vollzählig, Brust
heraus, in Positur und einzustimmen bereit. Höchste Spannung in den Bäumen:
kommt sie schon? Blumengeflüster: ist sie schon da? -- Es war alles wie am
ersten Tag.

                   *       *       *       *       *

3. MAI. Sicher haben die Menschen ihr Hofzeremoniell dem Sonnenaufgang
abgelauscht. An sich gewiß eine hübsche Idee. Mit acht Jahren war ich im
Kloster Page der schönen Gelmini, die an Epiphania mit dem Beinamen die
Gerechte zur Königin ausgerufen wurde. Meine Haare wurden Tage hindurch im
Hinblick der zu drehenden Locken mit gezuckertem Wasser gedrillt. Dem
Hofnarren fielen sie aus der Schellenkappe tief ins Gesicht. Denn gelockt
standen wir alle am Tage unseres Umzugs. Gelmini wurde zweimal gewählt und
starb das Jahr darauf. Wie groß war mein Staunen, als ich später erfuhr,
eine erwiesene Larve könne ihr Lebtag lang unter Zimbeln und Trompeten als
»Majestät« aufziehen. Und welches Gelächter erntete meine Entrüstung! Aber
wie oft hat der verspottete recht! Jede Epoche hat ihren wahren
Fürstenkonzern. Wir verkannten dies ganz: darum sind heute unsere goldenen
Kutschen remisiert. Großherzogliche Hoflieferanten, Palast- und
Schlüsseldamen, wo seid ihr? Terror der Wiener Komtessen, wo bist du? Kurz,
kurz ist's her.

Abends im Kursaal bei Musik geschrieben. A. H. Pax will in der
»Friedenswarte« eine tongetreue Übersetzung meines Protestes bringen, und
da er zugleich einen Beitrag für das Maiheft wünscht, setze ich meinen
Apparat in Bewegung. Es ist, als träten ungeheure Wasserwerke in Kraft, um
einen Fingerhut voll zu kredenzen. Stirnrunzelnd sitze ich inmitten des Hin
und Her von Eisschokolade und Tangotänzen, um einige Sätze über die
elsässische Frage zu formulieren. Ich begann mit ein paar Anspielungen und
zitierte mich aus einem Essay, den ich über die Markgräfin von Bayreuth
geschrieben hatte: der Frau fehle es zwar nicht an literarischer Begabung,
wohl aber an literarischer Perspektive, und für die Realität des
geschriebenen Wortes wohne ihr auch nicht entfernt dasselbe scharfe Gefühl
inne wie dem Mann. Heute sei hinzuzufügen, fuhr ich fort, ihr Interesse und
ihr Verständnis für Presse- und Parteiwesen sei in der Regel gering, und
auf jene allerletzten Endes so gedankenlose Parole: right or wrong my
country, wäre die Frau nicht verfallen.

So wird sie denn, erzählte ich von ihr, und meinte _mich_, nur wenig von
bisheriger Politik verstehen, dafür um so mehr von der kommenden. Denn es
ist ganz gewiß falsch, zu behaupten, man dürfe Politik nicht mit dem Gefühl
treiben. Wie veraltet die ohne Gefühl betriebene sogenannte Realpolitik im
Grunde schon war, hätten die zuletzt auf dem Plan erschienenen
jugoslawischen Völker sehr wohl erkannt, als sie einst jenen brüderlichen
Balkanbund zu gründen beschlossen, welcher dann am Widerstand der
europäischen Kabinette gescheitert war.

Es läge auch ein vollkommen richtiger Instinkt einer Versinnbildlichung der
Nationen durch überlebensgroße Menschengestalten zugrunde: Marianne, John
Bull, Michel, Onkel Sam . . . Von hieraus zieht sich deutlich ein Weg zur
Einsicht, daß den Beziehungen zwischen hochstehenden Völkern genau
dieselben Grundsätze unterliegen sollten wie zwischen hochstehenden
Menschen. Statt sich zu überlisten und brutal zu übervorteilen, suchen sich
diese im Gegenteil an Schonung, Großmut und Rücksicht gegenseitig zu
überbieten. Der Wetteifer um den Rücksitz hat als Ergebnis, daß man sich
darin teilt; statt einander zu berauben, hilft man einander aus. Man
gesteht sein Unrecht und wird vernommen, statt verdammt. Wäre somit eine
solche Politik nicht auch die praktischere?

Ich hätte mir vorstellen können, fuhr ich fort, daß auf einer solchen
Grundlage hin ein Dialog zustande gekommen wäre zwischen Michel und der
unversöhnlich von ihm abgewandten Marianne. Ich könnte mir wahrhaftigen
Gottes vorstellen, daß er -- nach Art der Liebhaber -- zu ihren Füßen
hingerissen, die elsässische Frage vor ihr zur Sprache brächte; ich könnte
mir vorstellen, daß im Laufe dieses Dialogs endlich ein Wendepunkt sich
ergäbe, von wo ab beteuert würde, was verneint worden war . . . und in
dieser Tonart lange hin und wieder so beharrlich, bis die wunde Frage sich
zwischen ihnen isolierte, auf einen höheren Plan gehoben, langsam über
ihren Häuptern wie eine Morgengabe schillerte.

Aber den Realpolitikern dünkte die andere Alternative, der wir heute
zusehen müssen, die gerissenere. Spätere Europäer werden sich freilich an
den Kopf greifen; dann aber wird vermutlich das andere Schlagwort aufkommen
vom Antagonismus der weißen und der gelben Rasse; und dann wird sich der
Himmel verfinstern von den neuen Schrecknissen; und dann erst werden die
Überlebenden nicht mehr bestreiten, daß die europäische Psyche durch
Assimilierung der asiatischen die endliche Bereicherung, ja ihre letzte
Vollendung erführe.

Nicht allein, daß die grauenvollen Erfahrungen, die geopferten
Generationen, die vergeudeten Jahrzehnte, Jahrhunderte notwendig sind, um
diese Welt zu Anschauungen zu bekehren, welche sich der einfachen
Nachdenklichkeit aufdrängen, sondern all diese Kriege, und die gewesenen
sind nur Vorstufen zu einem letzten Kampf, dessen Stunde zugleich mit der
Stunde der Vergeltung schlagen wird für jene Elemente, welche von jeher die
schlechte Sache in der Welt betrieben oder die gute verdorben haben. Die
Leute also, schloß ich meinen Aufsatz, welche auf den ewigen Krieg
schwören, mögen zufrieden mit mir sein; denn bevor jene Elemente (und es
sind stets überall dieselben) nicht gekennzeichnet und untergeordnet
werden, glaube auch ich an keinen dauernden Frieden.

                   *       *       *       *       *

Um mich von der Anstrengung zu erholen, setzte ich zehn Franken und gewann
zwei. Plötzlich taucht der Kriegsgewinnler vor mir auf und fragt, ob er
mich nach Hause begleiten dürfe. Es war sehr spät, ja, er dürfe. Er
begleitet mich also, ich aber leuchte ihm heim. Und siehe da, in dieser
nächtlichen Weile scheinen ihm sehr andere Bilder vorzuschweben als die,
mit welchen er noch gestern renommierte. »Es geht uns ja so lausedreckig,«
jammerte er, »warum verfolgt ihr das in den Brunnen gefallene Kind?« »Also
so steht es«, rief ich. Mein fertiger Aufsatz stimmte mich frech. »So steht
es, und ihr blufft weiter mit Schwertfrieden und Grenzverbesserungen in Tod
und Ruin hinein. Ich sehe schon, was für Argumente ihr schmiedet, falls es
schief ausgeht mit eurem Verbrechen!« Es läßt sich gar nicht sagen, wie
weinerlich, wie persönlich gutmütig dieser eingepeitschte Alldeutsche sich
herausstellte; wahrscheinlich der beste Gatte und Vater dabei, ein
gewissenhafter Arbeitgeber vielleicht.

                   *       *       *       *       *

Melide. Fortunio hat drei Elsässer getroffen. Im Schein der Windlichter
schlage ich ihm die Karten, er dagegen liest mir aus der Hand. Die
Edeljüdin hat ein rotes Tuch umgeschlagen, und wir sind vergnügt. Doch oh,
die Nachtigall, die wir am Heimweg schlagen hören. Mein Herz hing sich an
sie und drang in den Busch zu ihr. Ich hätte mich so gern nicht mehr von
der Stelle gerührt.

Der Himmel blieb die ganze Zeit über so blau, daß sich die Wolken in meinem
Gemüt angesichts soviel Sonne nicht behaupten konnten. Der erste bedeckte
Tag war auch der unserer Abfahrt. Ich nahm den Frühzug mit Paxens und
steckte meine Post gerade noch zu mir. Fürs erste galten dann meine Blicke
nur dem schwindenden See und den schnell sich verstellenden Bergen.

In Bellinzona trennten wir uns. A. H. Pax wünschte die Mitarbeit der Gräfin
Reventlow, und ich sollte sie zu ernsterer Arbeit ermuntern. Es stellte
sich aber heraus, daß nur 40 Minuten in Locarno blieben, so depeschierte
ich ihr auf gut Glück und fuhr dann durch das breite, lange Tal zum Lago
Maggiore. Sie stand am Bahnhof. Wir erkannten einander, ohne uns je gesehen
zu haben, und gingen mit einer Art von kalter Vertraulichkeit hinab zum
See. Ihr Zynismus kannte keine Grenzen, doch immer alles mit Grazie. Vom
Schreiben wollte sie nichts mehr wissen und hatte eine Übersetzung
unternommen. Bei jeder Seite freue ich mich, daß ich das nicht selber
geschrieben habe, sagte sie. Ich drängte sie zu größerem Fleiß, ohne
Anklang zu finden. »Mein Ideal wäre die Leitung eines großen Hotels«,
versicherte sie. Ihre Augen waren wunderschön. Ich sprach von ihren
Schriften, und daß keine Bücher dieses leichten Kalibers mit ähnlicher
Qualität geschrieben worden seien, so blaß, so spöttisch, so geistreich.
Aber sie schüttelte den Kopf: es sei zu schwer.

Wir gingen in der Mittagsschwüle den bergigen Weg zur Station zurück.
Einige Wochen später sollte sie in Konstanz ihrem Sohn zur Desertion
verhelfen. Heute amüsiert sie die Geisterwelt mit ihrem Witz. Schreiben
werden wir beide kein zweites Mal.

Ich hatte gerade Zeit, in den Zug zu springen: er bewegte sich schon, wir
riefen uns noch einmal auf Wiedersehen zu, bevor wir einander für immer aus
den Augen verloren. -- Zu lesen hatte ich gar nichts mehr, mit Ausnahme
einer französischen Zeitung, die unter meiner Post gewesen war. Sie
enthielt auf der zweiten Seite einen Angriff gegen mich: Erbitterte Zeilen
mit dem deutlichen Wunsch, mich zu verletzen. Fürwahr, dachte ich, das ist
wirklich zu unverdient. Aber der Verfasser täuscht sich: es ist mir egal.

Ich legte die Zeitung weg und sah in die Gegend hinaus. Merkwürdig
durchdrang mich da ganz und gar die Weite des Tals. Wie ein prächtiger
Festsaal der Natur, gemeint, als sei er auch bei Nacht zu erglänzen. Als
fehlten nur die Riesenkandelaber an den gleichmäßigen und feierlichen
Wänden der Berge.

Die Lokalbahn hatte Anschluß an den zweiten Zug, der von Lugano kam. Er war
schon eingelaufen. Fortunio und der Redakteur der Humanité standen auf dem
Perron. Ich reichte ihnen das Blatt, das mir unter Kreuzband zugeschickt
worden war, und wollte etwas dazu bemerken, es stellte sich jedoch heraus,
daß meine Stimme zwischen Locarno und Bellinzona hängengeblieben war. Hatte
die Luft sich abgekühlt? Wie Fanfaren drang das Blau durch die dunstigen
Wolken. Dicht vor dem Platz am Fenster, den Fortunio mir gesichert hatte,
zogen jetzt die grauen Riesenwände des Gotthard vorüber, durchstrichen von
zahllosen Wildbächen, die aus ihren unversiegbaren Gründen senkrecht im
hellen Jubel herabschossen. Es war ein Hals über Kopf sich überstürzendes
Geglitzer. Ich behielt sie im Auge, diese Flüsse, einen nach dem andern,
und zählte sie. Wie eine Rettung war's, als die table d'hôte ausgerufen
wurde und alles in den Speisewagen ging, Fortunio ganz besonders und der
Redakteur. Der Wunsch, allein zu bleiben, brannte wie ein Durst. Welchen
Auges mag der Hirsch das Laub, das sein Geweih vom Aste schlägt, das Tal,
die Tiefe einbegreifen, bevor er sich getroffen weiß? Wir wissen nicht, wie
seine Welt da vor ihm aufleuchtet. -- Was für ein selbstherrliches Ding ist
doch das Herz! Du rufst ihm zu, und es vernimmt kein Wort, als gehörte es
sich selber und nicht dir.

Verstrickte und sich selbst widerstreitende Liebesgefühle haben ihre
eigentümlichen Reflexbewegungen wie Zerreißungen und Wunden. Ich hatte mich
getäuscht: der Angriff in der französischen Zeitung war mir nicht egal. Und
wie aber hätte die Erbitterung zwischen den Zeilen mich nicht bewegt?
Zwischen den Erbfeinden des Abendlandes stand in Wahrheit reinste und
einzigste Erotik am Spiel. Was hier von jeher, was von neuem auf
Menschenalter zertreten wurde, war der Keim aller Verjüngung und Erneuerung
eines Kontinents, die Blume aller Allianzen. Alle andern sind unfruchtbare
Bündnisse dagegen, Geschwisterehen. Sagt mir nicht, daß es anders sei. Ich
weiß es besser.

Ach! Grund genug, wenn es jetzt den Augen unaufhaltsam entströmte wie über
die grauen Furchen der Gotthardfelsen. Oh! und nichts von bayrischem
Gebirg! Was sich da drüben hinter Schleiern spiegelte, das war Paris am
lauen Septembertag, der eigenen Erfüllung hingegeben, und einem Himmel, der
keine andere Stadt so überhing wie sie. War sie nicht meine eigenste
Heimat? War sie nicht die unerreichbarste Geliebte? War sie nicht eine
Göttin? Oh mein beraubtes Herz! Jedes Bild, jede Erinnerung an sie zerriß
es neu.

                   *       *       *       *       *

Abends in Bern, wo inzwischen auch der Frühling gekommen, sozusagen
ausgebrochen ist, leidenschaftlich abgetrotzt wie etwas, das sich
keineswegs von selbst versteht wie im Süden. Ich liebe im Norden nur den
Sommer.

4. MAI. Abigail stattete mir eine richtige Sympathievisite ab. Es fehlte
nur der Zylinder. Dieser neue Ziegelstein auf mein Dach dünkt ihm
entschieden de trop. »Erklären Sie mir nur,« sage, ich, »liegt denn eine
solche Ungerechtigkeit in eurem Interesse?« »Wir fragen heute nicht nach
Gerechtigkeit«, erwidert er. »Wir verlangen alles oder nichts, Sie bieten
uns die Hälfte, das ist zu wenig.«

»Sie vergessen, daß ich Deutschland liebe.«

»Es sind Gefühle, die wir zu wenig teilen, als daß sie uns interessieren
könnten«, erwiderte er steif.

Wir sprachen dann von anderen Dingen.

6. MAI. Besuch von Frau Karfunkel. Sie fragt mich, ob ich eine
Revolutionärin sei, und ich bin im Augenblick zu müde, es zu wissen. Das
Wort »gekrönte Republik« fällt mir ein, das kürzlich vor mir gefallen war.
Mochte es herhalten. »Eine gekrönte Republik«, sage ich und gähne.

Daß Frau Karfunkel mich kaum kannte, hinderte sie nicht, mir jetzt eine
jener Szenen zu machen, die man wie ein Unwetter über sich ergehen läßt.
Die Worte wie krasse Ignoranz gehörten zu den mildesten, die sie mir
vorsetzte. Sollte ich ihr sagen, warum? ihr bekennen, in welchen Gedanken
sie mich unterbrochen hatte? ihr den Grund jener mangelhaften Kenntnis
eingestehen, die sie so richtig erraten hatte?

Welchen Kriegsbericht hatte ich zu Ende gelesen? Von welcher Phase des
Krieges mir auch nur einigermaßen ein Bild gemacht? Über die erdrückende
Tatsache, daß er herrschte und kein Friede kommen konnte, sah ich nicht
hinaus. Für seinen Verlauf, seine Geschichte blieb mein Interesse ungefähr.

Was wollte die Frau bei mir?

Sie hatte mich aus der Arbeit gerissen, und ich war froh um die
Unterbrechung gewesen; so mühselig war die Pein, daß ihr Stigma sich den
Schläfen aufdrückt, und daß sie einsinken wie zermürbt. Oder gleicht eine
geistige Not der immerwährenden Welle vielleicht und die Schläfen dem
Stein, der von ihr zernagt und bearbeitet wird? Von den Dingen selbst ist
mein Verständnis so karg! Der Kommentar zu ihnen ist meine Sparte: ihn
stets von neuem, zergliederter, ausgreifender zu formulieren, ist der
Stachel, der mir keine Ruhe läßt, meine Einzelhaft mitten im Leben. Denn
über die Vielfältigkeit unserer Wege hin, sehe ich die Einfältigkeit der
Gefahr; die ewig selbe Fratze, die jeder edlen Bestrebung wie eine
verruchte Karikatur noch immer auf dem Fuße folgte. So schmal, schwankend
und immerzu gefährdet zieht unser Weg empor! Aber naiver als ein Soldat,
der mitten im Treffen nicht weiß, wo er steht, führte der Mensch bisher
seinen Kampf. Auch ihn trafen die Geschosse, ohne daß er sah, aus welchem
Hinterhalt sie stammten, und von der unheimlichen Geschäftigkeit, mit
welcher in den Niederungen sein Verderben betrieben wurde, merkte er nur
das Resultat. Unermüdlich und nahezu ungestört dürfen die Untermenschen,
von Herrschsucht besessen, in der Familie, dem Staat, der Gemeinde, der
Partei ihre zersetzende Arbeit verrichten. Aus Tausenden von Schlagwörtern
sind ihre Netze gewoben, der ganze ungeheure Nationalitätenschwindel hält
seit Jahrhunderten den Zusammenschluß der Vollwertigen auf. Notsignale zu
geben, bin ich hier. Unvernommen? Gleichviel! Ohnmächtig wie im Traum
hinauszurufen: Richtet Wälle auf! Seht euch vor! Achtet der Stufen! Schützt
eure Häuser! Mit unschuldiger Miene, ja mit dem Antlitz eines Engels
vielleicht, kauert das Unheil an euerm Herd. Oh Brüder, Freunde, nehmt es
nicht in eure Arme, wie ihr den Fuß nicht auf die sanft beschneite Stelle
setzt, ihr hättet sie zuvor geprüft.

»Ich glaube,« schreibt René Schickele, »daß der Sozialismus kommen muß mit
einer großen, tiefen Flut von Licht, die alle Menschen durchdringt.«

Und ich sehe, wie emsig die Schatten sich sammeln, welche danach dürsten,
dies Licht zu verschlingen.

8. MAI. Abigail klopft wieder an meine Türe. Er trägt sein breitestes
Lächeln, reicht mir die Münchner Zeitungen und lacht noch stärker. Sie
enthalten meinen Protest in der Telramundschen Übertragung, wahrscheinlich
von ihm selbst eingesandt.

»Und das sind die Leute, mit welchen Ihr Euch einlaßt«, brach ich aus. »Ihr
seid mir schöne Richter!«

Doch Abigail war in einer nicht zu verderbenden Laune. »Einigen wir uns,«
sagte er, »mag er denn Telramund heißen, unter einer Bedingung, verlangen
Sie nicht, daß wir Sie Elsa nennen.«

Die »Pressestimmen« ließ er mir zum Geschenk. Ich las u. a., daß ich »ein
hysterisches Weib von abgrundtiefer Gemeinheit sei«.

9. MAI. Beim bayrischen Gesandten; er kannte mich von Kind auf. Er empfing
mich. Aber der Verwirrtere, der Trostbedürftigere schien durchaus er. Es
war bei ihm wie bei den Hähnen der modernen Waschtische, die gleichzeitig
heißes und kaltes Wasser ausströmen: zwei Sprachen wie zwei Denkungsarten
entflossen da immer zugleich: seine eigene und die anbefohlene.

»Vous êtes déshonorée!« jammerte er.

»So schlimm ist es nicht«, redete ich ihm zu. »Kommen Sie, lassen Sie Gras
wachsen über die Geschichte.«

»Gras? Da wächst kein Gras. Je vous supplie ne rentrez pas en Allemagne; on
vous jettera dans les fers; je ne pourrai rien faire pour vous. Bleiben Sie
um Gottes willen da.«

»Ich bleibe schon da.«

»Ja, bleiben Sie da. Was wollen Sie in München? Es ist ja alles verpreußt.
Diese entsetzlichen Preußen haben uns ja alle aufgefressen. Ich bin der
letzte Bayer.«

»Ich auch.«

»Sie sind gar nichts. Vous êtes une criminelle. Ce n'est pas moi, qui vous
condamnerai, je suis votre ami. Vous êtes une criminelle«, unterbrach er
sich laut. »Oh, so viel Phantasie zu haben und so wenig Verstand! Sie sind
erledigt. Wir sind gefressen.«

Damit entließ er mich.

Daß dem alten Herrn der Krieg so über den Kopf wuchs, machte ihn mir nur
sympathisch. Es wäre jedoch hartherzig gewesen, ihn praktisch in Anspruch
zu nehmen. Ich hatte es gar nicht versucht.

MITTE MAI. Gerade in diesen Tagen lud mich Frau v. Schreckenburg, ohne mich
zu kennen, zu sich ein. Engländerin von Geburt, trug sie dabei den
gefürchtetsten deutschen Namen. Ihr Mann, von dem die Franzosen sagten:
»Heureusement qu'il n'en a pas l'air«, und die Engländer: »He is worth a
better name«, stand an der Spitze der Gefangenenfürsorge. Durch seinen
unzeitgemäßen Mangel jeglichen Strebertums fiel er gänzlich aus dem Rahmen.
Still, unermüdlich und geschickt verrichtete er sein humanitäres Werk.

Es nahte Felix Mottls Todestag. Ich wollte die Münchner erinnern, daß ich
es nicht von ihnen verdiente, unvernommen und mit Knüppeln vor das Stadttor
gewiesen zu werden, denn ich habe sie einmal vor einer großen Weltblamage
bewahrt. Einige Redakteure waren damals meinetwegen geflogen, und ich hatte
gesiegt. Waren solche Reminiszenzen angetan, den Herrn Chefredakteur zu
rühren? Er sandte mir meine Eingabe, obwohl durch Schreckenburg
übermittelt, mit dem Vermerk zurück, daß er sich für die Beiträge einer
Hochverräterin heute wie fernerhin bedanke.

An jenem Abend ging ich lange die beiden Brücken auf und nieder. Die
Jungfrau hatte eine Schärpe übergeworfen. Ein kalter Wind trieb von den
Gletschern herüber. Ich ging und ging. Es war wieder bei Fortunio viel von
einem Zusammenschluß der Geistigen gesprochen worden, und wieder ließ
keiner das Ausschließen seine Sorge sein. Was aber ging aus dem ungeheuren
Trugwerk dieses Krieges hervor, wenn nicht der vollendete und riesenhafte
Triumph des Sklaven über den Freien, wenn nicht die immer drohendere
Forderung, uns selbst jenes letzte Gericht erstehen zu lassen, von dem
geschrieben steht, daß es auf immer die Scheidung zwischen den Menschen,
die guten Willens sind und den anderen bestimmen soll? Ja, nicht die große
Einigung, den großen Bruch gilt es zuerst zustande zu bringen: die
herrische und heilige Offensive der menschenwürdigen Menschen, gegen jene
»Untermenschen«, welche Villiers de l'lle Adam als erster mit so großem
Nachdruck kennzeichnete. Erst gilt es, jenen allzulange geduldeten
Elementen das Stimmrecht zu entreißen. Sahen wir nicht alle großen und
bahnbrechenden Ideen in Verwirrung ausarten, das Christentum selbst unter
die Räder geraten und eine Sache um so sicherer verderben, je edler sie
war, weil Unzulänglichkeit und Niedertracht das große Wort zu führen in der
Lage sind; Solange diese Gattung ihre Gleichberechtigung behält, hat die
Menschheit nichts zu hoffen. Sie wird wie ein Kranker sein, der sein Übel
zu betäuben sucht, indem er sich auf seinem Schmerzenslager dreht und
wendet, oder hochaufgerichtet nach Atem ringt, um doch nur eine
illusorische Erleichterung zu finden. Sie wird alle Regierungsformen, eine
nach der andern, erproben, und ob sie auch ihre Könige gegen Republiken
eintauscht -- es werden doch nur falsche Republiken sein, und auch die
Anarchie wird sich als nichts anderes herausstellen als einen Mißbrauch der
Macht.

Und wie könnte die einzig wirkliche Freiheit entstehen, wenn nicht durch
die Knechtung desjenigen Pöbels, der allerorts alle Klassen, von den
höchsten bis zu den sogenannten niedrigsten verheert. Hierarchien aber sind
es ja gerade -- weniger rudimentär und kindisch nur als diejenigen, welche
man sich aufoktroyieren ließ -- Hierarchien aber sind es, die auf neuer und
gerechtfertigter Basis zu errichten sind: geben wir uns keinen Täuschungen
hin: die Klasse der Könige, der Fürsten und Herren, ja der ganze Troß der
kleinen Gentry sogar, er ist vorhanden (nur so anders!), und alle wahren
Adelsbriefe, die sich in unendlichen Fluktuationen aus der menschlichen
Würde ergeben, existieren auch. In allen Kreisen aber und durch alle Zeiten
hindurch wurde die wahre Elite gepeinigt, geopfert oder zur Ohnmacht
verdammt, weil urteilslose oder niedriggesinnte Elemente, die sich weder in
Gleichheit, noch in Brüderlichkeit zu ihr verhalten, dasselbe Stimmrecht
genießen.

Man rede mir also nicht von Zusammenschlüssen, sondern vorerst von neuen
Gesetzbüchern und neuen Statuten. Auf einen treibenden Sumpf, einer Welt
wie sie ist, Ringmauern aufzurichten, daran glaube ich nicht. Wozu führte
der vielgehegte voto pietoso Deutschland und Frankreich zu einigen? Statt
der stolzesten aller Galleonen ein Wrack, beiden nahezu unnennbar geworden.
Dieses Wrack ist mein eigenster Boden, ich verlasse ihn nicht. Die paar
Einsichten aber, die mich sehr bestimmte Erfahrungen lehrten mit der
Persistenz des Marktschreiers zu verkünden, ist mein Beruf.

Ich lehnte über der Brücke von Kirchenfeld. Hat die Nacht ihre eigene
Helle, daß sie uns die Dinge mit größerer Schärfe zeigt? Sie deckte jetzt
den Fluß, der unten den Bergen zurauschte. Von den Häusern in der Tiefe, so
eng geschart, fast ein Gerümpel, auf zartesten Säulenarkaden gehoben, und
wie edel! leuchteten jetzt munter die tagsüber so verschlossenen Fenster.
Wie wenig löste schließlich und endlich unsere zufällige Existenz von
unserem wirklichen Wesen aus! Vielleicht war sie nur eine Jahreszeit
unseres weitverästeten Seins. Wozu sich alterieren, redete ich mir zu, wozu
die Hast, wozu die Ungeduld? -- Es wurde zuletzt ein Spazieren mit der
Nacht, statt in die Nacht hinein, und ich war um eine größere Fassung,
etwas mehr Gleichgültigkeit für meine persönlichen Geschicke aus allen
Kräften bemüht.



Zweiter Teil.


Sie sah bezaubernd aus; ihre Achseln schienen der Ansatz zu Flügeln, und da
sie sozusagen zwischen zwei Fingern hochzuheben war, nannten wir sie mit
Fortunio das Zirkuspferdchen oder der Seidenaff. Wenn sie ernst zu sein
wünschte, waren wir grausam genug, sie auszulachen, doch nicht, um sie zu
verspotten, sondern weil ihr alles so gut stand. Ihr Gatte war San
Cividale, der Longobarde, wir hatten uns angefreundet, und es wurde ein
richtiger Anschluß.

Von den Ärzten ins Bad geschickt, depeschierte mir der Seidenaff aus
Rheinfelden, und nie kam eine Einladung gerufener. Ich suchte einen Mieter
für meine Zimmer und hatte ihn schnell. Bern war mir verleidet, ich hatte
dort vieles zu vergessen, Geldsorgen besaß ich auch. Nur die
Mozartaufführungen, welche unter Richard Straußens Leitung bevorstanden,
wartete ich noch ab. Sein schöpferisches Erschöpfen eines Werkes ist
sicherlich ein neues und interessantes Moment in der Kunst des Dirigierens.
Einem Don Juan, der ein großer Erfolg war, folgte jedoch eine Zauberflöte,
welche einige Kritik hervorrief; mich entzückte letztere weit mehr, so
zwar, daß sie einem ersten Eindruck gleichkam. Strauß hatte eine Pamina
mitgebracht, welche gesanglich und darstellerisch und durch eine merkwürdig
schöne Erscheinung der Partie so wohl entsprach, daß Symbolik wie Illusion
des Fabelreiches durchweg bestanden, bis der Vorhang vor dieser besseren
und geordneteren Welt endgültig fiel. Was bedeuteten Regiestörungen (tags
darauf hieß es, sie sei einem Engländer zu danken, der sich zu diesem Zweck
als Maschinist für den Abend verdingte) vor dem unvergleichlich hohen
Niveau dieser Vorstellung?

Am lautesten wurde am Schluß von jener Sorte Deutscher Beifall gespendet,
welche ihren schimpflichen Spitznamen so recht aus dem vollen verdienten.
Diese wandelnden Erreger des Deutschenhasses gingen mit dem deutlichen
Gepräge von Leuten einher, welche zwar rechneten und berechneten, aber
nicht mehr dachten, dafür seit einer Generation zuviel gegessen hatten. Sie
waren die Regisseure und Leugner des großen Kindersterbens, das jetzt in
ihrem Lande hinter den Kulissen um sich griff, und Scharen Deutscher,
würdig dieses Namens und liebenswert, gingen um jener Boches willen
zugrunde. Doppelt verrucht erschienen sie im Lichte der eben erfolgten
herrlichen Darbietung. Ich ersticke! sagte ich zu Fortunio, denn ein Knäuel
dieser wohlbestallten Patrioten schlenkerte vor uns über den Platz. Auch im
Dunkeln sah man ihnen an, daß sie jetzt schmausen gingen.

                   *       *       *       *       *


Rheinfelden.

21. JUNI. Mußte da dicht vor meinem Fenster hochgewölbt der Rhein
vorüberrauschen? Eine Brücke mit Schilderhäuschen in der Mitte legt schon
im Badischen an; freudlos, wie mit erblindeten Scheiben, sehen von dort die
Häuser herüber.

Heiterer war der Park. Wir lagen in Korbstühlen und schwatzten. Doch
Erinnerungen kamen nicht zur Ruhe. Aufgescheuchten Vögeln gleich schwirrten
sie hierher und dorthin und kehrten zurück . . . Der Sommer war im Land.
Das Schlößchen der schönen Marguerite, das selbst mitten im Kriege
Zauberkreise zog, wartete unser, und die Schwalben nisteten längst im
flachen Strohhut, der in der Halle von der Decke hing. Jetzt standen auch
ihre Koffer gepackt; . . . es türmten sich wohlgefaltet ihre schönen
Kleider . . . Die Unrast der Verbannten trieb mich aus dem Park ins
Städtchen hinunter, wo von der viereckigen Plattform des Turmes aus die
Störche ins Blaue steuerten. Was gab es schöneres wie ihren Flug? Klein
erschien mir die Schweiz. Wie ein herrlicher, aber für mich nach allen
Seiten hin verbarrikadierter Garten. Ich ging den Weg zurück, der ganz
umwachsen unter Bäumen führt. Wer nicht wollte, brauchte weder Fluß noch
Land zu sehen. Im Hotel aber lag eine Depesche für mich. Ich floh entsetzt
auf mein Zimmer. Die Freundin war tot. Mochte das Schlößchen am Berg Tür
und Tor sperrangelweit offen halten und warten, solange es stand, ins Leere
starrte fortan sein breitschrötiges Türmchen. Sie zog die Straße nie mehr
herauf, kutschierte nie mehr aufmerksamen Auges ihr Wägelchen in den Wald.
Fort von Rheinfelden, dachte ich, nur fort!

Es traf sich, daß die Kur nahezu beendet war. Wir fuhren nach Wengen. Der
Seidenaff durfte nicht steigen, ich kletterte drauflos. Hier waren alle
Höhen zur Hand. Hinter der kleinen Scheidegg setzten sie von neuem ein. In
weiten Senkungen kreiste ein Tal. Ich saß in einer Nische aus Fels und
Gras, die Füße hingen ins Leere.

Plötzlich, wie auf einen geheimnisvollen Anruf, ein lauter Stoß, ein
Gegenruf des Herzens. Denn es hat ja Arme, ich sagte es schon, und Flügel,
schwerausgebreitete und leichte, es hat sein geheimnisvolles Dasein für
sich allein. Vom Tode weiß es so wenig wie wir, nur dies hat es erkundet:
daß, wenn er uns nicht austilgt, der Lebende dem Toten zu Anfang mehr sein
kann, als dieser ihm. Dann wäre unser Eingedenken der Halt vielleicht, an
dem er seine ersten Schritte geht, und unsere Trauer sein Gewand.

Es war für die Verstorbene ein Gedenkbuch geplant, und ich hatte
versprochen, mich daran zu beteiligen.

Mag es noch so mannigfache Welten geben, sicherlich gebietet über alle eine
einzige Natur, ein allmähliches Sprießen, eine Reife, von trüben Himmeln
die sie aufzuhalten scheinen nur gezeitigt. Vor allen Dingen aber jenes
letzte und sehr tragische Zurückbleiben des Erreichten hinter dem
Gewollten. Wie ein letzter Same, der sich wieder in die Erde senkt, um
einer nächsten Ernte zu gedeihen.

Ich schrieb auf meinem hohen Sitz angesichts des kelchartigen Tales mit den
sanftanschwellenden Rändern. Die Sonne war gestiegen. Wie ein zieres Band
umschlang ein Pfad den ganzen Berg und lockte mich unwiderstehlich in die
Höhe. So kam ich zu einem kleinen Gasthaus und stapfte dann auf die Spitze
des »Männlichen« hinauf. Dort fing sich der Wind und wehte kreuz und quer;
dann aber stürzte ein Steig, schmal wie ein Strich, so pfeilartig hinab,
daß man, von einem Taumel erfaßt, zu rennen anfing und zu fliegen
verlangte. Von dem Tempo erfaßt, das von hier oben gesehen, die Jungfrau
entfaltete, die mit mächtiger Schulter die ganze Kette der Alpen mit sich
riß. Unglaublich schnell griffen jetzt die Schatten in dem verströmenden
Gold dieses Tages um sich; schon profilierte sich diese oder jene
Bergeskante zu einem grotesken, dort zu einem erhabenen Riesenhaupt,
schlafend, offenen Mundes zurückgeworfen, oder wie entseelt mit
beschneiten, eingesunkenen Schläfen zur Seite gekehrt, die Luft darüber wie
ein unendliches Gewölbe.

Auch manche Felsenburg tat jetzt entbrannte Zacken auf; kurz, eine andere
Welt als die des Tages stand schon gerüstet. Plötzlich hielten mich
zwischen zwei scharf vorspringenden Felsen zahllose Schafe auf, die mächtig
wie ein Volk auf halber Höhe den Berg belagerten. Mit ihnen zog eine Anzahl
Widder, die innehielten, als sie mich kommen sahen, und mich aufmerksam,
wenn auch stolz, betrachteten. Nirgends ein Hirt zu sehen, als wären sie
die Führer. Ihre geschneckten Hörner abwartend mir zugekehrt, versperrten
sie den Weg. Um weiterzukommen, mußte ich halb quer hindurch, halb mit der
Herde laufen. Eine überwältigende Ruhe, ja ein Glück ging von ihr aus, daß
man, am liebsten auf vieren gestellt, eins mit ihr geworden wäre.

Der Weg nahm gar kein Ende. Meine Schuhe gingen in Stücke. Meine Füße waren
zerschunden. Schwer hinkend erreichte ich endlich das schon a giorno
beleuchtete Wengen. Aus der Halle des Hotels trat der Seidenaff im
Tuchbrokat von silberigem Weiß, hoch mit Zobel verbrämt. Doch der Jugend
kommt alles zugute; kostbare Gewänder unterstreichen sie nur. Die leichte
Gestalt wird durch den schweren Staat gehoben, nicht gedrückt. Lang und
gewichtig hing die Perlenschnur herab. Das Haar war braun. Gerade seinem
weichen Schimmer schmeichelte die Härte des diamantenen Reifs. In
Treibhäusern wird heute die gefüllte, immer gefülltere Nelke gezogen. Mit
solchen gefüllten Nelkenaugen, gut und klug, doch fern dem Ziele, blickte
der Seidenaff.

Tags darauf fuhren wir zu Tale, San Cividale, dem Longobarden entgegen.
Fortunios schrieben aus Beatenberg, wo ich mich denn herumtriebe, und fürs
erste blieb ich jetzt in Interlaken, um meinen Nachruf zu beenden. Da mir
keine Seele des Ortes bekannt war, verbrachte ich meine Tage ohne zu
sprechen, und schon lebte ich eingesponnen und wie unter Glas, als die
Lektüre eines Zeitungsartikels mich ganz aus der Stimmung riß. Es war ein
Aufruf von Andreas Latzko, der wesentlich aus Vorwürfen, und zwar sehr
berechtigten Vorwürfen an die Frauen bestand. Nun haben diese ja im Kriege
versagt und die härtesten Dinge zu hören verdient, doch nur ihnen selbst
kann es zustehen, sie zu äußern, dem Manne heute mit keinem Wort. Ihre
Unzulänglichkeiten sind sein Werk, von ihm gezüchtet und beabsichtigt,
selbst sein Überdruß an ihr war als Triumphgasse für seine Eitelkeit
gedacht, was er vollends ihre Ungleichheit nannte, war seine Politik. Wie
stark seine Krone zerzaust ist, ahnen beide noch nicht. Die »Penalty of the
war«, von der soviel die Rede ist, wird noch eine ganz andere sein, als man
im allgemeinen glaubt. Die Frau wird ihre Chance haben. Mag der Mann noch
auf Jahrhunderte das Überragende leisten, ihr Aufstieg wird sich
unaufhaltsam als eine Folgeerscheinung seines Bankrotts vollziehen. Bilder
schwebten mir vor . . . . war sie nicht schon im Begriff, mit jedem
Jahrgang schöner, individueller zu werden? Erhob sich ihre Gestalt nicht
freier, knabenhafter, mehr auf sich selbst gestellt, von Jahr zu Jahr?

Schlimmstenfalls konnte ihr Regime zu keinem ärgeren Chaos führen, als das,
welches wir unter der ausschließlichen Führerschaft der Männer und ihrer
Gesetzbücher erleben. Oh diese Gesetzbücher! Sie forderten, daß man vom Tag
eines Krieges an nurmehr mit seinem Vater verwandt sei.

In meiner Aufregung, meiner Bedrücktheit, lief ich in der Mittagshitze den
Brienzer See entlang, bis zur Erschöpfung. Und mit einem Male wurde mir das
Karthäuserschweigen viel zu viel; da zudem schwere Regentage einsetzten,
brach ich auf und fuhr nach Beatenberg.


Beatenberg.

AUGUST. Ich wohnte eine halbe Stunde von Fortunios entfernt, und mein Hotel
stand zu Anfang der breiten Straße, die über tausend Meter hoch ganz eben
dahinläuft, den großen Rat der Gletscher stets im Angesicht. Wie zu einer
Riesenpolonäse aufgestellt, schienen sie, je nach der Beleuchtung,
zurückzutreten oder loszuschreiten bereit. Nur der Regen sprengte den Bund.
Dann verschwand jeder einzeln in seinem Zelt und wußte nichts mehr vom
andern. Wusch sich aber nachts der Himmel wieder rein, so hielt beim
Morgengrauen die Jungfrau entgeistert Cercle, als harre sie nur des
Zauberrufes, um der Sonne bei ihrem ersten Strahl ekstatisch
entgegenzutanzen. Leider kam auch hier die Arbeit nicht in Fluß; das sehr
geräuschvolle Haus bot keine Möglichkeit, sich abzusondern. Unmittelbar
daran grenzte der Wald und führte sogleich sehr steil ins Weglose hinab.
Und hier nun entdeckte ich eines Morgens, ganz hinter Tannen versteckt und
der Tiefe zugewandt, ein kleines, verlassenes Blockhaus. Ich rannte ins
Hotel zurück, forschte nach dem Schlüssel und erlangte ihn. So gehörte das
Chalet mir, da ich es beziehen durfte. Den Schlüssel ans Herz gedrückt,
eilte ich zurück. Im Raum des Erdgeschosses verbrachte ich nun meine Tage.
Die Läden blieben herabgelassen. Nur durch die Türe, die ins Freie führte,
drang das Licht; auch die Bäume hielten es auf. Nur Tannen, Wald und Moos
und keine Aussicht außer sie. Hier hatte man vor den ewigen Gletschern Ruh.
Und keinen Laut als den der Vögel.

Oh Sommersmitte! Oh göttlicher Augenblick des Innehaltens, du ohne Zeitmaß,
ohne Intervall, mitten ins Jahr gesetzter Orgelpunkt!

Groß aber blieb die Not der unterbrochenen Arbeit.

Zwischen Tür und Fenster lief eine Ruhebank mit daraufgeschütteten Kissen
die Bretterwand entlang. Ich warf mich hin; ächzend. Es roch nach Tannen,
Blumen, des Morgens im Walde gepflückt, hingen schon ermattet im Glase. In
diese holde Schwüle tanzte ein geflammter Schmetterling herein. Mein
rechter Arm hing herab, ich war zu lässig, ihn zu heben. Vor Wonne fielen
mir die Augen zu. Hält die Einsamkeit der Gemeinschaft Letztes, die wir
Lebende ersehen? Was war geschehen? Verloren blickte ich auf. Der Falter?
War er als Bote hereingeflogen? -- Wer war gegangen? --

Flüchtig ist kein Wort. Und doch . . Von welcher Gegenwart und welch
durchdringendem Ton vibrierte nunmehr auf immer die Luft dieser Hütte? War
sie, deren Bild ich festzuhalten suchte, ein Elf? Denn der Griff einer Hand
von elfenhafter Feinheit hatte deutlich die meinige erfaßt. In
unbeschreiblicher Rührung hob ich den Arm, sprang auf, saß wieder vor dem
Tisch, das Gesicht in den Händen vergraben, und fuhr nun endlich wie in
einen Schacht tief in meine Arbeit ein.

Da fiel ein Schatten -- jemand trat unter die Türe. Es war Fortunio. Ich
stieß einen Schrei aus, als sei er ein Gespenst, und fühlte Nervenstränge,
deren Vorhandensein mir jetzt erst zum Bewußtsein kamen, zerreißen. »Wissen
Sie, wie spät es ist?« lachte er. Seltsam. Sogar seine Stimme erfüllte den
Raum mit Schrecken. Das Ganze war zu arg, es zu erörtern. So machte ich
mich denn bereit, das Chalet zu verlassen, warf aber, die Türe
abschließend, noch einen Blick zur Ruhebank zurück, zum Tisch mit den
Blumen im Glase, zu diesen Wänden, in welchen ich eins geworden war mit der
Luft und der Seele dieses Tages.

Was war noch immer kurzatmiger als wie mein Flug? Nicht von Schwingen
durfte da die Rede sein, die ausgebreitet und aus eigener Kraft die Höhen
beherrschen und sie behalten. Eher einer Rakete vergleichbar, die, wenn das
Glück es will, emporschnellt und höher! höher! ruft, weil sie doch gleich
verstiebt. Da ist es Pech natürlich, wenn man sie herunterholt.

Wir gingen nun zum Hotel hinauf und setzten uns auf die Veranda. In der
Tat, der Abend war sehr vorgeschritten. Beschaulich hing Fortunio an der
Gegend. Die eben noch umglühten Gletscher traten jetzt, als sei die Sonne
auf immer von ihnen geschieden, von Blässe wie erschöpft, zurück. Welch ein
Tag! -- Und schon faßte mich Grauen bei dem Gedanken, ihn einsam
beschließen zu müssen oder ins Chalet zurückzugehen. Stand es noch? War's
nicht versunken? Oder nur erträumt? So zog ich denn mit Fortunio die lange
Bergstraße zurück. Endlos dehnte sich hier der Ort. Ganze Strecken zeigte
sich kein Haus. Und siehe, schon herrschte der Mond. In seiner ganzen Fülle
und unerschöpflich überfließend, umschlang er streitsüchtig jeden Schatten
und brachte seine Schwärze ans Licht, kroch unter jeden Baum, durchquillte
alle Wälder und stieg und stieg in immer geharnischterem Glanz, bis eine
trunkene Erde, von ihm umsponnen und ganz mit ihm vermählt, mit allen
Pulsen zum Himmel schlug. Voll Entzücken hatte sich die Jungfrau
aufgerichtet -- Mönch und Eiger an der Hand, loszutanzen bereit.

                   *       *       *       *       *

Tags darauf fuhren San Cividale, der Longobarde und der Seidenaff die
steile Höhe herauf. Von weitem schwang sie als Erkennungszeichen ihren
Schirm rundum. Jungfer und Kofferbestände hatte sie unten gelassen und trug
eine äußerst gerissene Sportjacke, in der ihre Figur zu zergehen schien,
und eine zwischen mausgrau und mauve spielende Hemdbluse aus japanischer
Seide, deren perfide kleine Männerkrawatte das ultrafeminine ihres
Gesichtes zu letzter Wirkung erhob. Die gefüllten Nelkenaugen, die das
alles sehr wohl wußten, blickten unbeteiligt flüchtig und beschattet. Es
war nur ein kurzer Besuch. Das Bähnchen trug sie bald wieder davon. Und mit
einem Male waren mir diese ewig hingerissenen Gletscher, die nie
marschierten, verleidet. Herrlich in der Tat war auch der Mantel der
Vorberge, der in so tiefen Falten über sie hinschlug, und herrlich war's,
wie er -- von oben gesehen -- den See nachschleifte, gleich einem
köstlichen Saum. Beseelter aber blickte dennoch das Gebirge am Säntis, Jura
oder Engadin, als in dem gewaltigen und dekorativen, aber fast überall
stark abgekehrten Oberland. Ich sehnte mich nach mehr brüderlichen Weiten,
und sehr plötzlich, ohne das Chalet wieder betreten zu haben, fuhr ich
hinab. In Spiez schrieb ich meinen Nachruf ins reine.


Marguerite Kühlmann.

An den Kreis ihrer engsten Freunde wende ich mich, sie, die zu ihr standen
wie die Strahlen der Sternblume, deren Name sie trug; denn so hingen sie
ihr an, und so faßt sie nunmehr die gemeinsame Klage zusammen. Wie
beneidenswert sind sie gewesen! --

Nicht, als seien sie sich dessen zu spät bewußt. Hier trifft sie kein
Vorwurf. Vielmehr hegten sie ihr Wissen um das Werden dieser bedeutsamen
und seltenen Gestalt, die von ihrem schönen und guten Wesen so viel weniger
genießen durfte, als der gleichsam von ihr ausgestrahlte Kreis, dem sie es
zuwandte. Denn wieviel Sonne war in ihr verwoben, und wie beschattet ging
sie doch! Unter der rhythmischen und unzerstörbaren Ruhe ihrer Bewegungen
welch unaufhaltsames Vorwärtsschreiten! Wer hat sie je hastig gesehen? Und
doch welch ahnungsvolle Eile, sich zu erfüllen!

Geistigen Dingen zugewandte Menschen finden sich gewiß nicht selten; der
Maler und Musiker, auch der Liebhaber der Künste sind viele. Aber wie
wenige gibt es, die auf das Schöne selbst Anziehungskraft besitzen, so daß
es wie auf mystischen Ruderschlägen ihrer Atmosphäre zugeführt, immer mehr
Natur und Element bei ihnen wird, und tatsächlich eine Art von
Wechselwirkung sich ergibt.

So aber war das Schöne -- wie ein Meister an seinem Marmor -- bei ihr am
Werk. So umhing es ihre Erscheinung, so meißelte es an ihren Zügen und hob
sie zu letzter Vollkommenheit der Linien und des Ausdrucks. Unsere Herzen
sind wund von der Erinnerung ihrer Hände, so schwebend, einsam und
gesammelt, verklungen, auch sie mit der weiten Melodie ihres Seins.

Den wahren Hintergrund zu ihrem Bilde aber stellt einzig jene offene und
merkwürdige Gegend, in der sie sich so heimisch fühlte, weil sie ihr glich.
Dort, wo ihr kleiner Landsitz hart an der dunkeln Bergwand lehnte, von
Mauern lang umfriedet, vor dem Tor die hohe Linde schon den Bergfluß
überhing, und sein Gestein, und schon wie vor den Almen leere Bergwiesen
ansteigen, auf welchen die Kühe bis hin zu den nahen Wäldern weiden; und
diese sind wenig begangen, schwer verträumt und düster fast, weil hier
sogleich das Hochgebirge seinen feierlichen Zug beginnt.

Doch öffnete man das Tor zum Hause, ach! Wie rauschte es da von den
kunstvollen Brunnen und den Fontänen, in welcher Fülle zogen sich die
Blumenreihen hochaufgerichtet durch den Garten hin! Und die Ebene ist's,
nach welcher dieser steile Garten niederfällt, und schaut: auf halber Höhe,
wie zur Freude hingemalt, der Kirchturm von Murnau, links die ersten Berge,
ansehnlich, aber noch vereinzelt, sanft umrissene Präludien des Gebirges.
Nach Osten aber, wo sich anstatt der Mauer die lange Wandelbahn und
hölzerne Gartenzimmer nachsommerlich hindehnen, wölbt sich als Abschluß der
finstere Berg.

Hier waltete sie im lichten Kleide inmitten ihrer Blumen, wenn in der Ferne
ein goldener Sonnenstaub den Tag begrub, oder sie sah wartend nach dem
Mond, der so plötzlich hinter dem schwarzen Grat aufging und dann sogleich
alle Grotten und Beete übergoß, und nur die finstere Bergwand noch
finsterer beließ. Und auf erhöhtem Stande der Apfelbaum, wie sie ihn
zeichnete, mit den Windlaternen bunt über dem Tische wehend!

Hier fühlte sie sich heimisch, hier drang das Lachen ihrer Kinder immer bis
zu ihr, und die Schwalben zogen durch die Fenster unermüdlich ein und aus.
Und drinnen der Tisch vor den breiten Scheiben, ach Freunde: vor dem sie
saß -- niemals müßig --, lesend oder malend, oder eine jener kunstvollen
Arbeiten zur Hand, mit welchen dieses Haus geschmückt ist, dessen Bau,
dessen edle Räume wie für sie erdacht, durch ihre eigene Anmut etwas so
Zauberhaftes wurden, daß sie durch ihren Tod für uns verschüttet liegen.
Die Türen, ach, durch die sie trat.

Doch jenseits der Vorberge, in einer versteinerten Welt, ganz klein und auf
unwahrscheinlicher Höhe steht die Jagdhütte, an deren winzigen Fenstern sie
die rot- und weißgewürfelten Gardinchen hing; sie liebte das Frohe. Ganz
dem Schauen hingegeben, lief sie dort die Kanten der Berge entlang, denn
das einzig Verweilende an ihr, von allem Persönlichen unmittelbar
Losgelöste war ihr Auge. Bald lockten sie die Höhen, bald die Weite und das
Moor, oder sie stellte dort ihren Malstuhl auf, wo der kleine, von der
Abendsonne warm getönte Fluß so rasch den gemiedenen und immer trauernden
Hügel umfließt.

Diese reichhaltige Landschaft, die sich wie ein Fächer dem Auge entfaltet
und verschließt, glich ihr so ganz, daß für uns, die sie dort sahen, ihr
Bild wie eingetragen bleibt in diese Gegend.

Nicht auf Festen schwebt es uns vor, deren Glanz das sanfte Feuer ihrer
Schönheit so sehr erhöhte, und nicht in großen Städten, weder in Paris,
dessen geistiges und künstlerisches Leben ihr so nahe ging, noch in London,
wo sie gefeiert und bewundert wurde. Denn in ihr hatte Deutschland eine so
liebenswürdige und seltene Vertreterin gefunden, daß die Sympathien, welche
sie sich erwarb, durch die Ereignisse nur verstummten, aber nicht verloren
gingen. Denn weit über die Gräben hin, welche die Nationen voneinander
trennten, klang ein Echo der Trauer über die Kunde ihres Todes herüber.

Es mag ja sein, daß ihre großen Erfolge im Ausland ihr um so neidloser
zugestanden wurden, als man sah, welch flüchtigen Gast sie krönten. Denn
ehe man sich's versah, lagen ihre viel bewunderten Kleider in Kisten
wohlverpackt, und sie selbst stand am Perron, Sehnsucht im Auge, um nach
ihrem geliebten Ohlstadt zurückzufahren. Sie erzählte noch im letzten
Sommer ihres Lebens, sie habe mit Freudentränen um sich her geschaut, als
sie den »Raunerhof« zum ersten Male und zugleich als ihr Eigentum
besichtigte.

So nah berührte sie der Ort.

Es waren pantheistische Anklänge in ihr, die man nicht überhören durfte, um
sie zu kennen.

Denn so edler Natur war die zu weite Spannung ihres Wesens, die eine Lücke
ließ zwischen dem Leben und ihr. Ein suchendes, verlorenes Etwas fand hier
seine Brandung, und was Wunder, daß sich ihr Blick, allen Sicherungen zum
Trotz, so häufig aus dem Alltag, wie aus einem zu engen Hause stahl.

Und kannte ihn doch kaum.

Seine immer neu sich bereitende Unsicherheit, böse und gefährlich wie die
Gärungen der Gletscher, seine Verweigerungen, seine Öde erfuhr sie nicht.
Ja, sie blieb von einer zu deutlichen Kenntnis dieser Welt bewahrt; ob sie
es merkte oder nicht, ihr Kontakt mit ihr war immer umgeschaltet, ja sie
war geschützt. Aber wir wissen heute, warum die so innig Umringte dennoch
einsam und beschattet ging, als sei alles vergebens; was dies heimliche,
innere Versagen und ihre unrobuste Art bedeutete. Denn wir wissen nicht,
was sich in denjenigen bereitet, die inmitten ihrer Jugend von den Höhen
des Lebens weg, einzeln und jäh zu den Toren des Todes hintreten und in
seine Verlassenheit gehen. Keine letzte Verklärung, kein noch so sanftes
Verlöschen nimmt einem solchen Los etwas von seiner Schwere.

Ach die besten Freundesherzen sind noch zu träge! Allzu leichten Sinnes
nahmen wir das schöne Geschenk ihrer Gegenwart hin und bedachten die
deutlichen Merkmale eines frühen Scheidens an ihr nicht. --

Wer hat nicht jene Flugzeuge gesehen, die als dünner Korb, nur durch Taue
einem Riesenball verbunden, ganz ohne Geknatter vorüberschweben? Ein
Windhauch streift die von ihm Getragenen. Je höher sie sich steigen sehen,
desto langsamer dünkt ihnen sein Flug. Da zieht vielleicht eine Wolke
vorüber, von einer schwarzen Kugel pfeilschnell durchzuckt und alsbald
überflogen, die nichts anderes war, als der Schatten des Balles, der
unbewegt und still wie eine Ampel in der Luft zu hängen schien.

Dies aber war bei stillem und oft schwer verträumtem Wesen das Tempo ihres
inneren Werdens; mit so verzehrender Eile durchmaß sie ihre Bahn, und nur
wer ganz zuletzt in ihrem Umkreis lebte, vermöchte auch das Letzte über sie
zu sagen. Denn immer merkwürdiger und geschlossener wurde die Harmonie
dieser, vom Dianenhaften so getragenen Gestalt. Nur tragischen Naturen aber
ist es gegeben, sich zu erfüllen. Die Norm ringt sich vom Fragmentarischen
nicht los.

Oh Marguerite! Daß meine Worte sich aufrichten dürften wie Säulen, und daß
sie sich zusammenschlössen dir eine Stätte zu bilden des Innehaltens und
der Rast, wo du -- staunend vielleicht, doch ohne Gram -- zurückblicktest
auf dein Leben; oh daß es zwischen seinen Ufern an dir vorüberzöge und dein
sinnendes Auge so darauf verweilte, wie einst in deinem Garten auf das
Getürme der Wolken im verglühenden Tag.

                   *       *       *       *       *

SEPTEMBER. Meine Zimmer waren zum Glück bis in den Oktober hinein
vermietet, und ich trieb mich bald hier, bald dort herum, bald in Zürich,
bald in Luzern, in Montreux oder Genf, nur nicht in Bern.

Die Ära Kühlmann war ein Grund mehr, es zu meiden. Man erinnerte sich
prompt, daß ich in London in seinem Hause verkehrt hatte, und meine
Stellung gestaltete sich noch um ein Stückchen schiefer. Ich hatte jetzt zu
schreiben wie ein Minister, und es regnete Briefe. Sie betrafen zumeist
Todesurteile, Deportationen, versprengte französische oder belgische
Kinder. Dabei hielten jetzt die Zensuren meine Korrespondenz scharf im
Auge; die harmloseste Post aus Deutschland erreichte mich erst in vier,
Expreßbriefe erst in sechs Wochen. Um an Kühlmann zu schreiben, mußte ich
schon seinetwegen den Umweg über die Gesandtschaft wählen. Meist wandte ich
mich an Schreckenburg oder an den Grafen Carry. Zu Anfang ging's. Zwei
junge Belgierinnen hatten ihren eigenen Landsleuten Warnungen zukommen
lassen; dafür sollte die eine erschossen werden. Kühlmann erreichte
ziemlich rasch eine Rückgängigmachung des Urteils. Auch eine kranke Dame
aus Cambrai brachte er noch über die Grenze. Als ich aber wegen der Familie
des Professors von L.-P. bestürmt wurde, die Frau und fünf Kinder, (der
älteste Sohn im deportationsfähigen Alter[1]), in die Schweiz zu retten,
schickte mir Kühlmann ohne Kommentar den Zettel, auf welchem die hohe
Militärbehörde eine Bewilligung seines Gesuches kurz und bündig
verweigerte. Auch ohne dies -- acht Tage nach seiner Ernennung -- wußte ich
ihn verloren.

[Fußnote 1: Als ich das erstemal in der Schweiz war, gab mir Aramis ein
Dossier über die Deportationen, von deren Einzelheiten ich noch keine
Ahnung hatte. Wer die französische Familie kennt, und weiß, wie sehr sie
ihre Töchter hegt und hütet, der sah hier wahre Abgründe des Hasses und der
Rachgier bereiten. Ich fuhr damals von Bern direkt nach Berlin, kannte aber
von den Ministern jener Tage nur Solf, und auch diesen nur ganz flüchtig.
Ihn bat ich in einem aufgeregten Brief um eine sofortige Unterredung. Er
war gerade an einer Angina erkrankt und empfing mich zu Bett mit einem
hochroten Gesicht, Eisbeutel auf dem Kopf. Am Fenster, mit dem Rücken gegen
das Licht, stand ein Oberst. Ich kramte nun die Notizen hervor, die ich vor
der Grenzüberschreitung in den Bodensee geworfen, und zwischen Lindau und
Kempten wieder ins reine geschrieben hatte; der Oberst sprach die
Befürchtung aus, daß sie der Wahrheit nur allzusehr entsprachen.

Mit Hilfe dieses militärischen Freundes setzte Solf, obwohl gerade damals
grimmig von den Alldeutschen angefeindet eine enquete durch. Und schon
glaubte ich die Partie gewonnen und das Handwerk der Herren Ludendorff und
Konsorten gelegt. Denn wirklich konnten Tausende von Frauen damals nach
Hause zurück, und in ihrer ärgsten Form wurde die Methode eingedämmt. Aber
das Hauptquartier war noch Trumpf. Meine Darstellungen, so hieß es, seien
nicht nur die hellste Übertreibung gewesen, oh nein! sondern die
deportierten Töchter wären sehr erfreut, sich dem öden Einerlei ihres
untätigen Lebens entzogen zu sehen; man gewann richtig den Eindruck, als
müßte es für ein junges Mädchen von guter Familie geradezu eine Lust sein,
deportiert zu werden, und nur eine Bagatelle für die Eltern, ihre Kinder --
manches Mal auf Nimmerwiedersehen -- aus ihrem Hause gerissen zu sehen,
ohne die Möglichkeit von ihnen zu hören und ohne zu wissen, wohin man sie
führte. Soll die Axt nie begraben werden? -- Eine Versöhnung der beiden
Nationen ist eine so große Notwendigkeit, daß schon aus praktischen Gründen
nicht immer einseitig nur über das erlittene Unrecht Buch geführt werden
sollte. Und es ist für die Deutschen die große Gelegenheit gekommen! Heute,
wo der französische Militarismus seine Stunde begeht, haben sie nur ein
Mittel, Frankreich von seiner Rachepolitik abzubringen, indem sie -- statt
wiederum von Rache zu reden -- es zu fühlen geben, daß sie beklagen, es zu
dieser Rachepolitik so schwer gereizt zu haben.]

Ich muß hier bis in den Londoner Sommer 1913 zurückgreifen, und zwar bis zu
dem Abend meiner Abreise nach Irland. Kühlmann war damals jener Pläne stolz
und froh, welche ein Jahr später in der von ihm inspirierten Broschüre
»Weltpolitik ohne Krieg« ihren Ausdruck fanden. Ich erinnere mich jenes
Besuches noch sehr genau; die Teemaschine sang, wir besahen einige Bilder,
und dann fuhr mein Zug, der um Mitternacht die Küste erreichte. Alle
Kabinen des Schiffes jedoch waren besetzt, und ich hatte vergessen, eine zu
reservieren. So blieb nur der große Schiffsalon, wo ein freundlicher
Steward mir in den tiefen Ecken des die Wände entlanglaufenden Sofas ein
herrliches Lager bereitete. Der Länge nach ausgestreckt, hatte ich auf
diese Weise eine Riesenkabine für mich allein und konnte mich vor Freude
gar nicht beruhigen. In meine lange Lederschaukel tief hineingebettet wie
in eine Muschel, hoch hinauf und hinunter schwingend mit dem nächtlichen,
heftig bewegten irischen Meer als Wiege. Wie sang, wie rauschte es mich zur
Ruh! Wie segnete ich den Steward und meine eigene Vergeßlichkeit. Hin und
wieder waren mir die Götter doch hold.

Doch weh, ach wie schlug ihre Gunst in die grausamste Ungnade um! Oh des
zerrissenen Schiffes, das schon aufgehört hatte zu sein! In ein
Rettungsboot gestoßen, auf eine Planke geworfen und nichts anderes als den
Tod von den eben so gepriesenen Wellen zu gewärtigen, wühlten sie sich zu
Felsen auf, hart und unbarmherzig mich zu begraben. Vor mir ruderte
Kühlmann wie besinnungslos, und seine Anstrengungen angesichts eines
solchen Orkanes dünkten mir lächerlich. Aber ich ruderte ja selbst
mechanisch aufs Geratewohl, und dann stürzten die schwarzen Berge über das
Boot.

Wieder rauschte das Meer im eintönigen Sang, über mir war schon erkennbar
in der ergrauten Nacht die Decke des Schiffes, und ich lag wie zuvor in der
ledernen Muschel gewiegt. Aber für kein anderes Lied als für das finstere
Echo meines Traums hatte ich ein Ohr. Alle Freude war tot. Ich warf die
Decken fort und saß zusammengekauert, schlaflos, verwüstet, uralt.

Durch den Krieg glaubte ich meinen Traum erfüllt. Die Ernennung Kühlmanns
hatte mich zuerst gefreut. Er hatte von Jugend auf mit allen Kräften dem
Krieg entgegengearbeitet, und ich hoffte, es würde ihm gelingen, sein Ende
herbeizuführen.

Aber er waltete noch keine acht Tage seines Amtes -- ich war in Wengen und
lag in der Sonne -- als im Halbschlaf das Bild eines hohen Gerüstes sich
aufdrängte, ähnlich dem Eiffelturm, und auf der Spitze Kühlmann, aber schon
im Begriffe kopfüber abzustürzen, so zwar, daß er sich in der Luft zu drei
Malen überschlug.

                   *       *       *       *       *

Am Tage nach seinem »Niemals« kam Abigail mit einer stoßbereiten Miene, wie
ein Widder zu mir. Zur Annahme einer schroffen Haltung Kühlmanns war ich
jedoch um so weniger berechtigt, als mein frühestes Buch Aufsätze, welche
auf seinen Rat den französischen Titel »L'âme aux deux patries« führten,
die Behauptung aufrechthielt (denn mit der Feder war ich von jeher sehr
dreist), die Annektion Elsaß-Lothringens sei ein Fehler, den Bismarck, wenn
er noch lebte, kein zweites Mal begehen würde: er hätte ein anderes
Äquivalent dafür ersonnen. Dies Büchlein, das im übrigen ganz unter den
Tisch fiel, fand nur durch ihn eine so kräftige Verbreitung, daß sich der
Verdacht regte, er sei dessen Verfasser.

Auch zu jener Unterredung mit Zimmermann im Januar 1917, die einzig der
Notwendigkeit einer Diskussion des elsaß-lothringischen Problems galt,
hatte er mir verholfen, und im Nebenzimmer eine Unterhaltung geführt, damit
wir ungestört blieben. Auch waren mir die Worte erinnerlich, welche er im
Jahre 1915 diesbezüglich fallen ließ, zu einer Zeit, wo die Aussichten für
Deutschland noch günstig erschienen. Sein »Niemals«, konnte ich daher nur
als einen Brocken ansehen, den man Kläffern vorwirft, um sie von sich
abzuhalten und weitergehen zu können: ein nach innen und in die Kulissen,
nicht nach außen gerichtetes Wort.

OKTOBER. Statt der drei kleinen hatte ich jetzt ein einziges großes, fast
saalartiges Zimmer nach Norden, auf die Lauben hinaus. Schmuck, ja zierlich
stand hier der Flügel im Raum. Die Wände hatten lichte Täfelungen, und der
indische Schal mit dem weißen Feld fiel von der Decke bis zum Boden und
schien eine Türe. Der Toilettentisch blitzte im Schatten auf: sein
Hauptschmuck waren jetzt zwei silberne Renaissanceleuchter, vom Seidenaffen
beschert.

Über das Zimmer selbst ist weiter nichts zu bemerken, als daß eine Reihe
von Unterredungen dort stattfanden, die alle zu nichts führten. Ein Wort
über meine politische Wirksamkeit. Wir wollen sie so nennen. Eine ganze
Weile brachte ich gewiß alle Spionagen und Gegenspionagen zur Verzweiflung.
Scheinbar für eine jede ein kinderleichter Fang, war das Verwirrende gewiß,
daß ich gleichzeitig in Diensten _sämtlicher_ Regierungen zu stehen den
Anschein haben mußte. Wenn jemand keine Parteien kannte, so war ich es.
Außer Japan, China, Rußland und Marokko durften nur noch Schweden, Norwegen
und Dänemark sich rühmen, daß keiner ihrer Staatsangehörigen bei mir
gewesen sei. Mein Zimmer war so recht die Halle der vergeblichen
Zusammenkünfte, und wenn ich auch keine einzige vom Zaune brach, schob ich
doch auch keiner einzigen den Riegel vor, selbst als mir kein Zweifel über
ihre Vergeblichkeiten blieb. Der »Friede«, ein Wort, das mich im Schlaf
elektrisierte, war wie das große Los oder wie das Leben eines aufgegebenen
Kranken immer eine Möglichkeit. Und ob ich auch anfing, dem Kopfschütteln
Fortunios beizustimmen, stürzte ich doch, wie Kundry im ersten Akt, bei
jeder Veranlassung nach dem Heilkraut davon, das keine Linderung mehr
bringen konnte. So setzte ich mich in Bewegung, so braute ich mit
Todesverachtung meine Tees, ob mich auch schon ein wahres Grauen vor all
den Nieten faßte, die sich zu Bergen vor meinem Tische häuften . . . Den
dümmsten und ungeschicktesten Leuten schenkte ich dennoch Gehör. Vielleicht
war gerade dieser Narr der reine Tor, vielleicht hatte ich doch recht.

Meine Verständnislosigkeit für Natur und Beschaffenheit dieses Krieges ging
ja so weit, daß ich vom ersten Tage seines Bestehens an von Monat zu Monat
überzeugt war, länger als sechs Wochen könne er nicht mehr dauern. Immer
schien mir alles sein nahes Ende zu künden. Als zum ersten Male von
zahlreichen Gefangenen die Rede war, dachte ich: jetzt ist bald Schluß. Als
Ruhleben entstand, dachte ich: jetzt wird man verhandeln. Wer ließe seine
eigenen Leute so im Stich? Obwohl ich, was die Schlechtigkeit des einzelnen
anging, einen so radikalen Standpunkt vertrat und immer darauf aufmerksam
machte, daß die Larven triumphierten und der Edle geopfert würde, ja, daß
es stets ein besonderer Glücksfall sei, wenn er nicht unterliege, so hatte
ich den so naheliegenden Schluß von der Familie zum Staat (und was ist sie
anders, wenn nicht die Welt und Geschichte im kleinen?) merkwürdigerweise
noch immer nicht gemacht. Immer noch wähnend, es ginge um den Frieden, da
es ja gar nicht ihn, sondern Sieg und Niederlage galt, glaubte ich, durch
meine Absicht und durch meine Gesinnung alle endlich zu überzeugen und für
mich zu gewinnen, bis ich mit Entsetzen merkte, daß gerade meine Naivität
Bedenken erweckte. Wie hätte auch Aramis, da es mir keineswegs an
Menschenkenntnis gebrach, eine so große Weltunkenntnis bei mir vermutet?
Und daß ich unter Kapitalismus immer noch einige Bankiers verstand?
Vielmehr war es natürlich, daß eine Gesellschaft, welche den Krieg als eine
Institution begriff, an meiner Friedensmanie Ärgernis nahm. Ich hielt mich
für besser als sie, während ich vor allen Dingen unwissender war. Und diese
Unwissenheit stellte zu meiner Soloarie den verdrießlichen Baß.

Dennoch war, als mir endlich ein Licht über die Welt und zugleich über mich
selbst aufging, die erste Folge die Furcht. Ging ich spät die Lauben
entlang, so faßte mich Schrecken, wenn nur die Umrisse eines Mannes oder
nur sein Schatten hinter einer Säule sichtbar wurde. Da war ja eines jener
unerklärlichen und gefährlichen Wesen, die es so eingerichtet hatten, daß
ihresgleichen heute vielfach auf einem Beine durch die Lande hopsten.

Meine Tätigkeit, die sich vor jeder Offensive verdoppelt hatte, war nur
mehr mechanisch. Die letzte Zusammenkunft, die sich in meinem Zimmer begab,
fand mit Professor H. statt. Er berief sich auf wichtige Eröffnungen auf
Grund amerikanischer Aufträge, die er zu machen habe. Es erfolgte noch
einmal ein Depeschenwechsel mit den Restbeständen dessen, was man noch
deutsche Regierung nannte, und was längst unter den Hufen der
Militärkavalla zertreten lag.

                   *       *       *       *       *

In diesem über alle Maßen traurigen Winter strich ich eines Abends müde
durch die Lauben, als Abigail an mir vorüberschoß. Busoni spielt heute
Abend! rief er mir zu. Nun lief auch ich und kam noch gerade recht, bevor
er eine Orchesterfantasie von Weber zu spielen anfing. Und siehe da, man
lebte, war seiner Ketten ledig und richtete sich auf.

Von nun an befaßte ich mich stark mit seinen Kompositionen und fuhr nach
Zürich, wenn dort ein neues Werk von ihm zur Aufführung gelangte. Eine
bequeme Gabe ist es ja nicht, den Wert eines überragenden Typs zu erkennen;
sie legt Verpflichtungen auf; es ist nicht, als ginge sein Wohl und Wehe
uns nichts an.

Verdrießlich genug ist es ja vielfach mit seiner Anhängerschaft bestellt.
Wie an den Reichen die Profiteure, so drängen sich an den Schaffenden die
Parasiten des Geistes heran. Und vielleicht, wer weiß, ist ihm in mancher
Feierstunde, die ohne Anregung verlief, der Chor seiner Widersacher minder
fatal wie der seiner Anbeter.

Von dem Unmut des alten und stark zensurierten Wagner, von einem
verzweifelten Versuch sogar, den, öden Sockel auszureißen, auf dem er sich
wie ein Götze gestellt sah, drang nur durch Zufall etwas in die Außenwelt.
Während seine Umgebung den ungeheuren Überdruß der nachwagnerischen Ära
bereiten half, ließ er selbst seine Werke weit und ungeduldig hinter sich
zurück. Lange ehe seinem Lohengrin die grausige Popularität beschieden war,
hatte er »mit Ekel in die Partitur gestarrt«[2]. Später eilte er schnell
mit dem Nachtzug davon, wenn eine Stadt, die er bereiste, ihm zu Ehren eine
seiner Opern ansetzte. Er hatte den schönen und naiven, wenn auch natürlich
vergeblichen Wunsch geäußert, seinen »Ring« ein einziges Mal auf einer
eigens errichteten Bühne in höchster Vollendung zur Aufführung zu bringen,
um sodann Bretter und Partitur auf immer zusammenzuschlagen[3].

Wer ein einziges Mal Friedrichs, den unvergleichlichen Darsteller des
Alberich, während seiner kurzen Laufbahn vernommen hat, der vergißt nie die
unheimliche Wirkung seines plötzlichen Vortretens, als er, hart vor der
Rampe, mit seinem dunklen und prachtvollen Organ den Fluchgesang erhob.
Sich selbst, die ganze Welt fühlte man da bedroht, und wer die Alberiche,
wer die Nibelungen sind, und welche Bewandtnis es hienieden mit ihnen hat,
wurde einem in unmißverständlichster Weise gelehrt.

[Fußnote 2: Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt.]

[Fußnote 3: Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt.]

Was aber kann so nichtssagend gemacht werden wie das Bedeutsame?

Gerade von groß angelegter Musik gilt das Wort: »La musique doit toujours
nous surprendre.« Laßt Dezennien des Schweigens und der Vergessenheit den
»Ring« begraben, damit sich von neuem offenbaren könne, welcher Vorhang da
zurückschlug vor einer bis auf den Grund durchschauten Welt . . .

Erst die Züge des späten, weltberühmten und gefeierten Wagner zeigen den
trüben, resignierten und abgewandten Schein, als dünke ihm jetzt erst, da
alles erreicht war, alles vergebens. Mime und Cie. rächten sich, indem sie
ihn ableierten. Als Kassenstücke ausgebeutet, wurde das Wagnersche Werk zum
Unding, zur Säge, zur Obstruktion . . .

»Schafft neues!« war sein immerwährender Ruf; dafür wurde à la Wagner
weiter komponiert.

Sehr wagnerisch bewegt und sehr unwagnerianisch (denn was könnte es
unwagnerischeres geben als den Wagnerianer?) ging ich eines Abends, von
Busonis Hause kommend, durch die nächtlichen Straßen Zürichs, wo einst
Wagner gerungen hat und heute Busoni ringt, und wo beide ein Asyl gefunden
hatten. Mit letzter Gewißheit wußte ich da, daß der viel mißbrauchte
Meister, der sich gerade über den so weit von ihm abliegenden Mozart so
begeistert äußerte, heute gerade an dem selbstherrlichen Busoni und dessen
von ihm sich entfernenden Wegen sein tiefstes Gefallen fände. Weit über das
Leben hin tragen sich ja die wichtigsten Gegensätze aus. Denn sachte nur
beliebt es den Göttern. Einen nach dem andern nur lassen sie zu Worte
kommen. Ihr Neid duldet nicht das gleichzeitige Auftreten zweier allzu
interessanter Fechter. Eher hielten sie ihnen eine Binde vor die Augen, als
zu gestatten, daß sie ihre Klingen kreuzten.

Höchst merkwürdig aber ist es, daß die Persönlichkeit nie wichtiger gewesen
ist, als jetzt in dieser Zeit der Massenschicksale der Hungers und der
Kohlennöte. Nicht nur alle Spreu sehen wir heute inmitten der Äquinoktien
aufwirbeln, auch manche Gesetztafel zerschlägt aufs neue. Der Heilige des
Tages sucht nicht mehr die Wüste, sondern tritt mitten unter die Menschen
und fällt unter ihren Streichen, nicht weil er die Abkehr predigt von der
Welt, sondern um seiner Beglückungstheorien willen.

Aber nicht lange mehr wird der Auserwählte als ein Dulder gehen. Entweder
sehen wir ihn bald als eine verlorengegangene Spezies ganz um die Ecke
gebracht, oder sein Reich wird kommen. Es ist eine Täuschung, zu glauben,
daß eine Welt, deren Schlechtigkeit und Gewalttätigkeit sich derart nach
oben kehrte, so bleiben könnte, wie sie ist.

Hier mag stehen, was ich zwei Jahre später schrieb:


Busoni.

Ich hörte Busoni zum ersten Male vor zwei Jahren in Bern. Er sah mit einem
Blick weit hinausgerückter Vereinsamung, den man an diesem Gesicht sofort
begriff, gleichsam zu sich selber auf und fing an zu spielen.

Das gibt es also noch, dachte ich nach einer Weile. Da geht man mühselig
seinen Weg, und plötzlich dies -- dies plötzliche Angelangtsein, diesen
Schauer der Ruh, diese unvermutete Herberge.

Bei Busonis Spiel, so herrlich es ist, will ich jedoch nur kurz verweilen.
Er ist wohl deshalb der größte Pianist, weil er implizite einer ist, weil
unter der Zauberformel, welche seine Finger darüber sprechen, die
Metamorphose eines an sich zweifelhaften Instrumentes sich ergibt.

Wir kennen so manche vorzügliche Pianisten. Aber wie wenige machten uns das
Klavier vergessen! Da ist Holz, sage ich, da sind Pedale, ein schöner
Anschlag vielleicht und ein großes Können dazu. Aber für den Hörer nicht
eben sehr nachhaltig: _Klavier_. Besinnt euch. Ist es anders?

Eher ließ noch das orchestrale Klavier Illusionen zu; ich habe große
Dirigenten gehört, die es zu einem prachtvollen Notbehelf gestalteten. Von
solchen Vorspiegelungen jedoch kann bei Busoni nicht die Rede sein. Dazu
ist er zu sehr Kenner des Instrumentes, belauschte er es in allen Fibern zu
genau. Etwas ganz anderes ist hier am Werk: Mozart hatte sich eine
verzauberte Flöte ausgedacht: hier nun wurde tatsächlich das »Piano
enchanté« zur Wirklichkeit. Wir brauchen dabei nur an seinen Vortrag, der
an sich kaum noch erträglichen Pianofortekompositionen Liszts zu erinnern,
dieses riesenhaften und vermoderten Rosenbuketts mit verschossener
Bandschleife . . . statt dessen wird eine ganze Epoche, die des zweiten
Kaiserreichs, vor uns lebendig: Pracht, Tand und Duft, Fächerspiel,
lächelnde Augen, Krinoline, Vergessenheit; alles retrospektiv gesehen, mit
magischer Schärfe aufgerufen. Daher auch die ernste Maske im Hintergrund.

Schließlich, wenn alles gesagt ist, bleibt von einem Menschen immer nur das
Neue. Die Geschichte unseres Geistes sind weitergegebene Signale. Aber
nicht immer das zuletzt Gegebene wird von dem Kommenden aufgegriffen. Die
Schrift ist kraus. Und die, welche an ihr schreiben, haben vor allem ihr
_geistiges_ Elternpaar, ihre geistige Familie und ihre geistige Sippe.
Falls wir eine neue Zeit zusammenbringen, wird auch eine neue Heraldik mit
ihr aufkommen. Gar merkwürdige Erzhäuser, Dynastien und ihre Nebenlinien
werden sich da herausstellen. Und kaum einen Stammbaum dürfte es heute
geben, der weiter verzweigt und interessanter zu erforschen wäre, wie der
des so universalen Busoni. Keine Vaterschaft, die ihm an der Wiege gesungen
wurde, sondern die sich vielmehr vor ihm verbarg, ihm vielmehr auferlegte,
sie zu entdecken.

Viele Jahre hindurch ist es in seinen Werken wie ein umsichblicken, ein
plötzliches horchen, sichunterbrechen und stillestehen. Konzessionen kennt
er nicht. Was das unvorbereitete Ohr noch grau, abstrus, bizarr anmutet,
sind die Schatten des Weges, auf dem er sich entfernt. Seine Zeitgenossen
verlieren ihn aus dem Gesicht. Mit dem embarras de richesse, welchen
Berlioz, Liszt und Wagner in das Orchester hineingetragen haben, ließ sich
ja noch lange wirtschaften. Richard Strauß buchtete das von den Vätern
Erworbene noch weiter aus, erstand noch die oder jene Pagode hinzu, und zum
Beweis, daß er ein Allerweltskönner sei, schuf er in seiner »Ariadne« eine
antike Seite -- ich brauche sie nicht zu nennen -- von ewigem Wert.

Auch bei dem feinen, wenn auch kurzatmigen Debussy horchten wir auf. Einige
noch unvernommene Töne schlugen da an, wie in Farbe getaucht, morbid,
verzückt, nur scheinbar dekadent, nicht dekadenter, sagte ich schon, als
ein Mondreflex auf einem verrosteten Gitter. Jedoch viel zu sagen hatte er
nicht; auch er fragte sich nicht, wie es weitergehen sollte, und er
verstummte schnell.

Genie ist nicht nur Fleiß (neben vielem anderen), sondern auch ein
heroischer Ernst. Vielleicht ist Busoni nicht der einzige, welcher
erkannte, daß die Musik in die wild überwuchernde Flora der Neuromantik
nicht mehr tiefer hineinführte. Aber man kutschierte fatalistisch in
derselben Richtung, demselben Kreise weiter, denn das Problem schien
unlöslich. Nur nicht für Busoni. Es reizte gerade den Schöpfer in ihm.

Anfangs waren es nur Anregungen, welche er bot. Turandot; immer stärkere
Anregungen, wie das Licht eines wachsenden Tages, in seiner Schrift »Zur
Ästhetik der Musik«, in »Arlechino«; in seinen immer erstaunlichen
Klavierkompositionen, welche dem Klavier -- dem einstigen Spinett -- so
neue Dinge entlocken: Klangeinlagen, Klangunterlagen, eingebaute,
eingetönte Perspektiven (wenn ich so sagen darf!) grüßen da aus
unvermuteten Tiefen, wie grünleuchtende Seen. Auch rein äußerlich genommen,
verfährt Busoni als Schöpfer mit ihm; auch auf den rein äußeren Ausbau
dieses Instruments (immer ist ja der Entdecker in ihm rege!) drängen seine
Kompositionen hin.

Scheint dies vielleicht von mäßigem Belang?

Welche Stunden äußerster Betrübnis muß das Genie durchleben! Wie müssen ihn
da die Zweifel überwältigen, ob die ewig geschäftige und ewig unachtsame
Welt das Geschenk denn auch entgegennehmen wird, welches ihr zu bereiten er
sein Leben widmet!

Während sie von nichts anderem widerhallte, als ihrem sinnlosen
Waffengedröhn, hielt Busoni sein schweres Ziel im Auge, drang er immer
weiter vor, nahm er die Kurve, legte er die Schraube an. In seiner
Isolation fand er die schöpferische Kraft, das Tor zu sprengen, und die in
ihrem Riesenapparat festgefahrene, ja welkende Musik für eine neue Jugend
flügge zu machen. Es wurden uns bis jetzt nur Bruchstücke seines »Faust«
bekanntgegeben, aber sie künden ihn ganz. Die reine Linienführung, die
tempelhaften Umrisse einer neuen Klassizität, sanft gerundet, erheben sich
wieder! Ein »Faust« um so faustischer nur durch die neuen Streiflichter,
die auf ihn fallen: die holde Blässe in der Feierlichkeit, ein in der Welt
noch nicht dagewesener Adel des Klanges das Sfumato in der Trauer,
Leonardisches, Latinismen . . .

Wenn ich sage, daß mit diesem seinem und zugleich so sehr unserem »Faust«
das Erbe Mozarts angetreten wurde, befürchte ich kein Dementi von der
Zukunft.

Darf ich (so nebenbei) in Erinnerung bringen, daß Bettina Brentano über
Beethoven, daß Julie de Lespinasse über Gluck zu beider Lebzeiten das
Entscheidendste sagten?

Und wenn ich mich heute so gedrängt fühle, auf die Wichtigkeit Busonis
immer wieder aufmerksam zu machen, so möchte ich hinzufügen, daß es in der
Kunst sowohl wie in der Politik so etwas gibt wie ein »zu spät«. Auch hier
sind die Gelegenheiten dahin, die man verpaßte -- auch den Herren
Klavierbauern rufe ich dies heute zu.

Busoni hat ja seinen Lohn sicher nicht dahin. Auf der von ihm freigelegten
Bahn geht es weiter, und der Dank der Kommenden erwartet ihn. Aber sollen
wir heute, wo die Kronen zu Dutzenden auf das Pflaster rollten, sie im
Staube verkommen lassen und wie im alten Regime die wahren Könige nicht
ausrufen und nicht unterscheiden?



Dritter Teil.


Das traurigste aller Jahre gehörte der Vergangenheit. Auch der Januar hatte
ein Ende genommen. Ich war die Sklavin meines Flügels. Ihm zuliebe behielt
ich das Zimmer der vergeblichen Zusammenkünfte.

Mit England und den Vereinigten Staaten war der Briefwechsel besonders
schwierig geworden. Zuletzt würde es Mühe geben, sich die Gesichter seiner
Freunde zu vergegenwärtigen, deren Bild nie eine Nachricht näher brachte.

Eines Nachmittags -- es fing schon an zu dämmern -- und meine Gedanken
zogen über unerreichbar gewordene Küsten den gewohnten Weg, als statt
vertrauter Züge, die ich wachrief, ein blankes, behendes Pferd aufblitzte
von intensivstem Braun. Voll Ungestüm, beredten Blickes, als hätte es etwas
zu verkünden, weckte es ein Echo großer Bangigkeit und verschwand.

Dafür blieb der ganze folgende Tag unter dem Eindruck eines so beseligenden
Traumes, daß es ein Frevel wäre, ihn zu schildern.

Wiederum dämmerte es, und diesmal saß Fortunio in meiner Sofaecke, und wir
unterhielten uns.

Das zwiefache an den Menschen, darüber waren wir uns ja einig, betraf ihren
Ursprung. Insofern hatten die Extremisten recht, als sie nicht glaubten,
mit dem alten Karren ins gelobte neue Land einzufahren. Leider aber
brachten sie dabei ihre eigene Anhängerschaft ganz nach der alten Manier,
nicht etwa der Artung, sondern der oft so rein zufälligen Meinung nach als
wildes Durcheinander unter ein und dieselbe Flagge.

»Wie wunderbar ist der Mensch!« sagte ich plötzlich, »was für Eingebungen
er hat! Auf was für Dinge er gerät! Zum Beispiel in allen Sprachen
Vergleiche wie die folgenden zu ziehen: marchez comme sur des nuages; to
walk on clouds; wie auf Wolken gehen.«

»Warum?« fragte er.

»Weil es das gibt. Nicht etwa nur in euren Dichterphantasien, sondern einer
höheren, höchsten Physik zufolge. Wer ist der verwirrte Tropf gewesen, der
als erster Wort und Begriff des Wunders startete?«

Ich wurde jetzt der Schneereflexe immer bewußter, welche in die Mollakkorde
eines unvergleichlichen Zwielichtes fuhren. Nur wenig Wintertagen eignet
dieser Schein, trauter als das von Sommerlüften durchwärmte, hölzerne
Gartenhäuschen. Lange schmeichelte er sich an den Fenstern hin.

»Eine gesteigerte Natur,« fuhr ich fort, »Kontakte, es sind Füße denkbar,
zu welchen die Tragfähigkeit der Wolke sich verhielte wie Steg und Brücke
zu den unseren: Gewänder, die zu solchen Füßen niederflössen, würde durch
die Schärfe der Emulsion der Äther zum natürlichsten Geleise: weite Geleise
solchen Füßen, und so sehr ein Teil von ihnen, während sie auf ihren
Wolkensohlen reisten, daß von einer zifferlosen Arithmetik beherrscht, der
ganze Himmel, und nicht etwa nur ein Stück von ihm, mit in den Raum sich
drängen würde, über dessen Schwelle sie zögen.«

Hier verstummte ich, und so gebieterisch schwoll die Dämmerung an, daß
meine Hände, wie Orgelpunkte in der Schwebe gehalten, plötzlich
niederfielen, ihrer Unzulänglichkeit und Armut zurückgegeben.

»Wollen Sie Licht machen?« fragte ich.

Während er sich anschickte, das Zimmer der ganzen Länge nach zu
durchschreiten, war ich innerlich erstaunt über die Ausführlichkeit, mit
der sich das Detail eines Bildes, welches doch als Ganzes, über alle
Zeitbegriffe schnell zu Häupten meines Bettes aufgeblitzt war, festhalten
ließe.

Doch warum faßte mich da wieder das unerklärliche Grauen, das nicht mehr
einzufangende Echo des Grams des gestrigen Nachmittags, als mir im
halbwachen Zustand das Pferd beredten Auges entgegenschoß? Welche
Bewandtnis -- -- -- -- --

Aber da hatte Fortunio schon geknipst, die Lampe erstrahlte, und ich atmete
auf.

5. FEBRUAR. Am Morgen dieses Tages stand ich angekleidet zu Häupten des
Bettes und hielt meine Post. Sie war umfangreicher als sonst. Ein Brief mit
ausländischer Marke und fremder Handschrift, den ich zuerst öffnete,
umfaßte nur wenig Zeilen und meldete einen Tod, der schon vier Monate
zurücklag.

Der Zahnarzt erwartete mich schon sehr früh.

Ganz undeutlich, wie von einem andern Ufer herüber, so daß ich nicht daran
dachte, mich zu entschuldigen, schien er mir ungeduldig über mein
verspätetes Erscheinen.

Ich wollte ihn ersuchen, das graue Schmerzenslicht von der
gegenüberliegenden Mauer zu entfernen. Dann besann ich mich: zeigten doch
alle Dinge, das Fenster, die Instrumente auf dem Tablett dieselbe böse und
stechende Schärfe.

Desgleichen die Luft, als ich nach der Sitzung unter die Lauben trat.
Sollte man sich es wirklich antun, sie hinabzugehen? War nicht vielmehr die
Erde, dieser schwarze und zertretene Schnee, sich in ihm einzubetten mit
zugekehrtem Gesicht, die einzige und unendliche Lockung? Die wehe Fackel
des Gedächtnisses zu löschen, so zu verlöschen, als sei man nie gewesen,
dieses war der Himmel. Oh wer war das? Wer war die Kreatur, die diesen
ganzen Tag hindurch alle Gesten des Lebens so staccato verrichtete, an den
Speisen dieselbe entsetzliche und befremdende Miene wahrnahm, wie an den
Pinzetten auf dem Tablett des Zahnarztes, und wohin sie sich auch wandte,
die Flucht ergriff; als wäre sie die aus Hoffmanns Erzählung entronnene
Olympia -- die Lauben hinab, die Treppen hinauf -- in ihr Zimmer zurücklief
-- und sich umzog! -- Einen blauen Hut aufsetzte, einen blauen! -- und
einen blauen Schleier davorband, und in das betäubte Antlitz starrte, dem
er so ungewöhnlich stand -- und einen Besuch abstattete -- an einem Ofen
lehnte, an ein Fenster trat, und durch seine, vom leichten Druck getrübte
Scheiben sah, den die Wärme des Zimmers hervorrief. Es saß einer da, der
erzählte, doch nur die Türe nahm sie wahr, durch welche sie wieder
entrinnen und ins Freie gelangen konnte . . .

Dort fing es an zu dunkeln. Es nahm auch dieser Tag ein Ende.

Nur auf dem freien Platz und über der Brücke war es noch hell. Rauh, grell
und öde brütete ein durchnäßter Wintertag. Ungemildert fing ihn der
»Gurten« auf: eine dunkle, ansehnliche Masse, und dennoch niedrig stellte
sich ihm oh, so traumlos entgegen! Tropfnaß alle Dächer, die Bäume ein
wirres und aufgelöstes Haar.

Das Uhrwerk war abgelaufen, und sie stand nun endlich still, wie
überwachsen von ihrer Not. Ein Martergriffel umriß für sie die ganze Stadt,
die sich im Widerscheine eines Sterbetages zur Krypta schloß, das Siegel
seiner Qual für immer aufgebrannt. So fiel ein Tor.

Beim ersten Laternenschein prallte sie zurück. Jedes Licht war eine Tücke.
Kein Dunkel war tief und ununterbrochen genug. Und riefen ihre Wände nicht
nach ihr? Zu ihnen nahm sie ihre Zuflucht, schloß ihre Türe und überließ
sich der Erschöpfung. In ihren Kleidern wie auf einem Sarkophag, ohne sich
zu rühren, ausgestreckt, lag sie in den Armen und am Herzen dieser Nacht.

Siehe -- was tauchte da wieder vor ihr auf? -- Sturmentlassen, mit
verhängten Zügeln, wie einem geisterhaften Stalle zugekehrt, das entfärbte,
fahlgewordene Roß, dessen Botendienst geschehen war.

Zum ersten Male entsann sie sich da auch des andern Bildes, das sich
zwischen einer Kunde und ihrer Ankündigung gnädig und wie eine Gnade
stellte.

                   *       *       *       *       *

Und nun, oh Leser, fasse meine Hand, daß ich von dir selber gehalten, durch
Dornen und Gestrüpp, Ziel, Sinn und Ende dieses Buches erreiche. Verlasse
auf immer mit mir das Zimmer der vergeblichen Zusammenkünfte und folge mir
nach Genf. Ferne dem traumlosen Berg, über der malerischen Stadt des
nüchternen Lichtes, durch die Turmspitze versinnbildlicht, welche den
Unterbau des Münsters niederdrückt, und seine Schönheit immerzu und immerzu
verneint.

Selbst bei der schärfsten Bise leuchtete die Luft in Genf so abgetönt. Dort
hauste ich nun, in einem unheizbaren Studentenstübchen im fünften Stock des
hotel de Russie. Ein kleiner Balkon überhing die stets von Schwänen
überzogene Insel Rousseau. Meine Taschen waren in diesen Tagen der
Brotkarten mit Krumen wohlgefüllt, und mit heimlicher Befriedigung warf ich
ihnen die rargewordene Speise zu. Nicht vergeblich glitten sie mir da immer
sogleich, doch ohne jede unziemliche Eile entgegen. Ich sah ihnen oft lange
zu. Sie standen in der Tierwelt so abseits; fast ein wenig abgerückt von
der Natur. Bald würden sie zwischen ihren stolz aufgerichteten Flügeln ihre
Jungen wie in einer geschlossenen Krone durchs Blaue tragen. Vielleicht gab
ihnen ihre Ungefährdetheit die Muße, um den Tod zu wissen.

Die Zeiten waren derart, daß der Ortswechsel selbst einer so unwichtigen
Person wie mir nicht unvermerkt blieb. Dinge aber, die mich vor kurzem in
Aufruhr versetzt hätten, machten mir nicht das geringste. An der
Telephonkabine war eines Morgens der Türgriff ausgekurbelt und wurde nicht
wieder instand gesetzt. Dicht bei verbrachte ein dicker Herr seine Tage und
rauchte Zigarren, indem er unverfroren horchte.

Indessen wurde ich von Herrn L -- P. . . . dem Vater der im
deportationsfähigen Alter stehenden Kinder aufs neue bestürmt. Seiner Frau
blieben die Pässe verweigert. Ich schrieb jetzt auf gut Glück dem Grafen
Carry, er möge mich über den Sonntag besuchen. Und richtig stand er da. Es
war strahlendes Wetter, wir streunten über die Kais und aßen zusammen. An
seine natürliche Güte hatte ich nie vergebens appelliert, und schließlich
bildete sein Propagandawerk eine Art von Rettungsstation. An ihm klebte
kein Blut. Da mir aber seine Beziehungen zur obersten Heeresleitung bekannt
waren, log ich jetzt über die politische Zweckmäßigkeit einer Paßverleihung
an die Familie L . . P . . . einiges Blaue vom Himmel. Wir setzten uns ins
Freie. Erstaunliche Magnolien prangten schon in voller Blüte; an eine
Tanne, grünblau, weiten Hauptes wie eine Pinie, und immerzu umschwirrt,
preßte sich ein glückliches Vogelhaus. Carrys Augen hingen voll Entzücken
daran.

»Da geht mein schlimmster Feind«, sagte er plötzlich. Klein, mit
niederträchtiger Visage, kam hinter den Magnolien ein Landsmann von uns
hervor. Von übelster Vergangenheit, dabei Träger eines großen Namens, für
den Nachrichtendienst also wie geboren, lauerte er dem Frieden um so
emsiger auf, als die Dauer des Krieges mit dem Interim seiner
Rehabilitierung zusammenfiel.

»Natürlich haßt er Sie«, sagte ich zerstreut. »Was erwarten Sie sonst?«

Abends -- der Graf war schon abgereist -- kreuzte ich mich nochmals, über
die Brücke zu den Schwänen gehend, mit der hochgeborenen Krapüle, die mit
einem Basiliskenblick an mir vorüberging. Tags darauf -- ich dachte gerade
an das blauzerfließende Grün der Tanne und an den großen Blumenbaum, der in
dieser Sonnenhelle wohl noch heller erblüht war, als ich ans Telephon
gerufen wurde. Vor der Zelle saß trägen Auges der mir zugeteilte Herr mit
der Nachmittagszigarre im Mund. Heute aber sollte er auf seine Kosten
kommen. Denn im höchst aufgeregten Ton forderte mich eine Genfer Dame zu
sofortiger Aussprache auf. Ihr Haus sei mir offengestanden, sie habe mir
ihr Vertrauen geschenkt, und nun müsse sie hören, daß ich es mißbrauchte.

Ich machte mich ziemlich gemächlich auf den Weg zu ihrem Hause. Seit jenem
Tage, als sich Bern für mich zur Krypta schloß, war mir erst bewußt, daß
ich mit nichten ein verkannter oder verlassener, sondern einer der wenigen
innerlich wirklich beschützten und durchschauten Menschen gewesen war.

Wie oft hatte -- weit vorgreifend, ach! -- mein Ohr das melodische Lachen
zu hören geglaubt, wenn ich dereinst alles erzählen würde, alle Zwickmühlen
und alle Abenteuer, in die ich geraten war.

Ein ganzer, ein wirklich unvergeßlicher Mensch, dachte ich, von Trauer
niedergedrückt, ist nirgends zu Ende. Unerschöpft und ganz unausgespielt
sinkt er zu Grabe. Abgerissen, doch nicht abgesponnen, ist der Faden eines
solchen Lebens.

Wenn aber Kinder des Lichtes zusammentreffen, ist das schon ein Glück des
Himmels. In dem hin und her ihrer Blicke und ihres erkennens liegt das
Vorgefühl ihrer Macht. Zu uns komme ihr Reich.

Mit der Genfer Dame war ich schnell im reinen. Wir spielten beiderseits mit
offenen Karten. Die hochgeborene Krapüle hatte verbreiten lassen, die
deutsche Propaganda arbeite nunmehr mit so raffinierten Mitteln, daß sie
kompromittierte Personen, wie mich, zu Werkzeugen mache. Den Beweis hielte
er in der Hand. (Es war mein Frühstück mit dem Grafen Carry.) Natürlich war
seine Behauptung wohl geeignet, mich in Genf unmöglich zu machen. Er hatte
sich nur insofern verrechnet, als meine dortigen Freunde sich unverweilt
mit mir ins Vertrauen setzten. Dieser Zwischenfall war also beigelegt.

Als ich wieder in die Allee einbog, welche von ihrem Hause bis hart an die
Straße führte, drangen durch ein offengebliebenes Fenster die Worte: »Je
suis bien contente de le lui avoir dit« laut und vernehmlich ins Freie; Mir
aber saß jetzt ein ödes Gefühl im Magen, ein Ekel, das würgen einer allzu
krampfhaft unterdrückten Bitterkeit. Ein Durst zugleich; das lechzen des
Trinkers, der nach dem Becher vergeht; es mußte etwas, das Palliativ, die
Betäubung mußte her. Es war das alte Laster, hui! Und lag sie nicht dicht
bei, die avenue de Florissant? wußte ich nicht, zufällig, daß sie dort
wohnte, sie, die den Schlüssel zu den geheimen Toren hielt, die ich
begehrte? Heute noch, nein, sogleich mußte ich hin.

Und schon betrat ich unangemeldet die großen Räume, in welchen die
malerische Französin zwischen ausgehobenen Türen nach allen Seiten hin den
Ausblick über Gärten und Büsche genoß. Es war eine ganze Welt von Bäumen in
ihrem ersten Grün. Mademoiselle S., eine Pariserin der ernsten und wenig
bekannten Art, trug einen orangefarbenen Foulard um ihren Kopf gewunden und
gestand ihre Kopfschmerzen, aber nicht ihr Befremden über meinen Besuch.
Wir hatten uns ein einziges Mal während des Krieges flüchtig kennengelernt,
und nun lagerte ich, jedem Argwohn zuvorkommend, indem ich ihn einfach
niedertrat, auf einem Diwan ihres Salons, den verwirrenden Frühlingszauber
ihres Parkes vor Augen.

»Sie sind im Besitze der Adresse eines Mediums,« sagte ich, »die ich
suche.« Und sie erhob sich, an ihnen Schreibtisch zu treten; eine hohe und
dunkle Gestalt, weder so schön, noch so jung vielleicht, als sie an diesem
Abend schien, den blassen und melancholischen Kopf vom seidenen Turban eng
umschlossen, und all die Wipfel, die in den Rosenhimmel ragten, als
Hintergrund. Sie reichte mir die Adresse, und wir sprachen von allgemeinen
Dingen.

»Es muß heute doch ein eigener Segen auf allen Schlechtigkeiten ruhen,«
sagte ich, »da, was immer man Gutes und Hilfreiches unternehmen möchte,
sofort in Mißlingen und Gestank aufgeht.«

»Wie könnte es anders sein?« gab sie zurück, »das Geschwür ist noch lange
nicht reif. Vorerst muß alles ihm allein zugute kommen.«

»Es gibt aber Geschwüre en permanence«, meinte ich. Doch sie schüttelte den
Kopf, unbeirrbar in ihrem Glauben an eine bessere Zukunft.

Es herrschte zwischen uns die kurzbefristete Vertraulichkeit zweier
Reisegefährten eines nächtlichen Zuges. Nichts ist so unverbindlich wie ihr
Auseinandergehen.

Denn schon war ich wieder unterwegs, einer andern Himmelsrichtung, einem
Genf, das ich nicht kannte, zugewandt, nicht wissend, daß es auch seine
anonymen Viertel hatte, die scheinbar nicht zu ihm gehörten, sondern in
ihrer Bedrücktheit ganz allgemein die Straßen einer größeren Stadt
darstellen. Zwischen solchen Häuserreihen war ich jetzt auf der Suche, fand
die Nummer, stieg vier Treppen hoch und läutete und wartete. Eine im Dunkel
undefinierbare Gestalt öffnete endlich langsam die Türe.

»Wollen Sie mich melden?« sagte ich, ohne meinen Namen anzugeben. Sie
rührte sich nicht. »Wollen Sie mich melden?« wiederholte ich. Sie schwieg.
Sie war es selbst. Stumm standen wir einander gegenüber. Unsere Blicke
belauerten, betasteten sich. So tauschen wohl in einer Höhle des Lasters
zwei Eingeweihte zögernd ihre Erkennungszeichen: es waren die verschleppten
Schatten unserer Augen und ihr matter und verlöschter Schein. Und wie
loderte schon die Luft! Oh welch ein Wellengang! Welcher Sturm inmitten der
Stille, die zwischen uns entstand. Ich folgte der Gestalt, die vor mir
zurückwich. Sie trat, als hätte ich sie gestoßen, in die Umrahmung einer
Türe, die hinter ihr nachgab, und taumelnd trat ich ein.

                   *       *       *       *       *

Dem glücklich Liebenden gleich streifte ich in jener Nacht, hingerissen,
berauscht, von tröstlichen Schauern durchrieselt, die Kais entlang. Wie
Antäus die Erde, hatte so mein Fuß die belebende Leere berührt? -- War's
ein geistiger Aderlaß gewesen? War's der letzten Hingabe entsetzliche
Betäubung oder die eleusische Flut? Und wird sie einmal einer nennen
dürfen, die einmaligen Gefilde ohne Wiederkehr und Verbieter des Wortes,
die ein Blick zu ihnen ein Wenden des Kopfes nur, zu ewiger Ungewesenheit
entstürzen läßt . . . .

Oh Eurydike!

                   *       *       *       *       *

Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, nahm ich das Schiff. Als es in
Ouchy anlegte, zog mit einem Male Fortunio an Bord. Wir waren beide nicht
wenig erstaunt. Ihn aber schien die Bläue des Tages und das in Verzückung
zurücktretende Ufer von sich selbst fortgerissen zu haben, und es war
ersichtlich, daß er träumte. Das Leben hielt er dann für schön, besann sich
des Augenblickes und der Weltgeschichte, wie auch seines eigenen Erwachens
nicht, sondern, ganz Echo, war er gefangen von ein paar Weisen, welche
manchen Tages die Natur anhebt, und den verwandelt, der sie hört.

»Lassen Sie sich das Neueste erzählen«, stieß ich ihn an und gab mit allen
Details die Mine zum besten, von der ich in Genf hätte auffliegen sollen.
Wie ergiebig Graf Carry dabei mit »belegt« worden war, kam erst später ans
Tageslicht. Mit der Warnung an meine Schweizer Freunde nämlich, sich vor
einer deutschen Agentin wie mir etwas in acht zu nehmen, erging
gleichzeitig eine Meldung an deutsche Instanzen in Bern, Graf Carry wisse
so wenig die Würde seines Amtes zu wahren, daß er sich nicht scheue, mit
einer französischen Agentin wie mir öffentlich herumzuziehen. Aus dem
Mittagessen wurde der Pikanterie halber ein trautes Souper.

»Diese Zeit«, sagte ich zu Fortunio, »hat den Untermenschen doch wirklich
den Maibaum ihrer Existenzen gebracht, und es gehört mit zu den läuternden
Wirkungen des Krieges, daß ihn die Krapülen überleben. Denn wenn eine,
statt als sein Helfershelfer reklamiert zu werden, in die fatale Lage
gerät, selbst an den Heldentod glauben zu müssen, so ist das doch ein ganz
seltenes Pech.«

Fortunio fuhr mit dem Abendzug nach Bern zurück, und ich blieb in Clarens.

Um Ostern wollte ich Romain Rolland besuchen und sagte mich in Villeneuve
an. Allein es war jener Karfreitagmorgen, an welchem eine oberste
Heeresleitung, wie um seiner zu höhnen, die Kanonade von Paris nicht
unterbrach, eine Kirche während des Kultes einstürzte und die Anwesenden
unter sich begrub. Daß mein angekündeter Besuch auf das hin unterblieb,
verstand sich von selbst. Für mein Gefühl war dieser Karfreitagsvolltreffer
das schwarze Aß, das sich Deutschland selber ausgeworfen hatte. Eine solche
Absage an die tragende Idee des Christentums war zu zynisch, um nicht
ominös zu sein. Sie war -- man verstehe mich recht -- wüstester
Protestantismus. Luther galt mir nur deshalb als einer der Ahnherren des
Krieges, weil sein auftreten das Übergewicht des nördlichen über das
westliche und südliche Deutschland anbahnte, und ein kahles,
unkünstlerisches, unmusisches und humorloses Element in den Pulsen der
Deutschen entsprang: Phantasielosigkeit und Unmusik. Wagt es vielleicht
einer, Sebastian Bach einen Protestanten zu nennen? Der Protestantismus
stak damals in seinen ersten Anfängen, noch belebt von der Wärme des
Stammes, von dem er sich losriß: protestierender Katholizismus. Der
wirklich ausgewachsene konsistorialrätliche Protestantismus gedieh erst in
den letzten Dezennien zu der vollen Reife und dem gleichzeitigen Marasmus.
Die fürchterlichen Lutherschen Kirchen, das toteste an Architektur, was in
der Welt zu sehen ist, sind Geist von seinem Geiste. Alle unfrohe
Geschmacklosigkeit, den Mangel an Grazie und Liebenswürdigkeit, das
Reformkostüm, die Jägerwäsche danken wir ihm. Undenkbar, daß von München
aus die Reichsbriefmarke, als die häßlichste der Welt, hinausgeflattert
wäre. Nein! fürwahr, diese Germania stieg so recht als die fille ainée der
protestantischen Kirche. Sie brachte den unheilbaren Riß, über den keine
äußerliche Geeintheit hinweghalf. Denn ihr verdanken wir das
verständnislose abrücken von der lateinischen und abendländischen Welt, das
ein südliches, fränkisches und westliches Deutschland nie herbeigeführt
hätte.

Statt des café du Nord wurde jetzt der Kursaal von Montreux meine
Schreibstube. Den Nachmittag beschloß ich mit Vorliebe im kleinen Saal des
Konservatoriums, wo ich mit einem russischen Cellisten musizierte. Aber A.
H. Pax wollte wieder einen Beitrag. Es gibt heute nur ein Thema, schrieb
ich ihm:

Und wir hätten alles von der Methode jener glücklichen Spekulanten zu
lernen, welche sich offenkundig als die weitaus schärfsten Psychologen
erwiesen, indem sie irgendein Präparat, eine Zahntinktur oder ein Extrakt
dadurch zu allgemeinster Geltung verhelfen, daß sie deren Bezeichnungen in
grellen Riesenbuchstaben an Mauern, Säulen und Schlöten anschlagen, sich
gleichsam an die Fersen des Vorübergehenden heften, selbst auf Bergeshöhen
sich zwischen ihn und die Aussicht schieben, ja von Felswänden herab ihm
unerwartet Odol! Haarlin! oder Bovril! entgegenschreien.

Wäre heute nicht die Beachtung gewisser Zustände mit einer ebensolchen
vorbildlichen Hartnäckigkeit zu erzwingen? Durch ein ungeheures
Preisausschreiben etwa, das an alle Maler, der ältesten wie der neuesten
Schule, erginge, um auf Bildern und Plakaten, mit beliebigem Raumverbrauch,
die Wirklichkeit zu illustrieren, allen Brücken und Wegen entlang sie
immerzu neu einer Allgemeinheit zu veranschaulichen, deren geistigen
Stumpfsinn nur jene Menschenkenner von Spekulanten voll ergründeten. Daß es
keine intellektuelle Notwehr gibt, und daß wir lieber untergehen als daß
wir dächten, hielten wir ja nicht für möglich, bevor wir es erlebten. Wie
hätte sonst über unsere Köpfe hinweg jene Phalanx der Niedrigen zustande
kommen können, die sich heute mit so bewundernswerter Regie über alle
Grenzen hin in die Hände arbeiten? Auf uns, die sie gewähren lassen, fällt
der Fluch dieser Zeit zurück. Nicht auf die schlechten, deren Tun im
Einklang steht mit ihrem Wollen; auf uns, nicht auf die Knechte, welche
sich zu unseren Herren machten, sondern auf uns, die wir uns von ihnen
knechten ließen. Sollte der Tag hereinbrechen, an dem es zu spät sein wird
für unser zusammengehen, so werden wir, die guten Willens sind, als die
Schuldigen stehen, weil uns der Mut unseres besseren Wissens gebrach, dem
Genius des Krieges die Siegermaske von der gedankenlosen Stirn zu reißen.
Ah! wir bedachten nicht den tiefen Sinn jener Sage, welche den Drachentöter
die Sprache der Vögel verstehen ließ, als er vom Blut des erlegten
Ungeheuers genoß!

Es waren stille Tage. Der Sommer reifte wie eine Frucht. Schon rissen
Gewitter den Himmel auf und schlugen die Wellen bis zu den herabhängenden
Blüten am Ufer. Und die Nächte verströmten betäubend und lau. Es war ein
Wandeln wie im Traum, bedrückend und begeisternd zugleich. Meine
Unterredung mit dem Grafen Carry datierte vom 5. Mai. Schon am 17.
depeschierte er mir, die Pässe für Frau v. L . . . . und ihre fünf Kinder
seien gewährt.

In den Weinbergen surrte das Licht, die goldenen Bienen waren eins mit ihm.
Ob man lebte oder gestorben war oder eben geboren wurde, machte keinen
Unterschied. Es war zu heiß. Den schönen Damen standen die Koffer gerüstet.
Ihre neuesten Kostüme und Kleider, die seidenen Sweater und die Hüte und
die Schuhe kannte man jetzt. Es war Zeit, in einem neuen Ort neu darin zu
erstehen.

Für den 29. waren in Zürich Busonis Opern unter seiner Leitung angesagt.
Dort sollte ich mit Fortunio zusammentreffen, und dann an den Thuner See
mit ihm fahren. Aber statt seiner kam ein Brief, und meine Stirne umwölkte
sich beim Anblick seiner Adresse: Es war ein Mißgriff und eine Illusion,
daß er die Villa des geölten Nibelungen bezog. Kurz herausgesagt, wir
beiden konnten einander nicht leiden. Ich grollte ihm nicht, weil er meine
Haltung verurteilt und mir versichert hatte, wir seien immer noch zu
anständig; sein plötzlicher Radikalismus, vielmehr die Art, wie er sich als
unser Leithammel aufwarf, ärgerte mich. Denn er war keiner von den Unseren.
Mit Lanze und Speer kam ich ins Spiezer Schloßhotel, ihn zu bekämpfen. Dort
warteten A. H. Pax und seine unschätzbare Gattin seit einer Woche meiner.
In der Halle stand ein Bechstein, und von Paxens tiefer Loggia aus hatte
man den Blick nach Süden über die Alpen und den See. Bei ihnen waltete
Überblick, Wissen und Nächstenliebe, dazu ein Aroma von Wiener Kaffee und
Gemütlichkeit, die nicht zu überbieten waren.

Die Villa des Geölten lag unter den Tannen in der Tiefe, einen Kilometer
entfernt und in wundervoller Lage. Ein kurzer Weg bog vom Gitter bis zum
Hause, als wäre er unendlich, ein. Die veredelten Kirschbäume, die ihn
beschatteten, bestahl ich, soviel ich konnte. Es verdroß Fortunio, doch ich
erklärte, Kirschen nur vom Baume essen zu können, und riß im vorbeigehen
immer welche herab. Es waren wirklich Kirschen für Hesperiden. Die unteren
Zweige hingen schon leer.

Der geölte Nibelung gehörte dem Geschlecht derer an, die nicht nur
geschäftskundig, sondern auch mit regen Sinnen für das Schöne begabt, zu
überaus tüchtigen Faktoren berufen, dabei haarscharf an ihre Stelle zu
verweisen, ja niederzuhalten sind. Unsachlich, ungedanklich, nur der
Witterungen, aber keiner Erkenntnisse fähig, konnte er sich nach innerer
Herkunft und Bestimmung höchstens zum Sklavenhalter, niemals zum Herren
vermögen. Gütiger Regungen sehr wohl fähig, war der geölte Nibelung infolge
seines unbändigen Ehrgeizes der glücklose Knecht, außerstande sich zu
bescheiden. Über ihn wölbte sich der freie Himmel nicht unmittelbar,
zwischen ihm und dem Äther, den Göttern und der Natur lastete eine
trennende Kuppel. Fortunio aber, und wenn er tausendmal zerschellte, war
ein Sohn des Lichts. An ihn klammerte sich der Geölte, von trüben Stacheln
getrieben, und eiferte um die gleiche Stufe der Leiter mit ihm; von
Eifersucht und Zuneigung gleicherweise gequält, suchte er -- immer unbewußt
-- ihn an sich zu reißen oder ihn zu verderben. Seine Gattin liebte es,
vierhändig zu spielen, ihr Anschlag war eine Pein, und ich stand sehr bald
mit beiden übers Kreuz. So ging ich nicht mehr den kurzen Weg, der zwischen
Gitter und Haus ins Unendliche lief, und sah von dieser Stelle aus nicht
mehr den Niessen wie eine Riesenpyramide inmitten des fruchtbaren Tales
stehen.

Der Himmel freilich kam hier nie zur Ruh, und die Gegend war mehr eine
großartige, opernhafte Szenerie, denn eine Landschaft, das Licht ein
Beleuchtungsapparat; statt der Spiegelungen hatte man Effekte. Das
Schreckhorn leuchtete in der Verkürzung, der See war eine Arie.

»Komm, komme!« schrieb der Seidenaff aus St. Moritz. »Wer weiß, was mit uns
in einem Jahre geschieht.« Und eines Morgens reiße ich aus, um den Sommer
im Engadin zu beschließen.

Mein Weg führt über Bern, und ich mache bei Martin im Walde halt. Er ist
schwer niedergedrückt. Das deutsche Verhängnis war für jeden, der außerhalb
des Landes wohnte, unaufhaltsam. Ich schreibe eine Depesche unter seinem
Diktat und renne damit zum bayrischen Gesandten. Dieser besteht darauf,
Martin im Walde selber zu sprechen: ich also mit Windeseile zu ihm zurück
und ihn so lange quälend, bis er mir folgt. Aber welch ein Interview! Alle
heißen und kalten Wasserhähne sprühten um die Wette, daß es nur so pfiff.

Die Depesche hat er aber abgeschickt, mache ich auf dem Heimweg geltend.

Sie übermittelte jedoch diejenige Brause, die man sich auf Wochen noch
verbat.

Fluchtartig verließ ich die Stadt der vergeblichen Zusammenkünfte.

                   *       *       *       *       *


Palace Hotel, St. Moritz.

AUGUST 1918. Man hätte sich auf dem Berge Arrarat glauben können, wären
unter den Geretteten nicht so viele gewesen, die mit einem Mühlstein am
Halse zu tiefst der angerichteten Sintflut zu liegen verdienten. Diese
Menschenmetzger, Gewinnler am Elend der Menschheit und gemästet von ihrem
Blut, hier machten sie sich breit und schlemmten.

Gleich bei meiner Ankunft hatte ich den Seidenaffen besucht und war auf der
Treppe gestürzt, so daß ich bleiben mußte, wo ich war. Doch inmitten des
Geschwirres begann da für mich ein Leben wirklicher Beschaulichkeit. Ich
kannte niemanden, mit San Cividales verkehrte ich nur in den oberen Räumen,
unten mieden wir uns, denn wir waren ja Feinde. Auf den Stock gestützt,
hinkte ich, wenn Sajani mit seiner kleinen Kapelle spielte, zu einem
Schreibtisch in der offenen Galerie, die Berge von Pontresina vor Augen,
die ekstatisch nach Süden träumten; unten der tiefgrüne Bergsee und der
Waldweg seinen Ufern entlang; St. Moritzbad im Rücken, damit ich es nicht
zu sehen brauchte.

Es war sehr oft »etwas los«. Alles strömte dann nach derselben Richtung, um
sich im Sportkostüm zu treffen, bevor man sich im Abendkleide wieder
begegnete. Dann spielte die Kapelle ins Leere, ich aber zog unter den
Baldachin, die Tangonoten verschwanden, und wir spielten Trios. Es
schlichen immer ein paar unbeschäftigte Kellner herein, und dies
Kellnerpublikum war uns ein Sporn.

In der Umwertung der Gesellschaft selbst besteht heute die eigentliche und
tiefe Revolution. Ein rein äußerlicher Staat hat merkwürdigerweise
aufgehört, elegant zu sein; das Prestige einer Klasse als solcher, mag es
noch einmal aufflackern und sich noch eine Weile fortläppern, ist dahin.
Diejenige Klasse, die überall am Kriege die unschuldigste war, wird täglich
an Interesse gewinnen und ihren Tag erleben. Der Arbeiterstand als Magnet:
so schnell reiten die Toten! --

Wie faszinierend war es indes, die Herren von vorgestern zu beobachten,
welche wähnten, daß sie es noch seien, und die höchstens noch der Wirt, bei
dem sie abstiegen, in dem Glauben erhielt; diese Herren auf Abbruch, die
nicht merkten, daß ihre Füße sich schon im Gerölle fingen. Müßigkeit und
Unwissenheit hatten ihre Norm so tief herabgedrückt, daß, um ein Beispiel
zu geben, edle Musik eine Zumutung für sie gewesen wäre. In der Tat, es
lohnte sich, sie zu studieren. Sie machten noch die Gesten der Väter, aber
schon war der Pöbel bei ihnen eingebrochen und schuf sich in diesem
äußersten Rechteck der Gesellschaft ein Ventil. Nirgends vielleicht hatte
sich die Achtung für inneren Wert so sehr verringert und kam innerer Adel
so wenig in Betracht. Wie viel ritterlich Gesinnte zählte man unter diesen
Kavalieren? Wie viel Strebende? Was die Unbildung, die zunehmende Verrohung
dieser Clique betraf, so stand sie den von ihr verhöhnten nouveaux riches,
welche Wurstkonserven zu Magnaten erhoben hatten, innerlich schon am
nächsten, und es war rührend zu sehen, wie hier die Elite -- denn auch die
sogenannte Elite hat natürlich ihre Elite, und ich weiß keine
liebenswertere -- von ihr abrückte und sich ihrer schämte.

Auch den Trost von ein paar wirklich schönen Frauen hatte man hier. Der
Seidenaff zwar verzog sich des Abends immer sehr bald. Sah man nach ihr um,
war sie wie ein Vogel schon weg.

Aber die leidende Sylvia, schön wie eine gestirnte Nacht, tanzte so gern.
Und ob man sich auch sagte, die Melancholie ihres Lächelns, ihres Lachens
sei nur Zufall, nur der Form ihrer göttlichen Lippen, dem Licht ihrer Zähne
entblüht, sie entzückte darum nicht minder.

Eine andere kam zuweilen von Suvretta herüber, ein Püppchen, so zierlich
gebildet, als wäre sie in einer blitzend ausgeschlagenen Nußschale
dahergefahren.

Eine vierte war noch da, von der ich noch reden werde. Aber laßt mich bei
der gestirnten Nacht noch einmal verweilen. Meistens trat sie erst, nachdem
der Tag zu Ende war, scheinbar ausgeruht, in ihrer düsteren Pracht hervor,
blieb dann bis zum Hahnenschrei, wie die Braut von Korinth, und hielt ihre
Tänzer in Atem.

                   *       *       *       *       *

ANFANG SEPTEMBER. »Ich hörte lange nichts von euch«, schrieb ich an
Fortunio. »Was Sie nur treiben?«

Mein Fuß war endlich hergestellt und einer längeren Fußtour gewachsen.
Eines Morgens verließ ich früh das Palace Hotel in Bluse und Rock, einen
Sack umgeschnallt, in dem ich eine ganze Reisetasche leerte, und einen
eigens dafür erstandenen Strohhut, der so tief hereinfiel, als man wollte.
Also ausgerüstet, zog ich nach Maloja, schlug aber bald den Waldweg ein,
denn die zahlreich einherrollenden Wagen hüllten die Straße in Staub. Frech
auf den Polstern ausgebreitet, mit befriedigten Mundwinkeln, fuhr ein
Schieber nach dem andern froh zu Tale, oder dem Julier entgegen; ein
feister und wohlgemuter Korso: der Krieg durfte noch dauern.

Am andern Ufer der Seen jedoch wand sich ein stiller Weg um jede Bucht,
nimmermüde, sie zu umschreiben, leis umplätschert, geduldig und verliebt.

Ich riß den Hut vom Kopfe, steckte ihn in den Sack, und ließ die Stirne
frei von den Gletscherwinden umwehen. Es war so schön, wieder schnellen und
gesunden Fußes durch die Wälder zu gehen, die bis in ihren tiefsten
Schatten von Licht und Hitze durchhaucht, statt des Staubes einen Geschmack
von Harz und Erdbeeren auf die Zunge trieben. Ganz plötzlich wurde es kalt.
Hoch am Himmel hielten die Wolken Rat, ob sie sich zusammenballen und den
Herbst eröffnen sollten. Dann zerstreuten sie sich wieder und ließen die
Sonne durch. Aber es war ganz deutlich, daß sie sich nur vertagten.

Spät am Nachmittag saß ich in der berühmten Konditorei von Sils Maria, als
ein Wagen vorfuhr, dem die vierte Schöne des Palace Hotels in Begleitung
ihres Liebhabers entstieg. Es war die notorische liaison des diesjährigen
Sommers. Er, so stolz auf seine Figur, daß er Modell stand, sowie man nur
hinsah, aber dabei das Entzücken seines Schneiders mit dem des Malers
verwechselte; die Stirn niedrig und leer, wie die eines Stallbediensteten,
und einen der Anlage nach gewiß nicht groben, aber schon stark vergröberten
Kopf. Bald, sehr bald würde von dem ganzen Zauber nur noch die Hengstallüre
übrigbleiben.

Die Schöne hatte am nächsten Tische Platz genommen, so daß ich ihre kühle
und strahlende Erscheinung mit Muße betrachten konnte. Der Schmelz, die
Zeichnung der Brauen und des Ovals, die Augen, wie große, kostbare
Edelsteine eingesetzt, waren die eines vollendeten Renaissancegesichtes.
Man konnte sich kein typischeres denken. Ihr Lächeln beunruhigte. Und doch
war sie so jung! Jugend hielt noch, wie die Staubfäden einer Blüte, Fesseln
und Gelenke zusammen. Sie hatte sich erst ihres Schleiers entledigt, nun
folgte der Hut. Sie legte ihn neben sich hin. Ihr Haar, mit unerhört
raffinierter Schlichtheit getragen, umschmeichelte nur die Schläfen mit
seinem Gold und ließ die Stirne frei, jetzt wandte sie den Kopf. Da aber
kam ein platter Hinterkopf zum Vorschein, der Kopf der Viper, da woben
schon unendlich leise Fäden an ihrer künftigen Häßlichkeit, und da kündete
sich von fern der nach außen gerichtete, erinnerungslose Blick der
Vierzigerin, ohne Rückwärtsschauen . . . Lange blieben die beiden nicht,
stand doch die lange Fahrt noch aus, und mußte sie doch ruhen, bevor sie
sich langsam wieder schmückte zum spätesten aller Diners. Nicht nur mit
ihren Abendkleidern, auch durch spätes Erscheinen wetteiferten nämlich die
Damen im Palace. Konnte auf der Welt etwas ordinäreres sein, als schon um
neun zu Nacht zu essen? Und war dies nicht der Gipfel?

Ihr Geliebter legte ihr jetzt den Umhang über, mit jener tiefen
Ehrerbietung, die ein solcher Mann einer solchen Dame gegenüber, die solche
Perlen mit in die liaison brachte, empfinden mußte. Auf seine Hand gestützt
und von den Kindern des Dorfes umstaunt, schwang sie sich auf das Gefährt
und griff in die Zügel.

War es Einbildung? Hatte der Jammer des Krieges meine Augen geschärft? In
dieser zarten und köstlichen Gestalt hatte ich deutlich den Brustkasten der
Kindsmißhandlerin gesehen. Welch ein Scheinleben kutschierte da dahin? Das
leichte Getrapp ihrer Pferde, dann das Echo ihres Getrappes hallte noch
lange von den Felsen herüber.

Was war es, das mich so feierlich stimmte?

In den Gasthäusern und Hotels ging jetzt überall ein Klappern von Tellern
und Bestecken los. Es wurde geläutet und gegongt, und wer nicht im
Restaurant aß, der mußte sich bescheiden, vorgekochtes der Reihe nach zu
essen; ein Zwang wie ein anderer. Da war es schöner, noch etwas zu
streunen.

Ein ungewöhnlich starker Mond stand in seiner ganzen Fülle; es wuchsen die
Berge unter seinem Hauch, das Dorf erblaßte wunderbar, eine graue Bank ward
ganz sie selbst. Die Funksprüche der sich bereitenden Nacht liefen wie toll
alle Täler entlang, und schon waren alle Täler berauscht. Auf dem Platze
hielt ein Gespann, die Gäule hielten die Köpfe gesenkt, als ob sie
träumten. Ich lief hinzu. Es war die Post, die nach Maloja fuhr. Es gab
noch einen Platz. Ich sprang hinein. Die Pferde zogen an. Bevor wir noch
das Ufer erreichten, stieg ein Reisender aus. Außer mir blieb nur ein
Liebespaar, das sich an den Händen hielt. Es war sich Mondschein genug.

Den Kopf hinausgestreckt, trank ich diese Nacht, und hatte sie für mich
allein. Nichts war mehr, wie es war. Der See lag im Silberschleier
regungslos wie eine Tote, und der Mond goß Myrthensträuße über sie herab.
Nur das Gras des Ufers erhob sich in gespenstiger Lebendigkeit. Sicher war
es nur ein Spiel der Luft, daß die Berge hier zerfielen. Blöcke sich
lösten, als sei die Welt zu Ende; Felsensäle bauten sich in die Klüfte ein,
Riesengemächer warfen sich dazwischen. Es konnte nicht sein, und so sah die
Welt nicht aus. Auch die Liebesleute waren anders wie zuvor. Dieser edle
Pensieroso stieg als ein unscheinbarer Tourist in Sils Maria ein, und sie
hatte weder dieses Haar, noch diese Lippen gehabt. Morgen würde hier die
Sonne auf ödes Schilf vielleicht hinbrüten und das Paar nicht zu erkennen
sein.

Als um ein Uhr morgens der Wagen mitten in Maloja hielt, stieg es wortlos
aus. Ich hatte kein Quartier bestellt und kam nicht unter. Außerhalb des
Ortes lag noch ein Hotel. So marschierte ich jetzt allein die taghelle
Straße weiter, geradeswegs auf einen neuen Absturz zu. Dort stand das Haus.
Ein junges und verschlafenes Mädchen führte mich über manche Treppe hinauf:
zufällig stünde das einzige Zimmer frei, das für Gäste reserviert blieb.
Alle andern hielt während des Krieges die Militärbehörde in Beschlag. Die
nächste Poststation sei italienisch.

Sie reichte mir eine Petroleumlampe und verschwand. Die Stube hatte zwei
Fenster und war schneeweiß. Ich warf den Kopf weit auf die mondbeschienenen
Kissen zurück. So angelangt!

                   *       *       *       *       *

Aber nicht lange, und der einsetzende Kampf zwischen dieser Mondnacht und
der Dämmerung weckte mich aus dem Schlaf, Nebel mischten sich hinein und
wollten alles für sich. Endlich ragten Tannenspitzen ins Leere; der Absturz
war kein olympischer; eine Straße schwang sich, breite Kurven nehmend, in
die Tiefe.

Gedulde dich, Leser, auch dies Buch geht jäh zu Ende. Folge mir noch. Hoch
steht schon die Sonne über das Bergland, ein anderes freilich als der
vergangenen Nacht. Von ihrem Spiel erholt, verströmt der See sein Blau,
nach allen Seiten, ganz verbuhlt. Myrthensträuße und Schleier sind
vergessen und hängen als weiße Fäden im Gesträuch.

Wie seltsam ist die innere Stimme in uns! Welcher Stachel hatte mich zu dem
hart an der Schwelle des aufgerissenen Gebirges und kaum, daß es tagte,
hinauf, hinab und wieder emporgetrieben, wo sich zu höchst der Wälder und
noch in ihrer Mitte der See entzieht, verborgener Tränen zerflossener
Kristall, ohne Kahn und ohne Erdenstaub; und dann wieder zurück in die
Gaststube, um zu zahlen, und dann wieder aufzubrechen, mit der umgehängten
Tasche und dem lächerlichen Hut, an der Waldseite des Sees den Weg
einzuschlagen, den ich jetzt lief. Es war ein Notbehelf! Ich lief, um nicht
zu tanzen. Denn ich war inmitten eines Festes. Umgeben und geborgen, als
sollte die Gehobenheit nicht wieder von mir weichen, erreichte ich ein
Dorf, das als Landzunge weit in den See hinausstieß und jenseits der Zeiten
zu liegen schien. Eine alte Frau saß auf einer Bank vor ihrem Hause, und
ich bat sie, mich drinnen ausruhen zu dürfen. Wir verstanden einander
nicht, aber die Müdigkeit spricht ihre eigene Sprache zwischen Frauen. In
einer Stube des Erdgeschosses, die durch ihre edle Sauberkeit den Eindruck
des Luxus erweckte, stand eine schmale, gepolsterte Bank. Dort schlief ich
auf der Stelle ein.

Als ich erwachte, war der Tag noch hell, aber schon gebräunt vom Golde des
Abends, und ich mußte eilen, um vor Anbruch der Dunkelheit in Sils zu sein.
Auch für mein Herz ging jetzt die Sonne unter, und das Fest verklang. Von
den Strapazen ausgeruht, war es zugleich, als sei mir durch den
kräftigenden Schlaf, wie ein Alltagszwilch, ein gröberes Ich übergeworfen
als das, welches seit gestern das meine gewesen war. Ob wohl mein Koffer
eingetroffen sei, wo meine Brotkarte stecken konnte, wo ich absteigen
sollte, derartiges beschäftigte mich wieder. Aber ich spreche von
verloschenen Kronleuchtern, oh Leser, und du weißt noch nicht, warum sie
brannten?

Aber vielleicht hast du erfahren, daß es Träume gibt, deren Nachhall, statt
zu verklingen, sich bleibend, wie ein Echo zwischen Klüften, in unserem
Innern fängt. -- Solcher Art war der durchdringende Ton der Mondnacht in
Maloja.

Es ist nicht gleich und nicht vergänglich, wie sich die Kurve eines Fußes,
der Umriß einer Schulter anläßt, wie ein Knie sich rundet, wie eine Hüfte
fällt. Es ist das Flüchtigste nicht gleich. Und ganz und gar nicht gleich,
noch zufällig ist es, welchen Ganges wir den Hügel abwärtsgehen.
Hochzeitlich können solche bald versenkten Dinge unverloren
weiterschwingen.

                   *       *       *       *       *

Die Wolkenversammlung war noch immer nicht anberaumt; vielmehr vertiefte
sich am nächsten Tage das weiß des Himmels und musizierte mit dem
Himmelsblau über das Fextal, das bewegteste der Erde, auf und nieder
schwingend wie eine Schaukel. Ragte, von unten gesehen, ein Kirchlein zu
oberster Schneide für sich allein, so stand es, war man oben, ganz
unsensationell in einem Wiesenviereck, und sein rostiges Gitter knarrte im
Winde, und nur die Berge rückten verändert und entschlossener zusammen.
Wieder in der Tiefe und weit hinausgeschoben, richtete ein Gasthaus seine
Glasveranda dem Gletscher entgegen. Auf ihn ging ich jetzt zu. Doch mit dem
Lichte wandelte sich mein Gemüt. Es brütete milchweiß von einem hohen, aber
sich überziehenden Himmel. Hinter mir fuhr ein kleiner Wagen her. Darin
saßen zwei Herren, die angeregt mit einer noch jungen Dame plauderten. Aber
der Weg hörte bald auf, fahrbar zu sein, und ich verlor sie aus den Augen,
graugrünes Nadelgehölz war um mich her und der entfärbte Fluß zu meinen
Füßen. Stolperte ich jetzt und stürzte ich hinab, wer würde mich vermissen?
In welchem Hause entstand eine Lücke, wenn ich nicht wiederkam?

Kein Dach, kein Herd, kein Wesen; überall zu Gaste! keinem Menschen
ungeteilt und wirklich zugehörig; als immer wiederkehrenden Gefährten die
entsetzliche, gefürchtete Melancholie, die ich so feige, so vergeblich
floh. Nun stellte sie mich angesichts dieses Tales der Verlassenheit. Wozu
bist du hier? herrschte mich seine Stille an.

Der sonnenlose Himmel über dem Nadelgehölz, mehr noch der Fluß, dem
Gletscher hier entlassen, und seinen Lauf so blaß beginnend, griff ans
Herz.

Plötzlich stand die noch junge Dame vor mir und sprach mich bei meinem
Namen an. Nun war stets meine erste Sorge, daß er in keine Hotelliste kam.
»Woher wissen Sie, wie ich heiße?« fragte ich und wollte die Spröde
spielen; aber da gab sie mir zu wissen, daß sie meine Bücher kenne. Sie
lebte in Genf und war Amerikanerin. Wir wechselten einige Worte, dann stieg
sie wieder hinab. Gleich darauf rollte das Wägelchen mühsam aufwärts, in
dem die noch junge Dame mit ihren Freunden plauderte. Gewiß -- man sah es
ihr an -- standen, wenn sie nach Hause kam, ihre Abendschuhe bereit, und
ein freundliches, ihr ergebenes Zöfchen half ihr, sie anzulegen. Wie
verwahrlost ich war!

                   *       *       *       *       *

Als ich am Morgen darauf erwachte, lag weithin Schnee. Ich klingelte
entsetzt. Der erste Postwagen brachte mich ans andere Ende des Tales, zum
Zuge, und schnell in eine vom Winter noch nicht heimgesuchte Welt hinab, wo
Zürich einer entbrannten Ebene zulief, die von der Glut des Sommers
weiterträumte. Hier reißt der See ein weites Fenster nach dem Himmel auf:
es ist die hellste Stadt der Welt.

Aber von hier aus jagte mich eine dringende Depesche Fortunios fort, der
mich bat, sofort nach Spiez zu kommen, mit dem Zusatz: »Besitzer auf zwei
Tage verreist.«

So war ich abends unterwegs zur Villa des Geölten, die ich nicht wieder zu
betreten glaubte. Da war das Gitter, der Kiesweg, der sich so schnell
verlor. Man sah das Haus erst, wenn man davor stand.

Fortunio aber war schwer krank. Verfallen, zerfurcht, zerwühlt. Wir aßen im
Schloßhotel zur Nacht und besprachen die Abreise für den morgigen Tag. Ich
fühlte meine Arme erstarken, in dem Wunsch, ihm zu helfen, und unser schier
geisterhaft geschwisterlicher Bund war durch die Trennung neu erhellt. Am
nächsten Tage aber lag er zerrüttet, ohne Energie.

»Morgen, morgen«, sagte er. Ich reiste ab, nach Bern, Fortunia zu
alarmieren. Ihr Gesicht erinnerte an ein von schwerem Regen heimgesuchtes
Land. Ohne Schonung schilderte ich seinen Zustand und ließ dann die Sache
bei ihr. Um nicht in Bern zu bleiben, fuhr ich abends nach Montreux.


HERBST 1918.


Montreux.

Nur lachenden Auges werden hier die Zeitungen gekauft. Der Belgier und sein
Kind waren ohne Schadenfreude. Die Filme arbeiten schon stark mit
elsässischen Hauben. Sie werden lebhaft beklatscht, in der Voraussetzung,
daß sie nicht mehr lange deutsch bleiben. Schließlich ein begreiflicher
Jubel. Entsetzlich ist nur der Applaus, als englische Munitionskammern
aufziehen, emsig mit Granatendrehen beschäftigte Frauen und Geschosse in
unabsehbaren Reihen. »Gehen wir!« rufe ich, und wir verlassen das Haus. Süß
schlagen die Wellen ans Land. Die Berge des andern Ufers erheben sich
unmittelbar, als gründeten sie in den Tiefen des Sees. Sie sind kahl und
scheinen dennoch weich, selbst im Dunkel der Nacht; wie Gesänge abgestuft,
steigen und fallen und treten zurück und verhallen die Berge Savoyens.

5. OKTOBER. Glasenfrosts in Villeneuve geben mir die Nachricht, daß
Deutschland um einen Waffenstillstand nachgekommen ist: Mein einziger
Wunsch ist, es möge die Welt, die es als Sieger verloren hatte, als
Besiegter wieder für sich gewinnen. Die In-die-Knie-Zwinger Britanniens,
die ohne Briey nicht leben konnten, sind mit einem Male still.


6. OKTOBER bis Anfang NOVEMBER.

Fortunios sind angekommen, sie wohnen in Vevey, und er erholt sich. Zum
ersten Male bildete sich unser Zusammensein als heller Punkt und geordnete
Fläche heraus. Augenmerk und Sorge sind durch die Ereignisse zu sehr in
Anspruch genommen, um uns bewußt zu werden, wie sehr es einem bekränzten
Floß inmitten schwarzer und gestoßener Fluten glich; Und wie hätten wir da
anders als in der Erinnerung wahrgenommen, daß wir schöne Tage verlebten?

A. H. Pax ist aus Bern gekommen. Der Belgier und sein Kind finden sich
regelmäßig ein.

Dabei wütete die Grippe. Viele Särge harrten der Bestellung. In den
Blumenläden häuften sich die Kränze, Halbgenesene, in tiefer Trauer, traten
leichenblaß das erstemal vors Haus.

Doch die Zärtlichkeit des Herbstes, seine Zärtlichkeit und sein Verweilen,
seine Glorie ward unendlich.

Eines Nachmittags strichen wir in den Höhen des Weinberges entlang. Unter
einem silbern aufgerollten Himmel dehnte sich der See, schimmernd,
unbewegt, ein wenig müde . . .

Plötzlich, mit einem Ruck, fuhr der Wind weit und durchdringend auf, als
stöhne er die ganze Erdkugel entlang das Ende der schönen Jahreszeit
hinaus.

Im Nu schlugen die Wolken über die Sonne hin. Fortunio hatte den Kragen
aufgesteckt, sein Hut rollte den Berg hinab. Wir lachten. Doch der Weg war
weit. Schon wußte der See nichts mehr von seinen Ufern. Unter Nebelschauern
waren alle Berge, ja wir selbst, unsichtbar.

Am nächsten Morgen war für jedes Kind ersichtlich, daß Fortunio die Grippe
hatte, aber wir taten nicht dergleichen. Statt im freien, versammelten wir
uns an seinem Lager. Man hielt es in jenen Tagen allein nicht aus. Bang und
fröstelnd rückte man zusammen. Denn auf dem Streitroß, dessen Nüstern von
Hoffart, Haß und Vergeltung sprühten, und wie ein Sturmgott kam ja der
Friede heran. Wehe, es war jener Gewaltfriede, jener Macht- und Siegfriede,
von dem in Deutschland so viel geredet worden war, und den abwehren zu
wollen, den zu fürchten, als ein Verbrechen galt.

Und indessen lösten sich in unserer kleinen Gruppe hineingetragene
Dissonanzen weiter aus, und statt der chronischen Trübungen stimmten sich
ganz ohne unser Zutun unsere Gemüter wie Instrumente zu täglicher, reinerer
Melodie. Fortunias Gesicht glättete sich und erlangte seine Pinturichiotöne
wieder, und während der Aufruhr stieg, bildeten wir eine uns selbst
unvergeßlich gewordene Insel des Friedens.

                   *       *       *       *       *

Als sich die Sonne nach einer Regenwoche wieder zeigte, war die Welt eine
andere. Das Renommierboot mit seinem rostbraunen Segel zog wieder auf, aber
es blähte sich über ein gesteiftes und gepeitschtes Blau; die
weißgeharnischten Berge waren näher gerückt, und wo das Laub noch grün
geblieben war, hatte es ausgeträumt, hing ohne Illusion, des Todes
gewärtig, und daß es fallen würde. Im Hotel spielte die Heizung, und ein
von sich überzeugtes Ehepaar: le Vicomte Edmond de la Province, einem Roman
von Claude de Bernard entlaufen: Madame korrekt bis ins Grab hinter der
vorangetragenen Corsage, Monsieur im Bart, Schloßbesitzer, zogen schweigend
über Flur und Treppe, und faszinierten durch ihre abgründige
Zurückgebliebenheit.

Unsere Gruppe indessen hatte sich verkleinert. Erst war der Belgier und
dann sein Kind erkrankt. A. H. Pax saß wieder in der Choisystraße. Das alte
Deutschland stürzte wie eine Kulisse zusammen, und Trümmer waren fürs erste
der einzige Ausblick. Fortunio, von Ungeduld verzehrt, erklärte aufstehen
und nach Berlin reisen zu wollen. Fortunia fuhr nach Bern, das Haus für die
Abwesenheit zu bestellen, und ich folgte mit ihm den Morgen darauf. Wir
saßen einander im Zuge gegenüber, sein Husten war ein Gebell. Am selben
Nachmittage brachten wir Fortunios mit Pax an der Spitze, zur Bahn und
ließen sie, wie Flammen über das Moor, ins Weglose ziehen. Denn schon
fluteten die aufgelösten Heere in unbeschreiblicher Verwirrung aus den
besetzten Gebieten ins Land zurück. Die Lauben hinabsehend, unschlüssig wo
ich absteigen sollte, versagten mir plötzlich die Knie, Fröste wie graue
Blitze durchfuhren mich, und mein Husten war ein Gebell. Diese nicht zu
verkennenden Symptome jagten mich wieder an die Station, um mit dem letzten
Zuge nach Montreux zurückzufahren. Denn lieber, als angesichts des Gurten
wollte ich dort erkranken, wo im Hotel Suisse als chefesse de réception
eine so angenehme Erscheinung waltete, und ich den Nachtportier zum Freund
besaß, ein komischer, alter Schwabe, den ich deutsch ansprach, sowie der
Lift ohne Insassen und in der Schwebe war.

Nun war es Sonntag. Das heiße Wasser also lief. Vielleicht vertrieb mir
eine heiße Dusche den Frost. Aber das Wasser war schon lau. Dafür gerieten
die grauen Zickzackblitze in Brand und drückten mir eine Feuermütze ins
Genick. Da ließ ich mich denn grippekrank melden und stellte anheim, mich
aus dem Hause zu schaffen. Aber die angenehme Erscheinung aus dem Bureau
kam herauf, mich zu beruhigen. Dann äußerte sie einige unverständliche
Dinge und verschwand. Bald darauf trat ein Mann herein, den ich für einen
Raubmörder hielt, gefolgt von einem fürchterlichen und handfesten Weib ohne
Kopf, seiner Helfershelferin. Ich wollte rufen, da hatten sie mich schon
gepackt. Jetzt, dachte ich, ist doch alles eins.

Eine Stunde später lag ich mit aufgerissenem Rücken, geschröpft wie ein
Hengst. Ich erzähle dies nur, weil ich dank dieser so immediaten und
buchstäblichen Roßkur schon nach zehn Tagen, statt vielleicht nach Wochen,
die Grippe spurlos überwand.

Mittlerweile erdröhnte dem so glücklich gewesenen Deutschland die im Lauf
seiner Geschichte noch immer zurückgekehrte Stunde seines Unheils. Es war
der eine Gedanke meiner leeren Tage und langen Nächte; ihn auszuschlagen
war unmöglich.

Im ersten Stadium meines Fiebers fiel mir an dem Stubenmädchen, das hin und
wieder in mein Zimmer trat, nichts bemerkenswertes auf, als daß sie mir
sehr einsilbig und nicht freundlich vorkam. Pech! dachte ich.

Am dritten Morgen aber, als sie das Zimmer räumte, folgte ich ihr mit den
Augen, während sie wähnte, daß ich schlief, und das Herz stand mir still.
Hermione! wollte ich rufen. Nein, Andromache im Palast des Priamus, ob
ihrer Anmut erstaunt, und der leichteste aller Tanagra zugleich! So stand
sie, den Besen führend, in der Mitte des Zimmers. War ich im Delirium
gelegen, daß ich sie nicht gesehen hatte? Sie kam auf mich zu: »êtes-vous
plus mal?« Aber ich wehrte ihr mit beiden Händen ab. »Cela m'est égal«,
sagte sie, »de prendre la grippe.« Was war melodischer, dieser Mund, diese
Lippen oder diese Stimme? -- Und ein solches Geschöpf umgab mich mit ihrer
Pflege. Welch unerhörter Luxus! Die Sonne ging vor meinem Fenster auf,
alles Leben im Geleite, und lachte des Todes bis zum Mittag. Pauline
Glasenfrost kam täglich aus Villeneuve, brachte die Zeitungen, beschenkte
mich und spottete der Ansteckung. Knirschend las ich alle Noten und Appelle
an die Großmut der Sieger. Welche Verkennung der Situation! Aber was
bedeutete dieses Versagen angesichts der Würde, welche ein solches Unglück
gab? Und wiederum würden nur die Unschuldigen leiden. Die Taktik der Sieger
würde es den Schuldigen ermöglichen, sich herauszureden. Schon damals sah
man es kommen. -- Ich läutete und bat Hermione, mir von sich zu erzählen.
Sie stammte aus dem Wadtlande. Ihre Heimat lag hoch über den Weinbergen und
hatte die Gletscher im Auge. Ich bat sie, einen hellen Mantel von mir
anzulegen. Wie er ihr stand!

8. NOVEMBER. Bevor mein Freund, der Nachtportier, zur Ruhe ging, brachte er
noch die erste Post. An diesem Morgen trat er ein, reichte mir ein
Extrablatt und verkündete lakonisch: »In Bayern ist Republik.« Mein erstes
Gefühl war kein gelinder Schrecken. »Es mußte kommen«, sagte ich dann. Der
Portier war Demokrat. »'s isch recht. Runter mit dem Zeug«, sagte er und
ging. -- So war also Bayern Republik. Das Extrablatt war nur ein kurzer
Wisch; eins aber wußte man sofort: daß dieser so wenig ästhetische König
nie wiederkehren würde. Die Wittelsbacher waren stets Liebhaber des Schönen
gewesen, und in ihrer natürlichen Diskretion eines der sympathischsten
Fürstenhäuser der Welt. Daß er aber auch nicht eine einzige ihrer typischen
Eigenschaften besaß, sondern durch eine sture Haltung während des Krieges,
sowohl in der elsaß-lothringischen, wie in allen politischen Fragen statt
vermittelnd zu wirken, überall nur Unheil anrichtete, flößte die geradezu
unwiderstehliche Abneigung für ihn ein.

Plötzlich blieben Briefe und Zeitungen ganz aus, und die Spannung wurde
unerträglich. Es wehte eine scharfe Bise, doch ich fuhr nach Villeneuve.
Vielleicht hatten Glasenfrosts etwas gehört. Sie waren von den rührend
beseelten Manifesten Eisners sehr eingenommen, und wirklich hatte man in
diesen Tagen die Illusion, am Anfange einer besseren Zeit zu stehen, ob es
sich auch nur um eine einzige, schnell aufgehaltene Stunde handeln sollte.
Und nicht einmal ihr ließ man Zeit. »Man verlange von uns nicht,« beeilte
sich die die Politik Clemenceaus vertretende Freie Zeitung zu schreiben,
»daß wir uns mit dieser Sache da, genannt deutsche Revolution, ernstlich
befassen.« Und man eiferte um die Wette, sie zu »dieser Sache da« zu
machen. Sie hatte es schwer, alle Konjunkturen dafür um so leichter. Schon
war sie wie eine Decke, um deren Enden sich die Schuldigen, die Unlauteren,
die Banditen rissen, und alle Karrierejäger gerieten wieder ins Laufen. Wer
hätte gedacht, daß alle die dienstbeflissenen jungen Herren, die mit
umgeschnallter Seitentasche so flink und so stramm ins Hauptquartier
Meldungen überbrachten und entgegennahmen, überglücklich, bis zu Ludendorff
in Person vordringen zu dürfen, daß sie im Grunde ihres Herzens solche
Feinde des Systems und so demokratisch waren? Nie sah die Welt ein vom
alten Regime so gut besuchtes nouveau régime!

Suchte man im eigenen Garten das scheue Pflänzchen, das mitten im Sturme
Morgenluft witterte, von allen Seiten an beliebige Stakete zu biegen, und
sah es das Ausland mit begreiflichem Mißtrauen keimen, so erfuhr man in der
Schweiz infolge des gerade in diesen Tagen einsetzenden Generalstreikes
überhaupt nichts davon: er stand allein im Vordergrund und beschäftigte
alle Gemüter. So wurde hier, gerade in ihrer kurzen Glanzzeit, die deutsche
Revolution unterschlagen.

In jenen aufregenden Wochen kam ich wieder mit Romain Rolland zusammen.
Mehr als je zeigte er sich jetzt als der Mann ohne Illusion, was Wilson, ob
er auch dessen guten Willen nicht in Frage stellte, und was die Entwicklung
der Dinge betraf. Ich fand ihn viel zu skeptisch.

Im selben Hotel, wie Glasenfrosts und Rolland, wohnte auch eine Schweizer
Familie, die sich sehr für ihn interessierte, durch seine große
Zurückhaltung aber in Schach gehalten fühlte. Eines Mittags, da ich bei ihr
zu Gaste war, bat ich ihn, ein übriges zu tun, und sich zu uns zu gesellen.

Ich sehe ihn so deutlich vor mir, wie er an jenem Tage, seine alte Mutter
am Arme führend, in seiner ruhigen und ein wenig geheimnisvollen Art zu uns
stieß. Das Gespräch drehte sich natürlich um den Generalstreik und dann um
den Bolschewismus; für die Westschweiz hätte man zum Glück ein treffendes
Agitationsmittel gegen ihn, da er deutscher Import sei. Rolland schwieg.

»Der hat der Welt gerade noch gefehlt«, sagte ich, und sah einladend zu ihm
hinüber, damit er sich äußere. Vergebens. Er erwiderte nur auf direkte
Anfragen und ohne eine Meinung abzugeben. So sprachen halt in Gottes Namen
nur wir. Ich ging dann zu Glasenfrosts hinüber und schilderte das
mißglückte Beisammensein, bei dem ich zuletzt als verzweifelte Wortführerin
die Grippe, die Witterung und endlich die Tatsache erörtert hatte, daß jede
Stadt, ja jeder Ort ein anderes Modell für seine Leichenwagen besäße. Aber
auch diese originelle Wendung fiel unter den Tisch.

Es hatten Regenschauer eingesetzt, und Glasenfrosts hielten mich noch eine
Weile zurück. Wir waren uns in diesen Tagen noch sehr einig, und er hielt
sich bereit, nach München zu fahren und Eisner bei Seite zu stehen.
Vielleicht hatte doch die Geburtsstunde des tausendjährigen Reiches
geschlagen, und die Gefallenen waren nicht umsonst an seiner Schwelle
geblieben. Waren sie nicht schon ein einziges Heer?

Aber Rollands rätselhafte Haltung ließ mir keine Ruh, und als ich endlich
aufbrach und die langen, klosterähnlichen Gänge des Hotels entlangging,
machte ich plötzlich kehrt und klopfte, ohne mich zu besinnen, an seine
Türe. Es war ein kleines Durchgangszimmer, mit einem bescheidenen Pianino,
auf dem sich Musikalien häuften. Rolland stand in Hut und Mantel, im
Begriffe auszugehen, und sah mich erstaunt an. »Es tut mir sehr leid,«
sagte ich, »Sie so zu überfallen. Aber ich möchte wissen, was Sie
eigentlich denken. Sie schweigen sich aus, Sie lächeln ein wenig hämisch,
und das ist alles. Wer soll da klug daraus werden? -- Ich frage Sie nicht
aus Neugier.«

Rolland legte seinen Hut auf das Klavier.

»Sie sind so ahnungslos,« sagte er, »Sie wissen so wenig, was sich
bereitet.«

»Aber doch nicht der Bolschewismus«, rief ich. »Das ist doch nicht Ihr
Ernst! Und Sie sind doch kein Bolschewik.«

»Nein,« sagte er, »aber ich habe nicht Ihre summarische Auffassung des
Problems.«

»Das neuerwachte Deutschland«, sagte ich, »wird die Welt davor retten.«

Rollands Züge nahmen einen müden Ausdruck an.

»Ich bin voll guten Mutes«, fuhr ich fort. »Haben Sie die letzten Aufrufe
gelesen? Diese Absage an jegliche Gewalt? Eine neue Ära hat ihren Anfang
genommen. Wir haben unseren Militarismus zum Teufel gejagt. Endlich schlägt
die Stunde, wo man sich angesichts eines wahren, befreiten und
sympathischen Deutschlands auch seiner unsäglichen Leiden entsinnen wird.«

»Kommen Sie,« lächelte Rolland, »welches Interesse haben heute die Sieger
an einem sympathischen Deutschland?«

»Aber nicht nur die Sieger«, versicherte ich. »Die ganze Welt hat ein
Interesse daran, daß die deutsche Revolution aus den Verirrungen der
französischen wie der russischen lerne und endlich jene vorbildliche und
maßvolle sei, welche die Menschheit ihrem Glücke näherbringt. Und alle
Anzeichen sprechen dafür: Hören Sie doch, mit welch reinen Glockentönen sie
sich kündet. Oh sie wird schön!« Rolland lächelte nicht mehr. »Sie wird
furchtbar!« sagte er. »Morgen schon wird Eisner sich überrannt sehen und
seine Gegner zu beiden Seiten haben. Der Bolschewismus ist in Rußland nicht
nur durch die Stoßkraft der Linken, sondern mehr noch durch den Gegendruck
der Rechten das geworden, was er heute ist. Man kann die Deutschen nicht
genug verwarnen. Wenn auch bei ihnen die Reaktion eine Bewegung zu
unterdrücken unternimmt, die wie ein ausgetretener Strom heranbricht, so
werden sie ganz ähnliche Zustände herbeiführen. Es ist absurd, seiner
elementaren Gewalt morsche Dämme entgegenzustellen, statt sich seinem Lauf
anzupassen, und was er lebendiges heranträgt, zu vertreten. Unsere
Gesellschaft hat ihre Berechtigung gehabt, aber sie hat versagt, und ihre
Zeit ist um. Mögen wir es noch so sehr bedauern, mag viel Schönes mit ihr
untergehen, die Reihe ist nicht mehr an uns, sondern an den anderen. Nichts
kann diese Tatsache aus der Welt schaffen. Wir müssen uns zu ihr stellen.«

»Sollen wir denn alle Holzhacker werden?« fragte ich betreten.

»Der Typ des Literaten,« entgegnete Rolland, »dem wir seit einigen
Dezennien so vielfach begegnen, wird jedenfalls verschwinden, und ich weine
ihm nicht nach. Ein Gespräch mit nach Bildung strebenden Handwerkern ist
mir heute schon viel genußreicher und interessanter. Was der Literat mir
sagen wird, weiß ich von vornherein.«

»Mein Gott,« seufzte ich, »es pflegen nicht einmal die Könige freiwillig
abzutreten, viel weniger ganze Kasten. Sie werden den Kampf aufnehmen und
uns eine blutige Morgenröte bescheren. Was ist zu hoffen?«

»Nichts für die Gegenwart, sie ist zu korrupt«, sagte er. »Aber alles für
die Zukunft. Ich bin kein Pessimist.«

Rollands Worte, die ich auf dem Heimweg überdachte, waren viel
reichhaltiger und prägnanter, als ich sie hier aus dem Gedächtnis
wiedergebe. Wenn aber eine neue Klasse zur Herrschaft gelangte, würde sie
weniger versagen, als alle anderen, und war anzunehmen, daß ohne furchtbare
Erschütterungen die frühere Gewalt sich von der neuen aus dem Sattel heben
ließe und etwa mit Rolland eingestehen würde, »ihre Zeit sei um?«

Meine Eindrücke von St. Moritz schwebten mir vor, und ich dachte an
Hermione, wie edel sie war. Aber war nicht alles erlesene prozentual? Was
also stand von den Massen zu gewärtigen? Die Macht selbst mußte
abwirtschaften und sich auf neuer Basis konsolidieren. War nicht allem
Anschein nach die Ära der schlechten Päpste geschlossen, weil sie
verhältnismäßig machtlos geworden waren? Anderseits hätte der Papst die
Rolle Wilsons mit mehr Glück, mehr Einblick in die europäischen
Verhältnisse übernehmen können, wäre er so mächtig gewesen wie er. Macht
also war und blieb die Losung. Eine Macht jedoch, die keine Lockung dem
Gemeinen böte, ganz auf Erprobung ihrer Träger begründet, ohne Vorteile für
ihn, ohne Befriedigung des Ehrgeizes, anonym vielmehr, Verzicht und
Selbstentäußerung bedingend, als Stein des Weisen der Weise selbst. Oh
Zarastro, Herr der weltabgewandten, namenlosen Gewalt!

Schwer und langwierig, immer wieder aufgehalten und die Anspannung von
Generationen erfordernd, aber nicht unmöglicher als die endlich geglückte
Beherrschung der Luft, wäre die gleichsam auf immer luftigeren Pfeilern
emporgehobene, in sich selbst beruhende Macht.

Ich ging, vom Winde förmlich vorangetragen, den Weg nach Montreux. Die
Wellen zogen in finsteren Reihen zum Angriff, und war dort nicht die Weide
von Territet, sie, die im Frühling in den Schleiern ihres jungen Grüns vor
Entzücken über sich selbst zerfloß? Nun aber schlug der See mit großem
Getöse bis zu ihnen auf, die müde niederhingen bis zu ihm; Und dort hinter
seinem Gatter hatte angesichts der Ufer ein Tulpenbeet geblüht. Die
stillsten aller Blumen standen dort so sanft und so gerade! oh Weide von
Territet! Oh stille Tulpen, mit denen ich gewesen war! Was blieb ich am
Gitter hängen, die Hände an die Schläfen gepreßt, der Knecht mit dem Talent
des einzigen Gedankens? Törichte Hoffnungen hatten mich schon wieder
hingerissen, denn der Winter unserer Leiden stand noch aus. Der Stein aber,
mit dem ich mich schleppe, zermalmt mir das Hirn. Wer legt das Fundament
des sich immer schroffer nach innen ziehenden Baues, mit den immer
abweisender sich schließenden immer geheimeren Pforten, durch keine andere
Gewalt zu sprengen, als jene, welche der Himmel leidet.

Die Theorie einer immer strengeren Auslese -- der Natur selber entnommen
--, weit entfernt, eine hochfahrende zu sein, ist ja die demütigste der
Welt. Keine führt so tief in unser Inneres hinab, um aufs neue dasselbe
Schauspiel wie nach außen zu enthüllen. Denn hier sieht sich der Berufene
noch einmal einem ganz ähnlichen Kampfe überwiesen. Wie unbegreiflich sind
oft seine Schwächen! ebensovielen untergeordneten Wesen vergleichbar sind
sie gegen ihn in Aufruhr und sind beständig die Schlingen gelegt. Daß der
Gerechte siebenmal des Tages fällt, konnte nur ein Gerechter äußern. Zwar
ist sein Merkmal, sich immer wieder aufzurichten und einzuholen. Aber jedes
versagen läßt an Boden verlieren, die Gelegenheiten sind gezählt, und eines
Tages ist man hinter sich zurückgeblieben. Keiner ist auserwählt, der sich
nicht durch eigene Kraft dazu vermochte. Berufener und Auserwählter, wie
gefährdet sind beide! Denn so manchen, der seinen behielt, stürzte ein
Laster von seiner Höhe.

                   *       *       *       *       *

Und nun kam ein Tag, an dem Montreux, bunt wie ein Jahrmarkt, den tollsten
Anblick bot, seitdem es stand. Alle Länder der Erde -- bis auf die paar
niedergerungenen -- beflaggten das Ende des Krieges. Und nicht nur an den
Dächern und von den Fenstern, den Mauern und Toren, sogar an den Menschen
selbst schlugen Fahnen hin und her; von den Jacken, den Hüten, ja den
Händen der Kinder zogen Fähnchen auf. Schon sprangen die internierten
Offiziere mit sehr deutlicher Siegermiene (kannte man die nicht von Potsdam
her?) von den Autos ab. Es war ein allgemeiner Jubel, von Hohn und
Verwünschungen untermischt. Wer diesen Tag hier erleben mußte, der
erwartete nichts. Dem kündete sich der Geist des Friedens von Versailles
und Saint Germain. Das jubelnde Gewoge, die Saturnalien von Fahnen raubte
mir die Fassung. Ich lief meinen hervorbrechenden Tränen davon, die Häuser
entlang, am Bureau des Hotels vorbei, in mein Zimmer hinauf, wo ich mir den
Schleier vom Gesicht riß: ein Klageweib! -- Prophetin meines eigenen
Schicksals, als ich zu Anfang dieses Krieges schrieb: »Leute wie wir,
werden am Tage des Sieges sich verkriechen müssen, denn immer wird es
Jerusalem und seine Kinder sein, um die wir weinen werden.«

Die Hungerblockade blieb von den Siegern, die für Recht und Menschlichkeit
gekämpft hatten, über den erdrückten Gegner, auch nach Einstellung der
Feindseligkeiten, verhängt. Und es lag, wie Rolland mir vorhergesagt hatte,
nicht im Interesse der Sieger, die edle und gepeinigte Opposition in
Deutschland zu stützen. Eine unsympathische Regierung als Aushängeschild
des deutschen Volkes aufrechtzuerhalten, gehörte vielmehr zu den
strategischen Notwendigkeiten dieses Winters der Friedenspräliminarien von
Versailles. Da ich kein Kriegsbuch schreibe, seien die nächsten Monate
überschlagen.

Während dieser Zeit fuhren die Militaristen aller Länder fort, sich wacker
in die Hände zu arbeiten, und über jede Härte und Unmenschlichkeit der
Alliierten triumphierten die Anstifter der Verwüstungen und Deportationen.
Denn so kam doch ihre Mühle wieder ins klappern, und das Wort von der
»erdolchten Front« schnupperte aushorchend in der Luft. Damals wurde ich
aufgefordert, so manchen ganz vergeblichen und würdelosen Appell zu
unterzeichnen, mit dem Hinweise, früher hätte ich zu protestieren gewußt,
jetzt, wo die Untaten von der andern Seite geschähen, schwiege ich mich
aus. Ich zog es aber vor, auch hier meine Kundgebung solo zu verfassen; sie
erschien in der Neuen Zürcher Zeitung.

Denn sie hatten ja recht: es galt zu sagen, daß diese ganze Welt
ununterschiedlich des Teufels war. Traurig stimmte es nur, daß all die
Mahnrufe und das viele Aufbegehren aus den Reihen derer stammten, die
vielfach kein Recht dazu besaßen, während sie schwiegen, die wirklich
Unschuldigen, abscheulich in Stich gelassenen, Betrogenen, die während des
Krieges auf Gefahr ihres Lebens ungenannt und langen Mutes vor Gottes
Angesicht das wahre Deutschtum vertraten.

In der Opposition entdeckten sie jetzt alle ihr Herz. Mit welch herrlichem
Gefühl und welch aufrichtendem Stolze stand Heinrich Mann der Republik zu
Pate! dort riß nicht ein einziger aus; bei dem vielverfolgten Lichnowsky,
laut des Friedensvertrages tschechisch gewordenen Magnaten, angefangen, der
sich als Deutscher erklärte; was ich wirklich nicht erwähnen würde, hätten
nicht so viele Patrioten aus ihren Papieren fremdländische Patente
herausgeklügelt und sich mit einem Male als Schweden, Schweizer, Holländer,
sogar als Engländer präsentiert. Die beste Illustration für den
Nationalismus, die es geben kann.

Jenes Wort, welches mir seinerzeit so verübelt wurde, daß es Boches in
jedem Lande gäbe, sollte sich übrigens nur zu sehr bewahrheiten. Jeder
Militarist, gleichviel welcher Staatsangehörigkeit, ist ein Boche. Und wenn
er Schimpanse zu Aufsehern eines Volkes bestellte, das der Welt einen
Grünwald geschenkt hat, so wäre er eben ein Boche; jener Grünwald aber, ob
er sich ihn noch so oft holte, ei, der bleibt deutsch.

Als ich um die Blütezeit zum ersten Male wieder das deutsche Ufer des
Bodensees sah, war ich von der Pracht seiner Bäume bewegt. Diese wenigstens
konnten dem armen und geschlagenen Lande nicht genommen werden. -- Und
diese eben hatte es dem andern mit großer Genugtuung meilenweit abgehackt.
Es ist ja das typische Merkmal des Militaristen, zu glauben, daß er den
andern trifft, wo er sich selber entehrt.


FEBRUAR 1919.

Mit dem Berner Internationalen Sozialistenkongreß, dem seit August 1914
einzigen Ereignis von wahrhaftem Sein, das mitzuerleben mir vergönnt war,
schließt dieses Buch.

Hoch über den Bernina-Alpen und dem Julier türmten sich die Wolken zu
goldenen Toren und zu glühenden Rossen. Phaeton, wieder erstanden, lenkte
sie wieder, die italische Ebene im Angesicht. Die Spuren der Räder, waren
sie nicht der Rauch, der am Himmel verflog, während nach Norden hin das
Gebirge zu Tod erblaßte? Auch der nach Süden gerichtete Wald starrte unter
der Last des Schnees. Doch die Luft wehte so befiedert leicht über ihn hin,
und es herrschte ein Licht wie über Palmen. Man hatte Glatteis unter den
Füßen und war dem Winter entronnen.

Aber Fortunios Gesicht war wie zerhöhlt von Ungeduld. »Haase ist schon in
Bern,« sagte er, »der Kongreß ist im Gang. Wir müssen hinab.«

Da es der erste war, dem ich beiwohnen sollte, verband ich weiter keine
Vorstellung mit ihm, als die mehr oder minder langweiliger Reden, und ohne
sonderliche Erwartungen betrat ich zum ersten Male den Saal. Kein
Delegierter aber drängte von nun an eiliger zu ihm zurück. Oft war er in
der Mittagspause noch geschlossen, als ich schon davor wartete.

Zu den Morgensitzungen ging Frau v. Schreckenburg mit mir. Nachmittags saß
ich am Tische mit Fortunios, vor uns die Franzosen. Da waren Renaudel,
Cachin, Longuet, Rappaport, Loriot, Faure, dann kam der englische Tisch mit
Henderson, Macdonald, Norman Angel. Von dort leuchtete das leichte Gold von
Mrs. Snowdens Haar. Sie trug keinen Hut. Der schöne, zarte und energische
Kopf war der Lichtpunkt des Hauses. Die Deutschen und Österreicher saßen
ganz vorn, zu weit entfernt, um sie zu unterscheiden, es sei denn, daß sie
sich erhoben.

Bleich, abgezehrt, den schmalen und ehrwürdigen Kopf ein wenig seitwärts,
stahl sich im fahlen Schein des Wintervormittags der, eben von der Bahn
gekommene Eduard Bernstein bescheiden herein. Die französischen Sozialisten
sahen ihn zuerst, eilten auf ihn zu und begrüßten ihn stürmisch. Daraufhin
erhob sich der ganze Saal zu einer Ovation. Wie frohlockte da mein
undemokratisches Herz!

Als Viktor Adler auf das Podium trat, gaben wiederum die Franzosen das
Zeichen zu einem lang andauernden Applaus. Adler war der Motor des
Kongresses. Unerbittlich die Mitte einhaltend, wies er jede Parteilichkeit
schroff zurück, von welcher Seite sie auch stammte; ihm war das gleich.
Sein blasser Löwenkopf tauchte dann zum Angriff auf: »Un homme politique,
mais pas de bonne politique«, forderte er Renaudel heraus. Seine Stimme
klang wie Erz. Aber allen Differenzen, Vorwürfen, Ausreden, Angriffen zum
Trotz fing eine Einigkeit sich herauszuschweißen an, und wie unter einem
glühenden Hammer stoben Funken zu einer Garbe auf. Haß schmolz zu
Mitgefühl. -- Zwar wurde jenen deutschen Delegierten, welche die Politik
ihres Landes zu verteidigen suchten, prompt die Unmöglichkeit eines solchen
Unterfangens zu Gemüte geführt, stellten aber dann ihre Angreifer den
deutschen Militarismus immer wieder allein an den Pranger, so wurden sie
regelmäßig von Zwischenrufen wie: »Et le militarisme français! et le nôtre!
et tous les militarismes!« von der französischen Linken unterbrochen.

Überhaupt war dieser französische Block der beste, der wärmste. Von ihm
ging das Unbehagen aus, wenn ausschließlich das deutsche Sündenregister
stieg. Scheu, Zartgefühl, Respekt (ja Respekt!) vor dem Geschlagenen (weil
geschlagen), sie stammten von dort. Und schon gärte die Atmosphäre wie ein
starker Wein. Klug wie ein Erzengel ließ der hochaufgerichtete Huysmans mit
dem schönen Donatellokopf bei den Reden, die er französisch und englisch
übersetzte, alles Unwesentliche fallen. Oft waren sie lebendiger als im
Original. Behender löst kein Eichkätzchen die Haselnuß aus ihrer Schale.

Ach, so viele gute Menschen waren hier! Unbeweglich, als wäre er nur eine
Zimmerpalme, hielt sich unser aller A. H. Pax im Hintergrund; und wie
Kerzenlicht im Mittagsscheine tauchte bald hier, bald dort Fortunio
unauffällig auf.

Hin und wieder kam in Frack und weißer Binde, pour finir sa soirée, ein
Attaché gegangen und wirkte in dieser so weit vorgreifenden Luft wie eine
Varieténummer aus einer veralteten und komisch gewordenen Welt. Der eine
oder andere blieb gebannt, und die Geschniegeltheit fiel von ihm ab.

Die Fürstin Patschouli aber war sehr ungehalten, was sie nicht hinderte,
mir zwischen zwei Sitzungen ihren stärkenden Kaffee zu brauen. Sie wollte
wissen, wer mich denn so interessierte. Ich nannte einige. »Quels noms!«
sagte sie, zum Himmel emporblickend.

Als Partei interessierte mich ja der Sozialismus so wenig wie jede andere.
Aber das Ergebnis der kapitalistischen Ära war ein wirrer Knäuel ineinander
verbissener Verbrecher, und es war eine Welt, welche der Sozialismus
jedenfalls nicht bereiten half. Er hatte keinen Teil an ihr. Deshalb nur
gab es keine andere Brücke als ihn, denn er war nur ein Weg, der
weiterführt, indem er zurückgelegt und überwunden wird, niemals ein Ziel.

Woher kam es aber, daß er, der angeblich auf rein materialistischer
Grundlage beruhte, er allein unter allen Parteien, ohne Anstoß zu erregen,
christliche Gleichnisse anführen durfte. Warum, statt Schamröte in die
Stirn zu treiben, war es so rührend, wenn der geistvolle Longuet, der auf
dem Podium auf und ab zu gehen pflegte, während er sprach, ein Zitat aus
den Evangelien gebrauchte, oder wenn Mrs. Snowden eine Rede mit den Worten
schloß: denn wir sind Brüder?

Nach ein paar Tagen kannten wir einander fast alle. Einmal fielen wir an
eine Tafel aus im geschlossenen Raum; eine unbändige Heiterkeit bemächtigte
sich unser, aber wir blieben sitzen. Ich spielte mich auf die Wirtin auf
und machte die Tischordnung, als sei das Essen von mir, A. H. Pax vermißte
die Schnäpse, und wir kamen nicht aus dem Gelächter. Etwas in unserer
Befreitheit erinnerte dabei ganz deutlich an jenes Gastmahl im Neuen
Testament, von welchem der nicht im Feierkleide erschienene Eindringling in
die äußerste Finsternis zurückgewiesen wurde. So hatten auch wir keine
unsicheren Gestalten hereingelassen.

Ich werde mich schwer hüten zu sagen, wer meine Tischnachbarn gewesen sind.
In streng geschiedenen Gruppen, die einander nicht mehr kannten, fanden wir
uns im Saale wieder ein. Denn wie der Chor der Gefangenen in »Fidelio«
wußte man sich belauscht mit Aug' und Ohr, und vermied es, von Lager zu
Lager sich zu grüßen.


Der Sonntag.

Er bildete die große Orgelpause des Kongresses. Um so lebhafter war in der
Stadt das hin und her. Als ich die Treppe des Hotels Bellevue hinabging
stieß ich mit Kurt Eisner zusammen. Er war schwarz und ganz neu angezogen.
Auch der schwarze Schlapphut war neu. Wir wechselten ein paar Worte. Ich
kannte ihn zwar noch nicht, aber so hielt man es in jenen Tagen.

Leider war mein Zimmer winzig klein. Um Raum für den Kaffeetisch zu
schaffen, mußte das Bett zum Sofa werden, und ich schüttete Kissen gegen
die Wand. Um fünf Uhr erschien Haase. Der niedere Kragen, Kleidung,
Struktur waren die eines Mannes aus dem Volk. Dabei lag in der Haltung des
Rückens und der Schultern eine ungemeine Würde. Aber wenn sie Widerstand
und Energie ausdrückten, so sprachen sie auch von rücksichtslosem Verbrauch
sich verzehrender Kräfte.

Auf dieser Figur eines Arbeiters saß ein Kopf, ganz beherrscht von stark
auseinanderliegenden, majestätisch geweiteten Augen. Psychologisch viel zu
neu, um an einen Rembrandt zu erinnern, schien er zugleich durch die
Straffheit der bis zum Reißen gespannten Züge und ihr tragisches Kolorit
nach begeisterten Evokationen seines Pinsels zu rufen. Wie der Ratsherr
einer noch nicht errichteten Stadt -- die Leidenswerkzeuge unsichtbar im
Wappen eingetragen --, so blickte, so ging, so bewegte sich Haase, so saß
er jetzt in unserer Mitte, die Zeit besprechend und die Gefahren des
revolutionären Deutschlands. Wir hörten zu. Es wäre falsch, von Ahnungen zu
reden. Die Bangigkeit um einen Mann von Haases Edelsinn und Güte war ganz
instinktiv.

Plötzlich klopfte es. Die Stimmung und Geborgenheit unseres Zusammenseins
war mit großem Geklirre dahin. Bestürzt sah ich Eisner eintreten, den ich
doch gebeten hatte. Aber eine so andere Zone des Geistes brach mit ihm ein.
Er trug sich wie am Morgen komplett in Schwarz, kein Stäubchen, vom
schwarzen Schlapphut bis zu den Stiefeln (wie um die Reporter lügen zu
strafen, die seine nachlässige Kleidung verkündet hatten). Halb Wotan, halb
Konfirmand -- grau, nur der schüttere Bart und die müde Farbe des
Gesichtes. -- Fortunios und ich saßen jetzt zu dritt auf dem Bett, und alle
allgemeineren Themen traten vor dem besonderen der bayrischen Revolution
zurück.

Eisners romantische Schwäche für Bayern verriet sich sogar in einem hin und
wieder freiwillig angeschlagenen Dialekt, dessen Unnatur etwas rührendes
hatte. Und so war es mit der Revolution; sie war das Abenteuer seines
Herzens, sein Geniestreich; was aber an dem Bilde fehlte, war die Kenntnis
Bayerns: die Bayern, die sich hinreißen lassen, sind nicht dieselben, die
sich wieder eines anderen besinnen . . .

Etwas an München wird vielleicht noch lange bewirken, daß neue Sterne
darüber aufgehen, etwas bewirkt aber, daß sie schnell wieder zu verlöschen
drohen, günstige Konstellationen geraten dort sogleich mit
entgegengesetzten in Brand. Eisner erzählte wie ein Rhapsode und besaß kein
Ohr für das vielfältige Rauschen der mitten im Sturm entrissenen
Meeresmuschel. Dies gab seinem Liede den schrillen und beängstigenden Ton.
Haase das Wort abschneidend, erzählte er von dieser und jener Episode, die
alles verderben sollte, und wider erwarten alles gelingen machte. Und Haase
ließ ihn, wie ein älterer Bruder gewähren. Bei ihm war die Basis viel
breiter; er wirkte harmonisch wie eine Orgel, die Macht war die Sache für
ihn, für Eisner dagegen war sie die Arie, seine Bravourarie, an die sein
Ohr sich fing. Nur wer näher zusah, gewahrte inmitten der scheinbar
selbstgefälligen Glorie den erloschenen, weltabgewandten Blick und die
bereite, heroische Absage an das Leben. Zu Haase gewendet: »Das wäre der
Gipfel meiner Laufbahn,« sagte er, »mit blauweißen Fahnen gegen Preußen zu
ziehen.«

Aber »Fahnen« hatte er gesagt. Fahnen, Feste, Ansprachen, solcher Art waren
die sündenlosen Waffen, zu welchen er griff. Für so ehrwürdige Ansichten
belehrte ihn die rohe Kugel eines besseren, und schlug sich dies musische
Haupt gegen das Pflaster zu Tode.

Spät verließen wir an jenem aufregenden Abend meine Zelle: die beiden
Delegierten gingen noch zu einer Ausschußsitzung; viel zu erschöpft und
aufgewühlt, um allein zurückzubleiben, aß ich mit Fortunio zu Nacht. Lange
sprachen wir noch von den beiden. Er meinte, Eisner sei viel zu feinfühlig,
als daß ihm entgangen wäre, wie sehr wir Haase vorgezogen hatten. Nun hatte
ich einen neuen Grund, bedrückt zu sein.

Leider reiste Haase schon am nächsten Morgen ab, und wir andern saßen wie
gewöhnlich im »Volkshause«, als, eine große Stille entstand, weil Eisner
das Podium betrat. Es war aber der Morgen jenes Tages, an dem er seine
denkwürdige und verhängnisvolle Rede zugunsten der Gefangenen hielt. Sie
begann mit einer schonungslosen Preisgabe der deutschen Kriegführung, deren
Verbrechen er nicht beschönigte, deren Recht, etwas zu fordern, er vielmehr
verneinte. Dann eine abrupte Wendung nehmend, stellte er fest, daß in
keinem Lande die Gegner des Krieges so tief gelitten hätten wie die
deutschen, und mit jedem Worte wurde sein tonloses und dabei scharfes Organ
gebieterischer. Es war unerhört, wie Eisner jetzt über sich selbst
hinauswuchs. So buchstäblich war der Geist über ihn, daß seine Person nur
mehr wie ein von ihm verlassener und vergessener Schatten die Tribüne
behauptete. Was nun verlautete, war ein Plädoyer für Deutschland, wie es
niemals ergreifender formuliert wurde. Seine kalte Stimme beibehaltend, die
in die Gemüter schnitt, enthüllte er die ganze Tragik seines unglückseligen
Volkes. »Die Stimmen derer, welche im Kampf um die Ideen einer besseren
Welt namenlos in den Kerkern verblichen,« rief er schneidend den fremden
Delegierten zu, »drangen nicht bis zu euch! Stumm verbluteten sie.«

Im Namen jener neuen und besseren Welt verlangte er die Freigabe der
zurückgehaltenen Gefangenen.

Man hielt den Atem an.

Da stand ein Entronnener aus eben jener Schar stummer Blutzeugen für die
Ideen der Gewaltlosigkeit der Wahrheit und der Menschenliebe. Dies war ihr
Los wie vor 2000 Jahren!

In Eisner hatte der Kongreß wohl seine eindrücklichste Figur. Mochte er
durch seine Parteilichkeit für Renaudel bei den Radikalen einigen
Widerspruch erregen, so stellte sich bald heraus, daß er gerade dadurch
seine Vorschläge durchzudrücken verstand, wie überhaupt die Taktik eine
große Rolle bei ihm spielte.

Als ich das Haus verließ, standen Fortunios unten an der Treppe und
schienen auf jemanden zu warten. Ich wandte mich um; Eisner ging langsam,
allein und vollkommen versonnen die Treppe herab. Er hielt eine rote Nelke
mit etwas abstehender Geste, wie um sie zu schützen, daß sie nicht zu
Schaden komme. Steif, fast geziert, die Schultern mit barocker Würde
tragend, bot er einen wahrhaft phantastischen Anblick. Wir begrüßten ihn.
Er sah uns erloschenen Auges an und erwiderte kein Wort. Hätten aber
urplötzlich die Türen sich geteilt und Teppiche unter den Füßen der mit
großem Zeremoniell vorgeführten Esther entrollt, ich wäre nicht erstaunt
gewesen. Assuerus! dachte ich. Ein fast gespensterhaft abstrakter,
beschämend unverjudeter, rein biblischer Jude stand da vor uns. Und siehe!
-- Hier war zum ersten Male wieder dasjenige Israel, aus welchem
merkwürdigerweise der Begriff des Christentums mit der Gestalt seines
Stifters, der Begriff des unjüdischen also, die Welt der Mystik, des
erblassens, der Gotik hervorging. So dachte ich, stockenden Herzens . . .

Ich sah Eisner noch einmal, als er im Begriffe stand, mit Renaudel nach
Basel zu fahren. »Wenn ich stürze,« sagte er, »ist in München der
Bolschewismus unvermeidlich. Die geistige Verwirrung der Jugend ist zu
groß.« Überhaupt sprach er sehr oft von seinem Sturz. Ich glaube, die
Entfernung ließ ihn die allgemeine, wie seine besondere Situation sehr
scharf und nüchtern übersehen.

Gerade die Illusionen, die phantastischen Züge in diesem bedeutenden
Menschen, die springenden Schatten machten ihn zu der Shakespeareschen
Gestalt, als die wir ihn heute sehen. Wir aber, die in Bern Zeugen der
ungeheuren Wirkung seines Auftretens waren, welche Werbekraft für
Deutschland er dort entfaltete, welch stürmische Sympathien für Deutschland
er dort erweckte, oh welch bitterlichen Eindruck machte es auf uns, in
München nicht etwa die Züge dieses heldenhaften Vorläufers, nein, das
unbesonnene Leutnantsgesicht seines Mörders in den Auslagen vorzufinden,
dessen hirnloses und unheilvollstes Verbrechen die Schrecken der
Räteregierung und alle Greuel, die von links, und dann von rechts daraus
erfolgten, verursachte. Mag ein Herr Studiosus die Frei(spruch)kugel gegen
mich drehen, dafür, daß in diesem wahrscheinlich vielgelesenen Buche diese
Wahrheit steht.

Für den letzten Tag war eine Rede Macdonalds über den Bolschewismus
angesagt; aber der Tag verging, ohne daß er hervortrat. Die Lichter
brannten schon lange, und es war Abend geworden, als man ihn endlich
erblickte. Es sprachen viele, deren Organ im Halse stecken und auf die
langweiligste Weise eins mit demselben blieb. Der deutsche Dolmetsch ging
deshalb schwer auf die Nerven. Bei jenen Delegierten hingegen, welche die
Rednergabe besaßen, hob sich nach wenigen Minuten die Stimme von ihnen
fort, um wie ein Albatroß ganz für sich allein die gewichtigen Schwingen
auszubreiten. Dieser Prozeß vollzog sich auch bei Macdonald. Sein Organ
erfüllte den Saal mit Wohllaut, als käme es gar nicht von ihm, sondern
hinge nur infolge eines rhythmischen Gesetzes mit seiner Miene und den
Bewegungen seiner Arme zusammen. Die Rede war ein Warnungsruf an den hohen
Rat in Versailles, die Zeichen der Zeit zu verstehen, und sie verglich den
Bolschewismus mit einem Brande, der, hier halb erstickt, dort scheinbar
gelöscht, immer wieder hervorbrechend und unter der Asche weiterglimmend,
an der Verblendung des Imperialismus seine Nahrung fand.

Da ich kein Wort verlieren wollte, schlängelte ich mich langsam durch die
Zuhörer, hart bis zur Rampe vor, und hatte so zum ersten Male den ganzen
Zuschauerraum vor Augen. Der Saal verlor auch bei Lampenschein nichts von
seiner Schmucklosigkeit. Unschön war er und kahl. Sein Glanz, seine
Erlesenheit waren rein innerlich. Sie gingen von den Menschen aus, welche
hier tagten. Nicht die Zartheit freilich, noch der Reiz eines seit
Generationen vor rauhen Kontakten geschützten Lebens, sondern Anstrengung,
Leidenschaft und Begeisterung durchleuchtete sie so stark, daß jenseits
dieses alltäglichen Raumes alle Alltäglichkeit, jenseits seines nüchternen
Scheines alle Nüchternheit zu liegen schien. Der Winter der Menschheit sank
hier zu Grabe. Von Feuerzungen war die Luft durchbebt, und eine
Pfingstatmosphäre brauste durch die Türen über die Treppen dahin, bis hinab
in die Gassen des nächtlichen Bern. Und sie würde, ob auch der kommende
Morgen diesem Fest das Ende bereitete, nach allen Himmelsrichtungen wehen.
Ich zweifelte daran nicht. Ich hoffte schon wieder!

Natürlich waren auch geringere zugegen. Aber nicht sie gaben den Ausschlag.
Hier herrschte der Wert. Rang und Vortritt waren hier durch das Talent, das
Verdienst, die Lauterkeit bestimmt, und ein Wille zur Güte hatte sich
durchgerungen.

Mit einem Blick des Hohnes war ich vorhin an Telramund vorbeigegangen, alle
Krallen gezückt, weil er sich vermessen wollte, mich zu grüßen, und fast
wäre ich dabei über seine Bocksfüße gestolpert. Nein! Hier richtete der
nichts aus. Hier war er schachmatt. Warum kam er denn her? -- -- Auch er --
zum ersten Male fiel es mir auf -- hatte allen Sitzungen beigewohnt und war
einer der regelmäßigsten Besucher gewesen. Oh, nicht nur er! -- Die ganze
Rotte saß ja hier! -- und die Kontrolle war doch so streng! Aber die Rotte
war vollzählig hier! -- Durch die Ritzen der Türe hätte sie noch
einzudringen gewußt. Wo hatte ich die Augen gehabt all die Tage hindurch,
ich Verblendete! Im Ernst wähnend, hier würde die Schwelle zu einer neuen
Welt gelegt, derweil sie täglich zerfiel.

Die Schützlinge der Militärspionagen, von welchen erst die eine, dann die
andere den Verständigungsfrieden hintertrieben hatte, tagten hier als
Delegierte des Teufels, den verschiedensten Nationen entspieen. Wie emsig
sie notierten! -- Oh wie fleißig sie die niedrigen Stirnen gesenkt hielten,
um alles zu nichte zu schreiben, was hier von Völkerversöhnung gesprochen
wurde! Und wie gesittet sie dasaßen, diese Wölfe im Schafpelz, die sich
innerlich eins lachten über den sabotierten Kongreß. Und sie waren
geduldet! -- selbst hier! -- Die Spreu durfte auch hier, ungesichtet, den
Weizen verderben. Ach, es gehört zu den Merkmalen dieser Zeit, daß die
Dinge noch schlimmer zu kommen pflegen, als die Schwarzseher sie künden,
und noch heißer gegessen werden, als gekocht.

So ahnte ich noch nicht, daß die verstümmelten Berichte der Eisnerschen
Rede, deren erster Teil einfach unterschlagen wurde, schon munter unterwegs
waren, und seine anonymen Mordanstifter, wohlgeschützt unter der Flagge
einer Zeitung, sich für die furchtbaren Wahrheiten und Anschuldigungen, die
er in diesem Hause der Presse aller Länder ins Gesicht zu schleudern wagte,
ein für alle Male gerächt hatten.

Die Stimme Macdonalds drang nur mehr undeutlich zu mir. Es war doch jedes
Wort vergebens. Mochte er den Bolschewismus an die Wand malen! Mit ihm
stand es gewiß, wie Rolland sagte. Bot nicht jede Partei genau dasselbe
Bild von ein paar ehrlichen und ehrenwerten Männern, die ein fürchterlicher
Zulauf überschwemmt? jene paar Vortrefflichen, deren Kampf allein
ersprießlich und von Interesse wäre, tragen ihre Gegensätze abseits
voneinander aus. Sie sind nicht so zahlreich, Europa nicht zu groß für eine
einzige Arena. In Wirklichkeit ist der Klassenhaß (statt des
Klassenkampfes) ein ebensolcher Humbug wie der Haß der nur nach Frieden
lechzenden Völker. Wer aber diesen Saal mit den angeblich so scharf
bewachten Toren näher ins Auge faßte, ließ alle Hoffnung fahren. Den
Schleier Penelopens woben sie hier! Es gab ja keine gute Sache, solange der
Nichtswürdige sich zu ihr bekennen durfte und statt der Gesinnung die
Meinung den Ausschlag gab. Freie Bahn den Tüchtigen! oh nein! Erst
geschlossene Bahn den Unwürdigen! Die andere Parole bleibt so lang die
leereste der Phrasen! Hatte nicht Telramund in seinem eigensten Blatt eine
»Partei der anständigen Leute« beantragt, wie um diesem Gedanken den Fluch
der Lächerlichkeit auf immer anzuhaften. Oh Zarastro! Herr des Tempels mit
den unauffindbaren Toren, der nur den Geprüften mit Macht belieh! Von
allen, die heute leben, wird keiner den Bau betreten, zu dessen Grundlegung
ich Steine herbeischleppen möchte. -- Das Gerüst allein dürfte die Arbeit
von Generationen sein, sein Ausbau die von Jahrhunderten vielleicht.
Vielleicht sind die ewig unvollendet gebliebenen Kathedralen sein Symbol.
Aber worauf es, wie gesagt, ankommt: er ist möglich.

Die richtige Einsicht, daß es (merkwürdigerweise) niedrige und hohe
Menschen gibt, führte folgerichtig zu Rang- und Standesunterschieden. Bei
ihrer Aufrechthaltung aber gerieten jene Ungleichheiten, welche doch erst
die Berechtigung solcher Klassifikationen bilden, immer mehr außer acht,
und bei dem Schrittmachen, das im Schwunge blieb, mischte sich in immer
gemeinerer Weise das Bestreben über jene Distanzen, welche der Wert
zwischen den einzelnen liegt, hinwegzusehen. Das Mißverständnis artete
immer wilder aus: der königliche Mozart speiste mit dem Gesinde, und ein
lakaienhafter Kavalier warf ihn mit einem Fußtritt ohne weiteres vor die
Türe. In der Tat, wir wissen alle, was wir der französischen Revolution
verdanken. Doch, als sie das falsche Spiegelbild in edler Empörung
zerschlug, wurde mit diesem drastischen Vorgehen leider erst recht nur eine
halbe Maßnahme getroffen.

Kein Mißbrauch wurde an der Wurzel gefaßt, vielmehr entrann der Missetäter
froh durch die Türe. So brach die französische Revolution wie das
Christentum, dem sie entsprang, in sich selber zusammen, und wir sind heute
wie bankrotte Leute, die von vorn anfangen müssen. Wir stehen wieder am
Anfang aller Tage: das heißt am Ende. Denn für das erkennende Auge sind ja
die Menschen längst in jene zwei Lager zerfallen, von welchen geschrieben
steht. Freilich ist vorläufig erst der Aufmarsch der Böcke geglückt. Unsere
Absicht, ihrem Konsortium entgegenzutreten, dürfte ein frommer Wunsch
verbleiben, solange wir jene geheimnisvolle Tatsache nicht ergründeten, daß
die von schlechten Instinkten Gemeisterten so viel deutlicher die
Hochgesinnten herausspüren, als diese sich unter sich erkennen. Diese
dunkle und rätselhafte Tatsache birgt Perspektiven, die sich wie weite
Zimmerflüchte nach allen Richtungen, reich an Verborgenheiten, ziehen.

Um Machtfragen werden sich nach wie vor die Dinge drehen, und nach wie vor
wird sich herausstellen, daß es nichts neues unter der Sonne gibt. Macht
wird vor Recht gehen, denn Macht geht vor Recht. Es ist Sache des Rechts,
die Macht an sich zu reißen, eine neue Realpolitik zu ermöglichen, nicht
ausdrückbar durch Lüge, Feuer und Mord; eine Exekutive zu befestigen,
welche die aus Lüge, Feuer und Mord errungenen Vorteile verachten, und
Lüge, Feuer und Mord nicht ausspielen würde gegen Lüge, Feuer und Mord.
Sache des Rechts ist es, die Bahn solcher Gewalthaber zu bereiten. Ach die
Heftigkeit, mit welcher wir unsere Notsignale abgeben, hindert nicht, daß
sie unter dem Druck grauser Langeweile aufziehen, und unser eigner Pathos
lastet mit der ganzen Öde eines Frondienstes auf uns. Denn es sind
zukünftige, für ein feineres Ohr heute schon monströse Gemeinplätze, die
wir hier äußern.

_Ende_

Von _Annette Kolb_ erschien im gleichen Verlag:

DAS EXEMPLAR

Roman. 5. Auflage.

Man hat durchaus das Gefühl, daß dieses Buch zu jenen gehört, die unter
einem starken inneren Drange, einem unwiderstehlichen, geschrieben werden.
Ein Bekenntnis. Aber eins von solcher Keuschheit, solcher Verhülltheit,
trotz aller Enthüllung subtilster seelischer Vorgänge, wie es uns nur zu
selten gemacht wird. Gerade diese Schilderungen erweisen die hohe
Vollendung von Annette Kolbs sprachlichem Ausdrucksvermögen, das ihr jedoch
nie zum Selbstzweck wird.

B. Z. am Mittag.

Der erste Eindruck des Buches, schon nach wenigen Seiten, ist Kultur. Es
gibt wenig Bücher, die so scharf wie dieses die Zeitseele enthüllen. Und im
übrigen ist das Buch reich an allerlei entzückenden Dingen. Man wird in ihm
sehr heimisch in London und auf den Landsitzen der Gesellschaft. Denn das
Buch vereint wirklich zwei selten verträgliche Eigenschaften: geistige
Tiefe und Charme. Es ist nicht nur ein bedeutendes, sondern auch ein
liebenswürdiges Buch.

Die Zeit, Essen.

Ein feines, stilles Buch von einer romantischen Dichterin über eine
romantische Frau. Es wird in diesem Buch von den letzten Dingen gesprochen.

Berliner Tageblatt.

Druck von Frankenstein & Wagner, Leipzig.



Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [p. 33]:
   ... Hocusai. ...
   ... Hokusai. ...

   [p. 50]:
   ... mit Carry und Fortunio. Dieser enfaltet mir gegenüber ...
   ... mit Carry und Fortunio. Dieser entfaltet mir gegenüber ...

   [p. 114]:
   ... Gebirge am Säntis, Jura oder Engadin, als in den ...
   ... Gebirge am Säntis, Jura oder Engadin, als in dem ...

   [p. 117]:
   ... Arbeiten zur Hand, mit welchem dieses Haus geschmückt ...
   ... Arbeiten zur Hand, mit welchen dieses Haus geschmückt ...

   [p. 131]:
   ... Laufbahn vernommen hat, der vergißt die nie unheimliche ...
   ... Laufbahn vernommen hat, der vergißt nie die unheimliche ...

   [p. 142]:
   ... auf ihren Wolkensohlen reisten, das von einer zifferlosen ...
   ... auf ihren Wolkensohlen reisten, daß von einer zifferlosen ...





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