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Title: Goethes Briefe an Leipziger Freunde
Author: Goethe, Johann Wolfgang von
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription: Im Original gesperrt gedruckter Text
wurde mit _ markiert. Im Original in Antiqua gedruckter Text wurde mit
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[Illustration: Anna Katharina Schönkopf.]



                            Goethes Briefe
                                  an
                          Leipziger Freunde.

                             Herausgegeben
                                  von
                              Otto Jahn.

                 Mit drei lithographirten Bildnissen.

                               Leipzig,
              Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.
                                 1849.



Herrn Salomon Hirzel.


Sie haben, lieber Freund, nicht nur die erste Veranlassung zu diesem
Buch gegeben, sondern auch auf Form und Inhalt desselben einen so
bestimmenden Einfluß geübt, daß Sie sich es schon gefallen lassen
müssen auch Ihren Namen dazu herzugeben. Ich weiß gewiß, daß Niemand
mehr Freude an den Reliquien haben wird, die hier das Goethefest
zum Vorschein brachte, Niemand aufrichtiger die Dankbarkeit gegen
diejenigen mit mir theilen wird, deren Güte die Veröffentlichung
derselben gestattete, als Sie. Deshalb werden Sie auch die etwas bunte
Mischung des Inhaltes, für welche nicht einmal ein passender Titel zu
finden war, mit gewohnter Nachsicht, wie ich hoffe, entschuldigen.

So bringe ich Ihnen das Buch als eine Erinnerung an einige in heiterer
Thätigkeit angenehm verlebte Tage und an einen aufrichtigen, treuen
Freund.

Leipzig am 18. October 1849.

                                                           _Otto Jahn._



Inhalt.


                                                                   Seite
  Goethes Jugend in Leipzig                                            1
  Goethes Briefe an Joh. Jac. Riese                                   53
  Goethes Briefe an an Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen   65
  Goethes Briefe an Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.
           Einleitung                                                103
           An Adam Friedrich Oeser                                   117
           An Friederike Oeser                                       136
  Goethes Leipziger Lieder                                           176
  Goethes Briefe an Chr. G. und J. G. E. Breitkopf                   205
  Goethes Briefe an Phil. Erasmus Reich                              212
  Aus Briefen von Cornelie Goethe                                    233
  Goethes Briefe an Friedrich Rochlitz                               281



Goethes Jugend in Leipzig.

Eine Rede von Otto Jahn.

Gehalten am 28. August 1849 in der akademischen Aula in Leipzig.


Beim Anschauen des Olympischen Zeus vergaß der Grieche in stiller
Bewunderung Leid und Kummer, gebannt unter den Zauber göttlicher
Majestät fand er Frieden und Kraft, und ging mit dem stolzen
Gefühl, ein Grieche zu sein, von dannen. Der heutige Tag giebt dem
Deutschen ein ähnliches Gefühl. Heute ist es ihm vergönnt, selbst die
schwerste Sorge, die Sorge um das Vaterland, den tiefsten Kummer um
vereitelte Hoffnungen und Bestrebungen im Andenken an den großen Mann
zurückzudrängen, der dem ganzen Vaterlande angehört, um auszusprechen,
worin wir alle einig und frei sind, unsere Bewunderung und Verehrung
gegen _Goethe_. Dankbarkeit und Anhänglichkeit auszusprechen, bedarf
es keiner besonderen Berechtigung, Goethes Andenken zu feiern ist
jeder berufen, der an deutscher Bildung Theil hat; für uns aber ist es
eine mahnende Pflicht, das Bild des Dichters, der uns persönlich nahe
angehört hat, mit einem Kranze der Erinnerung zu schmücken.

In _Leipzig_ hat _Goethe_ sein Studien begonnen, drei Jahre hindurch
hat er unserer Universität angehört, ist hier durch den Verkehr mit
Künstlern und Kunstfreunden angeregt und gebildet worden, Freundschaft
und Liebe haben ihn hier mannigfach gefesselt, hier hat er die
unruhvoll bewegte Zeit der ersten Selbständigkeit durchlebt -- wahrlich
kein unbedeutender Theil seines Lebens gehört uns an. Wir dürfen ihn
selbst zum Zeugen seiner Anhänglichkeit an Leipzig nehmen, dessen
Erinnerung ihm stets theuer und bedeutend war. „Wer kein Leipzig
gesehen hat,“ schrieb er seinem Freunde Breitkopf nach der Heimkehr
in Frankfurt, „der könnte hier recht wohl sein,“ in einer Stadt, „die
zu sehr Antithese von Leipzig ist, um viel Annehmlichkeit für ihn
zu haben.“ „Sie haben Recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das
gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe,“ heißt es in
einem anderen Briefe; „mein jetziger Aufenthalt ist so unangenehm als
mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen
gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen.“ So urtheilte nicht nur der
von dem Scheiden aus lieben und gewohnten Verhältnissen schmerzlich
ergriffene Jüngling, der „draußen im Reich, in der Frankfurter
Hungersnoth des guten Geschmacks“ die feinere, namentlich litterarische
Bildung, den freien ungezwungenen Verkehr, besonders mit Frauen,
wodurch Leipzig sich auszeichnete, gar sehr vermißte. Als später Goethe
von Weimar aus in wiederholten Besuchen seine persönlichen Beziehungen
zu Leipzig erneuete, schrieb er (December 1782) an Frau von Stein:
„Seit 69, da ich von hier wegging, bin ich nie über ein paar Tage hier
gewesen, auch habe ich nur meine alten Bekannten besucht und Leipzig
war mir immer so eng wie jene ersten Jahre. Diesmal mache ich mich mit
der Stadt auf meine neue Weise bekannt und es ist mir eine neue kleine
Welt. -- Ich wünschte, mich ein Vierteljahr hier aufhalten zu können,
denn es steckt unglaublich viel hier beisammen. Die Leipziger sind
als eine kleine moralische Republik anzusehen. Jeder steht für sich,
hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Oberer giebt
einen allgemeinen Ton an und jeder produzirt sein kleines Original,
es sei nun verständig, gelehrt, albern oder abgeschmackt, thätig,
gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr sein
mögen. Reichthum, Wissenschaft, Talente, Besitzthümer aller Art geben
dem Ort eine Fülle, die ein Fremder, wenn er es versteht, sehr wohl
genießen und nutzen kann. Er muß sich nur im Allgemeinen halten, und
keinen Antheil an ihren Leidenschaften, Händeln, Vorliebe und Abscheu
nehmen. Es leben hier einige Personen im Stillen, die, wenn ich so
sagen darf, vom Schicksal in Pension gesetzt worden sind, von denen
ich großen Vortheil ziehen würde, wenn es mir die Zeit erlaubte. Von
dem allgemeinen Betragen gegen mich kann ich sehr zufrieden sein. Sie
bezeigen mir den besten Willen und die größte Achtung, dagegen bin
ich auch freundlich, aufmerksam, gesprächig und zuvorkommend gegen
Jedermann.“ Und so ist Goethe nicht nur mit den in jenen Studienjahren
ihm bekannt und vertraut gewordenen Personen in Verkehr geblieben, bis
in die letzte Zeit haben Leipzigs bedeutende Männer -- ich darf nur
_Gottfried Herrmann_, _Friedrich Rochlitz_, _Blümner_ nennen -- ihm
nahe gestanden. Freilich erging das Strafgericht der _Xenien_ auch
über Leipzig, und er fand auch wohl gelegentlich, daß bei Anwesenheit
der Catalani sich die Leipziger absurd benahmen, und meinte, „es thäte
Noth, daß man solchem verfluchtem Volke die Gaben Gottes in Spiritus
aufhübe, damit sie solche, bei Gelegenheit vergleichen und eine der
anderen unterordnen könnten;“[1] allein nicht lange vorher war er
eifrig bemüht, die von Quandt hier aufgefundenen altdeutschen Gemälde,
welche jetzt unser städtisches Museum schmücken, ihrem wahren Werth
nach in weiteren Kreisen bekannt zu machen.[2] Überhaupt fühlt man
leicht in so manchen kleinen Zügen die Theilnahme und Freude, mit
welcher Goethe die Erinnerung an seinen Leipziger Aufenthalt wieder
auffrischt und auf alles überträgt, was Leipzig angeht.

Bei einer Feier, welche seinem hundertjährigen Geburtsfest gilt, werden
wir vor allem uns _Goethe_ in _Leipzig_ vergegenwärtigen wollen.
Dies Bild zeigt uns zwar nicht den Mann in seiner vollendeten Kraft,
nicht den Dichterfürsten im vollen Glanze seines Ruhmes, sondern
den strebenden Jüngling, der die ersten Schritte auf seiner langen
Siegesbahn beginnt, allein es zeigt uns schon den ganzen Goethe. Was
uns bei der Betrachtung Goethes mehr als alles andere mit Staunen
erfüllt, das ist die wunderbare Einheit und Kraft seiner Natur,
welche ihn jede Stufe menschlicher Entwickelung so ganz voll und rein
durchleben und darstellen ließ. Wer nicht beim Greise das rasche Feuer
der Jugend, beim Jüngling die erfahrene Weisheit des Alters erwartet,
vom Manne nicht stürmischen Übermuth, vom Jüngling nicht besonnene
Sicherheit fordert, wer unbefangen die Schranken erwägt, welche der
menschlichen Natur in ihrer Ausbildung gesetzt sind: dem wird Goethe
von der Jugend bis ins hohe Greisenalter als ein Typus naturgemäßer
Entfaltung einer großen und reichen Menschennatur erscheinen. Wäre
zu unserer Zeit im Volke noch die dichterische Kraft schöpferisch
lebendig, gewiß wäre Goethe durch die Sage zu einem Bilde des deutschen
Geistes in seinen edelsten Richtungen verklärt worden: jetzt hat der
Dichter selbst uns mit seltener Unbefangenheit und Klarheit sein
eigenes Abbild entworfen. Wäre es die Aufgabe des Redners, mit Goethes
Meisterwerk einen Wettkampf einzugehen, wer möchte sie übernehmen?
Allein vergessen wir nicht, daß der reife Mann seine Jugend schilderte,
auf deren Streben und Irren er mit Gelassenheit zurücksah, und daß
diese Schilderung den Stempel einer Ruhe trägt, nach welcher jene Zeit
vergebens rang. Versuchen wir daher, aus den leider nur spärlichen
Nachrichten, welche uns aus jener Zeit in unmittelbarer mündlicher
und schriftlicher Überlieferung grade hier zu Gebote stehen, uns eine
anschauliche Vorstellung der Personen und Verhältnisse zu bilden,
unter denen Goethe hier gelebt hat, und welchen Einfluß sie auf ihn
gewonnen haben. Auch das unbedeutendere, das für ihn selbst später das
Interesse verloren haben mochte, wird in diesem Zusammenhang einige
Aufmerksamkeit verdienen.

Im Herbste des Jahres 1765 reiste _Goethe_, nicht lange erst 16 Jahr
alt geworden, in Gesellschaft eines Buchhändlers _Fleischer_, der
sich auf die Messe begab, und seiner Frau nach Leipzig. In jener Zeit
wurde für die Kaufleute, welche zur Messe reisten, in den Kirchen
gebetet; auch Goethe kam nicht ohne Unfall davon: bei Auerstädt wurde
der Wagen umgeworfen, und Goethe strengte sich bei dem Aufrichten
desselben übermäßig an, so daß er später noch die Folgen spürte.
Hier angekommen miethete er sich in der _Feuerkugel_ am _Neumarkt_
zwei artige Zimmer, die in den Hof sahen, und wurde am 19. October
von dem damaligen Rector, Hofrath _Ludwig_, als Student in der
bayrischen Nation inscribirt.[3] So sah er sich denn in der glücklichen
Unruhe des jungen Studenten, der zum ersten Mal der Aufsicht des
väterlichen Hauses entledigt den festen Vorsatz hat, seine Freiheit
und Selbständigkeit, die ihm doch mitunter noch unbequem ist, zu
genießen, voll Zuversicht, daß ihm die Welt gehöre, wenn er sie gleich
noch nicht zu gewinnen weiß, voll Vertrauen auf seine Zeit und sein
Geld, die ihm unerschöpflich dünken, voll guten Willens, sich auf
das Leben vorzubereiten, das er noch nicht kennt. Ein Versuch, eine
Enttäuschung folgt der anderen, kein Streben wird befriedigt, Genuß und
Entsagung, Arbeit und Zerstreuung verdrängen einander, Leidenschaft
stürmt auf Leidenschaft: so zieht das mächtig eindringende Leben tiefe,
schmerzliche Furchen in das jugendliche Gemüth, welches frisch und
voll die Eindrücke desselben in sich aufnimmt, daß es zu männlicher
Kraft erstarkt, seine Früchte bringe. Goethe giebt uns während der
ganzen Zeit seines hiesigen Aufenthalts das Bild dieses unruhvollen
Drängens und Treibens, das sich weder seines Ziels noch seiner
Kräfte klar bewußt ist, mit um so größerer Hast bald dies, bald das
entgegengesetzte ergreift, um schnell enttäuscht zu ermatten. Er war in
seinen Beschäftigungen unstät, schwankend, nie mit sich zufrieden; aber
so entschieden war die Richtung seiner Natur, so stark das innerste
Bedürfniß seiner Seele, daß er sich immer wieder auf die künstlerische
Production hingeführt sah. Nicht minder wechselnd war seine Stimmung,
bald ausgelassen lustig, bald selbstquälerisch verstimmt, bald
übermüthig und neckisch, bald weich und theilnehmend, aber stets
offenbarte sich die Überlegenheit einer tiefen und großen Natur, welche
seine Umgebung, wie er sie auch verletzen und quälen mochte, immer
wieder versöhnte und beherrschte.

Goethe befand sich, da er die Universität bezog, in einem
eigenthümlichen Zwiespalt. Sein Vater sah zwar seine dichterischen
und künstlerischen Beschäftigungen als einen wohlanständigen
Zeitvertreib in Mußestunden mit Wohlgefallen und beförderte selbst,
daß er sie gründlich trieb; als Hauptstudium aber hatte er für ihn
die Jurisprudenz bestimmt und ihn selbst auf dieselbe vorbereitet.
Der Sohn aber fühlte sich von der Rechtswissenschaft in keiner Weise
angezogen; sich allein zum Dichter auszubilden kam ihm freilich nicht
in den Sinn, seine Neigung führte ihn zu gründlicher Erforschung des
Alterthums, und deshalb hatte er nach _Göttingen_ zu gehen und in
_Heyne's_ und _Michaelis_ Schule sich zu begeben gewünscht. Allein der
Vater bestand auf _Leipzig_. Ihm, dem strengen, pedantisch abgemessenen
Mann, von seinem Vorhaben zu sagen, wagte Goethe nicht; der erste
Gebrauch, den er von seiner akademischen Freiheit machen wollte,
sollte der sein, sich von der Jurisprudenz förmlich und feierlich
loszusagen und dem Studium der Alten und der Kunst hinzugeben. Offen
und ehrlich theilte er dem Hofrath _Böhme_, an welchen er empfohlen
war, seinen Entschluß mit; allein den ernsten Auseinandersetzungen
desselben und mehr noch den wohlwollenden Vorstellungen seiner Gattin
gelang es bald, ihn von demselben zurückzubringen. Aber der nun
gefaßte Entschluß, der Jurisprudenz treu zu bleiben, scheint nicht
viel fester gewesen zu sein. Zwar besuchte er Anfangs juristische und
philosophische Vorlesungen, schrieb auch mit großer Selbstüberwindung
eifrig nach, wenn er nicht etwa zur Erholung vorzog, den Rand seines
Hefts mit Carricaturen zu illustriren, allein gegen Fastnacht geriethen
die Collegien in einen gefährlichen Conflict mit den köstlichen
Pfannkuchen, welche am Thomaskirchhof gebacken wurden -- es ist dann
von ihnen nicht viel mehr die Rede. Auch die grammatisch kritische
Richtung der sächsischen Philologie scheint ihn nicht angezogen zu
haben; bei _Ernesti_ hörte er über Ciceros Redner, aber der berühmte
Philolog entsprach den gehegten Erwartungen nicht, und auf die Richtung
seiner Studien gewann er keinen Einfluß.

Der eigentliche Mittelpunkt und Kern derselben blieb das, wozu er
berufen war, seine Ausbildung zum Dichter; was er sonst auch thun
und treiben mochte, diente immer seinen dichterischen Bestrebungen
zur Grundlage und führte ihn unvermerkt zu ihnen zurück. Leipzig
hatte in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Litteratur eine
eigenthümliche und bedeutende Stellung eingenommen. Freilich konnte
es dieselbe zu der Zeit, als Goethe hinkam, in Wahrheit nicht mehr
behaupten, allein die Männer, deren Namen in aller Munde waren,
lebten zum großen Theil noch, ihr Ruhm warf noch einen herbstlichen
Schimmer auf ihre Umgebung, welche fortfuhr Ansprüche auf Verdienste zu
begründen, von denen man nicht einsah, daß sie schon vergangen waren.
Es ist in der That eine merkwürdige Schickung, daß der jugendliche
Goethe hier in Leipzig noch persönlich den Eindruck jener Art zu
dichten erhielt, von welcher er uns vollständig frei machen sollte.

_Gottsched_, der durch das, was er selbst anregte und leistete, wie
durch die Polemik, welche er gegen seinen Schulzwang hervorrief, großen
Einfluß geübt hatte, war noch am Leben, aber ohne Bedeutung nur noch
eine Curiosität. „Gottscheden habe ich noch nicht gesehen,“ ist eine
der ersten Nachrichten, welche Goethe seinem Freunde Riese mittheilt,
aber schon nach wenigen Tagen schrieb er ihm: „Ganz Leipzig verachtet
ihn. Niemand geht mit ihm um,“ nachdem er eine poetische Beschreibung
von ihm entworfen:

  „Gottsched, ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte
  Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
  Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
  Ja, so sieht er aus und seines Körperbaus Größe
  Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.“

So geht es eine Weile fort und lautet dann zum Schlusse:

  „Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
  Ich hörte was er sprach und muß es Dir gestehn,
  Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
  So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich dem Riesen,
  Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
  So wüßte man es gleich weil er stets prahlend spricht.“

Das war der erste Eindruck; die komische Situation, in welcher er
ihn bei einem späteren Besuche fand, wie er mit der einen Hand sich
die Perücke aufsetzte, mit der anderen dem Bedienten eine furchtbare
Ohrfeige versetzte, ist jedem bekannt. Von Einfluß konnte um so weniger
die Rede sein, da Gottsched schon im Jahre 1766 starb.

Von den Schriftstellern einer jüngeren Generation, welche Gottsched
nicht sowohl durch Polemik als ihre Leistungen überwunden hatte und
einen Fortschritt in der deutschen Litteratur bezeichnen, waren
_Gellert_ und _Chr. Fel. Weiße_ damals vor allen angesehen. Dem
wohlwollenden, liebenswürdigen _Weiße_, der als Bühnendichter wie
als Herausgeber der Bibliothek der schönen Wissenschaften in voller
Thätigkeit war, trat er in persönlichem Umgange nahe und wurde durch
eine dauernde Anhänglichkeit an ihn gefesselt; im Jahre 1801 noch läßt
er sich durch Rochlitz dem verehrten Greise empfehlen. _Gellert_
war als Mensch und Schriftsteller Gegenstand einer allgemeinen, ans
Schwärmerische grenzenden Verehrung; die Einfachheit und Aufrichtigkeit
seines Wesens, die Herzlichkeit seiner Theilnahme, selbst seine
Kränklichkeit machten auch auf die Jugend einen tiefen Eindruck, so
daß die weinerliche Weichheit seines Vortrages und sein Moralisiren
weder ihre Abneigung noch ihren Muthwillen erregte. Auch Goethe
finden wir als einen eifrigen Zuhörer Gellerts, der bemüht ist,
aus seinen Vorlesungen wie aus seinen stylistischen Übungen allen
Nutzen zu ziehen, und sich es angelegen sein läßt, die kaum erworbene
Weisheit in seinen Briefen seiner Schwester mitzutheilen. Allein ein
nachhaltiger Einfluß zeigt sich, wie zu erwarten, auch hier nicht,
Lehrer und Schüler waren zu verschiedener Natur. Gellert mußte
sich für den Einzelnen schwer zugänglich machen, eine persönliche,
unmittelbare Einwirkung war nicht möglich; Ermahnungen zum fleißigen
Kirchenbesuch bildeten den Hauptinhalt solcher Privatunterhaltung, für
Goethe unbequem und drückend, der sich die akademische Freiheit durch
kirchlichen Zwang nicht verkümmern wollte und damals im Gegensatz gegen
frühere und spätere Richtungen allen theologischen Studien entsagt
hatte. In den Stylübungen zog Goethe Gellerts besondere Aufmerksamkeit
nicht auf sich, er verbesserte seine Aufsätze wie alle anderen, ohne
sie auszuzeichnen. Sie zogen ihn nicht an, was uns sehr begreiflich
erscheint, wenn wir die geringen Bruchstücke dieser meist in Briefform
geschriebenen Aufsätze betrachten, die uns zufällig erhalten sind.[4]
Sie zeigen eine Freiheit und Leidenschaft in Auffassung und Form,
welche Gellert nicht wohl gefallen konnte, uns aber beweisen, daß
Goethe auch in diesen Schulübungen nur das, was er wirklich erlebte,
künstlerisch zu gestalten suchte.

Neben Gellert, den seine Kränklichkeit sehr beschränkte, war in
ähnlicher Weise _Clodius_ durch Vorlesungen und Übungen wirksam,
die Goethe ebenfalls besuchte. Das Ansehen dieses, auch als Dichter
thätigen und bekannten, Mannes war aber nicht wie bei Gellert in einer
aufrichtigen Pietät fest begründet; die Schüler, welche sich mit
Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt
sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine
Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu
kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren
Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte
Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den
Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche
Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:

  „O Händel, dessen Ruhm vom _Süd_ zum _Norden_ reicht,
  Vernimm den _Päan_, der zu deinen Ohren steigt!
  Du bäckst, was _Gallier_ und _Britten_ emsig suchen,
  Mit _schöpfrischem Genie_, _originelle_ Kuchen.
  Des Kaffes _Ocean_, der sich von dir ergießt,
  Ist süßer als der Saft, der vom _Hymettus_ fließt.
  Dein Haus, ein _Monument_, wie wir den Künsten lohnen,
  Umhangen mit _Trophä'n_, erzählt den _Nationen_:
  Auch ohne _Diadem_ fand Händel hier sein Glück,
  Und raubte dem _Cothurn_ gar manch Achtgroschenstück.
  Glänzt deine _Urn'_ dereinst in majestät'schem _Pompe_,
  Dann weint der _Patriot_ an deiner _Catacombe_.
  Doch leb! Dein _Torus_ sei von edler Brut ein _Nest_!
  Steh' hoch wie der _Olymp_, wie der _Parnassus_ fest!
  Kein _Phalanx_ Griechenlands mit römischen _Ballisten_
  Vermög _Germanien_ und Händeln zu verwüsten.
  Dein _Wohl_ ist unser _Stolz_, dein _Leiden_ unser _Schmerz_,
  Und Händels _Tempel ist der Musensöhne Herz_.“

Als es mit einer boshaften Anwendung, welche _Horn_ demselben auf
Clodius durch sein Schauspiel _Medon_ gegeben hatte, bekannt und später
sogar gedruckt wurde,[5] erregte es allgemein großes Aufsehen und
Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte
Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe
läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.

Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer
Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene
einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, _Klopstock_ hatte schon
auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, _Wieland_ wurde
von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem _Lessing_,
selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem
ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine _Minna von Barnhelm_ (1730) „stieg
wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth,
um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen
ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe
verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte,
in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch
anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“
heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später:
„Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte.
Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt
Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die
Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich
unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“
fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei,
sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als
ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire,
als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff
hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe.
Aber es war das einzige Werk seiner Art.[6]

Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie
durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt
und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere
angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt.
Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit
geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme
für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine
Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine
Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik,
welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin
gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend
als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung,
er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen
Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung -- sie gab ihm
Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit,
Unzufriedenheit mit andern und mit sich -- eines Tags verbrannte er
alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.

Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er
kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er

  „So wie ein Vogel, der auf einem Ast
  Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
  Der ungestört die sanfte Lust genießt,
  Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
  Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.“

Aber als er in die feine Welt eingeführt wurde, empfand er bald, daß
das „klein Paris, das seine Leute bildet,“ Ansprüche an ihn machte,
die ihm lästig genug waren. Weder seine Kleidung noch sein Benehmen
hatte den rechten Zuschnitt, seine Frankfurter Aussprache und die kurze
körnige Ausdrucksweise, welche er sich zu eigen gemacht, war nicht das
reine Wasser des echten meißner Deutsch, und nicht alle suchten ihn
so milde und freundlich zuzustutzen, wie die liebenswürdige Hofräthin
_Böhme_, von der er auch Kartenspielen lernen mußte. Auch mit seinen
Ansichten und Gefühlen sah er sich überall fremd, seine Begeisterung
für Friedrich den Großen fand begreiflicher Weise keinen Widerhall,
auch hier wußte man ihm seine Bewunderung zu zerstückeln. Die
Unbehaglichkeit dieser Schulmeisterei, des Zwanges, den er sich überall
anthun sollte, ertrug er nicht lange; so wie er die Vorlesungen fallen
ließ, so zog er sich allmälig, besonders nach dem Tode der Hofräthin
Böhme, auch aus diesem geselligen Verkehr zurück, der ihn, so vergnügt
er auch übrigens war, dennoch allen Mangel eines gesellschaftlichen
Lebens fühlen ließ, wie es seine Jugend befriedigen konnte. „Ich seufze
nach meinen Freunden und meinem Mädgen,“ schreibt er an Riese (28.
April 1766), „und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze

  Da wird mein Herz von Jammer voll
  Mein Aug wird trüber.“

Aber schon im zweiten Semester änderte sich dies und Goethe trat in
einen ganz anderen Kreis ein. _Johann Adam Horn_, mit dem er schon
in Frankfurt nahe befreundet war, kam ebenfalls nach Leipzig, dem an
sich selbst und seinem dichterischen Beruf irre gewordenen durch seine
unverwüstliche Heiterkeit und den Einfluß früher Jugendbekanntschaft
ein großer Trost. „Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner
Schwermuth entrissen,“ schreibt er (28. April 1766) an Riese; „er
wundert sich, daß ich so verändert bin,

  Er sucht die Ursach zu ergründen,
  Denkt lächelnd nach, und sieht mir ins Gesicht.
  Doch wie kann er die Ursach finden,
  Ich weiß sie selbsten nicht.“

Auch sein späterer Schwager, _Johann Georg Schlosser_, hielt sich
eine Zeit lang in Leipzig auf und führte ihn in eine unterhaltende
Tischgesellschaft ein, theils Studirender theils solcher, die ihre
Studien nicht lange vollendet. Unter diesen wird der Bruder des
Dichters _Zachariae_, _Pfeil_ und der spätere Bürgermeister _Herrmann_
genannt, der mit treuer Sorgfalt Goethe nachher in seiner Krankheit
pflegte, durch gleichmäßige Tüchtigkeit seines Wesens ausgezeichnet.
Ganz anderer Art war _Behrisch_, der Hofmeister des Grafen Lindenau.
Er stammte aus einer adeligen Familie, war, obwohl sorglos in
Geldangelegenheiten, rechtlich und brav, ein Mann von Kenntnissen,
leidenschaftlicher Musikliebhaber, aber ein Original; so kleidete er
sich modisch und fein, aber nur grau, das er in den verschiedensten
Schattirungen und Stoffen anzubringen beflissen war. Er gehörte zu den
Menschen, welche nie auf Universitäten ausgehen, die eine besondere
Gabe haben die Zeit mit Geschick zu verthun und dabei sich und andere
ironisiren, ebenso gefährlich für die mittelmäßigen und schwachen,
als anziehend und selbst anregend für die bedeutenden. Der Humor, mit
welchem er seine Thorheiten höchst ernsthaft und das Ernsthafteste
possenhaft betreiben konnte, war unerschöpflich und unwiderstehlich,
und fesselte auch Goethe an ihn, obwohl er ihn in barocker Weise
fortwährend hofmeisterte. Auch an seinen dichterischen Arbeiten nahm
er, ein Mann von feinem Geschmack, lebhaften Antheil und munterte ihn
fortwährend auf sich darin fortzubilden; nur etwas drucken zu lassen
hielt er ihn stets ab und schrieb dagegen die Gedichte, welche seine
Kritik bestanden, mit einer seltnen, in seiner Familie heimischen,
Kunst zur Belohnung höchst sauber in ein zierliches Buch. Als Behrisch
von Leipzig nach Dessau fortging, wo er auf Gellerts Empfehlung, dessen
Liebling er war, Erzieher des Erbprinzen, dann Pagenhofmeister wurde,
entließ ihn Goethe mit Abschiedsoden von schwerem Caliber; später
erneuerte er von Weimar aus die alte Bekanntschaft und fand ihn als
feinen Hofmann bei Hofe wohlgelitten und allgemein geachtet, in seinem
Humor aber ganz den alten „mit gescheiten Bemerkungen dumm ausgedrückt
und ~vice versa~.“[7] „Hab' ich es dir nicht gesagt?“ -- damit empfing
er ihn -- „war es nicht gescheit, daß du damals die Verse nicht drucken
ließest und daß du gewartet hast bis du etwas ganz gutes machtest?
Freilich schlecht waren damals die Sachen auch nicht, denn sonst hätte
ich sie nicht geschrieben. Aber wären wir zusammen geblieben, so
hättest du auch die andern nicht sollen drucken lassen; ich hätte sie
dir auch geschrieben und es wäre eben so gut gewesen.“[8] _Langer_, der
nach Behrisch Hofmeister des Grafen Lindenau wurde, später Bibliothekar
in Wolfenbüttel, ein Mann, der in einem bewegten Leben als Militair die
mannigfaltigsten Erfahrungen gemacht und, ohne je studirt zu haben,
sich die gründlichste, umfassendste Gelehrsamkeit erworben hatte,
wurde für Goethe in seiner Krankheit ein großer Trost und gewann durch
seinen milden Ernst eben so großen Einfluß auf sein Gemüth, als seine
Kenntnisse und Erfahrungen ihn in seiner Bildung förderten.

Von den jüngeren Studiengenossen kennen wir _Bergmann_, später Prediger
in Lievland, der als ausgezeichneter Fechter Goethe als Fuchs den Arm
zeichnete,[9] _Wagner_, an welchen Goethe als Greis die Verse richtete:

  „Ziehn wir nun die achtzig Jahr
  Durch des Lebens Mühen,
  Müssen auch im Silberhaar
  Unsre Pflüge ziehen.
  Führt doch durch des Lebens Thor
  Traun! so manche Gleise,
  Ziehn wir einst im Engelchor,
  Gehts nach einer Weise“[10]

die beiden Brüder _Breitkopf_ und _Horn_. Dieser, dessen kleine
Gestalt und krumme Beine stets herhalten mußten,[11] war die
lustige Person in der Gesellschaft, die er besonders durch sein
Talent nachzumachen ergötzte, immer bereit zu mystificiren und sich
mystificiren zu lassen: übrigens ein braver und treuer Mensch, was er
in Goethes Krankheit bewährte.

Goethe gab nun den Mittagstisch, welchen nach damaliger Sitte Hofrath
_Ludwig_ für Studenten hielt, auf und schloß sich ganz diesem Kreise
an, in welchem Geist und Bildung, ungezwungene Heiterkeit und Laune,
jugendlicher Übermuth herrschten. Man fand sich Mittags und Abends
am bestimmten Ort zusammen, die Vergnügungsörter, _Apels_ (später
_Reichels_) Garten, die _Kuchengärten_, _Gohlis_, _Raschwitz_,
_Konnewitz_ wurden fleißig besucht. Wie ausgelassen lustig es dabei
hergehen konnte, das zeigt uns die Scene in Auerbachs Keller im Faust.
Zwar ist es einer gründlichen Forschung noch vorbehalten die Leipziger
Originale der dort auftretenden Personen nachzuweisen, allein die
Localfarbe derselben ist unverkennbar, schon der Scherz mit Herrn
Hans von Rippach erweist sie, den ohne Commentar zu verstehen noch
jetzt das Vorrecht der Leipziger ist. Ebenso wenig als man hier im
Genuß stets Maaß beobachtete, hielt man auch die übermüthigste Laune
und den schonungslosesten Witz in Schranken, und gab so nach vielen
Seiten Anstoß und Gelegenheit zu übler Nachrede. Liebschaften waren
damals an der Tagesordnung und manche aus diesem Kreise hatten eine
Neigung zu Mädchen, die zwar „besser waren als ihr Ruf,“ deren Umgang
aber mindestens für den Ruf nicht vortheilhaft war. Es ist wohl nicht
zu bezweifeln, daß sowohl die Ansicht von dem Wankelmuth und der
Unzuverlässigkeit der Frauen, als auch eine gewisse Leichtfertigkeit
und Freiheit sinnlicher Leidenschaft, welche in Gedichten und Briefen
jener Zeit sich ausspricht, aus diesem Verkehr hervorgegangen war.
Dabei darf man freilich nie vergessen, daß die Vorstellungen von
Schicklichkeit in Ton und Betragen gar sehr wechseln; schon ein Blick
auf Bilder aus damaliger Zeit erklärt manches, was uns jetzt befremdet.
Wenn Goethe in feuriger Jugendkraft rücksichtslos sich frischem
Lebensgenuß ergab und sich wenig um ein geregeltes Leben kümmerte, so
blieb die Strafe dafür, wie für andere Unvorsichtigkeiten, durch welche
er seiner Gesundheit schadete, nicht aus. Ein Blutsturz brachte ihn an
den Rand des Grabes und wenn ihn auch die sorgfältige Behandlung seines
Arztes _Reichel_ und die treue Pflege seiner Freunde rettete, so blieb
er doch die letzte Zeit seines Aufenthalts in Leipzig und später noch
in Frankfurt fortwährend leidend und kränkelnd. Dies hatte auf seine
Stimmung keinen geringen Einfluß, auch nach der Genesung blieb sie
gedrückt, der jugendliche Frohsinn und Übermuth war gebrochen. Er hatte
es kein Hehl, daß er leichtsinnig auf seine Gesundheit eingestürmt
sei, allein als er nun nicht nur sich selbst mit einer gewissen
Ängstlichkeit schonte, sondern auch die Freunde gern zur Mäßigung
ermahnte, entging er ihrem Spott nicht, wie es in einem seiner Lieder
heißt:

  „Ihr lacht mich aus und ruft: der Thor!
  Der Fuchs, der seinen Schwanz verlohr,
  Verschnitt jetzt gern uns alle.
  Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,
  Das treue Füchslein ohne Schwanz,
  Das warnt euch vor der Falle.“

Und dieser Scherz vom Füchslein muß in dem Freundeskreise
sprüchwörtlich gewesen sein, denn auch in den Briefen wird er mehrmals
erwähnt.

Vergessen wir aber nicht, daß diese lebenslustige Gesellschaft aus
jungen Männern von bedeutender Fähigkeit und tüchtiger Gesinnung
bestand, die über fröhlichem Genuß das ernste Streben nicht vergaßen.
Der unschätzbare Gewinn des akademischen Lebens ist die Unbefangenheit
im gegenseitigen Verkehr, die sich auf die gleichartigen jugendlichen
Neigungen und das gemeinsame Streben nach wissenschaftlicher Bildung
gründet, und gleich offen und entschieden in Liebe und Abneigung eine
beständige Anspannung der Kräfte im regen Wetteifer hervorruft, die
deshalb so heilsam ist, weil sie stets aus dem nächsten Anlaß des
wirklichen Lebens unmittelbar hervorgeht. Hier fand Goethe eine ebenso
warme Theilnahme als scharfe Kritik für das, was er hervorbrachte,
dieser Verkehr bot ihm wahre Impulse seiner künstlerischen Production
in den Erfahrungen eines wenn auch jugendlich beschränkten, doch
frisch und frei bewegten Lebens. So entwickelte sich hier zuerst die
Eigenthümlichkeit seiner dichterischen Natur, welche ihn groß vor
allen, welche ihn zum Befreier der Deutschen Dichtkunst gemacht hat,
daß er den einzigen Quell seiner Dichtung in seinem Gemüthe fand, daß
alles, was ihn innerlich ergriff und bewegte, ihn mit Nothwendigkeit
zur künstlerischen Darstellung trieb, welche ihn wie von einer
Last befreite. Nichts aber hat sein Gemüth während seines hiesigen
Aufenthalts so tief ergriffen und so anhaltend beschäftigt als die
leidenschaftliche Liebe zu dem Mädchen, welche er uns als Ännchen
geschildert hat, eine Liebe, welche aus seinen noch vorhandenen Briefen
lebendiger hervortritt, als aus seiner späteren Darstellung.

_Christian Gottlob Schönkopf_, ein Weinhändler, war der Hauswirth, in
dessen Wohnung[12] sich die Gesellschaft, zu welcher Goethe gehörte,
Mittags einzufinden pflegte. Seine Gattin war eine geborene _Hauk_
aus einer Frankfurter Patricierfamilie, eine geistvolle und lebendige
Frau; mit der Landsmännin war Goethe bald vertraut geworden und
fühlte sich dort heimisch, er war „ein Stück der Familie“ geworden,
die er uns gleich in dem ersten Briefe aus Frankfurt vom 1. Oct.
1768 vor Augen führt. „Ihr Diener Herr Schönkopf, wie befinden Sie
sich Madame, Guten Abend Mamsell, Petergen guten Abend. Sie müssen
sich vorstellen, daß ich zur kleinen Nebentühre hereinkomme. Sie Hr.
Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen, Madame in ihrem Eckgen
am Schreibetisch, Peter liegt unterm Ofen und wenn Käthgen auf meinem
Platze am Fenster sitzt, so mag sie nur aufstehen und dem Fremden
Platz machen. Nun fangen wir an zu discouriren.“ Und nun erzählt er
von seiner Reise und wie es ihm in Frankfurt schlecht behage, auch mit
seiner Gesundheit nicht zum besten gehe; er entschuldigt sich, daß
er nicht Abschied genommen habe, er sei dagewesen, habe die Laterne
brennen sehen und an der Treppe gestanden -- „zum letztenmal wie wäre
ich wieder heruntergekommen?“ In vielen kleinen Zügen spricht sich
in allen Briefen die innerliche Vertraulichkeit des Verkehrs mit der
Familie und ihren Bekannten aus. Dort fand sich ein Kreis gebildeter
Menschen zusammen, die in ungezwungener Heiterkeit, gelegentlich beim
Glas Punsch,[13] des Lebens froh waren. Es wurde oft Musik gemacht;
ein Kaufmann _Obermann_, der gegenüber wohnte, mit zwei Töchtern, von
denen die älteste als Concertsängerin glänzte, _Häser_, der Vater der
berühmten Sängerin, gingen aus und ein, _Goethe_ blies die Flöte, bis
die Krankheit es ihm verbot, und _Peterchen_, der jüngste Sohn, geboren
im Jahr 1756, zeichnete sich schon als Knabe durch sein Klavierspiel
aus. Eine Zeichnung, welche ihn am Klavier, daneben seine Schwester,
_Häser_ und _Lelei_, ebenfalls einen angesehenen Musiker, darstellte
und von Goethe herrühren sollte, ist erst im Kriege verbrannt.
Mitunter wurde auch Komödie gespielt, man hatte sich sogar an _Minna
von Barnhelm_ gewagt, und ganz besondere Freude hatte eine Aufführung
des Lustspiels _Herzog Michel_ von _Joh. Christ. Krüger_ gemacht.
_Goethe_ hatte den _Michel_, _Käthchen_ das _Hannchen_ gespielt, und
in einem Zimmer des Schönkopfschen Hauses war die Hauptscene in einem
großen Wandgemälde dargestellt, das sich noch lange Zeit erhalten
hat. Von Frankfurt aus erkundigte sich Goethe nach dem Directeur
Schönkopf und seinen Acteurs, und schickte einen scherzhaften Brief
an Mademoiselle, unterzeichnet von „Michel, sonst Herzog genannt,
nach Verlust seines Herzogtums aber, wohlbestallter Pachter auf des
gnädigen Herren hochadelichen Rittergute,“ der im Auftrage des Hrn.
Goethe ihr eine mittelmäßige Scheere, ein gutes Messer und Leder zu
zwei Paar Pantoffeln schickt. In diesem Kreise finden wir _Reich_, den
Fürsten der Leipziger Buchhändler, mit dem Goethe auch später in einem
großentheils durch Lavaters Physiognomik veranlaßten Verkehr stand,
den Buchhändler _Junius_, Mademoiselle _Weidmann_, die _Breitkopfsche_
Familie, _Stock_, „den närrischen Kupferstecher, der so wunderliche,
auch wohl garstige Sachen zu sagen pflegte,“ wie Horn schreibt; den
Ober-Geleits-Einnehmer _Richter_; von den jüngeren _Kapp_, den später
berühmten Arzt, und _Horn_, der auch im Hause wohnte. Zum Schluß
jenes ersten Briefes bittet er dann, daß ihm Käthchen schreiben möge,
wenigstens alle Monat doch einen Brief.

Freilich fesselte _Käthchen_, wie sie im vertrauten Kreise genannt
wurde, oder, wie sie mit vollem Namen hieß, _Anna Katharine_ ihn an
das Haus. Sie war am 22. August 1746 geboren, drei Jahr älter als
Goethe, ein hübsches Mädchen, von mittler Größe und schönem Wuchs, mit
einem vollen, frischen Gesicht, braunen Augen, klug und aufgeweckt,
heiteren, munteren Sinnes und von einfachem, warmem Gemüth. Sie gewann
bald des Jünglings leidenschaftliche Liebe, der ihr (23. Jan. 1770)
schreiben konnte: „Sie wissen, daß ich, so lange als ich Sie kenne,
nur als ein Theil von Ihnen gelebt habe;“ und sie erwiederte dieselbe.
Halstuch, Fächer und Schuhe, die er für sie malt, sind hier, wie später
in Sesenheim und Weimar, seine Liebesgaben. Sie theilte das Interesse
für Poesie, er las ihr vor, auch an seinen eigenen Dichtungen nahm
sie Antheil; später meldet er ihr seine Lieder an, die immer noch
nicht gedruckt seien. „Lassen Sie Petern ein's spielen, wenn Sie an
mich denken wollen.“ Das ruhige Glück dieser gegenseitigen Neigung
störte Goethes heftige Eifersucht, durch welche er ohne allen Grund
sich und das arme Mädchen fortwährend quälte, und wie oft er es auch
bereuete, doch immer von neuem leidenschaftliche Scenen herbeiführte,
wodurch er sich das Herz der Geliebten entfremdete. „Heut vor einem
Jahr,“ schreibt er am 26. Aug. 1769, „sah ich Sie zum letztenmal. Vor
3 Jahren hätte ich geschworen, es würde anders werden. O könnte ich
die dritthalb Jahr zurück rufen. Käthgen ich schwöre es Ihnen, liebes
Käthgen ich wollte gescheuter sein.“ Außer vielen andern Gedichten,
welche später vernichtet wurden, schrieb er zur eigenen Buße 1768 das
Schauspiel, „_die Laune des Verliebten_,“ in welcher durch die anmuthig
zierliche Form, die oft zugespitzte und hie und da geschnitzelte
Ausdrucksweise, welche jener Zeit angehört, wie das Schäfercostüm,
die volle Wahrheit selbst erlebter Zustände und schwer durchkämpfter
Leidenschaft durchleuchtet und heute noch ergreift.[14] Allein jene
künstlerische Sühne mochte den Dichter freisprechen, die Neigung der
Geliebten konnte sie ihm nicht wiedergeben, er mußte sehen, wie sie
sich einem andern zuwandte.

Daß er bei seinem Weggehen die volle Liebe zu Käthchen und die Hoffnung
sie einst zu besitzen mit sich fortnahm, ist aus seinen Briefen klar.
Jene Bitte wurde erfüllt, Käthchen schrieb ihm, und sogleich antwortete
er (1. Nov. 1768) seiner geliebtesten Freundin, die seine ganze Liebe,
seine ganze Freundschaft hat, und in einem beigelegten Blatt verbessert
er auf ihren Wunsch die orthographischen Fehler, welche sie in ihrem
Brief gemacht hatte. Sie war in Sorgen gesetzt um seine Gesundheit,
sofort beruhigt er (30 Dec. 1768) seine beste ängstliche Freundin, es
gehe ihm besser, er hoffe reisen zu können; wenn er aber dennoch vor
Ostern sterben sollte, wolle er sich einen Grabstein auf dem Leipziger
Kirchhof verordnen, „dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes
als meinen Namens Tag das Johannesmännchen und mein Denkmal besuchen
möget.“ Einen Monat später (31. Jan. 1769) beklagt er sich bitter,
daß er krank und elend und dazu ohne Nachricht von ihr sei. Das war
begreiflich, denn Ende Mai gelangte an Horn, der im April von Leipzig
zurückgekommen war, die Nachricht von Käthchens Verlobung mit dem
~Dr~. _Christ. Karl Kanne_, welcher von Goethe selbst eingeführt im
Schönkopfschen Hause wohnte,[15] als dessen Gattin sie 1810 (20. Mai)
gestorben ist. Während Horn sofort als Schulmeister und ~Ludimagister~
einen scherzhaften Gratulationsbrief erläßt, schreibt Goethe am 1.
Juni 1769 einen Brief, der Anfangs zwar ruhige Fassung, im weiteren
Verlauf aber immer mehr eine gereizte Bitterkeit zeigt, die sich
selbst gegen die Geliebte wendet, deren gewissen Verlust er so schwer
ertragen kann. Wir erkennen deutlich die Laune des Verliebten in diesem
Briefe, die sich in Äußerungen ausspricht wie „Das liebenswürdigste
Herz ist das, welches am leichtesten liebt, aber das am leichtesten
liebt vergißt auch am leichtesten,“ aber der Ausruf: „Es ist eine
gräßliche Empfindung seine Liebe sterben zu sehen!“ zeigt uns, wie
tief sein Gemüth ergriffen war. Nach Leipzig werde er nun nicht
kommen, da der abgethane Liebhaber eine schlechte Figur als Freund
spielen werde; es müsse ihr doch komisch vorkommen, wenn sie an alle
die Liebhaber denke, die sie mit Freundschaft eingesalzen habe, wie
man die Fische einsalze, wenn man fürchtet, daß sie verderben, doch
solle sie die Correspondenz mit ihm nicht ganz abbrechen, da er für
einen Pöckling doch immer noch artig genug sei. Auch in den folgenden
Briefen spricht sich das schmerzliche Gefühl ihres Verlustes bald mit
heftiger Leidenschaftlichkeit, bald in einer ruhig wehmüthigen Stimmung
aus, in welcher er in der Ahnung, daß sie schon verheirathet sei,
Abschied von ihr nimmt und sie bittet ihm nicht wieder zu antworten.
„Es ist das eine traurige Bitte, meine Beste, meine Einzige von Ihrem
ganzen Geschlecht, die ich nicht Freundinn nennen mag, denn das ist
ein nicht bedeutender Tittul gegen das was ich fühle. Ich mag Ihre
Hand nicht mehr sehen, so wenig als ich Ihre Stimme hören mögte,
es ist mir leid genug dass meine Träume so geschäfftig sind. Kein
Hochzeitgedicht kann ich Ihnen schicken, ich habe etliche für Sie
gemacht aber entweder druckten sie meine Empfindung zu viel oder zu
wenig aus.“ Allein sie antwortete ihm dennoch und meldete ihm, daß
sie noch nicht verheirathet sei -- die Hochzeit fand am 7. März 1770
Statt -- und daß sie erwarte, er werde auch ferner schreiben, kurz sie
setzte ihm den Kopf zurecht. Darauf erwiederte er denn auch (23. Jan.
1770), er werde ihr schreiben, weil sie es verlange. Dieser Brief ist
in einem heitern Humor geschrieben, in dem man den Wiederschein ihrer
Liebenswürdigkeit erkennt, aber nicht minder ein tief schmerzliches
Gefühl über ihren Verlust. Er zeigt ihr an, daß er ruhig lebe und
frisch und gesund und fleißig, denn er habe kein Mädgen im Kopf, und
daß er nun nach Straßburg gehen werde; dort werde sich seine Adresse
verändern wie die ihrige und es werde auf beide etwas vom Doktor
kommen: „und am Ende wäre doch Fr. Doct. C. und Fr. Doct. G. ein
herzlich kleiner Unterschied.“ Er schrieb nicht wieder, in Straßburg
verdrängte Friederike die letzte schmerzliche Erinnerung und fesselte
ihn ganz; aber als er sie eben hatte kennen lernen, da dachte er in
der glücklichsten Stimmung an alle die ihn liebten „und auch sogar an
Käthchen, von der ich doch weiß, daß sie sich nicht verläugnen wird,
daß sie gegen meine Briefe sein wird, was sie gegen mich war.“ Und
bei seinem ersten Besuch in Leipzig (1776) suchte er auch sogleich
„sein erstes Mädgen“ auf. „Alles ist wie's war, nur ich bin anders“
schrieb er an Fr. v. Stein, „nur das ist geblieben, was die reinsten
Verhältnisse zu mir hatte damals -- ~Mais ce n'est plus Julie.~“[16]

In eine andere Region führte ihn der Verkehr mit dem _Breitkopfschen_
Hause, das der Mittelpunkt eines zahlreichen Kreises war, in welchem
gründliche Bildung in Wissenschaft und Kunst und ganz besonders
in der Musik heimisch war. Von den beiden Söhnen, welche Goethes
Studiengenossen waren, zeichnete sich der ältere, _Bernhard_ (geb.
1749), in der Familie der Magister genannt, welcher später in
Petersburg gestorben ist, schon damals als Musiker aus. Mit seinen
Melodieen, von denen manche, wenn man von einigen Zufälligkeiten der
Mode absieht, noch heute gefallen werden, erschien die erste Sammlung
Goethescher Lieder (1770) im Druck. Der jüngere, _Gottlob_ (geb. 1750),
welcher im J. 1800 als Vorsteher der Handlung starb, nicht minder
tüchtig in der Musik gebildet, war wie Goethe von Frankfurt im August
1769 schreibt, von jeher ein guter Junge und hatte Menschenverstand
und Gedanken wie ein Mensch der eine Sache begreift, und Einfälle
nicht wie jeder. In diesem Verkehr war das Interesse für Musik wohl
das vorherrschende, das ja auch Goethe nicht fremd war; denn ob er
gleich keine hervortretende Anlage zur Musik hatte, war er doch nicht
unempfänglich dafür und hatte selbst mehrere Instrumente zu spielen
gelernt.[17] _Hiller_, dessen komische Opern damals in Aller Mund
waren, lernte er kennen und wurde freundlich von ihm aufgenommen; er
bekennt aber, daß dieser sich mit seiner wohlwollenden Zudringlichkeit,
mit seiner heftigen, durch keine Lehre zu beschwichtigenden
Lernbegierde so wenig als andere zu befreunden gewußt habe.[18] Auch
Goethe war ein begeisterter Verehrer der beiden Sängerinnen, welche
damals alles entzückten, der Mlle. _Schmeling_ und _Schröter_. Als
jene, die später als Madame _Mara_ in ganz Europa berühmt war, im
Jahr 1831 ihr Jubiläum feierte, erinnerte sich Goethe mit Vergnügen,
wie er sie in Hasseschen Oratorien gehört und ihr „als ein erregbares
Studentchen wüthend applaudirt hatte“[19] und richtete ein Gedicht an
sie, das jene Jugenderinnerung auffrischte. _Corona Schröter_ verehrte
er als Student nur von ferne und machte für andere Gedichte an sie;
später trat er ihr wiederum in Leipzig näher[20] und veranlaßte, daß
sie nach Weimar kam.

Wichtiger für Goethe als die musikalischen Genüsse Leipzigs war das
Theater[21]. Die künstlerische Entwickelung der Deutschen Bühne war von
Leipzig ausgegangen und grade damals stand das Leipziger Schauspiel
in seiner höchsten Blüthe. _Koch_ war 1765 auf ein neues Privilegium
mit einer stehenden Gesellschaft nach Leipzig gekommen, ein neues Haus
wurde gebaut, und am 6. Oct. 1766 mit Schlegels Hermann eröffnet. Bald
nach Goethes Weggang hörte diese glänzende Periode auf, denn am 18.
Oct. 1768 schloß Koch die Bühne und verließ Leipzig. Das Interesse am
Theater war damals allgemein und in allen Kreisen von litterarischer
Bildung das vorherrschende. Der Einfluß auf Goethe, dessen Neigung
alles in dramatische Form zu kleiden frühzeitig hervortrat -- sie zeigt
sich auch darin, daß er seinen stylistischen Übungen gern die Form
eines Romans in Briefen gab -- ist unverkennbar. Da ihm die köstliche
Gabe verliehen war, „in nachklingende Lieder das eng zu fassen, was
in seiner Seele immer vorging“,[22] so rief jede Veranlassung, die
ihn in erhöhete Stimmung versetzte, lyrische Gedichte leicht hervor;
sein Studium war hauptsächlich dem Drama zugewandt, und Übersetzung
wie Nachbildung französischer Stücke beschäftigten ihn anhaltend
und ernstlich, wovon nur eine geringe Spur uns in dem Bruchstück
einer Bearbeitung von _Corneilles_ Lügner erhalten ist.[23] Denn
er verbrannte später fast alle Versuche aus jener Zeit und nur die
_Mitschuldigen_ legen durch ihre für diese Zeit bewundernswürdige
Gewandtheit und Sicherheit in der Form und Technik, welche allerdings
ohne vielfältige angestrengte Übung nicht erreicht werden konnte,
Zeugniß seines ernstlichen Studiums ab.[24] In anderer Rücksicht
ist dies Lustspiel wiederum ein merkwürdiger Beweis, wie Goethe
schon damals sich von den Lebenserfahrungen, welche ihn quälten und
beunruhigten, durch die Dichtung losmachen und befreien konnte. Schon
in früher Jugend war er Zeuge und Theilnehmer innerlich zerrütteter
Familienverhältnisse gewesen; nicht aus eigenem Behagen wählte er sich
diesen Stoff für ein Lustspiel, er reinigte vielmehr sein Inneres von
diesen Vorstellungen, indem er ihnen als Dichter eine Gestalt gab,
wodurch sie von seinem Innern abgelöst ihm fremd wurden und außer ihm
existirten.

Später hatte Goethe Gelegenheit seine Anerkennung und seinen
Dank der Leipziger Bühne auszusprechen, als die Weimarsche
Schauspielergesellschaft in Leipzig während des Sommers 1807
Vorstellungen gab. In dem schönen Prolog, welchen er auf Rochlitz's
Wunsch dichtete, heißt es:

  Belohnung! ja sie kann uns hier nicht fehlen,
  Hier, wo sich früh, vor mancher deutschen Stadt,
  Geist und Geschmack entfaltete, die Bühne
  Zu ordnen und zu regeln sich begann.
  Wer nennt nicht still bei sich die edlen Namen,
  Die schön und gut aufs Vaterland gewirkt,
  Durch Schrift und Rede, durch Talent und Beispiel?
  Auch jene sind noch unvergessen, die
  Von dieser Bühne schon seit langer Zeit
  Natur und Kunst darbietend herrlich wirkten;
  Gleicht jener Vorzeit nicht die Gegenwart?

Er sprach auch gegen Rochlitz die Erwartung aus, wie belehrend dieser
Aufenthalt in Leipzig für die Schauspieler sein würde, und später seine
Freude, daß dieses theatralische Unternehmen glücklich vollendet und
mit Ehre und Vortheil belohnt worden sei; auch fand er es sehr artig,
daß sogar das kleine Schäferspiel, das er 1768 in Leipzig geschrieben,
auch noch auftauchen mußte und gut empfangen ward, eine Aufführung (am
29. Aug. 1807), bei der wohl Käthchen selbst gegenwärtig gewesen ist.

Wenn uns bisher eine hervorragende Persönlichkeit nicht
entgegengetreten ist, welche einen bestimmenden Einfluß auf Goethe
ausgeübt hätte, so finden wir diese auf dem Gebiet der bildenden Kunst
in _Adam Friedrich Oeser_, der seit 1763 als Director der Kunstakademie
in Leipzig lebte und dort als Maler und Bildhauer wie als Mensch in
hoher Achtung stand. Goethe, dessen glückliche Naturanlagen für die
bildende Kunst bereits im väterlichen Hause sorgfältig gepflegt waren,
suchte sie auch in Leipzig weiter auszubilden und nahm bei Oeser
Unterricht im Zeichnen, an welchem auch der nachmalige Staatskanzler
_Hardenberg_,[25] der Fürst _Lieven_ und _Gröning_ aus Bremen Theil
nahmen. Später begnügte er sich mit dem Zeichnen nicht, sondern wurde
durch den Verkehr mit dem Kupferstecher _Stock_ -- dessen Töchter
_Minna_, später die Gattin _Körners_, und _Dora_ nachmals zu Schiller
in ein so inniges Verhältniß traten -- veranlaßt, sich auch mit dem
Radiren zu beschäftigen, wovon noch jetzt kleine Platten für Schönkopf
und Käthchen geätzt um ihre Bücher zu zeichnen,[26] und zwei größere
Radirungen Zeugniß geben.[27] Oesers Verdienste als Künstler, welche
seine Zeitgenossen überschätzten, hat Goethe später richtig gewürdigt;
sein Einfluß auf Goethe aber reichte weit über die Belehrung von
bildender Kunst hinaus; in seinem Verkehr war es ihm einleuchtend
geworden, „daß die Werkstatt des großen Künstlers mehr den keimenden
Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des
Weltweisen und des Kritikers.“ Er war ein sinniger, denkender Mann
von kräftiger Eigenthümlichkeit und nicht geringer Bildung, durch
hingeworfene Andeutungen mehr anregend als aufklärend, frisch und derb,
heiter und jovial, kurz ein Mann, der auf die Jugend ungemein wirken
mußte. Durch aufmunternde Anerkennung gewann er Goethes Vertrauen und
Neigung und gab ihm in der bildenden Kunst einen sicheren Ausgangspunkt
für die Erkenntniß des Schönen, um welche Goethe eifrig bemüht war,
um sie auch auf anderen Gebieten fruchtbar zu machen. Oeser war
_Winckelmanns_ vertrauter Freund gewesen und hatte auch auf dessen
Ansichten von der Kunst großen Einfluß geübt; die Begeisterung, mit
welcher Winckelmann allgemein verehrt wurde, ließ Oeser in einem
höheren Licht glänzen und der persönliche Eindruck dieses Mannes
gab auch der Verehrung für Winckelmann einen bestimmten gleichsam
persönlichen Charakter. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf daher
alle die Nachricht von Winckelmanns Tode zu der Zeit, da man eben
seinem Besuch entgegensah. Auch auf diesem Gebiet war es _Lessing_, der
durch seinen Laokoon ein ungeahntes helles Licht in die jüngern Geister
warf, und reinigend und stärkend wie kein anderer sie ergriff, indem
er ihnen nicht sowohl die Wahrheit als den Weg zeigte, auf welchem
sie zu derselben gelangen konnten, und mit sittlichem Ernst von ihnen
verlangte, daß sie den Schweiß und selbst den Schmerz der Anstrengung
nicht scheueten, um die Wahrheit zu erringen. Noch können wir die
Spuren erkennen, mit welchem Eifer Goethe Lessing zu studiren und an
ihm sich weiter zu bilden bestrebt war.[28]

Für Goethes ganze spätere Entwickelung ist es von der größten
Bedeutung, daß er schon jetzt durch Oeser in dem Sinne mit der Kunst,
und ganz besonders der des Alterthums, vertraut gemacht wurde, welchen
er sein ganzes Leben hindurch bewahrt hat. Er hat lange zwischen der
Dichtkunst und der bildenden Kunst geschwankt, und erst spät mit
Schmerzen die Einsicht gewonnen, daß er in der letzteren nur Dilettant
sein könne;[29] allein das plastische Element seiner Poesie hing
mit dieser Richtung auf die bildende Kunst so eng zusammen, daß die
Anschauung und Einsicht, welche er auf diesem Gebiet in früher Jugend
gewann, fortwährend einflußreich und maßgebend gewesen ist. Mit der
hingebendsten Dankbarkeit und einer wahrhaft ehrfurchtsvollen Liebe
spricht er sich in seinen Briefen gegen Oeser aus und an Reich[30]
schreibt er: „Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit
gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Er
drang in unsere Seelen und man musste keine haben um ihn nicht zu
nutzen. Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folge haben. Er
lehrte mich, das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille.“[31]
Später wurde die Bekanntschaft von Weimar aus wieder erneuet. „Wie
süß ist es,“ schreibt er an Frau von Stein (25. December 1782),[32]
„mit einem richtigen, verständigen, klugen Menschen umgehn, der weis
wie es auf der Welt aussieht und was er will, und der, um dieses
Leben anmuthig zu genießen, keinen superlunarischen Aufschwung nöthig
hat, sondern in dem reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reize
lebt. Denke Dir hinzu, daß der Mann ein Künstler ist, hervorbringen,
nachahmen und die Werke anderer doppelt und dreifach genießen kann,
so wirst Du wohl nicht einen glücklichern denken können[33]. So ist
Oeser, und was müßte ich Dir nicht sagen, wenn ich sagen wollte, was
er ist.“ Ähnliche Äußerungen wiederholen sich, so oft er Oeser sieht
und bezeugen, wie tief er auch in seinen Mannesjahren Oesers Werth
empfand. Durch Goethe mit dem Weimarschen Hofe bekannt gemacht, ward
er dem Herzog _Carl August_ wie der Herzogin _Amalia_ durch seine
Kunstkenntniß und Erfahrung werth; die letztere gewann ihn besonders
lieb und veranlaßte ihn zu wiederholten Besuchen in Weimar, wo seine
lebensfrische, geistreiche Jovialität und seine weltmännische Klugheit
ihn zu einem stets willkommenen Gast machten.

Durch Oeser waren Goethe die Kunstsammlungen Leipzigs, von denen die
_Winklersche_ einen großen Ruf mit Recht behauptete, geöffnet, um ihn
sammelte sich ein Kreis von Kunstfreunden und Kennern, unter denen
besonders neben _Huber_ sich _Kreuchauff_ auszeichnete, der früher
Kaufmann gewesen war, später nur seinem Interesse für die Kunst lebte,
das er auch durch Schriften bewährte. Dieser Kreis pflegte sich in
Oesers überaus gastfreiem Hause in der Pleißenburg, im Sommer auf dem
Landsitz, den er in _Dölitz_ besaß, in ungezwungener Heiterkeit zu
versammeln. Eine Predigt im Frankfurter Judendialekt, welche Goethe
dort vorzutragen liebte, von ihm selbst aufgeschrieben, ist ein
harmloses Zeugniß der jugendlichen Fröhlichkeit, welche dort herrschte.
Die Seele dieser Gesellschaft war, für die Jugend zumal, Oesers älteste
Tochter _Friederike Elisabeth_, geboren im Jahr 1748, unvermählt
hierselbst gestorben im Jahre 1829. Von Jugend auf war sie der Liebling
des Vaters gewesen und selbst wenn er arbeitete in seiner Gesellschaft.
Durch ihren Muthwillen, welchen ihr phlegmatischer Bruder besonders
empfinden mußte, ergötzte sie ihn als Kind, später stand sie ihm durch
Verstand und Bildung nahe; er bediente sich ihrer Feder und ließ fast
seine ganze Correspondenz von ihr führen. Ihr volles Gesicht mit dem
Stumpfnäschen und den lebendigen braunen Augen stimmte zu ihrer kleinen
raschen Figur, und wenn auch durch Blatternarben entstellt verrieth
es lebhaften Geist und Verstand, und die fröhliche Heiterkeit ihrer
Laune, womit sie dem Jüngling neckisch und übermüthig zusetzte, zu hart
und unbarmherzig, wie er meinte, wenn er sich unglücklich und leidend
fühlte. Denn zu ihr nahm er seine Zuflucht, wenn Liebe und Eifersucht
ihn quälten, und sie hatte um so eher ein gewisses Übergewicht über
ihn, da hier keine leidenschaftliche Neigung ins Spiel kam. In den
nächsten Jahren nach seinem Fortgehen von Leipzig unterhielt er mit ihr
eine belebte Correspondenz und schickte ihr ein Bild seiner geliebten
Schwester _Cornelie_, das er auf einen Correcturbogen des _Götz_
flüchtig gezeichnet hatte, als ein Zeichen seiner Anhänglichkeit.
Im Wald und auf den Wiesen von Dölitz erging er sich gern in
dichterischen Streifereien, und war auch Käthchen oder wie sie dem
Dichter hieß, Annette, meistens Veranlassung und Gegenstand seiner
Lieder, so wurden sie der fein gebildeten und scharf urtheilenden
Friederike zur Prüfung vorgelegt. Eine Sammlung „Lieder mit Melodien
Mademoiselle Friederike Oeser gewiedmet von Goethen,“ das älteste und
eigenthümlichste Denkmal Goethescher Poesie, wird noch handschriftlich
in einer Goethe-Bibliothek in Leipzig aufbewahrt. Als dieselben „davon
ein Theil das Unglück hatte, ihr zu mißfallen“ -- man kann wohl
errathen weshalb -- durch andere vermehrt später gedruckt wurden,
„würde er sich vielleicht unterstanden haben, ihr ein unterschriebenes
Exemplar zu wiedmen, wenn er nicht wüßte, daß man sie durch einige
Kleinigkeiten leicht zum schimpfen bewegen könnte.“ Diese neuen Lieder
in Melodien gesetzt von _Bernh. Theod. Breitkopf_ erschienen 1770 ohne
Goethes Namen. _Hiller_, der sie anzeigte, meinte, wenn man sie läse,
werde man gestehen, daß es dem Dichter keineswegs an einer glücklichen
Anlage zu dieser scherzhaften Dichtungsart fehle[34] -- für uns sind
sie ein schönes, ächtes Denkmal seines Leipziger Aufenthalts. Die
Zueignung, welche den Schluß derselben macht:

  „Da sind sie nun! Da habt ihr sie!
  Die Lieder ohne Kunst und Müh
  Am Rand des Bachs entsprungen.
  Verliebt und jung und voll Gefühl
  Trieb ich der Jugend altes Spiel
  Und hab sie so gesungen.

  Sie singe, wer sie singen mag!
  An einem hübschen Frühlingstag
  Kann sie der Jüngling brauchen.
  Der Dichter blinzt von Ferne zu,
  Jetzt drückt ihm diätätsche Ruh
  Den Daumen auf die Augen.

  Halb scheel, halb weise sieht sein Blick,
  Ein bißgen naß auf euer Glück
  Und jammert in Sentenzen.
  Hört seine letzten Lehren an,
  Er hat's so gut wie ihr gethan
  Und kennt des Glückes Gränzen.“

drückte seine Stimmung so wahr und tief, so einfach und schön aus, wie
schon damals kaum ein anderer Dichter es vermochte.

So ging er von Leipzig am 28. August 1768 fort. Weder er selbst noch
seine Freunde ahnten in ihm die künftige Größe, zu der wir jetzt
bewundernd hinaufschauen. Leipzig hat Goethe nicht den Lorbeer ins
Haar gewunden, aber noch hat der Blumenstrauß, den der Jüngling hier
gepflückt, frischen, unvergänglich frischen Duft.

Fußnoten:

[1] Briefe an _Zelter_ ~II~: S. 306. (28. Aug. 1816.)

[2] Morgenblatt 1815 N. 69 (März).

[3] Bis in die neueste Zeit gehörten alle Mitglieder der Universität,
Docenten wie Studenten, einer der vier bei der Stiftung bestimmten
Nationen an, der _meißnischen_, _sächsischen_, _bayrischen_ oder
_polnischen_. Als Frankfurter wurde Goethe der bayrischen zugeschrieben.

[4] _Schöll_, Briefe und Aufsätze von Goethe S. 20 ff.

[5] Ich theile hier das durch Horn abgeänderte Gedicht mit, wie es
Christ. Heinrich Schmid in der Vorrede zu J. C. Rosts vermischten
Gedichten (1769) hat abdrucken lassen:

  „O Händel! dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,
  Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt,
  Du bäckst, was Gallier und Britten ämsig suchen,
  Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.
  Des Kaffees Ocean, der sich vor dir ergießt,
  Ist süsser als der Saft, der von dem Hybla fließt.
  Dich ehrt die Nation, abwechselnd sanft in Moden,
  Ihr Tribunal verbannt hin zu den Antipoden,
  In trauriges Exil, den Kopf leer von Verstand
  Der kein Elysium in deinem Garten fand.
  Dein Haus ist ein Trophä von Spoljen unsrer Beutel,
  Strahlt gleich kein Diadem dir um den hohen Scheitel,
  Erhebt zu deinem Ruhm sich gleich kein Monument:
  Auch ohne Purpur ehrt dich dennoch der Student --
  Glänzt deine Urn' dereinst in majestätschem Pompe,
  Dann weint der Patriot an deiner Katakombe;
  Wann dann ein Autor dich uns im Kothurne zeigt,
  Und du Sentenzen sprichst, wird unser Herz erweicht.
  Wär es dem Marmor gleich, so darfst du uns erscheinen,
  Wie _Medon_ uns erschien und Myriaden weinen.
  Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest,
  Steh hoch, wie der Olymp, wie der Hymettus fest;
  Kein Phalanx Griechenlands, nicht Römische Balisten
  Vermögen je dein Glück, o Händel, zu verwüsten!
  Dein Wohl ist unser Wohl, dein Leiden unser Schmerz
  Und Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“

[6] Eckermann Gespräche II. S. 328 vgl. I. S. 340. Riemer Mittheilungen
II. S. 663 f.

[7] Riemer Mittheilungen II. S. 60. Er starb 1809 in Dessau,
unverheirathet, sechzig Jahre alt.

[8] Eckermann Gespräche II. S. 175 ff.

[9] Blum, ein Bild aus den Ostseeprovinzen S. 29.

[10] Originalien 1832 Nr. 83 f.

[11] „Wir würden uns doch gewiß recht gut dargestellt haben, denn
ich hätte mir ein Postamentgen machen lassen“ schreibt Horn an
Käthchen Schönkopf, und ein anderes Mal: „Auf der Reise wäre ich bald
unglücklich gewesen, denn meine krummen Beine, wie die Mamsell spricht,
hatten sich so mit den Andräischen verwickelt, daß man sie um uns zu
trennen beynahe hätte zerbrechen müssen.“

[12] Das Haus liegt im Brühl Nr. 79 neben dem goldenen Apfel und ist
bis vor wenig Jahren im Besitz der Familie geblieben; seitdem es in
andere Hände gekommen ist, ist es fast ganz umgebaut worden.

[13] „Ich wünschte, daß ich diesen Abend bei Ihnen Punsch trinken
könnte“ schreibt Horn, und ein andermal: „Was wollte ich darum geben,
wenn ich nur noch einmal mit Ihnen Punsch trinken könnte!“

[14] Frl. v. Göchhausen schreibt (Riemer Mitth. ~II.~ S. 85 f.):
„Gestern (20. Mai 1779) hat uns der Herr Geh. Leg. Rath ein
Schäferspiel, _die Launen des Verliebten_, hier (in Ettersburg)
aufgeführt, das er sagt in seinem 18. Jahr gemacht zu haben, und nur
wenig Veränderung dazu gethan. Es bestand nur aus vier Personen,
welche der _Doctor_, _Einsiedel_, das Frl. v. _Wöllwarth_ und Mlle.
_Schröder_ vorstellten. Es ist von einem Act mit einigen Arien, welche
der Kammerherr v. _Seckendorf_ componirt hat. Es wurde recht sehr gut
gespielt, und wir waren den ganzen Tag fröhlich und guter Dinge.“

[15] Horn schreibt am 9. April: „Hr. ~Dr.~ Kanne wird noch bei Ihnen
seyn. Geben Sie ihm diesen Brief zu lesen. Er wird es nicht übel
nehmen, daß ich nicht besonders an Ihn geschrieben habe. Im Grunde
glaube ich ist es auch einerley ob ich an Sie oder an Ihn schreibe,
denn so lange wir noch in Ihrem Hause wohnten, machten wir doch immer
ein Stück von der Familie aus und Er hat noch ein größeres Recht dazu
als ich, denn er ist ..... älterer Student.“

[16] Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 19 f. 21.

[17] „~Goethe accompagne le clavecin de Mme (Brentano) avec la basse.~“
Merck Briefe ~III.~ S. 86. Vgl. Eckermann Gespräche ~I.~ S. 79: „Goethe
antwortete: Aber Sie finden kein Wort über Musik (in den Reisenotizen),
weil das nicht in meinem Kreise lag.“

[18] Goethes Werke ~XXXII.~ S. 335.

[19] Briefwechsel mit Zelter ~VI.~ S. 129.

[20] Briefe an Frau v. Stein ~I~. S. 20 f.

[21] Werke ~XXVII~. S. 467 ff.

[22] Briefe an Frau v. Stein ~II~. S. 69.

[23] Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 7 ff.

[24] Goethe bot die in Frankfurt nachgefeilten _Mitschuldigen_
dem dortigen Buchhändler _Fleischer_ vergebens zum Verlag an, sie
wurden erst 1787 gedruckt, vorher aber wurden sie wiederholt auf dem
Weimarschen Liebhabertheater gespielt, wo _Goethe_ den _Alcest_,
_Bertuch_ den _Söller_, _Musäus_ den _Wirth_, _Corona Schröter_ die
_Sophie_ gab. Riemer Mittheilungen ~II~. S. 36. 54. Briefe an Frau
v. Stein ~II~. S. 13. Böttiger litter. Zustände ~I~. S. 277. Peucer
in Weimars Album S. 72. Als ein Curiosum mag bemerkt werden, daß die
Mitschuldigen in Leipzig zuerst in einer prosaischen Bearbeitung von
_Albrecht_ aufgeführt worden sind, Blümner, Geschichte des Theaters zu
Leipzig S. 302.

[25] Werke VI. S. 440 f.

[26] Die erste ist unten als Vignette mitgetheilt.

[27] Fragmente aus einer Goethe-Bibliothek S. 16 f. [
F8] Vgl. Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 108.

[29] Riemer Mittheilungen ~II.~ S. 301: „Von meinem längeren Aufenthalt
in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der
bildenden Kunst Verzicht thue.“ Eckermann Gespräche ~I.~ S. 132:
„Was ich aber sagen wollte, ist dieses, daß ich in Italien in meinem
vierzigsten Jahre klug genug war, um mich selber insoweit zu kennen,
daß ich kein Talent zur bildenden Kunst habe, und daß diese meine
Tendenz eine falsche sei.“ S. 139: „Ich sage dieses, indem ich bedenke,
wie viele Jahre es gebrauchte, bis ich einsah, daß meine Tendenz zur
bildenden Kunst eine falsche sei, und wie viele andere, nachdem ich es
erkannt, mich davon loszumachen.“

[30] Briefe an Lavater S. 164 f.

[31] Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 107 f.: „Rede bei
Eröffnung der Londoner Akademie von Reynolds. Enthält fürtreffliche
Erinnerungen eines Künstlers über die Bildung junger Maler; er dringt
besonders auf die Correktion und auf das Gefühl der Idealischen stillen
Größe. Er hat recht. Genies werden dadurch unendlich erhaben und kleine
Geister wenigstens etwas.“

[32] Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 279.

[33] Werke ~XXIV.~ S. 210.

[34] Fragmente aus einer Goethe-Bibliothek S. 1 f.



Goethes Briefe an Joh. Jac. Riese.


I.[35]

                           _Leipzig_ 20. Oktober 1765.
                                  Morgends um 6.

          _Riese_, guten Tag!

                                  den 21. Abends um 5.

          _Riese_, guten Abend!

Gestern hatte ich mich kaum hingesetzt um euch eine Stunde zu widmen,
Als schnell ein Brief von Horn kam und mich von meinem angefangnen
Blate hinweg riß. Heute werde ich auch nicht länger bey euch bleiben.
Ich geh in die Commoedie. Wir haben sie recht schön hier. Aber
dennoch! Ich binn unschlüßig! Soll ich bey euch bleiben? Soll ich in
die Commödie gehn? -- Ich weiß nicht! Geschwind! Ich will würfeln. Ja
ich habe keine Würfel! -- Ich gehe! Lebt wohl! --

Doch halte! nein! ich will da bleiben. Morgen kann ich wieder nicht
da muß ich ins Colleg, und Besuchen und Abends zu Gaste. Da will ich
also jetzt schreiben. Meldet mir was ihr für ein Leben lebt? Ob ihr
manchmahl an mich denkt. Was ihr für Professor habt. & cetera und zwar
ein langes & cetera. Ich lebe hier, wie -- wie -- ich weiß selbst nicht
recht wie. Doch so ohngefähr

  So wie ein Vogel, der auf einem Ast
  Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
  Der ungestört die sanfte Luft genießt.
  Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
  von Bußch zu Bußch sich singend hinzuschwingen.

Genug stellt euch ein Vögelein, auf einem grünen Ästelein in allen
seinen Freuden für, so leb ich. Heut hab ich angefangen Collegia zu
hören.

Was für? -- Ist es der Mühe wehrt zu fragen? ~Institutiones imperiales.
Historiam iuris. Pandectas~ und ein ~privatissimum~ über die 7 ersten
und 7 letzten Titel des Codicis. Denn mehr braucht man nicht, das
übrige vergißt sich doch. Nein gehorsamer Diener! das ließen wir
schön unterwege. -- Im Ernste ich habe heute zwei Collegen gehört, die
Staatengeschichte bey Professor Böhmer, und bei Ernesti über Cicerons
Gespräche vom Redner. Nicht wahr das ging an. Die andre Woche geht
~Collegium philosophicum et mathematicum~ an. --

Gottscheden hab ich noch nicht gesehen. Er hat wieder geheurathet.
Eine Jfr. Obristleutnantin. Ihr wißt es doch. Sie ist 19 und er 65
Jahr. Sie ist 4 Schue groß und er 7. Sie ist mager wie ein Häring und
er dick wie ein Federsack. -- Ich mache hier große Figur! -- Aber noch
zur Zeit bin ich kein Stutzer. Ich werd es auch nicht. -- Ich brauche
Kunst um fleißig zu sein. In Gesellschaften, Concert, Comoedie, bei
Gastereyen, Abendessen, Spazierfahrten so viel es um diese Zeit angeht.
Ha! das geht köstlich. Aber auch köstlich, kostspielig. Zum Henker
das fühlt mein Beutel. Halt! rettet! haltet auf! Siehst du sie nicht
mehr fliegen? Da marschierten 2 Louisdor. Helft! da ging eine. Himmel!
schon wieder ein paar. Groschen die sind hier, wie Kreuzer bei euch
draußen im Reiche. -- Aber dennoch kann hier einer sehr wohlfeil leben.
Die Messe ist herum. Und ich werde recht menageus leben. Da hoffe ich
des Jahrs mit 300 Rthr. was sage ich mit 200 Rthr. auszukommen. ~NB~.
das nicht mitgerechnet, was schon zum Henker ist. Ich habe kostbaaren
Tißch. Merkt einmahl unser Küchenzettel. Hüner, Gänße, Truthahnen,
Endten, Rebhüner, Schnepfen, Feldhüner, Forellen, Haßen, Wildpret,
Hechte, Fasanen, Austern u. s. w. Das erscheinet Taglich. Nichts von
anderm groben Fleisch ~ut sunt~ Rind, Kälber, Hamel u. s. w. das weiß
ich nicht mehr wie es schmeckt. Und die Herrlichkeiten nicht teuer,
gar nicht teuer. -- Ich sehe, daß mein Blat bald voll ist und es
stehen noch keine Verse darauf, ich habe deren machen wollen. Auf ein
andermahl. Sagt Kehren daß ich ihm schreiben werde. Ich höre von Horn,
daß ihr euch ~ob absentiam puellarum forma elegantium~ beklagt. Laßt
euch von ihm das Urteil sagen daß ich über euch fällete.

                                                              _Goethe._

Fußnote:

[35] _Joh. Jac. Riese_ war ein Jugendfreund Goethes und studirte in
Marburg, während Goethe in Leipzig war. Bei seinem späteren Aufenthalt
in Frankfurt verkehrte er wiederum lebhaft mit Riese (Werke ~XXII~. S.
68 f.). Ein Portrait desselben in Lebensgröße in schwarzer Kreide von
Goethe ausgeführt befindet sich noch im Besitze seines Neffen, Herrn J.
_Riese_ in Frankfurt; die Goetheschen Briefe sind leider alle bis auf
diese Studentenbriefe vernichtet, welche H. _König_ in Lewalds Europa
(1837, ~I~. S. 145 ff.) in buchstabengetreuer Copie bekannt gemacht
hat; danach sind sie hier wiederholt. Die Handschrift der ersten beiden
Briefe ist stumpf und derb, ohne viel Unterscheidungszeichen, im
dritten viel zierlicher, die Feder scheint frisch geschnitten.


II.

                                  _Leipzig_, d. 30ten Octbr. 1765.

          _Lieber Riese._

Euer Brief vom 27ten, der mich äuserst vergnügt hat, ist mir eben
zugestellet worden. Die Versicherung daß ihr mich liebt, und daß euch
meine Entfernung leid ist, würde mir mehr Zufriedenheit erweckt haben;
wenn sie nicht in einem so fremden Tone geschrieben wäre. _Sie! Sie!_
das lautet meinen Ohren so unerträglich, zumahl von meinen liebsten
Freunden, daß ich es nicht sagen kann. Horn hat es auch so gemacht,
ich habe mit ihm gekeift. Fast hatte ich Lust, mit euch auch zu keifen.
Doch! ~Transeat!~ Wenn ihr es nur nicht wieder tuht. --

Ich lebe hier recht zufrieden. Ihr könnt es aus beiliegendem Briefe
sehen, der schon lange geschrieben ist; ihr würdet ihn schon längst
haben; wenn Horn nicht vergessen hätte mir eure Addresse zu senden. Die
Beschreibung von Marpurg ist recht komisch.

Das beste Trauerspiel Mädgen sah ich nicht mehr. Wenn ihr nicht noch
vor eurer Abreise erfahret, was sie von Belsazar denkt; so bleibt mein
Schicksal unentschieden. Es fehlt sehr wenig; so ist der Fünfte Aufzug
fertig. In 5füßigen Jamben.

  Die Versart, die dem Mädgen wohl gefiel
  der ich allein, Freund, zu gefallen wünschte.
  Die Versart, die der große Schlegel selbst
  und meist die Kritiker für's Trauerspiel
  die schicklichsten und die bequemsten halten.
  Die Versart, die den meisten nicht gefällt,
  Den Meisten deren Ohr sechsfüßige
  Alexandriner noch gewohnt. Freund, die,
  die ist's die ich erwählt mein Trauerspiel
  zu enden. Doch was schreib ich viel davon.
  Die Ohren gällten dir gar manchesmahl,
  von meinen Versen wieder drum mein Freund,
  Erzähl ich dir was angenehmeres.
  Ich schaute Gellerten, Gottscheden auch
  und eile jetzt sie treu dir zu beschreiben.
  Gottsched ein Mann so groß alß wär er vom alten Geschlechte
  Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
  Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
  Ja so sieht er aus und seines Cörperbaus Größe
  Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.
  Wollt ich recht ihn beschreiben; so müßt ich mit einem Exempel
  Seine Gestalt dir vergleichen, doch dieses wäre vergebens.
  Wandeltest du geliebter auch gleich durch Länder und Länder
  Von dem Aufgang herauf biß zu dem Untergang nieder,
  Würdest du dennoch nicht einen der Gottscheden ähnlichte finden.
  Lange hab ich gedacht und endl. Mittel gefunden
  Dir ihn zu beschreiben doch lache nicht meiner, Geliebter.
  ~Humano capiti, cervicem jungens equinam
  Derisus a Flacco non sine jure fuit.
  Hinc ego Kölbeliis imponens pedibus magnis,
  Immane corpus crassasque Scalpulas Augusti,[36]
  Et magna, magni, brachiaque manusque Rolandi,
  Addensque tumidum morosi Rostii[37] caput.
  Ridebor forsan? Ne rideatis amici.~
  Dieß ist das wahre Bild von diesem großen Mann,
  So gut als ich es nur durchs Beyspiel geben kann.
  Nun nimm geliebter Freund die jetzt beschriebnen Stücke
  So zeiget glaub es mir sich Gottsched deinem Blicke.
  Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
  Ich hörte was er sprach und muß es dir gestehn.
  Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
  So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen,
  Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
  So wüßte man es gleich weil er steets prahlend spricht.
  Genug er sagte viel von seinem Kabinette
  Wie vieles Geld ihn das und jen's gekostet hätte.

Und andre Dinge mehr, genug mein Freund Ich muß schließen. Du weißt
doch er hat eine Frau. Er hat wieder geheurahtet, der alte Bock! Ganz
Leipzig verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um.

Apropos. Hast du nicht gehört? Der Hofraht beklagt sich über den Mangel
der Mädgen zu Göttingen.

              Zu was will er ein Mädchen?
  Um die retohrischen Figuren auszuüben
  Und nach der neuesten Art recht hübnerisch[38] zu lieben
  Zu sehn ob die Protase ein hartes Herz erweicht.
  Zu sehn ob man durch Reglen der Liebe Zweck erreicht
  Zu sehn ob Mimesis, die Ploce, die Sarkasmen
  So voller Reitzung sind wie Neukirchs[39] Pleonasmen
  Und ob er in dem Tohne, wie er den Ulfo singt,
  Mit des Corvinus[40] Versen, das Herz der Schönen zwingt.
  Und ob -- Mein Blat ist voll ich werde schließen müssen.
  Die Mädgen meiner Stadt und Kehren sollt ihr grüßen.

      d. 6. Nov. 1765.

                                                              _Goethe._

Fußnoten:

[36] Du kennst ihn doch? den dicken Schornsteinfeger.

[37] Du wirst dich noch des Fuchsens Vaters erinnern.

[38] _Joh. Hübner_, der bekannte Geograph und Historiker, hatte auch
„Fragen aus der Oratorie“ (Leipzig 1726-30. 5 Bde.) geschrieben.

[39] _Benjamin Neukirch_, Schlesischer Dichter, st. 1729.

[40] _Corvinus_, Advokat und Poet in Leipzig, st. 1746.


III.

    _Lieber Riese._

Ich habe euch lange nicht geschrieben. Verzeiht es mir. Fragt nicht
nach der Ursache! Die Geschäfte waren es wenigstens nicht. Ihr lebt
vergnügt in M. ich lebe hier eben so. Einsam, Einsam, ganz einsam.
Bester Riese diese Einsamkeit hat so eine gewisse Traurigkeit in meine
Seele gepräget.

  Es ist mein einziges Vergnügen,
  Wenn ich entfernt von jedermann,
  Am Bache, bey den Büschen liegen,
  An meine Lieben denken kann.

So vergnügt ich aber auch da bin, so fühle ich dennoch allen Mangel des
gesellschaftlichen Lebens. Ich seufze nach meinen Freunden und meinen
Mädgen, und wenn ich fühle daß ich vergebens seufze

  Da wird mein Herz von Jammer voll,
  Mein Aug wird trüber,
  Der Bach rauscht jetzt im Sturm vorüber,
  Der mir vorher so sanft erscholl.
  Kein Vogel singt in den Gebüschen,
  Der grüne Baum verdorrt
  Der Zephir der mich zu erfrischen
  Sonst wehte, stürmt und wird zum Nord,
  Und trägt entrissne Blüten fort.
  Voll zittern flieh ich dann den Ort,
  Ich flieh und such in öden Mauern
          Einsames Trauern.

Aber wie froh bin ich, ganz froh. Horn hat mich durch seine Ankunft
einem Teil meiner Schwermuht entrissen. Er wundert sich daß ich so
verändert bin.

  Er sucht die Ursach zu ergründen,
  Denkt lächlend nach, und sieht mir ins Gesicht.
  Doch wie kann er die Ursach finden,
  Ich weiß sie selbsten nicht.

Euer Brief redet von Geyern. Glaubt denn der ehrliche Mann, daß hier
die Auditores hundert weise säßen. Er war ja ehemals in Leipzig. Aber,
nicht wahr, wie leer waren seine Hörsäle.

Ich muß doch ein wenig von mir selbst reden.

  Ganz andre Wünsche steigen jetzt als sonst
  Geliebter Freund in meiner Brust herauf.
  Du weißt, wie sehr ich mich zur Dichtkunst neigte,
  Wie großer Haß in meinem Bußen schlug,
  Mit dem ich die verfolgte, die sich nur
  Dem Recht und seinem Heiligthume weihten
  Und nicht der Mußen sanften Lockungen
  Ein offnes Ohr und ausgestreckte Hände
  Voll Sehnsucht reichten. Ach du weißt mein Freund,
  Wie sehr ich (und gewiß mit Unrecht) glaubte,
  Die Muße liebte mich und gäb mir oft
  Ein Lied. Es klang von meiner Leyer zwar
  Manch stolzes Lied, das aber nicht die Musen,
  Und nicht Apollo reichten. Zwar mein Stolz
  Der glaubt es, daß so tief zu mir herab
  Sich Götter niederließen, glaubte, daß
  Aus Meisterhänden nichts Vollkommners käme,
  Als es aus meiner Hand gekommen war.
  Ich fühlte nicht, daß keine Schwingen mir
  Gegeben waren, um empor zu rudern.
  Und auch vielleicht, mir von der Götter Hand,
  Niemals gegeben werden würden. Doch
  Glaubt ich, ich hab sie schon und könnte fliegen.
  Allein kaum kam ich her, als schnell der Nebel
  Von meinen Augen sank, als ich den Ruhm
  Der großen Männer sah, und erst vernahm,
  Wie viel dazu gehörte, Ruhm verdienen.
  Da sah ich erst, daß mein erhabner Flug,
  Wie er mir schien, nichts war als das Bemühn
  Des Wurms im Staube, der den Adler sieht
  Zur Sonn sich schwingen, und wie der hinauf
  Sich sehnt. Er sträubt empor, und windet sich,
  Und ängstlich spannt er alle Nerven an
  Und bleibt am Staub. Doch schnell entsteht ein Wind,
  Der hebt den Staub in Wirbeln auf. Den Wurm
  Erhebt er in den Wirbeln auf. Der glaubt
  Sich groß, dem Adler gleich, und jauchzet schon
  Im Taumel. Doch auf einmahl zieht der Wind
  Den Odem ein. Es sinkt der Staub hinab,
  Mit ihm der Wurm. Jetzt kriecht er wie zuvor.

Werdet nicht über meinen Galimathias böse. Lebt wohl. Horn will meinen
Brief einschließen. Grüßt den Kehr. Schreibt. Habt mehr Collegia in
Zukunft. Horn soll 5 nehmen. Ich 6. Lebt wohl. Gewöhnt euch keine
academistische Sitten an. Liebt mich. Lebt wohl. Lebt wohl.

_Leipzig_ d. 28 Ap. 1766.

                                                              _Goethe._



Goethes Briefe an Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen.


I.[41]

                                                       d 1. Octb. 1768.

Ihr Diener Hr. Schönkopf, wie befinden Sie sich Madame, Guten Abend
Mamsell, Petergen guten Abend.

~NB.~ Sie müssen sich vorstellen dass ich zur kleinen Stubentühre
hineinkomme. Sie Hr. Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen,
Madame in Ihrem Eckgen hinterm Schreibetisch, Peter liegt unterm
Ofen, und wenn Käthgen auf meinem Platze am Fenster sitzt; so mag
sie nur aufstehen, und dem Fremden Platz machen. Nun fange ich an zu
discouriren.

Ich binn lange Aussengeblieben, nicht wahr? fünf ganze Wochen, und
drüber dass ich Sie nicht gesehen, dass ich Sie nicht gesprochen habe,
ein Fall der in drittehalbjahren nicht ein einzigmal passirt ist, und
hinführo leider oft passiren wird. Wie ich gelebt habe, das mögten Sie
gerne wissen. Eh das kann ich Ihnen wohl erzälen, mittelmäsig sehr
mittelmäsig.

Apropos, daß ich nicht Abschied genommen habe werden Sie mir doch
vergeben haben. In der Nachbarschafft war ich, ich war schon unten an
der Türe, ich sah die Laterne brennen, und ging biß an die Treppe, aber
ich hatte das Herz nicht hinaufzusteigen. Zum letztenmal, wie wäre ich
wieder herunter gekommen.

Ich tuhe also jetzt was ich damals hätte tuhn sollen, ich danke Ihnen
für alle Liebe und Freundschafft, die Sie mir so beständig erwiesen
haben, und die ich nie vergessen werde. Ich brauche Sie nicht zu bitten
Sich meiner zu erinnern, tausend Gelegenheiten werden kommen, bei denen
Sie an einen Menschen gedencken müssen, der drittehalb Jahre ein Stück
Ihrer Famielie ausmachte, der Ihnen wohl oft Gelegenheit zum Unwillen
gab, aber doch immer ein guter Junge war, und den Sie hoffentlich
manchmal vermissen werden. Wenigstens ich vermisse Sie offt -- Darüber
will ich weggehen, denn das ist immer für mich ein trauriges Capitel.
Meine Reise ging glücklich, und mittelmäsig, alles habe ich hier gesund
angetroffen außer meinen Großvater, der zwar wieder an der, durch den
Schlag gelähmten Seite ziemlich hergestellt ist, aber doch mit der
Sprache noch nicht fortkann. Ich befinde mich so gut als ein Mensch der
in Zweifel steht ob er die Lungensucht hat oder nicht, sich befinden
kann; doch geht es etwas besser, ich nehme an Backen wieder zu, und da
ich hier weder Mädgen noch Nahrungssorgen habe die mich plagen könnten,
so hoffe ich von Tag zu Tage weiter zu kommen.

Hören Sie Mamsell hat Ihnen mein Verwalter neulich die geringen
Kleinigkeiten zugestellt die ich Ihnen auf Abschlag schickte, und wie
haben Sie sie aufgenommen,[42] die übrigen Commissionen sind alle nicht
vergessen, wenn sie gleich nicht alle ausgerichtet sind. Das Halstuch
ist mit dem größten Gusto fertig, und wird mit ehster Gelegenheit
folgen, Verlangen sie eines von inliegender Farbe, so dürfen Sie nur
befehlen, und auch was für eine Farbe sie drauf haben wollen. Der
Fächer ist in der Arbeit, er wird fleischfarb der Grund, mit lebendigen
Blumen. Halten die Schue noch? Machen Sie mit Ihrem Schuster aus ob er
sie, wenn sie recht fest gemahlt sind, so in acht nehmen will dass er
sie nicht verdirbt, wenn er sie macht, und dann schicken Sie mir Ihr
Schuemuster und da will ich Ihnen mahlen so viel sie wollen, und von
was Farben Sie wollen, denn es geht geschwind. Was andere Dinge mehr
sind wird die Zeit fügen. Schreiben Sie mir wann Sie wollen nur noch
Vorm ersten November, denn da schreibe ich wieder an Sie und mehr,
ich weiß doch Lieber Hr. Schönkopf dass sie nicht selbst schreiben,
aber treiben Sie Käthgen ein Bißgen, dass ich bald Nachricht von euch
kriege. Nicht wahr Madame das wäre unbillig wenn ich nicht wenigstens
alle Monate einen Brief aus dem Hause bekäme, wo ich bißher alle Tage
drinne war. Und schreibt ihr mir nicht; so tuhts nichts den ersten
November schreib ich wieder.

Empfelungen, an Mad. Oberm. Hr. Obermann Madslle Obermann ganz
besonders, Hr. Reich, Hr. Junius, ferner Madslle Weidemann die Sie um
Vergebung bitten müssen dass ich nicht Abschied genommen habe. Adieu
alle zusammen. Käthgen wenn Sie mir nicht schreiben so sollen Sie sehen.

  fortgeschickt d 3ten Octbr.

Fußnoten:

[41] Diese Briefe sind im Besitz der Frau Präsidentin _Sickel_ geb.
_Kanne_ in Leipzig, der Enkelin _Schönkopfs_ und Tochter _Käthchens_,
welche mir gestattet hat, dieselben bekannt zu machen. Auch hat sie
mir eine Anzahl von Briefen _Horns_ an die Schönkopfsche Familie
anvertraut, aus welchen ich manche erläuternde Notizen ausgezogen habe.
Derselben verehrten Frau verdanke ich die Mittheilung interessanter
Erinnerungen an die Jugendzeit ihrer Mutter, welche ich dankbar benutzt
habe.

[42] Goethe hatte ihr den scherzhaften Brief (Ia) zugeschickt.


Ia.

    Mademoiselle,

Hr. Goethe dem bekanndt ist, daß Scheere, Messer, und Pantoffeln,
diejenigen Mobielien sind die am meisten bey Ihnen auszustehen haben,
schicket Ihnen hiermit, eine mittelmäsige Scheere, ein gutes Messer,
und Leder zu zwey Paar Pantoffeln. Sie sind alle von gutem Stoffe,
dauerhafft, und mein Herr hat ihnen noch überdieß die möglichste Geduld
anbefohlen, doch aber glaubt ich nicht daß Klingen und Leder so lange
bey Ihnen aushalten werden als Er. Nehmen Sie mir's nicht übel, ich
sage wie ich's denke, drittehalbjahre das können Sie weder von einem
Pantoffel noch von einem Messer, noch von -- das lass ich dahingestellt
seyn -- Verlangen, denn grausam gehen Sie mit allem um was sich unter
Ihre Herrschafft begiebt oder begeben muß. Zerreisen und zerbrechen
sie alles, biß Ostern, da steht Ihnen neue Waare zu Diensten, und
erinnern Sie Sich manchmal bey diesen Kleinigkeiten, daß mein Herr
noch beständig wie sonst Ihnen ergeben ist. Selbst hat er nicht an Sie
schreiben wollen, um sein Gelübte, nie vor dem ersten eines Monats
Ihnen einen Brief zu schicken, nicht zu brechen. Mittlerweile, das
ist, zwischen heut und dem ersten October, empfielt er sich durch mich
ganz ergebenst, und ich nehme diese Gelegenheit, mich Ihnen Gleichfalls
zu empfelen.

     Michel, sonst Herzog genannt, nach Verlust seines Herzogtums aber,
     wohlbestellter Pachter auf des gnädigen Herren hochadelichen
     Rittergütern.[43]

Fußnote:

[43] Mit Beziehung auf die S. 32 erwähnte Aufführung des Lustspiels von
_Krüger_, in welchem ein Knecht _Michel_, der eine Nachtigall gefangen
und von dem hohen Preise derselben gehört hat, mit dem Ertrage immer
mehr zu gewinnen und zuletzt ein Herzogthum zu kaufen sich träumt, und
schon als eingebildeter Herzog gegen seinen Herrn und dessen Tochter
_Hannchen_ sich beträgt. Da läßt er, wie er seine Pläne dem staunenden
Mädchen ausmalt, seine Nachtigall fliegen, wird wieder vernünftig und
tröstet sich mit ihrer Liebe.


II.

                                              Franckfurt am 1. Nov. 68.

Meine geliebteste Freundin,

Noch immer so munter, noch immer so boshafft. So geschickt das gute
von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmherzig einen Leidenden
auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, alle diese liebenswürdige
Grausamkeiten, enthält Ihr Brief; und konnte die Landsmännin der Minna
anders schreiben.

Ich danke Ihnen für eine so unerwartet schnelle Antwort, und bitte Sie
auch inskünftige, in angenehmen muntern Stunden an mich zu dencken,
und wenn es seyn kann an mich zu schreiben; Ihre Lebhafftigkeit, Ihre
Munterkeit, Ihren Witz zu sehen, ist mir eine der grössten Freuden, er
mag so leichtfertig, so bitter seyn als er will.

Was ich für eine Figur gespielt habe, das weiss ich am besten, und was
meine Briefe für eine spielen, das kann ich mir vorstellen. Wenn man
sich erinnert, wie's andern gegangen ist, so kann man ohne Wahrsager
Geist rahten, wie's Einem gehen wird; Ich binn's zufrieden, es ist
das gewöhnliche Schicksaal der Verstorbenen, dass Überbliebene und
Nachkommende auf ihrem Grabe tanzen.

Was macht denn unser Principal, unser Direckteur, unser Hofmeister,
unser Freund Schoenkopf?

Gedenckt er noch manchmal an seinen ersten Ackteur, der doch diese Zeit
her, in allen Lust- und Trauerspielen, die schweren und beschwerlichen
Rollen, eines Verliebten und Betrübten, so gut, und so natürlich als
möglich, vorgestellt hat. Hat sich noch niemand gefunden, der meine
Stelle wieder begleiten mögte, ganz mögte sie wohl nicht wieder besetzt
werden; zum Herzog Michel finden Sie eher zehn Ackteurs, als zum Don
Sassafras[44] einen einzigen. Verstehen Sie mich?

Unsre gute Mama hat mich an Starckens Handbuch[45] erinnern lassen,
ich werde es nicht vergessen. Sie haben mich an Gleimen erinnern
lassen; ich werde nichts vergessen. Ich dencke in Abwesenheit so gut
als gegenwärtig, dem Verlangen derer die ich liebe gnüge zu tuhn.
Ihre Bibliothek fällt mir sehr offt ein, ehstens soll sie vermehrt
werden, verlassen Sie Sich drauf. Halte ich gleich nicht immer was ich
versprochen, so tue ich doch offt mehr als ich verspreche.

Sie haben Recht, meine Freundinn, dass ich jetzt für das gestraft
werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe, mein hiesiger Aufenthalt,
ist so unangenehm, als mein Leipziger angenehm hätte seyn können, wenn
gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen. Wenn
Sie mich schelten wollen, so müssen Sie billig seyn, Sie wissen was
mich unzufrieden, launisch, und verdrüsslich machte, das Dach war gut,
aber die Betten hätten besser seyn können, sagt Franziska.

Apropos was macht unsre Franziska, verträgt sie sich bald mit Justen?
Ich dencke's. So lang der Wachtmeister noch da war, nun da dachte
sie an ihr Versprechen, jetzt da er nach Persien ist, eh nun, aus
den Augen aus dem Sinn, da nimmt sie lieber einen Diener, den sie
sonst nicht mochte, als gar keinen. Grüßen Sie mir das gute Mädgen.
Sie formalisiren Sich über das ganz besondere Compliment an Ihre
Nachbarinn.[46] Was für Sie übrig bleibt? Was das für eine Frage
ist. Sie haben meine ganze Liebe, meine ganze Freundschafft, und das
allerbesonderste Compliment, ist doch noch lange nicht der tausendste
Teil davon, das wissen Sie auch, ob Sie gleich zur Plage, oder
Unterhaltung, Ihres Freundes (denn beydes heisst bei Ihnen einerley)
tuhn als ob Sie es nicht wüssten, wie Sie es in mehr Stellen Ihres
Briefes getahn haben, Z. E. in der Stelle vom Abschied pp. das ich
übergehe.

Zeigen Sie diesen Brief, und wenn ich bitten darf alle meine Briefe,
Ihren Eltern, und wenn Sie wollen, Ihren =besten Freunden=, aber
niemand weiter; Ich schreibe, wie ich geredet habe, aufrichtig, und
dabey wünsche ich, dass es niemand, wer es falsch auslegen könnte zu
sehen kriegte. Ich binn wie immer, unaufhörlich

            ganz der Ihrige
            J. W. Goethe.

Fußnoten:

[44] S. S. 82. Dieser Theaterheld ist nicht ausfindig gemacht.

[45] Wahrscheinlich _H. Fr. Stark_, tägliches Handbuch in guten und
bösen Tagen. Frkf. a. M. 1739.

[46] Mlle. _Obermann_ (s. S. 70), deren Eltern Schönkopfs gegenüber
wohnten. Auch Horn läßt bald „die beiden guten Mädchen in Ihrer
Nachbarschaft“ grüßen, bald „die hübsche Jungfer Nachbarin“, auch seine
Jungfer Gevatterin; doch nennt er auch eine gewisse Mamsell _Lauer_.
Man merkt an dem Ton, daß es dabei auf eine Neckerei abgesehen war.


III.

                                               Franckf. am 30. Dec. 68.

  Meine beste, ängstliche
                        Freundinn

Sie werden ohne Zweifel zum neuen Jahre, durch Hornen die Nachricht
von meiner Genesung erhalten haben; und ich eile es zu bestättigen.
Ja meine Liebe, es ist wieder vorbey, und inskünftige müssen Sie Sich
beruhigen wenn es ja heissen sollte: Er liegt wieder! Sie wissen meine
Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat
sie sich wieder zurechte geholfen; diesmal war's arg, und sah noch
ärger aus als es war, und war mit schröcklichen Schmerzen verbunden.
Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Kranckheit gelernt, das
ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey und
ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht
aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein
Docktor, der Gott sey Danck ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch
Ding um uns Menschen, wie ich in munterer Gesellschafft war, war ich
verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig;
denn selbst meine Kranckheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie
getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich
zu trösten. Das Neujahrslied, das sie auch werden empfangen haben, habe
ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe
drucken lassen.[47] Übrigens zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen,
und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was
mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten
als das; so können wir gewiß hoffen dass er's uns giebt. Wenn ich nur
biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da
wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich
zunehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge
ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen
man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung
gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich
wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll
nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen
soll; Inzwischen dencke ich nach Franckreich zu gehen, und zu sehen
wie sich das französche Leben lebt, und um französch zu lernen. Da
können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn
ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein
närrscher Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor
Ostern stürbe. Da verordnete ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger
Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als meinem
Nahmens Tag, das Johannismännchen, und mein Denkmal besuchen möget.[48]
Wie meynen Sie?

Empfelen Sie mich Ihren Eltern zu beständiger Freundschafft, Küssen Sie
Ihre liebe Freundinn, und dancken Sie ihr für den Anteil den Sie an
mir nimmt; ich werde bald an sie schreiben.

Ihre Nachbarinn bedaur' ich; sollte das nicht den grösten Strich in
die Rechnung des verliebten Paars machen? Die armen Leute! Sie sind
in grosser Noth, und unser Herr Gott mag ihnen helfen oder nicht, so
werden sie's ihm nicht dancken, das werden Sie erleben, und darnach
sagen Sie: hat's Goethe nicht gesagt. Es ist gar zu ein gros Ding um
den Ehstand heut zu Tage, und kein's von beyden, wenigstens gewiß, eins
von beyden, hat nicht für einen Sechser Überlegung. Heiliger Andreas,
komm, und tuh ein Wunder, oder es giebt eine Sau. ~NB.~ dass niemand
den Artickel sieht als wem er nütz ist. Leben Sie wohl meine Liebe, ich
binn, kranck wie Gesund

                                ganz der Ihrige
                                          Goethe

Fußnoten:

[47] Dieser Druck findet sich in dem „Catalog einer Goethe-Bibliothek“
nicht verzeichnet und scheint sich der Aufmerksamkeit auch der
sorgsamsten Sammler bis jetzt entzogen zu haben.

[48] Es ist noch Sitte in Leipzig am Johannistag den Kirchhof zu
besuchen und die Gräber mit Blumen zu schmücken; auch wird dann die in
Holz geschnitzte Figur des Johannismännchen auf dem Brunnen aufgestellt
und bekränzt.


IV.

                                                  Franckfurt am 31 Jan.
                                                          1769

Heute oder Morgen, es ist einerley wann ich schreibe, wenn Sie nur
erfahren wie's mit mir ist. Es muss besser in Leipzig seyn als hier.
Es schreibt weder Horn noch Sie, noch ein anderer; vielleicht habt
ihr Bälle und Fastnachts Schmäusse, zu der Zeit da ich im Elend sitze.
Traurig Carnaval. Seit vierzehn Tagen, sitz ich wieder fest. Im Anfange
dieses Jahrs, war ich auf Parole losgelassen, das bissgen Freyheit
ist auch wieder aus, und ich werde wohl noch ein Stückgen Februar im
Käfigt zubringen. Denn Gott weis wenn's alle wird, ich binn aber ganz
ruhig darüber, und ich hoffe, Sie werden es auch seyn. Den dritten März
binn ich schon ein Halbjahr hier, und auch schon ein Halbjahr kranck,
ich habe an dem Halbenjahr viel gelernt. Ich dencke Horn soll die Zeit
über auch mehr gelernt haben, wir werden einander nicht mehr kennen,
wenn wir einander wiedersehen. Gewiß Horn hat nicht halb so viel Lust
mich zu sehn als ich ihn. Der gute Mensch soll aus Leipzig, und hat
kein Blut gespien. Das mag schwer seyn. Sie sind so lustig, sagte
ein sächsischer Officier zu mir, mit dem ich den 28 Aug. in Naumburg
zu Nacht ass, so lustig und haben heute Leipzig verlassen. Ich sagte
ihm, unser Herz wisse offt nichts von der Munterkeit unsers Bluts. Sie
scheinen unpässlich, fing er nach einer Weile an. Ich binns würklich,
versetzt ich ihm, und sehr, ich habe Blut gespien. Blut gespien, rief
er, ja, da ist mir alles deutlich, da haben sie schon einen grosen
Schritt aus der Welt getahn, und Leipzig musste ihnen gleichgültig
werden, weil sie es nicht mehr geniessen konnten. Getroffen, sagt
ich, die Furcht vor dem Verlust des Lebens, hat allen andern Schmerz
erstickt. Ganz natürlich, fiel er mir ein, denn das Leben bleibt immer
das erste, ohne Leben ist kein genuss. Aber fuhr er fort, hat man ihnen
nicht auch den Ausgang leicht _gemacht_. Gemacht? fragt' ich, wie so.
Das ist ja deutlich, sagte er, von Seiten der Frauenzimmer; Sie haben
die Mine, nicht unbekanndt unter dem schönen Geschlecht zu seyn. --
Ich bückte mich für's Compliment. -- Ich rede wie ich's meyne, fuhr er
fort, sie scheinen mir ein Mann von Verdiensten, aber sie sind kranck,
und da wette ich zehen gegen nichts, kein Mädgen hat sie beym Ermel
gehalten. Ich schwieg, und er lachte. Nun sagte er und reichte mir die
Hand übern Tisch, ich habe zehen Thaler an sie verlohren, wenn sie auf
ihr Gewissen sagen: Es hat mich eine gehalten. Top sagt ich Hr. Captain
und schlug ihm in die Hand, Sie behalten ihre Zehen Tahler. Sie sind
ein Kenner, und werfen ihr Geld nicht weg. Bravo, sagt er, dann seh ich
dass sie auch Kenner sind. Gott bewahre sie darinn, und wenn sie wieder
gesund werden, so werden sie Nutzen von dieser Erfahrung haben. Ich --
und nun ging die Erzählung, seiner Geschichte los die ich verschweige,
ich sass und hörte mit Betrübniss zu, und sagte am Ende, ich sey
confundirt, und meine Geschichte und die Geschichte meines Freunds
Don Sassafras, hat mich immer mehr von der Philosophie des Hauptmanns
überzeugt.

Unglücklicher Horn! Er hat sich immer so viel auf seine Waden
eingebildet, jetzt werden sie ihm zum Unglück gereichen. Lasst ihn nur
lebendig weg.[49] Satt sehen könnt ihr euch noch an ihm, denn er ist
der letzte Franckfurter in Leipzig, der gerechnet wird, und wenn der
fort, da könnt ihr warten biss ihr wieder einen zu sehen kriegt. Doch
tröstet euch, ich komme bald wieder.

Du lieber Gott, jetzt binn ich wieder lustig, mitten in den Schmerzen.
Wenn ich auch nicht so munter wäre wie wollt ich's aushalten? Fast zwey
Monat, an einem fort ganz eingesperrt.

Leben Sie wohl beste Freundinn, grüssen Sie Ihre Eltern, und ihre
Freundinn, und wenn Sie einmal schreiben, so berichten Sie mir wie die
Glieder der ehemahligen Sonntägigen Gesellschafft jetzt unter einander
stehen. Lieben Sie mich

                                        kranck oder gesund
                                        biss an den Todt
                                        Ihr Freund Goethe

Fußnote:

[49] Horn kam Anfangs April wieder nach Frankfurt. In seinem ersten
Briefe heißt es: „Goethe läßt Sie grüßen, Mamsel! Er sieht immer noch
ungesund aus und ist sehr stipide geworden. Die Reichslufft hat ihn
schon recht angesteckt. Ich muß machen, daß ich wieder wegkomme, sonst
geht es mir ebenso und ich bin doch noch zu jung um stipide zu werden.
Die Zeit wird mir aber entsetzlich lange, ob ich gleich selten allein
bin. Goethe spricht, ich sollte mich hängen, aber hier mag ich nicht;
wenn ich klug gewesen wäre, so hätte ich mich in Leipzig hängen sollen.“


V.

                                           Franckf. am 1sten Juni 1769.

    Meine Freundinn.

Aus Ihrem Brief an Hornen[50] habe ich Ihr Glück, und Ihre Freude
gesehen, was ich dabey fühle, was ich für eine Freude darüber habe,
das können Sie Sich vorstellen, wenn Sie Sich noch vorstellen können,
wie sehr ich Sie liebe. Grüssen Sie Ihren lieben Docktor, und empfelen
Sie mich Seiner Freundschafft. Warum ich so lange nicht geschrieben
habe, das könnte wohl strafbar seyn wenn Sie meine Briefe mit Ungedult
erwartet hätten; das wusste ich aber, und drum schrieb ich nicht,
es war bissher eine Zeit für Sie, da ein Brief von mir so wenig
Ihrer Aufmercksamkeit werth war als die Erlanger Zeitung und alles
zusammengenommen, so binn ich doch nur ein abgestandener Fisch, und ich
wollte schwören -- Doch ich will nicht schwören, Sie möchten glauben
es wäre mein Ernst nicht. Horn fängt an sich zu erholen, wie er ankam,
war gar nichts mit ihm zu thun. Er ist so zärtlich, so empfindsam für
seine abwesende Ariane dass es komisch wird. Er glaubt im Ernste was
Ihr Brief ihm versichert dass Constantie[51] bleich für Kummer geworden
wäre. Wenns auf's bleich werden ankommt, so sollte man dencken er
liebte nicht starck denn er hat röthere Backen als jemals.[52] Wenn ich
ihm versichere Fiekgen würde sich an ihrer Freundinn Exempel spiegeln,
und nach und nach einsehen lernen pp, so flucht er mir den Hals voll,
und schickt mich mit meinen Exemplen zum Teufel, er schwört dass
die Buchstaben der Zärtlichkeit die seine mächtige Liebe in ihr Herz
geschrieben unauslöschlich seyn. Der gute Mensch bedenckt nicht dass
Mädgen Herzen nicht Marmor seyn dürffen. Das liebenswürdigste Herz ist
das welches am leichtsten liebt, aber das am leichtesten liebt vergisst
auch am leichtsten. Doch er denckt daran nicht, und hat recht, es ist
eine grässliche Empfindung seine Liebe sterben zu sehen. Ein unerhörter
Liebhaber ist lange nicht so unglücklich als ein verlassener, der erste
hat noch Hoffnung, und fürchtet wenigstens keinen Hass, der andre,
ja der andre -- wer einmal gefühlt hat was das ist aus einem Herzen
verstossen zu werden das sein war, der mag nicht gerne daran dencken
geschweige davon reden.

Constantie ist ein gutes Mädgen, ich wünsch ihr einen Tröster; keinen
von den leidigen, die sagen: Ja, es ist nun einmal so, man muss
sich zufrieden geben; sondern so einen Tröster, der einem durch die
Sache tröstet, indem er einem alles wieder ersetzt was man verlohren
hat.[53] O sie wird nicht lange eines mangeln. Geben Sie drauf acht
liebe Freundinn, wenn Sie jemand sehen der sie so führt, und mit ihr
spazieren geht, und -- nun das wissen Sie ja was alles dazugehört,
woran man merckt, dass es nicht just ist; so schreiben Sie mir's, Sie
können Sich leicht vorstellen, warum es mich freuen wird.

Meine Lieder sind immer noch nicht gedruckt, ich wollte Ihnen gerne
wenn sie fertig wären, ein Exemplar davon schicken; aber ich habe
nur niemanden in Leipzig dem ich es auftragen könnte. Wenden Sie die
Paar Groschen die sie kosten werden an mich, und lassen Sie manchmal
Petern eins spielen, wenn Sie an mich dencken wollen. Wie ich die
Lieder machte, da war ich ein andrer Kerl als ich jetzt binn. Das arme
Füchslein! Wenn Sie sehen sollten was ich den ganzen Tag treibe, es ist
ordentlich lächerlich.

Das Schreiben wird mir sauer, besonders an Sie. Wenn Sie es nicht apart
befehlen so kriegen Sie keinen Brief wieder vor dem October. Denn meine
liebe Freundinn ob Sie mich gleich Ihren lieben Freund und manchmal
Ihren besten Freund nennen, so ist doch um den besten Freund immer
ein langweilig Ding. Kein Mensch mag eingemachte Bohnen so lang man
frische haben kann. Frische Hechte sind immer die besten, aber wenn man
fürchtet, dass sie gar verderben mögen, so salzt man sie ein, besonders
wenn man sie verführen will. Es muss Ihnen doch komisch vorkommen wenn
Sie an all die Liebhaber dencken, die Sie mit Freundschafft eingesalzen
haben, grose und kleine, krumme und grade, ich muss selbst lachen wenn
ich dran dencke. Doch Sie müssen die Correspondenz mit mir nicht ganz
abbrechen, für einen Pöckling binn ich doch immer noch artig genug.[54]

Apropos dass ich's nicht vergesse, da schicke ich Ihnen was, machen Sie
„mit“ was Sie wollen, entweder für Sie auf den Kopf, oder für jemand
anders um die Hände. Das Halstuch und der Fächer sind noch nicht um
einen Fingerbreit weiter. Sehen Sie, ich binn aufrichtig, wenn ich was
mahlen will so bleibt mir's im Hals stecken. Nur in Frühlingstagen
schneiden Schäfer in die Bäume, nur in der Blumenzeit bindet man
Kränze, Verzeihen Sie mir, die Erinnerung ist mir zu traurig, wenn ich
das für Sie thun soll was ich gethan habe ohne mehr zu seyn als ich
binn.

Ich habe Ihnen immer gesagt dass mein Schicksaal von dem Ihrigen
abhängt. Sie werden vielleicht bald sehn wie wahr ich geredet habe,
vielleicht hören Sie bald eine Nachricht die Sie nicht vermuthen.
Grüßen Sie Ihre lieben Eltern, und wer zu Ihrer Familie gehört.
Empfelen Sie mich dem Obereinnehmer.[55] Ich binn so viel als möglich

                                                 Ihr ergebenster Freund
                                                        G.

Fußnoten:

[50] Sie hatte im Mai Horn ihre Verlobung mit ~Dr.~ _Kanne_ angezeigt.
Darauf schrieb ihr dieser einen Brief, den ich zur Vergleichung mit den
Goetheschen mittheile.

                                            Franckfurth d. 26 May 1769.

Werthgeschätzte Jungfer Braut!

Ohne Wasser würden wir verdursten, ohne Brod verhungern und ohne den
Ehestand würde unser Leben kaum halb so angenehm seyn. Wie glücklich
sind Sie, beste Jungfer Braut, daß Sie sich in einen Stand begeben
wollen, der auch von den wildesten Nationen für den glücklichsten
gehalten wird. -- Ich als ordentlich installirter Schulmeister und
Hochzeitbitter allhier zu Franckfurth und Sachsenhausen, empfinde
darüber ein recht herzliches Vergnügen und schätze mich besonders
glücklich, daß ich die Ehre habe, sowohl Ihnen als auch ~respective~
dem Hrn. Bräutigam hierzu Glückwünschen zu können. -- Wir Menschen
suchen unser gröstes Glück in dem gesellschaftlichen Umgang mit
anderen, aus diesem Umgang entsteht nun, wenn es lauter Mannspersonen
sind, die Freundschafft, und wenn Frauenzimmer dazu kommen, die
_Liebe_, aus der Liebe die Ehe, aus der Ehe Kinder, aus den Kindern
Enckel und so weiter. -- Da nun meine werthe Jungfer Braut Ihnen
alles dieses bevorsteht, so verursacht mir dieses wie billig eine
außerordentliche Freude in meinem Schulmeisterlichen Hertzen. Wollte
der Himmel, daß ich bei Ihrem Ehrentage ~tranchiren~ und mit meiner
gantzen Gemeinde bei Ihrer Trauung das Lied: Wie schön ists doch!
anstimmen könnte. Weil nun aber dieses wegen einer viertzigmeiligen
Entferntheit unmöglich, so bleibt mir nichts anders übrig, als daß ich
meine Amtsdienste vielleicht in eine poetische Ausdünstung verwandle
und anstatt des ~tranchirens~ und Vorsingens an Ihrem Ehrentage Ihnen
die fröliche Ausrufung meiner traurigen Muse überschicke. -- Bitte
deswegen demüthigst mir den Tag Ihrer Hochzeit bekannt zu machen, damit
sich darnach richten könne

  Ihr
    Freund
        Horn
  Schulmeister und ~Ludimagister~
  zu Franckf. und Sachsenhausen.

Nachschrifft (zu Deutsch: ~Postscriptum~)

Der König Horn läßt sich erkundigen, wie sich seine Ministers in dem
hohen Schönkopfischen Hause befinden. Auch ertheilt er hiermit allen
denen, die sich in demselben ehelich verlobt haben, die Erlaubniß
die Hochzeit, sobald es nur Ihnen gefällt, rechtmäßig und mit allen
~Ceremonien~ zu vollziehen. So gegeben in seiner Residentz Stadt
Franckfurth am Mayn d. 22 May 1769,

    ~Hornius Rex.~

Aber doch im Ernste gesprochen! Ich empfinde eine herzliche Freude,
wenn ich itzo an das Schönkopfische Haus gedencke. Herr und Madam
sind vergnügt, Mamsel eine Braut, Peter sieht der gantzen ~affaire~
mit Gelassenheit zu, fürwar, das muß mir recht angenehm seyn, wenn
Sie wissen, wie vielen Antheil ich jederzeit an Ihrer Freude genommen
habe. Wollte der Himmel, daß ich nur dabey seyn könnte am Hochzeittag,
gewiß es sollte noch einmal so lustig zugehen. Sie kennen mich ja. Ich
spielte ohne Ruhm zu melden immer die lustige Person. Doch für itzo ist
mir aller Muth lustig zu seyn vergangen. Sie wissen was ich verloren
habe. Ich führe hier ein gantz verdammtes Leben. Ich studire zum toll
werden, weil ich mir mit nichts anders die Zeit vertreiben kann.
Manchmal kriege ich einen Brief von Leipzig und der macht mich wieder
aufgeräumt, ich habe ihn aber kaum gelesen, so verfalle ich in meine
alte Melancholie. Wer weiß ob ich in meinem Leben wieder nach Leipzig
komme. Ob ich jemals so glücklich seyn werde wie mein Freund Kanne
durch Sie geworden ist. Man kann zwar nicht alle Hoffnung aufgeben,
aber doch ist mein Glück noch sehr ungewiß. -- Liebste Freundin
vergessen Sie mich nicht. Gedencken Sie in Ihrem Glücke noch manchmal
an die unglücklichen. Erinnern Sie sich meiner und meiner Constantie an
Ihrem Hochzeittage. Ich wünsche Ihnen eben soviel Glück, als wir itzo
unglücklich sind. -- Leben Sie wohl und trösten Sie bald mit einem Brief

  Ihren
    aufrichtigen Freund
            Horn.

  Grüßen Sie den Obereinnehmer. --
  Goethe wird ehestens an Sie schreiben. --

[51] Horn hatte ein Liebesverhältniß mit _Sophie Constantie Breitkopf_,
von dem der Vater nichts wußte, dessen in seinen Briefen fortwährend
Erwähnung geschieht. Später verehelichte sie sich mit ~Dr.~ _Oehme_ und
starb 1819.

[52] „Liebste Freundin“, schreibt Horn an Käthchen (30. Juni 1769),
„Sie thun mir Unrecht, wenn Sie dem glauben, was Ihnen Goethe von mir
blos in Spaß geschrieben hat. Sind denn rothe Backen immer das sichere
Zeichen des Zustandes unserer Seele? Ich bitte Sie, meine Freundin,
machen Sie mir keine Vorwürfe, die ich nicht verdiene.“

[53] Vgl. den Brief bei Schöll, Briefe und Aufsätze von Goethe S. 23 ff.

[54] Vgl. das Gedicht bei Schöll, Gedichte und Aufsätze von Goethe S.
233 f.:

  Warum siehst Du Lina verdammt, den Sprudel zu trinken?
  Wohl hat sie es verdient an Allen, die sie beschädigt
  Und zu heilen vergessen; die an der Quelle des Lethe
  Becher auf Becher nun schlürfen: die gichtischen Schmerzen der Liebe
  Aus den Gliedern zu spülen, und will es ja nicht gelingen,
  Bis zum Rheumatismus der Freundschaft sich zu kuriren.

[55] Obergeleitseinnehmer _Richter_, auch in den Oeserschen Briefen
erwähnt.


VI.

                                                     F. d 26. Aug. 1769

Meine liebe Freundinn,

Ich dancke Ihnen für den Anteil den Sie an meiner Gesundheit nehmen,
und ich muß Ihnen zum Troste sagen, dass das letzte Gerücht von
meiner Kranckheit, eben nicht so ganz gegründet war, ich befinde mich
erträglich, freylich manchmal weniger als ich es wünschen mögte. Sie
können Sich vorstellen dass es nichts als Indisposition war, warum ich
Ihnen so lange nicht geschrieben habe, vielleicht werden bald andre
Ursachen Sie abhalten mir zu schreiben. Es ist sonderbar, heut vor
einem Jahre sah ich Sie zum letztenmal, es ist ein närrisches Ding um
ein Jahr, was alles sein Gesicht in einem Jahre verändert; ich wette
wenn ich Sie wiedersehen sollte, ich kennte Sie nicht mehr. Vor drey
Jahren hätte ich geschworen es würde anders werden als es ist. Man soll
für nichts schwören behaupte ich. Es war eine Zeit da ich nicht fertig
werden konnte mit Ihnen zu reden, und jetzt will all mein Witz nicht
hinreichen, eine Seite an Sie zu schreiben. Denn ich kann mir nichts
dencken was Ihnen angenehm seyn könnte. Wenn Sie mir einmal schreiben,
dass Sie glücklich sind, dass Sie ohne Ausnahme glücklich sind, das
wird mir angenehm seyn. Glauben Sie das? Horn lässt Sie grüssen, er ist
unglücklicher als ich. Wie aber alles wunderlich ausgetheilt ist, so
hilft ihm seine Narrheit sehr zur Cur von seiner Leidenschafft. Leben
Sie wohl liebe Freundinn, Grüssen Sie mir die l. Mutter und Peter. Ich
binn heute unerträglich. Wenn ich in Leipzig wäre, da sässe ich bei
Ihnen und machte ein Gesicht. Wie Sie sich dergleichen Specktackel noch
erinnern können. Doch nein, wenn ich jetzt bey Ihnen wäre, wie vergnügt
wollte ich leben. O könnte ich die dritthalb Jahre zurückrufen. Kätgen,
ich schwöre es Ihnen liebes Käthgen ich wollte gescheuter seyn.

                                                                     G.


VII.

                                            Franckfurt am 12 Dec. 1769.

Meine liebe, meine theure Freundinn,

Ein Traum hat mich diese Nacht erinnert, daß ich Ihnen eine Antwort
schuldig binn. Nicht als wenn ich es so ganz vergessen hätte, nicht,
als wenn ich nie an Sie dächte, nein meine Freundinn, jeder Tag sagt
mir was von Ihnen und von meinen Schulden. Aber es ist seltsam, und
es ist eine Empfindung die Sie vielleicht auch kennen werden, die
Erinnerung an Abwesende, wird durch die Zeit, nicht ausgelöscht, aber
doch verdeckt. Die Zerstreuungen unsres Lebens, die Bekanntschafft
mit neuen Gegenständen, kurz jede Veränderung unsres Zustandes, thun
unsrem Herzen das was Staub und Rauch einem Gemählde thun, sie machen
die feinen Züge ganz unkenntlich, dass man nicht weiss wie es zugeht.
Tausend Dinge erinnern mich an Sie, ich sehe tausendmal Ihr Bild,
aber so schwach, und offt mit so wenig Empfindung, als wenn ich an
jemand fremdes gedächte, es fällt mir offt ein, dass ich Ihnen eine
Antwort schuldig binn, ohne dass ich den geringsten Zug empfinde
Ihnen zu schreiben. Wenn ich nun Ihren gütigen Brief lese, der schon
etliche Monate alt ist, und Ihre Freundschafft sehe, und Ihre Sorge
für einen Unwürdigen, da erschröcke ich vor mir selbst, und empfinde
erst, was für eine traurige Veränderung in meinem Herzen vorgegangen
seyn muss, dass ich ohne Freude dabey seyn kann, was mich sonst in
den Himmel gehoben haben würde. Verzeihen Sie mir das! Kann man einem
Unglücklichen verdencken dass er sich nicht freun kann. Mein Elend
hat mich auch gegen das Gute stumpf gemacht, was mir noch übrig
bleibt. Mein Körper ist wieder hergestellt, aber meine Seele ist noch
nicht geheilt, ich binn in einer stillen unthätigen Ruhe, aber das
heisst nicht glücklich seyn. Und in dieser Gelassenheit, ist meine
Einbildungskrafft so stille, dass ich mir auch keine Vorstellung von
dem machen kann was mir sonst das liebste war. Nur im Traum erscheint
mir manchmal mein Herz wie es ist, nur ein Traum vermag mir die süssen
Bilder zurückzurufen, so zurückzurufen dass meine Empfindung lebendig
wird, ich habe es Ihnen schon gesagt, diesen Brief sind Sie einem
Traume schuldig. Ich habe Sie gesehen, ich war bey Ihnen, wie es war,
das ist zu sonderbaar als dass ich es Ihnen erzählen möchte. Alles mit
einem Wort, Sie waren verheurahtet. Sollte das wahr seyn? Ich nahm
Ihren lieben Brief, und es stimmt mit der Zeit überein; wenn es wahr
ist, o so möge das der Anfang Ihres Glückes seyn.

Wenn ich uneigennützig darüber dencke, wie freut das mich, Sie, meine
beste Freundinn, Sie, noch vor jeder Andern, die Sie beneidete,
die Sich mehr dünckte als Sie, in den Armen eines liebenswürdigen
Gatten zu wissen, Sie vergnügt zu wissen, und befreyt von jeder
Unbequemlichkeit, der ein lediger Stand, und besonders Ihr lediger
Stand ausgesetzt war. Ich dancke meinem Traum dass er mir Ihr Glück
recht lebhafft geschildert hat, und das Glück Ihres Gatten, und seine
Belohnung dafür dass er Sie glücklich gemacht hat. Erhalten Sie mir
seine Freundschafft, dadurch dass Sie meine Freundinn bleiben, denn,
auch biss auf die Freunde müssen Sie jetzt alles gemein haben. Wenn
ich meinem Traum glauben darf, so sehen wir einander wieder, aber
ich hoffe noch sobald nicht, und was an mir liegt will ich seine
Erfüllung hinauszuschieben suchen. Wenn anders ein Mensch etwas wider
das Schicksaal unternehmen kann. Ehmals schrieb ich Ihnen etwas
räthselhafft, von dem was mit mir werden würde. Jetzt läßt sich's
deutlicher sagen, ich werde den Ort meines Aufenthalts verändern,
und weiter von Ihnen wegrücken. Nichts soll mich mehr an Leipzig
erinnern, als etwa ein ungestümmer Traum, kein Freund der daher kömmt,
kein Brief. Und doch mercke ich, dass mich es nichts helfen wird.
Geduld, Zeit und Entfernung, werden das thun was sonst nichts zu thun
vermag, sie werden jeden unangenehmen Eindruck auslöschen, und unserer
Freundschafft, mit dem Vergnügen, das Leben wiedergeben, dass wir uns
nach einer Reihe von Jahren, mit ganz andern Augen, aber mit eben dem
Herzen wiedersehen werden. Biss dahin leben Sie wohl. Doch nicht ganz
biss dahin. Binnen Einem viertel Jahre, sollen Sie noch einen Brief
von mir haben, der Ihnen den Ort meiner Bestimmung, die Zeit meiner
Abreise melden wird, und Ihnen das zum Überfluss noch einmal sagen kann
was ich Ihnen schon tausendmal gesagt habe. Ich bitte Sie mir nicht
mehr zu antworten, lassen Sie mir's durch meinen Freund sagen, wenn
Sie noch was an mich haben sollten. Es ist das eine traurige Bitte,
meine beste, meine Einzige von Ihrem ganzen Geschlechte, die ich nicht
Freundinn nennen mag, denn das ist ein nicht bedeudtender Tittul gegen
das was ich fühle. Ich mag Ihre Hand nicht mehr sehen, so wenig als
ich Ihre Stimme hören mögte, es ist mir leid genug dass meine Träume
so geschäfftig sind. Sie sollen noch Einen Brief haben; das will ich
heilig halten, und von meinen Schulden will ich einen Theil abtragen,
den andern müssen Sie mir noch nachsehen. Dencken Sie, wir kämen ja aus
aller Konnexion wenn ich diesen letzten Punckt noch richtig machte.

Das grosse Buch das Sie verlangen sollen Sie haben. Es freut mich dass
Sie dieses von mir verlangt haben, es ist das herrlichste Geschenck das
ich Ihnen geben könnte, ein Geschenck das mein Andencken am längsten,
und am würdigsten bey Ihnen erhalten wird.

Kein Hochzeitgedicht kann ich Ihnen schicken, ich habe etliche für Sie
gemacht, aber entweder, druckten Sie meine Empfindungen zu viel oder
zu wenig aus. Und wie konnten Sie von mir zu einem freudigen Feste ein
würdiges Lied begehren. Seit -- ja seit langer Zeit, sind meine Lieder
so verdrüsslich, so übel gestellt als mein Kopf, wie Sie an den meisten
sehen können, die schon gedruckt sind, und an den übrigen auch sehen
werden, wenn sie gedruckt werden sollten.

Hagedornen und einige andere Bücher werde ich Ihnen ehstens schicken,
möchten Sie ein Gefallen an diesem liebenswürdigen Dichter finden
wie er es verdient. Übrigens empfelen Sie mich Ihrer lieben Mutter,
dem nunmehr nicht mehr kleinen Bruder, der ohnezweifel ein starcker
Musickus geworden seyn wird. Grüßen Sie mir alle lieben Freunde, und
erneuern Sie mein Andencken, einigermassen um Sich her.

Leben Sie wohl, geliebteste Freundinn, nehmen Sie diesen Brief, mit
Liebe und Gütigkeit auf, mein Herz mußte doch noch einmal reden,
zu einer Zeit, wo ich nur durch einen Traum von der Begebenheit
benachrichtiget war, die mir es hätte verbieten können. Leben Sie
tausendmal wohl, und dencken Sie manchmal an die zärtlichste Ergebenheit

                                                  Ihres
                                                      _Goethe_.


VIII.

                                               Frankf. d 23. Jan. 1770.

Meine liebe Freundinn

Wahrhafftig es war mein ganzer Ernst da ich meinen letzten Brief
schrieb, keine Feder wieder anzusetzen, Ihnen zu schreiben; Aber,
es war sonst auch offt mein ganzer Ernst, etwas nicht zu thun, und
Käthgen konnte mich es thun machen wie es ihr beliebte, und wenn die
Frau Docktorinn eben die Gabe behält, nach ihrem Köpfgen die Leute zu
gouverniren, so werd ich auch wohl an ~Mad. Canne~ schreiben müssen,
und wenn ich es auch tausendmal mehr verschworen hätte, als ich es
gethan habe. Wenn ich mich recht erinnere so war mein letzter Brief
einigermassen in einer traurigen Gestalt, dieser geht schon wieder
aus einem noch munterern Tone, weil Sie mir biss auf Ostern Aufschub
gegeben haben. Ich wollte Sie wären kopulirt und Gott weiss was
noch mehr. Aber im Grunde schiert mich's doch, das können Sie sich
vorstellen.

Ich weiss nicht ob Sie die Bücher von mir bekommen haben. Es war nicht
zeit sie einbinden zu lassen. Und das kleine französische lassen Sie
sich rekommandirt seyn. Sie haben eine Uebersetzung davon, und ich
weiss doch dass Sie ein bissgen Französisch lernen.

Dass ich ruhig lebe, das ist alles was ich Ihnen von mir sagen kann,
und frisch und gesund, und fleisig, denn ich habe kein Mädgen im
Kopfe. Horn und ich sind noch immer gute Freunde, aber wie es in der
Welt geht, er hat seine Gedancken, und seine Gänge, und ich habe meine
Gedancken und meine Gänge, und da vergeht eine Woche und wir sehen uns
kaum einmal.

Aber alles wohl betrachtet, Frankfurt binn ich nun endlich satt, und zu
Ende des Merzens geh ich von hier weg. Zu Ihnen darf ich nun noch nicht
kommen das merck ich; denn wenn ich Ostern käme so wären Sie vielleich
noch nicht verheurahtet. Und Käthgen Schönkopf mag ich nicht mehr
sehen; wenn ich sie nicht anders sehen soll, als so. Zu Ende Merzens
geh ich also nach Strasburg, wenn Ihnen daran was gelegen ist, wie ich
glaube. Wollen Sie mir auch nach Strasburg schreiben? Sie werden mir
eben keinen Possen thun. Denn Käthgen Schönkopf -- nun ich weiss ja am
besten, dass ein Brief von Ihnen mir so lieb ist als sonst eine Hand.

Sie sind ewig das liebenswürdige Mädgen, und, werden auch die
liebenswürdige Frau seyn. Und ich, ich werde Goethe bleiben. Sie wissen
was das heisst. Wenn ich meinen Nahmen nenne, nenne ich mich ganz, und
Sie wissen, dass ich, so lang als ich Sie kenne, nur als ein Theil von
Ihnen gelebt habe.

Ehe ich von hier weg gehe, sollen Sie das restirende Buch bekommen; und
einen Fächer und ein Halstuch bleibe ich Ihnen schuldig biss ich aus
Franckreich zurückkomme.

In Strasb. werde ich bleiben, und da wird sich meine Adresse verändern
wie die Ihrige, es wird auf beyde etwas vom ~Doctor~ kommen.

Von Strasb. ziehe ich nach Paris, und hoffe mich da sehr wohl zu
befinden, und vielleicht eine gute Zeit da zu bleiben. Und hernach
-- das weiss Gott, ob daraus was wird. Nun auf Ostern wird dann
hoffentlich Ihre Verbindung vor sich gehen. Eh nun wenn es Ostern nicht
ist so ist's Michael, und wenn es ja Michael nicht geschähe, so häng
ich mich gewiss nicht.

Wenn ich Ihnen den Fächer und das Halstuch selbst brächte, und noch
sagen könnte ~Mdlle. S.~ oder Käthgen S. wie sich's nun weissen würde.
Eh nun da wär ich auch Docktor und zwar ein französcher Docktor.
Und am Ende wäre doch Fr. Dockt. ~C.~ und Fr. Dockt. G. ein herzlich
kleiner Unterschied.

Inzwischen leben Sie schöne wohl und grüssen Sie mir Vater Schönkopf
und die l. ~Mutter~ und Freund Petern.

Mit Breitkopfs binn ich fast aus aller Connexion, wie mit aller Welt.
Ich habe zwar, erst kurz Briefe, aber es ist mir nicht um's Herz zu
antworten.

Stenzel liebt noch den Riepel den Pegauer[56] zum Sterben, mir kömmt
es einfältig vor, und ärgerlich, Sie können Sich dencken warum. Die
Trauben sind sauer sagte der Fuchs. Es könnte wohl noch gar am Ende
eine Ehe geben, und das wär ein Specktackel, aber ich wüsste doch noch
eine Ehe, die im noch ein grösserer Specktackel wäre. Und doch ist sie
nicht unmöglich, nur unwahrscheinlich.

Wir haben uns hier schön eingericht. Wir haben ein ganzes Haus, und
wenn meine Schwester heurahtet, so muss sie fort, ich leide keinen
Schwager, und wenn ich heurahte so theilen wir das Haus, ich und meine
Eltern, und ich kriege 10 Zimmer alle schön und wohl meublirt im
Frankf. Gusto.

Nun Käthgen, es sieht doch aus als wenn Sie mich nicht möchten, freyen
Sie mir eine von Ihren Freundinnen, die Ihnen am ähnlichsten ist.
Denn was soll das Herumfahren. In zwei Jahren binn ich wieder da. Und
hernach. Ich habe ein Haus, ich habe Geld. Herz was begehrst du? Eine
Frau!

Adieu liebe Freundinn. Heut war ich einmal lustig, und habe schlecht
geschrieben. Adieu meinen beste.[57]

[Illustration: Radirung von Goethe, s. S. 45.]

In Mercks Briefen (~III.~ S. 13) ist folgendes französische Gedicht
mitgetheilt, welches ~Dr.~ Wolff in Darmstadt von Goethes Hand
geschrieben besaß und als von ihm herrührend bezeichnete.

  ~.... Que l'amour soit mon Maître
  J'écouterai lui seul, lui seul doit me guider
  Au sommet du bonheur, par lui je veux monter,
  Au sommet de la science monté par l'industrie.
  Je reviens, cher ami, pour revoir ma patrie
  Et viens voir, en dépit de tout altier censeur,
  Si elle est en état d'achever mon bonheur.
  Mais il faut jusques-là, que votre main m'assiste.
  Laissés parler toujours ce docte Moraliste.
  Ecrivés moi. Que fait l'enfant autant aimé?
  Se souvient-il de moi? ou m'a-t-il oublié?
  Ah! ne me cachés rien, qu'il m'élève ou m'accable,
  Un poignard de sa main me seroit agréable;
  Ecrives. C'est alors que, de mon coeur chéri
  Comme elle est mon amante, vous sérés mon ami.~

  ~                            Cher ....
  Leipzig, le 2 Juin 1769.      le votre
                                  Goethe.~

Daß die Unterschrift falsch ist, liegt zu Tage. Denn am 2. Juni 1769
war Goethe nicht in Leipzig, sondern in Frankfurt, und der obige
Brief vom 1. Juni 1769 läßt es nicht glaublich scheinen, daß er den
Tag darauf dieses Gedicht geschrieben habe. Ist es in Leipzig gemacht
und die Jahreszahl unrichtig, so wird es schwer sein die Situation
auszufinden, in welcher er es schreiben konnte.

Fußnoten:

[56] _Horn_ wurde im Scherz der _Pegauer_ genannt; _Stenzel_ ist
_Constantie_.

[57] Am 5. März 1770 schrieb Horn: „Goethe läßt Sie diesmal grüßen.
Er geht nach Straßburg;“ und am 9. April: „Goethe ist vor 8 Tagen
in Straßburg angekommen. Ich habe ihn bis nach Maintz begleitet. Er
wird Ihnen wohl bald einmal schreiben.“ Dies geschah freilich nicht,
obgleich er sie nicht vergessen hatte.



Goethes Briefe an Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.


[Illustration: Friederike Oeser.]

_Adam Friedrich Oeser_[58] wurde am 17. Febr. 1717 in Preßburg geboren,
und zeigte in früher Jugend Neigung und Talent zur Malerei. Im J.
1730 ging er nach Wien, besuchte die dortige Akademie und bildete
sich unter _Donner_ in der Modellir- und Bildhauerkunst. Durch ein
Bild, das Opfer Abrahams, erwarb er sich in seinem achtzehnten Jahr
die goldene Prämie. Gegen Ende des Jahres 1739 begab er sich nach
Dresden. Hier wurde _Winckelmann_ mit ihm bekannt, der, nachdem er
Nöthenitz 1754 verlassen, in Dresden bei ihm wohnte,[59] und dem
er, als er in Italien war, für mancherlei Geschäfte der Vermittler
war;[60] er nennt ihn seinen einzigen Freund, der es auch bleiben
werde.[61] _Oeser_ hatte, wie Winckelmann selbst dankbar anerkennt,
auf die Ausbildung seines künstlerischen Sinnes (den er nach seiner
Unterweisung auch durch Zeichnen zu schärfen suchte),[62] großen
Einfluß, den man in der Schrift über die Nachahmung der alten Kunst
vielfach wahrnehmen konnte[63], und zum Schlusse der Erläuterung sagt
er selbst: „die Unterredungen mit meinem Freunde, Herrn Friedrich
Oeser, einem wahren Nachfolger des Aristides, der die Seele schilderte,
und für den Verstand malte, gaben zum Theil hiezu (zu der Schrift)
die Gelegenheit. Der Name dieses würdigen Künstlers und Freundes soll
den Schluß meiner Schrift zieren.“[64] Namentlich soll er auch auf
Winckelmanns Schrift über die Allegorie, die von ihm schon in Dresden
begonnen war, bedeutenden Einfluß gehabt haben,[65] und dies ist um
so wahrscheinlicher, als die Neigung für das Allegorische bei Oeser
so sehr vorherrschend war, daß sehr häufig das, was er sich nebenher
dachte, vor dem eigentlich Künstlerischen seiner Werke hervortrat und
jenes als das unwichtigere erscheinen ließ. Sein Freund _Kreuchauff_
schrieb über Oesers neueste Allegoriegemälde (Leipzig 1783), wie früher
auch über Gellerts Monument (Leipzig 1774).

Während des siebenjährigen Krieges lebte Oeser mehrere Jahre mit seiner
Familie -- er war seit 1745 verheirathet -- in _Dahlen_ und ging
gegen das Ende desselben nach _Leipzig_, wo er 1763 durch Hagedorn,
welcher sich Weißes als Vermittler bediente,[66] zum Director der neu
errichteten Kunstakademie ernannt wurde. Zugleich war er Professor an
der Dresdner Akademie und Hofmaler.

Wie anregend und nachhaltig sein Unterricht und Verkehr auf _Goethe_
während seines Aufenthalts in Leipzig wirkte, das berichtet dieser
selbst und noch lebhafter sprechen es die von Frankfurt an ihn
geschriebenen Briefe aus. Auch in Straßburg[67] blieb er mit ihm in
Verkehr; als er auf der Rückkehr in Mannheim zuerst einen Gipsabguß
vom Laokoon sah (in Leipzig war nur ein Abguß des beckenschlagenden
Fauns[68]), theilte er die Ansichten, welche ihm dabei aufgingen, Oeser
in einem Briefe mit, der freilich auf seine Auslegung nicht sonderlich
achtete, sondern den guten Willen mit einer allgemeinen Aufmunterung
erwiederte.[69] Auch später schrieb er von Frankfurt aus an ihn[70];
doch ist aus dieser Zeit leider nichts erhalten. Als aber Goethe nach
Weimar gekommen war, wurde wiederum ein persönlicher Verkehr mit Oeser
angeknüpft.

Die Veranlassung dazu gaben die Reisen, welche der Herzog ziemlich
jedes Jahr, gewöhnlich zur Zeit der Messe, nach Leipzig machte, auf
welchen ihn Goethe zu begleiten pflegte, wo denn Oeser stets aufgesucht
wurde. Schon im März 1776 kam Goethe nach Leipzig und blieb mehrere
Tage dort, sah seine alten Freunde, Käthchen, Oeser wieder und lernte
Corona Schröter jetzt näher kennen;[71] gegen Ende desselben Jahres
wurde wieder ein Ausflug dahin unternommen.[72] Im Mai 1778 kamen
sie wieder nach Leipzig[73] und gingen von da nach Dessau, Berlin
und Potsdam; Wieland schreibt von dieser Reise: „Alle Lande, wo sie
gewesen, sind ihres Ruhmes voll.“[74] Mit dem Herzog war Goethe auch im
April 1780[75] und im Mai 1781[76] in Leipzig und wiederholte seinen
Besuch im September desselben Jahres mit dem jungen Friedrich von
Stein.[77] Im folgenden Jahr reiste Goethe wieder Ende December mit
dem Herzog nach Leipzig, blieb aber, nachdem dieser am Weihnachtsabend
fortgereist war, bis in den Anfang des nächsten Jahres, und machte sich
nun mit der Stadt, die ihm eine neue kleine Welt war, auf neue Weise
bekannt, indem er außer dem Kreise seiner alten Freunde viele neue
Bekanntschaften machte. Auf einem Balle waren ungefähr 180 Personen
zugegen, schöne Gesichtchen mitunter und gefällige Menschen; er dachte
dabei: „warum hast du nun die Menschen vor 15 Jahren nicht so gesehen,
wie du sie jetzt siehst? und es ist doch nichts natürlicher, als daß
sie sind, was sie sind.“ Daß aber seine Liebe und Verehrung gegen Oeser
die alte blieb, beweist die schöne Schilderung, welche er Frau v.
Stein von ihm entwirft, wie der herzliche Brief, welchen er nachher an
ihn schrieb.[78] Aus den folgenden Jahren wissen wir von keiner Reise
nach Leipzig, erst Ende Decembers 1796 hören wir, daß Goethe wieder
mit dem Herzog nach Leipzig reiste, wo er eine Menge Menschen, unter
ihnen einige recht interessante, auch die alten Freunde und Bekannte
sah, und auf einem großen Ball von den Herrn Dyk und Comp., und wer
sich sonst durch die Xenien verletzt und erschreckt hielt,[79] mit
Apprehension wie das böse Princip betrachtet wurde.[80] Die letzte
Reise, die uns bekannt ist, fällt ins Jahr 1800 nach Oesers Tode.[81]
Bei diesem Aufenthalt in Leipzig besuchte er _G. Hermann_ und forderte
ihn nach einem langen Gespräch über Metrik auf, eine Deutsche Metrik
zu schreiben, worauf dieser erwiederte, ehe das geschehen könne, müsse
Goethe die Deutsche Verskunst schaffen.

Oeser wurde durch Goethe auch mit dem Weimarschen Hofe bekannt, der
Herzog lernte ihn in Leipzig kennen und verkehrte gern mit ihm;[82]
er sah den alten _Forster_ zuerst bei Oeser und freute sich, wie die
beiden Männer mit einander umgingen. „Oeser stallt ganz vortrefflich
mit ihm; er hat eine hohe Freude an dem tollen Seefahrer. Wie sich nun
der alte Oeser leicht imponiren läßt in gewissen Studien und viel aufs
Amüsiren hält, so vergißt er scheints Alles bei ihm und läßt sichs
herzlich wohl sein.“[83]

Die nächste Folge waren Einladungen nach Weimar, welchen Oeser schon
im Jahr 1776 folgte.[84] Diese Besuche wiederholten sich im folgenden
Jahr[85] und später kam Oeser ziemlich jedes Jahr wenigstens einmal
nach Weimar. Dort finden wir ihn im Januar,[86] im Juni[87] und
nachdem er mit der Herzogin Amalie eine Reise nach Mannheim gemacht
hatte, im Herbst des Jahres 1780,[88] im Frühjahr[89] und im Herbst
1782,[90] im Juli 1783[91] und im selben Monat 1785.[92] Er war nicht
nur als erfahrner Kenner, dessen Rath und Vermittelung bei Erwerbung
von Kunstsachen man gern in Anspruch nahm, in Weimar willkommen,[93]
sondern nahm an allen künstlerischen Unternehmungen dort thätigen
Antheil. „Oeser ist hier und gar gut,“ schreibt Goethe, „schon habe ich
seinen Rath in vielen Sachen genützt. Er weis gleich _wie's_ zu machen
ist, das _was_ bin ich wohl eher glücklich zu finden;“ und nachdem
er fort ist, meint Goethe: „Wenn ich ihn nur alle Monat einen halben
Tag hätte, ich wollt' andere Fahnen aufstecken.“[94] Er malte für das
Liebhabertheater einen Vorhang und Decorationen, namentlich für die
Vögel, welche am 18. August 1780 in Ettersburg aufgeführt wurden.[95]
Ebenso half er durch Rath und That bei den Anlagen, welche im Park und
in Tiefurt gemacht wurden, und verfertigte das Monument, welches die
Herzogin Louise dem Herzog Leopold von Braunschweig errichten ließ. In
einem Briefe an Knebel vom 25. Jan. 1780 theilt er ihm einen Entwurf
dazu mit, welchen er mit einigen Bemerkungen erläutert; dann schließt
er charakteristisch genug: „Ich denke nicht, daß ich mich dieser Idee
zu einem Monument zu schämen habe, meines Wissens ist der Gedanke neu
und ich hoffe den Beyfall der Kenner zu erhalten. Die, so der Herr
General Superintendent angegeben, kan ich unmöglich verdauen, es kommt
mir vor, als wenn es sich so ausnehmen würde, daß der Hr. G. S. und ich
die Erwartung des Publicums mit nichts Besserm zu befriedigen wüßten,
als daß er aus einem alten Autor eine Stelle herläse und ich das Buch
dazu hielte, anstatt daß er und ich was neues sagen sollten, und uns
den gerechten Vorwurf müßten gefallen lassen, daß das Publicum die
Stelle selbst aufschlagen und lesen könnte und nicht brauchte danach
zu gehen. Die Alten studiren oder copiren ist nach meinen Begriffen
zweyerley.“

Der Mann voll Geschmack und Geist, der stille Künstler von Weltmanns
Klugheit, wie ihn Goethe bezeichnet,[96] gefiel gar sehr durch
seine heitere Laune und anziehende Unterhaltung und erwarb sich die
allgemeine Zuneigung. In ganz vorzüglichem Maaß gewann er die Gunst
der Herzogin _Amalie_, zu deren Geburtstag (24. October) ihr alter
Oeser, wie sie ihn zu nennen pflegt, sich gewöhnlich mit mancherlei
schönen Gaben einstellte.[97] „Die Herzogin,“ schreibt Goethe,[98]
„war sehr vergnügt, so lang Oeser da war, jetzt geht's freilich
schon ein wenig einfacher zu. Der Alte hatte den ganzen Tag etwas
zu kramen, anzugeben, zu verändern, zu zeichnen, zu deuten, zu
besprechen, zu lehren u. s. w., daß keine Minute leer war;“ und sie
selbst schreibt:[99] „Unterdessen, daß Sie und fast Alles von hier
diesen Sommer herumschwärmten, habe ich mich in mein kleines Tiefurt
zurückgezogen, und meine Gesellschaft war der alte Professor Oeser von
Leipzig, der 5 Wochen bei mir wohnte, und bei dem einem auch bei dem
unfreundlichsten Wetter, womit uns dieser Sommer heimsuchte, keine
Stunde zu lang wird.“[100] Mit gewohnter Liberalität unterstützte sie
ihn auch bei der Erziehung seines Sohnes, wovon folgendes Billet von
ihr an den Steuerrath _Ludecus_ (im Album des Schillerhauses in Weimar)
Nachricht giebt.

„Erinnern Sie sich nicht mehr, wie viel ich voriges Jahr dem jungen
Oeser versprochen habe zu seiner weiteren Vorsetzung in der Welt. Der
alte Vater hat sich wieder an mich gewandt zwar nur durch die dritte
Hand. Ich bin es auf eine gewisse Art dem Alten schuldig, der Sohn
verdient es nicht, aber der Vater. Wenn ich nicht irre so sind es 50
oder 100 fl. Wenn Sie sie haben, so bringen Sie sie selber an Goethe,
der sie übermachen wird an den alten Vater. Leben Sie wohl.

                                                               Amelie.“

In späteren Jahren hören wir von Oesers Besuchen in Weimar nichts,
wovon sein vorgerücktes Alter die Ursache gewesen sein mag; doch
scheint seit Goethes Italiänischer Reise der Verkehr mit ihm
nachgelassen zu haben.

Oeser starb an einem Stickfluß den 18. März 1799; Goethe ehrte sein
Andenken durch eine sein Verdienst anerkennende Würdigung in den
Propyläen vom Jahr 1800 (~III.~ S. 125 ff.).

Man hat sich, und nicht mit Unrecht, darüber gewundert, daß Goethe in
der Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert“ Oesers mit keinem Worte
gedenkt, der doch so großen Einfluß auf beide gehabt hatte. Dieses
Stillschweigen, wie die etwas skeptische Weise, mit welcher Goethe
in Wahrheit und Dichtung von jenem Einfluß Oesers auf Winckelmann
spricht,[101] ist wohl eine Wirkung der Italiänischen Reise. Daß Oeser
auf Goethes künstlerische Auffassung bedeutend einwirkte, und noch
später ihm als Kenner und Künstler hochstand, liegt klar vor, der
Aufenthalt in Italien aber modificirte sein künstlerisches Urtheil gar
sehr. „Ich dachte wohl,“ sagt er,[102] „hier was rechts zu lernen; daß
ich aber so weit in die Schule zurückgehen, daß ich so viel verlernen,
ja durchaus umlernen müßte, dachte ich nicht.“ Auch hier ging er
dankbar von _Winckelmann_ aus und kehrte immer zu ihm zurück, aber
er erkannte auch, daß von ihm der Begriff zwar richtig und herrlich
aufgestellt, alles Einzelne aber noch im ungewissen Dunkel sei.[103]
Da fand er nun einen Führer an _Heinrich Meyer_, der den sichern von
Winckelmann und Mengs eröffneten Weg ruhig fortging.[104] „Er hat eine
himmlische Klarheit der Begriffe,“ schreibt er von ihm. „Er spricht
niemals mit mir, ohne daß ich alles aufschreiben möchte was er sagt,
so bestimmt, richtig, die einzige wahre Linie beschreibend sind seine
Worte. Sein Unterricht giebt mir, was mir kein Mensch geben konnte.
Alles was ich in Deutschland lernte, vornahm, dachte, verhält sich
zu seiner Leitung wie Baumrinde zum Kern der Frucht.“[105] Meyer war
durch eine umfassende, auf sorgfältige Beobachtung gegründete Kenntniß
der Kunstwerke ausgezeichnet, die er sich nach Winckelmanns System
geordnet hatte, das er wohl inne hatte und auszubauen verstand. Er war
durch seinen nüchternen, klaren Verstand und seine Ruhe von Oesern
ganz außerordentlich verschieden und bot Goethe das dar, dessen er
damals bedurfte. Nach einer andern Seite hin war der Verkehr mit
_Moritz_[106] für die Auffassung des Schönen und der Kunst anregend und
fördernd, auf welche Goethes naturwissenschaftliche Studien eine so
eigenthümliche Einwirkung hatten. Ohne gegen Oeser undankbar zu werden,
dessen früheren Einfluß auf sich er so wahr und warm geschildert hat,
lernte er seinen Werth als Künstler und Kritiker unbefangner würdigen,
und kam wohl zu der Überzeugung, daß das, was Winckelmann in früheren
Jahren Oeser verdankte, zu hoch angeschlagen werde gegen das was er
in Rom durch sich selbst und Mengs geworden sei. So schwieg er über
Oeser, um nicht härter über ihn sich auszusprechen, als er selbst wohl
wünschte.

Was von Goethes Briefen an Oeser und seine Tochter Friederike erhalten
ist, befindet sich jetzt im Besitz der Bibliothek zu Weimar, von wo aus
mir die Erlaubniß zur Veröffentlichung derselben gegeben worden ist.
Ein Theil derselben war bereits im Morgenblatt 1846, Nr. 112 ff. 117.
gedruckt worden.

Manche Papiere und Nachrichten, welche Oeser und seine Familie angehen,
verdanke ich der gütigen Mittheilung seines Enkels, Herrn _Geyser_, in
dessen Besitz sich auch das von _Tischbein_ aus Cassel gemalte Bild von
Friederike Oeser befindet, welches hier copirt ist.

Fußnoten:

[58] Vgl. Seume, N. Teutsch. Merc. 1799 ~II.~ S. 152 ff. Leipziger
Kunstblatt 1817 N. 8. 9.

[59] Winckelmanns Briefe ~I.~ S. 102.

[60] Winckelmanns Briefe ~I.~ S. 105. 165.

[61] Winckelmanns Briefe ~I.~ S. 145. ~II.~ S. 292.

[62] Weimar. Herder-Album S. 456.

[63] Vgl. Werke ~I.~ S. 83 (222), 115 (224), 214 u. S. ~VIII.~

[64] Werke ~I.~ S. 212.

[65] Werke ~I.~ Vorr. S. 4.

[66] Weißes Selbstbiographie S. 97.

[67] Vgl. Werke ~XXI.~ S. 183. Das Gedicht auf Gellerts Monument von
Oeser gehört ebenfalls in diese Zeit.

[68] Werke ~XXIV.~ S. 287.

[69] Werke ~XXII.~ S. 66.

[70] Briefe an Reich ~IV.~

[71] Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 19 ff. an Merck ~II.~ S. 58.
Riemer Mittheil. ~II.~ S. 24. Vgl. Briefe an Lavater S. 15. 18.

[72] Briefe an Frau von Stein ~I.~ S. 73. Riemer Mitth. ~II.~ S. 36 f.

[73] Als sie wieder zurückgekehrt waren, schrieb Goethes Diener Seidel
an Reich: „Der Hr. Geh. L. R. hat bei seiner Durchreiße durch Leipzig
einem Uhrmacher in oder neben dem ~Hotel de Bavière~ (dessen Namen der
Bediente nicht weiß) eine goldne Uhr zu repariren gegeben. Haben Sie
die Güte diese zurückzufordern, die Gebühr auszulegen und solche anher
zu senden.“

[74] Briefe an Merck ~II.~ S. 146 vgl. S. 140. Goethes Briefe an Frau
v. Stein ~I.~ S. 165. Riemer Mitth. ~II.~ S. 59.

[75] Briefe an Merck ~I.~ S. 241. 242. 243.

[76] Riemer Mitth. ~II.~ S. 128. Briefe an Merck ~II.~ S. 184 f.

[77] Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 103. 105.

[78] Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 277 ff.

[79] Die Xenien trafen in Leipzig besonders Dyk, Platner, Blankenburg,
Heydenreich, den literarischen Anzeiger; sie scheinen aber meistens von
Schiller herzurühren.

[80] Briefe an Schiller ~II.~ S. 302. ~III.~ S. 1. Werke ~XXVII.~ S. 61.

[81] Schiller Briefw. mit Körner ~IV.~ S. 177.

[82] Briefe an Merck ~I.~ S. 242. an Frau v. Stein ~II.~ S. 278.

[83] Briefe an Merck ~II.~ S. 185.

[84] Briefe an Oeser ~V.~

[85] Riemer Mitth. ~II.~ S. 327.

[86] Briefe an Merck ~I.~ S. 204. 211.

[87] Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 353. 362.

[88] Briefe an Frau von Stein ~I.~ S. 312 f. 316. 319. an Merck ~I.~ S.
252. 256. ~II.~ S. 177. an Knebel ~I.~ S. 116. 186. Riemer Mitth. ~II.~
S. 122.

[89] Briefe an Knebel ~I.~ S. 189.

[90] Briefe an Frau von Stein ~II.~ S. 256. an Merck ~II.~ S. 214 vgl.
212. an Knebel ~I.~ S. 193. Riemer Mitth. ~II.~ S. 162.

[91] Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 327.

[92] Briefe an Merck ~I.~ S. 459. Riemer Mitth. ~II.~ S. 193.

[93] Briefe an Merck ~I.~ S. 242. 256. 328. ~II.~ S. 212. an Knebel
~I.~ S. 186.

[94] Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 312. 321.

[95] Briefe an Knebel ~I.~ S. 116 f. an Frau v. Stein ~I.~ S. 312 f.

[96] Riemer Mitth. ~II.~ S. 162.

[97] Briefe an Merck ~I.~ S. 256. an Knebel ~I.~ S. 186. 193.

[98] Briefe an Merck ~I.~ S. 253 f.

[99] Briefe an Merck ~I.~ S. 459.

[100] Nicht lange vorher schrieb Wieland an Merck (~I.~ S. 451), daß
Alles davon gegangen sei, so daß die gute ~duchessa madre~ zu thun
haben werde, sich der Langenweile zu erwehren. „Wenn uns (wie wir
hoffen) der podagrische Freund Oeser nicht bald zu Hilfe kommt, so sei
uns der Himmel gnädig.“

[101] Werke ~XXI.~ S. 115 ff.

[102] Werke ~XXIII.~ S. 179.

[103] Werke ~XXIII.~ S. 205. vgl. S. 176. 177 f. 186. 194. 195.

[104] Werke ~XXIV.~ S. 154.

[105] Werke ~XXIV.~ S. 164 f. vgl. Eckermann Gespräche ~I.~ S. 215. 341.

[106] Werke ~XXIV.~ S. 270 f.



An Adam Friedrich Oeser.


I.

Theuerster Herr Professor,

Zwölf Tage bin ich nun wieder in meiner wehrten Vaterstadt, von
Anverwandten, und Freunden, und Bekanndten umgeben die sich über meine
Ankunft teils freuen, teils verwundern, und alle sich bemüen, dem
neuen Ankömling, dem halben Fremdling gefällig zu seyn, und ihm eine
Stadt, die zu sehr Antithese von Leipzig ist um viel Annehmlichkeiten
für ihn zu haben durch einen freundschafftlichen Umgang erträglich
zu machen. Wir wollen sehen wie weit sie's bringen, jetzo kann ich
nichts sagen, ich binn zu zerstreut, und mit meiner neuen Einrichtung
zu sehr beschäfftigt, als daß mein Herz für das was ich verlohren
habe, und für das was ich hier wieder finde, viel Empfindung haben
sollte. Ich schreibe Ihnen auch für dießmal nichts, als daß meine
Ankunft nach einer glücklichen Reise, eine erwünschte Ruhe über meine
Famielie verbreitet hat, daß meine Kranckheit, die nach dem Ausspruch
meiner hiesigen Ärtzte nicht so wohl in der Lunge als in denen dazu
führenden Teilen liegt, sich täglich zu bessern scheint. Daß Ihr
Tischer[107] nachdem er sich einige Tage bey uns aufgehalten, mit guten
Empfelungsschreiben an den Ort seiner Bestimmung, in der Hoffnung seine
Sache so gut als möglich auszuführen gereißt ist, und sich Ihnen und
Ihrem ganzen Hause bestens empfelen läßt. Und das sey für diesesmal
alles. Jede danckbaare Empfindung für alles was ich Ihnen schuldig
binn, sey biß zu einer ruhigern und glücklichern Zeit aufgehoben,
sobald ich diese so sehr erwartete Epoche werde erreicht haben, will
ich Ihnen einen längern und bessern Brief schreiben; mittlerweile
erhalten Sie mir Ihre Liebe, Ihre Freundschafft die mir so sehr
geschmeichelt, die mich so sehr aufgemuntert hat, erhalten Sie mich in
dem Andencken Ihrer verehrungswürdigen Gattin und Ihrer liebenswürdigen
Kinder, und aller meiner Freunde; Hrn. Kreuchauf, Hrn. Cravinus, Hrn.
v. Hardenberg, Hrn. v. Lieven, Hrn. Huber, bitte ich insbesondere
meiner Ergebenheit zu versichern, und meinem Successor Hrn. Grönig
den schnellsten Fortgang in der Kunst zu wünschen. Ich binn mit der
beständigsten Hochachtung,

     Theurester Hr. Professor

  Franckfurt am Mayn,
  am 13 Sept. 1768.

  Dero ergebenster
  J W _Goethe_

Fußnote:

[107] Der nachher noch genannte _Joh. Christ. Jung_, Aufwärter bei
der Kunstakademie auf der Pleißenburg, welcher seines Handwerkes ein
Tischler war und den Titel eines Modelltischlers führte.


II.

                                                  Franckfurt, am 9 Nov.
                                                         1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Das Aussenbleiben Ihres Junges, hat diesen Brief, den ich so balde zu
schreiben schuldig war, um einen Monat und drüber verzögert. Mit ihm
hoffte ich ein Paquet Briefe, und ein Paquet Kleinigkeiten nach Leipzig
zu schicken, die nun auf eine andre Gelegenheit warten mögen.

Wenn Sie nicht mehr Nachricht von ihm haben als ich; so werden Sie
unruhiger seyn als ich; denn ich dencke immer, er hat entweder an Sie
geschrieben, oder ist durch einen andern Weeg zu Ihnen zurückgekehrt.
Bald hoffe ich's zu erfahren; ein guter Freund hat es auf sich
genommen, sich in Grehweiler zu erkundigen wie es mit ihm und seinen
Sachen steht.

Meine Gesundheit fängt an, wieder etwas zu steigen, und doch ist sie
noch nicht viel über's Schlimme. Inliegender Brief, den ich mich
unterstanden habe an Ihre Mademoiselle Tochter zu schreiben, sagt mehr
von diesem Punckte, und mehr von meinem übrigen Leben.

Die Kunst, ist, wie sonst, fast jetzt meine Hauptbeschäfftigung, ob ich
gleich mehr drüber lese, und dencke, als selbst zeichne, denn jetzt da
ich so allein lauffen soll, fühle ich erst meine Schwäche; es will gar
nicht mit mir fort Herr Professor, und ich weiss vor der Hand nichts
anders, als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit
dieser Stütze in der Baukunst und in der Perspecktiv kommen kann.

Was binn ich Ihnen nicht schuldig, Theuerster Herr Professor, dass Sie
mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben, dass Sie mein Herz
gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich binn Ihnen mehr schuldig,
als dass ich Ihnen dancken könnte. Den Geschmack den ich am Schönen
habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle
durch Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast
unbegreifliche Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers
mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als
der Hörsaal des Weltweisen und des Kritickers. Lehre tuht viel, aber
Aufmunterung tuht alles. Wer unter allen meinen Lehrern hat mich jemals
würdig geachtet mich aufzumuntern, als Sie. Entweder ganz getadelt,
oder ganz gelobt, und nichts kann Fähigkeiten so sehr niederreissen.
Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach dem Reegen, fruchtbaares
Gedeyen. Ja Herr Professor wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht
aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich
zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied
ist Ihr Werck. Ich weiss wohl, es war mir wie Prinz Biribinckern nach
dem Flammenbaade,[108] ich sah ganz anders, ich sah mehr als sonst; und
was über alles geht, ich sah was ich noch zu tuhn habe, wenn ich was
seyn will.

Sie haben mich gelehrt demütig ohne Niedergeschlagenheit, und stolz
ohne Präsumtion zu seyn. Ich würde kein Ende finden, zu sagen was Sie
mich gelehrt haben; verzeihen Sie meinem danckbaaren Herzen diese
Apostrophe, diese Sentenzen; das habe ich mit allen tragischen Helden
gemein, dass meine Leidenschafft sich sehr gerne in Tiraden ergiesst,
und wehe dem der meiner Lava in den Weeg kömmt.

Die Gesellschafft der Musen, und eine fortgesetzte schrifftliche
Unterredung mit meinen Freunden, wird mir diesen Winter ein
kränckliches einsames Leben angenehm machen, das ohne sie für einen
Menschen von zwanzig Jahren eine ziemliche Folter seyn möchte.

Mein Freund Seekatz[109] ist einige Wochen vor meiner Ankunft
gestorben. Meine Liebe für die Kunst, meine Danckbarkeit gegen die
Künstler, werden Ihnen das Maas meines Schmerzens angeben. Sollte Hr.
CrStEinnehmer Weise die Gefälligkeit für mich haben wollen, einige
Nachrichten von seinem Leben und seiner Kunst in die Bibliotheck
einzurücken: so wollte ich sie Ihnen zusenden.[110] Haben Sie die
Gütigkeit, ihn bey Gelegenheit darum zu ersuchen. Idris habe ich eben
gelesen, meine Gedancken hiervon ein andermal. Meine Eltern grüssen Sie
und Ihre Famielie, mit der Liebe und Danckbaarkeit, die sie einem Manne
schuldig sind, dem ihr Sohn so viel schuldig ist. Leben Sie wohl.

  Ich binn
                Theuerster Hr. Professor
                                        Der Ihrige
                                              Goethe.

Fußnoten:

[108] In Wielands Don Sylvio von Rosalva. Th. ~VI.~ S. 215 f.

[109] Vgl. Goethes Werke ~XX.~ S. 29. 103. ff. 131 ff.

[110] In der Neuen Bibliothek der schönen Wissensch. findet sich nur
eine kurze Notiz über Seekatz, die nicht von Goethe herrührt.


III.

                                           Franckfurt, am 24 Nov. 1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Junge, geht Morgen ab, sollte ich diese Gelegenheit versäumen, an Sie
zu schreiben? Ich beneide alle Welt, die nach Sachsen geht, und meine
Briefe dazu; und doch ist meine Correspondenz nach Sachsen, jetzt fast
das einzige, daran ich ein würckliches Vergnügen finde.

Sie werden Sich verwundern, was Ihr Tischer für Kostbaarkeiten
mitbringt; wir haben uns alle gefreut, dass seine Reise, die Kranckheit
ausgenommen, so glücklich gewesen ist, und hoffen, dass seine
Rückreise bey dieser schlimmen Jahrszeit, so gut gehen wird, als es
wahrscheinlich ist.

Wäre der Weeg nach Leipzig, nur nicht gar so schlimm, und gar so lang;
ich wollte Sie einmal recht unvermuhtet überfallen. Denn Ich habe Ihnen
gar zu viel zu sagen. Sie wissen ich hatte immer einen hübschen Fond
von Reflecktiohnen die ich Ihnen meistenteils vortrug, freylich gingen
sie manchmal etwas queer, nun, da belehrten Sie mich eines bessern;
aber es giebt tausend Dinge, die man ohne Bedencken sagt, die man aber
groses Bedencken trägt zu schreiben.

Meine Gedancken über den Idris, und den Brief an Riedeln,[111] über
den Ugolino, über Weissens Grosmuht für Grosmuht, über die Abhandlung
von Kupferstichen, aus dem Englischen,[112] sind zwar zum erzälen ganz
erträglich, zum Schreiben noch lange nicht ordentlich, nicht richtig
genug.

Die Cabinette hier, sind zwar klein, dafür sind sie häufig und
ausgesucht, mein gröstes Vergnügen ist, mich recht darinne umzusehen.
Es ist gut dass Sie mich gelehrt haben, wie man sich umsieht.

Sonst leide ich viel der Kunst wegen; mein Glück, dass ich schon
gewohnt binn, um meiner Freunde willen zu leiden. Apostel, Propheten
und Poeten, schätzt man selten in ihrem Vaterlande, und noch seltner
zu der Zeit, da man sie alle Tage sehn kann; und doch kann ich mich
nicht enthalten den guten Geschmack zu predigen; richtet man gleich
nicht viel aus, so lernt man doch immer dabey, und sollte man auch nur
bey der Gelegenheit erfahren, dass weit ausgebreitete Gelehrsamkeit,
tiefdenckende spitzfündige Weisheit, fliegender Witz und gründliche
Schulwissenschafften, mit dem Guten Geschmacke, sehr heterogen sind.

Das Frauenzimmer liebt sich hier sehr das erstaunliche, vom schönen,
naiven, komischen halten sie weniger. Desswegen sind alle Meerwunder:
Grandison, Eugenie,[113] der Galeerensclave,[114] und wie die ganze
fantastische Famielie heisst, hier im grossen Ansehn. Von der
Wilhelmine, die doch dem Himmel sey Danck, dreymal aufgelegt ist,[115]
habe ich trutz aller Nachfrage in keiner Damenbibliotheck Ein Exemplar
auftreiben können. Nächstens ein mehreres von diesen betrübten
Umständen.

Wenn der Rothstein und die schwarze Kreide gut sind, so steht Ihnen
mehr zu Diensten. Empfelen Sie mich gütig, Ihrer Frau Gemalinn, und der
ganzen Famielie; wie auch meinen Gönnern und Freunden, denen Herren
Creuchauf, Weisse, Clodius Hubert, v. Hartenberg, Cravinus, Gröning,
namentlich. Meine Eltern empfelen sich Ihnen. Und ich binn, mit der
zärtlichsten Hochachtung,

                                Ihr
                                  ergebenster Schüler
                                  und Diener,
                                              Goethe.

Fußnoten:

[111] _Wielands_ Brief an _Riedel_ war der ersten Ausgabe von _Idris_
und _Zenide_ (1767) vorgedruckt.

[112] ~An essay upon prints. Lond.~ 1768. 8.

[113] Eine Übersetzung der ~Eugenie~ von _Beaumarchais_ (Paris 1767)
erschien Leipzig 1768; vgl. Werke ~XXII.~ S. 147.

[114] Der Galeerensclave (Leipz. 1768) war eine Übersetzung von
~L'honnête criminel~ von ~Fenouillot de Falbaire~ (Par. 1766).
_Lessing_ dachte einmal an eine Bearbeitung desselben Stoffs, „denn er
war mit dem französischen Stücke davon nicht zufrieden, soviel auch
deren deutsche Vorstellung damals Beifall erhielt.“ Lessings theatr.
Nachlaß ~I.~ S. ~XLVII.~

[115] _Thümmels Wilhelmine_ war in Leipzig 1764, 1766, 1768 erschienen;
vgl. Werke ~XXII.~ S. 148.


IV.[116]

Ich bin verschwunden wie ich erschienen bin. Liebster Mann, tausend
Danck für alles, und unveränderliche Liebe ~in saecla saeclorum~.
Grüsen Sie ihre ganze Famielie, und Beckern[117]. Vergessen Sie
die Abgüsse nicht und schicken sie bald. Der Herzog hat auf meine
Beschreibung Lust zu den Snayers gekriegt, man muss sehn wie sie ihm
gegenwärtig behagen. Drum bitt ich Sie, mir sie wohl _gesäubert_ und
wohl gepackt mit dem Postwagen zu übersenden. -- Ich habe Leipzig
ungern verlassen, -- M. Becker soll mir manchmal schreiben.

  Weimar d. 6. Apr. 1776.
                                Goethe.

Fußnoten:

[116] Hier fehlen mehrere Briefe; s. oben S. 107.

[117] W. G. _Becker_, Herausgeber der Erholungen und des Taschenbuchs
zum geselligen Vergnügen, später Aufseher der Antikensammlung in
Dresden, welcher in Oesers Hause sehr viel verkehrte.


V.

Wir wollen der Hrz. Louise auf ihren Geburtstag auf unsern Brettern
ein neu Stück geben[118] und bedürfen dazu eines hintersten Vorhanges
zum _Wald_. Wir mögten auf diesem Prospeckt gern eine herrliche Gegend
vorstellen mit Haynen Teichen, wenigen Architeckturstücken &c. denn es
soll einen Parck bedeuten.

Hätten Sie so was vorräthig so schicken Sies doch aber mit nächster
Post, allenfalls ein Kupfer von Poussin, oder sonst eine Idee, wir
bitten recht sehr drum. Sie haben erinnere ich mich so was auf einem
Vorhang in Leipzig. Die Büste kriegen Sie ehstens. Ihr Andencken ist
lebendig unter uns. Herzoginn Louise hat mir Vorwürfe gemacht dass
ich Sie nicht zu ihr gebracht habe, also müssen Sie bald wiederkommen
das gut zu machen. Addio ist Ihnen nichts weiter von meiner Gottheit
offenbaart worden?

                                                  d. 7 Jan. 77. Goethe.

Fußnote:

[118] _Proserpina_ wurde am 30. Jan. 1777 aufgeführt. Riemer
Mittheilungen ~II.~ S. 38.


VI.

Wir sind durch einen andern Weeg wieder in unser Land gegangen, und
haben Sie nicht mit nehmen können[119]. Es ist auch iezt Herzoginn
Mutter in Ilmenau, ob Sies gleich wohl auch hätte freuen können Ihr
dahin zu folgen.

Nun bitte ich inständig um die Basreliefs weil ich gern möchte die
Rahmen fertigen lassen in ihrer Abwesenheit.

Gern unterhielt ich Sie von dem gebetnen Tische und von andern Sachen
aber ich weis schon wies einem mit Ihnen geht.

Schicken Sie mir doch ein paar Zeichnungen zu steinernen Garten Bäncken
ganz simpel aber schöne Formen.

Wenn ich von Ilmenau komme hören Sie mehr von mir.

Von dem Tische schreib ich Ihnen meine Gedancken. Ich hab mir wieder
so ein fest Bild gemacht wie er aussehn soll und das ist wieder ein
bisgen gothisch. Wir werden wieder Händel haben; es ist so schlimm was
für mich zu machen als für irgend einen Philister. Schreiben Sie und
schicken Sie bald.

                                d. 15 Jun. 78.
                                              Goethe.

Fußnote:

[119] Goethe war mit dem Herzog Anfang Mai in Leipzig gewesen, und
dann mit ihm nach Berlin gereist, von wo sie Anfang Juni nach Weimar
zurückkamen. Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 165 ff. Merck Briefe ~II.~
S. 140. 146. Riemer Mittheilungen ~II.~ S. 59 f.


VII.[120]

                                              Weimar den 10 Merz. 1780.

Meinen besten Dank werthester Herr Professor bezeige ich Ihnen für das
gütig überschickte. Das Gefängniss soll abgezeichnet sogleich wieder
zurückkommen.

Sie schreiben: „das mitfolgende auf Papier entworffene soll Schuman
in des obigen Tone ausführen“ ich finde aber nichts worauf sich diese
Linien beziehen könnten.

Die Zeichnung des Tischfuses liegt wieder bei ich wähle die ~terms~ und
bitte Sie versprochnermassen so wohl um die Reinlichkeit des Details
als um die Stellung, Construktion und Verbindung des Ganzen.

Auch ersuche ich sie mir bald möglichst einen Theaterleuchter zu
schicken, denn wir sind bald so weit dass wir des Lichts bedürfen.

Sie stehen mein lieber Herr Professor mit noch verschiednen andern
Sachen auf meinem Zettelein und ich bitte Sie aber und abermal ja Ihren
Plan sicher zu machen, dass Sie mit eintretendem Frühjahr bei uns sein
können.

Den Brief werd' ich besorgen und die Kiste erwarten.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[120] Von hier an sind die Briefe nicht mehr von Goethes Hand
geschrieben.


VIII.

Ihre Briefe habe ich übergeben und Ihre Aufträge ausgerichtet.
Wahrscheinlich erhalten Sie mit der heutigen Post auch Ihre Büste
und ich hoffe dass Sie einigermassen mit der Arbeit zufrieden sein
werden.[121] Ich habe mit Clauern gesprochen, wegen des Verlangens
das Sie haben ihn auf eine Zeit bei Sich zu sehen. Er scheint
unentschlossen und ich wünschte selbst, ehe ich Durchl. dem Herzog
etwas davon sage und um Urlaub für ihn bitte, näher unterrichtet zu
sein, auf was für eine Art, wie lang und zu welchem Zweck Sie ihn
bei Sich zu haben wünschen, denn nach allen diesem wird der Herr
mich gewiss fragen. Klauer selbst scheint wegen einiger näherer
Bestimmung verlegen und ich wollte selbst rathen mit ihm dadrüber
so ausführlich und deutlich als möglich zu handeln. Es giebt bei
Arbeiten des Künstlers die schweer zu schätzen sind meistentheils
zulezt ein Misvergnügen, wenn man sich nicht gleich Anfangs zusammen
auf einen festen Fus gesezt hat. Es bleibt ihm ohnedem auch hier noch
verschiedenes zu thun, wo er unter ein Viertel Jahr schweerlich fertig
wird.

Ich schicke hier versprochener massen ein Exemplar der berühmten
Correspondenz, die ich mir zu seiner Zeit wieder zurück erbitte.
Ich weis nicht ob es Ihnen gehen wird, wie mir, Sie ist mir in der
Erzählung hübscher und lustiger vorgekommen als Sie mir gedruckt
erscheint.

Wollen Sie etwa einige architektonische Zeichnungen für Durchl. den
Prinzen[122] hierher schicken so würde ich sorgen dass sie kopirt
werden.

In dem ich dieses schreibe sind Sie wohl in einer wichtigen Handlung
begriffen, wozu ich alles Glück wünsche.[123] Vielleicht steht die
Statue schon auf ihrem Plaz und ich bin recht neugierig sie zu sehen.

Leben Sie recht wohl. Denken Sie gelegentlich an die Aufträge mit denen
wir Sie belästigt haben. Weimar den 3 Aug. 1780.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[121] Der Bildhauer _Klauer_ hatte, als Oeser im Sommer 1780 in Weimar
war, dessen Büste modellirt, mit welcher Goethe seine Zufriedenheit
wiederholt ausspricht, Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 318. 319. 321 an
Merck ~I.~ S. 252.

[122] Prinz _Constantin_, Bruder des Herzogs.

[123] Das Oesersche Standbild Friedrich Augusts ~III.~ auf dem
Königsplatz in Leipzig wurde am 3. Aug. 1780 feierlich aufgerichtet.


IX.

In der Zerstreuung, in die mich vielerley Geschäfte bey meiner Ankunft
versezen, kann ich nur mein bester Herr Profeßor Ihnen für die viele
Liebe und Freundschaft danken die Sie mir bey meinem Aufenthalt in
Leipzig bezeiget. Da mir meine Stunden so knapp zugemeßen waren, wie
viel bin ich Ihnen nicht schuldig dass Sie mir den größten Theil davon
so angenehm und nüzlich haben verbringen machen.

Da ich übermorgen als den 3t. schon wieder von hier abreisen muß,[124]
so bitte ich Sie wegen der abzuschickenden Statue mit dem Herrn Rath
Bertuch zu korrespondiren, dem ich den umständlichen Auftrag gegeben
habe. Er wird auf Ihre Nachricht den Fuhrmann zur rechten Zeit nach
Leipzig schicken, und das nöthige besorgen.

Ich empfehle mich Ihnen und den Ihrigen aufs beste, wobey sich mein
kleiner Reisegefährdte[125] mit anschließt. Verzeihen Sie alle
Beschwerden die ich Ihnen mache, und bleiben Sie meiner vollkommensten
Ergebenheit versichert. Weimar d. 1 Okt. 1781.

Das bewußte ~Basrelief~ wird nächstens anlangen.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[124] Nach Gotha. Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 103 ff.

[125] Friedrich v. Stein. Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 102 ff.


X.

Mein Dank kommt spät lieber Herr Professor und ist noch immer so warm
als beym Abschiede, da ich gewiß sehr ungerne Leipzig verließ.[126] Sie
haben mir meinen Aufenthalt so angenehm und nüzlich gemacht als möglich
und ich bin wie immer bereichert von Ihnen weggegangen.

Zwar habe ich es gemacht wie das Volk Israel bey seinem Auszuge aus
Egypten. Sie werden verschiedenes vermissen worunter besonders ein
großer Pinsel ist, welchen ich aber mir ohne Furcht und Reue zugeeignet
habe. Wenn wir so glücklich sind Sie aufs Frühjahr hier zu sehen[127]
soll Ihnen alles vorgelegt werden was ich damit biß dahin zu Stande
bringe. Die Farbe ist gekocht, die Kunststüke werden geübt, aber
leider ists noch immer das Rähmchen was mir an solchen Arbeiten am
besten gelingt.

Die verlangte Büste für Herrn Breitkopf ist eingepackt und geht mit
dem Schaurischen Wagen ab. Den Riß des Observatorii habe ich in eine
Schachtel an Rosten beypacken laßen, und auch dieser wird hoffentlich
zur rechten Zeit anlangen.

Nun aber muß ich auf das dringendste um den berühmten Brunnen bitten.
Der Versuch ist gemacht worden, man hat ihn in die Höhe gestaucht,
welches wohl angeht. Freylich läuft er da in einer starken Röhre und in
einem schwachen Spiegel. Haben Sie die Güte mir die Zeichnung so bald
als möglich zu schicken, denn es warten die Anlagen der Weege und die
Pflanzungen darauf und ob gleich die Jahrszeit strenge ist so sind doch
immer unsere gnädigsten Herrn in Arbeit.

Große Steine sind auch zu dem berühmten Felsen hinzugeschafft und
warten nur auf Ihre schöpferische Befehle um sich zu einem schönen
Ganzen zu bilden. Lassen Sie nun unsere Hoffnungen nicht scheitern und
kommen mit der ersten guten Jahreszeit.[128]

Empfehlen Sie mich den werthen Ihrigen und danken tausendmal für die
viele gefällige Hülfe und freundliche Unterhaltung, womit sie bey
meinem Aufenthalte gegen mich so freygebig gewesen sind.

Herrn Creuchauf recht viele Complimente.

Was macht mein Burscher? Werde ich balde ein Kunstwerk des neuen
Hogarths sehen?

Ich habe auch gleich nach meiner Ankunft die feinen Pappen nachmachen
laßen, sie sind aber zum erstenmale nicht ganz glücklich gerathen, es
fehlt ihnen an dem nöthigen Leime, weswegen sich der Papiermacher mit
der Witterung entschuldigt.

Wenn Sie zu uns kommen werden Sie Sich an den vortreflichen Eisenstufen
ergözen die ich aus dem Trierischen erhalten habe. Sogar auch
Ungarische sind mir zugekommen. Freylich nicht so schön wie die Ihrigen.

Geben Sie mir bald Gelegenheit, daß ich wenigstens einigermassen aus
Ihrer Schuld komme in der ich so viel stehe.

Leben Sie nochmals auf das beste wohl.

Weimar 30 Jan. 1783.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[126] Friederike Oeser schreibt an ihren Bruder 6. Jan. 1783: „Der
Hr. Geheime Rath v. Goethe ist diese Feyertage in Leipzig gewesen, wo
manches gesprochen worden ist.“

[127] Oeser kam im Juli nach Weimar, und „war gar lustig, Herder gut,
Wieland gesprächig, Musäus gutmüthig und platt wie immer.“ Briefe an
Frau v. Stein ~II.~ S. 327.

[128] Von der Theilnahme Oesers an diesen Anlagen zeugt auch ein Blatt,
auf welches Goethe das Epigramm auf Amor, der die Nachtigall füttert,
geschrieben hat und zwar in der Form, wie es in Tiefurt in den Stein
gegraben ist, vgl. Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 208. Sollte die
kleine Statue von Oeser sein?



An Friederike Oeser.


I.[129]

                                            Franckfurt am 6. Nov. 1768.

Mamsell,

    So launisch, wie ein Kind das zahnt;
  Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,
  Bald still, wie ein Hypochondrist,
  Und sittig, wie ein Mennonist,
  Und folgsam, wie ein gutes Lamm;
  Bald lustig, wie ein Bräutigam,
  Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,
  Am ganzen Leibe wohl, nur in dem Halse wund;
  Sehr missvergnügt, dass meine Lunge
  Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge
  Zu manchen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,
  Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.

    Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,
  Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;
  Drum reichet mir mein Docktor Medicinä
  Extrackte aus der Cortex Chinä,
  Die jungen Herrn erschlaffte Nerven
  An Augen, Fus und Hand,
  Auf's neue stärcken den Verstand,
  Und das Gedächtniss schärfen.

    Besonders ist er drauf bedacht,
  Durch Ordnung wieder einzubringen,
  Was Unordnung so schlimm gemacht,
  Und heisst mich meinen Willen zwingen.

    Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,
  Nur an nichts reitzendes gedacht!
  Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
  Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst.
  Des Bouchers Mädgen nimmt er mir
  Aus meiner Stube, hängt dafür
  Mir eine abgelebte Frau,
  Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
  Vom fleissig kalten Gerhard Dow
  An meine Wand, langweilige Tisane
  Setzt er mir statt des Weins dazu.

    O sage Du,
  Kann man was traurigers erfahren?
  Am Körper alt, und jung an Jahren,
  Halb siech, und halb gesund zu seyn?
  Das giebt so melanchol'sche Laune,
  Und ihre Pein
  Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.
  Was nützte mir der ganzen Erde Geld?
  Kein krancker Mensch geniesst die Welt.

    Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,
  Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;
  Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,
  Die Last der Kranckheit zu ertragen,
  Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt.
  Verkürzung grauer Regenstunden,
  Balsam'sches Pflaster aller Wunden,
  Gesellschafftsgeister die man liebt.

    Zwar hab ich hier an meiner Seite
  Beständig rechte gute Leute,
  Die mit mir leiden, wenn ich leide,
  Sie sorgen mir für manche Freude,
  Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.
  Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein
  Des Schmerzens, so behende stillt, die Ruh
  Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.

    Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,
  Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;
  Und wem er nur einmal recht nah um's Haupt geschwebt,
  Der bebt
  Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.
  Ich weiss wie ich gezittert habe;
  Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,
  Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;
  Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,
  Wie gut, wie süss Dein seelig Leben sey,
  Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,
  Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,
  Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.
  Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,
  Und ganz war meine Reise so.

    Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer
  Ein bissgen -- ja man sagt's nicht gern -- wie immer,
  Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.[130]
  Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler[131]
  Von Hamburgs Schönen prädicirt,
  Doch binn ich auch ein starcker Grübler,
  Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,
  Die ich wohl schwerlich je vergesse;
  Und da begreiffst Du wohl, dass jede leicht verliert,
  Die ich nach Eurem Maasstab messe.
  Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie
  An Einsicht, und an Witz Dir keine einz'ge gleich,
  Und Deiner Stimme Harmonie
  Wie käme die heraus in's Reich.

    So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,
  Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,
  So aufgeweckt, und doch so klug,
  Ja, darauf kann ich warten.

    Binn ich bey Mädgen launisch froh;
  So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,
  Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?
  Sie sagen's nicht einmal so höflich.
  Zeigt man Verstand, so ist das auch nicht recht.
  Denn will sich einer nicht bequemen
  Des Grandisons ergebner Knecht
  Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen
  Was der Dicktator spricht,
  Den lacht man aus, den hört man nicht.

    Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,
  Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,
  Und zum Gefallen ohnbemüht,
  Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.
  Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,
  Man liebt Euch, eh man's sich versieht;
  Mit einem Mädgen hier zu Lande,
  Ist's aber ein langweilig Spiel,
  Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,
  Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.

    Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht so viel Laune,
  Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,
  Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.
  Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.

    Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage
  Ich Euch, besonders an dem Tage
  Wenn Ihr auf Euerm Landgut[132] seyd,
  Dem Ort der mir so manche Plage
  Gemacht, dem Ort der mich so sehr erfreut.

    Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,
  Ich weiss doch Du verzeihst es mir.
  Die Lieder die ich dir gegeben, die gehören
  Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.

    Wenn mich mein böses Mädgen plagte,
  Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,
  War ich verwegen gnug, und wagte
  Dich aufzusuchen eh es tagte,
  Auf Deinen Feldern die Du liebst,
  Die Du mir offt so schön beschriebst.

  Da ging ich nun in Deinem Paradiese,
  In jedem Holz, auf jeder Wiese,
  Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht
  Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.

    Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,
  Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,
  Dann jagt' ich ringsumher, und fing
  Bald einen Reim bald einen Schmetterling.

    Und mancher Reim, und mancher Schmetterling
  Entging
  Der ausgestreckten Hand, die mitten
  In ihrem Haschen stille stand,
  Wenn aus dem Wald, von Stimmen oder Tritten
  Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.

    Am Tage sang ich diese Lieder,
  Am Abend ging ich wieder heim,
  Nahm meine Feder, schrieb sie nieder
  Den guten und den schlechten Reim.

    Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke
  Auf die fatale Flur zurücke,
  Biss mir zuletzt das günstige Geschicke
  Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.
  Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,
  Sie waren gar zu nah am Grab.
  Ich sage nicht was ich empfunden,
  Denn mein prosaisches Gedicht
  Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.

    Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung
  Für alles was ich für Dich litt,
  Besuchst Du Deine seelge Wohnung;
  So nimm sie mit;
  Und sing sie manchmal an den Orten
  Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,
  Dann denck an mich, und sage: dorten
  Am Flusse wartete er lang,
  Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke
  Die schönen Felder fühllos sah!
  Käm er in diesem Augenblicke,
  Eh nun, jetzt wär' ich da.

    Jetzt, dächt ich nun, war's hohe Zeit zum Schliessen,
  Denn wenn man so zwey Bogen[133] Reime schreibt,
  Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.
  Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,
  Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,
  So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.

    Willst Du mir die Geschwister grüssen,
  So schliesse Richtern[134] auch mit ein.
  Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn
  Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.

                                                                Goethe.

Fußnoten:

[129] Gedruckt in Goethes Werken ~VI.~ S. 56 ff. (1840) mit wenigen
nicht bedeutenden Abweichungen, hier genau nach dem Original.

[130] Horn schreibt auch nach seiner Rückkehr nach Frankfurt: „Hier im
Reiche ist es gar nicht auszuhalten, die Leute sind so stipide, als
man es sich nur vorstellen kann. Manchmal muß ich drüber lachen, aber
öfters ärgere ich mich darüber. -- Die Mädchen! o die sind hier ganz
unerträglich! sehr stoltz und ohne allen Menschenverstand. Ich mögte
rasend werden, wenn ich an Leipzig gedencke. Nicht eine ist fähig eine
discours zu führen, als etwa vom Wetter, oder von einer neumodischen
Haube.“

[131] _Daniel Schiebeler_ aus Hamburg hielt sich von 1765 bis 1768 in
Leipzig auf, und beschäftigte sich mit Musik und Dichtkunst. Seine
auserlesenen Gedichte gab _Eschenburg_ heraus (Hamburg 1773). Goethe
erwähnt ihn (Werke ~XXI.~ S. 138) und daß sein Singspiel „Lisuard und
Dariolette“ von ihm und seinen Freunden begünstigt ward. Wie es scheint
gehörte auch er dem Oeserschen Kreise an. Hier ist auf den Schluß
seines Gedichtes „Pygmalion“ angespielt:

  „Wenn stets dich zu erhöhen
  Mein Herz, Gott Amor, eifrig war;
  So fleuch itzt auf mein Flehen
  Zur Stadt, die mich gebar.
  Statüen wirst Du finden,
  So schöne macht ein Künstler nie.
  O Vater vom Empfinden!
  Hauch zu! so leben sie.“

[132] In Dölitz, eine gute Stunde von Leipzig.

[133] Es sind wirklich zwei Briefbogen, sehr fest und sauber
geschrieben.

[134] Den bereits oben genannten Obergeleitseinnehmer _Richter_.


II.

Mademoiselle,

Sie ist lang ausgeblieben, die Antwort! soll ich Sie wohl um Vergebung
bitten? Nein gewiss, wenn ich das dürfte; Wenn ich sagen dürffte:
Mamsell, verzeihen Sie, ich hatte viel, viel Geschäffte, daran sich
Herckules den Arm aus der Pfanne hätte heben mögen, ich konnte
ohnmöglich, die Tage waren kurz, mein Gehirn, wegen der Einstrahlung
des Steinbocks und Wassermanns, etwas kalt und feucht, und noch die
ganze Reihe von alletags Entschuldigungen, um nicht auf sich kommen zu
lassen, man sey faul, dazugerechnet; Sehen Sie, wenn ich in Umständen
wäre, so was zu sagen, ich schrieb lieber in meinem Leben nicht. O
Mamsell, es war eine impertinente Composition von Laune meiner Natur,
die mich vier Wochen, an den Bettfus, und vier Wochen, an den Sessel
anschraubte, dass ich eben so gerne die Zeit über, hätte in einen
gespaltenen Baum wollen eingezaubert seyn. Und doch sind sie herum, und
ich habe das Capitel von Genügsamkeit, Geduld, und was übrigens für
Materien ins Buch des Schicksaals gehören, wohl und gründlich studiert,
binn auch dabey etwas kluger geworden; Sie werden mir also verzeihen
wenn dieser Brief, mehr ein Commentar zu dem Ihrigen, als eine Antwort
darauf wird; denn so viel Freude ich über das Blätgen gehabt habe, so
viel habe ich auch dawider einzuwenden, und -- ~Honneur aux Dames~ --
aber wahrhafftig, Sie haben unrecht.

Wir müssen uns besser verstehn, eh wir uns weiter herauslassen.
Vorausgesetzt, dass ich nicht mit Ihnen zufrieden binn! Und nun
will ich anfangen, von Anfang biss zu Ende, ordentlich wie ein
Cronickenschreiber; der Brief wird so lang werden, wie die Glosse eines
Dompfaffen, über einen kleinen, leichten Text.

Sie wissens von Alters her, -- wenigstens ist es meine Schuld nicht,
wenn Sie es nicht wissen -- Sie wissen, daß ich Sie für ein sehr gutes
Mädgen halte, die schon, wenn Ihr dran gelegen wäre, einen ehrlichen
Menschen mit dem weiblichen Geschlecht wieder versöhnen könnte, und
wenn er aufgebracht wäre wie Wieland. Wenn ich mich irre; so ist das
wieder meine Schuld nicht. Zwey Jahre beynahe, binn ich in Ihrem
Hause herumgegangen, und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein
Nachtforschender ~Magus~ einen Alraun pfeifen hört.

Von dem also zu reden was ich gesehen habe -- die Kirche urtheilt nicht
übers Verborgne, sagte Paris -- So versichre ich Sie, dass ich davon
bezaubert binn; aber wahrhafftig die ‘Philosophen’ von meiner Art,
haben meist Ulysses Kräuterbüschel, unter den andern Galanterien, in
einem ~Sachet~ bey sich, dass Ihnen die stärckste Bezauberung nicht
mehr schadet als ein starcker Rausch, Kopfweh den andern Morgen, aber
die Augen sind doch wieder helle. Dieses wohl begriffen, damit wir uns
nicht missverstehen.

Sie sind glücklich, sehr glücklich; wenn mein Herz nicht jetzt für
alle Empfindung todt wäre, ich wollte es Ihnen vorerzählen, vorsingen
wollt' ich's Ihnen. Das möglichste von Gessners Welten; wenigstens
bild ich's mir so ein. Und Ihre Seele hat sich sehr nach dem Glück
gebildet, Sie sind zärtlich, fühlbaar, Kennerinn des Reitzes, gut für
Sie, gut für Ihre Gespielen; aber nicht so gut für mich; und Sie müssen
doch auch gut für mich seyn, wenn Sie ein ganzrechtgutes Mädgen seyn
wollen. Ich war einmal kranck, und ward wieder gesund, eben genug,
um mit Bequemlichkeit meinem letzten Willen nachdencken zu können.
Ich schlich in der Welt herum, wie ein Geist, der nach seinem Ableben
manchmal wieder an die Orte gezogen wird, die ihn sonst angezogen,
da er sie noch körperlich geniesen konnte, jämmerlich schleicht er
zu seinen Schätzen, und ich demütig zu meinem Mädgen, und zu meinen
Freundinnen. Ich hoffte bedauert zu seyn; unsre Eigenliebe muss doch
was hoffen, entweder Liebe oder Mittleiden. Betrogner Geist bleib in
deiner Grube! Du magst noch so demütig, noch so flehend im weißen
Rocke flehen und jammern, wer todt ist ist Todt, wer kranck ist, ist
so gut wie todt; geh, Geist, geh, wenn sie nicht sagen sollen, du
bist ein beschwerlicher Geist. Die Geschichten, die mich auf diese
Betrachtung führten, gehören nicht hierher. Nur eine will ich Ihnen
ausführlich erzählen, wenn ich mich sie noch recht besinne. Ich kam
zu einem Mädgen, ich wollte drauf schwören, Sie wärens gewesen, die
empfing mich mit grossem Jauchzen, und wollte sich zu Todte lachen,
wie ein Mensch die Carickaturidee haben konnte, im 20sten Jahre an
der Lungensucht zu sterben! Sie hat wohl recht, dacht ich, es ist
lächerlich, nur für mich so wenig, als für den Alten im Sacke, der für
Prügeln sterben möchte, über die eine ganze Versammlung fast für lachen
stirbt.[135] Wie aber alle Sachen in der Welt zwey Seiten haben; und
einem ein schönes artiges Mädgen, leicht schwarz vor weis verkaufen
kann; und ich überhaupt leicht zu bereden binn, so gefiel mir das
Ding so wohl, dass ich mir einbilden liess, es wäre alles Einbildung,
und man wäre glücklich, so lang man vergnügt wäre, und so weiter; und
da erzählte sie mir wie sie auf dem Lande so vergnügt gewesen wären,
wie sie blinde Kuh gespielt, nach dem Topfe geschlagen, geangelt, und
gesungen hätten, dass mir's ward wie's einem jungen Mädgen wird die
den Grandison liesst; das ist ein feines Bissgen von einem Menschen,
so einen möcht'st du auch haben, denckt sie. Wie gern hätte ich auch
mitgemacht, und meine Kranckheit verschlimmert. Dem sey wie ihm wolle,
Mamsell, es ist nichts so schlimm, dass das Schicksaal nicht zum Guten
machen könnte, Ihre Unbarmherzigkeit in den letzten Tagen, gegen den
armen Verurteilten, machte ihn starck; Glauben Sie mir, Sie sind
alleine Schuld, dass ich Leipzig ohne sonderliche Schmerzen verlassen
habe. Freudigkeit der Seele, und Heroismus ist so communicabel wie
die Elecktricität, und Sie haben soviel davon, als die Elecktrische
Maschine Feuerfuncken in sich enthält. Morgen seh ich sie wieder! ein
Abschiedsgruss zu dem, den man auf die Galeeren schmieden will, ist
wahrhafftig nicht der zärtlichste. Es sey! Mich hat er starck gemacht;
und doch war ich nicht mit zufrieden. Die Grösse der Seele, ist meist
unempfindlichkeit, unter uns gesagt. Wenn ich's wohl betrachte, so
handelten Sie ganz natürlich, mein Abschied musste Ihnen gleichgültig
seyn, mir war er's warrlich nicht. Ich hätte gewiss geweint, wenn
ich nicht gefurcht hatte, Ihre weissen Handschuhe zu verderben; eine
überflüssige Vorsicht, ich sah erst am Ende, dass sie gestrickt und
von Seide waren, da hätte ich immer weinen können, doch da war's zu
spät. Dass ich ein Ende mache. Ich ging aus Leipzig und Ihr Geist
begleitete mich, mit der ganzen Munterkeit seines Wesens. Ich kam hier
an, und fing an Betrachtungen zu machen, dazu ich bissher nicht Zeit
gehabt hatte. Und sah mich hier nach Freunden um, und fand keine;
nach Mädgen, die waren nicht so specificirt wie ich's liebe, und war
im Jammer, und klage Ihnen das in wunderschönen Reimen, und dencke,
ob Sie den wohl dich bedauern wird, und den unglücklichen Schwanen,
durch ein Briefgen trösten wird! Da kam ein Brieflein! Nun das ist
wohl wahr, erquickt war ich; denn Sie stellen sich die Trockenheit
nicht vor, in der man hier, von Seiten einer angenehmen Unterhaltung
lechzt; aber getröst war ich nicht; Ich sah dass Sie meynten, Poesie
und Lügen wären nun Geschwister, und der Hr. Briefsteller könnte wohl
ein sehr ehrlicher Mensch, aber auch ein starcker Poete seyn, der
aus Vorurteil für das Clair obscür, offt die Farben etwas stärcker,
und die Schatten etwas schwärzer aufstriche, als es die Natur thut.
~Bon~, Sie sollen recht haben, wo sie's haben. Nur, das ist doch zu
arg, Sachen bey mir zu supponiren, die ich doch so wenig besitze,
als den Stein der Weisen. _Einen gesunden Kopf, ein gutes Herz_,
nun dazu liess ich mich noch wohl bereden, zu glauben dass ich das
hätte; aber gelehrige Schülerinnen, Freunde, wie sich's gehört,
darauf wart ich noch; wenn ich sie erwischt habe, die Paradiesvögel,
da will ich's Ihnen schreiben. Dass Sie also unrecht hatten, mir
ein Rezept zu verschreiben, wozu die Species in Leipzig waren, dass
mich das nothwendig kräncken musste, das sehen Sie nun wohl ein. Es
ist sehr unbillig; Sie haben mein Herz gegen den Abschied von L.
unempfindlich gemacht, Sie wollen gar haben daß ich es vergessen soll!
O Sie kennen Sich und Ihre Landsmänninnen zu wenig! Wer die Minna
hat zu Franckfurt aufführen sehen, der weiss besser was Sachsen ist.
Sie haben also unrecht! Ich wiederhole es noch einmal, ob ich gleich
in dem Augenblicke nicht weiss warum; denn ich habe so viel davon
geschrieben, dass ich's drüber vergessen habe, wovon eigentlich die
Rede war. Es mag nun seyn wie's will, so war die ganze Sache eine
unparteiische, uneigennützige Erinnerung, an ein gewisses Frauenzimmer;
dass zum rechten guten Herzen auch Mitleiden gehört; dass das noch
lange nicht der höchste Grad von Empfindlichkeit ist, wenn man arme
Leute und Lerchen füttert. Dass das Lachen gegen das reelle Unglück,
so wenig eine gute Cur ist, als das aus dem Sinnschlagen. Dass wir
wenn wir satt sind, eine Rede von Genügsamkeit sehr schlecht bey einem
Hungrigen anwenden, und endlich, dass der liebenswürdigste Brief,
nicht das hundertste Theil von dem Reiz der Unterredung enthält. Denn
Sie hätten mir alles das, und noch mehr, und nicht einmal so schön,
vorreden dürfen, so wäre ich confundirt gewesen, und hätte mich nie
unterstanden, die geringste von diesen impertinenten Anmerckungen zu
machen. Wenn die Frauenzimmer immer wüssten, was sie könnten, wenn
sie wollten! -- Es ist gut dass es ist wie's ist, ich will zufrieden
seyn, dass sie unsre Schwächen nicht ganz kennen. Nun genug von dieser
Materie, von der ich so viel geschrieben habe, weil ich nie wieder
davon zu schreiben hoffe. Möchte ich doch einem Unglückligen gedient
haben, den etwa das Schicksaal künftig in Ihre Hände übergiebt, die je
niedlicher sie sind, desto grausamer peinigen können. Ich hoffe künftig
Ihnen mit keinen Klagen, mit keinem Jammer beschwerlich zu fallen, ich
hoffe das Mitleid nicht nötig zu haben, wozu ich Sie ermahne. Trutz der
Kranckheit die war, trutz der Kranckheit die noch da ist, binn ich so
vergnügt, so munter, offt so lustig dass ich Ihnen nicht nachgäbe, und
wenn Sie mich in dem Augenblicke jetzt besuchten, da ich mich in einem
Sessel, die Füsse wie eine Mumie verbunden, vor einen Tisch gelagert
habe, um an Sie zu schreiben.

Hierher gehört auch dass ich in diesem neuen Jahre, eine ~Farçe~
gemacht habe, die ehstens, unter dem Titel: Lustspiel in Leipzig
erscheinen wird. Den die ~Farçen~ sind jetzt auf allen Parnassen
~contrebande~, wie alles aus der Zeit Ludwigs des Vierzehenden.

Es lebe Ihre Connexion in der Sie mit dem Schicksaale stehn, ich werde
mich auch auf den Fus mit ihm setzen; und Ihr Wahlspruch, möchte auch
noch hingehn, und gut und artig seyn, wenn er nur nicht eben vom
Rhingluff,[136] oder Gott weis wie er heisst, genommen wäre, zwanzig
Dichter haben es eben so gut, und besser gesagt, warum muss nun eben
der Mensch, mit dem Barbarischen Nahmen, die Ehre haben; Denn unter uns
gesagt ich binn keiner von seinen Freunden. Ich kenne ihn weiter nicht,
aber seine Verse die ich kenne, ~dementiren~ den ehrwürdigen Bart,
und das feyerliche Ansehn das ihm Herr Geyser[137] gegeben hat; ich
will drauf schwören, in der Natur, sieht er jünger aus. Sind denn die
Gesänge schlecht? Wer wird gleich solche Gewissensfragen thun! Genug
ich weis nicht was ich mit machen soll. Mamsell, Sie sollen wenn Sie's
verlangen, meine Meynungen über allerley Dinge wissen, sagen Sie mir
die Ihrige, und es wird die angenehmste, fruchtbaarste Materie, für
unsern Briefwechsel seyn; aber Erfahrung macht Misstrauen. Ich rede
frey vor Ihnen, wie ich vor wenigen in Leipzig reden würde, nur lassen
Sie niemanden sehn wie ich dencke. Seitdem Clodius freundschafftlichere
Gesinnungen gegen mich blicken lässt, ist mir ein grosser Stein vom
Herzen;[138] ich habe mich steets vor Beleidigungen gehütet. Rhingulff
ist ohne Zweifel in Leipzig, vielleicht kennen Sie ihn. Ich weiss
nichts, denn ich binn ausser aller ~Connexion~, mit allen schönen
Geistern. Ich dencke so von R. wie von allen Gesängen dieser Art. Gott
sey Danck, dass wir Friede haben, zu was das Kriegsgeschrey. Ja wenns
eine Dichtungsart wäre, wo viel Reichthum an Bildern, Sentiments oder
sonst was läge. Ey gut da fischt immer! Aber nichts, als ein ewig
Gedonnere der Schlacht, die Glut die im Muth aus den Augen blitzt,
der goldne Huf mit Blut bespritzt, der Helm mit dem Federbusch, der
Speer, ein paar Duzend ungeheure Hyperbeln, ein ewiges Ha! Ah! Wenn der
Vers nicht voll werden will, und wenns lang währt, die Monotonie des
Sylbenmaases, das ist zusammen nicht auszustehn. Gleim, und Weise und
Gessner in Einem Liedgen, und was drüber ist hat man satt. Es ist ein
Ding das gar nicht interessirt, ein Gewäsche das nichts taugt als die
Zeit zu verderben. Forcirte Gemälde weil der Herr Verf. die Natur nicht
gesehen hat, ewige egale Wendungen; denn Schlacht ist Schlacht, und die
Situationen die es etwa reicht sind sehr genützt. Und was geht mich der
Sieg der Teutschen an, dass ich das Frohlocken mit anhören soll, eh!
das kann ich selbst. Macht mich was empfinden, was ich nicht gefühlt,
was dencken was ich nicht gedacht habe, und ich will euch loben. Aber
Lärm und Geschrey statt dem Pathos, das thut's nicht. Flittergold, und
das ist alles. Hernach sind in R. Gemälde ländlicher Unschuld; sie
möchten gut seyn, in Arkadien angebracht zu werden; unter Deutschlands
Eichen, wurden keine Nymphen gebohren wie unter den Myrthen, im Tempe.
Und was an einem Gemälde am unerträglichsten ist, ist Unwahrheit. Ein
Mährgen hat seine Wahrheit, und muss sie haben, sonst wär es kein
Mährgen. Und wenn man nun das Sujet so chiffonirt sieht, so wird's
einem bang. Da meynen die Herren das fremde Costume sollte was thun!
Wenn's Stück schlecht ist, was sind des Ackteurs schöne Kleider! Wenn
Ossian im Geiste seiner Zeit singt, so brauche ich gerne Commentars,
sein Costume zu erklären, ich kann mir viele Mühe darum geben; nur wenn
neuere Dichter sich den Kopf zerbrechen, ihr Gedicht im alten Gusto zu
machen, dass ich mir den Kopf zerbrechen soll, es in die neue Sprache
zu übersetzen, das will mir meine Laune nicht erlauben. Gerstenbergs
Skalden hätt ich lange gern gelesen, wenn nur das Wörterverzeichniss
nicht wäre. Es ist ein groser Geist, und hat aparte Prinzipia. Von
seinem Ugolino soll mann gar nicht urteilen. Ich sage nur bey der
Gelegenheit: Grazie und das hohe Pathos sind heterogen; und niemand
wird sie vereinigen dass sie ein würdig Süjet einer edlen Kunst
werden, da nicht einmal das hohe Pathos ein Süjet für die Mahlerey dem
Probierstein der Grazie; und die Poesie hat gar nicht eben Ursache
ihre Gränzen so auszudehnen, wie ihr Advocat meynt.[139] Er ist ein
erfahrner Sachwalter; lieber ein wenig zu viel als zu wenig; ist seine
Art zu dencken. Ich kann, ich darf mich nicht weiter erklären, Sie
werden mich schon verstehen; Wenn man anders als grosse Geister denckt,
so ist es gemeiniglich das Zeichen eines kleinen Geists. Ich mag nicht
gerne, eins und das andre seyn. Ein grosser Geist irrt sich so gut wie
ein kleiner, jener weil er keine Schrancken kennt, und dieser weil er
seinen Horizont, für die Welt nimmt. O, meine Freundinn, das Licht ist
die Wahrheit, doch die Sonne ist nicht die Wahrheit, von der doch das
Licht quillt. Die Nacht ist Unwahrheit. Und was ist Schönheit? Sie ist
nicht Licht und nicht Nacht. Dämmerung; eine Gebuhrt von Wahrheit und
Unwahrheit. Ein Mittelding. In ihrem Reiche liegt ein Scheideweg so
zweydeutig, so schielend, ein Herkules unter den Philosophen könnte
sich vergreiffen. Ich will abbrechen; wenn ich in diese Materie komme,
da werd' ich zu ausschweifend, und doch ist sie meine Lieblings
Materie. Wie möchte ich ein Paar hübsche Abende, bei Ihrem lieben Vater
seyn; ich hätte ihm gar so viel zu sagen. Meine Gegenwärtige Lebensart
ist der Philosophie gewiedmet. Eingesperrt, allein, Circkel Papier,
Feder und Dinte, und zwey Bücher, mein ganzes Rüstzeug. Und auf diesem
einfachen Weege, komme ich in Erkenntniss der Wahrheit, offt so weit,
und weiter, als andre mit ihrer Bibliothekarwissenschafft. Ein groser
Gelehrter, ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit Mühe viel
Bücher durchblättert hat, verachtet das leichte einfältige Buch der
Natur; und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist; freylich eine
schlechte Recommendation für die wahre Weisheit. Wer den einfältigen
Weeg geht, der geh ihn, und schweige still, Demuth und Bedächtlichkeit,
sind die nothwendigsten Eigenschafften unsrer Schritte darauf, deren
jeder endlich belohnt wird. Ich dancke es Ihrem lieben Vater; Er hat
meine Seele zuerst zu dieser Form bereitet, die Zeit wird meinen Fleis
seegnen, dass er ausführen kann was angefangen ist.

So ist's mit mir, wenn ich ins schwätzen komme, so verlier ich mich,
wie Sie; nur dass ich mir nicht so bald helfen kann. Wenn ich sagte,
ich habe viel geschwätzt, so passte das eher hierher, als es zu Ihrem
Brief passte. Er war ein wenig kurz.

Lassen Sie sich durch mich zum Schreiben aufmuntern! Sie wissen
nicht, wie viel Sie für mich thun, wenn Sie für mich, sich nur einige
Zeit beschäfftigen. Und nur des seltsamen wegen, sollten Sie den
Briefwechsel ins Reich unterhalten.

Noch einige Kleinigkeiten eh ich schliesse. Meine Lieder, davon
ein Teil das Unglück gehabt hat, Ihnen zu missfallen, werden mit
Melodien auf Ostern gedruckt, ich würde mich vielleicht unterstanden
haben, Ihnen ein unterschriebnes Exemplar zu wiedmen, wenn ich nicht
wüsste, dass man Sie durch einige Kleinigkeiten, leicht zum schimpfen
bewegen könnte, wie Sie selbst zu Anfange Ihres Briefs sagen; den
ich wohl glaube verstanden zu haben. Es ist mein Unglück dass ich so
leichtsinnig binn, und alles von der guten Seite ansehe. Dass Sie meine
Lieder von der bösen angesehen haben; Ist das meine Schuld. Werfen Sie
sie ins Feuer, und sehen Sie die gedruckten gar nicht an; nur bleiben
Sie mir gewogen. Unter uns, ich bin einer von den gedultigen Poeten,
gefällt euch das Gedicht nicht, so machen wir ein anders.

Von Wielanden[140] möchte ich gar zu gerne was noch schreiben, fürchtet
ich nicht die Weitläuffigkeit. Es giebt Materie zu einem andern Brief
genug. Sie haben mir ia auch noch viel zu sagen, sagen Sie in Ihrem
letzten Brief; (der der erste war) ey, nehmen Sie sich nur alle acht
Tage eine Stunde, einen Monat will ich gerne warten, und da hoff'
ich, wird ein freundschafftlich Packetgen mich trösten. Unter andern
würden Sie mir eine sonderbaare Gefälligkeit erweisen, wenn Sie mir
von den neusten, artigen und guten Schriften Nachricht gäben; hier
erfährt mann's immer erst ein Vierteljahr nach der Messe. Ob ich gleich
fast ganz auf die neue Literatur jetzo renuncirt habe, und keine Verse
mehr, ausser wenn mich ein Räuschgen ermuntert, fliessen wollen, so
mag ich doch den Neologismus nicht ganz auf einmal verlassen. Es hängt
einem immer noch an, das Skarteckgenlesen, das in Leipzig offt für
Gelehrsamkeit passirt.

Wie gern käm ich auf Ostern zu Ihnen, wenn ich könnte; wissen Sie was,
kommen Sie zu mir, oder schicken Sie mir den Papa. Wir haben Plaz für
Sie alle wenn Sie kommen wollen. Es ist mein ganzer Ernst. Fragen Sie
nur den Meister Junge,[141] der wird Ihnen sagen dass das wahr ist.
Und unser Tisch lässt sich so gut anstossen, wenn Gäste kommen, wie
der Ihrige. Sie werden freylich diese Invitation nicht annehmen, die
sächsischen Mädgen sind etwas delicat. Gut, zwingen will ich Sie nicht.
Aber wenn Sie mich böse machen, so komm ich selbst, und invitire Sie in
eigner Person. Wollen Sie es hernach auch nicht annehmen?

  Ich binn
     Ihr ergebenster Freund
         und Diener
                     Goethe.

  Franckfurt,
  am 13. Febr.
     1769.

Fußnoten:

[135] Bei Moliere, ~les fourberies de Scapin III~, 2.

[136] K. Fr. _Kretzschmann_ in Zittau hatte herausgegeben: „Der Gesang
Ringulphs des Barden, als Varus geschlagen worden war“ (Zittau 1769);
welcher in der Neuen Bibliothek der schönen Wissensch. 1769 VIII, 1 S.
76 ff. sehr gelobt wurde. Später erschien auch „Die Klage Ringulphs
des Barden“ (Zittau 1771). In den Frankfurter Anzeigen machte sich
Goethe noch über ihn lustig (Werke XXXII. S. 48): „Herr _Kretschmann_
erscheint hier in einem ganz unvermutheten Lichte des Patrons, er
steht nämlich mit der Goldsichel unter dem heiligen Eichenstamm und
initiirt, als ein alter Barde, den Ankömmling _Telynhard_. Wer doch den
Mann kennte, der ihn als _Rhingulph_ eingeweiht hat, damit man's ihm
ein klein wenig von _Klopstock's_ und _Gerstenberg's_ wegen verweisen
könnte.“

[137] Der Kupferstecher, nachmals Oesers Schwiegersohn.

[138] Wegen der S. 17 f. erwähnten Parodie. Man sieht, Clodius
beurtheilte diese Äußerung jugendlichen Übermuthes billig und
verständig. Sein Sohn, der Professor C. A. H. _Clodius_, glaubte nach
dem Erscheinen von Wahrheit und Dichtung die Ehre seines Vaters retten
zu müssen durch einen Aufsatz im Morgenblatt (1812 N. 259 f.): „Über
einige literarische Jugendurtheile des Herrn von Goethe“, in welchem er
über der Pietät gegen seinen Vater die gegen den großen Mann vergessen
zu haben scheint.

[139] _Lessing_ im _Laokoon_.

[140] Vgl. an Reich ~I.~

[141] S. oben S. 118.


III.

                                            Franckfurt am 8. Apr. 1769.

Nun was ist denn das für ein gros Unglück, wenn ich Sie bitte, ein
wenig zu plaudern? Wie kommen Sie drauf, einen ehrlichen Menschen der
an nichts denckt, für einen Bösewicht anzuschreien, weil er einem
Mädgen das Seine Zunge geläuffig und artig zu gebrauchen weiss, zu
erkennen giebt, dass er diese vorzügliche Gabe Ihres Geschlechts zu
schätzen weiss. Mich treffen alle Ihre vehemente Beschuldigungen, gar
nicht; und Sie hätten besser gethan, wenn Sie nicht böse geworden wären.

Ich soll eine üble Idee vom schönen Geschlecht haben. Auf gewisse Art,
ja! Nur müssen Sie mich verstehn, und meine Worte, nicht jedesmal mit
einer schlimmen Glosse erklären.

Was ich erfahren habe, das weiss ich; und halte die Erfahrung für die
einzige ächte Wissenschafft.[142] Ich versichre Sie, die Paar Jahre
als ich lebe, habe ich von unserm Geschlecht eine sehr mittelmässige
Idee gekriegt; und wahrhafftig keine bessre von Ihrem. -- Nehmen Sie
das nicht übel. -- Sie haben mir's darnach gemacht; und selbst Sie,
geben Sie mir nicht Anlass, in meiner Verstockung fortzufahren? Sie
wollen mir Ihr Geschlecht, auf einer andern Seite zeigen! O, hätten
Sie's bey der ersten gelassen, und Ihre Sache würde schlimm geblieben
seyn, ohne schlimmer zu werden. Wie vortheilhafft ist denn diese
neue Seite? Wir wollen sehen! -- Dass jedes iunge, unschuldige Herz,
unbesonnen, leichtgläubig, und desswegen leicht zu verführen ist, das
liegt in der Natur der Unschuld. Läugnen Sie mir das! Und heisst denn
das beschuldigen, wenn man die Sache sagt wie Sie ist. Und ist es denn
Ihrem Geschlecht eine Schande leichtgläubig zu seyn? Es scheint als
ob Sie's glaubten. Sie widersprechen mir, und wollen Ihr Geschlecht
vertheidigen. -- Dass nicht alle Mädgen Leichtsinnig sind das haben
Sie bewiesen; ich muss es gestehen; Aber Sie haben mir zu einer
gefährlichen Meynung geholfen: Der Klügere Theil ist also misstrauisch.
Denn Misstrauen ist die Laune Ihres ganzen Brief's. Wodurch hab ich
das verdient? O der Argwohn liegt in Ihrem Herzen, und da müssen
~nonchalante~, grade, ehrliche Stellen meiner Briefe, boßhaffter
Scherz seyn. Meine Blätter sind in Ihren Händen, und ich trutze drauf;
Sie werden keine Bosheit drinne finden, die Sie nicht drinne suchen.

Das Urteil eines Frauenzimmers, über Wercke des Geschmacks ist bey
mir wichtiger als die Kritick des Kritickers, die Ursache liegt am
Tage, und alle Ihre Beredsamkeit soll mir meine Ehrlichkeit nicht
verdrehen. Was ich sage, wenn Sie bekennen, dass das Versgen von
Rhingulffen,[143] aus List hingesetzt war? Das werden Sie wohl rahten
können. Ich werde sagen, dass Sie Ihre Mausfallen gut zu stellen
wissen, und dass mir's lieb ist, dass ich mich habe fangen lassen. Sie
können sehn, wie ehrlich ich binn; wären Sie grad gewesen, und hätten
mich gefragt, ich würde nicht mehr und nicht weniger gesagt haben.
Wäre Hr. Gervinus[144] nicht bey mir gewesen, so wüste ich gar nicht
wie ich dran wäre. Aus seiner Erzälung habe ich weg; dass der Barde,
in Leipzig wohl aufgenommen worden, dass er durchgehends gefallen hat;
und ich sehe wohl dass er auch Ihnen gefallen hat, und dass ich übels
von Ihrem Freund geschrieben habe. Es sey! Was ich geschrieben habe
das habe ich geschrieben. Schreiben Sie's auf Rechnung des Brodneids,
oder der wenigen Empfindung, dass mir der Barde nicht behagt. Mir ist's
eins. Genug, ich kann nichts empfinden, wo nichts gedacht ist. Und der
Republikanische Geist verläugnet sich nicht; Sachsen hat seine Wildheit
und Kühnheit gemässigt, aber zu dem Concert des Lobs hat es ihn nicht
stimmen können. Ich dancke Ihrem Vater, das Gefühl des Ideals; und
die gedrehten Reitze des Franzosen, werden mich so wenig exstastiren
machen, als die platten Nymphen von Dieterich, so nackend und glatt
sie auch sind. Jede Art hat ihre Verdienste, nach ihrem Maasstab; ich
binn ihr gehorsamer Diener allerseits, aber, wir wollen uns desswegen
nicht entzweyen, Mamsell; seyn Sie immerhin, nicht so streng gegen die
Autoren, nur seyen Sie auch nicht so streng gegen mich. Wie soll ich
mich mit Ihrem Geschlecht aussöhnen, wenn Sie so fortfahren wie Sie
angefangen haben. Und doch, wenn es Ihnen nicht anders möglich ist, so
zancken Sie nur, Sie sind doch immer hübsch, Sie mögen freundlich, oder
böse seyn.

Ihre Bäume in Delis[145] fangen nun bald an auszuschlagen, und so lang
sie grün sind, hoffe ich auf keinen Brief von Ihnen. Unterdessen
will ich Sie schon zwingen, manchmal an mich zu dencken; mein Geist
soll so heftig an Ihre Büsche dencken, dass er Ihnen erscheinen wird
eh Sie Sich's versehn; und meine Briefe, sollen Sie auf die Reitze
des Landlebens, in Prosa und Versen aufmercksamer machen, trutz
Hirschfelden dem Anatomicker der Natur; wenn keine andre Materie
vorkommen sollte. Hr. Regis wird schweerlich mit uns zufrieden seyn
können, es thut mir weh das ein so angenehmer Mann, hier so einen
unangenehmen ~Accessit~ zum erstenmal gefunden hat. Ich binn -- ich
weiss selbst nicht recht, was -- Aber doch so gut als jemals, von
ganzem Herzen

                    Ihr
                          Freund und Bewundrer
                                Goethe.

Mehr Briefe an Friederike Oeser fanden sich in ihrem Nachlaß nicht vor.
Allein Schöll hat (Briefe und Aufsätze von Goethe S. 49) nach Copien,
welche Goethe zurückbehalten hatte, zwei in Straßburg geschriebene
Briefe herausgegeben, welche, wie ich glaube, ebenfalls an sie
gerichtet waren. Der erste ist überschrieben „_an Mamsell F._“; der
Aufenthalt in Sesenheim hatte ihm die Tage zurückgerufen, welche er
in ähnlichem Verkehr in Oesers Landhause in Dölitz zugebracht hatte;
der zweite, ohne Überschrift, folgt unmittelbar darauf auf demselben
Bogen und hier ist die Beziehung auf Leipzig klar. _Käthchen_ wird
darin erwähnt, über welche nun Niemand zweifelhaft sein wird, und
_Fränzchen_, vermuthlich jene Freundin, welche in Minna von Barnhelm
die Franziska spielte, und in einem Briefe an Käthchen (S. 75) genannt
wird. Zwar ist der Ton von den vorhergehenden merklich verschieden;
man spürt, daß Goethe gesund und reifer geworden ist, man fühlt den
Hauch der frisch aufkeimenden, ihn still beseligenden Liebe, übrigens
paßt der Ton ganz zu seinem Verhältniß zu Friederike Oeser und auch
das Element der Reflexion, welches diesem eigen war, tritt stark genug
hervor. Ich lasse dieselben deshalb hier folgen.

Fußnoten:

[142] Vgl. Werke XXI. S. 111 ff.

[143] Vgl. S. 154.

[144] _Friedr. Gervinus_ aus Zweibrücken studirte seit 1768 in Leipzig.

[145] Dölitz.


IV.

An Mamsell F.

                                                    Am 14. Oct. (1770).

Soll ich Ihnen wieder einmal sagen, daß ich noch lebe, und wohl
lebe, und so vergnügt als es ein Mittelzustand erlaubt, oder soll
ich schweigen, und lieber gar nicht, als beschämt an Sie denken? Ich
dächte nein. Vergebung erhalten, ist für mein Herz eben so süß als Dank
verdienen, ja noch süßer denn die Empfindung ist uneigennütziger. Sie
haben mich nicht vergessen, das weiß ich; ich habe Sie nicht vergessen,
das wissen Sie, ohngeachtet eines Stillschweigens, dessen Dauer ich
nicht berechnen mag. Ich habe niemals so lebhaft erfahren, was das
sei, vergnügt ohne daß das Herz einigen Antheil hat, als jetzo, als
hier in Straßburg. Eine ausgebreitete Bekanntschaft unter angenehmen
Leuten, eine aufgeweckte muntre Gesellschaft jagt mir einen Tag nach
dem andern vorüber, läßt mir wenig Zeit zu denken, und gar keine Ruhe
zum Empfinden, und wenn man nichts empfindet, denkt man gewiß nicht
an seine Freunde. Genug mein jetziges Leben ist vollkommen wie eine
Schlittenfahrt, prächtig und klinglend, aber eben so wenig fürs Herz
als es für Augen und Ohren viel ist.

Sie sollten wohl nicht rathen, wie mir jetzo so unverhofft der Einfall
kömmt, Ihnen zu schreiben und weil die Ursache so gar artig ist, muß
ich's Ihnen sagen.

Ich habe einige Tage auf dem Lande bei gar angenehmen Leuten
zugebracht. Die Gesellschaft der liebenswürdigen Töchter vom Hause, die
schöne Gegend und der freundlichste Himmel weckten in meinem Herzen
jede schlafende Empfindung, jede Erinnerung an alles was ich liebe; daß
ich kaum angelangt bin, als ich schon hier sitze und an Sie schreibe.

Und daraus können Sie sehen, in wiefern man seiner Freunde vergessen
kann wenn's einem wohl geht. Es ist nur das schwärmende, zu bedaurende
Glück, das uns unsrer selbst vergessen macht, das auch das Andenken
an Geliebte verdunkelt; aber wenn man sich ganz fühlt, und still
ist und die reinen Freuden der Liebe und Freundschaft genießt, dann
ist durch eine besondere Sympathie jede unterbrochne Freundschaft,
jede halbverschiedene Zärtlichkeit wieder auf einmal lebendig. Und
Sie, meine liebe Freundin, die ich unter vielen vorzüglich so nennen
kann, nehmen Sie diesen Brief als ein neues Zeugniß, daß ich Sie nie
vergessen werde. Leben Sie glücklich u. s. w.


V.

                                           Saarbrück am 27 Juni (1771).

Wenn das alles aufgeschrieben wäre, liebe Freundin, was ich an Sie
gedacht habe, da ich diesen schönen Weg hierher machte und alle
Abwechselungen eines herrlichen Sommertages in der süßesten Ruhe genoß;
Sie würden mancherlei zu lesen haben und manchmal empfinden und oft
lachen. Heute regnet's, und in meiner Einsamkeit finde ich nichts
reizenders als an Sie zu denken; an _Sie_, das heißt zugleich an alle,
die mich lieben und auch sogar an Käthchen, von der ich doch weiß, daß
sie sich nicht verläugnen wird, daß sie gegen meine Briefe sein wird,
was sie gegen mich war, und daß sie -- Genug, wer sie auch nur als
Silhouette gesehn hat, der kennt sie.

Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbei und
wir kamen eben auf's Lothring'sche Gebirg, da die Saar im lieblichen
Thal unten vorbei fließt. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe
hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß und
linker Hand die schwere Finsterniß des Buchenwaldes vom Berg über mich
herabhing, wie um die dunklen Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden
Vögelchen still und geheimnißvoll zogen; da wurd's in meinem Herzen so
still wie in der Gegend und die ganze Beschwerlichkeit des Tags war
vergessen wie ein Traum, man braucht Anstrengung, um ihn im Gedächtniß
aufzusuchen.

Welch Glück ist's, ein leichtes, ein freies Herz zu haben! Muth treibt
uns an Beschwerlichkeit, an Gefahren; aber große Freuden werden nur mit
großer Mühe erworben. Und das ist vielleicht das meiste was ich gegen
die Liebe habe; man sagt, sie mache muthig; nimmermehr! Sobald unser
Herz weich ist, ist es schwach. Wenn es so ganz warm an seine Brust
schlägt und die Kehle wie zugeschnürt ist, und man Thränen aus den
Augen zu drücken sucht und in einer unbegreiflichen Wonne dasitzt, wenn
sie fließen, o da sind wir so schwach, daß uns Blumenketten fesseln,
nicht weil sie durch irgend eine Zauberkraft stark sind, sondern weil
wir zittern sie zu zerreissen.

Muthig wird wohl der Liebhaber, der in Gefahr kommt, sein Mädchen
zu verlieren, aber das ist nicht mehr Liebe, das ist Neid. Wenn ich
Liebe sage, so verstehe ich die wiegende Empfindung, in der unser Herz
schwimmt, immer auf einem Fleck sich hin und her bewegt, wenn irgend
ein Reiz es aus der gewöhnlichen Bahn der Gleichgültigkeit gerückt hat.
Wir sind wie Kinder auf dem Schaukelpferde immer in Bewegung, immer in
Arbeit und nimmer vom Fleck. Das ist das wahrste Bild eines Liebhabers.
Wie traurig wird die Liebe, wenn man so schenirt ist, und doch können
Verliebte nicht leben, ohne sich zu scheniren.

Sagen Sie meinem Fränzchen, daß ich noch immer ihr bin. Ich habe sie
viel lieb, und ich ärgerte mich oft, daß sie mich so wenig schenirte;
man will gebunden sein wenn man liebt.

Ich kenne einen guten Freund, dessen Mädchen oft die Gefälligkeit
hatte, bei Tisch des Liebsten Füße zum Schemel der ihrigen zu
machen.[146] Es geschah einen Abend, daß er aufstehen wollte, eh es
ihr gelegen war; sie drückte ihren Fuß auf den seinigen, um ihn durch
diese Schmeichelei festzuhalten; unglücklicher Weise kam sie mit dem
Absatz auf seine Zehen, er stand viel Schmerzen aus, und doch kannte er
den Werth einer Gunstbezeugung zu sehr, um seinen Fuß zurückzuziehen.

       *       *       *       *       *

Unter einer nicht unbedeutenden Anzahl von Briefen und Concepten von
_Friederike Oeser_, welche ich durchgesehen habe, fand sich leider
keiner der an Goethe geschriebenen. Um ein lebendigeres Bild von seiner
Correspondentin zu erhalten, wird es nicht ohne Interesse sein ein
Bruchstück aus einem Briefe an einen Freund in Dresden vom 21. Jan.
1770 hier zu lesen.

„Ich war, wie Sie wissen, der Liebling meines Vaters und seine stete
Gesellschaft, auch selbst bey seinen Geschäften. Tausend kleine
Streiche, die ich meinem phlegmatischen Bruder Hanß spielte, verriethen
ein anschlägisches Köpfchen und oft eine kleine ‘fühlbare’ Thräne,
bei dem Unglück einer Yariko, und eine Erbitterung über Beatens harte
Gabe, ein gutes Herz, bey alle dem wurde oft auch ein _gut Theilgen
Ehrgeiz_ wahrgenommen. Doch plötzlich kam der grausame Krieg, der
mir, vielleicht auf ewig, meine geliebte Vaterstadt entrissen! wir
flüchteten vor seiner Wuth auf ein gräfliches Schloß,[147] wo wir
uns 3 glückliche Jahre, von allen Unruhen entfernt, aufhielten. Hier
l. N. wurde Ihre Freundin ein kleines Bauermädchen, die am liebsten
Erdäpfel raufte oder zur Kirmes gieng! mein Vater war die meiste Zeit
von uns entfernt, jeden Monat glaubten wir aufzubrechen, es wurde also
kein Lehrer angenommen außer einem Schreibemeister, den seine gros
gewachsene Schülerin noch täglich durch eine _erstaunenswürdige_ Hand
verewigt![148] meines Vaters kleine Reisebibliothek war alles womit
ich mir bei grosen Regen die Zeit verkürzen konnte, ich las auch sehr
fleißig, bey so traurigen Umständen und in diesen Zeiten erwarb ich
mir meine _Begriffe von der grosen Welt_. Ich hatte von Jugend auf
über mein verstümmeltes Gesichte klagen gehört, ich wußte also, schon
in meinem 9. Jahre, daß ich nicht hübsch war (große Wissenschaft für
junge Mädchen!) ich kannte das Unglück nur halb und wußte mich darüber
zu trösten. „Hast du keinen schönen Körper, so sorge doch für andere
schöne Tugenden (sagte ich zu mir selbst), du mußt geschickter werden
als die ganze Welt, alles besser lernen als Mädchen die schön sind es
zu lernen brauchen, denn dieses muß nothwendig der zweite Weg seyn,
auf welchem man _glücklich_ zu gefallen weiß. Es giebt lauter gute
vernünftige Leuthe in der Welt. Und wenn du nur einmal gros bist, so
mußt du dich in ihrer Gesellschaft ohne Nachteil zeigen können; wenn
man diese oder jene wichtige Frage an dich thut, so mußt du dich in
keiner Verlegenheit finden, darauf richtig zu antworten.“ Kurz l. N.
meine Welt war ein gröserer Sammelplatz von Seltenheiten als Rolands
Entdeckungen in dem Mond! und nie kann mehr Ehrgeiz in einem jungen
Busen gelodert haben, doch Ehrgeiz ohne Stolz; ich war fast ganz
unempfindlich wenn man mich über etwas lobte, besonders wie ich mich
in meine Vorstellungen betrogen fand, und nach und nach die Leipziger
Welt, als meine Welt, kennen lernte. Ich lernte sie und mich besser
einsehen und da ich erst aus Ehrgeiz Beyspiele vor Augen genommen
hatte (doch ist hier bloß von _Geschicklichkeiten_ die Rede, denn mein
Herz hatte seine besondere Ökonomie) die ich nie erreichen konnte, und
ich endlich diese Kenntniß, als das sicherste Mittel, mich für mehr
als _gewöhnlicher_ Eitelkeit zu bewahren, zu nuzen suchte, so war es
mir leicht, mich von dieser unglücklichen Sucht _ziemlich_ zu heilen.
Ich folgte nun ganz den Eingebungen meines ehrlichen guten Herzens,
ich ward gegen eine Welt fast gleichgültig, in der ich böses hörte
und viel unnüzes sah. Ich lernte meine Fehler nach und nach einsehen,
und desto mehr Nachsicht gegen die Schwachheiten meiner Freunde (die
ich nur zu gut entdeckte!) haben. Ich überließ mich gänzlich meinen
Lieblingsneigungen, besonders dem Hange zum Lesen, wo ich dabey dem
Rath vernünftiger Personen folgte, doch las ich nur _solche Bücher_,
die mich _reformireten_ und _vergnügten_, in dem grosen weitläuftigen
doch _unentbehrlichen_ Buch der _menschlichen Erfahrungen_ lernte ich
endlich auch ein paar Blätter umwenden. Und so bin ich das Mädchen
geworden daß ich bin! daß Sie _sehr gut_ kennen, l. N., und daß
sich wohl schwerlich jemals von seinen Mängeln und grosen Fehlern
ganz heilen wird. Wie ist nun dieses Mädchen geschickt, gründliche
Urtheile über diese oder jene Abhandlungen zu sagen, da es _nur_ die
Schönheiten, die es fühlt, seinem Herzen und nicht seiner Kenntniß
zu verdanken hat? und auch nicht eine _Regel_ weiß, wodurch man das
Gegentheil bei dieser oder jener Stelle beweisen könnte! Wollen Sie
diese Urtheile meiner Empfindung anhören? so bin ich bereit Sie Ihnen
bei jeder vorfallenden Gelegenheit mitzutheilen, aber um die Ursache,
warum ich so empfinde, dürfen Sie mich nicht fragen! ich würde Ihnen
höchstens: daß weiß ich selbsten nicht! antworten.“

Fußnoten:

[146] Vgl. das in Leipz. gedichtete Lied „Der wahre Genuß“ (S. 182):

  Ich bin genügsam, und genieße,
  Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
  Wenn sie beym Tisch des Liebsten Füße
  Zum Schemmel ihrer Füße macht.

[147] _Dahlen_, ein Gut des Grafen _Bünau_.

[148] Ihre Hand ist sehr deutlich, fest und bestimmt.



Goethes Leipziger Lieder.


Die Lieder, von welchen in diesen Briefen öfter die Rede ist, und von
denen Goethe auch in Wahrheit und Dichtung erzählt, daß sie ohne seinen
Namen gedruckt aber wenig bekannt worden seien, daß er später die
besseren seinen übrigen kleinen Poesien eingeschaltet habe,[149] diese
„Knospen und Blüthen, die der Frühling 1769 trieb“[150], erschienen
unter folgendem Titel

               _Neue Lieder_
              in Melodieen gesetzt
                      _von
          Bernhard Theodor Breitkopf.

                    Leipzig
    bey Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn._
                     1770.

Es geht indeß aus unseren Briefen (S. 96) hervor, daß die Sammlung
bereits im Jahr 1769 gedruckt ist. Auf dieses „älteste Liederbuch“ hat
zuerst _Tieck_ wieder aufmerksam gemacht, welcher im sechsten Band der
neuen Jahrbücher der Berlinischen Gesellschaft für Deutsche Sprache
und Alterthumskunde die Lieder wieder abdrucken ließ, worauf sie auch
_Viehoff_ in seiner Erläuterung der Goetheschen Gedichte (~I.~ S. 45
ff.) mitgetheilt hat.

Ein Theil dieser Gedichte ist auch im „Almanach der Deutschen Musen“
aufs Jahr 1773 (2. 3. 7. 16.) und 1776 (4. 6. 10. 13.), so wie in der
Leipz. Zeitschrift „die Muse“ vom J. 1776 (3. 7. 11.) mitgetheilt
worden und zwar mit einigen im Ganzen nicht wesentlichen Abweichungen,
die einer früheren Bearbeitung angehören. Was sich vermuthen ließ, daß
sie aus Abschriften entnommen seien, die aus Goethes Aufenthalt in
Leipzig herrührten, ist jetzt zur Gewißheit geworden.

Es war nämlich im Nachlaß von _Friederike Oeser_ das allerälteste
Liederbuch Goethes aufbewahrt, ein geschriebenes Heft mit dem Titel

                                _Lieder
                             mit Melodien
                             Mademoiselle
                           Friederiken Oeser
                               gewiedmet
                                  von
                               Goethen_

dieselbe Sammlung, von welcher in dem poetischen Briefe an sie (S. 142
ff.) die Rede ist. Es enthält nur zehn Lieder, von welchen neun in der
gedruckten Sammlung sich finden;[151] das zehnte ist nicht in dieselbe
aufgenommen, aber auch dieses ist in der „Muse“ (S. 126 f.) abgedruckt,
und im Inhaltsverzeichniß _Goethe_ als Verfasser angegeben. Wie die
Lieder so zeigen auch die Melodieen in dem handschriftlichen Heft hie
und da Abweichungen, aber nur geringfügige, von den gedruckten. In
demselben Nachlaß fand sich auch eine, aber nicht von Goethes Hand
herrührende Abschrift des Hochzeitliedes vor, in welcher offenbar die
erste Gestalt desselben aufbewahrt ist.

Da man die Leipziger Lieder an dieser Stelle ungern vermissen würde,
lasse ich sie hier folgen und theile die Abweichungen jener älteren
Bearbeitungen sowie am Schlusse das noch unbekannte Gedicht mit.

Fußnoten:

[149] Werke ~XXI.~ S. 135.

[150] Briefe an Frau v. Stein ~I.~ S. 28.

[151] Es sind -- in dieser Ordnung -- 11. 7. 13. 3. 5. 4. 12. 6. 10.


1. Neujahrslied.

    Wer kömmt! Wer kauft von meiner Waar!
  Devisen auf das neue Jahr,
  Für alle Stände.
  Und fehlt auch einer hie und da;
  Ein einz'ger Handschuh paßt sich ja
  An zwanzig Hände.

    Du Jugend, die du tändelnd liebst,
  Ein Küßgen um ein Küßgen giebst,
  Unschuldig heiter.
  Jetzt lebst du noch ein wenig dumm,
  Geh nur erst dieses Jahr herum,
  So bist du weiter.

    Die ihr schon Amors Wege kennt,
  Und schon ein bißgen lichter brennt,
  Ihr macht mir bange.
  Zum Ernst, ihr Kinder, von dem Spaas!
  Das Jahr! zur höchsten Noth noch das,
  Sonst währt's zu lange.

    Du junger Mann, du junge Frau,
  Lebt nicht zu treu, nicht zu genau
  In enger Ehe.
  Die Eifersucht quält manches Haus,
  Und trägt am Ende doch nichts aus
  Als doppelt Wehe.

    Der Wittwer wünscht in seiner Noth
  Zur seelgen Frau, durch schnellen Tod
  Geführt zu werden.
  Du guter Mann, nicht so verzagt!
  Das, was dir fehlt, das, was dich plagt,
  Find'st du auf Erden.

    Ihr, die ihr Misogyne heißt,
  Der Wein heb' euern großen Geist
  Beständig höher.
  Zwar Wein beschweret oft den Kopf,
  Doch der thut manchem Ehetropf,
  Wohl zehnmal weher.

    Der Himmel geb zur Frühlingszeit,
  Mir manches Lied voll Munterkeit,
  Und Euch gefall' es.
  Ihr lieben Mädgen singt sie mit,
  Dann ist mein Wunsch am letzten Schritt
  Dann hab' ich alles.


2. Der wahre Genuß.

    Umsonst, daß du ein Herz zu lenken
  Des Mädgens Schoos mit Golde füllst.
  O Fürst, laß dir die Wollust schenken,
  Wenn du sie wahr empfinden willst.
  Gold kauft die Zunge ganzer Haufen,
  Kein einzig Herz erwirbt es dir;
  Doch willst du eine Tugend kaufen,
  So geh und gieb dein Herz dafür.

    Was ist die Lust die in den Armen
  Der Buhlerinn die Wollust schafft?
  Du wärst ein Vorwurf zum Erbarmen,
  Ein Thor, wirst du nicht lasterhaft.
  Sie küsset dich aus feilem Triebe,
  Und Glut nach Gold füllt ihr Gesicht.
  Unglücklicher! Du fühlst nicht Liebe,
  So gar die Wollust fühlst du nicht.

    Sey ohne Tugend, doch verliere
  Den Vorzug eines Menschen nie!
  Denn Wollust fühlen alle Thiere,
  Der Mensch allein verfeinert sie.
  Laß dich die Lehren nicht verdrießen,
  Sie hindern dich nicht am Genuß,
  Sie lehren dich, wie man genießen,
  Und Wollust würdig fühlen muß.

    Soll dich kein heilig Band umgeben
  O Jüngling; schränke selbst dich ein.
  Man kann in wahrer Freyheit leben,
  Und doch nicht ungebunden seyn.
  Laß nur für Eine dich entzünden,
  Und ist ihr Herz von Liebe voll;
  So laß die Zärtlichkeit dich binden,
  Wenn dich die Pflicht nicht binden soll.

    Empfinde Jüngling, und dann wähle
  Ein Mägdgen dir, sie wähle dich,
  Von Körper schön, und schön von Seele,
  Und dann bist du beglückt, wie ich!
  Ich, der ich diese Kunst verstehe,
  Ich habe mir ein Kind gewählt,
  Daß uns zum Glück der schönsten Ehe
  Allein des Priesters Seegen fehlt.

    Für nichts besorgt als meine Freude,
  Für mich nur schön zu seyn bemüht.
  Wollüstig nur an meiner Seite,
  Und sittsam wenn die Welt sie sieht.
  Daß unsrer Gluth die Zeit nicht schade,
  Räumt sie kein Recht aus Schwachheit ein,
  Und ihre Gunst bleibt immer Gnade,
  Und ich muß immer dankbar seyn.

    Ich bin genügsam, und genieße,
  Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
  Wenn sie beym Tisch des Liebsten Füße
  Zum Schemmel ihrer Füße macht.
  Den Apfel, den sie angebissen,
  Das Glas, woraus sie trank, mir reicht,
  Und mir, bey halbgeraubten Küssen,
  Den sonst verdeckten Busen zeigt.

    Wenn in gesellschaftlicher Stunde,
  Sie einst mit mir von Liebe spricht,
  Wünsch ich nur Worte von dem Munde,
  Nur Worte, Küsse wünsch ich nicht.
  Welch ein Verstand der sie beseelet,
  Mit immer neuem Reiz umgiebt!
  Sie ist vollkommen, und sie fehlet
  Darinn allein, daß sie mich liebt.

    Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
  Die Wollust mich an ihre Brust.
  Sieh Jüngling, dieses heißt genießen!
  Sey klug und suche diese Lust.
  Der Todt führt einst von ihrer Seite
  Dich auf zum englischen Gesang,
  Dich zu des Paradieses Freude,
  Und du fühlst keinen Übergang.


3. Die Nacht.

    Gern verlaß ich diese Hütte,
  Meiner Liebsten Aufenthalt,
  Wandle mit verhülltem Tritte
  Durch den ausgestorbnen Wald.
  Luna bricht die Nacht der Eichen
  Zephirs melden ihren Lauf,
  Und die Birken streun mit Reigen
  Ihr den süßten Weihrauch auf.

    Schauer, der das Herze fühlen,
  Der die Seele schmelzen macht,
  Flüstert durchs Gebüsch im Kühlen.
  Welche schöne, süße Nacht!
  Freude! Wollust! Kaum zu fassen!
  Und doch wollt' ich, Himmel, dir
  Tausend solcher Nächte lassen,
  Gäb' mein Mädgen Eine mir.

  =3,= 2 ff.  Meiner Schönen Aufenthalt,
            Und durchstreich mit leisem Tritte
            Diesen ausgestorbnen Wald.

        5.  Wandle mit vergnügtem Schritte. _Alm._

      7 f.  Und die Birken, die sich neigen,
            Senden ihr den Duft hinauf. _Alm._

       11.  Wandelt im Gebüsch im Kühlen.

       15.  Tausend deiner Nächte lassen,


4. Das Schreyen.

Nach dem Italienischen.

    Einst gieng ich meinem Mädchen nach
  Tief in den Wald hinein,
  Und fiel ihr um den Hals, und ach!
  Droht sie, ich werde schreyn.

    Da rief ich trotzig, ha! ich will
  Den tödten der uns stört!
  Still, lispelt sie, Geliebter, still!
  Daß ja dich niemand hört.

  =4,= 1. Jüngst ging ich meinem Mädchen nach

     8. Damit dich niemand hört.


5. Der Schmetterling.

    In des Pappillons Gestalt
  Flattr' ich nach den letzten Zügen
  Zu den vielgeliebten Stellen,
  Zeugen himmlischer Vergnügen,
  Über Wiesen, an die Quellen,
  Um den Hügel, durch den Wald.

    Ich belausch ein zärtlich Paar,
  Von des schönen Mädgens Haupte
  Aus den Kränzen schau ich nieder,
  Alles was der Tod mir raubte,
  Seh ich hier im Bilde wieder,
  Bin so glücklich wie ich war.

    Sie umarmt ihn lächelnd stumm,
  Und sein Mund genießt der Stunde
  Die ihm güt'ge Götter senden,
  Hüpft vom Busen zu dem Munde,
  Von dem Munde zu den Händen,
  Und ich hüpf um ihn herum,

    Und sie sieht mich Schmetterling.
  Zitternd vor des Freunds Verlangen
  Springt sie auf, da flieg ich ferne.
  „Liebster komm ihn einzufangen!
  „Komm! ich hätt' es gar zu gerne,
  „Gern das kleine bunte Ding.“

  =5=, 1. Und („so“ _Muse_) in Pappillons Gestalt


6. Das Glück.

An mein Mädgen.

    Du hast uns oft im Traum gesehen
  Zusammen zum Altare gehen,
  Und dich als Frau, und mich als Mann;
  Oft nahm ich wachend deinem Munde
  In einer unbewachten Stunde,
  So viel man Küsse nehmen kann.

    Das reinste Glück, das wir empfunden
  Die Wollust mancher reichen Stunden
  Floh, wie die Zeit, mit dem Genuß.
  Was hilft es mir, daß ich genieße?
  Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,
  Und alle Freude wie ein Kuß.

  =6.=      Mit der Überschrift: _An Annetten_.

    7 ff. Sie sind die süß verträumten Stunden,
          Die durchgeküßten sind verschwunden,
          Wir wünschen traurig sie zurück.
          O wünsche dir kein größeres Glücke;
          Es flieht der Erden größtes Glücke,
          Wie des geringsten Traumes Glück.


7. Wunsch eines jungen Mädgens.

    O fände für mich
  Ein Bräutigam sich!
  Wie schön ists nicht da,
  Man nennt uns Mama.
  Da braucht man zum Nehen,
  Zur Schul nicht zu gehen.
  Da kann man befehlen,
  Hat Mägde, darf schmählen,
  Man wählt sich die Kleider,
  Nach Gusto den Schneider.
  Da läßt man spazieren
  Auf Bälle sich führen,
  Und fragt nicht erst lange
  Papa und Mama.

  =7,= 1.   Ach fände für mich

     9 f. Da schickt man zum Schneider
          Gleich bringt der die Kleider.


8. Hochzeitlied.

An meinen Freund.

    Im Schlafgemach, entfernt vom Feste,
  Sitzt Amor dir getreu und bebt,
  Daß nicht die List muthwillger Gäste
  Des Brautbetts Frieden untergräbt.
  Es blinkt mit mystisch heil'gem Schimmer
  Vor ihm der Flammen blaßes Gold,
  Ein Weihrauchwirbel füllt das Zimmer,
  Damit ihr recht genießen sollt.

    Wie schlägt dein Herz beym Schlag der Stunde,
  Der deiner Gäste Lärm verjagt!
  Wie glühst du nach dem schönen Munde,
  Der bald verstummt und nichts versagt.
  Du eilst, um alles zu vollenden,
  Mit ihr ins Heiligthum hinein,
  Das Feuer in des Wächters Händen
  Wird wie ein Nachtlicht still und klein.

    Wie bebt von deiner Küsse Menge
  Ihr Busen, und ihr voll Gesicht,
  Zum Zittern wird nun ihre Strenge,
  Denn deine Kühnheit wird zur Pflicht.
  Schnell hilft dir Amor sie entkleiden,
  Und ist nicht halb so schnell als du;
  Dann hält er schalkhaft und bescheiden,
  Sich fest die beyden Augen zu.

  =8.=    Im Schlafgemach, fern von dem Feste
        Sitzt Amor dir getreu und wacht
        Daß nicht die List muthwill'ger Gäste
        Das Brautbett dir unsicher macht.
        Er harrt auf dich. Der Fackel Schimmer
        Umgläntzt ihn, und ihr flammend Gold
        Treibt Weihrauchdampf, der durch das Zimmer
        In wollustvollen Wirbeln rollt.

        Wie schlägt dein Herz, beym Schlag der Stunde,
        Der deiner Freunde Lärm verjagt!
        Wie blickst du nach dem schönen Munde,
        Der dir nun bald nichts mehr versagt.
        Du eilst dein Glücke zu vollenden
        Mit Ihr ins Heiligthum herein,
        Die Fackel in des Amors Händen
        Wird wie ein Nachtlicht still und klein.

        Wie glüht vor deiner Küsse Menge
        Der Schönen reitzendes Gedicht,
        Zum stillen Schertz wird Ihre Strenge,
        Denn deine Kühnheit wird zur Pflicht.
        Schnell hilft Ihr Amor sich entkleiden,
        Und ist doch nicht so schnell als du,
        Dann hält der kleine Schalck bescheiden
        Sich fest die beiden Augen zu.


9. Kinderverstand.

    In großen Städten lernen früh
  Die jüngsten Knaben was;
  Denn manche Bücher lesen sie,
  Und hören dieß und das
  Vom Lieben und vom Küssen,
  Sie brauchtens nicht zu wissen.
  Und mancher ist im zwölften Jahr,
  Fast klüger als sein Vater war
  Da er die Mutter nahm.

    Das Mädgen wünscht von Jugend auf,
  Sich hochgeehrt zu sehn,
  Sie ziert sich klein und wächst herauf
  In Pracht und Assembleen.
  Der Stolz verjagt die Triebe
  Der Wollust und der Liebe,
  Sie sinnt nur drauf wie sie sich ziert,
  Ein Aug entzückt, ein Herze rührt,
  Und denkt ans andre nicht.

    Auf Dörfern sieht's ganz anders aus
  Da treibt die liebe Noth,
  Die Jungen auf das Feld hinaus
  Nach Arbeit und nach Brod.
  Wer von der Arbeit müde,
  Läßt gern den Mädgen Friede.
  Und wer noch obendrein nichts weiß,
  Der denkt an nichts, den macht nichts heiß;
  So geht's den Bauern meist.

    Die Bauermädgen aber sind
  In Ruhe mehr genährt,
  Und darum wünschen sie geschwind
  Was jede Mutter wehrt.
  Oft stoßen schöckernd Bräute
  Den Bräutgam in die Seite,
  Denn von der Arbeit, die sie thun,
  Sich zu erhohlen, auszuruhn,
  Das können sie dabey.


10. Die Freuden.

    Da flattert um die Quelle
  Die wechselnde Libelle,
  Der Wasserpapillon,
  Bald dunkel und bald helle,
  Wie ein Cameleon;
  Bald roth und blau, bald blau und grün.
  O daß ich in der Nähe
  Doch seine Farben sähe!

    Da fliegt der Kleine vor mir hin
  Und setzt sich auf die stillen Weiden.
  Da hab ich ihn!
  Und nun betracht ich ihn genau,
  Und seh ein traurig dunkles blau.
  So geht es dir Zergliedrer deiner Freuden!

  =10,= 11. Da hab ich ihn! Da hab ich ihn!


11. Amors Grab.

Nach dem Französischen.

    Weint, Mädgen! hier bey Amors Grabe, hier
  Sank er von nichts, von ohngefähr darnieder.
  Doch ist er wirklich todt? Ich schwöre nicht dafür.
  Ein Nichts, ein Ohngefähr erweckt ihn öfters wieder.

  =11,=  4. Von nichts, von ohngefähr erwacht er öfters wieder.


12. Liebe und Tugend.

    Wenn einem Mädgen das uns liebt,
  Die Mutter strenge Lehren giebt,
  Von Tugend, Keuschheit und von Pflicht,
  Und unser Mädgen folgt ihr nicht,
  Und fliegt mit neuverstärktem Triebe
  Zu unsern heißen Küssen hin;
  Da hat daran der Eigensinn,
  So vielen Antheil als die Liebe.

    Doch wenn die Mutter es erreicht,
  Daß sie das gute Herz erweicht,
  Voll Stolz auf ihre Lehren sieht,
  Daß uns das Mädgen spröde flieht;
  So kennt sie nicht das Herz der Jugend,
  Denn wenn das je ein Mädgen thut
  So hat daran der Wankelmuth
  Gewiß mehr Antheil als die Tugend.

  =12,=  7. So hat daran der Eigensinn

        10. Daß sie das kleine Herz erweicht.


13. Unbeständigkeit.

    Im spielenden Bache da lieg ich wie helle!
  Verbreite die Arme der kommenden Welle,
  Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust.
  Dann trägt sie ihr Leichtsinn im Strome darnieder,
  Schon naht sich die zweyte und streichelt mich wieder,
  Da fühl ich die Freuden der wechselnden Lust.

    O Jüngling sey weise, verwein' nicht vergebens
  Die fröhlichsten Stunden des traurigen Lebens
  Wenn flatterhaft je dich ein Mädgen vergißt.
  Geh, ruf sie zurücke die vorigen Zeiten,
  Es küßt sich so süße der Busen der Zweyten,
  Als kaum sich der Busen der Ersten geküßt.

  =13,= 1. Auf Kieseln im Bache, da lieg ich wie helle!

        9. Wenn flatterhaft dich ja ein Mädgen vergißt.


14. An die Unschuld.

    Schönste Tugend einer Seele,
  Reinster Quell der Zärtlichkeit!
  Mehr als Byron, als Pamele
  Ideal und Seltenheit.
  Wenn ein andres Feuer brennet,
  Flieht dein zärtlich schwaches Licht;
  Dich fühlt nur wer dich nicht kennet,
  Wer dich kennt der fühlt dich nicht.

    Göttin! In dem Paradiese
  Lebtest du mit uns vereint;
  Noch erscheinst du mancher Wiese,
  Morgens eh die Sonne scheint.
  Nur der sanfte Dichter siehet
  Dich im Nebelkleide zieh'n;
  Phöbus kömmt, der Nebel fliehet,
  Und im Nebel bist du hin.


15. Der Misanthrop.

  A.  Erst sitzt er eine Weile
      Die Stirn von Wolken frey;
      Auf einmal kömmt in Eile
      Sein ganz Gesicht der Eule
      Verzerrtem Ernste bey.
  B.  Sie fragen, was das sey?
      Lieb oder lange Weile.
  C.  Ach sie sinds alle zwey.


16. Die Reliquie.

    Ich kenn', o Jüngling, deine Freude,
  Erwischest du einmal zur Beute
  Ein Band, ein Stückgen von dem Kleide,
  Das dein geliebtes Mädgen trug.
  Ein Schleyer, Halstuch, Strumpfband, Ringe,
  Sind wirklich keine kleinen Dinge,
  Allein mir sind sie nicht genug.

    Mein zweytes Glücke nach dem Leben,
  Mein Mädgen hat mir was gegeben,
  Setzt eure Schätze mir daneben,
  Und ihre Herrlichkeit wird nichts.
  Wie lach ich all der Trödelwaare!
  Sie schenkte mir die schönsten Haare,
  Den Schmuck des schönen Angesichts.

    Soll ich dich gleich, Geliebte, missen,
  Wirst du mir doch nicht ganz entrissen,
  Zu sehn, zu tändeln und zu küssen,
  Bleibt mir der schönste Theil von dir.
  Gleich ist des Haars und mein Geschicke,
  Sonst buhlten wir mit einem Glücke
  Um sie, jetzt sind wir fern von ihr.

    Fest waren wir an sie gehangen,
  Wir streichelten die runden Wangen,
  Und gleiteten oft mit Verlangen
  Von da herab zur rundern Brust.
  O Nebenbuhler, frey vom Neide,
  Reliquie, du schöne Beute,
  Erinnre mich der alten Lust.

  =16,=  4.  Ein Strumpfband, einen Ring -- ein Nichts

      5-11 fehlen.


17. Die Liebe wider Willen.

    Ich weiß es wohl, und spotte viel:
  Ihr Mädgen seyd voll Wankelmuth!
  Ihr liebet, wie im Kartenspiel,
  Den David und den Alexander;
  Sie sind ja Forçen mit einander,
  Und die sind mit einander gut.

    Doch bin ich elend wie zuvor,
  Mit misanthropischem Gesicht,
  Der Liebe Sklav, ein armer Thor!
  Wie gern wär ich sie los die Schmerzen!
  Allein es sitzt zu tief im Herzen,
  Und Spott vertreibt die Liebe nicht.


18. Das Glück der Liebe.

    Trink, o Jüngling, heilges Glücke
  Taglang aus der Liebsten Blicke,
  Abends gauckl' ihr Bild dich ein;
  Kein Verliebter hab es besser,
  Doch das Glück bleibt immer größer
  Fern von der Geliebten seyn.

    Ew'ge Kräffte, Zeit und Ferne,
  Heimlich wie die Krafft der Sterne,
  Wiegen dieses Blut zur Ruh.
  Mein Gefühl wird stets erweichter,
  Doch mein Herz wird täglich leichter,
  Und mein Glück nimmt immer zu.

    Nirgends kann ich sie vergessen,
  Und doch kann ich ruhig essen,
  Heiter ist mein Geist und frey;
  Und unmerkliche Bethörung
  Macht die Liebe zur Verehrung,
  Die Begier zur Schwärmerey.

    Aufgezogen durch die Sonne,
  Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne
  So das leichtste Wölckgen nie,
  Wie mein Herz in Ruh und Freude.
  Frey von Furcht, zu groß zum Neide
  Lieb ich, ewig lieb ich sie.


19. An den Mond.

    Schwester von dem ersten Licht,
  Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
  Nebel schwimmt mit Silberschauer
  Um dein reizendes Gesicht.
  Deines leisen Fußes Lauf
  Weckt aus Tagverschloßnen Hölen
  Traurig abgeschiedne Seelen,
  Mich, und nächt'ge Vögel auf.

    Forschend übersieht dein Blick
  Eine großgemeßne Weite!
  Hebe mich an deine Seite,
  Gieb der Schwärmerey dieß Glück!
  Und in wollustvoller Ruh,
  Säh der weitverschlagne Ritter
  Durch das gläserne Gegitter,
  Seines Mädgens Nächten zu.

    Dämmrung wo die Wollust thront,
  Schwimmt um ihre runden Glieder.
  Trunken sinkt mein Blick hernieder.
  Was verhüllt man wohl dem Mond.
  Doch, was das für Wünsche sind!
  Voll Begierde zu genießen,
  So da droben hängen müßen;
  Ey, da schieltest du dich blind.


20. Zueignung.

    Da sind sie nun! Da habt ihr sie!
  Die Lieder, ohne Kunst und Müh
  Am Rand des Bachs entsprungen.
  Verliebt, und jung, und voll Gefühl
  Trieb ich der Jugend altes Spiel,
  Und hab sie so gesungen.

    Sie singe, wer sie singen mag!
  An einem hübschen Frühlingstag
  Kann sie der Jüngling brauchen.
  Der Dichter blinzt von ferne zu,
  Jetzt drückt ihm diätätsche Ruh
  Den Daumen auf die Augen.

    Halb scheel, halb weise sieht sein Blick,
  Ein bißgen naß auf euer Glück,
  Und jammert in Sentenzen.
  Hört seine letzten Lehren an,
  Er hat's so gut wie ihr gethan
  Und kennt des Glückes Gränzen.

    Ihr seufzt, und singt, und schmelzt und küßt,
  Und jauchzet ohne daß ihr's wißt,
  Dem Abgrund in der Nähe.
  Flieht Wiese, Bach und Sonnenschein,
  Schleicht, sollt's auch wohl im Winter seyn,
  Bald zu dem Heerd der Ehe.

    Ihr lacht mich aus und rufft: der Thor!
  Der Fuchs, der seinen Schwanz verlohr,
  Verschnitt jetzt gern uns alle.
  Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,
  Das treue Füchslein ohne Schwanz
  Das warnt auch für der Falle.

    „Vielleicht ist in der letzten Zeile _euch_ für _auch_ zu lesen.“
                                                            Tieck.


An Venus.

  Große Venus, mächtge Göttin!
  Schöne Venus, hör mein Flehn.
  Nie hast du mich
  Über Krügen vor dem Bachus
  Auf der Erden liegen sehn.

  Keinen Wein hab ich getrunken
  Den mein Mädchen nicht gereicht.
  Nie getrunken,
  Daß ich nicht voll güt'ger Sorge
  Deine Rosen erst gesäugt.

  Und dann goß ich auf dies Hertze,
  Das schon längst dein Altar ist,
  Von dem Becher
  Güldne Flammen, und ich glühte,
  Und mein Mädchen ward geküßt.

  Dir allein empfand dies Hertze
  Göttin gieb mir einen Lohn.
  Aus dem Lethe
  Soll ich trinken wenn ich sterbe,
  Ach befreye mich davon.

  Laß mir Gütige -- dem Minos
  Sey's an meinem Todt genug --
  Mein Gedächtniß!
  Denn es ist ein zweytes Glücke
  Eines Glücks Erinnerung.

  16. Nur für dich empfand dies Herze (Muse).



Goethes Briefe an Chr. G. und J. G. E. Breitkopf.


I.[152]

    Gebe dir Gott einen guten
    Abend Bruder Gottlob.

Daß du ein rechtschaffner Mensch bist, und brav, und dich herausmachst,
das sagen mir alle Leute die von Leipzig kommen, und das freut mich
höchlich, daß du dich nicht außer zu deiner Avantage änderst, du warst
von ieher ein guter Junge, und hattest Menschenverstand, und Gedanken
wie ein Mensch der eine Sache begreifft, und Einfälle nicht wie ieder;
besuche uns doch einmal, die Mädgen sind hier sehr auf deiner Seite,
ich hab ihnen so allerley von dir erzählt, und es sind einige muntre
Köpfgen unter ihnen, die meynen es wäre was mit dir anzufangen;
schreibe mir doch einmal, lieber Bruder, in was für Umständen du ietzo
bist.

Ich lebe erträglich. Vergnügt und still. Ich habe ein halb Dutzend
englische Mädgen die ich offt sehe, und binn in keine verliebt, es sind
angenehme Kreaturen, und machen mir das Leben ungemein angenehm. Wer
kein Leipzig gesehen hätte, der könnte hier recht wohl seyn; aber das
Sachsen, Sachsen! Ey! Ey! das ist starcker Toback. Man mag auch noch so
gesund und starck seyn, in dem verfluchten Leipzig, brennt man weg so
geschwind wie eine schlechte Pechfackel. Nun, nun, das arme Füchslein,
wird nach und nach sich erholen.[153]

Nur eins will ich dir sagen, hüte dich ia für der Lüderlichkeit. Es
geht uns Mannsleuten mit unsern Kräfften, wie den Mädgen mit der Ehre,
einmal zum Hencker eine Jungferschafft, fort ist sie. Man kann wohl so
was wieder quacksalben, aber es wills ihm all nicht thun.

Adieu lieber Bruder. Habe mich lieb, und vergiss mich nicht. Aufs
Früjahr geh ich nach Strasburg. Wer weiß wann wir da wieder was von
einander hören. Schreibe mir doch die Zeit einmal, und wenn Bruder
Bernhard nicht schreiben will, so lass dir sagen, ob er mir was zu
melden hat und setze es mit in deinen Brief. Grüsse Stocken und seine
Dame, und sag ihm er machte recht artige Sachen.

                                                                Goethe.

Fußnoten:

[152] Gedruckt in den Fragmenten aus einer Goethe-Bibliothek. S. 3.

[153] S. oben S. 28. 88.


II.[154]

Sie werden es dem Vertrauen, das ich zu Ihrer Güte habe, zuschreiben,
wenn ich mich in einer kleinen litterarischen Angelegenheit an Sie
wende.

Im Jahre 1752 ward eine Ausgabe des Reineke Fuchs bey Ihnen gedrukt. In
derselbigen sind Kupfer, um die es mir eigentlich gegenwärtig zu thun
ist. Da sie sehr ausgedrukt, und an einigen Stellen aufgestochen sind,
so läßt sich vermuthen, daß sie schon zu einer oder mehrern ältern
Ausgaben gedient haben. Die älteste nun von diesen zu erfahren und, wo
möglich, zu besizen, wünschte ich gar sehr, indem ich auf die Werke
des Aldert van Everdingen, der sie verfertiget, einen großen Werth
lege.[155] An wen könnte ich mich mit beßerer Hoffnung wenden, als an
Sie, und bin wenigstens gewiß, daß ich einige sichere Nachricht durch
Ihre Güte werde erhalten können. Sie verzeihen aus alter Neigung und
Freundschaft der Freyheit, deren ich gebrauche, beehren mich mit einer
baldigen Antwort und halten Sich versichert, daß ich Ihnen iederzeit
mit vorzüglicher Hochachtung ergeben bleibe. Weimar den 20. Febr. 1782.

                                                                Goethe.

Fußnoten:

[154] Die folgenden Briefe sind an den Vater _Joh. Gottlob Immanuel_
und an die Handlung gerichtet.

[155] „Wo du etwas von _Everdingens_ Radirungen auftreiben kannst,
schicke es doch ja. Seit ich diesen Menschen kenne, mag ich weiter
nichts ansehen.“ Briefe an Merck ~II.~ S. 183 vgl. S. 181 f. 188. ~I.~
S. 213. 252. 258. 278. 284. an Frau v. Stein ~II.~ S. 60. 76. 118. 141.


III.

Im Zutrauen auf unsre ehmaligen guten Verhältnisse, nehme ich mir
die Freyheit Ihnen einen jungen Mann zu empfehlen der Ihnen diesen
Brief überreichen wird. Er wünscht in Leipzig zu bleiben und dort ein
besseres Schicksal zu finden als er bisher hat erfahren müssen. Ich
hoffe er wird Ihnen nicht beschwerlich seyn. Haben Sie die Güte ihm zu
erlauben daß er Sie manchmal sehe, sich Ihnen eröffne. Verschaffen Sie
ihm wo möglich einige Bekanntschaften und Connexionen, damit er durch
litterarische Arbeiten etwas verdienen könne. Er heißt Vulpius und ist
mir als ein gutartiger junger Mann bekannt.[156] Verzeihen Sie diese
Bitte und bleiben meiner fortdauernden Freundschaft und Hochachtung
versichert. Weimar, d. 31 Aug 89

                                                            J W Goethe.

Fußnote:

[156] Vgl. Briefw. mit _Jacobi_ S. 112 ff. 116. 120.


IV.

Ew Hochedelgeb. haben die Güte gehabt mir vor einiger Zeit drey Stücke
der Bachischen Sonaten für Kenner und Liebhaber zu senden und zwar das
      Stück. Sie versprachen mir die übrigen nachzusenden, ich habe
sie aber bißher noch nicht erhalten. Sollten Ew Hochedelgeb. die drey
fehlenden Stücke noch nicht gefunden haben oder es viele leicht gar
unmöglich seyn sie aufzufinden, so bitte ich mir gefällige Nachricht
davon aus, damit ich mich etwa anderwärts umsehen kann.

Ich lege einige Abdrücke meines Wapens bey welche Sie verlangten.

  Mit besonderer Hochachtung unterzeichne ich mich

                              Ew Hochedelgeb.
                                  ergebenster
                                          Goethe

  Weimar d.      Octbr. 1790.


V.

Da ich die noch fehlenden Bachischen ~Sonaten~, und auch eine weitere
Nachricht von Ew Hochedelgeb. nicht erhalten habe; so nehme ich mir die
Freyheit die drey Stücke der Sammlung, die mir nun zu weiter nichts
nütze sind zurück zu schicken, und selbige mit den besten Wünschen für
Ihr Wohlergehen zu begleiten.

Weimar d 4. Febr. 1791.

                                            J W Goethe



Goethes Briefe an Phil. Erasmus Reich.


~I.~[157]

                                              Franckf. am 20. Febr. 70.

Theuerster Herr Reich,

Es giebt gemischte Empfindungen, die Mendelssohn so richtig zeichnen,
und Wieland so süsse mahlen kann, und von denen wir andre schweigen
müssen. Davon war es eine die mich überfiel, als ich Ihren lieben
Brief, mit dem angenehmsten Geschencke erhielt.[158]

Nichts war mir neu. Denn dass Wieland so ein Autor ist, dass Sie so ein
Verleger und so gütig gegen mich sind, das weiss ich seitdem ich Sie
und Wielanden kenne; allein in dem Grade! unter diesen Umständen! war
mir alles neu. Meine Danckbaarkeit werden Sie leicht nach dem Werth
Ihrer Freundschafft, nach der Fürtrefflichkeit des Buchs, und nach dem
Vergnügen messen können, das man in dieser Franckfurter Hungersnoth
des guten Geschmacks, sehr lebhafft fühlen muss, wenn man ein neues
Buch geschwind in die Hände kriegt. Und auch darum lasse ich meine
Erkänntlichkeit gerne schweigen; denn wahrhafftig Sie müssten sehr müde
werden Dancksagungen anzuhören, wenn Ihre besondere Gütigkeit, nicht
gleich iedem den Sie verbinden, ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen
auflegte.

Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu
seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung
vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen, und eine Übung von
wenigen Jahren, Thut in den bildenden Künsten, nur was mittelmässiges;
auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck; er drang in unsre
Seelen, und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen.

Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte
mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und daraus folgt,
dass kein Jüngling Meister werden könne. Es ist ein Glück wenn man
sich von dieser Wahrheit nicht erst durch eine traurige Erfahrung zu
überzeugen braucht. Empfehlen Sie mich meinem lieben Oeser. Nach ihm
und Schäckespearen, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen
ächten Lehrer erkennen kann, andre hatten mir gezeigt dass ich fehlte,
diese zeigten mir wie ichs besser machen sollte.

Meine Gedancken über den Diogenes werden Sie wohl nicht verlangen.
Empfinden und schweigen ist alles was man bey dieser Gelegenheit
thun kann; denn so gar loben soll man einen grosen Mann nicht, wenn
man nicht so gros ist wie er. Aber geärgert habe ich mich schon auf
Wielands Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland hat das Unglück
offt nicht verstanden zu werden, vielleicht ist manchmal die Schuld
sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muss man sich ärgern wenn
Leute ihre Missverständnisse dem Publiko für Erklärungen verkaufen.
Jüngst sagte ein Recensent: die Rede vom Mann im Monde[159] sey
eine feine Satyre auf die Philosophie der _damaligen_ Zeiten, und
ihre Tohrheit. Wem könnte so was einfallen? Doch ia! Er hat einen
Gesellschaffter an dem Übersetzer des Agathon. ~Tableau des moeurs de
l'ancienne Grece!~ So ohngefähr wird der Tittel seyn.[160] Ich glaube
der Mensch hielte das Buch für eine Archaiologie.

Ich weiss nicht ob sich W. auch drüber ärgert, wenigstens hätte er's
Ursach.

Wenn Sie diesem grosen Autor, Ihrem Freunde schreiben, oder ihn
sprechen, so haben Sie die Gütigkeit, ihm einen Menschen bekannt zu
machen, der zwar nicht Mann's genung ist seine Verdienste zu schätzen,
aber doch ein genung zärtliches Herz hat sie zu verehren; mit dessen
aufrichtigster Empfindung er sich auch nennt

                                    Ihren ergebensten Diener.
                                              Goethe.

Fußnoten:

[157] Einige dieser Briefe sind gedruckt bei H. _Hirzel_, Briefe von
Goethe an Lavater S. 163 ff.

[158] _Wieland_, Dialogen des Diogenes. Leipz. 1770.

[159] Diogenes 34. Werke ~XIII.~ S. 141 ff.

[160] ~Histoire d'Agathon ou tableau philosophique des mœurs de la
Grèce imité de l'Allemand de Mr. Wieland. Laus.~ 1768.


II.

        Hochedelgebohrner
      insonders Hochzuehrender Herr

Es ist mir sehr angenehm gleich mit dem Anfange des Neueniahrs
Gelegenheit zu finden Sie an Ihre alte Gewogenheit gegen mich
zu erinnern. Lavater trägt mir auf Ihnen beigehenden Anfang des
Phisiognomischen Manuscripts zu übersenden mit dem es folgende
Bewandniß hatt. Die Übersetzung der Einleitung habe ich zu
besorgen,[161] dahingegen Sie die Fragmente selbst von ~p.~ 7 an von
Herrn Hubern übersezen laßen werden. ~p.~ 17. wo ein † mit Bleistifft
gezeichnet stehet, wie auch ~p.~ 21. werden vielleicht noch einige
Zusäze eingesandt werden, sollten diese aber außen bleiben, so ist an
beiden Orten zur Nachricht dem Sezer schon angemerkt daß diese Zeichen
auf weiter nichts Beziehung haben. Wollten Sie mir den Empfang dieser
Papiere gefälligst berichten, und zugleich etwa sonst einiges zu
Beförderung und Ausführung dieses Werks gehöriges mir zu wißen thun, so
will ich alles mit dem besten Eifer besorgen, da ohnedem die Spedition
des Manuscripts meistens durch meine Hände gehen wird, da ich den
öfters die Ehre haben werde Sie derienigen Hochachtung zu versichern
mit der ich mich nenne

                                        Ew. Hochedelgeb.
                                    ganz ergebenster Diener
                                            Goethe

  Frankfurt den 2 Jenner
          1775

Fußnote:

[161] Goethe sollte die Einleitung durch _Gotter_ ins Französische
übersetzen lassen. (Brief von Lavater an Reich 20. Jan. 75.)


III.

Hier schick ich die Zugaben an den bemerckten Orten einzurücken, ich
hoffe sie sollen zur rechten Zeit kommen wo nicht so bitte mirs gleich
zu melden.

Sie werden die Folge nun auch schon empfangen haben, oder so gleich
empfangen. Frfurt. d. 23 Jan. 1775.

                                                                Goethe.


IV.

                                         Frankfurt den 14 Hornung 1775.

Ihr leztes geehrtes Schreiben habe durch Herrn Jonas richtig erhalten,
wie auch gestern die Probebogen die ich sogleich weiter spediren werde.
Wegen der Vignetten hab ich schon an Lavatern geschrieben. Der Judas
nach Holbein ist nicht Vignette sondern große Platte, und ich glaube
zuverläßig der Christus auch, ob ich ihn gleich noch nicht gesehn habe,
doch das sollen Sie mit einander hören. Vielleicht hat Ihnen Herr Jonas
geschrieben was wir auf ihr leztes vor das erste vorgekehrt. Da das
Bücher-Commissariat eine förmliche Anzeige verlangt, so wird solche
der Herr Bruder in Büdingen verfertigen, worinne die Darlegung des
vierten und fünften Theils Gellertischer Schrifften[162], den klarsten
und einfachsten Beweis gebrochener Kayserl. allerhöchster Verfügung
abgiebt, da ich denn gerathen habe, dass man von der Commission
ein Requisitionsschreiben an den Magistrat verlangen soll, wodurch
derselbige in Obliegenheit gesezt wird wenigstens vorerst gegen den
Schiller zu verfahren. Was die Niederlage der Sächsischen Bücher
allhier betrifft[163], sehe ich die Sache zu wenig ein, als dass ich
eine gegründete Meinung darüber fassen könnte, schweer würde es immer
seyn einen Buchhändler dazu zu finden und zu engagiren. Was ich in
dieser Sache dienen kann werd ich mit viel Vergnügen thun. Belieben Sie
mich nur mit gefälliger Nachricht und Weisung zu versehen.

Mit der gestrigen Post sind abermals Zugaben zu dem neunten
Phisiognomischen Fragmente an Sie abgegangen, wobei zugleich ein
Einschluß an Hrn. Prof. Oeser ist den ich gütig abzugeben bitte.

                                                             Goethe Dr.

Fußnoten:

[162] _Gellerts_ Moral war von _Göbhardt_ in Bamberg nachgedruckt.

[163] Bezieht sich auf Reichs Plan, in Frankfurt ein Commissionslager
norddeutschen Verlags zu errichten. Vgl. _Sal. Hirzel_ im Börsenblatt
für den deutschen Buchhandel 1845 Nr. 6. 23 f.


V.

Ganz richtig! _über Apoll_ ist die 21. Zugabe. A-E hab ich erhalten.
Nach Fragment. 16 hab ich eine Zugabe willentlich weggelassen wie Sie
am ausgestrichnen Ende gedachten Fragments sehen werden. Dass dies
nicht etwa auch Irrung mache. Es folgt gleich Fragm. 17

  d. 14 Merz. 1775.
                                                                 Goethe


VI.

~A. B. C. D.~ sind die vier ersten Phisiogn. Übungen, die übrigen
werden alle apart gedruckt und eingehefftet also gewiss auch die. Dass
Lav. verlangte ich solle den Abdruck der einen mitschicken, war dünckt
mich nur dem Sezzer sinnlich zu zeigen dass Frag und Antworten gegen
einander über auf zwey Seiten kämen, da dann die Tafel dazwischen würde
gebunden werden. Doch schreib ich gleich deswegen und besorge die
andern Vignetten. Die Trenckm. Geschichte hat mich sehr frappirt. d. 31
Merz 75.

                                                                     G.


VII.

Die Vign. 0^{0}0 werden Sie nun haben. Für die andern beyden nehmen Sie
in Gottes Nahmen, ein Paar unbedeutende. ~NB~ nur streichen sie den
Schluss iederzeit weg wenn er sich auf die fehlende Vignette beziehen
sollte. Das Portrait des Margr. wird wohl auch kommen, ich höre es ist
neu gravirt worden. Doch hab ich Lav. darum geschrieben.

                                                                     G.

Ein Freund schreibt mir beykommendes, könnten Sie mir hierinne rathen?
Oder das Buch selbst brauchen?[164]

Fußnote:

[164] Vom 5. Apr. 75.


VIII.

Ein Umstand nöthigt mich zu verreisen, daher ich die Fragmente ~P.P.
Q.Q. R.R.~ nicht ausarbeiten kann. Die Sie also aus beygehendem
Verzeichniss auszulassen belieben. Dagegen ist hier Rameau ~P.P.~ und
das lezte der phisiogn. Übungen. 19 Apr. 1775.

                                                                     G.


IX.

Die Bogen der Phis. sind biss ~E.E.~ bey mir, ich erwarte die
Exemplare, und so wär denn auch diese Ladung wieder ausgeschifft.

Wollten Sie selbst an Göbhard in Bamberg schreiben, sonst will ich es
Thun. Er hat nicht das geringste Recht an das Buch, wenn er das Buch
nicht von Seiten Hrn. Pfeffels selbst hat angetragen kriegt.

Wollten Sie mir gelegentl. ein Wort Antwort melden. Frf. d. 11 May 75.

                                                                     G.


X.

Ich bitte sie lieber Hr. Reich mir unschweer zu melden, wie lange
Zeit ich habe biss ich wieder etwas Manuscript zu schicken brauche --
die Ursache ist die -- Aus Lavaters Hand liegt nun alles fertig bey
mir, aber ich möchte noch einige Zugaben machen, woran ich würcklich
angefangen habe -- Indessen kann alles wenns _seyn muss_ stündlich an
Sie abgehn. Leben Sie recht wohl. Frfurt d. 28 May. 1775.

                                                                     G.


XI.

Ich muss Sie mein lieber Hr. Reich mit einer kleinen Bitte beschweeren:
wollten Sie mir hier unten benannte Vignetten der Phisiogn. einzeln
abdrucken lassen und die Abdrücke rings an dem Platteneindruck
beschnitten, mit der reitenden Post überschicken.

     1) ~p. V.~ Margr. Portrait.
     2) „  43 Knabe mit Zopf
     3) „  56 Drey Satyren
     4) „  84 Judas Kuss
     5) „  91 Heilands gesicht
     6) „  95 Lachverzerrend Gesicht
     7) „  97 Brandwein freund
     8) „ 109 Zwey Doppelköpfe
    10) „ 111 ~Ayes trois choses.~

Der Ihrige.

  Frfurt d 29 Aug
      1775.
                     Goethe.


XII.

Für die lezte schnelle Besorgung der Vignetten dancke ergebenst. Dürft
ich Sie bitten, Sich um nachfolgende Hamanische Schrifften[165] zu
bemühen, und solche, oder was Sie davon auftreiben an meine gewöhnliche
Adresse nach Franckfurt mit dem Postwagen zu schicken, und meine Schuld
zu notiren.

   1) Wolcken ein Nachspiel sokr. Denckwürdigk.
   2) Hirtenbrief über das Schuldrama
   3) ~Essai a la Mosaique~
   4) Schrifftsteller und Kunstrichter
   5) Schrifftsteller und Leser.
   6) Des Ritters v. Rosenkreuz lezte Willensmeynung über den Urspr. der
      Sprache
   7) Zwo Rezensionen Nebst einer Beylage.
   8) Beylage zun Denckwürdigk. des seel. Sokr.
   9) Brief der Hexe von Kadmonbor.
  10) ~Lettre perdue d'un Sauvage du Nord a un Financier de Pe-Kim.~
  11) ~Lettre provinciale neologique d'un Humaniste au Torrent de
      Kerith.~

Sie verbinden dadurch Ihren allzeit

                                          ergebensten Dr
                                            Goethe[166]

Fußnoten:

[165] Vgl. Werke ~XXI.~ S. 240. ~XXII.~ S. 78 f.

[166] Vom 2. Nov. 75.


XIII.

Ich hoffe Sie werden die d. 5 Jan. abgegangne Phis. Papiere richtig
erhalten haben. Hier abermal ein Stück, und in wenig Tagen den Rest des
ersten Abschnittes. Seyn Sie so gütig mir iederzeit einen Aushängebogen
hierher zu schicken, und was sonst vorfiele zu melden.

Weimar d. 15. Jan 76.

Senden Sie mir doch auch Hamans _hierophantische Briefe_.

                                                                Goethe.


XIV.

Das noch zu Beendung des ~XXII~ Fragments abgehende Blat sende
nächstens. Bitte mir zu melden wie viel Bogen abgedruckt sind und wie
weit Sie mit dem Mspt. kommen sind. Ich habe noch sehr viel in Händen
und fürchte der zweyte Theil möge zu starck werden.

Weimar d. 10 Merz 1776

                                                                Goethe.


XV.

Hier schick ich Titelblat, Dedikation, Beschluss und Innhalt, und
wünsche Glück, zu dem nun auch vollendeten zweyten Theil. Viel Glück
zur Reise! -- Sehen wir sie nicht vorher. W. d. 25. Apr 76

                                                                     G.


XVI.

Herr Lenz lies mir gegenwärtiges bey seiner Abreise zurück, und glaubte
ich würde die innen benandte Manusscripte beylegen können, ich finde
sie aber nicht unter meinen Papieren. Seyn Sie also nur so gütig mit
dem Drucke des Stücks[167] bis auf weitere Nachricht von ihm nicht
vorzuschreiten.

                                                           Goethe.[168]

Fußnoten:

[167] Von _Lenz_ erschienen die _„Soldaten“_ 1776 und _„der Engländer“_
1777 in der Weidmannschen Buchhandlung.

[168] Vom 29. Nov. 76.


XVII.

Hier die Fortsezzung iezt ist nichts weiter in meinen Händen. Die
Dedication bleibt an den Landgrafen von Hessen Homburg. Wegen Lenzen
bitt ich Sie zu verfahren als wenn ich gar nicht existirte, wie ich
auch an der ganzen Sache keinen Antheil habe, auch keinen dran nehme.

d. 13 Jan 77 G.


XVIII.

Dancke recht sehr für den Meßkatalog, und bitte mir eine Chur
Sächsische Accis Ordnung zu überschicken, auch wo möglich eine
Preusische. Dann hab ich schon seit geraumer Zeit ein Paar Duzzend
Lieder mit Melodien, von Kaysern in Zürch daliegen, ich weis dass es
nicht die angenehmste Waare ist, drum hab ich bisher nichts davon
gesagt. Er erinnert mich aber wieder dran, und so wollt ich fragen ob
Sie sie brauchen oder mir sonst einen Verleger finden könnten. Sie sind
wo ich sie gezeigt habe immer mit viel Vergnügen gespielt und gesungen
worden.[169] Wenn Klinger in Leipzig ist,[170] und Sie hätten die Güte
ihm ein Wort davon zu sagen, könnte der sich auch wohl nach iemanden
umthun der sie übernähme. W. d. 28 Apr. 77.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[169] Es sind die „Gesänge mit Begleitung des Claviers.“ Leipzig und
Winterthur 1777. Auf dem Titel ist als Motto folgender Vers, gewiß von
Goethe:

  Tief aus dem Herzen hingesungen
  Nehmt diese Lieder, Herzenein,
  So ist mir jeder Wunsch gelungen,
  So sind auch eure Freuden mein!

[170] _Klinger_ war von 1776 bis 1778 Theaterdichter bei der
Seylerschen Gesellschaft, welche in Gotha, Dresden und Leipzig
Vorstellungen gab. In Kaysers Liedersammlung ist auch eins von Klinger.


XIX.

Ich schicke die ersten Bogen der Phisiognomick, und werde das übrige
wie es ankommt nachsenden. Wollten Sie von der Güte seyn mir einige
Leyhaus, Leybanck Ordnungen, welche Sie habhafft werden können zu
schicken, und mir einmal ein Conto zu machen wie ich bey Ihnen
angeschrieben stehe. W. d. 25 Nov 77.


XX.

Wenn der iunge Herr Tobler aus Zürich, ein Sohn des bekannten
Chorherrn,[171] schon, ehe dieser Brief ankommt bei Ihnen gewesen ist,
so werden Sie ihn, auch ohne meine Empfehlung wohl aufgenommen haben,
weil er sich selbst auf das vortheilhafteste vorstellt. Eben dieses
werden Sie finden, wenn er sich nach diesem Briefe bei Ihnen zeigen
sollte. Ich bitte Sie nach Ihrer Gewohnheit ihm auch um meinetwillen
gefällig zu sein, und ihm, wenn er zu einigen seiner wohlgeratenen
Übersezungen aus dem Griechischen einen Verleger suchen sollte mit
That, oder, wie es die Umstände erfordern, auch nur mit gutem Rath
behülflich zu sein.

Der Herr Professor Garve ist so eben bei uns und erinnert sich seiner
Leipziger Freunde mit vielem Antheil.[172]

Ich empfehle mich Ihrem gütigen Andenken. Weimar den 30 Mai 1781.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[171] Briefe an Frau v. Stein ~II.~ S. 69.

[172] Briefe an Merck ~II.~ S. 186.


XXI.

Für die mir überschickten schönen Bücher[173] dancke ich auf das beste,
sie sollen mit mir nach Eisenach wandern, wo Landschaffts Versammlung
seyn, und wohin der Hof sich begeben wird. Vielleicht findet sich doch
eine einsame Stunde um der Einsamkeiten geniesen zu können.

Ich empfehle mich zu geneigtem Andencken.

Weimar d. 24 May 84.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[173] _Zimmermann_, über die Einsamkeit. Leipz. 1784 und 1785. 4 Thle.


XXII.

    Ew Wohlgeb.

empfangen den lebhafftesten Danck für die Fortsetzung der glänzenden
Ausgabe eines glänzenden Werckes.[174] Wenn ich etwas dabey vermisse;
so ist es das Portrait Dr Oberreits[175], welches die Stirne des
dritten Bandes hätte zieren sollen. Ich höre wir haben balde Hoffnung
Sie hier zu sehen.

Weimar d. 3 May 1785.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[174] Von _Zimmermann_.

[175] _Oberreit_, damals in Jena, Gegner Zimmermanns.


XXIII.

    Ew Wohlgeb.

ersuche um die Gefälligkeit die beste Ausgabe meiner Schrifften, in
vier Bände, in schönen englischen Band, mit grünem Schnitt binden zu
lassen und mir solche wohlgepackt zu übersenden.

Es that mir sehr leid Sie bey Ihrem letzten hiesigen Aufenthalte nicht
sehen und diejenige Hochachtung mündlich versichern zu können mit der
ich mich unterzeichne

                     Ew Wohlgeb.
                              ergebenster Dr
                                  Goethe

  W. d. 22 Aug
      1785



Aus Briefen von Cornelie Goethe.


[Illustration: Cornelia Goethe. Nach Goethes Zeichnung]

Während der Vorbereitungen zur Goethefeier kam in Leipzig eine
Anzahl Briefe von _Cornelie Goethe_ an eine ihrer Jugendfreundinnen
zum Vorschein, welche in dem Nachlasse der letzteren unbeachtet da
gelegen hatten. Goethes Äußerung über seine Schwester: „Nur durch das
genaueste Detail, durch unendliche Einzelnheiten, die lebendig alle
den Charakter des Ganzen tragen und, indem sie aus einer wundersamen
Tiefe hervorspringen, eine Ahnung von dieser Tiefe geben; nur auf
solche Weise hätte es einigermaßen gelingen können, eine Vorstellung
dieser merkwürdigen Persönlichkeit mitzutheilen: denn die Quelle kann
nur gedacht werden, insofern sie fließt“[176] -- mußte zu Mittheilungen
und Auszügen aus diesen Briefen auffordern; sie hier zu geben lag um
so näher, als sie sich auf die Zeit beziehen, aus welcher Goethes hier
mitgetheilte Briefe größtentheils herrühren. Sind es gleich nur kleine
Züge, die wir hier gewinnen, so machen sie uns doch das Bild seiner
so innig geliebten Schwester und der Verhältnisse, unter welchen sie
lebten, klarer und bestimmter.

Die Freundin, an welche diese Briefe gerichtet sind, hieß _Katharine
Fabricius_, war eine Tochter des fürstl. Leiningschen Raths und
Syndicus _Fabricius_ in Worms, und wurde später an einen Kaufmann
_Welcker_ in Leipzig verheirathet. Sie war im Sommer 1767 in Frankfurt
bei einer Cousine zum Besuch gewesen und mit Cornelie bekannt geworden,
die sich sehr verlassen fühlte; ihr Bruder war in Leipzig, von den
Freundinnen, die uns diese Briefe kennen lehren, stand keine ihrem
Herzen nahe: so schloß sie sich an diese neue Freundin an und eröffnete
nach ihrem Fortgehen einen lebhaften Briefwechsel mit ihr. Gleich in
dem ersten Brief spricht sie ihre Betrübniß aus, daß sie sie fortreisen
lassen mußte ohne ihr Herz ganz vor ihr öffnen zu können, ohne ihr von
einer traurigen Zeit Kunde zu geben, in welcher sie von Unruhe und
Kummer gequält, von thörichten Wünschen gepeinigt war, auf welche sie
endlich verzichtet und dadurch Ruhe ihrer Seele gewonnen hat: nun soll
der Briefwechsel dies ersetzen.

Die Briefe sind in französischer Sprache geschrieben. Was die
Veranlassung dazu gegeben hat, ist nirgend angedeutet. Man möchte
vermuthen, daß der Vater, welcher Cornelie mit seinem Unterricht
quälte, es so verlangt habe, allein auch der Theil dieses
Briefwechsels, von dem er nichts wußte, den sie insgeheim für sich
schrieb, ist französisch abgefaßt. Wir können das nur bedauern;
denn abgesehen davon, daß das Französisch incorrect und ungelenk
ist, so hat jedenfalls die fremde Sprache der Unmittelbarkeit und
Eigenthümlichkeit des Ausdrucks gar sehr geschadet; man wird häufig
an die Schule erinnert und glaubt mitunter einen aufgegebenen Aufsatz
zu lesen. Das tritt selbst in dem Tagebuch hervor, in welchem sie mit
großer Offenheit nicht nur ihre kleinen Erlebnisse, sondern alle ihre
Gefühle schildert. Nachdem sie nämlich vom 1. October 1767 bis zum 28.
Juli 1768 an ihre ~aimable~, ~agréable~, auch ~solide amie~, wie die
Anreden lauten, sechs Briefe geschrieben hatte, beginnt sie am 16.
October 1768 Morgens 8 Uhr ein Tagebuch, das an die Freundin gerichtet
ist, und ihr die innersten Regungen ihres Herzens, ihre Fehler und
Schwächen aufrichtig offenbaren soll. Sie schreibt dasselbe in freien
Augenblicken im Geheimen auf ihrem Zimmer, und beklagt sich deshalb,
daß nach der Krankheit ihres Bruders dasselbe als Speisezimmer benutzt
werde, weil sie jetzt die Zeit nach Tische nicht für sich benutzen
könne. Niemand weiß darum, selbst ihr Bruder nicht, der übrigens an
dem ostensiblen Briefwechsel mit der Freundin, welcher dabei fort
geht, Theil nimmt, ihre Briefe liest und für Cornelie die Antwort
übernimmt. Ein Brief dieser Art, welchen sie während der Krankheit
ihres Bruders (3. Febr. 1769) geschrieben hat, sticht allerdings gegen
das zu gleicher Zeit niedergeschriebene Tagebuch weniger durch die Form
als durch den sehr äußerlichen Inhalt merklich ab. Natürlich wird auch
der Freundin wiederholt ans Herz gelegt, daß sie diese Briefe niemand
zeigen möge, erst später wird eine gemeinsame Freundin in Worms, Mlle.
_Meixner_, welche Cornelie ebenfalls bei einem Besuch in Frankfurt hat
kennen lernen, mit in das Geheimniß gezogen. Von Zeit zu Zeit wird das
Tagebuch mit der Post abgeschickt, doch soll das Geheimniß auch dadurch
gewahrt werden, daß, während die Briefe mit C. F. C. ~Goethe~[177]
unterzeichnet sind, die einzelnen Sendungen des Tagebuchs entweder
gar nicht oder mit einem verschlungenen ~GC~ unterschrieben sind:
freilich ein recht mädchenhaftes Incognito. Im Anfange ist dasselbe mit
großem Eifer geführt, selten ist ein Tag ohne Aufzeichnung geblieben,
mitunter schreibt sie an einem Tage mehr als einmal. Im Jahre 1769
fängt der Eifer an allmälig nachzulassen, im Juni, Juli und August
sind nur wenige Blätter an einigen Tagen beschrieben, und auch der
Inhalt ist dürftig und unbedeutend; daß gar wenig vorfiel, worüber sie
sich beklagt, war wohl nicht der einzige Grund, das Verhältniß selbst
scheint allmälig lockerer geworden zu sein.

In dem ersten bedeutenderen Theil des Tagebuchs ist die Darstellung
sehr ausführlich und lebhaft. Die kleinen Begebenheiten Corneliens und
ihrer Freundinnen werden sehr im Detail berichtet, und namentlich zeigt
sich eine Vorliebe, die Personen redend einzuführen und ganze Gespräche
mitzutheilen. Dazwischen treten lebhafte Äußerungen des Gefühls und der
Leidenschaft, Betrachtungen über sich selbst, moralische Reflexionen.
Ohne Zweifel würde alles sich unweit besser ausnehmen, freier und
unbefangener erscheinen, wenn es deutsch geschrieben wäre, indeß ist
jedenfalls eine gewisse schriftstellerische Absichtlichkeit in der
Form dieser Aufzeichnungen nicht zu verkennen. Die Eigenthümlichkeit
Goethes, seinen Erlebnissen und Gefühlen einen künstlerischen
Ausdruck zu geben, hatte darauf gewiß einigen Einfluß, und da er
ihr alles mittheilte, was er aus innerem Bedürfniß wie zum Studium
niederschrieb, so mochte dadurch der Gedanke in ihr rege werden, sich
in ähnlicher Weise zu versuchen, um wie er in dieser Thätigkeit Trost
und Erleichterung zu finden. Daß der Erfolg bei ihr nicht derselbe
war, darf uns nicht Wunder nehmen. Indessen hatte sie noch ein anderes
Ideal, das sie zu diesem Unternehmen begeisterte -- den _Grandison_.
~„Il y a longtemps que j'ai voulu commencer cette correspondence
secrète, par laquelle je vous apprendrai tout ce qui se passe ici; mais
pour dire la vérité j'ai toujours eu honte de vous importuner avec des
bagatelles qui ne valent pas la peine qu'on les lise. Enfin j'ai vaincu
ce scrupule en lisant l'histoire de Sir Charles Grandison; je donnerois
tout au monde pour pouvoir parvenir dans plusieurs années à imiter
tant soit peu l'excellente Miss Byron. L'imiter? folle que je suis; le
puis je? Je m'estimerois assez heureuse d'avoir la vingtième partie de
l'esprit et de la beauté de cette admirable dame, car alors je serois
une aimable fille; c'est ce souhait que me tient au cœur jour et nuit.
Je serois à blamer si je désirois d'être une grande beauté; seulement
un peu de finesse dans les traits, un teint uni, et puis cette grace
douce, qui enchante au premier coup de vue; voilà tout. Cependant ça
n'est pas et ne sera jamais, quoique je puisse faire et souhaiter;
ainsi il vaudra mieux de cultiver l'esprit et tacher d'être supportable
du moins de ce côté là. -- Quel excellent homme que ce Sir Charles
Grandison; dommage qu'il n'y en a plus dans ce monde.“~[178] Goethe
hatte also die Verehrerinnen des Grandison (S. 125. 141) nicht weit zu
suchen. Indessen würde man irren, wenn man glauben wollte, das Tagebuch
sei eine Art von Roman oder auch nur romanhaft aufgeputzt; es ist durch
und durch wahr.

Der allgemeine Eindruck, welchen dasselbe macht, ist schmerzlich und
rührend. Überall spricht sich ein sittlicher Ernst mitunter nicht
ohne Größe aus, nicht minder aber auch eine trübe, unruhige Stimmung,
der die innere Befriedigung des Gemüthes fehlt. Die Charakteristik,
welche Goethe von seiner Schwester gibt, wird aufs vollständigste
bestätigt, nur daß hier, wo sie sich gegen eine vertraute Freundin
ausspricht, manche Züge mädchenhaften Wesens hervortreten, welche man
weniger erwarten möchte, z. B. das Interesse für Kleidung und Putz,
Vergnügungen und Stadtgeschichten, so wie eine gewisse Neigung zur
Moquerie, welche sich mitunter zeigt.

Das Leben, welches sie führt, ist allerdings, wie sie oft klagt,
einförmig und bietet ihr wenige und bescheidene Zerstreuungen. Unter
diese werden hauptsächlich Spaziergänge gerechnet, aber sie können
nur in gewählter Begleitung unternommen werden, wenn man sich nicht
unbarmherzigem Gerede aussetzen will; und sie muß sich um so mehr in
Acht nehmen, als sie von gewissen Leuten scharf beobachtet wird, die
sie freilich nicht achtet, denen sie aber um so weniger eine Blöße
geben will. Zu den Vergnügungen gehörte auch das Brunnentrinken. ~„Je
ne vous ai pas encore appris~ (schreibt sie den 28. Juli 1768), ~que
je bois les eaux à l'allée; nous avons là une compagnie tout à fait
charmante des dames et des chapeaux, dont le plus aimable est Mr.
le Docteur Kölbele, que Vous connoissez, par son oration du mariage
qu'il tient une fois en Votre présence; où il nous compara, nous
autres femmes, à des poulets. Maintenant il nous donne des leçons sur
la philosophie morale. Cependant rien n'est plus plaisant que quand
il veut exercer la galanterie qui dort depuis longtems auprès de
lui. Nos dames qui sont les plus gaies du monde la lui aprennent de
nouveau. Elles se font mener par lui, porter le parasol, verser leur
verres, ah, ma chère, il execute tout ça avec des gestes si modernes,
qu'on le disoit être arrivé immédiatement de Paris. Nous avons aussi
de la musique composée de dix instruments, savoir de cors de chasse,
hautbois, flûtes, un contreviolon et une harpe. Vous pouvez Vous
imaginer quel bel effet ça fait dans la verdure. Nous chantons aussi
souvent pour plaire à notre charmant Docteur, car quoiqu'il soit très
sérieux, il aime nonobstant de voir la jeunesse enjouée. Ce chanson
s'accorderoit bien sur lui:~ Es war einmal ein Hagenstoltz, ~il s'est
même bien plû à l'entendre.“~ Das ist offenbar derselbe _Kölbele_,
dessen große Füße Goethe zu seinem Bilde Gottscheds verwendet (S.
60).[179] Mitunter werden Gärten besucht bei einem Hrn. _Glötzel_ und
ihrem Oheim jenseits des Mains; auch besteigt sie einmal mit einer
Gesellschaft den Pfarrthurm, wo sie sehr befriedigt von der Aussicht,
dem Fernrohr, den großen Glocken zu erzählen hat. Von Landparthieen war
der Vater kein Freund;[180] so nimmt sie auch an einer Parthie keinen
Antheil, welche ihre Freundinnen nach dem _Forsthaus_ machen, einem
noch bestehenden ländlichen Belustigungsort im Stadtwalde unterhalb der
Stadt auf dem linken Mainufer, den wahrscheinlich Goethe im Faust unter
dem _Jägerhaus_ gemeint hat.

Im Hause war das Clavierspiel, in dem sie, wie uns Goethe[181]
erzählt, es weiter gebracht hatte als er, eine angenehme Zerstreuung.
~„Je jouerai un air sur le clavecin~ (schreibt sie einmal in großer
Aufregung), ~que ces vapeurs passent.“~ Mit großer Theilnahme spricht
sie von dem unglücklichen Tode des Clavierspielers _Schobert_[182]
in der Capelle des Prinzen _Conti_ in Paris, der an giftigen Pilzen
gestorben war (1. Oct. 1767). ~„Il a composé XV ouvrages gravées en
taille douce, qui sont excellentes et que je ne saurois me lasser de
jouer. Toute autre musique ne me plait presque plus. En jouant des
sentiments douloureux percent mon âme, je le plains ce grand auteur,
qui à la fleur de son age avec un tel génie a fallu périr d'une façon
si misérable et inopinée.“~ Von ihrer Lectüre ist wenig bemerkbar,
außer dem Grandison werden die ~„lettres du Marquis de Roselle“~
von ~Elie de Beaumont~ (Paris 1764) erwähnt. ~„Je vous ai envoyée~
(schreibt sie 14. März 1768) ~les lettres du Marquis de Roselle, lisez
les avec attention, on y peut profiter beaucoup, le vice y est montré
sous l'apparence de vertu dans toute sa forme. Le Marquis qui n'a pas
l'expérience du monde, donne dans les filets de cette fausse vertu, et
s'y enveloppe de façon, qu'il coute beaucoup à l'en tirer. Que tous les
jeunes gens y prennent un exemple, qui comme lui ont le cœur droit et
sincère et ne se doutent nullement de la tromperie que cette sorte de
femmes exercent avec eux. C'est là une grande cause que notre jeunesse
est si corrompue puisqu'un vice engendre l'autre. Relisez plusieurs
fois la lettre où Mme. de Ferval parle de l'éducation de ses enfants.
Si seulement toutes les mères en usoient de même, certe qu'on ne
verroit pas tant de filles insupportables comme Vous en connoissez et
moi aussi.“~

Der gesellige Verkehr besteht hauptsächlich in Nachmittagsbesuchen,
zu welchen man sich gegenseitig anmeldete, und welche um 8 Uhr Abends
regelmäßig endeten (um 10 Uhr war Schlafenszeit); dazu kamen im
Winter große Gesellschaften, welche alle Dienstag, abwechselnd, wie
es scheint, in verschiedenen Familien gehalten wurden, und der Besuch
des Concerts, welches alle Freitag im Saale des Hrn. _Busch_ Statt
fand, wo sich auch die vornehme Welt versammelte. Mitunter klagt sie
freilich über Langeweile, welche sie in diesen Gesellschaften empfand,
übrigens ist sie gegen diese Vergnügungen keineswegs gleichgültig --
~„je vis à présent,~ schreibt sie einmal, ~d'une façon très tranquille,
mais cette tranquillité n'a point des charmes pour moi; j'aime la
variété, l'inquiétude, le bruit du grand monde, et les divertissements
tumultueux“~ --; der Winter ist ihr durch dieselben vergangen, sie weiß
selbst nicht wie; als _Simonette Bethmann_ mit Hrn. _Metzler_ verlobt
ist, hofft sie, das werde wohl einen Ball geben, obgleich sie meistens
durch ihre Gesundheit verhindert wurde, Bälle zu besuchen.[183] Aus dem
Kreise der „verständigen und liebenswürdigen Frauenzimmer,“ welchen sie
um sich versammelt hatte, und ohne herrisch zu sein beherrschte[184],
lernen wir hier manche näher kennen. Allein wenn sie auch bei allen
ihren Freundinnen ohne Ausnahme Achtung und Liebe genoß[185], so sehen
wir hier, daß sie zu keiner derselben in einem nahen und innigen
Verhältniß stand. Sie beklagt sich gegen Kath. Fabricius, daß sie in
Frankfurt keine wahre Freundin habe, und die Weise, mit der sie von
ihren Bekannten spricht, bestätigt es. Ihre hübschen und munteren
Cousinen _Antoinette_, _Charlotte_ und _Katharine_[186] sind ihr recht
angenehm, _Leonore_ de Sauffure unterhält sie durch ihre witzigen
Bemerkungen in einer langweiligen Gesellschaft (~„la méchante Leonore
fit quelques remarques, aux quelles je ne sûs resister; ces dames
s'imaginerent je crois, que nous tenions un peu de la lune: n'importe
ce sont des fades créatures“~), _Caroline_ und _Lisette v. Stockum_
werden als große Schönheiten gepriesen; von einem näheren Verhältniß
keine Spur. Von einer Mlle. B. erzählt sie, daß sie untröstlich sei
über den Weggang ihres Geliebten T., der durch unglückliche Schicksale
gezwungen war, in Braunschweig Schauspieler zu werden, sie meint aber,
das werde nicht länger dauern, als bei einer jungen Wittwe, die am
ersten Tage mit ihrem Manne sterben wolle, am zweiten sich tröste,
am dritten sich nach einem neuen umsehe; sie berichtet denn auch
nachher, daß sich ein Liebhaber schon wieder gefunden habe; indessen
findet sie dieselbe später wieder untröstlich, daß sie einen von T.
ihr geschenkten Ring verloren habe. Mlle. S. macht sich durch Putz-
und Gefallsucht unausstehlich; unerklärlich ist bei ihrem sonstigen
Charakter ihre treue und unerschütterliche Liebe für einen unwürdigen
W., von dem sie nicht lassen kann, obwohl sie seine Fehler kennt
und schmerzlich beweint, so daß man sie in dieser Hinsicht doch
achten müsse. Denn treues Festhalten an dem einmal erkannten und
liebgewonnenen erkennt sie an anderen vor allen an und bekennt, daß sie
dies für eine ihrer guten Eigenschaften halte.

Die ungünstigste Schilderung wird von einer Cousine der _Kath.
Fabricius_ gemacht; sie ist einfältig und langweilig, benimmt sich
steif und albern und brüstet sich mit der Lectüre vieler Bücher, von
denen sie nichts versteht ~„Ha ha, riez; elle eut dernièrement sa
grande compagnie, j'y fus; qu'elle scène misérable; ah, ma chère,
Vous connoissez celles qui la composent; nous parlâmes d'économie, de
la lecture, des arts, des langues. Qu'en dites Vous? Pour moi, j'eus
si mal d'une conversation, dont je ne pouvois détourner la fadeur,
qu'il me falloit bien de temps à me remettre. Je pouvois là à loisir
examiner le caractère de chacune et j'entrevis clairement, que c'est
l'éducation, qui les rend si sottes. Elles font les dévotes forcées,
ne regardent point d'homme, parce qu'on leur défend absolument de
converser avec tout autre, que celui qui sera leur mari; d'éviter toute
connoissance particulière avec qui ce soit; et que si elles parlent
très peu, se tiennent bien droites et font les précieuses, qu'alors
elles sont accomplies. N'est ce pas là une éducation bien pitoyable et
peu digne d'être imitée? puisque au lieu des filles spirituelles on ne
trouve que des statues, qui ne prononcent autre chose que oui et non.“~
Auch sie hat einen Liebhaber, Namens _Steinheil_, der später fortreist;
sie tröstet sich bald darüber. Es scheint als ob sie _Baumann_ hieß,
und dann war sie dieselbe, welche mit einem Kopfputz ~„en forme de
pyramide ou pour mieux dire à la rhinoceros“~ bei Cornelie zum Besuche
war, als ihr Bruder hereintrat. ~„Elle prit une de ses mines, que
Vous connoissez, la tête levée et les yeux baissées et ne parla pas
le mot.“~ Darin erkennen wir die Art zu verkehren, welche Goethe nach
seinem Aufenthalt in Leipzig so unangenehm entgegentrat,[187] und
Cornelie spricht das unumwunden aus, was Goethe sich nicht getraut zu
sagen (S. 140). Wenn nun auch die anderen jungen Mädchen zum großen
Theil sehr verschieden waren, so machen es doch Corneliens Äußerungen
sehr begreiflich, daß er in ihrem Umgang nicht Gefahr lief sein Herz zu
verlieren.[188]

Das einzige Mädchen, von welchem sie mit lebhaftem Interesse spricht
und mit dem sie sich fortwährend beschäftigt, ist _Lisette Runkel_,
welche als eine schöne, anmuthige Erscheinung auftritt. Anfangs
spricht sie von ihr als einer lieben Freundin und einem verständigen
Mädchen mit warmer Zärtlichkeit. Allein nach einiger Zeit tritt bei
ihr eine große Eitelkeit, eine Putzsucht und Coquetterie hervor, die
ihren beschränkten Verhältnissen ebensowenig angemessen ist, als die
Anmaßung, welche sie zu zeigen anfängt. Endlich erfährt man, daß B.,
der reiche Besitzer des Hauses „der König von England,“ ein Wittwer
von sechs und vierzig Jahren, ihr den Hof macht, und daß sie, in der
Hoffnung ihn zu heirathen, jetzt die große Dame spielt. Mit ihm hat
sie im Phaethon eine Reise nach _Darmstadt_ gemacht und dort bei den
Hoffesten durch ihre Schönheit und die Pracht ihres Anzuges eine
glänzende Rolle gespielt. ~„Elle étoit vêtue en Vénitienne, une juppe
de satin bleu doublée en argent, un corset de la même couleur et un
survêtement de satin cramoisi, le tout garni de pelisse brune et de
dentelles d'argent. Ses cheveux pendoient flottants, ils étoient
noués en façon romaine et entrelacés de perles et de diamans. Sur le
milieu de la tête il étoit attaché de la crêpe blanche, qui pendoit
jusqu'à la taille, et de là par terre étant serrée au milieu avec
une riche écharpe d'argent.“~ Sie erregte allgemeines Aufsehen, die
Prinzen und Prinzessinnen drängten sich um sie; Prinz _Georg_ tanzte
allein mit ihr und litt nicht, daß ein anderer sich ihr näherte. Der
Tod des Landgrafen störte die Fortsetzung dieser Freuden.[189] Trotz
der Entfremdung, welche durch dieses Benehmen zwischen Lisette und
Cornelie eingetreten war, sahen sie sich doch und jene zeigte mitunter
wahre Anhänglichkeit. Bei einem Besuch, den sie Cornelie geputzt
wie eine Prinzessin macht, theilt sie ihr mit, daß jene Heirath mit
dem Wittwer, der ihr allerdings seine Hand angeboten habe, nicht zu
Stande kommen werde, und eröffnet ihr später, daß ein junger reicher
Kaufmann aus Amsterdam, Namens _Dorval_, sie auf der Reise in Frankfurt
gesehen und sich in sie verliebt habe und daß sie mit ihm verlobt sei.
Die beiden Freundinnen sind nun wieder versöhnt. Cornelie, welche
alles aufs ausführlichste erzählt, hat die größte Freude an dem Glück
Lisettes, welche, damit nichts fehle, auch noch eine Erbschaft macht;
sie nimmt das lebhafteste Interesse an ihrer Liebe, bewundert das Feuer
und die Ausdauer der Zärtlichkeit Dorvals, der einer der vorzüglichsten
Menschen sein müsse, und liest seine Briefe an Lisette so aufmerksam,
daß sie sie aus dem Gedächtniß theilweise wieder aufschreiben kann;
sie findet sie freilich etwas übertrieben und romanhaft, aber doch so
vortrefflich, daß man sie wohl drucken könnte. Dieses gute Verhältniß
aber dauert nur einige Monate; bei Lisette tritt die Eitelkeit und
Coquetterie wieder zu sehr hervor, sie ist während Dorvals Abwesenheit
von Anbetern umschwärmt, von denen sie sich den Hof machen läßt, und
beträgt sich durchaus nicht liebenswürdig. Jener Wittwer gibt einen
glänzenden Ball, auf welchem Lisette die Krone sein wird; Cornelie ist
wie ihre Cousine Katharine durch Unwohlsein verhindert, daran Theil zu
nehmen, mindestens wollen sie deren Schwester auf eine Weise putzen,
daß sie Lisettes Diamanten ausstechen könne. Sie fühlt, daß sie an
ihr keine treue Freundin mehr hat. ~„Vous et Mlle. Meixner Vous êtez
mes seules amies en qui je puis me confier. Je croyois en avoir une
éternelle en Lisette, mais son terme a peu duré, l'applaudissement
général du grand monde l'a gaté. Fière de ses conquêtes elle méprise
tout le monde et quoique Dorval est uniquement aimé, l'encens de tant
de cœurs lui plait au delà de l'expression, elle s'en vante partout
et triomphe secrètement de Vous abaisser par ses charmes. Jugez, ma
chère, si avec ces sentiments elle peut être amie fidèle. Il y avoit
un tems où peu connue du monde elle se crut heureuse par mon amitié,
mais ce tems n'est plus, et je vois par là, que c'est le train du
monde.“~ Endlich kommt es zu einem förmlichen Bruch. ~„Que direz Vous,
ma chère, si je Vous apprends que Miss[190] Lisette et moi nous sommes
totalement brouillées et d'une façon qui ne sera pas à remettre. Si
j'avois le tems je Vous ferois part de toute l'histoire, mais elle est
trop longue; il suffit à Vous de savoir, que la mère et la fille m'ont
accusée de médisance et de trahison, et que j'ai trouvée ces termes
trop viles pour m'abaisser à une justification. Cette affaire m'a
causée une révolution de quelques jours, mais elle est passée et j'ai
reprise ma tranquillité, qui a l'air de durer longtems, si un accident
nouveau ne la chasse.“~

Dieses Zerwürfniß hatte aber noch einen anderen Grund. Im Runkelschen
Hause hatte Cornelie einen Herrn G. kennen lernen, einen ehrlichen,
gutmüthigen, aber wie es scheint etwas ungeschickten Menschen, der
während dieser ganzen Zeit als ihr treuer, unermüdlicher Liebhaber
erscheint, von ihr aber mit der äußersten Kälte behandelt wird. Er wird
mit dem Namen ~le misérable~ oder ~le miséricordieux~ bezeichnet, ~„qui
fait tout par miséricorde, Vous m'entendez bien.“~ Gleich im ersten
Brief erzählt sie, wie sie ihm mit äußerster Verachtung den Rücken
zugekehrt habe, später freut sie sich, daß Lisette -- ~„elle devient
tous les jours plus sage et naturellement plus grande“~ -- ihn jetzt
eben so sehr hasse und verachte, wie sie selbst. Dann erfährt man den
Grund ihrer Entrüstung. ~„J'eus jusqu'ici une très mauvaise opinion
de lui, croyant toujours qu'il étoit coupable et qu'il avoit raisonné
de moi d'une manière peu décente, comme je Vous l'ai appris.“~ Da ihr
Betragen gegen ihn seit einem Jahr so auffallend war, hatte er sich
darüber beklagt und erfahren, was man ihm Schuld gebe. Empört hatte
er es für Verleumdung erklärt: ~„cette méchante vipère de Rst inventa
tout ceci par haine ou par jalousie,“~ und um eine Zusammenkunft mit
Cornelie gebeten, damit er sich rechtfertigen könne. ~„Je le vis, il
se justifia, convaincue de son innocence je le remis dans mes bonnes
graces ... et voilà la paix faite -- hahaha! C'est bien court me direz
Vous, je m'attendois à une description particulière. Pardonnez moi ...
je ne saurois; de peur d'étouffer de rire. Ma chère si Vous aviez été
dans un coin, Vous n'auriez pas subsisté ... Représentez Vous notre
situation, la sotte figure que nous fìmes en nous abordant. Suffit.“~
-- So wenig dieser Spott zu der moralischen Betrachtung paßt, mit
welcher sie ihre Erzählung einleitet -- ~„mon principal but est de
faire réparation d'honneur à une personne, que j'aie noircie dans Votre
esprit étant alors préoccupée des rapports malins qu'on m'en avoit
faites. Il est vrai, mon enfant, nous avons touts le défaut de croire
plutôt le mal de notre prochain que le bien; c'en est un grand je le
confesse“~ -- so bleibt diese Stimmung doch die vorherrschende, und
der gute G. bekommt, so viel Mühe er sich auch gibt, von den ~bonnes
graces~ wenig zu spüren. Um sich ganz zu rechtfertigen, sucht er eine
Zusammenkunft mit Cornelie und der Rst., ~„pour lui dire, qu'elle
est la plus infame créature et de la forcer d'avouer la verité en ma
présence;“~ eine Zusammenkunft, welche sie begreiflicher Weise eben
so sehr vermeidet. Unermüdlich sucht er Cornelie in Gesellschaft und
im Concert zu sehen und zu sprechen, ohne etwas zu erreichen; wenn
sie ihn nicht vermeiden kann, fertigt sie ihn kurz ab, hält sich über
ihn auf -- ~„j'étouffe de rire“~ ist fast allemal der Schluß. Endlich
bietet sich ihm die günstige Gelegenheit, sie mit ihrer Cousine
Katharine aus dem Concert nach Hause zu begleiten. ~„Enfin notre
carrosse arriva, nous descendìmes, il se faisoit gloire de me mener
par toute la foule, mais moi j'en étois choquée. L'aimable Cathérine
vit ma peine, fachée de ne pouvoir y remédier, elle me serra la main
en me conjurant de prendre patience. Nous la menâmes chez elle et
enfin me voila seule avec cet homme. Chère Miss, me dit il en mettant
sa main sur la mienne, ce procédé Vous paraitra peutêtre libre; mais
j'ai taché depuis longtems à Vous parler sans temoins, l'occasion est
si favorable et Vous me pardonnerez cette liberté. Ce commencement me
paru trop ridicule pour ne pas éclater; il ne s'en apperçoit pas et
continua.“~ Er bittet sie um Aufrichtigkeit, er habe den Eindruck,
welchen Cornelie auf ihn gemacht, unvorsichtig Lisette Runkel und ihrer
Mutter mitgetheilt, welche dadurch eifersüchtig gemacht, ihm mit der
Rst. bei Cornelie zu schaden gesucht hätten und noch suchten. ~„Je fus
prédestiné à être malheureux et je le serai toujours, si Vous ne me
rendez pas Votre affection. Dites moi, Miss, me hairez Vous sans cesse?
prononcez une seule parole et je suis le plus heureux des mortels. --
Si ça Vous rend tranquille, Monsieur, je la prononcerai. Je Vous assure
de mon estime et de mon amitié. Soyez heureux, c'est ce que je souhaite
de tout mon cœur. -- Je n'y tiens plus, ma chère, j'étouffe de rire.“~
Hierdurch aufmerksam gemacht entdeckt sie nun, daß Lisette und ihre
Mutter zu verhindern suchen, daß sie mit jenem G. zusammenkomme, ja
daß sie sogar, um dies zu hintertreiben, Bestellungen in ihrem Namen
erfinden, unter dem Vorwand, ihr dadurch einen Gefallen zu erweisen;
gegen diese Falschheit und Betrügerei erklärt sie sich sehr bestimmt,
und veranlaßt nun selbst eine Einladung zu einem Besuch, bei welchem
auch er gegenwärtig sein wird. ~„En entrant chez Lisette j'y trouvai
sa mère et une dame de leur connoissance; après le café nous jouâmes
quadrille. A six heures Monsieur se fait annoncer et entre dans le
même instant. Il nous salue généralement, puis se postant vis à vis de
moi il me regarde pendant un quart d'heur entier. Il n'ose approcher
de moi, mais Madame l'en prie d'un ton moqueur et il s'assied entre
nous deux filles. Je lui parle avec beaucoup de complaisance, Lisette
me contemple d'un air jaloux et Madame qui se trouve piquée s'en veut
venger en me raillant de ma distraction et de mon inattention pour le
jeu; je fis semblant de ne pas comprendre ce qu'elle vouloit dire.“~
Zum großen Verdruß der beiden begleitet G. Cornelie nach Hause und auf
dem Wege kommt es zu neuen Erklärungen. ~„Que m'apprit-il là, ma chère?
des inventions infernales pour nous désunir, des mensonges ouvertes;
enfin que Vous dirai-je? je vis, mais trop tard, que je lui avois fait
tort pendant le cours de quatre années, que ma credulité en étoil la
cause, et qu'il n'a commis aucune faute que celle de me trop estimer.
Ne suis-je pas la plus blamable des filles? Grondez moi, ma chère, car
je le mérite.“~ Als sie an ihr Haus kommen, hat er ihr noch vieles, ja
die Hauptsache zu sagen -- ~„La porte s'ouvrant alors j'entre le cœur
dechiré par mille pensées diverses. Ne me plaignez pas, je le mérite.“~
Diese mitleidige Stimmung dauert aber nicht lange. Vor seiner Abreise
sieht G., welchen sie nach jener Aufklärung nicht mehr mit seinem
Spottnamen bezeichnet, sie noch einmal. ~„Ma chère, si Vous aviez
entendue ce discours Vous auriez fait des éclats de rire; pour moi
j'étois si serieuse, que l'occasion le demandoit.“~

Diese Abneigung ist übrigens eine rein persönliche gegen diesen
armen G., sonst zeigt sich Cornelie nicht unempfindlich; „sie war so
liebebedürftig, als irgend ein menschliches Wesen.“[191] Goethe erzählt
von einem Liebesverständniß zwischen ihr und einem jungen Engländer,
der sich in der Pfeilschen Pension bildete.[192] Er verkehrte viel mit
Goethe, trieb Englisch mit ihm und seiner Schwester, für welche er eine
leidenschaftliche Neigung faßte und die ihrige gewann. Nach Goethes
Bericht entstand dieses Verhältniß, ehe er nach Leipzig fortging, und
müßte während der ganzen Zeit seiner Abwesenheit bestanden haben,
denn wir sehen hier, wie es im October 1768 endigt; wenn man nicht
etwa annehmen will, daß ein zweiter Engländer ihre Neigung gewonnen
habe, was wenig wahrscheinlich ist. Allein vielleicht hat auch Goethe
nicht chronologisch genau berichtet, wie er denn, und gewiß mit gutem
Recht, in der Schilderung der Frankfurter Verhältnisse manches hier
erwähnt, was erst in spätere Zeit fällt. Wahrscheinlich hat er den
jungen Engländer schon vor seinem Abgang kennen lernen, dessen Neigung
zu Cornelie (welche damals 15 Jahr alt war) wird erst später entstanden
sein, und Goethe fand das Verhältniß zwischen beiden ausgebildet vor,
als er zurückkam.

Im Anfange ihres Tagebuches gesteht sie sich für Grandison besonders
deshalb so sehr zu interessiren, weil er ein Engländer ist. ~„Si je
puis croire, qu'il y a encore quelqu'un qui lui ressemble, il faut
qu'il soit de cette nation. Je suis extrèmement portée pour ces gens
là, ils sont si aimables et si sérieux en même tems, qu'il faut être
charmée d'eux.“~ Noch am Nachmittag desselben Tages erfolgt ein
halbes Geständniß. ~„Je viens dans ce moment de la table, et je me
suis derobée pour Vous entretenir un peu; Vous ne devez rien attendre
de prémédité dans ces lettres, c'est le cœur qui parle et non pas
l'esprit. Je voudrois bien Vous dire quelque chose, ma chère Cathérine,
et cependant j'appréhends ... mais non, Vous me pardonnerez; ne sommes
nous pas tous ensemble susceptible de foiblesses? Il y a ici un jeune
Anglois, que j'admire beaucoup; ne craignez rien, mon enfant, ce n'est
pas de l'amour, c'est une pure estime que je lui porte à cause de ses
belles qualités; ce n'est pas ce Milord dont Mlle. Meixner Vous aura
parlé sans doute, c'est un import ... st st! il est aussi Anglois, et
n'aime-je pas toute la nation à cause de mon seul aimable Harry? Si
Vous le vissiez seulement, une physionomie si ouverte et si douce,
quoiqu'avec un air spirituel et vif. Ses manières sont si obligeantes
et si polies, il a un tour d'esprit admirable; enfin c'est le plus
charmant jeune homme que j'ai jamais vu.[193] Et, et ... ah, ma chère,
il part dans quinze jours, j'en suis fort affligée quoique ce ne soit
pas une douleur pareille à celle quand on aime. J'aurois souhaité de
demeurer dans la même ville que lui pour pouvoir lui parler et le voir
toujours, je n'aurois jamais eu une autre pensée, le ciel le sait,
et il est ... mais j'en serai privée, je ne le reverrai plus. Non,
non, je ne puis le quitter tout à fait, j'ai une pensée en tête, qui
s'exécutera, il faut que ça soit, oui en verité.“~

Dieser Plan ist folgender. Sie hat einen jungen Maler kennen gelernt,
welcher aus Paris gekommen ist und die Fertigkeit besitzt, rasch
und verstohlen in Gesellschaft die Portraits anwesender Personen zu
zeichnen; sie hat sich mit ihm verabredet und denkt am Sonntag eine
musikalische Gesellschaft bei sich zu versammeln. ~„Harry sera invité
parce qu'il joue admirablement du violon; et le peintre viendra pour
faire une visite à mon frère et agira comme s'il ne savoit pas qu'il y
a de la compagnie. On fera alors très bien ses affaires et justement
quand le plus aimable des hommes joue sur son instrument -- je m'y
perds ma chère.“~ In dieser Hoffnung ist sie ganz glücklich. ~„Plus
ce jour desiré s'avance,“~ schreibt sie am Freitag, ~„plus mon cœur
palpite. Et je le verrai donc! je lui parlerai! mais à quoi ça me
sert-il? -- Hé bien folle, ne l'auras tu pas puis pour toujours -- du
moins son image, et que pretends tu de plus? Ah, ma chère, je suis
pleine de joie; Vous en aurez une copie, surement Vous ne me donnerez
pas tort de l'aimer -- Qu'ai je dit? effacerai-je ce mot? non je le
laisserai pour Vous faire voir toute ma foiblesse. Condamnez moi. --
Aujourdhui je n'écoute que le plaisir, je danse par toute la maison,
quoique quelquefois il me vienne une pensée qui me dit de me modérer
et qu'il peuvent arriver plusieurs obstacles. Mais je ne l'écoute pas,
en m'écriant dabord: Il le faut.“~ Am folgenden Tag schickt sie den
Bedienten fort, um die Damen einzuladen, ungeduldig erwartet sie seine
Rückkehr. ~„Un rêve qui j'ai eu cette nuit m'inquiète. J'entendis dire
une voix: Tu ne le verras plus! -- -- Ah, ma chère, que ferais-je? le
domestique est de retour et les dames ne viennent pas -- malheureuse
-- tout est fini. Mon orgueil est bien puni maintenant. -- Il faut que
ça soit -- j'avois bien sujet de dire ainsi. -- Ayez pitié de moi.
-- Je suis dans un état à faire compassion -- il m'est impossible de
poursuivre -- pardonnez moi toutes ces folies.“~ Einige Tage darauf
schreibt sie ruhiger: ~„La fin de ma dernière lettre étoit très
confuse, pardonnez le moi, je ne savois ce que je disois et une sorte,
de saisissement s'empara alors de mon âme. Je m'étonne quelquefois
de moi même, j'ai des passions si fortes, que dabord je suis portée
à l'excès; mais ça ne dure pas longtems et c'est là un grand bonheur
pour moi, car il n'y auroit pas le moyen d'y subsister. Pour maintenant
je suis assez tranquille, espérant que dans cinq jours il y aura
encore un dimanche -- taisons nous de peur que si nous manquons encore
une fois, on aura sujet de se moquer de nos dessins. Vous le feriez
surement, n'est ce pas, ma chère? et je le mériterois. S'il part dans
cette semaine ... ne donnons point de lieu à une idée si choquante,
la seule pensée me fait frémir.“~ Aber diese Furcht war gegründet, er
reiste wirklich während dieser Tage fort. ~„Vous attendrez,“~ schreibt
sie, ~„surement des exclamations douloureuses, si je Vous dis, que
mon aimable Anglois est parti, qu'il est parti sans pouvoir me dire
le dernier adieu, que je n'ai pas son portrait, qu'enfin toutes mes
mesures ont manqués. -- Mais, ma chère, je me comporterai comme il me
convient; quoique ça Vous étonnera après ce que je Vous ai déja écrit.
- Mon cœur est insensible à tout. -- Pas une larme, pas un seul soupir.
-- Et quelle raison en aurois-je aussi? aucune je pense. -- Cependant,
ma chère amie, y avoit-il jamais un souhait plus innocent que celui
de voir toujours son image? j'avois toujours un extrème plaisir à le
regarder, et j'en suis privée maintenant -- mais ça ne fait rien --
vous voyez toute mon indifférence -- l'état de mon âme approche à
l'insensibilité.“~

Dies ist das einzige Verhältniß, bei welchem von einer wahrhaften
Neigung Corneliens die Rede ist, sonst aber verräth sie im Verkehr mit
Männern eine eigenthümliche Reizbarkeit, ein Schwanken zwischen spröder
Zurückgezogenheit, und dem Wunsche und der geheimen Hoffnung auf sie
einen günstigen Eindruck zu machen, worüber sie mit sich selbst nicht
im Klaren ist, aber in leidenschaftliche Bewegung und Unruhe geräth.
Dies tritt in der folgenden kleinen Begebenheit sehr deutlich hervor.

                      ~Mercredi ce 26 Octobre 1 à 2 heures après diné.~

~„Dans ce moment mon frère est allé voir deux jeunes Seigneurs de
qualité, qui viennent de Leipzig, où il a eu connoissance avec eux.
Je le priai de me les décrire, ce qu'il a fait avec plaisir. Monsieur
de Oldrogg[194] l'ainé, me dit-il, a environ vingt six ans, il est
grand, de belle taille, mais son visage a des traits peu flatteurs,
il a beaucoup d'esprit, parle peu, mais tout ce qu'il dit, montre la
grandeur de son âme et son jugement élevé; il est très agréable en
compagnie, pousse la civilisation jusqu'au plus haut bout, supportant
avec condescendance les personnes d'un mérite inférieur, enfin il
possède toutes les qualités requises pour rendre un cavalier aimable.
Son frère aura vingt ans, il a la taille moins haute que l'ainé,
mais ses traits sont d'une beauté charmante, comme vous aimez à les
voir vous autres filles, il est beaucoup plus vif que l'autre, parle
souvent, quoique quelquefois mal à propos, il a le caractère aimable,
mélé avec beaucoup de feu ce qui lui va très bien; encore un peu
d'étourderie, mais ça ne fait rien. Il suffit à toi de savoir que
c'étoient là les cavaliers les plus distingués de toute notre académie.
-- Je suis charmée de cette description, ne l'êtez Vous pas aussi, ma
chère? car je Vous assure que quand mon frère loue quelqu'un il faut
qu'il ait beaucoup de mérite.~

                                                ~à six heures du soir.~

~Il est de retour; pensez, mon enfant, demain ils viendront chez nous;
je suis curieux de les voir, mais j'ai honte de me présenter à eux.
Voilà une de mes grandes foiblesses, il faut que je l'avoue; Vous
connoissez mes pensées là dessus, et Vous me pardonnerez si je rougis
en pensant de montrer à des personnes d'un tel mérite une figure si
humiliante et si peu digne d'être vue. C'est un désir innocent de
plaire, je ne souhaite rien -- Ah, ma chère, si Vous voyez les pleurs
-- non, non je n'en verse pas, ce n'est que -- ce n'est rien.~

                                          ~Jeudi à 10 heures du matin.~

~Si je pouvois Vous déployer l'état présent de mon âme, je serois
heureuse, du moins je comprendrois alors ce qui se passe en moi. Mille
pensées mortifiantes, mille souhaits à demi formés et rejetés dans le
même moment. Je voudrois -- mais non je ne voudrois rien. -- Je Vous
envie presque, ma chère, le repos que Vous goutez étant contente de
Vous même, ce que Vous avez sujet; au lieu que moi -- je ne saurois
poursuivre.~

                                               ~à 2 heures après midi.~

~Que ferai-je? Je me suis habillée pour sortir et je n'en ai pas le
courage. Je m'en irai; il m'est impossible de les voir; voyez la folle,
comme le cœur lui bat. Vingt fois les escaliers furent descendues et
autant de fois mes pas me ramenèrent dans ma chambre. Mon frère m'a
demandé si je sortois aujourdhui et je lui repondue qu'oui, ainsi je ne
saurais reculer -- Adieu, je m'en vais pour la dernière fois, prenons
courage; vite, point de grimaces. Ne suis-je pas bien ridicule?~

                                                       ~à cinq heures.~

~Me voilà revenue, je me suis trouvée mal, je crains à tout moment
une foiblesse. -- Je vais me deshabiller. -- Ils sont là, ma chère,
et pensez, il est arrivé justement un de mes cousins qui étoit depuis
quelque tems à la cour, il est aussi auprès de ces Seigneurs, s'il
lui venoit en tête de me voir. -- J'ai été surprise, mon frère est
entré et j'ai caché vitement ma lettre; ah, ma chère, il a été envoyé
de mon cousin qui veut me voir absolument, il a déja fait mon éloge à
Messieurs de Oldrogg -- je me suis excusée, disant que je me trouvois
mal; mon frère étoit effrayé en me regardant, car je suis pâle comme la
mort. Je n'y saurois aller -- que vais-je devenir? j'entends la voix
de mon cousin qui s'écrie: il faut qu'elle vienne -- il entre, ah, ma
chère, sauvez moi!~

                                                          ~à 7 heures.~

~J'y ai donc été; hé bien sotte, qu'avois du besoin de craindre? Je
suis si gaie maintenant -- écoutez moi, je Vous dirai tout ce qu'il se
passa.“~

Sie erzählt, wie ihr Vetter sie fast mit Gewalt halb besinnungslos
in den Saal geführt habe, wo sie nach den ersten Begrüßungen sich so
fern vom Licht als möglich gesetzt habe, um den Blicken der Fremden
nicht ausgesetzt zu sein, und allmälig mit Mühe einigermaßen die
Fassung gewonnen habe. Nach einigen Complimenten lenkt der Vetter das
Gespräch auf ihren Bruder. ~„Ma chère cousine je ne Vous ai pas encore
communiqué la joye que j'ai ressentie en trouvant à mon retour ici un
cousin si aimable; on a sujet de Vous féliciter d'un frère si digne
d'être aimé. -- Je suis charmée, Monsieur, que Vous aites convaincu à
présent combien j'avois raison d'être affligée de l'absence de ce frère
chéri; ces trois années ont été bien longues pour moi, je souhaitois
à tout moment son retour. -- Ma sœur, ma sœur, et maintenant que je
suis là personne ne désire de me voir, c'est tout comme si je n'y étois
pas. -- Point de reproches, mon frère, Vous le savez Vous même, que
c'est ne pas là ma faute; Vous êtez toujours occupé et je n'ose Vous
interrompre si souvent que je le voudrois. -- Mais, ma chère cousine,
comment va donc la musique? Vous excelliez déja l'hiver passé, que ne
sera ce maintenant! Oserois-je Vous prier de me faire entendre Vos
nouveaux progrès? je suis sur que ces Messieurs en seront charmés. --
Il faut Vous dire, ma chère, que je me portois mieux à tout moment,
et je commencois à recouvrir toute ma présence d'esprit. Je me levai
d'abord et lorsqu'ils virent que je marchois vers mon clavecin ils se
postèrent tous autour de moi; le cadet se mit de façon à pouvoir me
regarder à son aise pendant que je jouois. Je le surpris quelque fois.
Je fus deconcertée un peu sans savoir pourquoi, je rougissai -- mais,
ma chère, pourquoi me regardoit il aussi? -- cependant j'exécutai assez
bien mon concert. Mon cousin me ramena à ma chaise et en me demandant
ce qu'il devoit faire encore pour m'obliger je le priai de reprendre
sa place, Vous saurez qu'elle étoit vis à vis de moi. -- Je vois à
quoi ça aboutit, s'écriat-il, Vous voulez que je m'éloigne, c'est Vous
Monsieur, dit-il au jeune d'Oldrogg, qu'elle a élu pour être toujours
près d'elle. -- Ah, ma chère, que le cœur me battoit, je ne sus que
dire; le jeune d'Oldrogg étoit en peine pour moi, je le vis à l'émotion
peinte sur son charmant visage. Il me regardoit timidement comme s'il
eut craint de m'offenser. Je ne pouvois me défendre le plaisir de le
contempler, je crus voir mon aimable Harry, je ne sais plus que ce je
pensois alors. -- Mon frère pour donner un tour à la conversation parla
de Leipzig, du tems agréable qu'il y avoit passé et en mème tems il
commença à se plaindre de notre ville, du peu de goût qui y regnoit,
de nos citoyens stupides et enfin il s'émancipa que nos demoiselles
n'étoient pas supportables. Quelle différence entre les filles Saxonnes
et celles d'ici, s'écria-t-il.[195] -- Je lui coupai la parole et
m'adressant à mon aimable voisin, Monsieur, lui dis-je, ce sont ces
reproches, qu'il faut que j'entende touts les jours. Ditez moi, je
Vous prie, si c'est en effet la vérité, que les dames Saxonnes sont
tant supérieures à celles de toute autre nation? -- Je vous assure,
Mademoiselle, que j'ai vu le peu de tems que je suis ici beaucoup
plus de beautés parfaites qu'en Saxe; cependant j'ose Vous dire, ce
qui porte tant Ms. Votre frère pour elles c'est qu'elles possèdent
une certaine grace, un certain air enchanteur -- C'est justement,
interrompit mon frère, cette grace et cet air qui leur manque ici, je
suis d'accord qu'elles sont plus belles, mais à quoi me sert cette
beauté, si elle n'est pas accompagnée de cette douceur infinie, qui
enchante plus que la beauté même? -- Juste ciel, il sonne dix heures,
il faut aller me coucher, je n'ai pas soupée aujourdhui pour pouvoir
Vous dire tout ça. Le cadet prit un congé très poli de moi, il baisa ma
main, la serra à plusieurs reprises, je crus presque qu'il ne vouloit
plus me la rendre. Qu'avoit il besoin de se comporter tellement?
J'envie ces belles dames qu'il a vu ici, n'y auroit il pas une douceur
infinie de plaire à un tel homme? -- Mais pourquoi dis-je cela? Vous
voyez, que le sommeil m'égare.“~

Auch am folgenden Tage erzählt sie von den Brüdern _Olderogge_, daß sie
einige hundert Meilen weit herkämen und nun nach vollendeten Studien
eine große Reise durch Europa machten, daß ihr Bruder den ganzen Tag
mit ihnen sei und daß sie ihn um dies Glück beneide. Dann schreibt sie
am Mittwoch: ~„Messieurs de Oldrogg viendront cet après-midi, je m'en
rejouis -- du moins je verrai encore une fois cet aimable visage, qui a
tant de ressemblance... st, st. -- On m'interrompt -- c'est mon frère,
que va-t-il dire? -- Ah, ma chère, plaignez moi -- tout s'accumule
pour me faire désespérer -- ils partent ce matin -- que ferai-je? --
Si Vous vissiez ma peine, elle est audessus de mes forces -- tous
les plaisirs que je me promets me manquent -- à quoi suis-je encore
reservée? -- Ils passeront par Worms et y logeront à l'empereur Romain
-- Vous les verrez peut-être. -- Mon frère s'en est allé dans ce moment
pour leur dire adieu -- ah! quelle pensée s'offre à mon esprit -- non,
non -- Adieu.“~

Die Leidenschaft, mit welcher sie sich hier ausspricht, ist durch
die Ähnlichkeit des jüngeren _Olderogge_ mit ihrem _Harry_ nicht
vollständig erklärt. Die Abreise des letzteren fällt in die Zeit dieses
Besuches und man fühlt sich fast versucht, die Ruhe, mit welcher sie
dieselbe erträgt, zum Theil auf das für die Freunde des Bruders erregte
Interesse zu schieben. Wenn es gleich begreiflich ist, daß sie in
dieser Zeit ungewöhnlich aufgeregt war, so zeigt sie doch auch sonst
eine ähnliche Reizbarkeit und Unruhe, welche einen tieferen Grund
haben. Die Art, wie sie über die Liebesverhältnisse ihrer Freundinnen
sich äußert, zeigt, wie sehr sie sich mit denselben beschäftigt und in
ihrer Phantasie sich selbst in einer gewissen Weise damit verflicht.
Die feurige Neigung und die treue Anhänglichkeit _Dorvals_ bewundert
sie lebhaft und hebt sie gegen _Lisettes_ Flatterhaftigkeit mit einem
eigenen sympathetischen Gefühl hervor. Etwas Ähnliches tritt in einem
anderen Verhältniß höchst wunderbar hervor.

_Marie_ B., die Tochter eines der reichsten Reformirten, hat sich mit
einem Herrn _St. Albain_ verlobt, einem jungen, schönen Mann, voll
Geist und ernsthafter als man von einem Franzosen erwarten sollte.
Cornelie ist die vertraute Freundin von Marie, und St. Albain aus
diesem Grunde sehr freundlich gegen sie, ja in einer Weise aufmerksam,
daß Marie, wenn sie des Herzens ihres Verlobten nicht ganz sicher
wäre, wohl eifersüchtig werden könnte. ~„Hier au soir il me mena en
carrosse chez moi. Il gardoit longtems le silence, puis tout d'un
coup comme s'il éveilloit d'un songe il me demande avec empressement:
Chère Miss, quand Vous reverrai-je? -- Eh, lui repondis-je en riant,
que Vous importe de me voir. -- Ma aimable Miss, Vous ne savez pas
... Vous ne croyez pas ... que dirai-je? mais non, je ne dirai rien
... Miss, venez Vous demain au bal? -- Non je n'y vais pas, on me l'a
défendu par rapport à ma santé; Miss Marie y ira et cela Vous suffit.
Heureux St. Albain, Vous serez bientôt lié à cette admirable fille, que
désirez Vous de plus? -- Moi? ... rien que ... votre amitié ... me la
promettez Vous? -- Oui, Saint Albain, et voilà ma main pour gage, tant
que Votre charmante épouse m'honorera de son amitié, Vous avez droit
sur la mienne, je Vous estimerai toujours, nous vivrons ensemble, en
amis, nous nous verrons souvent ... Souvent, Miss! est-ce bien vrai?
conservez ses pensées! mais ... Eh bien mais, qu'y a-t-il encore? --
C'est là que la carrosse s'arrêta, il prit ma main. Vous ne viendrez
donc pas au bal? -- Non, Vous dis-je, mais mardi prochain chez Miss
Philippine. -- Adieu donc jusqu'à là, j'y verrais sûrement, n'oubliez
pas Votre promesse. -- Non, non, Saint Albain, je ne l'oublierai pas.
-- Que vouloit-il dire par tout cela, ma chère? Sotte que je suis, il
s'est cru obligé de me faire quelques compliments et voilà tout. Je ne
saurois Vous dire combien je l'estime et combien il mérite de l'être.“~

Auf diesem Ball erhitzt sich _St. Albain_, wird krank und stirbt in
wenig Tagen. Cornelie ist außer sich vor Schmerz über den Tod dieses
liebenswürdigen jungen Mannes, bei dem Gedanken an seine Braut, an
seine Eltern; der Tag, an welchem sie versprochen hatte, ihn in
Gesellschaft zu sehen, ist der Tag seines Begräbnisses. Allmälig wird
sie ruhiger, aber diese ruhige Trauer ist ihr wohlthuend und wird
ihr lange bleiben. Mit großer Überwindung geht sie ins Concert, die
Musik macht keinen Eindruck auf sie, sie denkt nur an St. Albain und
fürchtet, daß man mit ihr von ihm sprechen möge, sie malt sich den
Jammer der trostlosen Braut aus. Zu ihrem Erstaunen tritt diese in
ausgesuchter Trauerkleidung in den Saal, setzt sich in ihre Nähe, und
sie hört die frivolsten Äußerungen von ihr, Trauer habe sie gar nicht
empfunden, sei heiterer als je und verwünsche die düstere Kleidung,
die sie tragen müsse. Sie ist außer sich und verbirgt mit Mühe ihre
Entrüstung, da aller Augen auf sie gerichtet sind; im Innern preist
sie St. Albain glücklich, daß er diese Frau nicht bekommen habe, die
seiner so unwürdig ist, und deren Freundin zu sein sie aufhört, da
sie dieselbe kennt. Später, als jener G. sie im Wagen nach Hause
begleitet, kommt _St. Albain_ ihr ins Gedächtniß. Wenn er an ihrer
Seite wäre! Doch sie hat sich das Wort gegeben, von ihm nicht mehr zu
sprechen.

In allen diesen Zügen spricht sich die tiefe Sehnsucht eines fühlenden
Herzens nach Liebe aus, das innere Bewußtsein, einer treuen und festen
Neigung fähig und bedürftig zu sein, aber auch dieser eigenthümliche
Widerspruch, daß sie an sich selbst zweifelt und dadurch verhindert,
daß dieses Bedürfniß in der Wirklichkeit Befriedigung finde, während
sie sich in phantastische Verhältnisse hineinträumt. Daher die
fortwährende leidenschaftliche Anspannung und Unruhe ihres Gemüths,
welche indeß ihre edle Gesinnung und ihren sittlichen Ernst nie
verdeckt. Nirgends tritt in allen diesen Äußerungen auch nur die
geringste sinnliche Regung hervor, ebensowenig ein Bewußtsein ihrer
überlegenen Geisteskräfte; sie hat nur das schmerzliche Gefühl, daß
sie den Eindruck nicht mache, welcher für ein weibliches Wesen der
natürliche und darum allein befriedigende ist. Aus ihren eigenen
Aufzeichnungen, die auch in dieser Hinsicht eine rührende, ja
großartige Offenheit zeigen, wie aus Goethes Charakteristik ergiebt
sich ein wesentlicher Grund dieser unglücklichen Stimmung: es war
das Gefühl, daß sie durch ihr unschönes Äußere unfähig sei, Liebe
einzuflößen.[196]

„Sie war,“ so beschreibt Goethe seine Schwester, „groß, wohl und zart
gebaut und hatte etwas natürlich würdiges in ihrem Betragen, das in
eine angenehme Weichheit verschmolz. Die Züge ihres Gesichts, weder
bedeutend noch schön, sprachen von einem Wesen, das weder mit sich
einig war noch werden konnte. Ihre Augen waren nicht die schönsten,
die ich jemals sah, aber die tiefsten, hinter denen man am meisten
erwartete, und wenn sie irgend eine Neigung, eine Liebe ausdrückten,
einen Glanz hatten ohne gleichen; und doch war dieser Ausdruck
eigentlich nicht zärtlich, wie der, der aus dem Herzen kommt und
zugleich etwas sehnsüchtiges und verlangendes mit sich führt; dieser
Ausdruck kam aus der Seele, er war voll und reich, er schien nur geben
zu wollen, nicht des Empfangens zu bedürfen.“

„Was ihr Gesicht aber ganz eigentlich entstellte, so daß sie wirklich
manchmal häßlich aussehen konnte, war die Mode jener Zeit, welche nicht
allein die Stirn entblößte, sondern auch alles that, um sie scheinbar
oder wirklich, zufällig oder vorsätzlich zu vergrößern. Da sie nun die
weiblichste, rein gewölbteste Stirn hatte und dabei ein Paar starke
schwarze Augenbraunen und vorliegende Augen; so entstand aus diesen
Verhältnissen ein Contrast, der einen jeden Fremden für den ersten
Augenblick wo nicht abstieß, doch wenigstens nicht anzog. Sie empfand
es früh, und dies Gefühl ward immer peinlicher, je mehr sie in die
Jahre trat, wo beide Geschlechter eine unschuldige Freude empfinden,
sich wechselseitig angenehm zu werden.“

„Niemandem kann seine eigene Gestalt zuwider sein, der häßlichste wie
der Schönste hat das Recht, sich seiner Gegenwart zu freuen; und da
das Wohlwollen verschönt, und sich jedermann mit Wohlwollen im Spiegel
besieht, so kann man behaupten, daß jeder sich auch mit Wohlgefallen
erblicken müsse, selbst wenn er sich dagegen sträuben wollte. Meine
Schwester hatte jedoch eine so entschiedene Anlage zum Verstand, daß
sie hier unmöglich blind und albern sein konnte; sie wußte vielleicht
deutlicher als billig, daß sie hinter ihren Gespielinnen an äußerer
Schönheit sehr weit zurückstehe, ohne zu ihrem Troste zu fühlen, daß
sie ihnen an inneren Vorzügen unendlich überlegen sei.“

Die Zeichnung,[197] welche Goethe von seiner Schwester mit Bleistift
flüchtig auf dem breiten Rand eines Correcturbogens vom Götz,[198]
also im Jahre 1773,[199] entworfen hat, macht uns diese Beschreibung
anschaulich. Die Ähnlichkeit der beiden Geschwister, welche so groß
war, daß man sie in früheren Jahren für Zwillinge halten konnte,[200]
ist unverkennbar, besonders wenn man das im Jahr 1779 von _May_
gemalte Bild Goethes[201] vergleicht. Allein die stark ausgesprochenen
Formen geben dem weiblichen Gesicht etwas Schroffes und Herbes, und
auch dem Ausdruck desselben fehlt Freiheit und Sicherheit. Daß jener
unvortheilhafte Kopfputz mit Recht Goethe so sehr mißfiel, davon kann
man sich nun auch überzeugen.

Wie richtig Goethe seine Schwester beurtheilte, geht aus ihren Briefen
hervor. Wie nahe sie sich auch standen, so daß sie sich gegenseitig
ihre kleinen Herzensangelegenheiten, ihre Liebes- und andere Händel
mittheilten,[202] so ist es nur natürlich, daß das Mädchen gegen ihre
Freundin manches offner aussprach als gegen ihren Bruder. Sie scheut
sich nicht das, was sie selbst mitunter als thörichte Eitelkeit tadelt,
merken zu lassen, den Kummer über ihr unvortheilhaftes Äußere und den
Wunsch zu gefallen (s. S. 239 f. 261 f. 266). Eines Morgens überrascht
ein neu angekommener Resident,[203] der ihrem Vater seinen Besuch
macht, sie bei der Toilette in ihrem Zimmer, das auch als Besuchzimmer
dient; in der äußersten Verlegenheit entfernt sie sich auf eine sehr
ungeschickte Weise. ~„Je repris mes forces en venant dans le froid,
et lorsque je me regardai dans une glace je me vis plus pâle que la
mort. Il faut Vous dire en passant, que rien ne ma va mieux que quand
je rougis ou pâlis par émotion. Tout autre que Vous me croiroit de
la vanité en m'entendant parler ainsi; mais Vous me connoissez trop
pour m'en croire susceptible et cela me suffit.“~ Wenige Tage darauf
sieht sie ihn im Concert, sie findet ihn so liebenswürdig, daß sie ihn
zum Modell wählen würde, wenn sie den Liebesgott malen sollte; dabei
denkt sie an die traurige Figur, welche sie vor ihm gespielt. Sie
hört, wie er mit dem Marquis von _Saint Sever_ sich lebhaft über ein
schönes Mädchen unterhält, die großen Eindruck auf beide gemacht hat.
Glückliches Mädchen! denkt sie. Es ist _Lisette v. Stockum_, deren
Schönheit ihr schon früher die Äußerung entlockt: ~„Quel avantage que
la beauté! elle est préférée aux graces de l'âme.“~ Nachher wendet sich
der Resident auch an sie und unterhält sie artig: nun ist sie glücklich
und zufrieden.

Ein andermal schreibt sie: ~„Je Vous pris de ne plus me faire rougir
par Vos louanges que je ne mérite en aucune façon. Si ce n'étoit pas
Vous, ma chère, j'aurois été un peu piquée de ce que Vous ditez de mon
extérieur, car je pourrois alors le prendre pour de la satire; mais je
sais que c'est la bonté de votre cœur qui exige de Vous de me regarder
ainsi. Cependant mon miroir ne me trompe pas s'il me dit que j'enlaidis
à vue d'œil. Ce ne sont pas là des manières, ma chère enfant, je parle
du fond du cœur et je Vous dis aussi que j'en sois quelquefois pénétrée
de douleur, et que je donnerois tout au monde pour être belle.“~

Sie giebt deshalb auch allen Glauben an ein Glück, das sie durch die
Liebe finden könnte, auf. ~„Qu'en ditez Vous, ma chère, que j'ai
renoncé pour jamais à l'amour. Ne riez pas, je parle sérieusement,
cette passion m'a fait trop souffrir, pour que je ne lui dise pas adieu
de tout mon cœur. Il y eut un tems, où remplie des idées romanesques
je crus qu'un engagement ne pût être parfaitement heureux sans amour
mutuel; mais je suis revenue de ces folies là.“~

Noch herber und mit einer grausamen Kälte gegen sich selbst spricht
sie später ihre Hoffnungslosigkeit aus: ~„Quel don dangereux que la
beauté! je suis charmée de ne pas l'avoir, du moins je ne fais point
de malheureux. C'est une sorte de consolation et cependant si je la
pèse avec le plaisir d'être belle, elle perd tout son mérite. Vous
aurez déja entendue que je fais grand cas des charmes extérieures, mais
peutêtre que Vous ne savez pas encore que je les tiens pour absolument
nécessaires au bonheur de la vie et que je crois pour cela que je ne
serai jamais heureuse. Je Vous expliquerai ce que je pense sur ce
sujet. Il est évident que je ne resterai pas toujours fille, aussi
seroit-ce très ridicule d'en former le projet. Quoi-que j'ai depuis
longtems abandonnée les pensées romanesques du mariage je n'ai jamais
effacée une idée sublime de l'amour conjugal, cet amour, qui selon mon
jugement peut seul rendre une union heureuse. Comment puis-je aspirer
à une telle felicité ne possédant aucun charme qui pût inspirer de la
tendresse. Epouserai-je un mari que je n'aime pas? Cette pensée me fait
horreur et cependant ce sera le seul parti qui me reste, car où trouver
un homme aimable qui pensât à moi? Ne croyez pas, ma chère, que ce soit
grimace; Vous connoissez les replis de mon cœur, je ne Vous cache rien,
et pourquoi le ferois-je?“~

Der Anblick dieser durch eine rücksichtslose Schärfe des Verstandes
über ein leidenschaftliches Herz schwer errungenen Resignation, welche
die hohe Vorstellung von dem wahren Glück der Liebe in ihrer Reinheit
festhält, aber aus Mißtrauen gegen sich selbst es aufgiebt, dasselbe
zu erreichen, ist um so erschütternder, wenn man sich vergegenwärtigt,
wie diese traurige Ahnung später an ihr in Erfüllung gegangen ist. Es
wird hiedurch noch klarer, daß der Grund, weshalb sie in der Ehe mit
_Schlosser_, dem man gewiß keine Ursache hat eine Schuld anzuweisen,
keine Befriedigung fand, tief in ihrer Natur lag, und gewiß hat sie
durch das fortgesetzte strenge Reflectiren über sich selbst die
Fähigkeit sich unbefangen hinzugeben mehr und mehr erstickt. Übrigens
tritt auch die Kränklichkeit, welche später auch ihren gemüthlichen
Zustand so schwer und trübe machte,[204] schon jetzt hervor. Sie klagt
wiederholt über ihre Gesundheit, sie werde hypochonder, bald heftig und
leidenschaftlich, bald stumpf und gleichgültig. Die trübe Stimmung,
welche der allgemeine Grundton dieser Aufzeichnungen ist, spricht sich
in dem aus, was sie an ihrem Geburtstag niederschreibt.

                                         ~Mercredi ce 7 Decemb. (1768)~

~C'est aujourd'hui le jour de ma naissance où j'ai dix-*huit ans
accomplis.[205] Ce tems est écoulé comme un songe, et l'avenir passera
de même, avec cette différence qu'ils me restent plus de maux à
éprouver que je n'en ai senti. Je les entrevois.~

Daß Cornelie ihrer Eltern nie erwähnt, ist begreiflich, da sie, wie
Goethe erzählt, gegen den Vater, der sie mit seiner pedantischen
Lehrhaftigkeit plagte und ihr so manche unschuldige Freude verhinderte
und vergällte, die ganze Härte ihres Charakters wandte, zum großen
Kummer ihrer Mutter, der sie aber, wie es scheint, auch nicht nahe
stand.[206] Von dem Bruder ist dagegen, obgleich diese Aufzeichnungen
größtentheils ihre eigensten Angelegenheiten berühren, oft die Rede.
Er war noch leidend von Leipzig zurückgekommen und sein Zustand machte
den Seinigen Sorge.[207] An ihrem Geburtstage (1768) ward er von einer
heftigen Kolik befallen, so daß er die furchtbarsten Schmerzen litt,
vergebens suchte man ihm einige Linderung und Ruhe zu verschaffen; sie
hatte es nicht länger aushalten können, ihn in einem Zustande zu sehen,
der ihr das Herz zerriß, ohne daß sie ihm helfen konnte. Zwei Tage
hielt dieser schreckliche Zustand an, dann wurde er etwas besser, doch
konnte er noch keine Viertelstunde sich aufrecht erhalten; indessen
hofft sie, wenn nur die Schmerzen erst aufhören, werden die Kräfte
sich schon wieder einstellen.[208] Sein Zustand erregt allgemeine
Theilnahme, wo sie sich in Gesellschaft zeigt, drängt alles sich um
sie, Freunde und Freundinnen, um von seinem Befinden Nachricht zu
erhalten. Anfang Januar 1768, da er ganz wieder hergestellt ist, giebt
der Rath _Moritz_,[209] um das frohe Ereigniß zu feiern, ihm eine
Gesellschaft. Allein nicht lange nachher tritt ein neuer Anfall der
Krankheit ein.[210]

Wie die Geschwister alles mit einander theilten, so auch das Interesse
für ihre Freunde. Cornelie theilt ihrem Bruder Briefe von Katharine
Fabricius mit, welche ihm so lebhaftes Interesse einflößen, das er,
ohne sie gesehen zu haben, mit ihr in einen Briefwechsel tritt und
auch für Cornelie die Correspondenz übernimmt; sie überläßt ihm um so
lieber die officiellen Briefe zu schreiben, da sie mit dem Tagebuch
beschäftigt ist, von welchem auch er nichts weiß. Übrigens meint sie,
die Freundin werde gewiß an den Briefen ihres Bruders Freude haben,
und bittet sie ihm zu antworten, dem das zumal in seiner Krankheit
eine angenehme Zerstreuung sei;[211] und an ihren Briefen finde er
solche Gefallen, daß er ihrer jüngeren Schwester, welche ihm einen
Brief von ihr gezeigt, so lange mit Bitten zugesetzt habe, bis sie
ihm denselben überlassen habe. Je näher sie ihn kennen lerne und sein
Betragen beobachte, desto mehr werde sie sich von seiner Aufrichtigkeit
überzeugen und daß er nicht anders spreche als er denke: wie er das
auch von sich selbst sagt.[212] Wiederum vertraut sie ihr auch an, daß
ihr Bruder sich mit seinem Freunde _Müller_ nicht mehr so gut stehe
wie früher; ihre Grundsätze seien zu verschieden, denn die Philosophie
ihres Bruders gründe sich auf Erfahrung, die seinige nur auf Lectüre.
Auch habe er sich bei der Krankheit des Bruders recht kalt benommen,
und sie sehe nun wohl ein, daß seine Principien für das praktische
Leben und die Welt nicht passen. Man sieht daraus, daß Goethe die
Erfahrung, mit welcher ihm Behrisch so viel Noth machte und um die
er sich so große Mühe gab,[213] auch gegen Cornelie geltend machte,
wie er sich denn auch sonst darauf nicht ohne Stolz beruft.[214] Ein
eigenthümlicher Beweis von Goethes Einfluß auf seine Schwester ist
ihre Handschrift. Anfangs ist sie deutlich und fest, aber sehr steif,
allmälig wird sie schlanker, freier und nähert sich der seinigen immer
mehr, mit der sie zuletzt die größte Ähnlichkeit hat. Von seinen
Arbeiten spricht sie leider weniger als man wünschte; er zeichnet ihr
allerliebste Köpfe, von welchen sie der Freundin einige zu schicken
verspricht, er liest ihr alles vor, was er schreibt, und sie hört
ihm mit außerordentlichem Vergnügen zu;[215] da sie schreibt (16.
Nov. 1768), ist er gerade mit einer neuen Komödie beschäftigt. Ob die
_Mitschuldigen_ gemeint sind, an welchen er in Frankfurt fortwährend
besserte,[216] oder die oben (S. 153) erwähnte Farce, oder sonst etwas
anderes -- wer kann das wissen?

Fußnoten:

[176] Werke ~XXI.~ S. 13.

[177] Ihr voller Name war _Cornelie Friederike Christiane_.

[178] Vgl. S. 149.

[179] _Joh. Balth. Kölbele_, ~Dr. jur.~ und Rechtspraktikant, auch
Schriftsteller und Judenbekehrer, starb 1778.

[180] Werke ~XX.~ S. 181.

[181] Werke ~XX.~ S. 139. 143. 150.

[182] Er hieß eigentlich _Schubart_ und kam 1760 nach Paris. Bei Gerber
ist sein Todesjahr falsch 1768 angegeben.

[183] Eckermann Gespr. ~II.~ S. 331.

[184] Werke ~XXII.~ S. 68.

[185] Werke ~XXI.~ S. 17.

[186] Es sind dieselben Mädchen aus der Familie _Gerold_, welche in
Goethes Briefwechsel mit _Hel. Elis. Jacobi_ (S. 9. 11. 14) erwähnt
werden, und von denen einige Cornelie in Emmendingen Gesellschaft
zu leisten pflegten, Werke ~XXII.~ S. 346 (wo der Name _Gerock_ ein
Versehen zu sein scheint.)

[187] Vgl. S. 141 f. 151.

[188] Vgl. S. 98. 139. 208.

[189] Landgraf _Ludwig_ ~VIII.~ von Hessen-Darmstadt starb den 17.
Octob. 1768 (Cornelie schreibt den 19. Oct.). Der zweite Sohn desselben
war Prinz _Georg Wilhelm_, geb. 1722, gest. 1782.

[190] Diese Benennung ~Miss~ kommt sehr häufig vor; ob sie damals durch
die englischen Romane Mode geworden war, oder nur eine Liebhaberei von
Cornelie, weiß ich nicht zu sagen.

[191] Werke ~XXI.~ S. 151.

[192] Werke ~XXI.~ S. 18 ff.

[193] Goethe sagt von ihm: „Er war groß und wohlgebaut, wie sie, nur
noch schlanker; sein Gesicht, klein und eng beisammen, hätte wirklich
hübsch sein können, wäre es durch die Blattern nicht allzusehr
entstellt gewesen; sein Betragen war ruhig, bestimmt, man durfte es
wohl manchmal trocken und kalt nennen; aber sein Herz war voll Güte und
Liebe, seine Seele voll Edelmuth und seine Neigungen so dauernd als
entschieden und gelassen.“

[194] _Johann Georg v. Olderogge_ studirte in Leipzig seit 1764, sein
jüngerer Bruder _Heinrich Wilhelm_ kam ein Jahr später dahin; sie
waren aus Lievland. Goethe erzählt (Werke ~XXI.~ S. 65), daß mehrere
Lievländer zu seiner Tischgesellschaft gehörten.

[195] Vgl. S. 139 f.

[196] Werke ~XXI.~ S. 15 ff. vgl. Eckermann Gespr. ~II.~ S. 331 f.

[197] Sie befand sich im Nachlaß von _Friederike Oeser_.

[198] „Es war mir fast unmöglich, bei meinen Zeichnungen ein gutes,
weißes, völlig reines Papier zu gebrauchen; graue, veraltete, ja schon
von einer Seite beschriebene Blätter reizten mich am meisten, eben als
wenn meine Unfähigkeit sich vor dem Prufstein eines weißen Grundes
gefürchtet hätte.“ Werke ~XXI.~ S. 11.

[199] In diesem Jahr erschien _Götz von Berlichingen_; und am 14.
Novemb. 1773 reisten die kurz vorher vermählten _Schlossers_ von
Frankfurt ab, Goethes Briefw. m. Jacobi, S. 12.

[200] Werke ~XXI.~ S. 14.

[201] Briefe an Merck ~I.~ S. 169.

[202] Briefe ~XXII.~ S. 127.

[203] _Friedr. Sam. v. Schmidt_, Herr zu _Rossan_ und _Hullhausen_,
wurde den 14. Nov. 1768 zum Residenten für Baden-Durlach ernannt
(Fichard, Frankfurt. Archiv ~II.~ S. 362); der Besuch fand am 11. Dec.
Statt.

[204] Vergl. die Briefe von Cornelie in den Briefen an die Gr.
Stolberg. S. 139 ff. an Frau v. Stein ~I.~ S. 41. 66.

[205] Nicolovius giebt den 8. Decbr. als ihren Geburtstag an (J.G.
Schlosser S. 36). Sie war ein Jahr jünger als Goethe, Werke ~XX.~ S. 77.

[206] Werke ~XXI.~ S. 150.

[207] Vgl. S. 69. 120. 146.

[208] „Eine gestörte und man dürfte wohl sagen für gewisse Momente
vernichtete Verdauung brachte solche Symptome hervor, daß ich unter
großen Beängstigungen das Leben zu verlieren glaubte und keine
angewandten Mittel weiter etwas fruchten wollten.“ Werke ~XXI.~ S. 156
f. Vgl. oben S. 76 f.

[209] Werke ~XX.~ S. 135 f. ~XXII.~ S. 229 f. Reliquien der Frl. v.
Klettenberg S. 244 f.

[210] Vgl. S. 80. 153.

[211] Vgl. S. 159.

[212] Vgl. S. 164.

[213] Werke ~XXI.~ S. 111 ff.

[214] Vgl. S. 163.

[215] Werke ~XXII.~ S. 128. 149.

[216] Werke ~XXI.~ S. 165 f.



Goethes Briefe an Friedrich Rochlitz.


I.[217]

Sie sind überzeugt daß ich herzlichen Antheil an dem sonderbaren
Glückswechsel nehme, der Sie so unvermuthet betroffen hat. Da dieser
Faden gerissen ist so säumen Sie ja nicht andere wieder anzuknüpfen
und wäre es auch nur zuerst sich zu zerstreuen. Mögen Sie mir manchmal
schreiben, so soll es mir angenehm seyn. Ich bin zwar nicht der beste
und treuste Correspondent, indessen ließe sich ja wohl manchmal etwas
über dramatische Kunst verhandeln, in der Sie schon die artigen Proben
gegeben haben.

In eben dem Sinn wiederhole ich meinen Wunsch daß Sie um den
ausgesetzten Preis mit concurriren möchten.[218] Denn indem Sie das
thun, regt sich denn doch eine kleine Welt in Ihrer Einbildungskraft
und zieht Sie ab, von andern Gedanken, die sich Ihnen in der Zeit
vielleicht aufdringen würden.

Das kleine neue Stück[219] gedenke ich, ohne Nahmen, aufführen zu
lassen, nicht weil ich es für geringer halte als das vorige,[220]
sondern um desto reiner zu sehen welchen Effect es thut.

Ich werde einige kleine Veränderungen daran machen und Ihnen kürzlich
alsdann die Ursachen anzeigen.

Für das überschickte Geld folgt hierbey die Quittung. Unsere
Canzleyleute werden sich für den reichlichen Überschuß einen guten
Feyertag machen.

Manches was ich über Ihren Fall schreiben könnte weiß sich ein
gebildeter Mann selbst zu sagen, einiges, das ich aus meiner langen
Erfahrung wohl darüber sagen möchte, darf ich nicht schreiben.
Vielleicht treffen wir bald irgend wo zusammen und mein Vertrauen soll
dem Ihrigen von Herzen begegnen.

Gehen Sie, mit völlig wieder erlangter Gesundheit, ins neue Jahrhundert
hinüber und nehmen Sie, wie bisher, mit Geist und Talent an demjenigen
Theil was etwa den Menschen zunächst bescheert seyn mag und erhalten
mir eine freundschaftliches Andenken.

Jena am 25 Dec. 1800.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[217] Goethes Briefe an Rochlitz sind durch Vermächtniß in den Besitz
des Hrn. _Keil_ übergegangen, welcher deren Veröffentlichung gestattet
hat. Es sind nur wenige von Goethe selbst geschrieben, diese sind mit
einem Sternchen bezeichnet; nicht selten aber hat Goethe zum Schluß
einige Worte mit eigener Hand hinzugefügt, diese sind mit gesperrter
Schrift gedruckt.

[218] Vgl. Schillers Brief ~VI.~ S. 54 f. an Körner ~IV.~ S. 237 f.
Goethe an Schlegel S. 45.

[219] Jedem das Seine. Lustspiel in einem Aufzuge.

[220] Es ist die rechte nicht. Lustspiel in 2 Akten.


II.

Die Aufführung des kleinen Stücks ward von Zeit zu Zeit, wie es bey
Theatern zu gehen pflegt, aufgeschoben; desto angenehmer ist mirs daß
ich gegenwärtig von einer sehr guten Aufnahme desselben sprechen kann,
ohngeachtet ich mit der Darstellung nicht ganz zufrieden war. Daß ich
den Verfasser verschwieg erregte von einer Seite Neugierde und ließ von
der andern den Eindruck desto unbefangner. Das nächstemal soll es noch
besser werden, indessen hat doch schon eine Liebhabergesellschaft, die
sich hier befindet, sich das Stück ausgebeten, welches denn auch ein
gutes Zeichen ist.

Das Original sende ich mit Dank zurück. Die wenigen Veränderungen
die ich gemacht habe, betreffen einige harte Worte, welche man unter
Personen einer gewissen Art, besonders unter Soldaten, mit Recht
vermeidet, sodann einige Scherze welche sich auf Philosophie beziehen,
die ich im doppelten Sinne nicht billigen kann, weil man entweder
dadurch keine Wirkung hervorbringt, oder weil man die Menge veranlaßt
über etwas zu lachen das sie nicht versteht und das sie wenigstens
verehren sollte.[221]

Verzeihen Sie diese Pedanterie; man weiß aber nicht eher als nach einem
längern Lebenslauf was ächte Maximen, die uns über das Gemeine heben,
für einen hohen Werth haben, der so selten anerkannt wird.

Darf ich Sie nun mit einigen Aufträgen beschweren?

Ich wünschte Nachricht von einem Manne, welcher sich Johann Leonhardt
Hoffmann nennt, und einen Versuch einer Geschichte der Farbenharmonie
1786, in Hendels Verlag, zu Halle, herausgegeben. Die Dedication
an Herrn Gottfried Winkler, in welcher sich der Verfasser einen
Franken nennt, ist von Leipzig aus datirt, wo er sich eine Zeit lang
aufgehalten und mit Oeser Umgang gehabt haben mag. Vielleicht haben Sie
Gelegenheit etwas näheres über diesen Mann zu erfahren, der mir von
gewissen Seiten interessant geworden ist.[222]

Alsdann hätten Sie wohl die Güte mir ein _gebundnes_ Exemplar, von
dem im October 1800 geschlossnen Jahrgang der musikalischen Zeitung zu
verschaffen. Den ersten bis zum October 1799 besitze ich. Die Auslage
werde ich mit Dank sogleich erstatten.

Sollte Ihnen nicht ein Liedchen bekannt geworden seyn, das von
Capellmeister Himmel componirt ist, es drückt die Unruhe eines
verliebten Mädchens aus, das sich seinen Zustand nicht erklären kann,
jeder Vers endigt sich mit einer Partikel z. B. Ich weiß nicht _woher_,
_wohin_, _warum_. Es ist ein Scherz, den man in einer Gesellschaft wohl
gern einmal hören mag.

Die Fragen wegen Wilhelm Meisters möchte ich am liebsten einmal
mündlich beantworten. Bey solchen Werken mag der Künstler sich
vornehmen was er will, so giebt es immer eine Art von Confession
und zwar auf eine Weise von der er sich kaum selbst Rechenschafft
zu geben versteht. Die Form behält immer etwas unreines und man
kann Gott danken, wenn man im Stand war so viel Gehalt hinein zu
legen, daß fühlende und denkende Menschen sich beschäfftigen mögen,
ihn wieder daraus zu entwickeln. Die Recension in der allgemeinen
Litteraturzeitung[223] ist freylich sehr unzulänglich, für jeden, der
selbst über das Werk gedacht hat; doch ist sie nicht ohne Verdienst,
wenn man sie als die Meinung eines einzelnen ansieht, der seine
Gedanken darüber äußert. Freylich hat man Ursache von einer Recension
mehr zu verlangen, besonders von einer so späten.

Ich wünsche, daß Ihre Gesundheit wieder hergestellt seyn möge, so wie
ich mich auch von den Übeln, die mich betroffen haben, nach und nach
wieder erhole.[224]

Darf ich bitten mich unserm verehrten Weise bestens zu empfehlen.

Weimar d. 29 März 1801

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[221] Vgl. Werke ~XXVII.~ S. 124.

[222] Vgl. ~XVIII.~ Werke ~XXXIX.~ S. 417 ff.

[223] Jen. Allg. Litt.-Ztg. 1801, ~I.~ N 1. f.

[224] Werke ~XXVII.~ S. 75 ff. Schiller Br. an Körner ~IV.~ S. 205.
Goethe Br. an Friedr. v. Stein. S. 165 f.


III.

Mögen Ew. Wohlgeb. mir noch bis zum neuen Jahre wegen des Stückes Frist
geben so soll alsdann darüber die Schuldige Erklärung folgen. Bis
jetzt hat die Beurtheilung der dießjährigen Kunstausstellung, mir und
meinen Freunden viel Zeit weggenommen. Zum neuen Jahre soll der Aufsatz
deshalb als Beylage der Litteraturzeitung erscheinen. Auch beym Theater
haben uns einige kühne, doch glücklich vollbrachte Unternehmen, diese
Zeit her, beschäftigt. Die Brüder nach Terenz von Herrn von Einsiedel
und ein reducirter Nathan,[225] beyde sind schon mehrmals wieder
verlangt worden und sie gehen bey jeder Vorstellung besser.

Von Faust kann ich nur so viel sagen: dass in den letzten Zeiten wohl
manches daran gearbeitet worden; in wie fern er sich aber seiner
Vollendung, oder auch nur seiner Beendigung nahen dürfte, wüßte ich
wirklich nicht zu sagen.[226]

Leben Sie recht wohl und erhalten mir ein freundschaftliches Andenken.

Weimar am 17 Dec. 1801.

                                                                 Goethe

Noch einen Wunsch muß ich äussern, dessen Erfüllung ich durch
Ihre Gefälligkeit hoffe. Ich besässe nämlich sehr gern, wenn die
winklerische Auction vorbey sein wird, einen Katalogen derselben, wozu
die Preiße geschrieben wären. Ich habe schon, bei vorhergegangenen
Rostischen Versteigerungen, dem Secretair Thiele und andern ähnliche
Aufträge gegeben; aber niemals, ich weiß nicht warum, zu meinem Zweck
gelangen können. Vielleicht können Sie mir durch Ihre Verbindungen dazu
verhelfen. Ich will sehr gern demjenigen, der die Bemühung übernimmt,
was Sie für billig halten, bezahlen.

Fußnoten:

[225] Schillers Briefw. m. Körner ~IV.~ S. 283.

[226] Vgl. Schiller Br. an Körner ~IV.~ S. 212.


IV.

Ob die Meynung, welche Sie mir über den Gegensatz der Recitation und
des Gesanges, in Ihrem letzten Briefe äußern, die wahre und richtige
sey, will ich nicht entscheiden; so viel aber kann ich sagen: daß sich
die meinige selbst sehr dahin neigt.[227] Sobald ich mich in einer
ruhigen Lage befinde, theile ich meine Gesinnungen kürzlich mit.

Heute komme ich mit einem kleinen Ansuchen und zwar folgendem:

Zu der, durch den Tod unseres Batsch, erledigten Stelle, bey dem
neuen Botanischen Institut, im Fürstengarten, zu Jena, ist unter
andern auch Herr Doctor _Schwägrichen_[228] aus Leipzig empfohlen. Von
seiner litterarischen Laufbahn, so wie von seinen Reißen und andern
Bemühungen, sind wir so ziemlich unterrichtet; nun möchte ich aber noch
von Ihnen ein vertraulich Wort, über seine Person, sein Äußeres, seine
Lebensweise und seinen academischen Vortrag vernehmen.

Es ist mir bey Besetzung dieser Stelle außer dem Wohl des Ganzen auch
noch mein eigenes Verhältniß vor Augen, indem das Institut seit seiner
Gründung geleitet worden und meine Neigung zu diesen Kenntnissen mir
einen sittlichen mittheilenden und umgänglichen Mann wünschenswerth
macht.

Nächstens auch ein Wort über die Oper.

Mich zu geneigtem Andenken empfehlend.

Weimar am 6 December 1802.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[227] Rochlitz hatte die Ansicht ausgesprochen und weiter ausgeführt,
daß in der alten Tragödie nur die lyrischen Stellen gesungen worden
seien, wo der Chor am Dialog Theil nehme, sei alles vom Chorführer
allein gesprochen. Veranlassung dazu gab ihm das Gerücht, in Weimar
solle eine alte Tragödie aufgeführt werden. Diese Briefe scheint Goethe
im Sinne zu haben, Werke ~XXVII.~ S. 120.

[228] Professor der Naturwissenschaften in Leipzig.


V.

Indem beyliegender Brief schon geschlossen[229] ist fällt mir ein
dass Sie mir ein freundliches in Berlin geschriebenes Wort über
die Natürliche Tochter zusagten. Lassen Sie mich solches ja nicht
entbehren. Bey dem seltenen Charivari, das gleich im deutschen Publicum
entsteht, wenn man vor ihm irgend eine Production aufstellt, hat
der Schrifftsteller warlich nöthig diejenigen zu vernehmen die sich
einstimmend verhalten ich bitte daher um jenes Blatt um so mehr, als
ich zur Fortsetzung wirklich Aufmunterung brauche.

                                                                     G.

Fußnote:

[229] Dieser Brief fehlt, er war vom Jahr 1804, in welchem „Revanche,“
ein Lustspiel in 2 Aufzügen von Rochlitz, in Weimar aufgeführt wurde,
worauf Schillers Brief an Goethe (~VI.~ S. 281) sich bezieht.


VI.

Ew. Wohlgebornen

seit langer Zeit auch wieder einmal zu schreiben veranlaßt mich die
vorseyende Expedition unsres Theaters nach Leipzig, das ich Ihnen auf
das beste zu empfehlen wünschte. Sie haben immer viel Güte für unsre
braven Künstler gehabt, die sich gewiß viel Mühe geben, wenn ihnen auch
nicht immer ihre Zwecke gelingen sollten.

Ew. Wohlgebornen werden gewiß den Vorstellungen mit Aufmerksamkeit
beywohnen, und ich wünschte daß Sie Ihre Bemerkungen mir künftig
mittheilten. Es ist noch manches das ich anders wünschte, und doch
läßt sich theils nicht alles leisten wovon man überzeugt ist, und man
gewöhnt sich auch nach und nach an Menschen und an Manieren und läßt
geschehen was geschieht; Dagegen ein frischer scharfer Blick manches
entdeckt und der gute Rath eines Fremden manches leichter und wirksamer
anregt als die Lehren eines lange bekannten und gewohnten Vorgesetzten.

Diesen Ihren guten Rath bitte ich unsern Schauspielern bey ihrem
Aufenthalt in Leipzig nicht zu entziehen, besonders da der Übergang von
einem kleinen auf ein großes Theater für die erste Zeit immer seine
Schwierigkeiten hat. Dringen Sie gefälligst besonders darauf, daß man
die Schauspieler an allen Ecken und Enden des Hauses verstehen müsse.

Verschiedene von Ew. Wohlgebornen Stücken sind eingelernt. Haben Sie
die Güte die Proben zu besuchen, damit sie zu Ihrer Zufriedenheit mögen
gegeben werden.[230]

Diesen Wünschen füge ich noch eine Empfehlung hinzu. Wahrscheinlich
kommt in einiger Zeit ein Engländer der ~Chevalier Osborn~[231] nach
Leipzig, ein schon bejahrter, höchst erfahrner und interessanter Mann
von dem besten Charakter. Er ist Mitglied der königl. Societät zu
London und wünscht den Leipziger Gelehrten aufgeführt zu werden. Sie
erzeigen ihm wohl um seinet- und meinetwillen diese Gefälligkeit. Der
ich mich mit vorzüglicher Hochachtung unterzeichne

Weimar den 3 April 1807.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[230] Von Rochlitz wurde gegeben „_Es ist die rechte nicht._“

[231] Werke ~XXVII.~ S. 220.


VII.

Ew. Wohlgebornen

empfangen meinen lebhaften Dank für Ihren vertraulichen Brief, dessen
Inhalt ich bestens zu benutzen gesucht habe. Unsre Regie wird sich
gleich bey ihrer Ankunft Ihren fernern gütigen Rath erbitten.

Einen Prolog habe ich nach Ihren Wünschen auch mitgegeben.[232] Wollten
Sie die Gefälligkeit haben, ihn durchzusehen und zu beurtheilen ob er
am Platz paßt, welches man in der Entfernung nicht so gut empfinden
kann.

Da übrigens die älteren Schauspieler Ihnen schon bekannt sind und
sich eher zu produciren wissen; so wollte ich Ihnen besonders unsere
jüngeren empfehlen, den Nachwuchs, dessen Emporkommen uns bey der Lage
unseres Theaters höchst angelegen seyn muß.

Demoisell Elsermann, ein munteres Kind, von gutem Betragen, wird Ihnen
gefallen und Sie vielleicht anlocken ihr über diese oder jene Rolle
etwas zu sagen. Sie hat etwas Manier von Berlin mitgebracht, worüber
sie aber schon aufgeklärt ist und nur manchmal einer kleinen Erinnerung
deshalb bedarf.

Die Herren Lorzing und Deny sind gute gesittete Leute, nicht ohne
Talent und vom besten Willen. Da sie nun mehr in Routine kommen, so
wird es auch mit ihnen vorwärts gehen.

Im Ganzen bin ich überzeugt, daß der Aufenthalt in Leipzig für unsre
Gesellschaft sehr wohlthätig seyn wird, besonders wenn sich einige
Kenner und Freunde zu Mittelspersonen zwischen ihr und dem Publicum
machen wollen; welches höchst nothwendig ist, damit man sich bald
wechselseitig befreunde und keine Mißverständnisse entstehen.

Ich wünsche, daß alles gut gehen möge, und daß Ew. Wohlgebornen zuletzt
mit Zufriedenheit das Amt eines Epilogisten übernehmen möchten. Denn
wenn man einen Prolog noch allenfalls in der Ferne schreiben kann, so
darf der Epilog nur aus einer unmittelbaren Nähe entspringen.

Zu Ende dieses Monats geh' ich nach Carlsbad und hoffe dort für meine
von Zeit zu Zeit sich wieder zeigenden Übel, wo nicht völlige Genesung,
doch Linderung. Möge dieser mein Brief auch Sie von jedem Anfall
befreyt antreffen. Gesundheit brauchte man wohl niemals mehr als
gegenwärtig. Mich zu geneigtem Andenken empfehlend.

      Weimar
  den 12 May 1807.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[232] Werke ~VI.~ S. 411 ff.


VIII.

Ew. Wohlgeboren

haben mir ein sehr großes Vergnügen gemacht. Denn gewiß ist eine
Theater-Direction ein sorgenvolles Geschäft, besonders wenn man den
Kennern und der Menge zugleich gefallen, die Fortbildung der Künstler
und gute Einnahmen zugleich erleben will. Ihr Schreiben setzt alle
die Verhältnisse so klar auseinander, daß ich gegenwärtig zu seyn
und sehr bekannte Zustände mit eigenen Augen zu sehen glaubte. Haben
Sie die Güte den Antheil, den Sie dieser Anstalt gegönnt, immer fort
zu erhalten, auch wenn einiges vorkommen möchte was nicht ganz Ihre
Billigung hat. Leiten und Lenken Sie dieses Schifflein aufs Beste.

Sehr gern hätte ich Ihnen gegen Ihre Betrachtungen auch die meinigen
mitgetheilt, die beym Lesen Ihres Briefs in mir erregt wurden; doch
ist man durch diese Brunnen-Cur so zerstreut und verstört, daß man
nicht leicht brieflich etwas kluges zusammen bringt. Haben Sie jedoch
indessen die Güte mir von Zeit zu Zeit einige Nachricht zu geben,
welche mir, je ausführlicher und umständlicher sie ist, nur zur
angenehmeren Unterhaltung dienen wird. Für den Augenblick habe ich den
Effect des Brunnens sehr zu loben. Könnte es in der Folge so bleiben,
so wäre das sehr erwünscht. Mich bestens empfehlend

    Carlsbad
  den 5 Juni 1807.

                                                                 Goethe


IX.

So ist denn unser theatralisches Unternehmen in Leipzig glücklich
vollendet, mit Ehre und Vortheil belohnt und was mir gleich lieb
ist, ich sehe unsre Schauspieler nach dieser Epoche froher williger
thätiger, und hoffe sowohl für uns einen unterhaltenden Winter als auch
künftig für Leipzig eine neubelebte Sommerunterhaltung. Denn wir haben
mancherley artige und mitunter seltsame Dinge vor uns, an denen wir uns
zu üben gedenken.

Haben Sie, mein werthester Herr Rath, den besten Dank für Ihren
freundlichen Antheil. Ich weiß die stille geräuschlose Behandlungsart
recht gut zu schätzen, mit der Sie den unsrigen nachzuhelfen wußten.
Wenn es mit dem Epilog eine Irrung gab,[233] so bin ich vielleicht
selbst daran Schuld, weil ich mich nicht deutlich erinnere, ob ich
unserer Regie deshalb geschrieben habe, mich auf einen natürlichen Gang
der Sache und auf Ihr Einwirken, wie bey dem ersten Abschied,[234]
verlassen habe. Auch dafür nehmen Sie Dank, was Sie gewollt gethan und
verschwiegen.

Ihre Briefe nehme ich manchmal wieder vor mich und habe sie schon
öfter gelesen. Sie dienen mir zum Leitfaden in dem täglichen
Theaterlabyrinth, das einer der wunderlichsten Irrgärten ist, die ein
Zauberer nur erfinden konnte. Denn nicht genug, daß er schon sehr
wunderlich bepflanzt ist, so wechseln auch noch Bäume und Stauden von
Zeit zu Zeit ihre Plätze, so daß man sich niemals ein Merkzeichen
machen kann, wie man zu gehen hat.

Leider ist hier in Weimar die sondernde Critik nicht sehr zu Hause. Man
nimmt alles zu sehr im Ganzen. Stücke, Schauspieler, Aufführung, alles
wird entweder nur gebilligt oder gemißbilligt, wobey denn Vorurtheil
und Laune herrschend werden, und man sich weder des Lobes recht
erfreuen, noch den Tadel sehr zu Herzen nehmen kann.

Daher ist es mir unendlich viel werth, daß unsere Schauspieler
wenigstens gewahr geworden, daß eine solche Critik existirt, welche die
Mängel begünstigter und die Tugenden gleichgültiger, ja unbegünstigter
Personen zu würdigen weiß.[235] Ich selbst werde diesen Winter das
Schauspiel öfter besuchen, und meine innern und äußern Sinne zu
genauerer Prüfung schärfen. Denn ich gestehe gern, das hiesige Publicum
machte mir durch willkührliche Zuneigung und Abneigung oft so böse
Laune, daß ich, jemehr ich mir in den Proben Mühe gegeben hatte, desto
weniger Lust fühlte, der Aufführung selbst bey zu wohnen. Nun aber,
da mich eine Stimme von außen her aufregt und bestätigt, so werde ich
wieder eine Weile auf meinem Wege strecklings fortgehen und mich der
Resultate vielleicht selbst erfreuen.

Die gute Aufnahme meiner Stücke hat mir eine besonders angenehme
Empfindung gemacht. Ich dachte wohl, daß sie auch einmal Epoche haben
könnten, aber nach der Lage des deutschen Theaters glaubte ich's nicht
zu erleben. Artig ist es, daß sogar das kleine Schäferspiel, das ich
1768 in Leipzig schrieb, auch noch auftauchen mußte und gut empfangen
ward.[236]

Nochmals vielen Dank, den ich gerne mündlich abgestattet hätte, wenn
ich nicht, da mir die Brunnenkur ganz wohl bekommen ist, mich vor einer
allzuraschen Geselligkeit gefürchtet hätte. Jetzt will ich sehen, ob
ich meine stille Nachkur auch zu Ihrem und Ihrer Mitbürger künftigen
Vergnügen benutzen kann. Leben Sie recht wohl, und wenn es möglich ist,
so besuchen Sie uns diesen Winter.

    Weimar
  d. 21. Sept. 1807.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[233] Mad. _Wolf_ sprach einen Epilog von _Mahlmann_. Vgl. 295.

[234] Am 5. Juli wurde Mehuls „_Je toller je besser_“ gegeben und zum
Schluß ein „_Lebewohl_“ gesungen. Dann ging die Gesellschaft nach
_Lauchstädt_ und eröffnete am 4. August wieder ihre Vorstellungen in
_Leipzig_, welche am 29. August beschlossen wurden.

[235] Eine Kritik in Goethes Sinne wurde in der Bibliothek der
redenden und bildenden Künste ~III.~ und ~IV.~ ausgesprochen. Die
„niederträchtige, detractive Opposition,“ welche früher von Berlin
aus erfahren zu haben Goethe sich beschwert (Briefw. m. Zelter ~I.~
S. 281) machte sich in einer kleinen Schrift Luft: „Saat von Goethe
gesäet dem Tage der Garben zu reifen. Ein Handbuch für Ästhetiker und
junge Schauspieler.“ Weimar und Leipzig 1808. Man vergleiche damit, wie
Goethe und Schiller über die frühere Leipziger Gesellschaft urtheilen,
Briefw. mit Schiller ~V.~ S. 273 f., mit Körner ~IV.~ S. 232 f.

[236] Vgl. S. 44.


X.

Wenn ich Ew. Wohlgebornen auf Ihr früheres Schreiben nicht antwortete
und das Stück nicht zur Aufführung brachte, so waren die Zweifel daran
Schuld, die bey mir aufstiegen und welche sie gewissermaßen selbst
angeregt hatten. Wenn das Stück seine Wirkung thun soll, so gehört
nothwendig ein Mann in Jahren dazu, den man gewöhnlich den zärtlichen
Alten nennt, den man aber eigentlich den würdigen Alten nennen sollte.
Er muß Zutrauen und Neigung erregen und in seiner Art liebenswürdig
seyn, in dem Grade daß, wie bey Ihrer Privataufführung der Fall war,
wenn ihm die Actrice den Korb giebt, eine Zuschauerinn allenfalls
geneigt wäre ihn zu entschädigen. Ich glaube nicht, daß einer unsrer
Schauspieler sich anmaßt diese Wirkung völlig rein hervorzubringen,
ob sie sich gleich auch in unserm Verhältniß bis auf einen gewissen
Grad denken läßt. Ich habe daher das Stück das nunmehr gedruckt ist
einigen Personen zu lesen gegeben, und werde es Herrn Becker zustellen
um es mit nach Lauchstädt zu nehmen. Ew. Wohlgeboren kommen ja wohl
selbst hinüber und geben einige Anregung, daß das Stückchen nach Ihren
Wünschen und Überzeugung aufgeführt werde; wozu ich vor meiner Abreise
nach Carlsbad, welche bald erfolgen wird, das Nöthige einleiten werde.
Leben Sie wohl und fahren Sie fort meiner mit Neigung zu gedenken.

      Weimar
  den 2. May 1808.

                                                                 Goethe


XI.

Ew. Wohlgebornen

erhalten hierbey das mitgetheilte der Antigone mit Dank zurück. Es
wäre in mehr als einem Sinn sehr Schade, wenn Sie diese Arbeit nicht
fortsetzen wollten. Auch auf dem Theater glaube ich daß sie Glück
machen werde. Ist das Stück vollendet, so bitte mir es zuzuschicken.
Ob und wie man eine solche Production auf die Bühne bringen könne,
darüber läßt sich zum Voraus nichts entschieden aussprechen, weil sich
gar zu viel unvorhergesehene Hindernisse in den Weg stellen, und ich
selbst vielleicht weniger als sonst das Ungewohnte einleiten mag. Doch
ist es mein Wunsch und Vorsatz Ihre Antigone zu Anfang künftigen Jahrs
auf die Bühne zu bringen, deshalb ich sie mir Anfang Decembers wo
möglich erbitten müßte. Der ich recht wohl zu leben wünsche und mich zu
geneigtem Andenken empfehle

        Weimar
  den 30 October 1808.

                                                                 Goethe


XII.

Ew. Wohlgebornen

danke vielmals für die überschickte Antigone.[237] Sie hat mir bey
einem flüchtigen Durchlesen gar wohl gefallen und dem ersten Anblick
nach sollte ich glauben sie müßte ausführbar seyn. Ich werde sie in
ruhigen Stunden mit dem Original vergleichen, damit ich einsehe, wie
Sie verfahren sind.

In dem Vertrauen das ich zu Ihnen hege kann ich indessen nicht
verbergen, daß unser Theater in einer Crise steht, bey welcher ich noch
nicht übersehen kann, ob ich die Direction, die ich für den Augenblick
niedergelegt, wieder aufzunehmen werde im Fall seyn, deswegen ich mir
das Nähere jenes Stück betreffend vorbehalten muß.

Nun aber eine Bitte. Ich bin Herrn ~Dr. Kappe~[238] soviel Dank
schuldig, daß ich ihm wenigstens etwas Gefälliges erzeigen sollte. Mein
Gedanke ist, ihm ein ~Velin Exemplar~ meiner Werke anzubieten. Wenn Sie
erlaubten so würde ich es wohlgepackt an Sie addressiren; es ist nur
broschirt, ich wünschte aber daß es in Leipzig durch Ew. W. Vorsorge
geschmackvoll gebunden würde. Was würde man für 12 Bände zu bezahlen
haben? Ich würde das Geld gleich beyliegen. Mit Bitte um baldige
Antwort empfehle ich mich bestens

        Weimar
  den 8 December 1808.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[237] Rochlitz: Antigone, Tragödie nach Sophokles in drei Abtheilungen;
in der Auswahl Th. ~II.~

[238] ~Dr.~ Kapp, Goethes Tischgenoß auf der Universität (s. S. 23),
früher Arzt in Leipzig, später in Dresden, welcher ihn in Karlsbad
behandelte. Briefw. m. Zelter ~I.~ S. 266. Vgl. ~XIII.~ ~XIV.~ ~XV.~
~XXI.~ Werke ~XXVII.~ S. 240. 299.


XIII.

Ew. Wohlgebornen

bin so frey das Exemplar für Herrn ~Doctor Kappe~ zu übersenden. Ist
es gebunden, so erbitte mir die Anzeige des Kostenbetrags. Sie hätten
ja wohl die Gefälligkeit bey ~Dr. Kappe~ anzufragen, ob Sie es in
Leipzig lassen oder ihm nach Dresden schicken sollen. Ich schreibe
ihm alsdann auf alle Fälle selbst. Bis dahin kann ich wohl auch
etwas näheres von dem Schicksal unsers Theaters und Ihrer Antigone
schreiben. Eins scheint mir unerläßlich, daß Sie sich nun auch die
gleiche Mühe mit ~Ödipus~, und ~Ödipus~ auf ~Colonus~ geben: denn
eigentlich thut Antigone nur den vollkommnen Effect in Gefolge von
jenen beyden Stücken. Sie könnten um sich ein Stück Arbeit zu ersparen,
die Solgersche Arbeit zu Grunde legen und diese nur deutschen Ohren
mehr annähern. Doch davon läßt sich weiter sprechen wenn wir erst dazu
kommen, Antigone voraus aufzuführen.

Ich wünsche recht wohl zu leben und bitte meines Antheils und Danks
gewiß zu seyn.

  Weimar den 26 December
          1808.

                                                                 Goethe


XIV.

Ew. Wohlgebornen

erhalten abermals einen Brief von mir, mit Bitte um eine kleine
Gefälligkeit.

Ein junger Mensch, Fr. Wessel bey der Dessauer-Bühne, die sich
gegenwärtig in Leipzig befindet, hat sich hier gemeldet und will in
jugendlichen seriosen Baßpartieen auch komischen Rollen etwas leisten,
sowie auch im Schauspiel nicht ganz unnütz seyn. Dürfte ich Ew. W.
ersuchen mir etwas über ihn zu sagen, besonders wie es mit seiner
Stimme und seinem Gesang beschaffen ist; doch ohne Jemand deshalb etwas
merken zu lassen.

Schon aus diesem Auftrag ersehen Sie, daß ich wieder bey unserm Theater
einzugreifen bin veranlaßt worden. Ihre Antigone wird ausgeschrieben
und wahrscheinlich noch im Januar gegeben. Verzeihung, wenn ich heute
nicht mehr sage.

    Weimar
  den 9 Januar
    1809.

                                                                 Goethe


XV.

Ew. Wohlgebornen

bin ich höchlich dankbar für die ausführliche Nachricht den
Schauspieler und Sänger ~Wessel~ betreffend. Wie lehrreich müßte es
seyn, mehrere Theaterglieder so recensirt zu sehen! Ja, wie sehr wäre
es zu wünschen, daß man werdenden Schauspielern solche klare Spiegel
vorhalten könnte; freylich vorausgesetzt, daß sie einen so deutlichen
Anblick ihrer selbst ertrügen. Erinnern Sie sich eines ~Weidners~ bey
der Dresdner Gesellschaft, der mir von einem Reisenden als Chorführer
in der Braut von Messina sehr gelobt worden, so sagen Sie mir ja auch
wohl ein Wort über ihn.

Für die Besorgung der Bände gleichfalls meinen aufrichtigen und
lebhaften Dank. Hierbey einen Brief an Herrn Hofrath Kapp. Der
Geldbetrag folgt mit der fahrenden Post. Heute nichts weiter als meine
besten Wünsche.

Antigone ist auf den 30. angesetzt. Leider füllt sie nicht den ganzen
Abend und ich muß eine kleine Operette hinter her geben. Bis jetzt weiß
und vermuthet noch Niemand den Autor.

        Weimar
  den 22 Januar 1809.

                                                                 Goethe


XVI.

Ew. Wohlgebornen

erhalten hierbei die 9 Thaler Sächß. Sollte noch irgend eine Auslage
sich nöthig gemacht haben, so bitte mir es zu melden.

Von Antigone habe ich die Leseprobe und eine Theaterprobe gehört.
Sie wird gut gesprochen und anständig gespielt. Mir macht es sehr
große Freude diesen herrlichen sophocleischen Schatz in einer Art von
Auszug zu sehen und zu vernehmen. Heute Abend ist Hauptprobe; morgen
Aufführung. Das was wir in unsern Tagen Effect nennen kann das Stück
nicht machen; aber ich glaube doch es wird sich in den Kreis der
ruhig edlen Darstellungen, die wir von Zeit zu Zeit vortragen, mit
einschließen und sich erhalten. Mehreres nächstens

      Weimar
  den 29 Januar 1809.

                                                                 Goethe


XVII.

                                             Weimar den 1 Februar 1809.

Nur mit Wenigem sage ich, daß Antigone Mondtag den 30sten glücklich
aufgeführt worden.[239] Der Effect war, den ich voraussah. Das Stück
hinterließ einen sehr angenehmen erfreulichen Eindruck. Jedermann
war zufrieden und halb erstaunt, indem man von dieser Klarheit und
Einfalt kaum etwas kennt. Die verständliche Sprache brachte hiebey
den größten Vortheil. Die Schauspieler haben durchaus deutlich und
richtig gesprochen, manche vortrefflich durchaus, wo man Madam Wolff
als Antigone und ihren Gatten als ersten Chorführer zu rühmen hat,
andere theilweise sehr gut, und wie gesagt, man konnte überhaupt
völlig zufrieden seyn. Heute wird es wieder gegeben und ich hoffe das
Stück soll sich immer mehr bey dem Zuschauer einschmeicheln. Über Ihre
Behandlung selbst wüßte ich auch nur Gutes zu sagen; daß sie zweckmäßig
sey, hat die Ausführung bewiesen. Etwas von der angegebenen Musik habe
ich weggelassen, damit Recitation und Declamation nicht gestört werden.
Was ich hie und da geändert, ist nicht der Rede werth. Herr Unzelmann
ist nicht zu vergessen, dem ich den Krieger im Anfange und den Boten
zuletzt zugleich aufgetragen: er hat trefflich erzählt. Also nur soviel
für dießmal mit meinem Dank. Wer der Verfasser sey ist bis jetzt ein
Halbgeheimniß geblieben.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[239] Werke ~XXVII.~ S. 270.


XVIII.

Ew. Wohlgebornen

verzeihen, daß ich auf einen schon lange erhaltnen Brief noch nicht
geantwortet. Ich habe hier einige Monate auf die Bearbeitung und
auf den Druck eines Romans verwendet, der in wenig Tagen die Presse
verlassen wird.[240]

Da Sie sich in diesem Fache selbst so löblich hervorgethan; so wünschte
ich wohl Ihre Meynung über meine Arbeit zu hören, und wenn es Ihnen
gelegen wäre, öffentlich. Es giebt, wie Sie selbst wissen, mehr als
eine Art dergleichen Productionen zu beurtheilen: eine gedrängte,
welche die Hauptmomente hervorhebt, würde mir sehr willkommen seyn.

Daß die Theatercommission Ihre kleine Schuld bey Herzogl. Canzley
saldire, nehmen Sie wohl freundlich auf. Wir sind Ihnen so mancherley
schuldig, daß wir wenigstens nicht unterlassen können, bey dieser
geringen Gelegenheit Ihnen unsre dankbare Aufmerksamkeit zu bezeigen.

Der ich mit den besten Wünschen für Ihr Wohlseyn mich zu geneigtem
Andenken empfehle

      Jena
  den 28 September
      1809.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[240] Die Wahlverwandtschaften.


*XIX.

Das Vertrauen womit ich mir ein Urtheil über mein Neustes von Ihnen
erbat ist durch Ihren liebenswürdigen Brief gar schön belohnt worden;
ich danke Ihnen dafür auf das herzlichste. Billig ist es wohl daß die
Freunde des Schönen und Guten mir ein tröstliches Wort über diese
Production sagen, die wenigstens ein fortgesetztes redliches Streben
andeutet und die mich in manchem Sinne theuer zu stehen kommt; ja, wenn
ich die Umstände bedencke unter denen das Werckchen fertig geworden; so
scheint es mir ein Wunder daß es auf dem Papier steht.

Seitdem es abgedruckt ist habe ich es nicht in der Folge gelesen, eine
solche Prüfung pflege ich gewöhnlich zu verspäten. Ein gedrucktes
Werck gleicht einem aufgetrockneten Fresko Gemälde an dem sich nichts
mehr thun läßt. Soviel es mir noch im Sinne schwebt und wie es sich mir
durch Ihre Bemerckungen vergegenwärtigt, möchte ich wohl noch einige
Schraffuren anbringen der Verknüpfung und Harmonie willen. Weil aber
das nicht angeht; so tröste ich mich damit daß der gewöhnliche Leser
dergleichen Mängel nicht gewahr wird, und der Kunstgebildete, eben
indem er die Forderungen macht, für sich selbst das Werk ergänzt und
vollendet.

Daß Sie ein solcher Leser und Schauer sind wußte ich wohl und erfahre
es auch diesmal. Haben Sie doppelten Danck für die Theilnahme und für
die Mittheilung; haben Sie dreyfachen daß Sie es in einer Zeit thun in
welcher mancher andre, mit Fug und Recht, seinen Freunden schwiege und
sich mit seinem eigenen Glück beschäftigte. Möge das Gute das Ihnen
bereitet ist so klar zu Ihnen treten als Sie Welt und Kunst erblicken
und so beständig bey Ihnen verweilen als Sie Ihren Freunden zuverlässig
sind. Meines fortdaurenden Anteils bleiben Sie gewiß.

      Weimar
  d. 15. Nov 1809

                                                                 Goethe


XX.

Ew. Wohlgebornen

gehe schon wieder mit einer Bitte an, wobey ich doch ausdrücklich
bemerke, daß es mit der Erfüllung derselben keine Eile hat. Wenn die
Nachricht die ich wünsche, auf Weihnachten zu mir gelangt, so kommt sie
noch zeitig genug.

Indem ich mich mit der Geschichte der Chromatik beschäftige, treffe
ich wieder auf einen Mann, von dessen Lebensumständen ich schon
längst eine nähere Nachricht gewünscht hätte.[241] Er heißt ~Johann
Leonhard Hoffmann~, und sein Buch: ~Versuch einer Geschichte der
mahlerischen Harmonie überhaupt und der Farbenharmonie insbesondre,
mit Erläuterungen aus der Tonkunst und vielen practischen Anmerkungen.
Halle, in Joh. Christ. Hendels Verlage 1768.~

Die Dedication ist ~Leipzig~ im Sommermonat desselbigen Jahrs datirt,
an ~Herrn Gottfried Winkler~ gerichtet. Daraus, und aus der Art wie
in der Vorrede von ~Oesern~ gesprochen wird, sieht man, daß der
Verfasser sich eine Zeit lang in Leipzig aufgehalten hat. Er scheint
ein zarter, wohl denkender Mann gewesen zu seyn, der schöne Kenntnisse
sowohl in der Mahlerey als in der Musik verräth, und wenn er seinem
Unternehmen auch nicht ganz gewachsen ist, doch wegen feiner und
glücklicher Bemerkungen alle Aufmerksamkeit und in der Geschichte eine
ehrenvolle Erwähnung verdient. Könnten Ew. Wohlgebornen mir von den
Lebensumständen dieses Mannes einige Nachricht verschaffen, so würden
Sie mich sehr verbinden.

Theilte wohl Ihr Freund etwas von seinen Zeichnungen nach Faust auf
kurze Zeit mit; so würde es mir und manchem unsrer kleinen Gesellschaft
zu großem Vergnügen gereichen. Sie sollten bald wieder zurückerfolgen.

Mich bestens empfehlend

      Weimar
  den 20 November
      1809.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[241] Vgl. S. 286.


XXI.

Durch Demoiselle ~Longhi~ von Neapel,[242] eine schöne und treffliche
Harfenspielerinn, wünsche ich mein Andenken bey Ihnen, mein Werthester,
wieder aufzufrischen, und ich hoffe, es soll mir gelingen. Ich bin
überzeugt, Sie werden diesem Frauenzimmer um ihrer selbst- und
meinetwillen freundlich seyn.

Eigentlich aber bewegt mich nicht sowohl das schöne Talent, das sich
wohl selbst empfiehlt, zu dem gegenwärtigen Schreiben: das gute Kind
ist hier in den bedenklichen Fall gerathen, daß ihre zwey kleinen
Finger auf eine rheumatische Weise geschwollen sind; das Schlimmste
wohl, was derjenigen begegnen kann, die sich auf Harfe und Pianoforte
bis Petersburg zu produciren gedenkt. Ist unser vortrefflicher
Kapp,[243] dem ich selbst soviel schuldig geworden bin, in Leipzig;
so haben Sie ja die Gefälligkeit, ihn für diese hübsche Italiänerinn
zu interessiren, indem Sie zugleich von mir tausend Empfehlungen
ausrichten. Mehr sage ich nicht und brauche es nicht, weil es hier nur
einer kurzen Einführung bedarf, und dieser Brief noch spät geschrieben
wird. Möchten Sie durch gegenwärtiges veranlaßt, mir einmal wieder ein
Wort von sich zu vernehmen geben, so würden Sie mir sehr viel Freude
machen. Mit den besten Wünschen!

    Weimar
  den 22 April
    1811.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[242] Später Frau des Concertmeisters _Möser_ in Berlin.

[243] Vgl. S. 303.


XXII.

Ew. Wohlgebornen

sind versichert, daß es mir sehr leid gethan hat, Sie bey Ihrer
Durchreise nicht begrüßen zu können. Sich einmal wieder anzutreffen und
über manches auszureden, giebt auf mehrere Jahre ein wo nicht besseres
doch gewiß entschiedeneres und klareres Verhältniß. Indessen will ich
mich durch die Sicherheit Ihrer Neigung und Ihres Wohlwollens trösten.

Wenn Sie wünschen, daß ich dem braven Freyherrn von Truchseß[244]
meine Bearbeitung des Götz für das Theater mittheilen möge; so will
ich deshalb mein Bedenken eröffnen. Er hat an dem Stücke, wie es
zuerst herausgegeben worden, so vielen und warmen Antheil genommen,
ja sich gewissermaßen selbst in die Person des alten biedern Helden
versetzt, daß es ihm gewiß nicht angenehm seyn würde, nunmehr manches
ausgelassen, umgestellt, verändert, ja in einem ganz andern Sinne
behandelt zu sehen.

Eigentlich kann diese Umarbeitung nur durch den theatralischen Zweck
entschuldigt werden,[245] und kann auch nur in so fern gelten, als
durch die sinnliche Gegenwart der Bühne und des Schauspiels dasjenige
ersetzt wird, was dem Stücke von einer andern Seite entzogen werden
mußte. Da ich also überzeugt bin, daß beym Lesen Niemand leicht die
neue Arbeit billigen werde, weil nicht zu verlangen ist, daß der
Lesende die mangelnde Darstellung sich vollkommen supplire; so habe
ich bisher gezaudert diese Bearbeitung drucken zu lassen, ja selbst
meine nächsten hiesigen Freunde, die das Manuscript zu sehen verlangt,
an die Vorstellung gewiesen, von der sie denn nicht ganz unzufrieden
zurückkehrten.

Ich bin überzeugt, daß Ew. Wohlgebornen sowohl als der würdige
Truchseß-Götz, es nicht misbilligen, wenn ich diesen meinen Gründen
soviel Gewicht gebe, um die gewünschte Mittheilung abzulehnen.
Verzeihen Sie daher und erhalten mir ein freundliches Andenken.

Ein etwas wunderliches biographisches Bändchen erhalten Sie zu Michael.
_Wilhelm Meisters_ Wanderjahre durchzuführen haben mich meine eigenen
Wanderungen abgehalten. Bey jenem Büchelchen aber bitte ich Sie sich zu
überzeugen, daß Sie unter diejenigen gehören, für die ich es schreibe.
Mit entfernten Freunden und Geistesverwandten mich zu unterhalten, ist
dabey meine einzige Absicht: denn diese sind es ja eigentlich nur, die
man zu Zeugen seines vergangnen Lebens und Treibens, und zur Theilnahme
am gegenwärtigen aufrufen kann.

      Weimar
  den 11. September
      1811.

      Ew. Wohlgeb.
  wahrhaft zugethaner
          Goethe.

Fußnoten:

[244] _Christian_ von _Truchseß_ von der _Bettenburg_, „der in früheren
Jahren durch redliche Tüchtigkeit sich in die Reihe der Götze von
Berlichingen zu stellen verdient hatte.“ Werke ~XXVII.~ S. 98.

[245] Werke ~XXVII.~ S. 160. Eckermann Gespr. ~I.~ S. 250 f. Briefw. m.
Schiller ~VI.~ S. 276 f. Riemer Mitth. ~II.~ S. 500 ff.


XXIII.

Mit vielem Danke, mein Werthester, sende ich den mitgetheilten
Aufsatz zurück. Wer das deutsche Publicum kennt, dessen selbstische
Eigenwilligkeiten Sie so gut schildern, wer zunächst erfahren hat,
daß sie vor allem Neuen, so sehr sie darnach gierig sind, wenn es
einigermaßen problematisch ist, eine ängstliche Apprehension fühlen,
und daher den Miswollenden freyes Spiel geben, um sich nur jener
Furcht entledigt zu sehen -- der weiß gewiß dankbar anzuerkennen,
wenn ein Freund als Mittelsperson auftreten mag, damit die Menschen
sich geschwinder mit dem befreunden, was ihnen fremd und wunderlich
erscheint.[246] Besonders in den letzten zwanzig Jahren mußte man
große Geduld haben: denn mehrere meiner spätern Arbeiten brauchten
zehn und mehr Jahr, bis sie sich ein größeres Publicum unmerklich
erschmeichelten; wie denn ja mein Tasso über 20 Jahr alt werden mußte,
ehe er in Berlin aufgeführt werden konnte. Eine solche Langmuth ist nur
dem zuzumuthen, der sich bey Zeiten den ~Dédain du Succès~ angewöhnt
hat, welchen die Frau von Staël in mir gefunden haben will.[247]
Wenn sie den augenblicklichen leidenschaftlichen ~Succès~ meint, so
hat sie recht.[248] Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den
bin ich nicht im mindesten gleichgültig; vielmehr ist der Glaube an
denselben immer mein Leitstern bey allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg
nun früher und vollständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer
wünschenswerther, wo man nicht mehr viel Stunden in Gleichgültigkeit
gegen den Augenblick zuzubringen und auf die Zukunft zu hoffen hat.[249]

In diesem Sinne machen Sie mir ein großes Geschenk durch Ihren Aufsatz
und bethätigen dadurch abermals die frühere mir schon längst bewährte
Freundschaft. Doch darf es mich nicht einmal überraschen, daß Sie
in meine Intentionen auch bey dieser Arbeit so tief eindringen,
da Sie unter diejenigen abwesenden Freunde gehören, die ich mir
vergegenwärtige, wenn ich mir meine alten Mährchen in der Einsamkeit
zu erzählen anfange; und ich darf wohl versichern, daß der nächste und
eigentliche Zweck ist, gegen solche auf indirectem Wege wieder einmal
laut zu werden, da die directe Communication so manches Hinderniß
erfährt.[250]

Daß Sie meine asiatischen Weltanfänge[251] so freundlich aufnehmen, ist
mir von großem Werth. Es schlingt sich die daher für mich gewonnene
Cultur durch mein ganzes Leben, und wird noch manchmal in unerwarteten
Erscheinungen hervortreten: wie ich denn von Ihrem liebevollen Glauben
hoffen kann, daß Sie überzeugt sind, der erste Theil sey mit Bewußtseyn
und mit Absicht geschrieben, und enthalte auch nicht das kleinste
geringfügig scheinende, was nicht künftig einmal nach seinem Geschlecht
und Art in Blüthe und Frucht hervortreten soll. Freylich, das Publicum,
wenn man es an ein Saatfeld führt, bringt gleich die Sicheln mit, und
bedenkt nicht, daß noch mancher Monat bis zur Erndte hingeht, ja wohl
noch das ganze grüne Feld eine schöne Zeit unter einer Schnee- und
Eisdecke zu ruhen hat.

Es würde mir unendlich interessant seyn, wenn Sie mir mittheilen
wollten, was Sie über die Farbenlehre aufgesetzt haben. Die Wirkung von
dieser wird noch mehr retardirt, als die Wirkung meiner andern Sachen.
Denn hier kann man das Publicum am leichtesten irre führen, indem man
mir anderes Verdienst wohl läßt, aber in dieser Sache, die ja nicht in
mein Fach schlage, ein verzeihliches ~Travers~ Schuld giebt. Indessen
macht es mich schon glücklich, daß ich diese Arbeit, die ich so lange
mit mir herumgetragen, endlich losgeworden. Was für eine große Übung
es für mich gewesen, diesen Gegenstand durchzuarbeiten, ermessen Sie
selbst; und welche wichtigen Bemerkungen ich mache, indem ich meine
Gegner beobachte, wage ich kaum auszusprechen. Doch ist es ja kein
Geheimniß, daß Niemand überzeugt wird, wenn er nicht will.

Warum sollte ich nun nicht auch wünschen, meine Freunde kennen zu
lernen und besonders Ihre Ansicht, die mir in so mancher Betrachtung
werth seyn muß.

_Mich zu daurendem Wohlwollen empfehlend_

  W. d. 30 Jan.
      1812.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[246] Man vergleiche nur eine Recension des ersten Theils von Dichtung
und Wahrheit in der Bibliothek der redenden und bildenden Künste
~VIII.~ S. 261 ff., deren Verfasser „Hrn. v. Goethe während seines
Leipz. Aufenthalts ziemlich genau gekannt, mit ihm bei Ernesti Collegia
gehört, mit ihm bei Oeser gezeichnet hat;“ wobei er denn wahrnehmen
konnte, daß „Hr. v. Goethe mit der deutschen Sprachlehre dazumal
noch im Kampfe war -- eine Folge seines mangelhaften, unclassischen
Hausunterrichts als Knabe.“

[247] ~De l'Allemagne II, 7: „On apperçoit le dédain du succès
dans Goethe à un degré qui plait singulièrement, alors même qu'on
s'impatiente de sa négligence.“~ Vgl. Goethe Werke ~XXVII.~ S. 150.

[248] „Ich ging auf meinem Weg ruhig fort, ohne mich um den Succeß
weiter zu bekümmern.“ Eckermann Gespr. ~I.~ S. 147.

[249] „Bedenke ich es aber jetzt genauer, so finde ich hier den Keim
der Nichtachtung, ja der Verachtung des Publicums, die mir eine ganze
Zeit meines Lebens anhing und nur spät durch Einsicht und Bildung ins
Gleiche gebracht werden konnte.“ Werke ~XX.~ S. 53.

[250] Vgl. S. 325.

[251] In Dichtung und Wahrheit. Werke ~XX.~ S. 153 ff.


XXIV.

Da mich das herannahende Frühjahr wahrscheinlich bald von Weimar weg
und nach Böhmen locken wird, so will ich nicht versäumen Ew. Wohlgeb.
nochmals zu schreiben, und mich Ihrem Andenken bestens zu empfehlen.

Das mitgetheilte Blatt über meine Farbenlehre folgt hierbey mit vielem
Dank zurück, nur Schade, daß es nicht mehrere waren. Gerade diese Art
von unschuldigen augenblicklichen Äußerungen sind mir unendlich werth
und besonders hier, wo ich mit Vergnügen sehe, wie eine Sache, mit
der ich mich so viele Jahre beschäftiget, auch in dem Gemüthe eines
Freundes aufgeht, und sich dasselbe nach und nach zu gewinnen weiß.

Diesen Winter hat mich das Theater sehr von anderen Thätigkeiten
abgezogen, ich muß erwarten, ob die Carlsbader Einsamkeit, die ich
wenigstens im Monath May hoffen darf, mir Raum giebt, etwas für Poesie,
Wissenschaft, oder was es sonst wäre, zu thun.

Leben Sie unterdessen recht wohl, und lassen Sie Sich in
litterairischen Dingen nichts anfechten; wir haben unsere Kräfte zu
nothwendigerem Gebrauch jetzt aufzusparen.

Das Gemäldeverzeichniß habe ich höheren Orts mitgetheilt, und bin nicht
ganz ohne Hoffnung einiges Erfolgs, leider genießt man jetzt kaum, was
man besitzt, wie sollte man noch mehr zu besitzen wünschen! Sollte sich
die Aussicht nach Norden wieder erheitern, so wäre vielleicht dort
etwas zu thun.

_Mit den besten Wünschen mich zu freundschaftlichem Andencken
empfehlend_

  W. d. 7 Apr.
    1812.

                                                                 Goethe


*XXV.[252]

Mögen Sie, theuerster Mann, Morgen, mit den werthen Ihrigen, an meinem
Familientische Theil nehmen; so sind Sie herzlich willkommen.

Wollten Sie Sich um zwölf einfinden; so hätten wir noch Zeit einige
Kunstwerke zu betrachten. Ich sende den Wagen. Mich bestens empfehlend

    W. Dienstag
  d. 7ten Dec. 1813.

                                                                 Goethe

Fußnote:

[252] Rochlitz war in Weimar. Werke ~XXVII.~ S. 299.


*XXVI.

Wenn ich bey Ihrem Besuche, mein werthester, etwas zu erinnern habe,
so ist es daß er nicht lange genug dauerte. Auch das Zusammenseyn hat
seine Jahreszeiten, deren eine sich aus den andern entwickelt.

Lassen Sie diese schönen kurzen Tage auch in der Entfernung Frucht
tragen.

Mögen Sie aus dem Duzzend Entwürfen Sich viere herauslesen;[253] so
soll mirs angenehm seyn sie in Ihren Händen zu wissen. Mir geben diese
Blätter eine bestimmte Erinnerung eines vergangenen Augenblicks und
ihre Mängel dürfen mir daher so werth seyn, als wenn es Vorzüge wären.
Mag ein Freund dies mit empfinden, so muß es mich freuen.

Erhalte Sie Ihr guter Geist über der Woge des Augenblicks gedencken
Sie meiner in Liebe und bleiben überzeugt daß ich Ihre schöne
Persönlichkeit rein zu schätzen weiß. Die Meinigen wünschen Ihnen und
den Ihrigen bestens empfohlen zu seyn.

  W. d. 28 Dez
      1813

                                                                 Goethe

Fußnote:

[253] Vier Zeichnungen von Goethe, jetzt im Besitze des Herrn _Keil_.


XXVII.

Ew. Wohlgeboren

danke verbindlichst für den übersendeten Catalog, und bitte mir die
Erlaubniß aus, gegen Michael dieselben mit einigen Aufträgen beschweren
zu dürfen.

Bey Gemälden, noch mehr aber bey Zeichnungen, kommt alles auf die
Originalität an. Ich verstehe hier unter Originalität, nicht, daß das
Werk gerade von dem Meister sey, dem er zugeschrieben wird, sondern daß
es ursprünglich so geistreich sey, um die Ehre eines berühmten Namens
allenfalls zu verdienen.

Die Nummern des Catalogs, auf welche ich meine Aufmerksamkeit richte,
werde ich Ew. Wohlgeboren übersenden, mit besondern Bemerkungen dabey,
was ich nach der Analogie hoffe oder erwarte. Mögen Ew. Wohlgeboren
hiernach die Blätter beschauen, berutheilen und würdern, und solche
erstehen oder erstehen lassen, so werd' ich es dankbar erkennen, und
alles was Sie beschlossen und angeschafft ohne Weiteres mit Vergnügen
genehmigen, überzeugt, daß ich mich selber nicht besser hätte berathen
können. Anweisung auf eine proportionirte Summe erfolgt zugleich.

Diese Bemühungen wage ich um desto eher, Ihnen, mein verehrter Freund!
anzusinnen, als Sie durch eine so gütige auszeichnende Aufnahme meines
biographischen Versuchs, Sich gleichsam als meinen wohlwollenden
Schuldner bekennen. Fahren Sie fort mich auf meinem Wege mit guten
Wünschen und Theilnahme zu begleiten. Der Verlust den wir alle mehr
oder weniger erlitten haben, und der Sie, leider! so hart betroffen,
kann nur verschmerzt werden, wenn wir uns immer treuer an einander
schließen, und der Deutsche immer mehr einsehen lernt, daß nirgends für
ihn Heil zu finden sey als bey seinen Landleuten. Unter diesen frommen
Wünschen und Vorsätzen, dürfen wird freylich nicht an's Öffentliche
denken, welches leider schon durch die traurigsten Spaltungen zu
zerfallen droht. Möge dies Glück wenigstens Privatpersonen aufbewahrt
seyn, daß sie fortfahren einander zu schätzen und zu lieben.

Weimar den 27. Febr. 1815.

                                ergebenst
                                          Goethe


XXVIII.

Mit Beantwortung Ew. Wohlgeboren freundlichen Schreibens, vom 29 July
komme leider erst nach dem Feste. Hätte ich gleich im Frühjahr die
Aufträge, wie ich sie zu geben gedachte niedergeschrieben, so würden
Ew. Wohlgeb. solche entweder selbst oder durch einen Freund, gewiß zu
meiner Zufriedenheit haben ausrichten lassen. Nun aber hielt mich meine
Reise zu lange am Rhein und Mayn, und in den ersten Augenblicken meines
Hierseyns konnte zu keiner Fassung gelangen, und leider entschlüpfte
mir so die schönste Gelegenheit meine Sammlung abermals mit bedeutenden
Kunstwerken zu vermehren. Nehmen Sie jedoch auch in dem gegenwärtigen
Falle meinen aufrichtigen Dank für Ihre gütigen Bemühungen, und die
aufrichtige Erklärung, in welcher ich Ihren längst erprobten Charakter
aufs neue mit besonderer Rührung anerkannt. Seyn Sie überzeugt, daß ich
in ähnlichen Fällen mich vollkommen beruhigen werde, wenn Sie, oder
diejenigen denen Sie Ihr Vertrauen schenken, zu meinem Vortheile würken
mögen. Gegenwärtig aber würden Sie mir eine besondere Gefälligkeit
erweisen, wenn Sie mir einen Catalog mit beygefügten Preißen für die
Gebühr verschaffen möchten. Die Durchsicht desselben, wenn sie mir
auch hie und da vielleicht eine unangenehme Empfindung erregte, würde
für mich auf alle Fälle belehrend seyn, und ich werde Ihnen dieses,
sowie so manches andere Gute herzlich verdanken.

Mit Bitte, mich allen werthen Gönnern und Freunden angelegentlichst zu
empfehlen

    Weimar
  den 23. Octbr.
    1815.

                                ergebenst!
                                      Goethe


XXIX.

Ew. Wohlgeb.

schöne Gabe[254] ward mir schon längst und diente mir in trüben Stunden
zur angenehmsten Erheiterung, besonders gab die Schreckensgeschichte
jener Schlachttage einen bedeutenden Wink, wie man geringeren Übeln
nicht unterliegen solle, da der Mensch die größten besteht und aus
ihnen oft gerettet wird.[255]

Die Bildung Ihres Charakters und Styls, erscheint hier im
vortheilhaftesten Lichte: es thut immer eine große Wirkung, wenn der
Mann auch seine schlimmsten Erfahrungen würdig darzustellen weiß.

Mit dem Altern ist es freylich so eine Sache. Die Jahre könnte man
allenfalls noch wohl ertragen, wenn sie flüchtig wie die früheren
vorüber gingen, da sie aber so manches, auch von Außen, heranschleppen,
womit sich die Jugend selbst nicht befaßen möchte, so spürt man
freylich den Mangel an Kraft und Ausdauer doppelt und dreyfach. Hat man
indeßen so lange des Guten genoßen und sich in das Schlimme gefügt, so
bleibt wohl nichts übrig, als daß man seine Kräfte zusammen nehme, um
bis ans Ende etwas werth zu seyn.

Erhalten Sie mir Ihre Theilnahme und bleiben der meinigen
gewiß. Empfehlen Sie mich den werthen Ihrigen und auch in dem
Löhrisch-Keilischen Hause.

Schließlich, da ich mich zu Ihnen versetzt hatte, fällt mir noch ein
Wunsch ein: könnten Sie mir gelegentlich eine recht gute Federzeichnung
von Guercin um billigen Preiß verschaffen, es sey Landschaft, Kopf,
oder Halbfigur, so geschähe mir ein ganz besonderer Gefalle. In jener
von mir versäumten Auction waren deren mehrere.

Nochmals mich bestens empfehlend.

  Weimar d 10. Decbr.
        1816.

                                ergebenst
                                    Goethe

Fußnoten:

[254] Neue Erzählungen von Fr. Rochlitz. Leipz. 1816.

[255] „Der Tag der Gefahr,“ vgl. ~XLVI.~ Werke ~XXVII.~ S. 319.
~XXXII.~ S. 336 f.


XXX.

Ew. Wohlgebornen

geneigtes Schreiben hat mir viel Freude gemacht, ich sehe daraus
daß mein Andenken bey Ihnen lebendig ist, und daß Sie auf die
freundschaftlichste Art meine Neigung zu befriedigen wünschen und mir
für belehrende Unterhaltung Sorge tragen wollen. Ich nehme daher das
Anerbieten wegen des Guercin. Bildes dankbar auf, bitte mir solches zu
senden, und nicht zu verhehlen was ich dafür schuldig werde.

Die geschnittenen Steine betreffend, so laßen Sie Sich nicht reuen mir
davon gemeldet zu haben. Seine Waare muß man ausstellen, ausbieten,
wenn man sie los werden will. Unsere gnädigsten Herrschaften sind
gegenwärtig nicht geneigt dergleichen anzuschaffen; ich habe jedoch
einen andern Gedanken: Wir stehen mit den Hanauer Goldarbeitern[256]
in gutem Verhältniß theils wegen des Falkenordens, theils wegen
mancher Geschenke welche die Fürsten öfters abreichen müßen. Solche
Fabriken haben hunderterley Gelegenheit auf Dosen, bey Schmuck, Ringen
und d. gl. dergleichen anzubringen. Möchten Sie mir ein detaillirtes
Verzeichniß zusenden, was die Steine vorstellen, von welcher Größe sie
sind, vielleicht legten Sie auch einige Gypsabgüsse der größten, oder
für vorzüglich gehaltenen bey; so wollt ich das alles nächstens nach
Hanau spediren, da ich ohne dem etwas dort zu bestellen habe. Es sollte
mir Freude seyn Ihren Wünschen hiedurch entgegen zu kommen.

Möchte ich vernehmen daß Sie sich wohl und heiter befinden.

  Weimar d. 20. März
        1817.

                                ergebenst
                                    Goethe

Fußnote:

[256] Vgl. Werke ~XX.~ S. 181.


*XXXI.

Ew. Wohlgeb.

können, mitten in Leipzig, umgeben von eignen Kunstschätzen und
Sammlungen andrer, Sich unmöglich einen Begriff machen wie es mir
zu Muthe sey, in dem zwar geistvollen; doch gestaltlosen Jena, auf
einmal eine so liebwerthe Erscheinung zu sehen als das Bild, mir zur
freundlichsten Gabe dargereicht.[257] Es hat mich schon zu hundert
Betrachtungen veranlaßt, und soll immer vor meinen Augen, mich an Ihr
Verdienst und Ihre Neigung zu mir täglich erinnern.

Nehmen Sie meinen vorläufigen eiligen Danck und verzeihen wenn ich das
schöne Geschenck nicht so unbewunden annahm als Sie es anboten. Wer
sich fast unabläßig mit der wilden Welt herumbalgen muß vermißt oft
das Zarte Gefühl den Händedruck eines Freundes gebührend zu erwiedern;
lassen Sie mich also doppelt und dreyfach Ihren ethischen Schuldner
bleiben.

Jena d. 9 Apr. 1807.

                                ergebenst
                                    Goethe

Herr Angermann hatte die Artigkeit mir das Kästchen hier persönlich zu
überreichen.

Wegen der Gemmen nächstens.

Fußnote:

[257] Werke ~XXVII.~ S. 332.


XXXII.

Ew. Wohlgeboren

herzlicher, aus freier Brust geschriebener Brief, hat mir große Freude
gemacht.[258] Ich hatte freilich auf Sie gezählt, daß Sie aber so
schnell, augenblicklich, unmittelbar sich äusern, dafür weiß ich Ihnen
den größten Danck. Freund Meyer, dessen Um- und Übersicht alter und
neuer Zeit, Sie in dem kühnen Aufsatze[259] nicht verkennen werden,
trägt mit mir diese Gesinnungen schon viele Jahre auf dem Herzen, und
es schien gerade der rechte Augenblick, wo das Absurde sich selbst
überbietet, wo alle ächte Gleichzeitigen, besonders die Väter und
Pfleger talentvoller, durch diesen Zeitwahnsinn verrückter Söhne, in
Verzweiflung sind, mit historischem, billigem, das Talent würdigendem
die Abweichung scharf bezeichnendem Vortrag aufzutreten. Tausend und
aber Tausend Wohldenkende, werden sich gewiß schnell versammeln, der
reine Menschen- und Kunstverstand wird laut werden, und wir kommen auch
denen zu statten, die jetzt wider Willen dem Strohm in den sie sich
eingelassen haben gehorchen.

Von dem Überschwenglichen der Tollheit wie Sie es mir schildern, hatten
Wir freilich noch keinen Begrif, da Wir aber, es entstehe daraus was
wolle, immer auf diesen Fleck zu schlagen gedenken, so haben Sie die
Gefälligkeit, mich von Zeit zu Zeit von dem Besondern zu unterrichten.
Wir mögten, wie auch schon in dem ersten Aufsatz geschehen, das
talentvolle Individuum schonen und fördern, wie Sie auch thun und
gethan haben, aber auf die falschen, kranckhaften und im tiefsten
Grunde heuchlerischen Maximen, derb und unerbittlich loßgehen, und,
wie sie ganz richtig anrathen und verlangen, dasjenige immer und
dümmer[260] wiederholen, was würcken soll. Das nächste dritte Heft wird
nicht allein in diesem Fache, sondern auch in andern aufrichtig seyn.

Haben Sie die Güte mir alles anzuzeigen, was Sie von Persönlichkeiten
und Individualitäten wissen, ich mache keinen Gebrauch davon, ehe ich
Ihnen die Redaction vorgelegt habe. Es ist eine Gewissenssache mit der
wir zusammen würcken müssen. Die Masse ist breit, aber schwach, und ich
denke ihnen noch, von ein paar andern Seiten in die Flancke zu fallen.

Hievon nur diese Andeutung! Wie erfreulich ist mir, der reine, freie
Ausdruck Ihres Briefes, auch nur als Sprachäusserung betrachtet, und
zu welchen ekelhaften, befremdeten[260] Narrheiten, wollen uns die
Deutschen Männer zwingen! auch gegen die werden wir auftreten, und
welche wackere junge Theilnehmende wir für unsere Überzeugung hoffen
können, davon zeugt beiliegendes Heftchen.

Kennen Sie schon den Aufsatz? so ist es Ihnen wohl angenehm ihn zu
besitzen, und Freunden mitzutheilen. Man muß jetzt auch Parthei machen
das Vernünftige zu erhalten, da die Unvernunft so kräftig zu Wercke
geht. Lassen Sie uns bedenken, daß wir dies Jahr das Reformationsfest
feiern, und daß wir unsern Luther nicht höher ehren können, als
wenn wir dasjenige was wir für Recht, der Nation und dem Zeitalter
ersprießlich halten, mit Ernst und Kraft, und wäre es auch mit einiger
Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen, und wie Sie ganz richtig
urgiren, öfters wiederholen.

Das mir geneigt gespendete Bild, gewährt mir immer viel Freude. Aus
einem Kunstwerk, das wahrhaft gut ist, läßt sich viel heraussehen, und
was es anregt ist immer unendlich.

Ich weiß nicht ob ich schon gemeldet habe, daß meine Vorliebe fürs
Sechszehende Jahrhundert mich auch verleitet hat, eine ansehnliche
Sammlung Majolika aus Nürnberg mir eigen zu machen,[261] welche,
glücklich angekommen, einen vergnüglichen Anblick geben, dabey aber
auch aussagen, daß dergleichen subalterne Kunstwerke nur in Masse
können beurtheilt werden, wo sowohl ihre Vorzüge als ihre Mängel zur
Schau stehen. Finden Sie, um billige Preise, von dieser Art in Leipzig,
so erzeigen Sie mir den Gefallen davon Notiz zu geben.

Die Abdrücke der Sammlung geschnittener Steine sende in diesen Tagen
zurück. Zu jenem ersten Vorschlag bewog mich die Meynung[262] es sei
eine Sammlung Cameen, die zu Schmuck, Putz und Modezwecken, für Kenner
und Nichtkenner brauchbar sind. Mit Intaglios will man siegeln, und da
möchte man interessante beliebte Personen, deren sich, besonders für
die neue Denkweise, unter der Folge römischer Kaiser wohl wenige finden
möchten.

Den Abdruck eines Titelblatts sende hiebey, vielleicht bald nach
Johanni das Heft selbst.[263] Meinen längern Aufenthalt in Jena,
benutze, da ich gerade nicht Lust zu frischem Thun empfinde, zum
Wiederabdruck älterer, auf Natur sich beziehende Schriften. Zu Sichtung
und Redaction aufgehäufter Manuscripte. Bey dieser Gelegenheit
erscheint, beinahe zum Entsetzen, wie wir von den disparatesten
Gegenständen afficirt, aufgeregt, hingerissen werden können. Hiedurch
nun, werde ich genöthigt mancherley Stückwercke mit Lebensereignißen
in Verbindung zu bringen, damit das Ganze nicht allzu verworren und
seltsam aussehe. Und gerade diese Mittelglieder sind es die ich Ihrem
Antheil empfehlen möchte. Lassen Sie zunächst unsere wechselseitige
Unterhaltung auf das lebhafteste würken, es giebt Epochen, wo es
räthlich ja unvermeidlich ist das Eisen gemeinschaftlich zu schmieden.

Mit vielem Antheil und Vergnügen höre ich, daß Sie Konnewitz[264]
wieder hergestellt, und sich und den Ihrigen einen angenehmen
Aufenthalt bereitet haben. Ich mußte mehrmals meine Existenz aus
ethischem Schutt und Trümmern wieder herstellen, ja Tag täglich
begegnen uns Umstände, wo die Bildungskraft unserer Natur, zu neuen
Restaurations-Reproductions-Geschäften aufgefordert wird, helfe der
Geist nach, so lange es gehen will.

_Hier also ein Abschluß weil doch einmal zu schließen ist. Baldige
Erwiederung hoffend_

    Jena
  den 1. Juny
    1817.

                                    ergebenst
                                          Goethe

Fußnoten:

[258] Goethe theilte Rochlitz's Brief sogleich H. _Meyer_ mit. Riemer
Briefe von und an Goethe. S. 108 ff.

[259] Kunst und Alterthum ~I.~ 2. S. 7 ff.: „Neudeutsche,
religiös-patriotische Kunst.“

[260] Kein Druckfehler, aber gewiß ein Schreibfehler.

[261] Vgl. Werke ~XXVII.~ S. 332.

[262] Vgl. S. 329.

[263] Zur _Naturwissenschaft_ überhaupt, von Goethe. Erster Band.
Stuttg. u. Tüb. 1817.

[264] Ein Dorf, eine Stunde von Leipzig, wo Rochlitz ein Landhaus besaß.


XXXIII.

Ew. Wohlgeboren

verpflichten mich abermals durch ein so freyes und wohlgedachtes
Schreiben, das so viele reine Erfahrung und gemüthliche Thätigkeit
voraussetzt. Wie sehr freut mich, daß die Hoffnung der Weimarischen
Kunstfreunde auf lebendige Mitwirkung gleich denkender Männer so schön
erfüllt wird. Von dem Mitgetheilten werde mit Vorsicht später hin
Gebrauch machen, denn es möchte gut seyn vor der Hand zuzusehen wie
jene Äußerung im Publikum wirkt und wo man am schicklichsten nachhilft.

Nun eine kleine Bitte: In dem Catalog von _Dauthe_ S. 92. No. 81 (das
Blättchen lege bey,) stehn die _Cartons aus Hampton-Court_. Da nun die
Worte hinzugefügt sind: _vortreffliches Werk_, so vermuthe ich daß es
gute Abdrücke sind und als dann möcht' ich sie gerne besitzen. Gäben
Sie wohl jemand den Auftrag welcher die Abdrücke beurtheilen könnte und
sie für mich acquirirte, so geschäh mir ein besonderer Gefalle. Zehn
bis Zwölf Thaler wohl auch mehr wollte ich dafür geben. Die Auslage
ersetze sogleich dankbar.

Da ich zu Ende July, vielleicht Anfang August, wahrscheinlich nach
Carlsbad gehe, so hab' ich das Vergnügen Sie in Franzensbrunn zu
treffen und hoffe einen Abend mit Ihnen zuzubringen, worauf ich mich
von Herzen freue. Mögen Sie, nach Ihrer Ankunft daselbst, mir ein Wort
schreiben: wie es dort aussieht, so werden Sie mir einen Vorschmack
unseres Zusammentreffens geben.

Das Kästchen mit den Siegelabdrücken ist wohl durch die Post schon zu
Ihren Händen gelangt? -- Mehr sag ich nicht denn auch ich bin sehr
gedrängt manches zu arrangiren, das, wo nicht geendigt doch gefördert
werden muß.

Möge die persönliche Erneuerung und Anfrischung unseres schönen
Verhältnisses uns bald gegönnt seyn

  Weimar d. 26. Juny
        1817.

                                                       _in Hoffnung!_
                                                                      G

Anfragende Nachschrift.

Sollte nicht in der seltsamen Sammlung des Bauschreiber Dedike irgend
etwas befindlich seyn das einen Kunstfreund erfreuen könnte? es ist
fast unmöglich daß ein Sammler zeitlebens dem Absurden nachjage, ohne
daß ihm nicht auch einmal irgend was Schätzbares in die Hände liefe.
Haben nicht vielleicht einen Freund fähig dergleichen zu beurtheilen
und gefällig es zu erstehen? Unter den kleinen bronzenen Figuren sollte
sich vielleicht etwas finden, vielleicht auch unter den getriebenen
halb oder schwach erhobenen Bildern, wo nicht von alter doch von neuer
guter Kunst, sollte nicht unter den Tellern etwas von Majolika stecken?
Da diese Dinge schwerlich zu hohen Preißen weggehen, so würde man kaum
irren können

Weimar d. 27 Juny 1817.

                                                                      G


XXXIV.

Verzeihen Sie, werthester, daß ich erst spät auf Ihre Anfrage zur
Antwort komme; ich führe jetzt ein etwas unstätes Leben, und spiele
~rouge et noir~[265] zwischen Weimar und Jena[266], wo es an beiden
Enden zu thun giebt, zwar nicht außer meiner Sphäre, doch auch
innerhalb derselben nicht ganz erfreulich.

Haben Sie herzlichen Danck für alle Bemühung und Theilnahme, auch
für Ihre Betrachtung über mein Thun und Wesen. Das Liebste muß ich
immer liegen lassen, und für lauter Treiben und Arbeiten komme ich
zu keinem Genuß, am wenigsten zu einer Besinnung, was man erhalten,
fördern, fahren lassen, oder verbrennen soll. Wir wollen sehen wie
lange wir's treiben, und was wir noch vor uns bringen. Gönnen Sie mir
Ihre Theilnahme für und für, und erhalten mir und meinem Andenken guten
Willen in Ihrem Wirkungskreise.

Das übersendete Kupfer ist leider wie Sie selbst sehen, keineswegs
trostreich; dem guten Manne der so wunderlich aus dem Blättchen
heraussieht, wird das Denken äußerst schwer, und der Beschauer kann
sich einer peinlichen Empfindung nicht erwehren. Der Fehler, den die
Künstler durch Vergleichung selbst gefunden haben, ist freilich sehr
entstellend. Der Keim zu allen diesem, lag schon im Original, das ich
den wackern Boisseres übersendete, von Copie zu Copie ist es immer
schlimmer damit geworden.

Mögen Sie das mit Schonung an die guten Leute bringen, die mit so
vielem reinen Willen ihre Kunst geopfert haben, denn der Stich ist
wircklich verdienstlich. Ich selbst muß die Sache ignoriren, denn
als ich hier einigen Freunden das Blatt vorzeigte, wurde ich übel
angelassen. Dieses wenige zu sagen, finde ich in Jena gerade eine
ruhige Stunde; kommen Sie in Fall mir etwas zu schicken oder zu fragen,
so senden Sie es nach Weimar, und bleiben meiner Theilnahme und
Danckbarkeit versichert.

      Jena
  den 24 Novembr.
      1817.

                                ergebenst
                                      Goethe

Fußnoten:

[265] Briefw. m. Jacobi S. 262.

[266] Briefw. m. Zelter ~II.~ S. 415.


XXXV.

Daß Ew. Wohlgeboren nicht schon längst auf Ihren werthen Brief
geantwortet, ist der verspätete Druck beykommenden Heftes eigentlich
Schuld. Nehmen Sie es freundlich auf und gedenken dabei vergangener
Zeiten.

_Briefe_, wie Sie solche wünschen, finden sich wohl unter meinen
Papieren. Leider verbrannte ich 1797 eine zwanzigjährige geheftete
Sammlung aller eingegangener Briefe, die ich mir bei meinen
biographischen Arbeiten sehnlichst zurückwünschte; die neueren, bis
auf wenige Jahre, stehen in Kisten geschlagen in Bodenkammern, wo
jetzt unmöglich zu arbeiten ist. Ferner habe ich eine schöne Sammlung
eigenhändiger Briefe der Schriftzüge wegen gesammelt,[267] auch diese
will ich durchgehen um etwas für Sie herauszufinden. Nur gegenwärtig
bitte um Geduld! Außer mancherley äußern Zudrang habe ich noch meinen
Divan auf die Messe zu bringen und was dergleichen mehr ist.

Nun noch eine vertrauliche Frage, die ich mir baldigst zu beantworten
bitte. Nach der augenblicklichen Erschütterung von Jena möchten wohl
auch die _Griechen_ daselbst, zwölf an der Zahl, auswandern. Ich
kenne mehrere davon, vorzügliche, fleißige und stille Menschen.[268]
Sollten sie wohl sämmtlich oder zum Theil in Leipzig Unterkommen
finden wenn sie sich gebührend meldeten? Sagen Sie mir, da Sie die
dortige Constellation kennen, wie Sie hierüber denken, es soll, was
Sie mir vertraulich äußern, niemand erfahren. Über die wunderlichen
Zustände des Tages kein Wort, jeder muß diese Vorfälle bei sich selbst
verarbeiten.

Mit unwandelbarer Neigung und Vertrauen

  Weimar d. 4. April
        1819.

                                                                 Goethe

Fußnoten:

[267] Werke ~XXVII.~ S. 212. Briefw. m. Zelter ~I.~ S. 350.

[268] Werke ~XXVII.~ S. 337 f. 353.


XXXVI.

Ew. Wohlgeboren

danke nur mit wenig Worten für die gegebene Nachricht. Können
Sie gelegentlich diesen jungen Männern ohne Beschwerde einige
Freundlichkeit erzeigen, so werden Sie ein gutes Werk thun.
Empfehlungsschreiben, wie sie wohl verdienten, habe ich ihnen nicht mit
gegeben. Dagegen habe einem Stuttgarder Musikus, Namens _Kocher_, Sie
in meinem Namen zu begrüßen aufgetragen; er hat mir durch musikalischen
Vortrag und Gespräch wirklich Interesse abgewonnen. Mögen Sie ihm
einige Aufmerksamkeit schenken und mir Ihre Gedanken über ihn und seine
Composition eröffnen da ich mir in einer fremden Kunst wohl Antheil
aber kein Urtheil erlaube.[269]

Wegen gewünschter Briefe ging mir in diesen Tagen der Gedanke bei:
meinen Freund von Knebel, in Jena, deshalb anzusprechen. Er führt
seit vielen Jahren mit allen deutschen Literatoren Correspondenz und
vielleicht gewinnen wir da einige Ausbeute.

Mit den herzlichen Wünschen

Weimar den 15 April 1819.

                                aufrichtig ergeben,
                                                Goethe

Fußnote:

[269] Vgl. S. 40.


XXXVII.

Es ist der Mühe werth gelebt zu haben wenn man sich von solchen
Geistern und Gemüthern begleitet sieht und sah; es ist eine Lust zu
sterben wenn man solche Freunde und Liebhaber hinterläßt, die unser
Andenken frisch erhalten, ausbilden und fortpflanzen. Nehmen Sie meinen
herzlichsten Dank für Ihren herrlichen Brief, dessen ich mich als
des schönsten Zeugnisses zu rühmen habe. Nächstens erhalten Sie ein
Exemplar meines _Divans_, dem ich gleichfalls eine günstige Aufnahme
versprechen darf.

Wahrscheinlich kommen meine Kinder auf einer kleinen Reise[270] durch
Leipzig, die ich in Ihr Connewitz[271] zu führen bitte, damit sie mir,
nach dem Augenschein, die Wiederherstellung Ihres so lieben und auf
eine zeitlang verleideten Lustsitzes bescheinigen.

                                _und so fort und ewiglich
                                                verbunden_
                                                     Goethe

  Weimar d. 18. Aprl.
        1819.

Fußnoten:

[270] Briefw. m. Zelter ~III.~ S. 10 ff.

[271] Vgl. S. 336.


XXXVIII.

Ew. Wohlgeb.

erhalten hiebey eine geringe Ausbeute, der ersten beiden Buchstaben
meiner Handschrift Sammlung, damit ich vorläufig meinen guten Willen
beweise. Diese vier Briefe haben wenigstens das Interesse, daß man
in gewiße Zeiten, Zustände und Charaktere hineinsieht, von denen wir
kaum mehr einen Begriff haben. Bodmers Hand zu entziffern möchte wohl
die größte Schwierigkeit seyn, doch ist es interessant genug zu sehen
welche Bücher man damals zu lesen anrieth. Finden sie diese Blätter
einer Abschrift zu künftigem Gebrauche werth, so erbitte sie mir sodann
zurück. Ich gehe die Sammlung nach und nach durch und sende mehr
vielleicht auch Bedeutenderes.

Mit aufrichtigen Wünschen

    Weimar
  den 27. May.
    1819.

                                 danckbar anhänglich
                                      J W Goethe


XXXIX.

Sie haben mich, theurer, trefflicher Mann, mit immer gleichem Schritt
und unverwandter Gesinnung durchs Leben begleitet und mich, der ich so
viele Mißklänge von außen zu vernehmen hatte, stets mit reiner, wahren,
ächten Theilnahme erfreut, daß ich sehr undankbar sein müßte wenn
ich nicht eine darbietende Gelegenheit ergriffe, meinen Dank endlich
auszusprechen. Nehmen Sie daher im Ganzen freundlich auf, was Ihnen im
Einzelnen zusagte[272] und gedenken mein jetzt und künftig in Geist und
Liebe.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung hinzufügen welche einem alten Autor
wohl ziemen mag. Es giebt dreierley Arten Leser: Eine, die ohne Urtheil
genießt, eine dritte, die, ohne zu genießen urtheilt, die mittlere
die genießend urtheilt und urtheilend genießt; diese reproducirt
eigentlich ein Kunstwerk aufs neue. Die Mitglieder dieser Classe,
wozu Sie gehören, sind nicht zahlreich, deshalb sie uns auch werther
und würdiger erscheinen. Ich sage nichts Neues, Sie haben hierüber
gleichfalls erfahren und gedacht.

Leben Sie recht wohl und seyen meinen Kindern freundlich, wenn sie auf
ihrer Rückreise von Berlin[273] in Leipzig verweilen sollten wovon ich
noch keine gewisse Nachricht habe.

  Weimar d. 13 Juny.
        1819.

                                _und so fort und ewig
                                      verbunden_
                                              Goethe

Fußnoten:

[272] Die Ausgabe von Goethes Werken in 20 Bänden war in diesem Jahr
vollendet.

[273] Briefw. m. Zelter ~III.~ S. 19.


XL.

Nichts Angenehmeres hätte vor meiner Abreise nach Carlsbad bey mir
einlangen können als ein Brief von Ihrer Hand, mein Theuerster,
überschrieben. Die Lesung des Vorigen erregte mir ein Gefühl das ich in
ähnlichen Fällen mehrmals empfand, das nämlich, daß mich keine Furcht
für Sie anwandlen wollte. Eben aber, die Reise nach Böhmen anzutreten
endlich bestimmt, wollte ich, zu meiner Beruhigung bey andern anfragen
und in demselben Augenblick erfahre ich, von freyen Stücken, durch Sie
selbst, Ihre Genesung. Lassen Sie mich dazu aufrichtig Glück wünschen
und nach einem solchen Sturze eine dauerhafte Gesundheit hoffen. Der
vielfache Drang vor meiner Abreise verbietet mir mehr zu sagen, deshalb
ich auch auf Ihren ferneren geneigten Antrag zu antworten bis auf meine
Rückkunft verschiebe: denn dergleichen überraschende, wohlmeynende
Gesinnungen anzunehmen oder abzulehnen ist gleich bedenklich. Leben
Sie inzwischen recht wohl und empfangen meinen aufrichtigen Dank,
sowohl für baldige Nachricht Ihrer Beßerung, als die sogleich gegen uns
gewendete Neigung Ihres lieben Gemüthes.

Möge ich bey meiner Rückkehr das Gute und Beßere von Ihrem Befinden
vernehmen.

      Jena
  den 23. August.
      1819.

                                         treulichst verbunden
                                                    Goethe


XLI.

Nun möchte denn doch auch wieder einmal Zeit seyn bey Ihnen, mein
werthester Herr und Freund, theilnehmend anzuklopfen nach Ihrer
Thätigkeit zu fragen, damit man doch wieder als mitlebend erscheine.
Seit dem August vorigen Jahrs hab' ich mir viel auferlegt und ist mir
viel auferlegt worden, so daß diese Zeit, ob ich gleich gar keiner
Zerstreuung Raum gebe und der entschiedensten Einsamkeit genieße,
auch Tag und Stunde zu nützen suche, ich dennoch immer in Rückstand
verbleibe. So schleicht sich denn auch die Erfahrung ein, daß das Alter
weniger fördert als die Jugend und man nicht mehr von einer Thätigkeit
zur andern so schnell übergehen kann.

Nehmen Sie ein Exemplar meines Divans als Zeichen des Zutrauens und
der Hochachtung. Da ich mich einmal in jene Regionen gewagt, so hab
ich, wie es auf Reisen zu gehen pflegt, mich länger verweilt, mehr
Zeit und Kräfte verwendet, als billig, auch zuletzt keine Anstrengung
gescheut um nur endlich wieder nach Hause zu kommen. Sagen Sie mir
nun auch etwas von sich und wie es mit Ihren literarischen- und
Kunstbeschäftigungen geht? Herr Weigel schreibt mir mit Entzücken von
den Abenden, wo Sie Freunden eine Beschauung Ihrer Schätze gewähren.
Möcht ich doch auch Theil daran nehmen können!

      Weimar
  den 3. April
      1820.

                                          treulichst
                                                Goethe


XLII.

Ihre werthe Sendung mein Theuerster, ist mir keineswegs klein: denn sie
sagt mir, daß Sie meiner gedenken, und nicht etwa nur im Augenblick des
Schreibens, sondern auch in Zuständen, wo unser Wollen und Vollbringen
im Conflict ist. Da ich nun auch auf gleiche Weise, mich gegen das
Leben verhalten muß, in bewegter Ruhe, in ruhiger Bewegung, wenn nicht
gar die ganze Weltgeschichte, wie schon ein paar mal geschehen, über
uns herpoltert; so nehme ich immer im Stillen reinen Antheil an denen,
die mit mir, früher oder später, heran kamen, gleiche Gesinnungen
gehegt und gleiche Schicksale erlebt haben.

Und so sey Ihnen Dank für das niedliche Stück,[274] das Gelegenheit gab
Ihrem Schreiben. So viele Jahre früher wäre es schon aufgeführt, unter
gegenwärtigen Umständen habe es den zeitigen Machthabern eingehändigt,
welche sich deßen gerne bedienen und auf die Fortsetzung begierig seyn
werden.

Aus beyliegendem nehmen Sie auch freundlich Ihren Antheil.

      Jena
  den 3. Octobr.
      1820.

                                treulichst verbunden
                                                Goethe

Fußnote:

[274] Die Freunde, Schauspiel in 1 Akt. Auswahl Th. ~V.~


XLIII.

Ew. Wohlgeb.

verzeihen wenn ich erst späte und nur mit wenigen Worten vermelde:
daß wirklich an dem ersten Band von Wilhelm Meisters _Wanderjahren_
gedruckt wird, damit er Ostern erscheinen könne. Auch dieser
wunderlichen, verspäteten Production erbitte Gunst und Antheil.

Ihren auserlesenen Arbeiten[275] werde gern manche ruhige Stunde widmen
und, wie sonst, daraus mannigfaltiges Vergnügen schöpfen. Erhalten Sie
mir ein geneigtes Andenken! Gedrängt von vielen Seiten! Eiligst.

      Weimar
  den 18. Febr.
      1821.

                                          aber treulichst
                                                      Goethe

Fußnote:

[275] Auswahl aus Fr. Rochlitz's sämmtlichen Schriften. Züllich. 1821.
22.


XLIV.

Wenn der Unglaube, wie das Alte und Neue Testament behauptet,
die größte Sünde ja die Sünde der Sünden ist, so haben Sie, mein
Werthester, viel abzubüßen, da sie an der guten Wirkung Ihrer
allerliebsten Productionen immerfort Zweifel hegen. Gerade im
Gegentheil kann ich versichern daß ich in den mitgetheilten werthen
Bänden mich mit ältern Freunden und Bekannten gar gern unterhalten,
neuere mit Heiterkeit begrüßt und so die angenehmsten Stunden verlebt
habe.

Nehmen Sie nun von Ihrer Seite meinen Wanderer freundlich auf, wie er
sich denn hiermit bescheiden und heiter darstellt. Da es uns Deutschen
nun einmal nicht gegönnt ist in entschieden geistreicher Gesellschaft
des Lebens zu genießen und uns gegenwärtig in Person an einander
auszubilden: So möge denn was dem Einsamen gelingt zuletzt gesellig
zusammentreten und uns empfinden lassen wie wir nachbarlich mit
einander gelebt und uns wechselseitig liebend gefördert. Erhalten Sie
mir ein fortdauerndes freundliches Andenken.

    Weimar
  den 21. Juny
    1821.

                                    treulichst
                                          Goethe

Erlauben Sie noch Anfrage und Bitte. Bei Ihrem Mitbürger Fr. Peters
sind Streicherische Flügel zu haben in Mahagonie Holz für 245 Thlr. in
Nußbaum 200 Thlr. Conventionsgeld. Gewiß kennen Sie Mann und Waare,
dürfte ich Sie ersuchen die Gegenwärtigen anzusehen und zu prüfen, mir
auch alsdann Ihr Urtheil zu eröffnen, da ich denn eher einen Entschluß
faßen könnte als auf allgemeine Empfehlung. Verzeihen Sie dies Bemühen;
wir werden dagegen in unserm häuslichen Kreise desto öfters dafür
erinnert werden.


LXV.

Ew. Wohlgebornen

unterlasse nicht zu vermelden, daß der empfohlene Flügel gestern
glücklich angekommen,[276] sogleich von Herrn Hartknoch, einem Schüler
unseres verdientesten Capellmeister Hummel, geprüft und, sowohl von
ihm, als den sämmtlichen Zuhörern probat befunden worden. Nehmen Sie
den besten Dank: mir eine so schöne Acquisition versichert zu haben
und seyn überzeugt daß wir uns bey manchem Genusse Ihrer freundlichen
Theilnahme dankbar erinnern werden.

Möge Ihr Sommer-Aufenthalt in dem herrlichen Schandau durch gute
Witterung und Gesellschaft beglückt seyn. Ich hoffe gleiches in Böhmen,
wohin ich mich, mehr der Veränderung und Zerstreuung als der Cur
willen, nächstens begebe.

Lassen Sie, nach beiderseitiger Rückkehr uns von einander vernehmen.

  Weimar d. 15 July
        1821.

                                        treulichst
                                              Goethe

Fußnote:

[276] Werke ~XXVII.~ S. 398.


XLVI.

Schreiben und Sendung, mein Theuerster, hat mich höchlich erfreut.
Wer aus innerem Triebe treulich liebevoll arbeitet und mittheilt,
darf an reiner Aufnahme nicht zweifeln. So haben Sie mich durch Ihre
römische Geschichts Epoche[277] ganz eigentlich gefördert, indem
ich, bei Veranlaßung der von Knebelschen Übersetzung des Lukrez,
mich in der Zeit aufhalte die der welche Sie betrachten unmittelbar
vorhergeht;[278] suche ich mich also in Ihrem Sinn recht eigentlich
zu finden und übertrage Ihre Ansichten nur einige Schritte rückwärts,
so bringt es mir gar viel Vortheil; denn es ist einer mündlichen
Unterredung zu vergleichen.

Ihre treffliche mir wohlbekannte Schilderung jener Leipziger
Unglückstage lese ich wieder[279] und bewundere abermals die besondere
Fügung daß ein Mann von Ihrem Geist und Sinn, in Augenblicken wo uns
die Sinne vergehen, das Übergewicht eines angebornen und wohlgeübten
Talents empfindet, zur Feder greift das Unerträgliche in der Gegenwart
zu schildern. Sie erhalten nächstens dagegen einen treuen Abriß meiner
wunderlichen Militairlaufbahn; auch durch diese Erbkrankheit der Welt
mußt ich einmal durch, damals ging ich der Weltgeschichte entgegen,
nachher hat sie uns am eigenen Heerde aufgesucht.

Daß Sie Sich aus dem letzten Stücke von Kunst und Alterthum gerade
dasjenige aneignen,[280] was ich im besten Humor geschrieben freut
mich sehr. Der Zustand des Schreibenden, theilt sich dem wahren
Leser sogleich völlig mit, und ich erkenne dankbarlich, den schönen
Wiederklang freundschaftlich-einstimmiger Gesinnung.

Ist die Melodie von Zelter: _Um Mitternacht_, zu Ihnen gelangt? ich bin
so oft ich sie höre, sehr davon erbaut.[281] Was Sie Selbst über Musik
mittheilen wollen soll mir höchst willkommen seyn.

Möge Ihre schöne Thätigkeit von allen Seiten her belohnt werden.

    Weimar,
  den 22. Aprl.
    1822.

                                treulich verbunden
                                    J W Goethe.

Fußnoten:

[277] Umrisse eines Gemäldes von Rom in den Jahren 60-44 v. Chr.
Auswahl Th. ~IV.~

[278] Werke ~XXXII.~ S. 276. ~XXVII.~ S. 387.

[279] Vgl. S. 327.

[280] Das gleich erwähnte Lied in Kunst und Alterth. ~III.~ 3. S. 170.

[281] Vgl. Briefw. m. Zelter ~II.~ S. 453 f. ~III.~ S. 82. Werke
~XXXII.~ S. 341. 354.


XLVII.

Ew. Wohlgeb.

haben durch Ihr werthes Schreiben mir Hoffnung und Wunsch erfüllt,
denn da ich selbst nicht sonderlich mehr mobil bin, so kann mir nichts
erfreulicher seyn als wenn Freunde, deren Denkart und Gesinnung ich
kenne, von ihren Reisebemerkungen Urtheilen und Gefühlen vertrauliche
Mittheilung schenken, und so hab ich denn auch mit großem Vergnügen
gesehen daß Sie genug Gutes und Löbliches von Wien und den dortigen
Zuständen zu sagen wißen.

Auch ich war dieses Jahr wieder in Böhmen, fand meine alten Freunde und
Neigungen wieder gewann neue dazu und fühlte mich in diesem Kreise
sehr behaglich; auch nahm ich Theil an dem neueinzurichtenden Prager
Museum und denke das nächste Jahr an die Fortsetzung einer längst
gewohnten Lebensweise.

Betrübt haben mich deswegen Ihre Worte: „dazu nun das Volk, ich
meyne die große Masse, in seinem Wohlstande, (Böhmen abgerechnet,
das es nicht besser haben will, als es hat, und es besser zu haben
schwerlich werth ist)“. Ich weiß recht gut daß dort nicht alles ist
wie es seyn sollte; aber Ihre Worte scheinen mir doch zu hart und zu
hauptstädtisch; ich darf Sie daher wohl bitten sich näher zu erklären
und mir dadurch Anlaß zu geben bey meiner Rückkehr in jene Gegenden
besser aufzumerken und da ich meine Neigung nicht wohl aufgeben kann,
doch ohne allzu entschiedenes Vorurtheil meine Liebschaften prüfen zu
können.

Von Paulus und Johannes wünschte doch auch nähere Schilderung.

Möge Ihnen alles Gute gegönnt und verliehen seyn! Das erste säuberliche
Exemplar das mir vom Buchbinder zukommt erhalten Sie sogleich, ich
darf es Ihrer herkömmlichen, mir so werthen Theilnahme nicht erst
umständlich empfehlen.

Es ist mir in dieser Zeit gar vieles Gute begegnet; Hr. Dr. von Henning
in Berlin hat Vorlesungen gehalten über meine Farbenlehre, ich lege
seine Einleitung bey, die wohl für jeden gebildeten Geist verständlich
und nicht ohne Intereße seyn möchte.

In Hoffnung baldigen Erwiederns wünsche Ihrer fortwährenden Theilnahme
immer versichert zu bleiben.

      Weimar
  den 20. Septbr.
      1822.[282]

                                      treulichst
                                                  Goethe

Fußnote:

[282] Am 26. Febr. 1823 theilte August v. Goethe Rochlitz die Nachricht
von der schweren Erkrankung seines Vaters mit und sprach die Hoffnung
aus, daß nun die Gefahr beseitigt sei; wörtlich wie an Zelter, Briefw.
~III.~ S. 292 f.


XLVIII.

Ew. Wohlgeb.

haben durch Ihre wahrhaft liebenswürdige Sendung,[283] ganz
eigentlich meinem Hause Seegen gebracht. Ihre herzlich eindringende
Darstellung des Messias, erregte den unwiderstehlichen Wunsch die
alten verklungenen Gefühle in mir zu erneuen und nun unter Anleitung
des wackern Eberweins durch freundliche Theilnahme von Künstlern und
Liebhabern vernehme soviel von dem köstlichen Werck daß ich aufs neue
darüber entzückt seyn und Ihnen für diesen Genuß aufs verbindlichste
danken muß.[284]

Da nun hiebey das herrliche, sich immer gleichbleibende Piano, wie vor
Kurzem unter den Fingern der Madame ~Szymanowska~,[285] eine Hauptrolle
spielt, so sind Sie dem Geiste nach manchen schönen Abend unter uns.

Vergönnen Sie daß ich von diesen häuslichen Festen, in Bezug auf Ihre
Veranlaßung, öffentlich einige Worte verlauten laße, wie ich denn auch
des übrigen Inhalts Ihres Bandes mit Hinblick auf die früheren Arbeiten
zu gedenken habe.[286] Möge Ihnen alles wohlgelingen und Sie mich den
so viele Jahre geschenckten Antheil auch fernerhin genießen laßen.

    Weimar
  den 2. Aprl.
    1824.

                                        fort und fort
                                              J W Goethe

Fußnoten:

[283] Für Freunde der Tonkunst von Fr. Rochlitz. Leipzig 1824.

[284] Eckermann Gespr. ~I.~ S. 148. Briefwechsel m. Zelter ~III.~ S.
404. 417. 421. 430.

[285] Briefw. m. Zelter ~III.~ S. 329 f. Sie war im October 1823 in
Weimar. Eckermann Gespr. ~I.~ S. 72 f. 77 f.

[286] Kunst u. Alterth. ~V.~ 1. S. 154 ff. Werke ~XXXII.~ S. 334 ff.


XLIX.

Ew. Wohlgeb.

gefällige Mitwirkung in einer kleinen, obschon für mich nicht
unbedeutenden Angelegenheit mir zu erbitten, sehe ich mich in diesen
Tagen veranlaßt.

Die Weygandische Buchhandlung, welche zuerst meinen _Werther_ verlegt
und einige weitere Ausgaben, ich erinnere mich nicht wieviel, davon
veranstaltet hat, machte mich vor einiger Zeit mit der Absicht bekannt
eine nochmalige zu versuchen, wünschte meine Anerkennung und eine
Vorrede, wie sies nannten.

Gegen den neuen Abdruck war nichts einzuwenden, ob ich irgend einige
einleitende Worte finden könnte mußte ich einer günstigen Stimmung
überlassen.

Jetzt melden sie mir daß der Abdruck im Gange sey und nun von mir die
öffentliche Anerkennung durch irgend ein Vorwort nöthig werde, wie sie
denn das Honorar meinem billigen Ermessen anheim stellen.

Nun ist hier freylich kein großer Gewinn zu hoffen, doch möchte wohl
jedermann von Zeit zu Zeit sich oder den Seinigen einen billigen
Wunsch versagen zu dessen Befriedigung er sich ein zufälliges Mittel
wünscht. Sie sehen leicht daß es in diesem Falle unerfreulich wäre
direct zu handeln und vielleicht gar zu markten, darum ich dieselben
ersuche die Vermittlung über sich zu nehmen, wozu folgendes möge die
Einleitung seyn.

Ich lege funfzig Reimzeilen bey, denen ich Ihren Beyfall wünsche;[287]
sie könnten den guten Leuten vorgewiesen werden, ohne jedoch solche
bis zu abgeschlossenener Sache aus Handen zu geben. Ew. Wohlgeb. sind
selbst Autor und haben mit den Verlegern genugsamen Verkehr um zu
wissen was in dieser Sache recht und billig wäre.

An einen Contrakt für die Zukunft war vor funfzig Jahren nicht zu
denken und ich erinnere mich kaum jener frühern Verhandlungen, auch
möchte nach so vieler Zeit, nach den großen Veränderungen im Buchhandel
gegenwärtig dieses als ein ganz neues Geschäft anzusehen seyn. Haben
Sie die Güte die Betheiligten anzuhören und ihre Meynung zu vernehmen.

Es ist hier darum zu thun meine Zustimmung zur neuen Auflage zu
honoriren, die denn durch das beykommende Gedicht, welches auch seinen
Werth haben mag, deutlich ausgesprochen und vor dem Gesetz und dem
Publicum legitimirt wird. Haben Sie die Güte mir deshalb Vorschläge zu
thun in Bezug auf jene Erkundigungen nach eigenem Ermeßen und behalten
wie schon gesagt das Gedicht an sich, bis zum Abschluß, wie ich denn
auch alsdann wegen des Titels einiges zu bemerken wünsche.

Die herkömmlich gebundenen gehefteten und allenfalls rohen Exemplare
haben Sie die Gefälligkeit mir auszudingen.

Laßen Sie mich gestehen daß es etwas eigen Reitzendes für mich hat,
nach meinem neulichen, für sittlich und ästhetische Mittheilungen
dankbaren Briefe, diesen ökonomisch-rücksichtlichen sogleich abzulaßen.
Möge dies auch zu dem bestandenen guten Verhältniß noch einen
freundlichen Bezug hinzufügen.

  Weimar d. 30 Aprl.
        1824.

                                redlich
                                theilnehmend,
                                aufrichtig ergeben
                                    Goethe

Fußnote:

[287] Werke ~II.~ S. 92 ff.


L.

Ew. Wohlgeb.

nehmen den allerverbindlichsten Dank für die geneigte Vermittlung;
im Beygehenden erhalten Sie das Nöthige zu Beendigung des kleinen
Geschäfts. Ein bejahrter deutscher Autor, weiß nur zu gut, daß er weder
Engländer noch Schottländer ist und daß in solchen Fällen eigentlich
nur von Anerkennung eines Rechtes, nicht von dem Äquivalent einer
Arbeit die Rede seyn kann. Also nochmals aufrichtigen Dank, daß Sie
mir ein unmittelbares Mißgefühl, worauf es insolchen Fällen meistens
hinauszugehen pflegt, ersparen wollen.

Ich bedinge mir also _funfzig_ vollwichtige Ducaten, wie man sie im
Österreichischen ohne Widerrede annimmt, sogleich durch die fahrende
Post gesendet; auch in der Folge 24 Exemplare gutes Papiers, einige
hübsch gebunden, wie man es in Leipzig versteht und ausübt. Wollte man
Titel und Gedicht alsobald abdrucken und mir den Bogen zur Durchsicht
schicken, so würde es angenehm seyn.

Wäre dies nicht, so hätten Sie wohl die Güte eine Revision zu
übernehmen, damit der poetischen Sorgfalt ihr Recht wiederfahre.

Daß Ihr neuster Band glückliche Wirkung thun würde, schloß ich aus
dem was bey mir erregt worden. Nächstens übersende das neuste Heft
Kunst u. Alterth. und bitte mit einem naiven Zeugniß meiner treulichen
Theilnahme geneigt vorlieb zu nehmen.[288] Bey mir geht es immer etwas
rascher zu als ich wohl wünschen möchte, doch wird sich zunächst auch
wohl nachkommen laßen.

      Weimar
  den 22. May
      1824.

                                        und so ferner
                                              treulichst
                                                    Goethe

Fußnote:

[288] Vgl. S. 358.


LI.

Wenn Sie, mein theurer, vielgeprüfter Freund, räthselhaft finden
sollten daß mit dem Gegenwärtigen einige Fasanen anlangen; so gehört
folgende Auflösung dazu.

Eine Gesellschaft von Musikfreunden, nachdem sie sich einen Abend
mannigfaltig ergötzt hatte, gedachte, beym frohen Mahl, daß man
Ihnen den größten Theil dieses Vergnügens schuldig sey, indem Sie
uns mit einem so trefflichen, sich immer wohlhaltenden Instrumente
versehen;[289] man trank Ihre Gesundheit und wünschte daß Sie von
den guten Jagdbissen mitgenießen möchten. Hiernach ward nun der gute
Gedanke laut, daß die Vögel sich gar wohl zu Ihnen bewegen könnten.
Ein Jagdfreund übernahm die Besorgung und nun kommen sie, begleitet
von den besten Wünschen zum neuen Jahr und in Hoffnung, daß Sie solche
gleichfalls mit Freunden theilnehmend, und unsrer eingedenk genießen
werden.

  Weimar d. 18. Januar
          1826.

                                        treulichst
                                        J W Goethe

Fußnote:

[289] Vgl. S. 352.


LII.

Ja wohl, mein Theuerster, war der freundliche Besuch den Sie
uns gönnten ein schöner Beweis daß wir uns im Lebensgange an
einander nicht geirrt haben; es zeigte sich daß wir, wenn gleich
in einiger Entfernung, parallel nebeneinander fortgingen und, beym
Wiederzusammentreffen, keiner am andern etwas Fremdes empfand; es
war Ihnen bey mir behaglich, eben so mußt es wechselseitig seyn.
Sie konnten der Freund meiner Freunde werden, es ergab sich alles
ganz natürlich, ohne daß irgend etwas wäre auszugleichen gewesen,
und so mußten wir wünschen Sie hätten noch einige Tage verweilt.
Schwiegertochter und Kinder waren wiedergekommen; Herr Rauch traf
ein[290] und wir hätten Sie herzlich gern an den guten Stunden des
Wiedersehens und heitern Empfangs auch Ihren genugsamen Theil nehmen
lassen. Auch hätte ich der guten Ottilie so gern einen Musickliebenden
Gast entgegengeführt.

Hier nun will ich schließen, mit dem treusten Dank für Ihr werthes
baldiges Schreiben, mit reinen Wünschen und Grüßen an die theure Ihrige
und mit Ankündigung einer Rolle, deren Inhalt wir einen geneigten
Empfang erbitten.

      Weimar
  den 3. Juli
      1829.

                                        und so fortan!
                                              J W Goethe

Fußnote:

[290] Briefw. m. Zelter ~V.~ S. 254. 261.


LIII.

Möge der beykommende ernste Scheinbau, so wie die fromme Dreyheit
dem theuersten Freunde eben solche vergnügte Empfindungen beym
fortdauernden Anschauen verleihen als mir und meiner Umgebung die
verunglückten Wagenlenker gewähren. Mögen diese Blätter als schöne
Denkmale immer den Theilnehmenden vor Augen seyn, eines erneuten
Verhältnisses, welches für alle Zukunft die anmuthigsten Folgen
gewinnen muß.

Unter den mannigfaltigsten Erinnerungen und Grüßen nur noch den
treusten Zuruf.

    Weimar
  den 5. Jul.
    1829.

                                        und so fortan!
                                          J W Goethe


LIV.

Lassen Sie uns noch immer einige Briefe wechseln! Denn das ist ja der
Vortheil einer, nach langen Jahren erneuten, persönlichen Gegenwart,
daß, aus der wechselseitigen Erkennntniß der eben obwaltenden besondern
Zustände, ein neuer Antheil hervortritt, weil der Geist nunmehr erfährt
wohin er seine Richtung nehmen soll, und das Gemüth sicher ist eine
reine Theilnahme werde günstig aufgenommen werden.

In diesem Sinne empfind ich dankbar: daß Sie mir die Stellen bezeichnen
wollen welche Sie in den neuen Wanderjahren Sich angeeignet. Eine
Arbeit wie diese, die sich selbst als collectiv ankündiget, indem
sie gewissermaßen nur zum Verband der disparatesten Einzelnheiten
unternommen zu seyn scheint, erlaubt, ja fordert mehr als eine andere
daß jeder sich zueigne was ihm gemäß ist, was in seiner Lage zur
Beherzigung aufrief, und sich harmonisch wohlthätig erweisen mochte.

Wenn ich daher die von Ihnen, mein Theuerster, angedeuteten Stellen
wieder aufschlug, war es eine angenehme Unterhaltung mit einem
abwesenden Freunde, wo ich, in Spiegelung und Wiederschein, gleiche
Gesinnung, gleiches Bestreben, zu eigner Bestärkung gewahrte. Denn das
darf ich wohl sagen: was ich in meinen Schriften niedergelegt habe ist
für mich kein Vergangenes, sondern ich seh es, wenn es mir wieder vor
Augen kommt, als ein Fortwirkendes an, und die Probleme die hie und da
unaufgelöst liegen, beschäftigen mich immerfort, in der Hoffnung daß,
im Reiche der Natur und Sitten, dem treuen Forscher noch gar manches
kann offenbar werden.

Daß Sie die Weimarischen Zustände, und darin auch das Nächste was
sich auf mich bezieht, konnten gewahr werden, und zwar mit Ihrer so
rein-sinnigen als lebhaft-ergreifenden Beobachtungsgabe, ist, ganz
ohne Frage, ein vielfaches Eingreifen in die Glieder einer, sonderbar
genug verschränkten socialen Kette. Erhalten Sie sich und uns das dabey
gewonnene werthe Verhältniß. Alle die sich gleichzeitig heranbildeten
haben Ursache sich zusammen- und ihren Kreis gewissermaßen geschloßen
zu halten; die Nachkommenden wollen vieleicht was besseres, gewiß aber
etwas anderes.

  Im Garten am Park
  Weimar d. 28. Jul.
        1829.

                                        In treuem Verharren,
                                              J W Goethe


LV.

Die letzten Wochen bin ich, im Drange eigenen Thuns und äußeren
Einwirkens, in die Unmöglichkeit versetzt worden mich nach entfernten
Freunden umzusehen; auch habe deswegen Ihren lieben, mir sehr
willkommenen Brief nicht erwiedert. Ich möchte Sie ersuchen mit
Betrachtungen über die Wanderjahre fortzufahren und mir von dem
Einzelnen was besonders auf Sie gewirkt, was ein Weiteres aufgeregt,
wo sichs angeschlossen und wie man alle solche gute Folgen nennen
möchte gelegentlich ohnschwer Kenntniß zu geben. Es ist mir dies, wenn
es von Freunden geschieht, die größte Belohnung für die Aufmerksamkeit
die ich dieser Arbeit gewidmet. Die Umbildung der darin enthaltenen,
schon einmal in anderer Form erschienener Elemente war für mich ein
ganz neues Unternehmen, wozu mich nur die Liebe zu einzelnen Theilen,
welche, mehr und mehr, auf eine zierliche Weise, einander anzunähern
hoffte, bewegen und mich in einer anhaltenden thätigen Aufmerksamkeit
freudig erhalten konnte.

Schon werd' ich von manchen Seiten her, von zart aufnehmenden Lesern
wirklich auf die anmuthigste Weise belohnt, von solchen die, was ihren
Gesinnungen und Gefühlen gemäß ist ergreifen, und sich als Menschen
gegen den Autor, insofern er menschlich ist, verhalten.

Nun wird es mich sehr freuen auch von Ihnen mein Theuerster, der sich
übersichtlich, denkend und vergleichend in solchem Falle verhält,
manches gute Wort zu hören. Denn dem Autor in solchem Falle muß dran
gelegen seyn zu erfahren, daß ihm seine Absichten nicht mißglückt,
sondern daß vielmehr die geistigen Bolzen und Pfeile dahin gereicht und
da getroffen, wohin er sie gerichtet und beabsichtigt.

Nun aber verpflichteten Dank für die ausführliche Kenntniß, die Sie
mir von der Aufführung Fausts geben. Es ist wunderlich genug daß diese
seltsame Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat
man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen
und nicht ohne meine Billigung der Art und Weise wie man sich dabey
benommen. Mögen Sie mir die Folge der Scenen wie man sie dort beliebt
gelegentlich wissen lassen, so geschieht mir ein Gefalle; denn es ist
immer wichtig zu beobachten wie man es angegriffen um das ~quasi~
Unmögliche, zum Trutz aller Schwierigkeiten, möglich zu machen.

Liebenswürdig ist es von den Deutschen daß sie das Werk nicht zu
entstellen brauchten um es von dem Theater herab erdulden zu können.
Die Franzosen mußten es umbilden und an die Sauce noch starkes Gewürz
und scharfe Ingredienzien verschwenden. Nach der Kenntniß, die uns
davon gegeben ist kann man begreifen wie das Machwerck dort große
Wirkung thun mußte.

Soviel für jetzt und nicht weiter, damit dieses Blatt baldigst zu Ihnen
gelange.

      Weimar
  den 2. Septbr.
      1829.

                                        und so fortan!
                                            Goethe


LVI.

Den allerschönsten Dank, theuerster Mann, für die gefällig mitgetheilte
Nachricht wie es meinem redigirten Faust vor und nach der Aufführung
ergangen. Bey meiner vieljährigen Theaterverwaltung hab' ich eine
solche oft verlangte ja dringend geforderte Vorstellung niemals
begünstigt und sie auch jetzt hier am Orte im eigentlichsten Sinne nur
geschehen lassen. Was man auch übrigens von der Aufführung halten mag,
so geht doch besonders aus der in Leipzig die alte Wahrheit: man solle
den Teufel nicht an die Wand mahlen, aufs deutlichste hervor.[291]

Wegen der freundlichen Anfrage welche Ihr lieber Brief enthält, will
ich folgendes aufrichtig erwiedern.[292] Des Herrn Grafen Ankunft in
Weimar, würde, nach der mir gegebenen Kenntniß, in den December fallen,
einen Monat, der mich schon seit vielen Jahren, besonders aber in
meinen alten Tagen, nicht zum besten behandelt, wo ich mich meist in
meinem Zimmer aufhalte und leider nur den nächsten Freunden zugänglich
bin. Einen so werthen Gast kann ich also auf diese Zeit nicht einladen,
da ich keinen Tag und keine Stunde von meinem Befinden sicher bin.

Dies hindert aber nicht, daß ich in günstigen Augenblicken
Durchreisende, hier verweilende würdige Personen sehe, spreche und
mich mehrmals mit ihnen unterhalte. Würden also Herr Graf Mannteufel
in jener Zeit Weimar besuchen, wo die beyden Höfe und eine mehrfach
interessante Gesellschaft bedeutenden Fremden einen angenehmen
Aufenthalt zu bereiten wissen; so würde ich mich glücklich schätzen
jede gute mir gegönnte Stunde mit einem solchen Manne zuzubringen, ihm
von dem Meinigen was ihn interssiren könnte mitzutheilen, und dagegen
an den Schätzen seiner Erfahrung und Sammlung freudigen Antheil zu
nehmen. Mögen Sie dies, mein Theuerster, gefällig mit meinen besten
Empfehlungen ausrichten und mittheilen, so werde solches dankbarlichst
anerkennen.

Freylich fiel Ihr Besuch in die gute Jahreszeit, wo die Räume
meines Hauses am heitersten zu benutzen sind und dem wohlmeinenden
Wirthe bessre Gelegenheit geben seine Gesinnungen gegen Besuchende
auszudrücken.

Mit den treusten Wünschen mich geneigtem Andenken und fortgesetzten
Mittheilungen angelegentlichst empfehlend.

      Weimar
  den 29 Septbr.
      1829.

                                        Und so fortan!
                                            J W Goethe

Fußnoten:

[291] Bei der Aufführung des Faust in Leipzig hatte die akademische
Jugend bei einigen Stellen einen so ausgelassenen Beifall kund gegeben,
daß man in Dresden für nöthig fand die Wiederholung auf einige Zeit zu
untersagen.

[292] Rochlitz hatte Goethe den Wunsch des kaiserl. Russ. Geh. Raths
Grafen _Manteuffel_ ausgesprochen, ihn in Weimar zu besuchen, und ihn
gebeten eine Zeit dafür zu bestimmen.


LVII.

Ja, und so wäre es ganz recht, und vertraulichem Verhältnisse
wohl angemessen, daß man sich zur Unterhaltung ohne eigentlichen
entschiedenen Zweck niedersetze und das Schreiben beginne. Veranlaßt
durch Ihren lieben Brief fühle ich mich geneigt, nicht gerade in
Beantwortung, vielmehr in Erwiederung Einiges ergehen zu lassen.

Über das Allgemeine was in den Wanderjahren etwa beabsichtigt, in
welchem Sinne sie geschrieben, haben Sie, mein Theuerster, gar
manches Gute und Ausreichende gesagt. Mit solchem Büchlein aber ist
es wie mit dem Leben selbst: es findet sich in dem Complex des Ganzen
Nothwendiges und Zufälliges, Vorgesetztes und Ungeschlossenes, bald
gelungen, bald vereitelt, wodurch es eine Art von Unendlichkeit
erhält, die sich in verständige und vernünftige Worte nicht durchaus
faßen noch einschließen läßt. Wohin ich aber die Aufmerksamkeit meiner
Freunde gerne lenke, und auch die Ihrige gern gerichtet sähe, sind die
verschiedenen, sich von einander absondernden Einzelnheiten, die doch,
besonders im gegenwärtigen Falle, den Werth des Buches entscheiden.
Da würden Sie mir denn eine besondere Gefälligkeit erzeigen, wenn
Sie bemerken wollten, was sie vorzüglich, (wie man zu sagen pflegt)
angesprochen, was Ihnen als neu oder erneut gegolten, was mit
Ihrer Denk- und Empfindungsweise zusammen getroffen, was derselben
widersprochen, was Sie, in Gefolg dessen, einstimmig oder im Gegensatz,
weiter bey sich auszuführen geneigt gewesen. Das Büchlein verläugnet
seinen collectiven Ursprung nicht, erlaubt und fordert mehr als jedes
andere die Theilnahme an hervortretenden Einzelnheiten. Dadurch kommt
der Autor erst zur Gewißheit, daß es ihm gelungen sey, Gefühl und
Nachdenken in den verschiedensten Geistern aufzuregen. Hierüber habe
ich in Briefen die anmuthigsten Äußerungen, und wie selbst junge und
weibliche Seelen von ganz gelinden aber gründlichen Zügen ergriffen
werden. Wollen auch Sie auf diese Weise mir wohlthätig seyn, so erkenne
es mit verbindlichstem Dank. Nicht leicht unterhält man sich über
dergleichen mündlich; eine gewisse Scheu hält uns ab; dagegen ist man
im Schreiben freyer, und man vertraut wohl sein Innerstes gern in die
Ferne.

Gar manches Wechselseitige, Wirksamkeit zu erregen entschieden
geeignet, verspare für nächste Mittheilungen. Herr Canzler ist so
eben aus Italien zurück und hat wohlgethan dem Zug nach Rom nicht zu
widerstehen; er wird sich selbst anmelden und des freundlichen Empfangs
auch von Ihnen gewiß seyn.

Da noch Raum übrig ist füge Einiges hinzu:

_Handle besonnen_, ist die praktische Seite von: _Erkenne dich selbst._
Beides darf weder als Gesetz noch als Forderung betrachtet werden; es
ist aufgestellt wie das Schwarze der Scheibe, das man immer auf dem
Korn haben muß wenn man es auch nicht immer trifft. Die Menschen würden
verständiger und glücklicher seyn wenn sie zwischen dem unendlichen
Ziel und dem bedingten Zweck den Unterschied zu finden wüßten und sich
nach und nach ablauerten, wie weit ihre Mittel denn eigentlich reichen.

So weit! die treusten Wünsche für Ihre Zufriedenheit aussprechend; was
Sie für Unterhaltung für den Winter sich ausgedacht haben wünsche zu
erfahren.

Weimar d. 23. Nvbr. 1829.

                                                            herzlichst
                                                                      G


LVIII.

Um auf Ihren erfreulich erquicklichen Brief sogleich auch nur Weniges
dankbar zu erwiedern bringe das zu Papiere was schon längst Ihnen
zuzusenden die Absicht war.

In jenen traurigen Stunden, wo wir keine Hoffnung auf die Erhaltung
unsrer verehrten Fürstin mehr haben konnten, sie aber doch noch am
Leben wußten und uns immer noch mit irgend einem Wiederaufathmen
einer so lange geprüften Natur schmeicheln mochten, war Ottilie bey
mir auf dem Zimmer und Ihre neusten Bände[293] lagen eben vor. Sie
ergriff einen und las in dem heiter geschriebenen Leben das wunderlich
unschuldige Benehmen des seltsamen Organisten, sodann das Urtheil über
die Reichardtischen Lieder und was sonst noch folgte, das alles unsre
Aufmerksamkeit fesseln und unsre Neigung anziehen konnte, dergestalt
daß ich diesen wahren geistreichen Darstellungen in solchen Tagen und
Stunden sehr viel schuldig geworden.

Dieses wollte ganz einfach vermelden und hinzufügen: wie sehr es
mich gefreut hat meine italiänische Reise von Ihnen so von Grund aus
reproducirt zu sehen. Wie möchten wir denn vergangene Zustände uns
selbst wieder hervorrufen und der Welt getrost mittheilen, wenn wir
nicht Glauben und Überzeugung hätten es werden sich begabte Geister
finden, die das alles aufnehmen wie es gegeben ist, in welchen gleiche
Gesinnungen auf- und absteigen, gleiche Erfahrungen zu denselben
Resultaten führen.

Und so bin ich mit meinen ältern und neuern Productionen in diesem
Sinne gar wohl zufrieden. Ich habe mich möglichst vor allem
didactischen gehütet und es durchaus in ein poetisches Leben
einzugeisten gesucht. Nun muß es mich höchlich freuen wenn ein so
löblich Mitarbeitender, Mitlebender auch sich selbst und Verwandtes in
meinen Heften findet, sich an den Mängeln wie an den Tugenden erbaut;
weil das Ganze zuletzt von einem redlichen Streben nach einem edlen
Zwecke Zeugniß giebt, der nie erreicht, aber immer im Auge behalten,
den Muth giebt Kräfte zu steigern, um sich und andern, bald einsam bald
gesellig, einen Weg zu bahnen, der, zurückgelegt, selbst schon als
erreichter Zweck betrachtet werden kann.

Hier muß ich aufhören um nicht gar ins Abstruse zu gelangen, ob ich
gleich mich in keine Region begeben könnte, wohin Sie mich nicht, mit
Beystimmung und Zufriedenheit, begleiten möchten.

Eilig sey dies Blatt zusammengelegt um nicht einen Posttag länger zu
verweilen. Mit den treusten Wünschen von Herzen angehörig

    Weimar
  den 6. Aprl.
    1930.[294]

                                                             J W Goethe

Fußnoten:

[293] Für ruhige Stunden. Leipzig 1828. 2 Thle.

[294] Am 15. Nov. theilte Kanzler v. _Müller_ in Goethes Auftrage die
traurige Nachricht vom Tode seines Sohnes mit, die er dem Vater selbst
hatte bringen müssen, welcher sie mit großer Fassung und Ergebenheit
aufgenommen und ausgerufen hatte: ~non ignoravi me mortalem genuisse!~
während seine Augen sich mit Thränen füllten. Später erfolgte von
demselben Bericht über Goethes Befinden.


LIX.

Lassen Sie uns doch ja, mein Theuerster, der Anmuth einer nachbarlichen
schnellen Communikation genießen; eine solche Halbgegenwart ertheilt
eigene Reize.[295] Und so sey es denn gesagt: daß ich mich in einem
leidlichen, aber freylich nicht präsentablen Zustand befinde; aufnehmen
und verarbeiten kann ich wohl, aber nicht erwiedern; so wie ich schon
seit acht Tagen nicht dazu komme das Nächste wegzuräumen. Geduld also
und Beharrlichkeit zum Bessern!

Der Anblick unschätzbarer Blätter dient zur innersten
Wiederherstellung. Die wahre Universalmedizin ist das Vortreffliche.
Ich werde mich, diese Stunden, unausgesetzt daran erfreuen, bis wir uns
dabey zusammen stärken und kräftigen können.

Die musikalischen Mittheilungen hat mich Ottilie, zu meiner Erquickung,
mit freundlicher Stimme vernehmen lassen. Ich darf Ihnen diese treue
Musickschülerin nicht zu geneigter Förderniß empfehlen.

Sagen Sie mir von Ihren Tages- und Stunden-Ereignissen; wobey unser
thätiger Freund sich gewiß im eigentlichsten Sinne bewährt.

Mehr nicht als die hoffnungsvollsten Grüße.

    Weimar
  den 28. May
    1831.

                                                                      G

Fußnote:

[295] Rochlitz war in Weimar und dort krank geworden, auch Goethe war
unwohl. (Briefw. m. Zelter ~VI.~ S. 196.) Unter denselben Umständen ist
auch der folgende Brief geschrieben.


LX.

Wie doppelt lästig mir diese Tage her eine Abstumpfung alles Geistigen
und ein Mißbehagen aller körperlichen Thätigkeiten geworden, darf
ich wohl nicht aussprechen. An und für sich wäre das schon schwer zu
erdulden gewesen, da ich Sie aber, theuerster Herr und Freund, nur
einige Hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen
und uns in solcher Nähe eben so getrennt fühlte als wenn Meilen
zwischen uns lägen; so gab das einen bösen hypochondrischen Zug;
wie ein mißlungenes Unternehmen, eine so nah und in der Erfüllung
getäuschte Hoffnung, nur störend in unsre Tage hineinschieben können.
Sie empfinden eben dasselbe und auch, in meinen Sinn sich versetzend,
schärfer, weil in höheren Jahren, man immer weniger geneigt wird auf
die Genüsse des Augenblicks Verzicht zu thun.

Wenn ich nun auch eben in diesem Alter nach Besitz weniger habsüchtig
bin als sonst; denn warum sollte man das zu erlangen suchen, was man
zunächst verlassen soll; so lebt aber doch, in gewissen Fällen, die
alte Begierde wieder auf, und es begegnet mir gerade jetzt, indem ich
mich anschicke Ihr herrliches Portefeuille, welches, für mich und
mit Freunden, immer Ihre Gegenwart vermissend, auf das aufmerksamste
durchgesehen, zurückzusenden im Begriffe bin.

Wie dem auch sey: ein gewisses Gefühl heißt mich den Wunsch des
Kunstliebhabers von den Freundesworten zu trennen. Die Form eines
Promemorias soll Ihnen völlige Freyheit lassen meine, vielleicht
indiscreten Äußerungen nach ganz eignem Gefühl und Convenienz zu
erwiedern.

      Weimar
  d. 4 Juni 1831.

                                      Aufs Frische verbunden und
                                            verpflichtet
                                                  J W Goethe

Zu geneigter Aufnahme.

Unter den trefflichen Kupferstichen welche uns in dem höchst
bedeutenden Portefeuille mitgetheilt worden findet sich einer, dessen
Besitz für mich von dem größten Werth wäre. Das Blatt stellt vor vier
Kirchen-Vater die sich über eine wichtige Lehre des christlichen
Kirchthums vereinigen, nach Rubens von Cornelius Galae. Von dieser
höchst durchdachten und ausgearbeiteten Composition, besitze ich
die Original Gouache von Rubens, genau in derselben Größe und man
kann sich von der Ausführlichkeit derselben, durch das Kupfer den
deutlichsten Begriff machen. Ich würde sie beylegen wenn sie nicht in
den vielbepackten Portefeuilles begraben läge.

Einem Kunstfreund und Kenner darf ich nicht sagen wie zwey solche
Blätter neben einander gelegt den Werth wechselseitig erhöhen indem
eins von dem andern Zeugniß giebt was der Maler beabsichtigt und
geleistet und wie der Kupferstecher, beym Übertragen und Übersetzen,
einer so hohen Aufgabe sich würdig erwiesen; ja es läßt sich sagen:
daß man beides erst neben- und miteinander kennen lerne und eigentlich
besitze.

Möge, wie irgend sonst eine Leidenschaft, die sich nicht entschuldigt
weil sie sich nicht helfen kann, auch dieser nicht zurüchzuhaltende
Wunsch freundlich betrachtet werden. Der Liebende verzeiht dem
Liebenden wohl einen Fehltritt, der Kunstfreund dem Kunstfreunde eine,
vielleicht unbequeme, Anmaßung, die man einem geprüften Angehörigen
vorzulegen wagt, ohne ihm die Freyheit des Entschlusses, nach Gefühl
und Bezug, im mindesten schmälern zu wollen.

    Weimar
  d. 4. Juni
    1831.

                                              vertrauensvoll
                                                J W Goethe


LXI.

Erlauben Sie, theuerster Mann, die treuste lakonische Erwiederung.

Zur ersten Seite Ihres Briefes: jede Mittheilung soll mir angenehm
seyn, Erwiederung sey Tagen und Stunden überlassen.

Zur zweyten Seite, dem Postscript:

     ~ad~ 1.) mit der größten Theilnahme haben wir Ihre unerfreuliche
     Rückreise vernommen und uns unterdessen aus unsern Unbilden auch
     zu erholen gesucht. Dem, nach so viel Seiten hin thätigen, von
     so viel Seiten her bedrängten Freunde Hrn. von Müller, ist eine
     kleine Stockung des Briefwechsels wohl nachzusehen.

    ~ad~ 2.) Ich las jenes absichtliche Schreiben an Hrn. v. Müller
    vorerst, und rieth ihm dasselbe niemand sehen zu lassen, gewisse
    unangenehme Eindrücke befürchtend. Ich weiß nicht ob er mein
    Gutachten befolgte.

    ~ad~ 3.) Möge das allgemeine Übel, wie man es auch nennen mag, das
    uns alle bedrängt, so leise als möglich auf Sie wirken.

    ~ad~ 4.) Des „_Malitiösen_“ bedienen Sie Sich nur nicht gegen mich;
    es hat mich, jung, mit den allerschönsten Mädchen auseinander
    gebracht.

       *       *       *       *       *

Was ich aber bey den Hindernissen Ihres Hierseyns, bey der für beyde
Seiten unbefriedigten Abreise, vorzüglich schmerzlich empfand, war
daß Sie, unmittelbar, an dem vorzüglichen Pianoforte gesessen hatten,
welches wir Ihnen schuldig sind, ohne daß meine Enkel Ihnen, auch
nur wenige Minuten, darauf vorgespielt hätten, um recht sinnlich
auszudrücken: daß dieses Organ zu unserm häuslichen Daseyn vollkommen
unentbehrlich ist.

Soviel für heute, einen freundlichen Gegengruß mir versprechend.

    Weimar
  den 30. Jun.
    1831.

                                                unwandelbar
                                                J W Goethe


LXII.

Auf Ihr freud- und leidvolles Schreiben, theuerster Freund, will ich,
da sich nichts entscheiden läßt, zwischenredend wenigstens einiges
vermelden.

Unser werther und thätiger von Müller ist nach dem Rhein gereist,
und wenn er auch hier wäre würde er auf Ihr höchst schätzenswerthes
Anerbieten nichts erwiedern können. Wir erhalten die Briefe von Berlin
durchstochen, wie sonst nur von Constantinopel, von Nordosten droht uns
ein unsichtbares ungeheures Gespenst, von Südwesten ein halbsichtbares,
aufgeregter Völkerschaften von welchem Übel sogar in Leipzig die
gefährlichen Symptome nicht fehlen. Und so haben wir nur Ihrer edlen
Weise zu folgen, still und gefaßt auf unserm Flecke zu seyn und das
Unvermeidliche über uns weg, und, wenn das Glück gut ist, an uns
vorbeygehn zu lassen.

Mehr nicht für heute und nur das Wenige zum, gewissermaßen unnöthigen,
Zeugniß: daß wir in wahrer hochachtungsvoller Theilnahme Ihnen
unausgesetzt zur Seite sind.

                           _und so fortan!_
           ~_Time and hour runns through the rougest day!_~

      Weimar
  den 11. Septbr.
      1831.

                                                                 Goethe





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