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Title: Verkettung - Gedichte
Author: Gumpert, Martin
Language: German
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                              Verkettung
                               Gedichte
                                  von
                            Martin Gumpert


                                Leipzig
                           Kurt Wolff Verlag
                                 1917

                Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R.
                Januar 1917 als achtunddreißigster Band
                    der Bücherei »Der jüngste Tag«

                Die Gedichte sind 1914--16 entstanden,
                   sie gehören meinen toten Freunden



   Nicht mehr will ich den Tag vertrinken
   Unter allen der abseits Weinende sein,
   Wortlos und müde hinauszusinken
   Die Arme empor des Nachts zwischen Kissen zu schrein.

   Oder in Straßenbahnen voller Gesichter
   Plötzlich hochrot und in Tränen Erwachter zu stehn
   Um dann erfüllt, doch bezwungen vom Spruche der Richter
   Flackerndes Feuer geduckt zu vergehn.

   Heute begriff ich die jammernden Stunden des Knaben,
   Flehend, bei Spielen der andern mitjubeln zu können,
   Nicht immer nach Wildheit der Lechzende sein, erschüttert von Gaben,
   Die sich unzeigbar verschenken und selten zu nennen.

   Harte Schwielen wünscht ich mir in die Hände
   Oder auf Bäumen zu sitzen und Zweige zu brechen,
   Doch mir wuchsen die Tage in endlose schmerzende Brände
   Und ich verschloß mich stumm, meine Schlaffheit zu rächen.

   Ich trug die Gesichter der groben ungläubigen Lehrer
   In meine zitternden Träume, zaghaften Nächte hinein,
   Wurde mir selber aufhorchend und wundernd der Hörer,
   Ließ mich gleiten, wurde in Qualen gemein,
   Ließ mich verleiten von jedem, das mich bewegte,
   Der nicht mehr da war, dunkel und trunken den Blick,
   Was mich so maßlos erbitterte und erregte
   Von mir gebracht fiel dröhnend auf mich zurück.

   Jugend, Verrat, schwerträumend, bewußtlos verübt,
   Geschändet, verstoßen, verschlossen, wehrlosen Willens.
   Großes, hartherziges Grauen der höhnenden Stadt,
   Lachende, riesige Menschen, die mich in Händen gehabt,
   Die mir zerknickten die wachsenden Glieder zum Stoß:
   Ich blieb an den Wolken hängen
   Ich blieb an den himmlischen Winden hängen
   Ich sank in die Wiesen, Gras nickte mir zu,
   Den hohen Gesängen
   Der wissenden Wälder
   Gab ich mein brennendes brüderlich: Du.

   Aufgehender Tag, teilhaft des Sinns solcher Zeit,
   Mutter, Dein Schoß regt sich verkündungsvoll,
   Stolz Deines Sohnes will donnernd erwachen,
   Heiliger Stunde dröhnt das Geläute der Welt.
   Kirchen stürzen zerschmettert, Gott geht zu Gast,
   Der fromme Geist zeigt schluchzend sein Herz,
   Süß liegt die ruhende Kraft bereit,
   Unseliger Schlaf auftut die Augen
   Zu vollstrecken des Geistes Geheiß:
   _Denn Gott ist zornig, ist streng und zornig!_



   Durch Jungsein leergebrannt
   Die eingekreiste Glut,
   Vielmals vergossen
   Weg abendlicher Qual.

   Denn da genügt kein Wort,
   Ist nirgends ein Wort,
   Das der Nacht Verhängnis
   Gerecht ermißt.

   Wir sehen uns an Wänden
   Verrunzelt winzig stehn,
   Zwischen weichen Fingern zermalmend
   Überschreitet uns riesig die Frau.

   Wir strecken um ein wenig Glück
   Die Hand, um enge Güte,
   Um einen Hof der Scham, uns stürzt
   Zärtlichkeit vom Angesicht.

   Aber Feindschaft ist so groß,
   Kein Schoß verheißt Empfang,
   Ekel überspannt den Leib
   Seiner Unzulänglichkeit.

   Blühte doch ein Tal der Ruhe,
   Käme Zeit des Morgens,
   Der ins Innen dringt
   Und Erlösung kennt.

   Auf dem Rücken der Stadt
   Hockt der häßliche Zwerg,
   Die kreischende Nacht,
   Das Tor voll Qual.



Tränenlied


   Soll ich mein kleines
   Lustliedlein singen,
   Mein Herzlein bringen
   Vor Deinen Mund,
   Knie will ich falten,
   Hände hinhalten,
   Mach mich gesund!

   Hebe mir Schwere
   Vom Haupt,
   O ich ersticke,
   Aller Geschicke
   Steh ich beraubt.
   Laß mich die Leere
   Mit meinen bloßen
   Armen durchstoßen,

   Bin ich doch nackt
   Ausgegossen in Deine Hände,
   O so beende
   Was mich da packt.

   Zärtlichkeit hasse ich,
   Schwäche versehrt mich,
   Liebe zerstört mich,
   Ich bin gar unfähig.



   Im Fensterriß errötend rings von Tag
   Der Häusermauern eckiges Gesicht,
   Beglotzt den Traum, lang rasselndes Gewicht,
   Das mich die ganze starre Nacht umlag.

   Der Baum im Hof erhebt sich kraß und dicht
   Sirenenbrunst und kurzer Uhrenschlag;
   Das schon ganz tief im hellen Himmel stak:
   Erschrocken unterm Dach verlischt ein Licht.

   Hundegebell, es häufen sich die Zeichen,
   Ich werde bald mich aufrecht stehend wissen,
   Wind wird mich, zärtliches Gefühl, umschleichen,

   Ich fand mich nie zurecht in meinen Kissen,
   Ich will die Sonne sehn, sie soll Dir gleichen,
   Soll Mädchen sein und meine Augen küssen.



Der Alternde


1

   Mein Frauenhimmel zerstürzt,
   Mein Freundeswille erstickt,
   Unnatur ist der Kampf.

   Und war doch einst ein Fließen
   Und Händereichen
   Und Hingeben.

   Meine Tage verstreut,
   Mein Blut zu Ende,
   Meine Zärtlichkeit tot.

   Schwäche besteigt das Haupt,
   Darauf ruht keine Hand.


2

   Die Nächte stehen leer von Tanz,
   Die höchsten Feste sind versäumt,
   Die Kette der Freundschaft ist einender Haß,
   Der macht unseliger noch verloren.

   Die Männer sind vor Scham verwüstet,
   Sie wagen nicht, sich zu erkennen,
   Überall sind Freunde einzeln
   Ohne Frau, Gewalt und Inbrunst.

   Der Mensch ist entzweigeteilt!
   Er will Erniedrigung,
   Aber ich lasse den Himmel nicht los.

   Ein hohes Feuer ist meine Not,
   Es hüllt die Erde ein
   In edle Trunkenheit!



   Hohler Spalt, offner Schlaf
   Hört den Wind der Reise,
   Wo er Traumeskreise traf
   Rauschen Ähren leise.

   Meine Hand führt Deine Hand
   Feuerfluß der Sterne,
   Rings ist still ein Wellenland
   Lockung in die Ferne.

   Stadtgesicht schwillt wüst empor
   Maul bis zu den Ohren,
   Fürchterlich erdröhnt ein Chor:
   Du auch bist verloren.

   In der schweren gelben Luft
   Hängt ein Meer von Armen,
   Steine fallen, Stimme ruft
   Gellend um Erbarmen.

   Welche Reise muß ich tun?
   Selig sei Du, weine,
   Traum zerreiße, Nacht will ruhn,
   Weiße Sonne, scheine!



Beim Tode einer alten Frau


   Wir werden uns leise
   Um sie versammeln,
   Zu Häupten zwei graue
   Zu Füßen zwei weiße,
   Einer wird mitten zur Hülle gesunken
   In Händen halten Haut wie Laub. --
   Schön sind Blumen
   Rings gelegt.

   Wir hörten Worte toll Sturm durch die Straßen rollen,
   Die sind auf einmal still geworden.
   Wir müssen uns ganz nah begeben,
   Sonst trägt, was kommen wird, uns weit.
   Kannst du laut lachen einmal,
   Zerteilen mein' Angst,
   Ich glaube -- wir sind nicht mehr.

   Wir wandern alle schon im Herbst,
   Auch was so neu und kühn: ist Herbst;
   Wir werden bald uns wechseln müssen,
   Schon löst die Krone sich vom Haupt.
   Ich bin schon alt wie hundert Jahr,
   Mein Blut ist früh so schwer geworden,
   Alte Frau, ich bin Dir nah.

   Sind Deine Augen immer zu,
   Ich bin aus Dir ein Blätterbaum,
   Viel Zweige werden von mir gehn,
   Blitz fällt mich kaum.
   Ich bin geschehn
   Stark dazustehn,
   Doch Du brauchst Ruh.



Abendgang


   Zu doppelt Teil zerfällt der Kern,
   Wenn die anschwellende Grauenfrucht
   Durchstieß die Narbe, verschlang die Hütten:
   Entsetzen -- Gelächter.

   Gegen die Augen Stoß der Dächer,
   Und die Erde will in den Mund,
   Musik und Ruf durchstechen das Ohr,
   In mich flüchtet der ganze Lärm

   Aber wenn ich ins Weite will
   Versagt ein jedes und ist am Ende.
   Verheißungslos in mein Fleisch zurück:
   In kahler Kammer bin ich da.

   Zuviel dies Land zerfurcht von Blut,
   Mord regungsloser Turm darin.
   Hier kann mir keine Heimat sein,
   Hilf suchen doch mein fernes Land.

   Wenn sich die Nacht nun an mich hängt,
   Die treibt durch Straße, Park, Café,
   Erst lachen wir, dann weinen wir,
   Dann schließt uns Wahn die Augen zu.



1

   Ich liege wie ein Unheil auf der Stadt,
   Ich liege ganz berauscht von Stadt,
   Meine Worte sind Gift.

   Jetzt kommen alle, wollen kosten,
   Geschlagen sein, zu nichte sein,
   Von mir das Sterben erfahren.

   Die Schwachen wollen sich zügeln lassen,
   Ich kann ihre wunden Augen nicht sehn,
   Sie sind, Verachtete, feige im Licht.

   Kinderhände ringen um Führung,
   Hände auch verkrüppeln vor Angst,
   Hände können die Tränen nicht halten.

   Durch mich, in mich stürzt alles zurück,
   Ich singe hart, grausam laut:
   Ich liege wie ein Unheil auf der Stadt.


2

   Ihr Gotterfüllten in der Zeit
   Von jeher Euer Erbe Inbrunst:
   Des Gottes Ehre ist mißbraucht.

   Sein Tempel ist ein offnes Haus,
   Sein heilig Blut tropft schwer dahin:
   Des Gottes Ehre ist mißbraucht.

   Schreit auf, da Euch Gebet versagt,
   Ihr wart die Hüter, Ihr das Tor:
   Des Gottes Ehre ist mißbraucht.

   Ihr seid der Welt Verderber,
   Des großen Sterbens seid Ihr schuld:
   Des Gottes Ehre ist mißbraucht.

   Sein hehrer Leib klagt krank und wund,
   Ein Grauenvolles starrt sein Mund,
   O, meines Gottes Ehre ist zerstört!


3

   Tragt seinen Fluch in Euren Tod,
   Es soll ein neuer Glanz geschehn,
   Ein Fest wird sein, ein strahlend Rot

   Soll über Euren Häuptern stehn
   Und Wirklichkeit, die furchtbar droht,
   Aus leeren Augen auf Euch sehn.

   Uns komme Licht, uns sei das Wort,
   Ein Gang auf Wellen, Hand in Hand,
   Gesang, an dem die Kraft verdorrt,

   Die heute nicht Erlösung fand.
   O erster Morgen, letzter Mord,
   Rauchender Welt entsteigt _mein_ Land!



Loslösung


   Während ich mit Euch bin, mit Euch teile
   Trennt sich schon tastend die suchende Saat,
   Einheit versagt sich zu jagender Meile,
   Heilige Forderung wird der Verrat.

   Sind wir mit waltenden Waffen Bescherte,
   Trifft uns vereinsamt gemeinsames Ziel,
   Nur wer den Geist seines Gottes versehrte,
   Bröckelt verlodernd am eignen Gefühl.

   Gestern im Tempel der treuste der Wächter,
   Heute der Schänder am heiligsten Gut,
   Dennoch gewertet als Harter, Gerechter,
   Wehrlos gewappnet der Wut nur durch Blut,

   Das schon vom donnernden Schalle durchrauscht
   Keinen vermag der Gestürzten zu schonen,
   Entrückt dem rasenden Trommelklang lauscht
   Kommender Revolutionen.



Eroberte Stadt


   Die ganze Stadt ist eine große Kirche
   Voll Andacht, Inbrunst, Reue und Gebet,
   Vom Gipfelsturm der Glocken überweht.
   Der Tag erbraust in Tätigkeit und Kraft,
   Doch nirgends ist ein emsig Herz am Werke,
   Die Seelen alle sind zu Gott erschlafft,
   Die Augen ruhn, in sich dahingerafft.
   Nur in den Glocken rast noch Sinn und Stärke.

   Da fällt ein Beben auf die Stadt herab
   Und ein Erzittern und ein Fliehenwollen,
   Die Mauern stöhnen qualvoll, und ein Grollen
   Hebt an und alle Tore spreizen sich
   Und aus den übervollen
   Jammergetränkten Wänden birst ein Schrei
   Und Schreien,
   Von Flammen, Steinen überschüttet
   Steigt das Grauen
   Steil in die Luft:
   »Wir taten nichts,
   Wir nahten
   Uns Dir in Blöße,
   Wir ahnten Deines Angesichts
   Endlose Größe,
   _Doch Du spiest Granaten_.«



1916


   Zersprengte Jugend!
   Uns die Zeit
   Zerbiß die Stirn,
   Es schreit, schreit,
   Kann nicht ruhn,
   Lauert bereit
   Ohne zu tun.

   Abendgang,
   Nacht in Straßen,
   Zwang zu hassen
   Hilflos, krank, --
   Verflucht solche Jugend,
   O Alter und Ende,
   Pack fort das Grauen,
   Zerhauen
   Sind unsere Hände,
   Die schaffen sollen!

   Durchlöchert, zerfressen
   Rinnen wir aus,
   Wir wollen
   Hinaus!

   Sonst Mord! Sonst Mord!
   Raserei
   Laßt uns frei!
   Laßt uns fort!

   Totes Europa
   Ist ohne Jugend,
   Ach erschlagen
   Ist die Jugend.

   Offnes Grab,
   Kalt und hart,
   Narren, Helden,
   Entflammte Juden,
   Überreste
   Erreichen die Wüste!



   Im dritten Jahr ist der Gruß Geschrei,
   Mattes Ächzen, gestöhnte Qual
   Hebt an, stimmt ein!
   Im Genick die modernde Faust verhöhnt.

   Meiner Freunde zerfressene Augen,
   Die zerbrachen im ersten Sturm,
   Sind gewandert in jedes Gesicht.
   Beinhaus Erde! Es wandeln die Toten.

   Du bist mir fremd, da Du noch bist,
   Es quillt noch Blut, wenn man Dich sticht,
   Wer lebt, ist Mörder, Euch liebe ich nicht.

   Du warst mein Freund? So stürze ein,
   Geschleift, gestoßen vor ein Gericht
   Wollen wir Feindschaft in uns schrein!



   Haß, den vereint wir schufen
   Als letzten Feind,
   Aus Nacht, aus Bett gerufen
   Krumm und verweint.

   Fremder, mit dem ich ging,
   Soll ich Dich schlagen,
   Qual, die Dich rings umhing,
   Muß _ich_ nun tragen.

   Alles liegt da zerdrückt
   Kraft, Weichheit, Wut,
   Haß, auf den Sinn gezückt,
   Haß, Du bist gut.



Auge


   Was soll die Furcht vor diesen fremden Augen!
   Komisches Grauen wirft mich rücklings hin,
   Sie schleppen schwarzes Feuer in den Brauen,
   Asche wie Blut betropft das Kinn.

   Gehöhlt gezackte Landschaft, hoch zu schauen,
   Bergkreuz der Augen: der durchbohrte Sinn,
   Er will sich wütend in die Sonne bauen,
   Dort steht auf Mauern, brausend, der ich bin.

   Jed' Wesen ist nur Käfig für sein Leid,
   Gefüllt mit Tränen, ausgebrannte Kehle,
   Nur noch ein Wimmern, weinend, unbefreit.

   Faust, brich hernieder in die Augenhöhle,
   Spreize die Finger, zerreiße die Seele,
   Rasende Faust meiner »herrlichen« Zeit.



   Komme über alle
   Starre Wut,
   Totes Auge
   Und der Glieder Besessenheit.

   Dumpf versunken
   In der Not Anblick,
   Stumm für Zuruf,
   Unfähig der Tat.

   Nicht sich verlieren
   Nur stierend sagen
   Hassend kalt sagen:

   Da -- ist -- Mord
   Da -- ist -- Schande
   Da -- ist -- Mord.



   Ich weiß nicht mehr
   Wie Morgen ist
   Und Tag beginnt.

   Sind noch die Wasser
   Und das Tal,
   Mond, dem die Nacht erliegt?

   Niemehr kommt Sommer,
   Ganz gefangen
   Starrt mein Gesicht,

   Lauert grausam
   Und erwürgt
   Die kleine Hoffnung.

   Schon tänzelt um mich
   Die Dirne
   Im Kreis,

   Heißer Atem,
   Ein Fetzen
   Zur Haut.

   Werft doch alle
   Euch hin
   Wo Ihr seid,

   Stoßt doch alle
   Heraus!
   Euer Leid

   Im Schrei
   Erdrosselt
   Die Zeit.



Jungfrau


1

   Unmut hängt von der Stirn,
   Ich schlage lang in Härte.
   Wölfe überfallen mich
   Und die drohend erstandene Nacht.

   Ich will mich niederwerfen,
   Den Kindern kommt Hilfe,
   Aber mein Wachstum erstickt,
   Ich habe schlecht getan.

   Grausamer Traum
   Nistet sich ein,
   Mit meiner Verhöhnung
   Bedeckt sich die Leere.

   Ich tat nichts,
   Doch trifft mich Schuld.
   Trotz und Demut
   Einen sich.


2

   Das Mal der Gerecktheit,
   In die man verfällt
   Außer sich trunken,
   Ist kein Makel an mir.

   Mich zeichnet Erschlaffung
   Nach so viel Aufruhr.
   Käme der Herr jetzt,
   Mich tötete Scham.

   Ich verginge.
   Vor seiner Güte
   Ich müßte knieen.
   Ich könnte weinen.


3

   Nun bin ich die Herrin der Tänze
   Im Kreis meiner Mühe.
   Mich durchschreiten die Paare
   Am Tag der Vermählung.

   Vor so viel Entzücken
   Erreicht meine Seele
   Einsamen Schmerz,
   Ich darf nicht teilen.

   Doch kommt das Feuer
   An meinen Brunnen,
   Ich stürze es in mich
   Ohne Abwehr.

   Mein Tag
   Ist der Tag Gottes,
   An dem
   Ich ohne Volk bin.



Tahiti


1

   In Tahiti kämmen am Meer die Mädchen schweres Haar mit schwankenden
      Händen,
   Zu dem nahen Ton der Muscheln neigen sie die braunen Nacken,
   Frucht verheißt des Landes Fülle,
   Sonnenfeuer folgt zur Frühe jeder Nacht voll fremder Kühle.

   In Tahiti weht der Meerwind weiße Vögel durch die Luft,
   Kleine Federn fallen wirbelnd in den flinken Tanz der Kinder,
   Zarte Finger, steif vor Vorsicht, fassen die verlornen Flocken,
   Weiße Zähne funkeln Freude,
   Flache Hände fordern mehr.

   Nicht am Tor fragt die Arbeit jeden Morgen,
   Aller Traum wird ausgeträumt,
   Reif verlangt das Weib zum Manne
   Und die Falter fliegen nie vergebens
   Und die Feinde fliehen nie einander.

   In das Spiel des Alltags klingt die Flöte,
   Doch zur Feier tönen weiche Harfen
   Von den Ufern Duft der Wasserblumen
   Und die leise Fahrt der bunten Kähne,
   In den dunklen Wäldern Sturm der Wipfel
   Und das Flüstern schlankgewachsner Gräser.

   Über Wiesen in Tahiti fließen rieselnd frische Bäche,
   Streifen leichte Weidenzweige hauchgebeugt die helle Nässe,
   Gelber Sand und grüner Halm fangen wechselnd schmale Füße,
   Jeder Blick ermahnt zu bleiben
   Jede Ferne treibt zu eilen.

   Karge Männer gehen nach einem nimmermüden Werke,
   Wenn ihr Steinbeil Stämme fällt
   Sehn sie stumm der Frauen Sorgfalt,
   Und die Liebe lichter Lieder mischt sich ihrem rauhen Sange.


2

Spruch der Frauen

   Solln wir schaun zur Gruft der Fluten
   Und des Sturmes Gut ergründen?
   Hundert schlug sein Zorn zurück.
   Oder solln in weiter Wölbung
   Augen wandern, wundersuchend,
   Der Gestirne Gang zu folgen?

   Soll der Sprung die Glieder tragen
   Über Gräben und Gemäuer,
   Und der Schlag der Herzen fliegen
   Bis wir matt an Eure straffen
   Muskelschweren Kniee sinken?

   Oder Eure kleinen Söhne
   Mit uns nehmen, gehen lehren,
   Ihren guten Schlaf bewachen
   Und den ahnungslosen Augen
   Täglich Ding zu schauen geben?


3

Spruch der Mutter fürs Kind

   Sei nicht Führer vieler,
   Weiser sei am Weg
   Wachsend zwischen Wolken
   In den reinsten Himmel.
   Suche nicht nach Glück,
   Anderen vergönnt
   Sei dem Herz kein Sänger,
   Wecker sei der Seele.
   Sieh nicht ins Gesicht der Welt
   Wenn Du schweigst, sind andre stumm,
   Und Dein Wort durchstürzt das Fleisch
   Un--endlich.



   Weich von Elend
   Überstürmt von Tod
   Halten wir Güte
   In geschlossner Faust.

   Wir sind so
   Wie die Kinder,
   Bloß daß wir
   Schreiten müssen.

   Da steigen uns
   Schwere verworrene
   Heimlichkeiten
   Vor die Sinne.

   Die stürzen uns
   In Härte,
   Sonst frißt uns
   Fremde Lockung.
   Güte ist kein Weg,
   Helfen kann nur Weisung,
   Der Führer ist
   Geht einsam voran.

   Er kennt kein Opfer,
   Ihm sticht das Licht
   Der eigenen Augen
   Erinnerung aus,

   Nur im Schlafe
   Umrauscht ihn
   Eine Ahnung
   Kommender Liebe.



   »Fleisch hat die Augen geschlagen,
   Ich muß darein gehn,
   Wie soll ich nun sehn?«
   »Fleisch wird Dich aufwärts tragen.«

   »Da ist der Leib sehr wund,
   Verzehrt, schwach und heiß.
   Wie wird mein Leib nun weiß?«
   »Liebe macht ihn gesund.«

   »Doch wer gelangt zu mir
   Und reicht bis an ein Ende.
   Wer greift an meine Hände?«
   »_Gott_ ist genug in Dir.«

   »Wo find ich seine Zeichen
   Und weiß sie zu erfüllen?
   Wer kann so hohem Willen
   Mit seiner Armut gleichen?«

   »Feuer begehrt Dich schwer,
   Laß Dich erfassen
   Außer allen Maßen
   Ist der _Geist_ Dein Herr.

   Wachse an diesem Berg,
   Wie wirst Du glühend sehn,
   Wie wird Dir groß geschehn,
   Höchste Lust im _Werk_.«



Zukunft


1

   Der ich schon längst nicht schenke
   Aus kleinem Krug an Mensch und Welt,
   Wohin es mich auch lenke
   Bleibst Du mir immer beigesellt.

   Aussend ich wilde Mannheit
   Um Deinen milden Frauenleib,
   Eingehen mußt Du meiner Zeit,
   Zu geben großes Bild vom Weib.

   Ich will aus Dir herlesen
   Was in der Zeit noch grauend liegt,
   Einbrechen in Dein Wesen
   Wie man in glühend Eisen biegt.

   Gewiß verbirgt Dein guter Schoß
   Das Sterben und die ganze Not,
   Verschlossen hüpft und riesengroß
   In Dir schon unser aller Tod.

   Drum laß ich nieder, wo Du bist,
   Die müdgespannte Muskellast
   O sei Du heilig rein geküßt
   Da Du mich eingelassen hast.


2

   Die Erde tat am Mond Verrat,
   Nun kann ihr keine Obhut sein,
   Rot Feuer fällt auf unsere Stadt,
   In Trümmern Du und ich allein.

   Zweifach durch schwarze Nacht gescheucht
   Scharlachentzündet Firmament,
   O mein zerschrienes Herz schrill keucht,
   Daß mein Gesicht Dich nicht mehr kennt.

   Da nimmst Du meinen Kopf an dich,
   Aus der unsagbar Edles spricht,
   Ins Auge ungeheuerlich
   Bricht überströmend neu das Licht.


3

   Schwingt Anemonen trunken
   Der traumersehnte See,
   Die Zeiten sind gesunken,
   Aus Blumen bleicht der Schnee.

   Die Schädel vieler Leichen
   Sind in die Luft gepflanzt,
   Auf Feldern ohnegleichen
   Wird wundersam getanzt.

   Aus Klängen Bäche bluten,
   In Eins zuspitzt die Welt,
   Aus Lärm und Ruf und Gluten
   Wird Heiland neu bestellt.

                   *       *       *       *       *

   Die jungen Juden haben
   Dräuend die Hand gestreckt,
   Was ihre Herzen gaben
   Hält süß ihn zugedeckt.

   Aus ihren Hungergassen
   Wächst Jubel langsam auf,
   Noch können sie nicht fassen.
   Starr geht ihr Blick hinauf.

   Doch dann sind sie unbändig
   Und Leid bricht rot heraus,
   Das schleudern tausendhändig
   Sie in die Zeiten aus.

                   *       *       *       *       *

   Es ist nur ein Gesicht,
   Das auf der Erde geht,
   Nur einer ist, der spricht,
   Jed Wort wird zum Gebet.

   Den Schnitter in der Hitze
   Springt Grausen geltend an,
   Kein Zweiter bleibt, der stütze,
   Nicht kennt sich Weib noch Mann.

   Gott sind die Menschen alle
   Und Auge, das erlischt,
   Sie schrein, bereit zum Falle,
   Einander ins Gericht.

                   *       *       *       *       *

   Hört Glockenrasen ragen,
   Hell aufgebäumt von Stoß,
   Die schuldig sind, sie sagen
   Sich voneinander los.

   Ein heulend Stürzen nieder
   Gepackt von aller Last
   Zerspringen ihre Glieder --
   Gott hat sie angefaßt.

   Die Erde überwehen
   Kühler und schwarzer Wind.
   Dann bleibt die Erde stehen.
   Gott wurde trauernd blind.

                   *       *       *       *       *

   Schwingt Anemonen trunken
   Der traumersehnte See,
   Die Zeiten sind versunken,
   Aus Blumen bleicht der Schnee.

   Still kommen hergefahren
   In Nachen singend Lied
   Unzählbar Seelenscharen,
   Aus denen Himmel blüht.

   Sie tragen ihre Helle
   An den verwünschten Ort.
   Aufnimmt sie Sonnenwelle,
   Sie leben herrlich fort!


4

   Du gib die überhelle Kraft,
   Aus der der Stern der Güte stammt,
   Zerspreng die Haft, gib Wissenschaft
   Und unermeßlich machtvoll Amt.

   Was gab denn Haß, da ich vergaß
   Und Liebe, die in Qual verrann,
   Wenn ich mich alles des vermaß
   Sag an, was blieb mir dann!

   Mein Schlaf schwimmt in verzagten Tag
   Und ahnt die Ufer nicht,
   Wie leicht erlag dem starren Schlag
   Mein helles Traumgesicht.

   So gib, daß ich der Hüter einst
   Nah Deinem Atem bin,
   Wenn Gott Du weinst, Licht, wenn Du scheinst,
   _Wie stürzt da alles selig hin!_



Aus dem Dienst


   Die weiße Straße führt heraus ins Weite,
   Am Wege rasten Schnitter, rufen Grüße,
   Sanft steigen Berge nackt aus weichen Wiesen,
   Am Felsen hockt Kind Schnee, schwankt hin Gestrüpp,
   Mit aufgerissnen Augen blauer See
   Singt stille Fahrt und müde Gondellieder.

   Den heißen Hals küßt ferner Wind,
   Ein Wolkennacken überm Dorf sich stemmt,
   Beugt an den Mauern Blumen bunt zu Boden.
   Es läuten Glocken, Mittag träumend liegt,
   Heim kommen Herden, Kinder knien im Hof;
   Am Baum ein Mädchen: Mund und Haar und Erde. --
   Schweigende Trauer am Himmel gelehnt
   Führe heran deine milden Hände,
   Gleite um Schulter kühler Hauch,
   In die Augen drücke die Schmerzenlast --
   Einhalten die Glieder und ein Wirbel
   Stürzt durch dich. Da schreit dein Haupt.

   Die Sonne floh, um uns ist Nacht,
   Wir sinken eisig in schwarze Starre,
   Nur ein Krächzen noch laut,
   Dunkeljammernde hasten vorüber --
   Drücke, Trauer, mir sanft die Kehle tot:
   _Atmen kann ich nicht mehr._





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Verkettung - Gedichte" ***

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