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Title: Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil - Sein Leben und Wirken Author: Brockhaus, Heinrich Eduard Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil - Sein Leben und Wirken" *** project.) Friedrich Arnold Brockhaus. Erster Theil. [Illustration: Portrait] ~Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.~ Friedrich Arnold Brockhaus. Sein Leben und Wirken nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert von seinem Enkel Heinrich Eduard Brockhaus. Erster Theil. Mit einem Bildniß nach Vogel von Vogelstein. [Illustration Verlagsemblem] Leipzig: F. A. Brockhaus. 1872. Vorwort. Am 4. Mai dieses Jahres sind hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an welchem #Friedrich Arnold Brockhaus# geboren wurde. Dem Gedächtnisse des Verewigten sollen bei dieser Jubelfeier nachfolgende Blätter geweiht sein. * * * * * Kaum mehr als die Hälfte dieses Zeitraums war ihm zu leben vergönnt: am 20. August 1873 werden es funfzig Jahre, daß er im kräftigsten Mannesalter den Seinigen und seinem Wirken entrissen worden ist. Und nur achtzehn von den einundfunfzig Jahren seines Lebens wirkte er in dem Berufe, zu dessen hervorragendsten und verdientesten Vertretern er gehört. Was er in dieser kurzen Spanne Zeit erstrebt und geschaffen, gibt ihm den Anspruch darauf, daß sein Gedächtniß in Ehren gehalten, sein Leben und Wirken der Nachwelt vorgeführt werde. Friedrich Arnold Brockhaus verdient ein Blatt in der Geschichte des deutschen Buchhandels, und der Versuch, ihm ein solches zu widmen, bedarf darum keiner Rechtfertigung. Dagegen erscheint eine Erklärung nöthig, weshalb ein solcher Versuch nicht schon früher gemacht wurde. Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß für eine Biographie desselben nur ein ungenügendes, geringes und lückenhaftes Material vorhanden ist. Deshalb kam auch die bald nach seinem Tode von einem Freunde, Professor Friedrich Christian August Hasse in Dresden, gehegte Absicht, ihm ein literarisches Denkmal zu errichten, nicht zur Ausführung, obwol er vor Vielen dazu berufen und befähigt gewesen wäre. Aus gleichem Grunde trat in späterer Zeit der Gedanke an eine ausführlichere biographische Schilderung immer mehr in den Hintergrund, je weniger es trotz mehrfacher Bemühungen gelingen wollte, jene Lücken auszufüllen. Die an den Tagen des 13. und 14. Juli 1856 begangene Jubelfeier des funfzigjährigen Bestehens der Firma F. A. Brockhaus ließ den Wunsch nach einer Lebensschilderung ihres Begründers wieder lebhafter hervortreten, und sein hundertjähriger Geburtstag erschien als der passendste Zeitpunkt zur Ausführung. Der Unterzeichnete, ein Enkel des Verstorbenen, übernahm die schwierige Aufgabe; er fühlt vor allem die Verpflichtung, sich wegen dieses Wagnisses zu entschuldigen, und muß dabei zunächst von sich selbst sprechen. * * * * * Wie mein Vater Heinrich Brockhaus, der seit dem Tode seines Vaters, bis 1850 zusammen mit seinem ältern Bruder Friedrich, an der Spitze des Geschäfts steht, und dessen funfzigjährige buchhändlerische Wirksamkeit wir gleichzeitig mit dem hundertjährigen Geburtstage seines Vaters feiern können, und wie mein jüngerer Bruder Heinrich Rudolf, habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Firma F. A. Brockhaus im Geiste ihres Gründers fortzuführen. Seit über 20 Jahren ihr angehörend, hegte ich von jeher den lebhaften Wunsch, mich mit dem Leben meines Großvaters näher bekannt zu machen und es dann auch Andern zu schildern. Meine hohe Achtung für ihn und sein Wirken als Buchhändler stieg immer mehr, je vertrauter ich mit seinen Schöpfungen wurde. Ich beschäftigte mich eingehend mit dem trotz der Lückenhaftigkeit sehr umfänglichen Material an Briefschaften sowie mit den Verlagsartikeln unserer Firma aus jener Zeit, und es gelang mir auch wenigstens von einigen Seiten wichtige Vervollständigungen jenes Materials zu erlangen. Als diese wichtige Vorarbeit beendigt war, erkannte ich freilich, daß es nur verhältnißmäßig Weniges sein würde, was ich daraus zusammenstellen könnte, doch aber mußte ich mir sagen, daß es zu bedauern wäre, sollte auch dieses Wenige verloren gehen. So ist es mir als Pflicht erschienen, lieber das zu geben, was ich geben konnte, als, vor der Schwierigkeit der Aufgabe zurückschreckend, die bessere Ausführung einer ungewissen Zukunft zu überlassen. Denn auch die Ueberzeugung mußte ich bald gewinnen, daß ein ferner Stehender oder einer spätern Generation Angehörender noch weniger im Stande sein würde, ein einigermaßen treues Lebensbild meines Großvaters zu entwerfen. Ich habe ihn allerdings nicht mehr persönlich gekannt -- er starb sechs Jahre vor meiner Geburt; aber außer meinem Vater theilte mir mein Onkel, Professor Hermann Brockhaus, der mich auch bei meiner Arbeit vielfach durch seinen Rath unterstützt hat, manches Nähere über mir sonst unbekannt gebliebene Verhältnisse mit, und ich konnte dadurch sowie durch mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Männern, die ihn noch selbst gekannt hatten, jenen für einen Biographen stets mislichen Mangel einigermaßen ersetzen. Als bloßen Versuch einer Biographie bitte ich aber meine Schilderung anzusehen und, wenn sie selbst geringe Erwartungen nicht befriedigen sollte, dies wenigstens zum Theil Umständen, die außer mir liegen, zuzuschreiben. Ich bin nicht berufsmäßiger Schriftsteller, sondern praktischer Geschäftsmann; außer der selbst bei vollständiger Befähigung erforderlichen Uebung fehlte mir aber auch die zu einer bessern Lösung der Aufgabe nöthige Zeit. Mit an der Spitze eines umfangreichen Geschäfts stehend, konnte ich nur die wenigen Stunden der Muße und die sonst der Erholung bestimmte Zeit zuerst auf die Lektüre der Tausende von Briefen sowie der einschlagenden Literatur, dann auf die Ausarbeitung verwenden. So habe ich auf dem Comptoir und zu Hause, auf dem Redactionsbureau und auf dem Reichstage, namentlich aber auf Erholungsreisen, in Dresden und Thüringen, im Seebade auf der Insel Wight und der Insel Sylt, seit Jahren fast jede freie Stunde, seltener einige Wochen, der Arbeit gewidmet. Eine zusammenhängende längere Zeit ausschließlich für sie zu gewinnen war mir unmöglich. * * * * * Meine nächste Absicht war ferner nur die: den Mitgliedern der Familie sowie den Angehörigen und Freunden unserer Firma ein Lebensbild von Friedrich Arnold Brockhaus darzubieten, aus seinen und aus den an ihn gerichteten Briefen das nach meiner Ansicht Wesentliche und Charakteristische mitzutheilen, und nur so viel, als zum bessern Verständniß desselben ganz nothwendig erschien, hinzuzufügen. Erst während der Arbeit gewann ich die Ansicht, daß meine Mittheilungen doch auch für weitere Kreise, zunächst für den deutschen Buchhandel, Interesse haben könnten, und ich entschloß mich deshalb, sie nicht, wie anfänglich beabsichtigt, blos als Manuscript für die Familie und für Freunde drucken zu lassen, sondern sie auch allgemein zugänglich zu machen. Ich hoffe damit zugleich meinerseits eine Anregung zu geben, daß auch andere Buchhandlungen künftig mehr als bisher Mittheilungen aus ihren Geschäftspapieren als Beiträge zu einer leider noch nicht geschriebenen Geschichte des deutschen Buchhandels veröffentlichen. Manche der abgedruckten Briefe und andern Actenstücke sowie die mit möglichster bibliographischer Genauigkeit angefertigten Uebersichten über die Verlagsthätigkeit meines Großvaters dürften wol auch auf ein literarhistorisches Interesse Anspruch machen. Bei letztern hat mir besonders der gleichzeitig mit diesem Buche von meinem Vater herausgegebene chronologische Katalog der von 1806 bis 1872 im Verlage der Firma F. A. Brockhaus erschienenen Werke, mit biographischen und literarischen Notizen, treffliche Dienste geleistet. * * * * * Was die bei meiner Arbeit befolgte Methode betrifft, so habe ich es mir zur Pflicht gemacht, die Auszüge aus Briefen und andern Aufzeichnungen meist mit den Worten der Verfasser wiederzugeben, nicht in Bearbeitung. Dieser wichtigste Bestandtheil der Arbeit ist von meinen mehr als verbindendes Glied dienenden Bemerkungen auch äußerlich durch den Druck unterschieden. Ich weiß, daß von Vielen die entgegengesetzte Art, die Verarbeitung von Briefen und sonstigen Actenstücken zu einer selbständigen neuen Schöpfung des Biographen, vorgezogen wird. »Friedrich Perthes' Leben« von dessen Sohne Clemens Theodor Perthes ist das mustergültige Beispiel einer in dieser Weise ausgeführten Biographie. Allein abgesehen davon, daß eine solche Behandlung einen Meister der Biographie verlangt, als welcher sich der Verfasser jenes Werks bewährt und dasselbe zu einer Zierde unserer Literatur gemacht hat, gestattete mir schon die Beschaffenheit meines Materials ein ähnliches Verfahren nicht. Aus manchen Lebensperioden meines Großvaters, zum Theil den wichtigsten, war so gut wie nichts vorhanden, über seine Jugend und sein erstes Mannesalter wesentlich nur ein von ihm selbst verfaßter Rückblick, während aus andern Jahren wieder zahlreichere Mittheilungen vorlagen. So blieb mir nach reiflicher Prüfung nichts Anderes übrig, als das Wenige, was ich fand, möglichst vollständig und wortgetreu zu veröffentlichen. Daraus erklärt und entschuldigt sich auch die größere Ausführlichkeit mancher minder wichtiger, die verhältnismäßige Kürze anderer wichtigerer Abschnitte. Da ich den Namen Friedrich Perthes genannt habe, kann ich es mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß der hundertjährige Geburtstag beider Männer beinahe zusammenfällt und daß ich diese Zeilen zum Gedächtniß von Friedrich Arnold Brockhaus gerade an dem hundertjährigen Geburtstage von Friedrich Perthes niederschreibe. Perthes und Brockhaus gehören unzertrennlich zueinander als zwei Männer, auf die der deutsche Buchhandel gleichmäßig stolz sein kann. Wie in ihrer Geburt, so berührten sie sich auch vielfach in ihrem Leben und Wirken als Buchhändler und als deutsche Patrioten; wie sie persönlich nahe befreundet waren, werden auch nach dem Tode ihre Namen zusammen fortleben. Daß ich in dem von mir Geschilderten nicht allein den Gründer unserer Firma, sondern auch meinen Großvater verehre, hat mich nicht abgehalten, die erste Pflicht jedes gewissenhaften Biographen: immer die Wahrheit und zwar die volle Wahrheit zu sagen, auszuüben und obenan zu stellen. Ich habe dies auch in solchen Fällen gethan, wo die Erfüllung dieser Pflicht mir nicht leicht wurde, und alle entgegenstehenden Bedenken fallen lassen. Auch Privatverhältnisse glaubte ich nicht übergehen oder mich auf bloße Andeutungen darüber beschränken zu dürfen, wenn ihre Vorführung zur Schilderung des äußern Lebens oder zur Charakterisirung wesentlich erschien. Auch einen andern Fehler, in den häufig Biographen verfallen, bin ich bestrebt gewesen zu vermeiden: den von mir oft empfundenen Uebelstand, daß der Geschilderte lediglich verherrlicht und als Mittelpunkt der ganzen Zeit, in der er gelebt und gewirkt, hingestellt wird. * * * * * Nur die Hälfte meiner Arbeit lege ich gegenwärtig vor und habe sie als ersten Theil bezeichnet, da sich während der Abfassung und nach schon begonnenem Drucke bald die Unthunlichkeit herausstellte, das Ganze in einem Bande und zu dem gebotenen Termine zu vollenden. Dieser erste Theil schildert das Leben von Friedrich Arnold Brockhaus bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig und zwar zunächst die Jugend und sein erstes Wirken in Dortmund, dann die Zeit in Amsterdam, darauf die Zwischenperiode vor seiner Niederlassung in Altenburg, endlich die in Altenburg verlebten Jahre. Das beigegebene Bildniß ist nach einem von dem Maler Vogel von Vogelstein in Dresden gezeichneten Porträt gestochen, das als sehr getroffen gilt. Der zweite Theil ist dem leider nur sehr kurzen Wirken des Verewigten in Leipzig gewidmet und soll außer seiner dort entwickelten lebhaften Verlagsthätigkeit auch die zahlreichen literarischen Streitigkeiten schildern, in die er damals verwickelt wurde, seine Kämpfe gegen den Nachdruck und für eine gesetzliche Regelung der deutschen Preßgesetzgebung, die durch eine Recensur seines Verlags in Preußen entstandenen Schwierigkeiten, endlich die letzte Lebenszeit. Diesen zweiten Theil hoffe ich dem ersten bald folgen lassen und damit das Werk vollständig vorlegen zu können. * * * * * Zum Schluß fühle ich noch die Verpflichtung, allen Denen zu danken, die mich durch Ueberlassung von Briefen, durch Ertheilung von Auskünften oder in anderer Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Ihre Zahl ist so groß, daß ich darauf verzichten muß, ihnen hier einzeln meinen Dank auszusprechen. Freilich kann ich aber auch nicht umhin, zugleich der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß mir aus Anlaß der Veröffentlichung dieses ersten Theils noch manche werthvolle Beiträge zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken zufließen werden. Diese Ergänzungen sowie jede Berichtigung meiner Darstellung werde ich auf das gewissenhafteste und dankbarste benutzen. * * * * * Ich empfehle meine Arbeit dem Wohlwollen und der Nachsicht meiner Leser. #Leipzig#, 21. April 1872. _Dr._ Heinrich Eduard Brockhaus. Inhalt des ersten Theils. #Vorwort# V #Erster Abschnitt.# Anfänge. 1. Vorfahren. 3 2. Jugendzeit und erstes Mannesalter. 14 3. Der Hiltrop'sche Proceß. 21 4. Ein Rückblick. 33 #Zweiter Abschnitt.# In Amsterdam. 1. Kaufmännische Thätigkeit. 41 2. Errichtung einer Buchhandlung. 49 3. Erste journalistische Verlegerthätigkeit. 60 4. Weitere Verlagsthätigkeit. 83 5. Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. 101 6. Zerwürfnisse mit Baggesen. 121 #Dritter Abschnitt.# Von Amsterdam nach Altenburg. 1. Ende des amsterdamer Aufenthalts. 155 2. Vier Monate in Leipzig. 181 3. Beziehungen zur Hofräthin Spazier. 190 4. Abschluß der amsterdamer Zeit. 223 #Vierter Abschnitt.# In Altenburg. 1. Neues Leben. 251 2. Neue Verlagsthätigkeit. 270 3. Die »Deutschen Blätter«. 306 4. Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. 356 Erster Abschnitt. Anfänge. 1. Vorfahren. Die Familie, welcher Friedrich Arnold Brockhaus entstammt, gehört Westfalen an, wo sie sich durch zwei Jahrhunderte verfolgen läßt; sie ist dort noch jetzt in mehrern Zweigen vertreten, während er selbst und die von ihm gegründete Firma sich in Leipzig niedergelassen haben. Die Vorfahren von Friedrich Arnold Brockhaus waren fast sämmtlich geistlichen Standes, und unter ihnen befindet sich eine Reihe verdienter evangelischer Pastoren; auch viele Glieder der in ihrem Vaterlande gebliebenen Zweige der Familie haben sich diesem Berufe wieder gewidmet. Der Erste des Namens Brockhaus, von dessen Leben etwas bekannt ist, war Adolf Heinrich Brockhaus, Pastor zu St.-Thomä in Soest, geboren in Altena (einer kleinen Stadt im westfälischen Sauerlande, nahe bei Lüdenscheid), 1699 ordinirt und 25 Jahre lang, bis 1724, in seinem Amte wirkend. Im Kirchenbuche wird gesagt, daß er ein sehr tüchtiger, fleißiger, ehrsamer, von Allen geliebter Pastor war und an seiner Beerdigung die ganze Gemeinde theilnahm. Er war verheirathet mit Margarethe Katharine Sybel, einer alten Predigerfamilie in Soest angehörend, mit welcher die Familie Brockhaus noch mehrfach in Verwandtschaftsverhältnisse trat. Aus früherer Zeit ist über die Familie nichts Sicheres zu erfahren, da die ältern Kirchenbücher von Altena nicht mehr vorhanden sind. Wir wissen deshalb auch nicht, ob die Familie schon länger in Altena lebte oder von anderswoher dahin gekommen war. In Altena wird zwar noch ein Vorfahr, Eberhardt Brockhaus aus Unna, seit 1665 als Vicar (zweiter Prediger) genannt[1]; aber auch über ihn und seine Verwandtschaft mit dem Pastor Adolf Heinrich ist nichts bekannt. Nach Familientraditionen sollen die Vorfahren schon seit den Anfängen der Reformation lutherische Prediger in Westfalen gewesen sein. * * * * * Mit dem bekannten holländischen Philologen und Dichter Brockhusius (eigentlich Jan van Broekhuizen, gewöhnlich Janus Broukhusius genannt), geb. 20. November 1649 zu Amsterdam, gest. 15. December 1707, scheint die westfälische Familie Brockhaus in keinem Zusammenhang zu stehen. Die vielfach verbreitete Annahme, daß dies der Fall sei, beruht außer auf der Aehnlichkeit beider Namen wahrscheinlich nur darauf, daß Friedrich Arnold Brockhaus eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hat. Mit dem Geschlechte der Erp oder Erpp von Brockhauß (auch Brockhuß und Brockhausen geschrieben) läßt sich ebensowenig eine Verwandtschaft nachweisen, obwol sie wahrscheinlich ist, da diese Familie gleichfalls aus Westfalen zu stammen scheint. Der Bekannteste aus derselben ist Simon Anton Erp von Brockhauß oder Brockhausen, geb. 14. Mai 1611 zu Lemgo, 1647 Professor der Rechte am Gymnasium zu Bremen, 1650 Rathsherr, 1665 Gesandter auf dem Reichstage zu Regensburg, später Bürgermeister von Bremen, gest. 18. November 1682.[2] Auf dem Titel seiner 1640 in Helmstedt gedruckten Doctordissertation: »_De litis contestatione_«, ist er ausdrücklich als Westfale bezeichnet. Nach mehrern auf der Bibliothek zu Bremen aufbewahrten Fliegenden Blättern hieß sein Vater Johann Erp von Brockhauß und war »_Utriusque juris Doctor_, der fürstlichen Aebtissin zu Hervord, Gräflich Bentheim-Tecklenburg'scher und Lippe'scher Geheimrath und Hofgerichtsassessor«, sein Großvater Tilemann Erp von Brockhauß war »Hochgräflich Hoy'scher und Lippe'scher Geheimrath und Drost zu Hoya, Ucht und Freudenberg«. Jahreszahlen sind bei Beiden nicht angegeben. Simon Anton hinterließ keine Söhne, nur zwei Töchter, sodaß mit ihm der Mannesstamm erlosch. Dagegen ist auf einer juristischen Dissertation aus Helmstedt: »_De nuptiis_«, 1654 gedruckt, als Verfasser Anton Christian Erp Brockhuß genannt, mit dem Zusatz _Old._ (aus Oldenburg), jedenfalls der Abkömmling eines andern oldenburger Zweigs der Familie. In keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der westfälischen Familie Brockhaus scheint das pommersche Geschlecht Brockhausen zu stehen, das in alten Urkunden Brockhuß, später aber auch Bruckhausen und Brockhusen geschrieben wird. Der erste 1511 urkundlich Genannte dieses Geschlechts ist Jürgen Brockhuß zu Groß-Justin im Kreise Cammin. Ein Nachkomme desselben war der preußische Staatsminister Karl Friedrich Christian Georg von Brockhausen (gest. 1829). * * * * * Ein Sohn des zuersterwähnten Pastors zu St.-Thomä in Soest, ebenfalls mit Namen Adolf Heinrich Brockhaus, wurde 1740 von einer andern Gemeinde der Stadt Soest, der zu St.-Walpurgis, zum Pastor gewählt. Seine Tochter Josina verheirathete sich mit einem Pastor Sybel in Soest; ihr Enkel ist der Geschichtschreiber Heinrich von Sybel in Bonn. Ein anderer, wahrscheinlich älterer Sohn des Pastors zu St.-Thomä, Johann Diederich Melchior Brockhaus, geb. 1. Februar 1706, wurde mit 23 Jahren, am 1. December 1728, zum Pastor in Meyerich bei Kirch-Welver erwählt (beide Orte liegen zwischen Soest und Hamm, das Dorf Meyerich westlich, die Kirche zu Welver östlich, von schönem Eichenwald umgeben; in Meyerich befindet sich das Pfarrhaus, während die Kirche der Gemeinde in Welver steht). Er starb 70 Jahre alt, am 16. November 1775, nachdem er sein Amt 47 Jahre lang bekleidet hatte. Johann Diederich Melchior Brockhaus hat in dem Kirchenbuche von Welver außer den kirchlichen Notizen hier und da besondere Ereignisse aus seiner amtlichen Thätigkeit verzeichnet, die ihn selbst trefflich charakterisiren und zugleich als interessante Beiträge zur Zeit- und Sittengeschichte aufbewahrt zu werden verdienen. Die erste und ausführlichste Mittheilung, durch die Ueberschrift »_In memoriam successorum_« als ein Fingerzeig für seine Amtsnachfolger bezeichnet, betrifft einen Conflict des eifrig protestantisch gesinnten Pastors mit einem katholischen Kloster. Dieses, ein Nonnenkloster, befand sich ganz in der Nähe der Kirche zu Welver, und seine Nachbarschaft scheint dem würdigen Pastor Melchior viel Sorge und Kampf bereitet zu haben. Ueber die kirchlichen Verhältnisse daselbst sagt ein competenter Geschichtschreiber[3]: Die Reformation ward in Welver definitiv im Jahre 1565 eingeführt. Freilich werden schon vorher evangelische Prediger genannt; allein die Gemeinde war erst seit dem genannten Jahre dem evangelischen Bekenntniß entschieden zugethan. Nur das in Welver befindliche freiadeliche Cistercienserinnenkloster, welches über die Pfarrei das Collationsrecht hatte, blieb katholisch. Der evangelischen Gemeinde erwuchsen hieraus oft die schwersten Bedrängnisse. Namentlich hatte dieselbe zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden, indem ihr durch Militärgewalt die Kirche entzogen und in derselben der katholische Gottesdienst restaurirt wurde. Doch bald nach dem Friedensschluß wurde am 19. December 1649 auf Befehl des Kurfürsten Friedrich Wilhelm durch den Drosten von Neuhoff zu Altena und den Richter _Dr._ Zahn zu Unna unter Hinzuziehung des Magistrats von Soest den Evangelischen die Pfarrkirche wieder überwiesen. Späterhin machte das Kloster wiederholt den Versuch, durch seinen Beichtiger in der Gemeinde Parochialhandlungen verrichten zu lassen. Ein hierdurch veranlaßter heftiger Rechtsstreit wurde endlich durch ein Decret vom 1. September 1709 dahin entschieden, daß dem Kloster nur das Recht, innerhalb seiner Ringmauern (aber nicht außerhalb derselben) Ministerialhandlungen verrichten zu lassen, zuerkannt wurde. Aus Anlaß dieser Verhältnisse entstanden natürlich häufige Reibungen zwischen dem evangelischen Pastor und der Aebtissin des katholischen Klosters. Die erwähnte eigenhändige Mittheilung des Pastors Melchior lautet: Nachdem der zeitige evangelisch-lutherische Prediger zu Welver, Johann Diederich Melchior Brockhaus, vernommen, daß die Nonnen zu Welver bei ihrer abgöttischen Procession ihre Knechte pflegten zu gebrauchen, daß sie den sogenannten Himmel (worunter das _abominabile_[4] getragen wird) und die Fahnen (die vorhergetragen werden) müssen tragen, und _anno_ 1732 vier lutherische Knechte aus hiesiger Gemeinde im Kloster wohnen, so habe ich als ihr Seelsorger dieselben Knechte zu vier verschiedenen Malen gewarnt, sich dieser Abgötterung nicht theilhaftig zu machen, auch bedroht, daß ich sie im Contraventionsfalle ohne vorhergehende Kirchenbuße nicht zum heiligen Nachtmahl administriren würde, nämlich 1) _privatim_, 2) im Beichtstuhl, 3) ordentlich auf der Kanzel _Dom. VI. p. pascha_ und 4) am heiligen Pfingsttage nach der Nachmittagspredigt auf der Kanzel. Demungeachtet aber hat die damalige unruhige _abdissin Biscopime_ zwei von diesen Knechten durch 4 Butten Bier dazu _persuadirt_ oder gezwungen (wie so hernach _coram protocollo ecclesiastico_ gestanden), daß Einer die Fahne, die Anderen den blauen Himmel tragen sollten und sind vor der _monstrance_ in die Knie gefallen. Wie ich nun am folgenden Sonntage die Bosheit dieser Knechte öffentlich bestrafte und sie 2 mal ins Kirchengebet geschlossen, schickte die verwegene _abdissin_ 3 Kerls zu mir ins Haus und ließ mich fragen, warum ich gegen ihre Knechte so scharf gepredigt. Darauf ich aber die Antwort gab, sie sollten den Nonnen wiedersagen, sie haben sich um mein Amt gar nicht zu kümmern und wäre ich allein verbunden Gott und unserm Könige Rechenschaft davon zu geben. Darauf fragte ich die 3 Kerls, wie sie daran kämen, daß sie mich in meinem Hause zur Rede stellten, nahm den Besen und jagte sie zum Hause heraus. Wie nun nach einiger Zeit die Knechte zum heiligen Abendmahl gingen, mußten sie sich erst ordentlich durch die Kirchenbuße mit der Gemeinde aussöhnen. Darauf wurde nun diese Sache in _Cleve_ anhängig gemacht, da denn sowohl an den Großrichter, als an den _Magistrath_ ein _rescript_ kam, die Sache genau zu untersuchen und die _interessirten persohnen_ eidlich abzuhören, damit die _abdissine_ sich nicht zu beschweren habe. Wie nun kurz darauf diese unruhige _abdissine_ wegging und ich bei _Installation_ der neuen _abdissine_ ins Kloster zu Meßen genöthigt wurde, begehrte der Praelate von Campen nebst den Nonnen von mir, daß ich mich doch bemühen möchte, die Sache gütlich abzuthun. Die vorige _abdissine_ sei eine unruhige Persona gewesen, sie wollten dergleichen nicht wieder anfangen. Darauf antwortete ich ihnen, wenn sie mir die Kosten wollten wiedergeben, die an diesen _process_ gelegt, und daß sie es nicht wiederthun wollten, könnte die Sache liegenbleiben. Kurz darauf haben sie mir 10 Reichsthaler rechtlich ausbezahlt. Nach einer Küsterwahl, die nicht nach seinem Willen erfolgte, schreibt Pastor Melchior ins Kirchenbuch: Wenn nun dieser junge Mensch seinem Amte keine Genüge thun sollte und sonderlich die Jungens in der _information_ versäumen, so fordere ich, daß die Verwahrlos'ten von meinen Händen nicht gefordert werden. Dem allwissenden Gott, wie auch meiner ganzen Gemeinde ist bekannt, daß ich auf ein tüchtiges _subjectum_ sehe, nämlich auf den Schulmeister in _Catrop_. Ich habe aber der Gewalt weichen müssen. Was nun verwahrlos't und versäumt wird, das kommt auf die Menschen, welche diesem jungen Menschen dazu behülflich gewesen. Bei einer andern Küsterwahl trägt der Pastor mit Stolz ins Kirchenbuch ein, daß er das katholische Kloster durch ein drastisches Mittel, wie er sie überhaupt geliebt zu haben scheint, verhinderte, an derselben theilzunehmen: Das Kloster schickte (wie das wohl geschehen sollte) den Vogt in die evangelische Kirche, daß er im Namen des Klosters votiren sollte. Ich fragte ihn, was er wollte? Nichts. Darauf nahm ich den Chorstock[5] und trieb ihn vor mir her zum großen Gelächter der ganzen Gemeinde aus der Kirche und ließ die Kirche zuschließen. Ist also dieser Küster ohne _consens_ und _collation_ des Klosters erwählt, es ist auch bei der Wahl Niemand vom Rathhause zugegen gewesen; auch über 1½ Jahr von mir allein in Gegenwart des Lehnherrn auf dem Chor eingeführt und ist kein Vogt dabei gewesen. Endlich hat der Pastor Melchior auch einen geheimnißvollen Vorfall verzeichnet, ohne hinzuzufügen, was er selbst davon halte: 1757, den 7. October, hat sich des Abends um 7 Uhr Folgendes in unserer Kirche zugetragen. Wie die Fräuleins des Klosters Welver um bemerkte Zeit in ihre Kirche gehen wollten, sehen sie, daß es in unserer Kirche helle ist. Wie sie nun vermuthen, es möchten Diebe in der Kirche sein, müssen nicht nur alle Bediente des Klosters, sondern auch die Leute, so zu Welver am Kirchhofe wohnen, unsere Kirche besetzen. Die auch sämmtlich das Licht in unsrer Kirche gesehen. Wie nun der Küster gezwungen wird, die Kirche zu öffnen, ist das Licht auf einmal verschwunden. Die Leute sind durch die ganze Kirche gegangen, ob etwas darin wäre, haben aber nichts verspürt. Ob nun dieses eine Vorgeschichte ist, ob und wann es soll erfüllt werden, wird die Zeit lehren; Gott wende Alles zum Besten. Einige nähere Lebensumstände dieses Mannes, des Großvaters von Friedrich Arnold Brockhaus und jedenfalls des hervorragendsten unter dessen Vorfahren, sind durch ein altes Buch erhalten, in das er außer seinen Ausgaben (aus deren Verzeichnung hervorgeht, daß er auch ein tüchtiger Oekonom und guter Haushalter war) dann und wann Nachrichten über seine Erlebnisse einschrieb.[6] Pastor Melchior verzeichnet darin zunächst den Tag seiner Geburt und Taufe und macht bei Nennung eines seiner Pathen, einer adelichen Dame, die Bemerkung: »welche aber nach der Zeit zum _pabtum_ abgefallen und ihren eigenen Taufbund gebrochen«. Dann fährt er fort: Gott gebe, daß mein nahme im Himmel unter der Zahl der außerwehlten auch möge angeschrieben stehen. Habe Dank, Du frommer Gott, daß Du mich wunderbarlich im mutterleibe gebildet, mit einer vernünftigen Seele und gesunden Gliedmaßen von frommen Eltern hast lassen gebohren werden und sonderlich in der heiligen Taufe einen ewigen Bund mit mir gemacht. Gib gnade, mein Gott, daß ich in diesem Bunde leben, leyden und sterben möge. Darauf erwähnt er seiner Studienzeit. Er ging im Februar 1724 (also 18 Jahre alt) nach Halle, aber schon am 6. Juli dieses Jahres nach Jena: »weil mir die _collegia theologica_ in Halle nicht anstehen wollten«; von da reiste er am 2. August 1726 nach Leipzig und kam am 20. August 1727 über Frankfurt a. M., Köln und Altena (wo er einmal predigte, wahrscheinlich weil diese Stadt der Geburtsort seines inzwischen als Pastor in Soest verstorbenen Vaters war und dort noch Verwandte von ihm lebten) nach Hause zurück. Er machte sein Examen und predigte mehrmals, bezog indeß im Sommer 1728 nochmals die Universität Halle »wegen des königlichen Befehls, daß niemand sollte befördert werden, der nicht zuletzt in Halle studirt«. Am 28. August 1728 wieder in Soest angelangt, wurde er am 1. December zum Prediger nach Meyerich berufen, am 8. examinirt, am 9. ordinirt und am 12. December installirt. Ueber seine Studienzeit schreibt er folgende Selbstanklage nieder, die indeß gleich der folgenden wol nicht ganz wörtlich zu nehmen ist: Wie ich nun mein Universitätsleben zugebracht, ist dem allwissenden Gott am besten bekannt. Viel gutes habe ich daselbst gelernt, aber auch durch Müßiggang, Verschwendung und auf andere Gott allein bewußte Weise mich schwerlich versündiget. Ach Gott, wenn mir das kömmet ein, Was ich mein Tage u. s. w. Dann fährt er fort, nach Erwähnung seiner Anstellung: Ob es mir nun gleich an genugsamer geschicklichkeit fehlet, ich auch leyder sonderlich im Anfang meines ambtes Vieles versehen und also Blutschulden auf meine arme Seele geladen (!), so verspreche ich doch inskünftige zu verbessern, was ich bißanhero versehen habe, und glaube festiglich, daß mein getreuer Erlöser _Jesus Christus_ mit seinem theuern Blut meine Blutschulden tilgen werde. Die übrigen Notizen des Tagebuchs beziehen sich meist auf Ereignisse in seiner Familie. Er war dreimal verheirathet und hatte funfzehn Kinder (sechs Söhne und neun Töchter), von denen neun noch vor ihm starben, meist in sehr zartem Alter. Seine erste Frau starb im ersten Wochenbett und zwar, wie er bemerkt: »an eben dem Tage und in eben der Stunde, darinnen wir vorm Jahre waren copuliret; so war sie auch an eben demselben Tage vor 25 Jahren gebohren«; er fügt hinzu: »Gott gebe allen frommen Christen eine solche dreifach glückselige Stunde!« Mit seiner zweiten Frau, Maria Elisabeth, Tochter des Pastors Hennecke in Soest, war er fast zwanzig Jahre verheirathet und sie wurde die Mutter von zehn Kindern, darunter die beiden Söhne, die seinen Namen fortpflanzten. Zum dritten male verheirathete er sich in seinem funfzigsten Jahre mit Klara Dorothea Quante und lebte mit ihr ebenfalls fast zwanzig Jahre, bis an seinen Tod (1775), während seine Witwe, die ihm vier Kinder geboren hatte, erst 1808, 83 Jahre alt, starb. Noch einige Aeußerungen des Pastors Melchior in seinem Tagebuche seien zu seiner Charakterisirung hier verzeichnet. Beim Verlust eines dreijährigen Töchterchens schreibt er: Mein halbes Herz ist mit ihr in die Erde gescharrt. Gott gebe, daß wir in kurzer Zeit im Himmel uns mögen wiedersehen. Amen, Amen, komm du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange, Deiner warte ich mit Verlangen. Und bei einem ähnlichen Verluste: Der Herr bescheere mir ein baldiges freudiges Wiedersehen dieses und meiner übrigen in der Herrlichkeit triumphirenden Kinder, nach seinem gnädigen Willen. _Dulce meum terra tegit._ Ich habe hier wenig guter Tag u. s. w. Kaum 30 Jahre alt, wurde er von heftigen Leiden am Fuße heimgesucht; diese verloren sich nach einigen Jahren und er erreichte dann das Alter von 70 Jahren. Während seiner Leiden schreibt er einmal: Doch ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, der Herr wirds wohl machen! Ich werde doch gewiß endlich, wo nicht in dieser Zeit doch gewiß in der ewigkeit zu Gottes größe sagen: der Herr hat alles wohl gemacht! Und nach seiner Genesung schreibt er: Gelobet sei der Herr täglich, Er leget uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Der unmittelbare Amtsnachfolger dieses ersten Pastors in Meyerich war sein zweiter Sohn Ludolph Wolrath (oder Wohlrath) Arnold Brockhaus, geb. am 6. September 1744, eine Zeit lang Lehrer am Gymnasium zu Soest, zum Pastor in Meyerich erwählt am 26. December 1775, also kaum sechs Wochen nach dem Tode seines Vaters. Er trat sein Amt 1776 am Sonntage Sexagesimä (11. Februar) an und bekleidete es 46 Jahre lang, bis 1822, wo er es, 78 Jahre alt, wegen Altersschwäche niederlegte; er starb am 6. Februar 1823. Diese beiden Pastoren, Vater und Sohn, haben also zusammen fast ein volles Jahrhundert (93 Jahre lang) derselben Gemeinde vorgestanden. Sie sind auch Beide in der kleinen Kirche zu Welver beerdigt, wo ihre Grabstätten durch Leichensteine bezeichnet sind. Zu ihrem Gedächtniß hat Heinrich Brockhaus (der zweite Sohn von Friedrich Arnold) im Jahre 1869 der Kirche zu Welver ein von Professor Andreae in Dresden gemaltes Altarbild geschenkt. Der zweite Pastor zu Meyerich, Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, hatte zwei Söhne, die sich beide gleichfalls dem geistlichen Berufe widmeten und zwar nicht in Meyerich, aber in andern westfälischen Gemeinden angestellt wurden: Ludolph Brockhaus, geb. am 28. September 1778, Pastor in Lüdenscheid, und Theodor Brockhaus, geb. am 18. Mai 1780, Pastor in Kierspe; Söhne und Enkel von ihnen wirken noch jetzt als Pastoren in westfälischen Gemeinden. * * * * * Ein zweiter Sohn des ersten Pastors zu Meyerich, der ältere Bruder des zweiten Pastors (die übrigen vier Söhne waren noch als Kinder gestorben) wurde der Stammvater des nicht-theologischen, kaufmännischen und buchhändlerischen Zweigs der Familie Brockhaus. Es war dies der Vater von Friedrich Arnold Brockhaus, Johann Adolf Heinrich (oder Henrich) Brockhaus, geb. zu Meyerich am 21. Mai 1739. Derselbe erlernte die Handlung in Hamm und zog dann nach der damals Freien Reichsstadt Dortmund, wo er 1767 Katharina Elisabeth Davidis (geb. am 22. März 1736), Witwe des _Dr. med._ Kirchhoff, heirathete und ein Materialwaarengeschäft begründete. Er war Mitglied des Raths und überhaupt in seiner Vaterstadt angesehen, wo er am 26. März 1811 starb. Johann Adolf Heinrich Brockhaus hatte zwei Söhne, die er für seinen Beruf, den kaufmännischen, bestimmte. Der ältere, Gottlieb Brockhaus, geb. am 4. September 1768, übernahm das väterliche Geschäft und blieb bis an sein Lebensende (30. Mai 1828) in Dortmund. Der jüngere Sohn war Friedrich Arnold Brockhaus, dessen Leben und Wirken die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. 2. Jugendzeit und erstes Mannesalter. Friedrich Arnold Brockhaus wurde zu Dortmund am 4. Mai 1772 geboren. Nach dem Kirchenbuche der evangelischen Sanct-Reinoldi-Kirche daselbst (bei welcher sein Vater das Amt eines Diakonen bekleidete) erhielt er in der am 8. Mai im Hause des Predigers Mellmann vollzogenen Taufe die Namen David Arnold Friederich, doch scheint er den erstern Vornamen nie geführt zu haben und die beiden andern gebrauchte er in umgekehrter Reihenfolge; sein Rufname war Arnold. Taufzeugen waren: David Friedrich Davidis, Subdelegatus und Pastor zu Wennigern (wahrscheinlich der Bruder seiner Mutter), Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, Lector an dem Gymnasium zu Soest (der spätere Pastor zu Meyerich, ein jüngerer Bruder seines Vaters) und Jungfrau Maria Elisabeth Davidis (vermuthlich eine Schwester seiner Mutter). Seine Jugendzeit verlebte er in Dortmund. Für den Kaufmannsstand, zu dem ihn sein Vater bestimmt hatte, zeigte er anfangs keine besondere Neigung, dagegen von frühester Jugend an das lebhafteste Interesse für die Literatur. Sein Vater suchte diese Neigung auf alle Art zu unterdrücken und stellte ihn deshalb, während er ihn das dortige Gymnasium besuchen ließ, in den Freistunden in seinem Verkaufsladen mit an. Mit 16 Jahren, 1788, gab er ihn nach Düsseldorf in die Lehre zu einem Kaufmanne Namens Friedrich Hoffmann, bei dem er die »Handlung« erlernen sollte. Dieser Aufenthalt dauerte fünf bis sechs Jahre und wurde von dem jungen Manne gut benutzt, sodaß ihn sein Principal trotz seiner Jugend bald zu größern Handlungsreisen verwendete und ihm nach und nach die wichtigsten Arbeiten übertrug. Derselbe scheint selbst die Absicht gehabt zu haben, ihn zu seinem Compagnon zu machen, und mit seiner Nichte, Maria Siebel, zu verheirathen; doch kam es zu einem Zerwürfniß zwischen Principal und Gehülfen, und Brockhaus verließ infolge dessen seine Stellung in Düsseldorf. Mit 21 Jahren, 1793, ins älterliche Haus nach Dortmund zurückgekehrt, wo inzwischen (am 15. August 1789) seine von ihm stets hochverehrte Mutter gestorben war, wurde er vom Vater wieder in dessen Materialwaarenhandlung beschäftigt, fand aber an dem Verkehr mit den nach der Stadt kommenden Bauern, dem Abwiegen von Kaffee und Zucker begreiflicherweise jetzt noch weniger Gefallen als früher. Er hatte auf seinen Geschäftsreisen weitere Gesichtspunkte erhalten, die ihm die kleinbürgerlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und das Detailgeschäft seines Vaters verleideten; er fühlte, daß ihm für seinen künftigen Beruf als Kaufmann -- denn mit diesem schien er sich jetzt doch ausgesöhnt zu haben -- noch Vieles fehle, was er in Dortmund nicht erlernen könne, und bat deshalb den Vater, ihn in die Fremde ziehen zu lassen. Und welchen Ort wählte er aus? Keinen andern als den Schauplatz seiner spätern Hauptwirksamkeit als Buchhändler: Leipzig. Freilich dachte er dabei wol nicht an den Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, sondern an die Handelsstadt, an die berühmten leipziger Messen, die auch von den dortmunder Kaufleuten regelmäßig besucht wurden. Aber gewiß hatte Leipzig als Buchhändlerstadt für ihn noch einen besondern Zauber, und daß dort zugleich eine Universität war, fiel auch mit in die Wagschale. Ja nach seinen eigenen Aeußerungen scheint es, daß er geradezu die Absicht hatte, auf der dortigen Universität zu studiren. Der Vater gab den Bitten des Sohnes nach. Vielleicht hatte er auch noch einen besondern Grund, den Sohn für einige Zeit aus Dortmund zu entfernen: ein Liebesverhältniß des Sohnes, das fast ein tragisches Ende genommen hätte. Als der einundzwanzigjährige Jüngling aus der düsseldorfer Lehre zurückkehrte, traf er im älterlichen Hause eine Cousine aus dem benachbarten Soest, die Tochter der an einen dortigen Kaufmann verheiratheten Schwester seines Vaters, von dem Onkel zum längern Besuch eingeladen. Die beiden jungen Leute fanden aneinander Gefallen und besonders schien der junge Mann, der unter seinen Altersgenossen durch lebhaften Geist, höhere Bildung und Interesse an Kunst und Literatur hervorragte und viel von Düsseldorf und seinen Reisen zu erzählen wußte, einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des in den einfachsten Verhältnissen aufgewachsenen Mädchens zu machen. Nach ihren eigenen Erzählungen in spätern Lebensjahren sprudelte er damals von Frohsinn und Lebensmuth über und hatte stets ein französisches Chanson auf der Zunge. Sein Vater war natürlich der Ansicht, daß der Sohn noch nicht ans Heirathen denken dürfe, und schritt energisch ein. Das Mädchen nahm sich die Sache sehr zu Herzen: sie stürzte sich aus Verzweiflung in den offenen Brunnen auf dem dortmunder Markte! Glücklich gerettet und zu ihren Aeltern nach Soest gebracht, zog sie sich bald tiefsinnig in ein dortiges Frauenstift zurück; später, nach Auflösung der Klöster und Stifter unter Napoleon's Herrschaft, trat sie indeß ins bürgerliche Leben zurück und heirathete 1809 (also erst in reiferm Alter, 16 Jahre nach dem Liebesverhältniß mit dem jungen Vetter) einen Kaufmann in Soest, wo sie 1843 starb. In ihrem Alter weilte sie immer gern bei der Erinnerung an jene Zeit und erkundigte sich mit Interesse nach allen Verhältnissen ihres verstorbenen Vetters. Wie auf diesen die vom Vater getroffene Entscheidung, die Verzweiflungsthat des Mädchens und ihr Schicksal eingewirkt, ist uns nicht bekannt. In spätern Jahren erkundigte auch er sich oft nach seiner Cousine, ohne sie indeß je wiederzusehen. * * * * * Im Sommer 1793 ging Brockhaus nach Leipzig und blieb dort fast anderthalb Jahre, bis Ende 1794. Mit regem Eifer widmete er sich seiner weitern Ausbildung: der Vervollkommnung in den neuern Sprachen sowie dem Studium der allgemeinen Wissenschaften, obwol er unsers Wissens weder in einem kaufmännischen Geschäft angestellt war, noch sich unter die Studirenden aufnehmen lassen konnte. Von Professoren der Universität, deren Vorlesungen er gehört, nennt er den Philosophen Ernst Platner, den Mathematiker und Physiker Hindenburg und den Chemiker Eschenbach. Auch an dem literarischen und buchhändlerischen Leben Leipzigs nahm er das lebhafteste Interesse. Sehr oft besuchte er unter anderm die Köhler'sche Buchhandlung, mit deren Besitzer er durch die mit diesem nahe befreundete dortmunder Familie Varnhagen in Berührung gekommen war, fleißig die neu erschienenen Bücher durchmusternd. Nur ein einziger Brief von ihm ist aus dieser Zeit erhalten, der aber ein um so merkwürdigeres Actenstück bildet. Es ist dies ein förmlicher Verlagsantrag des noch nicht ganz 22 Jahre zählenden jungen Kaufmanns und Studenten an eine angesehene leipziger Verlagshandlung. Und daß dieser Verlagsantrag kein bloßes Project war, auch keine Gedichtsammlung oder kein Drama, wie sie mancher junge Mann dem Buchhändler als Erstlingswerk anbietet, sondern ein größeres ernstes Werk betraf, geht daraus hervor, daß er dem Briefe einen vollständigen »Plan« des auf 20 Druckbogen berechneten Buchs in Form eines »Prospectus« und sogar einen Theil des fertigen Manuscripts hinzufügt! Der Brief lautet wörtlich folgendermaßen: An die Herren Voß und Comp. Meine Herren! Aus dem auf der andern Seite folgenden Prospectus werden Sie den Plan und aus den beifolgenden acht Bogen Manuscript die Behandlung eines Buchs sehen, das ich diese Ostermesse -- etwa 20 Bogen in 8. stark -- herausgeben möchte. Ich biete es Ihnen zum Verlag an; muß Sie aber ersuchen, mir bis morgen Ihre Entscheidung darüber zukommen zu lassen; -- sollten Sie mündlich mit mir darüber sprechen wollen, so wird mir Ihr Besuch morgen früh in der Zeit von 10-12 Uhr sehr angenehm sein. Den 3. März 1794. Ihr ergebener Diener F. A. Brockhaus. Wohnt in Nr. 75 im Hay'schen Hause auf der Petersstraße bei dem Friseur Dieterich. Die hier erwähnte »andere Seite« dieses Briefs mit dem »Plan« des Werks findet sich leider in dem Archiv der noch jetzt bestehenden Buchhandlung (die den Brief erst vor einigen Jahren auffand und der Firma F. A. Brockhaus freundlich überließ) ebenso wenig, als die acht Bogen des vermuthlich »Manuscript« gebliebenen Manuscripts vorhanden sind; wir würden daraus wenigstens ersehen haben, auf welche Gegenstände die Studien des jungen Autors in Leipzig vorzugsweise gerichtet waren. Vermuthlich ist ihm von Herrn Voß Beides zurückgegeben worden, und wahrscheinlich im Comptoir der Buchhandlung, nicht in seiner Wohnung, wohin er naiverweise seinen künftigen Verleger bestellt hatte. Ueberhaupt ist der Ton des Briefs, die Sicherheit des Auftretens, das Verlangen einer Entscheidung »bis morgen«, die kurze geschäftsmäßige Form charakteristisch für den Briefschreiber. Derselbe mochte damals nicht ahnen (wie es in der Festrede von Heinrich Brockhaus beim funfzigjährigen Jubiläum der Firma F. A. Brockhaus heißt), »daß er selbst und eine von ihm gegründete Buchhandlung im Laufe der Zeiten selbst so viele Verlagsanträge anzunehmen und -- abzulehnen haben würde.« In Leipzig knüpfte er mit dem Vertreter eines Hauses in Manchester an und wurde von diesem gegen Ende 1794 engagirt, einer in Livorno zu errichtenden Filiale jenes Hauses vorzustehen. In Amsterdam sollte er mit dem Engländer zusammentreffen und zuvor wollte er nur seinen Vater in Dortmund begrüßen. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Italien aus und das englische Haus vertagte seinen Plan auf günstigere Zeiten. Ein Anerbieten desselben, inzwischen eine Stelle auf dem Comptoir in Manchester anzunehmen, lehnte er ab und beschloß, vorläufig in Dortmund zu bleiben. Er etablirte sich auch bald darauf selbständig als Kaufmann, zuerst in Dortmund, dann in Arnheim und endlich in Amsterdam. Diese kaufmännische Wirksamkeit umfaßt die Jahre 1796-1805, also sein dreiundzwanzigstes bis dreiunddreißigstes Lebensjahr. * * * * * Brockhaus errichtete in Dortmund ein En-gros-Geschäft in englischen Manufacturen, besonders groben Wollenstoffen, und verband sich dazu mit einem Freunde, Wilhelm Mallinckrodt; Beide nahmen bald darauf noch einen dritten jungen Dortmunder, Gottfried Wilhelm Hiltrop, zum Associé an, und so wurde zwischen ihnen am 15. September 1796 ein Societätsvertrag abgeschlossen. Ihr Geschäft unter der Firma: »Brockhaus, Mallinckrodt und Hiltrop«, nahm bald den erfreulichsten Aufschwung; Brockhaus leitete das Comptoirgeschäft, Mallinckrodt machte die Reisen und hatte das Waarenlager unter sich, während Hiltrop von Anfang an nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bald beschlossen denn auch die beiden Freunde, sich von Hiltrop, den sie wesentlich seines bedeutenden Vermögens halber zum Associé genommen hatten, wieder zu trennen, zumal er ihnen seines unverträglichen Charakters wegen lästig geworden war. Sie kündigten ihm im Jahre 1798, zahlten ihm seinen Antheil heraus und zeichneten ihre Firma nunmehr, vom 1. Januar 1799 an: »Brockhaus und Mallinckrodt«; Hiltrop gründete ein eigenes Geschäft gleicher Art in Dortmund. Bald darauf errichteten sie ein zweites Haus in Arnheim unter der Firma: »Mallinckrodt und Compagnie«, und Mallinckrodt zog zu dessen Leitung im Jahre 1801 nach Arnheim, während Brockhaus in Dortmund verblieb. Das Haus in Arnheim war besonders deshalb gegründet worden, weil der Hauptabsatz des dortmunder Geschäfts nach Holland stattfand. Ihr Geschäft nahm einen immer größern Umfang an und die beiden jungen Kaufleute erwarben in wenig Jahren ein bedeutendes Vermögen. In diese Zeit fällt Beider Verheirathung. Brockhaus vermählte sich am 30. September 1798 mit der Tochter eines der angesehensten dortmunder Patricier, des Senators und Professors Johann Friedrich Beurhaus: Sophie Wilhelmine Arnoldine, geb. 24. December 1777; Mallinckrodt mit einer Freundin derselben. Brockhaus nannte später die ersten drei Jahre seiner Ehe (1798-1800) die glücklichsten seines Lebens. Am 17. Juli 1799 wurde ihm sein erstes Kind geboren: eine Tochter, Auguste; am 23. September 1800 sein erster Sohn: Friedrich. Dieses Glück sollte aber nicht lange dauern und die Veranlassung dazu bildete der frühere Associé Beider, Hiltrop, obwol derselbe, als ein Verwandter der Familie Beurhaus, mit Brockhaus verwandt geworden war und später sogar sein Schwager wurde, indem er Elisabeth Beurhaus, eine Schwester von Brockhaus' Frau, heirathete. Aus einer geschäftlichen Angelegenheit entwickelten sich bald Verhältnisse der unangenehmsten Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß übten. Sie wurden die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland zog, ja selbst, daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er sich bei seinem Verbleiben in Dortmund schwerlich zugewendet haben würde. Brockhaus wurde nebst seinem Associé Mallinckrodt von Hiltrop in einen Proceß verwickelt, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen sein Leben reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn mit kürzern oder längern Unterbrechungen bis an sein Lebensende verfolgte. Da der Proceß in dieser Zeit seinen Ursprung hat und mit ihm die nächsten Lebensschicksale von Brockhaus verknüpft sind, so müssen wir denselben jetzt im Zusammenhange erzählen, wenn dadurch auch der Zeit mehrfach vorgegriffen wird. 3. Der Hiltrop'sche Proceß. Die beste Grundlage zu einer Schilderung dieses Processes, dessen vollständige Darstellung in vieler Hinsicht interessant wäre, hier aber zu weit führen würde, bietet eine von Brockhaus kaum ein Jahr vor seinem Tode veranstaltete und als Manuscript gedruckte Sammlung der darauf bezüglichen wichtigsten Actenstücke, die sowol seine eigenen Eingaben als die ergangenen Urtel, Gutachten u. s. w. enthält und somit ein unparteiisches Urtheil ermöglicht.[7] Der Ursprung des Processes und sein erster Verlauf war in Kürze folgender. Im October 1799 fallirte das Bankhaus Simon Moritz Bethmann in London, mit dem sowol Hiltrop als die Firma Brockhaus & Mallinckrodt in Geschäftsverbindung (Wechselgeschäften) standen. Hiltrop hatte an Bethmann vom April bis September 1799 circa 2800 Pfd. St. remittirt und dagegen Fabrikanten und Kaufleute im Innern von England angewiesen, für Waaren, die sie ihm lieferten, auf Bethmann zu ziehen. Mehrere solche Wechsel waren auch gezogen und bezahlt worden, Hiltrop's Guthaben an Bethmann betrug aber bei Ausbruch des Concurses noch 1806 Pfd. St. Die Firma Brockhaus & Mallinckrodt, welche ebenfalls in einem längern Geschäftsverkehr mit Bethmann gestanden hatte, schuldete dagegen diesem Hause eine Summe von 2204 Pfd. St., die sich aber auf 774 Pfd. St. reducirte, da Bethmann ihnen mehrere Wechsel im Betrage von zusammen 1429 Pfd. St. zurückgegeben oder sie von den daraus entstandenen Verbindlichkeiten gegen die Masse von W. L. Popert u. Comp. in Hamburg (die in der damaligen allgemeinen Handelskrisis ebenfalls fallirten) liberirt hatte. Brockhaus & Mallinckrodt gaben Hiltrop aus freien Stücken Kenntniß von diesem Stande ihrer Rechnung mit Bethmann, um ihm dadurch zur Rettung eines Theils seines Verlustes behülflich zu sein. Hiltrop benutzte dies aber, um sofort unterm 25. November 1799 auf die Forderung der Bethmann'schen Masse an Brockhaus & Mallinckrodt gerichtlich Arrest legen zu lassen. Der Magistrat zu Dortmund bestätigte diese Maßregel. Brockhaus & Mallinckrodt appellirten hiergegen an die höhern Reichsgerichte, besonders aus Rücksicht auf Bethmann in London, da diesem z. B. nur sechs Wochen Zeit zu Einreden gegeben wurde, während in dem damaligen harten Winter von 1799 auf 1800 der Postenlauf zwischen Cuxhaven und Harwich mehrere Monate lang unterbrochen war. Außerdem waren sie inzwischen von der Firma Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M. (Verwandte des londoner Hauses) beauftragt worden, eine Forderung an Hiltrop im Betrage von 8000 Thlr. frankfurter Wechselgeld (10000 Thlr. Berg. Courant) einzukassiren, und diese Forderung war ihnen selbst zu diesem Zweck cedirt worden: gewiß ein Beweis großen Vertrauens zu der jungen Firma von seiten jenes großen Hauses. Infolge alles dessen entschloß sich Hiltrop, der trotz seines frühern großen Vermögens infolge seiner geschäftlichen Unfähigkeit rasch in finanzielle Verlegenheiten gerathen war und auch von andern Gläubigern hart bedrängt wurde, zu einem gütlichen Vergleich, der durch Vermittelung des gemeinschaftlichen Schwagers von Hiltrop und Brockhaus, Erbsaß (später Justizcommissar) Heinrich Beurhaus zu Dortmund, unterm 24. April 1800 abgeschlossen wurde. Danach sollte der Proceß von Gebrüder Bethmann in Frankfurt gegen Hiltrop bis zur Erledigung des Processes von Hiltrop gegen Bethmann in London sistirt werden, Hiltrop von Brockhaus ein »Darlehn« von 1200 Pfd. St., das er ebenfalls erst nach Austrag dieser Sache zurückerstatten sollte, empfangen, Letzterm dagegen (resp. Beurhaus) seine Forderung an Bethmann in London cediren und für den Rest seiner Schuld bei Gebrüder Bethmann in Frankfurt Waaren an Zahlungsstatt geben, auch sein Conto-Corrent mit Bethmann in London als richtig anerkennen. Schon fünf Monate nach Abschluß dieses Vergleichs machte indeß Hiltrop den Versuch, denselben umzustoßen, und zwar wieder auf eine ihm von Brockhaus vertraulich gemachte Mittheilung hin: daß die Bethmann'schen Massecuratoren in London jenen Vergleich nicht genehmigen wollten. Er fand an dem gegen Brockhaus sehr feindselig gesinnten Bürgermeister Schäffer in Dortmund einen bereitwilligen Helfer, der bei dem traurigen Zustand der damaligen reichsstädtischen Verfassung eigenmächtig verfahren konnte; durch ihn erreichte er, daß sein wiederholtes Arrestgesuch vom 15. September 1800 genehmigt und das Waarenlager von Brockhaus & Mallinckrodt (das einen Werth von mindestens 100000 Thlr. hatte) mit Arrest belegt und versiegelt wurde. Da alle Remonstrationen gegen diese, wie Brockhaus sich ausdrückt, »fürchterlichen, im höchsten Grade ungerechten Maßregeln, die den bürgerlichen Ruin der Beklagten augenblicklich nach sich ziehen mußten«, erfolglos blieben, so wendeten sich letztere an die höchsten Reichsgerichte um Schutz gegen Unterdrückung und forderten Genugthuung sowie Schadenersatz. Da schien endlich Hiltrop sein Unrecht einzusehen; er bat um Verzeihung für sein »kränkendes und übereiltes Betragen« und versprach, in Zukunft nur in dem ordentlichen Wege Rechtens gegen die Beklagten vorzugehen. Das Verdienst, dieses Resultat herbeigeführt zu haben, durch welches die Angelegenheit wenigstens ihren gehässigen Charakter verlor, gebührt Hiltrop's Frau, Elisabeth, einer Schwester von Brockhaus' Frau. Sie wandte sich direct an Brockhaus, den von ihrem Manne so vielfach und so empfindlich Gekränkten, und bat ihn, das Verfahren ihres Mannes zu entschuldigen: gewiß ebenso ein Zeichen ihres richtigen Gefühls als Frau, wie der wahren Achtung und des vollen Vertrauens, das sie zu ihrem Schwager als einem Ehrenmanne hatte. Sie schreibt in diesem Briefe, dessen Datum uns nicht bekannt ist: Brockhaus! Brockhaus! Ich fordere Sie auf, mich anzuhören. Sehen Sie, mein Herz ist voll trüben Gedenkens über eine Geschichte, welche nie hätte geschehen müssen, und ich weiß mich an Niemand sicherer zu wenden als an Sie selbst. Sie beurtheilen die Sache gewiß richtig, davon bin ich überzeugt, und ich weiß auch, daß Sie glauben: Uebereilung ist kein Verbrechen. Dieses hat sich Hiltrop zu Schulden kommen lassen .... Brockhaus, Brockhaus, ich ahndete nichts von Allem, was geschehen ist, und flehe ich zu Ihnen, mich und mein armes Kind nicht unglücklich zu machen, da dieses doch jetzt nur einzig von Ihnen abhängt. Verzeihen Sie Hiltrop, der sich hat bereden lassen und leider jetzt mit Schaden einsehen muß, wie wenig man Leuten trauen darf. Es thut ihm auch für mich leid und er glaubt es sich nicht vergeben zu können, mir solche Unruhe zu machen, und hat mir deswegen gesagt, ich könnte die Sache ganz nach meinem Wunsche einrichten. Theurer Brockhaus, mein Herz will keine Feindschaft gegen Sie und Sophie, die immer mehr meine Freundin als Schwester war. Jetzt, ich weiß es, sind Sie aufgebracht gegen Hiltrop und über sonstiges Verfahren und wollen die Sache nach Wetzlar berichten. Brockhaus, Gott! dieses können und werden Sie nicht wollen. Lassen Sie Vergebung über Ihren gerechten Zorn siegen! Denken Sie, daß es Uebereilung ist, welches mein armes Mädchen noch so schwer büßen sollte; geben Sie mir Ihre Hand darauf, so nicht zu verfahren, und im voraus danke ich Ihnen für Ihre Güte. Daß es Güte ist, bin ich fähig zu fühlen .... Brockhaus erfüllte die Bitte seiner Schwägerin; er verzichtete auf Genugthuung und Schadenersatz, wogegen Hiltrop am 3. October 1801 auf Cassation aller Maßregeln gegen die Firma Brockhaus & Mallinckrodt beim dortmunder Magistrat antrug, während der Proceß selbst seinen Fortgang hatte. Indessen war Brockhaus der Aufenthalt in Dortmund durch die widrigen Erlebnisse der beiden letzten Jahre so verleidet worden, daß er mit dem Gedanken umging, das dortmunder Geschäft ganz aufzulösen und zu Mallinckrodt nach Arnheim zu ziehen. Er hatte deshalb schon im Sommer des Jahres 1801 eine Reise nach Holland gemacht, und als er im August von dort zurückkehrte, verbreitete sich in Dortmund das Gerücht, daß er die Stadt verlassen und nach Holland übersiedeln wolle. Die Sache war damals indeß nur ein Project, das, wie Brockhaus selbst sagt, »wahrscheinlich nie wäre ausgeführt worden«. Hiltrop wurde aber gerade dadurch veranlaßt, seinen Arrestantrag zu wiederholen, Brockhaus mußte eine bedeutende Caution stellen und wurde selbst persönlich verhaftet. Dies veranlaßte ihn, sein Vorhaben wirklich auszuführen. Er verließ seine Vaterstadt und zog noch im Spätherbst 1801 nach Arnheim, der am Rhein (Leck) gelegenen Hauptstadt der Provinz Geldern, wo er mit Mallinckrodt bereits ein Jahr vorher ein Haus errichtet hatte. * * * * * Arnheim bildete übrigens blos einen kurzen Durchgangspunkt für ihn. Die Hauptstadt und erste Handelsstadt Hollands, Amsterdam, schien ihm ein geeigneterer Wirkungskreis für seine Handelsspeculationen, besonders seinen Verkehr mit England, und so zog er schon im Winter von 1801 auf 1802 dorthin. Vorher trennte er sich geschäftlich von Mallinckrodt, um sein Glück allein weiter zu versuchen, und auch wol, weil Mallinckrodt ihm die durch Hiltrop verschuldete Störung ihres Geschäfts zum Vorwurf machte. Mallinckrodt blieb in Arnheim zurück und setzte das bisherige Geschäft allein fort, scheint aber seinen Associé, der ihn jedenfalls geistig bedeutend überragte, sehr vermißt zu haben. Er bewahrte für diesen stets regstes Interesse und vollste Hochachtung und besuchte ihn später in Leipzig. Durch Hiltrop's fortgesetzte Machinationen scheint er mehr noch als Brockhaus gelitten zu haben und dadurch in seinem Geschäfte wesentlich gestört worden zu sein. Hiltrop ging indeß erst in späterer Zeit, 1815, direct und separat gegen Mallinckrodt vor, als er in seinem Verfahren gegen Brockhaus nichts erreichen konnte. Er brachte es im Sommer 1822 bis zur Execution gegen Mallinckrodt, gewann dadurch aber nichts, da die hypothekarischen Gläubiger desselben den Ertrag der auf diese Weise verkauften Mallinckrodt'schen Grundstücke, Waaren und Mobilien völlig in Anspruch nahmen. So hatte Hiltrop die traurige Genugthuung erlebt, wenigstens den einen der von ihm Verfolgten geschäftlich und bürgerlich ruiniert zu haben, während Brockhaus' reger Geist sich bald andern Bahnen zuwandte, auf denen ihn Hiltrop zwar stören, aber nicht, wie es seine Absicht war, ebenfalls ruiniren konnte. Denn allerdings ließ Hiltrop nicht nach in seinem Vorgehen gegen Brockhaus, das er, nachdem seine eigene bürgerliche und geschäftliche Stellung dadurch empfindlich gelitten hatte, zum alleinigen traurigen Geschäft seines Lebens gemacht zu haben scheint. Wir müssen deshalb hier wieder anknüpfen an den oben geschilderten ersten Verlauf dieses Processes und die weitern Stadien desselben vorführen. * * * * * Trotz der durch Hiltrop's Frau in so richtigem Gefühle angestrebten Aussöhnung und Hiltrop's Selbstdemüthigung war der Proceß über die Gültigkeit des am 24. April 1800 abgeschlossenen Vergleichs in Dortmund anhängig geblieben, während Mallinckrodt und Brockhaus seitdem in Arnheim und Amsterdam lebten. Die Acten sollten verschickt sein, waren aber von der dortmunder Behörde verloren worden! Erst im August 1805 wurden sie aus den Manualacten der Sachwalter wieder nothdürftig ergänzt und am 19. Juli 1806 erfolgte ein Rechtsspruch der göttinger Facultät, in welchem dem Kläger der Beweis, daß dem Verfahren der Beklagten gegen ihn ein »Betrug«(!) zu Grunde liege, nachgelassen wurde. Hiltrop trat die übrigen ihm auferlegten Beweise an; der Sachwalter der Beklagten, obwol sonst ein geschickter Jurist, wußte sich in diese kaufmännischen Verhältnisse nicht zu finden und übergab einen durchaus verfehlten Gegenbeweis, doch hatten die Beklagten selbst ein Promemoria darüber entworfen. Unterm 16. November 1809 wurde das den Beklagten ungünstige erste Urtheil seitens der herzoglich bergischen Regierung gefällt, verfaßt von dem Oberbergrichter Bölling in Essen. Es nahm den Beweis für geführt an und verurtheilte die Beklagten, an Hiltrop 606 Pfd. St. nebst Zinsen und Proceßkosten zu zahlen. Gegen dieses Erkenntniß appellirten Brockhaus und Mallinckrodt und ließen eine von Brockhaus selbst verfaßte »Rechtfertigung« dieser Appellation unterm 28. Februar 1810 (in Amsterdam) für ihre Freunde drucken. Sie belegten durch zwei Parere, von der Kaufmannschaft zu Leipzig (vom 6. April 1800, verfaßt vom Kramerconsulent _Dr._ Bahrt) und von der Kaufmannschaft zu Elberfeld (vom November 1801, verfaßt von dem Syndikus derselben, _Dr._ Brüninghaus), daß ihr Verfahren der Lage der Sache und dem kaufmännischen Geschäftsgange durchaus angemessen gewesen sei. Später erfolgten noch zwei Gutachten, welche sie ebenfalls von dem frivolen Vorwurfe eines »Betrugs« vollkommen freisprachen: das eine von dem Professor _Dr._ Dabelow in Halle, später in Dorpat, datirt Leipzig, 16. Juli 1810, das andere von der Juristenfacultät zu Halle vom Januar 1813. Dennoch wurde von dem neuerrichteten bergischen Appellationsgerichtshofe zu Düsseldorf unterm 24. November 1813 das Erkenntniß erster Instanz lediglich bestätigt. Dieses Urtheil kam jedoch nie zur Vollstreckung, vielleicht infolge der eingetretenen politischen Ereignisse; es wurde sogar dem inzwischen von Amsterdam nach Altenburg und später nach Leipzig übergesiedelten Brockhaus gar nicht publicirt, wie durch eine Bescheinigung der herzoglich sächsischen Landesregierung zu Altenburg vom 16. März 1822 ausdrücklich beglaubigt wird. Hiltrop beruhigte sich aber nicht und reichte nach Verlauf mehrerer Jahre, am 17. August 1819, eine neue Klage gegen Brockhaus ein. Damit beginnt das dritte und letzte Stadium dieses langwierigen Processes. Das königlich preußische Oberlandesgericht zu Hamm bestätigte durch ein Erkenntniß vom 5. Januar 1822 die für den Beklagten ungünstigen Urtheile von 1809 und 1813, während es unterm 30. März 1822 eine von Brockhaus gegen einen Arrest auf ein Erbtheil seiner minorennen Kinder erhobene Klage im wesentlichen zu seinen Gunsten entschied. Gegen diese Erkenntnisse, insbesondere das erste, appellirte Brockhaus. Er verfaßte für den Justizcommissar Cappel in Hamm selbst eine ausführliche »Instruction« (worin er unter anderm sagt, daß diese Erkenntnisse »sich ebenso wenig mit den anerkanntesten Sätzen des Völkerrechts als mit dem Geiste der preußischen Proceßgesetzgebung, diesem Meisterstücke einer legislativen Weisheit, vereinbaren lassen«) und ließ die obenerwähnte »Sammlung von eilf Actenstücken« für das Gericht und für seine Freunde drucken (das Vorwort dazu ist aus Leipzig vom 1. Juli 1822 datirt). Indeß betätigte der zweite Senat des Oberlandesgerichts zu Münster unterm 28. September 1822 lediglich die frühern Erkenntnisse. Brockhaus gab sich aber noch immer nicht für besiegt, obwol er damals eben eine lebensgefährliche Krankheit überstanden hatte, deren Wiederholung er kaum ein Jahr darauf erlag: er ergriff das letzte Mittel, das ihm übrigblieb, und wandte sich an das Geheime Obertribunal zu Berlin mit der Bitte um Cassation, resp. Revision des Erkenntnisses von 1813. In dem von ihm selbst wieder verfaßten »Revisionsbericht« (der kein Datum hat, aber jedenfalls noch im Spätherbst 1822 geschrieben ist) betont er, daß ihn zu diesem Antrage außer dem bedeutenden Objecte des Processes (zuletzt gegen 10000 Thlr.) besonders der Umstand bestimme, wegen eines vermeintlichen »Betrugs« und infolge eines irrigerweise für »rechtskräftig« angenommenen Erkenntnisses verurtheilt zu werden. Noch ehe die Antwort von Berlin erfolgt war, starb Brockhaus. Erst mehrere Jahre nach seinem Tode (1828) wurde der Proceß endlich von seinen Erben durch einen Vergleich mit Hiltrop beendigt; letzterer starb am 2. April 1845. Das Urtheil des Geheimen Obertribunals in Berlin vom 2. April 1824 hatte die frühern Erkenntnisse bestätigt, doch war den Stadtgerichten zu Leipzig durch ein allerhöchstes Rescript der königlich sächsischen Landesregierung zu Dresden vom 23. October 1824 die Befolgung der betreffenden Requisitionen untersagt worden. Hiltrop ruhte trotzdem noch immer nicht, und um ihr in Preußen befindliches Eigenthum vor ihm zu schützen, sah sich die Firma F. A. Brockhaus veranlaßt, ihre Rechnung mit den preußischen Buchhandlungen in der Zeit vom 15. November 1824 bis 21. November 1828 unter der Firma »Literatur-Comptoir in Altenburg _L^a B_« zu führen, wozu der mit ihr seit langem befreundete Besitzer dieser Firma, Johann Friedrich Pierer in Altenburg, bereitwillig die Hand bot. Dieser Proceß mußte hier, obwol er Brockhaus' Hauptthätigkeit, die buchhändlerische, nicht berührt, ausführlicher dargestellt werden, weil er ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte und von ihm persönlich mit der größten Energie und Ausdauer betrieben wurde. Es war in der That, wie er sich selbst später ausdrückte, der »blutige Faden«, der sich durch sein ganzes Leben hindurchzog und auf dasselbe mehrfach entscheidend einwirkte: er hatte die Familie entzweit (obwol selbst fast alle Verwandten Hiltrop's auf Brockhaus' Seite traten und dessen Verfahren misbilligten); er hatte ihn aus seiner Vaterstadt vertrieben und war die Veranlassung, daß er diese nur noch einmal (1811) besuchte; er verfolgte ihn überallhin: nach Amsterdam, Altenburg und Leipzig, und nöthigte ihn gerade auch in den, durch andere Aufregungen ihm schon so verbitterten, letzten Jahren seines Lebens zu eigener aufreibender Thätigkeit. Die Frage liegt hier nahe, ob denn im Laufe der 22 Jahre, die dieser Proceß dauerte, nie Versuche zu Vergleichen gemacht worden seien. Allerdings ist das geschehen und zwar -- zur Ehre und Rechtfertigung von Brockhaus muß dies hervorgehoben werden -- insbesondere von seiner Seite, jedoch, wie er selbst sagt, »von diesem einzig und allein nur aus #dem# Grunde, daß er gewünscht hat, Ruhe zu gewinnen und sich von dem Odiösen, was mit der Führung eines solchen Processes überhaupt und besonders in weiten Entfernungen verbunden ist, völlig befreit zu sehen: nie aber, daß er durch einen Vergleich habe anerkennen wollen, als ob seitens Brockhaus und Mallinckrodt je etwas in dieser Sache geschehen, was auf irgendeine Weise gegen kaufmännische Sitte und Ehre und gegen kaufmännische Ordnung oder gegen kaufmännisches Recht gewesen«. Abgesehen von dem unterm 24. April 1800 abgeschlossenen, aber bald wieder von Hiltrop umgestoßenen Vergleiche sowie davon, daß Brockhaus, wie früher berichtet, auf die Bitte von Hiltrop's Frau die Klage gegen diesen beim Reichskammergericht in Wetzlar unterließ, bot er 1816 oder 1817 Hiltrop zur Niederschlagung alles Zwistes eine jährliche Rente von 200 Thlr. an, die nach seinem Tode auf seine Kinder bis zur Volljährigkeit des jüngsten übergehen solle. Und als Hiltrop dies ablehnte, wollte sich Brockhaus 1821 selbst zur terminlichen Zahlung von 4000 Thlr. verstehen, einer Summe, die das, was Hiltrop ursprünglich an Bethmann in London verloren, bedeutend überstieg. Aber auch dieses Anerbieten war von Hiltrop unangenommen und sogar unbeachtet geblieben. Selbst noch 1822 erklärte er sich bereit, »wesentliche, wenn auch bei veränderter und günstigerer Lage der Sache nicht mehr so bedeutende Opfer zu bringen, wenn ihm dazu auf angemessene Weise die Hand geboten würde und der Gegner damit nicht zu lange warte«. So kann Brockhaus sicherlich nicht der Vorwurf der Unversöhnlichkeit, Streitsucht oder Rechthaberei gemacht werden. Eher könnte man ihn deshalb tadeln, daß er, zunächst aus Theilnahme für seinen frühern Associé Hiltrop und um diesen vor einem Verlust zu bewahren, sich in eine ihm ganz fremde Angelegenheit gemischt und dann im Anfange des Processes dem Gegner mehrfach selbst die Waffen gegen sich geliefert habe; er fühlte dies auch selbst und that in dieser Beziehung die für ihn charakteristische, aber gewiß nur ehrenvolle Aeußerung: es sei dies von seiner und Mallinckrodt's Seite besonders geschehen »aus Ueberspanntheit, da wir die Welt noch nicht nahmen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, und die wir damals noch so einfältig waren, zu glauben, als ernte man von dem Haufen der Menschen für große und rechtschaffene Handlungen Dank ein.« Der Hiltrop'sche Proceß hat übrigens, wie aus Vorstehendem wol hervorgegangen sein dürfte, außer dem persönlichen auch ein mannichfaltiges allgemeineres Interesse, und es mögen deshalb zum Schluß einige Stellen aus der mehrerwähnten Schrift folgen, die Brockhaus über den Proceß 1822 zusammenstellte, in der Hoffnung, daß sie »dem Sachkenner genügen werden, um sich über den Charakter der darin handelnden Personen und über die Natur der stattgefundenen und obschwebenden Verhältnisse zu orientiren«. In treffendster Weise, mit scharfem Verstande, klarem weitblickenden Geiste und in prägnantem Stile charakterisirt er den Proceß und sein Verhalten in demselben mit folgenden Worten: Bei einem Processe, der fast ein Vierteljahrhundert unter #vier# verschiedenen Gesetzgebungen und Gerichtsformen geführt worden ist und in welchem mehrere der Sachwalter die Sache selbst gar nicht begriffen haben, läuft die Wahrheit am Ende Gefahr, unter der Masse der stattgefundenen Verhandlungen und angehäuften Actenstöße völlig erdrückt oder erstickt zu werden, sodaß es die größte Noth thut, das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und Unwesentlichen zu scheiden, um dem künftigen Referenten und endlichen Richter die Uebersicht und Beurtheilung zu erleichtern oder gar -- nur möglich zu machen. Ohnehin haben die bloßen Juristen in Städten und Gegenden, wo kein großer Handelsverkehr ist, in der Beurtheilung verwickelter kaufmännischer Verhältnisse höherer Art selten große Stärke und gerathen nur gar zu leicht auf Abwege, die von der Wahrheit entfernen. Ich erinnere hier an die Verhandlungen im Fonk'schen Processe über dessen Handlungsbücher und Berechnungen .... Der Proceß (Hiltrop) ist interessant durch den Wechsel der Gesetze und gerichtlichen Formen, unter deren Herrschaft er geführt wurde. Er begann zu einer Zeit, wo Dortmund noch als Freie Stadt dem Deutschen Reiche angehörte; er wurde fortgesetzt unter der fürstlich nassau-oranischen Regierung, unter der Herrschaft der französischen Gesetze, welche im Jahre 1811 im Großherzogthum Berg in Kraft getreten waren; er ist wieder aufgenommen unter der jetzigen königlich preußischen Regierung und wird jetzt nach preußischen Rechten und Formen verhandelt. Es ist für das Interesse der Rechtswissenschaft von großer Wichtigkeit, die Verhältnisse dieser verschiedenen Gesetzgebungen in ihrer Wechselwirkung und vorzüglich zu dem Zwecke zu betrachten, um die Bedingungen und Grenzen der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit richtig zu bezeichnen. Er ist interessant durch die kaufmännischen Verhältnisse, welche ihm zu Grunde liegen, deren Combinationen sich die Richter der ersten und zweiten Instanz durchaus nicht klar zu machen vermocht haben, so einfach sie auch jedem Sachkundigen erscheinen müssen. Er hat endlich in dem neuesten Abschnitte noch eine allgemeine Wichtigkeit durch die völkerrechtliche Frage gewonnen, inwiefern ein königlich preußischer Staatsbürger einen entfernten Ausländer zwingen kann, vor den königlich preußischen Gerichten sich als Beklagter zu stellen und den Vortheil aufzugeben, welcher mit der Verhandlung der Sache vor seinem ordentlichen Richter, in gewohnten Formen, nach bekannten Rechten, für ihn verknüpft ist. In der That würden die von dem königlichen Oberlandesgericht zu Hamm in erster Instanz hierüber aufgestellten Grundsätze alle Ausländer, welche in Preußen Geschäfte treiben, und alle benachbarten Regierungen zur besondern Aufmerksamkeit und zu abweichenden Maßregeln verpflichten. Diese wichtige völkerrechtliche Frage macht in der jetzigen Lage der Sache den Hauptpunkt des Streites aus. Der Gang der Sache ist nämlich folgender .... So liegt die Sache in diesem Augenblicke; einfach an sich in jedem ihrer Abschnitte, so verworren auch der erste Anblick derselben sein mag. Zunächst dreht sie sich fast nur um Formalien, um Gerichtsstand und Rechtskraft. Man ist nur zu sehr geneigt, auf denjenigen, welcher mit der bloßen Form ficht, den Verdacht eines Bewußtseins des Unrechts in der Sache fallen zu lassen, und daher war dem Beklagten an nichts mehr gelegen als daran, zu zeigen, daß er sich gegen die Form nur im Vertheidigungsstande befindet, nicht aber sie zur Schutzwehr einer Ungerechtigkeit gebraucht. Man hat es ihm vielleicht verübelt, daß er die Entscheidung eines königlich preußischen Gerichtshofs so eifrig abzulehnen bemüht ist; allein man würde dabei aus den Augen gesetzt haben, welchen großen Werth es für einen Jeden hat, nur von seinem ordentlichen heimischen Gerichte nach bekannten Gesetzen und Formen gerichtet zu werden. Wer irgend eine Erfahrung in dieser Art gemacht hat, der vermag die großen Nachtheile zu würdigen, mit welchen schon die bloße Entfernung den Betrieb eines Rechtsstreites umgibt. Man wird es unter diesen besondern Umständen dem Beklagten nicht verargen, wenn er durch den gegenwärtigen Abdruck der wichtigsten Actenstücke seines Processes sowol für das Urtheil seiner Richter als für die Meinung seiner Freunde (für das größere Publikum sind diese Blätter ohnehin nicht bestimmt) die Materialien in einer leichtern Uebersicht zu liefern bemüht war. Er will dasselbe nicht bestechen, nicht für sich einnehmen; denn er legt die Hauptsache so vollständig vor, daß sie auch seinem Gegner zu statten kommen mag, wenn er selbst sich in seinen Ansichten geirrt haben sollte. Allein ein mehr als zwanzigjähriger Proceß, eine so vielfache Verkettung rechtloser Formen und Fragen bedarf wol eines Fadens, in dessen Finden nicht immer gerade derjenige am glücklichsten ist, welcher ihn für sich und andere zu suchen bestellt ist. Der Erfahrene weiß, daß dies zu sagen weder Anmaßung noch ein Vorwurf ist, und dreimal wenigstens wurde schon in der gegenwärtigen Sache der richtige Weg verfehlt. Wir verlassen hiermit diesen unerquicklichen Proceß, der uns weit über die Zeit hinausgeführt hat, die wir zunächst zu schildern haben, und versetzen uns wieder nach Amsterdam und dem Jahre 1801, in welchem Brockhaus sein Geschäft dorthin verlegte. Zuvor sei indeß noch ein von Brockhaus selbst herrührender Rückblick auf sein Leben bis zu diesem Zeitpunkte mitgetheilt. 4. Ein Rückblick. Brockhaus schrieb in spätern Jahren, wahrscheinlich erst 1818 oder 1820, einen Rückblick auf seine Erlebnisse nieder, um einer Schwägerin, die in trüben Verhältnissen seine Vertraute geworden war, einen nähern Einblick in sein Leben zu gewähren. »Sie kennen es nicht«, fügte er hinzu, »oder nur durch verworrene Sagen, und doch liegt in jeder Vergangenheit der Schlüssel und häufig die Bedingung der Gegenwart.« * * * * * Diese Selbstbiographie, die unsere bisherige Schilderung in manchen Punkten ergänzt und den Verfasser trefflich charakterisirt, leider aber nur bis zu dem Wendepunkte in seinem Leben reicht, an dem wir uns jetzt befinden, lautet: Ich bin 1774 geboren.[8] Mein Vater, Sohn eines benachbarten Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele. Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen, die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist. Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige große Schnitthandlung, die zugleich Bankiergeschäfte machte, in die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17 Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel, Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand, das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter. Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann, und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause, und mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100 Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon, und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte. Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen. Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich _au 5^{me}_ in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe Wurzeln gefaßt hat. Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an der Tagesordnung war -- was war natürlicher, als daß der gute Vater auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir _en attendant mieux_ eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine Eitelkeit täglich Triumphe feierte. Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop (den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und Rechtlichkeit. Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.[9] Sie war aus der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die Geburt von Auguste und von Fritz. Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer _adresse_ und unserm Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen. Dieses _accomodement_ für und mit Hiltrop sollte für uns die Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen _train de vie_ mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken #allein# und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim) namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich, Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken, denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt. Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich zu meinem Glücke durch Consequenz und Klugheit. So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist; -- kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden, die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem. Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802. Zweiter Abschnitt. In Amsterdam. 1. Kaufmännische Thätigkeit. Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt betriebene Geschäft in englischen Manufacturen _en gros_ allein und auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien ihm auch bald wieder lächeln zu wollen. Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere widrige Verhältnisse erinnert. Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb: Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen -- ich thue es nicht und ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide glücklicher sein werden als wie wir uns trennten. Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des Schreibers Zeugniß: Theuerster Bruder! Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, die wir hier zusammen lebten und -- was mir unschätzbar bleibt -- auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster Bruder, am Sonntag Morgen, -- der zerriß mir die Seele. Bin ich doch nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen würden, -- als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte! Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich unsere Wünsche alle begegneten. Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist der Bruder #da#, nun ist er #da#. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim, Wesel -- nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns -- und von Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, -- wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern darstellen konntest! Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft ertragen zu können! Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles. Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. -- G. B.« und wurde ihm wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) lauten: Feindlich ist die Welt Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur Sich selbst; unsicher, los und wandelbar Sind alle Bande, die das leichte Glück Geflochten -- Laune löst, was Laune knüpfte -- Nur die Natur ist redlich! Sie allein Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest, Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt Den Freund -- es gibt der Vortheil den Gefährten; Wohl dem, dem die Geburt den #Bruder# gab! Ihn kann das Glück nicht geben -- anerschaffen Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da. Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm. Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in die Republik unmöglich zu machen. Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich. Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild seiner Lage: Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal thaten. Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft .... Ich habe mich inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke, so Gott will, glücklich herauszukommen .... Es ist das Alles sehr schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf einer Nadelspitze -- die habe ich erhalten --, aber mein Credit hat tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und raisonnirt. #Das# Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen .... Dies, lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch #die# Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten. Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich, lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es als ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu #auch nicht eines# insoliden Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen habe, solche zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem ausgedehnten Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, und daß ein #Manufactur#geschäft #hier# mit einem Fonds wie der meinige eigentlich nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was ich ganz that. Außer den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und die dazu mit dienen sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber auch noch gern alle die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar sind und die dazu mit beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle die Fonds disponibel haben, welche mir doch einmal gehören, durch unangenehme Dispute aber nun für mich ohne Nutzen sind ..... Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein Jahr mit einem besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu unterstützen. Dann fährt er fort: Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen, meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken. Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren, mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort, daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte, daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen. Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein Wort .... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin .... Ich habe Dir Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung! Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies nicht geniren, falls er nur etwas vorher davon unterrichtet sei. Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern Waarengeschäfts. Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte. 2. Errichtung einer Buchhandlung. Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt, hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt, den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt, deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf einem andern Felde lächeln werde? Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie« unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer. Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren, 1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines Namens.[10] Hierüber sagt er in einem Briefe: Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben mußte, da sein Name gebraucht wurde. Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich deutlich hervorgehen, lautet: Amsterdam, den 15. October 1805. Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben, welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in den Vereinigten Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell verschaffen zu können. Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central- und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen. Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen. Rohloff & Co. Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt. Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im ersten Satze heißt: »_que les soussignés viennent d'établir en cette ville un Institut de Commerce, ~sous la raison~: Bureau des Arts et des Belles-lettres_«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach damaliger Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: Rohloff & Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt. Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805: Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung gesagt, wobei ich mich interessirt habe.[11] Ich kann Dir jetzt etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung. Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.[12] Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu unterstützen. Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl. bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird, mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an 250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren, Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen, wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt. Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als »Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder -- und das ist das Wahrscheinlichere -- unter dem »Hauptdirector« war derjenige gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus unter dem Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder (vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später zerschlug. Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches« kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte, nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er das kaufmännische Geschäft immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam, obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen Verhältnisse kam sie öfter vor. Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier folgen: Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich, als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten, daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte und das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich zur Absicht, doch ein _noyau_ für Manufacturgeschäfte beizubehalten, um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt .... Durch die Kenntniß und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich entschloß mich, den _noyau_, den ich noch von Manufacturen angehalten hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen Geschäfte zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der mich kennt, ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien ... Antheil hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse indessen im Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt wären. Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber lästige Unternehmung« (den kaufmännischen _noyau_) zu verkaufen beabsichtige; indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur Ausführung gekommen. * * * * * Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte. Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.[13] In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet, heißt es: Einige Freunde der Literatur und schönen Künste haben sich entschlossen, hierselbst eine Buch- und Kunsthandlung anzulegen nach einem ganz neuen Plane, und dadurch für unsere Republik einem sehr gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen. Es wird sich solche mit eigenem Verlage und mit Sortiment befassen und sich überhaupt bemühen, der Verbindungspunkt zwischen nationaler und ausländischer Wissenschaft und Kunst zu werden. Der vollkommene Mangel eines solchen Instituts in den Vereinigten Niederlanden, die glückliche Lage derselben zur Unterhaltung eines Verkehrs mit allen Nationen, selbst mit fremden Welttheilen, der Geist der Zeit überhaupt und endlich die Kenntnisse, der Eifer und die Mittel der Unternehmer -- Alles dieses läßt der Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit einen guten Erfolg hoffen. Es sind noch einige Hindernisse, die in dem Zunft- und Gildenwesen ihre Ursachen haben, zu beseitigen, und wir müssen also die Herumsendung unserer Circulare, woraus Sie alles Nähere ersehen werden, so lange aussetzen. In einigen Wochen wird solches aber spätestens geschehen. Bis dahin habe ich, einer der Mitunternehmer, übernommen, schon einige Einleitungscorrespondenz anzufangen, und in dieser Qualität bin ich deshalb auch so frei, Ihnen das Gegenwärtige zu adressiren. Es soll sich dasselbe heute allein auf Ihren Musikverlag beziehen. Musikalienhandlung liegt vorzüglich mit im Plane unsers Instituts, da wir darin uns des besten Erfolgs schmeicheln dürfen, weil hierin fast nichts in unserer Republik gethan ist, unerachtet in derselben eine ausgezeichnete Liebhaberei für jede Gattung der Tonkunst statthat. Wir wünschen zu diesem Zwecke also mit den vorzüglichsten Musikalienhandlungen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich in Verbindung zu treten und von denselben ihren Verlag in Commission zu erhalten, indem -- wenigstens vor der Hand -- es ganz unmöglich ist, sich selbigen gleich auf eigene Rechnung anzuschaffen. Meine ergebenste Frage an Sie ist also hierdurch: ob Sie sich hierzu wol entschließen möchten, und wenn das: ob Sie sich, was wir wünschen müssen, auf uns für unsere Republik einschränken und künftige ähnliche Anfragen zurückweisen wollen, solange unser Verkehr und Vertrieb Ihnen ansteht, und drittens: welches Ihre Bedingungen, Vortheile und Rabatte sind, die Sie zugestehen. Aus einer Notiz auf dem Briefe ist zu ersehen, daß Breitkopf & Härtel in Leipzig unterm 11. September antworteten: 40 Procent gegen Baarzahlung, wenn er für netto 100 Thlr. nimmt; das franco Remittirte tauschen wir gegen andere Sachen aus. Darauf erwidert Brockhaus unterm 27. September: Ihre Zuschrift vom 11. d. M. habe ich wohl erhalten und sie unserm Institute vorgelegt. Es hat dieses nichts dagegen, Ihnen zum Anfange comptant zu zahlen, jedoch unter der von Ihnen selbst angebotenen Bedingung, von Zeit zu Zeit das nicht Verkaufte gegen andere Artikel vertauschen zu können, und unter der, daß Sie uns anstatt 40 : 50 Procent Rabatt geben. Wenn Ihnen dies convenirt, so wollen Sie für circa 400 Thlr. der neuesten und am meisten gesuchten Sachen -- ein Sortiment von Allem -- für uns auslegen und über Zwoll p. Adr. des Herrn F. L. Schlingemann an mich mit dem Postwagen absenden. Wir bitten Sie, diese Auswahl in jeder Rücksicht auf das sorgfältigste und geschmackvollste zu treffen. Es ist unser Debüt in diesem Artikel und also um so nöthiger. Den ungefähren Betrag _de circa_ 200 Thlr. wollen Sie in zwei Monat dato in holländischen Ct. Fl. (Courant-Gulden) nach dem dortigen Course auf mich bei der Absendung entnehmen. Factura und Avis über Ihre Tratte erwarte mit der Briefpost. Aus dieser Correspondenz ersieht man, wie leicht sich Brockhaus in die neuen Geschäftsverhältnisse fand, die ihm bisher ganz fremd waren, da er doch nie den Buchhandel oder gar den Musikalienhandel »erlernt« hatte, und wie umsichtig er sein Geschäft begann. Für die bestellten Musikalien fand er auch bald einen regelmäßigen Abnehmer, indem ihm die Direction des großen Concerts die Lieferung ihres Bedarfs übertrug; dies geschah indeß erst am 21. October, während er jene erste Bestellung bereits am 27. September aufgegeben hatte. Auch das Museum übertrug ihm sofort die Lieferung seiner Zeitungen und Bücher. Um mit dem deutschen Buchhandel ordnungsmäßig verkehren zu können, hatte er, auch noch vor Erlaß seines Circulars, einen Commissionär in Leipzig gesucht und in der Person des Herrn Heinrich Gräff gefunden; er erwähnt seiner bereits am 5. September in dem ersten Briefe an Breitkopf & Härtel. Aber noch kühnere Ideen hegte er gleich bei Beginn seiner buchhändlerischen Laufbahn: er dachte sofort auch an die Errichtung einer Buchdruckerei in Amsterdam! In demselben Briefe heißt es: Durch Herrn Gräff habe ich mir auch schon eine Probe von Ihrer Schriftgießerei erbeten, da wir die Absicht haben, auch ehestens eine Druckerei anzulegen, wozu wir wol gezwungen sind, da in unserer ganzen Republik keine Buchdruckerei existirt, die nur etwas Erträgliches zu liefern im Stande wäre. Dieses Project kam freilich damals nicht zur Ausführung, sondern erst in viel späterer Zeit (1818 in Leipzig), wie so manche Einrichtungen in dem von ihm begründeten Geschäfte, zu denen er noch den Keim gelegt hatte. Daß er sich überhaupt auch für das seinem Ideenkreise ferner liegende technische Gebiet interessirte, geht noch aus folgendem, unterm 12. Juli 1805 an Professor Gubitz in Berlin gerichteten Briefe hervor, der zugleich zeigt, wie sorgfältig er schon damals die deutsche Journalliteratur verfolgte: Durch die Discussionen, die unlängst zwischen Ihnen und Hrn. N. N. im »Freimüthigen« und in der »Zeitung für die elegante Welt« Platz gehabt und meiner Meinung nach sich auf eine sehr schmeichelhafte Weise für Sie und die schöne Kunst, der Sie mit einem so edlen Enthusiasmus anhangen, geendigt haben[14], bin ich auf Ihre Bemerkung: daß sich die Holzschneidekunst sehr zu unnachahmlichen Staatspapieren u. dgl. eigne, und durch die Anzeige, daß Sie sich mit Versuchen hierüber beschäftigten, insofern aufmerksam gemacht worden, daß ich einen Freund hierselbst, der einen sehr ansehnlichen Debit in gestochenen Wechseln (deutscher, holländischer und allen andern Sprachen), in Assignationen, Leistungen u. dgl. hat und der jährlich eine ganze Menge Platten abnutzt, ebenfalls aufmerksam gemacht habe, daß sich Formen aus Holz hierzu wol besser eignen und ihm einen ansehnlichern Vortheil abwerfen würden als Kupferplatten, die gleich abgenutzt sind. Mein Freund hat meine Idee sehr gut gefunden, und er hat mir demzufolge den Auftrag gegeben, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, welches zu thun ich mir hierdurch also die Freiheit nehme. Meine ergebenste Frage an Sie wäre also: ob Sie sich auch wol schon mit solchen Gegenständen beschäftigt, als oben erwähnt, und ob Sie mir darüber nicht einige Proben einsenden können? Wenn das aber nicht wäre -- ob Sie dann glauben, daß sich Ihre Kunst auch sehr zu Buchstaben und Zahlenzeichen eigne? Dann, was eine Platte, wie z. B. zu einliegendem Wechsel, kosten werde? Und endlich, ob Sie in den ersten drei Monaten wol Zeit haben würden, um ein halbes oder ganzes Dutzend von solchen und ähnlichen Formen fertig zu machen? Recht sehr angenehm wird es mir sein, hierüber baldmöglichst und wenn's angeht mit umgehender Post ausführliche Antwort zu erhalten, und in dieser Erwartung habe ich die Ehre, mich Ihnen auf das höflichste und ergebenste zu empfehlen. Als ein Zeichen von Vertrauen zu dem neuerrichteten Geschäfte darf es wol betrachtet werden, daß das altberühmte Haus Breitkopf & Härtel in Leipzig ihm schon auf den ersten Brief hin den Antrag machte, auch für den Vertrieb der Erzeugnisse seiner Pianofortefabrikation thätig zu sein. Diesen Vorschlag glaubte Brockhaus indeß doch vor der Hand ablehnen zu müssen. Er schrieb: Zu einem Geschäft mit Pianoforten oder sonstigen Instrumenten sind wir noch nicht eingerichtet. Unser Institut ist erst im Beginnen und kann nicht Alles zugleich unternehmen. Auch hält man hier nicht viel von ausländischen Pianofortes, da man dafür hält, daß sie dem hiesigen feuchten Klima nicht widerständen, sodaß man fast nur einheimische von Van der Does, Meyer und andern ausgezeichneten Meistern gebraucht. Da ich mir indessen selbst eins anschaffen will, so dürfte ich mich vielleicht entschließen, dazu eins von Ihnen zu nehmen, und es könnte solches dann als Muster dienen. Melden Sie mir also gefälligst die Preise der verschiedenen Arten und Formen und melden Sie mir, welche jetzt die beliebtesten und gesuchtesten sind. So nach allen Seiten hin blickend, legte Brockhaus mit sicherer Hand die Grundlagen zu seinem neuen Geschäfte. 3. Erste journalistische Verlegerthätigkeit. Neben dem Sortimentsgeschäft: der Einführung ausländischer, besonders deutscher und französischer Literatur, mit Einschluß der musikalischen, nach Holland, widmete sich Brockhaus gleich im Beginne seiner buchhändlerischen Laufbahn mit fast noch größerm Eifer der Begründung eines Verlagsgeschäfts, das später die Hauptthätigkeit der von ihm begründeten Firma bilden sollte. Er fühlte, daß dieses allein seinem regen Geiste genügende Nahrung darbieten könne, wenn er auch wol noch keine Ahnung davon hatte, zu welchem Umfange dasselbe allmählich erwachsen werde. Und während er als Sortimentsbuchhändler von Anfang an die internationale Seite vorzugsweise ins Auge faßte und in seinem Geschäfte einen Mittelpunkt für den buchhändlerischen Verkehr der verschiedenen Nationen zu schaffen suchte (eine Idee, die von seiner Firma stets als ein Lieblingsgedanke gepflegt und, freilich erst lange nach seinem Tode, in einer Weise verwirklicht worden ist, wie sie ihm selbst vielleicht nur als Ideal vorgeschwebt haben mag), erfaßte er als Verleger zunächst die nationale Seite, indem er, um seinem Programm gemäß auch »nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern«, journalistische Unternehmungen zu begründen suchte. Auch darin also hat er den Grund gelegt zu einer der Hauptthätigkeiten seines Hauses. Als Deutscher in Holland lebend und durch Vorliebe besonders zur Literatur Frankreichs hingezogen, suchte er jeder dieser drei Richtungen gerecht zu werden; er begründete kurz nacheinander eine holländische politisch-literarische Zeitung: »_De Ster_«, eine deutsche zeitgeschichtliche Monatsschrift: Cramer's »Individualitäten«, endlich eine französische belletristische Vierteljahrsschrift: »_Le Conservateur_«. Ueber diesen Beginn seiner Verlegerthätigkeit spricht er sich in einem Briefe an Karl Friedrich Cramer aus, der in dessen »Individualitäten« abgedruckt ist (wir kommen auf dieses Werk und seinen Verfasser bald näher zu sprechen) und auch seines sonstigen Inhalts wegen hier mitgetheilt zu werden verdient. Er schreibt aus Amsterdam vom 17. October 1805, also zwei Tage nach Erlaß seines Circulars: Indem wir die Ehre haben, Ihnen angebogen ein Circular unsers hierselbst angefangenen Geschäfts zu übersenden, können wir uns das Vergnügen nicht versagen, uns noch näher mit Ihnen zu unterhalten; sowol weil wir wünschen, mit Ihnen in eine fortlaufende Geschäfts- und literarische Verbindung zu treten, als auch um Sie wegen Eines und Andern um Rath zu fragen. Hr. B. (Brockhaus), Schreiber dieses, der vorzüglichere Unternehmer und Eigenthümer unsers Geschäfts, hat nämlich stets an Ihren Schicksalen den innigsten Theil genommen, und es gibt vielleicht wenige Personen, zu deren Individualität er sich von jeher so hingezogen gefühlt hätte als zu der Ihrigen. Als Knabe und Jüngling schon -- er ist jetzo in den Dreißigern -- interessirte ihn vielleicht kein Schriftsteller in dem Grade als Sie, mit Ihren rhapsodischen, kühnen, aber alles Edle und Schöne mit der innigsten Wärme umfassenden Schriften. Er schwärmte mit Ihnen bei der Morgenröthe der französischen Freiheit; Klopstock und Ihre Lieblingsschriftsteller waren die seinen; jede von Ihnen herausgegebene Schrift wurde von ihm mit Begierde gelesen; er litt mit Ihnen bei Ihrem Weggange von Kiel; er indignirte sich über die Xenien wider Sie; er begleitete Sie mit einem sorgsamen ängstlichen Auge nach Paris, wo er sich um dieselbe Zeit wegen Handlungsgeschäften gerade einige Wochen aufhielt, in denen Sie dort eben angekommen waren (kurz nach dem berühmten XIII. Vendémiaire), was er freilich nicht eher erfuhr als durch Reichardt's Journal.[15] Seitdem forschte er nach, wo er nur konnte, ob es Ihnen wohlgehe; er suchte Alles zu lesen, was Sie von Zeit zu Zeit in Deutschland und Paris bekannt machten, und es ist ihm schwerlich etwas entgangen vom »Bardieten« an bis zu den »Tempelherren«, von der »hehren Jungfrau« bis zu Fischer's -- seines persönlichen Freundes -- »Valencia«.[16] Auch von den Arbeiten, wo Sie sich nicht nannten, wie oft im Journal »Frankreich«, in der »Eleganten Zeitung«, in den »Französischen Miscellen«, in den »Europäischen Annalen«, hat er Sie, und gewiß selten unrecht, errathen -- Sie sehen also, daß wir uns wol als alte Bekannte constituiren können. Damit Sie aber auch wissen, wer dieser Ihr unbekannter Freund ist, so wollen wir Ihnen das auch mit ein paar Worten sagen, Ihnen, der so viel auf Namen und individuelle Hinstellung hält. Ihr Freund heißt also .. Wilibald[17], ist ein Westfälinger, von Dortmund gebürtig ... In Düsseldorf lernte er die Handlung. In Leipzig studirte er, wie man sagt .. nach Ablauf der Lehrzeit. Im Jahre 1798 etablirte er sich in seiner Vaterstadt und heirathete ein liebes Weib. Seine Handlung zog ihn im Jahre 1802 nach Holland, wo er sich denn diese Zeit her in Amsterdam niederließ und seine Handlung mit .... fortsetzt.[18] Es geht ihm hier wohl und er lebt seinen Geschäften, seiner Familie und nebenher den Wissenschaften. Das jetzige Prohibitivsystem unserer Regierung gibt ihm in seiner Handlung mehr als gewöhnlich Muße, und aus alter Liebhaberei für Literatur und schöne Künste hat er die Idee zur Errichtung eines Kunst- und Industrie-Comptoirs gefaßt, und glaubt Zeit und Kenntnisse genug zu haben, es neben seinen andern Geschäften leiten zu können. Die Geschäfte unsers Comptoirs sollen in Buch-, Musik- und Kunsthandel bestehen und in eigenen Verlagsunternehmungen, die uns dem Geiste der Zeit angemessen scheinen. Zu unsern Commissionen in Paris haben wir uns an Herrn Hinrichs gewendet .... besonders da wir bereits den ehrenvollen Auftrag erhalten, für das hiesige Museum alle und jede literarischen Neuigkeiten aller Sprachen zu liefern, ein Auftrag, der in jeder Hinsicht so wichtig für uns ist, daß wir ihm die größte Pünktlichkeit und Ordnung zu widmen schuldig sind. Wegen unsers Musiklagers bleibt es uns durchaus nothwendig, daß wir uns auf französische Musik legen. Die Mode will es; diese Musik ist jetzt hier _à l'ordre du jour_ und da es in Amsterdam keine einzige gut oder auch nur einmal erträglich organisirte Musikhandlung gibt, so würden wir ... Ich komme jetzt auf das Fach unserer eigenen Unternehmungen, die wir successive auszuführen suchen werden und worüber wir uns ebenfalls Ihren Rath und Beistand erbitten. Die ersten davon dürften sein: 1) eine holländische politisch-literarische Zeitung, 2) eine dergleichen für ....[19] Es gibt durchaus kein Land in der Welt, das ein größeres Interesse an dem Wechsel der Weltbegebenheiten nimmt als das unsere, weil keines ist, das den großen Herren in Westen, Süden, Osten und Norden so viel Geld geliehen als unsere Nation und wo ein so großer Handel mit Staatspapieren getrieben wird als hier. Man liest also in Holland mit verschlingender Neugier Alles, was nur wie eine Zeitung aussieht. Daher sind denn auch wol unsere Zeitungen ohne alle Ausnahme so schlecht und Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nach einem der jetzigen Zeit mehr angemessenen Plane vielen Beifall und einen brillanten Absatz haben würde. Wir haben also .... Das wären mithin unsere Zeitungsunternehmungen. Andere literarische werden wir jede Messe einige machen, um in Leipzig Tauschartikel zu haben, da wir viel deutsche Bücher beziehen müssen. Sollten Sie also selbst etwas auf dem Amboß haben oder von Ihren literarischen Freunden dergleichen wissen, so bitten wir Sie recht sehr, dabei an uns zu denken. Sie werden es so gut fühlen als wir, daß unser Comptoir als ein junges neues Geschäft doppelt vorsichtig bei der Wahl seiner Verlagsartikel sein muß, und uns also nur so was anrathen und anbieten, dessen Beifall und guter Aufnahme Sie sicher wären. Ich habe in einem der neuesten Stücke der »Französischen Miscellen« die Ursache ersehen, warum Sie Ihr hinreißend interessantes Tagebuch nicht fortgesetzt haben, daß Sie es aber fortsetzen wollen. Haben Sie dazu schon einen Verleger? Sonst bin ich Ihr Mann. Es würde mir sehr viel Freude machen, wenn wir dieses anziehende Werk herausgeben könnten. Melden Sie mir mit umgehender Post doch das Nähere hierüber. Ich denke, sollten Daunon, Chenier, Riouffe, Oelsner, Ginguené u. a. nicht auch noch Memoiren oder andere Producte ähnlichen Inhalts in ihrem Pulte besitzen? .... Sie kennen diese Männer alle. Denken Sie dabei an uns. Wir bieten die Hand und besitzen jedes Mittel dazu; u. s. w. Bevor wir Cramer's Antwort auf diesen Brief mittheilen und die daraus hervorgehende geschäftliche und freundschaftliche Verbindung zwischen beiden Männern schildern, haben wir über die holländische Zeitschrift »_De Ster_« (»Der Stern«) zu berichten, da sie Brockhaus' erstes Verlagsunternehmen war. Die erste Nummer dieser Zeitschrift erschien am 11. März 1806. Ein Redacteur ist nicht genannt, jedenfalls besorgte Brockhaus selbst die Redaction. Auch ein Verleger ist auf dem Blatte nicht namhaft gemacht, wie überhaupt das Erforderniß solcher Angaben erst eine Erfindung der spätern Preßgesetzgebung ist. Die Ankündigungen sind entweder »Der Unternehmer« oder »Die Expedition des Stern« oder »Das Expeditions-Comptoir in der Warmoesstraat No. 2« unterzeichnet. Gedruckt wurde das Blatt von J. G. Rohloff, dem Firmaträger des Geschäfts. Der »_Ster_«, der dreimal wöchentlich in Klein-Folio-Format erschien, war keine politische Zeitung, sondern eine politisch-literarische Zeitschrift. In dem von »den Unternehmern« in holländischer Sprache ausgegebenen Programme heißt es ausdrücklich: Das hauptsächlichste Ziel ihrer Zeitschrift soll nicht das sein, die allgemeine Neugierde nach politischen Gegenständen auf die gewöhnliche Art zu befriedigen, vielmehr werden alle sogenannten posttäglichen Zeitungsnachrichten davon ausgeschlossen bleiben. Statt dessen werden die Sammler dahin trachten, ihrer Nation die nähere Verbindung der besondern Weltverhältnisse kennen zu lehren; den Fortschritt oder das Zurückgehen der Cultur und Aufklärung bei andern Völkern zu ihrer Wissenschaft zu bringen und ihr dadurch gewissermaßen einen Prüfstein für ihre eigenen in die Hand zu geben; Nachrichten vom Zustande des Handels, der Manufacturen und Fabriken in andern Ländern mitzutheilen; Bemerkungen über dasjenige, was in dieser Rücksicht in unserm eigenen Vaterlande Neues an den Tag tritt einzuschalten; das lesende Publikum durch geistvolle Aufsätze aller Art angenehm und lehrreich zu unterhalten; endlich durch unparteiische Beurtheilungen einen Versuch zu machen, auf unsere Sitten, gesellschaftlichen Einrichtungen, einige Zweige der Staatsverwaltung von einigem Einflusse zu sein: eine Aussicht allerdings sehr weiten Umfangs, deren Nützlichkeit aber Unternehmer und Redacteurs sich Mühe geben werden, nie aus dem Gesichte zu verlieren. Diesem Programm gemäß brachte »_De Ster_« neben Besprechungen von literarischen und Theaterangelegenheiten, die den größten Raum einnehmen und eigenthümlicherweise bisweilen auch in französischer und deutscher Sprache geschrieben sind, keine politischen Nachrichten, sondern Erörterungen über die politische Lage Europas. Bei aller Bewunderung der Französischen Revolution und ihrer Principien, die nach der damaligen Zeitströmung begreiflich ist und von dem Herausgeber Brockhaus persönlich getheilt wurde, hielt sich das Blatt doch fern von einer Verherrlichung Napoleon's und verrieth durchaus keine Sympathien für dessen nivellirende Maßregeln und immer deutlicher hervortretende Absicht, der am 16. Mai 1795 mit französischer Hülfe proclamirten Batavischen Republik wieder ein Ende zu machen; ja seine Politik wird bald offen gemisbilligt, bald durch versteckte Satire angegriffen. Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete, benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck, diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremdlings entgegenzuwirken; Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806 wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.) niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom 9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt. Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als »_De Ster_« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die Batavische Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit Brockhaus persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß schon in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik in ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: »_De Ster_« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt worden! Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht angegeben; sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt kein politisches Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten huldigte. Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »_Amsterdamsch Avond-Journal_« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel »_De Ster_« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines in der letzten Nummer des »_Ster_« begonnenen Artikels bringt! In der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten Nummer des »_Ster_«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem königlichen Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem neuen Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange als das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am 2. August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt ist. Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den »_Ster_« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung und zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier folgen. Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806: Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts, ist der, den uns unser Freund Wilibald[20] gleich in seinem ersten Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll, scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von keinem -- zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht sagen, daß sie unter den andern _Couranten_ von Amsterdam, Rotterdam, Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; -- denn diese haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste politische Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem Schwall der tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, Nachrichten angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer Notizen ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch schändlicher stumpfen Lettern gedruckt .... sie wird durch ihren Inhalt für denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntnißbegierigen ein Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle möglichen literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, stehen ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, zu Gebot; und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz zu wählen, besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er an Interesse die »Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die »Auroren«, »Sphinxe«, und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit übertreffe, als der wieder aufgeweckte brüsselsche »_Esprit des Journaux_« nach dem ich unter allen Tag- und Monatsschriften in Paris am happigsten greife, die einzelnen Journale, aus denen ihn der Verfasser distillirt. Ueber die Organisation und Nativitätstellung dieses Sterns haben wir uns in den vergangenen Wochen fast tagtäglich unterredt; und uns gestern noch mit Bestimmung des emblematischen Druckerstockes dazu amüsirt. Einer aus Gille's Carte hat uns dazu zum Muster gedient, mit den gehörigen Veränderungen jedoch; so daß der blitzführende Adler unten in den siebenpfeiletragenden Löwen, und die Kaiserkrone in den batavischen Freiheitshut umgewandelt worden ist; zur Seite ein Eichen- und Lorbeerzweig, das Schöne zum Ernsten! -- dessen Kreis der Stern denn durchstrahlt. Sobald was davon dem Telescop oder Auge sichtbar werden wird, gebe ich Dir weitere Nachricht. Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März, ebenfalls aus Amsterdam: Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim[21], noch bei ihm, einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ..... Vom »Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern« die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich von Sprache, ein Schatz werden für das Lexikon und den Stil der Nation. Im vierten Stücke steht eine treffliche Uebersetzung von Sturzens Reise nach dem Deister, depaysirt, und hier nach Soesdyk hinversetzt; auch kömmt die hiesige Plantage darin vor. Ich denke: es wird den amsterdammer Damen gefallen, das Stück; und warum nicht den Rotterdammerinnen Haagerinnen, Delfterinnen, Gröningerinnen &c. auch? Giebt es Eine, in welcher Stadt auf der Erde es sei, der dies Schalksstück nicht aus dem Herzen und dem Wandel wie abgeschrieben gleichsam ist? Cramer's schon mehrfach erwähnte »Individualitäten« waren das zweite journalistische Unternehmen des jungen Verlegers, ein deutsches neben dem holländischen »_Ster_« und dem französischen »_Conservateur_«. Denn wenn es uns auch nur in Buchform vorliegt, in vier Bändchen, die »Hefte« genannt sind, so zeigt doch die ganze innere und äußere Einrichtung (die Eintheilung in einzelne Abschnitte und Briefe mit fortlaufenden Daten, vom 2. August 1805 bis 26. September 1806) den journalistischen Charakter. Noch mehr geht dies aus dem am 15. März 1806 zwischen Brockhaus und Cramer darüber abgeschlossenen Verlagscontracte hervor. Danach handelte es sich um den in »freien Heften« herauszugebenden »ersten Jahrgang« eines Werks unter dem Titel: »Individualitäten aus und über Paris von Karl Friedrich Cramer und seinen Freunden.« Dieser erste Jahrgang sollte in zwölf Heften (die also wol als Monatshefte gedacht waren), jedes zu zwölf Bogen erscheinen; je drei Hefte sollten gleichzeitig einen zweiten Titel erhalten und dadurch als neue Theile des in den Jahren 1792-97 in Altona und Leipzig von Cramer herausgegebenen »Menschlichen Leben« bezeichnet werden. Das Werk sollte in Leipzig in der Breitkopf'schen Druckerei gedruckt werden und jedes Heft die Handschrift eines Gelehrten u. s. w. in einem Facsimile bringen, dessen Platte in Paris unter Cramer's Leitung zu stechen wäre. Ueber eine Fortsetzung des Werks in einem zweiten, dritten u. s. w. Jahrgange sollte neue Verständigung stattfinden. Also der Verleger in Amsterdam, der Redacteur in Paris, der Drucker in Leipzig, monatlich 12 Bogen (jährlich 144!), dazu artistische Beilagen und ein für damalige Zeiten und ein derartiges Monatsjournal ansehnliches Honorar (24 resp. 30 Francs für den Bogen klein Octav) -- jedenfalls ein kühnes Unternehmen für einen angehenden deutschen Verleger im Auslande! Die Ausführung entsprach denn auch nur theilweise diesem Vorhaben: statt zwölf Heften erschienen nur vier (wenn auch meist mehr als zwölf Bogen enthaltend und jedes mit einem Facsimile) im Laufe von dreiviertel Jahren. Der Gehalt der Zeitschrift war indeß ein werthvoller, der ein etwas näheres Eingehen verdient, zumal darin auch einige biographische Mittheilungen über Brockhaus enthalten sind und der Herausgeber seinem Verleger persönlich nahetrat. Vor allem müssen wir den Herausgeber selbst näher kennen lernen. Karl Friedlich Cramer war eine eigenthümliche Natur, in vieler Hinsicht der von Brockhaus ähnlich und diesen deshalb anziehend, wie Brockhaus in seinem ersten Briefe an ihn (vgl. S. 61 fg.) selbst schildert. Am 7. März 1752 in Quedlinburg geboren, wo sein Vater, der verdiente Kanzelredner Johann Andreas Cramer (auch als religiöser Dichter und Biograph Gellert's bekannt), damals Oberhofprediger war, kam er mit diesem noch als Kind nach Kopenhagen, dann nach Lübeck und Kiel. Er studirte in Göttingen, wo er Anfang 1773 in den Göttinger Dichterbund aufgenommen wurde, und lebte seitdem in Kiel, wo er erst Privatdocent, 1775 außerordentlicher und 1780 ordentlicher Professor der griechischen Sprache, der orientalischen Sprachen und der Homiletik an der Universität wurde. Als ein leidenschaftlicher Anhänger der Französischen Revolution wurde er 1794 seines Amtes entsetzt und selbst aus Kiel verwiesen. Den nächsten Anlaß dazu scheint er dadurch gegeben zu haben, daß er den bekannten französischen Revolutionsmann Péthion (der erst Jakobiner, dann Girondist war, als Royalist verdächtigt aus Paris entfloh und im Juli 1793 in der Gegend von Bordeaux todt aufgefunden wurde) in einer Ankündigung der Uebersetzung von dessen Werken einen Mann von »menschenfreundlichstem Geiste«, »einen Märtyrer seiner Rechtschaffenheit« genannt hatte! Nach kurzem Aufenthalt in Hamburg ging er 1795 nach Paris und errichtete dort eine Buchhandlung und Buchdruckerei, scheint damit aber schlechte Geschäfte gemacht und dabei sein ganzes Vermögen eingebüßt zu haben. Eine Zeit lang war er deshalb genöthigt, sich aus Paris zu entfernen. Er wendete sich nun wieder literarischen Arbeiten zu und starb in Paris am 8. December 1807. Cramer war ein fruchtbarer, talentvoller und kenntnißreicher Schriftsteller, der lange Zeit auch großes Ansehen genoß, aber excentrisch und von einem Hang zum Sonderbaren beherrscht. Anfangs concentrirte sich seine literarische Thätigkeit um seinen fast 30 Jahre ältern Landsmann Klopstock (geb. 2. Juli 1724 in Quedlinburg), der mit Cramer's Vater befreundet war und z. B. 1754 dessen Berufung nach Kopenhagen veranlaßt hatte, nachdem dieser selbst 1751 auf Graf Bernstorff's Veranlassung dorthin gegangen war. Auch war der Göttinger Dichterbund, dem Cramer angehörte, der Mittelpunkt der damaligen begeisterten Verehrung Klopstock's. Cramer schrieb in den Jahren 1777-92 zwei große Werke über Klopstock, das eine aus zwei, das andere aus fünf Bänden bestehend, und übersetzte unter anderm dessen »Hermannsschlacht« ins Französische. Daß Klopstock auch seinerseits viel auf Cramer hielt, geht schon daraus hervor, daß er eine seiner schönsten Oden an ihn richtete; es ist die 1790 gedichtete Ode »An Cramer, den Franken«, in der er das französische Volk vor neuen Ueberschreitungen warnt, zugleich aber die Fürsten mahnt, sich durch das Gespenst des untergegangenen Königthums warnen zu lassen. Ein zweites Stadium der Schriftstellerlaufbahn Cramer's bildet das bereits erwähnte Werk »Menschliches Leben«, ein drittes umfaßt drei von ihm in Paris geschriebene Werke: ein »Tagebuch aus Paris« (2 Bände, Paris 1800), die »Individualitäten aus und über Paris« und ein gleichfalls von Brockhaus verlegtes Buch »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an. Von Pinkerton, Mercier und C. F. Cramer« (2 Bände, 1807-8), außerdem ein Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache (2 Bände, Braunschweig und Paris 1805) und zahlreiche Uebersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, auch aus dem Dänischen, sowie Artikel in französischen und deutschen Journalen. Brockhaus trat mit Cramer erst im Herbst 1805 in Beziehungen, indem er am 17. October jenen Brief an ihn richtete, in welchem er ihm seine Verehrung aussprach und mehrere literarische Anträge stellte. Ihre Verbindung dauerte gerade nur zwei Jahre, da Cramer, wie eben erwähnt, am 8. December 1807 starb, war aber in dieser kurzen Zeit eine sehr freundschaftliche und selbst innige. Cramer antwortete auf den erwähnten Brief sofort am 24. October, sichtlich erfreut über die warme Begrüßung (seine Antwort folgt weiter unten) und es entspann sich daraus ein lebhafter Briefwechsel, ja Cramer kam im Februar des nächsten Jahres nach Amsterdam und blieb dort drei Monate, in täglichem geschäftlichen und persönlichen Verkehr mit Brockhaus. Als diesem am 28. Januar dieses Jahres (1806) der dritte Sohn geboren war, gab er ihm auf Cramer's Rath den Namen Hermann. Er schreibt darüber unterm 25. Februar folgende Worte an seinen Bruder Gottlieb, die am besten das Verhältniß zwischen ihm und Cramer charakterisiren: Die Wahl dieses Namens machte mein Freund, der Professor Cramer aus Paris, der sich seit einigen Wochen hier aufhält und während seines hiesigen Aufenthalts unser unzertrennlicher Gesellschafter ist, da vielleicht keine zwei Menschen auf der Erde existiren, die eine größere Aehnlichkeit in ihren Neigungen, in ihrem Geschmacke und in ihren Ansichten der Welt zusammen haben, als wir Beide. Er ist überhaupt einer der interessantesten Menschen, die ich kenne, und ich rechne die Wochen, die ich mit ihm verlebt, zu den glücklichsten meines Lebens. Cramer äußert sich seinerseits mehrfach in ähnlicher Weise über Brockhaus. So schreibt er aus Amsterdam unterm 30. März 1806 in den »Individualitäten«: Fast alle meine Abende, wenn mir nicht gar zu arg von Morpheus zugesetzt wird, bring' ich bei unserm Freund Wilibald zu und seinem lieben Weibe, die an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu meinen Idealen gehört; ich glaube mich manchmal in Eutin bei Vossen wieder zu sehen, dessen Ernestine sie sehr gleicht. Bei Erdäpfeln, fast noch nationaler hier, als die Canäle und Alexandriner sind, und die ich gebraten (_à l'italienne_) sehr gern mag, Fischen und trefflichem Beaunewein schwatzen wir oft bis tief in die Nächte hinein, schlummern dann und wann auch an der Torfglut des englischen Camins ein Duettchen zusammen; ich habe bei meiner Modehändlerin, Madame Müller, bei der ich, zehn Schritt ab von seinem Hause, mich einquartirt, meine Zerstreutheit so in Credit zu setzen gewußt, daß sie mir den Schlüssel zu ihrer Boutique anvertraut und ich in der Kunst, sie mit einer eisernen Stange wieder zu schließen, von ihr unterrichtet worden bin; so schlüpfe ich denn manchmal des Nachts um 12 oder 1 erst wieder zu mir herein. Das obige schöne Wort über Brockhaus' Frau verdient um so mehr mitgetheilt zu werden, als uns über dieselbe sonst leider sehr wenig bekannt ist. Später richtet Cramer einmal einen (im vierten Hefte der »Individualitäten« abgedruckten) Brief »An Sophie« statt »an Ihren unmusikalischen Mann«, weil er über den Componisten Grétry spricht, und fügt hinzu: Indem ich dies Stück Tagebuch schreibe, kömmt es mir vor als säße ich bei Ihnen und läse Ihnen daraus, indem Sie die Fliegen von der Wiege Ihres kleinen Hermann's verscheuchen ... ach! welch ein Name für mein Herz. Brockhaus ließ in dieser Zeit auch das Porträt Cramer's für sich malen (wahrscheinlich von dem ihm befreundeten Scheffer, dem Vater Ary Scheffer's), und trennte sich später nur schwer davon, um es Cramer's Witwe zu schenken. Cramer's früher schon erwähnte Antwort an Brockhaus, datirt Paris 2. Brumaire XIV (24. October 1805), lautet: Seit langer Zeit ist mir kein lieber Brief zugekommen, der mir so viel Freude gemacht, als der Ihrige; Freund Kühnwille! der Sie sind. Wie sachte es einem so vielfach angefeindeten, gescheuchten, so oft vorschnell verurtheilten Ismael thut, wenn er in den arabischen Syrten auf einen Esau-Kühnwille trifft, einerlei zottigen Haares mit ihm; davon hat nur ein Wüstenbewohner Begriff. Eng verbündet er sich und willig mit ihm, der ihm so frank seine Gleichförmigkeit enthüllt; so viel Edles von jugendlichem Antheil ihm sagt; ihn kennt und erkennt; wie eng und wie gern, dazu schenken Sie ihm der Worte Weitläufigkeit wohl. Er fühlt es, daß seine Seele mit der Ihrigen gebrochen ward aus einerlei Gestein. Also kurz und bündig, wie er's izt kann, in dieser herben und schnöden Zeit, zur Sache. Er nimmt die ihm vorgelegten Materien sogleich Punktweise vor .... Wegen Ihres dritten Gedankens, mein weitaussehender Herr: _alors comme alors_! Kömmt Zeit, kömmt auch Rath! Ich gehe mithin sogleich an Ihren vierten Punkt, der die Uebernehmung der Fortsetzung meines Tagebuches betrifft. Hätt' ich doch niemals geglaubt, ich Strauß, der seine Eier sogleich, wie er sie gelegt, im Sande vergißt, daß jenes seit acht Jahren verscharrte ausgebrütet worden sei; und ein klein Sträußchen geworden, das sich bis zu Ihnen nach Amsterdam hin verirrt! Ich wenigstens habe von keinem Menschen, über Aufnahme oder Nichtaufnahme davon (außer von Klopstock, der mir mit meinem »Marcus Sextus« darin seine vollste Zufriedenheit bezeugt) auch nur ein Sylbchen gehört. Es ward, da ich mich in Frankreich nicht mehr mit deutschem Verlage befassen gewollt, und August Campe mir dazu seine »Vermittlerschaft« versagt, von ihm wider meinen Wunsch an Kaven vertraut; bei dessen plötzlichem Hinschied auf einem Dorfe zwischen Hamburg und Lüneburg, es in seine Masse, dann justizmäßig in die Gläubigerklauen gerieth; so daß mir auch kein einziger kupferner Sechsling Billons nur dafür ward. Nun -- da mich denn neulich von Ohngefähr, bei Gelegenheit Raynouard's, der Fortsetzungskitzel dazu stach, und Ihre Sympathie nebst Kühnwillen Sie hinreizt, zu meiner »rhapsodischen kühnen Manier« -- wohlan, so seien Sie vor allen Andern dazu denn mein .. Mann. An Stoff, in meiner und meines Vaters Correspondenz, die gar manche Artikel von Ersten Nahmen aus unserm und andern Vaterlanden enthält, und meinem Umherblick auf den Wüsten und Aeckern der Menschheit, fehlt es mir eben nicht; unser Babylon hier reichte mir deren allein schon genug. Ich brauche gegen Sie, der sich auf _Dotem_ und Nicht-_Dotem Libellorum_ versteht, keiner weitläufigen Verständigung deshalb. Die »Individualitäten« werden ohngefähr geben, was mein »Menschliches Leben«, und jenes vergessene Ei, das von jenem den zwanzigsten Theil füllt, enthielt; und da es, Ihrem Wunsche gemäß, zu einer Art von periodischen _Salmi_ (aber um Gotteswillen, in freien Heften! denken Sie ans .. Mühlenpferd!) gedeiht, gleich den »Sphinxen«, »Auroren«, »Freymüthigen«, »Eleganten« u. s. w., deren jedes »_Pages_« (siehe Diderot) und einige Quadersteine, nebst vielen Sandbröckeln, Moëllons, und Kalkausfüllseln, euch gibt; nicht bloß wilde Tellow-Ismaelitische Aufsätze reichen, im stricten und strictissimen Verstand, sondern auch, als Schnabelweide für die »Million«, eßbarere Hausmannskost, wie sie seit einigen Jahren, für den allgemeinen Gaumen der Neugier, in den »Miscellen«, »Politischen Annalen«, u. s. w. regelrechterer Art, und nicht ganz mit Verschmähung abseiten des Leservolks, gargekocht, zurechtgestutzt und aufgetischt worden sind. Ihr neuer Titel: »Individualitäten« bestimmt ihren .. Tadel und ihren Zweck; sie werden von Ismael Abdallah, der auch Artikel darin macht, herausgegeben und commentirt .. Die Tendenz dieser .. Kriegsnahmen ist Ihnen aus meinem »Tagebuche« bekannt. Die Sosiasbedingungen dabei anlangend denn nun .... Ich erwarte über diese, mit der nächsten Post, Wilibald's #Ja# oder #Nein#: -- (»Euer Ja sei Ja! und Euer Nein sei Nein!«) .. vielleicht schreibe ich Ihnen alsdann auch noch über ein andres Werk, das mich seit Jahr und Tag in poetischer und prosaischer Zweisprache beschäftiget; und das, von manchen Bauleuten verworfen bisher, zum Ecksteine Ihres jungen Buchhandels vielleicht wird. Dieser Marmor ist -- wunderbar genug! von einem .. Weibe in England, aus dem schönsten parischen Bruche gehaun .. ich ciselire für Deutschland nur ein wenig daran; gelt, Sie haben wie jeder Andre, der nicht etwa der Berlepsch »Caledonia« las .. niemals etwas von .. Joanna Baillie gehört? Solch wunderbar Unbekanntbleiben, selbst in unserer alles Ausländische verschlingenden Lesenation, muß jeden Unbekannten für ein ähnlich Schicksal trösten darin. Für heute soviel genug, und .. Allah's heiligem und würdigem Schutze befohlen hiermit! .. Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7. November 1805: Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens, Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ......[22] Aber so soll es auch mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn, bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und -- dem Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich, ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken? Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! .... Ich komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon: der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte indeß eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein. Und dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie von dem Funde des _Colchicum_ und Ihrer Begeisterung dabei erzählen. Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre Jugendfreunde. Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an .... Der von Ihnen gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die _Noms de guerre_. Diese, liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber, da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ..... Ich sagte vorhin: ich vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte: von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen möchten, dann und wann ... mitzutheilen. Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«, oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt, als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel, wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris« .. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin ..... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode, mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu erscheinen, bei ..... Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des Titels und selbst die Weglassung der »_noms de guerre_«, obwol nur ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul. Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry -- literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam -- feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die »Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er später -- im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« -- besser zu verwirklichen vermocht. * * * * * Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen Charakters: »_Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences et de beaux-arts._« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also ebenfalls schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden andern Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften von acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm Titel bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die großen französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »_Revue des deux Mondes_«, angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, bis Mitte 1808, sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur zwei derselben, der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich wenigstens ein Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, während weder ein Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden ist. Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über Verschiedenes, »_Variétés_« genannt. Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit, wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz, Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w. Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter, indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg, »_Prince-Primat de Germanie_«, über den Einfluß der schönen Künste auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von dem »_historiographe prussien_« Johannes von Müller am 20. Januar 1807 in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's des Großen. Im Aprilhefte von 1807 erschien auch zuerst der später als besondere Schrift gedruckte (und von uns noch näher zu erwähnende) Brief von Charles de Villers an die Gräfin Fanny von Beauharnais über die Ereignisse in Lübeck am 6. November 1806, der Villers viele Unannehmlichkeiten bereitete; er schildert darin offen die von seinen Landsleuten bei der Erstürmung Lübecks begangenen Greuel. Vielleicht als Gegengewicht gegen diesen Aufsatz ist in demselben Hefte eine von Villers angefertigte Uebersetzung der Rede enthalten, welche der bekannte Kirchenhistoriker Henke am 2. December 1806 zur Jahresfeier der Krönung des Kaisers Napoleon in der Universitätskirche zu Helmstedt hielt. * * * * * Ehe wir uns den übrigen Verlagsunternehmungen von Brockhaus in dieser Zeit außer den drei journalistischen zuwenden, mögen noch zwei Briefe desselben an seinen Bruder Gottlieb einschaltet werden. Der erste ist der schon oben erwähnte vom 25. Februar 1806, den er aus Anlaß der Geburt seines dritten Sohnes schrieb: Hermann, lieber Bruder, so heißt das Schäflein, womit der Himmel unsere kleine Heerde wieder vermehrt hat. So hieß der Edelste der Deutschen! Wir müssen uns ja jetzt wohl an Namen halten! Wo sind jetzt Männer unter unserer Nation? Oder vielmehr unter unsern Fürsten? Würden wir sonst die Schmach kennen, die jetzt schwer beladen auf uns liegt? O der schändlichen Rolle Preußens! Freilich für die Menschheit ist es gut, daß Bonaparte mit seiner Herkuleskeule die Pinsel und Knaben mit einem Schlage dahingestreckt hat. Wie würde Deutschland von zahllosen, sich immer neu recrutirenden Armeen von Kosacken, Kalmucken, Kroaten, italienischen und französischen Völkern zerrissen, geplündert und zerfleischt worden sein, wenn die Vortheile der Armeen sich balancirt hätten und nicht Schläge wie die von Ulm und Austerlitz gefallen wären. Aber Deutschlands Ehre? -- sie ist zernichtet. Unnennbar groß ist aber Bonaparte geworden! Es ist wirklich fast kein Mensch, es ist ein Halbgott. Wäre er immer, was er zu zeiten ist, als Mensch, denn über ihn als Krieger und Regenten kann nur eine Stimme sein, wer würde ihn nicht unbedingt verehren, ja vor ihm niedersinken? Verzeih diese Digression, zu dem der Name meines kleinen Hermann mich verleitet. Hier folgt die früher abgedruckte Stelle über Cramer, dem er die Wahl dieses Namens verdanke. Darauf heißt es weiter: Ueber die politische Lage unsers Landes circuliren tausend Gerüchte. Sehr fatal ist es, daß Schimmelpenninck so gut wie blind ist, -- und daß man wenig Wahrscheinlichkeit zur Besserung hat. Das gibt nun den besten Vorwand für ihn, sich zu entfernen, oder für die Franzosen, sich unsers Gouvernements zu bemächtigen. Man spricht von einem Könige von Batavien, das Louis, ein elender Mensch, sein würde, Ostfriesland soll mit unserem Lande vereinigt werden u. s. w., doch wer kann wissen? Daß Dortmund ebenfalls wieder unter andere Herrschaft kommen wird, ist auch wol sicher. Wol Darmstädtisch oder Braunschweigisch. Was denkt man bei Euch davon? Mit unserer literarischen Entreprise geht es immer _crescendo_. Wir erhalten jetzt einen Factor aus Deutschland. Mit _medio_ März wird ein eigenes Haus dazu bezogen. Die Unternehmung kann eben so hochwichtig als sehr lucrativ werden. Mit dem 11. März fängt sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift an, deren Wichtigkeit nicht berechnet werden kann, wenn sie einschlägt. Es ist dies eine politisch-literarisch-historische Zeitung, wie noch keine .... Hier schließt der erste Briefbogen, der zweite ist leider nicht mehr vorhanden; die eigenen Aeußerungen von Brockhaus über den »_Ster_« wären von besonderm Interesse gewesen. Der zweite Brief ist der von ihm unterm 25. August 1807 geschriebene, dessen auf sein Etablissement bezügliche wichtigste Stellen bereits mitgetheilt wurden, während der in anderer Beziehung interessante Anfang desselben hier folgen möge. Er schreibt: Dein Brief war meiner guten vortrefflichen Sophie und mir am Donnerstag, als wir ihn erhielten, ein Fest der Erquickung, und bis spät in die Nacht unterhielten wir uns über euch, ihr Lieben, über Vergangenheit, Zukunft, und wie es einst noch werden möchte! und werden könnte! und werden mag. So sitzen wir alle Abend, einen wie den andern, da ich allein niemahlen für mich ausgehe, wenn ich Abends 8 oder 9 Uhr vom Comptoir abkomme, zusammen und verplaudern dann süße, dann bittere Stunden, je nachdem der Gegenstand heiter oder traurig ist. Wie ich mich so an diese Häuslichkeit habe gewöhnen können, daß es mir auch unmöglich ist, nur eine Stunde oder ein paar es anderwärts auszuhalten, ohne von Langeweile und Ueberdruß bis zum Aeußersten gefoltert zu werden; wie ich auch gar nicht mehr für diese Abendgesellschaften, wo es lustig und fidel hergeht, passe und eine recht alberne Figur darin spielen würde; wenn ich über diese wie so manche Veränderung nachdenke, so fühle ich freilich wohl, welch einen großen Theil daran die Begebenheiten meines stürmischen Lebens haben, allein in dieser Hinsicht kann ich die Resultate davon doch nicht anders als höchst beglückend finden. Dieses #innere# Leben! diese Veredlung unserer ehelichen Verhältnisse und Rückwirkung von da auf unser ganzes Gemüth, wodurch dieses etwas Hehres und Heiliges erhalten, hat wirklich etwas so Beseligendes, daß ich nicht wünschen kann, es möchte anders sein. Unsere Bekanntschaften sind jetzt noch eingeschränkter als ehemals, und nur mit zweien Familien stehen wir auf einem wahren freundschaftlichen Fuß: die eine ist die unsers Arztes, eines vortrefflichen Mannes, der ein edles wackeres Weib hat; -- sie sind nie einen Augenblick an uns irre geworden und ihre Freundschaft und ihr Edelmuth hat alle Proben ausgehalten. Die andere ist eine wackere Künstlerfamilie: er ein Deutscher, sie eine Holländerin. Beide große Maler und sie wieder eine der liebenswürdigsten und gebildetesten Frauen, die ich kenne. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon großer Künstler. Alle drei: Vater, Mutter und Sohn, haben Baggesen gemalt, wie er hier war, und nach der Zeichnung der Mutter lassen wir jetzt einen Kupferstich machen. Sie wird auch Sophie und mich malen -- für dich, mein bester theuerster Bruder, Schwester, Vater. Harry wird Gustchen und Fritz malen, und das sollst du auch haben. Außer diesen beiden Familien, mit denen wir innigst verbunden sind, haben wir nur noch ein paar Bekanntschaften: wir sehnen uns aber auch nicht nach mehreren, da uns diese genug sind. Desto mehr lebe und webe ich dagegen im Briefwechsel mit mehreren auswärtigen Freunden, der eine zweite Würze meines Lebens ist: Baggesen ist der erste darunter, von Villers, der berühmte Verfasser des unsterblichen Werks über die Reformation, der zweite, Professor Fischer in Würzburg und mehrere andere schließen sich an sie an. So lebe ich. Die in diesem Briefe erwähnten beiden Familien waren die des Arztes Nieuwenhuys und des Malers Jan Baptist Scheffer nebst seiner Gattin Cornelia, Aeltern des hier als zwölfjähriger Knabe erwähnten, später berühmt gewordenen Malers Ary Scheffer. Jan Baptist Scheffer war in Manheim geboren; er ging nach Holland, wurde zum Hofmaler des Königs Ludwig ernannt, starb aber schon 1809 in Amsterdam. Seine Gattin Cornelia, eine Holländerin, war ebenfalls Künstlerin und eine sehr anmuthige, auch literarisch gebildete Frau. Später zog sie mit ihren Söhnen Ary und Heinrich nach Paris und starb dort 1839. Ary Scheffer war am 10. Februar 1795 in Dordrecht geboren, kam dann mit seinen Aeltern nach Amsterdam und verließ dieses erst 1812, um sich in Paris weiter auszubilden; hier wirkte er bis zu seinem 1858 erfolgten Tode. In Amsterdam war er der Spielgefährte der ältesten Kinder von Brockhaus gewesen. Die hier erwähnten Porträts scheinen leider nicht mehr vorhanden zu sein; über ihren Verbleib hat sich auch bei spätern durch Ary Scheffer selbst angestellten Nachforschungen nichts ermitteln lassen. 4. Weitere Verlagsthätigkeit. Gleich im Beginne seiner Verlegerlaufbahn entwickelte Brockhaus auch auf andern Gebieten der Literatur einen nicht minder regen, vielseitigen und für einen Anfänger kühnen Unternehmungsgeist als den eben geschilderten in der Herausgabe von Journalen. Von Cramer verlegte er außer den »Individualitäten« zunächst noch Uebersetzungen von sechs Dramen der von diesem enthusiastisch verehrten und Shakspeare zur Seite gestellten englischen Dichterin Joanna Baillie (geb. 1762, gest. 1851). Sie erschienen noch 1806 unter dem von Cramer herrührenden Titel »Die Leidenschaften« in drei Theilen, deren jeder wieder einen ähnlichen charakterisirenden Titel führt: »Die Liebe«; »Der Haß«; »Der Ehrgeiz«, später (1808 und 1809) auch einzeln in sechs Separatausgaben unter ihren Originaltiteln. Außerdem veröffentlichte er noch (1807 und 1808) Cramer's deutsche Bearbeitung der Werke des Engländers Pinkerton und des Franzosen Mercier über das damalige Paris unter dem Titel: »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an« (zwei Bände, jeder mit einem Titelkupfer), von Cramer durch eigene Beiträge vervollständigt. Die Idee zu diesem Werke scheint von Brockhaus ausgegangen zu sein; Cramer sagt darüber in dem Vorberichte: Mein Freund Wilibald, Pflegevater meiner »Individualitäten«, glaubte daher (und vielleicht nicht mit Unrecht), daß dieses Gemälde eines Engländers (Pinkerton) ... eines deutschen Kupferstichs nicht unwerth ... Er trug mir dieses Geschäft auf ... bat mich endlich sogar, von dem Meinigen noch hinzuzuthun und Pinkerton's Gemälde mit einigen (wie ich es für gut finden würde) Verzierungen oder _hors d'oeuvres_ zu vermehren. Wenn ich (wünschte er weiter) den ersten großen Vorläufer aller dieser Maler -- »_notre maître à nous tous!_« -- Mercier, dazu bewegen könnte, mir sein Atelier zu öffnen ... so (meinte er) würde diese Vereinbarung eines Engelländers, Deutschen und Franzosen eine vielleicht nicht unpikante Sache sein, und an jener ursprünglich hauptsächlich britischen Zeichnung wenigstens nichts verderben. Neben Cramer war Jens Baggesen, der bekannte dänische Dichter, der gleichzeitig auch in deutscher Sprache schrieb (geb. 15. Februar 1764 zu Korsör, gest. 3. October 1826 zu Hamburg), einer der ersten Schriftsteller, mit denen Brockhaus in geschäftliche und freundschaftliche Verbindung trat. Er schloß mit Baggesen schon am 17. Juni 1806 in Amsterdam, wo dieser damals zum Besuche war, einen Contract über eine neue umgearbeitete Auflage seines idyllischen Epos »Parthenais oder Die Alpenreise«, die 1808 erschien, und wenig Tage darauf (21. Juni) über eine Sammlung seiner Briefe, die aber erst 25 Jahre später (1831), als beide Contrahenten gestorben waren, herausgegeben wurde. Im folgenden Jahre (16. Juli 1807) wurde dann ein neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die fast gleichzeitig mit der »Parthenais« (auch 1808) unter dem Titel: »Heideblumen. Vom Verfasser der Parthenais. Nebst einigen Proben der Oceania«, erschienen. Von der »Parthenais« verlegte er außerdem eine französische Uebersetzung in Prosa, von dem bekannten Gelehrten Fauriel gefertigt; hieran knüpfte sich eine längere Correspondenz zwischen Brockhaus und Fauriel über das durch Baggesen's Schuld vielfach getrübte Verhältniß zwischen diesem und Brockhaus, worüber wir weiter unten Näheres mittheilen. Allein nicht blos journalistische und poetische Werke waren es, mit denen sich der junge Verleger beschäftigte; er wagte sich sofort auch an strengwissenschaftliche Werke größern Umfangs, deren Verlag zu allen Zeiten mit Opfern verbunden zu sein pflegt. Schon 1807 erschien in seinem Verlage der erste starke Band einer lateinisch geschriebenen Geschichte der Botanik von dem gelehrten Arzt und Botaniker Kurt Sprengel in Halle: »_Historia rei herbariae_«, und im nächsten Jahre folgte der zweite Band; eine deutsche Bearbeitung desselben Werkes unter dem Titel: »Geschichte der Botanik«, erschien erst 1817-18 in seinem Verlage. Fast gleichzeitig begann er ein noch umfangreicheres Werk desselben Verfassers zu verlegen: »_Institutiones medicae_«, in sechs Bänden, wovon der erste 1809 ausgegeben wurde, während die übrigen Bände in den Jahren 1810, 1813, 1814 und 1816, in einer für den Verleger theils seiner persönlichen, theils der politischen Verhältnisse wegen sehr schwierigen Zeit, erschienen. Indeß wurde bei diesem Werke sein Muth belohnt, indem er bereits wenige Jahre nach der Vollendung (1819) eine zweite vermehrte und verbesserte Auflage desselben veranstalten konnte. Ein drittes wissenschaftliches Verlagswerk, das er gleich im Anfange seiner Verlegerthätigkeit übernahm, war die berühmte Naturgeschichte der Eingeweidewürmer von dem greifswalder (später berliner) Professor Karl Asmund Rudolphi (aus Stockholm); sie erschien unter dem Titel: »_Entozoorum sive vermium intestinalium historia naturalis_« (2 Bände, Band 2 in 2 Abtheilungen, 1808-10, mit 12 Kupfertafeln). Ein viertes ebenfalls naturwissenschaftliches Werk, das er indeß wahrscheinlich nur als Commissionsartikel übernahm (auf dem Titel sind die Gebrüder van Cleef im Haag als Verleger genannt, während Heinsius' »Bücher-Lexikon« das Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam als solche bezeichnet) ist das Werk des bekannten französischen Botanikers Brisseau-Mirbel (damals im Haag, später in Paris) über eine Theorie des Gewächsbaues, mit französischem und deutschem Titel, herausgegeben von dem holländischen Dichter Bilderdijk, der sich vielfach auch mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte. Eigenthümlicherweise ist der Text des Werks gleichzeitig französisch (links) und deutsch (rechts), während die Widmung an den König von Holland, die Vorrede Bilderdijk's und die ausführlichen Noten blos französisch sind. Bilderdijk entschuldigt sich in der Vorrede, daß er, in Amsterdam geboren, weder das Französische wie ein Pariser, noch das Deutsche wie ein »Sachse« schreibe; hiernach scheint auch die deutsche Uebersetzung von dem holländischen Dichter herzurühren. * * * * * Dem Jahre 1807 gehören noch drei Werke an, die von geringerer Bedeutung sind, aber gleich von Anfang an erkennen lassen, daß der Verleger die möglichste Vielseitigkeit seines Verlags erstrebte: ein französisches Reisehandbuch für Deutschland: »_Itinéraire de l'Allemagne_« (von dem Postmeister Raabe in Holzminden verfaßt), mit einer Karte; eine deutsche Uebersetzung des hauptsächlich nach Bossuet's Katechismus bearbeiteten, vom päpstlichen Legaten in Paris approbirten und von Napoleon obligatorisch eingeführten »Katechismus zum Gebrauche in allen Kirchen des französischen Kaiserreichs«; endlich eine deutsche Uebersetzung der berühmten Memoiren des französischen, in englische Dienste getretenen Schriftstellers Louis Dutens, der 1812 als britischer Historiograph in London starb, unter dem Titel: »Dutens Lebensbeschreibung oder Memoiren eines Gereiseten, der ausruht« (2 Bände), von dem durch sein Bibelwerk bekannten Johann Friedrich von Meyer in Frankfurt a. M. bearbeitet. * * * * * In dieser Zeit kam Brockhaus auch zuerst mit Villers in Beziehungen, die sich bald in freundschaftliche verwandelten und bis zu des Letztern Tode fortdauerten. Er veröffentlichte nämlich dessen berühmten »Brief an die Gräfin Fanny von Beauharnois«, worin Villers die Erstürmung Lübecks durch die Franzosen am 6. November 1806 und die dabei von denselben verübten Greuel als Augenzeuge schildert. Charles François Dominique de Villers, geboren 4. November 1765 zu Bolchen in Lothringen, 1792 Artilleriehauptmann, floh bei Ausbruch des Revolutionskriegs 1793, von den Jakobinern bedroht, nach Deutschland, das fortan seine zweite Heimat wurde, und lebte meist in Lübeck, wo er viel mit der Familie Rodde verkehrte, besonders mit seiner geistreichen Freundin Dorothea Rodde, der Tochter des Geschichtschreibers Schlözer; 1811 wurde er zum Professor der Philologe an der Universität Göttingen ernannt, nachdem ihm 1809 wegen seiner »ausgezeichneten Verdienste um die deutsche Literatur« und besonders auch wegen seiner Bemühungen um das Wohl der Freien Hansestädte das Ehrenbürgerrecht von Bremen ertheilt worden war. Er wurde erst von französischer, dann von deutscher Seite mehrfach belästigt und starb 26. Februar 1815 in Leipzig.[23] Villers machte es sich zur Lebensaufgabe, deutscher Literatur und deutschem Wesen dieselbe Anerkennung und Achtung in Frankreich zu verschaffen, die er selbst dafür empfand, und so beiden Ländern zu nützen. Wurm bemerkt über Villers: Wie sehr es ihm Ernst war mit der wissenschaftlichen Erforschung deutscher Zustände, das beweisen seine größern Arbeiten: die Darstellung der Kant'schen Philosophie, und die gekrönte Preisschrift über die Folgen der Reformation für die politische Lage der verschiedenen Staaten Europas und für den Fortschritt der Aufklärung. Das letztere Werk ist in wiederholten starken Auflagen und in einer holländischen, zwei englischen und drei deutschen Uebersetzungen verbreitet. In der Würdigung deutschen Geistes wetteiferten mit ihm Benjamin Constant und Frau von Staël. Mit Beiden war Villers innig befreundet. Constant hatte in Deutschland eine geistige Heimat gefunden, nur nach und nach söhnte er mit dem Entschluß sich aus, den die Ereignisse ihm fast wider Willen aufdrängten, seine wissenschaftliche Thätigkeit mit einer politischen in Paris zu vertauschen. Frau von Staël gefiel sich eine Weile in dem Gedanken, mit Villers vereint dahin zu arbeiten, daß der Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen sich ausgleichen möge. Bald aber fand sie sich verletzt durch seine ausgesprochene Vorliebe für Deutschland, die sie ihm in tadelnden, selbst in harten Worten vorwarf. Als ihr selbst derselbe Vorwurf -- freilich von ganz anderer Seite her und in ganz anderm Sinn -- zurückgegeben ward, da flüchtete sie mit ihren Klagen zu dem alten Freunde. Während ihrer langen Verbannung, der endlich der Sieg der fremden Waffen ein Ziel setzte, hatte ihre Liebe zur Heimat nur noch stärkere Wurzeln geschlagen. Anders war es mit Villers. Lebensschicksale, geistige Gewohnheiten hielten ihn von Frankreich fern, nicht irgendeine äußere, gebieterische Nothwendigkeit. In den frühern geflügelten Worten der Frau von Staël lag ein Stachel, den er tief und schmerzlich empfand. Glücklich, selbst inmitten einer ehrenvollen und vielbewunderten Thätigkeit, ist seine Lage nicht gewesen. Sie konnte es nicht sein. Wir Deutschen sind am spätesten zu dem Bewußtsein gelangt, daß die Nationalität nichts Zufälliges, daß sie nicht ein Ding ist, das man nach Belieben festhalten oder abstreifen und vertauschen mag. Es würde besser um unser Vaterland bestellt sein, wenn wir eher aus unsern weltbürgerlichen Träumen erwacht wären. Nicht daß es an kräftigen Stimmen gefehlt hätte, die uns zuriefen, das heilige Feuer zu hüten. Aber wir, wir schliefen und träumten.[24] In dieser beschämenden Betrachtung liegt gutentheils der Schlüssel zu demjenigen, was Villers' Ruhm und was sein Unglück ausmachte. Gewiß, wenn irgend Einer, so war er berufen, den geistigen Verkehr zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Aber er fand sich zwischen beide Nationen gestellt. Und er trat zu uns herüber, als die Gewaltherrschaft seiner Landsleute, ein unholder Alp, über unser Vaterland sich ausbreitete, und jegliches Eigenthümliche zu erdrücken drohte. Das Ritterliche seines Charakters hat ihn herübergeführt. Aber seinen Landsleuten gegenüber, wie sollt' er da den Schein abwehren, als habe er die eigene Heimat verleugnet? Daß er uns näher angehörte, können wir nicht bezweifeln, da er selbst es eingestanden hat. Der Anlaß aber, bei welchem ihm das Bekenntniß entschlüpfte, war der bitterste, der unverdienteste, der ihm widerfahren konnte. Es war die unerhörte Behandlung, die er von der wiederhergestellten hannoverschen Regierung erfuhr; das absichtsvolle Misverständniß, als wär' er in Göttingen eben nur ein Eindringling des westfälischen Zwitterreichs gewesen; das Abfinden durch einen Gnadengehalt, in der Voraussetzung, er werde denselben in Frankreich verzehren. Durch die spätere Erlaubniß, in Göttingen zu bleiben, und durch eine Pensionszulage war das nicht wieder gut zu machen. Die Kränkung hat sein Herz gebrochen. Uns Deutschen geziemt es, eingedenk zu sein, was er uns zum Opfer gebracht hat. Villers' Brief an die Gräfin von Beauharnais wurde dadurch veranlaßt, daß diese, die Tante der Kaiserin Josephine, nach den schrecklichen Ereignissen von Lübeck der Villers wie ihr befreundeten Familie Rodde Theilnahme ausdrücken und ihre Hülfe anbieten ließ. Villers benutzte dies, um der einflußreichen geistvollen Dame, die in Paris seine persönliche Bekanntschaft gesucht hatte, die traurige Lage Lübecks vorzustellen. Der Brief, vom 15. December 1806 datirt, ging erst am 12. Februar 1807 an seine Adresse nach Paris; am 4. März traf die Antwort ein, daß die Gräfin bereit sei, dem Kaiser den Brief vorzulegen und aufs wärmste zu befürworten. Inzwischen hatte Villers denselben in Lübeck als Manuscript drucken lassen und sandte am 5. März vier Exemplare nach Paris, darunter eins an Bernadotte und eins an Daru. Gleichzeitig schickte er auch ein Exemplar an Brockhaus; dieser ließ schon im Aprilhefte seines »_Conservateur_« den Brief abdrucken (vgl. S. 78) und außerdem Separatausgaben davon in französischer und deutscher Sprache erscheinen, die großes Aufsehen erregten und rasch drei Auflagen erlebten. Auch zu diesen Separatausgaben hatte Brockhaus jedenfalls Villers' Zustimmung, denn in einem (nicht unterzeichneten) Vorberichte heißt es: der Brief sei erst blos als Manuscript gedruckt worden, »da aber diese Schrift schon hier und da herumgekommen und ihr Verfasser sah, wie zweifelhaft es sei, einer voreiligen unerlaubten Bekanntmachung zuvorkommen zu können, so hat er unserm Wunsche gern nachgegeben und uns den Druck erlaubt« u. s. w. Der Brief war gleichzeitig in Paris gedruckt, aber dort wie später auch in Amsterdam confiscirt worden. Wurm sagt darüber: Hat nun bei den »hohen und höchsten Herrschaften« diese beredte Fürsprache irgend Etwas ausgewirkt? Nein, nicht das Mindeste. Aber die Darstellung selbst, die, wie sich erweisen läßt, nur für das Auge einiger Wenigen bestimmt war, hat mit einem male die größte Oeffentlichkeit erlangt. Wenige Flugschriften in jener bewegten Zeit sind so verschlungen worden. Der Eindruck war tief und nachhaltig. Ein richtiger Instinct sagte den Feldherren, daß der französischen Herrschaft, daß dem Vertrauen der Völker zu französischer Gerechtigkeit und zu französischem Schutz ein sehr schlechter Dienst geleistet sei, indem die Wahrheit an den Tag komme. So fehlte es denn auch nicht an den Maßregeln, durch welche das böse Gewissen sich zu verrathen pflegt. Die Schrift von Villers ward in Paris confiscirt[25]: Baggesen, in einem ergötzlichen Brief, wünschte dem Verfasser Glück dazu. Die Aufregung unter den Franzosen war so groß, daß selbst die lübecker Censur sich endlich gemüßigt fand, die Buchhändleranzeige, welche die Schrift zum Verkauf anbot, zu streichen. Bedenklicher war, daß Villers von sicherer Hand erfahren mußte, auch Bernadotte habe an der Schrift Anstoß genommen. Doch war das gute Vernehmen, wie man aus dem Schreiben eines Adjutanten des Prinzen ersieht, dadurch nicht auf die Dauer gestört. Keinenfalls ließ Villers sich irre machen. Er war sich keiner Uebertreibung bewußt, und erklärte dies öffentlich im Vorwort zu einer spätern Auflage. Der von Wurm erwähnte Brief Baggesen's an Villers, aus Hamburg vom 27. Juni 1807 datirt, lautete: Ich schicke Dir hier die ganze Saisirungsgeschichte aus Amsterdam und Paris, die, wie ich hoffe, Dich mehr freuen als befremden wird. In der That war es nicht leicht möglich, Dir und der Sache einen größern Dienst zu erweisen, als eben durch diesen erzdummen Streich der pariser Polizei geleistet worden ist. Eine Schrift, wovon schon mehrere tausend Exemplare im Umlauf sind, zu confisciren, hieß derselben außer dem Umlauf auch Einlauf -- Interesse ins Unendliche -- außer dem moralischen auch religiösen Einfluß und selbst (das Höchste, was in unsern Tagen ein Buch gewinnen kann) den Reiz der Sünde, _vel quasi_ des Verbotenen, verschaffen. Wüßte ich nur mit Gewißheit, daß man auch meine Sachen auf diese Weise saisiren würde, den Augenblick gäbe ich die göttlichsten Dinger heraus -- allein ich fürchte, man würde #mich# statt der Sachen saisiren. So wird dem großen Sieger mitgespielt! Wäre ich an seiner Stelle, ich setzte meine Polizei den Augenblick ab. Das Buch hätte sie, wenn sie ihr Geschäft recht verstanden, laufen lassen sollen und dagegen von einem lübecker Rathsherrn öffentlich bekannt machen lassen, daß der Verfasser nicht gewußt, was er geschrieben, daß sie (die Lübecker) betheuern können, es sei gerade das Gegentheil wahr u. s. w. Die Pariser, die nicht nach Lübeck laufen können, um Syndicus den oder den zu fragen: »Haben Sie das wirklich geschrieben?«, wären angeführt worden, wenigstens im Zweifel -- jetzt wissen sie, was an der Sache ist. Diese Schrift sollte aber für Villers doch noch verhängnißvoll werden. Vier Jahre nach ihrem Erscheinen, als er eben im Begriff stand, Lübeck zu verlassen, um einem Rufe an die Universität Göttingen Folge zu leisten, ließ ihn Marschall Davoust wegen derselben verhaften und seine Papiere durchsuchen. Da man nichts ihn Compromittirendes fand, ward er wieder freigelassen, aber aus den »von den französischen Waffen besetzten« Ländern verwiesen. Er verließ Lübeck am 8. März 1811, die Verfolgung ruhte auch in Göttingen nicht, und es ist unzweifelhaft, daß, wie Wurm sagt, die damit verknüpften Kränkungen sein Herz gebrochen haben; er starb, wie schon erwähnt, vier Jahre darauf (1815), kaum 50 Jahre alt.[26] Brockhaus verlegte bald nach jenem Briefe noch ein anderes kleines Werk von Villers: eine französische Uebersetzung der 1808 bei Friedrich Perthes in Hamburg erschienenen Schrift »Der Kaufmann« von Johann Albert Heinrich Reimarus, dem eigentlich auf einem andern Gebiete, als Physiker, bekannten Sohne des Verfassers der »Wolfenbüttelschen Fragmente«, Hermann Samuel Reimarus. Die Uebersetzung führt den Titel »_Le commerce_« (1808) und ist mit einem Vorwort von Villers versehen. Außerdem druckte Brockhaus 1807 in dem ersten Hefte seines »_Conservateur_« eine längere Abhandlung von Villers: »_Sur la manière essentiellement différente, dont les poètes français et les allemands traitent l'amour_«, und 1809 eine Schrift »_Coup d'oeil sur l'état actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«, die als ein Bericht an das _Institut de France_ und in einer Nachschrift als eine Rechtfertigungsschrift seines »_Coup d'oeil sur les universités allemandes_« (Kassel 1808) bezeichnet ist. Auch in späterer Zeit und bis zu Villers' Tode blieb Brockhaus mit demselben in geschäftlicher Verbindung. So verlegte er 1814 dessen letzte Schrift, in der die Wiederherstellung der drei Hansestädte warm befürwortet wird: »_Constitutions des trois villes libres anséatiques, Lubeck, Brêmen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang que doivent occuper ces villes dans l'organisation commerciale de l'Europe._« Vorher noch hatte er auf Brockhaus' Wunsch und zugleich auf den der Frau von Staël eine Einführung zu ihrem berühmten Buche »_De l'Allemagne_«, datirt Göttingen, 20. Juli 1814, geschrieben, die mit einer neuen Ausgabe desselben 1815 bei Brockhaus erschien. Die erste 1810 in Paris in 10000 Exemplaren gedruckte Auflage dieses Buchs war dort vor der Ausgabe von der kaiserlichen Polizei confiscirt und vernichtet, die Verfasserin aber aus Frankreich verbannt worden. Sie ließ es darauf 1814 in London, 1815 in Genf und in Leipzig drucken und erst im folgenden Jahre konnte in Frankreich selbst wieder eine neue Auflage erscheinen. * * * * * Von größern Verlagsunternehmungen Brockhaus' aus dieser Zeit ist zunächst das »Historisch-militärische Handbuch für die Kriegsgeschichte der Jahre 1792 bis 1808« von dem ehemaligen niederländischen Oberstlieutenant A. G. Freiherrn von Groß (Amsterdam 1808) zu erwähnen. Dasselbe war von einem großen »Historisch-militärischen Atlas« in siebzehn in Kupfer gestochenen Tafeln begleitet, den Brockhaus in Weimar von Legationsrath Bertuch, Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs, herstellen ließ. Der Verfasser, 6. December 1756 geboren, diente zur Zeit der Revolutionskriege in der niederländischen Armee, vertheidigte unter anderm 1794 die Festung Grave gegen die Franzosen unter Pichegru, lebte dann zurückgezogen mit dem Titel eines herzoglich sachsen-weimarischen Kammerherrn in Weimar und starb daselbst am 18. November 1809. Er war als Militärschriftsteller geschätzt, namentlich wegen des genannten Werks und wegen eines frühern über die höhere Taktik (Gera 1804). Im Jahre 1808 trat Brockhaus auch mit einem Manne in Verbindung, der ihn in die ersten, für ihn später so verhängnißvollen Conflicte mit der preußischen Regierung verwickelte. Es war der preußische Oberst August Ludwig Christian von Massenbach. Dieser, 1758 geboren, in dem unglücklichen Jahre 1806 Generalquartiermeister des Fürsten Hohenlohe, veranlaßte, wie es scheint durch eine irrthümliche Meldung, die Ergebung seines Corps bei Prenzlau. Deshalb in eine Untersuchung verwickelt, lebte er erst auf einem ihm vom Könige von Preußen geschenkten Landgute im Posenschen, dann in Würtemberg, und verfaßte dort drei Werke, die bei Brockhaus erschienen und großes Aufsehen erregten. Nachdem er wiederholt um seine Entlassung aus dem preußischen Kriegsdienste angehalten, stellte er 1817 an den preußischen Hof und an den König persönlich verschiedene Anträge, unter der Drohung, im Nichtgewährungsfalle wichtige in seinem Besitze befindliche Papiere zu veröffentlichen. Darauf in Würtemberg auf Ansuchen Preußens verhaftet, wurde er nach Küstrin gebracht, dort kriegsgerichtlich zu 14 Jahren Festungshaft verurtheilt (wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften), 1820 nach Glatz gebracht, aber 1826 vom Könige begnadigt. Er starb bald darauf, 27. November 1827. Massenbach war ein geistvoller politischer und militärischer Schriftsteller, und seine Werke haben hohen Werth für die Zeitgeschichte. Indessen litt er an großer Selbstüberhebung, indem er fortwährend darzuthun suchte, daß er durch seine Rathschläge das Unglück des preußischen Staats abgewendet haben würde, wenn sie befolgt worden wären. Außerdem ließ er sich oft zu rücksichtslosen und unberechtigten Angriffen auf die leitenden Persönlichkeiten des preußischen Staates hinreißen. Die erwähnten drei Werke Massenbach's sind: »Rückerinnerungen an große Männer« (2 Abtheilungen, Amsterdam 1808); »Memoiren zur Geschichte des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III.« (3 Bände, Amsterdam 1809); »Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794 nebst meinem Tagebuche über den Feldzug von 1806« (2 Theile, Amsterdam 1809). Letzteres und das vorige Werk enthalten mehrere Karten und Pläne. Noch drei andere Verlagswerke gehören in diese Zeit: »Parallelen« von Christian Daniel Voß (Professor des Staatsrechts und der Kameralwissenschaften in Halle, geb. 1761, gest. 1821), in zwei Theilen (1808 und 1811 erschienen), eine vergleichende Darstellung der Jahrhunderte Ludwig's XIV. und Napoleon's I.; Dschami's persischer Liebesroman »Medschnun und Leila«, aus dem Französischen übersetzt und erklärt von Anton Theodor Hartmann (damals in Oldenburg, später schwerinischer Consistorialrath und Professor in Rostock, verdienter Orientalist, geb. 1774, gest. 1838), 1808 in zwei Bändchen erschienen; endlich, ebenfalls 1808, das dramatische Gedicht »Aladdin oder die Wunderlampe« von Adam Oehlenschläger, dem bekannten dänischen Dichter (geb. 1779, gest. 1850), der seine meisten Werke gleichzeitig auch in deutscher Sprache veröffentlichte. Mit diesen drei hervorragenden Schriftstellern trat Brockhaus dadurch in eine dauernde Verbindung, besonders mit Oehlenschläger. * * * * * Bei dieser für einen jungen Verleger mit beschränkten Mitteln staunenswerthen Ausdehnung seiner Unternehmungen war es nicht zu verwundern, daß Brockhaus bald wieder in finanzielle Verlegenheiten gerieth. Die Früchte seiner Arbeit, wenn es überhaupt zu solchen kam, reiften nicht so schnell, als seine sanguinische Natur es erwartete; auch war er als früherer Kaufmann noch nicht daran gewöhnt, daß der Verlagsbuchhändler im besten Falle ein Jahr lang auf das Erträgniß seiner Thätigkeit zu warten hat. Es handelte sich zwar nicht um so große Summen, wie in seinem frühern Geschäftsleben, aber um so ärgerlicher war ihm bei seinem regen Streben und dem guten Gang des Geschäfts das Ausbleiben der zum Fortbetriebe desselben erforderlichen mäßigen Gelder. In seiner Sorge wandte er sich natürlich wieder an seinen »einzigen Freund«, wie er ihn oft nennt -- seinen Bruder in Dortmund. Er schreibt ihm in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 25. August 1807: In dieser Zeit faßte ich den Gedanken, vor meine Person und Familie aufs Land zu gehen und für mich nur die Direction der Verlagsunternehmungen zu halten, meine andere sehr lucrative, aber lästige Unternehmung[27] zu verkaufen, wenn ich 10000 Fl. dafür erhalten könnte, da mir 6000 Fl. dafür geboten wurden, und die Sortimentsgeschäfte mit Jemandem in Compagnie zu treiben, der sie dann leiten sollte. Es war mein Lieblingsgedanke, der auch um so eher ausführbar war, da ich auf dem Lande mit der Hälfte hätte leben können und ich die mir vorbehaltenen Geschäfte von dort so gut wie von hier (Amsterdam) hätte besorgen können. Indessen aus diesem Idyllenplane wurde nichts, und ich fuhr dann fort, unser Geschäft immer zu erweitern und zu consolidiren. Im Herbst vorigen Jahres bekam ich von Hannover einen sehr geschickten Commis, der seitdem den eigentlichen Sortimentshandel dirigirt und das Meßgeschäft (er war auch Ostern in Leipzig), und mein Departement ist dagegen Verlagsgeschäft, Correspondenz mit den Gelehrten und andere dahin einschlagende Arbeit .... Das Geschäft ist übrigens vortrefflich, und es wird und kann, wenn es so fort geht, mich nicht blos zu einem wohlhabenden Manne machen, sondern auch recht innig zufrieden mit meinem Schicksale und meiner Lage. Von unsern ostensibeln und inostensibeln Verlagsunternehmungen haben wir bisjetzt an keinem Schaden gehabt, an mehrern aber viel gewonnen. Ich werde Dir von beiden Arten (unter den letztern sind die berühmten »Vertrauten Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe«[28], woran ich zum Viertel interessirt bin), mit Gelegenheit ein Exemplar senden, daß Du mal sehen kannst, was wir in diesem Fache getrieben haben. Außer diesen Verlagsunternehmungen ist unser Sortimentsgeschäft (Verkauf fremden Verlags hier im Lande) schon so bedeutend, daß wir monatlich im Durchschnitt an 3000 Fl. debitiren. Es wird Dir bekannt sein, daß man auf Bücher an 33 Procent Rabatt hat, und ist ein solcher Umsatz also sehr ansehnlich, und kann sich derselbe, besonders wenn wir mal Frieden bekommen, noch sehr vermehren. Da wir nun sogar unser Sortiment großentheils wieder gegen Verlag changiren und wir am Verlag wieder stark verdienen, so ist es mathematisch klar, daß mein jetziges Geschäft recht sehr vortheilhaft ist und ich, ohne daß ich mir unberufen schmeichele, die wahrhaft glücklichsten Resultate davon erwarten kann. Nur in einem, aber in einem sehr wesentlichen Punkte finde ich mich gedrückt, und ich erzähle Dir diesen nun um so eher, da ich auf Sophiens Rath Dich darin zu meinem Vertrauten mache. Ich hätte es ohne diesen nicht übers Herz bringen können, da es nun einmal leider mein Charakter ist, daß ich mich lieber hindrücke und hinwürme, als über solche Sachen laut zu werden. Es ist dies, daß, da wir bei diesen Geschäften Alles und Alles auf Jahresrechnung stellen müssen und wir etwa nur ein Funfzigstel baar verkaufen, alles Andere aber nicht vor dem Anfang des folgenden Jahres einkommt, daß es mir da gegen Ende des Jahres knapp in Casse wird, weil wir so unsaglich viel an Porten, Frachten, Papieren, Buchdrucker- und Buchbinderlohnen beständig ausgeben müssen, dabei die schweren Haushaltungsausgaben, Miethen und Abgaben zu tragen haben, die alle so viele beständige Ausgaben erfordern, wogegen wir im Laufe des Jahres fast nichts, sondern Alles erst im Januar und Februar einnehmen. Dies genirt mich nun in diesem Jahre besonders, da ich für mehrere Unternehmungen ein Ansehnliches habe aufwenden müssen, das sich aber erst zu Ostern 1808 rentirt. Recht sehr wünschte ich also, mit einigen Fonds in diesem Jahre ausgeholfen zu werden, und ich frage Dich nun darum, ob Du das möglich machen kannst, sei es durch Dich selbst oder durch Deinen Credit .... Es ist mir schwer gefallen, über diesen Punkt offen zu werden, und ohne das Zureden Sophiens hätte ich es unmöglich gekonnt. Ich füge weiter nichts hinzu, lieber Bruder, als daß jede Zeile, die ich Dir heute schrieb, lautere nackte Wahrheit ist, und daß #ältere# Schulden mich #keine# drückt noch ihrer mehr existirt. Auf diesen Brief erfolgte sofort in echt brüderlicher Weise Hülfe durch Uebersendung einer ansehnlichen Summe. Brockhaus antwortete in einem Briefe vom 18. September, dessen Anfang eine gemüthvolle Erinnerung an seine Kinderzeit enthält: Woran erinnerst Du mich, lieber Bruder, durch die Erzählung Deiner Reise zum guten lieben Onkel? An die auch für mich glücklichsten Stunden meines Lebens, das damals so eben und heiter dahinfloß wie ein rieselnder Bach! An die Jahre meiner Kindheit, meines Jünglingsalters, die des jungen Mannes, wo ich, noch unbekannt mit den Täuschungen des wirklichen Lebens, an der Pforte desselben stand und mit hochfliegendem Sinne und Herzen, ach! die schönsten Hoffnungen von der Zukunft und den Menschen überhaupt hatte und auch wol berufen und geeignet war, sie haben zu dürfen. Damals ahndete ich den giftigen Mehlthau nicht, der sich auf die Blume meines Lebens setzen und Jahre lang desselben würde vergiften machen! O #die# Zeiten, lieber Bruder! wie wir mit dem guten und geistvollen Onkel[29] dann durch die langen und fruchtbaren Aecker und zwischen dem wogenden Meer der vollen sich niedersenkenden Aehren einhergingen nach dem Kloster Welver, oder nach Dinker oder zur Kirmeß -- ich weiß nicht wo, wie heitere und seelenvolle Gespräche uns erquickten, ländliche Kost uns erfreute, wie wir von Alt und Jung gegrüßt, ehrerbietig gegrüßt wurden, von allen Menschen als Freunde behandelt und zärtlich gepflegt wurden. Mir ist der Onkel immer wie der ehrwürdige Pfarrer zu Grünau, von dem Voß in seiner »Luise« ein so hinreißend entzückendes Gemälde aufgestellt hat. Damals litt der gute Onkel immer viel, er war kränklich und seinem Leben schienen nur noch kurze Tage zu harren. Es freut mich unendlich, daß unsere Furcht sich darin nicht bewahrheitet, und ich gebe noch keineswegs die Hoffnung auf, ihn noch einmal, ehe er oder ich jene furchtbare Reise antreten, von der kein Wanderer zurückkommt, an meine Brust zu drücken. Vielleicht ist diese Zeit selbst näher als ich noch vor kurzem hätte denken können. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, daß ich nächste Ostern selbst mit nach Leipzig gehen werde. Unsere dortigen Geschäfte und Berechnungen, Tausche, Einkäufe, Arrangements mit Druckereien, Papierhandlungen, Autoren u. s. w. sind wichtig und mannichfaltig genug, um die Kräfte eines Mannes alleine zu übersteigen und auch von zu bedeutenden Folgen, um sie einem auch noch so guten Commis anvertrauen zu können. Wenn es mir also nur irgend möglich ist, so habe ich zur Absicht, alle Jahre, so Gott will, selbst Ostern nach Leipzig zu gehen in Begleitung eines Gehülfen, der den mechanischen Theil des Geschäftes und der Berechnungen besorgt. Ich habe zu einer solchen Reise mehrere Reiserouten vor mir, werde aber gewiß, wenn meine dortigen Angelegenheiten einmal in Ordnung sind, wofür ich möglichst sorgen werde, zur Hin- oder Herreise immer die über Dortmund nehmen. Bei Lesung Deines letzten Briefs, lieber Bruder, ist mir dabei der Gedanke eingefallen, wie außerordentlich nützlich für Dein Geschäft, erhebend für Deine Seele und stärkend für Deinen Körper es sein würde, wenn auch Du es einrichtetest, alle Jahre einmal abwechselnd nach Frankfurt oder Leipzig zu gehen, und wir dann vielleicht dann und wann solche Reisen hin oder zurück zusammen machen könnten. Der Gedanke, theuerster Bruder, ist mir so ausführbar vorgekommen, daß ich ihn gar nicht loswerden kann! und doch ist es mir zu reizend, als daß ich es mir wieder zu schmeicheln wagen mag, daß er wirklich werde ausgeführt werden .... Zu meinem jetzigen Geschäfte, wie es jetzt geht, bedarf ich durchaus noch einiger Fonds, und es ist nicht dem allermindesten Zweifel unterworfen, daß, wenn ich nur noch so viele habe, als ich oben gedachte, es mir möglich sein wird, dasselbe auf einen solchen Fuß zu halten und zu setzen, daß für mich und meine Familie die segensreichsten Folgen daraus entstehen werden. Die Zeiten der Chimären und der Luftschlösser sind bei mir vorbei: was ich jetzt thue und treibe, beruht auf dem sichersten Calcul. Nur der sehr gute Erfolg mehrerer unserer Unternehmungen hat übrigens auch nur diese noch nöthige Alimentation veranlaßt, da wir nicht im Stande sind, diese Unternehmungen aufzuhalten, die Fonds dafür aber erst im nächsten Jahre u. s. w. eingehen. So müssen wir von Villers' Briefe über Lübeck schon wieder zwei neue deutsche und französische Auflagen machen, ob wir gleich viele Tausend von der ersten haben drucken lassen. So von einem französischen Handbuche für Reisende durch Deutschland ebenfalls schon wieder die zweite Auflage, obgleich die erste von 2000 Exemplaren erst im Januar und Februar erschienen. So ist das Glück, das die »Vertrauten Briefe« machen, woran ich ein Viertel habe, außerordentlich. Aber diese glücklichen Unternehmungen erfordern gerade deswegen Nachschüsse, worauf ich nicht gerechnet, und die, da wir im Laufe des Jahres so wenig einnehmen, mich sehr _en peine_ setzen für den Rest des Jahres, besonders da es hier platterdings gar keine Ressourcen für mich gibt, und ich Alles und Alles aus mir selbst schöpfen muß. Es sind indessen keine großen Summen, deren ich jetzt bedarf, und mit einigen tausend Gulden, die ehemals ein Tropfen im Eimer gewesen wären, kann ich über die kleinen Sorgen nun alle wegkommen. Und doch drücken solche außerordentlich und sie müssen auf immer weggeräumt werden. Darauf folgt, unter herzlichem Danke für das zunächst Gewährte, die Bitte um eine weitere größere Summe, die er bestimmt im nächsten Jahre zurückerstatten will: »Du könntest darauf wie auf Deine Existenz rechnen!« Er schließt: Du kennst nun meine Sorgen und meine Hoffnungen alle. Vertraue, vertraue auf mich. Mein Dank, Sophiens Dank, unser Aller Dank wird Dich für alles Gute, was Du uns schon gethan, Du allein uns gethan, bis zum letzten Odemzuge begleiten .... Wir Alle grüßen euch Alle tausendmal. Als auf diesen Brief eine abschlägige Antwort kam, weil der Bruder, trotz seiner steten Bereitwilligkeit zu helfen, diesmal die Bitte nicht erfüllen konnte, entschloß sich Brockhaus' Frau ohne Vorwissen ihres Mannes nochmals an den Schwager zu schreiben. Ihr Brief, einer der wenigen, die von ihr erhalten sind, gibt ein treues Bild ihrer einfachen, aber gediegenen und gesunden Natur. Das im Eingang des Briefs erwähnte sechste Kind, Max, war wenige Monate vorher, am 19. Juni 1807, geboren worden; es starb übrigens nach kaum drei Jahren, im März 1810, in Dortmund. Sie schreibt aus Amsterdam vom 29. September 1807: Lieber Herr Bruder! Ich schreibe Ihnen diesen Brief ohne Vorwissen meines guten Brockhaus; dieser ist auf Comptoir, und ich sitze hier im Kreise aller meiner Sechse, Max schläft eben, und das Kindermädchen mag sehen, wie sie ein halb Stündchen mit den übrigen fertig wird, denn ich muß absolut mit Ihnen sprechen. Daß es uns gut geht, daß wir zufrieden sind, daß Brockhaus in seinen Geschäften glücklich ist, sich glücklich darin fühlt, daß wir bei dem schrecklichen Lauf der Weltbegebenheiten und der Zernichtung des englischen Handels hier (für den, der nicht über große Fonds zu disponiren hat) sehr froh sind, die Trümmer unsers Vermögens in ein Geschäft gerettet zu haben, das, wenn es, wie es scheint, mit dem Glücke fortgeht, als es angefangen wurde, uns ein redliches Bestehen sichern wird -- dies Alles, werthester Bruder, wissen Sie wohl und gewiß von Brockhaus. Aber Brockhaus findet gerade jetzt in dem guten Fortgange seines Geschäfts Veranlassung zu Sorgen, auf die er nicht gefaßt war und die ihn erstaunlich angreifen, da er sich möglich denkt, daß, wenn er gar nicht im Stande wäre Hülfe zu finden, alle unsere guten Aussichten wieder zusammenfallen, er seinen unbegrenzten Credit in Leipzig, den er sich so mühsam angebaut, verlieren, und wir Alle dann eigentlich unglücklich werden könnten. Sie wie ich würden ihm hier dann die Erinnerung machen können, daß er sich nach seinen Mitteln hätte einschränken müssen; allein er bemerkt darauf, daß sich das nicht auf ein paar tausend Gulden im ganzen Jahre lang berechnen ließe &c. Das kann ich auch nicht beurtheilen. Aber die Sache ist, daß hier in Brockhaus seinem Geschäft Alles auf Jahresrechnung geht, er aber Vieles beständig bezahlen muß, Frachten, Papier, Druckerlohn &c. beständig viel Geld wegnehmen, und daß Brockhaus, um Credit zu kriegen, Vieles hat prompt bezahlen müssen, wo er in Zukunft Credit haben wird -- kurz, Brockhaus hat für den Lauf dieses Jahres noch ein paar tausend Gulden zu bezahlen, wozu er hier keine Aussicht hat, um sie in diesem Jahre anschaffen zu können. Wir leben erstaunlich eingezogen, haben fast mit keinem Menschen Umgang, und wo wir Freundschaft mit haben, die haben keine Mittel, worüber sie disponiren können, und in Amsterdam muß man nicht mit Geldfragen kommen: eine kalte abschlägige Antwort ist, was man zu erwarten hat, und ihre Achtung und Freundschaft, ja gar Vertrauen -- Alles ist weg. Brockhaus hat sich also, lieber Bruder, in seinen Sorgen um die paar tausend Gulden, die ihm die Kohlen auf den Fuß legen, an Sie gewendet, weil er hoffte, daß Sie in Ihrem Verhältnisse eher Rath dazu schaffen könnten und aus Liebe für uns Alles thun würden, was in Ihren Kräften wäre. Schrecklich war daher gestern seine Täuschung, als Ihr Brief ihm sagte, daß Sie jetzt nicht könnten. Der Himmel weiß es, wie er es machen wird, da ich weiß, daß er in acht Tagen schon ein paar Wechsel bezahlen muß und im nächsten Monat Alles gebraucht. Mir ist also eingefallen, ob Sie in Verbindung und in Ueberlegung mit Luise[30] und Rittershaus die doch nicht gar große Summe zusammenbringen könnten. Rittershaus hat Vermögen und Credit, und ich vertraue auf Luise, daß sie etwas auf Rittershaus vermag und er ihr und mir eine solche Gefälligkeit nicht abschlagen werde. Ich weiß auch, daß Brockhaus im Stande ist, es ihm nöthigenfalls im Januar oder zur Ostermesse wieder zurückzugeben, vielleicht könnte er ihm Kleie dafür senden. Das Wenige, was mir früher oder später zufallen wird, gebe ich auch gern bis zum Ersatz. Ueberlegen Sie es also mit Luise. Thun Sie, was Sie können, Sie machen mich dadurch zum glücklichsten Weibe. Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu erinnern, daß es mir lieb sei, wenn darüber kein Gerede entstehe. An Luise schreibe ich nur ein paar Zeilen, Sie werden die Güte haben, sie von der wahren Lage der Sachen zu unterrichten, daß es nicht Mangel überhaupt ist, sondern Verlegenheit gegen Ende des Jahres und unvorhergesehene starke Ausgaben und da wir keine Ressourcen haben. O wie glücklich würde ich sein, wenn der nächste Posttag mir sagte, daß Sie etwas für uns thun könnten -- Ihr Herz bürgt mir für Ihren Willen. Nicht mit ganz frohem Herzen sage ich Ihnen Lebewohl. An Lottchen und Papa tausend Grüße. Ich bin Ihre Sie hochschätzende Schwester Sophie Brockhaus. Ob ihre Bitte Erfolg hatte, geht aus den wenigen aus dieser Zeit erhaltenen Briefen nicht hervor, doch ist es wahrscheinlich, da in den nächsten Monaten von finanziellen Verlegenheiten nicht weiter die Rede ist. 5. Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. Bei der Bedeutung und Ausdehnung, die Brockhaus' buchhändlerisches Geschäft rasch erlangt hatte, war es (wie er auch unterm 18. September 1807 seinem Bruder schrieb) seine bestimmte Absicht, alljährlich Ostern zur Buchhändlermesse nach Leipzig zu reisen. Ein Besuch derselben war zu jener Zeit noch wichtiger als er es gegenwärtig ist, besonders für den Besitzer eines neuerrichteten Geschäfts; auch hatte er bereits vielfache geschäftliche Beziehungen in Leipzig, deren Pflege und Erweiterung ihm am Herren lag; endlich freute er sich darauf, die Stadt wiederzusehen, in der er als junger Mann eifrigen Studien obgelegen und wol zuerst den Entschluß gefaßt hatte, selbst einmal den Buchhändlerstand zu wählen. Im Frühjahr 1808 hoffte er den langgehegten Plan zum ersten male ausführen zu können, allein seine Hoffnung wurde wieder vereitelt. Kurz nach der Michaelismesse 1807 hatte er plötzlich denjenigen Gehülfen verloren, der, wie er in einem Circulare sagt, »zeither unser schnell wichtig gewordenes deutsches Sortimentsgeschäft allein besorgt und dirigirt hatte«; es war der in seinem Briefe vom 25. August 1807 erwähnte Gehülfe, der im Herbst 1806 aus Hannover in das Geschäft getreten war und in der Ostermesse 1807 das Kunst- und Industrie-Comptoir in Leipzig vertreten hatte, doch ist uns weder sein Name noch der Grund seines plötzlichen Wiederaustritts aus dem Geschäfte bekannt. Brockhaus engagirte zwar sofort einen andern Gehülfen, Namens Zinkernagel, der bisher in der Buchhandlung von Heinsius in Leipzig angestellt gewesen war, schloß mit ihm nach damaliger Sitte sogar einen Contract ab und schickte ihm Reisegeld sowie einen Vorschuß; aber statt des sehnlichst erwarteten Gehülfen traf im Februar 1808 ein Brief von dessen bisherigem Principale ein, worin dieser bat, ihm denselben ganz oder wenigstens noch bis zur Ostermesse zu lassen, wo er dann ja zugleich die Geschäfte seines neuen Hauses besorgen könne. Brockhaus lehnte unterm 29. Februar diese »Zumuthung«, die ihm »sehr auffallend und befremdend« sei, mit der ihm eigenthümlichen Bestimmtheit und Offenheit ab, indem er dem Briefe an Heinsius in einem Gemisch von Ironie und Zorn hinzufügte: »So vielen Antheil wir auch an Ihrer persönlichen Wohlfahrt und an dem regelmäßigen Gange Ihrer Geschäfte immerhin nehmen, so kann dieser Antheil sich doch nicht so weit erstrecken, daß wir darum unsere eigene Wohlfahrt aufopfern und unsere nicht unbedeutenden Geschäfte nur in Wirrwarr sich auflösen lassen sollen. Es entspricht ebensowenig der Lage unserer Geschäfte, Herrn Zinkernagel die Ostermeßgeschäfte thun zu lassen und ihm oder Ihnen zuzugestehen, daß er in Erwartung derselben einstweilen dorten bleibe. Der Chef unserer Handlung wird selbst diese Messe besuchen, und geschieht das nicht, so werden wir diejenigen Maßregeln nehmen, die uns am zweckmäßigsten dünken. Wir geben heute Herrn Zinkernagel wiederholt auf, ohne Verzug eines einzigen Tags seine Reise hierher anzutreten.« Trotz alledem scheint Zinkernagel gar nicht nach Amsterdam gekommen zu sein. Nur wenige Wochen nach diesem Briefwechsel, am 12. April, schreibt Brockhaus an den Buchhändler Heyse in Bremen: er habe von Herrn Culemann in Hannover gehört, daß sich bei ihm ein junger Mann befinde, der sich zum Gehülfen in seiner Handlung eigne, und bitte ihn um Auskunft über denselben; er stehe zwar bereits mit einem andern in Unterhandlung, diese werde sich aber wahrscheinlich zerschlagen. Heyse scheint dem jungen Manne ein gutes Zeugniß gegeben zu haben, denn am 30. April meldet Brockhaus wieder an Heyse, daß er ihn engagire. Der Betreffende kam denn auch wirklich nach Amsterdam. Es war dies Friedrich Bornträger, der spätere Verlagsbuchhändler in Königsberg; er blieb drei Jahre lang bei Brockhaus und wurde während dieser Zeit dessen Vertrauter, sodaß wir ihm fortan viel begegnen werden. Leider konnte auch er nicht sofort, sondern erst im Sommer seine Stelle antreten, wahrscheinlich weil Heyse ihn nicht eher entbehren konnte. Brockhaus schreibt darüber an Letztern: Nun, es sei denn, haben wir uns seit 4-5 Monaten durchgeschlagen und darüber sogar die Messe versäumen müssen, so mag es denn auch noch 4 _à_ 5 Wochen hingehen. Aber wir rechnen auf Ihr Wort auf das unbedingteste, daß Herr Bornträger am 12. Juni von Bremen abreisen kann. Wir machen darüber nicht weiter viele Worte. Ein Wort für hundert. Wir wünschen Ihnen die beste Reise zur Messe, und bedauern wir nur, daß durch das Ausbleiben unsers engagirten Gehülfen es uns persönlich reine Unmöglichkeit geworden ist, ebenfalls die Messe zu besuchen, da wir in jeder Hinsicht so nothwendig dorten wären. Ob wir gleich Herrn Reclam gefunden haben, der unsere Meßgeschäfte wahrnehmen will, so kann er es doch nur halb. Vieles muß ganz versäumt werden, Vieles muß noch besorgt werden, das für Herrn Bornträger seine erste Arbeit sein muß. An Bornträger selbst meldet er unterm 27. Mai, daß er ihm einige seiner letzten Kataloge mit Gelegenheit nach Aurich geschickt habe, und fügt folgende Worte hinzu, aus denen hervorgeht, wie er jede Gelegenheit zum Weiterausbau seines Geschäfts benutzte: Nehmen Sie solche in Empfang und machen Sie davon auf Ihrer Hierherreise den möglichst nützlichsten Gebrauch. Da Ostfriesland jetzt zu Holland gehört, mithin von dort viele Berührungen mit Amsterdam, als dem Sitze des Gouvernements, Platz haben werden, wo der reiche Adel hierhin zu Aemtern und Ehrenstellen gezogen wird und manche andere Connexion stattfinden wird, so könnte Ostfriesland auch für uns nicht ganz ohne Bedeutung werden. Früher haben wir dies sonst nicht ambitionirt, weil damals Bremen und Hannover passender war. In der Besorgniß, daß der junge Mann sich deshalb zu lange unterwegs aufhalten könne, warnt er ihn übrigens sofort, dies ja nicht zu thun, und schließt: Wie gedenken Sie Ihre Reise hierhin zu machen? Und wann werden Sie abreisen? Wir erwarten Sie mit dem lebhaftesten Verlangen und sind Ihnen mit Freundschaft zugethan. Der Gebrauch des »wir« statt »ich« selbst in solchen Briefen persönlicher Art erklärt sich daraus, daß Brockhaus in dieser Zeit alle Briefe, auch eigenhändige, mit der Firma »Kunst- und Industrie-Comptoir« unterschrieb und nur bisweilen noch seinen Namen hinzufügte. Daß er nicht nach Leipzig zur Messe kommen könne, zeigte er dem Buchhandel in einem vom 24. April aus Amsterdam datirten Circulare ausdrücklich an, vermuthlich, weil er schon Vielen sein Hinkommen in Aussicht gestellt hatte. Er erwähnt darin, wie gegen Heyse, daß auf seine Bitte Herr Karl Heinrich Reclam sich entschlossen habe, diesmal für das Kunst- und Industrie-Comptoir zu rechnen und das ganze Meßgeschäft zu besorgen. Daß Herr Gräff, sein bisheriger leipziger Commissionär, dies nicht besorge, erklärt er damit, daß »unsere Meßgeschäfte seinen ganzen Mann erfordern und Herr Gräff so sehr mit eigener Arbeit überhäuft ist, daß wir diesem die unserige mit wahrzunehmen nicht zumuthen konnten«; doch wird dies wol nur eine der bei einem Wechsel des Commissionärs auch heutzutage noch üblichen Höflichkeitsphrasen gewesen sein und der wahre Grund in Differenzen mit Gräff gelegen haben. Zugleich kündigt er an, daß er in Ansehung der ihm für sein Sortimentsgeschäft zu sendenden Neuigkeiten nothgedrungen »eine neue Ordnung einführen« müsse; er erhalte zu viel für ihn unnütze Artikel, werde deshalb künftig nach dem Meßkataloge selbst wählen und bitte daraus einen Maßstab für seine Bedürfnisse außer den Messen zu entnehmen. Dann fährt er fort: Bei der ununterbrochenen Aufmerksamkeit, die wir auf Alles haben, was in Deutschland erscheint, entgehen uns ohnehin diejenigen Artikel nicht leicht, welche wir hier besonders gebrauchen können. Wir interessiren uns für die Verbreitung der deutschen Literatur in Holland auf das lebhafteste, wie Ihnen nach dem Maße unsers seitherigen Bedürfnisses bei so kurzer Dauer unsers Etablissements schon wird bemerkbar gewesen sein. Jetzt, da unsere Stadt noch zur königlichen Residenz erhoben worden ist, da sich das Gouvernement und das diplomatische Corps ebenfalls hierher begibt, jetzt haben wir bei unserer Thätigkeit Aussicht, daß unsere Geschäfte sich noch bedeutend heben werden, besonders wenn wir einmal Frieden mit England bekommen sollten. Uns in diesem Bestreben zu unterstützen, ist unsere ergebenste Bitte an Sie. Wir werden uns bemühen, Ihnen dadurch selbst nützlich zu werden, und Ihr Vertrauen gebührend zu achten wissen. Dem Circulare ist ein Verzeichniß seiner »Novitäten zur Ostermesse 1808«, der in seinem Verlage neu erschienenen und, wie damals üblich, auf die Messe mitgebrachten Werke, beigefügt. Auch zahlreiche »Commissionsartikel« werden dabei vorgeführt, meist Verlagsartikel holländischer Buchhändler, darunter auch »der Schenkische Atlas von Sachsen«, und Musikalien, mit der Bemerkung, daß das Kunst- und Industrie-Comptoir es »gern übernehme, alle in Holland herausgekommenen und herauskommenden Bücher zu besorgen, wenn solche noch im Buchhandel zu haben« -- ein Zeichen, daß Brockhaus sein Geschäft nach allen Richtungen hin ausdehnte und ihm namentlich immer mehr einen internationalen Charakter zu geben suchte. Unter den »gegen Ende des Jahres erscheinenden Neuigkeiten« werden in dem Circulare zwei Werke aufgeführt, die später weder bei ihm noch unsers Wissens überhaupt erschienen sind: ein »Lehrbuch des Staatsrechts des Rheinischen Bundes« von Hofrath und Professor Seidensticker in Jena und eine »Deutsche und französische Encyklopädie für die Jugend gebildeter Stände, in einem dreijährigen Cursus zum Unterricht in den nöthigsten Vorkenntnissen und zur Beförderung der Fertigkeit, beide Sprachen verstehen, schreiben und sprechen zu lernen«, von Hofrath und Professor C. G. Schütz in Halle. Ueber letzteres Werk finden sich auch zwei Briefe von Brockhaus an Schütz, in deren erstem (vom 22. Februar 1808) er den nähern Plan und einige Proben der ihm zuerst von Schütz angebotenen Encyklopädie verlangt, während er in dem zweiten, ein volles Jahr später (am 8. Mai 1809) geschriebenen, kurz sagt, daß er jetzt auf die Anerbietung nicht eingehen könne. Charakteristisch ist die Vorsicht, mit der er gleich anfangs das Anerbieten beantwortet: Wenn das Werk nur nicht zu bändereich werden sollte, was wir bei unsern Unternehmungen gar nicht lieben, und es in nicht langer Zeit kann complet geliefert werden, Ew. Wohlgeboren uns auch in Rücksicht des Honorars nur sehr billige Bedingungen machten und der Plan übrigens unsern Beifall erhielte, so dürften wir vielleicht auf die Anerbietung eingehen. Noch interessanter für uns ist aber folgende Stelle desselben Briefs: Wir erlauben uns bei dieser Gelegenheit die Anfrage: ob nicht das von Ew. Wohlgeboren schon seit geraumer Zeit angekündigt gewesene Lehrbuch über encyklopädische Literatur bald erscheinen werde? Schreiber Dieses erinnert sich mit sehr vielem Vergnügen einiger Vorlesungen, die er vor etwa 10 Jahren bei einer Reise durch Jena hierüber von Ew. Wohlgeboren hörte, und war es, glaubt er, schon damals ein allgemeiner Wunsch, einen gedruckten Grundriß zu diesem von Ew. Wohlgeboren jährlich wiederholten Cursus zu besitzen; seitdem ist derselbe, wenn wir nicht irren, mehrmalen in den Meßkatalogen angekündigt worden, aber, soviel wir wissen, immer nicht erschienen. Sollten von seiten der Verlagshandlung Schwierigkeiten dabei stattfinden, so würden wir uns darüber mit Ew. Wohlgeboren zu einigen wünschen. Der hier erwähnte kurze Besuch in Jena hatte jedenfalls 1794 oder 1795 während Brockhaus' Aufenthalts in Leipzig zu seiner Ausbildung oder nach Beendigung desselben auf der Rückreise nach Dortmund stattgefunden; er benutzte also die wenigen Tage seines Aufenthalts in Jena zum Besuche der Vorlesungen des damals sehr angesehenen Hofraths Schütz und wahrscheinlich noch anderer Professoren: ein neuer Beweis seines schon damals regen Interesses für Literatur und Wissenschaft. Gleich in dieser ersten Zeit seiner Verlegerthätigkeit begnügte sich Brockhaus nicht damit, die Manuscripte einfach so abzudrucken, wie sie ihm von den Verfassern zukamen, vielmehr prüfte er sie genau und wirkte oft auf ihre Abänderung hin. So sagt er in einem Briefe an Legationsrath Bertuch in Weimar vom 12. Juli 1808, mit welchem er diesem das Manuscript des (ebenfalls in Weimar lebenden) Freiherrn von Groß über die Kriegsgeschichte der Jahre 1792-1808 zum Druck schickte: Wir schreiben dem Herrn Verfasser heute weitläuftiger über Titel, Form und Inhalt, welche unsere Bemerkungen er Ihnen zur gefälligen Mitbeurtheilung communiciren wird. Der Inhalt und der Plan wie die ganze Idee des Werks hat unsern Beifall und wir haben daran nichts oder wenig zu erinnern. Die Form und der Stil aber ist nicht so, wie er sein könnte und wie er im jetzigen Zeitalter gefordert wird. Es könnte diesem aber ohne besondere Mühe nachgeholfen werden, wenn vor dem Drucke ein guter Stilist das Manuscript revidirte und hin und wieder wegschnitte oder nachhülfe. Sie würden uns unendlich verbinden, wenn Sie dazu Jemanden auffinden wollten. Wir verstehen uns gern zu einer billigen Vergütung. Zum Titel haben wir dem Herrn Verfasser zwei Vorschläge gemacht. Prüfen Sie solche gefälligst. Wir lassen uns gerne sagen ..... Wir empfehlen Ihnen das Werk des Herrn von Groß so, als wäre es Ihr eigenes. Dies ist genug gesagt. Rechnen Sie auf unsern Dank und unsere Erkenntlichkeit. Es wird nicht möglich sein wahrscheinlich, Ihnen in den ersten vier Wochen darüber näher zu schreiben, da Schreiber dieses wahrscheinlich in der andern Woche nach Paris reisen muß, indem wir mit einer französischen Buchhandlung wegen Ueberlassung der Massenbach'schen Memoiren (im Manuscript) zu einer französischen Uebersetzung in Unterhandlung sind, was auch mit Philips in London der Fall ist. Handeln Sie darum in zweifelhaften Fällen nach bester eigener Einsicht. Alles, was Sie thun, ist und wird wohlgethan sein. Michaelis muß nur Alles fertig sein. Bei irgendeiner Möglichkeit kommt Schreiber dieses zu Michaelis nach Leipzig. Die Verhältnisse unserer Handlungen werden gewiß zu Ihrer Zufriedenheit auseinander- und fortgesetzt werden. Ueber die Massenbach'schen Werke sagt er noch in demselben Briefe: Vom Obersten von Massenbach haben wir nun sein Tagebuch, seine Memoiren von 1787 bis 1807 und Rückerinnerungen an große Männer übernommen: ohne Zweifel mit die interessantesten Werke, welche über die neuere Geschichte seit zwanzig Jahren sind bekannt gemacht worden. Das bei Sander von Massenbach angekündigte Werk erscheint nicht und wird in eins dieser verschmolzen. Die in Berlin gestochenen Karten und Pläne, von denen schon sechs fertig sind, werden Ihnen als Kenner viele Freude machen. Wir haben in Deutschland noch nichts von gleicher Vollendung gesehen. Die mit einer französischen Handlung (Treuttel & Würtz in Paris) angeknüpften Verhandlungen wegen einer Uebersetzung oder Bearbeitung der Massenbach'schen Memoiren zerschlugen sich übrigens, und infolge dessen unterblieb auch vorläufig die Reise nach Paris. Brockhaus reiste dagegen im Herbst 1808 zur Michaelismesse nach Leipzig; es war das erste mal, daß er diese Stadt als Buchhändler besuchte, damals wol nicht ahnend, daß er daselbst einen großen Theil der nächsten Jahre, während sein Geschäft noch in Amsterdam war, zubringen und später selbst mit seinem Geschäfte, nach einer kurzen Zwischenperiode in Altenburg, bleibend dahin übersiedeln werde. Die Michaelismesse in Leipzig hatte damals für den Buchhandel eine größere Wichtigkeit als jetzt, wo sie nur noch den Endtermin für die in der Ostermesse nicht vollständig erledigten Zahlungen bildet. Brockhaus wollte seine zu Ostern dieses Jahres unmöglich gewordene Reise nach Leipzig nicht wieder bis zur Ostermesse des nächsten Jahres aufschieben, weil es ihm nach dem im Juni erfolgten Eintritte des neuen Gehülfen Bornträger eher möglich war, sich auf einige Wochen von Amsterdam zu entfernen, und außerdem der Stand seiner Angelegenheiten in Leipzig eine persönliche Anwesenheit daselbst dringend nöthig machte. Der dortige neue Commissionär Reclam hatte nämlich die ihm übertragenen Meßgeschäfte durchaus nicht zu Brockhaus' Zufriedenheit besorgt. Ohne in diesem Falle, wie in manchem ähnlichen, uns auf die eine oder die andere Seite der streitenden Parteien zu stellen -- wozu die noch vorhandenen Actenstücke meistens auch nicht ausreichen -- suchen wir die Sachlage möglichst objectiv darzulegen. Brockhaus veröffentlichte sofort nach seiner Ende September erfolgten Ankunft in Leipzig ein Circular, datirt Leipziger Michaelismesse 1808, dem wir Folgendes entnehmen: Der Chef unserer Handlung, Herr Brockhaus, findet bei seiner Ankunft in Leipzig zur Messe ein Circular des Herrn Reclam vor, worin sich dieser Mann über die Vorwürfe, die wir ihm privatim wegen der Besorgung unserer Geschäfte gemacht haben, öffentlich verantwortet. Die Pflichten, die wir gegen unsere Handlung haben, erlauben es uns nicht, zu diesem so ungewöhnlichen Circulare des Herrn Reclam ganz zu schweigen, ob wir gleich glauben, daß Herr Reclam durch den Charakter dieses seines Circulars gerade unsere Vertheidigung führe, da es nicht auffallen kann, daß man mit Jemandem, dessen Seele sich so ausspricht, als hier in diesem Circulare geschieht, leicht zerfallen könne und mit ihm nicht gut zu leben und zu wirken sein müsse. Hier jedoch eine kurze Erwiderung. Darauf folgt zunächst eine Erzählung der uns bereits bekannten Umstände, daß er seit der Michaelismesse des vorigen Jahres seinen bisherigen Gehülfen verloren habe u. s. w.; »noch nicht an das Mechanische dieses Geschäfts gewöhnt und im Gedränge unserer sonstigen mannichfaltigen Arbeiten, konnte es nicht anders sein, als daß in der Zwischenzeit von Michaelis bis Ostern Manches nicht mit der Ordnung besorgt werden konnte, die allerdings strenge genommen gefordert werden kann.« Er habe trotzdem Ende April die Meßstrazzen an Reclam sowie die Noten der Remittenden gesandt und ihn dadurch in den Stand gesetzt, wenigstens mit allen Handlungen rechnen zu können. Dies sei aber großentheils nicht geschehen und darüber ein Briefwechsel entstanden, »der von unserer Seite vielleicht nicht ohne Heftigkeit (!), von der Seite des Herrn Reclam mit roher Plumpheit (!) geführt wurde«. Leider ist dieser gewiß auch für Brockhaus charakteristische Briefwechsel unsers Wissens nicht erhalten, und ebenso wenig war es uns möglich, das betreffende Circular Reclam's zu erhalten, dessen Fehlen uns verhindert, auch die andere Partei zu hören. Brockhaus fährt fort: Wir eilten nun, alle Verhältnisse mit ihm abzubrechen, und wir drangen mit Ungestüm auf Abrechnung und auf das Zurücksenden der Bücher. Erstere erfolgte endlich gegen Ende Juli. Unser Soll und Haben glichen sich ganz aus. Die Bücher aber haben wir erst den 9. September, also vier Monate nach der Ostermesse, zurückerhalten!! Diese unerhörte Vernachlässigung war für uns um so empfindlicher, da wir, wie schon gesagt, ohne alle und jede detaillirte Berichte von Herrn Reclam geblieben waren und wir uns ganz außer Stand gesetzt sahen, irgendetwas zu unternehmen, was die Ausgleichung der offen gebliebenen Contis _pro_ und _contra_ hätte befördern können. Daß wir uns hierüber mit Nachdruck geäußert haben, wird Jeder begreifen, der sich in unsere Lage hineindenken will, da durch die Folgen des Betragens und der Geschäftsführung des Herrn Reclam sich unser ganzes Sortimentsgeschäft aufzulösen drohte. Die Entschuldigungen des Herrn Reclam, oder die Invectiven vielmehr, womit er uns zu überschütten beliebt, sind ohne allen Grund: er war unser Commissionär, nicht unser Chef. Er mußte entweder unser Geschäft nach unsern Angaben und Aufträgen ausführen, oder -- es gleich #abgeben#. Dies hat er nicht gethan; wir sind gezwungen gewesen, es ihm zu #nehmen#. So weit unsere Antwort durch #Worte#. Jetzt die durch die #That#. Wir haben am 9. September unsere Bücher zurückerhalten. Zwölf Tage nachher ging der Chef unserer Handlung schon wieder nach Leipzig. Es war natürlich unmöglich, in dieser Zwischenzeit von Hause aus etwas zur finalen Ausgleichung der für und gegen offenstehenden Rechnungen zu thun. Es wird dies jetzt zur Messe geschehen: wir werden alle noch restirenden Saldi rein und baar abbezahlen, sollte auch an uns, die weit mehr zu empfangen als zu zahlen hatten, kein einziger Pfennig hier eingehen. Jetzt beurtheile jeder rechtliche Mann das Betragen des Herrn Reclam gegen uns, und Ton und Farbe seines Circulares! Wir haben uns hier an eine trockene Darstellung der Thatsachen gehalten; wir achten uns zu sehr, um die Invectiven des Herrn Reclam mit gleichen zu beantworten. Wir trauen es auch wenigstens seinem eigenen Verstande zu, daß er -- um uns hier milde auszudrücken -- seine Leidenschaftlichkeit und Unvorsichtigkeit erkennen, und darüber nicht ohne Schamgefühl bleiben werde. Wie die Angelegenheit mit Reclam geordnet wurde, ist uns nicht bekannt; wir wissen nur, daß zunächst der Buchhändler Johann August Gottlob Weigel an Reclam's Stelle die leipziger Commission für Brockhaus übernahm. Letzterer sagt in dem ersten aus Leipzig an Bornträger nach Amsterdam geschriebenen Briefe vom 4. October: »Ich habe meiner Frau über die wichtigsten Angelegenheiten direct geschrieben; sie wird Ihnen das mittheilen, und ich beziehe mich darauf, um mich nicht zu wiederholen, wozu es mir an Zeit fehlt.« Dieser Brief an seine Frau ist aber leider nicht mehr vorhanden. Dagegen ist von dieser ersten Geschäftsreise nach Leipzig ein Actenstück erhalten, dessen Gegenstand von der größten Wichtigkeit für sein ganzes Leben wurde: der Contract über den Ankauf des »Conversations-Lexikon«. Brockhaus ist nicht sozusagen der »Erfinder« des »Conversations-Lexikon«, wie Viele meinen; es hat vor seiner Zeit in der deutschen wie in mancher andern Literatur ähnliche Werke gegeben, und selbst dasjenige »Conversations-Lexikon«, das zum Grundstein seines nach harten Schicksalsprüfungen endlich festbegründeten Hauses wurde und seitdem den Mittelpunkt der umfassenden Verlagsthätigkeit desselben gebildet hat, ist nicht von ihm selbst begonnen worden, sondern war in der ersten Auflage bereits fast ganz vollendet, als er es ankaufte, wie auch der Name »Conversations-Lexikon« nicht von ihm herrührt. Und dennoch ist er als der eigentliche Begründer des Werks anzusehen und gilt auch in der deutschen Literatur mit Recht als solcher, da er erst durch seine Energie, Intelligenz und Umsicht dasselbe zu dem machte, was es für ihn, für sein Geschäft und für die Welt geworden ist. Wenn es überhaupt bei buchhändlerischen Unternehmungen viel weniger auf die erste Idee, als auf die geschickte und praktische Ausführung derselben ankommt, so trifft dies besonders in diesem Falle zu. Dasjenige Werk, welches in den Verlagskatalogen der Firma F. A. Brockhaus als die erste Auflage ihres »Conversations-Lexikon« bezeichnet ist, mit den spätern Auflagen desselben aber nicht viel mehr noch als den Titel gemein hat, wurde im Jahre 1796 unter dem Titel: »Conversations-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten«, begonnen. Der (übrigens nicht genannte) Herausgeber war ein sonst nicht weiter bekannter _Dr._ Renatus Gotthelf Löbel in Leipzig (geb. 1. April 1767 zu Thallwitz bei Eilenburg, gest. 14. oder 4. Februar 1799 zu Leipzig), der Verleger Friedrich August Leupold daselbst. In der Vorrede ist gesagt: Vor 30, 40 Jahren habe Hübner's »Zeitungs- und Conversations-Lexikon« hingereicht, das Bedürfniß nach politischen Kenntnissen, die damals fast allein Gegenstand der Conversation gewesen, zu befriedigen; jetzt aber, wo »ein allgemeineres Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Scheine derselben« herrsche, sei »ein dem gegenwärtigen Umfange der Conversation angemessenes Wörterbuch« nothwendig. Am Schlusse heißt es, daß der Verleger, um auch das »schöne Geschlecht« auf das Werk aufmerksam zu machen, dasselbe auch unter dem Titel: »Frauenzimmer-Lexikon zur Erleichterung der Conversation und Lectüre«, ausgeben werde, doch scheint dies nicht geschehen zu sein. In den Jahren 1796-1800 erschienen die vier ersten Theile, also kaum jedes Jahr ein Theil. Das Werk war damit erst bis zum Ende des Buchstaben R gediehen und schien unvollendet bleiben zu sollen. Endlich, nach einer Pause von sechs Jahren, 1806, wurde der fünfte Theil bei einem andern Verleger, Johann Karl Werther in Leipzig, und wieder zwei Jahre später, 1808, abermals bei einem neuen Verleger, Johann Gottfried Herzog in Leipzig, der sechste und letzte Theil veröffentlicht. Vor der Ausgabe desselben hatte indeß bereits Brockhaus das Werk gekauft, jedoch nicht von dem letzten, auch auf dem Titel genannten Verleger Herzog, sondern von dem Buchdrucker Friedrich Richter in Leipzig. Dieser, der Besitzer des Leipziger Tageblattes, hatte vermuthlich das Werk gedruckt und an Zahlungsstatt behalten müssen; kein Wunder, daß er es gern wieder abgab, als sich ein Käufer fand. Der darüber abgeschlossene Kaufcontract trägt das Datum des 25. October 1808. Das Werk war schon bis zur ersten Hälfte des sechsten (letzten) Theils gedruckt und ausgegeben; es fehlte nur noch die zweite Hälfte (das zweite Heft) desselben und der Verkäufer machte sich selbst bei einer Conventionalstrafe von 100 Thalern verbindlich, dieses Heft, das 16, höchstens aber 20 Bogen umfassen und das Werk zu Ende führen sollte, bis zum 5. December desselben Jahres an den Käufer abzuliefern. Wir stehen nicht an, ohne Rücksicht auf das in solchen Angelegenheiten herrschende Geschäftsgeheimniß, die Kaufsumme zu nennen, für die Brockhaus das »Conversations-Lexikon«, die gesammten (freilich wol nicht bedeutenden) Vorräthe des Werks »mit allen Verlags- und sonstigen Rechten« erwarb. Sie betrug 1800 Thaler, die in vier Terminen bezahlt werden sollten: blos 100 Thaler sofort, 500 Thaler Ende Februar, je 600 Thaler zur Oster- und Michaelismesse des nächsten Jahres. Diese Summe erscheint sehr klein gegenüber der großen Verbreitung, die das Werk erlangt hat, und ist es auch in der That, selbst wenn man dabei den damaligen höhern Werth des Geldes in Anschlag bringt. Indeß darf dabei nicht übersehen werden, daß diese Verbreitung wesentlich das Verdienst des neuen Besitzers, nicht der dem Werke zu Grunde liegenden Idee war, deren ausschließliches Verlagsrecht er nicht erwerben konnte, wie sie ja vor wie nach ihm von so Manchem, freilich meist mit weniger Geschick und geringerm Erfolge, und vorzugsweise allerdings erst nach seinem Vorgange und mit offener oder versteckter Nachahmung und Benutzung seines Werks, ausgebeutet wurde. Ferner war es (und ist es noch gegenwärtig) bei diesem Werke nicht wie bei andern sogenannten »guten« Verlagsartikeln mit dem einfachen Abdruck eines druckfertigen Manuscripts gethan, sondern dasselbe verlangte Umsicht in der geistigen Herstellung, Thatkraft und Geschick in dem Vertriebe, vor allem aber bedeutende Herstellungskosten, da es zunächst durch Nachträge, auf zwei Bände berechnet, vervollständigt und eine völlige Neubearbeitung des Ganzen sofort ins Auge gefaßt werden mußte. Endlich ist die genannte Summe gegenüber den damaligen Vermögensverhältnissen des erst seit drei Jahren etablirten und doch bereits durch zahlreiche und umfangreiche Verlagsunternehmungen in Anspruch genommenen Verlegers, sowie bei dem bisherigen geringen Erfolge des Werks, das schon viermal den Besitzer gewechselt hatte, durchaus keine geringe zu nennen. Jedenfalls machte ihm keine der damaligen großen Verlagshandlungen in Leipzig oder im übrigen Deutschland den Besitz des ihnen lange bekannten Werks streitig und hatte den Muth und das Vertrauen, dieselbe oder eine höhere Summe dafür zu zahlen. Gleichzeitig mit dem Contracte über den Ankauf des Werks hatte Brockhaus (am 16. November 1808) einen Vertrag mit dem »Redacteur und Herausgeber der letzten Bände des bei Leupold und zuletzt bei Herzog erschienenen Conversations-Lexikon«, dem Advocaten Christian Wilhelm Franke zu Leipzig, abgeschlossen. In diesem Vertrage wurde derselbe Schlußtermin für Ablieferung des Manuscripts wie in dem Contracte mit Richter für Vollendung des Drucks und Ablieferung der fertigen Exemplare festgesetzt, nämlich der 5. December des laufenden Jahres, nur ohne Conventionalstrafe und mit eventueller Verlängerung um -- drei Tage: »nach und nach bis zum 5., spätestens 8. December dieses Jahres, sodaß der Druck in ungefähr derselben Zeit beendet werden kann«. Der Verleger wird wol noch manchmal die Erfahrung gemacht haben, daß solche Termine mit oder ohne Conventionalstrafe nicht gerade auf den Tag eingehalten zu werden pflegen und oft nicht eingehalten werden können, wie es auch diesmal schwerlich der Fall war. Außerdem wurde in diesem Vertrage bestimmt, daß der Redacteur die (schon von den frühern Verlegern beabsichtigten) Nachträge zu dem Werke in zwei Bänden zu je 30 Bogen sofort in Angriff nehmen und das Manuscript zum ersten Bande (A-M) bis Ende April, zum zweiten Bande (N-Z) bis Michaelis 1809 abliefern solle. Als Honorar erhielt der Redacteur, wie bisher, für den Druckbogen 8 Thaler, wofür er, wie es scheint, das Manuscript ganz druckfertig herzustellen, also auch etwaige Mitarbeiter zu entschädigen hatte -- ebenfalls ein nicht eben kleiner Unterschied gegen die Honorare, die heutigentags bei diesem Werke und ähnlichen Verlagsunternehmungen gezahlt werden! Brockhaus' eigene Thätigkeit bei dieser Vervollständigung der ersten Auflage des Conversations-Lexikon ist im Zusammenhange mit dem Verdienste, das er sich überhaupt um dieses Werk und namentlich um die spätern Umarbeitungen desselben erworben, an einer spätern Stelle zu schildern. Hier sei nur noch erwähnt, daß der erste Band der »Nachträge« 1809, der zweite Band 1811 erschien und Brockhaus sofort auch (1809) das Werk unter einem neuen, etwas veränderten Titel versandte. Er nannte es: »Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der ältern und neuern Zeit.« Auffallenderweise findet sich in Brockhaus' Briefen aus diesem und den nächsten Jahren keine einzige Aeußerung über den für ihn doch so wichtigen Ankauf des »Conversations-Lexikon«. Seine Correspondenz ist indeß leider auch aus dieser Zeit nur theilweise erhalten und so kann man daraus nicht folgern, daß er dem Unternehmen anfangs selbst keine große Wichtigkeit beigelegt habe. * * * * * Wie lange Brockhaus seinen ersten Besuch Leipzigs als Buchhändler ausgedehnt, ist nicht genau bekannt; am 16. November (1808) war er jedenfalls noch dort, da an diesem Tage der Vertrag mit Advocat Franke in Leipzig von ihm unterzeichnet wurde. Vermuthlich ist er entweder im December 1808 oder aber erst im Februar 1809 nach Amsterdam zurückgekehrt. Er schreibt aus Amsterdam vom 27. Februar 1809 an Bornträger: »Durch die Störungen vom December an bis zu meiner Zurückkunft in diesem Monat sind wir auch wol um einen Monat mit den Rechnungen hintenausgesetzt, wie Sie wol denken können.« Dieser Brief ist nach Leipzig gerichtet, wo Bornträger sich seit kurzem befand, und die »Störungen«, von denen die Rede ist, beziehen sich wol auf dessen Abreise aus Amsterdam, die weniger durch geschäftliche als durch persönliche Verhältnisse Bornträger's veranlaßt worden zu sein scheint. Bornträger mußte nämlich plötzlich aus Amsterdam flüchten, um der Gefahr zu entgehen, als Conscriptionspflichtiger in das Militär eingereiht zu werden. So unangenehm dies gewiß auch für Brockhaus war, der in ihm endlich einen fähigen und zuverlässigen Gehülfen gefunden, so wußte er doch sofort mit der ihm eigenthümlichen Umsicht und Thatkraft aus der Noth eine Tugend zu machen: er behielt Bornträger in seinen Diensten und veranlaßte ihn nach Leipzig zu gehen, um dort seine Geschäfte zu besorgen, deren immer wachsende Bedeutung ohnedem neben dem dortigen Commissionär eine directe Vertretung in Leipzig wünschenswerth machte. Bornträger nahm dort den Namen Friedrich Schmidt an, um allen weitern Unannehmlichkeiten zu entgehen, und blieb daselbst als Brockhaus' Bevollmächtigter mit kurzen Unterbrechungen vom Februar 1809 bis August 1810. Dieser Aufenthalt Bornträger's in Leipzig war nicht nur für die geschäftlichen Angelegenheiten seines Principals sehr förderlich, sondern er hat nebenbei auch das Gute gehabt, daß er Veranlassung zu einem lebhaften Briefwechsel zwischen Beiden gab, in welchem sich Brockhaus in der eingehendsten und offensten Weise, wie man es nur einem vertrauten Gehülfen und Freunde gegenüber thut, über seine geschäftlichen und persönlichen Verhältnisse aussprach. Diese Briefe von Brockhaus an Bornträger, die dann noch bis Anfang 1811 fortgesetzt wurden, nachdem der Aufenthaltsort Beider seit Mitte 1810 sich geändert hatte, sind glücklicherweise vollständig erhalten geblieben, da sie der Adressat als eine theuere Erinnerung sorgfältig aufbewahrte und im Jahre 1862 der Verlagshandlung übergab. Sie bilden die hauptsächlichste Quelle für die Lebensgeschichte von Brockhaus in den Jahren 1808-1811, deren Darstellung ohne sie fast unmöglich gewesen wäre. Gleich jener eben erwähnte erste Brief, den Brockhaus nach Leipzig an Bornträger richtete, enthält charakteristische Aeußerungen und zeigt, wie offen, vertrauend und zugleich wie väterlich er sich gegen den jungen Gehülfen ausspricht. Er schreibt: Ich habe dies Jahr weit geringere Engagements als die vorigen Jahre und, so Gott will, werde ich noch vor der Ostermesse so ziemlich im Stande sein, Alles oder doch das Meiste zu reguliren .... Allerdings muß man suchen, den edlen vortrefflichen Friedrich Christian Richter[31] zu erhalten. Sie kennen mich, mein Gemüth, meinen Charakter! Am Wollen wird es nie fehlen. Am Können auch nicht, sobald die Störungen, wie sie der Krieg und solche schlechte Leute wie ... u. s. w. mir immer verursacht, nicht mehr statthaben. Ich werde alles Ersinnliche thun, um mehrere Widersacher zu beschämen, und schmeichle ich mir, daß es uns in keiner Hinsicht dazu an Kräften mangelt .... Suchen Sie durch Ruhe, Anstand, Würde im Betragen günstig auf die Leute zu wirken. Es thut dies sehr viel. Der elende ... verdarb Alles durch seine Pinselhaftigkeit. Treten Sie aber allenthalben leise auf. Nirgends Prahlen oder Großthun. Stille und bescheiden immer. Das ist ja auch Ihr guter und liebenswürdiger ursprünglicher Charakter, den ich, wie Sie wissen, mit Innigkeit verehre. Uebrigens kam Brockhaus trotz Bornträger's Anwesenheit in Leipzig schon zur Ostermesse 1809 wieder dorthin, diesmal aber nur für kürzere Zeit, denn am 15. Juni bereits war er wieder in Amsterdam. Vom 8. Mai liegt uns ein Contract über eine von Brockhaus in Leipzig gemiethete Niederlage vor; der Vermiether hieß Johann Georg Bering aus Naumburg, und die Niederlage, wol die erste, die er in Leipzig besaß, befand sich im Deutrich'schen Hause auf der Reichsstraße. In dieser Zeit wurde er in Leipzig durch Johann Friedrich Pierer aus Altenburg zuerst mit dem Kammerverwalter Ludwig bekannt, der später einer seiner vertrautesten Freunde werden sollte. Derselbe lebte in Altenburg in einem literarisch und künstlerisch sehr regsamen Kreise und trat auch selbst als Schriftsteller auf. Brockhaus schreibt an ihn aus Leipzig vom 12. Mai 1809: Ich rechne die Stunden, welche ich in dieser Messe an Ihrer Seite und in Ihrer Unterhaltung verlebt und verplaudert, mit zu den angenehmsten meines Lebens, und ich bedaure es unendlich, daß erst so spät unsere Bekanntschaft etwas genauer wurde. Ich beschwöre Sie, mit der Herausgabe Ihrer Ansichten und Bemerkungen zu eilen, und ohne meinen Freunden Gräff und Nauck im mindesten zu nahe treten zu wollen, füge ich nur noch die Versicherung hinzu, daß, im Fall diese aus irgendeiner Ursache diese Herausgabe möchten hinhalten oder hinaussetzen wollen, meine Handlung bereit sein würde, darin jeden Ihrer Wünsche zu befriedigen. Auf jeden Fall habe ich aber doch noch eine Bitte an Sie, die Sie mir, ich hoffe es, nicht abschlagen werden. Die Hofräthin Spazier hier in Leipzig gibt im Verlage meiner Handlung noch in diesem Jahre ein neues Taschenbuch heraus unter dem Titel »Urania«. Es haben sich die ausgezeichnetsten Männer und Frauen (Jean Paul, Mahlmann, Kind, Böttiger, Seume, Frau von Ahlefeldt, Luise Brachmann und viele Andere) an sie angeschlossen, und dieses Taschenbuch wird in allen Hinsichten mit den vorzüglichsten wetteifern und sie selbst zu übertreffen suchen. Ob die Herausgeberin gleich bereits viel mehr Aufsätze hat, als sie im ersten Jahrgang aufnehmen kann, so wird sie doch auf mein Ersuchen noch für einen Beitrag von Ihnen Raum finden, wenn Sie uns damit beehren wollen. Ich ersuche Sie darum im Namen der Herausgeberin und in meinem eigenen Namen. Irgendein oder mehrere Fragmente Ihrer Reise würden uns dazu die liebsten sein. Hätten Sie aber auch sonst noch irgendetwas in Ihrem Portefeuille, was Sie uns zu diesem Gebrauch mittheilen wollen, so würden wir solches dankbar annehmen. Ich bleibe noch bis künftigen Sonnabend (vor Pfingsten) hier. Wäre es Ihnen möglich, bis dahin mir mit einigen Zeilen zu antworten, oder gar mir bereits dasjenige wirklich zu senden, was Sie uns möchten bestimmen wollen, so würden Sie mich unendlich verbinden. Meine Idee, vielleicht über Altenburg selbst zurückzureisen, kann ich leider nicht ausführen, da es in einer ganz andern Richtung liegt, als ich mir gedacht hatte. Ein zweiter Brief an denselben, vom 22. Mai, lautet: Ich reise diesen Abend zurück nach den Ufern der Amstel. Vorher aber noch ein paar Worte zur Antwort auf Ihren gütigen Brief vom 17. dieses. Sollte Gräff Ihr Manuscript nicht für den jetzigen Augenblick gleich übernehmen wollen, so übernehme ich es gerne, um es Michaelis zu liefern. Gräff muß aber freiwillig davon zurückstehen, und er muß über das ganze Arrangement und über die Entstehung desselben reine unterrichtet werden. Er ist zu sehr mein Freund, als daß ich um irgendeinen Preis ihm nur Unzufriedenheit mit mir einflößen möchte. Tritt er aber freiwillig zurück, und wollen Sie es mir dann anvertrauen, so bitte ich Sie, das Manuscript baldmöglichst hiehin nach Leipzig zu senden, an untenverzeichnete Adresse. Ich erhalte es dann zur Post nach Amsterdam und sorge für schönen und eleganten Druck, wie dies bei allen unsern Verlagsartikeln der Fall ist. Die nähern Bedingungen erlauben Sie mir seiner Zeit nach Kenntniß der Sache selbst zu bestimmen. Da in diesem Falle der Kalender[32] mit dem Buche gleichzeitig erscheinen würde, so dürfte eine Ausstellung aus demselben allerdings nicht passend sein. Wollen Sie der Frau Hofräthin Spazier indessen sonst etwas aus Ihrem Portefeuille mittheilen, so wird sie es gewiß mit Vergnügen aufnehmen. Auch kleine Gedichte gehören allerdings in ihren Plan. Ihre Adresse ist auf der Post bekannt genug, und also blos einfach: an die Frau Hofräthin Spazier. Nun, auf alle Fälle beehren Sie mich mit Ihrer gütigen Antwort. Leben Sie wohl bis zum Wiedersehen. Möge es unter glücklichern Aussichten sein, als wir uns diesmal hier sahen. Brockhaus war damals oder schon im Herbst 1808 mit der Hofräthin Spazier bekannt geworden und hatte mit ihr die Herausgabe eines Taschenbuchs unter dem Titel »Urania« verabredet; dieses bekannte Sammelwerk erschien zum ersten male für das Jahr 1810. Die Herausgeberin wird uns später noch näher und in anderer Weise entgegentreten. * * * * * Außer mit der »Urania« und dem »Conversations-Lexikon« beschäftigte sich Brockhaus in dieser Zeit auch noch mit manchen andern Verlagsartikeln größern oder geringern Umfangs und entwickelte dabei fortwährend die regste Thätigkeit. Die bekannten Schriften Massenbach's erschienen meist im Jahre 1809, ebenso der erste Band von Sprengel's »_Institutiones medicae_« und Villers' »_Coup d'oeil sur l'état actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«. Neben diesen schon früher von uns erwähnten Werken verlegte er in dieser Zeit besonders noch drei andere: erstens »Die Hebräerin am Putztische und als Braut«, von dem mit ihm bereits durch eine Uebersetzung Dschami's in Verbindung getretenen Schriftsteller Anton Theodor Hartmann (3 Theile, Amsterdam 1809-10), ein damals sehr geschätztes Buch, das ein Seitenstück zu Karl August Böttiger's 1803 erschienenem Werke: »Sabina oder Morgenscenen einer reichen Römerin«, bilden sollte; ferner »Ansichten von der Gegenwart und Aussicht in die Zukunft« von Friedrich August Koethe, dem bekannten theologischen Schriftsteller (geb. 1781 zu Lübben, gest. 1850 zu Allstädt), von dem später noch mehrere Werke in seinem Verlage erschienen, ein religiös-politisches Werk von patriotischem Schwunge, »dem gesammten, untheilbaren theuern deutschen Vaterlande geweiht«; drittens »Grundzüge der reinen Strategie, wissenschaftlich dargestellt« von August Wagner (geb. 1777 zu Weißenfels, erst österreichischer, dann preußischer Offizier, gest. 1854 zu Berlin als Generalmajor), ein werthvolles kriegswissenschaftliches Werk. Endlich schloß Brockhaus in diesem Sommer noch mehrere wichtige Verlagscontracte ab. Am 3. Juli einigte er sich mit dem verdienstvollen Begründer der wissenschaftlichen deutschen Bibliographie, Johann Samuel Ersch (geb. 1766 zu Großglogau, Professor und Oberbibliothekar in Halle, gest. daselbst 1828), über dessen berühmtes »Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit«, das wesentlich von Brockhaus veranlaßt und hervorgerufen wurde; dasselbe erschien indeß erst später (2 Bände in je 4 Abtheilungen, Amsterdam und Leipzig 1812-14; neue Ausgabe [zweite Auflage], 4 Bände in je 2 Abtheilungen, Leipzig 1822-27). Am 13. Juli unterzeichnete er einen Contract mit dem bekannten Jugendschriftsteller Jakob Glatz (geb. 1776 zu Poprad in Ungarn, erst Lehrer in Schnepfenthal, dann evangelischer Geistlicher in Wien, gest. 1831 zu Preßburg) über dessen rühmlichst bekannt gewordenes Werk: »Die Familie von Karlsberg oder die Tugendlehre. Anschaulich dargestellt in einer Familiengeschichte. Ein Buch für den Geist und das Herz der Jugend beiderlei Geschlechts«, das bald darauf auch ausgegeben wurde (2 Theile, Amsterdam 1810; zweite Auflage, 2 Bände, Leipzig 1829). Zwei Tage darauf, am 15. Juli, schloß er noch einen Verlagscontract, der aber nicht zur Ausführung kam: mit Geh. Rath Sigismund Hermbstaedt in Berlin über ein »Technologisches Handwörterbuch«, das in zwei starken Bänden erscheinen sollte. Die Jahreszahl 1810 tragen außer dem Werke von Jakob Glatz und dem ersten Jahrgange der »Urania« noch folgende drei, ebenfalls im Jahre 1809 von Brockhaus verlegte Werke: »Ueber die Mittel, den öffentlichen Credit in einem Staate herzustellen, dessen politische Oekonomie zerstört worden ist«, von Herrenschwand, einem wenig bekannten staatswirthschaftlichen Schriftsteller, nach dem Französischen deutsch herausgegeben von dem Obersten von Massenbach; zweitens »Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809« von Johann Friedrich Reichardt, dem bekannten Componisten und Musiktheoretiker, scharfe Beobachtungen über die musikalischen, literarischen und gesellschaftlichen Zustände Wiens enthaltend; drittens der erste Band der deutschen Bearbeitung eines Geschichtswerks des englischen Historikers William Coxe (geb. 1747, gest. 1828): »Geschichte des Hauses Oestreich von Rudolph von Habsburg bis auf Leopold des Zweiten Tod, 1218-1792«, herausgegeben von Hans Karl Dippold und Adolf Wagner (der zweite Band erschien 1811, der dritte und vierte erst 1817), für welche sich unter anderm Freiherr von Hormayr sehr interessirte und die in Oesterreich selbst solchen Beifall fand, daß man dort 1817 einen Nachdruck derselben veranstaltete. * * * * * Ueberblickt man diese Reihe von Verlagswerken, die Brockhaus in den ersten Jahren seiner buchhändlerischen Wirksamkeit übernahm, so muß man ebenso sehr den vielseitigen Geist, das Geschick und das feine Verständniß für den Geschmack und die Bedürfnisse des Publikums, wovon er dadurch Beweise gab, anerkennen, wie man über seinen Muth und sein Selbstvertrauen staunen muß. 6. Zerwürfnisse mit Baggesen. Außer durch seine umfassende Verlegerthätigkeit wurde Brockhaus während der Jahre 1808 und 1809 geistig und gemüthlich vielfach durch eine Angelegenheit in Anspruch genommen, die ihn zwar zunächst auch als Verleger benachtheiligte, aber weit mehr innerlich afficirte. Es waren dies Zerwürfnisse mit Jens Baggesen, dem ausgezeichneten, aber zugleich übermäßig eiteln und empfindlichen Dichter, die ein Beispiel liefern, daß es auch Mishandlungen eines Verlegers durch einen Schriftsteller gibt, während die Literaturgeschichte meist nur von umgekehrten Fällen zu berichten pflegt. Die Kenntniß der nähern Umstände dieses literarischen Streits (den wir eingehender darstellen zu sollen glaubten, als vielleicht der Gegenstand, um den es sich handelte, es erheischte, weil er für Brockhaus' Verhalten in solchen Angelegenheiten charakteristisch ist) verdanken wir einem längern Briefwechsel, den Brockhaus darüber mit dem bekannten französischen Gelehrten Fauriel führte.[33] Dieser hatte Baggesen's »Parthenais«, die 1808 von Brockhaus in neuer Ausgabe verlegt wurde, nachdem das Gedicht zuerst 1804 bei einem andern Verleger (Vollmer in Hamburg und Mainz) erschienen war, ins Französische übersetzt, und seine Uebersetzung erschien unter dem Titeln »_La Parthénéide. Poëme de M. J. Baggesen. Traduit de l'allemand_«, aber ohne seinen Namen, ebenfalls bei Brockhaus (Amsterdam 1810, gleichzeitig eine pariser Firma: Treuttel & Würtz, auf dem Titel tragend). Claude Charles Fauriel war 1772 zu St.-Etienne (Loire) geboren, lebte meist in Paris und starb daselbst 1844; er hat zahlreiche ausgezeichnete geschichtliche und literarhistorische Arbeiten geliefert, wie unter anderm aus einem ihm von Sainte-Beuve in der »_Revue des deux mondes_« (1845) gewidmeten Essay hervorgeht. Besonders interessirte er sich auch für die deutsche Literatur und erwarb sich gleich Villers das Verdienst, seine Landsleute mit derselben bekannt zu machen. Brockhaus war, wie wir bereits berichtet haben, im Sommer 1806 mit Baggesen in Amsterdam, das dieser auf seinen häufigen Reisen öfters besuchte, bekannt geworden und hatte mit ihm schon damals nicht nur über die »Parthenais«, sondern fast gleichzeitig (am 21. Juni) auch über eine Sammlung seiner Briefe einen Contract abgeschlossen. Der Umfang des letzten Werks war nicht festgesetzt, sondern nur bestimmt worden, daß die Verleger (damals noch Rohloff & Comp.) sich verpflichteten, die Briefe »bandweise herauszugeben nach Bequemlichkeit des Verfassers, der sie zu keinem bestimmten Termine unbedingt versprechen kann, den ersten Band ausgenommen«; das Manuscript des letztern sollte »erst nach Verlauf von vier Wochen _a dato_«, also eigentlich am 21. October 1806, abgeliefert werden -- das Werk erschien aber erst 25 Jahre später, 1831, als beide Contrahenten längst gestorben waren! Als Honorar wurden 4 Louisdor per Druckbogen, »unmittelbar nach der Ablieferung des Manuscripts zu zahlen«, festgesetzt. Im darauffolgenden Sommer (1807) war Baggesen wieder in Amsterdam, und der beste Beweis seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Brockhaus liegt wol darin, daß er bei dessen viertem Sohne Max Pathenstelle vertrat. Auch wurde in dieser Zeit (am 16. Juli) zwischen Beiden ein neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die 1808 unter dem Titel »Heideblumen« erschienen. Aus dieser Zeit datirt der einzige uns bekannte Brief Baggesen's an Brockhaus, am 1. August 1807 (also kurz nach seiner Abreise aus Amsterdam) in Marly bei Paris, wo Baggesen damals wohnte, geschrieben, der ebenfalls Zeugniß von ihrem herzlichen Verhältnisse gibt. Baggesen schreibt: Indem ich mein Packet an Sie abschicken will, erhalte ich Ihren Brief, mein Theuerster, vom 27. -- und ich kann nicht umhin, das Packet wieder zu öffnen, um meinen herzlichen Dank dafür mit hineinzulegen. Ich bin während acht Tagen im strengsten Sinne des Worts nicht von der Seite meiner holdseligen Fanny und des kleinen vollkommenen Engels Paul gewichen -- es schienen mir acht Minuten. Erst in den zwei letzten Tagen habe ich des Morgens, bevor sie erwacht, angefangen wieder zu arbeiten. Dank für Ihr warmes Interesse für das herrliche Weib, dessen höhere Bedeutung ich sogleich, noch ehe ich wußte, daß sie Künstlerin sei, wahrnahm. Sie schätzt Sie hoch und ist Ihnen und Ihrer holden Frau herzlich ergeben. Gönnen Sie ihr öfters Ihren balsamischen, in Amsterdam unschätzbaren Umgang! Ich kann ihr, ihrem Mann und ihrem herrlichen Sohn noch nicht schreiben -- weil ich, zu betäubt und entzückt vom glücklichen Wiedersehen, Niemandem ein vernünftiges Wort schreiben kann -- und weil ich vor dem Empfang des Portraits von Ary nicht schreiben will. Dieses erwarte ich mit Ungeduld, sowie die Cramer'schen Musikalien, und die Recension, die schwerlich von Voß ist .... Mit den »Heideblumen« wird es rasch gehen. Und die »Briefe« und die »Dichterwanderungen« werden folgen. Wahrlich, das alles interessirt mich von ganzer Seele. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ich wirklich wieder nach Norden kehre -- doch lassen Sie sich noch keinen Zweifel darüber merken! Ihr Baggesen. Die hier erwähnte Künstlerin ist jedenfalls die Mutter Ary Scheffer's, Cornelia, die nebst ihrem Manne zu dem nächsten Umgange Brockhaus' gehörte und Baggesen also wahrscheinlich erst bei diesem kennen gelernt hatte. Die neben den »Briefen« noch genannten »Dichterwanderungen« waren ein zweites Project Baggesen's, das ebenso wenig als jenes erstere zur Ausführung kam. Er hatte darüber mit Brockhaus zwar keinen schriftlichen Contract abgeschlossen, ihm das Werk aber wiederholt schriftlich und mündlich versprochen, wie aus einem weiter unten folgenden Briefe ersichtlich ist. Wir lassen nun die Briefe von Brockhaus an Fauriel ihrem Hauptinhalte nach folgen, auch diejenigen Stellen, welche andere Angelegenheiten betreffen, da sie für die literarischen oder persönlichen Verhältnisse des Briefschreibers theilweise von hohem Werthe sind. Der erste, Amsterdam 15. November 1807 datirt, lautet: Ich habe allerdings eine recht große Schuld gegen Sie, daß ich Ihren so gütigen und freundschaftlichen Brief, den ich durch die Vermittelung des Herrn Cramer erhielt -- gar nicht, daß ich Ihren letzten Brief auch erst jetzt beantworte. Entschuldigen, hoffe ich, werden Sie mich, wenn Sie den etwas nähern Zusammenhang, die Ursachen hören werden, die mein Stillschweigen veranlaßten. Ihr erster Brief hatte die hauptsächliche Tendenz, mir die Ursachen zu entwickeln, warum eine partielle Bekanntmachung der »_Parthénéide_« nicht frommen und nützen könne. Ihren Gründen gebe ich meine Beistimmung, da sie mir ebenfalls entscheidend vorkamen, und ich that auf den Wunsch dazu Verzicht. Er enthielt weiter eine Angabe der Schwierigkeiten, die sich der gänzlichen Vollendung Ihrer Uebersetzung entgegenstellten, da Sie Aenderungen für nothwendig hielten, welche Sie jedoch ohne Zustimmung und Zuratheziehung des Verfassers nicht eigenwillig zu übernehmen wagten. Auch in diesem Punkte konnte ich meine Beistimmung und Genehmigung nicht versagen. Solange indessen das Manuscript nicht ganz vollendet war, konnte nicht an Bekanntmachung des Werkes selbst gedacht werden; diese Vollendung hing von Baggesen's Zurückkunft ab: dieser Zurückkunft sah ich acht Monate lang täglich entgegen; ich wurde täglich getäuscht: mein Schweigen bis zur Zurückkunft von Baggesen wird sich also, wie ich glaube, wenn auch nicht ganz rechtfertigen, doch entschuldigen lassen. Baggesen kam endlich im Juni, im Juli war er in Paris; an die endliche Vollendung des Werks konnte nun gedacht werden, wie an die Bekanntmachung. Ich erhielt darüber Ihren gütigen Brief, und ich würde mich beeifert haben, ihn mit umgehender Post zu erwidern und auf der Stelle alle und jede Anstalten zur Bekanntmachung zu machen, wären nicht in der Zwischenzeit über die deutsche Taschenausgabe zwischen Baggesen und mir Mistöne entstanden, die mir das ganze Werk, woran ich wie am Verfasser bisher mit Begeisterung gehangen hatte, bis zum Namen hin zum Ekel gemacht hätten. Es würde zu weitläufig sein, Ihnen die Discussionen, welche zwischen mir und Baggesen darüber entstanden, in allen ihren Details zu entwickeln: meine Discretion verbietet mir dies auch, wie ich auch fühle, daß Ihnen wie mir die Kenntnißnehmung fremder Angelegenheiten eine peinliche Aufgabe und Zumuthung sei. Etwas muß ich Ihnen aber doch darüber sagen: Baggesen bot mir eine »Parthenais« zweite Ausgabe zum Verlag an. Er forderte 150, sage hundertfunfzig Louisdor Honorar (circa 30 Bogen, jede Seite zu 11 Hexameter, _à_ 5 Louisdor). Ohne daß Baggesen mir eine Zeile Manuscript gab, zahlte ich ihm und Madame Baggesen gleich zwei Fünftel voraus, als Avance. Ich zahlte die übrigen drei Fünftel dieses Honorars ein paar Monate nachher und noch etwa 30 Louisdor mehr als Avance auf künftige Werke, worüber Baggesen mit mir mündlich und schriftlich contrahirt hatte. Die Umstände erlaubten es Baggesen und mir indessen nicht, daß der ganze Contract konnte vollzogen werden. Baggesen sollte die Zeichnung und den Stich der Kupfer in Paris leiten und -- Baggesen kam gar nicht nach Paris zurück (erst ein Jahr nachher), mir war die Ausführung dadurch also ganz unmöglich gemacht; aber auch dadurch war die Ausgabe einer Luxus-Edition unvernünftig geworden, daß in #der# Epoche ganz Deutschland bis aufs Blut durch Contributionen und die Kriegsverheerungen aufgesogen wurde, sodaß eine Luxus-Ausgabe eines Dichtwerkes in der Zeit zu den wahrhaft unsinnigen Unternehmungen hätte müssen gezählt werden! Baggesen litt darunter aber als Verfasser nichts! Ich hatte ihm sein volles Honorar von 150 Louisdor circa bereits vergütet! Ich litt nur darunter, denn ich war nur im Stande, die kleine Ausgabe, die fertig gemacht worden war, freilich auch verspätet und unter den ungünstigsten Umständen in Circulation zu setzen. Für das Alles konnte Baggesen nichts, das erkannte ich, und wenn also Schaden statt Vortheil aus der Unternehmung resultirte, so war dies nicht Baggesen's, sondern die Schuld der Umstände. Aber nun kam und zeigte sich auch zum Schaden noch der Verdruß und doppelter Schaden: Der Verleger der ersten Ausgabe der »Parthenais« trat auf und behauptete, daß Baggesen #noch nicht# das Recht gehabt hätte, eine zweite Ausgabe an einen andern Verleger als ihn zu verkaufen. Als ich Baggesen dies nach Kopenhagen meldete, antwortete er mir wie ein wackerer Mann: er werde das mit dem ersten Verleger ausmachen, er werde mich gegen ihn schützen. Baggesen that aber nichts für diesen Schutz, und der erste Verleger, der ohne alle Satisfaction oder gar ohne Nachricht einmal von Baggesen blieb, druckte meine mit 150 Louisdor bezahlte zweite Ausgabe vermöge seines angeblichen, von Baggesen ihm #nicht# (durch vorgehaltenen Contract) widerlegten Rechts nach und setzte sie in ganz Deutschland zur Hälfte des Preises in Circulation! Meine Ausgabe sank nun ganz unter, denn jene war um die Hälfte wohlfeiler, und da ich ein neuer Verleger war, jener aber der erste Verleger, so galt #ich# für einen Nachdrucker, #er# für den rechtmäßigen Besitzer! Ich forderte Baggesen auf, die Sache auszugleichen: Baggesen war oder kam zu der Zeit in Hamburg, wo es ihm ein Leichtes sein mußte, die Sache zu ordnen, da der erste Verleger nur Satisfaction und geringe Entschädigung verlangte, Baggesen that aber in Hamburg nichts Wesentliches. Die Sache blieb hangen -- Baggesen kam her. In der Freude, ihn bei uns zu sehen, wurde über diesen Punkt leicht weggeglitten: wie wollte es auch mit Gastfreundschaft bestanden haben, ihn zu mahnen, mir mein Eigenthum, das er mir freilich verkauft hatte, gegen einen #andern Käufer# (#nicht# gegen einen #Dieb#, wie Baggesen es erklären will: Vollmer constituirt sich nicht wie ein Nachdrucker, als Dieb, sondern als Besitzer; er behandelt mich als Nachdrucker, mich, der 150 Louisdor Honorar bezahlt habe) zu schützen; das konnte, mußte Baggesen durch öffentliche Erklärung (keine Zeile ist von ihm darüber bekannt gemacht worden!!) wehren und mich schützen! Ich sage: mein Gefühl von Gastfreundschaft erlaubte mir nicht, Baggesen bei seiner Anwesenheit in Amsterdam, in meinem Hause, an solche Verpflichtungen zu mahnen. O! ich dachte, die sprächen sich auch selbst aus. Baggesen reisete nach Paris. Ich erfahre in der Zwischenzeit die definitiven Reclamationen des ersten Verlegers; sie scheinen mir billig, ich rathe Baggesen zum Vergleich mit ihm, und ob Baggesen gleich zehnmal erklärt hatte, er allein wolle mich schützen -- denn ich, wie auch recht war, habe in jedem Falle nichts verbrochen --, so erbiete ich mich dennoch, #die Hälfte desjenigen zu tragen#, was man dem ersten Verleger möchte als Abmachung zuwenden müssen, und wolle ich den Vorschuß zum Ganzen leisten. Auf jeden Fall, erkläre ich aber, müsse die Sache beendigt werden, und da einer von uns Recht oder Unrecht haben müsse, so schlage ich als Schiedsrichter darin #Baggesen's Freunde# _Dr._ Kerner und Buchhändler Perthes in Hamburg vor. Mit deren Entscheidung erkläre ich mich zufriedengeben zu wollen. Auf diesen meinen Brief habe ich nun von Baggesen eine Antwort erhalten, worin er mir erklärt: »daß #ihn# die ganze Reclamation des ersten Verlegers nichts anginge, daß sie mich allein beträfe, und ich zu sehen habe, wie ich fertig mit ihm würde, daß er die Sache einem Advocaten zur Betreibung übergeben würde, daß er seine weitern Werke nicht bei mir herausgeben wolle, daß es aber meine Pflicht sei, gleich eine Prachtausgabe der «Parthenais» zu machen«, und dergleichen Kränkungen und Unvernunften viel mehr, alle durch einen Schwall von Worten, aber mit keinem einzigen Belege unterstützt, und alle Verhältnisse des Danks, der Verpflichtung, der Freundschaft, der Zufriedenheit rein verleugnend!! Daß der Troß der Menschen so handelt, Worte für Thaten geben will, und wo er Thaten geben soll, nur Worte hingibt, das hatte meine Erfahrung mich schon gelehrt; aber daß Baggesen, den ich für einen der edelsten Menschen, nicht blos für einen geistreichen Dichter hielt, gegen mich so handeln könnte, dies hatte ich nicht erwartet. In der Einlage habe ich ihm mit Ruhe und Einfachheit Alles beantwortet; ich adressire diese Antwort Ihnen mit der freundlichen Bitte, sie Baggesen zu übergeben: es geschieht dies darum, damit der wirkliche Empfang dieses Briefes, der meine heiligsten Rechte enthält, nicht kann ignorirt werden.[34] Was die größere Ausgabe der »Parthenais« betrifft, von der Sie schreiben, so kann diese unter den obwaltenden Umständen noch nicht erscheinen. Die Ursache davon ist: 1) Baggesen hat durch seine spätere Zurückkunft nach Paris die Erscheinung nach dem Buchstaben des Contractes unmöglich gemacht. Die Umstände in Deutschland machten sie übrigens auch nicht möglich. 2) Jetzt, nachdem die kleine Ausgabe von uns und der Abdruck des ersten Verlegers seit 18 Monaten in Deutschland circulirt, ist eine große Luxus-Ausgabe aus folgenden Gründen unthunlich: Sie erschiene entweder unverändert nach der zweiten Ausgabe, oder umgearbeitet als neue Ausgabe. Im ersten Falle wird sie sehr wenig gekauft werden, weil der Reiz der Neuheit des Gedichts ganz vorüber ist. Nur Liebhaber von Luxus-Ausgaben würden sie kaufen. Dieser Liebhaber existiren jetzt aber in dem ausgesogenen Deutschland fast keine. Kein Buchhändler in Deutschland macht jetzt Luxus-Ausgaben. Göschen läßt selbst die Fortsetzungen von Klopstock, Wieland &c. beruhen bis auf bessere Zeiten. Im zweiten Falle aber, daß Baggesen das Gedicht etwas verändere, wird mir die des Mitabdrucks des ersten Verlegers wegen kaum zur Hälfte verkaufte Auflage wieder Maculatur. Mein Schaden vermehrt sich wieder, und da der erste Verleger das Recht zu haben versichert (was Baggesen wol durch #Worte#, aber nicht durch #Documente# widerlegt), sich die »Parthenais«, in welcher Form sie auch sei, anzueignen, so lange sein erster Contract nicht abgelaufen, so würde er auch diese Auflage (möge sie bei Didot oder bei Unger gedruckt sein) wieder abdrucken, und das arme deutsche Publikum würde seine wohlfeile Ausgabe lieber kaufen als unsere theure. Jetzt also ist in keinem Falle an die große Ausgabe der deutschen »Parthenais« zu denken. Wenn Baggesen mich gegen den ersten Verleger schützt, sei es unmittelbar, oder durch die Edition von Documenten (Worte, Raisonniren hilft zu nichts), die mich in Stand setzen, den ersten Verleger als Dieb zu behandeln (was in Leipzig auf der Messe angeht, wo #alle# deutsche Buchhändler eine Jurisdiction haben) -- dann soll sie erscheinen, sobald es vernünftig ist, d. h. sobald die erste Auflage größtentheils verkauft ist, und das Publikum empfänglicher für Luxus-Ausgaben ist. Schützt mich Baggesen aber nicht gegen den ersten Verleger, so kann und wird nie eine größere Ausgabe erscheinen und wird sicher nie irgendein anderer deutscher Buchhändler darüber mit Baggesen contrahiren oder nie dagegen aufkommen. Es hängt ganz von Baggesen ab, wie er die Sache beendigen will. Ich habe sie ihm auf das äußerste leicht gemacht, indem ich mich erboten, die Hälfte desjenigen zu tragen, was man seinem ersten Verleger würde zur Abmachung geben müssen, und das Ganze zu avanciren, und da diese Hälfte etwa 12 Louisdor betragen würde, so glaube ich, daß Baggesen, der 150 Louisdor Honorar erhalten, diese erbärmlichen 12 Louisdor, da er offenbar die Verpflichtung zur #ganzen# Abmachung gegen mich hat, könnte beigeben lassen, ohne dieserhalb, wie er thut, die innigsten und freundschaftlichsten Verhältnisse mit mir zu brechen und mich auf das unwürdigste zu mishandeln, als wolle ich ihn zu hintergehen, zu misleiten, zu betrügen suchen! Mein Ehrgeiz und meine Pflicht gegen meine Handlung erlaubt mir keine Linie weiter zu gehen als ich gegangen bin, und wenn der Gegenstand einen Liard oder 1000 Louis betrüge, der davon abhängen möchte! Baggesen hat meine Ehre hineingezogen und nun hat Alles das schärfste Ziel. Verzeihen Sie tausendmal, werthester Herr Fauriel, daß ich Sie so lange hiermit aufgehalten habe. Ich mußte es aber thun, da ich gewiß bin, daß Baggesen gegen Sie beständig davon sprechen wird, da Sie mich in Ihrem Brief selbst davon unterhalten, und da es Ihnen zeigen wird, wie mir Alles, was auf die »Parthenais« bis zum Namen hin Beziehung haben konnte, zuwider sein mußte. Ich hoffe indessen von Baggesen's Redlichkeit und Rechtlichkeit das Beste, und ich denke also, daß Alles sich wieder ins Gleiche fügen werde. Wäre dies aber auch nicht, so bleibe ich, wie sich versteht, meinem Ihnen durch Herrn Cramer gegebenen Worte aufs heiligste getreu. Die französische Uebersetzung der »Parthenais« erscheint und mache ich hiermit darüber folgende Bestimmungen ..... Hiermit ist diese Verhandlung, denke ich, fest bestimmt, wie sich ja jede Verhandlung fest bestimmen läßt in Kürze, wenn man es recht miteinander meint. Ich bitte Sie indessen, nie weiter irgend Jemanden mit Aufträgen hierüber an mich zu chargiren, sondern mir Alles selbst zu sagen; auch würden Sie mich sehr verbinden, ebenfalls keine Aufträge von diesen Andern an mich wieder anzunehmen. Es ist mir unendlich leid, daß ich Sie in meinem ersten Briefe mit so vielem Odiösen habe unterhalten müssen! Die Nothwendigkeit dazu ist mir peinlich und lästig genug gewesen. Sie werden mir dies gern glauben. Dieser Brief und der eingeschlossene an Baggesen scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn der nächste berichtet von einer Wiederversöhnung Beider, ohne freilich anzugeben, worin diese bestanden, und ohne daß Brockhaus ahnen mochte, von welch kurzer Dauer sie sein werde. Brockhaus schreibt nämlich an Fauriel unterm 16. Juni, also gerade ein halbes Jahr nach dem ersten Briefe: Er habe in langer Zeit keinen Brief erhalten, den er mit wahrerer Theilnahme gelesen. Auf die französische Uebersetzung der »Parthenais« habe er schon beinahe nicht mehr gerechnet und sei sehr gespannt auf die ersten Bogen, »da es mir eine der außerordentlichsten Aufgaben scheint, Dichtungen wie die 'Parthenais' mit ihren griechischen Silbenmaßen glücklich in die französische Sprache zu übertragen«; Fauriel's Uebersetzung der »Parthenais« wurde übrigens in Prosa abgefaßt. Darauf fährt Brockhaus fort: Was meine Verhältnisse mit Baggesen selbst betrifft, so sind sie insoweit wiederhergestellt, daß ich alle Kränkungen, die mir widerfahren, längst vergessen habe. Baggesen ist einer der am eigenst organisirten Menschen, die auf der Erde leben, und ich glaube, daß er mehr wie Rousseau von sich sagen könnte, daß Niemand auf der Erde ihm gleiche. Um Baggesen zu messen und zu beurtheilen, muß man einen ganz andern Maßstab haben als für andere Menschen! Ich habe dies zu Zeiten vergessen, daher viele Misverständnisse, Störungen, Unannehmlichkeiten. Doch ich will mich darüber hier nun auch nicht weiter verbreiten. Ich liebe und verehre Baggesen unendlich. Was Ihre gütige Mittheilung über Baggesen's Verhältnisse betrifft, so sehe ich solche als einen Beweis Ihres Vertrauens gegen mich an. Empfangen Sie dafür meinen herzlichsten Dank. Ich werde Ihnen ganz aufrichtig darauf antworten. Wäre ich reich, so würde, um einen so trefflichen Mann und Freund wie Baggesen zu unterstützen und ihm bis auf bessere Zeiten Vorschüsse zu thun, bei mir keine Secunde Bedenkzeit oder Bedenklichkeit stattfinden. Aber ich bin nicht reich, und bei meiner Unternehmungslust, Thätigkeit und bei meinen jetzigen vielfältigen Verbindungen mit den Koryphäen der Gelehrten-Republik in Deutschland fehlt es mir an genügendem Fonds, als daß ich auch nur etwas davon #da# gebrauchen könnte, wo Freundes-Gesinnung es mir wie hier gebieten würde, ihn zu theilen. Daß ich als Hausvater und als Vorsteher einer zahlreichen Familie auch in dieser Hinsicht Pflichten habe, kann ich auch noch wol anführen. Indessen ist es auch eine nicht mindere Pflicht, dem wackern und durch Umstände gedrückten Freunde zu helfen, soviel man kann und soweit man darf. Kann unser Baggesen also berechnen, daß er mir in einem gewissen Zeitraum, etwa in 2 _à_ 3 Monaten, das Manuscript zu den mir seit langer Zeit zugesagten »Dichterwanderungen« besorgen kann, so erlaube ich ihm selbst oder Ihnen, dann gleich auf mich die Summe von 50 Louis _à_ 3 Monat dato ziehen zu können, und, wenn ich bis dahin einiges Manuscript erhalten habe, den 15. August nochmalen 50 Louis auf gleiche Weise ziehen zu dürfen. Herr Toberheim oder ein Anderer wird, denke ich, diese Tratten gern nehmen und Baggesen gleich den Betrag dafür auszahlen. Ich lege Ihnen zu diesem Zweck eine Declaration hier bei, von welcher Sie Gebrauch machen können. Fühlt Baggesen aber, daß seine physischen und geistigen Kräfte ihm in diesem Augenblicke die Redaction jenes Werks nicht erlauben, so werden die Tratten unterbleiben. Ich sage »Redaction«, denn der Stoff des Werks liegt da, ist bereits von ihm erschaffen, und es bedarf nur einer Form und Anordnung. Will er, was unser und sein Plan war, aus seiner früher wirklich geführten Correspondenz -- und wer schreibt Briefe wie er? -- das Werk bereichern, so glaube ich, dürfte Baggesen nur einer kurzen Ermannung und des ernsten Wollens bedürfen, um in kurzer Zeit unsern und den Wunsch seiner zahlreichen Verehrer zu erfüllen, und zugleich sich und seiner Familie, außer dem Danke des Publikums, eine ehrenvolle, wenn auch kleine Unterstützung zu bereiten. Machen Sie, werthester Herr Fauriel, von diesen Eröffnungen den zartesten und delicatesten Gebrauch. Baggesen ist oft wie die Sensitive: nähert man sich ihr, so zieht sie sich zusammen; so auch Baggesen nicht selten. Ich habe seit Ihrem Briefe noch nichts von Baggesen gesehen und bin nun wol seit vier Monaten ohne alle Berichte von ihm. In zwei kurz darauf geschriebenen Briefen ist nichts Wichtiges enthalten. Brockhaus sagt unterm 25. Juli, daß er beabsichtige, bald nach Paris zu kommen, und sich unendlich freuen würde, Fauriel's persönliche Bekanntschaft zu machen; Baggesen, der Fauriel's Nachrichten zufolge schon längst in Amsterdam hätte angekommen sein müssen, sei übrigens noch nicht erschienen, und rechne er nun also schon nicht mehr auf seine Ankunft. »Dies ist mir aber nicht neu mehr am Dichter der 'Parthenais'«, fügt er lakonisch hinzu. Der nächste Brief, vom 15. August, handelt ebenfalls nicht näher von den Baggesen'schen Angelegenheiten, sondern im Eingange von dem (später wieder aufgegebenen) Projecte einer französischen Bearbeitung der Massenbach'schen Manuscripte und dann von andern literarischen Dingen, doch lassen wir ihn gleich hier mit folgen. Er lautet: Meinen herzlichsten Dank für die Eröffnungen Ihres letzten Briefes, den Barometer Ihrer Preßfreiheit betreffend. Ja, man muß gestehen, daß die große Nation ganz rasend frei ist und die Engländer z. B., bei denen man Alles sagen darf, was ein gebildeter Mensch denken mag, in einer schrecklichen Sklaverei leben! Von Treuttel & Würtz habe ich noch keine nähere Antwort. Aber sie kann nicht bejahend oder einladend sein. Vor der Hand bleibe also das Project suspendirt! Wir werden erst nur einen Theil des Originals bekannt machen. Vielleicht findet sich dann die Sache eher ausführbar. Eine nähere Analyse des Inhalts sende ich Ihnen lieber durch Treuttel & Würtz. Auch für Frankreich würde ohnstreitig ein Werk dieser Art großes Interesse haben. Haben Thiébault's »_Souvenirs_«, Mirabeau's »_Lettres_«, Séguis' »_Histoires_«, jetzt Lamband's »_Matériaux_« und die »_Caractères prussiens_« doch alle mehrere Auflagen erlebt; haben Masson's »_Mémoires_«, Rulhière's und Carteras' Berichte nicht großen Beifall gefunden? Diese Werke sämmtlich sind aber mit den Memoiren, die wir jetzt herausgeben, in Hinsicht auf Originalität, inneres Interesse und ihre historischen Enthüllungen keineswegs zu vergleichen. Durch _coupures_ und Verschmelzungen von I-II und französischen National-Zuschnitt würde, wir glauben es gewiß zu sein, ein für ganz Europa von höchstem Interesse seiendes Werk daraus geschaffen werden, da die französische Sprache es für ganz Europa lesbar macht. Die individuelle Geschichte der Zernichtung eines Staates wie der preußische, den ganz Europa seit einem halben Jahrhundert als ein hohes Muster innerer und äußerer Vollkommenheit betrachtete oder bewunderte, und durch dessen Fall der ganze Continent in Sklaverei gerathen, diese Geschichte von einem höchst geistvollen und genialen Manne, der Alles zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit hatte, der selbst auf dem höchsten Posten stand, in ihren Ursachen und Wirkungen zerlegt und aufgehellt zu sehen, kann nicht anders als für Mit- und Nachwelt das lebendigste Interesse haben. Es gibt hier keine Abstractionen nach geschehenem Factum eines müßigen Scribenten. Es ist hier die lebendige Erzählung eines Augenzeugen, der, mit der reichsten Intelligenz ausgestattet, schon seit einer Reihe von Jahren die Auflösung des für Europas Cultur und Freiheit wichtigsten Staates herannahen sah, der Alles anwendete, ihr zu steuern, der endlich in Augenblicken der höchsten Gefahr mit ans Steuerruder gesetzt wurde, aber, da nichts mehr zu retten war, das Schiff zertrümmern sah. Freilich sind die Werke für Deutschland vom #ersten# Interesse. Allerdings. Sie werden dies dort auch erwägen, und sind wir einer guten Unternehmung dadurch schon sicher. Wenn die ersten Bände heraus sind, werde ich mir die Freiheit nehmen, sie Ihnen zu senden, und bitte ich mir dann einmal Ihre nähere Meinung aus. Da ich in Paris noch mancherlei zu besorgen habe, so werde ich, um all' das zusammen zu berichtigen, vielleicht gegen den Herbst oder im Winter mal die im Grunde so kleine und doch in so vieler Hinsicht angenehme Reise machen. Wenn Ihre »Parthenais«, von der Baggesen mir so unendlich viel Gutes sagt, fertig ist, komme ich vielleicht dann, um den seltsamen Eindruck zu beobachten, den dieser germanische ernste Gesang auf die verweichlichten Nerven der verbildeten Bewohner der europäischen Hauptstadt machen möchte! Für Ihre gefällige Anerbietung, mein Cicerone sein zu wollen, meinen herzlichsten Dank. Ich werde Sie gewiß daran erinnern. Baggesen schreibe ich heute recht viel, auch von Ihnen! Er wird es Ihnen schon sagen. Den »Aladdin« von Oehlenschläger, der bei uns herausgekommen, werden Sie von Herrn Würtz erhalten. Sie wollen gütigst das Exemplar als ein Zeichen meiner Ergebenheit annehmen. Von Herrn B. Constant habe ich auch Briefe von Coppet. Herr von Villers hat mich schon vor einiger Zeit mit ihm in Verbindung gesetzt, um sowol von ihm selbst einmal irgend ein interessantes Werk in Verlag zu erhalten, als insbesondere durch ihn eins von Madame von Staël. Hierzu ist auch Hoffnung da. Madame de Staël schreibt Briefe über Deutschland, seine gesellschaftliche und literarische Cultur, und sie ist, wie mir Herr Constant schreibt, nicht abgeneigt, ihre Bekanntmachung meiner Handlung zu übergeben. Dies würde für meine Handlung ein kleines Glück sein! Sollten Sie gelegentlich und füglich bei Herrn Constant zur Beförderung meines Wunsches mitzuwirken thunlich finden, so bitte ich Sie, es zu thun. Nachschrift. Ich adressire meinen Brief an Baggesen nach Marly. Er ist doch noch da, sodaß der Brief ihn treffen kann? Der nächste Brief ist aus Leipzig vom 20. October 1808 datirt und also während der ersten Anwesenheit von Brockhaus auf der Buchhändlermesse geschrieben. Brockhaus war wieder lange ohne Nachricht von Baggesen und namentlich ohne Manuscript geblieben, obwol dieser zwei Wechsel auf ihn abgegeben und versprochen hatte, selbst nach Leipzig zu kommen. So wendet er sich denn wieder an Fauriel mit der Bitte um Auskunft über Baggesen. Sein Brief lautet: Ich schreibe Ihnen, werthester Herr Fauriel, diese Zeilen von der Messe aus im Gedränge meiner sonstigen Geschäfte. Ihren letzten Brief, den ich noch in Amsterdam erhielt, habe ich nicht gleich zur Hand, und ich behalte mir dessen Beantwortung bis zu einer gelegenern und ruhigen Zeit bevor. Heute will ich mich mit Ihnen blos über unsern Baggesen unterhalten. Baggesen zog im Juli circa 55 Louis auf mich. Im Wechsel stand: »_suivant l'avis_«. Diesen Avis hatte ich bei der Präsentation nicht erhalten. Ich hätte also die Tratte mit Protest eigentlich zurückweisen müssen, »_car il faut faire des affaires comme des affaires_«. Ich that das aber doch nicht. Ich acceptirte den Wechsel und ist er auch schon längst bezahlt. Den Avis habe ich nicht erhalten. Ehe dieser erste Wechsel aber verfallen war, kam schon wieder ein zweiter von auch 55 Louis, wieder »_suivant l'avis_«, aber ich hatte wieder keinen »Avis«. Was hätte ich thun müssen? Denke sich jeder in meine Lage als Geschäftsmann! Ich that das aber wieder nicht, was ich als solcher thun #mußte#. Vor einigen Tagen erhalte ich nun aber endlich einen Brief von Baggesen vom 15. September, der über Amsterdam gelaufen und mir von da zugesandt worden. Hier erwähnt denn Baggesen dieser Tratten beiläufig und ersucht mich, daß ich Toberheim vom Accept derselben benachrichtigen möchte. Ich thue dies in der Einlage, die Sie die Güte haben wollen an Herrn Toberheim abzugeben. Baggesen schreibt mir, daß er auf dem Punkte stünde, Paris zu verlassen, daß er über Frankfurt reisen, von dort nach Leipzig kommen und mich hier zur Messe besuchen würde. Seit dem 15. September sind aber jetzt schon über fünf Wochen verflossen, und ich muß also vermuthen, daß aus der Reise entweder gar nichts geworden, oder daß Baggesen eine andere Route genommen. Ich bleibe noch circa 14 Tage hier, eine Zeit, die hinreichend ist, um von Ihnen, wenn Sie mir mit umgehender Post zu antworten die Güte haben, hier noch Ihre Auskunft hierüber zu erhalten. Sie wissen, werthester Herr Fauriel, daß ich mich auf das bestimmteste erklärt habe, daß, wenn Baggesen die Tratten auf mich machte, ich auch dann schnell in Besitz einiges für den Druck fertigen Manuscripts müßte gesetzt werden, um davon noch für dieses Jahr Gebrauch machen zu können. Ich habe mich ohne Scheu und Scham über meine Verhältnisse erklärt, offen gesagt, daß meine Lage mir durchaus nicht erlaubte, unter andern Bedingungen diese Zahlungen zu leisten und anzunehmen. Jetzt ist aber schon die eine Tratte von 55 Louis bezahlt, und die andere ist acceptirt, was so gut ist als bezahlt. Noch aber habe ich bis heute, Ende October, kein Blatt Manuscript. Meine Bitte an Sie ist also, daß, wenn Baggesen noch dort ist, Sie ihm den Inhalt dieses Briefes mittheilen und mir mit umgehender Post hierher Auskunft über Baggesen's Intentionen sowol, als über das Gefördertsein des Manuscripts und wann und wie ich solches erhalten soll, geben wollen. Die Pflichten, die ich gegen meine Handlung habe, zwingen mich, daß ich darüber Gewißheit haben müsse. Baggesen kann und wird es mir nicht übelnehmen, daß ich mich darüber an Sie und nicht an ihn direct wende. Er ist nicht pünktlich im Antworten, Sie sind es. Sie kennen aber auch außerdem alle unsere Verhältnisse; Sie sind Baggesen's Freund, Sie sind gegen mich gütig gesinnt, Sie werden meinen Auftrag mit all der Zartheit und Delicatesse, die er erfordert, ausrichten. Sie werden meine Lage und meine Verhältnisse fassen und würdigen. Ich wiederhole meine Bitte, mir mit umgehender Post darüber hierher nach Leipzig zu schreiben. Wegen Ihrer »Parthenais« hoffe ich nun bald Ihren und Treuttel's Bericht zu empfangen, daß mit dem Druck begonnen werde. Den mir gütigst im Manuscript versprochenen Gesang werden Sie wol nach Amsterdam gesandt haben. Die Massenbach'schen Werke sind noch nicht so weit gediehen, daß ich Ihnen solche habe senden können bisjetzt. In Zeit von acht Tagen werde ich Ihnen aber einen Theil derselben zusenden und für die Herren Treuttel und Ihren Freund (Oelsner?) Exemplare beilegen. Was ich Ihnen jetzt sende, ist das zweite und dritte Werk, welches wir angekündigt haben. Von dem interessantesten: den Memoiren in drei oder vier Bänden, erscheint der erste Band erst in vier Wochen, den Sie auch sogleich erhalten sollen. Soweit auch ich das französische Publikum beurtheilen kann, wird eine Bearbeitung und Ineinander-Verschmelzung dieser Werke in Frankreich ein großes Publikum finden. In Deutschland ist die Erwartung so darauf gespannt, daß wir so viele Bestellungen darauf haben, um gezwungen zu sein, ehe die erste Auflage fertig ist, schon eine zweite drucken zu lassen. Leben Sie wohl. Wenn Baggesen noch in Paris ist, tausend Empfehlungen an ihn! Ihr Ihnen von ganzer Seele zugethaner Brockhaus. Adr. Herrn Heinr. Graeff in Leipzig. Fauriel's Vermittelung scheint diesmal ganz ohne Erfolg gewesen zu sein. Brockhaus ging nun die lange mit Baggesen geübte Geduld endlich aus. Er schreibt an Fauriel aus Amsterdam vom 15. Juni 1809: Es ist beinahe ein ganzes Jahr, daß Sie nichts von mir, ich nichts von Ihnen gehört habe. Sind wir uns auf einmal so fremd geworden? Welch ein böser Genius hat die zarten freundschaftlichen Verhältnisse, womit Sie mich zu beehren schienen, auf einmal so locker gemacht? Ich weiß es nicht, was mich verhindert hat, Ihnen zu schreiben. Ich weiß noch weniger, was allenfalls Sie könnte bewogen haben, gegen mich zu schweigen: es sei denn, daß vielleicht _à la lettre_ Sie mir zuletzt geschrieben hätten. Aber werden Sie dies so streng nehmen? Sie wissen wie geschäftsvoll wir Geschäftsleute oft sind, und wie uns da oft unser Gedächtniß über Brief-Beantwortungen, die nicht unmittelbar in das kaufmännische Verhältniß eingreifen, untreu wird! Sie verdammen mich deshalb gewiß nicht. Ich Sie auch nicht, daß Sie mir nicht geschrieben haben. Wer weiß, was Sie daran verhindert hat? Sie werden mir es sagen, auch wenn ein kleiner Groll die Ursache davon gewesen. Mit Baggesen bin ich leider ganz zerfallen. Ich möchte darüber ganz gegen Sie schweigen, da es sonst den Anschein erhalten könnte, als suchte ich ihn vielleicht bei Ihnen zu verkleinern, mich zu entschuldigen oder ihn zu beschuldigen. Allein das Alles mag ich nicht und kommt mir nicht in den Sinn. Nur historisch muß ich es Ihnen doch sagen, daß wir zusammen zerfallen und warum wir es sind. Sie erinnern sich, wie Sie mir im vorigen Jahre Baggesen's _abattement_ und die Ursache davon, seine pecuniären Verlegenheiten, schilderten. Sie wünschten, daß ich ihm 50 Louis avanciren möchte; Sie hatten den Edelmuth, solche mit Ihrem künftigen Honorare zu garantiren. Sie wissen, daß ich antwortete: »ich sei für den Augenblick und überhaupt nicht in der Lage, Vorschüsse geben zu können; ich bedürfe jedes Francs meines Capitals für mein laufendes Geschäft«; wenn also Baggesen nicht moralisch und physisch gewiß sei, mir diejenigen Manuscripte, worüber zwischen uns schriftliche Contracte oder mündliche Zusagen existirten, in einer gewissen Zeit (ich glaube, ich setzte drei Monate dazu) zu liefern, so könnte und dürfte ich die verlangten 50 Louis nicht zugestehen; wäre aber, fuhr ich fort, Baggesen dessen gewiß, so könnte er selbst 100 Louis auf mich trassiren. Sie werden sich Alles dessen erinnern. Auch dessen, daß Baggesen die Zusage machte, und daß er 100 Louis auf mich trassirte. Sie werden sich erinnern, daß er seine Arbeiten, worauf diese 100 Louis entnommen, unterbrach, weil ihm ein anderes Gedicht, der »Faust«, in den Sinn gekommen war. Sie werden sich erinnern, wie Sie selbst mir über diese neue Idee Baggesen's schrieben, und wie Sie wünschten, daß ich solche der andern möchte vorgehen lassen. Baggesen selbst sandte mir den ersten Act per reitende Post von Paris zu als Probe und äußerte mit Ihnen gleichförmige Wünsche. Sechs Monate verstrichen indessen und ich erhielt keine Zeile Manuscript irgend einer Art, weder vom »Faust« noch von den mir zuerst zugesagten Manuscripten. In der Zwischenzeit war Baggesen freilich einige Zeit in Frankfurt unpäßlich geworden, und hatte mir dies Gelegenheit gegeben, ihm aufs Neue meinen guten Willen zu zeigen, ihm dienen zu wollen. Die Unpäßlichkeit war aber vorüber, und es fand sich dadurch jeder Grund aufgehoben, das eine oder das andere seiner Versprechen zu erfüllen. Es war dies unbedingt selbst seine Pflicht. Aber ich erhielt immer keine Zeile Manuscript, wol aber beleidigende, ausweichende Briefe. So ließ ich endlich gezwungen die zweiten 50 Louis, die noch nicht bezahlt waren, protestiren (die ersten 50 Louis waren bezahlt), da ich vollends hörte, daß er den mir zugesagten »Faust« an einen andern Buchhändler in D. verhandelt hatte. Ich mag und will die unangenehmen Discussionen, die hierüber zwischen Baggesen und mir vorgefallen, nicht alle entwickeln; ich kann nur sagen, daß ich in mir das Bewußtsein habe, zu jeder Zeit und in jedem Verhältnisse gegen Baggesen als höchst rechtlicher Mann gehandelt zu haben; ich habe vergebens Schiedsrichter aus unsern Freunden vorgeschlagen, im Fall sich wirklich etwas zwischen uns zu erörtern fände (ich habe dazu Villers und Perthes vorgeschlagen; ich schlage noch Sie und Herrn Würtz dazu vor), Alles umsonst. Ich habe keine Zeile Manuscript bis heute! Ich habe keinen Sou Rembours für die bezahlten 50 Louis und noch etwa 300 Louisdor von sonstigen Avancen. Ich habe keine Antwort auf meine Vorschläge: etwaige Differenzen, ob ich gleich im Grunde dergleichen nicht kenne, da seit der Epoche, wo ich ihm auf Ihre Vorsprache das Geld dargeliehen, nichts Anders zwischen uns verhandelt ist. Baggesen will freilich diese 50 Louis anders compensiren: so soll ich von den »Heideblumen«, wie er in seiner Idee glaubt, mehr Exemplare haben drucken lassen als contractmäßig war (indem er annimmt, sonst müsse die erste Auflage schon verkauft sein!!) u. s. w. Das heißt nun wol leeres Stroh gedroschen, aber was wollen Sie, daß ich anders thun soll, anders thun kann, als zu sagen: »wenn Sie, Baggesen, glauben, daß ich Ihnen zu wehe gethan habe, so entscheide hier Ihr und mein Freund Perthes in Hamburg oder Würtz in Paris als Buchhändler, Villers in Lübeck oder Fauriel in Paris als Gelehrte«? Dann hatte man mit Ehre und Rechtlichkeit die Discussion geführt und sie beendigt, anstatt daß sie jetzt tiefe Spuren der Erbitterung hinterlassen und beide Theile beim neugierigen Publikum compromittiren wird. Ich schweige darüber. Etwas mußte ich Ihnen doch darüber sagen. Vielleicht kommt Baggesen nach Paris zurück, vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht, wo er ist und wohin er geht. Sie haben für die 50 Louis garantirt. Darum schreibe ich Ihnen aber nicht. Ich werde Sie dieser Garantie unbedingt entlassen, wenn nicht ein dritter Freund von uns Beiden (etwa Herr Würtz oder wen Sie wollen) sein erklärtes oder bestimmtes Votum darüber gibt. Ich würde hier gleich unbedingt Verzicht darauf thun, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß Ihre Delicatesse dieses nicht erlauben würde. Ich habe Ihnen heute nur die Facta, die zwischen Baggesen und mir stattgehabt, melden wollen: daß ich bis heute keine Zeile Manuscript erhalten, daß Baggesen sich allen Verbindlichkeiten gegen mich zu entziehen sucht, daß er in längst abgemachten Sachen Phrasen aufsucht, um mich damit abzufertigen &c. &c. Wie leid es mir thut, in Baggesen den Menschen nicht so verehren zu können als den Dichter, werden Sie mir ohne Versicherung glauben. Auch die an Baggesen avancirten 50 und 25 Louis entbehre ich ungern. Ich habe Ihnen und Baggesen oft und ohne Hehl gesagt: ich bin nicht reich; ich #kann# nicht vorschießen, ich bedarf jedes Louisdor für mein Geschäft und für meine zahlreiche Familie (ich bin Gatte und Vater von sechs Kindern). Mein Geschäft erfordert beständig Fonds, und so entbehre ich diese 75 Louis ebenfalls sehr schmerzlich. Ich habe auch Baggesen das gesagt, aber der gefällt sich in seinen neuen Verbindungen zu gut und ist zu wohl darin, als daß es ihm einfiele, darauf zu achten einmal. Ob nun noch wol die französische »Parthenais« erscheinen wird in meinem Verlage? Mein Wort ist und bleibt mir heilig darin, unerachtet des nicht zu überwindenden Widerwillens an Allem, was von Baggesen herkommt, solange mein ganzes Verhältniß zu ihm nicht hergestellt ist. Ich werde gewiß Baggesen nicht nachahmen, der alle Verbindlichkeiten für nicht verbindlich hält, wenn kein förmlicher Contract darüber da ist. Sie sind ein zu edler Mann, um gleiche Grundsätze zu haben. Ihnen und mir wird ein einfach gegebenes #Wort# selbst heiliger sein als ein förmlicher Contract. Also ich bleibe der Verleger der französischen »Parthenais«, und ich bin bereit, auf der Stelle damit anfangen zu lassen, sobald Sie mir melden, daß das Manuscript vollendet sei. Herr Würtz hat mir dies in Leipzig versichert. Ob ihm so ist, sagen Sie mir selbst. Einstweilen bitte ich Sie aber dringend, mir doch irgend eine Episode oder einen Gesang davon per Brief zuzusenden. Sie haben mir dies lange versprochen, und ich mahne Sie daran. Mit dem Werke des Herrn von Massenbach geht es in Deutschland sehr gut. Die »Memoiren« werden unstreitig das wichtigste Werk für die neueste Geschichte Deutschlands. Sie werden dazu weit developpirter als zuerst im Plan vorlag, und es dürften statt drei jetzt vier Bände werden (außer den »Rückerinnerungen« und den »Denkwürdigkeiten«). Der zweite Band ist eben erschienen, und ich schicke Ihnen denselben in acht Tagen zu. Der dritte Band erscheint in sechs Wochen. Sobald Sie diesen dritten Band der »Memoiren« erhalten haben, erbitte ich mir Ihre Meinung darüber; eher nicht. Herr Würtz sagte mir, daß Sie die Güte haben wollten, eine Anzeige der classischen Geschichte der Botanik, die in meinem Verlage erschien[35], für den »Publicisten« zu besorgen. Ich danke Ihnen im voraus dafür. Senden Sie mir die Anzeige aber doch zu, da ich den »Publicisten« nicht mehr lese. Leben Sie wohl! Ich verbleibe Ihnen mit der innigsten Liebe Freundschaft zugethan. Brockhaus. Fauriel antwortet bald auf diesen Brief, und es kommt nun wenigstens die Angelegenheit über die französische Uebersetzung der »Parthenais« in Ordnung. Brockhaus schreibt an Fauriel aus Amsterdam am 1. August 1809: Ich erfülle Ihren Wunsch, Ihnen recht bald auf Ihren gütigen Brief vom 22. Juli zu antworten, dadurch, daß ich es gleich auf der Stelle nach seinem Empfange thue. Sie werden dadurch mit mir zufrieden sein. Das Geschäft, worüber wir nun seit länger als zwei Jahren miteinander correspondiren, muß doch auch endlich zu Ende gebracht werden. Daß es das noch nicht ist, will ich Ihnen gewiß nicht anrechnen, und Sie werden es mir auch nicht thun. Indessen lassen Sie uns jetzt Beide zusammenwirken, daß nicht wieder ein neuer Aufenthalt darin stattfinde. Meine Gesinnungen darüber haben sich im wesentlichen in nichts geändert. Ich habe dazu einmal darin einen Entschluß gefaßt gehabt, und da ich gewohnt bin, zu überlegen, #ehe# ich einen Entschluß fasse, so bleibt es bei mir auch dabei und ich pflege davon selten oder nie zurückzukommen. Daß meine persönlichen Verhältnisse zum ursprünglichen Verfasser sich verändert, wirkt noch weniger auf mich in Rücksicht meiner Bestimmungen darin. Es bleibt also damit ganz so, wie wir darüber ein für allemal eins geworden. Ich schreibe heute an die Herren Treuttel & Würtz, und gebe diesen die unbeschränkteste Vollmacht, mit Ihnen alle die Maßregeln zu concertiren, welche zur Herausgabe nöthig sind, als ich ihnen auch gleich für die dazu seiner Zeit nöthigen Fonds bereits den erforderlichen Credit eröffne. Die Stärke der Auflage überlasse ich Ihnen und Herrn Würtz zu bestimmen. Für Holland, England, wohin ich Gelegenheit habe, Einiges zu senden, und für Deutschland wünschte ich 4-500 Exemplare zu meiner Disposition zu haben. Da man es für eine Art relativer Unmöglichkeit hält, die »Parthenais« in französischer Sprache darzustellen, so wird schon, abgesehen vom höhern ästhetischen Interesse, eine Art von Neugierde den Verkauf der französischen »Parthenais« ziemlich befördern. Da ich also 4-500 Exemplare für das Ausland hier bedarf, so dürfte vielleicht eine Auflage von 1500 Exemplaren im Ganzen nicht übertrieben sein. Ich überlasse aber, wie gesagt, die Bestimmung derselben Herrn Würtz und Ihnen ..... So wäre denn alles Nöthige von mir besorgt, und ich überlasse es nun Ihrer Sorgfalt, alle weitern Veranstaltungen zur wirklichen Ausführung zu treffen. Benachrichtigen Sie mich bald vom Geschehenen. Werden Sie mir aber nicht böse, wenn ich Sie nochmalen an Ihr altes, altes Versprechen erinnere, mir doch einstweilen irgend ein isolirt zu genießendes _morceau_ aus Ihrer »_Parthénéide_« mitzutheilen! Ich bitte Sie selbst wiederholt darum, und ich werde es sehr gern sehen, wenn Sie es mit Ihrer gütigen nächsten Antwort mittheilen wollen. Ich will Ihnen -- Sie sehen, daß ich dankbar bin -- auch noch etwas mittheilen, das für Sie nicht ohne Interesse sein möchte; und zwar für Ihren _Discours préliminaire_, auf den Sie ein wenig, wie wir Alle recht viel halten. Sie erinnern sich der interessanten Recension der »Parthenais«, welche vor etwa 1½ Jahr in der »Neuen Leipziger Literatur-Zeitung« befindlich war. Baggesen glaubte, daß solche von Professor Jacobs, damals in Gotha und jetzt in München, herrühre. Es wird Baggesen interessiren zu hören, und ich bitte Sie es ihm zu sagen, daß er sich darin geirrt. Ich habe auf meiner letzten Reise zur leipziger Messe den Verfasser derselben persönlich kennen gelernt und mir sein Vertrauen wie seine Freundschaft erworben. Es ist der Doctor Apel in Leipzig, unstreitig einer der scharfsinnigsten und geistvollsten Kritiker im ästhetischen Fache, den wir jetzt in Deutschland besitzen, und zugleich selbst trefflicher und genialer Dichter, obgleich ziemlich unbekannt und seinen Namen nicht preisgebend, noch nicht von der Nation, sondern nur von den wenigen Vertrauten seiner Muse gefeiert. Nun, von demselben ist auch unlängst eine ganz treffliche und sehr umständliche Recension der »Louise« von Voß erschienen, einem Gedichte, das man in Deutschland immer in eine gewisse Art von Parallele mit Baggesen's »Parthenais« zu setzen pflegt, eine Rezension, die in das Wesen dieser Dichtungsarten, den Geist und das Technische derselben höchst geistvolle Blicke thut, und deren Kenntniß Ihnen, wie ich glaube, recht lieb sein wird, wenn Sie auch nichts besonderes Neues dadurch erfahren möchten. Ich will Ihnen auch noch eine ganz herrliche Recension meines Freundes über Jean Paul's »Vorschule der Aesthetik« mittheilen, die eben in der »Jenaischen Literatur-Zeitung« befindlich, und die Ihnen ebenfalls manche neue Ansicht wird kennen lehren. Das Buch selbst besitzt Baggesen, wie ich weiß. Diese beiden Recensionen sende ich Ihnen mit erster Gelegenheit durch die Herren Treuttel & Würtz. Ich werde Alles, was Baggesen und meine Verhältnisse mit demselben _directe_ als _indirecte_ seinetwegen mit Ihnen betrifft, nie weiter in meine Briefe an Sie aufnehmen, sondern darüber, so lange Sie einigen Antheil daran nehmen wollen, separate Memoires lieber beilegen. Ich werde dies auch heute thun und übergehe alles hierauf Bezug Habende hier und in meinen weitern Briefen. Ich danke Ihnen schon vorläufig für Ihren guten Willen, über Sprengel's »_Historia rei herbariae_« ein bedeutendes Wort im »_Mercure_« sagen zu wollen. Uebrigens lese ich den »_Mercure_« ganz regelmäßig, und haben Sie nicht nöthig, sich wegen der Zusendung der Nummern besondere Mühe zu geben; es wäre denn dazu, daß ich sie dem würdigen Verfasser mittheilen möchte. Von demselben Verfasser ist eben bei mir der erste Theil eines andern vortrefflichen Werkes erschienen: »_Institutiones medicae_« welches den ersten Theil der Physiologie enthält. Die vorläufige Ankündigung davon lege ich Ihnen hier bei. Den ersten Theil selbst werde ich so frei sein, Ihnen durch Herrn Würtz einhändigen zu lassen. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Gelegenheit haben möchten, auch für dieses Werk von irgend einem ganz der Wissenschaft gewachsenen Manne für eines der größern Journale eine wahrhaft beurtheilende Recension zu veranstalten ..... Ich höre nicht auf, Sie mit Bitten zu belästigen. Ich habe ihrer noch einige an Sie. Dem vor etwa 14 Tagen durch Treuttel & Würtz an Sie abgesandten Packete habe ich noch beigelegt ein Cahier Umrisse von Flaxman zu Dante's »_Commedia divina_« und drei Hefte von Umrissen zu Ossian. Jene bilden blos das erste Heft, und folgen demselben noch zwei Hefte von gleicher Stärke. Es sind Nachstiche nur. Dieses -- die Umrisse zum Ossian -- bilden aber ein Ganzes und Original und rühren von einem gerühmten deutschen Künstler her mit Namen Rühl. Ich habe die Platten dieser Zeichnungen (_les cuivres_) von der Handlung, welche solche hat machen lassen, und welche Handlung durch Unglücksfälle zurückgegangen ist, in vergangener leipziger Messe käuflich an mich gebracht; ich lasse solche jetzt completiren, neu abdrucken, elegant cartonniren u. s. w. Zu den deutschen Umrissen gehören zwei Abdrücke des Originals in 4° und in 8°, ganz elegant gedruckt und höchst correct, und zugleich eine deutsche Uebersetzung dieses Dichters von einem der vorzüglichsten deutschen Schriftsteller und Dichter. Alles freilich nach Willkür der Käufer, was sie nehmen wollen. Ueber den artistischen Werth dieser Umrisse will ich mich hier nicht besonders auslassen, sondern diesen Ihrem Urtheil anheimstellen und nur bemerken, daß von Flaxman's Umrissen zu Dante das Original nicht allein im Buchhandel gänzlich fehlt, sondern auch nur ganz wenige Exemplare im Publikum existiren, daß die Platten selbst zernichtet und diese Copien höchst genau sind. Die Frage wäre nur, und dies betrifft mein ganzes Interesse dabei, ob nicht auch für Frankreich von dem einen und andern ein kleiner Vortheil für mich zu ziehen und wie das am besten zu befördern? Meine Wünsche sind darin sehr mäßig, da ich die Platten auch sehr billig angekauft habe und ich in Deutschland meine Kosten gewiß gedeckt erhalten werde; aber ob ich nicht vielleicht 50 _à_ 100 Exemplare per Change gegen andere gute Bücher und Kunstsachen in Paris möchte anbringen können, und ob ich nicht beides leichter bewerkstelligen könne, wenn sowol zum Dante als zum Ossian ein kurzer erklärender französischer Text gegeben würde, wie z. B. die Loudon'schen Umrisse vom »_Museo_« mit einem solchen Text begleitet sind -- dieses ist es, worüber ich wol Ihre Meinung wissen möchte ..... Ich begreife vollkommen, daß im Grunde meine Anfrage und Angelegenheit blos mercantiler Art ist. Sie, werthester Herr Fauriel, frage ich nun darüber, ob Sie die Ausführung der Zeichnungen zum Ossian und zum Dante nicht ohne künstlerisches Verdienst finden, und ob Sie einen kleinen Commentar darüber räthlich und thunlich finden, und wie ich es wol anfangen müsse, mir denselben zu verschaffen? Es ist und bleibt mein fester Vorsatz, diesen Herbst noch eine kleine Reise nach Paris zu machen. Mancherlei Geschäfte und Verhältnisse zwingen mich dazu. Mein inneres Streben wünscht es ebenfalls. Ich muß und werde suchen mir die Reise zugleich so nützlich als möglich zu machen. Zu diesem Endzwecke möchte ich auch eine Anzahl meiner dazu passenden Artikel _de fond_, als die beiden Werke von Sprengel und Rudolphi, die beiden schönen 4° und 8° Ausgaben von Dante, die »Umrisse« dazu und zum Ossian, ein paar kleine Schriften von Villers und etwa noch 5 _à_ 6 andere interessante neue Artikel meines Verlags in französischer und lateinischer Sprache gegen andere gute französische Artikel zu changiren suchen, und mein Bestreben muß also sein, diese meine Artikel so passend als möglich für den französischen Buchhandel zu machen. Der dritte Band der Memoiren des Obersten von Massenbach wird nun auch in einigen Tagen ganz fertig. Ich werde ihn Ihnen gleich zuschicken und Sie bitten, mir aufrichtig Ihre Meinung zu sagen, ob Sie glauben, daß ein »_Précis_« daraus für Frankreich Interesse haben könne. Das Ganze dieser Memoiren wird sechs Bände betragen, die sich schnell folgen werden. Aus den drei ersten läßt sich aber doch einigermaßen das Interesse dieses Werks übersehen. Ich schließe meinen langen Brief. Wegen Baggesen wird's mir heute zu spät zu schreiben. Das also ein andermal. Es eilt auch so sehr nicht damit. Antworten Sie mir bald und vergessen Sie ja nicht mir eine kleine Probe der französischen »Parthenais« beizulegen. Das hier versprochene »Mémoire« über Baggesen folgt unterm 11. August in Form eines Briefs und enthält eine so eingehende, klare und ruhig gehaltene Auseinandersetzung der Verhältnisse zwischen Brockhaus und Baggesen, daß es keines weitern Commentars bedarf. Das Mémoire lautet: Vor einigen Tagen habe ich Ihnen über unsere persönlichen Angelegenheiten geschrieben, heute schreibe ich Ihnen blos über Baggesen. Sie haben einmal das mühselige und delicate Geschäft übernommen, zwischen uns als Vermittler aufzutreten! Es ist mir dies unendlich lieb. Wer sollte es sonst thun? Und eine persönliche Ausgleichung scheint mir nicht möglich. Ich habe bereits vorgeschlagen und auch Ihnen schon mehrmals gesagt, daß ich mich über die etwaigen Differenzen zwischen uns dem Gutachten jedes verständigen und unparteiischen Mannes unterwerfen will. Ich habe gleich eine Anzahl solcher Männer vorgeschlagen: Villers, Perthes, Kerner, Würtz, Sie selbst, wenn Sie wollen! Baggesen antwortet hierauf nicht und nichts. Er sagt, Cotta würde die Sache in sich berichtigen. Diesem muß ich widersprechen, wenn Cotta gegen mich wahr gewesen ist. Mir hat er auf der leipziger Messe persönlich gesagt, daß er auch nicht das Geringste von Baggesen's Verhältnissen zu mir wissen wolle und er auf keine Weise ferner darin wirken oder eingreifen möchte. Ich erkläre indessen wiederholt: daß ich mich unbedingt dem Gutachten jedes verständigen Mannes bei meinen Differenzen mit Baggesen unterwerfen werde, wenn Baggesen eine gleiche Erklärung und Gewährleistung gibt, und habe ich selbst dagegen nichts, wenn wir diesen Schiedsrichter blos in Paris wählen, wo Baggesen die Bequemlichkeit hat, demselben mündlich alle nähern Elucidationen zu geben, wogegen ich blos mit todten schriftlichen Erinnerungen einkommen könnte. Legen Sie oder Baggesen dies nicht als Uebermuth aus; es ist blos die innere Ruhe meines Bewußtseins, gegen Baggesen immer als ein rechtlicher und braver Mann gehandelt zu haben. So kann, denke ich, nie ein Urtheil einfacher, verständiger Menschen auch gegen mich sein, es sei denn in Sachen des Verstandes, worin ich irren kann: und davon überzeugt zu werden, thut mir nicht weh. Sie, Herr Fauriel, sind indessen jetzt einstweilen zwischen uns getreten: es ist möglich, daß dadurch eine Ausgleichung in unsern Geschäftsangelegenheiten kann bewirkt werden; und da ich nichts mehr verlange als das, so folge ich Ihrer Einladung: genau anzugeben, was ich von Baggesen verlange. Sie, Herr Fauriel, sagen: »stricte genommen, könne ich nichts verlangen als _quelques volumes de correspondance_«. Es ist wahr, nur hierüber existirt zwischen Baggesen und mir ein Contract in #Form#. Ich bin indessen der Meinung gewesen, daß ein schriftlich oder mündlich gegebenes #Wort# einen rechtlichen Mann noch weit mehr binde als ein Contract. Diesen (einen Contract) muß auch ein Schurke halten, weil ihn die Gesetze dazu zwingen, -- das gegebene #Wort# zu halten, ist dagegen ein Wahrzeichen des Mannes von Ehre und reiner Rechtlichkeit. Diesem ist das Wort #mehr# als der Contract. Zwischen Ihnen, Herr Fauriel, und mir existirt auch kein Contract in Form, aber ich bin moralisch gewiß, daß es Ihnen nie in den Sinn kommen werde, darum unserer Abrede nicht nachkommen zu wollen; es wird mir ebenso wenig je einfallen. Habe ich Unrecht, wenn ich diese Grundsätze auf Baggesen's Verhältnisse zu mir anwandte? oder auf meine Verhältnisse zu Baggesen? Ich wenigstens habe darnach gehandelt und würde nicht aufgehört haben darnach zu handeln. Also Baggesen hat mir außer den contractmäßig zugesagten »Briefen« auch sein liebstes, ihm theuerstes, seinen Genius am klarsten aussprechendes Werk, die humoristische Beschreibung seiner Reisen unter dem Titel: »Dichterwanderungen«, hundertmal mündlich und ebenso oft schriftlich, oder vielmehr das in jedem Briefe seit zwei Jahren zugesagt. Die Zeit der Ablieferung des Manuscripts dazu ist nicht im Allgemeinen nur bestimmt worden; nein, der Monat, die Tage gar waren es von Baggesen selbst. Auf beides geschahen auch die _à conto_-Zahlungen, die auf Ihre Vermittelung statt hatten. Ich habe sie auf diese so bestimmten und von meiner Seite nach meinen Grundsätzen verbindend geglaubten Zusagen mehrmalen dem ganzen deutschen Publikum nach deutscher Buchhändler-Sitte als erscheinend angekündigt. Die Ehre meiner Buchhandlung erfordert, daß ich diese im Vertrauen auf Baggesen's Worte dem deutschen Publikum und dem deutschen Buchhandel gegebene Zusage halte; ich kann es darum nie zugeben, daß eine andere Buchhandlung diese Werke je herausgebe. #Ich muß mein, im Vertrauen auf Baggesen's Wort gegebenes Wort erfüllen.# Baggesen muß mich darin unterstützen. #Er kann es.# Es ist hier von keiner genialen Schöpfung irgend eines dichterischen Werks die Rede, sondern nur von der Herausgabe von Collectaneen, die existiren und bereits in Baggesen's Händen sein müssen (den Briefen); #dann# von der Herausgabe einer Reise, die schon einmal oder gar zweimal in dänischer Sprache (wenigstens zum Theil) von Baggesen herausgegeben ist, und zu der, um sie mir im Manuscript deutsch zu liefern, nur einige _assiduité_ erforderlich ist. Hätte Baggesen mit mir einen Contract über die Vollendung der »Oceania« gemacht, ich würde auf dessen Erfüllung, insofern Baggesen nicht in seinem Innern dazu den Beruf und den Impuls fühlen möchte, nie dringen. Es ist klar wie der Tag, daß zur Haltung eines solchen Contracts der höchste innere Beruf da sein müsse, weshalb über solche Werke auch nie im voraus Contracte gemacht werden. Es ist das aber durchaus nicht der Fall mit der Herausgabe von #wirklich geschriebenen#, also schon daseienden Briefen über philosophische und literarische Gegenstände, die sich in Baggesen's Portefeuille befinden werden oder befinden müssen, weil er darüber contrahirt. Es ist dies derselbe Fall mit der Herausgabe seiner Reisen, von denen wenigstens ein Theil (mehrere Bände) bereits in dänischer und auch in deutscher Sprache erschienen sind, und die nur, wenn Baggesen ihnen keinen höhern und andern Charakter geben will, allenfalls von ihm übersetzt oder überarbeitet zu werden brauchen. Voltaire konnte z. B. von einem Buchhändler nicht angehalten werden, seine »Henriade« zu dichten, aber es konnte von Voltaire verlangt werden, #wenn er darüber contrahirt hatte#, -- daß er seine Correspondenz mit Friedrich, d'Alembert &c. herausgab oder die #französische# Ausgabe eines Werks, das von ihm früher in irgend einer #andern# Sprache geschrieben war. Ich glaube, man muß diese von mir hier aufgestellten Fälle sehr bestimmt unterscheiden und dadurch fühlen, daß ich keineswegs etwas Absurdes verlange, wenn ich von Baggesen das mir Zugesagte wirklich fordere. Auch hat Baggesen mir so oft geschrieben, daß dies Alles nur noch der letzten Revision und Feile bedürfe, daß alle Materialien da und schon geordnet seien, um nicht annehmen zu #müssen#, daß es auch wahr und es ihm mithin ein Leichtes sei, seine Zusage gegen mich zu erfüllen und mich dadurch von dem Versprechen zu acquittiren, was ich im #Vertrauen auf Baggesen# dem ganzen deutschen Publikum mehrmalen und wiederholt gegeben habe -- und das also, meiner Ehre als Buchhändler wegen, ich auch halten muß. Daß diese Rechtlichkeit und dieser Ehrgeiz mich bei dieser Transaction hauptsächlich allein leiten und nicht anderes Interesse, kann Baggesen gewiß am besten beurtheilen, da es ihm nicht unbekannt sein wird, daß meiner Buchhandlung jede Verbindung mit den ersten Talenten Deutschlands leicht ist, und er es gewiß sehr gut weiß, wie geringen pecuniären Vortheil ich seither vom Verlage seiner Werke gehabt habe. Was dagegen Herr Baggesen von #mir# verlangt, sei es in Rücksicht des Honorars oder sonstiger Verbindlichkeiten, wird er mir nun eben so offen und einfach sagen, als ich ihm Vorstehendes gesagt habe. Ob ich gleich vollkommen weiß, was meine Verbindlichkeiten sind, so halte ich es doch für unziemlich, darin die Initiative anzugeben. In Rücksicht Ihrer Garantie, Herr Fauriel, wegen der bezahlten 50 Louis (500 Fl.), so nehme ich Ihre #neuere# Garantie gewiß nicht an. Ich habe geglaubt, daß die #ältere# unbedingt wäre. Irrte ich mich darin, so thue ich gern Verzicht darauf auch. Eine spätere anzunehmen, verbieten mir meine Grundsätze. In dem nächsten Briefe, aus Amsterdam vom 15. October 1809, schreibt Brockhaus an Fauriel: .... Da Sie einmal Herrn Baggesen meinen Brief vom 11. August mitgetheilt haben, so habe ich Herrn Baggesen weiter nichts zu sagen, als ihm den Inhalt dieses Briefs in seinem ganzen Umfange zu bestätigen. Ihn zu wiederholen, würde für mich Zeitverschwendung sein -- ihm nur eine, wenn auch nur geringe Ausgabe verursachen. Bei mir gilt es überhaupt nur des alten deutschen Grundsatzes: »Ein Wort ein Mann; ein Mann ein Wort.« Was ich Herrn Baggesen von jeher und Ihnen in diesem Briefe vom 11. August zugesagt habe, wird mir immer der heiligste Contract sein. #Ich# habe ihn indessen schon seit Jahren erfüllt, an Herrn Baggesen ist die Reihe jetzt, zu handeln .... Was Sie von den Memoiren des Colonel Massenbach sagen, kann richtig sein; Sie werden sich aber erinnern, daß Sie nach der Ankündigung doch meinten: ein »_Précis_« davon würde für Frankreich viel Interesse haben können, und das Werk ist auf jeden Fall weit anziehender, als die erste Ankündigung noch erwarten ließ. Indessen ist es mir sehr gleichgültig, ob diese Werke in Frankreich erscheinen, da, als kaufmännische Entreprise betrachtet, der Debit in Deutschland &c. mich zu meiner Genugthuung entschädigt. Der dritte Band ist eben erschienen. Weder auf das Mémoire vom 11. August noch auf vorstehende Bestätigung desselben vom 15. October scheint eine Antwort Baggesen's in Worten oder Thaten erfolgt zu sein. Brockhaus entsagte jetzt allen weitern Versuchen, durch Fauriel auf Baggesen einzuwirken, obwol Fauriel selbst darin nicht nachließ, und resignirte sich, von Baggesen trotz wiederholter Vertröstungen weder die ihm geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet, noch die ihm versprochenen Manuscripte gesandt zu erhalten. In seinen beiden nächsten Briefen an Fauriel wird wieder Anderes besprochen und Baggesen nur nebenbei erwähnt. Indessen mögen sie des Zusammenhangs wegen gleich hier folgen. Unterm 8. November 1809 schreibt Brockhaus: Mit recht großer Ungeduld sehe ich Berichten von Ihnen entgegen wie von Herrn Würtz über das, was Sie mit dem Druck der »_Parthénéide_« beschlossen haben, und hoffe ich zugleich, daß mit dem Druck bereits der Anfang gemacht sein wird. Ich habe von Ihnen einen Brief (ohne Datum) erhalten, worin Sie mir Ihren Vorsatz melden, ehestens mit Didot zu Würtz zu gehen. Es wird das geschehen sein seitdem, worüber ich nun Ihre Berichte erwarte. Den sonstigen Inhalt dieses Ihres Briefs werde ich ein andermal beantworten. Heute habe ich eine besondere Ursache, Ihnen zu schreiben. Kapellmeister J. F. Reichardt, bekannt unter anderm durch seine »_Lettres confidentielles sur Paris_«, worüber zur Zeit der Erscheinung auch in Paris viel in Journalen geschrieben wurde, übrigens als einer der größten Componisten unserer Zeit berühmt, gibt in unserm Verlage unter dem Titel: »Briefe über Wien und die österreichischen Staaten; geschrieben auf einer Reise dahin in den Jahren 1808 und 1809 von J. F. Reichardt« ein Werk heraus (in zwei Bänden), das sicher allenthalben mit Begierde wird gelesen werden. Ich bin überzeugt, daß es auch in Frankreich sehr viel Käufer finden wird, wenn davon zeitig eine französische Ausgabe erschiene. Ich könnte eine solche Unternehmung dadurch sehr begünstigen, wenn ich zu dem Endzwecke die Bogen, sowie sie einzeln aus der Druckerei kommen, gleich nach Paris schickte, und wäre es dadurch möglich, daß die französische Ausgabe auf einige Tage noch mit dem Original zugleich erschiene. Um einigermaßen Stil und Manier des Verfassers beurtheilen zu können, sende ich Ihnen heute vier Aushängebogen davon _sous bande_ zu. Es kommt mir vor, daß zu dieser Entreprise sich leicht eine pariser Buchhandlung verstehen würde, sei es nun für gemeinschaftliche Rechnung, oder daß sie mir ein gewisses Honorar bezahle für die Mittheilung der einzelnen Bogen. Mir ist beides gleich und füge ich hierunter für jeden Fall meine Bedingungen bei. Sehr angenehm wäre es mir, wenn Sie die Güte hätten, über diese Entreprise mit einigen Buchhandlungen zu sprechen und im Fall auf eine meiner Bedingungen entrirt würde, mir davon gleich Nachricht zu geben, damit ich die übrigen Bogen, sowie sie fertig würden, gleich absenden könne. Noch in diesem Monate wird der erste Band und im December der zweite Band fertig. Ich sollte denken, daß diese Entreprise etwas für Buisson oder Nicolle oder Collin, oder auch für Treuttel & Würtz passend wäre. Verzeihen Sie, daß ich Sie wieder damit belästige. Ich hoffe, Sie geben mir Gelegenheit, Ihnen wieder einmal nützlich zu sein. Nichts Neues von Baggesen? Darauf folgen zwei detaillirte Contractsvorschläge zu einer französischen Uebersetzung des Reichardt'schen Werks, die in mehrfacher Hinsicht interessant sind. Sie zeigen, daß Brockhaus in einer Zeit, die weder den Schutz des geistigen Eigenthums noch viel weniger internationale Verträge zum Schutz von Uebersetzungen kannte, diese Verhältnisse bereits ins Auge faßte, und daß er in sehr geschickter Weise Versuche machte, trotzdem auch von dem ausländischen Markte Nutzen zu ziehen. Die beiden Vorschläge, die Fauriel einem französischen Verleger zur Auswahl vorlegen sollte, lauten: Erster Vorschlag. 1) Ich theile die einzelnen Bogen, sowie sie aus der Druckerei kommen, in doppelten Exemplaren sogleich mit und sende sie an die mir aufgegebene Adresse _sous bande_ nach Paris. 2) Ich erhalte für diese Mittheilung für jeden Bogen 1 Louis, zahlbar per Billet _à_ Ordre _à 3 mois de date_ vom Datum der Lieferung des ersten Bogens. 3) Das Billet bleibt in den Händen eines Dritten, bis der letzte Bogen jeden Bandes abgeliefert ist. Sobald dies geschehen, wird mir das Billet zugestellt und für den zweiten Band wieder ein gleiches Billet gemacht, womit es ebenso gehalten wird. Jeder Band wird zu 30 Bogen gerechnet. 4) Bis zum 15. December circa wird der erste Band und bis zum 15. Januar der zweite Band ganz ausgedruckt sein. Zweiter Vorschlag. 1) N. N. in Paris verbindet sich mit uns zur gemeinschaftlichen Herausgabe auf gemeinschaftliche Kosten. 2) Wir erhalten für die Mittheilung der Idee und der Bogen per jeden Bogen 1 Louis, die mit in die generale Unkostenrechnung kommen, sodaß wir selbst die Hälfte davon tragen. 3) N. in Paris besorgt Uebersetzung, Druck und Papier. 4) Nach Vollendung des Druckes werden die generalen Unkosten aufgemacht und N. in Paris remboursirt sich für die Hälfte der Unkosten auf uns per Tratte _à 3 mois_, wobei uns indessen die Vergütung des 1 Louis per Bogen in Abzug gebracht wird. 5) N. in Paris besorgt den Debit in Frankreich und Alles, was von Paris aus verlangt wird. Wir besorgen ihn in Deutschland und Holland und rechnen zu dem Zwecke 200 Exemplare für unsere Rechnung, wofür wir ein Billet, zahlbar in 12 Monaten, an N. geben, der bei finaler Abrechnung uns selbst eventuell damit bezahlen kann. 6) Nach Verlauf von 6 Monaten gibt Herr N. in Paris an, was verkauft ist und was eingenommen, und wird derselbe die Hälfte der Einnahme per Billet _à 3 mois_ an mich bezahlen. 7) N. in Paris erhält für Delcredere und für seine Bemühungen 10 Procent Provision vom reinen Ertrage des Verkauften. 8) Bei einer zweiten und weitern Auflage wird nach denselben Grundsätzen verfahren. 9) Es wird eine Conventionalstrafe von 50 Louis für Den festgesetzt, der irgend eine Bedingung nicht hält. 10) Es wird ein förmlicher Contract gemacht, den beide Theile zeichnen. Das hier besprochene Project selbst ließ Brockhaus übrigens auf Fauriel's Rath fallen, wie aus seinem nächsten Briefe an diesen vom 4. December 1809, der zugleich wieder interessante Einblicke in seine Verlegerthätigkeit gewährt, hervorgeht. Er schreibt: Sie haben Recht, es ist zum Tollwerden mit der »_Parthénéide_«. Mir ist es nun auch wirklich zum Nachtheil, daß sie nicht im December fertig wird. In Deutschland, Oesterreich u. s. w. kommt, was nicht im December versandt wird, auf sogenannte neue Rechnung, die ein Jahr später bezahlt wird. Ich empfehle Ihnen nochmal dringend die schleunigste Beförderung an, und daß mir die Bogen einzeln, wie sie aus der Druckerei kommen, zugesandt werden. Von Forssel's Gravüre hätte ich gern einen Probeabdruck erhalten! Daß auch weder Sie, noch Würtz, noch Forssel daran gedacht haben! Ich bin Ihnen recht vielen Dank schuldig für Ihre Mittheilung wegen Reichardt. Ihre Bemerkungen über dieses Werk sind vollkommen richtig: er ist sehr discret geworden! Das Buch paßt nicht für Frankreich. Was für Frankreich Interessantes darin wäre, darf nicht in Frankreich gedruckt werden, und was dort darf gedruckt werden, ist zu individuell für Deutschland geschrieben, als daß man es in Frankreich goutiren könnte. Ich habe also, aus Sorge für Würtzens Interesse mit, auf die ganze Idee für Frankreich Verzicht gethan. Ich werde Ihnen ein Exemplar davon zusenden. Es erscheint noch ein zweites Werk bei uns über Wien, wozu der Verfasser sich nicht nennt. Kann dieses in Paris übersetzt werden, so würde es außerordentliches Aufsehen machen. Aber ich zweifle daran, da wir wegen des Druckes selbst in Deutschland große Schwierigkeiten finden. Sie werden auf jeden Fall das Original von mir erhalten. Hierbei eine kleine Pièce, von der wir hier in acht Tagen 3000 Exemplare verkauft haben. Man wundert sich, daß sie nicht verboten wurde. Man erhält dorten leichter englische Bücher und Journale als hier. Sollte es nicht möglich sein, daß Sie mir von Galignani, Borrdis oder irgend Jemandem, der die englischen Journale regelmäßig erhält, folgende drei Werke verschafften: 1) _The life of W^m. Pitt by Gifford, 5 vol._ 2) Coxe's _History of Austria, 2 vol._ 3) J. Adolphus: _The political State of the British Empire, 4 vol. (1809)._ Wenn es Ihnen gelänge, diese drei Werke mir bald (etwa mit den Gelegenheiten, womit die englischen Journale dort so regelmäßig ankommen) verschaffen zu können, so würden Sie mich sehr verpflichten. Die Regierung soll darin liberal sein. An das, was Sie mir von Baggesen sagen, glaube ich blutwenig. Er wird nicht nach Dänemark reisen, er wird mir nicht schreiben, er wird nicht nach Amsterdam kommen, er wird mir nichts liefern. Ich habe nichts dagegen, daß Sie einige Exemplare Ihrer »_Parthénéide_« auf dem schönsten Velin drucken lassen! Für Ihr Bedürfniß nehmen Sie übrigens so viel Exemplare der gewöhnlichen Ausgabe als Sie wollen. In Deutschland bewilligt man dem Verfasser gemeiniglich 12 -- 16 -- 18. Leben Sie wohl. Und melden Sie mir ja endlich etwas Endliches über die ewige »_Parthénéide_«. Ganz Ihr Brockhaus. Nur wenige Wochen liegen zwischen diesem Briefe und dem folgenden, dem letzten, den Brockhaus, soviel wir wissen, an Fauriel richtete; aber diese Wochen schließen den größten Schmerz in sich, von dem er in seinem schweren Leben betroffen wurde: den Verlust seiner heißgeliebten Frau. Tief erschüttert theilt er dem Freunde diese Trauerkunde mit und bittet ihn, auch Baggesen davon zu unterrichten, indem er diesem in edler Weise die Hand der Versöhnung reicht. Er schreibt an Fauriel am Heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste, wol dem traurigsten, das er je erlebte, am 24. December 1809: Ich erhalte in diesem Augenblicke Ihren Brief vom 18. d. M. Ich antworte Ihnen heute gleich einige Zeilen darauf, da ich im Begriff stehe, aus der unglücklichsten aller Ursachen eine Reise zu machen, die mich drei Wochen von hier wegweisen wird. Ich habe am 8. dieses an den Folgen einer etwas zu zeitigen Niederkunft meine theure angebetete Gattin verloren! Für mich ist jetzt keine Ruhe, kein Glück mehr auf der Welt. Ich habe mit ihr Alles verloren, was mich mit der Menschheit verband. Auch meine Kinder -- fesseln mich nicht mehr, denn sie mahnen mich an die Verklärte. Der namenloseste Schmerz drückt mich nieder. Ich bin unsaglich unglücklich geworden! Sagen Sie Baggesen mein Unglück. Er kannte die Verewigte. Er war vor zwei Jahren Pathe bei unserm Max. Glücklicher Tag! Wie hat sich durch diesen Tod für mich Alles -- Alles -- in finstere Nacht verwandelt. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Meine Reise hat zur nächsten Absicht, meine Kinder von hier weg, und zu unserm Vaterlande, nach Deutschland, zurückzubringen, zu unsern Aeltern, Verwandten und Freunden. Wir waren hier fremd und durch einen Orkan aus unsern primären Verhältnissen dort gerissen, hier an dieses unwirthliche Ufer verschlagen worden. Sophie sah das gute Vaterland nicht wieder! Ich kehre einstweilen in einigen Wochen zurück, bis ich Gelegenheit finde, Amsterdam ganz zu verlassen -- hier ist kein Glück mehr für mich. Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, damit Sie wissen, warum Sie in einigen Wochen nichts von mir hören. Ich sage Ihnen heute nichts von Geschäften, nichts von der »_Parthénéide_«, nichts von allen weitern Ideen Ihres interessanten Briefes. Sie sind gewiß ein wackerer und ein gefühlvoller Mann. Sie werden ahnden, wie gleichgültig mir für den Augenblick jedes mercantilische Geschäft sein müsse. Nur was Pflicht unbedingt von mir fordert, kann jetzt geschehen. Darum wird auch nichts von meinem Comptoir versäumt werden, was auf die Beförderung der »_Parthénéide_« Bezug hat. Ich erlaube mir selbst Sie und Herrn Würtz dringend zu bitten, die wirkliche Erscheinung derselben möglichst zu beschleunigen. Die Aushängebogen erwarte ich, sowie sie aus der Presse kommen, einzeln hierhin. Ich werde sie mir nachkommen lassen. Lassen Sie Herrn Würtz nicht die 500 Exemplare, die wir für Deutschland bestimmen, auf einmal hierhin senden: 250 Exemplare sende Herr Würtz über Frankfurt nach Leipzig, und hierhin 100 Exemplare, beides _par diligence_. Jeder Sendung werden 5 Velin-Exemplare beigefügt. Die Exemplare hierhin müssen zur Hälfte brochirt sein. Die leipziger brauchen es gar nicht zu sein. Die Kupfer werden sorgfältig eingelegt, und wir von Allem unterrichtet per directen Brief. Ich hoffe und erwarte selbst, daß die Absendung noch im Januar geschehen könne. Lassen Sie Baggesen in meinem Namen 5 Exemplare auf Velin anbieten, als ein Zeichen meiner Verehrung und Freundschaft. Die Wehmuth, die jetzt meine Seele erfüllt, läßt mir keinen Raum mehr für feindselige Verhältnisse irgend einer Art. Sagen Sie auch dies Baggesen. Er verlor einst ebenfalls eine #Sophie#! Er ist ein gefühlvoller Mann; er #kannte# auch #meine Sophie#! Er weiß also Alles, was ich verloren. In solchen furchtbaren Momenten schließen sich menschliche Herzen wieder aneinander. Ich bitte ihn selbst um diese neue Näherung! Leben Sie wohl und bedauern Sie Ihren unglücklichen Brockhaus. Dieser Brief bildet einen schmerzlichen, aber gewiß für Brockhaus höchst ehrenvollen Abschluß seiner Zerwürfnisse mit Baggesen: er reicht dem frühern Freunde, obwol dieser ihm als Geschäftsmann den empfindlichsten Schaden bereitet, die Hand, unfähig, den Streit über das Grab seiner Frau hinaus, die auch von Baggesen verehrt worden war, noch fortzusetzen. Fauriel's und Baggesen's Antworten auf diesen Brief sind uns nicht bekannt. Während der ganzen unerquicklichen Verhandlungen mit Baggesen hatte sich Brockhaus übrigens stets edel, uneigennützig und versöhnlich gezeigt. Ein aus Schriftstellern und Buchhändlern zusammengesetztes Schiedsgericht, wie er es Baggesen wiederholt vorgeschlagen, würde schwerlich damals anders entschieden haben oder heutigentags anders entscheiden, als daß Brockhaus im Rechte gewesen und richtig gehandelt, daß Baggesen aber seine gegen Brockhaus eingegangenen Verpflichtungen nicht gehalten und gegen ihn, ganz abgesehen von ihren freundschaftlichen Beziehungen, überhaupt nicht so verfahren habe, wie es glücklicherweise sonst Brauch ist zwischen Schriftstellern und Buchhändlern. * * * * * Der hier als Versöhnung wirkende Tod bildete nach vielen Seiten hin einen Wendepunkt in Brockhaus' Leben: er war die nächste Veranlassung, daß dieser Amsterdam bald für immer verließ; er nahm ihm die treue Gefährtin seines Wirkens und Schaffens, zu der er sich immer geflüchtet hatte aus all dem Widrigen, das ihm im Leben beschieden war; er brachte ihn in neue Verhältnisse, die zunächst verwirrend und betäubend auf ihn wirkten und aus denen er sich nur schwer hindurchzuarbeiten vermochte. Diese unmittelbar auf den Tod seiner Frau folgende Zeit, die als die eigentliche Sturm- und Drangperiode seines Lebens bezeichnet werden kann, obwol es ihm auch bisher nicht an Sturm und Drang gefehlt hatte, umfaßt die anderthalb Jahre von Ende 1809 bis zum Frühjahre 1811. Dritter Abschnitt. Von Amsterdam nach Altenburg. 1. Ende des amsterdamer Aufenthalts. Am 8. December 1809 war Sophie Brockhaus gestorben, nachdem sie am 24. November einer Tochter das Leben gegeben, die nach ihr Sophie genannt wurde. Schon in den letzten Monaten hatte sie viel gelitten; während ihrer Krankheit und dann während des Wochenbetts war sie von ihrer jüngsten Schwester Josina (die später den in holländischen Diensten stehenden Obersten Eichler heirathete) gepflegt worden. Die ersten Tage nach der Entbindung waren schon glücklich überstanden, als sie sich durch zu zeitiges Aufstehen eine Erkältung zuzog, die ihren Tod herbeiführte. Die damals zehn Jahre zählende älteste Tochter Auguste erinnert sich gehört zu haben, daß in diesen Tagen ihr Vater sehr aufgeregt in das Zimmer seiner Frau gekommen sei und unter deren Sachen eifrig nach einem Briefe gesucht habe, der ihm wegen der traurigen Hiltrop'schen Angelegenheit von Wichtigkeit war; da er den Brief nicht fand, sei ihre Mutter dann selbst aufgestanden, um, wiewol ebenfalls vergeblich, danach zu suchen, und infolge dieses vorzeitigen Aufstehens erkrankt. In dem betreffenden Processe war kurz vorher (am 16. November 1809) das für Brockhaus ungünstige erste Urtheil erfolgt, das ihn zu einer (am 28. Februar 1810 erlassenen) Appellation veranlaßte, und jener Brief war vermuthlich der von uns bei Darstellung dieser Angelegenheit (S. 24) mitgetheilte Brief seiner Schwägerin Elisabeth Hiltrop, von dem Brockhaus bei Abdruck desselben unter den Actenstücken des Processes erwähnt, er habe ihn erst nach dem Tode seiner Frau unter ihren Papieren vorgefunden. Ist diese Annahme begründet, so hat jener unglückselige Proceß, der ihm das Leben so verbitterte und überhaupt so verhängnißvoll für ihn war, selbst den Tod seiner Frau veranlaßt! Brockhaus hatte mit seiner Frau elf Jahre in der glücklichsten Ehe gelebt. Sie hatte ihm sieben Kinder geboren, vier Söhne und drei Töchter, die bei ihrem Tode noch sämmtlich am Leben waren. Wie glücklich er mit ihr lebte, wie sie seine treueste Freundin und Beratherin in den vielen schweren Zeiten war, die er bis dahin zu überstehen hatte, ist aus manchen seiner von uns mitgetheilten Briefe zu ersehen; aus den Briefen Anderer, daß ihr Werth auch von seinen nähern Freunden, wie Cramer und Baggesen, erkannt wurde. Schrieb doch Cramer von ihr, wie ebenfalls bereits mitgetheilt: »daß sie an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu seinen Idealen gehöre« und der Gattin von Voß, Ernestine, sehr gleiche. Brockhaus hatte ihr Porträt (wol von Cornelia Scheffer, der Mutter Ary Scheffer's) malen und auch eine Büste seiner Frau anfertigen lassen, doch ist leider nichts davon erhalten. Als er kurz nach ihrem Tode in Dortmund war und zuerst wieder das Haus ihres Vaters betrat, warf er sich, vom Schmerz übermannt, auf den Boden nieder und küßte die Schwelle des Hauses; auf die erstaunte Frage seines jungen Neffen, der ihn begleitete, erwiderte er: »Hier habe ich meine Sophie zum ersten male gesehen!« Und als er anderthalb Jahre später wieder kurze Zeit in Amsterdam verweilte, da bildete das zwei Stunden von der Stadt schön am Y gelegene Dorf Muiden, auf dessen Kirchhof er sie begraben, seinen Lieblingsspaziergang und er brachte viele Abende dort in stiller Wehmuth zu. * * * * * Der Tod seiner Frau wurde aber auch die entscheidende Veranlassung, daß Brockhaus Amsterdam bald darauf für immer verließ. Die politischen Verhältnisse hatten ihm allerdings den Aufenthalt daselbst schon seit einiger Zeit verleidet, da sie den buchhändlerischen Verkehr nach allen Richtungen hin erschwerten. Brockhaus ließ seine Verlagswerke meist in Deutschland drucken: in Leipzig bei Breitkopf & Härtel, Hirschfeld und andern Buchdruckern, in Weimar bei Bertuch, in Braunschweig bei Vieweg, in Halle und noch an andern Orten. Seitdem nun Holland französisch geworden war, konnte er von seinen eigenen Verlagswerken kein Exemplar nach Amsterdam zum Verkaufe in seinem Sortimentsgeschäfte erhalten, ohne erst in Paris die Erlaubniß dazu erbeten und die Anzahl der einzuführenden Exemplare dort »declarirt« zu haben. Es läßt sich denken, welche Belästigungen und Umständlichkeiten damit verbunden waren. In derselben Lage befanden sich freilich auch die Sortimentshandlungen in den französisch gewordenen Provinzen Norddeutschlands, im Hannöverschen, Westfalen, Bremen, Hamburg u. s. w. Friedrich Perthes in Hamburg organisirte deshalb förmlich für sich und befreundete Handlungen die mit vielen Formalitäten verknüpften Manipulationen bei diesem Geschäftsgange und ließ selbst eine Instruction darüber drucken. Auch Brockhaus fand einen einigermaßen praktischen Ausweg, indem er für seine Geschäftsfreunde in den drei französischen Departements Norddeutschlands die Anzahl der an sie zu sendenden Verlagsartikel in Paris selbst declarirte und die Sendung dann jedesmal nur an Eine Handlung zur Vertheilung an die übrigen gehen ließ. So hätte er wol noch längere Zeit in Amsterdam zu bleiben versucht, und war selbst unablässig bemüht, sein Sortimentsgeschäft weiter auszudehnen, besonders, um den eben geschilderten Uebelständen zu begegnen. Am 11. November 1809 schreibt er an Heyse in Bremen: Er könne ihm nicht direct von Amsterdam seine Verlagsartikel senden, sondern nur von Leipzig aus, nach vorausgegangener Declaration in Paris; aber in Zukunft könne sich Heyse deshalb nach Aurich (in Ostfriesland) wenden, wo er, vom Gouvernement selbst dazu aufgefordert, »was sich nicht wohl refusiren ließ«, ein Etablissement zu errichten versuchen werde. Dieses Vorhaben kam auch wirklich zur Ausführung, und Bornträger, der inzwischen von Leipzig nach Amsterdam zurückgekehrt war, wurde von ihm deshalb nach Aurich geschickt. Indeß hatte das Etablissement in Aurich nur einen sehr kurzen Bestand, aber nicht weil es sich als unzweckmäßig herausstellte, sondern weil Bornträger seiner persönlichen Sicherheit wegen dort ebenso wenig bleiben konnte wie früher in Amsterdam. Bornträger war Ende November 1809 über Groningen nach Aurich gereist, aber kaum dort angekommen, machte er Brockhaus die Mittheilung, daß er auch dort fürchten müsse, zum Militär ausgehoben zu werden. Brockhaus fügte darauf dem ersten an sein auricher Geschäft abgegangenen Briefe vom 30. November, der zugleich der letzte sein sollte, folgende Zuschrift an Bornträger vom 2. December hinzu: Ich danke Ihnen für die umständlichen Berichte. Bei dieser Lage ist keine Wahl. Zurückkommen können Sie aus hundert Ursachen aber auch nicht. Mein Entschluß ist also gefaßt: Sie gehen in Gottes Namen nach Leipzig und treten in Weigel's[36] Stelle. Ich hatte gestern, durch wiederholte Beschwerden über Weigeln zur Verzweiflung gebracht, einen sehr umständlichen Brief an Gräff geschrieben und Weigeln das Geschäft abgenommen und ihm (Gräff) oder Cnobloch übertragen. Sie finden diesen Brief, den ich aus Gründen an meine Freundin, die Hofräthin Spazier, offen schicken wollte und auch heute schicke, Ihnen also heute nicht schicken kann, bei dieser. Hieraus werden Sie alles Nähere ersehen und darin vorläufig alle zuerst nöthigen Instructionen finden. Sie kehren bei Ihrer Ankunft in Leipzig im Großen Joachimsthale ein, wo Sie beim Wirth einstweilen accreditirt sein werden, der mich von der Messe her sehr gut kennt. Sie werden dort auch von mir Briefe vorfinden, die Ihnen sagen werden, wie Sie Ihre ersten Schritte einzurichten haben. Heute annoncire ich einstweilen Ihre Ankunft. Darauf ertheilt er ihm noch genaue Instructionen über die Auflösung des kaum begründeten auricher Etablissements, z. B. daß er mit den von Leipzig beziehenden ostfriesischen Buchhändlern Verbindungen schließen solle, um sie von Leipzig aus zu bedienen, und gibt ihm auch väterliche Ermahnungen, die von der herzlichsten Theilnahme dictirt sind, wobei er es ihm besonders zur Pflicht macht, den schon früher angenommenen Namen Friedrich Schmidt streng festzuhalten. Er schließt: Sie reisen, nachdem dies Alles besorgt, mit erster Post ab. #Fr. Schmidt# reist ab. Ich lege es demselben auf und mache es ihm zur heiligsten und unerläßlichsten Pflicht (in Rücksicht seiner und meiner!), diesem Charakter treu zu bleiben und in Bremen so wenig als irgendwo, auch in Hannover nicht, irgend einen Menschen, er sei wer er sei, zu besuchen! Dies #muß# sein! Seinetwegen und meinetwegen! Sie müssen Niemanden aufsuchen oder besuchen! Einen Paß werden Sie in Aurich oder Oldenburg leicht erhalten können. Benachrichtigen Sie mich von Ihrer Abreise, Ihrer Ankunft in Braunschweig und augenblicklich von Ihrer Ankunft in Leipzig. Leben Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz!! Der Himmel begleite Sie! Bleiben Sie ein guter Mensch! Bleiben Sie im ganzen Sinne des Worts #getreu#!! Thränen stürzen mir in die Augen! Zu Ostern drücke ich Sie an meine Brust. Leben Sie wohl! Reisen Sie glücklich! (Nachschrift.) Wenn Sie den Muth haben, Vieweg zu sehen, so gehen Sie zu ihm. Vielleicht kennt er Sie gar nicht. Ueberlegen Sie dann Alles reiflich mit ihm, so weit etwas zu überlegen ist. -- Vielleicht könnten Sie über Quedlinburg reisen und mit Basse fertig werden. -- In Halle gehen Sie bei Sprengel vor. Sie werden auch da einen Brief von mir erhalten. Die letztern Bemerkungen über Vieweg und Basse, durch die er seinen strengen Befehl, daß Bornträger auf seiner Reise durchaus Niemand besuchen solle, wieder einschränkte, beziehen sich auf eine frühere Stelle jenes Briefs, die für die damaligen Censurverhältnisse charakteristisch ist. Sie lautet: Das zweite Werk von R--dt[37] kann in Leipzig nicht gedruckt werden, da man es zu frei findet. Wirklich ist es nach den mir mitgetheilten Proben sehr keck und dreist, allein auch von außerordentlichem Interesse, und bedürfte es nach meiner Einsicht, um es ausgeben zu können, nur eines verständigen Redacteurs, der die Worte zu wägen und anstößige gegen mildere umzuwechseln verstände. Ich habe das selbst versucht und ist es mir, glaube ich, mit den paar Bogen, die ich gehabt, erträglich gelungen. Ich leugne nicht, daß ich außerordentlich wünschte, daß es erschiene. Es wird ungeheuere Abnahme finden. Bei dieser meiner Neigung habe ich Viewegen den Vorschlag zum Drucke gemacht und diesem gesagt, daß er allenfalls Basse in Quedlinburg darüber sprechen möchte, und nach Leipzig habe ich Ordre gegeben, das ganze Manuscript sofort an Viewegen zu senden. Ob nun Vieweg entrirt oder entriren darf, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihm nun aber noch mit dieser Post näher, daß er, im Fall er dorten nichts mit dem Manuscript machen könne, es Ihnen nach Aurich schicken möchte. Vorläufig trage ich Ihnen nun auf, sich in Oldenburg, Delmenhorst und Burgsteinfurt zu informiren, ob man da etwas könne ohne besondere Censur gedruckt erhalten und hoffen könne, es rasch fertig zu bekommen, wöchentlich drei Bogen wenigstens. In Burgsteinfurt ist, wie ich weiß, eine gute Druckerei und ohne alle Censur .... Sie werden anführen, daß gegen die Franzosen nichts gesagt, es aber sonst frei geschrieben sei, weshalb man wünschen müsse, eine liberale oder keine Censur zu haben. Bornträger verließ Aurich in den ersten Tagen des December und reiste über Oldenburg und Celle zunächst nach Braunschweig. Dorthin schreibt ihm Brockhaus unterm 19. December einen sieben Quartseiten langen Brief mit den genauesten Vorschriften, wie er sich auf seiner weitern Reise, in Braunschweig, Halberstadt, Halle, und bei seiner Ankunft in Leipzig den betreffenden Personen gegenüber, die mit einigen scharfen Strichen gezeichnet werden, zu verhalten habe. Er geht dabei, wie er selbst schreibt, »nach meiner Ihnen bekannten Methode ganz systematisch zu Werke«, indem er das Ganze in Form einer Tabelle schreibt, mit A, B, C und darunter wieder mit Ziffern. Einige charakteristische Züge seien aus diesem Briefe hier mitgetheilt. Er bemerkt über den Tod seiner Frau: »Sie werden aus unsern frühern Briefen Alles wissen, mein namenloses Unglück durch den Verlust Sophiens und alle daraus entgehenden Folgen«, und fährt dann fort: »Vieweg ist uns, glaube ich, sehr zugethan. Er wird eine höhere Idee von uns haben als wir verdienen möchten. Sie werden sehr besonnen gegen ihn sprechen« -- ein Beweis, daß Brockhaus bei allem ihm oft wol nicht mit Unrecht vorgeworfenen zu starken Selbstbewußtsein doch auch bescheiden war. In Halle empfiehlt er unter anderm, den »Romanschreiber A. G. Eberhardt«, den »Directeur« der Renger'schen Buchhandlung zu besuchen, und nennt ihn einen »feinen gewandten Kopf«, während er einen Buchdrucker, um ihn kurz zu charakterisiren, einen »alten steifen Kerl« nennt und über einen Professor, übrigens keinen namhaften, gar zu schreiben wagt: »N. N. besuchen Sie nicht. Sollte er Sie aber treffen, so sagen Sie ihm, daß wir, wenn Sie nicht irrten, von ihm Antwort erwarteten. Er ist ein Esel.« Den Botaniker Sprengel in Halle bezeichnet er als einen »höchst freundschaftlichen, aber sehr verständigen Mann«, den bekannten Professor Ersch als einen »noch liebern, einfachern und uneigennützigern Mann als Sprengel«. Ueber Reichardt's Individualität, seine Familie u. s. w. verlangt er genauen Bericht. Für Leipzig endlich lautet die vorläufige, besonders charakteristische Instruction: Ihr einziger erster Besuch sei bei der Hofräthin Spazier. Sie erklären aber dort, daß Sie erst Ihre Instructionen abwarteten und Sie bis dahin nichts sagen oder thun könnten. Sie werden diese Instructionen mit nächster Post _poste restante_ erhalten und sich auf der Post den Brief holen. Sie werden gegen die Hofräthin Spazier einstweilen ernst und höflich, gegen Weigeln dasselbe sein, und sich, unter jenem Vorwande, durchaus in keine Vertraulichkeiten einlassen, sondern ganz denselben Ton annehmen, den man gegen Sie annimmt und der wahrscheinlich kalt, feierlich und süffisant sein wird. Ich werde Sie mit nächster Post ganz _au fait_ setzen. Leben Sie wohl! Ich vertraue Ihnen, wie Sie sehen, das Glück meines Lebens an. Ich vertraue und schätze Sie. Sie werden mir im ganzen Sinne des Worts treu und bieder dienen. Wir werden dort bald zusammen sein. Uebrigens handelte es sich augenblicklich gar nicht, wie es nach diesen emphatischen Worten scheinen könnte, um besonders wichtige Entscheidungen, sondern um einige geschäftliche Verhandlungen gewöhnlicher Art, und Brockhaus wünschte nur, daß der von ihm sehr geschätzte, aber doch noch sehr jugendliche Gehülfe sich der Schwierigkeit der Aufgabe, ihn überall richtig zu vertreten, recht bewußt werde. Am 23. December schreibt Brockhaus an Bornträger, der ihm herzliche Theilnahme an dem Verlust seiner Frau ausgesprochen hatte: Die paar Zeilen, die Sie mir von Braunschweig geschrieben, haben mich tief erschüttert. Ja, Sie kannten das edle Gemüth der Verklärten vielleicht mehr wie viele Menschen! Sie hielt auch unendlich viel von Ihnen, und wir haben in den letzten Tagen ihres Lebens uns noch zweimal sehr umständlich von Ihnen unterhalten. Sophie liebte Sie wie eine zärtliche Mutter, wie eine treue Schwester. Sie erkannte das viele Gute, das in Ihrer Seele liegt, nur fürchtete sie in der letzten Epoche Ihres Hierseins für Sie, wie ich es auch that. Darüber sprachen wir noch viel zusammen, als Ihr letzter Brief von Aurich eintraf und ich mich entschloß, Sie zu bitten, nach Leipzig zu gehen. Sie stimmte diesem Entschlusse vollkommen bei, da sie den namenlosen Verdruß kannte, den mir und Ihnen die Besorgung der dortigen Geschäfte durch Weigel verursacht hatte. Sie kennen die zahllosen Ursachen, die Weigel uns zu Klagen gegeben hat. Sie wollen dies Alles aber nicht urgiren. Sie wollen Weigel mit Liebe und Zartheit begegnen, denn er ist ein guter und ein edler und ein unglücklicher Mensch. Er ist nur kein Geschäftsmann, besonders in so verwickelten Verhältnissen, als die unserigen es sind .... Gegen Jeden werden Sie sagen, ohne bestimmt Weigeln anzuklagen, daß ich mich veranlaßt gefunden hätte, Jemanden, der sich ganz meinen dasigen Geschäften widmen könnte, dort zu halten .... Der Frau Hofräthin Spazier vertrauen Sie ganz. Sie wird Ihnen rathen und helfen, wo sie kann. Sie ist meine wahre Freundin. Obwol Brockhaus so Alles that, um seinem Gehülfen die Ordnung und Besorgung der für ihn in seiner Doppelstellung als Verlags- und als Sortimentsbuchhändler besonders wichtigen Beziehungen in Leipzig zu erleichtern, und das beste Vertrauen zu ihm hatte, ging er doch schon seit dem Tode seiner Frau mit der Idee um, Amsterdam zu verlassen und sein Geschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Die Stadt, in der er acht Jahre an der Seite seiner Frau und von blühenden Kindern umgeben verlebt hatte, zwar nicht so glückliche und ungetrübte wie die ersten drei Jahre in Dortmund, aber in einem neuen, seinem Geiste endlich genügenden Wirkungskreise, sie war ihm jetzt für immer verleidet. Dazu kamen die schon erwähnten politischen und geschäftlichen Unannehmlichkeiten. Endlich aber sah er immer mehr ein, daß der geeignete Boden für ihn nicht eine holländische, jetzt gar französische Stadt sei, sondern daß er sein Geschäft nach Deutschland und womöglich nach Leipzig, dem Mittelpunkte des deutschen Buchhandels, verlegen müsse, um das von ihm in kühnen Umrissen angelegte Gebäude auf festem Grund aufzubauen und seine weitgehenden Plane zur Ausführung zu bringen. Aber freilich war eine solche Uebersiedelung mit vielen Schwierigkeiten verbunden und jedenfalls erst nach und nach zu ermöglichen. Besondere Sorge machte ihm dabei die Zukunft seiner Kinder, von denen das älteste bei dem Tode der Mutter zehn Jahre, das jüngste erst wenige Wochen zählte. Sollte er sie mit nach Leipzig nehmen, während er noch nicht wußte, ob er dort selbst eine Heimat finden werde? Könnte er sie in Amsterdam lassen, allein in der fremden Stadt, wo er zwar viele Freunde, aber keine Verwandten hatte? Weder zu dem einen noch zu dem andere vermochte er sich zu entschließen. Dagegen nahm er das herzliche Anerbieten seiner dortmunder Verwandten und Freunde an, die Kinder, bis er wieder einen festen Wohnsitz gefunden, in ihren Familien aufnehmen zu wollen. Dazu kam, daß er selbst noch schwankte, ob er nicht doch lieber in seine Vaterstadt Dortmund zurückkehren als nach dem fremden Leipzig ziehen solle. Ersteres schien auch seine Frau gewünscht zu haben, wenigstens hatte er ihr noch auf dem Todtenbette versprechen müssen, die Kinder zunächst nach Dortmund zu bringen. Er schreibt darüber an den ihm befreundeten Bankier Friedrich Christian Richter in Leipzig am 2. Januar 1810 aus Amsterdam: Morgen verreise ich von hier, um dem Willen meiner verewigten Gattin gemäß meine Kinder zum Vaterlande zurückzubringen, zu meinem noch lebenden Vater und meinem Bruder und zu den verheiratheten Geschwistern meiner Frau. Es wäre mir hier auch unmöglich gewesen, für die gute physische und moralische Erziehung derselben zu sorgen. Ich bin selbst zu zernichtet, auch fürs künftige Leben. Zu Ostern werde ich diesen Ort der Trauer auch wol ganz verlassen, mein hiesiges Geschäft verkaufen oder administriren lassen und mich bei Ihnen in Leipzig oder bei meinen Kindern in unserer guten Vaterstadt etabliren. Es wurde ihm gewiß ebenso schwer, sich von den Kindern, die ihn ja auch fortwährend an ihre Mutter erinnerten, zu trennen, als es für diese hart war, daß sie außer der Mutter vielleicht für längere Zeit auch den Vater entbehren sollten. Indeß war es doch der einzige Ausweg, der sich ihm darbot. Am 3. Januar 1810 trat er die traurige Reise mit seinen Kindern an, von deren treuer Pflegerin seit dem Tode der Mutter, Tante Josina, begleitet. Er wollte sie doch wenigstens selbst nach Dortmund bringen und zugleich seinen alten Vater nach so langer Trennung und nach dem schweren Verluste, den er erlitten, wiedersehen. Nur die kleine Sophie mußte er in Amsterdam zurücklassen, da er ihr die beschwerliche Reise im Winter noch nicht zumuthen durfte; sein Freund Kaufmann Trippler und dessen Frau baten sich die Kleine aus, zumal sie selbst keine Kinder hatten, und sie blieb bei ihnen mehrere Jahre unter der sorgsamsten Pflege. Die andern sechs Kinder wurden einzeln bei den dortmunder Verwandten, bei dem Großvater, dem Onkel Gottlieb und den Familien Beurhaus, Brökelmann, Rittershaus und Schmeemann untergebracht. Hier blieben sie mehrere Jahre unter liebevollster Behandlung, bis sie nach und nach in das neubegründete Haus des Vaters zurückkehrten. * * * * * Vor seiner Abreise nach Dortmund war es Brockhaus gelungen, an Bornträger's Stelle außer einem holländischen einen neuen deutschen Gehülfen Namens Krieger zu erhalten, der während seiner Abwesenheit wenigstens das laufende Geschäft besorgen konnte. Dieser kam aus Leipzig, wo er vor Bornträger's abermaliger Hinkunft auch schon eine Zeit lang für Brockhaus beschäftigt gewesen war, vermuthlich bei dessen Commissionär. Mit Bornträger blieb Brockhaus fortwährend im lebhaftesten Briefwechsel und hatte die Freude, daß dessen Ankunft und erstes Auftreten in Leipzig manche Uebelstände rasch beseitigte. Namentlich war es Bornträger gelungen, die durch verschiedene Umstände gestörte Geschäftsverbindung mit dem leipziger Bankier Richter wiederherzustellen. Schon im Herbst 1809 hatte Brockhaus ausführlich an Richter geschrieben, weil einige von ihm ausgestellte und an Richter gegebene Wechsel von den Betreffenden nicht honorirt worden waren. Dieser Brief, der wieder einen vollen Einblick in sein Inneres gewährt, lautet: Sie werden es meinem Herzen und meinem Verstande zutrauen, wie sehr der unangenehme Vorfall, worüber ich heut Ihrer Handlung Bericht gebe, auf mich wirken muß. Obgleich persönlich und sachlich einigermaßen entschuldigt durch die Lage der Sache, worüber die eingelegten Briefe Sie unterrichtet, bin ich doch zu sehr mit der über solche Punkte eingeführten Delikatesse bekannt, um nicht vollkommen den schmerzlichen und unangenehmen Eindruck vorherzusehen, den dieser Vorfall auf Sie als Kaufmann machen wird und machen muß. Ich sehe dies Alles so sehr ein, daß ich kein Wort in dieser Hinsicht an Sie adressiren will, um es zu versuchen, diesen Eindruck zu schwächen. Ich weiß es, es gibt darin keine Rechtfertigung! Ich kenne die Strenge der kaufmännischen Ansicht darin in ihrem ganzen Umfang! Ich muß es zufrieden sein, wenn Sie mir Ihr Zutrauen augenblicklich ganz und rein entziehen, gleich alle Verbindung mit mir aufheben. Ich wende mich also auch nicht an Sie als Kaufmann. Ich wende mich an Sie als Mensch! An den Menschen adressire ich mich alleine! Ich bin ein ehrlicher, ein rechtlicher Mann! Ich werde Sie, Herr Richter, nie täuschen! Ich habe ein Capital von circa .... Gulden in meinem Geschäfte. Ich habe keine fremden Fonds darin. Alles ist mein Eigenthum. Nur die jetzigen Zeiten drücken mich sehr und stark, und der deutsche Buchhandel ist in den Händen so vieler .... und .... Menschen, daß man durchaus nicht auf sie in Hinsicht auf die Fonds, die man von ihnen zu erwarten hat, rechnen kann; ihre Effronterie im Zurückhalten der Einem schuldigen Gelder ist ungeheuer. Ich habe im vorigen Jahr auf einmal über 40000 Gulden in die Ihnen größtentheils bekannten Unternehmungen gesteckt -- die Unternehmungen sind sämmtlich vom Publikum gut aufgenommen worden! Ich mußte die Ostermesse einen bedeutenden Betrag nothwendig zurückerhalten. Sie wissen, wie die Ostermesse ausgefallen. Es hat mir dies um 10000 Gulden wenigstens in meiner Einnahme geschadet. Es genirt mich dies, ich gestehe es. Hier in Amsterdam gibt es überhaupt keine, durchaus keine Ressourcen. Der Einwohner steht #nie# mit einem Banquier auf dem Platze in einiger Verbindung. Der Cassier arbeitet nur mit größern Handlungen und er avancirt nie. Man muß hier Alles in und aus sich selbst holen! Jeden Gulden! Es ist nie in Holland ein Geschäft gewesen wie das meinige. Man vermag es gar nicht zu beurtheilen, weil man es nie gesehen hat, also nicht kennt. Man beurtheilt mich also oft falsch; -- man hält mich für einen excentrischen Menschen! Ich weiß dies Alles: ich kann es nicht ändern! Ich muß die Menschen gehen lassen! Ich schließe Ihnen mein ganzes Herz auf, Herr Richter; Sie sind gewiß ein edler, vortrefflicher Mann, Sie sind ein guter Mensch! Mein Inneres sagt mir das! Ich darf und kann mich Ihnen ganz anvertrauen. Ich werde Ihr Vertrauen dadurch nicht verlieren. Wollen Sie mir Ihr ferneres Vertrauen lassen, -- ich werde, ich kann es nie misbrauchen. Wollen Sie mich ferner ein wenig und selbst noch etwas mehr als seither -- um mich den kleinen _gênes_, die mich noch dies Jahr drücken, zu entziehen -- unterstützen, so werden Sie sich einem dankbaren Manne und einer dankbaren Familie für immer verpflichten. Kann ich Ihnen dorten eine Art von Garantie geben -- über mein dortiges Lager -- Lebens oder Sterbens wegen, ich bitte Sie, geben Sie mir die Idee an, wie ich es anzufangen. Es geschieht gern. Die Zeiten werden wieder besser werden. Der vor einigen Monaten erfolgte Tod meiner Schwiegermutter bringt mir wieder neue Fonds. Ich werde mich einschränken, da ich jetzt schon mehr aus Erfahrung die .... Menschen, die Mehrzahl der deutschen Buchhändler, kenne! Sie sehen, ich plaudere zu Ihnen wie zum Bruder, wie zum jahrelangen Freunde! Möchten Sie mir der letztere werden! Leben Sie wohl! Ich erbitte mir auf diesen Brief einige Zeilen Antwort, ebenso offen, wie es die meinigen gewesen sind! Infolge dieses Briefs scheint Richter schon damals die Geschäftsverbindung mit Brockhaus wieder aufgenommen zu haben. Jetzt, bei Bornträger's Uebersiedelung nach Leipzig, bedurfte Brockhaus der Vermittelung und des Vertrauens Richter's noch mehr als früher. Er schrieb ihm deshalb am 2. Januar 1810 folgenden, sein Innerstes enthüllenden Brief: Ich habe Ihnen mit voriger Post 1100 Mark Bco. remittirt auf Fr. Perthes in Hamburg. Hiermit gleichen sich ohngefähr jene beiden unglücklichen Posten von 500 Fl. aus. Ich werde Ihnen weiter von Monat zu Monat verhältnißmäßige Rimessen machen. Seien Sie ganz und unbedingt ruhig! Ich habe kaufmännisch gegen Sie sehr gefehlt, moralisch -- nicht! Ich will gegen Sie keine Exposition davon machen; ich bin zu routinirt in Geschäften, um nicht den ganzen Umfang meiner Abweichungen -- wenn auch gezwungen, doch immer Abweichungen -- zu fühlen und in Klarheit zu erkennen. Ich will auch eine Entschuldigung nicht einmal versuchen! Ich könnte Vieles, vielleicht sehr Vieles und gar Genügendes zu meiner moralischen Entschuldigung vorbringen. Ich thue es aber nicht! Ich schweige. Nur das sage ich, und #das# darf ich sagen: Seien Sie ganz ruhig. Nur das Gedränge drückender, zu leicht eingegangener Engagements; nur unverzeihliche Vernachlässigung dort in Besorgung mancher bedeutenden Geschäfte und Verrichtungen, wodurch ich mich veranlaßt gefunden habe, selbst jetzt mitten im Winter einen Commis von hier nach dort zu senden; nur nicht zu gebieten gewesene Täuschung über den Eingang erwarteter und nicht eingegangener Fonds; endlich die Krankheit und zuletzt der Tod einer geliebten, angebeteten Gattin und die daraus resultirte Zerstörung meines Denk- und Ordnungsvermögens -- in diesen Grundzügen müßte ich meine Entschuldigung suchen. Ich erkenne aber in voller Klarheit, daß ich #keine# Entschuldigung, aus blos kaufmännischem Gesichtspunkte betrachtet, gegen Sie habe. Ich verdamme mich darin selbst unbedingt. Nur das sage ich und das darf ich sagen: Seien Sie vollkommen ruhig. Sie sind ein edler Mensch. Ich bin Ihrer Achtung und Werthschätzung nicht unwerth. Es ist eine reine Unmöglichkeit, für mich individuell und aus meiner ganzen Geschäftslage betrachtet, daß Sie je einen Thaler an mich verlieren könnten. Wäre es mir möglich, den Gedanken darüber zu fassen, ich würde Ihnen nie einen Wunsch weiter mittheilen. Handlungen müssen hier aber entscheiden. Ich erkenne das. Meine erste sei, daß ich Ihnen, noch nicht außer dem Gedränge kleiner Verlegenheiten, die aber sich zusammenwickelnd nicht ohne Bedeutung sind, aber befreit von unmittelbaren Engagements, meine erste freie Disposition widme, die ich habe erübrigen können: die 1100 Mark Bco. per Hamburg. Ob Sie in diesem Zuge mich und meine Gesinnungen errathen werden, muß ich erwarten. Ich erwarte es mit Resignation. Das hohe Vertrauen, das ich zu Ihnen als Mensch habe, erlaubt es mir, Sie zu bitten, mich unerachtet aller stattgehabten Störungen dennoch nicht ganz zu verlassen .... Ich habe, debarrassirt von meinen drückenden Verbindlichkeiten, die Aussicht, im Laufe der nächsten Monate aus meinem Sortimentsgeschäfte (worin alles auf Jahresrechnung geht) bedeutende Summen einzunehmen. Ich habe keine einzige schlechte Unternehmung gemacht. Ich bin nicht ohne eigene und nicht unbedeutende Fonds. Ich bin ein häuslicher, ordentlicher, guter Mensch -- das darf ich ja wol Alles sagen, ohne daß ich in den Schein von Ruhmredigkeit falle. Darum sage ich es Ihnen, zu dem ich reines und großes moralisches Vertrauen habe. Dieser Brief sei aber auch nur Ihnen geschrieben. Außer Ihnen muß ihn Niemand sehen. Nur Sie werden mir ihn nachfühlen. Sie werden mir keine Vorwürfe machen über das Vergangene. Ich mache sie mir selbst. Haben Sie die Güte, mich Ihres Vertrauens nicht ganz unwerth zu finden. Ich darf es ja wol sagen, daß ich nicht glaube, desselben unwerth zu sein im Innern .... Hier folgt die bereits früher mitgetheilte Stelle über seine Absicht, nach Dortmund zu reisen, um die Kinder dort erziehen zu lassen. Der Brief schließt dann: Daß ich Ihnen das Alles sage? Ich weiß selbst nicht oder kaum, wie ich dazu komme! Nur das erkenne und weiß ich, daß ich mich einem edlen und wackern Biedermanne anvertraue. Ob Sie in meine _vues_, die Geschäfte betreffend, eingehen oder nicht, ist von meinem Urtheile und meiner Empfindung über Sie ganz unabhängig. Leben Sie wohl. Ich bin Ihnen mit ganzer Seele zugethan. (Nachschrift.) Alle Geschäfte und Transactionen, die Herr Schmidt macht, sind verbindlich, da er mit vollkommener gerichtlicher Vollmacht versehen ist. An Bornträger schrieb Brockhaus gleichzeitig: Herr Richter ist ein höchst rechtlicher und wackerer Mann, auch ein Freund von Literatur u. s. w., und es hängt unendlich viel davon ab, sich mit ihm wieder zu einigen. Ich werde auch alles Mögliche thun, um dies zu bewerkstelligen, und verzweifle ich keineswegs an dem Erfolg davon, da ich die innere Ueberzeugung habe, sein Zutrauen wie das Zutrauen jedes rechtlichen Mannes vollkommen zu verdienen. Besuchen Sie ihn in einer ruhigen Stunde in seinem Hause, sprechen Sie mit Besonnenheit und Zuversicht. Deuten Sie auf die Stockungen und Verwirrungen, ohne irgend Jemanden anzuklagen. Versichern Sie ihn meiner unbegrenzten Ergebenheit und meines besten Willens, auch meiner vollkommenen Kräfte. Sagen Sie etwas von dem verhängnißvollen Schicksal, das jetzt auf mir ruht und mich zerschmettert hat. Seien Sie in Allem wahr und ernst und bieder. Sprechen Sie zu meinem Besten, aber mit Bescheidenheit. Die Antworten Richter's auf obige Briefe sind nicht erhalten, aber jedenfalls lautete auch die auf den zweiten befriedigend, da Brockhaus unmittelbar darauf wie auch später geschäftlich und freundschaftlich mit ihm verkehrte. * * * * * Der Aufenthalt in Dortmund währte länger, als Brockhaus erwartete, ungefähr einen Monat, bis Anfang Februar 1810. Die Ausgleichung alter verwickelter Familienverhältnisse nahm viel Zeit in Anspruch, und außerdem verfaßte er hier die Appellation gegen das erste Urtel im Hiltrop'schen Processe, obwol sie vom 28. Februar dieses Jahres aus Amsterdam datirt ist. Noch in Dortmund erhielt er die ersten günstigern Berichte von Bornträger aus Leipzig. Er antwortet ihm am 21. Januar: Es freut mich, daß Sie durch ein männliches, ruhiges und gesetztes Betragen schon Manches ins Gleiche gebracht haben. Es wird sich alles Weitere geben, wenn nur einmal alle Verhältnisse zwischen dort und Amsterdam ganz ineinander greifen, die Bücher in Ordnung sind und wir uns so bemühen können, unsere ausstehenden Gelder beizutreiben, als man uns, wenn wir schuldig sind, damit auf der Haut sitzt. Ob ich gleich in diesem Jahre gewiß noch viel zu kämpfen haben werde, so ist von der andern Seite in diesem Jahre auch viel zu hoffen. Es kommt hinzu, daß, so unglücklich ich auch als Mensch durch den unersetzlichen Verlust meiner guten Sophie geworden bin, ich durch die neuen Verhältnisse, worein ich dadurch getreten, von den beinahe unerschwinglichen Kosten, womit mein Etat in Amsterdam verknüpft wurde, befreit worden bin. Ich werde allerdings in meinen Verlagsunternehmungen mich um so mehr auch einschränken können, da ich gegenwärtig nur wenig bedarf und es meine feste Absicht ist, für die Zukunft mir ein ruhigeres Leben zu erringen. Sie, guter Bornträger, gehören mit in meinen künftigen Lebensplan. Entwickeln Sie die guten Anlagen, die zum Theil nur noch als Keime in Ihnen liegen. Zerstören Sie das Feindselige, was gegen das Gute in Ihnen kämpft, und gewöhnen Sie sich insbesondere an Manches, was besonders in diesem Fache allein den guten Geschäftsmann im Praktischen macht: an Besonnenheit, Ruhe und die pünktlichste Ordnung in den Arbeiten. Krieger ist in diesen drei Punkten wirklich ein Ideal. Auch ist er es in Rücksicht der Thätigkeit, da er keine Arbeitszeit oder Stunde kennt, sondern nur fragt: was ist noch zu thun? Weiter spricht er darüber, wie er sich seine künftige Einrichtung in Leipzig denke; seine Ansprüche waren sehr bescheiden: Ein Gewölbe wie jetzt bedürfen wir nicht. Es ist unbequem, feucht, fatal zum Arbeiten; es ist unmöglich, darin ein ordentliches Comptoir zu halten; es ist dazu theuer. Wir bedürfen nur eines geräumigen Zimmers in einer ersten Etage, das man heizen kann allenfalls und welches man mit Regalen versehen läßt. Es muß darin Raum genug sein, um 20 Exemplare von jedem Verlagsartikel zur Hand zu haben, und sonst Platz, um eingehende Artikel ordnen und packen und weggehende einpacken zu können. In diesem Zimmer könnte allenfalls ein Pult gestellt werden, woran zwei Personen ordentlich arbeiten können, wenn es groß genug wäre, daß man Briefrepositorien, Platz für Bücher u. s. w. auf eine ordentliche Weise daran mit anbringen könnte. Besser wäre es aber noch, wenn ein kleines Comptoir als Nebenzimmer dabei wäre. Außerdem wünschte ich, daß Sie und ich unmittelbar dabei schliefen und wohnten, da dies die Leichtigkeit im Arbeiten so sehr befördert; womöglich also zwei Schlafzimmer für mich und Sie, und außerdem ein Wohn- oder Besuchzimmer. Also zusammen fünf Piècen, von denen zwei was man in Leipzig Kammern nennt wol sein könnten. Die Frage und Aufgabe wäre also: sollte dazu Gelegenheit zu finden sein und wo? Mir wäre es gleichgültig, ob es in oder außer Leipzig (etwa in Reichel's Garten) sei. Ich fühle die kleinen Inconvenienzen, die entstehen, wenn es außer der Stadt wäre, aber gewonnen würde auch wol wieder durch größere Annehmlichkeit, wahrscheinlich größere Wohlfeilheit; auch könnten manche Inconvenienzen durch Gegeneinrichtungen gehoben werden. Meine Absicht ist durchaus nicht, ein Haus in Leipzig zu machen. Sie wissen, wie einfach und prunklos ich bin, und wie mich alles das anekelt, was auf Ostentation hinausläuft. Nur eine angenehme Existenz möchte ich mir sichern. Ich werde nicht, was man nennt, in Leipzig immer wohnen. Ich werde viel da sein; aber auch hier bei meinen Kindern, Geschwistern und Jugendfreunden werde ich zu Zeiten sein. Ich muß auch in Amsterdam ein paar Monate zubringen. Die Abreise von Amsterdam, wohin Brockhaus gegen Mitte Februar zurückgekehrt war, mußte er von Woche zu Woche verschieben und konnte sie erst Mitte Mai ausführen. Zunächst wurde er durch eine Untersuchung in Anspruch genommen, welche über das Manuscript zu Reichardt's »Vertrauten Briefen auf einer Reise nach Wien« eingeleitet worden war. Schon in Dortmund hatte er die erste Nachricht darüber erhalten und auch deshalb seinen dortigen Aufenthalt verlängert. In dem Briefe vom 21. Januar schreibt er an Bornträger: Auch habe ich noch einen geheimen Grund, hier zu bleiben. Das Rdt'sche Manuscript über Wien ist von der Censur in Braunschweig nicht zurückgegeben, sondern an das Justizministerium nach Kassel geschickt worden. Ich möchte also auch gern hier abwarten, ob das kasseler Ministerium nach Amsterdam Requisition erlassen wird, den Verfasser zu erforschen, dessen Handschrift indessen in Kassel hinreichend bekannt sein wird. Es möchte doch sehr gut sein, wenn Sie auf irgendeine Weise R. davon prävenirten und Maßregeln beredeten, da ich ihm nicht zu schreiben wage und Vieweg es auch gewiß nicht gethan hat; auch daß er das weitere Manuscript zurückhielte. Ich überlasse es Ihrer Klugheit, da Sie so nahe sind, was Sie darin thun wollen. Für mich kann natürlich nichts Unangenehmes entstehen, da ich es der Censur übergeben, nur die ersten Bogen gesehen, darin selbst Vieles gestrichen und unbedingt verlangt habe, daß nichts gegen Napoleon dürfe gesagt werden. Nur möchte ich den Verfasser auch nicht verrathen. Am 28. Januar schreibt er nochmals und ausführlicher darüber: Von Amsterdam habe ihm sein Gehülfe Krieger gemeldet, daß man nach ihm geschickt habe, und er könne nun nicht eher nach Amsterdam zurück, bis das beseitigt sei. Bornträger solle deshalb lieber selbst nach Halle zu Reichardt gehen, wenn dieser nicht etwa schon arretirt sei. Er könne schließlich der Gewalt nicht widerstehen, ihn nennen zu müssen, wenn er dazu irgendwo vom Gouvernement angehalten werde. Vielleicht auch sei Reichardt von Halle weggegangen, doch werde Bornträger von dessen Töchtern den Aufenthaltsort wol erfahren. Treffe er ihn, so solle er ihn veranlassen, seine Papiere und Notizen zu retten. Uebrigens möge er doch auch gleich über den beabsichtigten zweiten Theil mit ihm sprechen und ihn auffordern, was er ihm auch schon selbst geschrieben habe, »mehr Geist und Salz hineinzulegen«. Inzwischen müssen die Nachrichten von Amsterdam doch beruhigender gelautet haben, denn Brockhaus reist dahin zurück und schreibt um 16. Februar von dort an Bornträger: Wegen Rdt's »Wien« bin ich ganz unangefochten und wahrscheinlich ist das ganze Wesen hier Cabale von N. N. und ähnlichen Schuften gewesen, um mich von hier zu vertreiben. Der westfälische Gesandte weiß von nichts, der Polizeiminister weiß von nichts, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten weiß ebenso wenig von etwas. Und der _Hoofdofficier_ (Oberoffizier), dem ich geschrieben habe, daß ich hier sei, hat mir antworten lassen, er habe mir nichts zu sagen. Dagegen bin ich fortdauernd in anonymen Briefen gewarnt und ist mir gerathen worden, von hier wegzugehen oder nicht zurückzukommen! Indessen hatte er zu früh gefrohlockt und ebenso war auch sein daran geknüpfter Verdacht unbegründet gewesen. Denn schon am 24. Februar schreibt er an Bornträger: Heute bin ich doch noch von der geheimen Polizei wegen »Wien« verhört, aber sehr human behandelt worden. Den Namen des Verfassers, den man wissen wollte, habe ich nicht genannt, sondern erklärt: »daß ich dem Verfasser mein Ehrenwort gegeben habe, ihn nicht zu nennen, also auf eine bloße Anfrage des westfälischen Gouvernements dies mein Wort nicht brechen könne und nicht anders mich desselben entschlagen urtheilen könnte als durch einen ausdrücklichen Befehl meines Königs; daß aber, da _in casu_ Verfasser wie Verleger den gesetzmäßigen Weg gegangen, indem sie dem Gouvernement ihre Gedanken -- das Manuscript -- mitgetheilt und angefragt hätten, ob solche dürften bekannt gemacht werden, der Name des Verfassers hier eine sehr fremdartige Sache sei, die das Gouvernement nicht weiter interessiren könne; wenigstens glaube ich für meine Person nicht, darin dem Gouvernement als rechtlicher Mann an die Hand gehen zu dürfen«. Man ist hiermit einstweilen zufrieden gewesen, und hat man nun das Nähere zu erwarten. Ich denke aber, die Sache wird nun wol todt bluten. Damit scheint die Untersuchung allerdings erledigt gewesen zu sein; sie wird in den fernern Briefen nicht weiter erwähnt, und Reichardt's Buch erschien auch noch in demselben Jahre. Als ein Scherz ist es wol nur anzusehen, wenn Brockhaus in einem Briefe erwähnt, daß er daran gedacht habe, in höchster Noth den kurz vorher (1809) verstorbenen Freiherrn von Groß in Weimar, von dem er auch ein Werk verlegt hatte, als Verfasser anzugeben! Bornträger hatte sich übrigens entschlossen, der größern Sicherheit wegen zu Fuße von Leipzig nach Halle und Giebichenstein zu gehen, um Reichardt von der Sachlage zu benachrichtigen. Brockhaus trägt ihm auf, bei dieser Gelegenheit Reichardt zu einem neuen Buche aufzufordern. Er schreibt: Ich möchte ihm den Vorschlag thun, ein Buch zu schreiben wie die vortrefflichen Briefe von Risbeck seiner Zeit waren: »Briefe eines reisenden Franzosen«[38], Reichardt wäre ganz der Mann dazu. Man könnte es betiteln: »Kreuz- und Querzüge eines reisenden Franzosen« oder »eines reisenden Deutschen«. Theilen Sie Reichardt auch diese Idee mit, die ich ihm jetzt nicht direct schreiben mag. Ich möchte es erstaunlich gern, daß er darauf entrirte, da er vollkommen dafür berechnet ist. Ein solches Buch, mit _sagacité_ geschrieben, würde erstaunlichen Debit haben. Diese Anregung hat jedenfalls Reichardt zu seinen Ende 1811 bei Brockhaus (unter der bekannten fingirten Firma »Köln bei Peter Hammer«) anonym erschienenen »Briefen eines reisenden Nordländers. Geschrieben in den Jahren 1807 bis 1809« veranlaßt und zeigt wieder, daß Brockhaus sich nicht darauf beschränkte, ihm angebotene Manuscripte zu verlegen, sondern daß er auch Schriftstellern eigene Ideen zur Ausführung neuer Werke mittheilte. So rührt die Idee zu dem »Handbuch der deutschen Literatur« von Ersch ebenfalls von Brockhaus her; er schreibt darüber einmal an Bornträger: »Sie ist aus meiner Seele allein hervorgegangen.« Ein in dieser Zeit geschriebener Brief zeigt, daß Brockhaus auch mit dem damals in Leipzig wohnenden Dichter Johann Gottfried Seume, den er wahrscheinlich persönlich dort kennen gelernt, in Beziehungen stand, und dieser ihm einen Verlagsantrag gemacht hatte. Er trägt Bornträger auf, Seume zu sagen, daß er eine Copie seines Manuscripts nach England geschickt habe; »es sei zu gefährlich, es in Holland zu drucken; erzählen Sie ihm den Umstand jetzt mit 'Wien'; ich würde ihm sein Original zu Ostern selbst zurückbringen oder auf Verlangen gleich einschicken.« Seume starb indeß bald darauf (13. Juni 1810); jenes Manuscript war vermuthlich Seume's Selbstbiographie, die nach seinem Tode von Clodius herausgegeben wurde (Leipzig 1813). * * * * * Brockhaus sah bald ein, daß er Amsterdam doch noch nicht gleich verlassen könne, besonders weil er das Geschäft seinem neuen Gehülfen Krieger nicht allein anvertrauen mochte. Während er diesen früher gegen Bornträger sehr gelobt, schreibt er letzterm jetzt am 6. März: Krieger sei »zu weiter nichts gut als aus einem vollen Sacke Geld zu nehmen und damit zu zahlen und es sich sonst sehr gut sein zu lassen«! Er fährt fort: Ich opfere also lieber mich auf als mein Geschäft, und ich werde nach der Ostermesse (aus Leipzig) gleich zurückkehren, dagegen im Sommer eine Reise nach Paris machen. Sie, der Sie alle Verhältnisse kennen, werden dies gut finden. Darum aber gebe ich meinen Plan für die Zukunft nicht auf. Nur dies Jahr geht es noch nicht, und in diesem Jahre muß sich Vieles entwickeln. Ich hoffe, Alles ziemlich gut! Die Messe kann nicht schlecht werden, da durch die Verbindung Oesterreichs mit Frankreich die Ruhe des Continents vorläufig sehr gewinnt und namentlich Oesterreich einer bessern Epoche dadurch entgegengeht. Oesterreich wird kaufen und zahlen, und von keiner Seite her wird man Ursache haben, nicht zur Messe zu kommen. Sehr gut ist es auch, daß die Messe so spät eintritt, weil selbst die Russen u. s. w. jetzt gut eintreffen können. Die beabsichtigte Reise nach Paris sollte sechs Wochen dauern und besonders wegen der Verlagswerke von Sprengel, Rudolphi, Villers, Fauriel und Massenbach unternommen werden; sie unterblieb aber, ebenso wie ein von ihm für den Herbst, »um einen Monat meinen Kindern zu leben«, gehoffter wiederholter Aufenthalt in Dortmund. Gegenüber den vermehrten Ausgaben in Leipzig und in der Absicht, sein amsterdamer Geschäft früher oder später aufzulösen, war er unablässig bemüht, seine Außenstände in Holland einzuziehen. Er machte zu diesem Zweck im März und April mehrere Reisen nach Utrecht, Rotterdam und Harderwijk, Schiedam, Delft und dem Haag, leider aber meist mit geringem Erfolge. Die Geldkrisis und die politischen Verhältnisse wirkten lähmend auf Handel und Verkehr, und die Buchhändler wie die Privatkunden vertrösteten ihn mit Versprechungen, während er selbst von Schriftstellern und Buchdruckern in Deutschland gedrängt wurde. Bei der Rückkehr von einem solchen Ausflug schreibt er einmal: Auf dieser Reise ist es mir unsaglich schlecht mit dem Einkassiren gegangen: circa 2400 Fl. ausstehen, und ich habe kaum 200 Fl. Kassa und circa 250 Fl. Papier mitgebracht. Entweder verreist oder nicht bei Kasse! Das heißt Einen rasend machen! Er sah jetzt oft recht trüb in die Zukunft, ohne indeß den Muth zu verlieren. So schreibt er am 6. März an Bornträger: Beruhigen Sie sich insbesondere wegen meiner äußern Lage. Ich bin dies Jahr weniger gedrückt wie vorig Jahr und vor zwei Jahren, ob ich gleich so unendlich schwere Ausgaben gehabt und dadurch so Vieles anticipirt habe .... Demohnerachtet weiß ich vollkommen, daß es mir noch sauer werden wird, aber ich sehe doch Durchkommen und habe mehr Muth wie je, besonders da Sie jetzt dort sind. Und am 3. April schreibt er: Ich werde alle meine Kräfte aufbieten, um Sieger zu bleiben. Vieles ist verloren. Aber nicht Alles. Durch Besonnenheit und Muth wird sich Vieles, vielleicht Alles retten lassen. Aber nicht nur den Muth verlor er nicht, sondern bewahrte sich selbst den Humor, wie folgende Anekdote über einen spaßhaften Handel mit einem amsterdamer Antiquar oder vielmehr mit dessen Frau beweist. Er schreibt an Bornträger unterm 16. März: Ich habe heut einen Handel gemacht, der Ihnen possirlich vorkommen wird. Gestern gehe ich, wie ich aus dem Wappen von Bern, wo ich oft esse, nach dem Museum gehen will, um die Zeitungen des Tages zu lesen, dem Bücher-Antiquar Ros in Rooseboomsteeg vorbei und bleibe wie gewöhnlich vor seinen ausgestellten Büchern stehen, um die Titel zu beschauen. Ich finde zufällig einen alten Jahrgang des historischen Calenders, der bei Haude herauskam, über Amerika, der jetzt selten ist. Ich möchte den gern haben, denke ich, er wird wol für ein Dübbelchen zu erstehen sein, und gehe hinein. »Wieviel für _dat boekje_ (das Büchelchen)?«, frage ich. -- »_Vier Sestehalven._« -- »Wie, vier Sestehalven? Ist sie klug?«, sage ich zu der Frau, »_voor zoo een oud ding, dat al voor 20 jaar verschenen is?_« (für so ein altes Ding, das schon vor 20 Jahren erschienen ist?) -- Ja, unter 3 Shillings gebe sie es nicht. -- Kurz, wollte ich wohl oder übel, nachdem ich wie ein Grasmäher gefeilscht hatte, einmal aus der Boutique schon weggegangen war, und der Versuch, zurückgerufen zu werden, ohne Erfolg war gemacht worden: ich mußte 15 Stüber geben. »Aber«, sage ich, wie das Geld bezahlt war, »meine liebe Frau, #ich# habe die 15 Stüber für _dat boekje_ gegeben, weil es eine Seltenheit ist. Das weiß #Sie# nun aber nicht. Anders wäre es mir nichts werth gewesen. Wie kann Sie ein solches Ding so hartnäckig auf einem solchen Preis halten?« -- Ja, sagte sie, diese »_boekjens met platen_« (Büchlein mit Illustrationen), die könnte sie sehr gut verkaufen, und die fänden immer ihre Liebhaber. -- Hm, denke ich, dann könntest du ja den Ueberschuß der »Urania« trefflich gebrauchen, welcher deinem Auge sonst doch Verdruß genug sein wird. Ich theile ihr die Idee mit, worauf sie gleich entrirt. »Aber ich habe viel«, sage ich. -- »Ja, das macht nichts, _en als de Heer ook een paar honderd heeft_« (wenn der Herr auch ein paar hundert hat). -- Ich bin wie aus den Wolken gefallen. Wo bleibt das Weib damit? Ich renne wie besessen nach Hause, hole ein hübsches in Maroquin, bringe das zur Probe und werde nun Verkäufer statt Käufer. _Enfin_, einen Shilling bot sie mir noch am Abend, und diesen Morgen haben wir es zu 8 Stüber hinaufgetrieben, wozu ich ihr unsern traurigen Vorrath von 223 Stück -- leider sind die 160 Ex., die nach Ostfriesland gegangen sind, alle angekommen und gleich als Makulatur bei Seite gelegt worden -- gegen gleich comptante Zahlung von ca. 90 Gulden. Ich habe mich halb krank über die _négociation_ gelacht, die wir aber unter uns halten müssen, weil, wenn es die deutschen Buchhändler erführen, daß man alte abgelebte Almanache beinahe für einen halben Gulden loswerden könne, bald alle Landstraßen damit bedeckt sein und der Handel _de fond à comble_ verdorben sein würde. Ein Triumph meiner Phantasie würde es sein, wenn ich der Frau auch noch den leipziger Ueberschuß, der eine ganz andere Masse bilden wird, aufhängen könnte. Ich habe darauf angespielt; sie meinte aber, daß an 223 sie einstweilen (!) doch genug habe. Ich denke es auch und fürchte: für immer. Aber es ist wahr: in Amsterdam ist doch auch Alles zu verkaufen! Indessen bin ich noch mit ihr im Handel über unsern hiesigen Rest von .... (folgen einige Titel älterer Verlagswerke), worüber ich bis Dienstag Rapport haben soll. Einzelne Exemplare kauft das Weib nicht; sie macht Alles im Großen, _en bloc_. Original! Infolge der geistigen Aufregung und Ueberanstrengung in dieser ganzen Zeit, wozu noch die häufigen rasch zurückgelegten Reisen kamen, wurde Brockhaus bald darauf ernstlich unwohl. Schon am 24. März sagt er, daß er sich seit kurzem gar nicht wohl fühle, keine Eßlust habe und beständig ein kleines Fieber mit sich herumschleppe. Eine Folge dieses Uebelbefindens und seiner Erregung ist es wol, wenn er weiter schreibt, er habe in Erwartung eines Berichts von Bornträger mehrere Tage nicht schlafen können, und in Bezug auf einige unberechtigte Forderungen von Schriftstellern hinzufügt: Ich bin keineswegs geneigt, diesen Leuten einen Schritt zu weichen. Göschen zeigte mir einmal ein dickes Convolut Papiere: »Dieses enthält Documente zur Schande der Menschheit«, sagte er; »es sind die Verhandlungen mit unsern berühmten Autoren.« Lange wehrte er sich gegen die Krankheit, ohne sich zu schonen; so fuhr er einmal in einer Nacht nach Leyden und kehrte in der nächsten Nacht nach Amsterdam zurück, um schon einige Tage darauf in ähnlicher Weise nach Rotterdam und zurück zu reisen. Endlich aber mußte er sich doch darein ergeben, seine Thätigkeit zu unterbrechen und sich zu pflegen. Die Krankheit stellte sich als Gelenkrheumatismus und Gicht heraus. Sechs Wochen lang, bis Anfang Mai, wurde er davon geplagt, und mußte also so lange die Abreise nach Leipzig verschieben, obwol seine Anwesenheit dort besonders während der Messe so nothwendig war. Während dieser Zeit erhielt er auch aus Dortmund die Trauerkunde vom Tode seines jüngsten, noch nicht ganz drei Jahre alten Sohnes Max, des Pathen Baggesen's. Am 10. April schreibt er an Bornträger: Ich habe von meinem Rheumatism einen solchen fürchterlichen Rückfall bekommen, daß ich seit Sonnabend, wo ich Ihnen schrieb, nicht aus dem Hause gewesen bin und fast immer das Bett gehütet habe. Auch diese Zeilen schreibe ich Ihnen aus dem Bette, und habe ich in diesen Tagen nicht anders als durch Dictiren arbeiten können. Ich habe sehr heftige Schmerzen in den Muskeln des Halses und des Kreuzes, sodaß ich leider weder gut liegen noch irgendeine ruhige Stellung annehmen kann. Es ist mir erstaunlich fatal, wie Sie denken können. Indessen hoffe ich doch, daß durch Ruhe und Wärme sich Alles bald geben wird .... Mich fatiguirt das Schreiben außerordentlich und ich schließe daher in Eile. Wenige Tage darauf, am 14. April, klagt er: Ich bin noch immer sehr krank, und wenn auch auf der Besserung, so geht's doch langsam. Mein Rheumatismus hat einen heftigen Charakter, der sich gar nicht fügsam beugen will. Indessen schreibe ich Ihnen doch wieder außer dem Bette. Die Stube darf ich aber noch nicht verlassen. Und morgen über vier Wochen soll ich schon in Leipzig sein! Wie mich dies ergreift! Und doch muß und soll es möglich werden! Nur Hygiea verlasse mich nicht, oder komme vielmehr, deine stärkende Hand über mich zu erheben! In einem Briefe vom 21. April heißt es: Ich habe Ihnen Dienstag nicht geschrieben, weil ich Ihnen dann hätte melden müssen, daß ich aller Berechnung nach nicht zur Messe kommen könne. Ich war an diesem Tage von meiner vert........ Gicht in Nacken, Rücken und Fußgelenken so gelähmt und so gepeinigt, daß ich mich nicht rühren konnte. Es scheint aber das Maximum gewesen zu sein, und ich gehe seit vorgestern an einem Stocke im Zimmer herum. Ich hoffe nur jetzt, daß ich werde kommen können! Ich #hoffe# es und ich #glaube# es! Schon wollte ich Ihnen alle Bücher schicken und Sie wie mein Geschäft Gott anbefehlen. Ich habe hier übrigens Mühe mich durchzuwinden, wie Sie denken können, besonders da ich krank bin; indessen guter Muth und Hoffnung, die menschliche, verläßt mich nicht. Daß Sie auf sechs gute Groschen reducirt waren, hat mir ein wenig Spaß gemacht, denn bei allem Ungemach und Sorgen verläßt mich mein guter Humor nicht ganz. Vor der Messe unmittelbar ist die Auslieferung immer schlecht. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen! Im nächsten Briefe, vom 24. April, schreibt er: Seit Sonnabend bin ich mit meinem Uebel nichts gefördert. Es ist um gar nichts besser geworden, und ich habe die beiden Ostertage recht traurig zugebracht und die Nächte unter vielen und heftigen Schmerzen, da es des Nachts immer schlimmer ist als am Tage. Aller Gichtstoff hat sich jetzt auf den linken Fuß geworfen, der dadurch sehr angeschwollen, sodaß die Haut außerordentlich gespannt ist .... Da ich indessen, diesen Punkt ausgenommen, vollkommen gesund bin und vielleicht jetzt der höchste Punkt des Uebels erreicht ist, so bleiben meine Aerzte dabei, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach an meiner Reise nicht werde gehindert werden. Ich begreife es selbst, daß zwei bis drei Tage mir hinreichende Genesung geben können, aber Sie können denken, wie angstvoll ich bin. Der Himmel wird mich nicht ganz verlassen! Die gehoffte Besserung trat endlich ein und die Ausführung der Reise nach Leipzig wurde fest beschlossen. Er schreibt an Bornträger unterm 28. April: Erst seit gestern Morgen darf ich jetzt wahre Hoffnung haben, die Reise nach Leipzig noch machen zu können. Erst seit gestern ist wahre Besserung da! Erst seit gestern Abend kann ich mich im Zimmer herumbewegen. Noch ist aber nur der Anfang der Besserung da. Es muß kein Rück-, kein Incidenzfall eintreten. Alles muß vortrefflich gehen, wenn es möglich werden soll, daß die Reise geschehe. Wie sehr ich aber auf diese Begünstigung der Glücksgöttin vertraue, sage Ihnen der Umstand, daß ich am Mittwoch unter den heftigsten Zufällen, die ich aber zu verschmerzen noch die Kraft hatte, mit Jemandem Abrede wegen der Zusammenreise nahm und diese beschlossen wurde; wir stehen jetzt selbst noch in Unterhandlung über den Kauf eines Reisewagens, dessen ich besonders sehr bedurfte für diesmal. Auf jeden Fall riskire ich freilich bei dieser Reise mein Leben oder den Verlust meiner Gesundheit für immer. Aber gibt es hierin eine Wahl? Kann ich hier bleiben, darf ich es, wenn nicht die gebieterischste Nothwendigkeit mich ans Krankenbette fesselt? Mein Körper ist sehr schwach. Meine Nerven sind in einem unglaublichen Grade gespannt und angegriffen; mein furchtbarer Seelenzustand ist die Ursache meiner Krankheit; diese fängt eben an, der sorglichsten Behandlung und aller Kunst meiner Aerzte zu weichen, und schon im ersten Genesen soll ich diesen zerrütteten schwachen Körper allen Beschwerlichkeiten und Gefahren einer solchen Reise aussetzen, wo ich auf schlechten Wegen, in rauher, kalter Witterung, und selbst des Nachts in der für mich unangenehmsten Lage des Körpers in elenden offenen Wagen (wenn wir den Reisewagen nicht kaufen) eine Reise von 150 Meilen machen soll! Indessen Pflicht und Ehre rufen mich, und ich werde nicht wanken, wenn nur die Elemente der Kraft dazu da sind. In den beiden letzten Briefen, die Brockhaus vor seiner Abreise von Amsterdam am 1. und 5. Mai an Bornträger schreibt, spricht er die zuversichtliche Hoffnung aus, daß seine Anwesenheit in Leipzig alles Geschäftliche in Ordnung bringen werde. Er sagt: Wie Alles werden, sich ordnen und lösen solle, weiß ich nicht, und um es zu wissen, müßte ich ein Halbgott sein .... Ich werde der Gefahr ruhig unter die Augen treten und von der Gegenwart etwas Erträgliches erkämpfen, für die Zukunft Besseres bereiten .... Ich habe hierüber wie über hundert andere Dinge sehr Vieles mit Ihnen zu sprechen. Besonders von der jetzt möglichen ganz neuen Einrichtung unsers Geschäfts habe ich Ihnen sehr wichtige Ideen mitzutheilen. Auf Sie, lieber Bornträger, vertraue ich Alles, und nur durch Ihre Mitwirkung können diese Ideen ausgeführt werden. Ich glaube indessen gewiß zu sein, daß bei ihrer Befolgung wir in ein paar Jahren sehr glücklich leben werden und keine der Sorgen mehr kennen, die uns Beiden jetzt das Leben verbittern. Mündlich von dem Allen .... Dies ist eine jener Maßregeln mit: Oekonomie ist die Basis des Mehrsten. Und die Unmöglichkeit, mich mit Oekonomie einrichten zu können, das Unermeßliche, was meine Haushaltung verschlang, der Kampf zwischen Gewohnheiten und nothwendigen Annehmungen, die _fierté_ meines persönlichen Charakters, der alle die Wege nicht paßten, die im jetzigen Berufe liegen -- dies war es, was mich gedrückt und zurückgebracht, mich ausgesogen hat. Aber noch ist für Alles Rettung, denke ich. Ich habe mit Ruhe auf meinem jetzigen Schmerzenslager einen neuen Geschäfts- und Lebensplan entworfen, in den Sie, lieber Bornträger, aber als ein nothwendiges Glied eingreifen. Sonst Niemand! Auf den 10. Mai setzt er nun seine Abreise von Amsterdam fest. Freilich fügt er hinzu: er werde wol abreisen können, aber ob er bis nach Leipzig komme, wisse der Himmel; er sei am Genesen, aber noch keineswegs wirklich genesen. Indessen scheint er glücklich und ohne neue Erkrankung in Leipzig angelangt zu sein, da sich kein weiterer Brief aus Amsterdam vorfindet, wohl aber ein von ihm schon am 18. Mai in Leipzig unterzeichnetes Actenstück. Ueber seinen Abschied von Amsterdam, das er nur noch einmal nach Jahresfrist auf kurze Zeit wiedersah, und über die Reise, auf der er wahrscheinlich Dortmund berührte, um seine Kinder wiederzusehen, ist uns nichts bekannt. 2. Vier Monate in Leipzig. Noch während der Buchhändlermesse in Leipzig eingetroffen, gelang es Brockhaus im Verein mit Bornträger alle geschäftlichen Verhältnisse rasch in Ordnung zu bringen und dadurch das vielfach gegen ihn entstandene Mistrauen zu beseitigen. Näheres darüber vermögen wir nicht zu berichten, da unsere Hauptquelle für diesen Zeitabschnitt, die Correspondenz mit Bornträger, während ihres Zusammenseins aufhört und Brockhaus keinen andern Vertrauten für seine geschäftlichen Mittheilungen hatte. Dagegen ist wenigstens ein von ihm unterzeichnetes Schriftstück aus dieser Zeit erhalten. Dasselbe trägt das Datum: Leipzig, 18. Mai 1810, und zeigt also, daß er, wie vorher erwähnt, an diesem Tage bereits in Leipzig anwesend war. Der Inhalt dieses Actenstücks ist in vieler Hinsicht interessant. * * * * * Die von uns schon mehrfach erwähnten Werke des Obersten von Massenbach, die Brockhaus verlegte, hatten in hohem Grade das Misfallen der preußischen Regierung erregt, besonders die »Memoiren zur Geschichte des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III.«, wovon 1809 die ersten drei Bände erschienen waren und lebhaften Absatz gefunden hatten. Es sollten noch drei weitere Bände folgen und der Verleger hatte dies bereits öffentlich angekündigt. Der vierte Band war auch bereits in der Druckerei von Mauke & Söhne in Jena bis auf die beiden letzten Bogen im Druck vollendet, als die herzoglich weimarische Regierung, wahrscheinlich auf Requisition der preußischen, die ganze Auflage in Jena mit Beschlag belegen ließ. Gleichzeitig kam der preußische Oberstlieutenant Gustav von Rauch nach Leipzig, um im Auftrage seiner Regierung den Verleger des Werks zur Verzichtleistung auf die fernere Veröffentlichung desselben zu bestimmen. Welche Gründe er dafür anführte, ist uns nicht bekannt, doch waren es jedenfalls solche, die keine Ablehnung zuließen, denn Brockhaus schloß mit ihm als dem Bevollmächtigen der preußischen Regierung einen diese Verzichtleistung aussprechenden Vertrag ab. Dieses ist das Actenstück vom 18. Mai 1810. In dem Vertrage wurde zunächst ausgesprochen: Brockhaus bewillige, daß der zwischen ihm und dem Obersten von Massenbach über jenes Werk abgeschlossene Vertrag aufgehoben und der Verfasser seiner contractmäßigen Verpflichtung, dasselbe complet zu liefern, entbunden werde; ferner, daß der vierte Band nicht erscheine oder im Publikum ausgegeben werde, vielmehr, daß alle davon gedruckten Exemplare mit Einschluß der an Brockhaus gesandten (in Amsterdam befindlichen) sogenannten Aushängebogen, ohne Ausschluß eines einzigen, an Herrn von Rauch abgeliefert würden. Sodann gab Brockhaus sein Ehrenwort, daß er nie und in irgendeinem Falle den Versuch machen werde, diese Memoiren fortzusetzen, und daß er die ihm darüber gemachten oder noch zu machenden Anerbietungen gänzlich abweisen werde. Dagegen übernahm Herr von Rauch die Bezahlung der Druckrechnung für den vierten Band sowie die Regelung des Honorarverhältnisses zwischen Brockhaus und dem Obersten von Massenbach, da letzterer von ersterm bereits das gesammte Honorar auch für die letzten drei Bände (in drei Wechseln, jeder zu 500 Thlr.) erhalten hatte. Brockhaus glaubte außerdem, und gewiß mit vollem Rechte, wie es in dem Vertrage heißt, »daß für die Unterbrechung der Herausgabe dieses Werks gerade in der Periode, wo es für den Haufen des Publikums ein höheres Interesse erhalten mußte, daß ferner für die Nichtvollendung des Werks, worauf er ansehnliche Kosten verwandt hat, die sich noch nicht rentirt haben können, weil das Werk noch nicht vollständig war, ihm eine Entschädigung gebühre«. Die Höhe dieser Entschädigung hatte er »als Kaufmann und als Hausvater nach dem billigsten Maßstabe festgesetzt«, doch stellte er dieselbe auf Wunsch des Herrn von Rauch, »im Fall Se. Majestät von Preußen diese Entschädigungssumme unbillig finden sollten, unbedingt der allerhöchsten Entscheidung Sr. Majestät anheim, womit er in jedem Falle zufrieden zu sein hiermit förmlich erklärt und also seine ad 1, 2, 3 und 4 gegebenen Versprechen durchaus zu erfüllen bereit ist«. Nur die Berichtigung einer Summe von 500 Thlrn., die Massenbach von Brockhaus noch zu fordern hatte, versprach Herr von Rauch jedenfalls zu übernehmen. Weiter wurde festgesetzt, es solle »zur Sicherung der mercantilischen Ehre des Herrn Brockhaus« in den öffentlichen Blättern eine Anzeige erlassen werden: »daß auf Intercession eines hohen Gouvernements die Verlagshandlung sich veranlaßt gefunden habe, die bereits im Werke begriffen gewesene Herausgabe des vierten Bandes der Massenbach'schen Memoiren zu unterdrücken, wie auch auf die Herausgabe des fünften und sechsten Bandes Verzicht zu thun«. Freiwillig hatte Brockhaus Herrn von Rauch noch mitgetheilt, daß er eine Anzahl Originalbriefe des verstorbenen regierenden Herzogs von Braunschweig von dem Obersten von Massenbach erhalten habe, welche in vieler Hinsicht höchst interessant wären und besonders den preußischen Staat beträfen; er erklärte sich zur Auslieferung derselben bereit, wenn dies verlangt würde. Schließlich verpflichtete sich Herr von Rauch, sobald als möglich, spätestens aber in Zeit von drei Wochen, über die mit Brockhaus gepflogenen Unterhandlungen bestimmte Auskunft zu ertheilen, während beide Theile sich verbindlich machten, »der Schicklichkeit und anderer verschiedener Rücksichten wegen« den Vertrag unter sich geheimzuhalten und solchen zu keiner weitern Kenntniß zu bringen. Ein zweites Actenstück über diese Angelegenheit liegt uns nicht vor, auch keine briefliche Aeußerung, und wir wissen also nicht, ob die vom Oberstlieutenant von Rauch versprochene weitere »Auskunft« und die Genehmigung des Vertrags durch den König von Preußen erfolgte, doch ist beides wol nicht zu bezweifeln. Jedenfalls aber hat Brockhaus das von ihm in loyaler Weise gegebene Versprechen auf das gewissenhafteste gehalten. Selbst als ihm in späterer Zeit ein Exemplar des vierten Bandes, so weit er gedruckt worden, zum Kauf angeboten wurde, wies er diesen Antrag, seines Wortes eingedenk, zurück. In den vierziger Jahren wurde von Berlin aus an die Firma das Ansuchen gestellt, die an dem vierten Bande eines Exemplars fehlenden Bogen zu ergänzen, was zu thun sie natürlich außer Stande war. Das Werk ist somit ein Torso geblieben (die ersten drei Bände sind noch jetzt im Buchhandel, da ihre Vernichtung, die ohnedem kaum ausführbar gewesen wäre, von der preußischen Regierung gar nicht verlangt wurde), und es liegt hier der seltene Fall vor, daß es gelungen ist, die theilweise bereits gedruckte Fortsetzung eines Werks vollständig der Oeffentlichkeit zu entziehen. Höchstens dürfte sich ein Exemplar an unzugänglicher Stelle in Berlin befinden. * * * * * Wir lassen gleich hier einen mehrere Monate nach der Verhandlung mit Herrn von Rauch geschriebenen und mit derselben nicht zusammenhängenden Brief des preußischen Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg an Brockhaus folgen, weil er eine ähnliche Angelegenheit betrifft. Der auch für Hardenberg's Charakterisirung wichtige Brief, aus Berlin vom 15. October 1810 datirt, also kurz nach der am 6. Juni erfolgten Erhebung Hardenberg's zum Staatskanzler nach Stein's Rücktritt geschrieben, lautet: Wohlgeborener, hochgeehrter Herr! Durch ein anonymes Schreiben bin ich benachrichtigt worden, daß in einem unter der Presse befindlichen Buche ein Artikel mit Privat-Anekdoten über mich abzudrucken beabsichtigt werde, und daß ich, wenn ich solches verhindern wolle, mich an Ew. Wohlgeboren unter Couvert des Herrn Buchhändler Rein in Leipzig wenden müsse. Ich erkenne zwar die gute Absicht, welche dem anonymen Schreiben zu Grunde liegt, sehr dankbar; aber warum wählte der Herr Schreiber dieses Briefs die Anonymität? Ich liebe sie nicht. Was die Anekdoten anbetrifft, womit man das Publikum über mich unterhalten will, so wünsche ich, mehr um des Verfassers als um meinetwillen, daß sie ungedruckt bleiben mögen, weil das wenige Wahre, was ihnen zum Grunde liegt, dergestalt mit ganz falschen Umständen und irrigen Folgerungen durchwebt und dadurch entstellt ist, daß dadurch das Ganze nothwendig gleich in dem verdächtigsten Lichte erscheinen muß. Ich scheue die Publicität gar nicht. Der rechtliche Theil des Publikums unterscheidet bald das Wahre und Glaubwürdige von dem Falschen und absichtlich oder leichtsinnig Verdrehten und Ausstaffirten. Mein Bewußtsein genügt mir als Mensch; es #muß# mir als Staatsmann genügen, da ich mich als solcher nicht vertheidigen #darf#. Um desto unedler ist aber der Angriff auf ganz unrichtige oder halbwahre Thatsachen und auf Grundsätze, die man nicht kennen und würdigen kann. So habe ich ganz falsche Darstellungen meiner politischen Handlungen und Ansichten betrachtet und werde sie forthin so betrachten. Hiernach überlasse ich es Ew. Wohlgeboren eigenem Gefühl, was Sie wegen Verhinderung des Drucks des gedachten Artikels oder dessen Einrückung in das erwähnte Buch veranlassen wollen, und beharre mit vollkommenster Hochachtung Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster Hardenberg. Das Buch, um welches es sich handelte, war jedenfalls die erst ein Jahr darauf, Ende 1811 (mit der Jahreszahl 1812), in Brockhaus' Verlage anonym und, wie es scheint, ohne Verlagsort oder unter der Firma »Peter Hammer in Köln« erschienene Schrift, die ihm auch andere Unannehmlichkeiten zuzog: »Handzeichnungen aus dem Kreise des höhern politischen und gesellschaftlichen Lebens. Zur Charakteristik der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«, in welcher ein Abschnitt »Minister Hardenberg« enthalten ist. Weshalb Brockhaus den Wunsch des Staatskanzlers nicht erfüllte, ist uns nicht bekannt, da weder seine Antwort auf obigen Brief noch irgendeine weitere Notiz darüber vorliegt. Jedenfalls war es die erste Berührung, die Brockhaus mit dem lange Jahre allmächtigen Staatskanzler Preußens hatte, und wenn sich daran auch zunächst keine weitern Folgen knüpften, während er später mit demselben in für ihn sehr verhängnißvolle Conflicte gerieth, so ist in ihr doch vielleicht die erste Ursache zu letztern zu suchen. * * * * * Nachdem Brockhaus die mit der Ostermesse zusammenhängenden Arbeiten erledigt und seine Beziehungen mit den Buchhändlern, Buchdruckern und Schriftstellern in Leipzig und dessen Nähe geordnet hatte, ging er mit Eifer an die Regelung seines Geschäfts in Amsterdam. Es war ein eigenthümliches Verhältniß: er selbst nebst seinem vertrautesten Commis in Leipzig, mit der Absicht, hier zu bleiben und seine Verlagsunternehmungen von diesem dazu so viel geeignetern Mittelpunkte des deutschen Buchhandels aus zu leiten; sein eigentliches buchhändlerisches Geschäft, wenigstens der den Sortimentsbuchhandel betreffende Theil desselben, unter der Firma Kunst- und Industrie-Comptoir fortwährend noch in Amsterdam, unter der Leitung eines zweiten Gehülfen, Krieger, der durchaus nicht sein volles Vertrauen besaß. Er blieb zwar bei seinem Entschlusse, das amsterdamer Geschäft aufzulösen, und sah auch bald ein, daß es für ihn am besten sei, den Sortimentsbuchhandel ganz aufzugeben und nur das Verlagsgeschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Aber mit welchen Schwierigkeiten war das verbunden, mit welchen unvermeidlichen Verlusten! Er selbst mochte nicht wieder nach Amsterdam zurückkehren, das ihm seit dem Tode seiner Frau und nach seiner letzten Krankheit ganz verleidet worden war und wo ihm außerdem wegen des Hiltrop'schen Processes und der früher von uns kurz erwähnten Geldgeschäfte mit zwei französischen Emigranten persönliche Unannehmlichkeiten drohten. Es blieb kein anderer Ausweg übrig: Bornträger mußte sich entschließen, wieder nach Amsterdam zu gehen, um dort zu retten, was noch zu retten war, die ausstehenden Forderungen einzutreiben und das Sortimentsgeschäft bestmöglich zu verkaufen. Aber auch dies hatte seine besondern Schwierigkeiten. Bornträger erkannte in dem Antrage, den ihm Brockhaus machte, einen großen Beweis von Vertrauen seitens seines Principals, die beste Anerkennung seiner bisherigen Leistungen. Die Annahme schloß aber, ganz abgesehen von der großen Verantwortlichkeit, eine persönliche Gefahr für ihn ein. Unter seinem wirklichen Namen Bornträger in Amsterdam vielfach gekannt, sollte er nun unter dem von ihm angenommenen Namen Friedrich Schmidt dort auftreten, mit denselben Leuten in Berührung kommen, die sich seiner aus der Zeit seines frühern dortigen Aufenthalts noch erinnern mußten, und selbst die Vermittelung der Behörden in Anspruch nehmen. Wie leicht konnte er von den Franzosen denuncirt werden und der ihm dann drohenden harten Strafe als _conscrit réfractaire_ verfallen. Doch jugendlicher Muth sowie Anhänglichkeit an seinen Principal, dem er sich vielfach zu Dank verpflichtet fühlte und dessen verstorbener Frau er als seiner mütterlichen Freundin das treueste Andenken bewahrte, bewogen ihn, jenem Wunsche nachzugeben. Er verließ Leipzig und langte am 15. August glücklich in Amsterdam an. Schon am 7. August schreibt Brockhaus wieder an ihn, wenn auch, wie er sagt, der Brief wol früher als der Empfänger in Amsterdam sein werde. Er verspricht ihm, mit nächster Post eine provisorische Cessionsacte zu schicken, wahrscheinlich damit Bornträger formell als Eigenthümer des Geschäfts erscheine, und wünscht ihm Muth und Kraft. Am 11. August schreibt er: Es bedarf wol keiner Erinnerung von mir, daß da, wo sich Gelegenheit findet, von meinen hiesigen jetzigen und künftigen Verhältnissen, wenn auch gewiß nicht ruhmredig, doch mit einer gewissen _assurance_ und Bedeutung muß gesprochen werden. Am folgenden Tage bittet er ihn, in Amsterdam Niemand zu sagen, daß er in Leipzig sei, sondern etwa, er wohne in Weimar oder Dresden. Damit stimmt überein, wenn er ihn kurze Zeit darauf veranlaßt, in die amsterdamer Blätter folgende Anzeige zu setzen: Die jetzigen Zeitumstände und meine bekanntlich veränderten häuslichen Verhältnisse bewegen mich, vor der Hand nicht persönlich nach Amsterdam zurückzukehren. Indem ich meinen Freunden und Bekannten hiervon Nachricht gebe, ersuche ich Diejenigen, welche noch etwa Forderungen an mich haben möchten, solche Herrn N. N. aufzugeben, durch welchen sie, wenn solche richtig, auch baldigst ihre Bezahlung erhalten werden. Weimar. Friedrich Arnold Brockhaus. Als Bevollmächtigter soll ein amsterdamer Advocat, den Bornträger unter mehrern ihm vorgeschlagenen auszuwählen hat, genannt werden; gleichzeitig soll Bornträger an alle Correspondenten des Geschäfts, damit diese und das Publikum nicht glauben, als ob das Geschäft ganz aufhören werde, ein Circular etwa folgenden Inhalts richten: Amsterdam, ..... Herr Brockhaus, der seither unser hiesiges Sortimentsgeschäft dirigirt hat, wird sich in Zukunft unserm Verlagsgeschäfte in Deutschland widmen. Um Misverständnissen hierüber vorzubeugen, zeigen wir hiermit an, daß hierdurch nicht die geringste Veränderung in unserm hiesigen Geschäfte entstehen, sondern dasselbe mit der nämlichen Thätigkeit wie seithero unter der Direction von dem Mitunterzeichneten, Friedrich Bornträger genannt Schmidt, wird fortgesetzt werden. Friedrich Bornträger genannt Schmidt wird unterzeichnen: Kunst- und Industrie-Comptoir. Kunst- und Industrie-Comptoir. Friedrich Schmidt. Auffallend ist in diesen Veröffentlichungen, daß Bornträger's früher so streng gehütete Pseudonymität auf einmal aufgegeben wird, und ferner, daß Brockhaus Weimar statt Leipzig als seinen Aufenthaltsort angibt. Letzteres hatte wol darin seinen Grund, daß er sich vor persönlichen Behelligungen infolge der vorher erwähnten Processe schützen wollte. Uebrigens war er auch noch nicht fest entschlossen, in Leipzig zu bleiben; er schwankte zwischen mehrern Orten und schreibt in dieser Zeit einmal an Bornträger: er wolle nächstens nach Berlin reisen, und es sei auch gar nicht unwahrscheinlich, daß er sich vielleicht dort ganz fixiren werde. * * * * * Brockhaus war seit Bornträger's Abreise aus Leipzig unablässig bemüht, Klarheit in seine Verhältnisse zu bringen und vor allem über den Stand des amsterdamer Geschäfts klar zu werden. Bornträger widmete sich zwar der ihm übertragenen schweren Aufgabe mit vollem Eifer, vermochte sie aber doch nicht vollständig zu lösen. Die ihm von Brockhaus übersandte Cessionsurkunde trug er Bedenken zu unterzeichnen, obwol ihm sein Principal wiederholt versicherte, daß dies ungefährlich sei und Niemand dadurch benachtheiligt werde. Auch war der bisherige zweite Gehülfe in Amsterdam, Krieger, von Bornträger bald nach seiner Rückkehr in Brockhaus' Auftrage entlassen worden, da er seit des Letztern Abreise von Amsterdam die dortigen Geschäfte durchaus nicht zu dessen Zufriedenheit besorgt hatte, und Bornträger mochte Mühe haben, allein fertig zu werden. Unter diesen Umständen verwickelten sich die Verhältnisse immer mehr, statt sich zu klären, und es entsprangen daraus auch für Brockhaus persönliche Unannehmlichkeiten der gefährlichsten Art. Er hatte an die Gleditsch'sche Buchhandlung in Leipzig einen auf sein amsterdamer Haus ausgestellten Wechsel gegeben, der noch vor Bornträger's Ankunft in Amsterdam präsentirt und von dem zweiten Gehülfen Krieger zurückgewiesen wurde, obwol die Deckung dafür von Brockhaus eingesandt worden war. Daraus entstanden die ärgerlichsten Verhandlungen, die schließlich Brockhaus veranlaßten, am 17. September Leipzig zu verlassen und sich nach Altenburg zu wenden. * * * * * So wurde nicht Leipzig, wie er gehofft hatte, sondern Altenburg der Rettungshafen, in dem er Schutz suchte vor den auf ihn anstürmenden Wogen, die sein kühn aufgebautes und mit Beharrlichkeit gegen mancherlei Stürme glücklich vertheidigtes Lebensschiff plötzlich, als er schon ganz nahe am Ziele zu sein glaubte, völlig zu Grunde zu richten drohten. Und hier endlich, wo er mit kurzen Unterbrechungen die Zeit vom September 1810 bis Ostern 1817 zubrachte, sollte er, wenn auch nicht die ersehnte Ruhe, die ihm überhaupt eigentlich nie im Leben beschieden war, doch den festen Grund finden, auf dem er das Gebäude seines Geschäfts endlich dauerhaft begründen konnte. Zunächst freilich schlugen die Wogen fast über ihm zusammen, und diese Zeit, wol die allertrübste seines schweren Lebens, haben wir noch vor der Schilderung seiner Niederlassung in Altenburg vorzuführen. Sie knüpft sich an den Namen einer Frau, die in verhängnißvoller Weise in sein Leben eingriff. 3. Beziehungen zur Hofräthin Spazier. Als Brockhaus am 18. September 1810 Altenburg zum ersten male betrat, geschah dies in Begleitung einer Freundin, an die er sich seit dem Tode seiner Frau mehr und mehr angeschlossen, die während der letzten vier Monate in Leipzig seine treue Beratherin gewesen war und ihn auch in der Stunde der Gefahr nicht verließ. Es war dies die Hofräthin Spazier, die bald seine erklärte Braut werden sollte. * * * * * Minna Spazier, mit ihrem vollen Vornamen Johanne Karoline Wilhelmine und nach ihrem zweiten Manne gewöhnlich Uthe-Spazier genannt, von der wir bisher meist nur als Herausgeberin des Taschenbuchs »Urania« zu sprechen hatten, lebte seit dem Tode ihres Mannes, des am 19. Januar 1805 in Leipzig verstorbenen Hofraths _Dr._ Karl Spazier, Herausgebers der »Zeitung für die elegante Welt«, zuerst in Neustrelitz, dann wieder in Leipzig. Sie war die zweite Tochter des Geh. Tribunalraths Mayer in Berlin und daselbst am 10. Mai 1779 (oder 1777) geboren. Ihre ältere Schwester, Karoline, war an Jean Paul Friedrich Richter in Baireuth verheirathet, die jüngere, Ernestine, die aber schon 1805 starb, an den Hofrath August Mahlmann in Leipzig, der nach dem Tode seines Schwagers Spazier die »Zeitung für die elegante Welt«, später (1810-18) zugleich die »Leipziger Zeitung« redigirte und sich auch als Dichter einen Namen gemacht hat. Mit ihren beiden Schwägern stand sie in guten Beziehungen, und wurde von ihnen auch in ihrer literarischen Thätigkeit unterstützt. Sie war Mitarbeiterin an verschiedenen Zeitschriften, gab seit 1801 das »Taschenbuch der Liebe und Freundschaft« heraus, redigirte die ersten beiden Jahrgänge (1810 und 1812) des von Brockhaus begründeten Taschenbuchs »Urania«, übersetzte die von Frau von Staël französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« (Leipzig 1812) und die »Briefe der Lespinasse« (2 Bände, Elberfeld 1810), die von Jean Paul günstig recensirt wurden, und gab später auch eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel: »Sinngrün, eine Folge romantischer Erzählungen, mit Theilnahme Jean Paul Richter's und einiger deutscher Frauen Unterstützung« (Berlin 1819) heraus. In Leipzig bewegte sie sich in den literarischen Kreisen und war namentlich mit dem als Uebersetzer bekannten Adolf Wagner (dem Onkel Richard Wagner's) und dem Dichter August Apel befreundet. Auch mit Varnhagen von Ense und dessen Gattin Rahel war sie näher bekannt. Ersterer[39] schildert sie (1807) als »eine schriftstellernde, lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau« und fügt hinzu: Sie bekannte mir ihre ganze Lage, wie ihr Witwenstand sie dazu dränge, sich irgendwo wieder anzuschließen, wie sie einige Bande leichter Neigung festzuhalten gesucht, aber noch unentschieden zwischen mehrern schwanke, die einstweilen gleicherweise von ihr begünstigt wurden; auch ich sollte diese Begünstigung erfahren und an solchem Band oder Bändchen mich gehalten fühlen, allein ich war durch so viele scharfe Geschichten abgehärtet genug, um diesmal ohne Zagen die noch schwachen Fäden gleich wieder abzureißen, obgleich mehr gebunden war und zerrissen wurde, als ich damals ahndete und nachher glauben wollte. Außer durch reichen Geist und Liebenswürdigkeit war sie auch durch hervorragende Schönheit ausgezeichnet. Brockhaus hatte sie schon im Herbste 1808, als er Leipzig zum ersten male als Buchhändler besuchte, kennen gelernt und, wie es scheint, schon damals mit ihr wegen Herausgabe der »Urania« verhandelt. In einem von ihm an Bornträger in Leipzig gerichteten Briefe aus Amsterdam vom 27. Februar 1809 finden wir sie zum ersten male erwähnt. Während der Ostermesse 1809 verkehrte er viel mit ihr in Leipzig wegen der »Urania«. Als Bornträger im Spätherbst 1809 wieder nach Leipzig reist, schickt Brockhaus wichtige Geschäftsbriefe statt an seinen bisherigen dortigen Commissionär Weigel an seine »Freundin«, die Hofräthin Spazier, und weist Bornträger an, die Briefe bei ihr in Empfang zu nehmen. Der betreffende Brief an Bornträger ist am 30. November 1809, also kurz vor dem (am 8. December) erfolgten Tode seiner Frau geschrieben, und bald nach diesem, in den früher von uns erwähnten Briefen vom 19. und 23. December, nennt er sie seine »wahre Freundin«, der Bornträger ganz vertrauen könne, und fordert ihn auf, in Leipzig zunächst Niemand als sie zu besuchen. Bornträger scheint ihr indeß doch nicht so vollständig wie Brockhaus vertraut und diesen selbst vor ihr gewarnt zu haben, namentlich wol unter Hinweisung auf ihren, auch von Varnhagen erwähnten vertrauten Verkehr mit Andern. Darauf bezieht sich folgende Antwort von Brockhaus in einem Briefe vom 21. Januar 1810: Ich habe noch ein Wort im Vertrauen mit Ihnen zu sprechen über mein Verhältniß zur Hofräthin. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß dies Verhältniß sehr innig sein müsse. Dies ist es. Ich glaube an ihr eine treue und edle Freundin zu haben im ganzen Umfange des Worts. Ich bin von Weibern und Männern in der Welt oft getäuscht worden, ich glaube nicht, daß sie mich täuschen wird. Ich weiß es, daß ihr, wie fast Jedem widerfährt, der sich von der Landstraße des Gemeinen entfernt, vom geschwätzigen Publikum vieles Ueble nachgesagt wird oder ist nachgesagt worden, und ich glaube selbst, daß Manches davon nicht ungegründet sein mag. Mich kümmert das aber nicht. Ich werfe darum keinen Stein auf sie, sondern frage nur: ist sie dir als treue und biedere Freundin getreu? Ist und bleibt sie das, so kümmert mich nichts weiter. Ihre Sorge, guter Bornträger, sei nur, dieses zu beobachten. Finden Sie dies nach Ihrem unbefangenen Sinne bestätigt, so vertrauen Sie ihr, wie ich ihr vertraut habe und noch vertraue. Finden Sie es aber nur nach Ihrer Ansicht anders, so überlasse ich Ihnen, wie Sie handeln wollen, und mache Ihnen nur das zur Pflicht, mich nicht eher von Ihren Gegenideen zu unterhalten, bis Sie eine wenigstens relative Art von Gewißheit über diese Ansichten möchten erworben haben. Noch füge ich hinzu, daß mein Verhältniß zur Hofräthin in Zukunft nie einen andern Charakter erhalten kann, als den es jetzt hat. Nach diesem Briefe dachte Brockhaus damals gewiß noch nicht daran, Frau Spazier zu heirathen. Noch deutlicher geht dies aus einem folgenden Briefe vom 16. März hervor, in dem es heißt: Er beabsichtige in Leipzig wieder eine kleine Haushaltung anzufangen und zwei seiner (eben in Dortmund untergebrachten) Kinder abwechselnd um sich zu haben, wozu er eine Haushälterin suche, die gebildet genug sei, auch das häusliche Leben etwas erheitern zu können; heirathen werde er nicht wieder, aus Gemüths- und aus Verstandesgründen. In einem der nächsten Briefe freut er sich, Bornträger melden zu können, daß die Hofräthin auch ihn, der mit ihr so viel zu verkehren hatte, liebgewonnen habe. Freilich findet sich auch einmal ein Zeichen von Mistrauen gegen sie, indem er unterm 1. Mai 1810 schreibt: Die Entschuldigung der Hofräthin gegen Varnhagen war nicht edel, und nur eigene drückende Verlegenheit kann sie dafür entschuldigen in etwas. Ich vertraue auf die Hofräthin viel, ob zu viel, wird die Zeit würdigen. Seit seiner bald nach diesem Briefe in den ersten Tagen des Mai erfolgten Ankunft in Leipzig trat er allerdings in ein näheres Verhältniß zu ihr; aus dieser Zeit, bis zu der Anfang August erfolgten Abreise Bornträger's nach Amsterdam, fehlt indeß jede intimere Correspondenz, die darüber Aufschluß geben könnte. Jedenfalls war er bald darauf fest entschlossen, sie zu heirathen. Schon in dem ersten an Bornträger nach Amsterdam gerichteten Briefe vom 7. August heißt es: »Minna und ich werden Ihnen ewig danken, wenn Sie dort mit Mannessinn handeln«; am 11. August schreibt er: »Sobald wir hier einigermaßen rangirt sind, reisen wir bestimmt nach Berlin« (wo ihr Vater wohnte), und trägt Bornträger auf, aus den Musikvorräthen des amsterdamer Sortimentsgeschäfts zu schicken »was für Minna's Studien paßt«, besonders Guitarrenmusik; am 25. August endlich sagt er: »Von Berlin haben wir von Minna's Vater sehr angenehme Nachrichten jetzt, und wir wünschten nun bald hinreisen zu können.« Bornträger machte den Versuch, ihn von der Heirath, der er von Anfang an entgegen war, abzuhalten, und wählte dazu ein Mittel, das er bei dem ihm wohlbekannten edeln Charakter seines Principals für das wirksamste halten mochte. Er schrieb ihm in einem Briefe (dessen Concept uns jedoch nur vorliegt): Nun noch eine Bitte, die nicht mich betrifft, die ich aber auf die Gefahr, Sie zu erzürnen, wage, die Sie aber lesen müssen. Niemand kann den Werth der Frau, die Sie an Ihr Leben und Ihr Schicksal fesseln wollen, besser erkennen als Sie, und Niemand kann den Stand Ihrer eigenen Geschäfte wieder besser kennen als Sie. Seien Sie einmal ehrlich gegen sich selbst und thun Sie nicht eher einen Schritt, von dem das Glück eben dieser Frau ganz abhängt, als bis Sie sicher sind, daß Ihnen Beiden kein Unglück mehr droht. Sie wissen, wie Vieles noch unentschieden ist. Sie wissen, wie viel auf dem Spiele steht. Warten Sie den Erfolg erst ab, ehe Sie handeln -- wie edel und wie uneigennützig die Frau denkt, wissen Sie; sollte sie es wol verdienen, dieses Alles büßen zu müssen? Brockhaus antwortete auf diese wohlgemeinte und verständige Warnung zwar nicht erzürnt, aber doch ausweichend unterm 28. August: In dem, was Sie mir über Minna sagen, erkenne ich Ihr gefühlvolles theilnehmendes Freundesgemüth. Ich danke Ihnen dafür. Ich vertraue und glaube, Alles wird wohl werden. Nur Muth, Thätigkeit und festes Wollen, moralisch gut zu handeln! Ich und Minna vertrauen für dort auf Sie. Vertrauen Sie auf uns! Am 1. September meldet er: »Minna ist diese Woche recht krank gewesen, seit heute aber wieder wohler«, und einige Tage darauf fügt er hinzu: »Mit unserer Heirath eilt es und eilen wir nicht.« * * * * * So standen die Sachen, als sich Brockhaus am 17. September 1810 entschloß, Leipzig zu verlassen und nach Altenburg überzusiedeln. Wir knüpfen hier den früher unterbrochenen Faden der Erzählung seiner nächsten Lebensschicksale wieder an. Brockhaus schreibt an Bornträger noch an jenem Tage aus Leipzig in einer Nachschrift zu einem längern Briefe: Unsere Schicksalsstunde hat geschlagen .... Wir reisen diese Nacht ab. Nach Altenburg. Gott erhalte uns und die edle Minna, die wie eine Römerin jetzt begeistert ihr Schicksal zu dem meinigen machen will. Nur als meine Gattin kann Minna mein Schicksal theilen. Wir werden thun, was denkbar ist, aber das Schicksal ist schwer. In Altenburg kannte Brockhaus den Kammerverwalter Ludwig (mit dem er 1808 in Leipzig zusammengetroffen war), den Buchhändler _Dr._ Pierer und den Kriegsrath von Cölln, der jetzt hier lebte und den er erst kurz vorher in Leipzig persönlich kennen gelernt hatte, obwol er an dem Verlage seiner »Vertrauten Briefe über den preußischen Hof« mit betheiligt war. Er schreibt über ihn: Dieser ist ein tüchtiger Mensch und voller _liaisons_ und Ideen. Auf seine Verlagsanerbietungen sind wir nicht entrirt und sind darum um so freier. Er hat sich aber sonst sehr an uns attachirt, und seine genaue Freundschaft mit Schnorr[40] ist uns auch Bürge mit, daß er ein in sich rechtlicher Mensch ist. Mit diesen Männern, die ihn sehr freundlich aufnahmen, und mit dem Hofgerichtsadvocaten Ferdinand Hempel, den ihm Pierer zuführte und der bald sein vertrautester Freund und Rathgeber wurde, besprach Brockhaus seine Lage, und ihrem Rathe folgend entschloß er sich zu dem verzweifelten, aber den Umständen nach gerechtfertigten und praktischen Ausweg: sein Geschäft an seine zukünftige Braut zu verkaufen. Er glaubte sich dann mit seinen Creditoren leichter arrangiren zu können, ohne befürchten zu müssen, durch sofortiges Einschreiten einzelner derselben der Möglichkeit, alle zu befriedigen, beraubt zu werden. Der Kaufvertrag wurde am 5. resp. 6. October abgeschlossen, Kammerverwalter Ludwig zum Curator der neuen Besitzerin, Hempel zu Brockhaus' Vertreter ernannt. Die Betheiligten reisten nach Leipzig, um die Uebergabe des Geschäfts an die neue Besitzerin zu vollziehen, zuerst Ludwig mit Frau Spazier, am nächsten Tage Hempel, einen Tag später Brockhaus selbst. Die Uebergabe ging ohne besondere Schwierigkeiten von statten. Die hierüber erlassenen Anzeigen und Circulare dürfen als zur Geschichte der Firma F. A. Brockhaus gehörig, zumal das Geschäft dadurch sogar eine neue Firma erhalten sollte, an dieser Stelle nicht fehlen, obwol zweifelhaft ist, ob sie in die Oeffentlichkeit gelangten, und es außerdem nur ein Scheinkauf war, der bereits zehn Tage darauf, am 16. October, von den Betheiligten wieder aufgehoben wurde. Die zwei in Altenburg gedruckten Anzeigen, die uns in dem von Brockhaus an Bornträger gesandten Exemplare (in Circularform) vorliegen, lauten: Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810. Als Eigenthümer der unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir, bekannten Verlags- und Sortiments-Buchhandlung zeige ich hiermit an, daß ich diese Handlung mit allen Vorräthen, Verlags-Rechten und sämmtlichen Activ-Schulden an die Witwe Hofräthin Spazier, geb. Mayer, verkauft habe; hiernächst aber die Liquidation der Passiven, insofern diese nicht durch Gegenrechnungen, so weit sich solche bis _à dato_ in den Handlungsbüchern verzeichnet finden, ausgeglichen werden könnten, mir selbst vorbehalte. Friedrich Arnold Brockhaus. ----- Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810. Indem ich Obiges bestätige, füge ich hinzu, daß in Verbindung mit mehrern Freunden eine neue Buchhandlung, unter der Firma: Typographisch-litterarisches Institut in Amsterdam und Leipzig, errichtet ist, von welcher Firma hinführo der seitherige Verlag des Kunst- und Industrie-Comptoirs allein wird zu erhalten sein. Es verbittet sich dies neue Geschäft jedoch einstweilen, bei den in Holland eintretenden Veränderungen in Rücksicht des deutschen Buchhandels, alle und jede Zusendung von Novitäten, bis es darüber etwas Näheres anzeigen wird, und begnügt es sich vorläufig mit dem Empfange der Continuationen, um deren prompte Zusendung gebeten wird. Was die Sortiments-Handlung des neuen Geschäfts gebrauchen möchte, wird es für feste Rechnung verlangen. Das, was von heute an noch für das Kunst- und Industrie-Comptoir eingeht, wird von dem Typographisch-litterarischen Institute verrechnet werden. Die Herren W. Rein und Comp. in Leipzig haben die Güte, die Commission für dieses neue Geschäft zu übernehmen, und ich ersuche dieserhalb, die mir als Käuferin des Kunst- und Industrie-Comptoirs competirenden Saldo-Reste und alles Weitere diesen unsern Commissionärs zuzustellen. Johanne Caroline Wilhelmine, Witwe Hofräthin Spazier, geb. Mayer. ----- Das in Amsterdam gleichzeitig in deutscher und holländischer Fassung gedruckte Circular lautet in ersterer: Leipzig und Amsterdam, 5. October 1810. Ich zeige Ihnen hiermit an, daß ich die Direction und meinen Theil an dem seit 1806 hier in Amsterdam wie in Leipzig, unter der Firma von Kunst- und Industrie-Comptoir, bestanden habenden Buchhandlungs-Etablissement abgegeben und an die Hofräthin Witwe Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer, unter heutigem Dato verkauft habe, wodurch diese alleinige Eigenthümerin beider Geschäfte mit allen Vorräthen, Verlagsrechten und ausstehenden Activ-Schulden geworden ist. F. A. Brockhaus. ----- Indem ich Obiges bestätige und hinzufüge, daß ich für Amsterdam Herrn F. Schmidt zu meinem Commissionär ernannt, und ihn mit allen nöthigen notariellen Vollmachten versehen habe, an den Sie sich also von jetzt an, in Rücksicht alles dessen was Ihre Verhältnisse zum ehemaligen Kunst- und Industrie-Comptoir betrifft allein wenden, und dem, was von ihm darin geschieht, ganzen Glauben beimessen wollen, zeige ich zugleich an, daß ich künftig allein das Verlagsgeschäft und zwar unter der Firma Typographisch-litterarisches Institut in Leipzig fortführen, hingegen die in Amsterdam bestehende Sortiments-Buchhandlung aufheben werde, weil der deutsche Buchhandel durch die franz. Gesetze sehr beschränkt und gehemmt werden wird, und derselbe ohne gänzliche Freiheit nicht mit Vortheil bestehen kann. Um nun mein daselbst vorhandenes großes Lager noch möglichst verkleinern zu können, biete ich Ihnen hierdurch alles ohne Ausnahme, was Sie noch von den vorräthigen Artikeln, nach unsern bereits erhaltenen Katalogen, zu acquiriren wünschen, gegen comptante Zahlung mit 33 1/3 p. Ct. Rabatt an, doch erbitte ich mir Ihre Orders so bald als möglich, da sie späterhin nicht gut mehr möchten ausgeführt werden können. Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer. ----- Mit vollem Rechte konnte Brockhaus am 21. October an Bornträger schreiben: der kühne Schritt sei gelungen und das Geschäft gerettet; jedermann habe eingesehen, daß der Verkauf fingirt sei; derselbe habe deshalb gesetzmäßig umgestoßen werden können, wenn man den Verdacht der Insolvenz gehegt hätte, das sei aber glücklicherweise nicht der Fall, wie auch kein Grund irgendwelcher Art zu einem solchen Verdacht vorliege. Ueber die Einwirkung aller dieser Verhältnisse auf seine dadurch scheinbar so viel näher gerückte Heirath schreibt Brockhaus an Bornträger unterm 14. October: Was unter diesen Umständen aus unserer Verbindung werden wird, weiß Gott! Es versteht sich von selbst, daß sie nicht eher statthaben darf, bis sie einigermaßen geordnet sind. Für mich fürchte ich in Rücksicht meiner Gesinnungen nichts, da mir Minna theurer wie mein Leben ist und ich höchst unglücklich sein würde, wenn ich sie verlöre. Von der andern Seite denke ich aber auch zu zart, als daß ich auch nur auf die leiseste Weise Ueberredung gebrauchen möchte, im Fall ich auch nur einigermaßen ahnden könnte, als seien ihre Gesinnungen und ihre Liebe verändert. Ich begreife vollkommen, wie diese Geschichten alle auf sie influenciren müssen, und wie es geschäftige Rathgeber geben wird, die ihr die Verhältnisse und mich mit Farben darstellen, die sie sicher ängstlich machen müssen. Haben sich solche Rathgeber ja auch bei mir eingefunden in Rücksicht auf sie. Man muß ihre und meine Verhältnisse so genau und in allen ihren hundertfältigen Beziehungen kennen, als Sie es thun, muß wissen, wie isolirt und verloren wir Beide standen und getrennt wieder stehen würden, man muß unsere achtzehnmonatliche genaue und innige Freundschaft kennen, man muß dies Alles genau wissen, um unser Verhältniß ganz würdigen zu können .... Ich werde Minna nie freiwillig und aus Gründen, die in mir selbst liegen könnten, verlassen. Ich kann es nicht, und ich würde es für ein Verbrechen halten, wenn ich es wollen könnte. Aber ich werde sie verlassen, sobald sie es wünscht, und gehe ich darüber auch, wie ich voraussehe, ganz zu Grunde. Dies habe ich ihr auch mehrmalen in schweren Momenten gesagt! Sie hat bisher immer erklärt, daß sie ihr Leben dem meinigen unzertrennlich anschließen werde. Wenn das ihre Gesinnung bleibt, so glaube ich, daß Alles wohl und gut enden werde und enden könne. Voneinander getrennt, glaube ich aber, daß sie wie ich moralisch und bürgerlich werden zu Grunde gehen .... Noch gereicht mir sehr zur Beruhigung, daß ich auch bei aller meiner innigen Liebe, ja Anbetung für sie mich dennoch lange, wie Sie es selbst wissen, sehr lange gesträubt habe, ehe ich zu einer Verbindung mich entschlossen habe, und daß die Initiativen dazu nicht von mir, sondern von ihr selbst ausgegangen sind. Auch hat sie das Verhältniß meiner Handlung im ganzen gekannt wie es ist. Nach einigen Wochen, die er in der eifrigsten Thätigkeit für Ordnung seiner Angelegenheiten und in angenehmem Verkehr mit seinen neuen Bekannten in Altenburg verbrachte, äußert er gegen Bornträger unterm 10. November: Ich habe Ihnen letzthin viel über meine und Minna's Verhältnisse geschrieben. Sie haben sich wieder enger als je geknüpft, und sobald die bürgerlichen Schwierigkeiten besiegt sind, werden wir heirathen. Seit acht Tagen leidet sie erstaunlich an Krämpfen, ist seit heute etwas wohler, aber noch unendlich krank und schwach. Uebrigens sind wir sehr geneigt, wenn Alles erträglich geht, uns hier zu fixiren. Altenburg ist ein Ort von circa 10-12000 Einwohnern, wo sich die Langeweile der ganz kleinen Städte nicht findet und wirklich ein sehr angenehmer Ton herrscht. Es gibt höchst interessante Cirkel, und Minna, die in mehrern Jahren in Leipzig beinahe keinen Menschen mehr sah, ist wie in einer neuen Welt, wo sie durch ihre Talente und ihren Geist sehr geschätzt ist. Das Reichenbach'sche Haus, mit Reichenbach's zwei höchst interessanten verheiratheten Schwestern, einer Madame Hoffmann und Madame Pierer, und das von Ludwig, der einen Engel an Weib und reich an Talenten zur Frau hat, bilden den Centralpunkt der bessern gesellschaftlichen Cirkel, worin Minna auch aufgenommen ist und ich es bin, wie ich es wollen werde. Man kann mit 1000 Thlr. hier ein ganz anständiges Haus machen und wird nicht blos, wie in Amsterdam und in Leipzig, nach dem, was man mit Geld wiegt, gewogen. Ueberhaupt ist das Land von allen Kriegsverheerungen beinahe ganz verschont geblieben und ist unter der sanften Gothaischen Regierung wol noch eins der glücklichsten Ländchen, die es in dem jetzigen Sturme aller Verwirrung geben mag. So aufs neue Hoffnung schöpfend und mitten unter Stürmen dem ihm vorschwebenden bescheidenen Ziele ganz nahe, wurde Brockhaus abermals und in der entsetzlichsten Weise vom Schicksale getroffen, das wie ein Blitz aus der schwülen Luft, die ihn umgab, herniederfuhr: seine Braut -- wurde wahnsinnig! Und wenn sie auch wieder genesen sollte, sie war auf immer für ihn verloren! Mit ergreifenden Worten schildert er selbst diese Vorgänge in einem Briefe an Bornträger vom 21. November: Wo soll ich Worte hernehmen, um Ihnen den namenlosen Jammer auszudrücken, worin ich gestürzt bin! O Gott! welch ein fürchterliches Schicksal verfolgt mich, und wie wird sich Alles noch enden! Mein letzter Brief an Sie war vom 9./11. November. Seit der Schreibung desselben habe ich von Ihnen auch weiter keine Nachrichten erhalten, sodaß also wohl morgen mehrere Briefe zusammen von Ihnen eintreffen werden. Aber wo würde ich auch den Muth und die Zeit hergenommen haben, Ihnen etwas sagen zu können? Wo nehme ich ihn jetzt her, am Abend der fürchterlichsten Katastrophe meines Lebens? Schon in meinem letzten Briefe muß ich Ihnen gesagt haben, daß Minna krank sei. Sie ist es geblieben -- sie ist es noch -- sie ist -- entsetzen Sie sich nicht -- sie ist -- wahnsinnig! Ich vermag es nicht, Ihnen den ganzen Hergang der fürchterlichen Krankheit zu erzählen. Etwa gegen den 1. d. M. fing es mit einem Gliederreißen an. Aus dem Gliederreißen wurde ein rheumatisches Fieber; dieses artete in ein nervöses aus, es kamen hysterische Zufälle -- lebhaftes Phantasiren -- Irrereden hinzu, und dies Alles hat mit dem Zustande geendet, den ich Ihnen oben genannt habe, nicht aber nochmal nennen kann. Ob eine Heilung möglich ist, steht dahin, das jetzt Factische ist da, und mir ist jenes unwahrscheinlich -- aus psychologischen Gründen. Wir haben täglich die rührendsten und herzerschütterndsten Auftritte, aber auch die entsetzlichsten, wie die wildeste Phantasie sie sich nur schaffen kann. Einer der entsetzlichsten hatte in der Nacht vom Sonntag auf Montag statt, wo außer sonstigen Wächtern Madame Ludwig -- ein Engel von Weib -- mit mir, der seit 16 Tagen jetzt nicht aus den Kleidern gekommen, die oberste Wache hatte, und wo sie einen heftigen Anfall von Wuth bekam, daß ich in Gefahr war erdrosselt zu werden -- daß sie wüthend um sich und Emma in den Hals biß -- und nachdem ich eine Viertelstunde lang den schrecklichsten Kampf mit ihr gekämpft hatte, in dem Gott mich wunderbar stärkte, und nachdem endlich Hülfe kam, sechs Männer es kaum vermochten, sie zu bändigen, um sie binden zu können. Diese Anfälle haben sich wiederholt, wenn auch mit minderer Stärke, sodaß wir wieder gewagt haben, zu ihr zu gehen. Heute hat aber wieder ein Zufall stattgehabt, der es mir verbietet und unmöglich macht, wieder zu ihr zu gehen, wenigstens einstweilen nicht. Ein Charakter ihres Wahnsinns war seither die außerordentlichste Liebe und Anhänglichkeit zu mir, sodaß ich durch Zureden Alles vermochte, und meine nothwendigen, wenn auch nur augenblicklichen Entfernungen immer die rührendsten Erscheinungen hervorbrachten. Heute aber, gerade zu Mittag, wo ich mit Emma, einem Wächter und unserm Hauswirthe bei ihr war, bekam sie einen Anfall, der zunächst auf mich gerichtet war, und wo sie auf mich einstürzte, mich anzufallen wagte, und mit geballten Händen auf mich einschlug, daß Ströme Blut mir aus der Nase stürzten. Nur mit Mühe gelang es uns, sie zu binden! Ich sehe sie seitdem nicht wieder und werde es einstweilen nicht thun. Auch von der Möglichkeit ihrer Genesung abgesehen, könnte Minna doch nie -- mein Weib mehr werden. In einer Stunde, die sie glaubte ihre Todesstunde werden zu sollen, hat sie mir über alle ihre seitherigen Verhältnisse die vollständigsten Aufschlüsse gegeben und mir die schriftlichen Belege darüber zu Händen gestellt! Diese Aufschlüsse machen es mir unmöglich -- ihr je meine Hand zu geben! O Gott, aus welchem Himmel bin ich gestürzt! Wie bin ich argloser, gutmüthiger Mensch getäuscht, betrogen, hintergangen worden! Diese Aufschlüsse kann ich Ihnen vielleicht -- und nur Ihnen -- einst mittheilen, wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte! O Gott -- Gott -- was habe ich in diesen vierzehn Tagen erfahren, geduldet, erlitten! Welch einen Jammer, welch ein Zerreißen in meinem Innern! Diese fürchterlichen Entdeckungen in Minna's Geschichte haben aber auf mein äußeres Benehmen gegen sie in ihrem Unglück ebenso wenig Einfluß gehabt, als sie mich auch sonst nicht bestimmen werden, wenn sie leben bleibt, meine Hand von ihr abzuziehen. Aber für mich ist sie für immer verloren! Denken Sie sich zu diesen meinen Empfindungen nun auch die über ihren jetzigen Seelenzustand oder ihre Krankheit! Ich bin der unglücklichste aller Menschen! Unser bürgerliches Verhältniß ist regulirt durch ihr Testament, das sie ein paar Stunden nach jenen Entdeckungen machte, und durch einen Rückkauf. Sonst ist durch diese Vorfälle Alles in Stocken gerathen, und kein Circular weder ausgegeben, noch sonst das Geringste gethan worden. Sie können sich die ganze Verwirrung denken .... Adieu, guter Schmidt! Gott stärke Sie und mich! Ihr unglücklicher Brockhaus. Vor allem hielt es Brockhaus für seine Pflicht, dem Vater Minna's, Geh. Tribunalrath Mayer in Berlin, gleich Nachricht über das traurige Schicksal der Tochter zu geben. Indeß konnte er es nicht über das Herz bringen, ihm auch sofort die Auflösung der Verlobung mit ihr anzuzeigen, zumal noch nicht entschieden war, ob nicht der Tod die versöhnendste und für alle Theile wünschenswertheste Lösung der traurigen Katastrophe herbeiführen werde. Er schrieb an ihn unterm 28. November: Hochwohlgebohrner Herr Geheimerrath! Es ist für mich diesmal die traurigste aller Veranlassungen, die mich zu einer Unterhaltung mit Ew. führt. Anstatt, wie ich hoffte und wie es mein innigster Wunsch war, Ihnen in diesem Briefe Nachricht von dem Abschluß meiner ehelichen Verbindung mit Ihrer Frau Tochter geben zu können, wozu Sie die Güte gehabt haben, Ihre väterliche Einwilligung zu ertheilen, muß er leider Nachrichten enthalten, die Ihrem väterlichen Herzen sehr wehe thun werden. Aus dem letzten Briefe Minna's wissen Sie zum Theil die Schwierigkeiten, die unserer Verbindung in bürgerlicher Hinsicht noch entgegenstanden, kennen jedoch auch die Unwandelbarkeit meiner und ihrer Gesinnungen, und daß wir mit Sehnsucht dem Tage entgegen verlangten, der uns für dieses Leben aufs innigste verbinden sollte, und daß wir uns gegenwärtig nur mit den Mitteln beschäftigten, jene Schwierigkeiten zu beseitigen und für unser künftiges Leben die dauerhaftesten Grundlagen zu beiderseitigem Glücke zu legen. Ihre Frau Tochter hat Ihnen zugleich, wie sie mir gesagt hat, die Veranlassung unsers hiesigen Aufenthalts mitgetheilt, Sie auch von den Geschäftsverhältnissen unterrichtet, die bereits zwischen uns zum allgemeinen und beiderseitigen Besten getroffen waren; sie hat mir die nähere Angabe und Entwickelung von diesem Allen überlassen, und würde ich mich -- da es mir zum Vergnügen gereichen muß -- darüber auch schon gegen Ew. umständlich erklärt haben, wenn nicht die kurz nachher eingetretene Krankheit meiner theuern Freundin alle meine Aufmerksamkeit erfordert und mir jede andere Beschäftigung als die mit der geliebten Kranken unmöglich gemacht hätte. Dieser ihr Zustand ist auch jetzt noch so bedenklich, daß ich mich billig und allein hierüber mit Ew. unterhalten darf. Dieser Krankheitszustand dauert jetzt schon in die vierte Woche, und würden sowol ich als die übrigen edeln Freunde der Tochter dem liebenden Vater längst Nachricht hiervon gegeben haben, wenn nicht der Zustand selbst von einer so delicaten Natur gewesen wäre, daß wir uns Alle nur sehr ungern darüber erklären können und wir, die wir täglich Besserung oder Linderung erwarteten, diese auch nicht unmöglich war, wünschen mußten, mit der Nachricht von der Krankheit auch die von Aussichten zur Besserung geben zu können. Wirklich scheint jetzt einige Besserung einzutreten, und ich beeile mich daher in Verbindung mit einem andern Freunde, dem Herrn Kammerverwalter Ludwig, der die Güte hat über Minna hier die Curatel zu übernehmen -- welches nach hiesigen Landesgesetzen bei dem bürgerlichen Transact, der zwischen ihr und mir am 6. October abgeschlossen wurde und von welchem ich Ew., wie schon erwähnt, gelegentlich nähere Kenntniß geben werde, nöthig war -- Ihnen alle die Nachrichten zu ertheilen, welche den Krankheitszustand Ihrer Frau Tochter betreffen. Dieser äußerte sich zuerst zu Anfange dieses Monats durch ein heftiges Gliederreißen, dem sie einestheils wol nicht zweckmäßig begegnete, als es auch eben nicht sehr achtete, und es war bei der diesjährigen allgemeinen Disposition zu rheumatischen Krankheiten daher nicht zu verwundern, daß bald ein heftiges rheumatisches Fieber eintrat. Unerachtet der sorgfältigsten ärztlichen Hülfe und Freundespflege verschlimmerte sich der Zustand steigend und nahm die mannichfaltigsten Formen an. Die außerordentliche Nervenreizbarkeit, ein sehr afficirtes und bewegtes Gemüth und die unendlich lebhafte Phantasie der Kranken war wol mit die Ursache, daß der rheumatische Zustand noch mit den heftigsten Krämpfen begleitet wurde -- daß sehr bestimmte und bedenkliche Nervenzufälle eintraten, die bald ein Irrereden und endlich eine gänzliche Geistesverwirrung herbeiführten. So unendlich schmerzhaft es mir ist, Ew. diese Nachrichten geben zu müssen, so erfordert es doch meine Pflicht, darin nichts Wesentliches zu verschweigen, und ich darf es Ihnen selbst nicht verhehlen, daß die Aerzte sich bisjetzt darüber noch nicht entschieden haben, ob bei etwaiger Genesung des Körpers die Vernunft wieder ganz zurückkehren werde oder wenigstens nicht Recidive zu erwarten seien. In diesem Augenblicke hat die Kranke nur noch mäßiges Fieber, die Krämpfe sind dagegen noch sehr lebhaft und erregen immer außerordentliche innere Beängstigung. Schlaf ist selten und war noch nie beruhigend, sondern nur immer ein Vorläufer großer Bewegung. Die Geistesverwirrung hat seit zwei Tagen wieder wilde und excentrische Ausbrüche und ist mehr fortwährendes Irrereden, obgleich es auch Momente gibt, wo sie den ganzen Gebrauch ihrer Vernunft zu haben scheint. Von unserm allgemeinen Jammer und dem meinigen insbesondere will ich den liebenden Vater hier nicht unterhalten, ihm aber die Beruhigung geben, daß die unglückliche Kranke der allerherzlichsten Pflege genießt, daß sie einen vortrefflichen Arzt hat, und daß von mir und ihren edeln Freunden hier auch nichts versäumt wird, was ihr Zustand verlangen und die zärtlichste Sorgfalt erfordern möchte. Ich werde es mir von jetzt an zur Pflicht machen, Ihnen von jeder Veränderung im Guten und im Schlimmen Nachricht zu geben, und hoffe ich, daß die jetzigen leisen Spuren eines verbesserten Zustandes sich weiter entwickeln werden, ich also nur Nachrichten im Guten werde zu melden haben .... Emma ist immer um die Mutter und gewährt ihr vielen Trost; das Schicksal der Kinder beschäftigt die arme Kranke oft selbst in erregten Momenten. Lassen Sie uns zur Vorsehung hoffen, daß Besserung zurückkehren und Alles gut enden werde; vielleicht war diese Katastrophe nöthig zur Gründung eines neuen und bessern Lebens! Erst im Laufe dieser Krankheit hat die unglückliche Minna mir ihr ganzes Vertrauen im vollsten Sinne des Wortes gegeben! Warum mußte sie es nicht früher schon dem edeln Vater gegeben haben! Ich überlasse es Ihnen, ob Sie bei der jetzigen vollkommenen Kenntniß des Zustandes von Minna glauben, etwas Besonderes für sie thun zu können, oder darauf einwirken zu wollen; auf jeden Fall können Sie als Vater versichert sein, daß sie von guten und theilnehmenden Menschen umgeben ist, die sie innig lieben und die Alles aufbieten, ihr Unglück zu mindern und einen bessern Zustand herbeizuführen. Ich bitte Sie, Ihrer Frau Gemahlin mich gehorsamst zu empfehlen und den wackern Julius wie die beiden Andern herzlich zu grüßen, und übrigens von meiner vollkommenen und innigen Ergebenheit und Verehrung überzeugt zu sein. Die Antwort des Vaters an Brockhaus liegt nicht vor, dagegen ein Brief desselben an den Kammerverwalter Ludwig, dem die Antwort an Brockhaus beigeschlossen war. In diesem Briefe vom 8. December dankt Mayer für die ihm auch von Ludwig gegebenen Nachrichten; sie hätten ihn tief erschüttert und nur der Gedanke an die Theilnahme, die seine Tochter von ihm (Ludwig) und den Seinigen sowie von Herrn Brockhaus erfahren, habe ihn und seine Frau einigermaßen beruhigen können. Der Anlaß zu der Geistesverwirrung seiner Tochter, wenigstens der nächste und unmittelbarste, könne indeß kein anderer sein als die Verlegenheiten, in denen sie sich befinde und die sie durch den Antheil, den sie an den Angelegenheiten des Herrn Brockhaus genommen, noch mehr auf sich gehäuft habe. Er wolle nicht bestreiten, daß auch übermäßige Anstrengung in ihren literarischen Productionen den Zustand befördert haben könne, zumal bei den körperlichen Fatiguen, die ihr der Abzug von Leipzig und das Hin- und Herreisen zugezogen haben müsse. Jedenfalls müsse jetzt alle Sorge nur dahin eingeschränkt sein, die Kranke wieder zur Vernunft zurückzubringen. Er lege einige Zeilen an seine Tochter bei, worin er sie auffordere, zu ihrer völligen Herstellung nach Berlin zu kommen, und bitte, ihr dieselben in lichten Augenblicken mitzutheilen. Brockhaus fühlte sich durch diesen Brief, den ihm Ludwig glaubte mittheilen zu müssen, begreiflicherweise sehr verletzt. Er schrieb darüber an diesen: Freitag Morgen. Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten #könne# entstanden sein, so setzt er mich auf einen Standpunkt zu unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich -- ich muß es nur heraussagen -- wirklich empört. Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter Willis[41], wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben, die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt. Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit -- dem rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen -- können beigetragen haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen ahndet, nicht mitzutheilen. Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch geistige Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen betragen würde. Durch diese unverdiente Kränkung ließ sich Brockhaus indeß in seiner Sorge für die arme Kranke nicht stören. Er schreibt an Bornträger am 9. December: Minna's Zustand bleibt bessernd, aber er ist immer noch herzerschütternd. Ihre Nervenreizbarkeit ist wahrhaft sublimirt, wie ihr Geist nie in solcher Blüte und Ueppigkeit gewesen. Ihre fixen Ideen haben noch immer denselben Zirkel: Liebe, Eifersucht, Besorgniß mich zu verlieren, Glauben, daß ich schon anderwärts verheirathet sei, daß ich ein Zauberer wäre, auch andere: daß wir mit überirdischen Wesen in Verbindung ständen u. dgl. Sie spricht eine Stunde wie ein Gott, und in einer Minute, wenn sie auf irgendeine Idee kommt, die sie an einer ihrer schwachen Seiten berührt, ist ihre Besonnenheit auf einmal hin. Wir hoffen Alle indessen das Beste. Inzwischen war Minna's Schwester, Karoline Richter, die Gattin Jean Paul's, aus Baireuth zu ihrer Pflege eingetroffen, die bisher von der Tochter der Kranken, Emma, von Frau Ludwig und deren noch unverheiratheten Schwester, Jeannette von Zschock, besorgt worden war. Auf die erste flüchtige Nachricht über das Befinden der Kranken antwortete Jean Paul seiner Frau am 8. December: Die Krämpfe Deiner Schwester, so fürchterlich sie für den Zuschauer sind, habe ich bei .... und Andern oft erlebt, sie sind ohne Bedeutung, ja sogar ohne Empfindung, außer für das Auge. Am 20. December schreibt Karoline Richter ihrem Manne: Der Gesundheitszustand meiner Schwester hat sich seit ich hier bin noch nicht sehr gebessert. Ob sie je zu völliger Klarheit des Geistes kommen kann, ist ein Problem. Sie ist in einem Zustande des Traums und je melancholischer, je mehr sie unter Menschen ist. Man redet ihr zu, auszugehen, sich zu zerstreuen, besucht sie fleißig, und in der That interessirt sie allgemein; aber es gleitet meist Alles ohne Eindruck an ihr vorüber. Sollte sie wieder allein stehen, ohne mich, so wäre sie sehr zu beklagen. Denn so sehr Herr Brockhaus sie liebt, so äußerst aufopfernd und gefällig er ihre Stütze ist, so kann er ihr in häuslichen Dingen nicht helfen. Sie ist wie ein Lamm, wie ein Kind, und läßt Alles über sich ergehen. So kann die Verbindung natürlich nicht vollzogen werden, solange sie nicht genesen ist, und bis dahin muß sie unter Aufsicht theilnehmender Menschen sein. Wenn sie jetzt zum Vater geht, ist es das Natürlichste und Beste. Brockhaus wünscht das zwar nicht; er fürchtet sie alsdann zu verlieren; allein ich glaube nicht, daß ihr Aufenthalt in Berlin ein Hinderniß sein würde.[42] Die Uebersiedelung Minna's in das älterliche Haus nach Berlin erschien endlich allen Betheiligten doch als das Gerathenste, und Brockhaus entschloß sich zu dem in seiner Gemüthsstimmung doppelt schweren Opfer, sie dahin zu begleiten. In einem langen an verschiedenen Tagen geschriebenen Briefe an Bornträger kommen neben geschäftlichen Notizen mehrere darauf bezügliche Stellen vor. Am 29. December schreibt er: Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben. Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen -- alle Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte. Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten ist sie, sobald viele Menschen um sie sind. Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen nach Berlin reisen, ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen. Am 3. Januar 1811 fügt er hinzu: Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist diese jetzt auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3 _à_ 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren, wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und -- von der Alles heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt! Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will .... Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben, Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott! Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt! Im vorigen Jahre #an demselben Tage# trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach Dortmund an! Und #dies# Jahr mit Minna in diesem Zustande von Altenburg nach Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es anders werden müßte? Wer weiß es! Am 4. Januar 1811 reiste Brockhaus mit der Kranken und ihrer Tochter Emma (außer dieser hatte Minna Spazier noch drei Kinder aus ihrer ersten Ehe, zwei Söhne und eine Tochter, die sich in Berlin bei den Großältern befanden) von Altenburg ab und traf mit ihnen am 8. Januar abends in Berlin ein. Von unterwegs, aus Leipzig, schreibt er an Ludwig: Wir haben es schlimm gehabt, da die Kälte herz- und hautzerschneidend war und ist. Minna ist gut und duldend, Emma die leidendste. Ich -- empfand wenig davon, wie ich kaum selbst begreife. Frau Spazier fügt folgende Zeilen für ihre Schwester bei: Liebste Karoline! Ich melde Dir mit wenigen Worten, daß wir der harten Kälte ohnerachtet wohl angekommen sind. Theile diese Nachricht Herrn und Madame Ludwig mit, sie werden sehr besorgt unsertwegen sein. Lebe wohl, liebste Karoline, ich kann Dir nicht sagen, wie mir zu Muthe ist. Emma hat sehr gefroren, ich freue mich sehr über das Wiedersehen. Von Berlin aus schreibt Brockhaus gleich am 9. Januar an Ludwig: Ich eile, Ihnen mit wenigen Worten zu melden, daß wir gestern Abend nach einer allerdings unendlich beschwerlichen und peniblen Reise hier glücklich angekommen sind. Die Zusammenkunft Minna's mit ihren Kindern und ihrem Vater war herzzerschneidend. Ich behalte mir vor, Ihnen bei meiner Zurückkunft von Allem sehr umständlich Bericht zu geben. Da zwischen Berlin und Leipzig ein bedeckter Postwagen fährt, so werde ich mich dessen zu meiner Retour bedienen und Sonntag oder heute acht Tage zurückreisen. Die ganze Mayer'sche Familie und Minna tragen mir auf, sie Ihnen und den edeln Frauen Ihres Hauses, auch Herrn Hempel bestens und innigst zu empfehlen und Sie vorläufig ihres ganzen Dankes zu versichern. Meine Gesinnungen für Sie Alle sind Ihnen bekannt. Ganz Ihr Brockhaus. Geben Sie Karolinen von diesem Briefe Kenntniß, da ich keine Zeit habe, ihr selbst zu schreiben. Auf der Rückreise schreibt er aus Leipzig vom 15. Januar an Bornträger (Schmidt) nach Amsterdam: Von meiner Reise nach Berlin mit der armen Minna in der furchtbarsten Kälte, von unsern Beschwerden auf derselben, meinen Sorgen und meinem Jammer, von unserer Ankunft im Hause des Vaters, von der Scene der Zusammenkunft mit diesem und Julius, von dem allgemeinen und besondern Benehmen des Vaters und der (Stief-) Mutter, endlich von der herzzerreißenden Stunde des Abschieds und der Trennung -- von allem Diesem, lieber Schmidt, kann ich Ihnen nur einmal mündlich erzählen! Minna's Zustand ist immer derselbe noch: gänzliche Erschlaffung im Geistigen. Sie denkt und spricht fast immer richtig, und wann sie es nicht thut, so hat's Beziehung auf die Furcht, mich zu verlieren. Sonst ist ihr #Alles# gleichgültig, was um sie her ist, und ihre einzige Beschäftigung, wenn man sie nicht gleichsam gewaltsam darin unterbricht, fortwährendes Stricken, wobei sie denn immer so vor sich hin brütet und oft wehmüthig mit ihren schönen Augen zum Himmel aufsieht. Es ist herzzerschneidend. Meine Theilnahme an ihrem Schicksal ist, so sehr ich auch moralisch verletzt worden bin, unveränderlich, und kann ich es möglich machen, ohne darüber zu Grunde zu gehen, ihr Schicksal noch an das meinige zu ketten, so wird's geschehen, wenn sie nur geneset und in geistiger Energie wieder die alte göttliche Minna wird. Am 27. Februar schreibt er aus Altenburg an denselben, nachdem dieser ihm in einem Privatbriefe offen seine Ansichten über Frau Spazier ausgesprochen hatte: Gewiß sind Ihre Deutungen über der Hofräthin Betragen in vielen Stücken richtig, und so wehe mir das Geständniß thut, so habe ich jedoch immer noch Vertrauen genug, um mir ein zwiefaches Wesen in ihr zu denken, von dem das Eine: die edle, gute und großherzige Minna, das Ursprüngliche wäre, und das Andere: die astucieuse, coquette, heuchelnde Hofräthin, die durch die Collisionen mit der Welt, ihrem Blute und verkehrten ästhetischen Richtungen erst gebildet worden sei. Ihr eigentliches, vielleicht später durch unsern hiesigen genauern Umgang erst entstandenes Gefühl für mich spricht sich vielleicht nirgends wahrer aus als in zwei Briefen, welche sie kurz nach der heftigsten Epoche ihrer Krankheit, als sie anfing freie Stunden zu haben, in denen sie wieder mit Klarheit dachte, an Karoline und an ihren Sohn Julius schrieb, solche aber nicht abgehen ließ, sondern wie ein Amulet seitdem immer an ihrem Herzen trug, bis sie sie einst verlor. Es grenzt ans Wunderbare, wie dieses außerordentliche Wesen in einem solchen Zustand von halber Zerstörung fähig gewesen, solche Briefe, die wahre Meisterstücke von Diction sind, in einem Zuge hinzuwerfen! Noch vor einigen Tagen habe ich von ihr directe Briefe. Sie leidet körperlich und geistig noch sehr, und Gott weiß, wie es mit ihr werden wird. Brockhaus war zunächst zwar nur durch Mitleid mit der Kranken sowie durch den Wunsch, sich mit ihrem Vater über die eben verlebte furchtbare Zeit auszusprechen und dann das Verhältniß auf eine möglichst schonende Art zu lösen, zu der Reise nach Berlin veranlaßt worden. Aber fortwährend hatte er einen innern Kampf zu bestehen, ob er im Fall der Wiedergenesung seiner einstigen Braut nicht alles Vergangene vergessen und ihr aufs neue die Hand zur Versöhnung und zur wirklichen Vereinigung bieten solle. Durch das Benehmen ihres Vaters wurde ihm dieser Kampf erleichtert, das Opfer, das er vielleicht doch noch gebracht hätte, erspart, indem dieser jetzt selbst die Lösung des Verhältnisses betrieb und ihm, den er als den Urheber des Unglücks seiner Tochter betrachtete, überhaupt nicht freundlich und vertrauensvoll entgegenkam. Brockhaus spricht sich darüber in einem an Ludwig gerichteten Briefe vom 23. März aus, der in Amsterdam geschrieben ist; was ihn auf kurze Zeit dahin zurückgeführt hatte, wird später zur Sprache kommen. Er schreibt: Hätte der Vater, wie ich ihn sonst zu nennen pflegte, oder, wie ich ihn jetzt ferner nennen werde, Herr Geheime Rath Mayer mich gewürdigt, genaue Kenntniß von meinen Verhältnissen zu nehmen, wozu das Schicksal seiner unglücklichen Tochter ihn wol hätte bewegen sollen, so konnte sich Alles schön und edel für mein und der armen Minna Schicksal lösen. Mich würde Dankbarkeit -- der hervorstechendste Zug meines Herzens -- an ihn und an sie dafür gefesselt haben, und kein Opfer, das ich der Welt und meinem Innern hätte bringen müssen, wäre mir dann zu hoch oder zu groß gewesen! Minna wäre auch genesen dann, und bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und mit edeln Menschen, besonders edeln Frauen, umgeben, würde sie auch edel gewesen sein -- und anstatt daß jetzt durch ihr grauses Schicksal das ihrer Kinder ewig mit zerrissen wird, anstatt daß selbst ins Leben des Vaters kaum wieder reine Freude zurückkehren kann und auch seine eigenen Verhältnisse dadurch furchtbar gestört bleiben müssen, wäre ein ursprünglich gewiß herrliches und reiches Gemüth, das in den Collisionen mit der Welt zu Grunde gegangen war, wieder neu geboren worden, eine Seele war gerettet; wieder dem Leben zurückgegeben, konnte die unglückliche Tochter durch Uebung und Erfüllung von Pflichten Alles mit sich versöhnen, ihre Kinder ehren und deren Laufbahn ordnen, dem Vater selbst wieder die schönsten Blumen auf den Pfad seines Lebens streuen! So wollten Sie es, edler braver Ludwig, so wollte auch ich es! Und nun werfe man noch einen Stein auf uns! Daß ich es nicht verstand, wie Karoline mir vorwarf, den Vater, außer meiner Persönlichkeit, auch sonst zu interessiren für mein Schicksal, kann ich mir nicht zum Vorwurf machen lassen. Es ist freilich wahr, und es ist mit ein Grund auch meines allgemeinen Schicksals, daß ich es so wenig verstehe mich geltend zu machen. Von der einen Seite fühle ich, daß ich einigen Werth habe, und wenn ich mich dann verkannt oder gar mishandelt sehe, so ist meine Erwiderung entweder stolzes in mich Zurückziehen, oder es sind -- Thränen! Karoline sagte darum auch wol nicht mit Unrecht: Sie sind halb Weib, halb Mann! Von der andern Seite bin ich wenig beredt über mich selbst; ich weiß auf keine Anklage etwas zu antworten, weil ich mir, wenn sie gegründet auch nur in etwa, immer zehnmal mehr Vorwürfe mache als Andere; ich bin furchtsam, ängstlich, dränge mich nirgends hervor oder ein, weiß mit meinem Pfunde nicht zu wuchern, und welche negative Eigenthümlichkeiten ich denn mehr habe. So wie ich nun also bin, konnte ich dem Vater freilich nichts anders als das simple Factische ohne Schmuck oder Beredtsamkeit vorbringen, aber mir dünkt, daß den wahren Menschenkenner diese Einfachheit eher für die Wahrheit gewinnen als davon entfernen muß. Allerdings war ich nun auch bald stolz gegen ihn, und gewiß würde ich es noch mehr sein, wenn sich weitere Gelegenheit finden möchte in Contact zu kommen. Diese Gelegenheit wird sich aber wol nicht weiter finden. Ich habe seit meiner Abreise von Altenburg weder von Berlin noch von Baireuth Briefe, aber auch von Altenburg selbst noch keine. Der armen Minna habe ich meine Reise aber gemeldet, damit sie wenigstens weiß, wo ich bin. Die arme Minna! Wenige Tage darauf, am 26. März, schreibt er abermals an Ludwig: Heute etwas über der armen Minna Schicksal. Gestern erhielt ich von Karolinen Briefe. Auch sie betrachtet unsere Trennung -- Minna's und meine -- als entschieden durch den Willen des Vaters. Mein Herz zuckt krampfhaft bei dieser Entscheidung, denn Minna war mir unendlich und ist mir noch sehr theuer. Mein Verstand tritt aber der Entscheidung des Vaters mit Beifall bei. Er sagt mir trocken weg, daß eine Ehe ohne Schönheit und Reinheit der Gefühle, ohne innige Achtung, ohne Vertrauen mich nur höchst unglücklich würde gemacht haben. »Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang«, sagt Schiller so bedeutend, und allerdings: das Leben ist zu ernst, als daß man poetische Gefühle allein Gewalt darin dürfte über sich ausüben lassen. Ich habe schweres Lehrgeld dafür gegeben! In seiner Antwort an Minna's Schwester, Karoline Richter, vom 30. März heißt es: Mein eigenes Leben darf ich jetzt hoffen bald gerettet zu sehen. Wäre es nur auch das von Minna, wenn auch von mir getrennt! Es werden aber Wunder geschehen müssen, wenn sie nicht auf die eine oder andere Weise zu Grunde gehen soll. Ich werde gewiß ihr Freund fürs Leben bleiben und wohlthätig auf ihr Schicksal einzuwirken suchen, soviel es meine Pflichten erlauben. Worin sie mich gekränkt und mir wehe gethan, das Unrecht, das sie an mir geübt, den nachtheiligen Einfluß, den sie auf alle meine Verhältnisse so gebietend gehabt -- ich verzeihe ihr Alles. Kein Groll gegen sie ist in meinem Herzen. Auch ich habe gefehlt. Wie aber und durch welche Motive geleitet oder bewogen, darüber richte derjenige, der die Herzen der Menschen prüfet und würdiget in Wahrheit! .... Jene von dem Vater ausgesprochene Entsagung kann auch nicht wieder zurückgenommen werden. Nicht daß Minna aufhörte mir theuer zu sein, nein, gewiß nicht; aber ich betrachte diesen Ausspruch als eine neue Weisung des Schicksals, das schon so oft deutlich über diese meine Verbindung mit ihr gesprochen, die ich diesmal achten und nicht zurückweisen will und dies um so mehr thun muß, da mein Verstand diesen Ausspruch in allen Hinsichten bestätigt. Denn konnte, sagt mein Verstand, eine Ehe glücklich sein, wo von der einen Seite alle schönen und reinen Beziehungen verloren gegangen waren, wo echte innere Hochachtung und Verehrung nicht mehr da sein konnte, wo kein Vertrauen weiter möglich war beinahe, wo alle Energie fürs weitere Leben mußte gebrochen sein, wo jede Rückerinnerung an die Vergangenheit nur mit Vorwürfen oder mit bittern Gefühlen konnte gepaart sein, wo überhaupt der wahre Charakter noch so problematisch? Mitleiden, Theilnahme, Herzensgefühle, der Wunsch, glücklich zu machen, die Begehr, in den Augen der Welt consequent zu erscheinen -- konnten jenes Fehlende nicht ersetzen, und wenn überhaupt schon Ehen im Leben selten schön-glücklich sind, wie viel weniger konnte es diese sein, wo so viele Elemente dazu fehlten! Auch mein Gefühl hat mich, wie fast immer, hierin sehr richtig geleitet. Es sagte mir gleich in der ersten Stunde, wo die Vergangenheit vor mir aufgerollt wurde: Minna kann nie dein Weib werden! Es ist für mich eine Genugthuung, dieses Gefühl selbst gegen die edelsten meiner Freunde, die mein ganzes Vertrauen hatten, ausgesprochen zu haben. Man könnte es sonst jetzt für eine _arrière pensée_ halten .... Ob ich fortfahren soll, dann und wann noch an Minna zu schreiben? Mir dünkt das Unterlassen wol das Räthlichste. Wozu jetzt noch auch nur die entferntesten Hoffnungen unterhalten oder Gefühle anfachen, da dies nur das große Unglück der Armen vergrößern kann? .... Welch ein Spiegel fürs Leben wäre Minna's Geschichte, von Goethe, Richter oder einem andern Richardson der Mit- und Nachwelt aufbewahrt! Ja, der Vater hat recht gehabt, zu zerhauen, was sich nicht lösen konnte! Er hat recht gethan! Er ist das Orakel geworden, das ich mir ersehnte! Noch entschiedener spricht er seinen Entschluß, das Verhältniß ganz zu lösen, und die Motive dazu in einem Briefe von demselben Tage an Ferdinand Hempel in Altenburg aus: Je mehr ich jetzt überzeugt bin, daß meine Bekanntschaft mit der Hofräthin und mein Verhältniß zu derselben die vorzüglichste Ursache meines seitherigen Unglücks gewesen ist, je fester bin ich jetzt entschlossen, die Bande, die zwar schon sehr gelockert mich noch an sie knüpften, schnell zu zerreißen und für immer alle Verbindung mit ihr aufzuheben. Ich bedarf Ruhe, und ich finde keine, so lange noch auf die eine oder andere Weise mein Schicksal mit dem ihrigen verflochten ist, oder auch nur meine Verbindung durch Briefe selbst noch fortdauert. Das Schicksal der armen Frau geht mir unsäglich nah, und wo nicht Pflichten in Collision kommen, da werde ich auf alle Weise wohlthätig darauf einzuwirken suchen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie allein sich dieses Schicksal bereitet hat. Jedes Weib wird zu Grunde gehen, moralisch oder physisch, das es wagt und unternimmt, so -- aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat, und sicher würde ich einst fürchterlich aus dem Traume sein aufgeschreckt worden, in welchen die Künstliche mich durch Zauberlieder und lieblichen Sirenen-Gesang einzulullen gesucht und auch verstanden hatte! Der Vater in Berlin hat weise gehandelt, daß er den Kampf, der in meiner Seele vom ersten Augenblicke an mit tiefem Schmerz statthatte, wo ich erkannte, daß meine kindliche Arglosigkeit, daß das edle Vertrauen, das ich gehabt, so grausam war gegen mich selbst gewendet worden, und daß ich nur als ein Faden hatte sollen gebraucht werden, um aus dem Labyrinthe, worin man sich verwickelt hatte, sich nur retten zu können -- und welcher Kampf sich so oft gegen Sie und die edeln Mitglieder des Ludwig'schen Hauses ausgesprochen -- durch sein Benehmen der Entscheidung so nahe gebracht hat. Diese Entscheidung ist jetzt in mir fest und unwiderruflich beschlossen. Meine Ehre, die Ehre meiner Kinder, die Ehre meiner respectabeln unbescholtenen Familie, die Ehre meiner vortrefflichen, im Grabe ruhenden Frau, mein Glück und das Glück Aller, die durch irgendein Band an mein Schicksal gekettet sind -- hat diesen Entschluß geboten. Ich will und ich muß mein Leben neu ordnen. Ich kann es nur frei von diesen Banden und mit Ruhe im Gemüthe. Die entscheidenden Briefe zwischen Brockhaus und Frau Spazier sind, wie die ganze Correspondenz zwischen ihnen, nicht in unserm Besitze und wahrscheinlich überhaupt nicht erhalten. Dagegen liegen aus dieser Zeit einige Briefe von ihr selbst an ihre Schwester und einige Andere sowie von diesen über sie vor. Am 8. März schreibt sie an Ludwig in Altenburg, um ihn als ihren Freund und Curator zu bitten, ihre dortigen Angelegenheiten zu ordnen, ihre zurückgebliebenen Möbel u. s. w. zu schicken; sie sagt: Es leidet keinen Zweifel, daß Ihnen aus meinen Briefen an Brockhaus sowie aus dem, was er Ihnen aus der Zeit seines kurzen Aufenthalts hier mitgetheilt haben wird, bekannt sei, welche Wendung meine äußern Verhältnisse genommen! Wie das väterliche Herz die Erhaltung der Tochter innig gewünscht, wie nach langem Kränkeln, wenngleich noch unvollkommen, die gewohnte Thätigkeit zurückgekehrt scheint, und wie auf diese Hoffnung der Plan meines Vaters gegründet ward, mich wenn auch nicht in seinem Hause, doch unter seinen Augen leben zu lassen .... Ich habe den Muth, mich an Sie zu wenden, aber es gehört mit unter die qualvollsten Empfindungen meines Lebens, wenn ich mir denke, wie ich Ihnen und Ihrem theuern Hause nun wieder als ein Gegenstand der Beschwerde und nie, wie ich doch so schön in hoffnungsvollern Tagen geträumt, als ein werthes Mitglied Ihres häuslichen Kreises erscheinen dürfte. Dies Gefühl drängt alles Bittere des langen Kampfes in sich zusammen, der mein Leben ausmacht und von dem sich noch immer nicht sagen läßt, daß er vollbracht sei! .... In welcher Stimmung ich diese Zeilen schreibe, wird Ihr Herz Ihnen sagen. Ich sehe Ihrer Antwort mit Spannung entgegen. Ebenso oft zu Ihrer und der Ihrigen Erinnerung hingezogen, als durch eine tiefe unüberwindliche Wehmuth davon zurückgescheucht, folge ich heute einer äußern Veranlassung und fühle es doch schmerzlich, daß es eine äußere Veranlassung gewesen, die mir nach so langem Schweigen den ersten Brief an Sie eingibt. Lassen Sie mich bald ein Zeichen Ihres Andenkens sehen! Emma, der Sie so gütige Theilnahme gönnten, empfiehlt sich Ihnen. Genehmigen Sie die Versicherung der innigen Liebe und Dankbarkeit, mit welcher meine Seele in Gedanken unter Ihnen weilt; ich bin bis in den Tod Ihre innig Sie verehrende M. Spazier, geb. Mayer. Ludwig, der ihren Wunsch nicht sofort erfüllen konnte, antwortet ihr unterm 31. März: Der Anblick Ihrer Schriftzüge, eines Briefes von Ihnen, meine verehrte Freundin, worauf wir nun schon lange Verzicht gethan hatten, that meinem Herzen wohl und weh zugleich. Es war uns Freude, nach so langem gänzlichen Schweigen ein Zeichen Ihres Lebens und die Ueberzeugung zu erhalten, daß die Lebenskraft, wenn auch noch nicht der Lebensmuth, bei Ihnen zugenommen habe; es war uns Schmerz, daß es eines dringenden äußern Antriebs bedurft hatte, um Sie zum Schreiben an Freunde zu vermögen, die diesen Namen durch die That bewährt zu haben glauben dürfen. Ich sehe mit Betrübniß in Ihrem Briefe noch Spuren einer gewissen Verschlossenheit und Niedergeschlagenheit, die uns in den Wochen Ihrer Genesung und den letzten Ihres Hierseins oft so weh thaten, und die damals in dem Grade zunahmen, als die Beweise von Liebe und Wohlwollen der Sie umgebenden Menschen gerade Vertrauen und Ruhe in Ihrer Brust hervorzurufen geeignet schienen. Mögen Sie mich, theuere Freundin, in dieser Aeußerung ja nicht misverstehen! Sie ist nichts als der reine Wunsch, daß Sie, welcher das Schicksal ohnehin so viel zu tragen auflegte, sich nicht auch von den Wenigen selbst entfremden mögen, die es wahrhaft gut mit Ihnen meinen, die in der Zeit der Noth ohne Eigennutz, ohne Parteilichkeit und Leidenschaft Ihre Freunde waren. Glauben Sie indessen nicht, daß mir ein Schmerz nicht heilig sei, der Ihre Brust nothwendig in diesem Augenblicke erfüllen muß, wenn ich mich nicht in Ihrem Herzen geirrt habe -- ich meine den über Ihre ausgesprochene Trennung von Brockhaus, der eine so seltene Anhänglichkeit für Sie hatte und (ich bin überzeugt) noch hat, wenn er gleich nun völlig außer Stand gesetzt ist, sie auf die zeitherige Art zu äußern. Diesen Schmerz theile ich mit Ihnen, schweige aber darüber, weil ich ihn nicht bei Ihnen erneuern will und nicht befugt bin, über einen Schritt abzuurtheilen, von welchem ich nicht einmal weiß, inwiefern er von einem fremden Willen, inwiefern er von Ihrer eigenen Einsicht ausgeht, und auf welche Gründe gestützt diese über Gefühl und Herz gesiegt hat. Nur das weiß ich, daß ich immer Ihr Freund bleiben und daher nichts zugeben werde, was im geringsten wider Gesetz und Recht Ihnen zum Nachtheil, von wem es auch sei, unternommen werden könnte. Sollten Sie diese Versicherung mit dem Nichtempfang Ihrer Sachen im Widerspruch finden, sollten Sie unmuthig über mein Schweigen mehrerer Wochen sein, so werden Ihnen die folgenden Zeilen gleichwol Alles erklären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möge ich durch das bisher Gesagte in Ihren Augen nun gerechtfertigt erscheinen. Mit wehmüthiger Erinnerung gedenke ich der vergangenen Zeit, denn ich schreibe Ihnen auf derselben Stelle, wo Sie oft mit mir und den Meinigen zusammensaßen, sich der Hoffnung einer heitern Zukunft überlassend. Unserm Kreise näher angehörend wollten Sie leben; das Schicksal hat es anders gewollt, wie es scheint -- doch, wenn auch entfernt, mögen Sie nur glücklich und unsere Freundin sein! Meine Achtung für Ihren seltenen Geist und meine Theilnahme für die Ruhe Ihres Herzens werden immer dieselben sein. Karoline Richter hatte aus Liebe zu ihrer Schwester fortwährend auf die Wiedervereinigung mit Brockhaus hinzuwirken gesucht. So schrieb sie an Ludwig aus Baireuth vom 13. März, sie habe soeben von ihrer Schwester einen Brief erhalten, welcher, was ihr zu wissen am wichtigsten sei, deren eigentliche Gesinnung gegen Brockhaus ausdrücke: Diese ist nun immer dieselbe, wie wir sie Alle gekannt. Sie jammert darin über seine größere Entfernung von ihr durch die Reise nach Amsterdam, und es tönt Hoffnung der Vereinigung überall durch. Mir bricht fast das Herz bei diesen Aeußerungen, und ich kann nicht glauben, daß irgend Jemand, der die Unterordnung ihres Verfahrens unter die väterliche Gewalt anerkennt, das kraftlose Opfer feindlich behandeln kann. Sie erwartet deshalb von Brockhaus' Großherzigkeit und Ludwig's freundschaftlichem Antheil die ganze bürgerliche Rettung ihrer unglücklichen Schwester, selbst wenn die Trennung entschieden bleibe. Brockhaus sei zu edel, um nicht Alles, was er vermöge, dazu beizutragen. In einem andern Briefe aus dieser Zeit (ohne Datum) bittet sie ihre und ihrer Schwester Freundin Karoline von Ehrenberg in Altenburg um Nachrichten: Schreibe mir etwas von Brockhaus, der mir mit Entzücken von Deiner Amnestie erzählte. Sage mir, wie er Dir in der letzten Zeit erschienen ist und was Minna von ihm wol noch zu erwarten hat. Ich kann Dir nicht sagen, wie ich um ihretwillen leide; welche Fehler wären nicht durch solches Unglück abgebüßt! Mehrere von Frau Spazier an Ludwig gerichtete Briefe aus dieser Zeit legen von einer ruhigern Stimmung Zeugniß ab und können unser Mitleid mit ihr nur vermehren. Sie schreibt ihm am 10. April wieder, noch ohne seinen oben mitgetheilten Brief, der vom 31. März datirt, aber vielleicht erst einige Tage später abgegangen war, empfangen zu haben, und wiederholt ihre frühern Bitten: Er sei ja stets bereit, Bedrängten zu helfen, und wenn er ihre jetzige Lage bedenke und auf die lange Folge schmerzvoller Ereignisse zurücksehe, die sie seit ihrer Entfernung aus Leipzig überstanden, so werde er sich gewiß nicht weigern, ihr den Namen einer »Bedrängten« zuzugestehen. Sie fährt fort: Meiner Vorstellung kann nichts Gehässigeres sich aufdringen als der Gedanke, daß zur völlig klaren Entscheidung dieser Angelegenheit zuletzt noch gerichtliche Schritte gemacht werden könnten. Und würde ich diese hintertreiben können? Mit der größten Bereitwilligkeit Alles aufzuopfern, was den Schmuck des Lebens ausmacht, mit der überlegtesten Resignation, würde ich doch nur für meine eigene Handelsweise gutsagen können, nicht aber für die Maßregeln meines Vaters. Es mußte noch mehr hinzukommen, mich die Nichtigkeit meines Strebens nach außen kennen zu lernen -- mehr noch als das lange Gefolge von Widerwärtigkeiten, das zum Theil vor Ihren Augen an mir vorüberzog. Wenn meine körperliche Gesundheit, wenn meine ruhige Besonnenheit sich in der letzten Zeit rühmen dürften, Fortschritte gemacht zu haben, so scheinen geistige und leibliche Kräfte nur darum mir wiedergeschenkt, um sie an dem Krankenlager meines ältesten Sohnes zu üben, der seit vierzehn Tagen an einer Lungenentzündung schwer daniederliegt, in sechsunddreißig Stunden fünfmal zur Ader gelassen werden mußte, dessen völlige Wiederherstellung noch in diesem Augenblicke ein Problem ist. Ich bin seine Wärterin -- es ist mir möglich gewesen, elf Nächte hintereinander an seinem Lager zu wachen, und an diesem merkwürdigen Falle sehe ich -- daß nicht unnütz war der Gang, den mein Leben nahm, als er mich wieder hierherführte. Finden Sie, theuerer Herr Ludwig, in der Art und Weise, wie in diesem Augenblick darauf hingearbeitet wird, die Trümmer meines äußern Glücks zu retten, etwas Zweckwidriges, so bitte ich Sie nur, die Nüchternheit, womit ich in diesem Augenblick mich den Maßregeln desjenigen Willens unterwerfe, von dem der meinige völlig abhängig geworden ist, keineswegs als eine feindselige Erkaltung gegen die Bilder von Glück und Freude anzusehen, die ich mir noch vor wenigen Monaten träumen durfte! Wenn irgend Jemand geneigt ist, den Grund des Mislingens seiner theuersten Hoffnungen in sich selber zu suchen, so bin ich es. Das Erwachen aus einem Zustande, in welchem man so gern seinen Kräften vertrauen möchte, sich frei und im Besitz der Liebe achtungswerther Menschen glaubte, ist schmerzhaft genug, auch ohne das Einsinken äußerer Vortheile! .... Ich kenne in diesem Augenblick nur #ein# Verlangen: Friede mit mir selbst und meinen Umgebungen! Einige Monate später, am 3. Juni, schreibt sie dankerfüllt über die von Ludwig gegebene Aussicht auf endlichen Empfang ihrer Möbel und zugleich hocherfreut über den Besuch einer Freundin aus Altenburg, der oben erwähnten Karoline von Ehrenberg: Den Eindruck zu schildern, den das unerwartete Wiedersehen unserer Freundin auf mich hervorgebracht hat, vermag dies ohnmächtige Wort nicht, o mein theuerer Freund! Ich hatte mich am Freitag auf wenige Minuten aus meiner Wohnung entfernt, die eben von rüstigen Händen festtäglich gesäubert wurde, als ich beim Wiedereröffnen der Thür eine Gestalt erblickte, über die mein Herz auch nicht einen Augenblick zweifelhaft blieb. Es war Frau von Ehrenberg! Ich schloß sie in meine Arme als eine theuere Bürgschaft #Ihrer# -- als eine Bürgschaft der Gesinnungen so manches mir ewig unvergeßlichen Wesens aus Ihrer Mitte. Ich fühlte es, daß ihr Kommen mir die Gewähr leiste, wie ich Sie Alle früher oder später doch gewiß einmal wiedersehen und mit unbewölktem, freiem, leidenschaftslosem Sinne mich an Ihre Brust werfen werde. Sie wollen von meinem Leben und Weben, von der Rückkehr meiner moralischen und physischen Kraft ein deutliches Bild haben? Ich bin wieder völlig wohl, und wenn mein voriges Sein wirklich etwas gewesen wäre, wovon man eine freudige Selbstanschauung haben könnte, so dürfte ich mich freuen, dieselbe wieder geworden zu sein, die ich war. Dagegen sind die von Außen auf mich einstürmenden Uebel noch immer im lebhaftesten Wettstreit miteinander, welchem von ihnen es gelingen möchte, in meinem Gefühl als das vornehmste zu gelten. Für meinen armen, noch immer in völliger Kraftlosigkeit hinschwindenden Julius sind vor acht Tagen zwei Krücken vom Tischler geliefert worden -- die er aber, als sie ankamen, als für jetzt noch unbrauchbar auf die Seite stellen ließ. Und als ich am zweiten Pfingstmorgen mich anschickte, mit unserer lieben Angekommenen die Frische nach einem erquicklichen Regen in den schönsten Frühstunden auf einem Gange durch den Thiergarten zu genießen, fand ich meinen Richard in seinem Bette ächzend und in Fieberglut, und seit gestern hat er das Scharlachfieber. So bin ich denn außer den wenigen Stunden, die unsere Freundin uns hier auf meinem Zimmer gönnen konnte, zu keinem vollständigen Genusse ihrer lieben Gegenwart gekommen. Mit welchem Antheil ich dagegen nach allen Einzelnheiten des schönen Verhältnisses fragte, das zwischen ihr und Ihrem lieben Hause obwalte, wie freudig ich den Beschreibungen Ihrer Kunstgenüsse, Ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen, Ihres Stilllebens mich hingab -- das mag Frau von Ehrenberg's eigene seelenvolle Rede Ihnen sagen. Ich hatte mich auf einen recht langen Brief an Sie gefreut, mein verehrter Freund, aber ich sehe nun doch, daß es anders kommt, als ich dachte, und ich eilen muß, wenn ich der Unruhe meines kranken Richard, an dessen Bett ich dies schreibe, die paar ruhigen Augenblicke noch abgewinnen will, die ich dem leidigen Geschäftsinhalt unserer Correspondenz noch zu widmen habe. Meine Antwort auf Hempel's Brief, mein letztes Schreiben an Brockhaus werden Sie gelesen haben. Nichts also mehr über meine allgemeine Ansicht, über die Entschließung, welche ich gefaßt haben würde, wenn ich freie Hand gehabt hätte. Mir däucht's, daß Sie Ihrem Sinne nach mit beiden Briefen zufrieden sein müßten. Diejenigen jedoch, an welche diese Briefe gerichtet waren, scheinen dies nicht; warum sollten sie mir nicht schon längst geantwortet haben? Denn auch den Brief von Brockhaus, worauf Sie mich als auf eine Bestätigung der frohen Hoffnung zur endlichen Ausgleichung verweisen, habe ich bis heute noch nicht erhalten .... Frau von Ehrenberg übernimmt es, mündlich hinzuzufügen, was meinen Worten versagt ist: den vollen, wahren Ausdruck der Liebe, des sehnsuchtsvollen Antheils, mit welchem ich ewig sein werde Ihre M. Spazier, geb. Mayer. Brockhaus betrachtete sein Verhältniß zu ihr als definitiv gelöst, und sie selbst schien sich auch darein zu ergeben, wie sich denn auch die hier von ihr ausgesprochene Hoffnung auf »endliche Ausgleichung« nur auf die noch immer nicht geordneten finanziellen Verwickelungen aus der Zeit ihres Aufenthalts in Altenburg bezieht. Diese Verhandlungen berührten Brockhaus nicht direct und wurden auch meist nur zwischen ihrem Vater und dem Advocaten Hempel geführt. Doch gab sich Brockhaus alle Mühe, wie er einmal schreibt, »die Verwickelung mit Milde zu lösen«. Auch blieb er trotz allem Vorgefallenen mit ihr selbst in freundschaftlichem und selbst geschäftlichem Verkehr, ohne daß ihr Verhältniß je wieder ein näheres geworden wäre. Er schreibt darüber an Bornträger aus Altenburg vom 30. August 1811, nachdem er ihm obige Verhandlungen mitgetheilt: Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt, und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die herrlichsten Briefe, worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie in ihrem letzten Briefe: »Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel unsers Hoffens und Ausharrens ist!« Brockhaus fügt dem hinzu: Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen wären .... Sie übersetzte in dieser Zeit für Brockhaus die von Frau von Staël-Holstein französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« ins Deutsche[43]; an der Herausgabe der »Urania« war sie dagegen nicht weiter betheiligt, indem Brockhaus diese vom dritten Jahrgange an selbst übernahm. * * * * * Während Brockhaus' fernere Schicksale später im Zusammenhange mit der weitern Gestaltung seiner geschäftlichen Thätigkeit zur Darstellung kommen, sei der Lebenslauf Minna Spazier's gleich hier kurz bis zu seinem Ende verfolgt, zumal derselbe Brockhaus' Lebenswege nicht weiter durchkreuzte. Nachdem sie die Jahre 1811-1814 im älterlichen Hause in Berlin verbracht, folgte sie einem Rufe nach Neustrelitz als Lehrerin an der dortigen herzoglichen Töchterschule, gab diese Stellung aber bald wieder auf, um die Erziehung zweier Söhne eines Herrn von Jasmund daselbst zu übernehmen. Im Jahre 1816 zog sie nach Dresden und verheirathete sich mit dem dortigen auch als Physiker und Chemiker geschätzten königlichen Hoforgelbauer Johann Andreas Uthe, nach dem sie sich auf ihren spätern Schriften Uthe-Spazier nennt. Hier starb sie am 11. März 1825. Ihr jüngster Sohn erster Ehe, Richard Otto Spazier (geb. 1803), widmete sich ebenfalls der literarischen Laufbahn. Nach dem Tode seiner Mutter rief ihn sein Oheim Jean Paul im Herbst 1825 zu sich nach Baireuth, um bei einer neuen Ausgabe seiner Werke sich von ihm unterstützen zu lassen, doch starb Jean Paul bald darauf (am 14. November). Spazier schrieb ein kleines Werk über Jean Paul's letzte Tage und Tod (Breslau 1826) und später eine Biographie desselben: »Jean Paul Friedrich Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bände, Leipzig 1833). Von Baireuth ging er erst nach Nürnberg, 1831 nach Leipzig, wo er lebhaften Antheil an dem Schicksal Polens nahm und eine Geschichte des polnischen Aufstandes der Jahre 1830 und 1831 in drei Bänden schrieb, endlich 1833 nach Paris, wo er sich bleibend niederließ; in sein Vaterland zurückgekehrt, starb er 1854, an Körper und Geist gebrochen. Nach einer Angabe in einem Nekrolog seiner Mutter[44] hatte er die Absicht, eine Beschreibung ihres Lebens herauszugeben, doch ist eine solche unsers Wissens nie erschienen. 4. Abschluß der amsterdamer Zeit. Während der stürmischen Zeit, die sich an die Katastrophe mit der Hofräthin Spazier anschloß, hatte Brockhaus nicht nur heftige Kämpfe in seinem Innern zu bestehen, er hatte um seine ganze Existenz, um die Aufrechthaltung seines mühsam aus kleinen Anfängen bereits zu Ansehen gelangten buchhändlerischen Geschäfts zu ringen. Und es bedurfte seiner ganzen Energie und Zähigkeit, seines rastlosen Fleißes und seines Vertrauens auf die eigene Kraft, um in diesem doppelten Kampfe nicht zu unterliegen. * * * * * Sofort nach seiner Ankunft in Altenburg und nach der nur zur Gewinnung einer vorläufigen Ruhe erfolgten Abtretung seines Geschäfts an Frau Spazier hatte er theils persönlich, theils durch seine altenburger Freunde Schritte gethan, um die Gläubiger in Leipzig, die ihn am meisten drängten, zu befriedigen. Es waren dies meist Buchdrucker, bei denen er seine Verlagswerke drucken ließ, und Buchhändler, deren Verlag er für sein amsterdamer Sortimentsgeschäft bezogen hatte. Die Mehrzahl war auf seine Vorschläge und Anerbietungen eingegangen. Einige aber wollten mit der Bezahlung ihrer ansehnlichen Forderungen nicht warten. Dabei fehlte es ihm an allen Einnahmen, denn das von seinem amsterdamer Sortimentsgeschäft Eingehende mußte zur Abwickelung dortiger Verbindlichkeiten verwandt werden, und Bornträger konnte ihm somit trotz wiederholter dringender Bitten keine Rimessen machen. Aus seinem Verlagsgeschäfte aber konnte er nach der Einrichtung des deutschen Buchhandels vor der Ostermesse keine Einnahmen erwarten. So war seine finanzielle Lage in Altenburg nach der Rückkehr von Berlin eine äußerst beengte, zumal er die neugewonnenen Freunde nicht um Unterstützung ansprechen mochte. Am 8. Februar schreibt er an Bornträger: er habe mit dem von der berliner Reise übrig behaltenen einzigen Louisdor bis jetzt, also drei Wochen lang, auszukommen gesucht und zu dem Ende die allerstrengste Oekonomie eingeführt, nie zu Abend gegessen, nicht ordentlich gefrühstückt u. s. w.! Und dabei beschäftigte er sich in dieser selben Zeit außer mit der Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse mit den Vorbereitungen zu einer neuen Auflage des »Conversations-Lexikon«, nicht blos als Verleger, sondern als Redacteur! In solcher Lage konnte er nicht lange bleiben, wenn er nicht ganz untergehen sollte. Er hatte gehofft, daß es Bornträger gelingen werde, das amsterdamer Geschäft entweder wieder in Schwung zu bringen oder aber zu verkaufen, um ihm dadurch die Mittel zur vollständigen Regelung seiner Angelegenheiten zu bieten. Als aber weder das Eine noch das Andere erfolgte, obwol über jenen Verkauf schon mehrfache Unterhandlungen stattgefunden hatten, da faßte er mit seiner gewohnten Energie den raschen Entschluß: selbst wieder nach Amsterdam zu reisen. * * * * * Die nähern Umstände seiner plötzlichen Abreise von Altenburg am 5. März und seine Ankunft in der Nähe von Amsterdam am 11. März schildert er in folgendem an Bornträger gerichteten Briefe, der unterwegs in mehrern Pausen geschrieben ist: Deventer, Nachts 12 Uhr, Sonntag, 10. März 1811. Sie werden nicht wenig erstaunen, lieber Schmidt, wenn Sie die Ueberschrift Deventer erblicken von meiner Hand und den Datum desselben Tags, wo Ihnen der Brief auch schon zukommt. Ich bin Ihnen bei Empfang desselben noch viel näher, vielleicht gar nur wenige Schritte von Ihnen entfernt! Mit Recht neues Erstaunen! Wie dem eigentlich sei, erfahren Sie am Schluß dieses, da ich in diesem Augenblicke selbst darüber noch keinen Entschluß genommen habe. Und nun den Zusammenhang dieser phantastischen Nähe? Die unglückliche Unbestimmtheit und nichtssagende Kürze Ihres Briefs vom 19. Februar, den ich erst am 3. März erhielt, hatte mich gleich vom ersten Augenblicke an gewaltsam ergriffen und mich über Ihre Indolenz bei einer so wichtigen Verhandlung in Verzweiflung gebracht. Was blieb mir aber übrig anders als die traurige Ressource, Ihnen in einem Briefe zu sagen, wie viel daran fehlt, daß Sie mich in Stand gesetzt hätten, einmal ein Urtheil zu fällen, geschweige denn einen Entschluß nehmen zu können! Hempel und Ludwig, denen ich meine Ansichten mittheilte, theilten sie ganz, und wir alle konnten nicht begreifen, wie Sie einen Gegenstand von so majeurer Wichtigkeit mit einer solchen Indifferenz hatten behandeln können. Ich schrieb also den Brief, den Sie einliegend finden. Als ich bis zu dem Punkt gekommen war, wo Sie ihn abgebrochen finden, tritt Hempel zu mir ins Zimmer und sagt: »Brockhaus, wie wär's, wenn Sie jetzt selbst nach Amsterdam gingen und auf einem oder dem andern Wege Resultate herbeiführten? Glauben Sie ohne persönliche Gefahr die Reise machen zu können? Reisegeld steht Ihnen von mir zu Diensten.« Ich wurde wie elektrisirt von diesen Worten. Ich hatte den Gedanken ob seiner Kühnheit nicht haben dürfen. Und da ich der persönlichen Gefahr durch Klugheit und verständiges Benehmen entgehen konnte, so war mein Entschluß in der Minute gefaßt. »Ich reise!« Die Feder wurde nun fortgeworfen, und wir eilen zu Ludwigs, um hier zu verkünden und näher zu überlegen. »Ja, ja, reisen Sie, machen Sie, daß Sie dort schnell abschließen, oder doch finale Entschlüsse nehmen, und kommen Sie bald, bald wieder!« Die Reise wurde gleich auf den andern Morgen festgesetzt, und ich brachte den Rest des Tags mit kleinen Anordnungen und mit Abschiednehmen der genauern Freunde hin. Den Abend hatte man im Ludwig'schen Hause noch eine kleine Abschiedfête veranstaltet, die ebenso heiter als meine Trennung von diesen vortrefflichen Menschen traurig war. Montag früh reiste ich nun über Leipzig ab, das nöthig war, weil ich mir mit Mitzky[45] in Reudnitz ein Rendezvous gegeben hatte, das ich nicht konnte absagen lassen aus Kürze der Zeit. Meine Unterhaltung mit diesem in Reudnitz und wieder in Leipzig dauerte so lange, daß ich erst Montag Abend um 10 Uhr von Leipzig nach Halle abfahren konnte. Von Montag Abend 10 Uhr bis Sonnabend 11 Uhr habe ich also die beschwerliche Reise von Leipzig bis Deventer gemacht, was bei den grundlosen Wegen wirklich außerordentlich schnell gereist ist. Es sind fünf Tage gerade. Ich bin aber auch wie gerädert! Unstreitig hätten Sie, wenn Sie eine Stunde mehr Zeit zu Ihrem Briefe genommen hätten, mir die ganze Reise, ihre Beschwerden, ihre Gefahren und die großen Kosten, die hin und her wenigstens 6-700 Gulden betragen werden, ersparen können! Und Sie hätten mir dies Alles, auch ohne Rücksichten auf die besondern Umstände, ersparen sollen, da jeder Geschäftsbericht immer und nothwendig bestimmt und erschöpfend sein muß. Die Rettung meines ganzen künftigen Lebens hängt von Momenten ab. Gehen diese Momente unbenutzt vorüber, so ist mein ganzes künftiges Leben verloren. Ich konnte also kein Bedenken tragen, Alles zu wagen und daranzusetzen, um nur zu einem Resultate zu kommen! Ich komme aber gewiß nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen! Wir müssen uns vereinigen, um schnell irgendein Resultat herbeizuführen. Der Postillon bläst schon zum dritten mal. Für hier also genug. Amersfoort, Morgens 10 Uhr. Ich habe mich entschlossen, bis Muiden nur zu fahren, von dort diese Briefe per Expressen nach Amsterdam (zwei Stunden von Muiden) zu schicken und Sie einzuladen, wie es hierdurch geschieht, entweder noch diesen Abend zu mir nach Muiden hinauszukommen, oder sonst morgen früh. Mein Logis werde ich Ihnen unten bezeichnen. Es bedarf keiner Erinnerung, daß Sie auch #keiner# Seele etwas von meiner Nähe sagen! Wir werden überlegen, wo ich eine Zeit lang verweilen könnte! Unstreitig in Amsterdam selbst am sichersten und unbemerktesten. Denken Sie gleich darüber nach, und wo das Schild: »_Hier zyn gestofferde kamers te huur_« (hier sind möblirte Zimmer zu vermiethen) aushängt, auf einer etwas abgelegenen Straße oder Gracht. Muiden, Abends halb 5 Uhr. Ich bin hier bei Meyer logirt, dem ersten Gasthof über der Brücke rechter Hand von Amsterdam her. Ich schicke Ihnen diesen Brief per Expressen, um sicher zu sein, daß er Ihnen heute zugekommen ist. Sind Sie zu Hause gerade, wenn er kommt, so habe ich es gern, Sie noch diesen Abend zu sehen. Sind Sie aber nicht zu Hause, so ist es mir recht, wenn Sie erst morgen kommen; da ich in acht Tagen nicht zu Bette gekommen, so bedarf ich ohnehin heute Ruhe. Nun, bis zum persönlichen Sehen! Ganz Ihr Brockhaus. In Muiden blieb Brockhaus ungefähr drei Wochen, hielt sich aber ab und zu auch einen Tag in Amsterdam selbst auf. Seinem energischen persönlichen Eingreifen gelang es bald, die seit Anfang des Jahres schwebenden Unterhandlungen über den Verkauf des amsterdamer Geschäfts zu einem erwünschten Abschlusse zu bringen. Dieser erfolgte am 21. März, die Zahlung der Kaufsumme am 1. April. Käufer des Sortimentsgeschäfts sammt dem ansehnlichen Lager war der Buchhändler Johannes Müller, der zwei Jahre vorher (am 1. Mai 1809) eine Buchhandlung in Amsterdam unter der Firma J. Müller & Co. errichtet hatte (1837 wurde diese Firma in die noch jetzt bestehende: Johannes Müller, umgewandelt). Gleichzeitig suchte Brockhaus, um die Transportkosten nach Leipzig zu ersparen, auch die in Amsterdam lagernden Vorräthe seines ältern Verlags zu verkaufen, ebenso die nicht unbedeutenden Außenstände seines bisherigen Geschäfts. Es gelang ihm wenigstens, die Einleitungen dazu zu treffen, während der Kaufvertrag darüber erst im folgenden Jahre, am 4. März 1812, durch Bornträger in Amsterdam abgeschlossen wurde. Käufer hiervon war der amsterdamer Buchhändler Christian George Sülpke, dessen Handlung ebenfalls noch jetzt besteht. An keinen der beiden Käufer war übrigens Brockhaus' bisherige Firma: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, mit verkauft worden. Diese behielt vielmehr Brockhaus auch in Altenburg vorläufig bei, nur daß er meist »von Amsterdam«, und als Verlagsort »Altenburg« oder »Leipzig« hinzusetzte. * * * * * Der Aufenthalt in Muiden war für Brockhaus mit mancherlei Gefahren verbunden. Er wollte seine Anwesenheit in der Nähe von Amsterdam geheimhalten, um allen neugierigen Nachfragen und persönlichen Belästigungen wegen des Hiltrop'schen Processes und anderer noch schwebender Verhandlungen zu entgehen. So verkehrte er wesentlich nur mit Bornträger, der ihn fast täglich in seinem Versteck besuchte, da eine regelmäßige Verbindung zu Wasser zwischen Amsterdam und Muiden durch eine mehrmals des Tags hin- und hergehende Schuyt bestand; außerdem sah er nur noch zwei seiner ältesten Freunde, deren Namen er aber in seinen Briefen nicht nennt. Eine weitere Schwierigkeit entstand daraus, daß er Altenburg bei seiner eiligen Abreise ohne Paß, diesen damals so nothwendigen Reisebegleiter, verlassen hatte, vielleicht absichtlich, um eben nicht erkannt zu werden. Diesem letztern Uebelstande half er dadurch ab, daß er sich von Bornträger dessen Paß geben ließ und der holländischen Dorfbehörde vorlegte. Freilich konnte er denselben mit ebenso viel oder -- so wenig Recht wie Bornträger führen, da der Paß auf den Namen Friedrich Schmidt lautete! In einem der zahlreichen und oft ausführlichen Briefe, die er auch in dieser Zeit trotz der häufigen Besprechungen an Bornträger sandte, schreibt er: Gestern Abend habe ich denn auch hier Namen, Wohnort, Dauer des Aufenthalts, Paß von woher? aufgeben müssen. Da ich meinen Namen nicht nennen konnte, noch sagen, der Paß sei vom König u. s. w., so habe ich gesagt: »Schmidt von Leipzig mit Paß vom dortigen Magistrat«, und um zu vermeiden, darüber viel inquirirt zu werden, habe ich nur zwei bis drei Tage Aufenthalt angegeben. Gott gebe nur, daß man heute nicht den Paß zu sehen verlangt! Auf alle Fälle bringen Sie mir diesen Abend den Ihrigen mit. Langes Bleiben ist auf diese Weise hier nicht. Und bevor er diesen Paß hat und weiß, ob er mit demselben sich legitimiren kann, fordert er Bornträger auf, ihm noch einen andern Paß, wieder auf dessen angenommenen Namen, zu einer Reise nach -- Paris zu verschaffen! In demselben Briefe theilt er ihm nämlich mit, daß er vorhabe, sobald der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen sei, einen Abstecher nach Paris zu machen, um die Zwischenzeit während der weitern Unterhandlungen über den Verkauf des ältern Verlags zweckmäßig in geschäftlichem Interesse zu verwenden: _Enfin_: Nothwendigkeit, Langeweile und Unsicherheit hier, Interesse, Lust vereinigt sich, mir diese Reise, wozu drei Wochen hinreichen würden, anzurathen. Es ist nur (!) für einen Paß zu sorgen. Ich wünschte immerhin, daß Sie es wieder versuchten, auf Ihren Namen diesen Paß zu erhalten. Auf die Beschreibung der Person wird doch nicht gesehen, und da ich in Paris durch Forssel und Schöll doch allen Beistand finden würde, so habe ich gar keine Bedenklichkeit. Und #Sie# brauchen gar keine zu haben. Ich wünschte also sehr, daß Sie womöglich noch heute den Versuch dazu machten. Aus dieser Reise nach Paris wurde indeß nichts, vielleicht weil der betreffende Paß doch nicht zu erlangen war; dagegen scheint der bereits vorhandene Paß Bornträger's seine Schuldigkeit gethan zu haben, da Brockhaus statt zwei bis drei Tage drei Wochen in Muiden und Amsterdam blieb, ohne Anfechtungen zu erleiden; er benutzte denselben auch später zur Rückreise nach Deutschland und schickte ihn auf halbem Wege, aus Münster, mit bestem Dank an Bornträger zurück, mit der Bemerkung, daß er ihn übrigens gar nicht gebraucht habe. Anfangs freilich war er in Muiden wegen seiner Sicherheit noch sehr besorgt; er ließ sich von Bornträger einen Hut mitbringen, weil er mit seiner Mütze keinen Schritt thun könne, ohne daß die Kinder ihm nachhöhnten, und bat ihn, die Briefe, die er ihm schicke, selbst auf der Postschuyt abzuholen, damit die häufige Correspondenz dem Markthelfer Jan nicht auffalle. Dieser schien aber doch die Anwesenheit seines Principals, an dem er sehr hing, bemerkt zu haben und suchte ihn eines Tags in Muiden auf. Brockhaus meldet dies gleich an Bornträger: Ich hatte Ihnen schon die einliegende kleine Einlage geschrieben, als zu meinem Entsetzen mir ein »Herr« gemeldet wird, der mich sprechen wolle. Ich lasse seinen Namen fragen und da ist es denn -- Jan! Wenn Bornträger einen Tag ausblieb, war Brockhaus gleich sehr gereizt. So schreibt er ihm einmal: Ich leugne Ihnen nicht, daß ich gestern über Ihr Nichtkommen pikirt gewesen bin. Zufolge Abrede hatte ich für Sie Essen mit machen lassen, und so erwartete Sie auch dies von 2 bis 4 Uhr, wo statt Ihrer selbst ein Brief kam. Im gemeinsten Leben schon wird dies für eine sehr große Unhöflichkeit gehalten. Daß Sie um 5 Uhr schon zurückgemußt hätten, dazu sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein. Es geht noch eine spätere Schuyt, und Muiden ist auch nicht so weit von Amsterdam, daß man im äußersten Falle die zwei Stündchen nicht zu Fuße machen könnte. Sie konnten aber auch des Nachts bleiben. Wenn man, wie ich gethan habe und thun muß, 360 Stunden reist, um mündlich Explicationen zu holen und zu geben, die schriftlich zu geben war versäumt worden, so ist man eifersüchtig darauf, wenigstens die daseiende Gelegenheit ganz zu benutzen. Von meiner Einsamkeit hier will ich nicht sprechen, da ich mich immer zu unterhalten weiß, wenn ich auch allein bin. Einliegend ein Promemoria, dessen Ausführung ich Ihnen empfehle und stete Wiedernachsehung und Fortführung desselben, bis Alles besorgt ist. In einem Tage läßt es sich nicht besorgen, das weiß ich. Sie heben dieses Promemoria auf. Wir werden es dann immer nachsehen und beischreiben. Herüberkommen nach dem Reythuys werde ich weiter nicht; es ist mir auch zu theuer. Könnte ich mit der Schuyt gehen, so würde ich es thun, aber wegen der Menge Menschen, die darin, geht das nicht. Kommen Sie also so oft hierhin, als es nöthig ist, oder schreiben Sie. Jenes am besten per Schuyt, da das Reiten eher auffällt. Jenes Promemoria (eine Form der Mittheilung, die Brockhaus sehr liebte) füllt zwei engbeschriebene Folioseiten und enthält 28 Punkte, geschäftliche und persönliche Angelegenheiten betreffend. Er benutzte eben die Zeit und Einsamkeit, um alles in Amsterdam noch zu Erledigende von hier aus in Ordnung zu bringen. Als Punkt 10 bemerkt er: Ich wünschte meine Ihnen von August an geschriebenen Briefe mal wieder durchzulesen. Legen Sie sie also zusammen und lassen sie durch Jan heften, wie ich die Ihrigen habe. Meine Briefe lasse ich Ihnen gern; ich möchte nur bei ihrem Durchlesen die furchtbare Zeit nochmal durchleben. Außer in dieser jüngsten Vergangenheit (in die ihn auch die früher von uns mitgetheilten, von hier aus geschriebenen Briefe an Karoline Richter und die altenburger Freunde über die definitive Lösung seines Verhältnisses zur Hofräthin Spazier zurückversetzten) lebte er viel in der wehmüthigen Erinnerung an die jener Katastrophe vorangegangene traurige Zeit, in der er seine heißgeliebte Frau verloren hatte. War sie doch auf dem Kirchhofe desselben Dorfes Muiden, in dem er durch eine eigenthümliche Schicksalsfügung jetzt längere Zeit verweilen mußte, begraben. Nach ihrem Grabe richtete er fast täglich seine Schritte. Er schreibt einmal an Bornträger: Ich war diesen Abend am Muiderberg. Ich habe Sophiens Grab wieder besucht und zugleich die himmlischen Environs am Gestade des Y. Es ist die schönste Partie, die ich je in Holland gesehen, und der Abend war köstlich in seiner Linde und Heiterkeit. Wir müssen das nochmal zusammen besuchen. Ich war sehr glücklich in meiner Wehmuth und Trauer. In einem Briefe an Frau Ludwig in Altenburg vom 22. März gibt er eine anziehende Beschreibung seines Zufluchtsorts und des Lebens daselbst: Meine hiesigen Geschäfte verlängern sich um einige Tage, eine Zeit, die mir für meine Petulanz eine Ewigkeit dünkt. Ich hatte gehofft, so viel Zeit zu gewinnen, um einen kleinen Abstecher nach dem Sirenen-Gestade an der Seine zu machen, aber es ist nicht gelungen, und ich muß darauf Verzicht thun. Da ich hier nur einen einzigen Zweck habe, so bekümmere ich mich auch um keinen andern. Ich sehe Niemanden als zwei vertraute Freunde und Schmidten, meinen guten mir sehr anhängigen Manus (so verkürzt man hier den Domestikennamen Hermann) und mein kleines armes Mädchen! Ich bin abwechselnd in meinem Hause und in Muiden. Aus dem Briefe an Ihre Schwester wissen Sie, welch ein theures Andenken hier für mich ruht. Die Reize dieser Gegend sind mir erst jetzt bekannt geworden. Hätte ich Matthisson's, Forster's oder Ludwig's Griffel oder van der Velde's oder Claude's Pinsel, so würde ich es versuchen, Ihnen ein Bild davon zu geben. Aber so kann ich Ihnen nur einfach sagen, daß es eins der reizendsten holländischen Dörfer ist, in einem herrlichen Buchen- und Lindenwalde gelegen, umgürtet von den angenehmsten _campagnes_, wahren Idyllen der schönen Gartenkunst (lassen Sie sich von Ludwig die holländischen Landhäuser mal beschreiben), und gelehnt an den schönen Meerbusen, das Y genannt. Hier ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Für mich gibt es nichts Erhabeneres und mehr Hebendes in der Natur als das unendliche, immer gährende, immer kämpfende, immer sich vereinigende Spiel der Wellen des Oceans. Doch hier ist der Charakter desselben milde, da, wie Sie auf der Karte sehen könnten, obgleich Ausfluß der Nordsee, seine tobende Gewalt doch gebrochen ist. Ich denke mir, daß die schönen schweizer Landseen mit einem solchen Meerbusen viele Aehnlichkeit haben werden. Die Aussicht von Muiden aus über denselben weg ist wunderschön. Links ist der äußerste Horizont mit den Hunderten von Thürmen und Mastbäumen Amsterdams und seines Hafens begrenzt, gegenüber mit den Beweisen der thätigsten Industrie dieses fleißigen Volks: den Windmühlen Nordhollands; rechts nach dem Pampus hin, wo es in die Nordsee hinausgeht, sieht man auf unzähligen Punkten, so weit das Auge reicht, Fischer mit aufgespannten Segeln in ihren Kähnen und Booten halten und ihrem mühseligen Gewerbe obliegen. Einmal bin ich mit auf den Fang ausgewesen. Wir hatten eine tüchtige Partie Heringe, die um die jetzige Zeit hier gefangen und getrocknet werden, wo sie Bücklinge heißen, und auch einige Barsche gefangen, welche eins der Lieblingsgerichte der Holländer und auch von mir sind. Man kocht sie in Wasser mit Selleriewurzeln, und sie werden so mit Butterbrot durchwürzt und mit gemengtem süßen weißen und rothen Bordeauxwein als Zugabe genossen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß ich ein wenig Gourmand bin, wo ich's haben kann, und so lasse ich mir diese _waterzootjes_ (Gericht Barsche) oft herrlich schmecken. Englische Austern, worauf ich mich so gefreut, gibt's aber dies Jahr hier nicht, sie sind wol mit dem Englischen Pflaster und der Englischen Krankheit in eine Kategorie gesetzt worden! Ueberhaupt hört man nichts als Klagelieder und Verwünschungen der jetzigen Zeit und ihres Beherrschers. Ich werde Ihnen über dies Alles mal viel erzählen können. Wie er hier berichtet, wagte er sich doch auch nach der Stadt hinein, besonders um sein jüngstes Kind Sophie, jetzt anderthalb Jahre alt, öfters zu sehen, die bei dem Kaufmann Trippler und dessen Frau untergebracht war. Freilich war dies mit Gefahr für ihn verbunden, zumal in seinem eigenen Hause, wo er öfters bei Bornträger wohnte, ein französischer Oberst einquartiert war. Hier mußte er sich auch an dem officiell befohlenen Jubel über die am 20. März 1811 erfolgte Geburt des Sohnes Napoleon's (des am 22. Juli 1832 gestorbenen Herzogs von Reichstadt) betheiligen. Er beschreibt dies in folgendem, am 26. März an Ludwig gerichteten Briefe, der zugleich über seine Stimmung und über sein Töchterchen handelt: Sonnabend (23. März) war allgemeine Illumination wegen der Geburt des Sohnes von Bonaparte. Wir mußten auch illuminiren! Mit welchem Herzen es von uns und allen Bürgern geschah, darüber mag Gott urtheilen. Es that mir ordentlich wehe, daß Amsterdam sich einzig schön bei einer solchen Illumination ausnimmt. Nur Venedig kann darin mit ihm rivalisiren. In den herrlichen breiten Kanälen reflectirt das tausendfarbige Spiel der Lichter wunderschön, und man glaubt in Armidens bezauberten Palästen zu wandeln. Der Abend und die Nacht war herrlich und ganz sternenklar, und mehr wie hunderttausend Menschen wogten auf den Straßen und Grachten. Mich drückte dies Alles aber sehr nieder. Ich fühle mich einsam und verlassen hier, und meine Sehnsucht ist nur: wieder weg, zu meiner neuen Heimat, die ich bei Ihnen, liebster Ludwig, setze. Wäre Vieles nicht gewesen, so ließe sich vielleicht noch ein neues Leben ordnen. Aber, was ist erst noch im alten Leben zu ordnen, ehe an eine neue Ordnung kann gedacht werden! Ihre thätige Freundschaft, edler Mensch, werde ich noch oft in Anspruch nehmen müssen. Ich bedarf einer äußern Stütze immer. Immer habe ich den besten Willen, es fehlt mir auch nicht an guten Ideen, aber ich bin muthlos geworden. Ich traue mir selbst nicht recht mehr, und meine Kraft ist daher gelähmt. Die bittern Erfahrungen, die ich in den letzten sechs Monaten gemacht habe, haben meine Scheu und Furcht vor den Menschen sehr vermehrt, und gewiß, hätte ich nicht in Ihnen und in Allem, was zu Ihrem Kreise, lieber Ludwig, in der Nähe und Ferne gehört, ein Antidot gefunden, das mich wieder mit der Welt versöhnt hätte, so würde ich Meinau's[46] Charakter ins wirkliche Leben übergetragen haben. Die Sorge für mein kleines armes Mädchen Sophiechen beschäftigt mich hier sehr. Ich habe es auf allerhand Weise überlegt, ob ich es nicht mit mir nehmen könnte. Aber es geht nicht. Mein eigenes Schicksal ist noch zu ungeordnet. Ohne häusliche Einrichtung würde ich gar nicht wissen mit dem Würmchen, wo dort bleiben. Und dann, wie will ich es mit mir fortkriegen? Ein holländisches Wartemädchen könnte ich doch nie in Sachsen bei mir behalten, müßte es also zurückschicken, das sehr viel kosten würde. Ich reise dazu so schnell und muß so schnell reisen, daß ein Kind von so zartem Alter darüber würde zu Grunde gehen. Nach Dortmund habe ich darüber geschrieben, aber keine günstige Antwort bekommen. Seit Luisens Tode, der Schwester Sophiens, die gerade starb, wie Minna mit Ihnen auf der Michaelismesse in Leipzig war, ist für meine armen Kinder die zweite Mutter auch verloren! Ich muß daher das kleine Mädchen noch hier lassen, so sehr sich auch mein Herz und Alles in mir dagegen sträubt. Es ist zwar hier bei sehr guten Leuten, die es wie ihr eigenes Kind lieben, aber es widerstrebt mir auch besonders, es in der Stadt zu wissen. Ich werde vielleicht noch Gelegenheit finden, es aufs Land zu thun, und morgen deshalb mit einem Freunde aus der Stadt gehen. Verzeihen Sie, lieber Ludwig, daß ich Sie von diesen meinen Particularissimis nur allein unterhalte. Aber wirklich, wofür kann ich auch in diesem Augenblicke anders Sinn haben als dafür? Mein Schicksal war seit funfzehn Monaten sehr schwer und düster. Einige Sonnenblicke erhellen es jetzt. Darüber schweigt sich denn nicht gut. Man ist wie ein genesender Kranker, der immer von seiner Krankheit erzählt. Leben Sie wohl, lieber Ludwig. Gruß an Alle, die Ihnen angehören! Ueber den hier erwähnten Tod seiner Schwägerin hatte er am 14. October 1810 aus Altenburg an Bornträger geschrieben: Noch muß ich Ihnen eine traurige Begebenheit melden, die ebenfalls auf mein häusliches Verhältniß vielen Einfluß haben wird. Es ist der Tod von Sophiens ältester Schwester Luise, der Madame Rittershaus, bei der Fritz mit war. Sie war eins der edelsten Weiber, die ich je gekannt habe; sie hatte Sophiens himmlische Güte, aber mehr Energie, Kraft und Würde. Ihr Verlust ist unersetzlich auch für mich. Und für die Welt. Sie war Mutter von vier Kindern erster Ehe. Mit ihrem zweiten Manne erhielt sie noch zwei. Außerdem nahm sie noch meinen Fritz zu sich und eine Tochter des unglücklichen Hiltrop, der mit mir den Ihnen bekannten Proceß hat. Acht Kinder beweinen also das edle Weib, und mit ihnen ihr trostloser Gatte, ihre Geschwister, Alle, die sie kannten. Noch nie hat vielleicht in Dortmund ein Todesfall solche Sensation erregt als dieser. Ich werde dadurch um so mehr eilen müssen, ein oder zwei Kinder zu mir zurückzunehmen. Und das in dieser Katastrophe! Wieder welch ein schweres Verhängniß! Nachdem endlich der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen war, rüstete sich Brockhaus zur Abreise und beschäftigte sich nur noch mit dem Ordnen der mitzunehmenden und der zurückbleibenden Gegenstände. Manches ihm sehr Werthe mußte er in Amsterdam zurücklassen. »Wenn ich das Alles so betrachte«, schreibt er, »so blutet mir das Herz. Die Beschäftigung ist für mich unsäglich angreifend. Fast jedes Stück hat irgendeine mir theuere Erinnerung.« Die Zahlung der Kaufsumme hatte contractmäßig erst elf Tage nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 1. April, zu erfolgen, und da Johannes Müller diese Frist streng einhielt, so verzögerte sich Brockhaus' Abreise wieder. Er schreibt mit Bezug darauf an Bornträger: Ich sitze wie auf Nadeln. Denken Sie sich meine Stimmung und rechten Sie noch über Worte! Meine Empfindungen für Sie kennen Sie! Heute sind zehn Dreispänner von Amersfoort hier durchgekommen, die nach Amsterdam gingen, um dort morgen für Leipzig zu laden. Ich habe selbst mit ihnen gesprochen. Wären nun unsere Sachen schon fertig, so könnten sie mit versandt werden! An Hempel in Altenburg richtet er in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 30. März folgende Worte, die am besten seine Stimmung nach dem endlichen Abschlusse der amsterdamer Angelegenheiten wiedergeben: Gebe Gott, daß ich endlich zur Ruhe komme und aufs neue thätig und nützlich wirken kann! Meine Sehnsucht nach dieser Ruhe und dieser neuen fruchtbringenden Thätigkeit ist unaussprechlich! Am 1. April mittags konnte er endlich Amsterdam verlassen. Sein nächstes Ziel war Münster, wohin sein Bruder Gottlieb mit den Kindern von Dortmund kommen wollte, da Brockhaus wegen des Hiltrop'schen Processes Bedenken tragen mußte, jetzt seine Vaterstadt zu betreten. Er reiste über Arnheim, um seinen frühern Associé Mallinckrodt zu besuchen, und mußte dort wider Willen trotz seiner Ungeduld einen ganzen Tag bleiben, weil durch ein Versehen des Postillons sein Mantel in Amersfoort liegen geblieben war. So kam er einen vollen Tag später, als er gewollt, am 3. April abends, in Münster an. Dort fand er nur zwei seiner Kinder, Friedrich und Karoline, während die drei andern, Auguste, Heinrich und Hermann, in Dortmund zurückgeblieben waren. Und noch ein anderer, größerer Schmerz sollte ihn hier treffen: die Nachricht von dem Tode seines Vaters! Dieser war am 26. März in seinem zweiundsiebzigsten Lebensjahre gestorben, und Gottlieb hatte es seinem Bruder tags darauf gemeldet, doch war der Brief wol nicht mehr rechtzeitig in Amsterdam eingetroffen. Dieser Trauerfall und die daraus hervorgehende Störung in den Familienverhältnissen waren wol auch die Ursache, daß weder die drei andern Kinder noch sein Bruder nach Münster kamen. In jenem Briefe schrieb Gottlieb: Lieber Bruder! Ich habe Dir eine Nachricht zu melden, welche Dein Herz auf das tiefste zerreißen wird. Unser guter, redlicher Vater ist seit gestern Morgen nicht mehr unter uns. Er starb mit Ruhe und Fassung; seine Leiden waren kurz. Wir haben Alles angewendet, um das Leben des guten Greises zu retten, sein Arzt, der Herr Krupp, ist in der Zeit mit mir fast nicht von seinem Bette gewichen, allein leider blieben alle unsere Bemühungen fruchtlos. Noch gestern vor acht Tagen befand er sich recht wohl und war den ganzen Tag über besonders heiter, aß den Mittag noch mit vielem Appetit, trank den Nachmittag wie gewöhnlich seinen Thee und geht darauf nach dem Balken, um das Malz nachzusehen, weil wir brauen wollen. Hier sinkt er plötzlich nieder; ein Glück, daß gerade Jemand bei ihm war; mit Mühe wird er von oben heruntergetragen und legt sich darauf zu Bett, wo er sehr über Seitenstiche klagte. Wir ließen gleich unsern Arzt rufen, der ein Brustfieber prophezeite, welches auch den folgenden Tag eintrat, wozu sich bald noch andere bedenkliche Umstände gesellten. Gern wäre der gute Vater noch bei uns geblieben, und er schied sehr ungern von dieser Welt. Ich habe indeß die Beruhigung, daß wir ihn immer mit Liebe behandelt, ihn in den vielen Krankheiten, die er in den letzten Jahren erduldet, mit Sorgfalt verpfleget und seine, den meisten alten Leuten anklebende Laune mit Nachsicht gern und willig ertragen haben. Er fühlte dieses auch oft sehr tief, da er sah, wie gern wir Alles gaben, um sein Alter so froh wie möglich zu machen. Bei den vielen Unruhen, welche mich jetzt wegen dem Todesfalle unsers Vaters umgeben, ist es mir nicht wohl möglich, Dir heute mehr schreiben zu können; nur so viel, daß Dein Heinrich wohl und munter ist und gut lernt. Daß Du wohl, glücklich und zufrieden leben mögest, wünsche ich von Herzen; Keiner in der Welt kann und wird daran innigern Antheil nehmen als Dein treuer Bruder G. Brockhaus. In einem flüchtigen Briefe von Brockhaus an Bornträger aus Münster vom 5. April heißt es: Ich hatte gehofft, auch die andern Kinder hier zu finden, allein die Freude war mir nicht gewährt. Noch hatte ich den Schmerz, hier auch den Tod meines vortrefflichen Vaters zu erfahren! Gestern habe ich mich hier verweilt. Heute geht's nun weiter, und ich hoffe bis Montag (8. April) in Altenburg zu sein. Von da also mehr. Nun adieu. Ich danke Ihnen für alles Liebe und Gute! Brockhaus nahm die beiden Kinder, die nach Münster gekommen waren, Friedrich und Karoline, gleich mit nach Altenburg, um daselbst, wie er längst gewünscht hatte, endlich wieder einen eigenen Hausstand zu begründen; die andern Kinder blieben einstweilen noch in Dortmund. Am 11. April schreibt er an Bornträger aus Altenburg, daß er glücklich dort angekommen sei. Am 23. April reiste er für einige Tage nach Leipzig, kehrte am 28. nach Altenburg zurück, fuhr aber schon am 30. wieder nach Leipzig, um auf der Buchhändlermesse seine Angelegenheiten ganz in Ordnung zu bringen. Hier blieb er drei Wochen lang, bis zum 20. Mai, und hatte die Freude, seinen Zweck endlich der Hauptsache nach zu erreichen. In welcher Weise dies geschah, sei in der Kürze und ohne in Details einzugehen mitgetheilt. * * * * * Die Berührung dieser Angelegenheit ist eine schmerzliche Pflicht für den Verfasser, als einen Enkel des Geschilderten; sie ist aber eben seine Pflicht, der er sich als gewissenhafter Biograph nicht entziehen kann und nicht entziehen will, und sie wird ihm dadurch wesentlich erleichtert, daß er gleichzeitig den für seinen Großvater höchst ehrenvollen Ausgleich der Angelegenheit mittheilen kann. Es sei also offen gesagt: daß Brockhaus sich in dieser Zeit genöthigt sah, mit seinen Gläubigern für sie mit größern oder geringern Verlusten verbundene Vergleiche abzuschließen, daß er aber später, sobald seine sich günstiger gestaltenden Verhältnisse es ihm erlaubten, freiwillig allen, trotz ihrer in aller Rechtsform ausgesprochenen Verzichtleistung, den damaligen Verlust mit Zurechnung aller Zinsen ersetzt hat: ein in der buchhändlerischen und überhaupt in der kaufmännischen Welt nicht eben häufig vorkommender Fall. Einen eigentlichen Accord proponirte Brockhaus seinen Gläubigern nicht, sondern ließ ihnen zwischen zwei Modalitäten die Wahl: entweder sollten die Forderungen ein für allemal ausgeglichen werden, theils durch baare Zahlung (ein Drittel), theils durch Waaren (ein Drittel in Verlagswerken, ein Drittel in gangbaren Werken fremden Verlags aus dem amsterdamer Sortimentslager), oder sie sollten vollständig, aber nach und nach in Terminen, baar bezahlt werden. Die Mehrzahl der Gläubiger, besonders die Verlagsbuchhändler, wählten die erstere, andere, namentlich Buchdrucker und einige größere Verleger, die zweite Alternative, worüber die Verhandlungen sich theilweise noch bis zum Frühjahr 1812 hinzogen. Zu den Baarzahlungen wurde der größte Theil der aus dem Verkauf des amsterdamer Geschäfts gelösten Summe verwendet. Brockhaus' Commissionär in Leipzig für den Verlag war bis gegen Ende 1810 die Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch gewesen, während die Buchhandlung W. Rein & Comp. die Expedition an das amsterdamer Sortimentsgeschäft besorgt hatte. Infolge seiner Differenzen mit der erstern Handlung wollte Brockhaus in dem Circular über den Verkauf seines Geschäfts an die Hofräthin Spazier die Rein'sche Buchhandlung als neuen Commissionär nennen, allein der Besitzer der letztern, Wilhelm Rein, war mit dem von Brockhaus beabsichtigten Arrangement nicht einverstanden und wollte deshalb die ihm übersandten Circulare, in denen er bereits als Commissionär genannt war, nicht ausgeben. Der von Brockhaus nach seiner Abreise von Leipzig mit Vertretung seiner dortigen Interessen beauftragte Professor _Dr._ Dabelow (der für ihn auch am 16. Juli 1810 ein Gutachten wegen des Hiltrop'schen Prozesses verfaßte) hatte sich ohne Brockhaus' Vorwissen an den Buchhändler Karl Heinrich Reclam (mit dem Brockhaus 1808 einen heftigen Streit gehabt hatte, weil er mit dessen Besorgung seiner Commission unzufrieden gewesen war) um Rath gewandt. Zu Brockhaus' Ueberraschung hatte Reclam diesen Rath »in sehr verständiger Form gegeben, und soll er bei dieser Gelegenheit überhaupt durchaus keine Animosität gezeigt haben«, wie Brockhaus an Bornträger schreibt. Reclam erklärte sich selbst zur Wiederübernahme der Commission bereit. Außer ihm boten sich dafür noch zwei andere leipziger Firmen an: Karl Cnobloch und Mitzky & Co. Brockhaus entschied sich für letztere Firma, die im November 1810 die Commission übernahm und bis Ende 1811 besorgte. Die Buchhandlung Mitzky & Co. wurde zu dieser Zeit an einen bisher in derselben arbeitenden Gehülfen, Wilhelm Engelmann, verkauft, der dieselbe am 20. December 1811 übernahm und unter seiner eigenen Firma fortsetzte; dieser besorgte von da an auch Brockhaus' Commission. * * * * * Die Buchhandlung, mit welcher es Brockhaus am schwersten wurde, zu einer Einigung zu gelangen, war die Firma Johann Friedrich Gleditsch, die, wie eben erwähnt, bis zu diesem Zeitpunkte Brockhaus' Commissionär gewesen war. Der Besitzer derselben, Karl Friedrich Enoch Richter, war es, der, wie früher mitgetheilt, zuerst streng gegen Brockhaus auftrat und dadurch dessen Abreise nach Altenburg veranlaßte, indem er den Ersatz für einen ihm von Brockhaus auf sein amsterdamer Geschäft gegebenen und dort durch ein Zusammentreffen von Umständen nicht eingelösten Wechsel in der dringendsten Weise verlangte. Brockhaus hat über Richter's damaliges Auftreten selbst Folgendes niedergeschrieben: Er schlug die inständigsten Bitten, nur einen Posttag zu warten, ab; er wies alles _accomodement_ durchaus von der Hand und verlangte auf den folgenden Tag baare und nur baare Zahlung. Herr Enoch Richter war die alleinige und einzige Ursache meiner Entfernung von Leipzig, weil er schlechterdings auf der Stelle in Geld befriedigt sein wollte. Von Altenburg aus wurden weitere Unterhandlungen zwischen Brockhaus und Enoch Richter eingeleitet. Letzterer wollte gegen Abtretung des Verlagsrechts der »Urania« seine eigene Forderung und zugleich die des Bankiers Christian Friedrich Richter als ausgeglichen betrachten. Brockhaus war dazu auch bereit, zumal Enoch Richter ihm dafür eine ihn selbst überraschende hohe Summe bot. Indeß reute Enoch Richter dieses Anerbieten wieder, und er verlangte nun auch noch Abtretung des »Conversations-Lexikon«! Darauf konnte und wollte Brockhaus nicht eingehen. Nach langen Verhandlungen wurde endlich im Herbst 1811 eine Verständigung auf andern Grundlagen abgeschlossen. Enoch Richter konnte es sich dabei aber nicht versagen, Brockhaus' Auseinandersetzungen über ihre Verständigung als »schöne Phrasen« zu bezeichnen, was diesen am 8. December 1811 zu folgender Antwort veranlaßte: Da von meinen Briefen Copie genommen wird, so habe ich mit der größten Resignation diesen letzten nochmal überlesen, und ich muß mir selbst das Zeugniß geben, daß ich endlich kein Wort darin habe zu finden vermocht, was jene Bezeichnung und Charakteristik verdiente, und ich kann dessen auch um so gewisser sein, da in meiner Seele nichts liegt, was diesen Charakter trüge, auch überhaupt es mein Wesen nur zu wenig ist, Phrasen zu machen, da ich alle Verhältnisse um mich her immer nur zu sehr in Wahrheit auffasse und mich darüber ausspreche. Da mir als Mensch dieser Ihr Vorwurf sehr schmerzhaft gewesen, so ist dies der einzige Punkt, gegen den ich in Ihrem Briefe reclamire, indem ich Ihnen die Versicherung gebe, daß der sonstige Inhalt mich befriedigt hat .... Weiter weiß ich nichts, und so wäre unsere Fehde doch nicht in Unehre geendet! Ich wünsche Ihnen alles Gute. In spätern Jahren veränderten sich die Verhältnisse der beiden Männer und ihrer Firmen nicht unwesentlich; wir können nicht umhin, auf zwei solcher Momente kurz hinzuweisen. Im Jahre 1819 hatte Brockhaus Veranlassung, aus Leipzig, derselben Stadt, in der sich die altberühmte Gleditsch'sche Buchhandlung seit ihrer Begründung befand, an den Besitzer derselben, Enoch Richter, der ihn acht Jahre vorher so hart behandelt und aus jener Stadt vertrieben hatte, als Besitzer einer weit jüngern, aber inzwischen zu immer größerer Bedeutung gelangten Buchhandlung, zu schreiben: er könne ihm weder mit Kasse noch mit fremden Papieren »aushelfen« (wegen der damals herrschenden Handelskrisis) und habe ihm die frühern 3000 Fl. nur »aus Gefälligkeit« überlassen. Jener hatte sich also schon zum zweiten male um Unterstützung an ihn gewandt. Und eine noch eigenthümlichere Fügung des Schicksals ist es, daß die Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem ihr Besitzer, Enoch Richter, hatte liquidiren müssen, einige Jahre darauf mit dem größten Theile ihrer umfassenden Verlagswerke für eine ansehnliche Kaufsumme in den Besitz der Firma F. A. Brockhaus überging und Enoch Richter in den letzten Jahren seines Lebens von dieser literarisch beschäftigt wurde! Enoch Richter war übrigens ein intelligenter Buchhändler und überhaupt ein begabter Mann. Von ihm rührt die Idee zu der großen »Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« von Ersch und Gruber her, die seit 1818 in dem Gleditsch'schen Verlage erschien und mit diesem 1831 von der Firma F. A. Brockhaus erworben wurde. Ferner bearbeitete er 1830 für letztere das »Vollständige Handwörterbuch der deutschen, französischen und englischen Sprache«, welches so großen Beifall fand, daß es 1870 in neunter umgearbeiteter Auflage erscheinen konnte. Richter starb in Hamburg am 15. October 1831, und dies war gerade der Tag, an dem die Gleditsch'sche Buchhandlung das Eigenthum der Firma F. A. Brockhaus wurde! Die Gleditsch'sche Buchhandlung (über deren Geschichte einige Angaben hier wol am Platze sind) war 1693 von Johann Friedrich Gleditsch in Leipzig gegründet worden, nachdem derselbe schon seit 1681 die Buchhandlung von Johann Fritsch geleitet hatte. Nach seinem Tode (26. März 1716) von einem Sohne fortgeführt, kam sie später in den Besitz von Wilhelm Heinsius (bekannt durch das von ihm begründete und herausgegebene, später ebenfalls in den Verlag von F. A. Brockhaus übergegangene »Allgemeine Bücher-Lexikon«); 1805 von Enoch Richter angekauft, wurde sie Ende 1827, als dieser sich genöthigt sah, zu liquidiren, von Johann Friedrich Schindler übernommen, nach dessen Tode (15. December 1828) von seiner Tochter Anna Therese, verehelichten _Dr._ Hahn; diese trat sie am 14. April 1830 an Christian Reichenbach's Erben & Compagnie ab, worauf sie endlich, wie bereits erwähnt, am 15. October 1831 an die Firma F. A. Brockhaus überging. Von letzterer wurde die alte Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem sie unter diesem Namen ihres Begründers 138 Jahre lang bestanden und zu den angesehensten deutschen Buchhandlungen gehört hatte, nicht weiter fortgeführt, sondern deren Verlag (mit Ausnahme einiger vorher bereits an andere Verlagshandlungen verkauften Werke) mit dem ihrigen vereinigt. * * * * * Fast so schwer wie mit Enoch Richter war für Brockhaus eine Verständigung mit dem Bankier Friedrich Christian Richter, der mit ihm während der letzten Jahre in lebhaftem geschäftlichen und selbst in freundschaftlichem Verkehr gestanden hatte, wenn auch, wie die von uns früher mitgetheilten Briefe zeigen, vorübergehend Störungen darin eingetreten waren. Der jetzt zwischen Beiden geführten Correspondenz verdanken wir folgenden Brief, der Brockhaus' ganze Lage in dieser Periode mit manchen bisher noch nicht erwähnten Details klar darlegt, am 21. April 1811 aus Altenburg an den frühern Freund gerichtet: Zwischen meinem Bevollmächtigten, Herrn Friedrich Ferdinand Hempel hier, und Ew. Wohlgeboren haben seit dem vorigen October schriftliche mich betreffende Unterhaltungen stattgehabt, die mir sämmtlich zur Kenntniß gekommen sind. In dem letzten Briefe, womit Ew. Wohlgeboren ihn beehrt haben, erklärten Sie sich auf die Anfrage, ob Sie geneigter seien, Ihre Forderung an mich auf Termine zu setzen und sie dann ganz zu empfangen, oder ob Sie es vorzögen, mit der Lage der Dinge angemessenen Aufopferungen eine sofortige Liquidation zu erhalten: daß Sie auf jenes nie eingehen würden, wohl aber in Erwägung der Umstände sich zu diesem verstehen dürften. Eine gleiche oder ähnliche Antwort ging von allen übrigen Creditoren ein. Die Aufgabe war also jetzt, Fonds zu finden, um dem Ansinnen und dem Drange der Creditoren zu begegnen. Der Natur der Verhältnisse wegen mußten die Creditoren sämmtlich und auf einmal befriedigt werden, und es war demnach ein bedeutendes Kapital nothwendig. Wären die Creditoren gleich nach der Michaelismesse dem Vorschlage des Herrn Hempel beigetreten, mir provisorisch für eine gewisse Zeit Ruhe zu lassen und persönliche Sicherheit zu garantiren, wogegen er sich dann verpflichten wolle, ein den Umständen angemessenes Kapital durch Negociation herbeizuschaffen, so würden die Creditoren einerseits schneller sein befriedigt worden, sie würden gewiß bessere Bedingungen als jetzt erhalten haben, und für mich wären die schweren Aufopferungen nicht nöthig gewesen, die ich nachher zu machen bin gezwungen worden. Die respectiven Creditoren wiesen jenen gutgemeinten Vorschlag, der Alles vielleicht geeinigt hätte, von der Hand, und so wie für sie selbst mit, so entstanden auch für mich aus seiner Verwerfung sehr unangenehme Resultate. Einzelne von den Creditoren suchten mich gerichtlich zu verfolgen, woraus odiose und kostbare Processe entstanden. Hierdurch und durch die Heftigkeit und die Leidenschaft, womit wieder Andere sich gegen mich erklärten, wurde das Vertrauen, das man gegen mich und meine Angelegenheiten gezeigt hatte und welches Vertrauen mir jene Fonds würde verschafft haben, geschwächt! Das schwere neue häusliche Unglück, das durch die fürchterliche Krankheit der Frau Hofräthin Spazier, die in jener Periode nach einem heftigen Nervenfieber ihres Verstandes beraubt wurde, mich traf und mich in namenlosen neuen Jammer stürzte, kam hinzu, um jedes Vertrauen zu meiner äußern Lage, da ohnehin das Geschäft jetzt ganz in Stockung gerieth, also täglich schlechter wurde, vollends zu zernichten! Bei diesem neuen Stande der Dinge blieb nichts Anderes übrig als Concurs, der aber den Creditoren Alles entzogen hätte bei der Priorität meiner Kinder, oder schnelle Aufopferung von allen concurrirenden Theilen (den Creditoren, von mir und den Vormündern der Kinder), wenn wenigstens Etwas gerettet, jene nicht Alles verlieren und ich nicht ganz zu Grunde gehen sollte. Pflicht der Menschlichkeit verbot es mir indessen, meine Freundin in ihrem schrecklichen Zustande zu verlassen. Das habe ich auch damals nicht gethan, trotz allen Gefahren, die mich umringten, obgleich gegenwärtig unsere Verhältnisse gänzlich getrennt sind. Erst als ich die arme unglückliche Frau nach einiger Genesung in Begleitung ihrer Schwester, der Gattin Jean Paul Richter's, nach Berlin zu ihrem Vater zurückgebracht hatte, konnte und durfte ich mich wieder mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen! Wie sehr sich solche aber verschlimmert hatten, bedarf keiner Ausführung! In diesen Zeitpunkt ohngefähr oder etwas früher fällt Herrn Hempel's obengedachte Anfrage und auch Ihre Antwort, und wir haben jetzt den Stand- und Zeitpunkt wieder, von dem mein heutiges Schreiben oben ausging. Bei der Unmöglichkeit also, außer in mir selbst anderwärts Fonds zu finden, blieb Nichts weiter übrig, als sich solche zu jedem Preise und mit jeder Aufopferung durch Verkauf von Eigenthum zu verschaffen. Ich beschloß demnach, die Sortimentshandlung in Amsterdam loszuschlagen, und ich reiste zu diesem Endzweck Anfang März von Altenburg nach Amsterdam. Meine dortige Bilanz, die ich Ihnen vorlegen kann, wie ich Ihnen Alles, was ich sage, durch Documente zu beweisen im Stande bin, hatte im November noch einen Ueberschuß von 30000 Fl. (nominell, obgleich Alles ordentlich geschätzt und inventirt) dargeboten. Allein sowol durch die jetzige Lage Hollands, da drei Viertel des Nationalvermögens seit zwölf Monaten nach und nach verschwunden ist, da alle öffentlichen Anstalten, Universitäten, Institute &c., denen ihre Fonds sämmtlich auf Nationalpapieren beruhen, durch die Tiercirung der Zinsen unfähig sind zu zahlen und zu kaufen, da endlich die eigentlichen Nahrungsquellen dieses Landes durch die jetzigen Maßregeln versiegt sind, -- so war, wie man erwarten mußte, jetzt dort Alles entwerthet. Meine Handlung war ohnehin seit dem November größtentheils in Stockung gerathen und unterbrochen worden; dagegen waren die Unkosten fortgegangen; schwere Abgaben waren zu leisten gewesen, drückende Einquartierungen hatten stattgehabt; mein und der Handlung Credit war infolge aller Störungen zernichtet; mehrere Gläubiger auch dort hatten alle disponibeln Kräfte durch ihren Druck ausgesogen. Jeder Billige und Verständige wird einsehen, wie unter solchen Verhältnissen der Kapitalwerth meines dortigen Eigenthums seit sechs Monaten mußte geschwächt worden sein, wie er täglich mehr schwinden mußte, und welche Aufopferungen ich werde zu machen gezwungen gewesen sein, um dasjenige, was noch dort war, schnell oder vielmehr auf der Stelle gegen gleich baare Zahlung oder doch solche Garantien, auf welche ich baare Fonds negociiren könnte, zu realisiren! Ich habe aber alle diese Aufopferungen nicht gescheut und nicht scheuen dürfen, und so habe ich mit einem reellen Verluste von wenigstens 20000 Fl. dort ein Kapital gerettet, das ich jetzt bei meiner Zurückkunft aus Holland auf der Stelle meinen Creditoren hier anbiete! Zwar gehört dies Kapital streng genommen meinen Kindern, und wenn ich auf das Aeußerste hinauf- oder hinausgetrieben werde, so wird es auch nur ihnen. Ich persönlich gehe dann zwar unter, und man erreicht dann darin das, was man oft nur zu wollen geschienen hat oder gesucht; aber Jene, die armen verwaisten Kinder, thun es doch nicht. Ich sage, das Kapital gehört streng genommen zwar diesen, allein die Hoffnung, daß, einmal gründlich debarrassirt von allen Störungen und Hindernissen, es mir gelingen werde, durch neue Thätigkeit wieder zu erwerben, was jetzt dahingegeben wird, hat mich den Entschluß fassen lassen, es darauf zu wagen, jetzt alles Disponible nur hinzugeben, um nur zu neuer und geregelter Thätigkeit zurückkehren zu können! Was wir bei dieser Lage der Umstände anzubieten und zu geben im Stande sind, haben wir auch Ew. Wohlgeboren durch Herrn Mitzky anbieten lassen. Es ist Niemand, der es schmerzhafter fühlt als ich selbst, wie schwer jedem einzelnen Creditor die Aufopferung fallen muß, die ich ihm zumuthe. Aber hier ist einmal kein anderes Mittel. Jetzt ist nicht mehr da. Und es wird nie mehr da sein als jetzt. Jedem Creditor muß die Wahrheit dieser Anführungen in die Augen springen. Nur von dem, was vom Verlagsgeschäft nach und nach spärlich eingeht, und weiter von zu hoffender fremder Unterstützung soll und kann das neue Leben begonnen werden. Kann ich aber über Jenes anticipirend verfügen? Kann ich diese einmal begehren oder suchen oder annehmen, solange das Alte nicht vorab geordnet ist? Gelingt es mir dagegen, einst neue Kräfte zu erhalten, so wird mein Ehrgefühl mich von selbst bestimmen, das aus eigenem Motive nachzuholen, was jetzt aufgeopfert wird. Ew. Wohlgeboren haben mündlich und schriftlich gegen Hempel sich mit Härte und Wegwerfung, ja selbst mit Beschimpfung über mich ausgedrückt. Ich antworte darauf nur: Ich habe es nicht verdient! Alles, was geschehen, ist durch das Gedränge der gebietendsten Ursachen veranlaßt worden. Ich habe durch unverschuldete Verluste, durch äußere Ursachen, die weder vorherzusehen noch zu berechnen waren, schwere Verluste gehabt. Tod und Krankheit hat meine moralischen und meine physischen Kräfte lange gelähmt. Alles, was ich Ihnen je in vertrauten Stunden gesagt, Ihnen in vertrauten Briefen geschrieben, ist wahr gewesen. Ich habe Ihnen nie ein wesentliches Wort gelogen. Ueber den einen speciellen Vorwurf, den Sie mir direct und indirect gemacht, kann ich mich rechtfertigen. Werfen Sie jetzt noch einen Stein auf mich! Das Einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache, wozu aber Sie nicht das Recht haben, waren meine Verhältnisse zu einer geistreichen und liebenswürdigen Frau, deren eigene Verhältnisse zur Welt mir aber unbekannt waren. Aber diese haben auch nur von mir dürfen entdeckt werden, um eine Verbindung für immer in dem Augenblick aufzuheben, wo es mein Gefühl für Menschlichkeit und die Gesetze der Ehre erlaubten! Ich komme jetzt zur Hauptsache. (Folgen detaillirte Vorschläge.).... Wer Geschäfte kennt und die Erfahrung hat wie Sie, der weiß, daß ein einmal stockendes Geschäft täglich schlechter wird. Bewilligte man mir im October provisorische persönliche Ruhe und Sicherheit, so konnten und würden wir gewiß weit bessere Offerten machen wie jetzt. Schlägt man diese jetzigen abermalen aus, so werden die, welche wir über sechs Monate machen können, von neuem in derselben Progression schlechter sein! Dies ist mathematisch nothwendig. Ich will es nicht versuchen, Sie durch irgend weitere und andere Mittel, als es die vorstehend gegebene einfache Exposition aller Verhältnisse gewesen ist, überreden und bestimmen zu wollen! Sie sind zu einsichtsvoll, um nicht die Lage der Dinge zu würdigen, und zu edel, um mich zur Verzweiflung treiben und vindicativen Gesinnungen Gehör geben zu wollen. Sollten Sie einen unserer Vorschläge annehmen, so wird der Betrag nach Regulirung der Rechnung augenblicklich nach empfangener Nachricht, die Sie gefälligst Herrn Mitzky mittheilen wollen, baar angewiesen oder bezahlt. Dieser Brief blieb nicht ohne Erfolg, und Richter nahm in der Hauptsache die ihm gemachten Vorschläge an. Brockhaus hatte so nach der Rückkehr von der leipziger Ostermesse des Jahres 1811 zum ersten male nach langer Zeit die Beruhigung, wieder festen Fuß fassen zu können. Die Regelung einiger anderer Rechnungsverhältnisse (namentlich mit der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Tübingen, Friedrich Vieweg in Braunschweig und Heinrich Gräff in Leipzig) zog sich noch bis zur Ostermesse 1812 hin, ohne indeß den Wiederbeginn seiner Thätigkeit zu stören. Daß aber Brockhaus seines (auch in dem eben mitgetheilten Briefe gegebenen) Versprechens eingedenk war und dasselbe im vollsten Sinne des Wortes einlöste, zeigt der von einem angesehenen leipziger Advocaten unterm 15. März 1820 an Brockhaus' frühere Creditoren in dessen Auftrage gerichtete Circularbrief, welcher der Zeit vorgreifend gleich hier folgen möge: Ich bin von Herrn Brockhaus hier mit einem Auftrage beehrt worden, dessen ich mich hierdurch mit besonderm Vergnügen entledige. In den Jahren 1811-1812 kam, wie Sie sich erinnern werden, das Geschäft unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam, aus Ursachen mancherlei Art in die unangenehme Lage, seine Creditoren um Nachsicht bitten zu müssen. Diejenigen derselben, welche diese Nachsicht zugestanden, wurden innerhalb eines Jahres vollständig befriedigt. Ein anderer Theil, wozu auch Ew. Wohlgeboren gehörten, lehnte diese Nachsicht ab und zog die ihnen gegebene Alternative vor, gegen gleich baare Zahlung einen Theil ihrer Forderungen freiwillig aufzuopfern. Zur Findung der hierzu erforderlichen Fonds wurde das Sortimentsgeschäft der gedachten Firma für die Summe von 7000 Gulden und mit einem Verluste von wol 30000 Gulden verkauft, ein Umstand, den ich wie den, daß die im Laufe von 1811 nachgelieferten und während 1810 theilweise zurückgehaltenen Journale vom Jahre 1810 am Ende nicht mehr in Holland, das in der Zwischenzeit die französischen Gesetze bekommen hatte, eingeführt werden konnten und sämmtlich confiscirt wurden, welches einen Verlust von abermals gegen 5000 Gulden an Journalcontis nach sich zog, zur richtigen Beurtheilung der damaligen Verhältnisse mir besonders deshalb anzuführen erlaube, weil dieses amsterdamer Sortimentsgeschäft und was damit verbunden, eigentlich den Kindern erster Ehe des Herrn Brockhaus hätte zugewendet werden müssen, Herr Brockhaus es aber verlangte, daß es auf diese Weise verwendet wurde. Herr Brockhaus war der Chef der gedachten Firma sowie der alleinige bekannte Eigenthümer derselben gewesen. Nach dieser Stockung hörte die alte Firma auf, und das Geschäft wurde unter dem Namen des Herrn Brockhaus und von jetzt an für seine alleinige Rechnung fortgesetzt. Es war von jeher die Absicht des Herrn Brockhaus, jene Nachlasse, ob sie gleich freiwillig zugestanden waren und eine einjährige Nachsicht sie ganz überflüssig gemacht und auch jenes Geschäft gerettet hätte, unter günstigern Umständen nachzuberichtigen, und er hat auch diejenigen, welche ihm eine höhere moralische Verbindlichkeit zu haben schienen, successive längst beseitigt und vollständig liquidirt. Gegenwärtig, nachdem auch seine Kinder erster Ehe vorab für jene Verluste beim Verkauf des amsterdamer Geschäfts vollständig von ihm entschädigt worden sind, hat er infolge jener Absicht sich entschlossen, diejenigen Nachlasse, welche in gedachten Jahren der Firma des Kunst- und Industrie-Comptoirs zugestanden und die noch nicht von ihm ersetzt worden, ohne Ausnahme und mit den Zinsen, vom 1. Januar 1813 an gerechnet, sämmtlich nachzuliquidiren, und ich bin in Gemäßheit dieses Vorsatzes beauftragt, Ew. Wohlgeboren, welche sich in diesem Fall befinden, über den damaligen Abschluß der Rechnung mit dem Kunst- und Industrie-Comptoir um einen Abzug _in duplo_ zu ersuchen. Ich habe diese Notification folgenden Handlungen zu machen (folgen die betreffenden Namen), indem diese, soviel Herrn Brockhaus bewußt, die einzigen sind, gegen welche noch Verbindlichkeiten der gedachten Art zu erfüllen wären. Da Herrn Brockhaus es beehrgeizt, daß auch Niemand jetzt übergangen bleibe, so wünscht er, daß, im Fall Ihnen noch Jemand bekannt sei, der hier nicht genannt ist und sich im gleichen Falle befinde, Sie diesen veranlassen möchten, sich mir zu erkennen zu geben. Weil diese Angelegenheit sich nicht durch die Handlungsbücher des Herrn Brockhaus ziehen läßt, sondern von ihm privatim liquidirt wird, so wollen Ew. Wohlgeboren Ihre Mittheilungen darüber nebst den schon gedachten Auszügen auch nicht direct an Herrn Brockhaus, sondern an mich adressiren, wie Sie denn auch durch mich späterhin nach erfolgter Verification die Valuta erhalten werden .... Herr Brockhaus theilt Ihnen zugleich seinen aufrichtigen Wunsch mit, daß, was zwischen Ihnen und ihm in jener Vergangenheit liege, und das, wo man sich gegenseitig möge oder könne gekränkt haben, rein und völlig vergessen sei oder es werde. Er ersucht Sie, ihm dieselben wohlwollenden und freundschaftlichen Gesinnungen zu widmen, welche er gegen Ew. Wohlgeboren zu hegen vollkommen geneigt ist. Dieses Schreiben bildet wol den würdigsten und versöhnendsten Abschluß der Sturm- und Drangperiode in Brockhaus' Leben und bedarf keines weitern Commentars von unserer Seite; wir versagen uns deshalb auch die Wiedergabe der ebenso große Ueberraschung als Befriedigung zeigenden Antworten, die darauf von allen Seiten eingingen. Als jenes Schreiben in seinem Auftrage erlassen wurde, hatte Brockhaus allerdings Altenburg schon wieder verlassen und war in dem Hafen angelangt, der den Ziel- und Endpunkt seiner Lebenswanderungen bilden sollte. Bevor wir ihm aber dahin, nach Leipzig, folgen, haben wir die von ihm dauernd in Altenburg zugebrachte Zeit vom Frühjahre 1811 bis Ostern 1817 mit ihm zu durchleben. * * * * * Blicken wir vorher noch einmal zurück auf die anderthalb Jahre, welche Brockhaus seit dem Tode seiner Frau bis zur Festsetzung in Altenburg verlebte, so erfüllt uns gewiß ebenso reges Mitleid mit seinen Schicksalen als volle Anerkennung der Energie, mit der er diese zu überwinden verstand. Er hatte die schwersten innern Kämpfe zu bestehen und gleichzeitig um seine äußere Existenz zu ringen, aber aus beiden Kämpfen ging er endlich doch siegreich hervor. Seinen Hauptzweck: das amsterdamer Geschäft zu verkaufen und sich bleibend in Deutschland niederzulassen, hatte er wenn auch mit schweren Opfern erreicht; er hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und konnte ein neues Leben beginnen. Vierter Abschnitt. In Altenburg. 1. Neues Leben. Mit der Rückkehr von der leipziger Buchhändlermesse nach Altenburg im Mai 1811 beginnt ein neuer Abschnitt in Brockhaus' Leben und Wirken. Ein von ihm am 21. Mai geschriebener Brief, an Bornträger, der zur vollständigen Abwickelung der alten Verhältnisse noch in Amsterdam geblieben war, zeugt nach langer Zeit zum ersten male wieder von besserer Stimmung, von wiedergewonnenem Vertrauen auf die eigene Kraft und von energischer Wiederaufnahme der verlegerischen Thätigkeit. Mit diesem Tage beginnt auch das erste im Besitz der Firma befindliche Copirbuch seiner Geschäftsbriefe; ebenso sind die an ihn in Geschäftsangelegenheiten gerichteten Briefe erst von dieser Zeit an vorhanden. * * * * * Altenburg, das von dieser Zeit an sechs Jahre hindurch (bis Ostern 1817) Brockhaus' bleibenden Aufenthalt bildete, war damals nicht Residenz, was es erst 1826 als Hauptstadt des der Regentenfamilie von Sachsen-Hildburghausen zugefallenen selbständigen Herzogthums wurde. Das Land Altenburg war zwar auch bis dahin ein selbständiges Fürstenthum, aber mit Gotha durch eine Art Personalunion zu dem Herzogthum Sachsen-Gotha-Altenburg verbunden. Der gemeinschaftliche Herzog Emil August residirte in Gotha, doch hatte Altenburg eine gesonderte Gesetzgebung und Verwaltung, eigene Landstände und Centralbehörden (Landesregierung, Kammercollegium, Consistorium u. s. w.). Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen erklärt sich das rege geistige Leben, das in diesen Jahren in Altenburg herrschte. Der selbst geistig hervorragende Herzog hatte bedeutende Männer an sich herangezogen, und diese bewegten sich, entfernt von den unmittelbaren Einwirkungen einer fürstlichen Hofhaltung, um so freier. Der Kammerpräsident, spätere Minister Hanns von Thümmel, Bruder des Dichters und frühern sachsen-koburgischen Ministers Moritz August von Thümmel, zeichnete sich durch geniale gesetzgeberische und Verwaltungsthätigkeit aus; der Kanzler und Minister von Trützschler durch juristische Werke; der Kammerrath, spätere Minister Bernhard von Lindenau durch astronomische Werke und landständische Wirksamkeit im liberalen Sinne. Andere hervorragende Mitglieder der altenburger Gesellschaft waren: Generalsuperintendent Demme, Superintendent Schuderoff, Gymnasialdirector Professor Matthiä (Verfasser der bekannten griechischen Grammatik), Gymnasialprofessor Messerschmidt, Kammerverwalter Ludwig, Regierungssecretär Hofrath Brümmer, Hofadvocat Friedrich Ferdinand Hempel (durch seine satirischen Schriften unter den Pseudonymen Spiritus Asper, Peregrinus Syntax u. s. w. bekannt), Kammersecretär Lüders, Hofrath Buddeus, Geh. Kammerrath Zinkeisen, Hofrath _Dr._ Pierer (Inhaber der Hofbuchdruckerei), endlich der Bankier, spätere Geh. Finanzrath August Reichenbach. Hauptmittelpunkte des geistigen und geselligen Verkehrs bildeten die Häuser von Ludwig und Reichenbach, besonders durch die denselben angehörenden geistvollen Frauen: die Gattin Ludwig's nebst ihrer unverheiratheten Schwester, die drei Schwestern Reichenbach's, Frau Hoffmann, Frau Klein und Frau Hofräthin Pierer, und Karoline Hempel, die Schwester Ferdinand Hempel's. Man lebte überaus gesellig und veranstaltete oft Bälle, Concerte und Theateraufführungen, während die Männer auch noch allein zu geistigem Verkehre zusammenkamen. In diesen Kreis, dessen Mitglieder uns zum Theil schon früher begegnet sind, war Brockhaus gleich nach seiner Ankunft aufgenommen worden und bildete bald einen Mittelpunkt desselben. Frau Professor Luise Förster in Dresden, die Gattin Karl Förster's und Schwester Ernst und Friedrich Förster's, theilt uns über diesen Kreis, dem sie in ihrem älterlichen Hause ebenfalls angehörte, Folgendes mit: Obschon Brockhaus als ein Fremder in Altenburg eintrat, wurde er doch bald als ein willkommener Einheimischer betrachtet; sein gediegener Charakter, eine tiefgehende Humanität, vielseitige Kenntnisse, das ernste Streben, der Wissenschaft und durch dieselbe allem Guten und Schönen förderlich zu werden, dabei ein nie verletzender Humor, zu welchem eine gewinnende Persönlichkeit sich gesellte, alle diese Vorzüge waren bald erkannt, und Brockhaus wurde der Mittelpunkt der gebildeten kleinen Welt in Altenburg. Zu seinem nähern Umgang gehörten: Hofrath Pierer, Professor Messerschmidt, Ludwig, Brümmer, Hempel (Spiritus Asper), Bankier Reichenbach, Königsdörfer, Minister von Thümmel und dessen Bruder, der durch seine Schriften bekannte Moritz von Thümmel; auch der hochgeachtete Generalsuperintendent Hermann Demme, durch seine literarische Thätigkeit bekannt und gepriesen, stand dem geistverwandten Brockhaus nicht fern. Der Umgang mit diesen Familien, wo das seichte Salonleben weder unter Männern noch Frauen sich einbürgern konnte, war für Brockhaus zusagend; er war für den geistigen Austausch in diesen Kreisen das belebende Element, und obschon die zartern Formen der Weltbildung ihm wol angeboren waren, so konnte man doch annehmen, daß Goethe's Worte im »Tasso«: Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edeln Frauen an, ihm ein treuer Wegweiser für geselligen Umgang waren. Der erwähnte kleine Kreis, welcher sich fast in jeder Woche einmal vereinigte, wurde von den jenem Kreise Fernstehenden nicht ohne Ironie die »Theegesellschaft« genannt; vielleicht auch, weil in jener Zeit der Genuß des Thees, den nur die höhere Gesellschaft sich erlaubte, als ein ungewöhnlicher, aber »matter« Luxus bezeichnet wurde. Besonders fühlte sich Brockhaus von der Ludwig'schen Familie angezogen, der er zunächst durch geschäftlichen Verkehr mit Ludwig, als dem Curator der Hofräthin Spazier, näher getreten war. Als er Anfang März Altenburg plötzlich verließ, um nach Amsterdam zu reisen, drängte es ihn, noch von Halle aus Frau Ludwig seine Empfindungen darüber auszusprechen. Dieser spät in der Nacht vor der Weiterfahrt geschriebene Brief lautet: Ich wage es drauf, verehrteste Frau, und möchte ich auch dafür ein wenig unbescheiden gehalten werden, Ihnen selbst und ohne Vermittelung, die doch immer in etwas die Lebendigkeit der Gedankenmittheilung unterbricht, zu sagen, wie sehr Sie und alle Theile und Bilder Ihres würdigen Hauses mich beschäftigen, und wie sehr es mein Wunsch ist, auch Ihnen Allen, die diesen schönen Lebensverein bilden, in recht gutem Andenken zu bleiben. Ich kann Ihnen die Empfindungen nicht durch Worte, noch weniger durch Schriftzüge ausdrücken, die ich hatte, als ich Sonntag Morgen Ihnen, Ihrer Schwester, Ludwig Lebewohl sagte. Es war mir, als hätte ich für immer mit Ihnen Allen gelebt (so nahe fühlte ich mich Ihnen), und wieder, als sei meine Trennung von Ihnen für ewig, so sehr ergriff es mich. Wer weiß es auch, wie das Schicksal mein nun lange her verworrenes Leben weiter noch verwirren will, oder auch, dies ist ein Lichtstrahl durch den für mich umzogenen Himmel, ob sich jetzt vielleicht Fäden zeigen werden, an die sich eine neue und schöne Zukunft binden könnte. Seit dem 8. December -- es sind nun 15 Monate -- wo ich das Theuerste verlor, was ich auf Erden hatte, und von welchem Tage an mein Leben sich auch verwirrte, habe ich keine andern #rein# glücklichen Stunden gehabt als die, welche ich in Ihrem Anschauen, verehrte Frau, in der Betrachtung und Würdigung Ihrer himmlischen Anmuth und Ihres Edelsinns gehabt habe. Aus diesem Gesichtspunkte genommen könnte ich diese so unglückschwanger gewesene Zeit selbst für einen schönen Zeitraum halten, und auch ohne diesen meinen höchsten Schwung der Empfindung gibt es noch andere Standpunkte, aus welchen ich diese Zeit für sehr reich -- für üppig reich selbst -- für mein geistiges Dasein halten muß. Ich habe in den fünf Monaten meines altenburger Aufenthalts geistig mehr gelebt und erlebt, als manchem Erdenkinde im ganzen Leben oft beschieden wird, und wenn auch das Unglück sich über mich in demselben erschöpfen zu wollen schien, so hat es doch auch wieder einen Reichthum in sich gehabt, daß mir das Unglück selbst fast theuer geworden ist durch den Umfang der Erfahrungen und Beobachtungen, die ich in demselben habe machen müssen, und durch die Gelegenheit, die ich in ihm gefunden habe, Sie, verehrte Frau, Ihre vortreffliche Fräulein Schwester, dann die lebenskluge und herrliche Karoline, und von Männern Ludwig und Hempel näher kennen zu lernen. Ich werde nie vergessen, in welche Lage des Lebens ich auch möge versetzt werden, was ich Ihnen Allen, besonders auch Ihrem edeln Manne und dem von mir sehr hochgehaltenen Ferdinand (Hempel) schuldig bin, und mein Leben wird immer dem lebhaftesten Danke geweiht sein. Leben Sie wohl. Möge ich bald zu Ihnen zurückkehren können! Ihrer von mir sehr verehrten Schwester die herzlichste Empfehlung. In anderer Weise bezeichnend für Brockhaus' Schreibweise und für den in dem altenburger Kreise herrschenden Ton ist folgender Brief, den er einige Tage darauf, am 8. März, aus Osnabrück an Ludwig richtete: Dem Himmel sei Dank, liebster Ludwig, mehr als zwei Drittel der schweren Reise, nämlich 55 Meilen, sind zurückgelegt in den noch nicht 4½ Tagen. Ich bin im Wesentlichen nie so schnell gereist als diesmal. Den Montag vertrödelte ich nämlich ganz auf den wenigen Meilen bis Leipzig und in Pourparlers mit meinem Commissionär, den ich erst in Greudniz (Reudnitz) und nachher wieder in Leipzig sprach. Erst um 8 Uhr abends kam ich von Leipzig weg. Jetzt aber hätte ich auf den Flügeln des Sturmwindes mein Ziel ereilen mögen! Ich fand jedoch so viele prosaische Hindernisse an grundlosen Wegen, schlechten Pferden, groben Postmeistern und betrunkenen Postillonen, die meine poetische Eile gar nicht verstehen wollten, daß ich nur durch große Resignation auf Alles, was zur Restauration und zur Bequemlichkeit des äußern Lebens gehört, und mit Unterstützung der gegenwärtig wirklich sehr guten neuen westfälischen Postordnung -- wenn der Reisende auf die Ausführung dringt! -- es so weit habe bringen können, jetzt schon hier zu sein. Aber ich habe mich auch was geeilt, lieber Ludwig. Nur immer vorwärts, dachte ich, um schnell wieder rückwärts zu kommen zu den biedern Altenburgern. Kein Abenteuer ist also bestanden, denn daß ich einmal bin umgeworfen worden und die elende Postchaise in tausend Stücke, ich aber in heiler Haut davonging, ob es gleich possirlich genug war, wie es hätte gefährlich sein können, ist nicht dahin zu rechnen. Nach keiner Merkwürdigkeit habe ich mich umgesehen, keinen berühmten Mann habe ich besucht, kein bedeutendes Wort habe ich sprechen hören, und ich würde wahrlich in Verlegenheit sein, wie ich eine Reisebeschreibung auch nur im kleinsten Sedez zu Stande bringen sollte. Da stehe ich recht beschämt vor meinem weiland Collegen, dem großen Nicolai, der über Nürnberg, wo er eine Nacht schlief, einen dicken, dicken Band von 500 Seiten schrieb, und ich stehe auch neidisch gegen einen Spiritus Asper, der über eine kleine Reise um seinen kleinen winzigen Tisch[47] mehr Merkwürdiges und Geistreiches sagen wird als ich, wenn ich eine Reise um die Welt machen und sie beschreiben sollte. Phantasie und Reflexionen, wie Sie, liebster Ludwig, uns solche in so besonnener Form gegeben -- oft zu besonnener, denn beim Reisen wie beim Leben muß es oft heißen: _desipere in loco_ -- sind mir nun vollends gar nicht viele in den Kopf gekommen, wie ich es ehrlich gestehen will. Es muß mir am Zeuge dazu, den Gattungen selbst, wol ganz fehlen. Hätte ich von meiner _étourderie_, denke ich mir, so 'nen vierten Theil, und wäre es auch ein volles Drittel, weniger, und könnte ich mir dagegen so ein Portiönchen Reflexion erkaufen! Von meiner Leidenschaftlichkeit könnte ich wol gar die Hälfte missen, wenn ich sie auch mit 50% Verlust gegen 25% Phantasie eintauschen könnte. Einen Tausch, lieber Ludwig, will ich Ihnen nicht vorschlagen, weil meine Waare eigentlich nicht, wie die Holländer sagen, _puyk puyk_ (fein, auserlesen) ist; eher möchte ich ihn mit einem unserer modernen Philosophen und Aesthetiker machen, die mir denn ihre Reste überließen und von dem, was sie dagegen von mir erhielten, dann rein toll würden werden. Was ich gethan habe denn eigentlich? Antwort: so viel geschlafen als möglich, aufrichtig gesprochen. Mit dem Denken in der kalten feuchten Luft, auf einem offenen Karren, auf harten Bänken sitzend, erfroren und erstarrt am ganzen Leibe, zerrüttelt und zerstoßen auf den Chausseen, in den Koth sinkend auf den Landwegen, miserabel gefüttert und getränkt in den Gasthöfen -- so will's bei mir wenigstens mit dem Denken gar nicht recht fort. Ich habe darin Sancho Pansa's Natur. Eine gemeine. Ich denke nicht besser und lieber als hinterm warmen Ofen, auf 'm weichen Sofa, oder am fein besetzten Tische und beim vollen Becher. Hätte ich Ihres edeln Freundes, des Herrn Reichenbach, bequemen Wagen und seinen herrlichen Burgunder, von dem er die Güte hatte mir in Lobstädt bis zum Ueberflusse mitzutheilen, zu meiner Disposition gehabt, d. h. hätte ich auf der Reise immer in seinem Wagen gesessen und immer so 'nen Burgunder im beständig gefüllten Flaschenfutter gehabt, ich glaube, ich würde dann auch ganz prächtige Gedanken gehabt oder doch bekommen haben. Das Posthorn ertönt, für mich wie auch für Sie wol eine Sphärenmusik, und ich muß also schließen. Ich bin -- ernst gesprochen -- außerordentlich fatiguirt, von dem schon viernächtigen Durchfahren besonders. Es ist, weiß Gott, kein Spaß. So Gott will, bin ich Sonntag früh in Amsterdam. Dienstag schreibe ich Ihnen von dort. Könnten nur die Briefe immer in der Minute dort sein, wenn sie geschrieben sind. Ist es nicht, als ob ihr Geist oft durch die lange Reise entflöge? Die herzlichsten Grüße an den großen Theoretiker, der so wenig Uebung im Praktischen hat, an Muhme Morgenroth, die, wie Fielding oder Rebhuhn im »Tom Jones« von Garrick sagte, recht garstig war, und der Mamsell Sophie, die für ihren Muthwillen schon noch wird bestraft werden. Adieu lieber, lieber Ludwig. Von Amsterdam aus schrieb Brockhaus an die Freunde in Altenburg mehrere Briefe, aus denen wir schon früher Manches mittheilten. In einem derselben sagt er, daß er gern ausführliche Briefe schreibe: eine bekanntlich der ganzen damaligen Zeit eigenthümliche Liebhaberei, der wir aber sehr werthvolle Beiträge zu seiner Biographie verdanken; auch scheint es uns, daß er darin eine besondere Geschicklichkeit entwickelte, sodaß seine Briefe oft als Muster ihrer Art gelten können und man bisweilen denken könnte, sie seien ursprünglich für den Druck bestimmt gewesen, was sicher nicht der Fall war. In demselben Briefe ist eine Begegnung mit Klopstock erwähnt, von der uns sonst nichts bekannt ist; da Klopstock bereits am 14. März 1803 starb, muß sie noch vor Brockhaus' amsterdamer Aufenthalt oder während desselben stattgefunden haben, wahrscheinlich durch den gemeinschaftlichen Freund Beider, Karl Friedrich Cramer, veranlaßt. Die betreffende Stelle des am 22. März an Frau Ludwig gerichteten Briefs lautet: Ob ich gleich hoffen darf, Sie, verehrte edle Frau, nicht viele Tage später, als dieser Brief Ihnen kann zu Händen kommen, von Angesicht zu Angesicht persönlich wiederzusehen und Ihnen meine Ergebenheit fürs Leben zu bezeugen, so kann ich mir das Vergnügen doch nicht versagen, bis dahin mich noch einmal mit Ihnen durchs Medium schriftlicher Worte zu unterhalten. Ich liebe dieses Medium oft mehr als das der Rede von Munde zu Munde. Es ist eine Art von Krankheit selbst, und ich schreibe oft lieber einen eine ganze Seite langen Brief, ehe ich mich entschließe, zwanzig Schritte zu gehen und dasselbe mit zwei Worten zu sagen. Rousseau erzählt in den »_Confessions_« von Jemandem, der seine Geliebte verließ, um -- ihr schreiben zu können. Das kommt mir nun sehr möglich vor. Mir fällt dabei eine Anekdote ein, die mir Klopstock mal erzählte, und die ich Ihnen so gut wiedergeben will, als ich es noch vermag. Klopstock haßte nichts so sehr als das Briefschreiben. Es war seine Schooßsünde oder, wie er sagte, seine Schooßtugend. Freilich, hätte er darin sehr ordentlich sein wollen, so würde sein ganzes Leben nur eine lange Correspondenz gewesen sein. Genies müssen sich mit solchen kleinen Geschäften des menschlichen Lebens nicht befassen. Die Materie des Briefschreibens war daher häufig eine der gewöhnlichsten seines Scherzes und seiner Persiflage. Besonders mußten die Stolberge viel darüber herhalten. Das Briefschreiben war und ist wol noch der ganzen Familie wie angeboren, besonders dem Aeltesten Christian und der Schwester Augusta Gräfin Schimmelmann. Feder und Tinte! -- erzählte Klopstock nun -- ist das Erste, wonach der ruft, sobald er in ein Wirthshaus tritt. Zu Hause, auf Reisen, wo es auch sei! Schreiben Sie ihnen, und Sie haben den ersten Posttag Antwort. Die Gräfin Augusta -- vom Morgen bis im Abend laufen die Depeschen bei ihr ein, wie bei einem Staatsminister, und werden sorgfältiger abgefertigt als in einer Kanzlei. Letzthin allegorisirte ich darüber mit Tellow (der Liebesname seines und meines Freundes Cramer). Wo ist nun die Gräfin wieder? fragte ich (Klopstock). Cramer: Oben; schreibt Briefe. Klopstock: Das ist wahr! Die Stolbergs! Sie liegen am Briefschreiben recht krank danieder. Cramer: Freilich, es ist eine Krankheit zum Tode. Klopstock: O! sie sind schon gestorben. Cramer: Und begraben dazu. Klopstock: Was? Sie sind schon auferstanden. Cramer: Ei! sie sind schon selig. Klopstock: Ja, nun -- kann ich nicht weiter. Hierüber kommt die Gräfin herunter. Wir sprachen, sagt ihr Klopstock, eben zusammen von Ihrer Krankheit, Ihrem Begräbniß, Ihrer Auferstehung, Ihrer Seligkeit! Wie so? Ja, gestehen Sie es nur, schöne Gräfin, Ihr Briefschreiben ist doch eine wahre Krankheit, eine Schwachheit, eine Seuche! Sie mögen aber doch wol selbst gern Briefe haben? Das mag ich wohl; -- o, das Briefe#lesen# ist eine ganz vortreffliche Sache; aber das #Schreiben#! Es ist eine Schwachheit, ein Fehler, sage ich, aber eine nicht eben unliebenswürdige Schwachheit! Wenn sich die Briefe, die Antworten wenigstens, nur selbst schrieben! Meine Anekdote ist zu Ende. Die mußte man freilich von Klopstock selbst erzählen hören! In einem spätern Briefe, vom 30. März, an Ludwig findet sich eine hübsche Stelle, die unter Weglassung anderer nicht hierher gehöriger Bemerkungen hier noch folgen möge: Bald, vielleicht wenige Stunden später, als Sie diese Zeilen erhalten, drücke ich Sie an meine Brust und sage Ihnen mündlich, wie sehr ich Sie liebe und verehre. Mehr wie je. Es ist mit der Freundschaft wie mit der Liebe. Die Entfernung tödtet schwache, sie stärkt die echte und wahre. Den Frauen Ihres Hauses küsse ich mit Verehrung die schönen Hände. Aus Amsterdam und dann von der leipziger Messe nach Altenburg wieder zurückgekehrt, schreibt Brockhaus in dem schon erwähnten Briefe vom 21. Mai an Bornträger: Meine freundschaftlichen Verhältnisse mit Ludwigs, Hempels und Andern dauern ununterbrochen fort und consolidiren sich selbst immer mehr. Seit einer Reihe von Jahren ist dieser Sommer der erste, wo ich meines Lebens wieder froh bin. Die Pfingstfeiertage werde ich mit meinen Freunden eine Tour nach Dresden machen. Fritz und Lina sind in demselben Hause, wo ich wohne, in Kost und unter Aufsicht. Wahrscheinlich werde ich Fritz, um ihm mehr Reibung zu geben, hier in der Nähe in ein sehr gutes Institut thun. Lina behalte ich aber bei mir. Was aus Sophiechen werden soll? Ich habe von Ihnen beständig Nachricht erwartet über ihre Unterbringung in dem Dorfe bei Muiden. Wo das arme Kind gut ist, da ist es mir recht bis dahin, daß ich es von dort zu mir nehmen kann. Wäre es einmal hier, so wäre es gut aufgehoben. Aber wie hierher bringen? Die für die Pfingstfeiertage 1811 beabsichtigte Reise mit Ludwigs nach Dresden fand erst Mitte Juli statt. Brockhaus hatte von derselben vielen Genuß, besonders von dem Aufenthalte in Dresden selbst, das er wol zum ersten male sah, »dieser an Kunstschätzen und Naturschönheiten einzigen Stadt«, wie er schreibt, ebenso von dem Zusammentreffen mit interessanten Leuten. Unter diesen nennt er einen Baron von Heinse aus Lübeck, mit dem zusammen er Ludwigs, die sich in Dresden von ihm getrennt hatten, um einen längern Aufenthalt in dem Bade Teplitz zu nehmen, dort besuchte und dann nach Dresden zurückkehrte. Anfang August war er wieder in Altenburg, während Ludwigs erst am 4. September wieder dort eintrafen. Die Schwester von Frau Ludwig, Jeannette von Zschock, hatte nebst ihrer Freundin Karoline Hempel ebenfalls an der Reise nach Dresden und Teplitz theilgenommen, Beide waren aber, wie es scheint, in Brockhaus' Begleitung gleich mit nach Altenburg zurückgereist. Diese gemeinschaftliche Reise und die unmittelbar darauffolgende Zeit brachten in Brockhaus einen Entschluß zur Reife, den er schon lange mit sich herumtrug und der auch oft zwischen den Zeilen seiner von uns mitgetheilten Briefe an Herrn und Frau Ludwig durchschimmert: er verlobte sich mit Jeannette von Zschock, und der Verlobung, die nach der Rückkehr ihrer Schwester und ihres Schwagers zuerst nur im Stillen gefeiert, bald darauf aber auch öffentlich erklärt wurde, folgte gegen Ende des nächsten Jahres die Verheirathung. Jeannette von Zschock (mit ihren vollen Vornamen Johanne Charlotte Luise Rosine, aber gewöhnlich nur die französische Form des erstern führend) war am 7. September 1775 in Offenbach geboren und lebte seit dem Tode ihrer Mutter und ihres Vaters, der Rittmeister in schwäbischen Diensten gewesen war, bei ihrer Schwester in Altenburg. Sie stand bei ihrer Verlobung im siebenunddreißigsten Lebensjahre, Brockhaus im vierzigsten. Die einzigen Mittheilungen über die mit der Verlobung zusammenhängenden Umstände finden sich wieder in einem Briefe von Brockhaus an Bornträger. Er schreibt diesem aus Altenburg vom 30. August 1811: Heute endlich die Beantwortung Ihrer mehrmals geäußerten Wünsche, mein jetziges inneres Leben zu kennen, meine Verhältnisse hier zur Welt, zu meinen Freunden. Je wichtigere Nachrichten ich Ihnen über das Höchste im Leben mitzutheilen habe, je mehr haben Sie Recht, darüber etwas zu wissen, da Sie mit seltener Freundschaft mein Schicksal theilen. Es hat sich in diesen Tagen viel entschieden. Hier folgt die früher schon mitgetheilte Stelle über die in dieser Zeit von der Hofräthin Spazier gemachten neuen Anknüpfungsversuche, und daran schließen sich folgende von uns dort absichtlich noch weggelassenen Worte: Da aber der Verstand, beleidigte Ehre, Pflichtgefühl und auch zarte und edle Neigung für ein anderes weibliches Wesen mich stärken und schützen, so werde ich der Sirenenstimme, die von der Spree her zu mir herüberschallt, nicht folgen. Er fährt dann fort: Mein Verhältniß hier zur Welt ist im ganzen noch dasselbe, wie ich es Ihnen geschildert. Innige Freundschaft mit allen Gliedern des Ludwig'schen Hauses ist jedoch das, was mich allein sehr anzieht. Sie sind es auch allein, die mich ganz verstehen und würdigen. Ich habe hier nämlich wieder das Schicksal, daß viele Menschen gegen mich sind, daß mich diese für stolz, üppig, eingebildet und Gott weiß wofür Alles halten, wozu ich freilich durch mein schneidendes, auch oft sonst nie vorsichtiges Betragen Veranlassung gegeben habe. Ich bin über die Ursachen und die einzelnen Gravamina lange in Unsicherheit gewesen, da ich nur die Spuren in den Folgen entdeckte, ohne die Ursachen errathen zu können, da die Winke, die ich von einer Seite erhielt, nicht hinreichten, mir die nöthige Aufklärung zu geben. Jetzt kenne ich aber alle Fäden der geheimsten Verhandlungen darüber und auch alle Intriguen, die dabei stattgefunden und -finden. Mein Genius, der mir jene Winke und jetzt alle Offenbarungen gegeben hat; der mein Interesse vom ersten Augenblicke, daß ich hier vor einem Jahre aufgetreten bin, zum eigensten gemacht hat; dem ich und die Hofräthin alles Gute und Liebe verdanken, das wir hier genossen; der mich und sie mit gleicher Energie verfochten und vertreten; der durch einen wunderbar sympathetischen Zug sich zu mir wie ich mich zu ihm hinneigte, als auch noch nicht die allerentfernteste Möglichkeit da war, daß je ein näheres Verhältniß eintreten könnte -- dieser Genius ist jenes herrliche Mädchen, Ludwig's Schwägerin, Fräulein Jeannette von Zschock -- seit einer Woche meine still Verlobte! Sie wird mir fürs Leben angehören, wenn ich es vermag, mein bürgerliches Schicksal ganz zu ordnen, die Einwilligung Ludwig's und ihrer Schwester, die noch nicht von Teplitz zurück sind, zu erhalten und die Welt ganz mit mir zu versöhnen. Wir werden aber Vieles zu kämpfen haben, ehe wir ans Ziel kommen. Unsere Wahlverwandtschaft hat um so weniger unbeobachtet bleiben können, da durch die Eifersucht der Hofräthin, die zu einer Zeit, als der Gedanke daran zu den Märchen aus dem Monde gehörte, mich und die arme Jeannette aufs Blut damit verfolgte, dies unser Verhältniß die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, da es psychologisch allerdings höchst interessant war und jetzt von neuem die Behauptung Schubert's und Anderer gewissermaßen bestätigt, wie diese Art Nervenkranker die Gabe der Voraussehung und Voraussagung haben. Außerordentlich ist's, daß sie im Wahnsinn ihres Fiebers prophetisch Alles ausgesprochen hat. »Ich bin«, sagte sie, indem sie unsere Hände zusammenlegte, »Donna Elvira, mein Fräulein; ich werde nun gehen«.... Meinerseits bin ich überzeugt, daß meine Kinder eine vortreffliche Mutter und Erzieherin, ich eine edle Freundin und treue Genossin fürs Leben errungen habe, wenn es mir gelingt, unsere Verbindung zu vollenden. Sie wissen, wie verarmt mein Leben war und wie es das außerordentlichste Glück ist, wenn ich es auf diese Weise neu und schön ordnen kann. Ich gedeihe nur in einem edeln Familienkreise, und ohne solchen bin ich nichts. Und was wird und kann aus meinen Kindern werden, wenn sie nicht wieder eine edle Mutter finden? Es ist der lebhafteste Wunsch meiner Freundin, die kleine Sophie von Amsterdam herüberzuhaben, und es werden daher ernste Ueberlegungen stattfinden müssen, wenn Sie herüberkommen, wie dies zu bewerkstelligen. Der Schluß des Briefs enthält eine anziehende Schilderung des altenburger Vogelschießens, eines damals mit weit mehr Glanz als jetzt gefeierten Volksfestes: Ich würde Ihnen diesen Brief schon vor acht Tagen geschrieben haben, wo er freilich noch nicht so klar und bestimmt hätte melden können, was er jetzt enthält, wenn nicht in dieser Zeit gerade das hiesige große Vogelschießen stattgefunden, das jede geregelte Arbeit beinahe unmöglich macht. Sie können sich keinen Begriff davon bilden, mit welchem Pompe, mit welchen Feierlichkeiten es begleitet ist, und wie sich Geschmack und alle schönen Künste vereinigen, die Belustigungen dabei zu veredeln und zu verschönern. Dies Jahr war noch eine neue Loge erbaut worden, in der sich nun die Elite der Gesellschaft versammelte, wo des Morgens _Déjeuner dansant_, dann _Dîner_, Abend _Bal paré_, Spiel und _Souper_ unter den Colonnaden des Saals und in den Nebenzimmern war. An einem Tage in den Zwischenzeiten war noch Lotterie für Damen, an einem andern Tage Concert. Jeannette gewann auf zwei von mir geschenkte Lose zwei Ringe! Sie können denken, wie glücklich uns dieser Zufall oder diese Schicksalsdeutung machte. Blos in dieser Loge speisten gewöhnlich 4-500 Personen. Ich glaube nicht, daß es irgendwo brillantere oder angenehmere Bälle und Partien geben könnte, als es die hier waren. Aus der ganzen Gegend bis von Dresden her hatten sich lebenslustige Fremde in außerordentlicher Zahl eingefunden, die täglich ab- und zuwogten. Dazu die zahlreichen Buden auf der an einer sanften Anhöhe gelegenen Vogelwiese, von der man eine wunderschöne Aussicht hat; die herrliche Witterung, die schönen mondhellen Nächte, der Jubel der Volksmengen, denen diese Woche das ist, was den Römern ihr Carneval; das Werfen der Schwärmer, der Raketen, womit sich Jung und Alt amusirt; das ewige Musiciren von zwanzig Orten her, das Trommeln bei jedem Schusse, der den Vogel verwundet; die militärische Haltung aller Freunde und Bekannten, die sämmtlich in ihren ebenso geschmackvollen als wohlkleidenden Uniformen (dunkelgrün aufs brillanteste mit Silber gestickt, französischer Offiziersschnitt) mit großen russischen Hüten und rothen Schwungfedern erscheinen; die geputzten Weiber und Mädchen, von denen es wimmelt. Sie wissen, wie arm man in Holland an allem ist, was Vergnügen heißt, und Sie können daher denken, wie sehr es auf mich einwirken mußte. Ich war dazu doppelt glücklich, aber auch doppelt mäßig in jedem Genusse, da am Vorabend des Festes meine edle Freundin mir mit ihrem Herzen auch ihre Hand zugesagt hatte. Das geheimnißvolle Glück, das eine ausgesprochene edle Liebe begleitet, deren Höhe von keinem Aber geahndet wurde, goß einen besondern Reiz über unsere beiderseitige Haltung und Wesen, die von unsern nähern Freunden nicht übersehen wurde. Ich komme nochmal auf unsere Widersacher. Niemand ahndet zwar, daß zwischen uns eine Erklärung stattgefunden und wir uns Beide vollkommen verstehen; allein Jeder bemerkt leicht unsere gegenseitige Neigung, und da ich in allen öffentlichen Orten ihr den Arm gebe, bei Tisch ihr immer zur Seite bin, jeden ersten Tanz mit ihr tanze, mich _par préférence_ mit ihr unterhalte, sie beständig nach Hause führe, so hat man natürlich unsere gegenseitige Neigung nicht übersehen können, davon abgesehen, daß da, wo ich nicht bin, sie mich hebt oder nöthigenfalls vertheidigt, wie ich schon oben gedacht habe. Die weitere günstige Entwickelung der Verlobungsangelegenheit schildert Brockhaus in einem fernern Briefe an Bornträger aus Leipzig vom 21. September: Ich bin seit meinem vorigen Briefe ein paar mal in Leipzig gewesen, wo ich auch jetzt mich schon wieder seit acht Tagen befinde, um mehrere Expeditionen zu beschleunigen und vieles Andere zu reguliren, da die Niederlage muß geräumt werden und hundert andere Dinge zu thun sind. Seit jenem Briefe hat sich in den dort geschilderten Verhältnissen viel geändert und zum Guten, sodaß ich hoffen darf, es werde sich Alles schön und edel lösen. Ludwigs kamen den 4. September zurück. Ich war in Leipzig und kam erst den 8. wieder nach Altenburg. Meine Freundin hatte sich ihnen gleich erklärt und mit der entschiedensten Energie sich ausgesprochen, daß nichts sie zurückhalten würde, ihr Leben mit dem meinigen zu vereinigen, wenn meine bürgerlichen Verhältnisse sich ordnen ließen. Ludwigs hatten es gut aufgenommen und ihr allen Beistand zugesagt. Zu den »Widersachern«, von denen er mehrfach spricht, gehörte besonders der mit dem Ludwig'schen Hause eng befreundete Bankier August Reichenbach. Indessen gelang es Brockhaus und Frau Ludwig, auch ihn zu gewinnen, ja er wurde ihm bald ein treuer Freund, der ihn auch materiell durch Credit bei seinen Verlagsunternehmungen unterstützte. Wie sehr Brockhaus seine künftige Schwägerin Frau Ludwig verehrte, zeigt folgendes Gratulationsschreiben, das er zu ihrem Geburtstage, 27. December 1811, an sie richtete: Als ich vor einem Jahre der »Schönen und Guten« am heutigen Tage ein Zeichen meiner Verehrung brachte, wie wenig kannte ich da noch den Umfang Ihres herrlichen Geistes, den Adel Ihrer Seele, die Tiefe Ihres Gemüths, die Wärme Ihres Herzens, die, zusammen vereint, Sie zum Stolze und zur Ersten Ihres Geschlechtes machen, und Allen, die Ihnen nahen und die Ihnen angehören, der sicherste Leitstern sind fürs eigene Streben. Sie werden heute vielfach begrüßt werden, liebe Ludwig, und gewiß von Vielen in Liebe und Treue und Wahrheit. Ich geselle mich zu den Vielen, und in kunstloser Rede sage ich Ihnen denn auch, Keinem wenigstens an Wahrheit, Treue und Freundschaft nachstehend, wie sehr ich Sie verehre und wie meine heißesten Wünsche für Ihr Glück, für Ihren Seelenfrieden, für Ihr Wohlsein sich mit denen Ihrer ältern und besten Freunde vereinigen! Seien Sie so glücklich, als Sie verdienen es zu sein! Wie fern stand ich Ihnen vor einem Jahre! Wie unglücklich war ich damals! Vieles, wie Vieles hat sich in den schnell verflossenen Monden geändert! Ich sehe für mich die Morgenröthe eines neuen Glücks aufgehen, das um so größern Reiz für mich haben wird, je näher ich Ihnen, Verehrte, dadurch zu stehen komme! Möge ich Sie zur nächsten Feier des heutigen Tags mit einem Namen begrüßen dürfen, der für mich, außer dem Herrlichen, was er an sich in sich faßt, die schönste Lebensmusik sein wird. Im Laufe dieses und des folgenden Jahres hatten sich Brockhaus' geschäftliche Verhältnisse immer mehr befestigt. Die Verlobung wurde jetzt veröffentlicht und den Verwandten und Freunden mitgetheilt. Von allen Seiten kamen herzliche Glückwünsche; der kurze, aber treffende Glückwunsch eines dortmunder Jugendfreundes, Johannes Rappe, an Brockhaus lautete: Dein Genie hat Dich durch so mancherlei Labyrinthe des bürgerlichen Lebens gejagt und geführt, daß Du meinen Glückwunsch zu Deinem frohen Lebensgenuß in ruhiger Wirksamkeit für aufrichtig anerkennen und Deiner praktischen Vernunft zur Ausführung anvertrauen wirst. Auch sein Bruder Gottlieb schrieb sehr herzlich, und die in Dortmund noch weilenden drei Kinder feierten dort die Hochzeit ihres Vaters wol deshalb besonders freudig, weil sie ihnen die Aussicht bot, wieder eine Mutter zu bekommen und nunmehr bald in das älterliche Haus zurückkehren zu können. Die Hochzeit fand in Altenburg am 26. November 1812 statt, unter regster Theilnahme der neuen und alten Freunde des Bräutigams, die sich in zahlreichen ernsten und humoristischen Gedichten kundgab. Mit Bedauern vermißte Brockhaus unter seinen anwesenden Freunden den Professor Ersch aus Halle. Derselbe war im September bei ihm zu Besuch gewesen und hatte ihm dann geschrieben: Immer wird die Erinnerung meines Aufenthalts in Altenburg an die erfreulichsten meines Lebens sich anreihen; immer werde ich mit frohem Gefühle der Stunden denken, in welchen ich Bekanntschaften mit guten Menschen erneuerte und stiftete. Jetzt durch Krankheit abgehalten, an der Hochzeit theilzunehmen, schrieb er an Brockhaus aus Halle vom 21. December: Wahrlich, Sie hätten nicht nöthig gehabt, durch Ihre Nachrichten von Ihrer frohen Hochzeit und den Feierlichkeiten, mit welchen Ihre Freunde sie ausstatteten, meine Trauer über die Entbehrung dieser Freuden zu schärfen, und doch waren sie mir ungemein lieb und interessant, vorzüglich erfreuend aber die Bemerkung, daß Sie und Ihre gute Jeannette in Altenburg so viele Freunde haben. Wer, wie ich, den höchsten Lebensgenuß in dem Besitz von Freunden findet, weiß dies Gut zu würdigen. Die nächsten vier Jahre, 1813-1816, verbrachte Brockhaus meist in Altenburg, im ruhigen Genusse seiner neuen Häuslichkeit, aber auch in angestrengter Thätigkeit für den Wiederaufbau seines Geschäfts und unter lebhafter Theilnahme an den großen Ereignissen dieser Zeit. Außer häufigen Fahrten nach Leipzig machte er nur im Sommer 1814 in Erbschaftsangelegenheiten seiner Frau eine dreimonatliche Reise nach Stuttgart, Augsburg und München, von wo er über Strasburg, Frankfurt a. M. und Braunschweig zurückkehrte, und kleinere Ausflüge nach Dresden, Weimar, Dessau, Wittenberg, Berlin. Von seinen Kindern hatte er Auguste und Hermann im April 1814 von Dortmund nach Altenburg kommen lassen, während Heinrich erst im Mai 1816 folgte und die jüngste Tochter, Sophie, endlich im August 1817 von ihrem ältesten Bruder Friedrich aus Amsterdam abgeholt und nach Altenburg gebracht wurde. Friedrich war im Herbst 1813 zu dem Pastor Schlosser in Großzschocher bei Leipzig gekommen, wo er mit andern Knaben zusammen erzogen und unterrichtet wurde; zu Neujahr 1816 nahm ihn auf Wunsch seines Vaters der mit diesem befreundete und schon seit der amsterdamer Zeit einen großen Theil seiner Verlagswerke druckende Buchhändler und Buchdrucker Hans Friedrich Vieweg in Braunschweig zu sich in die Lehre; er sollte hier gleichzeitig mit Vieweg's fast gleichaltrigem Sohne Eduard die Buchdruckerkunst erlernen, weil sein Vater die Absicht hatte, mit dem immer größere Ausdehnung erlangenden Verlagsgeschäfte eine Druckerei zu errichten. Der jüngste Sohn Hermann erhielt mit den Ludwig'schen Kindern zusammen Privatunterricht und kam später gleich seinem ältern Bruder Heinrich, der an diesem Unterrichte auch mit theilnahm, in die Erziehungsanstalt zu Wackerbarthsruhe bei Dresden Die älteste Tochter Auguste wurde im Januar 1815 in eine Pension nach Dresden gebracht und war dort bis zur Uebersiedelung ihres Vaters nach Leipzig; die zweite Tochter, Karoline, blieb in Altenburg. Von seiner Frau wurden ihm in dieser Zeit zwei Kinder geboren, Alexander und Luise, die aber bald wieder starben, ersterer am 20. August 1814, letztere am 4. August 1818. Später wurden ihm noch zwei Töchter geboren: Johanne Wilhelmine am 29. December 1817 noch in Altenburg und Marie Ottilie am 18. Mai 1821 in Leipzig. * * * * * Brockhaus' langjähriger vertrauter Gehülfe und treuer Freund Bornträger war nach dem Verkaufe des amsterdamer Geschäfts noch bis zum Frühjahre 1812 in Amsterdam geblieben, um die von dem Käufer, Johannes Müller, nicht mit übernommenen Außenstände einzuziehen und alle sonstigen Verhältnisse daselbst zu regeln. Als ihm dies gelungen war und er am 4. März 1812 den schon früher erwähnten Vertrag mit dem amsterdamer Buchhändler Sülpke abgeschlossen, schrieb ihm Brockhaus offen: er könne ihm augenblicklich keine feste Stellung in Altenburg anbieten, da seine Verhältnisse noch zu wenig consolidirt seien, und rathe ihm seiner selbst wegen eine andere Condition anzunehmen, zu deren Erlangung er ihm gern behülflich sein werde; für alle Fälle sei ihm in seinem Hause ein Asyl gesichert. Durch diese Mittheilung und wol auch durch manche Vorwürfe verletzt, die ihm während der allerdings sehr schwierigen Zeit seiner Geschäftsführung gemacht worden waren, kündigte Bornträger und nahm eine untergeordnete Stellung bei dem Buchhändler Tasché in Gießen an. Er schrieb aber bald darauf selbst an Brockhaus, daß er seinen Entschluß bereue, und in spätern Jahren, bei Bornträger's regelmäßigem Besuche der leipziger Messe, glichen sich alle Differenzen zwischen ihnen vollständig aus. Bornträger rühmt selbst in einem spätern Briefe, er habe sich der Freundschaft seines frühern Principals bis zu dessen Tode zu erfreuen gehabt. In Gießen blieb Bornträger bis Anfang 1815, ging dann nach Berlin zu Amelang und errichtete 1818 in Gemeinschaft mit seinem jüngern Bruder Ludwig in Königsberg unter der Firma Gebrüder Bornträger eine Sortimentsbuchhandlung, mit der bald auch Verlagsbuchhandel vereinigt wurde. Diese Buchhandlung leitete er erst mit seinem Bruder, dann nach dessen Tode (1843) allein bis zu seinem am 6. März 1866 in hohem Alter (er war am 17. September 1787 zu Osterode am Harz geboren) erfolgten Tode und wußte seiner (noch jetzt unter einem andern Besitzer in Berlin fortblühenden) Verlagsbuchhandlung Ansehen zu verschaffen; sein Sortimentsgeschäft war schon 1842 an Tag & Koch verkauft worden. Auch persönlich genoß er hohe Achtung bei seinen Mitbürgern, die ihn 1843 zum Stadtrath wählten. Die Verdienste, die sich Bornträger um Brockhaus als treuer Freund und Berather in schwieriger Zeit erworben, werden auch von dessen Nachkommen vollkommen gewürdigt und sein Andenken wird bei ihnen stets in Ehren gehalten werden. * * * * * Bornträger's Nachfolger als Brockhaus' vertrauter Gehülfe und bald in noch höherm Grade wie dieser als Freund des Hauses wurde Karl Ferdinand Bochmann, der am 10. Juli 1813 in das Geschäft eintrat. Am 11. Februar 1788 zu Thurm bei Glauchau geboren, hatte er in der Buchhandlung des Magister Sommer in Leipzig sechs Jahre lang den Buchhandel erlernt und dann, von Wanderlust getrieben, im August 1808 eine Gehülfenstelle in Amsterdam bei dem Buchhändler Hesse angenommen. Bezeichnend für die damaligen Verhältnisse ist es, daß Hesse mit seinem neuen Gehülfen einen förmlichen Vertrag abschloß, in dem sich dieser verpflichten mußte, sich niemals in Amsterdam zu etabliren, ja selbst »nie mit den Principalen der andern zwei dortigen deutschen Buchhandlungen und mit deren Leuten sich einzulassen und allen Umgang mit denselben zu vermeiden, ansonsten Er augenblickliche Entlassung seiner Condition zu erwarten hat«. Trotzdem war er in Amsterdam mit Brockhaus bekannt geworden. Als Hesse im Sommer 1813 seine amsterdamer Buchhandlung aufgab und nach Paris zog, nahm Bochmann die ihm jetzt durch Vermittelung seiner an _Dr._ Bernhardi in Altenburg verheiratheten Schwester angebotene Stelle bei Brockhaus um so lieber an, als es ihm bei den aufgeregten politischen Verhältnissen Hollands in Amsterdam nicht mehr gefiel und er sich nach der Heimat sehnte. War er doch 1809 sogar gezwungen worden, in die amsterdamer Bürgerwehr (_Schutterij_) einzutreten. So ergriff er am 11. Juni 1813 den Wanderstab und legte die Reise nach Altenburg, wo er am 26. Juni eintraf, zu Fuße zurück. Ueber seine Wanderung wie über die nächste so ereignißreiche kriegerische Periode führte er ein Tagebuch, das manches Interessante enthält. Er gewann bald Brockhaus' vollständiges Vertrauen und war schon während der altenburger Zeit dessen Hauptstütze im Geschäft. * * * * * Außer Bochmann hatte Brockhaus noch zwei Männer an sich gezogen, die ihn bei seiner literarischen und redactionellen Thätigkeit unterstützten, während Bochmann das rein Buchhändlerische besorgte: _Dr._ Ludwig Hain, der im August 1812 eintrat, um ihn zunächst bei der Redaction des »Conversations-Lexikon«, später auch bei der Herausgabe der »Deutschen Blätter« zu unterstützen, und bis 1820 bei ihm blieb, und _Dr._ Sievers, der im Herbst 1813 zu Hain's Unterstützung kam, seine Stellung aber schon 1815 wieder aufgab. Während dieser Zeit vollzog sich auch die Umänderung der bisherigen Firma des Geschäfts »Kunst- und Industrie-Comptoir« in die seitdem beibehaltene Firma: »F. A. Brockhaus.« Und zwar erfolgte diese Umänderung in ganz formloser Weise, da man überhaupt auf alle solche Dinge damals wenig Gewicht legte. Wie schon früher erwähnt, gebrauchte Brockhaus seit Aufgabe des amsterdamer Geschäfts die Firma desselben auch in Altenburg noch fort, nur mit einem Zusatz, indem er »Kunst- und Industrie-Comptoir von Amsterdam« firmirte und auf den Büchertiteln bald Altenburg, bald Leipzig, bald beide Städte als Verlagsort nannte. In einem vom 15. Januar 1814, und noch dazu nicht aus Altenburg, sondern aus Leipzig (wo sich Brockhaus damals zufällig befand), datirten Circulare über Rechnungsverhältnisse finden sich am Schluß ganz beiläufig folgende Zeilen: Noch bemerken wir Ihnen, daß wir von jetzt an blos nach dem Eigenthümer unserer Handlung mit F. A. #Brockhaus# firmiren werden. Diese Firmenzeichnung findet sich seitdem auf allen seinen Verlagsartikeln, im Anfang noch abwechselnd mit »Altenburg« oder »Leipzig« oder beiden Städten als Verlagsorten, seit 1817 meist und seit 1819 ausschließlich mit dem Verlagsort »Leipzig«. 2. Neue Verlagsthätigkeit. In Altenburg entfaltete Brockhaus, sobald er die Verwickelungen aus der amsterdamer Periode zum Abschluß gebracht, gleich eine überaus rege und umfassende Thätigkeit. Mit neuer Kraft und mit gewohnter Energie gelang es ihm, von dem rasch wiederkehrenden Vertrauen der Buchhändlerwelt gehoben und von seinen neugewonnenen Freunden in Altenburg moralisch und materiell unterstützt, sein Verlagsgeschäft bald zu größerer Bedeutung zu bringen, als es in Amsterdam gehabt, und dadurch auch seine äußere Lage wieder zu einer günstigen zu gestalten. * * * * * Seine Verlagsthätigkeit in dieser altenburger Periode erstreckte sich besonders nach drei Richtungen hin. Die eine umfaßt seine Thätigkeit auf politisch-publicistischem Gebiete während der ereignißreichen und für Deutschland so hochbedeutsamen Jahre 1813-1815. Die zweite Hauptthätigkeit betrifft das »Conversations-Lexikon«, das er wesentlich in diesen Jahren zu dem gestaltete, was es für ihn und für die deutsche Literatur geworden ist. Die dritte Seite endlich ist die seiner allgemeinen Verlagsthätigkeit auf fast allen Gebieten der Literatur. Die beiden ersten Gruppen einer schon durch ihre Wichtigkeit geforderten eingehendem Schilderung vorbehaltend, beginnen wir mit der dritten, auch der Zeit nach den andern beiden meist vorangehenden Gruppe. Zunächst hatte Brockhaus noch Unannehmlichkeiten wegen zweier früher von ihm übernommener und von uns bereits erwähnter Verlagswerke, die im Herbste 1811 mit der Jahreszahl 1812 und unter der bekannten fingirten Verlegerfirma »Peter Hammer in Köln« erschienen waren: »Handzeichnungen aus dem Kreise des höhern politischen und gesellschaftlichen Lebens« und »Briefe eines reisenden Nordländers«. Der ungenannte Verfasser des erstern Buchs ist auch unbekannt geblieben. Aus einer von Brockhaus selbst herrührenden Notiz geht nur hervor, daß die Hofräthin Spazier es vor dem Druck redigirt hatte und dafür 50 Thlr. »Redactionsgebühren« erhielt; verfaßt ist es von ihr schwerlich, vielleicht von dem Kriegsrath von Cölln. Das kleine Buch enthält eine Reihe meist hochgestellte Persönlichkeiten betreffender Anekdoten und Erzählungen, die, ihre Wahrheit vorausgesetzt, allerdings »zur Charakteristik der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts« (wie noch auf dem Titel steht) dienen, aber zum Theil Skandale und Verbrechen unter voller Namensnennung der Betreffenden enthüllen und deshalb bei diesen wie im Publikum großes Aufsehen erregten. Der daraus entstandene Conflict mit dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg, aus dessen früherm Leben eine pikante Anekdote erzählt wird, wurde bereits früher berichtet. Jetzt verursachte Fürst Hatzfeld in Berlin, von dessen verstorbenem Bruder in dem Buche ebenfalls eine schlimme Gerichte erzählt wird, dem Verleger ernstere Unannehmlichkeiten, indem auf seine Veranlassung dasselbe gleich den »Briefen eines reisenden Nordländers« in Leipzig mit Beschlag belegt wurde, nachdem er außerdem eine Klage gegen ihn anhängig gemacht hatte. Die »Briefe eines reisenden Nordländers« sind von Reichardt, dem bekannten Musiker und Reiseschriftsteller, verfaßt, von dem Brockhaus bereits 1810 »Vertraute Briefe« über Wien und Oesterreich verlegt hatte, und waren, wie früher erwähnt, von Brockhaus selbst hervorgerufen worden. Das Buch erschien zuerst ebenfalls anonym, dagegen ist der Verfasser auf der (1816 veranstalteten) neuen Auflage genannt, wenn auch eigenthümlicherweise mit einem Druckfehler: Reichhardt statt Reichardt. Ueber die Conflicte wegen dieser beiden Bücher schreibt Brockhaus am 5. December 1811 aus Altenburg an Bornträger: Ich befinde mich hier seit wenigen Tagen in einer besondern Krisis. Von unserm Verlage haben die »Handzeichnungen« und die »Briefe des Nordländers« große Sensation gemacht. Von den ersten sind in Leipzig 73 Exemplare confiscirt und sind solche in vielen Orten verboten worden. Auch die »Briefe des Nordländers« sind in Leipzig vor der Hand verboten, doch nur erst dort, weil sie erst seit kurzem versandt sind. In Leipzig soll ich von der Büchercommission gar, wie Mitzky mir meldet, zu sechswöchentlichem _prison_ verdammt worden sein, weil ich die Firma Peter Hammer gebraucht habe. Auch bin ich direct vom Fürsten von Hatzfeld in Berlin wegen einer seinen verstorbenen Bruder betreffenden Anekdote in den »Handzeichnungen« auf rechtlichem Wege in Anspruch genommen worden, und habe ich deshalb heute eine Vernehmung zu erdulden gehabt. Dies ist es indessen weniger, was mich afficirt gerade, ob ich gleich glaube, daß noch von vielen Seiten Reclamen wegen der »Handzeichnungen« erfolgen werden. Es schützt mich hier so ziemlich die passirte Censur und die Erlaubniß der Nennung des Verfassers, den ich aber bisjetzt noch nicht genannt habe. Mehr bin ich besorgt wegen des »Nordländers« in Rücksicht des darin wehenden Geistes, ob ich gleich alle marquanten Stellen gestrichen habe. Die Gefahren scheinen aber demohnerachtet nicht unbedeutend zu sein, da besonders heute sehr schreckbare Nachrichten eingelaufen sind. So ist Hofrath Becker in Gotha vor drei Tagen durch 250, ich sage 250 Mann französische Dragoner aus der Residenz ohne Vorwissen des Herzogs und der Landesregierung aufgehoben und in Zeit von 10 Minuten aus der Stadt mit allen seinen Papieren fortgefahren worden, ohne daß man weiß wohin. So ist Hofrath Voigt in Jena wegen leichtsinniger Censur des dritten Bandes von Seume's »Reise nach Syrakus« ebenfalls beim Kopf genommen. In Leipzig ist, wie ebenfalls heute die Nachricht eintrifft, die alte Büchercommission cassirt und ein Einziger statt derselben angestellt worden mit den größten Vollmachten. Dieser Einzige heißt Brückner, das Alles ist, was ich bis zur Minute von ihm weiß. Von Gotha war ich von unbekannter Hand von der Hatzfeld'schen Requisition vorab unterrichtet worden, und ich werde hier so leicht nichts zu fürchten haben, wenn Alles im gewohnten rechtlichen Wege ginge. Bei diesen außerordentlichen Begebenheiten ist aber für nichts zu stehen, und die Freunde und die Freundinnen beschwören mich, mich zu entfernen. Dies ist auch beschlossen, und werde ich eine längst vorgehabte Reise unternehmen. Einige Tage darauf, am 11. December, schrieb Brockhaus: Ich habe die Idee, die ich Ihnen neulich mittheilte, wieder aufgegeben, da mir die Gefahr bei näherer Ueberlegung minder dringlich scheint. Adressiren Sie indessen Ihre Briefe nur immerhin an Scholber[48], da doch ein Fall eintreten könnte. Wegen Becker weiß man noch nichts Näheres. Man sagt, er sei nach Hamburg gebracht. Rudolf Zacharias Becker, der bekannte Volksschriftsteller und Buchhändler, war auf Davoust's Befehl in Gotha verhaftet und nach Magdeburg gebracht worden, wo er bis zum April 1813 gefangen gehalten wurde; er hat dies selbst in der interessanten Schrift: »Becker's Leiden und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft« (Gotha 1814), geschildert. Wie die Angelegenheit mit jenen beiden Verlagswerken und speciell die Klage des Fürsten Hatzfeld schließlich für Brockhaus verlief, wissen wir nicht. Unter unsern Papieren findet sich darüber nur noch ein eigenhändiges Concept folgender am 5. März 1812 von Brockhaus der altenburger Regierung abgegebenen loyalen Erklärung: Ich wiederhole vollkommen, was ich in der ersten Vernehmung vom 5. December v. J. hierüber bereits gesagt habe, und trage daher jetzt auf ein rechtliches Erkenntniß über diesen Gegenstand an, indem ich nur noch wünsche, daß mir gestattet werden möge, die Grundsätze, welche hier in Anwendung kommen könnten, meinerseits in einem mir zu bestimmenden Termine in einer nähern Deduction genauer zu entwickeln. Sollte dieses rechtliche Erkenntniß dahin lauten, daß seitens des Herrn Fürsten von mir, nach rechtlichen dabei eintretenden Grundsätzen, der oder die quästionirten Namen können verlangt und müßten mitgetheilt werden, so erkläre ich hierdurch ausdrücklich und bestimmt, daß ich mich demselben ebenso unweigerlich unterwerfen werde, als es mir jetzt unrechtlich und meine Pflicht als Verleger verletzend erscheinen würde, schon gegenwärtig darin dem Herrn Fürsten zu willfahren. Ich würde mir selbst, dem Verfasser oder den Personen, von welchen ich das quästionirte historische Factum in Manuscript erhalten habe, als feig und unedel erscheinen, wenn ich auf die bloße Instanz eines Individuums, das ich auch bei gleicher Namenslautung bisjetzt doch nur als dritte dabei nicht concernirte Person betrachten muß, gleich pliirte und den Verfasser dadurch vielleicht unmittelbar persönlichen oder Privatverfolgungen oder Ahndungen aussetzte, die ich von ihm oder ihnen so lange abzuwehren für meine Pflicht halte, als anerkannte rechtliche Grundsätze mich nicht dazu moralisch und bürgerlich verbinden. Der Herr Fürst kann sich übrigens ja auch vollkommen mit dieser Erklärung zufriedengeben. Entweder ist seine Frage rechtlich begründet, oder sie ist es nicht. Im erstern Falle wird das von mir provocirte rechtliche Erkenntniß ihm beistimmen, und ich, da alsdann meine Ehre als Verleger gegen den Verfasser gerettet ist, unterwerfe mich unbedingt dem Erkenntniß, soweit dasselbe die mir jetzt vorgelegte Frage betrifft. Im letztern Falle darf der Herr Fürst ja überhaupt keine Bewilligung seiner Instanz erwarten. Ein wichtigeres Verlagsunternehmen, dem sich Brockhaus seit seiner Uebersiedelung nach Altenburg wieder mit Eifer widmete, und das er neben dem »Conversations-Lexikon« mit besonderer Vorliebe pflegte, war das von ihm begründete Taschenbuch »Urania«. Der erste Jahrgang war unter dem Titel: »Urania. Taschenbuch für das Jahr 1810«, im Herbst 1809 erschienen und hatte viele Theilnahme gefunden. Das vom 1. September 1809 datirte Vorwort ist ohne Zweifel von der Hofräthin Spazier geschrieben und der Jahrgang auch von ihr zusammengestellt. Er wird durch einen Aufsatz von Jean Paul: »Erden-Kreis-Relazion« eröffnet, worauf andere abwechselnd prosaische und poetische Beiträge folgen: von Friedrich Kind, Charlotte von Ahlefeld, Theodor Körner, Luise Brachmann, Varnhagen, De la Motte Fouqué, Mahlmann, Apel u. a. Die Ausstattung ist elegant: Miniaturformat, gutes Papier, scharfer Druck (wahrscheinlich von Vieweg in Braunschweig), hübsche Kupferstiche; das zierliche Bändchen wurde cartonnirt mit Goldschnitt ausgegeben. Der zweite Jahrgang, in etwas größerm aber auch noch Miniaturformat, erschien erst zwei Jahre nach dem ersten, im Herbste 1811, unter dem Titel: »Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812«; er war gleichfalls noch von der Hofräthin Spazier zusammengestellt worden, doch übernahm Brockhaus selbst die schließliche Redaction und behielt diese für die Folge der Hauptsache nach in seinen Händen. Im December 1811 erließ er eine Aufforderung an zahlreiche hervorragende deutsche Schriftsteller mit der Bitte um Beiträge für die »Urania«. Der nächste Jahrgang erschien aber erst 1814 (für das Jahr 1815), während inzwischen (1812) der zweite Jahrgang nochmals mit einem neuen Titel für 1813 und im Kriegsjahre 1813 überhaupt keiner ausgegeben wurde. Jene Einladung erging an Zschokke, Oehlenschläger, Kotzebue, August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, Weißer, Haug, Therese Huber, Henriette Schubart, Amalie von Helvig u. a. Auch an Baggesen schickte Brockhaus die in Circularform gehaltene Aufforderung und fügte selbst noch folgende Worte hinzu, die nach ihren frühern Zerwürfnissen ihm gewiß Ehre machen: Es würde mich sehr freuen, mein guter Baggesen, wenn wir auf diesem Wege wieder zusammen in Berührung kämen. Wie Vieles hätte ich von Ihnen zu erfragen, wie Vieles Ihnen zu erzählen! Ich bin Ihnen mit alter Liebe und Freundschaft ergeben. Ein Versuch, auch Goethe »für die 'Urania' zu erobern«, wie Brockhaus sich ausdrückt, schlug zwar in der Hauptsache fehl, verschaffte ihm aber doch die Gelegenheit, Goethe's persönliche Bekanntschaft zu machen. Wol hauptsächlich zu diesem Zwecke reiste er Anfang Januar 1812 nach Jena, Weimar und Gotha. In dem Jahrgange für 1812 hatte die »Urania« Scenen aus Goethe's »Wahlverwandtschaften« in acht Kupfern nach Zeichnungen von Dähling gebracht. Für den nächsten Jahrgang waren Darstellungen aus »Faust«, »Egmont« und »Tasso« gewählt, meist nach Zeichnungen von Heinrich Naeke in Dresden, und diese legte er jetzt dem Dichter vor. Nach seiner Rückkehr schrieb er an Naeke: Goethe war mit Ihren ersten beiden Zeichnungen (zum »Faust«) sehr zufrieden, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu bezeugen. Ihr erstes Bild, das Puttrich gekauft, war auch in Weimar, und Schwerdgeburth hatte den Vorsatz, solches in großem Format in Kupfer zu stechen. Er wird aber wahrscheinlich diese Idee aufgeben, da ich auf eine andere gekommen bin: eine Goethe-Galerie in 12 oder 24 Blättern in der Größe Ihrer Zeichnungen herauszugeben, sobald die Zeitläufte eine solche Unternehmung nur einigermaßen begünstigen und das Publikum Ruhe findet, sich dafür interessiren zu können. Mündlich, da ich Sie bald persönlich zu sehen hoffe, hierüber mehr. Der Plan einer »Goethe-Galerie« in größern Kupferstichen kam nicht zur Ausführung, zunächst wol der bald folgenden Kriegsjahre wegen. Er ist, wie so manche von Brockhaus gefaßte Idee, von seiner Firma in späterer Zeit ohne specielle Kenntniß dieser Absicht wieder aufgenommen und ins Leben gerufen worden (in der 1863 von Friedrich Pecht herausgegebenen »Goethe-Galerie«), ebenso ein im September 1817 von Brockhaus angekündigter Plan einer »Shakspeare-Galerie«. In der »Urania« erschienen übrigens zahlreiche kleine Abbildungen zu Goethe's und Shakspeare's Dramen. Goethe interessirte sich fortgesetzt für die seine Dramen betreffenden Zeichnungen und erhielt auf seinen Wunsch auch die übrigen zur Begutachtung vorgelegt. Den Verkehr darüber vermittelte der seit 1793 in Weimar lebende und 1806 vom Großherzog zum Legationsrath ernannte Schriftsteller Johannes Daniel Falk (geb. 1768, gest. 1826), über dessen Beziehungen zu Goethe das auf seinen Wunsch erst nach dessen Tode aus seinem Nachlasse veröffentlichte Werk: »Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt« (Leipzig 1832, 3. Aufl. 1856), berichtet. Falk stand mit Brockhaus in geschäftlichen wie in freundschaftlichen Beziehungen und schrieb auch die Erläuterungen zu den in der »Urania« gegebenen Abbildungen zu Goethe's Werken. Ueber Goethe's Antheilnahme an diesen Zeichnungen schreibt Falk am 24. April 1812 an Brockhaus: Die Zeichnung zum »Egmont« von Naeke ist allerliebst: Goethe, dem ich sie zeigte und der das Bemühen Naeke's aufs dankbarste anerkennt, äußerte blos den Wunsch, daß es dem jungen genievollen und gemüthlichen Künstler gefallen möge, ihm die Sachen ehe sie fertig und im Umriß zuzuschicken, wo liebevolle Erinnerungen eines freundlichen Mannes kleinen Irrthümern zuvorkommen und oft mit ein paar Strichen abhelfen können. So z. B. an der Lage der Hand des Klärchen im »Egmont« hat der junge Künstler in der Unschuld seines Herzens kein Aergerniß genommen: Goethen fiel dies sogleich auf, und der hiesige französische Gesandte, der die Zeichnung von ungefähr sah und ungemein damit zufrieden war, bemerkte unverabredet: _que c'était hors de la convenance_. Eine jede Kritik muß einem so liebenden zarten Gemüth wie das von Naeke nicht besser vorkommen als den Blumen ein Nachtfrost. Suchen Sie es ihm nur beizubringen, daß diese Bemerkungen von Männern herrühren, die sein schönes Bestreben mit Liebe zu umfassen aufs allerbeste geneigt sind und die sich nie ein öffentliches liebloses Wort gegen ihn erlauben würden. In demselben Briefe kommen noch zwei andere Goethe betreffende Stellen vor. In der ersten schreibt Falk: Den Brief von Kestner, das Gedicht von Goethe, kann ich Ihnen nur unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit in die Hände geben. Und an einer andern Stelle, in der Falk die Bitte ausspricht, Brockhaus möge ein Werk von ihm ja nicht auswärts, sondern unter seinen Augen in Weimar drucken lassen, sagt er: Es liegt etwas in dieser Bedingung für einen lebendigen Menschen, und seien Sie versichert, daß Goethe z. B. mit Cotta, wie ich Goethe kenne, nothwendig zerfallen müßte, wenn Cotta zur unerlaßlichen Bedingung machte, die Sachen statt in Jena in Tübingen gedruckt zu sehen. Nicht aus Eigensinn oder Bizarrerie von seiten Goethe's, sondern aus einer Art von genialem Instinct, den Jeder begreift, der selbst etwas zu produciren im Stande ist. Außer daß Goethe jene Zeichnungen begutachtete, scheint er sich an der »Urania« nicht betheiligt zu haben. Einmal noch wird sein Name darin genannt; bei Mittheilung eines Preisausschreibens im Juli 1816 sagt Brockhaus: die von ihm um das Richteramt dabei gebetenen Schriftsteller hätten gewünscht, »ihr Urtheil, bevor es bekannt gemacht würde, dem Herrn Geheimen Rath von Goethe zur Genehmigung vorzulegen und sich auf diese Weise unter die Auspicien unsers größten Meisters zu stellen«; es sei deshalb an diesen ein solches Ansuchen ergangen. Indeß findet sich weder ein solcher Brief an Goethe noch dessen Antwort oder irgendeine andere Notiz darüber. Das ebenerwähnte Preisausschreiben wurde von Brockhaus im April 1816 erlassen und den Lesern der »Urania« in dem vom Juli datirten Vorwort zum Jahrgange 1817 mitgetheilt. Es folgten deren noch mehrere in den nächsten Jahrgängen, und da sie meist von Brockhaus selbst verfaßt sind und ihn von einer ganz neuen Seite zeigen, der einer directen Einwirkung auf die belletristische Production und genauer Vertrautheit mit der schönen Literatur, so ist ein näheres Eingehen darauf gerechtfertigt, zumal sich auch vielfach literarhistorisches Interesse daran knüpft. In der »Urania« für 1817 theilt Brockhaus zunächst mit, daß er bereits im April 1816 in Verbindung mit der Redaction der »Urania« folgende Anzeige habe drucken lassen: Jedem Freunde der deutschen Poesie wird sich die Bemerkung aufdringen, daß wir, bei einer Menge von Dichtern, doch wenige Gedichte besitzen, die, zwischen den größern epischen und dramatischen Darstellungen und den kleinen lyrischen Gattungen die Mitte haltend, durch das Interesse eines reichhaltigen Stoffs sowol als durch den Reiz einer gediegenen Kunstform zu stets wiederholtem Genusse einladen und, statt flüchtig und gleichsam spurlos vorüberzugehen, den Verstand und das Gemüth auf gleiche Weise befriedigen. Diese Wahrheit hat sich mir zunächst bei näherer Ansicht unserer Taschenbücher und Musenalmanache dargeboten, in denen wir Lieder, Sonette, Oden, Elegien, Romanzen u. s. w. in Ueberfluß finden, welche allerdings, insofern sie von wahrem poetischen Leben durchdrungen sind, ihren eigenthümlichen Werth behaupten; dagegen fehlt es fast ganz an gehaltvollen Gedichten von größerm Umfang, und wir haben, abgesehen von einzelnen hinreichend bekannten Meisterwerken, in der bezeichneten Art in Vergleich mit der englischen und französischen Literatur verhältnißmäßig nur wenig aufzuweisen. Ohne auf Pope, Buckingham, Roscommon, Boileau, Voltaire, Gresset und andere ältere Dichter von entschiedenem Werth zurückgehen zu wollen, nenne ich nur einige neuere, als Laharpe, Malfilâtre, Delille, Parny, Legouvé, Mollevaut, Millevoye, Victorin Fabre, Hayley, Walter Scott, Byron u. s. w., die, wenn sie auch nicht als höchste Muster gelten können, doch mehr oder weniger wahres Verdienst haben. Der Wunsch, das bei mir erscheinende Taschenbuch »Urania« mit einem immer reichern und gehaltvollen Inhalt auszustatten, hat mich auf den Gedanken geführt, obige Bemerkung zu einigen Preisaufgaben zum Behuf des genannten Taschenbuchs zu benutzen, und Alle, die sich der Gunst der Musen erfreuen und die »Urania« mit ihrer Theilnahme zu begünstigen geneigt sind, zu Versuchen in folgenden drei Gattungen einzuladen: 1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung der Wahl des Dichters überlassen bleibt; 2) in der Idylle, d. h. der poetischen Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschen, sie mag nun rein ideal oder mehr oder minder aus der Wirklichkeit entlehnt sein; 3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der Kunst, wobei nur die Heroide ausgeschlossen, dagegen eine didaktische Tendenz als besonders willkommen bezeichnet wird. Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung bleibt billig der freiesten Willkür des Dichters überlassen; in Ansehung des Umfangs, der einem solchen Gedichte zu geben sein möchte, haben mir Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über den Menschen« (1304 Verse) vorgeschwebt. Doch kann diese Bestimmung bei den Schwierigkeiten, welche die harmonische Begrenzung eines Kunstwerks hat, die einzig durch sich selbst bedingt wird, nur andeutungsweise gemacht sein, und soll damit keineswegs ein festes Maß angegeben sein. Für das beste Gedicht in jeder der bezeichneten drei Gattungen, das mir bis zum 1. Januar 1817 mit Beobachtung der in solchen Fällen gewöhnlichen Formen eingesandt wird, bestimme ich, insofern es überhaupt ein gutes ist, einen Preis von 20 Friedrichdor, nehme dasselbe in die »Urania« für das Jahr 1818 auf und behalte mir das Verlagsrecht auf die nächsten fünf Jahre vor, nach welchen es dem Verfasser als freies Eigenthum wieder anheimfällt. Ueberdies erbiete ich mich, das gelungenste Gedicht nach dem gekrönten in jeder Gattung, sofern es sich zur Aufnahme eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen zu honoriren. Würdige und kunstverständige Männer werden Richter sein; ihre Namen sollen, wenn sie es verstatten, in der noch vor Michaelis erscheinenden »Urania« auf 1817 dem Publikum angezeigt werden. Brockhaus fügt dieser frühern Anzeige jetzt noch folgende Bemerkungen hinzu: Alles Obige hiermit nochmals bestätigend und zu einer recht zahlreichen Concurrenz einladend, hat Unterzeichneter nur noch das am Schlusse obiger Anzeige gethane Versprechen zu erfüllen. Eingeladen, das Richteramt zu übernehmen, sind worden die Herren August Apel, Amadeus Wendt, Adolf Wagner in Leipzig, Messerschmid in Altenburg, Riemer in Weimar und H. Voß der Sohn in Heidelberg. Einige haben sich schon bereit erklärt, von den Andern dürfen wir eine gleiche Willfährigkeit erwarten. (Hier folgt die oben mitgetheilte, Goethe betreffende Stelle.) Ueber den Erfolg soll zu seiner Zeit die bestimmteste Nachricht gegeben werden. Unabhängig von diesen Preisaufgaben werden übrigens alle dichterischen Freunde der »Urania« freundlichst und ergebenst eingeladen, sie auch künftig mit ihren Beiträgen zu schmücken. Das Preisausschreiben hatte den günstigsten Erfolg, indem infolge desselben eine Dichtung eingesandt wurde, welche sofort als eine Zierde der poetischen deutschen Literatur erkannt wurde und noch jetzt einen ehrenvollen Platz in derselben einnimmt: »Die bezauberte Rose« von Ernst Schulze, einem bis dahin fast ganz unbekannten jungen Dichter. Brockhaus verkündete dies sowie die übrigen Ergebnisse des Preisausschreibens in der von ihm als »Herausgeber der 'Urania'« unterzeichneten und vom September 1817 datirten Vorrede zum Jahrgang 1818 der »Urania«, in welchem auch »Die bezauberte Rose« zum ersten male gedruckt erschien. Er sagte: Als wir zuerst im April 1816 drei poetische Preisaufgaben bekannt machten, konnten wir uns allerdings einiger Bedenklichkeiten dabei nicht erwehren. Einmal mußten wir besorgen, daß Tadelsucht oder Ungunst uns einer Anmaßung beschuldigen möchte, die unserer Denkart fremd ist, dann aber auch, daß wir uns in dem Vertrauen, welches wir hegten und in Anspruch nahmen, getäuscht sehen könnten. Um so erfreulicher muß es uns sein, bei der kurzen Rechenschaft, die wir hiermit ablegen wollen, ein im ganzen sehr günstiges Resultat melden und zugleich rühmen zu können, daß uns über unser Unternehmen kein übelwollendes Urtheil, das irgend Werth für uns hätte haben können, bekannt geworden ist. Zwar die von uns gelegentlich ausgesprochene Hoffnung, daß wir in jeder der drei Dichtungsgattungen, auf welche sich die erste Aufgabe bezog, auch einen Preis würden ertheilen können, ist in diesem Umfange nicht in Erfüllung gegangen, da wir der Sache, den Theilnehmern und uns durchaus schuldig zu sein glaubten, von den hohen und strengen Forderungen der Kunstkritik nicht abzuweichen. Aber auch bei diesen Grundsätzen haben wir des Preiswürdigen nicht ermangelt. Der gelungensten Arbeiten hat sich die poetische Erzählung zu erfreuen gehabt. Der Ehrenplatz unter allen aber gebührt der »Bezauberten Rose«, einer romantischen Erzählung in drei Gesängen von Ernst Schulze. Ihr ist der erste Preis zuerkannt worden, und wir achten sie für ein Werk von bleibendem Werthe in der vaterländischen Poesie. Leider wird die Freude, ein Talent von echter Dichterweihe bei dem Publikum einzuführen, durch den noch größern Schmerz getrübt, daß uns dasselbe in dem Augenblicke, wo es sich in seiner Fülle entfaltet hatte, auch schon wieder entrissen ist. Der junge Dichter starb, nachdem er nur wenige Tage vorher die Nachricht von der Krönung seines Gedichts erhalten hatte. Einen zweiten Preis in derselben Gattung hat K. G. Prätzel's poetische Erzählung »Der Todtenkopf« erhalten. Von den übrigen zur Concurrenz eingesandten Erzählungen nennen wir noch mit Auszeichnung »Saladin«, ein romantisches Gedicht in vier Gesängen. In der Gattung der poetischen Epistel wurde unter den eingegangenen Gedichten »Des Dichters Weihe« als das vorzüglichste erkannt und mit dem zweiten Preise gekrönt. Bei Eröffnung der versiegelten Devise fand sich der Name Hesekiel. Die für die Idylle ausgesetzten Preise haben von den vierzehn dafür eingekommenen Gedichten keinem zuerkannt werden können; doch haben drei derselben: »Die Hirten in der Herbstnacht«, »Amor und Hymen« und »Ida«, sich vor den übrigen vortheilhaft auszuzeichnen geschienen. Ueber Ernst Schulze und seinen Tod sowie über dessen poetischen Nachlaß bemerkt Brockhaus noch in einer Anmerkung: Er starb am 29. Juni (1817) zu Celle im achtundzwanzigsten Jahre seines Lebens in den Armen seines tiefgebeugten Vaters, des _Dr._ Schulze, Bürgermeisters und Stadtsyndikus daselbst. Er war eben im Begriff, eine literarische Reise nach Italien anzutreten, auf welcher er einige Jahre zuzubringen dachte, als ihn eine schwere Krankheit auf das Lager niederwarf, von dem er nicht wieder aufstand. Den Keim seiner Krankheit hatte er sich in der Belagerung von Hamburg, welcher er als freiwilliger Jäger beiwohnte, zugezogen, und auf einer Reise nach den Rheingegenden war durch geringe Sorge um die Gesundheit dieser Keim entwickelt worden. Als unser Dichter die Nachricht von dem ihm zuerkannten Preise erhielt, war seine Empfänglichkeit zur Freude schon sehr gesunken, indessen erregte diese Anerkennung seines poetischen Talents doch seine lebendigste Theilnahme. Seine nachgelassenen poetischen Schriften, unter denen sich insbesondere ein Heldengedicht »Cäcilie« befindet, an welchem er viele Jahre gearbeitet, werden von Bouterwek gesammelt herausgegeben und von einer Biographie des herrlichen jungen Dichters begleitet werden. Wir dürfen ihnen bald entgegensehen. Die erste Separatausgabe der »Bezauberten Rose« erschien 1818, eine Prachtausgabe in fünf verschiedenen Formen 1820. Das nachgelassene größere Gedicht: »Cäcilie«, wurde 1818 und 1819 veröffentlicht als erster und zweiter Band der von Professor Friedrich Bouterwek in Göttingen, dem Lehrer und Freunde des Dichters, herausgegebenen Gesammtausgabe der poetischen Werke Ernst Schulze's, deren zwei letzten Bände (1819 und 1820 erschienen) die übrigen Dichtungen enthalten. Ausführliche Mittheilungen über den so viel versprechenden, in der Blüte seiner Jahre verstorbenen Dichter (er war am 22. März 1789 geboren und starb am 29. Juni 1817) enthält eine von Hermann Marggraff verfaßte Biographie (Leipzig 1855, zugleich den fünften Theil einer dritten Auflage von Ernst Schulze's »Sämmtlichen poetischen Werken« bildend). Im Jahre 1855 wurde des Dichters Grab in Celle von der Verlagshandlung seiner Werke, gewiß im Geiste ihres Gründers, erneuert und mit einem einfachen, würdigen Denkmal geschmückt. Die übrigen von den Preisrichtern gekrönten Dichtungen wurden ebenfalls in der »Urania« veröffentlicht (1818 und 1819), ohne jedoch eine ähnliche Theilnahme wie Ernst Schulze's »Bezauberte Rose« zu finden. Der günstige Erfolg des ersten Versuchs veranlaßte Brockhaus, ihn noch mehrmals zu erneuern. Er sagt zunächst in demselben Vorwort noch: Dieser im ganzen unsern Wünschen genügende Erfolg hat uns bewogen, bereits unter dem 30. Januar 1817 bekannt zu machen, daß wir dieselben Preisaufgaben für das laufende Jahr nicht nur wiederholen, sondern auch noch drei neue Preise hinzufügen. Demgemäß bestimmen wir einen Preis von 20 Friedrichdor für das beste Gedicht, sofern es den Forderungen einer gerechten Kritik entspricht und folglich ein vorzügliches ist: 1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung dem Dichter frei bleiben; 2) in der Idylle, sie sei nun rein ideal oder mehr oder weniger der Wirklichkeit entlehnt; 3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der Wissenschaft und Kunst, wobei nur die Heroide ausgeschlossen, eine didaktische Tendenz hingegen als besonders willkommen bezeichnet wird. Ueberdies erbieten wir uns, das gelungenste Gedicht nach dem gekrönten in jeder Gattung, wenn es sich zur Aufnahme in die »Urania« eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen zu honoriren. Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung werden ganz der Willkür des Dichters anheimgegeben; ebenso können wir nicht die Absicht haben, bei den Schwierigkeiten, welche die harmonische Begrenzung eines Kunstwerks hat, die einzig durch sich selbst bedingt wird, den Umfang scharf zu bestimmen, und wir fürchten nicht, misverstanden zu werden, wenn wir andeutungsweise wiederholt auf Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über den Menschen« (1304 Verse) hinweisen. Ferner bestimmen wir drei Preise, jeden von 6 Friedrichdor, für das vorzüglichste Gedicht in der Gattung der Ode, der Elegie und für den schönsten Sonettenkranz, insofern sie überhaupt eines Preises würdig befunden werden. Auch hier bleiben Stoff und Form, soweit sie nicht durch die Aufgabe selbst bestimmt sind, der Wahl des Dichters überlassen, und gleich willkommen wird eine mit pindarischem Feuer oder in anakreontisch-tändelnder Weise gedichtete Ode, eine Elegie im Geiste der Alten oder Neuern, eine mehr oder minder zusammenhängende Sonettenreihe, im Geiste Petrarca's oder Berni's, A. W. Schlegel's oder Freimund Raimar's sein. Die gekrönten Gedichte werden in der »Urania« abgedruckt und der Herausgeber derselben bedingt sich an ihnen das Verlagsrecht auf fünf Jahre aus, nach welchen sie an ihre Verfasser als reines Eigenthum zurückfallen. Diesmal erfolgten noch zahlreichere Einsendungen, und wenn auch kein erster Preis ertheilt werden konnte, so wurden doch mehrere wohlgelungene Gedichte ausgezeichnet und auch in der »Urania« veröffentlicht. Für den nächsten Jahrgang (1820) beschränkte Brockhaus infolge des »Urtheils stimmfähiger Kunstrichter und eigener Wahrnehmung« seine Preisaufgaben auf die poetische Erzählung und die poetische Epistel, bei letzterer einen bestimmten Stoff bezeichnend, indem er sich besonders an diejenigen wandte, »die ihr poetisches Talent mehr im Stillen üben und eine aufmunternde Veranlassung erwarten, um damit vor das große Publikum zu treten«; zugleich konnte er freilich auch »den Wunsch nicht bergen, mit Gedichten verschont zu bleiben, deren Unzulänglichkeit die Verfasser bei einiger Selbstkenntniß und Selbstprüfung leicht selbst wahrnehmen müssen«. Obwol wiederum keine der eingegangenen Dichtungen mit dem ersten Preise gekrönt werden konnte und nur einige trotzdem abgedruckt wurden, schrieb Brockhaus im August 1819 für den Jahrgang 1821 neue Preise aus, und zwar in der Gattung der poetischen Erzählung, der poetischen dramatischen Dichtung und für die Uebersetzung eines Gesangs von Byron's »_Childe Harold_«. Ferner richtete er aber zum ersten male sein Augenmerk außer auf die poetische auch auf die prosaische Production, indem er in seiner Ankündigung fortfuhr: Zugleich aber wünschte ich auch zu Ausarbeitungen in Prosa für die »Urania« aufzumuntern. Sehr willkommen werden mir historische Ausarbeitungen sein; und um auch hier einen Stoff zu bezeichnen, schlage ich andeutungsweise den für die vaterländische Geschichte so wichtigen und glorreichen Zeitraum der Kaiser Heinrich's I. und Otto's des Großen vor, worüber treffliche Quellen vorhanden sind. Nicht minder willkommen sollen mir Lobreden auf ausgezeichnete Männer sein, doch dürften sie nicht blos rhetorische Lobrednerei, sondern gediegene Charakterbilder mit Licht und Schatten sein und müßten den Einfluß darlegen, den der Gepriesene auf das Leben und Wesen seiner Zeit geübt habe. Ein solches Werk ist Johannes Müller's Lobrede auf Friedrich den Großen. Ich schlage zunächst unsern unsterblichen Lessing vor. Für die beste Arbeit in jeder der genannten Gattungen in Prosa bestimme ich, sofern sie die Forderungen, die man gerechterweise daran machen muß, befriedigt, ebenfalls 12 Friedrichdor. Der Umfang dürfte etwa drei, höchstens vier Druckbogen betragen. Neben der »beifälligen und aufmunternden Zustimmung vieler Trefflichen und Urtheilsfähigen« erwähnt Brockhaus jetzt zum ersten male auch »Angriffe, die theils aus Uebelwollen und Ungunst mit Bitterkeit, theils aus Lust zum Widerspruch auf mehr scherzhafte Weise gegen meine Preisaufgaben gerichtet worden«, und fügt folgende Bemerkungen hinzu: Man hat es sonderbar gefunden, daß man nicht erfahren soll, wer denn eigentlich die Richter oder, wie man sie scherzhaft genannt hat, »die unbekannten Obern« sind, welche über den Werth und Unwerth der eingesandten Gedichte absprechen. Darauf erwidere ich, daß, wenn nur das Urtheil sich durch sich selbst rechtfertigt, der Name des Urtheilenden völlig gleichgültig sein kann. Ist es doch bei allen unsern Recensiranstalten derselbe Fall. Laufen Misbräuche mit unter, wohlan, die rüge man! Man zeige, daß ein gelungeneres Gedicht einem minder gelungenen nachgesetzt, daß einem Gedichte, dem der erste Preis gebührt hätte, nur der zweite zuerkannt worden u. dgl. m. Letzteres, meint ein scharfsichtig in die Zukunft Spähender, könne gar leicht geschehen, denn der Unternehmer spare dabei. Diesem diene zur Antwort, daß bei der Art, wie das Honorar für den zweiten Preis und jedes aufgenommene Gedicht bestimmt ist, in dieser Hinsicht erster und zweiter Preis meistens ziemlich gleich sind, daß also der Unternehmer schon aus diesem Grunde nichts gewinnen, daß er vielmehr aus andern leicht sich darbietenden Gründen dadurch verlieren würde. Doch wozu sich gegen so kleinliche und unwürdige Bedenklichkeiten schützen wollen! Diesmal war der Erfolg noch geringer als früher; namentlich entsprach keiner der eingegangenen prosaischen Aufsätze den gestellten Anforderungen. Brockhaus sagt bei Mittheilung dieses Ergebnisses, daß er theils zu solchen Aufsätzen habe aufmuntern wollen, die von den Engländern mit dem Worte _Essays_ bezeichnet würden (eine bekanntlich erst viel später in der deutschen Literatur eingebürgerte Gattung), theils zu Aufsätzen wie die _Eloges_ der Franzosen. Nach diesem Miserfolg beschränkte er sich darauf, für 1822 nur zwei Preise auszuschreiben: 30 Friedrichdor für eine poetische Erzählung und 25 Friedrichdor für eine prosaische Erzählung oder Novelle. Er bemerkt dazu: »die Gewißheit, das Beste der Kunst nicht nur gewollt, sondern auch gefördert zu haben«, sei der Redaction der »Urania« »das sicherste Gegengift gegen die unrühmlichen und unredlichen Kämpfe« gewesen, »in welche sie der hämische Geist des Widerspruchs, der alles Gute verfolgt, zu verflechten gesucht hat«. Als auch diese Preisausschreibung nur wenig günstige Ergebnisse lieferte, gab Brockhaus die Idee ganz auf und erklärte dies in einem Vorworte vom 15. Juli 1821, das folgendermaßen schließt: Die zahlreichen und ausgezeichneten Verbindungen, deren der Herausgeber der »Urania« sich erfreut, bewegen ihn zugleich, da er in ihnen ein Mittel sieht, folgende Jahrgänge auf das reichhaltigste auszustatten, auf künftige Preisaufgaben völlig Verzicht zu leisten. Es sind ihm solche verschiedentlich gemisdeutet worden, und wenn sich Misdeutungen dieser Art auch wol ertragen lassen, so können sie wenigstens keine Aufmunterung sein, darin fortzufahren. Cotta und Andere haben ähnliche Ideen gehabt, sie auszuführen gesucht, und sie haben sie aufgegeben, ohne selbst so glücklich gewesen zu sein wie wir, die wenigstens genug belohnt worden sind, dadurch #ein# Gedicht veranlaßt zu haben, das in seiner Art von keinem ähnlichen in unserer poetischen Literatur überboten und nicht untergehen wird. Der Herausgeber der »Urania« hat auch hier das gewöhnliche Schicksal erfahren, das in den meisten Fällen Alles trifft, was der höhern Entwickelung irgendeiner schönen, sich über das Alltägliche erhebenden Idee gewidmet wird und, indem es blos allgemeine Zwecke verfolgt, kleinlichen und persönlichen Interessen entgegentritt. Er beschwert sich nicht darüber, da sein Bestreben ihm im Einzelnen auch theuere und schätzbare Freunde zuführte, deren Anerkennung und Wohlwollen für ihn einen größern Werth hat, als ihm erlittene Kränkungen und rohe Verunglimpfungen mögen wehe gethan haben. Jedenfalls war es Brockhaus gelungen, die »Urania« zu einem der besten und gehaltvollsten Taschenbücher seiner Zeit zu gestalten, und die Preisausschreibungen hatten theils direct, theils mittelbar dazu beigetragen. Auf dem Gebiete der Poesie begegnen wir unter den Mitarbeitern den besten Namen, die zum Theil darin zum ersten male auftreten; außer Theodor Körner und Ernst Schulze seien nur folgende genannt: Zacharias Werner (dessen »Vierundzwanzigster Februar« im Jahrgange 1815 zuerst erschien), Friedrich Rückert, Adam Oehlenschläger, Tiedge, Helmina von Chézy, Graf Kalckreuth, von der Malsburg, Graf von Löben, Wilhelm Müller, Gustav Schwab, Adolf Streckfuß, Graf Platen. Noch reicher ist die Liste der Mitarbeiter der »Urania« auf dem Gebiete der Prosa, namentlich der Erzählung und Novelle, die in spätern Jahrgängen immer mehr den Schwerpunkt der »Urania« bildete. Unter ihnen fehlt kaum einer der beliebtesten Schriftsteller jener Zeit; neben Jean Paul und den früher Genannten erwähnen wir noch: Friedrich Kind, Therese Huber, De la Motte Fouqué, Winkler (Theodor Hell), Mosengeil, Böttiger. Die eigentliche Blütezeit der deutschen Novelle, die in der »Urania« ihre ausgezeichnetste Vertretung fand: in Ludwig Tieck, Wilhelm Häring (Wilibald Alexis), Johanna Schopenhauer, Leopold Schefer, von Rehfues, Sternberg, Eichendorff, Theodor Mügge, Ludwig Rellstab, Berthold Auerbach, Karl Gutzkow, Levin Schücking u. a., fällt allerdings erst in die Zeit nach dem Tode des Begründers der »Urania«. Das Taschenbuch erhielt sich bis zum Jahre 1848, in welchem es von der Verlagshandlung bei der aufgeregten politischen, für derartige Lektüre weniger empfänglichen Stimmung aufgegeben wurde, nachdem es 38 Jahre lang in 35 Jahrgängen einen würdigen Sammelpunkt der besten Erzeugnisse der deutschen schönen Literatur gebildet hatte. In der »Urania« trat Brockhaus auch selbst einmal als Schriftsteller auf, wenn auch nicht unter seinem Namen und nur in der bescheidenen Rolle eines Bearbeiters. Die im Jahrgange 1822 enthaltene Erzählung: »Die Nebenbuhlerin ihrer selbst«, deren Verfasser »Guntram« genannt ist, war von ihm nach dem Französischen bearbeitet; vielleicht war sie nur ein Lückenbüßer zur Füllung des Bandes, zumal sie am Schluß desselben steht und in dem Vorwort gesagt ist, die Redaction habe bei dem zweifelhaften Ergebnisse der damaligen Preisausschreibung sich selbst helfen müssen. Uebrigens hatte er wenig Lohn und Freude von dieser seiner Arbeit, denn wegen derselben wurde dieser Jahrgang der »Urania« für die österreichischen Staaten verboten, weil man in Wien jene Erzählung auf eine vornehme österreichische Familie bezog. Nunmehr erklärte Brockhaus in einer öffentlichen Anzeige unterm 29. October 1821: »daß diese Geschichte nach einer in den vorjährigen «_Annales de la littérature_» von Quatremère de Quincy, Vanderbourg, Raoul Rochette, wo sie '_Imprudence et bonheur_' heißt, von ihm selbst bearbeitet ist und die gebrauchten Namen bloße Fictionen sind.« Die Bearbeitung der spannenden, aber ästhetisch unerquicklichen Novelle ist übrigens sehr geschickt und verräth kaum den nicht berufsmäßigen Schriftsteller. * * * * * Durch die »Urania« kam Brockhaus in interessante und auch geschäftlich für ihn werthvolle Beziehungen zu hervorragenden Schriftstellern. Der Philosoph Bachmann in Jena schickte ihm am 26. April 1812 »einige Gedichte eines jungen Mannes« mit der Bitte, dieselben in den nächsten Jahrgang aufzunehmen. Der junge Mann heiße -- _Dr._ Rückert und habe ihn um diese Vermittelung gebeten. Seitdem brachte fast jeder der nächsten Jahrgänge der »Urania« Gedichte von Friedrich Rückert, bald unter dessen Namen, bald unter dem bekannten Pseudonym Freimund Raimar, das erste mal unter dem sonst nicht vorkommenden Pseudonym Fr. Rikard. Rückert war damals Privatdocent an der Universität Jena und als Dichter noch wenig bekannt; er wurde dies erst durch seine 1814 in Heidelberg, wohin er sich gewandt hatte, erschienenen »Deutschen Gedichte«, welche auch die »Geharnischten Sonette« enthielten. Brockhaus blieb mit ihm in dauernder Verbindung, wenn auch Rückert's hauptsächlichste Werke bei andern Verlegern erschienen, und verlegte 1822 die »Oestlichen Rosen«. Der Druck derselben verzögerte sich etwas, weshalb Rückert aus Koburg vom 10. April 1821 an Brockhaus schrieb: an neuen Schriften und neuem Papier sei ihm so viel nicht gelegen »als daran, daß meine jungen Rosen nicht in Ihrem Pulte alt werden«! In Betreff der »Urania« fügte er noch hinzu: Dankbar bin ich Ihnen dagegen für die abermalige Einladung zur »Urania«, ob ich gleich einige Abneigung fühle, mich auf die Scene zu stellen, wo Ihre Preisconcurrenten figuriren; doch wenn der Druck nicht ebenso schnell geht als meiner langsam, so will ich zum Gründonnerstag noch mit einem Nachtrab eintreffen. Friedrich Rückert (geb. 1788, gest. 1866) blieb mit der Firma F. A. Brockhaus auch nach dem Tode ihres Begründers in Beziehungen und sandte ihr sein letztes Werk: »Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein«, die anonym mit der Bezeichnung: »Von F--r«, 1864 erschienen, aber gleich als von ihm gedichtet erkannt wurden und rasch zwei Auflagen erlebten.[49] * * * * * Auch mit Franz Grillparzer (geb. 1791, gest. 1872) trat Brockhaus zunächst der »Urania« wegen in Verbindung. Ein Brief Grillparzer's aus Wien vom 6. April 1818 enthält das Nähere darüber und möge auch wegen seines sonstigen, nach mancher Seite hin interessanten Inhalts vollständig hier folgen: Ew. Wohlgeboren Schreiben vom 26. März, das ich gestern erhielt, hat mir um so größeres Vergnügen gemacht, je mehr ich mit ganz Deutschland gewohnt bin, mit dem Namen Brockhaus nebst dem, daß er einen der würdigsten Buchhändler bezeichnet, auch noch andere, nicht minder ehrenvolle Begriffe zu verbinden. In Bezug auf Ihren freundlichen Antrag wegen Aufnahme meiner »Sappho« in das Taschenbuch »Urania« habe ich vor allem Folgendes zu erwidern: Erstens scheint mir für ein Werk, das zur Aufführung auf der Bühne bestimmt ist und daselbst auf einigen Erfolg rechnet, ein Taschenbuch eben nicht der beste Platz zu sein. Abgesehen von dem Ungewöhnlichen einer solchen Erscheinung beschränkt man sich dadurch das lesende und abnehmende Publikum auf eine weder Gewinn noch andern Vortheil bringende Art. Zur Darstellung gebrachte Schauspiele haben nämlich, wie Sie wol wissen, nebst dem #Leser# im strengen Verstande noch ein zweites Publikum, das sich sonst mit der Literatur oft nicht sehr abgibt, das der #Theaterbesucher# nämlich. Die »Sappho« in einem theuern Taschenbuche erscheinen lassen, hieße auf diese ganz Verzicht leisten. Sollte übrigens das Stück auf den Bühnen von Wien, Berlin, Dresden und Weimar, die es zur Aufführung bereits übernommen haben, und auf mehrern andern, mit denen ich darüber in Unterhandlung zu treten gesonnen bin, Glück machen und Sie Lust haben, den Verlag desselben als eines abgesonderten Werks zu übernehmen, oder nebst dem Abdruck in der »Urania« noch eine zugleich erscheinende besondere Auflage davon zu veranstalten, so würde es mir großes Vergnügen machen, es Ihnen vor allen überlassen zu können. Wie wenig Sie übrigens -- vorausgesetzt, daß das Stück gefällt, und das denke ich eben abzuwarten -- wie wenig Sie bei einem solchen doppelten Abdruck riskiren, mag Ihnen der Umstand bezeugen, daß eben jetzt, ein Jahr nach der Herausgabe meines ersten Trauerspiels »Die Ahnfrau«, der wiener Verleger Wallishausser mir angekündigt hat, daß die erste Auflage von 1500 Exemplaren fast vergriffen sei. Wenn das der Fall mit einem Wallishausser ist, dessen Absatz und Verbindung mit dem übrigen Deutschland so gering ist, daß ein Brockhaus ein Jahr nach dem Erscheinen des gedruckten Werks fragen kann: ob es denn überhaupt schon gedruckt sei? was wäre nicht bei dem Stande #Ihres# Verkehrs zu hoffen; wozu noch kommt, daß mein Name gegenwärtig denn doch nicht mehr so fremd in Deutschland klingt als beim Erscheinen der »Ahnfrau«. Für jeden Fall aber forderte die _honnêteté_, mit der Herausgabe der »Sappho« doch so lange zu warten, bis die Bühnen, welche mir das Manuscript abgenommen haben, mit der Aufführung zu Stande gekommen sind. Was im Falle eines wechselseitigen Verständnisses das Honorar betrifft, so müßte ich Sie ersuchen, einen bestimmten Betrag auszusprechen, da ich mich auf Berechnung nach Seiten und Zeilen und auf Vergleichung der Handschrift mit dem Druck nicht verstehe. Nur muß ich bekennen, daß, soviel ich herausklügeln kann, das Honorar von vier Karolin für den Bogen von sechzehn Seiten mit kleiner Schrift den Preis nicht erreichen würde, den ich bei mir selbst ungefähr festgesetzt habe. Vier Karolin mögen ein allerdings ansehnliches Honorar für Erzählungen und Gedichte und historische Darstellungen &c. sein, wie man sie, halb zur eigenen Unterhaltung, halb eben der vier Karolin wegen, für Taschenbücher macht. Auf meine »Sappho« habe ich die Frucht mühevoller Studien, vielleicht künftige Lebensjahre verwendet, und -- ich hoffe, sie soll einige Almanachsjahrgänge überleben. Sie haben die »Sappho« noch nicht gelesen; ich bitte, thun Sie es, ehe Sie mir antworten. Sie werden über meinen langen Brief, als Antwort auf Ihren kurzen, lachen. Er gilt aber auch nur dem #Kunstfreund# Brockhaus, der #Buchhändler# mag sich die Daten heraussuchen, die ihm zu wissen noththun. Leben Sie recht wohl. Ihr ergebener F. Grillparzer. Brockhaus dankte am 6. Mai Grillparzer für seine Bereitwilligkeit, bemerkte aber dabei: nach dem, was ihm sein Freund Böttiger in Dresden (von dem er »so viel Herrliches« über die »Sappho« gehört) über den Umfang des Stücks mitgetheilt, könne es doch nicht in die »Urania« aufgenommen werden, und da es vorab auf den ersten Bühnen gegeben werden solle, so sei es überhaupt noch nicht an der Zeit, es drucken zu lassen. Der Brief schließt: Sobald Sie sich aber dazu bestimmen, haben Sie die Güte, mir Ihren Entschluß mitzutheilen, sowie über das Honorar Ihrer Forderung. Ich werde dann sehen, ob ich darauf eingehen kann. Es hat eine wunderbare Bewandtniß mit dem Erfolg bei gedruckten Schauspielen. Noch habe ich die kleine Auflage von Werner's »Vierundzwanzigstem Februar« und die von Werners »Cunegunde« nicht abgesetzt. Ebenso wenig die von Klingemann's »Faust«, so sehr dies -- übrigens sehr schlechte Stück #meinem# Urtheile nach -- auf den deutschen Bühnen Glück gemacht hat und fortwährend auf allen Repertoires ist. Diesen Erfahrungen gemäß war meine Erbietung von vier Karolin per Bogen sehr bedeutend. Ihre »Ahnfrau« habe ich mir verschafft, und ich lese sie eben. Auch wird sie, wie ich höre, bald auf unsere Bühne kommen. Am 22. Mai läßt er indeß einen zweiten Brief folgen, in welchem er Grillparzer zu dem Erfolge der inzwischen stattgehabten ersten Aufführung des Stücks in Wien Glück wünscht und sich wiederholt zum Verlage desselben bereit erklärt. Die Ausgabe könne etwa zu Weihnachten erfolgen, wenn Grillparzer dann durch seine Contracte mit den Bühnen, denen er es als Manuscript überlassen, nicht weiter genirt sei. Auch würde er einige gute Abbildungen dazu anfertigen lassen, da er mit mehrern genialen Zeichnern in genauer Verbindung stehe. Er fügt noch hinzu: Endlich würde ich das wünschen, daß, wenn Sie einmal mit mir in Verbindung träten, Sie diese Verbindung, solange ich Ihnen keine Ursache zu Beschwerden gebe, nicht auflösen möchten. Der Dichter in Weißenfels (Müllner) trägt seine Producte wie ein Waarenmäkler von Bude zu Bude, feilscht sie in jeder aus, und wer einen Kreuzer mehr gibt als der Nachbar, der ist sein Mann! Noch erbietet er sich, auch eine Ausgabe der »Ahnfrau« für Norddeutschland zu übernehmen, falls Grillparzer eine solche neben der in Wien erschienenen veranstalten dürfe. Grillparzer scheint sich aber inzwischen bereits mit seinem bisherigen Verleger, Wallishausser in Wien, über den Verlag der »Sappho« geeinigt zu haben, da sie kurz darauf bei diesem erschien, während uns keine weitere Correspondenz zwischen Grillparzer und Brockhaus vorliegt. Von Zacharias Werner (geb. 1768, gest. 1823) verlegte Brockhaus eine Separatausgabe der in der »Urania« zuerst veröffentlichten Tragödie in einem Act: »Der vierundzwanzigste Februar«, und gleichzeitig auch dessen: »Cunegunde die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin. Ein romantisches Schauspiel in fünf Akten« (beide Stücke 1815). Daß er übrigens die »Schicksalstragödien«, zu denen diese Dramen gehören, selbst nicht überschätzte, zeigte er dadurch, daß er einige Jahre darauf (1818) eine Parodie auf dieselben verlegte, die unter dem Titel: »Der Schicksalsstrumpf. Tragödie in zwei Akten von den Brüdern Fatalis« erschien. Die beiden Verfasser waren der bekannte österreichische dramatische Dichter Ignaz Friedrich Castelli (geb. 1781, gest. 1862) und der Arzt und Dramatiker Alois Jeitteles (geb. 1794, gest. 1858). Castelli, wie es scheint der hauptsächlichste Verfasser, schrieb an Brockhaus: »der Spuk der Schicksalstragödien gehe nachgerade ein bischen zu weit«, weshalb er diese Parodie derselben geschrieben habe, und ließ ihm das Manuscript durch Hofrath Winkler (in Dresden), in dessen dresdener »Abendzeitung« ein Bruchstück davon veröffentlicht worden war, zusenden. Brockhaus schreibt an Winkler: er habe des Spaßes wegen »das närrische Ding« gleich in die Druckerei spedirt. Das Stück fand großen Beifall und machte die Runde über die deutschen Bühnen. Das in dem Briefe an Grillparzer neben Werner's beiden Dramen erwähnte Trauerspiel »Faust« von Ernst August Friedrich Klingemann (geb. 1777, gest. 1831) erschien 1815. Brockhaus verlegte gleichzeitig von demselben Dichter ein »dramatisches Spiel mit Gesang«: »Don Quixote und Sancho Panza oder: Die Hochzeit des Camacho« und eine Bühnenbearbeitung von Shakspeare's »Hamlet«. Von dramatischer Literatur erschienen in Altenburg in Brockhaus' Verlage noch folgende Werke: »Dramatische Spiele« von Wenzel Lembert, mit seinem Familiennamen Tremler (geb. 1780, gest. um 1838), langjährigem Schauspieler an der Hofbühne zu Wien und Verfasser zahlreicher bühnengerechter Theaterstücke; »Theater« von Adolf Wagner (geb. 1774, gest. 1835), dem bekannten dramatischen Schriftsteller und Uebersetzer, mit dem Brockhaus durch die Hofräthin Spazier näher bekannt geworden war (beide Werke 1816); endlich (1817) »Jeanne d'Arc«, ein Trauerspiel von Karl Friedrich Gottlob Wetzel (geb. 1779, gest. 1819), Redacteur des »Fränkischen Merkur«. Von letzterm Schriftsteller hatte er kurz vorher (1815) schon zwei Werke verlegt, eine Sammlung patriotischer Gedichte unter dem Titel: »Aus dem Kriegs- und Siegesjahre Achtzehnhundert Dreyzehn. Vierzig Lieder nebst Anhang«, und: »Prolog zum Großen Magen«, eine gelungene Satire auf die Nützlichkeitstendenzen jener Zeit. Die satirische Literatur ist außer durch letztere Schrift und den »Schicksalsstrumpf« in Brockhaus' Verlage aus dieser Zeit besonders durch seinen schon vielfach erwähnten Freund Friedrich Ferdinand Hempel (geb. 1778, gest. 1836) vertreten, der unter verschiedenen Pseudonymen politische und literarische Zustände der Zeit scharf geiselte. Brockhaus verlegte von ihm: »Politische Stachelnüsse gereift in den Jahren 1813-1814 aufgetischt von Spiritus Asper« (ohne Verlagsort und Firma 1814); »Politische Stachelnüsse geschüttelt von Spiritus Asper. Zweite Lieferung« (1815); »Ein Paar mercantilische Stachelnüsse. Zur Messe gebracht von Spiritus Asper« (1816). Hempel lieferte auch mehrere Beiträge für die »Urania«, gab 1818 in Brockhaus' Verlage ein von dessen und seinem Freunde Moritz August von Thümmel (geb. 1738, gest. 1817) gedichtetes Epos: »Der heilige Kilian und das Liebes-Paar« heraus, 1822 wieder eine satirische Schrift: »Nüsse. Gesammelt von Frater Timoleon« (mit Köln als Verlagsort), sowie ein »Taschenbuch ohne Titel auf das Jahr 1822« (dem 1830 und 1832 noch zwei Jahrgänge folgten), und verfaßte später das »Allgemeine deutsche Reimlexikon. Herausgegeben von Peregrinus Syntax« (2 Bände, Leipzig 1826), das noch jetzt als das beste Werk seiner Art gilt. Die poetische Literatur weist außer der »Urania« und den aus derselben abgedruckten Dichtungen sowie den eben erwähnten Dramen in der altenburger Zeit nur wenige Originalwerke auf, deren Verfasser meist durch die »Urania« dem Verleger zugeführt worden waren. Schon 1812 verlegte er zwei Dichtungen der durch »Die Schwestern von Lesbos« (1801) bekannt gewordenen Dichterin Amalie von Helvig, geborenen von Imhoff[50] (geb. 1776, gest. 1831): »Die Schwestern auf Corcyra. Eine dramatische Idylle in zwei Abtheilungen« (mit dem Nebentitel: »Taschenbuch für das Jahr 1812«), und: »Die Tageszeiten. Ein Cyclus griechischer Zeit und Sitte. In vier Idyllen.« Ein anderes größeres poetisches Werk seines Verlags ist eine Sammlung von Dichtungen des Grafen Otto Heinrich von Loeben (geb. 1786, gest. 1825) unter dem Titel: »Rosengarten« (2 Theile, 1817); als Separatabdruck daraus erschien: »Cephalus und Procris.« Graf Loeben schrieb sonst meist unter den Pseudonymen Isidorus Orientalis und Kukuk Waldbruder; er lebte in Dresden und gehörte zu dem dortigen »Liederkreise«. Ein eigenthümliches Werk ist das didaktische Gedicht in vier Gesängen: »Die Heilquellen am Taunus« von Johann Isaak Freiherrn von Gerning (geb. 1767, gest. 1837), das 1814 erschien, und zwar in einer Prachtausgabe in Quartformat, mit sieben Kupfern, einer Karte und Erläuterungen. Der altdeutschen Literatur gehören zwei Werke an: »Das Lied der Nibelungen. Metrisch übersetzt« von Johann Gustav Büsching (geb. 1783, gest. 1829), dem verdienten breslauer Professor der altdeutschen Literatur, und: »Der Lobgesang auf den heiligen Anno«, mit Uebersetzung, Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Georg August Friedrich Goldmann, Rector des Gymnasiums zu Soest (Geburts- und Todesjahr unbekannt); ersteres Werk 1815, letzteres 1816 erschienen. Das Gebiet der Belletristik berührt eine 1815 erschienene »Blumenlese aus dem Stammbuche der deutschen mimischen Künstlerin, Frauen Henriette Hendel-Schütz, gebornen Schüler« (geb. 1772, gest. 1849), herausgegeben von dem vierten Gatten dieser durch ihre mimisch-plastischen Darstellungen auf Reisen in allen Hauptländern Europas berühmt gewordenen Künstlerin, Professor Friedrich Karl Julius Schütz in Halle. Schon in der »Urania« für 1812 war ein (später auch in Separatausgabe erschienener) Aufsatz von Falk über diese pantomimischen Darstellungen mit Abbildungen veröffentlicht worden. Die Romanliteratur ist in dieser Zeit in Brockhaus' Verlage nur durch ein Originalwerk vertreten: »Das Opfer« von Regina Frohberg (geb. 1783, Todesjahr unbekannt), einen Roman, der gleich den zahlreichen übrigen der Verfasserin jetzt vergessen ist; dann aber durch eine »Bibliothek neuer englischer Romane« in sechs Bänden, deren erste beiden (1814) zwei Werke von Maria Edgeworth brachten, übersetzt von Karoline von Woltmann (geb. 1782, gest. 1847), der Gattin des bekannten Geschichtschreibers, während die folgenden vier Bände (1816 und 1817) Romane von Amelia Opie und Emma Parker, zwei gleich Maria Edgeworth damals sehr geschätzten englischen Schriftstellerinnen, in Uebersetzungen von Henriette Schubart (geb. 1770, gest. 1831) enthielten. * * * * * Die Uebersetzungsliteratur wurde überhaupt von Brockhaus in allen Perioden seiner Verlagsthätigkeit mit besonderer Vorliebe gepflegt, weil er sich persönlich für die fremden Literaturen, und insbesondere die englische und französische, lebhaft interessirte. Schon 1811 hatte er mit Johannes Daniel Falk, dem bereits erwähnten Vermittler seiner Bekanntschaft mit Goethe, ein »Römisches Theater der Engländer und Franzosen« begonnen. Der erste Band sollte Shakspeare's »Coriolan« enthalten; Brockhaus nennt den Helden des Stücks in seiner Ankündigung »den kühnsten männlichen Charakter, den vielleicht die alte Zeit hervorgebracht und Shakspeare's Genius dargestellt«, und fügt hinzu: »kein Mann, der noch in Zeiten wie die unsern Anspruch darauf macht, einer zu sein, sollte dies kühne Product jenes Feuergeistes ungelesen lassen«. Der zweite Band sollte Racine's »Britannicus« bringen, der dritte und vierte Band Charakteristiken und Auszüge aus »Antonius und Kleopatra«, »Cinna«, »Cäsar« u. s. w. von Shakspeare, Corneille, Voltaire, Racine, Crébillon, Lee u. s. w. Doch erschien nur der erste Band, und das Unternehmen fand keinen Anklang, wol weil die »freie Bearbeitung« des Uebersetzers dem deutschen Publikum weniger zusagte als die Uebersetzungen Shakspeare's von Wieland, Eschenburg und besonders August Wilhelm von Schlegel. Von Falk verlegte Brockhaus gleichzeitig eine Sammlung von Gedichten, Erzählungen und Briefen unter dem Titel: »Ozeaniden«, und später: »Johannes Falk's Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luther's Gedächtniß herausgegeben von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahr unsers Herrn 1817« (mit der alterthümlichen Verlagsbezeichnung auf dem Titel: »Altenburg, verlegt's F. A. Brockhaus«), sowie eine Auswahl aus dessen Werken: »Johannes Falk's auserlesene Werke. (Alt und neu.)« in drei Theilen (1819), deren erster die »Ozeaniden« unter dem neuen Titel: »Seestücke« wieder enthält; letztere beiden Werke wurden von Falk's Freunde Adolf Wagner in Leipzig veröffentlicht. Aus der englischen Literatur ist außer Shakspeare's »Coriolan« und den englischen Romanen nur noch eine Uebersetzung von Walter Scott's »Schottischen Liedern und Balladen« von Henriette Schubart (1817) zu nennen. Noch mehr als die englische pflegte Brockhaus die französische Literatur, wie zahlreiche Verlagswerke, Uebersetzungen und Originalausgaben, beweisen. Außer der schon früher erwähnten, von der Hofräthin Spazier gefertigten Uebersetzung der von Frau von Staël-Holstein herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« (1812) verlegte er: ein »_Manuel pour la conversation dans les langues étrangères_«, ohne Verfassernamen, aber von der berühmten französischen Schriftstellerin Gräfin von Genlis herrührend, gleichzeitig auch eine deutsche Uebersetzung davon (beide Werke ebenfalls 1812); eine freie Bearbeitung des bekannten Werks Jean Nicolas Bouilly's »_Conseils à ma fille_«, von dem schon genannten Mitredacteur des »Conversations-Lexikon« _Dr._ Ludwig Hain, unter dem Titel: »Rath an meine Tochter in Beispielen aus der wirklichen Welt« (2 Bändchen, 1814); Abdrücke der Originalausgaben von Chateaubriand's »_Souvenirs d'Italie, d'Angleterre et d'Amérique_« und Frau von Staël-Holstein's berühmtem Werke: »_De l'Allemagne_«, mit einer werthvollen Einleitung des auch mit der Verfasserin befreundeten Charles de Villers (beide Werke 1815); die Uebersetzung eines von dem Verfasser Louis Simond ursprünglich englisch, dann aber auch französisch geschriebenen Werks: »Reise eines Gallo-Amerikaners (M. Simond's) durch Großbritannien in den Jahren 1810-1811« (2 Theile, 1817-1818), von Ludwig Schlosser, dem Pastor zu Großzschocher bei Leipzig, bei dem Brockhaus' ältester Sohn Friedrich erzogen wurde (geb. 1774, gest. 1859); endlich eine von _Dr._ Ludwig Hain bearbeitete und mit Anmerkungen begleitete deutsche Ausgabe des werthvollen literarhistorischen Werks: »_Littérature du midi de l'Europe_« von Jean Charles Léonard Simonde de Sismondi, unter dem Titel: »Die Literatur des südlichen Europas« (2 Bände, 1816 und 1819). In der italienischen Literatur war es vor allem Dante, für dessen Werke, insbesondere die »_Divina commedia_«, Brockhaus sich persönlich interessirte, und er hat das Verdienst, der deutschen Literatur die erste vollständige und noch jetzt als eine der besten anerkannte Uebersetzung dieses Werks verschafft zu haben. Schon in Amsterdam begann er die Veröffentlichung dieser von Karl Ludwig Kannegießer (geb. 1781, gest. 1861) herausgegebenen Uebersetzung, die, wie dieser in seinem vom April 1809 datirten Vorwort sagt, »von August Bode 1802 angefangen und nach dessen Tode von Ludwig Hain und ihm fortgesetzt, vollendet und gänzlich umgearbeitet wurde«. Der erste Theil: »Die Hölle«, erschien 1809, der zweite Theil: »Das Fegefeuer«, 1814 (nebst einer neuen, aber nicht als solche bezeichneten Ausgabe des ersten Theils), der dritte Theil: »Das Paradies«, erst 1821. Diese Uebersetzung wurde bei Lebzeiten des Uebersetzers in vier Auflagen oder vielmehr Umarbeitungen ausgegeben (1825, 1832 und 1843) und 1872 in fünfter Auflage gedruckt. Ebenfalls in Amsterdam erschienen (1809) »Umrisse« zu Dante's »Hölle« von Hummel nach Flaxman, 39 Kupferstiche in Querfolio enthaltend. Später übersetzte Kannegießer auch die meisten übrigen Werke Dante's für denselben Verlag. Von Ludwig Hain verlegte Brockhaus auch eine Uebersetzung der »Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieri's. Von ihm selbst geschrieben« (1812), und dieses Werk war es, durch das er mit Hain zuerst in nähere Verbindung trat. Einen würdigen Abschluß der den fremden Literaturen gewidmeten Verlagsthätigkeit Brockhaus' in dieser Zeit bildet die von Georg Bernhard Depping (geb. 1784 in Münster, gest. 1853 in Paris), dem berühmten Kenner der spanischen Literatur, herausgegebene und mit einer werthvollen Einleitung versehene »Sammlung der besten alten Spanischen Historischen, Ritter- und Maurischen Romanzen« (1817), die später in neuer vermehrter spanischer Ausgabe unter dem Titel: »_Romancero castellano_« (2 Bände, 1844) erschien, wozu noch ein dritter Band: »_La Rosa de Romances_« von Ferdinand Joseph Wolf hinzukam (1846). Neben den fremden Literaturen wendete indeß Brockhaus auch in dieser Zeit seine Verlagsthätigkeit hauptsächlich der deutschen Literatur zu, und zwar nicht blos den von uns bereits vorgeführten Gebieten der sogenannten schönen Literatur, der poetischen und belletristischen, sondern auch denen der wissenschaftlichen und überhaupt der ernstern Literatur. * * * * * In erster Linie ist hier das Werk zu nennen, das uns nebst seinem Verfasser bereits mehrfach begegnet ist: »Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit, systematisch bearbeitet und mit den nöthigen Registern versehen von Johann Samuel Ersch, Professor und Bibliothekar auf der Universität zu Halle.« Wie früher erwähnt, hatte Brockhaus bereits am 3. Juli 1809 in Amsterdam einen Contract über dieses von ihm selbst veranlaßte Werk mit dem Verfasser abgeschlossen; indeß erschien der aus vier Abtheilungen bestehende erste Band erst 1812 und die beiden ersten Abtheilungen des zweiten Bandes folgten 1813, die beiden letzten Abheilungen 1814, womit das Werk, das somit aus zwei Bänden zu je vier Abtheilungen oder eigentlich aus acht Theilen bestand, zum ersten male vollständig vorlag. Durch dieses Werk ist Ersch, nachdem er schon früher werthvolle bibliographische Arbeiten geliefert hatte, der eigentliche Begründer der deutschen Bibliographie geworden; innere Trefflichkeit und äußere zweckmäßige Einrichtung haben dasselbe zu einem Muster gemacht, wie die Literatur eines Volks geordnet werden soll, und es bildet die Grundlage aller ähnlichen spätern Werke. Der Verleger wurde auch durch den äußern Erfolg dieses Verlagsartikels für die auf denselben verwendeten Sorgen und Unkosten entschädigt: nach seinem eigenen Zeugniß war es nebst dem »Conversations-Lexikon« hauptsächlich dieses Werk, dessen Ertrag ihm nach der Wiederaufnahme seiner Verlagsthätigkeit in Altenburg die Mittel zur Ausführung weiterer Unternehmungen gewährte. Eine zweite Auflage oder Umarbeitung wurde noch bei Brockhaus' Lebzeiten (1822) begonnen, wobei sich Ersch von verschiedenen andern Mitarbeitern unterstützen ließ, aber erst 1840 (in welchem Jahre nach längerer Pause die letzte Abtheilung des zweiten Bandes erschien) vollendet. Von einer dritten Auflage oder Umarbeitung sind nur die Abtheilungen der philologischen und philosophischen Literatur (1845 und 1850), von Christian Anton Geißler bearbeitet, ausgegeben worden. Daß Brockhaus die erste Idee zu dem Werke gegeben, zeigt außer seinen Versicherungen auch folgende Stelle der aus Halle 14. September 1814 datirten Vorrede des Verfassers zum letzten Bande: Aus mancherlei Gründen war ich, nach Vollendung des letzten »Repertoriums der Literatur« (1796-1800) und nach einer noch längere Zeit fortgesetzten Beschäftigung mit Vorarbeiten zu einer etwanigen Fortsetzung, zu dem Entschlusse gekommen, für die Zukunft alle bibliographischen Arbeiten für das Publikum aufzugeben und meine Muße vorzugsweise dem Studium der Staatskunde und neuern Geschichte zu widmen, als ich, eben mit ernstlichen Anstalten zu einem umfassenden statistischen Werke beschäftigt, ganz unerwartet von dem Herrn Buchhändler Brockhaus, damals zu Amsterdam, durch eine dringende Aufforderung zu diesem neuen bibliographischen Werke überrascht wurde. Nach den bisher von mir gelieferten Arbeiten mußte er dadurch meinen eigenen Wünschen zu begegnen mit Gewißheit erwarten, und doch war gerade damals der Fall anders. Lange sträubte ich mich daher gegen die Ausführung des wohldurchdachten Plans, so sehr er auch im ganzen meinen Beifall hatte. Endlich aber fand ich mich -- einerseits durch die Vorliebe des Herrn Brockhaus für seinen Plan, die meine eigene Neigung für diese Gattung von Arbeiten von neuem belebte, und andererseits durch Hinsicht auf die Zeitumstände, die einer freimüthigen Bearbeitung der Staatskunde und der neuern Geschichte immer ungünstiger wurden -- zur Ausführung eines Werks bewogen, das mir, statt eines andern jetzt weniger erfreulichen, eine jahrelange Beschäftigung versprach, die, wie ich nach mehrmaliger Erfahrung nicht ohne Grund hoffte, dazu beitragen würde, mir die trüben Zeitumstände einigermaßen aufzuheitern. Außer mit Ersch war Brockhaus gleich in der ersten Zeit seines Aufenthalts in Leipzig und Altenburg auch mit dessen späterm Collegen Professor Johann Gottfried Gruber (geb. 1774, gest. 1851) in Verbindung gekommen, zunächst wegen des »Conversations-Lexikon«, an dessen zweiter Auflage Beide thätige Mitarbeiter waren. Die Namen Ersch und Gruber sind erst später durch die gemeinschaftliche Herausgabe der »Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« (seit 1818) in diejenige enge Verbindung gekommen, in der sie noch mehr als durch ihre eigenen Werke in der Literatur fortleben werden; seit Ende 1815 waren sie Collegen an der Universität Halle, indem Gruber um diese Zeit dort angestellt wurde, während Ersch schon seit 1803 daselbst wirkte. Als Brockhaus mit Gruber in literarische Beziehungen trat, war Letzterer Professor an der Universität zu Wittenberg; diese wurde 1812 infolge der Kriegsunruhen aufgehoben, er ging nach Leipzig, als Ephorus der dahin gewiesenen wittenberger Studenten, und wurde, wie erwähnt, Ende 1815 nach der Vereinigung der beiden Universitäten Wittenberg und Halle, worüber er selbst die Unterhandlungen zu führen hatte, nach Halle versetzt. In Leipzig verfaßte er eine Lebensbeschreibung Wieland's (gest. 20. Januar 1813), zu der er bei seinem mehrjährigen Aufenthalte in Jena und Weimar (1803-1810) in vertrautem Umgange mit Wieland, der ihn selbst zu seinem Biographen bestimmte, die Materialien gesammelt hatte; sie erschien in Brockhaus' Verlage unter dem Titel: »Christoph Martin Wieland. Geschildert von J. G. Gruber« (2 Theile, 1815 und 1816). Später schrieb Gruber noch eine größere Biographie Wieland's (4 Bände, Leipzig 1827) für die von ihm besorgte neue Ausgabe von Wieland's sämmtlichen Werken in Göschen's Verlage (1818-1828). * * * * * Ein dritter hervorragender Schriftsteller, der zu Brockhaus' nähern Freunden gehörte, war Karl Heinrich Ludwig Pölitz (geb. 1772, gest. 1838), der bekannte Historiker und Statistiker, damals (seit 1803) wie Gruber Professor in Wittenberg, seit 1815 bis zu seinem Tode in Leipzig, erst als Professor der sächsischen Geschichte und Statistik, dann der Politik und Staatswissenschaften wirkend. Für Brockhaus war Pölitz zunächst ebenfalls als Mitarbeiter am »Conversations-Lexikon« thätig, verfaßte aber bald auch ein eigenes Werk für dessen Verlag, eine Biographie seines Freundes und Gönners, des bekannten Theologen Reinhard. Dieser, 1753 geboren, starb am 6. September 1812 als Oberhofprediger zu Dresden, in welcher Stellung er seit 1792 segensreich gewirkt hatte. Das Werk führte den Titel: »_D._ Franz Volkmar Reinhard nach seinem Leben und Wirken dargestellt von Karl Heinrich Ludwig Pölitz« (2 Abtheilungen, 1815). Das Vorwort zur ersten Abtheilung trägt das Datum: 12. März 1813; sie ist wahrscheinlich schon 1813 erschienen. Das Vorwort zur zweiten Abtheilung ist vom 17. Januar 1815 datirt und in Schmiedeberg bei Pretzsch geschrieben, wo Pölitz seit der Aufhebung der wittenberger Universität bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig gelebt hatte. Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus das Hauptwerk von Pölitz: »Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren« (ursprünglich zwei Theile), wozu 1820 und 1825 noch zwei weitere Theile als dritter und vierter hinzukamen. Eine zweite umgearbeitete Auflage dieses Werks wurde 1832 und 1833 unter dem veränderten Titel: »Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit«, in drei Bänden veranstaltet, während 1847 noch die von Professor Friedrich Bülau herausgegebene erste Abtheilung eines vierten Bandes hinzukam, die, mit dem ersten Bande vereinigt, auch als ein besonderes Werk unter dem Titel: »Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit«, erschienen ist. * * * * * Dem Gebiete der Politik und Staatswirthschaft gehören noch folgende Verlagsartikel aus diesen Jahren an: eine Schrift über »Das Continentalsystem« (1812) von dem zu Brockhaus' nähern Bekannten in Altenburg gehörenden Rath und Kammersecretär Ludwig Lüders (geb. um 1778, gest. 1822); die schon früher erwähnte Schrift von Charles de Villers: »_Constitutions des trois villes libres-anséatiques, Lubeck, Brêmen et Hambourg_« (1814); Chateaubriand's »_Essai historique, politique et moral sur les révolutions, anciennes et modernes_« (2 Bände, 1816); »Theorie des Geldes und der Münze« von _Dr._ Johann Karl Adam Murhard in Kassel (geb. 1781, gest. 1863); »Grundzüge der philosophischen Politik« von Gustav Anton Freiherrn von Seckendorff (bekannter unter dem Namen Patrick Peale, geb. 1775 im Altenburgischen, gest. 1823 in Nordamerika), letztere beiden Werke 1817 erschienen. Die der Geschichte gewidmeten Verlagsartikel werden später erwähnt werden. Auch das Gebiet der Naturwissenschaften, dem Brockhaus von Anfang an besondere Beachtung geschenkt hatte, weist mehrere gediegene Verlagswerke auf. So veröffentlichte er in den Jahren 1817 und 1818 von Kurt Sprengel's »_Historia rei herbariae_«, die 1807 und 1808 einen seiner ersten Verlagsartikel in Amsterdam bildete, eine neue deutsche Bearbeitung des Verfassers unter dem Titel: »Geschichte der Botanik« (2 Theile). Dann kaufte er aus dem Verlage von Achenwall & Co. in Berlin den bereits gedruckten ersten Band eines »Handwörterbuch der allgemeinen Chemie« von Johann Friedrich John, Professor an der Universität zu Frankfurt a. O. und nach deren Aufhebung zu Berlin (geb. 1782, gest. 1847), und führte es in vier Bänden (1817-1819) zu Ende. Ferner begann er den Verlag eines »Archiv für den Thierischen Magnetismus«, von Professor Dietrich Georg Kiefer in Jena (geb. 1779, gest. 1862) in Verbindung mit Professor Karl Adolf von Eschenmayer in Tübingen (geb. 1768, gest. 1852) und Professor Christian Friedrich Nasse (geb. 1778, gest. 1851) herausgegeben. Indeß veröffentlichte Brockhaus blos vier Hefte (1817) und verkaufte das »Archiv« dann an die Buchhandlung Hemmerde & Schwetschke in Halle, in deren Verlag bis 1827 zwölf Bände davon erschienen. Uebrigens interessirte sich Brockhaus auch persönlich für diese nach ihrem Erfinder Anton Mesmer gewöhnlich Mesmerismus genannte neue Lehre von den geheimnißvollen Kräften des thierischen Magnetismus, welche in Frankreich und Deutschland bis über das erste Viertel des Jahrhunderts hinaus großes Aufsehen erregte. Er verlegte später Wolfart's »Jahrbücher für den Lebens-Magnetismus oder Neues Askläpieion« (5 Bände, 1818-1823) und »Der Magnetismus nach der allseitigen Beziehung seines Wesens, seiner Erscheinungen, Anwendung und Enträthselung in einer geschichtlichen Entwickelung von allen Zeiten und bei allen Völkern wissenschaftlich dargestellt«, von Professor Joseph Ennemoser in Bonn, einem der Hauptvertreter dieser Lehre. Letzteres Werk erschien 1844 in zweiter umgearbeiteter Auflage unter dem Doppeltitel: »Geschichte des thierischen Magnetismus« und »Geschichte der Magie«. * * * * * Einen besonders werthvollen Zuwachs seines medicinischen Verlags erhielt Brockhaus dadurch, daß er 1816 den gesammten Verlag der unter der Firma »Literarisches Comptoir« in Altenburg bestehenden Pierer'schen Buchhandlung übernahm. Die beiden wichtigsten Verlagswerke derselben waren: »Medizinisches Realwörterbuch zum Handgebrauch praktischer Aerzte und Wundärzte und zu belehrender Nachweisung für gebildete Personen aller Stände«, und: »Allgemeine medizinische Annalen des neunzehnten Jahrhunderts«. Beide Werke waren von dem Besitzer der Pierer'schen Verlagsbuchhandlung begründet und wurden von ihm unter seinem Namen herausgegeben, auch noch nach diesem Verkaufe. Johann Friedrich Pierer wurde schon mehrfach genannt: er hatte Brockhaus 1808 auf der leipziger Messe kennen gelernt und ihn dann bei seiner Ankunft in Altenburg mit Rath und That unterstützt. Schon als Besitzer der Hofbuchdruckerei, als Schwager des Bankiers Reichenbach und Freund des Ludwig'schen Hauses nahm Pierer eine sehr hervorragende Stellung in der altenburger Gesellschaft ein. Im Jahre 1767 geboren, studirte er die Medicin und ließ sich 1790 in seiner Vaterstadt Altenburg als praktischer Arzt nieder, begründete 1798 eine »Medizinische Nationalzeitung für Deutschland«, die er 1800 »Allgemeine medizinische Annalen« nannte, und kaufte 1799 die Richter'sche Hofbuchdruckerei in Altenburg, mit der er 1801 ein buchhändlerisches Verlagsgeschäft für seine Zeitschrift unter der Firma »Literarisches Comptoir« verband. Dieses letztere verkaufte er sammt jener Zeitschrift, einigen andern Verlagsartikeln und dem eben im Druck begonnenen »Medizinischen Realwörterbuche« 1816 an Brockhaus. Nachdem er 1814 Amts- und Stadtphysikus mit dem Titel Hofrath geworden war, wurde er 1826 zum Obermedicinalrath und Leibarzt des Herzogs ernannt und starb 1832. Im Jahre 1823 (nach Brockhaus' Tode) nahm Johann Friedrich Pierer sein Verlagsgeschäft unter der nur wenig veränderten Firma »Literatur-Comptoir« wieder auf und übertrug die Leitung desselben seinem Sohne Heinrich August Pierer (geb. 1794, gest. 1850), der zuerst ebenfalls Medicin studirt hatte, aber 1813 mit ins Feld gezogen war und 1831 seinen Abschied nahm, worauf er sich ausschließlich dem Verlagsgeschäft widmete. Er hat sich namentlich durch Herausgabe des »Universal-Lexikon« bekannt gemacht, das er 1824 noch bei Lebzeiten seines Vaters und von diesem unterstützt unter dem Titel »Encyklopädisches Wörterbuch« begonnen hatte. Von dem erstgenannten jener beiden von Brockhaus mit dem Pierer'schen Verlage erworbenen Werke, dem »Medizinischen Realwörterbuch«, erschienen in den Jahren 1816, 1818, 1819 und 1821 die ersten vier Bände, der vierte mit herausgegeben von _Dr._ Ludwig Choulant (geb. 1791, gest. 1861 als Geh. Obermedicinalrath in Dresden), den Pierer zu seiner Unterstützung 1817 aus Dresden nach Altenburg berufen hatte, wo er bis 1821 blieb. Doch wurden diese vier Bände später an Pierer wieder verkauft und von diesem die das Werk abschließenden Bände 5-8 in den Jahren 1823-1829 selbst verlegt. Die »Allgemeinen medizinischen Annalen«, deren Redaction Pierer ebenfalls beibehielt, seit 1821 auch dabei von Choulant unterstützt, blieben nach der Wiedererrichtung der Pierer'schen Verlagsbuchhandlung im Jahre 1823 doch im Verlage von F. A. Brockhaus, und zwar bis 1830, worauf sie in die im Pierer'schen Verlage erscheinende »Allgemeine medizinische Zeitung« umgewandelt wurden; letztere wurde nach Pierer's Tode seit 1833 von _Dr._ Karl Pabst herausgegeben, ging 1837 wieder an F. A. Brockhaus über, hörte aber mit Ende 1838 ganz auf. In dem am 11. Juni 1816 zwischen Pierer und Brockhaus abgeschlossenen Vertrage über den Verkauf des »Literarischen Comptoir« verpflichtete sich Letzterer zugleich, »die bisher bestandenen Druckereigeschäfte« mit Ersterm fortzusetzen und nicht nur die von ihm übernommenen Verlagswerke und »die noch rückständigen Bände des 'Conversations-Lexikon'« (zweite Auflage) in Pierer's Druckerei anfertigen zu lassen, »sondern auch dessen Pressen, deren Zahl um deswillen erhöht und mit dem nöthigen Druckereipersonale versehen worden sind, auf längere Zeit hinaus hinreichend und soviel es nur die Verhältnisse verstatten wollen zu beschäftigen«. Verschiedenen Gebieten gehören endlich die folgenden drei von Brockhaus im Jahre 1817 verlegten Werke an: »Reise nach Dalmatien und in das Gebiet von Ragusa«, von Ernst Friedrich Germar, Professor der Mineralogie zu Halle (geb. 1786, gest. 1853), ein Werk von zugleich wissenschaftlichem Werthe, mit Kupfern und Karten; zweitens eine zwar kleine Schrift, aber die erste bedeutendere Arbeit des später berühmt gewordenen Geschichtschreibers der Philosophie Heinrich Ritter (geb. 1791, gest. 1869, erst Docent in Berlin und Kiel, seit 1837 eine Zierde der Universität Göttingen) unter dem Titel: »Welchen Einfluß hat die Philosophie des Cartesius auf die Ausbildung der des Spinoza gehabt, und welche Berührungspunkte haben beide Philosophien mit einander gemein? Nebst einer Zugabe: Ueber die Bildung des Philosophen durch die Geschichte der Philosophie«; drittens: »Die Elemente der reinen Mathematik« von dem königlich sächsischen Oberlandfeldmesser Wilhelm Ernst August von Schlieben (geb. 1781, gest. 1829), wovon indeß nur die erste Abtheilung: »Die Rechenkunst und Algebra«, in zwei Theilen erschien. Eine gleichzeitig von Brockhaus mit dem Verfasser des letztern Werks begonnene kriegsgeschichtliche Zeitschrift gehört in das Gebiet der Publicistik, Geschichte und encyklopädischen Literatur, das einen Hauptbestandtheil seiner Verlagsthätigkeit in den Jahren 1812-1817 bildete und deshalb eine besondere Schilderung beansprucht. Vorher ist indeß noch ein einzelnes Verlagsunternehmen zu charakterisiren, das Brockhaus vor allen andern in dieser Zeit beschäftigte: die von ihm begründeten und herausgegebenen »Deutschen Blätter«. 3. Die »Deutschen Blätter«. Wie Brockhaus seine Verlegerlaufbahn mit einer politisch-literarischen Zeitung begonnen hatte (im Jahre 1806 mit dem holländischen Blatte »_De Ster_«), so beschäftigte er sich auch gleich nach seiner Festsetzung in Altenburg mit dem Gedanken, ein ähnliches in die Zeitverhältnisse eingreifendes Unternehmen zu begründen. Ueberhaupt erkannte er stets in vollem Maße die Bedeutung des Journalismus für ein Verlagsgeschäft, das zu einer einflußreichen Stellung in der Literatur gelangen oder diese behaupten will. In der mannichfachsten Weise hat er es in den verschiedenen Perioden seiner Verlegerlaufbahn versucht, durch Zeitschriften auf die öffentliche Meinung einzuwirken, bald auf rein politischem, bald auf literarischem Gebiete, meist aber auf beiden gleichzeitig, was der Zeitströmung und seiner eigenen Neigung am meisten zusagte. Freilich waren die Zeitumstände in den Jahren 1811 und 1812 einer solchen Absicht wenig günstig, ganz abgesehen davon, daß Altenburg ein wenig geeigneter Ort für die Verwirklichung derselben schien und seine pecuniären Mittel beschränkte waren. * * * * * Das erste Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts bildet eine der traurigsten Epochen in der deutschen Geschichte: das Deutsche Reich bricht nach tausendjährigem Bestande in sich selbst zusammen; Frankreich verübt ungestraft Gewaltthaten gegen deutsche Länder; Oesterreichs erste Erhebung gegen Napoleon (1805) mislingt und führt zur Errichtung des Rheinbundes schmachvollen Andenkens, welcher ein Drittheil des deutschen Landes in ein Vasallenverhältniß zu Frankreich bringt; Preußens verspätete Erhebung gegen Napoleon (1806) scheitert gleichfalls und kostet ihm die Hälfte seines Landes; Oesterreichs neuer Versuch, die Napoleonische Herrschaft zu brechen (1809), mislingt abermals; die ganze Nordseeküste Deutschlands wird (1810) mit Frankreich vereinigt. In solch trüber Zeit ein politisches Blatt in Deutschland zu gründen, wäre Vermessenheit gewesen, zumal die deutschen Fürsten nach und nach eine Censur einführten, wie man sie bisher in Deutschland nicht gekannt hatte; Napoleon hatte sie für den Verlust ihrer Unabhängigkeit dadurch entschädigt, daß er ihnen einen neuen Begriff von der Souveränetät, die er ihnen garantirte, beibrachte und sie zu unumschränkten Herren ihrer Unterthanen machte. Die Besten des deutschen Volks fühlten von Anfang an die Schmach dieser Zustände: die Namen eines Hofer, eines Schill, eines Dörnberg sind die besten Zeugen dafür. Ihre kühnen Unternehmungen verunglückten, weil sie von den Regierungen im Stich gelassen wurden und das deutsche Volk zu allen Zeiten sich nur langsam zur That aufgerafft hat. Die Reformen des Grafen Stadion in Oesterreich, Stein's und Scharnhorst's in Preußen waren ein Zeichen der bald heranbrechenden Morgenröthe. Aber erst das Scheitern des Zugs Napoleon's gegen Rußland (1812) gab das Signal zu einer allgemeinen Erhebung in Deutschland. Alles athmete auf: der Usurpator war nicht unbezwinglich. Stein's Verdienst ist es, Rußland zur Verfolgung des fliehenden Feindes bis auf deutschen Boden vermocht zu haben; Preußen wurde durch York's Capitulation mit fortgerissen zum Kampfe gegen Napoleon auf Leben und Tod. Am 3. Februar 1813 erließ der König von Preußen den Aufruf »An mein Volk«; die großartige Erhebung des preußischen und bald auch des ganzen deutschen Volks war die Antwort. Am 27. Februar schloß Preußen mit Rußland ein Bündniß und erklärte am 16. März Frankreich den Krieg. Das französische Heer hatte sich hinter die Elbe zurückgezogen, behauptete aber diese Linie. Im Sommer traten Schweden, England und Oesterreich dem preußisch-russischen Bündniß bei. Von allen Seiten rückten die Heere nach Mitteldeutschland vor: hier sollte die Entscheidung fallen. * * * * * Der Stadt Altenburg wurde in dieser denkwürdigen Zeit die Ehre zutheil, mehrere Tage das Hauptquartier der verbündeten Armeen zu bilden. Im Sommer 1813 oft von den Franzosen und den leider noch mit ihnen verbündeten Baiern besetzt, wurde die Stadt zuerst am 24. August von diesen verlassen, weil die Oesterreicher im Anmarsche waren. Am nächsten Morgen rückten die ersten Oesterreicher und einige Kosacken ein. Am 2. September erschienen die Franzosen wieder, flohen aber schon drei Tage darauf, und am 8. September besetzte der österreichische Graf Mensdorff mit einem österreichisch-russischen Corps die Stadt. Am 24. September fand ein Gefecht bei Altenburg statt, General Thielmann zog sich vor Oberst Lefèvre zurück, die Franzosen besetzten die Stadt wieder, bis Thielmann, von dem Kosackenhetman Platow unterstützt, sie am 28. September aufs neue daraus verjagte. Am 3. October rückten Polen unter Fürst Poniatowski ein, zogen aber nach einigen Tagen wieder fort. Jetzt begannen zahlreiche Durchmärsche der Verbündeten. Fürst Wittgenstein und General Kleist kamen am 9. October mit ihren Corps an. Am folgenden Tage verlegte Fürst Schwarzenberg, der Generalissimus der verbündeten Armeen, sein Hauptquartier von Penig nach Altenburg, wo es bis zum 15. October blieb. Der Kaiser Alexander von Rußland war kurz nach Schwarzenberg, am Abend des 10. October, in Altenburg angekommen und ihm zu Ehren die Stadt beleuchtet worden. Mit ihm kamen Großfürst Konstantin, Barclay de Tolly und etwa vierzig russische, österreichische und preußische Generale. In den Vormittagsstunden des 15. October brach alles, was zum Hauptquartier gehörte, auf, nach Leipzig zu. Der Kaiser von Oesterreich traf kurz darauf in Altenburg ein, ebenso der König von Preußen. * * * * * In diesen für Altenburg und seine Bewohner so ereignißreichen Tagen reifte in Brockhaus der lange gehegte Entschluß, ein politisches Blatt zu gründen, um auch an seinem Theile mitzuhelfen zur Befreiung des Vaterlandes. In einem solchen Augenblicke konnte ein derartiges Blatt ja nur Kriegsberichte bringen, und er beschloß, die günstige Gelegenheit, die sich ihm durch die Anwesenheit des Hauptquartiers in Altenburg bot, rasch zur Förderung seiner Absichten zu benutzen. Er erbat und erhielt Audienzen beim Kaiser von Rußland und bei dem Fürsten Schwarzenberg. Das Ergebniß derselben, über deren sonstigen Verlauf uns leider nichts weiter bekannt ist, war ein »Befehl« zur Herausgabe eines »periodischen Blattes« -- ein in der Geschichte der Journalistik gewiß seltener Vorgang. Das geschichtlich denkwürdige Actenstück lautet: #Befehl.# Dem Buchhändler, Herrn Brockhaus, von hier wird hiermit befohlen, alle von Seiten der Hohen Alliirten theils schon erschienene, theils in der Zukunft noch zu erscheinende Nachrichten und officielle Schriften durch den Druck bekannt zu machen und sie mittelst eines periodischen Blattes, welches jedoch der Censur des jedesmaligen Herrn Platz-Commandanten unterliegt, dem Publico mitzutheilen. Hauptquartier Altenburg, den 13. October 1813. Auf Befehl Sr. Durchlaucht des k. k. _en chef_ commandirenden Herrn Feldmarschalls Fürsten von Schwarzenberg. (Gez.) Langenau. Auf Grund dessen richtete Brockhaus sofort eine Eingabe an die einheimische Behörde und erhielt darauf nachstehende Resolution: Dem Buchhändler Friedrich Arnold Brockhaus wird auf seine Eingabe vom 14. d. M., die Herausgabe eines die von Seiten der Hohen Alliirten theils schon erschienenen, theils noch erscheinenden Armee-Nachrichten und officiellen Schriften liefernden periodischen Blattes und dessen Censur betreffend, zur Resolution hiermit vermeldet: daß er dem diesfalls von des _en chef_ commandirenden Herrn Feldmarschalls, Fürsten von Schwarzenberg, Durchlaucht erhaltenen Befehle lediglich nachzukommen und die Censur von dem jedesmaligen Herrn Platz-Commandanten zu erwarten habe, daher bei diesen Blättern eine Durchsicht der dießortigen Censur-Behörde nicht eintrete. Altenburg, am 18. October 1813. Herzogl. Sächs. verordnete Canzler u. Räthe das. (Gez.) F. C. A. von Trützschler. Brockhaus verlor keine Stunde mit der Ausführung des »Befehls«. Er ließ sofort sein neues Blatt ins Leben treten, nannte es »Deutsche Blätter« und stellte jenen Befehl an die Spitze der ersten Nummer, die schon vom folgenden Tage, 14. October, datirt und wol noch an diesem oder dem folgenden Tage erschienen ist. Unter den »Befehl« setzte er folgende Benachrichtigung: In Beziehung auf obigen ehrenvollen Auftrag werden von den »Deutschen Blättern« an unbestimmten Tagen, in Nummern von halben und ganzen Bogen, wöchentlich mehrere erscheinen und durch alle Buchhandlungen, Postämter u. s. w. zu erhalten sein. Vierzig ganze Bogen bilden einen Band und erhalten Haupttitel und Inhaltsverzeichniß. Bei Veranlassung werden Karten und Pläne beigefügt werden. Der Pränumerationspreis für einen Band oder vierzig ganze Bogen beträgt 1 Thlr. 8 Gr. sächsisch. Einzelne Nummern von einem ganzen Bogen kosten 1 Gr. 6 Pf. und von einem halben Bogen 1 Gr. Bestellungen sowie dem Zweck der Blätter entsprechende Beiträge werden adressirt: an die Expedition der »Deutschen Blätter« in Altenburg. F. A. Brockhaus. Dies ist die Entstehungsgeschichte der »Deutschen Blätter«, die vom Herbst 1813 bis zum Frühjahr 1816 bestanden und anerkanntermaßen zu den besten der durch die Freiheitskriege hervorgerufenen und die Erhebung des deutschen Volks auf das kräftigste fördernden Erzeugnissen der deutschen politischen Presse gehörten. Sie sind nach Idee, Titel, Form und Inhalt als eine Schöpfung von Brockhaus anzusehen, der auch fortwährend die Seele des Blattes blieb, während _Dr._ Hain und _Dr._ Sievers die Geschäfte der Redaction besorgten. Auf dem Blatte selbst war übrigens nach damaliger Sitte zunächst weder der Redacteur noch der Herausgeber, Verleger oder Drucker genannt; erst vom zweiten Bande an nannte sich Brockhaus als Herausgeber. Daß Brockhaus sich einen »Befehl« zur Herausgabe des Blattes erwirkte, geschah gewiß nicht aus Vorsicht, um etwa den französischen Militär- und Civilbehörden gegenüber bei ungünstigem Verlaufe der Kriegsoperationen durch diesen gedeckt zu sein. Denn wären die Franzosen nach dem am 15. October, also einen Tag nach dem Datum der ersten Nummer, erfolgten Wegzuge des Hauptquartiers aus Altenburg wieder einmal, wie in den Wochen vorher öfters geschehen war, in die Stadt eingerückt, so hätte jener »Befehl« den Herausgeber der »Deutschen Blätter« schwerlich vor dem Schicksale Palm's oder wenigstens Becker's bewahrt, zumal er sofort (in der dritten Nummer vom 17. October) einen über seine patriotische Gesinnung keinen Zweifel lassenden Aufsatz: »Was ist (war) der rheinische Bund?« brachte. Er erbat sich jenen »Befehl« vielmehr nur, um die offiziellen Berichte über die Kriegsoperationen aus erster Hand zu erhalten und dadurch seinem Blatte einen um so größern Leserkreis zu sichern. Das Glück begünstigte ihn dabei insofern, als wenige Tage darauf die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurde und die »Deutschen Blätter« bei ihren Beziehungen zu dem Hauptquartiere das erste Blatt sein konnten, welches dem deutschen Volke die Kunde seiner Befreiung und authentische Berichte über diese ewig denkwürdigen Tage brachte. Die Geburt der »Deutschen Blätter« fiel so zusammen mit der Geburt der deutschen Unabhängigkeit: ein günstiger Umstand, den der Herausgeber trefflich zu benutzen verstand. * * * * * Das Hauptquartier der verbündeten Armeen war am 15. October von Altenburg nach Pegau verlegt worden, und am Morgen des folgenden Tags begann die leipziger Schlacht. Der Kaiser von Oesterreich hatte Altenburg am 16. October früh 7 Uhr verlassen, der König von Preußen erst einige Stunden später, Beide, um den Kaiser von Rußland und das Hauptquartier in Pegau zu treffen. Schon auf der Fahrt dahin hörten sie die heftige Kanonade dieses ersten Schlachttags: es war die Schlacht bei Wachau, die gleichzeitig mit der von Blücher bei Möckern geschlagenen Schlacht siegreich für die Verbündeten ausfiel und den 16. October zu dem ersten Siegestage bei Leipzig machte. Die drei verbündeten Monarchen hatten der Schlacht vom Wachberge aus beigewohnt; auch Napoleon war auf dem Schlachtfelde und hatte bei der ersten für ihn günstigen Wendung der Schlacht bereits den Befehl gegeben, in Leipzig zur Feier seines Siegs die Glocken zu läuten. Der folgende Tag, der 17. October, ein Sonntag, verging ruhiger: Napoleon unterhandelte und versäumte darüber den rechtzeitigen Rückzug. Am 18. October erfolgte der Hauptangriff der Verbündeten in drei Colonnen auf die Stellung der Franzosen in und um Leipzig: überall, wenn auch unter mörderischem Kampfe siegreich vordringend, hatten sie am Abende dieses Hauptschlachttags die Franzosen von drei Seiten so fest eingeschlossen, daß diesen nur der eine Rückzugsweg nach Westen übrigblieb und Napoleon den Rückzug bereits um 11 Uhr vormittags beginnen ließ. Am 19. October wurden die Vorstädte Leipzigs erstürmt; die drei verbündeten Monarchen hielten um 1 Uhr mittags ihren Einzug in die Stadt, die Napoleon um 10 Uhr erst verlassen hatte. Napoleon's Macht hatte den Todesstoß erhalten, Deutschland war frei: der Einzug des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Paris am 31. März, Napoleon's Abdankung am 11. April, der Erste Pariser Friede vom 30. Mai 1814 waren Folgen der Völkerschlacht bei Leipzig. * * * * * Die »Deutschen Blätter« brachten wol die ersten Nachrichten über die große Entscheidungsschlacht. Sie vermochten dies aber nicht nur deshalb, weil sie das officielle Organ des Hauptquartiers waren, sondern ihr Herausgeber hatte, mit gewohnter Energie den rechten Augenblick erfassend, sich sofort nach schnell nachgesuchter und erhaltener Erlaubniß dem Hauptquartier angeschlossen, und konnte so seinem neu gegründeten Blatte zugleich als erster Berichterstatter über die wichtigste Schlacht des ganzen Kriegs dienen. Brockhaus war Augenzeuge der Schlacht bei Wachau gewesen und sofort nach der Einnahme Leipzigs von Rötha aus in die Stadt geeilt. Schon am Nachmittag des 18. October sandte er zwei kurze Berichte an _Dr._ Hain in Altenburg, die dieser am nächsten Morgen sofort durch ein »Extrablatt« (also nicht erst eine Erfindung der neuern Zeit!) dem Publikum mittheilte und in Nr. 5 der »Deutschen Blätter« vom 19. October nochmals abdruckte. Diese Briefe waren in Borna geschrieben, wo auch der Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen übernachtet hatten; beide Fürsten begaben sich von hier nach Rötha zum Kaiser von Rußland, um mit diesem zusammen am folgenden Mittag in Leipzig einzuziehen. Brockhaus folgte ihnen mit dem Hauptquartier. Von Leipzig aus schrieb er gleich am Morgen des 20. October einen längern Bericht über seine Erlebnisse für die »Deutschen Blätter«, der mit der Ueberschrift »Brief an J.« (unter J. ist jedenfalls Jeannette, seine Frau, gemeint) in Nr. 11 vom 21. October veröffentlicht wurde. Wir theilen daraus unter Weglassung der bekannten Einzelheiten der Schlachttage folgende theils für den Schreiber charakteristische, theils auch sonst interessante Stellen hier mit: Ich bin auf den Flügeln des Windes hierher geeilt, sobald ich in Rötha die Nachricht von der Einnahme Leipzigs erhielt. Es sind zwei göttliche Tage für mich gewesen. Am ersten die #Ahnung# und späterhin am Abend schon die #Nachricht# von der Hermanns-Schlacht; der zweite die vollendete Besiegung des stolzen Feindes, der nun seit zehn Jahren mit ehrnem Fuß uns auf den Nacken trat und alle schönen Lebenskeime zerstörte. Es ist der vollständigste Sieg, den die neuere Geschichte kennt, erfochten worden, und die Folgen werden noch unermeßlicher sein. Ich hoffe, auch kein Franzose werde über den Rhein zurückkehren, um die Kunde ihrer Niederlagen in ihre Heimat zu bringen. So geht das in Erfüllung, was ich oft sagte, wenn sie in nicht aufhörenden Zügen an unsern friedlichen Wohnungen vorbeieilten .... Der Einzug in Leipzig ist ebenso rührend als verherrlichend gewesen. Mit lautem Jubel bewillkommneten die Einwohner die Sieger und sahen sie für ihre Befreier an. Aus allen Fenstern wurde ihnen mit weißen Tüchern entgegengeflaggt. »Seid willkommen, seid willkommen!« -- »Es lebe Franz, Alexander, Friedrich Wilhelm und der Kronprinz von Schweden!« ist von tausend und wieder tausend Stimmen gerufen und von den Siegern mit unaufhörlichem Hurrah beantwortet worden. Freunde, Bekannte, Fremde umarmen sich auf öffentlicher Straße, und Thränen der Freude und der Wehmuth stürzen ihnen aus den Augen. Auch haben sich die Sieger wie wackere Männer in ihrem Triumphe gezeigt. Leipzig war mit Sturm genommen und noch in den Straßen der Stadt lebhaft gefochten worden. Das Los jeder so eroberten Stadt ist gewöhnlich die Plünderung. Hier aber ist nicht im geringsten geplündert, sondern die strengste Mannszucht gehalten worden. Wer erinnert sich hier nicht an Lübeck, das 1806 drei Tage lang von den Marschällen Soult und Murat allen Greueln der Verwüstung preisgegeben wurde! Auch damals schon zeigte sich der Sinn des Kronprinzen von Schweden als edler Mann, indem er bei seinem Corps die strengste Ordnung zu erhalten wußte. Man ziehe hier Parallele zwischen diesen »Barbaren des Nordens« und jenen »cultivirten Männern des Südens«! So auch nach der Schlacht bei Lützen, die wir unter unsern Augen liefern sahen: die »Barbaren« zogen sich in musterhafter Ordnung zurück und ihr Betragen war ebenfalls musterhaft. Wie sich aber die »Sieger« benahmen, darüber frage man an allen den Orten, wo ihr verheerender Zug sie hinführte. Selbst die Wohnungen, die Napoleon bezog, waren nicht vor Plünderung sicher, wie wir in unserer Nähe ein empörendes Beispiel vernommen haben, worüber ich jetzt aufs neue die Bestätigung erhielt. Meine Reise gestern von Rötha hierher war ohne die geringste Unannehmlichkeit und Störung, was beinahe unbegreiflich scheint, wenn man bedenkt, daß wir durch 100000 Mann Truppen fuhren, die in mehrern Colonnen und in unabsehbaren Zügen nach Pegau defilirten. Man hatte selbst die Gutmüthigkeit, uns, wo es sich thun ließ, Platz zu machen oder sogar innezuhalten, damit wir nur um so rascher fahren könnten. Keine Erkundigung nach Pässen fand statt. Man sah es uns wol an den Gesichtern an, daß wir wackere Deutsche seien, die es mit der großen Sache, für die sie Blut und Leben opfern, gut meinen. Wir brachten jeder Truppenart auch immer ein freundliches: »Vivat Franz, Alexander und Friedrich Wilhelm!« zu. Auch Sachsen begegneten uns; wir riefen ihnen zu: »Es leben die braven Sachsen!« Auf der ganzen Straße von Rötha bis Leipzig sieht man eine ungeheuere Verwüstung. Fast alle Dörfer sind ganz oder theilweise beinahe stets von den Franzosen abgebrannt, alle Gärten sind verwüstet, alle Landhäuser niedergerissen oder doch spoliirt; man sieht keine Hecke, alle noch stehenden Scheunen sind geleert, das Vieh ist weggeführt, und die Einwohner halten sich, von Allem entblößt, in den Wäldern auf; keine Spur mehr von alle dem, was in einer langen Reihe glücklicher Jahre in frühern Zeiten für Bequemlichkeit und Schönheit gebildet und geschaffen worden war. Mit welchen Gefühlen muß Napoleon aus Sachsen geschieden sein, mit welchen muß er aus Aegypten, aus Rußland, aus Spanien, aus Schlesien, aus Preußen, aus Oesterreich geschieden sein! Sollte er nicht endlich einmal fühlen, daß Millionen Flüche ihn immer verfolgen und kein einziger Segensruf ihn je begleitet? Eine Stunde von Rötha fängt das Schlachtfeld vom 16. October an; eine Stunde weiterhin das vom 18., dem Tage der eigentlichen Hermanns-Schlacht. Man sieht sowol auf dem Wege selbst als auf den nahe gelegenen Feldern unzählige todte menschliche Leichname und todte Pferde. Das Ganze erweckt die grausigsten Gefühle, die nur die Glorreichheit des Tages mildern kann. In der Nähe von Leipzig mag es noch schlimmer aussehen. Die Dunkelheit des Abends verhinderte mich, dies genau zu erkennen. Es soll dies heute mein Geschäft sein. Gestern sind die Kaiser Franz und Alexander, der König von Preußen und der Kronprinz hier gewesen und mit außerordentlichem Jubel empfangen worden. Am Abend sind sie wieder zurückgegangen. Alle besuchten sogleich, wie man mir sagte, was ich aber sehr bezweifle, bei ihrer Ankunft den König von Sachsen, bei dem Napoleon früh von 9 bis 10 Uhr gewesen war, der sich standhaft geweigert hatte, ihn auf seiner Flucht zu begleiten. Kaiser Franz begegnete uns mit dem Minister Metternich, den Generalen Meerfeld, Duka, Kutschera. Wir wurden freundlich von allen gegrüßt .... Napoleon ist gegen 10 Uhr von hier weggeritten. Murat hat ihn begleitet. Man hat vom Markt her beobachten können, wie er sich mit der königlichen Familie unterhalten hat .... Am Tage der ersten Schlacht hat man zuerst Siegesnachrichten verbreitet. Es sind Kuriere hereingesprengt gekommen, die auf allen Straßen ausgerufen haben: »_Victoire! Vive l'Empereur!_« Allein es hat dies nicht lange gedauert, weil im Augenblicke der Siegesverkündigung sowol die Oesterreicher vorrückten, als auch der Kronprinz von Schweden gar zu gewaltige Fortschritte machte und bis auf eine halbe Stunde von der Stadt kam. Alle französischen Colonnen wurden geworfen, und der Sieg der Alliirten lag den Tausenden der Zuschauer, die sich auf allen Thürmen und hohen Häusern befanden, gar zu deutlich vor Augen. Der Anblick des sonst so freundlichen Leipzig und seiner herrlichen Umgebungen ist schauder- und ekelerregend. Viele der schönen Alleen sind ganz umgehauen, alle Promenaden, alle Gärten sind zerstört und verwüstet, die Landhäuser demolirt oder der Dächer und Fenster beraubt. Auf jedem Schritte in den äußern Straßen und nahen Feldern sieht man Leichname oder todte Pferde. Die Franzosen haben am 19. viele Tausende hier verloren. Folgende Stelle eines spätern Briefs von Brockhaus, am 24. December desselben Jahres aus Altenburg an Villers in Göttingen gerichtet[51], sei gleich hier angefügt: O mein Gott, wer hätte es ahnen oder hoffen dürfen, daß man diese Wiedergeburt der Welt selbst noch erleben würde! Und #wie# erleben würde! Ich bin sehr glücklich darin gewesen und habe in den Tagen der Hermanns-Schlacht wahrhaft göttliche Tage gelebt, da Alles sich selbst unter meinen Augen ereignete und ich immer die von des Feindes Blute getränkten Felder nur wenige Minuten später betrat, als sein fliehender Fuß sie verlassen hatte. Ich war vom General _en chef_ aller verbündeten Armeen mit dem Auftrag beehrt worden, ein periodisches Blatt herauszugeben, woraus unsere »Deutschen Blätter« entstanden, und so folgte ich nicht blos dem Hauptquartier, als es am 14. (15.) October von hier aufbrach, sondern war auch -- »_vif et étourdi, que je suis_«, der Schlacht möglichst nahe und oft nicht geringen Gefahren ausgesetzt. Die Nächte vom 17.-18. und vom 18.-19. brachte ich mitten in den österreichischen Bivuaks zu, und am 19. war ich wenige Stunden nach der Einnahme von Leipzig schon in dieser Stadt! Doch von dem Allen darf ich nicht anfangen zu erzählen. Wo da das Ende finden? Die Nummer der »Deutschen Blätter«, in der Brockhaus' Brief vom 20. October veröffentlicht wurde (Nr. 11 vom 21. October) war, wie es scheint, gleich in Leipzig gedruckt und ausgegeben worden, nicht in Altenburg, wie die frühern. Die Expedition des Blattes blieb von jetzt an in Leipzig, und zwar bei Brockhaus' Commissionär W. Engelmann (in der Ritterstraße), während der Druck abwechselnd hier und in Altenburg erfolgte; in späterer Zeit ließ Brockhaus alle Nummern, in denen irgendwie bedenkliche patriotische Artikel enthalten waren, in Altenburg drucken, weil dort die Censur viel milder als in Leipzig gehandhabt wurde. Aus jener Verlegung des Drucks und der Expedition nach Leipzig erklärt es sich, daß die (in Altenburg gedruckten) Nummern 7-10 dieselben Daten: 21.-24. October, tragen wie die (in Leipzig gedruckten) Nummern 10-14. Nr. 7 vom 21. October enthält am Schlusse die erste vorläufige Nachricht von der wirklich erfolgten Entscheidung in folgender Fassung: Altenburg, den 20. October 1813. Leipzig ist infolge #des vollständigsten und glänzendsten Sieges# am 19. von den Alliirten besetzt worden. Die officiellen und ausführlichen Berichte von den Ereignissen der letzten Tage, welche das Schicksal der französischen Armee und die Befreiung Deutschlands entschieden haben, werden unverzüglich folgen. Die erste Nachricht über den Beginn der Schlacht vom 16. October findet sich schon in Nr. 3 vom 17. October, freilich erst nur von einer »äußerst heftigen Kanonade« berichtend, die man den ganzen Tag über in Altenburg gehört habe. In Nr. 4 und 5 vom 18. und 19. October wurden dann die ersten kurzen Mittheilungen von Brockhaus aus Borna und einige andere vorläufige Notizen gebracht. Der erste officielle Bericht über die Schlacht ist in Nr. 12 vom 22. October enthalten, noch aus dem Hauptquartier Rötha, 19. October, datirt. Nr. 13 vom 23. October bringt einen weitern kurzen Armeebericht aus Leipzig vom 22., ein vorläufiges Bulletin des Kronprinzen von Schweden vom 20. und den Brief eines Augenzeugen (der aber Brockhaus nicht gewesen sein kann) über die Erstürmung von Leipzig; Nr. 14 vom 24. October enthält endlich den ersten ausführlichen officiellen Bericht über die Schlacht in dem »Dreiundzwanzigsten Armeebericht Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen von Schweden«, datirt: »Hauptquartier Leipzig, den 21. October 1813«, und wahrscheinlich von August Wilhelm von Schlegel, damals Geh. Cabinetssecretär des Kronprinzen, verfaßt. Die betreffende Nummer der »Deutschen Blätter« wurde, wie in der vorhergehenden angezeigt wird, »im großen Fürsten-Collegio auf der Ritterstraße« ausgegeben, da die Expedition der »Deutschen Blätter« in der Engelmann'schen Buchhandlung Sonntags geschlossen sei. In dem (in der folgenden Nummer mitgetheilten) Schlusse dieses officiellen Berichts heißt es unter anderm: Die Resultate der Schlachten von Leipzig sind unermeßlich und entscheidend. Schon am 18. hatte der Kaiser Napoleon angefangen, seine Armee auf den Straßen nach Lützen und Weißenfels den Rückzug antreten zu lassen .... Die deutschen und polnischen Truppen verlassen seine Fahnen in Scharen, und Alles zeigt an, daß die Freiheit Deutschlands zu Leipzig erobert worden ist. Man begreift nicht, wie ein Mann, der in dreißig förmlichen Schlachten befehligt und sich durch großen Kriegsruhm emporgeschwungen hat, indem er sich jenen aller ehemaligen französischen Generale zueignete, seine Armee in einer so ungünstigen Stellung hat zusammendrängen können, wie diejenige ist, wo er sich aufgestellt hatte. Die Elster und Pleiße im Rücken, eine morastige Gegend und blos eine einzige Brücke, um 100000 Mann und 3000 Bagagewagen darüberziehen zu lassen. Man fragt sich: ist dies der große Heerführer, vor dem bisjetzt ganz Europa zitterte? Als Seitenstück und als Beweis, daß die Franzosen es zu allen Zeiten verstanden haben, ihre Niederlagen als Siege auszurufen, eine Kunst, in der Napoleon I. allerdings der anerkannte Meister war, seien auch einige Stellen aus dem in spätern Nummern der »Deutschen Blätter« (vom 8. und 9. November) veröffentlichten und mit Anmerkungen begleiteten amtlichen französischen Berichte über die Schlachten bei Leipzig mitgetheilt. Nachdem schon die beiden Schlachten des 16. October, bei Wachau und Möckern, als Siege der Franzosen bezeichnet worden sind, heißt es über den 18. October: Das Schlachtfeld blieb ganz in unserer Gewalt, und die französische Armee war auf den Gefilden von Leipzig wie bei Wachau siegreich. Das Feuer unserer Kanonen hatte bei Nacht auf allen Punkten eine Stunde weit vom Schlachtfelde das Feuer des Feindes zum Schweigen gebracht. Wer dies liest, wird, auch wenn er schon an solche Verkehrung der Wahrheit gewöhnt ist, wenigstens neugierig sein, wie der trotz dieser »Siege« angetretene Rückzug der Franzosen erklärt worden sei. Napoleon ist über eine solche Erklärung nicht verlegen: es war lediglich der Mangel an Munition, der ihn zwang, sich trotz seiner Siege bei Leipzig auf sein großes Depot in Erfurt zurückzuziehen, wo er dann freilich auch nicht gar lange blieb! Er sagt wörtlich: Dieser Umstand zwang die französische Armee, auf die Früchte zweier Siege Verzicht zu leisten, worin sie mit so viel Ruhm viel stärkere Truppen und die Armeen vom ganzen Continent geschlagen hatte .... Der Feind, der seit den Schlachten vom 16. und 18. bestürzt war, faßte durch die Unfälle am 19. wieder Muth und betrachtete sich als Sieger. Die französische Armee hat nach so glänzenden Erfolgen ihre siegreiche Stellung verloren. Die Redaction der »Deutschen Blätter« bemerkt zu einer dieser Stellen, die fast so viel Unwahrheiten als Worte enthalten, lakonisch: Hätten die Franzosen jederzeit so »gesiegt« wie bei Leipzig, so wäre Napoleon weder erster Consul noch Kaiser geworden. Während der entscheidenden Tage und unmittelbar nach diesen hatte übrigens die Redaction in Altenburg einen schweren Stand gehabt: Alles verlangte nach Nachrichten, und diese gingen damals doch so viel langsamer als gegenwärtig. _Dr._ Hain schrieb darüber aus Altenburg vom 21. October an Brockhaus nach Leipzig: Die Nachrichten, welche Sie uns durch Staffette von Borna zusandten, sind mir am Dienstag (19. October) früh halb acht Uhr mitgetheilt worden. Um 10 Uhr war das Extrablatt gedruckt. Der Zulauf war für einen Ort wie Altenburg ungeheuer. Die Druckerei hat sonst bei dem halben Preise nur 300 Exemplare verkauft; wir haben circa 20 Thlr. gelöst. Außerdem aber hatte das Extrablatt die gute Folge, daß viele Personen dadurch auf die »Deutschen Blätter« aufmerksam gemacht und zur Pränumeration bewogen wurden. Man fing an, unser Comptoir als die Quelle der Neuigkeiten zu betrachten. Um so übler war es, daß wir von der gewonnenen Schlacht den ganzen Mittwoch nichts mittheilen konnten, während die ganze Stadt von den Siegesnachrichten ertönte. Die Spannung war so groß, daß ich glaube, 50 Thlr. wären rein zu gewinnen gewesen. Wir wurden von Neugierigen überlaufen. Was sollten wir aber thun? Der Commandant wußte nichts; Nachforschungen anzustellen war unmöglich; auch konnte es zu nichts führen, das Allgemeinbekannte drucken zu lassen. Wir warteten stündlich auf Nachricht von Ihnen und vertrösteten die Leute längstens auf heute früh. Indeß kam Ihr Brief, der nichts von den Vorfällen enthielt; ebenso wenig kam sonst etwas. Jetzt glaubte ich nicht länger unthätig sein zu dürfen; der günstigste Zeitpunkt war, wie ich wol sah, schon vorübergegangen; der Reichenbach'sche Brief[52] fing an zu circuliren. Dennoch schien es mir nöthig, zu zeigen, daß wir wenigstens etwas wüßten, und zu hintertreiben, daß Pierer etwas drucken ließe, was nach des Factors Erklärung geschehen sollte. Ich ging daher zu Reichenbach, mit dem Ihre Frau Gemahlin schon gesprochen hatte; dieser hatte die Gefälligkeit, mir seinen Brief vorzulesen. Ich lief sogleich mit brennendem Kopf zurück, schrieb nieder, was ich noch wußte, und schickte es ungelesen in die Druckerei. Sievers las die Correctur, und um 1 Uhr war ein Extrablatt gedruckt, das allerdings etwas schwach aussieht, das aber die Leute dennoch satisfacirt und nebenbei 10-12 Thlr. Gewinn gebracht hat. Von den »Deutschen Blättern« ist heute das siebente Stück erschienen, morgen erscheint das achte von einem ganzen Bogen, welches den Anfang des österreichischen Manifestes und das zweite Extrablatt enthält; das neunte Stück wird dann den Schluß des Manifestes und das Gedicht von Fouqué enthalten, wenn Sie nicht, wie ich gewiß hoffe, bis dahin anders verfügen. Unterm 23. October schrieb _Dr._ Hain weiter, nach Empfang der inzwischen in Leipzig gedruckten Nummern: Herr Bochmann wird Ihnen gesagt haben, wie es hier geht. Die »Deutschen Blätter« haben einen solchen Zulauf, daß Ihre Sendung ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Wir haben unsere Abonnenten nicht alle befriedigen können und mehrere hundert Neugierige abweisen müssen. Pierer hat den officiellen Bericht gleich gestern Abend nachdrucken und heute verkaufen lassen. Ich bitte Sie, uns von jedem neuen Blatt 6-800 zu schicken. An die Auswärtigen ist bisjetzt leider nur wenig gekommen. An den Fürsten Auersperg und den Grafen Joseph von Nostitz, Beide im Hoflager des Kaisers von Oesterreich, werden Sie die Expedition leichter von Leipzig aus effectuiren. Sie haben Beide die ersten acht Nummern. Ich muß mich jetzt ganz der Expedition widmen, die keinen Augenblick Ruhe läßt. Sehr peinlich ist es, die Neugierde der Menschen nicht befriedigen zu können; senden Sie also ja große Massen! Unterm 26. October endlich schreibt _Dr._ Hain: Es melden sich täglich Abonnenten zu den »Deutschen Blättern«, und wir würden mehr verkaufen, wenn wir mehr hätten. Die auswärtigen Versendungen haben noch ganz unterbleiben müssen. Wir hoffen sehr auf die Ankunft Wagner's[53], in der Erwartung, mit ihm zu erhalten, was wir brauchen, um Alles zu befriedigen, und besonders auch die auswärtigen Versendungen zu machen. Ich beneide Sie der höchst interessanten Verbindungen wegen, in die Sie getreten sind; sie sind ebenso viel werth als der ebenfalls sehr interessante Gewinn. Stürmer ist einer unserer ausgezeichnetsten Orientalisten, wenn es nämlich derselbe ist, der früher in Konstantinopel war.[54] Ich bitte Sie, ihm von mir zu sprechen, da mir eine Verbindung mit ihm für die Zukunft sehr wünschenswerth wäre. Messerschmid aber bittet Sie, ihn A. W. Schlegeln zu empfehlen. Die Theilnahme für die »Deutschen Blätter« war, wie aus diesen Mittheilungen hervorgeht, eine für den Unternehmer sehr erfreuliche. Es scheint, daß man ihm um diese Zeit das Blatt habe abkaufen wollen; wenigstens deuten folgende von _Dr._ Sievers, der _Dr._ Hain bei der Redaction der »Deutschen Blätter« unterstützte, dem vorstehenden Briefe beigefügte Zeilen darauf hin: Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dem Absatze der »Deutschen Blätter« und lebe der gerechten Erwartung, daß Sie die von Fleischer angebotenen 1000 Dukaten durch den Debit derselben hundertfältig wiedergewinnen mögen. Währenddessen hatte indeß Brockhaus in Leipzig nicht geringere Sorgen, nicht blos weil er die Redaction des jetzt dort gedruckten Blattes allein besorgen mußte, sondern auch wegen des Verkaufs und der Zukunft desselben. Er hatte den Druck und die Expedition sofort nach der leipziger Schlacht von Altenburg nach Leipzig verlegt, d. h. er ließ einfach die nächsten Nummern der Beschleunigung wegen gleich in Leipzig drucken und diese nicht nur an die Abonnenten abgeben, sondern natürlich auch an das übrige Publikum verkaufen, das nach authentischen Berichten über die eben unter seinen Augen vor sich gegangenen welthistorischen Ereignisse verlangte. Indeß bestand damals weder Gewerbefreiheit noch Preßfreiheit, es war im Gegentheil die Zeit des starrsten Innungszwanges, der peinlichsten Censur, ja selbst der sonderbarsten Privilegien. So hatte er nicht bedacht, daß die königliche »Leipziger Zeitung« ein Privilegium hatte, wonach in ganz Sachsen keine tägliche Zeitung oder Wochenschrift erscheinen durfte, ohne daß der Pachter derselben es erlaubte! Pachter und Redacteur der »Leipziger Zeitung« war aber damals (1810-1818) glücklicherweise der mit Brockhaus schon seit längerer Zeit befreundete Hofrath Mahlmann, ein Schwager der Hofräthin Spazier. Dieser machte ihn in freundschaftlicher Weise auf das Ungesetzliche seines Vorgehens aufmerksam. Daraus entspann sich ein Briefwechsel zwischen Beiden, der auch zu einer Verständigung führte. Die in dieser Angelegenheit gewechselten beiden Briefe sind nicht nur für Brockhaus selbst sehr charakteristisch, sondern auch in andern Hinsichten so interessant, daß sie nachstehend vollständig folgen mögen. Brockhaus richtete an Mahlmann aus Leipzig vom 26. October 1813, also wenige Tage nach der Schlacht, das folgende von ihm selbst als »Promemoria« bezeichnete Schreiben: Werthester Herr Hofrath! Ich pflege Alles, was geschäftlich ist (»_Il faut faire les affaires comme des affaires_«, sagte mir Mercier einmal), lieber schriftlich als mündlich vorzubereiten, weil ich aus Erfahrung weiß, daß man sich so besser verständigt und sein Ziel sicherer erreicht. Sie werden mir also erlauben, daß ich auch jetzt diesen Weg einschlage und Sie bitte, mir Ihre Bestimmungen ebenfalls schriftlich mitzutheilen. Sie haben geäußert, daß Sie dagegen nichts zu erinnern hätten, daß wir in der Expedition der »Deutschen Blätter« Abonnements annähmen, daß Sie jedoch den einzelnen Verkauf nicht zugeben könnten, sich aber zu einer Abfindung verstehen wollen. Indem ich diese Erklärung vorläufig acceptire, versichere ich Ihnen, daß, sobald ich mich überzeuge, daß Ihr Recht ganz gegründet und Ihre vorzuschlagende Abfindung billig sei, ich mich dieser gern unterwerfen werde. Um Ihre zu machende Erklärung desto richtiger motiviren zu können, erlaube ich mir Ihnen folgende Bemerkungen zu machen: 1) Es findet, dünkt mir, ein entschiedener Unterschied statt zwischen einer Zeitung und einem politischen Volksblatte wie das unserige. Dieser Unterschied besteht in der Form und im Inhalt. Eine Zeitung erscheint an fixen Tagen, sie kündigt sich im Titel als Zeitung an, sie umfaßt die ganze Zeitgeschichte, sie referirt blos, sie nimmt keine Partei, und Raisonnements sind ihr fremd, sie ist das Vehikel, um dem Publikum Alles zur Kenntniß zu bringen, was der Staat diesem mitzutheilen hat und ein Bürger dem andern. Unser Blatt hat eine ganz andere Gestalt. Es erscheint an unbestimmten Tagen und nur vor der Hand täglich und erhält durch Titel, Register und Repertorium die Form eines Buchs. Außer den Armeebulletins -- die es #auf Befehl# des Feldmarschalls Schwarzenberg bekannt machen _muß_, die aber Tauchnitz und jeder Andere auch verkauft -- liefert es keine Artikel, die an eine politische Zeitung erinnern. Sie finden Raisonnements, historische Darstellungen, humoristische Artikel, gemüthliche Briefe, Gedichte u. s. w., lauter Sachen, die nie in eine politische Zeitung aufgenommen zu werden pflegen. Es scheint mir also, daß Ihr Privilegium nicht streng auf die »Deutschen Blätter« paßt. In Berlin hat sich gerade derselbe Fall ereignet. Auch die beiden berliner Zeitungen zahlen Pacht und haben Privilegium. Kaum war indeß die russische Armee dort eingerückt, als Herr v. K. von Graf Wittgenstein den Auftrag erhielt, ein Volksblatt herauszugeben, und ebenso Herr von Niebuhr vom Gouvernement selbst autorisirt wurde, die Preußische Correspondenz zu schreiben. Ebenso ist es mit mir. Ich habe von Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Schwarzenberg einen ähnlichen Befehl erhalten, und es liegt in der Natur der Sache und speciell in den empfangenen Instructionen, daß ich dem Blatte die größte Verbreitung muß zu geben suchen, indem es bestimmt ist, auf den öffentlichen Geist wohlthätig einzuwirken. 2) Der Verkauf einzelner Blätter wird von der höchsten Unbedeutendheit sein, wie schon jetzt die Erfahrung lehrt. Ich werde Ihnen am Schluß dieses Promemoria auf meine Ehre angeben, was diesen Morgen an einzelnen Blättern ist verkauft worden, woraus Sie sich einen Maßstab für den einzelnen Verkauf werden machen können. Es ist sehr natürlich, daß dieser einzelne Verkauf gering sein müsse, weil wir das Abonnement so niedrig gesetzt haben. Wer sich für die »Deutschen Blätter« interessirt, wird ja lieber 1 Thlr. 8 Gr. Abonnement als 3 Thlr. 8 Gr. einzeln bezahlen. Es ist hier noch zu bemerken, daß den Buchhandlungen und Colporteurs doch nicht konnte verwehrt werden, wie mir dünkt, auf irgendeine Anzahl zu abonniren und sie wieder nach Belieben einzeln zu verkaufen, wodurch immer ein einzelner Verkauf stattfände, wenn er auch von der Expedition müßte aufgegeben werden. 3) Ist mir bekannt, daß in mehrern Zeitpunkten viele Blätter hier bei andern Buchhändlern erschienen sind, die eine ähnliche Tendenz wie die »Deutschen Blätter« hatten, ohne daß den Verlegern der einzelne Verkauf wäre benommen gewesen. Ich erinnere hier an das Intelligenzblatt zu den »Feuerbränden«, an den »Europäischen Aufseher« u. s. w. Dies sind meine Ansichten, werthester Herr Hofrath -- wenn ich in diesen irre, so wird Niemand geneigter sein als ich, es zu gestehen, wenn es mir gezeigt wird. Ich glaube indessen, daß unser Beider Interesse sich gewissermaßen vereinigen lasse, wenn Sie sich in Ihrem großen Wirkungskreise für den Vertrieb unserer patriotischen Blätter verwenden wollen, und ich meinerseits dadurch meinen Dank bezeige, was Sie auch als eine Art von Schadloshaltung ansehen könnten, daß ich Ihnen oder Ihrer Expedition 50% Rabatt für alle debitirten Exemplare zugestände. Da ich es für möglich halte, daß Sie eine große Anzahl Exemplare mit der Zeit gebrauchen könnten, so würde der Debit derselben mit Ihren Vortheilen immer gleichen Schritt halten. In dem großen Zeitpunkte, worin wir leben, müssen alle kleinen Interessen schweigen und alle Männer von Geist und Gemüth nur Ein großes Interesse haben: den Sieg der Wahrheit und des Rechts über das Reich der Lüge und der Unterjochung. Sie werden sich daher gewiß auf alle Weise für unsere »Deutschen Blätter« mit verwenden, sie selbst mit Beiträgen unterstützen, wozu ich Sie hiermit ausdrücklich einladen will, da diese keinen andern Zweck als diesen zu erlangenden Sieg haben. Genehmigen Sie meine freundschaftlichen Empfehlungen. Brockhaus. Hofrath Mahlmann antwortete darauf noch an demselben Tage: Es ist im vorliegenden Falle nicht von #meinem# Rechte die Rede, sondern von dem der Königl. Zeitungsexpedition, welches ich zu bewahren eidlich verpflichtet worden bin, und da sämmtliche königlichen Pachtungen in ihrer Integrität fortbestehen und die Pachter, ungeachtet alle Einnahmen seit zwei Monaten sistiren, die fälligen Termingelder einzahlen sollen, so ist doppelt nothwendig, die _Regalia_ vor allen Eingriffen zu sichern. Der §. 1 des _Generalis_ vom 23. November 1809 lautet wörtlich folgendermaßen: »Niemand darf in Sr. Königl. Majestät gesammten Landen einige historisch-politische Zeitungen oder wöchentliche Blätter, welche Zeitungs-Artikel enthalten, drucken und ausgeben, er habe denn sich mit dem Zeitungs-Pachter darüber vernommen und einverstanden. Wer ohne ein solches Einverständniß dergleichen Blätter ausgeben würde, soll für jedes Stück mit zehn Thalern bestraft werden.« Wenn Ihr Blatt auch, wie Sie sagen, keine eigentliche Zeitung ist, so enthält es doch Zeitungsartikel, das heißt neueste Nachrichten von den Zeitereignissen. Auch lautet der Befehl des Generals Langenau aus Altenburg und nicht aus Leipzig. Das »Politische Journal«, die »Minerva«, die »Feuerbrände« u. s. w. waren Journale und erschienen heftweise und enthielten Reflexionen über die Ereignisse, nicht Zeitungsberichte. Sie irren ferner, wenn Sie voraussetzen, daß in Berlin dieselben Verhältnisse obwalteten. Erstlich ist in Berlin kein Zeitungspacht wie in Sachsen. Zweitens haben die Herausgeber der genannten Blätter sich ebenfalls über sämmtlichen Debit, den dortigen Verhältnissen zufolge, mit dem Generalpostamte einverstanden. Die Regierung in Sachsen zieht weit mehr von dem Zeitungswesen als die in Preußen, und das Hofpostamt in Berlin befolgt die strengsten Maßregeln in Rücksicht des Zeitungsdebits. Ich bin nicht sowol gegen den Verkauf der einzelnen Blätter als dagegen, daß durch diesen sich eine politische Zeitungsexpedition in Leipzig etablirt, welches unmöglich mit dem Zeitungspacht bestehen kann. Auch bin ich überzeugt, es wird kaum noch eine Woche hingehen, und es werden Nachahmungen Ihres Blattes hier erscheinen, und mehrere Buchhandlungen werden sich Expeditionen politischer Blätter nennen. Bereits haben Buchhändler bei mir darüber Erkundigungen eingezogen, anfragend: ob das nun erlaubt sei, und ob den leipziger Buchhändlern verweigert werden würde, was man einem fremden erlaubt? Sie sehen, meine Schritte zur Aufrechthaltung der bestehenden Verfassung sind selbst Ihr eigener Vortheil. Ich wiederhole, daß Sie bei dieser Entreprise am meisten gewinnen würden, wenn Sie eine altenburger Zeitung in dem Maße, wie ich bereits mündlich Ihnen erwähnte, herausgäben. Das Gute würde nicht weniger gefördert, Ihr erhaltener Befehl autorisirt Sie, Sie sind ohne Nachahmer, und Ihre Unternehmung ist bleibend. Indeß bin ich aus den Rücksichten, die Sie am Schlusse Ihres Briefs anführen, bereit, mit Ihnen einen Vertrag abzuschließen, wenn Sie Ihrem Anerbieten zufolge 1) der Zeitungsexpedition 50% (funfzig Procent) Rabatt von den debitirten Exemplaren zugestehen; 2) öffentlich bekannt machen, daß die Erscheinung des Blattes in Leipzig mit Vorwissen und im Einverständnis der Königl. Zeitungsexpedition der Verabredung gemäß erfolge, damit die Nachahmer nicht glauben, das Thor sei nun jedem Unberufenen geöffnet; 3) daß dieses Einverständnis fürs Erste nur bis zu Ende des laufenden Jahres dauere; in dieser Zeit werden wir Beide sehen können, inwiefern es vortheilhaft ist oder nicht, es ferner bestehen zu lassen oder es aufzuheben. Durch dieses Entgegenkommen von seiten des Pachters der »Leipziger Zeitung« war der Conflict zwischen der Königl. Zeitungsexpedition und der in Leipzig eingerichteten Expedition der »Deutschen Blätter« gehoben, und Brockhaus erließ nun in Nr. 18 vom 28. October nachstehende Bekanntmachung: #Anzeige.# Der Eigenthümer der »Deutschen Blätter« zeigt hierdurch an, daß die Erscheinung dieses Blattes -- welches seine Entstehung einem speciellen Befehle Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten von Schwarzenberg verdankt -- in Leipzig mit Vorwissen und im Einverständniß der Königl. Sächs. Zeitungsexpedition verfassungsmäßig geschehe. Es sind bis Donnerstag den 28. October von diesen Blättern achtzehn Stücke erschienen, und ist die Einrichtung getroffen, daß solche von jetzt an vor der Hand täglich des Morgens von 9-12 und von 2-6 Uhr in der löbl. Königl. Sächs. Zeitungsexpedition und in der Expedition der »Deutschen Blätter«, der Engelmann'schen und allen andern Buchhandlungen zu erhalten sein werden. Expedition der »Deutschen Blätter«. Außer mit dieser formellen Schwierigkeit hatten aber die »Deutschen Blätter« gleich in ihrer ersten Zeit auch mit Censurbelästigungen zu kämpfen. Ein am 28. October, also zwei Tage nach dem an Hofrath Mahlmann gerichteten Promemoria, von Brockhaus an den Chef der Ersten Section des Generalgouvernements, Freiherrn von Miltitz, erlassenes Schreiben sagt darüber: Ohngeachtet der Inhalt der jetzt hier gedruckt werdenden, auf Befehl Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg erscheinenden »Deutschen Blätter« zum großen Theile aus andern bereits gedruckten Schriften und Zeitungen genommen wird, welche schon anderweitig die Censur (vornehmlich in Wien und Berlin) von Behörden, welche mit dem System der alliirten Mächte bekannt sein müssen, passirt sind, so findet Herr Hofrath Brückner dennoch Schwierigkeiten, ihm das Imprimatur zu geben, weil in seiner Instruction enthalten ist, daß »alle Anzüglichkeiten gegen irgendeine Person oder Macht« zu unterdrücken seien. Herr Hofrath Brückner verwirft daher dieser Instruction wegen, um ein Beispiel anzuführen, einen Artikel über das Betragen des französischen Kaisers gegen den Papst, ohnerachtet wir solchen aus der »Preußischen Feldzeitung« genommen haben, einem Blatte, von welchem es bekannt ist, daß Se. Exc. der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg die Censur eigenhändig besorgen. Jene Instruction des Herrn Hofrath Brückner dürfte also näher zu motiviren -- der angezogene Ausdruck: daß nichts Anzügliches gegen irgendeine Person oder Macht solle gedruckt werden, ist so allgemein und vague, daß bei einem ängstlichen Censor auch keine einzige politische Wahrheit kann und darf gedruckt werden! -- und ihm dabei aufzugeben sein, daß solche Artikel, welche in den Staaten der alliirten Mächte bereits gedruckt erschienen wären, hier keineswegs weiterer Censur bedürften. Weiter sagen Ew. Hochwohlgeboren in einem Billet an Herrn Hofrath Brückner vom 27. October, welches mir derselbe mitgetheilt hat, »daß, insofern die 'Deutschen Blätter' wöchentlich oder in noch kürzern Fristen erscheinen, ihre Censur zu der unmittelbaren Cognition des Chefs der Ersten Section des Gouvernementraths gehöre«. Da nun die »Deutschen Blätter« allerdings wöchentlich und in noch kürzern Fristen -- nämlich vor der Hand täglich -- erscheinen, so cessirte durch obige Erklärung von Ew. Hochwohlgeboren die Censurfähigkeit für Herrn Hofrath Brückner, insofern dabei kein Misverständniß obwaltet, weil, wenn Herr Hofrath Brückner den ganzen Umfang der ihm bisher obgelegenen Geschäfte als politischer Censor beibehalten soll, es alsdann auch in seinem Geschäftskreise liegt, die Censur der Zeitungen und sonstigen periodischen politischen Schriften wahrzunehmen. Hierüber einer gefälligen und schnellen Antwort entgegensehend, verbleibe mit tiefstem Respect u. s. w. Eine Antwort auf diesen Brief scheint Brockhaus nicht abgewartet zu haben, indem er schon tags darauf, am 29. October, über Halle und Dessau nach Berlin abreiste. Der Anlaß zu dieser Reise ist uns ebenso wenig bekannt als irgendein Erlebniß auf derselben. Vermuthlich hatte er einen officiellen Auftrag erhalten, der einen zuverlässigen und muthigen Besorger erforderte, da er sich sonst schwerlich in diesem für sein neubegründetes Blatt so wichtigen Zeitpunkte den Gefahren und Beschwerden einer solchen Reise ausgesetzt haben würde. Am 8. November, also nach zehn Tagen, war er wieder in Leipzig, reiste am 15. nach Altenburg, kehrte aber schon am 19. nach Leipzig zurück und blieb hier bis Anfang December. Vor seiner ersten Abreise von Leipzig hatte er seinen Gehülfen Bochmann aus Altenburg kommen lassen, der nun mehrere Wochen in Leipzig blieb. Dieser hatte jetzt ebenfalls Noth mit den inzwischen nicht gebesserten Censurverhältnissen und klagt darüber in einem an die Redaction in Altenburg gerichteten Briefe vom 30. October: In der Erwartung, daß ich so wie gewöhnlich die neue Nummer (der »Deutschen Blätter«) heute früh 8 Uhr von der Druckerei empfangen würde, meldete ich Ihnen deren Zusendung schon im voraus; jedoch zu meinem Schrecken verkündete mir anstatt dessen Hirschfeld (der Buchdrucker), daß das Blatt die Censur nicht passirt habe. Die Preßfreiheit ist hier wenigstens noch lange nicht errungen. Mündlich mehr darüber. Nur so viel, daß die sächsischen Behörden, denen von Repnin die Censur übertragen ist und die, wie mir scheint, weder mit den Franzosen noch mit dem Könige von Sachsen es verderben wollen, nicht einmal erlauben wollen, Berichte abdrucken zu lassen, die in preußischen Blättern von Gouvernements wegen, von L'Estocq und Sack unterzeichnet, abgedruckt sind. Ich bin heute gelaufen wie ein Schneider und habe so viel Treppen gestiegen, daß ich ganz lungensüchtig wieder nach Hause (in seine Heimat Altenburg) kommen werde, aber das Resultat war am Ende doch: das ganze Blatt kann heute nicht ausgegeben werden (nämlich Nr. 20), und ich ersuche Sie, sich der Mäßigung zu befleißigen, damit ich nicht wieder in die Nothwendigkeit versetzt werde, Ihnen dergleichen sagen zu müssen oder gar dem ganzen Blatte ein Ende zu machen. Indessen wird morgen doch wieder ein Blatt erscheinen, das Sie sobald wie möglich erhalten sollen, vielleicht durch Expressen. Bis zu Herrn Brockhaus' Zurückkunft werden also wol sehr unschuldige Sachen in den »Deutschen Blättern« zu finden sein. Ich hoffe aber, daß dieser vielleicht noch ein Expediens finden wird. Brockhaus fand allerdings ein solches »Expediens«. Dieses bestand einmal darin, daß er sich nicht so leicht einschüchtern ließ wie wol sein Gehülfe, sondern in jedem einzelnen Falle gegen willkürliche Censur protestirte und so doch manche Artikel zum Druck frei erhielt; dann aber kam er auf den (schon früher erwähnten) Ausweg, einzelne Nummern, die besonders bedenkliche Artikel enthielten, in Altenburg drucken zu lassen. Da diese nach und nach die Mehrzahl bildeten, so erfolgte der Druck der »Deutschen Blätter« später wieder wie früher der Hauptsache nach in Altenburg (bei Pierer), und nur einzelne Nummern wurden noch in Leipzig (bei Hirschfeld) gedruckt. Er sagt darüber in einem Briefe an Villers, datirt Altenburg, 9. Februar 1814: Da die »Deutschen Blätter« jetzt hier gedruckt werden, so habe ich wegen der Censur wenig Schwierigkeiten oder vielmehr keine. In Leipzig selbst ist man allerdings oft genirt, allein ich lasse daher dort nur solche Artikel drucken, wobei keine Gewissenszweifel eintreten können. Wenn Sie oder Freunde von Ihnen daher etwas Pikantes haben, so haben Sie nicht nöthig besorgt zu sein, daß der Druck Schwierigkeiten finden werde. Es ist das ja einer der schönsten Vorzüge Deutschlands, daß die Unabhängigkeit der kleinern Staaten es unmöglich macht, _grandes mesures_ gegen Druck und Preßfreiheit zu nehmen. Nur Ihrem »Schinderknechte« konnte so etwas eine Zeit lang gelingen. Des Zusammenhangs wegen mögen hier gleich noch zwei an denselben Freund gerichtete Briefe folgen. In einem Briefe vom 7. Mai 1814 spricht Brockhaus seine Gesinnung über Napoleon und die Franzosen noch drastischer aus als in dem vorhergehenden. Er schreibt: Welch ein elender Wicht ist denn dieser Napoleon! Pfui! er ist eigentlich nicht werth, daß man ihn anspuckt. Nicht den Muth zu haben, ein so geschändetes Leben zu enden! Kann es hier denn noch Frage sein, mit Hamlet zu sagen: »_To be, or not to be, that is the question_«? Aber auch Ihre Franzosen erregen mir Ekel mit ihren Sprüngen und ihrer elenden Constitution. Und diese Senatoren, Marschälle und Pfaffen, die vorher im Staube krochen vor Napoleon, wie sie ihn nun mit Füßen treten und für #ihre# Verewigung Sorge tragen, und daß ihre Dotationen fein bei der Familie bleiben! Ich werde diese Geschichten in den »Deutschen Blättern« nach Verdienst und Würden abhandeln. Von den »Fanfaronaden«[55] lasse ich Ihrem Wunsche gemäß Ihren und Saalfeld's Namen weg. Hätte man die Anmerkungen jetzt zu schreiben, so würde man sie noch pikanter machen können. Der andere Brief, schon am 24. December 1813 geschrieben, ist derselbe, aus dem oben eine die leipziger Schlacht betreffende Stelle mitgetheilt wurde, und lautet in seinem weitern Inhalte, der im Anfange wenigstens direct die »Deutschen Blätter« betrifft: .... Seit der Mitte October beschäftigt mich die Politik nun sehr, wozu unsere »Deutschen Blätter« denn die nächste Veranlassung gegeben haben. Auch diese Unternehmung gehört zu den glücklichen und sich rasch belohnenden. Der erste Band ist fertig, und ich sende Ihnen solchen durch Dieterich. Wenn Sie von dem Geiste dieses Blattes noch nicht unterrichtet sind, so werden die drei beikommenden neuesten Blätter Sie damit bekannt machen. Das Mehrste sind Originalaufsätze. Ich würde sehr wünschen, wenn Sie solche mit Beiträgen beehren wollen. Böttiger, der viel dazu liefert, hat mir ausdrücklich gesagt, ich möchte Sie aus allen Kräften dazu anspornen. Vielleicht können Sie auch andere Ihrer Freunde dazu bewegen. Wir honoriren die Beiträge honnet. Da Sie einen Bruder in Moskau haben, würde es da nicht möglich sein, von diesem ebenfalls über jene ungeheuern Begebenheiten im September und October 1812, aus dem die Weltfreiheit wie ein Phönix hervorgegangen, nähere Nachrichten zu erhalten? Vielleicht besitzen Sie selbige schon in mittheilbaren Briefen! Da Schlegel lange in Göttingen war, so werden Sie wissen, daß ich hier seine »_Remarques_« herausgegeben habe.[56] Vierzehn Tage hielt mich die Censur hin, und am Ende wurde doch das Imprimatur verweigert. Ich förderte es aber nun ohne dasselbe auf meinen Kopf in die Welt. Man hat jetzt wenigstens Becker's und Palm's Schicksale nicht mehr zu fürchten. Es war mir nur leid, daß Schlegel geglaubt hat im Anfang, als sei ich die Schuld der Verzögerung. Hamburgs Schicksal im Juni hat mir das Herz zerrissen. Der Himmel möge es denen verzeihen, die schuld daran gewesen. Seien es nun die Dänen oder die, welche die Dänen reizten. Ich bin mit mir darüber nicht im Klaren, wo hier das Recht oder Unrecht war. Aber bald, denke ich, wird Hamburgs Schicksal abermalen entschieden sein. Auf ein so schweres Unglück folgen wieder selige Tage! So im Leben, so in den Weltbegebenheiten. Wie einzig herrlich steht nicht Preußen da! Welche Bürgertugenden, welcher Heldengeist haben sich nicht unter diesem so gebeugten Volke entwickelt! Auch ich habe mich unter die Reserven der Landwehr hier als Freiwilliger gestellt, und ich exercire schon tüchtig. Kommt Napoleon wieder über den Rhein, so verlasse ich Weib und Kinder und ziehe ihm auch entgegen und falle oder helfe siegen. Was bleibt uns anderes übrig! Ich habe mich hier, um auch etwas über das Persönliche zu sagen, zum zweiten male verheirathet. Schon vor einem Jahre. Ohne besonderes Vermögen, ist mein gutes Weib bieder, brav, liebenswürdig und eine vortreffliche Mutter meiner Kinder erster Ehe. So bin ich also wieder ganz ans bürgerliche Leben festgeknüpft. Es ist hier eine freundliche, angenehme Existenz. Lauter gebildete Menschen in unserm Familienkreise, der der erste des Orts ist. Ich lebe hier viel glücklicher wie in Holland, wo man reich sein muß, um glücklich zu sein und seines Daseins froh zu werden. Sie sehen, ich bin schwatzhaft wie ein Kind, aber was kann man Besseres sein. Erzählen Sie mir auch etwas von Ihrem Treiben, Leben und Weben! Adieu. Antworten Sie mir bald und in Liebe. Senden Sie mir auch recht viele Manuscripte zugleich! Ueber die hier erwähnte Errichtung der altenburger Landwehr, unter die sich Brockhaus als Freiwilliger aufnehmen ließ, und die dabei stattgefundenen Feierlichkeiten brachten die »Deutschen Blätter« in Nr. 37 vom 24. November 1813 einen ausführlichen Bericht, der die begeisterte Stimmung der damaligen Zeit treu widerspiegelt. * * * * * Bevor Brockhaus sich der weitern Pflege seines neugegründeten Blattes nach der ersten stürmischen Zeit der leipziger Schlacht in Ruhe widmen konnte, hatte er außer den oben geschilderten Debits- und Censurschwierigkeiten noch eine andere Anfechtung zu bestehen, die ihm ebenso unerwartet als unangenehm war. Er hörte plötzlich, daß die Herder'sche Buchhandlung zu Freiburg im Breisgau eine »Fortsetzung« seiner kaum begonnenen und in der besten Entwickelung begriffenen »Deutschen Blätter«, an deren Aufgeben er gar nicht dachte, angekündigt habe. Auf seine verwunderte Anfrage schickte ihm die Herder'sche Buchhandlung folgenden Erlaß des k. k. Armeecommandos in vidimirter Abschrift: Dem Buchhändler Herrn Bartholomä Herder in Freyburg wird hiemit der Auftrag ertheilt, die »Deutschen Blätter«, wie selbe bisjetzt bei Herrn Brockhaus in Altenburg und Leipzig erschienen sind, ferner fortzusetzen, mit der Bedingung jedoch, daß selbe wie bisher der österreichischen Censur zu unterstehen haben. K. K. Hauptquartier Lörrach den 27. December 1813. Sr. k. k. Apostolischen Majestät Generalfeldwachtmeister im (_L. S._) Generalquartiermeister-Stabe, Commandeur des kaiserl. österr. Leopolds-Orden &c. &c. (Gez.) Langenau. Brockhaus' Erstaunen über dieses Actenstück mag noch dadurch gesteigert worden sein, daß es von demselben General von Langenau unterzeichnet war, der ihm im Auftrage des Feldmarschalls und obersten Befehlshabers Fürsten von Schwarzenberg den »Befehl« zur Herausgabe eines politischen Blattes ertheilt hatte. Das Armeecommando konnte beim weitern Vorrücken der Heere nach Frankreich gewiß auch noch andern Personen »Aufträge« oder »Befehle« zur Herausgabe politischer Blätter geben; zur raschesten Verbreitung der offiziellen Kriegsnachrichten war das selbst ohne Zweifel ganz zweckmäßig. Aber einem andern Buchhändler den »Auftrag« zur »Fortsetzung« der bei Brockhaus noch erscheinenden »Deutschen Blätter«, die doch jedenfalls dessen Eigenthum waren, ohne sein Vorwissen zu geben, das verrieth in der That ganz eigenthümliche Begriffe über das literarische Eigenthum! Selbst in der damaligen Zeit, die jenes Wort kaum kannte und in der im Gegentheil der Nachdruck blühte, und auch bei einem mit solchen Angelegenheiten wenig vertrauten Militär war das doch überraschend! Dazu kam noch, daß die »Deutschen Blätter« in einer ihrer ersten Nummern (Nr. 15 vom 25. October 1813) einen von dem General von Langenau selbst eingesandten Artikel, seine Entlassung aus sächsischen Diensten betreffend, gebracht hatten. Dieser war zwei Monate vor Anfang des Kriegs nach ehrenvoller Entlassung in österreichische Kriegsdienste getreten, und die königlich sächsische »Leipziger Zeitung« hatte ihn, freilich vor der leipziger Schlacht, am 4. September als »aus den sächsischen Diensten desertirt« bezeichnet! Die Herder'sche Buchhandlung antwortete auf Brockhaus' Anfrage unterm 30. December 1813 nur: sie habe diesen Auftrag erhalten, sei übrigens gern bereit, ihm gegen Mittheilung der Abnehmer der »Deutschen Blätter« eine »Vergütung« zu machen; wolle er die Versendung übernehmen, so könne er die Verrechnung darüber mit den Abnehmern besorgen, und man werde sich schon arrangiren. Brockhaus' Antwort auf diesen Brief und sein jedenfalls erfolgter Brief an General von Langenau liegen uns leider nicht vor.[57] Doch ist nicht zu bezweifeln, daß die erstere eine ablehnende, der zweite ein Protest war. Beide Briefe werden sicherlich auch nicht in den höflichsten Ausdrücken abgefaßt gewesen sein. Einen Ersatz für diese Briefe bietet nachstehende Erklärung in Nr. 70 der »Deutschen Blätter« vom 24. Januar 1814: Der Herr Buchhändler Herder zu Freiburg im Breisgau hat angezeigt, daß er durch einen Auftrag des Herrn General von Langenau veranlaßt worden, die seither bei mir erschienenen »Deutschen Blätter« fortsetzen. Gegen diese ebenso unerwartete als befremdende Anzeige sehe ich mich bewogen, zu erklären, daß die Idee, der Titel und der ganze Plan zu dieser Zeitschrift einzig und allein von mir herrühren; daß die Genehmigung Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg nur der Form wegen erfolgte, indem ich mir, theils um allen Censur- und andern Schwierigkeiten im voraus zu begegnen, theils um auf keinen denkbaren Fall die Landesbehörden zu compromittiren, den Befehl dazu erbat; daß ich endlich, mit Zurücksetzung aller persönlichen Rücksichten, in einem Zeitpunkte, wo die französischen Heere noch in dem Herzen von Sachsen standen (12. October) und der entscheidende Streich, der Deutschland von ihnen befreite, erst vorbereitet ward, wo mithin die Aeußerung freimüthiger patriotischer Gesinnungen etwas verdienstlicher war als gegenwärtig, wo man mit hinlänglicher Sicherheit den Patrioten spielen kann, das Unternehmen mit dem 14. October begann. Wenn ich folglich sowol nach den über literarisches Eigenthum in allen Staaten bestehenden Grundsätzen als auch aus Gründen der Billigkeit die »Deutschen Blätter« als mein vollkommenes Eigenthum betrachten darf, so kann offenbar die Fortsetzung derselben weder von irgendeiner Behörde befohlen, noch von irgendjemandem ohne meine ausdrückliche Einwilligung unternommen werden. Wurde bei dem jetzigen Stande des Kriegstheaters für nöthig erachtet, zur Verbreitung der Armeenachrichten ein neues Blatt zu gründen, so konnte und mußte dies ohne meine Beeinträchtigung geschehen. Ich hege daher die Hoffnung, der Herr Buchhändler Herder werde, sobald ihm diese Verhältnisse bekannt geworden, sich beeilen, seiner Zeitschrift, gegen deren Herausgabe an und für sich von meiner Seite nicht das Allergeringste einzuwenden ist, einen andern Titel zu geben, und sie nicht ferner eine Fortsetzung meiner »Deutschen Blätter« nennen, da ich diese selbst fortsetzen und bis zum künftigen allgemeinen Frieden fortsetzen werde. Der immer steigende Beifall des Publikums ist der sicherste Beweis, daß ein politisches Blatt von dem Charakter, welchen die Redaction seither den »Deutschen Blättern« zu geben gewußt hat, den Zeitverhältnissen angemessen ist. Aber eben darin hat die Redaction auch den größten Sporn für sich gefunden, das Interesse derselben immer mehr zu erhöhen und zu verallgemeinern. Zahlreiche Mitarbeiter, und unter diesen mehrere der vorzüglichsten Schriftsteller Deutschlands, eine ausgebreitete Correspondenz, directe Verbindungen mit Holland, England und den verschiedenen Hauptquartieren, die günstige Lage der Redaction im Mittelpunkte von Deutschland und am Stapelplatze des deutschen Buchhandels: dies Alles sind Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche ohnehin mit dem bloßen Titel nicht erworben werden könnten. Sämmtliche Mitarbeiter und Correspondenten der »Deutschen Blätter« werden daher fortfahren, ihre Beiträge nach Leipzig oder nach Altenburg zu adressiren. Altenburg und Leipzig, den 18. Januar 1814. Friedr. Arn. Brockhaus. Herder setzte trotzdem sein Blatt fort, gab es aber schon nach kaum einem halben Jahre wieder auf, wie aus folgender »Nachricht« in Nr. 158 der »Deutschen Blätter« vom 16. Juli 1814 hervorgeht: Die »Teutschen Blätter«, welche sich in Freiburg im Breisgau mit einer in der deutschen Literatur unerhörten #Frechheit# als eine Fortsetzung der unserigen, während diese nie aufgehört hatten zu erscheinen, ankündigten, sind, öffentlichen Nachrichten zufolge, mit der 76. Nummer geschlossen worden. Von dem bekannten Geschichtschreiber Karl Ludwig von Woltmann wurde gleichfalls eine Zeitschrift unter dem Titel »Deutsche Blätter« in den Jahren 1813 und 1814 in Berlin herausgegeben, doch war dies keine politische, sondern eine historische Zeitschrift, die mit dem von Brockhaus herausgegebenen Blatte in keiner Weise concurrirte. Woltmann, der mit Brockhaus schon seit längerer Zeit in Verbindung stand, erbot sich selbst zu Beiträgen für dessen Blatt und schrieb ihm im Januar 1814 aus Prag, wohin er im Sommer 1813 geflohen war, um der Rache Napoleon's auszuweichen: Ihre »Deutschen Blätter« kenne ich noch nicht. Mein Journal unter diesem Titel setze ich in diesem Jahre fort. Wahrscheinlich ist das Ihrige ein politisches. Unbeirrt durch alle Schwierigkeiten und Anfechtungen ging Brockhaus mit frischem Muthe an die weitere Förderung seiner »Deutschen Blätter«. Er hatte auch die Genugthuung, daß sie in Deutschland rasch Anklang und Verbreitung fanden. Die Auflage betrug in der ersten Zeit über 4000 Exemplare, eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Zahl, und der erste Band wurde so vielfach nachverlangt, daß die meisten Nummern desselben mehr als einmal neu gesetzt und gedruckt werden mußten. Uebrigens fühlte Brockhaus die Verpflichtung, nunmehr ein förmliches Programm der Zeitschrift zu veröffentlichen, was in der ersten Zeit weder nöthig noch thunlich gewesen war. Dieses erschien gerade vier Wochen nach dem Beginn des Blattes, in Nr. 31 vom 13. November 1813, und lautet: =Erklärung der Redaction der »Deutschen Blätter«.= So unerwartet günstig unsere »Deutschen Blätter« auch vom Publikum aufgenommen worden sind, so verkennt die Redaction derselben keineswegs, daß sie diese günstige Aufnahme mehr dem Interesse an den großen Begebenheiten, welche sich unter unsern Augen ereigneten, und der Idee, welche jeder Wohlgesinnte in den »Deutschen Blättern« ahnte und finden konnte, zu verdanken habe als ihrer bisherigen Ausführung. Jetzt, da durch größere Entfernung des Kriegstheaters der Drang der Begebenheiten nicht mehr so nahe auf uns einwirkt und auch die Redaction sich mit größerer Ruhe und weniger Störung der Herausgabe dieser Blätter widmen kann, sei es ihr erlaubt, sich näher über das auszusprechen, was die »Deutschen Blätter« eigentlich sein wollen und was sie nicht sein wollen, damit zwischen ihr und dem Publikum hierüber künftig kein Misverständniß eintreten kann. Die »Deutschen Blätter« #wollen keine Zeitung sein#. Zur Organisirung einer Zeitung, wenn sie dem Ideale entsprechen soll, das der Redaction darüber vorschwebt und welches einst in der guten alten Zeit durch den »Hamburger unparth. Correspondenten« wirklich erreicht wurde, gehören große Vorbereitungen, eine so umfassende Correspondenz, so mannichfaltige Verbindungen, auch sind dabei überhaupt so viele Verhältnisse zu berücksichtigen, daß es der Redaction wie der Verlagshandlung der »Deutschen Blätter«, welche beide ebenso sehr die Schwierigkeiten als die Bedingungen der Herausgabe einer guten Zeitung zu erwägen wissen, nicht in den Sinn gekommen ist, eine solche unternehmen zu wollen. Die Zwecke, welche die Redaction durch die »Deutschen Blätter« erreichen wollte, konnten aber auch durch eine Zeitung nicht erreicht werden, da diese eigentlich nur referiren soll, was in der Gegenwart geschieht, und ohne für oder gegen eine der handelnden Personen oder Völker Partei zu nehmen. Die »Deutschen Blätter« wollen also keine Zeitung sein, sondern #ein politisches Volksblatt#, das Wort »Volk« hier im höhern und edlern Sinne genommen, ein Blatt, das in allen Ländern deutscher Zunge mit Theilnahme kann gelesen werden, welches bei einem bloßen Zeitungsblatte, das in einer gewissen Entfernung bald alles Interesse verliert, nicht der Fall sein kann. Sie thun daher von jetzt an, wo sich das Kriegstheater aus der Nähe der Redaction weggezogen hat, auf die Mittheilung alles dessen Verzicht, was man im engern Sinne gewöhnlich »Zeitungsneuigkeiten« und »Zeitungsnachrichten« zu nennen pflegt, insofern sie nicht den Zweck haben wollen, das Publikum mit den Begebenheiten des Tags so schnell als möglich oder wol gar zuerst und vollständig bekannt zu machen. Die »Deutschen Blätter« werden zwar nicht versäumen, die glorreichen Ereignisse, welche wir den verbündeten Armeen, an welche sich bald die gesammte deutsche Nationalkraft wird angeschlossen haben, auch ferner bis zur gänzlichen Befreiung unsers gemeinsamen Vaterlandes verdanken werden, mitzutheilen, allein es wird in einer andern Form geschehen, als es bisher geschehen konnte. Es werden nämlich größere Zeitpunkte nach bedeutenden Abschnitten der Begebenheiten dazu festgesetzt werden, die Darstellung der in dieselben fallenden Begebenheiten wird historisch zusammenhängend in größern erklärenden Uebersichten erfolgen und von den wichtigsten officiellen Bekanntmachungen der verschiedenen Armeen begleitet sein. Hauptsächlich aber wird das Streben der »Deutschen Blätter« dahin gehen, #Gemeinsinn# zu erwecken, die deutsche Nationalwürde zu erheben, Haß gegen fremde Unterjochung und Vertrauen gegen uns selbst einzuflößen. Auch die belehrende und warnende Geschichte der letzten zehn traurigen Jahre, in welchen Deutschlands herrliche Nationalkräfte von Fremdlingen, die sich durch List und Gewalt auf unsern Boden eingeschlichen hatten, nur gebraucht wurden, damit die deutschen Völker sich untereinander selbst aufrieben und das zerstörten oder lähmten, was eigentlich unsere Nationalkraft war und unsern Nationalcharakter bildete, wird daher von dem Gegenstande unserer Blätter nicht ausgeschlossen sein. Alles, was mithin dazu dienen kann, die Tyrannei und Willkür, womit ein fremder Usurpator uns und -- das freie stolze Britannien ausgenommen -- ganz Europa bedrückte, nach wahrhaften Quellen genauer kennen zu lernen, ferner historische Data über einen in der Weltgeschichte einzigen, bisher aber noch nicht unparteiisch geschilderten Zeitpunkt, in welchem es für Staaten wie für Individuen weder Sicherheit des Besitzes noch der Personen gab, werden daher von den »Deutschen Blättern« gern aufgenommen werden. Es werden sich solche auch ein besonderes Geschäft daraus machen, das systematische Lügengewebe der französischen Nachrichten zu entwirren und die Sophismen ihrer diplomatischen Verhandlungen zu widerlegen. Alles endlich, was dazu führen kann, über Deutschlands künftige politische Verfassung im allgemeinen und im besondern gemeinnützige und aufgeklärte Ideen zu verbreiten und fruchtbare Gedanken über die Verbesserung unsers politischen Zustandes zu wecken, soll ein besonderer Gegenstand der »Deutschen Blätter« sein. Zur Erreichung dieser Zwecke hat sich die Redaction schon mit mehrern ausgezeichneten Schriftstellern und Geschäftsmännern in Verbindung gesetzt; sie rechnet aber auch auf die freie Unterstützung anderer aufgeklärter Männer in unserm ganzen gemeinsamen Vaterlande, um so mehr, »da die Freiheit der Rede und der Schrift uns wiedergegeben ist, wie die des Handelns«; und wird sie endlich auch aus andern Blättern manches aufnehmen, was dazu beitragen kann, diese Blätter zu einem »Nationalarchiv der Deutschen« zu erheben. Was die Art der künftigen Erscheinung betrifft, so wird die Verlagshandlung nachstehend das Nähere darüber bekanntmachen. Die Redaction der »Deutschen Blätter«. Die darauffolgende Mittheilung der Verlagshandlung beschränkt sich auf Angaben über Preis, Erscheinungsweise (künftig wöchentlich viermal, statt täglich wie bisher, gleichzeitige Ausgabe in Leipzig und Altenburg) u. s. w. mit dem Zusatze: die ganze Form und Anlage der »Deutschen Blätter« gehe dahin, daß sie eine »Nationalchronik« bilden sollen, welche gesammelt immer ihr Interesse behalten werde. Vom April 1814 an wurden wöchentlich nur drei Nummern ausgegeben. Von Mitte April 1815 an, bis zu welchem Zeitpunkte in den anderthalb Jahren seit Mitte October 1813 sechs Bände erschienen waren, wurden wöchentlich zwei bis drei Bogen (ohne Datum als »Stücke« bezeichnet) ausgegeben, und zu dem Titel wurde »Neue Folge« hinzugesetzt; vom 10. Juni 1815 an (nach dem Wiederausbruche des Kriegs) wurden den regelmäßigen Stücken wöchentlich besondere Beilagen unter dem Titel: »Tagesgeschichte. Zu den Deutschen Blättern. Neue Folge« beigegeben, die Ende September (mit dem zweiten Bande der Neuen Folge) wieder eingestellt wurden. Mit dem dritten Bande der Neuen Folge, dem neunten im Ganzen, hörten die »Deutschen Blätter« im Frühjahre 1816 auf, nachdem sie gerade zwei und ein halbes Jahr lang erschienen waren. Das oben mitgetheilte Programm der »Deutschen Blätter« wurde von ihnen während der ganzen Dauer ihrer Wirksamkeit treu eingehalten. Nur erhielt es durch die Zeitereignisse mitunter eine Erweiterung oder Vervollständigung. Einige der hierauf bezüglichen Erklärungen sind für die Zeitschrift wie für deren Herausgeber des Blattes besonders bezeichnend. So heißt es beim Schlusse des dritten Bandes am 21. Mai 1814: Die »Deutschen Blätter« sehen einen großen Zweck, zu dem auch sie mitgewirkt haben und über welchen sie in Deutschland mit zuerst öffentlich und furchtlos gesprochen zu haben sich zu einigem Verdienste anrechnen dürfen, erreicht. Nicht durch die Waffen allein ist der Tyrann besiegt worden, sondern auch durch die öffentliche Meinung, welche zu bilden und zu leiten das Geschäft der Schriftsteller ist. Er ist untergegangen in einer Schmach, für welche die Geschichte kein Gegenstück aufzuweisen hat. Der Nimbus seiner Größe ist verschwunden und tiefe Verachtung der Furcht und dem Hasse gefolgt, die der elende Heuchler seit zwölf Jahren Europa eingeflößt hatte. Aber wenn auch er untergegangen ist, so sind es nicht mit ihm seine Helfershelfer, die, mit Verbrechen beladen, dennoch zum Bedauern der Welt scheinen Verzeihung erhalten zu sollen; nicht ist mit ihm untergegangen jener gallische Uebermuth, jene Verderbtheit dieses Volks, das seit fünfundzwanzig Jahren eine Geisel der Welt gewesen ist und alle Stufen menschlicher Verbrechen durchlaufen hat. Ohne die Schlechtigkeit dieses Volks, ohne die Verworfenheit seiner Räthe, Minister und Generale konnte Bonaparte nicht der Tyrann und Despot werden, welcher er geworden ist. Nicht er allein war es, den wir zu bekämpfen hatten, auch gegen diese sind unsere Waffen gerichtet. Die »Deutschen Blätter« werden daher auch fernerhin, so lange sie fortgesetzt werden, insbesondere gegen gallischen Uebermuth und Afterweisheit für alle Zeiten sprechen und Bewahrer des deutschen Nationalsinnes bleiben. Bei Vollendung des vierten Bandes am 23. August 1814 sagt die Redaction: Noch ist zu dem Wiederaufbau des deutschen Staatsgebäudes nur der Grundstein gelegt, nur der Umriß entworfen. Es hoch und herrlich und dauerhaft aufzuführen, alle seine Theile zu einem wohlgeordneten und wohleingerichteten Ganzen zu verbinden, damit es seinen Bewohnern Schutz und Sicherheit und bequemen Aufenthalt gewähre, den Nachbarn Vertrauen und Ehrfurcht einflöße, das wird das Werk der nächsten Zukunft sein. Vieles und Großes ist gethan, aber mehr und Größeres ist noch zu thun, damit aus der Zerstörung ein dauerndes Wohl der Menschheit aufblühe. Mit diesem heiligen Zwecke wird sich der Wiener Congreß beschäftigen, auf den vornehmlich die Blicke der Deutschen gerichtet sein müssen. Es war Brockhaus' Absicht gewesen, die »Deutschen Blätter« schon mit diesem fünften Bande abzuschließen. Da aber von den Resultaten des Wiener Congresses nur erst Weniges und Unbestimmtes bekannt geworden war, so erklärte er am 1. December 1814, daß er noch einen sechsten Band erscheinen lassen wolle. Bevor dieser noch vollständig geworden war, hatte Napoleon die Insel Elba, auf die man ihn für seine Lebenszeit verbannen zu können in kurzsichtiger Verblendung gehofft hatte, plötzlich verlassen, war am 1. März 1815 an der französischen Küste gelandet und bereits am 20. März in Paris eingezogen. Der Wiener Congreß war auseinandergestoben, aber die Alliirten hatten sich aufs neue verbündet und unterm 13. März eine Achtserklärung gegen Napoleon als allgemeinen Feind und Ruhestörer erlassen: der Krieg entbrannte aufs neue. So konnten auch die »Deutschen Blätter« ihre Aufgabe noch immer nicht als ganz erfüllt ansehen; sie begannen eine »Neue Folge«, und auch als die Herrlichkeit der »Hundert Tage« durch die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni und Napoleon's zweite Abdankung am 22. Juni ein rasches Ende gefunden, erschienen sie noch eine Zeit lang fort. Am 7. Juli waren die Verbündeten zum zweiten male in Paris eingezogen, am 20. November wurde der zweite Pariser Friede geschlossen, nachdem schon am 8. Juni der Deutsche Bund errichtet, tags darauf die Wiener Schlußacte unterzeichnet worden war. Jetzt war der Krieg wirklich beendet, und die »Deutschen Blätter« konnten nun vom Schauplatz abtreten. Am 22. Februar 1816 zeigte Brockhaus vorläufig an, daß er mit dem im Erscheinen begriffenen neunten Bande die »Deutschen Blätter« schließen werde, und einige Wochen darauf wurde die letzte Nummer ausgegeben. Das Schlußwort der Redaction gibt einen Gesammtüberblick über die Wirksamkeit der »Deutschen Blätter« und sei deshalb auszugsweise hier mitgetheilt. Die Redaction spricht zunächst offen aus, daß die wahrhaft glänzende Theilnahme, die das Blatt im Anfange gefunden, sich naturgemäß allmählich bei den ruhigern Zeiten verringert habe, und obwol noch immer eine Auflage, zu der wenige ähnliche Unternehmungen in ihrer günstigsten Zeit sich erheben möchten, für den Aufwand entschädige, so sollten die »Deutschen Blätter« doch nicht dann erst enden, wenn sie sich selbst überlebt hätten. Darauf heißt es weiter: Sie begannen in der Zeit, die zu den herrlichsten, hoffnungsvollsten und erfolgreichsten gehört, welche das Vaterland je erlebte; unter Verhältnissen und Begünstigungen, wie sie selten einem schriftstellerischen Unternehmen zutheil werden. Die köstliche Zeit der errettenden Völkerschlacht, die Zeit der wiedererrungenen, hochbeglückenden Freiheit, war die Zeit ihrer Geburt, sie brachten die erste umständliche Kunde von dem Segen, den der Höchste auf die gerechten Waffen der Verbündeten gelegt, verbreiteten zuerst von einem Ende des Vaterlandes zum andern die sichere und begeisternde Botschaft von Deutschlands Sieg und Wiedergeburt, von der Niederlage der Unterdrücker, von der Vernichtung der Despotie. Darum wurde ihre Stimme so gern gehört, zumal sie kräftig war und würdig, und ein Geist, der vieler Herzen erhob, in ihr wehte. Vom Vaterland und für das Vaterland sprachen sie, und des Vaterlandes Söhne und Töchter nahmen sie freudig auf. Sie hatten überdies die Empfehlung für sich, daß der geehrte Feldherr, der an der Spitze der siegreichen verbündeten Heere stand, selbst sie veranlaßt, ihr Erscheinen selbst befördert und so gleichsam eine höhere Bürgschaft ihnen gegeben hatte. Von Leipzigs Siegesfeldern begleiteten sie den Triumphzug über den alten Rhein bis in das stolze Babel, den Mittelpunkt der Unterdrückungsplane des zu Schanden gewordenen Uebermuths, der zerstörten Tyrannei. Mit mäßigem Jubel ließen sie die Kunde des geschlossenen bedenklichen Friedens erschallen, und, scheidend von den glorreichen Schlachtgefilden, wendeten sie sich zu den unblutigen, aber nicht minder gefährlichen Kämpfen in den Steppen des Wiener Congresses, den Irrgängen der Unterhandlungen. Sie nahmen Partei, aber nur für die Sache des Vaterlandes, der Gerechtigkeit und der Freiheit, und sprachen manch starkes Wort, wo es frommen konnte. Aber sie mochten sich nicht wie der Vater Rhein nach kräftigem Ernst im Sande verlieren oder, den gewaltigen Strom verlassend, in kümmerlichen Bächen verrinnen. Sie erhoben sich in neuer Kraft, als die Botschaft kam von der Rückkehr des Furchtbaren aus seinem Felseneiland, von des Vaterlandes Gefahr. Die Neue Folge der »Deutschen Blätter« begann, um zu erwecken zum neuen Kampf, aufzurufen zu den schützenden Waffen, hinzuweisen auf das, was abermals dringend Noth war, was geschehen mußte, und regten von neuem in der allgemeinen Bewegung sich selber lebendiger, stürzten sich wieder in das Schlachtgewühl. Des Feindes Trug und Arglist, seine Macht und seine Kampffertigkeit, alle die losen Künste, mit denen er zu lang uns berückt und geschwächt hatte, stellten sie den deutschen Lesern klar vor Augen und ermahnten, das alte Joch, das viele noch zu willig trugen, völlig zu zerbrechen, die allzu verderbliche Abhängigkeit von fremder Sitte, mannichfachem fremden Einfluß endlich zu verbannen. Sie frohlockten über den neuen, herrlichen Sieg, den Gott verliehen, über Babels zweiten Fall, über die Heimkehr des theuern Eigenthums, das, als schnöder Raub und frevle Siegestrophäe zu lange trauernd, an feindlicher Stätte gefesselt gelegen; sie mühten sich, das Kleinod der Hoffnung zu erhalten, als in langen geheimnißvollen Unterhandlungen Sorge und Ungeduld allenthalben Raum gewannen und sich mehrten, weil manch theuerer Wunsch nicht in Erfüllung gehen wollte, ja immer mehr gefährdet ward. Sie suchten zugleich das Gedächtniß der frühern Zeit des Vaterlandes, seiner alten Schicksale zu erneuen, um durch die Bilder der Vergangenheit nicht nur zu trösten, sondern auch zu erwecken. Dann, als die neue Friedensbotschaft so unbefriedigend erschien, ergriff sie die Ahnung, daß ihr Ende gekommen sei, daß, wie nun Alles zur Ruhe sich lege, auch ihr Wächterruf immer mehr verhallen möge. Auch ließen sie nicht ab, ihrer Bestimmung treu die wichtigsten Angelegenheiten zur Sprache zu bringen und manch ernstes Wort zu reden von dem, was zu Deutschlands Heil geschehen muß. Aber: »_Vestigia me terrent!_« zu deutsch: »Laß dir rathen, ehe guter Rath dir noch theuer zu stehen kommt«, dachten sie bei sich selbst. »Wir wollen die Welt meiden, Einsiedler werden und uns selbst begraben, ehe man uns begräbt. Aus dem selbst gewählten Grabe kehren wir dann vergnügt und lebendiger, auch wohl vollkommener wieder.« Dachten es und brachen als Freunde des Tags, wie sie von je gewesen, noch eine Lanze mit den Rittern der Nacht, die ihren Herold vorangesendet hatten, und bringen nun ihren Freunden den Abschiedsgruß. Sechsmal erneuten sie sich seit ihrem ersten Erscheinen, dreimal in der Neuen Folge. In neun Bänden schließen sie gut, denn neun ist eine gute und vollkommene Zahl .... Sie haben eine gute Zeit durchlebt, obwol die schönste, in der sie geboren wurden, schnell vorüberging. Doch klingen noch in tiefster Seele nach die Lob- und Danklieder aus der Zeit der Vaterlandserhebung und Errettung, und der Blick nach oben feiert noch immer und soll endlos feiern, was der Herr aufs neue Großes und Herrliches an dem deutschen Volke und an der Menschheit in dieser Zeit gethan hat. Und das bleibt des höchsten Dankes werth! Sie bringen auch ihren erneuten Dank den tapfern Streitern dar, deren Heldenthaten auch ihnen das Dasein gaben. Unsterblich, wie der Thaten Geist, und lichthell, wie der Thaten Frucht, deren Herrlichkeit ungekränkt bleibt, ob auch manches nicht zur vollen Reife gedieh, lebt der Helden Gedächtniß und Ruhm und der Dank des befreiten Vaterlandes fort. Ihr Verdienst war es auch, wenn hier manch freies und erweckendes Wort geredet werden durfte, das in früherer trüber Zeit nicht hervorzutreten wagen konnte, und wenn dadurch, wie wir glauben dürfen, manches Gute befördert worden ist. Die Stimme der Wahrheit hat eine so siegreiche Kraft, daß keine Gewalt ihr widerstehen kann auf die Dauer, und je gesegneter ihre Wirksamkeit ist, desto höherer Dank gebührt denen, die ihr die Bahn wieder geebnet, die Luft gereinigt haben von den giftigen Dünsten, welche sie gänzlich zu ersticken drohten. Aus allen Theilen Deutschlands sind sie durch zweckmäßige Beiträge bereichert worden. Denen, die auf diese Weise ihr Leben erhöhten und stärkten, gebührt vorzüglicher Dank. In ihnen haben sich, meist einander unbekannt, doch im wesentlichen in gleichem Geiste und gleicher Gesinnung, vorzüglich gleicher Liebe des Vaterlandes und verwandter Ansicht von dem, was zu dessen Heil geschehen muß, viele deutsche Männer begegnet und durch ihre Uebereinstimmung das, was sie aussprachen, noch mehr empfohlen. Die bewährte Gesinnung hat sich durch den gemäßigten und bescheidenen, zwar, wie es Noth war und löblich, starken, aber selten allzu scharfen Ton, der fast alle Beiträge auszeichnete, viele Freunde erworben, und fast nie ist ein Anlaß zu gerechten Klagen und Beschwerden gegeben worden. So freimüthig als besonnen, überall aber mit strenger Wahrheitsliebe, ward das, was Bedürfniß der Zeit und des Vaterlandes war, hier ausgesprochen, keiner grundlosen Parteilichkeit für irgendeinen Zweig des deutschen Volks Raum gegeben, kein unziemlicher und verderblicher Zwiespalt genährt, sondern überall das Gute, wo es sich auch fand, anerkannt und vor allem auf jene Eintracht und Geisteseinigkeit, in der Deutschland allein stark, frei und sicher bestehen kann, hingearbeitet. Diesen Ruhm wird man den »Deutschen Blättern« ungekränkt lassen. Jetzt, da diese Neue Folge sich schließt, ist ihr letzter Wunsch: Segen und Heil dem theuern Vaterlande! Ihm haben sie gelebt und ihm gedient, ihm werden sie immer aufs innigste ergeben bleiben, und wenn längst ihre Stimme verhallt ist, wird der fernste Nachklang noch von Liebe und Treue für den heimatlichen Boden, für das deutsche Volk ertönen. Dieses Schlußwort, das sich dann noch weiter über die Zeitverhältnisse ausspricht, um »in diesen letzten Mittheilungen noch einmal die höchsten Angelegenheiten unsers Volks den Lesern ans Herz zu legen«, sagt nicht zu viel von dem Gehalte und der Wirkung der »Deutschen Blätter«; es war übrigens weder von Brockhaus noch von Hain, sondern auf deren Wunsch von einem Mitarbeiter verfaßt, wahrscheinlich von dem Professor Hasse in Dresden. Die »Deutschen Blätter« nehmen anerkanntermaßen eine der ersten Stellen ein unter den Organen der Presse, welche der Zeit der Befreiungskriege ihr Entstehen verdankten, zugleich aber selbst mannichfach fördernd auf die Zeit einwirkten. Diese Bedeutung weist ihnen auch Karl Hagen zu in seinen die eingehendste Schilderung dieser Zeitschriften enthaltenden und überhaupt sehr werthvollen zwei Aufsätzen: »Ueber die öffentliche Meinung in Deutschland von den Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen«.[58] Andere ähnliche Blätter waren: der »Rheinische Mercur« von Görres, die »Nemesis« von Luden, das weimarer »Oppositionsblatt«, die gothaer »Nationalzeitung der Deutschen«, die »Teutonia«, die »Kieler Blätter«. Die meisten derselben entstanden erst nach den »Deutschen Blättern« und verschwanden noch vor ihnen wieder vom öffentlichen Schauplatze. * * * * * Von allen Seiten waren den »Deutschen Blättern« patriotische Aufsätze zugeströmt, auch ohne directe Aufforderung der Redaction, und die Reihe der (meist indeß nicht genannten) Mitarbeiter der »Deutschen Blätter« ist eine ebenso mannichfaltige als stattliche. Einer der ersten und thätigsten Mitarbeiter war Karl August Böttiger in Dresden, der schon an der 1807 von Brockhaus in Amsterdam herausgegebenen Zeitschrift »_Le Conservateur_« sich betheiligte und mit ihm fortwährend in den lebhaftesten geschäftlichen und freundschaftlichen Beziehungen blieb. Ferner waren fleißige Mitarbeiter: Professor Pölitz, Professor Saalfeld, Karl Curths (der Historiker), Georgius (Karl Christian Otto), Baumgarten-Crusius, Villers, die Professoren Zeune in Berlin, Hasse in Dresden und Oken in Jena. August Wilhelm Schlegel und Friedrich Perthes schickten einzelne Beiträge. Auch die patriotische Dichtkunst war reich vertreten. Die »Deutschen Blätter« veröffentlichten wol zuerst die drei Gedichte Theodor Körner's: »Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?«, »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!« und sein letztes Sonett: »Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben«. Ferner brachten sie Dichtungen von Max von Schenkendorf, Matthias Claudius, Christian Graf Stolberg, Graf von Loeben, Friedrich Rückert. Brockhaus schrieb übrigens vielfach auch selbst in die »Deutschen Blätter«. Als Herausgeber machte er häufig sehr eingehende Anmerkungen zu den eingesandten Artikeln, bald über die in denselben besprochenen Gegenstände seine eigene Ansicht sagend, bald aus den Erlebnissen während seines Aufenthalts in Amsterdam, wo er vielfach mit Franzosen in Berührung gekommen war, Interessantes mittheilend. Am 23. März 1814 beginnt er eine längere Anmerkung zu einem Aufsatze über Napoleon folgendermaßen: In den »Deutschen Blättern« ist in Deutschland zuerst offen und frei und mit Kraft und Würde laut ausgesprochen worden: kein Friede mit Bonaparte. Die »Deutschen Blätter« haben es zuerst gewagt, den so finstern und blutdürstigen Charakter des Tyrannen zu enthüllen. Es war unterm Kanonendonner von Liebertwolkwitz, zwei Meilen von dem Kampfplatze, wo der wackere Wittgenstein die Hermanns-Schlacht von Leipzig einleitete, daß die ersten von den Blättern furchtlos gedruckt wurden. Ein prophetischer Glaube an das endliche Gelingen der guten Sache hatte den Herausgeber begeistert. Vielleicht wäre das Leben von Tausenden unserer tapfern Krieger, die in diesem heiligen Kreuzzuge gefallen sind, gespart worden, wenn die verbündeten Mächte schon damals oder doch am 21. December (1813) bei der ersten Ueberschreitung der französischen Grenze ritterlich und frei erklärt hätten, was jetzt Alexander am 31. März (1814) erst in der stolzen Hauptstadt aussprach: kein Friede mit Bonaparte .... Oefters verfaßte er aber auch selbständige Aufsätze für sein Blatt. Unter ihnen sei nur einer mit der Ueberschrift »Noch ein Wort über den Franzosenhaß« und dem ausdrücklichen Zusatze »Vom Herausgeber« hervorgehoben und auszugsweise mitgetheilt. Er ist Mitte Juli 1815 geschrieben, also nach der zweiten Niederwerfung Napoleon's, und vertheidigt die »Deutschen Blätter« gegen den Vorwurf eines zu leidenschaftlichen Franzosenhasses. Die wesentlichsten Stellen sind folgende: Es ist in diesen Blättern schon viel die Rede gewesen von der Erbärmlichkeit des Franzosenthums. Der gerechte Eifer gegen dasselbe macht einen Theil des Ruhms dieser Anstalt aus, die in der ersten schönen Zeit der Errettung vom heillosen Joche entstand, unter den Augen, auf Veranstaltung des hohen deutschen Feldherrn, der siegreich unsere Heldenscharen von der Elbe bis zur Seine führte, bis dahin, wo der letzte Ring der Kette zerbrochen ward, die uns so lange gefesselt hatte. Die »Deutschen Blätter«, die sich das Ziel gesetzt, jenen errettenden Kampf und seine Folgen mit aufmerksamem Blicke zu begleiten, viele große und herrliche Zeugnisse aus demselben für die Geschichte aufzubewahren, zu beharrlicher Ausdauer und unbeweglicher Treue in dem großen Werke der Befreiung zu erwecken und eine geläuterte, tief begründete Ansicht von demselben zu verbreiten, sie mußten auch oft mahnen an unser Elend, unsere Schmach, und auf die Ursachen und Veranlassungen unserer vieljährigen Leiden zurückweisen. Ein tiefer, aber gerechter Unwille mußte in diesen Mittheilungen sich aussprechen, sowol gegen die Urheber unsers Jammers und das ganze Franzosenthum als gegen die treulose, bundbrüchige und entartete Rotte, die mitten unter uns noch dem huldigt, was die Quelle unserer Entwürdigung und Erniedrigung gewesen ist. Diesem Bemühen haben nun die Bessern einen Beifall gegeben, der sich in dem Gedeihen unserer Anstalt, in der weitern und immer weitern Verbreitung der Theilnahme an derselben sehr erfreulich bewährte. Es war ebenso natürlich, daß die, deren Beschränktheit oder Schlechtigkeit hier oft gerügt ward, diese Blätter haßten und schmähten und es ihnen besonders zum Vorwurf machten, daß ein so bitterer Franzosenhaß in denselben sich ausspreche. Gegen diesen Franzosenhaß erheben sich denn auch von andern Seiten Stimmen, welche die alte Sünde zu beschönigen und bleibend zu erhalten versuchen, gegen deren Verfahrungskunst der Verfasser nun noch Ein Wort zu reden sich aufgefordert sieht, zumal man gerade seinen frühern Mittheilungen besonders jenen Vorwurf macht .... Was meinen doch die Herren, die sich berufen fühlen, den Franzosenhaß zu dämpfen und gegen ihn die alten stumpfen Waffen gern noch einmal schärfen möchten, was meinen sie denn mit dem Franzosenhaß? Den tiefen Unwillen nennen sie so, der die Bessern unsers Volks ergriffen über die zu lange geduldete Herrschaft des Franzosenthums, den gerechten Eifer gegen Sprache, Sitten und Moden eines Volks, das das entartetste in Europa, mit seinem äußern Wesen seine Schlechtigkeit übertüncht, nur Einfluß, Herrschaft erstrebt und durch beides unserm Volke und andern Völkern nur Verderben gebracht hat. Den gerechten Unwillen nennen sie so, der nicht ist von heute oder gestern, den wenige Erleuchtete und echte Vaterlandsfreunde schon seit hundert Jahren gegen jenes Volk genährt, der jetzt in den Tagen der Befreiung stärker und lauter sich kundgegeben; den gerechtesten Unwillen der Befreiten, wie früher der Unterjochten und Unterdrückten, gegen die, welche mit bösen Künsten und mit Gewalt die edelsten Güter des geselligen Lebens, Freiheit und Selbständigkeit, uns raubten und rauben wollten. Das, was zu allen Zeiten die edelsten Völker und alle freigeborene, großherzige Menschen gegen frevelhafte Unterdrücker, tyrannische Eroberer, freche Räuber und Schänder des Vaterlandes zum Kampf auf Leben und Tod begeisterte; dasselbe, was auch unser Volk bewegt, auch das letzte Zeugniß unserer Unterjochung und Alles, was dazu mitgewirkt, völlig auszutilgen: das nennt nun die Erbärmlichkeit Franzosenhaß und will mit diesem Namen das, was unsers Volks Ruhm und unserer Zeit Verherrlichung ist, in ein zweideutiges Licht stellen. Rechnet sich es doch mancher als hohe Weisheit und Gerechtigkeit an, daß er nicht so ungebührlich hasse ein liebenswürdiges Volk, von dem wir noch gar vieles lernen könnten -- absonderlich wol allerliebste Namen für scheußliche Laster (von denen manche erst in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch französische Emigranten und Soldaten in unsern unschuldigen Hütten bekannt geworden sind!) -- einen Muthwillen, dem nichts heilig ist, eine Gewandtheit, die Treue und Tugend entbehrlich macht; eine Feinheit, die nie Arges fürchten läßt und mit aller Höflichkeit des Nachbars Habe sich aneignet, den Hausfrieden zerstört und Alles dem Eigenwillen und eigener Leidenschaft unterordnet. Von diesem Volke sollen wir einfältige, schwerfällige Deutsche lernen und sollen wol auch noch beklagen, daß die trefflichen Lehr- und Zuchtmeister in Scharen über unsere Grenze getrieben wurden, und ihre lieblichen Fürsprecher möchten doch gar zu gern uns wieder in die Synagoge des Satans zurückführen. Darum preisen sie die Herrlichkeit französischer Sprache und Sitte und wollen es sogar nicht begreifen, daß, wer den Teufel ausgetrieben hat, auch alle sein Wesen und seine Werke ihm nachschleudern muß, damit er auch nicht einen Fuß breit Land finde, das ihm noch gehöre und von dem aus er das alte Verführungsspiel wieder anfangen kann, daß es hernach schlimmer werde denn zuvor. Wie wenig begreifen doch diese, die sich wol gar Patrioten nennen, den Geist und das Streben dieser Zeit und unsers Volks! An ihren Augen ist es vorübergegangen wie ein Nebel und an ihren Ohren wie rauschender, sinnloser Mislaut, daß die Zeit erschien, da in Europa der gute Geist über den bösen den Sieg gewinnen und die Werke des bösen völlig zerstören sollte. Aus Blindheit des Geistes oder des Herzens oder beider reden sie dem das Wort, gegen den Deutschland, Europa sich gerüstet und rüstig gekämpft hat, und scheinen es gar nicht zu ahnden, wie sie mit ihrer Allerweltsklugheit eigentlich nur die ersten Ringe der Kette wieder schmieden, die unter höherer Leitung glücklich zerbrochen ward. Aber sie werden darüber selber zu Schanden, und nimmer kann es ihrer Schwachheit gelingen, einen kräftigen Unwillen, der nur zu gerecht ist, hinwegzuschwatzen, ob sie auch all ihren Witz aufbieten und alle aus Einem Tone heulen, wie denn die Flachheit überall sich selber begegnet und auch dadurch in ihrem Wahne sich bestärken läßt .... Was ist überhaupt Haß, den ein edler Mensch im Busen trägt? Der tiefe, nie erkaltende Widerwille ist es, den er gegen alles Böse, alle Schlechtigkeit und Treulosigkeit empfindet, der ernste, beharrliche Widerstand gegen Alles, was den Menschen entehrt, das der edle Mensch um so bitterer fühlt, je höher seine Achtung des Reinmenschlichen ist, ein Widerwille, der sich auch gegen den Bösen, Schlechten und Treulosen in der sorgfältigen Vermeidung aller nähern Gemeinschaft und vertraulichern Annäherung ausspricht, ein Widerstand, der jedem Einflusse des durch seine Grundsätze wie durch seine Handlungen dem Bösen Ergebenen entgegentritt und ihm wehrt und darum selbst das scheinbar Gute verwirft, das aus jenem Einflusse stammen könnte. Das ist auch der Franzosenhaß, der Widerwille gegen die ungeheuere Entartung, Sittenlosigkeit und Treubrüchigkeit dieses Volks, gegen den fürchterlichen Leichtsinn, der mit allem Heiligen spielt; der Widerstand gegen jeden Einfluß der Grundsätze, der Sitten und Gewohnheiten desselben wie seiner Unternehmungen; ein Widerwille, der alle nähere Gemeinschaft mit den Franzosen, alle vertrauliche Annäherung scheut und vermeidet; ein Widerstand, der allem französischen, durch menschenentehrende Grundsätze verpesteten französischen Wesen sich entgegenstellt und darum selbst das scheinbar Gute oder das wirklich Günstige, was von dorther kommen könnte, verwirft, weil dem Bösen aller und jeder Einfluß abgeschnitten werden muß. Es äußert sich der Franzosenhaß, wie jeder gesunde, gerechte Haß, in einem kräftigen Widerstreben gegen das, was des Hasses würdig, und er ist am tiefsten da, wo die mächtigste Liebe, Liebe des Vaterlandes, der Wahrheit, der Freiheit, und mag da nicht sein, wo diese Liebe nicht ist .... Wir aber werden hassen das Arge, so lange es arg ist, und uns schämen, die Farbe derer zu tragen und die Sprache derer zu reden, die ihre Farbe und Sprache vor den Augen von ganz Europa geschändet haben. Es soll keine vertrauliche Gemeinschaft sein zwischen ihnen und uns, weil ihr Wesen nicht zu dem unsern stimmt, ihre Falschheit zu unserer Ehrlichkeit keine Verwandtschaft hat und weil böse Gesellschaft nicht blos gute Sitten verdirbt, sondern auch einen Makel aufheftet jedem, der sich zu ihr hält. Sage man nicht, daß solcher Haß unchristlich sei; man müsse das Böse hassen, aber nicht den Bösen. Das Böse in den Franzosen ist es ja eben, das wir hassen, dem wir widerstreben. Um es fern von uns zu halten, müssen wir die Franzosen abwehren. Aber so tief unser Haß ist, so misgönnen wir ihnen doch gewiß nicht irgendein Glück, das ihnen ihr Vaterland gewähren mag, so sind wir doch nur so lange ihre Feinde, als sie übermüthig, schnöde und ruchlos, aller Orten Befriedigung ihrer Eitelkeit, unsere Erniedrigung suchen und mit schlechten Künsten die Welt verführen. Was vorherrschender Charakter des französischen Volks ist, das hassen wir; dem Einzelnen aus ihm, dem Mittheilenden, Gebeugten, Hülfsbedürftigen versagen wir keinen Trost, keine Freundlichkeit, keine Hülfe, wodurch sein Elend gelindert werden kann, ohne daß zugleich seine Eitelkeit oder Bosheit Nahrung finde. Ein unchristlicher Haß liegt nicht in uns; wir würden uns freuen, wenn Frankreich, weiser geworden, auf rechtem Wege sein Glück suchte; wir würden nachbarlich ihm die Hand bieten, und aller Haß würde schwinden, wenn es ein frommes, züchtiges, friedliches, genügsames, treues Volk würde. Bis dahin ist keine Gemeinschaft zwischen ihm und uns. Besonders lebhaften Antheil nahm Brockhaus auch an der Frage der Zukunft Sachsens, die den Wiener Congreß so lange beschäftigte und erst durch Napoleon's plötzliches Wiedererscheinen zu einem raschern Abschluß gelangte. Er war entschieden gegen die Theilung Sachsens, die doch endlich beschlossen wurde, und sagte in einer Note zu einem »Wahrhaftigen Bericht über die gegenwärtige Stimmung des Volks in Sachsen, von einem Eingeborenen«: An dumpfe starre Verzweiflung grenzt seit der Todesnachricht aus Wien vom 10. Februar (1815), welche aus den berliner Zeitungen in alle öffentlichen Blätter übergegangen, die Stimmung des guten sächsischen Volks. Die Geschichte wird diese Handlung richten -- wir Lebenden dürfen es leider nicht öffentlich. Um so empörter war Brockhaus, als in einer in München erschienenen Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, gesagt war, daß die beiden leipziger Buchhändler Rein und Gerhard Fleischer »mit dem bekannten Brockhaus in Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer Schriften gegen ihren rechtmäßigen König einen edeln Wettstreit begonnen haben«. Er erließ deshalb in den »Deutschen Blättern« folgende Erklärung: Erst durch die Anzeige des Herrn Gerhard Fleischer in Nr. 231 der »Leipziger Zeitung« erfahre ich das Dasein der in München wieder erschienenen Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, und der mich nebst andern Buchhändlern darin betreffenden Stelle, welche diese und mich der »Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer Schriften gegen ihren rechtmäßigen König« beschuldigt. Bei näherer Untersuchung fand ich, daß diese Schrift aus derselbigen Quelle komme, welcher wir die »Allemannia«, die sogenannten »Sächsischen Actenstücke« und andere Schriften gleichen Charakters verdanken. Ob man es daher gleich für eine Ehre halten könnte, von dieser im Finstern schleichenden süddeutschen Bande, an deren Spitze bekanntlich der berüchtigte Aretin steht und deren Geschäft es ist, Mistrauen zwischen Fürsten und Unterthanen, Haß zwischen den deutschen Volksstämmen und Zwietracht unter unsern Regierungen zu erregen, derselben Bande, welche nicht damit zufrieden war, dem seelenlosesten Despotismus in den traurig furchtbaren Jahren von 1806 bis 1813 das Wort zu reden, sondern den Despoten zu noch größerer Tyrannei durch die bekannte Anklage aller Protestanten und des Protestantismus selbst anzuregen suchte, und namentlich mehrere edle Männer aus unserer eigenen Mitte, welche die liberale Landesregierung zu sich geladen hatte, als Aufrührer und Anführer bezeichnete; derselben Bande, welche, in die Hoffnungen aller bessern Menschen ihre Drachenzähne säend, sogar die Geschichte und Völkerehre wie die Völkerruhe zu einer Metze macht, indem sie, nur um Deutsche gegen Deutsche zu empören, eine Reihe der schändlichsten Pasquille erfindet, denen sie das Prädicat »Actenstücke« gibt, und den Namen des edeln sächsischen Volks damit in Verbindung bringt -- man könnte, sage ich, es für eine Ehre halten, von dem Wortführer dieser neuen Obscuranten und Pasquillanten geächtet zu werden: dennoch glaube ich auf jene bestimmt ausgesprochene Anklage, gleich Herrn Gerhard Fleischer, erwidern zu müssen, daß in meinem Verlage keine einzige Schrift erschienen ist, welche auf irgendeine Weise die sächsischen Angelegenheiten in den Jahren 1813, 1814 und 1815 nur berührt, und daß ich ebenso wenig von irgendeiner der Schriften, welche über diesen Gegenstand für und wider erschienen, mehr als ein Exemplar, und dies zu meiner eigenen Lesung oder literarischen Benutzung, zu beziehen gewohnt gewesen bin, noch weniger aber eine Schrift dieser Art »verbreitet« habe. In den von mir herausgegebenen »Deutschen Blättern« ist, dem Charakter dieses Instituts gemäß, allerdings, wie es in allen deutschen politischen Zeitschriften geschehen, diese Angelegenheit für und gegen debattirt worden, allein immer mit Bescheidenheit, Würde und Anstand, und ich darf es in Wahrheit sagen, daß ich eine Menge anzüglicher Aufsätze, die auf irgendeine Weise kränken oder erbittern konnten, unterdrückt oder zurückgesandt habe. Den Verfasser der beredtesten und gründlichsten Schrift für das Interesse Sr. Maj. des Königs, der »_Lettre à un Saxon_«, in der ich einen meiner Freunde zu entdecken glaubte, habe ich selbst eingeladen, in den »Deutschen Blättern« seine politische Ansicht zu verfolgen. Was wirklich am Ende geschehen ist, haben die »Deutschen Blätter« immer als das größte Unglück dargestellt und damit auch die Empfindung und Ansicht ihres Herausgebers, der übrigens in keinem Unterthanenverhältnisse zu Sr. Maj. dem Könige von Sachsen steht, ausgesprochen. Altenburg, 28. November 1815. Brockhaus. In gleicher Weise interessirte sich Brockhaus persönlich für die damals lebhaft verhandelte Frage der Wiedererwerbung von Elsaß und Lothringen für Deutschland, welche wie die von den »Deutschen Blättern« ebenfalls warm befürwortete Wiederherstellung des deutschen Kaiserthums und des Deutschen Reichs erst über ein halbes Jahrhundert später gelöst werden sollte. Er brachte einen trefflichen Aufsatz darüber von Professor Zeune in Berlin: »Elsaß und Lothringen für Deutschland durchaus nothwendig«, und schrieb dem Verfasser bei Uebersendung einer Anzahl Abdrücke unterm 30. Mai 1814: Leider fürchte ich wie alle Deutsche von Umsicht und Beurtheilung, daß man diese beiden herrlichen, uns von Ludwig XIV. gestohlenen Provinzen nicht zurückfordern wird. Ueberhaupt wer ist nicht indignirt über die Complimente, die in Paris mit dem übermüthigen Volke und den Helfershelfern Napoleon's gemacht werden? Es ist sehr schade, daß gerade in Paris die Unterhandlungen geleitet werden, wo Weiber und Sinnlichkeiten aller Art ins Werk gesetzt werden, die Fürsten und die leitenden Personen zu berücken. In Hamburg, in Moskau, in Wittenberg, wo jeder Blick und Schritt an die Unthaten der französischen Hunde erinnert, da sollte der Sitz des Congresses sein! Ich habe Krausen gebeten, es mit Ihnen zu überlegen, wie den »Deutschen Blättern« in Berlin und im preußischen Staate ein größeres Publikum gewonnen werde. In Hannover setzen wir sechsmal so viel ab als im ganzen preußischen Staate. Seien Sie ferner für unser patriotisches Institut thätig! Außer den früher erwähnten Gründen bestimmten ihn indeß auch die Censuranfechtungen, die mit der beginnenden Reactionszeit wieder ebenso hinderlich auftraten wie bei Beginn der »Deutschen Blätter«, dazu, das Blatt aufzugeben. Schon ein Jahr, bevor er diesen Entschluß ausführte, im Frühjahre 1815, schrieb er an Professor Koethe in Jena aus Anlaß des vorher erwähnten Aufsatzes der »Deutschen Blätter« über die Stimmung in Sachsen bei der drohenden Theilung des Landes: Der Censor chicanirt mich außerordentlich, und wenn's so fortgeht, muß der Druck hier aufhören. Von Dresden aus ist bei unserer Regierung (Altenburg) Klage eingelaufen über einen Aufsatz, durch den der König persönlich sich sehr beleidigt fühlt. Es war behauptet worden, des Königs Pflicht wäre es gewesen, lieber ganz zu verzichten, als die Theilung seines Landes zuzulassen. Um sich nun über den Verdruß, den der Censor über jene Angelegenheit hat, zu rächen, streicht er mir Alles, was ihm nur einigermaßen frei und dreist erscheint. Insbesondere ist er Oken's Aufsätzen gram. Ich weiß nicht, wie das werden soll. Noch unmuthiger schreibt er unterm 20. Februar 1815 an seinen Freund Hasse, damals Professor am Cadettenhause zu Dresden: Ihre Empfindungen über die Zerreißung Sachsens, die nun gestern durch das Extrablatt der »Leipziger Zeitung« zum Vollen bestätigt sind, wird jeder redliche Sachse und Deutsche theilen, das Unglück des Landes aber vorzüglich auf Oesterreich wälzen müssen, dessen einseitige Hartnäckigkeit schuld an der Theilung ist. Ich werde die »Deutschen Blätter« jetzt bestimmt mit dem sechsten Bande eingehen lassen. Die Theilung Sachsens hat mir alle Lust an dem Politischen geraubt; dazu kommt die beengte Preßfreiheit und die Unmöglichkeit, sich irgendwo mit Energie und Wahrheit über die wichtigsten Angelegenheiten, soweit sie uns in der Nähe betreffen, aussprechen zu können. In dem Schlußblatte möchte ich gern einen feierlichen Abschied von meinem Publikum nehmen, und ich lade Sie ein, mir dazu Ihre Feder mit zu leihen. Zuerst wäre ein Blick auf die Zeit zu thun, die den »Deutschen Blättern« vorhergegangen; dann der Augenblick des Kampfes im October zu beschreiben, die Hoffnungen und Wünsche, welche die Erhebung aller deutscher Völkerschaften bei Jedermann erweckte, der Gang des Kriegs, der endliche Triumph. Was durften die Deutschen jetzt erwarten? Getäuschte Hoffnungen jeder Art, wie sie sich entwickelten: in der Hauptstadt des Feindes wurden deutsche Völkerstämme ihm verrätherisch übergeben, und was uns von den Bourbonen vor hundert Jahren schändlich geraubt wurde, die Vormauer Deutschlands, der Elsaß, wurde nicht zurückverlangt; die uns schändlich abgepreßte Contribution wurde nicht restituirt, unsere Krieger litten in der Hauptstadt des Feindes den bittersten Mangel und waren fast ohne Verpflegung; unsere Kunstwerke blieben im Besitz der Uebermüthigen. Es erfolgte keine Versöhnung zwischen den Siegern und Besiegten. Blicke auf den Congreß. Abermalige Hoffnungen. Abermalige Täuschungen. Unterdrückte Preßfreiheit in Deutschland. Man kann seinem gepreßten Herzen keine Luft machen, der Censor steht einem ängstlich zur Seite und verschneidet jedes kräftige und treffende Wort. Wir haben den Franzosen Preßfreiheit errungen, denn nach England und Holland ist sie in Frankreich am liberalsten, aber für uns selbst ist sie nicht da. So also kann kein politisches Blatt anders als zu eigener Schande bestehen. Dies wären einige der Ideen, die meiner Meinung nach hier ausgesprochen werden könnten. Viele andere werden Ihnen noch einfallen. Ich möchte, daß das Ganze einen Bogen füllte. Hasse antwortete darauf am 26. Februar: Ich glaube Ihnen gern, daß Ihnen die Lust vergangen, die »Deutschen Blätter« fortzusetzen. Der Gang der Dinge schlägt die frohesten Erwartungen nieder. Ihre Ideen über den Schluß sind trefflich, aber ich fühle in mir so wenig Beruf, und meine Zeit ist so beengt, daß ich, so sehr ich den verlangten Schlußaufsatz für nöthig halte, dennoch denselben unmöglich übernehmen kann. Ich lege deshalb das Blatt Ihres Briefs, der dieselben so trefflich entwickelt, hier bei. Damals hatten der Wiederausbruch des Kriegs infolge Napoleon's Flucht von der Insel Elba und die darauffolgenden Ereignisse die Absicht, die »Deutschen Blätter« aufhören zu lassen, in den Hintergrund gedrängt. Aber nach der raschen Beendigung dieses zweiten Abschnitts des Kriegs und während der Verhandlungen über den zweiten Pariser Frieden, nachdem sogar im Sommer dieses Jahres eine Nummer der »Deutschen Blätter« wegen eines Aufsatzes: »Auf einmal Preußen und Franzosen Freunde«, confiscirt worden war, faßte Brockhaus diese Idee wieder näher ins Auge. Am 4. November desselben Jahres (1815) schreibt deshalb Brockhaus wieder an Koethe: Die »Deutschen Blätter« werde ich bestimmt zu Ostern schließen. Die Bedingungen der Censur, die ängstliche Rücksicht, die allenthalben genommen wird, der Mangel an Einsicht in die politischen Interessen Deutschlands, die hinkende Theilnahme des Publikums jetzt, wo die Hauptfragen entschieden sind, und die ungeheuere Schererei bei geringer Belohnung veranlassen mich dazu. Dem Drucker des Blattes, Pierer in Altenburg, meldete er am 2. December 1815, daß er die Auflage, die bei Beginn 4000 und mehr Exemplare betrug, auf 1100 ermäßigen wolle. Noch eingehender spricht er sich über das Aufhören des Blattes in einem am 9. März 1816 an Oken gerichteten Briefe aus, der zugleich interessante Mittheilungen über literarische Verhältnisse enthält: Auch mir thut es herzlich leid, das allerdings interessante und mir selbst unendlich lieb gewesene Institut der »Deutschen Blätter« eingehen lassen zu müssen. Ich sehe mich aber dazu gezwungen. Aus der Ueberzeugung, daß bei ihrem sehr verminderten Absatz -- da ich Ihnen versichern kann, seit einem Jahre das volle Drittel der noch zu Anfang des vorigen Jahres stattgefundenen Zahl der Abnehmer verloren zu haben, wobei ich noch nicht in Anschlag bringen kann, was mir auf der Messe wird zurückgegeben werden -- ihre Wirksamkeit in dieser Form nicht von der Art ist, als sie auch bei den mäßigsten Ansprüchen sein sollte. Die Erscheinung eines so verringerten Absatzes, da die Blätter an sich tüchtigen Inhalts sind, muß Jedem allerdings auffallend sein, der das deutsche Publikum nicht aus Erfahrung in dieser Hinsicht kennt und der nicht weiß, daß der Werth besonders eines politischen Blattes für den Absatz in Deutschland nie entscheidend ist. So z. B. wenn ich Ihnen versichere, daß von der »Allgemeinen Zeitung«, wie ich in der Officin derselben erfahren habe, nicht mehr als 2000 Exemplare gedruckt werden, während der »Nürnberger Correspondent« (ein gegen jene elendes Blatt) gewiß das Doppelte absetzt, und nur Cotta's große Kapitale, sein Stolz und seine Consequenz, auch ohne Vortheil ein Institut fortzusetzen, dessen Nützlichkeit er einmal erkannt hat -- eine Consequenz, die aber nur einem Manne wie ihm möglich ist -- bestimmen denselben, dieses Institut, das ihm ungeheuere Summen kostet und bei welchem er meinem Urtheile nach wenig oder nichts verdient, nicht untergehen zu lassen. An vielen Orten sind die »Deutschen Blätter« abbestellt oder gehen in so geringer Anzahl dorthin, daß daraus abzunehmen ist, wie wenig Interesse das Publikum für sie noch zeigt. So gebraucht z. B. die thätigste Buchhandlung in Prag, die von andern Artikeln, welche die Zeit berühren, leicht funfzig und mehr Exemplare absetzt, nur ein einziges Exemplar, und ich erhalte posttäglich neue Abbestellungen für den nächsten Band, von dem man meint, daß er noch erscheinen werde. Von sämmtlichen Journalinstituten in Deutschland gedeiht überhaupt keins mit eigentlichem Glück, und die meisten derselben erhalten sich nur dadurch, daß ihre Redacteure und Herausgeber zugleich die Haupt- oder einzigen Ausarbeiter derselben sind, daß sie also nicht an Andere etwas zu bezahlen nöthig haben und sich mit einer kleinen Ausbeute begnügen können. So schreibt oder übersetzt Herr Bran seine »Minerva« und »Miscellen« ganz allein selbst, oder er zahlt für etwaige kleine Mithülfe höchstens 3 Thlr. per Bogen; so ist Professor Voß in Halle der alleinige Verfasser der auch von ihm selbst verlegten »Zeiten«, und mir ist von den Commissionären desselben versichert worden, daß nicht 400 Exemplare von diesem Journale debitirt werden, ein Absatz, mit dem man einzig bei einem so hohen Preise und dann eben auskommen kann, wenn man zugleich noch alleiniger Verfasser und Selbstverleger ist. Die Bertuch'schen Journalinstitute erhalten sich gewiß einzig durch das fabrikmäßige Bearbeiten derselben und durch den Antheil, welchen Vater und Sohn selbst daran nehmen. Brockhaus hatte bei Aufgeben der »Deutschen Blätter« eine directe Fortsetzung derselben beabsichtigt, doch kam sie aus Gründen verschiedener Art wenigstens nicht in der zuerst beabsichtigten Weise zu Stande. Diese Fortsetzung sollte den Titel: »Encyklopädische Blätter« führen und von Professor Oken in Jena, einem Hauptmitarbeiter der »Deutschen Blätter«, herausgegeben werden. Das oben auszugsweise mitgetheilte Schlußwort der »Deutschen Blätter« hat deshalb die Ueberschrift: »Schluß dieser und Ankündigung der 'Encyklopädischen Blätter'« und theilt zugleich das Programm des neuen Blattes mit. Das erste Heft desselben wurde auch bereits im August 1816 mit der Jahreszahl 1817 ausgegeben (es trägt am Fuße der ersten Seite die eigenthümliche Notiz »Kundt am 1. August 1816«), aber unter dem veränderten Titel: »Isis oder Encyklopädische Zeitung von Oken«. Diese bekannte Zeitschrift, welche dann bis zum Jahre 1848 erschien und abwechselnd bald Eigenthum des Herausgebers Oken, bald der Firma F. A. Brockhaus war, ist also aus den »Deutschen Blättern« hervorgegangen, hat aber freilich nicht viel von denselben beibehalten. In jenem Schlußwort ist zwar direct gesagt: das neue Blatt sei »gewissermaßen das Kind der 'Deutschen Blätter', und die Mutter solle darin, wenngleich nur in einem kleinen Kämmerlein, fortleben«; allein dieses »Kämmerlein«, die politische Abtheilung, war sehr klein und wurde später ganz geschlossen, wie auch der Nebentitel »Encyklopädische Zeitung« bald wegfiel. Hingegen nahmen die Naturwissenschaften von Anfang an den größten Theil des Raums ein. Die »Isis« wird in der folgenden Periode von Brockhaus' Verlagsthätigkeit in ihrer eigenthümlichen Gestalt und Geschichte vorgeführt werden; nur ihre Entstehungsgeschichte war hier zu erwähnen. * * * * * Die »Deutschen Blätter« bilden, von ihrer Stellung und Bedeutung in der Geschichte der deutschen Zeitungspresse abgesehen, auch ein wichtiges Glied in Brockhaus' Verlagsthätigkeit während der altenburger Periode. Sie boten ihm Gelegenheit, auf die politische Gestaltung Deutschlands einzuwirken und sich so auch persönlich an der großen Zeit der Freiheitskriege mit zu betheiligen; sie brachten ihn in nähere Beziehungen zu den besten politischen Schriftstellern seiner Zeit, die er dann für seine übrigen Unternehmungen an sich zu fesseln wußte; sie gaben endlich seinem ganzen Verlage für die nächste Zeit eine bestimmte politisch-nationale Richtung, wiewol diese bei der Vielseitigkeit seines Geistes und gegenüber den schon früher von ihm gepflegten Gebieten der Literatur keine ausschließliche blieb. Als patriotischer Buchhändler nimmt der Herausgeber der »Deutschen Blätter« in der Geschichte der Jahre 1813-1815 jedenfalls eine ehrenvolle Stelle ein. 4. Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. Neben der Herausgabe der »Deutschen Blätter« und der vor dieser geschilderten Wirksamkeit auf fast allen Gebieten der Literatur widmete sich Brockhaus während der in Altenburg verlebten Jahre in besonders reger Weise dem Verlage von geschichtlichen und encyklopädischen Werken kleinern und größern Umfangs. Diese Thätigkeit umfaßt drei Gruppen, wovon die erste politische Zeitbroschüren, die zweite größere geschichtliche Werke, die dritte vorzugsweise das »Conversations-Lexikon« betrifft. * * * * * Die erste Gruppe, die der politischen Zeitbroschüren, schließt sich mehr oder minder an die »Deutschen Blätter« an. * * * * * Als Brockhaus von dem kurzen Ausfluge, den er unmittelbar nach der Schlacht bei Leipzig unternommen hatte, aus Berlin nach Leipzig zurückkehrte, fand er daselbst ein Manuscript vor, das ihm August Wilhelm von Schlegel geschickt hatte, und gleichzeitig schon einen Mahnbrief desselben aus Göttingen vom 3. November. Der letztere lautet: Ew. Wohlgeboren habe ich am 28. October von Mühlhausen das Manuscript meiner »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung vom 5. October« in französischer Sprache zugeschickt, und zwar _par estafette_. Ich rechne mit Zuversicht darauf, daß das Packet richtig in Ihre Hände gelangt ist, und daß Sie es sogleich werden gedruckt haben. Ich erwarte die Ankunft der 100 Exemplare mit Ungeduld, und sollten selbige bei Ankunft dieser Zeilen noch nicht abgesandt sein, so bitte ich selbige alsbald ebenfalls _par estafette_ an mich zu befördern. Es ist aber dabei zu bemerken, daß ich jetzt drei bis vier Tage hier bleiben, und erst alsdann wiederum in das Hauptquartier des Kronprinzen von Schweden abgehen werde. Das hiesige Postamt müßte also angewiesen werden, sich erst zu erkundigen, ob ich noch hier bin, und erst wenn es das Gegentheil erfahren, das Packet weiter in das Hauptquartier zu senden. Die Auslage der Estafette habe ich Ihnen verursachen müssen; darüber werden wir uns schon vergleichen. Jetzt bin ich mit Anordnung der »Aufgefangenen Briefe« beschäftigt, worüber Sie nächstens das Nähere hören werden. Ich bitte auch um eine Anzahl Exemplare von dem neuen Abdruck der Schrift »_Sur le système continental_« und der Betrachtungen »Ueber die Politik der dänischen Regierung«, sobald diese fertig sind. Ich wiederhole es, daß Sie mich unendlich verbinden werden, wenn Sie die »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung« auf das schleunigste in meine Hände gelangen lassen. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ew. Wohlgeboren ergebenster A. W. v. Schlegel. Inzwischen schrieb ihm auch Karl Peter Lepsius (der Alterthumsforscher, Vater des Aegyptologen) aus Naumburg: Eilen Sie doch, Freund, daß das Manuscript von Schlegel gedruckt wird, um es durch die Colonne der dresdener Besatzung, die in den nächsten Tagen hier durchgehen wird, nach Frankreich zu bringen. Sie erhalten sonst nichts wieder von Schlegel. Warum haben Sie es nicht in Naumburg drucken lassen, da bin #ich# Censor! Allerdings hatte Brockhaus auch bei dieser Schrift trotz ihres officiösen Charakters Censurnöthe, wie aus folgendem Schreiben hervorgeht, das er unterm 8. November an Freiherrn von Miltitz, Chef der Ersten Section des Generalgouvernements in Leipzig, richtete, denselben, gegen den er sich kurz vorher, am 28. October, schon über die Censur bei den »Deutschen Blättern« ohne Erfolg beschwert hatte: Der Unterzeichnete hat die Ehre, Ew. Hochwohlgeboren ein Manuscript mitzutheilen, welches er per Stafette von Herrn A. W. von Schlegel, Geh. Cabinetssecretär Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen von Schweden, aus dem Hauptquartier des Letztern mit dem Auftrage erhalten hat, solches nebst einer deutschen Uebersetzung hier sogleich drucken zu lassen, und von beiden alsdann 100 Exemplare ins Hauptquartier Sr. königl. Hoheit wieder per Stafette an ihn zu senden. Ew. Hochwohlgeboren finden in den beiden Originalanlagen, den Briefen des Herrn von Schlegel, die Belege hierüber. Der Unterzeichnete hat nicht gesäumt, dem politischen Censor Herrn Hofrath Brückner die gedachte Schrift zur Censur vorzulegen, welche dieser indessen ablehnt, und ihn dieserhalb an Ew. Hochwohlgeboren verweist. Der Unterzeichnete erbittet sich daher das Imprimatur von Ew. Hochwohlgeboren oder, im Falle, daß es geweigert werden möchte, eine schriftliche Resolution, um sich mit dieser gegen Herrn von Schlegel (von dem in den Verhältnissen, worin er zu Sr. königl. Hoheit dem Kronprinzen von Schweden steht, anzunehmen, daß er diese Schrift nur mit der speciellsten Autorisation desselben zum Druck befördert) legitimiren zu können. Da durch die zufällige Abwesenheit des Unterzeichneten diese Angelegenheit schon um mehrere Tage verspätet worden, so bittet er Ew. Hochwohlgeboren dringendst und ergebenst, ihm noch heute darüber eine Resolution mitzutheilen. Die Schrift erhielt trotzdem nicht das Imprimatur der sächsischen Behörden, und Brockhaus ließ sie deshalb in Altenburg drucken, ohne sie dort erst nochmals dem Censor vorzulegen. Sie führt den Titel: »_Remarques sur un article de la Gazette de Leipsic du 5 Octobre 1813_«, und erschien gleichzeitig auch in einer deutschen Uebersetzung unter dem erweiterten Titel: »Ueber Napoleon Buonaparte und den Kronprinzen von Schweden, eine Parallele in Beziehung auf einen Artikel der Leipziger Zeitung vom 5. October 1813, von August Wilhelm Schlegel.« Verlagsort und Verleger sind auf beiden Ausgaben nicht angegeben. Eine 1814 erschienene »zweite vermehrte Auflage« der deutschen Ausgabe enthält einen mit B. (Brockhaus) unterzeichneten »Vorbericht des Herausgebers«, in welchem der betreffende Artikel der »Leipziger Zeitung« mitgetheilt und der Herzog von Bassano (Maret), Staatssecretär Napoleon's als dessen Verfasser bezeichnet wird. Die beiden andern von Brockhaus noch vor dieser verlegten Schriften Schlegel's, die in des Letztern Briefe erwähnt sind, waren gleichfalls in französischen und deutschen Ausgaben ohne Angabe von Verlagsort und Verleger erschienen, unter den Titeln: »_Considérations sur la politique du gouvernement danois. Par A. W. S._«, deutsch: »Betrachtungen über die Politik der dänischen Regierung. Von August Wilhelm Schlegel«, und: »_Sur le système continental et sur ses rapports avec la Suède_«, deutsch: »Ueber das Continentalsystem und den Einfluß desselben auf Schweden von A. W. S.« August Wilhelm von Schlegel (geb. 1767, gest. 1845) begleitete bekanntlich, nachdem er seit 1809 als schwedischer Legationssecretär in Stockholm gelebt hatte, 1813 den Kronprinzen von Schweden nach Deutschland und war als dessen Geh. Cabinetssecretär besonders mit Abfassung von Proclamationen, Armeeberichten und politischen Broschüren, wie den eben erwähnten, beschäftigt. Eine andere noch Ende 1813 bei Brockhaus erschienene Broschüre unter dem Titel: »Aufgefangene Briefe durch die leichten Truppen der verbündeten Heere. Französisch und Teutsch«, wurde nach Schlegel's oben mitgetheiltem Schreiben ebenfalls von diesem zusammengestellt und herausgegeben. Laut dem Vorwort sind es Auszüge aus mehrern tausend in einem französischen Felleisen vorgefundenen Briefen, das am 12. September 1813 auf der Straße von Leipzig nach Wurzen in die Hände von Parteigängern gefallen war. * * * * * Außer diesen Schlegel'schen Broschüren verlegte Brockhaus aber, besonders im Laufe des ersten Halbjahrs nach der Schlacht bei Leipzig, noch eine ganze Reihe von Zeitbroschüren politischen oder kriegsgeschichtlichen Inhalts. Bei einer Ankündigung derselben in den »Deutschen Blättern« hob er hervor, daß ihr Erscheinen erst »seit der an den Tagen vom 16.-19. October wiedereroberten Preßfreiheit« möglich geworden sei. Am 26. März 1814 schrieb er in gleichem Sinne an seinen Freund Villers in Göttingen: Man muß die vielleicht kurze Zeit unserer Preßfreiheit brav benutzen. Späterhin könnte man uns wieder ein Schloß ans Maul hängen. So veranstaltete er im März 1814 einen neuen Abdruck der vielgenannten Schrift, wegen deren Verbreitung der nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm auf Napoleon's Befehl am 26. August 1806 zu Braunau erschossen worden war, unter dem Titel: »Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung. (Neuer wörtlicher Abdruck der Schrift, wegen welcher Palm 1806 auf Befehl des Kaisers Napoleon zum Tode verurtheilt wurde.) Mit einer Vorrede des jetzigen Herausgebers.« Als »Seitenstück« dazu veröffentlichte er gleichzeitig: »Sündenregister der Franzosen in Teutschland. Ein Seitenstück zu der Schrift: Teutschland in seiner tiefen Erniedrigung«, mit dem Motto von Johannes Müller: »Gesetzmäßige Regenten sind heilig: daß Unterdrücker nichts zu fürchten haben, ist weder nöthig noch gut«, und mit der Bezeichnung: »Germanien, im Jahre der Wiedergeburt«, ohne sonstige Angabe von Verlagsort, Verleger und Jahreszahl. Auch zwei poetisch-patriotische Producte verlegte er: »Die Erlösung Deutschlands im Jahre 1813. Ein National-Singspiel« (auf dem Titel steht: »Braunschweig, 1814. Gedruckt bei Friedrich Vieweg«, doch war die Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, Verlag von Brockhaus), und: »Deutschland im Schlaf (geschrieben 1809) und Deutschlands Morgentraum und Erwachen. Zwei politische Possenspiele«, ebenfalls anonym, verfaßt von Karl Georg Treitschke in Leipzig (geb. 1783, gest. 1855 als Geh. Justizrath in Dresden). * * * * * Eine Anzahl anderer Broschüren ist direct gegen die Person Napoleon's gerichtet. In erster Linie ist hier die schon früher erwähnte, von Villers und Saalfeld verfaßte Schrift zu nennen, die anonym unter dem Titel: »Hundert und etliche Fanfaronaden des Corsikanischen Abentheurers Napoleon Buona-Parte Ex-Kaisers der Franzosen. _Cum notis variorum_«, im Juni 1814 erschien. Eine zweite ähnliche Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, heißt: »Federstreiche oder Lebenslauf des Ex-Kaisers der Franzosen in drei Büchern: Epigrammen«; das Schlußepigramm lautet: Du ließest Blut, ich Tinte fließen, Schwarz hast Du Dich, nicht ich gemacht, Spar' nun mein Blut und Deine Macht, Und laß mich nicht erschießen. Eine dritte gegen Napoleon gerichtete Schrift erschien ebenfalls anonym gleichzeitig französisch und deutsch unter den Titeln: »_Lettre d'un Anglois sur Napoléon Buonaparte et le surnom le grand, qu'on lui a donné, avec la traduction allemande_«, und: »Briefe eines Engländers über Napoleon Bonaparte, und den Beinamen der Große, welcher ihm beigelegt worden ist.« Endlich gehört hierher noch eine geistvolle Satire: »Die Oriflamme oder der Pariser Enthusiasmus unter Napoleon dem Großen, Kaiser der Franzosen, eine Sammlung merkwürdiger, vor der Aufführung dieser Oper in Paris gewechselter Briefe; als ein Beytrag zu der französischen Kunst, das Volk gegen sein eignes Herz und seinen Verstand zu bearbeiten.« Sie trug auf dem Titel einen fingirten französischen Verlagsort: »Nancy 1814« und erschien anonym; ihr Verfasser war Philipp Joseph von Rehfues (geb. 1779, gest. 1843), später durch seinen Roman »Scipio Cicala« (1832) allgemeiner bekannt geworden. * * * * * Weitere Zeitbroschüren, die in diesen Jahren von Brockhaus verlegt wurden, beschäftigen sich vorzugsweise mit der Deutschland zu gebenden politischen Verfassung. Anonym erschienen zunächst zwei Schriften unter folgenden Titeln: »Erinnerung an die Vorzüge und Gebrechen der ehemaligen Verfassung des deutschen Reichs« (1813), und: »Der deutsche Bund wider das deutsche Reich« (1815). Ueber den Verfasser der erstern bemerkt Brockhaus in einer Ankündigung, es sei »einer unserer vorzüglichsten Publicisten«. Die zweite Schrift, mit einem allegorischen Titelkupfer, das zwei Felder mit den Unterschriften »Deutscher Bund« und »Deutsches Reich« zeigt, befürwortet die Wiedererrichtung des alten Kaiserthums und eifert gegen den eben damals gestifteten Deutschen Bund als einen bloßen Staatenbund. In ihr kommt unter anderm folgende durch die Zukunft gerechtfertigte Stelle vor: Was ihr hoffen könnt, ist Krieg, weil von nun an der Streit über die Oberherrschaft in Deutschland beginnen kann und wird und muß .... Unsere Enkel werden das, was hier unbeachtet bleibt, empfinden. Eine Aufforderung an Preußen, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen, enthält die umfänglichere Schrift: »Preußen über Alles, wenn es will. Von einem Preußen« (Germanien 1817), verfaßt von Samuel Gottfried Reiche (geb. 1765, gest. 1849 als Rector des breslauer Gymnasiums), aber anonym erschienen. Auch patriotische Ansprachen, besonders an die Jugend gerichtet, finden sich unter diesen Schriften, so: »Vier Reden über Vaterland, Freiheit, deutsche Bildung und das Kreuz. An die deutsche Jugend gesprochen von Karl Baumgarten-Crusius. Eine Weihnachtsgabe« (1814). Die vierte Rede war zuerst in den »Deutschen Blättern« abgedruckt worden und hatte großen Beifall gefunden. Der Verfasser ist der bekannte Philolog (geb. 1786, gest. 1845 als Rector der Landesschule zu Meißen). Aehnlichen Charakter hat die anonyme Schrift: »Auch ein Wort über unsere Zeit. 1) Von der unterscheidenden Eigenthümlichkeit derselben. 2) Was sie von den in ihr Lebenden fodere. 3) Was sie ihnen gewähre« (1815). Eine kleine Schrift: »Ueber Landsturm und Landwehr. In Beziehung auf die Länder zwischen der Elbe und dem Rhein« (1813), empfiehlt diese preußische Einrichtung auch dem übrigen Deutschland. Folgende drei Broschüren enthalten wiederum ärztliche Rathschläge in Bezug auf den Krieg: »Die Kriegspest oder das ansteckende Hospital-Fieber. Eine Volksschrift zur Warnung und Belehrung von einem sächsischen Arzte«; »Ueber die jetzt herrschenden Lazarethfieber, ihre Ursachen, Kennzeichen und Verwahrungsmittel. Von einem praktischen Arzte« (beide 1813 erschienen); endlich eine von _Dr._ Heinrich Messerschmidt, Stadtphysikus zu Naumburg an der Saale (geb. 1776, gest. 1842), verfaßte treffliche Schrift: »Hand- und Lehrbüchlein für Deutschlands Krieger und diejenigen im Volke, welche zu diesem hohen Stande berufen sind. Daraus zu lernen, recht brave, tüchtige Soldaten zu werden und sich als solche in der Zeit der Noth selbst rathen und helfen zu können« (1815). Zwei Broschüren richten sich gegen die berüchtigte Schrift des bekannten Staatsrechtslehrers Professor Theodor Anton Heinrich Schmalz: »Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik von 1805« (Berlin 1815), in welcher dieser zuerst das Mistrauen der deutschen Regierungen gegen den Geist der Zeit, namentlich gegen politische Vereine wachrief und so die Reactionszeit inaugurirte. Die beiden anonymen Broschüren heißen: »Gegen den Geheimen Rath Schmalz zu Berlin wegen seiner jüngst herausgegebenen Worte über politische Vereine«, und: »Die neuen Obscuranten im Jahre 1815. Dem Herrn Geheimen Rath Schmalz in Berlin und dessen Genossen gewidmet«. Es sind, wie auch auf den Titeln bemerkt, Separatausgaben zweier Aufsätze aus den »Deutschen Blättern«. Dieses Blatt hatte sich das Verdienst erworben, gegen die Denunciationen von Schmalz zuerst energisch aufzutreten. Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus noch zwei Zeitbroschüren verschiedenen Inhalts von zwei namhaften, auf denselben aber nicht genannten Schriftstellern: »Ueber den jetzt herrschenden Geist der Unzufriedenheit und Unruhe unter den Völkern Europas. Ein Versuch zur Beschwichtigung dieses Geistes«, von Hofrath Karl Ludwig Methusalem Müller in Leipzig (geb. 1771, gest. 1837, in den Jahren 1817-1831 Redacteur der »Zeitung für die elegante Welt«), und: »Mahnung der Zeit an die protestantische Kirche bei der Wiederkehr ihres Jubelfestes. Nebst einer Nachschrift an die katholische Kirche und deren Oberhaupt. Für Kleriker und Laien von einem Laien«, von dem bekannten Philosophen Professor Wilhelm Traugott Krug in Leipzig (geb. 1770, gest. 1842), mit dem Brockhaus später in nähere Verbindung trat. * * * * * Wir kommen nun zu den von Brockhaus in diesen Jahren verlegten kleinern und größern Schriften, welche speciell die Zeitgeschichte betreffen, und finden da zunächst eine Anzahl Broschüren kriegsgeschichtlichen Inhalts, welche meist noch die kriegerischen Ereignisse vor der Schlacht bei Leipzig behandeln, während die spätern in größern Werken geschildert sind. An der Spitze der kriegsgeschichtlichen Broschüren steht: »Die preußisch-russische Campagne im Jahre 1813; von der Eröffnung bis zum Waffenstillstande vom 5. Juni 1813; mit dem Plan der Schlacht von Groß-Görschen, der Schlacht von Bautzen und dem Gefecht von Haynau. Von C. v. W.« Auf dem Titel heißt es: »Breslau, in Commission bei Christ. Gottlob Kayser«, ohne Jahreszahl; die Schrift war aber Verlag von Brockhaus und erschien im Sommer 1813. Verfaßt wurde sie auf speciellen Befehl des Königs von Preußen von dem damaligen Oberst, spätern General-Feldmarschall Freiherrn von Müffling (geb. 1775, gest. 1851), dessen kriegsgeschichtliche Werke stets nur die Chiffre C. v. W. tragen. Ein Seitenstück dazu bildet: »Der Feldzug von 1813 bis zum Waffenstillstand« (ohne Angabe von Verleger und Verlagsort, mit der Jahreszahl 1813). Als Verfasser nennt Brockhaus in den »Deutschen Blättern« den General von Gneisenau, Chef des preußischen Generalstabes, weil ihm das Manuscript wahrscheinlich von diesem zugesandt worden war; die Schrift ist aber auf Gneisenau's Wunsch von dessen Stabschef General Karl von Clausewitz (geb. 1780, gest. 1831) geschrieben und auch in dessen »Hinterlassenen Werken über Krieg und Kriegführung« wieder abgedruckt. Gleichzeitig (im October 1813) ließ der bekannte General und Militärschriftsteller Baron Henri Jomini (geb. 1779, gest. 1861) bei Brockhaus eine kleine Broschüre französisch und deutsch unter folgenden Titeln erscheinen: »_Extrait d'une brochure intitulée: Mémoires sur la campagne de 1813, par le général Jomini_«, und: »Auszug aus den Memoiren über den Feldzug von 1813 vom General Jomini.« Er rechtfertigt sich darin wegen seines 1813 nach der Schlacht bei Bautzen erfolgten Uebertritts aus französischen in russische Dienste. Noch vor der Schlacht bei Leipzig geschrieben, aber erst nach derselben veröffentlicht wurde eine Broschüre von Ludwig Lüders (Verfasser der früher erwähnten Schrift: »Das Continental-System«): »Welthistorische Ansicht vom Zustande Europa's am Vorabend der Schlacht bei Leipzig im Jahre 1813. Mit einem Plane der Schlacht bei Lützen« (1814). Sie schildert die am 1. und 2. Mai 1813 geschlagene Schlacht bei Lützen, gewöhnlich richtiger die Schlacht bei Großgörschen genannt, in der Napoleon über die vereinigte russisch-preußische Armee siegte, wodurch Sachsen bis zur Elbe wieder in seine Hände fiel. Die Schrift hat, als von einem in der Nähe (in Altenburg) befindlichen gewissenhaften Beobachter herrührend, geschichtlichen Werth. Wir schalten hier als Episode eine an diese Schlacht anknüpfende und für Brockhaus' Charakterisirung nicht unwichtige Mittheilung ein, die vor Jahren von dem inzwischen (1863) verstorbenen Geschichtschreiber und Publicisten Johann Wilhelm Zinkeisen niedergeschrieben wurde, dessen Vater Geh. Kammerrath in Altenburg war und zu Brockhaus' nähern Freunden gehörte: Ich war damals ein Knabe von 11-12 Jahren, und erinnere mich sehr wohl, wie der wohlbeleibte aber äußerst lebendige und bewegliche, so freundliche Herr Brockhaus, den wir Kinder alle so gern hatten, wenn irgendeine wichtige Nachricht eingetroffen war (denn er war immer am ersten und besten unterrichtet), oft schon in frühester Morgenstunde außer Athem zum Vater kam, um ihm dieselbe zu hinterbringen. Da wurde dann mit großem Feuer, aber auch mitunter nicht ohne manchen schweren Seufzer, darüber hin- und hergestritten, wie die Dinge nun weiter laufen würden, was man zu thun habe, was am Ende aus der Welt werden solle, wie lange es der Napoleon noch treiben werde u. s. w. Brockhaus sprach immer wie ein Begeisterter, und schien manchmal außer sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herzuschwanken. Mein Vater, überhaupt eine ernste Natur und in schon vorgerücktem Alter, suchte dagegen zu beschwichtigen und rieth zu ruhiger Ausdauer. Mir sind dergleichen Eindrücke aus dieser schweren Zeit, die auf jugendliche Gemüther auch tiefer einwirkte, so unvergeßlich geblieben, als ob ich sie erst gestern empfangen hätte. Es ist mir immer noch, als ob ich Brockhaus eben erst zur Thür hinausgehen sähe, wenn er uns beim Weggehen etwa so zurief: »Guten Morgen, Jungens, haltet euch wacker, sonst wird's schlimm, wenn Napoleon kömmt!« Da lachten wir dann in unserer Einfalt recht herzlich über den guten Herrn, obgleich es gewiß weder ihm noch dem Vater zum Lachen war. Am tiefsten ist mir der Tag der Schlacht bei Lützen aus dieser Zeit in Seele und Gedächtniß eingegraben geblieben. Alles war an dem schönen Maitage vom frühesten Morgen in der größten Bewegung und Spannung. Die widersprechendsten Gerüchte durchkreuzten sich. Brockhaus war am Vormittage mehrere male beim Vater und blieb dann bei uns zu Tische. Der Oberst von dem damals in Altenburg liegenden Corps des Generals Miloradowitsch, welcher bei meinen Aeltern mit seinen Adjutanten Quartier hatte, machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Man sprach schon davon, daß es gut sein würde, wenigstens die Familie wo anderwärts hin in Sicherheit zu bringen. Während des Essens brachte eine Ordonnanz die Nachricht, man höre vor der Stadt ganz deutlich den Kanonendonner, welcher aus der Gegend zwischen Leipzig und Lützen zu kommen scheine; es sei als ob er immer näher rücke; die Preußen seien geschlagen u. s. w. Brockhaus wurde nun sehr unruhig, sprang plötzlich vom Tische auf und rief: »Wir müssen raus; kommt, Kinder, mit hinter den Pohlhof, da wird man's am besten hören!« Mit diesen Worten nahm er mich ohne weiteres bei der Hand, und forderte die ganze Gesellschaft auf, ihm zu folgen, was sie auch that. Auf den weiten Pohlhofsfeldern nach Leipzig zu hatte damals das obengenannte Corps in unabsehbaren Reihen von Strohhütten sein Lager aufgeschlagen. Hinter demselben suchte Brockhaus einen etwas höher liegenden Punkt aus, warf sich dort zur Erde, und sagte bei jedem Kanonenschuß, den er mittels der Fortpflanzung des Schalles durch den Erdboden vernahm: »Sehr deutlich! sehr deutlich!« Mir klingen die Worte noch in den Ohren. Ich wollte Ihnen den trefflichen Mann dabei malen. Wir Kinder hatten natürlich nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiele desselben zu folgen, und vernahmen nun mit Jubel auch ganz deutlich den Kanonendonner, während mein Vater mit sehr bedenklicher Miene daneben stand und, die Taschenuhr in der Hand, die dumpfen Kanonenschläge nach der Minute zählte. Je vernehmlicher sie aber wurden, desto ernster schien ihm die Lage zu werden. Nach einer Stunde etwa eilte man in die Stadt zurück. Brockhaus brachte am Nachmittage wieder verschiedene unbestimmte und beängstigende Nachrichten. Er war auch noch am Abend wieder bei uns, wo Alles, wie es damals Brauch war, um den großen runden Tisch saß und Charpie zupfte. Da ertönt plötzlich Alarm durch die Straßen, und zu gleicher Zeit sieht man vor der Stadt eine ungeheuere Feuersäule aufsteigen. Miloradowitsch hatte Befehl erhalten, noch in der Nacht nach Lützen hin aufzubrechen, und vorher sein ganzes Lager in Brand gesteckt. Brockhaus eilte fort, um nähere Nachrichten einzuziehen. Das Uebrige ist bekannt. An die Schlacht bei Lützen sowie an die leipziger Schlacht knüpft auch eine kleine Schrift des Geschichtschreibers Karl Curths (geb. 1764, gest. 1816) an und stellt beide Schlachten mit zwei an denselben Orten geschlagenen zusammen. Sie führt den Titel: »Die Schlacht bei Breitenfeld unweit Leipzig am 7. September 1631 und die Schlacht bei Lützen am 7. November 1632. Zwei Scenen des Dreißigjährigen Kriegs und Gegenstücke zu den Schlachten bei Lützen am 2. Mai 1813 und bei Leipzig am 16., 18. und 19. October 1813« (1814). Von demselben Verfasser verlegte Brockhaus gleichzeitig eine geschichtliche Monographie: »Die Bartholomäusnacht 1572.« Curths hat sich besonders durch seine Fortsetzung von Schiller's »Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande« bekannt gemacht. Ueber die Schlacht bei Leipzig erschienen in Brockhaus' Verlage neben den in den »Deutschen Blättern« enthaltenen ausführlichen Schilderungen keine besondern Werke. * * * * * Außer diesen kriegsgeschichtlichen verlegte er noch einige andere zeitgeschichtliche Broschüren, zunächst (1814) eine solche von dem Marquis de la Maisonfort (geb. 1763, gest. 1827), einem Anhänger der Bourbonen, der 1814 mit Ludwig XVIII. nach Paris zurückkehrte, unter dem Titel: »_Tableau politique de l'Europe, depuis la bataille de Leipzic, gagnée le 18 octobre 1813. Écrit à Londres le 4 décembre 1813_«; dieselbe erschien auch in deutscher Uebersetzung: »Politisches Gemälde von Europa nach der Schlacht bei Leipzig den 18. October 1813. London den 4. December 1813. Mit Anmerkungen und einer Frage: Was hofft Europa seit dem 3. April 1814.« Daneben veröffentlichte er die Broschüre: »Der Minister Graf von Montgelas unter der Regierung König Maximilian's von Baiern« (1814), worin dieser bairische Minister gegen eine vom Grafen Reisach geschriebene Schrift vertheidigt wird. Brockhaus war mit dem Minister Montgelas auf einer im Sommer 1814 nach Stuttgart und München unternommenen Reise bekannt geworden, und dies war wol die Veranlassung zu dem Verlage dieser Broschüre. Eine andere kleine Schrift: »Die Moskauer Kanonen-Säule oder der Sieges-Obelisk. Nebst einer Abbildung« (1814), ist von Karl August Böttiger in Dresden verfaßt; sie ist die einzige selbständige Schrift, die Brockhaus von diesem Schriftsteller verlegte (freilich ist auch sie nur ein Separatabdruck aus den »Deutschen Blättern«), während dieser mit ihm fortwährend in dem lebhaftesten Briefwechsel stand und an fast allen seinen Journalen und encyklopädischen Werken mitarbeitete. * * * * * Von hervorragendem Interesse endlich sind zwei Broschüren, die im Jahre 1816 in Brockhaus' Verlage erschienen und den berüchtigten Polizeiminister Napoleon's, Fouché, Herzog von Otranto, zum Verfasser hatten. Joseph Fouché, 1763 zu Nantes geboren, erst Lehrer, dann Advocat, war während der Französischen Revolution bekanntlich ein eifriger Anhänger Danton's gewesen und hatte sich an den Greueln in Lyon lebhaft betheiligt. Er erhielt 1799 die Direction der Polizei in Paris und wurde von Napoleon nach dem österreichischen Kriege zum Herzog von Otranto ernannt. Nach 1810 in Ungnade gefallen, wurde er 1813 Generalgouverneur von Illyrien, 1815 während der Hundert Tage nochmals Polizeiminister, stellte sich nach Napoleon's Niederlage bei Waterloo an die Spitze der provisorischen Regierung und wurde dann von Ludwig XVIII. als Gesandter nach Dresden geschickt. Während dieses dresdener Aufenthalts schrieb er die beiden von Brockhaus verlegten Schriften. Bald darauf mußte er, durch das Verbannungsdecret vom 12. Januar 1816 gegen die sogenannten Königsmörder mit getroffen, seine Stellung und überhaupt den Staatsdienst verlassen und zog sich erst nach Prag, dann nach Linz und endlich nach Triest zurück, wo er 1820 starb. In jenen beiden Schriften versuchte er vergeblich, sich zu rechtfertigen und vor dem Verluste seiner Stellung zu schützen. Die erste ist in die Form eines Briefs an den Herzog von Wellington, der zu seinen Gönnern gehörte, gekleidet und führt den Titel: »_Correspondance du duc d'Otrante avec le duc de *** Première lettre. Dresde, le premier Janvier, 1816._« Sie enthält außer dem 48 Seiten umfassenden Briefe an den Herzog von Wellington (dessen Name aber nicht genannt ist) ein von Brockhaus unterzeichnetes 4 Seiten langes Vorwort, überschrieben »_L'éditeur au public_« und Altenburg, 15. August 1816 datirt. Brockhaus warnt darin vor einem soeben angeblich in London gedruckten unberechtigten und verstümmelten Abdrucke des Briefes, kündigt einen zweiten und dritten Brief an, die indeß nie erschienen, und veröffentlicht zugleich den Privatbrief Fouché's an Wellington, welcher die Veranlassung zu der Schrift erklärt. Die zweite Schrift wurde gleichzeitig französisch und deutsch herausgegeben unter den Titeln: »_Notice sur le duc d'Otrante_« und: »Aus dem Leben Joseph Fouché's, Herzogs von Otranto. Nach authentischen Quellen und mit wichtigen Actenstücken für die neueste Zeitgeschichte. Anhang: Brief Fouché's an Wellington, Dresden, 1. Januar 1816.« Brockhaus hatte beide Schriften durch Vermittelung seines Freundes Böttiger erhalten und verkehrte darüber brieflich und mündlich mit Fouché's Secretär, Demarteau in Dresden. Er bewog einen londoner Verleger (Colburn) und einen amsterdamer (Sülpke), ihre Firmen neben der seinigen auf den Titel setzen zu lassen, und hegte überhaupt große Erwartungen von dem buchhändlerischen Erfolge dieser Schriften. Wenn er auch für ihren Inhalt und Verfasser in keiner Weise eintrat, hob er doch deren unzweifelhafte Wichtigkeit für die Zeitgeschichte hervor. Indeß entsprach der Absatz keineswegs seinen Hoffnungen und der aufgewendeten Mühe, besonders wol, weil jener unberechtigte Abdruck des Briefes vorher erschienen war und das verdiente Schicksal Fouché's keine große Theilnahme erregte. An diesen Umständen und an Fouché's Sturze scheiterten auch die von Brockhaus mit Demarteau angeknüpften Unterhandlungen über den Verlag von Fouché's Memoiren, für die er bei einem Umfange von ungefähr 120 Druckbogen 12000 Francs geboten hatte. Sie wurden erst nach Fouché's Tode in Paris unter dem Titel: »_Mémoires de Fouché_« (2 Bände, 1824), veröffentlicht und rühren auch wahrscheinlich von ihm her, obwol sie von seinen Erben als unecht angegriffen wurden. * * * * * Neben diesen die verschiedensten Gebiete berührenden Zeitbroschüren verlegte Brockhaus auch während der altenburger Periode eine Reihe der eigentlichen Geschichte gewidmeter Werke, zum Theil größern Umfangs und der Mehrzahl nach ebenfalls die nächste Vergangenheit behandelnd. * * * * * Die beiden wichtigsten Werke dieser Gattung rühren von einem Schriftsteller her, der uns schon als fleißiger Mitarbeiter an den »Deutschen Blättern« und als Mitverfasser einer gegen Napoleon gerichteten Broschüre, der mit seinem Freunde Villers zusammen herausgegebenen »Fanfaronaden«, begegnet ist: Friedrich Jakob Christoph Saalfeld (geb. 1785, gest. 1834), Professor der Geschichte an der Universität Göttingen und freisinniges Mitglied der hannoverschen Ständeversammlung. Das erste Werk ist eine »Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, seit dem Anfange der Französischen Revolution«; es begann 1815, die Vollendung erfolgte aber erst 1823 (in 4 Bänden zu je 2 Abtheilungen, also zusammen 8 Theile umfassend); den Endpunkt bildet der Aachener Congreß von 1818. Das zweite ist eine »Geschichte Napoleon Buonaparte's«, deren erste Auflage (1815 in einem Bande) bis zur Ankunft auf Elba reicht, während die zweite umgearbeitete Auflage (1816 und 1817 in zwei Theilen) die Geschichte Napoleon's bis zu seiner Abführung nach Sanct-Helena fortsetzt. Beide Werke erregten Aufsehen und fanden lebhaften Beifall, da sie von deutsch-patriotischem Standpunkte und mit voller Benutzung der wiedergewonnenen Preßfreiheit geschrieben waren; doch hatte eben deswegen besonders die Geschichte Napoleon's auch harte Angriffe zu bestehen. * * * * * Ein drittes größeres Werk über die Zeitgeschichte ist: »Rußlands und Deutschlands Befreiungskriege von der Franzosen-Herrschaft über Napoleon Buonaparte in den Jahren 1812-1815« (4 Theile mit zahlreichen Kupfern und Karten, 1816-1819), verfaßt von _Dr._ Karl Heinrich Georg Venturini (geb. 1768, gest. 1849), der lange Jahre (1807-1844) als Pastor zu Hordorf im Braunschweigischen wirkte und sich hauptsächlich durch seine »Natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth« (4 Theile, Bethlehem, d. i. Jena, 1806) bekannt gemacht hat, durch das hier vorgeführte Werk und die Fortsetzung der von Bredow begonnenen »Chronik des neunzehnten Jahrhunderts« (34 Bände, Altona und Leipzig 1808-1837) sich aber auch als Geschichtschreiber einen geachteten Namen erwarb. Nicht zu verwechseln mit ihm ist sein als Militärschriftsteller und Strateget bekannter jüngerer Bruder Johann Georg Julius Venturini, braunschweigischer Offizier (geb. 1772, gest. 1802). Der erste Theil dieser Schilderung der Befreiungskriege behandelt den Krieg in Rußland 1812, der zweite den in Deutschland 1813, der dritte den Krieg in Frankreich und Italien 1814, der vierte den »Krieg im Niederlande, Frankreich und Italien«. * * * * * Speciell den Krieg in Rußland betrifft das Werk: »_A narrative of the campaign in Russia in 1812_« von dem als Hofmaler des Kaisers Alexander in Petersburg lebenden Engländer Robert Ker Porter (geb. 1774, gest. 1842), welches in einer Uebersetzung unter dem Titel: »Der russische Feldzug im Jahre 1812« von _Dr._ Paul Ludolf Kritz (geb. 1788, gest. 1869 als Oberappellationsrath in Dresden) 1815 bei Brockhaus erschien. * * * * * Zu dem geschichtlichen Verlage gehört endlich noch eine kriegsgeschichtliche Zeitschrift, die Brockhaus in Verbindung mit dem sächsischen Oberlandfeldmesser und frühern Offizier Wilhelm Ernst August von Schlieben, von dem er gleichzeitig das früher erwähnte Werk: »Die Elemente der reinen Mathematik« verlegte, im Jahre 1817 begann. Bei seiner Vorliebe für journalistisch-encyklopädische Unternehmungen suchte er in dieser Zeitschrift einen Mittelpunkt für die betreffende Literatur zu schaffen. Er veröffentlichte den wohldurchdachten, von genauer Kenntniß der Verhältnisse zeugenden Plan in einer »im April 1816« datirten, von ihm unterzeichneten Ankündigung in den »Deutschen Blättern«, die mit der Bemerkung: »Auch als Vorrede zum ersten Bande zu betrachten«, vor diesem wieder abgedruckt ist. Sie lautet: Die Kriegskunst hat einen so wesentlichen Antheil an der gegenwärtigen Entwickelung des Staatenschicksals von Europa gehabt, daß es für den Geschichtsfreund überhaupt, wie für den Kriegskundigen insbesondere, ein wissenschaftliches Bedürfniß geworden ist, einzelne, für größere Werke oft gar nicht geeignete und dennoch für die Theorie sowol als für die Praxis, oder für die allgemeine Geschichte wichtige Beobachtungen und Erfahrungen, überhaupt Alles, was die Geschichte der Kriegskunst in dem 19. Jahrhunderte betrifft und neu ist, von Augenzeugen zu sammeln, und die Ansichten sachkundiger Männer von denkwürdigen Kriegsereignissen in einem diesem Zwecke ausschließend gewidmeten Archive zu vereinigen. Die schätzbarsten Beiträge zu von Bülow's, von Scharnhorst's und Anderer Schriften liegen in den Tagebüchern verdienter Offiziere verborgen, welche in einer Zeitschrift, wie von Rouvroy's »Militärische Minerva« oder von Rühl's »Pallas« oder die »Oesterreichische militärische Zeitschrift« und ähnliche Archive der Kriegsgeschichte waren, einen Ehrenplatz einnehmen würden. Sollen diese handschriftlichen Bemerkungen und Nachrichten für die Wissenschaft verloren gehen und vergessen werden, oder soll man warten, bis sie spät, nach dem Tode der Augenzeugen, in zerstreuten Denkwürdigkeiten erscheinen, wo sie der öffentlichen Prüfung und Vergleichung mit andern Thatsachen weniger unterliegen? Jetzt, da die Waffen ruhen und die mit Lorbern umwundenen Feldtagebücher geordnet werden, jetzt ist die Erinnerung an Alles, was geschehen, ebenso lebendig und frisch, als das Bedürfniß des Forschens und Wissens lebhaft. Sollten daher unsere tapfern Zeitgenossen nicht unter sich austauschen und gegenseitig kriegskundig prüfen wollen, was sie beobachtet, gethan und erfahren, was sie Schätzbares für Kunst und Wissenschaft selbst eingesammelt haben? Die Kriege seit 1792 bieten für die Geschichte der Kriegskunst so reiche Ausbeute dar, daß es einer kriegsgeschichtlichen Zeitschrift in einer zwanglosen Folge von Bänden, wie die unsrige sein soll, nicht an neuem Stoffe von wissenschaftlichem Werthe fehlen wird, wenn die einsichtsvollen Kriegsmänner aus allen Heeren, welche seit 1792 in den meisten Ländern Europas fast nach denselben Grundsätzen kriegskünstlerischer Bildung gefochten haben, sich für unsern Zweck mit uns vereinigen wollen. Wir laden sie, als die vollgültigsten Zeugen der ewig denkwürdigen Geschichte unserer Zeit, hierzu mit dem Vertrauen ein, das uns unsere Ueberzeugung von dem geistigen Zusammenhange und dem Gemeingeiste, der jetzt alle Gebildete zu wissenschaftlicher Thätigkeit hinführt, nicht ohne Ursache einflößt. Denn schon erfreuen wir uns der Zusage mehrerer würdigen Männer, und wir können dem Publikum versprechen, daß es in unsern kriegsgeschichtlichen Monographien nur Erzählungen und Charakteristiken von bedeutenden oder minder bekannten denkwürdigen Kriegsbegebenheiten, vorzüglich aus der neuesten Zeit, von Augenzeugen und Theilnehmern kriegskundig abgefaßt, oder aus weniger zugänglichen Quellen mit Kritik ausgewählt, und durch Karten und Plane, wo es die Wissenschaft erfordert, erläutert, ohne Beimischung von Politik noch fremdartigen Dingen finden wird. Jeder Band von 24-30 Bogen soll sechs und mehr Erzählungen oder Darstellungen dieser Art enthalten. Der erste wird zur Ostermesse des nächsten Jahres erscheinen, und die Fortsetzung unsers Unternehmens kann, wie wir nach den getroffenen Maßregeln hoffen dürfen, nur an Neuheit und Interesse gewinnen. Alle Beiträge, zu denen dringend eingeladen wird und die auf Verlangen angemessen honorirt werden, sind an unterzeichneten Verleger zu senden. Die Zeitschrift führte den Titel: »Kriegsgeschichtliche und kriegswissenschaftliche Monographien aus der neuern Zeit seit dem Jahre 1792«, und trat zur Ostermesse 1817 mit dem ersten Bande ins Leben, worauf 1818 und 1819 ein zweiter und dritter Band folgten. Mit dem dritten Bande hörte sie auf und war so kaum über die ersten Anfänge hinausgekommen, wol theils durch die Schuld des Herausgebers von Schlieben (der übrigens auf dem Werke nicht genannt ist), theils wegen Mangels an geeigneten Beiträgen. Brockhaus schrieb darüber an den Herausgeber: Die Bücher haben wie die Menschen ihren Glücks- und Unglücksstern, und alles Verdienst reicht da nicht aus. Aber es wäre im Kampf der Bücher mit der Welt nicht weise, auf einer Idee zu beharren, wenn das Publikum, für das man einmal schreibt und setzt und druckt, ein Anathema ausspricht. Ein werthvoller monographischer Beitrag zur Geschichte der Jahre 1813 und 1814 sind die »Briefe über Hamburgs und seiner Umgebungen Schicksale während der Jahre 1813 und 1814. Geschrieben von einem Augenzeugen im Sommer und Herbst 1814«, wovon 1815 zwei Hefte erschienen, denen 1816 noch ein drittes folgte. Der auf dem Titel nicht genannte »Augenzeuge« war der Prediger Friedrich Gottlieb Crome (gest. 1850). Ferner verlegte Brockhaus auch (1817) eine Biographie Wellington's unter dem Titel: »Arthur, Herzog von Wellington. Sein Leben als Feldherr und Staatsmann. Nach englischen Quellen, vorzüglich nach Elliot und Clarke, bearbeitet und bis zum September 1816 fortgesetzt«; die Uebersetzung war von Adolf Wagner angefertigt und dann von Professor Hasse revidirt worden. * * * * * Betreffen die bisjetzt vorgeführten Werke theils die allgemeine Zeitgeschichte und ihre Hauptpersonen, theils Ereignisse in Preußen und Norddeutschland, so verlegte Brockhaus in der letzten Zeit seines altenburger Aufenthalts auch zwei Geschichtswerke, die sich speciell mit der Erhebung Oesterreichs gegen Frankreich im Jahre 1809 beschäftigen und noch heute als die wichtigsten Quellen für die Geschichte dieses Kampfes gelten, da sie von dem Haupturheber und eifrigsten Förderer derselben, Joseph Freiherrn von Hormayr, selbst herrühren: seine berühmten Werke über Andreas Hofer und über den Tirolerkrieg. Hormayr war 1781 zu Innsbruck geboren, wurde 1803 Director des Staatsarchivs in Wien und trat bald in nähere Beziehungen zu dem Erzherzog Johann. Dieser war 1800 im Alter von 18 Jahren an die Spitze des österreichischen Heeres gestellt worden und hatte seit dem Verluste Tirols, das bekanntlich 1805 in dem Preßburger Frieden von Oesterreich an Baiern abgetreten werden mußte, Alles darangesetzt, dieses Land für Oesterreich zurückzugewinnen. Hormayr wurde von dem Erzherzog mit den Vorbereitungen zu einem Aufstande Tirols beauftragt und wußte auch die Insurgirung des Landes trefflich zu bewerkstelligen. Während der Erzherzog das Heer von Innerösterreich befehligte, übernahm Hormayr die Verwaltung des Landes. Als aber Tirol von den Oesterreichern wieder geräumt werden mußte (erst 1814 kam es bleibend in Oesterreichs Besitz), kehrte Hormayr nach Wien zurück und wurde 1816 zum Historiographen des Reichs ernannt. Hier schrieb er jene beiden Werke. Später, nachdem sein fürstlicher Gönner in Ungnade gefallen war, trat er in den bairischen Staatsdienst über, wurde 1828 im Ministerium des Aeußern in München angestellt, war dann bairischer Ministerresident, erst in Hannover, zuletzt bei den Hansestädten, und wurde endlich Director des Reichsarchivs in München, wo er am 5. November 1848 starb, nachdem er noch die Wahl seines fürstlichen Gönners zum Deutschen Reichsverweser erlebt hatte. Das erste Werk (Ende 1816 mit der Jahreszahl 1817 erschienen) führt den Titel: »Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809. Durchgehends aus Original-Quellen, aus den militärischen Operations-Planen, sowie aus den Papieren Hofer's, des Freyh. von Hormayr, Speckbacher's, Wörndle's, Eisenstecken's, der Gebrüder Thalguter, des Kapuziners Joachim Haspinger und vieler Anderer«; die zweite Auflage (1845 erschienen) führt neben und vor jenem frühern noch den Titel: »Das Land Tyrol und der Tyrolerkrieg von 1809.« Das zweite Werk (1817 erschienen) heißt: »Das Heer von Inneröstreich unter den Befehlen des Erzherzogs Johann im Kriege von 1809 in Italien, Tyrol und Ungarn. Von einem Stabsoffizier des k. k. Generalquartiermeister-Stabes eben dieser Armee; durchgehends aus den officiellen Quellen, aus den erlassenen Befehlen, Operationsjournalen u. s. w.«; eine zweite »durchaus umgearbeitete und sehr vermehrte« Auflage erschien 1848, kurz vor des Verfassers Tode. Auf keinem der beiden Werke war Hormayr als Verfasser genannt, auf dem zweiten vielmehr »ein Stabsoffizier des k. k. Generalquartiermeister-Stabes« der betreffenden Armee als solcher bezeichnet, beiden aber ein officieller Charakter beigelegt. Letzterer Umstand berührte in den Hofkreisen Wiens sehr unangenehm; man war daselbst überhaupt mit diesen Veröffentlichungen ebenso wenig einverstanden als mit dem Verhalten des Erzherzogs Johann in dem tiroler Kriege. Ueber den Verfasser wurden die strengsten Untersuchungen angestellt und zuerst die Biographie Hofer's, dann auch die Geschichte des Feldzugs in Wien verboten. Aus der Correspondenz zwischen Hormayr und Brockhaus geht übrigens als zweifellos hervor, daß der eigentliche Verfasser oder wenigstens Veranlasser beider Werke gar nicht Hormayr war, sondern Niemand anders als der Erzherzog Johann selbst. Die Correspondenz wurde mit äußerster Vorsicht geführt, die Briefe wurden von Hormayr meist ohne Unterschrift gelassen, oft in dritter Person geschrieben, an fremde Adressen gerichtet, Duplicate abgesandt u. s. w. Hormayr, der mit Brockhaus auch sonst in literarischen Beziehungen stand und von ihm besonders um Schritte gegen einen Nachdruck des »Conversations-Lexikon« ersucht worden war, vertraute unbedingt auf dessen Discretion, mahnte indeß in ihrem beiderseitigen Interesse zur äußersten Vorsicht. Am 26. April 1817 schrieb er aus Wien an Brockhaus: .... Das Verbot gegen »Hofer« ist in ein paar Monaten ohnedies zurückgenommen. Man schämt sich dessen bereits. Tolleres und Unsinnigeres könnte aber nichts geschehen, nichts könnte meine äußerst glücklichen Negociationen für das »Conversations-Lexikon« und gegen dessen Nachdruck in Oesterreich zerstörender und unheilbarer durchkreuzen, als wenn der übrigens genialische Oken in seiner göttlichen und unübertrefflichen Grobheit in der ohnehin äußerst verhaßten »Isis« etwas Anzügliches über das Verbot »Hofer's« sagte und es dadurch erst recht bestärkte und verewigte, zugleich aber auch Ihnen und Ihren Artikeln insgesammt eine förmliche und systematische Verfolgung des Fürsten Metternich zuzöge, welche unausbleiblich zu erwarten steht. Brockhaus beruhigte ihn darüber und schrieb unter anderm auch: er werde dem Erzherzog Johann bei der Sendung des neuen Werks die von diesem bestellten weitern Exemplare des »Hofer« schicken. Hormayr antwortete unterm 5. Juni 1817: Der Erzherzog wünscht, daß die 10 Exemplare von »Hofer« nebst den andern 20 nicht vergessen werden, wünscht übrigens, daß das Erscheinen der Kriegsgeschichte noch um mehrere Wochen verzögert werde, wenn es mit Ihrer übrigen Berechnung in Einklang zu bringen ist. Er vermuthet, es seien auf indirecten schlauen Wegen aus Anlaß des Meßkatalogs schon Anfragen bei Ihnen um dieses Manuscript (»Das Heer von Inneröstreich«) geschehen, wünscht aber um so mehr strenge Verschwiegenheit, wie Sie dazu gekommen, als er selbst und sein Generalquartiermeister Graf Nugent, jetzt Generalissimus des Königs Ferdinand von Neapel, die eigentlichen Verfasser davon sind. Unser erhabener Freund läßt Sie avisiren, auf das Manuscript und dessen schleunige Vertilgung bedacht zu sein, da nach einem allerneuesten Beispiele A. M. einzelne Bogen zweier Manuscripte in Ihrer Nähe stehlen ließ und hierher einsendete. Mit A. M., von dem hier so Ehrenwerthes berichtet wird, war der österreichische Diplomat und Schriftsteller Adam Müller gemeint, in den Jahren 1815-1827 österreichischer Generalconsul in Leipzig. Geboren 1779 zu Berlin, war er von Gentz, der viel auf ihn hielt, nach Wien gezogen worden und dort 1805 zum Katholicismus übergetreten; er wurde später Hofrath im Ministerium des Auswärtigen in Wien und starb daselbst 1829. Auch Adam Müller gehörte zu Brockhaus' Autoren, bis dieser von Hormayr und Andern vor ihm gewarnt wurde und selbst Beweise erhielt, daß diese Warnungen fast schon zu spät kamen. Er hatte von ihm 1816 eine staatswirthschaftliche Schrift verlegt: »Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien«, und 1817 das erste Heft eines auf 8-10 Hefte berechneten Sammelwerks unter dem Titel: »Die Fortschritte der nationalökonomischen Wissenschaft in England während des laufenden Jahrhunderts. Eine Sammlung deutscher Uebersetzungen der seit dem Jahre 1801 bis jetzt erschienenen bedeutendsten parlamentarischen Reports, Flug- und Streitschriften, Recensionen u. s. w., welche zur Förderung und Berichtigung der staatswirthschaftlichen Theorie beigetragen haben.« Adam Müller nannte sich zwar nicht auf dem Titel, aber in der Einleitung als Herausgeber, mit der Bemerkung, daß er durch seine amtliche Thätigkeit an der Fortsetzung gehindert sei, die ein anderer Gelehrter übernehmen werde; diese Fortsetzung erschien indeß nicht. Beide Schriften sollten ursprünglich von Schaumburg in Wien verlegt werden, waren Brockhaus aber noch vor ihrer Druckvollendung von dem Verfasser angetragen worden. Müller arbeitete auch zuerst an den von Brockhaus herausgegebenen »Zeitgenossen« mit und lieferte die dieses Werk eröffnende Biographie Franz' I., Kaisers von Oesterreich, die auch in einer Separatausgabe (1816) erschien. Hormayr hatte schon unterm 20. August 1816 an Brockhaus geschrieben: Adam Müller ist ein Agent der österreichischen geheimen Polizei. Wir Beide sind überdies persönliche Feinde. Ich finde es in mehr als einer Hinsicht nothwendig, diese lange versparte Warnung hier auszusprechen. Nachdem er diese Warnung in der oben mitgetheilten verstärkten Weise wiederholt hatte, fügt er am 10. October 1817 hinzu: Sie glauben gar nicht, wie A. M. sich geschäftig macht, eine Wichtigkeit erhaschen will, beinahe in jeder Buchhandlung seine Spione hat und das Banner des Obscurantismus und des Preßzwanges recht hoch aufwirft und recht laut predigt. Zuerst Jude, dann evangelisch, jetzt intolerant katholisch, mit einer seinem Gastfreund und Wohlthäter in Großpolen entführten Frau Vertheidiger der Unauflösbarkeit der Ehen, früher ein Vordermann der _libérales_ und _constitutionnels_, jetzt der Feldpater des Despotismus -- muß er allerdings viel Hochachtung und viel Zutrauen auf seinen Charakter einflößen! Am 22. October 1817 schrieb Hormayr weiter: Was ist zu hoffen, wenn es einem boshaften Heuchler wie A. M. gelingt, durch Wort und That so klar und schön bezeichnete deutsche Männer, wie Sie und Perthes, als _libérales_, als _ultra-constitutionnels_, als Girondisten auszuschreien und eine Verfolgung gegen Sie zu provociren, nicht wegen des Inhalts dieser oder jener Werke, sondern weil sie #bei Ihnen# erscheinen? Inzwischen waren die Nachforschungen nach dem Verfasser der beiden Hormayr'schen Werke fortgesetzt worden. Böttiger fragte direct bei Brockhaus nach dem Namen des Verfassers der Kriegsgeschichte, von dem österreichischen Gesandten in Dresden wahrscheinlich gerade wegen seines nahen geschäftlichen und freundschaftlichen Verhältnisses zu Brockhaus mit diesem delicaten Auftrage betraut. Er schrieb an ihn unterm 24. October 1817 aus Dresden: Wer ist der »Stabsoffizier vom Generalstabe«, der den »Krieg in Inneröstreich vom Jahre 1809« in Ihrem Verlage nebst allen dazu gehörigen Actenstücken herausgab? Können, dürfen Sie ihn nennen? Ich gehe ehrlich zu Werke, wie sich's gegen den Freund ziemt .... Das Buch hat auf den Kaiser selbst und seinen Alles vermögenden Generaladjutanten einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht, weil es aus officiellen Quellen geschöpft, sehr authentisch, aber auch in Erinnerung früherer Fehlgriffe und Fehlschlagungen sehr schmerzlich ist. Fürst Metternich hat dem k. österreichischen Gesandten (in Dresden) Graf Bombelles die dringendsten Aufträge zur Erforschung des Verfassers ertheilt. Obwol Böttiger im Weitern selbst eine Klage gegen Brockhaus als wahrscheinlich hinstellt, wenn der Verfasser nicht genannt würde, antwortete dieser unterm 29. October 1817 doch ablehnend und bat Böttiger, auch dem Grafen Bombelles zu sagen, daß er über den wirklichen Verfasser und Einsender des Manuscripts selbst nichts Sicheres wisse. Er handelte dabei nach speciellen Instructionen des Erzherzogs Johann, der ihn außerdem durch Hormayr wiederholt um strengste Discretion bitten ließ. Böttiger beruhigte sich dabei noch nicht, da er auch direct von Wien aus, wo er wie allerwärts Verbindungen hatte, um Nachforschungen angegangen wurde. In einem Briefe vom 9. November 1817 an Brockhaus sagt er: Unser (sächsischer) Legationsrath Griesinger in Wien schreibt mir, daß sich bereits sämmtliche Offiziere des Generalstabes feierlichst von der Autorschaft und der Einsendung des »Kriegs von Inneröstreich« losgesagt hätten und daß man allgemein glaube, daß eine Civilperson Urheber sei. (Man hält es auf Hormayr.) Der Kaiser will Alles daransetzen, um den Urheber dieses Skandals zu erfahren. In Wien wußte man gewiß schon längst, daß Hormayr der Verfasser oder Einsender der Werke und der Erzherzog Johann dabei betheiligt sei, wollte aber von dem Verleger das Eingeständniß davon erlangen. Hormayr schreibt an Brockhaus unterm 16. November 1817: In Wien sind wol über zehn Generale, denen der Erzherzog das Manuscript selbst zu lesen gab, die also gar wohl wissen, daß er selbst der Verfasser und nur Ein und Anderes aus andern Quellen ergänzt ist. Meinen Stil, meine Darstellung darin zu erkennen, wäre wahrhaftig ein wahres Kunststück. In Betreff der Autorschaft der Kriegsgeschichte sagt Hormayr in einem Briefe aus Brünn vom 28. August 1816 noch directer, daß sie »aus dem Tagebuche und Operations-Journale des Erzherzogs Johann, damaligen Commandirenden in Italien, genommen ist«. Unangenehm war es Hormayr, daß gerade in derselben Zeit (1817), wo man in Wien besonders wegen der Bemerkung auf dem Titel des Werks: »Von einem Stabsoffizier u. s. w.« verletzt war, der preußische Oberst Massenbach auf Requisition Preußens in Würtemberg verhaftet, nach Küstrin gebracht und kriegsrechtlich zu einer vierzehnjährigen Festungsstrafe verurtheilt wurde; es geschah dies, wie seinerzeit mitgetheilt, nicht wegen seiner in den Jahren 1808 und 1809 bei Brockhaus erschienenen Werke, sondern wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften, womit er in einem Briefe an den König von Preußen gedroht hatte, falls ihm gewisse Forderungen nicht gewährt würden. Die Analogie mit der hier stattgehabten Veröffentlichung amtlicher Actenstücke lag nahe. Hormayr schrieb in dieser Zeit an Brockhaus in einem von fremder Hand abgefaßten Briefe ohne Datum und Unterschrift: Ich soll Ihnen schleunigst im Namen des Prinzen melden, daß Fürst Metternich, durch A. M. aufgestachelt, das bewußte Buch als Vorwand gebrauchen wolle, den vermeintlichen Verfasser, der aber immer nur Depositär jenes Manuscripts war, zum zweiten male zu stürzen und, eingedenk Ihrer edeln Anhänglichkeit an die deutsche Sache, auch Ihnen dabei einen Stoß zu geben. Vorderhand soll, wie man hört, der Titel des Buchs als von einem Generalstabs-Offizier herrührend angegriffen werden, in Analogie mit der eben jetzt ventilirten Massenbach'schen Sache. Die ganze Angelegenheit hatte übrigens weder für den Erzherzog Johann und Hormayr, noch für Brockhaus weitere Folgen, und das Aufsehen, welches sie erregt hatte, sowie das in Oesterreich erfolgte Verbot beider Werke vermehrte nur den Absatz derselben selbst in Oesterreich, wo damals ein solches Verbot die Verbreitung der davon betroffenen Werke wol erschwerte, aber eher förderte als hinderte. Der Erzherzog Johann ließ Brockhaus auch eine Entschädigung für den bei der Angelegenheit gehabten Verlust anbieten, die dieser aber ablehnte. * * * * * Folgende Geschichtswerke wurden in dieser Zeit noch von Brockhaus verlegt: Der erste Theil einer Sammlung von Essays des verdienten Geschichtschreibers Karl Ludwig von Woltmann (geb. 1770, gest. 1817), unter dem Titel: »Politische Blicke und Berichte« (1816), wozu aber keine Fortsetzung erschien; zwei Monographien von Karl Georg Treitschke, dem Verfasser einer früher erwähnten Broschüre, unter den Titeln: »Geschichte der funfzehnjährigen Freiheit von Pisa«, und: »Heinrich der Erste, König der Deutschen, und seine Gemahlin Mathilde« (1814); »Historische Denkwürdigkeiten« (1817) von dem nassauischen Historiker Johannes von Arnoldi (geb. 1751, gest. 1827); endlich zwei Monographien des schon früher genannten theologischen und historischen Schriftstellers Friedrich August Koethe: »Das Jahr 1715 oder wie's vor hundert Jahren in der Welt aussah. Ein Erinnerungs- und Trost-Büchlein für 1815«, und: »Historisches Taschenbuch auf das Jahr 1817. Enthaltend: Das Jahr 1616 oder die Lage Europas vor dem Beginn des dreißigjährigen Krieges.« * * * * * Endlich ist noch ein größeres zeitgeschichtliches, halb journalistisches, halb encyklopädisches Unternehmen zu nennen, das, wie die »Deutschen Blätter« den Anfang, so den Schluß der altenburger Periode bildet; es führt den Titel: »Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken.« Dieses Unternehmen wurde von Brockhaus im Jahre 1816 begonnen und nicht nur von ihm bis zu seinem Tode herausgegeben, sondern auch nachher noch von seiner Firma viele Jahre lang (bis zum Jahre 1841) fortgeführt. Es sollte hervorragende »Zeitgenossen«, noch lebende oder schon verstorbene Männer, welche der mit dem Jahre 1789 beginnenden neuen Zeitepoche angehörten und sich in irgendeiner Richtung ausgezeichnet, in »Biographien und Charakteristiken« vorführen, sie »in einem Ehrentempel vereinigen, der ihr Andenken erhält und ihre Thaten mit Freimüthigkeit würdigt«. Das Werk fand lebhaften Beifall und große Verbreitung im deutschen Publikum und hat anerkanntermaßen bleibenden Werth für die Zeitgeschichte. Ein näheres Eingehen auf die Art, wie es seine Aufgabe löste, auf den Inhalt und die Mitarbeiter, wird besser der Schilderung der dritten und letzten Periode von Brockhaus' Verlagsthätigkeit vorbehalten, da das Werk wesentlich in diese, nur der Anfang in die frühere Zeit fällt. Auch hängt Brockhaus' Beschäftigung mit diesem Werke eng zusammen mit seiner in Leipzig noch mehr als in Altenburg und Amsterdam hervortretenden Vorliebe für Herausgabe von Journalen, namentlich durch Begründung des »Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur« (1819) und durch Uebernahme des »Literarischen Wochenblatt« (1820), bald darauf »Literarisches Conversationsblatt«, seit Mitte 1826 »Blätter für literarische Unterhaltung« genannt, unter welchem Titel es noch jetzt nach mehr als funfzigjährigem Erscheinen fortbesteht. * * * * * Aus ähnlichen Gründen wird auch die von Brockhaus dem Hauptwerke seines Verlags, dem »Conversations-Lexikon«, in Altenburg gewidmete Thätigkeit, obwol sie immer den eigentlichen Mittelpunkt seines Schaffens bildete, bei Charakterisirung jener letzten Lebensepoche vorgeführt werden, im Zusammenhange mit der während und schon vor derselben entfalteten Wirksamkeit als Verleger und Herausgeber dieses Werks sowie mit den Kämpfen gegen den mehrfach versuchten Nachdruck desselben und seinem Auftreten für Regelung der deutschen Preßgesetzgebung. Brockhaus begann und vollendete im wesentlichen während der altenburger Zeit die als sein eigenstes Verdienst zu betrachtende Umarbeitung des »Conversations-Lexikon«, durch welche dieses erst seinen eigentlichen Charakter und diejenige Gestalt erhielt, in der es fähig wurde, auf die Bildung seiner Zeit in eingreifender Weise Einfluß auszuüben und rasch eine in der Geschichte des Buchhandels einzig dastehende Verbreitung zu gewinnen. Die von ihm angekaufte erste Auflage (in 6 Bänden) war in jeder Weise ungenügend gewesen und auch durch Nachträge dazu (in 2 Bänden) nur nothdürftig ergänzt worden. Im Jahre 1812 begann er in Altenburg die Umarbeitung des Werks als zweite Auflage, vermochte sie aber erst 1819 in Leipzig mit dem zehnten Bande zu Ende zu führen. An der raschen Vollendung wurde er außer durch die Kriegsjahre besonders durch den angenehmen Umstand gehindert, daß der lebhafte Absatz, den das Werk fand, gleich nach Erscheinen der ersten vier Bände der zweiten Auflage (1812-1814) eine dritte Auflage derselben (1814 und 1815) nöthig machte, die dann neben der zweiten forterschien (1814-1819), und daß er noch vor der Vollendung beider schon eine vierte Auflage (1817-1819), unmittelbar darauf (1819) sogar eine fünfte Auflage (wieder wie die zweite bis vierte in 10 Bänden) veranstalten mußte. Dies nur zur Würdigung der von Brockhaus während der altenburger Zeit auf das »Conversations-Lexikon« verwendeten Sorgfalt und der damit verbundenen Mühe. * * * * * Der materielle Ertrag dieses seine kühnsten Erwartungen übersteigenden Absatzes des »Conversations-Lexikon« lieferte zugleich die feste Grundlage zu dem von ihm in Altenburg neu aufgeführten Gebäude, das nun nicht mehr den Einsturz zu fürchten hatte, wenn es vom Wind und Wetter wieder erschüttert werden sollte. Aber freilich wurde dieses Gebäude bald zu klein für das, was allmählich darin untergebracht worden war, und für das, was der nimmer rastende Geist seines Gründers noch in ihm vereinigen wollte. Ein Rückblick auf Brockhaus' Verlagsthätigkeit in dieser zweiten Periode während der Jahre 1811-1817 in Altenburg läßt dieselbe als eine überaus rege, geschickte und umfassende erscheinen, in noch höherm Grade als die erste der Jahre 1805-1809 in Amsterdam und kaum in geringerm als die darauffolgende in Leipzig. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, daß diese Zeit nur sechs bis sieben Jahre umfaßt und zu diesen die Kriegsjahre 1813-1815 gehören, sowie daß er in Altenburg gewissermaßen von vorn anfangen mußte, mit sehr geringen Mitteln, und erst nach und nach durch die Früchte seiner Arbeit wieder in günstigere Verhältnisse kam. Schon oft hatte er empfunden, daß die kleine Stadt Altenburg für ein Verlagsgeschäft von dem Umfange und der Bedeutung, zu der das seinige sich rasch emporgeschwungen, nicht der geeignete Platz war. Alle dort bei seinem Freunde Pierer vorhandenen Pressen waren trotz fortwährender Vermehrung nicht im Stande gewesen, den Druck der immer steigenden Auflagen seines »Conversations-Lexikon« zu bewältigen; er hatte es auch in Leipzig, in Braunschweig und anderwärts drucken lassen müssen. Immer mehr sah er ein, daß er eine eigene Druckerei errichten müsse, um die aus dieser Noth entspringenden Verlegenheiten gründlich zu beseitigen. Aber auch für den buchhändlerischen Verkehr war Altenburg trotz seiner Nähe bei Leipzig nicht ausreichend. Endlich wollte ihm selbst das literarische und gesellige Leben Altenburgs, das ihn im Gegensatz zu Amsterdam zuerst so angezogen hatte, auf die Dauer nicht mehr genügen; seine fortwährend sich erweiternden literarischen Beziehungen und die neuen buchhändlerischen Unternehmungen, die er beabsichtigte, verlangten einen größern Schauplatz. Nur #eine# Stadt war in Deutschland, die allen seinen Anforderungen zu genügen versprach: Leipzig, der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, die lebhafte Handelsstadt, der Sitz einer Universität und eines regen geistigen Verkehrs. Er kam bald zu der Ansicht, daß diese und keine andere Stadt der allein geeignete Platz für seine Firma sei, wie sie geworden war und wie sie werden sollte. Er brachte den wichtigen Entschluß indeß nicht rasch zur Ausführung und zog vorsichtigerweise Ostern 1817 allein nach Leipzig; erst als sich in ihm die Ueberzeugung befestigt hatte, daß der Schritt ein richtiger sei, nahm er allmählich die Uebersiedelung auch seines Geschäfts und seiner Familie vor. * * * * * In Leipzig lebte und wirkte Brockhaus bis an seinen Tod, der freilich früher eintrat, als er geahnt haben mochte: am 20. August 1823, also schon im siebenten Jahre seit dem Verlassen Altenburgs. So wurde Leipzig doch, wie er schon in Amsterdam gewollt hatte, der Hafen, in welchem sein Lebensschiff, nach mancher stürmischen Fahrt und nachdem ihn widrige Winde vor Jahren daraus vertrieben hatten, vor Anker ging. Zugleich wurde es aber die bleibende Stätte der von ihm gegründeten Firma, auf welcher diese sich im Laufe des auf seinen Tod folgenden halben Jahrhunderts nach dem genialen Plane ihres Begründers und doch in einer Weise entwickelte, wie er selbst es wol kaum zu hoffen gewagt hatte. Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. Fußnoten [1] In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32. [2] Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, Bremen 1818). [3] Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462. [4] Wol absichtlich für _adorabile_ aus Erbitterung gegen das katholische Unwesen. [5] Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist. [6] Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers Friedrich Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die jüngste Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls mehrere interessante biographische Notizen eingetragen. [7] Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den Titel: »Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus und Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler Brockhaus in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822« (4. VIII, 158 S.). Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein zwölftes Actenstück vom 22. September 1822 (4 S.) beigefügt; noch später ist ein dreizehntes, ohne diese Ziffer und ohne Datum, gedruckt worden (18 S.). Ein Theil dieser Schrift war von Brockhaus schon früher (wol 1805) ausgegeben worden und Hiltrop veröffentlichte eine Antwort darauf unter dem Titel: »Nähere Erklärung und geschichtliche Darstellung des Processes in Sachen G. W. Hiltrop gegen die Firma von Brockhaus und Mallinckrodt. Ueber die von dem ersten an S. M. Bethmann in London remittirte und von den letzteren in Empfang genommene 1800 £ Sterling. Erster Theil. Dortmund 1806« (8. 128 S.). Ein zweiter Theil nebst den im ersten versprochenen Actenstücken ist unsers Wissens nicht gedruckt worden. [8] Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus nach dem dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren ist. An dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten zu haben, wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen hervorgeht, und daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine ebenfalls diese falsche Jahreszahl angegeben war. [9] Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme, daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt. [10] Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg, bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend. [11] Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte. [12] Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« des neuen Etablissements auffinden lassen. [13] Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 hätte begangen werden können. [14] Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit großem Eifer der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung und Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große Verdienste erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt sein Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit. [15] Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der »berühmte XIII. Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, an welchem der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde gegen den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder nach seiner ersten Etablirung in Dortmund. [16] Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian August Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's »Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel von Raynouard. [17] Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem Werke Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls in dem Werke selbst gebraucht. [18] Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen Namen, da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort absichtlich weggelassen. [19] Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall unwichtig, wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit jedenfalls die französische Zeitschrift »_Le Conservateur_« gemeint, von der später die Rede sein wird. [20] So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets in den »Individualitäten«. [21] Der frühere Associé von Brockhaus. [22] Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen einzelner Worte von Cramer selbst herrühren. [23] Diese und die folgenden Notizen sind meist einer kleinen Abhandlung des 1859 verstorbenen verdienstvollen Geschichtschreibers und Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm in Hamburg entnommen, die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl von Villers«, in einem 1845 gedruckten Lectionsverzeichniß des Hamburgischen Akademischen Gymnasiums enthalten ist. [24] Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's im Jahre 1845 erhoben wurden. [25] Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt. [26] Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«, herausgegeben von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27. Band, 3. Heft, Berlin 1871). Dieser interessante und werthvolle Essay macht den dankenswerthen Versuch, »die Erinnerung an einen Mann wieder zu erwecken, der, ein geborener Franzose, einst von vielen der Besten unsers Volks geachtet, von manchen geliebt, der Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt fast der Vergessenheit anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger Darstellung (die #vor# dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben wurde) den gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den Wunsch und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf der hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea Rodde geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem deutschen Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern möge, das in der gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde. [27] Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts. [28] Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen weiterer Titel lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 anonym und war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt (geb. 1766, gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen Ereignissen von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb 1808 in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte pseudonyme Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und Amsterdam«. Nach Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus jedenfalls bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in keinem seiner Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius' »Bücher-Lexikon« ist sein damaliger Commissionär in Leipzig, Heinrich Gräff, als Verleger genannt. [29] Der früher erwähnte Pastor Adolf Heinrich Brockhaus in Meyerich bei Welver. [30] Ihre an den Kaufmann W. Rittershaus in Dortmund verheirathete älteste Schwester. [31] Nicht der Buchdrucker Friedrich Richter, von dem Brockhaus das »Conversations-Lexikon« gekauft hatte, sondern ein leipziger Bankier. [32] Das Taschenbuch »Urania«. [33] Brockhaus' an Fauriel gerichtete Briefe sind nach des Letztern Tode in den Besitz der mit ihm näher befreundeten geistvollen Gemahlin des berühmten Orientalisten Julius von Mohl in Paris übergegangen und von derselben uns freundlichst zur Einsicht und Benutzung überlassen worden; zu bedauern ist, daß die Antworten Fauriel's nicht gleichfalls erhalten sind. [34] Dieser Brief von Brockhaus an Baggesen scheint leider gleich ihrer gesammten Correspondenz nicht erhalten zu sein; sollte letztere oder wenigstens ein Theil derselben sich noch irgendwo vorfinden, so würden wir für eine Notiz darüber sehr dankbar sein. [35] Sprengel's »_Historia rei herbariae_«. [36] Brockhaus' damaliger Commissionär in Leipzig. [37] Wol Reichardt's schon erwähnte »Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten &c.« (Amsterdam 1810). Ein früher von Brockhaus verlegtes Werk Reichardt's ist uns allerdings nicht bekannt; seine »Briefe eines reisenden Nordländers« erschienen erst Ende 1811 mit der Jahreszahl 1812. [38] Ein 1783 in Zürich erschienenes, angeblich aus dem Französischen übersetztes Werk »Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland«, von Kaspar Risbeck. [39] Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, elfter Abschnitt (dritte Auflage, Th. 2, S. 38 fg., Leipzig 1871). [40] Veit Hans Schnorr von Karolsfeld, der damals in Leipzig lebte und mit Brockhaus wie mit der Hofräthin Spazier befreundet war, der Vater von Julius Schnorr von Karolsfeld, seit 1816 Director der leipziger Zeichenakademie, als welcher er 1841 starb. [41] Thomas Willis, berühmter englischer Arzt, geb. 1621, gest. 1675. [42] Wir verdanken diese Briefe von Jean Paul und dessen Frau sowie einige andere Mittheilungen der Güte des bekannten Kunstschriftstellers Ernst Förster in München, des Schwiegersohns Jean Paul's. Er durchforschte auf unsere Bitte zu diesem Zweck nochmals Jean Paul's schriftlichen Nachlaß, um dessen Herausgabe er sich bekanntlich besonders verdient gemacht hat; wir nennen namentlich das interessante Werk: »Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul Friedrich Richter« (4 Bände, München 1863), das er zu Jean Paul's hundertjährigem Geburtstage (21. März 1863) veröffentlichte. [43] Diese Uebersetzung erschien unter ihrem Namen 1812 in Brockhaus' Verlage mit folgender eigenthümlichen Bezeichnung des Verlagsorts: »Leipzig, im Kunst- und Industrie-Comptoir aus Amsterdam«, während gleichzeitige und spätere Verlagswerke meist »Altenburg« oder »Altenburg und Leipzig« als Verlagsorte nennen. [44] Von Joseph von Lucenay im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, dritter Jahrgang, 1825, S. 1370 (Ilmenau 1827). [45] Sein damaliger Commissionär in Leipzig. [46] Baron Meinau heißt bekanntlich der Menschenfeind in August von Kotzebue's zuerst 1789 erschienenem und damals sehr populärem Schauspiele: »Menschenhaß und Reue«. [47] Ein Aufsatz von Spiritus Asper (Ferdinand Hempel). »Fragment einer Reise um den Tisch« in der »Urania« für 1812. [48] Hofadvocat Anton Scholber in Altenburg, den Brockhaus in einem andern Briefe seinen »intimsten Freund und einen ganz vortrefflichen Menschen« nennt. [49] Der Verfasser kann es sich nicht versagen, bei dieser Gelegenheit einen an ihn gerichteten poetischen Brief Rückert's mitzutheilen, der sich auf diese Gedichte bezieht, zu denen er durch Uebersendung einer Nummer der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« (in welcher der Sänger der Freiheitskriege zu einem Aufrufe an das deutsche Volk für die Sache Schleswig-Holsteins aufgefordert wurde) überhaupt den ersten Anstoß gegeben. Er frug nach Empfang des Manuscripts bei dem Dichter an: ob »Schleswig-Holstein« in dieser allgemein üblichen Schreibweise oder so, wie es Rückert geschrieben hatte: »Schleswigholstein«, gedruckt werden solle. Darauf erfolgte unterm 3. December 1863 nachstehende charakteristische Antwort: »Also sind wir handelseins, das freut mich. Nur Schleswigholstein lassen Sie ungetrennt, wenn Sie es nicht schon getrennt haben und die Wiedervereinigung zu viel Zeit raubt.« Schleswigholstein schreib' ich, und dabei verbleib' ich Trotz Erinnerung, Daß sie's anders treiben, Schleswig-Holstein schreiben, Schreiber alt und jung. Eine schwach' Erfindung Scheint mir die Verbindung Durch ein Strichelein; Sondern unauflöslich Sollen sie und böslich Nie zu trennen sein. [50] So schreibt sie selbst die beiden Namen in einem uns vorliegenden Briefe mit der ausdrücklichen Bemerkung: »nicht Hellvig und Imhof«, wie dieselben meist und selbst auf ihren Werken gedruckt sind. [51] Das Original dieses Briefs wie mehrerer anderer von Brockhaus an Villers gerichteter Briefe, die wir später mittheilen, befindet sich unter dem früher (S. 91) erwähnten literarischen Nachlasse des Letztern auf der hamburger Stadtbibliothek; durch gütige Vermittelung des Syndikus _Dr._ Geffken wurde dem Verfasser Abschrift und Benutzung dieser Briefe gestattet. [52] Ein Privatbrief, den Bankier Reichenbach in Altenburg aus Leipzig erhalten hatte. [53] Der Fuhrmann zwischen Leipzig und Altenburg. [54] Wahrscheinlich war nicht der Orientalist: Ignaz, Freiherr von Stürmer, damals in Leipzig, sondern einer seiner beiden Söhne, Bartholomäus (später auch Internuntius bei der Pforte) oder Karl (später Feldmarschalllieutenant). [55] Eine im Juni 1814 anonym erschienene Broschüre gegen Napoleon, die, wie hieraus hervorgeht, von Charles von Villers und Professor Friedrich Jakob Christoph Saalfeld in Göttingen gemeinsam verfaßt war. [56] Von dieser Broschüre August Wilhelm von Schlegel's ist in Verbindung mit andern von Brockhaus verlegten Zeitbroschüren später die Rede. [57] Die seit 21. Mai 1811 sonst vollständig vorhandenen Copirbücher der Firma haben leider eine unerklärliche Lücke zwischen 2. Juli 1813 und 12. October 1815, wodurch uns viele wichtige Briefe entgangen sind. [58] Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedrich von Raumer. Neue Folge. Siebenter und achter Jahrgang (1846 und 1847). Anmerkungen zur Transkription Im Original kursiv gesetzter Text wurde mit ~ markiert. Im Original fett gesetzter Text wurde mit = markiert. Im Original gesperrt gesetzter Text wurde mit # markiert. Text, der im Original nicht in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde mit _ markiert, außer bei römischen Ziffern, wie in Karl XII. Im Original hoch gestellte Zeichen wurden mit einem vorangestellten ^ markiert, bei mehreren hoch gestellten Zeichen wurden diese zusätzlich mit {...} umschlossen. Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden übernommen, auch dort, wo mehrere verschiedene Schreibweisen eines Wortes benutzt wurden, wie 'wol' und 'wohl'. Auf Seite 235 war der Tag der Ankunft von Brockhaus in Münster unleserlich. Hier wurde der 3. eingesetzt, da dies der einzig plausible Wert ist. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil - Sein Leben und Wirken" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.