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Title: Aus den Tiefen des Weltmeeres - Schilderungen von der deutschen Tiefsee-Expedition
Author: Chun, Carl
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Aus den Tiefen des Weltmeeres - Schilderungen von der deutschen Tiefsee-Expedition" ***


                    Anmerkungen zur Transkription:
                    ##############################

Der vorliegende Text wurde anhand des 1911 erschienenen Auswahlbandes
der Erstausgabe von 1900 möglichst originalgetreu wiedergegeben.
Ungewöhnliche Schreibweisen (z.B. „Kambüse“ für „Kombüse“; „Rythmus“
usw.) wurden beibehalten; Eigennamen wurden unverändert übernommen.
Im Druckbild nicht sichtbare Buchstaben wurden sinngemäß ergänzt. Zu
Abbildung 15 existiert kein Verweis im Text.

Die folgenden Stellen wurden korrigiert:

    # S. 7: Valdivia: Name wurde in Anführungszeichen gesetzt
    # S. 12: „daß“ → „das“
    # S. 20: „englichen“ → „englischen“
    # S. 22: „nnd“ → „und“
    # S. 24: „Rähe“ → „Nähe“
    # S. 86: „Kergulen“ → „Kerguelen“
    # S. 87: „genötig“ → „genötigt“

Der Originaltext wurde in Frakturschrift gesetzt; insbesondere
zoologische Bezeichnungen wurden durch Antiquaschrift hervorgehoben.
Diese Stellen werden hier mit Unterstrichen gekennzeichnet (_antiqua_).
Fettgedruckte Textstellen stehen zwischen Gleichheitszeichen (=fett=),
gesperrte Passagen werden mit Tilden umgeben (~gesperrt~).



                           Wissenschaftliche
                            Volksbücher für
                            Schule und Haus

                   Herausgegeben von Fritz Gansberg


                        Hamburg und Berlin 1911
                            Alfred Janssen



                            Aus den Tiefen
                            des Weltmeeres

                   Von Carl Chun. Schilderungen von
                   der deutschen Tiefsee-Expedition
                     Ausgewählt von Fritz Gansberg
                          Mit zwanzig Bildern

                        Hamburg und Berlin 1911
                            Alfred Janssen



1. Die deutsche Tiefseeexpedition


Die Tiefen des Weltmeeres haben von jeher die Gedanken der Menschen
mächtig erregt. Bald dachte man sie sich unergründlich und völlig
ohne Leben, bald hielt man sie für das Abbild des mit steilen
Gebirgen durchzogenen Festlandes und belebte sie mit seltsamen
Phantasiegestalten. Eine wirkliche Durchforschung der Tiefsee hat
erst im 19. Jahrhundert begonnen. Gelegentlich holte man wohl bei
den Lotungen aus großen Tiefen lebende Tiere herauf. Besonders wurde
man bei der Legung der Kabel auf die Tierwelt der Tiefsee aufmerksam
gemacht. Das erste transatlantische Kabel, das 1858 gelegt wurde,
riß; dasselbe Schicksal widerfuhr auch dem Mittelmeerkabel. Beide
wurden wieder aufgefischt: auf beiden hatten sich Tiere angesiedelt.
Mehr und mehr entdeckte man, wie üppig, farbenprächtig und wundervoll
diese in den Tiefen verborgen lebende Tierwelt war. Die erste große
und planmäßige Erforschung der Tiefsee erfolgte durch die englische
Challengerexpedition in den Jahren 1872-1876. Was sie leistete,
stellt sich den Ergebnissen der glänzendsten Forschungsreisen würdig
zur Seite; in 38 dicken Quartbänden sind ihre Funde in Wort und Bild
genau beschrieben worden. Seit dieser Zeit ist die Tiefseeforschung
ein großes Studiengebiet geworden, auf dem sich viele Gelehrte aus
den verschiedensten Ländern eifrig betätigen. Zwei Drittel der
Erdoberfläche, nämlich die vom Wasser bedeckten, sind uns dadurch neu
erschlossen, ja geradezu neu entdeckt worden. Wir wissen heute, daß
das Leben auch in den tiefsten Tiefen nicht aufhört, daß ein Druck von
mehreren Hunderten von Atmosphären, eine Temperatur, die sich um den
Nullpunkt bewegt, und ewige Finsternis die Ausbreitung der Tierwelt
nicht hindern können; aus einer Tiefe von 7636 Metern hat man einen
lebenden Kieselschwamm heraufgeholt. Wahrlich, alle Naturforscher
haben ein Interesse daran, zu erfahren, wie sich das Leben diesen
eigentümlichen Umständen anpassen kann.

Am 31. Juli 1898 erfolgte die Ausfahrt der zu einer deutschen
Tiefseeexpedition ausersehenen „Valdivia“ aus dem Hamburger Hafen. Es
war ein festliches Ereignis. Von allen Seiten, besonders aber durch
die Regierung, war die Ausrüstung der Expedition mit Rat und Tat und
mit den nötigen Geldbewilligungen unterstützt worden. Der große,
schöne Dampfer hatte für die Zwecke dieser Fahrt mannigfache besondere
Einrichtungen bekommen, einen Mikroskopierraum, ein chemisches, ein
bakteriologisches Laboratorium, eine photographische Dunkelkammer,
des weiteren einen großen Konservierraum, in dem die Reservekabel,
die Netze, zahllose Kisten und Kasten mit Fischereigegenständen und
in den Schränken das gesamte kostbare Material an konservierten
Tieren aufgestapelt wurde. Die Anlage einer Eismaschine war besonders
vorteilhaft. Die Tiefseetiere leben in sehr kaltem Wasser und geraten
bei dem Aufkommen der Netze in den Tropen in oft 25 Grad wärmere
Schichten. Hier zersetzen sie sich außerordentlich rasch, falls nicht
mit Eis abgekühltes Seewasser zu ihrer Aufnahme bereitsteht. So
konnten die Tiere, die bisweilen noch lebend heraufgebracht wurden,
gelegentlich stundenlang am Leben erhalten und während der Zeit
photographiert und in ihrer natürlichen Färbung abgemalt werden. Da die
„Valdivia“ außer dem notwendigsten Trinkwasser und einem Wasserballast
zum Gebrauch für die Maschine keinen Doppelboden für Süßwasser besaß,
so leistete ein großer Destillationsapparat für die wissenschaftlichen
Arbeiten vortreffliche Dienste. Ein sehr wichtiger Gegenstand war
auch die große Kabeltrommel, die 10000 Meter Stahlkabel für die
Dredscharbeiten auf dem Meeresgrunde aufnehmen mußte. Das Kabel war
aus zweien zusammengespleißt, die 10 und 12 Millimeter im Durchschnitt
hatten und 5000 und 8000 Kilogramm Druckfestigkeit besaßen. Das
wichtigste Werkzeug war ohne Frage die große Dredsche oder das Trawl,
das große Scharrnetz. Es schleift auf zwei eisernen, schlittenförmig
gebogenen Stangen und besitzt eine Länge von 10 Metern. Um es auf den
Grund zu bringen, muß es durch zwei eiserne Oliven von je 25 Kilogramm
beschwert werden. Die Vertikalnetze besitzen einen weiten Durchmesser
und sind bestimmt, in große Tiefen hinabgelassen und dann langsam in
senkrechter Richtung wieder gehievt zu werden. Sie fischen neben den
größeren Tieren auch eine Fülle jener kleinen und kleinsten Lebewesen,
die man Plankton nennt. Es sind freilich recht kostbare Netze aus
Seidengaze, die durch einen derben Überzug geschützt wird. Die
Schließnetze endlich sind so eingerichtet, daß sie geschlossen in die
Tiefe versenkt und durch einen kunstvollen Mechanismus und mit Hilfe
eines Propellers während einer bestimmten Aufwärtsbewegung geöffnet und
alsdann wieder geschlossen werden können.

Das Tagewerk begann regelmäßig mit einer Tiefseelotung, meist um
5½ Uhr morgens. Die Maschinenwache wurde benachrichtigt, daß
gestoppt werden sollte, worauf das Schiff vor Wind und Strom so
hingelegt wurde, daß auf jener Seite, wo gearbeitet werden sollte,
Luv war. Es kam wohl vor, daß eine obere Strömung mit einer tieferen
Strömung in der Richtung auseinanderging. In solchen Fällen stand
der Draht zuerst senkrecht, bis er plötzlich in Tiefen von 200-400
Metern unter dem Schiffe verschwand. Da dann Gefahr bestand, daß die
am Draht angebundenen kostbaren Instrumente durch die Reibung an den
Bordwänden verloren gingen, bedurfte es des ganzen seemännischen
Geschicks des Kapitäns, um durch geeignetes Manöverieren des Schiffes
den Draht wieder freizubekommen. Der wichtigste Teil der Lotmaschine
(Abbildung 1) ist die Trommel, auf welche der Lotdraht in einer Länge
von 8000 Metern aufgewickelt worden war. Ein Zählwerk registriert
die Umdrehungen des Meßrades. Die Tiefseelote (Abbildung 2) sind so
konstruiert, daß um die Lotröhre ein eisernes Sinkgewicht angebracht
wird, welches den Draht zum Meeresgrunde hinabziehen soll, um dann
unten liegen zu bleiben und die Drahtleitung für das Einwinden zu
entlasten. Wenn das Lot den Grund berührt, fallen die zwei kleinen
Arme, wie die Pfeile andeuten, infolge ihrer Schwere abwärts, und die
Drähte gleiten ab, so daß das Sinkgewicht selbst abfällt. Für größere
Tiefen wurden Sinkgewichte von 28 Kilogramm, für geringere solche von
15 Kilogramm benutzt; von den ersteren besaß die Expedition 230, von
den letzteren 130. Läßt man das Lot zu rasch auslaufen, so muß man
gewärtig sein, daß die Grundberührung nicht erkannt wird, während
gleichzeitig der im Überschuß auslaufende Draht sich aufknäult und
Knicke bekommt. Das feine Loten großer Tiefen ist eine Kunst, die durch
Erfahrung gelernt sein will. Eine Tiefenlotung von etwa 5000 Metern
beansprucht ungefähr 11½ Stunden Zeit, ungerechnet 5-7 Minuten, die
man vor Beginn des Aufwindens abwartet, damit das Tiefenthermometer am
Meeresgrunde sich richtig auf die Bodentemperatur einstellt.

Da in den tropischen und gemäßigten Regionen die Temperatur allmählich
gegen den Meeresgrund abnimmt, so kann man hier Maximum- und
Minimumthermometer verwenden, die gegen den gewaltigen Druck (auf
10 Meter eine Atmosphäre) durch eine besondere Glashülle geschützt
werden. In den Eismeeren dagegen, die an der Oberfläche kälter sind
als in tieferen Schichten, müssen Kippthermometer verwendet werden
(Abbildung 3 und 4). Dasselbe kippt um, sobald die Spindel (_d_)
des Propellers (_e_) sich aus der Thermometerhülse herausgedreht
hat; dann reißt bei _a_ der Quecksilberfaden ab, der wegen seiner
geringen Masse so gut wie unverändert nach oben kommt. Die Drehung des
Propellers erfolgt natürlich durch den Aufzug im Wasser.

Wenn ein Dredschzug in 5000 Metern Tiefe vorgenommen wird, so muß
der Dampfer still liegen und soviel Drahtseil ausgegeben werden,
als die Lotung anzeigt. Ist das Netz über dem Grunde angelangt, so
wird langsame Fahrt gemacht und noch ein Drittel Seillänge mehr
ausgegeben. Darauf gehen mehrere Stunden hin. Der ganze Zug beansprucht
einschließlich der Lotung 13 Stunden. Ein Dredschzug in großen
Tiefen stellt an alle Beteiligten, nicht zum mindesten auch an das
seemännische Geschick des Kapitäns hohe Anforderungen. Wegen der hohen
Spannung, welcher das Kabel ausgesetzt wird, ist große Aufmerksamkeit
der Bedienungsmannschaften erforderlich, da sonst Unfälle nicht
ausgeschlossen sind.

Da die Expedition in der Handhabung mancher Geräte noch unerfahren war,
so wurden nicht sofort die großen Tiefen des Ozeans aufgesucht, sondern
eine Probefahrt nach den Faröer unternommen. Erst dann wurde der Kurs
nach dem Süden, dem in Aussicht genommenen Forschungsgebiete gerichtet.
Nach Landungen auf Teneriffa, in Kamerun und dem Kaplande, die
herrliche Unterbrechungen der gleichmäßigen Tage der Seefahrt boten,
wendete sich die Expedition einem ihrer wichtigsten Gebiete zu, dem
südatlantischen Ozean in seinen Übergängen in das antarktische Meer.
Diesen Abschnitt der Reise geben die hier folgenden Kapitel wörtlich
wieder. Sie sind mit gütiger Erlaubnis des Verlegers und Verfassers dem
großen Werke „Aus den Tiefen des Weltmeers“ (Verlag von Gustav Fischer
in Jena) des Leiters der Expedition Carl Chun entnommen.



2. Von Kapstadt zur Bouvet-Insel


Es war ein prächtiger Sonntagsmorgen, an dem die „Valdivia“ aus den
großartigen Hafenanlagen von Kapstadt ausfuhr. Es fiel uns schwer, der
gastlichen Kapstadt Valet zu sagen, nachdem wir die sieben Tage, welche
wir dort verbrachten, in angestrengter Tätigkeit ausgenutzt hatten, um
unsere Ausrüstung zu vervollständigen und nebenbei auch das überreich
mit Naturschönheiten gesegnete Kapland kennen zu lernen.

Als wir das Kap zur linken Seite liegen ließen und mit SSW.-Kurs
dem endlosen südlichen Meere zustrebten, mag man wohl auf einem von
Osten kommenden Australienfahrer sich seine eigenen Gedanken über
den sonderbaren Kurs eines Dampfers gemacht haben, der mit weißem
Tropenanstrich eine seit mehr als fünfzig Jahren von keinem Schiff
gewählte Route einschlug.

Es galt der Untersuchung des antarktischen Meeres. Südlich vom Kaplande
dehnt sich ein weites Meer aus, das in ozeanographischer Hinsicht
unerforscht war. Gleich hinter der Agulhas-Bank (südlich vom Kaplande
in 70-200 Meter Tiefe) brechen alle Lotungen ab.

Verfolgt man auf den britischen Seekarten die weite unbeschriebene
Fläche südlich vom Kaplande, so stößt man nur auf eine Angabe, die
freilich auch wieder als unsicher bezeichnet wird. Unter dem 54.
Breitengrad finden sich nämlich drei Inseln verzeichnet, welche als die
„Bouvet-Gruppe“ zusammengefaßt werden.

Diese wurden 1739 von Bouvet entdeckt, der sie für das Vorgebirge eines
Südkontinents hielt; aber weder Cook (1775), noch James Roß (1843),
noch Moore (1845) vermochten trotz aller hierauf verwendeten Mühe die
„Bouvet-Insel“ wieder aufzufinden. Immerhin hatten im Anfang dieses
Jahrhunderts zwei Kapitäne von Walfischfängern, welche im Dienst der
Londoner Firma Enderby standen -- nämlich Lindsay (1808) und Norris
(1825) -- bestätigt, daß in der von Bouvet bezeichneten Region eine
bzw. zwei Inseln liegen, deren Position sie freilich abweichend
bestimmten.

Da die „Valdivia“ sich als ein vorzügliches Expeditionsschiff bewährt
hatte, reifte im Vertrauen auf die umsichtige Schiffsführung von
Kapitän Krech der Entschluß, die Bouvet-Region aufzusuchen und einen
erneuten Versuch zur Wiederauffindung der von drei Expeditionen
vergeblich gesuchten Inselgruppe zu wagen.

Die günstige Witterung hielt nach der Abfahrt von Kapstadt auch
während der nächsten Tage an, und so vermochten wir alle Arbeiten in
wünschenswerter Weise zu fördern. Mit Rücksicht darauf, daß wir von
jetzt an in Regionen vordrangen, deren Bodenrelief unbekannt war,
wurde täglich vor Beginn der übrigen Arbeiten eine Lotung ausgeführt.
Schon die erste, am 14. November vorgenommene, überzeugte uns von der
Tatsache, daß die Agulhas-Bank in ein außerordentlich tiefes Meer von
über 4000 Metern abfällt.

Nachdem bereits unter dem 37. Breitengrade eine hohe, westliche
Dünung uns belehrt hatte, daß wir in die Region der ständig wehenden
„braven Westwinde“ eingetreten waren, auf deren Bedeutung für die
Segelschiffahrt nach Australien zuerst James Roß hingewiesen hatte,
begann am 16. November der Westwind stürmisch einzusetzen. Wir
begegneten an diesem Tage einem englischen Schiffe, dem Dampfer
„Titania“, der auf der Fahrt nach Süd-Australien begriffen war. Es war
für lange Zeit das letzte Schiff, welches wir sichteten; wir verfehlten
denn auch nicht, unsere Route mit der Bitte um Meldung zu signalisieren.

Am 16. November mittags 12 Uhr betrug die Oberflächentemperatur noch
17,4 Grad, während sie am 18. November um dieselbe Zeit bereits auf
7,8 Grad gesunken war. Seitdem nahm die Temperatur so rasch und stetig
ab, daß nach Überschreiten des 53. Breitengrades am 24. November
bereits Oberflächentemperaturen von minus 1 Grad gemessen wurden.

Mit dem Eintritt in die kühlere Region hob sich sichtlich der
Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Mitglieder der Expedition,
die seit unserm Besuch in Kamerun durch vielfach wiederholte
Malariaanfälle heimgesucht wurden. Allerdings machte sich an den
nächsten Tagen die rasche Abkühlung der Luft, welche ungefähr gleichen
Schritt mit der Temperaturabnahme des Oberflächenwassers hielt, so
empfindlich geltend, daß fast niemand von Katarrhen verschont blieb,
die indessen schnell vorübergingen. Auch sorgte die am 19. November zum
erstenmal angelassene Dampfheizung dafür, daß wir im Salon und in den
Kabinen uns behaglich fühlten.

Das gute Wetter sollte freilich nicht lange anhalten. Am 20. November
begann das hochstehende Barometer von 760 Millimetern auf 738 zu
fallen, und gleichzeitig fachte der von Nordost nach West zu Süd
umgehende Wind zum schweren Sturm an. Da die Windstärke nach der
Beaufortskala 10 betrug, so donnerten die Wogen gegen die Wandung
des Schiffes, überspülten das Verdeck und nötigten uns schließlich,
beizudrehen, um gegen den gewaltigen Seegang anzudampfen.

Das rasche Fallen des Barometers setzte uns an späteren Tagen nicht
mehr in Überraschung, aber als wir es zum erstenmal erlebten, machte
die tief nach abwärts steigende Kurve des Registrierbarometers einen
fast unheimlichen Eindruck. Dabei verdunkelte sich zeitweilig der
Himmel stark und kontrastierte fast schwarz mit dem weißen Gischt
der gewaltigen Wogenkämme, die meist zu drei hintereinander ankamen
und über das Verdeck fegten. In diesem Aufruhr bemerkten wir einen
antarktischen Pinguin, der mit heiserem Schrei durch kräftige Schläge
mit den zu Flossen umgebildeten Flügeln sich wie ein Delphin in kurzen
Sprüngen über Wasser erhob und längere Zeit dem Schiffe folgte. So
recht in ihrem Elemente fühlten sich die Sturmvögel, unter denen zum
erstenmal die aschgrauen Albatrosse mit schwärzlichem Kopfe und weißen
Augenlidrändern gespenstig wie Vampyre ihre erstaunlichen Flugkünste in
ruhigen eleganten Kurven um das schwer arbeitende Schiff ausführten.

Am Morgen des 21. November bot das Meer bei gelegentlich
durchbrechender Sonne einen großartigen Anblick dar: die mächtige
nördliche Dünung wurde von einem von Westen kommenden Wogengange
durchkreuzt und bedingte eine wild aufgeregte, prachtvoll blau und
weißschäumende See.

Da wir in westlicher Richtung gegen den Wind andampften, wurde in
regelmäßigen Intervallen das Schiff durch die von Norden kommende
Dünung gepackt und zur Seite geworfen. Dies hatte ein fast unerhörtes
Schlingern zur Folge, bei dem in den Laboratorien die Gläser aus
ihren Gestellen herausfuhren, die Treppen mit Präparierflüssigkeiten
übergossen wurden, und gar mancher dem angeschraubten Drehstuhl Valet
sagte, um in unfreiwilliger Reise mit dem anderen Ende des Salons
Bekanntschaft zu machen. An einen Schlaf war nicht zu denken gewesen,
und bei dem Frühstück hatte es auch seine Schwierigkeiten. Obwohl schon
längst die verdächtigen quadratischen Fächer auf dem Tische befestigt
waren, so flogen doch Teller, Messer, Löffel -- nicht minder auch die
Stewards -- umher, und niemand war zu beneiden, der etwa gleichzeitig
ein weiches Ei und eine Tasse voll Tee zu bewachen hatte. Ebenso
rasch, wie das Barometer gefallen war, begann es am 21. November
wieder zu steigen und die für diese Breiten ungewöhnliche Höhe von 770
Millimetern zu erreichen. Gleichzeitig drehte der allmählich abflauende
westliche und südwestliche Wind unter Regenschauern und Hagelböen
wieder nach Nord zurück. Es traten einige ruhigere Tage ein, an denen
wir freilich durch die von nun an häufiger sich einstellenden Nebel
an einem raschen Vorwärtskommen gehindert wurden. Wir waren öfters
genötigt, zu stoppen; ging es trotzdem bei Nebel mit halber Kraft
vorwärts, so ertönte in regelmäßigen Intervallen die Dampfpfeife, um
das Echo von einem etwa vorliegenden Eisberge zu wecken.

So trafen wir denn am 24. November in der Höhe des 54. Breitengrades
auf jene Region, in welcher die englischen Admiralitätskarten drei
Inseln verzeichnen und sie als Bouvet-Gruppe zusammenfassen. Ein
schneidender, bald stürmisch anfachender Nord hatte das Verdeck mit
Glatteis überzogen, und mehrmals sich einstellende Nebel erschwerten
den Ausblick. Da indessen gelegentlich die Sonne durchbrach, wurde die
Hoffnung nicht aufgegeben, über das Schicksal der Inseln Aufschluß zu
erhalten. Während in den letzten Tagen sehr ansehnliche Tiefen zwischen
4000 und 5000 Metern (zweimal sogar Tiefen von über 5000 Metern)
gelotet worden waren, ergab eine am 23. November vorgenommene Lotung
3585 Meter, und die am 24. ausgeführte nur 2268 Meter. Hierdurch war
ein unterseeischer Rücken nachgewiesen, der vielleicht den Inseln als
Sockel dienen konnte, und es handelte sich nun darum, systematisch
die ganze Region abzusuchen. Der Navigationsoffizier hatte zu diesem
Zwecke die von Bouvet, Lindsay und Norris angegebenen Positionen
ihrer Landsichtungen in eine Karte eingetragen, und man begann nun,
von Ost nach West vorgehend, die Verhältnisse zu prüfen. Am 24. wurde
ein Erfolg nicht erzielt, obwohl der Himmel zweimal aufklärte und auf
kurze Zeit ganz wolkenlos war. Immerhin blieb die Luft eigentümlich
diesig, während das Wasser durch mikroskopische Algen, welche geradezu
einen Brei an der Oberfläche bildeten, grünlich verfärbt wurde. Wenn
dann gleichzeitig der Himmel mit einem monotonen grauen Wolkenschleier
verhängt war, so zeigte die Meeresoberfläche jenen schwärzlichen
Ton, dessen so oft in der Reisebeschreibung des „Challenger“ gedacht
wird. Gegen Abend brach die Sonne wieder durch und ging hinter
einer imposanten Wolkenwand unter, in die man anfänglich hohe Inseln
hineindeutete, bis erst allmählich die Täuschung erkannt wurde.

Am Morgen des 25. November loteten wir mitten zwischen den angeblichen
Landsichtungen von Bouvet, Lindsay und Norris eine Tiefe von 3458
Metern. Damit schwand nun freilich die Hoffnung, daß wir in diesen
Gegenden eine Insel nachzuweisen vermöchten, doch deutete immerhin das
reiche Vogelleben -- nicht zum mindesten die Erbeutung zweier Kaptauben
mit Brutfleck -- auf die Nähe von Land hin. Gelegentlich aufkommende
Schneeböen wechselten mit einem Aufklaren des Himmels ab, und so wurde
die Suche nach den Inseln in westlicher Richtung fortgesetzt. Denn
wenn auch anzunehmen war, daß die alten Seefahrer die Breite ziemlich
richtig angegeben hatten, so war ein Irrtum in der Längenbestimmung im
Hinblick auf die damals noch unvollkommenen Mittel nicht ausgeschlossen.

Gegen Mittag des 25. November kam der erste große Eisberg in Sicht.
Er machte, als er in vollem Sonnenschein vor uns glänzte, einen
majestätischen Eindruck. Dies nicht zum mindesten durch die stolze
Ruhe, mit welcher der Koloß wie verankert dalag, während die Brandung
oft bis zum Gipfel emporstieg und ihn mit Gischt überschüttete
(Abbildung 6). Hatte man bisher den Schaum der Wogen als den Inbegriff
des blendend Weißen betrachtet, so war man überrascht, daß dieser
sich von den wie frisch überschneit erscheinenden Flächen eines von
der Sonne beschienenen Eisberges graugelblich abhob. Dabei schien ein
feiner bläulicher Duft über dem Ganzen zu liegen, der in den Spalten
und Grotten in ein tiefes Kobaltblau überging.

Am Nachmittag wurde es wieder etwas bewölkt und unsichtig. Nach den
stürmischen Tagen und schlaflosen Nächten gab der Kapitän seinem
Unmut über die unsicheren Bestimmungen der alten Seefahrer in kräftig
seemännischer Weise Ausdruck. Wir waren beide der Ansicht, daß nur noch
bis Sonnenuntergang die Suche nach den wie verzaubert erscheinenden
Inseln mit westlichem Kurs fortgesetzt werden sollte, als 30 Minuten
nach 3 Uhr unser erster Offizier mit dem Ausruf: „Die Bouvets liegen
vor uns“ das ganze Schiff in Aufregung brachte. Alles stürmte nach vorn
und auf die Brücke, und da lag denn in verschwommenen, bald deutlicher
hervortretenden Umrissen, nur 7 Seemeilen rechts voraus, in seiner
ganzen antarktischen Pracht und Wildheit ein steiles Eiland. Schroffe
und hohe Abstürze gegen Norden, mächtige, bis zum Meeresspiegel
abfallende Gletscher, ein gewaltiges Firnfeld, welches sanft geneigt im
Süden mit einer Eismauer im Meer endet, die Kämme der Höhen in Wolken
versteckt -- das war der Eindruck, den wir von der seit 75 Jahren
verschollenen und von drei Expeditionen vergeblich gesuchten Insel
empfingen.

An einen Landungsversuch an der steilen, von senkrechten Eismauern
umgebenen Küste war indessen wegen der noch immer hochgehenden See
nicht zu denken.

Wer die Eigenart des antarktischen Gebietes und die Verschiebungen
aller klimatischen Bedingungen würdigen will, tut gut, die Verhältnisse
der nördlichen Halbkugel zum Vergleiche heranzuziehen. Auf gleicher
Breite wie die Bouvet-Insel liegen nördlich vom Äquator Helgoland
und die Insel Rügen. Man stelle sich nun vor, daß Rügen mit ewigem
Schnee bedeckt sei, Gletscher bis zum Meere entsende und auch im
Hochsommer gelegentlich von schwerem Packeis umgeben werde. Die
Oberflächentemperatur der Nord- und Ostsee sei -- dies stets im Sommer
-- unter den Nullpunkt gesunken und Eisberge machen die Schiffahrt
in der Nähe der englischen Küste zu einer schwierigen. Ein Fahrzeug,
das bis zu den Lofoten durch Packeis vordringt, würde in den Annalen
verzeichnet werden, und wer gar Spitzbergen erreichte, das heutzutage
von Vergnügungsreisenden auf Salondampfern besucht wird, würde als
kühner Entdecker gepriesen werden, der weiter vordrang, als es einem
James Clark Roß vergönnt war!



3. Im antarktischen Meere


Der zweite Abschnitt der Fahrt im antarktischen Gebiet darf als der
weitaus erfolgreichste bezeichnet werden.

Die Expedition konnte bei einem für antarktische Verhältnisse
ungewöhnlich günstigen Wetter 3 Wochen hindurch fast ungestört ihren
Arbeiten nachgehen, schließlich mit einem keineswegs für die südlichen
Eisverhältnisse berechneten Dampfer den 64. Breitegrad überschreiten
und in die Nähe des vermuteten antarktischen Kontinents gelangen.

Daß gerade dieser Teil der Fahrt trotz der günstigen Witterung an
das Geschick und die Umsicht von Kapitän und Offizieren besondere
Anforderungen stellte, liegt auf der Hand. Häufig eintretende Nebel,
heftige Schneeböen, zahlreiche Eisberge und weit nach Norden sich
ausziehende Treibeisfelder nötigten uns zu vielfachen Kursänderungen
und mehrmals zum Durchbrechen der vorliegenden Eismassen. Durch
vorsichtiges Abwägen der Verhältnisse und sorgfältige Berücksichtigung
älterer Nachrichten über die Packeisverbreitung gelang es indessen,
ohne den geringsten Unfall viel weiter südlich vorzudringen, als bei
Antritt der Fahrt vorauszusetzen war.

Sehr förderlich war der Umstand, daß die Expedition bereits im November
von Kapstadt aufbrach, also weit früher als vorhergehende Expeditionen,
und gerade zur Zeit der längsten Tage in südlichen Breiten anlangte.
Jenseits des 60. Breitengrades war es trotz des ständig bedeckten
Himmels auch um Mitternacht so hell, daß man bequem zu lesen vermochte.

Dabei war der Himmel von einem monotonen grauen Wolkenschleier
verhängt, der nur selten sich lüftete und auf einen kurzen Moment die
Sonne hervortreten ließ. Das ozeanische Klima bringt es weiterhin
mit sich, daß die Temperatur nur in geringen Grenzen schwankt. Der
antarktische Hochsommer war im Anzug, und wir genossen ihn unter
gelegentlich einsetzenden Schneeböen bei einer Temperatur, die nur
selten über 0 Grad betrug und nie unter minus 2,5 Grad sank.

Bereits am 30. November erreichten wir bei ruhiger Fahrt mittags kurz
nach 2 Uhr unter 56 Grad 45 Minuten die Treibeisgrenze. Wie immer
bei der Annäherung an das Eis, so zeigten sich auch hier zunächst
kleinste Schollen oder Brocken, die häufig mit dem Winde zu langen
Streifen sich anordneten. Auf sie folgten größere und breitere quer
zur Windrichtung gestellte Felder von Treibeis, die allmählich immer
dichter wurden und offenbar, wie gelegentlich ein heller Eisblink
verriet, in schweres Packeis übergingen. Die Treibeisfelder setzten
sich aus zum Teil stark zertrümmerten Schollen zusammen, zwischen
denen gelegentlich größere, himmelblau gefärbte Eisstücke trieben.
Ihre aus dem Wasser hervorragende Partie war oft wunderlich gestaltet
und gewährte der Phantasie den freiesten Spielraum zu Vergleichen
mit Statuen, Tieren und Gerät. Es handelte sich meist um schneeweiße
Kuppen, die auf dem tiefblauen im Wasser treibenden Sockel ruhten; ihr
unterer noch von den Wellen bespülter Teil war stärker aufgelöst als
die obere, manchmal auf einer schlanken Eissäule ruhende Partie. Die
größeren Schollen maßen hier 2, selten 3 Meter im Durchmesser, und wir
mußten sie sorgfältig zu vermeiden trachten, da das außerordentlich
spröde Eis leicht einen Schaden an der Schiffsschraube hervorgerufen
hätte. Zwischen den bald langgestreckten, bald ringförmig gestalteten
Treibeisfeldern war das Meer öfter so ruhig wie ein See. Wir nutzten
diesen Umstand mehrfach aus, um mitten in dem Eise unseren Arbeiten
nachzugehen. Allerdings hatten sich während der oft einen ganzen Tag
dauernden Untersuchungen, bei denen das Schiff still lag, die Eisfelder
hinter uns vielfach verschoben, und so waren wir genötigt, sie sowohl
gleich am ersten Tage, wo wir auf das Eis trafen, wie auch späterhin zu
durchbrechen, um wieder offenes Wasser zu gewinnen. Hierzu zwang uns
auch manchmal der Umstand, daß das Eis in Gestalt langer Zungen sich
vorschob, die senkrecht zu unserem Kurse gestellt waren. Es war stets
ein großartiger, aber auch mit mannigfachen Beklemmungen verbundener
Moment, wenn die keineswegs für die antarktischen Eisverhältnisse
berechnete und zu diesem Zweck nicht verstärkte „Valdivia“ mit
Volldampf gegen die Eisfelder anfuhr, erst direkt vor ihnen stoppte
und sich nun durch die krachenden Schollen ihren Weg bahnte. Wir waren
allerdings so vorsichtig, uns die schmalsten Stellen der Treibeisfelder
zu derartigen Experimenten herauszusuchen, die recht verhängnisvoll
hätten ausfallen können, wenn die Kraft des Schiffes durch den Andrang
der Schollen gebrochen worden wäre, und wir mitten im Eise die Maschine
hätten in Bewegung setzen müssen.

Schon in der ersten Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember waren
wir genötigt, unter mannigfachen Kursänderungen mehrmals die Felder
zu durchfahren, und schwerlich dürften bei dem unheimlichen Krachen
und Knirschen an den Wandungen des Schiffes die Insassen den Schlaf
gefunden haben.


~Die Temperaturverhältnisse des antarktischen Meeres~

In allen wärmeren Ozeanen nimmt die Temperatur des Seewassers von der
Oberfläche bis zum Grunde ständig ab. Als einer der überraschendsten
ozeanographischen Befunde der Challenger-Expedition darf füglich der
Nachweis betrachtet werden, daß im antarktischen Gebiet in der Nähe
der Eisgrenze das Oberflächenwasser kälter ist als darunterliegende
Wasserschichten. Die Beobachtungen lehren im allgemeinen, daß bis zu
einer Tiefe von 150 Metern das Oberflächenwasser Temperaturen unter
0 Grad aufweist, und daß dann erst Schichten folgen, in denen die
Temperatur über 0 Grad steigt. Zwischen 800 und 400 Metern trafen wir
die wärmsten Wasserschichten von einer Temperatur von plus 1,7 Grad
Celsius an. Von hier an nimmt die Temperatur im allgemeinen langsam ab,
um erst in relativ beträchtlichen Tiefen von 3000-4000 Metern wiederum
unter 0 Grad zu sinken. Im allgemeinen betrug die Bodentemperatur in
5000 Metern im antarktischen Ozean etwa minus 0,5 Grad.

Das Auftreten einer über 2000 Meter mächtigen Schicht verhältnismäßig
warmen Wassers im antarktischen Meere ist eine Erscheinung, deren
Bedeutung wir sowohl in ozeanographischer, wie auch in biologischer
Hinsicht nicht hoch genug würdigen können. Das antarktische
Tiefenwasser findet seinen Weg in langsamem Kreislauf bis zum Äquator
und im Indischen Ozean sogar weit über denselben hinaus. Wenn nun
auch die starke Erwärmung der Oberfläche in gemäßigten und tropischen
Meeresgebieten die tieferen Schichten etwas in Mitleidenschaft
zieht, so reicht sie doch nicht aus, um erhebliche Unterschiede in
der Temperatur zu bedingen. In 2000 Metern Tiefe ist das Wasser des
zentralen Indischen Ozeans direkt unter dem Äquator nur um 2 Grad
wärmer als in der Nähe des antarktischen Kontinentes. Das sind so
geringfügige Unterschiede, daß sie ein bemerkenswertes Ergebnis unserer
Züge mit den Vertikal- und Schließnetzen erklärlich erscheinen lassen:
dieselben schwimmenden Organismen, welche dem tropischen Tiefenwasser
eigen sind, haben wir teilweise auch in demjenigen des antarktischen
Meeres wiedergefunden. An der Oberfläche gibt sich eine weitgehende
Verschiedenheit in der Zusammensetzung der schwimmenden Lebewelt kund,
in der Tiefe eine auffällige Übereinstimmung!



4. Die Eisberge


Allgemein bekannt ist die gewaltige Eismauer, welche Roß im südlichsten
Teile des Viktorialandes nachwies. Er schätzte ihre Höhe auf 60-70
Meter und vermochte sie auf eine weite Strecke hin östlich vom
Mount Terror zu verfolgen. Sie bildet die Stirn jener ungeheuren
antarktischen Gletscher, welche sich längs der geneigten Küste weit
in das Meer vorschieben. Die Lotungen von Roß lehren, daß die oft
mehrere Seemeilen über den Kontinentalrand vorgeschobenen Massen von
Inlandeis nicht mehr festem Untergrund aufliegen, sondern infolge
ihres geringeren spezifischen Gewichtes auf dem Wasser flottieren.
Eine Berechnung ergibt, daß sie etwa zu sechs Siebentel ihrer Höhe
in das Wasser eintauchen und nur mit einem Siebentel über dasselbe
herausragen. Würden wir also die Gletscherzunge des Viktorialandes uns
direkt in der Höhe des Strandes abgebrochen denken, so müßte sie die
gewaltige Höhe von 400-500 Metern aufweisen.

Der Unterschied zwischen dem spezifischen Gewichte des Seewassers
und des Inlandeises führt dazu, daß die annähernd horizontal dem
Meere aufliegende äußerste Zunge des Gletschers -- mag sie mehr oder
minder breit sein -- einen flachen Winkel mit den rückwärtigen, dem
ansteigenden Festlande aufliegenden Massen bildet. Es ergeben sich
Spannungen, die schließlich dazu führen, daß ein Bruch erfolgt. Die
Stirn des Gletschers löst sich ab und schwimmt als tafelförmiger
Eisberg davon.

Diese Eisberge verbreiten sich allmählich von ihrem Ursprungsherd aus
über ein weites Gebiet des antarktischen und subantarktischen Meeres
und vermögen unter Umständen selbst die Schiffahrt nach Australien
zu gefährden. So machte sich in den Jahren 1894-1897 eine gewaltige
Eistrift geltend, welche am Kap Horn einsetzend bis in die Nähe des
Kaps der guten Hoffnung reichte und späterhin in mehr östlicher
Richtung die Australienfahrer in Bedrängnis brachte. Wir trafen
freilich erst jenseits des 53. Breitegrades die ersten Eisberge und
beobachteten sie um so zahlreicher, je mehr wir uns der Eiskante
näherten. Unsere wachthabenden Offiziere führten Protokoll über die
einzelnen von uns gesehenen Eisberge und verzeichneten deren im ganzen
180; ausgenommen sind freilich die fast unzählbaren Eisberge, welche
wir an unserem südlichsten Punkte, am 16. und 17. Dezember beobachteten.

Was die Gestalt der antarktischen Eisberge anbelangt, so ist allen
Beobachtern aufgefallen, daß sie in der Nähe ihres Entstehungsherdes
tafelförmige Riesen von einförmigem Aussehen darstellen. Wir haben
versucht, durch genaue Messungen ihre Höhe über Wasser zu bestimmen,
indem wir behufs Ermittelungen der Entfernung des Schiffes von dem
Eisberge die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles in Gestalt
des prächtig von demselben widerhallenden Echos benutzten. Es wurden
Schüsse abgefeuert, mit der Sekundenuhr genau die Zeit zwischen Knall
und Echo kontrolliert und dann mit dem Sextanten die Höhe des Eisberges
gemessen. Eine einfache Rechnung ergab den Nachweis, daß mancher der
von uns gesehenen Eisberge die beträchtliche Höhe von nahezu 60 Metern
erreichte; die Mehrzahl war niedriger und wies eine mittlere Höhe von
30 Metern auf. Die Länge der von uns gemessenen Eisberge schwankte
selbstverständlich in noch viel weiteren Grenzen als die Höhe. Einen
der längsten, den wir maßen, trafen wir am 14. Dezember an; er war
54 Meter hoch und 575 Meter breit. Gewaltige Berge, wahre Eisinseln,
sahen wir in der Nacht vom 17. zum 18. Dezember bei Enderbyland. Als
wir uns damals aus dem Packeise herausarbeiteten, befanden wir uns in
nicht weiter Entfernung von einem Eisberge, den ich anfänglich für die
dem Festlande vorliegende Eismauer hielt, bis es sich herausstellte,
daß wir es mit einer Eisinsel zu tun hatten, deren Ausdehnung von den
Offizieren auf 4-5 Seemeilen geschätzt wurde. Solche Rieseninseln
müssen gewaltigen Gletschern entstammen, welche die Schneemassen eines
weitausgedehnten und sanft gegen die Küste abfallenden Hinterlandes dem
Meere zuführen.

Kaum entstanden, wird der tafelförmige Eisriese bereits unter den
Einwirkungen der Außenwelt umgeformt. Die gewaltigen Klötze, welche aus
Millionen von Tonnen Eis bestehen, unterliegen der schmelzenden Wirkung
des Wassers und der Luft, nicht minder auch den mechanischen Eingriffen
der Brandung. Wie lange ein antarktischer Koloß den äußeren Einflüssen
zu widerstehen vermag, läßt sich bei dem Mangel an zuverlässigen
Beobachtungen schwer entscheiden. Mag er kürzere oder längere Zeit
-- vielleicht ein Jahrzehnt -- aushalten, so ist doch schon bei der
Geburt sein Schicksal besiegelt, das ihn um so rascher erreichen wird,
je schneller er durch Strömungen, unter Umständen auch durch ständig
wehende Winde in warme Gebiete getrieben wird.

In erster Linie ist die mechanische Wirkung des Wassers hervorzuheben.
Das antarktische Meer ist stets bewegt, und selbst bei anscheinend
glatter See gelingt es kaum, mit einem Boote sich dem Eisberge
direkt zu nähern und etwa festen Fuß auf ihm zu fassen. Langsam,
wie mit regelmäßigem Pulsschlag, arbeitet die Dünung in der
Höhe der Wasserlinie an den Flanken des Berges; kräuselt ein
Wind die Oberfläche, so beginnen die Wogen an ihm zu nagen, und
herrscht schwerer Sturm, so bietet sich dem Seefahrer ein geradezu
überwältigendes Schauspiel dar. Mächtige Wogenkämme stürmen gegen den
in majestätischer Ruhe daliegenden Eiskoloß an, zerstieben bei dem
Anprall in feinen Gischt, um in Brandungswogen von fast unerhörter Höhe
längs der eisigen Mauern sich aufzubäumen und das Plateau mit weißem
Schaum zu überschütten. Ein derartiges Schauspiel bot sich uns dar, als
wir nach Verlassen von Enderby-Land bei schwerem Oststurm die letzten
Eisberge sichteten. Man glaubte dumpfen Kanonendonner zu vernehmen,
wenn die Brandungswogen anprallten und ihr Zerstörungswerk mächtig
förderten.

Zunächst äußert sich die mechanische Wirkung des Wassers durch die
Bildung einer Hohlkehle in der Höhe des Wasserspiegels. Solange
der Eisberg noch in kaltem Wasser, dessen Oberfläche unter 0 Grad
erniedrigt ist, schwimmt, kann eine Schmelzung des Inlandeises nicht
stattfinden, wohl aber wird durch die ständig von den Wogen erzeugten
Stöße die Hohlkehle mehr und mehr vertieft, so daß schließlich ein
Abbruch der über ihr gelegenen Eismassen erfolgt. Indem die der
Luvseite zugekehrte Fläche des Berges rascher zerstört wird als die
Leeseite, tritt dann durch eine leichte Verlegung des Schwerpunktes die
Hohlkehle frei zu Tage. Die schräg zu der Fläche verstreichenden und
an den Flanken aufsteigenden Wogen polieren dann oft den unteren Teil
des Eisberges fast glatt. Die Zersetzung wird nun weiterhin dadurch
begünstigt, daß kleine Längsspalten, welche oberhalb der Wasserlinie
auftreten, neue Angriffspunkte für den Wogenprall darbieten; sie
werden erweitert, bis sie schließlich tief einschneidende Grotten
bilden, die gelegentlich wie von gotischen Schwibbogen begrenzt bis
gegen das Plateau hinaufragen. Ist ein langgestreckter Eisberg Wochen
hindurch mit der einen Breitseite dem Wogenprall preisgegeben, so kann
es kommen, daß seine Leeseite eine glatte Eismauer darstellt, während
seine Luvseite durch Grotten bereits stark durchlöchert erscheint.
Einen derartigen Eisberg beobachteten wir am 4. Dezember; er machte
auf der Ostseite den Eindruck, als ob er aus drei gewaltigen Bergen
sich zusammensetzte, während die Westseite vollständig glatt erschien.
Schneiden die Grotten tief ein, und gehen von ihren Decken Spalten aus,
die bis zu dem Plateau vordringen, so klaffen die durch sie getrennten
Eisblöcke auseinander, neigen sich etwas zur Seite und suchen Anlehnung
an die benachbarten. Bei weitergehender Zerstörung brechen schließlich
die Eismassen zusammen und bilden unter Umständen Sturmböcke, deren
sich der Wogenprall bedient, um den noch stehengebliebenen Teil der
Eiswand in Mitleidenschaft zu ziehen. Auf diese Weise kann es sich
geben, daß schließlich die ganze Luvseite des Eisberges vernichtet und
zu einem weiten Amphitheater umgestaltet wird, dessen Umwallung die
auf der Leeseite noch erhaltene Eismauer abgibt. Ich werde niemals
den Eindruck vergessen, den einer der größten Eisberge auf uns
machte, welchen wir am 7. Dezember bereits aus einer Entfernung von
20 Seemeilen sichteten und späterhin umfuhren. Wir setzten damals ein
Boot aus, um ihn von diesem aus mitsamt dem Dampfer bei relativ ruhiger
See zu photographieren. Von der Westseite, die wir zuerst zu Gesicht
bekamen, schien er monoton tafelförmig gestaltet; als wir indessen auf
die Ostseite gelangten, vermochte niemand einen Ausruf der Bewunderung
über den großartigen Anblick zu unterdrücken. Sie bot sich uns als ein
gewaltiges Amphitheater dar, das in seiner eigenartigen Mischung von
Blau und Weiß wohl die riesenhafteste Arena darstellte, welche uns je
zu Gesicht gekommen war.

Es liegt auf der Hand, daß bei solchen einseitig zerstörten Bergen der
Schwerpunkt verlegt wird. Sie neigen sich ein wenig in der Richtung der
noch stehenden Eiswand, und der zerstörte Teil taucht immer höher über
Wasser auf. Derartig gestaltete Eisberge trafen wir recht häufig an.

Da wir unsere Darlegungen auf die Einwirkungen beschränken, welche
noch innerhalb der antarktischen Zone -- das heißt in jener Region,
wo die Oberflächentemperatur des Wassers unter 0 Grad sinkt -- den
Eisberg betreffen, so mag der kurze Hinweis genügen, daß in niedrigen
Breiten zu der mechanischen Wirkung des Oberflächenwassers auch die
schmelzende sich hinzugesellt. In höheren Breiten kommt diese zwar
nicht in Betracht, wohl aber erweist sich die in den Sommermonaten
erhöhte Temperatur der Luft als verhängnisvoll für den Zusammenhalt der
Eismasse.

Steigt die Temperatur über 0 Grad und sinkt sie anderseits um nur
ein Geringes unter den Nullpunkt, wie dies gerade für den größten
Teil der von uns durchfahrenen Region längs der Eiskante zutrifft, so
erfolgt ein ständiges Auftauen und Wiedergefrieren der oberflächlichen
Schichten. Das Schmelzwasser sickert in die Spalten und übt, da es
bei dem Gefrieren sich ausdehnt, eine Sprengwirkung aus, welche eine
ausgiebige Zertrümmerung zur Folge hat. Bei dem Umfahren des vorhin
erwähnten amphitheatralisch gestalteten großen Eisberges lösten
sich von den Seiten des Plateaus große Blöcke ab, die unter einem
Donner, wie wenn eine Lawine im Hochgebirge niederginge, in das Meer
herabprasselten. So findet man denn auch gewöhnlich den Eisberg
auf seiner Leeseite von zahllosen Schollen umgeben, welche sich dem
Treibeise beimischen und durch ihre kobaltblaue Färbung von dem mehr
blaugrün gefärbten Meereise abheben. Durch ihre Härte sind sie der
Schiffahrt besonders gefährlich und seit jeher von den Südpolarfahrern
gemieden worden. Daß ein ständiges Auftauen und Wiedergefrieren während
der Sommermonate in höheren Breiten erfolgt, lehren auch die gewaltigen
Eiszapfen, welche wir oft von den Rändern des Plateaus niederhängen
sahen.

Eine ähnliche Wirkung wie die erwärmte Luft übt die Sonnenstrahlung
aus. Sie dürfte sich freilich in jenen Regionen, die wir durchfuhren,
wegen des fast ständig bedeckten Himmels weniger geltend machen als in
südlicheren Breiten, wo der Himmel häufiger aufklart. Roß bemerkte an
den Vorsprüngen der großen Eismauer des Viktorialandes lange Eiszapfen,
deren Auftreten bei der dort herrschenden niedrigen Sommertemperatur
wohl wesentlich auf Rechnung der Sonnenstrahlen zu setzen ist.

Im Hinblick auf die gewaltigen Massen, um die es sich bei einem
antarktischen Eisberg handelt, kann es nicht überraschen, wenn die
durch Auftauen entstandenen Süßwasser sich in zahlreichen Rinnsalen
sammeln und schließlich kleine Bäche bilden, die in Kaskaden von dem
Rande des Plateaus in das Meer abfallen. An dem bereits erwähnten
Eisberge vom 7. Dezember sahen wir mehrere Wasserläufe über den
niedrigen Teil des Plateaus sich in die See ergießen, obwohl zu der
Zeit, als wir anfuhren, die Lufttemperatur minus 1 Grad betrug. Da
wir immerhin am nächsten Tage um die Mittagszeit eine Temperatur von
plus 0,4 Grad beobachteten, so begreift man, wenn bei diesem ständigen
Schwanken um den Nullpunkt ein stetig fließender Quell dem Eisberge
entströmt.

Es braucht nicht noch besonders darauf hingewiesen zu werden, welche
Gefahren für die Schiffahrt die Eisberge darbieten. Sich ihnen direkt
zu nähern, ist unter keinen Umständen ratsam, da oft schon ein Schuß
genügt, um die in labiler Gleichgewichtslage befindlichen, durch die
Sprengwirkung der frierenden Schmelzwasser gelockerten Blöcke zum
Herabstürzen zu bringen. Da weiterhin in diesen Gebieten mit einer
oft unheimlichen Schnelligkeit ein Nebelschleier sich einstellt, der
jeden Ausblick benimmt, so waren wir häufig genötigt, die Maschine zu
stoppen, wenn vorher Eisberge gesichtet wurden. Erschien der Horizont
frei und kam Nebel auf, so fuhren wir immerhin mit halber Kraft und
suchten durch ständiges Ziehen an der Dampfpfeife das Echo von etwa
vorliegenden Bergen zu wecken. Durch einen Umstand wird allerdings
auch bei dickem Wetter die Annäherung an den Eisberg verraten. In
unmittelbarer Nähe desselben erfolgt nämlich, wie wir mehrfach zu
erproben Gelegenheit fanden, ein Aufklaren, welches offenbar dadurch
bedingt wird, daß die von dem Eise ausstrahlende Kälte ein Gefrieren
und Niederfallen der Wasserteilchen in der umgebenden Luft zur Folge
hat.

Alle die hier genannten Einwirkungen von Wasser und Luft betreffen
nur die oberflächliche Partie des Eisberges. Weit wirkungsvoller
dürfte sich indessen auf Grund unserer Untersuchungen die Zerstörung
erweisen, welche dadurch bedingt wird, daß der Eisberg mit seinem Fuße
in Schichten eintaucht, welche unter Umständen um 3 Grad wärmer sind
als das Oberflächenwasser. Es ist schon früher darauf hingewiesen
worden, daß in 300-400 Metern Tiefe, also in jener Tiefe, bis zu
welcher der größte Teil der Eisberge hineinragt, eine Temperatur von
plus 1,7 Grad herrscht. Daß hier ein ständiges, intensives Abschmelzen
des Eises erfolgen muß, liegt auf der Hand. Diese spezifisch leichten,
aber kalten Schmelzwasser steigen zur Oberfläche und breiten sich
über das ganze antarktische Gebiet in allerdings dünner Schicht aus.
Hier macht sich eine Einwirkung geltend, die still, aber nachhaltig,
sicherlich alles überbietet, was Wogenprall und warme Luft an dem über
die Oberfläche herausragenden Teile des Eisberges zuwege bringen. Ein
beträchtlicher Wärmevorrat wird dem Tiefenwasser entzogen und durch das
Schmelzen des Eises gebunden.

Gerät nun gar der durch das Auftauen von unten ständig leichter
werdende Berg in wärmere Regionen, wo der Schmelzprozeß auch im
Oberflächenwasser sich geltend macht, so kann es sich wohl geben,
daß der Schwerpunkt völlig verlegt wird und ein Umwälzen erfolgt.
Ein solches haben wir freilich niemals im kalten Gebiete zu Gesicht
bekommen.

Im allgemeinen ist wohl der Schluß gerechtfertigt, daß stark zersetzte
Eisberge in weitem Abstand von ihrer Ursprungsstätte angetroffen
werden und demgemäß auch auf eine große Entfernung des antarktischen
Kontinents hinweisen. Die ersten Eisberge, welche wir jenseits des 53.
Grades gewahrten, deuteten denn auch darauf hin, daß sie offenbar eine
lange Reise zurückgelegt hatten.

Die bisherige Darstellung vermag nun freilich keinen Begriff von der
überwältigenden Pracht zu geben, welche diese antarktischen Kolosse
darbieten. Kein Maler ist imstande, diese wundervollen Schattierungen
des Blau wiederzugeben, wie sie in der Nähe eines Eisberges zum
Ausdruck gelangen. Ein feiner Duft scheint über dem Ganzen zu liegen,
hier und da treten blendende, schneeweiße Flächen hervor, während
die Spalten, Grotten und Amphitheater in allen Abstufungen bis zum
tiefsten Kobaltblau schimmern. Das den Eisberg bespülende Wasser nimmt
die Färbung von Kupfervitriol an und hebt sich scharf ab von dem bei
bedecktem Himmel grau erscheinenden Meere. Dabei geben die wunderlichen
Formen der stark zersetzten Eisberge der Phantasie ständigen Spielraum;
man sucht ihre Gestalt aus der Wirkung der zerstörenden Kräfte zu
erklären, und wird nicht müde, diese Festungen mit ihren Zinnen,
diese Dome und steil anstrebenden Türme, diese Amphitheater und
wildzerklüfteten Eisgebirge vor dem staunenden Auge vorüberziehen
zu lassen. Sie werden belebt von Pinguinkolonien, die sie als
Standquartier bei ihren Reisen durch das antarktische Gebiet ausnutzen,
und umflogen von Sturmvögeln und Albatrossen, welche in der Brandung
des Eisberges ein günstiges Jagdgebiet finden.

Wer mich fragen würde, welcher Teil des freien Ozeans den
nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat, dem würde ich stets ohne
Säumen das antarktische Meer nennen.

Es ist freilich ein Gebiet, dem Sonnenglanz und warme Töne versagt
sind. Grau ist der Himmel verhängt und grau wird er von der
Wasserfläche widergespiegelt. In langgezogener Dünung scheint das
Meer wie mit ruhigen Atemzügen einem tiefen Schlafe verfallen. Seine
Decke bildet ein Nebelschleier, Totenstille herrscht ringsum und mit
halber Kraft verfolgt das Schiff zögernd seinen Kurs durch unbekannte
Regionen. Auch auf der Brücke ist es still geworden; mit gespannter
Aufmerksamkeit suchen Auge und Ohr einen Moment zu erhaschen, der
Aufschluß über die Fährlichkeiten des antarktischen Niflheim gibt. In
singendem Rythmus hallt, seltsam durch den Nebel gedämpft, der Ruf der
Wache wider, und mit greller Dissonanz heult die Dampfpfeife in die
Nacht, ohne ein Echo zu finden. Doch die Ruhe trügt. Eine leichte Brise
setzt ein, um in überraschend kurzer Zeit zu schwerem Sturm anzufachen,
der zwar den Nebel verscheucht, aber dichtes Schneegestöber mit sich
bringt und wagerecht den feinen Firn in die schmerzenden Augen jagt.
Der Seegang wird kräftiger, und bald stürmen Wogenkämme von einer
Länge und Höhe an, wie sie in keinem andern Meere je beobachtet wurden.

Die Spannkräfte haben sich in lebendige Kraft umgesetzt; ein wildes
Treiben, ein froh pulsierendes Leben herrscht ringsum. Schwärme von
Sturmvögeln und gewaltige Albatrosse umkreisen das Schiff, bald hoch
über den Masten schwebend, bald in die Wellentäler niedersausend.
Treibeisfelder unterbrechen die Einförmigkeit der Oberfläche,
und endlich übermitteln die Wunder des antarktischen Südens, die
krystallenen Paläste aus Eis, unnahbar und in majestätischer Ruhe der
tosenden Brandung ihre weiß und blau schillernden Flanken darbietend,
die Grüße eines von Gletschern umpanzerten und von dem Schleier des
Geheimnisvollen umwobenen Kontinentes.



5. Das antarktische Plankton

(Vergleiche hierzu die Abbildungen 5, 8 und 9.)


In dem eiskalten unter 0 Grad abgekühlten Oberflächenwasser der
Antarktis pulsiert ein erstaunlich reiches tierisches und pflanzliches
Leben. Es wiederholen sich hier ähnliche Verhältnisse, wie wir
sie aus den arktischen Meeren kennen, deren Produktivität an
oberflächlichen lebendigen Stoffen in bezug auf ihre Masse diejenige
der gemäßigten und warmen Meere überbietet. Allerdings wissen wir,
daß diese Massenerzeugung organischer Wesen nicht das ganze Jahr
hindurch stattfindet. Sobald die Sonne im Frühjahr über den Horizont
steigt, beginnt die Oberfläche sich mit mikroskopischen Organismen
zu beleben, die sich im Frühsommer etwas verringern, um dann während
der Hochsommermonate zum zweitenmal eine Periode üppiger Vermehrung
einzuleiten. Dann nimmt ihre Zahl ab, und während der Wintermonate
dürfte die Produktivität an der Oberfläche des kalten Wassers
außerordentlich zurückstehen gegen jene wärmerer Meeresgebiete. Wir
waren offenbar gerade zu jener Zeit nach Süden vorgedrungen, wo die
Masse an organischer Substanz ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ließ
man die feinen Seidennetze in das Wasser hinab, so kamen sie mit
einem bräunlichen Brei von Organismen gefüllt wieder auf; glühte man
denselben, so erhielt man eine weißliche Masse, die aus nahezu reiner
Kieselsäure gebildet wurde. Das Mikroskop lehrte denn auch, daß es
sich wesentlich um eine Massenproduktion von Diatomeen (Kieselalgen)
handelt, die, ähnlich wie im arktischen Gebiet, auf weite Strecken hin
das Meer verfärben.

An dem Fuße der Eisberge, am Rande der Schollen bemerkte man einen
gelbbraunen Strich, der bei mikroskopischer Untersuchung sich als
eine Anhäufung von Diatomeen erwies. Wenn ein Sturm einsetzte, und
die Brandungswogen hoch an den Eisbergen in Schaum zerstoben, fiel es
stets auf, daß der Gischt nicht das blendende Weiß der Eisberge zeigte,
sondern häufig gelblich oder grau verfärbt erschien. Dies rührt allein
von der massenhaften Beimischung kleiner und kleinster Organismen her.
Da wir wochenlang uns nahezu ausschließlich mit dem Fangen und dem
Studium dieses Plankton beschäftigten, dürfte die Expedition über die
Zusammensetzung desselben, namentlich aber auch über seine vertikale
Schichtung, eine Reihe neuer Aufschlüsse gewonnen haben.

Die Diatomeen sind als einzellige, niedrigstehende pflanzliche
Organismen befähigt, aus anorganischer Masse unter dem Einfluß
von Sonnenlicht und bei dem Vorhandensein gelblich oder bräunlich
gefärbter Chromatophoren oder Farbstoffpünktchen die Eiweißsubstanzen
zu bilden, aus denen ihr kleiner Zellenleib sich aufbaut. Diese
Chromatophoren bedingen den gelbbraunen Grundton, welcher dem
antarktischen Oberflächenplankton eigen ist. Da die Diatomeen sich auf
ungeschlechtlichem Wege durch Teilung vermehren, vermögen sie in kurzer
Zeit so massenhaft sich anzustauen, daß die Oberfläche des Meeres
verfärbt erscheint. Ihre Zellwandung wird aus Kieselsäure gebildet, die
so reizvolle Skulpturen aufweist, daß sie seit jeher Lieblingsobjekte
für das Studium der Mikroskopiker abgaben. Da der Kieselpanzer aus zwei
Hälften besteht, die wie der Deckel auf eine Schachtel sich ineinander
schieben, so kann auch leicht bei der Teilung der Verband beider
Schalenhälften gelöst werden. Sie schieben sich auseinander und die
fehlende Panzerhälfte wird, eingeschachtelt in die alte, neugebildet.

Auf die von meist mikroskopischen pflanzlichen Organismen an der
Oberfläche gebildete „Urnahrung“ ist in letzter Linie der gesamte
Tierbestand des Meeres -- die Tiefseefauna nicht ausgenommen --
angewiesen. So einfach und selbstverständlich dieser Ausspruch auch
klingt, so hat es doch recht mühseliger Versuche bedurft, um eine
Schlußfolgerung zu ziehen, die gewissermaßen das Leitmotiv für die
weiteren Darlegungen abgeben soll.

Die Diatomeen und sonstigen niederen pflanzlichen Organismen bedürfen
des Lichtes für ihre assimilatorische (erdeessende) Tätigkeit und
vermögen bei stark abgedämpfter Beleuchtung nicht mehr zu bestehen.
Soweit wir bis jetzt Kenntnis von dem Vordringen des Lichtes in tiefere
Wasserschichten besitzen, dürfen wir wohl annehmen, daß unterhalb
500 Metern vollste Finsternis herrscht. Sind die oberflächlichen
Schichten reich mit Plankton durchsetzt, so wird das Licht nicht so
weit vordringen, wie in dem krystallklaren, an schwebenden Formen
armen Wasser, wie wir es zum Beispiel im nordwestlichen Teil des
indischen Ozeans antrafen. Soviel ist sicher, daß das Licht gerade in
dem antarktischen Meere mit seiner überraschend reichen Produktivität
an der Oberfläche bei seinem Vordringen in tiefere Schichten stark
geschwächt wird. Einen annähernd sicheren Maßstab für die Stärke der
Belichtung in tieferen Wasserschichten wird stets das Vordringen
assimilierender Organismen liefern. Läßt es sich nachweisen, daß
sie von bestimmten Tiefen an fehlen oder eine Veränderung ihres
Zellinhaltes aufweisen, wie wir sie durch künstliche Verdunkelung
herbeiführen können, so dürfen wir auch annehmen, daß nicht mehr
genügendes Licht vorhanden ist, um irgendwelche Assimilation zu
ermöglichen.

So wurde denn auf der Expedition besonderer Wert darauf gelegt, durch
planmäßig an einer und derselben Stelle ausgeführte Stufenfänge mit den
Schließnetzen über das Vordringen der marinen Vegetation in größere
Tiefen Aufschluß zu erhalten. Die Ausführung der Züge war nicht zum
mindesten aus dem Grunde peinlich und mühselig, weil es sich um
Organismen handelt, welche zu den kleinsten gehören, die wir kennen.
Da muß in erster Linie für einen tadellosen Verschluß der Bügel des
Schließnetzes Sorge getragen werden, der durchaus verhütet, daß bei dem
Aufwinden des geschlossenen Netzes lebende Formen aus oberflächlichen
Schichten erbeutet werden. Reinigt man die Glasgefäße, welche den
Inhalt des Schließnetzes aufnehmen sollen, nicht auf das sorgfältigste,
so genügt ein Tropfen Seewasser von der Oberfläche, um durch die in ihm
enthaltenen Diatomeen das Resultat zu trüben. Noch mehr Aufmerksamkeit
erfordert das Ausspülen des Netzbeutels mit destilliertem Wasser,
um gleichfalls Fehlschlüsse zu vermeiden. Bei allen derartigen
Stufenfängen machten wir es uns zur Pflicht, zunächst die tiefsten
Züge und dann schrittweise die oberflächlicheren auszuführen. Würde
man umgekehrt verfahren, so könnte es sich leicht geben, daß trotz der
peinlichsten Ausspülung des Netzbeutels doch einzelne Oberflächenformen
in den Maschen hängen blieben und unter das Tiefenmaterial gerieten.
Diesen Bemühungen verdanken wir folgende Ergebnisse über die senkrechte
Verbreitung der pflanzlichen, lebenden Organismen.

Die Hauptmasse des pflanzlichen Plankton staut sich zwischen 40 und
80 Metern Tiefe an. Gegen die Oberfläche nimmt die Masse, wie schon
erwähnt, ab. Nicht minder auffällig ist aber auch die rasche Abnahme
unterhalb 80 Metern. Auf Grund unserer Untersuchungen können wir
mit Sicherheit behaupten, daß die untere Grenze für die Verbreitung
lebender pflanzlicher Organismen zwischen 300 und 400 Metern liegt.
Unterhalb 200 Metern sind lebende Diatomeen bereits so spärlich
geworden, daß man oft lange Zeit die Präparate durchmustern muß, bis
man auf solche stößt.

Das pflanzliche Plankton ist also nur auf eine außerordentlich dünne
oberflächliche Schicht angewiesen und schwindet unterhalb 400 Metern
völlig. Im Gegensatz hierzu ergeben nun unsere Schließnetzversuche,
daß tierische Organismen, welche doch in letzter Linie in ihrer
Ernährung auf die Pflanzen angewiesen sind, unterhalb 400 Metern
bis zum Meeresgrund in oft überraschend reicher Zahl ihr Dasein
fristen. In einem Schließnetzzuge, den wir am 12. Dezember zwischen
5000 und 4400 Metern ausführten, fanden wir lebende Radiolarien
(Strahlentierchen), lebende Copepoden (winzig kleine Ruderfußkrebse)
nebst zahlreichen lebhaft sich bewegenden Larven derselben und einen
lebenden Muschelkrebs. Obwohl diese Organismen dem gewaltigen Drucke
von 500 Atmosphären ausgesetzt sind, so zeigten sie sich doch in ihrer
Struktur wohlerhalten. Wir müssen allerdings bedenken, daß ja dieser
Druck nicht einseitig wie zwischen zwei Walzen wirkt, sondern daß er
sich nach bekannten Gesetzen im Wasser allseitig verteilt. Der einzelne
Organismus gleicht gewissermaßen einem winzigen Wassertröpfchen,
das, wie wir wissen, bei so hohem Druck eine kaum nachweisbare
Zusammenpressung erleidet.

Von diesen gewaltigen Tiefen bis hinauf zu der Oberfläche haben unsere
Schließnetzfänge ohne Ausnahme bei jedem Zuge eine Anzahl lebender
tierischer Organismen zutage gefördert.

Das Schließnetz erbeutet allerdings als ein verhältnismäßig zierlicher
Apparat nur kleinere Organismen. Auf Grund zahlreicher Züge mit den
großen Vertikalnetzen haben wir indessen auch allen Anlaß, den tieferen
antarktischen Schichten größere schwimmende Formen von Fischen,
stieläugigen Tintenfischen, zehnfüßigen Krustern und violetten Medusen
zuzuschreiben.

Es ist uns zum Beispiel aufgefallen, daß wir die prächtigsten aller
Radiolarien, nämlich die Tuscaroren (Abbildung 8, Figur 1) nur dann
erbeuteten, wenn wir die Netze in große Tiefen hinabließen.

Der Leser wird sich wohl schon längst gefragt haben, wie es denkbar
sei, daß Tiere in Regionen vorkommen, welche dem pflanzlichen Leben,
von dem doch die tierische Existenz abhängt, sich als feindlich
erweisen. Auch diese Frage erhält durch die Schließnetzfänge einen
befriedigenden Aufschluß. Der massenhaft an der Oberfläche gebildete
pflanzliche Schlamm sickert nämlich langsam in tiefere Schichten hinab.
Der konservierenden Kraft des kalten Seewassers ist es zuzuschreiben,
daß der lebendige Inhalt des Pflanzenkörpers nicht sofort zersetzt
wird, sondern mehr oder minder verändert und von der Schale umschlossen
auch noch in tiefere Schichten gelangt. Manchmal war der Inhalt der
durch kräftige Schalen ausgezeichneten Diatomeen noch so wohlerhalten,
daß man die betreffenden Formen aus etwa 1000 Metern Tiefe für
lebend hätte halten mögen, wenn nicht die veränderte Gruppierung der
Chromatophoren darauf hindeutete, daß es sich um bereits abgestorbene
Organismen handelte. Von der reichbesetzten Tafel an der Oberfläche
fallen also immerhin nicht wenige Brosamen in die Tiefe, welche
den dort befindlichen tierischen Formen das Dasein ermöglichen. Je
tiefer man fischt, desto seltener werden freilich Pflanzenreste mit
abgestorbenem Plasma. Leere Schalen der Oberflächenformen überwiegen um
so mehr, je tiefer das Netz herabgelassen wird.

Mit diesen Beobachtungen steht es im Einklange, daß auch das tierische
Leben gegen die Tiefe zu eine auffällige Abnahme erkennen läßt. Von
400-1500 Metern Tiefe trifft man noch eine reiche Zahl lebender
Formen; darunter werden sie um so spärlicher, je tiefer man die
Netze versenkt. Auch die in mittleren Wasserschichten reichlich
vorkommenden tierischen Organismen sterben ab und sinken zu Boden;
ihre Leiber sind es, die nun wieder den in den tiefsten Schichten
lebenden Arten zur Beute fallen. So gibt es sich doch, daß keine
Wasserschicht vollständig des organischen Materials entbehrt, welches
den dort lebenden tierischen Organismen die Existenz ermöglicht.
Eine unversiegliche Nahrungsquelle fließt endlich den auf dem
Grunde des Meeres angesiedelten Tiefseeorganismen zu. Alles, was
aus oberflächlichen, mittleren und tiefen Schichten abgestorben und
halb oder ganz zersetzt niedersank, was direkt über dem Meeresboden
noch lebend flottiert, fällt der Grundfauna zur Beute. Je größer die
Masse von organischer Substanz ist, welche an der Oberfläche erzeugt
wird und wie ein feiner Regen in tiefere Schichten niederrieselt,
desto üppiger entfaltet tritt uns die schwimmende Tiefenfauna
entgegen, desto reichhaltiger ist das Tierleben auf dem Grunde
ausgebildet. Alle Wahrnehmungen weisen unzweideutig darauf hin, daß
die Grundfauna in direktem Abhängigkeitsverhältnis zu der Lebenskraft
der oberflächlichen Schichten steht: in dem antarktischen Meere mit
seinem außerordentlichen Reichtum an Oberflächenorganismen erweist sie
sich selbst in Tiefen zwischen 4000 und 5000 Metern, wie an der Hand
unserer Erfahrungen noch dargelegt werden soll, erstaunlich reichhaltig
entwickelt.

Der Meeresboden ist eine riesenhafte Grabstätte für alles, was an der
Oberfläche seine Lebensarbeit verrichtet. Die organische Masse wird
zwar bei dem Niedersinken aufgelöst oder fällt anderen Organismen zur
Beute, denen sie die Lebensfähigkeit sichert, aber die unorganischen
Schalenreste erweisen sich als widerstandsfähiger und rieseln in die
Tiefsee.



6. Letzter Vorstoß nach Süden


Am Dienstag den 13. Dezember befand sich die „Valdivia“ auf dem
Schnittpunkte des 60. südlichen Breitegrades mit dem 50. östlichen
Längegrad. Wir waren weiter nach Süden gelangt, als wir bei der
Abfahrt von Kapstadt mit unseren kühnsten Erwartungen voraussetzen
durften. Tags zuvor hatte uns das am Morgen aufklarende Wetter bei
mäßigen östlichen und nordöstlichen Winden ermöglicht, den tiefsten
Schließnetzzug bis zu 5000 Metern auszuführen. Gegen Abend frischte
indessen der östliche Wind stürmisch auf, verbunden mit heftigem
Schneetreiben, welches das Schiff mit einer dicken Schneeschicht
bedeckte. Man nutzte die günstige Gelegenheit zu einer regelrechten
Schneeballschlacht aus, die einen unauslöschlichen Eindruck auf unsern
in Kamerun angemusterten Neger machte. Heulend, nicht ohne daß ihm
einige Grüße auf den Wollkopf nachgesendet worden wären, flüchtete er
in die Koje. Der etwas nach Nordost herumgehende stürmische Wind stand
den ganzen 13. Dezember hindurch und erleichterte nicht gerade die
Lotung, welche wir indessen bis zu 5566 Metern tadellos durchzuführen
vermochten. Wiederum gelangten wir gegen 2 Uhr nachmittags in die Nähe
von Treibeis, das uns zu nordöstlichem Ausbiegen nötigte. Wir verloren
es indessen bald außer Sicht und konnten daher den früheren Kurs nach
Osten beibehalten.

Aus fast allen Karten früherer Expeditionen im antarktischen Gebiete
geht deutlich hervor, daß gerade in jener Region, in die wir jetzt
eintraten, die Grenze des Treibeises unter scharfem Winkel weit nach
Süden ausbiegt. Es kann dies nur darin seinen Grund haben, daß eine
etwas wärmere, von den Kerguelen nach Süden reichende Strömung ihren
Einfluß ausübt. Als wir daher in der Frühe des 14. Dezember eisfreies
Meer südlich von uns hatten, wurde die Frage nahegelegt, ob man es
wagen dürfe, einen letzten Vorstoß in rein südlicher Richtung zu
unternehmen. Die Fährlichkeiten, welche einem derartigen Vorgehen im
Wege standen, und denen auch mehrfach Ausdruck gegeben wurde, waren
nicht zu unterschätzen. Denn wenn auch offenes Meer vor uns lag, so
war doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß rückwärtig sich
Felder verschoben, deren Durchbrechen sich für unser in keiner Weise
gegen das antarktische Eis geschützte Schiff kritisch gestaltet hätte:
wurde die Schraube verletzt, so mußten wir bei dem Mangel von Takelage
zur Segelführung auf das Äußerste gefaßt sein. Trotzdem wurde der
Versuch gewagt und nach 6 Uhr morgens der Kurs nahe dem 53. Längegrad
rechtweisend Süd gesetzt. Ein Vergleich mag vielleicht besser als
langausgesponnene Erwägungen die Stimmung wiedergeben, in der man
sich befand. Man denke sich zwei Schachspieler, welche sich zu einer
Partie zusammensetzen; der eine ist der Mensch, der andere die Natur
mit ihren „ewig ehernen Gesetzen“. Die letztere zieht an und tut immer
den denkbar besten Zug. Der Ausgang liegt auf der Hand. Aber wie der
erstere sich wehrt, wie er in die Absichten seines Gegners einzudringen
versucht, um nicht von vornherein die Partie aufzugeben, sondern erst
nach langer Zeit mit Ehren sich schachmatt zu erklären, das ist sein
Verdienst.

Im Verlauf des 14. Dezember ließ sich unser Beginnen vielversprechend
an. Der Wind flaute in der Nacht vollständig ab; die Luft blieb
einigermaßen sichtig, und erst gegen Mitternacht stellte sich Nebel
ein, der uns zu um so vorsichtigerem Vorgehen unter zeitweiligem
Stoppen nötigte, als wir an diesem Tage nicht weniger als 14 Eisberge
passierten. Die zuerst uns begegnenden waren auffällig klein und stark
zersetzt; doch passierten wir um 9 Uhr einen Riesen von 54 Meter Höhe
und 575 Meter Breite.

Das Barometer begann langsam zu steigen, erreichte am 14. um
Mitternacht 748 Millimeter und behielt seine steigende Bewegung auch
an den nächsten Tagen bei. Am 15. Dezember überschritten wir bereits
den 62. Grad und vermochten, begünstigt durch leichten, östlichen Wind,
nicht nur eine Tiefe von über 5000 Metern zu loten, sondern auch eine
Reihe von Zügen mit den Vertikal- und Planktonnetzen auszuführen.
Wiederum begegneten uns kleinere, stark zersetzte Eisberge und eine
Anzahl größerer, bald abgerundeter, bald scharfkantiger Schollen, die
oft nur wenig über die Oberfläche hervortraten und bisweilen unter
Pumpbewegungen auf und niedertauchten.

Die Temperatur des Oberflächenwassers sank bis zu minus 1,5 Grad; mit
ihr hielt denn auch die Lufttemperatur gleichen Schritt. Ein feiner
Staubschnee machte sich während des ganzen Nachmittags geltend, und
gleichzeitig zeigten sich ebenso, wie an dem vorhergehenden Tage,
Masten und Tauwerk stark vereist. Da die Kruste bisweilen 2 Zentimeter
dick wurde und um die Mittagszeit in großen Stücken herabfiel, war
einige Vorsicht bei dem Aufenthalt auf Deck geboten. Das Vorwärtskommen
wurde uns nicht unwesentlich dadurch erleichtert, daß es in der
Nacht trotz des ständig bedeckten Himmels fast taghell war. Bei
der ungewohnten Lichtfülle und der begreiflichen Erregung über den
weiteren Verlauf des Vorstoßes dachte man nur wenig an Schlaf und
suchte nur auf kurze Stunden die Koje auf. Als ich mich am Abend des
15. Dezember zur Ruhe begab, fiel es bereits auf, daß die schweren
Eisschollen häufiger wurden. Gegen 1 Uhr ließ mich der Kapitän wecken,
da wir uns mitten in schwerem Packeis befanden. Der Anblick wird mir
unvergeßlich bleiben: überall starrte es am Horizont von Eisbergen,
während ringsum das Schiff von 15-20 Meter breiten Packeisschollen so
dicht umgeben war, daß ein weiteres Vordringen aussichtslos erschien.
Wir befanden uns auf 64 Grad 14,3 Minuten südlicher Breite und 54
Grad 31,4 Minuten östlicher Länge. Es war der südlichste Punkt, den
wir auf der Fahrt erreicht haben. Um ihn festzulegen, wurde nachts
nach 2 Uhr durch den Navigationsoffizier eine Lotung veranstaltet,
die, dank der Anstrengung aller Beteiligten, glatt von statten ging
und eine Tiefe von 4747 Metern ergab. Die Grundprobe zeigte, wie
schon am vorhergehenden Tage, nicht mehr reinen Diatomeenschlick,
sondern erwies sich zu 90 Prozent aus tonischer Substanz und
kleinen mineralischen Bruchstücken zusammengesetzt. Die letzteren
bestanden, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, aus bisweilen 3
Millimeter großen Körnern von Quarz, Feldspat, Glimmer, Hornblende und
vulkanischem Glas. Kieselorganismen waren nur 10 Prozent nachweisbar
und zwar in Gestalt von Diatomeen, denen Radiolarien und Schwammnadeln
beigemischt waren. Ganz glatt ging freilich die Lotung nicht ab, da
schwere Packeisschollen antrieben und mit Stangen von der Bemannung
abgehalten werden mußten. Es galt, aus dem Eise sich herauszuarbeiten,
über dem rauchgraue Albatrosse und schneeweiße Sturmvögel ihre Kreise
beschrieben. Die „Valdivia“ wand sich elegant bei nördlichem Kurs an
den Packeisschollen vorbei; doch wurde es erst gegen Morgen lichter und
uns begreiflicherweise auch freier zumute.

Wir befanden uns nur 102 Seemeilen, nicht viel mehr als eine halbe
Tagesfahrt entfernt von jenem Lande, welches der die Brigg „Tula“
befehligende Kapitän Biscoe am 27. Februar 1831 entdeckt und der
tatkräftigen Firma zu Ehren, in deren Diensten er stand, Enderby-Land
genannt hatte. Er gibt seine Position auf 65 Grad 57 Minuten südlicher
Breite und 47 Grad 20 Minuten östlicher Länge an. Biscoe folgte dem
Lande bis zum 49. Grad östlicher Länge. Drei Jahre später (1834)
sichtete Kemp östlich von Enderby-Land in 66 Grad 25 Minuten südlicher
Breite und 59 Grad östlicher Länge gleichfalls Land, das ihm zu Ehren
Kemp-Land genannt wird. Ob es sich bei Enderby-Land und Kemp-Land
um die Küste des antarktischen Kontinents handelt, oder ob sie mehr
oder minder umfängliche Inseln repräsentieren, wird hoffentlich der
deutschen Südpolarexpedition zu entscheiden möglich sein. An dieser
Stelle kann nur betont werden, daß wir nicht in der Lage waren, bei
der allerdings etwas diesigen Luft in der Nacht vom 15. zum 16.
Dezember deutliche Anzeichen von Land zu gewahren. Der Kapitän glaubte
allerdings, einen im Süden leicht ansteigenden weißen Streifen als
Land ansprechen zu können, doch schien es mir wahrscheinlicher, daß es
sich um ungewöhnlich ausgedehnte Eisberge handelte, wie wir sie noch
am nächsten Tage wahrnahmen. Da der Ostwind nur flau auftrat und das
Barometer langsam weiter stieg bis auf 754,8 Millimeter, konnten wir am
Nachmittag des 16. Dezember, nachdem wir uns völlig aus dem Packeise
herausgearbeitet hatten, eine Reihe von Schließnetzzügen veranstalten
und unsere Vorbereitungen für einen der ergebnisreichsten Tage im
fernen Süden, nämlich den 17. Dezember treffen.

Als ob ein gütiges Geschick uns für alle Mühen und Sorgen der letzten
Zeit hätte entschädigen wollen, so brach ein Tag an, wie er im
antarktischen Süden nur selten einer Expedition beschert wird. Der Wind
flaute in der Nacht zum 17. Dezember vollständig ab, das Barometer
stieg anhaltend und erreichte am Morgen des 17. mit 756 Millimetern
einen so hohen Stand, wie wir ihn seit Verlassen der Bouvet-Insel nur
einmal, am 1. Dezember beobachtet hatten. Wir fuhren in der taghellen
Nacht so ruhig wie auf der Elbe, passierten sieben Eisberge und loteten
nach 5 Uhr unbehelligt eine Tiefe von 4636 Metern.

Da galt es, die ungewöhnlich günstigen Verhältnisse auszunutzen und
ein in Anbetracht der großen Tiefe und der ganzen äußeren Umstände
nicht geringes Wagnis zu unternehmen, nämlich einen Dredschzug mit dem
großen Trawl auszuführen. Wenn man bedenkt, daß man im antarktischen
Meere niemals vor plötzlich einsetzendem stürmischem Wetter oder
dichtem Nebel in der Nähe von Eisbergen sicher ist, so wird man es
begreiflich finden, daß wir seit Verlassen der Bouvet-Insel uns
nicht zu Dredschzügen entschließen konnten. Allerdings hatten die
unerwartet großen Tiefen, welche wir ständig loteten, wesentlich dazu
beigetragen, uns von einer Operation abzuhalten, welche leicht die
bedienende Mannschaft hätte gefährden und uns zudem das Kabel hätte
kosten können. Alle diese Bedenken wurden indessen auf Grund der
Erwägung, daß ein Dredschzug nicht nur über die Tiefseefauna, sondern
auch über die Zusammensetzung des Grundes wertvolle Aufschlüsse liefern
konnte, hintangesetzt. Um 7 Uhr ließen wir das mit zwei eisernen
Oliven beschwerte beste Trawl herab. Es erreichte den Grund kurz nach
12 Uhr, nachdem wir 6400 Meter Kabel ausgegeben hatten. Wir zogen es
hierauf eine Stunde lang über den Grund, wobei der rasch ansteigende
und gelegentlich mehr als fünf Tons betragende Zug darauf hindeutete,
daß es eine schwere Last gefaßt haben mußte. Als wir dann endlich mit
dem Aufhieven des Schleppnetzes begannen, wich die Beklommenheit im
Hinblick auf einen Tag, wie wir ihn auf der ganzen Fahrt in südlichen
Regionen kaum jemals ähnlich ruhig erlebt hatten. Im Osten, gegen
Kemp-Land zu, zeigte sich schweres Packeis, und ein heller Eisblink
überzeugte uns bald, daß wir in dieser Richtung unmöglich mit der
„Valdivia“ weiter vorzudringen vermochten. Die Sonne war nur des
Morgens gegen 8 Uhr auf einen Moment durchgebrochen, der Himmel war
grau verhängt, und vereinzelte Schneetreiben benahmen uns zeitweilig
den Ausblick. Klarte es dann auf, so fand man den Horizont von
gewaltigen Eisbergen begrenzt und überzeugte sich auch durch einen
hellen Eisblink im Süden, daß uns dort der Weg verlegt war.

Reizvoll war das Vogelleben im äußersten Süden. Rauchgraue Albatrosse
segelten ruhig über die mit vereinzelten Packeisschollen bedeckte
Oberfläche. Sie waren uns von der Bouvetregion an treu geblieben,
und ich finde in dem Journal kaum einen Tag verzeichnet, an dem
nicht ihr Erscheinen vorgemerkt wäre. Meist zeigten sie sich zu
zweien oder dreien, selten stieg ihre Zahl auf neun oder zehn.
Mit scharf eingezogenem Kopfe, den Schnabel nach abwärts gesenkt,
folgten sie in anscheinend plumper Haltung stunden- und tagelang dem
Schiffe, ohne die leiseste Ermüdung zu zeigen. Selten nur wird ein
Flügelschlag ausgeführt, während sie den Körper mit seinen mächtig
langen und schlanken Schwingen bald horizontal, bald schräg, bei
Wendungen gelegentlich auch völlig in Seitenlage der Luft darbieten.
Kein antarktischer Vogel fesselt so die Aufmerksamkeit, wie diese
in unhörbarem Fluge dem Schiffe folgenden Segler. Wenn sie sich der
Brücke so nahe hielten, daß man sie fast mit den Händen hätte greifen
mögen, und dabei mit ihren weißumrandeten Augen, die aus dem sammetnen
Schwarzgrau des Kopfes hervorblitzten, aufmerksam dem Treiben der
Menschen folgten, machten sie einen fast gespenstischen Eindruck. Man
glaubt, die ewigen Juden des antarktischen Meeres vor sich zu haben,
welche ruhe- und rastlos ihre Kreise ziehen und dann sich am wohlsten
fühlen, wenn die Wogenkämme vom Sturme gepeitscht zu unerhörter Höhe
anschwellen. Immerhin bemerkte ich einmal -- am 15. Dezember -- mehr
als ein Dutzend grauer Albatrosse, die auf einem kleinen Eisberge
behaglich der Ruhe pflegten.

Die Untersuchung des Mageninhaltes ergab, daß die grauen Albatrosse
sich vorwiegend von Tintenfischen und pelagischen Krustern nähren, aber
auch kleinere Vögel nicht verschmähen. Bei stille liegendem Schiff
ließen sie sich auf dem Wasser nieder und haschten gierig nach den
Abfällen. Der ewige Hunger kennt kein Bedenken und so machten sie sich
bisweilen über ihre eigenen, von uns erlegten Genossen her, hackten
ihnen die Augen aus und richteten sie übel zu, bevor das ausgesetzte
Boot den auf dem Wasser treibenden Kadaver erreichte.

Die Sturmvögel sind echte Hochseeformen, welche oft zutraulich in der
Nähe des stilleliegenden Schiffes sich niederließen und hierbei die
ihnen ein leichteres Auffliegen ermöglichende Luvseite bevorzugten. Bei
Enderby-Land belebten sie in malerischem und traulichem Durcheinander
die Oberfläche gemeinsam mit zahlreichen, auf der ganzen Fahrt uns treu
gebliebenen Kaptauben. Wir fütterten sie mit Speck und Abfällen, welche
die Kaptauben nur von der Oberfläche, die antarktischen Sturmvögel weit
geschickter durch Tauchen zu erhaschen suchten. So eifrig waren sie
damit beschäftigt, daß einer unserer Matrosen mit dem an langer Stange
befestigten Käscher eine Kaptaube von Bord aus fing.

Die blauen Sturmvögel begegneten uns schon in der Westwindregion
und waren von da an die ständigen Begleiter bei der Fahrt längs der
Eiskante bis nach Enderby-Land und weiterhin bis zu den Kerguelen. Sie
sind scheuer als die übrigen Sturmvögel, hielten sich etwas weiter
von dem Schiffe und fischten eifrig in dem Kielwasser. Wenn bei den
Vorbereitungen zum Loten und Fischen der Dampfer rückwärts ging und
die Schraube weithin das Wasser zu weißem Gischt aufwühlte, waren sie
oft in Schwärmen von Hunderten dabei, die aufgewirbelten pelagischen
Organismen zu erbeuten. Ihr Flug ist unruhig und erinnert durch die
raschen Wendungen an jenen der Fledermäuse; einen prächtigen Anblick
gewährt es, wenn bisweilen die Schwärme gleichzeitig eine Drehung
ausführen und die weißen Bauchflächen dem Beobachter zukehren.

Alle Eigenschaften, welche die Sturmvögel zu den liebsten Genossen des
Seefahrers machen, finden sich vereint in dem wunderbaren schneeweißen
Sturmvogel, dem sichersten Zeugen für das nahe Eis. Als ob die Natur
sich selbst habe übertreffen wollen, schuf sie einen Vogel, der an
Anmut des Fluges und reizvoller Färbung seinesgleichen sucht. Das
Gefieder ist schneeweiß und wetteifert bei seinem Seidenglanz mit
dem Weiß des blendend von der Sonne beschienenen Eises. Kein Vogel
hat es mir so angetan, wie dieses Edelweiß des antarktischen Südens;
stundenlang folgte man seinem eleganten Fluge über Wogenkämme und durch
Wellentäler, über Treibeisfelder und stille, vom Eise umsäumte Buchten.

Wie ein Gruß aus fernen heimatlichen Gebieten mutete es an, als
bei Enderby-Land inmitten der schneeweißen Sturmvögel ein Schwarm
niedlicher schwarzer Petersvögel auftauchte und zwischen den
Packeisschollen, von dem Schiffe scheu sich fernhaltend, eifrig nach
Beute spähte. Die Anpassungsfähigkeit dieser Sturmschwalbe an die
verschiedenartigsten klimatischen Bedingungen ist geradezu erstaunlich:
von den Küsten Englands bis herab nach Enderby-Land, durch 120
Breitegrade, bemerkten wir sie um das Schiff. Längs der Treibeisgrenze
tauchte sie öfter, wenn auch stets nur vereinzelt auf, und nur ungern
entschlossen wir uns, bei Enderby-Land ein Exemplar als Belegstück für
die ausgedehnte Verbreitung zu schießen.

In dem antarktischen Meere ist diesen Schwärmen von Vögeln stets
der Tisch gedeckt. Treibeis und Eisberge geben Ruheplätze ab, und
gleichzeitig fördert die Brandung an den eisigen Steilwänden eine Menge
pelagischer Organismen zu Tage, unter denen Krebse nebst Tintenfischen
als Kost bevorzugt werden. Die in den Krustern enthaltenen gelblichen
und rötlichen Öltropfen sammeln sich in dem Kropfe der Sturmvögel zu
ansehnlichen Massen an. Das Öl dürfte sowohl eine Nahrungsreserve für
ungünstige Zeiten abgeben, als auch zur Verteidigung dienen. Wer so
unvorsichtig ist, einen Sturmvogel zu haschen oder einen an der Angel
gefangenen in die Hände zu nehmen, wird von dem wenig aromatischen Tran
besudelt, den der Vogel oft mehrmals hintereinander im Strahle von sich
gibt.

Überraschend war es, daß der Mageninhalt der grauen Albatrosse, der
Eissturmvögel, der antarktischen und schneeweißen Sturmvögel oft
ausschließlich aus Schnäbeln von Tintenfischen bestand.

Unsere Darstellung von dem Vogelleben auf der Hochsee wollen wir
nicht abschließen, ohne einer Gesellschaft flugunfähiger Reisender zu
gedenken, die niemals verfehlten, die Aufmerksamkeit in besonderem
Maße zu fesseln. Es sind dies die antarktischen Pinguine, welche
die niedrigen Plattformen und vorspringenden Zungen der Eisberge
als Standquartier bei ihren Wanderungen benutzten und bei unserer
Annäherung, oft erschreckt durch Flintenschüsse, unter stürmischer
Heiterkeit der Mannschaft die steile Eiszunge aufrechtstehend
hinunterrutschten. Andere landeten wieder, indem sie geschickt eine
Brandungswelle benutzten, um festen Fuß zu fassen und vornübergebeugt
mit zur Balance vorgezogenen Flossen ihre steile Warte zu erklimmen.
Mit ihrem schwarzen Kopfe, Rücken und Flossen und dem weißen gemästeten
Bauche, der nur unter der Kehle ein schwarzes Band aufweist, gleichen
sie von weitem kleinen preußischen Grenzpfählen. Kommt man dann
näher, so erheben sie ein lautes Gezeter, setzen sich in Positur und
schießen auf einem gewissen Körperteil die Rutschbahn hinab in das
Wasser. Hier aber ist der Pinguin in seinem Elemente, und hier fordert
er die Bewunderung und Anerkennung dessen heraus, der ihn zuvor nur
als drollige und selbstverständliche Staffage für die antarktische
Landschaft wollte gelten lassen. Mag der Dampfer noch so rasch
seinen Kurs verfolgen, so überholt ihn der Pinguin mit spielender
Leichtigkeit. Dabei findet er noch Zeit, mit gespreizten Flossen auf
dem Wasser zu liegen, aus den dunklen, fast schalkhaft blickenden
Augen das fremde Ungetüm anzustaunen, um dann mit einem heiseren Rrräh
unterzutauchen. Unter mächtigen Ruderschlägen geht er so tief, daß er
für längere Zeit dem Auge entschwindet. Wenn er dann plötzlich wieder
der Oberfläche nahe ist, schnellt er sich mit dem Körper angeschmiegten
Rudern im Bogen über Wasser und verschwindet von neuem in der Tiefe.
Nichts ist köstlicher, als einen Trupp von Pinguinen zu beobachten, der
seinen Eisberg verläßt und wie eine Herde kleiner Delphine in eleganten
Sprüngen dem Schiffe zustrebt.

Keinem Sturmvogel wird der Nahrungserwerb so leicht gemacht, wie diesem
berufsmäßigen Taucher: wir fanden den Magen des antarktischen Pinguins
oft vollgepfropft mit Leuchtkrebsen, welche größer waren, als die von
uns erbeuteten.

Es ist schwer, die Erregung zu schildern, die sich aller bemächtigt
hatte, als nach 4½stündigem Aufhieven abends gegen sechs Uhr das
Trawl der Oberfläche nahe kam. Alle Vorrichtungen waren getroffen, um
es rasch und unversehrt an Bord zu bekommen, zumal da es sich ergab,
daß die schwere Last, welche der Dynamometer angezeigt hatte, nicht
von Schlamm, sondern von Gesteinsmassen herrührte. Da lag zunächst
obenauf im unversehrten Netzbeutel ein fünf Zentner schwerer, roter
Sandstein mit deutlich eingerissenen Gletscherschliffen. Soweit er in
den Tiefseeboden eingesunken war, zeigte er schwarzen Ton, der von dem
weißlichen Diatomeenschlick scharf abstach.

Mit Genugtuung wurde dieser schwarzweiß-rote Gruß aus der antarktischen
Tiefsee in Empfang genommen. Der Sandsteinblock kann einen Roman
berichten: Ursprünglich ein auf dem antarktischen Festlande anstehendes
Gestein, wurde er von den Gletschern geschrammt, losgelöst und an der
Basis eines Eisriesen in das Meer hinausgetragen. Durch den Einfluß
des warmen Tiefenwassers abgetaut, sinkt er in 4636 Meter nieder,
liegt dort friedlich gar lange Zeit, bis er von dem Schleppnetz einer
Tiefsee-Expedition gefaßt, zur Oberfläche befördert und später der
Äquatorsonne des indischen Ozeans ausgesetzt wird. Nun paradiert er
vor einer wißbegierigen Studentenschaft auf dem Vorlesungstisch als
stummer und doch wieder beredter Zeuge, daß Enderby-Land offenbar nicht
vulkanischer Natur ist.

Hatten schon allein die gewonnenen Gesteinsproben die Mühen des
Dredschzuges reich entschädigt, so waren wir nicht minder überrascht
über die verhältnismäßig große Zahl tierischer Organismen, welche in
diesen gewaltigen Tiefen bei einer Temperatur von -0,5 Grad Celsius
leben. In den Schwabbern des Trawl hingen zwei eigenartige Ascidien
(muschelartige Seescheiden) von fast Faustgröße, die an einem
stricknadeldünnen, über 1 Meter langen Stiele auf dem Grunde befestigt
waren. Offenbar flottieren sie an ihrem strickartigen Stiel wie eine
Boje, da kaum abzusehen ist, daß er den Körper zu stützen imstande
ist. Neben ihnen fielen uns zwei gestielte Seelilien auf (Abbildung
17). Besonders zahlreich waren die Schlangensterne (Ophiuren)
(Abbildung 18) vertreten. Wenn wir ferner noch hervorheben, daß eine
zerbrochene Seeigelschale, mehrere wohl erhaltene Hydroid-Polypen,
Glasschwämme und zahlreiche auffällig große Foraminiferen (einzellige
Kalkschalentierchen) in dem Netze enthalten waren, so ergibt sich
ein in Anbetracht der immerhin beträchtlichen Tiefe bemerkenswerter
Reichtum an Organismen.

Kaum hatten wir das Schleppnetz an Bord, als dichter Nebel sich
einstellte, und uns nötigte, unter äußerster Vorsicht bei nördlichem
Kurse vorzufahren. Als es endlich um 10 Uhr abends aufklarte, war
das Schiff wieder von schwerem Packeis umgeben. Während wir uns
durch dasselbe hindurchwanden, gewahrten wir im Osten den größten
Eisberg, der uns auf der ganzen Fahrt begegnete. Wir glaubten erst die
antarktische Eismauer vor uns zu haben, überzeugten uns aber späterhin,
daß es sich um eine förmliche Eisinsel handelte, die wir leider bei dem
Lavieren durch das Packeis nicht genauer zu messen imstande waren. Die
Schätzungen von Kapitän und Offizieren bezüglich ihrer Breite bewegten
sich zwischen vier und fünf Seemeilen. Wie an dem vorhergehenden
Tage, so trafen wir auch diesmal auf eine durch erdige Beimengungen
schokoladenbraun gefärbte Eisscholle.

Nachdem wir uns zum zweitenmal aus dem Packeis herausgearbeitet hatten,
begann das Barometer rasch zu fallen. Der aus Ost-Nord-Ost wehende
Wind wurde zum vollen Sturme und erreichte am Sonntag den 18. Dezember
um Mittag die Stärke 10 nach der Beaufortskala. Welcher Kontrast
zwischen gestern und heute! Im Schneesturme donnerten die Wogen gegen
das Schiff, mehrfach auftretende Nebel hinderten an einem raschen
Vorwärtskommen, und nur mit Mühe war es uns noch in der Frühe gelungen,
unsere Temperaturserie durch eine mit der Lotmaschine gewonnene
Temperaturprobe aus 3000 Metern Tiefe zu ergänzen. An ein weiteres
Vordringen nach Süden respektive Osten war unter diesen Umständen
nicht mehr zu denken, und so wurde denn der Kurs gegen die Kerguelen
genommen. Waren wir bisher drei Wochen lang bei unserer Fahrt längs der
Treibeisgrenze ungewöhnlich vom Wetter begünstigt gewesen, so erhält
der letzte Abschnitt unserer Fahrt im kalten Gebiet sein Merkmal durch
eine fortlaufende Reihe schwerer Stürme, welche uns fast an allen
Arbeiten behinderten. Fünf Tage hindurch, vom 18.-22. Dezember, hielten
die stürmischen, mit dichtem Schneetreiben verbundenen östlichen
Winde an und erreichten zeitweilig, so am 20. und 22. Dezember, die
Windstärke 10 nach der Beaufortskala. Ein Umschlag erfolgte unter dem
56. Breitegrad am 22. Dezember, indem der Wind nach Norden und an den
folgenden Tagen nach Nordwest und West umsprang, ohne indessen an
Stärke einzubüßen. Der Eintritt in die Westregion wurde am 22. Dezember
durch energische Schwankungen im Luftdruck angedeutet, insofern der
Barograph innerhalb 12 Stunden ein Fallen um 21 Millimeter verzeichnete
und mit 725 Millimetern den niedrigsten auf der Reise beobachteten
Luftdruck markierte. Eine gewaltige Dünung aus Nordwest und West, deren
erste Anzeichen wir bereits unter dem 61. Grad bemerkten, gelangte
gegen den durch die östlichen und nordöstlichen Winde bedingten Seegang
stets zum Durchbruch und gewann schließlich die Oberhand. Mehrmals
mußten wir beidrehen und gegen die überholende See andampfen. Von der
Brücke bietet sich dann ein gewaltiges Schauspiel dar: der Sturm heult
und pfeift durch Masten und Tauwerk, der nasse, rasch tauende Schnee
wird horizontal ins Gesicht getrieben, und die Wogen erreichen eine
Höhe, wie wir sie auf der ganzen Reise nicht erlebten. Das Schiff
erklimmt die Wellenberge und saust dann in die Täler nieder, um, am Bug
in Gischt eingehüllt, wieder elegant aufzusteigen. Selbst das Deckhaus
wurde überspült, und kaum vermochten wir bei dem schweren Rollen
den Verkehr an Bord aufrecht zu erhalten. Trotzdem gelang es uns,
begünstigt durch den Umstand, daß der Wind mehrfach nach Mitternacht
abflaute und erst im Laufe des Vormittags wieder aufbriste, bis zu
den Kerguelen eine Serie von sechs Lotungen durchzuführen. Zweimal
mußten die Lotungen wegen des schweren Seeganges abgebrochen werden,
doch bewährte sich auch unter diesen Verhältnissen die Lotmaschine
trefflich, indem sie eben so exakt, wie unter normalen Verhältnissen
den Aufschlag des Lotes auf den Grund anzeigte.

Auffällig war auf dieser Route das frühzeitige Verschwinden der
Eisberge; wir trafen am 19. Dezember die letzten, unter ihnen einen
tafelförmigen Riesen von 455 Metern Länge, unter 61 Grad 22 Minuten
südlicher Breite an. Gleichzeitig begann die Oberflächentemperatur des
Wassers sich zu heben; während wir am 16. Dezember noch minus 1,8 Grad
(inmitten des Packeises minus 0,8 Grad) gemessen hatten, betrug am 20.
Dezember die Oberflächentemperatur 0 Grad, und stieg dann anhaltend bis
auf plus 3 Grad am 24. Dezember.

Den Weihnachtsabend verbrachten wir in froher Erwartung des
Christgeschenkes, das sich uns am folgenden Tage in Gestalt der
Kerguelen darbieten würde. Die siebentägigen Stürme hatten uns an
allen Arbeiten behindert. Die Luken waren geschlossen und in den
Laboratorien sah es wunderlich genug aus. Mit dreieckigen Klötzchen
hatte man Gläser und Flaschen festgeklemmt; Mikroskope, Lupen und all
der Kleinkram, dessen der Beobachter bedarf, waren angeschraubt und
mit Lappen und Watte umwickelt. Als ob neckische Heinzelmännchen sich
jeden Unfug hätten erlauben können, so sprang trotzdem gar manches
bei dem Stampfen des Schiffes aus seinem Behälter und bisweilen sah
es in den Arbeitsräumen -- um mit Fritz Reuter zu reden -- aus „as
up de leiwe Gottesird vör den irsten Schöpfungsdag.“

Man hatte Zeit genug, sich zum Bescherabend zu rüsten. Das Pianino
erhielt neue Saiten aus Lotdraht; der aus grünem Papier und Stäben
gefertigte Christbaum wurde an der Decke des Salons festgebunden,
während die Mannschaft einen ebensolchen in der Kambüse mit Konfekt
und Würsten dekorierte. Man mußte darauf verzichten, die Geschenke,
zarte Erinnerungen an die schwachen Seiten unserer Mitglieder,
säuberlich auszubreiten, und war froh, wenn man sie unversehrt aus den
Rocktaschen hervorholen konnte. Gar bald rollten sie, untermischt mit
Pfannkuchen, die der Koch unter schwierigen Verhältnissen bereitet
hatte, auf dem Boden zu nicht geringer Befriedigung unseres Dachshundes
„Dacki“. Immerhin lernte man bald, auf das Wohl der Angehörigen, die
über hundert Breitegrade entfernt unser gedenken mochten, anzustoßen.



7. Die Kerguelen


Zwischen dem 48. und 50. südlichen Breitegrad und dem 68. und 71.
östlichen Längegrad liegt eine Inselgruppe, deren Flächeninhalt etwa
180 Quadratmeilen beträgt. Die Kerguelen, wie die Gruppe zu Ehren ihres
Entdeckers genannt wird, setzen sich aus einer Hauptinsel und aus nicht
weniger denn 130 größeren und kleineren Inselchen zusammen.

Bei der Nennung ihres Namens tauchen eigenartige und fesselnde
Erinnerungsbilder auf. Die Berge sind teilweise mit ewigem Schnee
und in Gletscher auslaufenden Firnfeldern bedeckt; Fjorde, oft von
Steilabstürzen begrenzt und von Basalttrümmern umzäunt, schneiden
tief in das Land ein; tafelförmige Terrassen, aus horizontalen
Basaltschichten sich aufbauend, prägen der vulkanischen Landschaft
ihren Charakter auf; aus zahllosen Süßwassertümpeln sammeln sich
die Schmelzwasser, um in malerischen Kaskaden über die Steilwände
der Fjorde herabzurauschen; grüne Matten, gebildet aus einer
eigenartigen Flora, bedecken das flache Vorland und ziehen sich oft
weit an den Hängen hinauf, und endlich wird dies alles belebt von
einer überwältigend reich entfalteten Vogelwelt, die an anmutender
Harmlosigkeit mit den den Strand bedeckenden Elefantenrobben wetteifert.

Auf Cook machten die Inseln einen so trostlosen Eindruck, daß er sie
Desolation-Islands (Inseln der Verwüstung) nannte. Auch die späteren
Besucher stellten sie uns als ein ungastliches Nebelland dar, in
dessen Fjorde der Wind, bald Regen, bald Schnee mit sich führend, mit
unerhörter Gewalt stößt.

Der Eindruck, den sie auf den Besucher machen, dürfte freilich nicht
unwesentlich von den frischen Rückerinnerungen an von der Natur
milder und reicher ausgestattete Regionen beeinflußt werden. Wer das
üppige, sonnige Kapland mit seiner Blütenpracht verlassen hat, um den
Kerguelen zuzustreben, wird dieses sturmgepeitschte Nebelland, das
meist neidisch den Ausblick auf sein malerisches Hochgebirge versagt,
düster und ungastlich finden. Wer aber, wie wir, seit dem Verlassen
Kapstadts 52 Tage lang das antarktische Meer durchfuhr, nur eine in
Eis gepanzerte Insel zu Gesicht bekam und wochenlang, oft von schweren
Stürmen gerüttelt, nur Treibeisfelder und Eisberge sah, dem erscheinen
die Kerguelen fast in paradiesischer Pracht. Es war, als ob sie sich
zur Feier unserer Ankunft in ihr Festgewand gekleidet hätten; während
der drei Tage, die wir im Gazelle-Hafen verbrachten, herrschte wahres
Frühlingswetter bei einer Temperatur von 4 Grad Celsius. Nach allen
Seiten zerstreuten sich die Partien, um die Umgebung zu durchstreifen;
kein Sturm warf die Wanderer nieder, kein Nebel benahm ihnen die
Aussicht, und bei hellem Sonnenschein umfuhren wir die Nordostseite bis
zum Weihnachtshafen.

Wie sehr wir während der vier Tage, die wir auf den Kerguelen
zubrachten, vom Wetter begünstigt waren, lehren die früheren
Schilderungen. Ihr Klima können wir am besten mit den Worten von
Schleinitz wiedergeben: „Es weht fast beständig Sturm zwischen Nord und
West mit Schnee-, Hagel- und Regenböen, diesigem Horizont, aber oftmals
klarem Himmel und kühlem Wetter. Ab und zu wird dieser Sturm durch
Flauten oder seltener durch stürmischen Wind aus Nordost unterbrochen,
welcher dichten Nebel und Regen bringt.“ Die Stärke der Windstöße
schildern sowohl die Teilnehmer an früheren Expeditionen, wie auch die
Robbenschläger in den lebhaftesten Farben. Sie brechen so plötzlich in
manche Buchten herein, daß die Schiffe mit den stärksten Kabeln und
Ankern vertäut werden müssen, daß die Boote umschlagen und der Wanderer
auf dem Lande sich platt niederwerfen muß. Gegen die dem unermeßlichen
antarktischen Meere zugekehrte Westseite donnern die Wogen ständig mit
so gewaltigem Prall an, daß sie heute noch in ihrer Gliederung fast
unbekannt ist. Im allgemeinen sind die Weststürme mit einem Steigen
des Barometers verbunden, während plötzlicher starker Barometerfall
das Herannahen eines Nordsturmes anzeigt. Wie schwer die Kerguelen von
diesen Stürmen heimgesucht werden, mag der Hinweis illustrieren, daß
der „Challenger“, der sie im Sommer besuchte, an 26 Tagen sechzehnmal
Sturm verzeichnet, während Roß, der 68 Tage hindurch im Winter auf den
Kerguelen Station machte, nicht weniger als 45 mal Sturm durchlebte,
und nur drei Tage anführt, welche frei von Schnee und Regen waren.

Am 12. Februar 1772 entdeckte der französische Kapitän Yves Josef de
Kerguelen-Trémarec mit seinen Schiffen „Fortune“ und „Groswater“ die
Inselgruppe, welche noch heute seinen Namen trägt. Seine Entdeckung
erregte nach der Rückkehr berechtigtes Aufsehen. Man glaubte, der
damals herrschenden Vorstellung Raum gebend, daß das große Südland mit
seinen erträumten Wundern gefunden sei, zu dessen Entdeckung Kerguelen
im Auftrag der französischen Regierung ausgesendet worden war. So wurde
er denn schon im folgenden Jahre beauftragt, seine Landsichtung weiter
zu verfolgen. Er gelangte am 14. Dezember 1773 zum zweiten Male in die
Nähe der Inseln und entdeckte die kleine ihr nordwestlich vorgelagerte
Gruppe, welche er zutreffend „Wolkeninseln“ nannte. Indessen gelang
es ihm nicht, wegen der schweren Stürme an Land zu kommen, bis
endlich am 18. Januar 1774 einer seiner Begleiter im Weihnachtshafen
landete und im Namen des Königs von Frankreich von der _Terra
australis_ nochmals Besitz ergriff. Die Flasche mit dem hierauf
bezüglichen Dokument wurde späterhin von Cook bei seiner dritten Reise
wiedergefunden.

Den Nachweis, daß es sich tatsächlich um Inseln handele, die keinen
Zusammenhang mit einem antarktischen Kontinent aufweisen, lieferte
James Cook, der schon auf seiner zweiten Entdeckungsreise südlich
von den Kerguelen -- ohne sie allerdings zu Gesicht zu bekommen --
vorbeigefahren war und 1776 die von ihm als „Desolation-Island“
bezeichnete Gruppe zum ersten Male genauer untersuchte. Er umfuhr
sie bis zur Südküste und gab einzelnen Buchten und Gebirgsstöcken
Namen, die bis heute noch ihre Geltung behalten haben. Die zweite
genauere Durchforschung der Kerguelen verdanken wir dem großen
Entdecker der antarktischen Region, James Roß, der am 12. Mai
1840 im Weihnachtshafen vor Anker ging und nicht weniger als 68
Tage auf die Untersuchung verwendete. Ein junger Arzt, der später
so berühmt gewordene Botaniker Hooker, begleitete ihn und gab in
seiner klassischen „_Flora antarctica_“ die erste eingehende
Schilderung der eigenartigen Kerguelenvegetation. Späterhin wurden
die Kerguelen von nicht weniger denn fünf Expeditionen angelaufen --
ganz abgesehen von den zahllosen Walfischfängern, welche die Buchten
auf die Kunde von ihrem Robbenreichtum ziemlich regelmäßig besuchten.
Außer der Challengerexpedition, die im Januar 1874 26 Tage lang
bei den Kerguelen kreuzte, haben zwei deutsche Korvetten, nämlich
die „Arcona“ und die „Gazelle“ -- letztere vom 26. Oktober bis 23.
Dezember 1874 --, die Kerguelen aufgesucht. Wir können mit Befriedigung
hervorheben, daß es wesentlich die fleißigen topographischen Aufnahmen
der „Gazelle“ gewesen sind, die uns über die Gliederung der Ostseite
einen genaueren Aufschluß gaben. Wir haben im vollen Vertrauen auf die
Zuverlässigkeit deutscher Forschungen in der Nacht zum 25. Dezember
beide Kessel geheizt und fuhren mit voller Kraft von zwölf Knoten an
der Hand der Lotungen der „Gazelle“ vorbei an zahllosen Tangfeldern in
jenen Hafen ein, der durch seinen Namen an die Tätigkeit des deutschen
Expeditionsschiffes erinnert.

Als Christgeschenk boten sich uns in der Frühe des Weihnachtssonntags,
des 25. Dezember, die Kerguelen dar. Bei stürmischem West, der schwere
Sturzseen brachte, kam früh um 6 Uhr ein feiner, dunkler Streifen Land
in Sicht, hinter dem schneebedeckte Gipfel auftauchten. Tausende der
blauen Sturmvögel fischten eifrig in den Strömungen, drei Albatroßarten
umkreisten das Schiff oder saßen brütend auf dem grünen Vorland
zerstreut, während zahme Kormorane in schwerfälligem, ungeschicktem
Flügelschlage mit lang vorgestreckten Hälsen neugierig dem Schiffe so
nahe kamen, daß man sie bisweilen hätte greifen mögen. Langgezogene
braune Streifen deuteten die Stellen an, wo auf flacherem Grunde die
gewaltigen Seetange wurzeln. Dem Blasentang ist es wesentlich zu
verdanken, daß die Schiffahrt in der Nähe der Buchten sich so sicher
gestaltet; vermeidet man die Stellen, wo er sich angesiedelt hat, so
kann man mit Sicherheit auf tiefes, gefahrloses Fahrwasser rechnen.

Der Ausgang des Gazelle-Hafens in den Schönwetter-Hafen wird von
kleinen Inseln verengt, die mir in besonders angenehmer Erinnerung
stehen.

Als ich ihnen gleich nach unserer Ankunft in Begleitung des ersten
Maschinisten einen Besuch abstattete, hatten wir reichlich Gelegenheit,
den Zauber würdigen zu lernen, welchen die fast paradiesische
Harmlosigkeit der Tierwelt der Kerguelen auf den unbefangenen
Beobachter ausübt.

Die graziösen Seeschwalben umflogen uns in Schwärmen und ließen
sich zutraulich auf dem Zeltdach der Dampfbarkasse nieder. Auf den
durch die Wogen abgeschliffenen schwarzen Basaltkuppen der Inseln
trippelten weiße Vögel heran, welche kleinen Hühnern an Größe
gleichkamen. Neugierig pickten sie an den Schuhen und Gewehrkolben,
um uns dann auf der weiteren Wanderung zu begleiten. Wir hatten nur
wenige Schritte gemacht, als wir wie festgebannt stehen blieben und
instinktiv die Gewehre in Anschlag brachten. Da lag vor uns ein
mächtiges Tier, ein weiblicher See-Elefant, der mit seinen wundervoll
großen, kastanienbraunen Augen uns anschaute, ohne sich zu rühren.
Erst als unser Dachshund ihn ankläffte, sperrte er breit den Rachen
auf und stieß mit erhobenem Kopfe in einzelnen Absätzen ein dumpfes,
heiseres Gebrüll aus (Abbildung 7); doch beruhigte er sich bald,
senkte den Kopf, schloß die Augen und schlief weiter. Wer an eine
derartige Harmlosigkeit einer keine Verfolger kennenden Tierwelt nicht
gewöhnt ist, nähert sich nur schüchtern dem drei Meter langen Tiere,
bis er endlich dreister wird und durch einige klatschende Schläge den
brüllenden Elefanten zum Verlassen seines Lagers bewegt. -- Ein ganzer
Schwarm der prächtig schwarz und weiß gezeichneten und mit scharfer
Silhouette von dem Himmel sich abhebenden Dominikanermöwen hatte sich
erhoben und begleitete, dicht über den Köpfen fliegend, mit dem wie
Lachen klingenden „hähähä“ die Wanderer. Doch man sollte sobald noch
nicht von seinem Erstaunen sich erholen. Als wir uns niedersetzten
und dem Treiben der Scheidenschnäbel, dem wieder zur Ruhe gekommenen
See-Elefanten und den um uns sich sammelnden Dominikanermöwen
zuschauten, fanden es zwei Kormorane für angezeigt, uns auf demselben
Rasenpolster Gesellschaft zu leisten, indem sie fast schalkhaft den
Kopf auf dem Halse reckten. Prächtige Vögel, diese Kormorane der
Kerguelen! Die ganze Insel war bedeckt mit Schalen von Miesmuscheln
und Napfschnecken, so daß man manchmal hätte glauben mögen, es handle
sich um Kjökken-Möddinger, jene prähistorischen Küchenabfallhaufen der
dänischen Inseln; das alles hatten die Dominikanermöwen angeschleppt
und namentlich vor den Nistplätzen angehäuft. Wir fanden ihre
zahlreichen kunstlosen mit Gras gepolsterten Nester, in denen vier bis
fünf bräunlich gefärbte Junge in ihrem struppigen braunen Dunenkleide
kläglich piepsten. Als ich in eine kleine Höhlung griff, fuhr eine
Ente heraus von der Größe unserer Krickente; sie saß brütend auf einem
weißen Ei und gesellte sich ihren Genossen bei, deren wir bald eine
größere Zahl bemerkten.

Nicht minder wird der Blick durch die eigenartige Landfauna
niederer Organismen gefesselt. Bei dem Zurückbiegen der Blätter des
Kerguelenkohls fallen in den Blattscheiden große den Blattläusen
gleichende Insekten auf, die freilich bei genauerem Zusehen als
echte Fliegen sich entpuppen (Abbildung 10). Daß man sie als solche
zunächst nicht anspricht, ist begreiflich: fehlt ihnen doch eines der
wichtigsten Merkmale der Fliegen, nämlich die Flügel. Eine wundervolle
Anpassung an das Leben in einer sturmdurchbrausten Region gibt sich
in dieser Flügellosigkeit kund, denn es liegt auf der Hand, daß eine
mit Flügeln und Flugvermögen ausgestattete Fliege bald der Vernichtung
anheimfallen würde, wenn sie nicht einen zudem noch so geschützten
Aufenthalt zwischen den kräftigen Blattscheiden einer wetterfesten
Pflanze wählte.

Diese Flügellosigkeit ist auch charakteristisch für die Käfer der
Kerguelen, welche man mit Leichtigkeit in großer Zahl unter Steinen
zu sammeln vermag. Bei ihnen sind die weichhäutigen hinteren Flügel
verkümmert, während die starren vorderen Flügeldecken, wie bei
fast allen Käfern, als schützende Hüllen dem Körper aufliegen.
Merkwürdigerweise handelt es sich hauptsächlich um Rüsselkäfer. Wir
finden sie in andern Ländern meist unter der Rinde von Bäumen, und
schon dieser Umstand legt die Vermutung nahe, daß einst die Kerguelen
mit Baumwuchs ausgestattet waren. Tatsächlich hat denn auch schon
Roß darauf hingewiesen, daß im Weihnachtshafen in gewissen Schichten
verkieselte Baumstämme gefunden werden. Auch das Vorkommen von
Kohlenlagern deutet darauf hin, daß ursprünglich die Kerguelen mit Wald
bedeckt waren.

Nur ein einziger Schmetterling, eine Motte, ist den Kerguelen eigen.
Es gelang uns, auch von diesem flugunfähigen Falter Exemplare mit
den verkürzten Flügeln (Abbildung 11), und die im Kerguelenkohl sich
aufhaltenden Raupen zu erbeuten.

Nicht minder fesselnd als diese Tierwelt bietet sich die Vegetation
dar. Da erheben sich zunächst die dunkelgrünen Polster einer
Charakterpflanze der Kerguelen, nämlich der _Azorella selago_.
Sie ist überall auf den Inseln zerstreut, bildet auf den Plateaus
halbkugelige Erhebungen, in die der Fuß leicht einsinkt, steigt
hinauf bis zu 500 Metern Höhe, und an einigen geschützten Stellen
selbst noch darüber hinaus. Solch riesige Polster, wie sie gerade auf
den geschützten Inseln des Gazelle-Hafens sich vorfinden, haben wir
freilich späterhin nicht mehr beobachtet. Es handelt sich um eine
kreuzblütige Pflanze, welche über alle antarktischen Inseln und selbst
auch über die Südspitze von Feuerland verbreitet ist.

Das größte Interesse erregt indessen der seit den Zeiten von Roß
berühmt gewordene Kerguelenkohl (_Pringlea antiscorbutica_). Seine
eiförmigen oder lanzettlichen, filzigen Blätter umschließen fast ein
Meter hoch werdende Blütenstände, die teils abgestorben auf dem Boden
liegen, teils kraftstrotzend sich in die Höhe erheben (Abbildung 19).
Der Kerguelenkohl ist die einzige hier wachsende Pflanze, welche auf
Erden keine näheren Verwandten aufweist und außer auf den Kerguelen
nur noch auf dem südlicher gelegenen Heard-Eiland und auf der Marion-
und Crozet-Gruppe vorkommt. Die Mannschaft von Roß nährte sich von den
Blättern, die als wirksames Gegenmittel gegen Skorbut gerühmt werden,
und daher auch zur Speziesbezeichnung Veranlassung gaben. Wir haben
nicht verfehlt, uns ein Gemüse aus Kerguelenkohl bereiten zu lassen,
das tatsächlich einen nicht unangenehmen, etwas bitteren Geschmack
besitzt.

Vergleicht man die Blütenpflanzen der Kerguelen mit jenen der
arktischen Region, so fällt es auf, daß einerseits die Zahl der
Arten eine verhältnismäßig geringe ist, und daß ihnen anderseits die
Blütenpracht fehlt, durch welche selbst im Norden Grönlands und in
Spitzbergen während der kurzen Sommermonate die arktische Flora den
Reisenden fesselt. Darwin hat uns zuerst den Blick dafür geöffnet, daß
duftige und farbenprächtige Blüten bestimmt sind, Insekten anzulocken,
welche ihren Nektar saugen und dabei zugleich die Bestäubung
übernehmen. Tatsächlich sind denn auch die arktischen Regionen durch
zahlreiche fliegende Insekten, selbst noch durch mehrere bunte Falter
charakterisiert, während in dieser Hinsicht das antarktische Gebiet
-- und zwar speziell die Kerguelen -- zurückstehen. Offenbar fehlen
den Kerguelen Insekten, welche die Bestäubung der Blütenpflanzen
übernehmen könnten. Wenn man auch wohl gelegentlich vermutet hat, daß
die flügellosen Fliegen durch ihr Umherkriechen auf den Blütenständen
des Kerguelenkohles das Bestäuben vermitteln möchten, so darf ich wohl
hervorheben, daß ich niemals an den ungewöhnlich schönen und sonnigen
Tagen, die uns beschert waren, die Fliegen auf den Blütenständen
bemerkte, sondern sie stets nur dann zu Gesicht bekam, wenn man die
Blattscheiden des Kohles zurückbog. Schon Hooker hat vermutet, daß
der Kerguelenkohl eine windblütige Pflanze sei, und dürfte wohl mit
dieser Annahme das Richtige getroffen haben. Die Anpassung an die
Windblütigkeit hat es wohl in erster Linie bedingt, daß auch im Sommer
der höheren Pflanzenwelt durch den Mangel des Blütenflores ein gewisser
melancholischer Zug eigen ist.

Der Gazelle-Hafen ist ebenso wie die tief in das Land einschneidenden
Fjorde an allen jenen Stellen, wo die Felswände an das Wasser
herantreten, mit einem Trümmerfeld von Basaltblöcken bedeckt,
welche mit mannigfach gefärbten Flechtenarten überzogen sind. Die
Zertrümmerung des Gesteins muß sich in einer Region besonders geltend
machen, wo häufig die Temperatur sich um den Nullpunkt bewegt und
das zwischen die Spalten sickernde Wasser bei dem Gefrieren seine
Sprengwirkung ausübt. Diese Trümmerfelder sind die gewöhnlichen
Wohnplätze für eine Pinguinart, die nicht wenig zur Belebung der
Landschaft der Inseln beiträgt. Es ist der prächtig gefärbte
Schopfpinguin mit schneeweißem Bauche, schiefergrau gefärbten Rücken
und Flossen, hochrotem Schnabel, roten Augen und einem niedlichen
Schopf goldglänzender Federn jederseits am Kopfe (Abbildung 14).
Nähert man sich ihren felsigen Heimstätten, so empfängt den Beobachter
ein tausendfältiges, an eine Gänseherde erinnerndes Geschrei. Ewiger
Zank und Streit herrscht unter diesen Vögeln, die ihre unwillkürliche
Komik nicht zum wenigsten dem Umstande verdanken, daß sie auf ihren
weit nach hinten gerückten Füßen wie kleine Gnomen aufrecht stehen und
in absonderlicher Unbehilflichkeit mit ihren zu Flossen umgebildeten
Flügeln herumwirtschaften. Überall stehen auf den Kuppen der Felsblöcke
die Männchen in Gruppen zusammen, eifersüchtig mit Schnabelhieben
jeden Genossen bedenkend, der etwa zufällig von oben herabrutschte und
unter sie geriet. Nicht anders geht es dem Fremdling, der neugierig
und gefesselt von dem eigenartigen Schauspiel zum erstenmal eine
Pinguinkolonie besucht. Das Klettern auf den Blöcken ist schon an und
für sich mühselig und wird dadurch nicht noch angenehmer gestaltet,
daß überall schlüpfriger und übelriechender Unrat einen festen Halt
verwehrt. Kommt man dann einem Trupp näher, so erhebt sich allgemeines
Gezeter; den Kopf dem Beobachter zugewendet, sucht die Gesellschaft
bald halblinks, bald halbrechts zusammenzurücken, bis es dann kräftige
Schnabelhiebe und Schläge mit den Flossen absetzt. Nicht nur auf den
Blöcken, sondern auch unter denselben gibt sich unwilliges Geschrei
kund. Da sitzen in den geschützten Höhlen die Weibchen auf ihrem
kunstlosen Neste, falls man überhaupt die meist mit Dung bedeckten
Gruben so nennen will, und brüten auf ihrem einzigen weißen, gewöhnlich
stark mit Schmutz bedeckten Ei. Sie lassen es sich, von einigen
Schnabelhieben abgesehen, meist ruhig gefallen, daß man ihnen dieselben
wegnimmt. Da wir viele Eier sammelten, so ergab es sich bald, daß sie
fast durchweg Junge enthielten, welche dem Ausschlüpfen nahe waren:
nirgends fanden wir in einem Neste bereits ausgeschlüpfte Junge. Der
von den Eihüllen befreite junge Pinguin zeigt ganz die Gestalt des
Alten, ist auf dem Bauche weißlich und auf dem Rücken schiefergrau
gefärbt, entbehrt aber noch der beiden Federschöpfe am Kopfe. Ein
starker Hornwulst auf dem Schnabelrücken bildet den sogenannten Eizahn,
vermittelst dessen die Schale gesprengt wird. Die Männchen sind
unablässig bemüht, die Weibchen mit Nahrung zu versorgen, indem sie
mit beiden Beinen gleichzeitig die Felsen hinabhüpfen. Sind sie dann
am Wasser angelangt, so geht es mit einem Kopfsprung in dasselbe, und
nun zeigt sich erst der Pinguin in seinem wahren Elemente. Die Flossen
dienen als Ruder, und mit erstaunlicher Geschwindigkeit schwimmt und
taucht oder springt er wie ein Delphin über die Oberfläche. Stunden
kann man in einer Pinguinkolonie verbringen, ohne des originellen
Treibens müde zu werden. Da stehen sie um uns herum, putzen und ordnen
das Gefieder, mit dem Kopf und den goldigen Federschöpfen ständig in
Bewegung, bald zärtlich sich an ihren Genossen anschmiegend, bald
zornig Schnabel- und Flossenhiebe austeilend. Ich verstehe zwar nicht
die Sprache der Pinguine, durfte aber wohl annehmen, daß das, was sie
mit funkelnden roten Augen und hämisch zur Seite gebogenem Kopfe dem
Eindringling zu vernehmen gaben, sehr beleidigender Art gewesen sein
muß.

Wenn man bedenkt, daß Tausende und aber Tausende von Pinguinen
überall da, wo Felsentrümmer am Rande der Buchten sich anhäufen,
ihre Wohnstätten aufgeschlagen haben und daß sich zu ihnen ein fast
überwältigender Reichtum an antarktischen Schwimmvögeln gesellt, so
wird die Frage nahegelegt, auf welche Weise denn eigentlich diese
Vogelwelt ihr Nahrungsbedürfnis befriedigt. Lehrten es nicht schon
die zahllosen Muschel- und Schneckenschalen, die man überall an den
Standorten und Brutplätzen umherliegen sieht, so überzeugt man sich
leicht, daß der antarktischen Vogelwelt in dem Meere ständig der Tisch
gedeckt ist. Erstaunlich ist die marine Strandfauna der Kerguelen
entwickelt. Hebt man einen Stein auf, so kann man sicher sein, daß
Dutzende von Asselkrebsen davonjagen, um unter anderen Steinen Schutz
zu suchen. Neben ihnen kommen Borstenwürmer und ein Heer niederer
Organismen vor, die namentlich die prächtigen, in allen Tinten von Rot
schillernden Büsche der Florideen und Algen bewohnen, an denen der
felsige Strand so reich ist. Wir kennen von den Kerguelen nicht weniger
als 71 Arten niederer Meeresalgen, zwischen denen sich rötlich gefärbte
Seesterne, Schlangensterne, Krabben umhertreiben, oder auf denen sich
Seescheiden, Moostierchen, Seerosen und Wasserpolypen angesiedelt
haben. Neben den Algen beherrscht der Riesentang die Szenerie. Er
wurzelt tiefer auf Felsblöcken, welche in dem grünlichschwarzen
Schlick des Grundes liegen; hier bildet er ein Wurzelwerk, das wie
ein Nest miteinander verwachsener Korallenzweige sich ausnimmt. Von
ihm gehen riesenlange Stiele aus, welche lanzettliche Blätter mit
flaschenförmigen Luftbehältern tragen. Man hat Äste gemessen, die eine
Länge von nicht weniger als 300 Metern aufweisen. Da der Tang auf den
Felsblöcken bis zu 20 Metern Tiefe sich ansiedelt und durch seine
Schwimmvorrichtungen an der Oberfläche zutage tritt, so verrät er mit
Sicherheit dem Seefahrer alle Stellen, die bei der Einfahrt in die
Häfen zu vermeiden sind. Zugleich bietet er verschiedenen Organismen
Gelegenheit zur Anheftung, welche mit Vorliebe von den Vögeln genossen
werden. Vor allen Dingen sind es die Napfschnecken, die mit ihrer wie
ein Saugnapf gestalteten Fußscheibe festen Halt an den glatten Blättern
gewinnen. Ältere Blätter sind oft ganz überzogen von Moostierchen und
Polypenkolonien und besetzt mit einer leicht rosenrot schimmernden
Seewalze, die ihre feinverzweigten zehn Kiemenbüschel ausstreckt.
Geschützte Stellen der Buchten sind oft auf weite Strecken hin mit
Miesmuscheln bedeckt, welche in ihrer äußeren Gestalt denjenigen
unserer deutschen Küsten zum Verwechseln ähnlich sehen. So ist den
unablässig an der Oberfläche bald auf Tang, bald am Strande fischenden
Vögeln der Tisch reich gedeckt.

Wir haben von unserer Dampfbarkasse aus zwei Tage lang im Gazelle- und
Schönwetter-Hafen gedredscht und an geschützten Stellen in kurzer Zeit
eine außerordentlich reiche Ausbeute gewonnen.

Es war begreiflich, daß die Mitglieder der Expedition sich nach allen
Seiten zerstreuten und je nach ihren Neigungen bald der höheren
und niederen Tierwelt, bald der Pflanzendecke und geologischen
Beschaffenheit der Umgebung des Gazelle-Hafens ihre Aufmerksamkeit
zuwendeten. Unsere Offiziere hatten gemeinsam mit dem Kapitän am
nächsten Morgen nach der Ankunft einen Ausflug nach der „Sandy-Cove“
benannten Bucht unternommen, welche gleich links neben dem engen
Eingang in den Gazelle-Hafen liegt. Dort waren sie auf eine Herde
Elefantenrobben aufmerksam geworden, welche in grubenförmigen
Vertiefungen nahe dem Strande lagen, um den Haarwechsel durchzumachen.
Sie erlegten nicht weniger als achtzehn Stück, welche wir am nächsten
Tage durch die Schiffsmannschaft abbalgen und zum Teil skelettieren
ließen.

In der Umgebung des Gazelle-Hafens sowohl, wie namentlich auch in
jener von Sandy-Cove fielen uns die massenhaft in ihren Erdlöchern
verschwindenden Kaninchen auf, welche von der englischen
„Volage“-Expedition zur Beobachtung des Venusdurchgangs auf Rat von
Kapitän Nares, dem Kommandanten des „Challenger“, ausgesetzt worden
waren. Alles wimmelte von grauen, seltener schwarzen Nagern, die im
Gegensatz zu der harmlosen, keine Verfolger kennenden Landfauna der
Kerguelen ihre Furchtsamkeit und Flüchtigkeit nicht verloren hatten:
ein bemerkenswertes Beispiel von Vererbung psychischer Eigenschaften
unter Verhältnissen, die doch immerhin zu der Erwartung berechtigten,
daß die Anpassung an neue Existenzbedingungen auch eine allmähliche
Herabminderung des Instinktes im Gefolge gehabt hätte. Leider hat diese
Überschwemmung mit Kaninchen auch eine Änderung in dem Aussehen der
Vegetation herbeigeführt. Alle früheren Expeditionen berichten, daß der
Kerguelenkohl in Menge über die ganze Insel zerstreut vorkommt. Roß
sammelte noch kurz vor seiner Abfahrt von den Kerguelen so viel Kohl,
daß für Monate seine Mannschaft mit zuträglicher Kost versehen war.
Heutzutage möchte dies schwer fallen, insofern an allen den Kaninchen
zugänglichen Stellen die _Pringlea_ vollständig ausgerottet ist;
man trifft sie nur noch an senkrechten Felswänden oder auf den in den
Fjorden gelegenen Inseln.

Obwohl die See-Elefanten erst am Morgen erlegt worden waren, so hatten
sich doch schon Tausende von Vögeln um dieselben angesammelt, eifrig
damit beschäftigt, den Leib aufzuhacken und sich Zugang nach dem
Innern zu verschaffen. Dies gelang freilich nur den mit mächtigen
Schnäbeln ausgestatteten großen Sturmvögeln, welche von weitem in ihrem
Benehmen an die Geier der wärmeren Gegenden erinnerten. Mit schlaff
herabhängenden Flügeln, Kopf und Hals mit Blut besudelt, umgaben sie
zu Hunderten die Kadaver und hatten sich zum Teil so vollgefressen,
daß sie nicht imstande waren, aufzufliegen. Raub- und Dominikanermöwen
belagerten in dichten Wolken die Stätte, wo unsere Matrosen eifrig
damit beschäftigt waren, unter Anleitung des Fleischers die Kadaver
abzubalgen.

Da sich in früherer Zeit, angelockt durch die Schilderungen von Roß,
zahlreiche Walfisch- und Robbenschläger nach den Kerguelen begaben,
wurde unter den Elefantenrobben um so mehr aufgeräumt, als man bei den
Metzeleien, die man unter den wehrlosen Tieren anrichtete, auch die
Jungen nicht schonte. Es ist vielleicht ein Glück, daß allmählich der
Robbenschlag nicht mehr lohnte, und der Besuch der Kerguelen seltener
wurde. Der Kommandant der „Eure“ berichtet, daß er nur noch einen
Kapitän antraf, welcher zum Robbenschlag die Kerguelen aufsuchte. In
neuerer Zeit scheint kein Fangschiff mehr dort gewesen zu sein, und
diesem Umstande allein war es zu verdanken, daß wir alle Buchten wieder
voll von Robben fanden und in der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes
deren mehr zu Gesicht bekamen als frühere Expeditionen während mehrerer
Monate. Nicht nur da, wo unsere Offiziere eine Herde von etwa dreißig
Stück überrascht hatten, trafen wir auf ihre Lager, sondern auch an
allen Stellen, wo Sandy-Cove durch sanftgeneigtes Vorland günstige
Landungsstellen darbietet. Man hatte es bald verlernt, den harmlosen
Tieren mit dem Gewehr zu Leibe zu gehen, wie denn überhaupt der Jäger
auf Inseln, wo er Tiere nicht erst zu beschleichen braucht, die Büchse
zur Seite stellt. Gar manchmal saßen wir bei den Robben, die nur dann,
wenn sie vorher durch die Matrosen gescheucht waren, ein heiseres
Gebrüll ausstießen und unter Bewegungen, welche lebhaft an diejenigen
einer kriechenden Made erinnerten, zu flüchten versuchten. Sonst aber
verhielten sie sich mit ihren Jungen ruhig bei fleißigem Gähnen und
Schlafen.

Waren sie munter, so lagen sie gern auf der Seite, den Kopf leicht
erhoben, mit ihren prachtvollen ausdrucksvollen Augen die Umgebung
musternd, oder so graziös, wie es halt nur eine Elefantenrobbe vermag,
mit der Brustflosse sich auf Rücken und Flanken kratzend.

Gegen Abend des 28. Dezember waren die Reinigungsarbeiten an den
Kesseln beendigt, und morgens 5 Uhr am 29. Dezember wurden die Anker
gelichtet. Das Barometer war von 760 Millimeter (in der Nacht vom 27.
zum 28. Dezember) auf 741 Millimeter gefallen. Damit kündigte sich
ein Umschlag in der Witterung an, der sich zunächst an einem leichten
Nordostzuge bemerkbar machte. Während das Schiff still und ruhig durch
den friedlich daliegenden Gazelle-Hafen glitt, hob sich allmählich der
Nebel, welcher in der Nacht sich eingestellt hatte, und zum letzten
Male grüßten die schneebedeckten Gipfel der benachbarten Halbinsel
herüber. Dafür bot sich zum ersten Male der Ausblick auf den fernen,
in blendendem Weiß schimmernden Mount Roß (1860 Meter), den höchsten
Gipfel der Kerguelen, dar.

Bei ruhigem Wetter veranstalteten wir in 88 Metern Tiefe außerhalb der
Inseln aus dem bis nach Heard-Island sich erstreckenden Plateau noch
zwei Dredschzüge, welche uns eine Fülle interessanter Vertreter der
merkwürdigen Kerguelenfauna lieferten. Da hingen in den Maschen des
Netzes blutrote Riesenformen von Asselspinnen, während der Beutel ganz
gefüllt war mit Blumenpolypen, Seesternen, Seeigeln, Schlangensternen,
prachtvollen Schuppenwürmern, Asselkrebsen und großen Rochen.

Nachdem wir den Weihnachtshafen am Abend des 29. Dezember verlassen
hatten und außer Lee der Kerguelen kamen, empfing uns eine stürmisch
aufgeregte See mit einer gewaltig hohen Dünung aus West und
Nordnordwest. Das Schiff begann fast unerhört zu rollen, während der
Wind allmählich zunahm und um die Mittagszeit des 30. Dezember die
Stärke 10 erreichte. Während des Weststurmes stieg das Barometer
innerhalb zwölf Stunden um nicht weniger denn 20 Millimeter und
erreichte am Abend des 30. Dezember einen Stand von 760 Millimetern,
nachdem es noch im Weihnachtshafen bis auf 735 Millimeter gefallen
war. Dabei machte sich eine Erwärmung der Luft bereits fühlbar geltend
(die Morgentemperatur betrug 7,2 Grad Celsius), obwohl die Sonne nur
gelegentlich zum Durchbruch gelangte und ein grünlich gefärbtes Meer
mit seinen gewaltigen Wogenkämmen beleuchtete.

Am 31. Dezember bedingte der Weststurm einen so gewaltigen Seegang,
daß wir gegen 10 Uhr morgens genötigt waren beizudrehen und gegen den
Seegang anzudampfen. An irgendwelche Arbeiten war nicht zu denken,
doch wurden wir immerhin durch unsere Temperaturmessungen darauf
aufmerksam, daß wir, wie einst bei der Annäherung an die Bouvet-Insel,
so hier bei dem Eintritt in wärmere Regionen unter dem 45. Grad
südlicher Breite mit jenen auffälligen, schon früher erwähnten
Temperatursprüngen zu rechnen hatten. Das schmutziggrünlich gefärbte
kalte Wasser von 4 bis 4,5 Grad wurde gelegentlich von rein blauen
Streifen Warmwassers, dessen Temperatur zwischen 7,6 Grad und 9,4
Grad schwankte, durchsetzt. Gleichzeitig ergab es sich auch, daß eine
Probe des Oberflächenplanktons, welche wir mit vieler Mühe fischten,
eine vollständige Änderung in der Zusammensetzung der mikroskopischen
Organismen aufwies. Die Diatomeen, welche in dem kalten Wasser
herrschend sind, zeigten sich abgestorben oder zersetzt.

So feierten wir denn wiederum im Sturme das anbrechende neue Jahr.
Einen eigenartigen Eindruck machte es, als man in der Silvesternacht
auf der Brücke des schwer arbeitenden Schiffes stand, und inmitten
der unermeßlichen Wasserfläche mit ihrer gigantischen Westdünung die
Dampfpfeife ertönte, um das neue Jahr zu verkünden.

Wünsche, die man für unerreichbar hielt, hatte das alte in Erfüllung
gebracht: wird das neue den Erwartungen entsprechen und weitere
Aufschlüsse über Regionen bieten, die keines Menschen Auge jemals zu
schauen vermag?



8. Einige Ergebnisse der Valdivia-Expedition


Als ein wertvolles Ergebnis dieser in einigen Kapiteln vorgeführten
Expedition kann der Nachweis bezeichnet werden, daß die pelagische
Tiefenfauna in allen Meeresgebieten außerordentlich gleichmäßig ist,
so daß man von tiergeographischen Reichen hier nicht reden kann.
Anders dagegen die schwebenden Oberflächenformen. Sie richten sich
so nach der Temperatur, dem Salzgehalt, dem spezifischen Gewicht und
vor allem nach der inneren Reibung des Seewassers, daß man schon mit
dem Mikroskop den Eintritt in ein neues Stromgebiet nachweisen kann.
Nichts ist überraschender, als diese mit einem Schlage erfolgende
vollständige Änderung im Oberflächenplankton bei dem Übertritt aus
dem Warmwasser in das Kaltwasser und umgekehrt. Nun läßt sich aber
zwischen dem erstaunlich reichen antarktischen und arktischen Plankton
eine gewisse Übereinstimmung feststellen, die so weit geht, daß einige
Formen in beiden polaren Wassergebieten auftreten, welche in den
ungeheuren, dazwischenliegenden Warmwasserzonen durchaus fehlen. Um das
zu erklären, muß man sich vor Augen halten, daß es viele tierische
Organismen gibt, die zu ganz bestimmten Jahreszeiten an der Oberfläche
erscheinen, hier sich derart vermehren, daß sie sich zu dichten
Schwärmen anstauen, um dann so rasch, wie sie gekommen sind, in der
Tiefe wieder zu verschwinden. Im tiefen und kalten Wasser tropischer
Gebiete findet eben, wie auch die Schließnetzbefunde bezeugen, ein
Austausch zwischen arktischen und antarktischen Oberflächenformen statt.

Die Anpassung der Tiefseetiere an die vollständig dunklen Regionen, in
denen sie leben, äußert sich vor allen Dingen in der Rückbildung der
Augen. Ein an der Somaliküste erbeuteter Grundfisch ist völlig blind;
an Stelle der Augen sind zwei in goldenem Metallglanz erstrahlende
Hohlspiegel getreten (Abbildung 20). Aber es läßt sich nicht leugnen,
daß nur bei wenigen Tiefseetieren ein völliger Verlust der Augen
eingetreten ist; manche Fische und Kruster dieser ewig dunklen Regionen
haben sogar wohlentwickelte, oft ungewöhnlich vergrößerte, ja sogar
teleskopisch verlängerte Augen. Was für Lichtstrahlen mögen es sein,
für die sie empfänglich sind? Der Gedanke, daß dieses Licht von den
Tiefseetieren selbst erzeugt wird, liegt nahe und ist auch durch
direkte Beobachtung über allen Zweifel sicher gestellt. Es gewährt
einen feenhaften Anblick, wenn in der Dunkelheit das Vertikalnetz oder
die Dredsche mit ihrem teilweise noch lebenden Inhalt an die Oberfläche
gelangen und die in ihnen enthaltenen Organismen in phosphorischem
Schein erglühen. Bald sondern sie einen leuchtenden Schleim ab, bald
erstrahlt der ganze Körper, bald nur einzelne Leuchtorgane. An den
Zweigen der „Seefedern“, die an der Somaliküste erbeutet wurden,
huschten blitzartig von Polyp zu Polyp übergreifend die Strahlen auf
und ab. Bei manchen Tiefseefischen umsäumen die Leuchtorgane, als
Blendlaternen mit Hohlspiegeln und Linsen ausgestattet, die Seitenteile
des Körpers und den Bauch (Abbildung 16 oben mit dem großen Leuchtfleck
hinter dem Auge und den vielen Leuchtpünktchen am Bauche entlang),
während andere Fische wie Diogenes ihre Glühlämpchen am Kopfe und auf
dem Unterkiefer tragen (Abbildung 16 mitten und unten). Selbst die
Flossenstrahlen können als Träger von Leuchtorganen dienen. Der in
Abbildung 12 und 13 dargestellte Tintenfisch ist mit 24 Leuchtorganen
ausgestattet. Unter allem, was uns die Tiefseetiere an wundervoller
Färbung darbieten, läßt sich nichts auch nur annähernd vergleichen
mit dem Kolorit dieser Organe. Man glaubt, der Körper sei mit einem
Diadem bunter Edelsteine besetzt: das mittelste der Augenorgane glänzt
ultramarinblau und die seitlichen weisen Perlmutterglanz auf; von
den Organen auf der Bauchseite erstrahlen die vorderen in rubinrotem
Glanze, während die hinteren schneeweiß oder perlmutterfarben sind mit
Ausnahme des mittelsten, das einen himmelblauen Ton aufweist.

Schwerlich dürften die Leuchtorgane als Schreckmittel zur Abwehr von
Feinden aufzufassen sein. Die auf die Oberfläche herabgelassenen
elektrischen Schwimmlampen werden immer in kurzer Frist von einer
erstaunlich großen Zahl pelagischer Organismen umschwärmt, die, weit
entfernt, von dem starken und anhaltenden Licht abgeschreckt zu werden,
demselben vielmehr zustreben. Man trifft wohl das Richtige, wenn man in
den Leuchtorganen Lockmittel erblickt, durch die die Beute angezogen
wird. Da aber zum Beispiel bei den Tiefseefischen die Leuchtorgane sich
in ganz bestimmter Anordnung vorfinden, wodurch die verschiedenen Arten
wie die Arten der Landtiere „gezeichnet“ werden, so muß man in den
Leuchtorganen gewiß auch ein Mittel sehen, durch die das Zusammenfinden
der Geschlechter und die Vereinigung der einzelnen Arten zu Schwärmen
begünstigt wird. Die Leuchtorgane in originellen Zeichnungen über
den Körper verteilt, vielleicht in verschiedenfarbigem Licht
phosphoreszierend, was für einen magischen Anblick muß das gewähren!

Wer will die Wunderwelt der Tiefsee in allen ihren Beziehungen
erfassen? Überall Fremdartiges, Erstaunliches, nie Geschautes. Und doch
geht das Neue niemals so weit, daß nicht verwandte Erscheinungen aus
dem Leben an der Erdoberfläche aufzufinden wären. Man glaubt eine alte,
längst vertraute Melodie zu vernehmen, die stets von neuem packend in
unendlichen Abänderungen wiederkehrt.

„In ewig wiederholter Gestalt wälzen die Taten sich um. Aber jugendlich
immer, in immer veränderter Schöne ehrst du, fromme Natur, züchtig das
alte Gesetz.“



    Wissenschaftliche Volksbücher

    Die „W. V.“ wollen in das Wissen der Gegenwart einführen,
    Verständnis erwecken für die Aufgaben der Forschung und durch
    stetigen Hinweis auf die Quellenwerke zu deren späterem Studium
    Anleitung geben. Jedes Bändchen ist mit einer Anzahl Bilder
    von künstlerischem oder wissenschaftlichem Wert geschmückt.

    Bis jetzt sind erschienen

      1. =Durch Asiens Wüsten.= Von ~Sven Hedin.~ Mit acht
      Bildern. 6. bis 10. Tausend.

    Mit atemloser Spannung folgt der Leser den Schilderungen der
    Gefahren, die dem kühnen Forscher entgegentraten, um schließlich,
    erfüllt mit unbedingter Hochachtung für die Energie und Ausdauer,
    mit der sie überwunden wurden, den glücklichen Ausgang der Reise zu
    vernehmen.

      2. =Die Anfänge der Luftschiffahrt.= Aus Berichten der
      Zeitgenossen ausgewählt von ~A. Gerlach~. Mit acht
      Abbildungen nach alten Kupfern.

    Heute, da die Luftfahrzeuge allmählich beginnen, sich den Zwecken
    des Verkehrs dienstbar zu machen, gewährt es einen ganz besonderen
    Reiz, die ersten mühevollen Versuche auf diesem Gebiete zu
    verfolgen und uns das Staunen und die Begeisterung der Augenzeugen
    zu vergegenwärtigen.

      3. =Der große Bauernkrieg.= Von _Dr._ ~W. Zimmermann~. Eine
      Auswahl aus seinen Erzählungen. Mit sechzehn Bildern alter
      Meister (Albrecht Dürer, Hans Burgkmair, Jost Amman, Hans
      Schäufelein u. a.)

    Das Buch schildert eine Epoche, die mit primitivsten
    wirtschaftlichen Nöten, mit Druck und Ausnützung, mit Mord und
    Brandstiftung, mit Raub und Marter angefüllt ist, und dennoch
    scheint uns diese rohe, barbarische Zeit beim Lesen des Buches
    ästhetisch viel höher zu stehen als unsere zivilisierte. (Kunstwart)


      4. =Meine Wallfahrt nach Mekka.= Von ~Heinrich von
      Maltzan.~ Mit acht Bildern hervorragender mohammedanischer
      Tempelbauten.

    Der Verfasser hat verkleidet eine Pilgerfahrt nach Mekka mitgemacht
    und dabei sein Leben aufs Spiel gesetzt, da das Betreten der
    heiligen Stadt bei Todesstrafe jedem Christen verboten ist. Diese
    Reise, die den Leser von vornherein in die höchste Spannung
    versetzt, ist bis zum Schluß gleich interessant, lebendig und
    anschaulich beschrieben. (Literarischer Ratgeber)


      5. =Alte Bilder aus einer alten Stadt.= Episoden aus der
      bremischen Kulturgeschichte von ~J. G. Kohl~. Mit acht
      Bildern.

    Ein Heimatbüchlein, wie wir eins für jede deutsche Stadt wünschen!
    Es stellt die unmerklichen, leisen Umwandlungen dar, die die alte
    Stadt im Laufe der Jahrhunderte durchmachte, und wie sie aus einem
    befestigten Dorfe allmählich eine weitgeöffnete moderne Stadt
    geworden ist. (Magazin für Pädagogik)


      6. =Eine Reise um die Welt.= Von ~Charles Darwin~.
      Mit sechs Bildern.

    Die Aufzeichnungen entstammen einem Tagebuch, das der erst
    25jährige Darwin auf seiner mit Kapitän Fitzroy unternommenen
    Südamerika-Expedition geführt hatte. Die ungekünstelte Art der
    Beschreibung, die Forscherfreude an jeder, auch der kleinsten,
    Naturerscheinung, verleiht den Darwinschen Reisebriefen einen
    besonderen Reiz. (Breslauer Morgen-Zeitung)


      7. =Der Ursprung des französischen Krieges.= Von
      ~Heinrich von Sybel~. Aus H. v. Sybels „Begründung
      des Deutschen Reiches durch Wilhelm I“. Ohne Bilder.

    Die hier gebotene Darstellung vom Ursprung des französischen
    Krieges gilt bis auf den heutigen Tag als die beste und
    gründlichste Bearbeitung dieser zwölf entscheidenden Tage. Immer
    wuchtiger und nachdrücklicher wird die Sprache, ~immer lebendiger
    die Erzählung, und sie läßt schließlich den Leser bis zum Ausbruch
    des Sturmes nicht mehr zu Atem kommen~.

      8. =Auf dem Orinoko.=  Eine  Reise in die Äquinoktialgegenden
      des neuen Kontinents. Von ~Alexander von
      Humboldt~. Mit neun Bildern und einer Karte.

    Die Geschichte der Humboldtschen Reise zeigt, daß eine Welt-
    und Forschungsreise vor hundert Jahren zu ganz ungewöhnlichen
    körperlichen und geistigen Leistungen nötigte. Sie zeigt aber auch
    gleichzeitig Humboldts, des größten naturforschenden Reisenden
    aller Zeiten, wunderbare Gabe, alle Erscheinungen im Natur- und
    Menschenleben zu verbinden und eine ganz neue, auf vergleichende
    Länder- und Völkerkunde berechnete Reisekunst zu kultivieren.

      9. =Das Leben der Bienen.= Von ~Maurice Maeterlinck~.
      Auswahl. Mit vier Tafeln.

    Es ist bei den Bienen wie bei der Mehrzahl aller irdischen Dinge:
    wir beobachten einige ihrer Gewohnheiten, wir sagen, sie tun
    dies und jenes, sie arbeiten so und so, ihre Königinnen sorgen
    für Nachkommenschaft, ihre Arbeiterinnen bleiben Jungfrauen, und
    dann und wann schwärmen sie. Damit glauben wir sie zu kennen
    und fragen nicht weiter. Aber sobald das Auge tiefer eindringt
    und sich Rechenschaft ablegen will, erkennt es die erstaunliche
    Kompliziertheit der einfachsten Erscheinungen, ~das Wunder
    des Verstandes und des Willens~, der Bestimmungen und Ziele,
    der Ursachen und Wirkungen, die unbegreifliche Organisation der
    geringsten Lebensakte.


      10. =Die  Abenteuer des Simplizissimus.= Roman aus
      der Zeit des 30jährigen Krieges. Mit den achtzehn
      Bildern der „großen Kriegsübel“ von ~Jacques Callot~
      und vier Kriegsbildern von ~Stefano della Bella~.

    Es gibt kein Buch und keine Chronik, die uns so unmittelbar und
    ergreifend in die Geschichte dieser Zeit einführten wie dieser
    Roman. Alles wird mit einem Herzen voll Anteilnahme geschildert
    von einem Menschen, der sich auch in dieser Zeit des allgemeinen
    Niederganges die Freude am Leben und einen gesunden Humor bewahrt
    hat.

      11. =Das alte Ägypten.= Geschichtliche Erzählungen von
      ~Gaston Maspero~. Mit siebenunddreißig Bildern aus
      des Verfassers Geschichte der morgenländischen Völker.

    Maspero ist einer der gründlichsten Kenner des alten Ägyptens.
    Seine Erzählungen führen in eine alte, längst vergangene Zeit
    zurück: dreitausend Jahre müssen wir rückwärts im Fluge durcheilen.
    Das alte Leben, das so lange im Wüstensande schlummerte, erwacht
    wieder. Die winzigen Reste ehemaliger Städte wachsen in die Höhe,
    und der brausende Lärm des Alltags einer grauen Vorzeit tönt von
    neuem an unser Ohr.

      12. =In Nacht und Eis.= Die norwegische Polarexpedition
      1893-1896 von ~Fridtjof Nansen~. Mit acht Bildern.

    Das herrliche Buch berichtet von der eigenartigsten und
    erfolgreichsten aller Polarexpeditionen. Es erzählt die Ereignisse
    dieser seltsamen Fahrt und besonders die bewundernswerten
    Leistungen des Führers.

      13. =Aus den Tiefen des Weltmeeres.= Von Carl Chun.
      Schilderungen von der deutschen Tiefsee-Expedition.
      Mit zwanzig Bildern.

    Die Tiefen des Weltmeeres haben von jeher die Gedanken der Menschen
    mächtig erregt. Daher werden die Forschungsergebnisse, welche
    die deutsche Tiefsee-Expedition zeitigte, und besonders jene
    aus dem wichtigsten Teil ihrer Reise, den Kreuzfahrten in dem
    südatlantischen Ozean in seinen Uebergängen in das antarktische
    Meer, die in diesen Blättern niedergelegt sind, das Interesse Aller
    wecken und wachhalten.

    =Jeder Band gebunden 1 Mark 50 Pfennig=

    Für den Schulgebrauch von 20 Exemplaren an 1 Mark 20 Pfennig

    =Die Sammlung wird fortgesetzt=


    Kajakmänner

      Erzählungen grönländischer Seehundsfänger. Mit Bildern
      von ~O. Schwindrazheim~. Ausgewählt vom
      Hamburger Jugendschriften-Ausschuß. 8. bis 10. Tausend.
      Gebunden 1 Mark

    Das ist so recht eine Lektüre für unsere Jugend. Diese Erzählungen
    von gefahrvollen Reise- und Jagdabenteuern, welche grönländische
    Seefahrer in ihren Kajaks zu bestehen haben, sind besonders
    deshalb von so fesselndem Reiz, weil sie von den Eingeborenen
    niedergeschrieben wurden, wie diese sie erlebten. Eine neue
    eigenartige Welt tut sich hier auf, eine Welt, in der der Tod dem
    Leben näher zu stehen scheint als anderswo. (Fränkische
    Volkszeitung)


    Diese Erzählungen sind in ihrer schlichten, allem Pathos fremden
    und doch durch die Gefahr der Situationen spannenden Art
    außerordentlich geeignet, der lügenhaften Verstiegenheit der
    Schundliteratur die einleuchtende packende Wahrheit des wirklichen
    Geschehens entgegenzuwerfen. (W. Lottig, Hamburg)


    Vom Kuhhirt zum Kapitän

      Das Leben Heinrich Brocks. Erzählt von ~Hanns Fuchs~.
      Mit Bildern von ~Th. Herrmann~. Gebunden 1 Mark
      50 Pfennig

    Die Lebensgeschichte eines aus kleinen Anfängen emporgekommenen
    Seefahrers, den sein Beruf im Laufe der Jahre bis in ferne
    Erdteile führte. In knappen und in seiner ruhigen Sachlichkeit
    doppelt anschaulichen Schilderungen rollt sich dieses äußerlich
    unscheinbare, innerlich aber um so tüchtigere Menschenleben vor
    uns auf, das durch seine wortkarge Pflichterfüllung und sein
    kerngesundes Wesen viel Gewinnendes und Nachstrebenswertes an sich
    hat. (Die Gegenwart)


    So ohne allen Prunk, ohne alle Selbstgefälligkeit, ja selbst
    ohne die in Seemannskreisen übliche schalkhafte Aufschneiderei
    vorgetragen, wirkt das Leben Heinrich Brocks wie ein
    Stück einfacher herber Natur, fern von jeder Romantik und
    Abenteuerlichkeit. Und es wirkt auf jung und alt. (Das literarische
    Echo)


    Das Schiff in der Flasche

      Meine  wunderbare Reise mit dem Klabautermann auf
      der Brigg Albatros am 24. September 1908. Von
      =Heinrich Vogel.= Gebunden 2 Mark

    Man folgt Heinrich Vogel gern auf der Phantasiereise jenseits der
    Welt. Der Reisende gelangt auf einem geheimnisvollen Strom zu
    längst versunkenen Geschlechtern, zu Fahrtgenossen des Pizarro, er
    findet Peter Schlemihl und lockt mit der Musik seiner Weidenflöte
    den Schatten des tragischen Wanderers heran, der nun unter dem
    Strahl der Sonne zusammensinkt und den Weg in die goldene Stadt
    der Ewigkeit findet. Und er sieht sich schließlich wieder vor
    seinem Schreibtisch, zurückgekehrt aus dem Phantasieland in
    der heimatlichen lieben Enge, die nun für immer ein Hauch der
    geheimnisvollen Traumfahrt durchwehen wird. Das Buch ist das Werk
    einer reinen und feinen, liebenswürdigen und natürlichen Phantasie.
    (Königsberger Hartungsche Zeitung)


    Hamburger Hafenbilder

      Von =Wilhelm Dittmer=. Billige Ausgabe. Kartoniert
      2 Mark. 12 doppelseitige, 24 ganzseitige Bilder,
      48 Seiten Text

    Was für wunderbare Zeichnungen und welch frischen aus dem Leben
    geschöpften Text gibt uns dieses billige Volksbuch. Es ist geradezu
    eine Poesie der Arbeit, kein anderer würde es besser verstanden
    haben, uns die Arbeit des Hamburger Hafens anschaulicher und
    reizvoller näher zu bringen als Wilhelm Dittmer. Er führt uns in
    die Schifferstuben, auf Deck, in die Kajüten, in die Hafenkneipen,
    und läßt uns so einen ursprünglichen Einblick tun in das Getriebe
    des Hamburger Hafens. Jeder Deutsche wird das Buch mit Stolz und
    Befriedigung lesen, ist doch das, was im Hamburger Hafen geleistet
    wird, etwas Gewaltiges, das dem deutschen Namen auf der ganzen Erde
    Ehre macht. (Der deutsche Kaufmann im  Auslande)


    Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig



[Illustration: Abbildung 1. Lotmaschine]

[Illustration: Abbildung 2. Tiefseelot bei dem Herablassen]

[Illustration: Abbildung 3. Kippthermometer bei dem Herablassen]

[Illustration: Abbildung 4. Kippthermometer bei dem Aufkommen]

[Illustration: Abbildung 5. Peridineen (Geißelinfusorien des
Warmwassers)

    _a. Peridinium_                _b. Ornithocercus_
    _c. Ceratocorys_               _d. Phalacroma_
]

[Illustration: Abbildung 6. Tafelförmiger Eisberg mit Brandungswoge.
Höhe 34 _m_, Breite 119 _m_.]

[Illustration: Abbildung 7. Brüllender See-Elefant]

[Illustration: Abbildung 8. Oberflächen- und Tiefenplankton aus dem
antarktischen Meere. Fig. 1. _Tuscarora_, eine Radiolarie, schwebt
unterhalb 1000 _m_ Tiefe. Vergr. ca. 60/1 Figuren 2-5. Diatomeen
von der Oberfläche. Vergr. ca. 600/1, darunter 4, 5 _Chaetoceras_]

[Illustration: Abbildung 9. Tiefenschlamm des antarktischen Meeres aus
5000-6000 _m_ bei mikroskopischer Untersuchung.

Figuren 1-12 Diatomeen (11. _Chaetoceras_). Figuren 13 und 14
Dictyochen und Radiolarien]

[Illustration: Abbildung 10. Flügellose Fliege. Vergr. 10/1]

[Illustration: Abbildung 11. Schmetterling mit verkümmerten Flügeln.
Vergr. 6/1]

[Illustration: Abbildung 12. _Lycoteuthis diadema._ Aufnahme nach
dem Leben mit den glänzenden Leuchtorganen. Vertikalnetz bis 1500
_m_. Wenig vergrößert]

[Illustration: Abbildung 13. _Lycoteuthis diadema._ Die
Mantelhöhle ist geöffnet]

[Illustration: Abbildung 14. Pinguinkolonie]

[Illustration: Abbildung 15. Homolide mit Stirngeweih und Scheren am
fünften Fußpaar. Natürliche Größe. (Vermutlich erfaßt der Krebs mit
diesen Scheren Fremdkörper als Schutzdach)]

[Illustration: Abbildung 16. Pelagisch lebende Tiefseefische.
Natürliche Größe oder wenig verkleinert. Momentaufnahme nach dem Leben]

[Illustration: Abbildung 17. _Pentacrinus_, eine Seelilie. 1280
_m_]

[Illustration: Abbildung 18. Schlangensterne, an Rindenkorallen sich
anklammernd. Bouvet-Insel. 450 _m_. Natürliche Größe]

[Illustration: Abbildung 19. Kerguelenkohl (_Pringlea
antiscorbutica_). Die Pringlea ist durch die Kaninchen, die heute in
ungeheurer Zahl auf den Kerguelen verbreitet sind, nahezu ausgerottet;
sie findet sich nur noch an senkrechten Felswänden oder auf den in den
Fjorden gelegenen Inseln]

[Illustration: Abbildung 20. Blinder Fisch (_Barathronus
bicolor_), 1289 _m_. Somali-Küste. Natürliche Größe; zeigt eine
halbdurchsichtige Haut, durch welche die Blutgefäße hindurchschimmern;
die Augen sind vollständig rückgebildet, und ihre Stelle vertreten
Hohlspiegel, welche in goldigem Glanze reflektieren]





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Aus den Tiefen des Weltmeeres - Schilderungen von der deutschen Tiefsee-Expedition" ***

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