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Title: Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben
Author: Luckner, Felix, Graf von
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben" ***


Anmerkungen zur Transkription:

Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend
übernommen, lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Eine Liste vorgenommener Korrekturen befindet sich am Ende des Textes.
Die Originalvorlage ist in Fraktur gedruckt; davon abweichende, in
Antiqua gedruckte Textstellen sind in der vorliegenden Textdatei _so_
markiert, soweit es sich nicht um Einzelbuchstaben, römische Zahlen,
Maßeinheiten oder den Titel »Dr.« handelt; gesperrt gedruckter Text ist
=so= markiert und hochgestellter Text ^{so}.



Aus der Zeit des Weltkrieges



  Aus Dankbarkeit
          meinen Jungs!

  [Illustration: _Fritz Möller, Halle a. d. S., phot._
  Jungs holt fast!
  Graf v. Luckner]



                       Seeteufel

               Abenteuer aus meinem Leben

                          von

                 Graf Felix v. Luckner

                 Korvettenkapitän a. D.
  ehemaligem Kommandanten des Hilfskreuzers »Seeadler«

          Mit 133 Abbildungen und einer Karte

                Neue, vermehrte Auflage

                 101. bis 160. Tausend

                     [Illustration]

                        Leipzig
                Verlag von K. F. Koehler
                          1923



  (Schutzformel für die Vereinigten Staaten:)
  Copyright 1921 by K. F. Koehler, Leipzig.

  Druck vom Bibliographischen Institut, Leipzig.



Inhaltsverzeichnis


                              Erster Teil                      Seite

   1. Kapitel: Wie ein Seemann entsteht                            1
   2. Kapitel: Auf der Suche nach einem passenden Beruf           19
   3. Kapitel: Als Matrose rund um die Welt                       31
   4. Kapitel: Wieder auf der Schulbank                           69
   5. Kapitel: Kaisers Rock                                       75
   6. Kapitel: Offizier und immer mal wieder Matrose              83
   7. Kapitel: In Kamerun                                        100
   8. Kapitel: Krieg und Seeschlacht                             110


                             Zweiter Teil

   9. Kapitel: Das Segelschiff als Kreuzer                       132
  10. Kapitel: Blockadebrecher                                   147
  11. Kapitel: Eine peinliche Untersuchung                       156
  12. Kapitel: Kaperfahrt                                        169


                             Dritter Teil

  13. Kapitel: Schiffbruch und Robinsonleben                     200
  14. Kapitel: Zweitausenddreihundert Seemeilen im offenen Boot  219
  15. Kapitel: Im Zuchthaus                                      237
  16. Kapitel: Auf Motuihi                                       249
  17. Kapitel: Flucht und neue Kaperfahrt                        276
  Letztes Kapitel: Der Vogel im Käfig                            291


  Die Besatzung des »Seeadler«                                   310
  Die Besatzung der »Kronprinzessin Cäcilie« und der »Moa«       311
  Verzeichnis der Abbildungen                                    315



Das Umschlagbild mit Darstellung des »Seeadler« wurde mit gütiger
Erlaubnis des Marinemalers =Christopher Rave= nach einem im Besitze des
Grafen =Luckner= befindlichen Ölgemälde gedruckt.

Neben dem Verfasser haben hauptsächlich die Herren =Karl Kircheiß=, =Alfred
Kling=, =Franz Pfeil= und =R. Hofmann= durch Übermittlung der in ihrem
Besitz befindlichen Photographien den reichen Bilderschmuck ermöglicht.

Seit Erscheinen der 1. Auflage ist das von =I. K. H. der Kronprinzessin=
dem Seeadler bei seiner Ausfahrt gestiftete Bild in Deutschland
eingetroffen. Auf Seite 151 findet sich eine getreue Reproduktion des
Originals. Die Wiedergabe erfolgt mit Erlaubnis der Firma W.
Niederastroth, Kgl. Hofphotograph, Potsdam.

Allen Genannten sei auch an dieser Stelle verbindlichster Dank
ausgesprochen.

Auf Grund von Aufzeichnungen, die Leutnant z. S. =Kling= nach seiner
Rückkehr aus Chile in freundlicher Weise zur Verfügung stellte, konnten
die Erlebnisse des in Mopelia verbliebenen Hauptteiles der
Seeadler-Besatzung in der vorliegenden Auflage (Seite 247/48)
ausführlicher behandelt werden. Den vielen Freunden des Buches wird
diese Ergänzung willkommen sein.


Die Verlagsbuchhandlung.



Erster Teil.



Erstes Kapitel.

Wie ein Seemann entsteht.


Seitdem ich das vielleicht letzte Segelschiff der Kriegsgeschichte auf
seiner Piratenfahrt geführt habe, werde ich häufig von Freunden und
Fremden nach meinen Lebensschicksalen gefragt. Man vermutet, daß nicht
ganz normale Entwicklungslinien zu dem ungewöhnlichen Gedanken
hingeführt haben, im zwanzigsten Jahrhundert den Krieg per Segel auf das
Weltmeer hinauszutragen.

In der Tat habe ich mancherlei rund um die Welt erlebt und aus
besonderen Tiefen mich emporarbeiten müssen. Heute als Seeoffizier in
der deutschen Reichskriegsmarine sollte ich vielleicht verheimlichen,
was alles ich schon in meinem Leben gewesen bin. Aber da nun einmal
meine besondere Art und Weise, Krieg zu führen, nur aus meiner
Jugendentwicklung zu verstehen ist, so will ich ruhig bekennen, wie mich
der Seeteufel von frühen Tagen an beim Schopf gefaßt und hin und her
geschleudert hat.

Ihr, in glückliche Lebenslagen Hineingeborene, seid nicht zu streng mit
armen Schelmen, die ihren Geburtsschein eine Zeitlang in den Strumpf
wickeln müssen; vielleicht ziehen sie ihn später wieder mit Ehren
heraus. Und ihr, die ihr hart und mühselig arbeitet, um einen Weg aus
der Niederung des Lebens emporzuklimmen, verzaget nie! Das Mauseloch
findet sich. Vielleicht steht auch ihr noch einmal auf der
Kommandobrücke.

Und ihr deutschen Leser insgesamt, denen das Herz blutet beim Gedanken
an die weite, herrliche, große See, wo jetzt die deutsche Flagge nicht
mehr fahren soll, seid getrost! Ein Volk, das die blauen Jungens vom
»Seeadler« hervorgebracht hat, wird auch die See wieder grüßen dürfen,
dessen seid in Not und Schmach gewiß!

Wenn ich nun so unbescheiden sein darf, von mir zu erzählen, ersuche ich
den geduldigen Leser, sich zunächst in die Quinta des Gymnasiums zu
Dresden zu versetzen, und zwar genauer in die Seele eines bereits recht
hoch aufgeschossenen, in Quinta doppelt seßhaften Jünglings.

Als ich nicht nach Quarta versetzt wurde, wie ich versprochen hatte, gab
es zu Hause das Jack voll.

Meine Großmutter aber hatte eine andere Erziehungsart als mein Vater.
Sie war viel sanftmütiger und weicher.

Es ging ihr immer wie ein Stich durchs Herz, wenn man mich mit brutaler
Gewalt bessern wollte. Eines Tages sagte sie zu meinem Vater: »Ich will
mal versuchen, den Jungen mit Liebe zu erziehen.«

»Du wirst den Bengel noch mehr verderben, aber versuch' es,« war die
Antwort.

Großmutter nahm mich beiseite und sprach: »Kind, wenn du versprichst,
fleißig zu sein, erhältst du für jeden Platz, den du in der Klasse
hinaufkommst, fünfzig Pfennige.«

Im Augenblick war ich außerstande auszurechnen, wieviel Geld ich dabei
verdienen konnte, aber ich sagte: »Großmütterchen, ich verspreche dir,
fleißig zu sein.«

»Das genügt,« sagte sie.

Ich war so stolz, daß man mir solches Vertrauen schenkte, und fing an
tüchtig zu arbeiten. Das erste Extemporale kam, aber ich ging enttäuscht
nach Hause und sagte: »Nicht versetzt.«

»Macht nichts, mein Kind,« sagte Großmütterchen, »ich merke, dein
Ehrgeiz rührt sich.«

Das nächste Mal: Vier Plätze höher. »Siehst du,« sagte sie, »das ist der
Lohn deines Fleißes.« Also zwei Mark.

Das nächste Mal: Zwei Plätze herunter. »Macht nichts,« meinte die
Großmutter. »Du kannst dich noch nicht auf solcher Höhe halten, bewahre
nur deinen Ehrgeiz.«

Sie zog aber die heruntergekommenen Plätze nicht ab. Ich entdeckte, daß
ich somit aus allen Geldverlegenheiten kommen könnte. An Gewinnsucht
habe ich nie besonders gelitten, aber die Sache hatte auch ihre
sportliche Seite. Ich wollte mir nämlich eine Karnickelzucht anlegen und
einen Kaninchenbock kaufen. Der kostete 7 Mark, dazu mußte ich also
mindestens 14 Plätze springen.

Und es gelang!

Freilich nur ganz vorübergehend. Der Mammon machte mich zu einem ganz
abscheulichen Kerl. Die Sprünge hinauf und hinunter wurden infolgedessen
immer größer, immer gewagter. Ich wurde auf diese Weise eines Tages
sogar Primus.

Großmutter selbst legte mir nahe, es dem Vater noch nicht zu erzählen.
Aber als sie in jenen Tagen einmal den Gymnasialdirektor Oertel traf,
konnte sie ihren Stolz doch nicht zurückhalten: »Was sagen Sie nun zu
Felix? Das Kind ist durch meine Methode, durch diese bescheidene Sache
mit den fünfzig Pfennigen, sogar Primus geworden. Ich bin so glücklich.
Was steckt doch in dem Kinde.«

Da sagte der Direktor erstaunt: »Felix Primus? Das muß wohl ein Irrtum
sein. Der Ordinarius hat ja in keiner Konferenz etwas davon erwähnt. Ich
glaube, Felix ist immer noch der Letzte.«

Großmütterchen war außer sich. Sie eilte nach Hause und machte mir die
bittersten Vorwürfe, doch so, daß Vater nichts hörte. Denn sie wollte
sich nicht mit ihrer Erziehungsweise blamieren. Nun besaß sie zwei
Möpse. Georg, der jüngere, war 13 Jahre alt, Friedrich, der ältere, 14
Jahre; beide waren starke Asthmatiker. Georg fuhr immer Schlitten auf
dem Teppich, wenn er unten gewesen war. Dem Friedrich mußte das wohl
gefallen und er ahmte es nach, gerade als Großmütterchen mich vorhatte.
So wurde sie von dem Thema abgelenkt und bemerkte dabei, daß der
Friedrich eine unverdauliche Wurstschnur gefaßt hatte, die ihn genierte
und die er eben abschleppen wollte. Georg lag seines Asthmas wegen am
Sessel und pumpte Luft. Großmütterchen, als sie Friedrich sah, war ganz
entsetzt, denn ihre Möpse standen ihr näher, und dabei entschlüpfte ich
ihrer Strafpredigt. Nachdem Großmutter sich wieder mir zugewandt hatte,
erklärte sie nur noch kurz: »Mit uns beiden ist es aus!« und so stand
ich in meiner ganzen Schlechtigkeit wieder auf neutraler Zone, ihr nicht
zu nahe und dem alten Herrn nicht zu nahe. Aus einem solchen Bösewicht
konnte alles werden, nur nichts Ordentliches.

Als Ostern herankam, wurde ich versuchsweise versetzt, aber mir
nahegelegt, die Schule zu verlassen. So kam ich nach Halle a. Saale, zu
Hütter & Zander, einer berühmten Presse, die vielerlei versprach und
mich durchaus noch nicht verloren gab. Versetzt mußte ich ja schließlich
noch ein paarmal werden, um die Offizierslaufbahn einschlagen zu können.
Mein Vater nahm mir noch einmal das Versprechen ab, mich ernstlich
dahinterzusetzen, um Kaisers Rock tragen zu können.

Das ging mir sehr nahe. Ich versicherte: »Ja Vater, ich werde versetzt!
Ich verspreche dir, Kaisers Rock in Ehren zu tragen.«

Ich ahnte damals so wenig wie mein Vater, daß ich den zweiten Teil
dieses Gelöbnisses einmal auch ohne den ersten Teil erfüllen konnte.
Freilich nur nach ungewöhnlichen Krisen.

Vater versprach mir seinerseits, daß ich in den Ferien zu meinem Vetter
reisen dürfte, wenn ich zu Ostern versetzt würde. Die Ferien begannen;
ich aber fiel durch.

Meine Eltern waren verreist. Der Hauslehrer, ein Student, der Vollmacht
erhalten hatte, mir die Reiseerlaubnis zu erteilen, kam mir schon
entgegen: »Bist du versetzt?«

Ich biß auf die Zähne und erwiderte: »Jawohl, aber der Rektor ist
verreist und hat die Zensur noch nicht unterschreiben können. Sie wird
nach der Unterschrift per Post an Ihre Adresse gehen.«

Der Student war hocherfreut, daß sein Unterricht Erfolg gehabt hatte und
beglückwünschte mich. Ich durfte reisen.

Ich traf nun in Ruhe meine Vorbereitungen.

Mein Bruder und ich besaßen jeder eine Kasse, da wurde, wenn Onkel oder
Tante zu Besuch kamen, zuweilen je ein Goldfuchs hineingesteckt. Diese
Kasse sollte schon immer mein Retter in der Not sein. Ich holte meine 80
Mark heraus, nahm aus meines Bruders Kasse auch 40 Mark ... sollten sie
liegen bleiben? Etwas wollte ich ihm ja lassen ... Aber es handelte sich
jetzt für mich um das Betriebskapital zur Gründung einer Existenz, und
ich hoffte, ihm diese Zwangsanleihe dereinst mit Zins und Zinseszins
zurückzahlen zu können. Mein Plan war einfach und beruhte auf angenehmen
Vorstellungen, die das wenige, was ich vom Seemannsleben wußte, in mir
erweckt hatte (das Landleben war mir in meinem bisherigen Schuldasein
über große Strecken hin reichlich trocken vorgekommen). Insbesondere war
mir einmal eine Speisekarte des Schnelldampfers »Fürst Bismarck« in die
Hand gefallen. »Was, so feine Sachen gibt das auf See? Und Offizier auf
einem solchen Schiff kann jeder werden?« Man hat Geschichten gelesen vom
listenreichen Odysseus, der im Meer so viel herzkränkende Leiden
erduldet, von Sindbad, dem Seefahrer. Aber diese größeren Vorgänger
können dem ewigen Tertianer, der weder ein griechischer König noch ein
arabischer Kaufmann ist, wenig praktische Winke für die Laufbahn
hinterlassen. Seemännische Erfahrungen hatte ich bisher nur auf der
Saale sammeln können, insbesondere in der Badeanstalt, wo mir Paddel- und
Rammversuche mit einem selbstgezimmerten Kistenboot den Spitznamen
»Seeräuber« eingetragen hatten.

Nun packte ich die Koffer, Jagdzeug vom Vater, Revolver und Dolch, und
alles, was man in dieser Richtung brauchen konnte, dazu auch eine
Tabakspfeife. Dann ging ich zum Bahnhof und fuhr nach Hamburg. Ich
wollte gleich von unten anfangen und dachte: IV. Klasse ist das
richtige. Ein Schlachtergeselle wurde mein Sitznachbar; der wollte auch
zur See gehen. Weshalb, begriff ich nicht ganz. Bei mir wäre ohne Latein
nie dieser Schwung in das Leben gekommen.

Als wir abends um ½11 Uhr am Klostertorbahnhof ankamen, sah ich ein
großes Schild: »Concordia-Schlafsäle, Bett 50 Pfennig und 75 Pfennig.«
Ich fand das für meinen Barbestand schon reichlich vornehm. Ein
Dienstmann mit zweirädrigem Karren bietet sich mir hilfreich an. »Wohin
soll das Gepäck?« »Nach Hotel >Concordia<.« »So! Na de Concordia! Denn
komm man mit, min Jung, di hevt se woll na See to jagt?« Ich war nicht
wenig erstaunt über die plötzlich vertrauliche Tonart und den feinen
Riecher, den dieser olle Hamburger hatte. So kam ich zum erstenmal in
meinem Leben über St. Pauli und war erstaunt über das riesenhafte
Tingeltangel-Getriebe dieser internationalen Vergnügungszentrale der
seefahrenden Nationen. Hier sah ich Chinesen, Schwarze. Wie ist das
alles interessant! Vor allem belustigten mich die Schwarzen, die in
bunten Röcken als Reklamefiguren vor den Lokalen standen.

Als wir in der »Concordia« ankamen, die sich im Hinterhaus befand,
bestelle ich bei dem Portier ein Bett für 75 Pfennig. Der Dienstmann
schleppt den Koffer nach oben. Der Portier öffnet die Tür und zeigt mir
ein Zimmer, worin sich sechs Betten befanden. Ich sage ihm darauf: »Ich
habe doch ein Bett für 75 Pfennig bezahlt.« »Ja Mensch, schlafen dir da
noch nicht genug darin? Da nimm schon lieber ein Zimmer zu 50 Pfennigen,
da hast du das Vergnügen, mit 50 zusammen zu schlafen.« Ich zog denn
doch vor, das Zimmer zu behalten. Darauf überreichte er mir den
Schlüssel, an dem sich ein riesiges Brett befand. Zunächst dachte ich:
Du bist jetzt ein freier Mann, sieh dir doch zunächst einmal das
Hamburger Leben an, das solch großen Eindruck auf dich gemacht hat. Als
ich den Portier passierte und das Schlüsselbrett ellenlang aus meiner
Tasche herausschaute, bemerkte er in seiner rohen Art: »För di kann man
wohl 'n Balken an 't Schlötelbrett hängen, dann steckst du den ok noch
in. Denkst du, daß wir für alle Menschen, die da kampieren, einen
Extraschlüssel zur Hand haben?«

Am nächsten Morgen erkundigte ich mich, wie man zu einem Schiff kommt.
Mir wurde gesagt, ich müßte zu einer Reederei gehen.

»Die warten schon auf dich,« sang es in meinem Herzen, und ich begab
mich zu Laeisz.

Dort wurde mir gesagt, man wollte mich gern vornotieren, ich müßte aber
einen Erlaubnisschein vom Vater mitbringen, eine Urkunde über mein
Lebensalter, genügend Geld für die Ausrüstung usw.

O weh, einen Erlaubnisschein? Aber es gab noch andere Reedereien am
Platze. Ich ging also zu Wachsmuth und Krogmann, zu Dalström. Überall
dieselbe Frage.

Nun dachte ich bei mir: Geh lieber selber auf ein Schiff und sprich mit
dem Kapitän. Ich pirsche mich also nach dem Segelschiffshafen durch. Da
lag das mächtige Becken mit seinem Mastenwald, und im stillen
überströmte mich der Gedanke: Jetzt gehörst du in diesen Kreis.

  [Illustration: (Mit Genehmigung der Firma Glückstadt & Münden, Hamburg.)
  ».. Da lag das mächtige Becken mit seinem Mastenwald.«]

Aber wie sollte ich nun auf ein Segelschiff kommen? Denn wider mein
Erwarten lagen diese nicht am Kai, sondern draußen an Pfählen.

Ich erfuhr, in dem Häuschen dort am Landungssteg säße ein Jollenführer,
der würde mich rüberbringen. Ich sehe durch die Scheiben in das enge,
gemütliche Innere der Bude und gewahre ein altes Seemannsgesicht. Der
Alte fragt: »Wat willst, Jung?«

»Ich will auf ein Segelschiff.«

Ich trat zu ihm ein; er trank seinen Kaffee zu Ende, danach gingen wir
zum Boot, und er brachte mich hinüber. Er wriggte mit einem Riemen[1];
ich war sprachlos über diese Rudertechnik. So kamen wir längsseit
irgendeines Schiffes, das er mir auf meine Bitte erklärte. Da sah ich
die hohen Masten aus der Nähe und hatte einige Furcht, daß man da hinauf
müßte. Indessen beruhigten mich die Taue und Rahen, denn ich dachte, das
wär eine Art Rouleausystem, das man gemächlich von Deck aus auf- und
niederzieht. Zweifelnd wagte ich die Frage: »Müssen da Menschen hinauf?«
»Aber natürlich,« sagte mein Führer, »möt de Minschen da herop, un ganz
boben, da hürt de Schipjung hen. In Hobn (Hafen) is dat nich slimm, aber
wenn dat Schip op See is un hen un her kullert un stampen deit, denn
denkst du wat anners.«

  [Illustration: »... un ganz boben, da hürt de Schipjung hen.«]

Da fühlte ich doch einen gewissen Block auf dem Herzen sitzen.

Alles wurde mir erklärt; durch die hohen Masten hatte ich trotzdem etwas
die Begeisterung verloren.

Als wir wieder an Land kamen, schüttete ich dem Alten mein Herz aus. Da
sagte er mir: »Min Jung, lot dat no (laß das nach)! Ik fohr all
fiefuntwinting Johr na See to un bün nich wider kamen, wie as Kaptein op
min lüttje Joll. Wat is denn din Vadder?«

»Gutsbesitzer.«

»Wie heetst du denn, min Jung?«

»Graf Luckner.«

»Wat, en Grof,« sagt er, »du büst 'n Grof? Un willst no See to? Min
Jung, en Grof is doch 'n Mann, de 'n Bondsche (Geschäft) bi 'n König
hett? Dank din Vadder op Kneen, dat he so 'n feines Bondsche hett. Lat
di dat Jack full hauen, un dank em bi jeden Slag daför. Ik wull, ik kunn
för 'n Jack full so 'n Vadder mit so 'n Bondsche kriegen, denn wull ik
woll ruhig hen holln.«

Aber daß ich den Eltern entlaufen war, gab ihm doch zu denken, und er
meinte: »Ik heet Pedder, segg du man >du< to mi, ik will di wol torecht
helpen. Du sallst nich no See to. Da kümmst du nich wider. Kik mi ollen
Mann an, ik möt op so 'n lütt Schip fohren un krieg kein Penn för de
Ladung.«

  [Illustration: (Mit Genehmigung der Firma Ludwig Carstens, Hamburg.)
  »... Ik heet Pedder, segg du man >du< to mi.«]

»Pedder, ich will aber doch zur See.«

Ich kam den nächsten Tag wieder, brachte ihm einen Priem Kautabak mit
und lernte bei ihm das Wriggen. Er riet andauernd dringend ab. »Du
sallst nich to See gahn.« Allgemach kam ich so weit, daß ich ihm das
Fahren abnehmen konnte, und wriggte für ihn die Passagiere, während er
den Kaffee kochte. So wurden wir Freunde. »Meine Eltern wissen noch
nicht, daß ich fortgelaufen bin,« sagte ich, »aber ich will nicht
zurück, denn wenn ich wieder auf die Schule gehe, dann weiß ich schon,
wie es kommen wird; in Obertertia heben sie mich zum Militär aus, lange
bevor ich das Einjährige habe.«

»Jung, Jung, lat dat Schipfohren sin. Bliev hier, min Jung.«

Er versicherte mir wiederholt, das Fahren wäre unmöglich, ich müßte die
Erlaubnis dazu beibringen und zwei- bis dreihundert Mark für die
Ausrüstung. Heutzutage würde aus den Schiffsjungen nur Geld gemacht und
dergleichen.

Ich ließ mich aber nicht abbringen. Als ich nun am fünften Tag morgens
wieder zu ihm kam, da winkte er mir schon von ferne und rief mir
freudestrahlend zu:

»=Jung, ik hev en Schip för di.= Ik hev 'n russischen Kaptein översett nah
sin Schip. Ik hevn fragt, ob he en düchtigen Jung hebben wull. >Ja,
gern,< seggt de Kaptein, >wenn he kein Heuer[2] hebben will.<

>He will bloot en Schip,< harr ik seggt. >Denn lat em man an Bord kamen,<
seggt de Kaptein.«

Am liebsten hätte ich oll Pedder bei dieser Nachricht umarmt.

»So min Jung, jetzt bring ik di röver op dat russische Bullschip >Niobe<
un stell di vör.«

Der russische Kapitän machte einen wenig vertrauensvollen Eindruck auf
mich, sah gelb und häßlich aus, halb Mephisto, halb Napoleon III., mit
einem fiesigen Ziegenbart.

»Du kannst mitkommen,« sagte er in gebrochenem Deutsch. »Finde dich
morgen ein.«

Er gefiel mir nicht.

»Min Jung, dat is ganz egal,« sagte oll Pedder und klopfte mir auf die
Schulter, »ob dat en dütschen odern engelschen Schip is oder 'n Russen
is, dat blievt sick glik. Seefahrt is överall datsülwige. So, min Jung,
nu wüllt wi an Land gahn un di 'ne Utrüstung besorgen.«

Er machte sich landfein, schloß sein Häuschen ab und wankte mit mir nach
Hamburg hinüber.

Es waren noch etwa 90 Mark, die ich hatte. Davon kaufte er bedächtig
prüfend alles ein, was ich brauchte, warmes Zeug, Ölzeug, Messer mit
einer Scheide und eine sachgemäße Pip mit Tobak. Wie war ich stolz. Aber
für eine Seekiste und für einen Seesack langte es nicht mehr. Oll Pedder
sagte: »Ick gew' di min Seekist, mit de ik all 25 Johr um de Welt seilt
bin. Ick hev damit glücklich fohren, un dat sallst du ok.«

Wir biegen in eine schmale, graue Straße im ältesten Hamburger
Hafenviertel, in den »Brauerknechtsgraben« ein. Eine schmale, steile
Holztreppe führt nach oben. Peter steigt schwer, sich an dem Geländer
festhaltend, hinauf. An der Tür steht auf einem Messingschild »Peter
Brümmer«. Er grabbelt umständlich nach seinem Schlüssel, fühlt mit dem
Finger nach dem Schlüsselloch und schließt auf. »So, min Jung, hier bin
ik to Hus, komm mal rin.« Zunächst fällt mir ein geschwärztes
Dreimastvollschiff an der Wand auf, das ich anstaune. Ich frage:
»Pedder, hast du das gemacht?«

»Ja, min Jung.«

Ferner hing ein ausgestopfter fliegender Fisch an der Decke, ein auf
Segeltuch gemaltes Schiff mit einem selbst an Bord verfertigten Rahmen
an der Wand, auf der Kommode standen verschiedene chinesische Sachen und
sonstige Reiseerinnerungen. In der Ecke stand ein Käfig mit einem
Papagei, der ziemlich zerrupft war und ebenso alt aussah wie Pedder.
»Ja,« sagt er, »den hew ik von Brasilien mitbröcht, de snackt blot
span'sch.« Dann: »Hier is min Kist.« Er schloß die Kiste auf, kramte aus
und zeigte mir noch verschiedenes, was er früher an Bord an Flechtwerk
gemacht hatte, packte alles bedächtig heraus und bemerkte: »Min Jung, de
Kist' swemmt, de hölt waterdicht.« Während er meine Sachen in die Kiste
verstaut, werde ich auf das bescheidene Sofa genötigt, dessen Bezug mit
weißen Porzellanknöpfen angenagelt war. Als die Kiste gepackt war,
trugen wir sie gemeinsam an den Griffen zum Hafen hinab.

Nachdem ich den letzten Tag ganz mit ihm verbracht hatte, fuhr er mit
mir an Bord. Er führte mich an die Koje, wo ich schlafen sollte, packte
Matratze und Keilkissen hinein und sagte: »Un noch eins, min Jung, een
Hand för 't Schip un een Hand för die sülwsten[3].«

Dann gab er mir noch den Rat, nicht unter meinem Namen zu fahren. Als
Graf ginge das nicht. »Dat is all datsülwige, as wenn en Oldenburger
Faut (Fuß) in Pariser Schohtüg (Schuhzeug) sett.« Wie denn meiner Mutter
Mädchenname hieße. Danach riet er mir, ich sollte mich Luckner genannt
Lüdicke nennen. Das war fortan mein Name, sieben lange bunte Jahre
hindurch. Pedder drückte mir zum Abschied die Hand mit den Worten: »Min
Jung, verget din oll Pedder nich!« Das Schiff warf los. Der Schlepper
war vorgespannt, und oll Pedder wriggte neben dem sich langsam in
Bewegung setzenden Schiff bis nach St. Pauli Landungsbrücken. »So, min
Jung, wider kann ik nich,« und mit Tränen in den Augen: »Goode Reis' nah
Australien. Min Jung, ik seh di nie wedder, du geihst mi doch nah.« Ich
wollte was sagen, aber die Tränen kullerten mir runter. Ich hatte nicht
Heimweh nach Hause, aber nach meinem alten, braven Seemann. Wie ich
nachher die Kiste aufmache und sehe, wie er alles gepackt hat, da liegt
ein Bild von ihm obenauf mit einer Widmung drauf: »Verget din Pedder
nich.« Ne, min oll, good Pedder, ik verget di nich!

Ich verstand nichts von der Sprache der Leute auf dem Schiffe und der
Kapitän zeigte auch bald böse Miene, denn ich war natürlich sehr
unbeholfen. Der Steuermann, der etwas englisch sprach, fragte, was mein
Vater wäre.

Ich sagte: »Landwirt.«

»Na, dann können wir dich ja gleich zum Oberinspektor machen.« Der
Steuermann bedeutete mir, ihm zu folgen. Ich war sehr neugierig, was das
für eine Würde wäre. Dann hielten wir am Schweinestall.

»Gewiß, das kann ich machen.«

»Und dann bist du ferner noch Direktor der Steuerbord- und
Backbord-Apotheke.«

Darunter versteht man, wie ich bald erfuhr, einen Ort, den sich jeder
allein denken mag.

  [Illustration: Wie eine Takelage von Deck aussieht.]

Ich hatte mich dort mit der Kanalisierung vertraut zu machen, daß die
immer klar wäre. Die Schweine durfte ich nicht herauslassen, sondern
mußte zu ihnen hinein. Das eine Schwein schubberte sich stets an meiner
Seite ab, wenn ich mit Eimer und Schrubber einstieg, um Reinlichkeit zu
verbreiten. Das Schmutzwasser lief beim Scheuern in die Stiefel. Ich sah
schlimmer aus, als die Schweine selbst. Seife und Wasser mußten gespart
werden. Zwei Paar Beinkleider hatte ich nur zum Wechseln. Jeder gab mir
einen Fußtritt, weil ich so wie ein Schwein aussah. Dazu die »Apotheke«!
Kurz, ich war mir selbst übel.

Nach dem Mast wagte ich mich nicht hinauf, machte höchstens die ersten
Versuche zum Mars. Ich klammerte mich auf jeder Stufe fest, glaubte,
obwohl es gar nicht hoch war, in schwindelnder Höhe zu stehen, und rief,
sie sollten mal gucken, was ich für ein couragierter Kerl wäre! Aber das
Klettern machte wenig Fortschritte, bis einst ein Matrose mir sagte:
»Was du kannst, kann auch eine alte Köchin.«

Das verletzte meinen Ehrgeiz. Lieber »von oben kommen«,[4] als das noch
einmal hören!

Dazu sah ich, wie die anderen Jungs oben herumwippten. Wir lagen vor
Cuxhaven vor Anker und warteten auf günstigen Wind. So hatte ich noch
Gelegenheit, mich bei ruhigem Wetter an die Masten zu gewöhnen, und
zwang mich mit aller Gewalt: »Rauf.«

  [Illustration: »... und zwang mich mit aller Gewalt: >Rauf<.«]

Wenn ich abends Wache an Deck ging, 4 Stunden Wache und 4 Stunden Schlaf
abwechselnd, und ich sah in Cuxhavens Straßen die Kinder spielen, dann
überkam mich das Heimweh. War ich selbst doch noch ein halbes Kind. Kein
Mensch, der mich verstand, und mit dem ich mich aussprechen konnte. Ich
fühlte mich verlassen, und der abgeschüttelte Druck der Schule ward
vergessen über der verlorenen Schönheit des Elternhauses.

Endlich kam guter Wind, die Segel wurden gesetzt, und wir nahmen Kurs
auf Australien. Zehn Tage, nachdem ich von zu Hause weg war, verließen
wir die deutsche Heimat. Bald hatten wir den Kanal hinter uns und
schwammen auf dem Atlantik, und die guten Eltern glaubten immer noch,
ich verlebte meine berechtigten Ferien bei den Verwandten.

Das war ein hartes Schiff, was ich unter den Füßen hatte; viel Keile
gab's und wenig Brot. Die Speisekarte des »Fürsten Bismarck« fand ich
nirgends vor. An Stelle des Frühstückskaffees gab es Wutki; darin wurde
das Hartbrot aufgeweicht. An das scharfe Salpeterfleisch habe ich mich
auch nur langsam gewöhnt.

Allmählich verwuchs ich mit meinem Beruf und mit dem Schiff und lernte
einiges von der Sprache der Besatzung. Der Steuermann war mir
wohlgesinnt, der Kapitän aber mein Feind, der Feind aller Deutschen.
Trotzdem war ich bestrebt, auch ihn für mich zu gewinnen.

  [Illustration: Äquatortaufe auf »Seeadler«.]

Ein wichtiger Einschnitt im Leben des Seemannes ist die Äquatortaufe,
die jeder, der zum erstenmal den Trennungsstrich der beiden Erdhälften
überfährt, empfängt. Am Abend vorher künden bereits große Vorbereitungen
die Wichtigkeit dieses Ereignisses an. Am Bug des Schiffes, wo eine
Plattform gelegt ist, kommen graue Gestalten herauf und rufen: »Schip
ahoi! Wie heet dat Schip?« »Niobe.« Der Kapitän ruft hinüber: »Kommt mal
her!« In ihrem Meereskostüm klettern die Gestalten an Seilen hoch, als
wenn sie aus dem Meer tauchten. Es ist Neptun mit seinen Gesandten und
Kundschaftern, durch die er feststellen läßt, wer das Schiff ist und wie
die Täuflinge heißen, die schmutzig von der Nordseehälfte zum erstenmal
in seine Gewässer kommen. Eine Liste wird ihm überreicht; er dankt und
geht mit seiner Gefolgschaft wieder in die Tiefe bis zum nächsten Tag.
Da kommt er wieder, um die Taufe zu überwachen, weißbärtig, mit
Dreimastszepter, in einem Talar, der von Meerschlinggewächsen
überwuchert ist, hinter ihm seine Frau in prächtiger Aufmachung und dann
der Pastor, der Friseur, der die Täuflinge rasiert, da er den
Erdenschmutz von ihnen abkratzen soll. Ihm folgt der Einseifer mit einer
Rasierquaste und einem Teerpott. Zuletzt kommt die Polizei in Gestalt
von Negern. Aufs würdigste wird Neptun von dem Kapitän begrüßt. Die
Täuflinge müssen Aufstellung nehmen und an ihm vorbeiziehen, damit er
prüfen kann, ob sich keiner versteckt hat, und noch einmal untersucht
die schwarze Polizei gründlich das Schiff. Eine Riesenbalge steht an
Deck, das sogenannte Taufbecken, mit einem langen Sitzbrett darauf.
Einzeln werden die Täuflinge herangeführt; der Pastor liest jedem eine
Epistel vor über das, was geschieht, und fragt sie, ob sie die
Taufgelübde halten wollen. Beim jedesmaligen »Ja« wird dem Täufling die
Teerquaste durch den Mund gezogen und dann mit den großen
Rasierholzmessern der Teer abgekratzt. Darauf zieht man das Sitzbrett
plötzlich unter ihm los, und der Täufling fällt hinterrücks in die
Balge, wo er noch sechsmal untergetaucht wird. Damit ist der Taufakt
beendet, über den ein Schein ausgestellt wird, und der nächste Täufling
steht zur selben Prozedur bereit.

Den ganz naiven Jungs gibt man auch noch ein Fernrohr, über dessen Glas
ein Haar gezogen ist, das sie dann, wenn sie hindurchsehen, für den
Äquator halten.

In früheren Jahren soll die Taufzeremonie in dem sogenannten »Kielholen«
bestanden haben. Mit einem Tau wurden dem Täufling die Füße
zusammengebunden, ein Tauende wurde um seine Arme geschlungen, das
andere um das Schiff herumgenommen und der Täufling unter dem
Schiffskiel hindurchgezogen, zuweilen drei- bis viermal. Diese grausame
Prozedur, bei welcher mancher Täufling durch Haie den Tod fand, ist, wie
mir die Kameraden erzählten, mit der Zeit zu der jetzigen Form der
Äquatortaufe abgemildert worden.

Neptun hat aber bei mir offenbar eine gründlichere Taufe für nützlich
gehalten.

Eines Tages, als wir schweren Sturm gehabt hatten, auf welchen starke
Dünung folgte, war alles, bis auf Sturmsegel festgemacht, und die
Obermarssegel sollten gesetzt werden, damit das Schiff ruhiger läge.
Ich wollte dem Kapitän zeigen, wie schnell ich das könnte und begab mich
nach oben, das Segel loszumachen. Da vergaß ich das Wort des alten
Pedder: »Eine Hand fürs Schiff und eine Hand für dich,« das Segel
schießt infolge eines Windstoßes los wie ein Ballon, ich verliere den
Halt, falle hintenüber, will mich halten, an dem halb aufgeschossenen
Seising. Das Tau saust mir durch die Hände, verbrennt sie, und ich falle
über Bord, dicht an der Bordwand entlang, an welcher ich also um ein
Haar zerschmettert wäre. Meine Mütze fiel noch auf Deck.

  [Illustration: Wer kennt die Taue?]

Das Schiff sauste mit acht Meilen Fahrt davon. Ich komme am Heck hoch,
im Kielwasser, das mich umdreht, sehe eine mir nachgeworfene
Rettungsboje und höre noch den Ruf: »Mann über Bord«, dann verschwand
ich im Wassertal und sah nichts mehr von dem Schiff.

Als ich nach Minuten, die einer Ewigkeit glichen, wieder hochgeworfen
wurde, erblickte ich das Schiff weitab. »Das Schiff kriegst du nicht
wieder, aber vielleicht kommt ein anderes.« In solch unbegreiflichen
Hoffnungen wiegte einen der liebe Wunsch zu leben. Als ob gerade auf dem
weiten Ozean ein Schiff da entlang kommen müßte, wo ich ins Wasser
gefallen war.

Um mich her flatterten die Albatrosse, jene riesigen Seevögel, die immer
des Glaubens sind, alles, was im Wasser liegt, sei für sie zum Fressen
da. Sie stießen auf mich zu, einer, der dicht an mir vorbeistrich,
kriegt mich mit dem Schnabel an der ausgestreckten Hand zu fassen, ich
will ihn festhalten ... in der Angst des Ertrinkens klammert man sich an
allem fest, sogar an einem Vogel ... da hackt er mir jene tiefe Wunde,
deren Narbe ich noch als Andenken an jenen Kampf im Wasser trage, in die
Hand.

Ich löste die Stiefel und das Ölzeug von mir; der Sweater aber, der sich
vollgesogen hatte, ging nicht ab. Da fielen mir die Worte meiner Mutter
ein, die einmal, als ich von meiner Neigung zur See sprach, gesagt
hatte: »Da hast du dir den richtigen Beruf erwählt; du wirst nichts
weiter werden als Haifischfutter.« Als mir jetzt beim Wassertreten diese
Worte durch den Sinn gingen, stieß ich zufällig mit dem einen Fuß gegen
den andern. Mich durchzuckte die Vorstellung, das wäre ein Hai, der mich
faßte. Das traf mich wie ein Nervenschlag. Ich wußte nicht mehr, wie mir
geschah und was vor sich ging, bis ich plötzlich auf einem Wellenkopf
hoch über mir ein Boot sah, das im gleichen Augenblick schon tief unter
mir vorbeiglitt. Ich schrie: »Hier, hier.« Es war der Steuermann.

Bald saß ich zitternd im Bug des Bootes, und die stämmigen Matrosen
ruderten zum Schiff zurück. Blutüberströmt von meiner Wunde erzählte ich
dem Steuermann den Zweikampf im Wasser. Da meinte er, den Albatrossen
hätte ich mein Leben zu verdanken, denn sie allein hätten ihm angegeben,
wo ich war. Man hatte zuerst den Rettungsgürtel gefunden, dann mich.

Die Matrosen waren sichtbar erfreut, mich gerettet zu haben, und selbst
dachte ich bei mir, wie wird sich erst der Kapitän freuen, daß er mich
wieder hat. Er geht auf dem Achterdeck hin und her, siedend vor Wut. Er
schreit mir entgegen: »Du verfluchter Deutscher, ich wollte, du wärest
versoffen. Sieh, wie die Segel kaputtgegangen sind durch deine
Untauglichkeit.«

Wir kamen längsseit des Schiffes, aber jetzt begann erst die
Hauptaufgabe, das Boot wieder an Bord zu bringen. Wenn das Schiff
herunterstampfte, wurde das Boot hochgedrückt, und wenn das Schiff
hochging, wurde das Boot nach unten gezogen. So tanzte es immer hin und
her, und man bemühte sich vergebens, die Bootstaljen hineinzubekommen.
Ich war so aufgeregt, daß ich, wie das Boot höher als die Reeling stand,
hinübersprang auf Deck und bewußtlos zusammenbrach.

  [Illustration: Schwere See.]

Den Seeleuten gelang es nicht, an Bord zu kommen. Das Boot wurde
zertrümmert, die Mannschaft sprang ins Wasser und kletterte an
zugeworfenen Tauen an Bord.

Der Kapitän nahm eine Flasche Wutki, preßte sie mir zwischen die Zähne
und rief: »Hier sauf, du deutscher Hund.« Am nächsten Tage war ich beim
Aufwachen ganz benommen und habe von diesem Schreckenstag noch heute
einen leichten Tatterich. Der Kapitän, als er mich am andern Morgen noch
in der Koje fand, haute mich heraus mit den Worten: »Ob ich zum Fressen
und Schlafen an Bord sei,« obwohl ich kaum aufrecht stehen konnte.

Mir wurde erzählt, als ich über Bord fiel, hätte der Steuermann gerufen:
»Freiwillige ins Boot.« Aber der Kapitän hätte mich nicht retten lassen
wollen; er hatte das auch nicht nötig, denn nach den Bestimmungen
braucht er von sich aus kein Boot auszusetzen, wenn er glaubt, daß dabei
andere gefährdet werden. Er hatte mit einer Harpune dagestanden und den
Steuermann bedroht: »Wenn du das Boot herunterlässest, stoße ich dir die
Harpune in den Bauch.« Aber der hatte sich einfach umgedreht: »Ich habe
meine Freiwilligen, stoß zu,« und fuhr ab. Das hatte die Wut des
Kapitäns noch gesteigert.

Der Kurs ging um das Kap der Guten Hoffnung, und endlich kamen wir nach
Australien. Meine erste Seereise war vollendet. Ein harter Anfang. Aber
zurück zur Schule? Nein. Ist man schon ein Lausbub, soll man nicht
andern zur Last fallen. Lieber zusehen, was sich eben mit eigener Kraft
aus dem Leben machen ließ.

[1] Aus der Seemannssprache in Landdeutsch übersetzt: er paddelte mit
    einem Ruder (Riemen = Ruder), hinten im Boot stehend, durch
    schraubenähnliche Bewegung.

[2] Lohn.

[3] D. h.: Wenn du oben in der Takelage arbeitest, halte dich immer mit
    der einen Hand fest.

[4] Seemännischer Ausdruck für Abstürzen.



Zweites Kapitel.

Auf der Suche nach einem passenden Beruf.


In Freemantle ging ich viel an Land und bereitete mich zu einem
Fluchtplan vor. Geld verdiente ich ja keins. Auch hatte ich mir
Australien interessanter vorgestellt, lauter Neger mit Pfeil und Bogen
und Palmen dort erwartet. Der Anblick einer kahlen, langreihigen Stadt
wie Freemantle enttäuschte mich.

Ich sah auch ein deutsches Schiff dort und hörte, wie gut es die Leute
darauf hätten. Es tat mir wohl, mich wieder mit Deutschen unterhalten zu
können. Die Landsleute luden mich gelegentlich ins Hotel Royal ein. Dort
schüttete ich der Tochter des Hauses mein Herz aus: Ich wäre ein freier
Mann und wollte von dem abscheulichen Russen ausreißen, ihr Vater sollte
mir helfen.

Der Vater sagte: Ja, ich könnte aber höchstens als Tellerwäscher
bleiben.

Ich antwortete, auf dem Schiff hätte ich so vielerlei gemacht und auch
das. Ich würde bleiben.

Ich erhielt ½ Schilling am Tag, freie Station und Kleidung.

Deutsche Kameraden halfen mir, meine Seekiste von Bord zu schmuggeln
gerade am Tag, bevor die »Niobe« in See ging. Die Flucht gelang. Der
russische Kapitän übte sein Recht, mich durch die Polizei suchen zu
lassen, nicht aus.

Nun war ich in meinem neuen Beruf. Ich merkte aber bald, daß er nicht
für mich war.

Das Seemännische sagte mir doch mehr zu.

Meine Feierabendstunden benutzte ich dazu, die Heilsarmee aufzusuchen.
Selten hat mich etwas so überrascht und angezogen, wie ihre Gesänge.

Auf ihrer Station besaß die Heilsarmee ein Grammophon, das ich nie
vorher gesehen hatte.

Ich komme hierher nach Australien, um ein Land mit wilden Menschen zu
sehen, und finde ein solches zivilisiertes Teufelsding. Ich denke immer,
da sitzt doch einer darunter, der den Kopf im Kasten hat, denn das
Grammophon stand auf einem Tisch.

Ich muß ausfindig machen, wer da spricht, und wie er das machte, gucke
wie verrückt darauf. Nun zeigt es sich, daß, wenn man von der Heilsarmee
als »Seele« aufgenommen wird, man auf die vorderste Bank zu sitzen
kommt, während die bloßen Zuschauer die hinteren Reihen füllen. Ich
lasse mich also mit einem Kameraden vom deutschen Schiff zusammen als
Seele aufnehmen. Ich überzeuge mich dann, daß niemand unter dem
Grammophon saß. Bei der Aufnahme versprach ich natürlich auch, keinen
Alkohol zu trinken.

Die ganze Geschichte gefiel mir aber so, daß ich meinen Beruf als
Tellerwäscher aufgab und zur Heilsarmee überging. Da ich nun frommen
Boden betrat, glaubte ich die Wahrheit sagen zu müssen und gab an, ich
wäre ein Graf. Da benutzte man mich gleich als Reklameartikel.

Es hieß nun: »_We saved a German count. Before he came here, he drank
whisky like a fish water._« (Wir haben einen deutschen Grafen gerettet.
Bevor er hierher kam, hat er Schnaps getrunken, wie ein Fisch Wasser.)
Da kamen die Leute aus der Stadt und wollten den Grafen sehen.

Ich mußte zuerst mit Mottenpulver arbeiten und die durch wohltätige
Leute geschenkten Kleider einmotten.

Da ich rasch Englisch lernte, erhielt ich dann eine höhere Aufgabe. Ich
hatte die für die verschiedenen Staaten Australiens einzeln gedruckten
»Kriegsrufe« nach ihrem Erscheinen durchzuarbeiten und herauszusuchen,
wieviele Seelen Kapitän Soundso gerettet hatte usw. Nach sechs Wochen
bekam ich eine Uniform und verkaufte »Kriegsrufe«, die ich glänzend los
wurde. Ich dachte: »Hier kannst du ja auch Kapitän werden von der
Heilsarmee!« Die Menschen waren gut zu mir. Den Alkohol, den ich kaum
kannte, zu entbehren, wurde mir auch nicht schwer. Aber ich wurde
furchtbar in Versuchung geführt mit Limonade. Kaum betrat ich mit meinem
»Kriegsruf« eine Wirtschaft, so riefen die Leute: »_Halloh, count! Do you
like a ginger-ale?_« (Graf, nehmen Sie eine Ingwer-Limonade?) Ich
antwortete: »_Yes, behind the bar._« (Ja, aber hinter dem Schenktisch),
denn ich glaubte irrigerweise, es wäre Alkohol, da es so gut schmeckte.
Und so machte ich den Leuten großen Spaß, ohne recht zu wissen wodurch.

Es kam aber die Zeit, da ich mir sagte, das ist doch nichts solch ein
frommer Kapitän oder Leutnant; du willst doch lieber Seemann werden. Ich
legte das den guten Leuten dar, und sie waren auch einverstanden. Da ich
aber noch so jung wäre, bemühten sie sich, für mich etwas Verwandtes zu
finden. Und wirklich! Nach drei Tagen war ich Leuchtturmwärterassistent
auf Cape Lewien.

Assistent, das klang ganz fein. Und Leuchtturm? Auf einem Leuchtturm
sitzen, wenn die Schiffe in tosendem Sturm vorbeifliegen, das war mein
Ideal.

Ich wußte ja, wie es dann an Bord aussah.

Also die Heilsarmee tat ihr Bestes und rüstete mich noch rührend aus mit
tadellosen Anzügen, Wäsche und dergleichen.

Ich fuhr mit einer Postkutsche von Freemantle nach Port Augusta. In Cape
Lewien wurde ich auf das herzlichste empfangen.

Jeder der drei Leuchtturmwächter bewohnte ein Häuschen an der Klippe,
die hundert Meter hoch war und steil abfiel zum brausenden Meer. Der
Leuchtturm hatte sein Fundament dicht über Wasser, aber das Licht stand
in Höhe der Klippe, damit man es bei diesigem Wetter besser sehen
konnte.

Ich bewunderte alles, und meine Pflichten wurden mir mitgeteilt. »Das
Fensterputzen, das ist ein bißchen langweilig, und dann wird das
Gewichtaufwinden deine Aufgabe sein. Am Tage kannst du oben sitzen und
Nachricht geben, wenn ein Schiff signalisiert.«

Mir wurde ein kleines Zimmer angewiesen, sauber und nett. Jeder Wärter
bezahlte 3 Pence für mich, zusammen also 9 Pence, das war mehr, als ich
bisher verdient hatte. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich die vielen
Scheinwerfer sah, die Tausende von geschliffenen Gläsern des Reflektors.
Da hatte ich nun allerdings beim Putzen fast den ganzen Vormittag zu
tun, und nachts mußte ich alle 4 Stunden hinauf, um das Gewicht 80 Meter
hoch zwanzig Minuten lang ohne Unterbrechung heraufzukurbeln. Mit der
Zeit gewöhnte ich mich auch daran. Meine Lieblingsstunden waren es, wenn
ich am Tage die Wärter oben ablösen durfte, um mit dem Kieker in der
Hand über das Meer zu schauen. Wie schön war es dort oben, wenn der
Sturm tobte! Eigentlich nahm ich den Leuten für die 9 Pence ihre ganze
Arbeit ab.

Es gefiel mir aber sehr. Besonders gut gefiel mir die Tochter des einen
Wärters. Eva hieß sie dazu. Wir haben uns schließlich einmal ganz
harmlos ein bißchen geküßt. Dies geschah, da auf kahler Klippe weit und
breit kein lauschiges Plätzchen war, an einem vielleicht nicht ganz
passenden, verschließbaren Ort, der nach außen offen über den Felsen
vorragte, dort, wo unten bei Flut das Wasser bis an die Klippe
heranspülte. Da saß einer der Wärter unten beim Fischefangen, sah uns
oben und benachrichtigte seinen Kollegen. Auf einmal wurde an der Tür
gerüttelt. Aber wir machten nicht auf, denn ich schämte mich doch.
Draußen wuchs die Wut. Die Drohungen wurden immer kräftiger. Ich sagte
mir: ein kurzer Entschluß ist der beste, also die Türe auf und weg!

Gesagt, getan. Der Leuchtturmwärter flog zur Seite, ich war weg und habe
mich nie wieder sehen lassen. Nur am Abend schlich ich mich noch einmal
zurück, um mir eines von den Pferden zu holen, die ich so gern leiden
mochte, und die damals dort höchstens dreißig Mark das Stück kosteten.
Dafür ließ ich meine ganze sonstige Ausrüstung in Cape Lewien und ritt
los in die Welt.

In Port Augusta befand sich ein Sägewerk. Dort fing ich an, in der
Holzmühle zu arbeiten. Als Tagelohn wurden 20 Mark geboten. Doch das war
ein Locklohn, denn erstens war es zu schwere Arbeit, das Holz zu
schleppen, und zweitens waren die Preise dort so hoch (sogar das Wasser
mußte man bezahlen), daß man kaum einige Mark täglich übrig behielt.
Aussichtsvoll war die Bezahlung eigentlich nur für die Chinesen, die
dort arbeiten, bei deren genügsamer Lebensweise.

In vierzehn Tagen, die ich dort blieb, hatte ich etwa sechzig Mark
erspart. Dann hielt ich es nicht mehr aus und zog weiter.

Als ich auf der Landungsbrücke sitze, um auf den Wochendampfer zu
warten, der mich zum nächsten großen Hafen und dort zu einem Segelschiff
bringen sollte, sitzt neben mir ein Jäger, ein langer Norweger, mit
einem Martini-Henry und vielen Patronen. Er erzählte mir, daß er
Känguruhs und Volopies gejagt und genug Felle davon verkauft hätte. Ich
fragte ihn, was er für seinen Martini haben wollte. Er antwortete fünf
Pfund.

Soviel besaß ich nicht. Aber ich gab ihm all mein Geld und dazu meine
Uhr, ein gutes Stück. Er war sofort einverstanden.

Wie ich nun das Gewehr hatte, regte sich die Weidmannslust in mir und
ich ging in das Innere auf Känguruhjagd.

Aber der Norweger hatte übertrieben. Es gab höchstens ein paar kleine
Volopies. Ich holte mir Rat bei einem dortigen Lotsen, einem Deutschen,
der gab mir Bescheid, wohin ich gehen sollte. Auf dem Wege fand ich eine
verlassene Farm, dort kampierte ich mich ein.

Aber die Einsamkeit bedrückte mich bald. Ich gab das Weidwerk wieder
auf, kehrte nach Port Augusta zurück und verkaufte mein Gewehr. Als ich
im Hafen ankam, wurde gerade ein Dampfer gelöscht, dem eine indische
Fakirgesellschaft entstieg. Man fragte mich, was ich wäre. Ich sagte
»Seemann«. Da meinten die Fakire, so einen könnten sie gerade gut
gebrauchen zum Aufschlagen der großen Zelte und Pferdeputzen und
dergleichen. Sie erklärten, sie wären eigentlich so ziemlich dasselbe
wie Seeleute, nur daß sie auf dem Land umherzögen. Das lockte mich. Dazu
kam, daß eine Anzahl dunkeläugiger Hindumädels dabei war. Die zogen mich
auch an. Ich wurde also Fakirgehilfe.

Als wir nun durch Australien reisten, baute ich überall auf den Plätzen
die Schaubuden und Zelte auf. Mit der Leinewand umzugehen, das erinnerte
so an die Seefahrt.

Als wir in Freemantle waren, und ich die Reklamezettel austrug, ging es
auf einmal an: »_Halloh, count, no more Salvation Army?_« (Nicht mehr bei
der Heilsarmee?) Meine Anwesenheit steigerte sofort den Zuspruch der
Leute.

Ich versuchte es mit allen Listen, mir die Fähigkeiten der Fakire
anzueignen. Aber sie hielten ihre Wissenschaft streng geheim. Ich kam
hinter nichts. Schließlich dachte ich bei mir, du mußt es anders
anfangen, und bändelte mit einer kleinen Malaiin an. Anfänglich war sie
sehr zurückhaltend, aber nach vierzehn Tagen kam sie mir schon etwas
entgegen, und ich erfuhr den Hergang einiger Kunststücke. Nun wurde es
mir leichter, meinen Brotherren selbst etwas abzugucken. Wenn ich auch
nur Pferdeputzer war, so bekam ich jetzt doch nach und nach eine
Schlagseite vom Fakir. Freilich, die eigentlichen virtuosen Fakirkünste
zu erlernen, dürfte für einen Europäer so gut wie unmöglich sein. Die
alten Meister dieser Kunst, gewohnt, von der Menge angestaunt und als
sozusagen übernatürliche Wesen verehrt zu werden, verhalten sich auch
ihren Angestellten gegenüber unnahbar. Die zwei Oberhäupter unserer
Truppe machten mit ihren langen Bärten und ihrer durch langjährige
Schulung der Willenskraft durchgebildeten Haltung einen erhabenen
Eindruck. Unter ihren Leistungen war besonders überraschend das Wachsen
eines Mangobaumes. Der Fakir hatte einen Kern, den er in die Erde
steckte. In kurzer Zeit sieht man, wie die Erde bricht und ein Blatt
zum Vorschein kommt und ein kleiner Stiel. Der Fakir deckt ein Tuch
darüber und spricht einige Worte. Auf einmal ist der Mangobaum ein Meter
groß. Das Tuch wird wieder darüber gedeckt und der Mangobaum wächst
weiter und bekommt 3-4 Blätter. Ich selber habe beim Wegräumen nicht
entdecken können, daß irgend etwas in Vorbereitung war.

Irgendein Zuschauer kommt und der Fakir fragt ihn: »Was haben Sie denn
da für einen Ring, der ist sehr wertvoll, den dürfen Sie nicht
verlieren. Aber Sie haben ihn ja schon verloren. Sehen Sie, ich habe ihn
hier,« und der Fakir hat den Ring an seiner Hand. Ich habe dies oft mit
angesehen und genau darauf geachtet, aber es ist unmöglich, sich zu
erklären, wie es gemacht wird, welche geheimnisvolle Kraft den Leuten
das ermöglicht. Man würde Hypochonder werden, wenn man darüber
nachgrübelte. Sie haben als Apparat eigentlich nichts weiter als den
Wagen, mit dem sie sich fortbewegen.

  [Illustration:
  »... Man würde Hypochonder, wenn man darüber nachgrübelte.«]

Ganz besonders hat mich folgendes überrascht. Eine große Schale mit
Wasser wird gebracht, die zeigt der Fakir dem Publikum. Der Fakir setzt
sich so, daß die Schale mit Wasser nicht zu sehen ist. Nach einer Weile
tritt er zurück und die Schale ist voll lebender Goldfische.

Meine Herren kletterten außerdem an Tauen in die Luft. Das Tau hatten
sie in der Hand und warfen es hoch, und dort blieb es in der Luft
stehen, trotzdem kein Balken oder ähnliches da war. Dann kletterten sie
an dem Tau in die Höhe. Doch ich will mich hierüber nicht weiter
verbreiten, denn das Zaubern ist nur unterhaltend, wenn man es mit
ansehen kann. Auch die Kunststückchen, die ich damals mir aneignen
konnte, würden dem freundlichen Leser nur Vergnügen bereiten, wenn ich
einmal den Vorzug haben sollte, ihn persönlich in diese kleinen
Geheimnisse einzuweihen.

Die Fahrt mit den Fakiren ging durch das ganze australische
Staatengebiet. Aber in Brisbane mochte ich nicht mehr mitmachen, wollte
wieder auf ein Schiff, Seemann werden und nicht meinen Beruf verfehlen.

Ich komme auf eine englische Bark und sitze da eines Sonntagsmorgens am
Strand und wasche mein Zeug. Da kommen drei Herren auf mich zu; meine
Muskulatur bewundernd, fragen sie nach meinem Alter. Ich sage
»fünfzehn«.

Ob ich Lust hätte, das Boxen zu lernen?

Ja, dazu hätte ich Lust. Wenn man boxen kann, kriegt man nicht so leicht
Prügel.

So ging ich nach Feierabend in die Boxschule, um mich prüfen zu lassen.
Nach genauer Untersuchung wurde mir angeboten, ich sollte sechs Pfund
Sterling erhalten und ausgebildet werden, mich dafür aber verpflichten,
nur für Queensland zu schlagen. Die Australier geben sich alle Mühe,
wenn sie einen Menschen gefunden haben, dessen Körper etwas verspricht,
ihn zum Preisboxer auszubilden. Mit allen möglichen Apparaten erhielt
ich nun eine hervorragende Pflege. Nachdem der Körper ein Vierteljahr
mit allem durchgebildet war, durfte ich zum erstenmal Schlagbewegungen
ausführen. Ehe man Schläge austeilt, wird man aber selbst geschlagen,
damit die Partien des Körpers, besonders die Brust, abgehärtet werden.

Es gefiel mir dort ausgezeichnet. Ich sollte bald nach San Franzisko
geschickt werden, um dort weitere Grundlagen zu gewinnen. Als ich aber
soweit war und als Boxer überall hätte auftreten können, hatte ich den
»Preisboxer für Queensland« genug und wollte wieder zur See.

Wo immer ich war, welche Ablenkung sich mir bot, die Sehnsucht nach dem
Schiff kam stets zurück.

  [Illustration: »... die Sehnsucht nach dem Schiff kam stets zurück.«]

Ich strebte diesmal nach einem amerikanischen Schiff und kam auf die
»Golden Shore«, einen Viermastschoner, der von hier nach Honolulu und
später die Route San Franzisko-Vancouver-Honolulu fuhr, die eine Fahrt
mit Zucker, die andere mit Holz.

Es war eine ideale Zeit. Ich wurde gut bezahlt, 45 Dollar den Monat, und
gleich als Vollmatrose angenommen. Eigentlich geht das nicht so schnell.
Die regelmäßige Laufbahn führt vom Schiffsjungen über den Jungmann und
Leichtmatrosen zum Vollmatrosen. Es gab harte und schwere Arbeit,
namentlich beim Laden und Löschen, während auf einem Schoner seemännisch
leichtere Arbeit an Deck ist wie auf einem Rahschiff.

An Bord des Schoners war mein besonderer Freund ein Deutscher, Namens
Nauke, ein verkrachter Geigenmacher, der als Kajütsjunge an Bord war.

Eines Tages, als wir in Honolulu ankern, fordert mich Nauke auf, mit an
Land zu gehen, und bringt mir gleich eine Dose kondensierte Milch aus
der Kajüte mit, weil ich die so gern mochte. Wir sahen uns dann den
König an, der im Park eines ihm von Amerika gebauten Palastes in einem
bequemen Rohrsessel, umgeben von zwei oder drei Weibern, beim Tee saß,
und erprobten darauf die Eßbarkeit der Roßkastanien, die vor des Königs
Parkgitter wuchsen, in der Annahme, auf Hawaii wäre alles eßbar. Da
kommt ein besser gekleideter Herr auf uns zu und fragt auf Englisch:
»Was treiben Sie hier?«

»Wir sehen uns den König an.«

»Ach was, König, ihr solltet den Hulla-Hulla-Tanz sehen.«

»Hast du Lust, Nauke?«

»Ja, wenn nette Mädels dabei sind,« antwortete Nauke.

Da fragt der Herr auf einmal, ob wir keine besseren Anzüge hätten? Ich
sage: »Nein, wir haben nichts Besseres.«

»Na,« war die Antwort, »dann ist das gleichgültig, dann bekommt ihr
einen Anzug von mir.«

Wir steigen nun zusammen den Schloßberg hinunter und wurden eingeladen,
in einem vierspännigen Eselwagen Platz zu nehmen. Ich sagte zu Nauke,
das schiene ja ein recht wohlhabender Mann zu sein. Da drehte sich der
Herr um und rief: »Sie müssen sich nicht so viel mit Ihrem Freund
unterhalten, ich kann auch deutsch.«

Als wir in die Zuckerplantagen außerhalb des Ortes gelangt sind, gibt
der Herr dem Kutscher das Zeichen zu halten. Wir gehen durch einen
Feldweg in die Plantage hinein und kommen zuletzt an ein vornehmes
Europäerhaus. In einer Einzäunung weideten junge Fohlen. Wie ich durch
die Riesenfenster der vornehmen Villa ins Innere blicke, bemerke ich
eine Reihe großer schwarzer Tische wie in einem Kollegsaal. Während ich
neugierig hineinschaue, bietet der Mann Nauke ein Stück Pudding an und
ersucht ihn, vor dem Hause zu warten. Ich warne ihn noch, er möchte
nicht weggehen.

Wie ich nun eintrete, wird mir sonderbar zumute. Der Mann führt mich in
einen Raum neben dem Saal mit den vielen Tischen. Dieser Raum hatte drei
Fenster und enthielt einen großen Tisch. Der Mann will die Tür
abschließen. Ich sage: »Nein, nicht schließen.«

Am Kopfende des Tisches war seltsamerweise ein Moskitonetz gespannt,
darunter lagen zwei Kopfkissen. Eine Seitentür führte zu einer Treppe,
die nach der Mansardenwohnung hinaufging.

Der Mann wollte nun ein Metermaß holen, wie er sagte, zum Anmessen des
neuen Anzugs. _Allright,_ sage ich.

Er geht die Treppe hinauf und ich setze mich neben die Tür auf einen
Koffer. Wie ich sitze, da gewahre ich unter dem Tisch zwei lange Kisten,
groß und schmal mit starken Verschlüssen auf beiden Seiten. Ich sage
mir: »Menschenskind, das kommt mir unheimlich vor. Wenn du nur nicht in
eine solche Kiste gerätst.« Ich verließ mich aber auf meine Kräfte,
hatte ja auch boxen gelernt. Da kam der Fremde wieder herunter, hatte
ein Maß, sprach mit mir und fing an, am Arm zu messen, seltsamerweise
von unten nach oben, und sagte: »_Thirty_«. Wiederholte es, murmelte noch
einmal Zahlen, drehte mich herum, klappte mir den Rock über den Rücken
herunter, so daß meine Arme behindert waren. Er sagt, die Beleuchtung
wäre ungünstig, und schiebt mich so, daß ich mit dem Rücken gegen die
äußere Tür stehe. Ich höre aber am Knirschen des Sandes, daß sich da
einer hinter der Tür bewegt.

In diesem Augenblick sehe ich am Fußende des Tisches auf dem Boden eine
Menge altes Zeug liegen, das Seeleuten gehören mochte, unordentlich
hingeworfen. Da kriege ich wieder Mut und denke: es mag doch mit dem
Anzug stimmen.

Er nimmt wieder Maß und schnallt dabei den Gürtel auf, legt ihn zusammen
mit meiner leeren Messerscheide auf den Tisch. Ich denke: du hast doch
ein Messer darin gehabt, hast noch dem Koch Kartoffeln schälen helfen;
solltest du es haben liegen lassen? Wie ich noch umhersehe, gewahre ich
auf dem Fensterbrett zwischen leeren Flaschen zu meinem Entsetzen einen
abgeschnittenen menschlichen Daumen, an dem noch eine lange Sehne hing.

Gerade habe ich noch Zeit zum Luftholen, der Mann wollte mir eben das
Beinkleid öffnen, dann hätte ich mich nicht mehr rühren können. Ich
schiebe den Rock wieder hoch, ergreife meine Milchdose und Messerscheide
vom Tisch, werfe den Kerl mit einem wuchtigen Stoße beiseite, gebe der
ersten besten Tür einen Tritt, daß sie aufspringt, und rufe draußen aus
Leibeskräften: »Nauke!«

Nauke kommt kauend an, ich kriege ihn zu fassen, laufe in die Plantage
und werfe mich mit ihm zwischen die Rohre.

Er fragt: »Was ist denn los?«

»Ja Nauke, wenn ich das wüßte.«

Ein Pfiff ertönt, Pferdegalopp, und etwa vier Menschen laufen zu Fuß
hinterdrein. Sie vermuteten uns auf dem Weg, den wir hergekommen waren.
Wir liefen aber am Haus vorbei nach der entgegengesetzten Richtung und
kamen nach längerem Umherirren wieder in Honolulu an den Strandweg. Ich
erzählte alles einem Polizisten. Der zuckte mit den Achseln. Wenn er
ausfindig machen sollte, wie oft hier Seeleute verschwänden, müßte eine
ganz andere Organisation erst neu geschaffen werden. Wir erzählten es
dem Kapitän, der sagte aber: »Sie hätten euch ruhig das Jack vertobacken
sollen, was treibt ihr euch auch draußen herum?«

Wir Kameraden verabredeten, am nächsten Sonntag die Bude in der Plantage
zu stürmen, und legten uns allerlei Waffen dafür zurecht. Aber am
Freitag kam der Befehl: Quarantäne! Da war eine ansteckende Krankheit
ausgebrochen.

So blieb für mich das Rätsel dieses Erlebnisses bis heute ungelöst wie
ein wirrer Traum. Ich weiß nicht, ob einer meiner Leser über den
Schlüssel des Verständnisses verfügt.

Das Messer hatte ich übrigens tatsächlich beim Koch liegen lassen.

So war alles ganz klug eingefädelt: Nauke bekam als der Schwächere den
Pudding. Erst sollte ich allein abgefertigt werden. Ein älterer Herr,
der Honolulu gut kannte, erzählte mir später, daß schon viele Seeleute
verschwunden wären, aber ein so genauer Bericht, wie der meinige, war
ihm noch nie bekannt geworden. Vielleicht haben alle anderen, die in
jenes Haus kamen, keine Gelegenheit mehr gehabt, zu berichten.

Ich sollte noch eine sehr peinliche Erfahrung durchmachen, bevor mein
brennender Drang, neue Berufe kennenzulernen, sich endgültig legte. Ein
Freund vom Schiff, August H., ein Neffe des berühmten Schäfers Ast, aus
Winsen an der Luhe, heckte einen Plan aus, an dem ich großen Gefallen
fand. Der Leser wird dem, was ich jetzt zu berichten habe, nur mit
Kopfschütteln folgen, auch wenn er bedenkt, daß ich noch in dem Alter
stand, welches Schülerstreichen eine gewisse Straflosigkeit verleiht,
und wenn man hinzurechnet, daß meine Erziehung doch stark aus den Fugen
gegangen war und das Herumschweifen unter immer neuen Menschen und
Völkern zur Festigung der moralischen Begriffe nicht gerade beitragen
konnte. Bei der Erinnerung an jene Tage kecken Schiffsraubs ist klar,
daß nicht nur äußere, sondern auch innere Gefahren meine Entwicklung
bedroht haben, und daß ich dem Geschick danken muß, das mich durch diese
verschlungenen Pfade doch nach oben geführt hat.

Also, mein Freund August und ich fanden es notwendig, einmal aus der
abhängigen Stellung an Bord hinüberzuwechseln zu einem selbständigen
Beruf, bei dem wir unser eigener Herr waren. Als Ideal erschien uns
diesmal das Fischerleben. Die Fische wollten wir schon besorgen, aber es
fehlte uns zunächst an einem dazugehörigen Fahrzeug. Es ist keine
Fischerei so ergiebig wie bei Vancouver. Ferner mußte ich ein Gewehr
haben. Wir wollten heute ein bischen fischen und morgen ein bischen
jagen und zugleich ein Schiff haben, damit wir uns sagen konnten, wir
hätten eine Heimat. Ein Gastwirt an Land, ein Stettiner, der uns viel
von den Rocky Mountains erzählte, hatte uns auch ein Gewehr gezeigt,
zwölfschüssig, System »Winchester Rifle«. Er sagte, daß es für drei
Dollar zu bekommen wäre. Es stand fest, daß wir ein »Winchester Rifle«
haben mußten. Bald waren wir glückliche Besitzer; das Gewehr wurde an
Bord versteckt. Wenn wir dann im Schiff den Rost zu klopfen hatten,
machten wir beim Schein der Petroleumfunzel in der Vorpik die
phantastischsten Pläne. Wir kamen auf die Idee, in dem Fischerdorf
Modeville eines der Segelboote an uns zu nehmen, dann hätten wir eine
Heimat, könnten Fische fangen und hinfahren, wo wir hinwollten. Wir
hielten uns den ganzen Abend in Modeville auf; man sah die Lagerfeuer
der Eingeborenen, die Halbindianer sind. Ich bekam Angst, weil die Hunde
so kläfften. Kleine Boote lagen am Ufer, wir nahmen eins, steuerten ein
Segelboot an, gingen leise hinauf und kappten einfach den Anker; das
Segel hatten wir schon losgemacht, es war zum Trocknen nur leicht
befestigt. Da nur wenig Wind war, trieben wir ganz langsam vom Land ab.
Kaum sind wir in Bewegung und haben das Segel gerade hoch, da sieht es
einer vom Land und glaubt, das Boot treibe ab. Sie machen ein Boot klar,
eilen sich noch gar nicht, denn das nur halb geheißte Segel war ihnen
nicht verdächtig. Da reißen wir noch einmal an der Gaffel, und das sehen
sie. Sie kommen immer näher. Was machen? Da endlich kommt das Boot aus
dem Lee der hohen Berge frei, und wir erhalten Wind. Ausgerissen sind
wir wie der Teufel. Da schossen sie an Land, aber wir sind glücklich
durchgekommen und die ganze Nacht gefahren nach Seattle herunter. Da
liegt ein deutsches Segelschiff, das außenbords gemalt wird. Wir kommen
vorbei und bitten um Schwarzbrot, Schiffszwieback und weiße Farbe. Mit
der Farbe haben wir das Boot weiß gestrichen und dann Fischerei
getrieben. Aber wir waren doch Zugvögel, die nicht an einem Platz
bleiben konnten. Nach kurzer Zeit hatten wir vom Fischen genug und
wollten das Boot heimlich wieder nach Modeville zurückbringen. Dabei
wurden wir entdeckt und als jugendliche Übeltäter vors Fürsorgegericht
gebracht. Die Taugenichtse wurden noch glimpflich behandelt und ein paar
Wochen unter Aufsicht gestellt. Wenn die Engländer freilich gewußt
hätten, daß sich mit diesem Schiffemausen ein Talent für später regte,
so hätten sie die Fürsorgeerziehung wohl über den Weltkrieg hinweg
ausgedehnt.

  [Illustration: Phylax Lüdicke.]



Drittes Kapitel.

Als Matrose rund um die Welt.


Nach diesen bösen Erfahrungen zog es mich wieder nach der Heimat. Darum
musterte ich auf dem englischen Viermaster »Pinmore« an. Auf ihr habe
ich nun die längste ununterbrochene Seereise meines Lebens gemacht, 285
Tage von San Franzisko bis nach Liverpool. Wir hatten lange
stillgelegen und wurden dann bei Kap Horn durch viele Stürme
aufgehalten. Das Unangenehme war, daß wir nur für 180 Tage Rationen
mithatten und auch das Wasser knapp und brackig wurde, da die Wellen in
die Wassertanks eingedrungen waren. So starben unterwegs sechs Mann an
Skorbut und Beriberi. Die Krankheit ging so weit, daß die Beine und der
Unterkörper wässerig anschwollen und beim Druck darauf die Druckstelle
nicht mehr zurückging. Wir fuhren nur mit Sturmsegel, weil keiner von
uns mehr imstande war, in die Takelage zu gehen. Wir lebten von halben
Rationen.

  [Illustration: »... Es war, als ob der Teufel auf >Pinmore< wäre.«]

Es war, als ob der Teufel auf dem Schiffe wäre. Kein Schiff, das wir um
Proviant hätten bitten können, begegnete uns auf dieser Fahrt. Keine der
Regenböen, die wir in der Ferne vorüberziehen sahen, senkte sich auf uns
nieder, um Wasser zu spenden. Als wir vor England auf der Höhe der
Scillys waren, wurde die letzte Portion Erbsen ausgegeben, und als im
Sankt Georgskanal der Schlepper kam, schrien wir alle: »Wasser, Wasser!«
Wenn man jetzt auch so viel trank, daß man sich übergeben mußte, der
Durst war nicht im mindesten gelöscht, so ausgedörrt war der Körper. So
verließ ich die »Pinmore«; unter welch eigentümlichen Umständen ich sie
als Pirat wieder betreten sollte, werde ich später erzählen.

Nach vierzehntägigem Lazarettaufenthalt ging es per Bahn nach Grimsby,
von da mit einem Wochendampfer nach Hamburg. Ich hatte gut verdient und
an die tausend Mark Erspartes mitgebracht. Die ließ ich mir in Silber
einwechseln, um recht viel zu haben.

Stolz schlenderte ich als Vollmatrose durch die Stadt. Es war Dezember,
die Zeit des Hamburger »Doms«, an welchem Volksbelustigungen aller Art
stattfinden.

Da war auch Lipstulian, der Ringkämpfer, 50 Mark waren ausgesetzt, für
den, welcher ihn würfe.

Die Kameraden sagten: »Mensch, das laß dir doch nicht zweimal sagen, du
schmeißt doch den Kerl.«

»Das mache ich nicht,« meinte ich, »wir sind doch in Hamburg.«

Aber Lipstulian rief: »Mensch, bring di en Büdel (Beutel) mit, dat du
din Knoken da drin wedder nah Hus nehmen kannst.«

Diese Äußerung fasse ich doch als Beleidigung auf und steige aufs
Podium. Der Ausschreier ruft: »Hereinspaziert, meine Herrschaften, das
Opfer hat sich gefunden.« Lipstulian läuft wie ein Stier auf und ab.

Meinen Geldbeutel hatte ich unserem Segelmacher zur Aufbewahrung
gegeben.

Ich werde in eine kleine Bude geführt, bekomme ein rot und weiß
gestreiftes Hemd an und einen Gürtel.

Das Zelt füllt sich. Man hatte das Eintrittsgeld rasch erhöht.

Wie ich auf das Podium herauskomme, schaut Lipstulian meine Arme an und
wird stiller. Der Ausrufer verkündigt: »Noch sind es Freunde, noch
reichen sie sich die Hand.« Dann ging es los. Es war aber kein
technischer Ringkampf, sondern lediglich eine Kraftprobe. Er will mich
zu sich heranziehen und überkippen, als ich noch dastehe, bevor das
Zeichen gegeben war. Da wurde ich wütend. Es ging immer abwechselnd mit
dem Angriff. Ich setzte an, konnte ihn aber nicht lüften. Die Leute
riefen: »Du bist doch ein Hamburger, du mußt doch den Kerl kriegen!« Ein
Schiffsmaat setzte noch 50 Mark, wenn ich ihn runterbrächte. Beim
dritten Male ziehe ich ihn hoch, drehe ihn herum, er will sich mit dem
Fuß gegen eine Zeltstütze halten, rutscht aber dabei aus. Ich werfe ihn,
er liegt auf dem Boden. Da behauptet der Ausschreier, ich hätte ihn
nicht auf dem Rücken gehabt. Aber da bewegte sich das Zelt geradezu in
Diagonalen vor Empörung des Publikums. Man bezahlte mich in Silber, gab
mir aber nur 20 Mark statt der vereinbarten 50. Ich sollte darüber kein
Aufsehen erregen, wurde von den Kameraden auf den Schultern in eine der
nächsten Zeltwirtschaften getragen und mußte hier feste als Sieger
ausgeben.

  [Illustration: Als »Meisterschaftsringer von St. Pauli«.]

Das blieb mein einziges öffentliches Auftreten als Athlet. Aber die in
Queensland erworbene Kraft habe ich mir auch später durch Übungen zu
erhalten gesucht und ihr verdanke ich es, daß ich kürzlich in
Düsternbrook, selbst unbewaffnet und allein, zwei Straßenräuber, die
mich mit zwei Parabellumpistolen und einem Totschläger anfielen,
entwaffnen und niederschlagen konnte. Bei der bedauerlichen
Unsicherheit, die sich in Deutschland verbreitet hat, kann ich
wenigstens diesen Teil meiner ungewöhnlichen Erziehung zur allgemeinen
Einführung empfehlen.

Nach vierzehntägigem Landaufenthalte musterte ich an Bord der »Cäsarea«
an; das war mein erstes deutsches Schiff.

  [Illustration:
  »... musterte ich an Bord der >Cäsarea< an.« (× Phylax Lüdicke.)]

Freund Nauke kam mit. Die Reise ging wieder nach Australien, und zwar
nach Melbourne mit einer Ladung Stückgüter. Der Kapitän war in vielem
tüchtig, aber ein Genie an Knickrigkeit, und der Koch arbeitete in
seinem Sinn und unterstützte ihn, indem er uns mangelhaft verpflegte.
Der Schiffskoch heißt in der Schiffssprache »Smutje«, d. h.
Schmierlappen.

Ich sitze eines Tages im Top auf der Bramrahe und denke an gar nichts,
und Smutje hantiert in der Kombüse unten und pfeift das Lied: »Mein
Herz, das ist ein Bienenhaus« so recht süß und selig vor sich hin. Da
auf einmal werden zwei Arme sichtbar und zwischen ihnen ein Tablett. Was
schiebt der Smutje denn da aus der Kombüse heraus auf das Dach? Ich
traue meinen Augen nicht, ein ganzes Tablett voll Pfannkuchen.

Was? denk ich, Pannkauken auf hoher See, tausend Meilen ab vom Land,
frisch und warm ...

Die schrien mich ja ordentlich an. Ich von oben herabgerutscht,
rangeschlichen, die Pannkauken in die offene Brust gestopft ... was war
das heiß, aber einerlei ... und wieder auf den Mast zu meinem Platz. Ich
verbrannte mir das Fell, aber was tat das. Vierzehn Pannkauken, was ist
das für ein Genuß.

Smutje flötet immer weiter. Na, du wirst schon merken, was dein Herz für
ein Bienenhaus ist!

Nach einer Weile greift Smutje mit einem sicheren Griff herauf nach den
inzwischen genügend gekühlten Kuchen, ganz vorsichtig, damit bloß kein
Pfannkuchen herausfällt ... Man hört einen langen Durchreißerauspfiff
und dann den erstickten Schrei: »Min Pannkauken ...«

Er geht auf das Kombüsenhaus, in der Meinung, daß sie vielleicht durch
das Rollen des Schiffes aus dem Tablett gerutscht seien. Auch das nicht!
So ein Spitzbubenpack, verdammtes!

Ich rufe von oben herunter: »Wer ist hier Spitzbubenpack?«

»Daß du dat nich west bist, Filax (so wurde ich an Bord genannt), dat
könnt mi mine fief Sinn'n seggen.«

»Dat will ik meinen,« rief ich beruhigt zurück.

Als die Wache beendet war und ich vom Mast herunter kam an der Kombüse
vorbei, ruft mich Smutje: »Filax!«

»Wat is los?« sag' ich.

»Ik will di wat seggen: de eenzigste ehrliche Kirl hier an Bord büst
du!«

»Dat weet ik! wat is los?«

»Ik will di wat seggen, Filax. Ik bün vun Natur en upmerksamen Minsch,
dat weetst du (das Gegenteil war richtig), un hüt hett de Kaptein
Geburtsdag, ik hev em 'n poor Pannkauken backt, du weetst jo, ik bün de
eenzige Minsch, de em wat schenken kann, un da is so en Lump west, de
klaut mi alle vertein weg.«

»Gott,« sag' ich, »vertein Pannkauken?!«

»Un wenn du mi versprechen deist, den Kirl utfindig to maken, denn gah
hen un fret dat Preißelbeerkompott. Dat hett doch keen Zweck mehr för
mi.«

Während ich das Kompott ausschlecke (das war gerade so ein feiner
Happen), frage ich, wie ich das machen solle, den Kerl herauszusuchen?

»Jo,« meint er, »du möst tosehn, wer nich to Middag fret, wer keen
Apptit hett, de is de Lump.«

Nach dem Mittag kommt er auf mich zu: »Hest em funnen?«

»Ne, de hebbt all freten.«

»Awwer du krigst em rut?«

»Man en beten töwen (warten), ik krig em rut.«

Mit der Zeit beruhigte Smutje sich. Eineinhalb Jahre später wurden wir
in Liverpool abgemustert. Da lädt er mich zu einer Painexpeller
(Bittern) ein; wir wollten den Abschied feiern. Nun rührte mich doch das
Gewissen und ich sagte ihm Bescheid. Er hatte gerade zwei Glas bezahlt,
die standen eingegossen vor uns.

»Ik weet, Smutje, wer de Kirl west is, de di din Pannkauken opfreten
hett. Wi gaht jetzt utenanner, do möt ik di 't seggen: Ik bün dat west.«

»Büst du dat west?« guckte er mich groß an, machte kehrt, ließ die
beiden Bittern stehen und hat mich nicht wieder angeblickt.

Die beiden Gläser konnte ich natürlich nicht stehen lassen, und mußte
sie beide selber austrinken.

Nach langen Jahren hat sich Smutje mit mir übrigens wieder versöhnt. Ich
traf ihn einmal in Hamburg, als ich eben im Begriff war, ein Auto zu
besteigen, um zu einer Abendgesellschaft zu fahren. Auf einmal ruft mich
jemand »Filax« an. Ich sehe mich um und erkenne meinen Smutje.

»Hallo, Filax, Minsch, so fein in Tüg? Büst du bi de Marin? Un damals
harst du kee heile Büx an 'n Lief.«

Ich gab die Gesellschaft auf, um den Abend mit meinem wiedergefundenen
Smutje zu verleben, nahm ihn mit mir ins Hotel Atlantik, wo ich ihn zu
einer Flasche Champagner einlud, um das Wiedersehen zu feiern. Als der
Kellner den Sekt aufträgt, will Smutje gleich mit dem Kellner anbändeln.
Als dieser mich aber nach meinen Wünschen fragte und mich dabei mit
meinem wirklichen Namen anredete, ging ein Strahl der Verklärung über
Smutjes Gesicht. Der Zusammenhang meiner Laufbahn war ihm zwar im
Augenblick noch dunkel. Als ich ihm aber auf seine Frage: »Filax, büst
du denn en wirklichen Grof?« antwortete, daß ich einer sei, sagte er:
»Na, denn kann ik ja stolz up sin, dat mi en Grof de Pannkauken klaut
hett!«

Da war noch eine andere Geschichte mit Smutje passiert, als wir mit der
»Cäsarea« in Melbourne waren. Der Kapitän hatte den deutschen Konsul
eingeladen und sagte zu Smutje: »Wir geben ein Diner.«

»Dat könt wi jo don, Kaptein.«

»Awwer wie möten wat Ornlichs gewen, de Konsul kümmt.«

Smutje setzte sich sofort aufs hohe Pferd. Bei solchen Anlässen kann er
alles.

»Aber,« meint der Kapitän weiter, »wir wollen doch nicht so teure
Ausgaben machen.«

»Jo, Kaptein, denn gewen wi Aantjes (Enten), dat is doch so wat Good's,
un kost nich veel hier an Land.«

»Awwer,« meint der Kapitän, »dat is doch so 'ne Sak. Denn denken de Lud,
ik harr Geburtstag un se kreegen Aantjesbraten.«

»Dat laten Se man min Sorg sin, Kaptein, ik koop de Aantjes in 'n Sack.«

Wie Nauke, der Schiffsjunge, das hört, wickelt er mich in das erlauschte
Geheimnis ein.

Da höre ich, wie der Kapitän den ersten Steuermann einlädt: »Ich lad Sie
zum Diner ein.«

»Dank schön, Kaptein, dank schön.«

»Awwer de Kragen umbinnen, de Konsul kümmt.«

»Dank schön, Kaptein,« sagte der Erste, und streicht schmunzelnd den
Bart. Dann geht der Kapitän zum zweiten Steuermann. »Ich lad Sie ein,
heut abend um acht Uhr, der Konsul kommt.«

»Dank schön, Kaptein,« sagte der Zweite und wischt schmunzelnd den
Handrücken längs des Bartes.

Es war ein Sonnabend. Ich sehe die Enten da, wie sie in die Pfanne
gebracht werden. Ich sitze an der Luke und setze einen Flicken auf meine
Hose, tue, als ob ich nichts weiter vorhabe, beobachte heimlich die
Enten, die jetzt gerade mit Pflaumen und Äpfeln gefüllt werden (das mag
ich ja so gern), und warte nur auf den Augenblick, wo Smutje nach
achtern geht und Zutaten holt.

Ich ahne gar nicht, daß der Kapitän auf der Brücke sitzt, die Zeitung
liest und dabei die Enten unter Auge hält. Er hat ein Loch in die
Zeitung gebohrt und peilt dadurch auf die Enten.

Mich konnte er nicht gewahren, weil Kapitän, Mast und ich in einer
Peilung stehen, aber da sieht er die überstehende Hose, an der ich
flicke, und auf einmal fliegt mir ein Lukenkeil ins Genick: »Du
Spitzbube, du riechst wohl Heimatklänge? Hast dir die Büx zum Einpacken
gleich mitgebracht. Aber töw man!«

Ich verließ also meinen Platz und brummte: »Ich brauche Ihre Enten
nicht, ich habe mehr Enten gegessen in meinem Leben wie Sie.« Dieser
Angriff war abgeschlagen.

Abends kommt der Konsul. Der Kapitän empfängt ihn. Man hat sich fein
gemacht zum Diner, Wäsche angezogen und so weiter, die Nägel geputzt.
Der Konsul wird in die Kajüte gebracht. Er ist der einzige, der eine
Serviette bekommt. Nauke und ich hatten uns auf den Lichtschacht gesetzt
und guckten zu, wie da die drei Enten auf dem Tisch lagen. Wir hatten
uns schon einen Bootshaken mitgebracht für den Augenblick, wo sich der
Konsul verabschiedete, und ordentlich Tabak für die Zwischenzeit und
warteten und hörten zu.

Der Kapitän aß recht wenig und infolgedessen hielten sich auch die
Steuerleute zurück. Sie wurden überhaupt nicht gewahr, daß die Enten
gefüllt sind mit Plum und Appels.

Als sie fertig sind, werden die Enten nicht weggenommen. Smutje will sie
zwar abholen, aber der Kapitän winkt ihm ab. Wie der Konsul geht und der
Kapitän ihn hinausbringen muß, läßt dieser mißtrauische Geizkragen erst
die Steuerleute aus dem Raum gehen; sie hätten sich sonst am Ende eine
Keule von dem Vogel herunterreißen mögen. Der Kapitän befiehlt nunmehr
Smutje, er solle die Enten in die Pantry[5] setzen. Da ging uns ein
Licht auf!

Also der Konsul ging von Bord und der Kapitän sagte: »Na, gute Nacht,
erster Steuermann, hoffentlich ordentlich satt geworden!«

»Dank schön, Kaptein,« war die etwas zweifelnde Antwort.

Ebenso der Zweite.

Nach einer Weile wird's still.

Nun auf zur Pantry! Da konnten wir ja von Deck aus durch das Bullauge[6]
hineinlangen.

Wir warteten, bis alles zu Bett war, Smutje war nach vorn gegangen, dann
greife ich rein ins Bullauge.

Richtig: Ich hab' einen Vogel.

Ich taste ihn ab, hole mir erst mal die Füllung raus, ahne aber nicht,
daß da in der Pantry der Kapitän drinsitzt und sich satt ißt. Ich lange
also von oben runter, hole die Füllung raus und stecke sie in die
Hosentasche, fühle auch, daß drinnen ein anderer, noch ganzer Vogel ist
und nehme ihn weg.

Und als ich ihn halb hoch habe, da gewahrt das der Kapitän, wie der
Vogel hochgeht, und schreit, eine halbe Keule zwischen den Zähnen, voll
Entsetzen:

»Min Vagel!«

Er kriegt mich zu fassen und drückt mir den Arm runter. Ich konnte ja
auch nichts sagen und mußte mich zusammenkneifen. Er rief: »Laß den
Vogel los,« langt aus dem Spind ein besseres Tauwerk für
Liebhaberknüpfarbeiten, bindet meinen Arm damit fest an den Messinggriff
der Schublade, um heraus zu kommen und sich zu überzeugen, wer der
Spitzbube ist. Nauke greift unterdessen in meine Hosentasche und holt
die Füllung heraus, damit die nicht durch die bevorstehende Keile auch
noch zerkloppt wird.

Der Kapitän kommt an. »Ach so, du, Filax! Du magst keine Enten, nicht?
Aber Tauenden magst du!«, holt das dickste Tauende und haut auf meinen
Ischiatikus.

An allen Gliedern hinkend schleiche ich mich schließlich nach vorn und
rufe: »Nauke!« Er kommt an ... »Gib mir mal von der Füllung, Nauke!« Da
hat der Kerl die Füllung aufgegessen. Na, so kaputt wie ich war, so
kriegte ich doch einen Wutanfall, und Nauke bezog an diesem Abend noch
ebensoviel Ischias, wie ich selbst.

Übrigens, Smutje ist doch mit dem Kapitän einmal auseinander gekommen
wegen einiger Schinken, die wir heimlich aus der Kajüte
herausbugsierten, während der Kapitän den Smutje in Verdacht hatte, daß
er sie beiseite geschafft hätte. Schließlich war der Koch so gekränkt,
daß er in Newcastle vom Schiff weglief.

Nun war kein Koch, kein Smutje da. Die Kameraden wurden gefragt, aber
keiner von ihnen wollte Koch sein. Die Smutjes spielen sich im
allgemeinen furchtbar auf als unentbehrliche Personen, als ob sie die
einzigen wären, die ihr Fach verstehen. Dabei können sie zuweilen nicht
viel mehr als Erbsensuppe kochen und allenfalls ein paar Pfannkuchen
backen. Schließlich sagte der Kapitän: »Wenn eben keiner Koch sein will,
dann muß ich einen kommandieren.« Er fragte mich: »Filax, kannst du
Water koken?«

»Ja, Kaptein!«

»Dann rin in de Kombüs. Und wehe, wenn du die Arften (Erbsen) anbrennen
läßt.«

Ich war ganz erfreut, daß ich Smutje wurde, dachte zuerst natürlich an
de Plums und Pannkauken. Mir wurde alles gezeigt vom zweiten Steuermann,
der heißt an Bord »der Specksnider,« weil er das Salzfleisch und
Proviant herausgibt und verwiegt, als Vertrauensmann, der ein Examen
hinter sich hat und vor dem Gesetz verantwortungsvoll ist. Ick frett nu
so in de Plums herum, in de Appels, den gedörrten Ringäpfeln, und ließ
mir kaum Zeit, bei den Plums die Steine auszuspucken. Dann überholte
ich die Kajüte vom Kapitän mal ganz genau; er hatte da Obst in Gläsern,
und ich habe gleich zwei Flaschen mit Preiselbeeren den Hals abgedreht,
dann eine Dose Mixpickles und was ich da so fand. Ich dachte nur an das
Sattwerden: »Du hest dat verdeent, Filax; wer weet, wie lang du Smutje
bliwwst, denn hest du din goode Dag' hadd.«

Den ersten Tag habe ich dann Erbsen gekocht. Die gerieten sogar sehr
schön. Ich hatte gleich etwas Liebe darauf verwandt und einen
Schinkenknochen mit hineingesteckt, um mich beliebt zu machen, auch eine
halbe Flasche Rotspon (vom Kaptein) zugegossen. Da sagten der Kapitän
und die Leute: »Ah, wat is dat för 'ne feine Supp! Filax, bliw du man in
de Kombüs, du versteihst den Kram.«

Das machte mich gleich sicher, und am andern Tag brannten infolgedessen
die Erbsen an. Ich hatte gehört, in solchem Falle gibt man Soda hinein,
wußte aber nicht, wieviel. Da dachte ich: »Tu mal ordentlich einen
Schlag rein,« und so warf ich zwei Handvoll rein und wieder eine halbe
Flasche Rotwein hinterher. Da sagten sie: »Filax, die sind ja noch viel
besser als gestern: die sind ja ordentlich sämig worn. Wie hast du das
gemacht? Mensch, Filax, du bist ja der geborene Koch.«

Aber ... um sechs Uhr abends, da hatte das Soda gewirkt. Ich flieg' aus
der Kombüse, der Kapitän war drei Tage krank, und die Folge war; daß
Nauke in die Kombüse kam.

Ich war nun wieder der Verantwortung ledig. Nun nahmen wir für die
Kajüte Dauerwurst über, die sollte für die Reise in Segeltuch eingenäht
und mit Kalk bestrichen werden, damit sie sich besser hielt. Dazu werden
die Leichtmatrosen genommen, weil die Meinung besteht, daß sie die
ehrlichsten sind, noch nicht verdorben. Ich war für so etwas nicht
beliebt.

Die Leichtmatrosen bekamen aber aus der Ferne einige geheime
Anweisungen. Da wurde ein Besenstiel zersägt, von der Wurst auf beiden
Seiten das Ende abgeschnitten, beiderseits an das Besenstielstück
angesetzt und das ganze dann fest in Segeltuch eingenäht und verkalkt.
Der Kapitän hielt über die 160 Würste die Kontrolle ab, sah hinten und
vorn auf die Wurstenden, und sagte: »Gott sei dank, Jungens, daß ihr
noch ehrliche Kerls seid.« Bei einem halben Dutzend der Würste hat er
sich nachher beim Anschnitt aber verwundert.

Vier Wochen, nachdem Smutje weggelaufen war, bekamen wir ihn wieder. Da
hatte die Hafenpolizei ihn in einem Hotel aufgefunden, worein er sich
großspurig als Koch gesetzt hatte. Gewöhnlich geht ja, wer ausrücken
will, erst am Tag vor der Abfahrt davon, da ist dann keine Zeit mehr zu
Nachforschungen.

  [Illustration:
  Die Mannschaft der »Cäsarea«, unter ihr Phylax Lüdicke (vom Beschauer
  gesehen der zweite Mann von links in der mittleren Reihe der Stehenden).]

Die Schiffskost ist sehr einfach und gleichmäßig: Montags Erbsen,
Dienstags Bohnen, Mittwochs Erbsen, Donnerstags Kabelgarn
(Konservenfleisch), Freitags Bohnen, Sonnabends gibt es Graupen, Sonntag
ist der Tag des Herrn, da gibt es Plum un Klüten (Pflaumen und Klöße).
Am Sonntag besteht die Sitte, daß jeder der Reihe nach einmal anfangen
darf, sich sein Teil aus der Schüssel heraus zu holen. Derjenige der so
an der Reihe ist, der darf den großen Schöpflöffel, den »Politikus«, so
voll nehmen, wie er kann, damit sich jeder einmal ordentlich satt ißt;
aber dies Vorrecht hatte eben nur der, der anfing. Ich hatte lange
geklügelt, wie ich das wohl am besten machen sollte, wenn ich daran kam,
um »oll Fischermann sin Söhn« zu sein, wie es von dem hieß, der tüchtig
viel fassen konnte. Und so hatte ich mir ein Verfahren ausgedacht. Wie
ich nun rankomme, da habe ich mit dem Politikus alles in der Suppe erst
mal in Drehung gebracht, in volle Fahrt. Die Suppe, worin die Plum un
Klüten herumschwammen, war ein Brei, der von dem Löffel ja bald
herunterlief, wenn man zufaßte. Ich brachte also das Zeug in Bewegung,
drehte dann den Löffel in entgegengesetzte Fahrt und faßte zu. Min God,
was hatte ich da für einen vollen Löffel! Den Leuten, die da sagen
wollten, ich wäre oll Fischermann sin Söhn, denen blieb das Wort
ordentlich in der Kehle stecken. Aber was hatte ich davon? Jeder, der
nach mir rankam, nahm von jetzt ab meine Klütentheorie auch an.

In Melbourne wurde die Ladung gelöscht und mit Ballast nach Newcastle,
dem größten Kohlenplatz Australiens, weitergesegelt. Hier wurden Kohlen
eingenommen mit der Bestimmung nach Caleta Buena in Chile.

Neujahr habe ich in einem chilenischen Gefängnis zugebracht. Das kam so.
Wir waren an Land und feierten Neujahr, den größten Feiertag in der
dortigen Gegend. Der Seemann feiert gern mit, aber er kann nicht viel
vertragen. So ging es auch mir. Als ich es endlich doch vorzog, an Bord
zu gehen, bildete ich mir ein, daß ich in einer bestimmten Richtung am
schnellsten an Bord käme. Ich überkletterte deshalb eine Mauer ... und
landete in einem Schweinestall; er war ziemlich groß, die Schweine
grunzten mich an. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin und steuere nach einem
Laden zu, aus dem einige Lichtstrahlen herausdringen. Ich klopfe an den
Laden, worauf ein alter Mann herausruft: »Was wollt Ihr?« Ich sage:
»_Buenas noches, Señor._« Das war alles, was ich auf Spanisch erklären
konnte. Er sagte: »Warte ein wenig.« Ich warte. Die Tür ging auf und der
Mann fragte mich, wohin ich wollte. Ich sage: »Ich will an Bord.«

»Warte, ich werde dich an Bord bringen.«

Der Mann ist sehr freundlich zu mir; in ein paar Brocken Englisch
versuchen wir uns zu verständigen. Auf meine Frage: »Ich komme doch ganz
sicher hier an Bord?« antwortet er: »Jawohl.« Da führt mich der Mann zu
meinem größten Erstaunen in ein Haus, vor dem eine Polizeiwache steht.
Ich ahne noch nichts. Er bringt mich zur Wache hinein. Wie sich später
herausstellt, hat er der Polizei erzählt, ich hätte ihm Schweine stehlen
wollen. Ich wurde festgehalten, protestierte stark; sagte »Schweinerei,
ich will an Bord.« Es nützte nichts. Sämtliche Sachen, die ich bei mir
hatte, wurden mir abgenommen. Ich kam in einen Empfangsraum, wo mehrere
Leute bereits auf dem Fußboden lagen, Seeleute und andere, überhaupt
alle, die das Neujahrsfest zu gut gefeiert hatten.

An den vier Wänden war eine schmale Bank zum Sitzen. Ich setzte mich
darauf, schimpfte noch, Müdigkeit überwältigte mich, ich schlief ein.
Mit einemmal wird die Tür aufgerissen und in hohem Bogen fliegt ein
Frauenzimmer herein, großen Spektakel machend. Ich wache auf, nehme
wenig Notiz und penne wieder ein. Diese Person schien nun den
geeignetsten Platz zum Schlafen auf der schmalen Bank zu finden, denn
als ich wieder aufwache, liegt sie mit ihrem Kopf auf meinem
Oberschenkel und schläft fest. Ich bin nicht wenig erstaunt und gehe
nicht sanft um mit dem zarten Geschlecht, sondern schiebe sie weg. Sie
fängt an fürchterlich zu schreien: »_Robadores, Carajo!_« Da kommt die
Wache herein, fragt, was los ist; Señora klagt mich an, ich hätte sie
geschlagen. Der Kerl von der Wache packt mich und schmeißt mich in einen
dunklen Arrest. Die Tür wird aufgeschoben, es geht steil hinunter. Ich
hatte noch keinen Halt, schieße nach vorn, da ich nicht stoppen konnte,
und falle über Esel- und Maultierkummets in dicken Salpeterstaub. Ich
lege mich auf die Eselkummets und schlafe weiter.

Morgens wird eine Schüssel hereingeschoben. Ich fühle in der Finsternis
mit den Fingern, was das ist, und merke: gesalzener Reis. Pfui Teufel!

Wenn ich bloß wüßte, wie spät es ist. Da höre ich Ratten in meinem
Reispott; sie kümmern sich gar nicht um mich. Sie sind anscheinend die
Gesellschaftstiere dort und warten nur, bis wieder einer Dunkelarrest
bekommt. Ich denke, daß ich bald herausgeholt werde. Aber ich sitze ein,
zwei, drei Tage und weiß überhaupt nicht, woran ich bin. Endlich nach
drei Tagen holte mich der Steuermann heraus. Der Kapitän hatte zwar
erfahren, daß ich in dem »Kallabus« saß, aber keine Eile gehabt, mich zu
erlösen: »Ach Filax, der versäumt ja nichts, wir haben doch drei
Feiertage.«

In Chile wurde Kohle gelöscht und Salpeter geladen. Beide Mal mußte
jeder mit Hand anlegen, da es keine Arbeiter gab. Was war das für eine
Hitze und unglaubliche Anstrengung! Es war so heiß, daß man es schon an
Deck kaum aushielt. Der dunkle Schiffskörper aber fing vollends die
Strahlen auf, dazu die Tropenhitze von außenbords und heiße Ausstrahlung
der Kohle. Die Nasenschleimhäute entzündeten sich infolge des trockenen
Kohlenstaubes. Wenn man erst Grund hatte mit der Kohlenschaufel auf dem
Schiffsboden, dann ging es; aber ehe man so weit war! Dazu die
furchtbare Schiffskost und die lange Arbeitszeit. Man war so dumm, daß
man für einen Schnaps, der vielleicht 10 Pfennig kostete, eine Stunde
länger arbeitete.

Als in nicht minder harter Arbeit Salpeter geladen war, ging es nach
Plymouth. Auf dieser Reise wurde ich zum Vollmatrosen befördert. Auf
amerikanischen Schiffen war ich schon vorher Vollmatrose gewesen, auf
deutschen mußte ich aber wegen ungenügender Fahrtzeit nochmals
Leichtmatrose sein. Nun wurde ich also Vollmatrose, da ich laut
Logbuch[7] die Oberbramsegel ganz allein festgemacht hatte.

Als wir zu den Falklandsinseln kamen, setzte ein mächtiger Orkan ein.
Erst konnten wir vor dem Wind wegsegeln. Das Schiff war ein guter
»Lenzer«, d. h., es lief gut vor dem Winde. Das Mitlaufen des Wassers am
Heck ist sehr verschieden, mitunter saugt es sich geradezu fest, andere
Schiffe werden es gut los. Anderseits darf man, wenn Sturm und See zu
stark werden, nicht zu lange vor dem Winde herlaufen (»lenzen«), sonst
kann man nicht mehr beidrehen. Verpaßt man den richtigen Moment, so geht
das Schiff dadurch verloren, daß die See hinten über das Deck läuft und
von achtern bis vorn klar Deck macht und alles wegreißt.

Wir »lenzten« also und standen in bangen Minuten, wenn die See von
hinten aufkam und dann rechts und links mitlief. Wir standen jetzt in
äußerster Gefahr, daß Brechseen über das Schiff liefen, und steckten
alle Trossen, die wir hatten, achtern heraus, so daß sich die See darin
verfing und brach.

Unser Schiff machte in diesem Orkan mit nur vier Segeln tüchtige Fahrt,
denn wir liefen zehn Meilen durchs Wasser und noch mehr über Grund.
Letzteres nennt der Seemann die Strecke, welche das Schiff noch durch
die See vorwärts geschoben wird, während »durchs Wasser« dasjenige
bedeutet, was lediglich durch die Segel vorwärts gebracht wird.

Nun kamen wir in das Zentrum des Orkans, das sich dauernd in einer
gewissen Richtung fortbewegt. Zuerst dieser wahnsinnige Sturm, und nun
im Zentrum plötzlich Totenstille, sternklarer Himmel, aber um uns her
rollt das Wasser von allen Seiten wie in einem kochenden Kessel. Draußen
aufgewühlt strömt es nach innen. Der Laie glaubt, im Zentrum wäre der
Orkan am stärksten, aber da herrscht gar kein Wind und gerade darum ist
hier die Gefahr am furchtbarsten. Denn das Wasser schießt und stürzt aus
allen Richtungen an Deck, das Schiff hat beim Fehlen des Windes in den
kreuzweisen Seen keinen Halt mehr, und kann nur gerettet werden, wenn
man das Zentrum schnell passiert. Eine Bordseite nach der andern taucht
ins Meer und es ist die Frage, wie lange es die Takelage in dem Hin- und
Herschlingern der wechselnden Seen aushält, ohne über Bord geworfen zu
werden.

Wir verloren nun die ganzen Stengen von den Masten nicht durch den
Sturm, sondern eben durch das Schlingern. Nach einer halben Stunde,
während der uns die Seele förmlich aus dem Leib geschlingert wurde, sind
wir aus dem Zentrum, der Sturm setzt plötzlich wieder mit doppelter
Gewalt ein und alles aus der Takelage bis auf die Mars- und Unterrahen
kommt von oben, verfängt sich im Ruder, hängt draußen über Bord. Das
Deck ist voll Wasser, und jetzt springt der Wind um 8 Strich herum ...,
wir hatten gerade zur rechten Zeit die Rahen gebraßt. Wie durch ein
Wunder kamen wir so aus dem Orkan heraus. An Deck war alles kaputt
geschlagen, im Schiff stand hohes Wasser ... wir hatten aber durch das
lange Lenzen eine gute Meilenzahl hinter uns, was für ein Schiff, das
nach Hause geht, ja doppelt viel wert ist. Tag und Nacht gab es zu tun,
durch Aufbringen von Notstengen die Takelage auszubessern.

Wir kamen also mit 120 Tagen Reise in Plymouth an, die Mannschaft
musterte ab und nur ich blieb an Bord mit dem alten Steuermann und mit
Nauke. Smutje verließ das Schiff. Die Ladung wurde gelöscht, wir nähten
die Segel, setzten das Schiff instand, klopften Rost und taten alles, um
wieder reisefertig zu werden. Von Hamburg wurde ein Teil der Besatzung
geschickt. Den Rest derselben musterten wir in England an, aber es waren
nur Heizer und Trimmer, die noch nie auf einem Segelschiff gefahren
hatten. So war es eine jammervolle Besatzung und die wenigen Guten von
uns mußten sich vollkommen einsetzen.

Der Schiffsboden, der durch die lange Fahrt mit Gras und Muscheln
bewachsen war, wurde im Dock gereinigt und neue Ladung eingenommen,
Kreide in Fässern. Infolge des großen Gewichts derselben war das
Zwischendeck freigeblieben. Nur hinten hatten wir eine Ladung Arsenik,
300 Gewichtstonnen in kleinen Fäßchen, die aber ihres schweren Gewichts
wegen nur geringen Raum einnahmen. So gab es eine ungünstige
Verstauung.

Mit diesem Schiff hoffte der Kapitän schnelle Reise nach Neuyork zu
machen. Aber wir hatten einen Sturm nach dem andern und kamen nicht
vorwärts. Die Trimmer und Heizer konnten weder steuern, noch Segel
festmachen. Sie bekamen mehr Heuer als wir, und wir sollten ihre ganze
Arbeit für sie tun. Die Folge war, daß man ziemlich derb mit den Leuten
verfuhr. Sogar unsre Hamburger Schiffsjungens, deren Pflicht es war, das
Logis instand zu halten und zu waschen, wollten dies nicht mehr für
diese Dampferjochens besorgen, die weniger konnten, als sie selber.

Diese wahnsinnigen Stürme! Endlich kommt Weihnachten, und zum erstenmal
ist es schön Wetter und günstiger Wind. Wir haben nach langer Zeit
wieder Bramsegel stehen. Es war ein wunderbares Gefühl, einmal trockenes
Deck zu haben. Der Kapitän sagte: »Das ist ein Zeichen von Gott, wir
wollen auch ordentlich Weihnachten feiern.«

Wir bauen einen Weihnachtsbaum nach alter Seemannsweise aus einem
Besenstiel, schmücken ihn mit buntem Papier, Staniol und Flittertand,
beschenken uns jeder mit einem Pfund Tabak, der Kapitän schickt uns
einen Schinken und eine Bowle nach vorn. Als die Lichter angezündet
sind, geht eine Abordnung nach achtern, wünscht dem Kapitän frohe
Weihnachten, eine gute Fahrt, und bittet ihn, sich den Baum anzusehen.
Der Kapitän kommt nach vorn, Smutje bringt die Bowle; und wir stehen da,
haben unsre Mock (Trinkgefäße) klar, um auf das Wohl des Kapitäns
anzustoßen; da auf einmal fällt eine weiße Böe von vorn ins Schiff.

Sie heißt »weiß«, weil sie bei ihrer Annäherung nicht zu sehen ist.

Sie kommt direkt von vorn, das Schiff macht Fahrt über den Achtersteven,
die Vorstengen krachen über Bord, daß eine Rahe durch meine Koje rast,
die Großstengen gehen über Bord, alles stürzt zusammen, nur die
Untermasten stehen noch.

Wir hinaus, sehen das Tohuwabohu an Deck, rechts und links hängt die
große Takelage herunter. Der Kapitän stürzt zum Ruder, da liegt der
Rudersmann unter dem Rad, total zerschlagen. Er starb zwei Tage später.

Jetzt begann der Kampf mit dem Element. Mit Äxten und Beilen wurde
gekappt, die Segel an den Unterrahen, die einzigen, die oben geblieben,
mußten in den Wind gepraßt werden, um das Schiff überhaupt zu halten.
Nach vier Stunden harter Mühe waren wir so weit, daß wir das Schiff
einigermaßen in der Hand hatten. Daß dabei keiner totgeschlagen wurde,
während die Brechseen fortwährend über das führungslose Schiff rollten,
war ein wahres Wunder.

Die schlechte Mannschaft hatte sich einfach verkrochen; die Wut auf sie
war so groß, daß sie sich nicht sehen lassen durfte. An Bord wird nicht
gefragt, wie lange Arbeitszeit ist, da gibt es keine Überstunden. Bei
Gefahr muß jeder heran. Der Matrose schickt keinen Jungen nach
gefahrvollen Stellen hin, sondern er geht selbst, das ist ihm
Ehrensache. Das Deck hatten wir einigermaßen klar, der Sturm steigert
sich allmählich zum Orkan. Wir kämpfen uns durch die ganze
Weihnachtsnacht und den ersten Feiertag. Am zweiten Feiertag nachmittags
vier Uhr bricht das Zwischendeck zusammen infolge der schweren
Arsenikladung. Mehrere Nieten sind gesprungen und das Schiff leckt
stark. Alle Mann eilten, den Arsenik umzustauen, viele Fässer waren
zerborsten. Wir wußten gar nicht die Gefahr, in der wir arbeiteten. Denn
in diesem Arsenikstaub bekamen wir alle die furchtbarsten Entzündungen.
Wir wurden davon förmlich dick und aufgeschwemmt nach einigen Tagen.
Kurz und gut, der Arsenik wurde getrimmt, und dann ging der Kampf mit
dem Element weiter. Das Schiff liegt vorn ganz tief. Beim Peilen stellt
der Zimmermann drei Fuß Wasser im Schiff fest. »Klar bei Pumpen.« Wir
pumpen und pumpen, aber das Wasser nimmt zu, wie draußen der Sturm. Um
uns frisch zu halten, gab es dauernd Sprit. Wenn durchgehalten werden
muß, heißt es seemännisch: »Hei geit op Sprit.« Wir wußten genau, daß es
fraglich war, ob wir durchhalten konnten, pumpten aber, was wir
vermochten.

Da fegt auf einmal eine Brechsee mit voller Macht über Deck und nimmt
die ganze Kombüse weg; unser Koch, der gerade Kaffee für uns klar hielt
und die Beine über die Herdgeländerstangen liegen hatte, um sich zu
wärmen, geht über Bord, mit ihm Herd, Kessel, Potten und Pannen und der
Kohlenkasten. Im letzten Augenblick saust der Koch heraus, hält sich am
Kombüsenschornstein fest und will gerettet werden. Wir konnten seine
Schreie im heulenden Sturm nicht hören. An Rettung war nicht zu denken.
Ich höre noch, wie ein alter Segelmacher neben mir schreit: »Smutje,
holl di fast. Kohlen für die Reis' zum Düwel hest du ja.«

Das ging mir durch und durch, den eignen Tod vor Augen. Über
achtundvierzig Stunden standen wir an den Pumpen. Wenn man wenigstens
gesehen hätte, daß es half; aber das Wasser stieg immer höher. Wir
konnten nicht mehr. Durch den Schnaps waren wir auch ermüdet. Wir waren
fertig.

Der Kapitän stand da: »Wenn ihr nicht mehr wollt, dann schmeiß ich mit
der Harpune nach euch.« Da ruft eine Stimme von achtern: »Achtung,
Brecher!« Wir konnten an den Pumpen nichts sehen, hörten es aber schon
rauschen. Da kommt die Brechsee mit solcher Gewalt, daß sechs Mann von
den Pumpen losgerissen werden; zwei gehen gleich über Bord, einer wird
gegen die Wanten geschlagen, verliert einen Arm und wird über Bord
gespült. Einem anderen wird der Schädel eingeschlagen, und einer liegt
mit zerschmetterten Knochen da, rollt an Deck hin und her. Ich habe
Unglück, das auf der anderen Seite Glück war. Die Brechsee drückt mich
zwischen den losgerissenen Reservemast beim Pumpenrad, mein Bein wird
dazwischen gepreßt und bricht.

Wir können nicht mehr pumpen. Das Schiff rollt hin und her. Die
Wassermassen spülen an meinem zerbrochenen Fuß; ich war festgeklemmt,
und so wäre ich beinahe an Deck ertrunken. Der Reservemast hatte sich
fest geblockt, und mein Bein war dazwischen. Der Steuermann und ein
Matrose befreien mich mit einem Brecheisen, der Kapitän läßt mich in die
Kajüte kommen. Der Stiefel wird aufgeschnitten. Der Kapitän sieht sich
die Sache in Ruhe an und sagt: »Sieben Mann haben wir verloren, mehr
dürfen wir nicht verlieren. Timmermann, nu paß god op.« Er tat
sorgfältig einen Taustrop um den Fuß, setzte einen Flaschenzug an,
befestigte das eine Ende an der Büfettschublade; Steuermann und
Zimmermann müssen ganz langsam ziehen. Der Kapitän als erfahrener Mann
überwacht die Sache und gibt seine Befehle: »Hol noch etwas! Noch ein
wenig! Noch einmal! So! Ik glöv, de Foot is wedder op sin Platz.« Es tat
weh, aber auf diese seemännische Weise wurde vermieden, daß das
Zusammensetzen der gebrochenen Teile ruckweise geschah. »Jetzt ist es
gut.« Dann sagte er: »Timmermann, nu guck her. Nimm ein ordentliches
Kernholz, miß die Wade und pack sie zwischen Holzbacken.«

Zwei ausgehöhlte Hölzer umfaßten das Bein vollkommen, Schraubengewinde
kamen hinein und schnürten das Holz zusammen. So hatte ich Halt, konnte
auftreten und hatte geringere Schmerzen, da der Stützpunkt des Beines
nach oben verlegt war.

Unterdessen wurde der Zustand des Schiffes immer hoffnungsloser. Es
blieb nichts anderes übrig, als »Klar bei Boote!«

Ein Boot ging mit dem ersten Steuermann, eins mit dem Kapitän. Sie
wurden an langen Tauen über Bord geworfen, während die See mit Öl
beruhigt wurde. Ein Mann nahm ein Tau um sich, sprang ins Wasser und
schwamm zum Boot hin. Der nächste sprang nun an dem Tau ins Wasser und
wurde vom ersten ins Boot hineingeholt.

  [Illustration:
  Wrack der »Cäsarea«, bei den Bermudas angetrieben und eingeschleppt.]

Als die Boote besetzt waren, trieben wir vom Schiff ab, das Boot nur mit
den Riemen gegen die schwere See haltend, denn an ein Vorwärtsrudern war
ja nicht zu denken. Tag und Nacht wurde diese Aufgabe von uns verlangt,
solange der Sturm anhielt, damit das Boot nicht querschlug. Trotz meinem
gebrochenen Bein konnte auf Schonung nicht geachtet werden. An Proviant
war nur etwas Hartbrot, stark von Salzwasser durchtränkt und eine
spärliche Ration frisches Wasser vorhanden. Die bittere Kälte und die
schlaflosen Nächte erschöpften den Körper derart, daß man sich am
liebsten den Tod gewünscht hätte. Vier Tage haben wir uns zunächst so
durchgekämpft. Endlich, am vierten Tage, wird ein Dampfer gesichtet.
Frohe Hoffnungen steigen auf. Alle Kräfte werden noch einmal
zusammengenommen. Ein Beinkleid wird an den Riemen angebunden, um uns
erkenntlicher zu machen. Gespannt sehen wir auf den Dampfer. Sieht er
uns oder nicht? Wir bilden uns schon ein, daß er Kurs auf uns hält, dann
aber, nach längerem Warten, müssen wir uns von den Täuschungen befreien,
da der Dampfer immer mehr aus Sicht kommt. Diese Hoffnung auf Rettung,
die sich nun als vergeblich herausstellte, nimmt uns alle Energie und
den Willen, weiter zu leben.

Der Kapitän als erfahrener Mann redet uns Mut zu mit der Bemerkung:
»Smit ju junges Leben nich so weg, kikt op mi ollen Kerl, hollt dör,
Jungs, und mokt nich slapp.«

Er mußte uns abhalten, daß wir nicht Seewasser tranken, was unseren
Untergang beschleunigt hätte. Wir waren so durstig, daß wir an den
Händen saugten, um die Speichelabsonderung zu beleben.

Glücklicherweise wurde das Wetter einigermaßen ruhig, so daß wenigstens
ein Teil im Sitzen schlafen konnte. Die spärliche Ration an Wasser nach
all den langen Entbehrungen entkräftete uns aber derart, daß wir selbst
die Riemen kaum noch bedienen konnten. Wir wußten, wenn nicht Rettung in
nächster Zeit kam, waren wir verloren. Wir kommen schon auf die Idee,
ein Los zu ziehen, wer sich von uns zuerst opfern soll, damit wir an
dessen Blut unseren Durst löschen. Jeder beschäftigt sich in Gedanken
mit dieser Idee, keiner wagt sie jedoch auszusprechen, jeder schreckt
davor zurück, da ja keiner weiß, wen das Los treffen wird, und ob er
selbst nicht zuerst drankommt.

Bis zum späten Nachmittag hatte der Kapitän mit seinen Ermutigungen
Einfluß auf unser Leiden, bis wir schließlich dem geringen Rest unseres
Trinkwassers nicht mehr widerstehen konnten, über den wir herfielen, um
ihn mit einem Male auszutrinken. Uns war es einerlei, was danach kam.

Am nächsten Morgen wird ein Dampfer gesichtet. Sichtet er uns oder
dampft er wieder an uns vorbei? Wir winken matt, und tatsächlich, er
kommt auf uns zu.

Die herrliche Stimmung: Rettung!

Aber in demselben Moment verläßt uns auch der letzte Funke von Energie.
Wir fallen hintenüber und warten auf die Dinge, die da kommen sollen.
Der Dampfer -- das italienische Schiff »Maracaibo« -- läßt seine
Sturmleitern herunter, an denen wir heraufklettern sollen, aber
unmöglich. Unmöglich, überhaupt sich aufzurichten! Wir überließen uns
dem Retter, mochte er jetzt mit uns machen, was er wollte. Der Dampfer
mußte die Ladebäume ausschwenken und uns an Taustroppen wie ein Stück
Ladung hochheißen. Wir sind nicht davon aufgewacht. Wie wir an Deck des
Dampfers gebracht worden sind, ist uns nicht mehr in Erinnerung.
Sechzehn Stunden hintereinander haben wir geschlafen, ohne zu wissen, wo
wir waren.

Als mein Bein aufgemacht wurde, war alles schwarz, und sie meinten, es
wäre der Brand hinzugekommen, verheimlichten es mir aber.

Als wir in Neuyork sind, komme ich ins deutsche Hospital. Der junge Arzt
sieht sich den Knochen an, der offen daliegt in der Wunde, beklopft den
Knochen und geht kopfschüttelnd fort, in der Meinung, daß Brand
eingetreten wäre. Aber der alte Professor, der am anderen Morgen kommt,
sagt: »Nein, das Bein ist gut«. Das Blut war gestockt, die Gelenkbänder
waren gerissen, eine große Blutstauung von innen nach außen getreten,
und davon war das Bein so schwarz geworden.

Als ich nach acht Wochen das Hospital verlassen hatte, kam ich auf den
kanadischen Dreimastschoner »_The flying Fish_«. Wir gingen mit einer
Holzladung nach Jamaika. Kurz vor der Ankunft dort brach ich mir durch
eine Unvorsichtigkeit beim Lukenöffnen abermals das Bein.

Da ereignete sich etwas, das viele Jahre später für mich von Bedeutung
sein sollte. Als ich Seeoffizier auf Seiner Majestät Schiff »Kaiser« war
und Majestät allerhand erzählen mußte von meinen Abenteuern, da fragte
er mich eines Tages: »Luckner, wann ist es Euch denn eigentlich am
schlechtesten ergangen?«

»Als ich auf Euer Majestät Schiff >Panther< war!«

Plessen, der korrekte alte Herr, sah bei dieser Bemerkung gestreng
darein; Majestät selbst lächelte und sagte: »Donnerwetter, das erzählen
Sie mal ...«

Also, ich hatte mir auf dem kanadischen Schoner das Bein gebrochen und
man brachte mich in Jamaika ins Lazarett, wo ein Gipsverband angelegt
wurde. Ich kam nur mit Beinkleid, Jacke und einem Stiefel an, alles
übrige war auf dem Schiff geblieben. Nach vierzehn Tagen fragte mich der
Lazarettinspektor, ob ich auch ein Guthaben auf dem Schiff hätte. »Ja,«
sagte ich, »sechs Pfund.« »Na, dann ist es ja gut.« Eine Woche später
schickte er nach dem Konsulat, um das Guthaben holen zu lassen. Da hieß
es denn: »Sie haben ja nur drei Pfund Guthaben.« Das Schiff war weg, der
Kapitän hatte nicht nur mein Zeug mitgenommen, sondern auch das halbe
Geld einbehalten. Ich besaß außer dem, was ich auf dem Leibe trug,
nichts mehr. Deshalb warf man mich einfach aus dem Hospital hinaus.

So lag ich mit meinem gebrochenen Bein im Gipsverband auf der Straße.
Ich verschaffte mir einen Stock und ging dann an den Strand. Dort schlug
ich mein Quartier auf und deckte mich mit Sand zu.

Mit dem Quartier war ich soweit zufrieden, aber am nächsten Tag erhob
sich die Frage: wo etwas zu essen zu bekommen wäre.

Zunächst nährte ich mich von Kokosnüssen, aber das halte der Teufel aus,
wenn er davon leben soll. Ich habe zwei, drei Tage so durchgebracht.
Endlich kam ein Dampfer. Jamaika ist kein Endhafen wie Hamburg, London
oder Rotterdam, wo die Schiffe ihre Reise beendigen und neue Mannschaft
anheuern. So konnte man nicht damit rechnen, ohne weiteres ein Schiff zu
bekommen. Die Erfahrung hatte ich noch gar nicht gemacht.

Da kommt also der Dampfer herein. Ich bemühte mich gleich, an Bord zu
kommen mit meinem Knüppel und Gipsverband. Ich besaß keine Mütze, war
unrasiert und ungewaschen, mein Gesicht so verbrannt, daß die Hautfetzen
herunterhingen; dazu das lange ungeschnittene Haar, ich sah ziemlich
verboten aus.

Das Schiff war dabei, Kohlen zu löschen, und zwar in Säcken. Da gehe ich
an Bord und will den Steuermann sprechen. Der weist mich mit einem
derben englischen Schimpfwort ab. »Wie siehst du Schwein aus? Was willst
du hier auf diesem Dampfer?«

Herrgott, ging mir das nahe. Dabei war es nur ein Kohlenschiff.

Wie ich wieder am Kai bin, nehme ich mir einen leeren Kohlensack mit,
ohne genau zu wissen, was ich damit wollte.

Ich gehe wieder an Land und habe wahnsinnigen Hunger. Ein Neger
schneidet mir auf meine Bitte den Gipsverband los. Bald macht sich aber
der Nachteil fühlbar, denn die Strahlen der Tropensonne brannten das
Bein und verursachten tüchtige Schmerzen. Da hat mir der Kohlensack
brave Dienste geleistet, indem ich ihn ums Bein nähte. Nachts diente er
als Kopfkissen.

So verbrachte ich drei weitere Tage mit Kokosnüssen und Bananen. Wie ich
da längs eines kleinen Flusses humple, der auf der andern Seite der
Stadt floß, komme ich in ein Bambusrohrgebiet. Dort sitzt ein alter
Westindienneger und schneidet Bambus. Da ich mein Schiffsmesser noch
habe, bin ich ihm behilflich. Am Abend gibt er mir sechs Pence für
Essen. Wie ich ihm erzähle, was mit mir los ist, scheint er es nicht
recht zu glauben und betrachtet mich sehr mißtrauisch. Schließlich frage
ich ihn nach Quartier, ich wünschte gern weiter mitzuarbeiten, aber er
wollte nicht recht darauf eingehen. Er murmelte allerlei von »erst mal
sehen« und dergleichen, bot mir aber endlich seinen Wagenschuppen zum
Übernachten an, nicht etwa seine eigene Hütte, wenn diese auch nur im
Negerstil war.

Ich machte keine Ansprüche und bettete mich mit ein paar Matten zwischen
die Negerkarren. Man glaubt nicht, wie es anstrengt, dauernd unter
diesem feuchten Tropennachthimmel zu schlafen, ganz klamm vor Nässe. In
meiner Schilfrohrbude liefen die Riesenkakerlaken zu Hunderten umher;
das knisterte ununterbrochen. Danach jagten die Ratten. Kein Tier ist
mir widerlicher als die Ratte. Dennoch schlief ich, denn ich war
hundemüde.

Am Morgen gab mir der Neger etwas Maisfutter und dann ging es wieder an
die Arbeit. Wie ich nun da Bambus schneide, sehe ich ein weißes Schiff
sich dem Hafen nähern. Aus war es mit dem Bambusschneiden und stracks
zum Hafen. Jedes Schiff, das hereinkam, war ja eine Hoffnung für mich.

Als ich nun auf die lange Pier[8] hinauskomme, ist es mir wie ein Schlag
ins Gesicht. Ein schimmernd weißes Schiff, wie eine Jacht, zwei
Schornsteine ... und zum allerersten Male im Leben sehe ich ein
deutsches Kriegsschiff! Es war der »Panther«, wunderbar kraftvoll und
strahlend wie ein geharnischter Bote des Vaterlandes durchschnitt er die
See und hielt auf die Pier zu.

In solchem Aufzug, in solcher Verfassung soll ich die deutsche
Kriegsflagge zum erstenmal sehen?! Ich hatte mich noch nie von Scham so
niedergedrückt gefühlt. Das war ein deutsches Kriegsschiff, so sauber
und blank; Mensch, wie siehst du dagegen aus.

Mein Aufenthalt hier kam mir jetzt wie eine Verdammnis vor. Aber ich
konnte mich doch nicht enthalten, mich ans Ende der Pier zu setzen, um
Landsleute sprechen zu hören.

Da kommen vier Herren an, weißes Zeug, weiße Mütze, weiße Schuhe;
Offiziere! Sie gehen vorbei, keiner hat einen Blick für mich. Da sag ich
mir: »Mensch, Phylax, solch feiner Kerl wolltest du in deinen Träumen
auch einmal werden, was hast du da für eine Phantasie gehabt.« Ich
heulte los. Kann ich etwas dafür? Ja, wenn der Engländer mich so vom
Schiff heruntergejagt hat und auch meine Landsleute verachtend
vorbeigehen, das muß wohl die Strafe sein für mein Weglaufen von der
Schule. Ich kam mir ordentlich schuldbewußt vor, der ich sonst so stolz
war auf meinen Beruf. Ich ging langsam fort von der Pier.

  [Illustration: S. M. S. »Panther«.]

Nachmittags sehe ich mehrere Matrosen an Land; einen riesigen Kerl
darunter höre ich stark sächseln. Da machte ich mich an ihn heran:
»Halloh, Landsmann!«

Ich habe mich nie so zusammengenommen, zu sächseln, als da, wo ich von
dem guten Mann Rettung erwartete.

Es war ein Heizer vom »Panther« und stammte aus Zwickau. Ich erzählte
ihm mein Erlebnis und bat, ob er ein bißchen Brot für mich hätte.

»Ei freilich, sei nur heute abend um sechs am Ende der Pier, jetzt habe
ich nicht mehr Zeit, ich muß an Bord.«

Ich stelle mich schon eine Viertelstunde früher ein, damit der Mann
nicht umsonst dahin läuft, falls es eine Uhrdifferenz gibt. Er kommt und
drückt mir ein deutsches Schwarzbrot in die Hand; wie wunderbar das tat!
Ich biß ohne anzuschneiden hinein und dankte dem Mann. Er sagte gleich,
ich sollte jeden Abend um sechs da sein, und ich sagte: »Was bist du für
ein feiner Kerl!« Mehr konnte ich nicht sagen, aber da lag auch alles
drin.

Ich ging wieder auf meinen Schlafplatz und arbeitete mein Schwarzbrot
hinunter, Bissen für Bissen. Heimatshoffnung lag in dem Geschmack.

Am nächsten Tag gehe ich wieder hin: »Mensch, kannst du mir nicht eine
Mütze besorgen, oder wenigstens ein paar Schuhe?« Er antwortete: »Morgen
ist Sonntag, da kommst du an Bord.« Ich mochte nicht recht, aber er
redete zu, und ich schleiche mich am Sonntag nachmittag um 3 Uhr wie ein
Verbrecher hin. Da sitzen sie auf der Back und trinken Kaffee mit
Kuchen! Da steht eine Kanone unter Segel. Ich versuche immer darunter zu
schielen, um einmal eine Kanone zu sehen. Wie ich da so saß und recht
befangen war, kam es mir vor, ich armer linkischer Kerl wäre in einem
feinen Haus bei wohlhabenden Leuten.

Da geht der junge wachhabende Offizier über Deck, sieht mich sitzen. Die
Leute springen auf und nehmen militärische Haltung ein. Auch ich stehe
auf und versuche meinen Kohlenfußsack zu verdecken. Da ruft der
Offizier: »Bootsmaat der Wache!«

»Herr Leutnant!«

»Schmeißen Sie mir das Individuum da von Bord und passen Sie ein
andermal besser auf, daß solch Gesindel nicht an Bord kommt.«

Der Mann von der Wache kommt auf mich zu. »Machen Sie, daß Sie runter
kommen!«

Die Leute, die mich schon etwas kannten, murmeln allerlei und einer
raunt mir zu: »Filax, paß auf, du hast morgen feines Zeug!... Dem
Leutnant klau ich seine Büx und seine Mütze, die hast du morgen.«

»Schmeißen Sie das Gesindel von Bord!« Das Wort klang in mir nach. Wie
war mir zumute! Das hat mir Wunden gefressen! Wo ich Muttersprache
hörte, wo ich unter deutscher Flagge war, nach der ich mich immer
gesehnt hatte, und nun werde ich von dem Offizier, der mich sieht, da
heruntergeworfen. Verbittert schlich ich mich nach der Pier, um von
keinem mehr gesehen zu werden, und immer wieder klingt's in meinem Ohr:
»Schmeißen Sie das Gesindel von Bord!«

Meine Freunde auf dem »Panther« hatten mir noch Biskuits in die Tasche
gesteckt. »Du bist morgen um sechs wieder da,« hatte der Heizer gesagt.
Ich war natürlich wieder da, bekam mein Schwarzbrot und sollte um 10 Uhr
noch einmal kommen. Um diese Zeit schleichen zwei Gestalten die Pier
herunter; was tragen sie? Segeltuchschuhe, eine blaue Hose, eine
Marinemütze, Strümpfe, Hemden usw. »Nun mach dich fein, Filax!«

Solche Freude habe ich in meinem Leben noch nicht wieder empfunden.
Jetzt besaß ich etwas, womit ich weiter vorwärts kommen konnte. Jetzt
durfte ich mich auf jedem Schiff vorstellen ...

Als ich das viele Jahre später dem Kaiser auf seinen Wunsch erzählte, da
guckte er mich so merkwürdig an und bemerkte zu den Anwesenden: »Was
würde für eine Poesie für ihn darin liegen, wenn er jetzt wieder auf den
>Panther< käme!«

Keine paar Monate vergingen, und ich erhielt das Kommando auf »Panther«.

Das erste, als ich an Bord des »Panthers« kam, war, auf die Back zu
gehen, auf das Vorschiff, dorthin, wo man damals gesessen hatte als
dankbarer Gast liebevoller Matrosen und Heizer. Wie deutlich überkam
mich die Erinnerung, wie ich damals als Gesindel heruntergewiesen wurde.
Jetzt stand das Individuum hier als Offizier kommandiert. Wenn ich an
Land ging, trug ich weiße Schuhe und weiße Mütze -- der Traum hatte sich
verwirklicht --, und wenn ich an das Ende einer Pier kam, so sah ich
mich unwillkürlich nach rechts und links um, ob da nicht einer säße, der
unschuldig heimatlos geworden war. Wie manche Stunde habe ich mich
hingesetzt, ganz allein, und mir aus der Ferne den »Panther« betrachtet,
oft so vertieft, daß einem die Vergangenheit deutlicher vor Augen stand
als die Gegenwart. Welch ein weltenferner Abstand ist doch zwischen
Mensch und Mensch, zwischen den weißen Schuhen und dem Kohlensack; nie
mehr im Leben hätte ich damals geglaubt, in jene Sphären zu passen. --

Mein dem Leutnant geklauter guter Anzug verschaffte mir indes nun
zunächst eine vierwöchige Anstellung beim Kaiinspektor. Ich durfte
behilflich sein, bei den ankommenden Schiffen die Leine festzumachen.
Ich wurde gut bezahlt, hatte mein regelrechtes Essen und stärkte mich
auch moralisch, wurde wieder ein ganzer Kerl. Ich war gar nicht mehr
besorgt, ein Schiff zu bekommen, denn ich hatte nun gewissermaßen die
Empfehlung des Kaiinspektors.

So kam ich auch bald auf den Schoner »_Nova Scotica_«, der zwischen den
westindischen Inseln fuhr.

Der Leser hat sich vielleicht schon gewundert, daß ich so lange ohne
Unterbrechung im Matrosenleben stand, ohne mir eine kleine Abschweifung
zu gönnen. Ich will deshalb ruhig gestehen, daß ich zwischendurch einmal
ein paar Tage lang mexikanischer Soldat gewesen bin und das Hinterportal
am Schloß des großen Porfirio Diaz, des Diktators, unter welchem Mexiko
seine goldenen Tage gehabt hat, bewachen half. Am Vorderportal standen
allerdings nur eingeborene Truppen. Diese erste Betätigung im
kriegerischen Handwerk entstand aus einem Ausflug. Unser Schiff lag
nämlich einige Zeit untätig in Tampico. Da bat ich mit einem
Schiffskameraden den Kapitän um Urlaub. Das wildromantische Leben der
Gauchos mit ihren fabelhaften Viehherden, Lassos, schönen Pferden und
noch schönerem silberstrotzenden Zaum- und Sattelzeug hatte es uns
angetan. Ein Deutscher stellte uns zwei Pferde zur Verfügung, und so
tummelten wir uns eine Zeitlang allen Verleumdungen, daß der Seemann
nicht reiten könne, zum Trotz.

Der Ausflug dauerte ein paar Tage über den Urlaub hinaus, und als wir
zum Hafen zurückkamen, war unser Schiff abgefahren. Es wird einem nun in
jenem von der Natur so begünstigten Land nicht schwer gemacht, sein
Leben zu fristen. Man braucht sich nur auf den Markt zu stellen und
einige Handreichungen zu tun, so hat man schon sein Essen verdient und
noch ein Stück Silbergeld für die Spielhölle übrig. Nachdem wir das
Marktkorbtragen über hatten, ließen wir uns, wie gesagt, beim Militär
anwerben. In Mexiko kann jeder Soldat werden, Ausbildung gibt es nicht,
allerdings auch nur dürftiges Quartier. Die Dienstauffassung ist
gemütlich. Nach ein paar Wochen nahmen wir unsern Abschied aus der Armee
und halfen einige Zeit bei einem Bahnbau im Innern Sand und Erde nach
der Baustelle fahren und Schwellen auf den leeren Wagen
zurücktransportieren. Italiener, Polen, Deutsche und Engländer waren
dort unsere Kameraden. Dann lebten wir eine Zeitlang bei einem Deutschen
namens Fede Lüder auf der Farm, züchteten Geflügel und handelten mit
Früchten.

  [Illustration:
  »... nahmen wir unsern Abschied aus der Armee und halfen bei einem
  Bahnbau im Innern Mexikos Sand fahren.«]

Die Bummelei durch Mexiko endete zuletzt damit, daß wir uns in Veracruz
auf einem Petroleumdampfer anheuern ließen. In Havanna musterte ich ab
und kam auf einen Norweger. Da ging es wieder die alte »Trip«
Neuyork-Australien. Mein Leben hat mich immer wieder nach Australien
geführt. Dann fuhren wir weiter nach Honolulu, Vancouver und von dort
mit Holz nach Liverpool. Auf dieser Reise habe ich gut Norwegisch
gelernt, ohne zu ahnen, wozu ich es später einmal nötig gebrauchen
würde. Auf meinem ersten Schiff, der »Niobe«, hatte ich außer Russisch
und Finnisch erst etwas Schwedisch gelernt.

Von Liverpool kam ich nach Hamburg. Dort verkehrte ich bei Mutter
Schroth, in einer alten Stammwirtschaft. Es gab darin nur drei, vier
Tische, sonst wurde das Bier stehend an der Bar getrunken. Die Schroth,
eine richtige alte Seemannsmutter, sorgte in ihrer Art rührend für uns,
klagte aber viel über Asthma, denn sie war etwas umfänglich geworden.
Sie wollte gern einmal in ein Bad fahren. Da machte ich ihr mit meinem
besten Schiffsmaaten Uhlhorn den Vorschlag, sie sollte ruhig fortgehen,
wir würden die Wirtschaft schon übernehmen.

»Könnt ihr das denn auch?« fragte sie.

»Ja, aber gewiß, Mutter Schroth.«

Das Geschäft war auch ganz einfach zu handhaben, denn es gab ja nur Bier
aus Flaschen. Das Essen wurde aus einer Speiseanstalt gebracht, gleich
warm in Eimern, zwei Portionen für eine Mark zwanzig. Man hatte nur um
die Gäste zu sein und zu sorgen, daß sie Bier tranken, indem man ihnen
dabei Gesellschaft leistete. Abends kam ein blinder Handharmonikaspieler
und brachte Stimmung in die Gäste. Hinten war ein kleiner Verschlag mit
einem Sofa und einem Petroleumofen, auf dem man Grog brauen konnte. Dort
schlief Mutter Schroth.

»Uhlhorn & Phylax« hieß die Wirtschaft, »in Vertretung von Mutter
Schroth.«

  [Illustration: (Mit Genehmigung der Firma Wilh. Junge, Altona.)
  »... Uhlhorn & Phylax hieß die Bierwirtschaft.«]

Der Betrieb geriet auch gleich in vollen Schwung, die Seeleute kamen,
und die, welche eintraten, wurden ordentlich verankert. Denn jeder
konnte ja Geschichten vertellen. »Voll Haus wurde« und viele Kasten Bier
mußten heran. Am nächsten Tag war der Fuhrmann erstaunt, daß er das
Doppelte an Bier abladen mußte. Die Firma blühte also auf, und Mutter
Schroth konnte ihre Entfettungskur in Karlsbad ordentlich vornehmen.
Aber nur mit der Abrechnung wollte es nicht stimmen, wir hatten am
nächsten Morgen Unterbilanz.

Wir malten nämlich jede Flasche Bier, die getrunken wurde, mit Kreide an
die Wandtafel. Das ging auch ganz gut, solange wir selber nüchtern
waren. Aber wenn die allgemeine Stimmung auf die Höhe kam, betätigte
sich in der Stille irgendein guter Maat, indem er ein paar Striche
einfach wieder weglöschte. Vier Wochen hatten wir die Wirtschaft, die
Einnahmen waren gleich Null. Die zehn Prozent, die wir Mutter Schroth,
wie vereinbart, abgeben mußten (was darüber war, durften wir behalten),
gaben wir aus unserer Tasche und zogen uns aus der Branche wieder
zurück.

Wenn Jan Maat an Land etwas unternimmt, so fehlt ihm meistenteils die
Ausdauer. Er verliert, wenn er das Festland verläßt, auch den
Zusammenhang mit dem meisten, was dort wichtig genommen wird. Kommt er
nach Monaten in einen fremden Erdteil, so begehrt er Nachrichten aus der
Heimat, die schon alt sind, wenn er sie erhält, aber die Neuigkeiten des
betreffenden Landes interessieren ihn gar nicht. Er lernt philosophisch
denken über den Wert der jeweiligen Gegenwart, ihrer Moden und ihrer
Geschäfte, und empfindet, daß die See ihm als besondere Gunst immer
wieder die Kraft gibt, von dem nichtigen Tagestreiben sich zu den
einfachen, großen Stimmungen des Lebens emportragen zu lassen.

Kommt der Seemann nach langer Reise in die Heimat zurück, so sind
inzwischen viele Begebenheiten, die die andern bewegten und von denen er
nichts erfuhr, bereits wieder in Vergessenheit geraten. Blättert er
einmal alte Zeitschriften durch, so findet er vieles, was ihm unbekannt
ist, und er fragt: »Was habt ihr denn hier gemacht?«, worauf er die
erstaunte Antwort erhält: »Das wißt ihr nicht?«, und jeder schüttelt den
Kopf.

Auf der langen Fahrt sehnt sich der Seemann aber doch nach der Heimat
und malt sich aus, was er alles tun will, wenn er an Land kommt. Das
Unangenehmste, was ihm, besonders aber dem Kapitän, geschehen kann, ist
Windstille, wenn das Schiff nach Hause fährt. Auch wenn sie nur ein bis
zwei Tage anhält, werden alle Hilfsmittel in Bewegung gesetzt, denn, wie
der Mensch ist, bildet sich der Kapitän in solchen Tagen ein, daß nun
überhaupt nie mehr Wind kommen werde. Zunächst sieht er seine
Ladungsprozente schwinden. Er hatte, solange es gut ging, angenommen,
daß der vorige Wind überhaupt nicht aufhören und er mit der
augenblicklichen Geschwindigkeit in der Heimat ankommen werde. Nun diese
Stille! Er fängt an, zuerst den »Jonas«, den Unglücksraben an Bord zu
suchen. Der nächste, an dem er seine Laune ausläßt, ist der Mann am
Ruder. Er hat alles mögliche an ihm auszusetzen, ist innerlich
überzeugt, daß, wenn der am Ruder steht, nie Wind kommen wird, weil er
den Wind vertreibt. Schließlich nimmt er seine Mütze ab, tritt darauf
vor Ungeduld und fängt an zu pfeifen, was an Bord eines Segelschiffes
verpönt ist, weil es bedeutet, daß man den Sturm heranpfeife. Dann ruft
er einen Schiffsjungen, der an dem Mast kratzen soll, weil dies auch
Wind bedeutet, und wenn das nichts hilft, jagt er den Kajütenjungen aus
der Kajüte, drückt ihm einen Besen in den Arm mit dem Befehl, sich auf
den obersten Topp des Mastes zu setzen und den Himmel zu fegen.
Schließlich nimmt er selbst eine alte Büx oder einen alten Stiefel und
wirft ihn über Bord, um auch mit diesen Mitteln Wind heranzulocken. Dann
geht er wieder runter, setzt sich einen Augenblick in seine Kajüte in
der Hoffnung, daß mittlerweile Wind im Anzug ist. Wenn er wieder
herauskommt und noch dieselbe Stille herrscht, macht er Krach mit dem
Rudersmann, ärgert sich über das grinsende Gesicht dieses Jonas und ruft
einen andern Mann ans Ruder: »Na, Jan, du büst doch 'n Keerl, süh du mal
to, dat Wind kümmt, du steihst di doch sonst god mit Petrus.« Bestimmt
erwartend, daß dies nun etwas genützt hat, geht er auf und ab.
Tatsächlich: Da kommt ein leichter Luftzug. Man erkennt fern am Horizont
ein Kräuseln des leicht dünenden Meeres. Einer atmet auf, der Kapitän.
»Jan, du büst 'n fixen Keerl! hev ik dat nich seggt? Du salst ook en
half Pund Tobak hebben.«

Monatelang sieht Jan Maat kein Geld und findet keine Gelegenheit, etwas
auszugeben. So denkt er häufig an die Zukunft, da er an Land plötzlich
eine große Summe in Händen haben wird. Schon an Bord beschäftigt sich
die müßige Phantasie mit dem großen Augenblick, da er mit seinem Büdel
voll Geld als Kapitalist die Schätze des Landes mustern wird. An Bord
wird keine noch so veraltete Zeitschrift weggeworfen. Alte Modeblätter
gehen von Hand zu Hand. »Du, Tedje, dat is en Anzug, do sühst du no wat
ut.« Möglichst weiter Westenausschnitt, aus dem das sonntägliche weiße
Vorhemd breit hervorquillt, wird bevorzugt. Die Kataloge der Warenhäuser
werden sorgfältig gewälzt. »Wat, so 'n Grammophon blot vertig Mark, dat
mut ik hem, mit all die feinsten Platten und Leeder.« Eine »Binnenreis'«
wird geplant. »Na München mut ik mal hen, do sall dat ja grotartig sin.«

Wenn er dann an seinem vollgerundeten, tropenverbrannten Gesicht für
jedermann kenntlich als einer der von »de lange Reis'« kommt, an Land
gestiegen ist, zerrinnen die ganzen Pläne. Vieles Hin- und Herkreuzen an
Land und insbesondere in Sankt Pauli nimmt ihn in Anspruch, und die Fata
morgana, die ihm an Bord vorgegaukelt war, wird bald vergessen.

Wenn Hein und Tedje, welche auf einem andern Schiff angemustert haben
und klar zur zweiten Reise sind, sich wieder begegnen, fragt Hein: »Na
Tedje, wie süht dat in München ut?« Tedje, der überhaupt nicht auf die
Eisenbahn und von der Wasserkante weggekommen ist, fragt nur dagegen:
»Hest du din Grammophon?«

Nicht nur die Pläne, die der Seemann abends auf der Wache geschmiedet
hat, zerflattern ihm jetzt. Er hält es auch selbst nicht lange an Land
aus. Von seinen Maaten hat er Abschied genommen, die Menschen, mit denen
er zusammenkommt, sind ihm fremd. Was sie ihm erzählen, interessiert ihn
nicht, denn er ist ein Jahr weggewesen und versteht den Zusammenhang
nicht. Das Telephonieren, das Hasten auf der Untergrundbahn, das ganze
Hinundher des Stadtlebens mit seinen fortwährenden Unterbrechungen und
unübersichtlichem Getriebe ist ihm zuwider. Der Städter ist auf
Hetzprobe eingestellt, der Seemann auf Geduldsprobe. Ihm scheint es, daß
der Städter das Warten nicht gelernt hat und daß es ihm schwer fällt,
eine Sache ausreifen zu lassen. Auch auf See hat ja jeder sein Ziel,
aber mit Drängen ist dort nichts gedient. So erscheint es dem Seemann
bald einsamer an Land als auf See. Es fehlt ihm die gewohnte
Plauderstunde abends an Deck, während das Schiff langsam dahin zieht.
Dort wird die Unterhaltung nicht unterbrochen durch neu Hinzukommende,
es bleibt immer gemütlich, Abend für Abend dasselbe, man kann plaudern,
solange die Wache dauert.

Dazu kommt noch ein anderes: der Seemann ist harmlos, er kennt nicht die
Schliche, womit man den andern betrügt. An Bord würde das die
Kameradschaft nicht dulden, Diebstahl ist zwischen Maaten das größte
Verbrechen, keine Seekiste darf abgeschlossen werden. An Bord herrscht
die Selbsterziehung und das Vertrauen zu den Kameraden. So hat der
Seemann wenig Menschenerfahrung, wenn sich die »Landhaie« an ihn
heranschleichen. Sie benutzen es, daß er nicht viel Alkohol vertragen
kann, und nehmen ihm heimlich sein Geld ab, welches er sich in
monatelangem Kampf draußen mit den Elementen erworben hat. Was werden
doch arglose Seeleute auf dem Lande geneppt! Ich kann auch ein Liedchen
davon singen.

Nach 1½jähriger Seereise geht man in Hamburg an Land. Mit vollen
Segeln sucht man nach St. Pauli zu kommen. Halloh, was ist denn hier
los? Warum stehen hier so viele Menschen? Man tritt dazwischen und
sieht, daß hier ein Pferd gestürzt ist, welches sich ein Bein gebrochen
hat. Während man sich den Neugierigen angliedert, hört man plötzlich
hinter sich jemand stöhnen. Ich drehe mich rum und nun sagt einer:
»Guten Tag, junger Herr, können Sie mir nicht sagen, wie ich am
schnellsten hier nach dem Leihhaus komme?«

»Nach dem Leihhaus, nein, ich bin noch nicht in die Verlegenheit
gekommen.«

»Sie können Gott danken.«

»Was haben Sie denn?«

»Ich bin gezwungen, das letzte Erbteil meiner seligen Mama zu versetzen.
Ich will es deshalb versetzen, weil einem immer Gelegenheit geboten
wird, es wiederzubekommen.«

»Was ist es denn?« frage ich.

»Ein Diamantring.«

Er zieht den Ring vom Finger, denselben noch einmal küssend, reicht er
ihn mir. Während ich ihn betrachte, tritt plötzlich ein gut gekleideter
Herr auf mich zu mit den Worten: »Verzeihen Sie, daß ich so indiskret
war, Ihr Gespräch zu belauschen. Es gehört aber wohl zu den
Seltenheiten, daß ein Juwelier gerade da ist, wo jemand betrogen werden
soll. Echte Brillantringe bietet man nicht auf der Straße an.«

Darauf sagt der erstere: »Sie können ganz unbesorgt sein, mit
Gegenständen meiner Mutter treibe ich keinen Betrug.«

»Ich habe nichts mit Ihnen zu tun, ich unterstütze den jungen Mann.«

Ich reiche dem Juwelier den Ring, der ihn von allen Seiten betrachtet
und bemerkt: »Das Gold ist echt« und mir leise zuflüstert: »Fragen Sie
mal, was er dafür haben will.«

»Was wollen Sie dafür haben?«

»Ach, 10 Mark.«

Der Juwelier erwidert mir flüsternd: »Der Kerl hat den Ring gestohlen.«
Mit einer Lupe betrachtet er den Brillant und sagt: »Der Stein ist echt.
Geben Sie dem Kerl ruhig das Doppelte und kommen Sie nach meinem
Geschäft, ich gebe Ihnen das Zehnfache.«

Erfreut über das glänzende Geschäft greife ich schnell in die Tasche und
reiche ihm 20 Mark. Dann entferne ich mich schnell aus der Menge in dem
Glauben, mein Juwelier folgt mir. Erstaunt sehe ich mich um, als ich ihn
nicht finde. Überall suche ich nach ihm, zuletzt auch nach dem, der mir
den Ring verkauft hat. Keiner ist zu finden. Mißtrauisch betrachte ich
nun meinen Ring. Um schließlich doch ganz sicher zu sein, da ich noch
immer nicht verstehen kann, daß ich wirklich einem solchen Schwindel zum
Opfer gefallen sein soll, gehe ich zu einem wirklichen Juwelier nach St.
Pauli, der mir lächelnd sagt: »Echt ist der Ring nicht, aber für'n Taler
ist er ganz gut gemacht.«

Tedje und ich schlendern weiter über den Hamburger Dom. Dutzendweise
ertönen von beiden Seiten der Budenstraße her Verheißungen von noch nie
dagewesenen Jahrmarktsfreuden. Plötzlich hören wir von einer Bude eine
besonders klare, kräftige Stimme: »Kommen Se rinn, kommen Se rinn, hier
ist zu sehen, was noch kein Mensch gesehen und gefressen hat.« Tedje
fragt: »Wat hest du denn?« -- »Hier ist zu sehen ein Kanarienvogel, der
plattdütsch snakt.« -- »Hast du gehört, Tedje, de möt 'n bannigen Baß
hebben.« »500 Mark Belohnung, wenn der Vogel nicht plattdütsch snakt.«
»Nu ward' ja rieten« (nun wird's ja reißen); den Vogel müssen wir doch
sehen. Ein Haufen Menschen hat sich vor dem Eingang aufgestellt. Ein
großer Teil zögert einzutreten, weil sie nicht recht wissen, ob es
dummer Scherz ist, und lassen zunächst den Dummen den Vortritt. Wir
gehen 'rein; die Vorstellung beginnt. Der Kanarienvogel im Bauer wird
auf die Bühne gebracht mit der Bemerkung: »Gestatten Sie, meine Herren,
daß ich Ihnen den Vogel vorstelle. Hans heet he.« »Ach wat,« schreit
eine Stimme aus dem Hintergrund, »wi will nich weeten, wie he heet, wi
will em snaken hören.« »Einen Augenblick, meine Herren! -- Hans segg
mol, wat sall ik smöken, 'ne Zigarre oder 'ne Pip?« Worauf der Vogel
prompt antwortet: »Piiip.« »Meine Herren, he snakt platt.« Ein helles
Gelächter rauscht durch das Zelt und die neugierige Menge derer draußen,
welche die Klugen sein wollten, fragt die Heraustretenden: »Snakt he
plattdütsch?« -- »Ja, dat deit he, aber grotartig.« (Warum sollten wir
die Dummen gewesen sein? Dieser famose Scherz sollte auch die andern
überzeugen.) So ging es den ganzen Tag, wobei der Mann ein
Bombengeschäft machte.

Der nächste Budeninhaber versprach, ein großes Rätsel zu zeigen und
denen, die es rieten, das Eintrittsgeld zurückzuzahlen. Und wirklich,
aus dem Innern der Bude läßt sich durch das Zelttuch immer wieder die
laute Stimme eines Mannes hören, der anscheinend unter den Zuschauern
herumgeht: »Richtig geraten, dreißig Pfennig zurück.« Hier scheint also
nicht allzuviel gewagt. Die Heraustretenden, die wiederum nicht die
Miene von Hereingefallenen aufsetzen, bestätigen, daß sie ihr Geld
wiederkriegten. Die Bude wird getürmt voll. Wir bezahlen unsere dreißig
Pfennig und treten ein. Vor jedem Platz steht ein Waschbecken, weiter
nichts. Die Augen werden allen verbunden, dann kommt ein Mann, der einen
Eimer trägt, in dem das Rätsel ist, und verlangt, daß man hineingreift.
Flüsternd fragt er: »Was ist das?« »Pfui Teufel, Pech!« Worauf er laut
ruft: »Richtig geraten, dreißig Pfennig zurück,« und dann mit leiser
Stimme hinzufügt: »Händewaschen kostet fünfzig Pfennig.« Einer alten
Dorffrau, die es absolut nicht raten konnte, hat der Spaß also achtzig
Pfennig gekostet.

Nicht alle Betrügereien aber waren so harmlos wie die der kleinen
Schiffer- und Bauernfänger auf dem Dom.

Hat der Fahrensmann das Landleben so eine Zeitlang genossen und
vielleicht auch eine trügerische Verlobung mit der »Tochter« des
Heuerbas erlitten, ergreift ihn die Verbitterung, und er ist froh, wenn
er wieder die Anker lichten und hinaus zu seinem Meere gehen kann[9].
Mag auch die Nordsee nicht der Freund des Seemanns sein, er freut sich
doch, wenn wieder der Passat, die Sterne und der Mond ihn grüßen, er
weiß, daß sie ihm mehr sind wie die Menschen an Land. Er atmet wieder
die Meeresluft, die den ganzen Menschen durchdringt und ihn in ganz
anderer Weise schützt als auf Land. Sie trägt keine Infektionen; wenn
die ersten Tage der Fahrt vorüber sind, bleiben Krankheiten fern,
solange nicht etwa durch Entbehrung frischen Proviants der Seemann an
Skorbut erkrankt. Es gibt keine Erkältungen auf dem Meere, Wind und
Nässe sind ohne Einfluß auf das Befinden -- der Rheumatismus kommt erst
später heraus -- und Staub ist auf dem Segelschiff etwas Unbekanntes.
Das Waschen hat nur die Bedeutung, die salzige Schicht von der Haut zu
entfernen.

  [Illustration:
  »... Er freut sich doch, wenn wieder der Passat, die Sterne und der
  Mond ihn grüßen.«]

Man hat auf dem neuen Schiff wieder andere Maaten, mit denen man sich
anfreundet. Die erste Frage ist immer, wie es auf dem letzten Schiff
war. Es war immer das beste, und man schwärmt von dem damaligen Kapitän.
Erinnerungen werden ausgetauscht, der eine kennt den, der andere jenen;
es gibt viel zu plaudern, wenn man mit neuen Schiffsmaaten zusammen ist.

Des Seemanns Gesellschaft sind aber nicht nur die Kameraden an Bord; in
einem besonderen Vertrauensverhältnis steht er zu der Natur, mit der er
zusammen lebt. Er kennt alle Fische, die ihm begegnen. Es gibt nur
wenige Arten, die mit der Angel von Bord aus zu fangen sind. Kommen
Delphine oder, wie der Seemann sie nennt, Tümmler (Schweinsfische), so
heißt es: »Klar an die Harpune!« Es gehört ein erfahrener Harpunenwerfer
dazu, die Delphine sicher zu treffen, denn oft geht das schwere Tier in
voller Fahrt in entgegengesetzter Richtung des Schiffes. Große Freude
herrscht an Bord, wenn ein Delphin gefangen ist, denn jetzt gibt es
frisches Fleisch.

Bei Kap der Guten Hoffnung, Kap Horn und in der Nähe von Inseln fliegen
die Vögel, die treuen Begleiter heran, Albatrosse, Kaptauben, Mulehogs
und viele Arten von Möwen. Sie begleiten den Kapfahrer bis halb nach
Australien und nähren sich von den Abfällen, die über Bord geworfen
werden. Es tut wohl, wenn man lange auf See ist, andere Lebewesen um
sich zu sehen. Man begrüßt sie als alte Freunde und Kameraden, die man
vor einem Jahr gesehen hat und jetzt wieder trifft. Besonders die Möwe
ist dem Seemann heilig, weil er glaubt, später in Gestalt einer Möwe
fortzuleben; man sieht eine Seemannsseele in jeder Möwe, die weißen
Möwen sind die guten Seeleute, die schwarzen die bösen, die Seedüwels.
Man schießt keinen dieser Vögel, denn es sind ja die einzigen Freunde,
die einen besuchen und mit einem fliegen. Wenn südlich vom Äquator nach
dem Passat der erste Albatros kommt, wird das ereignislose Einerlei
freudig unterbrochen. Majestätisch wogt er hin und her; bald dicht über
den Wellen, bald höher, bald vor dem Bug umkreist er das Schiff. Der
Albatros ist der größte fliegende Vogel, den wir haben, der Beherrscher
der südlichen Meere. Auf dem Schiff ist er seekrank und kann nicht mehr
fortfliegen, da er keine Luft unter den Flügeln hat. Es ist übrigens,
wie die Seeleute glauben, noch niemandem gelungen, einen Albatros lebend
in unsere nördliche Erdhälfte zu bringen.

  [Illustration:
  Teckel Schnäuzchen soll sich auf »Seeadler« mit einem Albatros
  anfreunden, der zu Besuch gekommen ist.]

An der afrikanischen Küste lassen sich zuweilen Hunderte von Schwalben,
die sich im Nebel verflogen haben, erschöpft auf dem Schiff nieder. Auch
Dutzende von Störchen verirren sich manchmal auf das Schiff. Die Tiere
kommen nie wieder hoch, und es ist traurig, ihren Untergang mit
anzusehen, da an Bord kein für sie eßbares Futter ist. Man kann ihnen
nicht helfen; sie sterben den Seemannstod wie der Schiffer, dem mitten
in der Wasserwüste der Proviant oder das Trinkwasser ausgeht.

So lebt der Seemann mit der Natur, die ihm Kamerad und Gegner ist. Wer
die freie See kennt, mag ihren Hauch nicht mehr entbehren.

[5] Schiffssprache für Anrichte (englisch).

[6] Rundfenster.

[7] Schiffstagebuch.

[8] Landungsbrücke (englisch).

[9] Heuerbas heißt der Makler, der zwischen Reeder und Maaten vermittelt.
    Der, den ich meine, wird sich erinnern!



Viertes Kapitel.

Wieder auf der Schulbank.


In Hamburg erzählte man mir, wenn ich mal das Steuermannsexamen machen
wollte, müßte ich auf einem Dampfer gefahren haben. So musterte ich also
mit meinem alten Schiffsmaaten Uhlhorn auf einem Sloman-Dampfer an, auf
der »Lissabon«. Damit ging es nach dem Mittelmeer. Nach dieser Reise,
die etwa zwei Monate dauerte, ging es auf einem Küstendampfer, der
»Cordelia« nach Rotterdam und Amsterdam, und dann glaubte ich, die
Seefahrt so weit hinter mir zu haben, daß ich auf Schule gehen konnte.

Ich begab mich nach der Seemannsmission, um mir mein erspartes Geld zu
holen. Ich wußte genau, daß ich 3200 Mark eingezahlt hatte, und da hieß
es nun zu meinem Staunen, daß ich 3600 Mark bekommen sollte. Ich wußte
doch nichts von Zinsen! Zuerst glaubte ich, es wäre reine Gutmütigkeit
von den Leuten. Nahm also mein Geld und ging auf Schule. Ich hatte mir
die Navigationsschule in Lübeck ausgesucht.

Zuerst schaffte ich mir nettes Zeug an. Man mußte jetzt ja weiße Wäsche
tragen und Schlipse, nicht mehr den ewigen Gummikragen, den man an Bord
immer mit dem Freunde teilt, der gerade an Land geht, sowie den
amerikanischen Blechschlips mit einem Revolver als Schlipsnadel
daraufgelötet.

Ich war schon erklecklich über zwanzig Jahre alt, als ich auf Schule
kam. Alle unsere alten Kapitäne sind diesen Weg gelaufen. Er ist das
»Musloch« für jeden Matrosen, der sich hoch arbeiten will. Die neueren
Seeleute wollen dies Musloch ja gern dicht stoppen; sie wollten die
Bildung auf See verbreiten und heben. Nur »Kadetten«, nicht mehr
Matrosen sollen auf der Handelsmarine Offiziere werden dürfen. Ich bin
immer gegen diese Tendenz angegangen. Die Kadettenerziehung als solche
ist gut, und was die seefahrende Jugend Männern wie meinem lieben
Professor Schulze verdankt, weiß niemand besser zu schätzen als ich. Die
Gefahr ist nur, daß der höhergebildete junge Mensch sein Wissen mit
praktischem Können verwechselt, und für noch gefährlicher halte ich es,
wenn allen nicht mit höherer Schulbildung versehenen strebsamen Matrosen
der Zutritt zur höheren Laufbahn versperrt wird. Man erwartet doch keine
Bildung auf See. Es ist doch besser, auf der Kommandobrücke einen
kräftigen Menschen zu sehen, als einen feinen Kerl mit hohem Kragen.
Stehen die großen Kapitäne, die echten, alten, nicht würdiger da? Gewiß,
ich habe unter den modern gebildeten Schiffsoffizieren viele Seeleute
ersten Ranges kennen gelernt. Aber wenn ich erst einmal Kapitän bin,
habe ich immer noch Muße genug, mich für die Wissenschaften zu
interessieren. »Vor dem Mast«, d. h. als einfacher Matrose gefahren zu
haben, kann keinem schaden. Auf einen tüchtigen Seemann verläßt sich der
Passagier lieber, als wenn da einer mit Lackbotten als Gigerl
einhergeht. Was heißt überhaupt Bildung auf See? Man hat genug damit zu
tun, die Seewissenschaft zu pflegen und sich das praktische Können zu
erkämpfen, wie man am besten Herr der Elemente wird. Bei der Frage, was
man tut, wenn einem die Takelage von oben kommt, nützt einem kein
Schopenhauer.

Ich kam also mit meinem Gelde in Lübeck angefahren und suchte mir eine
angenehme Wohnung, die ich bei einer freundlichen alten Dame fand. Dann
bewegte ich mich zur Navigationsschule und wurde vorstellig beim
Professor Dr. Schulze, einem ganz hervorragenden Manne, der auf mich
einen selten vertrauenswürdigen Eindruck machte, obwohl mein Herz mir
ziemlich beschwert wurde, als ich Schulluft roch. Als Seemann war ich ja
recht großspurig; hier aber wurde ich wieder ein ganz kleiner Matz. Ich
zog den Professor ins Vertrauen, erklärte ihm meinen Namen und meine
Vergangenheit, da doch meine Papiere auf den Namen Luckner genannt
Lüdicke lauteten. Da streckte er mir eine warme Rechte entgegen und
sagte, ich möchte unbesorgt sein, denn viele Volksschüler mit noch
mangelhafterer Bildung hätten die Prüfung mit Glanz bestanden.

»Ja,« erwiderte ich, »die können auch rechnen und sind in Wirklichkeit
weniger zurückgeblieben als ich.«

Ich erzählte ihm, wie weit ich in der Schule gekommen war, und er fragte
mich ein bißchen nach der Bruchrechnung. Als ich die aber ableugnete, da
stutzte er doch.

Ich wußte ja nicht, was ein Fünftel ist.

Ein halb, ein viertel, das wußte man ja nach der Uhr, aber ein Fünftel,
das hatte ich nie gebraucht.

»Na,« sagte er, »macht nichts. Ich sollte nur nicht befangen sein, nur
ein bißchen Fleiß ...«

  [Illustration:
  Professor Dr. Schulze, Leiter der Seefahrtsschule zu Lübeck.]

Herrgott, kam es mir durch den Sinn, da ist wieder der alte »Fleiß«, es
ist doch immer dasselbe. Ich habe mich aber in diesem prächtigen Mann
nicht getäuscht, er stärkte meine Hoffnung und gab selbst
Nachhilfeunterricht, wo es fehlte. Nach einem Monat taute ich auf. Ich
fühlte, daß ich die Hoffnung hegen durfte, mein Examen zu machen. Die
Zukunft lag rosiger vor mir.

An jenem Tag, an welchem ich mich beim Direktor angemeldet hatte, ging
ich nachher zum Café Niederegger, das wegen seines Marzipans berühmt
ist, weil ich das Bedürfnis empfand, nun in besseren Lokalen zu
verkehren. Dort sah ich einen dänischen Grafenkalender liegen. Ich
denke: »Minsch, du büst doch ook 'n Grof,« blättere nach und wirklich:
ich stehe drin, als verschollen. Das ist ja großartig, denke ich. »Herr
Ober, noch ein Pilsner.« So wußte ich doch wenigstens, wie es in der
Heimat war. »Dort jammern sie also längst nicht mehr um dich.«

Geschrieben hatte ich nie nach Hause, denn wer war denn stolzer als ich
als Matrose, wenn ich hoch oben im Mast saß und mich fühlte: was bin
ich, was kann ich, und was kann ich noch werden. Doch schämte ich mich,
diesen Stolz zu zeigen. Denn in der Heimat wären die ollen Klostertanten
doch entsetzt gewesen, wenn sie gehört hätten, einen Matrosen zum Neffen
zu haben.

Einmal, es war nach dem Sieg über Lipstulian, hatte ich einen Anlauf
genommen, mich meinen Eltern wieder zu nähern. Unter meinen alten
Photographien finde ich ein verblichenes und abgegriffenes Bildchen, das
ich damals auf dem Spielbudenplatz hatte anfertigen lassen als
Meisterschaftsringer von St. Pauli. Auf der Rückseite steht mit meiner
ungelenken Schrift: »Meinem lieben Vater zur freundlichen Erinnerung an
seinen treuen Sohn Felix. Hamburg, den 1. 4. 1902.« Das Bild wollte ich
als erstes Lebenszeichen nach der Flucht meinem alten Herrn schicken; er
sollte sich seines stattlichen Jungen freuen, aber kaum hatte ich die
Widmung geschrieben, entsank mir der Mut, der Abstand zu den
Familienbildern daheim war doch zu groß. In späteren Jahren, als ich
mich meinen Eltern wieder entdeckt hatte, trug mein Vater freilich
gerade dieses Bild mit seiner Widmung bis an sein Lebensende in der
Brusttasche.

In Lübeck hielt ich mich als einfacher Seemann zurück und verkehrte fast
mit niemand. Außer dem Professor, dem ich es gesagt hatte, wußte also
niemand, wer ich war. Der Grafentitel hinderte ja nur. Was nützt es,
wenn man einen Namen hat und nichts ist? Aber man sah in jenen Tagen
schon mehr auf sich selbst, auf reine Hände. Die teerigen Runzeln und
Schwielen verschwanden allmählich. Man wurde richtig ein »fürnehmen
Kirl«, die braunverbrannten Backen wurden schmäler, von Monat zu Monat
mußte ich eine Kragennummer enger nehmen.

Die Hauptfächer waren für mich privatim vorerst einmal das große
Einmaleins und grammatisch richtig Deutsch schreiben, dann Bruchrechnen.
Die ganze liebe Familie Schulze half und sorgte mit. Den »Nenner des
Ganzen« suchen, eine verfluchte Sache. Wie ich das mit eisernem Fleiß
intus hatte, kam die Mathematik, der pythagoräische Lehrsatz, den ich
von der Schule her zwar noch kannte, aber nicht beweisen konnte. Dann
kam die höhere Mathematik, die sphärische Trigonometrie, von Sonne und
Sternen, nautische Astronomie: Chronometerlängen, Monddistanzen ...
Waren doch allein 21 astronomische Aufgaben beim Examen zu lösen! Die
Seepraxis wurde ja vorausgesetzt, wenn man die Bescheinigung als Matrose
hatte.

Ich habe nie geglaubt, daß ich so fleißig sein könnte, wie ich es in
Lübeck war. Ich war stolz darauf, daß ich etwas verstand, das Zutrauen
zu mir selbst wuchs bedeutend. Während der neun Monate, die bis zum
Examen vergingen, habe ich etwa achthundert Mark verbraucht,
einschließlich der Kosten für das Examen.

Ich ging ins Examen, nicht um es als erster zu machen, sondern um als
letzter fertig zu werden! Denn ich wollte ganz sorgfältig alle Aufgaben
durchrechnen. Wenn sich einer über meine Fortschritte freute, so war es
der Direktor Schulze, der sich alle Mühe mit mir gegeben hatte. Ich fing
damals an, etwas zu dichten und gestand ihm das. »Sie dichten auch,
Phylax?« sagte er, »das ist ja wundervoll, dann können Sie Sonntag
nachmittag mal zu mir kommen und mit mir dichten.« Ich ging hin und
bildete mir auf mein Talent etwas ein. Da ging er mit mir hinunter zum
Travekanal und sagte: »Nun kommen Sie mal, nun wollen wir mein Boot
dichten, das ist leck.«

Als der Examenstag da war und alle die Herren prüfend im Frack bereit
saßen, bekam ich doch etwas Angst. Ich hatte mir, um guten Eindruck zu
machen, rote Tinte mitgenommen, um die Hauptresultate zu unterstreichen.
Denn bei der Anfertigung einer Aufgabe ist ja die gute Übersicht die
Hauptsache. Glücklicherweise gab es damals noch ordentliches Papier! Das
heutige Kriegspapier hätte ich mit meiner schweren, ungeübten Hand ganz
durchgeschrieben beim festen Aufdrücken. Ich gebrauchte den dicksten
Federhalter, den ich erstehen konnte, fast so stark wie ein
Spazierstock, der sich so in die Hand legte, daß ich sie nicht
zuzudrücken brauchte. Nur konnte man ihn nirgends recht hinlegen, da er
wie eine Birne war und überall herunterrollte. Es war ein Federhalter
für Leute mit einem Schlaganfall, die mit zwei Händen schreiben.

  [Illustration:
  »... Das Examen dauerte sechs Tage.«
  (Original im Besitz von Prof. Dr. Schulze.)]

Das schriftliche Examen dauerte sechs Tage, und danach kam mit dem
mündlichen erst die Hauptaufregung. Aber es ging vorbei, und nachher
zwinkerte der Direktor mir zu, drückte mir die Hand und sagte, was er
eigentlich nicht durfte: »Phylax, das Examen hast du in der Tasch'.« Da
war ich aber froh! Ich habe zwei Nächte nicht geschlafen. Wir haben
derartig gefeiert, daß ich mich eines Morgens in einer Gartenlaube
wiederfinde. Da ist ein Mann, der will seinen Garten sprengen und ist
erstaunt, da einen verschwiemelten Steuermannsschüler liegen zu sehen.
»Was liegen Sie denn hier?« Ich wußte nicht, was los war und vermochte
nur zu antworten: »Was sprengen Sie denn hier?«

Donnerwetter, das war also das erste Examen! Am liebsten wäre ich gleich
zu meinen Eltern hingelaufen. Mein Professor hatte ja heimlich
nachgeforscht und festgestellt, daß meine Eltern lebten, und mein Bruder
Fähnrich war. Alles das erfuhr ich unter der Hand. Aber ich verbiß mir
noch einmal den Wunsch, heimzukehren, denn ich hatte seinerzeit gelobt,
Kaisers Rock mit Ehren zu tragen. Nun setzte ich mir in den Kopf, erst
wieder aufzutauchen, wenn ich sagen konnte, ich wäre Offizier.



Fünftes Kapitel.

Kaisers Rock.


Nach dem Examen suchte ich Stellung bei den größten Hamburger Reedereien
und wurde von der Hamburg-Südamerika-Linie als Wachoffizier angenommen.
So kam ich an Bord der »Petropolis«. Ich hatte mir jetzt an Stelle der
Seekiste einen Koffer angeschafft und kam mir damit vor wie ein Kapitän.
Ich hatte mir Glacéhandschuhe besorgt und weiße Schuhe und sehe mich
noch, wie ich mir die ersten Manschettenknöpfe kaufe. Auch eine
Extrauniform hatte ich neben der Freiuniform bestellt. Als ich in
Uniform auf der »Petropolis« spazieren ging, fühlte ich mich wie ein
junger Gott. Als ich zum letztenmal ein Schiff verlassen hatte, da war
ich noch ein Matrose, mußte Rost schrapen und alles dergleichen. Jetzt
kam mir der Unterschied so sonderbar vor. Ich ging an Deck auf und ab
und hatte nirgends mehr Hand anzulegen.

Der Kapitän, Feldmann, war ein famoser Kerl, der sich meiner sehr
annahm. Ich blickte öfters in den Spiegel und dachte: »Jetzt siehst du
ihm schon ähnlicher.« Ich gab viel auf mein Äußeres, pflegte meine
Hände, was höllisch schwer wurde, denn die alten Taudrücker waren doch
recht vierkant geworden. Ich überlegte lange hin und her, ob es besser
wäre, einen kurzen oder langen Schnurrbart stehenzulassen. »Mensch,
Phylax,« dachte ich, »jetzt hast du es geschafft. Wie hast du dich
verändert!«

Nachdem ich drei Wochen Wachoffizier gewesen war, ging die Reise los. Es
kam nun darauf an, auf der Brücke Offiziersdienste zu leisten. Der
Kapitän belehrte mich herzlich. Es würde mir wohl vieles neu vorkommen,
aber jeder Anfänger, der vorher Matrose war, käme sich furchtbar dumm
und ungeschickt vor; ich sollte darüber nicht untröstlich sein, sondern
es als Erfahrung hinnehmen, die er bei allen jungen Offizieren gemacht
hätte. Ich dachte: das ist ein vernünftiger Mann.

Die Fahrt ging elbabwärts. Ich sprach mit den Lotsen über dies und
jenes. Die Manschetten rutschten mir noch, das Handanlegen an die Mütze
kam mir komisch vor.

Dann kam die erste Navigation in der Praxis. Ich rechnete also los, mit
dem Schulsystem, und brauchte dreiviertel Stunden. Da war ich schön
überrascht, als die andern schon fertig waren, während ich noch
rechnete und es überdies 50 Seemeilen verkehrt herausbekam! Man fragte
aber merkwürdigerweise gar nicht nach meinem Ergebnis. So ging es Tage
und Wochen; niemals wurde nach meiner Navigation gefragt. Endlich lernte
ich mich aber ein und ging stolz meine eigene Wache. Ich fühlte mich
auch nirgends wohler, als wenn ich allein auf der Brücke war und an
frühere Zeiten denken konnte. Immer wieder tauchte die Sehnsucht nach
den Eltern auf. Wenn die jetzt wüßten, wo du bist! Nie habe ich mehr die
Elternliebe empfunden. Wie brutal kam ich mir vor, daß ich nicht zu
meinen Eltern ging. Aber noch blieb ich dickköpfig.

Auf der »Petropolis« fuhr ich dreiviertel Jahr. Jetzt konnte ich als
Einjähriger zur Kriegsmarine gehen. Als am 1. Oktober Einstellung war,
meldete ich mich. Auf der »Petropolis« hatte ich mich in manches gute
Buch vertieft, wenn ich auch nicht viel davon verstand. Jetzt fuhr ich
also mit einem Kameraden von der Navigationsschule zusammen nach Kiel.
Zum erstenmal in meinem Leben leistete ich mir eine Fahrkarte zweiter
Klasse. Wir kamen uns vornehm vor; uns gegenüber saß ein Herr mit einem
Spitzbart, das mußte unserer Meinung nach unbedingt ein Marineoffizier
sein. Deshalb benahmen wir uns angestrengt reserviert.

Dann kam die Einstellung. Die ersten Tage wurden wir tüchtig auf dem
Kasernenhof umhergehetzt. Als wir so eines Tages langsamen Schritt
übten, was mir meines gebrochenen Beines wegen saure Schmerzen
bereitete, kam eine Ordonnanz von der Station und fragte den
Oberleutnant, ob hier ein Einjähriger Graf Luckner wäre? Großes
Aufsehen. Der Oberleutnant fragte mich, ob ich einen Verwandten auf der
Station hätte? Ich meldete: Nein. Dann wurden mir zwei Unteroffiziere
mitgegeben, die sollten mich erst einkleiden, denn wir hatten ja bisher
nur Drillichzeug getragen.

Während ich schön gemacht wurde, ging mir die »Station« im Kopfe herum.
Was ist das, Polizeistation, Wachstation? Was mochte jetzt von meinem
Sündenregister herausgekommen sein, die Marine kriegt ja alles heraus.

Schließlich kamen wir zu einem roten Gebäude. Ich lese in meiner
Beklemmung die Aufschrift: Ackermann, Adjutant. Der eine Unteroffizier
trat ein und meldete. Dann mußte ich eintreten. Ich soll zum Admiral
Graf Baudissin kommen. Ja, wie wird denn solch ein hoher Herr angeredet?
dachte ich bei mir; die Hauptsache ist wohl: immer stramm stehen.
Drinnen sitzt der Admiral mit großen goldenen Streifen. Ich stehe da,
die Ellenbogen und die Hände fest angelegt.

»Sagen Sie mal, was sind Sie für ein Luckner?«

»Der Sohn von Heinrich Luckner.«

»Wie heißen Sie mit Vornamen?«

»Felix.«

»Aber der ist doch verschollen.«

»Nein, das bin ich.«

»Wie kommen Sie denn hierher?«

»Ich bin in der Schule nicht versetzt ... Hatte meinen Eltern
versprochen, durchs Einjährige zu kommen ... habe ich versucht, mit
eigenen Kräften mein Versprechen in Erfüllung zu bringen.«

»So, und was soll nun hier werden?«

»Ich habe mein Steuermannsexamen gemacht, was zum einjährigen Dienst
berechtigt; ich wollte Reserveoffizier werden durch gute Führung.«

»Warum haben Sie Ihren Eltern nicht geschrieben?«

»Ich wollte nicht vorher kommen, weil ich da nicht für voll angesehen
worden wäre und wollte auch nicht vorher schreiben, weil es dann
geheißen hätte: Matrose, weiter ist aus dir nichts geworden? Ich glaubte
meinen Eltern ein größeres Vergnügen bereiten zu können, wenn ich als
gemachter Mann käme.«

»Wovon wollen Sie denn das bestreiten?«

»Ich habe mit allen Auslagen und Wiederzuverdientem imganzen noch 3400
Mark.«

»Soviel haben Sie verdient?«

»Ja.«

Da sagte der Admiral: »Ich bin Onkel Fritz.«

»Wat,« denk ich, »einen so vornehmen Onkel?«

Ich hatte von dieser Verwandtschaft vorher nie gehört, gucke rechts und
links und denke fast, ich soll ihn gleich Onkel nennen, weil ich einen
so guten Eindruck auf ihn gemacht habe. Ich sagte: »Exzellenz« -- in
Wirklichkeit war er noch gar nicht Exzellenz -- »ich möchte gern
vermeiden, daß meine Eltern vor der Qualifikation etwas von meinem
Hiersein erfahren.«

Da antwortete er: »Vorausgesetzt, daß ich dir, was Diensttüchtigkeit
anbelangt, nicht behilflich zu sein brauche, will ich dir gern zu
Gefallen sein. Aber in dienstlicher Hinsicht hast du keinen Freund an
mir.«

Ich konnte doch nicht sagen »Onkel«, ich beteuerte also nur: »Nein.«

»Und dann, Felix, kannst du zweimal die Woche zu mir kommen. Meine
Tochter soll dir etwas Aufsatz beibringen, denn Junge, Junge, du
sprichst ja ein fürchterliches Deutsch.«

Ich hatte mich schon für einen ganz gebildeten Menschen gehalten, aber
mein »mir« und »mich« muß doch anderen noch auf die Nerven gefallen
sein, und bei den Aufsätzen war die Kritik immer: Deutsch mangelhaft.
Jetzt fing ich aber an zu lernen: »Mit, nach, nächst, nebst, samt, bei,
seit« usw., und legte es mir zurecht, wann »mir«, wann »mich« zu setzen
wäre. Einen Lebenslauf sollte ich jetzt verfassen, obwohl ich in meinem
Leben noch nie einen Brief geschrieben hatte. In dem »Lebenslauf« habe
ich sie aber tüchtig verkohlt, denn ich konnte doch nicht schreiben, daß
ich bei der Heilsarmee war oder Leuchtturmwärter. Meine ganze Laufbahn
hätte ich mir damit verdorben.

Ich lebte mich schnell bei der Marine ein und die Sache ging gut als
Rekrut zuerst, dann auf dem »Mars« zum Artilleriekursus. Als ich von
dort in die Flotte kam, stieß mir bald ein schwerer Unfall zu. Ein Boot
mit Beurlaubten, das zum »Kaiser Wilhelm dem Großen« zurückfuhr, war im
Begriff, in das unglücklicherweise ungeheißte Fallreep des
Kriegsschiffes hineinzufahren, als ich gerade auf diesem die Wache ging.
Ich versuchte, das Boot mit Hilfe seiner Vorleine zu stoppen, und
verließ mich dabei zu sehr auf meine eigene Kraft. Ich erreichte auch,
daß der Zusammenstoß stark gebremst wurde, aber das Fahrtmoment war doch
viel zu schwer, und das Boot zog mich gegen das Kettengeländer, wo eine
eiserne Stütze war. Diese ging mir durch den Leib und durchriß den Darm
zweimal. Die Operation durch Professor Helfferich gelang vorzüglich; als
ich aber nach acht Tagen aus dem Zimmer der Schwerkranken in das
Leichtkrankenzimmer überführt worden war, habe ich eine große Dummheit
begangen. Ich ahnte gar nicht, wie zerrissen mein Darm war, und fühlte
mich durch das lange Fasten so ausgehungert, daß ich mir eines Sonntags,
als mein Bettnachbar von Besuchern Pflaumen bekam, auch davon ausbat.
Als Einjähriger hätte ich mich ja mehr beherrschen sollen, aber die
Pflaumen taten mir wohl. Als aber der Verband am nächsten Tag erneuert
wird, schlägt der Stabsarzt die Hände überm Kopf zusammen, denn da lag
die ganze Pflaumengeschichte im Verband. Ich hatte nicht gewußt, daß der
Darm abgebunden war; der war nun gerissen. Ich sollte sofort in Arrest
kommen, wenn ich gesund wäre, und bekam zunächst mal eine Wache, damit
ich nicht wieder »in die Plum« ginge.

Die im Lazarett verlorene Zeit wurde mir infolge meiner
zufriedenstellenden Leistungen an Bord geschenkt. Ich wurde
Unteroffizier; dann kam der Tag, wo ich die Übung als Vizesteuermann
machen durfte, und nun wurde ich als Leutnant zur See der Reserve
entlassen. Da mußte ich nochmals bei Onkel Fritz antreten, der mir
Anweisung gab, wie ich es machen sollte, wenn ich nach Hause käme.

  [Illustration:
  Auf der Reichskriegsmarine
  (an Bord S. M. S. »Kronprinz«, im Jahre 1915).]

Ich zog mir kleine Uniform an, kaufte mir einen Dreimaster, Epauletten,
Säbelschärpe und Visitenkarten und ging nach so viel Jahren zum
erstenmal »to hus«.

In Halle a. Saale angelangt, stellte ich mein Zeug in einem Gasthof
unter und zog mich sorgfältig an. Ich gehe zu dem stillen Haus auf der
»Alten Promenade«; es hat sich in all den Jahren nichts verändert. Ich
steige die Treppe hinauf und gebe die Karte ab.

Da höre ich die wohlbekannte Stimme des alten Herrn: »Leutnant zur See
Felix Luckner? Gibt's ja gar nicht, aber ich lasse den Grafen bitten.«

Nun trete ich ein und sage ganz kurz: »Tag, lieber Vater! Glaube meine
Äußerung verwirklicht zu haben, Kaisers Rock in Ehren zu tragen.«

Der alte Herr weiß nicht, wie ihm ist und was er machen soll.
Marineoffizier? Der Bengel ist nicht versetzt, man wäre froh, wenn er
Armeeleutnant geworden wäre und jetzt im kaiserlichen Rock?! Alles das
saust ihm durch den Kopf, und ich höre nur, wie er mit erstickter Stimme
ruft: »Alte!«

Die Mutter kommt, sieht mich, setzt sich vor Schreck auf die Treppe und
fällt mir dann in die Arme, und wenn ich in der Erinnerung nachsuchen
soll, so ist es mir, als ob sie eine halbe Stunde darin gelegen hätte.

Dem alten Herrn laufen jetzt auch die Tränen herunter. Nun mußte ich
erzählen: Wie hast du gelebt? Was hast du getan? Das waren so viele,
viele Fragen, ehe ich überhaupt geantwortet hatte. Aber nachdem sich der
alte Herr etwas gefaßt hatte, fing er gleich sich zu brüsten an: »Siehst
du, Alte, ich hab' es doch immer gesagt! Ist es ein Luckner, so wird
etwas aus ihm, da braucht man keine Bange zu haben. Und geht er
verloren, dann ist es auch kein Luckner. Dann ist es kein Schade. Und
was ist er? Ein Luckner.«

Überall wurde nun hintelegraphiert zu den Geschwistern, Vettern, Onkeln,
Klostertanten. Ich wurde von den Lehrern in den Schulen als gutes
Beispiel hingestellt! Man hatte überall nach mir geforscht, hatte sich
den Kopf zerbrochen, auf welche Weise das Kind wohl untergegangen wäre.
Leben konnte es ja nicht mehr, denn sonst hätte es ein Lebenszeichen
gegeben. Und jetzt stand ich vor ihnen, der ewige Tertianer, der, ohne
Kadett geworden zu sein oder das Einjährigenexamen gemacht zu haben, auf
den Schiffsplanken Offizier geworden war.

Seit dieser Zeit war ich nicht mehr das Sorgenkind, sondern der Verzug.
Keine Mutter hat je ihr Kind so umsorgt, wie die meinige.

Das war der Abschluß meiner Wanderjahre. Jetzt kamen die Jahre, die
normal verliefen.

  [Illustration:
  Graf Nikolaus von Luckner, geb. 11. Januar 1722 als Sohn des
  Hopfenhändlers und Stadtkämmerers Samuel Luckner in Cham, gest.
  3. Januar 1794 als Marschall von Frankreich auf dem Schafott.]

In den Schoß der Familie aufgenommen, wurde ich auch in die
Familiengeschichte eingeweiht. Dabei entdeckte man einiges, was auf die
eigene Entwicklung Licht warf. Man war doch nicht so aus der Art
geschlagen, wie man gedacht hatte. Unser Stammvater Nikolaus Luckner,
1722 in Bayern geboren, erhielt als Schüler im Passauer
Jesuitenkollegium »wegen einigen Leichtsinns und Wildheit« den Beinamen
Libertinus. Er entlief aus nicht näher bekannten, aber sicher zwingenden
Gründen mit fünfzehn Jahren der Schule, trat in ein bayrisches
Infanterie-Regiment und kämpfte gegen die Türken. Dann wurde er, da ihm
das Zufußgehen zu langsam ging, Leutnant in einem Husarenregiment, das
aus dem bayrischen Dienst 1745 als gemietete Truppe in den holländischen
übertrat. Der Deutsche hatte damals ja leider noch kein Vaterland,
bestenfalls Vaterländer. Als aber der alte Fritz gegen die Franzosen
kämpfen mußte, übernahm Major von Luckner 1757 die selbständige Bildung
eines hannöverschen Husarenkorps, das unter preußischem Oberbefehl
focht. Die Lucknerhusaren, die der Ahnherr Mann für Mann nach Ablegung
einer Mutsprobe persönlich anwarb, waren bald in ganz Norddeutschland
durch unzählige Waffenstreiche berühmt, und ihr Führer wurde der Ziethen
des westlichen Kriegsschauplatzes. Als aber nach Beendigung des
Siebenjährigen Krieges das Regiment durch seinen Landesherrn, den
englischen König, aufgelöst wurde, entgegen den Versprechungen, die man
ihm gegeben hatte, nahm General v. Luckner gekränkt seinen Abschied aus
hannöverschen Diensten. Der Feind wußte seinen Degen besser zu schätzen:
der König von Frankreich bot dem sagenumwobenen Kämpfer ein neues
Wirkungsfeld. Sein Herz schlug deutsch wie das eines Johann von Weerth
oder Derfflinger; aber Deutschland hatte für sein Soldatenblut keine
Verwendung. So wurde Herr Nikolaus, der einmal in der Schlacht inmitten
eines französischen Regiments einen Überläufer erkennend, in die
enggeschlossenen Glieder hineingesprengt war, um dem Ausreißer den Kopf
zu spalten, selber ein Söldner des Auslandes, nicht der erste und leider
auch nicht der letzte deutsche Haudegen, der diesen Weg gegangen ist.
Er, der kaum französisch konnte, als er übertrat, mußte nun zuletzt als
Marschall von Frankreich und Führer der französischen Nordarmee 1792
gegen Österreicher und Preußen kämpfen. Er hatte aber als »Franzose«
ebensoviel Unglück, wie er früher als preußischer Parteigänger Glück
entwickelt hatte, und als der Greis 1794 nach Paris fuhr, um seine
Pension abzuholen, die ihm die Republik nebst vielen Vorschüssen an
seine Armee schuldig geblieben war, legte man seinen Kopf unter die
Guillotine, ungeachtet dessen, daß der Dichter der Marseillaise sie ihm
gewidmet hatte.

Er selbst war willens gewesen, sein Leben in Holstein zu beschließen, wo
er durch Heirat Gutsherr geworden war. Schiffskapitäne und
Husarenoffiziere, die leichtbeweglich sind und viel durch die Welt
streifen, siedeln sich auf ihre alten Tage gern dort an, wo auf ihren
Wanderzügen ihr Herz hängen geblieben ist. So kamen die Luckners nach
Holstein und wurden dänische Grafen. In Holstein ist mein Vater geboren.
Als er das kritische fünfzehnte Jahr erreicht hatte -- es war gerade im
Jahre 1848 -- lief auch er von der Schule weg. Er wollte gegen die Dänen
fechten, nahm jahrelang an allen Kämpfen teil und kehrte 1850 als
Dragonerleutnant nach Hause zurück. Den Geschmack an den Studien hatte
er verloren. Er wurde Landwirt und war bald in ganz Holstein durch
Gastfreundschaft und allerhand lustige Streiche bekannt. In Bramstedt
wird noch das Denkmal gezeigt, dessen Sockel der »tolle Luckner« auf dem
selbstgezüchteten, edlen Hengst im Sprunge nahm. So oft der König rief,
1864, 1866, 1870, trat mein Vater in die Armee ein. Aber nach beendetem
Kriege kehrte er jedesmal nach Hause zurück. Er wollte im Frieden nicht
Soldat sein, nur Schütze und Jäger. Gute Freunde nutzten den
liebenswürdigen Herrn und seine Sportleidenschaft aus; er verlor
schließlich seine Besitzung und siedelte nach Dresden über, wo sein
Vetter lebte, der gleichfalls nur der »tolle Luckner« hieß. Dieser fuhr
gern mit knallroter Equipage sechsspännig durch Dresden -- auch
hinderten ihn dabei nicht die Stufen der Brühlschen Terrasse --, und als
ihm der König das Sechsspännigfahren verbot, nahm er fünf Pferde und
einen Maulesel. Eines Tages saß er mit einem Freund im Gasthof bei
Tisch, als eine schöne junge Dame, Gräfin X, den Saal betrat. Mein
Onkel, der ihr noch nicht vorgestellt war, fing Feuer und wettete sofort
mit seinem Freund um ein Rittergut, daß er sich die Hand der Dame
erringen werde. Wenige Wochen darauf war das Paar aufgeboten; er hatte
aber inzwischen bei näherer Bekanntschaft die Lust verloren und zog es
vor, anstatt zur Trauung auf die Festung Königstein zu wandern, um wegen
Pistolenzweikampfs mit einem Verwandten der Dame in Haft zu büßen. Auf
Königstein war es langweilig, und so vertrieb er sich die Zeit, indem er
in die vorbeifließende Elbe mit Talern warf, um herauszubekommen, ob sie
»rikochierten«.

Kavalleristisch galoppiert es durch die Lucknersche Familiengeschichte.
Einsetzen der Person und ein fröhliches Lachen ist vom Ahnherrn erblich;
irdische Güter sind gekommen und gegangen, das Herz ist auf dem alten
Fleck geblieben. Viel deutsche Geschichte drängt sich schon auf den
wenigen Blättern unserer Familienchronik durcheinander. Aber sollte
Deutschland noch einmal ums Dasein kämpfen müssen, sind hoffentlich auch
die Luckners wieder zur Stelle.



Sechstes Kapitel.

Offizier und immer mal wieder Matrose.


Ich fuhr nun zwei Jahre bei der Hamburg-Amerika-Linie. Während dieser
Fahrten bereitete ich mich aufs Kapitänsexamen vor. Ich bin nicht mehr
auf eine Schule gegangen, sondern habe mich privat vorbereitet. In
Hamburg nahm ich einige Zeit Privatstunden zu diesem Zweck. Nachmittags
pflegte ich dann auf der Unterelbe hinter Altona bei Neumühlen mit
einigen Kameraden zu segeln. Es ereignete sich einmal, daß in einem vor
uns segelnden Boot ein Mann, der weder ordentlich segeln, noch schwimmen
konnte, ein Kölner Kaufmann, durch den Besanbaum von Bord geschlagen
wurde. Ich schwamm nach der Stelle, wo er hineingefallen war. Wie ich
hinkomme, ist er untergegangen, so daß ich tauche und ihn in ziemlicher
Tiefe fasse. Ich schiebe ihn hoch, und er gelangt dadurch früher an die
Oberfläche als ich. Wie ich nun nachkomme und Luft hole, umkrallt er mit
Armen und Beinen meinen Körper. So werde ich mit ihm hinuntergezogen.
Endlich werden durch Zufall meine Beine frei, ich stoße mich von ihm ab
und komme dadurch los und gelange wieder hoch. Es wurde mir schon
schwarz vor den Augen, aber ich erholte mich und tauchte nochmals. Lange
blieb ich mit dem Unglücklichen auf der gleichen Höhe des Flusses, da
der Strom uns mit gleicher Geschwindigkeit fortriß. Endlich bekam ich
den schon Bewußtlosen zu fassen und arbeitete mich gut 500 Meter über
die breite Elbe ans Ufer. Als ich drüben ankomme, hat sich eine große
Menschenmenge gesammelt. Ich bin ganz erschöpft und will meinen Mann
abgeben, als ich Grund spüre. Da brach ich infolge der Kraftanstrengung
bewußtlos zusammen. Ein alter Herr will mich da mit dem Regenschirm
herangestakert und herausgeholt haben. Der Verunglückte wurde wieder
belebt und nach einer halben Stunde kam ich auch wieder zum Bewußtsein
und fuhr nach Hause.

Lebensrettungen sind verhältnismäßig langweilig zu erzählen. Ich muß sie
nur erwähnen, weil sie in meiner Laufbahn eine gewisse Rolle gespielt
haben. Im übrigen lernt man nie einen Menschen richtig retten, da man ja
nicht wie ein Bademeister immer auf der Hut steht, sondern zufällig dazu
kommt, dann ist man selber so aufgeregt, daß man die Örtlichkeit und die
Besonderheiten des Falles nicht lange überlegen kann. Im Reglement »Wie
man Ertrinkende retten soll«, ist das alles so rosig und einfach
dargestellt. Zum Beispiel: man soll den Ertrinkenden von hinten her bei
den Haaren fassen. Aber abgesehen davon, daß man oft nicht weiß, ob der
Betreffende Haare hat, ist in den Vorschriften der Fall nicht
vorgesehen, wenn ein Ertrinkender in trübem, undurchsichtigem Wasser
untergetaucht ist, wobei es leicht vorkommt, daß er einen unter Wasser
schneller anfaßt, wie man ihn selbst packen kann, und das sind die
häufigsten Fälle, denen man bei Rettung Ertrinkender begegnet.

Acht Tage später lud mich das Bezirkskommando vor; sie hatten die
Geschichte aus den Zeitungen erfahren, und ich sollte nun Zeugen
angeben, damit ich die Rettungsmedaille bekäme. Ich erwiderte, daß ich
nicht nach Zeugen suchen möchte. Es hieß aber, daß die Bestimmung Zeugen
verlangte. So konnten wir uns nicht einigen.

Inzwischen hatte ich mich zum Examen vorbereitet und meldete mich bei
Professor Bolte in Hamburg. Er fragte: »Wo sind Sie auf der Schule
gewesen?« Ich erzählte ihm, daß ich privat gearbeitet hätte. Das war ihm
sichtlich unangenehm. »Wozu haben wir unsere Schulen?«, fragte er, »wir
müssen Sie zum Examen annehmen, aber daß wir Ihnen auf den Zahn fühlen,
kann uns nicht verwehrt sein.«

»Daß Sie mehr wissen als ich, Herr Professor, davon bin ich überzeugt,«
erwiderte ich und ging nach Altona. Dort war meine Hoffnung der alte
Direktor Jansen. Augenscheinlich war er aber schon durch Fernsprecher
unterrichtet.

»Wo waren Sie auf der Schule?«, fragte er mich.

»Ich habe mich privat vorbereitet.«

»Sie sind Abiturient, nicht wahr, mit guten Grundkenntnissen?«

»Nein, ich bin Tertianer.«

»So,« sagte er, »ich bin bis zur Prima gekommen, habe es aber doch für
nötig gehalten, sieben Monate noch zur Schule zu gehen. Nun, kommen Sie
in drei Wochen zum Examen.«

Ich äußerte die Befürchtung, man wünschte wohl diejenigen auszumerzen,
welche die Schule umgingen.

Er meinte zwar, das hätte er nicht gerade gesagt, aber er interessierte
sich natürlich in besonderem Maße dafür, was dabei herausgekommen wäre.
Meine Selbstsicherheit war doch so sehr erschüttert, daß ich wiederum
weiterzog nach Flensburg, zum Oberlehrer Pfeifer. Der wollte mich gleich
annehmen, aber ich müßte mich erst in Altona bei Direktor Jansen
vorstellen. Das wäre ein so gemütlicher Mensch!

»Nein,« sagte ich, »da komme ich ja gerade her. Der Herr interessiert
sich so sehr für hohle Zähne. Können Sie mir nicht sagen, wo noch eine
Schule ist, an die ich mich wenden kann?« In Lübeck paßten mir nämlich
die Termine damals nicht.

Da riet er mir, nach Timmel bei Papenburg in Ostfriesland zu gehen, da
würden so schwerfällige Menschen unterrichtet. Papenburg ist ein kleines
Nest mitten in Ostfriesland, wo es nur Torf gibt. Es ist eigentlich die
größte Stadt der Welt, nämlich die längste, denn man braucht 2½ Stunden,
um hindurchzulaufen. Sie hat drei Postämter. In früheren Zeiten war es
eine Torfkolonie. Ein Kanal läuft hindurch und die Kolonisten haben sich
rechts und links angebaut.

Ich gehe also dorthin zur Schule. Da war ein alter, würdiger Herr mit
einem weißen, fusseligen Bart. Ich war schon gewitzigt und erzählte ihm,
ich hätte aus Gesundheitsrücksichten keine Schule besuchen können, daher
die Zeit auf meinem Krankenlager benutzt, um mich privat vorzubereiten.
Ich wäre pekuniär nicht in der Lage gewesen, die Schule noch nach meiner
Krankheit zu besuchen, wäre aber sehr fleißig gewesen usw. Ich verstand
es schon besser, mich auszudrücken.

Er meinte, das wäre ja sehr nett, es wäre ihm auch ganz angenehm, denn
sie hätten augenblicklich nur einen Schüler. Ich dachte, das hast du ja
gut getroffen. Der Schüler wäre auch recht schwach. Ach, dachte ich, das
konnte sich ja gar nicht besser treffen. Dann fragte er mich nach meinen
Personalien.

»Das ist ja eine große Freude und Ehre für uns; wie sind Sie denn gerade
auf Papenburg gekommen?«

»Hm ja! Ich hatte einen guten Freund, der hat die Schule hier besucht
und mir davon vorgeschwärmt.«

»Wie hieß er denn?«

(Du lieber Himmel) ... »Meier!«

»Von welchem Jahrgang war er denn?«

»Das weiß ich nicht mehr.«

»Hat er schon das Kapitänsexamen?«

»... Nein.«

»Na, das muß er aber auch bald machen.«

Ich erhielt einen Brief mit zu dem Direktor in Geestemünde, dort mußte
ich mich erst vorstellen. Das war ein reizender Herr, der sich sehr
freute, daß ich mein Examen machen wollte. Er könne mir das nachfühlen,
nach meiner Krankheit, daß ich schnell in die Prüfung wolle; es werde
auch schon gehen, das Examen sei in drei Wochen, ich solle da und dort
noch etwas Nachhilfeunterricht nehmen.

Dieser Nachhilfeunterricht förderte mich gut; es wurde dabei gern
zusammen eine gemütliche Pulle Rotspon getrunken. Ich war der einzige
Trost der Schule, denn der andere war immer in Schweiß gebadet vor
lauter vergeblichem Fleiß.

Das Examen nahte. Direktor Prahm und Oberlehrer Neptun, wie wir ihn
nannten, hatten die Aufsicht, und ich war wirklich als der erste fertig,
und der andere brütete da herum und schmorte. Bei mir stimmte alles, ihm
wurde noch ein bißchen unter die Arme gegriffen. Einer mußte
durchkommen, das war für die Schule ja nötig, aber schließlich kam der
andere auch noch durch. Zuletzt kam das Maschinenexamen. Das war wenig
verwickelt und beschränkte sich auf solche Fragen: Womit Dampf erzeugt
wird? Durch Hitze. Wie die beiden Rauchkammern vorn und hinten heißen?
»Vordere Rauchkammer und hintere Rauchkammer.« »Richtig.« So wurde die
Prüfung bestanden, kraftvoll mit dem Lehrer gefeiert, und dann reiste
ich stolz nach Hamburg.

Dann fuhr ich bei der Hamburg-Amerika-Linie weiter bis zum Spätjahr
1911. Dann bin ich aktiver Seeoffizier in der Kaiserlichen Marine
geworden. Der Anlaß dazu war meine fünfte Lebensrettung, die am
Weihnachtsabend dieses Jahres passierte. Ich war bei einer Feier in
Hamburg gewesen und komme nachts zurück und will an Bord meines
Schiffes, des »Meteor«. Ich stehe auf dem Fährponton und warte auf den
Fährdampfer. Neben mir steht ein Zollbeamter. Da sehe ich im trüben
Lampenscheine der Hafenbeleuchtung im Wasser einen Kerl treiben und will
mich in das Wasser stürzen. Da hält mich der Beamte zurück: »Ist es denn
nicht genug, wenn da einer ersäuft?« »Aber ich kann den Menschen doch
nicht ertrinken lassen!« »Sie sind wohl ganz verrückt, in das eiskalte
Wasser gehen zu wollen. Er hält mich am Überzieher fest, aber ich reiße
mich heraus aus dem Überzieher und springe hinunter. Donnerwetter, wie
ich in das Wasser komme -- es waren 13½ Grad Kälte in der Nacht -- war
es mir, als wenn mir einer einen glühenden Draht in den Nacken hielte.
Ich mußte noch etwa 25 Meter schwimmen, bis ich den Ertrinkenden faßte.
Die Kälte und sein Weihnachtsrausch waren sein Glück gewesen, denn er
war steif, und wer ruhig im Wasser liegt, der geht nicht so leicht
unter. Ich bringe ihn zurück zum Ponton. Das ist aber etwa einen
Meter über Wasser, und ich hätte nicht mehr die Kraft gehabt, dort
hinaufzukommen, wenn der Zollbeamte mich nicht zu fassen gekriegt und
mir herausgeholfen hätte.

»Solch oll dösiger verrückter Kerl,« sagte er, »wenn ich nich west wär,
denn wärt ji all beid' versopen.«

Man brachte mich und meinen Mann (es war der englische Matrose Pearson)
in eine Grogstube; da roch es fürchterlich nach Tabak und allem
möglichen: es waren nämlich die alten Hoppenmarkt-Löwen gemütlich beim
Weihnachtsfeiern. (Hoppenmarkt-Löwen nennt man die Männer, die den
Fischweibern die Körbe auf den Markt tragen.) Sie wickelten uns in
wollene Decken und pumpten uns einen Grog nach dem andern ein. Ich
erholte mich auch wieder und überwand den Schrecken von dem kalten
Wasser, desgleichen auch mein Mann, der nun seine zweite Ladung bekam.

Eigentümlich ist es, daß ich beim Retten Ertrinkender beinahe mehr Angst
habe als der Ertrinkende selbst. Mein Körper fliegt und zittert, wenn
ich jemandem nachspringe. Das Baden im freien Wasser ist mir deshalb
förmlich zuwider, weil mir dabei stets die Eindrücke wieder wach werden,
die ich beim Retten habe. Es ist mir beim Schwimmen, wie wenn sich einer
an einem Leibgericht einmal ordentlich überpräpelt hat; man mag es
schließlich nicht mehr. Wenn ich erst einmal im Wasser drin bin, ist mir
wieder wohler. Stoße ich aber im Wasser an irgend etwas, so geht es mir
durch und durch, und ich denke dabei stets an einen Toten.

Überall stand seit der Weihnachtsgeschichte in den Zeitungen: Hoch
klingt das Lied vom braven Mann usw. Es hieß, ich hätte fünf Menschen
das Leben gerettet und noch immer nicht die Medaille. Einer von den
fünfen war zudem eine bekannte Persönlichkeit. Aber das Bezirkskommando
beharrte immer noch bei seinen Zeugen und ich weigerte mich aus reiner
Dickköpfigkeit, sie zu beschaffen. Dem »Hamburger Fremdenblatt« verdanke
ich es in diesem Zusammenhang, daß ich aktiver Offizier geworden bin.
Denn als ich kurz nachher in Kiel eine dreimonatige Reserveoffiziersübung
mitmachte, bekam Prinz Heinrich von Preußen von mir zu hören.

Eines Tages erhalte ich eine Order und werde gefragt, ob ich Lust hätte,
aktiv zu werden. Ich erwiderte, daß dies mein sehnlichster Wunsch wäre,
ich glaubte nur, dafür zu alt zu sein. Darauf wurde mir geantwortet, das
sollte ich nicht meine Sache sein lassen. Am 3. Februar 1910 erhielt ich
ein Telegramm des Inhalts: Graf Luckner kommandiert zur Marine zwecks
späterer Aktivierung. Was war ich glücklich; Welt, was bist du schön!

Jetzt galt es zu arbeiten: Ich mußte ja nachholen, was Seekadetten und
Fähnriche sonst in 3½ Jahren lernen.

Nach dem Infanteriekursus ging es zum Torpedokursus. Diese enorme
Technik! Die Vollkommenheit des Apparates, der ganz allein arbeitet, mit
dem Tiefensteller, der erhitzten Luft, und allem, was damit
zusammenhing: nun hörte ich noch, daß es sogar vier verschiedene
Torpedos gab, die wir alle durchnehmen mußten.

Es sind hundertfünfzig Schrauben an solch einem Ding. Die Namen aller
Teile muß man behalten und den Apparat so kennen, daß man ihn selbst
zusammensetzen könnte. Ich dachte bei mir: Das lernst du nie, jetzt
bist du wieder der Dumme wie damals in Tertia.

Kapitänleutnant Kirchner interessierte sich für mich und half mir nach
Kräften. Ferner war da als Lehrer Kapitänleutnant Pochhammer, dessen
Vater zu gleicher Zeit Vorträge über Dante hielt. So ging ich fleißig
auch zu diesen Vorträgen und studierte Dante. Was wußte ich vorher
davon! Ich verstand ja auch jetzt nicht viel, aber die Beatrice hat mir
doch gefallen, das eigentümliche Mädel. Meine Danteinteressen machten
einen guten Eindruck, man drückte darauf hie und da ein Auge zu. Ich
bekam die nötige Sicherheit und bestand wieder einmal ein Examen.

  [Illustration: Auf »Kronprinz«.]

Auch die Schießübungen gingen gut. Auf der Schiffsartillerieschule in
Sonderburg gab es viel Neues zu lernen, leichte, mittlere und schwere
Artillerie, die hydraulischen und die elektrischen Funktionen usw.
Junge, wat wirst du för'n kloken Keerl! Ich bekam eine wilde
Begeisterung für allen technischen Kram, so daß ich mich da wie in einen
Pott voll Erbsen hineinschmuddelte. Ich wollte immer noch mehr lernen
und dachte: Wenn du Hasen schießen kannst, dann kannst du doch auch mit
der Artillerie schießen. So habe ich auch diesen Kursus bestanden.

Mit meinen Kameraden und den Lehrern bin ich gut Freund geworden, obwohl
ich viele Neider hatte. Ich gehörte ja nie zu denen, welchen das
Begreifen leicht fiel, und nun entwickelte ich nach so viel
Hindernissen auf einmal so viel unglaubliches Glück. Ein
Korvettenkapitän hat es damals fertig gebracht zu äußern, die Marine
hielte sich jetzt gut genug als Aufnahmestätte für solche Elemente, die
aus dem Elternhaus hinausgeworfen wären. Das war seit den sechziger
Jahren auch nicht mehr vorgekommen, daß einer so wie ich in die Marine
kam.

Die Kurse machte ich aus kaiserlicher Schatulle, da an sich kein
Reserveoffizier nach den Bestimmungen aktiv werden konnte. Als Offizier
beteiligte ich mich an den Fähnrichskursen und erhielt obendrein 300
Mark monatliche Kommandozulage auf private Kosten Seiner Majestät.

  [Illustration: Auf »Kronprinz«.]

Mein erstes Schiff war die »Preußen«, da war ein wirklich bedeutender
Mann erster Offizier, der Korvettenkapitän v. Bülow, der sich meiner
annahm. Durch sein erweckendes Interesse arbeitete ich mich wunderbar
ein. Ich lernte alle die »Rollen« aufbauen, die es gab, Reinschiff,
Bootsrolle, Klar Schiff zum Gefecht usw., die Flut- und Lenzeinrichtung:
kurz alles, was dazu gehört, holte ich in Bälde nach. Die Hauptsache ist
der resolute Entschluß, der bei vielen Menschen fehlt. Die Kritik macht
es nicht. Man muß nur die Richtung haben, wohin man will, den freien
Willen darauf lenken und nicht fragen, ob es so oder anders kommen
könnte. Das habe ich immer empfunden, auch als ich später auf meinem
»Seeadler« war.

Mein Jahr Probedienstleistung war um, und vom Kabinett wurde Bericht
eingefordert. Darauf teilte man mir mit, daß ich drei Jahre
vorpatentiert wäre, und so lauteten die gnädigen kaiserlichen Worte:
»Bei weiterer günstiger Berichterstattung über den genannten Offizier
behalte Ich Mir vor, sein Dienstalter abermals zu erhöhen.«

  [Illustration: Auf »Kronprinz«.]

Als die endgültige Aktivierung gekommen war, hatte ich doch das Gefühl:
jetzt bist du nicht mehr abhängig von der Reederei, vom Inspektor, der
einen einfach an die Luft setzen kann. Der »olle Seemann« war abgetan.
Jetzt durfte man nicht mehr mit dem Löffel einhauen. Die »Gesellschaft«
lag nicht mehr in unerreichbarer Ferne. Man fühlte, wie man gewandter
wurde und fand sich in die neue Rolle. Die Kieler Woche ward mitgemacht
und mancher sportliche Preis dabei geholt. Je mehr ich aber so
hineinkam, um so mehr sproßte auch die Sehnsucht nach dem Vergangenen
wieder im Stillen. Nachdem ich mein Steuermannsexamen gemacht hatte, war
mein Fuß ja auf kein Segelschiff mehr gekommen. Aber die heimliche Liebe
verließ mich nicht. Auf der »Preußen« habe ich meinen ersten Rückfall
gehabt und in meiner freien Zeit das Modell eines Segelschiffes
geschnitzt.

Jetzt wurde ich Wachoffizier. Das ist der wichtigste Posten für einen
jungen Marineoffizier, wo er selbständig Wache gehen, das Schiff im
Verbande führen muß usw. Ich hatte anfangs einige Schwierigkeiten mit
den Leuten, die mir den Aufstieg nicht gönnten und äußerst mißtrauisch
aufpaßten, wie ich meine Sache machte. Endlich kam meine Beförderung zum
Oberleutnant heraus, und ich trat meinen ersten Urlaub an.

Ich fuhr wie üblich nach Hamburg.

Dort sitze ich mit einem Bekannten zusammen, der eine Reederei hatte,
und sage zu ihm: »Ich möchte doch einmal wieder an Bord eines
Segelschiffes. Wie ich heute durch den Hafen fuhr, merkte ich, wie man
an den Schiffen hängt. Ich denke an den Feierabend an Bord, wo man die
Handharmonika hörte, wenn die Sonne unterging, und hatte Heimweh nach
meinen schönsten Stunden.«

Er sagte: »Du bist wohl verrückt. Jeder strebt doch vorwärts. Man denkt
wohl gern an die Zeiten, die man erlebt hat. Aber das habe ich doch nie
gesehen, daß ein Diplomingenieur wieder Sehnsucht hat, am Amboß zu
stehen.«

Dann war er aber einverstanden, mich wieder auf ein Segelschiff zu
bringen.

Wenn ein Segelschiff in den Hafen kommt, wird es gelöscht, die Leute
mustern ab. Wird es neu beladen, so mustert man die Mannschaft
allmählich wieder an. Die einzelnen werden zunächst vorgemustert, und
erst wenn eine ganze Mannschaft beisammen ist, werden sie alle auf
einmal vom Seeamt angemustert. Ich ließ mir also von meinem Bekannten
einen Vormusterungsschein geben für das Schiff »Hannah«, ging in ein
Ausrüstungsgeschäft für Seeleute und kaufte mir Arbeitshose und Hemd,
Matratze und Decke. Letzteres lasse ich an Bord schicken. Das Zeug und
eine blauweiße Bluse, wie die Seeleute sie tragen, ferner eine Mütze
nehme ich persönlich mit, packe alles in meinem Hotel in die Handtasche
um und lasse mir eine Droschke kommen. Ich sage dem Kutscher, er solle
mich nach der Rosenbrücke fahren, nach dem Baumwall. Während der Fahrt
ziehe ich meine Uniform aus, die Arbeitshose an, binde den Riemen um den
Leib und packe die Uniform in die Handtasche und schließe sie ab.

Wir kommen am Ziel an, ich steige aus.

Der Kutscher macht große Augen: »Wat is denn dat? Sind Se de
Seeoffizier, de mit mi von Hotel Atlantic kamen is?«

»Jawohl.«

»Se, Se! Wat wüllt Se don? Se wüllt sik afsupen (ertränken) hier! So'n
junges Leben! Don Se mi dat nich an! Warom hewwt Se sik anner Tüg
antrokken? Se wüllt sik unkenntlich moken.«

Ich versuche ihn zu beruhigen und sage, ich hätte hier etwas zu
besorgen. Aber er ließ sich nicht begütigen: »Ne, Se wüllt sik afsupen.
Seggn Se mi doch, wat Se hebben, Se bruk sik doch nich glik Ehr junges
Leben to nehmen!«

Ich sagte ihm, er sollte ruhig meine Tasche nach dem Hotel zurückfahren,
ich gäbe ihm das Doppelte, was die Fahrt kosten sollte.

»Un Se komm' nich wedder?«

»Doch ich komme wieder.«

Schließlich mußte ich ihm im Vertrauen sagen, ich hätte hier eine Sache
aufzuklären und müßte da als Matrose auftreten, könnte nicht in Uniform
hinkommen. Er fragt, ob er denn das auch glauben dürfte? Ich versicherte
es ihm. Da, wie er losfährt, dreht er sich noch einmal um und sagt: »He
=deit doch dat nich=?«

Ich gehe also auf einen Jollenführer los, mache mir unterwegs die Hände
schmutzig, reibe mir Staub in die Poren, wiege mich beim Gehen, wie ein
Seemann, mache mir das feine Benehmen ordentlich aus, versuche, ob ich
noch spucken könne, und rauche meine Piep an. So trollte ich an Bord,
die Hände in den Hosentaschen. »Gu'n Tag« segg ick zum Steuermann und
zeige ihm meinen Vormusterungsschein. Er fragte mich, wo ich gefahren
hätte, wie lange ich zur See wäre, und alle solche Fragen.

»Wie lange seid Ihr an Land?«

»Drei Wochen.«

»Na, Filax Lüdicke denn komm man un mak di an de Arbeit.«

»Ne, ik hev doch min Tüg noch nich hier. Do sind doch blot ok drei Mann
an Bord.«

»Ja, dat deit doch nix.«

»Un wenn ik nu nich kamen wär?«

»Denn wär eben 'n annern kamen.«

»Ne, vormittags törn ich nich to.«

Dabei blieb es. Ich gehe noch nicht an die Arbeit, sondern schlendre
nach vorn, da sehe ich auch schon den Smutje stehen, einen breiten Kerl
mit rotem Bart. Er fragt mich: »Wat war din letztes Schip?« und meinte
dann: »N' feinen Kaptein, n' fein Schip. Ik mak schon de tweete Reis'
hier.«

Da seh ich auch so einen lütjen Nauke beim Tellerabwaschen und denke bei
mir: »Der ist genau wie du damals so ungeschickt.«

Ich komme nach vorn ins Logis, da sitzen ein Hein und ein Jan auf einer
Kiste mit ihrer Piep. Beide haben sich von der Arbeit gedrückt. Ich
wollte sehen, ob sie was merken, und fange an, mich mit ihnen zu
unterhalten. Hein fragt: »Wie heest du?«

»Filax.«

»Du büst woll lang an Land west?«

»Wo so?«

»Du sühst so fein ut. Du hest de Hoor so fein sneden und büst so fein
rasiert. Wo hest du fohrt?«

»Op de Persimon.« Das Schiff hatte ich gerade da liegen sehen.

»Da fahr ik nich mehr. Bei Laeisz, da gibt et nix to freeten. Hast du
nich 'n Olsch (Alte)?«

»Ne.«

»Ik hev 'n Olsch, de wär all dreimal verheirat, un hett nie den
Richtigen kriegen können, awwer jetzt, seggt sie selbst, hett se 'n
ganzen Kerl.«

»Wat is se denn?«

»Plätterolsch. Die kann plätten! Und hett mi all in Stand sett, und nu
is se so glücklich. Dat kann ik di seggn, abends, da bringt se mi warm
Eten. Dat is ne feine Deern, de hett Sneid.«

»Ik freu mi ja bannig, dat se an Bord kümmt,« sag ich.

Wir unterhalten uns so, da kommt der Steuermann: »Mokt dat Ji rut kümmt,
de Filax kann sin Tüg utpacken un an de Arbeit gohn.«

»Ne,« sag ich, »ik hebbt seggt, erst Nachmittag.« Ich dachte, du mußt
ordentlich großspurig sein; das ist nämlich beim Seemann ein Zeichen,
daß er was kann.

Dann kommt der Kapitän von Land und fragt den Steuermann: »Wat hevt wi
för Lüd kregen?«

»Een Mann is hüt kamen, de lang na See to fohrt, awwer he is höll'sch
altbacksch.«

»He soll mal rut komm'.«

Nauke wird geschickt: der Filax soll mal achtern rut komm'n taun
Kaptein.

Ich komme nach achtern rut: »Tag, Kaptein!«

»Tag. Wann sind Se an Bord kamen?«

»Klock tein hüt Morgen.«

»Wie lang fohrt Se no See to?«

»Föftein Johr.«

»Ik will Ju man seggen; wi hevt vel to dohn mit de Seils, könnt Se Seils
neihn?«

»Jo, dat kann ik.«

»Wir haben nicht Zeit genug, die Segel an Land auszubessern, das muß auf
See geschehen.«

»Jo, dat doh ik.«

»Hevt Se Ehr Tüg an Bord?«

»Ne, noch nich mal min Matratz.«

»Na, denn gehn Se man nachher an de Arbeit.«

Ich esse ordentlich wieder mal Bohnen in Bouillon, richtig wieder im
Logis, über meinen großen Emailletopf, den Mock, über den Tisch gelehnt.
(Bloß nicht zeigen, daß du Offizier bist. Ich habe ja fünfzehn Jahre zur
See gefahren.) Ich lege mich nach dem Essen in die Koje und frage: »Ist
denn keine Handharmonika da?«

»Jo, Hein hett een'.«

»Geihst du von Bord hüt abend, Hein?«

»Ne, ik hev keen Geld.«

»Denn spel man! Ik giw ok 'n Kasten Beer ut.«

... Richtig, abends wird Feierabend gemacht, Handharmonika gespielt, die
Motorbarkasse kommt heran, wo Bier in Kisten verkauft wird, und ein
Kasten wird heraufgeholt. Um halb sieben kommt die Plätterin. Sie war
ein ganz nettes Mädchen, hatte so ein bißchen die Blattern gehabt, hatte
so eine hochsitzende Fladuse, einen gewissen »_flying jib_«, aber sonst
war sie ganz nett. Ihren Hein, den mochte sie ganz gern; sie hatte einen
tüchtigen Pott mit Essen mitgebracht. »Dat magst du wohl, Jung.«

Wir sitzen so, da sehe ich, wie er einen Tuschkasten herausholt. Und
während wir draußen sitzen und das Abendlicht auf dem Wasser glitzert,
malt er ihr eine Tätowierung auf den Arm. Ein tüchtig großes Herz mit
einer großen Flamme daraus; dann mußte der Name rein. Er machte mal eine
kleine Pause, denn sie konnte es nicht ganz aushalten. »Dat is ne feine
Deern, de löt sik alles gefallen, de is so treu wie Gold.« (Nur sah der
Vogel nicht so treu aus.) Er hatte ihr schon viel vorgeredet, Pläne
gemacht. Sie wollten nach Australien, Gold suchen.

Ich bin ganz vergnügt, absolut in meinem Fett. So geht es den einen wie
den andern Tag. Mit dem Steuermann konnte ich nicht gut umgehen, ich war
ihm zu altbacksch. Er verpetzte mich immer. Ich wollte aber auch kein
Freund vom Steuermann sein, sondern ein richtiger Matrose. Mit dem
Kapitän unterhielt ich mich auch dann und wann einen Augenblick. Den
dritten Tag kommt mein Freund, der Reeder, und will mich mit dem
Motorboot abholen. Er will nach vorn kommen. Ich rufe: »Bloß mich nicht
verraten.« »Wann kommst du an Land?« »Um sieben Uhr. Wir treffen uns im
Commercial Room.«

Der Steuermann und der Kapitän hatten schon gemerkt, wie der Reeder
ankam, aber nicht, daß er mit mir sprach.

»Tag, Herr Direktor.«

»Tag, Kapitän, na, was gibt es Neues? Geht das Laden gut vorweg? Wieviel
Leute haben Sie schon?«

»Wir haben fünf Mann mit dem Steuermann.«

So gingen sie auf und ab. »Kapitän, ich lade Sie zu heute abend ein,
seien Sie um acht Uhr im Englischen Hotel.«

»Jawohl, Herr Direktor.« -- --

Wie ich den Reeder treffe, bitte ich ihn, den Kapitän zum Atlantic
mitzubringen, aber nichts zu verraten. Ich komme in meiner Seemannskluft
ins Atlantic, da gucken die Leute mich von oben herab an, und ich
witsche in mein Zimmer. Der Geschäftsführer erkennt mich und zwinkert
mit den Augen. Ich ziehe meine Uniform an, gehe noch ein wenig
spazieren, und allmählich wird es halb neun. Im Hotel ist eine prächtige
große Halle mit blumengeschmückten runden Tischchen. Wie ich
zurückkomme, sitzt der Kapitän schon da. Er ist ein wenig befangen. Der
Reeder stellt vor: »Kapitän Erdmann von der Hannah.« -- »Graf Luckner.«
Dann sitzen wir bei einer Pulle Wein.

Erdmann guckt mich immer so an und dreht mit dem Weinglas hin und her
und entdeckt wohl eine gewisse Ähnlichkeit. Man sieht es ordentlich
seinem Gesicht an, daß ich nach seiner Meinung einem Matrosen ähnlich
sehe, aber er kämpft es offenbar nieder, denkt wohl, daß es gerade keine
Schmeichelei für einen Seeoffizier sei, wenn er das sage.

Wie ich einmal hinausgegangen bin, fragt er den Reeder: »Wie rede ich
ihn eigentlich an, er ist doch Oberleutnant und Graf?«

»Ja,« sagt der Reeder, »man nennt ihn nur Graf.«

»Sie müssen denken, ich bin beinahe herausgeplatzt mit der Sprache, denn
er sieht einem Matrosen so ähnlich, ich dachte, es wäre sein Bruder,
denn so was von Ähnlichkeit habe ich noch nie gesehen.«

Wir sitzen da, essen und trinken, er guckt mich immer so an, der olle
Kaptein, kommt aber nicht aus sich heraus.

Wie ich nun in gute Stimmung komme, frage ich: »Kennen Sie mich wieder?«

»Wat? Wat is los??«

Wie auf dem Sprunge war er.

Ich sage: »So, ich dachte, Sie kennen mich wieder.«

»Was meinen Sie damit, daß wir uns schon mal gesehen haben?«

»Ja, wir haben uns doch mal gesehen.«

Er rang noch einmal mit sich selbst und zwang es nieder.

»Ja, Herr Graf, Sie kommen mir auch so bekannt vor, aber wo haben wir
uns gesehen?«

»Kennen Sie mich nicht?«

Nun saß er da, drückte hin und herüber, der Direktor hatte gesagt, er
dürfte das mit der Ähnlichkeit nicht herausreden. Er saß, wie man zu
sagen pflegt, mit de Vorbeen' im Trog. Ich sage:

»Kennen Sie Filax?«

»Mensch ... Mensch. Sind Sie Filax??«

»Aber Herr Kapitän,« sagt der Direktor.

»Ach, Herr Direktor, dat is mi man blot so rutlopen.«

Ich bestätigte, daß ich es wäre.

»Nein, Sie sind das gewesen? Sie sind bei mir an Bord gewesen? Sie sind
doch ein Marineoffizier, wie kommen Sie an Bord?«

Ich erzähle ihm meine Laufbahn, und da sind dem Mann die Tränen
heruntergelaufen: »Jetzt gebe ich eine Pulle aus, das freut mich so, das
kann ich gar nicht verstehen. Ich war doch immer nett zu Ihnen, nicht
wahr?« Der Steuermann hätte aber gesagt, ich wäre altbacksch. »Ach was,
der Steuermann, das ist ja aber gar nicht wahr, daß Sie altbacksch
sind.«

Da kam der gute Kerl so in Schwung, daß er uns einlud nach Sankt Pauli.
Ich müßte doch noch einmal an Bord kommen, das sollte ich ihm
versprechen.

Dann sind wir mit vollem Winde nach Sankt Pauli gezogen. Da ging es hoch
her! Er war so stolz: »Mi glöwt dat ja keen, wenn ik dat min Matrosen un
Stürlüt vertell. So einen ulkigen Graf, den hab ich mir doch nicht
vorgestellt.« Der Kaptein hat sich an diesem Abend tüchtig beschnobbert.
Ich konnte leider nicht mehr an Bord kommen, und so habe ich ihm
wenigstens ein Bild von mir zugeschickt zum Dank für die drei Tage an
Bord, die mich so aufgefrischt hatten.

In Hamburg ist ein Heim, wo die armen Seefahreralten auf Staatskosten
untergebracht werden. Unten am Eingang hängt ein Gemälde mit der
Aufschrift: »Helft den Seefahrern um Gotteswillen!« Oft bin ich
hineingegangen zu den Alten, von denen manche 50 Jahre auf See gefahren
waren. Es sind knochige Gestalten mit verwetterten Gesichtern und
Kranzbärten. Jeder hat einen kleinen Raum, eine Kajüte und Koje, die
Wände mit Erinnerungszeichen geschmückt. In der Messe versammeln sie
sich um einen großen Tisch. Wenn man hinkommt, um sie zu besuchen, tritt
einer nach dem andern aus seiner Kajüte, die Pfeife im zahnlosen Munde,
brennt sich die Pip an und hört zu, was man als junger Seemann erzählt.
Meistens nahm ich ihnen ein wenig Plattentabak mit, wenn ich hinging,
und dann hieß es: »Na Filax, wat giwwt dat Ni'es?« Die alten Leute
klagten besonders, daß man ihnen die Hochbahn vor die Nase gebaut hätte.
Sie hatten nun keinen freien Ausblick mehr und konnten nicht wie früher
sehen, wenn ein Segelschiff raus ging. Mit der neuen Zeit sind die alten
Leutchen gar nicht recht einverstanden, es gibt nichts mehr, was sie
interessiert. Eigenartig ist es, wie sie ihre Strümpfe stopfen. Sie
stecken eine Flasche in den Strumpf und stopfen dann. Der Seemann legt
bekanntlich großen Wert auf das Stopfen und stopft genau nach den
Maschen, so daß es nachher nicht zu sehen ist.

Ein anderer malt Schiffe auf Ölsegeltuch. Ein ganz blauer Himmel oder
ein ganz schwarzer.

Die alten Seeleute haben nichts weiter als ihre Seekiste, die ihr
einziger treuer Begleiter ist, mit dem sie die See befahren haben, die
Außenwelt kümmert sich nicht mehr um sie. Ab und zu, alle halben Jahre
einmal, bekommen sie einen Brief von einem Maaten, der vielleicht zehn
Jahre jünger ist als sie. Ein solcher Brief wird erst allgemein
vorgelesen und dann liest ihn jeder für sich allein. Und dann geht es
los:

»Minsch, weetst du noch, as wi in Buenos Aires wären, wo wi uns do
dropen däh'n?« Viele Erinnerungen tauchen auf, »un weetst du noch, da un
da, wo du so besoopen wärst?«

Einmal habe ich ein Boot genommen und die alten Leutchen eingeladen zu
einer Spazierfahrt im Hafen. Ach Gott, wie waren sie begeistert! Erst
eine Hafenrundfahrt. Wie sie so alle langsam ins Boot klettern. Und
dann geht es los. »Nu, man nicht so gau (jäh), dat Schip möt wi uns erst
mal ansehn. Minsch, wo ward dat hengahn? Jung, kiek, de hätt noch ne
ornlich stramme Takelag'.« So wird jedes Schiff bewundert oder
kritisiert. Schließlich kommen wir an einen alten Segler, der auch seine
Pflicht getan hat. »Dat oll Schip, mit de ik in Rio tosom' leggen hev.
Künn' ik doch noch mal mit so 'n Schip rut!« Die neuen Schiffe waren
ihnen zu modern, da konnten sie keinen rechten Gefallen daran finden.

Einen Veteranen meines Berufes aber habe ich nie wieder gesehen, meinen
lieben Oll Pedder. Als ich nach meiner Flucht zum erstenmal wieder
Hamburger Boden betrat, hatte es mich vor allen Dingen natürlich zum
Haus am Brauerknechtsgraben hingezogen. »Peter Brümmer« stand noch an
der Tür. Ich klopfe an und trete ein, aber nur seine alte gebrochene
Schwester kommt mir in gebückter Haltung entgegen. Ich frage: »Wo is
Pedder?«

»Pedder, de is dod.« Und dann: »Bist du dat, bist du sin Jong?, den he
no See to bröcht hett? Wie manchmal hett he an di dacht, wie oftmal hett
he seggt: Wo is wohl de Jong? Pedder is nich meh, he is nu all drei Johr
dod.«

»Wo liggt he denn begraben?«

»In Ohlsdorp.«

So konnte ich meinen alten lieben Pedder nur auf dem Friedhof besuchen,
und da das Grab doch zu karg gepflegt war und ich ihm so viel zu
verdanken hatte, habe ich ihm in einem Altwarengeschäft einen eisernen
Anker gekauft mit einer Messingtafel. Darauf steht eingegraben: »Ik hev
di nich vergeten. Din Jong.«

Als ich nun zuletzt nach Hamburg kam, nach der Unterzeichnung des
Friedens, der auch die deutsche Elbe ihrer Schiffe beraubt hat, fand ich
meine alten Fahrensleute niedergedrückter als jemals. »Jetzt, wo wi keen
Scheepen meh hevt, denkt keen Minsch meh an uns. Wenn wi man blot noch
'n Strämel to smöken han!« Man hat ihnen, als man dies hörte, einen
Zentner Tabak hingeschickt, und meine Freunde blieben auch nicht müßig.
Es wäre ein schlechtes Zeichen für die deutsche Jugend, wenn sie die
Alten vergäße, die mitgeholfen haben, daß unsere Schiffahrt die größte
der Welt nach der englischen wurde. Wie ein Märchen ist es uns heute,
daß diese stolze Zeit, die eben noch da war, verschwunden sein soll!
Aber für Deutschland zur See zu arbeiten, ist auch heute eine Ehre, und
ich hoffe es noch zu erleben, daß der höchste Traum deutscher Jungens
wieder der sein wird, unter unserer Flagge zur See zu gehen als Matrose
oder Offizier auf Handels- oder Reichskriegsmarine. Darum möchte ich
bitten: »Vergeßt auch die Alten nicht, und denkt in der Armut, die über
uns alle hereingebrochen ist, an die Ärmsten, die sich keine neue
Zukunft mehr zimmern können!« Ihnen Liebes zu erweisen, findet dankbare
Herzen. Denn die Seeleute, die diesen rauhen Beruf haben, sind in ihrem
Innern zumeist weiche Menschen. Die See hat in ihnen ein Stück
Kindlichkeit gehütet.



Siebentes Kapitel.

In Kamerun.


Im Jahr 1913 war ich auf »Braunschweig« und auf »Kaiser«, dem
Flaggschiff Seiner Majestät, das ganz neu als erstes in einer Klasse der
Großkampfschiffe in Dienst gestellt war. Darauf habe ich an wundervollen
Reisen nach Norwegen teilgenommen und auch die Einweihung des
Frithjof-Denkmals mitgemacht, welches der Kaiser den Norwegern geschenkt
hat.

Danach kam ich, wie bereits erzählt, auf den »Panther«, der zur
westafrikanischen Station gehörte. Da habe ich unsere herrliche deutsche
Kolonie kennen gelernt mit ihren unerschöpflichen Reichtümern für
naturfrohe, junge Gemüter. Mit einigen gleichgestimmten Kameraden ging
ich auf Elefanten- und Büffeljagd. Das war nicht so einfach, da unser
Kommandant dagegen war und es nicht gerne sah, wenn seine Herren ihr
Leben, wie er meinte, unnötig riskierten. Wir mußten also unter einem
Vorwand an Land gehen und unsre Gewehre heimlich mitnehmen.

Mit einem 35 Meter langen Kanu fuhren wir hinauf, von 12 bis 15
Schwarzen gerudert. Mit sieben bis acht Meilen Fahrt jagten sie dahin,
den Hauptfluß Kameruns, den Mungo, aufwärts. Der Wasserweg ist die
einzige Straße, den Urwald zu durchqueren, der sich links und rechts des
Flusses wie Mauern erhebt. Darin ist dunkle Nacht. Baumriesen, mehr als
hundert Meter hoch, sperren mit ihren gewaltigen Kronen jedes Licht ab.
Und alles strebt nach dem Licht, es herrscht nur der Kampf um das Licht.
Die Liane schlingt sich an den Urwaldriesen hoch, verwächst mit ihnen so
eng, daß dem Baum die Lebenskraft ausgesogen wird; und wenn sie endlich
das Licht erreicht hat, stürzt sie mit dem morschen, säftelosen Stamm
zusammen. Die freie Stelle der Baumkrone wird sofort wieder ausgefüllt.
Die Liane macht einen neuen Versuch, an einem andern Baum wieder
hochzukriechen, bis auch der zusammenbricht. Die Stämme liegen in dem
feuchten Dunkel, vermodern in kurzer Zeit, geben der Urwalderde Kraft
und neuen Schlinggewächsen Nahrung. Kein Mensch kann auch nur einen
Meter in solchen Urwald eindringen. Farrenkräuter und Lianen, die sich
nach beiden Seiten ausdehnen, hindern jeden Schritt. Auch das Leben
schweigt im dumpfen Innern des Urwaldes, abgesehen von niederen Tieren,
Schnecken, Würmern und Insekten, die sich allein dort halten können. Nur
wo das Licht ist, kennt der Urwald höheres Leben. In den Kronen der
gigantischen Bäume nisten die Vögel in unendlicher Zahl, und längs den
Flußläufen turnen die Affen kreischend von Baum zu Baum.

  [Illustration: S. M. S. »Kaiser«.]

Nach achtzehnstündiger Fahrt kamen wir nach Mondame. Die Jagdbeute
bestand aus einem einzigen Krokodil -- sie sind schwer zu schießen, da
sie gewandt tauchen --, Geiern, Seeadlern und Affen. Das leckere
Affenfleisch, das die Neger lieben, haben wir nicht recht zu essen
gewagt, obwohl der Affe, wenn er abgezogen ist, gar nicht mehr dem
Menschen ähnelt, sondern eher einem Hund oder anderen kleinem Tier.

In Mondame, wo wir angesagt waren, riefen uns die Farbigen schon
entgegen: »Massa, Massa, plenty Elefant.« Da haben mein Freund Breyer
und ich uns alles andere als weidmännisch benommen, denn die
Elefantenjagd ist anders, als man sie sich vorstellt.

Auf Morgenschuhen, um leise pirschen zu können, zogen wir einzeln los,
jeder mit einem Neger als Führer. Da hören wir ganz dicht bei uns die
Elefanten, die in die Negerpflanzung eingebrochen waren. Sehen konnte
ich noch nichts. Mein Schwarzer sagte immerzu: »Massa, Elefant, Look,
Massa, Elefant.« Aber wenn man das noch nie gesehen hat, kann einem
zehnmal gesagt werden, da sei ein Elefant, man sieht das Stückchen graue
Wand nicht, das durch die Plantage durchschimmert. Man hält es für alles
eher, als für einen Elefanten. Endlich wie sich das Tier, keine zwanzig
Schritt von mir entfernt, in Bewegung setzt, erkenne ich es durch das
Gebüsch hindurch. Ich schwitze vor Aufregung, daß das Wasser den
Gewehrkolben entlangläuft, ziehe mit meinem Mohren durch zwei Reihen
gepflanzter Bananen, aber komme dem Tier nicht näher, da es weiter
vorausging.

Nun kam ich an einen Termitenhügel und nahm ihn im Sprung. Von dort
konnte ich eine ganze Strecke überblicken, und denke, das sind ja
Strauße. Die Elefanten pflücken nämlich die Bananen Stück für Stück, und
wie sie da mit den Rüsseln hinauflangten, dachte ich, es wären
Straußenköpfe. Wie ich mich umsehe, schiebt sich ein Riesenkoloß vor mir
aus dem Gebüsch, andere hinter ihm her. Ich lege an, im letzten
Augenblick kommt mir die Erinnerung, daß man auf den Rüsselansatz
schießen soll, etwas tiefer als die Lichter. Ich lege an, drücke ab, im
selben Augenblick dreht sich der Riese im Kreise, man hört ein
fürchterliches Trompeten. Rechts und links bricht eine Kavalkade los und
saust an mir vorüber. Wie schnell, gewandt und wuchtig solche Kolosse
von vier Meter Höhe laufen, kann man sich nicht vorstellen. Ich konnte
nur zusehen, daß ich von meinem Hügel nicht herunterfiel, und dabei
beging ich das unglaublich Unweidmännische, daß ich meinen
angeschossenen Elefanten aus den Augen verlor. Glücklicherweise ließen
sich die Neger durch die vielen Fährten aufgescheuchter Herden nicht
irre machen und spürten das Tier wieder auf, das gestürzt war und die
Stoßzähne beim Fall tief in die Erde gerammt hatte. Wir haben ihm noch
mehrere Schuß in den Kopf gejagt, bis es tot war. In einer Stunde
hatten sich dort viele hundert Neger angesammelt, die auf den Ruf der
Palavertrommel von allen Seiten wie Gazellen angerannt kamen, um Fleisch
zu holen. Ein Häuptling bezahlt ohne weiteres für einen Elefanten
achthundert Mark und verkauft ihn weiter an seine Leute.

  [Illustration: Mein Begleiter bei seinem Elefanten.]

Da die Eingeborenen keine Gewehre haben dürfen, verscheuchen sie die
Elefanten, die bei ihnen einbrechen, durch Lärm oder jagen sie so, daß
sie sich von hinten an sie heranschleichen und ihnen die Fußsehnen
durchschneiden; wenn sich der Elefant dann nicht mehr rühren kann,
rammen sie ihm Speere in den Leib, bis er verendet. Jedes Dorf besitzt
eine Palavertrommel, ein Signalinstrument mit drei Tönen, das die
Nachrichten mit fabelhafter Geschwindigkeit von Dorf zu Dorf weitergibt.
Man kann keinen Elefanten schießen, ohne daß die Nachricht davon alsbald
an die Küste kommt.

Niemand, der Kamerun bereist hat, versäumte es, den berühmten Häuptling
von Bamum Joja zu besuchen, wohl einen der intelligentesten Häuptlinge
von ganz Afrika, der sogar für seinen Staat eine eigene Schriftsprache
erfunden hat. Er war ein großer Bewunderer der Deutschen, der vor
Jahren selbst seinen künstlerisch geschnitzten alten Thron einem
deutschen Museum vermacht hat.

  [Illustration:
  »... Wir staunen, wie seine hohe Gestalt sich uns nähert.«]

Eine ganze Strecke fuhren wir von Banaberi mit der Nordbahn ins Innere,
und zwar bis in das Gebiet von Bamum. Joja, der durch Palavertrommeln
seiner Untergebenen schon über das Nahen von Europäern, und zwar
Offizieren, unterrichtet war, kommt uns mit seinem Stabe entgegen. Von
der Höhe gewärtigt man einen langen Zug. Vorweg Rinder und Ziegen und
sonstiges Vieh, der Beweis seines Reichtums. Bei unserer Annäherung
steigt Joja aus seiner Tragbahre. Es ist dies eine Hängematte, die von
zwei Schwarzen getragen wird an einer langen Stange. Wir staunen, wie
seine hohe Gestalt sich uns nähert, umkleidet mit praller roter
Husarenuniform, Kürassierhelm und einem fürchterlichen Schlachtschwert,
geschmückt mit einem Kronenorden mit Schwertern, die schwarzen Beine
aber von oben bis unten nackt. Sein Stolz als Beherrscher wird noch
gehoben durch unser sichtbares Staunen über seine Erscheinung. Joja
kommt uns entgegen, tritt auf uns zu und mit kurzen Worten in
Pitschin-Englisch, vermischt mit seiner eigenen Landessprache, deutet er
uns an, daß wir herzlich willkommen sind. Um ihn herum stehen seine
Unterhäuptlinge, alle geschmückt, die hohen Gestalten, auch mit
Beinschmuck unter den bloßen Knien. Dann folgen alle seine Krieger,
muskulöse Körper, fast alle in gleicher Größe, ein wundervolles Bild von
Kraft. Die schweren Schilde, die sie tragen, sind mit Rindshaut bezogen,
vier Speere haben sie in der Hand. Joja führt uns, und wir nähern uns
seiner Hauptstadt Bamum, einem riesenhaften Negerdorf. Von seiner
Bevölkerung werden ihm beim Passieren begeisterte Zurufe
entgegengebracht. An allen Ecken und Kanten arbeiten die
Palavertrommeln.

Joja führt uns in seinen Palast, der in einem großen Hof steht, umgeben
von einer gewaltigen Lehmmauer, die riesige Front mit den wundervollsten
bunten Schnitzereien als Fassade. Wir treten in einen großen Raum ohne
Stühle mit vielen Matten, und begeistert zeigt er uns jetzt die
geräucherten Köpfe von seinen und seiner Vorfahren Gegnern, dann ein
großes Elfenbeinhorn, das mit den Unterkiefern der erschlagenen Feinde
geschmückt ist. Die Tonfabrikation scheint hoch entwickelt zu sein,
überall sieht man Tonarbeiten. Sogar eine Art Kamin befindet sich in der
einen Ecke des Saales. Als einziger Schmuck prangt darauf der Deckel
einer europäischen Butterdose, eine brütende Henne darstellend.

Hier wurden wir nun bewirtet zunächst mit Palmenwein, ferner mit Saft
von ausgepreßten Früchten, von Ananas, Mango, Apfelsinen, Popeyen, alles
zusammengemischt und dann wieder mit Palmenwein vermengt. Ein Getränk,
das uns ausgezeichnet mundete. Joja saß etwas unruhig. Sichtlich hatte
er etwas vor, um uns weiter seine Macht zu zeigen. Dauernd kommen
Unterhäuptlinge zu ihm herein, welche Berichte und Meldungen bringen,
die wir nicht verstehen. Er gibt wieder Befehle zurück.

Nach einer Viertelstunde erhebt sich Joja und führt uns in den großen
Hof, dessen Boden aus festgetretenem Lehm besteht, mit einem Baum in der
Mitte, dem sogenannten Palaverbaum. Er selbst schreitet majestätisch
einen andern ausgehöhlten Baum empor, in den eine Treppe eingeschnitzt
ist. Auf ihm befindet sich die Kriegstrommel, die nur der König anrühren
darf. Mit dumpfem Rollen ertönt die Trommel unter der Hand des
Monarchen. Plötzlich fliegen vier Tore auf, und hereingebraust kommen
3000 Krieger, ein wundervolles Bild. Im Augenblick ist alles
exerziermäßig aufgestellt. Da stehen die prächtigen, gleichgroßen
schwarzen Gestalten mit den Unterhäuptlingen an der Spitze sich
gegenüber, die Häuptlinge in Pantherfellen mit Büffelmähnen an den
Knien, großen Speeren mit Bronzespitzen, unbeweglich, bis Joja das
Zeichen gibt, die Kampfspiele vorzuführen. Das Kriegsgeheul ertönt: Oho
ho, owahu, ua! Mit den großen Schilden aus Büffelfell prasseln sie
zusammen. Ein überwältigender Anblick für den Europäer. Man ist erstaunt
über die vielen gleichmäßigen Bronzegestalten und erfährt, daß sich der
Häuptling in allen Fragen, welche die Kriegerkaste betreffen, über die
Frauen, die sie sich wählen usw. die Entscheidung vorbehält. Die Rasse
soll gleich bleiben. Alle Krüppel, die zur Welt kommen, werden sofort
beiseite geschafft; sie sind hier nicht daseinsberechtigt.

Nach dem Kriegstanz findet ein Speerwerfen statt. Ich war erstaunt, mit
welcher fabelhaften Energie und Wucht die Speere durch die Luft gegen
den Baum sausten. Das Schild, das getroffen werden mußte, war 1½ m
breit und 2 m hoch. Hier und da flogen Speere vorbei, aber die meisten
trafen doch ihr Ziel.

Nach diesen Vorführungen kamen die Frauen, um einige Tänze vorzuführen.
Die Krieger standen außen herum und die Mamis in der Mitte. Dann tanzten
abwechselnd die Frauen um die Männer und die Männer um die Frauen.

Im Laufe des Nachmittags erließ der Häuptling eine besonders freudige
Bekanntmachung zur Erhöhung des Festes. Er stiftete seinen Kriegern
Palmenwein. Bald darauf ein großer Jubel überall, und man sah die
Krieger in feuchtfröhlicher Stimmung beim Palmenwein.

Sehr interessant waren unsere Unterkunftsverhältnisse beim Häuptling.
Überall waren Korbmöbel, Korbtische, Korbbettstellen. Sehr originell war
auch die Einrichtung zum Duschen. Die Boys, die zur Bedienung bestimmt
waren, pumpten Wasser in ein Rohr, das aus einem ausgehöhlten Baumstamm
bestand. Von da aus lief das Wasser durch übereinander gelegtes
Schilfrohr und tropfte daran hernieder. Die beste und erfrischendste
Dusche, die man sich denken konnte.

Es wurde uns auch eine Büffeljagd vorgeführt. Sie kann nur stattfinden,
wenn das Gras reif und trocken ist, das so hoch wächst, daß darin Roß
und Reiter verschwinden. Der Wechsel der Büffel, die gejagt werden
sollten, wird in der Suhle festgestellt, dann wird ein ziemlich großes
Grasgelände bestimmt, und rechts und links von ihm werden Schneisen
geschnitten. In der Richtung des Windes wird Feuer angelegt; die
Schneisen, in denen die Treiber laufen, dienen gleichzeitig dazu, das
Übergreifen des Feuers auf das übrige Land zu verhindern. Vor der Front
steht ein Dutzend Neger mit großen Schilden aus Büffelfell.

Durch das Feuer zieht sich der aufgestöberte Büffel nach vorne. Er
schaut mit seinen schwarzen Augen durch das Grasland, geht aber noch
nicht heraus. Rückt das Feuer näher, und ist er gezwungen
herauszutreten, dann greift er auch gleich an, sobald er seine Kühe in
Sicherheit gebracht hat. Im gleichen Augenblick sausen ihm die Speere
der Neger von vorn in den Leib. Er greift nun wütend an, da werfen die
Neger sich wie der Blitz herum auf die Erde und liegen still auf dem
Rücken unter dem Schild, der sie deckt. Ihre Gewandtheit darin ist
fabelhaft. Der Büffel kann ihnen jetzt nichts mehr anhaben, er stutzt.
Das Laufen ist ihm erschwert, denn die Speere, die ihm im Leib hängen,
sperren sich gegen die Erde. Er dreht sich herum, da sind die Schwarzen
sofort wieder auf, und er bekommt von hinten die zweite Ladung Speere.
Er tobt, wirft sich hin, will auf die Feinde los, der Schweiß tritt in
Strömen heraus, aber er kann nicht mehr vor noch zurück. Eine Anzahl
Speere brechen wohl ab, aber im Augenblick sind die Neger heran, erheben
ein Festgeheul, und einer stößt ihn ins Blatt, daß er verendet.

Die Häuptlinge müssen für die notwendigen Arbeiten, Bahnbauten usw.
Leute stellen; dafür wird ihnen der Lohn von der Regierung überwiesen,
den sie unter Zurückbehaltung eines gewissen Anteils an die Leute
ausbezahlen. Die Erziehung der Leute ist erstaunlich straff. Sie
trainieren sich in jeder Hinsicht. Es gibt nämlich zwölf Aufgaben, die
jeder aus dem Stamm fähig sein muß zu lösen, wenn er ins Mannesalter
tritt. =Eine= Aufgabe wird ihm gestellt, aber da er nicht weiß, welche er
bekommt, muß er auf alle zwölf eingeübt sein. Deshalb trainieren diese
Leute sich von Kindheit an, um im gegebenen Fall die gestellte Aufgabe
zu lösen, z. B. 150 Speere hintereinander werfen, eine bestimmte Strecke
schwimmen, laufen, rudern, mit Pfeil und Bogen schießen, einen
aufgegebenen Gegenstand schnitzen und einen gewissen Schmerz aushalten
zu können. Mit den Übungen beginnen sie im achten bis zehnten Lebensjahr
und werden so prachtvolle Athleten.

Auch über religiöse Fragen unterhielt ich mich mit den Leuten. Der
evangelische Missionar verlangt, daß sie sich einen Gott vorstellen
sollen. Das können diese Leute aber nicht; ohne daß sie etwas sehen,
können sie sich nichts vorstellen. Der katholische Missionar geht
deshalb stets in das Gebiet, in dem der evangelische schon war. Er kommt
nun mit seiner großartigen Aufmachung an. Ein Wunderwerk wird aufgebaut,
Spiegelbilder mit viel Goldverzierung aufgestellt. Die Gottesmutter
Maria mit dem Jesuskind sitzt in der Mitte, rechts die Weisen aus dem
Morgenland. Diese Geschichte zieht die Leute besonders an: es sind ja
Schwarze dabei. Sie sehen Könige vor der Krippe knien, der Pfarrer
selbst kniet nieder und betet den Jesusknaben an, und da denken sie:
»Das ist der richtige Gott, der ist viel reicher als der des
evangelischen Missionars.«

Joja ist ein Skeptiker gegenüber der christlichen Lehre. Er fragte mich,
ob unser Gott ein weißer oder ein schwarzer wäre; es könne doch nicht
nur ein weißer sein, da er auch die schwarzen Menschen gemacht hätte.
»Wenn alle dem Ebenbild Gottes gleich sehen, warum werden wir dann nicht
weiß?« fragte er. Auch daß die Engel weiß sein sollten, wollte ihm nicht
in den Sinn. Dann fragte er mich, wann Jesus auf die Erde gekommen wäre.
»Vor 1914 Jahren.« Da fragte er weiter, wann wir Amerika entdeckt hätten
und warum uns das Jesus nicht gleich gesagt hätte, daß wir dort auch
hingehen müßten und seine Lehre verkünden.

Zu der Zeit, als ich in Kamerun war, kam die auf der Weltreise
befindliche detachierte Division, bestehend aus »Kaiser«, »König Albert«
und »Straßburg« dorthin. Als die herrlichen Schiffe in ihrem stolzen
Glanz dicht bei Duala einliefen, erschienen die Häuptlinge aus dem
Innern, die eingeladen waren, die Schiffe anzusehen. Sie kamen mit
Hunderten von Rindern und Ziegen an, denn der Reichtum eines Häuptlings
stellt sich immer dadurch an den Tag, daß er dem Gastfreund Herden als
Geschenk entgegenschickt.

So wallten die schwarzen Machthaber in ihrer ganzen Würde und Pracht
herunter an die Küste. Ihnen zu Ehren wurde ein Bordfest angesetzt. Sie
bestaunten die Kanonen in den Türmen, die bewegt wurden, und fragten, ob
die Geschütze wohl über den Kamerunberg schießen könnten. Als ihnen dies
bestätigt wurde, war ihre Achtung groß. Sekt erhöhte die Begeisterung.
Als sie ins Innere zurückzogen, sprachen sie in hohen Tönen von den
Schiffen, die der Kaiser hatte. Aber die Engländer ließen durch die
Haussa, das sind sozusagen die Negerjuden, die handeltreibend das ganze
Land durchziehen, unter den Stämmen verbreiten, die Deutschen hätten
sich jene Schiffe von den Engländern geliehen.

  [Illustration: Unsere »Rikschas« bei einem Besuch in der Kapkolonie.]

Dann nahte für unser Schiff die Werftüberholungszeit, welche für die
Auslandskanonenboote alle drei Jahre eintrat. Die Strecke von Duala zu
dem früher benützten Kapstädter Dock war ebensoweit wie nach
Deutschland, und so wurde bestimmt, daß der »Panther« nach der Heimat
sollte. Ungern schieden wir von dem kostbaren Stück schwarzen
Deutschlands, das keiner von uns als deutsche Erde hat wiedersehen
dürfen, erreichten die Heimat am 6. Mai 1914 und gingen auf die Danziger
Werft. Die notwendigen Bauten schritten schnell voran, und am 17. Juli
sollten wir wieder auslaufen. Da bekamen wir unerwartet ein offenes
Telegramm: »Nicht auslaufen«. Wir blieben also liegen.

Und nun kam der Krieg.



Achtes Kapitel.

Krieg und Seeschlacht.


Am 2. August Mobilmachung. Das war eine Begeisterung für die Marine! Wir
selber waren zuerst recht enttäuscht, daß wir keinen würdigen Gegner zur
See hätten, zumal unsere Regierung bei den ersten Verhandlungen mit
England garantieren mußte, den englischen Kanal nicht als
Kriegsschauplatz gegen Frankreich zu benützen. »Die große Armee nimmt
uns wieder alle Aussicht« war das allgemeine Thema in der Marine. Aber
es war doch ein wundervolles Bild, als das dritte Geschwader in Kiel von
der Boje wegging. Acht Tage vorher war die »Kaiserin« als erstes Schiff
durch den erweiterten Kanal gegangen. Welcher Schwung lebte auf den
großen Schiffen! Auf dem »Panther« dagegen herrschte etwas gedrückte
Stimmung. Was blieb uns zu tun übrig mit unserer schwachen Armierung,
unsern zwei kleinen Kanonen, auf dem Fahrzeug, das zur Hälfte aus Holz
bestand? Unsere erste Aufgabe war, die bei Langeland ausgelegte
Minensperre zu verteidigen. Es war doch wenigstens eine Aufgabe, und man
gab sich zufrieden. Man hoffte auch, gelegentlich etwas zu tun zu
bekommen. Man erwartete, daß der Russe einen Vorstoß gegen Kiel machen
würde und wir ein kleines Gefechtsbild erleben dürften.

Von Langeland aus kamen wir später zur Verteidigung von Aroe im kleinen
Belt, der damaligen Nordgrenze des schleswigschen Ostseegebietes.
Vormittags und nachmittags fuhren wir je dreimal um die Insel, also
Karussellfahren. Ich setzte mich schließlich mit dem Doktor in
Verbindung. Meine eigentliche Krankheit konnte er allerdings nicht
heilen, denn die bestand in der heißen Sehnsucht, auf ein großes
Kriegsschiff zu kommen. Ich erkundigte mich aber nach entbehrlichen
Körperteilen. Die Wahl fiel auf den Blinddarm. Die Symptome einer
Blinddarmentzündung begannen sich bald zu melden, so daß der Arzt mich
nach Kiel schickte zur Operation. Ich wurde ins Lazarett gesteckt, und
selbst der Chirurg meinte, als er die Stelle befühlte, und ich meine
Empfindlichkeit äußerte, es wäre Blinddarmreizung. Am nächstfolgenden
Tag wurde ich operiert, und da nach der Operation ein längerer
Erholungsurlaub nötig war, wurde ich abkommandiert von »Panther«. Das
Opfer des überflüssigen Eingeweidezipfels hatte sich gelohnt: ich war
den Blinddarm und »Panther« los und kam auf das neueste Schlachtschiff
»Kronprinz«. Mein heißester Wunsch war erfüllt.

  [Illustration: Auf »Kronprinz«.]

»Kronprinz« war das zuletzt in Dienst gestellte Schiff der Königsklasse.
Welch ungeheure Arbeit ist nötig, bis ein neues Schiff mit seiner ganz
frischen Besatzung gefechtsklar geworden und als gleichwertige Einheit
dem Geschwaderverbande eingereiht werden kann. Es wird gleichsam als
rohes Material von der Werft übernommen. Die Werft hat das Schiff
aufgebaut, aber das lebende Element ist noch nicht darin. Es gilt, den
rohen Stoff nun erst einzuspielen. Acht Wochen dauern die vorbereitenden
Indienststellungsarbeiten. Kein Offizier, kein Mann findet sich zunächst
auf einem solchen Schiff zurecht, das etwa 800 wasserdichte Räume in
sich birgt. Die Mannschaft muß mit ihm vertraut gemacht werden, daß sie
sich heimisch fühlt; die Heizer und Maschinisten müssen die Maschinen
kennenlernen und ausprobieren, die Mannschaften sind an den Geschützen
und verschiedenen Gefechtsapparaten einzuexerzieren; die Flut- und
Lenzvorrichtungen müssen aufs genaueste beherrscht werden. Später kommen
die Artillerie- und Torpedoschießübungen, sowie das Fahrtexerzieren
hinzu. Wenn Mannschaft und Offiziere mit allen diesen Funktionen
vertraut sind, ist das Schiff gefechtsbereit und wird dem
Geschwaderverbande angegliedert. Das Kriegsschiff ist die stärkste
Krafteinheit, die es gibt. Es birgt an Gefechtskraft soviel in sich wie
die ganze Festung Metz. Die zum Betrieb des Schiffes erforderliche
elektrische Energie ist so groß wie die einer größeren Stadtzentrale,
etwa von Kiel.

Während meiner ersten eineinhalb Jahre auf »Kronprinz« bis zum Mai 1916
war unsere Hauptätigkeit in der Flotte: Verbandsübung, Kriegswache auf
der Jade, Artillerie- und Torpedoschießübungen, sowie die üblichen
Vorstöße nach der englischen Küste und in die Nordsee. Wir hatten immer
gehofft, daß der Feind einmal die deutsche Küste bombardieren würde als
Revanche; wir hatten doch oft genug an seine Tore geklopft mit der
Beschießung seiner Küste; sie war Herausforderung genug. Doch immer nur
Kriegswache gehen unter den gewaltigen Gefechtsapparaten, den riesigen
Kanonen! Wie oft fragt man sich auf einsamer Wache: »Wann schießen sie?
Wann kann man die Geschützmündung von der Scheibe reißen? Können wir
unsere Kolosse nicht gegen den Feind probieren? Nicht sehen, wer es
besser kann?« Wir hatten doch geübt im Frieden, wir wußten, jeder
einzelne Mann ist ein Kerl. Wenn auch unsere Flotte zahlenmäßig den
Engländern unterlegen war und im Durchschnitt auch nicht so schwere
Kaliber besaß, so wußten wir doch, daß wir viele andere Vorteile hatten:
zunächst unsere Mittelartillerie und die Torpedowaffe, ferner die
Unterwassereinteilung. Die höhere Geschwindigkeit seiner Schiffe hatte
der Engländer auf Kosten ihrer Sicherheit ermöglicht durch die
Ölfeuerung. Uns boten außer dem Panzer noch die fünf Meter breiten
Schutzbunker gegen etwaige den Panzer durchschlagende Geschosse Schutz.
Tirpitz' Werk war gut. Und so hofften wir immer: »Wann kommt der
Gewaltmensch, der den wunderbaren Geist in der Flotte ausnützt und uns
an den Feind bringt?«

Wenn ich nun die Seeschlacht am Skagerrak schildere, so übernehme ich
selbstverständlich manches aus den Berichten von Kameraden, die auf die
verschiedenen Gefechtsabschnitte verteilt waren. Mir liegt vor allem
daran, eine Darstellung der Seeschlacht zu bringen, die sich nicht als
ein trockener Admiralsstabsbericht gibt, sondern in dem Laien die
lebendige Vorstellung erweckt von der herrlichen, historischen Tat
unserer Flotte, wie wir Mitkämpfenden sie empfunden haben. Ich selbst
habe aus dem Sehschlitz des von mir befehligten Geschützturmes auf S. M.
S. »Kronprinz« die Kampfvorgänge beobachtet.

Es war am 30. Mai. Das dritte Geschwader lag auf Kriegswache auf der
Unterjade. Es war ein diesiger Nachmittag, als plötzlich auf dem
Flottenflaggschiff das Signal hochgeht: »Sämtliche Kommandanten zur
Besprechung auf das Flottenflaggschiff!«

»Das hat etwas zu bedeuten,« hört man aus dem Mund der Kameraden und den
Unterhaltungen der Matrosen. Von allen Schiffen werden die kleinen
Dampf- und Motorbarkassen ausgesetzt; sie umwimmeln das
Flottenflaggschiff. »Was ist los?«, neugierig fragt einer den andern.
Gerüchte tauchen bereits auf. Der eine hat gehört, das Geschwader solle
nach Kiel zum Torpedoschießen; es ist so der Lieblingswunsch derjenigen,
die zur Ostsee gehören. Dort taucht wieder ein Gerücht auf, wir sollten
von jetzt ab nach der Unterelbe verlegt werden, kurz und gut,
willkommene und unwillkommene Nachrichten fegen durch das Schiff. Jeder
glaubt das, was er im Stillen erhofft.

  [Illustration: Mit äußerster Kraft ran an den Feind!]

Nach etwa einer Stunde ist die Sitzung beendet. Jeder ist gespannt auf
die Rückkehr des Kommandanten. Die Boote kommen längsseit, der
wachhabende Offizier springt ans Fallreep, der erste Offizier eilt
ebenfalls heran in der Hoffnung, etwas über das Ergebnis der Sitzung zu
erfahren. Ernst und schweigend kommt der Kommandant an Bord und geht in
seine Kajüte. Nichts wird bekannt. Die Spannung legt sich allmählich,
man denkt: »Es ist wieder nichts.«

  [Illustration: Auf »Kronprinz«.]

Die Schiffe liegen klar für halbe Fahrt, wie bei Kriegswache üblich. Die
Backbordwache geht abends auf Kriegswachstation, die Steuerbordwache
schläft auf Hängematten. Da plötzlich morgens um zwei Uhr Trommel und
Horn: »Klar Schiff zum Gefecht!« Man fegt wie der Teufel aus der Koje:
»Was ist los?« Halb angezogen stürmt man an Deck auf seine
Gefechtsstation. Man mutmaßt den Feind dicht an unseren Küsten, fragt
den ersten Matrosen oder Unteroffizier von der Backbordwache: »Was ist
los?« Kopfschütteln, keiner hat eine Ahnung. Die Gefechtsstation wird
klargemacht, die Munitionsaufzüge probiert, die hydraulischen
Einrichtungen der Höhenrichtmaschinen untersucht, die elektrische
Abfeuerung wird nachgesehen, die Bereitschaftsmunition, die schweren
Granaten, werden in den Turm gefördert, und endlich geht die Meldung
nach der Kommandozentrale: »Turm Dora klar zum Gefecht.« Immer dabei die
Frage: »Was ist los? Sind feindliche Streitkräfte gemeldet?« Niemand
weiß etwas; so unvorbereitet war noch nie der Befehl »Klar Schiff zum
Gefecht« gekommen. Nachdem die Gefechtsstation klar gemeldet, geht man
an Deck. Da bietet sich im Grau der Morgendämmerung ein überwältigendes
Bild: die Zerstörer kommen flottillenweise aus der Reede von
Wilhelmshaven hervor, die »Schwarzen Husaren«, mächtig qualmend. Drei
bis vier Flottillen, jede zu zehn Booten, haben uns schon passiert. Die
kleinen Kreuzer setzen sich langsam in Bewegung; weit draußen auf
Schilligreede sieht man die Schlachtkreuzer Anker lichten und sich
entwickeln in breiter Formation, umschwärmt von den schnellen
Torpedobooten. Langsam und bedächtig kurbelt das Schlachtschiffgeschwader
an und mahlt sich in Kiellinie wuchtig aus der Jade heraus: S. M. S.
»König«, »Kurfürst«, »Markgraf« und »Kronprinz«, die neuesten und
stärksten Schlachtschiffe. Sie bilden den Kern der Flotte. Rechts und
links gruppieren sich die Zerstörer als U-Bootsicherung; die kleinen
Kreuzer, gleichsam die äußere Schale, geben seitliche und achterliche
Deckung, damit der Kern der Flotte nicht überraschend angegriffen
werden kann. Auf der Höhe von Cuxhaven stößt das zweite Geschwader
heraus und hängt sich dem Gros an. Mit großer Fahrt durchwühlt die
Schlachtflotte die Nordsee gen Norden. Die Panzerkreuzer verschwinden
fern am Horizont. Es sind die Einheiten, die zuerst an den Feind
herankommen und die Aufgabe haben, sich vermöge ihrer Geschwindigkeit
und schweren Artillerie an dem Feind festzubeißen und ihn auf das Gros
zu ziehen. Sie gehen mit äußerster Kraft voran, um den Feind
aufzustöbern, begleitet von den schnellsten kleinen Kreuzern. Niemand
ahnt, wohin es geht. Diesig und grau ist die Nordseeluft, die verdickt
wird durch die gewaltigen Rauchschwaden. Längs der deutschen, längs der
jütländischen Küste geht es immer weiter gen Norden in 15 km langer
Schlachtlinie. Niemals ist solch weiter Vorstoß unternommen worden. Es
ist vier Uhr nachmittags; da meldet ein kleiner Kreuzer feindliche
kleine Streitkräfte. Endlich etwas vom Feind! Vor allem aber wartet man
gespannt auf die drahtlosen Telegramme von den Panzerkreuzern, deren
Meldung die maßgebendste ist. Nur ein kleiner Bruchteil von den 1200 bis
1300 Menschen der Besatzung des Schiffes, höchstens 25-30, haben
Gelegenheit, den Feind mit Augen zu schauen, die andern sind im
Schiffsinnern auf ihren Gefechtsstationen und warten nur gespannt ihrer
Aufgabe und der Nachrichten, die von oben kommen. Man muß sich
vergegenwärtigen, was der einzelne Mann zu tun hat, z. B. der Mann
in der Munitionskammer, die weit unter der Wasserlinie liegt; er hat
nicht nur seine Munition zu fördern; wenn eine Granate einschlägt und
Brand entsteht, hat er die Flut- und die Feuerlöscheinrichtungen in
Tätigkeit zu setzen, die Schotten zu schließen und vor allem auch die
Lüfter anzustellen gegen giftige Gase. Alle diese Gedanken bewegen
den Mann in dem Augenblick, in dem die Meldung kommt: Kampf! Er
überlegt sich: »Was hast du zu tun, wenn eine Störung kommt, wenn
soundsoviele von deinen Kameraden tot oder verwundet liegen? Dann gilt
es zunächst für die Sicherheit des Schiffes zu sorgen. Erst das Schiff!
und dann die Krankenträger rufen, dem verwundeten Freund helfen,
Wiederbelebungsversuche anstellen.« Nicht Kommandos können ihm sein
Handeln vorschreiben, sondern eigener Entschlußkraft bedarf es. Jeder
Mann ist eine Persönlichkeit, wenn seine Station in Frage kommt. Der
Gedanke an ihre Aufgabe durchzieht die Gemüter derjenigen, die den Feind
nicht sehen, sondern nur die Begeisterung durchleben können. Sie sehen
nicht das Kampfbild, auf das jeder doch am meisten begierig ist, und
jeder weiß sich doch abhängig von der Sicherheit des Schiffes. Sie haben
auszuhalten auf ihrer Gefechtsstation, in jedem Augenblick gewärtig,
durch einen Treffer erledigt zu werden.

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »... Die andern sind im Schiffsinnern.«
  (Heizraum eines Großkampfschiffes.)]

Um ½5 Uhr kommt der Funkspruch: »Deutsche Panzerkreuzer im Kampf mit
englischen!« Die Stimmung im Schiff wogt auf, und die Meldung geht von
der Gefechtsstation hinunter bis zum Heizer und Trimmer im dunkelsten
Bunker.

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  Breitseite.]

Jetzt kam's darauf an für die =Flotte=, ihr Äußerstes herzugeben, um den
Panzerkreuzern zu Hilfe zu kommen. Der Heizer jagt die Schaufel bis an
den Ellbogen in die Kohlen, schmeißt sie in die Feuer und schürt die
Glut auf. Der Trimmer im Bunker schleift bergeweise das Brennmaterial
heran. Alles geht auf äußerste Kraft. Feuersäulen steigen aus den
Schornsteinen von den überhitzten Rauchkammern auf, die
Sicherheitsventile der Kessel öffnen sich und blasen. Niemals haben die
Maschinen auf Probefahrten das geleistet wie heute; das Schiff fängt an
zu beben infolge der erhöhten Schraubenumdrehungen. Alles ist voller
Begeisterung, der langersehnte Wunsch ist erfüllt: »Jung, nu geit 't
los, nu kamt wi an 'n Feind, ditmal krigt wi em to faten!« Die
Ausguckleute spähen scharf aus, ob sie Rauchwolken sehen.

Unsere Schlachtkreuzer drehen nach Süden, um den Feind auf das deutsche
Gros zu ziehen; Admiral Beatty dreht auf gleichen Kurs. Die Geschütze
sind geladen, die Torpedos im Rohr, die Entfernungsmesser stehen an
ihren Apparaten, der Artillerieoffizier im Kommandoturm wartet auf den
Augenblick, wo er Entfernungen geben und die Geschütze auf den Gegner
richten kann. Mit wilder Fahrt nähern sich die Kolosse, und es beginnt
ein laufendes Gefecht. Mit höchster Feuergeschwindigkeit sucht einer den
andern niederzukämpfen. Was an Eisen auf den Gegner geschleudert werden
kann, wird aus den Geschützen herausgefeuert. Mit 50000 bis 60000 kg
Stahl in der Minute behämmert sich Geschwader gegen Geschwader. Beide
Kreuzergruppen sind durch die Geschoßeinschläge eingehüllt in 100 bis
120 Meter hohe Wassersäulen. »Lützow«, auf dem die Flagge des Admirals
Hipper weht, hat die Führung unserer Kreuzer. Nur der Steven und der
schneeweiße Gischt der weit vorgeschobenen Bugwelle ist sichtbar,
aufgewühlt durch fast 100000pferdige Maschinenkräfte. Das ganze übrige
Schiff bleibt verdeckt durch den immer neu aufschießenden Fontänenwald.
Stichflammenartige Mündungsfeuer, doppelt so lang wie die Geschütze,
blitzen bei ihm auf; es sind die vollen Breitseiten, die er schleudert.
Hinter ihm jagen »Derfflinger«, »Seydlitz«, »Moltke« und »Von der Tann«.

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »... Die einschlagenden Granaten bilden einen Fontänenwald.«]

Auch die grauen englischen Kolosse »Lion«, »Princeß Royal«, »Queen
Mary«, »Tiger«, »New-Zealand« und »Indefatigable« werfen an Eisen
heraus, was mit höchster Feuergeschwindigkeit möglich ist. Stahl prallt
auf Stahl; ein dumpfes Rollen dröhnt unaufhörlich über das Meer. Da, was
ist das? Bei dem grauen Koloß vom Feind, dem »Indefatigable«, dem
letzten Schiff der feindlichen Schlachtkreuzerlinie? Zwei Salven von S.
M. S. »Von der Tann« schlagen kurz hintereinander ein. Dann läuft eine
Feuerschlange längs der Bordwand. Kurz darauf steigen zwei Feuerarme
steil aus dem Schiffskörper, in eine schwarze Rauchmasse übergehend. Man
begreift noch nicht, was es bedeutet, man hat ja noch keine Schlacht
mitgemacht, noch kein Kriegsschiff untergehen sehen. Da erkennt man, wie
dieser gepanzerte Körper stückweise auseinandergerissen wird, wie alles,
was bisher von ihm über Wasser war, in der Luft wirbelt. 300000 kg
Pulver, die das Schiff in sich barg, haben die Explosion hervorgerufen.
Alles, was an Menschen und Material an Bord ist, wird mit
hochgeschleudert, Granaten, Maschinen, Kanonen. Die Geschütze, die noch
geladen sind, ihre vollen Breitseiten auf uns abzufeuern, überschlagen
sich in der Luft. Der gewaltige Ölinhalt des Schiffes bluwwert nach oben
und breitet sich, in Brand gesetzt, über der Wasserfläche aus. In dieses
brennende Meer schlagen die hochgeschleuderten, glühenden Eisenteile,
die letzten Reste des Schiffes zischend hinein; die Nordsee brennt und
kocht ... Über der Trümmerstätte steht unbeweglich noch lange Zeit ein
ungeheurer Rauchkegel wie nach dem Ausbruch eines Vulkans.

Im Anblick dieses Schaurigen wird der Kampf mit rücksichtsloser
Heftigkeit fortgesetzt. Die noch eben gewesene Lücke füllt der
Hintermann aus und »Von der Tann« sucht neues Ziel. Salve auf Salve
rollt, und eine zweite Katastrophe befällt die britische Linie. Mit
einer gewaltigen Explosion, von einer deutschen Salve getroffen, fliegt
die »Queen Mary« in die Luft. Als ihr Hintermann, der »Tiger«, im
Kielwasser aufschließt, regnet es Eisenteile auf sein Deck; das war
alles, was nach dem Feuer von »Seydlitz« und »Derfflinger« von der
»Queen Mary« übrig war.

In diesem schweren Artillerieduell setzen von beiden Seiten die
Torpedoboote ein. Der kleine Kreuzer »Regensburg« bricht vor dem
deutschen Flaggschiff mit zwei Flottillen mit äußerster Kraft durch, ein
unbeschreibliches Bild von Kraft und Schneid. Ein neuer Kampf der
Torpedoboote entwickelt sich zwischen den Linien der großen Kreuzer und
tobt mit gleicher Heftigkeit.

Gegen sieben Uhr abends stoßen unsere Panzerkreuzer auf unsere
Schlachtflotte und setzen sich vor deren Spitze. Auch die deutschen
Linienschiffe sichten jetzt feindliche Panzerkreuzer an Backbord. Die
englische Absicht, unsere Schlachtkreuzer vom Gros abzuschneiden, ist
nicht gelungen, Hipper und Scheer vereinigen sich. »Alles klar auf
Gefechtsstation!« Wie durchzuckt das die Gemüter! Alles rennt, stürzt,
jeder gibt's von Mund zu Mund: »Habt ihr's gehört? Minsch, Jung, dat
givt hüt wat!« Alles wird noch einmal geprüft, jedem noch eine Warnung
gegeben: »Ruhe behalten! Keine Störung an den Sachen! Die Fahrstühle der
Geschosse nicht verfahren!« Beim Sichten der deutschen Flotte drehen die
englischen Panzerkreuzer ab und Scheer gibt Befehl: »Alles zur Jagd nach
Norden ansetzen.« Schnell erfolgt die Zielverteilung und in wenigen
Sekunden krachen die ersten Salven der »König«- und »Kaiser«-Schiffe.
Ein furchtbares Kanonengebrüll dröhnt über das Meer. Da plötzlich
schieben sich vier graue Kolosse an Backbordseite der bisher von uns
beschossenen Schlachtkreuzer hervor, um ihren Rückzug zu decken. Es sind
die stärksten und schnellsten Linienschiffe der feindlichen Flotte, die
»Queen Elisabeths«, die schnelle Division, dem Kreuzergeschwader Beatty
zugeteilt. Jetzt gab's Feuer. Prasselnd und mit furchtbaren Explosionen
schlugen ihre gewaltigen 38-cm-Geschosse von fast 1000 kg Gewicht bei
uns ein. »Kurfürst«, »Markgraf« und »König« bekommen Treffer; aber zu
unserm Erstaunen büßen diese unsre anscheinend unbesiegbaren Schiffe
dadurch nichts von ihrer Gefechtskraft ein. Vorne, hinten, rechts und
links von uns standen die turmhohen Wassersäulen, es war, als wenn das
Wasser gen Himmel gesogen würde und wir als Einzigstes zurückblieben.
Sauste eine volle Salve dieser Stahlriesen über das Schiff, so entstand
ein derartig ohrenbetäubendes Surren, als wenn Staffeln von Flugzeugen
dicht über unsere Köpfe flögen. Zuweilen fuhr »Kronprinz« durch dicht
vor dem Bug einschlagende Salven. Einem gigantischen Wasserfall gleich
strömten die Wassermassen unter dröhnendem Getöse über das Schiff. Es
bebte ununterbrochen durch die Explosionen der in das Wasser
einschlagenden Granaten.

Der Feind, begünstigt durch seine überlegene Geschwindigkeit, hält sich
in Entfernungen außerhalb unserer Reichweiten und strebt die vorliche
Stellung an; wir drängen mit allen Mitteln heran. »Warspite« läuft aus
dem Ruder und wird mit Treffern überschüttet; man beobachtet, wie eine
weiße Stichflamme aus dem Achterschiff hervorschießt: das Schiff muß die
Linie verlassen. Die unserige schwenkt langsam auf Ostkurs. Der
Artilleriekampf rast jetzt wie ein Orkan. Es ist kein Zweifel, weitere
englische Geschwader müssen eingegriffen haben, denn auch von Osten her
erhalten wir jetzt Feuer. Infolge der Unsichtigkeit der Luft hatten wir
von der Stellung des Feindes kein genaues Bild hier. Rauchschwaden von
Explosionen, dort Qualm aus den unzähligen Schornsteinen aller Größen,
gleich einer riesigen Fabrikstadt, da künstliche Nebelbänke von
Zerstörern und kleinen Kreuzern, all dieses untermischt mit dem
Wasserstaub von ununterbrochenen Geschoßeinschlägen verhüllte die
Bewegungen der Geschwader mit dichten Schleiern. Nur für Augenblicke
taucht aus dem Dunst das Wrack der »Invincible« auf. Unsere Spitze liegt
unter schwerstem Geschützfeuer. »Lützow« hat starke Schlagseite, sein
Bug ist tief eingetaucht. Zerstörer umgeben ihn, die Rauchfahnen
entwickeln, um ihn jetzt den Augen des Feindes zu entziehen. Weitab ist
»Wiesbaden« sichtbar, manövrierunfähig auf der Seite liegend, stark in
Rauch gehüllt; nur das Hinterschiff ist zu erkennen, von wo ein Geschütz
feuert, das einzige, das unbeschädigt war. Ununterbrochen wird sie vom
Feind unter konzentrisches Feuer genommen. Man sieht, wie von den vielen
einschlagenden Geschossen ganze Teile aus der »Wiesbaden« gerissen
werden, aber trotz alledem, ihr Geschütz schweigt nicht.

  [Illustration:
  »... Mit höchster Salvenfolge werden sie unter Feuer genommen.«]

An Backbord tauchen plötzlich mehrere englische alte Panzerkreuzer auf.
Mit höchster Salvenfolge werden sie unter Feuer genommen. In wenigen
Minuten sind zwei der Gegner vernichtet. Es war kein Untergehen, sondern
ein in Atome Zerreißen gepanzerter Körper. Dicke Rauchwolken sind das
einzige Überbleibsel von Menschen und Schiff. Plötzlich, was ist das?
Vor uns am Horizont taucht ein halbkreisförmiges Feuermeer auf wie ein
Gasrohr, an dem der Reihe nach die kleinen Flämmchen entlang laufen.
Jetzt erst wird uns klar, daß das Gros der englischen Flotte
eingegriffen hat. Um aus dieser taktisch ungünstigen Stellung
herauszukommen, gab es nur ein Mittel. Herumwerfen der Linie. Während
100000 kg Stahl alle dreißig Sekunden auf unsere Spitze saust, das Meer
wie ein kochender Kessel brodelt und die Schiffe in der aufgepeitschten
See zu rollen beginnen, wird das unendlich schwierige Manöver wie auf
dem Exerzierplatz ausgeführt. Um es zu decken, weht an allen Masten das
Signal: »Torpedoboote 'ran an den Feind!« Die Flagge »Schwarz-weiß-rot«
um die Brücke gewunden, sechs Meter lange Wimpel an den Rahen, preschen
sie mit äußerster Kraft, 30 Meilen Geschwindigkeit, den Bug hoch, das
Heck tief im Wasser, hervor und verschwinden hinter den Fontänen. Welche
prächtigen Kerle, wir sehen sie nie wieder! Eine der ersten Flottillen
war die berühmte IX. (»Steinbrinck«-) Flottille, deren Devise es war:
»Es gibt nichts, was unklar geht.« Im vollen Anlauf der Flottille an den
Feind wird Steinbrincks Boot von einer schweren Granate getroffen. Es
verschwindet in den Wellen, und das Rottenboot, das hinter ihm folgt,
nimmt von den Überlebenden auf, was es bekommen kann, darunter den
Kommandanten. Zum Zeichen, daß er weiter bei der Flottille ist, schwingt
Steinbrinck seine Mütze heraus, auch hier getreu seiner Devise: »Es gibt
nichts, was unklar geht.« Die Flottille kommt zum Angriff. Sie feuert,
und da ereilt ihn sein Schicksal. Zwei, drei, vier Granaten schlagen in
Steinbrincks Boot und vernichten alles.

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »Torpedoboote 'ran an den Feind!«
  (Sie brechen zwischen den Linienschiffen durch.)]

Während des Vorstoßes der Torpedoboote entsteht um uns Grabesstille: der
Feind erkennt die größere Gefahr und hat das Feuer seiner Geschütze als
Sperrfeuer gegen unsere Torpedoboote gelegt. Der Zweck ihres Einsatzes
ist erfüllt, unsere Wendung konnte unbelästigt vom feindlichen Feuer
ausgeführt werden.

Wir drehten also nach Süden in der Erwartung, daß sich der Feind am
nächsten Morgen zum Gefecht stellen würde, und daß wir dabei günstigere
Bedingungen erringen könnten, als es an diesem Abend noch möglich war.
Aber auch Sir John Jellicoe zog es vor, den Kampf nicht mehr
aufzunehmen, denn er fühlte das englische Weltreich auf seinen Schultern
und wollte es durch keine zweite Begegnung mit der deutschen Flotte mehr
aufs Spiel setzen. Bald nachdem er in den Kampf eingetreten war, hatte
sein echt englisches Siegesbewußtsein harte Stöße erlitten durch das,
was er zu sehen und zu hören bekam. Er selbst erzählt, wie er beim
Entwickeln der Flotte zur Gefechtslinie plötzlich ein Schiffswrack
erblickt und natürlicherweise auf ein zerstörtes deutsches Schiff
geraten habe; erst bei näherer Betrachtung mit dem Kieker wurde ihm und
seinem Stabe zur größten Enttäuschung klar, daß dort alles lag, was von
seinem »Invincible« übriggeblieben war.

Im Glauben, daß das ganze Deck von Sprengsplittern übersät wäre, schickt
man einen Matrosen heraus auf die Suche nach Sprengstücken, besorgt, daß
vielleicht der schönste Briefbeschwerer verlorengehen könnte. Der Mann
kommt zurück, den Arm mit Blumenkohl beladen und bemerkt:
»Sprengsplitter hev ick nich funn, ick glöv, de Englänners hevt mit
Blomenkohl schoten.« Man meint, der Mann macht einen Scherz und geht
selbst hinaus: Tatsächlich, das ganze Deck ist überall voll Blumenkohl.
Infolge des Luftdrucks der schweren Geschütze war das Gemüsespind
geplatzt, und der ganze Kohl lag über das Deck zerstreut. Aber kein
Sprengstück ist zu finden. Man kann nicht verstehen, daß unser Schiff,
das so furchtbar eingedeckt war von Granaten, keinen einzigen Treffer
bekommen hat, während Vorder- und Hintermann, die das Schiff in seiner
Längsrichtung übersehen konnten, überschüttet von den heransausenden
»eisernen Koffern«, geglaubt hatten: »Der arme >Kronprinz<, da bleibt
kein Stück auf dem andern.«

Während der Gefechtspause gehen wir in die Messe, um uns durch ein Glas
Portwein zu stärken. Man ist nicht in erhobener Stimmung, da wir nach
der Heftigkeit des Kampfes unsere eigenen Verluste, die wir noch nicht
übersehen konnten, größer schätzten, als es sich später herausstellte.
In der Messe ist ein ziemliches Durcheinander; Scherben und Gläser
liegen herum, alle Bilder sind von den Wänden gefallen durch den
Luftdruck und die Erschütterungen. Doch sonderbar, ein Bild hängt, das
Bild unserer Frau Kronprinzessin, und darauf steht: »Gott schütze S. M.
S. Kronprinz«. Unser Schutzengel! Jeder empfindet das gleiche;
ehrfurchtsvoll blicken wir hinauf mit einem stillen Dank.

Die Nacht kommt, man steht auf Kriegswache. Das erste Geschwader ist vor
uns, das zweite in der Mitte, am Schluß das dritte, so daß Spitze und
Queue geschützt waren von den stärksten Schiffen.

Vor uns wird die dunkle Nacht plötzlich grell erleuchtet. Wir sind
geblendet, als wenn der Himmel voller Blitze wäre. Lang anhaltendes
gewaltiges Donnern durchdröhnt die Nacht. Die »Pommern« flog in die
Luft. Auffallend weiße Feuerarme stoßen aus ihr hervor. Der Hintermann,
der wenige Sekunden später an die Stelle kam, hat nichts mehr gesehen.
Niemand wurde gerettet, nur hier und dort sieht man Stücke ins Wasser
schlagen. Der Rest des schönen deutschen Panzerschiffes! Nichts mehr als
Atome von allem, was froh und freudig zurücksteuerte. Hier begriffen wir
den Unterschied zwischen den älteren Schiffskonstruktionen und den ganz
modernen. Die alte »Pommern« war durch einen einzigen Torpedotreffer
erledigt worden, während die kleine aber moderne »Wiesbaden« stilliegend
die ganze englische Flotte an sich vorbeipassieren und von jedem Feind
sich befeuern lassen mußte und trotz allem noch bis morgens 3 Uhr
geschwommen hat. An Bord ist ernste, auf alles gefaßte Stimmung. Die
Wachen stehen hinter geladenen Geschützen. Offiziere und Ausguckleute
halten scharfen Ausguck. Alles lauscht gespannt auf die einlaufenden
Funkentelegramme. Vorn an der Spitze lebt das Gefecht mit äußerster
Heftigkeit wieder auf. Feindliche Zerstörer, die an unserer ganzen
Schiffslinie entlanggefahren waren und uns für das englische Gros
hielten, werden von »Westfalen« erkannt und vom ersten Geschwader unter
fürchterliches Feuer genommen. Im Nu gleichen sie brennenden Fackeln,
aus den Ölbunkern schlagen Flammen heraus, die Hitze drückt das Öl durch
die durchlöcherten Bordwände. Wasser und Boote brennen. Wirr laufen die
Menschen durcheinander, einen Rettungsweg suchend, um den Flammen zu
entkommen. Die schwersten Entladungen hört man in kurzen Intervallen,
hervorgerufen durch die an Deck liegenden Torpedos, die sich entzünden.
Das Ganze gleicht einer brennenden Allee. Ein Anblick wundervoll und
schaurig zugleich. Die englische Massenüberlegenheit war hier durch eine
deutsche Tugend überwunden, die erst bei Nacht in Tätigkeit tritt: der
Engländer hat nämlich schlechtere Nachtaugen als der Deutsche. Ob das
vom vielen Beefsteak kommt, wie man behauptet, weiß ich nicht. Aber die
Tatsache hat der Krieg öfters bewiesen.

Der Morgen graut, die Spannung wächst, jeden Augenblick muß sich der
Feind stellen. Ein feindlicher Panzerkreuzer wird gemeldet. Alles ist
klar zum Kampf. Da voraus Scheinwerfer-Erkennungssignale. Als Antwort
brüllt ihn »Thüringen« mit einer vollen Breitseite an. Diese Antwort war
seine Vernichtung. Es war »Euryalus«, die uns für das englische Gros
hielt.

Wir erreichen die deutschen Gewässer, ohne irgend etwas vom Feinde
gesehen zu haben. Zwar stand Jellicoe bei Hellwerden in der Nähe von
Helgoland, aber eine Linienschiffsdivision, seine Schlachtkreuzer, die
leichten Kreuzer und Zerstörer waren ihm abhanden gekommen; die
vielgerühmte Seemannschaft der Briten war der Aufgabe des Nachtmarsches
unter ständigen Gefechten nicht Herr geworden. In diesem reduzierten
Zustand seiner Streitkräfte wagte er keinen neuen Angriff.

Welch freudige Überraschung für uns, als die gegenseitigen Verluste
bekannt wurden: auf englischer Seite drei Großkampfschiffe, auf
deutscher nur eins; auf englischer Seite alle Großkampfschiffe im
deutschen Feuer gesunken, dagegen »Lützow« in der Schlacht nur schwer
beschädigt, aber noch schwimmfähig, erst auf der Rückfahrt mit zwei
Torpedos von seiner eigenen Besatzung versenkt und diese gerettet. Auf
englischer Seite außer den Großkampfschiffen drei Panzerkreuzer,
zusammen sechs Schiffe, auf deutscher außer »Lützow« nur das alte
Linienschiff »Pommern«, durch einen Torpedotreffer erledigt.

Die Verluste an kleineren Schiffen betrugen auf unserer Seite vier
kleine Kreuzer und fünf Torpedoboote, auf englischer Seite acht
Flottillenschiffe bzw. Zerstörer. Das einzige Schiff, das in der
Schlacht durch Artilleriefeuer des Feindes verloren ging, ist
»Wiesbaden«, und nur »Frauenlob« ist neben »Pommern« in der Nacht durch
Torpedotreffer verloren gegangen.

Die Schlacht hat die Überlegenheit der deutschen Schiffe an Material und
Feuerwirkung erwiesen, wie sich bei einem Vergleich der beiderseitigen
Personalverluste ergibt: Auf unserer Seite hatten wir 2586 Tote, die
Engländer aber 6446. 180 Mann haben wir als Gefangene zurückgebracht,
während der Engländer nicht einen von uns gefangen hat.

Einige Tage später lief der zerschossene »Seydlitz« durch eigene Kraft
in Wilhelmshaven ein. Ich besuchte den Kommandanten, Kapitän z. S. v.
Egidy, auf seinem Schiff, das tief über lag, aber in wenigen Monaten
wieder dienstfähig gemacht worden ist, und bat ihn, mir den Untergang
der »Queen Mary« zu erzählen. Egidy berichtete:

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »Einige Tage später lief der zerschossene >Seydlitz< durch eigene Kraft
  in Wilhelmshaven ein.«]

»Nie werde ich den Augenblick vergessen: wir waren um 6^{20} nachmittags
in einem Übergang begriffen von der Staffel zur Kiellinie. Meine Augen
waren auf das Schiffsmanöver gerichtet, mein Ohr gehörte dem, was im
Artillerieturm, halb über, halb hinter mir vorging. Das Schiff ist ja,
wenn man's recht betrachtet, eine große Laffette für seine schweren
Geschütze und das Manöver muß sich, wenn man treffen will, soweit das
irgend angeht, dem Schießen anpassen. Also: >Recht so. -- Schumann< (so
hieß mein Gefechtsrudergänger), weil eben eine Salve fallen und dazu die
Drehung des Schiffes aufgehalten werden soll. Immer wird mir die
näselnde Hupe der Aufschlag-Melde-Uhr im Ohr klingen, nach =dieser= Salve.
Ich sehe nach vorn, aufs Flaggschiff und den Vordermann -- die Ohren
weiter gespannt nach hinten-oben. Ein Augenblick Stille, als ob alles im
Schiff den Atem anhielte, dann von irgendeinem Artilleriebeobachter, der
als Erster die Stimme wiedergefunden hatte, im halb singenden,
eintönigen Melde-Stakkato: >=Die Nummer drei fliegt in die Luft=< -- und
als einzige Reaktion auf das Ungeheure, das diese Meldung in sich barg,
die ruhige, klare Stimme meines braven Artilleristen, Kapitän Richard
Förster: >=Zielwechsel rechts!=< -- genau wie bei einer Schießübung. Wäre
der dicke Panzer nicht zwischen uns gewesen, ich hätte den Mann umarmt
für =dieses= >Zielwechsel rechts<. Vielleicht hat's der zweite
Artillerist, der Axel Löwe getan, ich hörte aber nur ein Zwiegespräch
von vier Worten: >Richard, sauber!< und >Was! Axel!< -- Dann waren sie
beide wieder nur der stumme Geist, der seine Instrumente meisterte zur
Vernichtung des Feindes.«

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »... Die Nummer drei fliegt in die Luft.«
  (Vernichtung des engl. Schlachtkreuzers »Queen Mary« in der
  Skagerrakschlacht.)]

»Und wie sah es aus, als die >Queen Mary< in die Luft flog?«

»Ja, bester Luckner, ich sagte Ihnen ja schon, ich war beim
Manöverieren, sah also aufs Flaggschiff und auf den Vordermann, jetzt
kam es erst einmal darauf an, sauber ins Kielwasser des BdA.
einzuscheren.

Als ich dann aber durchs Torpedozielfernrohr, das sie mir solange
eingerichtet hielten, zum Feind herübersah, da hat mir wohl einen Moment
das Herz im Halse geschlagen!

Da stand auf einer Entfernung von 13½ Kilometern gegen den mattblauen
Himmel eine riesige, unbewegliche graue Säule. Im unteren Teile
wirbelten schwarze Massen herum. Am oberen Rande schwelte dicker
schwarzer Qualm. Darüber standen wie eine Aureole glutrote
Strahlenbündel von Stichflammen. Und an der Basis vorbei schob sich
etwas wie ein Torpedoboot. Ein Torpedoboot? Nein, das war ja die Nr. 4
der Schlachtkreuzerlinie, der >Tiger<. Unverkennbar an seiner
Silhouette! Über 200 m lang, und erscheint doch winzig im Verhältnis zu
der Riesensäule dort am Horizont, deren Basis muß danach 600-800 m und
die Höhe wenigstens 3000 m gemessen haben. Fabelhafte Dimensionen!
>Tiger< aber fuhr sozusagen unter seinem unglücklichen Schwesterschiff
durch; denn während er die Stelle überfuhr, auf der vorher >Queen Mary<
geschwommen hatte, prasselten um ihn aus der Luft deren Reste nieder. --

Und der zweite Höhepunkt der Schlacht, das war am Abend, nach 9 Uhr, als
Scheer uns zum zweiten Stoß mitten auf die englische Linie zu ansetzte.
Wir waren umbraust von einem wahren Feuer-Orkan. Treffer auf Treffer
hagelte ins Schiff. Meldung auf Meldung kam von schweren Havarien, von
Feuer, von Wassereinbrüchen. Dazwischen immer wieder die gespannte Frage
in den Artillerieturm: >Förster, hat die Artillerie =kein= Ziel?< -- >Kein
Ziel, Herr Kapitän.< -- Vor uns stand von Nordwesten über Norden bis gegen
Osten hin eine ununterbrochene feuernde Linie, aber kein Schiff war
auszumachen, nur aufblitzende Salven, an denen man die Lage des
Horizontes wenigstens erkennen konnte, alles übrige in ein schwefliges,
giftiges Gelbgrau getaucht -- ein schauerlich gewaltiger Eindruck. Der
Feind war in einer graugelben Himmelswand verschwunden, wir dagegen
fuhren vor dem klaren Osthorizont für ihn Scheibe. Ungleicher konnte das
Glück seine Gaben nicht verteilen.

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma F. Finke, Verlag, Wilhelmshaven.)
  »... Treffer auf Treffer hagelte ins Schiff.«
  (Durchgehender Volltreffer auf »Seydlitz« von der Back bis zur
  Proviantlast.)]

Da, Meldung von der Funkenbude: >FT vom Flottenchef: Die Panzerkreuzer
ran an den Feind.< Das bedeutet aus der Signalsprache übersetzt: Der
Verband ist selbständig, die Schiffe sind zur Entscheidung voll
einzusetzen. >Donnerwetter, dachte ich, noch mehr ran an den Feind?? --
nun geht's nach Walhalla!< Gleich daneben drängte sich der Gedanke: >Wie
kannst du deinen braven 1300 Leuten unten im Schiff noch eine letzte
Freude machen, ihnen noch eine letzte Begeisterung in die Knochen gießen
-- daß sie hochgestimmt, mit innerem Schwung auf die große Reise gehen?<
-- Mir fiel nichts Besseres ein als: >Vom Kommandanten an alle im Schiff:
Signal vom Flottenchef, die Panzerkreuzer ran an den Feind.<
-- Gleichmütig gaben's die Befehlsübermittler weiter durch Sprechrohre,
Schallrohre, Telephone. Die Wiederholung durch die Empfänger unten im
Schiff tönte ebenso seelenruhig zurück. Dann einige Sekunden Stille,
wieder hielt das Schiff den Atem an -- und nun kam ein Echo zurück ans
Ohr des Kommandanten, in seiner Allgewalt das gewaltige Tosen der
Schlacht übertönend: ein einziger Freuden- und Jubelschrei: >Hurrah!
-- drauf Seydlitz< (der Ruf, mit dem die Seydlitz-Kürassiere vor 170
Jahren attackierten, und den auch wir uns als Schlachtruf gewählt) -- die
>Wacht am Rhein< -- >Haltet aus< -- eine Harmonika setzte ein -- mit den
Kohlenschaufeln machten die Heizer einen Höllenlärm gegen die
Bunkerwände -- das ganze Schiff ein Jubel! Wahrhaftig, mir würgte es
heiß die Gurgel herauf. In einem einzigen beseligenden Augenblick kam
mir so die soldatische Arbeit von Jahren als Dank und Quittung meiner
Besatzung zurück. Ja, =dies= Schiff, =diese= Besatzung war in meiner
Hand! -- Herrliches Deutschland! Ein einziger Impuls umfing und trug uns
alle. --

  [Illustration:
  (Mit Genehmigung der Firma W. Krüger, Rüstringen.)
  »Hurrah! -- drauf, Seydlitz« (»Seydlitz« brennend während der
  Seeschlacht).]

Und kurz darauf ein plötzliches Nachlassen, dann bald Aufhören des
englischen Feuers! Es war der Augenblick, da unter dem Eindruck unseres
gesammelten Stoßes Jellicoes Nerven zusammengebrochen und mit ihnen die
englische Linie auseinandergebrochen war, vor dem überlegenen Willen und
Können Scheers. Es war der Augenblick, da unsere angreifenden
Torpedoboote keinen Gegner mehr fanden!

Luckner, da hab ich's gefühlt -- und wir wollen's unseren Kindern und
Kindeskindern übermachen als stolzes Erbe --: Wir sind den Engländern
überlegen gewesen. Also werden wir's auch wieder sein -- wenn die
Vorsehung es wieder drauf ankommen lassen will. --«

Das ist der Tag vom Skagerrak, da so herrlicher deutscher Seemannsgeist
dem großen Gegner solche Wunden geschlagen hat. Wie bedauern wir, die
wir heute auf keinen Planken mehr stehen, daß dieser Geist und Tirpitz'
Werk erst nach jahrelanger erzwungener Zurückhaltung der Schiffe sich
betätigen durften, als es zur Auswirkung solcher Erfolge in weiteren
Kämpfen bereits zu spät geworden war.

  [Illustration:
  (phot. E. Bieber, Hofphotograph, Berlin.)
  Tirpitz, der Schöpfer der deutschen Flotte, der in seinen »Erinnerungen«
  die Entstehung und den tragischen Untergang unserer Marine erzählt.]



Zweiter Teil.



Neuntes Kapitel.

Das Segelschiff als Kreuzer?


Bald nach der Seeschlacht wurde ich zu besonderer Verwendung
abkommandiert, kam nach einiger Zeit wieder zurück und wurde
Artillerieoffizier auf dem Hilfskreuzer »Möwe«.

Was hat man nicht alles versucht, ausgedacht und ausgeführt, um die
Übermacht des Feindes da und dort zu durchlöchern und den eisernen Ring,
mit dem die ganze Welt unser Deutschland umschnürte, ein wenig zu
lüften!

In Hamburg sollte wieder einmal mein Leben eine neue Wendung nehmen.

Wir lagen mit der »Möwe« auf der Vulkanwerft und bereiteten uns zu neuen
Reisen vor. Eines Abends war ich an Land gegangen zu meinem Freund, dem
Reeder Dalström. Wir unterhielten uns bei einer Flasche Schwedenpunsch
im bequemen Ledersessel behaglich über meinen Lieblingsplan, nach
Kriegsende mal ein paar Monate ein Segelschiff als Kapitän zu fahren,
was mir noch nie zuteil geworden war. Da meldet das Dienstmädchen den
Adjutanten der »Möwe«. Ärgerlich brumme ich: »Kaum ist man einmal in
seinem Element, gleich wird man mit Dienst belämmert.« Es wäre ein
dringendes Telegramm vom Admiralstab für mich da. »Was, Admiralstab? Wo
de Kloken sitten? Was habe ich mit dem Admiralstab zu tun?«

Ich hätte mich morgen Nachmittag im Admiralstab zu melden.

In gespannter Erwartung geht es nach Berlin. Nirgends hat mein Herz mehr
gepuppert, als damals im Vorzimmer des Kapitäns Toussaint in Erwartung
der Antwort auf die Frage: Was sollst du im Admiralstab?

Endlich werde ich vorgelassen. »Trauen Sie sich zu,« ... (Was sollte ich
mir nicht zutrauen?) ... »ein Segelschiff als Hilfskreuzer durch die
englische Blockade zu bringen?«

»Darf ich Ihnen um den Hals fallen?« Das Schiff, das man vor dem Mast
als Schiffsjunge und Matrose gefahren, das Schiff, das mein einziges
Musloch gewesen war, jetzt als Kapitän fahren und dazu als selbständiges
Kriegsschiff! Wie schnell war mein Herzenswunsch erfüllt.

»Was halten Sie für die Hauptsache?«

»Die Hauptsache ist Glück.«

»Na, dann sind Sie Kommandant der _Pass of Balmaha_.«

Die »_Pass of Balmaha_« war seinerzeit unter amerikanischer Flagge mit
Baumwolle nach Archangelsk unterwegs gewesen, von einem englischen
Kreuzer aufgegriffen und mit Prisenbesatzung nach Kirkwall zur
Untersuchung geschickt, unterwegs aber von einem deutschen Unterseeboot
angehalten worden. Der amerikanische Kapitän hoffte, als er das
Unterseeboot sieht, sein Schiff als neutrales freizubekommen,
verschließt die englische Prisenbesatzung in den Luken und läßt die
Waffen über Bord werfen. Unsere U-Bootleute kommen an Bord. »Wo fahren
Sie hin?« »Nach Archangelsk.« »Aber das ist doch nicht der Kurs nach
Archangelsk. Was habt Ihr an Bord?« »Baumwolle.« »Die können wir auch
gebrauchen.« Der deutsche Steuermann wird an Bord geschickt; er soll das
Schiff nach Deutschland segeln. Die englische Prisenbesatzung macht
unerkannt und unfreiwillig die Reise nach Cuxhaven, statt nach Kirkwall
mit und steigt nach viertägiger Hungerkur blaßwangig aus den Luken
hervor, zur größten Verblüffung des deutschen Steuermanns -- Lamm heißt
er --, der ganz allein die deutsche Kriegsmacht an Bord verkörpert hat.
So war die »_Pass of Balmaha_« ein deutsches Schiff geworden, und nun war
sie seit heute mein Schiff!

Am schwierigsten war es, meinen Jubel geheim zu halten, was doch
durchaus nötig war. Ich trank eine halbe Pulle Portwein ganz allein und
hätte mich am liebsten selber umarmt, weil ich keinen anderen hatte.
Dann fuhr ich nach Geestemünde, wo unter Leitung von Leutnant Kling das
Schiff bereits auf der Tecklenborgschen Werft umgebaut wurde. Dort
erfuhr ich Näheres über die Vorgeschichte des Gedankens. In mehreren
Eingaben hatte Kling auf den Vorzug des Segelschiffs für Kaperfahrten
infolge seiner Unabhängigkeit von Kohlen hingewiesen. Nachdem dieser
Vorschlag im Admiralstab gutgeheißen war, hatte man im Hamburger Hafen
jenes Dreimastvollschiff ausgewählt, das sozusagen schon an gefangene
Engländer gewöhnt war.

Vor allem mußte nun vor den Werftarbeitern verschleiert werden, daß das
Schiff ein Hilfskreuzer würde. Es wurde gesagt, wir bauten das Schiff
zum Schulschiff um, und ließen durchsickern, das wäre doch eine
wunderbare Idee, ein Segelschiff mit einem Motor auszurüsten, um darauf
gleichzeitig Motorschüler auszubilden; im übrigen hätte der Krieg
gelehrt, daß die Ausbildung der Schiffsjungen ohne Takelage mangelhaft
wäre, und so käme man infolge der Erfahrungen immer mehr zum Segelschiff
zurück. Das leuchtete den Leuten ein. Die Räume, die für unsere
zukünftigen Gefangenen bestimmt waren, erhielten in dicken Buchstaben
die Aufschrift: Raum für soundsoviel Schiffsjungen.

Ich selbst durfte nicht als Offizier erscheinen, sondern trat in
Geestemünde als Baurat von Eckmann aus dem Reichsmarineamt auf. Ich kam
nur gelegentlich hin, um dem Fortgang des Schulschiffes »Walter«
zuzusehen. Die Herren von der Tecklenborgschen Werft verwandten auf den
Bau außerordentliche Liebe, so daß ich es ihnen vor allem verdanke, daß
uns ein so massives Schiff unter die Füße gegeben wurde. Die
Komplikationen, die sich beim Einbau des 1000pferdigen Motors ergaben,
wurden glänzend überwunden. Eine Öltonnage für 480 Tonnen wurde im
Unterraum eingebaut, gleichzeitig Wassertanks für 360 Tonnen frisches
Wasser. Das Schiff hatte 1852 Registertonnen, das sind über 5000
Ladungstonnen. Proviant sollte ich für zwei Jahre mitnehmen. Das ganze
Zwischendeck stand für die Gefangenen bereit; deswegen war erstaunlich
viel Platz für etwa 400 Gefangene da. Für die gefangenen Mannschaften
wurden die Räume, wie in der Marine üblich, mit Backregalen, die unter
Deck aufgefangen werden konnten, und mit Hängematten ausgestattet.
Besondere Sorgfalt wurde darauf verwandt, den gefangenen Kapitänen und
Offizieren würdige Räume einzubauen. Unter dem Salon wurden Kabinen
geschaffen, jede für zwei bis drei Bewohner, eingerichtet mit
Waschtischen und allem Zubehör. Außerdem hatten die Kapitäne eine große
Pantry für sich und eine geräumige Messe. Für englischen und
französischen Lesestoff für die Gefangenen wurde gesorgt, ein Grammophon
mitgenommen und Gesellschaftsspiele. Ein besonderer Raum war vorgesehen
für die Bedienung der Kapitäne, die aus ihrem eigenen Personal zu
ergänzen war.

Gleichzeitig galt es, unter kundiger Beihilfe die nötigen Papiere
herzustellen. Von der Schwierigkeit dieser Arbeit macht man sich nicht
leicht einen Begriff.

Zunächst kam es darauf an, ein Schiff zu finden, das unserem künftigen
Kreuzer im Alter und Schnitt ungefähr glich. Vor allem sollte es
ein Schiff sein, das mit Holzladung fuhr, da diese infolge ihrer
Leichtigkeit eine Deckslast gestattet, welche, mit Ketten befestigt,
bei einer feindlichen Untersuchung nicht weggeräumt werden kann, den
Zutritt zu den Luken verhindert und so das Verstecken eines geheimen
Schiffsinhaltes erleichtert. Nach langem Suchen fanden wir den
gewünschten Doppelgänger in dem norwegischen Vollschiff »Maletta«,
welches zurzeit in Kopenhagen lag und den Feinden unverdächtig war,
weil es nach Melbourne gehen sollte. Unsere ganzen Schiffspapiere
mußten jetzt nach der »Maletta« gestaltet werden, und nicht nur die
Papiere, sondern auch unser Schiff selbst. Barometer und Thermometer
wurden aus Norwegen besorgt, ebenso Photographien von Männern und
jungen Mädchen, die den Matrosen in die Kojen gehängt wurden. Unser
Vorbild, die »Maletta«, hatte in Kopenhagen einen neuen Ankerlichtmotor
bekommen; da wir infolgedessen einen ebensolchen auf Deck stellen
mußten, schrieben wir ins Logbuch: »In Kopenhagen heute bei Knudsen eine
Ankerlichtmaschine bekommen und eingebaut« und setzten auf den Motor ein
Schildchen mit dem echt dänischen Namen Knudsen. Nun stimmte alles
wieder, wir konnten Rede und Antwort stehen. Viel Hilfe fanden diese
Vorarbeiten durch Kapitän Kirchheim, während ich selbst es übernahm, die
Leute auszusuchen. Es waren zwei Besatzungen zu unterscheiden, eine
wirkliche Gesamtbesatzung, für die uns der Admiralstab 64 Mann genehmigt
hatte, und eine für die Maletta-Komödie; diese bestand aus 23 Mann, d.
h. aus denjenigen Mitgliedern der Gesamtbesatzung, welche norwegisch
sprachen. Jeden Offizier und Mann habe ich persönlich ausgewählt und
darf sagen, daß ich mich in keinem geirrt habe. Die Motorbesatzung,
welche ausgebildet werden mußte, ohne daß sie ahnte wofür, wurde von der
U-Bootsabteilung gestellt. Als Mannschaft holte ich lauter gute
Seeleute, die auf Segelschiffen gefahren haben. Ich ging zuerst zu der
Matrosendivision und sah mir die Leute an, fragte, wo sie gefahren
hätten. Wenn einer lange auf Segelschiffen gewesen war, dann horchte ich
auf, überging aber den Mann mit gleichgültiger Miene. Kam ich an einen,
der nur auf Dampfern gefahren hatte, dann forschte ich ihn gründlich aus
und setzte scheinbar Kreuze in die Liste hinter seinen Namen. Auf diese
Weise konnte niemand ahnen, für welches Sonderkommando ich den
allmächtigen Befehl vom Admiralstab hatte, daß mir jeder Mann zu
bewilligen wäre, den ich für geeignet hielt. Auch ließ ich mir nicht
merken, daß ich nach solchen angelte, welche auf Schweden und Norwegern
gefahren hatten. Frühere Steuerleute nahm ich besonders gern. So wurde
den Männern durchs Auge ins Herz geschaut und sie genau angesehen.

Alle Ausgewählten wurden sofort auf Urlaub nach Hause geschickt. Dann
sind die Leute außer Verbindung mit Kameraden, können nicht fragen und
kombinieren. Inzwischen wurde für die 23 Maletta-Leute das Zeug aus
Norwegen beschafft, norwegische Landschaftsbilder für die Kajüten,
Lexika, Sextanten, Karten, Inventarlisten, Töpfe und Tassen mit
norwegischen Stempeln, Bleistifte und Federhalter, norwegisches Geld,
Proviant wie Butter und Fleisch, Schuhzeug, kurz alles, worauf das Auge
fallen könnte, war »Original«. Es durfte nichts deutsches da sein. Im
Salon hängt der norwegische König und »_or Dronning_«, die Königin, auch
der Schwiegervater vons Ganze, King Edward, lächelt milde von der Wand
herab. Norwegische Kissen lagen da, mit der Landesflagge drauf,
Hardanger Arbeiten, Briefe, die aus Norwegen an mich und meine Leute
geschrieben waren, wurden besorgt, weil jeder Seemann die Zigarrenkiste
voll Briefe stets mit sich herumschleppt. Ich brauchte Geschäftsbriefe
und die Leute Liebesbriefe. Wir mußten damit rechnen, daß unser Schiff
dem untersuchenden Feind verdächtig erschien, und er infolgedessen nicht
allein die Schiffspapiere, sondern auch die Mannschaft gründlich prüfte.
Angenommen, der untersuchende Offizier läßt sich vom Kapitän die Papiere
irgendeines Mannes geben und stellt an diesen dann persönlich allerlei
Fragen über das Aussehen seines Heimatsortes, wie die größeren
Nachbarorte heißen, welche Bahnverbindungen bestehen, wie der
Bürgermeister oder Ortsvorsteher heißt, wo sein Bruder, Onkel oder Tante
wohnt, auf welchem Schiff er vor drei Jahren war, welche Reise er mit
diesem Schiff gemacht hat, oder er läßt sich einen Brief von seinen
Angehörigen aus der Zeit geben: Auf jede solche Stichprobe mußten wir
vorbereitet und jede verfängliche Möglichkeit aus dem Wege geräumt
werden. Auch die Photographien der Leute mußten echte Firmennamen
tragen, denn jeder Photograph macht sich auf seinen Werken breit.
Wieviel Originalphotos waren zu beschaffen. Ob die Braut schön, war ja
egal, denn das ist Geschmackssache; wenn sie nur echt war.

Die schwierigste Arbeit waren die Briefe, da, wie gesagt, ein Seemann
das Wenige an Post, was er bekommt, jahrelang aufbewahrt. Die
Briefmarken mußten mit Abgangs- und Ankunftsstempeln versehen sein, für
Hongkong, Honolulu, Yokohama, wo der Betreffende eben früher gewesen war
und Briefe hinbekommen hatte. Kurz und gut, Stempel aus allen Weltteilen
waren erforderlich und machten raffinierte Mühe. Dann mußten die Briefe
in verschiedenen Graden »alt« gemacht werden. In den norwegischen
Papieren und Seefahrtsbüchern, die wir schufen, stand nicht nur, daß
jeder von uns jetzt auf »Maletta« fuhr, sondern auch die anderen
Schiffe, auf denen er früher gewesen war. Solch alter Seemann, der fährt
seine fünfzehn oder zwanzig Jahre, da muß doch alles stimmen. Einer war
mal im Lazarett gewesen, einer hatte sich das Bein gebrochen usw. Man
mußte in allem sehr gewissenhaft sein. Wenn z. B. Henrik Ohlsens Vater
nach dem Buche tot sein soll, so müssen seine Briefe von der Mutter und
den zwei Schwestern kommen, die Daten müssen stimmen und aus den Orten,
wo er abgemustert war, muß er auch ein paar Andenken haben. Mit
deutscher Gründlichkeit konnte man sich nicht genugtun, »Maletta Nr. 2«
hieb- und stichfest zu machen.

In Geestemünde wohnte neben mir in Beermanns Hotel ein alter Kapitän von
der Schiffsbesichtigungskommission, der interessierte sich für mich, der
ich, wie gesagt, als Baurat von Eckmann dort auftrat, und fragte den
Baumeister seiner Kommission, ob er mich kenne. Der antwortete, es gäbe
keinen Baurat von Eckmann im Reichsmarineamt. »Habe ich das nicht gleich
gedacht?« platzt mein Kapitän heraus. »Habe ich ihn nicht immer für
einen Spion gehalten? Der Kerl hat ein ganz englisches Gesicht.« Ihm
schwillt der Kamm.

Nun will es das Unglück, daß ein unaufmerksamer Beamter aus Berlin zwei
Briefe, die ich dringend haben muß, statt unter Deckadresse, wie üblich,
unter meinem vollen Namen nach Geestemünde ins Hotel nachschickt. Ich
verhandle mit dem Oberkellner, ob er mir die Briefe für meinen
Bekannten, den Grafen Luckner, herausgeben will. Er lehnt es ab, der
alte Kapitän aber hat alles von ferne gesehen und geht zum Kellner: »Was
wollte der Kerl?« »Er wollte die Briefe haben für den Kapitänleutnant
Luckner.« -- »Ha!«

Ich ahnte von nichts und fahre um sieben Uhr mit dem Zuge nach Bremen
als kaiserlicher Kurier im Abteil erster Klasse. Da kommt ein Herr in
mein Abteil und fragt nach meinem Ausweis. Ich zeige ihn, er ist ganz
verdutzt: »Entschuldigen Sie, wir suchen aber einen Spion aus
Geestemünde.«

Ein Todesschreck um mein Schiff durchzuckt mich; sollte der Feind schon
durch Agenten den Kreuzer beobachten lassen?

»Hoffentlich kriegen Sie ihn auch.«

»Ja, wir hoffen es. Es ist schon alles besetzt in Richtung Bremen,
Hamburg und jenseits.«

»Wo war denn der Kerl?«

»Er ist öfter in Beermanns Hotel gesehen worden.«

»Zum Donnerwetter, fangen Sie ihn ja. Leider hat man bei uns öfter den
Falschen gekriegt.«

Ich komme nach Bremen in Hillmanns Hotel. Dort tritt schon wieder ein
Herr auf mich zu und fragt nach meinem Ausweis. Ich dachte:
»Donnerwetter, was ist denn das mit mir?« und zeige meinen Ausweis. Er
erzählt von dem Spion, die Beschreibung sähe mir ähnlich, aber es sähen
sich ja so viele Menschen gleich. »Haben Sie Hoffnung, den Kerl zu
fassen?« »Wir wissen nur, daß er in Richtung Bremen ist.«

Ich denke, das ist eine ganz verfluchte Sache, gehe ins Trokadero und
bestelle mir eine Pulle Wein. Kaum sitze ich hier, kommt ein Offizier
mit zwei Mann in Uniform: »Folgen Sie mir, Sie sind verhaftet.« Jetzt
werde ich wütend: »Wollen Sie Ihre eigenen Offiziere verhaften?«

»Kommen Sie nur mit, Sie können sich nachher ausweisen.«

Allgemeine Aufregung im Lokal; man wollte mit Stühlen auf mich los.
»Haut den Spion!«

Wir kommen zum Hotel. Dort hole ich meinen Ausweis vor. Er zeigt mir den
Steckbrief: »englisches Aussehen, kaffeebrauner Mantel, Mütze, Pfeife«.
Ich sage: »Unter welchem Namen geht denn der Gesuchte?«

»Unter dem Namen Baurat von Eckmann.«

»Aber das bin ja ich!«

»Na, Sie haben doch eben gesagt, Sie wären Graf Luckner?«

Die Reihe, wütend zu werden, war an ihm, während ich mich sehr
erleichtert fühlte und ihn auf die Möglichkeit hinwies, an den
Admiralstab zu telefonieren.

Nun galt es, für unsere »Maletta« auch einen Namen zu finden, unter dem
sie als Kriegsschiff fahren sollte. Mir wurde die Gnade zuteil, dem
Schiff selbst den Namen zu geben. Der machte das meiste Kopfzerbrechen!
Ich wollte es erst »Albatros« nennen, weil die Albatrosse mich gerettet
hatten, damals, als ich in den Wellen lag. Aber es gab schon einen
Minenleger dieses Namens, der an der schwedischen Küste aufgelaufen
war. Dann war ich für »Seeteufel«, aber meine Offiziere meinten, es
müßte etwas von den weißen, rauschenden Segeln hinein, und so wurde
unser Kreuzer »Seeadler« getauft.

  [Illustration:
  »... Der leitende Ingenieur Krause und sein Personal waren selten
  hervorragende Menschen.«]

Das Schulschiff war gebaut, die Papiere in Ordnung, die Probefahrt auf
der Weser gelungen. Nun wurde die Mannschaft vom Urlaub zurückgerufen.
Was hatte ich für eine prächtige Besatzung! Der I. Offizier Kling hatte
die Filchner-Expedition mitgemacht und verfügte über reiche Erfahrungen.
Der Prisenoffizier war ein früherer Mit-Einjähriger von 1,92 Meter Höhe,
dem ich zufällig auf einem Dock begegnete. Auf meine Frage: »Willst du
mit?« meinte er: »Ist es ein Himmelfahrtskommando?« »Ja!« »Da mache ich
mit. Pries heiße ich und Prisen brauchst du, da bin ich doch der
Richtige.« Mein Artillerie- und Navigationsoffizier war Leutnant d. R.
Kircheiß, ein kluger Kopf und Navigateur ersten Ranges; mein Steuermann
Lüdemann, ebenso der Bootsmann, der Zimmermann und der Koch, die drei
Pole des Segelschiffes, alterfahrene Leute. Der leitende Ingenieur
Krause und sein Personal waren selten hervorragende Menschen. Mit der
Mannschaft konnte man, was Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit betrifft,
gegen zehnfache Übermacht kämpfen. Es waren alles brave, biedere
Seeleute, die ihr Leben jederzeit in die Schanze schlugen, wenn es ihr
geliebtes Vaterland galt.

Das Schiff war fertig. Da verschwindet es in einer stockdunklen
Novembernacht von der Weser und legt sich still draußen in der Nordsee
vor Anker. Zu gleicher Zeit sammle ich meine Leute in Wilhelmshaven in
dem entlegensten Punkt des Hafens selbst. Bei dem Schein einer spärlich
brennenden Laterne prüfe ich an Hand der Papiere, ob alle meine Leute da
sind. Alle sind sie zur Stelle. In den kleinen Dampfer, der am Kai
liegt, steigen wir ein, und hinaus geht's, die Jade abwärts. Keiner von
meinen Jungs wußte, wohin und wofür. Anfangs vermuten sie, daß es nach
Helgoland geht. Wir passieren Helgoland. Die Dünung der Nordsee rollt
uns entgegen. Der kleine Dampfer stampft. Die Jungs fragen sich
untereinander. »Wo geit dat hen, wo seilt wi hen?« Keine Antwort.

Da plötzlich taucht aus der Dunkelheit ein Segelschiff vor Anker auf.

»Halloh, wat för'n Schip?«

An den fachmännischen Bezeichnungen der Takelage erkennen sie, daß sie
alle segelschiffsbefahrene Leute sind. Die Sache scheint ihnen
rätselhaft. Als der Dampfer Kurs auf den Segler nimmt, erraten sie, daß
sie die Besatzung dafür sind. Schnell entern sie auf und auf allen
Mienen sieht man die neugierige Frage. »Wat sall dat?«

Sie kommen an Deck. Keine Geschütze sind zu sehen, statt dessen aber ein
großer Motor unten im Schiff.

»Wat is denn hier los?«

Ein Teil der Mannschaft geht nach unten. Dort entdecken sie ihre schönen
Wohnräume. Für die Unterbringung der Leute war besonders gesorgt, da man
ihnen auf Jahre hinaus die Heimat ersetzen mußte. Keine Hängematten,
sondern Kojen, besondere Meßräume für die seemännischen und technischen
Unteroffiziere. Der andere Teil der Ankömmlinge ging nach vorn, wo ihnen
ihre Wohnräume angewiesen waren. Fix und fertig finden sie ihre Kojen.
Erstaunt bleibt jeder vor der seinigen stehen und wird nicht klug, was
das alles zu bedeuten hat. Norwegische Landschaften, norwegische
Mädchen, die Wände mit norwegischen Flaggen bemalt. Außerdem findet
jeder eine volle Seekiste mit Zivilzeug, was bisher wohl noch keinem
Seemann begegnet war.

»Mensch, alles norwegisch. _Taler du norsk??_«

»Ja!«

»Du auch?«

»Ja!«

»Und du?«

»Ja!«

»Da ward wi nich klog ut.«

Auf dem Tisch steht das Leibgericht des Seemannes, Snuten und Poten, und
außerdem für jeden Tabak und Pip.

»Dat geiht hier wohl al ganz von sülwst?«

Der gesunde Appetit unterbricht erst mal das Fragen, und nach dem Essen
findet ein allgemeines Beschnuppern statt.

Neugierig gehen sie zu den anderen, die in den unteren Räumen ebenso
gemütlich wie die oben wohnen, nur hängt unten nichts Norwegisches,
dagegen Hindenburg und Ludendorff.

»Kannst du _norsk_?«

»Nee!«

»Und du?«

»Nee!«

»Dat is ja puppenlustig! Wat is denn hier bloß los?«

Jetzt beginnt das Kombinieren.

Sonderbar, wenn man in die unteren Räume will, muß man erst durch einen
Schrank kriechen, denn der Zugang zu den Räumen der nur deutsch
sprechenden Mannschaft besteht aus geheimnisvollen Luken, welche auch
einer gewissenhaften Untersuchung des Schiffes verborgen blieben. Um
diese Luken für die Augen des Feindes noch mehr zu verschleiern, hatten
wir sie in den Fußboden des Ölzeugschrankes, des Besenschrankes usw.
geschnitten. Die Schränke wurden groß gewählt, damit im Notfall sich
sechs bis sieben Menschen darin sammeln konnten, um gleichzeitig aus dem
Schiffsraum hinauszutreten. Alles, was verdächtig war, die zwei alten
Kanonen (mehr hatte man uns nicht zubilligen mögen) und das
Kriegsmaterial war im Schiffsraum verstaut.

Die Neugierigsten gingen, als sie diese ersten Eindrücke von dem
merkwürdigen Schiff gesammelt hatten, nach hinten zur Kajüte, um in
Erfahrung zu bringen, für welchen Zweck das Schiff bestimmt wäre. Da
wird ihnen zunächst der Befehl mitgeteilt: Anker lichten! Und hinaus
geht's durch die Nordsee in unser Versteck, hinter Amrum, hinter Sylt,
die Norderaue rauf, wo uns kein Mensch sehen konnte und die Verbindung
mit der Heimat gelöst war. Hier werden die letzten Vorbereitungen
getroffen und den Leuten endlich mitgeteilt, welche Aufgabe unser Schiff
hat. Die Holzladung wurde an Deck gestaut. Kunstgerecht schichteten wir
sie in achttägiger Arbeit so, daß kein Einblick in das Schiffsinnere
möglich war.

  [Illustration: »... Die Holzladung war an Deck gepackt.«]

Im Mast oben waren geheimnisvolle Türen, dahinter lagen im Hohlraum des
Mastes Pistolen, Handgranaten und Gewehre, ebenso deutsche Marinemützen
und -jacken. Die Türen gingen nach innen auf, hatten nach außen keine
Angeln und konnten nur durch einen verborgenen Magnetdrücker geöffnet
werden.

Nun wurde die Verschleierungsrolle mit der norwegischen Besatzung
eingeübt. Jeder bekam seinen norwegischen Namen. Auch mußte jeder genau
im Bilde sein über seinen neuen Heimatsort; aus Bädeker und anderen
Reisebeschreibungen wurden Erkundigungen eingeholt. Die Photographien
wurden ausgehändigt und die vielen Briefe.

Mit allem war man fertig, wir warteten nur auf günstigen Wind zum
Auslaufen. Da wird uns auf einmal ein roter Strich durch alles gemacht.
Ein drahtloses Telegramm befiehlt uns: »Nicht auslaufen, warten, bis
U-Deutschland zurück ist.« Die Sperren der englischen Blockade waren
augenblicklich des Handels-U-Bootes wegen doppelt stark besetzt.

Wir warten Tage, Wochen, die »Maletta«, mit der wir unter Aufbietung
aller Kräfte bisher hinsichtlich des Aufbaues Schritt gehalten haben,
läuft aus Kopenhagen aus, läuft uns davon! Was nun? Der ganze Plan war
zerstört. Wir hatten einen Tag vor der »Maletta« abfahren wollen, damit,
wenn die englische Blockadebewachung drahtlos in Kopenhagen anfragt, die
Antwort kommen mußte: »Stimmt, Schiff ist abgefahren.« Die drahtlose
Rückfrage war ja die gefährlichste Klippe, die zu umgehen war, und
dieses technische Hilfsmittel der Neuzeit komplizierte unsere Kriegslist
am allermeisten.

Der einzige Behelf, den wir nun noch hatten, war Lloyds Register, worin
alle Schiffe nach Größe und Eigentümer angegeben sind. Wir konnten
danach ein beliebiges Schiff nehmen, aber wir wußten nicht, wo sich
dieses Schiff befand. Nach den Vermessungen stimmte mit uns die »Carmoe«
überein. Wir mußten sie also nehmen.

Was das heißt, die Schiffspapiere ändern! Name des Reeders, Baudaten,
Werft, Länge, Tiefgang und Breite, die verschiedenen Eigentümerangaben,
Versicherungsklassen, alle diese Zahlen mußten in zehn verschiedenen
Papieren geändert werden, ohne die Druckschrift der Vordrucke zu
schädigen. Jetzt ging es mit Tintentod ran an die Arbeit. Dem Leutnant
Pries gelang es mit großer Sorgfalt und Liebe. Man konnte ungefähr
sagen, es ging an, wenn die Beleuchtung nicht sehr hell war, und dafür
konnte man durch Segeltuchbezüge vor den Lichtern sorgen.

Aber was wollte das alles sagen, wenn uns die drahtlose Telegraphie
dazwischen kam? Wir wußten ja nicht, wo sich das Schiff befände. Da
brachte uns ein Zufall darauf, die neuesten norwegischen Handelsblätter
durchzusehen, die wir aus Echtheitsgründen mitgenommen hatten, und wir
lasen unter den Schiffsrouten: »Carmoe nach Kirkwall zur Untersuchung
eingeschleppt.«!!

Welches Pech! Nun scheint alles vorbei. Pessimismus will sich regen.
Neue Papiere können wir nicht herstellen, da die Verbindung mit der
Heimat fehlt. Einerlei! Ich bin ein krasser Optimist. Weg mit dem
Lloydsregister, es gibt noch ein anderes Register, und das ist besser
und versagt nicht, das Liebesregister! Irma hieß mein Sonnenschein,
»Irma« soll das Schiff heißen! Das muß gehen!

»Carmoe« wird ausradiert, alle andern Angaben stehengelassen. Das
zweimalige Wegradieren des Namens blieb aber mächtig augenfällig; die
Buchstaben liefen aus. Der Adjutant sagte: »Wir dürfen den Feind nicht
für dumm verkaufen.« Aber was tun? Hier kann nur eine Hand helfen, die
gröbste Hand an Bord.

»Schiffszimmermann, bring' die Axt her und hau die ganzen Bullaugen in
der Kajüte ein!«

Der Zimmermann stutzt, er sieht den Zusammenhang nicht. Es tut ihm weh,
er weiß nicht, was es bedeuten soll, aber dann schlägt er los.

Nachdem die Bullaugen eingeschlagen, wurden grobe Holzverschläge
eingesetzt, wie sie der Seemann nach einem Sturmschaden zum notdürftigen
Ersatz einbaut. Nasses Unterzeug wird in der Kajüte aufgehängt und alles
durchfeuchtet, selbst die Schiebladen und Matratzen mit Eimern voll
Seewasser. Man mußte gründlich sein, es durfte nichts trocken bleiben.
Die Schiffspapiere selbst wurden nun sämtlich in nasses Löschpapier
gepackt, damit die ganze Tinte gut durchsog bis zur etwaigen feindlichen
Untersuchung. Man braucht ja dann dem Engländer nichts zu erklären,
dafür waren die zerschlagenen Bullaugen und die Nässe in der Kajüte da.
Ausgelaufen war die Tinte nun mal an den radierten Stellen; so sollte
sie denn nun vollständig auslaufen. Für diesen zwar kleinen, aber
erhabenen Zweck stellte uns der Ozean unbegrenzte und unverdächtige
Mengen feuchten Stoffes zur Verfügung.

Wir liegen nun und warten auf Befehl zum Auslaufen. Da, am 19. Dezember
kommt ein Torpedoboot nach Norderau, wo wir lagen. Was will denn das? Es
kommt heran, geht in der Nähe vor Anker. Wir lagen unter norwegischer
Flagge mit dem Neutralitätsabzeichen außenbords.

Das Torpedoboot setzt ein Boot aus, ein Offizier kommt an Bord der
»Irma«, in Uniform und Pelz, tiptop. »Wo ist der Kapitän? Ich habe einen
Befehl für ihn.«

Wir hatten vollkommenen Zivilbetrieb eingeführt, behaglich und ein wenig
schmuddlig, für die norwegische Gruppe war nur norwegisches Kommando,
und ich hieß der »Gubben« (Kapitän). Die drei Wochen, die wir da gelegen
hatten, waren insofern günstig, als unsere Bärte an Größe und Gestalt
zugenommen hatten. Ich gewöhnte mir ordentlich das olle Seemännische
wieder an, hatte ein paar große Holzschuhe, dicke, wollene Strümpfe,
eine alte norwegische Hose und eine Mütze mit zwei oben
zusammengebundenen Ohrenklappen.

  [Illustration:
  »... Wir hatten vollkommen Zivilbetrieb eingeführt, behaglich und ein
  wenig schmuddlig.« (Die norwegisch sprechende Besatzung.)]

Phlegmatisch antwortete also der Steuermann dem patenten Offizier: »Der
Gubben ist achter.«

Der Offizier mit dem Pelzkragen, tadellos, kommt zu mir: »Sind Sie der
Kapitän?« Er starrt mich an und schreit: »Luckner ...!!«

»Wat heet hier Luckner, wat is los?«

»Halten Sie mich nicht zum Narren!«

»Herr, können Sie nicht meine Flagge sehen? Ich bin Norweger.«

»Luckner, was haben Sie denn für eine Aufgabe?«

»Ik fohr nimehr bi de Marin, ik fohr Holt for Norwegen, mit de Marin is
't doch nix mehr.«

»Sie waren doch im Admiralstab? Und um mit Holz zu segeln, dazu braucht
man doch nicht beim Admiralstab gewesen zu sein.«

»Na, durch die Minenfelder zu fahren, scheint doch wohl eine
Admiralstabsaufgabe geworden zu sein.«

»Ich bitte Sie, haben Sie Vertrauen zu Ihrem Kameraden.«

»Wat heet hier Vertrauen, ik fohr jetzt Holt. Hollen Se dat för en anner
Schip?«

Da sagt er: »Machen Sie mich nicht konfus, bereiten Sie mir keine
schlaflosen Nächte! Was soll ich mir daraus machen? Wenn mir das
Vertrauen geschenkt wird, Ihr Schiff zu sehen, dann können auch Sie mir
sagen, was Sie für eine Aufgabe haben.«

»Ik fohr Holt no Norwegen ...«

»Ich habe hier einen Brief abzugeben.«

Ich lade ihn in meine Kajüte und er schaut umher.

»Dat is min neu Landesherr, und dat min Keunigin, de Keunig Edward is ok
dor, dat is de Verwandte von min'n Keunig.«

»=Luckner=«, sagt er, »ich bitte Sie, was soll ich denken, wenn ich von
Ihrem Schiff komme! Ich gehe hier weg und soll mir das zusammensetzen,
was mir unmöglich ist. Sie können mir glauben, ich halte es geheim.«

»Sollen Sie direkt nach Hause fahren?«

»Nein, ich soll warten in Helgoland.«

Da war also vorgesorgt; gut, daß er warten sollte.

»Setzen Sie sich mal hin, ich werde es Ihnen sagen, ich bin ein
deutscher Hilfskreuzer.«

  [Illustration: Auf Piratenkurs!]

Da sagt er kühl, indem er aufsteht: »Wollen Sie mich für einen Narren
halten? Dann danke ich Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute.«

Damit geht er kurz zur Tür und läßt mich stehen.

Das war ihm zu viel, als ich ihm das erzählte. Die Wahrheit konnte er
nicht vertragen. Ein Segelschiff als Kreuzer? --!

Wie ich den Befehl aufmache, da steht zu lesen: »Auslaufen nach eigenem
Ermessen.«

Das war der schönste Augenblick, da ich dies den Leuten bekanntgab.



Zehntes Kapitel.

Blockadebrecher.


Jetzt hatten wir uns selbst in der Hand. Freude brauste durch das
Schiff. Die bösen Ahnungen, die uns schon durchzogen hatten, wichen, und
der sehnsüchtige Wunsch aller war: »Südwestwind komme nur.«

Am 20. Dezember wurden nochmals alle Vorkehrungen getroffen, die
Schottenketten und Brassen überholt und die Verschleierungsrolle noch
einmal geübt. Wir untersuchten jeden Raum des Oberschiffs bis in den
Kohlenkasten, ob nirgends etwas Deutsches vorlugte, und spielten uns
gegenseitig den englischen Untersuchungsoffizier vor. Da haben mich die
Jungens gehörig ausgequetscht: »Wo haben Sie den Bleistift gekauft?«
»Davon habe ich mir ein halbes Dutzend in Christiania besorgt.« »Haben
Sie Geschwister?« Die mußte ich alle hersagen. Wir hatten ja alle
Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. »Wolf« und »Möwe« hatten so etwas
nicht nötig, sie führten an Stelle der Verschleierung Torpedos und
Geschütze. Wenn ein feindlicher Hilfskreuzer nahte, während sie unter
neutraler Flagge fuhren, dann ließen sie ihn herankommen, hißten die
Kriegsflagge, pfefferten ihm einen Torpedo in den Leib oder pengten ihn
mit Kanonen hinunter. Wir hatten nichts dergleichen und mußten damit
rechnen, bei schlechtem Winde wochenlang in der Blockade zwischen
England und Norwegen hin- und herzufahren.

Am 21. Dezember kam leichter Südwestwind auf. Die Anker wurden
gelichtet, das Ruder probiert, der Motor angewärmt, und nochmals alles
überholt. Der Motor zündete krachend, und wir verließen das enge
Fahrwasser der Norderaue. Das Schiff haute auf eine Sandbank auf, denn
es war dort bei Hochwasser nur ein Fuß Wasser mehr, als das Schiff
Tiefgang hatte. Die Masten zitterten, bewiesen aber beim Auflaufen ihre
Stärke. Denn die Werft hatte gewußt, was es heißt, einen tüchtigen
»Seeadler« zu bauen.

Die Norderaue hatten wir glücklich passiert, draußen vor der Boje
setzten wir Segel. Es war schmuddlige Dezemberluft, naßkalt und
unfreundlich; die griesgraue Nordsee frischte langsam auf. Voll standen
die Segel, 2600 qm Segelfläche, an den 50 m hohen Masten. Mit voller
Fahrt ging es längs der deutschen Küste unter den Klängen von
»Deutschland, Deutschland über alles« und des alten Seemannsliedes »La
Paloma« dahin.

Von hinten wurde die deutsche Vorpostenkette durchbrochen, die auf Wache
lag gegen plötzliche feindliche Angriffe. Wie waren sie überrascht, als
sie plötzlich ein Schiff des Friedens durch die graue Wand des Nebels
hervortreten sahen.

  [Illustration: Wir passieren die deutsche Vorpostenkette.]

»Ein Segelschiff? wo sall dat hen, wo geit de hen?« Sie vermuteten, daß
wir ein deutsches Schiff waren und aus der Heimat kamen. Die
Vorpostenboote waren gerade verstärkt, weil die Ablösung für die
Weihnachtszeit angekommen war; so standen viele Boote draußen, und
trotzdem sie nach Hause wollten und Weihnachten feiern, machten sie sich
in ihrer Begeisterung auf und folgten dem vollen Segler. Sie begleiteten
uns ein Stück, aber wir gingen mit Segel- und Motorkraft so schnell, daß
sie nicht mitkamen. Mancher von den Kameraden, den man gefragt hätte, ob
er mitkommen wollte, hätte doch wohl das Weihnachtsfest vorgezogen,
statt auf dem alten Windjammer ins Ungewisse zu fahren, in den Himmel
oder in die Gefangenschaft. Mensch sei froh, daß du nach Hause darfst,
fühl dich doppelt mollig bei dem Gedanken! Was lauerten da für Gefahren
in dem trüben Morgen! Minen, feindliche und eigene U-Boote, die einen
abschießen konnten, Blockade und feindliche Kreuzer. An alles das
dachten wir nicht, sondern Durch!! war unsere Devise. Wohin, war
einerlei für uns.

Abends gegen zehn Uhr hatten wir schon Hornsriff. Dann kamen wir längs
der dänischen Küste. Um acht Uhr morgens sollten wir vor dem Skagerrak
stehen, um für den Feind den Eindruck zu erwecken, daß wir tatsächlich
aus einem neutralen Hafen kämen. Da plötzlich springt der Wind um nach
Norden. Was tun? Wir können nicht weiter nach Norden. Es bleiben uns nur
noch drei Wege offen. Zurück wollten wir nicht, rechts war Land, links
lagen die Minenfelder. Land hat keine Lücken. Minen haben Lücken! So war
der einzige Weg der nach links. Der resolute Entschluß ist die beste
Weisheit. Hart backbord! Alle Mann in Schwimmwesten an Deck! Und das
Glück ließ uns die Lücken treffen. Wir haben den Minengürtel durchfahren
und kamen unversehrt in die freie Nordsee. Der Wind frischte immer mehr
auf. Wir fuhren nicht etwa an der norwegischen Küste, auch nicht in der
Mitte, sondern, wer das reinste Gewissen hat, geht dem Feind am
nächsten! In Sicht der englischen Küste sausten wir längs.

Wir hatten Glück und der Seemann ist abergläubisch. In jenen Tagen,
als ich den »Seeadler« bekam, war ich in Erinnerung an die wunderbare
Erhaltung und Unverletzlichkeit von S. M. S. »Kronprinz« und seiner
Mannschaft in der Skagerrakschlacht zu unserer Frau Kronprinzessin
gegangen mit der Bitte, ob sie nicht auch unser Schutzengel sein
wollte auf der weiten, gefahrvollen Fahrt. Während der vielen
Vorbereitungsarbeiten hatte man nicht mehr Zeit, an dieses und jenes zu
denken. In der Nacht aber, als ich an Bord ging und man der Heimat
»Lebewohl« sagen sollte und von ernsten Gedanken bewegt war: Die Leute
ahnen nicht, wohin es gehen soll, man ist der einzig Verantwortliche,
und man kämpft mit der Frage: »Wird auch alles gelingen?« Dort draußen
liegen die Minenfelder und Sperrfahrzeuge, die man durchbrechen soll
..., da, kurz vor der Abfahrt, eilen plötzlich in der dunklen Nacht zwei
Ordonnanzen heran mit dem Ruf: »Hofpost.« »Hofpost?« Ein Paket
»Eingeschrieben« und »Eilt«, »Potsdam, Marmorpalais.« Der Schlepper hat
schon losgeworfen und riß uns von der Heimat ab. In der Kajüte erbrach
ich mit aufgeregter Hand das Paket; wie ich das Siegel löste, da hielt
ich das Bild unserer Frau Kronprinzessin mit meinem Patenkind, der
Prinzessin Alexandrine in Händen. Darunter las ich im trüben Licht der
Laterne: »Gott schütze S. M. S. Seeadler!« Wie wohl das tat! Ich empfand
eine wundervolle Freude: Jetzt kann kommen, was da will, wir hatten
Vertrauen zu allem! Das Bild unserer Frau Kronprinzessin war das
einzige, das in der Kajüte hing neben dem dicken Eduard und König
Haakon, so, daß wir es jederzeit herabnehmen konnten, wenn uns die
Kriegslist zwang, unsern Stolz als Deutsche zu verhüllen. Sie war unser
Schutzengel in Sturm und Krieg, nicht nur für uns, sondern auch für die
Feinde: Es gab keinen Toten, keinen Verwundeten, auch nicht beim Feind.
Als unser Schiff später verloren ging, wurden alle meine Jungs gerettet,
und sie haben aus den Trümmern das Bild mit in die Heimat
zurückgebracht.

  [Illustration: Gott schütze S. M. S. »Seeadler.«]

Am 23. Dezember kam der Tag, an den sich noch mancher erinnern dürfte,
der im Norden Deutschlands lebt, der Tag, an welchem einer der
schwersten Stürme unsere Küsten heimsuchte. Auch wir haben die Gewalt
dieses Orkans zu spüren bekommen. Der südliche Wind hatte uns bisher ein
gutes Stück von der Heimat vorwärtsgebracht, als er unter starkem Fallen
des Barometers plötzlich auf Südwest umsprang. Von Stunde zu Stunde
frischte er stärker auf und wuchs allmählich zum Sturm. Alle Leinwand
war gesetzt bis auf Roils-, Oberbram- und die kleineren Stagsegel. Der
Sturm bot die günstige Gelegenheit, um alles aus dem Schiff
herauszuholen. Gerade in dieser Nacht, wo es darauf ankam, die
Hauptblockaden zu durchbrechen, mußten wir ihn als ein günstiges
Geschick ansehen. Mit Sturmsegeln sausten wir längs. Das Schiff lag so
schwer über, daß die ganze Leebordwand unter Wasser war. Der Verkehr
über Deck war nicht mehr möglich, sondern die Leute mußten an der
Außenbordseite an Strecktauen laufen. Alles stand zum Biegen und
Brechen. Die Masten zitterten, das Schiff bebte; Preventerketten wurden
zur Verstärkung an die Vor- und Großschoten aufgesetzt. Wir mußten alles
wagen, wir konnten es auch, denn wir waren vor keinem Handelsherrn
verantwortlich, sondern nur vor unserm obersten Kriegsherrn. Wir mußten
den Wind ausnützen, er war ein Geschenk des Himmels. Auch wenn Topp und
Takel von oben kam, so war die Gefahr nicht so groß als eine
Untersuchung mit unseren schmierigen Papieren. Der Sturm pfeift und
heult durch die Takelage. Hier und da brechen Schotenketten von den
oberen Segeln; in wenigen Minuten ist die Leinwand aus den Liken
gerissen, und ehe man die Segel festmachen kann, sieht man sie als
zerfetzte Lappen hoch in der Luft über das Meer hinwegflattern. Wir
laufen 15 Meilen Fahrt.

  [Illustration:
  »... der Tag, an den sich noch mancher erinnern dürfte«.]

Abends 11 Uhr passieren wir die erste Blockade. Alles stiert mit den
Gläsern in der Hand durch die Dunkelheit, um ein Blockadeschiff
ausfindig zu machen. Die Augenblicke höchster Spannung setzen ein. Kein
Schiff zu sehen. Dem Feind war das Fallen des Barometers eine Warnung
gewesen, und er hatte es vorgezogen, sich in Lee der Inseln von England
in Sicherheit zu bringen. Aber ein Schiff war da, das kühn die
Gelegenheit ausnützte, der »Seeadler«. Stampfend durchbrach er die
Wogen, ein weißes Kielwasser hinter sich lassend, der Gischt wurde mit
aller Kraft auseinandergepeitscht, Motor, Segel und der gute Geist,
alles half und schob am Schiff; es war ein wundervolles Gefühl. Immer
schwerer wird der Sturm, immer mehr Kraft liegt auf allem, was die
Takelage hält und trägt, Pardunen, Wanten und Brassen, alles knarrt und
zittert, angespannt wie zu straff gezogene Saiten. Viel kann man nicht
mehr geben, aber man wagt!

Auch das Schiff legt sich immer mehr über. Man konnte nicht an Deck
stehen, sondern saß auf der Reeling oder gegen die Lichtschächte
gelehnt. Die zwei kleinen Hunde, die ich mit an Bord hatte, Piperle und
Schnäuzchen, lagen, als ich einmal hinunterkam, auf der Seitenwand der
Kajüte, auf einem norwegischen Kissen zusammengepfercht; der Fußboden
war ihnen zu schräg. Das starke Überliegen bedeutet aber für ein
Segelschiff nicht viel, da es wie ein Stehauf ist, der wieder auf die
Füße kommt. Es kann über ein gewisses Maß hinaus nicht gedrückt werden.
Der Sturm ist nicht das Gefährliche, sondern die See, und diese konnte
uns nicht viel schaden, da wir unter Lee von England fuhren. »Durch«
blieb unsere Devise.

Wir fuhren mit brennenden Positionslampen, steuerbord grün und backbord
rot: Denn hier ist reines Gewissen, wir wollen ja nur durch. Gewaltig
rollt und tobt die See von achtern auf. Hier und da schlagen schwere
Brechseen über Deck, die aber infolge des Überliegens des Schiffes wie
ein Wasserfall darüber hinbrausen und auf der anderen Seite ins Meer
herabstürzen. Die beiden Rudersmänner sind am Steuer festgeschnallt,
alles schüttert von dem Druck, der auf der Takelage liegt. Von vier zu
vier Stunden durchmessen wir einen Breitengrad. Mit der Uhr in der Hand
rechnen wir: Jetzt ist die Sperre passiert, jetzt jene und heute nacht
12 Uhr kriegen wir Hauptsperre zwischen Shetland und Bergen. Noch eine
Stunde, wenn wir die erst hinter uns hätten! So oft Wachablösung war,
hieß es: Wir haben keinen Engländer gesehen. ½12 Uhr, nichts, ¾12
Uhr nichts, Mitternacht nichts. Jetzt passieren wir die Hauptsperre,
aber was heißt Sperre, wenn niemand da ist? Wir geben noch eine viertel,
noch eine halbe Stunde zu: Kein Feind weit und breit! Der Wind war unser
Freund. Wir dachten: Der gerade Weg ist der kürzeste; wenn wir den Orkan
ausnutzen, durch die Orkneys und Shetlands hindurchgehen, dann haben
wir ein paar Meilen gespart. Fahren wir also direkt hindurch!

Im Begriff, den Kurs zu ändern, springt der Wind um acht Strich nach
Westnordwest. Das war uns wie ein Finger Gottes: Hier gehst du nicht
durch, Seeadler! Und so wurden wir hinaufgeworfen bis Island.

Wir konnten nichts tun, als uns treiben lassen, immer höher hinauf.
Lieber in Eis und Schnee stecken bleiben, als zur Shetlandssperre zurück
oder in die Nähe von Kirkwall! Naturgewalt ist weniger schlimm als
Feindesgewalt, insonderheit seine drahtlosen Rückfragen. Am nächsten
Tage fingen wir einen Funkspruch auf, der mitteilte, daß der Orkan
daheim Häuser abgedeckt und besonders in Emden und Wilhelmshaven viele
Schiffe losgerissen hätte.

  [Illustration: »Beginnende Vereisung.«]

Jetzt begann die bittere Kälte. Wir gerieten aus dem Golfstrom heraus in
die Gegend, wo nur eine halbe Stunde Tag war und die Sonne, die um 11
Uhr aufging, um ½12 Uhr schon wieder verschwand. Die See wurde immer
schwerer, weil sie weiter ausholen konnte, und die Wellen, die über Deck
gingen und durch die Ritzen der Ladung liefen, erstarrten in dem
grimmigen Frost; das ganze Vorschiff war bald vereist. Das Schlimmste
war, daß die Taue vom Eis so verdickten, daß sie nicht mehr durch die
Blöcke gingen. Wir versuchten sie mit Sauerstoffapparaten aufzutauen,
aber es half nichts. Die unteren Segel, auf welche das Wasser gespritzt
war, standen wie Bretter. Die geheimnisvollen Luken waren zugefroren und
die vierzig Menschen unten eingepfercht, die vierundzwanzig oben aber
ohne genügende Decken, der Möglichkeit beraubt, zu ihren Kojen zu gehen.

Vierthalb Tage stand man an Deck. Die Spannung erlaubte nicht, ins Bett
zu gehen, nur im Kartenhaus habe ich ein bißchen gegessen und geruht.
Die Finger konnten wir nicht mehr aufkriegen, der Mund war steif von
Kälte. Man rutschte auf dem spiegelblanken Deck umher, das so glatt war,
daß man sich nirgends auf den Füßen halten konnte. Wohin man griff, war
Eis. Aber eines war noch warm, eines dampfte, vorn und achtern, der
Grogkessel. Das surrte und das schnurrte; der Deckel snackerte so mit.
Ordentlich Rum hinein, und dann mal her, das tut gut! Wenn einer von
draußen hereinkam, konnte er nichts mehr fassen, er preßte das Grogglas
zwischen die Hände, ließ sich nichts von dem Duft entgehen, die Dämpfe
mußten den Mund erst beweglich machen. Man taute sich tatsächlich daran
auf.

Wie dankte man dem, der den Grog erfunden hatte! Wenn ich an die
Hamburger Bezeichnung des Grogs als Eisbrecher denke, dort oben habe ich
erst die wahre Bedeutung des Wortes empfunden. Denn dort fror alles
zusammen, der Dampf der Nase und des Mundes. Es federte alles um das
Gesicht umher, wie um ein Walroßmaul. Leute, die daheim mit Grog
renommieren, haben ja keine Ahnung davon. So richtig schmeckt er erst,
wo die Sonne nicht aufgeht.

Wir mußten das Schiff sich selbst überlassen, konnten kein Tauwerk
bedienen. Ein seltsames Gefühl, auf dem erstarrten Fahrzeug nicht mehr
Seemann zu sein, sondern als ohnmächtiger Passagier in der Gnade des
Himmels zu fahren! Wir überließen uns dem arktischen Klabautermann und
durften nur damit rechnen, daß der Wind endlich nördlich umsprang. Er
tat uns auch schließlich den Gefallen, und nun kamen wir südlich und
wurden mit Axt und Picke der Eislast Herr, um das Schiff wieder zum
Manöverieren zu bringen. Wir setzten nun alle Segel und gingen zwischen
den Färöer und Island in den Atlantik.

  [Illustration:
  »... und gingen zwischen den Färöer und Island in den Atlantik.«
  (Aufnahme des unerkannten »Seeadlers« von Bord eines feindlichen
  Schiffes aus, das wir gleich darauf versenkten.)]



Elftes Kapitel.

Eine peinliche Untersuchung.


Der 25. Dezember brach an. Wir fühlten schon alles überstanden, die
Blockade durchbrochen, die Eiszeit hinter uns, das freie Meer um uns,
Kriegshandwerk vor uns. Da ruft morgens um ½10 Uhr, während wir
nichts Böses ahnten, der Ausguck von oben: »Dampfer achter aus!«

Was, hier ein Dampfer? Das kann in dieser Gegend nur ein Kreuzer sein.
Ich kletterte etwas höher hinauf und gewahre einen großen Hilfskreuzer.
Welches Pech nach soviel Glück. Nun kam die Ernstprobe; nun konnten wir
uns fürchterlich blamieren.

»=Klar zur Verschleierung!=« war jetzt das Kommando.

Das bedeutete: Die nicht norwegisch sprechende Besatzung in Uniform klar
bei Handwaffen unter Deck, wer nicht Gewehre oder Handgranaten hatte,
legte Sprengpatronen an in der Geschoßkammer vorn, mitschiffs im
Motorraum und achtern in der Sprengkammer. Dann wurden die Leute unter
ihren geheimnisvollen Luken in Gruppen verteilt.

Aber zunächst sollte nicht die Waffe, sondern die Maske sprechen. Noch
einmal werden die Jungs versammelt. »Wir haben uns geprüft, als wir
durch die Minen gingen, im Sturm, in Eis und Schnee. Jetzt gilt es noch
einmal eine Prüfung. Habt ihr Vertrauen zu euch? Bloß nicht aufgeregt
scheinen! Backbordwache zur Koje. Steuerbordwache an Deck, denn je
weniger wir sind, desto besser. Jeder soll etwas Beschäftigung haben,
keiner sich umgucken. Daß mir keiner durchdreht! Selbstbeherrschung und
echt norwegischen Benimm!«

Der Kreuzer signalisiert. »Daß ihr mir das Signal nicht etwa zu rasch
erkennt, Jungs! So ein Norweger hat bloß alte unscharfe Gläser.«

Unterdessen wird die Kajüte in Empfangszustand gesetzt, Matratzen raus,
Schiebladen raus, alle nochmals tüchtig voll Wasser, die Unterbüxen
ausgehängt, die Papiere aus dem nassen Löschpapier in der Kajüte »zum
Trocknen« ausgelegt, kurz die »nasse Rolle« wird gespielt.

»Un nu, Jeanette, mak di kloar!«

Unsere Hauptstärke nämlich, wodurch wir den Feind in besonderem Maße
entwaffnen wollten, war die verschleierte Frau. Gegen Damen ist man
artig, besonders der englische Offizier. Und wenn man als Kapitän seine
Frau mitnimmt, dann tut man es nur unter Umständen, wo die Hände rein
sind, man keine Bannware führt und sicher ist, der Frau keine
unangenehmen Lagen zu bereiten. Dazu kam die Seemannssitte; in Norwegen
und anderen Ländern ist es im Gegensatz zu Deutschland ganz
gebräuchlich, daß der Kapitän auch sin Olsch an Bord hat. Da war ein
Matrose von achtzehn Jahren, der das geeignete Gesicht besaß. Keine
Ahnung hatte der Mann vor seiner Einschiffung gehabt, daß er diesem
Umstand das Kommando auf »Seeadler« zu verdanken hatte. Aber heimlich
waren an Land schon für ihn Frauenkostüme und eine blonde Perücke
gekauft worden. Alles paßte dem Mann, nichts fehlte an den zugehörigen
Formen und Umrissen, nur einen schicklichen Schuh konnten wir nicht
kriegen. Schmidt hatte eine solche Nummer von Fuß ... Das war unsere
Sorge. Das Kleid mußte also möglichst lang sein, nicht im modernen
fußfreien Stil.

»Nu also antrekken!«

Jeanette wurde rasch aufgetakelt, ganz leicht und zart war sie
geschminkt, auf die Chaiselongue gepackt, eine Decke über die großen
Füße, darauf wurde Schnäuzchen gelegt. Der bellte wenigstens nicht und
lag hübsch ruhig, wenn er einen so weichen Platz hatte, während Piperle
losgefahren wäre, wenn Fremde kamen.

  [Illustration:
  »... Wir hatten Jeanette nicht zum erstenmal aufgetakelt.«]

Die Frau sah recht gut aus. Nun kann man alles verschleiern, nur die
Stimme nicht. Aber auch hier wurde Rat gefunden. Bei Zahnschmerzen
nämlich kann der Mensch nicht reden. Einen Schal um die Backen, zwischen
Zahn- und Backenwand Watte hineingepfropft, naß gemacht, und die
Geschwulst war da. Der arme Kerl hat was ausgehalten, die Backe stand
infolge der Spannung ganz prall, und es entstand ein wirklich leidendes
Gesicht.

Wir hatten Jeanette heute nicht zum erstenmal aufgetakelt und von ihrer
Schönheit früher schon eine Photographie genommen. Die hing jetzt
vergrößert an der Kajütenwand, damit, wenn der untersuchende feindliche
Offizier die Dame vor jeder Indiskretion behüten wollte, er nur zur Wand
zu blicken brauchte, wo sie mit der Unterschrift hing: _Mange hilsner_
(viele Grüße) -- _Din Dagmar_, 1914.

Soweit war alles gut. Nun bemerkten wir aber, daß es fürchterlich nach
dem Motor roch. Wir hatten ihn ja die ganze Zeit laufen lassen, und der
Geruch, welcher infolge der aufgestapelten Holzladung nicht abziehen
konnte, lag schwer in der Kajüte. Da konnten wir keine Räucherkerzchen
gebrauchen oder kölnisch Wasser, sondern wir haben den Petroleumofen
tüchtig schmökern lassen und die Lampe hochgeschraubt, daß sie mit
kräftiger Dosis gegen den Motordunst anarbeitete, bis die richtige
Mischung entstand. Leider wurde Jeanette dabei ein bißchen verrußt.

Wie ich wieder an Deck kam, war das Signal deutlich zu sehen. Der
Engländer hatte auch nicht länger Geduld, sondern schoß uns eine Granate
vor den Bug. Das mußten wir verstehen. Wir drehen in aller Gemütlichkeit
den Großtopp back, dann kommt der Kreuzer auf. Es ist der 18000 Tonnen
große britische Kreuzer »Avenge«. Alle Geschütze stellen ihre
Feuermündungen auf uns ein, alle Gläser sind auf uns gerichtet. Was soll
das? Gegen ein Segelschiff, einen friedlichen kleinen Kauffahrer? (Ein
deutscher Kreuzer würde seine Geschütze nicht gegen einen Segler
gerichtet haben, der dazu noch neutrale Flagge und Neutralitätsabzeichen
führte.) Ist das nicht verdächtig? Sind wir verraten? Der Atem stockt.
Als der Ozeanriese quer ab von uns ist, wird mit Sprachrohr
herübergerufen: »=Sie werden untersucht=.« Huh, wie durchschauert es
einen, wie kalt lief es einem den Buckel herunter! Schnell ging ich in
die Kajüte, um mich noch einmal von allem zu überzeugen. Die Unruhe, daß
wir möglicherweise doch verraten sein könnten, tobte schwer in mir. In
der Kajüte stand Kognak, den mir mein Freund Conrad Jäger, der große
Hamburger Weinhändler, mitgegeben hatte für den Fall, daß ich noch
einmal ins Examen müßte. Der Fall lag vor. Der Kognak war 100jährig, es
war noch ein Napoleon mit seinem »N« darauf. »De Alkohol, de den ollen
Napoleon good dohn hett, wenn he mit de Engländers anbunn, de kannst du
ok bruken.« Ich korke den Napoleon auf, setze ihn an den Mund. Schon
wirkt der Gegenschrecker. Noch einmal gluck gluck und alles, was das
Herz bepackt hat, ist fest unterdrückt. Dann der Priem in den Mund ...
ich bin kein Gewohnheitspriemer, aber ein alter Kapitän muß Tabak kauen,
in dem Vollbart soll ein wenig Priemsauce stehen ... und nun wieder auf
Deck. Meinen Jungs dort schenkte ich auch einen ordentlichen Kognak ein
zur Beruhigung. »Jungs, jetzt kommt's drauf an, die Nerven
zusammenreißen! Sich nicht verblüffen lassen! Den Feind, den wir
bekämpfen wollen, auf unsern Planken als wohlwollende Neutrale zu
begrüßen, ihm mit deutschen Augen unter norwegischer Maske furchtlos ins
Gesicht zu sehen. Einer für alle, alle für einen! Spielt ihr eure Rolle,
ik speil de oll Kaptein.«

Auch unsere Messe hatte inzwischen ihre Vorbereitung vollendet. Dort
stand ein Grammophon: »_It is a long way to Tipperary_« ... Wir wollten
den Feind gleich sympathisch stimmen. Das reine Gewissen guckte ja jetzt
aus allen Ecken hervor, aber auch wo man nicht hinsah, mußte man es
wenigstens hören. Vor der Messe stand eine Ordonnanz mit einer Pulle
Whisky und einem Bierglas. Wir ahnten, daß die Tommys gleich nach der
Pantry streben würden. Da konnten sie sofort das Zielwasser nehmen und
ihnen die Sehschärfe genommen werden. Wir waren freundliche Leute.

Ein Boot ruderte vom Kreuzer herüber. Unsere Jungs taten vollkommen
gleichgültig und machten die Vorleine klar, um das Boot wahrzunehmen. Es
kam längsseit mit zwei Offizieren und 15 Mann. Ich schimpfte, als wenn
meine Jungs nicht flink genug funktionierten, tüchtig, wie so ein oller
Kaptein schimpft, damit sie gleich die norwegische Sprache hörten. Der
Offizier, der zuerst an Bord kam, begrüßte mich:

»_Happy christmas, captain._«

»_I am the captain, mister officer._« (Diese Anrede paßte besser zu mir
einfachem Mann, als wenn ich »Sir« gesagt hätte.)

»_Happy christmas, captain?_«

»_O, happy christmas, mister officer!_ Wenn Sie in meine Kajüte
herunterkommen, dann werden Sie sehen, was für ein glückliches
Weihnachten wir gehabt haben!«

»Haben Sie den Sturm gehabt?«

»Jawohl, den haben wir gehabt.«

»_Poor captain._ Wir haben hinter den Inseln gelegen.«

Da dachte ich bei mir: Ja, das haben wir auch gemerkt, wir haben keinen
von euch gesehen.

»Ich möchte gern Ihre Papiere sehen, _captain_.«

Wie wir hinuntergehen (auch der zweite Offizier hatte mir ein »Frohes
Weihnachten« in die Hand gedrückt), schnarrt die Platte los: »_It is a
long way to Tipperary_.« Sie freuten sich und summten mit, denn
Sympathieluft wehte ihnen entgegen. Es konnte jeder fühlen: Das Schiff
ist gut.

Als sie in die Kajüte eintreten, müssen sie gebückt unter dem nassen
Unterzeug hindurch, die »Mischung« macht sie hüsteln. Da stutzt der
erste Offizier und sieht Jeanette.

»_Your wife?_«

»_My wife, mister officer._«

Er ist ritterlich, geht auf sie zu mit den Worten: »Verzeihen Sie, daß
ich Sie störe, aber wir haben unsere Pflicht zu tun,« worauf Jeanette
das eingeübte hohe »_All right_« flötete. Darauf fallen seine Blicke auf
die zerschlagenen Bullaugen und auf all die Nässe in der Kajüte, und er
äußert: »Weiß der Himmel, Kapitän, was haben Sie für ein Wetter gehabt!«
Worauf ich zu ihm sagte: »Ach, gucken Sie nicht dahin, Mister Officer,
das kann mein Zimmermann wieder machen. Was mir aber Sorge macht, das
sind meine nassen Papiere.«

»Na, na, Captain, daß Ihre Papiere nicht trocken sein können, wo hier
das ganze Schiff eingeschlagen ist, das ist doch selbstverständlich!«

»Ja, für Sie vielleicht, aber wenn ein anderer kommt, der macht mich
womöglich verantwortlich. Die Papiere sollen doch schließlich
ebensolange halten wie das Schiff.«

»Dann haben Sie ja meine Bescheinigung,« beruhigte er mich, »seien Sie
doch froh, daß Ihnen Ihr Schiff nicht ganz und gar zerschlagen ist.«

»Für die Bescheinigung wäre ich allerdings dankbar,« erwiderte ich.

Er nimmt ein Buch aus der Tasche, worin all die Papiere vorgedruckt
sind, die er nachzusehen hat. Er hat schon viele Schiffe untersucht und
alles Verdächtige eingetragen. S. M. S. »Seeadler« bekommt jetzt auch
seine Seite im Buch, hoffentlich mit guten Nummern. Und so, wie er die
Papiere aufruft, lege ich sie ihm vor, worauf er immer verständnisvoll
nickt. Währenddessen sah sich der andere Offizier den König Eduard an
und die schönen Landschaften und verglich respektvoll das Bild meiner
Frau mit dem Original. Draußen kicherten die Matrosen und kriegten ihr
Zielwasser, der Mann am Grammophon zog immer wieder die Tipperarywalze
auf, daß bloß keine Pause dareinkam, ich hörte meine Leute lachen und
sprechen, währenddessen schob ich dem Offizier einen Beleg nach dem
andern hin: er schaute kaum mehr darauf und schrieb: »_All right, thats
all right, captain._« Zwischendurch spuckte ich einmal kräftig in den
Salon und reichte weiter: »_Here, please, mister officer, please here._«
Die Stimmung war überall vorzüglich, es funktionierte buten und binnen.

Wenn der Mann ahnte, daß er auf Bajonettspitzen stand! Denn unten
warteten ja meine deutschen Jungs in voller Uniform mit aufgepflanztem
Seitengewehr.

Neben mir stand mein Adjutant Pries, der den ersten Steuermann
darstellte, eine kolossale, echt norwegische Gestalt. Mit ernstem
Gesicht stand er da und spielte seine Rolle hervorragend.

»_Where are your Cargo Papers?_« fragte der Engländer. Der Steuermann ging
langsam hin und holte sie. Denn dazu ist er da. Der Kapitän darf nicht
alles selber tun. Pries brachte also unsere einzigen Papiere, in welchen
nicht mit Tintentod gearbeitet worden war; darin stand die Ladung genau
spezifiziert. Es war bescheinigt, daß sie für die englische Regierung in
Australien bestimmt wäre. Unterschrift: »_Jack Johnson, british
vice-consul._«

»_Captain, your papers are all right._«

»Ich freue mich so, daß meine Papiere in Ordnung sind, das sollen sie ja
wohl auch!« und da erlebe ich den ersten Versager. In der Freude rutscht
mir der Priem weg, ich will ihn stoppen, kann aber nur die
Geschwindigkeit abbremsen und fühle, wie er langsam die Speiseröhre
hinunterläuft. Ich muß ihn niederkämpfen, damit der Engländer nicht
merkt: dem Kapitän wird übel. Wie kann ein alter Norweger seekrank
werden! Nun will er das Logbuch sehen, mein Steuermann Lüdemann bringt
es heran. Der Engländer sieht es genau durch. Verflixt, daß wir drei
Wochen stillgelegen haben! Hiervon hängt dein Schiff ab. Der Mann muß
mit Vertrauen erfüllt werden, und nun dieser innere Kampf. Immer rauf
und runter in der Speiseröhre. Lieber in Nacht und Eis, als dies
erleben. Um mich abzulenken, bemerke ich zu Lüdemann: »Solch einen
Kameelhaarüberhang mit Kapuze, wie der Offizier hat, müßten wir auch
haben gegen die Kälte.«

»Nein,« sagte der Offizier, »gegen die Nässe.«

Der Engländer beschäftigt sich lange mit dem Logbuch, mit der Vorreise,
mit dem Ankerlichtmotor, den wir bekommen haben, und fragte: »Was ist
denn hier, warum haben Sie drei Wochen da gelegen?«

Ich, der ich mit dem Priem herumarbeite, fühle das Entsetzen über diese
Frage und denke: Nun ist alles zu Ende. Da fällt Lüdemann trocken ein:
»Jawohl, wir sind vom Reeder gewarnt worden, nicht auszulaufen wegen der
deutschen Hilfskreuzer.« Wie wohl wird mir über die Unerschrockenheit
dieses einfachen Mannes. Der Offizier stutzt, wendet sich nach mir um
mit der Frage: »Deutsche Hilfskreuzer? Wissen sie etwas über deutsche
Streitkräfte?«

»Jawohl,« sag ich, und zu mir selbst: »Jetzt wirst du dem Kerl mal was
einschenken.« (Ich fühlte mich auch im Magen etwas beruhigt, seit mein
Lüdemann in die Bresche sprang.) »Wissen Sie gar nichts von >Möwe< und
>SeeadlerIrma< ausgelaufen ist. >Irma< gibt's ja nicht.«

Der Mann hatte recht! Die Papiere waren doch in Ordnung gefunden worden,
weshalb also anderthalb Stunden warten? Man eilt an Deck; es ist, als
wenn einem das Herz zusammengepreßt würde. Man eilt zum Steuermann; auch
der vermutet dasselbe. Wir stellen unsere drahtlose Telegraphie ein,
deren Antennen unsichtbar in die Taue verkleidet waren. Im Geist hört
man schon die Telefunken sausen: »Ist >Irma< ausgelaufen?« Man hat das
Signalbuch und das Glas in der Hand, um sofort das Signal, wenn es
hochgeht, zu erkennen. Man bedauert, nicht 25 Finger zu haben, um bei
jedem Buchstaben einen Finger hineinzukrallen; der Schweiß der Hand
drückt sich in die Seiten des Buches. Man stiert auf den Kreuzer, hängt
förmlich an der Bordwand: Retten wir unsere Planken? Man spürt jetzt die
schlaflosen Nächte, die Kräfte versagen. Die Minuten werden zu
Viertelstunden. Da plötzlich geht ein Signal hoch. Man reißt das Glas
an die Augen, aber die Hand tattert, man sieht kein Signal, sondern
drei, vier Kreuzer flimmern. Mein Adjutant nimmt das Glas; auch er kann
nicht sehen. Da nimmt der alte ruhige Lüdemann das Glas, legt es
bedächtig auf die Reeling und hält das Signalbuch in der Hand. Man hängt
förmlich an seinen Augen. Was sieht er, was wird er sprechen? Die Nerven
können nicht mehr, man hat sich zusammengerissen, jetzt ist's, als wenn
alles auseinander fliegt. Endlich hat er das Signal erkannt.

»T M B«

Nachblättern! Was heißt das? Was kann das sein?

»Steuermann, das kann nicht stimmen! Hier steht: =Planet=. Unsinn! Lesen
Sie das Signal noch einmal ab.«

Wieder wird die Geduld auf die Probe gestellt. Man versucht, den Atem
anzuhalten, um die Sehschärfe zu erhöhen.

»T X B«

Noch einmal nachgeblättert! Ich hole Atem, einen kurzen Zug. Dann:

»=Fortsätte reisen!=«

Die Erlösung! Es ist, als wenn alles stehen bleibt im Körper ... ein
unbeschreibliches Gefühl, wie die =Freude= einströmt und die =Aufregung=
aus dem Körper wegdrückt, zwei Faktoren, die mit so krassem Gegensatz
gegeneinander toben. Man fühlte förmlich, daß das Herz zwei Klappen hat.
Nun runter, wo die Jungs sind, wo Kircheiß mit seinen Leuten brave Wache
ging, schnell, damit sie aufgefrischt werden, und daß keine Zündschnur
wieder anbrennt.

»Leute, gerettet, =Reise fortsetzen=!«

Wie drückten sich die Hände! Sie mußten sich meistern, sie durften noch
nicht herauf, damit nicht durch eine Unvorsichtigkeit alles wieder aufs
Spiel gesetzt wurde. Da ging der Kreuzer an uns vorbei, keine Gläser,
keine Kanonen mehr auf uns gerichtet. Da, wieder ein Signal, geheißt in
der Gaffel, das Signal, das jeder Seemann dem andern wünscht; da
brauchten wir kein Signalbuch mehr, das Signal: »=Glückliche Reise=«.
Konnten wir mehr verlangen vom Feind, wie »=Glückliche Reise=«? Wir
dippten unsere norwegische Flagge dreimal so recht vertrauenbestätigend,
und dann ging von uns das Signal auf »=Danke=«.

Der Kreuzer kam außer Sicht. Meine Jungs, die ihn noch einmal sehen
wollten, kamen herauf und schauten sich durch die Bullaugen den Feind
an.

»John Bull, wat hest du di verkeken! Du hest den Richtigen >Glückliche
Reis< wünscht, di könn wi bruken.«

Ein Glückwünschen! Jeder drückt seine Hand fest in die des andern:
»Glückliche Reise, Kapitän!«

»Jungs, jetzt lat uns Wihnachten fiern! Jetzt hevt wi de Berechtigung.«

  [Illustration:
  »... Unter der Flagge, auf >Seeadler<, wollen wir feiern!«]

Ich stelle es ihnen frei: »Feiern wir auf >Irma< oder unter deutscher
Flagge auf >Seeadler<, in Maske oder in kaiserlicher Uniform?«

»Unter der Flagge, op Seeodler, wüllt wi fiern!«

»Jungs, wißt ihr, was dann noch zu tun ist vorher? Die ganze Deckladung
über Bord zu werfen.«

Sie waren ja müde, aber wie die Heinzelmännchen gingen sie an die
Arbeit; die Laschings werden gesprengt und die Deckladung fliegt über
Bord. In drei Stunden war das Deck rein, an dem wir acht Tage gebaut
hatten. Unser Geschütz wurde aufgestellt, ein Probeschuß abgefeuert, ob
de »olle Kanon« auch ging.

Meine Aufgabe war es inzwischen, den Weihnachtsbaum, den wir aus der
Heimat mitgenommen hatten, zu schmücken. Wenn je ein Weihnachtsbaum
aufgeputzt worden ist mit Liebe und aller Herzlichkeit, so tat ich es da
für meine Jungs. Liebesgaben aus der Heimat hatten wir die Menge. Da
wurde aufgebaut! Und als ich fertig bin, wird gemeldet: »Die Flagge
weht, die Kanone steht, S. M. S. >Seeadler< ist klar.« Schmuck in blauen
Uniformen wurde Weihnachten gefeiert. Dicht gedrängt saßen wir im Salon,
in dem engen Raum; es war kaum Platz, man setzte sich auf den Tisch,
damit man ja mit allen Jungs zusammensitzen konnte. Die Bilder, die da
nun nicht mehr hingehörten, wurden von der Wand genommen und diejenigen
aufgemacht, die hingehörten. Um unsern Schutzengel kam ein
Weihnachtskranz und ein zweiter um unsern obersten Kriegsherrn. Nun
ruhten aller Gedanken daheim bei den Angehörigen aus. Keiner von ihnen
wußte, wo wir waren. Jede Meile brachte uns weiter weg, umringt von
Feinden, keine Hilfe von der Heimat konnte uns mehr kommen. Aber, wo ein
Wille ist, da ist auch ein Weg, und wir wollten dem deutschen Namen Ehre
machen und den Feinden zeigen, was deutsch ist, wenn wir auch nur eine
kleine Schar von 64 waren.

Und dann kam der Tag nach Weihnachten, an dem uns der Wind nach Süden
brachte. ...

Welche Vorkehrungen hätten wir gehabt, für den Fall, daß das Schiff als
verdächtig gegolten hätte? Wir waren darauf vorbereitet, denn wir
kannten die Art und Weise, wie die Engländer verdächtige Fahrzeuge
handhaben. Der englische Kreuzer würde uns ein Prisenkommando an Bord
geschickt haben, unter dessen Befehl ich das Schiff nach dem
Untersuchungshafen hätte navigieren sollen. Um in diesem Falle das
Schiff möglichst ohne Blutvergießen dem Prisenkommando wieder
abzunehmen, hatte Dr. Claußen von der Tecklenborgwerft folgende
Vorbereitungen vorgesehen.

Der Salon sollte aus dem Schiffskörper ausgeschnitten und fahrstuhlartig
in einer hydraulischen Presse aufgehängt werden. Sein Fußboden war unter
Deck diagonal durch eiserne Träger unterstützt, damit er Halt hätte. War
das Schiff in Feindeshand, so würden die feindlichen Offiziere und die
Besatzung in diesem Salon wohnen. An Deck wären sechs oder sieben
Engländer zur Bewachung meiner Zivilbesatzung.

Wenn nun der britische Kreuzer außer Sicht war, dann wäre Alarm gegeben
worden, um das Schiff wieder in unsere Hand zu bringen. In einem
Waschraum war ein kleines Schränkchen, worin meine Uniform mit Orden und
Ehrenzeichen hing. Ich hätte meinen Zivilmantel darübergezogen und an
Deck laut das Stichwort gerufen: »Mars fallen, durchholen.« Im selben
Augenblick sollte die Freiwache (unsere »norwegische« Besatzung) in die
Takelage gehen zu den geheimnisvollen Türen, wo ihre Waffen und
Uniformen hingen. Die Mannschaft unter Deck erhält durch ein leichtes
Klingelzeichen Bescheid. Dann wäre durch das einfache Drücken auf einen
Knopf der Salon in die Tiefe gesaust, mit Sofa, Tisch und Stühlen, und
drunten wären die englischen Offiziere plötzlich fünfzehn Mann gegenüber
gesessen, die sie mit aufgepflanztem Bajonett, Gewehr angelegt,
empfangen hätten. Im gleichen Augenblick ging die deutsche Kriegsflagge
hoch, die in einem Sack eingenäht war. Oben auf Deck wären meine Leute
unter Trommelklang aus allen Räumen hervorgetreten, die Gewehre auf die
britische Wache angelegt. Ein Maschinengewehr stand vorn, auch oben im
Mast eines. Was hätten die Armen machen wollen? Es wäre glimpflich
abgegangen.

Dieser Claußensche Plan war glänzend, aber es war doch gut, daß die
Verschleierungsrolle gelang, denn infolge der verfrühten Abfahrt der
»Maletta« war diese »Saloneinrichtung« nicht mehr ganz fertig geworden.



Zwölftes Kapitel.

Kaperfahrt.


Wir gingen gen Süden und steuerten mit vollen Segeln ohne Motor auf
Madeira zu. Der Motor hatte trotz unserem tüchtigen Personal viele
Pannen. Da ein Segelschiff durch den Druck der Segel stets nach einer
Seite überliegt, wurden die Kolbenringe des Kompressors stark einseitig
abgenutzt, und die Gebrauchsfähigkeit des Motors wurde besonders dadurch
sehr herabgesetzt, daß das uns mitgegebene Schmieröl bereits schon
einmal gebraucht war. Im Vaterlande war das Schmieröl, wie so vieles
andere knapp geworden, und da unser Unternehmen nur bei wenigen, wie
Kapt. z. S. Graßhoff und Toussaint, Vertrauen fand, und fast von
jedermann sonst als ein verlorenes angesehen wurde, so wollte man nicht
viel an uns wenden. So liefen wir meist mit ausgekuppeltem Motor.

Jetzt durfte man den Salon und alle Kammern wohnlich herrichten, die
schönen Teppiche, Bilder, Sessel wurden ans Licht gebracht. Was hatte
die Werft brav vorgesorgt; alles hatten wir an Bord bis zu Meyers
Konversationslexikon, das uns besonders wertvoll war, denn es sagte uns
jeden Fisch und war Schiedsrichter in den gelehrten Streitfragen, die
menschlicher Fürwitz bei so langem Bordleben aufwirft. An Deck und in
den Räumen wurde überall gemalt, das Teakholz außen gescheuert, damit
man sich wieder auf einem deutschen Kriegsschiff fühlte. Das
Schmuddelige wurde hinausgebracht und das Schöne, Saubere, Glänzende,
das mußte heran. Jetzt fühlte man sich, wenn die »Plumböm«, so nannten
wir die Masten, sich unter den Segeln bogen. Alles war froh und frei und
ohne Sorgen auf unserem Schiff. Wir hatten Weisung, nur Segelschiffe
anzugreifen. Segler gegen Dampfer, das geht doch nicht! Vielleicht war
auch dies der Grund, weshalb man uns so schlechte Armierung mitgegeben
hatte. Von unseren zwei Kanonen konnte natürlich immer nur eine in
Aktion gegen den Feind treten; mit einer Kanone konnte man kein
Trommelfeuer machen. Über das Wenige, was wir hatten, wollten wir aber
vollkommen Herr sein. Die Geschützmannschaft exerzierte aus eigener Lust
an der Sache und war so eingeschult, daß kein Schiff eine bessere hatte.
Durch Drill und Präzision waren wir ein nicht zu verachtender Gegner.
Unsere Armierung war und blieb freilich schwach, und strategische Regeln
und normale Kriegskunst zur See konnten ein Segelschiff nicht zu
erfolgreichem Krieg befähigen, so daß das geringe Vertrauen in unsere
noch nie erprobte Sache am Ende nicht so unbegreiflich war. Aber wir
verließen uns auf Treue, Willen und deutschen Geist, der, wenn er frisch
ist, allen über ist. Dazu die Kriegslist. Bluff und Schneid sollten
unsere eigentliche, aber unsichtbare Armierung sein.

Wir hatten zwei Ausguckposten. Eine Ausgucktonne mit einem bequemen Sitz
darin befand sich hoch oben im Mast. Nur ein Mann, der gemütlich und
geschützt sitzt, paßt auch gut auf. Zweitens saß im Vormast einer von
den Unteroffizieren. Derjenige, der zuerst ein Schiff meldete, bekam
eine Flasche Champagner. So war da stets ein Wettgucken, denn einer
gönnte dem andern die Meldung nicht. Überall arbeiteten die Augen umher,
jeder hatte das Bedürfnis, die Pulle Schum zu sehen.

Es erwies sich, daß wir ein vorzügliches seemännisches Personal an Bord
hatten, biedere Leute, denen keine seemännische Arbeit zu viel war und
die Hand anlegen konnten, wo es galt.

In der Höhe der Straße von Gibraltar wurde am 11. Januar ein Dampfer an
Backbord gemeldet. Das Jungfernschiff! Welche Aufregung. Einen Dampfer
sollten wir doch nicht angreifen. Ja, man kann vieles versprechen, aber
wenn vom Schiffsjungen bis zum Kommandanten ein frischer Geist weht,
dann hält man es nicht.

Wir heißen das Signal: »=Bitte um Chronometerzeit!=«

Ein Segelschiff ist meist knapp mit Uhrzeit, wenn es lange von Land fern
war.

Wir zeigten uns zunächst als Norweger; der Zivilmantel, der immer im
Kartenhaus hing, wurde angezogen. Der Teil der Besatzung, der Waffen
trug, lag hinter der Reeling an Deck.

Der Dampfer kam auf uns zu, zeigte das Verstanden-Signal, den
Antwortwimpel. Er kam von luvwärts, da konnten wir nicht hin. Ist es ein
Engländer? Er hat keinen Namen. Dann ist es aber sicher einer, denn die
sind namenlos geworden im Krieg! Auch der Bau sah nach England aus.

Er kommt näher heran und will dem alten verschlafenen Norweger die
erbetene Chronometerzeit geben. »Wollen wir ihn angreifen?« frage ich
die Mannschaft, die sich durch die Speigatten den Feind anguckt. »Jo,
sicher, wi gripen em, he is 'n Engländer.« »Klar Schiff zum Gefecht!«
Die Trommel rührt an, die Pforte fällt herunter, denn das Geschütz stand
so, daß ein Teil der Reeling heruntergeklappt werden konnte.
Kriegsflagge hoch, Signal herunter, und dann: Schuß vor den Bug! Endlich
der erste Schuß auf den Feind.

Was ist denn das? Er reagiert gar nicht, heißt aber die englische
Flagge. Noch ein Schuß, bumssssss ... da auf einmal dreht er ab. Halloh,
jetzt will er ausreißen. Noch ein Schuß über den Schornstein hinweg,
dann noch einen über den Bug, und nun dreht er bei. Ehe wir's uns
versehen, hatte er sein Boot zu Wasser, und Kapitän Chewn von der
»Gladys Royal«, der mit 5000 Tonnen Kohle von Cardiff nach Buenos Aires
unterwegs war, kam herüber, was eigentlich unsere Aufgabe war.

Der alte, schneeweiße Mann bittet mich: »Lassen Sie doch mein altes
Schiff, ich fahre nach einem neutralen Hafen, =ich= habe Frau und Kinder
daheim.«

  [Illustration:
  »... Ehe wir's uns versahen, hatte er sein Boot zu Wasser.«]

»Glauben Sie, Mister Chewn, daß ein deutsches Schiff, das hier gefunden
würde, Schonung erführe?«, fragte ich ihn.

Es erklärte sich jetzt, warum er auf den ersten Schuß nicht reagiert
hatte. Er war der Meinung gewesen, wir schössen mit einem Böller, um
nach altmodischer Art Uhrvergleich zu machen. Deswegen hatte er die
britische Flagge geheißt; diese und nicht der Böllerschuß sollte die
Uhrzeit angeben, wenn sie wieder herabgeholt würde. Beim zweiten Schuß
hatte sein Koch eine Granate einschlagen sehen und ein U-Boot gemeldet,
daher die Flucht. Erst beim dritten Schuß hatten sie unser Mündungsfeuer
gesehen und dann auch die Kriegsflagge beachtet. »_By Jove, that's the
best catch I ever saw._« (Beim Himmel, das ist die beste Falle, die ich
je sah.«)

Ich schickte den Kapitän wieder an Bord seines Schiffes. Dann wurde von
ihm, seinen Leuten und unserer Prisenbesatzung unter Leutnant Pries
alles Wünschenswerte zusammengepackt und herübergeholt, insbesondere der
feine Proviant, den ich ja für unsere neuen Gäste brauchte. Dann wurden
die 26 Engländer und Farbigen bei uns einlogiert; der Dampfer, der
unserem »Admiralsschiff« Seeadler im Kielwasser gefolgt war, rasch noch
photographiert. Der war ja mehr wert, als der ganze »Seeadler«, und
unsere Fahrt begann sich zu lohnen. Als der Abend heraufdunkelte, wurde
die Sprengbombe angelegt, denn wir mußten damit rechnen, daß Kreuzer in
der Nähe wären.

  [Illustration: Unsere erste Prise verläßt die Oberfläche.]

Nach zehn Minuten ging der Bug unter Wasser. Das Heck trotzte eine
ziemliche Weile. Wie es noch herausschaut, nähert sich ein Dampfer, den
wir nach seinen Seitenlichtern für einen neutralen hielten, der
»Unfallstelle«. Es war ein Zeitraum höchster Spannung. Aber gerade noch
zur rechten Zeit gibt es eine zweite Explosion, der Luftdruck reißt das
Heck auseinander, eine Wasserfontäne springt auf, das Schiff
verschwindet in der Tiefe und steuert seinen letzten Kurs. Eine Menge
Hölzer und Bretter zeigt die Versenkstelle an, und wir fahren als
harmloses Segelschiff weiter und wissen von nichts. Neutrale oder für
neutral zu haltende Schiffe bedeuten für uns eine große Ungelegenheit.
Hielten wir sie an und untersuchten sie, dann konnten sie uns nachher,
nachdem wir sie freigegeben hatten, verraten; denn unsere Stärke bestand
ja vor allem darin, daß der Feind keine Ahnung von einem Segelschiff als
Hilfskreuzer hatte.

Mister Chewn war sehr erstaunt, daß ihm eine so nette Kajüte vorgesetzt
wurde, noch mehr aber darüber, daß er darin der erste war. »_Only me?_«,
fragte er recht unglücklich. Wir versprachen ihm, möglichst bald für
Gesellschaft zu sorgen. Bootsmann Dreyer freute sich am meisten, Feinde
an Bord zu haben; endlich waren Arbeitshände genug da, um das
Zwischendeck und die große Mannschaftsküche einzurichten.

  [Illustration: Leider ein Neutraler!]

Wir vermuteten in einer »guten« Gegend zu sein und steuerten weiter auf
Madeira zu. Am nächsten Mittag wurde ein Dampfer gesichtet, der quer zu
unserem Kurse fuhr. Auf unsere Signale reagiert er nicht. Der Motor wird
klar gemacht, die Schraube eingekuppelt. Wir fahren auf den Dampfer zu,
bis unsere Kurse sich beinahe kreuzen. Ausweichen konnten wir nicht
mehr, nur das Schiff durchdrehen und im Winde schießen lassen. Wir
werden dazu gezwungen, da der Dampfer seinerseits nichts veranlaßte, um
einen Zusammenstoß zu vermeiden, obwohl nach dem Straßenrecht auf See
ein Dampfer jedem Segelschiff ausweichen muß. Wir erkennen in ihm einen
Engländer; er passiert dicht bei 300 Meter Entfernung. Alle Segel werden
aufgegeit, Kriegsflagge geheißt und sofort geschossen. Er geht mit
äußerster Kraft weiter. Wieder ein Schuß. Er dreht sein Schiff in den
Wind, weil er ganz richtig glaubt, ein Segelschiff kann gegen den Wind
nicht folgen. Wir fangen an rücksichtslos zu schießen, um zu treffen,
sehen auch wiederholt Einschläge am Schiff, bis endlich ein Treffer an
Deck einschlägt. Man sieht die Menschen an Bord hin- und herlaufen, hört
die Dampfpfeife heulen. Die Schraube stoppt. Wir fahren näher, und weil
der Kapitän das Leben seiner Mannschaft so kalt gefährdet hatte, setzten
wir kein Boot aus, sondern ließen sie zur Strafe selbst herüberkommen.

Es war die »Lundy Island«, ein schöner großer Dampfer, offenkundig auf
der Heimreise, denn die Deckmalerei war schon überall fertig.

Die Ruderkette des Dampfers war von der Granate getroffen, er gehorchte
dem Steuer nicht mehr. Schon nach dem ersten Schuß war der schneidige
Kapitän gezwungen gewesen, selbst ans Ruder zu gehen, weil alles
davonlief. Nachdem dann alle seine Leute planlos ihre Boote zu Wasser
gelassen hatten, war er allein an Bord zurückgeblieben und lief mit
seiner Handtasche auf der Brücke hin und her.

Die feindliche Mannschaft ruderte so schlecht, daß wir Erbarmen fühlten
und schließlich ein eigenes Boot aussetzten.

Im letzten Boot kommt der Kapitän an, ich lasse ihn nach Achterdeck
bitten und halte ihm seinen Leichtsinn vor. Weshalb er sich nur so
benommen hätte?

In diesem Augenblick kommt unser Schiffsarzt, Dr. Pietsch, der schon auf
»Möwe« eine Kaperfahrt mitgemacht hatte.

Die beiden stutzen und sehen sich an.

»Hallo, Kapitän!«

»Hallo, Doktor!«

Kapitän Barton hatte schon einmal durch die »Möwe« sein Schiff verloren
und befand sich nun wieder auf seiner ersten Ausfahrt nach der
Freilassung von der »Möwe.« Er hatte sich eingebildet, wir würden ihn
hängen, weil er bei seiner ersten Gefangennahme einen Revers
unterschrieben hatte, sich nicht mehr im Kriege zu betätigen. Aus diesem
Grund hatte er alles daran gesetzt, zu entkommen. Er fühlte sich
erleichtert, als ich ihm sagte, der Revers bezöge sich nur auf
kriegerische Handlungen, auf einem Dampfer könnte er ruhig fahren. Sein
tapferes Verhalten fand überall Anerkennung.

  [Illustration: »... Er fühlte sich erleichtert.«
  Kapitän Barton, zum zweitenmal »Kaptein ohn' Schip«.]

Die »Lundy Island« hatte 4500 Tonnen Zucker aus Madagaskar. Da sehr
rauhes Wetter war, wurde das Schiff nicht durch Sprengbomben, sondern
durch Granatfeuer versenkt. Wer sich außer uns am meisten über den
Gästezuwachs freute, war Kapitän Chewn. Auch die Mannschaften fanden
Bekannte untereinander. Wir hatten nun schon verschiedene Rassen an
Bord, Weiße, Schwarze und Malayen. Die Leute äußerten weit weniger
Kummer über die versenkten Schiffe als vermutlich die französische
Regierung empfand, für welche der Zucker bestimmt gewesen war.

Eines Morgens tauchte im Nordostpassat ein Schiff mit vollen Segeln auf
und kam schnell näher. Wir erkannten eine große Bark, die, wie sie uns
sah, stolz die Trikolore heißte, und das Signal: »Was gibt es Neues vom
Krieg?« Wir steuern dicht heran, heißen Kriegsflagge und das Signal:
»Drehen Sie bei.« Er gehorcht sofort. Das Prisenboot setzt hinüber;
nachdem die feindliche Besatzung all ihr Hab und Gut gepackt, wird sie
zu uns herübergenommen.

Man muß den Franzosen kennen: Es ist ihm stets besonders schmerzlich,
sein Schiff zu verlassen, mit dem ihn eine besondere Heimatsliebe
verbindet. Kein französischer Matrose fährt auf einem fremden Schiff und
kein Nichtfranzose auf einem französischen, während bei den anderen
Nationen die Schiffsmannschaft bunt durcheinander geht. Auch hat der
Franzose ein anderes Seemannsgesetz; das Desertieren ist bei ihm ein
außerordentlich schweres Vergehen, während es auf manchem anderen Schiff
höchstens mit zwanzig Mark gebüßt wird.

  [Illustration: »Charles Gounod« steuert ihren letzten Kurs.]

Es war die »Charles Gounod«, die mit Mais von Durban kam. Ich habe ein
sehr bescheidenes Musikverständnis, aber mein Lieblingslied ist Gounods
»Liebchen komm' mit in das duftige Grün«. Nun muß ich also gerade meinen
Lieblingskomponisten versenken! Der Kapitän imponierte mir
außerordentlich, nicht nur durch seine hohe Bildung, sondern vor allem
durch die Aufrichtigkeit, mit welcher er zu verstehen gab, daß er unser
Feind sei. Er verhielt sich peinlich korrekt, respektvoll gegen den
Feind, aber vermied den leisesten Hauch einer Annäherung.

  [Illustration: Der letzte Augenblick über Wasser.]

Es erfolgte nun die Übernahme des Proviantes. Viel Rotwein und drei
große fette Schweine wurden herübergebracht. »Piperle« war wieder der
erste mit im Boot gewesen. Sobald ein Schiff in Sicht kam, wich er nicht
von der Stelle, wo das Boot ins Wasser gelassen wurde. Kläffend raste er
dann an Bord des gekaperten Schiffes umher, ob nicht ein Kollege zu
finden wäre. Piperle war ein Original von Tier, der Liebling von Freund
und Feind an Bord. Es war ein Hund, der nie das Gefühl hatte, »das ist
mein Herr«, sondern »alle sind meine Freunde«. Er kannte jeden
einzelnen. Morgens war sein erster Weg durch das Schiff, um jeden zu
begrüßen und wieder von jedem begrüßt zu werden. Selbst an die Uhrzeiten
hatte er sich gewöhnt. Besonders, wenn Proviantausgabe ist, wird er nie
fehlen, um mit dem Proviantmeister in den Proviantraum zu gehen, wo
allerlei Leckerbissen für ihn abfallen. Von hier hat er's bereits wieder
eilig, dem »Schnäuzchen« guten Tag zu sagen; trotzdem sie ihn immer,
sowie er die Kajüte betritt, als neidischer Teckel anknurrt, bleibt er
stets der alte, brave, entgegenkommende Kerl. Lange hält er sich nicht
auf; eine kurze Visitenkartenabgabe an die Portiere, zum Zeichen, daß er
da war, und er verschwindet wieder, ob sich nicht mittlerweile an Deck
etwas ereignet hat, wo er dabei sein muß. Da steht er dann, hier und
dort mal über Bord und mit der Nase in der Luft schnüffelnd, ob er nicht
auch einmal ein Schiff entdecken und melden kann.

Unser Kurs führte uns zunächst nach unserem Piratenrevier, das sich auf
5 Grad nördlich vom Äquator und 30 Grad westlicher Länge befand. Es war
insofern hier unser günstigstes Gebiet, als alle Segelschiffe, die aus
dem Südostpassat kommen und nach Norden steuern, die Gegend dieser
Längen- und Breitengrade schneiden müssen. Da hier ein steter
gleichmäßiger Passat weht, kein schlechtes Wetter vorkommt und die Luft
weithin sichtig ist, so hatten wir die Möglichkeit, von unseren hohen
Masten 30 Seemeilen nach jeder Seite zu übersehen.

Auch ein Kapitän, der sich gerade auf der Hochzeitsreise befand, lief
dem gemütlich zwinkernden Seeteufel in die Arme. Wir sahen einen
Dreimastschoner und glaubten zunächst, es sei ein Amerikaner, weil die
Yankees diesen Schonertyp bevorzugen. Es konnte möglicherweise aber auch
ein kanadischer Schoner sein. Da wir uns damals noch nicht mit Amerika
im Krieg befanden, hielten wir es für richtig, um unerkannt zu bleiben,
ihn nicht anzugreifen, sondern heißten nur die norwegische Flagge, um
ihn zu veranlassen, auch die seinige zu zeigen. Der Kapitän auf dem
Schoner antwortete nicht mit derselben Höflichkeit, sondern mochte bei
sich denken: »Was geht mich der Norweger an?« Wir holten die Flagge zum
Gruß herunter und heißten sie wieder auf. Seine junge Frau, die das sah,
warf ihrem Manne vor, daß er doch reichlich unhöflich sei, und forderte
ihn auf, wenigstens seine Flagge zu zeigen. Wir selbst dachten schon bei
uns: »Laß den Flegel laufen,« da ruft plötzlich der Ausguck: »Das ist
kein Amerikaner, die englische Flagge geht hoch!« Hart Steuerbord! Er
war ziemlich weit ab. Kriegsflagge hoch, Schuß vorn Bug! Es erfolgt
nichts: noch einen Schuß! Der Schoner dreht bei. Es war der kanadische
Schoner »Percé«.

Der Kapitän hatte anfangs geglaubt, als die Granate auf 500 bis 600
Meter vor ihm einschlug, es sei ein Walfisch, und hatte deshalb keine
Notiz genommen. Durch unsere Gläser erkennen wir, daß ein weibliches
Wesen sehr nervös an Deck hin- und herläuft. Das Prisenboot wird
ausgesetzt, und unser höflicher Prisenoffizier, der es außerordentlich
versteht, durch sein korrektes Verhalten, seine riesige, imposante
Erscheinung und sein ruhiges Wesen aufgeregte Gemüter zu beruhigen,
tröstet ritterlich die junge Frau. Obwohl wir anfangs nicht sehr
angenehm berührt waren, bei unserm rauhen Handwerk zartes Geschlecht an
Bord zu bekommen, so hat uns doch diese junge Frau mit ihrem sonnigen
Wesen manche Abwechslung gebracht. Sie wurde auch sehr verwöhnt und
genoß jede Bequemlichkeit, und sie selbst war in keiner Weise verzagt,
sondern betrachtete auch dieses Flitterwochenereignis vom sportlichen
Standpunkt. Den »Percé« zu versenken, war schwierig, da er Klippfisch
geladen hatte; wir schossen ihn leck und ließen ihn treiben; er muß dann
durch Vollsaugen mit Wasser schließlich weggesunken sein.

  [Illustration: »... Schiff auf Schiff wurde so versenkt.«]

Schiff auf Schiff wurde so versenkt, viele tausend Tonnen lagen bereits
auf dem Meeresboden, als der Ausguck eines Morgens wieder einmal
»Dampfer achteraus« ruft. Man erkennt ein großes Schiff, das mit
äußerster Kraft das Meer durchfurcht. Wir bleiben zunächst Segelschiff
und bitten wie üblich um Chronometerzeit. Der Dampfer reagiert nicht
darauf, er denkt sich erst, »laßt diesen Windjammer anderswo seine
Uhrzeit herholen«. Aber wir hatten andere Mittel, unser Rauchapparat
tritt in Tätigkeit. Schwarze Rauchwolken mit rotem Magnesiumfeuer
steigen aus dem Schiff, so daß es den Eindruck erweckt: »Das Schiff
brennt.« Der Dampfer reagiert, er kommt auf uns zu, wir vermindern den
Rauch. Vorbereitung zu »Klar Schiff«, d. h. 30 meiner Jungs liegen mit
Gewehren hinter der Bordwand, so daß sie von außen nicht zu sehen sind.
Vier weitere stehen in Zivil an Deck. »Jeanette, mak di kloar!« In
weißem Kleid und blonder Perücke, die hell in der Tropensonne leuchtet,
wandelt sie an Deck. Oben, 50 Meter hoch auf der obersten Rahe, im Vor-,
Groß- und Kreuzmast stehen diejenigen meiner Jungs, welche die
kräftigste Stimme im Leibe hatten, ein Megaphon, ein weittönendes
Sprachrohr zur Hand. Wir verhielten uns zunächst als neutrales Schiff,
um den Dampfer nahe herankommen zu lassen, und auch festzustellen, ob es
nicht unter Umständen ein feindlicher Hilfskreuzer wäre. Die alte Kanone
war maskiert durch den Schweinestall.

  [Illustration: »... Wir verhielten uns noch als neutrales Schiff.«]

Als der Dampfer quer ab ist, ruft der dicke Kapitän ganz nah herüber:
»Was ist los mit euch?«

Keine Antwort. Wir drehen den Rauchaugust zu.

Die Offiziere und Mannschaften werfen Stielaugen auf die schöne Frau des
Segelschiffskapitäns und denken bei sich: »Der hat einen feinen
Geschmack.« Der Dampfer liegt günstig und dicht heran. Jetzt ist der
Moment ihn zu fangen.

»Klar Schiff zum Gefecht.« Kriegsflagge und Kommandozeichen gehen hoch,
der rotweiße Freibeuter wird geheißt. Wir waren das einzige Schiff des
Weltkrieges, das unter Piratenwimpel fuhr. Es ist dies ein meterlanger,
roter, schmaler Wimpel, der am Ende einen weißen Totenkopf führt.
Fürchterlich! Jeanette reißt die Druckknöpfe ihres Kleides auf, steht im
Nu als blauer Junge da und winkt mit der Perücke.

Ein Entsetzen! Auf dem Dampfer ruft alles »_Germans, Germans._« Die Heizer
aus dem Heizraum und die Maschinisten aus dem Maschinenraum stürzen an
Deck, alles rennt an die Rettungsboote, es entsteht ein Wirrwarr, denn
wer hätte geahnt, daß dieser harmlose Segler ein Hilfskreuzer sei? Da
plötzlich fällt ein Schuß. Unsere alte Kanone schießt und trifft die
drahtlose Station; der Dampfer ist nicht mehr in der Lage, Notsignale zu
geben. Der Kapitän arbeitet am Maschinentelegraph hin und her, um mit
äußerster Kraft vorauszugehen, aber vergeblich, das Maschinenpersonal
ist an Deck. Zu bewundern ist doch der Kapitän, der mit gewaltiger
Kommandostimme seine Befehle durchdrückt. Wir sehen Leute nach hinten
laufen und vermuten, daß es Geschützmannschaften sind, welche die
Geschütze klar machen wollen. Die Gelegenheit durfte man ihnen nicht
geben. Im selben Augenblick brüllen aus dem Mast drei kräftige Stimmen
durchs Megaphon diesen Bullen von Dampfer an, daß der Schall wie ein
lautes Echo zurückprallt:

»Klar bei Torpedos!!«

Vielstimmig ruft es zurück vom Dampfer »_No torpedos, no torpedos!_«, und
jeder fühlt, daß im nächsten Moment drei Torpedos in den Schiffsbauch
gejagt werden. Alles, was weiß an Bord ist, wird geschwenkt,
Tischtücher, Handtücher, und der Koch wedelt mit seiner weißen Schürze.

»Bleibt so liegen, sonst bekommt ihr Torpedos!«

Keiner muckste mehr, und schnell war unser Boot mit Prisenoffizier und
15 Mann zu Wasser und ruderte nach dem Dampfer. Nun war er in unserer
Gewalt. Der Offizier und die Mannschaften werden herüber geholt. Welch
ein herrliches Schiff! Die eleganten Saloneinrichtungen, die wunderbaren
Teppiche, die Klubsessel, alles rüber auf den Piraten. Ein
Steinway-Flügel, ein Harmonium, warum sollten die Instrumente versenkt
werden, da sie doch in unserer Abgeschlossenheit Freund und Feind
erquicken konnten? Hatten wir nicht an Bord unter der Mannschaft einen
der besten Violinspieler Bayerns?

  [Illustration: Eine Prise als Übungsscheibe.]

Als wir die Landungspapiere nachsahen, fanden wir, daß der Dampfer eine
Ladung von vielen Millionen beherbergte, unter anderm auch 2000 Kisten
Champagner »_Veuve Cliquot_«, 500 Kisten Kognak »_Meukow_«. »An die
Arbeit!« Auch dieser Riese wurde durch Sprengbombe versenkt und er
steuerte seinen letzten Kurs rückwärts, den Bug aus dem Wasser in die
Tiefe. Der Kapitän, der mittlerweile sich umgesehen hatte, tritt auf mich
zu und fragt: »Kommandant, ist das alles, was Sie an Bord haben, die alte
Kanone?«

»Jawohl!«

»Wo sind Ihre Torpedos?«

»Torpedos? Wir haben keine Torpedos, für euch genügten Lufttorpedos, die
wir mit der Stimme rüberschießen.«

»_No Torpedos?_«

Sein Gesicht war zu rot, um blaß zu werden, es wurde blau, und seine
Augen schauen mich entsetzt an: »_By Jove, Commander, don't report that,
please._« (Melden Sie das, bitte, nicht.)

Weiter ging es nach Süden.

Es ist eine wundervolle Tropennacht. Die lustige Piratenschar sitzt
infolge der herrlichen Beute froh zusammen. Vorn alles bei Sekt, hinten
alles bei Sekt. Die Sternlein blinken uns an. Der Mond, das olle
Gesicht, schmunzelt uns zufrieden zu, die Wellen murmeln um den Bug.
Voll stehen die Segel. Mittschiffs spielt die Kapelle auf Cello,
Violine, Harmonium und Steinway-Flügel das Lied »Ach, lieber Südwind
blas«, während uns der Südwind anhaucht. Obwohl wir umringt sind von
Feinden, ist die Natur um uns so versöhnt. Die Gefangenen stehen vor
Ehrfurcht still, als von den Planken des Piratenschiffes die wunderbaren
Melodien aufsteigen. Dazu um sie die zauberhafte Stimmung der
Tropennacht. Hier hören sie die Instrumente, die bei ihnen nur zur
Zierde standen, wie sie von Künstlerhand gerührt werden. Wir genossen
die Nacht, denn wir wußten nicht, was uns die nächsten Tage bringen
würden, ob wir nicht dann schon ein paar tausend Meter tiefer lägen,
denn unsere Verteidigungswaffen waren so gering. Wir waren guter Dinge,
denn unser Gewissen war frei. Zwar ist der Mensch dazu auf der Welt,
andern wohlzutun, und wir raubten Schiffe. Wir waren Piraten gegen die
Nationen, mit denen das Vaterland in schwerem Kampfe lag. Welch
menschlicher Krieg aber war es, den wir führten, verglichen mit dem
Hungerkrieg der Engländer gegen unsere Frauen und Kinder daheim! In
diesem rauhen Zeitalter hielten wir die deutsche Ehre rein. Aus dieser
frohen Daseinsstimmung werden wir plötzlich herausgerissen, als der
Ausguck ruft: »Licht an Steuerbord«.

Halloh! ein Licht! Weg die Trinkgläser, das Augenglas in die Hand!
Tatsächlich, man sieht in dem hell erleuchteten Mondhorizont einen
stolzen Dreimaster. Hart Steuerbord! Wir drehen auf ihn zu. Wir selbst
können nicht erkannt werden, da wir an der dunklen Seite des Horizontes
sind. Durch Lichtsignal fordern wir auf:

»Drehen Sie bei, großer deutscher Kreuzer.«

Wir warten auf die Dinge, die da kommen sollen. Plötzlich hören wir ein
Rucksen und aus der Dunkelheit kommt ein Boot, von dem eine Stimme
ruft:

»Halloh, Kapitän, ich glaubte einen Hunnenkreuzer vor mir zu haben und
sehe jetzt einen Kameraden, einen Mitsegler. Warum habt ihr mir einen
solchen Schreck eingejagt? Ihr wollt mir wohl was vom Krieg erzählen?«

»Natürlich, kommen Sie rauf, wir haben viele Neuigkeiten!«

Unsere weißen Uniformjacken ziehen wir aus, damit dem Kapitän nicht die
Abzeichen auffallen, und begrüßen ihn in Hemdsärmeln. Der Kapitän kommt
die Treppe herauf, begrüßt uns und sagt: »Ich bin Franzose.«

»Oh, großartig! Was macht Frankreich?«

»Es geht ihm gut. _Ravi de vous voir._«

Wir laden ihn zu einer Flasche Sekt ein, die er begeistert annimmt. Er
hat Appetit auf alles, denn er ist auf der Heimreise. Als wir die Treppe
hinuntersteigen, schlägt er mich auf den Rücken mit den Worten:

»Kapitän, Ihr seid doch ein gräßlicher Kerl, daß Ihr mich so zum Narren
gehalten habt. Aber mir ist jetzt zumute, als wenn mir ein Felsblock vom
Herzen gefallen wäre.«

»Na,« denk ich, »laß ihn dir mal nicht doppelt schwer zurückfallen,«
denn nur noch eine Wand trennte ihn ja von dem Raum, wo ihm alles
offenbar würde.

Er tritt in die Tür der Kajüte und prallt vor Schreck zurück, als er
Hindenburgs Bild an der Wand sieht; er knickt in sich zusammen und ruft
stöhnend aus: »_Des Allemands!_«

Man muntert ihn auf, indem man sagt:

»Mensch, sei kein Frosch, du bist doch nicht der einzige, der sein
Schiff verliert in diesem Kriege. Wissen wir, ob wir morgen noch
schwimmen?«

Darauf erwidert er:

»Nein, daß ich mein Schiff verliere, geht mir nicht so nah wie die
Vorwürfe, die ich mir zu machen habe. Ich komme von Valparaiso und habe
dort mit zweien meiner Landsleute zusammengelegen, die mich gewarnt
haben auszulaufen, ohne die Antwort auf ihre Telegramme abgewartet zu
haben, worin ihnen mitgeteilt werden sollte, ob sie besondere Kurse
wegen der Hilfskreuzer- und U-Bootsgefahr steuern sollten. Statt dessen
hielt ich es für richtiger, den günstigen Wind auszunutzen, um schnelle
Reise zu machen. Und was ist nun mein Erfolg? Ich bin in Ihre Arme
gelaufen, bin Ihr Gefangener. Wenn meine Kameraden nach Hause
zurückkehren und mein Reeder davon erfährt, daß ich ihren Rat nicht
befolgt habe, werde ich nie wieder ein Schiff bekommen. Das ist es,
worunter ich leide.«

Auf meine Frage, mit welchen Schiffen er denn da zusammengelegen hätte,
antwortet er:

»Mit der >Antonin<.«

»Mit der >AntoninAntoninLarochefoucauld<.«

»Mit der >LarochefoucauldAntonin< und hier der Kapitän von der
>Larochefoucauld<. Sie sind bereits seit zehn und drei Tagen an Bord.«
Begeistert greift der Kapitän der >Dupleix< jetzt nach dem Sektglas,
prostet seinen Kameraden zu und mit herzlichem Händedrücken bekunden sie
die Freude ihres Wiedersehens. Es ist schwer zu sagen, was größer war,
diese Freude oder die angenehme Überraschung, daß die Kapitäne, deren
Rat ihm auf dem Magen lag, dasselbe Schicksal getroffen hatte, wie ihn
selbst. Freilich hatten die französischen Pulverfabriken über 10000
Tonnen Chilesalpeter eingebüßt, als _toute la France_ sich auf deutschen
Planken wiederfand.

Eines Sonntags morgens taucht eine große englische Viermastbark auf, die
zuerst ein Wettlaufen mit uns versucht, dann aber, als wir mit dem Motor
nachhalfen und zu ihrem Erstaunen immer näher kamen, auf Befragen auch
ihren Namen signalisiert:

»Pinmore.«

»Pinmore?« -- --

Das Schiff, auf welchem ich als Leichtmatrose gefahren habe?! Im
Augenblick, als ich dies hörte, ging es mir so nahe, daß ich zu meinem
Offizier nichts äußern konnte. Dann dachte ich: Es hilft nichts, das
Schiff muß versenkt werden. Es war für uns überhaupt immer ein Stich
durchs Herz, ein Segelschiff zu versenken. Die Poesie des Meeres! Jeder
Segler, der untergeht, kommt ja nicht wieder, da keine mehr gebaut
werden.

Eindreiviertel Jahr Erinnerung arbeitet sich durch meinen Geist hindurch
in diesem seltsamen Augenblick. Das Schiff drehte bei, das Prisenboot
ging an Bord, das Schiff wurde ausgepackt, die Leute kamen an Bord und
der Kapitän, Mister Mullen, betrat den »Seeadler« mit gutem Humor: »Wir
haben Pech, ihr habt Glück!« Er war ein alter, unerschrockener Seemann
und wurde die gute Laune für unseren ganzen Kapitänsverein. Als alle die
»Pinmore« verlassen hatten, ließ ich mich hinüberfahren und das Boot
wieder absetzen.

  [Illustration:
  »... Eindreiviertel Jahr Erinnerung arbeitet sich durch meinen Geist
  hindurch.«]

Meine Leute staunten: Was will der Kommandant dort allein an Bord?

Zuerst ging ich in das Logis, wo meine Koje war. Da befand sich noch ein
Kojenbrett, das ich selbst angebracht hatte. So manche Nacht hatte ich
hier geschlafen, war manche Nacht dort herausgeschlüpft, wenn es hieß:
Alle Mann an Deck. Ich schritt die Planken ab, wo ich so oft gegangen
war. Es tat weh, das Knacken der Rahen zu hören, denn das Schiff lag
herrenlos und rollte hin und her, da es nicht mehr im Steuer lag. Es
war, als wenn mich alles von oben anrief: Was hast du mit uns vor? Wo
bist du so lange gewesen? Wo sind die Leute? Was willst du hier?

Dann ging es in die Kajüte. Ich erinnerte mich einer netten kleinen
Katze, die ich damals an Bord gehabt hatte und welche die Frau des
Kapitäns sich einmal durch den Steward hatte bringen lassen. Ich war auf
den Steward wütend geworden und drohte ihm, wenn er mir das Tier nicht
wiederbrächte, würde ich dem Kapitän den Sachverhalt berichten. Der
Steward tat nichts, und so machte ich mich auf den Weg zur Kajüte. Aber
ich kam nicht weiter. Der Respekt vor dem Salon hielt mich zurück, als
ich die Tür etwas geöffnet fand und gerade hineinsehen konnte. Ich fügte
mich in das Geschehene und grollte dumpf dem Steward, dem ich die Schuld
zuschob. Aber jener Blick in den Salon war mir in Erinnerung geblieben.
Jetzt öffnete ich die Tür halb, um einen Blick hineinzuwerfen. Ich sah
die bunten Decklichtfenster und sagte zu mir selbst: Jetzt darfst du
hineingehen. Hast du damals in deinem Respekt geträumt, einmal die Macht
zu haben, dies Schiff zu vernichten?

Dann ging ich auf das Halbdeck, die Pupp, stellte mich ans Ruder und
fand halbverwischt meinen Namen wieder, den ich dort einstmals
eingegraben hatte. Ich blickte auf den Kompaß, vor dem man manchmal
stundenlang gestanden hatte. Dies Schiff hatte mich sicher getragen in
Sturm und Wetter, und mein Dank war nun ... So zog die Erinnerung
vorbei. Dann ließ ich mich wieder an Bord meines Kreuzers zurücksetzen
und blieb in meiner Kajüte, während drüben die alte Heimat in den Wellen
verschwand. ...

  [Illustration: »... während die alte Heimat in den Wellen verschwand.«]

Ich pflegte mir öfters die Zeit damit zu vertreiben, daß ich mit dem
wachthabenden Offizier auf die Bramrahe des hinteren Mastes kletterte
und mit Ausguck hielt. Wir hatten uns dort Sitzbacken vom Zimmermann
anfertigen lassen und sahen mit guten Gläsern bewaffnet über das Meer
hinweg. Eines Tages (es war nicht sehr sichtig) klarte es im Westen
durch Zufall etwas auf und Pries glaubte ein Schiff zu sehen. Ich
bemerkte nichts. Wir gaben aber dem Rudermann an, er sollte in dieser
Richtung zusteuern. Als wir eine Viertelstunde gesegelt sind, zeigt sich
wirklich eine große Bark. Wir halten darauf zu, kommen ihr von hinten
auf und fahren dicht vorüber. Alle unsere Gefangenen sind an Deck und
gucken mit der ganzen Spannung, womit man auf hoher See jedes
vorüberkommende Stück Leben mustert. Drüben steht der Kapitän mit seiner
Frau und schaut zu uns herüber. »Halloh, fragt er durchs Sprachrohr,
wißt ihr etwas Neues vom Krieg?«

»Jawohl« antworten wir.

»Ich möchte doch rüberkommen zu einer Tasse Kaffee!« rief von drüben
seine Stimme, worauf von uns geantwortet wurde, daß wir ihn selber zum
Whisky einlüden.

Wie er das Farben- und Rassengemisch der vielen Gefangenen sah, fragte
er, ob wir Kriegsfreiwillige von den Atlantischen Inseln
zusammensuchten? Es war auch alles so fidel bei uns, die Musik spielte
den Tipperary, alles winkte und schien zu rufen. Und noch einmal ruft er
rüber: »Was gibt es Neues vom Krieg?«

»Wir werden es signalisieren« kam von uns die Antwort und wir heißen das
Signal: I D (Drehen Sie bei oder ich schieße).

Der Kapitän und seine Frau sehen durch die Gläser, dann schlägt er das
Signalbuch nach. Wie er hineingeblickt hat, kommt er schnell wieder mit
dem Glas hoch und gewahrt jetzt die deutsche Kriegsflagge.

Er läßt das Glas fallen. »_By Jesus Christ! Such a catch!_«

Eine schöne Neuigkeit vom Krieg. Wir hatten die Geschützpforten bereits
heruntergerissen, und die Mündung der Kanone schwankte hin und her. Die
Frau, entsetzt, läuft in die Kajüte, der Rudersmann nimmt Reißaus und
die vielen neugierigen Gesichter an Deck sind wie weggepustet. Nur der
Kapitän wahrt seine Selbstbeherrschung, ließ sein Schiff beidrehen und
machte alles andere von uns abhängig. In Erwartung, wieder neue Gäste zu
bekommen, herrschte unter unseren Gefangenen große Freude. Besonders die
kleine Frau von dem kanadischen Schoner freute sich, daß sie nun außer
unserer Jeanette nicht mehr die einzige Frau an Bord sein sollte. Sie
kleidete sich besonders nett, ein Bukett aus Kunstblumen aus der Kajüte,
um das sie bat, wurde ihr gegeben. Wie überrascht war die Frau des neuen
Kapitäns, als sie von einer Dame begrüßt wurde, die ihr einen
Blumenstrauß überreichte, und wie angenehm berührt, eine solch lustige
Gesellschaft vorzufinden.

Das Schiff hieß »British Yeoman«; sie kam von Amerika, hatte wundervolle
Proviantausrüstung und sehr viel lebendes Viehzeug an Bord, Schweine,
Hühner, ein Kaninchen und eine Taube. Diese hieß bei uns die
Friedenstaube, war außerordentlich zahm und ist auch später bei uns
geblieben. Zwischen Taube und Kaninchen bestand ein merkwürdiges
Freundschaftsverhältnis. Die Taube ging nicht von dem Kaninchen weg, und
wenn es sich einmal zu weit entfernte, trommelte sie es stets zurück,
worauf es auch sofort gehorchte. Als Quartier hatten sie sich Piperles
Hundehütte ausgesucht. Dieses Sonnentierchen schien am glücklichsten
über die neuen Bordgäste, besonders als es sah, daß sie ihr Heim in
seiner Hütte aufgeschlagen hatten. Er leckte das Kaninchen, wodurch er
anfangs allerdings die Eifersucht der Taube erregte. Aber der
Freundschaftsbund der drei war bald geschlossen. Man hat kaum je im
Leben etwas gesehen, das einen so herzlich berührt hätte als das
Zusammenleben der drei Tiere, wie sie, Piperle das Kaninchen zwischen
seinen Schenkeln, die Taube auf seinem Rücken, zu dritt in der Hütte
schliefen. Schnäuzchen als verschmitzter Teckel machte ständig Versuche,
Kaninchen oder Taube heimlich zu verspeisen oder wenigstens
anzuknabbern. Trotz der Warnungen, die sie erhielt, versuchte sie
nachts, blutige Abenteuer zu erleben, und es wäre ihr einmal tatsächlich
gelungen, wenn nicht Piperle ihr knurrend den Eintritt in die Hütte
verwehrt hätte. Mit der Zeit aber hat auch sie sich an die beiden neuen
Bordgäste gewöhnt, und wenn sie sich auch nicht gerade mit ihnen
anfreundete, so waren sie doch wenigstens vor ihr sicher.

In acht Wochen hatten wir 40000 Tonnen Schiffsladungen versenkt. Unser
Schiff war voll: 263 Gefangene an Bord. Es war ein rasch heranblühendes
Gemeinwesen. Alles fühlte sich wohl, Unterschiede wurden nicht gemacht,
es gab gleiche Kost auf dem ganzen Schiff für Gefangene, Mannschaften
und Offiziere. An Bord ist nicht das geringste vorgefallen. Keiner der
Gefangenen muckte auf, obwohl wir uns stets ohne Waffen bewegten. Ich
hätte für zweihundertsechzig Deutsche von der Art meiner Jungs in
solcher Lage nicht bürgen mögen, daß sie nie etwas gegen den Feind
versuchen würden. Aber die Achtung vor meinen Jungs verlieh uns
unbedingte Sicherheit.

  [Illustration:
  »... Es war ein rasch heranblühendes Gemeinwesen.«
  (Der erste Teil unserer Gefangenen.)]

Da wir indes abhängig vom Proviant waren, mußten wir daran denken, die
Bevölkerungszunahme zu stoppen, denn die Masse zehrte sehr an unsern
Wasserbeständen, von denen unsere weitere Kreuzerfahrt abhing. Das
nächste Schiff, die französische Bark »Cambronne« benutzten wir also, um
unsere Gefangenen darauf in Freiheit zu setzen. Wir hatten die
»Cambronne« überholt und zunächst geprüft, ob sie geeignet wäre, so
viele Gefangene an Bord zu nehmen. Der Entschluß wurde gefaßt, daß sie
als Freiheitsschiff Verwendung finden sollte. Als wir dies dem Kapitän
mitteilten, der schon alles verlorengegeben hatte, war er so erstaunt,
daß er kaum wagte, seine Freude zu äußern.

Eine schwierige Frage war, wer von den 12 Kapitänen, die wir an Bord
hatten, das Kommando auf der »Cambronne« übernehmen sollte. Auf
Vorschlag meiner Offiziere wählte ich den ältesten, Kapitän Mullen von
der »Pinmore«, entschieden auch den tüchtigsten. Da es nun ein
englischer Kapitän war, wurde die Trikolore heruntergeholt und die
englische Flagge gehißt, was eine ziemliche Verbitterung unter den
Franzosen gab, denn wir hatten ja mehr Franzosen als Engländer an Bord.
Alle Gefangenen wurden abgelohnt, und zwar erhielten sie in deutscher
Währung dasselbe Gehalt weiter, das sie in der ihrigen bekommen hatten.
Schiffsweise wurden sie nach der »Cambronne« hinübergesetzt, nachdem sie
herzlichst von meinen Leuten Abschied genommen hatten. Jedes Boot, das
abgesetzt worden war, brachte drei Hurras auf den »Seeadler« aus. In der
Kajüte gaben wir den jetzt in Freiheit steuernden Kapitänen eine
Abschiedsfeier, und mit herzlichem Händedruck schieden sie dann,
nochmals versichernd, daß sie der Welt mitteilen würden, wie gut sie's
gehabt und welch ganz andern Eindruck sie von uns mitnähmen, als sie
bisher durch Pressemitteilungen erhalten hätten.

  [Illustration: »Cambronne«, das Freiheitsschiff.]

Jetzt kamen auch für uns die größeren Gefahren, denn mit dem Augenblick,
in dem die Gefangenen landeten, würde der Feind erfahren, daß ein
deutsches Segelschiff als Hilfskreuzer auf der See tätig wäre. Da wir
nun im Großen Ozean unser Revier suchen wollten, kam es darauf an, einen
weiten Vorsprung zu gewinnen und die »Cambronne« nicht zu früh in Rio de
Janeiro eintreffen zu lassen. Deshalb kappten wir die oberen Masten, so
daß das Schiff nur Untersegel führen und somit unter günstigen
Bedingungen erst in etwa 10 bis 14 Tagen Rio de Janeiro erreichen
konnte. Mit allen Segeln im Topp steuerten wir unter frischer Brise nach
Süden.

Wir Deutsche waren wieder unter uns auf dem geräumigen Schiff. Der nicht
seemännische Leser kann sich wohl kaum vorstellen, wie lange sich der
Seemann auf der Fahrt beglückt und zufrieden fühlt, ohne Land zu sehen.
Er entbehrt nichts, weil das Meer ihn unterhält und mit ihm spricht.
Darum ist er selbst auch so wortkarg. Er sieht das Meer vor sich in
seinem ewig neuen, niemals eintönigen Ausdruck, jede Windstärke gibt
ein neues Bild, selbst die Windstille, die vielleicht dem Seemann, der
nach Hause steuert, das Unangenehmste ist, hat ihre Reize, wenn der
gewaltige Ozean wie flüssiges Blei leicht dünt. Stundenlang kann man, an
die Bordwand gelehnt, diesem Spiel der Wellen zusehen, die verschiedenen
Reflexe beobachten, wenn das Meer jetzt in wundervollem Sonnenschein
leuchtet, dann wieder durch eine Wolke verdunkelt wird. Es hat etwas
Träumerisches an sich, es vertieft den Menschen und ist ihm die schönste
Unterhaltung.

  [Illustration: Ein Sonntag an Bord.]

Wundervoll ist die Nacht auf dem Meere. Ringsum kühles Dämmern und das
Meer weithin als weiße, leuchtende Fläche, lebendig, leicht
aufgepeitscht, bald verdunkelt und bald vom Mond, der durch die Wolken
bricht, wieder erhellt. Wenn ein Schiff stark überliegt, gleißen die
Segel in schneeweißem Licht, die ganze Takelage erscheint vergrößert;
plastisch hebt das Mondlicht die Schatten der Taue aus den Segeln
heraus. Eine weiche Stimmung ergreift den Seemann, wenn er in einer
solchen Nacht unter dem Mast an Deck in der Hängematte liegt, den klaren
Sternhimmel über sich, der an Land, wo der weite Überblick fehlt, nie so
zu beobachten ist wie in der Wüste und auf dem Meer. Die Mastspitzen
fegen am Himmel hin und her, die gleichmäßige Bewegung des Schiffes
schläfert ein, und unmerklich naht sich der Übergang vom Wachen zum
tiefen, ruhigen Schlaf.

Einer der schönsten Reize auf der See ist ein Sturm bei Sonnenschein,
wenn die Sonne dem Wasser die verschiedenen Farben gibt, wenn die
schwere See heranrollt, der Sturm die weißen Wellenköpfe
auseinanderkämmt und weiß getigerte Streifen von Welle zu Welle sich
bilden. Dazu das tiefe Azurblau des Wassers. Vor dem Schiff zerschlägt
die Welle und läuft in eine weiße Gischtmasse aus. Bald ruht das Schiff
auf Wellenköpfen, bald taucht es ins Tal, und die Welle steht hoch über
ihm.

Es gibt zuweilen furchtbare Gewitter auf See, wahnsinnige Blitze,
gewaltiges Donnern. Schlägt ein Blitz ins Wasser, wie ein
Peitschenschlag, so setzt augenblicklich eine Wassersäule, dünn und
scharf wie ein Rasiermesser, meterhoch aus der getroffenen Stelle empor.
Wenn man in solchen schwarzen Gewitternächten oben auf dem Mast ist, und
plötzlich schlägt ein Blitz hernieder und erleuchtet das ganze Seefeld
grell, wird man stark geblendet und verliert die Sicherheit. Enorme
Wassermengen stürzen aufs Meer, die gewaltigen Regengüsse schlagen die
See nieder. Wenn das frische Wasser vom Himmel herabströmt, dann
phosphoresziert das Meer wie eine glänzende Fläche und das Kielwasser
wird erleuchtet von unzähligen Infusorien; in seinen Wirbeln entsteht
ein Streifen, der sich wie ein goldenes Band hinzieht.

Wir hatten keine Sorgen um Kohlen, der Wind war unser Freund, die Natur
mit uns im Bunde. Wir hatten alles, was wir brauchten.

Wir segeln an den Falklandsinseln vorbei, über die Gräber unserer
gefallenen Helden von »Scharnhorst«, »Gneisenau«, »Leipzig« und
»Nürnberg«. Die Achtersegel backgebraßt; die Trauerflagge halbstock
gesetzt, senken wir als einzige Kameraden, die über ihnen stehen, ein
eisernes Kreuz mit den Grüßen von den Lieben aus der Heimat und dem Dank
des Vaterlandes in die Tiefe zu den Gräbern, die 6000 Meter unter uns
liegen. Das Denkmal taucht in die Tiefe, und weiter geht's; wir durften
uns nicht lange aufhalten.

Auf dem Weg nach Kap Horn fingen wir den Funkspruch eines britischen
Kreuzers auf: »Ich warne Sie! Steuern Sie frei von Fernando Noronha;
dort liegt die >Möwe<.«

Ich dankte ihm.

(Einen Gruß über die Wasser, du unsichtbare, ferne deutsche »Möwe«!)

Kurz vor Kap Horn passierten wir einen gewaltigen Eisberg. Wir wußten
aus der Segelanweisung, daß in dieser Jahreszeit die Gegend durch
Eisberge gefahrvoll war, und hatten überall scharfen Ausguck. Ein
starker Temperaturwechsel und viele Vögel anderer Art, als man sie sonst
dort findet, ließen uns auch die Nähe eines solchen Eisriesen vermuten.
Eines Morgens sahen wir im Grau der Dämmerung weit vor uns an Steuerbord
den gewaltigen Berg, mit sonderbarem Rollen auf- und niedergehend. Er
war viele Meter hoch und doch nur mit einem Neuntel seiner Größe über
Wasser ragend. Seine eigenartigen Umrisse wechselten mit jeder Ansicht;
an den zerklüfteten Stellen leuchtete er grünlich bis tiefblau. Es war
der einzige Eisberg, dem wir begegneten.

  [Illustration: Vor dem Sturm.]

Dann begann der Kampf um Kap Horn, die Heimat der Stürme. Dreieinhalb
Wochen haben wir mit Orkanen gerungen. Was wir mühselig durch tagelanges
Aufkreuzen erreicht hatten, verloren wir durch wiedereinsetzende Stürme
oft in wenigen Stunden. Das Schiff arbeitete unablässig und schwer.
Gewaltige Wellen, wie sie nur Kap Horn kennt, rollten über Deck, die
Segel rissen zu Fetzen und das Deck wurde mehrmals eingeschlagen.
Ruhelos saßen meine Jungs im Zwischendeck beim Segelnähen. Es war ein
harter Kampf zwischen dem Vernichtungswerk des Wetters und dem
fieberhaften Streben der Männer. Welche mühselige Arbeit, mit der Nadel
und schwerem Segelhandschuh bei dem zu Kehr gehenden Schiff das dicke
Segeltuch zu nähen! Mancher Stich ging in die Hand. Keine schlaflosen
Nächte wurden gescheut, wir brauchten Segel, und wenn der Sturm sie auch
noch so oft zerriß. Immer wieder wurden am nächsten Morgen die
zerrissenen Segel ab- und die in der Nacht genähten untergeschlagen.
Beim Sturm geht nicht wie auf einem Dampfer alles unter Deck, sondern
alles in die Masten. Selbst bei gewöhnlichem Wetter müssen ja zu jeder
Kursänderung über 20 Grad alle Mann der Wache an die Taue ran, um die 24
Segel herumzudrehen.

  [Illustration: Nach dem Sturm.]

Wo ein Wille ist, da ist ein Weg: Kap Horn war umkämpft.

Wir sind glücklich, diese stürmische Ecke hinter uns zu haben. Da meldet
am 26. April der Ausguck einen der britischen Hilfskreuzer, die hier
bereits auf uns lauerten. Augenblicke höchster Spannung kommen: Hat er
uns gesehen? Alle Mann an Deck! Mit hart Backbord das Schiff
herumgerissen! Alles, was wir an Segeln setzen konnten, wird gesetzt,
der Motor eingekuppelt und vom Wind ab, was aus dem Schiff herauszuholen
war, gen Süden. Die Takelage stand zum Brechen. Alles was Gläser hat,
sitzt in den Masten und beobachtet mit aufgeregtem Pulsschlag den
Kreuzer, denn wenn Englands Wächter den einsamen Deutschen entdeckt, ist
unsere Freiheit verloren. Leicht diesiges Wetter half uns und so kamen
wir schnell aus Sicht. Unser Auge war wachsamer und schärfer als das des
Feindes. Es gehört wohl mit zu den schönsten Stunden an Bord unseres
Schiffes, als wir dieses Entkommen vor dem Feind feierten. In der Nacht
segelten wir dann wieder nördlich und unter günstigem Wind steuerten wir
in den Stillen Ozean.

Eines Morgens bringt unser tüchtiger Funkentelegraphist ein sonderbares,
englisches Telegramm folgenden Inhalts:

»>Seeadler< mit wehenden Flaggen untergegangen. Kommandant und ein Teil
der Mannschaft als Gefangene auf dem Weg nach Montevideo.«

Was heißt denn das? Der Engländer lügt nicht ohne Grund und Zweck. Die
Nachrichten vom »Seeadler«, die sich durch die abgesetzten Gefangenen
verbreitet hatten, beunruhigten die Schiffahrt stark, da man uns beim
Kap Horn wie beim Kap der Guten Hoffnung vergeblich aufgelauert hatte.
In Kapstadt und Südamerika, in Australien und Neuseeland lagen die
vollbefrachteten Schiffe in den Häfen still und wagten nicht
auszulaufen. Die Versicherungsraten stiegen. Um sie wieder
herabzudrücken, funkte der Engländer unsern Untergang durch die Welt.
Das nationale Interesse hat ihm stets höher gestanden als die Wahrheit.

Auf einen Schelmen muß man anderthalbe setzen. Wir funkten also drahtlos
hinaus: »Hilfe, Hilfe, deutsches U-Boot.«

Infolgedessen tauchten jetzt überall Gerüchte auf, daß U-Boote im
Pazifik kreuzten. Die Versicherungsraten kamen wieder ins Steigen.



Dritter Teil.



Dreizehntes Kapitel.

Schiffbruch und Robinsonleben.


Längs der Küste Südamerikas, vorbei an Juan Fernandez, wo wir dauernd in
naher funkentelegraphischer Verbindung mit dem englischen Kreuzer »Kent«
standen, steuerten wir über den Großen Ozean an den Marquesasinseln
vorbei herauf bis Honolulu, ohne ein Schiff gesehen zu haben. Wir
verlegten jetzt unsere Kreuzerfahrt in den Track der Segelschiffe, die
zwischen San Franzisko und Australien fahren. In der Nähe der
Weihnachtsinseln dauernd auf dem Äquator hin- und herkreuzend, den wir
zeitweise zwei- bis dreimal am Tage schnitten, kaperten wir noch drei
amerikanische Segler: »A. B. Johnson«, »Slade« und »Manila«. Die
Ausbeute hatte aber nicht unsern Erwartungen entsprochen. Wochenlang
sahen wir kein Schiff. Die drei gefangenen Kapitäne und ihre
Mannschaften sehnten sich fast noch mehr wie wir nach neuem Zuwachs, der
nicht kommen wollte.

  [Illustration: »Slade.«]

Auf was für sonderbare Ideen die Menschen doch verfallen, um eine
Situation auszunützen! Einer unserer Gefangenen wünschte sehnlich, von
uns auf einer einsamen Insel abgesetzt zu werden, er hätte vom Seefahren
genug, seine Hinterbliebenen würden die Versicherung ausbezahlt
bekommen, und er wünschte, als Verschollener seine Ruhe zu haben.

Die furchtbare Hitze, der Mangel an Bewegung und Beschäftigung, das
schlechte Wasser und der Mangel an frischem Proviant drückten die
Stimmung darnieder. Es gab ja noch neutrale Häfen in Südamerika, aber
der edle Begriff der Unparteilichkeit war in diesem Krieg der Welt gegen
unser Volk von bösen Wolken umschleiert; kein gastlicher Hafen zog uns
an, denn wir Deutschen haben keine Freunde, keine Gerechtigkeit zu
erwarten. Höchstens 24 Stunden würden wir geduldet, und sind dann vom
Feind umstellt. Niemand öffnet uns seine Tür, wir müssen uns selber
helfen. Seit zweihundertfünfzig Tagen kein erneuertes Wasser an Bord!
Wenn man wenigstens sich einmal ein erfrischendes Bad hätte erlauben
dürfen! Der Landbewohner kann sich kaum den Haß vorstellen, welcher den
Seemann gegen die Haifische beseelt, die ihn von dem kühlen Element
absperren und auf sein hölzernes Gefängnis beschränken. Der Hai wird als
ganz persönlicher Feind empfunden, und da die Langeweile ohnehin zu
kindlichen Scherzen aufgelegt macht, so läßt man seine böse Laune gern
an den Scheusalen des Meeres aus. Haifischfang war die einzige
Abwechslung, die wir hatten. Manchmal banden wir ein paar gefangene Haie
mit Schwänzen aneinander und ließen sie wieder schwimmen, wobei sie sich
nie über die Fahrtrichtung einigen konnten. Mitunter befestigten wir
besonders großen Haifischen eine leere Tonne am Steert. Zunächst glaubte
der Hai dann, wenn er nach einer gründlichen Tracht Prügel von Bord
entlassen war, an unsere Großmut, versuchte, die neugewonnene Freiheit
eiligst auszunützen und schoß gierig in die Tiefe; aber schon nach drei
Metern (dies war die Länge der Leine am Faß) bemerkte er seine Fesselung
und jagte nun in wilder Fahrt bald rechts bald links, um die Tonne
abzuschütteln, die im vollen Sprung immer hinterherrollte.

  [Illustration: »... Haifischfang war die einzige Abwechslung.«]

Zuweilen banden wir auch eine mit Speck umnähte Handgranate an den
Angelköder; biß ein Haifisch an und schwamm mit dem dicken Bissen, um
den ihn jeder Kollege beneidete, zur Verdauung weiter, so war beim
Anbeißen der Zünder herausgerissen, und nach fünf Sekunden flog der Hai
in Fetzen, die sofort von seinen zahllosen Spießgesellen verzehrt
wurden.

35000 Meilen hatten wir gekreuzt, monatelang nur Himmel und Wasser
gesehen. Obwohl noch willig an Geist, unsere Kaperfahrt fortzusetzen,
fühlten wir doch jetzt den größten Feind des Seemannes: Beriberi, die
Krankheit, »in der das Blut zu Wasser wird«. Verschiedene Leute hatten
schon dicke Glieder und Gelenke infolge des schlechten Proviantes und
mangelhaften Wassers. Wir mußten eine Insel anlaufen, um etwas Frisches
zu finden. Dort wollten wir ausruhen, und dann sollte unser nächstes
Kreuzergebiet ein Schlag um Neuseeland und Australien sein, von dort
wollten wir die englische Wal- und Transtation auf Südgeorgien zerstören
und schließlich unser Handwerk in dem besser blühenden Geschäft des
Atlantischen Ozeans fortsetzen.

Unseren ersten Gedanken, eine der größeren Cookinseln anzulaufen, mußten
wir verwerfen, weil wir eine feindliche Funkenstation vermuteten und
auch der sonstige Verkehr unser Inkognito gefährden konnte. Um unsern
Motor zu schonen, von dessen Lebensdauer unser Erfolg beim Kapern
abhing, wollten wir uns auch nicht östlich von unserer augenblicklichen
Länge entfernen. Uns war besonders darum zu tun, eine unbewohnte Insel
aufzusuchen und wir wählten deshalb Mopelia, zur Gruppe der
Gesellschaftsinseln gehörig. So traumhaft schön die herrlichen
Südseeinseln sind, so nachteilig sind sie für den Seemann, da er nur in
den seltensten Fällen eine Reede und sicheren Ankerplatz vorfindet. Es
gibt fast nichts Lieblicheres und nichts Heimtückischeres auf der Welt.

  [Illustration: »... Es gibt nichts Lieblicheres als die Südseeinseln,
  aber auch nichts Heimtückischeres.«]

Am Morgen des 29. Juli kam uns die Insel in Sicht; wir steuerten sie an.
Es war uns, als wenn wir ein Märchenland vor uns hätten. Die Insel
begrüßte uns mit ihren hohen Palmen und Gummibäumen wie ein wahres
Paradies. Die vorgelagerten Korallenbänke stiegen treppenförmig
unterhalb des Wasserspiegels zur Tiefe hinab und gaben im Reflex des
sonnenbeschienenen Wassers auf jeder Stufe neue Farben und Bilder
infolge des Durchschimmerns der weißen Korallen. Da waren hundert
Übergänge von Weiß zu grünlichen und in der Tiefe bläulichen
Schattierungen von der wunderbarsten Mannigfaltigkeit. Das kreisrunde
Riff, auf dessen Grat sich dort, wo Humus entstanden war, vier kleinere
Inselchen und eine bandförmige Hauptinsel erheben, umschließt die
kreisrunde Lagune. Dieses kesselförmige Stückchen Ozean, ebenso tief wie
die umliegende See, unterscheidet sich von ihr durch seine Stille;
spiegelglatt und ohne Bewegung gibt es das Gefühl des Geborgenseins. Das
Korallenriff hat eine kleine Durchfahrt nach der Lagune, nicht weit
genug, um mit dem »Seeadler« hineinfahren zu können. Sonst wäre uns der
schönste, sicherste Hafen geboten gewesen. Ein starker Strom setzte
durch die Einfahrt. Wir brachten unsern Anker auf das Korallenriff, und
an einer langen Drahttrosse lagen wir infolge des Stromes gut frei von
der Insel.

Boote wurden ausgesetzt. Nachdem wir so lange kein Land gesehen hatten,
fühlten wir uns ungefähr wie Kolumbus. Jan Maat, der neun Monate lang
nur Mastenklettern, Segelmanöver, Rudern und Ausguckposten erlebt hatte,
bis seine Arme vom ständigen Tauziehen noch einmal so lang geworden
waren, eilte nun dem Genuß tropischen Tier- und Pflanzenlebens zu. Wir
Haifische der See, die selbst in unserm schweren Dienst unablässig noch
stärkere Raubtiere, die nach uns suchenden Kreuzer auf unserer Spur
wußten, verwandelten uns nach langer Nervenanspannung in friedliche
Sommerfrischler als Gäste der Franzosen, die uns ihr Mopelia zur
Verfügung stellen mußten. Wie überrascht waren wir, als wir an Land
kamen, über das, was wir hier alles fanden. Millionen von Seevögeln der
verschiedensten Arten nisteten hier. Die Schildkröte hat dort ihre
Heimat und Brutstätte. Fische waren in Unmengen vorhanden, auch viele
verwilderte Schweine, die vor Jahren einmal ausgesetzt waren und sich
von den heruntergefallenen Kokosnüssen nährten. Mehr Möglichkeiten,
frischen Proviant zu finden, konnten wir nicht erwarten. Auch drei
Eingeborene fanden wir, die von einer französischen Firma hier abgesetzt
waren, um Schildkröten zu fangen. Die Kanackers waren anfangs sehr
besorgt, als sie uns als Deutsche erkannten, aber durch unser herzliches
Entgegenkommen gewannen wir bald ihr Vertrauen, und sie boten uns ihre
Unterstützung an.

  [Illustration: Skizze der Insel Mopelia]

Meine Jungs verteilen sich zunächst gruppenweise, um ihre Neugier zu
befriedigen, laufen hierhin und dorthin; einige fangen Fische, die sich
in den ausgewaschenen Korallenbecken aufhalten, die andern sammeln
Vogeleier; dort haben verschiedene den Arm voll Kokosnüsse; unser Koch
ist dabei, eins der verwilderten Schweine zu schlachten; dort sieht man,
wie fünf bis sechs eine große Schildkröte auf den Rücken geworfen haben
und an einem Tau über den Sand hinziehen. Andere wieder fangen
Langusten, kurz und gut, jeder hat irgend etwas, um ein gutes Mahl
herzurichten. Wie wir mit dem Boot wieder an Bord zurückfahren, ist es
schwer beladen mit den schönsten Delikatessen. Ein förmliches Diner
stand als Abendbrot auf dem Tisch: Schweinebraten, Schildkrötensuppe mit
Eiern, Langusten, Möweneier; selbst der wohlhabendste Mann konnte sich
nichts Besseres leisten. Wir erholten uns schnell und trafen unsere
Vorbereitungen für die weitere Kreuzerfahrt. Eine Fischräucherei wurde
ausgemacht, Schildkröten und Schweinefleisch eingesalzen und Eier zu
Tausenden in Salz eingelegt.

  [Illustration: »... Der Ankerplatz machte uns anfänglich Sorge.«]

Der Ankerplatz machte uns anfänglich Sorge und wir überlegten, ob wir
das Schiff nicht frei im Meere treiben lassen und nur abends und morgens
je einmal an Land fahren sollten. Das hätte uns aber zu viel unserer
kostbaren Motorkraft gekostet und außerdem war der Motor selbst sehr
ausbesserungsbedürftig. Deshalb versuchten wir, mit allen
Sicherheitsmaßnahmen zu ankern. Es zeigte sich bald, daß der Anker vom
Riff schlippte; das stärkte unser Vertrauen, denn wenn der Strom so
stark war, daß selbst der Anker nicht hielt, so war ein Herumschwoien
des Schiffes an das Korallenriff durch etwaiges Umspringen des Windes
unmöglich.

Am 2. August, morgens gegen ½10 Uhr, gerade im Begriff, das
Beurlaubtenboot an Land zu schicken, sieht man am Horizont die
Meeresoberfläche eigentümlich schwellen. Was ist das? Man vermutet
anfangs eine Fata Morgana; nach einer gewissen Zeit sieht man, wie die
Schwellung immer näher heranrollt, immer höher, je näher sie kommt. Es
war eine Flutwelle, die durch ein Seebeben entstanden war. Wir
disputierten noch über die Erscheinung, die uns unerklärlich war, da
keiner von uns bisher ein Seebeben erlebt hatte. Aber man begreift die
Gefahr: »Kappt die Anker, Motor klar, alle Mann an Deck« sind die
sofortigen Befehle. Immer näher rollt die Flut heran, und immer
kräftiger wiederholen sich die Kommandos »Motor klar!« Die Preßluft wird
hineingedrückt, aber der Motor springt nicht an. Mit fieberhafter
Erwartung horcht man in den Maschinenraum, immer wieder wird Preßluft
eingedrückt, man lauscht auf die Zündung, alles ist tätig ... und näher
rollt das Ungetüm heran. Schon dünt das Schiff in der vorauseilenden
Schwell. Man kann die Sekunden zählen, die zur Rettung übrigbleiben.
Alles horcht bang auf den Motor. Zu spät! Hoch rast die Flut heran,
packt unsere Planken, hebt sie empor und schleudert sie krachend auf das
Korallenriff. Die Masten, die Krone unseres Schiffes, brechen stückweise
zusammen; beim Aufschlagen auf das Riff werden zentnerschwere und
tonnengroße Korallenblöcke losgebrochen und wie Granathagel über das
Schiff geworfen, und als die Flutwelle verrauscht ist, da liegt unser
stolzer »Seeadler« zum Wrack zerschmettert auf dem Korallenriff. Das
bißchen deutscher Boden, die paar Bretter, die in dieser Erdhälfte noch
dem Deutschen Reich gehört hatten, unsere Heimat, das Einzige, was wir
besaßen, lag zertrümmert.

  [Illustration: »... Das Einzige was wir besaßen, lag zertrümmert.«]

Wie der Korallenblock, auf den wir aufschlugen, sich tief in den Boden
des Schiffes hineinrammt, und die Masten krachend von oben brechen und
das Deck mit Tau und Segelzeug überschütten, sucht jeder Deckung hinter
Bordwand und unter der Back. Nun ist der Anprall vorüber, das Unglück
geschehen, und man sieht sich um nach seinen Leuten. Man sieht keinen;
zunächst glaubt man der einzige Gerettete zu sein und verwünscht diesen
Zufall. Man ruft matt nach vorn: »Jungs, wo seid ihr?« Da ertönt aus dem
Vorschiff die herrliche, unvergeßliche Antwort: »Herr Graf, de Eikbom,
de steit noch.« Die deutsche Eiche! Blitzartig geht es einem durchs
Bewußtsein: Noch schlägt das deutsche Herz! So wie wir kleine Schar den
schweren Schlag überdauern, so hält auch das Vaterland übermächtig
stürmenden Gewalten stand:

»De Eikbom, de steit ok noch tohus.«

Es hieß nun, nicht sich dem Schmerz hingeben, sondern an die Arbeit
gehen. Es galt, Proviant und Wasser für 105 Menschen zu bergen. Alle
Gegenstände, auch die mit Wasser gefüllten Munitionsbüchsen mußten etwa
30 Meter weit über scharfes, unebenes Korallenriff durch starken Strom
des ungefähr einen Meter tiefen Wassers getragen werden. Oft fielen die
Leute um, und am nächsten Morgen gab es keinen ohne völlig zerschundene
Beine mehr. Aber in zäher Anspannung wurde die ganze Nacht gearbeitet.
Schließlich haben wir alles auf die Insel hinübergebracht, was zum Leben
nötig war. Das Wasser in den Munitionsbüchsen erwies sich freilich als
verdorben, und so wurde es unsere Lebensrettung, daß wir auf der Insel
durch Sprengung uns Brunnen graben konnten.

  [Illustration: Takelage des »Seeadlers« nach der Strandung.]

Nun entstand unter den Palmen in kurzer Zeit die letzte deutsche
Kolonie. Zuerst ging die Flagge hoch. Cäcilieninsel tauften wir unsere
neue Heimat. Hatten wir auch die bisherige, unser Schiff, verloren, so
besaßen wir jetzt an Stelle der paar Planken ein paar Fußbreit
Erdreichs.

Es galt, sich einer neuen Lebensweise anzupassen. Auf der Insel hausten
Millionen großer und kleiner Vögel. Man konnte an manchen Stellen keinen
Schritt tun, ohne ein Ei zu zertreten. Verscheuchte man die Möwen, so
flogen sie so dicht auf, daß sich die Sonne verfinsterte. Die brütenden
Vögel aber verlassen ihren Nistplatz nie, sie lassen sich lieber auf dem
Platze totschlagen, als daß sie ihre Brut aufgeben. Nur durch Abfeuern
von Schüssen konnte man sie da verjagen. Da die Eier, die wir vorfanden,
meist angebrütet waren, steckten wir ein Stück Brutland mit dem Tau ab
und warfen die dort gefundenen Eier ins Meer. Der hierdurch
freigewordene Raum zog sofort alle die werdenden Möwenmütter an, die es
kaum erwarten konnten, ihr Ei loszuwerden. So verfügten wir in
kürzester Frist über eine verschwenderische Fülle garantiert frischer
Eier. Nachts, wenn wir Feuer anmachten, kamen große Einsiedlerkrebse zu
Hunderten und Tausenden, vom Licht angelockt, heran.

Schnäuzchen, wie so ein Teckel nun einmal ist, war in zappelnder Neugier
auf die Insel gekommen. Nun gewahrte sie auf einmal, wie dort der ganze
Erdboden wimmelnd sich bewegt. Vögel stoßen auf sie zu. Sie will unter
sie fahren, will fressen und vernichten, aber wo sie hinpacken will,
kribbelt und wibbelt das Leben. Da kommt ein großer Einsiedlerkrebs und
hält seine Scheren gegen Schnäuzchen hoch. Schnäuzchen fiel vor Schreck
um, erlitt einen Krampfanfall und starb. Sie war erst zwei Jahre alt und
hatte nach der langen Seereise zum erstenmal Gelegenheit gefunden, ihre
Jagdpassion zu entfalten. Wir haben ihr ein schönes Grab errichtet und
eine Kokosnußpalme darauf gepflanzt. Piperle aber suchte noch lange nach
seiner Gefährtin.

  [Illustration: »Seeadler« wird gesprengt.]

Nachdem unsere unentbehrlichste Habe aus dem Wrack geborgen war, durften
wir an den Bau unseres Dorfes denken. In den ersten Tagen hingen unsere
Leute einfach ihre Hängematten zwischen den Palmen auf. Das wäre ihnen
beinahe übel bekommen. Kokosnüsse krachten des Nachts aus 15-25 Meter
Höhe neben den Schlafenden nieder, und die konnten von Glück sagen, wenn
diese vegetarischen Granaten ihnen nicht auf die Köpfe fielen, was einen
Menschen absolut chloroformieren kann. Dagegen nützte es auch wenig, das
ungemütliche Kopfende mit dem Fußende zu vertauschen und mit einem Auge
nach oben zu schielen, ob etwa schon wieder solch eine Gabe Gottes
hernieder käme. Auf dem kribbelnden Erdboden konnte man natürlich auch
nicht schlafen, und so gab sich alles mit verständnisvollem Eifer dem
Hüttenbauen hin.

Zuerst wurde für Seeadlerdorf ein großer Platz vom Unterholz und
Gestrüpp gesäubert, dann Palmen abgesägt und Bauholz herangeschleppt.
Das erste Zelt, das wir schufen, wurde eine ziemliche Mißgeburt, aber
jedes folgende geriet besser. Wir bauten die Zelthütten gewöhnlich so,
daß jeweils gerade ein Segel für eine paßte. Unsere Segel, die treulich
in beiden Erdhälften über uns geweht und uns Zehntausende von Kilometern
vorangebracht hatten, wurden jetzt den Schiffbrüchigen zur Behausung.
Unterricht gab uns einer unserer Gefangenen, der Kapitän Jürgen
Petersen, der mit seiner hübschen, jungen amerikanischen Lebensgefährtin
sich eine blendend schöne Zeltwohnung herstellte. Die Gefangenenzelte
lagen links von den paar Eingeborenenhütten, die unsrigen rechts. Der
Strandweg vor den Zelten, die Seeadlerpromenade, führte also von
Germantown, wie unsere Stadt von den Gefangenen benannt wurde, zu
Americantown und Frenchtown. Mit den Amerikanern hatten wir auf unserem
abendlichen Strandbummel freundschaftlichen Verkehr.

Unsere Stadt umfaßte neben Wohnhäusern Proviantzelte, Munitions- und
Waffenzelte, Karten- und Instrumentzelte, eine große Kombüse mit Herd
und Backofen, eine Funkenbude, die uns mit drahtlosen Neuigkeiten
versorgte und somit die Kurzeitung ersetzte, ferner ein Motorzelt und
vor allem auch eine Messe. In der Messe war sogar ein hölzerner
Fußboden, den wir aus den Wänden eines Deckhauses legten. An der
Rückwand prangte Meyers Konversationslexikon und ein Bücherbord, an der
Seitenwand stand unsere Anrichte. Die Sessel waren um den Messetisch am
Fußboden angeschraubt, so daß es einer richtigen Schiffsmesse ähnlich
sah. Vor der Messe befand sich eine Veranda, eingeschlossen von
Palmblättern, welche die Eingeborenen geflochten hatten.

Auch unsere Wohnräume waren mit allen guten Möbeln aus dem Schiff
ausstaffiert. An meinem Schreibtisch habe ich selten gesessen. Die
Unteroffiziere bauten sich ihre eigene Messe, das technische Personal
ein besonderes Wohnhaus mit Kojen. Die Mannschaften hatten alle Spinde
und Bänke in ihren Räumen. Alle Fußböden waren mit feinem, weißem
Korallensand bestreut. In der Mitte des Lagers befand sich ein
Marktplatz, auf welchem abends die Kapelle spielte. Unsere Lichtmaschine
spendete elektrisches Licht. Dr. Pietsch, der Schiffsarzt, errichtete
sein Lazarett und rauchte seine nie ausgehende Zigarre. Auch einen
großen Räucherapparat besaßen wir, worin wir mit Hilfe von
Kokosnußschalen täglich etwa zweihundert Fische räucherten. Ein
wunderschöner Badestrand lag an der Lagune. Nachts hörte man die
Brandung schlagen als ein sanftes Wiegenlied. War es nachmittags heiß,
so erfrischten wir uns auf der Luvseite an der Seebrise.

  [Illustration: Seeadlerdorf, die letzte deutsche Kolonie.]

Mancher reiche Mann hätte für ein paar Wochen Sommerfrische in unserem
Paradies ein kleines Vermögen gegeben. Nach einer Woche ausbauender
Arbeit, die in der Hitze immerhin anstrengte, war das Idyll fertig.
Unsere große Schiffsglocke war in der Mitte vom Seeadlerdorf an einer
Palme befestigt; es wurden wieder Glasen geschlagen und zeitweilig
Musterungen abgehalten. Auf der höchsten Palme in der Nähe von
Frenchtown war der Ausguck errichtet, indem die Krone der Palme durch
einen hölzernen Boden ersetzt, aber durch hinaufgebundene Palmenwedel so
künstlich wieder ersetzt wurde, daß kein vorbeifahrendes Schiff dem Baum
etwas angesehen hätte. Das Hauptpatent bestand aber aus einem endlosen
Tau, das unten und oben auf einem Block lief. Der abzulösende
Ausguckmann setzte sich oben, der ablösende unten auf einen in das Tau
geknüpften Knüppel. Der Mann oben zog, wenn er schwerer war, den unteren
allein in die Höhe; war er ein leichter, so mußte durch einen dritten
Mann etwas durch Ziehen nachgeholfen werden.

  [Illustration:
  Die Requisitionskolonne kauft ohne Lebensmittelkarten und Geld ein.]

Einige unserer Leute, die romantisch veranlagt waren, bauten sich kleine
Hütten von Palmenblättern im Walde. Piefzeck, Messeordonnanz und Mädchen
für alles, errichtete sogar mit einem gefangenen Holländer zusammen ein
Wasch- und Plätthaus; darin hatte er auch seine Nähmaschine stehen und
schuf aus gekaperten Tischtüchern Bettlaken, Hemden und Unterhosen.
Zimmermann Dreyer baute sich seine Werkstatt in der Nähe der kleinen
Werft, die wir gegenüber von Americantown anlegten, um unser Motorboot
für eine neue Fahrt ins Unbekannte instand zu setzen. Denn zu unserer
Vollkommenheit fehlte uns nichts, als ein Schiff, das uns wieder der
Kulturwelt und dem Krieg entgegentragen konnte. Wenn unser Kreuzer auch
zerschmettert auf einsamem Korallenriff lag, und wenn wir auch nicht
mehr in die Heimat zurücksegeln konnten, der Mut war ungebrochen. So
setzten wir jetzt alle Hoffnung auf das kleine Boot. Undenkbar schien
es freilich den meisten, mit einem solchen Ding von unserer abgelegenen
Insel abzufahren und in ungewissen Breiten ein größeres feindliches
Schiff damit abzufangen. Aber einmal waren wir deutsche Soldaten, die
auch die geringste Möglichkeit, weiterzukämpfen, wahrzunehmen hatten;
und dann gleicht der Pirat dem Spieler, der das Glück immer wieder
herausfordert.

Takelage und Segel wurden entworfen, Mast, Klüverbaum, Großbaum und
Gaffel für das Boot fabriziert, Pardunen, Stagen und laufendes Tauwerk
gespleißt, Segel genäht, Proviant klar gemacht, das Boot geschruppt und
gemalt. Was Werftarbeit alles erfordert, das wurde uns jetzt erst klar,
als wir selbst ein Boot für eine lange Seereise instand setzten.

Über solchen Vorbereitungen wurde die Gegenwart nicht vergessen. Auf den
Korallen pflegten wir zu fischen, wo das Wasser nur etwa einen Fuß hoch
steht. Wenn morgens die Fische kamen, um dort ihre Nahrung zu suchen,
bildeten wir eine lange Kette von Menschen und trieben die Tiere nach
oben ins flache Wasser. Dann verengten wir den Kreis, spannten ein
Stahlnetz auf und zogen es zusammen. Schließlich wurde es rings umstellt
und unsere drei Eingeborenen spießten die Fische auf. Geht der
Südseeinsulaner allein zum Fischen, so steigt er tiefer in die Korallen
hinein. Er trägt eine große, festanliegende Brille, taucht unter und
spießt den Fisch von der Seite auf, beißt ihm darauf das Rückgrat durch.
Nach größeren Fischen wirft er mit einem besenartigen Bündel von Speeren
mit Widerhaken.

Ferner übten wir das Angeln und erbeuteten Fische auch durch
Sprengpatronen, die wir ins Wasser warfen; brachen dann von den
Korallenbauten einige zusammen, so wurden Hunderte der wohlschmeckenden,
bizarr schönen Fische herausgeworfen. Die Korallen geben einen hellen
Widerschein, so daß man tief ins Wasser hinuntersehen kann. Außer
Papageifischen fingen wir Langusten, Rockfische, Plattenfische und
Muränen. Letztere schauen nur mit dem Kopf aus den Korallen heraus, und
wenn man sich nicht vorsieht, beißen sie zu. Wir erfuhren zuerst aus dem
Großen Meyer, was das für Fische wären, und zugleich, daß die alten
Römer die Muränen für die größte Delikatesse hielten und mit
Sklavenfleisch gefüttert haben sollen. Bei Tagesanbruch wurde der Strand
nach Riesenschildkröten abgesucht, deren Fleisch und Eier sehr
wohlschmeckend sind.

Mit den Eingeborenen waren wir täglich zusammen und verständigten uns
in Pitschinenglisch; übrigens lernte der Junge, den sie mithatten, ein
halbes Kind, ziemlich schnell Plattdeutsch. Ich könnte noch vieles
erzählen von Vögel- und Schweinejagd, von abendlichem Lagerfeuer mit
Seemannsklavier und Heimatliedern, träumerischer Ruhe und
Heimwehgefühlen. Gegen 10 Uhr abends lag die ganze Kolonie meist im
wohligen Schlummer; nur der Posten wanderte einsam vor den Hütten auf
und ab. Zeitweise kam es dabei vor, daß der Posten vom sanften Rauschen
der Palmen und Gezirp der Grillen zu weit ins Traumland kam und selig
eindusselte, wofür er natürlich seine Extrawache ablaufen mußte; aber
ein Arrestlokal brauchten wir nicht; es war das einzige, was bei unserem
Stadtbau fortblieb.

  [Illustration: Der schwarze Stab des »Gouverneurs« von Mopelia.]

Ratten, Ameisen, Flöhe und tausenderlei Insekten waren in Myriaden
vorhanden. Nachts lebten die Buden förmlich. Ein Oppossum, welches die
Gefangenen mitgebracht hatten, kam jeden Abend in die Messe und
verlangte Wasser. Piperle jagte nachts mit ungeheurem Skandal die
Schweine vorbei. Überall knackte, raschelte, gurrte und summte es. Von
den Blättern einer benachbarten Palme herab kamen die Ratten auf das
Zeltdach; die ganze Nacht lief und rannte es auf und nieder. Man wurde
aber alles gewöhnt, sogar wenn man plötzlich bemerkte, daß man in seinem
Glas Wasser, das man nachts in der Dunkelheit trank, mehr Kakerlaken als
Wasser hatte, oder wenn morgens die Zahnbürste voll Ameisen war. Retten
kann man sich vor den Ameisen nur, indem man Tisch- und Stuhlbeine in
Wasserschälchen stellt. Piperle kämpfte nachts fast unausgesetzt seinen
drolligen Heldenkampf mit den Einsiedlerkrebsen, die am Abend zu
Tausenden das Wandern vom Ufer in den Palmenwald anhuben; morgens
krabbelte die ganze Gesellschaft wieder zurück. Ihre Beine und Scheren
waren unserem Koch willkommen. Als Salat dazu wurde Palmenherz gestovt.
Das ist das leckerste Gemüse der Welt, und es können sich's nicht einmal
Multimillionäre, sondern nur Piraten leisten. Es bildet nämlich die
Mitte der Kokosnußpalmenkrone, aus welcher die neuen Blätter
entsprießen. Will man also solch ein Herz im Gewicht von etwa 10 Pfund
haben, so muß jedesmal eine große, schöne Palme ihr Leben lassen. Der
Geschmack ist etwa zwischen Haselnuß und Spargel, nur feiner und
lieblicher als beide.

Wir verlebten mannigfaltige Tage und genossen die Reize der Erde
zwischen den beiden Wasserflächen, dem grauen, gewaltigen Meer draußen
und der schönen, lieblichen Lagune drinnen. Aber ich wurde das
Gouverneurspielen satt; es bewegte sich nichts vorwärts, wie wir es
bisher gewohnt waren; es blieb zu sehr alles auf einem Punkt stehen. Des
Seemanns alte Heimat zog uns wieder an, kaum daß wir uns dazu kräftig
genug fühlten. Aber der Entschluß zu dieser Fahrt durfte nicht
leichtfertig gefaßt werden, denn ich hatte das Leben von sechs Männern
zu verantworten. Gefahr und Erfolgsaussicht wurden abgewogen und der
Entschluß bejaht. Der Geist solcher Leute sollte nicht unter der
Äquatorsonne eintrocknen! Schon am 23. August war unser Boot fertig zur
Abfahrt. Unter Leutnant Kircheiß' erfahrener Leitung war das Boot in
vierzehntägiger Arbeit zu einem hohen Grad von Seetüchtigkeit gebracht
worden. Einen kleinen Knacks hatte es allerdings; auch bei ruhigem
Wetter haben wir später täglich 40 Eimer voll Wasser ausgeschöpft. Wir
waren uns bewußt, daß die bevorstehende Unternehmung kriegerisch wie
sportlich gewagter war als alles bisherige. Rasmus -- so nennt der
Seemann die überkommenden Wellen -- würde uns diesmal gehörig die
Gesichter waschen. Aus dem bequemen Salon, von der paradiesischen Insel
hinweg trieb unser Wikingerblut hinaus auf eine Art von Einbaumkrieg,
wie ihn die Südseeinsulaner früher pflegten.

Kriegsrat wurde gehalten. Welche Kurse wollten wir segeln? Wie lange
sollte die zurückbleibende Mannschaft auf unsere Wiederkunft warten?
Unter welchem Baum sollte sie, falls sie vorher Mopelia verließ,
Nachricht zurücklassen? Aller halben Jahre lief nämlich ein Segler die
Insel an, um die von den Eingeborenen gesammelten Kokosnüsse und
Schildkröten abzuholen. Wir Bootsfahrer beabsichtigten, zuerst die
Cookinseln anzulaufen und, wenn wir dort kein Schiff fänden, nach den
Fidschiinseln weiter zu segeln, weil dort der größte Schiffsverkehr war
und unsere Kriegsaussichten also besser standen. Leider haben wir dem
Umstand, daß wir uns einem kleinen Schiffsboot anvertrauten, nicht
genügend Rechnung getragen; denn sonst wären wir, da im September häufig
stürmischer Wind in diesen Inselgruppen herrscht, nicht dorthin
gegangen. Wir rechneten mit einer ungefähren Durchschnittsfahrt von 60
Seemeilen den Tag; in 30 Tagen konnten wir also die Strecke zurücklegen
und in ungefähr drei Monaten mit einem gekaperten Schiff wieder in
Mopelia sein.

Das Boot war offen, etwa 6 Meter lang und lag mittschiffs nur ganze 28
Zentimeter über Wasser. Aber einerlei, es konnte schwimmen! Wie wenig
Schutz ein solches Fahrzeug gegen die andringenden Wellen einer
hochbewegten See bietet, kann der Seebefahrene beurteilen. Aber auch
jeder Leser, der einmal auf seinem Heimatflüßchen ein Boot gemietet hat,
kann sich die Unternehmung vorstellen, ein solches Ding mit Ausrüstung
für mehrere Wochen und mit einem halben Dutzend Gefährten voll zu packen
und auf hohe See ins Ungewisse zu gehen. Armiert wurde es mit einem
Maschinengewehr, zwei Gewehren und ein paar Handgranaten und Pistolen.
Wir hatten einige Dosen Konservenfleisch, Speck usw. verstaut, aber in
der Hauptsache bestand der Proviant nur aus Hartbrot und Wasser.
Nautische Apparate und Sextanten waren eingebaut. Außerdem nahmen wir
die Handharmonika und ein liebes plattdeutsches Buch mit. Alle wollten
natürlich mitgehen, aber ich konnte nur die wählen, deren Gesundheit
zurzeit am günstigsten stand. Leutnant Kircheiß, Steuermann Lüdemann,
Maschinist Krause, Obermaat Permien und Obermatrose Erdmann bildeten die
Besatzung. Ich selbst war froh, daß ich als Kommandant, der sein Schiff
verloren hatte, einen fahrbaren Unterschlupf fand, und wenn es auch nur
ein kleines Boot war. Auf Mopelia ging das Kommando auf Leutnant d. R.
Kling über.

  [Illustration: »... Alle wollten mitgehen.«]

Klar unter Segeln lag unsere »Kronprinzessin Cäcilie«, der kleinste
Kreuzer der deutschen Marine. Der Augenblick des Abschieds rückte heran.
Nochmals ein kerniger Händedruck, das Band, das die 64 bisher so eng und
fest umschlungen hatte, war aufgelöst. Es war als ob die Seele in zwei
Hälften zerrissen würde. Erst jetzt kam es zum Bewußtsein, was uns jeder
der Kameraden gewesen war und was uns nunmehr bevorstand. War es auch
ein stolzes Gefühl, daß unsere winzige Kriegsmacht die deutsche Flagge
wieder auf mehrere Punkte ausbreiten konnte, so sahen uns doch die
Zurückbleibenden zweifelnd nach. Jeder bangte bei sich: »Kann das kecke
Boot schwerem Wetter standhalten?« Es war keine Stimmung für Hurrarufen,
nur die feste, ruhige Zuversicht erfüllter Pflicht. Dann lösten wir uns
vom Lande, zwei deutsche Flaggen wehten nun wieder im weiten Ozean, eine
von der Kokospalme, eine über dem Boot. Unsere Seegewalt stand im
Verhältnis zu der Größe unseres Inselreiches, aber solange deutsche
Herzen schlugen, war in diesem Miniaturkrieg doch ein erhebendes
Streben.

  [Illustration:
  »Kronprinzessin Cäcilie«, der kleinste Kreuzer der deutschen Marine.]

Als wir unseren »Seeadler« passierten, lag das Wrack zusammengesunken
da, schon rotbraun gefärbt von der Brandung, die Masten zerbrochen.
Aufgelüftet von einer Dünung bewegte sich das Schiff wie etwas
Lebendiges. Es war als ob es atmete, sich zu heben versuchte, sich noch
einmal aufrichten wollte, um Abschied zu nehmen, ja, als ob es mit uns
sterben wollte, und dann doch wieder ohnmächtig in seinen Fesseln lag.
Dann glitt unsere Nußschale in die See hinaus und schwamm wie ein
lebender Punkt immer weiter in die Tiefe des Ozeans. Aus der umdunsteten
Ferne, in der die Insel schon verschwunden war, leuchteten uns zuletzt
nur die Goldbuchstaben von der Schiffswand nach. ... »Irma«! Wir aber
strebten hinweg.



Vierzehntes Kapitel.

Zweitausenddreihundert Seemeilen im offenen Boot.


Mein Leutnant Kircheiß malte stolz mit Blaustift auf die erste Seite
unseres Logbuches den Namen »Kronprinzessin Cäcilie«. Unser Schiffchen
machte bei anfänglich herrlichem Wetter durchschnittlich pro Stunde vier
Seemeilen Fahrt. Der Kurs ging auf die etwa dreihundert Seemeilen
Westsüdwest entfernt liegende Insel Atiu zu.

Wir hatten für zwei Monate Hartbrot, für drei Wochen Wasser mit. Ich muß
nun die Einrichtung unserer neuen Häuslichkeit etwas näher beschreiben.
Da unser Boot so voll war, daß man nur auf allen Vieren von vorn nach
achtern kommen konnte, so hatten wir unser Hartbrot gleich von
vornherein in die seitlichen Lufttanks gepackt; auch die Getränke,
photographischen Apparate und der so notwendige Tabak war nebst einigem
Unterzeug an diesem einzigen, auch bei schlechtem Wetter trockenen Platz
verstaut, worunter allerdings die Schwimmfähigkeit des Bootes bedenklich
litt. Wir besaßen vier Matratzen, so daß gleichzeitig vier Mann
ausgestreckt liegen konnten, davon aber auch zwei nur halb, denn wenn
man auf den beiden vorderen Matratzen lag, kam man immer unklar mit den
Beinen zwischen Tauwerk und Belegnägel der Nägelbank. Als Kulturzubehör
hatten wir sechs Emailleteller, sechs Paar Messer und Gabeln, sechs
Moggen, einen Kaffeekessel, 20000 Mark und einige Rollen Klosettpapier
bei uns. Das Klosett bestand allerdings aus dem Vordersteven, der bei
den Stampfbewegungen des Schiffes häufig untertauchte, eine
Wasserspülung eingreifendster Art, die aber oft verfrüht kam; man mußte
sich dabei an einem dünnen Stag halten, der beim Rollen des Schiffes den
Körper hin- und herpendeln ließ. Fürchterlicher als diese äußeren
Erschwerungen wurde uns freilich die Hartleibigkeit, die aus dem
Bewegungsmangel und der Brot- und Wasserkost entstand.

Zu dem erwähnten Schiffsinhalt kamen noch die Wasserfässer, der Motor,
die Duchten usw., was mit den Lufttanks zusammen den meisten Platz
wegnahm. So begreift man kaum, wie sich noch sechs Menschen in diesen
Patentschlitten hineindrücken konnten. Um etwas Schutz gegen Regen und
See zu haben, hatten wir rings um das Boot am Dollbord ein breites
Segeltuch angenagelt. Dieses wurde bei schlechtem Wetter nach mitschiff
herübergeklappt und dort mit der gegenüberliegenden Seite
zusammengezurrt. Damit nun das Segeltuch nicht unmittelbar auf der Nase
lag, waren von zwei zu zwei Metern eiserne Bügel querüber befestigt.
Ohne diese Vorkehrung wären wir häufig vollgeschlagen und fast mit
Sicherheit ertrunken.

Hat der Leser wirklich noch niemals eine Reise im kleinen Boot mit knapp
einem Fuß Freibord über eine sturmzerwühlte See gemacht? Wenn nicht,
dann sollte er dies bei der ersten Gelegenheit nachholen. Doch
empfiehlt es sich, den Magen vorher einer guten Probe zu unterziehen,
etwa wochenlang täglich ein paar Stunden in einer hochaufgehängten
Schaukel zuzubringen, an welcher mehrere Seile angebracht sind. An jedem
muß ein halbwüchsiger Junge kräftig und unsystematisch ziehen. Nun geht
es abwechselnd rechts, links, auf, ab, kreuz, quer. Das Gefährt darf die
Pfosten nicht immer frei passieren, sondern soll durch Gegenrammen
manchmal eine kleine Abwechslung in das Spiel bringen. Bisweilen muß dem
Insassen der Inhalt eines mit kaltem Salzwasser gefüllten Eimers in
weitem Bogen ins Gesicht geschleudert werden. In einigen Wochen wird
sich der Magen an die Bewegung gewöhnt haben, und der Abenteuerlustige
braucht die Schönheit einer solchen Reise nicht mehr allzusehr zu
fürchten.

  [Illustration:
  Die Besatzung der »Kronprinzessin Cäcilie«.
  (Aufnahme ein Jahr später, in »erholtem« Zustand. Die Originalaufnahmen
  von der Bootsfahrt sind von den Engländern als Kriegsbeute einbehalten
  worden.)]

Wir nannten unser Boot im allgemeinen nur den Zigeunerwagen des Ozeans
und fühlten uns auf dem besten Weg, große Taten zu vollbringen. Nur das
»Wenn« und das »Aber« hat uns später einige Hindernisse in den Weg
geworfen.

Morgens um sechs Uhr wurde durch die beiden Wachmannschaften der
Kaffeekessel gefüllt, was mit der kleinen Pumpe rund zehn Minuten
dauerte. Das Kochen wurde unter den schwierigsten Umständen mit einer
Lötlampe bewerkstelligt. Sobald etwas Brise war und das Boot
schlingerte, gelang es nicht, das Wasser zum Sieden zu bringen; dann
waren wir froh, anstatt Kaffee wenigstens etwas angewärmte
Kaffeebohnensuppe zu bekommen. In den späteren entsetzlichen Tagen
dieser Bootsfahrt haben wir überhaupt nichts Warmes, so wenig wie
Trockenes zu essen bekommen. Freundlich dagegen war das Bootsleben in
den ersten Tagen. Um acht Uhr standen die vier andern von ihrem Lager
auf, wuschen sich mit Salzwasser und, wenn alles seine Ozeankultur
vollzogen hatte, setzten wir uns hinten in den Kokpit, den einzigen
freien Platz, und nahmen den Kaffee mit Hartbrotstullen ein. Dann wurde
die Vormittagsstandlinie ausgerechnet, »Betten« gemacht, Moggen
gewaschen und Messer geputzt. Um 10 Uhr konnte man sich bei gutem Wetter
geistigen Interessen hingeben, und da unsere Bibliothek nur für einen
reichte, so etablierte sich Lüdemann als Vorleser und gab uns einen
Strämel aus der »Reis' nach Konstantinopel« zum besten. Fritz Reuter war
so ziemlich das einzige, was uns auf der ganzen Reise trocken zu halten
gelang. Hätte Reuter gewußt, daß er einmal sechs deutschen Seeleuten
mitten im Stillen Ozean die einzige Erquickung ihres Daseins würde, er
hätte sich über seine ollen Kamellen doppelt gefreut.

Gegen 12 Uhr wurde wieder Nautik getrieben, das Mittagsbesteck
ausgerechnet und zum Diner klar gemacht, das wir, wieder alle um den
Kompaß gelagert, einnahmen. Der Nachmittag war meist unangenehm; in der
Hitze ohne Schatten immer auf einem Punkte sitzend wurde man zuletzt
ganz brägenklöterig. Mit Wassertrinken mußten wir sparsam sein; man
durfte den Durst nie völlig löschen.

Am späteren Nachmittag wurde wieder etwas gelesen und Tagebuch
geschrieben, gevespert und zu Abend geschmaust, und den Abend machte uns
die Handharmonika gemütlich, zu der wir sangen. Manches alte deutsche
Volkslied und mancher Gassenhauer verhallten in dem weiten Ozean. Dann
noch ein wenig geklöhnt, bis Morpheus als siebenter Mann unsern Kahn
bestieg. Nachts war es meist empfindlich kühl, was wir aber bei dem
anfänglichen guten Wetter noch nicht so bemerkten, solange unsere
Kleider trocken waren. Ungemütlich wurde es, wenn ein Walfisch
nebenherschwamm, wir verzichteten gern auf die Nähe seiner Fontänen.

Die Navigation erwies sich in einem solchen winzigen Fahrzeug als recht
schwierig. Man kann die Karten auf keinen Tisch legen, alles weht bei
der geringsten Unachtsamkeit über Bord. Man sollte im rollenden Boot
rechnen und beobachten, mit steifen Händen. Wenn wir unsere nautischen
Tafeln, Hefte, Karten, Logarithmen und Bücher, die vor Nässe klebten,
zum Trocknen in die Sonne legten, schwollen sie auf wie Pferdekadaver.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  »... zum erstenmal bewohntes Feindesland.«]

Wir spähten nun also nach Schiffen aus und suchten in den feindlichen
Häfen danach. Am dritten Tag unserer Fahrt kamen wir zur ersten Insel
der Cookgruppe, Atiu, und betraten zum erstenmal bewohntes Feindesland.
Ich begab mich mit Kircheiß durch die unser seltsames Fahrzeug
bestaunenden Eingeborenenhaufen hindurch in das Amtsgebäude des
britischen Residenten. Der Herr lag auf seiner Veranda ausgestreckt in
Hemd und Hose und erhob sich nicht, als wir eintraten. Die gottgewollte
Notwendigkeit, daß alles Erdreich, sei es noch so fern und klein, von
Angelsachsen beherrscht wird, stand auf seinem Gesicht geschrieben.

»Mein Name ist van Houten,« begann ich dem mißtrauisch blickenden
Residenten auf englisch zu erzählen, »und dies hier ist mein Chief
Offizier Southart«. Dann gab ich Kircheiß das Wort, der besser englisch
sprach, und dieser fuhr fort:

»Wir sind Amerikaner von holländischer Geburt. Wir haben vor ein paar
Monaten im holländischen Club zu San Franzisko gewettet, von Honolulu
mit einem offenen Boot über die Cookinseln nach Tahiti und zurück nach
Honolulu zu segeln. Die Wettsumme beträgt 25000 Dollar. Wir sind
verpflichtet, bestimmte Plätze anzulaufen. Darum, mein Herr, seien Sie
so freundlich uns einen Ausweis zu erteilen, daß wir hier gewesen sind.
Auch wünschen wir Wasser, Konserven und frische Früchte einzunehmen«.

Dem Residenten schien unsere Sache etwas übergewagt, aber sein Gesicht
hellte sich auf. Er fragte nicht nach Logbuch und Papieren; auch hatte
er als stolzer Brite die Beschäftigung mit fremden Sprachen offenbar so
völlig verschmäht, daß er das Plattdeutsch, das Kircheiß und ich
untereinander sprachen, für Holländisch nahm, obwohl er den Burenkrieg
mitgemacht hatte. Er verwickelte uns darauf in ein Gespräch über den
Krieg, den er verurteilte, da er nur der gelben Rasse nütze. Vor den
Taten der Deutschen hatte er starken Respekt. Natürlich hüteten wir uns,
Deutschland zu rühmen.

Nach einer Viertelstunde gesellte sich ein französischer Missionar
hinzu, der, entzückt, als ich ihn mit ein paar französischen Brocken
ansprach, als glühender Patriot uns sofort zu sich einlud, mit einer
Grammophon-Marseillaise empfing und köstlich bewirtete, wobei natürlich
die Deutschen im Gespräch nicht geschont wurden. Auf dem Wege zu seinem
Missionshaus genossen wir die Pracht der Insel; in wilder Harmonie
wuchsen zu beiden Seiten Kokospalmen, Bananen, Mangos, Apfelsinen und
viel anderes Tropengewächs. Auf dem Rückweg schlenderten wir durch die
Dorfstraße und gaben den schönen Häuptlingstöchtern Gelegenheit, auch
einmal ein Auge voll von diesen Wettefritzen zu nehmen. Mit betäubenden
Blumensträußen und allerhand entzückenden Einladungen für später
beglückt gingen wir zum Boot zurück. Dann besuchte ich noch einmal den
Residenten, um ihn über den Schiffsverkehr auszuhorchen. Leider war die
Ankunft irgendeines Seglers ganz unbestimmt, so daß wir unsere Hoffnung
nun darauf richten mußten, erst in Aitutaki ein Beuteobjekt
anzutreffen. Dorthin segelten wir weiter. Der Ausweis des Residenten von
Atiu sollte uns gute Dienste leisten.

Das Wetter hatte sich verschlechtert. Unaufhörliche Regenböen
durchnäßten alles und schwere Seen schlugen dauernd ins Boot. Wir haben
manchmal in einer Stunde 250 Eimer ausgeschöpft. In den ganzen letzten
25 Tagen unserer Fahrt wurden wir nie wieder recht trocken. Sämtliche
Wolldecken, Matratzen, überhaupt alles was nicht in den Seitentanks
verstaut war, durchnäßte vollkommen. Wir froren unbeschreiblich und
bekamen nur selten noch den Kaffee warm. Auf den durchweichten
Matratzen, unter den nassen, bleischweren Decken konnte man nicht mehr
schlafen und freute sich darauf, Wache zu haben, um durch die Bewegung
des Arbeitens etwas Wärme zu gewinnen. Der Segeltuchbezug hielt nicht
mehr dicht. Spritzwellen hinderten das Trocknen der Sachen, wenn einmal
der Regen aussetzte.

Einmal sahen wir dicht vor unseren Augen eine Wasserhose sich bilden.
Zuerst zieht ein feiner, wirbelnder Sprühregen dicht an der
Wasseroberfläche die Aufmerksamkeit auf sich. Allmählich dreht sich der
Wirbel immer heftiger, immer breitere Wassermassen mit sich reißend, und
dann sieht man oben am klaren Himmel ein schwarzes Gewitterwölkchen, das
trichterförmig nach unten ausläuft. Plötzlich schießen der kreisende
Wirbel auf der Wasserfläche und der Wolkenzapfen zusammen; ein Rauschen
und Tosen der Wassermassen, Himmel und Wasser sind durch eine
riesenhafte Säule verbunden. Diese himmelhohe Wand bewegt sich vorwärts.
Das kleine Boot liegt totenstill, kein Luftzug regt sich um uns. Herr
Gott, wenn dieser wandernde Gigant auf uns herniederbricht! Wie sollen
wir ausweichen? Unwillkürlich dreht der Mann am Steuer immer wieder ab,
doch das Schiff bewegt sich nicht. Da plötzlich, Gott sei Dank, bricht
das rauschende Ungeheuer mit betäubendem Klatschen in sich zusammen,
eine mächtige Dünung hinterlassend. Mehreren Wasserhosen entrannen wir
nur durch glücklichen Zufall.

Bei Aitutaki angelangt, fanden wir leider den erwarteten Schoner, den
wir kapern wollten, nicht. Wir beschlossen trotzdem, an Land zu gehen,
in der Hoffnung, über Schiffsverkehr etwas zu hören und eine Nacht
trocken zu schlafen und unseren erschöpften Körper auszuruhen. Es war
der 30. August.

Auf der Mole stand zwischen ein paar hundert Eingeborenen der Resident
und erwartete die seltsamen Gäste. Wir hatten unsere holländische
Abstammung in eine norwegische umgewandelt, da uns schon in Atiu die
Nähe holländischer Landsleute angekündigt war, auf deren intime
Bekanntschaft wir keinen Wert legten. Nur dem Obermaat Permien, der
etwas holländisch sprach und sonst keine fremde Sprache, überließen wir
die Freude dieser landsmannschaftlichen Begrüßung, gaben ihm aber vorher
etwas Unterricht in Schwerhörigkeit.

Der Resident sah mit seinem Kneifer aus wie Präsident Wilson und brachte
uns das denkbar größte Mißtrauen entgegen. Er schickte gleich einen
norwegischen Zimmermann aufs Boot, mit dem sich glücklicherweise
Lüdemann fließend unterhalten konnte, so daß dieser Zeuge warm für uns
eintrat. Unser Wilson verfolgte nun einen recht schlauen Plan, um uns
auszuforschen, indem er uns trennte, obwohl wir alle Ausflüchte
versuchten, um beisammen zu bleiben. Wir wurden aber so dringend in die
einzelnen Honoratiorenhäuser zum Bad und Essen eingeladen, daß wir nicht
widerstreben durften. Ich nahm mir eine Handgranate in die Tasche und
ebenso die andern. Mit dem Trocknen unserer Sachen war es wieder nichts,
weil die Insulaner unser Boot dicht umlagerten, so daß wir die Decken,
unter denen unser Waffenlager steckte, nicht aufheben durften.

Während ich beim Kaufmann Low und Kircheiß beim Residenten aßen, gingen
zwischen unsern beiden Gastgebern fortwährend durch Boten kleine Zettel
hin und her. Offenbar verabredeten sie darauf die an uns zu stellenden
Fragen und verglichen die Antworten. Wir strebten, sobald wir konnten,
wieder zusammenzukommen. Am Boot erzählte uns Lüdemann, der Norweger
hätte uns gewarnt, man hielte uns für Deutsche und wollte das Boot an
den Strand holen. Wir verabredeten darauf, daß immer zwei von uns im
Boot bleiben und sobald sie etwas hörten, die Landungsbrücke mit
Maschinengewehrfeuer bestreichen sollten; wir andern würden uns dann
schon durchschlagen. Dann gingen wir, in Erwartung des vom Residenten
versprochenen Ausweises, erst mal in den Kaufladen, um unsern Vorrat
aufzufüllen. Als Permien dort vor der Tür stand, trat ein holländischer
Missionar auf ihn zu und verwickelte ihn ins Gespräch. Permien mußte
aber dringend zum Boot zurück und statt dessen unterhielt Erdmann den
Himmelslotsen mit ein paar holländischen Brocken. Er lud uns alle ein,
wir waren aber schon vergeben. Der Kaufmann, Herr Low, brachte uns
illustrierte Zeitschriften an und bestaunte darin die deutschen
Schützengräben usw. In seinem Laden fanden wir noch allerlei Waren
»_Made in Germany_«, und als wir ihn darauf hinwiesen, sagte er, er freue
sich, daß dies die letzten Restbestände wären; neue deutsche Waren
würden nie mehr nach der Insel kommen. Von der Größe und ausgebreiteten
Handelsmacht unseres alten Vaterlandes erhielten wir so auf Schritt und
Tritt einen neuen Begriff. Aber wir durften uns nichts anmerken lassen,
und unsere ungemütliche Lage auf beinahe verlorenem Posten war ein
Abbild der traurigen Vereinsamung, der unser ganzes liebes, einst so
großes Vaterland entgegenging. Damals aber hofften wir noch auf den
Sieg, und wenn alle in der Heimat so durchgehalten hätten wie unser
kleines schiffbrüchiges Häuflein, so würden auch deutsche Waren wieder
rasch den Weg in alle Erdenwinkel finden. Denn der Respekt vor unserem
Volk und Staat war unermeßlich groß; immer wieder hörten wir bei
solchen, die uns für Nichtdeutsche hielten, die Besorgnis aussprechen,
Deutschland würde noch die ganze Südsee annektieren und ähnliches mehr.

Wir wurden dann eingeladen, in den einzelnen Häusern zu übernachten. So
gern wir das getan hätten, nahmen wir es doch nicht an, da es offenbar
nur eine Falle war. Wir hätten dann wohl bis Kriegsende dort bleiben
müssen.

Endlich ließ uns Wilson rufen, forschte nach meinen Schiffspapieren und
fragte mich nach allerlei Namen und Daten. Auf meine Frage, warum er das
wissen wollte, erwiderte er: »Die Leute halten Sie für Deutsche. Ich
weiß, daß Sie es nicht sind, und möchte die Leute beruhigen.« Wilson
schwankte offenbar zwischen dem Wunsche, uns dazubehalten, und der
Furcht vor einem Kampfe. Ich fühlte nach meiner Handgranate und hakte in
der Tasche den Karabinerhaken auf den Zünder und dann gingen wir mit dem
Residenten, umgeben von Hunderten von Eingeborenen, hinab zum Boot. Auf
der Landungsbrücke fragte ein langer Kerl mit englischer Militärmütze,
der in Flandern gewesen war, den Residenten, ob er uns festnehmen solle.
Ich flüsterte Wilson zu: »Wenn ihr hier Geschichten macht, schieße ich
den Kerl über den Haufen.« Die Antwort war: »Reden Sie doch so etwas
nicht.« Dann blieb ich auf der Landungsbrücke sitzen, während der
Resident sich ins Boot begab, um unser Logbuch einzusehen und das Boot
zu durchsuchen, wozu ihn weniger sein eigener Mut, als die uns durch den
Norweger verratene Forderung der ganzen Bevölkerung trieb.

Das Logbuch war natürlich nicht aufzufinden. War es nicht über Bord
gefallen? Doch konnte Kircheiß das Tagebuch eines früher von uns
gekaperten amerikanischen Schoners überreichen, das wir wegen seiner
geographischen Auskünfte mitgenommen hatten. Leider lag in diesem
ungewöhnlichen Schiffsbuch auch unser Chronometertagebuch. Auf der
ersten Seite war in fetter Schrift »Kaiserliche Marine« mit dem
Reichsadler vorgedruckt. »Was ist das für eine Sprache?« fragte der
Resident. »Das weiß ich auch nicht«, sagte Kircheiß, »wir haben das Buch
in Honolulu bekommen.«

»Und was heißt hier >Gang und Stand?<«, fragte Wilson, indem er die
handschriftlichen Seitenvermerke über den Zahlen mit dem Finger
betippte.

»Das ist norwegisch«, sagte Kircheiß, »für Navigation.«

Wilson zog es vor, ihm zu glauben. Wir hatten im Augenblick zweifellos
die militärische Übermacht. Im Vorbeigehen lüftete der Resident ein
bißchen die Decken. Da lag eine Mauserpistole. Er deckte sofort wieder
zu und sagte zu Kircheiß: »Lassen Sie das die Menge nicht sehen.« Alles
war klar zum Gefecht: Maschinengewehr und Bajonette, und die
Handgranaten hingen eine neben der anderen aufgereiht, daß wir sie nur
so wie vom Apfelbaum herunterzupicken brauchten. Der Resident war schon
ganz blaß geworden. Er rief seinen Begleitern, die auf der Brücke
standen, zu: »Boys, es ist alles in Ordnung.« Ich stieg zu ihm ins Boot.
»Decken Sie das zu«, sagte er kreidebleich und zeigte auf die
Handgranaten, und dann wieder zu der Menge: »Ich finde nichts. Es sind
harmlose Leute, Sportsleute.« Und dann zu mir leise: »Nehmen Sie mich
bitte nicht mit.«

Wir wollten erst in ein paar Stunden fahren. Wilson zog aber die Uhr und
sagte: »Gentlemen, es ist besser, Sie fahren sogleich ab.« Dann stieg er
aus, ich mit ihm, und wir schnakten der Form halber noch ein bißchen am
Strand, während Kircheiß gemütlich ins Dorf zurückging, um ein paar
Apfelsinen abzuholen, die uns versprochen waren. Den erbetenen Ausweis
hatte der Resident schon geschrieben. Der eingeborene Lotse meinte nun,
wir könnten erst in einigen Stunden fahren. Da herrschte ihn der
Resident aber an, es müßte sofort möglich sein. Ich stand ihm bei und
wir beiden Weißen spielten zusammen eine Karte, damit die Schwarzen mit
ihrem Verdacht nicht recht behielten, und den Weißen Unannehmlichkeiten
bereiteten. Der Resident aber wußte genau, wen er vor sich hatte.

Als Kircheiß zurückgekehrt war, verließen wir diese kitzliche Ecke. Wir
waren nun wieder auf hoher See und sahen 13 Tage lang kein Land. Trocken
ist das Boot nie mehr geworden.

Die furchtbarste Leidenszeit sollten wir jetzt auf dieser Fahrt
durchmachen, schwere Kämpfe mit den Elementen, Tag und Nacht ohne
Schlaf, nur damit beschäftigt, das Boot gegen das stürmische Wetter über
Wasser zu halten und das ins Boot schlagende Wasser mit Eimern wieder
auszuschöpfen. Drei Tage lang fuhren wir durch ein Bimssteinfeld, das
durch einen unter Wasser liegenden Vulkan ausgeworfen war. Hier lag das
Ursprungsgebiet des Seebebens, das unsern »Seeadler« vernichtet hatte.
Unter diesem Bimsstein hatten wir insofern schwer zu leiden, als er
durch das über Bord kommende Wasser mit ins Boot geschlagen wurde. Alles
war unbeschreiblich klatschnaß und von knirschendem Bimssteinsand
beschmutzt. Alles schwabberte im Wasser, und trotzdem regnete es immer
weiter. Wohl kann ich am Tage naß sein, wenn ich abends eine Koje habe,
aber kein Dach und Fach! Der Körper rauchte infolge der Kälte. Dazu als
Nahrung nur Wasser und hartes Brot. Wir verfielen tiefer Erschöpfung.
Die Matratzen hatten wir längst über Bord geworfen, weil sie nicht mehr
trockneten. Am Tag brannte zwischendurch mal die heiße Tropensonne auf
die Haut, und nachts besaß man gegen die bittere Kälte keinen anderen
Schutz als nasse Decken. Die Wasservorräte wurden knapp, und wir wagten
unsern Durst nie mehr zu löschen. Sogar den köstlichen Speck, den wir
mithatten, und nach dem wir förmlich lechzten, durften wir nicht mehr
anrühren, um den Durst nicht noch mehr zu reizen. Tantalusqualen! Und
dazu die weite Wasserfläche, die uns mit ihrem kristallklaren Naß
fortwährend höhnte und an den Durst erinnerte. Regenwasser im Segel zu
sammeln, mußten wir bald aufgeben, da das Segel durch den ewigen
Wasserdampf des Meeres ebenso salzüberzogen war wie alles im Boot, und
nur brackiges Wasser hergab. Wir gewöhnten uns unbewußt an, an den
Fingern zu saugen und die Hand zu benagen, um den trockenen Gaumen, der
wie ein Reibeisen war, durch Speichel zu erfrischen. Eben erst genesen,
wurden wir wieder skorbutartig krank. Unsere Gelenke waren stark
angeschwollen, besonders die Kniegelenke. In einem Schiff, dessen
Kleinheit dem Körper die nötige Bewegung entzieht, verkommt man völlig
bei längerem Aufenthalt. Stehen konnten wir nicht mehr. Die Zunge war
angeschwollen, das Zahnfleisch schneeweiß, die Zähne saßen locker und
schmerzten, und damit sollte man dieses harte Brot kauen! Was hätte man
für eine warme Mahlzeit, ein trockenes Lager, ein wenig freie Bewegung
oder sonst eine bescheidene Erholung gegeben! Schließlich ist der Mensch
doch keine Amphibie. Große Schmerzen litten wir auch, wenn beim Hin- und
Herschlagen des Bootes die stark angeschwollenen Kniegelenke anstießen.
Schwerer Druck von innen nach außen lag auf den Augen. Wir konnten nicht
mehr und wurden uns selbst zum Überdruß. Permien machte sich Striche am
Körper, und wir beobachteten, wie das Wasser von Tag zu Tag in den
Gliedern stieg und sich ausdehnte; wir bildeten uns ein: nur bis zum
Herzen geht es. Jeder sagte: »Ich bin der erste, der geht.« Wir waren so
müde und sollten immer wieder kämpfen! Wir wurden gleichgültig, warum
sollten wir uns anstrengen, das bißchen Leben zu retten? In solchen
Tagen zieht man den Tod vor, und wie wir schon das Ballasteisen
hervorholten, denn wir wollten alle sterben, da war doch einer stark,
und dieser eine ergriff unsern Tröster, unsern Fritz Reuter. Wie
erfrischt uns der Humor, und der Mut kommt wieder: »Ne, wi wüllt wedder
to Hus, wi wüllt nich dod gahn.« Der Gemütskranke ist wie ein Kind; das
Buch hat ihm wieder die Heimat gezeigt, unermeßliches Heimweh
durchströmt ihn und lenkt ihn von der Todessehnsucht ab. Ein Lichtpunkt!
Nur heim zu dem Land, das solche Menschen hervorgebracht hat. Eine
gewisse Umnachtung war eingetreten. Klar denken konnte man nicht mehr,
das Gehirn war wie ein Baumwollknäuel. Richtigen Schlaf gab es nicht
mehr, aber fortwährend nickte man ein, auch wenn man am Steuer saß. Man
lebte in einer ganz andern Welt. Nur eines ging immerzu fort, der Trieb,
gute Reise zu machen, nur keinen Wind unausgenützt zu lassen, keine
Stunde zu verlieren. Immer weiter, immer weiter! Jede Stunde brachte uns
der Erlösung näher. Und weiter kämpften wir.

Da kommt eines Morgens die kleine englische Insel Niue in Sicht. Wir
mußten uns frische Nahrungsmittel verschaffen, wenn wir nicht umkommen
wollten. Es ist immer ein Ereignis, wenn sich ein Boot einer Insel
nähert. Wir sehen, wie die Eingeborenen den Landungsstellen zuströmen,
machen ein Maschinengewehr klar, legen Gewehre bereit und heißen vor
allem die deutsche Kriegsflagge. Bei allen Versenkungen hatten wir keine
Waffe gebraucht, nur der Respekt vor unserer Flagge war es, der die
Feinde auf die Knie zwang. Warum also schießen, warum Waffen anwenden,
wenn wir sie bisher nicht gebraucht hatten? Die Leute am Landungssteg
können die Flagge noch nicht recht erkennen. Vorsichtig steuern wir an
und bleiben in einem gewissen Abstand liegen. Nun erkennt die Menge die
deutsche Flagge, und wie erstaunt sind wir, als sie rufen: »Ihr
Deutsche, ihr großes, herrliches Volk, kommt herüber zu uns, ihr kämpft
ja gegen die ganze Welt! Wir sind auch Krieger, aber wir haben nicht mit
allen Inseln gegen eine gekämpft.« Sie zeigten auf einige Leute, die
abseits standen: »Hier unsere Kameraden sind mit großem Klimbim von der
Insel heruntergeholt worden, um gegen euch zu kämpfen. Als sie aber das
Westfrontklima nicht vertragen konnten und Krankheiten bekamen, von
denen sie keiner heilen kann, sind sie als Nummern zurückgeschickt
worden.«

  [Illustration: Vulkanische Südseeinsel. Die Lava tritt ins Meer.]

Man muß die Eingeborenenseele kennen, um zu verstehen, warum sie so
deutschfreundlich waren. Diese oft so edlen Rassen, die aber seit
Menschenaltern unter Fremdherrschaft stehen, haben selbstverständlich
gegen ihre Beherrscher vieles auf dem Herzen. Sie hegten eine natürliche
Achtung vor uns als dem großen Feind der Engländer. Dazu kommt, daß der
Eingeborene als Gentleman-Krieger empfindet und einen hochentwickelten
Sinn für die Kriegerehre und für den Kampf Mann gegen Mann hat. Die
Hetzjagd der ganzen Welt gegen das umstellte deutsche Volk verletzte
sozusagen ihr sportliches Gefühl, und zugleich erhöhte es unser Ansehen,
daß wir uns so gewaltig wehren konnten. Die Schwarzen waren über die
Weltereignisse erstaunlich gut unterrichtet. Abends kommen sie zusammen
und »palavern«, die Alten erzählen. Sie haben gehört, Amerika,
Frankreich, England, Australien, Neuseeland, alles kämpft gegen
Deutschland, _all, all people_, und dann denken sie, so ein Land wie
Deutschland müsse doch in kurzer Zeit zerquetscht werden. Aber sie hören
von ihren Leuten, die krank zurückkehren, daß die Deutschen immer noch
tief in Frankreich stehen, und es sind schon Jahre. Da werden sie
mißtrauisch und machen sich ihre Gedanken. Nun taucht da auf einmal ein
deutsches Schiff auf, sie sehen die deutsche Flagge und fragen sich:
»Was, die Deutschen kommen bis hierher?« Sie sind gar nicht erstaunt,
daß wir in einem kleinen Boot kommen. Sie nehmen es als
selbstverständlich an; wenn ein Volk gegen die ganze Welt kämpft, muß
jeder kleine Kahn verwendet werden. Gerade in denselben Wochen ereignete
sich auch der denkwürdige Besuch eines deutschen Fliegers über Sidney;
es war »Wölfchen«, das Flugzeug, welches »Wolf«, der zweite deutsche
Hilfskreuzer in der Südsee neben »Seeadler«, zum Besuch der
australischen Hauptstadt aufflattern ließ. Die Beunruhigung der
Engländer durch diese Allgegenwart der Deutschen -- haben sie doch sogar
die Existenz »Wölfchens« durch die Zensur ableugnen lassen -- erhöhte
nur die stille Freude der Eingeborenen.

Wir sehnten uns unsäglich, in Niue an Land zu kommen, aber eins hielt
uns zurück: Das Volk, das uns Deutsche so bewundert, soll seinen ersten
Eindruck von den Deutschen bekommen, wie sie auf Krücken längs rutschen?
»Ne, as Krüppel goht wi nich an Land.« Sitzend nahmen wir die
Huldigungen entgegen und verheimlichten, daß wir nicht stehen konnten.
Wir baten nur um etwas Frisches und sagten, daß wir nicht kommen
könnten, da wir Befehle hätten, anderswohin zu fahren. Sie brachten
Bananen, die Frucht, die am günstigsten gegen unser Leiden wirkte. Wir
dankten ihnen, dippten mit klammen Fingern unsere Flagge und unter
Jubelzurufen gingen wir wieder in See. Gott sei Dank, Bananen, etwas,
was man mit den losen Zähnen beißen konnte. Bald merkte man, daß der
Körper wieder etwas Frische bekam, und langsam ging das Leiden zurück.
Das Suchen nach feindlichen Schiffen, die Hoffnung, endlich ein
Kaperziel zu finden, trieb uns weiter und bewahrte uns vor der
Verzweiflung.

Am 22. Tag unserer Fahrt steuerten wir eine östliche Insel der
Fidschigruppe, Katasanga, an, und endlich nach dem vielen Sitzen und
krank von Rheumatismus konnten wir uns wieder auf festem Land frei
bewegen.

In dem zurzeit unbewohnten Haus des weißen Plantagenleiters fanden wir
unter anderem eine alte Nummer der deutschen Auslandszeitschrift »Das
Echo« und empfanden beim Durchblättern wieder einmal die ganze Größe und
Ausbreitung unserer Weltstellung bis zum Krieg. Als der Krieg ausbrach,
scheint der deutsche Pflanzer verjagt worden zu sein; er soll sich an
einer wilden Stelle der Insel versteckt gehalten haben. Seine englischen
Nachfolger haben das Haus traurig verwahrlosen lassen. Trotzdem war uns
darin zwei Tage himmlisch wohl.

Von hier aus setzten wir unsere Reise fort nach dem Gebiet der großen
Fidschiinseln. Wir lagen geschützt in einem Golf, der von Inselgruppen
umgeben war. Es war abends. Da wir den Tag abwarten wollten, um den
Schiffsverkehr auszuspähen, machten wir die Segel fest, legten uns vor
Seeanker, ließen uns treiben und schliefen endlich einmal aus. Morgens
um drei Uhr weckt uns Krause mit einem Schreckensruf: »Wir werden aufs
Riff geworfen!« Wir stolpern auf und sehen die weiße Brandung wie eine
Mauer vor uns. Rettung schien unmöglich; wir waren durch die Strömung
schneller getrieben, als wir vor Seeanker annahmen, und sahen den
Untergang vor Augen. Das einzige war, mit dem Segel etwas zu versuchen.
Indes stand der Wind gegen Land. Trotzdem setzten wir die Segel; höchste
Spannung: Kommen wir klar? Läßt die Strömung, der Winddruck und der
Grundriß des Riffs unser Hasardspiel gelingen? Immer näher treiben wir
der tosenden Brandung, Wind und Strömung sind gegen uns. Keiner spricht
ein Wort, jeder sieht schon in den gurgelnden Wirbeln das Boot wie einen
Spielball umgedreht und zerschmettert über die Korallen getrieben. Da,
im letzten Augenblick, winkt uns Erlösung; das Riff hebt sich nicht in
gerader Linie, sondern biegt knieförmig ab. Das war unsere Rettung, und
wir konnten uns freisegeln.

Als wir dicht unter Wakaya-Insel Landschutz suchten, wurden wir von Land
gesichtet, und ein Boot fuhr uns entgegen, um uns Schiffbrüchigen Hilfe
zu bringen. Wir mußten also anlegen. Im Hafen fanden wir eine Anzahl
Schiffe, die des Sturmes wegen vor Anker lagen. Nun hatten wir die
Erklärung dafür, weshalb uns draußen keines der ersehnten Fahrzeuge
begegnet und unsere mit so ungewöhnlicher Anstrengung unternommene
Kriegsfahrt bisher ohne Erfolg geblieben war. Nun lagen wir also zum
vierten Male in feindlichem Gebiet.

  [Illustration:
  »... Im letzten Hafen fanden wir eine Anzahl Schiffe, die des Sturmes
  wegen vor Anker lagen.«]

Wir wurden ausgefragt und logen allerlei. Ich glaube, wir haben diesmal
im Lügen die neuseeländischen Zeitungen übertroffen. Die Eingeborenen
waren nicht mißtrauisch, wohl aber ein Halbblut, der uns immer
verzwicktere Fragen stellte und geschickt eine Verschwörung gegen uns
einfädelte. Des Sturmes wegen waren wir gezwungen, an Land zu bleiben.
Als ich mit Kircheiß auf einem vom Regen aufgeweichten Waldweg spazieren
ging und unsere mißliche Lage besprach, kam uns ein Weißer
entgegengeritten, der vor Aufregung ganz fahl unsern Gruß nur kurz
erwiderte. Er war, wie wir später erfuhren, von dem Halbblut
benachrichtigt worden, dieser hätte einen Trupp Deutscher gefangen. Das
auffällige Wesen des Reiters veranlaßte uns, sofort umzukehren. Am
Strand hörten wir, daß soeben ein Kutter den Hafen verlassen hatte. Wie
wir später erfahren haben, sollte er die Behörden von unserer Ankunft
benachrichtigen.

Ein abendliches Zechgelage mit dem Weißen und dem Halbblut, wofür wir
schweren Herzens unseren letzten Rum opferten, löste beiden die Zunge.
Der Weiße insbesondere wurde ganz vertrauensselig, kriegte sich mit dem
Halbblut in die Haare und erzählte uns lachend, der hätte uns für
Deutsche erklärt. Kircheiß und ich schliefen danach schwer und steif wie
die Klötze im Haus des Engländers, während unsere vier Kameraden im
feuchten Boot wieder eine fürchterliche Nacht durchwachten. Am andern
Morgen machten wir sofort alles seeklar, um beim ersten günstigen
Augenblick ausfahren zu können. Gegen 11 Uhr war es so weit, daß wir in
See gehen wollten; wir bemerkten, daß auch die Segler sich seeklar
machten. Wir verabschiedeten uns mit herzlichem Händedruck von unseren
Wirten, die anscheinend alles Mißtrauen verloren hatten, und lichteten
den Anker wenige Minuten, nachdem die beiden größten Segler den Hafen
verlassen hatten. Da setzte eine schwere Regenböe ein, trieb die beiden
Segler in den Hafen zurück und nötigte uns, noch für eine zweite Nacht
Unterkunft zu erbitten. Unsere Leute, denen diesmal ein Stall angeboten
war, mochten sich vom Boot nicht trennen, so ungemütlich es darin war.
Wir bedauerten unsere Kameraden, aber es war gut, daß sie dort blieben,
denn in der Nacht wurde durch geheimnisvoll aus dem Wasser auftauchende
und wieder verschwindende Gestalten zweimal der Versuch unternommen,
unser Boot zum Stranden zu bringen.

Gegen Abend kommt ein wundervoller Zweimastschoner mit Motorkraft in den
Hafen eingelaufen. Kircheiß und ich, gerade von unserm Spaziergang
zurückgekehrt, fassen augenblicklich einen Entschluß. Welch wundervolles
Schiff! Das wird unser. Wollen wir es gleich kapern oder wollen wir
warten bis morgen früh, bis es Tag ist? Wir gingen an Bord unseres
Bootes und hielten Kriegsrat. Man kam zu der Übereinkunft, daß es das
beste sei, wenn Kircheiß zunächst an Bord des Schiffes fährt und dem
Kapitän vorstellt, daß wir Amerikaner von einem amerikanischen Dampfer
sind und ihn bitten, uns als Passagiere mitzunehmen. Denn unsere Absicht
war in Wirklichkeit die, auf hoher See das Schiff zu kapern. Kircheiß
fährt hinüber.

Der Kapitän des Schoners ist mit allem einverstanden und teilt mit, daß
wir am nächsten Morgen um 3 Uhr an Bord sein sollen. Wir packen alle
unsere Waffen und Uniformen in Zeugsäcke und verschnüren sie gut.

Am nächsten Morgen fahren wir rüber. Wir laden unser Zeug von dem Boot
in den Schoner. Jeder schmunzelt versteckt über das herrliche Schiff,
das wir jetzt unter unseren Füßen haben, den wundervollen Salon, die
Kombüse, Kojen, ein Dach wieder über uns, ein Deck, worauf man laufen
kann. Und dann der Gedanke, wie werden sich unsere Kameraden auf der
Insel freuen, wenn wir mit diesem feinen Fahrzeug ankommen, das außerdem
zwei ganz neue Motore hat, die uns ermöglichen, den Kreuzerkrieg von
neuem fortzusetzen. Man kann verstehen, wie groß unsere Freude war. Wir
können nicht erwarten, bis das letzte Glied der Ankerkette hoch ist, bis
wir auf See sind und der Augenblick kommt, wo wir uns dem Kapitän und
der Besatzung als Deutsche vorstellen und die deutsche Flagge heißen.

Wie wir uns so auf unseren künftigen Kreuzer freuen, tritt ein neues
Ereignis ein. Ein großer Dampfer hat Kurs auf die Hafeneinfahrt. Hallo,
was soll der Dampfer? Unser Kapitän sagt, er wird wohl den Eigentümer
der Insel hier herüber bringen. Des schlechten Wetters wegen ist kein
anderer Verkehr möglich. Der Dampfer fährt ein, läßt ein Boot zu Wasser
und ein Offizier und vier indische Soldaten steuern auf uns zu. Was nun?
Unsere Uniformen sind fest verschnürt in Zeugsäcken. Es wäre ein
Leichtes gewesen, den Offizier, der der einzige war, welcher einen
Revolver bei sich führte, während die indischen Polizeisoldaten nur
Bajonette hatten, mit einer Pistole über den Haufen zu schießen oder
eine Handgranate ins Boot zu werfen. Niemals hat es uns sonst wohl an
dem Entschluß gemangelt, doch in diesem Augenblick, da wir gegen unsere
Ritterlichkeit handeln sollten. Wir sind Offiziere und Mannschaften der
deutschen Marine, in Zivil überrascht, was sollen wir tun? Wir schießen
nicht als Heckenschützen. Dieselbe psychologische Hemmung, der wir
unsere unblutigen Erfolge verdankten, daß sich ein Mann in Zivil niemals
gegen eine Uniform zu vergreifen wagt, wandte sich diesmal gegen uns.

Als der Polizeioffizier herankommt, uns verhaften will und fragt, wer
wir seien, stelle ich mich ihm vor als Kommandant des »Seeadler« mit
einem Teil meiner Besatzung. Wie wurde der Mann schneeweiß; wie zauderte
er, näher heranzukommen, und dabei waren wir doch so heruntergekommen
durch Hartbrot und Wasser, so entkräftet durch die Fahrt im Boot. Im
Augenblick, da unsere Kreuzerfahrt neu beginnen sollte, war sie jäh zu
Ende.



Fünfzehntes Kapitel.

Im Zuchthaus.


Gefangengenommen! Nach so viel Strapazen und Listen in einem Augenblick
endlichen Erfolges gefallen, weil wir in Zivil nicht auf den Feind
schießen konnten!

Nachdem wir uns dem Offizier als die Leute vom »Seeadler« zu erkennen
gegeben hatten, sagte er: »_All right_, Sie haben sich einen Namen gemacht
und werden eine anständige Behandlung finden. Ich bin ein Brite.« Das
Wort »Brite« betonte er besonders.

Die alte Stewardeß auf dem Dampfer »Amra« aber gewöhnte uns gleich an
andere Töne. Sie fing an zu schimpfen: »Seht einer an, diese Hunnen
machen unser sauberes Deck schmutzig, und die Schwarzen sollen es dann
wieder schrubben. Die Hunnen müßten schwarz angemalt werden, und ich
wäre immer noch lieber ein Schwarzer als so ein Deutscher. Schiffe mit
Frauen und Kindern versenken, das ist alles, was sie können. Am liebsten
würde ich euch alle vor dem Frühstück totschießen.« Die ganze Hetzarbeit
unserer Feinde sprach aus dieser einfältigen Frau.

Abends kamen wir in Suva an. Die ganze Stadt war in Bewegung; eine
Eskorte von 100 Soldaten stand bereit, und unter ihrer Bewachung
marschierten wir sechs arme Möpels unserm Asyl zu. Rings kreischt und
schimpft die Menge der weißen Kolonisten, während doch der Farbige mit
stiller Bewunderung auf uns sieht.

Wir kamen nicht gleich ins Zuchthaus, sondern zunächst in ein
sogenanntes Bleibehaus für Eingeborene. Dieses Gebäude, von einem
englischen Gouverneur gestiftet, diente dazu, den Eingeborenen, wenn sie
von den verschiedenen Fidschiinseln zusammenkamen, Unterkunft zu
gewähren. 25 Mann Bewachung waren dauernd um das Haus, vor den Türen,
vor den Eingängen, vor den Fenstern, eine Verschwendung von Militär für
so ein paar Kriegsgefangene. Zunächst hatten wir einen anständigen
Kommandanten, Leutnant Woodhouse, ein Zivil-Bankbeamter, der uns gut
behandelte. Wir bekamen ausgezeichnetes Essen und ruhten uns aus. Beim
Verhör am ersten Morgen erzählte ich einen Roman, um die Spur von
unseren Kameraden in Mopelia abzulenken. Meine Leute verweigerten
verabredungsgemäß jede Auskunft, um einander nicht zu widersprechen.
Unsere Bücher hatten wir in die See geworfen, mit Ausnahme von einem,
das bald erwähnt werden muß.

Der Wachoffizier, der uns manche Freiheit gestattete, wurde
wahrscheinlich deshalb bald durch einen Hauptmann Whitehouse abgelöst.
Ich erwähne ihn hier deshalb, weil er, der in einer ziemlich
lächerlichen Angst nie anders als mit der Hand am Revolver mit uns
sprach, sich sehr wenig ritterlich gegen uns benommen hat. Er kommt
eines Tages zu mir und sagt: »Herr Graf, machen Sie sich fertig, General
Mackenzie will Sie sehen.«

»General Mackenzie? Meine Leute auch?«

»Jawohl.«

Ich sage: »Jungs, macht euch tadellos in Ordnung, heute nachmittag 4 Uhr
sollen wir zum General Mackenzie.«

Wir waschen unser Zeug, lassen es am Leibe trocknen (wir hatten ja nur
noch die eine Garnitur), damit wir als deutsche Soldaten sauber vor dem
General erscheinen. Um 4 Uhr werden wir auf ein Viehautomobil verladen,
worauf noch der Mist lag. Sonderbar! Im Viehautomobil zum General?
Whitehouse sitzt vorn und hält sich am Revolver fest; sieben Mann fahren
mit zur Bewachung. Wir sind gespannt, wo das hingehen soll. Auf einmal
halten wir vor einem Gebäude, umgeben von sechs Meter hohen Mauern. Was
ist das? Das Tor wird aufgemacht ... wir blicken in das Zuchthaus von
Suva. Ein Kolonialzuchthaus mit chinesischen, indischen Verbrechern. ...
Ich frage den englischen Hauptmann: »Sie Feigling! wohnen bei euch die
Generäle in Zuchthäusern oder haben Sie nicht so viel Mumm in den
Knochen, uns die Wahrheit zu sagen? Ist das britisch? Dann pfui Teufel!«
Die Gefangenen, die sich nach dem Eingang drängen, staunen uns an: »Was,
Europäer, Weiße kommen hier herein? Was müssen das für Verbrecher sein!«
Wir reißen uns zusammen und stolz marschieren wir in den Zuchthaushof
hinein. Verächtlich blicken wir weiter: Zellentür an Zellentür, und ein
weiches, gelbliches Gesicht grinst uns höhnisch entgegen mit den Worten:
»Heh, bei mir kommt ihr nicht wieder raus.« Wir protestierten gegen
diese völkerrechtswidrige Behandlung von Kriegsgefangenen, aber der
Zuchthausdirektor bezog sich auf seine Befehle; und so marschierten wir
hinein in die kühlen, feuchtnassen Gänge. Eisentüren werden
aufgeschlossen und jeder verschwindet in seiner Zelle. ... »Hah, dank
deiner Ritterlichkeit, daß du Gefangener bist.« Als der Riegel fällt und
der Schieber vorgeschoben wird, da läuft es einem kalt den Buckel
herunter. Da ist man allein, die Jungs, die letzten Jungs sind einem
genommen.

Nur ein Betonfußboden; keine Gitter vor den Fenstern; sie brauchten es
nicht, sie sind so schmal, daß kaum ein halber Manneskopf hindurchgeht.
Aber niemals ist man mehr Deutscher gewesen, als im Zuchthaus von Suva.
Wie wohl tut es, als der erste Sonnenstrahl ins Fenster kommt, der
Strahl, der vor zwölf Stunden den Lieben in der Heimat geschienen, der
die Kameraden im Schützengraben gegrüßt hat. Man griff nach diesem
Sonnenstrahl und war so dankbar. Aber nur kurze Zeit währte dieser
Trost, und in der Zelle dunkelt's. Wie fühlte man sich einsam, denn das
Liebste war einem ja genommen, die Gefährten der Bootsfahrt. Aber so
leicht, wie es der Feind sich gedacht hatte, Deutsche voneinander zu
trennen, sollte es ihm doch nicht gelingen. Als aus Permiens Zelle
plötzlich die Harmonika erklang, da sangen wir alle mit, und aus
vereinten Männerkehlen brauste »Stolz weht die Flagge schwarz-weiß-rot«
durch das elende Haus. Dann stimmten wir an »Wenn die Liebe nicht wär',
das Herz wär' so öd' und leer«, dann wieder die »Wacht am Rhein« und so
immer umschichtig fort bis um 2 Uhr morgens, ein deutscher
Gesellschaftsabend in englischen Einzelzellen. Die Ronde kam und verwies
uns vergeblich zur Ruhe. Wir sangen fort, bis wir müde auf unsern kalten
Betonfußboden niedersanken und von der Heimat träumten. Ungeachtet
meiner Proteste dauerte dieses Leben acht Tage fort. Unsere Bewachung
verriet eine außerordentliche Angst, daß wir heimlich über Flügel oder
sonst übermenschliche Kräfte zu etwaigen Fluchtversuchen verfügen
könnten. Sehr interessant waren aber die Bekanntschaften, die wir unter
den verständnisinnigen Mitzuchthäuslern von Halbblutrasse machen
konnten. Weiße in einem tropischen Zuchthaus! Wir Deutsche sind ja so
gerecht gegen unsern Feind; deshalb sei hinzugefügt, daß vielleicht
nicht die Absicht war, uns zu quälen; jedenfalls wollte man aber diese
paar Exemplare deutscher Kriegsgefangener in der Südsee ohne Rücksicht
auf Sitte und Völkerrecht ihrem Seltenheitswert entsprechend fest
verankern.

Als wir bereits acht Tage hier waren, kam eines Morgens Hauptmann
Whitehouse zu mir. Er war besonders freundlich und entgegenkommend; ich
merkte, daß etwas in der Luft lag. Er meldete mir, ein japanischer
Admiral wünschte mich zu sprechen. Ich sage: »Ihnen soll ich glauben?
Das ist dieses Mal wohl ein japanischer Mackenzie? Schicken Sie mir
einen andern Offizier.« Eine halbe Stunde später kommt ein Leutnant, der
mir nochmals versichert, ich würde zu dem japanischen Kreuzer »Izuma«
gebracht. Mißtrauisch machte ich mich zurecht. Mittags um 2 Uhr ging ich
in Begleitung dieses Leutnants durch den Hof des Zuchthauses nach dem
Landungssteg. Welches Gefühl, wieder freie Luft zu atmen, weiter sehen
zu können als die engen Gefängnismauern! Tatsächlich, im Hafen lag ein
herrlicher Kreuzer. Am Landungssteg legt ein Ruderboot mit japanischer
Flagge an; ein Offizier im Boot salutiert. Ich nehme neben ihm Platz.
Der englische Offizier und zwei Soldaten gehen mit uns. Am Fallreep des
Kreuzers waren alle Offiziere zur Begrüßung des Zuchthäuslers an Deck
angetreten. Der Admiral empfängt mich, drückt mir die Hand mit den
Worten: »_I admire you, what you did for your country._« (Ich bewundere
Sie, was Sie für Ihr Land getan haben.) Er stellte mir seine Offiziere
vor, zu denen er etwa folgende Worte spricht: »Das ist der Mann, den wir
drei Monate Tag und Nacht gejagt haben,« und zu mir gewendet: »Ich
bedauere es, daß wir Sie in dieser Lage hier treffen und daß wir uns
nicht, wie unser aller Wunsch war, in einem frischen, frohen Gefecht
begegneten.« Ich bedauerte meinerseits, nicht in seiner Gefangenschaft
zu sein, was ihn etwas erstaunte, da er vom Zuchthaus nichts ahnen
konnte. Es fiel mir aber auf, wie kühl und steif die Japaner mit dem
englischen Offizier verkehrten im Gegensatz zu der Art, die sie mir
gegenüber an den Tag legten. Die feierliche Höflichkeit des Ostasiaten
und die leider so platonische Sympathie der Japaner für Deutschland
gaben mir ein Fest, das mir im Gedanken an meine Jungs wohl tat. Die
englischen Posten, die mich an Deck begleiten wollten, wurden
zurückgeschickt. Der Admiral lud mich in seinen Salon ein, der nach der
Zelle wie ein Palast wirkte. Zigarren, Zigaretten, Portwein und eine
Flasche Champagner standen da. Der Admiral legte mir zwei japanische
Bücher vor, eines mit dem Titelbild der »Emden«, das zweite mit der
»Möwe«. Er blätterte darin: Das hätte er alles selbst geschrieben. Ein
drittes Buch war leer: »Da will ich etwas von euch hineinschreiben. Wir
lernen von euch, und ich schreibe für unsere Jugend. Das ist Sitte in
unserm Lande. Was Männer für ihr Vaterland leisten, daran soll sich
unsere Jugend begeistern. Wollen Sie mir etwas Material geben von Ihren
Erlebnissen?«

»Gern.«

»Nur eine Frage zuerst: Sind Sie mit Ihrem Schiff aus einem neutralen
Hafen Amerikas, Argentiniens oder Chiles ausgelaufen?«

»Nein, wir kommen aus der Heimat. Verkappt als Norweger, und außerdem
anderthalb Stunden untersucht vom Feind.«

»Untersucht von den Engländern?«

»Jawohl!«

Ein vergnügtes Lächeln erhellt das Gesicht des Kommandanten und des
ersten Offiziers, der zugegen war.

Dann wurde ich von dem Admiral bei einem Glase Champagner etwas
ausgehorcht. Er wollte herausbringen, wo unsere »Seeadler«-Mannschaft
sich befände, und fragte mich, ob ich ihm sagen würde, wo ich gekreuzt
hätte. Jawohl, vorausgesetzt, daß er mir sagen würde, wo er mich
vermutet und gejagt hätte. Eine große Karte wird aufgerollt, auf der er
mir die Stellen zwischen Neuseeland und Chatam zeigt. Man konnte
deutlich an den abgesetzten Kursen sehen, daß der Kreuzer sich hier
tatsächlich aufgehalten hatte.

»Hier bin ich drei Monate mit 20 Meilen Geschwindigkeit hin- und
hergejagt«, sagte der Admiral.

Ich sah weniger auf die Stelle, wo er gekreuzt hatte, sondern blickte
besorgt nach der Insel Mopelia auf der Karte, denn hier war ein Kreis um
die Insel geschlagen. Der Feind wußte, wo meine Jungs waren. Wie ich von
einem meiner Leute erfahren hatte, war bei der Gefangennahme ein
Tagebuch verlorengegangen, abgeschlossen: »In Mopelia aufgelaufen, 2.
August.« Glücklicherweise war aber darin nicht erwähnt, daß »Seeadler«
total verlorengegangen und ferner nicht, daß unser letztes Schiff, das
wir gekapert hatten, der amerikanische Viermastschoner »Manila«,
versenkt worden war. Diese beiden Faktoren jagten durch mein Gehirn.
»Hiermit kannst du etwas machen, kannst die Leute retten.« Da fragte der
japanische Admiral: »Wo ist Seeadler?«

»Der ist verlorengegangen.«

»So? Wobei?«

Ich holte etwas weiter aus und erzählte ihm, wir hätten bei der Insel
Mopelia gelegen, um uns frischen Proviant zu besorgen. Die »Manila«
hätten wir noch mit uns gehabt. Durch Umspringen des Windes wären wir an
das Korallenriff gestoßen und hätten ein Leck unter Wasser bekommen. Um
das Leck zu dichten, sei viel Material an Land gebracht und das Schiff
»gekrängt« (übergelegt) worden. Dann wären wir von hier weitergefahren,
aber beim Wiedereinpacken der Sachen in den unteren Räumen müsse durch
Unvorsichtigkeit ein entleerter Öltank Feuer gefangen haben. Der
»Seeadler« hätte angefangen zu brennen. Es wäre uns kaum Zeit geblieben,
das Allernotwendigste zu retten und auf die »Manila« überzusteigen.

Da fragte der Admiral: »Wo ist die >ManilaManilaManila<.«

Ein Gedanke schoß mir blitzschnell durch den Sinn. Ich erwiderte, wir
hätten uns jetzt auf zwei Schiffe verteilen müssen, da die
amerikanischen Schoner nur Wasser für etwa 15 Mann hätten und auch die
Unterkunftsräume zu eng gewesen wären. Das schien ihm einleuchtend, aber
schmunzelnd sagte er dann: »Graf, Sie sind doch jetzt der Gefangene, und
wir Japaner sind doch nicht ganz so dumm zu machen. Ihre >Manila<, die
liegt nicht in Mopelia. Sie sind mit ihr nach hier gefahren; und haben
mit dem Boot versucht, innerhalb der Inselgruppen ein zweites Schiff zu
kapern, denn das scheint mir wahrscheinlicher, als daß Sie mit einem
solchen kleinen Boot über den Ozean gegangen sind. Also, innerhalb drei
Tagen werde ich Ihre >Manila< finden.«

Das war wieder einer, der die Wahrheit nicht vertragen konnte. An
die Möglichkeit unserer wahren Bootsfahrt wollte er nicht glauben,
und da kam ihm die von mir hinzugedichtete »Manila« ganz gelegen, um
mich der Unwahrhaftigkeit hinsichtlich der Bootsfahrt zu zeihen!
Meine Odysseuserzählung erfüllte also ihren Zweck. Denn in der Tat
hat er und die ganze übrige Flotte, die hinter uns her war, die
»Seeadler«-Mannschaft nicht in Mopelia gesucht. Die Wahrheit hat sich
hier als die beste Verschleierung erwiesen. Was ich im Augenblick
hinzudichtete, hatte sich aus dem Verlauf der Unterhaltung ergeben,
war nicht durch besondere Überlegung und Geistesgegenwart bewirkt. Ich
hatte nur das eine Ziel vor mir gesehen: »Wie mache ich es, daß der
Japaner nicht mit dreißig Meilen raufsaust und mir meine Jungs noch
gefangennimmt?« Jetzt wußte ich den Verdacht von Mopelia abgelenkt.

Der Japaner fragte mich dann noch nach der Schlacht am Skagerrak und
konnte nicht genug hören. »Ja, so ist es«, bemerkte er, »wieder ein
geschichtlicher Beweis dafür, daß die kleinere Flotte der größeren
überlegen ist. Eure Organisation, eure Wehrmacht ist so hervorragend,
und wir müssen euch bewundern, aber eins können wir nicht verstehen, daß
ein Land, wo soviel Intelligenz vertreten ist, so schlechte Politiker
hat. Wundert ihr euch denn nicht selbst in eurem Lande, daß die ganze
Welt gegen euch kämpft, habt ihr euch nie gefragt, >warumManna< geganen und darauf nach
dem Amerikanischen Port von Pago-Pago gefahren ist, ohne zuerst das
erlaubnis ein ermächtigter Offizier schriftlich zu behalten als bei die
Bekanntmachung des neun und zwanzigsten August 1914 angewiesen war.« So
lautete das Pfeil auf »deutsch« zugestellte Urteil.

Gegen jedes Völkerrecht brachten sie Pfeil nach dem Zuchthaus »Mount
Eden«, und erst, nachdem auf Umwegen die Nachricht nach Deutschland
gekommen war und man hier Vergeltungsmaßregeln ergriff, wurde sein
hartes Los etwas erleichtert.

Ich wollte Pfeil antworten, aber ringsherum standen Posten, und eine
Verbindung war nach dem Katzengespräch schwer zu bewerkstelligen. Ich
schrieb also eine Nachricht in den Deckel einer leeren Tabaksdose und
warf sie zum vergitterten Fenster hinaus. Leider fiel dieselbe so nahe,
daß Pfeil sie nicht holen konnte, denn er durfte eine gewisse Linie
nicht überschreiten, und gerade an diesem Tage bewachte man ihn sehr
stark. Da kam uns ein alter Tommy zu Hilfe. Er hob die Dose auf, und als
er sie leer fand, warf er sie wieder weg. Pfeil rief ihm zu, er solle
sie ihm geben, er habe gerade Verwendung dafür. Und bereitwillig trug
sie ihm Tommy hin. Ein Wink sagte mir bald, daß Pfeil gelesen hatte.
Noch im Laufe desselben Tages wurden wir nach Motuihi gebracht, wohin
Pfeil auch bald kam, da seine Zeit nun endlich um war.

Die etwa zwanzig deutschen Kriegsgefangenen in Devonport haben in
rührender Weise dem Vaterland zu dienen gesucht, soweit es ihre
gefesselten Kräfte vermochten. Pfeil hatte, immer im Gedanken an eine
neue Flucht, verstanden, sämtliche Karten der Festung, der Hafenanlagen
mit Minenfeldern und der Umgebung zu »finden«. Dieselben haben mir
später bei meiner eigenen Flucht Dienste geleistet. Ein anderer
Gefangener, Grün, hatte sich in Devonport einen Empfangsapparat gebaut
und so mancherlei wichtige Sägen und Werkzeuge »gefunden«, die für eine
Flucht von Wert sein konnten. Außerdem hatten die Deutschen während
ihres Hierseins die feinen elektrischen Zündapparate der Seeminen,
nachdem sie gereinigt und von einer Kommission zur neuen Verwendung
geprüft und abgenommen waren, auf geniale Art und Weise unbrauchbar
gemacht. Grün hatte in seiner Matratze Unmengen von Schießbaumwolle und
hat wochenlang darauf geschlafen.

  [2 Illustrationen:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Panorama von Motuihi.]

Motuihi ist eine viertausend Morgen große Insel gegenüber Neuseeland in
der Nähe der Stadt Auckland. Auf dem größeren Teil dieser Insel durften
wir uns frei bewegen. Welche Erlösung war dies, als wir aus dunkler
Arrestzelle herausgeführt auf Motuihi landeten und den freien Blick in
die Natur wieder genossen! Noch mehr aber als der blaue Himmel und die
grüne Erde erquickte uns der Anblick der vielen deutschen Landsleute;
fast vergaß man in erster Freude, daß wir alle zusammen Gefangene waren.

Wir wurden mit unseren verhältnismäßig frischen Nachrichten aus der
Heimat in dieser seit August 1914 vom Vaterland abgeschnittenen Schar
wie Boten des Himmels begrüßt.

Es war der Gouverneur der deutschen Kolonie Samoa, Exzellenz Dr. Schultz
mit seinen Beamten und deutschen Pflanzern und Kaufleuten, die seit zwei
Jahren auf Motuihi interniert waren.

Als die Neuseeländer schon Ende August 1914 Samoa besetzt hatten, fanden
sie dort nicht die winzigsten Handhaben zur Erfindung »deutscher
Greuel«, die ihnen ein strenges Vorgehen gegen unsere Landsleute
ermöglicht hätten. Im Gegenteil baten die von uns stets mit fast zu weit
getriebenem Wohlwollen behandelten, auf Samoa ansässigen Engländer in
einer Petition die neuseeländischen Besatzungsbehörden, die unsrigen
anständig zu behandeln, und Oberhäuptling Tamasese, dem die Neuseeländer
erklärten, sie wollten die Deutschen zu deren »Schutz« internieren,
erwiderte stolz: »Das ist überflüssig, die Deutschen stehen unter dem
Schutz der Samoaner.« Aber alles das half nichts gegen den Vorsatz, die
»deutsche Pest« aus Samoa auszutilgen.

Hierzu fand man das geeignete Werkzeug in einem bankerotten
Schafzüchter, dem Milizoberstleutnant Logan. Dieser »Buschlümmel«
richtete eine wahre Schreckensherrschaft auf und wütete gegen die
deutschen Frauen und Kinder, die er in gesundheitsmordenden
Internierungslagern einsperrte; denn, wie er dem protestierenden
Schweizer Konsularagenten amtlich erklärte, »die deutschen Frauen sind
Nattern und brüten Nattern aus«. So sah er sein Hauptziel darin,
möglichst viele deutsche Kolonisten von ihren Familien zu trennen und
auf dem Umweg über willfährige Kriegsgerichte und das Aucklander
Zuchthaus in neuseeländische Konzentrationslager zu bringen. In
jahrelanger, ungestörter Arbeit gelang es ihm, die meisten Deutschen zu
deportieren, und als in den neuseeländischen Lagern Raummangel eintrat,
richtete er im tropischen Apia ein eigenes Konzentrationslager in --
einem Kopraschuppen ein. Diese Fürsorge für die Wehrlosen, wie sie
zuerst Lord Kitchener mit den Konzentrationslagern für Burenfrauen in
die Kriegsgebräuche der zivilisierten Welt eingeführt hatte, wurde
ergänzt durch das Aufhetzen der Eingeborenen und chinesischen Kulis
gegen alles, was noch deutschen Namen trug. Die Gerechtigkeit fordert,
hinzuzufügen, daß Ehren-Logan sich so sehr nicht hätte gehen lassen
können, wenn nicht das neuseeländische Kabinett, insbesondere der
Kriegsminister James Allen, von gleichen Gefühlen beseelt und unter
Bruch aller Austauschverträge die Hände schützend über den Wüterich
gebreitet hätte. Und hinter der neuseeländischen Regierung stand
wiederum, stets zur Deckung bereit, die englische. »Giftschlangen« hat
uns ja auch der Gouverneur von Neuseeland, ein englischer Aristokrat, in
öffentlicher Kundgebung genannt.


  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Im deutschen Gefangenenlager hat sich das Gerücht unserer Ankunft
  verbreitet.
  Gespannte Erwartung.]

In den neuseeländischen Lagern waren Gefangene von über 70 und unter 10
Jahren! Das Versprechen, die Leute, die 45 Jahre überschritten hatten,
auszutauschen, wurde dauernd hintertrieben, soweit es sich um Personen
von aufrechter deutscher Gesinnung handelte. Bewunderungswürdig ist es,
wie der Engländer nichts zu tun versäumt, was einer feindlichen Rasse
auf Menschenalter hinaus schadet, und wie er dabei mit den
Unglücklichen, deren bürgerliches Dasein und deren Gesundheit er grausam
ruiniert, reden kann, als ob ein Freund zu ihnen spräche: »Wir
internieren Sie nur, um Sie zu schützen. Die Regierung will Ihr Bestes.«
Der Engländer, als einzelner Mensch vielfach so sympathisch, ist doch in
einem von uns Deutschen kaum nachfühlbaren Grad von der Politik seines
Landes durchdrungen. Einerlei, ob er Demokrat oder Aristokrat, ob er
Mitglied des »Vereins christlicher junger Männer« oder ein jovialer
Landmann ist, die Gemeinsamkeit der nationalen Interessen bestimmt sein
Verhalten stets von Mensch zu Mensch. Der Deutsche schnauzt einen an und
sagt gehörig seine Meinung, aber er tut, was er verspricht. Der
Engländer bleibt immer gemessen und verbindlich, aber auf sein Wort dem
Ausländer gegenüber ist nicht viel zu geben. Die stehende Phrase: »_We
will see, what we can do for you, we shall try our best_ (Wir wollen
sehen, was wir für Sie tun können, wir werden unser Bestes versuchen),«
wurde zum geflügelten Wort unter uns Gefangenen. Während der Arglose
dauernd hoffte, geschah in Wirklichkeit nichts.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  »... In den neuseeländischen Lagern waren Gefangene von über 70 und
  unter 10 Jahren.«]

Bekamen die Gefangenen einmal Besuch von ihren Frauen, so durfte das
Gespräch auch bei mangelnder Kenntnis des Englischen nur in dieser
Fremdsprache und im Beisein eines Postens geführt werden. Zu der
vollständigen Rechtlosigkeit und Ohnmacht der Gefangenen nehme man die
niederdrückende Einwirkung der feindlichen Presse, deren
Hauptdaseinszweck schien, alles Deutsche zu schmähen und ihm den
Untergang vorherzusagen; die Ungewißheit über die Dauer der
Freiheitsberaubung, die Aussicht auf Verarmung oder gar Verlust der
Existenz, das lastende Gefühl einer ungeheuren Ungerechtigkeit und eines
parteiischen Schicksals: -- wieviel Herzlichkeit und guten Willen hatte
die verfemte deutsche Rasse nötig, daß man hinter dem Stacheldraht in
all den Jahren den Humor nicht ganz verlor.

  [Illustration:
  »... daß man hinter dem Stacheldraht den Humor nicht ganz verlor.«]

Als wir Seeadlerleute auf Motuihi ankamen, die wir doch auch schon fast
ein Jahr von der Heimat entfernt lebten, wurde uns von den Landsleuten
die Seele fast aus dem Leibe gefragt, und es gelang uns, durch Berichte
von daheim manch schwerumdüstertes Gemüt etwas aufzuhellen.

Der Lagerkommandant, Oberstleutnant Turner, war unendlich stolz, endlich
richtige Kriegsgefangene zu bekommen, und diesem Angehörigen eines
demokratischen Landes schmeichelte es merkwürdigerweise besonders, sich
recht öffentlich mit seinem »Count« zu zeigen. Ich benutzte diese kleine
Schwäche und arbeitete mich in sein Vertrauen hinein. Denn ich hatte
einen bestimmten Plan, den vorerst im Lager niemand ahnen durfte, außer
Kircheiß und meinen Freunden v. Egidy und Osbahr, zwei deutschen
Regierungsbeamten aus Samoa, die ich im Lager kennen lernte, und denen
ich bald manchen Rat zu danken hatte.

  [Illustration:
  Exzellenz Dr. Schultz als »_Honoured Guest of the New-Zealand
  Government_«. (So wurde ein deutscher Gouverneur den Austauschverträgen
  zuwider festgehalten.)]

Als ich mit beiden meinen ersten Spaziergang machte, fiel mir ein
wunderhübsches Motorboot ins Auge. »Wem gehört das?« fragte ich. »Das
steht dem Lagerkommandanten zur Verfügung.« »Das Boot ist mein; damit
fahre ich los«, war meine unwillkürliche Antwort. Insel ... Motorboot
... allerlei Möglichkeiten sausten durch das Gehirn, und mein Entschluß
stand fest. Aber nur nichts unternehmen, bevor man nicht Herr der
Situation war. Wir durften uns auf der Insel ziemlich frei bewegen,
mußten aber bis abends 6 Uhr ins Lager zurückgekehrt sein. Überall waren
Wachtposten aufgestellt. Nach dem ersten Eindruck zu urteilen, waren wir
gut bewacht.

Zu einem ernsthaften Fluchtversuch gehörten so umfangreiche
Vorbereitungen, daß die Neugier der Lagerkameraden mir das größte aller
Hindernisse schien. Insbesondere war da ein naturalisiertes Subjekt, ein
österreichisch-polnischer Arzt, hochintelligent, aber verkommen, der für
die neuseeländischen Behörden den Spitzel machte. Ihn galt es zuerst
einzuwickeln. Ich hatte durch die Bootsfahrt und die Gefängnisse
körperlich gelitten und war sichtlich angegriffen. Rheumatismus ist
bekanntlich die Krankheit, die man objektiv nicht nachweisen kann.
Wunderbarerweise war ich trotz aller Strapazen von ihr verschont
geblieben, aber wer durfte es bezweifeln, wenn es mir nun nach allen
Regeln der Kunst anfing vom Nacken den Rücken herunter zu ziehen?
Vielleicht bekam ich sogar Ischias. Jedenfalls war der Österreicher
besorgt und meinte, das käme davon und mein Lebenswandel rächte sich
nun. An Regentagen, wo ich draußen nichts anfangen konnte, legte ich
mich ganz zu Bett und stöhnte. Bei schönem Wetter ging es etwas besser.
Unser Zimmermann machte mir ein paar Krücken, mit denen humpelte ich
dann aus dem Bett: »Es ist zu schönes Wetter, ich =will= hinaus.« Osbahr
warnte mich manchmal, ich möchte nicht zu sehr übertreiben. Aber der
Doktor versicherte mir, ich müßte furchtbare Schmerzen haben, versuchte
mir allerlei Erleichterungen zu verschaffen und pinselte mich mit Jod
ein. Der Lagerkommandant kam an: »Armer Graf!« und hatte großes Mitleid.
Hinter meinem Rücken sagte er zwar beruhigt: »Gott sei Dank, daß er
Rheumatismus hat. Er ist ein gefährlicher Bursche. So kann er wenigstens
nichts machen.« Man glaubte mir aber alles. Gelegentlich sagte Turner
scherzend zu mir: »_Well, count, you will not run away, you know, I am
Colonel; if you run away, I loose my job._« (Wenn Sie weglaufen, verliere
ich meinen Posten.)

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  »... Wenn Sie weglaufen, verliere ich meinen Posten.«]

Dann machte ich den Arzt zu meinem Vermögensverwalter, was sein Zutrauen
steigerte, besonders da ich ihm vorgeflunkert hatte, daß ich mir eine
große Summe Geldes aus Deutschland schicken ließe, von der einige
Prozente für ihn abfallen sollten. Die Landsleute warnten mich öfters,
ich möchte mich nicht zu tief mit diesem Menschen einlassen, und
konnten es gar nicht begreifen, daß ich allen Verdacht bestritt und
Stein und Bein auf ihn schwur. So mußte ich überhaupt auch die
anständigen Elemente im Lager in Täuschung halten, um mein Unternehmen
durchzusetzen.

Dann suchte ich mir meine Mannschaft unter der Hand zusammen. Im Lager
waren 14 Schulschiffkadetten des Norddeutschen Lloyd, die immer eng
zusammenhielten in jugendlicher Abenteuerlust. Von ihnen konnte ich nur
sieben gebrauchen. Meine Lebenserfahrungen hatten mich darin geübt, die
Menschen auf ihre Eignung einzuschätzen, namentlich auf Zuverlässigkeit
und Kühnheit hin. Es war nicht leicht, die sieben von ihren Kameraden zu
trennen und letztere über den Fluchtplan zu täuschen. Außerdem gewann
ich noch einen Funkentelegraphisten aus Samoa, den schon erwähnten Grün,
und den Motor-Ingenieur Freund, welchen der Lagerkommandant damit
beauftragt hatte, sein Motorboot in Ordnung zu halten. Der andere
Vertrauensmann Turners war der Kadett Paulsen, der sein Boot steuerte
und außerdem die Lagerkantine verwaltete.

Nun galt es, unsere Ausrüstung zu beschaffen. Ich ging zum
Oberstleutnant und sagte ihm, es wäre hier gar nichts los, ich wollte
gern zu Weihnachten eine Theateraufführung machen. Mein
Unternehmungsgeist erschreckte ihn: »Um Gotteswillen, Graf, Sie laufen
mir doch nicht weg?«

»Sehe ich aus wie einer, der weglaufen will? Abgesehen von meinem
Rheuma, ich bin so wasserscheu geworden, ich gehe überhaupt nicht mehr
in oder aufs Wasser. Wenn ich nur schon zu Hause wäre.«

»Aber Ihre >Seeadler<-Mannschaft? Ist es nicht möglich, daß sie mit
einem Schoner kommen und Sie abholen wollen?«

Die Feinde hatten den Aufenthalt der Mopelianer noch nicht
herausbekommen. Krause, Lüdemann, Permien und Erdmann waren im
Arresthaus zu Wellington geradezu gefoltert worden, um aus ihnen die
Wahrheit über die »Seeadler«-Besatzung herauszubringen. Aber die braven
Jungs hatten lieber in zugiger Zelle auf dem nackten kalten
Betonfußboden geschlafen und sich böse Krankheiten dadurch zugezogen,
als daß sie sich durch solche Quälereien zu Aussagen verleiten ließen.
»Alle für einen, einer für alle« war unser Wahlspruch, dem wir treu
geblieben sind, deutsche Soldaten auch noch als Sträflinge bei Wasser
und Brot! So hat der Feind dauernd in Spannung gelebt, daß irgendwo und
-wann der »Seeadler« wieder auftauchen könnte. Er hat viel Geld für
Bewachen und Abstreifen der See ausgeben müssen.

Ich versicherte nun dem Oberstleutnant, daß meine Leute, wenn sie
könnten, sicher auf neue Kaperfahrt gingen, aber keinesfalls daran
dächten, mich zu entführen. Er gab schließlich die Erlaubnis zum
Theaterspielen. Ich zog ihn nun ins engste Vertrauen und es gelang mir,
ihn für den Theaterplan lebhaft zu erwärmen. Unter anderem sagte ich
ihm, ich führte das Stück nur unter der Voraussetzung auf, daß keiner
vom anderen wüßte, welche Rolle er spielte, denn es sollten nicht nur
die Zuschauer überrascht werden, sondern auch die, welche mitspielten.
So gab ich den Kadetten, welche nicht zur Flucht geeignet waren,
ordentlich was zu lernen auf. Mit vereinten Kräften wurden Verse
geschmiedet und memoriert. Einige mußten Schiffe ausschneiden als
Silhouetten, denn ich wollte aus bestimmten Gründen die Schlacht beim
Skagerrak aufführen. So fühlen sie sich auch im Vertrauen. Meine
Kadetten malten Kriegsflaggen, nähten Mützenbänder und verfertigten
schwarz-weiß-rote Kokarden. Wenn einer kam und fragte, hieß es: »Du
weißt, der Graf hat gesagt, wir dürfen voneinander nichts wissen.« Alles
geschah heimlich und der Oberstleutnant freute sich, und wenn ihm etwas
Verdächtiges gemeldet wurde, lächelte er überlegen: »Ja, ich weiß schon,
das ist Theater.«

Aus Marmeladebüchsen wurden von den wirklich Eingeweihten Handgranaten
hergestellt mit Hilfe eines Sprengstoffes, den meine Jungs einem Farmer,
bei dem sie Baumwurzeln sprengten, stibitzt hatten. Funkentelegraphist
Grün, ein Genie in seinem Fach, baute eine drahtlose Empfangsstation.
Kadett von Zartowsky verfertigte aus einem alten, angetriebenen
Rudersextanten, Rasierapparaten und geschliffenen Spiegeln einen
Sextanten, der uns nachher nur um 50 Seemeilen aus dem Weg gebracht hat,
also den Umständen nach gut arbeitete. Der Sextant ist heute in einem
feindlichen Museum ausgestellt; eine Gesellschaft der Wissenschaften hat
eine eigne Sitzung über diese außerordentliche Leistung von
Erfindungsgabe bei dürftigen Hilfsmitteln abgehalten.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Bei unsern Hühnerställen.]

Wir mußten nun auch Segel haben für unser Motorboot. Paulsen ließ hinter
den Kantinenbestellungen auf dem Bestellzettel gewisse Lücken offen, die
er, nachdem der Oberstleutnant seine Unterschrift gegeben hatte,
nachträglich ausfüllte. So bezogen wir dutzenderlei nötige Materialien
aus Auckland, und wenn der Kommandant erneut von einem Untergebenen auf
die auffälligeren Bestellungen hingewiesen wurde, blinzelte er
verständnisinnig: »Es ist in Ordnung, ich weiß schon.« Nur als ich
einmal als Theaterdirektor für die Vorbereitungen einen abgetrennten
Platz verlangte, den niemand ohne des Kommandanten besondere Erlaubnis
betreten durfte, lehnte er ab. Das war ihm denn doch zu viel.

  [Illustration:
  »... Das Hühnersterben fiel auf.« Der österreichisch-polnische Arzt
  erklärt es dem Lagerkommandanten.
  (Englische Karikatur nach unserer Flucht.)]

Wir beschafften uns also Proviant in großen Mengen, vor allem Eßwaren,
die wenig Platz einnehmen und bei der Zubereitung ordentlich aufquellen,
wie Reis und Grütze. Die Lagerhühner schlachteten wir heimlich eines
nach dem anderen weg und weckten sie ein. Das Hühnersterben fiel auf,
und der Doktor, der autoritativ auf eine Geflügelpest diagnostizierte,
gab Pulver unter das Futter, worauf die Tiere natürlich noch rascher
wegstarben. Es fiel schließlich auf, daß die toten Hennen fast nie zu
finden waren. Aber inzwischen war unser Vorrat auch schon genügend.

Unser zukünftiges Segel wurde als Theatervorhang genäht, und schließlich
auch eine Bühne aufgebaut. Wenn eine Wache vorbeikam, lernten die,
welche an Handgranaten oder am Sextanten arbeiteten, fleißig ihre Verse,
und der Kommandant erbat sich von mir, der ich an meinen Krücken
umherschlich, eine englische Übersetzung des Ganzen aus.

Die Kosten für die Ausstattung wurden durch eine Sammlung im Lager
aufgebracht. Der Arzt verwaltete mir die Theaterkasse und sah dabei
schon zu, daß er zu dem Seinigen kam. Dann galt es, Ferngläser, Karten
und gute Uhren zu beschaffen. Die Karten schnitt ich aus Atlanten aus.
Es wurden ja immer nur die Blätter Frankreich und Rußland aufgeblättert,
und wenn einer wirklich einmal die Südsee nachsehen wollte, dann hatte
er doch nicht mich im Verdacht des Diebstahls. Ich ließ aber alles
Entwendete aufschreiben und die Eigentümer später entschädigen. So
machte ich es auch mit den Ferngläsern. Einige davon wurden mir von
Reserveoffizieren geliehen, die einsahen, daß ich sie brauchte, um das
gegenüberliegende Fort zu beobachten und daran Admiralsaufgaben zu
bearbeiten. Das beste Glas gehörte aber einem Herrn, der es sehr
sorgfältig hütete. Ich machte ihn ängstlich: »Passen Sie auf, daß es die
Leute nicht klauen. Haben Sie es auch gut versteckt«. Ich ließ mir das
Versteck zeigen und stritt mit ihm darüber, daß das nicht sicher wäre.
Dann nahm ich es ihm fort, und er kam betrübt zu mir: Ich hätte nun
leider doch recht behalten. Er mußte später lachen, als er es wieder
erhielt. Jeder, dem ich sein Glas oder seine Uhr abschwatzte, wurde
verpflichtet, es vor den anderen geheim zu halten, damit meine
angebliche »Spionagetätigkeit« nicht herauskäme. Die meisten haben
übrigens später auf Entschädigung verzichtet und dachten wie ich beim
Schwindeln: Alles fürs Vaterland.

Als wirkliche Waffen fertigten wir uns Handgranaten und Dolche, die wir
aus Dreikantfeilen schliffen. Da wir auf unserer Kreuzfahrt die
Erfahrung gemacht hatten, daß wir mit Waffen kaum etwas zu tun hatten,
vielmehr eine Flagge, einige Scheinwaffen und etwas Draufgängertum
genügten, so zimmerten wir uns ein paar Scheinrevolver und sogar ein
imitiertes Maschinengewehr aus Petroleumbehältern. Ein Chemiker stellte
uns Gasbomben her. Ein paar richtige Handfeuerwaffen mußten wir aber
haben. Während einmal alles im Lesezimmer um eine neue Zeitschrift
versammelt war, entwendeten wir aus einem verschlossenen Raum zwei
Gewehre und elf neuseeländische Uniformen. Kircheiß ging gerade mit
einem Gewehr im Nachtanzug zu unserem Versteck, als ihn ein Wachtposten
anrief. Er schützte aber etwas anderes vor und entfernte sich mit
gemessener Eile in merkwürdig gezwungener, steifer Haltung, das Gewehr
in der Hose versteckt.

So wurde unsere Erfindungsgabe unaufhörlich beschäftigt. Wie brachten
wir nun aber unsere ganze gesammelte Ausrüstung in das vor Anker
liegende Boot hinein, das keiner betreten durfte?

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Letzte Vorbereitung zur Flucht. »... Die Tommys ziehen dienstbeflissen
  das Boot an Land« (und werden dabei von uns photographiert).]

Wir hielten einen Kriegsrat. Im allgemeinen vermied ich es peinlich, mit
den Kadetten zusammenzukommen. Herr von Egidy, der meine rechte Hand
wurde und als Nichtseemann unauffällig mit den Kadetten verkehren
konnte, führte die von uns entworfenen Ideen im einzelnen durch, während
ich mich möglichst müßig zeigte. Sonntags aber ließ ich mich von den
Kadetten gelegentlich zum Kaffee einladen, und da wurde folgender Plan
gesponnen. Freund, der Motormann, und Paulsen, der Steuermann,
erzählten dem Oberstleutnant, der Schraubenschaft des Bootes wäre leck.
Beunruhigt befahl er darauf seinen Soldaten, das Boot so schnell wie
möglich aufs Land zu holen. Prompt am andern Morgen stehen bei
Hochwasser die erforderlichen Tommys am Strand und ziehen mühselig, aber
dienstbeflissen als ahnungslose Werkzeuge unseres Planes das Boot an
Land. Außer der Reparatur ließ Turner gleich auf Freunds und Paulsens
Vorschlag das ganze Boot malen, da er es zum Verkauf ausgeschrieben
hatte und gern proper haben wollte. Nun hatten wir reichlich Zeit, es
nach Wunsch zu bepacken, und die beste Gelegenheit ergab sich dadurch,
daß einige von uns mit Farbenpötten sogar die Nacht über beim Boot
verweilen durften.

Die Kadetten Schmid und Mellert hatten stets die Kohlen für das
Gefangenenlager zu fahren, ihnen war das Pferd anvertraut. Jetzt karrten
sie unsere ganzen Vorräte unter leeren Kohlensäcken zur Landungsbrücke
hinab. Seekadett Mellert war der besondere Vertrauensmann des Farmers
und durfte als Hammelschlächter unten am Strand außerhalb des Lagers
wohnen. Nun war aber in diesem Hause leider auch ein naturalisiertes
Subjekt, ein gewisser P. H., der sich durch Schmuserei die Erlaubnis
verschafft hatte, dort unten zu hausen. Diese naturalisierten
Deutschen, die durch die Strenge der feindlichen Kriegsmaßnahmen
zwar von der Gefangenschaft nicht verschont blieben, aber dann als
Vaterlandsverleugner sich Vergünstigungen verschafften, waren der
trübste Punkt im Lagerleben und erinnerten nur allzusehr an manche
Seiten der deutschen Geschichte, wo sich Landsleute im fremden Dienst
auf Kosten des Zusammenhalts und der Kraft unserer Nation emporgebracht
haben. Übrigens verachteten die Engländer die schlechten Deutschen am
meisten. Dieses Subjekt saß nun dauernd am Fenster, las in einem Buch
und sah beim Malen des Bootes zu. Es war ungemütlich, aber nicht zu
ändern. Vermutlich wollte er durch Verrat sich die Freiheit verdienen.

Die »Perle« war ein prachtvolles Boot von etwa neun Meter Länge, mit
einem hervorragenden Motor. In die Bilge, den Doppelboden, worin sich
das Leckwasser sammelt, damit man trockene Füße behält, verpackten wir
nun unsere Uniformen, Privatsachen und für sechs Wochen Proviant.
Außerdem wurden die vorhandenen Schiebladen aufgefüllt und dicht
vernagelt. Als der Kommandant einmal danach fragte, wurde ihm frech
und frei geantwortet, sie wären zugenagelt, weil sie doch nie
gebraucht würden und bei der Fahrt klapperten. Ferner nahmen wir
öffentlich Frischwasserbehälter hinauf, die dem Kommandanten als
Reservebenzinkannen bezeichnet wurden, und einen von uns selbstgebauten
Kondensapparat, mit dem man in einer Stunde zwei Liter Wasser herstellen
konnte.

So wurde das Boot in den unsichtbaren Räumen vollgepackt. Alles war
darin, auch die Gewehre. Wie aber sollten wir uns Munition verschaffen?
Der Munitionskasten der Lagerwache zog uns an wie Honig die Bienen,
aber es schien unmöglich, an ihn heranzukommen, da er sich in dem
gutverschlossenen Warenschuppen neben den Soldatenbaracken befand. Der
Schlüssel dazu hing im Wachtlokal, vor dem dauernd ein Posten auf und ab
ging. Wie konnten wir an dem Tommy vorbei zu dem Schlüssel gelangen? Wir
grübelten lange hin und her, die schwierige Frage löste sich aber eines
Tages ganz plötzlich.

Schmid und Mellert hatten eine Ratte gefangen, ihr ein Band ans Bein
gebunden und einen Kater darauf scharf gemacht. Das kleine Sportereignis
zog natürlich den wachestehenden Tommy lebhafter an als sein Wachtlokal.
Während dieser nun den Rattenfänger anfeuert: »_Let him catch him_«,
schlüpft Mellert heimlich und leise zu dem Türpfosten, hakt den
Schlüssel ab und sobald er ihn hatte, wurde auf einen heimlichen Wink
hin das Kampfspiel abgebrochen und die Ratte zur späteren Verwendung
aufgehoben. Der Wachtposten war recht enttäuscht.

Dann begab man sich nach dem Warenschuppen, worin der Munitionskasten
stand, und weg damit zum Zelte Grüns. Außer der Munition, die wir im
Boot mitnehmen wollten, interessierte uns auch besonders die Munition,
die die Soldaten in ihren Bereitschaftskästen hatten. Wir wollten den
Feind dadurch bei einem etwaigen Alarm, den unsere Flucht zur Folge
haben könnte, entwaffnen. Dies geschah dadurch, daß wir aus den Patronen
das Pulver bis auf einen kleinen Rest entfernten, Papierabschluß
daraufsetzten und die Patronen mit Sand wieder auffüllten. Wenn die
Neuseeländer nun schießen wollten, dann reichte das Pulver gerade so
weit, daß die losgeschossene Kugel in den Zügen stecken blieb. Bätsch!
war es alle; die im Laufe steckende Kugel, festgetrieben durch den Sand,
machte das ganze Gewehr unbrauchbar.

Die so »_Made in Germany_« bearbeiteten Patronen wurden schließlich wieder
in den Warenschuppen gebracht. Nun galt es, den Schlüssel im Wachtlokal
anzuhängen, wozu Katz und Maus wieder erschienen. »_Let him catch him_«,
rief der Posten voll Vergnügen, und der Schlüssel hing bald wieder an
seinem Ort. Nur der Senior unseres Lagers, der immer auf den guten Ruf
des Deutschtums bedachte Herr Höflich aus Samoa, machte mich in ernstem
Tone auf das Bedenkliche einer solchen Tierquälerei aufmerksam, die
unter den Augen des Feindes uns als »_cruel huns_« erscheinen ließe und
auch unsere Landsleute empöre.

  [Illustration:
  Oberstleutnant Turners Entschuldigung vor dem Kriegsgericht:
  »Ich hatte nur g. v.-Leute als Wachpersonal.« (Englische Karikatur.)]

Benzin hatten wir nach Belieben, da der Oberstleutnant darin ein großer
Hamsterer war. Bei der Prüfung seiner Bestände fand der Kommandant, daß
Zahl und Gewicht der Behälter immer stimmten; nur der Stoff innen hatte
sich mehr und mehr in klares Brunnenwasser verwandelt.

Jetzt konnten die vielen Tommys wieder antreten. Das gutbemalte,
tadellos gestaute Boot lag bald wieder im Wasser.

  [Illustration:
  Der Lagerkommandant erkundigt sich nach unserer Gesundheit, während wir
  unsere Ausrüstung ausarbeiten. (Englische Karikatur.)]

Das Lagertelephon hatte Grün in einer Kiefernschonung geerdet, aber so,
daß wir einen Schalter hatten, den wir nur umzulegen brauchten, um die
Leitung zu unterbrechen. Mit einem Telephonhörer, den einige
Mitgefangene aus Devonport mitgebracht hatten, hörten wir jetzt in einer
als Zelle eingerichteten Wurzelhöhle den telephonischen Verkehr des
Lagerkommandanten mit dem Hauptquartier in Auckland ab. Nachts befanden
sich gelegentlich in der Gegend Motorboote, welche Übungen abhielten.
Wir hatten nie recht erfahren können, warum, mußten das aber nun
herausbekommen. Denn diese rätselhaften Vorsichtsmaßregeln beunruhigten
uns lebhaft. Wir legten also den Hörer im Walde an die Telephonleitung.
Dort hatte jeder von meinen Jungs zwei Stunden Wache, um die Gespräche
des Lagers mit dem Hauptquartier zu belauschen. Von jetzt ab waren wir
über alles unterrichtet. Wir hörten auch, daß der Oberst Patterson in
Auckland Turner Vorwürfe machte, weil die Morselichtsignale nicht
abgenommen würden. Der Oberstleutnant erwiderte, daß zu heller
Mondschein gewesen wäre. Wir hörten weiter, daß die Übungen dazu dienen
sollten, aufzupassen, falls die Deutschen nachts ausbrechen wollten. Wir
mußten unser Programm also für den Tag einrichten. Gleichzeitig machte
der Oberstleutnant darauf aufmerksam, daß er tags nur das Telephon zum
Alarm hätte; ob man ihm nicht ein Helioskop schicken wolle?

Das Helioskop kam nach wenigen Tagen an. Aber unsere Jungs, die besser
wußten, was eine Helioskopkiste war, als die neuseeländischen Soldaten,
und bei deren Bequemlichkeit regelmäßig als Hilfskräfte beim Auspacken
herangezogen wurden, brachten die Kiste beim Entladen des ankommenden
Verkehrsbootes sofort in Sicherheit. Bei dem lässigen Behördenbetrieb
fiel es zunächst niemand auf, daß das Helioskop auf sich warten ließ,
und wir selbst brauchten es doch viel nötiger als der Kommandant.

Immerhin sahen wir, daß man auf uns aufpaßte. Sogar die Telephonleitung
sollte einmal untersucht werden. Glücklicherweise kamen die Arbeiter
erst nach unserer Abfahrt, die wir von dem zuerst angenommenen Zeitpunkt
hatten verschieben müssen.

Je mehr sich unsere Vorbereitungen dem Abschluß näherten, desto
schlimmer wurde mein Rheumatismus. Der Kommandant bedauerte mich immer
mehr und war innerlich immer zufriedener. Aber auch die Soldaten nahmen
etwas größeren Anteil an mir. Einer bot mir aus Mitleid mal ein Mittel
an, »Farmers Friend« hieß es. Er hätte viel mit Pferden zu tun gehabt,
da hätte es gut getan, es würde auch dem Grafen jetzt gut helfen. Ich
ließ mir die Pferdekur geben und rieb mich angeblich damit ein. So wurde
der Soldat mein Berater für körperliche Leiden und immer intimer mit
mir, so intim, daß ich ihn und einige seiner liebsten Kameraden am
letzten Tage sogar die militärischen Abzeichen mitbringen lassen konnte,
als »Andenken«, in Wahrheit brauchte ich sie natürlich für die
Vervollständigung der neuseeländischen Uniformen, in welchen meine
Bootsmannschaft losging. Ich selbst trug schon stets im Lager
neuseeländische Uniform (mit deutschem Marineabzeichen). Die deutschen
Beamten aus Samoa, die nicht eingeweiht waren, fanden das natürlich
skandalös.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel).
  »... Ich selbst trug schon stets neuseeländische Uniform.«]

Ich hatte meine Leute vollkommen in der Hand. Wenn es nötig war, wies
ich einen wohl in seine Schranken zurück, wir blieben aber Freunde. Daß
ich in allem Tun und Lassen mit einer gewissen Kühnheit verfuhr,
begeisterte die Leute, sobald sie hin und wieder den Beweis erhielten,
daß das Beabsichtigte gelang. Die Kadetten mußten die vorbeifahrenden
Schiffe stets beobachten, wie oft sie kamen, welche Typen es waren usw.
Die Nachrichten wurden dann zum Plane verwertet.

Wir waren fertig, und nun kam für uns die Generalprobe heran. Am
hellichten Tage machten wir blinden Alarm; denn als richtige Deutsche
mußten wir auch die Gewißheit haben, daß alles Erfundene und Erarbeitete
solide war und klappte.

Auf ein Stichwort begab sich also jeder auf seinen Posten. Grün sollte
das Telephon umstellen, zerstören wollten wir es nicht, um im Fall des
Mißlingens der Flucht keinen Verdacht zu erwecken. Klöhn hatte das
kleine Ruderboot entzweizuschlagen, damit die Verfolgung erschwert
würde. Schmid fuhr mit dem Wagen hinunter, Kohlen holen, in Wirklichkeit
aber unter den leeren Säcken Benzin hinunterschaffend. Ich selbst ging
mit Herrn von Egidy in das Gouverneurhaus, wo ich alles übersehen
konnte. Paulsen und Freund sollten eine halbe Stunde vor Abfahrt in die
»Perle«, um sie »reine zu machen«. Kircheiß half Mellert in dessen Haus
beim Packen der letzten Sachen, und zu guter Letzt kam ich mit Egidy
»auf einem Spaziergang« zur Landungsbrücke.

Den Probealarm haben wir tatsächlich in Gegenwart des Kommandanten
ausgeführt, ohne daß er etwas ahnte. Bei dieser Übung sahen sich die elf
Verschworenen zum ersten Male alle gegenüber. Vorher hatte ich nur
einzeln mit ihnen verhandelt und keiner wußte vom andern; so
gewissenhaft und verschwiegen hatten alle gehandelt. Nach den
Erfahrungen wurde auch die eine oder andere Anordnung abgeändert, und
mit deutscher Gründlichkeit war jetzt alles eingeübt.

Ein großer Teil der neuseeländischen Küstenschiffahrt kam an Motuihi
vorbei. Bequem konnten wir von der Insel aus in aller Ruhe mit unseren
Gläsern die Schiffe besichtigen, und wenn ein für uns passendes Fahrzeug
vorbeisegelte, ihm geräumigen Abstand lassen, um mit unserer schnellen
»Perle« hinterherzuflitzen. Da trat aber, als wir fertig waren,
schlechtes Wetter ein und infolgedessen fuhren auch keine Schiffe
vorbei, da der Wind von ungünstiger Seite kam.

Nun wollte Oberstleutnant Turner einmal fahren. Er liebte es, selbst zu
steuern. Paulsen setzte sich bei der Fahrt nach vorn zu Freund, damit
der Oberstleutnant behindert würde, nach vorn zu gehen und das Boot zu
untersuchen. Turner freute sich, daß er auf einmal so leicht und sicher
fuhr. Paulsen erklärte das damit, daß wir den Ballast umgelagert, hinten
etwas hineingestaut hätten. (Es waren ja auch 2000 Kilogramm verpackt).
Der Motor war vorher für das Boot zu stark gewesen und lief jetzt bei
größerer Belastung wirklich besser. Der Oberstleutnant saß auf
Handgranaten und steuerte, unsere Jungs ließen von ihrer Aufregung
nichts merken. Anderntags fuhr sogar der Kriegsminister in eigener
Person in unserer »Perle«.

Da ließ eines schönen Tages der Kommandant Paulsen kommen und fragte ihn
mißtrauisch: »Wo habt ihr den Schlüssel zur Ankerkette und zur
Bootskajüte?« Die Frage wirkte auf Paulsen wie ein Donnerschlag, er
mußte alles für verraten halten. In der Tat waren Turner Dinge zu Ohren
gekommen. In der Nacht war ein Zettel unter die Tür des Wachthauses
geschoben worden, worauf in schlechtem Englisch stand: »Bitte Boot
untersuchen. Es ist vollgepackt mit Proviant.« Turner geriet in
Aufregung und die Posten wurden verdoppelt. Wir wußten wohl, wer der
Lump war.

Alles schien nun verloren. Turner, der ein ruhiges Leben liebte, saß
immer etwas in Angst vor der öffentlichen Meinung. Er mußte denen
drüben in Auckland zeigen, was er für ein schneidiger Mann wäre, und so
wurden auch die Nachtübungen weniger aus Argwohn gegen uns veranstaltet,
als um drüben »_show_« zu machen. In Neuseeland wie in anderen
demokratischen Ländern stand häufig die Rücksicht auf die Stimmungen des
Publikums über allen anderen Erwägungen.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Prise in Sicht!]

Paulsen verstand es nun, als der Verrat geschehen war und alles auf des
Messers Schneide stand, genial den Gekränkten zu spielen und den
Kommandanten von der sofortigen Untersuchung des Bootes abzubringen.
Außerdem glaubte Turner ja, mich in der Hand zu haben, da ich mir
angeblich 100000 Mark hatte aus der Heimat schicken lassen. Er, der
frühere Kohlenhändler, hatte dies heimlich geschehen lassen; und er
hatte sogar, indem er zur Umgehung der Zensur den Brief unter
Dienstsiegel schickte, dazu gemurmelt: »_I hope, you will not forget me!_«
worauf ich ihm verständnisinnig zugenickt hatte. Es war das Gerücht
verbreitet, ich hätte die »Seeadler«-Reise auf eigene Rechnung gemacht.
Mein »Reichtum« machte fabelhaften Eindruck, und so dachte Turner, da er
ja 5000 Pfund Sterling sozusagen als private Kaution in Händen hatte,
nicht ernstlich an die Gefahr meiner Flucht. Das Behagen kehrte wieder.
Den Zettel hatte wohl ein Verrückter geschrieben, nahm Turner an. Der
schwere Augenblick ging unerwartet gut vorüber.

Nun wird man mich fragen, warum wir überhaupt fliehen wollten. Bei dem
ungeheuren Mißverhältnis zwischen unseren Kräften und der Macht des
Feindes und sonstigen Hindernissen, konnte nur ein ganz klarer und bis
ins einzelne durchdachter Plan dieses Unternehmen rechtfertigen. Das
Ziel war zunächst, den Oberst Logan auf Samoa in unsere Hände zu
bekommen, um ihm für seine Mißhandlungen deutscher Frauen einen
Denkzettel zu erteilen. Die Gefangennahme Logans gedachten wir
folgendermaßen zu ermöglichen. Mit der »Perle« mußte zunächst ein
Segelschiff gekapert werden, um überhaupt bewegungsfähig zu werden.
Darauf galt es, an geeigneter Stelle einen neuseeländischen Dampfer zu
kapern, denn nur mit einem Dampfer konnten wir in Samoa einlaufen und
Logan, der über starke militärische Macht verfügte, glauben machen, daß
wir ihm einen Befehl vom neuseeländischen Kriegsminister zu überbringen
hätten. Somit beabsichtigten wir, uns zunächst mit der »Perle« auf die
Lauer zu legen, bis wir uns eines Segelschiffes bemächtigen konnten, um
mit diesem dann nach der Hauptinsel der Cookgruppe, Rarotonga, zu
fahren, wo die Dampfer zwischen Neuseeland und San Franzisko anlaufen.
Wir wußten durch Gefangene, daß sich auf Rarotonga weder eine
Funkenstation, noch eine militärische Macht befand; die Eingeborenen
sollten sehr deutschfreundlich sein. Im Vertrauen darauf wollte ich mit
dem Motorboot unter deutscher Kriegsflagge in den Hafen von Rarotonga
einlaufen und die dortige Bevölkerung glauben machen, wir kämen mit der
»Perle« von einem draußenliegenden deutschen Hilfskreuzer. Die
Mützenbänder meiner Leute trugen zu diesem Zweck schon die Aufschrift S.
M. S. »Kaiser«. Der Name hätte durchgeschlagen. Dann wollten wir den
Residenten festnehmen und die paar auf der Insel lebenden Engländer
genau in derselben Weise internieren, wie wir interniert waren. Im
Besitz Rarotongas hätten wir den nächsten einlaufenden Dampfer
abgewartet. Die Dampfer hatten aber hinten und vorn Geschütze, wie war
es dann nur möglich, einen solchen in unsere Gewalt zu bringen? Wir
wären in neuseeländischen Mänteln und Mützen, den Residenten in unserer
Mitte, zum Dampfer hinabgegangen, um die übliche Visite zu machen. Im
Augenblick, wo uns der Kapitän freundlich begrüßte, hätten wir die
deutsche Flagge und Handgranaten gezeigt, die Geschütze sofort besetzt,
und da das verblüffende Auftreten uns im Augenblick die Oberhand gab,
hätten wir die Leitung des Schiffes bekommen. Dann wären wir auf Samoa
zugesteuert und hätten uns vorher durch drahtloses Telegramm als
Überbringer wichtiger Geheimbefehle des Kriegsministers an Oberst Logan
angekündigt. Auf dem amtlichen Briefpapier, das wir nebst den
dazugehörigen Stempeln und Namenszügen von Turners Schreibtisch genommen
hatten, hätten wir einen persönlichen Befehl an Logan übergeben, wären
selbst aber außerhalb des Hafens liegengeblieben. Logan hätte, wenn ihm
der Bote den Befehl überbrachte, darauf die eigenhändige Unterschrift
von Sir James Allen gefunden, denn wir hatten die Unterschrift bereits
in Kupfer ätzen lassen. Logan hätte darauf an Bord kommen müssen, und
wir hätten mit ihm an Bord die Kaperfahrt fortgesetzt. Das war unser
Plan.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Am Strand von Motuihi.]

Als Kommandant eines Kriegsschiffes brauchte ich auch noch unbedingt
einen Säbel. Den habe ich auf folgende Weise bekommen. An dem Tage
unserer Flucht war Turner früh nach Auckland gefahren, um seine Tochter
abzuholen. Er hatte etwas den Größenwahn und liebte fürstliches
Gepränge; so ließ er seine sämtlichen Offizierstellvertreter und
Unteroffiziere zum Empfang seiner Tochter an die Landungsbrücke kommen.
Mittlerweile ging einer meiner Jungs an seinen Schrank, holte die beste
Uniform heraus, nahm den Säbel aus dem Segeltuchfutteral und füllte
dieses, damit es straff hing, unten mit einem Senkblei, und oben, wo der
Säbelkorb hingehört, mit einer Konservenbüchse, und dann ging Mellert,
den Säbel im Hosenbein, mit einem Gemüsesack, aus dem ein paar
Gemüseköpfe hervorschauten, der auf dem Boden aber die Uniform enthielt,
forsch und bieder an dem festlich einziehenden Oberstleutnant vorüber.

Mellert ließ noch im Augenblick der Flucht bei dem Ruderboot, das wir
zerschlugen, einen Brief liegen, damit der Farmer, bei dem er
beschäftigt gewesen war, ihn fände. Die neuseeländischen Zeitungen haben
ihn als Beispiel deutscher Pflichterfüllung und Sachlichkeit abgedruckt,
und so mag dieser Abschiedsbrief eines echten Hunnen aus einer dieser
Zeitungen auch hier wieder abgedruckt stehen:

                                               _November 25^{th} 1917_

      _Mr. Melrose, farm manager._

        _Dear Sir,_

  _My country calls and I have to follow! For two years I worked on
  the farm, and I have always done my duty. With this letter I leave
  all the necessary notes, like milksupply, mutton-supply, and the
  list of the cows. I hope you will have no difficulties to arrange
  all under my successor. I kindly ask you to give my wages to
  Klaiber, as I owe him something, and he shall pay my canteen-bills.
  You may take my saddle and bridle, and pay a bill of about 30 s. to
  Hofmann, photographer, for me. I like to be square with everybody,
  and I have not got money enough to do all. I hope you will have not
  too much trouble by my departure, and with best wishes to you, I
  remain, yours_

                                                     _I. Mellert._[10]

[10]         Lieber Herr Melrose!

       Das Vaterland ruft und ich habe zu folgen! Zwei Jahre lang habe
       ich auf der Farm gearbeitet und meine Pflicht stets erfüllt. Mit
       diesem Brief lasse ich alle die notwendigen Aufzeichnungen zurück,
       wie Milchbestand, Hammelbestand, und die Liste der Kühe. Ich
       hoffe, Sie werden keine Schwierigkeiten haben, alles unter meinem
       Nachfolger zu ordnen. Ich bitte Sie freundlichst, mein Gehalt an
       Klaiber zu geben, da ich ihm etwas schulde und er meine
       Kantinenrechnung bezahlen soll. Sie können meinen Sattel und
       Zaumzeug nehmen und dafür eine Rechnung von etwa 30 Schilling
       für mich an den Photographen Hofmann bezahlen. Ich möchte mit
       jedermann im Reinen sein, und habe nicht Geld genug, allen zu
       genügen. Hoffentlich haben Sie nicht zuviel Verdruß durch meine
       Abfahrt, und ich verbleibe mit besten Wünschen für Sie Ihr

                                                             I. Mellert.

     Der wackere Seemann hat übrigens in Deutschland seine
     Farmerkenntnisse gut verwerten können. Jetzt, da es mit Seefahrt
     trübe aussieht, hat ihm verdientes Glück eine hübsche Bauerntochter
     mit stattlichem Hof in der Goldnen Aue in die Arme geführt. Sein
     Tagebuch war mir für dies und das folgende Kapitel von Nutzen.



Siebzehntes Kapitel.

Flucht und neue Kaperfahrt.


Der 13. Dezember 1917 war der Tag, an welchem die Flucht gelang. Das
Glück hatte uns an den tausend Zufällen, die unsere umständliche und
kecke Verschwörung vereiteln konnten, heil vorbeigeleitet. Jetzt wurde
dem Eifer meiner Jungs der Lohn zuteil. Die Freiheit winkte wieder, und
die Hoffnung, dem Vaterland mit unsern jungen, frischen Kräften dienen
zu können.

Es schien ja fast unbegreiflich, wie das Mißtrauen der Neuseeländer
eingeschläfert war. Hatten sie uns doch als Rarität in einer Weise
bewacht, wie noch kaum je Kriegsgefangene behütet worden waren. Sie
trauten mir die unglaublichsten Streiche zu. Wir waren sozusagen eines
ihrer größten Ruhmesblätter: als ein Mann, der seine ganze
Seemannslaufbahn in Australien angefangen hatte, war ich jetzt
Gegenstand der australischen Triumphgefühle, und die Zeitungen redeten
selbstgefällig von »weltgeschichtlichen« Ereignissen in der Südsee.
Fortwährend fürchtete man das Auftauchen der »Seeadler«-Mannschaft, und
über ein Dutzend Motorboote suchte die Gegend um Motuihi nach ihr ab.
Allem diesem zum Trotz konnten wir uns nun anschicken, die
Kriegsgeschichte jenes Erdenwinkels um ein ganz neues Kapitelchen zu
vermehren.

Der Oberstleutnant wurde mit seiner Tochter gegen Abend zurückerwartet.
Sobald er das Boot verlassen hätte, sollte Paulsen nach unserem
Kriegsplan den Mast niederlegen. Auf dieses Signal sollte jeder zusehen,
wie er aus der Lagerumzäunung käme, und zu seiner Rolle eilen.
Schwierig wurde das Verlassen des Lagers erst, wenn der Oberstleutnant
sich so sehr verspätete, daß der allabendlich um 6 Uhr stattfindende
Namensaufruf uns dazwischen kam, denn nachher durfte man das Lager nicht
mehr verlassen.

  [Illustration:
  »Mr. Turner, Sie haben die Tür offen gelassen.«
  (Englische Karikatur auf unsere Flucht.)]

Endlich um halb sechs Uhr wurde die »Perle« von unserem Ausguckposten
gemeldet. Diejenigen von uns, die nicht aus irgendeinem Grund vom
Namensaufruf befreit waren, mußten also diesen erst abwarten und danach
zu irgendeiner List greifen. Wir anderen entfernten uns jeder unter
einem Vorwand. Kircheiß ging, weil er zu einem Entenessen eingeladen
war, ich mußte zu Gouverneur Schultz usw.

  [Illustration: »... Ich mußte zu Gouverneur Schultz.«]

Um sechs Uhr legte die »Perle« an. Mister Turner wollte einen Trompeter
als Wache beim Boot lassen, bis Paulsen und Freund mit der Bootsarbeit
fertig wären. Aber Schmid, der Miß und Mister Turner im Wagen abholte,
lud freundlich den Trompeter ein, auch mit aufzusteigen, und der
gutgelaunte Kommandant gab zuletzt mit einem freundlichen »_hop up_« seine
Einwilligung. Nachdem Schmid flott vor der Kommandantur vorgefahren war,
bat er, mit meinem Burschen zusammen nochmals hinausfahren zu dürfen, um
Kohlen zu holen. Der Oberstleutnant war grundsätzlich immer zufrieden,
wenn jemand arbeiten wollte: »dann macht er wenigstens keine
Dummheiten«, und erlaubte es. Schmid nahm gleich 25 Kisten Benzin mit.
Als das verabredete Signal erschien, begaben wir elf Verschworenen uns
einzeln und unauffällig, jeder durch eine besondere List, auf unsere
Posten. Es klappte wunderbar. Unvorhergesehene Hindernisse, die sich
einigen in den Weg stellten, überwand jeder selber mit großer
Unverfrorenheit und Geistesgegenwart. Beinahe wäre unsere Abreise noch
an der Wachsamkeit eines wirklich sehr tüchtigen Inspektors gescheitert.
Dieser begegnete Grün, wie dieser eben nach vollbrachter
Telephonableitung durch die Felder ging, um sich ans Boot
hinabzubegeben. Der Inspektor schöpfte gleich Verdacht und hätte zum
mindesten Grün zum Verhör vor den Oberstleutnant gebracht, wenn nicht
Grün sofort das einzig Passende in seiner Lage getan und ein stilles
Plätzchen am Waldrand bezogen hätte, wobei ihn der Inspektor nicht
stören und auch nicht auf ihn warten mochte.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  »... als der Motor anraste, wurden noch drei Hurras ausgebracht.«]

Die letzten Vorräte wurden eingebootet, die Telephonleitung war
umgeschaltet, das Ruderboot zerschlagen, wir stiegen alle in die
Barkasse, und als wir drin saßen und der Motor anraste, wurden noch drei
Hurras ausgebracht für Seine Majestät. Allgemeines Händeschütteln,
überquellende Freude! Am hellichten Tag passierten wir die Insel,
während droben alles beim Essen saß. Als wir an den Soldatenquartieren
vorüberglitten, aus welchen die Stimmen Essender herüberklangen,
stellten wir Pflugscharen, die wir als Schutzschilde mitgenommen hatten,
und die Roßhaarpolster der Sitze an die Seitenwand, um die Wirkung etwa
anpfeifender Kugeln abzuschwächen, falls plötzlich Alarm geschlagen
werden sollte; und die eigenen Gewehre lagen zur Antwort bereit. Aber
niemand schoß.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Austernklippe auf Motuihi.]

Von der Ankunft des Kommandanten bis zu unserer Abfahrt war kaum eine
Viertelstunde vergangen. Da das kleine Beiboot der Barkasse unsere
Geschwindigkeit minderte, wurde es in sicherer Entfernung von der Insel
abgekappt. Dieses Beiboot wurde der erste Anlaß zur Entdeckung unserer
Flucht. Mein Freund Osbahr, der diesen Abend auf Motuihi miterlebt hat,
schreibt darüber:

»Als der Graf abgefahren war, herrschte eine furchtbare Stille unter den
Eingeweihten, während sonst zur Essenszeit das Leben sprudelte. Der
Bissen quoll uns im Munde. Wir warteten auf Schüsse, aber es kamen
keine. Einige der Eingeweihten konnten ihre Aufregung nicht bemeistern
und eilten auf die Klippe. Aber schon war das Motorboot nicht mehr zu
sehen. Dann kam die Nachricht, das abgetriebene Beiboot schwömme draußen
herum. Nun begann auch den Ahnungslosen etwas zu dämmern und es wurde
festgestellt, wer fehlte. Nun galt es für uns Eingeweihte, die anderen
zur Ruhe zu ermahnen, damit unsere Freunde Vorsprung gewönnen. Dies
Bestreben wurde durch die Einfalt des neuseeländischen Feldwebels
begünstigt, der leicht davon zu überzeugen war, daß das Beiboot durch
einen Zufall abgetrieben wäre und die Leute in der >Perle< nochmal Anker
aufgegangen wären, um das Beiboot zu suchen. >Die Deutschen suchen ganz
in falscher Richtung. Wenn man nicht aufpaßt, dann sind diese dummen
Deutschen doch zu gar nichts zu gebrauchen,< sagte der Feldwebel.

So verstrichen einige Stunden. Am späteren Abend ließ der Kommandant den
Grafen bitten, um ihn seiner Tochter vorzustellen. Als man ihn nicht
fand, wurde Mister Turner doch unruhig. Er suchte sich selbst zu
trösten. >Der Graf hat wohl einen Ausflug am Land gemacht, um eine
Abwechslung zu haben. Er ist ja so rheumatisch, der läuft nicht weg.
Außerdem hat mein Boot nur für einen Tag Benzin.< Schließlich ging er an
den Fernsprecher, um dem Hauptquartier die unangenehme Mitteilung zu
machen. Das Telephon ging aber nicht! Jetzt wird die Sache brenzlich. Es
bleibt nichts übrig, als mit Morsesignalen Verbindung mit drüben zu
suchen. Aber die drüben nehmen nichts auf, denn der Morseapparat
funktionierte ja dank unserer Vorbehandlung auch nicht. Nun wird ein
großes Petroleumfeuer als Zeichen angezündet. Noch keine Antwort vom
Land. Endlich steigen drüben Raketen auf: Sie haben also verstanden?
Aber die Zeit vergeht, eine, zwei, drei Stunden, kostbar für den Grafen.
Keine Antwort kommt. Die Raketen stammten nämlich von einem
Privatfeuerwerk, das zufällig in Auckland angebrannt wurde. Erst um halb
ein Uhr nachts schöpfte man in Auckland drüben Verdacht, da das übliche
telephonische Mitternachtssignal ausblieb. Man hatte sich ja im
Hauptquartier überhaupt nur auf Nachtgefahren eingestellt.

Der österreichisch-polnische Doktor merkte jetzt auch, daß er genasführt
war, und lief in wütender Stimmung umher. Der Oberstleutnant wagte gar
nicht den Namensaufruf anzuordnen, da ihm die Sache zu peinlich vorkam.
Sein einziger Trost war, was auch alle Nichteingeweihten dachten: Weit
bringt es der Graf doch nicht, es ist zu sehr aus dem Handgelenk
gemacht. Von den sorgfältigen Vorbereitungen hatte ja keiner etwas
gemerkt.

Bald hatte die Unglücksbotschaft alle Forts erreicht. Schleunigst wurden
schnelle Motorboote und kleinere Dampfer mobil gemacht und mit
Maschinengewehren ausgerüstet, gegen Morgengrauen die Verfolgung
aufgenommen. Viele Sportsleute nahmen mit ihren Fahrzeugen an der Suche
teil und die Flotte wuchs am nächsten Tage zu mehreren Dutzend Booten
an. Kein Ruhmesblatt neuseeländischer Geschichte: Krank und müde lag
bald alles schutzsuchend in den stilleren Buchten des Hauraki-Golfes,
während das gejagte Wild sich gegen Sturm und Seegang durchgerungen
hatte und an einem Platze lag, den die Verfolger wegen der großen
Entfernung nicht anzulaufen wagten. Wie immer in diesem Krieg hatte die
deutsche Minderzahl durch höhere Einzelleistung versucht, der Übermacht
zu widerstehen. Großer Wirrwarr war entstanden; ein Dampfer auf Felsen
gelaufen, Boote hatten sich gegenseitig gejagt und beschossen. Gern
wurde das sich bald verbreitende Gerücht geglaubt, die >Perle< wäre
gekentert und alle Deutschen ertrunken. Befriedigt kehrte alles in den
Hafen zurück, und mancher gestand ein, in so seekranker Verfassung wäre
er den Deutschen nicht gern begegnet.«

Soweit der Bericht des Zurückbleibenden.

  [Illustration:
  »... Sogar mit Segeljachten nahmen Sportsleute an unserer Verfolgung
  teil.« (Englische Karikatur.)]

Es war für uns keine kleine Aufgabe, uns in dem großen Hauraki-Golf ohne
Seekarte und ohne brauchbaren Kompaß zurechtzufinden. Das Wetter war
schlecht, die Nacht sehr finster, mancher von uns seekrank. Dann
erhellte sich der Nachthimmel zwischen 1 und 2 Uhr durch weiße
Lichtstreifen. Von Auckland aus wurde, um der Bevölkerung Emsigkeit
vorzumachen, mit Scheinwerfern nach uns gesucht. Ein an sich
lächerliches Vorhaben, aber uns dienlich, denn wir konnten nun an der
Richtung Aucklands unsern verfahrenen Kurs wieder orientieren. Morgens
warfen wir in einer geschützten Bucht, Red Mercury Island, Anker und
hielten uns dort den Tag über versteckt, bis sich der Eifer der uns
verfolgenden Flottille gelegt hatte. Zugleich hatten wir dort von dem
unbewohnten, hügeligen und dichtbewachsenen Eiland aus einen guten
Ausguck nach Küstenfahrzeugen, die von Süden heraufkamen. Ein Dampfer
ging nahe vorbei, ohne uns zu bemerken.

Am dritten Tag fuhren wir aus den Küstengewässern hinaus über die
Dreimeilengrenze. Dort auf hoher See vereidigte ich die Kadetten und
machte sie zu Soldaten. Vizefeldwebel d. R. von Egidy wurde von mir zum
Hilfsleutnant z. S. befördert. Dazu hatte ich als Kommandant eines
alleinfahrenden Kriegsschiffes das Recht, wenn es auch nur eine »Perle«
war. Egidys drei Brüder standen sämtlich als Seeoffiziere vor dem Feind;
jetzt wurde unerwarteterweise auch der vierte, fern der Heimat,
Angehöriger der Marine. Nun durfte Krieg geführt werden! Man sah die
fieberhafte Aufregung der Kadetten, man fühlte ihren frischen
Jugendgeist von Tatendurst brennen. Vorgestern noch gefangen, heute
unter der ruhmreichen deutschen Kriegsflagge deutscher Soldat, sie, die
schon geglaubt hatten, nicht mehr heranzukommen an den Feind. Sie hatten
volles Vertrauen, und die neue Pflicht, anzugreifen, lag so greifbar vor
uns, daß dieser seltsame Treuschwur im Boot gewiß keiner heimischen
Rekrutenvereidigung an Ernst nachstand.

Die erhabene Stimmung konnte nicht allzulange andauern. Nachdem sich
meine Rekruten wechselseitig die Haare militärisch kurz geschnitten
hatten, ging es wieder an seemännisches Alltagswerk.

Auf einmal tauchte ein Regierungsdampfer »Lady Roberts« vor Mercury
Island auf, um uns zu suchen. Wir verschwanden schleunigst auf hoher
See, unsere beiden Ausguckposten im dicken Ginstergestrüpp der Insel
zurücklassend. Der Dampfer setzte Leute aus, welche die Insel vergeblich
durchsuchten, beschädigte, auf felsigem Boden aufschlagend, seine beiden
Schrauben und dampfte lahm nach Hause mit der positiven Feststellung,
daß wir nicht da wären. Wir kehrten zurück und lagen von jetzt ab sicher
dort.

Nachdem wir zwei Tage bei Red Mercury Island gelegen hatten, wurden
eines Morgens zwei Schoner gesichtet. Wir wollten beide kapern. Als wir
den Angriff ansetzten, kam aber plötzlich starker Wind auf, und der
erste Schoner glitt rasch vorwärts. Wir ließen ihn fahren; erst später
haben wir gemerkt, daß das unser Unglück war. Wir entschlossen uns, den
zweiten, größeren, zu nehmen. Es war die »Moa«.

  [Illustration: »... Es war die >Moa<.«]

Wir gingen mit voller Fahrt längsseit, enterten und riefen: »Drehen Sie
bei«. Die deutsche Kriegsflagge wehte, ich stürzte mich mit
geschwungenem Säbel auf die »Moa«, meine Jungs kletterten über die
Deckladung und schrien: »_Ship is brought up! You are under the rule of
the German Empire!_« (Schiff ist aufgebracht! Sie stehen unter deutschem
Befehl.)

  [Illustration:
  »... meine Jungs kletterten über die Deckladung und schrien: _Ship is
  brought up!_«
  (Abbildung aus einer englischen Zeitschrift.)]

Alles war wie vom Schlag gerührt. »_Don't kill us!_« Wir beruhigten die
Leute, und ein entsetzter kleiner Junge bekam sofort Schokolade. Die
Leute blickten entgeistert. Wir waren ja gar keine Hunnen, wie sie sich
dieselben dachten.

Der Kapitän faßte sich schnell, als er sah, daß nichts zu machen war.
Als er hörte, daß wir entkommene Gefangene wären, schimpfte er gewaltig
auf die Regierung: Unsere Jungens kämpfen an der Front, und hier in der
Heimat können sie nicht einmal Gefangene hüten. Immerhin, er hoffe, daß
wir weiter Glück hätten, denn die Neuseeländer hätten es ja nicht anders
verdient.

Der Koch kam auf uns zu und beteuerte: »_Me cooky, me Russe, Russe peace
with Germany._« (Ich bin der Koch, bin Russe, Russen Frieden mit
Deutschland.)

Nun holten wir Waffen, Proviant und die drahtlose Station auf den
Schoner herüber, die »Perle« wurde ins Schlepptau genommen. Die »Moa«
war ein schönes Schiff, aber flach wie eine Streichholzschachtel, nur
drei Fuß Tiefgang bei gewaltigen Masten. Unter frischer Brise segelten
wir nach der Kermadecgruppe, um die Proviantstation für Schiffbrüchige
aufzusuchen, welche dort auf irgendeiner der Inseln sein mußte. In der
nächsten Nacht bekamen wir Sturm und lenzten vor dem Wind. Der Kapitän
geriet in Aufregung. Das Schiff wäre für die hohe See gar nicht
geeignet, weil es keinen Kiel hätte, wir setzten das Leben aufs Spiel.
Ich mußte ihm antworten, daß wir für unser Leben segeln müßten, denn an
der Küste erwartete uns größere Gefahr als auf dem Meer. Immer weiter!
Vielleicht hält der Mast für Deutschland länger, als er für Neuseeland
gehalten hätte.

Der Kapitän ging die ganze Nacht nicht hinunter und beruhigte die See
mit Öl. Wir gingen unsere Wachen und fragten den Teufel, was kommen
mochte. Unter gewöhnlichen Umständen hätte man selbst auch mehr
Besorgnis empfunden, denn die Nacht war fürchterlich. Aber das Gefühl
der Freiheit und das Bewußtsein, wieder ein eigenes Schiff unter sich zu
haben und eine Kriegsflagge über sich wehen zu sehen, wenn sie auch nur
auf ein Bettlaken gemalt war, ließ uns alles übrige gering achten. Unter
dieser Flagge hatten wir ja schon manchen Sturm ausgekämpft. Immer
stärker wird der Sturm, immer schwerer brechen sich die Wellen am Heck,
die »Moa« wird bald hoch, bald tief geworfen. Wir müssen Segel kürzen
und einen Teil der Deckladung, die aus Holz bestand, über Bord werfen.
Hierin wurden wir gut durch eine Brechsee unterstützt, die an Deck
schlug und einen Teil der Holzplanken mit sich riß, die uns aber
gefährlich werden konnte, wenn Hände und Füße dazwischen gerieten. Für
sechs Wochen hatten wir Proviant, den wir freilich mit den ihrerseits
nur für drei Tage ausgerüsteten Schiffern teilen mußten, und fanden die
Sache fast noch gemütlich, verglichen mit den sechs Wochen unserer
früheren Bootsfahrt. Es kam freilich auf gutes Steuern an. Unsere schöne
»Perle« wurde von einer See quergeschlagen, schlug voll und riß ab. Das
durchkreuzte unsere Pläne sehr unangenehm. Erst nach 36 Stunden legte
sich der Sturm.

Kircheiß korrigierte allmählich die Fehler unserer nautischen
Instrumente, wobei sich der Kompaß des Kapitäns noch bedeutend
schlechter als unser eigener erwies. Er war ja ein bloßer Küstenfahrer.
Endlich kam am 21. Dezember morgens Curtis-Island in Sicht. Wir sahen
große Rauchsäulen aufsteigen und fürchteten, daß die Insel bewohnt wäre
von Schiffbrüchigen, die uns Rauchsignale machten und womöglich schon
das ganze Proviantlager weggefuttert haben würden. Beim Näherkommen an
die halbkreisförmige, amphitheatralisch aufsteigende Insel gewahrten wir
aber, daß der Rauch von Geisern herrührte. Die Insel war ein Krater, der
bei einer Erderschütterung auf einer Seite eingebrochen war.

Überall rauchte und brodelte es. Die Luft war unnatürlich warm und mit
Schwefeldämpfen geschwängert. Unmengen von Vögeln, besonders die
riesigen Albatrosse, nisteten auf der Insel und umschwirrten die
Ankömmlinge. Kein Baum, kein Strauch gedieh auf der Insel. Das warme
Wasser war ein Tummelplatz der Haie; zu Hunderten umkreisten sie das
Schiff. Wir, deren Besitztum ja auch nicht mehr viel ausgebreiteter war,
als das der Fische und Vögel, erhofften andere Glücksgüter auf der Insel
zu finden, als bloß Wärme. Vor dem inneren Rand des Kraters befand sich
ein Wellblechschuppen, das Proviantmagazin. Das Schiffsboot wurde ins
Wasser gelassen. Kircheiß mit vier Mann nahm Kurs auf die
Kratereinfahrt. Eine Prozession von Haien folgte dem kleinen Boot, ein
ungemütlicher Eindruck für seine Insassen.

  [Illustration: Die »Moa« vor Curtis-Island.]

Je näher sie der Insel kamen, desto schwerer legten sich die
ausströmenden Gase auf die Lungen, und es dauerte geraume Zeit bis sie
sich daran gewöhnt hatten. Es war Ebbe und der eingebrochene Kraterrand
nur wenig von Wasser überspült. Auf dem Kamm einer Welle setzte das Boot
über die Barre ins Innere des Hexenkessels, in welchem brodelnde Blasen
das Walten unterirdischer Kräfte verrieten. Ströme heißen, gelben
Wassers quollen dampfend aus der Felswand und verloren sich im Spiegel
des kreisrunden Kratertrichters. Riesige Lavablöcke umsäumten vom
letzten Ausbruch her wild durcheinandergeworfen das Ufer. Umkreischt von
Tausenden von Albatrossen und Möwen landeten die Leute an einer
Lavaplatte in der Nähe des Proviantschuppens, wo Schwefel fußdick
aufgehäuft lag. Der Schuppen wurde geöffnet, Kisten und
Wasserkorbflaschen vorgefunden. Die Kisten wurden aufgebrochen und ein
Teil der Schätze ins Boot herübergenommen.

  [Illustration: »... Der Schuppen wurde geöffnet.«]

Während das Boot tiefbeladen zur »Moa« zurückfuhr, blieben zwei Leute
drüben, um die zweite Bootslast bereitzuschaffen. Da ein paar Stunden
vergingen, bis das Boot zurückkehrte, versuchten die beiden mittlerweile
ins Innere vorzudringen. Sie bemerkten aber bald, daß der Platz um
die Hütte die einzige gangbare Stelle war; wohin sie den Fuß sonst
setzten, brachen sie durch die dünne Kruste in brennendheiße,
schwefeldunstdurchzogene Schlammerde ein.

Das beladene Boot war fast eine Stunde unterwegs, es hatte Spritzwasser
bekommen, so daß es in beinahe sinkendem Zustand eintraf. Eine Herde von
Haien umringte wieder das überlastete Boot als erhoffte Beute. Nun wurde
auf »Moa« abgeladen. Stück um Stück flog an Deck. Aus einem Bezug wurde
staunend ein neues Segel entrollt, in einer Kiste fand sich allerlei
brauchbares Werkgerät. Unmengen von Fleisch, Butter, Schmalz, Speck,
Decken, Kleidungsstücken, Schuhzeug, Fischgerät, Arzneimitteln, kurz und
gut, alles war da. Man war sich einig darüber, daß die englische
Regierung glänzend für ausgeflogene Kriegsgefangene sorgt. Nur die
Kleidungsvorräte waren von dem langen Lagern in der feuchten Hitze fast
vermodert.

Unsere Absicht war, unsere Gefangenen, die wir nicht in die
Schwefeldünste von Curtis-Island schicken konnten, auf der nächsten
Insel, Macauly Island, unter Mitgabe von Proviant auszusetzen und ihr
Dortsein beim Passieren der nächsten Signalstation der neuseeländischen
Regierung anzuzeigen. Ich war nun gerade dabei, die Depotquittungen zu
lesen, welche mir aus dem Provianthaus mitgebracht worden waren, damit
ich sie hübsch korrekt als »Seeadler«-Kommandant ausgefüllt dort wieder
niederlegen lassen möchte. Ich wollte in dem Formular der
neuseeländischen Regierung meinen Dank bescheinigen, da ich doch auch
Schiffbrüchiger wäre, auch meine Überraschung über die gute Ausrüstung;
ich hoffte, daß in der Zwischenzeit, bis der nächste Bedürftige dorthin
käme, die Vorräte wieder aufgefüllt würden; wir hätten nicht alles
mitgenommen, sondern, wenn eine arme Seele sich hinfände, wäre noch
etwas für sie da. Während ich dies eben niederschreiben will, ruft der
Ausguck: »Rauchwolke Nord hinter Macauly Island.«

  [Illustration:
  Ich rudere zur »Iris« hinüber.
  (Links oben unsere auf ein Bettlaken gemalte Kriegsflagge.)]

Beunruhigt ließ ich so rasch wie möglich die Leute von der Insel
abholen. In wahnsinniger Hast ruderten die beiden Leute zurück. Die
»Moa« wurde segelfertig gemacht, alle Leinwand, die wir hatten, geheißt,
jeder Fetzen zog, in westlicher Richtung jagte die »Moa«, wie sie noch
nie gelaufen war. Der Dampfer kam aber sichtlich näher, und in kurzer
Zeit erkannten wir das ganze Schiff. Es hielt auf uns zu; bei jeder
ausweichenden Bewegung der »Moa« änderte auch der Dampfer seinen Kurs
und kam immer näher. Der Kapitän der »Moa« erkannte in ihm den
Regierungskabeldampfer »Iris«, eine Art von Hilfskreuzer. Unser
Barometer sank!

Auf Signalweite herangekommen, zeigte »Iris« die englische Kriegsflagge
und ein Signal. Wir setzten unbekümmert unseren Kurs mit zehn Meilen
fort. Solange wir noch unter eigenem Kommando fahren konnten, wollten
wir es tun; lange Zeit konnte es ja nicht mehr dauern. Ein Wettrennen
mit äußerster Kraft. Da plötzlich ein Aufblitzen, ein Zischen in der
Luft, und eine Granate schlug neben dem Segler ins Wasser. Die ganze
Reeling der »Iris« war mit Gewehrläufen gespickt. Ein Verzweiflungskampf
gegen die Übermacht und Geschütze wäre mutwilliger Selbstmord gewesen.
Wir heißten darum, um zu zeigen, wer wir wären, zum letzten Male in
dieser Erdhälfte die deutsche Kriegsflagge, und dann kam der bittere
Augenblick der Übergabe.

  [Illustration:
  »... empfingen mich, die Bajonette auf meinen Rücken gerichtet.«
  (Neuseeländisches Bild.)]

Als ich in Uniform die »Iris« betrat, war erstaunlicherweise kein
Offizier am Fallreep, sondern ein paar Leute in schlechter Haltung
empfingen mich, die Bajonette auf meinen Rücken gerichtet. Dann holten
Zivilisten den ganzen Inhalt meiner Taschen heraus; Geld, Uhr,
Wertsachen, selbst mein Taschentuch wurden als Kriegsbeute
beschlagnahmt. Jedes Wort der Erwiderung wäre zuviel gewesen. Ich sah
sie nur mit einem Blick der Verachtung an. Die Neuseeländer fanden diese
Waffentat so glorreich, daß sie ein Bild davon angefertigt haben, das
ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte.

Nicht anders erging es meinen Leuten. Obwohl wir alle unsere Waffen auf
dem Meeresgrund versenkt hatten, wurde jeder der Taschenberaubung
unterzogen, während Dutzende von Feuerrohren ihnen auf Brust und Rücken
gepreßt standen. Diese Neuseeländer erlebten offenbar ihre »Feuertaufe«
und hielten jeden unbewaffneten Deutschen für den leibhaftigen
Gottseibeiuns.

Mehrere Dampfer waren ausgerüstet worden, uns zu suchen, davon drei
gleich auf ein halbes Jahr. Meine Flucht hat die Leute fast eine Million
gekostet. Der erste Schoner, den wir bei der Kaperung der »Moa« hatten
entschlüpfen lassen müssen, hatte die Sache gemeldet. Die Neuseeländer,
die froh waren, ihren »eigenen Krieg« und »Sieg« zu haben, feierten die
Bezwingung der »Moa« in den Zeitungen.

Als wir in Auckland einliefen, wehte die englische Flagge auf der »Moa«
über der deutschen. Die »Seeschlacht bei den Kermadecs« wurde von
zahllosen Glücklichen bejubelt, die uns auf Tendern, Motorbooten und
Jachten entgegenfuhren.



Letztes Kapitel.

Der Vogel im Käfig.


Der Generalstab begrüßte uns, als wir an Land stiegen. Wir waren ja ein
leuchtendes Beispiel für seine Tüchtigkeit, denn sie hatten uns wieder
gekriegt. Der Chef, Oberst Patterson, ersuchte mich, ich möchte die
heutige Unterbringung entschuldigen. Ich fragte, wohin wir denn kämen?
Darauf schwieg er. Es war wieder einmal das Zuchthaus.

  [Illustration:
  »... Es war wieder einmal das Zuchthaus, Mount Eden.«]

Im Zuchthaus von Auckland, Mount Eden, durch Major Price abgeliefert,
wurden wir als gemeine Verbrecher empfangen, da der Major, der es sehr
eilig hatte, zum Pferderennen zu kommen, vergessen hatte, anzugeben,
daß wir Kriegsgefangene wären. Meine Kadetten, die diesen Wechsel
von Freiheit und Zuchthaus zum ersten Male miterlebten, wurden
kreidebleich bei dem entehrenden Empfang. Auch mir, der ich schon
Gewohnheitszuchthäusler war, legte sich das alles schwer auf die
Seele. Nun hatte man wieder einmal als Mensch gelebt und gestrebt,
Willensfreiheit entfaltet, etwas Eigenes unter den Füßen gehabt, und
wieder stieß einen das Geschick in den dumpfen Kerker. Hätte man nicht
einen Tag später die Kermadecs anlaufen sollen, wäre nicht ein anderer
Kurs besser gewesen? Mit solchen unnötigen Fragen quälte man sich in der
öden Untätigkeit und Zwecklosigkeit des neuen Daseins. Aber bald klang
es wieder von Zelle zu Zelle: »An der Saale hellem Strande«, und wenn
auch unser Gepäck, als es uns endlich ausgeliefert wurde, sich auf dem
Weg durch fremde Hände ziemlich verringert hatte, so wurde doch die
Behandlung allmählich etwas rücksichtsvoller. Auch hier, in dem stillen
Verließ, konnten wir bald merken, daß Neuseeland Achtung vor uns hatte.

Allerdings hat man uns erst einmal ein paar Wochen das Zuchthaus kosten
lassen, bis wir wieder in eine angemessenere Umgebung versetzt wurden.
Am Morgen nach unserer Ankunft betritt, ohne anzuklopfen, ein völlig
glattgeschorener Herr in Zuchthausjacke mit Rasiertopf meine Zelle. Es
war Heiligabend, morgens.

»Ich habe Sie zu rasieren.«

»Was? Sie?, ich rasiere mich selbst.«

»Du?, du darfst kein Messer in die Hand kriegen, auch dein Eßbesteck ist
nur Holzlöffel und -gabel, komm' mal her, ich seif' dich ein.«

»Was sind Sie denn, sind Sie Zuchthäusler?«

»Ja, natürlich.«

»Wie lange haben Sie denn?«

»Lebenslänglich.«

Lebenslänglich! Und der soll mich rasieren, mir mit dem Messer an der
Kehle entlang schneiden?! Mir stockte förmlich der Atem. Man versteht
noch gar nicht, warum das sein muß, als Kommandant eines Schiffes
solchen Vorsichtsmaßregeln zu unterliegen. Schließlich frage ich wieder:
»Was haben Sie denn verbrochen?«

»_Oh, I only put daylight through a woman._«

Also Frauenmörder!

Er seift mich ein. Nie habe ich einen Menschen so scharf mit den Augen
verfolgt als diesen Hausgenossen, besonders während er mir an der Kehle
schabt. Wer es nicht erlebt hat, kann sich dies Gefühl nicht vorstellen;
ich blickte ihn dankbar an, als er fertig war. Dieser Freund war
tatsächlich gar nicht übel, er wurde mein täglicher Gast und brachte mir
die großen Neuigkeiten aus den Korridoren und dem Hof. Je mehr uns die
neuseeländische Regierung dazu zwang, uns in Mount Eden zu
akklimatisieren, desto tiefer drang man unwillkürlich in das Seelenleben
der Zuchthausbewohner ein. Wir waren der Sicherheit halber im Flügel der
Schwerstverbrecher. Am gemütlichsten sind die »Lebenslänglichen«, die
schon soundso lange sitzen und sich abgefunden haben, ohne Berufssorgen
und ohne Erwartungen leben. Soweit man sich noch die Jahre an den
Fingern abzählt und damit rechnet, später wieder eine Existenz in der
ungewohnten Freiheit gründen zu müssen, ist man weniger ausgeglichen und
hat keine so beruhigten Nerven. Die, welche sechs oder sieben Jahre
haben, sind die Unangenehmsten. Sie müssen sich auf einen Berufswechsel
einstellen und vertründeln doch vorher ihre beste Kraft mit dem
Absitzen. Ich wußte nicht, wie lange ich hatte und was ich hier sollte.
Die »Lebenslänglichen« bekleiden durchweg Vertrauensstellungen, sie
verwalten die Bücherei, Kleiderausgabe, Krankenpflege usw. Nirgendwo
trifft man so hilfsbereite, arbeitsfreudige Menschen wie im Zuchthaus.
Man sieht stets freundliche Gesichter, sie lächeln oder zwinkern
verständnisinnig mit den Augen dem neuankommenden Gast zu, der sich
anfangs miesepetrig fühlt. »Draußen warst du verachtet, hier wirst du
vertrauensvoll aufgenommen.« Ich machte die seltsame Erfahrung, daß
überall, wo Menschen aufeinander angewiesen sind, namentlich dort, wo
ihr Ehrgeiz durch die Verhältnisse etwas beschnitten wird, ein
sympathisches Zusammenleben möglich ist. Ein Faktotum befand sich in
Mount Eden, der auf mathematischem Gebiet ein Genie geworden war.

  [Illustration: Zum zweitenmal Zuchthäusler.]

Fast alle waren außerordentlich deutschfreundlich. Sie bildeten sich
ein, daß Deutschland den Krieg gewönne und daß dann endlich die
Zuchthäuser geöffnet würden. Nach dem Bild, das ihnen die Zeitungen von
dem deutschen Volk entwarfen, konnten sie es sich nicht anders
vorstellen, als daß die Deutschen eine besondere Wesensverwandtschaft
mit ihnen empfinden würden. »Graf, wenn Deutschland den Krieg gewinnt,
dann vergiß nur deine Freunde hier nicht.« Sie baten sich bestimmte
Posten aus, fast alle in der Verwaltung. Sie bildeten sich ernsthaft
ein, ein siegreiches Deutschland werde, um die an uns Kriegsgefangenen
begangene Ungerechtigkeit zu sühnen, mich zum Gouverneur von Neuseeland
machen, und ich sollte sie dann begnadigen, weil sie sich ja nur gegen
englische und nicht gegen deutsche Gesetze vergangen hätten. Sie
erwiesen mir allerlei Aufmerksamkeiten, steckten mir unter anderm
Zeitschriften zu, die an diesem Ort nur an Verbrecher, aber nicht an
Kriegsgefangene ausgegeben wurden.

Die Zellen wurden peinlich sauber gehalten, so daß man sie nicht einmal
mit seinem eigenen Schuhzeug betreten durfte. So saß ich mit meinen
Filzpantoffeln auf der einzigen Sitzgelegenheit, dem Bett, und sah mir
die Gelegenheit an. Bestand irgendeine Möglichkeit, zu entkommen? Ich
vertiefte mich in Fluchtgedanken. Auch empfand ich das Bedürfnis,
festzustellen, wie es draußen vor dem Fenster aussähe. Dieses war etwa
drei Meter über dem Fußboden. Ich stieg also auf das Kopfende der
Bettstelle, aber kaum bekam ich ein bißchen Blick, so brach das wacklige
Ding zusammen. Das Bett war entzwei, aber den Blick wollte ich mir nicht
nehmen lassen. Ich benutzte also das Bett als Leiter und schaute durch
das eiserne Gitter hinaus. Da sah ich ein Spatzenpärchen, das war da
auch zu Haus und nistete. Um die Zeit zu vertreiben, versuchte ich den
Spatz zu fangen, der die Spätzin füttern wollte. Ich legte mich also auf
Anstand, aber der Sperling flog weg, als ich zugriff, und ließ mir nur
eine Schwanzfeder in der Hand. Draußen am Gitter befanden sich
Spinnweben. Ich holte mir eine Spinne herein, die sollte mir ein
Spinnennetz machen. Jetzt hatte ich Beschäftigung. Ich sah zu, wie die
Spinne arbeitete. Dann wollte ich gerne wissen, wieviel Spinnweben eine
Spinne hat, tat sie in eine Streichholzschachtel und zog die Fäden
heraus und war erstaunt, welchen Ballen Spinnweben ich schließlich in
der Hand hielt. Der Spinne war es peinlich, daß ich den Rest
herausholte. Dann kletterte ich wieder hinauf, ob da etwas anderes zu
sehen wäre. Ich fand noch andere Spinnen und bekam so verschiedene
Sorten von Spinngeweben. Wie ich das ausstudiert hatte, brachte ich die
Spinnen von einem Netz ins andere und stellte fest, daß sie sich da
nicht bewegen konnten. Die kleinere Spinne bewältigte in ihrem Netz die
größere Spinne, die bewegungslos darin saß, weil sie fremd war. Ich
wußte immer noch nicht, wie lange ich Zuchthaus hatte. Aber macht mit
mir, was ihr wollt, ich treibe Naturgeschichte!

Als wir drei Tage da waren, kam der Marineminister Hall Thompson, dem
ich unseren kräftigen Protest gegen diese Behandlung von
Kriegsgefangenen aussprach, die zudem nicht als entwichene Gefangene im
englischen Gebiet, sondern auf hoher See als frische Kombattanten
ergriffen worden wären. Er sagte: »_I shall do my best for you_«. Der
Engländer schlägt niemals eine Bitte offen ab, er läßt immer wieder
Hoffnungen wachwerden, aber zieht die Erfüllung in die Länge. Deutsche
Ehrlichkeit ist mir lieber als diese kalte, glatte Höflichkeit. Später
kam auch der Justizminister Mr. Wilford. »Haben Sie irgendwelche Klagen
in der Unterbringung?«

»Selbstverständlich, ich gehöre nicht in ein Zuchthaus.«

»Das bestreite ich nicht, aber welches sind Ihre Eindrücke über die
Unterbringung vom Standpunkt des Sträflings aus gesehen? Dafür bin ich
verantwortlich.«

Ich sage: Ȇber die Sauberkeit und die gute Verpflegung als solche bin
ich überrascht, aber auch gegen das besteingerichtete Zuchthaus muß ich
protestieren.«

»_Well, I shall see, what I can do for you._«

Endlich, nach 21 Tagen, durften wir das Zuchthaus verlassen. Um die
Ausreißer ungefährlicher zu machen, wurden wir nun auf verschiedene
Lager verteilt. Kircheiß und ich kamen nach River Island bei Lyttleton,
in der kalten Zone Neuseelands, auf Fort Jervois, das einmal gegen die
Russen gebaut worden ist. Das war der einsamste Punkt Neuseelands, den
sie hatten ausfindig machen können.

Unsere Wohnräume dort waren von einem Bretterzaun umgeben, der uns von
dem Fortshof trennte. Auf der Bretterwand befand sich eine Laufplanke
für einen Wachtposten. Auch der ganze Himmel war uns mit Stacheldraht
überzogen worden, damit wir nicht eines Nachts Flügel bekämen und
fortflögen. Das Ganze war ein regelrechter Käfig. Fünfundvierzig Mann
taten nichts weiter, als daß sie uns bewachten.

Unser Lagerkommandant war Major Leeming, ein echter Gentleman vom
Scheitel bis zur Sohle, ein Tasmanier. Er fühlte sich selber als halber
Gefangener auf dem öden Inselchen und war bald unser dritter Mann beim
Skat, den wir ihm beibrachten, um die langen Abende zu füllen. Mir fiel
auf, daß die Menschen auf dieser frostigen Südinsel eine vornehmere Art
hatten als die Auckländer. Unser neuer Generalstäbler war Oberst
Chaffee, der früher Preisboxer gewesen war, mit einem Klappauge, das ihm
einmal bei einem Boxmatch eingeschlagen worden war. Er zeigte sich so
gründlich, daß er jegliche Änderung, und wenn es auch nur die eines
Schilderhauses war, als Generalstabsaufgabe behandelte.

Die 119 Tage auf diesem Schloß am Meer waren bitter für einen Seemann.
Er sieht dort immer das Wasser um sich, seine Heimat, sieht die
Segelschiffe vorbeigleiten, die ihn an die vollen Segel seines
»Seeadlers« erinnern, und es zieht ihn mächtig hinaus auf das Meer, zu
den Kameraden. Dazu der endlose Stubenarrest, der nach den
internationalen Abmachungen nicht länger als acht Tage hätte dauern
dürfen!

So kamen wir darauf, Fluchtmöglichkeiten auszudenken. Ich fand folgendes
heraus. Die Insel hatte eine Anlegebrücke, zu der vom Fort eine
Zugbrücke führte, die hochgezogen den Zutritt versperrte. Der Orkan
hatte einmal diese Brücke zerschlagen, und sie wurde nun ausgebessert.
Gleichzeitig wurde der Fortshof geteert und die leeren Teertonnen
standen herum. Eines Tages rollte zufällig ein solches Faß ins Meer, es
trieb in das Fahrwasser und bei Ebbe hinaus auf die See. Da sehe ich,
wie ein kleiner Küstenschoner kommt und die Tonne herausholt.

Nun wurde ich aufmerksam und stieß ein zweites Faß hinab, dem es wie dem
ersten erging. Nun war mein Plan fertig.

Während der Mittagspause der Arbeiter machte ich von einer Tonne den
Deckel los, schlug zwei große Nägel in Boden und Deckel und bog sie in
Haken um. Ein kleiner, alter Bootsanker, der dalag, kam mir auch zupaß.
Ich dachte: Du tust von außen die Fischleine in das Spundloch, nimmst
Proviant und Wasser hinein, ziehst den Anker an der Leine vor und machst
das Faß dicht, bindest den Deckel an den beiden Nägeln unten und oben
an. Dann läßt du dich im Augenblick, wo aus Lyttleton ein kleiner Segler
ausfährt, ins Wasser fallen und treibst an dem Fort vorbei, legst dich
so, daß das Spundloch nach oben ist. Dann wollte ich mich verankern und
warten, bis das Fahrzeug kam und das wertvolle Treibgut aufnahm. Hätte
mich der Schiffer hochgezogen und an Deck geheißt, so hätte ich innen
das Tau aufgeschnitten, den Deckel geöffnet und wäre wie der Teufel aus
dem Kasten, mit dem Messer bewaffnet, Herr der Situation geworden. Die
verblüfften drei Mann Besatzung hätten mich in die Südseeinseln fahren
müssen und dort hätte ich mich von Insel zu Insel geschippert, bis ich
eine Möglichkeit fand, als freier Mann zu leben.

  [Illustration:
  »... Das herzliche Verhältnis, das uns mit Leeming verband, schloß die
  Möglichkeit aus, sein Vertrauen zu mißbrauchen.«]

Diesen Fluchtgedanken wollte ich erst ausführen, wenn Major Leeming, der
Familienzuwachs erwartete, in Urlaub gegangen wäre. Denn die
Gerichtsverhandlung gegen Oberstleutnant Turner, die wir in der Zeitung
lasen, belehrte uns darüber, daß eine Flucht unserem Kommandanten
Stellung und Charge kostete. Das herzliche Verhältnis, das uns mit
Leeming verband, schloß die Möglichkeit aus, sein Vertrauen zu
mißbrauchen. Aber jetzt ging er wirklich bald in Storchferien und wurde
vertreten von Leutnant Gilmore, den seine Leute den »_little Napoleon_«
nannten, und der stark in Militarismus arbeitete, so klein sein
Operationsfeld auch war. Eines Morgens ließ Gilmore mir die leeren
Tabaksdosen wegnehmen; er hatte wohl gelesen, daß wir in Motuihi aus
Marmeladenbüchsen Handbomben gefertigt hatten. Ich schickte den
Feldwebel, der die Dosen holen sollte, wieder weg, da kam Gilmore
selbst, und ich sagte ihm: »Well, wenn Sie glauben, ich machte aus
leeren Tabaksbüchsen Unterseeboote, dann ist es besser, Sie holen sie
weg, aber anderseits ist es auch besser, Sie entfernen sich aus diesem
Raum, denn Sie sind uns unsympathisch.« Er hatte es nämlich bisher nicht
für nötig befunden, sich uns vorzustellen. Ich brannte darauf, diesem
Mann den bewußten Streich zu spielen.

Als Leeming in Urlaub gehen wollte, war gerade die Zeit der großen
deutschen Märzoffensive von 1918. Alles zitterte vor Aufregung. Kircheiß
hatte aus einem kleinen Handatlas eine Riesenkarte an die Wand der Messe
übertragen. Der Respekt vor Deutschland war groß. Selbst Gilmore legte
etwas das Napoleonische ab und fragte uns oft über Deutschland. Wir
dachten alle, in drei Monaten wäre der Krieg zu Ende, und unser
heldenmütiges Vaterland vermöchte es, siegreich der Welt zu trotzen. Es
waren stolze, nie wiederkehrende Augenblicke. Wie liebte man dies Land
daheim! Heißer gedenkt man seiner nie, als wenn man Verbannung ihm
zuliebe erträgt und dazu den Gram, nicht dabei sein zu können, wo es um
sein letztes Schicksal geht.

So kam also die Woche heran, in welcher nicht Leeming, sondern Gilmore
die Verantwortung für uns tragen sollte. Da wurde Kircheiß infolge des
Zugwindes auf dem Fort krank; ein Arzt stellte bedenkliche Anzeichen
fest und bemerkte bei dieser Gelegenheit über unsere und der
Wachthabenden Unterbringung: »_No pigs could live there._« (Nicht mal
Schweine könnten hier leben.) Wenn diese Äußerung auch übertrieben war,
so hieß es doch eines Tages: »Es geht wieder heim nach Motuihi«. Nun war
mein Plan gescheitert, aber die Aussicht des Wiedersehens mit den
Freunden belebte uns. Napoleon brachte uns über Wellington nach Motuihi
zurück. Er hatte gehört, ich beabsichtigte ein Buch zu schreiben, worin
er auch vorkäme. Darum ging er mir jetzt um den Bart, schenkte mir sogar
in Wellington einen Rasierquast und Kircheiß eine Tabakspfeife. Er hat
sich auch immer mehr als ein ganz guter Kerl herausgestellt.

In Motuihi herrschte große Freude, daß wir wieder da wären, nur einige,
darunter der polnische Doktor, waren ziemlich gekränkt, weshalb mir der
Doktor gleich mit einer Pulle Schum entgegenkam, damit ich nichts von
unserem kleinen Geschäftchen verriete. Die Leute, die vergeblich auf die
Theateraufführung gewartet, und besonders die, welche die Rollen
auswendig gelernt hatten, waren auch verschnupft, aber nicht bösartig,
denn sie waren ja durch ein Stück Seemannsleben entschädigt worden. Die
Reserveoffiziere waren verstimmt, daß ich Egidy statt ihrer mitgenommen
hatte. Sie hätten so gerne wenigstens einmal die Kraft fürs Vaterland
eingesetzt.

Meine »Moa«-Kameraden blieben in fremde Lager verteilt. Nun traten die
übrigen Kadetten an mich heran in der Hoffnung, daß etwas Neues
unternommen würde; sie wären ja nun die einzigen, die in Frage kämen.
Nach zwei Tagen schon berichteten sie, ein Segeltuchboot hätten sie
fertig, Benzin und Proviant wäre verstaut, ob ich die Reise nicht leiten
wollte? Ich stimmte zu unter der Bedingung, daß ich die Möglichkeiten
vorher genau prüfen könnte.

 [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  119 Tage Festungshaft verbüßt.]

Unserem neuen Kommandanten, Major Shofield, war nicht mehr gestattet ein
Motorboot zu halten. Der Proviant-Schlepper »Lady Roberts«, der
wöchentlich zweimal kam, war mit einer großen Kanone versehen und
dauernd mit Wachen besetzt, damit er nicht überfallen werden könnte.
Wenn wir ausgingen, mußten wir uns immer in einem Wachthaus anmelden und
bei der Heimkehr zurückmelden. Um sechs Uhr mußte alles oben auf dem
Hügel sein. Ferner wurde um die Wohngebäude ein großer Stacheldrahtzaun
gezogen, der allerdings erst kurz vor dem Waffenstillstand fertig wurde.
Nachts wurden Kircheiß und ich alle zwei Stunden abgeleuchtet, ob wir
auch noch da wären. Nun, da hätte ich auch einen anderen ins Bett packen
können, wenn es darauf angekommen wäre. Große Bogenlampen umstanden den
Drahtverhau.

Obwohl also unsere letzte Flucht den Scharfsinn der neuseeländischen
Behörden ungemein befruchtet hatte, gab es indes immer wieder neue Pläne
zur Abreise. Als ich zwei Monate da war, kam ich auf den Gedanken, den
Gouverneur Dr. Schultz als Vertrauten zu benutzen, da er der einzige
war, der über die ganze Insel gehen durfte. Wir anderen hatten einen
bedeutend eingeschränkteren Weg. Der Gouverneur zeigte sich bereit, an
der nächsten Flucht teilzunehmen, als gewöhnlicher Matrose wie jeder
andere. Er spähte nun die Insel unter dem Gesichtspunkte des Entkommens
ab. Zunächst legte er ein Proviantlager an, indem er jeden Tag auf
seinem Spaziergang Erbsen, Bohnen, Reis in Dosen mitnahm und an einem
stillen Platze vergrub. In einigen Wochen war ein hübsches Magazin
entstanden. Die Kadetten hatten unter dem Vorwand, sich Klappstühle
anzufertigen, ein Faltboot gebaut.

Wie sollten wir aber vom Lande wegkommen? Nach langem Hin und Her
gerieten wir auf den Gedanken, uns ein Versteck auf der Insel zu bauen.
Der Gouverneur hatte im Wald ein verlassenes Bachbett gefunden. In diese
Höhlung sollte die Erde, die beim Graben unseres Unterstandes sich
aufhäufte, gefüllt werden, so daß sie nicht auffiel. Ein herkulisch
gebauter deutscher Bäcker, der dem Gouverneur als Bedienung beigegeben
war und gleich ihm sich außerhalb des Drahtverhaues bewegen durfte,
baute nachts den Unterstand, zimmerte Kojen darin, packte den Proviant,
das Faltboot, eine Lampe und viel Petroleum dort hinein.

Wenn alles fertig war, wollten wir zum Golfspiel, das uns ab und zu
erlaubt wurde, die Umzäunung verlassen. Der Unterstand befand sich von
dem Golfplatz nicht weit entfernt. Dann wollten wir auf einmal
verschwinden und uns in dem Unterstand versteckt halten.

In unseren Holzbaracken, einer früheren Quarantänestation, befanden sich
in jedem Zimmer große Taue, damit man sich, wenn es brannte, aus dem
Fenster lassen könnte. Diese Taue wollten wir beiseite schaffen, sie an
der Klippe festbinden, in ihrer Nähe auch einige Messer und dergleichen
liegen lassen, damit es aussähe, als ob wir dort die Insel verlassen
hätten. Dann wollten wir ein bis zwei Wochen im Unterstand ausharren,
bis sich unsere Verfolger müde gejagt hätten. Wir hatten vernommen, daß
der Verteidigungsminister dem Lagerkommandanten telephoniert hatte, er
möchte aufpassen, es gäbe Leute in Neuseeland, die mich befreien
wollten.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Unser täglicher Blick auf den Ragnitoto.]

Den Eingang der Höhle hatten wir folgendermaßen gemacht. Aus der Erde
wurde ein genaues Viereck herausgestochen, so daß es nicht brach. Diese
Erde wurde auf einem ebenso großen, durchlöcherten Stück Brett mit
dünnem Draht und Leim festgemacht, damit sie zusammenhielt. Unten am
Brett war ein Handgriff befestigt, so daß die Luke von innen auf- und
zugemacht werden konnte. Wenn wir nachts aus unserer Höhle herausgingen,
sollte es nur auf Strümpfen geschehen, damit keine grobe Spur entstünde.
Wir konnten dort kochen, der Wasserlauf war nicht weit ab. Man hätte uns
also vergeblich überall nachgesetzt. In einer schönen Mondscheinnacht
wollten wir dann abfahren. Wir hatten uns eine Browningpistole
verschafft und aus einem Petroleumbehälter einen Flammenwerfer
hergestellt. Fechtrappiere, Beile und das einzige noch vorhandene
Zeißglas hatten wir gleichfalls mit.

Wie sollten wir aber zu einem Schiffe kommen? Dafür hatten wir uns mit
einem Lagerinsassen verabredet. Der sollte uns ein Lichtsignal geben.
Wenn ein roter Lampenschirm abends an seinem Fenster einmal verschwand,
dann hieß das: Sie suchen euch nicht mehr auf der Insel. Dann wollten
wir eine schöne, stille Mondscheinnacht abwarten, in der die Segler
still liegen. Wir würden hinrudern und mit unseren sechs Mann ein
Schiff nehmen.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  Häuptlingstochter der Waikato.]

Wenn der Waffenstillstand drei Wochen später gekommen wäre, hätte er uns
nicht mehr im Lager angetroffen. Später haben wir den Neuseeländern
unsern Plan erzählt. Da haben sie mit Hunderten von Maoris den
Unterstand gesucht, aber nicht finden können.

Nach dem Waffenstillstand haben wir noch vier Monate in Narrow Neck
gefangen gesessen, durften aber jetzt Besuche empfangen. Da kam eines
Tages eine Häuptlingsfrau der Maoris vom Stamm der Waikato, die sich
1860/61 durch ihren heldenhaften Freiheitskrieg gegen die Engländer
einen Namen in der Geschichte gemacht haben. Auch ließen sie sich im
Weltkrieg nicht in die englischen Aushebungslisten eintragen. Die
eingeborene Dame, Frau Kaihau, betrat meine Kabine und überreichte mir
einen langen Brief, in Maorisprache geschrieben, etwa folgenden
Inhalts:

»Ich komme zu Dir, Du großer Häuptling, und überreiche Dir zur ferneren
Erhaltung der alten Überlieferung die Matte des großen Häuptlings
Wai-Tete.«

Gleichzeitig holte sie unter ihrem Kleid eine Matte hervor, die sie sich
untergebunden hatte, um diesen Gegenstand vor der englischen Wache zu
verbergen.

Mein Erstaunen war groß, ich stoße Kircheiß an, aber auch dieser zuckt
mit den Achseln und kann mir keine Erklärung geben. Glücklicherweise war
eine deutsche Dame anwesend, die schon längere Zeit auf Neuseeland lebte
und mit den ehrwürdigen Sitten der Eingeborenen vertraut war. Sie
erklärte mir, ich sei eben im Begriff, die größte Ehrung zu empfangen,
welche Maoris einem Mann erweisen könnten. Mittlerweile fing die
Häuptlingsfrau an, im Raum herumzutanzen. Mit großer Geschwindigkeit
und wilder Kraft tanzte sie »Haka-Haka«. Nachdem sie den Tanz beendigt
hatte, holte sie einen grünen Stein hervor, den es nur in Neuseeland
gibt. Diesen überreichte sie mir zusammen mit der Matte. Ich fragte sie:

»Bin ich denn nun Häuptling der Maori?«

»Gewiß sind Sie Häuptling. Sie dürfen sich jetzt >Wai-Tete< d. h. >Heiliges
Wasser< nennen, und der Geist unseres verehrten Helden lebt in Ihnen
fort. Auch diesen Stein darf nur der Inhaber der Häuptlingswürde
tragen.«

  [Illustration:
  »... Der Geist dieses verehrten Helden lebt in Ihnen fort.«]

Ich drückte der Maorifrau dankbar die Hand. Beim Abschied bat sie mich
dringend, Matte und Stein gut zu verstecken. Ich habe diese rührende
Ehrung für Deutschland angenommen und erhielt auch die Erlaubnis, Matte
und Stein mit mir in mein Vaterland auszuführen, in der sicheren
Hoffnung, daß ich einmal zurückkehren würde. An einem Sonntagnachmittag
ließ ich mich, noch immer hinter Stacheldraht, heimlich in der
Häuptlingstracht der Maori photographieren. Es fehlte freilich die
Tätowierung und die volle Kriegsbemalung, welche zu einem richtigen
Helden gehört.

  [Illustration:
  (Phot. R. Hofmann, Kassel.)
  »... Es fehlte freilich die Tätowierung.«]

Als endlich unsere Befreiung herannahte, besuchte mich vor der Abreise
die Vorstandsdame der »Soldiers Mothers League« und wünschte mir im
Auftrag der Mütter von 80000 Soldaten eine gute Reise, da die Söhne, die
bei uns gefangen gewesen wären, gesund zu ihren Müttern heimgekehrt
wären. Es sei deshalb ihre Pflicht, zu Gott zu beten, daß auch meine
Mutter mich wieder gesund in ihre Arme schließen könnte.

So verließ ich den Weltteil unserer Antipoden, der mir mehr als ein
Abenteuer bereitet hatte, und betrat Ende Juli 1919 deutschen Boden, um
wieder Dienst zu tun im Vaterland und in seiner Marine, die, beide
niedergebrochen unter einem ungeheuren Schicksal, heute mehr als je
Männer brauchen, welche unverzagt ihre Pflicht tun und den Mut nicht
sinken lassen.

  [Illustration:
  »... So verließ ich den Weltteil unserer Antipoden.«
  (Der englische Dampfer trägt Schutzfarben gegen deutsche U-Boote.)]

Mein Vater hat meine Heimkehr noch erlebt. Der alte Kämpfer ist am 3.
September 1919 aus der Freude des Wiedersehens sanft in die Ewigkeit
hinübergegangen. Bis zuletzt glaubte er an sein Deutschland.

Am 3. Januar 1920 sind alle meine Leute mit einer Ausnahme heimgekehrt.
Ihr Zeug war wohl von der Tropensonne geblichen und vom Salzwasser
zerfressen, aber ohne Flecken auf ihrer Ehre und auf ihrem
Vaterlandsgefühl kamen sie heim. Nur einer der besten und liebsten
Kameraden fehlte, unser Arzt Dr. Pietzsch, der sich schon vor der
»Seeadlerfahrt« nur für die gefährlichsten Kommandos zur Verfügung
gestellt hatte, weil es sein sehnlichster Wunsch war, vor dem Feind zu
sein. Nicht der erwartete Soldaten- oder Seemannstod aber hat ihn
weggenommen, sondern ein Herzschlag beendete sein Leben, als er
Deutschlands Zusammenbruch erfuhr. Die chilenische Behörde und das
dortige Offizierkorps haben ihm eine würdevolle Totenfeier gehalten.

  [Illustration:
  Die Besatzungen der »Cäcilie« und der »Moa« auf der Heimfahrt.]

In mein geliebtes Vaterland zurückgekehrt, finde ich so vieles
verwandelt vor und anders, als man erhofft hat. Dabei tritt mir immer
eins in Erinnerung: Ich denke an meine gute Mutti, wie ich einmal vor
ihrem Krankenbett saß, als selbst die Ärzte die Hoffnung aufgegeben
hatten. Da kam einem erst zum Bewußtsein, wie lieb man sie hatte. Man
sah plötzlich ein, was man versäumt hatte, und was man alles hätte tun
sollen. Genau so geht es mir heute, wo ich mein Deutschland so krank
vorfinde. Niemals habe ich mein Vaterland so lieb gehabt wie jetzt. Was
möchte man alles tun, um helfen zu können! Die Erkenntnis, daß vieles
versäumt wurde, erwacht, und der Entschluß, daß jeder an seiner Stelle
mitwirke, damit es besser werde. Und so betrachte ich es jetzt als meine
Hauptaufgabe, zunächst für meine herrlichen Jungs zu sorgen und zu
zeigen, daß man ihr alter Kamerad ist. Wenn man damals auch die Hand
war, die sie führte, heute darf man die Hand der Liebe sein, die für sie
sorgt. Wenn man den deutschen Landsleuten von ihren Taten erzählt, so
werden die Herzen der Hörer aufgeschlossen, und die alte Devise lebt:
Einer für alle, alle für einen.

Euch, lieben Landsleute, möchte ich zurufen: Kiekt in de Sünn, un nich
in 't Musloch, wo' so düster is. Nehmt euch meine Jungs zum Beispiel.
Als ihre Heimat auf dem Korallenriff zerschmettert wurde, eins ließ sich
nicht zum Wrack schlagen: Ihr alter deutscher Geist und Mut. Wenn auch
die paar Planken im Großen Ozean vernichtet wurden und uns diese Heimat
bis zum Hals im Wasser stand und keine Hilfe ringsum zu erwarten schien,
so war doch der letzte Ruf aus unserm »Seeadler« einstimmig von vorn bis
hinten: »De Eikbom, de steit noch!«

       *       *       *       *       *

Die Waterkant ist verödet, der Engländer macht alle Seeleute brotlos,
nimmt uns nicht nur die Schiffe, die wir hatten, sondern wir müssen neue
bauen, um sie unsern Zwingherrn abzuliefern. Aber das alles soll uns
nicht entmutigen. Baut Schiffe, und tretet alle gerade jetzt erst recht
ein in den Flottenverein! Jetzt braucht der Baum Stützen! Jetzt gibt's
nichts mehr zu genießen im Flottenverein, keine Festfeiern, Reden und
Lustreisen -- aber jetzt gerade soll seine Mitgliederzahl wachsen wie
nie zuvor.

Mein Freund, der Geschichtsprofessor Fritz Kern, früher in Kiel und der
Marine auch nach ihrem Niederbruch mit seinem Herzen und seiner Feder
treu, schrieb mir am Jahrestag von Skagerrak: Das deutsche Volk hat
immer durch die tiefsten Wasser waten müssen. Unsere Geschichte ist eine
Kette von Zusammenbrüchen und Wiedererhebungen. Auch unser Reich zur See
haben wir wie kein anderes Volk immer wieder neu aufbauen müssen. Aber
unser Land kann nicht atmen ohne den frischen Anhauch der See; das Volk
muß im Kerker vermodern, wenn ihm Türen und Fenster »na See to«
künstlich zugesperrt bleiben. Halten wir der See die Treue, gerade
jetzt, da ihre Wellen leer und trostlos an die deutsche Küste schlagen!
Ihr Ruf an uns tönt fort, und wenn nach der alten Schiffersage, die du
mir einmal erzähltest, Gorch Fock und seine Kameraden über dem
stählernen Sarg der »Wiesbaden« heute ihre »Musterung auf dem
Meeresgrund« abhalten, die gefallenen Sieger, und um sie versammelt die
Toten der alten Hansa, dann rauscht es aus der Walhalla der Nordsee zu
uns und unsern Kindern herauf wie ein deutsches Gebet: »Seefahrt tut
not.«

Unseres Volkes Wohlfahrt wird sich wieder erheben, wenn es einig ist.
Niemand hoffe auf Hilfe oder Gnade von außen, aber jeder glaube an den
künftigen deutschen Willen und den künftigen deutschen Weg. Wenn unser
Volk erst sich selber gefunden hat, dann, ihr jungen Land- und Seeadler,
wachsen die Schwingen!

Heute, da alles verloren ging, was uns Seedeutschen die zweite Heimat
bedeutete, Schiffe, Kolonien und ein stolzes, freies Gefühl unter der
deutschen Flagge auf allen Meeren, ist uns nur eins geblieben, die
deutsche Scholle. Möchte aus ihr eine kräftige junge Eiche aufwachsen,
die das ganze Volk unter ihrem Schatten vereint! Möchten ihre Schößlinge
wieder als Mastbäume auf deutschen Schiffen ragen! Die Sehnsucht nach
dem verlorenen Meer weht durch das deutsche Land.

    =Op Weddersehn!=

  [Illustration: Die Flagge S. M. S. »Seeadler«.]



Die Besatzung des »Seeadler«


  Kommandant Kaptlt. Graf v. Luckner
  I. Offizier Leutn. d. R. Kling
  Navig.- u. Art.-Offizier Leutn. d. R. Kircheiß
  Adjutant u. Prisenoffizier Leutn. d. R. Pries
  Assistenzarzt Dr. Pietsch
  Steuermann Lüdemann
  Bootsmann Ernst Dreyer
  Zimmermann Gustav Dreyer
  Steuermannsmaat Harzmeyer
         "        Permien
         "        Bahrs
  Signalmaat Friebel
  Obermatrose Barten
       "      Feldmann
       "      Erdmann
       "      Kawohl
       "      Stührk
       "      Röhling
       "      Reichenbach
       "      Ratzlaff
       "      Sprengel
       "      Kohlenberg
       "      Zemke
       "      Hugo Schmidt
       "      Hinz
       "      Segelitz
       "      Foth
       "      Seidler
       "      Draheim
       "      Silla
       "      Otto Schulz
       "      Sliwa
       "      Sörensen
       "      Lindenau
   I. Koch Lohans
  II. Koch Heitmann
  Obermatrose Robert Schulz
       "      Pfrang
       "      Hank
       "      Kolberg
       "      Piwczyk
       "      Harms
       "      Wehner
  Obersignalgast Langkopf
  Matrose Esch
     "    Walter Schmidt
     "    Mathies
  Zimmermannsgast Thieme
  Obermechanikersgast Paschold


  =Motorpersonal=

  Leitender Ingenieur Krause
  Obermaschinistenmaat Jacob
           "           Sottmann
           "           Frühling
           "           Schaumann
           "           Hugo Schultz
  Oberheizer Hanke
      "      Pallaske
      "      Henning
      "      Sachse
      "      Datzmann
      "      Pahland


  =Funkentelegraphisches Personal=

  F. T.-Maat Otto Schmidt
  Ober-F. T.-Gast Renz
        "         Hühmer



Die Besatzung der »Kronprinzessin Cäcilie«


  Graf v. Luckner
  Kircheiß
  Lüdemann
  Krause
  Permien
  Erdmann



Die Besatzung der »Moa«


  Graf v. Luckner
  Kircheiß
  Leut. z. S. d. R. Albrecht v. Egidy
  F. T.-Maat Grün
  Matrose Walter Schmidt
  Matrose Mellert
     "    v. Zatorski
     "    Paulsen
     "    Klöhn
  Mechanikersgast Freund



Aufriß eines Segelschiffes von der Art des »Seeadler«.


  [Illustration]

  f Flaggleine.
  r Reef mit Reefzeisingen.
  t Reef-Taljen.


Segel.

      I. Besan.
     II. Kreuz-Reuel.
    III.   "  -Bram-Segel.
     IV.   "  -Ober-Mars-Segel.
      V. Kreuz-Unter-Mars-Segel.
     VI.   "  -Reuel-Stag-  "
    VII.   "  -Bram-   "    "
   VIII.   "  -Stängen-"    "
     IX.   "  -Stag-Segel.
      X. Groß-Reuel- "
     XI.  "  -Bram-  "
    XII.  "  -Ober-Mars-Segel.
   XIII.  "  -Unter- "    "
    XIV.  "  -Segel.
     XV.  "  -Reuel-Stag-Segel.
    XVI.  "  -Bram-   "    "
   XVII.  "  -Stängen-"    "
  XVIII. Vor-Reuel.
    XIX.  " -Bram-Segel.
     XX.  " -Ober-Mars-Segel.
    XXI.  " -Unter- "    "
   XXII. Fock.
  XXIII. Außen-Klüver.
   XXIV. Innen-  "
    XXV. Vor-Stängen-Stag-Segel.


Kreuztopp.

   1. Besans-Schot.
   2.   "   -Geitaue.
   3. Kreuz-Reuel-Bukgordings.
   4.   "     "  -Geitaue.
   5.   "   -Bram-Bukgordings.
   6.   "      " -Nockgordings.
   7.   "      " -Geitaue.
   8.   "  -Ober-Mars-Bukgordings.
   9.   "    "    "  -Rah-Niederholer.
  10.   "  -Unter-Mars-Bukgordings.
  11.   "     "    "  -Geitaue.
  12. Kreuz-Reuel-Stag-Segels-Fall.
  13.   "     "    "     "   -Niederholer.
  14.   "     "    "     "   -Schot.
  15.   "  -Bram-Stag-Segels-Fall.
  16.   "    "    "     "   -Niederholer.
  17.   "    "    "     "   -Schot.
  18.   "  -Stängen-Stag-Segels-Fall.
  19.   "      "     "     "   -Niederholer.
  20.   "      "     "     "   -Schot.
  21.   "  -Stag-Segels-Niederholer.
  22.   "    "     "   -Schot.


Großtopp.

  23. Groß-Reuel-Bukgordings.
  24.  "     "  -Geitaue.
  25.  "  -Bram-Bukgordings.
  26.  "    "  -Nockgordings.
  27.  "    "  -Geitaue.
  28.  "  -Ober-Mars-Bukgordings.
  29.  "    "  -Rah-Niederholer.
  30.  "  -Unter-Mars-Bukgordings.
  31.  "     "    "  -Geitaue.
  32.  "  -Bukgordings.
  33.  "  -Nockgordings.
  34. Groß-Geitaue.
  35.  "  -Hals.
  36.  "  -Schot.
  37.  "  -Reuel-Stag-Segels-Fall.
  38.  "     "     "    "   -Niederholer.
  39.  "     "     "    "   -Schot.
  40.  "  -Bram-   "    "   -Fall.
  41.  "    "      "    "   -Niederholer.
  42.  "    "      "    "   -Schot.
  43.  " -Stängen- "    "   -Fall.
  44.  "     "     "    "   -Niederholer.
  45.  "     "     "    "   -Schot.


Vortopp.

  46. Vor-Reuel-Bukgordings.
  47.  "    "  -Geitaue.
  48.  " -Bram-Bukgordings.
  49.  "   "  -Nockgordings.
  50.  "   "  -Geitaue.
  51.  " -Ober-Mars-Bukgordings.
  52.  "   "    "   -Rah-Niederholer.
  53.  " -Unter-Mars-Bukgordings.
  54.  "    "    "   -Geitaue.
  55. Fock-Bukgordings.
  56.  "  -Nockgordings.
  57. Fock-Geitaue.
  58.  "  -Hals.
  59.  "  -Schot.
  60. Außen-Klüver-Fall.
  61.   "     "   -Niederholer.
  62.   "     "   -Schot.
  63. Innen-  "   -Fall.
  64.   "     "   -Niederholer.
  65.   "     "   -Schot.
  66. Vor-Stängen-Stag-Segels-Fall.
  67.  "     "     "     "   -Niederholer.
  68.  "     "     "     "   -Schot.

Aus »Leitfaden der Seemannschaft«, mit freundlicher Genehmigung des
Verfassers Admiral C. Dick, und des Verlegers, E. S. Mittler & Sohn,
Berlin.



Original-Takelriß von S. M. S. »Seeadler«.


  [Illustration]

  a) einfaches Bramsegel.
  b) Sturm-Besahnsegel.

  S. M. S. »Seeadler«
  Takelriß mit doppeltem bezw. einfachem Bramsegel und Roll.
  Maßstab 1:100.

Veröffentlicht mit gütiger Erlaubnis der Firma =Joh. C. Tecklenborg=,
A.-G., Schiffswerft und Maschinenfabrik, =Bremerhaven-Geestemünde=, die
den »=Seeadler=« zu seiner Kaperfahrt ausrüstete.



Verzeichnis der Abbildungen


                                                                   Seite

    1. Titelbild des Verfassers nach der Heimkehr ins Vaterland.
    2. »... da lag das mächtige Becken mit seinem Mastenwald«          6
    3. »... un ganz boben, da hürt de Schipjung hen«                   7
    4. »... Ik heet Pedder, segg du man >du< to mi«                    9
    5. Wie eine Takelage von Deck aussieht                            12
    6. »... und zwang mich mit aller Gewalt: >Rauf<.«                 13
    7. Äquatortaufe auf »Seeadler«                                    14
    8. Wer kennt die Taue?                                            16
    9. Schwere See                                                    18
   10. »... Man würde Hypochonder, wenn man darüber nachgrübelte«     25
   11. »... Die Sehnsucht nach dem Schiff kam stets zurück«           26
   12. Phylax Lüdicke                                                 31
   13. »... Es war, als ob der Teufel auf >Pinmore< wäre«             32
   14. Als »Meisterschaftsringer von St. Pauli«                       34
   15. »... musterte ich an Bord der >Cäsarea< an«                    35
   16. Die Mannschaft der »Cäsarea«, unter ihr Phylax Lüdicke         42
   17. Wrack der »Cäsarea«, bei den Bermudas angetrieben und
       eingeschleppt                                                  50
   18. S. M. S. »Panther«                                             55
   19. »... nahmen wir unsern Abschied aus der Armee und halfen bei
       einem Bahnbau im Innern Mexikos Sand fahren«                   58
   20. »... Uhlhorn und Phylax hieß die Bierwirtschaft«               60
   21. »... Er freut sich doch, wenn wieder der Passat, die Sterne
       und der Mond ihn grüßen«                                       67
   22. Teckel Schnäuzchen soll sich auf »Seeadler« mit einem
       Albatros anfreunden, der zu Besuch gekommen ist                68
   23. Prof. Dr. Schulze, Leiter der Seefahrtsschule zu Lübeck        71
   24. »... Das Examen dauerte sechs Tage«                            73
   25. Auf der Reichskriegsmarine (an Bord S. M. S. »Kronprinz«,
       im Jahre 1915)                                                 79
   26. Graf Nikolaus von Luckner, * 1722, + 1794                      81
   27. Auf »Kronprinz«                                                89
   28. Auf »Kronprinz«                                                90
   29. Auf »Kronprinz«                                                91
   30. S. M. S. »Kaiser«                                             101
   31. Mein Begleiter bei seinem Elefanten                           103
   32. »... Wir staunen, wie seine hohe Gestalt sich uns nähert«     104
   33. Unsere »Rikschas« bei einem Besuch in der Kapkolonie          109
   34. Auf »Kronprinz«                                               111
   35. Mit äußerster Kraft 'ran an den Feind!                        114
   36. Auf »Kronprinz«                                               115
   37. »... Die andern sind im Schiffsinnern.« (Heizraum eines
       Großkampfschiffes)                                            116
   38. Breitseite                                                    117
   39. »... Die einschlagenden Granaten bilden einen Fontänenwald«   118
   40. »... Mit höchster Salvenfolge werden sie unter Feuer
       genommen«                                                     121
   41. »... Torpedoboote 'ran an den Feind!« (Sie brechen zwischen
       den Linienschiffen durch)                                     122
   42. »... Einige Tage später lief der zerschossene »Seydlitz«
       durch eigene Kraft in Wilhelmshaven ein«                      126
   43. »... Die Nummer drei fliegt in die Luft.« (Vernichtung des
       engl. Schlachtkreuzers »Queen Mary« in der Skagerrakschlacht) 127
   44. »... Treffer auf Treffer hagelte ins Schiff.« (Durchgehender
       Volltreffer auf »Seydlitz« von der Back bis zur Proviantlast) 129
   45. »Hurra! -- drauf, >SeydlitzSeeadler< wollen wir feiern!«      167
   58. »... Ehe wir's uns versahen, hatte er sein Boot zu Wasser«    172
   59. Unsere erste Prise verläßt die Oberfläche                     173
   60. Leider ein Neutraler!                                         174
   61. »... Er fühlte sich erleichtert.« Kapitän Barton, zum
       zweitenmal »Kaptein ohn' Schip«                               176
   62. »Charles Gounod« steuert ihren letzten Kurs                   177
   63. Der letzte Augenblick über Wasser                             178
   64. »... Schiff auf Schiff wurde so versenkt«                     180
   65. »... Wir verhielten uns zunächst als neutrales Schiff«        181
   66. Eine Prise als Übungsscheibe                                  183
   67. »... Mit der >AntoninMoa<«                                        284
  118. »... meine Jungs kletterten über die Deckladung und schrien:
       >_Ship is brought up!_<« (Abbildung aus einer
       englischen Zeitschrift)                                       285
  119. Die »Moa« vor Curtis-Island                                   287
  120. »... Der Schuppen wurde geöffnet«                             288
  121. Ich rudere zur »Iris« hinüber                                 289
  122. »... empfingen mich, die Bajonette auf meinen Rücken
       gerichtet.« (Neuseeländisches Bild)                           290
  123. »... Es war wieder einmal das Zuchthaus, Mount Eden«          292
  124. Zum zweitenmal Zuchthäusler                                   294
  125. »... Das herzliche Verhältnis, das uns mit Leeming verband,
       schloß die Möglichkeit aus, sein Vertrauen zu mißbrauchen«    298
  126. 119 Tage Festungshaft verbüßt                                 300
  127. Unser täglicher Blick auf den Ragnitoto                       302
  128. Häuptlingstochter der Waikato                                 303
  129. »... Der Geist dieses verehrten Helden lebt in Ihnen fort«    304
  130. »... Es fehlte freilich die Tätowierung«                      305
  131. »... So verließ ich den Weltteil unserer Antipoden«           306
  132. Die Besatzung der »Cäcilie« und der »Moa« auf der Heimfahrt   307
  133. Die Flagge S. M. S. »Seeadler«                                309

  134. Aufriß eines Segelschiffes von der Art des »Seeadler«  312 u. 313
  135. Original-Takelriß von S. M. S. »Seeadler«                     314



  [Illustration: Karte zu »Luckner, Seeteufel«]



Korrekturliste


Seite 1, vor der Kapitelüberschrift die Überschrift »Erster Teil.«
eingefügt.

Seite 33, »ruscht« durch »rutscht« ersetzt (Beim dritten Male ziehe ich
ihn hoch, drehe ihn herum, er will sich mit dem Fuß gegen eine
Zeltstütze halten, rutscht aber dabei aus.)

Seite 57, fehlendes schließendes Anführungszeichen hinter »Panthers«
ergänzt (Das erste, als ich an Bord des »Panthers« kam, war, auf die
Back zu gehen, auf das Vorschiff, dorthin, wo man damals gesessen hatte
als dankbarer Gast liebevoller Matrosen und Heizer.)

Seite 64, »gewungen« durch »gezwungen« ersetzt (Ich bin gezwungen, das
letzte Erbteil meiner seligen Mama zu versetzen.)

Seite 65, fehlendes schließendes Anführungszeichen ergänzt (»Snakt he
plattdütsch?«)

Seite 72, »Fluß« durch »Fleiß« ersetzt (Wie ich das mit eisernem Fleiß
intus hatte, kam die Mathematik, der pythagoräische Lehrsatz, den ich
von der Schule her zwar noch kannte, aber nicht beweisen konnte.)

Seite 75, vor und hinter »dachte ich« ein schließendes und ein öffnendes
Anführungszeichen eingefügt (»Mensch, Phylax,« dachte ich, »jetzt hast
du es geschafft. Wie hast du dich verändert!«)

Seite 77, öffnendes Anführungszeichen am Ende der wörtlichen Rede durch
ein schließendes Anführungszeichen ersetzt (»Der Sohn von Heinrich
Luckner.«)

Seite 112, schließendes Anführungszeichen ergänzt (Wie oft fragt man
sich auf einsamer Wache: »Wann schießen sie? Wann kann man die
Geschützmündung von der Scheibe reißen? Können wir unsere Kolosse
nicht gegen den Feind probieren? Nicht sehen, wer es besser kann?«)

Seite 116, »soundviele« durch »soundsoviele« ersetzt (Was hast du zu
tun, wenn eine Störung kommt, wenn soundsoviele von deinen Kameraden tot
oder verwundet liegen?)

Seite 125, »Überaschung« durch »Überraschung« ersetzt (Welch freudige
Überraschung für uns, als die gegenseitigen Verluste bekannt wurden:)

Seite 131, schließende Klammer bei der Bildunterschrift ergänzt: (phot.
E. Bieber, Hofphotograph, Berlin.)

Seite 132, schließendes Anführungszeichen ergänzt (»Trauen Sie sich
zu,« ...)

Seite 133, »Segelsschiffs« durch »Segelschiffs« ersetzt (In mehreren
Eingaben hatte Kling auf den Vorzug des Segelschiffs für Kaperfahrten
infolge seiner Unabhängigkeit von Kohlen hingewiesen.)

Seite 147, öffnendes Anführungszeichen ergänzt bei: »Davon habe ich mir
ein halbes Dutzend in Christiania besorgt.«

Seite 236, »Kambüse« durch »Kombüse« ersetzt (Jeder schmunzelt versteckt
über das herrliche Schiff, das wir jetzt unter unseren Füßen haben, den
wundervollen Salon, die Kombüse, Kojen, ein Dach wieder über uns, ein
Deck, worauf man laufen kann.)

Seite 238, »Murr« durch »Mumm« ersetzt (»Sie Feigling! wohnen bei euch
die Generäle in Zuchthäusern oder haben Sie nicht so viel Mumm in den
Knochen, uns die Wahrheit zu sagen? Ist das britisch? Dann pfui Teufel!«)

Seite 251, Komma hinter »gekommen war und« entfernt (... erst, nachdem
auf Umwegen die Nachricht nach Deutschland gekommen war und man hier
Vergeltungsmaßregeln ergriff, wurde sein hartes Los etwas erleichtert.)

Seite 260, doppelte Anführungszeichen um »Seeadler« durch einfache
ersetzt (»Aber Ihre >Seeadler<-Mannschaft? Ist es nicht möglich, daß sie
mit einem Schoner kommen und Sie abholen wollen?«)

Seite 264, schließende Klammer bei der Bildunterschrift ergänzt: (Phot.
R. Hofmann, Kassel.)

Seiten 280 bis 282, schließendes Anführungszeichen am Ende von Osbahrs
Bericht ergänzt, sowie die darin enthaltenen doppelten Anführungszeichen
(jeweils um den Namen »Perle«) durch einfache Anführungszeichen ersetzt
(»Als der Graf abgefahren war, herrschte eine furchtbare Stille ...)

Seite 283, fehlenden Punkt am Satzende ergänzt (Es war die »Moa«.)

Seite 287, »Möven« durch »Möwen« ersetzt (Umkreischt von Tausenden von
Albatrossen und Möwen landeten die Leute an einer Lavaplatte in der Nähe
des Proviantschuppens, wo Schwefel fußdick aufgehäuft lag.)

Seite 316, »Ubungsscheibe« durch »Übungsscheibe« ersetzt (66. Eine Prise
als Übungsscheibe)

Seite 318, »Sportleute« durch »Sportsleute« ersetzt (116. »... Sogar mit
Segeljachten nahmen Sportsleute an unserer Verfolgung teil.«)

Seite 318, »schrieen« durch »schrien« ersetzt (118. »... meine Jungs
kletterten über die Deckladung und schrien: >_Ship is brought up!_<«)





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