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Title: Gesänge gegen den Tod
Author: Kölwel, Gottfried
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Gesänge gegen den Tod" ***


                           Gottfried Kölwel
                         Gesänge gegen den Tod


                                 1914
                      Kurt Wolff Verlag · Leipzig

                            Dies Buch wurde
                         gedruckt im März 1914
                   als siebzehnter Band der Bücherei
                »Der jüngste Tag« bei Poeschel & Trepte
                              in Leipzig

             Copyright 1914 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig



Es gibt keine Toten!



Maus, Hund und Mond

oder:

Die dreieinige Liebe


   Jene blutigangefahrne Maus,
   die sich im Staub der Straße weh vertropfte,
   als der Tag schwand und der mörderische
   Autobus schon in der Ferne klopfte,
   pulste auf zur Zeit der Morgenfrische
   fern im Orient in einer neuen Maus.

   Ein weißer Hund lief durch den kühlen Schatten,
   der sich dichter in den Abend wob,
   beschnupperte den kalten Leib und fühlte
   seine Pflicht, die Toten zu bestatten.
   Wie er die Leiche leicht mit Heilandszähnen hob
   und sie in seinen Grabesrachen schluckend wühlte!

   Der junge Mond verzückte sich, als er
   die große Liebe sah, zog seinen Säbel
   aus den Wolken, die ihn seligschwer,
   wie Hallelujaengel hell umkränzten,
   und zerschnitt den blauen Weihnachtsnebel,
   daß die Menschen, die es sahen, alle glänzten.



Ewige Stunde


   Ich sah an einem himmelblauen Tag
   nichts, als die wunderlichen Wolken wehn,
   und fühlte meine Erde schaukelnd gehn,
   auf der ich, süß vom Licht gekreuzigt, lag.

   Die Stunde, die ich lebend so vollbrachte,
   war weise wie ein hungeriges Tier;
   ich wußte nicht mehr, daß ich selig lachte,
   ich lachte, denn ich wußte nichts von ihr.

   Als wiegte jemand ohne Aufenthalt
   mich ewig fort von Tor zu Toren,
   war ich plötzlich tausend Jahre alt
   und plötzlich ungeboren.



Ein Lied gegen den Tod


   Wenn dir der hinterlistige Tod
   an weißen Tagen
   mitten auf der Gasse
   im eigenen Schatten begegnet und droht,
   lauf unter die Sonne und lasse
   ihn totschlagen!

   Blinkt aber des Nachts aus dem schalen Wein
   sein bleiches Gebein,
   ist's wohl am besten, man läuft
   ans Faß und schüttet alles hinein,
   daß der Tod ersäuft.

   Zuweilen
   kommt es auch vor,
   daß er gleich tausend Nächte lang mit geilen
   Brüsten und Schenkeln als falsche Venus erscheint und nicht ruht,
   bis du seine Begierden stillst.
   Grabe deiner blinden Glut
   zeitig einen Löschgraben vor,
   wenn du nicht als Götzenopfer verbrennen willst!

   Wenn er dir aber einmal in einer müden Stunde
   heimtückisch die Wunde
   des Sterbens beibringt, dann zeige
   auf deine Kinder, auf die sprossenden Zweige
   der Bäume oder auf den roten
   samenreichen Mohn im Feld,
   nimm nochmal deine ganze Stimme hervor
   und schrei es dem armseligen Scheusal höhnisch ins Ohr:
   Du bist umsonst auf der lebendigen Welt,
   es gibt keine Toten!



Begegnung


   Auf den winterlichen Höhen, die vom kalten
   Silberlicht des Sonntaghimmels rund umflossen
   waren, wandelte viel Volk, das aus der großen
   Meuchelstadt geflüchtet war, in warmen Falten.

   Plötzlich nahte, wie gesandt, ein kleiner Schlitten.
   Eine Mutter saß, den weiten Schoß verhüllt,
   darauf und lächelte, bis in das Herz erfüllt
   von denen, die, den Schlitten ziehend, vor ihr schritten.

   Daß der Vater liebend sich in ihr verzehrte,
   um in seinem Sohn, der neben ihm auf strammen
   Beinen lachte, himmelssüchtig aufzuflammen,
   wie sie, als sie dieses dachte, sich verklärte!

   O, wie war die Mutter Weg und Mittelpunkt,
   weil sich die Ewigkeit in ihrem süßem Schoße
   gnädig kreuzte; o welch ungeheuergroße
   Liebe aus Geburt und Sterben ewig prunkt!

   Und manche aus dem Volke bebten bis ins Haar,
   weil sie erschauerten vor dieser Gottesgröße,
   die auf einem Schlitten wie in heiliger Blöße
   unter kalten Himmeln jäh erschienen war.



Der Flieger


   Im Wind ertrank
   ein Flieger, der zur Tiefe sank.

   Selig schied der schwarze Sarg,
   der einen Fetzen Gottesgewand
   zur Heimfahrt in sein webendes Land
   in sich barg.

   Und als die Menschen weinten, lachte
   die Erde und schob den Schrein
   in den unendlichen Webstuhl hinein
   und wirkte, bis sie das große Werk, vielleicht in einem Vogel,
      vollbrachte.



Ein Erntelied


   Ihr wißt, daß alle Körner, die guten und die bösen,
   sich aus verdorrten Ähren lösen.

   Die einen fallen aus dem Scheffel auf die Tenne
   und wandern durch den Höllenleib der Henne,
   andre werden in den Mühlen zerrissen
   oder brechen unter den Gebissen
   hungeriger Pferde,
   viele aber, die unbeirrt
   des Weges gehen, suchen ihre Gräber in der Erde,
   bis die Auferstehung in ihnen wurzelig wird.

   Fragt nicht: Warum? Denn eure Frage verendet
   schmerzhaft im unendlichen Gewölbe,
   wenn ihr nicht glaubt, daß alle Körner dieselbe
   Reise gehen, die sich im Leben ewig vollendet.



O Welt, wie bist du wundervoll!



Brand


   Die Abendsonne setzte sich
   auf einen Inselberg und schwang
   die grellen Fackeln feierlich,
   daß Glut zu Gluten übersprang.
   Es brannten Ströme, Watt und Meer,
   in Flammen wehte weit das Land,
   die Türme lohten rund umher,
   am Wege brannte gelb der Sand.
   Und über allem flog der Rauch
   der Wolken, rot, grau, schwer und rund,
   rauchsäulenwölkig dampften auch
   die Bäume aus dem großen Grund.

   Ein Wanderer, der des Weges kam,
   blieb taumelnd stehn im Flammenland,
   vergaß die Finsternis und nahm
   sein Herz und warf es in den Brand.
   Es zuckte, glühte, flammte toll
   und jauchzte aus der grellen Glut:
   O Welt, wie bist du wundervoll,
   in deinem Feuer kocht mein Blut!



Abenddämmerung


   Wie sich der Rauch der späten Kühle
   gespenstisch durch mein Fenster drängt,
   die Räume, die ich sinken fühle,
   zur Hexenstube grau verengt!

   Mich zu erdrücken drohn die Wände,
   die Ahnenbilder werden bleich
   und aus den Bildern greifen Hände,
   wie Hände aus dem Totenreich.

   Im offnen Schrank, wo Würmlein knarren,
   spielt mir das ganze alte Chor
   zerlumpter Puppen, bunter Narren
   das Todesspiel der Kindheit vor.

   Aus dem Kamin die Kohlen gleißen
   als rote Zähne, die voll Gier
   sind, alles, alles zu zerbeißen,
   vom letzten Ding die letzte Zier.

   Ich stehe bebend und verworren
   und meine Hand sucht irgendwo,
   bis sich das Dunkel hat verloren,
   erlöst zur Flamme, lichterloh.



Nachtmärchen


   O kommt, ihr lieben Heimatgeister,
   Nachteule, Spuk und Kieselbach,
   herein mit euerm Harfenmeister,
   dem dunkeln Wind, in mein Gemach.

   Ich möchte euch so gerne hören,
   bereit sei euch mein ganzes Haus;
   nicht eine Ratte darf euch stören
   und Todesstrafe gilt der Maus.

   Sogar die Bilder an den Wänden
   und alle Kästen sind gespannt,
   die Uhr will ihre Rede enden,
   die Fliege schweigen an der Wand.

   Und wenn ihr etwa argt, es fiele
   die Sonne jäh in den Kamin
   und schliche vor bis an die Diele,
   um eures Märchens Anbeginn

   Mit lautem, grellen Glanz zu stören --
   Es ist nur eine Fledermaus,
   die wollte euch auch gerne hören
   und rutschte im Kamine aus.



Unser Haus


   Unser Haus hat kühle Wände,
   Kohlen, die im Eimer lärmen,
   Katzen, die die grauen Bälge
   eng am braunen Ofen wärmen,
   Äpfel, die aus alten Kästen
   atmen und die Luft der Gärten
   wecken, Bibelbände, die sich
   auftun und lebendig werden,
   und den Wind noch vor der Tür,
   der für uns Musik bedeutet,
   weil von allen braven Schwalben
   keine mehr im Hausgang läutet.



Vor dem Frühling


   Wenn hungerdünne Vögel sich empören
   argwöhnisch gegen Himmel, Mond und Stern,
   im dunkeln Wind die Bäume aber röhren,
   begnadete Propheten ihres Herrn,
   dann ist die große Unruh nicht mehr weit,
   die sich aus Sturm und Drang der Erde wühlt,
   aufringt und an den Wolken reißt und schreit,
   weil sie den Heiland in der Sonne fühlt.



Bahnfahrt durch den Vorfrühling


   Ziegelbauten, die wie rote
   Schachteln als Fabriken liegen,
   leben auf, um wintertote,
   ferne Hügel zu erfliegen.

   Und die reiserigen, leeren
   Birken, die den Besen gleichen,
   langen himmelhoch und kehren,
   bis die grauen Wolken weichen.

   Zwischen hundert Pappelpaaren
   fängt ein Kirchturm an zu laufen,
   hastend, um den ersten Staren
   ein paar Nester abzukaufen.



Vor der Brücke


   Vor der Brücke, die den Strom verhöhnte,
   neigte sich der Schlot des Dampfers, kroch
   der Rauch wie eine Pantherkatze, dehnte
   sich, daß jeder, der die Demut roch,
   sein Antlitz wandte,
   bis der Dampfer wieder sich ermannte,
   Bläue raubte, stieg, flog, schwindendhoch.



Frühlingserscheinung


   Kühl in bleichen Perlen rann ein Schauern
   über meinen Leib, der Waldbach hörte
   auf zu rauschen, feste Luft beschwerte
   mich, ich stand fast reglos wie in Mauern
   eingekalkt, durch die ein Häher sägte.

   Und ich sah, wie jeder Fels sich regte
   und mit einem Sonnenauge dünnes
   Lachen anfing, daß es jeder fühlte
   von den nackten Bäumen und ein grünes
   Hemd schamhaft um seinen Körper hüllte.



Die Frühlingssonne kommt


   Wohin sie tritt,
   in allen Wolken
   blühen weiße Wunder auf.

   In blauen Körben
   bringt sie Vögel
   von der Reise mit,

   und schüttet sie,
   die heimatglücklich schauen,
   aus in alle Nester,

   scheucht das feuchte Dunkel
   sorglich
   aus den Wäldern

   und setzt dem Moose
   große, gelbe Augen ein,
   daß jedes wachsam leuchte.



Tauwetter


   Wenn die Mauerwände tief verzückt
   im sonnengelben Wunder stehn, erbeben
   jene Flecken, welche rundgestückt
   wie feuchter Hauch am glatten Steine kleben.

   Dächer, denen letzter Schnee zerfetzt
   von nackten, nassen Schultern hängt, verneigen
   sich zu wachen Gossen, glanzbenetzt,
   und brechen rot das weiße Winterschweigen.

   Was sie selig weinen, ist Gesang,
   daß viele Menschen, ganz von Melodie
   betört, ein Rieseln fühlen, tropfenlang,
   aus tiefen Lenden bis ins hohle Knie.



In der Frühe


   Wie sich die jungen Felder unermüdlich rühren!
   Der Morgennebel qualmt wie Rauch aus hundert Schlöten,
   aus grauen Steinen sägt der Wind uralte Flöten,
   die helle Arbeitslieder in den Werktag führen.
   Allmählich schiebt die Saat sich aus dem grauen Felde
   wie grünes Garngespinst aus großen Webmaschinen,
   und bis die Sonne schaut, wie die Fabriken spinnen,
   liegt schon ein großer grüner Fleck vor ihrem Zelte.



In der Färberstube


   Auf alten Tischen häuft sich blaues Tuch,
   das aus der Mange rollte, leinenglatt,
   und atmet, bis der scharfe Farbgeruch
   die Stubenlüfte überwältigt hat.
   Durchs aufgemachte Fenster aber stäubt
   der Duft der Rosen, die verschwendrisch groß
   im nahen Garten blühen, und betäubt
   die werkstattfeuchte Luft des Indigos.



Stiller See


   Wenn der wolkenlose, blitzendhelle
   Tag sich selig schweigsam auf die breiten
   Wasser legt und sich nicht eine Welle,
   auch nur leise, aufbäumt, dehnt in weiten
   Flächen sich der See aus wie erstarrtes,
   klares, grünes Glas, daß man erregt
   aus tiefen Träumen aufwacht, wenn ein hartes
   Ruder Scherben aus dem Spiegel schlägt.



Vor dem Gewitter


   Auf den grünen Hängen, die den großen
   See umlaufen, beugen tief erschreckt sich alle
   Bäume wie zum jähen Sprung und stoßen
   Schreie vor dem schweren Wolkenballe
   aus, der drohend aus dem Horizonte
   fliegt, daß alle Wasser schwarz sich färben
   wie die Menschen weiß vor Angst, gewohnte
   Ruhe rings verlieren, Verderben
   ahnen und mit schäumendweißen Wellen
   wie mit Mövenflügeln in die regenreifen
   Lüfte schlagen, als wollten sie im schnellen
   Drang verstört die Flucht ergreifen.



Mittagsstille


   Wenn die Vögel lautlos durch den Mittag gleiten,
   schwingenweit, um jenen Glanz, der in den Lüften
   bebt, auf ihren Flügeln aufzuhäufen, breiten
   sich die Wälder selig aus, in ihren Hüften
   hochgefühlevoll, urheilig, ernst wie seltne Frauen
   kurz vor der Empfängnis, wenn nur Hauch mehr flüstert,
   voll Erwartung, bis die heiligengeistesblanken
   Vögel auf sie niederkommen und den blauen
   Ätherglanz des Mittags von den lüsternschlanken
   Flügeln schütten, daß die Wollust in den Zweigen knistert.



Auf der Waldwiese


   Föhren, die im Glanz des Mittags blauten,
   drängten an die reife Wiese, hielten
   tiefgespannt den Atem an und schauten
   auf die Falter, die im Tanze spielten.

   Als die Tänzer müde waren, boten
   farbenlaute Blumen weiche Sessel
   an; die gelben überschrien die roten,
   blaue drängten vor die weiße Nessel.

   Wolken, die vor Neugier schwollen, tauchten
   aus dem Himmelmeer; die Bäume hauchten
   plötzlich mächtig auf; Applaus, das dünne
   Donnern eines fernen Hochgewitters,
   wehte wogend über die Tribüne.



Die Sicheln


   Sicheln, die in hungerigen Scheunen
   müde schlafen, wachen auf und singen
   schaurig, wandern, Mordlust in den Klingen,
   aus dem Hof, entlang an hellen Zäunen.
   Wo die reifen Ähren über dunkeln
   Acker-Furchen furchtsam bebend schwanken,
   lachen sie, daß ihre heillos blanken
   Augen geisternd durch die Felder funkeln.



Höhenernte


   Leiterwagen schneiden blanke Stücke aus dem Horizont,
   Garben, wunderselig besonnt,
   warten in tanzenden Kränzen.
   Gäule, auf denen die schaukelnde Sonne blitzt,
   schlagen mit langen Schwänzen,
   daß grelles Silber aus den Höhen spritzt.

   Die Himmel zittern überall,
   Bläue prangt, von Wolken entlaubt,
   und alle Menschen wandeln in den Himmeln mit erhobenem Haupt.



Nachtgewitter


   An den Wänden meines weiten
   Zimmers, das vom Licht der großen
   Straßenlampen hell ist, gleiten
   Schatten, die aus ruhelosen
   Bäumen durch die Fenster schwellen,
   lose gaukelnd hin und her,

   bis einer von den schauderndgrellen,
   ausgedehnten Blitzen, der
   von Wolke hin zu Wolke fährt,
   mit seinem Glanz die Schattenbilder
   totsticht und die Bühne leert,

   während an meine Fenster wilder
   Hagel schlägt wie Trommelklang
   bei einem lauten Leichengang.



Die Turmuhren


   Gleichmäßig drängen sich die Zacken
   der harten Räder in die Lücken,
   um jede Stunde fest zu packen,
   zu martern und sie tot zu drücken.
   Und werfen die erwürgte Stunde
   hinunter auf die harten Gassen,
   wie satte Katzen aus dem Schlunde
   zerbissne Mäuse fallen lassen.



Dunkle Nacht


   Wenn die Nacht wie eine große
   Kohle meine Stube ausfüllt, warte
   ich wie eine regungslose
   Urversteinerung, bis mich der harte
   Pendelschlag
   der Wanduhr wie ein Bergmannshammer
   aus dem schwarzen Jammer
   langsam fördert an den hellen Tag.



Ach, alles ist Liebe!



So stand ich vor dem Sterben . . .


   Ich ging, als sich der regnerische Tag
   verweinte und die Weihnachtsfenster lockten,
   auf heilen Straßen, wo die Menschen stockten,
   weil jedes Auge auf dem Glanze lag.

   Da lief, als ich das Pflaster überquerte,
   der Tod mir nach als schwerer Autobus,
   bedrohte mich als harter Pferdefuß,
   daß sich mein Atem jäh nach innen kehrte.

   So stand ich vor dem Sterben, schmerzbeschwert --
   der Heiland aber, der in allen bösen
   Dingen lebt, umschwebte mich, um zu erlösen:
   er hupte, wieherte aus einem Pferd.

   Und glitt vorbei, als ich das Trottoir
   betrat, und wartete auf keinen Dank.
   Ich sah die Straße seligfeucht und blank
   und stand noch, als er schon verschwunden war.



Im Trödlerladen


I.

   Ergraute Heilige, die steif
   sich standen am Altar das Bein,
   pilgern, von bunter Welt gelockt,
   ins irrsalreiche Leben ein.
   Und wagen sich zur Tänzerin
   aus pudelnacktem Porzellan,
   die lüstern schon bei der Geburt
   in Meißen fing zu tanzen an.


II.

   Und Josef, flüchtend nach Ägypten,
   treibt seinen Esel auch hinein
   und hängt ihn lässig dem gerippten,
   verstaubten Tod ans morsche Bein,
   daß die Maria bleich erschrickt
   und auf ihr Kind die Augen senkt,
   weil sie, wenn gleich ihm längst entrückt,
   noch immer an Herodes denkt.


III.

   Mephisto, sonst der Wahrheit scheel,
   voll Argwohn, Schelmerei und Tücken,
   naht sich dem heiligen Michael,
   versöhnlich ihm die Hand zu drücken.
   »Hier straft kein Himmel mehr den Zweifel
   und keine heiße Hölle quält,
   hier eint sich vieles«, meint der Teufel,
   »was je sich fluchte in der Welt«.



Der Heiland


   Wenn der Abend niederfällt
   leise in die lauten Straßen
   und die Lichter heimlich quält,
   die erstehen und verblassen,
   geht der Heiland durch die Stadt.

   Mädchen führt er an den Händen
   vor die bunten Fenster hin,
   daß sie Gold und Seide fänden
   für den töricht-jungen Sinn;
   denn der Heiland will erlösen.

   Männer, die vor Sehnsucht brennen,
   führt er weise dann herbei;
   sündig wird er keinen nennen,
   wer nur ehrlich brünstig sei;
   denn der Heiland will erlösen.

   Dann in Spielen und Konzerten
   weckt er Geigen und Gesänge,
   daß ein Rausch die wirren Herden
   Leiden stundenlang verdränge;
   denn der Heiland will erlösen.

   Fällt die späte Nacht den Straßen
   in den seeligmüden Schoß,
   um sich auszuruhen, blasen
   Engel aus dem Sternenschloß:
   Heil den Menschen, die erlöst sind!



Die neunte Stunde


   Die da stehen hinter übersprochnen
   Ladentischen, Mädchen, die vom Duft
   der Waren taumeln, warten mit gebrochnen
   Arbeitsaugen, bis der Heiland ruft.

   Dieser schaut als zitterndweiße Zeit
   aus einer Uhr, die langsam sieht,
   bis sie aus Güte gegen warmes Leid
   die Heilandsmiene immer enger zieht.

   Wenn der Pförtner dann die Tore schließt
   und runden Angesichts von Männern lacht,
   die draußen warten, hört er, wie es fließt
   aus seligem Mädchenmund: »Es ist vollbracht!«



Die Liebe spricht.

Ein Spiel des Schmerzes auf der Straße am Krönungstag des Königs.


Die Liebe spricht:

   Auf allen Straßen staut sich königliche Pracht.
   Horch, wie es jubelt, jauchzt und lacht!
   Ich will, was sich bewegt fühlt auf den Straßen,
   weg von der Leber reden lassen.
   Vielleicht löst sich ein heller Schrei
   aus einer dunkeln Kehle frei,
   heut, da in königlicher Pracht
   ach, alles jubelt nur und lacht.


Das Spiel.

Das Pflaster:

   Besinnung ist an solchen Tagen schwer,
   wenn alles Leben wirrer rauscht,
   ich glaub, es ist ein Menschenalter her,
   daß Schmerz sich wieder über Schmerzen bauscht.
   Mich martert jeder Pferdehuf, der Tritt
   der Menschen, der vertausendfacht
   mich trifft, und niemand, niemand leidet mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht.

Die Gäule:

   Uns zwingt ein Hoflakai, uns schlägt der Strang,
   Geschirr zwängt unsern Atem ein
   und Zügel foltern uns den Weg entlang
   vor einem fremden, goldnen Schrein.
   Wir liefen lieber wild, statt unsern Schritt
   zu opfern für den König, der die Pracht
   genießt; wir leiden, niemand leidet mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Die Tannenzweige:

   Wir lebten seliggrün am jungen Baum,
   die Säge hatte keinen milden Zahn,
   die schauerndkalte Schere keinen Traum,
   wir fielen, drängten uns zu Kränzen an.
   So sterben wir am wunden Schnitt,
   wenn alle Straße lebt; das macht
   uns traurig; ach, und niemand trauert mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Die Fahne:

   Mich krümmt der Wind. (Umsonst scheint all mein Tun.)
   Er foltert mich von Raum zu Raum,
   und meine Sehnsucht, feierlich zu ruhn,
   war nur ein falschgefaßter Traum.
   Schon oft, weiß ich, daß ich am Galgen litt,
   und stets hat sich mein Haß entfacht,
   ich leide nur und niemand leidet mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Der Königswagen:

   Ich schnaufte einst als Baum im Frühlingswind,
   versteckte mich als Gold im harten Erz,
   da formte mich ein gieriges Gesind
   zum Wagen um und alle Lust zum Schmerz.
   Nach freien Wäldern singt mein runder Schritt,
   ich bin ein Sklave königlicher Pracht,
   ich leide, niemand, niemand leidet mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Das Kind:

   Wenn ich doch auch ein goldner König wär,
   ich trüge Tag und Nacht die Perlenkron,
   im goldnen Wagen reiste ich umher
   und kaufte Schokolade und Bonbon.
   Aber mein Schaukelpferd ist ohne Schritt,
   aus dünner Pappe Helm und Geld gemacht;
   ach, wenn ich König wär, ich lachte mit,
   wenn alles jubelt, jauchzt und lacht!

Die Mutter:

   Wie blitzt verhöhnend jedes Bajonett!
   Vielleicht durchblutet bald ein Krieg das Land;
   ich sehe schon ein großes Schollenbett
   und eine abgeschossne Jünglingshand.
   Mein Sohn, mich schmerzt dein strenger Schritt,
   der wehen Takt mit hundert andern macht;
   ich bin so traurig, niemand trauert mit,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Der Vater:

   Ich schaffte Münzen ein mit heißem Fleiß
   und baute mir ein Nest am eignen Herd,
   nicht eine Tagesstunde stockt der Schweiß,
   es härtet sich die Hand die uns ernährt.
   Ich fühl, wie jeder Steuerpfennig drückt,
   der König aber fährt in goldner Pracht;
   all meine Lebensfreude ist zerstückt,
   ach, alles jubelt nur und lacht!

Der König:

   Ich nicke, weil ich dankend nicken muß,
   ich fahre als ein Sklave durch den Tag
   und meine Fahrt gleißt andern zum Genuß,
   Gott weiß, wo die Pistole lauern mag.
   Vielleicht ein Schuß im nächsten Augenblick --
   im Blut ertrinkt die lügnerische Pracht:
   Ich bin das einzig traurige Geschick,
   wenn alles jubelt, jauchzt und lacht!

Die Liebe spricht:

   Habt, ihr am schwangern Jubeltag gehört,
   wie jedes Herz sich aus dem Trug empört?
   Daß jedes glaubt, es sei im Schmerz allein,
   erlöst zu seinem eignen Seligsein,
   weil jedes trachtet und nach innen ringt
   daß auch in ihm die Lust der andern singt.
   Im Schmerz lebt unerschöpfter seliger Sinn,
   weil ich mit ihm in allen Dingen bin.





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