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Title: Romantische Lieder
Author: Hesse, Hermann
Language: German
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                          Romantische Lieder
                                  von
                            Hermann Hesse.


                         Dresden und Leipzig.
                         E. Pierson's Verlag.
                                 1899.

                       Alle Rechte vorbehalten.

                        Maria und Frau Gertrud
                               gewidmet.

      -- Seht, der Fremdling ist hier, der aus demselben Land
      Sich verbannt fühlt wie ihr, traurige Stunden sind
         Ihm geworden; es neigte
         Früh der fröhliche Tag sich ihm.

                                                              Novalis.



An die Schönheit.


   Über meinen Kinderzeiten
   War Dein Flügel ausgespannt,
   Grüne Nähen! Goldne Weiten!
   Und am letzten Himmelsufer
   Schufest Du mein Heimwehland.

   Über meinen Jünglingsjahren
   War das Lenken Deiner Hand --
   Edle Frau'n mit Lockenhaaren,
   Kecke Tänze und Gefahren,
   Denkernächte über Tag und Tod.
   Und am Himmelsufer glühte rot
   Jede Nacht mein Heimwehland.

   Tänze und Gefahren sanken
   In den dunklen Fluß der Zeit,
   Ohne Nähen, ohne Schranken
   Wölbt sich meine Einsamkeit.
   Grün und Gold und Himmel schwand;
   Über'm Ufer meiner kranken
   Seele liegt mein Heimwehland.

   Meine Arme sind gebreitet
   Uferwärts. Die Sehnsucht weitet
   Über Tod und Leben meinen Blick
   Wartend knieen meine Lieder --
   Kommst Du wieder? --
   Wartend liegt auf Knieen mein Geschick.

   Meines Heimwehlandes Tempel steh'n
   Festbereit. Ich kann die Zinnen seh'n,
   Kann von dorther einen Duft verspüren.

   Wenn mein Auge nimmer sehen kann,
   Herrin, wird der dunkle Fährmann dann
   Mich nach Hause führen?



Melodie.


   Liegt irgendwo ein wildes Meer
   Und rauscht empor an steilen Ländern;
   Dort treibt der Sturm ein Schiff umher
   Mit roten Fahnen und bunten Bändern.

   Und hat an Bord ein Königskind,
   Das steht mit langem Haar im Wind
   Und ringt die adlig weißen Hände.
   Die Fahnen flattern stolz und rot,
   Aber die Fahrt ist aus und das Fest zu Ende,
   Und der Bräutigam tot.

   Es segelt oft durch meinen Traum
   Das Königsschiff; ich seh' den Schaum
   Den bänderbunten Bord ersteigen.
   Die Fahnen flattern stolz und rot;
   Gelehnt am Mastbaum steht der Tod
   Und lacht und geigt den Hochzeitsreigen.



Zu spät.


   Altmodisch steht mit schmächtigen Pilastern
   Wie sonst das Schloß. Auf violetten Astern
   Irrt noch ein später Falter her und hin
   Mit kranken Flügelschlagen,
   Und welke Beete sagen,
   Daß ich zu spät gekommen bin.

   Und am Balkon in seidenen Gewändern,
   Mit stolzen Augen in vertrübten Rändern,
   Steht trüb und stolz die blasse Königin,
   Und will die Hand erheben. --
   Und kann mir nicht vergeben,
   Daß ich zu spät gekommen bin.



Der Prinz.


   Wir wollten zusammen bauen
   Ein eigenes schönes Haus,
   Hoch wie ein Schloß zu schauen
   Mit dem Blick über Strom und Auen
   Auf die stillen Wälder hinaus.

   Wir wollten alles verlernen,
   Was klein und häßlich war,
   Wir wollten Nähen und Fernen
   Mit Glücksliedern übersternen,
   Die Kränze des Glückes im Haar.

   Nun hab' ich ein Schloß erbauet
   In verstiegener Höhenruh;
   Meine Sehnsucht steht dort und schauet
   Sich müd, und der Tag vergrauet, --
   Prinzessin, wo bliebest Du?

   Nun gebe ich allen Winden
   Meine heißen Lieder mit.
   Sie sollen Dich suchen und finden
   Und sollen das Leid Dir künden,
   Das mein Herz um Dich erlitt.

   Sie sollen Dir auch erzählen,
   Ein lockend unendliches Glück,
   Sie sollen Dich küssen und quälen
   Und sollen den Schlummer Dir stehlen --
   Prinzessin, wann kommst Du zurück?



Chopin.


I.

   Schütte wieder ohne Wahl
   Über mich die bleichen, großen
   Lilien Deiner Wiegenlieder,
   Deiner Walzer rote Rosen.

   Flicht darein den schweren Hauch
   Deiner Liebe, die im Welken
   Duft verstreut, und Deines Stolzes
   Schaukelschlanke Feuernelken.


II.

^(Grande valse.)^

   Ein kerzenheller Saal
   Und Sporengeläut und Tressengold.
   In meinen Adern klingt das Blut.
   Mein Mädchen, gieb mir den Pokal!
   Und nun zum Tanz! Der Walzer tollt;
   Erhitzt vom Wein mein Brausemut
   Nach aller ungenossnen Lust begehrt --

   Vor den Fenstern wiehert mein Pferd.
   Und vor den Fenstern hüllt die Nacht
   Das dunkle Feld. Es trägt der Wind
   Von fern Kanonendonner her.
   Noch eine Stunde bis zur Schlacht!
   -- Tanz' rascher, Schatz; die Zeit verrinnt,
   Es wiegt der Sturm die Binsen hin und her,
   Die nächste Nacht mein Bette sind --

   Mein Totenbett vielleicht. -- Juchhe, Musik!
   In durstigen Zügen trinkt mein heißer Blick
   Das junge, schöne, rote Leben ein,
   Und trinkt sich nimmer satt an seinem Licht.
   Noch einen Tanz!
         Wie bald! und Kerzenschein
   Und Klang und Lust verlischt; der Mondschein flicht
   Schwermütig seinen Kranz in Tod und Graus.
   -- Juchhe, Musik! Vom Tanz erbebt das Haus,
   Erregt am Pfeiler klirrt mein hängend Schwert. --

   Vor den Fenstern wiehert mein Pferd.


III.

^(Berceuse.)^

   Sing mir Dein liebes Wiegenlied!
   Seit meine Jugend von mir schied,
   Mag ich so gern die Weise hören.
   Komm' zu mir, süßer Wunderklang,
   Nur Du kannst noch die Nacht entlang
   Mein ruheloses Herz bethören.

   Leg' mir auf's Haar die schmale Hand
   Und laß von unsrem Heimatland,
   Von totem Ruhm und Glück uns träumen.
   Gleich einem Stern, der einsam zieht,
   Soll flackerhell Dein Märchenlied
   Die Nächte meiner Schwermut säumen.

   Und stelle mir zu Häupten doch
   Den Rosenstrauß! Er duftet noch
   Und träumt sich heimwärts wehbeklommen.
   Ich bin ja auch so welk und schwank,
   Gebrochen und am Heimweh krank,
   Und kann nicht mehr nach Hause kommen.



Schauspiel.


   »Langweilig Schauspiel, nimm' ein End!
   »Ein Andrer soll mein Sprüchlein sagen.
   »Ich hab entschieden kein Talent,
   »Den Dornenreif zu tragen.

   »Für mein geflicktes Flitterkleid
   »Gebt eines mir von warmer Wolle,
   »Und ein reinliches Glück, ein würdiges Leid
   »Statt meiner erbärmlichen Rolle!

   Das Schicksal lacht: Du Narr, bleib hie
   Und rassle mit den Messingsporen,
   Sonst ginge die göttliche Ironie
   Deiner tragischen Rolle verloren.



Krankheit.


I.

   Ich hab Dir Märchen oft erzählt
   Von meiner fremden Dichterwelt,
   Nun führ' mich Du an Deiner warmen Hand,
   Den Flügelmüden, durch mein eig'nes Land!

   Führ' mich in meinen tiefen Wald,
   Wo Wunderwesen mannigfalt
   Lebendig wandeln mit bekränztem Haupt, --
   Die Götter alle, die ich einst geglaubt!

   Führ' mich zu jenen Hügeln hin,
   Wo schweigsam die Cypressen knie'n,
   Dort liegen tief und lauschen auf den Wind
   Die Freunde, die mir treu gewesen sind.

   Führ' mich in jener Gärten Grün,
   Wo dunkle Wunderbäume blüh'n
   Und über Grün und Wunderblüten schaut
   Das Liebesschloß, das ich für Dich erbaut.

   In roten Lichtern heimlich glimmt,
   Die Krone, die ich Dir bestimmt.
   Wenn noch Dein Herz an meine Allmacht glaubt,
   Dann schmücke mit dem schweren Gold Dein Haupt!

   Dann hebt mein Leben neuen Lauf,
   Die treuen Toten stehen auf
   Und meiner Freudegötter schöne Schaar,
   Und ich darf sein, der ich vor Zeiten war.


II.

   Nun ist der Tag zu Ende.
   Leg mir die lieben Hände
   Auf Stirn und Haar
   Und singe mir! und wende
   Von mir der Träume laute Schaar!

   Ich fürcht' mich vor den langen,
   Verschwiegenen, träumebangen
   Stunden der Nacht,
   Wenn Du bist schlafen gangen
   Und nur mein weher Herzschlag wacht.

   Dann geht auf dunklen Wegen
   Mein Herz mit harten Schlägen
   Der bangen Nacht,
   Der bangen Nacht entgegen,
   Die meine Lieder stille macht.

   Dann kommt mit leisen Schritten
   Und zagen Kinderbitten
   Mein Glück zu mir,
   Und sieht, was ich gelitten,
   Und sagt: Mein Freund, was ward aus Dir?

   Dann kommen die versäumten
   Tage und die verschäumten
   Becher zu mir,
   Und alle ungeträumten
   Glücksträume schlank und mädchenzier.

   Leg mir die lieben Hände
   Auf Stirn und Haar, und wende
   Die Holden ab.
   Mein Tag ist nun zu Ende,
   Ich weiß, was ich verloren hab!



Die Blutbuche.


   Eine junge Blutbuche stand
   Ob meiner ersten Liebe,
   Und als ich mein erstes Lied erfand,
   Sah sie zu, was ich schriebe.

   So wie die Blutbuche kann kein Baum
   In Frühlingsprächten schwelgen,
   Hat keiner so farbigen Sommertraum
   Und so ein jähes Welken.

   Eine junge Blutbuche steht
   In allen meinen Träumen,
   Ein vergangener Mai umweht
   Meinen Liebling unter den Bäumen.



Rote Bänder.


   Rote Bänder!
   Ihr mahnet mich
   An Musik und weiße Gewänder,
   An ein Fest, das lange verblich.

   Rote Bänder! --
   Mein Mädel stand
   Gebeugt am Balkongeländer
   Und lachte und gab mir die Hand.

   Und gab mir zwei Bänder
   Von Seide rot.
   Ich schied und durchritt die Länder;
   Als ich wiederkam, war sie tot.



Antwort.


   Du hast ja Recht! Und bald wird Hochzeit sein.
   Das Leben trat in Deinen Traum hinein
   Und stieß der Mädchenliebe Tempel um.

   Wird aber nie das tote Heiligtum --
   Ein Gang am Teich, ein Lied, ein Mondenschein
   In wahren Nächten Dir vor Augen sein?

   Dann wirst Du weinen um den schönen Tand
   Und wirst in Qual auf Deinem Lager knie'n,
   Das Herz voll Heimweh nach dem Jugendland.

   Mich aber knüpft, der ich ein Fremder bin,
   An Deine Mädchenzeit ein helles Band
   Und hängt sich schaukelnd zwischen Dich und Ihn.



Geständnis.


   Wer meine Freunde sind? --
   Zugvögel, über'm Ozean verirrt,
   Schiffbrüchige Schiffer, Herden ohne Hirt,
   Die Nacht, der Traum, der heimatlose Wind.

   Am Wege liegen hinter mir
   Zerstörte Tempel, Liebesgärten
   Verwildernd, schwül und sommerzier,
   Und Frau'n mit welken Liebesgeberden,
   Und Meere, die ich überfuhr.

   Sie liegen stumm und ohne Spur;
   Kennt keiner, was versunken liegt,
   Die Königskronen, die Herrscherstunden,
   Die Freundesstirnen epheuumwunden.

   Sie liegen von meinen Liedern gewiegt
   Und dämmern blaß in meine Nächte,
   Wenn hastig meine schmale Rechte
   Mit raschem Stift in meinem Leben wühlt.

   Ich habe nie ein Ziel errungen,
   Meine Faust hat nie einen Feind gezwungen,
   Mein Herz hat nie ein volles Glück gefühlt.



Ich bin ein Stern.


   Ich bin ein Stern am Firmament,
   Der die Welt betrachtet, die Welt verachtet,
   Und in der eig'nen Glut verbrennt.

   Ich bin das Meer, das nächtens stürmt,
   Das klagende Meer, das opferschwer
   Zu alten Sünden neue türmt.

   Ich bin von Eurer Welt verbannt
   Vom Stolz erzogen, vom Stolz belogen,
   Ich bin der König ohne Land.

   Ich bin die stumme Leidenschaft,
   Im Haus ohne Herd, im Krieg ohne Schwert,
   Und krank an meiner eig'nen Kraft.



Teich.


I.

   Schnee über meinem lieben Wald,
   Graurot ein karger Abendschein --
   Fernabwärts eine Büchse knallt --
   So war mein Herz noch nie allein!

   Nur einmal! Hier, am selben Platz!
   Quer über'n Weiher glitt ein Kahn,
   Und schweigend drin mein blonder Schatz
   Geschmiegt an einen fremden Mann.

   Der Himmel war so düsterfarb
   Und ganz wie heut im Teich der Schein --
   Ein Büchsenschuß fernabwärts starb --
   So war mein Herz noch nie allein.


II.

   Im Teich ein trüber,
   Grauroter Schein,
   Ein brünstiger Hirschruf waldüber --
   Und ich allein!

   Zum Teich ist müde
   Mein Haupt gesenkt,
   An eine verwelkte Blüte
   Mein Heimweh denkt.

   Ein Schwan im Teiche
   Streift an das Rohr
   Und reckt verschnittene, bleiche
   Flügel empor.

   Zum Teich ist müde
   Mein Haupt gesenkt,
   An eine verwelkte Blüte
   Mein Heimweh denkt.



Unser Schloß.


   Längs dem Strom in blauen Hecken
   Spielen, und im Teich, Verstecken
   Sonnenlichter mit den matten,
   Rötlichen Blutbuchenschatten.

   In den stummen Säulengängen
   Dunkle Abendfalter hängen,
   Und ein Atmen hin und wieder
   Ungebor'ner Königslieder.

   Über breiten Marmorstiegen
   Hundert ferne Jahre liegen,
   Flüsternde Tapeten tragen
   Hundert graue Zukunftssagen.

   Über meine Seele schreiten
   Kommende Vergangenheiten,
   Ritterspiele, Königsworte,
   Laute Feste, stumme Morde.

   Bald -- und unser Park wird trauern
   Brütend über Moos und Mauern,
   Und ein Wandrer wird mit Grauen
   In die schwarzen Fenster schauen.

   Und Chronisten werden sagen
   Wunder, die sich zugetragen
   In den sagenhaften Jahren,
   Da wir noch am Leben waren.



^Sarasate.^


   Auf fernen Schwingen fliegt ein Ton,
   Und einer noch -- der letzte -- rinnt
   Ihm nach, und bebt, und ist entfloh'n. --
   O daß ich weinen dürfte,
   Wie um sein Spielzeug weint ein Kind!

   Ich sitze noch -- der Jubel gellt --
   Und meine Sinne trinken lang
   Die Luft noch einer fremden Welt,
   Die meine Kindersehnsucht
   Mit heißen Armen schon umschlang.

   Die Luft von einer andern Welt,
   Die nächtelang mit loher Brunst
   Mein fiebernd Aug' im Banne hält,
   Das Land der Heimatlosen,
   Das sonnenrote Reich der Kunst.



Und morgen --.


   Die Nacht ist voll von reinen Sternen,
   Die Ulmen reden mit den Birken,
   Und überall in Nähen und Fernen
   Des Sommers wunderbares Wirken.

   Mein Herz greift in die schweren Fernen
   Nach Heimwehschätzen und Harfenklängen,
   Und schauert, und schaut hoch in den Sternen
   Den Kranz zukünftiger Lieder hängen.

   Mein Herz so groß! Meine Wangen brennen,
   -- Und morgen muß ich mit scheuen Mienen
   Durch Märkte und schmutzige Gassen rennen,
   Ein klein Stück Geld zu verdienen!



Gavotte.


   In einem welken Garten singt
   Zum Brummbaß eine Violine,
   Ein altes Paar im Takte springt
   Und lächelt kühl mit müder Miene.

   Und jeder weiß; der Andre denkt,
   Wie anders doch vor zwanzig Jahren,
   Wie heiß und Handinhandgedrängt
   Dieselben alten Tänze waren.



Dorfabend.


   Der Schäfer mit den Schafen
   Zieht durch die stillen Gassen ein,
   Die Häuser wollen schlafen
   Und dämmern schon und nicken ein.

   Ich bin in diesen Mauern
   Der einzige fremde Mann zur Stund',
   Es trinkt mein Herz mit Trauern
   Den Kelch der Sehnsucht bis zum Grund.

   Wohin der Weg mich führet,
   Hat überall ein Herd gebrannt;
   Nur ich hab nie verspüret,
   Was Heimat ist und Vaterland.



Eine Stunde hinter Mitternacht.


   Eine Stunde hinter Mitternacht,
   Wo nur der Wald und der späte Mond
   Und keine einzige Menschenseele wacht,
   Steht breit und groß ein weißes Schloß,
   Nur von mir und meinen Träumen bewohnt.

   Dort prunkt in Bildern Saal an Saal,
   Und meine Träume sind zu Gast
   Bei mir. Rundum geht der Pokal,
   Und Liedergruß und Plauderfluß
   Bringt erst der frühe Tag zur Rast.

   Der pocht derbfäustig an die Wand
   Und tritt herein, und schilt, und hält
   Die Sonnenlampe in der Hand.
   Und wie ein Licht im Wind zerbricht,
   Zerstiebt mir meine Träumewelt.

   Von allen Wänden fällt die Pracht,
   Das strenge Leben gellt herein
   Und ich muß dienen seiner Macht
   Scheu und verzagt, in's Joch geplagt,
   -- O Mitternacht, wie harr' ich Dein!



Weil ich Dich liebe.


   Weil ich Dich liebe, bin ich des Nachts
   So wild und flüsternd zu Dir gekommen,
   Und daß Du mich nimmer vergessen kannst,
   Hab' ich Deine Seele mit mir genommen.

   Sie ist nun bei mir und gehört mir ganz
   Im Guten und auch im Bösen;
   Von meiner wilden, brennenden Liebe
   Kann Dich kein Engel erlösen.



Ich weiß, Du gehst --


   So oft ich spät noch auf der Straße geh,
   Senk' ich den Blick und eile voller Angst,
   Du könntest plötzlich schweigend vor mir stehn
   Und meine Blicke müßten all Dein Weh
   Und müßten sehn,
   Wie Du von mir Dein totes Glück verlangst.

   Ich weiß, Du gehst da draußen jede Nacht
   Mit scheuem Schritt im schlechten Dirnenputz
   Und gehst nach Geld, und siehst so elend aus!
   An Deinen Schuhen klebt der Schmutz,
   Der Wind spielt frech mit Deiner Haare Pracht --
   Du gehst und gehst, und findst nicht mehr nach Haus.



Der Toten.


I.

   Die ganze Straße war in Ruh
   Und nur Dein Fenster war noch rot,
   In Deinem Zimmer warst nur Du,
   Du und der Tod.

   Die Nacht war wolkenschwarz und trieb
   Verdorrte Blätter träg in Reihn.
   Sie sprach zu mir: Ich hab Dich lieb,
   Laß mich herein.

   Dein Licht erlosch; ich war allein.
   Da ward mein Fenster aufgemacht,
   Und lange saßen wir zu zwein,
   Ich und die Nacht.


II.

   Jetzt kannst du's nimmer hören,
   Wenn ich mit leisem Strich
   Den Bogen an die Saiten leg'
   Und rufe Dich.

   Jetzt kannst Du's nimmer sehen,
   Wenn spät nach Mitternacht
   Mein Ämplein noch bei Blatt und Stift
   Im Erker wacht.

   Und kannst die schönen, weißen
   Theerosen, die im Garten steh'n
   Und die ich noch für Dich gepflanzt,
   Auch nimmer seh'n.

   Und doch, wenn meine Geige
   Allein noch wach im Hause ist,
   Verspür' ich's oft, daß Du, mein Lieb,
   Mir nahe bist.



Eleanor.


   Herbstabende erinnern mich an Dich --
   Die Wälder liegen schwarz, der Tag verblich
   Am Hügelrand in roten Gloriolen.
   In einem nahen Hofe weint ein Kind;
   Mit späten Schritten geht durch's Holz der Wind,
   Die letzten Blätter einzuholen.

   Dann steigt, des trüben Anblicks lang gewohnt,
   Einsam empor der ernste Sichelmond
   Mit halbem Licht aus unbekannten Ländern.
   Er wandelt kühl gleichgültig seinen Weg,
   Sein Licht umgiebt Wald, Röhricht, Teich und Steg
   Mit melancholisch blassen Rändern.

   Auch Winters, wenn die Nächte lichtlos sind
   Und Flockenspiel und ungestümer Wind
   Um's Fenster geht, glaub' ich Dich oft zu schauen.
   Der Flügel tönt, mit lächelnder Gewalt
   Spricht mir an's Herz Dein tiefer, dunkler Alt,
   Grausamste aller schönen Frauen.

   Dann greift zur Lampe manchmal meine Hand.
   Ihr mildes Licht fällt auf die breite Wand,
   Dein dunkles Bild schaut aus dem alten Rahmen
   Und kennt mich wohl und lächelt sonderbar.
   Ich aber küsse Hände Dir und Haar
   Und nenne flüsternd Deinen Namen.



Risse.


   Ich hatte eine seltne Violine
   Mit wunderbar gebräunten, blanken, starken
   Wänden und lichten,
   Echten, uralten Sargen.

   Nur schräg im Boden, sichtbar keinem Laien,
   Zog sich ein Riß und gab den edlen Tönen
   Ein seltsam hartes,
   Verwundetes, krankes Stöhnen.

   Kräh'n können auch die Raben.
   Wer klingen will,
   Wer Lieder singen will,
   Darf keine Risse haben.



Villalilla.

(Gabriele d'Annunzio gewidmet.)


   Auf weißen Säulen weiße Büsten,
   In allen Wegen Fliederduft,
   Und Schwalben schwirrend in der Luft.
   Auf breiten Treppen schläft die Zeit,
   Von den Akazien überschneit,
   Die sich auf den Terassen brüsten.

   In meine Nische eng geschmiegt
   Hör' ich den Fall der Aprikosen,
   Ich seh im Sande sich die großen
   Schatten der Säulen träg verschieben
   Und weiß nicht, wo die Zeit geblieben,
   Die träumend mir im Sinne liegt.

   Vom fernen Dorf kommt liebesmüde
   Herüber ein verwehter Tanz,
   Und vor mir flirrt der Sonnenglanz
   Wie damals, in verträumter Pracht,
   Am Tag vor unsrer ersten Nacht,
   Zur Zeit der Oleanderblüte.

   Ich seh' Dein Bild in aller Pracht
   Der ersten Liebe auferstehen,
   Ich seh' Dich durch die Pforte gehen
   Wie damals, -- mit dem scheuen Bangen,
   Mit rot und weißen Kinderwangen, --
   Am Tag vor unsrer ersten Nacht.

   Ein müdes Plaudern der Fontänen
   Wird tönend in der Stille laut,
   -- Wie damals! Meine Seele baut
   An Träumen jener Nächte fort
   Und sehnt nach einem Liebeswort
   Sich müd, und sehnt sich müd nach Thränen.



Sphinxe.


   Das ist die tiefste Lebenslist:
   Den Ort auf jedem Wege wissen,
   Wo seine Sphinx verborgen ist.

   Ich fand im Leben keinen Tag,
   In dessen Tiefe grinsend nicht
   Das zwiegestalte Scheusal lag.

   Ich bin ihr oft vorbeigegangen
   Und sah den grünen Hungerblick
   An meinen Schritten gierig hangen.

   Ich schritt vorbei und grüßte sie
   Mit freundlich bösen Kenneraugen:
   Noch immer munter, gutes Vieh?

   Sie kennt nun lang schon mein Gesicht
   Und folgt mir mit mürrischen Tigerblicken,
   Aber die Krallen zeigt sie nicht.



Bahnhofstück.


   Auf einer Reise, heiß und matt,
   Saß ich im überfüllten Wagen,
   Ein altes, breites Zeitungsblatt
   In beiden Händen aufgeschlagen.

   Der Zug hielt an. Ich schaute auch
   Wie andre müßig durch die Scheiben,
   Sah Hüte, Schleier, halb im Rauch
   Mir fensterlang vorübertreiben.

   Da bog aus dunklem Seidenflor
   Mit feiner Stirn und blonden Haaren
   Ein schöner Frauenkopf sich vor,
   Den ich gesucht seit vielen Jahren.

   Ich schrak empor, und meine Hand
   Fuhr zitternd nach dem Fensterrahmen,
   Da hört' ich im Gewühl genannt
   Mit lauter Stimme ihren Namen.

   Ich sah nun, den ich lang gehaßt,
   Mit kühlem Gruße zu ihr treten,
   Am Arm die leichte Reiselast
   Und hört' ihn leise mit ihr reden.

   Sie gingen weg. Der Pfiff erklang,
   Ich sank zurück; ein schwerer, trüber,
   Schmerzhafter Dunst in's Aug' mir drang,
   Und draußen flog die Stadt vorüber.



Reich des Todes.


   Die Lichter sind erloschen,
   Die Nacht tritt in das Haus;
   Die hellen Taggespenster
   Erblassen und ziehen aus.

   Vorüber ist der Becher,
   Der mir Vergessen bot;
   Mein Haupt ist grau, und alle,
   Die ich geliebt, sind tot.

   Ich hülle mich in den Purpur
   Und schaue über mein Reich.
   Verschneit sind Straßen und Gärten,
   Der Himmel ist fahl und bleich.

   Mein Haupt ist grau und schüttelt
   Sein Silber in den Wind.
   Ein Wächter wacht und ruft Stunden,
   Die tot und vorüber sind.



Und morgen bin ich tot.


   Das ist ein Denken wunderbar,
   Daß dann mein Aug', so licht es war,
   Erlischt, und daß mein Mund vergißt
   Die tausend Küsse, die er geküßt.

   Dann wird die Welt, die mich gekannt,
   Mit ihrer neugierfrechen Hand
   Die Hülle von meinem Leben reißen,
   Wird einer dem andern klar beweisen,
   Daß ich ein schlimmer Geselle war,
   Ein Dichter, ein Lügner, ein eitler Narr.
   Und übermorgen, wenn ich vergessen,
   Wird ein andrer mit gleichem Maß gemessen.

   Derweil in einer andern Welt
   Ein goldner Stern vom Himmel fällt,
   Und geht ein Klagen und Weinen
   Um ihn, um den Einen,
   Den goldenen Stern, der so früh verblich.
   Und der Stern war ich.

   Auch mein Mädel wird weinen.
   Dann kommen die Andern singend in's Haus
   Und reden's ihr aus.
   Sie sitzen zusammen beim Glase Wein
   Und lachen mein.
   Und ihre Lippen sind warm und rot.

         Morgen bin ich tot.



Armes Volk.


   Blätterfall und rauher Wind
   Stieben meinem Schritt entgegen,
   Und ich weiß nicht, armes Kind,
   Wo wir heut uns schlafen legen.

   Du auch wirst einmal im Wind
   Laufen müd und voll Beschwerde,
   Und ich weiß nicht, armes Kind,
   Ob ich dann noch leben werde.



Jugendflucht.


   Der müde Sommer senkt das Haupt
   Und schaut sein falbes Bild im See.
   Ich wandle müde und bestaubt
   Im Schatten der Allee.

   Durch Pappeln geht ein zager Wind.
   Der Himmel hinter mir ist rot,
   Und vor mir Abendängste sind
   -- Und Dämmerung -- und Tod.

   Ich wandle müde und bestaubt,
   Und hinter mir bleibt zögernd steh'n
   Die Jugend, neigt das schöne Haupt
   Und will nicht fürder mit mir geh'n.



Rat.


   Nein, Junge, suche Du allein
   Den Weg und laß mich weiter gehen!
   Mein Weg ist weit und mühevoll
   Und führt durch Dornen, Nacht und Wehen.

   Geh lieber mit den Andern dort!
   Der Weg ist glatt und viel betreten
   Ich will in meiner Einsamkeit
   Auch fürder einsam sein und beten.

   Und siehst Du mich auf Bergen steh'n,
   Beneid' mich nicht um meine Flügel!
   Du wähnst mich hoch und himmelnah --
   Ich seh', der Berg war nur ein Hügel.



Dunkle Augen.


   Mein Heimweh und meine Liebe
   Ist heut in dieser heißen Nacht
   Süß wie ein Duft von fremden Blumen
   Zu heißem Leben aufgewacht.

   Mein Heimweh und meine Liebe
   Und all mein Glück und Mißgeschick
   Steht wie ein stummes Lied geschrieben
   In Deinem dunklen Märchenblick.

   Mein Heimweh und meine Liebe,
   Der Welt und allen Lärm entfloh'n,
   Hat sich in Deinen dunklen Augen
   Erbaut einen heimlichen Königsthron.



Der Straßenkehrer.


   Auf schlanken Rößlein reiten,
   Den Degen an der Seiten,
   In mitten der Allee,
   Das wär' für mich ein köstlich Metier.

   Und Handschuh flämischledern
   Und einen Büschel Federn
   An meinen Hut gesteckt,
   Darnach das Frauensvolk die Hälse reckt.

   Im Sattel voltigieren,
   Paradelang charmieren
   Mit Damen fein und schmal,
   Und »Küß die Hand« beim Abschied am Portal.

   Mit einer schönen Frauen
   Aus Bogenfenstern schauen
   Und nicken einen Gruß,
   Wenn der Soldat uns salutieren muß.

   Ich würd' ein Trinkgeld geben
   Den Fegern in den Gräben
   Und dächte mir dabei,
   Wie übel dran doch so ein Feger sei.



Königskind.


   Wenn alle Nachbarn schlafen gangen
   Und alle Fenster dunkel sind,
   Bin ich noch wach mit heißen Wangen,
   Das heimatlose Königskind.

   Dann schmück' ich mich mit Purpurträumen,
   Mit Gürtel, Krone und Geschmeid,
   Dann rauscht mit goldverbrämten Säumen
   Um meine Knie' das Königskleid.

   Und meine Seele reckt sich mächtig
   In Lust und Sehnsucht, stark und bleich,
   Und schafft sich stumm und mitternächtig
   Ein mondbeglänztes Heimwehreich.



Ein Traum pocht an die Pforte mir.


   Tritt ein, mein Gast! Ich bin allein
   Wie jedesmal, und bin bedürftig Dein.

   -- Du?! Du, Elise? -- Grüß Dich, Kind!
   Wie lang, daß wir zur Plauderzeit
   Nicht mehr beisammen gewesen sind!

   Ich ward gewohnt der Einsamkeit;
   Laß seh'n, ob ich noch plaudern kann --
   Hör' an!

   Weißt Du, weißt Du noch, Elise?
   Verglimmend hing die Sonne noch am Wald,
   Kein Mensch auf der Wiese!
   Ein Birnbaum breit und wohlgestalt
   Verbarg dem Himmel unsre Lust. Nur fern
   Vom Berge klomm empor ein früher Stern
   Ein naseweiser Abendwind
   Verstohlen aus der Hecke kroch
   Und lachte, lachte wie ein Kind.
   Weißt Du noch?

   Ja, das war eine Flitterzeit,
   Alle Welt in Rosen!
   Du warst so lieb,
   Und kamst zur Nacht- und Tageszeit
   Über mich mit Kuß und Kosen,
   Hinterrücks wie ein Dieb
   -- Du warst so lieb!

   Und nun, mein Blondchen, sag!
   An jenem heißen Sommertag
   -- Ich suchte Dich mit wildem Sinn
   Und lauschte lang und rief nach Dir --
   Wo warst Du hin?

   Nun sitzest Du wie sonst bei mir
   Und machst das Herz mir weich
   Und liederreich,
   Und siehst mich an und schmeichelst mir
   Wie damals unterm Birnenbaum . . .

   War das auch nur -- ein Traum?



Sommerruhe.


   Der Wind ruht in den Ästen
   Und schaukelt sich müde nur,
   Es klingt wie von fernen Festen
   Eines Liedes schwindende Spur.

   Mein Glück ist schlafen gangen
   Und lachet nur halb im Traum
   Mit schönen, schmalen Wangen
   Und schönen Lippen kaum.

   Meine Liebe legt sich nieder
   In meines Liedes Schoß
   Und dehnt ihre feinen Glieder
   Und machet die Augen groß.

   Der Verse leichte Zügel
   Fallen mir aus der Hand,
   Mein Lied lenkt seine Flügel
   In ein grünes Schlummerland.

   Eine rote Sonne liegt
   In des Teiches tiefen Fluten,
   Ein verirrter Falter fliegt
   Über Schilf und Weidenruten.

   Alles, was mein Herz verlor,
   Jugendmut und Kinderfrieden,
   Schlummert hier im gelben Rohr
   Einsam, stumm, weltabgeschieden.

   Wie ein breites Abendrot
   Liegt mein Leben und mein Leiden,
   Ruhig wie ein dunkles Boot
   Meine Träume drüber gleiten.

   Über meinen wilden Sinn
   Ist ein Frieden ausgegossen;
   Was ich war und was ich bin,
   Ist in einen Traum zerflossen.



Komm mit!


   Komm mit!
   Mußt Dich aber eilen --
   Sieben lange Meilen
   Mach' ich mit jedem Schritt.
   Hinter Wald und Hügel
   Steht mein rotes Roß.
   Komm mit! Ich fasse die Zügel --
   Komm mit in mein rotes Schloß.
   Dort wachsen blaue Bäume
   Mit goldenen Äpfeln dran,
   Dort träumen wir silberne Träume,
   Die kein Mensch sonst träumen kann.
   Dort schlummern selt'ne Genüsse,
   Die noch kein Mensch genoß,
   Unter Lorbeern purpurne Küsse --
   -- Komm mit über Wald und Hügel!
   Halt fest! Ich fasse die Zügel,
   Und zitternd entführt Dich mein rotes Roß.



Angst.


   Verglimmende Fackelbrände
   Vermooste Stufen und Wände --
   Mein Traum ging schauernd durch's Haus,
   Und streckte die ängstlichen Hände
   Empor und löschte die Fackeln aus.

   In's Haar den welken Kranz
   Gedrückt und noch im Aug' den Glanz
   Gefeierter Feste, stand ich schmal
   Mit herbem Mund und müd vom Tanz
   Allein und wie ein Geist im Saal.

   Der Traum schritt mir vorüber,
   Er war so blaß wie ich, --
   Ich hörte wohl, wie sein trüber
   Gang durch die Halle schlich.
   Und ich fürchtete mich.

   Da stand der Traum und bog die Hand
   Nach mir. Die Hand war kalt und schwer.
   Und da er meine Rechte fand
   Erklang er schrill, und schrak, und schwand,
   Und war nicht mehr.

   Die Halle scholl. In meinem Haar
   War noch der Kranz,
   In meinem Auge war
   Von gefeierten Festen ein Flackerglanz.
   Ich fürchtete mich -- es war so nacht!
   Da ward von Händen muttersacht
   Des Schlummers Pforte aufgemacht.



Mansarde.


   Es war so warm. -- Die Ampel hing
   An der Decke meiner Mansarde.
   Du lasest aus einem Buche vor.

   Ich war so krank. -- Ein Schmetterling
   Flog immer wieder zur Ampel empor.
   Es träumte mein Ohr und mein Auge starrte.

   Es träumte mein Ohr den silbernen Laut
   Italienischer Terzinen.
   Mein Auge träumte: Es lehnt meine Braut
   Am Geländer, von Sonne beschienen,
   Und liest ^vita nuova^ mir vor.

   Die Ampel ging aus. Der Schmetterling
   Stieß surrend an die Gardinen.
   Mein Auge an Deinem Antlitz hing.

   Du warst vom Monde beschienen
   Und warst so bleich. Deine Rechte sank
   Vom Simse zitternd. In Deinen Mienen
   Lag unser Leid. Mir drang an's Ohr
   Dein Stöhnen. Ich raffte mich halb empor,
   Und konnte nicht helfen. -- Ich war so krank.



»Ich habe den Fuß an jene Stelle des Lebens gesetzt, über welche keiner
hinausgehen kann, der die Absicht hat, wiederzukehren.«


                                                                Dante.

   Wendet die Blicke, Fragende, wendet
   Von mir das Haupt!
   Wo das Leben in lichte Geheimnisse endet,
   Dahin zu treten,
   Dort anzubeten
   Ward mir vom Liebesgotte erlaubt.

   Wendet den Blick!
   Suchend tastet mein Herz
   Den verlorenen Pfaden nach.
   Wem aller Sinne Brücke zerbrach,
   Dem führet in's Leben niederwärts,
   Kein Weg zurück.



Frau Gertrud.


   Frau Gertrud mir am Bette stand,
   Eine helle Theerose in der Hand,
   Eine helle Theerose im braunen Haar.
   Ihre Stimme wie ein Lächeln war
   Und floß so weh und wankte so --
   Sie sang ihr altes ^Long ago^!

   »Fern steht Dein graues Schloß am Meer,
   »Wie kamest Du nach Deutschland her?
   »Wie lang doch ist's, daß Deinen Sarg
   »In lauter Theerosen ich verbarg,
   »Und daß ich Dich vergessen hab'!
   »Wie kamst Du her aus Deinem Grab?«

   Ich reicht' ihr fragend meine Hand
   Und lächelte, und griff -- die Wand,
   Dran weiß ein Flecken Mondes stund' . . .
   -- Fernher kam zart und liebeswund
   Ein schlanker, kranker Geigenstrich,
   Der schluchzend in der Nacht verblich.

      Und floß so weh und wankte so --
         -- ^Long, long ago^!



Frühsommernacht.


   Der Himmel gewittert,
   Im Garten steht
   Eine Linde und zittert.
   Es ist schon spät.

   Ein Wetterleuchten
   Beschaut sich bleich
   Mit großen, feuchten
   Augen im Teich.

   Auf schwanken Stengeln
   Die Blumen steh'n,
   Hören Sensendengeln
   Herüberweh'n.

   Der Himmel gewittert,
   Schwül geht ein Hauch.
   Mein Mädel zittert --
   »Sag, spürst Du's auch?«



Levkoyen und Reseden.


   Auf dem Tisch ein kleiner Strauß
   Von Levkoyen und Reseden
   Lockt mein Sinnen weit hinaus
   Aus der Stadt nach fernen Beeten.

   Beeten, die voll Veilchen sind,
   Von Syringen überhangen;
   Und ein blondes Nachbarkind
   Kommt den Zaun entlang gegangen.

   Nahe ist ein Brunnen laut,
   Tief in seinen Mauern schäumend,
   Und ein Flug im Bienenkraut.
   Sonst ist alles stumm und träumend.

   Aller Friede, der mir fehlt,
   Den ich zwischen Städtemauern
   Früh verlor im Kampf um's Geld,
   Schlummert dort und macht mich trauern.



Im Scherz.


   Meine Lieder stehen
   Vor Deiner Thür,
   Sie klopfen an und bücken sich:
   Öffnest Du mir?

   Meine Lieder haben
   Einen seidenen Klang,
   Dem Rauschen Deines Kleides gleich
   Im Treppengang.

   Meine Lieder tragen
   Ein Düften lind,
   Ganz wie in Deinem Lieblingsbeet
   Der Hyazinth.

   Meine Lieder kleidet
   Ein schweres Rot,
   Das Deinem seid'nen Kleide gleich
   Knistert und loht.

   Meine schönsten Lieder
   Gleichen ganz Dir.
   Sie steh'n an der Pforte und bücken sich:
   Öffnest Du mir?



Maria.


I.

So schön bist Du!

   Ein Lieblingstraum, aus goldnen Nächten
   Vortretend, schlank, in ernster Ruh',
   Den Zauberschleier in der Rechten --
   So schön bist Du!

   Mein Blick erstaunt und muß sich senken,
   Mein Herz schließt alle Thore zu,
   Dem Wunder heimlich nachzudenken --
   So schön bist Du!


II.

So ziehen Sterne --

   So ziehen Sterne ihre Bahn,
   Unwandelbar und unverstanden!
   Wir winden uns in hundert Banden,
   Du steigst von Glanz zu Glanz hinan.

   Dein Leben ist ein einzig Licht!
   Ich muß aus meinen Dunkelheiten
   Sehnsüchtige Arme nach Dir breiten,
   Du lächelst und verstehst mich nicht.


III.

Du aber.

   Der Meister schwieg und that die Geige aus der Hand.
   Uns schlug das Herz! Du aber mußtest
   Die Hand ihm geben. Ob Du wußtest,
   Daß Ihr Glückskinder seid aus Einem Vaterland?


IV.

Ich fragte Dich.

   Ich fragte Dich, warum Dein Auge gern
   In meinem Auge ruht,
   So wie ein reiner Himmelsstern
   In einer dunklen Flut.

   Du sahest lang mich an,
   Wie man ein Kind mit Blicken mißt,
   Und sagtest freundlich dann:
   Ich bin Dir gut, weil Du so traurig bist.


V.

Wenn doch mein Leben --

   Wenn doch mein Leben fürder geht
   Und manchmal noch aus reichen Ranken
   Ein reifes Lied mir niederweht,
   Ich hab's auch Dir zu danken.

   Du weißt es nicht, denn ich begrub
   Dein Bild in meiner Nächte Schweigen.
   Und was mein Lied zu Tage hub,
   War schon zuvor Dein eigen.



Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 8]:
   ... Und ich darf sein, der ich vor Zeiten vor. ...
   ... Und ich darf sein, der ich vor Zeiten war. ...

   [S. 31]:
   ... Aus Bogenfestern schauen ...
   ... Aus Bogenfenstern schauen ...





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